M /////, ^/^. ///^,^F/. ^^-^ Reisen Landerbetchreibungen der Alteren und neuesten Zeit. Mit Karte«. ^—"> Drelundzwanzlgste lieserungr* Reise durch Nußland nach dem K&U&ÄSBSdllJlli ISSS3E13. 8^<> während einrr Reise über Frankreich, England und die Vereinigten Staaten von Nordamerika nach Mexico. 1 fi. 24 kr. oder 20 gr. ?te — Alexander BurneS' Reisen in Indien und nach Bukhara. Zweiter Band. 2 fl. 42 kr. oder 1 Nchlr. tt> gr. Ste — Hohn Barrow, jun , ein Besuch auf der Insel Island im Sommer »834. M>t Holzschnitten, t fi. 45 kr. Dder l Rchlr. 4 gr. Vte Lfg. Thomas Pringle, südafrikanische Skizzen. Aus bcm Englischen überseht. Preis 2 fi. 15 kr. oder 1 Nlhlr. 8 qr. tftte— Mexico in den Jahren «83» bis l832. Vom Verfasser der „Briefe in die Hetmat h." Erster Band. Preis I fl. ober 1 Rthlr. 20 gr. Reisen und Länderbeschreibungen der älteren und neuesten Zeit, eine Sammlung der interessantesten Werke über Lander- und Staaten-Kunde, Geographie und Statistik. Herausgegeben von Dr. Eduard Widen m a n n, Redacteur des Auslandes, und Dr. Hermann H a u t t, Redacteur des Morgenblattes. D r e i u nd z w a u z i st st e Lieferung. Stuttgart und Tübingen, Druck und Verlag der I. G. Cotta'schen Buchhandlung, 18 4 2. Reise durch Rußland nach dem kaukasischen Isthmus in fen Jahren 1836, 1837 und 1833, Karl Koch, Doctor der Medicin und Philosophie, außerordentliche! Professor der Naturgeschichte zu Jena und eixiger gelehrten Gesellschaften Mitgliede. Stuttgart und Tübingen. Verlag der I. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1842. Jr. Ercellen) dem wirklichem Geheimen-Nathe und Semttor, vieler hohen Orden Ritter ic> «cs Zeichen der innigsten Ergebenheit und tiefsten Hochachtung Der Verfasser. Vorrede. IVenn ich erst jetzt die hier niedergelegten Resultate meiner kaukasischen Reise zur öffentlichen Kenntniß bringe, so ist die Ursache in den Umständen, die ja oft den festesten Willen des Menschen beugen können, zu suchen. Als akademischer Lehrer mußte mein erstes Streben darauf bedacht seyn, mich als solcher sogleich vom Anfange der zwar nicht neuen, aber doch erneuerten Laufbahn zu qua-lificiren, und festen Muthes strebte ich nicht umsonst nach dem Beifall, deffen ich mich bis jetzt zu erfreuen hatte. Daß aber drei und vier Stunden, welche ich täglich lesen mußte, den größten Theil meiner Zeit in Anspruch nahmen, wird jedermann, auch wenn ihm die dazu nöthigen Vorarbeiten in dem Umfange nicht bekannt wären, leicht einsehen. Dazu kam noch, daß ich gezwungen war und noch bin, die mir übrig gebliebene Zeit zu ganz andern Dingen, die keineswegs die Wissenschaft geradezu fördern, sondern mir nur die dem Leben nothwendigen Bedürfnisse verschaffen, zu verwenden. Leider ist der Mensch zu abhängig geboren, um in der freien Welt sich frei bewegen zu können und feindliche Verhaltnisse beschneiden die Schwingen des emporstrebenden Geistes nur zu oft. Ein zweiter Grund lag in mir selbst. Ich wollte das was ich gesehen und empfunden, nicht ohne es gehörig durchdacht, ich möchte sagen verdaut zu haben, einem gebildeten Publicum überreichen. Um aber doch die Eindrücke frisch und unverändert wiedergeben zu können, hatte ich im ganzen Verlaufe meiner Reise ein genaues Tagebuch geführt, und in ihm alle Beobachtungen und Yin Empfindungen, die sich meiner irgendwo bemächtigt hatten, treulich niedergelegt. Oft saß ich bis spät in die Nacht auf einem Steine oder auf einem Baumstämme, den Tisch, aus einem Insecten-Kasten bestehend, auf dem Schooße und ein freundlicher Kaukasier leuchtete mir mit einem brennenden Kienspan zu dem, was ich niederschrieb. So hatten sich alle Erinnerungen, wie sie damals waren, in meinem Tagcbuche erhalten und ich übergebe sie daher jetzt unverändert aber geläutert und verglichen mit allem, was über den Kaukasus geschrieben ist. Ein unbegreifliches Etwas trieb mich seit meiner ersten Jugend, als ich kaum die Kinderschuhe von mir geworfen hatte, nach den unbekannten Landern des kaukasischen Isthmus, und alles was mir über ihn dargeboten wurde, verschlang ich mit einem Heißhunger, den nichts stillen konnte, als eine endliche Wanderung nach den östlichen Ufern des schwarzen Meeres. Jahre lang trug ich den Gedanken in mir, bevor ich es nur wagte, ihn einer fühlenden Seele mitzutheilen. Alle die Mythen, welche die Griechen nach dieser ihnen zwar nahen, aber doch völligen teria incognita versetzten, reizten meine Wißbegierde um so mehr, je weniger es der neuern Zeit gelungen war, den Schleier zu lüften, womit der Kaukasus seit Jahrhunderten bedeckt ist. Zuversichtlicher und froher kann nicht leicht Jemand eine so gefahrvolle Neise als ich angetreten haben, und doch fesselten mich zarte Vande an das theure Vaterland, das ich zwei Jahre lang missen wollte. Es war aber kein selbstsüchtiger Zweck, der mich bestimmte einen Theil der unbekannten Erde zu durchwandern, der mir Kraft gab die Mühen und Anstrengungen zu ertragen; die Wissenschaft war es allein, die mit ihrer ganzen hohen Kraft mich beseelte und mich kein Opfer fchcuen ließ, das Land näher kennen zu lernen, aus oder über dem unsere Vorfahren ohne Zweifel hervorgegangen sind. Sollte auch das Land, was in naturgeschichtlicher Hinsicht so hohes Interesse hat, was der Geschichte und Linguistik so unendlich viel darbietet und manche ihrer großen Lücken aus- IX zufüllen vermöchte; sollte nicht das Land, das so viele Erinnerungen in seinem Schooße bewahrt, und sollten nicht seine Bewohner, die vielleicht einzig auf der Erde allen Stürmen der Welterobcrer muthig trotzten und in ihren Bergen sich eine zwar wilde, aber doch edle Freiheit bewahrten, nicht im Stande seyn, das Interesse eines jeden, der der Wissenschaft und ihrem Forschen nicht fern liegt, in hohem Grade in Anspruch zu nehmen. Wie weit ich die Aufgabe gelöst, die ich mir selbst gestellt, werden die folgenden Bogen zeigen. Mit mir selbst nicht zufrieden, übergebe ich sie nur schüchtern dem Gelehrten und Laien und die größte Belohnung wird mir dann werden, wenn mein Streben er? und nicht verkannt wird. Das eigene Bewußtseyn sagt mir wenigstens, daß ich nichts versäumte, was mich dem Wissen näher führen konnte. Ich war glücklicher als Diogenes mit der Laterne, und fand in den kaukasischen Ländern, die selbst in Rußland mehr als bei uns gefürchtet werden, viele Menschen und unter ihnen viele Nüssen, denen ein Herz für alles Gute empfanglich schlug. Ihnen bin ich unendlich dankbar, denn außerdem, daß sie auf alle Weist mir die Heimath zu ersetzen versuchten, unterstützten sie mich redlich in allen meinen wissenschaftlichen Bestrebungen und theilten mir ihre vielfachen Erfahrungen und Beobachtungen mit. Die Winter des Jahres ittz« und 1857 verlebte ich in Tiflis, dem Paris Transkaukasiens, und prüfte mit Sachverständigen alle Beobachtungen, die ich auf der Reise gemacht hatte. Kaukasier aus allen Stämmen fanden sich in dieser Hauptstadt ein und durch meine Freunde machte ich alsbald die Bekanntschaft vieler kaukasischen Eingebornen. Auf diese Weise gelang es mir eine Menge Nachrichten über den Kaukasus zu erhalten, die mir sonst fremd geblieben wären. Glücklich hatte ich alle Gefahren im ersten Jahre meiner Reise überstanden, glücklich war ich alle auck bei den Eingeborenen verrufenen Gegenden durchwandert; selbst die ungesunden Gegenden am schwarzen Meere, in denen sogar Hühner vom Fieber ergriffen werden, in denen die X Frostanfälle des Fieberkranken epileptischen Convulsionen gleichen, in denen schon so viele Fremde ihr Leben aushauchten, vermochten nicht mit ihren unheilschwangern Dünsten mir zu schaden. So glaubte ich gegen alle miasmatischen und endemischen Einflüsse gesichert zu seyn. Nasch drang ich im zweiten Jahre vorwärts, und keine Schonung kennend, setzte ich mich in der Sandwüste des Araxes den brennenden Sonnenstrahlen unerschrocken aus. Am Fuße des Ararat, den ich in wenig Wochen zu ersteigen wähnte, und in der Nähe der Quellen des classischen Euphrat erfasite mich aber das tückische Geschick, warf mich auf das Krankenlager nieder und hielt mich über 16 Wochen mit unerbittlicher Strenge auf demselben gefesselt. Doch wenn es ihm auch gelcmg die Kräfte des Körpers zu brechen, der Geist erhielt sich stark unp unter Gottes Hülfe kam ich als ein Wunder nach Tiflis, wo man mich lange unter der Erde wähnte, zurück. Nicht die Schmerzen und Leiden, die ich erduldet, nicht die betrübte Einsamkeit, in der ich gelebt, sind es, worüber jetzt noch mein Herz klagt. Der Verlust an Gesammeltem und die kostbare Zeit, die mir geraubt wurde, rufen in mir die traurigen Erinnerungen jener Tage, die ich so fern ohne Nutzen für die Wissenschaft vertrauern mußte, immer von neuem hervor und betrüben mich im tiefsten Innern um desto mehr, je weniger es mir möglich wird, das Versäumte nachzuholen. Neue Verhältnisse in meinem Vaterlandc bestimmten mich, das mir theuer gewordene Kaukasicn zu verlassen, und taub gegen die freundlichsten Aufforderungen Sr. Er-eellenz des Herrn Varon von Hahn, det damals für die kaukasischen Länder eine neue Verfassung zu entwerfen beauftragt war, zu bleiben, trat ich endlich meine Rückreise an und traf in der Mitte des Monats Mai 5«5« wiederum in Jena ein, um wenige Tage darauf das Katheder zu besteigen. Wenn ich auch selbst in den folgenden Bogen die Mängel und Unvollkommenheiten anerkenne, so glaubte ich doch nicht mehr zögern zu dürfen, die Resultate meiner XI Reise bekannt zu wachen und setzte deßhalb, um Zeit zu gewinnen, den größten Theil meiner Vorlesungen aus. Hoffentlich wird mir die wohlwollende Nachsicht aller Sachverständigen zu Theil. Wer Reisen solcher Art gemacht hat, kennt die Schwierigkeiten mit denen man kämpfen, und die großen Opfer die ein Privatmann darbringen muß. Ohne die große Liberalität der russischen Regierung, die mich mit den besten und ehrendsten Empfehlungen versah und von freien Stücken mir Dolmetscher, Kosaken, Begleitung und sonstige Hülfe ohne alle Bezahlung abließ, hätte ich weit weniger thun können. Und doch war ich nur allein auf mich selbst gewiesen, und wenn mein Auge auch allenthalben hcrumspähte, wenn ich auch Abends die Verständigern des Orts, wo ich mich eben befand, um mich versammelte, so entging mir doch so vieles, worauf ich erst spater aufmerksam wurde. Das Ein- und Umlegen der Pflanzen und das Tagebuch nahmen mir einen großen Theil der Zeit hinweg. Bei meinem Grundsatze, fern von den Städten das Volk kennen zu lernen, war ich auch den größten Entbehrungen ausgesetzt und Monate lang wurde der nackte Boden mein Lager, ein Stein das Kissen, worauf ich mein Haupt legte. Wochen lang mangelte mir das Vrod, woran wir zu sehr gewöhnt sind, um es nicht zu missen. Und wenn ich bis spät in die Nacht gearbeitet hatte und nach Mitternacht mich nach Ruhe sehnte, waren Ungeziefer aller Art: Ratten, Mäuse, Skorpione, Taranteln, Flöhe und Läuse thätig genug, um mir diese zu rauben. Mein nächster Zweck bei Bearbeitung der Reise war Gelehrten und Laien zu gleicher Zeit zu genügen; ich fand aber leider nur zu bald, daß die gelehrten und streng wissenschaftlichen Untersuchungen auch den regsten Eifer eines Laien und umgekehrt das Erzählen minder unbekannter Dinge die Geduld eines Gelehrten nicht minder zu ermüden vermögen. Das Buch selbst, das doch nur eine Beschreibung meiner wissenschaftlichen Reise seyn soll, wäre auch zu einer solchen Stärke angewachsen, daß es wohl im Stande gewesen, Gelehrte und Laien zu gleicher Zeit zu verscheuchen. XII Mehrere Capitel, z. V. über Sitten und Gebräuche der Kal< müken, Nogaier und Kosaken des schwarzen Meeres, die ich bereits eben so wie die der don'schen Kosaken bearbeitet hatte, eine allgemeine Ansicht des Kaukasus, Geschichte der Tscherkessen und Ossen u. s. w. sind hier weggefallen, ich hoffe aber, daß es mir noch in diesem Jahre möglich wird, die gewiß interessanten und belohnenden Untersuchungen über die ethnographischen Verhältnisse des Kaukasus den Gelehrten vom Fache als geringen zweiten Veitrag zur Kunde des Isthmus zu übergeben. Tscherkessien, das Land, das im hohen Grade die Aufmerksamkeit Europa's besitzt und auch verdient, und dic kaukasische Linie, die mit jenem aufs genaueste zusammenhängt, glaubte ich aber hier um so detaillirter beschreiben zu müssen, als beide selbst noch zum großen Theile unbekannt sind. Ihnen widmete ich während des Winterauf-entHaltes in Tiflis meine vorzüglichste Sorge, und die Ve-kanntschaft mit einer Menge Osficiere, die gegen die Tscher-kesscn gestritten, und mit vielen zum Theil sogar feindlichen Tscherkessen setzte mich in den Stand eine Monographie derselben in der Weise, wie es hier geschehen, zu liefern. Ich hoffe dadurch, daß die vagen Begriffe über Tscherkessien fest bestimmt sind. Wenn der erste Vand deßhalb nur meine Reise bis Wladikaukas enthält und scheinbar zu dem zweiten in ein Mißverhältniß kommt, so ist eben die Ursache in der monographischen Beschreibung Tscherkcssiens und der Linie zu suchen. Auch durchreiste ich die ciskaukasischcn Länder ein Jahr später zum zweitenmal, habe aber alle Beobachtungen dieser spätern Zeit des Zusammenhanges halber schon in dem ersten Bande niedergelegt. Dieser enthält daher Cis-kaukasien und Tscherkessien, der zweite Band dagegen wird Ossien und Transkaukasien in sich fassen. Jena, im März 1852. Karl Koch. Erstes Gapitel. Ueise bis Petersburg. Abreise; Verlm; Stralsinid; Pscrderenucn; das preußische Dampfschiff; Seelranlheil; Dornbusch; vergebliches Ä^^rtcn aus das Lübeck.'Petersburaei Dampfschiff; Nückleln naa, Stralwnd; die Insel Uman^; Rügen; aber»,alige Mreise; da5 «übeck.-Petersburg ger Dampfschiff; Neistgestllschaft; ein Nrand; der Somienausgam, »nd Untergang auf dem Mccre uud a>,s dem ^!ande; Üiinonigteit des Schifflcbens; finnischer Meerbusen; Kronstadt; dic Zollbeamten; die diplomatischen Depcschc» ; Petersburg. «tausenderlei Gedanken zogen meiner Seele vorüber, als ich nach einem schweren Abschiede früh am 5,. Mai 1836 allein in dem mir bekannten Postwagen saß nnd dem freundlichen Nanmburg zufuhr. Die Einsamkeit war mir wohl niemals theurer gewesen, als gerade jctzt, wo ich noch einmal überlegte, was ich eigentlich unternahm und welchen Gefahren ich entgegenging. Früher hatte ich nie an Gefahren gedacht, aber jetzt, wo ich nicht mehr mir ge« horte, wo mein Leben an ein zweites sich gekettet hatte, mußte auch ich diese bedenken. Der Wunsch, die Natur in der Natur, wie sie frei und unverfälscht ist, zu studiren, wenn auch nicht zu ergründen, trieb mich fort in die unbekannten Gegenden des Gebirges, von wo ans Prometheus den Göttern das Feuer heimlich entwendete und wo er so grausam büßen mußte. Die Wissenschaft, der ich mich gewidmet, hatte ein Recht auf mich, daß auch ich auf ihrem Altare Opfer brachte, und so reifte nach und nach der Entschluß in mir, die unbekannten Gegenden des Kaukasus zu besuchen. Und was ich einmal fest in mir beschlossen, konnte auch die Liebe, welche erst spater in meinem Herzen eingezogen, nicht vereiteln. Ja, was vielleicht unglaublich scheinen kann, sie bestärkte den Vorsatz in mir und schwärmte im voraus in den Genüsse«, welche aus der Trennung selbst hervorgehen mußten und in der Trennung lagen. Dem theuern Vaterlande und all den Bergen und Triften, auf denen ich so oft und so gern, an jedem Psiänzchen mich erfreuend, herumgeschwärmt war, hatte ich das letzte Lebewohl zugerufen und dachte schon wieder an den Tag der Rückkehr, wo auch ich für den Ruhm des Vaterlands etwas bei- Neisen und Ländcrbeschleil'lmgen. XXIII. 1 (Nnse nach Kaukasicn.) 2 getragen hätte und vielleicht, gewisi zum Theil, Anerkennung finden würde und sie gefunden habe. Rasch eilte ich von Naumburg aus mic der Post über Leipzig und Wittenberg nach Berlin, wo ich erst die Männer kennen lernen wollte, deren Namen an dem Horizonte der Naturwissenschaften hell leuchten. An ihrer Persönlichkeit wollte ich die Kraft, die mich beseelte, stahlen; von ihnen wollte ich selbst die Erfahrungen holen, die mir Neuling in der Wissenschaft und im Reisen entgingen, bevor ich selbst in die unbekannte Fremde auszog. Den Cyklus von Männern, die uns Amerika erst ausschlössen, welche die Länder der Südspitze Afrika's unserer Wißbegierde eröffneten, die uns sogar mit den Infusorien der Wüsten Arabiens und Aegyptens bekannt machten, die uns die Pflanzen des äußersten Westens von Europa kennen lehrten, welche die Gefahren und Mühen einer Wellumseglung nicht scheuten, die ganz Europa durchwanderten und den Pic auf Teneriffa erklimmten, um der Wissenschaft und ihrem innern Dränge zu genügen; den Cyklus von Mannern, die Deutschland sein nennt, auf die Europa mit Stolz blickt, wollte ich von Angesicht zu Angesicht schauen und dann kühn vorwärts schreiten, bis ich die eigene Sendung vollendet. Auch den Mann, der mitten in der Sandwüste Deutschlands die Oase der Aufklärung und Wissenschaft bewohnt und von da aus die unbekannten Gegenden der Erde, besonders Asiens, unserer Einsicht eröffnet hat, den größren Geographen Europa's suchte ich auf und erfuhr so manches Interessante, was auf meine Reise Bezug hatte. Doch auch außerdem wurde mir mein zehntägiger Aufenthalt in Berlin werth und nützlich, da ich mich der Bekanntschaft zweier Manner erfreute, vou denen der eine Dubois de Moutp^reux eben die Gegenden, denen ich zueilte, verlassen hatte. Alexander von Humboldt verdanke ich neben so vielem, was mir seine liebenswürdige Leutseligkeit schuf, auch dessen Bekanntschaft. Der andere war Graf Pappenheim, eben aus Petersburg kommend, wo er Capitän in der Garde gewesen war. Von ihm erfuhr ich so viel über Rußland und seine Bewohner und erhielt so viele wichtige Empfehlllngcn, die mich in meinen Zwecken förderten, daß ich erst jetzt ihm recht dankbar seyn kann. Ungern und doch freudig verliest ich endlich Berlin und eilte über Stettin und Anklam nach Grcifswalde und Eldena, um da- 8 selbst noch einige Bekannte zu besuchen und noch einmal mit ihnen mich des Vaterlandes zu erfreuen. Auch die Zeit verging und so fuhr ich der letzten deulschcn Stadt Stralsund zu. Alle die geschichtlichen Erinnerungen einer thatcnreichen, aber doch traurigen Vorzeit erwachten in mir, als ich die engen Straßen Stral-sundes durchfuhr. So düster mir auch die alten Hanser entgegentraten, so freundlich nahmen mich doch die Wirthsleute im deutschen Hause auf. Das Wirthshaus war mir empfohlen, und wenn auch nicht grosie Eleganz und übermäßiger lunis in ihm mir entgegentraten, so war doch der biedere Sinn seiner Bewohner meinem Herzen wohlthuend. Reinlichkeit und Pünktlichkeit machen mir auch einen Gasthof zweiten Ranges werth, und dieser wurde mir um so interessanter, als der Besitzer, ein achtzigjähriger ehrwürdiger Greis, als Schiffer die ganze Erde bereist hatte und mir manche Stunde verkürzte, bevor der Tag der Abreise herankam. Aufmerksam hörte ich seineu Erzählungen zu und folgte seinen Wanderungen nach der Südspitze Afrika's, nach Süd- nnd Nordamerika, nach Ostindien und fast nach allen europäischen Hafen. Er hatte einen Theil der schauderhaften Revo-lutionotage in Frankreich, in Marseille verlebt und gerade in einer Zeit, als schwedische Schiffe von Algier nicht respectirt ivur-den und Gustav III, der grdßtc Feind der französischen Revolution, zu einem Bündnisse gegen Frankreich warb. Das Pferderennen, was gerade in der Nahe von Stralsund gehalten wurde, wachte die Etrasien belebter, als sie sonst wohl seyn mögen. Alle reichen Gutsbesitzer Pommerns und der Insel Rügen hatten sich eingefunden. Mit eigenem Selbstgefühle blickten die Besitzer der Pferde, welche den Preis für ihren Herrn erlaufen sollten, auf diese, und Freude wechselte mir Bangigkeit in ihren Zügen. Der Fürst von Pntbus und „um ihn die Damen in schönem Kranz auf hohem Ball one," nahmen die vorderste Galerie ein. Ob aber der Werth unserer Pferde in dem Rennen liegt und ob nicht Schlauheit des Reiters oft mehr als Schnell-füßigkeit thut? Diese Fragen zu beantworten, will ich dahingestellt .seyn lassen. Auch für die Vaucrnpferde waren Preise ausgesetzt. Dast dabei viel gewettet wurde, versteht sich von selbst. Endlich war der Tag und die Stunde nicht mehr fern, wo ich nun den Boden des deutschen Vaterlandes aufeinige Jahre nicht wieder bc- 1* treten sollte. Ich war traurig, als ich die Straßen Stralsundcs entlang dem Dampfschiffe znging, aber freudig durchzuckte es mich, als die Räder laut tosend die Wellen peitschten nnd ich meinem Ziele znsteuerte. Die entgegengesetzten Gefühle der Weh-mutli, dem Vaterlande den Nucken zu kehren nnd die Sehnsucht nach dem fremden Lande, durchkreuzten mich, und zum zweiten-male war ich deßhalb erfreut, allein und ungestört nur mir anzugehören. Auf dem Verdecke stand ich und blickte bald hinaus in das offene weite Meer, was sich immer deutlicher vor meinenBlicken entfaltete; bald streifte mein Auge hinüber nach dem schonen Rügen, dem Sitze der alten deutschen Mythe, bald sah ich unverwandt der Gegend zu, wo all' die Lieben, die ich in drr theuren Heimath ließ, wohnten und meiner gedachten. Aber immer blauer wurde die Küste nnd immer undeutlicher erschienen die Thürme Stralsunds, bis alles in der fernen Bläue zerrann. Ein Dampfschiff führte im Jahre ll^fi noch Reisende und Briefe dem Lübeck-Petersburger Dampfschiffe zu und fuhr deßhalb an jedem Sonnabende Nachmittag l, Uhr der westlichen Küste Rügens und Hiddensee's entlang, an eine Stelle welche von den Schiffern der Dornbusch genannt wird und der nördlichen Spitze Hiddeusee's gegenüberliegt, um daselbst jenes zn erwarten. Man hatte mich schon auf dem Festlandc gewarnt und gerathen, lieber von Berlin direct nach Lübeck zu gehen, da Falle vorgekommen seyen, wo das Lübeck-Petersburger Schiff nicht angehalten habe, nnd da überdieß noch das Uebersetzen bei hoher See besonders für einen Neuling sehr gefährlich sey. Ich weist nicht mehr was mich bestimmte den gutgemeinten Rath zu übersehen, und die Folge wird gleich lehren, wie schwer ich büßen mußte. Kaum waren wir eine Stunde entlang gefahren, als ein heftiger Wind sich erhob und unser Schiff hin und her schaukelte. Auch in mir wurde es unruhig, und des Rathes eingedenk, daß der Platz, wo es am wenigsten schaukelt, am geeignetsten ist, der Seekrankheit zn trotzen, setzte ich mich hart am Mastbaumc nieder. Es half aber nichts und selbst der Bogen Loschpapier mit Branntwein getrankt und auf die Herzgrube gelegt, verfehlte seine Wirkung. Die See ging immer hoher und die Wellen tobten fürchterlich. Der Himmel wurde finster nnd der Wind verwandelte sich in Sturm. Mein Uebelbefiudcn vermehrte sich, und 5 kaum vermochte ich noch an dem Geländer des Schisses hinzuschleichen, um von Zek zu Zeit der Natur, die immer mehr wider die ungewohnten Bewegungen sich empörte, zu genügen. Die Seekrankheit läßt sich am besten mil den Folgen eines heftigen Rausches vergleichen, nur mit dem Unterschiede, daß man im letzteren Falle wirklich krank ist, und der Korper die Umstunnnm-gen nicht so deutlich erkennen laßt, als hier, wo er vollkommen gesund die auf mechanische Weise hervorgerufene Umstimmung der Magennerven klarer zu unserm Bewußtseyn gelangen läßt. Der Mensch kommt sich seekrank so erbärmlich vor, weil er eben alles mehr fühlt, und die Unmöglichkeit, den Ort des Elendes zn verlassen, erhöht das geistige Ucbelbefinden. Gebannt auf die Stelle, wo ich eben stand oder lag, blickte ich hinüber nach den felsigen Küsten Hiddensee's nnd beneidete Jedermann, unter dessen Füßen es nicht wankte. Endlich erreichten wir die Stelle unserer Bestimmung und ein Anker hefrete das Schiff an den Boden des Meeres. Aber es war noch nicht ruhiger geworden und eine Welle peitschte die andere, so daß unser Schiff m einem Kreis herumgetrieben wurde. Als es dunkelte, schleppte ich mich mühsam in meine Cajüte und versuchte in Morpheus Armen Ruhe zu finden. Die Seekrankheit hatte alle Gedanken aus mir verscheucht, und durch das bestandige Erbrechen ermattet, schlief ich schon zeitig ein. Die Sonne war jchon aufgegangen als ich erwachte. Nasch sprang ich auf, wahnend, man hatte mich vergessen. Auf dem Verdecke fand ich den Capita« mit dem Fernrohre nach Westen und Norden lugend. Verwundernd frug ich ihn, wo das Dampfschiff bliebe, und selbst verwundert über die Abwesenheit desselben zuckte er die Achseln. Es muß vorbei'gcscgelt seyn, meinte endlich ein Matrose, doch der Sturm hatte sich m der Nacht ge-Icgt und es war fast Windstille eingetreten! Sogar in mir war es ruhig geworden und keine Spur meines gestrigen Unwohlseyns fühlte ich mehr. Doch angstlich harrend sah ich hinaus in die Fluthen, und wenn in weiter Ferne ein dunkler Punkt sich zeigte, faßte das zagende Herz schnell frische Hoffnung. Aber von all deu Schiffen, die nach Osten gingen, kam keines auf uns zu, um mich aus dem bangen Zweifel zn reißen. Mein Zustand war im Yohcn Grade peiuigcnd, und wäre ich abergläubisch gewesen, ich hätte es für eine böse Vorbedeutung halten können. Im Innern s der Drang nach der Fremde, wohin mein Geist schon weit vorausgeeilt war, und die Sehnsucht, je eher desto lieber das Ziel zu erreichen, ließen mir keine Ruhe noch Nast. Die Seekrankheit hatte mich gestern übel gestimmt, aber das unnütze Harren auf endliche Erlösung ans der llnthatigkeit war mir tausendmal peinigender. Es war der eiste Psingstfeiertag. Und jetzt gerade an diesem schönen Feste verdammte mich ein feindliches Geschick, ohne Zweck meinem Ziele selbst entgegen, ruhig auf offener See zu liegen und acht Tage kostbarer Zeit willenlos zu verschwenden. Die Gefühle, die sich dabei meiner bemächtigten, lassen sich eben nur fühlen, nicht beschreiben, aber noch deutlich tritt mir jetzt der damalige Zustand vor die Seele. Schnellen Schrittes ging ich auf dem Verdecke auf und ab, als wenn ich dadurch die Zeit selbst bestimmen könnte, schneller zu vergehen. Die Sonne stand bald hoch und neigte sich wieder, aber noch kein Dampfschiff wollte mich aus meiner Lage befreien. So war mir meiu achttägiger unnützer Aufenthalt gewiß und demnach fügte ich mich, so gut als es eben mir möglich wurde. Der Tag war schön, kein Wölkchen trübte den blauen Himmel, aber in mir wurde es nur langsam ruhiger und kein Strahl der Heiterkeit vermochte den Trübsinn ganz aus dem Herzen zu verscheuchen. Ruhig verging für mich der erste Pfingstfeiertag, und zum zweitenmalc legte ich mich in meine Cajüte, froh, daß wenigstens einer von den sieben Tagen verflossen. Den zweiten auch auf offener See zuzubringen, hatte ich durchaus nicht Lust, so sehr war mir schon das Meer verleitet. Durch ein Boot ließ ich mich nach Nüqen übersetzen und fuhr zu Lande wiederum Stral-suud zu. Es hatte mir nicht geträumt, schon so bald den deutschen Boden wieder zu betreten und meine Wirthöleute waren erstaunt, mich, den sie schon fern auf dem Meere wähnten, so bald wieder zu sehen. Das Personal der Postamter zu Stralsund und Greifswalde hielt Rath, was mit mir und, was noch wichtiger war, was mit den Briefen anzufangen sey? Ich für meinen Theil entschloß mich kurz und glaubte die Zeit nicht besser verwenden zu können, als wenn ich sie zu einem Besuche auf der Insel Rügen verbrauchte. Eine günstige Gelegenheit bot sich mir dar, da ich in meinem Hause die Bekanntschaft des Pfarrers der Insel Umanz, eines Sohnes des ehrwürdigen Schissers, machte. 7 Gern seiner wohlwollenden Aufforderung, bei ihm einige Tage zu verleben, nachgebend, folgte ich ihm den andern Tag auf das freundliche Inselchen, was an der Westküste Rügens zwischen diesem und Hiddensce liegt. Sein gemüthlicher Umgang war ganz geeignet, eine wohlthätige Wirkung in mir hervorzurufen. Durch ihn wurde ich auch mit mehreren Gutsbesitzern und Pfarrern der Umgegend bekannt und fand allenthalben die freundlichste Auft nähme. Es thut mir leid. daß die Bewohner Rügens und Pommerns bei uns in der Regel der Abgeschlossenheit und Ungastlich-kcir beschuldigt werden, da in allen Familien, deren Bekanntschaft ich machte, ein herzlicher wohlwollender Sinn mir entgegentrat. Die Rügencr sind heiter und lieben vor allem die Geselligkeit, so daß sie sich in sehr kurzen Zwischmramnen gegenseitig besuchen und dann meist scherzend und vergnügt einander zutrinken. Im Gegentheil machte ich mir im Stillen gerechte Vorwürfe, daß ich nicht immer in die Fröhlichkeit mit einstimmen konnte und bald im Geiste mich nach Jena versetzte, bald mich unter den wilden Kankasiern wähnte. Nachdem ich so einige Tage vergnügt im tranlichen Kreise der freundlichen Inselbewohner vcrlcbt hatte, nahm ich von dem guten Pfarrer Abschied und machte noch die Runde in Rügen. Alles was ich anf Rügen gesehen und welche Gefühle sich mir bei all' dem Schönen, was mir entgegentrat, zum Bewußtseyn drängten, aufzuzählen, ist wohl hier nicht der Platz, da ich jetzt nur wichtigen unbekannten Ländern meine ganze Aufmerksamkeit widmen und bis dahin nur den Faden meiner Reise verfolgen will. Die Insel Rügen, dieser classisch deutsche Boden, ist so häufig schon besucht und beschrieben, daß das, was ich hier sagen konnte, nur Wiederholung bekannter Dinge wäre. Denn um neue Aufschlüsse über einige noch strittige Fragen zu geben, war mir die Zeit zu kurz und ich wohl auch den Anforderungen nicht gewachsen. Zur rechten Zeit Freitag den 27. Mai kam ich wieder in Stralsund an, um den andern Tag Nachmittag 1 Uhr zum zweitenmal das preußische Dampfschiff zu besteigen. Nach 3^ Stunden waren wir wieder auf der alten Stelle, warfen Anker und sahen ruhig dem Augenblicke entgegen, der mich nun sicher dem Vaterlande entführte. Aber bangen Herzens legte ich 8 mich doch wieder m die Cajüte. Der Schlaf floh meine Augen und ich wachte noch als es tagte. Nasch sprang ich auf und er-schicn noch in der Dämmerung anf dem Ve» decke. Leider war der Himmel bewölkt und die Freude, den Genuß des Sonnenaufganges zu haben, dcmuach vereitelt. Allmählich traten die Felsen des nahen Hiddensec's deutlicher hervor und die Zeit wo gewöhnlich das Lübeck-Pctersbllrger Schiff hier eintraf (des Morgens zwischen 3 mid 4 Uhr) war gekommen. Es erhob sich plötzlich ein starker Wind und ich wankte alsbald mit dem Schisse. Das ängstliche Harren und die bangen Zweifel jedoch hielten den völligen Auebruch der Krankheit noch zurück. Endlich rief einer der Matrosen: „der Mann swi'e der Seemann das Schiff nennt) kommt." Freudetrunken, plötzlich der peinlichen Gefühle entzogen zu seyn, konnte ich kaum den Augenblick erwarten, der mich meinem Ziele einen Schritt naher bringen sollte. Die Wellen gingen hoch, nnd als man von dem Lübcck-Petersburger Dampfschiff, was den Namen Naöljednik (Thronfolger) führtt, ein Boot in das Meer herunterließ und dieses uns entgegensteuerte, waren sie zu der Größe gestiegen, daß ich jenes vor den sich auflhürmenden Wellen bisweilen gar nicht sah. Doch furchtlos kletterte ich die Strickleiter hinab in das Boot und mit ihm kamen wir schnell dem Naöljednik so nahe, daß ich die Strickleiter dort erfassen und das ucnc Schiff erklimmen konnte. Noch einmal blickte ich zurück und sah nun erst, wie leicht das schwache Boot hatte umgeworfen werden können, denn immer lauter tobte der Sturm. Jetzt erst nahm ich mir Zeit zu sehen, wo ich denn eigentlich wäre und mit wem ich mich hier befand. Der Anblick war nicht tröstend und eben so wenig geeignet, mich freudig zu stimmen. Eine Menge trauriger Gestalten mit blassen Gesichtern, matten Angen und schlotternden .knien schlichen einher, und kaum hatte ich Zeit der Verwunderung mich hinzugeben, als auch ich zu wanken begann. Das abscheuliche Erbrechen war in seiner ganzen Heftigkeit eingetreten. Außer der Schiffsmannschaft trotzten nur zwei Männer, cm Ocstcrreicher und Engländer, dem allgemeinen Uebel. Allmählich stellte sich fast die ganze Reisegesellschaft cm, um mit der frischen Luft auch frische Kraft eiuzuathmen. Ich glaubte mich nach dem amerikanischen Vatavia, dem Exil der dortigen Aussätzigen, versetzt. Einer elender als der andere schlich 9 dem Geländer entlang, kaum sich aufj den Füßen haltend, und brachte dem Meere sein Opfer. Es war ein kalter unfreundlicher Morgen und der Wind wehte durch die Mäntel. Kein Sonnenblickchen war uns vergönnt. Es wurdc zum Mittag gelautet, aber außer den beide» genannten Herren fühlte Niemand ein Bedürfniß nach Speise. Leidensgefährten schließen sich schneller an einander, nnd so klagten auch wir uns gegenseitig unsere Noth, alle Seereisen verwünschend. Doch es half nichts, das Land lag uns fern und wir mußten uns mit Geduld wassnen. Allmählich wurde es aber auf dem Meere ruhiger und demnach auch in uns. Den zweiten Tag Abends fühlte ich einen Heißhunger in mir und gierig versuchte ich nun meine wicdererwachtc Eßlust au den kleinen thenern Portionen zu sättigen. Die Reisegesellschaft war diescsmal nicht groß; 27 Personen fnbren mit mir nach Petersburg. Eö ist stets der Fall, daß im Frühjahre die Dampfschisse von Petersburg, im Herbste hingegen von Lübeck' ans vorzüglich besucht werden, da es doch besonders Russen sind, welche im Frühjahre ans dem großen weiten Reiche dem schönen Deutschland und dem übrige» Enropa zueilen, im Herbste hingegen wiederum zurückkehre». Für mich hatten nur eiu Petersburger Kaufmann, Wulfert, mit seinem Sohn, ein österreichischer Pelzhandler und ein Kaufmann aus Tiflis Interesse. Leider sprach der letztere außer seinen orientalischen Sprachen nur russisch und war demnach nicht geeignet, eine weitläufige Conversation mit mir zu halten. Auch der Asiatc liebt sein Vaterland, denn mit großer Vorliebe sprach er von seiner Geburtsstadt Tiflis, der schönsten Stadt Asiens. In Leipzig war er zur Messe gewesen und hatte daselbst bedcntendc Einkaufe gemacht. Von großem Werthe waren mir die beiden freundlichen Wulferts, Vater und Sohn, und um so interessanter, als ich von ihnen über die Familien, denen ich durch Briefe empfohlen war, viel erfnhr. Der österreichische Pelzhandler Lamprecht gehörte zu den Leuten, die durch Selbstgefühl und eigene Kraft aus der niedrigen ihnen angewiesenen Sphäre sich erhoben hatten und mm im Wohlseyn sich befinden. Mit wenig Thalern hatte er als Kürschuergeselle emen Pelzhandcl angefangen und in neun Jahren ein bedeutendes Vermögen sich verschasst. Er kannte Petersburg sehr genau, hatte an allem Höheren Interesse und wurde später mein freundlichster 10 Führer. Das übrig«: Personal blieb uns fern. Dem Engländer genügten nur die Himmelsgegenden und die Winde, welche aus diesen kamen, die russischen Familien hingegen hatten kranke Mitglieder unter sich, litten fast die ganze Zeit hindurch an der Seekrankheit und gaben sich nur selten und streng abgeschlossen der Heiterkeit hin. Doch wir waren ja uns genug, und mit dem altern Wulfert, einem sehr gebildeten Manne, verlebte ich manche trauliche Stunde. Deßhalb brachten wir den größten Theil der Tage in gegenseitiger Unterhaltung zu und saßen des Abends bis spät m die Nacht auf dem Verdecke, bald nach der Gegend hinblickend wo Petersburg liegt, bald aber und hausiger schauten wir südöstlich Deutschland zu, aus dem auch seine Vorfahren stammten und dem er noch mit ganzer Liebe anhing. Es ist uns in der Fremde so wohlthuend, wenn wir jemand finden, der uns versteht. So saßen wir eines Nachmittags zusammen und aufmerksam horchte ich meinen freundlich erzählenden Petersburgern zu, als die Worte „es brennt" plötzlich uns zngerufen wnrden und kaum einige Schritte seitwärts von uns dicker Nauch emporstieg. Vlitzes-schncll lief die Nachricht von Mund zu Mund und panischer Schrecken ergriff die ganze Gesellschaft. Alles eilte dem Orte der Gefahr zn. Man riß die Dielen auf und fand, daß unter ihnen ringsum die Oesse das Holz fusiweit verkohlt war. Ein Wunder nur hatte uns gerettet und rettungslos wären wir verloren gewesen, hatte sich dieses des Nachts zugetragen. Es verlangte eine lange Zeit, bevor wir uns und besonders die Damen sich beruhigten, und die ganze Nacht hindurch wagten viele nicht die Augen zu schließen. Man denke sich aber auch dic Gefahr in ihrer Große mitten auf dem Meere den beiden fürchterlichsten Elementen preisgegeben zn seyn, wo man nur dem einen entweichen konnte, um desto sicherer eine Beute des andern zu werden. Das Reisen auf dem Meere bot mir durchaus nicht die Annehmlichkeiten dar, wie sie uns hanfig in Reisebeschreibungen geschildert werden. Wo sollten sie auch seyn, wenn man sie nicht in sich oder in seiner Umgebung finden kann? Nichts als Wasser unter und nichts als Himmel über sich, keine Abwechslung mehrere Tage lang. Von all'den Naturschonheiten, von denen ich so viel gehört und noch mehr gelesen hatte, sah ich nur Weniges, und n dieses Wenige vermochte nicht, auch nur auf Augenblicke das Land zu ersehen. Das unfreundliche Wetter gönnte uns nur einmal den Sonnenaufgang und zweimal den Untergang, aber nur dem, der einen von beiden auf dem Meere zum erstenmale erblickt, mag der Genust dcsihalb höher erscheinen, weil ihm ein Auf- oder Untergang auf dem Lande, wenn auch schöner, doch alltaglicher ist. Der Augenblick, wo die Sonne, einer feurigen Kugel gleich, zuerst in dem Meere sich spiegelt und dann ihrem Bilde sich nähernd endlich hinab sich senkt, ließ auch mich nicht gleichgültig, und kaum vermag auch ich Epitheta aufzufinden, die ganz die Gefühle zu bezeichnen nn Stande wären. Aber wenn die Sonne von der Erde scheidend ihre letzten Strahlen dem stillen Beschauer cntgegenwirft und dann die Spitzen der Baume und Verge vergoldet, ist der Anblick herrlicher und schöner, da eben noch tausend Gegenstände vielfach und verschieden beleuchtet nur allmählich mit dem purpurnen Schleier der Finsterniß bedeckt unsern Blicken sich entziehen. Und wenn uns gar vergönnt ist, das Alpenglühen in seiner Eigenthümlichkeit zu betrachten, dann verschwinden alle Schönheiten, die das stets sich gleiche Meer uns bieten kann. Nur der Mond mit seinem milden ruhigen Licht vermochte mich eigen zu stimmen. Wenn dann zugleich der Wind nur leise die Wellen plätscherte und diese Elfen gleich vor uns sich bewegten, regte es sich mehr als'jein mir und alles um mich her vergessend, versetzte ich mich in die theure Heimath. Die Hunderte von Seefischen, welche die meisten Seefahrer ihren Schiffen folgen lassen, hatte wahrscheinlich das Getose unserer Räder verscheucht, aber auch weder Quallen noch Sepien wurde ich gewahr. Von den Tangen, die sonst in allen Meeren frei im Wasser schwimmen sollen, begegnete uns nur und zwar einzeln der gemeine Vlascntang (1>'ucu5 vesiculozus). Unsere Fahrt ging nicht so schnell als ich geglaubt hatte, und wenn wir auch m der Regel contraren und nur einen Tag günstigen Wind hatten, so bin ich überzeugt, dasi, wenn man gewollt, wir gewiß einen Tag früher in Petersburg angekommen wären. So segelten wir den 29. Mai bei der felsigen Insel Vornholm, den 30. Nachmittags 4 Uhr bei Gothland, die Nacht bei Oesel vorbei und den 3l. Abends erblickten wir erst in weiter Ferne den Leuchthurm von Neval, befanden uns demnach in dem sinnischen 12 Meerbusen. Dm l.Iunius hielten wir uns hart an der Küste von Wiborg und gelaugten endlich Abends 6 Uhr in dic Rhede von Kronstadt, den Schlüssel von Petersburg. Hnnderte von Schiffen lagen hier und ihre mit den Flaggen verzierten Mastbaume ge> wahrten schon in der Ferne einen freudigen Anblick. Noch nicht hatten wir Anker geworfen, als auch schon eine Menge Boote mit Manthbcamten besetzt auf uns lossteuerten. Es war keine freundliche Erscheinung, als diese unser Schiff erstiegen, alles was sie vorfanden in Empfang nahmen und plombirten. Soldaten standen allenthalben, damit Niemand etwas verstecken konnte. Man war eben nicht mehr Herr seines Eigenthums. Unsere Passe hatten wir schon früher dem Capitan abgegeben, aber trotz dem wurde ein jeder Reisende vor ein Comics citirt und über den Zweck seiner Reise weiter befragt. Auch nach den Empfehlungen frug man und schrieb genau die Namen auf, welche genanut wurden. Ich halte es übrigens für meine Pflicht, hier offen zu bekennen, daß Jedermann mit der größten Artigkeit behandelt und Niemanden zur Klage Gelegenheit gegeben wurde. Letder war ich durch die Unvorsichtigkeit des Schiffssecretars in eine Unannehmlichkeit versetzt worden, die zwar weniger für mich, doch für diesen sehr üble Folgen hätte haben tonnen. Eines Tages frug ich nämlich nach der Bibliothek des Schiffes und bekam, da diese noch nicht herausgepackt war, von dem Eccrctar ein Paket mit der Bitte, die Bücher herauszunehmen. In der düstern Cajüte zerschnitt ich ohne Zögern die Bindfaden und loste die Siegel, war aber nicht wenig verwundert, als ich anstatt Bücher Briefe, kleine Pakete und ahnliche Sachen an den Grasin Nesselrode adressirt fand. Erschrocken betrachtete ich mit dein altern Wulfert das ganze Paket noch einmal und fand die Adresse: ^ »on oxcoll^noQ !o cuint« äe 1^55^1-060. Eiligst riefen wir den Se-cretär. Dieser betrachtete das Paket naher und fand, daß er uns die diplomatischen Depeschen des Hamburger Generalconsuls anstatt der Bibliothek gegeben hatte. Blaß wie eine Leiche stand der unvorsichtige Secretar vor uns, die nicht weniger bestürzt waren. Dhne Fassung träumte er nur von Sibirien und wähnte sich schon in dem tiefsten Bergwerke daselbst. Auch mir wurde es bang, und wäre der Herr Wulfert nicht gewesen, gewiß noch banger. Auch der Capitän glaubte sich abgesetzt und zeigte den 13 ganzen Vorfall, wie er war, hier an. Alles wurde (und zwar immer auf die freundlichste Weise) zu Protokoll genommen. Doch um im voraus diese fatale Sache zu beendigen, so will ich jetzt gleich sagen, daß alles, selbst für den Sccrctär günstig ablief. Herr Wnlftrt verwandte sich mit der größten Aufopferung für den Sccretar, und besonders durch die Fürsprache des Baron Sacken wurden alle weitem Untersuchungen bei Seite gelegt. Man sah eben die Unvorsichtigkeit nicht als Vorsatz an und der Sccretär erhielt einen wohlverdienten Verweis. Es war wohl gegen 9 Uhr, als wir endlich mit den Soldaten Kronstadt, was wir aber gar nicht betreten hatten, verließen und dem nur noch 6 Stunden entfernten Petersburg zueilten. Je naher wir unserm Ziele kamen, um so reizender entfalteten sich die Küsten vor unsern Allgen. Nordlich lag Finnland, weniger Schönheiten darbietend, südlich hingegen Ingermannland mit Villen und Palästen dicht besetzt. Ich glanbte mich nicht unter dem 60" N. V., in dem Lande der Eisbären, wo es eigentlich nie Sommer werden sollte, zu befinden, sondern wähnte mich an den lieblichen Ufern des Voden-see's, so sehr hat die Kunst mit enormem Aufwandc ersetzt, was die Natur versagte. Und als ich Oranienbaum und spater Peterhof mit seinen Schönheiten erblickte, war ich ganz anßer mir vor Freude. Doch noch immer hatte diese ihren Culminationspunkt nicht erreicht, denn in noch nie gesehener Pracht trat Petersburg aus dem Schleier der Entfernung allmählich hervor. Staunend stand ich auf dem Vordertheile des Verdeckes und schaute lautlos vor mich hin. Hoch über alle Häuser ragten die vergoldeten Kuppeln des Admiraliräts- und Fesiungsthurmes hervor. Alles was ich von diesem Anblicke gehört hatte, blieb doch weit hinter der Wahrheit zurück. Und als wir nun gar die freundlichen Anlagen Katharinenhofs erblickten und die Newa einfuhren, da lag vor uns in herrlicher Schönheit zur einen Hand der englische Quai mit seinen Palästen ahnlichen Häusern, zur andern öffneten sich die langen Straßen Wasiljiostroffs. Alles ruhig zu betrachten, blieb mir hinlänglich Zeit, als wir anhielten, weil wir das Schiff noch nicht verlassen durften. Ein jeder kam wieder vor ein neues Comit«, was erst jetzt zu uns gekommen war, wurde nochmals befragt, ob er etwas Zollbares bei sich habe und erhielt t4 endlich mit dem Passe die Erlaubniß, das Schiff verlassen zu können. Zweites Gapitel. Aufenthalt in Petersburg. Deutsches OaMus; Eindruä Peter^bu^t,; den ^! Iuniuö Schnee; die Mauty; daü Kalinla.Hospital; der ^ldmiralitätöthurm und die drei vun ihm nuslaustndcn Strassen; Wasiljiostroff; der botanische Garte»; Staatsratl, von Fischer; die Akademie der Wis, senschaftcn; daö kaiserliche Herbarium; Graf von Älesselrode; Herr v. Uworosf; Gms V. Canerin; Fürst Dondukoff.Korsakoff; die Hospitäler; Volksleben; Mwuscktschilö; Auöiustr und öffentlicheVett.iustr; daö ^aufhan^; O.stlliglcit und Familienleben: Dat. schen; die ^amennoiosttoff'sche Viiicke; Mandel an Wivtliöhausern; der Vorwurs von Seiten der Zeitschrift „nordische Viene" beseitigt. ^s war bald Mitternacht, als der Tifliser Kaufmann und ich durch Herrn Lamprecht den englischen Quai hinauf, quer über den Isaaksplatz und vor dcu Boulevards vorbei in den Neffükp-Prospect zum deutschen Gasthaus geführt wurden und daselbst auch sogleick em Unterkommen fanden. Es war noch so hell, dasi wir deutlich die grandiose Statue Peters deS Grosien, das Seuarsgebäude, das Winterpalais und alle Merkwürdigkeiten auf unserm Wege betrachten konnten. Diese hellen Nächte kennt man in Deutschland gar nicht und sie übertreffen noch weit an Helligkeit die unserigcu, wenn der Vollmond am Himmel steht. Lange sträubte es sich in mir gegen die Wirklichkeit, daß es Mitternacht sey, so sehr war ich immer um dicse Stunde an Dunkelheit ge-wbhnt und wähnte kaum die Zeit, wo bei uns Tag und Nacht sich die Hand reichen. Die Lebendigkeit auf den Straßen, das Gewühl von Menschen, die auf den schonen Trottoirs deö Nesssky-Prospcct sich bewegten, und der Lärm, mit dem wir im Gasthof empfangen wurden, deuteten ebenfalls nicht auf Mitternacht hin. Jetzt erst vermochte ich mir einen Begriff von dem einige Monate langen Tage der Bewohner des äußersten Nordens zu machen, nachdem ich während meines ganzen Aufenthaltes in Petersburg m'ej dunkle Nacht, sondern höchstens nur eine helle Dämmerung gefunden hatte. Kaum einige Stnndcn des Tages steht in Petersburg um dicse Zeit die Sonne unter dem Horizonte. 15 Mein achtwdchcntlicher Aufenthalt in Petersburg hätte wohl hingereicht die Stadt und ihre Eigenthümlichkeiten znm großen Theile kennen zn lernen, wenn auch Jahre dazu gehören mögen, die verschiedenartigen Elemente, ans welchen die schönste Stadt Enropa's und wohl der ganzen Erde besteht, zu ergründen. Vielleicht wäre ich aber doch bei den günstigen Umstanden, welche sich mir die ganze Zeit hindurch darboten, eher im Stande gewesen, eine Beschreibung Petersburgs zu geben, als viele andere, die eine gleiche Zeit die Straßen Petersburgs durchlaufen haben, wenn ich nicht lieber vorzöge. Bekannteres nur knrz zu erwähnen, um desto länger auf unbekanntem Terrain zu verweilen. Petersburg ist in der neuesten Zeit so vielfach bereist und beschrieben worden, das; ich dem schon Gegebenen nur wenig hinzufügen will, in der Voraussetzung, daß diese Schilderungen doch einiges Interesse erwecken. Aus dieser Ursache hebe ich nur das Interessanteste von meinem Aufenthalte daselbst heraus und überspringe alles andere. Der Eindruck, den Petersburg besonders bei einem Kleinstädter hervorruft, ist wirklich großartig, da allenthalben herrliche Palaste, prachtvolle Kirchen, schone Monumente, belebte Straßen :c. ihm entgegentreten. Dazu kommt nun noch die uugemcine Gastfreundschaft, durch die der Fremde in kurzer Zeit sich heimisch fühlen kann und muß, selbst wenn er vorgefaßte Meinungen mitgebracht hat. Wie sehr hat sich dieses an den bekannten Nussenfein-den Durham und Mauguin bewiesen; diese Manner, die früher öffentlich gegen Rußland predigten, sind nach kurzem Aufenthalte so befriedigt und selbst mit Vorurtheilen für Rußland aus Petersburg in ihre Heimath zurückgekehrt, daß man glauben mochte, sie waren nicht mehr dieselben. Kein Volk versteht aber auch wirtlich so dem Haß und Widerwillen ein freundliches, offenes Wesen, das immer dabei fern von aller Kriecherei und Zudringlichkeit bleibt, entgegenzusetzen als die Russen, so daß es gar nicht auffallen darf, wenn jene Rnssenfresser timide Russenfreunde geworden sind. So sehr früher Mauguin seine Landsleutc zum Beistände für die Po-len gegen den russischen Despoten aufforderte, so sehr suchte er nun vor einiger Zeit dieselben Franzosen zu überreden, daß ein Vündniß mit dem freundlichen und milden Selbstbcherrscher aller Reußen sie allein gegen die Anmaßungen Englands schützen könnte. Wic war ich verwundert, als ich am andern Tage nach meiner IS Ankunft, den 2. Iunius, Morgens zum Fenster hinaussah und die Straße dicht mit Schnee bedeckt fand. Der Himmel sah dabei durchaus nicht aus, als wenn eine Aenderung des Wetters schnell eintreten sollte, denn immer mehr fiel Schnee herab, ohne auf der Straße sogleich zu Wasser zu werden. Wie sehr contra-stirte dieß mit dem, was ich am gestrigen Tage gesehen hatte, wo die südlichen Ufer des finnischen Meerbusens nn'ch nach Süden versetzten. Diese Unfreundlichkeit konnte mich und meine Begleiter durchaus nicht bestimmen in Unthätigkeit zu Hause auf besseres Wetter zu warten, und so sahen wir bloß unserm Frühstücke entgegen, um auf das Mauthamt zu gehen und unsere Sachen zu holen. Doch von den vielen Kellnern unsers Wirthshau: ses war weder jemand zu erklingeln, noch zu errufen und selbst als Herr Lamprccht auf Kundschaft ausging, gelang es diesem erst nach langer Mühe einen schlaftrunkenen Diener zu finden, der ihm versprach, uns schnell Thee zu bringen. Doch es war 9 Uhr bereits vorbei, als wir etwas erfroren durch das russische Nationalgetränk uns wieder erwärmten. Auf der Mauth fanden wir den grüßten Theil unserer Reisegesellschaft. Allenthalben wurden Koffer gedffuet und in ihnen die geheimsten Ecken durchgesucht, so daß es mir unmöglich schien, hier auch nur eine Stecknadel einzuschmuggeln. Ich hatte gar nichts Zollbares bei mir, und doch war die Stimmung, in welcher ich mich befand, nicht sehr anmuthig, zumal als ich sah, daß dem Tifliser Kaufmann nicht weniger als 27 seidene Tücher weggenommen wurden. Eine große Unannehmlichkeit ist, daß man als Reisender auf dem Schiffe durchaus nicht etwas mitnehmen kann, was verzollt werden must, denn alles, was dem Zolle unterliegt, wird weggenommen, selbst wenn man es vorher angibt und den Zoll bezahlen will. Auch mir ging es nicht besser, indem meine Flinte, die mich anf meiner ganzen Reise begleiten sollte und mir ein nothwendiges Gcräth war, weggenommen wurde. Protestiren half mir gar nichts. Wie froh war ich, daß die meisten Briefe, die ich in reichlicher Menge mitbekommen, offen waren und ich die andern entsiegelt hatte. Man hatte mir gerathen, die Briefe flach auszubreiten— ein Rath, den ich jedem Reisenden geben möchte, damit es Niemanden wie mir geht. Ich erhielt nämlich in Deutschland m einem offenen Briefe, ohne daß ich es wußte. !7 einen versiegelten zur Besorgung. Welche große Unannehmlichkeit hätte man mir bereiten können, wenn der Zufall mir nicht die Gefahr entdeckt hatte? Es war mir das Herz nm vieles leichter, als ich mcinc liebgewonnenen Sachen wieder ruhig vor mir ausbreiten konnte. Außer der Flinte'fehlten mir nur meine Bücher, da leider diese sich erst einer Censur unterwerfen musiteu. Zunächst legte ich meine auseinandergelegten Briefe wkeder zusammen, um sie nun ihren Herren zuzustellen. Es war dieses wirklich kn'ne leichte Arbeit, da Petersburg eiucu großen Umfang hat und leider keine Adreßbücher (wenigstens in jener Zeit) besaß, worin ich alle Adressen hätte nachsuchen können. Ein Plan von Petersburg war das erste, was ich mir verschaffte und mit diesem in der Hand überließ ich mich meinem guten Geschicke. Kaum auf der Straße angelangt, erkannten die Fiaker (Iswoschtschikö) sogleich den Fremden in mir und boten mir schmunzelnd und schmeichelnd um vieles Geld ihre Droschken an. Der Sprache nicht mächtig und des Geldes selbst unkundig, stieg ich auf die erste beste Droschke, ohne zn bedenken, daß ich auch dem Kutscher weitere Resolution zu geben hätte. Nachdem wir dem schonen Neffsky Prospect eine Zeit entlang gefahren waren, frug mich auf cmmal mein drolliger Fuhrmann: „Ilucli. Lgrin?" (Wohin, gnädiger Herr?) Ich verstand, zog den ersten Brief aus der Tasche und sagte: I^Iinzkgia Loinnxa (Kalinka-Hospital). 01, äalLko! (o, das ist weit!) antwortete der Iswoschtschik, wandte um und brachte mich nach l'/> Stunden an den Ort meiner Bestimmung. Ein Nwornik (Thürstcher) widersetzte sich meinem Eintreten in das Hospital und suchte mir auf alle Weise begreiflich zu machen, daß es Niemanden erlaubt sey, in das Hospital Zu gehen. Wir hätten uns gewiß noch lange, er russisch, ich deutsch, herumgestrlttcn, wenn nicht die zehnjährige Tochter des Oberarztes, u». Zimmermann, dem ich empfohlen war, mir aus meiner Verlegenheit geholfen und mich zu ihren Eltern geführt hätte. Hier s^ss/ '^ ^""^ was russische oder eigentlich was russisch-deutsche Gastfreundschaft zu bedeuten habe, denn kaum erfuhren beide, daß lch ein Deutscher sey, als sie ohne nach meinem Empfthlungs-oncsc^zu fragen, mich herzlich willkommen hießen und mich von der Vtunde an als Hausfreund betrachteten. Es war mir, da lch spat gegen Abend die Familie verließ, als wenn ich sie schon Reisen mid Länd«bcsch„ibungen. XXIIL ., (Ne»se nach Kaukasien.) 18 seit langer Zeit gekannt hatte. Dieses freundliche Entgegenkommen flößte mir ein solches Zutrauen ein, daß ich von der Stunde au über alles, was mir nothwendig war, in der Familie Rath einholte, und niemals bin ich unbefriedigt weggegangen. Ihre erste Sorge war, mich in Petersburg selbst zu orieutüen und mir, indem sie mich bei mchreren freundlichen Familien einführten, meinen Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen. Schon nach einigen Tagen war ich in der großen Stadt so bekannt, daß ich mich Tag und Nacht allein finden konnte. Es gibt wohl aber auch wenige Städte, die ohne eine übertriebene Regelmäßigkeit zu besitzen, doch so viele Punkte geben, nach denen man sich richten kann. Von dem hohen Admiralitatsthurme laufen in die eigentliche Stadt strahlenförmig die drei größten und schönsten Straßen in gerader Linie aus: der Nesssky-Prospect, die Erbsen-und die Auferstehungsstraße (^oroolionalg und VVoznozenzkai» Ulüxa), so daß man von der Erbseustraße aus die Fronte des Thurmes, von den übrigen hingegen seitliche Ansichten hat. Drei Hauprcanale sinv aus der Newa geleitet, durchschneiden die ganze Stadt, besonders genannte drei Straßen, und ein jeder von ihnen hat eigenthümliche Brücken. Man kann sich deßhalb schnell orien-tiren. Ebenso leicht findet man sich auf der Wilhelmsinsel (W^i. Ii). Osti-oN), eine Insel die durch die Theilung der Newa in die große und kleine gebilder wird. Diese Theilung beginnt unweit der Festung, die sich ebenfalls auf einer kleinen Insel der Newa dem Winterpalais gegenüber befindet. Vorzüglich die Seite der WilhelM''insel, welche der eigentlichen Stadt zugewendet ist, ge-hdrt zu den schönsten Punkten Petersburgs, da sie eine Menge der prächtigsten Gebäude besitzt. Von ihnen will ich nur die Börse, die Akademie der Künste und die der Wissenschafren, das Gebäude für das Bergcorps :c. nennen. Gerade Straßen laufen von einem Ende zum andern und gewahren besonders, wenn man vom Meere herkommt, einen magnifiken Anblick. Man nennt sie aber nicht Straßen, sondern zählt zur nähern Bezeichnung die einzelnen Reihen von Häusern und spricht dann z. V. vonder6ten, ßten, I2ten oder irgend einer anderen Linie. Drei große Prospectc schneiden diese Linien wiederum in einem rechten Winkel. Zu meiner eigenen Schande muß ich bekennen, daß mehrere Tage verflossen, bevor ich meine Wanderung nach dem botanischen 19 Garten, der mich doch am meisten interessiren mußte, antrat. Ich Muß wirklich mich des Wortes Wanderung bedienen, denn um wich zu orientiren, ging ich zu Fuße und kam nach 2V2 Stunden Weges glücklich auf der Apothekerinsel, die großtentheils zum Bereiche des botanischen Gartens gehört, an. Ein bartiger Unter-vfficier führte mich zn dem Director, dem Staatsrath von Fischer, und kaum hatten meine Empfehlungsbriefe ihn mit der Ursache meines Kommens bekannt gemacht, als er mir freundlich die Hand drückte und mich willkommen hicsi. Herr v. Fischer, den kennen zn lernen mir sich hinlänglich Gelegenheiten darboten, ist ein kleiner freundlicher Mann von einigen fünfzig Jahren und lebt ganz in der Wissenschaft, der er sich ergeben. Nicht leicht habe ich jemanden gefunden, der für ein solches großartiges Institut geschaffen zu seyn schien, als eben Fischer. Ihm verdankt der botanische Garten fast ganz allein seine Größe, und wenn ihm auch ungeheure Summen, wie die Verliner-Gartenzeitung vor mehreren Jahren bekannt machte, zu Gebote standen und noch stehen, so geHort auch ein großartiger Geist dazu, um Großartiges zu schaffen. Zwar verheirathet, doch ohne Kinder, sind ihm seine Treibhauspflanzen diese, und mit der größten Liebe pflegt er sie, gleichviel aus welchen Zonen sie stammten. Vielfach habe ich, besonders in Deutschland, Stimmen gegen Fischer vernommen, da man die Meinung hat, daß nur die Werke, d. h. Schriften, den Gelehrten ausmachten. Aber wirklich die Werke, die Fischer geschaffen, stehen höher, als wenn er dicke Folianten der Mit- uud Nachwelt übergeben hatte. Man gehe nach Petersburg und betrachte die Gewächshäuser mit ihren Tausenden von Pflanzen, den Ionen und'Landern, die das Vaterland sind, nach zusammengestellt; man wird nicht wähnen, wenn man die üppige Entfaltung der Blätter und Blumen erblickt, in einer Gegend, die anf dem sechzigsten Grade nördlicher Breite liegt, sich 3u befinden. Aus einem Gewächohause geht man in das andere und glaubt eine Reise durch die Prärien Nord-: und die Savannen Südamerika's, durch die Urwalder der Südseeinseln und Brasiliens, durch die Zimmtgefilde Ceylons, durch das Heidegebüsch Nenhollauds und des Caps oder endlich über die vaterländischen Alpm gemacht zn haben, so sehr täuscht der üppige Wuchs der Sträucher und Schlingpflanzen und das herrliche nie gelbliche 2* 20 oder gebleichte Grün der Blätter. Ich sah die Gewächshäuser zum zweitenmale fast zwei Jahre spacer in einer Zeit, wo tiefer Schnee noch in den Straßen Petersburg's lag, und trotzdem nur sehr selten die Sonne ihr freundliches Licht auf Florens Kinder ergossen hatte, wähnte ich mich in die freie Natur versetzt. Die Botanik verdankt Fischern, trotzdem er so wenig geschrieben, so ungemein viel, daß nicht leicht cm anderer sich rühmen kann, die Wissenschaft so befördert zu haben. Fischer ist es, der zunächst in Rnsiland dle Liebe zur Botanik und überhaupt zur Naturwissenschaft so erhöht hat, daß Fürsten, Grafen und andere Hohe des Reiches nicht allein hausig die Apothekerinsel besuchen, sondern auch ihn in der Erforschung der Flora des weiten russischen Reiches in jeder Hinsicht unterstützen. In allen Provinzen steht er mit Aerzten, Apothekern ic. m Verbindung, und nichts unterläßt er, um jene für die Botanik zu begeistern. Von allen Seiten Rußlands werden Pflanzen oder Samen nach Petersburg gesendet, um dort naher geprüft zu werden. Und was Fischer besitzt, halt er nicht geizig zurück. Alljährlich wandern viele Tausende von Samenkapseln nach dem übrigen Europa, und viele hundert Zierpflanzen Sibiriens, des Altai oder des Kaukasus verdanken ihm unsere Garten. Niemand war wohl geschickter und bereitwilliger mich auf meiner Reise mit Rath und That zu unterstützen, als gerade Fischer, und Niemandem bin ich deßhalb zu größerem Danke verpflichtet, als ihm. Von der Stunde an solgte er wahrhaft väterlich für mich in allen meinen Angelegenheiten. Auf gleiche Weise verfehle ich nicht hier meinen Dank öffentlich gegen den damaligen Subdirector, jetzigen Akademiker Herrn Dr. C. A. Meyer, auszusprcchen. Mit nicht weniger Herzlichkeit hieß er mich willkommen und wurde mir besonders, da er den Kaukasus zum Theil schon bereist hatte, durch seinen Rath sehr nützlich. Nächst den Mitgliedern im botanischen Garten war mir die Bekanntschaft der Mitglieder der Akademie der Wissenschaften von großem Werthe, und so verfehlte ich auch nicht wenigstens den Mitgliedern, die gleiches Interesse mit mir verband, meine Aufwartung zu machen. Leider war Trinius, der erste Akademiker der Botanik, gerade abwesend, und auch als ich nach zwei Jahren wiederum 2l in Petersburg war, noch Krankheit halber in Deutschland. Ihm adjungkrt war zu jener Zeit Bongard, leider nun der Wissenschaft entrissen. Seine Bereitwilligkeit, sich mir dienstfertig zu zeigen, führte mich ihm naher, und bald fühlten wir uns so zu einander gezogen, daß wahre Freundschaft zwischen uns sich bildete. Mehrere Wochen arbeitete ich täglich neben ihm, da ich die Seltenheiten des Herbariums von Marschal von Biederstem, was aber nur noch aus den in seiner ^'!ol^ t.-,ui>ieo.ol>uen5ll;» enthaltenen Pflanzen besteht, betrachtete und dabei einem nähern Studium lmtenvavf. Außer diesem besitzt die Akademie noch cin großes (wenn ich nicht irre) in fünf geräumigen Zimmern aufgestelltes Uni-versal-Hcrbar. In diesem ist eine solche Menge von Pflanzen aufgehäuft, daß einige tüchtige Botaniker ihre ganze Lebenszeit daran setzen könnten, um den dort dargebotenen Soff zn verarbeiten. Dazu kommen nun jährlich neue Sendungen, die wieder fast allein jemanden verlangen, der diese in Ordnung bringt. Es wäre demnach sehr zu wünschen, dasi die Akademie, welche an Ruprecht sich seitdem schon einen tüchtigen Mann erworben hat, noch einige audere Botaniker für sich zu gewinnen suchte. Auch konnte Bongard nicht besser als durch C. A. Meyer ersetzt werden. Nicht alle Akademien können sich (wenigstens im naturhisio-rischen Theile, über den ich nur ein Urtheil zu fällen wage) solcher tüchtigen Gelehrten rühmen, als die Petersburger, und Männer wie Baer und Brandt leuchteu hcll am Horizonte der Naturwissenschaften. Für mich war besonders der erstere von großem Werth, da er ganz in seiner Wissenschaft (der Physiologie) lebend, freundschaftliche Gesinnungen gegen mich hegte und ich mich beidemale meiner Anwesenheit in Petersburg als Hausfreund in seiner Familie ansehen konnte. Manche angenehme Stunden verdanke ich außerdem noch dem Adjuncten der Zoologie, Menetries, und dem Staatsrath und Aka-demiker (für die lateinische und griechische Sprache) Gräfc. Nackdem ich mich einige Zeit in Petersburg aufgehalten und ^'lentirt hatte, that ich auch Schritte, um auf meiner fernem ^eise auf dem Kaukasus von der russischen Negierung die nöthige Unterstützung zu erhalten. In allem folgte ich hierbei dem Rathe Fischers, der bei der Sachkenntnis; für mich von großem Nutzen war. Zwei Empfehlungsbriefe Ihrer kaiserlichen Hoheit der Frau Großherzogin Großfürstin Maria Pawlowna verschafften mir die 82 Ehre, die persönliche Bekanntschaft zweier Manner, denen Rußland im Aeußern und Innern sehr viel verdankt, die des Vice-kanzlers Grafen Nesselrode und des Ministers der Aufklärung, Herrn von Uwoross. Graf Nesselrode > ein Mann, der in so vielen schwierigen Stellungen seinen Scharfsinn an den Tag legte, ist wohl kaum ein Fünfziger und von mittelmaßiger Statur. Ruhig hörte er mich die ganze Zeit hindurch an, frug nur nebenbei nach diesem und nach jenem, besonders wodurch er mir m der Verfolgung meines Zweckes behülflich seyn konnte, und entließ mich mit derselben Miene, mit der er mich empfangen. Wenn er auch karg in Worten war, so lag doch in allem, was er sagte, so viel darin, daß ich seine Fertigkeit, so kurz und gewichtig zu sprechen, nur bewundern konnte. Trotz der gleichmäßigen Ruhe und der unveränderlichen Züge seines Gesichts, sprach sich doch in diesem viel Geist und Scharfsinn aus. Herr von Uworoff, wohl in gleichem Aller, ist ganz das Gegentheil des Grafen Ni'sselrode. Die Lebendigkeit, die seinen Geist auszeichnet, gibt sich in allen seinen Bewegungen und in seiner ganzen Physiognomie, die eher italienisch als russisch zu nennen ist, kund, und das schone, geistreiche Auge wirkt wohl-thälig auf jeden, mit dem er wohlwollend sich unterhalt. Er spricht mehr als er sprechen läsit, aber alles, was er sagt, be? sitzt einen Redeschmuck, den man m'chc leicht bei einer gcwohnli-chm Unterhaltung findet. Durch u»d durch philosophisch gebildet, liebt er eine freie ungebundene Rede, und zwar selbst Aristokrat, steht ihm doch die Inttlligenz am höchsten. Niemand kennt wohl die Russen besser, als er, und alles, was ich aus seinem Munde über seine Landsleute erfuhr, habe ich genau im Verlaufe meiner Reise bestätigt gefunden. Dem Erziehungswesen widmet er seine hauptsachliche Sorgfalt uud hat deßhalb die Schulen und Universitäten Deutschlands besonders studirt. Wohl wissend, daß die Russen im Allgemeinen noch nicht im Stande sitld, die Bildung in Rußland zu verbreiten, nimmt er zwar gern Fremde, besonders Deutsche, wenn er einen guten Willen sieht, in seinen Dienst; aber da er auch weiß, daß die Stimme des Nussm bcim Russen am besten uud schnellsten Anklang findet, zieht er sich selbst junge geistreiche Leute heran und vertraut ihqen die besten Stellen im Erziehuugswesen. Leider wird er da- 23 bei nicht selten betrogen, und die vielen Mangel und Fehler, die das russische Erziehungswesen besitzt, sind weniger ihm als seinen Untergebenen zuzuschreiben. Die Wegnahme meiner Flinte verschaffte mir doch einen Nutzen, indem mir der Rath gegeben wurde, den Finanzminister Grafen Kankrin selbst darum zu bitten. Akademiker Bacr bewies auch hier wieder seine schon bekannte Güte nnd führte mich seinem besonderen Gönner zn. In einem großen Zimmer, in dem selbst am Tage eine gewisse Dämmerung herrscht, empfing uns der Graf auf seinem Lehnstuhle sitzend. Ohne sich weiter um mich zu bekümmern, begann er augenblicklich mit Baer ein Gespräch über die Einführung des Waschbaren in Sibirien, und nachdem er gewiß eine halbe Stnnde darüber Vaers Meinung vernommen hatte, frng er auch mich um mein Begehr. Bevor ich aber selbst in die interessanten Details eingehe, sey es mir crlanbt, einige Worte über den größten Finanzmann Nußlands zu sagen. Graf Kaukrin, jetzt ein hoher Siebenziger, besitzt eine große ehrwürdige Gestalt, und trotzdem ei» solches Alter manche Bequemlichkeit verlangt, sieht man ihn doch nie anders , als in der vollen Generalsuniform. Leider sind seine Auc>en so schwach, daß er das belle Tageslicht gar nicht mehr verträgt. Roulcam rufen deßhalb nicht allein eine künstliche Dunkelheit in seinem Zimmer hervor, sondern ein grüner Schirm wehrt von seinen Augen die Lichtstrahlen, die etwa einfallen sollten, ab. Deutscher Biedersinn und eine große Gutmüthigkeir sind seine hervorstechenden Charaktere, und trotzdem er seit seiner ersten Jugend Rußland gedient und in ihm sein Glück gemacht hat, halt er sich doch immer noch für einen Deutschen. Mit wahrhaft freundlichem Wohlwollen suchte er mich von Meiner Reise abzuhalten , da die Gefahnn, die mir dort entgegentreten müßten, nur zn leicht mir Verderben bringen konnten. Im> Wer herzlicher und warmer sprach er über mich und meine Wissenschaft, und meinte endlich, daß, wenn ich die Reise etwa unternähme , um mir dadurch eine sichere Slellung im Leben zu verschaffe«, er für mich, wenn ich nur irgend Lust hätte, in Rußland zn bleiben, sorgen wolle. Eine solche Theilnahme hatte ich nicht erwar-ltt, und ganz, auch gemüthlich, befriedigt, schied ich von dem Greise mit dem Versprechen, vor meiner Abreise ihn noch einmal zu besuchen. Wahrend des Gespräches hatte ich die Kluft, welch? s4 zwischen ihm, dem Minister, und mir stattfand, ganz vergessen. Es ist hier nicht der Platz, was Graf Kantrin (dessen Name früher Krebs war) für Rußland gethan hat, weitläufig auseinander zn setzen; aber der größte Beweis für ihn ist die allgemeine Liebe seiner Untergebenen. Niemand kennt wohl die Gebrechen des russischen Volkes und seiner Regierung mehr als er, und Niemand hat ihnen zum Theil so schnell abgeholfen, als er. Wie genau er z. B. die Langsamkeit der russischen Behörden kennt, erfuhr ich selbst, als ich unterthanig um Rückgabe meiner mir confiscirten Flinte bat. Ein Billet an den Chef im Departement des auowarligen Handels überreichte er mir mit folgenden Worten: „Morgen um 10 Uhr gehen Sie in das Departement des auswärtigen Handels, fragen nach dem Chef und überreichen ihm selbst dieses Billet. Gehen Sie genau um 10 Uhr, wenn der Chef auch wie gewohnlich gegen die Ordnung um 1l Uhr kommt; sagen Sie Jedermann, der Sie um Ihr Begehren fragt, Sie hatten ein Billet von mir an den Chef selbst abzugeben. Sagen Sie auch Niemandem was darin steht, man wild es für eine Kleinigkeit halten und Sie wiederum für eine andere Zeit bestellen. Auch bei dem Chef bestehen Sie in meinem Namen um Ausfertigung des Befehles zur Auslieferung der Flinte. Lassen Sie sich einmal auf eine andere Zeit vertrösten, dann wahrt es eine geraume Zeit, bevor Sie Ihr Ziel erreichen. Sie wissen, wie langsam es in unserm deutschen Vaterlande geht, aber noch viel langsamer wird alles in Rußland besorgt." Niemand konnte wahrer sprechen, als Graf Kankrin, und genau traf seine Voraussage im Betreff des Wartens ein. Streng hielt ich mich aber an seinen Befehl, und verließ nicht eher jene Behörde, als bis ich nach 2'/, Stunden wirklich mciu Ziel erreicht hatte und endlich mit der liebgewonnenen Flinte meiner Wohnung zueilte. Durch die freundliche Güte, mit der mir Fischer die ganze Zeit meines Aufenthaltes in Petersburg entgegenkam, erhielt ich auch eine Empfehlung an den Viceprasidenten der Akademie, den Fürsten Dondukoff-Korsakoff, und ihm verdanke ich wohl allein die freundliche Aufnahme daselbst. Der Fürst ist ein schöner kräftiger Mann, der wohl in dem Alter steht, das man das reife nennt. Eine große Leutseligkeit spricht sich schon in seiner Physiognomie aus, und wenn man einige Zeit mit ihm eine Unterhaltung gepflo- «5 gen hat, so legt er eine solche Liebenswürdigkeit an den Tag, daß es am Ende scheint, als wäre man schon seit langer Zeit mit ihm bekannt gewesen, nnd als sey gar kein Unterschied im Stande. Besonders bin ich dem Fürsten dankbar, daß er mich der Familie des damaligen Oberbefehlshabers in Eis- und Transkaukasien empfahl, und mir dadurch so viele schöne und angenehme Stunden in Tistis verschaffte. Nächst den gelehrten Anstalten Pctersbnrges interessirtenmich, dem wenn auch nicht praktischen Arzte, doch dem Doctor m«l. Zimmerman», im Abuchoss'schen Ur. Mayer, im Peter-Paul'schen ftamals^ !),. Koch sjetzt in Warschaus) und verschiedenen Unterärz/en. Die letzteren sind immer in größerer Anzahl vorhanden, als ursprünglich nothwendig sind, und ein Drittel ist in der Regel supernumcrar. Die Ursache liegt in dem Zudrange der jungen Aerzte zu diesen Stellen. Eine Apotheke befindet sich in jedem Hospitale und wird von einem Apotheker und mehreren Gehülfen verschen. Die rohen Arzneien werden aber nicht selbst besorgt, sondern jährlich wird die Lieferung derselben an den Wenigstnehmendcn versteigert. Bevor ich aber meine eigene Meinung über die Petersburger Krankenhauser ausspreche, muß ich noch hinzufügen, daß es nicht der Zufall war, der mich diese in solchem Zustaude finden ließ. Wie ich sie beschrieben, sind sie immer, und wehe dem Oberarzte, wo es einmal anders gefunden würde. Verlust der Stelle ist das Geringste, was ihm widerfahren könnte. Der Kaiser, dieser wirklich unermüdliche und rastlose Geist, thut und sieht alles in Rußland, und plötzlich, gleichviel in einer Tag- oder Nachtzeit, erscheint er in einem Krankenhause, selbst eine Inspection haltenh. 27 Und doch — trotz aller der gepriesenen und von mir anerkannten Vorzüge der Petersburger Krankenhäuser, wage ich dreist zu behaupten, dasi diese in den meisten Städten Deutschlands besser sind. Zuerst, was hilft die übertriebene Eleganz in einem Krankenhause, in dem nur Arme und Hülfsbedürftlge aufgenommen werden? Ist cs nicht eine Verschwendung, wenn man Tausende von Rubeln anstatt noch mehr Kranke aufzunehmen, oder dieses Geld anderswo anzuwenden, an Luxus verschwendet? Zu was diese glasii ten Wände, diese breiten mit Oclfarbe gebräunten Treppen :c.? Verwohnt man nicht dadurch Leute, die zu Hause in ciner armseligen Hütte wohnen und Jahre lang in ihr der rauhesten Witterung getrotzt haben? Macht man sie nicht, indem man das geringste Lüftchen ängstlich von ihnen abwendet, nun erst recht reizbar für den Zugwind? Jedermann wird Neinll'chkcit in Krankenhäusern preisen. Aber müssen denn die weiden Kleider solcher Ar: men, die vielleicht kaum ihre Bloße bedecken können, sogleich gewechselt werden, wenn der Zufall ein Fleckchen darauf bringt? Es kommt deßhalb gar nicht selten vor, daß Gesunde uicht wieder aus dem Spitale herauswollen, und sich selbst Gewalt anthun, um wieder vou neuem als Kranke angenommen zu werden. Ich selbst habe solche Menschen gesprochen, die cs offen mir gestanden. Ein zweiter, ich möchte sagen, der Hauptfehler ist der Mangel dcs Zutrauens, den die Aerzte von Seiren ihrer Vorgesetzten nur zu sehr fühlen müssen. Man meinte es gewiß gut, indem man alles, Nahrung uud Arzneien, einer bestimmten Regel unterwarf, aber der Arzt kann allein nur nach dem Kranken entscheiden und muß in der ganzen Ausübung der ärztlichen Kunst freie Hand haben. Es ist wahr, Betrügereien werden dadurch zum großen Theil vermieden, aber der Kranke wird in seiner Genesung aufgehalten. So sind, um nur eiues als Beispiel aufzuführen, die Portionen aller Kranken und Reconvalcsccntcn genau be-stimmt, und diese bekommen entweder eine Viertel-, eine halbe oder Zanze Portion, die an der Tafel über dem Bette angezeichnet wird. Nun sind aber die Menschen verschieden, uud dem einen ist eine halbe Portion zur Sättigung so viel, wieemem andern die ganze. Die Vor-schlift gibt aber auch jcnem eine ganze Portion, die, da der Recon-valcsceut nicht im Stande ist, selbst über die schädlichen Folgen derselben zu urtheilen, sobald er sie verlangt, auch bekommen muß, wenn 28 der Arzt sich nicht in Unannehmlichkeiten fetzen will. Der gemeine Russe ist aber gewöhnt, alles, was er vor sich hat, aufzuessen, und kann seiner Gierde nach dem Essen nicht Einhalt thun. Er ißt über die eigentliche Sättigung, verdirbt sich den Magen und die Krankheit ist von neuem hervorgerufen. Ein anderer Fehler ist, dasi die Lieferung der Arzneien und der Lebensmittel dem Wenigstnehmenden zugeschlagen wird, und wennauch die Vorschriften dabei alles genau geregelt haben, so wird eben gerade dadurch dem Arzte und dem Lieferanten die Hand geboten, Unterschleife zu machen. Ich habe selbst Beispiele in den Spitälern im Innern Nußlands gesehen, die an das Unglaubliche gränzen, wo die armen Soldaten, die das Unglück hatten, in einem und demselben Zimmer zu seyn, sämmtlich gleichviel , ob sie Nervenfieber, Intermittcns oder Lebercntzündung hatten, dieselbe wohlfeile Arznei erhielten und auf gleiche Weise behandelt wurden. Solche Lieferanten können auch für die meist niedrigen Preise unmöglich die Arzneien liefern und sind gezwungen, zu andern Mitteln ihle Zuflucht zu nehmen. Das Mißtrauen gegen die Aerzte ruft außerdem noch viele Uebel hervor, die nicht eher aus dem Wege geräumt seyn werden, bis zuverlässige, tüchtige Aerzte die obere Leitung in den Handen haben, und nur einem wissenschaftlich gebildeten Medicinalcollegium Rechenschaft abzulegen brauchen. Der Kaiser mit dem besten Willen ist nicht im Stande, alles zu sehen, da ihm eben die Medicin als Wissenschaft fern steht und fern stehen muß, und bei allen seinen Visitationen kann er nur äußere, oft unwesentliche Mangel oder sehr grobe Unterschleift entdecken. Man gebe dem Oberärzte unbedingte Vollmacht und unterwerfe die Lieferung der Arzucien und Lebensmittel seiner Controle; man lasse ihn handeln, wie sein Gewissen und die Wissenschaft es vorschreiben; man stelle ihn ferner in pecuniärer Hinsicht vollkommen sicher, und man wird finden, daß ein Drittel der Kosten wenigstens erspart wird. Dann erst wird es unmöglich, daß in großen Spitälern die Inspectoren, welche leider meist Offtciere von zweideutigem Rufe sind, jährlich oft ein Einkommen von 20 — 30,000 Rubel sich verschaffen und bei der größten Verschwendung in kurzer Zeit noch reiche Leute werden. 29 Nicht weniger mangelhaft sind die Findelhäuser, nicht allein Petersburges, sondern überhaupt Rußlands, und Jedermann, dem es nicht vergönnt ist, in das Innere derselben Blicke zu thun, kann von dem änßcrn Glänze so bestochen werden, daß sie ausgezeichnet erscheinen müssen. In Petersburg und Moskau sind sie wahrhaftig großartig, und machen fast eine kleine Stadt für sich aus. In Rußland ist es kein Unglück, ein uneheliches oder gar ein Findelkind zu seyn, wie bei uns, da man gerade dadurch das Recht erhalten hat, eine sorgenlose Erziehung in diesen Hausem zu bekommen. Von der ersten Jugend bis dahin, wo die Kinder für sich selbst zu sorgen im Stande sind, erhalten diese wirklich eine nur zu gute Erziehung, in der leider der blinde, unbedingte Gehorsam den freien Willen beengt und jeden freien Aufschwung des Geistes hemmt. Reinliche, paffende Kleidung, geräumige, gesunde Lehr-, Eß- und Schlafzimmer, eine kräftige, gewählte Nahrung findet man allenthalben, so daß wohlhabende Eltern des Vürgerstandes und viele besoldete Staatsdiener ihren Kindern kaum eine solche Erziehung geben können. Was Wunder demnach, wenn besonders Mädchen zur bestimmten Zeit entlassen, außerhalb ihres Findelhauses plötzlich mit Sorgen zu kämpfen haben, in ihren neuen meist dienenden Verhältnissen sich nicht gefallen und allerhand zuerst unschuldige, und zuletzt unerlaubte Mittel suchen, sich dieselben Bequemlichkeiten wiederum zu verschaffen. Wie ich gleich anfangs gesagt, hebe ich von meinem Aufenthalte in Petersburg nur das aus, vou dem ich überzeugt seyn kann, daß es für Iedcrmaun ein Interesse hat und nicht schon weitläufig von frühern und spätern Reisenden beschrieben worden l'st. Ich übergehe deßhalb eine Beschreibung dcr kaiserlichen und öffentlichen Gebäude, dcr zahllosen Paläste, dcr großartigen Kirchen, der Theater und der schonen Monumente und erwähne fer-5er nichts von den herrlichen Anlagen der Umgegend, vorzüglich der Inseln, und von den nahen und fernen Lustschlössern. Aber einen Umstand erlaube ich mir noch einer nähern Betrachtung zu unterwerfen, da meines Wissens noch bis jetzt kein Reisender ihm seine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Jede große Stadt, besonders eine Residenz, hat ihr eigenthümliches Volksleben, und Berlin, Wien, Pans und London sind oft schon in dieser Hin- 30 sicht besprochen worden. Man hat ferner sogar gesagt, daß dieses Volksleben in Petersburg gar nicht zu finden sey. Es heißt gewohnlich: Petersburg sey keine russische Stadt, und um das eigenthümliche Volksleben m Rußland kennen zu lernen, müsse man nach Moskau oder in irgend eine andere große Stadt gchen. Petersburg sey jetzt aus so verschiedenartigen Elementen zusammengesetzt, daß es dadurch alle Eigenthümlichkeiten verloren habe. Dem ist aber durchaus nicht so, und in Petersburg hat sich allmählich ebenfalls ein Volksleben entwickelt, das zwar nicht mehr rein, aber doch noch vorherrschend russisch ist. Trotz aller Berührung nn't fremden Volkern hat das eigenthümliche Russische sich vorherrschend erhalten. Eine genaue Auseinandersetzung dieser meiner Meinung hier zu versuchen, würde wohl zu weit führen, so will ich wenigstens durch Einzelnheiten darauf hinweisen. Eine wichtige Classe des Volkes, mit der man vorzüglich als Fremder in Petersburg am meisten zu thun hat, sind die auf offener Straße haltenden Lohnkutscher, Iswoschtschiks in Rußland genannt, und wenn sie sich auch in andern Städten, besonders in Wien, eigenthümlich mit der Zeit herausgebildet haben, so sind die Iswoschtschiks Petersburges uno überhaupt Rußlands von allen Lohnkutschern des übrigen Europa's verschieden. Nirgends sind sie aber auch so nothwendig, als in den weitläufig gebauten und in der Regel nicht gepflasterten Städten Rußlands, und das innere Familienleben würde kaum ohne sic in so hohem Grade möglich seyn. Der Iswoschtschik ist ein schlichter, 'gerader Russe der gemeinen Classe, der eben für seine Rechnung oder für die seines Herrn den ganzen Tag über auf der Straße sich befindet. Er ist höflich gegen Jedermann und dem, den er fahrt, ganz ergeben. In seinem langen bis auf die Knöchel reichenden Ueber-rocke, der von einem Gürtel geschlossen ist, gehüllt und mit einem kleinen breitkrempigen Hute oder der rothsammetncn Mütze bedeckt, hat er ein stattliches Ansehen, was gewiß noch durch den langen Bart und die hausig blauen Augen gehoben wird. In allen Stta-ßen, besonders an den Ecken und auf freien Plätzen sieht man die Iswoschtschiks, meist mit einem Pferde und einer leichten Droschke halten. Jedermann, der vorbeigeht, gleichviel ob Herr oder Diener, wird beäugelt, und ist es dem scharfen Auge geluugen, in das Innere der Wünsche des Fußgängers zu dringen, so hört 31 man zu gleicher Zelt eme Menge Stimmen: F^oltjo Lai-in? (Ist es gefällig, gnädiger Herr?) Hat man es bejaht, so erfolgt schnell die zweite Frage: Kuäa? (Wohin?) Nun sagt man ruhig den Ort seines Wunsches und erfahrt den Preis. Für einen Fremden, dem man vielleicht .qar ansieht, daß er erst einige Tage in Petersburg ist, sind die Preise hochgestellt und wie allenthalben muß man erst Lehrgeld geben, bevor man ungefähr den Preis für eine bestimmte Entfernung kcnnt. Als Fremder bietet man am besten die Hälfte und geht, wenn man abschlägige Antwort erhalten hat, ruhig weiter. Die Preise fallen nämlich um desto mehr, je weiter man geht. Dabei sucht jeder Iswoschtschik seine Droschke und sein Pferd zu preisen und thut als wenn er sich selbst wundert, daß man ihm so wenig geboten hätte. Unterdessen sehen ferner stehende Lohnkutscher, daß jemand fahren will, kommen ebenfalls schnell herbei und bestürmen mit Fragen: „Wie ist es aber möglich, fur einen so geringen Preis soweit zu fahren; — Ich bitte unterthänigst, legen Sie noch eine Kleinigkeit zn :c." So äußert sich höchstens die Unzufriedenheit dieser Leute bei zn geringem Gebote; aber wenn es ihnen nur irgend möglich ist, so versäumen sie nicht die Gelegenheit, etwas zu verdienen. Nach langen Debatten ruft endlich ein Iswoschtschik: 8Läilj«8! (Setzen Sie sich auf) nnd nun wiederholt ein jeder denselben Ruf, ein jeder will für den nämlichen Preis fahren. Aufgestiegen wird man rasch weiter geführt. Während der ganzen Zeit beweist der Iswoschtschik elue große Sorge für seinen temporären Herrn und leidet nicht, daß ihm irgend ein Leid geschieht. Mit der größten Sorgfalt, selbst wenn er dabei sich dem Wetter mehr aussetzen sollte, deckt er ihn zu, wenn es regnet und sorgt für ihn, wenn er, am Ziele angekommen, die Wohnung nicht genau kennt. Mit Unrecht klagen die meisten Fremden über die hohen Preise der Iswo-schtschiks und rühmen, daß diese für eine bestimmte Zeit in Berlin ^ud andern großen Städten von der Polizei firirt sind. Ich bin Überzeugt, daß man dadurch nur noch mehr im Nachtheile ist. Der ^ohnklltscher fahrt nun so langsam als möglich, und oft machte tch mir in Berlin das Vergnügen, neben solchen Lohnkutschcrn ruhig Zu Fuße ^, gchen. Man wird aber dadurch nicht allein um sein Geld, sondern noch mehr, was wichtiger ist, um seine M betrogen. Nicht selten hat man auch behauptet, daß 32 man mit den Iswoschtschiks vorsichtig seyn müsse. Meine Erfahrungen sprechen aber durchaus für die Ehrlichkeit und Gutmüthigkeit der Iswoschtschiks. Und wie leicht kann man jeder Unannehmlichkeit ausweichen, wenn man bei Streitigkeiten von Selten des Iswoschtschiks sich die blecheme Nummer, die diesem bestandig auf dem Rücken hangt, zeigen läßt und nur thut, als wollte man sie aufschreiben. Die Furcht verklagt zu werden, macht sie sogleich geschmeidig. Ich möchte eher behaupten, daß ihnen häufiger Unrecht geschieht. Mit eigenen Augen habe ich in entfernteren Provincialstädten gesehen, daß einzelne jener vornehmen Lumpe, deren es allenthalben gibt, dem armen Teufel entweder nur eine geringe Kleinigkeit oder auch wohl gar nichts gaben und ihm, wenn er nicht sogleich schwieg, noch drohten. Die Subordination ist leider in Rußland so groß, daß kein Iswoschtschik Klage zu führen wagt, und wenn er es doch thut, Unrecht, ja sogar noch Strafe dafür erhalt. Ein Beweis für die Gutmüthigkeit des Iswoschtschik ist, daß Dienstboten und überhaupt ärmere Leute wohlfeiler fahren, und ich habe selbst gesehen, daß vornehm gekleidete Herren für denselben Preis, für den gleich darauf einArmer fuhr, nicht gefahren wurden. Zu jeder Stunde der Tag- und Nachtzeit sind Droschken bereit, den Wanderer aufzunehmen, ja es gibt Iswoschtschiks, welche mit ihren Pferden gar nicht von der Straße kommen, dort ihre Mahlzeiten halten und schlafen. Wo sie des Nachts noch Fenster erleuchtet sehen und deßhalb eine Gesellschaft vermuthen, finden sie sich alsbald m Menge ein und warten ruhig bis diese ihr Ende gefunden hat. Und wie angenehm ist es nach durch-schwarmter Nacht sicher in seine Wohnung gebracht zu werden? Der russische Lohnkutscher setzt auch eine Ehre darein, gut und schnell zu fahren, und wenn der Deutsche kaum aus seinem alten Gleise sich bringen laßt, so fährt man in Nußland nicht selten gegen seinen Willen schnell. Im Sommer sind die Preise höher gestellt als im Winter, wo alle Bauern aus den naheliegenden Dörfern mit leichten Schlitten kommen, um sich ihr Brod zu verdienen. Die Concurrenz wird dadurch oft so gesteigert, daß mau für ein Schcstgruven-Stück (ohngefähr 5 Silbergroschen) oft IV, — 2 Stunden weit fahren kann. Die Regierung nimmt sich derIswoschtschiks, dieser für Peters- 33 burg so nützlichen Leute, in hohem Grade an, uud an vielen großen Platzen sind Krippen aufgestellt. Für den Winter, besonders in der Nähe des steinernen Theaters, sind anch große Kamine erbaut, in denen täglich eine Menge Holz auf kaiserliche Kosten verbrannt wird. Unrecht hat deßhalb jener Englander, wenn er behauptet, daß man im Winter in Petersburg nicht weit gehen könne, ohne cm Glied zu erfrieren, und um Unglück zn vermeiden, habe die Regierung in gewissen Entfernungen solche Kamine erbauen lassen. Wie in allen großen Städten sind auch dic Ausrufer in Petersburg in Menge vorhanden, in der Regel suchen sie sich aber einen bequemen Platz, um ihre Waaren daselbst aufzustellen. Da der gemeine Russe, wenn er eben nichts zu thun hat, wie der Orientale liebt, in der Stadt oder am Kaufhause (t^sti-noi-Nwui) herumzulaufen, und oft den ganzen Tag über nicht nach Hause kommt, so müssen auch Leute vorhanden seyn, bei denen er für cine Kleinigkeit seine Mahlzeit, die meist nur in Brod und Zwiebeln und einem Glas Kwas besteht, halten kann. Solcher Leute findet man nun an allen Ecken, und sie preisen jedem, der mit Wohlgefallen auf ihren Bäckereien ruht, diese mit großer Geschwätzigkeit an. Hier hat man (-nr«el8oln^i 8lnki (warmes, eben gcbackenes Brod), dort (^oi-IotzeKi)» ^i-e^clinowilil (frischen Kuchen), an einer dritten Stelle MozkoMilnjo li»I»t8Lin (Moskauer Brezeln) und an einer vierten v^iazem^iio I^janiki, Larunkl (Wjasemskische Pfefferkuchen, Kringel). Häufiger begegnet man im Sommer Leuten mit Getränken, und da diese ihr Gewcrk meist nur ambulant treiben, so haben fie eine eigeneVorrichtung erfunden, die ihren Handel sehr erleichtert. Um ihre Taille herum befindet sich nämllch ein 2—3 Zoll dicker hölzerner Gürtel, in dem mehrere Löcher für Glaser befindlich sind. In der rechten Hand tragen sie die Flasche mit gewöhnlichem oder feinerem Kwas gefüllt und mit der linken fassen sie das Glas, um ks gefüllt zn präsentiren. 3u jeder Zeit findet man Verkäufer auf den Straßen, und nicht selten begegnete ich des Nachts solchen Leuten in Ecken oder am eignen Tisch eingeschlafen. Oft war mir es unbegreiflich, wie diese Mensche«, ohne zu fallen, in solchen Stellungen schlafen Reisen und >^!,devb?sch»iln»,qen. XXIII. 3 (Neise nach Kaukasien.) 34 .konnten, da auf Sitzen der Art die Balance zu halten es selhst oft wachend nicht leicht war. Ausrufer mit kasam'schen Stiefeln, astrachan'schen Schlaf-rdcken, Bildern, Spielsachen, von denen ich so viel gelesen hatte, habe ich fast gar nicht gesehen; diese Lente halten sich m Petersburg jetzt zn vornehm und miethen oder kaufen sich um hohe Preise am Kaufhaus einen Laden. Dieses Kaufhaus (Oa^ünoi. Uvvor) mit seinen Tausenden von Gewölben befindet sich hauptsächlich in der großen Gartenstraße und auf dem Ncffsky-Prospect und hat zum Theil schon eine entfernte Aehnlichkeit mit den Basaren der Orientalen, indem in ihnen nicht allein feilgeboten, sondern zu gleicher Zeit auch gearbeitet wird. Kaufleute und Handwerker, die mit gleichen Sachen handeln, stehen mit ihren Laden in der Regel neben einander. Die Ehrlichkeit der niedern russischen Kaufleute steht der der deutschen nach, und man ist gezwungen, auf gleiche Weise nu't ihnen umzugehen, wie man es bei uns mit den Juden zu thun gewohnt ist. Von der Gartenstraße seitwärts kommt man auf der einen Seite in ein kleines Gäßchen, worin die eigentlichen Trödler ihren Sitz haben und das deßhalb den Namen Läusemarkt führt. Auf sonderbare Weise findet man hier die Lager aufgeputzt und die verschiedenartigsten Dinge stehen nebeneinander. So interessant es auch ist, diesen Schlupfwinkel für alle gestohlenen Sachen zu besuchen, so sehr muß man eben deßhalb auch seine Taschen vor geschmeidigen und kunstfertigen Finger» in Acht nehmen. Die den Rnssen angeborene Gastfreundschaft ist wohl die Ursache, daß man Vergnügungen und überhaupt Zerstreuungen nicht ln öffentlichen Wirthshäusern oder an öffentlichen Platzen, sondern in bekannten Familien, in denen man uugenirt sich bewegen kann, sucht und auch findet. Der harte, strenge Winter vereinigt Petersburgs Bewohner mehr als der Sommer, und da Geselligkeit und unverdrossene Fröhlichkeit noch mir dem Charakter des Nüssen verbunden sind, so suchen sich die einzelnen Familien gegenseitig auf und verleben bei und miteinander fast die ganze Winterszeit. Die bedeutenderen und reicheren Familien offnen jedem Gebildeten ihr Haus und an bestimmten Tagen ln'sst man daselbst vorzüglich Gesellschaft. Das Theater wi,d nicht so häufig besucht als man erwarten sollte; häusiger jedoch frcquentirt der Russe, da er nicht 35 allem die Musik liebt, sondern meist auch versteht, Opern und Concerte. Ganz anders ist es im Sommer, der leider kaum eink.qe Monate dauert. Die freie Natur wirkt, nachdem sie fast Dreivierteljahre entbehrt wurde, ganz eigenthümlich auf die Petersburger, und sobald die Witterung es kaum erlaubt, verlassen sie die Stadt und führen auf ihren Landhausern (Datschen) ein kaum mehr zurückgezogenes Leben. Mit grosiem Vergnügen geben sie sich dem Landleben hin und athmen mit Wohlbehagen die reinere Luft. Im Grunde genommen hat aber der Petersburger nur seine Wohnung verändert, denn wenn er nicht ganz unwirthsame Gegenden bezogen hat, bleibt um ihn das Geräusch fast dasselbe. Drei Stunden im Umkreis ist Petersburg mit fast eben so viel Datschen versehen, als es Häuser besitzt, und mit jedem Jahr vergrdsiert sich ihre Anzahl. Da die Entfernung der rmzelnen Familien dadurch noch vergrößert wird, so ist zwar weniger die Möglichkeit gegeben, sich gegenseitig häufig zu sehen, aber wenn man sich einmal besucht, so bleibt man nun auch den ganzen Tag. Gegen die Mitte des Iunius hin wohnt Jedermann, dem cs seine Vnbaltnisse erlauben, auf seiner Datsche, und die Umgebung derselben, welche den Tag vorher noch öde und wüst lag, wird plötzlich so verändert, daß man kaum den Ort wieder cikcmtt. Schdin'r, blüliender Lack, Levkoien, Orangenbäumchen, Myrten :c. stchen plötzlich im Freien und geben den Anschein, als hätten sie immer dagestanden. Die vielen Arme, in welche die Newa sich theilt, liefern allenthalben so viel Wasser, als zur Verschönerung nothwendig ist und verleihen desilmlb den Landschaften einen eigenthümlichen Reiz. Von den vielen Punklen, dt> eine herrliche Aussicht gewahren, sieln die von der Kamcl,n»iostross'schcn Brücke nach Ielagmostioff Zu obm an und vermag de„ Beschauenden hin nach den lachenden Ufern des Bodensee's zu versetzen. Deutsche Handwerker, welche in großer Mcnge Petersburg bewohnen, haben, ihrmvalerlalldischknSitten auch im Allslaude noch treu, sich auswärts Bclustigungsorte zu schaffen gewußt und besuchen am Somuag in grosier Menge besonders das auf Chrestossökoi-Ostroff (Christophsinsel) befindliche Gasthaus, um nach deutscher Sitte Kaffee, Bier :c. zu gcuießen und von Zeit zu Zeit sogar zu tanzen. Doch ist dieses nur ein schwaches Ersatzmittel der deutschen Geselligkeit außer dem Hause. Noch drückender wird aber nicht allein dem Deutschen, son- 3* 36 dern wohl jedem Fremden der Mangel an Wirthshäusern überhaupt, und es ist nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, daß man mitten in dieser grosten volkreichen Stadt im Winter aus Mangel an einem Quartier, wenn auch nicht gerade zn umkommen, jedoch in die peinlichste Verlegenheit gerathen kann. Ich glaube, daß es hier, bevor ich in meiner Beschreibung Petersburg verlasse, der passendste Ort ist, um eine unfreundliche, ich mochte sagen böswillige Beschuldigung von Seiten der sonst beliebten Zeitung: 8e>vernl»i» I'^aliola (nordische Biene) von mir abzulenken. Wahrend meiner Reise wurden einige Briefe, welche ich auf Verlangen besonders zum Druck für das Journal: Mis-cellen, herausgegeben von Nr. Friedrich Bran, geschrieben, daselbst abgedruckt. Diese sagten wohl dem Russen nichts Neues, aber boten dem Deutschen, für den es geschrieben war, manches Interessante dar. Irgend einen der Mitarbeiter obiger Zeitschrift müssen meine Briefe nicht in bester Laune getroffen haben und wahrscheinlich ohne sie zu lesen oder ohne deutsch zu verstehen, führte er mich als Beispiel an, daß alle Ausländer entweder eine schlechte Gabe der Auffassung besaßen oder böswillig alles verdrehten. Der Verfasser jenes Aussatzes führt zum Beweis eine Menge Stellen an, die in meinen Briefen gestanden haben sollen, aber gar nicht so stehen, wie er sie ins Russische übertragen hat. Entweder ist Uebersetzer dieses der deutschen Sprache gar nicht mächtig gewesen, oder Bosheit bewog ihn, alle meine Worte so zu verdrehen. Aber weit entfernt mit Menschen solchen Gelichters mich einzulassen, will ich nur zur Bestätigung mnner Behauptung n'n Beispiel geben. Ich rühme in einem der Briefe die Gastfreundschaft der Russen und klage über den Mangel an Wirthshausern, worin mir jeder unparteiische Nüsse Recht gegeben hat, wenn er nur irgend wußte, was man unter einem guten Wirthshaus versteht. Ucbersetzer dieses Briefes sagt aber, daß ich sehr die Gastfreundschaft in Petersburg nnd Moökau vermißt habe, „nd zeihet mich dadurch des schwärzesten Undankes. Aus solche» Verdrehungen besteht nun die ganze Uebersetzung, und wenn ich nicht schon damals eine Rechtfertigung dagegen schrieb, so lag die Ursache in dem Sprüchworte: „werPech angreift, besudelt sich." Diese Zeilen gelten auch nicht jenem faden Uebersetzer, sondern allen den vielen theuern Freunden, welche durch 37 ganz Rußland wohlwollend mich unterstützten und mich in dem Kreise ihrer liebenswürdigen Familien willkommen hießen. Drittes Capitel. Ueise bis FU a s k a u. Abreise; die russische Sprache; Dilige»«!,; die Ehaussee bls Moökau; der freundliche Nachbar; öde Gegend; Nowgorod und seine Geschichte; Ilmensee; Waldai-Gebirge; Torshot; der Wirth Posliarötoi u»d stine briülnnten Coteletö; Twer und jeine Gc: schichte; die Virtenwaldev; Cliaö' Hinnnclftihlt; Ä,!kln>st ii> Moökau. Endlich war der Tag meiner Abreise herangekommen und schweren Herzens nahm ich von den vielen Bekannten, die ich in der Zeit liebgewonnen, Abschied. Es war mir ganz eigenthümlich, als ich auf einmal mitten unter Russen, von denen nur einer etwas deutsch radebrechrc, mich befand. Leider war mir in Petersburg gar keine Gelegenheit gegeben, russisch zu lernen, und so schnell ich auch gefunden hatte mit den Iswoschtschiks und den Dienern der mir bekannten Familien mich zu verständigen, so blieb auch hiermit alle weitere Ausbildung in der russischen Sprache stehen. Doch nur zu bald wurde mir die Unkenntm'ß der Landessprache drückend, und in die eine Tasche steckte ich Tappe's russische Sprachlehre, in die andere hingegen Schmidts Taschenlenkon. Die dden Gegenden Nußlands verschafften mir manche Langeweile, und auf keine Weise konnte ich wohl die Müßige Zelt besser ausfüllen, als wenn ich mich mit den Declinationen und Conjugationen der russischen Sprache beschäftigte. Noth bricht Eisen, und da der einzige Reisegefährte, welcher meine Muttersprache nur leidlich verstand, mir nicht immer zur Hand h>ar, so ergriff ich stets mein Len'kon und verlangte das in den Wirthshäusern, wornach mein Herz sich sehnte. Jedoch war meine Aussprache nicht immer die beste und häufig wurde ich deßhalb miß- oder gar nicht verstanden. Immer hatte ich gehört, daß man dem Russen nur etwas anzudeuten brauche, um verstanden zu werden, eine Meinung, der meine Erfahrungen geradezu widersprechen. Wenn ich meine Worte nicht so deutlich, wie ein ächter 38 Russe, aussprach, so konnte ich sicher seyn, nicht verstanden zu werden. Ne pammciju (ich versteh' nicht) war immer der Refrain bei allem, was ich nicht deutlich sagte. Es wurde für mich um so schwieriger, da das russische Alphabet Buchstaben hat, die für uns Deutsche entweder geradezu gar nicht, oder nur schwer auszusprechen sind, wie das c/i und /. Beide Buchstaben werden nicht mit der vordern Hälfte der Zunge, sondern mit dem Gaumen oder der Wurzel der erstem gebildet. Dann ist zwischen einzelnen Buchstaben, als dem ^ und <' (dem scharfen und gewöhnlichen 5') dcm ,'/, und /// (dem scharfen und gewohnlichen «^) nur ein solcher (wenigstms für uns) unbedeutender Unterschied, daß lange Uebung dazugehört, bevor man sich daran gewöhnt. Besonders durch die Vermittlung des Herrn v. Fischer wurde ich auf der ganzen Neise als auf Allerhöchsten Befehl Er. kaiserl. Majestät geschickter Reisender angesehen und als solcher dem botanischen Garten zugerechnet. Dadurch erhielt ich alle die Vortheile, welche ein solcher genießt, und daß diese nicht unbedeutend waren, wird die Folge lehren. Je weiter ich mich von der Hauptstadt entfernte, um so mehr fühlte ich, was es bedeute, auf Allerhöchsten Befehl eine Reise zu machen. Der Weg von Petersburg bis Moskau beträgt über 700 Werst, oder (da V Werst ungefähr 1 geographische Meile benagen) über l00 geographische Meilen. Diligence», welche von Privatpersonen oder Gesellschaften eingerichtet sind, gehen fast täglich hin und her. Außerdem kaun man sich auch der gewöhnlichen Post bedienen, und kommt mit dieser, wenn man nicht besondern Störungen ausgesetzt ist, schneller zum Ziel. Die Diligence» stehen unsern Eilwagen nur wenig an Eleganz und Bequemlichkeit nach und haben auch im Allgemeinen dieselbe Einrichtung, meist für 8, aber anch für li Personen. Beiwagen werden nicht geliefert, und wenn die Platze vergeben sind, ist man gezwungen, einen oder mehrere Tage zu warten. Der Preis der Platze ist mäßig, im Cabriolet bezahlte ich nur 75 Rubel Banco, also ungefähr^'/. Nthlr. pr.Ct., wahrend für einen Platz im Innern (wenn ich nicht irre) U5 Rubel bezahlt werden mußten. Die Reisenden haben ganz über die Diligence zu verfügen, und können, wenn alle damit einverstanden sind, langer an einem Orte verweilen, als es sonst geschieht. Ein Conduc- 39 teur ist stets dabei, spricht in der Regel mehrere Sprachen, und geht dcn Reisenden mit Rath und That an die Hand. Ein unbedeutendes Trinkgeld von einigen Rubeln wird reichlich durch seine freundliche Sorge ersetzt. Gewöhnlich haben die Unternehmer in Betreff der Pferde einen Accord mit den PostHaltern getroffen, und man ist deßhalb nie der Verlegenheit ausgesetzt, einmal keine Pferde z« bekommen. Die Straße von Petersburg bis Moskau ist chaussirt und wird mit großer Sorgfalt erhalten. Aber noch nicht (wenigstens nicht damals, als ich sie passirte) ist sie ganz vollendet, indem in der Regel noch die Brücken fehlen. Mit ungeheuren Kosten hat man sie besonders durch die moorigen Gegenden zwischen Petersburg und Nowgorod geführt, und oft war man gezwungen, aus weiter Ferne, ja sogar aus Finnland sich Steine zum festen Grund zu verschaffen. In jedem Orte, wo die Pferde gewechselt werden, findet man auf der ganzen Straße nett einge-richrete, ja zum Theil elegante Wirthshäuser, in denen man gute Mahlzeiten zu sich nehmen kann. Die Preise fur das Essen und Trinken sind festgesetzt, und wenn man sie auch für Deutschland zu hoch finden würde, so sind sie doch für Rußland billig zu nennen. Den 30. August früh um 8 Uhr verließen wir Petersburg und fuhren mit wenig Unterbrechungen immer südlich. Meine Reisegesellschaft bestand aus lauter Russen, die meistens Geschäfte halber nach Moskau fuhren. Ich hatte mir ausdrücklich den Platz im Cabriolet, um desto besser mich umsehen zu können, gewählt, und erhielt außer den, Conductcnr einen jungen Angestellten Petersburgs zum Nachbar. Vergebens suchte dieser mich in ein Gesprach zu ziehen, bis er leider endlich gewahr wurde, daß ich der russischen Sprache nicht machtig sey. Mit ber größten Freundlichkeit suchte er mir unn die nothwendigsten Redensarten beizubringen und stand immer sorgend neben mir, lvenn in den Wirthshäusern ich nicht das bekam, was ich verlangt hatte. Auch bei der Bezahlung war er aufmerksam, und erlaubte fast mir selbst nicht einen Kopeken zu verschenken. Nicht genug kaun ich diese Liebenswürdigkeit rühmend anerkennen. Die Gegend, durch die wir den ersten Tag fuhren, war traurig und dde, verkrüppelte Wälder auf sumpfigem Moorboden 40 gingen fast beständig unsern Blicken vorüber, keine Abwechslung von Berg und Thal, immer dieselbe endlost Flache, selten ein armseliges Dorf, dessen hölzerne Häuser, in der Regel erhöht, nur einen traurigen Anblick darboten. Nicht so elend und ärmlich sehen aber ihre Bewohner aus, die meist von mittlerer, kraftiger Statur, und mit freundlichem Gesichte uns nachblickten. Ihre Kleidung und ihr ganzes Aeußere war nicht so schmutzig, als es mir so oft beschrieben worden war. Schafpelze machten ihre hauptsächliche Kleidung aus. Es war mir ordentlich lieb, als allmählich Dämmerung eintrat, und mit der Nacht mir die Unmöglichkeit gegeben wurde, auf den dden Umgebungen mit meinen Augen langer zu verweilen. Nowgorod (wörtlich übersetzt Neustadt) war die erste Stadt, welche wir den andern Tag Morgens sehr früh erblickten, und bald darauf durch ihr ehrwürdiges Thor einfuhren. Ich hatte so viel von dieser Stadt gehört, und noch mehr von ibr gelesen, so daß unmittelbar eine geheime Ehrfurcht mich durchrieselte, als wir mitten in ihr anhielten. Ich nahm mir kaum Zeit, den bestellten Thee zu mir zu nehmen, ergriff meinen freundlichen Russen bei der Hand, und bat ihn, mir schnell die Merkwürdigkeiten der ältesten und ersten Stadt Rußlands zu zeigen. Lächelnd schüttelte er den Kopf, folgte aber treuherzig meinen raschen Schritten. „Was wollen Sie sehen?" frug er mich. „Aus der thatcnrei-chen Vorzeit Nowgorods kann ich Ihnen nur die Kirche der heiligen Sophie zeigen , alles Andere ist verschwunden; dort an der Wol-choff liegt sie." Sinnend betrachtete ich das ehrwürdige Gebäude, das im Innern zu beschauen die Zeit mir kaum erlaubte. Mehr als andern russischen Städten sieht man Nowgorod das Alter an, aber der Anblick einer untergegangenen Größe ist traurig. Zwei Mauern, die dem Einfalle nahe sind, schließen die Stadt ein, und halbverfallene steinerne Gebäude sind noch Zeugen des früheren Reichthums ihrer Bewohner. Mein freundlicher Führer zeigte mir eine halbe Ruine, welche man als das wundervolle Haus der herrsch süchtigen Marfa (Martha) bezeichnet. Wo einst der große Hof des Iarosloff stand und die Bürger ihre Versammlungen (Welschen) hielten, wuchern jetzt Gras und Unkräuter. Das große Nowgorod ist klein geworden! Seine Straßen sind todt, und der blührnde Handel, den die freien Bürger der Vorzeit mit 41 Konstantinopel, Lübeck und Sibirien trieben, ist untergegangen. Getreide, Hanf und Flachs sind die einzigen Erzeugnisse, die jetzt verführt werden. Nowgorods Erbauung reicht in das graue Alterthum des ersten Jahrtausends nach Christus herab. Innere Zwiste bewogen die Bürger schon in der ersten Zeit, die Warägerfürsten Rurik, Si-naff und Truwor, 8l»2 zu ihren Herrschern zu erwählen, und Ru« rik legte den ersten Grundstein zum grosten russischen Reiche. Seine Nachkommen vergrößerten mit jedem Jahrhundert ihre Macht und trotzten allen Stürmen einer unruhigen Vorzeit. Auch in der Zeit noch, wo die Großfürsten in Kiew ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten, erkannten Nowgorods Einwohner fortwahrend diese als Herren an und bewiesen stets eine unerschütterliche Treue gegen ihre selbstgewahlte Herrscherfamilie. Doch ihre Freiheit bewahrten sie sich und duldeten nicht den geringsten Eingriff in ihre Rechte. Sie zwangen sogar den Großfürsten Iaroslaw III Iaroslawitsch 1264 ihuen eine Urkunde ihrer Freiheiten auszustellen und somit gestaltete sich die Stadt allmählich zu einem Freistaat, in dem der jedesmalige Großfürst nur als Schutzherr anerkannt wurde. Iaroslaw selbst, als er die Rechte der Bürger zu schmalem versuchte, mußte sich spater der Volksherrschaft beugen, denn plötzlich ertönte (im Jahre 1272) von der Kirche der heiligen Sophie die Versammlungsglocke und alles Volk strömte herbei, um eine Wetsche zu halten. Iaroslaw wurde vertrieben und seine schuldigen Günstlinge hingerichtet. 200 Jahre lang erhielt sich Nowgorod seine Freiheit und alle russischen Fürsten buhlten um seine Gunst. Seine Bürger zeichneten sich durch Tapferkeit und edlen Sinn aus, und mit Stolz blickten sie auf ihre Vaterstadt, die den Namen Groß-Nowgorod bis in die weiteste Ferne trug. Handel und Gewerbe blühte», und Reichthümer häuften sich allmählich auf. Doch der Stolz der Nowgoroder wuchs Mit ihrem Ansehen und übermüthig beschloß eine Wetsche 1471 die Absetzung des damaligen Großfürsten Iwan III Wasiljewitsch. Vergebens waren alle Bemühungen des letztern. Die ehrgeizige Wittwe des Posadnik Isaak Voretzky, Marfa (Martha), eine Frau von großem Geiste und einer seltenen Ueberredungsgabe, beherrschte die Aeltesten des Volkes. In ihrem prachtigen Hause, welchem das Volk den Namen des wundervollen gab, hielt sie täglich 4*2 Versammlungen und schloß mit dem Kom'g von Polen Kasimir ein Bündm'ß. Doch Johann zog mit seinen tapfern Schaarcn vor Nowgorod, schlug seine Feinde an der Schelona und hielt 1471 einen siegreichen Einzug in die Stadt. Doch noch wagte er nicht mit einem Schlage die Freiheiten Nowgorods zu vernichten. Erst von 1475 an nahm er ihnen eine nach der andern, bis endlich den 15. Januar 1478 die letzte Wctsche gehalten werden durfte. Mit der berühmten Versammlnngsglocke, von der ich spater noch sprechen werde, wanderten 300 Wagen mit Silber, Gold und kostbaren Steinen beladen nach Moskau. Doch noch war Johann nicht zufrieden. Die angesehensten Familien wurden gezwungen auszuwandern, und wer ihm verdächtig war, mußte sterben. Das Sprüchwort, was viele Jahrhunderte in Nußland bekannt war: ,,Oolno mo^et »tojanti pi-mil 15ocl,o ä»i WoUK Novogoroll" (wer vermag etwas gegen Gott und Nowgorod) verstummte plötzlich. Und doch waren die Leiden der tiefgebeugten Stadt noch nicht zu Ende. Iwan IV, der schreckliche Wasiljewitsch, haßte Nowgorod und zog daselbst den 6. Januar 1573 ein, um cm sechswochentliches Blutgericht zu halten. Ich schweige von den Grauein, die damals an den unglücklichen Einwohnern verübt wurden. Groß-Nowgorod wurde verödet und liegt heute noch ode. Gern hätte ich auch den vielfach besungenen und nahen II-mensee besucht, doch meine Gefährten wollten weiter reisen. Hinter Nowgorod beginnt allmählich die Gegend freundlicher zu werden und die Vorhdhen des unbedeutenden Waldaigebirges traten uns nach und nach entgegen. Es that mir wohl, nach langer Entbehrung wiederum Verg und Thal zu erblicken, und je näher wir selbst dem eigentlichen Gebirge kamen, um desto freundlicher fanden wir dic Umgebungen. Die schone Jahreszeit mag wohl auch noch beigetragen haben, die Abwechslungen deutlicher hervortreten zu lassen, und so versetzte ich mich ganz wieder in die heimathlichen Gefilde. Es war Abend, als wir m dem unbedeutenden Städtchen Waldai einfuhren und uns hier eine kurze Zeit aufhielten. Eine Menge freundlicher und meistens hübscher Mädchen, m ihre originelle Kleidung gehüllt, empfingen uns bcim Auosiei-gen, ihre schlechten Moskauer Ringel anbietend. Hinter Waldai wurde die Gegend noch freundlicher, da die Vegetation m gro- 43 ßer Ueppigkeit und seltener Schönheit ihre Blumen daselbst entfaltete. Den Montag gegen 10 Uhr kamen wir in Torshok an und mein Nachbar machte mich, als wir kaum in dem Wirthshause eingetreten waren, auf Cotelets, welche man hier sehr wohl- und ftinschmeckcnd bereitet, aufmerksam. Die Tochter des Posthal-tcrs Posharskoi war die berühmte Köchin, welche vor langen Jahren dem Kaiser Alexander Cotelets von besonderem Wohlgeschmacke vorsetzte, und als gar die kaiserlichen Kdche umsonst versuchten, diese ihr nachzubilden, verbreitete sich ihr Ruf durch ganz Rußland. Jeder, der nach Torshok kommt, must die Cotelets kosten und in das Lob derselben einstimmen, wenn er nicht, für einen Barbaren in der Feinschmeckereigelten will. Leider fand ich, der ich wohl gern etwas Gutes esse, aber doch nicht zudenFein-schmcckern «x pi-ole««« gehöre, die Vorzüglichkeiten nicht, viel-lcichr gerade darum, weil ich etwas Vorzügliches erwartete, und bei Realitäten nicht gern der Phantasie zu freien Spielraum lasse. Die menschlichen Naturen sind eben verschieden, und ein Anderer mit viel Phantasie, dem die Torshoker Cotelets vielleicht schon in Petersburg angepriesen waren, hätte diese, selbst wenn sie weniger schmackhaft gewesen waren, ausgezeichnet gefunden. Das Essen hat mich nie lange gefesselt, so auch diescsmal. Ich verließ die Wirthsstube uud eilte m das Freie. Torshok hat, wenigstens für Nußland, eine hübsche Lage, ist gleich Rom und Lissabon auf mehreren Hügeln (ich habe nicht gezählt, ob auch auf sieben) erbaut, und würde der Punkte nicht wenige darbieten, um die Stadt in ihrem besten Lichte zu beschauen — wenn es sich der Mühe! lohnte. Die meisten russischen Städte bieten nicht den freundlichen Anblick, den wir bei unsern meisten deutschen gewohnt sind, dar, und besitzen ein düsteres schmutziges Ansehen. Die Häuser bestehen in der Regel nur aus einem Stocke, sind von Holz erbaut und mit Schindeln bedeckt- Dadurch, daß der Ranch nicht immer dem Giebel zu durch eiue Oesse geleitet wird, streicht er gewöhnlich an dem nicht angestrichenen Holzwerke vorbei, und gibt diesem seine rußige Farbe. Desto mehr treten aber die grosicn Kirchen hervor und contrastiren durch ihre weiße Farbe und die häufig gnmen Dächer mit dem traurigen Schwarz der Umgebung. Torshok soll reich seyn. Das bewiesen aber nur die Kir- 44 chen. Vorzüglich Schuhmacher wohnen daselbst und liefern viele tatarische (oder kasan'sche) Schuhe und Stiefel nach Petersburg und andern Städten des Reiches. Torshok gehört zu den älteren Städten Rußlands und war bald Nowgorod, bald den Twerschen, später den Moskauer Fürsten zinspftichtig. Früher muß es fester gewesen seyn oder feste Punkte besessen haben, da bis auf die Vertreibung der Polen in der Regel die Gefangenen hierher gebracht wurden. Mit Twer theilte es beidcmale das Unglück, von Grund aus zerstört zu werden. Ja, als Johann des Schrecklichen Günstling, Skuratoff, durch die sich zur Wehre setzenden krim'schen Gefangenen 1569 verwundet wurde, mußte jeder, der sich in Torshok und auf dem Wege bis Nowgorod erblicken ließ, die Rache des Wüthcrichs fühlen. Die Chrom'key jener Zeiten sind voll von den Unthaten, die damals geschehen sind. Ich freute mich, als ich wiederum neben meinem freundlichen Russen saß und der wichtigen Handelsstadt Twer zufuhr. Es war Abend geworden, als wir daselbst ankamen und der schönen Welt, welche sich langsam an dem Ufer der Wolga des heitern Abends erfreute, begegneten. Neugierig wurden wir besehen, aber auch ich konnte die dem Menschen angeborne Ncugierde nicht verläugnen, und besah die Stadt und von den Bewohnern die, welche sichtbar waren. Der heutige Tag war ein Festtag, die Himmelfahrt des Elias, und mir deßhalb günstig, die Einwohner und ihre Frauen in der eigenthümlichen, für einen Fremden anziehenden Kleidung zu betrachten. Die Russen sind doch ein schöner Schlag Menschen, und jetzt erst, wo das Festtagögewand den schmutzigen Schafpelz verdrangt hatte, trat mir die Gestalt, wie sie ist, vor. Durchgehends fand ich hübsche Gesichter, und unter den Madchen erblickte ich mehrere Blondinen, die auf Schönheit Anspruch machen konnten. Heiterkeit, welche sich allenthalben aussprach, erhöhte noch den freundlichen Eindruck, den mir die Bewohner Twers verschafften. Die Stadt, wenigstens der Theil, in dem ich wandelte, nnd der an der Wolga liegt, ist weit hübscher gebaut als Torshok, und zweistöckige steinerne Hauser sind in ihr gewöhnlich. Twer hatte wie Moskau einst seine eigenen Fürsten, die sich weit und breit in der Umgegend Anhang verschafften, und bisweilen die regierenden Großfürsien vom Throne stie- 45 ßen, um selbst darauf für die Wohlfahrt Rußlands zu sorgen. An der schiffbare« Wolga gelegen, handelten die KaufleuteTwers mit Asien und Europa zugleich, und kühn schickten sie ihre Schisse mit nordischen Producten beladen die Wolga hinab nach Astrachan und selbst über das kaspische Meer hinüber nach den Hafen Dagestans, Persiens und Turkestans. Aber die dauernden Fehden der Fürsten untereinander, der Streit um die Oberherrschaft und »die Tyrannei der Mongolen gestatteten den Bürgern keine lange Ruhe, der Stadt keinen dauernden Frieden, und plötzlich mußten alle Verbindungen mit dem fernen Süden und Westen wiederum abgebrochen werden. — Zweimal wurde Twer von Grund aus verwüstet und beidemale von russischen Fürsten. Das erstemal, 1328, zog Ioann Daniilowitsch von Moskau , und Alexander Wasiljcwitsch von Susdal auf Befehl des mongolischen Chans Usbek mit einem ungeheuren Heere nach Twer, mn die dortige Ermordung vieler Mongolen zu rächen. Das zweitemal wüthete Ioann IV, Wasiljewitsch, der mit Recht von der Mit- und Nachwelt den Beinamen des Schrecklichen erhielt, gegen die eigenen Unterthanen im Jahre 15ö9, und sein Günstling Maljltta Ekuratoff marterte, erschlug und erhcnkte die friedlichen Einwohner zum Zeitvertreib. Die Anarchie unter den falschen Dmitris (Demetrius) und die polnische Tyrannei waren nicht geeignet, das unglückliche Twcr wieder zu heben. Doch als das Haus Nomanoff den Zügel der Herrschaft ergriff, und mit kräftiger Hand nach und nach die Ruhe im Innern des Reiches wieder herstellte, da erhob sich anch Twer wiederum allmählich. Als Katharina II seine Wichtigkeit begriff, unterstützte sie später auf alle mögliche Weise den dortigen Handel. Die schmutzigen hölzernen Hauser verschwanden, und wie durch einen Zauber hervorgehoben erstanden längs der Wolga steinerne Gebäude. Die ^olga bedeckte sich allmählich wiederum mit Kähnen und kleineren schiffen, wclche die nordischen Producte dem fernen Astrachan zuführen, um dort sie gegen asiatische Waaren zu vertauschen. Der rasche Abgang der Waarcn rief eine Menge Fabriten hervor und Twer'-sche Leinwand, Leder und Papier gehen durch ganz Rußland. Die Gegend hinter Twer wurde wiederum freundlicher; Roggenfelder wechselten mit Buchweizeuackern ab, und wurden durch einförmige Birken - und Kieferwalder unterbrochen. Ich sehe recht 46 gern die Birke, und besonders im Mai erfreut mich ihr frisches Grün, was so einen lieblichen Contrast mit der weißen Schale seines Stammes bildet; aber große, mehrere Stunden lange Wälder wirken ganz anders und machen den Anblick einförmig. Dic Blatter sind zu klein und vermögen nicht die ruthenfdrmigen braunen und oft hangenden Aeste zu verstecken. Bis in ihre feinsten Zertheklungen blicken die letztern durch das Laub und gleich steifen Linien tragen sie die rundlichen Blatter. Es mangelt das dichte Laub, wie es unsere Eichen und schon weniger die Buchen darbieten. Die Birke ist wohl schlank, aber vermag ferner eben deßhalb nicht die Majestät hervorzurufen, mit welcher eine breitgipfe-lige Eiche umgeben ist, besonders wenn der Wind leise säuselnd durch seine Blätter weht und uns dadurch in eine eigene erhabene Stimmlmg versetzt. Der Russe liebt aber seine Birkeu, wie wir die Eichen, und wenn Deutschland das Land der Eichen ist, so stellt Rußland das Land der Birken dar. Es ist in Rußland Volksglaube, daß der Prophet Elias in jedem Jahre an seinem Himmelfahrtstage aufs neue gen Himmel fährt, und da eine Himmelfahrt nicht ruhig vor sich gehen kann, so soll stets am l August (oder am 19 Julius alten Styls) ein heftiges Gewitter erscheinen. Ist doch anch bei uns in Thüringen der Glaube fast allgemein, daß zu Christi Himmelfahrt cs donnern müsse und wirklich meist auch donnert. Vis gegen 9 Uhr Abends war der Himmel aber noch rein, und es schien als wcnn der Glaube dl'esesmal zu Schanden werden sollte; doch plötzlich regte es sich in der Atmosphäre von Süden her und bald sah man aus weiter Ferne schwarze Wolken am Himmel heraufsteigen. Nacht brach herein und es dauerte nicht lange, so durchtheilten schlangelnde Blitze das unheimliche Dunkel. Schlag folgte auf Schlag. Willige, t»o1no »».-»Lwi jii'oroll I<'!ia nyn)'oi80^t- »Oka jeäet n'neKesÄ (sehen Sie, daß der Prophet Elias heute noch gen Himmel fährt) rief mein Nachbar mir zu. Das Gewitter dauerte nicht lange. Allmählich wurde der Himmel wieder heiter und Tausende von funkeluden Smnen leuchteten mit ihrem matten Lichte über uns. Ich schloß meine Augen und schlief bald ein. Was doch die Gewohnheit thut! Früher war es mir unmöglich in einem Wagen zu schlafen, seitdem ich aber schon Wochen lang im Wagen zugebracht hatte, störten mich die schaukeln- 47 den und selbst stoßenden Bewegungen des Wagens im Schlafen nicht mehr. Nach der Gegend hin, wo Moskau lag, blickte ich unverwandt; nach Moskau war mein Geist schon lange vorausgeeilt. Tausend Fragen richtete ich an meinen gefälligen Nachbar, trotz dem ich wusite, daß er nur wenig verstand, aber die Stadt, in und mit der Nuß land groß geworden war, nahm mein ganzes Interesse in Anspruch. Endlich erblickte ich noch in weiter Bläue die Tausende von Thürmen und immer deutlicher traten diese aus dem geheimnißvollen Schleier, in den sie wenigstens für mich gehüllt waren, hervor. Was für eine ungcheure Stadt entfaltete sich allmählich vor meinen Blicken! Welche Mannichfalrigkeit bot ihr Anblick dar! Nirgends dasselbe zum zweiteumale. Jeder Thurm, jede Kirche, jeder Palast hatte seine Eigenthümlichkeiten. Ich vergaß ganz, daß ich ein Fremder war und konnte kaum den Augenblick erwarten, wo ich alle diese Schönheiten mit Muße genießen konnte. Viertes Capitel. Aufenthalt in Moskau. Geschichte Moötau'Ä; schlechte Wirthshaus«; Vergleich Moökau'ö wit Petersburg; der GlocklMthurm Johannes des Wrosjcn,- Moskau; die große M^'e ">'d ihre Auferstehung; ihre Geschichte; die Kirche Wilhelms des Seligen; der rothe Plap; das Denkmal von "Posharskol »nd Minm. Moskau, Moskwa von den Russen genannt, hat seinen Na-Men von dem Flüßchen gleiches Namens, das die Stadt durch-^ßl. Ihre Erbauung wird dem Oleg, dem Vormunde Igors, bes Sohnes und Nachfolgers Runks, mit dem die Russen ihre Geschichte beginnen, zugeschrieben und fiel gegen das Ende des Neunten Jahrhunderts. Richtiger ist aber wohl, daß Juri Wla-dimtrownsch Dolgoruki gegen das Jahr 114? auf der Hohe, wo jetzt der Krrml steht, eine Burg erbaute, nachdem er den zeitherl-gen Besitzer Kntschto hatte hinrichten lassen. Es geht aber auch die Sage, daß daselbst in den ältesten Zeiten ein Wald gestanden 48 und ein Einsiedler Namens Bukal gelebt habe. Mag dem nun seyn, wie ihm wolle, die Wichtigkeit der Lage Moskau's wurde von den russischen Fürsten zeitig eingesehen, und als der erste russische Fürst in Moskau wird ein Bruder des hochgefeierten Alexander Nesssky, Michael, gegen das Jahr 1248, genannt. Daniel Alcrandrowitsch, des erstem Sohn, behielt, trotzdem Moskau zweimal von den Mongolen zerstört worden war, seinen Sitz in ihr, und seinem Sohne Georg gelang es im Jahr 1308 sich zum Großfürsten zu machen. Von nun an blieb Moskau der Sitz des Großfürstenthums, bis Peter der Große eine neue Residenz au dem Ausfluß der Newa sich schuf. Wenn ich schon in Petersburg den Mangel gut eingerichteter Gasthofe beklagte, so war der Mangel in Moskau noch drückender. Durch meinen gefälligen Couducteur wurde ich in ein Wirthshaus geführt, wo man für ein Loch — ich kann es wirklich nicht anders nenneu — täglich 8 Rubel Banco Miethe und 1 Rubel für die Aufwartung verlangte. Welches prachtvolle Logis würde ich für 2'/!> Thlr. taglich in Berlin oder Dresden erhalten habcn, und hier erhielt ich nur einen schmutzigen Tisch, drei zum Theil zerbrochene Stühle und ein armseliges Canapee mit zerlumptem Ueberzug. An ein Bett war nicht zn denken. Ebenso waren die übrigen mir in andern Häusern angebotenen Zimmer beschaffen. Zum Glück erinnerte sich der Conducrcur noch eines Wirthshauses, von dem ein Deutscher Besitzer war. Für 6 Rubel täglich erhielt ich bei diesem wenigstens ein wohnliches Zimmer und hatte dabei das Vergnügen, mit einem Wirth, einem gebornen Würzburger, meine Muttersprache sprechen zu können. Nur fünf Tage verweilte ich in Moskau und nahm daher alle Zeit zusammen, um zu sehen. Von meinen Empfehlungsbriefen benutzte ich deßhalb nur einen und wurde in dem Hause, an dessen Besitzer der Brief gerichtet war, wohlwollend empfangen. In Begleitung eines Lohnbedienten durchzog ich von Morgens halb fünf Uhr an die Straßen Moskau's und kam erst wieder nach Hause, wenn Dämmerung eintrat. Schon früher habe ich in dem Journale: die Miscellen, herausgegeben von I)r. Bran, eine Beschreibung Moskau's geliefert und werde deßhalb hier, um nicht dasselbe zum zweitenmale zu bringen, nur erwähnen, was dort nur oberflächlich beschrieben ist. 49 Den Eindruck, dm die alte Zarenstadt in mir hervorgerufen hat, in Worten wieder zu gebcn, vermag ich nicht. Moskau ist so eigenthümlich und so verschieden von allen mir bekannten Städten, daß es eben darum mir schwierig wird, sie genau zu charakterisi-ren. Sie ist acht russisch, wenn man anders die brüderliche Verschmelzung Europa's und Asiens als russisch gelten lassen will, und sie mag vor dem Brande im Jahre 1812 noch russischer gewesen seyn. Bei dem Aufbaue haben Europa's Principien vorwaltend statt gefunden. Selbst die einzelnen Gebäude und am meisten die Kirchen tragen das Gepräge einer verschiedenen Bauart, und wenn auch bei den letztem der byzantinische Geschmack vorherrscht, so sind doch die vielen von einander iu Form und Farbe abweichenden Kuppeln nichts weniger als byzantinisch und ertheilen diesen oft großen Gebäuden ein bizarres Ansehen. Die immerwährenden Streitigkeiten unter den russischen Fürsten mögen im Anfange die Ursache gewesen seyn, daß große Gebäude nicht unter einem Fürsten oder wenigstens nicht von einem Baumeister vollendet wurden. Dadurch, daß nun fremde Ideen dem ursprünglichen Plane sich aufdrückten, wurde das Gebäude diesem mehr oder weniger fremd und dadurch bizarr. Mit der Zeit an das Bizarre gewohnt, bildete sich auch eine Vorliebe für das Bizarre, und geschichtlich ist es, daß Johann der Schreckliche bei allen seinen Bauten absichtlich das Verschiedenste und Seltsamste, wie wir nachher an der Kirche Wilhelms des Seligen weitlausiger zeigen werden, nebeneinander stellte. Moskau ist dadurch sehr verschieden von Petersburg. Hier herrscht alleuthalben die Regelmäßigkeit bis in die geringsten Details, und kein Verstoß gegen den ursprünglichen Plan wird bemerkt. Cirkcl und Linie haben aber eben dadurch eine solche Gleichmäßigkeit geschaffen, daß, "°enn man den Ncsssky-Prospcct z. B. durchgegangen hat, man Pe-tersburg kennt. Nicht so in Moskau. Jedes Hundert von schritten bringt etwas Neues, weun auch nicht imm?r Schönes Und Elegantes, uud da zu gleicher Zeit Moskau nicht auf ebe-Nem Boden erbaut ist, sondern sein Terrain sehr hügelig ist, so werden eine Menge Punkte dargeboten, von denen man mehr oder weniger weite Aussicht hat. Lange Zeit und gern verweilte ich an solchen Punkten und konnte kaum, da sich eben so Verschiedenes dem Auge darbietet, mich davon trennen. Rciftü mid ^nidcrbeschn'ibun^n. XXlll. 4 (Reise nach Kaukasien.) 50 Der erste Ort, den jeder Fremde in Moskau besuchen muß, ist der Glockenthurm Johanns (Iwan) des Großen. Auf dem höchsten Punkt der eigentlichen Festung Moskau's, des Kreml erbant, besitzt er außerdem noch die bedeutende Hohe von 38 russischen Faden (228 Fuß), so daß er eben dadurch hoch über die ganze Stadt wegsieht und Blicke nach der weitesten Ferne hin erlaubt. Hinlänglich wird man belohnt, wenn man auf der un-beqnemen Steintrcppe der vergoldeten Kuppel zusteigt und plötzlich ganz Moskau zu seinen Füßen erblickt. In der nächsten Nahe um den Thurm sieht man die übrigen Gebäude des Kreml, die Schatzkammer, den Palast des Patriarchen, die Kathedrale zur Himmelfahrt Maria, des Erzengels Michael :c. Ueber der Moskwa die Kitaistadt und in ihr vorzüglich die Kirche zum heiligen Wilhelm (Wasilji) und den Gastinoi-Dwor (Kaufhaus), dann zieht sich die Weisistadt (»'.«loi^oi-ol!) ringsum den Kreml und die Kitaistadt herum, und endlich wird diese wiederum von der Erdstadt (Scmlenoigorod) eingeschlossen. Nun folgen erst die Vorstädte, bis ein ungeheurer Wall von 40 Werst (6 geographischen Meilen) Lange der Stadt ein Ende setzt. Abgesehen von der herrlichen Aussicht, die der achteckige Thurm besonders bei hellem Himmel gewahrt, ist er durch die Menge Glocken, die er in sich faßt und unter denen die berühmte Lärmglocke des alten Nowgorod seyn soll, interessant, und ich glaube unbedingt, daß die Zeit, wo diese Glocken und die übrigen der ganzen Stadt, deren Zahl über 2000 betragen soll, auf einmal, wie es den heiligen Abend zum Osterfest geschieht, geläutet werden, einen großartigen Eindruck in die Brust hervorrufen muß. Dazu noch das Dunkel der Nacht und die Weihe, welche dem Vorabend dieses großen christlichen Festes gehört. Dic Glocken auf diesem Thurm«' sind zum Theil nicht unbedeutend und die der Himmelfahrt Maria geweihte (u»pen»koi) wiegt 4000 Pud (das Pud gleich 40 russischen Pfunden). Sie wurde nach dem großen Moskauer Brande umgegossen und enthalt auf der Außenseite die Portrats Peters I, Katharina I, der Elisabeth, Peters III, Katharina !l und Pauls. Neben dem Glockenthurm des großen Johann befindet sich die berühmte große Glocke, und mir ward das Vergnügen zu Theil, der Auferstehung dieses Riesen aus der Tiefe der Erde, in welcher 6l sie fast ein Jahrhundert begraben lag, beizuwohnen. Man hatte früher geglaubt, daß die große Glocke für immer dem Lichte verborgen seyn sollte und gemeint, der Baumeister oder Mechanist fehle, die 12,327 Pud schwere Masse cm den Tag zu fördern. Man hatte Bogdanow gepriesen, der nach der Vertreibung der Franzosen aus Rußland die oben gepriesene Glocke in den Thurm und an die Stelle, wo sie jetzt steht, aufhing, um so mehr Muß man die Männer preisen, welche eine dreimal schwerere Masse zu regieren verstanden. Wie lauge schon vor dem Beginne des Heraufziehens Vorbereitungen getroffen worden und wie vicl Maschinen erbaut wurden, die vereint mit der Hülfe der menschlichen Kraft den Niesen heraufbeschwören sollten, weiß ich nicht. Zur Hälfte war sie schon erstanden, als ich am 3. August 1836 sie besichtigte, und alle Sachverständigen waren zu sehr mit der Wichtigkeit ihres Unternehmens beschäftigt, um Zeit geuug zu haben, einem neugierigen Fremden Rede zu stehen. Es war aber eine großartige Unternehmung, die mehrere hundert Menschenhände zur Unterstützung bedürfte. Die Operationen wurden von vier Punkten, welche mit Maschinen und Menschen besetzt waren, geleitet, und eine ungeheure Menge Zuschauer drängte sich bis zu den Um-zäumungen des nothwendigen Terrains. Daß mehrere Tage, vielleicht sogar einige Wochen dazu gehörten, die ungeheure Arbeit zu vollenden, kann man leicht einsehen, und als ich Moskau verließ, war sie noch lange nicht an der für sie bestimmten Stelle. Trotz der langen Dauer blieb aber das Interesse der Bewohner Moskau's rege, und zu jeder Tageszeit war der ganze Kreml mit Menschen angefüllt. Diese größte aller Glocken enthält eine Inschrift, die uns ihre Entstehung und den ersten Theil ihrer Schicksale mittheilt Und deßhalb wohl der Erwähnung werth ist: „Alexis Michailowilsch, glorreichen Andenkens, Selbstherrscher von Groß und Klein- wie auch von Weißrußland, gab Befehl, daß für die Kathedrale der Himmelfahrt, der reinen und hdchstseligen Inngfrau, man eine Glocke von Kupfer und 8000 Pud schwer gieße im Jahre der Erschaffung der Welt 7162 und der Geburt unseres Heilandes Jesus Christus 1654. Diese Glocke wurde von dem Jahre der Ersch. d. W. 7176 oder der Geb.I.Chr. I668blszu dem Jahre der Erschaffung derWelt7208, 4 ^ 52 oder der Geb. I. Chr. 1701 gebraucht; im zuletzt genannten Jahre zerbrach sie in Folge eines großen Brandes, der auf dem Kreml entstand. Sie blieb von da an stumm bis zum Jahre der Erschaffung der Welt 7239 oder der Geburt I. Chr. 1735." „Durch einen Befehl der glorreichen Kaiserin und Selbstherrscherin Anna Iwanvwna wurde zum Ruhme Gottes nnd der heiligen Dreieinigkeit, und zur Ehre der heiligen Jungfrau das Metall der alten Glocke, welche durch einen Brand beschädigt worden war, an 8000 Pud umgeschmolzcn, und ihm noch 2000 Pud neue Masse zugefügt, im Jahre der Erschaffung der Welt 7 . . .') der Geburt unseres Herrn 173 .') an dem vierten Jahre der glorreichen Regierung Seiner Majestät." Die Sage geht, daß vier große Schmelzofen erbaut wurden. Iedermaun war so fthr von dem großartigen Unternehmen ergriffen, daß nach und nach über 2000 Pud an Kupfer, Silber, und sogar an Gold in die Oefen als Veitrag geworfen wurden und dadurch die ungeheure Glocke von 12,327 Pud Schwere, 21 Fuß Höhe und 22 Fuß 8 Zoll Breite entstand. Mit ungeheuren Kosten wurde sie an der Stelle, wo sie nachher begraben lag, aufgehängt, hatte aber bald wieder das Unglück, während eines Brandes herunterzufallen. Bis auf ein 5 Fuß 9 Zoll hohes Stück, welches heraussprang, ist sie aber ganz geblieben, und in der Gestalt nun auch wiederum aufgehängt worden. Hie und da habe ich den Wunsch ausgesprochen vernommen, daß die Riescnglocke von neuem eine Umgestaltung erhalten und der Benutzung wieder gegeben werden möge. Ich kann für meinen Theil nicht beistimmen, und würde den dadurch hervorgerufenen Kostenaufwand als Verschwendung betrachten. Was hilft die Integrität einer solchen Glocke, die nur sehr schwierig und selten geläutet werden kann? Ich kann mlr auch den Ton, welchen sie hervorbringt, durchaus nicht so wohlklingend und angenehm denken; er muß ja eine solche, bis jetzt gar nicht bekannte Tiefe, welche unsere Ohren nur unangenehm berühren muß, besitzen. Man lasse sie ja wie sie ist, und betrachte sie als eine Denkwürdigkeit einer frühern rohern Zeit, wo die Masse noch ein Uebergewicht über den Geist besaß. Der Zustand unserer ')') Hier fehlen die Zahlen. 53 Musik müßte ganz verändert werden, wollte man an einem solchen Ton Gefallen finden.. Außer dcm Glockenthurme und der großen Glocke bietet der Kreml mehrere merkwürdige Gebäude dar, und diese, besonders die Kathedrale m,d die Schatzkammer, enthalten eine große Menge von geschichtlichen Erinnerungen. Auch das Arsenal und besonders die 875 Kanonen, welche das verbündete französische Heer im Jahre 1812 zurücklassen musite, verdient besehen zu werden. In den Miscellen habe ich weitlausig von allem diesem gesprochen und will deßhalb nur noch die schon oben erwähnte Kirche Wilhelms des Seligen (Wasilji Blashemwi) und das Denkmal des Posharskoi und Minin erwähnen. Es gibr nichl leicht ein Gebäude, das so sehr das Gepräge der Mannichfaltigkeu und des Bizarren an sich tragt, als die Kirche Wilhelms des Seligen, und es scheint, daß so vicle Baumeister als Abtheilungen vorhanden sind, di<' bis zu der Vollendung der Kirche daran gearbeitet haben. Es geht jedoch die Sage, daß nur ein Mann, dessen Name leider nicht bekannr ist, das Ganze geleiret habe. Als Johann der Schreckliche die Mougolenherrschaft zu Kasan vernichtet hatte, beschloß er ein frommes Werk zu schassen und erbaute 1554 auf dem sogenannten rothcn Platze, vielleicht auch zur Versühnung für die vielen Hinrichtungen, welche daselbst statt gefunden hatten, eine Kirche. Er nannte sie I'ttkrclllikci 8<»dor (Asylkirche), ein Name, der spater in: Kirche Wilhelms des Seligen (Wasilji Blashennoi) umgewandelt wurde. Da sie 19 Capellen enthalt, so ist ihr großer Umfang schon daraus zu schließen. Wenn man sie aus der Ferne betrachtet, scheint diese Kirche aus mehreren zu bestehen, von denen einige Partien den gothischen, andere hingegen den byzantinischen Styl vorherrschend enthalten. Aus ihrer Mitte erhebt sich ein beträchtlicher mehrcck'iger Thurm, und unter ihm stehen größere und kleinere Kuppeln, keine der andern gleich geformt oder gleich gefärbt. In der Regel bchnden sich die grellsten Farben neben einander. Nicht weniger bizarr ist das Innere der 19 Capellen, die sämmtlich einen unbedeutenden Naum einnehmen und noch durch Säulen, Altäre !c. in ihrer Ausbreitung verkürzt sind. Der rothe Platz, auf welchem besagte Kirche steht, bietet eine vorzügliche, wenn auch beschränkte Aussicht dar und hat viel- 54 leicht daher seinen Namen kraznoi ploselitsokaä erhalten; wahrscheinlicher abcr ist es, daß, zumal kr^nai ursprünglich roth bedeutend, die vielen Hinrichtungen, welche Johann der Schreckliche hier vornehmen ließ, und das Blut, was hier geflossen ist, die erste Ursache zur Bezeichnung krasnoi gegeben haben. Es gewinnt noch mehr Wahrscheinlichkeit, da ganz in der Nahe der sogenannte Richtplatz (l^olin^'« m«zto) sich befindet. Von hier aus sieht man auch die interessante Gruppe der Befreier Rußlands, Posharskoi und Min in, von dem polnisch c n Joche- Beide Statuen sind durch.den russischen Kunst-ler Martos aus Bronze gefertigt und stehen auf einem granirnen Piedestal, das mit prächtigen Basreliefs geschmückt ist. Posharskoi ist sitzend dargestellt, und hört mit gespannter Aufmerksamkeit, die in die Physiognomie zu legen dem Künstler gelungen ist, dem vor ihm stehenden Minin zu. Mit der rechten Hand zeigt dieser auf den Kreml, als wolle er sagen, von dort müssen wir handeln. Deutlich spricht sich zwar der Schmerz über die Unterdrückung seines Vaterlandes in seinen Zügen aus, aber die männliche Kraft, welche Minin beseelte, beherrscht auch jenen. Fürst Posharskoi und Minin, ein schlichter Kaufmann aus Nischnij-Nowgorod, lebten in der unglücklichen Katastrophe Rußlands, wo dieses nach dem Tode des Czars FedorIoannowitsch ^Friedrich, Johanns Sohn) und der Ermordung Dmitri Ioanno-witsch (Demetrius, Johanns Sohn), des letzten männlichen Nachkommen Runks, unter dem Usurpator und Schwager Fedors Boris Godunoff sich nur einer kurzen Ruhe erfreute, und dann nach und nach drei Competenren, die sich sämmtlich für den achten Demetrius ausgaben, bewaffnete Ansprüche auf den Thron machten. Vollkommene Anarchie herrschte fast ein Iahrzehent und Räuberbanden durchzogen ungestraft das Land. Polen und Schweden benutzten diese Verwirrungen und bemächtigten sich einer russischen Stadt nach der andern. Und selbst als die Russen von Sigis-mund von Polen seinen Sohn Wladislaus zum Herrscher erbaten, wurde das unglückliche Rußland mehr als je gemißhandelt. Die Polen behandelten von nun an Rußland als eroberte Provinz und Moskau selbst mußte die Tyrannei der übermüthigen Polen ertragen. Da regte sich in der Brust jedes Russen mehr als je der Drang nach eigener Selbststandigkeit, um die zahllosen Schmahun- 55 gen zu rächen. Die Unzufriedenheit der Russen hatte bald den höchsten Gipfel erreicht. Da erfaßte Minin, ein einfacher Kaufmann, die günstige Gelegenheit und forderte den tapfersten Bojaren Posharskoi zur Befreiung des Vaterlandes auf. Beide versammelten die Patrioten um sich, rückten schnell, bevor die Polen weitere Hülfe an sich ziehen konnten, vor Moskau und trugen unter dessen Mauern einen entscheidenden Sieg über die Fremdlinge davon. Um aller fernern Anarchie vorzubeugen, wurde Michael Fedoro-witsch (Michael, Friedrichs Sohn), aus dem Hause Romanoff, der Stammvater der jetzt herrschenden Dynastie, weil er von weiblicher Seite aus von Rurik abstammte, zum Zar erwählt. Fünftes Capitel. Neise von Mloska» dis Wovonest). Mein Gesellschafter VoudarofMi; Abreise; Ursache der Unkenntnis, Musilandö; die drei Erfoüdernisse aus c'mcr Reift; Gasihöfe; Schabn, und das übrige Ungeziefer; Speise und Getränke; Gasts« undschaft der Russen; hosten und Eilwägcn; Weste; Reise nach Tula; Tula und seine Geschichte; die Äulitoff'sche Ebene und die Schlacht darauf; Waarcntranöportc; Iclatz; die dort befindlichen Osficiere; die Dörfer dcö Fürsten Golo-win; Sadonöki; armselige Gegend; Kon-Kalodesi; ^chiwatitnoje; Moroncsh: die erste russische Flotte daselbst; Mitrophcm, ^me günstige Gelegenheit bot sich mir dar, in Gesellschaft bis nach Woronesh zu reisen, und so sehr ich auch gewünscht hatte, Moskau noch naher kennen zu leruen, entschloß ich mich doch das Angenehme und Bequeme eines Gefährten für eine weite Strecke anzunehmen. Bis Moskau war ich noch mit meiner Muttersprache ausgekommen; von nun an befand ich mich mitten unter Russen. Eine fremde Sprache wurde zu mir gesprochen, und umsonst lauschte mein Ohr nach den lieben vaterländischen Tonen. Fremde Leute umgaben mich und andere Sitten und Gebrauche traten mir entgegen. Ich hätte mich vereinsamt und verlassen fühlen können. Wir Deutsche sind so sehr an die Scholle, auf der wir geboren, gewöhnt, und fühlen uns so leicht selbst in unserm Vaterlande, oft nur einige Meilen von dem Vaterhause entfernt, schon unter fremden Menschen, und doch verbinden uns 5S noch dlestlbe Sprache, dieselben Sitten. Was Wunder demnach, daß bisweilen, wenn auch nur auf wenige Augenblicke das Gefühl des Verlasscuftyus sich meiner bemächtigte und eine wehmüthige Stimmung in mir hervorrief. Doch der Drang des For-schens und Strcbens in der Wissenschaft, der tief in mir sich eingewurzelt hatte, das Bewußtseyn, daß es überall, auch in Rußland, gute Menschen gibt, wenn man nur sie sucht und nicht verlangt gesucht zu werden, machte schnell mich wiederum heiter, und frohen Blickes sah ich der Zukunft entgegen. Und auf der ganzen langen Reise in den verschiedensten Landern, unter den fremdartigsten Völkern habe ich nie die traurige Erfahrung der Täuschung empfunden und war glücklicher als Diogenes mit seiner Laterne. Mem freundlicher Nachbar auf der Diligence bis nach Moskau war wiederum mein neuer Gefährte, und wenn er schon dort sich meiner mir liebevoller Aufmerksamkeit annahm, so glaubte er, da ich allein auf ihn gewiesen war, nun mit größerer Sorgfalt noch für mich sorgen zu müssen. Er hatte für einen Wagen und Pferde gesorgt, er verrichtete alle Geschäfte, die sich auf einer mehrtägigen Reise nicht in geringer Anzahl einstellen und größer und beschwerlicher als bei uns sind; er machte mich mit allem bekannt, was bei einer Reise durch Rußland zu wissen nothwendig ist, er verschaffte stets Speise und Trank, stellte des Abends den Samowar (die Maschine, mit welcher durch Kohlen heißes Wasser zum Thee bereitet wird, wortlich übersetzt Selbstkocher) auf und theilte des Nachts auf hartem Lager mit mir sein Kopfkissen. Ein Vater hätte für seinen Sohn nicht eine größere Aufmerksamkeit hegen können, und wenn er mich: moi l)!iur0«c!nj 6l'u^ (mein lieber Freund) nannte, glaubte ich in dem Tone die Wahrheit seiner Worte deutlich zu vernehmen. Eben mein Verlassenseyn hatte in seiner Brust ein Gefühl für mich hervorgerufen, dem er auf alle mögliche Weise nachzukommen suchte. Es war das erstemal, wo ich ganz auf Russen gewiesen wurde, und glücklicher hätte ich nicht beginnen können. Der Russe, so sehr man ihn auch im übrigen Europa verachtet und so sehr man seine Rcgicrung haßt, ist doch vom Grunde seines Herzens aus gut und brav, und der Verfolg meiner Reise wird die Wahrheit meiner Behauptung noch mehr bestätigen. Um den Russen zu ver- 57 stehen, muß man ihn kennen, mit ihm umgegangen seyn und ihn in seinen Eigenthümlichkeiten nicht etwa in Petersburg studnen, sondern man muß sich in das Innere des weiten Reiches, fern von den großen Landstraßen und auch nicht in die grdßern Städte begeben. Dort findet man ihn in seiner ächten Nationalität, dort tritt auf jedem Schritte die Treuherzigkeit und der heitere Sinn des Nüssen dem, der ihn kennen lernen will, entgegen. In jeder Hütte wird der Fremde freundlich aufgenommen. Der Besitzer setzt ihm vor, was seine Wirthschaft ihm darbietet und tritt ihm des Nachts den Platz zum Schlafen, den er allen andern vorzieht, den Platz auf dem Ofen ab. Häufig verlangt er gar keine Bezahlung und ist ungemein erfreut, wenn er ein geringes Geschenk erhält. Bondaroffskij ist der Name meines liebevollen noch jungen Freundes. Aus Woronesh gebürtig, war er in Petersburg in einer Kanzlel angestellt (^'«okinownik, wie jeder Cwilbeamte im Gegensatz der militärischen Stufen heisit) und wünschte nun nach mehrjähriger Abwesenheit die Laren seines väterlichen Hauses wiederum zu begrüßen. Er hatte einen Hauderer aus Woronesh gefunden und mit ihm einen billigen Contract abgeschlossen. Unser Iwan (Johann) war ebenfalls eine treuherzige Seele und sprach oft seine Gefühle des Mitleides für mich den Fremden aus. Umsonst bemühte ich mich, da er die Ursache meiner Reise gern wissen wollte, ihm diese klar zu machen. Er hatte keinen Begriff von Wissenschaft und konnte noch weniger begreifen, daß man der Wissenschaft halber eine solche gefährliche Reise unternehmen könne. Er hatte zwar von einer ^I^äemijÄ nauk (Akademie der Wissenschaften) gehört, glaubte aber, daß diese aus den größten Weisen, die der Kaiser aus allen Gegenden des Reiches zusammen berufen habe, bestehe und daß diese in Petersburg und Moskau ihre Weisheit entfalteten. Daß aber die Wissenschaft nöthig habe, in fremden Ländern herumzulaufen, war ihm ganz neu und unbegreiflich. Den 7. August sehr früh fuhren wir aus Moskau ab und nahmen unsere Richtung südlich nach Tula. Von nun an begriff ich erst, welcher Unterschied in einer Reise durch Deutschland und in einer durch Rußland liegt. Aus dieser Ursache wird es m'chtt uninteressant seyn, wenn ich, bevor ich meine Reiseroute weiter ver- 58 folge, eine Schilderung der Art und Weise, wie man in Rußland reist, gebe. Man kennt bei uns in der Regel nur Petersburg, Riga und Reval, weniger schon Moskau und Odessa, weil nur diese Orte es vorzüglich sind, mit denen unsere Handelswelt in Verbindung sieht. Der Russe selbst, wenn er zum Vergnügen reist, zieht immer das mehr Abwechselungen darbietende Ausland seinem eigenen Vaterlande vor, und man findet Russen fast zu allen Jahreszeiten, doch besonders im Sommer in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und in Italien. Die Natur hat auch wirklich Rußland zu stiefmütterlich behandelt, als daß ein Nichtrusse es zur Bestimmung einer Vergnügungsreise wählen könnte. Eine ungeheure Ebene zieht sich vom Eismeer hinab bis an das mächtige Gebirge des Kaukasus und wird nur durch geringe Höhen, die kaum den Namen eines Gebirges verdienen, unterbrochen. Die geringen Abwechselungen im Norden durch das Waldaigebirge und durch die noch unbedeutenderen hohen Ufer mehrerer Flusse können die Na-turschonheitcn unseres Vaterlandes nie ersetzen. Nur die neu acquirirten Länder, Kaukasien, die Krim, Bessarabien, die Gegenden am Ural und Sibirien besitzen reizende Gegenden und werden gewiß den Naturfreund nicht unbefriedigt scheiden lassen. Ich bin fest überzeugt, daß auch noch die Zeit kommt, wo es den Kaukasus zu bereisen ebenso Mode wird, als jetzt es zum guten Geschmack gehört, die Schweiz oder Italien gesehen zu haben, doch erst muß auch dort die Cultur mehr Wurzel gefaßt haben. Zu den Haupterfordernissen einer Reise gehören gute Gasthofe, bequeme Eilwagen und chaussirte Wege, und nirgends findet man diese drei inniger miteinander verbunden, als in Deutschland. Gern gebe ich zwar zu, daß in England und Frankreich einzelne Gegenden größere Bequemlichkeiten den Reisenden darbieten, aber in andern entbehrt man wiederum oft des Nothwendigsten. In Rußland herrscht mir sehr geringen Ausnahmen cm gänzlicher Mangel an genannten drei Erfordernissen, und ich rathe Jedermann, den Geschäfte oder der Wunsch, dieses Land kennen zu lernen, nach Rußland treibt, sich vorher an Entbehrungen jeder Art zu gewöhnen. Wie ganz verschieden ist es in Nordamerika. Kaum ist ein nur aus wenigen Häusern bestehendes Dorf angelegt, so erstehen auch schon bequeme, ja oft brillant eingerichtete Gast- 59 Höft, und ist der Ort nur zu einer geringen Wichtigkeit gelangt, bilden sich schnell Commum'cationswege, die von regelmäßig gehenden Wagen befahren werden. Nicht so in Rußland. Der Russe reist zwar nicht wenig m seinem Vaterlande, ist aber nicht so verwöhnt und vermißt eine Menge Bequemlichkeiten nicht, an die Verwöhnung und Luxus uns gefesselt haben. Er reist, weil er muß oder weil Geschäfte ihn dazu zwingen. Die Natur fordert ihn nicht auf, die Annehmlichkeiten seines hauslichen Lebens aufzugeben, um sich an ihren Genüssen zu erfreuen. Er muß erst ungeheure Strecken durchwandern, ehe Natnrschdnheiten sich ihm darbieten. Der Russe reist deßhalb auch nie langsam und sucht seinen Weg in der möglichst kurzen Zeit, die er sich noch durch Schlafen verkürzt, zurückzulegen. Es begegnet ihm auf seiner Tour nichts Neues, was seine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen könnte. Eine Gegend gleicht der andern, ein Dorf ist wie das andere gebaut. Selbst die Menschen sind immer dieselben. Betrachten wir zuerst die Gasthofe etwas naher, so ist nirgends wohl der Mangel an gut eingerichteten fühlbarer als in Rußland. Sobald man Tilsit und die preußische Gränze hinter sich hat, beginnen die Unbequemlichkeiten. Juden haben in der Regel Wirthschaften in der Nahe der PostHäuser eingerichtet, nicht selten findet mau aber in ihnen nichts weiter als elenden Schnaps und kaum Brod. Besser wird es m Cnr-, Liv- und Esthland, dem Widerschein unseres deutschen Vaterlandes. Von den Petersburger Gasthdfen und denen auf dem Wege nach Moskau habe ich schon gesprochen. Auch zwischen Petersburg und Warschau hat die Regierung in neuerer Zeit ganz vorzügliche Gebäude, wo man wenigstens logiren kann, aufgeführt. Mit Moskau werden die Gasthdfe schlechter, und je tiefer man in Rußland vordringt, je weniger verdienen sie den Namen. Man bekommt in zuletzt genannter Stadt zwar sogenante Llmmdi-o» Arnie», aber zum großen Theil thun sie oft nur kund, was ein cnamdre gai'ni? nicht ist. Man unterscheidet in Rußland gewöhnlich 6o5tinni2ü und ^rakttrü und erhalt in dem ersten nur Logis, m dem letzten hingegen Speisen und Getränke; oft sind aber auch beide vereinigt. In Woronesh, Neu-Tscherkask, Stau-ropol, Mariupol, Kieff :c. wurde ich gezwungen in Zimmern, denen die Wohnungen unserer ärmeren Bauern vorzuziehen sind- 60 zu übernachten. Mit einem hölzernen Tische, mit einem Paar hölzernen Stühlen, die oft schon ihrem Verfall nahe waren und nur auf drei Beinen standen, und mit einem hölzernen Canape qlanbte man allen Wünschen der Reisenden hinlänglich enlspro-chen zn haben. An Gardinen oder Rouleaus war nicht zu denken, und Jedermann stand es frei, mein Zimmer mit allem, was darin war, in Augenschein zu nehmen. Das Betrgehdrtewährcnd dergau-zenReisezeitzu den Pils 6o»il!oi-2ti5. Dazu nun noch ein Schmutz, eine Unsauberkeic, die an das Unglaubliche gränzen. Undfür ein solches Zimmer mußte ich täglich in der Regel drei und vier Rubel Banco (ungefähr 1 Rthlr. pr. Ct.) bezahlen. Nicht viel schlimmer fand ich es in den Dorfern. Ich habe in Käfigen Mittag gehalten, in denen ich mich kaum umdrehen konnte und immer demüthig mit gesenktem Haupte dastand, wenn nicht mein Kopf in einen Kampf mit der Decke gerathen wollte. Ein mehrcckiges , auf einen Pfahl geschlagenes Brett nannte man Tisch und einen Klotz Stuhl. In den Dörfern wurde wirklich oft größere Sorgfalt dem Aufenthalte der Pferde gewidmet und allenthalben waren deren Behältnisse geräumig und groß. Der Rnsse fühlt «n Bedürfniß nach solchen Bequemlichkeiten, wie wir sie haben, nicht in sich. Er arbeitet oder schlaft, gleichviel wo, in der dumpfigen Stube oder unter Gottes freiem Himmel. Die Wollust, seine Glieder auf weichen Betten auszustrecken, kennt er nicht, und so wählt er im Winter meist die warmen Stellen seiner Stube, vor allem den Platz auf dem großen breiten Ofen. Im Sommer zieht er die freie Natur vor nnd setzt oft ruhig seinen Schlaf fort, wenn plötzlich ein Regenschauer ihn überrascht. An alle diese Unbequemlichkeiten hatte ich mich bald gewöhnt, und wenn ich Schlaf hatte, legte ich mich auf den Boden und schlief so erquickt, als ich immer bei uns auf den weichsten Betten hätte schlafen können. Aber trotz meines langen Aufenthaltes war es mir doch nicht möglich, in etwas mich zu finden, was bis zu meinem Austritt aus Rußland mir zuwider war. Der Schmutz in den Häusern und in der Kleidung ist nämlich die Ursache von Ungeziefern, die in zahlreicher Menge die Wohnungen eingenommen haben. Lause und Flöhe peinigten mich mehr als alles Andere, und wenn ich mir kaum den Tag über Zeit zur Ruhe gegöunt hatte, so thaten jene alles Mögliche, mir diese auch des Nachts zu vereiteln. Dazu 6l kamen nun noch die lästigen Schaben, vor denen man nichts ungestört essen konnte. Oft wenn ich mir des Abends eine Suppe oder den in Rußland gebräuchlichen Schtschi hatte bereiten lassen und eben mich an der rauchenden Schüssel erfreuen wollte, hatten die hungerigeu Schaben Platz auf dem Tische genommen, und ihrer Freßgier folgend, stürzten sie sich nicht selten in die Schüssel und wurden darin augenblicklich ein Opfer ihrer Gier. Diese gefräßigen Thiere stammen aus dem Oriente und sind wahrscheinlich durch die Mongolen zuerst nach Rußland und von da nach dem übrigen Europa gekommen. Merkwürdig ist es aber, daß die Russen behaupten, sie hätten die Schaben von den Preußen erhalten. Aus dieser Ursache nennt das gemeine Volk sie?ru553. Kü (Preußen), während sie eigentlich den Namen 'i'a^liInü führen. Das Ungeziefer war die Ursache, das; ich des Nachts nur gezwungen in den Häusern zubrachte und mir irgend einen gegen den Zug geschützten Winkel außerhalb derselben erwählte, um daselbst die Ruhe zu erhalten, welche mir in jenen unmöglich wurde. Hielt mich Regen ab das Freie zu suchen, so blieb ich m der Zeit, wo ich in einer Kalesche fuhr, in derselben sitzen und erwartete daselbst den Morgen. Nächst gutem Logis erwartet man auf Reisen wohl auch eine gut besetzte Tafel, und wie viele Menschen reisen bei uns und in der Schweiz nnr, um diese zu finden. Diese Feinschmecker würden allerdings in Rußland bald sich unglücklich fühlen. Wer aber mit einfacher, kräftiger Kost zufrieden ist, wird in den Städten nie hungerig wieder von bannen ziehen. Man erhält selbst in kleineren Städten, als Ieletz, Pawlosssk :c. in dcr Regel mehrere Gerichte, die meist alle schmackhaft zubereitet sind. Wein aus der Krim, vom Don uud aus Kaukasien findet man allenthalben, ist nicht theuer und vorzüglich zum Tisch geeignet, da er leicht und wohlschmeckend ist. Man bereitet auch am Don und in der Krim kinen moussirenden Wein, der freilich kaum unserm Champagner vom Neckar an Gehalt gleicht. Die ausländischen Weine sind sehr theuer und in der Regel schlecht. Bier findet man außer den größern Städten in Rußland gar nicht, aber wohl besitzen die Russen mehrere gegohrene Getränke. Das Nationalgetrank des Volkes ist der Kwas, einfach aus Wasser und Roggenmehl, was nur wenig gegohren, bereitet, und nicht leicht gibt eö ein zweites Ge- 62 tränk, das so geeignet ist, ohne alle Nebenwirkung den Durst zu löschen. Ein wohlschmeckenderes Getränke ist der Meth (Mjdd), der ähnlich dem der alten Deutschen vorzüglich aus Honig bereitet wird. Mehr als dieser mundete mir aber der Kislüja Schtschi, ein ebenfalls moussirendes , sehr angenehmes Getränke. In den Dörfern ist es freilich anders und oft erhält man nichts weiter als schlechtes Brod, ganz unserm Pumpernikel in der Lüneburger Haide ahnlich, Eier, Milch und (im eigentlichen Rußland stets) die so sehr beliebte Buchweizengrütze, welche auf verschiedene Art, aber stets schmackhaft zubereitet wird. Auf allen meinen langen Wanderungen durch Rußland war die letztere gekocht und dann mit kalter Milch Übergossen mir die liebste und oft den ganzen Tag über die einzige Nahrung. Außerdem findet man in allen wohlhabenden Bauernhäusern und fast zu jeder Zeit den Schtschi, die russische Nationalsuppe. Man bereitet sie meist in einem großen Kessel, in den man Rind-, aber auch Kalb-, Hammel- und Schweinefleisch, nebst einer Menge anderer Ingredienzien, als Sauerkraut, Gurken :c. thut, mit hinreichendem Wasser übergießt und dieses alles zusammen kochen läßt. In der Regel schöpft man sich, was man genießen will, heraus, und wenn derKessel bis auf ein Gewisses geleert ist, wird Wasser mit neuen Ingredienzien zugeschüttet. Auf diese Weise geschieht es nicht selten, daß ein solcher Kessel kaum die Woche einmal gereinigt wird. Die Russen besitzen auch cineNational-Kaltschale, die Botwinja, welche im Sommer selbst im hohen Norden, wo die Atmosphäre bisweilen nur wenige Grad Warme besitzt, allgemein selbst'von den meisten Fremden, welche in Rußland sich niedergelassen haben, gern gegessen wird. Sie besteht aus Kwas, sauren Gurken, Kohl, Sardellen, Lachs, Kalbsbraten :c., also aus einem Gemenge kalter aber verschiedenartiger Speisen mit Kwas. Es wurde mir schwer mich an sie zu gewöhnen, und so sehr ich zuletzt den Schtschi liebte, so sehr war mir bis zum letzten Augenblicke die Botwinja zuwider. Die große Entfernung der Städte von einander macht es nothwendig, wenn man mit der Bauernkost nicht zufrieden ist, sich mit Speisen und Getränken vorzusehen. Um so nothwendiger wird es, je südlicher man sich befindet, da es im Lande der Don'-schen Kosaken, in Neurußland u. s. w. sich nicht selten vorßn- 63 det, daß man 5—6Meilen weit fahren kann, ohne eine bebaute Gegend oder nur ein Häuschen zu finden, und daß man dann in ein einzeln stehendes armseliges PostHaus kommt, worin man außer Brod und Kwas nichts findet. Thee, Zucker, Brod und womöglich eim'gc Flaschen Nothwein reichen hin, um die ödesten Steppen zu durchwandern. Einen sogenannten Selbstkocher (Samowar) findet man nebst Kohlen allenthalben, und trefflich eingerichtet, so daß man in kurzer Zeit kochendes Wasser aus ihm erhält. Freilich muß man oft für die Benutzung mehr bezahlen, als man bei uns für zwei Portionen Thee mit Kuchen gibt. In wohlhabenden Baucrnhausern erhalt man ihn jedoch, ohne daß im geringsten etwas dafür gefordert wird. Thee ist das Lieblingsgetrank der Russen, und vertritt fast die Stelle des Kaffees bei uns. Wie bei uns mau den Thee für echauffireud und nicht vorsichtig genossen für sehr schädlich halt, so behauptet man in Rußland dasselbe vom Kaffee. Wie bei uns die Damen durch eine Tasse Theewassers um die Hälfte ihres Schlafes zu kommen wähnen, so warnt man in Rußland vor dem Genuß des Kaffees. Und doch ist Thee in Rußland das Getränk am Morgen und das Getränk am Abend. Keineswegs ist man beim Genuß desselben so ängstlich, und Damen von einer starken Constitution hab? ich drei Tassen gewöhnlich trinken sehen. Der Thee, der immer Karawanenthee ist, wird auch starker bereitet, und dieselbe Menge unseres schlechten Thees, welche bei uns vielleicht für zwölfPersoncn hinreicht, würde bei den Russen kaum für sechs Personen dienen. Wie in Süddeutschland es Sitte ist, in Kaffeehausern den Kaffee aus Glasern zu trinken, so behaupten die Herren besonders in Petersburg, daß der Thee aus Glasern wohlschmeckender sey. Für die Reise versieht man sich in der Regel mit Glasern, und wenn ich mit meinem Gefährten des Abends ermüdet in einem noch so armseligen Hause ankam, so wurde es, wenn der Selbstkocher dampfte und rauschte, um uns gemüthlicher und wir vergaßen bald die Last und Hitze des verflossenen Tages. Die Unannehmlichkeiten bei einer Reise durch Rußland werden aber durch die Gastfreundschaft der Nüssen sehr gemildert, und wer mit der Freundlichkeit und Zuvorkommenheit der Niedrigen und Hohen bekannt ist, kaun sich bald mitten in den ödesten Step' pen wohl befinden. Die russischen Großen freuen sich, wenn ge- «4 bildete Fremde bei ihnen einkehren, und thun für ihren Gast alles Mögliche. Ich werde im Verlauf meiner Reise, besonders als ich im Jahre 1838 auf meiner Rückreise mich befand, häufig genug Gelegenheit finden, von der Gastfreundschaft der Rusftn zu sprechen. Man lebt mit dcm Russen viel schneller auf einem vertraulichen Fuße, als es mit den Franzosen und Engländern möglich ist. Der Russe sorgt für die Bedürfnisse des Fremden und stellt sich dabei ganz in den Hintergrund. Der Fremde lebt wie im eigenen Hause frei und unumschränkt. Zu nichts wird er genöthigt, und am meisten wird er den Beifall der Familie, in der er lebt, dann einernten, wenn er sich selbst keinen Zwang anlegt. Das zweite Erfordernisi auf einer Reise sind gut eingerichtete Posten und Eilwagen. Diese letztem, die jetzt besonders in Nord- und Mitteldeutschland selbst von kleinern kaum ein paar tausend Einwohner zählenden Städten ein und zweimal die Woche ausgehen, mangeln fast ganz in Rußland. Von Petersburg nach Moskau, Riga und Warschau, nnd wenn ich nicht irre von Warschau nach Moskau gehen Eilwägen unter dem Namen Diligence«, aber sonst ist man im ganzen weiten russischen Reiche, wenn man sich nicht selbst einen bequemen Wagen mitgebracht hat, gezwungen , zu Telegen oder Pawosken, erbärmlichen kleinen Wagen, auf denen man allen Stürmen und Regen ausgesetzt ist, seine Zuflucht zu nehmen. Sie sind es, welche man auf allen Post-stationen vorfindet und kaum die Lange von 5 Fuß besitzen. Ein flacher, kaum 1'/^.—2 Fuß tiefer und meist muldenförmiger Kasten ruht unmittelbar auf den Achsen, und damit er nach hinten etwas erhöht sey, wird ein Fuß hoher und breiter Klotz zwischen den Kasten und der Hinterachse geschoben. Nach hinten ist er am breitesten. Einen Platz zum bequemen Sitzen sucht man vergebens und man ist gezwungen, sich von seinem eigenen Reisegepäck einen solchen zu verfertigen. Mehr als einen Menschen und höchstens noch einen Bedienten kann der Wagen nicht gut fassen, und dann darf die Menge des Reisegepäckes auch nicht zu bedeutend seyn. So «„annehmlich diese Telegen sind, so tragen sie aber doch durch ihre Leichtigkeit nicht wenig dazu bei, daß das Reisen schneller vor sich geht. Die russische Kutsche (Kareta) ist nicht viel größer und zum Theile bedeckt, aber ebenfalls wie die Telege ruht der Kasten nicht auf Federn. 65 Ganz vorzüglich sind die Posten in Rußland eingerichtet, und ohne dieselben würde es unendlich schwieriger seyn, weite Reisen zu unternehmen. Wollte man in Rußland täglich ebenfalls nur 34 bis 36 Postmeilen vollbringen, so hätte ich gewiß auf den großen Strecken meiner Wanderungen unendlich mehr Zeit gebrauchen müssen. In Entfernungen von 20—28, aber auch von 40 Werst sind Poststationen augebracht, auf denen stets Pferde bereit stehen, um den Reisenden weiter zu führen. Da die Posten zunächst für die Regierungsbeamten und für die Ofsiciere eingerichtet sind, so hat man, um sich ihrer zu bedienen, eine besondere Erlaubniß nothwendig. Ohne Umstände erhält diese nun ein jeder, mag er Kaufmann oder Fremder seyn, und zahlt nach der Entfernung des Zieles dafür eine bestimmte Summc. Wenn ich nicht irre, beträgt es für das Pferd auf die Werst (deren sieben auf eine geographische Meile gehen) zwei Kopeken, und nach der Vorausbezahlung der ganzen Summe erhält man dagegen einen Schein, Podoroshnaia, der zugleich als Paß dient. Diese Podoroshnaia zeigt man auf jeder Station vor, und die Anzahl von Pferden, welche auf ihr angegeben sind, werden angespannt. Unangenehm ist es, daß ein bestimmter Rang dazu gehört, um eine gewisse Anzahl Pferde zu bekommen- Mit Hauptmannsrang hat man nur das Recht mit drei, mit Majorsrang mit vier, mit Obristenrang mit sechs Pferden u. s. w. zu fahren. Wer den niedrigsten Rangstufen eingereiht ist, gar keinen Rang ('l'zekln) besitzt, oder Fremder ist, kann nur auf zwei Pferde Anspruch machen. Wenn man nicht besonderen Chicanen ausgesetzt ist, so erhält man aber im letzteren Falle auf Verlangen auch mehr als zwei Pferde. Auf den Poststationen bezahlt man für jedes Pferd in Alt-rußland und in der Ukraine fünf, in den Ostseeprovinzen, Polen, Litthauen und Neurußland aber 8 Kopeken. (Der Kopeke beträgt kaum etwas mehr als einen Pfennig neuer Währung.) In den kaukasischen Provinzen, wo nach Silberrubeln (1 Rthlr. 2—3 gr.) "t'chr nach Vanco-Rubeln (9gr.) gerechnet wird, betragt der Preis für eine Werst 2 und 3 Kopeken Silber, deren 100 auf einen Silberrubel gehen, und zwar bei ebenen zwei, bei gebirgigen Wegen drei Kopeken. Mit Ausnahme der Ostseeprovinzcn bezahlt man für die Telegenichts, und hat man einen eigenen Wagen, so erlegt man von Strecke zu Strecke eine Kleinigkeit für dasWa- (Neise nach Kaukasien). " 66 gensckmleren. Auch die Trinkgelder sind nur unbedeutend, und mit 20 Kopeke,! für die Station hat man stets die Zufriedenheit des Postillons (Iamschtschiks) erlaugt. Fünf Kopeken sind ihm nur bestimmt. In der Regel fährt man mit drei Pferden (mit einer Troika) und erhalt selbst diese häufig, wenn man nur zwei Pferde bezahlt. Die PostHalter sind gewöhnlich auf das Dreigespann eingerichtet, und wenn nur zwei Pferde verlangt werden, ist das dritte ihm unnöthig. Zu dem Dreigespann wird das stärkste Pferd in die Mitte gespannt und läuft Trab, wahrend die beiden seitlichen von einer Station bis zur andern gallopiren. So geht es rasck vorwärts, und den Auftnthalt aufden Stationen (Stanzicn) eingerechnet, legt man gewöhnlich 10 Werst in der Stunde zurück. Ein paar Kopeken Trinkgeld mehr oder ein Glas Schnaps rufen aber leicht eine größere Schnelligkeit (15 ja bis 20 Werst die Stunde) hervor, und erhalt man gar eine Couriers-Podoroshnaia, so ist es nothwendig, daß man, den Aufenthalt eingerechnet, 20 Werst die Stunde zurücklegt. So sehr auch die Regierung auf den Posten alles geregelt und die vorzüglichsten Einrichtungen getroffen hat, so ist man doch, besonders in Neurußlaud, Polen und Litthauen, den größten und unverschämtesten Chicanender PostHalter, um Geld zu erpreffen, ausgesetzt. Juden sind in genannten Landern die Posthalrer. Mit einer sogenannten Krons-Podoroshuaia (k^onnäia ^ucloro-«lmaia) ist man weniger gefährdet, da jeder Aufschub eines Beamten scharf geahndet wird und diesen meist dkeZeit ihrer Reise vorgeschrieben ist. Aber sobald der PostHalter sieht, daß jemand ohne besonderen Auftrag reist und nur einigermaßen wohlhabend aussieht, so versucht er auf jegliche Weise Geld zu erzwingen. Zuerst behauptet er, die Pferde seyen alle vergeben, und wenn man sich selbst von der Uuwahrheit überzeugt, so sind sie von irgend einem Fürsten oder Grafen bestellt. Dann gibt er vor, daß er in der Nachbarschaft herumschick'en und sehen werde, ob jemand Pferde um den festgesetzten Preis geben wolle. Der Nachbar verlaugt aber mehr, und will man nicht der Unannehmlichkeit ausgesetzt seyn, einen oder mehrere Tage auf der elenden Poststation in der größten Langeweile zuzubringen, so bezahlt man noch gern, um nur wegzukommen, m der Hoffnung, daß es auf der nächsten Station besser geht. 9der der Postmeistex, mit dem Postillon übevein- «7 stimmend, gibt die Anzahl der Werste größer an, als sie wirklich ist, und wenn man sich auf die Tafel beruft, welche mit den Entfernungen der nächsten Stationen in jedem PostHause, nicht selten aber überdeckt, hängt, so wissen die Betrüger ihrer Behauptung doch so viel Wahrscheinlichkeit zu geben, das, man am Ende glaubt überzeugt zu seyn, und das zu viel Verlangte wirklich bezahlt. Erst wenn man viel gereist ist, wird es möglich, den Betrügereien nach und nach zu entgehen. So sehr ich auch die Bequemlichkeiten unserer Eilwagen anerkenne, so hat es mir doch stets Vergnügen gemacht, mit einem Dreigespann rasch über die Steppen zu fahren. Es gehört freilich eine geraume Zeit dazu, um sich an die Stöße des Wagens zu gewöhnen und die gehörige Balance zu behalten, damit man besonders bei einer schnellen und kurzen Umbiegung nicht herausgeworfen wird. Der Postillon (Iämschtschik) mit seinem kleinen Filzhütche» und einem großen, meist blauen und in der Taille durch einen Gürtel zusammengebundenen Hemd, das über den Beinkleidern liegt, sitzt vorn auf einer höchst unbequeme« Stelle, seine Plet oder Plctka (eine kurze, aus Ricmenstückchen zusammengeflochtene Peitsche) in der Hand, und hat mir seinem bärtigen Gesichte eher das Ansehen eines Räubers, als das eines Postillons. Die Iamschtschiks sind gutmüthige Menschen, die immer unter großem Respect versuchen, mit ihren Herren ein Gesprach anzuknüpfen, und wenn ihnen das nicht gelingt, zu ihren Pferden, welche sie fast als ihresgleichen ansehen, sprechen-Immer fröhlichen Gemüthes, wenn sie nicht durch rohe Beamte, besonders Feldjäger, oder niedrige Tschinowniks in ihrer guten Laune gestört we-dcn, trugen sie auf meiner ganzen Reise nicht wenig zu Meiner steten Heiterkeit bei. Um die Pferde anzutreiben, be? dienen sie sich Redensarten, nach denen man schließen kann, wie ^traulich sie mit ihren Pferden leben und wie verständig sie diese kalten. „Marsch, marsch, ihr seyd auch meine Lieben; ihr send verständige Thiere; schämt euch, ihr werdet verlacht, wenn man von euch erzählt, ihr könntet nicht gut laufen; ihr Spitzbuben!, lhr Taugenichtse, ich werde eure Mutter —!" und nun folgt ein Strom von Schimpfworten, über dessen Mannichfalngkeit Man stannen muß. Ist der Iämschtschik still, so kann man über-zeugt seyn, erschüfe. Keinem Kolke ist auch ein solcher gesim- 68 der, ich möchte sagen allzeit fertiger Schlaf in so hohem Grade verliehen, als dem Russen. Ich komme endlich zu dem letzten Erfordernisse einer Reise, zu den guten Wegen. Mit wenig Ausnahmen, so von Peters; bürg nach Warschau und Moskau, von Riga nach Mitau und einigen andern kleinen Strecken sind durch das ganze weite Rußland keine Chausseen vorhanden. Die Wege sind demnach im Allgemeinen schlecht zu nennen und würden noch um vieles schlechter seyn, wenn man mit ihrer Breite so sparsam als bei uns verfahren müßte. Ist der Weg an einer Stelle ausgefahren, so fahrt man auf eine andere, bis gutes Wetter eintritt und der Weg an der früheren Stelle wiedergeebnet wird. In den Gouvernements bis Worouesh , wo der Getreidebau im Blühen, der Boden fruchtbar und an Steinen arm erscheint, ist in der Regenzeit kaum eine Reise zu unternehmen und oft nur mit leichten Telegen möglich. Jeder andere Reisewagen, oft mit 6, 8, ja 10 Pferden bespannt, kommt nur langsam durch denKoth der Straßen. Besser ist es in den eigentlichen Steppenländern, wie im Lande der don'schen Kosaken, im Cherson'schcn Gouvernement u. s. w. Die Wege sind daselbst nicht ausgefahren, besitzen eine beliebige Breite, und der dichte Krauter- und Graswuchs hat auf dem Boden eine Festigkeit hervorgerufen, die selbst bei Regenwetter den gewohnlichen russischen Fahrzeugen nicht weicht. Pfähle zeigen in kurzen Zwischenräumen die Entfernung der Gouvernemcntsstadt und gewöhnlich auch Moskau's und Petersburgs an und dienen in den öden Steppen hausig, besonders im Winter, wo man oft keine Spur eines befahrenen Wegs findet, als Wegweiser. In Neurußland längs der Küsten des Asoss'schen und schwarzen Meeres, besonders in den traurigen Einöden der nogaischen Steppen, wo oft ungeheure Stürme (von denen erst weitläufig in dem allenthalben bekannten Journal „das Ausland" gesprochen ist) große Verwüstungen anrichten, hat die Regierung zur Sicherheit der Reisenden kleine steinerne und mit Kalk be-worfene Pyramiden in geringen Zwischenraumen errichten lassen. Eine gewist heilsame Anordnung bei der großen Entfernung der Dorfer. Nachdem ich null über Reisen in Rußland im Allgemeinen weitläufig gesprochen habe, kehre ich zu meiner eigenen Tour zu- «9 rück. Der Weg von Moskau bis Tula war sehr schlecht, zumal es den ersten Tag unaufhörlich regnete, und nur der großenGeschick-lichkeitunsers Johanns hatten wir es zu verdanken, daß wir ohne irgend einen Unfall den andern Tag Mittags in Tula ankamen. Von der Gegeud habe ich nur wenig gesehen, ich halte sie aber für eben so eintönig, als wic ich sie vor Moskau gefunden hatte. Eine Menge Dörfer, durch die wir fuhren, überzeugten mich, daß die Bevölkerung hier stärker seyn müsse, als in andern von mir durchreisten Strichen. Auch die Bauern hatten ein frisches, munteres Ansehen und ihre Kleidung war zwar immer dieselbe einfache, aber zeigte mir doch eine größere Wohlhabenheit ihrer Besitzer an. In einem ärmlichen Vauerhausc, in dem mehr für die Pferde als für uns gesorgt wurde, brachten wir die Nacht zu, aber gestärkt erhob ich mich nicht von meinem harten Lager, das zum erstenmal auf meiner Reise auf dem Boden ohne weiche Unterlage aufgeschlagen worden war. Meine Glieder schmerzten mich mehr als den Abend zuvor, bevor ich mich niedergelegt hatte. Der gute Thee stärkte mich aber und ließ mich bald alle Müdigkeit vergessen. Unsere Nahrung des Tages bestand hauptsachlich aus Eiern, die wir uns selbst zubereiteten. Butter vermißte ich l-ider sehr. Tula machte, als ich in der Stadt Mittag den 9. August einfuhr, einen traurigen Eindruck aufmich, da noch große Spuren der furchtbaren Feuersbrunst im Jahre l834 vorhanden waren. Allenthalben fanden sich noch Ruinen vor und zwischen ihnen erhoben sich nur einzeln große, steinerne Gebäude. Ueber 1200 Häuser wurden damals ein Raub der Flammen. Es war ein großes Unglück, was lange Zeit noch auf ganz Rußland Rückwirkungen hatte. Unterstützungen, besonders vom Kaiser angeregt, wurden aus dem ganzen Reiche nach Tula gesendet, um die ebeu erst im Aufblühen begriffenen Gewehr- und überhaupt Eisenfabriken nicht su Grunde gehen zu lassen. Doch nur langsam erstiegen die "euen Fabriken aus den Trümmern, und wenn ich neuern Reisenden Glauben beimcssen kann, so hat sich Tula schöner als je herausgebildet und die Fabriken haben sich vermehrt. Ob auch die große kaiserliche Gewehrfabrik wieder erbaut uud in Thätigkeit ist, weiß ich nicht. Als ich in Tula war, ruhten alle ihre Arbeiter. 70 Man hat mehrmals die Frage aufgeworfen, wodurch Tula fast einzig in Rußland, so entfernt von Eisenbergwerkcn und ohne einen schiffbaren Fluß zur Seite zu haben, zu diesen Fabriken gekommen sey ? Wie überall, so haben auch hier einzelne erfindungsreiche und thätige Köpfe den ersten Keim unter Katharina II, unter der so viel Großes in Rußland erstanden ist, gelegt, und das einmal mit Glück begonnene Werk schnell weiter befördert. Wahrscheinlich sind schon früher unter den waffeukundigen Mongolen Waffen hier in der von ihnen erbauten Stadt verfertigt worden. Seit dem Jahre 1777 wurden durch den Schmied Si-doroff der größte Theil der Maschinen und die ersten Räder er baut, und em gewöhnlicher Soldat, Vatichtschcff, unterstützte ihn mit seiner Auffassungsgabe und seiner Geschicklichkeit. Einmal begonnen vermehrten sich die Eisenfabriken schnell und der Ural lieferte hinlänglich Material. Auf dem Gosiinrwi-Twor fand ich eine grosie Auswahl von Waffen aller Art, von Messern und anderen Instrumenten. Die Fabricate, wenn sie sich auch noch nicht mit den englischen und deutschen messen können, haben sich in der neuesten Zeit au Güte und Feinheit sehr gehoben und werden zum Theil nm sehr billige Preist geliefert. Von Tula aus gehen sie durch Rußland und von da tief nach Asien hinein. Burnes fand vor der Einnahme Kabuls durch die Engländer den dortigen Bazar mit russischen Erzeugnissen, besonders Waffen, besetzt. Tula soll mongolischen Ursprungs seyn und von der Taidula, nach Karamsin der Gemahlin Dschanibegs, nach Hammer-Purg-stall der Gemahlin Usbeks m der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts erbaut worden seyn, und seine ersten Bewohner waren Mongolen oder stammten wenigstens aus Mongolen unterworfenen türkischen Stammen, die damals und jetzt unter dem Namen Tataren bekannt sind- Diese waren aber in der Bereitung der Waffen berühmt und feierten alljährlich das große Schnuedefest. In der ersten Zeit wurde Tula von mongolischen Vaskaken (Statthaltern) beherrscht, scheint aber schon zeitig unter die Herrschaft der Großfürsten Rußlands gekommen zu seyn. Unter Johann IV, dem Schrecklichen, 1552, vertheidigten sich seine Bewohner heldcy-müthig gegen den Dewlet-Gerai, den Chan von der Krim, und ein halb Jahrhundert später wurde es der Sitz einer Empörung unter der unglücklichen Henschaft des Czaars Wasilji (Wilhelm) 71 Iwanowttsch Schuisky, indem von den herrschsüchtkgeu und beutelustigen Kosaken ein gewisser Ileika für cincn Sohn des verstorbenen Czaars Fedor, den dessen Gattin Irma 1592 anstatt der Tochter Theodosia geboren haben sollte und der den Namen Peter erhalten hatte, ausgegeben wurde. Tapfer vertheidigten sich Pseudo-Pcters Generale Teliarosssky und Echachoffskoi, und wohl hätten sie allen Anstrengungen Schuisky's getrotzt, wenn nicht der Czaar die Upa, welche Tula bewassert, gedämmt und dadurch eine Uebcrschwenmmng hervorgerufen hatte. Noch einmal wurde später Tula der Herd einer Empörung, indem der Kosak Chlopka, der Thomas Münster der Russen, lauge Zeit von hier aus das gemeine Volk gegen ihre Herren mitErfolg aufgewiegelt und lange Zeit sich gegen die russischen Truppen hielt. Nur einige Stunden hielten wir uns auf und fuhren dann meinem Wunsche gemäß über das berühmte Kulikoff'sche Feld. Sinnend betrachtete ich den classischen Voden, auf dem Rußland scinc Freiheit wieder errungen hatte, auf dem dcr hcldenmüthigc Dmitri (Demetrius) Iwanowitsch sein Vaterland den 8. September 1380 von den schmählichen Fesseln der Mongolenherrschaft befreite. Doch die großen Thaten der Vorfahren, die in jedes Russen Brust eingegraben seyn sollten, haben sich aus dem Gedächtniß verwischt und kaum kannte mein Begleiter mehr als den Namen des Ortes, wo die größte Schlacht der Russen geschlagen worden war. Mein Wunsch, über die Schlacht selbst etwas Näheres zu erfahren, wurde demnach vereitelt, und leid that es mir, daß ich selbst so wenig von ihr wußte. Es nahm mich Wunder, daß kein Denkmal die Stelle bezeichnet, wo Demetrius, im Kampfe stets der vorderste, betäubt und ohne Besinnung gefunden und durch die süßen Worte: „Herr, du hast den Feind besiegt," dem Leben wiedergegeben wurde. EsistSchade, daß(soviel hie mir bekannt ist) noch Niemand die interessante Zeit des Erwachens der Vaterlandsliebe der Russen unter Demetrius, der von der Zeit an den Beinamen Donskoi (der Don'schc) erhielt, naher beschrieben hat. Sie enthält, wie jeder Kampf für Freiheit und gegen fremdes Joch so viel Stoff und so viele große Charaktere, daß eine Bearbeitung auch Nichtrusscn befriedigen muß. Ka-ramsi» beschreibt zwar in seinem fünften Bande dcr Geschichte des russischen Reiches das Leben Demettius ziemlich genau, zählt aber 7s nur die einzelnen Ereignisse als geschehen der Reihe nach auf. Derselbe hohe Geist beseelte damals die Russen, der in den Jahren 1812 —15 uns von dem französischen Joche befreite. Und wie zu dieser Zeit der Bauer seinen Pflug, der Bürger seine Werkzeuge, der Student seine Bücher, der Angestellte sein Arbeitszimmer verließ, um hdhem Pflichten zu genügen, so zog auch damals Jung und Alt aus, um den gemeinschaftlichen Feind, der schon länger als ein Jahrhundert das Vaterland mit Füßen getreten hatte, zu schlagen. Dieselbe Frömmigkeit und dasselbe Gefühl des Rechts begeisterte auch damals alle, die kämpften. An den Grabern seiner Vorfahren betete noch einmal Demetrius und verließ mit seinen 150,000 Mann unter fliegenden Fahnen und singendem Spiele den Kreml. Der fromme Greis Sergij, Abt des Klosters zur Dreifaltigkeit, gab dem Heere seinen Segen und dem Großfürsten zwei Mönche, Pereswjet und Osljaba, die eben so gut mit dem Schwerte als mit den heiligen Büchern umzugehen verstanden, zur Begleitung. Getrosten Muthes zog Demetrius dem Chane Mamai entgegen, ging den 8. September über den Don und stellte seine Schaarcn an dem Ufer der Neprja-dwa auf. Auf beiden Seiten wurde tapfer gekampft und Tausende fielen. Lange blieb der Sieg zweifelhaft, bis er endlich durch die Tapferkeit Wladimirs, eines Verwandten des Großfürsten, sich auf die Seite der Russen wandte und die Mongolen gänzlich geschlagen wurden. Den l 1. August Mittags kamen wir in Ieletz an. Der Weg von Tula über Bogoroditz und Uroffka, in dessen Nähe auf einer Höhe das reizende Städtchen Ieftcmoff liegt, war freundlich und gutes Wetter begünstigte unsere Wanderung. Uns zur Seite breiteten sich in unabsehbarer Ferne Getreidefelder aus und auf ihnen herrschte große Thätigkeit. Der Roggen fiel unter der Sichel der Schnitter, die durch fröhliche Gesänge sich gegenseitig zur Arbeit aufmunterten. Eine Menge Karren, jedoch nurmic einem einzigen Pferde bespannt, begegneten uns in langen Zügen und führten nach Nischni-Nowgorod Baumwolle. Durch sie bekam ich den ersten Begriff einer Karawane und des Lebens derselben. Ein Wagen fuhr hinter dem andern rnhigcn Schrittes, und da 1—200 derselben sich in derselben ununterbrochenen Reihe bewegten, so nahmen sie nicht selten die Strecke von einer Viertelstunde und mehr 73 ein. Nicht jeder Wagen aber besitzt seinen Fuhrmann, sondern je nach dem Reichthum der letzteren gehdrm 4^-20 Wagen einem einzigen Herrn. Die ganze Reise bringen sie unter freiem Himmel zu und kaufen sich in den Dörfern Brod, Fleisch und die übrigen Nahrungsmittel. Auf diese Weise machen sie mit wenig Kosten große Strecken. Mit unsern großen Fuhrmannswagen ist es in solchen Gegenden eine Unmöglichkeit Waaren zu versenden; diese leichten Frachtwagen aber, die einander folgen, können selbst morastigen Boden passiren, und sollte eine Stelle des Weges es einem Pferde unmöglich machen, so wird ein anderes abgespannt und zur Hülfe gezogen. Ein solcher Fuhrmann führt alle Werkzeuge, die zum Wagenbaue und zur Fertigung des einfachen Geschirres nothwendig sind, bei sich, und bricht ein Rad oder reißt ein Riemen, so braucht er nur eine kurze Zeit, um alles wiederum in Stand zu setzen. In der Regel machen solche Karawanen des Tages nur zweimal Halt, um ihre Mahlzeiten einzunehmen. Die Pferde werden auf einer Steppe abgebunden und suchen sich ihre Nahrung selbst; die Fuhrleute setzen sich in einen Kreis zusammen, machen Feuer an und bereiten sich über demselben ihre Mahlzeit. Des Nachts fahrt jeder Besitzer seine Wagen in einen Kreis um sich und legt sich, indem er eine Decke unter sich ausbreitet, schlafen. Regnet es, so schlaft er unter eiuem der Wagen, und halt das schlechte Wetter eine längere Zeit an, dann erst nimmt er seine Zuflucht zu den Dörfern, um in denselben gegen Wind und Regen gesichert zu seyn. Ieletz gehört schon zu dem Orel'schen Gouvernement und ist eine freundliche Stadt, die weniger als Tula, Torshok u. s. w. den ächt russischen Charakter an sich tragt. Seine Straßen sind eng und krumm und besitzen zum Theil nicht unbedeutende Gebäude. Eine große Menge Kirchen mit ihren oft bunten Thürmen überragen alle Häuser und sind bisweilen reich geziert. Die griechische Kirche liebt in ihren Ceremonien die Pracht und den Reichthum, und wie ihre Priester mit kostbaren Gewändern, die oft erst in der Kirche feierlich angelegt werden, geschmückt sind, so erscheinen auch die Gotteshäuser vorzüglich neben den armlichen oft nur hüttenahnlichen Häusern der gemeinen Russen prachtvoll und reich. Die Zeit erlaubte mir nicht, einige derselben zu besuchen und das schdne Wetter lockte auch mehr, der freundlichen 74 Lage der auf mehreren Hügeln gelegenen Stadt mich zu erfreuen. Die Sosna theilt sie in zwei sehr ungleiche Theile, von denen der kleinere ein hübsch eingerichtetes Wirthshaus besitzt. DieWirthin bereitete uns ein Mittagsmahl, wie wir es seit Moskau nicht gesehen hatten, legte offen ihr großes Mitleid gegen mich, der ich aus so weiter Ferne kam und der Sprache nicht mächtig war, an den Tag und suchte durch freundliche Erzählungen mir die Heimath zu ersetzen. Es that mir leid, die gute Familie so wenig zu verstehen und noch weniger von ihr verstanden zu werden. Der Ruf, daß ein deutscher Gelehrter angekommen und auf einer großen Reise nach Asien begriss.'n sey, verbreitete sich schnell, und in kurzem fanden sich einige Officiere des hier statiouirten Regiments ein. Von ihnen sprach - einer gebrochen deutsch und redete mich zur großen Freude in meiner Muttersprache an. Wie wohl klangen die Töne, welche ich von Jugend an gehört hatte! Die freundlichen Officiere hielten mich länger auf, als ich anfangs zu bleiben willens war. Unter Scherzen und Klingen der Gläser verging die Zeit nur zu schnell. Lächerlich war mir es, als ein feingekleideter Bedienter bei mir eintrat und mich einlud bei seiner Herrschaft Thee und Abendbrod einzunehmen und alsbald ein junger Mann ihm folgte, der mich zu überreden suchte, im Hause seines Vaters die Stelle eines Hofmeisters bei einem jüngeren Bruder mit einem jahrlichen Gehalte von 2000 Rubel Ass. zu übernehmen. Doch mich trieben höhere Pflichten von dannen. Es war spat (gegen 5 Uhr Abends) geworden, als wir aus Ieletz wegfuhren, um noch bis Sadonsk 38 Werst (5'/^ Meilen) an demselben Tage zurückzulegen. Der Weg bis dahin ist sehr freundlich und führte uns mitten durch die Besitzungen eines Fürsten Golowin, dessen Dörfer sich durch Reinlichkeit und Sauberkeit auszeichneten und in der Regel nnr aus zwei Reihen von Hausern, die zum großen Theil aus Stein erbaut waren, bestanden. Die Einwohner entsprachen ihren Häusern und waren vor den Thüren versammelt, um sich des schönen Abends zu erfreuen. Fröhliche Gesänge, die besonders bei den Russen der südlicheren Gouvernements und bei den don'schen Kosaken etwas Melancholisches an sich tragen, erschallten schon aus der Ferne mir entgegen. Ich hatte gern hier verweilt, um unter den glücklichen Bauern fröhlich zu seyn. Der Fürst hatte sich den höchsten Punkt der Um- 75 gegend zu seiner Wohnung auserlesen und das fürstliche Schloß daselbst erhöhte die Freundlichkeit der .qanzcn Landschaft. Vor Sadonsk (wörtlich übersetzt: über den Don) passirten wir den Don, und da schou die Nacht ihren dichten Schleier über die Gegend ausgebreitet hatte, beschlossen wir daselbst unser Nachtquartier aufzuschlagen — ein unglücklicher Gedanke, da wir hier weder ein gutes Abendbrod bekommen konnten, noch die Nacht hindurch mir wenigstens Ruhe gegönnt war. Eine Heerde hungriger Flöhe schien mich besonders zum Opfer ihrer Blutgierde auserkoren zu haben, und nicht anders vermochte ich mich vor ihrer Gier zu retten, als dasi ich das Freie suchte. Doch mein Gefährte hatte die Thüre verschlossen. Es blieb mir kein anderer Ausweg übrig, als durch einen Sprung zum Fenster hinaus das Freie zu suchen. Dort fand ich bald einen Winkel, der mich aufnahm, und lange war die Sonne aufgegangen, als ich durch Rufen und Schreien erwachte. Der gute Bouoaresssky hatte mich vermißt, und walmend, es sey mir ciu Unglück begegnet, jedermann aufbetragt mich aufzusuchen. Der 12. August war kein Freudentag für uns, da die nothwendigsten, zum Leben gehörigen Bedürfuisse uns nur sehr karglich zukamen. In Icletz hatten wir Vorrathc einzukaufen vergessen und in Sadonsk war nur der grobe Pnmpernikcl, der meinem Magen gar nicht zusagte, zu bekommen. Von Sadonsk bis Woronesh fuhren wir nur durch ärmliche Dörfer, die, zumal den Russen damals gerade Fasten vorgeschrieben waren, uns wieder weiter nichts als Pumpernikel vorsetzen konnten. Mein frommer Gefährte erlaubte sich nicht einmal der Milch zum Thee sich zu bedienen, und als ich in Kon-Kalooeß (auf deutsch Pferdc-brunnen) von Haus zu Haus ging, um wenigstens ein Paar Eier aufzufinden, begleitete mich die ganze Jugend mit dem Ausrufe: „^jcme^" (ein Deutscher) und jedermann beciferte sich mir die Fastenzeit ins Gedächtniß zu rufen. Als ich mich aber für einen Lutheraner, wornnter der gemeine Russe jeden Protestanten versteht, erklärte, erhielt ich hier ein Ei, dort ein Paar u. s. w., so daß ich endlich nach Verlauf einer halben Stunde mit zwölf Eiern glücklich zurückkam. Es that mir wohl, daß kein Vauer einen Austoß an dem Lutheraner nahm uud alle es natürlich fanden, daß ich nicht mit ihnen fastete. Dic Nüssen, mit Ansnahme der söge- 76 nannten Altgläubigen, sind, so genau sie auch die Pflichten ihrer Religion erfüllen, doch durchaus nicht bigott— eine Eigenthümlichkeit, die sie so sehr vor den Katholiken auszeichnet. Dem linken Ufer des Don fuhren wir auch den Nachmittag noch entlang und kamen spät des Abends in Schiwatinnoje (was zum Vieh gehörig, daher Viehweide oder Viehdorf) an. Die Namen Pferdebrunnen, Viehweide erinnerten mich an die patriarchalische Zeit Abrahams, wo ahnliche Namen genannt werden. Den 13. August sehr früh fuhren wir von Schiwatinnoje aus und kamen gegen 9 Uhr des Morgens schon in Woronesh an. Der Weg bis dahm führt abwechselnd durch Getreidefelder und Eichenwälder. Tiefer und lockerer Sand erlaubte uns aber nicht schnell zu fahren, und vorzüglich in den Wäldern waren wir häufig gezwungen zu Fuß zu gehen. Die Wälder mochten noch ans diesem Jahrhundert stammen und zeichneten sich durch frisches Grün und schlanken Wuchs der Bäume aus. Es war seit langer Zeit das erstemal, daß ich wiederum Eichen sah. Die Eichen, welche an einzelnen Stellen in Petersburg vorzüglich auf Ielaginostroff angepflanzt waren, konnten mir nicht die Eichen meines Vaterlandes ersetzen. Woronesh, wo Peter die erste Flotte Rußlands erbaute und der erst jetzt heilig gesprochene Mitrophan begraben liegt, hielt mich über zwei Tage in seinen Mauern. Hart an dem Flusse gleiches Namens gelegen, hat die Stadt ein eigenthümliches Aussehen, da prächtige Gebäude und reichgezierte Kirchen neben elenden Hütten stehen. Der obere Theil ist neu, besitzt große weite Straßen mit einzeln stehenden Häusern, der untere Theil hingegen ist winkelig gebaut, besteht fast nur ausHütten und befindet sich zum großen Theil an und auf dem hohen Ufer der Woronesh. Die Straßen sind lebendig und beständig wogt eine Menge Volkes vorzüglich in der Nahe des Gastinnoi-Dwor hin und her. Wohlstand spricht sich allenthalben aus. Russische Waaren gehen von ihr aus auf den Don und von da in das Asoff'sche und schwarze Meer, um gegen andere vertauscht zu werden. Eisen, Tuch und Talg werden jährlich in ungeheurer Menge von da versendet. Dieselbe Wichtigkeit, welche Twer für das kaspische Meer und Mittelasien durch die Wolga besitzt, hat Woronesh in noch höherem Grade 77 für das schwarze Meer, Kleinasien und die europäische Türkei durch den Don. Bis zurZeit, ,vo Peter derGroße denrussischen Tbron bestieg, war Woronesh ein unbedeutender Ort des alten Rjasan'schen Landes und wurde weder in statistischer noch geschichtlicher Hinsicht zu irgend einer Zeit wichtig. Doch kaum hatte der Umgestalter des russischen Reiches (I^oodi-liLcnvgte!, wie die Russen Peter I nannten) begriffen, daß Handel fast allein im Stande wäre, die Wohlfahrt seines Vaterlandes zu heben, daß dieses zunächst durch seme Lage bestimmt sey, den Vermittler zwischen Europa und Asien zu machen, so suchte er auch schon nach Punkten, von wo aus die Verbindungen geschehen konnten. Die Unmacht des türkischen Reiches und der Verfall des krim'schcn Chanats kamen ihm zu Hülfe, und so beschloß er den größten Nutzen für sich daraus zu ziehen. Hatte er nur erst einmal am schwarzen oder asoss'schen Meere Fuß gefaßt, so glaubte er mit Recht seine Herrschaft dort schneller zu verbreiten. Asoff, jene starke Festung, die dem Meere selbst den Namen gab, sollte zuerst den Türken entrissen werden, und wahrend diese unglücklich in Ungarn kämpften, Scio verloren ging und die Pest nebst zwei großen Branden Konstantinopel verwüstete, erbaute Peter in Woronesh seine ersten Schiffe unter Anleitung von Fremden. Die erste Belagerung von Asoff 1695 fiel unglücklich aus. Neue Schiffe wurden in Woronesh erbaut, und nach zweimonatlicher Belagerung mnßtc sich Asoff nach tapferer Gegenwehr ergeben. Die Wichtigkeit der Stadt Woronesh stieg von Tag zu Tag, und Peter selbst brachte viele Zeit in Woronesh zu. Auf einer kleinen Insel der Woronesh erbaute er sich eine Wohnung, um dem Schiffswerft nahe zu seyn und leitete von dort selbst den Vau. Keine Mühe scheute er und fand es selbst nicht unter seiner Würde sich unter die Arbeiter zu stellen und sogar Hand anzulegen. Mehr als vorher sah Peter nach der Eroberung von Asoft die Nothwendigkeit einer Marine ein, und da der Schatz geleert war, ließ er sich eine Liste der reichen Großen, der Klöster und Städte verfertigen und schrieb allen diesen vor, binnen drei Jahren eine bestimmte Anzahl von Kriegsschiffen und Galeeren zu erbauen. Alles Protestiren half nichts, und iu dem Jahre 1703 78 befanden sick in dem Haftn von Woronesh nicht weniger als 36 Kriegsschisse und 25 große und kleine Galeeren. Mitrophan, Bischof von Woronesh', war es vorzüglich, der zu jener Zeit Petern mit Rath und That unterstützte, der all sein Hab und Gut freudig auf den Altar des Vaterlandes niederlegte, und dessen Andenken in der neuesten Zeit wiederum durch seine Heiligsprechung hochgefeiert ist. Wo Mitrophan geboren ist und wer seine Eltern waren, ist unbekannt. Zuerst erscheint er als ein Einsiedler in einer Höhle unweit Susdal, und der Ruf seines gottseligen Wandels und seines frommen Lebens verbreitete sich in der ganzen Umgegend. Darauf trat er in ein Kloster, was nahe bei Wladimir lag, als Mönch ein, um von da auf den Wunsch des Patriarchen Joachim in das Kloster des ehrwürdigen Makarius nach Woronesh zu gehen. Der Ruf seiner Frömmigkeit vermehrte sich noch mehr, als die kirchlichen Streitigkeiten durch Nikita zu einer solchen Höhe gediehen, daß sich dessen Anhänger förmlich als die achten Rechtgläubigen betrachteten und nichts versäumten, um die Andersgläubigen zu unterdrücken. Da rettete Mitrophan seine Religion vor den Verirruugen Nikita's, indem er sich selbst an Peter I, den damals noch jugendlichen Zar, wandte und diesen bestimmte seinen Glauben zu beschützen. Von da genoß Mitrophan das Zutrauen Peters und stellte freudig, als die erste russische Flotte zu Woronesh geschaffen, seine ganze Vaarschaft zur Verfügung seines Kaisers. Sein Beispiel wirkte, und von allen Seiten wurden große und geringe Gaben auf dem Altar des Vaterlandes gespendet. Mitrophan war, wenn Peter sich in Woronesh befand, ihm stets zur Seite. Als er einmal zu ihm gerufen wurde, fand er am Eingang des Schlosses die Statuen des Neptun und Mars. Der heilige Mann, unwillig anstatt der Muttergottesbilder heidnische Götter, durch deren Anblick er sich schon zu verunreinigen wähnte, zu sehen, kehrte um, und erklärte den von Petcrn an ihn abgesandten Dienern, daß er nicht eher das Schloß betreten würde, bis die falschen Götzen entfernt wären. Peter befahl ihn mit Gewalt zu bringen. Niemand vermochte den heiligen Mann von seinem Vorsatze wankend zu machen, und wohl die Strafe des Ungehorsames kennend, ging er in die Kirche, betete und empfing noch einmal das heilige Sacrament. Glockentöne verkündeten plötzlich dem Selbstherrscher, n daß Mitrophan sich zum Tode vorbereite. Da bereute Peter die harten Worte, welche er ausgesprochen, ließ die heidnischen Statuen wegschaffen, dafür Wclhkesscl hinstellen und Lichter anzünden. Von diesem Tage an bcsaf; Mitrophan mehr als je die Gunst seines Kaisers. Sechstes Gapitel. Von Worouesh bis Neu-Tscherkask. Abreise; mein Imnschtschil'; nachtiicheß Abenteuer i Amn'hten über Aiebfiahl ^ind Ve.' trug in Nuttand; feurig Erscheinung am -pimmcl; mein neuer Pe>>le>tcr: die Feld.-iäger und vot N28e!i2 KoigL^aiä 6oroZg! (dort ist unsere große Straße!) Lnaiu'g (ich weiß es), antwortete mir der Iämschtschik, no 5ijH cloroza blisks (aber dieser Weg ist naher). Alles Protestiren half nichts und der Iämschtschik fuhr rasch dem einmal eingeschlagenen Wege entlang. Ruhig ergab ich mich und be- ^) Der Nüsse bedient sich des Ausdruckes Itral. (Bruder) gewöhnlich, wenn er mit seinem Bedienten oder irgend einer dienenden Person spricht. Mit Bruder redet man jeden Iswoschrschik und Iämschtschik an, und das Wort hat demnach dieselbe Bedeutung wie der Ausdruck Schwager, womit wir unsere Postillone bezeichnen. 81 schloß den Ausgang abzuwarten. Ich ergriff meine hinter mir liegende Flinte, legte sie vor mich hin und versuchte trotz der Finsterniß meine beiden Terzerole zu ladeu. Und alles dieses machte ich für meinen Iämschtschik so bcmerklich als möglich. Nach zwei Stunden hielt er vor einigen einzeln stehenden Häusern, stieg vom Wagen herab und ging auf eines der Hauser zu. Schnarchende Tone gaben mir bald kuud, daß mehrere Menschen in der nächsten Nahe schliefen. Es wahrte eine kurze Zelt, bevor mein Kutscher mit zwei bärtigen Männern wiederum kam. Da wurde mein ahnendes Gefühl in mir zur Ueberzeuguug, uud bestimmt glaubte ich in die Hände von Räubern gefallen zu seyn. Merkwürdiger Weise, so angstlich auch mein Herz noch kurz vorher geschlagen hatte, so nntthig sah ich jetzt der Gefahr entgegen. Mit der eiuen Hand fasitc ich ein Terzerol nnd spannte den Hahn, schweigend auf meinem Platze verharrend. Die drei Leute traten mit jener unterwürfigen Haltung, die dem gemeinen Russen eigenthümlich ist, vor mich hin und bedeuteten mich, daß ich absteigen sollte, da hier das PostHaus sey. Natürlich traute ich deu Worten nicht und frug nach dcm durch seinen mit besonderen Knöpfen besetzten Nock kenntlichen Postmeister. Er schlaft, war die Antwort. Ich sah einen andern Wagen vorfahren, aber alles sagte mir, daß hier die Post nicht sey, und als die Männer wiederum heimlich zusammen sprachen, wurde es mir noch unheimlicher. Da kam endlich der grosite und stärkste der Männer an den Wagen heran, seine Hand nach mir ausstreckend. Ein Schlag von wir m das Gelenke seines Armes hinderte ihn in der Allsführung seines Planes. Nun erhob ich mich von meinem Sitze, lu'clt das eine Terzerol meinem Angreifer vor und drohte ihn m'edcrzuschiesicu, wenn er nicht augenblicklich sich entfernte. Was und ob die drei Männer mich und mein russisches Kauderwelsch, dem einige deutsche Kraftredcn untermengt waren, verstanden, will ich nicht untersuchen, meine Absicht war erreicht, ich hatte unter ihnen eine Ve-stürznng hervorgerufeu. Demüthig näherte sich der Iämschtschik Wieder dcm Wagen und bat mich die Schießgewehre auf die Seite zu legen, da sie ja nichts Böses gegen mich im Sinne gehabt hätten. Dieses Haus wäre allerdings nicht das PostHaus, soudcrn sein Besitzer ein Verwandter, der mich für dieselben Progonü, wie die Post sie verlangte, weiter gefahren hatte. Er bestieg nun ohne stiftn und Ländn1'eschro!l'lln,^!i. xxm. 6 (Neise nach Äaukafien.) 32 Sträuben wiederum meine Telege, fuhr der Station zu, und schon nach einer Stunde erreichten wir sie. Ich war froh, als ich mich wiederum unter ehrlichen Menschen befand und beschloß sogleich das Nachtreisen aufzugeben. Es war möglich, daß wirklich der Iämschtschik nichts Uebles im Sinne hatte, aber verdächtig bleibt es mir doch. Daß ich nicht in die Hände von Raubern ox prole^o gefallen seyn konnte, wurde mir spater klar, da mir hinlänglich bekannt ist, daß nirgends in Europa die Polizei eine solche Macht und solche Einrichtungen besitzt, als in Rußland. Auf jeder Station werden die Namen der Durchreisenden genau aufgeschrieben, und jo wäre ja sogleich die Spur, wo ich verschwunden, aufgefunden. Der eigentliche Russe ist auch gar nicht zu Räubereien geneigt, und nur sehr selten hört man in Rußland von Fallen, daß Menschen auf offener Straße angefallen sind, oder daß in einem Hause ein Einbruch verübt worden ist. Der Russe ist grundehrlich, und nur dann wenn Verführungen der großen Städte oder an den großen Landstraßen auf ihn eingewirkt haben, wird er ungemein leicht betrügerisch und unehrlich. Räubereien bleiben ihm aber trotzdem fremd, und wenn solche vorkommen, so sind sie in der Regel von Tataren begangen. Häufig wird man aber in größern Städten betrogen und nicht selten auch bestohlen, und die dem Russen angeborne Schlauheit unterstützt nun leider dieses Laster sehr. Betrug wird von dem Russen hinlänglich vom Diebstahl, worunter er aber eigentlich auch wiederum Diebstahl auf gewaltsame Weise, z.B. durch Einbruch versteht, unterschieden, und die allgemeine Meinung, wenn sie auch Betrüger und schlaue Diebe durchaus nicht vertheidigt, sieht sie doch nicht für so verbrecherisch an. Ein Theil der Schuld wird immer dem Betrogenen, eben weil er sich betrügen ließ, zugeschrieben. Die herrschenden Ansichten schaden in der Moral mehr als alles andere. Im Handel halt der Russe es durchaus nicht für eine Unehrlichkeit, wenn er seine schlechten Waaren für gute anpreist; er glaubt, daß er dadurch, daß er dem Käufer die Waare zur Ansicht gibr, aller Anforderungen ledig wäre. Kann der Kaufer die Waare nicht beurtheilen, so hat er eigene Schuld, so (wie der Russe weiter folgert) betrügt er sich selbst. Die Leibeigenschaft hat ebenfalls den großen Nachtheil, daß der Leibeigene, eben weil sein freier Wille beengt ist und er selbst keinen reellen Besitz haben kann, nach Gelegenheiten hascht, um seine angeborne Freiheit in Anwendung zu bringen. Er bestiehlt nicht selten seinen eigenen Herrn und beschönigt sogar sein Verbrechen damit, daß all' sein Gut und er selbst ja dem Herrn gehdre und er demnach diesem gar nichts stehlen könne. Leider hat sich auch diese Ansicht bei den Angestellten cingeschlichen und auch sie entschuldigen oft ihre Veruntreuungen durch die Meinung, daß sie ja selbst mit Hab und Gut dem Kaiser angehorten. In dem Innern Rußlands tritt aber einem der Russe wie er ist entgegen, treu und ehrlich. Des Nachts verschließen nnr selten die Bewohner ihre Hauser, und hausig bin ich ein offenes Haus durchgangen, ohne einen Menschen darin zu finden. Es ist demnach nothwendig, bei Beurtheilung eines Volkes das Volk fern von den großen Stäoten kennen zu lernen. Ich kann nicht umhin hier eine eigenthümliche Erscheinung am Himmel zu erwähnen, die ich in derselben Nacht zu beobachten Gelegenheil hatte. Nach Westen erhellte sich plötzlich der Himmel und immer heller trat eine Stelle, von der aus das Licht sich strahlenförmig nach allen Seiten verlor, mir entgegen. Anfangs hielt ich es für ein Nordlicht, aber die Himmelsgegend sprach dagegen. Plötzlich schien sich der Himmel aufzuthun und aus der Mitte schoß em dicker Feucrstrahl zur Erde hinab. Hinter ihm verschwand plötzlich alles Licht, und als er die Erde erreicht zu haben schien, trat die vorige Finsterniß wieder ein. Die Dauer der ganzen Erscheinung mochte doch einige Minuten betragen haben. Als ich eben von meiner Telege abstieg, sah ein Herr aus einer Karete, die eben abfahren wollte, heraus und riefmir zu: „sind Sie Professor Koch"? Erstaunt, plötzlich Jemand meine Muttersprache sprechen und meinen Namen nennen zu hören, wendete ich mich augenblicklich nach dem Wagen hin und frug verwundert, wer hier ware, der mich mit Namen kenne? Ohne sich weiter auf meine Fragen einzulassen, schlug er fragend mir vor mit ihm zu fahren. Ich glaube fast selten ein so freudiges „Ja, von Herzen gern" ausgesprochen zu haben als dießmal. Die Freude, die sich plötzlich meiner bemächtigte, laßt sich nicht beschreiben, sie war aber ohne Gränzen! Die kurze Zeit, welche ich allein schon zugebracht, hatte bereits meinen Muth etwas heruutergestimmt. 84 und so ergriff ich gern eine günstige Gelegenheit, die mich nun sicher weiter führte und meinem Zwecke näher bringen sollte. Mein freundlicher Russe gehörte zu jenen Leuten, welche in Petersburg zwar wohnhaft, aber jeden Tag fast in einer andern Stelle des weiten russischen Reiches ihr Haupt niederlegen oder selbst des Nachts sich nicht Ruhe gönnen. Er war ein Feldjäger, oder wie er sich selbst nannte, ein Commissar, und brachte eine bedeutende Summe Geldes nach Stauropol für das dortige Militär. Die Feldjäger, wie sie auch in Rußland selbst genannt werden, sind eine wichtige Corporation stets dienstfertiger Männer, welche die Befehle und Auftrage des Kaisers und oft auch der verschiedenen Ministerken nach allen Enden des Reiches bringen. Solche Leute befinden sich in Petersburg in großer Anzahl und werden fast täglich nach allen Himmelsgegenden gesendet. Es geschieht nicht selten, wie man mir mehrmals versichert hat, daß solche Leute in kurzer Zeit l5 — 20,0W Werst (also 2 —3000 geographische Meilen), in einem Jahre hingegen zwei- und dreimal so viel Weges zurücklegen. Gewöhnlich reisen sie, ohne sich Ruhe zu göunen, Tag und Nacht und müssen genau mit dem Tage an dem Orte ihrer Bestimmung eintreffen. Nirgends darf man sie aufhalten, und da sie mit einem sogenannten Courier-Postpasi (Ilaurioi-zlicna I»o60r(i5knIiii) versehen sind, so müssen stets wenigstens drei Pferde schon angeschirrt auf jeder Station vorhanden seyn. Zu Feldjägern wählt man, wie man sich auch denken kann, Leute von einer kräftigen Natur und einer gesunden Constitution, so das; die Strapazen einer solchen Reise nicht leicht bei ihnen einen nachtheiligen Einstust auf den Korper haben. Häufig nimmt man Leute aus dem Soldatenstande dazu, besonders wenn sie sich irgendwo ausgezeichnet haben. Sie werden an und für sich gut bezahlt und verstehen außerdem alle sich ihnen darbietenden Gelegenheiten zu ihrem Vortheil zu benutzen, so daß sie in kurzer Zeit sich ein bedeutendes Vermögen erwerben und nach wenigen Jahren entweder an und für sich unbrauchbar geworden oder wenigstens sich unbrauchbar stellend, sich in die Ruhe zurückziehen und von ihrem Gesammelten mm ein sorgenloses und gemüthliches Leben führen. Die Hauptemnahmen mdgen wohl aber die Feldjäger, die zu Connm'ssärcn benützt werden, haben, und ich war selbst Zeuge, wie mein Begleiter offen seine (nach 85 unseren Ansichten) Betrügereien ausübte, und doch war er noch im Vergleich mit einem andern, mit dem ich von Stauropol weiter reiste, uneigennützig und auf den Nutzen seiner Regierung bedacht. Vom Kaiser selbst gesendet, spielen die Feldjäger (und Jedermann, bei dem es sich gleich verhält) eine grosie Rolle auf der ganzen Reise, und die Worte: Kosu^ ^o88l»I msnja (der Herr ^Kaistr^ schickte mich) wirken wie ein magischer Zauber auf Jedermann. Nächst Gott steht dem Russen sein Kaiser, den e» schlechthin 6o5uäar (Herr) oder NicolaiPawlowitsch nennt, am höchsten, und demüthig, ich möchte (dem Worte gottesfürchtig analog) kaiserfürchtig sagen, entblößt er, wenn man von jenem spricht, sein Haupt und blickt unwillkürlich nach der Gegend hin, wo Petersburg, der.Sitz seines Kaisers, liegt. Diese große Anhänglichkeit deö Russen an seine Herrscherfamilie hat wohl hauptsächlich darin seinen Grund, daß der jedesmalige Kaiser nicht nur derweltlicheHcrr ist, sondern er ist ihm auch sein höchster Priester, ich mochte sagen Herr seines Geistes. Als den Uninstaller Peter I die Bischöfe und Archimandnren seines Reiches ersuchten, ihnen gleich den Christen des katholischen Glaubens cin kirchliches Oberhaupt zu geben, wandte er sich mit kräftiger Stimme ihnen zu und sagte: „Ihr wollt einen Papst! hier ist er!" (an seine Brust schlagend). Seitdem vereinigt der jedesmalige Kaiser mehr als je die kirchliche und weltliche Gewalt in sich. Wer demnach irgend eine Berührung mit dem Kaiser oder einem Gliede der kaiserlichen Familie, und wenn auch noch so entfernt, nachweisen kann, trägt einen Talisman, der ihn sicher durch Rußland führt. Es ist gleichsam ein Abglanz von dem Heiligenschein, womit die kaiserliche Majestät (lmporawrglwjt, Woliiäolieztno) durch das ganze weite Reich leuchtet, und Jedermann, hoch oder gering, becifert sich auf jede Weise dem Wunsche seinesKaisers nachzukommen. Dieses Verhältniß stellt sich zunächstzn Gunsten des Feldjägers, und Niemand versieht es mehr zu benutzen, als gerade er. Auf alle Weise erhöht er seine Sendung, nimmt gegen alle Niedern, besonders gegen die PostHalter außerhalb der größeren Städte, eine vornehme Miene an, bringt alle Augenblicke den Namen des Kaisers vor, erzählt von ihm allerhand, was man in den entfernteren Provinzen besonders gern hat, und erhebt auf alle Weise seine Beziehungen. Nicht selten droht er sogar, wenn man seinen Willen nicht 6« sogleich thut, und der Posthalrer erfüllt alle Wünsche, die er nur ahnt. Für je drei Pferde läßt er sich nur zwei Wegegeld bezahlen und ist froh, wenn er den oft lästigen Gast, dem er gern daS Beste aus seiner Küche vorsetzt, wieder los ist. Mein Begleiter, der eben im Vergleich mit dem nächsten noch zu den uneigennützigen gehorte, war stets zufrieden, wenn das Geld für das dritte Pferd jedesmal in seine Tasche floß. Wo man aber ihm diese Re-venüm streitig machen wollte, drohte er auf eine Weise, daß endlich der PostHalter selbst demüthig um Verzeihung bat, sich sogar (wie ich es mehr als einmal im Lande der don'schen Kosaken zu sehen Gelegenheit hatte) niederwarf und die Hand seines Betrügers küßte. Mein Begleiter hatte nun zwei Wagen, von denen der eine, wo wir uns befanden und der ziemlich bequem eingerichtet war, we-nigst'Ns vier, der andere zwei Pferde bedürfte. Das Geld (was in seine Tasche flosi) für zwei Pferde auf einer einige tausend Werst weilen Strecke häuft sich, und nicht zufrieden mir der bedeutenden Summe, bediente er sich noch anderer Mittel, um diese zu vergrößern, ja zu verdoppeln. So gab z. B. mcin Begleiter in seinem seiner Behörde vorgelegten Bericht schlechtes Wetter an, das ihn gezwungen hätte, anstatt der sechs Pftrde acht und neun zu neh-tmn, lim auf den schlechten Wegen zur gehdn'gen Zeit an Ort und Etrlle einzutreffen. So müßte der Kaiser von Zeit zu Zeit das Wegegeld von zwei oder drei Pferden mehr zahlen. Entweder wagte der Commissar diese Betrügereien für sich oder gab dem Postmeister eimn kleinen Antheil davon, damit dieser die größere Anzahl von Pferden in das Po st buch eintrug. Noch nicht zufrieden damit, wurde auch der Wagen , gedrückt von der schweren Last des Geldes, hausiger zerbrochen angegeben, als es wirklich geschah, und wir kamen fast durch kein noch so unbedeutendes Städtchen, wo nicht die Ortsbehorde die Wahrheit der Angabe bescheinigte. Es freute mich aber doch, daß einigemale von Seiten der Behörden großer Widerspruch meinem Begleiter entgegengestellt wurde, aber durch Drohungen, vielleicht auch durch Lockungen eingeschüchtert, gaben diese doch am Ende nach. Mit den widerspausiigen PostHaltern wurde der Commissär dadurch am schnellsten fertig, daß er nach Petersburg schreiben würde, um anzuzeigen, schlechte Pferde hätten ihn gehindert, zur rechten Zeit an Ort und Stelle einzutreffen. Leider ist das Gefühl für Subordination in Rußland so groß, daß S7 der PostHalter, der fast nie einen Tschin (Rang) besitzt, nichts gegen seinen Quast-Vorgesetzten zu thun sich erlaubt. Die Oberbehörden sehen es auch nie gern, wenn Subalterne über ihre Vorgesetzten klagen, und selbst wenn sie das größte Recht in den Händen haben, wird ihnen der Mangel an Subordination vorgehalten — ein Gebrauch, der an vielen Mißbräuchen in Rußland Schuld trägt. Mein neuer Begleiter, dessen Namen ich hier zu nennen nicht für nothwendig halte, war ein fröhlicher, munterer Geselle, stammte aus einer deutschen Familie und sprach demnach gut deutsch. Der letzte Umstand war mir besonders werth, und Niemand konnte glücklicher seyn als ich, wie wieder vaterlandische Töne meinen Ohren erklangen und ich wieder sprechen konnte. Aber nachtheilig war es mir deßhalb nicht weniger, da mir dadurch die Gelegenheit (ich möchte lieber sagen die Nothwendigkeit) geraubt wurde, russisch sprechen zu müssen. Er hatte durch den treuen Vonduresssky erfahren, daß ein Deutscher allein, und ohne der Sprache mächtig zu seyn, nach dem Kaukasus reisen wolle. Deßhalb habe er allenthalben nach mir gefragt, bis mich ihm der Zufall wieder zugeführt hatte. Für seinen Stand wenigstens war er schr gebildet, in der russischen und deutschen Literatur nicht unbewandert, und führte deßhalb eine kleine Bibliothek, in der sich vorzüglich die Wevke von Rußlands größtem Dichter, von Puschkin, befanden , bci sich. Diese Art von Bildung hatte eine Ueberbildung in ihm hervorgerufen, so daß er über alles sprechen zu können wähnte und dadurch sich vieler Verstöße schuldig machte. Nicht selren, wenn der Geist recht über ihn kam, unterhielt er mich stundenlang über Nußland, seine Bewohner und über deren Sitten, machte mich mit den sonderbarsten Gebrauchen der don'schen Kosaken bekannt, und als er gar durch mich erfuhr, daß ich den Kaukasus zu bereisen willens wäre, erzählte er mir Wunderdinge von den Tscherkessen, von der Tapferkeit und dem Blutdurst dieser Leute, vom Kopfabschneiden, Zerhauen :c., sodaß es mir allmählich etwas ängstlich wurde. So sehr ich mich aber auch im Anfange glückg lich pries, daß ich einen Mann von ungefähr hatte kennen lernen, der mir so viele Aufschüsse zu geben vermochte, so wurde nach «nd nach meine Freude ganz wiederum heruntergestimmt, da ich leider nur zu bald wahrnahm, daß mein gutmüthiger Begleiter nicht immer 88 genau die Wahrheit sprach, sondern sich zeitig auf Nebenwegen erwischen ließ. Alles was ich demnach schon mir als neu aufgeschrieben hatte, wurde wieder vernichtet. Aber trotzdem blieb mir der Commissar ein guter, fröhlicher Gesellschafter, der mir vieler Freundlichkeit die ganze Zeit über für mich sorgte. Weder Tag uoch Nacht hatte ich an etwas Andercs zu denken, als an mich, und wenn mein Begleiter des Nachts das Wechseln der Pferde u. s. w. besorgte, schlief ich ruhig in unserer Karete, die etwas zum Schlafen eingerichtet war. Am Morgen bereitete ei^mit vieler Geschicklichkcit, ich mochte sagen Eleganz, den Thee, für den er ein eigenes, zur Reise eingerichtetes Service besaß, und sorgte ,weiter für Frühstück, Mittags, und Abeudessen. Mit den Oertlichkeiten genau vertraut, kaufte er zur rechten Zeit Vorräthc ein, und so fehlte es uns niemals an irgend etwas. An vielen Orten wurde er von den PostHaltern tractirt, und ich genoß die ihm erzeigte Freundlichkeit mit. Das Umpacken meiner Sachen hatte uus in Mittel-Ikoretz, der Station, wo ich meinen Begleiter fand, lange aufgehalten, und so begann der Tag allmählich zu dämmern, als wir rasch weiter fuhren. Müdigkeit schlosi mir bald die matten Augen uud erquickt und gestärkt erwachte ich. Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Ich fühlte mich wiederum heiter und vergnügt, und vergaß die Unannehmlichkeiten des vorigen Tages. Das Postgeld, was ich auf den Stationen zu bezahlen hatte, erhielt nun der Commissar, und so hatte ich bei denselbeu Unkosten keine Sorgen und das Vergnügen, in Gesellschaft zu reisen. Das nächste Stadtchen, wohin wir den !6. August Nachmittags kamen, war Paulosssk (Pawlowsk). Eine Reparatur an dem einen Wagen hielt uns einige Stunden auf, und so benutzte ich gern die Gelegenheit, mich in der Umgegend umzusehen, zumal der Verlust meiner beiden Schreibfedern in dem ganzen Stadtchen uicht ersetzt werden konnte. Meine Flinte warf ich über den Rücken ,md suchte das freie Feld. Paulosssk liegt freundlich in geringer Entfernung vom Don. Grüne Wiesen, wie bei uns mit Erlen und Weiden bepflanzt, umgaben die Stadt wenigstens auf der einen Seite. Freundlich grüßten mich die Bewohner und versuchten selbst mich in ein Gesprach zu ziehen. So schwer mir es auch wurde, verständlich zu werde», so gab ich mir doch alle 89 Mühe um eS zu seyn, und hatte bald das Vergnügen, daß Jedermann sich mir vertrauungsvoll näherte. Es ist für alle in Rußland reisenden Fremden ein grosies Glück, daß die russische Sprache nur unbedeutende, ich möchte sagen gar keine Dialekte besitzt und Jedermann, hoch und gering, sie gleich spricht. Es wäre mir gewisi um Vieles schlimmer gegangen, wenn wie bei uns fast alle vier Stunden Weges die Bauern eine andere Mundart gesprochen hätten. Die Kleinrussen, zu denen sich auch die don'schen Kosaken hinsichtlich ihrer Aussprache rechnen, besitzen zwar einige ihnen eigenthümliche Worte, welche man aber bald verstehen lernt. Durch sie wird aber der ganze Sinn des Satzes durchaus nicht undeutlich. Selbst alle zu eigenen Sprachen erhobenen Dialekte der alten Slavcnsprache unterscheiden sich nur wenig von einander, und der Pole versteht bald den Russen, dieser den Servier u. s. w. mehr als wir Mitteldeutsche z. B. im Stande sind, in das Platt der Hamburger oder West-phalen uns zu finden. Ja uns Thüringern selbst wird es oft schwer, die Bauern unserer eigenen Gaue zu verstehen. Dazu kommt nun, daß die russische Sprache über alle, auch die fernsten russischen Provinzen verbreitet ist, und man mit ihr in Kamtschatka, Odessa und am Ararat verstanden wird. Die Freundlichkeit der Bewohner Pauloffsk ging so weit, daß sie mich ersuchten, bei ihnen etwas zu genießen, und um einer jeden Aufforderung zu genügen, ast ich bei dein einen Pirogen (Pasteten) mit Ieschewikcn (Brombeeren) gefüllt, bei dem andern ein Stück Paulik (eine Art getrockneter Fische) und bei dem dritten meine Lieblingsspcise, abgekochte und mir kalter Milch übcr-gossene Buchweizengrütze. Die Pasteten waren leider nicht so wohlschmeckend, da sie nicht gebacken, sondern nur gekocht waren. Auch der Paulik konnte nur einem huugn'gen Magen genügen, desto mehr mundete mir die Milchspeise. Die Milch fand ich im hohen Grade wohlschmeckend, was wohl darin seinen Grund haben mag, daß die Kühe hinaus in die krauterreichen Steppen getrieben werden, und meistens den ganzen Sommer über im Freien zubringen. Noch waren die Reparaturen am Wagen nicht geendet, als ich zu Haust ankam, und so zog ich mit meiner Flinte von neuem aus, um mir neues Handwerkszeug zum Schreiben, Federn, so für die Weiterreise zu verschaffen. Diesesmal begleitete mich Fe-dor (Friedrich und Theodor), ein junger Mensch von 18 Jahren, den mein Begleiter, mit dem er verwandt schien, von Petersburg aus schon mitgenommen hatte, um ihn nach Stauropol zu bl illgen. Trotz seiner herculischen Gestalt war Muth ihm durchaus nicht angeboren, denn allenthalben legte er Proben seiner Furcht an den Tag. Meine Flinte war ihm schon cm gefahrliches Werkzeug , und wenn ich sie anlegte, stellte er sich hinter mich und so fern als möglich. Die Jagd steht hier Jedermann frei, nnd so ging ich den Don entlang, um vielleicht einige Wasservögel zu erbeuten. Plötzlich rief Fedor: Wot mkü, d^rin! (dort sind Enten, gnädiger Herr!) und sogleich eilte ich nach der Stelle hin. Die armen Vögel vermutheten nicht, daß ein todbringendes Geschoß ihrer harre, und blieben selbst da noch ruhig, als ich anlegte. Sie kannten wohl die friedlichen Bewohner Pauloffsks und wußten, daß sie von ihnen nichts zu fürchten hatten. Mit einem Schuß waren drei erlegt. Rasch sprang Fedor in das Wasser und brachte mir die Getödteten. Mein Begleiter freute sich mit mir über den Fleisch-vorrath für die nun bevorstehende Reise durch die Steppe. Mehr vergnügt war ich aber, daß ich wieder Federn, wennauch noch so schlecht, zmn Aufzeichnen dessen, was um mich und mit mir geschah, besaß. Die ganze Nacht hindurch sichren wir und kamen des Morgens (nach ungefähr 100 Werst Weges) an einen Glänzsteiu, um Nlln das Land der don'schen Kosaken zu betreten. Hier hört das eigentliche oder Großrußland auf uud es beginnt eine Provinz, deren Bewohner, seitdem sie die Gegenden am Don eingenommen haben, Krieger waren und bis auf den heutigen Tag als solche gelten. Ich will jetzt nichts über die don'schcn Kosaken und ihr Land sagen, sondern ihre Beschreibung lieber in einem besondern Capitel abhandeln. Es genüge demnach hier nur die Beschreibung meiner Reiseroute bis Ncu-Tscherkask. Es war mir ganz eigeuthümlich, als wir in dem ersten kosakischen Dorfe, der kasan'schen Stanitza') einfuhren, das Volk, das in meiner ersten Jugend in Deutschland so viel Aufsehen gemacht hatte, friedlich neben einander wohnen zu sehen. Freund- i) Unter Stanitza persteht man ein Kosakendorf. 9l liche Kosakenmädchcn blickten uns dreist an, als wollten sie sagen, wir fürchten euch nicht. Oft blieben sie stehen und schäkerten über uns Fremde. Es war mir lieb, daß mein Gefährte eine kurze Zeit anhielt, um das freundliche Dorfchen näher zu betrachten. Aus einer einzigen großen Straße schien die Stanitza zn bestehen, aber die Hauser, in der Regel mit dem Giebel nach der Straße zu, waren hübsch und durchaus nicht so klein und untemdisch, als mir es so häufig gesagt worden war. Im Gegentheil fand ich fast alle von mir gesehenen Stanitzen freundlicher und wohlhabender, als die meisten russischen Dörfer. Hinter der Kasauskaja Stanitza passirten wir wiederum den Don und kamen bald in die Sucholoffskaja Stanitza. Hier begann das eigentliche Steppenland, selten unterbrochen durch wenige Getreidefelder oder Aecker mitGmkcn und Wassermelonen bepflanzt. Die Steppen sind durchaus nicht so traurig, als sie so häusig geschildert werden und besitzen viele meist niedere Gegenden, wo die Hitze des Sommers und der Mangel an Wasser nicht die ganze Vegetation zu vernichten vermag. Selbst unbedeutende Wälder, meist Eichen, freilich in verkrüppelter Form, traten uns hie und da entgegen. Freilich die höher gelegenen, ganz wasserlosen Gegenden entbehren im Hochsommer alle Vegetation und besitzen ein düsteres, schwarzes Ansehen. Aber da sicht man keinen Menschen, und nur für Reisende ist bisweilen ein armseliges Posihaus erbaut. So war um Suchaja Potschta (dürre Post), wo wir den 18. August am Morgen ankamen, alle Vegetation abgestorben und mit Mühe trieben wir etwas Wasser auf, um uns Thee zu bereiten. Von da bis zu Konstantinoffskaja blieb dieselbe Oede und dieselbe vorbenannte Steppe, in der die abgestorbenen Psianzenstcngel (besonders Artemisia-, Senecio-,Alcea-Arten !c.) durch ihre Vlätterlosig-keit den traurigen Anblick erhöhten. Wir hatten uns Lebenemit-tel für einige Tage mitgenommen und litten demnach in dieser Hinsicht keinen Mangel. Selbst Wein, und zwar den sogenannten don'schen Champagner führten wir bei uns. Dieser moussirende Wein wird am Ufer des Don, besonders zwischen Neu-Tscher-kask und dem asoss'schen Meer bereitet und ist ein sehr leichtes angenehmes Getränk mit etwas gewürzhaftem Geschmack. Der Billigkeit wegen ist es das beste, was das Land der don'schenKo-saken dem Fremden darbieten kann. 92 In den hochgelegenen Steppen wurde gegen Mittag hm die Hitze drückend und ich fühlte, daß das Land, wo ich mich eben befand, doch etwas südlicher als mein Vaterland lag. Die Luft flimmerte vor Hitze und jeder Athemzug vermehrte durch die heiße eingeathmete Luft die Mattigkeit. Nirgends ein Baum, der uns mit seinem kühlenden Schatten nur einen Augenblick erquicken komttc, nirgends ein Fluß, noch ein rieselndes Bächclchen, dessen Inhalt die lechzende Zunge kühlen könnte! In dieser traurigen Lage fühlte ick) wiederum die freundliche Fürsorge meines Beglci» ters. Gurken und Wassermelonen werden m großer Menge in der Nahe der Dorfer gebaut, und für einige Kopeken kaun man sich Vorrath für einen ganzen Tag kaufen. In hinreichender Menge hatten wir diese labenden Früchte gekauft und ihnen in unser» Wagen den kühlsten Ort eingeräumt. Mit innigerem Behagen habe ich wohl nie rohe Gurken gegessen, und es schien mir , als wenn diese um vieles vorzüglicher als die unsrigen waren. Möglich, daß die Hitze nur ihren Wohlgeschmack erhöhte, möglich ist es aber auch, daß dieselbe Hitze sie feiner und aromatischer machte. Ueber alles ging mir aber das saftige Innere einer Wassermelone (Arbuse bei den Russen genannt) und drei Stück mit wenig Brod waren hinlänglich, um mich für den ganzen Tag zu sättigen. Auf der ganzen Reise habe ich den stets frischen und angenehmen Saft einer Wassermelone allen andern Früchten und selbst deu achten Melonen und Pfirsichen vorgezogen. Was mag wohl die Ursache seyn, daß sie weniger Gefallen bei uns findet uud man lieber ächte Mclouen mit vieler Mühe zieht? Sollte das Klima bei uits ihnen weniger zusagen und sie deßhalb weniger schmackhaft machen? Gewohnheit regiert aber oft die Menschen mehr als der Nutzen. Das Cteppenleben mag wohl auch sein Eigenthümliches haben, aber um es ganz zu verstehen, ist es wohl nothwendig, cs mit der frühesten Jugend zu begiunen. Wie der Araber seine Wüsten über alles liebt, so der don'sche Kosak seine Steppen, in denen er auf schnellem Rosse leicht dahin stiegt. Der poetische Wcrth der Steppen und Wüsteu, die ja so hausig von orientalischen und nicht weniger von europäischen Dichtern besungen wurden , liegt aber wohl weniger in der Steppe selbst, als vielmehr in der ungebundenen Freiheit seiner Bewohner, die eben auf der 93 ebenen Flache mit ihren schnellfüßigen Rossen weniger Hindernisse finden, als in gebirgigen Gegenden. Der Araber, wie der Kosak dcr früheren Zeiten hielt sich nicht an die Scholle gefesselt, anf der er geboren war, sondern schweifte weit hinaus, bis Meere oder Berge seinen Streifzügen ein Ende setzten. Ackerban blieb ihnen fern und selbst Viehzucht überließen sie den Frauen nnd Sklaven. Das Pferd war ihr einziger treuer Begleiter und gewohnte sich bald an das Leben seines Herrn. Auch ich befand mich anf den Steppen wohl, und sah vergnügt hinaus über die weite Fläche, nichts als die Flache selbst erblickend. Gegen Abend kühlte sich die Hitze, und gern gingen wir dann eine Stunde zu Fuß, um unserm gerüttelten Gliedern eine andere Bewegung zn verschaffen. Vergebens hing ich aber meine Flinte um und lauerte umsonst auf ein Wild, das uns einen Braten liefern sollte. Außer den bekannten Steppen-Mausen und Raubvögeln aus dem Falkcngcschlechte wurde ich nichts Lebendiges gewahr. So beschloß ich denn wenigstens auf die letztern Jagd zu machen. Fedor begleitete mich stets auf meinen Streifzügen, die mich immer an die schönen Schilderungen der Prairien Nordamerika's durch Washington Irving erinnerten. Selbst Tonchen fehlte uns nicht, da Fedor durch seine Furcht hinlänglich Stoss zur Kurzweil gab. So war cs wirklich drollig, als ich einen großen Habicht flügellahm geschossen, nnd er beauftragt wurde, den Vogel einznfangen. Zaudernd ging er schon auf ihn zn, und als dcr Habicht mit seinem Schnabel sich keck vertheidigte, nahm er vor Schrecken die Flucht. Viele Mühe kostete cs nns, den großen achtzehnjährigen Jüngling zn bewegen, einen zweiten Versuch zn machen, um den Habicht zu fassen. So oft er versuchte diesem von hinten beizulommen, drehte sich der Habicht ebenso schnell herum, sich mit seinem Schnabel vertheidigend. Endlich hatte unser Tonchcn sich eine List ausgcdacht. Er zog plötzlich seinen Rock aus, warf ihn über den Vogel, band ihm mit seinem Taschentuche den Schnabel und die Augen zu und brachte ihn nun uns mit großem Triumphe. Die Sonne hatte bereits ihren Zenith schon lauge erreicht, als wir den 19. August glücklich in der reizend gelegenen Hauptstadt des Landes dcr don'schen Kosaken, inNcu-Tschcrkask(Nowo-Tscherkask), ankamen und bci der Sachkcnntniß meines Begleiters bald ein kühles Zimmer nnd einen mittelmäßig guten Mittags- 94 tisch fanden. Nen-Tscherkask war um Mittag wie ausgestorben, kein Mensch begegnete uns und alle Fenster waren durch Laden verschlossen. Es war aber auch eine drückende Hitze. Siebentes Capitel. Die don'schen Kosaken und ihr Land. Geschichte; Boden; Ackerbau; nomadisirende Kalmücken; Viehzucht; Schissfahrt auf dem Don; Kleidung; Gestalt der Kosaken; eine Verlobung; Gesang; Tanz; Hochzeit; Eigen-schasten des Kosaken; Veschästigung im Winter; im Frühlinge; Ostern; Vergnügungen; Auözug des Kosaken; Heimkehr; die Beschäftigungen der Knaben; die Jungfrauen und ihre Beschäftigungen; die Kuljutschka; Pfingsten; dad Spiel; die Konigin; Verehrung dfZDon; Vergnügungen auf ihm; Getränke und Speisen; Gastmähler; Toaste; Jagden. 33evor ich in der Erzählung der Begebenheiten meiner Reise weiter fortfahre, halte ich es für nothwendig, das Volk, unter dem ich mich jetzt gerade befinde, etwas näher zu charaktensiren, und um es in seinen Eigenthümlichkeiten aufzufassen, wird es gut seyn, wenn ich über seinen Ursprung einiges sage. In den Zeiten der mongolischen Wirren des vierzehnten bis sechzehnten Jahrhunderts im südöstlichen Europa, wo das große Reich Dschingischans in sich zerfiel, wo Timurs Herrschaft selbst nur von kurzer Zeit war, wo die Chane der Krim, abgesoudert von der goldenen Horde, die kaum dem Namen nach existirte, nicht vermochten Ruhe zu schaffen, wo Rußlands Fürsten unter sich in stetem Zwist und gedrückt von der Barbarei der Mongolen sich selbst kaum zu erhalten vermochten, wo oft niemand wußte, wer Herr, wer Diener war, und doch jedermann den Herrn spielen wollte, erschienen in den großen Steppen zwischen der Wolga und dem Don, im Norden des kaukasischen Gebirges und spater selbst längs der Küsten des asoff'schen Meeres bis an den Dnjepr kühne Abenteurer und versammelten um sich die tapfersten Manner der Gegend, gleichviel ob Mongolen, Türken oder Russen, um mit ih-uen Streifereien bis in die entferntesten Städte zu unternehmen. Bnltebeladen kehrten sie in ihre Heimatt) zurück, um auf neue Streifzüge zu denken. Die Genueser und Venetianer, welche da- 95 mals an den Küsten des asoss'schen und schwarzen Meeres Em-porien besaßen, reizten am meisten die Veutesucht dieser unsteten Banden. Es scheint, als wenn sie zuerst die Straße, welche den Kaufleuten Moskau's, Asoffs und Kassa s zu ihren Karawanen dienten, unsicher gemacht und dann ihre Macht weiter ausgebreitet hätten. Diese wilden und tapfern Banden führten den Namen Kosaken, und es scheint, da auch die Tscherkcssm noch heutzutage so von mehreren Nachbarvölkern genannt werden und die erste Burg der Kosaken den Namen Tscherkask führte, als wenn die elsten Kosaken Tscherkesscn gewesen wären. Karamsin meint zwar, daß sie sich wahrscheinlich von den Tscherkessen nur Frauen geholt hatten. Die christliche Religion der Kosaken beweist ferner, daß sie wenigstens nicht von Mongolen und den von Mongolen beherrschten türkischen Völkern abstammen, und demnach konnten die Kosaken nur Russen oder Tscherkessen, welche letztere zu jener Zeit zum großen Theil sich zur christlichen Religion bekannten, gewesen seyn. Die Tscherkessen trieben auch von jeher, wie wir weiter unten, noch mehr sehen werden, zu Lande und zu Wasser Räubereien, und behaupteten fortwahrend zum großen Theil wenigstens ihre Unabhängigkeit. Was Wunder demnach, wenn einzelne kühne Männer unter ihnen auszogen und gelockt durch den Reichthum Asosss, das nicht weit von den Gränzen ihres Landes lag, die Karawanen, welche dorthin gingen oder von da kamen, plünderten. Das freie ungebundene Leben sagte den Kosaken zu und mußte ihnen um so angenehmer seyn, als sie sahen, unter welchem Druck alle Völker ringsum schmachteten. In den ungeheuren Steppen am Don setzten sie sich fest und bildeten, ohne Weiber und Kinder, eine Art Republik. Die Steppe war ganz für sie geeignet, und mit ihren raschen Pferden entzogen sie sich schnell allen Verfolgungen ihrer Feinde, die vergebens versuchten ihrer habhaft zu werden. Es scheint, daß die christliche Religion der Hauptgrund gewesen ist, warum die Kosaken stets eine Vorliebe für die Russen hatten und ihre Raubzüge lieber in die Gebiete der Nogaier, in Taurien und selbst in Astrachan machten. Wahrscheinlich ist es auch, daß später, als die Kosaken sich mehr am Don festgesetzt hatten, Russen ihr unglückliches Vaterland aufgaben und den Raubzügen der Kosaken sich anschlössen. Mit der Zeit mag wohl die Anzahl 96 der Russen vorherrschend gewesen seyn, denn die russische Sprache wurde (bei denen am Don wenigstens) gesprochen. Die Großfürsten suchten immer mit den Kosaken auf freundlichem Fuße zu stehen und begünstigten insgeheim alle Raubzüge auf feindlichem Gebiete. Die Fürsten der Nogaier, die Chane der Krim und die Asower beklagten sich häufig bci dem jedesmaligen Großfürsten in Moskau über die Kosaken, die vorgaben russische Unterthanen zu seyn, erhielten aber stets die Antwort, daß die Russen wohl mit den Kosaken befreundet waren, sie aber diesen nichts vorzuschreiben hätten. Es scheint jedoch, daß auch die Freunde der Kosaken, die Russen, nicht geschont wurden, und von diesen bedrängt nannten sie sich wiederum Unterthanen des Sultans, der damals als Herr über ganz Taurien und über die Nogaier betrachtet wurde. Die Geschichte wenigstens sagt nns, daß Wasilji Iwanowitsch (Wilhelm oder Basilius, Johanns Sohn) einmal bei dem Sultan Klage über die Raubzügc der Kosaken geführt habe. Unter Iwan Wasiljewitsch (Johann IV, der Schreckliche genannt, Vasilius'Sohn) beschloß der damalige Hetman(Attaman, Anführer) der don'schen Kosaken, Sariasman, seiner Bande eine innere uud dauernde Einrichtung zu geben, nahm die Stadt Achas weg und legte das alte Tscherkask an. Um seiner neuen Schöpfung eine größere Dauer zu geben, erkannte er im Jahre 1552Nuß-lands Oberherrschaft an, und als eifriger Ehrist pflanzte er an die Marken seines Landes gegen Mohammeds Anhänger das Panier des Kreuzes auf. Sariasman, kühn und verwegen, bekriegte alle Völker mohammedanischen Glaubens und zwang Asoff, wenn es Nnhe haben wollte, ihm einen Tribut zu geben. Die Herrschaft Nußlands über die Kosaken war aber nur nominell. Mit der Macht der Kosaken stieg auch ihre Ranbsucht und häufig mußten auch die benachbarten russischen Städte unter ihren Naubzügen leiden ; die Schlauheit der Russen jedoch ertrug ruhig diese Erpressungen, um sich fortwährend die Freuudschaft dieser tapfern Nachbarn zu erhalten. Am meisten litt aber trotz des Tributes das reiche Asoss, das vergebens sich bemühte die Kosaken zu bezwingen. Häufig zogen scine Söldlinge aus und zerstörten die elenden Hüt-tcn ihrer Feinde, die halb in der Erde ebenso schnell wieder erbaut warm, als sie Zeit bedurft hatten, zerstört zn werden. Eine große Aehnlichkeit der Kosaken jener Zeiten mit den 97 Beduinen Arabiens »st kaum zu verkennen, und sie erstreckt sich selbst auf die Gebräuche, von denen sich leider nur wenige erhalten haben. Wie bei diesen war das Pferd und die Waffe der treue Begleiter des Kosaken und das erstere wurde wenigstens jedem Gliede der Familie gleich geachtet. Es schien als wenn das Pferd selbst in die Geheimnisse seines Herrn eingeweiht, ihn in allem dem, was er that und was er ausführte, nnte» stützte. Dem Winde gleich flog es über die ebenen Steppen dem Feinde, der sich nichts versah, entgegen, und eben so schnell, mit den Füsien kaum die Erde berührend, entzog es seinen Neiterj?der Verfolgung und jeder Gefahr. Lauerte der Kosak hinter einem Verstecke, hinter den mächtigen Staudeu und Sträuchern der Steppe, und wagte er, um durch kein Geräusch sich zu verratheu, kaum Athem zu schöpfen, so beugte das verständige Pferd seine Kniee, hielt den stolzen Kopf zur Erdö «nd zog nur langsam und ohue Schnauben die das Leben erregende Luft in sich. Gleich einem spähenden Falken streckte von Zeit zu Zeit der verborgcuc Kosak sein Haupt empor schnell nach allen Gegenden lugend, und die rechte Zeit fassend, stürzte er auf dem treueu Renner dem Feinde entgegen, ihm Gefahr und hausig den Tod bringend. So lebten die Kosaken frei und unabhängig unter ihrcnHet-manen, die für die Raubzüge zu sorgen hatten. Die tapfersten unter ihnen wurden zu Hauptleuteu (Iesaulo) ernannt uud von dem Hetman ausgescuder, um Kundschaft zu bringen und dann ihre Brüder mit der frohen Botschaft, dast ein Raubzug unternommen werden sollte, zu erfreuen. Nicht selten war es aber, daß einzelne unter ihnen nicht zufrieden mit den gemeinschaftlichen Streifercien anf eigene Rechnung auszogen und oft in weiten Entfermmgeu sich Beute hol-tcu. Mir der Zeit trennten sie sich ganz und gar. So entstanden nach und nach Kosaken am Dnjepr und au der Wolga, und besonders die letzteren waren es, welche unter Johann dem Schrecklichen die unverschämtesten Räubereien begingen, und trotz der eisernen Strenge Johanns und der Hinrichtung mehrerer Häuptlinge vermochte mau sie nicht zu bändigen. Was Gewalt nicht vermochte, verstanden schlaue Kaufleute, die so oft unter ihrer Raubsucht gelitten hatten, zu ihrem Vortheile zu benutzen. Zwei Mitglieder der reichen Kaufmanns-Familie Stroganoff, Reisen und Lmidcrbeschrsilnmqcn. XXI1I. 7 (Meise nach Kaukasien.) 98 Jakob und Gregor, hatten sich im äußersten Osten des damaligen Rußlands m Groß-Pcrm niedergelassen und den ganzen Handel mit Sibirien und China an sich gerissen. Sie hatten die erste Kunde von einem ungeheuren Lande im Osten, von Sibirien, nnd mit einem unternehmenden Geiste, der sie ganz beseelte, beschlossen sie, gleich dem Spanier Pizarro in Amerika, ihrem Großfürsten nene Lander zu erobern. Sie überredeten die beutelustigen Anführer mehrerer Kosaken-Banden an der Wolga, indem sie ihnen die Reichthümer der unbekannten Lander im Osten anpriesen. 540 kühne nnd tapfere Kosaken kamen „mit Freude zur Freude" bei den Stroganoffs an, nnd stellten sich unter das Commando ihres entschlossenen Hetmans Iemiak Timofejess—„ans unbekanntem Geschlecht, aber von vornehmem Gemüthe." Dazu hatten die Stroganoffs noch 300 Deutsche nnd Litthaner aus der Gefangenschaft der Nogaier losgekauft nnd für den sibirischen Zug bewaffnet. Mit dieser unbedeutenden Macht (wenn sie nicht in der Stroganoff'schen Chronik absichtlich, um die Eroberung noch glänzender zu machen, so klein angegeben ist, zumal eine andere Chronik, welche ein gewisser Simon Ramisoff geschrieben hat, das Heer auf 7000 Mann angegeben hat) wnrde in kurzer Zeit Sibirien unterworfen, und Johann bekam auf einmal die Nachricht von der Unterwerfung eines großen Landes, von dem er früher fast gar nichts geHort hatte. Die weißen Zare (wie die russischen Großfürsten von den tatarischen und mongolischen Stammen genannt wurden) snchten, seitdem die Macht der Mongolen gebrochen und Kasan und Astrachan russische Provinzen geworden waren, ihren Einfluß auf die Kosaken geltend zu machen, jedoch gelang ihre völlige Unterwerfung erst dem Zar Men'iMichailowitsch (Aleris, Michaels Sohn), nachdem dieser den Häuptling Stenko Rastn, der mit einem Heere von 200,000 Mann sich geradezn dem Zar entgegensetzte, geschlagen und gefangen hatte. Von dieser Zeit an wurde das Land der don'schen Kosaken als russische Provinz betrachtet und seine Bewohner unmittelbar unter die Befehle des Zars gestellt. Die Liebe zur ungebundenen Freiheit und die den Kosaken angeborene Neigung zum Kriege bewogen aber doch den Mens, ihnen mcl,-rcre Privilegien zu ertheilen, wonach sie ihre eigene militärische Verfassnng beibehielten. Trotzdem vergaßen sie aber nicht die 99 frühem, Zeiten, und als der kühne Schwedenkonig Karl XII Peter l in der Schlacht von Narwa besiegt hatte, überredete Mazeppa, der damalige Hetman, den Sieger in die südlichen Provinzen Rußlands , wo er allenthalben mit offenen Armen empfangen würde, zn kommen und mit ihm den gemeinschaftlichen Feind weiter zu verfolgen. Der unglückliche Ausgaug und das noch unglücklichere Ende Mazep? pa's ist zu bekannt, um alles noch weitlausig zn erzählen. Ein Fremder wurde ihnen von nun an zum Herman gesetzt, und viele feindlich gesinnte Häupter hingerichtet. So gebeugt und ohne Haupt wagten von uun an die Kosaken nicht mehr, ihre Freiheit sich wieder zu erkämpfen. Mit der Zeit gewöhnten sich die Kosaken an ein ruhigeres Leben, und um doch den kriegerischen Geist dieser kräftigen und mu? thigen Menschen zu erhalten, wnrdeu sie von den spätern Kaisern zur Bewachung der ausiersten Gränzen des Reichs benutzt. Aber immer regte sich in ihnen der Hang zur Freiheit und Ungcbundenheit, und uuter Katharina II wagte von neuem ein Kosak, Pugatscheff, die Fahne der Empörung auszustreckeu. Er gab sich für Peter lll aus, und verschaffte sich in Südosten des russischen Reiches vom Don bis au den Ural Anhang, der sich noch mehr vergrößerte als der verschmitzte Chlopka seine Partei unterstützte. Doch endlich wurde er zu Uralsk von seinen eigenen Leuten dem Fürsten Suworoff ausgeliefert und zn Moskau hingerichtet. Die französische Revolution machte die Kosaken im übrigen Enropa bekannter. Von derzeit an schlössen sie sich auch fester dem kaiserlichen Hause au, sich als die Hüter des Reiches betrachtend, und hegen jetzt für ihren Kaiser eine Anhänglichkeit, die fast in Vergötterung übergeht. Das kaiserliche Wort geht ihnen über alles und blindlings folgen sie jedem Befehl. Der Großfürst-Thronfolger ist Hctman dcr don'schen, 1» wie aller übrigen Kosaken und ernennt seine Stellvertreter. Das Andenken der frühereu Zeiten jedoch, wo die Kosaken die eigentlichen Herren Südrußlands waren, ist noch rege in ihnen, uud geru geben sie sich dem Andenken der Heldeuthateu ihrer Urgroßvater dahin. Tagelang ver-wögcu sie den Fremden mit den interessantesten Erzählungen ihrer thatenrcichcn Vorzeit zu unterhalten, und ihre Helden werden ebcn so sehr noch in Gesaugen gefeiert, als die Griechen die Helden des trojischm Krieges besangen. Es wäre wünschenswert!), wenn 7^ 100 jemand der lohnenden Mühe sich unterzöge, alle Erzählungen und Lieder, von denen nur ein kleiner Theil aufgeschrieben :st, zu sammeln. Sie würden hinlänglich Stoff geben, das interessante Leben der Kosaken der Vorzeit und Gegenwart aufzuhellen, und erlauben, tiefere Blicke in die Eigenthümlichkeiten der Steppe zu thun. Das Land der don'schen Kosaken wird nur wenig bebaut und würde wohl im Stande seyn, noch die vier- bis sechsfache Zahl von Menschen zu ernähren. Der Kosak, gebornerKrieger, liebt die Feldarbeit nicht und thut sie nur, weil ihn die Noth dazu zwingt; dann baut er aber nur so viel, als er eben zu seinem Unterhalte braucht. Anstatt die Steppen zu bebauen und da wo es geht sie zu bewässern, schweift er auf seinen Pferden in der Umgegend umher oder streckt sich auf einer schattigen Stelle auf den Boden, um sich dem süßen Schlafe, den er über alles liebt, zu ergeben. Das Land ist dnrchaus nicht so wasserarm, als es angegeben wird, da ausier dem breiten uno wasserreichen Don besonders noch der Choper, die Medwjediza, die Tschir, der Donetz und die Manütsch es durchstießen. Von großen Waldern ganz entblößt, regnet es im Sommer nur selten, und oft tritt eine Dürre ein, die meist die MonateIulius und August anhält und bisweilen schon im Iunius beginnt. Die Kosaken haben sich demnach auch nur an den Flüssen angesiedelt und bebauen dort das Feld. Wie leicht ließcn sich aber nicht Wasserleitungen anbringen, wenn thatige und betriebsame Menschen diese Gegenden bewohnten? Die große armenische Ebene, m der Eriwan und Etschnüadsin liegt, und die von dem Arares durchstossen wird, ist weit ärmer an Wasser, und doch verstehen oie fleißigen Armenier und Tataren durck Wasserleitungen dem Boden reichlichen Ertrag abzugewinnen. Bei dieser den Kosaken angebornen Trägheit war es früher nicht selten, daß Mißernten und mit ihnen Hungersnoth sich einstellten und dann eine große Menge Menschen dem Hungertode preisgegeben zu Grunde gingen. Um diesem nicht selten wiederkehrenden Elende vorzubeugen, legte seit einiger Zeit die russische Regierung große Magazine an und zwang die Kosaken nach jeder Ernte ein gewisses Quantnm Getreide in dieselben abzuliefern, von dem sie nun bei Unglücksfallen zehren können. So vermögen eine und selbst zwei Mißernten noch keine Hungersnoth her- toi vorzurufen. Und doch haben sich die Kosaken nur ungern und mit großer Ueberwindung in diese heilsame Maasircgel .gefügt. Außer den Kosaken durchziehen noch Kalmücken, besonders im Sommer, die Steppen des Landes mit ihren Heerden, und da sie nur so lange an einem Ort verweilen, als diese Nahrung daselbst finden, so führen sie dcn Namen der nomadisircndcn Kalmücken (!l0t5Lln'!ju5«w5Liii^ 1il»In,)'c1n). Ihre Heerdcn sind oft bedeutend und bestehen meist ans Hornvieh und Kamelen. Im Winter verlassen sie nun grosienthcils das don'sche Land und erwarten jenseits des großen Sees, der durch die Manütsch gebildet ist, in der Provinz Kankasien die Wiederkehr des Frühlings. Die Viehzucht der Kosaken ist unbedeutend und eben wieder nur so stark, als sie für ihren eigenen Bedarf hinreicht; desto mehr Sorgfalt aber widmen die Kosaken den Pferden, die ihnen oft hoher als Weib und Kinder stehen und mehr als diese gepflegt werden. Man findet dicst bei allen Völkern, wo das Pferd der treue Begleiter des Mannes ist. Eben so wenig der Kosak Ackerban liebt und treibt, eben so wenig versteht er den Don und die übrigen schiffbaren Flüsse zu benutzen. Und was sollte er auch ausführen? Hat er doch nichls, was er dem fremden Kaufmanne darbieten könnte! Nur gezwungen baut er einen schlechten Kahn, um auf das jenseitige Ufer zu gelangen, und hat ihm der Gott der Ernte einmal nach Abzug des Quantums für die Magazine noch Ueberflusi an Getreide gegeben, oder will er die Häute seines geschlachteten Hornviehes gegen Branntwein, Tuch :c. umtauschen, so verfertigt er sich eine kleine Art von Segelschiff, was aber kaum mehr als 12 — 16 Mann zu fassen ver-wag, kein Verdeck besitzt und in der Regel noch überladen wird. Auf ihm steuert er dem asoff'schen Meere zu. Der geringste Wind bemächtigt sich bald des leichten Fahrzeugs und schaukelt es hin und her, aber ohne Hand anzulegen, überläßt sich der Kosak furchtlos dem Geschick, das über ihm waltet und dem er nicht zu entgehen vermag. Der Glaube an das unerbittliche Fatum beherrscht den Kosaken eben so wie dcn Türken, und mit ihm stürzt er sich kühn jeder Gefahr entgegen. Jedoch unterlaßt er nie als frommer Christ von Zeic zu Zeit dabei den Schutzheiligen seines Landes , dcn heiligen Nikolaus, anzuflehen. Ich habe selbst gesehen, dasi Barken auf der Seite lagen und jeden Augenblick umzustürzen drohten. 102 der Kosak in ihr blieb aber ruhig auf seinem Sitze und blies, ohne eine Miene zu verziehen, Dampfwolken aus der kurzen Pfeife, als wäre eben gar keine Gefahr vorhanden. So wie das ganze Volk der Kosaken ans verschiedenartigen Vdlkem mit der Zeit sich gebildet hat, eben so verschiedenartig ist die Tracht. Zweifelsohne herrscht das tscherkessische Element in der Kleidung des Mannes sowohl als in der des Weibes vor, und noch heißt der Uebcrrock des ersteren Tscherkeska. Er ist von Tuch und unterscheidet sich von dem Nationalrocke der Tschcrkessen dadurch, dasi die Aermel wie bei dem Rocke der Polen aufgeschlitzt sind. Auch besetzen die Tschcrkessen ihren Rock vorherrschend mit Silber-, die Kosaken mit Goldtressen. Er ist kurz, wie man ihn auch bei denKabarden, aber nicht bei den Tscherkessen des Meeres findet und reicht kaum bis an die Kniee. Unter ihm befindet sich ein seidener Kaftan, der Agaluk der Kaukasier und Grusier, aber mit silbernen Knöpfen besetzt und durch einen reichgestickten Gürtel zusammengehalten. Auf dem Kopf trägt er eine hohe Mütze von breunendrothem Sammt mit Gold gestickt und mit Tressen besetzt. Die Frauen besitzen ebenfalls einen tuchenen, aber längeren Oberrock, die Kawmka, und unter ihr, aber kaum bis zum Knie reichend, das dem Agaluk analoge Gewand, den Kobelek, aber anstatt daß dieser durch einen Gürtel zusammengehalten wird, bedient man sich einer Art breiter Leibbinden, aber ebenfalls reich geziert- Von dem Knie an werden die meist weisiseidenen und weiten Beinkleider sichtbar. Der Kopfputz unterscheidet sich nnr wenig von dem der Russinnen und besteht ebenfalls aus einer Powjaska (einer Art Stirnbinde) von rosafarbenem Atlas, oder einer gewöhnlichen Kolpatschka von geblümtem Zeug und durch ein Tuch (Tor-gatsch) festgebunden. Nicht weniger verschieden als die Kleidung ist die Gestalt des Kosaken, und daher mögen wohl die verschiedenen Meinungen, nach denen die Kosaken bald einen schönen, bald einen häßlichen Menschenschlag bilden, entstanden seyn. Der ächte unvermischte Kosak aus rein rschcrkessischem Stamme hat eine hohe, noble Figur, und mit Würde gebraucht er seine schön geformten Glieder. Der starke, schwarze Schnurrbart zieht sich bis zum Kinn herunter-Aber je mehr türkisches oder wohl gar mongolisches Blut in seinen Adern fließt, nm so mehr treten die aufgedunsenen Glieder, 103 die hervorstehenden Backenknochen, die kleinen geschlitzten Augen und die gelbe Hautfarbe hervor. Eigenthümlich ist es aber, dasi das Ko-sakenmadchcn stets eine liebliche Erscheinung ist, und nur selten findet man unter ihnen häßliche Gesichter. Es scheint als wenn bei den Frauen der mongolische Charakter sich nie hatte ausbilden können. Auf meiner ganzen Reise habe ich nie Gelegenheit gehabt, unter den Frauen die gelbe Hautfarbe auch nur in geringem Grade zu beobachten. Alle hatten ein mehr rundliches Gesicht, dunkelbraune schlichte Haare, rothe Wangen und in der Regel kleine nette Füßchen und Hände. Ihr Betragen gegen Fremde ist offener als bei den Nnssinnen, aber auch strenger. Sie scherzen gern und necken häufig selbst den unbekannten Fremden. In der Regel sind sie auch mehr grosi als klein und deßhalb schon leicht vonden meist kleinern Russinnen zu unterscheiden. Es freute mich, als mir Gelegenheit gegeben wurde, hier der Feier einer Verlobung beizuwohnen. Einer der reichern Kosa-ken verlobte seine einzige Tochter mit dem Sohne eines Freundes' Die Bande der Freundschaft hatten die Väter seit ihrer ersten Jugend an einander geknüpft und in vielen Schlachten hatten sie nebeneinander für die Ehre und den Ruhm des Vaterlandes gekämpft. Als mit der Verbrennung Moskau's Napoleons Stern unterging, kämpften sie zuerst an der Veresina gegen den Feind des Vaterlandes und verließen nnter Anführung ihres Hetmans Platoff ihre heimathlichen Gefilde, nm den Erbfeind auf Leipzigs Auen zu bekämpfen und in seinem eigenen Reiche anzugreifen. Beide harten Paris gesehen und waren noch voll von den Wunderdingen, die sie dort gefunden. Aber Petersburg ist doch schöner! fügte der eine, stolz auf die Residenz seines Kaisers, den Erzählungen seines freundes bci. Das ganzcDorfwar Zeuge der feierlichen Handlung, welche heute die Kinder zweier Freunde an einander knüpfen sollte. Das geräumige Zimmer konnte kaun: die Gäste fassen, die in ihren mit Gold, Silberund Perlen reichgestickten Festgewändem nach und nach erschienen. Der Hausvater empfing mit der Hausmutter einen jeden herzlich, gleichviel ob er reich oder arm, hoch oder niedrig gestellt war. Zuletzt kam erst der Bräutigam und die Braut in Schmuck feierlich gehüllt. Ich habe nie geglaubt, daß die Kosaken einen solchen Reichthum von Edelsteinen und achten Perlen 104 besitzen, und ware die Feierlichkeit am Abend vor sich gegangen, um vieles prachtvoller hätte sich alles ausgenommen. Jedermann schien geblendet von dem Reichthum der Gewänder des Brautpaares und blickte doch unverwandt nach jenen hin, sich stets bekreuzigend. Der bei uns noch hie und da erscheinende Aberglaube, daß Hexen und überhaupt schlechte Menschen mit sogenanntem bbsem Blick durch ein scharfes Ausehen Unglück hervorzurufen im Stande seyen, herrscht im hohen Grade noch in Nnßland, und kein Russe sieht einen andern lange, gleichviel ob vor Bewuuderuug und vor Freude an, ohne das Zeichen eines Kreuzes zumachen, gleichsam als wollte er sagen, ich bin ein Christ und rufe nicht Unglück über dich hervor. Nach der stummen Bewunderung erfolgten E,r-llamationen, und Jedermann suchte den Eltern oder den zu Verlobenden etwas Freundliches mit süßen, oft bilderreichen Worten zu sagen. Bis dahin standen die beiden zu Verlobenden noch entfernt von einander und umgeben vou ihren nächsten Verwandten und Freunden. Nun ging die Mutter aufdie Tochter zu, faßte sie bei der Hand und stellte sie auf die linke Seite ihres künftigen Bräutigams. Die gute Frau war tief ergrissen durch die Feier des Tages und durch den nahe bevorstehenden Verlust der geliebten Tochter. Laut schluchzte sie auf, als der Vater die Haud seiner Tochter in die seines künftigen Schwiegersohnes legte und zu der crstcu mit heiterer Stimme sagte: „Tochter, hier ist dein Bräutigam und hier (indem er sich zum Bräutigam wandte), mein Sohn, ist deine Braut." Hiermit war die Verlobung proclamirt, und die Verlobten wurden feierlich als solche vorgestellt. Nun trat die Zeit der Glückwünsche ein uud die Frcnde erhielt schnell dadurch einen hohen Grad , daß der Bräutigam don'schen Wein herumreichen liesi, und die Brant selbst diesen den Gästen credenzte. Der Lärm dauerte eine lange Zeit, bis der Bräutigam ihm dadurch em Ende machte, daß er das übliche Geschenk, nämlich Geld, hier aus mehreren Goldstücken bestehend, der Braut überreichte und diese hocherfreut die blinkenden Münzen betrachtete. Das Geld soll bedeuten, daß den künftigen Eheleuten es nie daran fehlen möge, sondern im Gegentheil Ueberfluß daran hätten. Nun überreichte die Braut ihrem Geliebten einen Teppich, in den sie selbst mühsam freundliche Blumen gewirkt hatte. Nachdem alle die Geschicklichkeit der Braut hinlänglich bewundert hatten, begannen nun Verwandte und,Freunde ihre Ge- 105 105 schenke der Braut zu überreichen, und reichlich flössen ihr Ringe, Spangen, Powjaskcn, seidene Tücher u. s. w. zu. Der Wein hatte seine Wirkung nicht verfehlt und immer lauter wurde die Gesellschaft. Unter Begleitung der nur aus drei Saiten bestehenden Nationalzither, der Balalaika, wurden Nationalgesauge und ein Lied zu Ehren des Brautpaares abgesungen. Die Musik der Kosaken, wie im Allgemeinen auch die der Russen, besitzt etwas Eigenthümliches, ich möchte es etwas Melancholisches nennen, was besonders das Gemüth ergreift und leicht weich macht. Ich habe häufig spater Gelegenheit gehabt, Gesänge zu hören und m'chtallein in den Worten das Gemüth Ergreifendes gefunden, sondern noch mehr schien es mir in dem Tone, in der Stimme der Sänger zn liegen. Die Kirchcngesängc in der Capelle des Oberbefehlshabers in Tiftis wurden von Kosakenknaben und Männern vorgetragen und gefielen mir so sehr, daß ich nur ungern die Gelegenheit, sie zu hören, vers säumte. Ich zog sie nicht selten dann den gut und stark besetzten Capellen Petersburgcs vor. Tanz machte auch hier den Schluß des Festes. Indem Tanze des Kosaken, der ja auch hin und wieder bei uns getanzt wird, spricht sich das ganze Volk aus. Die Hände in die Seite gestemmt, steht der Kosak seiner Tänzerin entgegen, blickt frei und kühn um sich, und in seinen grotesken Bewegungen und oft schwierigen Sprüngen spricht sich die Kraft des ganzen Volkes aus. Trotzdem das weibliche Geschlecht bei den Kosaken nicht so untergeordnet und an den Willen des Mannes gebunden ist, wie bei den südlichen Nachbarvolkern und fast bei allen Orientalen, so hat das Mädchen doch bei der Wahl des Mannes, mit dem sie das Leben durchwandern soll, gar keine Stimme. Aber auch der Sohn wagt nicht gegen den Willen der Eltern eine Wahl zu treffen, sondern wartet in der Regel ab, wen ihm die Eltern zutheilen. Diese bereden sich mit den Eltern des Madchens, das sie für ihren Sohn auserlesen haben, nachdem sie in der Regel schon einen Verwandten als Freier abgeschickt hatten, und schließen untersichden Contract ab. Nun erst erfahren die jungen Leute, was ihnen bevorsteht, bekommen sich aber erst an dem Verlobungstage zu sehen. Die Verlobuug wird bei den Kosaken, und wenn ich nicht irre, auch bei den Klcinrussen mit dem Worte kukokit^ ausgedrückt, und dieses bedeutet wörtlich übersetzt Handschlag. tm Die Feier der Hochzeit ist nicht verschieden von der, wie sie bei den Russen gewöhnlich gefunden wird. Sie ist cm rein kirchlicher Act nnd schließt alle tobenden und lärmenden Vergnügungen aus. Die kirchlichen Ceremonien nehmen auch den größten Theil des Tages weg nnd gestatten nur, daß die nächsten Verwandten dem heilige» Sacramente, als welches die Trauung wie bei den Katholiken betrachtet wn d, beiwohnen. Die Verlobungsfeier und besonders der zweitägige Aufenthalt in Neutschcrkask gaben mir auch Gelegenheit, das Volk der Kosaken in ihren Eigenthümlichkeiten kennen zu lernen. Meine Beobachtungen wurden spater noch dadurch vermehrt, daß anf meinen Wanderungen durch Ossien und die transkaukasischen Länder nu'r Kosaken zur Begleitung beigegeben wurden. Ein heiterer Sinn und Sorglosigkeit sind die Attribute, welche die Kosaken vor allem anszeichnen. Kein Unglück, und wenn noch so groß, vermag den Kosaken ganz zu beugen, und unterstützt durch seinen Glauben an ein unabänderliches Fatum ertragt er die größten Leiden ruhig und ohne Murren. Ich habe Vater gesehen, die mit aller Liebe an ihren erwachsenen Söhnen hingen und doch ruhig die Nachricht von dem Tode derselben ertrugen. Nur auf wenig Stunden vermochte der herbste Schmerz die angcborne Fröhlichkeit ganz zn unterdrücken. Vald tauchte diese wieder hervor und erquickte mit ihren wohlthuenden Strahlen das verwundete Herz. „Sie sind im Kampfe fürs Vaterland gestorben," waren die Worte des Trostes, die der arme Vater sich selbst zurief. Alle sechs Jahre zieht der Kosak hinaus in die Fremde und bewacht für eine gleiche Zeit die fernsten Gränzen des russischen Reiches. Der daheim gebliebene bebaut die Felder, deren Ertrag ihm allein ohne alle Zehntabgabe gehört, und sorgt für die Viehzucht. Da er aber nur so viel Getreide baut, als er zu seinem Lebensunterhalte bedarf, so sind die Geschäfte, welche auf ihm liegen, nur sehr gering. Im Winter und im Sommer, nach der Vestellzeit bis zur Ernte lebt er müßig und gibt sich anch ganz der Unthätigkett und Sorglosigkeit hin. Die nicht sehr strenge, aber gleichmäßige Kälte des Winters fesselt den Kosaken in seinem Hause, und ohne Sinn zu einer geistigen Beschäftigung bringt er den größten Theil des Tages ebenfalls mit Schlaf zu. Auf schlecht oder gar nicht gegerbten Schaffellen streckt er sich hin und bläst, wenn 107 der süße Schlaf seine Augen flieht, ruhig den Tabaksrauch vor sich in die Luft, in seinem gedaukeulosen Brüten sich gefallend. So sitzt er oft mehrere Stunden lang, vor sich hinblickend, in eincr für ihn angenehmen Stimmung und Gcmüthsruhe. Nur bisweilen holt er seine Waffen hervor, besieht sie und reinigt sie, wenn auch kein Fleck daran zu erkennen ware. Die Kälte, die er nicht liebt, veranlaßt ihn noch mehr, das warme Zimmer nicht zu verlassen, mid so lebt er mit seiner Familie ziemlich abgeschlossen von der übrigen Welt. Mit dem Frühlinge, der allmählich sich einstellt, beginnt in dem Kosaken ein neues Leben und mit der erwachenden Natur erwacht auch seine Thätigkeit. Die lange Ruhe des Winters war ihm doch am Ende zum Neberdruß, und am ersten warmen Tage versammelt sich die ganze Stauitza auf einem freien Platze, des beginnenden freundlichen Wetters sich zu erfreuen. Die langen Fasten vor Ostern tragen noch dazu bei, die letzten Wochen des Winters zu verbitter» und den Frühling freudiger zu begrüßen. Ostern ist das Fest, was zum erstenmale Jung und Alt wiederum mehr zusammenführt. Der Ausruf c^iriztos wozkrsgg iChristus ist auferstanden), der durch ganz Rußland widerhallt, ist für die don'schen Kosaken das erste Zeichen einer allgemeinen Fröhlichkeit. Der Triumph, daß Christus die Sünde und den Tod durch scine Auferstehung besiegt hat, theilt sich der ganzen griechischen Christenheit mit, und jedermann begrüßt mit dem zwölften Glockenschlage den ersten Ostcrfeiertag. <^t'i5w» >vo8kr-t>83 ist die Vegrüßungsformel und ein Kuß der höchsten Freude über die Auferstehung des Heilandes besiegelt das Band, das die gemeinsame Religion um alle Rechtgläubigen, gleichviel ob Alt oder Jung, Rcich oder Arm geknüpft hat. Ein allgemeiner Jubel erfüllt die Luft, und diese Fröhlichkeit, wie sie begonnen, setzt sich durch das ganze Land fort, alle traurigen Gedanken verscheuchend. Die Freude über die Auferstehung ist zu groß, um nicht im Stande zu seyn, auch den größten Schmerz eines Gläubigen zu beherrschen. Buntgefärbte und gemalte Eier, die man sich gegenseitig nach dem Bruderkusse schenkt, tragen auch äußerlich das Gepräge der Freude und geben zu allerhand Ergdtzlichkciten Gelegenheit. 108 Die Feldarbeiten nehmen nach Ostern dem Kosaken nur wenig Zelt und es bleibt ihm noch genug übrig, der allmählich immer mehr entfaltenden Natur sich zu erfreuen. Vorzüglich des Nachmittags an einem Sonntag versammelt sich die ganzc Sta-nitza, Alt und Jung, auf der grünen und mit den schönsten Blumen geschmückten Steppe, um sich der Fröhlichkeit ganz hinzugeben. Nur die betagten Mütterchen bleiben daheim oder setzen sich vor die Thüre, um alles was vorgeht zu beachten. Nach dem Alter und Geschlechte theilen sich die Bewohner der Stanitza in Gruppen. Die Männer setzen sich in einen Kreis, rauchen ihr kurzes Pfeifchen und erzählen sich gegenseitig aus ihrem thaten-reichcn Leben. Der eine rühmet sich des Kampfes mit einem Tscherkejsen, wahrend der andere auch der Zeit gedenkt, wo ihr Kaiser siegend sie nach der Hauptstadt der gehaßten Franzosen führte. Mit beredter Zunge preist ein dritter die Thaten ihres geliebten Hctmans Platoff, und ein vierter erwähnt der schönen Zeit, wo ihre Vorfahren frei und unabhängig als Herren die Steppen Südrußlands durchzogen. So sehr anch der Kosak seinen Kaiser li.'bt und ehrt, so preßt dvch das Andenken an die frühere Zeit manchen Seufzer aus, und unwillig über die Unthatig-keit, in der zu verharren ihn jetzt die Umstände zwingen, flieht er oft die friedlichen Erzählungen der Cameraden, besteigt das treue Roß und stürzt sich hinaus in die weite Steppe, den Un-muth, der an seinem Herzen zu nagen beginnt, durch Jagd vertreibend. Die gelbbraune Saiga, die Gaselle der russischen Steppen, mit dick aufgeschwollenem, knorpeligem Schwänze und weiten Nasenlöchern ist dann meist der Gegenstand, an den der Kosak den angeborncn kriegerischen Sinn und seine Geschicklichkeit an den Tag legt. Die jungen Bursche, die noch daheim geblieben und noch nicht die Fremde erschauten, lauschen neugierig den Erzählungen ihrer Väter zu und sehen sehnsüchtig der Zeit entgegen, wo auch ihnen Thaten eröffnet werden. Doch erst müssen sie, solange das Vaterland nicht in Gefahr ist, ihre volle männliche Kraft erhalten und sich an der Hand eines treuen Weibes den eigenen Herd, der ihnen mit den Eltern gleiche Rechte gibt, erbauen. Und oft ruft das Geschick den glücklich Liebenden schon wenige Monden nach der Hochzeit von dem ehelichenLager, um auf sechs Jahre das 109 treue Weib und das theure Vaterland zu verlassen. Weinend, aber nicht murrend bringt selbst das geliebte Weib die blanken Waffen und cm kleines Beutelchcn mit heimathlicher Erde gefüllt. Die Mutter, die häufig schon solche Augenblicke erlebt, schnürt dem Sohne das Bündel und packt ihm noch von Leckerbissen ein, was die Vorrathokammer ihr darbietet. Die Kinder ergreifen das kurze Kissen, auf dem des Nachts das Haupt des Vaters ruhet, und schnallen es auf den hölzernen und kleinen Sattel. So zieht der Mann mit jugendlich frischem Muthe ails und gedenkt in fernem Lande der Lieben, die auch seiner gedenken. Ucberschlei-chct ihn in einer wehmüthigen Stunde die Sehnsucht, dann wendet er seine Blicke uach der Gegend hin, wo der Don seine Heimat!) bewässert und holt das Beutelchen mit vaterländischer Erde gefüllt und neben dem Kreuze auf seiner Brust hangend, hervor, um sich ganz in die heimathlichen Gefilde zu «ersetzen. Die Erde der Scholle, wo er geboren, ist ihm heilig und nichts vermag das theure Pfand semen Händen zu entreißen. Wirft Krankheit an den ungesunden Küsten des schwarzen Meeres ihn darnieder oder trifft ihn in offener Schlacht eine feindliche Kugel, dann holt er schnell den Talisman von seiner Vrnst, drückt ihn noch einmal an seine blassen Lippen und haucht in dem Gedanken an sein Vaterland und die daheim Gebliebenen sein treues Leben aus. Ruhig erwartet die Hausfrau die Stunde, wo ihr der Gatte wiedergegeben wird, besorgt in der Zeit alle häuslichen Geschäfte, und bcbaut den Acker, der ihr und ihren Kindern das nöthige Brod geben soll. Sie lebt nur ihren Kindern und zieht sich von jeder lärmenden Freude zurück. Und wenn nun der Vater sonnenverbrannt aus dem heißen Süden heimkehrt, um nun wieder sechs Jahre der Nnhe und des ehelichen Glücks zu pflegen, dann führt ihm die Mutter die Kinder zu uud alles jauchzt dem geliebten Vater entgegen. Und der Vater ist ihnen nicht fremd geworden, und selbst der uachgeborne Sohn, den die Mutter, als ihr Gatte auszog, noch unter ihrem Herzen trug, fühlt sich zu dem ihm unbekannten Mann gezogen uud stimmt dem allgemeinen Jubel bei. Doch nicht selten sind die Falle, wo das Gerücht einen Kosaken im Kampfe oder durch Krankheit umkommen lasit, oder wo der Kosak, in Gefangenschaft gerathen, erst später in seinem Vaterlande wieder an- iio 1l0 kommt und dann ill seinem Hause einen andern findet, der seine Stelle eingenommen hat. Die Regierung legt leider allen frühen Ver-heirathungcn von Wittwen keine Hindernisse in den Weg und begünstigt im Gegentheile dieselben, das Allgemeine, nicht aber das Specielle berücksichtigend. Wie traurig solche Ereignisse auf den Wiederkehrenden wirken müssen, ist nicht zu beschreiben, und trüge nicht wieder hier die den Kosaken angeborne Fröhlichkeit uud sein leichter Sinn dazu bei, leichter ein Mißgeschick' zu ertragen, solche Fälle konnten und müßten die schlimmsten Folgen haben. Schon von frühester Jugend au werden die Kosakenknaben für ihre dercinstigc Beschäftigung vorgebildet. Jeder Knabe ist Soldat, und es bleibt ihm gar nichts übrig, als das Kriegshandwerk. Bald nach der Geburt erhalt cr schon seine Lanze und Flinte. Schon zeitig lehrt der Vater seinen Sohn das Rost besteigen und es mit geschickter Hand dem Willen zu unterwerfen. Mit kleinen Lanzen spielt er täglich, macht sie sich zur Gewohnheit, und kaum vermag er die schwere Flinte zu regieren, so geht er schon auf die Jagd oder schießt nach der Scheibe. Alle seine Spiele sind Kriegsspiele uud endigen selbst nicht selten blutig. Keine Thräne aber wagt der Schwcrgetrossene zu vergießen, dcun ein allgemeines Gelachter würde nur seinen Schmerz vermehren. Kaum kann der Jüngling die Zeit erwarten, wo ilm das Vaterland ruft und ihn in die unwirthsamen Marken sendet. Im Kriege allein fühlt er sich in seiner Kraft und verwünscht deßhalb nicht selten die sechs Jahre der Uuthatt'gkeit, welche ihn an die Heimath fesseln. Selbst noch im hohen Alter ist ihm der Krieg das Element, in dem er sich nur bewegen will und kaun, und erreicht ihn der Tod auf der heimathlichen Scholle, dann bittet er, daß Lanze, Flinte, Mütze und die Nogaika*) hinter dem Kreuze auf sein Grab gestellt werdeu. Das weibliche Geschlecht ist weit mehr dem mauulicheu als bei uns untergeordnet, und der Mann ist im vollen Sinne des Wortes Herr in seiner Familie. Die Mädchen unterstützen die *) Nogaika ist die kurze Peitsche der Kosaken, welche unserer Reitpeitsche gleich nur von Reitern gebraucht wird. Sie hat einen lurzen kaum mehr als fußlangen Stiel, an der die ebenfalls kurze, dicht geflochtene und vorn breite Peitsche befindlich ist. . til Mutter in ihren Geschäften und werden der männlichen Jugend fern gehalten. Gemeinschaftliche Spiele sind selten und eigentlich nnr in der schönen Pfiugstzeit erlaubt. Während die jungen Bursche durch Soldatcnspiclc oder auf der Schaukel ihre Zeit vertreiben, sehen entweder die Madchen jenen zu und schäkern miteinander oder spielen ihre eigenen Spiele. Am beliebtesten ist die Kuljutschkc, ein Spiel, das unserm Versteck'cns am meisten ähnelt, aber unendlich mehr Gelegenheit zur Mannichfaltigkeit und zum Scherz darbietet. Alle Mädchen theilen sich nämlich in zwei Partien, und jedes der einen Partei sucht sich eine Freundin in der andern aus. Nun verstecken sich die einen und die andern suchen, aber jedes Mädchen hat nur die von ihr selbst bestimmte Freundin sich zum Ziele gesetzt und musi eben so lange suchen, bis sie wirklich diese aufgefunden hat. Die Aehnlichlcit in der Kleidung der Kosakenmädchcn gibt häufig zu Verwechslungen Anlaß, und da die Versteckten häufig ihre Standorte verwechseln , so geht oft eine geraume Zeit vorüber, bis jedes Mädchen seine Freundin gefunden hat. Mai und Juni, in die das heitere Pfingstftst fällt, sind die Monate, in denen auch die Kosaken am meisten sich der Fröhlichkeit hingeben und gemeinschaftliche Sorge für heitere Geselligkeit haben. Die Mädchen nehmen jetzt an den meisten Spielen der jungen Bursche Theil und stimmen in ihre Lieder mit ein. Die ganze Jugend zieht hinaus auf die Steppe uud verfertigt eine Krone für das schönste Mädchen. Feierlich wird diese damit gekrönt uud als Königin (Xai-iixa) verehrt. Alles drangt sich zn ihr und legt seine Huldigungen ihr zu Füßen. Die jungen Bursche wetteifern um ihre Gnust, denn sie erwählt ans ihnen den König, der bis zum nächsten Jahre in vielen Stanitzen großen Einfinß übt. Man übergibt ihr eine Kandcika (einen Krug) mit Mjod (Meth) gefüllt, und aus ihr reicht die Königin einem jeden der Reihe nach einen Labetrank. Nun setzt sie sich anf einen erhöhten Sessel, wahrend die Jugend sich rings um sie gruppirt und folgendes Liedchen singt: Gruscbizri, griisclnza moj,n ! Oruscliizn, selcnsljfi inoja I 1'od grusclicju djcwilzn stoJl, Sabawniija rjc|schi goworit: 112 112 * -.. Ach! nanetsche Italüja wremena! Suschat sehen choroschije muschja, A djewiischnli dalniie drusja; Wsaelta rljclFlia cebje druschal«a sascliila. Dalnij drug — bolschaja suehola, Blisehnij rlrug — wcselje sawscgda. Priswala rlruschha na tscliasolt pobüwat, Unjala jewo i notschlia notschusat, Uprosila nedjeluschka poschit, Prinusch dajct jewo siloju Ijubit-Usche silnju nsi bnrlu ja Ijubit, Po newolje ja nc butlu xolowat. Birnbaum, Birnbaum mein,*) Grüner Birnbaum niein. Unter einem Birnbäume stehr ein Mädchen, Scherzhafte Vorte spricht sie: Ach, was für feiten sind jetzt; Die braven Männer kranken die Frauen Und die fernen Freunde die Mädchen. Jedes Mädchen hat einen Freund sich gewonnen: Ein ferner Freund — ein fchnelles Dahinschwinden (wörtlich: eine große Schwindsucht), Ein naher Freund — immer Freude. Sie rief den Freund eine Stunde zu verweilen, Sie ersuchte ihn die Nacht zu bleiben. Sie bat, eine Woche (bei ihr) zu leben, Sie zwang ihn mit Gewalt zu lieben, Mit Gewalt werde ich nicht lieben, Gegen meinen Willen werde ich nicht küssen. In der Zeit blickt sie um sich und sucht sich den zum jungen Burschen, der ihr am meisten gefällt. Das Ende des Liedes ist auch das Ende ihrer Herrschaft, deun nun muß sie den Nachfolger (Na,-) erwählen. Eine grosie Stille tritt mit der letzten Sylbe des Liedes ein und jedermann blickt unverwandt auf die immer mehr crrdtheude Königin. Uud je länger sie mit ihrer Wahl zaudert, je verlangender wird der Haufen. Endlich steigt sie von ihrem Thron herab, ergreift ihre Krone, überreicht sie ^) Der Birnbaum ist für die don'schen Kosaken, so wie für die Russen das Zeichen des Kummers. N3 dem, der ihr am meisten gefallt und bringt die ersten Huldigungen dem neuen Könige dar. Die Bewohner der Stam'tzen, welche an dem Ufer des Don wohnen, lieben den Fluß ihrer Heimath und bringen auf ihm jahrlich, ebenfalls zur Pfingstzeit, fröhliche Feste zu. Er fließt nur langsam in der ebenen Steppe und führt deßhalb den Namen 1'ickoi Non (langsamer oder sanftfließender Don). Eine Menge Lieder gelten ihm und mehrere zeichnen sich durch ihren poetischen Werth aus. Leider besitzeich von folgendem nur die vier ersten Zeilen: Tictiij ]>on Sinij Don I schIrok I glubok etc, Stiller Don blauer Don und breit und tief:c. Häufig betrachten ihn die Kosaken sogar wie die Aegyptt'er ihren Nil, als den Spender der Fruchtbarkeit und verehren ihn in hohem Grade. Lacherlich ist aber, daß, da in Rußland ein jeder nicht mit dem Familiennamen, sondern mit dem Vornamen und dem Namen des Vaters gerufen wird, auch der Don, weil er aus dem Iohanns-See im Tulaischen Gouvernement entspringt, als Vater einen Iwan (Johann) erhalten hat, nachdem er nun Don Iwa-nowitsch (Don Johanns-Sohn) heißt. Der Name Johann ist auch, wie bei uns, bei den Russen sehr verbreitet, und um der einheimische Sitte zu fröhnen, werden Fremde, deren Vor- und Vaters Vor-Namen man weiter nicht kennt, Ioann Ioannowitsch genannt, sie mögen sonst heißen wie sie wollen. An einem schönen Mai- oder Imn'tage bedeckt sich der aanze Don mit schon geschmückten Barken, und Jung und Alt rudert fröhlich hin und her. Lustige Lieder erschallen von einem Ufer bis zum andern. Bildet der Don in seiner Mitte eine Insel, dann wird diese zum Ort des Vergnügens erwählt und dorthin werden Speisen und Getränke geschafft. Zwischen der Stanitza "nd jener Insel ist ein reges Leben, und die Barken gehen herüber und hinüber. Erst spät, wenn schon lange die Sonne untergegangen ist, trennt sich das lustige Völkchen und segelt seinen Hütten wieder zu. Die Speisen und Getränke sind durchaus wcht so einfach, als es vielleicht scheint, und bei großen Festen leisen und Llniwhsschveil>lm<,e!i. XXlll. g (Neise nach Kankasien.) N4 verstehen die Kosaken mit großer Kunstfertigkeit dle Tafel mit den verschiedenartigsten Gerichten aufzuputzen und ihr oft das seltsamste Aussehen zu geben. Dcr Kwas, das russische Natio-nalgettauk, ist erst seit kurzer Zeit in dem Lande eingeführt worden und wird nicht geliebt, dafür fmdet man aber Meth und Wein, an den Ufern des Don unterhalb Neutscherkask und bei der Zemljänskischen Stauitza bereitet. Vor allem liebt aber der Kosak seinen schlechten und leichten Branntwein und nächst diesem die tatarische Busa, von der ich sparer noch sprechen werde. Die Speisen sind zum Theil russisch, zum Theil aber auch orientalisch. Suppen sind noch nicht wie bei den Orientalen vom Tische verdrangt, aber unterscheiden sich wesentlich von den unseri-gcn. Die russische Sauerkraut- (oder, wie sie gewöhnlich geuaunt wird, Kohl-) Suppe, die I'tschi, wird zwar häufig und gern gegessen, der Kosak gibt aber seiner Pochlebka, einerArt flüssigen Pillaus und wie dieser aus Hühnern, Reis, Rosinen und Butter bereitet, den Vorzug. Wie bei den Orientalen ist das Hammelfleisch die Lieblingsnahrung der Kosaken, und wird dem Fleische aller andern Thiere vorgezogen. Nur ungern effen die Kosaken Rindfleisch. Mit vieler Kunst verstehen sie ein junges Lamm an dem Spiesie zu braten und dann auf einer großen Schüssel in seiner lebenden Stellung, anfallen vier Füsien stehend und den Kopf in die Höhe gerichtet, aufzustellen. Oft ist es von Blumen und Krautern so umgeben, daß es den Anschein hat, als weide es inmitten einer Wiese. Das Fleisch des Hammels wird aber auch noch auf verschiedene Weise zubereitet, und ebenfalls Lieblingsgericht ist die sogenannte Morkwa, die gleich dem russischen Borschtsch aus Fleisch, rothen Rüben oder Mohren und Speck besteht, aber anstatt des Rindfleisches der Russen bedienen sich die Kosaken zu ihrer Morkwa des Hammelfleisches. Wie bei den Russen, so fehlt auch nie bei den Kosaken auf der Tafel eine große Pastete Mrog) mit Fisch oder anderem Fleische gefüllt. Die don'schen Steppen liefern aber in Menge Rebhühner und Wachteln, und so zieht der Kosak diese auch bei uns so sehr beliebten Vogel vor, seinen Pirog damit zu füllen. Milchspeisen liebt der Kosak mehr als dcr Russe und er besitzt verschiedene Arten, die aber alle mit Ausnahme der beliebten Sjusma einem europäischen Magen nicht schmecken werden. Wie die BoNvinje der Russen mir stets zuwi- »13 der war, so konnte ich mich nie an die Ureh der Kosaken, einem Brei aus Hirse nu't saurer Milch bereitet, gewöhnen- Wie ich es später auf dem kallkasischen Gebirge fand, so nehmen auch hier bet Gastmählern die Toaste einen großen Theil der Zeit weg. Als gute Unterthanen bringen die Kosaken den ersten dem Kaiser; aber im hohen Gefühle ihrer eigenen Kraft und Würde schließen sie sich unmittelbar dem Toaste selber an: „Sdrawstwui Zar Gosudar fKrcmcnoi MosUwc, a mu Donsluje Kosn hi na ticltom Done" („Es lebe der Kaiser, Herr im Kremeu'schen (steinigen) Moskau und wir don'sche Kosaken am sanftsiießenden Don") sind die Worte, welche der Vornehmste zuerst ausruft. Aber noch nicht zufrieden damit, erschallt ihnen allein häufig noch ein zweites Lebehoch: Sdrawstwui Woisho DonsLoje s'werchu doni&u i s'nisu do werchu." f„Es lebe das don'sche Kriegsland (Heer) von dem Hohen bis zu dem Niederen und von dem Niederen bis zum Hohen.") Ist der Hctman gegenwärtig, dann gilt ihm der dritte Toast, uud nun geht es so weiter, bis in der Negel ein jeder einen Toast gebracht oder erhalten hat. Der Lärm bcl einem solchen solennen Mahl erhöht sich mit jcdem Toast und der reichlich gespendete Wcin tragt zur stets läutern Fröhlichkeit bei. Das größte Vergnügen finden die Kosaken aber in der Jagd, dem Ersatzmittel des Krieges in den sechs Jahren ihres Zuhause-bleibens. In den früheren Zeiten stellte der Hctman wie bei den Mongolen unter Dschingis-Chan große Treibjagden (bei den Kosaken Ol,ll>ü genannt) an, um in den Zeiten der Ruhe, besonders "n Winter, die Krieger in steter Thätigkeit zu erhalten und ihnen fortwährend Gelegenheit zu geben, ihre Geschicklichkeit, ihre Kraft und ihren Muth zu üben. Auf gleiche Weise wie uns Petit de la Crok in seiner Geschichte von Dschingis-Chan (S. 226) erzählt, wurde cine große, durch Anhöhen, Wälder und Flüsse durchzogene Strecke der Steppe von oft mehreren tausend Menschen umstellt und lärmend und tobend der Kreis immer enger gezogen, bls er selbst so dicht war, dasi kein Thier mehr durchbrechen 8* 116 konnte. Nun suchte sich der Hetman eine Anhöhe aus, von der er den ganzen Kreis übersah und die tapfersten Jünglinge und Männer, „die edle Schaar im Glänze der Waffen gehüllt, rückt vor," wenn „zuletzt in enge Ebenen eingeschränkt, — umzäumtes Feld, ersehen zu blutiger That, — Amphitheater, weit ruhmwürdiger noch, — als Rom sich einstens rühmt. — Nun tönt der Trompeten lauter Schall; der Schrei — begieriger Heere durch den Kreis rund um — und wild Geheul der Bestien innerhalb — Schallt weit am Himmel! Pfeile fliegen, Tod — aufSchwin-gen von Speer' entstiegen jedem Arm. — Zorn schnaubt die Bestienschaar, von mancher Wunde — beblutet ganz und gar." Nichts konnte wohl auch geeigneter seyn, als eine solche Gulba, den kriegerischen Sinn der Kosaken zu erhalten und zu erhohen. Die schnellfüßigen Gasellen (Saiga) und die Scharpanm (verwilderte und nicht wüklich wilde Pferde) bieten die meiste Gelegenheit dar, die Behendigkeit von Roß und Reiter zu erhöhen. Mit einer einzigen Waffe, der Schlinge, versehen stürzt sich der Kosak, wie er eine Saiga oder einen Scharpan erblickt, diesem nach und sucht ihn im Rennen so weit einzuholen, daß es ihm möglich wird, die Schlinge dem Thiere um den Hals zu werfen. Gelingt es ihm, dann schleppt er rasch das gefangene Thier mit sich und legt es zu den Füsieu seines Hetmans, innerlich erfreut auf das Lob seines Führers. Die eigentlich wildenThiere, Bareu, Wölfe und Schweine machen die Jagd gefährlicher und nehmen mehr den Muth und die Kraft des Kosaken in Anspruch. Denn nicht immer trifft die Lanze das gereizte Thier todllich und „geschwellt von Schreckenswuth — blitzt Gluth das Auge und auf die junge Schaar -^ Sie drecken schrecklich" — doch „gestreckt nun auf den Grund, — das Ungeheuer knirschend liegt, und sein — faul Blut entstellt die grüne Flur.*) Es mag wohl am Ende keinen erfreulichen Anblick mehr geben, wenn die gereizten und zum Theil verwundeten Thiere angstlich hin und her fliehen und endlich dem sichern Tode entgegengehen. Immer neue Kämpfer treten in den Kreis und losen die ermüde- *) Samerville's Jagd in Malcolms Geschichte von Persien, übersetzt pon Spazier Vd. l. S. 262. 117 ten ab, bis endlich alles Thierisch-Lebendige getodter ist. Nun begibt sich die ganze Iagerschaar zum Hctman. Laut ruft er die Tapfersten mit Namen und fordert sie auf, an dem Gastmahle der Helden Theil zu nehmen. Diese Jagden, wie ich sie eben beschrieben, werden jetzt nur noch sehr selten und dann nur in verkleinertem Maasistabc ausgeführt. Es fehlt der Hetman, der aus ihnen selbst stammt, selbst Kosak ist und sie zu dergleichen treibt. Häufig geht aber noch der Don'schc Kosak einzeln und in Gesellschaft aus, um seiner Lieblingsbeschäftigung, der Jagd, nachzuhangen. Achtes Gapitel. Neife van Veu-Gscherkask bis Stauropol. Neu-Tschettaöt: Kalmülen; Abreist; die V»da00Kalmükcn und zwar Derbeten mohammedanischen oder christlichen Glaubens. 5) Die übrigen Kalmüken leben vorzüglich im Saratoff-schcn und Astrachau'schcu Gouvernement, und bringen nur eine kurze Zeit und zum geringen Theil in Cis-Kaukasicn mit ihren Heerdcn zu. Dazu kommt noch: 6. die in Ciskaukasien selbst stationirte Militärmacht, bestehend aus: 1) 857 Cavalleristen. 2) 1976 Artilleristen und 3) 9828 Infanteristen, befehligt von 4) 989 Obcrofficieren. Ciökaukasicn bildet ein schmales Land von 66,000 Quadrat-Wersten oder (im Allgemeinen 7 Werst auf eine geographische Meile rechnend) von l430 Qnadratmeilen, und besitzt die grösite westöstliche Länge von i und «.mderl'c'schlsi^mgl'!!. XX111. 9 (Neise nach Kankasien.) t30 Abassen, Kalmüken und Truchmenen besonders mit Viehzucht, die Groß- und Klein-Russen hingegen mit Ackerbau sich beschäftigen. Alle diese wohnen deßhalb vorzugsweise in Dörfern oder führen ein herumziehendes Leben. In den Städten leben außer den Angestellten hauptsachlich Armenier, Grusier und kasan'sche Tataren, und in ihren Handen befindet sich der ganze Handel. Jede Stadt besitzt ihren eigenen Basar, auf welchem die Kaufleute und Handwerker ihre Buden, in denen sie zu gleicher Zeit arbeiten, besitzen. Um den Handel zu heben, sind in den Hauptstädten Jahrmärkte eingerichtet, zu denen auch viele Kaukasier kommen. Ciskaukasien ist i'n vier Kreise (l^ezäü*) getheilt, von denen ein jeder seinen Kreishauptmann (»ki-n^nij I^t^allnk) besitzt. Die Regierung hat ihren Sitz in Stauropol und wird durch einen Civilgouvcrneur (damals Baron von Taube) präsidirt. Dieser steht unter dem Befehlshaber der ciskaukasischen Truppen-Con-tingente (damals Weljaminoff), der durch den Geueralgouverneur der kaukasischen Länder (des Kasskaskij Krai) und Oberbefehlshaber aller um und in dem Kaukasus stehenden Truppen (damals Baron von Rosen) cvntrolirt und befehligt wird. Die Einnahme in allen vier Kreisen betrug im Jahre 1837: 1) an directen Abgaben: 545,959 Rubel, 2) an indirecten Abgaben, erhoben durch Stempelpapiere, Pässe :c. 632,280 Rubel, 3) an Trank-., besonders Branntweinsteuer: l,28l,900 Rubel. Die Totalsumme aller Einnahmen belauft sich daber fast auf 2V2 Millionen Rubel—eine Summe, die gewiß nicht unbedeutend genannt werden kann. Der Stauropol'sche Kreis erstreckt sich im Westen vom Lande der Kosaken des schwarzen Meeres bis an eine Linie, welche man vom Manütsch-See (Ilmen) grade südlich herunterzieht, und bildet im Norden Steppen, welche besonders von Nogaiern *) Die Kreise Ciskaukasiens führen an. Im Norden des Mosdok'schen Kreises, besonders am Flüßchen Gorkoi, wohnen wiederum 9000 und zwar sogenannte Gorskische Nogaier, nämlich 4700 männlichen und 4300 weiblichen Geschlechtes in 1560 Filzhüttcn, und rechnen sich zu den Stämmen Dschemboilnk (Dschembuluk russ-, Dschembulat bei Klaproth), At-schikulak und Iedisan. Wenig starker sind die sogenannten Nogaier des Kalaus, dem Stamme Dschemboiluk angehorig, und bestehen aus 6000 männlichen und 5100 weiblichen Geschlechtes. Sie wohnen in N00 Filzhütten an beiden Ufern des Kalaus im Pjatigorskischen Kreise. Die Nogaier der Fünfberge (Beschtau), 4000 Seelen stark und zwar 2050 männlichen und 1950 weiblichen Geschlechtes, nehmen in 600 Filzhütten die Gegenden der kaukasischen Bäder um den Beschtau im Süden des Pjatigors-kischen Kreises ein und gehören zu den Stammen Iedisan und Iedischkul. Endlich haben noch mit 1200 Filzhütten 5300 Nogaier Kasbulat (Kaspolat Pall), Mangüt (Mangut oder Mamsgut Pall.) und Sabli, und zwar 2600 männlichen und 2600 weiblichen Geschlechts den Schwarzwald von Temnoljesk bis Pjatigorsk inne. Die transkuban'schen Nogaier gehören den Stämmen Naurus und Kassai an und bestehen aus l 6,000 Seelen. Die ersteren bewohnen die nördlichern Gegenden zwischen der Laba und dem Kuban, und die letzteren hingegen die zwischen dem Urup und Kuban. Von dem einst mächtigen Stamme Kassai sind die eben genannten, welche sich nach einem ihrer frühern Fürsten Mansu-^n nennen, die einzigen Ueberbleibfel. Noch gegen das Ende bes vorigen Jahrhunderts war der Stamm mächtiger und bestand "ach Güldenstadt allein aus 8000 Familien. General Medem ^'sprengte aber ihre Horde uud versetzte einen Theil an die Kuma, bou wo sie dann nördlicher an den Kalaus sich begaben und mit be« dort ansässigen Nogaiern verschmolzen wurden. Außer diesen genannten Nogaiern en'stiren noch einzelne Un- *) Klaproth nennt fälschlicherweise den Stamm Nedischkul, s. dessen Reise nach dem Kaukasus Bd. l. S. 283. und früher, 282, nennt er emen andern Iedikul. 142 terstämme im Kaukasus und zwar besonders in Dagestan, und stehen dort unter einzelnen Fürsten, die nicht zu ihrem Stamme gehören. Da mir nicht vergönnt war, jene Gegenden selbst zu besuchen, so übergehe ich sie ganz und überlasse ihre nähere Bezeichnung einem spätern Reisenden. Wie wir aus der Geschichte der Nogaier gesehen haben, bilden sie ein gemischtes Volk, entstanden aus türkischen und mongolischen Stammen, und da bald das eine, bald das andere Princip vorherrscht, so ist ihre Constitution und Physiognomie sehr verschieden. Da sie außerdem mit andern Volkern häufig in Berührung gekommen sind und die der Kuban z. V. wenigstens m den beiden letzteren Jahrhunderten gemeinschaftlich mit den Tscher-kessen handelten und sich gegenseitig verheiratheten, so wird es schwierig, von ihnen eine allgemeine Beschreibung zu geben- Von den wolhensischen, die ich nicht gesehen, schweige ich und beschränke nn'ch daher nur auf die kubanischen und ciskaukasischen, mit welchen letzteren die der kleinen Nogai (der nogaischcn Steppe nördlich von der Krim) große Aehnlichkeit haben. Die Nogaier Ciskaukasiens tragen noch am meisten das Gepräge ihrer mongolischen Abstammung, bilden einen kleinen untersetzten Menschenschlag und unterscheiden sich eben dadurch hinlänglich von den Kalmüken. Bei einer Große von 5 — 5'/? rheinl. Fuß sind ihre Glieder abgerundet und voll, wahrend der Unterleib wie bei den östlichen mongolischen Volkern überwiegend entwickelt ist. Da zugleich auch die Brust breit und muskulös ist, so tritt die Stärke des Bauches weniger entschieden hervor. Der Kopf trägt noch sehr das mongolische Gepräge und ist weniger groß als breit, von oben etwas zusammengedrückt und fast viereckig. Die Stirn ist unbedeutend, desto mehr treten aber die Backenknochen hervor. Die Augen sind klein, weniger als bei den Kalmüken geschlitzt, schwarz, und haben einen scharfen durchdringenden Blick. Die Nase regelmäßiger als bei den Kalmükcn, bleibt aber doch etwas zusammengedrückt und an der Basis breit, hat jedoch bei weitem nicht ein solches häßliches Ansehen wie dort. Der Mund ist groß und wird von mittelmäßig dicken Lippen eingeschlossen; das Kinn ragt spitz hervor und die großen Ohren stehen wie bei den Kalmüken ab. Der Bart ist mittelmäßig oder unbedeutend, und wird am gewöhnlichsten als Schnurrbart ge- 143 tragen. Das schwarze Haupthaar wird wie bei allen mohammedanische« Völkern geschoren. Ein kurzer Hals verbindet den Kopf mit dem Rumpfe. Die Beine sind nur wenig oder gar nicht gekrümmt. Die Hautfarbe ist ihnen eigenthümlich und erscheint Mehr als ein Graubraun, denn als Orangengelb, wie es beiden ächten mongolischen Völkern der Fall ist. Ganz verschieden von den ciskaukasischen Nogaiern sind die transkuban'schen. Durch ihr Zusammenleben mit Tscherkeffen und Abassen hat sich ihre kleine Statur verloren und die meisten transkuban'schen Nogaier gleichen den crstern hinsichtlich ihres Körperbaues. Dic Hautfarbe ist zwar ebenfalls heller, aber besitzt immer den gelbbräunlichen Anstrich. Das Auge ist klein aber weniger geschlitzt, und die Nase erscheint ziemlich regelmäßig gebildet. Hinsichtlich ihres Temperamentes besitzen die Nogaier wenig Aehulichkeit mit den Kalmüken, unter denen sie dock) früher zum Theil standen und mit welchen sie vielfache Berührungen hatten. Im hohen Grade trage und mit einem großen Widerwillen gegen alles, was Arbeit heißt, bringen sie den ganzen Tag in Müßiggang bei ihren Heerdcn zu. Den Frauen verbleibt die ganze Hauswirthschaft. Von jeher an das herumziehende Leben gewöhnt, ist ihnen dieses selbst zur zweiten Natur geworden, und nur im Winter vermögen sie ruhig eine längere Zeit an einem und demselben Orte zu verweilen. Die russische Regierung hat alles gethan, um sie an ein festes Leben zu gewöhnen, aber nur wenige erst sind von den Vortheilen, welche feste Wohnorte darbieten, über-zeugr worden. Hie und dasind eine Art von Dörfer, Auls, entbanden, aber in ihnen den ganzen Sommer zuzubringen, wird den Nogaiern schwer, und plötzlich gibt einer der Bewohner da? burch das Zeichen des Aufbruches, daß er feine Filzhütte abbricht. Seitdem den einzelnen Stämmen ihr bestimmtes Terrain überge-bcn worden ist, müßen sie sich auf dem ihnen angewiesenen Raum bewegen und dürfen die Gränzen ihres abgesteckten Gebietes nicht "erlasse. Im Sommer ist das Leben rege, im Winter hingegen höchst lkaurig. In den engen Filzhütten bringen dic einzelnen Glieder ^uer Familie ihre Zeit ruhig zu und sehen sehnsüchtig einer war-^m Jahreszeit entgegen, in der sie weniger Leiden ausgesetzt sind. 144 Um das dürftige Feuer in der Mitte kauert Alt und Jung und kehrt von Zeit zu Zeit die vor Frost erstarrte Sekte dem wohlthätigen Feuer zu, während nun die andere allmählich wieder erkaltet und, von Kleidungsstücken oft nur wenig geschützt, der eisigen Kalte im Januar preisgegeben ist. Die Nahrung ist karg, und wie das Vieh durch die schlechte Winternahrung abmagert, so nehmen auch die Menschen an Stärke ab, und erscheinen gegen das Ende des Winters abgefallen und trotz der bräunlichen Gesichtsfarbe blaß. Das Leben hat große Aehnlichkeit mit dem aller nomadisiren-den Völker, und ich übergehe deßhalb eine nähere Beschreibung desselben. Im Allgemeinen beschäftigt sich der Nogaier viel mit der Viehzucht, und diese ist bei ihm zu einer Hohe gediehen, wie ich sie kaum bei den Kalmüken gefunden habe. Es gibt viele Familien, die mehrere tausend Stücke Rindvieh uud Pferde besitzen. Kamele findet man nur einzeln, und ebenso ist die Anzahl ihrer Schafe verhältnißmäßig gering. Im Jahre l837 betrug die Auzahl der einzelnen Heerdcn wie folgt: i. die mosook'schen Nogaier mit Pferde. ^,000 Rindvieh. !»ljM0 Schafe. ^ 225,000 lamele. 2 2. die qorskischen Noqaier mit 4,200 15,000 8,400 — 3. dk kalaus'schen Nogaier mit 7,700 27,000 22,000 4. die Veschtau-Nogaier mit 2,000 11,500 10.200 5. die Schwarzwald-Nogaier mit 2,800 11,300 8,200 — 54,200 157,8I1N 273,8m» 8 Ehe ich das Volk der Nogaier verlasse, will ich nur noch einige Worte über die Enareer Herodots und Hippokrates' erwähnen, da Reineggs. Potocki sPototzki) und Klaproth sie hierher versetzen. Diese Enareer waren Skythen, die als Eunuchen auf die Welt kamen und ohne Weiber zu seyn alle weiblichen Dienste verrichten mußten. Nach Herodot soll Kythere für die EntHeiligung ihres Tempels in Askalon in Syrien durch die Skythen die Nachkommen der Tempclschänder mit dieser Strafe belegt haben. Diese Enareer oder Choß, wie sie Potocki nennt, sollen frühzeitig altern, runzlich werden und zeitig alle Barthaare verlieren, wodurch sie ganz das Ansehen alter Frauen, denen sie auch nack Reineggs gleich gekleidet seyn sollen (dem aber Klaproth widerspricht), erhalten. Was genannte drei Herren bewogen hat, die Enareer, nachdem sie über 2000 Jahre schon der Vergessenheit übergeben worden 145 waren, wiederum und zwar unter den Nogaiern aufzusuchen, bemühe ich mich vergebens herauszufinden. Enareer (Weiblinge)*) gibt es unter allen Völkern, wenn wir eben Manner, bei denen das Zeugungsvermögcn nicht vollständig entwickelt ist, verstehen; und solche die es verlieren, sind im Oriente, wo eben es erlaubt ist mehrere Frauen zu nehmen und die Manner frühzeitig sich zu Grunde richten, zahlreicher als bei uns. Beiderlei Manner altern frühzeitiger und erhalten in Physiognomie und Gestalt das Ansehen bejahrter Frauen, von denen sie, wenn die Kleidung es nicht verrath, schwierig von der Ferne zu unterscheiden sind. Das; die Häßlichkeit bejahrter Personen bei allen Völkern, in dc-^len mongolisches Blnt fiiesit, mehr als bei denen der europäischen Race hervortritt, braucht nicht erörtert zu werden. Von einer besondern Krankheit weiß mau aber am ganzen Kaukasus nichts, und mit Recht sagt selbst Klaproth, daß auch die Türken in Kleinasien Manner ohne Varthaare Choß nennen; demnach sind auch die Chost des Grafen Potocki nichts weiter als solche weibische Männer. Die Enareer der Griechen sowohl als auch der genannten drei Reisenden sind in das Vereich der Fabeln zu thun. Weit entfernt bin ich aber drei solche ehrenwerthe Reisende geradezu der Lüge zu beschuldigen und glaube rccht gern, daß es ihnen irgend einmal erzählt worden ist, besonders wenn sie darnach gefragt haben. Auch mir wurde es einmal auf meine Frage bejahet, als ich aber mich mit meinen eigenen Augen überzeugte, war eben dic Sache ganz anders. Mit den Erzählungen der Orientalen muß man vorsichtig seyn, besonders wenn diese wissen, daß man sich belehren will. Wie oft hat man mir auf die abgeschmackteste Weise Namen erklärt oder Ereignisse erzählt? Es bildete sich auf der Reise am Ende der Grundsatz in mir fest, nicht eher etwas zu glauben, als bis es von drei ganz verschiedenen Seiten bestätigt worden war. Möglich, daß mir dadurch manches entgangen ist, aber sicher bin ich dadurch vielen Unrich-lt'gkeiten ausgewichen. Ob allen? bezweifle ich trotzdem noch. Das zweite nomadisirende Volk Ciskankasiens sind die Truch-menen. Diese Truchmencn hält man in der Regel für die noch unverfälschten, unvermischten Nachkommen der Turaner oder Tür- *) 5 Vurdach die Physiologie als Erfahrungswissenschaft Nd. 1. S. 220. Vd. 3. S. 321. Nnsen und Länd«beschr.'iw>MN. XXIII. 10 (Netse nach Kaukasie«.) 146 ken, eine Behauptung, der ich geradezu widersprechen muß, da gerade die Truchmenen die vielfältigsten Berührungen mit den Mongolen hatten, und mongolisches Blut reichlich in ihnen stießt. Ihre Beherrscher sind bis auf den heutigen Tag noch Mongolen, die sich durch türkisches und persisches Blut veredelt haben. Die Turaner sind ein Theil der Skythen oder die Sake» der Alten und bilden eine eigene Race, die zwar zwischen Mongolen und Europäern (gleich den finnischen Volkerschaften) steht, aber den Europäern oder den dazu gehörigen Persern mehr als den Mongolen gleicht. Von jeher nahmen sie die Ost- und Nord-Westküste des kaspischen Meeres und die meisten südlichen Provinzen Rusilands und vor allem Kiptschak ein, und nicht unwahrscheinlich ist es, daß der im Süden Ciskaukasiens stießende Terek nach Eichwald von seinen Be» wohnern den Namen hat und als achter Türkenstuß, gleich der Kuma als achterKumanenstuß, zu betrachten ist. Der Name Truch-mene, Turkmene, Turkomane, Taurmcne oder Tcrekmcne hängt genau mit Türke zusammen, und wenn auch das zweite Wort, aus dem Truchmene zusammengesetzt ist, nicht „ähnlich" bedeutete, so dürfte uns die Endung „mane oder mene" ebenso wenig auffallen, wie bei den Komanen. Die höchst interessante Geschichte der Truchmenen, welche aus ihrem alten Vaterlande Turan oder dem heutigen Turkestan jenseits des kaspischcn Sees alle Jahrhunderte Eroberer aussandten, die mehr als einmal den persischen Thron einnahmen und ihn jetzt wiederum besitzen, die mehrere mächtige Reiche in Westasicn gründeten und daselbst allenthalben zerstreut vorkommen, übergehe ich als zu wenig wichtig für die Beschreibung Ciskaukasiens und als zu schwierig für einen Laien der Geschichte Asiens. Die Truchmenen Ciskaukasiens nehmen die ostlichen Steppen ein, und wohnen zerstreut fast durch den ganzen kisljar'schen Kreis. Sie hatten früher einige Gegenden am Iaik iune und wurden von Donduk Ombo, dem Chane der dort einst mächtigen Kalmüken des torgutischen Stammes, unterjocht. Bis zur Flucht des Chans bewohnten sie fortwährend die Ufer des Iaik, weigerten sich aber ihrem Oberherrn zu folgen und wurden später von den Russen an die westliche Küste des kaspischen Meeres versetzt. Pallas schildert sie als sehr wohlhabend und reich an allerhand Vieh. Durch die gemeinschaftliche Religion 147 mit den Nogaiern verbunden stehen sie mit den mosdokschen in bestem Vernehmen. Im Jahre 1837 nomadisirten im kisljarschm Kreise 9600 Truchmenen lmd zwar 5300 männlichen und 4300 weiblichen Geschlechts mir fast l900 Filzhütten und besaßen an Vieh wie folgt: 1) an Pferden 15,500 Stück, 2) an Homviel, 5,500 — 3) an Kamelen 7,500 — 4) an Schafen 56,300 — Summa 85,800 Stück. Ich komme nun zu den Kalmüken, dem dritten in Ciskauka-sicn nomadisirenden Volke, was uneigentlich Hieher gehört, da der größte Theil nur deu Winter über iu den südlichem Gegenden Wohuplätze sucht. Sie theilen sich in vier große Hanpt-siämme: Torguten, Choschoten, Songaren und Derbeten, und spielten erst mit Dschingis-Chan in der Geschichte eine Rolle. Die Torguten erschienen zu Anfaug des I7ten Jahrhunderts zwischen den Flüssen Iaik und Iemba und unterwarfen sich scheinbar dem russischen Scepter, gegen den sie spater feindselig auftraten. Im Jahre 1662 breiteten sie sich bis an die Wolga aus und ihr Chan Ajuka wurde noch mächtiger, als 25,000 Derbeten im Jahre 1673 und spater im Jahre »675 noch 7500 Choschoten zu ihm kamen. Peter der Große versuchte nicht umsonst deu Chan an sich zu ziehen, und im Jahre 1696 nannte sich zwar der letztere Unterthan des russischen Kaisers, war aber frei von allen Abgaben. Es scheint als wenn die Unterdrückung der fanatischen Mohammedaner, von denen sie seit Timur viel zu leiden gehabt hatten, das Band gewesen sey, das die Kalmüken mit den Russen verband; denn das gute Vernehmen zwischen beiden Völkern wurde selbst da nichr gestört, als viele Kalmüken sich taufen ließen und die Russen offen erklärten, daß sie jeden annahmen, der sich taufen lassen würde. Ajuka führte mit kräftiger Hand die Zügel der Negierung und übergab nach seinem Tode (1724) dieselben seinem zweiten Sohne Tschereu-Douduk, der aber nur mit der Unterstützung Rußlands sich auf dem Throne erhalten konnte. Einer seiuer Neffen, Don-duk-Ombo, der Ansprüche machte, war gezwungen, mit seinen 10 " 148 Anhängern an den Kuban zu flüchten. Um sich der russischen Regierung dankbar zu zeigen, nahm Tscheren-Donduk die christliche Religion an und verlor dadurch alles Ansehen bei seinem Volke. Hiermit war den Kalmüken auch Gelegenheit zum Mißtrauen gegen Rußland gegeben, und klar wurde es ihnen, daß ihre Religion gefährdet sey. Vergebens suchte Nußland fernere Reibungen dadurch zu vermeiden, daß es den Proselyten, welche mit ihren, ihrer Religion treu gebliebenen Brüdern sich nicht mehr vertragen konnten, entferntere Wohnplatze anwies und diesen im Jahre 1737 im Sl'mbirskischen Gouvernement die Stadt Stauropol erbaute, sie dadurch ganz mit jenen außer Verkehr setzend. Vergebens suchte Tscheren-Donduk das Zutrauen seines Volkes wieder zu erhalten, daß er zum Lamai'smus zurücktrat, er verlor dadurchnnr auch noch dieAchtung und denSchutz Rußlands. Unzufriedenheit regte sich, und um dieser ein Ende zu machen, sah sich die russische Regierung genöthigt, den geflüchteten Donduk-Ombo von dem Kuban zurückzurufen und ihm 1738 das Chanat zu übertragen. Doch leider lebte er nur kurze Zeit und starb schon 174!, nachdem er 30,000 Truchmenen sich unterworfen hatte. Nach ihm setzte die russische Negierung den tapfern Donduk-Daschi, einen Enkel Ajuka's, einstweilen als Vice-Chan ein und belohnte ihn im Jahre 1756 mit der Würde eines Chans. Er regierte weise, und unterstützte Rußland in seinem Kampfe mit den Nogaiern. Uncer ihm kamen auch 20,000 Congaren an und unterwarfen sich stiner Herrschaft. Leider starb er aber schon im Januar 1761 und sein Sohn Ubaschi folgte ihm unter dem Titel eines Vice-Chans. Nur von der Gewalt gezwungen entsagte Zebek-Doischi, ein Enkel Dondnk-Ombo's, seinen Ansprüchen auf den torgutischen Thron und lioffre dadurch nicht allein seine ehrgeizigen Plane zu erreichen, sondern zu gleicher Zeir sich auch an der russischen Regierung zu rächen, daß er den Ubaschk überredete, aus Roßland zu fliehen. Die Flncht der Kalmüken im Januar 1771 bleibt doch noch t>in-sichslich ihrer Ursachen ein Geheimniß, so sehr sich auch Bergmann in semen nomadischen Streifereien V. l, Seite l46 :c. bemüht, sie aus obigen Gründen zu erklären. Bis zum Jahre 1769 war Ubaschi erklärter Freund der russischen Negierung, die er sich durch seine glücklichen Kämpfe gegen Nogcncr nnd Tscherkessen verbindlich gemacht hatte, und schickle noch kurz vor seiner Flucht 149 den tapfern Kalmüken Momotubascha mit 5000 Mann den Russen zu Hülfe. Er selbst ging mit 30,000 Mann den Rußland feindlichen Kubanern und Tscherkeffen entgegen und schlug sie in einem bedeutenden Treffen am Kalaus. Um so mehr muß es nun auffallen, daß kurz darauf im Herbste 1770, gerade in einer Zeit wo Katharina II den Herrscher der Kalmüken mit dem Titel eines Chans beehren wollte, von Ubaschi der Plan gefaßt wurde, heimlich aus dem russischen Gebiete sich zu entfernen. Daß Zebek-Dorschi großen Antheil an der Auswanderung gehabt, unterliegt wohl keinem Zweifel, mehr aber scheint die Geistlichkeit, deren herrschsüchtige Priester den Uebertritt der Kalmüken zur christlichen Religion und das Ausheben von Recruten unter ihnen weissagten, dabei gethan zu haben. Endlich trug noch das rohe Benehmen des damaligen Pristaffs (Aufsehers) der Kalmüken, Ktschinskoi, gegen Ubaschi bei, die Flucht zu beschleunigen. Alle Warnungen , die zum Theil selbst von Kalmüken ausgingen, wurden nicht gehört, und so verließen km Januar 1771 40— 60,000 Kalmüken ihre Wohnplätze, um nach der chinesischen Gränze in ihr ursprüngliches Vaterland, die Songarci, zu ziehen. Ich übergehe die weitere Verfolgung der Kalmüken, ihr Unglück auf dem Wege und ihre gute Aufnahme von Seiten des chinesischen Kaisers, und erwähne nur noch, daß zwei Ulnsse der Torguten Zi--l'ehzechor und Erkctum wiederum umkehrten, und Derberen und Cho-schoten freudig der Auswanderung ihrer Brüder uach sahen, da sie nun wieder unabhängig wurden und nicht mehr das Joch der Tor-guten zu ertragen hatten. Wohlweislich hielten sie die Kunde der Auswanderung geheim. Die zurückgebliebenen Kalmüken wurden von nun an streng beaufsichtigt, ihre eigene Gerichtsbarkeit ihnen genommen, und sie unter ein russisches Gericht, vor dessen Forum alle Streitigkeiten gebracht werden mußten, gestellt. Die Bestrebungen der russischen Regierung gingen ferner dahin , diese nomadisirenden Volker auf irgend eine Weise an die Hei-math zu fesseln, wohl wissend, oaß sie nur erst dann nützliche und sichere Unterthanen seyn könnten. Vergebens versuchte sie aber das herumschweiftnde Leben ihnen nach und nach abzugewöhnen und stellte umsoust diesem alle Hindernisse entgegen. Die machtigsten Fürsten wnrden nach Petersburg gelockt, wo sie alle Annehmlich- 150 kelten eines festen Wohnortes kennen lernen sollten; aber alle Vergnügungen der kaiserlichen Residenz vermochten nicht ihnen die Annehmlichkeiten des Steppenlebens zu ersetzen, und unzufriedener als je mit der russischen Regierung kehrten sie nach ihren Filzhütten zurück. Die Errichtung von Gouvernements im ganzen russischen Reiche 1775 schrankte die Steppen, welche die Kalmüken bis dahin besasien, ein, nnd erregte neues Mißtrauen unter den Zurückgebliebenen. Die Pugatscheff'sche Rebellion in derselben Zeit trug anch dazu bei, die zurückgebliebenen Kalmüken abzuziehen, und nur durch die Unterstützung eines Seitenzweigcs der herrschenden Familie der Devbeten bei der Thronbesteigung und dnrch die spatere Ernennung eines Gliedes derselben, des Tschutschci, zum Chan, erhielt sich Rußland die Kalmüken. Mir Tschutschci (der 1(803 starb) wurde der Titel eines Chans aber ganz aufgehoben. Alle neuern Versuche sie zu festen Wohnsitzen zu bewegen, sind bis jetzt gescheitert. Da aber mehrere Horden nicht mehr ihre eigenen Fürsten besitzen und unmittelbar unter kaiserlichen Statthaltern, die zwar großtentheils Kalmüken sind, stehen, so wird es der folgenden Zeit vielleicht ehrr gelingen. Die Ursache dieses Stre-bens liegt in der Verachtung des Ackerbaues, den nach ihren Begriffen nur Sklaven verrichten, und in der Furcht, daß die russische Negierung, sobald sie einmal feste Wohnsitze haben, aus ihnen Nccruten nimmt. Außerdem ist die Religion und der durch diese hervorgerufene Aberglaube den Bemühungen der Russen hinderlich. Die Torguten, zn denen in der neuesten Zeit ein großer Theil der Ausgewanderten wiederum gekommen ist, haben sich jetzt in mehrere Horden getheilt, bewohnen die Ufer der Wolga im Sara-toff'schen, und die Steppen der Sarga und der Wolga im Astra-chan'schen Gouvernement und ziehen zum Theil (die Iandykischc und Erketische Horde) den Winter über in die Kumasteppe, wozu ihnen, ohne von der ciskaukasischen Regierung eine besondere Erlaubniß erhalten zn haben, das Recht zusteht. Von den Choschoten haben sich nur wenige auf dem linken Ufer der Wolga oberhalb Astrachan erhalten. Die Derbctcn, der Stamm, welchen ich kennen lernte, ha- !5l ben nie in der Geschichte eine bedeutende Rolle gespielt, gehören aber trotzdem zu den tapfersten nnd raub süchtigsten Kalmüken. Sie kamen, wie wir schon oben gesehen haben, unter der Regierung des Chans Ajuka im Jahre 1673 an, und ihr Taid-schi (Fürst) Solom Zeren Batur stellte sich unter Ajuka's Befehle. Seine Nachkommen lieferten die herrschenden Taidschis bis zur Zeit der torgutischen Flucht, wo nun eine Seitenlinie, welche ihre Abkunft von einem Bruder des Solom Zeren Batur ableitete, zur Regierung des Stammes gelangte. Um sich diesen mehr zu verbinden, ernannte Katharina den Tschutschei, einen Neffen des letzten Taidschi Zenden, zum Chan. Mit seinem Tode wurde aber, wie schon gesagt, der Titel eines Chans aufgehoben. Die Derbeten hatten von jeher die westlichen Ufer der Wolga inne und zogen sich schon 1723 in die Steppen zwischen dem Don und der Kuma. Als mit der Errichtung der Gouvernements unter Katharina 1l die Kalmüken in ihren Wohnplatzen verengert wurden, nahm ein grosser Theil die Gegenden zwischen dem Don und der Manütsch ein und verband sich, ohne aber ihr Nomadenleben aufzugeben, mit Don'schen Kosaken, in deren Lande, als zu ihnen gehörig, sie nun noch sich befinden. Die übrigen wohnen um Saratoff herum und in den nördlichen Steppen des Pjatigorskischen und Stauropol'schen Kreises. Die letztern theilen sich jetzt in zwei Horden, in die grofie und kleine. In Ciskaukasien hatten die Kalmüken vielfache Berührungen mit den ebenfalls nomadisirenden Nogaicrn und nahmen zum Theil die mohammedanische Religion an. In diesem Falle führen sie den Namen Shercten, und im Jahre 1838 betrug die Anzahl ihrer Fklzhütten 200. Auch in der isetischen Provinz des orenburgischen Gouvernements befanden sich zur Zeit Georgis (s. dessen Beschreibung aller Nationen des russischen Reichs S. 419) 50 Familien mohammedanischer Kalmüken. Ferner befinden sich in Ciskankasien auch christliche Kalmüken und zwar 800 mannlichen und wahrscheinlich eben so viel weiblichen Geschlechts mit 325 Filzhütten. Die Anzahl der Kalmüken habe ich nicht ermitteln können, aber die Zahl von 28,162 Filzhütten, welche Suboss in seinem 152 kaukasischen Gemälde allein für Ciskaukasien angibt, ist viel zu grosi, und wahrscheinlich ist es, daß er viele Nogaier-Horden für kalmütische gehalten hat, zumal er unter den Nogaiern nur die Stämme der Veschtan- nnd der Kara-Nogaier nennt, nnd der Iedissanen, Dschembulat :c. gar keine Erwähnung thut. Als zur mongolischen Race gehörig, vermögen die Kalmü-ken an und für sich keine Ansprüche auf Schönheit zu machen, aber trotzdem gibt es unter ihnen einzelne, die durchaus nicht von der nationellcn Körperconstitution so entstellt sind, als es gewöhnlich der Fall ist. Ich sah junge Frauen, über deren schlanke Figuren nnd regelmäßige Gesichtszüge ich mich selbst der Verwunderung nicht enthalten konnte, und gewiß hatte jeder Stutzer unserer galanten Welt ihrer Schönheit Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wenn die Ausbildung des Körpers bei den Kalmüken nicht so viel Hindernisse fände, so würde die von uns angenommene Häßlichkeit des genannten Volkes um vieles schwinde». Schon die Frauen, deren Körperbildung nicht durch das Reiten in ihrer Norm unterbrochen wird und deren Glieder einer mehr geregelten Bewegung, da auf ihnen alle Arbeiten ruhen, ausgesetzt sind, erscheinen nie so häßlich als die Männer, welche entweder reiten oder schlafen, aber nie weit gehen. Das immerwährende Reiten mit der dabei einseitige» Bewegung und die außerdem totale Ruhe des Körpers hat nach und nach diesem die jetzige Deformität gegeben, und was früher, wie die Krümmung der Schenkelknochcn, nur durch die Gewohnheit, hier durch das Reiten hervorgerufen wurde, ist nach und nach so in das innere Leben, indem es vom Vater auf den Sohn sich fortpflanzte, übergegangen, daß die Knaben in der Rcgcl schon mit nach innen gekrümmten Schenkeln, die sich durch das Wachsthum, wie bei unsern Kindern, nicht strecken, geboren werden. Der Körper des Kalmüke» ist mehr hager als dick und seine Statur mehr klein als groß. Beim Manne sind die Arme weniger muskulös als bei den Frauen, die den ganzen Tag über thätig sind. Der Oberarm besonders ist schwach und mager, nnd leicht fühlt man die starken Knochen durch die geringe Fleischlage. Die Finger sind ebenfalls mager und erscheinen dadurch länger. Die Bein? sind stets bogenförmig nach innen gekrümmt, bei dem Manne und bei dem Knaben, selbst wenn der letztere nicht auf 153 dem von den meisten Reisenden angegebenen Löffel (den ich übrigens nie gesehen habe) reiten müßte. Die Knie vermögen sie nur mit großer Mühe oder gar nicht zusammenzubringen. Der Fuß erscheint stets klein und nett geformt. Der Oberschenkel ist muskulös, wahrscheinlich durch das Reiten nnd die dadurch nothwendige Anstrengung der Schenkclmuskcln bedingt. Vei den Frauen haben die Beine eine gerade und regelmäßige Bildung, und wenn unter den Kindern, die stets nackt herumlaufen, die Knaben unbeholfen auf der Erde sich bewegten, waren die Mädchen schneller und stinker. Am ungeschicktesten sind die Knaben der Vornehmen, weil sie selbst in der Zeit, wo sie bei uns lange schon gehen können, noch in ihrem Wiegenkorbe oder vor dem Feuer in der Filzhütte bewegungslos liegen und von Zeit zu Zeit durch ein Zetergeschrei ihre Gegenwart kund geben. Der Aberglaube gestattet ihnen nicht die Erde so bald zu betreten, damit die He^en und bösen Geister, welche diese bewohnen, ihnen nicht schaden können. Auf einem mittelmäßigen, doch mehr kurzen Halse sitzt der rundliche, sehr selten ovale, häufig aber breite Kopf. Während bei dem Europäer und bei der europaischen Race die Stirn mehr nach oben sich ausbildet, geschieht dieß hier mehr nach der Seite. Die Backenknochen haben ein entschiedenes Uebergewicht. Bei dem Manne, bei dem das Gesicht magerer ist, stehen sie mehr hervor, als bei dem Weibe; und weil hinter ihnen die Gestalt des Kopfes sich häufig senkrecht abschneidet, bekommt dieser nicht selten ein mehr oder weniger viereckiges Ansehen. Die Lippen sind dick und aufgeschwollen, das Kmn unbedeutend und die Nase klein, an ihrer Basis breit und von oben etwas zusammengedrückt. Die Augen erscheinen geschlitzt. Die Augenhöhlen sind länglicher, daher auch die Augen kleiner erscheinen. Ganz schwarze Brauen, nicht sehr dicht, ziehen sich über denselben gleichförmig hin. Die Ohren besitzen eine mehr rundliche Form, stehen weit ab und zeichnen sich durch ihre Große aus. Das Haar ist stets schwarz, kräuselt sich nie, hängt gerade herab und ist rn'chlich (beim Manne auch am ganzen Körper) vorhanden. Der Bart ist mittelmäßig und stets läßt der Kalmük sich einen Schnurr- und Zwick'elbart stehen. Der Backenbart ist ihnen unbekannt und das Haar daselbst unbedeutend; findet man daher Priester, die das Bart- 134 haar in seiner ganzen Ausdehnung nicht beschränken, so sieht'man dieses vor den Ohren nur schwach, unter dem Kinn hingegen wiederum starker. Die Frauen stechten ihr langes schwarzes Haar in zwei (wenn sie verheirathet) oder in mehrere Zopfe (wenn sie lcdig sind). Bei dem mannlichen Geschlechte hingegen wird das Haupthaar fast ganz abgeschoren und nnr ein Kranz um die Stirn und ein Büschel auf dem Scheitel bleibt stehen. Die Hautfarbe besitzt selbst bei zarten Kindern einen gelben Anstrich und ist durchaus nicht so blendend weiß, wie sie von vielen Reisenden angegeben wird. Die unreinliche Lebensart, die Nacktheit der Kinder bis zu ihrer völligen Entwickelung und der immerwahrende Rauch in den Filzhütten ruft jene schmutzig gelbe Färbung hervor, wie wir sie an den Kalmükcn zu sehen gewohnt sind. Jungfrauen und junge Frauen der Vornehmen geben aber in der Eitelkeit unsern europäischen Damen nichts nach. Eben so sorgsam als jene pflegen sie ihren Teint und verstehen ihr schönes, wenn auch schlichtes Haar in glatte Flechten zu bringen. Leider verunstaltet die orientalische Sitte, die Schminke dicht aufzutragen, oft die schönsten weiblichen Gesichter. So anmuthig ich aber häufig junge Frauen fand, so widerlich waren mir die älteren, die schon zeitig ihre jugendlichen Reize verlieren. Die Häßlichkeit der mongolischen Korperform tritt überhaupt bei alten Frauen und Männern in hohem Grade hervor. Von allen mongolischen Völkerschaften sollen die Kalmüken die lebhaftesten seyn, und wirklich lieben sie in hohem Grade die Geselligkeit und den Frohsinn. Häufig statten sie sich untereinander, aber immer zu Pferde, Besuche ab und theilen frendig ihre besten Leckerbissen mit dem ärmsten Menschen, gleichviel ob er Kalmük oder Russe ist. Gegen die orientalische Sitte sprechen sie viel, und nie sieht lnan sie, selbst nicht eine kurze Zeit, lautlos auf ihrem Platze verharren. Neugierig wie sie sind, interessirt sie jedes Geräusch, uud der Fremde hat sich ihren ermüdenden Fragen zu unterwerfen. Da die Frauen von der Oessentlichkcit nicht so abgesperrt sind, tragen sie nicht wenig bei, die Fröhlichkeit unter ihnen zu vermehren. Die vielen Feste (Mazak, ein Wort, was nicht, wie einige Reisende behaupten, ein bestimmtes Fest, sondern Fest überhaupt bedeutet), welche die Religion ihnen vorschreibt und die in jedem Monat dreimal (den 6. als Taka, den 155 !5. als Luh und den 30. als Choim) sich wiederholen, geben ihnen stets von neuem zur Fröhlichkeit Anlaß, und singend verleben die Frauen meist die Tage der Ruhe und des Müßiggangs, als welche ihnen die Festtage gelten. Gilftes Gapitel. Beschreibung der Neise von Stauropsl bis IekaterinograÄ. Quartiere; Beschreibung Stauropols; seine Geschichte; Sitz der Regierung; Vasar; IahrmarNe; Oewässer um die Stadt; Gefangene; mutl,vo!les Unternehmen zweier ^mienf^saten; Waldungen; Ausfiug längs der Atschla zum Kalaus; Alt-Marieffta; Äoustantinoffta; ein Halinüken-Uluß; Aufnahnie und Vehandlung in demselben; schone Kalnniiin; Kugulta; Dörfer auf dem nördlichen Abhang deö Kchwarzwalbes; 6lri,-wonitschf'a; Palagiada; Michailuffla; Antunst in Stauropol; mein neuer Reisegcsell-schaftcr; Abreift; der Echwarzwald und seine Ausbreitung; erste Ansicht des «Kaukasus vom Na'ubcrwaid aus; Alcrandria; die Knorpelberge; Nogaicr^Ulus,; Sabljah ; Abenteuer; Mrdr; oieorgicssi't; Ausgang der Sonne; Veschreibung vo« Gerrgirffst; daö Fluß? chen Kura; -biye des Tageö; die Malla; Ie!ateri>n'grad. Das schönste Wetter begünstigte meinen Aufenthalt in Stau-ropol und erlaubte mir einige interessante Wanderungen in die reizenden Umgebungen zu machen. Ich war aber auch glücklich, daß ich nicht gezwungen war, die vier Tage meiner Anwesenheit in meinem Stalle zubringen zu müssen. Ein kleines enges Zimmer wurde mir mit meinem Reiscgescllschafter und seinen Anempfohlenen im Gasthausc angewiesen und der erste Blick in dasselbe lehrte mich, daß wohl schon viele Reisende hier logirt haben mochten, bevor es gereinigt worden war. Der Schmutz des Bodens ließ kaum die ursprüngliche Farbe der Dielen erkennen; vier Stühle, ein hölzernes schadhaftes Kanape und ein Tisch waren die Meubels, welche es zierten. Weder ein Spiegel noch eine Gardine, um den draußen auf einem vorgebauten Gange Spazierenden die Einsicht in das Zimmer zu verwehren, fanden sich vor, und beständig bewegten sich Gaste, da unser Wirth auch Traiteur war, vor meinen Fenstern vorbei, mich nnd meine Sachen neugierig beaugelnd. Besser als das Logis, für welches wir taglich vier Rubeln Ass. zu bezahlen hatten, war die Bewirthung, und die schmackhaft zubereiteten Speisen würden mir um vieles rnchr gemundet haben, wenn der Zufall mich nicht mehrmals der Küche vorbeigeführt und mir das Innere mit sei- 156 nem Personal, was nicht in hohem Grade der Reinlichkeit huldigte, gezeigt hätte. Auch war es nicht angenehm, daß dicht lieben der Küche das Appartement, was am weitesten davon entfernt seyn sollte, sich befand und daß sich die Gaste, welche aus der Küche erst mit Speisen versehen worden waren, fast ununterbrochen dahin bewegten. Das Wirthohaus war übrigens viel besucht und bis spat in die Nacht horte man tobenden Lärm. Leyerkasten trugen noch dazu bei, die Fröhlichkeit der Gesellschaft zu unterhalten. Den ersten Tag meiner Ankunft (22. Aug.) brachte ich damit hin, Stanropol selbst mehr in Augenschein zu nehmen. Diese Hauptstadt Ciskaukasiens liegt an einer Anhöhe, welche zu dem sogenannten Scheb-Karaagatsch (Schwarzwald) geHort, dem Gebirge, das sich von den schwarzen Vorbergen des Kaukasus nördlich vom Elbrus zwischen dem obern Lauf der Kuma und des Kuban durchdrangt, und wurde, als man im Jahre l,7.77 eine Verteidigungslinie von Mosdok nach Ncu-Tscherkask führte, erbaut. Anfangs war es nur eine von jenen kleinen Festungen (Kreposten), welche zum Schutz der Linie dienen sollten, und erhielt, da es die stärkste war, den Namen Stauropol, Kreuzstadt. Sie wurde gleichsam als Panier der christlichen Religion mitten unter Mohammedanern aufgepflanzt, wie schon früher die oben genannte Stadt gleichen Namens an der Wolga mitten unter den Lamaiten erbaut wurde. Im Jahre 1782 erhielt die Festung, indem vor ihr eine Art Vorstadt erbaut wurde, bedeutenden Zuwachs, und als ein Ukas (ein kaiserlicher zum Gesetz erhobener Befehl) sie sogar 1785 zur Stadt mit besonderen Rechten erhob, wurde Stauropol, das auch durch seine Lage begünstigt ist, bald für Ciskaukasien sehr wichtig. Auf den Hohen des Schwarzwaldes gelegen, war seine Lage auch gesund und in strategischer Hinsicht von großem Vortheil, weil man von hier aus leicht die unruhigen Bewohner der Steppe im )aum halten und den zwischen Kuban und Kuma offenen Theil des Landes leichter gegen die Einfalle der Bergvölker schützen konnte. Die Wichtigkeit des Ortes stieg um so mehr, als er, nachdem auch der westliche Theil Ciskaukasiens nach Unterwerfung der kuban'schen Tataren sich Rußland unterworfen hatte, nun eine leichtere Beobachtung der über den Kuban gegangenen Nogaier 157 und der gefährlicherm Kuban-Tscherkessen erlaubte. Als unter der energischen und heilsamen Verwaltung Icrnwlosss 1822 Ciskauk^sien erst seine gesetzliche Einrichtung erhielt und die Streitigkeiten der verschiedenen in der Provinz nomadisirenden Völker durch Vertheilung des Landes geschlichtet waren, wurde Stamopol zum Sitz der Regierung, mithin zur Hauptstadt Cls-kaukasiens ernannt. In Stauropol ist auch der Sitz des jedesmaligen Oberbefehlshabers der ciskaukasischenTruppencontingente (1836: General Weljaminoss), dem, wie schon gesagt, der Civilgouverneur (damals Baron von Taube) untergeordnet ist, und anßer den Militär-und Civilbeamten sind hier eine Menge Handel- und gewerb-treibender Armenier und Russen wohnhaft. Die Zahl der Einwohner beträgt ohne das Militär über 2000 Seelen. Um den Handel der Stadt noch mehr zu heben, sind jährlich zwei Jahrmärkte von einer Woche Dauer festgesetzt, und von ihnen ist der am Dreieinig-keitötage (12. Oct.) der besuchteste. Der Umtausch der Waaren beläuft sich in einem Jahre auf die Summe von 1,600,000 Rub. Ass. Russen aus den entfernteren Gouvernements finden sich vorzüglich mit Tuch, Leinewand, baumwollenen Zengen, seidenen Stoffen, Le-derarbeim», Colonialwaaren :c. ein und haben in der von Fabriken emfernten Stadr schnellen Absatz. Nogaier und Kalmükcn bringen ihren Ucberfluß an Vieh, besonders Schafen und Pferden, die Häute geschlachteter Thiere, Pelzwerk, besonders den bei uns unter dem Namen Astrachaner bekannten Schafpelz, Kamelhaare, Schafwolle :c. zu Mavkte, und selbst aus dem entfernten Gebirge überschreiten feindliche Bergvölker, ohne Strafe für frühere Einfälle auf russischem Gebiet zu befürchten, die Gränzlinie, anstatt der tddtlichen Waffen mir ihren Erzeugnissen, als Teppichen, Pclzwerk, Wolle, Honig ic. erscheinend. Der Basar befindet sich ziemlich auf dcr Höh? und besitzt eine Menge Buden, in denen vorzüglich außer der Iahrmaiklszeit Armenier um hohe Preise ihre Waaren anbieten. In großer Menge Met sich in der Nähe auch Obst vor und Arbl.sen und Melonen sind hier die beliebten Früchte. Kern- und Steinobst ist schlecht und wird demnach weniger gesucht. Am wenigsten schmackhaft fand ich dle Pfirsiche, die den uuserlgen an Feinheit sogar nachstanden. Der Kaukasier wendet auch nicht die geringste Sorgfalt auf sein 138 Obst und überlaßt es der freigebig spendenden Natur, ihn damit zu versehen. Stauropol und seine Umgebung ist durchaus nicht so wasserarm, als es Suboff angibt, und Quellen fand ich in dem nahen Walde, die sämmtlich wohl in die niedriger gelegelle Stadt geleitet werden können. Es liegt am Ursprung der Atschla, die ostwärts fließt und in den Kalaus sich ergießt. Suboss läßt diesen Fluß irriger Weise in den Iegorlük fallen und nennt sein Wasser schlammig und schlecht, trotzdem der Name Atschla, d. i. rein, lauter, das Gegentheil schon sagt. In unbedeutenden Entfernungen entspringen von dem hohen Nucken des Schwarzwaldes noch eine Menge Bäche, die östlich sich sämmtlich mit dem Kalaus vereinigen, westlich hingegen in den Iegorlük sich ergießen. Nördlich entspringt auch die bei der don'schen und mos-kau'schen Festung stießende Taschla mit mehreren Nebenbächen und bewassert die Umgebungen Stauropols, die vielleicht zu den fruchtbarsten und angenehmsten Gegenden der ganzen Provinz gehören. Kaum hatte ich mein Mittagsmahl eingenommen, als ich trotz der drückenden Hitze das Wirthshaus verließ, um die wichtige Hauptstadt und ihre nächsten Umgebungen naher zu besichtigen. Eine große breite Straße auf beiden Seiten mit zum Theil stattlichen Hausern versehen, führt von dem Moskau'schen Thore bis zu dem Tifiiser Schlagbaume. Die Gouvernementsgebäude und die eigentliche Festung liegen im oberen Theile dcr sonst offenen Stadt. Meine Wanderungen führten mich in die Nähe der daselbst befindlichen Gefängnisse, aus welchen eben unter starker Bedeckung eine Abtheilung Sträflinge geführt wurde, um an einem nahen Wege schwere Handarbeit zu thun. Nur wenige waren mit Ketten und Ec'scn versehen. Der Anblick dieser elenden Gestalten war traurig. Es waren Nogaier, Kalmüken und Bergvölker, die des Straßenraubs überfuhrt nun hier für ihr Vergehen büßen mußten. In Lumpen gehüllt, die zum Theil kaum ihre Blößen zu verdecken vermochten, verrichteten sie mit Widerwillen eine Arbeit, welche ihnen weniger zu schwer war, als daß sie dieselbe vielmehr als das Geschäft eines Sklaven haßten. Ein Officier, den ich heute bei Tische kennen gelernt hatte, machte mich auf 159 die verschiedenen Physiognomien dieser Unglücklichen aufmerksam und erzählte mir einige Züge alls dem Leben der Einzelnen. Am widerwärtigsten waren mir einige Kalmüken, die Nogaier überfallen und gemordet hatten. Die Nationalphysiognomie trat bei ihnen in ihrer haßlichen Gemeinheit wo möglich noch mehr hervor, als ich sie je sonst gesehen hatte. Die kleinen geschlitzten Augen lagen tief in ihren Höhlen und wild, gleich einer Hyäne, blickten sie unstet herum, als wollten sie die Gelegenheit erspähen, den gehaßten Wächtern sich zu entziehen. Der Aufseher war gezwungen sie von Zeit zu Zeit mit der Knute anzuregen und grimmigen Blickes wandten sie sich wieder von den Augenblicken der Nuhc zu den schweren Steinblocken, die sie aus dem Wege zn räumen hatten. Noch mehr zog meine Aufmerksamkeit ein Tsche-tsche auf sich, der mit gebräuntem Gesichte, schwarzem schlichtem Haare und einer stämmigen Gestalt Jahre lang auf der Linie am Terek die unverschämtesten Räubereien begangen hatte. Die Seelen vieler Gemordeten schrien nach Rache. Was ganzen Bataillonen nicht gelungen war, vollführten zwei Linienkosakcn dcs mosdok'schen Regiments, indem sie ihn gefangen nach Mosdok brachten, um ihn den Gerichten zu übergeben. Beide Kosaken hatten sich einstens betrunken und sich wahrend ihres Rausches einige Vergehen zu Schulden kommen lassen. Als sie zur Bestrafung den andern Morgen vorgefühlt wurden, baten sie ihren freundlichen Major, den Chef des Regiments, wegen ihres Vergehens um Gnade und versprachen eine That auszuführen, welche hoffentlich ihr Vergehen wieder gut macheu kdmtte. Der Major, von ihrer sonstigen guten Aufführuug und ihrer unerschütterlichen Tapferkeit unterrichtet, willigte in ihre Bitten ein. Die beiden Kosaken Iwan und Stepan verschwanden den andern Tag und vergebens harrte man ihrer den zweiten und dritten Tag. Als man sie sogar den vierten und fünften noch nicht zurückkehren sah, hielt man ihren Tod für gewiß, und die übrigen Kosaken betrauerten schon den Verlust ihrer geliebten Cameraden. Da erscholl plötzlich den sechsten Tag die Kunde von der Ankunft der beiden verloren Geglaubten durch die Stanitza und im Triumph wurden die beiden Tapferen, die eiuen Tschetschcn gebunden zwischen sich führten, zum Major begleitet. Mit den 160 Worten: „wir haben unser Wort gelöst," übergaben die tapferen Kosaken dem Major den gcfürchteten Räuber. Denselben Tag noch, als sie das Versprechen sich ausznzeich-nen gegeben, hatten sie die Stanitza verlassen, mit der Absicht, den Rauber in seinem eigenen Schlupfwinkel aufzusuchen und ihn ekngefangen als Sühne ihres Vergehens zu übergeben. Rastlos forschten sie seinen Aufenthaltsort aus und suchten ihn im eigenen Hause, da wo er sich am sichersten wähnte, zu überfallen. Zwei Tage lang verbargen sie sich in seiner Nähe, ehe es ihnen gelang, unbemerkt sich des tapfern Häuptlings zu bemächtigen. Am vierten Tag verließ der letztere bei einer großen Warme seine Hütte, um sich außerhalb derselben einen bequemen Ort zum Schlafen auszusuchen. Das war es, was die Kosaken gehofft hatten, und kaum war der Unglückliche nichts ahnend in Morpheus' Arme gefallen, als die beiden kühnen Feinde ihn plötzlich überfielen, den Mund mit einem Tuche verbanden nnd seine Hände auf den Rücken knebelten. Der eine Kosak nahm ihn auf sein Pferd und rasch sprengten beide ohne Aufenthalt demTerek zu, wo der Gefangene allgemeinen Jubel erregte. Der traurige Anblick dieser Sträflinge vermochte nicht lange meine Aufmerksamkeit zu fesseln, und so wanderte ich weiter die bewachsene Anhöhe hinauf, mich in dein schönen Eichenwalde ganz vertiefend. Wie freute ich mich wiederum nach langer Entbehrung von vaterländischen Bäumen mich umgeben zu sehen, und unmöglich konnte ich der Versuchung widerstehen, tiefer in den Wald einzudringen. Die schönen Herbstblumen aus den Geschlechtern Nl«lvl», Zonocio, 8uli<ü«zc> und ^5t«l- erinnerten mich an die südlichen Gebirge Deutschlands und waren die Ursache, daß ich mich immer mehr im Walde vertiefte, nnd mit Wollust die lang entbehrte und starkende Kühlung einsog. Zum Glück fiel es mir aber noch zeitig genug ein, daß ich hier ganz allein in einer fremden und unsichern Gegend sey, und wenn ich anch bewaffnet war, so waren diese Waffen doch zu gering, nm mich gegen einen Haufen zu vertheidige,,. Sorgsam suchte ick auf der Rückkehr die Spur, welche mich hierher geführt, auf, und glücklich langte ich nach zwei Stunden wieder an derselben Stelle an, wo ich in den Wald getreten war. 161 Es war spat, als ich endlich wiederum im Wirthshause zur Freude meines Reisegesellschafters anlangte und die gerechten Vorwürfe über meine Unvorsichtigkeit anhören musire. Der fröhliche Lärm im nahen Gastzimmer zog auch mich dahin, und wie ein Fremder immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht, so war auch ich der Punkt, um den sich die Gebildeteren, welche meist aus Officieren bestanden, drehten. Gern knüpfte ich eine Bekanntschaft an, die mir nur Vortheile bringen konnte. Im hohen Grade kam man mir freundlich entgegen und ein junger Lieutenant erbot sich mir sogar zum Führer für die Dauer meines Aufenthaltes — ein Anerbieten, das ich mit großem Dank annahm. Am andern Morgen fand sich mein gefälliger Lieutenant schon ein und unterstützte ohne Zögern meinen Wunsch, das Gebirge, auf dem Stauropol lag, näher zu besichtigen, und da er hinlänglich mit der Umgegend bekannt war, so schlug er mir einen Ausflug längs der Atschla nach dem Winterlager des kal-mükischen Fürsten Kukkjur, unweit des russichen Dorfes Kon-stantinoffka vor. Ohne Säumen setzten wir uns auf die Pferde, die seine Freundlichkeit verschaffte, und ritten in Begleitung zweier Linienkosaken dem nördlichen Ufer der Atschla entlang nach der nur 15 Werst entfernten Stanitza: Alt-Marieffka. Der Weg bis dahin ist sehr anmuthig, aber hügelig, und das mag wohl die Ursache gewesen jeyn, warum die Straße von Stauropol nach AleMndroff von hier aus verlegt worden ist und nun über die große Stanitza Nadeschda (Hoffnung) führt. Alt-Marieffka war die erste Stanitza, in welcher ich mich eine Zeitlang aufhielt, und hat an Einwohnern 735 mannlichen und 843 weiblichen Geschlechtes. Was ich schon von den don'schen Stanitzen gerühmt habe, gilt auch von denen der Linie, und wie dort Sauberkeit und Reinlichkeit die Bewohner mit ihren Häusern auszeichnet, so nicht weniger hier. Während aber die Stam'tzen der don'schen Kosaken offen sind, sieht man die der Linie stets mit emem Pallisadenartkgen Zanne umgeben. Die Häuser sind auch hler mit dem Giebel nach der breiten Straße zu. Bei dem Starschinen (Schulzeu) hielten wir an und ließen uns mit dem Besten, was seine Hauswirthschaft darbot, bewirthen. Die gure Hausfrau war unermüdlich und bat be- Vleiftn und Länderbeschreibungen. XXIII. 1 , (Reife nach Kaukasien.) 162 standig vor, daß sie arm wäre und uns nur schwarzes Roggenbrod vorsetzen könne. Leider konnte ich gerade nicht das für einen Leckerbissen halten, was mir als solcher mit gewichtiger Miene übergeben wurde und nahm alle meine Verstellungs-kunst zu Hülfe, um den braven Wirthen mein Mißfallen nicht zu verrathen. Es war ein Stück Buschinin, d. «'. in der Sonne getrocknetes Hammelfleisch und hatte grosie Aehnlichkttt mit grobfaserigen Ochsen-Schinken, nur mit dem Unterschiede, daß durch die Sonne alle Feuchtigkeit in dem Buschiuin entfernt ist. Ebenso wenig mundete mir der Branntwein, der unserm schlechtesten Fuselbranntwein aus Kartoffeln bereitet gleicht. Der Gehalt an Wringeist ist in diesem Getränke nur sehr gering und man darf sich deßhalb nicht wundern, wenn die Kosaken eine größere Menge dieses Getränkes, ohne berauscht zu werden, zu sich nehmen können. Unser Aufenthalt war nur kurz, da, trotzdem es schon Mittag vorbei war, wir kaum ein Drittel unserer Route vollendet hatten. Rasch ritten wir auf dem linken Ufer der Atschla dahin und kamen bald von den letzten Höhen des Schwarzwaldes in die ebene Steppe des Kalaus. Wir freuten uns, daß die Sonne nicht mehr so hoch am Himmel stand, und ohne Rast uns zu gönnen, eilten wir dem Aul (Dorf) des Fürsten Kulljur zu, in der Hoffnung daselbst noch einige Leute zu finden. Es wurde allmählich dunkel, und ohne des sicheren Geleites unserer beiden begleitenden Soldaten hatten wir uns in dieser endlosen Steppe, in welcher der Weg oft ganz verwischt war, leicht verirren können. Endlich kamen wir daselbst an und fanden auch nicht eine lebende Seele. Im hohen Grade müde zwang uns der Hunger noch bis zum nächsten Dorfe Konstantinosska zu reiten und bei den dortigen Bauern ein Unterkommen zu suchen. Zum Glück war dle Entfernung nicht bedeutend, und schon nach kurzer Zeit, wobei wir den Bach Gratschosska mit seinem sandigen Voden und sumpfigen Wasser durchritten, kamen wir in Konstantin noffka an. Lautes Hundegebell verkündete unsere Ankunft und weckte die schon tief im Schlafe versunkenen Bewohner des armseligen Dörfchens auf. Aengstlich sprangen diese von ihrem Lager in der Meinung, daß herumziehende Kalmüken sie überfallen hätten. 1S3 und konnten sich selbst da noch nicht beruhigen, als wir unser „gut Freund" zuriefen. Unsere Mühe ein Unterkommen zu finden war nicht gering, da die starrköpfigen Raskolniks, von der Gefahrlosigkeit einmal überzeugt, ruhig ihre Fenster und Thüren wieder schloffen. Gern wären wir wieder hinaus in die Eteppe geritten, wenn der Hunger in nns nicht noch hartnäckiger als die Bauern gewesen ware. Was gute Worte nicht vermochten, mußten nun Drohungen thun, und unsere beiden Kosaken donnerten mit aller Kraft an die Thüren eines Hauses, mit der Drohung sie einzustoßen, wenn nicht augenblicklich geöffnet würde. Mürrisch öffnete uns endlich ein alter Bauer seine Thüre, verneinte aber unsere Frage nach Effen. Ein Geldstück machte ihn jedoch geschmeidiger, und da ich ihm noch ein zweites beilegte, verzogen sich allmählich seine finsteren Brauen. Bald hatten wir ein kärgliches, aber uns Hungrige stärkendes Abendbrod. Lange blieben wir nicht in dem dumpfigen Zimmer, wo allerhand lästiges Gesinde! freudig in Erwartung guter Dinge herumhüpfte. Es war zu viel verlangt, unsere ermüdeten Körper noch zum Schauplatz jener sechsfüßigen Thierchen zur Feier ihrer Orgi?n zu übergeben, und so zogen wir es vor, lieber außerhalb des Hauses auf einem Heuhaufen den Rest der Nacht zuzubringen. Konstantinoffka gehört nicht zu der Neihe von Dörfern, welche kurz nach der Errichtuug der ersten Kosakenlinie von hierher gesandten Klein- und Großrussen erbaut wurden, sondern verdankt seine Erbauung erst der neuesten Zeit. Es liegt an der Glänze des Stauropol'schen Kreises, aber nicht wie auf der Tif-liser Stabskarte vom Jahre l834 steht, im Pjatigvrskischen, und ist mit dem nahen, aber zu dem letztern Kreise gehörigen Dorfe Petrosska einzig am Kalaus gelegen. Wohl verdankt es aber den damaligen Aufforderungen der Katharina, Colonien in Cis-kaukasien zu gründen, seinen Ursprung. Von den vierzig *) damals entstandenen Dörfern wurden zehn bald wiederum verlassen und sechzehn spater zur Linie gezogen, nun Stanitzen darstellend. Alle übrigen Dörfer, deren Zahl ich bei den einzel- ") Pallas führt die Namen sämmtlicher Dörfer in seinen Bemerkungen auf emer Reise in die südrussischen Statthalterschaften Vd. 1. S. 299 an. 164 nen Kreisen aufgeführt habe, sind erst m diesem Jahrhunderte entstanden. Von unserem gefälligen, aber doch stets mißtrauischen Wirthe zogen wir über die Derbeten und Dschemboiluken nähere Nachrichten ein und erfuhren, daß einzelne Abtheilungen beider Stamme m der Nähe ihre Wohnungen aufgeschlagen hätten. Ohne Zeit-versaummß machten wir uns auf den Weg, ritten mit einem Wegweiser dem rechten Ufer des Kalaus entlang und sahen bald in der Ferne den Rauch aus den zuckerhutformigen Filzhütten aufsteigen. Noch einmal gaben wir unseren schnellfüßigen Rennern die Sporen und sprengten auf die erste Hütte los. Ein schmutziger Kalmük kam uns staunend entgegen und konnte kaum sich der Verwunderung enthalten, als ich ihm erklärte, daß nur er die Ursache unseres Kommens sey. Freundlich hieß er uns willkommen, zumal wir der kalmükischen Sitte gemäß von der Rechten aus auf die Hütte zugeritten kamen. In das Innere derselben eingetreten, stand die ganze halbnackte und um die glimmende Mitte gelagerte Familie auf und stellte sich gegen die Thüre hin, bald auf die Fersen sich setzend. Mein freundlicher Begleiter gab mich für einen Arzt aus, und kaum war ich als solcher vorgestellt, als Freude sich durch die ganze Hütte verbreitete. Jedermann war auf einmal krank und wollte von dem Nemez, wie die Kalmüken und Nogaicr hier ebenfalls mit den Russen die Deutschen nennen, behandelt seyn. Wahrend sonst bei an Zahnschmerzen Leidenden diese gerade vergehen, wenn der Zahnarzt eintritt, war es hier gerade umgekehrt: jeder hatte ein altes Uebel und wollte von mir Arzenei haben. Bei den Schwierigkeiten, welche sich mir durch das Dolmetschen darstellten, wurde meine Lage selbst mißlich und würde wirklich gefahrlich geworden seyn, wenn es den Leuten mit ihrer Krankheit oder vielmehr der Krankheit mit den Leuten recht Ernst gewesen wäre. So schienen sie aber nur etwas von mir wissen zu wollen und demnach horte ich Jedermann geduldig an. Der Ruf, daß ein deutscher Arzt gekommen sey, verbreitete sich schnell durch den ganzen Muß, und Jung und Alt strömte herbei, um das seltene Thier, den deutschen Arzt, näher ins Auge zu fassen. Um meinen Aufzug noch lächerlicher zu machen, that meine Brille ihr Mögliches, und in der Meinung, daß diese, durch die man scharfer 565 und genauer sahe, Ursache meiner ärztlichen Kenntnisse sey, wollte ein Gellong (Priester) mir solche gegen einen Ochsen abkaufen. Zur Kurzwelle setzte ich sie ihm auf und die ganze Umgebung jauchzte ob ihres gelehrten Priesters. Der arme Mann sah aber gar nichts, und da ihm sogar die Augen schmerzten, glaubte er, daß ich mit ihm nur meinen Scherz habe und warf ärgerlich die Brille von sich, mich mit meiner Umgebung von nun an meidend. Nächst der Brille erregte mein Hut die Aufmerksamkeit der Kale wüten, und da bei ihnen die Mütze wegen ihrer heiligen Farben selbst als heilig betrachtet wird, mußte mein Hut ebenfalls einen iunigen Zusammenhang, wenn auch nicht mit der Religion, doch mit der Arzneiwissenschaft haben. Von einer Hütte zur andern geführt, hatte ich hinlänglich Gelegenheit das Innere derselben zu betrachten, nnd fand stets die Einrichtung wie ich sie früher angegeben habe. Eigentliche Kranke sah ich nirgends, und nur einmal wurde ich zu einem Turgnn-Kilik *) Behafteten geführt, fand aber, wie es schien, die l'uzdula mailing. Auch das weibliche Geschlecht und besonders die häßlichen Imgenen (Matronen) drängten sich an mich heran, und mit Verwunderung blieb ich vor einer kanm neunzehnjährigen jungen Frau stehen, die, guter Hoffnung, durchaus wissen wollte, ob sie einen Knaben gebären würde. Es gilt nämlich für eine besondere Gunst von Seiten der Burchane (Götter), wenn die Frau zum erstenmale einen Knaben zur Welt brings. Zum Glück waren mir alle die trüglicheu Kennzeichen aus den Zeiten meines medicini-schen Studiums noch erinnerlich, und zum erstenmale traten meine theoretischen Kenntnisse ins Leben. Diese Frau hatte außer ihren nur wenig geschlitzten Augen so viel Wohlgeformtcs an ihrem Körper und so viele anmuthige Manieren, daß ich sie unter Russen oder Deutschen nicht für eine Kalmükm gehalten hätte. 5l»nli^ millocluj»! (ein herrliches Weibchen!) rief mein guter Freund vor Entzücken aus. Nulodgjg cl,ut Kuäa! (Ein Weibchen wie nirgends! Wörtlich läßr sich dieser Ausruf nicht übersetzen) wiederHollen die Kosaken mehrmals unter sich. Und trotzdem *) d. i. seidenes Hemde. So heißt nämlich ein den Kalmücken eigenthümlicher Ausschlag. 166 war die Kleidung der jungen Frau durchaus nicht so verführerisch, da sie im Gegentheil zum Theil zerrissen und schmutzig erschien. Bei allen dieseu ziemlich offen gelegten Verwunderungen über die Reize der jnngen Frau blieb ihr Mann gleichgültig und war nur begierig meinen Ausspruch zu hören. Auch den übrigen schienen die Bemerkungen meiner Begleiter, die sie gewiß zum Theil verstehen konnten, ohne alle Bedculung zu seyn. Nachdem ich nun mit dem Anhören einen großen Theil des Vormittags verloren hatte, ging ich mit großer Begleitung in die Steppe, um zu botanisiren, gab aber vor, daß ich für die einzelnen Parienten unter den Kräntern Arzeneien aussuchte. Die Fragen begannen hier aufs neue und betrafen jetzt aber weniger die Krankheiten als vielmehr die Krauter, von denen sie sämmtlich wissen wollten. wo;u sie gut wären. Zum Ruhme der Kalmükcn muß ich aber sagen, daß jede Familie bemüht war, mich mit dem Besten, was die Wirthschaft lieferte, zu bewirtheu. Die Auswahl war jedoch nicht groß und der Braten eines kleinen Nagers, wahrscheinlich einer Ziesel, mundete mir am allerwenigsten, möglich, daß meine schon vorhergefaßte Antipathie dabei im Spiele war. Auch der Zikgelthee mit fettem Hammelfleisch gekocht verfehlte seine Wirkung. Am meisten sagte mir die Milch zu, aber die der Stuten wollte nur trotz des Rühmens von Eeireu der Frauen nicht schmecken, da sie einen ekelhaft lauchartigen Beigeschmack besaß. Auch der Tschigan (gesäuerte Stutenmilch) vermochte bei mir kein Lob einzuernten, und noch weniger der saure Rückstand, die sogenannte Busah. Reine Kuhmilch war mir die beste Kost. AIs die große Hitze des Nachmittags etwas nachgelassen hatte, setzten wir uns wieder zu Pferde, zufrieden über das was wir gesehen und gehört, und in Begleitung eines uns als Wegweiser dienenden Kalmüken ritten wir quer durch den Kalaus nach dem nächsten russischen Kirchdorfe Kugulta, das unweit des Ursprunges des Flüßchens gleichen Namens liegt. Es war mir lieb, nachdem ich die östlichen AbHange des Schwarzwaldes naher besichtigt hatte, nun auch die östlich in die Taschla fließenden Bache und die nördlichen Anhöhen, auf denen sie entspringen, kennen zu lernen. Es war lange schon Nacht eingebrochen, als wir daselbst ankamen, und um nicht wieder denselben Unannehm- 167 167 lichkelten wie in Konstantinosska ausgesetzt zu seyn, hatten wir schon am Morgen einen Voten an den Schulzen deS Dorfes abgesendet, um ihn mit unserer Ankunft daselbst bekannt zn machen. Bis Kugulta setzte sich dieselbe Ebene fort und lieferte uns gar nichts Neues. Wir hatten gehofft anf einen Nogaier-Uluß zu stoßen, um auch diesen naher kennen zu lernen, und gern hätten wir dann auch bei ihnen eine Zeit lang zugebracht, allein außer einigen Dschemboiluken, welche große Heerdcn Hüteren, sahen wir von diesem interessanten Volke Niemand, und diese wenigen waren nicht im Stande, mir cmen Begriff von ihrem Leben zu geben. So leid es mir auch jetzt that, so hatte ich später doch hinlänglich Zeit und Gelegenheit mir den Nogaiern bekannter zu werden und die verschiedenen Stämme, selbst die im Norden des schwarzen Meeres, kennen zu lernen. Unser Nachtlager in Kugolta war wiederum ein Heuhaufen, und nicht leicht konnte ich in dem weichsten Verre erquickter erwachen als hier. Schon sn«h wie der Tag begann, nachdem wir unser Mi Ich früh stück eingenommen hatten, sasien wir wiederum zu Pferde, um denselben Tag noch in Ctauropol, wo ich schon den Tag vorher wieder zu kommen versprochen hatte, einzutreffen. Die Gegend bis dahin ist reizend, da allmählich aus der Steppe die bewachsenen Höhen aufwärts steigen und rieselnde Bäche, auf ihnen ihre Quellen besitzend, fröhlich ihr zulaufe», um nun in derselben von der Hitze gedrückt bedächtig dem Iegorlük entgegenzugehen. Mit Ausnahme der Kugnlta, des Flüßchrns, an dem das obengenannle Dorf gleichen Namens liegt, vereinigen sich alle Bäche in der schon oft erwähnten Taschla, um mit dieser in den Iegorlük zn stießen. Während die Steppen durch i'hre verbrannten Krauter und die oft blattlosen großen Stengel keinen erfreulichen Anblick darboten, waren die letzten Ausläufer des Schwarz-Waldes mit blühenden Kräutern und zum Theil selbst mit Laubholz bewachsen, da allenthalben Wasser erfrischende Kühlung diesen zuführr. Es that mir leid, daß ich mich nicht mehr in den Stand gesetzt hatte Pflanzen zu sammeln und nur einen sehr geringen Theil der interessanten Kinder aus Florens Gebiet mit mir nehmen konnte. In dieser fruchtbaren Gegend haben sich auch in der neuesten Zeit besonders Kleiurussen angesiedelt, und außer dem schon 168 genannten Dorfe Kugulta liegen in geringen Entfernungen von einander die Dorfer Tuguluk, Kriworutschka und Alimpiade. Palagiada ist schon unter Katharina ll entstanden. Die Einwohner von genannten Dörfern befinden sich im Wohlstande, und es scheint, als wenn sich dieser mit jedem Jahre vermehren wollte. Dadurch, daß dic genannten Dorfer nicht so abgesperrt sind und ihre Bewohner häufig gegenseitig sich aufsuchen, haben diese auch ein freundlicheres Ansehen und siud weniger mißtrauisch, den guten Sitten der Gastfreundschaft treuer geblieben. Nirgends trat uns ein mürrisches Gesicht entgegen und gern bewirthete man uns in den Häusern mit dem Besten, was die Wirthschaft lieferte. Die Hauser waren meistens Lchmhäuser, aber ziemlich dauerhaft bereitet und boten im Innern nicht die Unsauberkeir dar, wie ich sie sonst zu sehen gewohnt war. Auch die Kinder liefen nicht nackt herum, wenn sie auch zum Theil in zerlumpte Kleidung gehüllt waren. Von Kugulta aus überschritt ich eine unbedeutende Höhe, um in das benachbarte Tuguluk zu kommen uud ging von da dem Flüßchen gleichen Namens entlang bis an die Stelle, wo es einen großen Winkel macht uud von der linken Sekte auS einen bedeutenden Bach aufnimmt. In dem Winkel selbst liegt das hübsche Dorf Kriworotschka (Krummbach, wörtlich übersetzt), deren Bewohner uns wieder mit Milch und sogar mit der mir so lieben Buchweizengrütze versahen. Ein freundliches Thal, in dem jener Bach stießt, nahm uns bei unserm Weiterwandern auf, und allmählich aufsteigend kamen wir schon zeitig in Pala-giada an, um daselbst die große Hitze, in die wir doch schon zum Theil gerathen waren, zu verschlafen. Palagiada liegt hart an der großen Landstraße, welche von Nentscherkask nach Stauropol führt, und auf dem linken Ufer der Taschla, welche wir deßhalb durchreiten mußten, und wurde schon 1785 zugleich mit Michailoffka angelegt. Die Hitze hatte einen hohen Grad erreicht und das Thermometer zeigte mir Nachmittag zwei Uhr selbst noch auf dieser Höhe 27 " R. Wir beschlossen erst gegen fünf Uhr auszureiten und brachten die ganze Zeit über in Unthätigkeit zu, um uns von unsern Strapazen wieder etwas zu erholen. 169 Dunkelheit trat allmählich ein, als wir in der großen Stanitza Michailosska ankamen und uns und unsern Pferden kaum Ruhe gönnten: Michailoffka war früher ein Dorf, ist aber in der neuesten Zeit mit mehreren anderen zu einer Stanitza erhoben worden, und seine Bewohner (1910 mannlichen und 2252 weiblichen Geschlechtes) vollkommen abgabenfrei, haben nur die Pflicht, Stauropol von Norden aus vor allen etwaigen Ueberfallen der herumziehenden Nogaierbanden zn sichern. Bei dem Emporblühen Stauropols und der Wichtigkeit, die immer die Hauptstadt einer Provinz haben muß, war es auch nothwendig diese von allen Seiten aus zu schützen. Außer den schon bekannten und östlich liegenden Stam'tzen Alt? Marieffka und Na-deschda, welche früher ebenfalls Dorfer waren, umgeben südlich Tatarka lind westlich Sengilijeffska (auch Bogojawlenska genannt) und Neu-Man'effka die Hauptstadt und schützen sie durch eine tapfere Mannschaft von vierthalbtausend Kosaken, die sämmtlich dem erst neuerdings errichteten Stamopol'schen Regiment angehören. Mein zurückgebliebener Reisegefährte empfing mich in Stauropol mit großer Freude, da nun auf einmal seine Sorge, daß mir ein Unglück widerfahren sey, zu nichte wurde. Es war ihm meine Ankunft noch um so wünschenswerther, als er morgen Stauropol verlassen und zurück nach Petersburg reisen wollte. So unangenehm mir auch die Nachricht, welche mir übrigens nicht ganz unerwartet und neu kam, wurde, so war ich ihm doch im Herze» dankbar, daß er mir einen neuen Reisegefährten verschafft hatte. Es war dieser ein Russe und zwar wiederum ein Commijsionär, der ebenfalls bedeutende Summen nach Tiflis zu bringen hatte. Leider sprach er kein Wort deutsch oder französisch, und so war ich gezwungen in der Unterhaltung mich der wenigen russischen Brocken, welche ich wahrend meiner Reise er-lernr hatte, zu bedienen. Es war aber so wenig, daß ich kaum wich mit ihm verstandlich machen konnte. Den Abend, den letzten in Stauropol, denn am andern Morgen mit Sonnenaufgang sollte aufgebrochen werden, verlebte ich noch fröhlich in Gesellschaft meines freundlichen Lieutenants, einiger semer Freunde und des deutschen Commissionars, der aber, nicht als voll angesehen, etwas gleichgültig behandelt »vurde. 17ft Ziemlich spat trennten wir uns und kaum blieben mir einige Stunden übn'g, um dem Schlafe zu frdhnen. Halb vier Uhr des Morgens am ^6. August saß ich schon mit meinem neuen Reisegefährten in der Pawoska, um dem 260 Werst entfernten Iekaterinograd zuzufahren. Wie sehr vermißte ich aber bald die gut überbaute Karete meiues früheren Gesellschafters und bald auch ihu selbst. Unser Wagen, wo wir nur mit Mühe auf einem von unsern Sachen erbauten Sitz neben einander Platz nehmen konnten, war nur zum Theil mit grober Leinewand überdeckt, und da seine Bauart sich durchaus nicht von der eines gewöhnlichen Postwagens unterschied, so gehörte mein Fuhrwerk zu den unbequemsten meiner Reise. Um gleich den Beginn der Reise mir zu verleiden, fing es an zu regnen und regnete fort, bis Mittag eintrat. Trotzdem ebenso viele Gelder in Faßchen gepackt, als mein früherer Gesellschafter hatte, nach Tiftis gebracht werden sollten, besaß mein jetziger nur dcu einen Wagen, bei einem weit schlechteren Wege. Wahrend jener vor seine Karete vier und sechs Pferde spanneu ließ, gebrauchte dieser höchstens vier, und außer uns befand sich noch ein UlMrofft-cler, der ausgedient hatte und nnn dem Commisstonär als Diener beigegeben war, auf dem Nagen. Daß daher die Reise nicht so schnell als früher vor sich ging, wiid man leicht einsehen, und keuchend kamen die armen geplagten Pferde auf den Stationen an. Die Last des Geldes drückte so sehr, daß allein bis Ieka-terinograd zweimal die Achse zerbrach und wir dadurch neuen Aufenthalt erfuhren. Wenn ferner schon mein früherer Gesellschafter nicht allzu frenndlkch mit den PostHaltern und den Postillons umging, so zeigte sich dieser geradezu als roher Mensch. Abgesehen, daß er in Betreff der Postpferde die unverschämteste» Betrügereien sich erlaubte, behandelte er die Postillons, die uns begleitenden Kosaken und den ihm als Diener beigegebenen Unterofficier auf eine Weise, die allen Glauben übersteigt. Die gemeinsten Schimpf-Worte strömten über seine gottlose Zunge. Mehrmals war ich willens, mich ganz von ihm zu trennen, zumal ich, der ich die Pferde bezahlte, durchaus nicht die Bequemlichkeiten hatte, welche mir ein Wagen allein dargeboten hätte; alleiu ich fürchtete eines-theils mich von neuem den größeren Betrügereien der Post> 171 knechte auszusetzen, und dann konnte mein Reisegefährte mir eine Menge Chicanen in dcn Weg legen, die mir auf meiner ferneren Reise hinderlich seyn mußten. So fügte ich mich der Nothwendigkeit und vertrug mich mit meinem Gefährten, der übrigens gegen mich sich nie verging und beständig freundlich mir begegnete, so gut als es eben gehen wollte. Mit Michailoffka beginnen die Stanitzen der Linienkosaken. Wahrend die obengenannten Kosakendörfer zum Schutz der Hauptstadt dienen, sind die sämmtlichen Ortschaften auf dem Wege von Stauropol bis Iekaterinograd zum Schutz der Straße beauftragt und deßhalb zum Theil erst in der neuesten Zeit in Stanitzen verwandelt worden. Die häufigen Reisen nach den kaukasische» Badern machten aber auch diese Vorsichtsmaaßregeln nothwendig, wenn die berühmten Quellen Rußland die Vortheile bringen sollten, die sir nothwendiger Weise ihrer Vorzüglichkeit halber bringen müssen. Ich will mich nicht bei der Beschreibung der einzelnen Stanitzen aufhalten, da ich weitläufiger in einem besonderen Capitel über die Linienkosaken sprechen werde, und deßhalb nur, wo es nothwendig wird, mit, den Oertlichkeiten vertrauter machen. Hinter Stauropol erhebt sich der Schwarzwald immer mehr und läuft westlich dem Kuban zu, daselbst einen diesem Fluß parallel laufenden Rücken bildend. Nach Osten und Südostcn zu verändert er seine Benennung und führt zuerst den Namen Kara,Iaella (russisch: Woroffskoi-Leß, deutsch: Rauberwald) und dann weiter südlich den Namen Krugloi-Leß (runder Wald), trotzdem die Anhohen von beiden nur wenig mit Holz bewachsen sind. Unser Weg führte uns südöstlich dcn eigentlichen Schwarzwald herunter an das Ufer des Kalaus, der hier so ziemlich die Gränze zwischen dem Stauropol'schen und Pjatigorsktschen Kreise bildet. Sergieffka, eine unbedeutende Stanitza des Choperschen Regiments, ist der letzte Ort im zuerst genannten Kreise. Jenseits des Kalaus beginnt der Rauberwald und bildet bedeutende Höhen, welche die Quellen einer Menge Bäche und Flüsse besitzen, daher auch diese Gegend nächst der schon beschriebenen und nordwestlich von Stauropol gelegenen zu den fruchtbarsten Ciskaukasiens gezählt werden muß. Auf ihm entspringen südwestlich der Kalaus, östlich der Dongusleh (russisch 172 Tomusloffka, deutsch Schweinefluß) und südlich der Karamük mit ihren zahlreichen Bächen. Unser Weg fährte uns auf die Höhe des Rauberwaldes und verschaffte mir das Vergnügen zum erstenmale das majestätische Gebirge des Kaukasus zn erblicken. Wie freute ich mich, daß gerade der Regen jetzt aufgehört hatte. Und doch war es mir, als sey mir alles, was ich da sah, schon bekannt, so sehr hatte ich mich seit zwei Jahren mit dem Gebirge bekannt gemacht und so begierig hatte ich alles studirt, was über den Kaukasus erschienen war. Ich erkannte die bewachsenen Fünfberge (Veschtau), und hinter ihnen, seine Gipfel weit in die Wolken hinaufsendend, dcn Elbrus, den glücklichen Berg (Oschha machua) der Tscherkessen und die Residenz des mächtigen Zauberers Dschin-Padischah, dem alle Geister dienstpflichtig sind und der mit ihnen wacht, daß kein Ungeweihter seine heilige Nähe betrete. Dem Kaukasus schlug mein Herz freudig entgegen, denn seit Jahren war ja mein Sinnen und Trachten auf ihn gerichtet. Womit ich mich seit meiner frühesten Jugend beschäftigt hatte, das stand in seiner riesigen Große vor mir. Großartig war der Eindruck, den er in mir hervorrief, und begeistert von ihm vergaß ich alle Unannehmlichkeiten und Mühen, denen ich bis jetzt ausgesetzt gewesen war. Leider war mir aber sein Anblick nicht lange vergönnt, da wir nur zu bald die Höhle des Rauberwaldes verließen, um in das freundliche Thal des Schweinestusses (Dongusleh) zn gelangen. Alexandross, eine unbedeutende Stadt von 600 Einwohnern, liegt in demselben und war früher Hauptstadt des Kreises, der nach ihm den Namen führte, seit 1830 aber mit dem Georgieffskischen vereinigt worden ist, um aus beiden den jetzigen Kreis von Pjatigorsk zu bilden. So lange es Hauptstadt war, erfreute es sich des Wohlstandes, seitdem es aber zu einer gewöhnlichen Provincialstadt herabgesunken ist, wird es nicht leicht eine Bedeutung erhalten. Da es an der großen kaukasischen Straße liegt, wird es vielleicht der spätern Zeit, wenn es ebenso Mode geworden ist den Kaukasus zu besuchen, als jetzt jeder Gebildete die Schweiz oder Italien gesehen haben muß^ gelingen, der Stadt Alerandroff eine größere Bedeutung zu geben. Sie gehörte übrigens zu den Festungen der 1777 errichteten Vertheidigungslinie und wurde 1783 Kreishauptstadt. 173 So sehr wir uns auf das Mittagsmahl in Alerandroff gefreut hatten, so mager wurden wir abgespeist, da es kaum möglich war, etwas Anderes als schlechtes Hammelfleisch zu erhalten. Der Hunger ist aber der beste Koch, m,d so langten wir tapfer Zu, bis alles aufgezehrt war. Die Zeit erlaubte mir nicht die nahen Hohen, welche von Russen wahrscheinlich ihrer Nacktheit halber den Namen Chraschtschewija Gorü (Knorpelbergc) erhalten haben, zu besichtigen. Eine derselben schien ziemlich hoch zu seyn und alle übrigen zu überragen. Die Russen nennen sie Swistun (Sauser), weil der Wind auf ihrem Gipfel heftig weht. Der poröse graue Kalk, der sonst das ganze zwischen Kuma und Kuban sich durchziehende Gebirge bildet, wird hier durch einen graugelben Sandstein, der auf der Hohe von solcher Feinheit seyn soll, daß er allgemein zu Mühlsteinen benutzt wird, vertreten und scheint im Rauber- und runden Walde die hauptsächlichste Felsart zu seyn. Der Weg führte „us an die östliche Seite des runden Waldes nach Sabljah, einer grosicn Stanitza, welche nach dem Bache gleiches Namens den Namen erhalteu har. Der runde Wald und der südliche Theil des Räuberwaldes, wo derKalaus entspringt, dient einem Nogaierstamme, der ebenfalls nach dem Bache seine Benennung erhalten hat, zum Aufenthalte, und vor und hinter Sabljah begegneten wir einzelnen Heerdcn, die diesem Stamme gehörten. Meine Mühe war vergebens mich den Hirten verstandlich zu machen, weil sie eben nichts weiter verstanden, als ihr nogaisches Tatarisch. Da eine unserer Achsen gebrochen war, hatte ich 3eit von einem Hirtenknaben geleitet die Umgegend der Straße Uaher zu besichtigen und erreichte endlich den lange gehegten Wunsch, Nogaier in ihrem Privatleben zu sehen. Leider war ^ch auf mich allein beschränkt, und so suchte ich mich, bei einem lener wandelnden Dörfer angekommen, auf die natürlichste Weise verstandlich zu machen. Neugierig sahen wir uns gegenseitig an, und betrachteten Kleidung und Physiognomie auf das genaueste. Auch das Innere eines Aldschik, wie hier die Filzbütten genannt werden, öffnete sich mir und freundlich kam mir der Herr derselben entgegen, mich mit einem Glas (das freilich aus einer hölzerne» Schale bestand) Kumüß zu bewirthen. Als in Eabljah unser Wagen in Stand gesetzt war, reisten !7H wir den Abend wieder ab, um die Nacht durchzufahren. Trotz der Warnung meines Gefährten hatte ich, da ich von meiner No-gaier-Wanderung zu früh wiederkam, es vorgezogen, anstatt zn warten, den Weg zu Fuß vorauszugehen. Verirren konnte ich mich nicht leicht, da der Weg in der Steppe ziemlich befahren, nicht von andern durchkreuzt wird und von Werst zn Werst aufgesteckte Pfähle seine Richtung deutlich zeigten. Aber kaum mochte ich zwei Werst gegangen seyn, als ein Trupp Reiter auf mich lossprengte und mich so schnell zwischen sich nahm, daß mir gar keine Zeit zum Besinnen, was eigentlich mit mir vorgehe, übrig blieb. In die Untersuchung einiger Senecionen vertieft, hatte ich auf der weichen Steppe die Reiter wcder vorher gesehen, noch gehört. Ihre russische Anrede belehrte mich jedoch bald zu meiner Freude, daß es nicht Tscherkessen, bei deren Erscheinen ich gewiß nicht so ruhig geblieben wäre, sondern Linienkosaken, die mit jenen einerlei Kleidung haben, seyen. Durchaus sollte ich ihnen sagen, wer ich wäre und was ich hier so gut bewaffnet wolle? So viel ich mir aber auch Mühe gab, den nothigen Aufschluß zn geben, so war ich doch zu sehr betroffen, um gleich im Stande zu seyn, mir meinen wenigen russischen Worten mich verstandlich zu machen, und so mußte ich mich fügen, ihnen zurück nach Sabljah zu folgen. Es war unterdeß volle Nacht eingetreten und ich wünschte nichts mehr, als daß mein Gefährte käme, um mich aus der fatalen Lage zu ziehen. Und wie leicht konnte ich ihn in dem Dorfe selbst verfehlen, wenn ich nicht dieselbe Straße in derselben Richtung geführt wurde. Zum Glück waren wir aber nicht fünf Minuten gegangen, als mein Gefährte angefahren kam, und mich aus der Gefangenschaft befreite. Die Kosaken, welche mich gefangen genommen hatten, kehrten eben von ihrem Piket nach Hause zurück. Um die Reisenden vor allen Gefahren zu schützen, sind nämlich alle Stam'tzen auf dem Wege von Staurvpol bis Iekaterinograd beauftragt, Pikets auszustellen und diese für die Sicherheit der Straße verantwortlich zu machen. In der Umgegend suchen sie sich die höchsten Stellen aus und übersehen von hieraus alles was in denselben vorgeht. 175 Zum Glück hatte mein Gefährte auf der 36 Werst langen Station vier Pferde vorspannen lassen, und so kamen wir trotz unseres schweren Wagens doch nach vier Stunden in der Stam'tza Aseraudn'a an. Was n, Rußland häufig geschieht, daß Pferde eine Strecke von l l deutschen Stunden ohne Unterbrechung lausen müssen, würde bei uns unerhört seyn, da sich unsere Lohnkutscher kaum bewegen lassen mehr als die Hälfte Weges, ohuc ein Futter zu geben, zu fahren, trotzdem die letztern noch die doppelte Zeit, um zum Ziele zu gelangen, brauchen. Man glaube aber durchaus nicht, daß die russischen Pferde wegen dieser größeren Anstrengungen früher zu Grunde gehen, oder daß sie vielleicht abgemagerter erscheinen, im Gegentheil kamen mir diese im Allgemeinen wohlgenährter und wohlausseheuder vor. Der Russe halt seine Pferde, die er sich selbst heranzieht, gut und behandelt sie oft wie seine Kinder. Man sieht nie so abgemagerte und alte Pferde als bei uns, die bis dahin, wo sie kraftlos niederstürzen, ihr kärgliches Futter sich sauer verdienen müssen. Der Russe treibt sie zwar Mehr zum Laufen an, muthet ihnen aber nie zu schwere Arbeiten zu und Pflegt sie zu Hause angekommen in einer gesunden Stallung wit nahrhaftem Futter. Vei uus müssen sie die größten Lasten Ziehen und werden dann nicht selten in einen dumpfigen Stall ohne hinlängliche Nahrung gesperrt. Die Karete meines früheren Gefährten vermißte ich immer mehr, zumal der Platz in der Pawooka*) mir kaum erlaubte das zu thun, wonach ich beim Fahren am meisten strebe, die Veine auszustrecken. Noch mehr bedauerte ich den armen Unterofsicier, dem ein Plätzchen angewiesen war, was ihm gerade zu sitzen fast nicht erlaubte. Seine Beine konnte er gar nicht im Wagen unterbringen, und so war er gezwungen sie außerhalb desselben zwischen den Rädern hinhängen zu lassen. Mir war es unbegreiflich, wie dieser Mann auf dem Platze, auf dem die Balance zu halten nicht leicht war, noch von Zeit zu Zeit schlafen konnte. Aber auch mein Gefährte huldigte trotz aller Unbequemlichkeiten dem >°) Eigentlich Powoska; da aber der Russe gewöhnlich das o, wenn der Ton nicht darauf liegt, wie a ausspricht, kann man im Deutschen auch Pawoska schreiben. Auf gleiche Weise verhalt es sich mit Wo-ronesch!c. 17« süßen Schlafe. So müde ich auch war, so war ich doch froh, als in Georgieffsk wo wir uns kurze Zeit, um zu frühstücken, aufhielten, der Tag anbrach. Kurz vorher hatten wir die Kuma passirt, und die große ebene Steppe betreten, welche nach dem Flusse den Namen führt und sich immer mehr entfaltend bis an die Küste des kaspischen Meeres sich hinzieht. Es that mir leid, daß mein Gefährte auf keine Weise sich dazu verstehen wollte, einen halben Tag in Georgieffsk zu verweilen, trotzdem es, wie wir später sehen werden, ohne Zeitver-saumniß hatte geschehen können. Die Sonne ging eben auf, als die Pferde vorgeführt wurden und brachte mir einen Genuß, der mir über alles ging. Das ganze herrliche Gebirge des Kaukasus lag vor mir und wurde von Osten aus allmählich beleuchtet-Alle die Schönheiten der Schweiz blieben zurück, als ich hier von der Kumasteppe aus ein hundert Meilen langes Gebirge von Osten nach Westen sich hinziehend erblickte, als zuerst die fernen tsche-tschischen und lesgischen Gebirge ihren Schleier lüfteten und mir die Anhöhen in Purpurgluth getaucht zu schauen erlaubten. Und als gar der nächtliche Schleier sich immer mehr nach Westen hin zurückzog, und alle die riesigen Häupter freundlich mir eutgegen-blitzerten, da war mir, als müsse die Brust vor Freude über das Großartige sprengen. Eine geheimuißvolle Stille herrschte in der Natur und störte mich nicht in meinen sinnigen Betrachtungen. Schon lange vor Aufgang der Sonne hatte ich durch meinen Gefährten aufmerksam gemacht eine Stelle an dem hohen Ufer des Podkumok ausgesucht und vor mir lag im Anfange noch der Kaukasus in trüber Ferne. Ich hatte Zeit vorher, ehe die ganze Umgegend hell beleuchtet war, mich zu orieutiren und sah allmählich an den Spitzen der eisigen Höhen, wie die Sonne unserm Horizonte sich näherte. Es war eine eigenthümliche Erscheinung, als die ganze Schneelinie des Gebirges, die noch einen Augenblick vorher in purpurner Finsterniß da lag, mit einem Nu hell beleuchtet sich zeigte und freudig blitzernd gegen das graue Dunkel der tieferen Regionen abstach. So was Herrliches hatten meine Augen früher nie erschaut. Aber auch der gleichgültigste Reisende würde von dem seltenen Schauspiele, das sich ihm von hier aus darbot, ergriffen worden sey». Die Abbildung, welche Pallas in 177 dem Atlas zu seinem Reisewerke über die südlichen Satthalter-schaftm auf der fünfzehnten Tafel liefert, vermag nur einen schwachen Begriff von der Großartigkeit des hier dargebotenen Panorama's zu geben. Das Seltene dabei war, daß das mächtige Gebirge, das Höhen von 15,000 Fuß besitzt, sich unmittelbar und plötzlich aus einer Ebene, die nur wenig hoher als die Meeresfiache ist, erhebt. Das nahe Beschtau-Gebirge mit seinen fünf kegelförmigen Spitzen verdeckt nur einen kleineu Theil des Kaukasus und mildert bei der Betrachtung mit seinem freundlichen Grün den großartigen Eindruck, über den man kaum zu athmen wagt. Georgieffsk liegt in dem Wiukel, der durch den südlichen Einflusi des Podkumok in dic Kmna gebildet wird, aber entfernter von dem letzteren Flusse hart an dem steilen Ufer des ersteren, und besteht aus der viereckigen und weitläufigen Festung und den übrigen 500 städtischen Gebäuden. Von allen Festungen, welche ich an der Linie gesehen, ist Georgieffsk die festeste, trotzdem ihre Wälle ebenfalls nichts weiter sind, als aufgeworfene Crdwände. Die Natur hat auf der einen (der südlichen) Seite das Meiste beigetragen, um die Stadt gegen einen plötzlichen Ucberfall der Bergvölker zu sichern. Die Anzahl der Einwohner betragt 1000 Seelen. Die Stadt wurde als solche schon im Jahre 1777 erbaut uud diente bis 1822, so lauge nämlich als Ciskaukasien ein zu Astrachan gehöriges Gouvernement war, zum Sitz des Gouverneurs und der Regierung. Von 1822 bis 1830 blieb es nur Hauptstadt eines den Namen der Stadt führenden Kreises, und als auch dieser mit dem Alexandroffschcn vereinigt wurde und Pjatigorsk durch Erhebung zur Hauptstadt des nunmehrigen Pja-tigorskischen Kreises begünstigt wurde, sank Georgieffsk zur gewöhne lichen Proviucialstadt herab. Die Errichtung zweier Jahrmärkte, die übrigens jährlich 2 — 300,000 Rub. Ass. in Umlauf bringen, vermag der Stadt uicht ihren frühereu Wohlstand wieder zu verleihen und doch muß sie, wenn die Cultur erst hier mehr Wurzel gefaßr haben wird, ihrer reizenden Lage halber wichtig werden. Nur ungern trennte ich mich von Georgiesssk und fubr in derselben, oben angezeigten Richtung fort, um noch zeitig in Ie-katerinograd anzukommen, denn es war möglich, daß von da aus Reisen und Ländcrbcschrelbungen. XXIII. 12 (Reise nach Kaukasien.) H ^ 178 noch denselben Tag eine große Karawane mitten durch Tscher-kessien sich bewegte. Wir passirten gleich im Anfang den Podku-mok und fuhren dann der Steppe entlang, immer die Fünfberge (Beschtau) und besonders den Maschuk zur Rechten habend. Ich schweige jetzt von den Fünfbergen und seinen wichtigen Bädern, und spare, da ich anderthalb Jahre später einige Zeit in Pjatigorsk selbst verlebte, die Beschreibung derselben für ein späteres Capitel auf. Vor der Mariinskischen Stam'tza durchfuhren wir die Solka, ein Nebenflüßchen des Podkumok, und kamen nach 25 Werst nach Pauloffska an das Ufer der Kura. Dieses Flüßchen entspringt nach Klaproth ungefähr vier Stunden von der Malta, läuft östlich und verliert sich unweit des kleinen, kaum aus einigen Häusern besteheuden Dörfchens Kasajebajama in dem Sande des Mosdok'schen Kreises. Klaproth meint, da es dasselbe Gerölle als die Malta mit sich führt, daß zu einer Zeit, wo das kaspische Meer noch mehr landeinwärts gegangen wäre, die Malta in dem Flußbette der jetzigen Kura sich in das kaspische Meer ergossen habe. Auch vom Terek behauptet er, daß er ebenfalls früher von Iekaterinograd aus weiter nördlich geflossen sey und daß beim Zurücktreten des Meeres die Ausflüsse genannter Strome versandet und diese selbst deßhalb gezwungen gewesen seyen, da nach Norden sich zu viel Gerolle angehäuft hatte, sich östlich einen andern Lauf zu suchen. Dieses Versanden der nördlich fließenden Flüsse darf uns gar nicht verwundern, da ja jetzt noch die bedeutende Kuma zum großen Theil im Norden derselben Steppe sich verliert. Unsere Reise ging nur sehr langsam vorwärts, da bei der Hitze des Tages und dem Gewichte des Wagens häufig die Achsen sich entzündeten und mancherlei Vorsichtsmaaßregeln getroffen werden mußten, um nicht unsere Sachen ein Raub der Flammen werden zu lassen. Auf diese Weise war es fast Mittag geworden, als wir endlich den Pjatigorskischen Kreis verließen und in Sol-datskaia die erste Stam'tza des mosdok'schen Kreises begrüßten. Von nun an führte der Weg auf dem linken Ufer der Malta, über welcher die große Kabardah sich ausbreitet, in östlicher Richtung bis nach Iekaterinograd, wo wir endlich erst gegen fünf Uhr den Nachmittag ankamen und uns ein sogenanntes Kvonslogis 179 anweisen ließen. Ich beschließe hier wiederum die Beschreibung meiner Reise und lasse nun eine Monographie der Linienkosaken und eine geschichtliche Entwickelung derselben folgen. Dreizehntes Capitel. 1. Von den Linien-Kosaken. Geschichte der nissischen Veschungen im Norden des Kaukasus; Tmutorakau; Terli; die grebenschen Kosaken; Peter der Große; Swätoi-Kvest: Kisljar; Mosdok; Kutschuk-Kainardschi; die kaukasische Linie; der Schwarzwald; neueste Verstärkung der Linie; Eintfteiluna, der Linie nach Suboss; jetziger Vestand; Starte der einzelnen Regimenter; Veschreibung derselben; das terki.semcinsche; grebenschc; mosdossche; gorskische; wolgaische; chopersche; stauropolsche; kubansche und laukasische Regiment; Rußlands Ein,-ftuß in Asien; Kriegsmacht am Kaukasus; Kosten der 3inie; Verfassung; Vcschästigun: gen; Sitten; Erziehung; General Saß; Kleidung; Stanitzen; Wüschten; Majak; die tschernomor'schen Kosaken, Von jeher hatte Rußland das Streben, sich im Norden des Kaukasus fest zu setzen, und versäumte nie eine Gelegenheit, seinen Einfluß unter den Völkern desselben geltend zu machen. Die gemeinschaftliche Religion des mächtigsten derselben, der Tscherkessen, mit den Russen in den frühern Jahrhunderten, war die Ursache, daß die erstern cine vorherrschende Zuneigung zu den letztern besaßen und eine beständige Verbindung mit diesen unterhielten. Aber selbst noch früher hatten Slawen am Fuße des westlichen Kaukasus eine Zeit lang sich festgesetzt, denn es ist sicher, daß slawische Fürsten die Nachfolger des Mithridates aus dem bosporischen Reiche vertrieben und daselbst bis zum Erscheinen der Hunnen herrschten. Im zehnten Jahrhundert sehen wir von neuem Russen in dem bosporischen Reiche und der tapfere Großfürst Swätoslaff gründet aus ihm das Fürstenthum Tmutorakan (Tamatarcha). Ueber ein Jahrhundert beherrschten russische Fürsten von hier aus die ganze Umgegend und übten besonders auf die Tschcrkessen einen großen Einfluß aus. Die von Dsten einbrechenden Komanen (oder Poloffzer, wie sie die Russen Nennen) vertrieben aber spater die Russen aus ihren südlichen Besitzungen, und erst nach der Eroberung Astrachans und dem Untergange des mongolischen Reiches Kiptschak in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts (1554) versuchen die Russen von neuem und zwar jetzt auf der östlichen Seite des Kaukasus festen Fuß zn fassen. Tscherkessen befanden sich schon unter den Truppen 12* 180 des Zarcs Johanns des Schrecklichen bei der Eroberung Astrachans, und cs scheint, als wenn ein Theil sich schon damals unterworfen hätte, denn das Jahr darauf fochten sie für Rußland in dem entfernten Lioland. Im Jahr 1557 unterwarfen sich die im Osten des Terek wohnenden Tjumenischen Tartaren ^ welche Klaproth und Potocki fälschlicher Weise Tscherkcssen nennen, unter ihrem Fürsten Agim; es scheint aber, daß sie von ihren Nachbarn gedrangt waren, denn sie verlangen Hülfstruppen und suchen spater die Russen wieder los zu werden. Ihre Unzufriedenheit erreicht den höchsten Grad, als jene im Jahr 1568 am Ausfluß eines der Arme des Terek in den kaspischen See, der Residenz Tjumen (eine Stadt, die nicht mit der sibirischen gleichen Namens verwechselt werden darf) gegenüber die Stadt Terki angeblich zu ihrem Schutze erbauten und diese befestigten. Wahrscheinlich ist es aber, daß Tjumen auch den Namen Terki führte, denn Timur hielt sich während seines dritten Feldzuges gegen Kiptschak eine kurze Zeit in einer Stadt Terki am Terek auf. Die Russen hatten dann eine Besatzung, besiehend aus grcbenschcn, jaikschen und Wolga-Kosaken hinein gelegt und dadurch auch Ursache zur Unzufriedenheit gegeben. Einige Geschichtsforscher meinen, daß Tjumen und Enden gleichbedeutend seyen. Die Klagen der tjumen'schcn oder terkischen Tataren gelangten bis zu dem Sultan Selim und dieser, schon durch die Eroberung Astrachaus durch die Russen aufgebracht, verlangte die Räumung Terki's. Wem« sein Wunsch l 570 auch befriedigt wurde, so bemächtigten sich doch russische und tscherkcssische Abenteurer der verlassenen Stadt und wurden den umwohnenden Mohammedanern gefährlicher, als die Russen je es gewesen waren. Unter dem Namen der terk'schen Kosaken plünderten sie besonders in den Müssen der Nogaier, und wurden trotz der Beschwerden des Sul-taus Amurath III. in allen ihren Unternehmungen von den Russen heimlich begünstigt. Die Unterwerfung der tachetischen Zaare (in Grusien) und die freundschaftlichen Verbindungen mit dem persischen Schah Abbas dem Großen gegen die mächtigen Türken machten es aber nothwendig, Terki wiederum zu besetzen und von hier aus den Einfluß Rußlands auf Kosten des türkischen zu vermehren. Der 181 Fürst Chworostinin wurde im Jahre 1591 beauftragt, der Stadt Terki eine größere Festigkeit zu geben, nachdem schon vorher mit Erfolg gegen den Schamchal von Tarku gekämpft, dessen Hauptstadt Enden und noch ein dritter Ort mit russischen Truppen besetzt und die Festung Koisa (Koisuh) angelegt war. Zur Verstärkung der Russen in Terki siedelte sich auch ein tscherkessischer Fürst Suntschalei-Kanglitschi auf dem entgegengesetzten Ufer des Terek mit seinem Volke an und leistete wichtige Dienste. Doch eben dieser Erfolg war die Ursache, daß der Sulran Achmed I. 1604 den bedrängten Mohammedanern Dagestans ein Hülfscorps, das auf 30,000 Mann angegeben wird, sandte. Mit diesen wurden die von Russen besetzten Orte überfallen und deren Besatzung, den Commandanten Vutturlin an der Spitze, meuchelmötderisch niedergehauen. Die Besatzung von Koisa verbrannte ihre Festung und zog sich nach Terki zurück. Hiemit wurde der Einfluß Rußlands im Kaukasus sehr geschwächt, und dieses war unter der Regierung des Vasilius Schuisky bis zur Thronbesteigung des Michael Feodorowitsch aus dem Hause Romanoff nicht im Stande, diesen wieder zn erhöhen. Doch Terki blieb Rußland treu und nahm selbst unter seinem Woi-woben Golowyn in Verbindung mit den Veschtau-Tscherkcsse» Partei gegen den Kosaken-Attaman Zarutzky und den falschen Demetrius, die beide in Südrußland und besonders in Astrachan großen Anhang hatten. Die Kaiser aus dem Hause Romanoff richteten ebenfalls ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Kaukasus, und Michael Feodorowitsch sandte den hollandischen Ingenieur Cornelius Klausen nach Terki, um dasselbe mit Wallen und Bollwerken auf europäische Art zu umgeben. Sein Sohn Alerei Michailowitsch ließ ferner l670 die Festungswerke Terki's durch den schottischen Ingenieur Thomas Vayley vergrößern. Erst Peter der Große, nachdem der Kachetische König Artschil 1683 in Terki den Eid der Unterthanschaft geschworen hatte, legte wiederum auf den Kaukasus und mehr noch auf das kaspische Meer großen Werth und benutzte die persischen Thronstreitigkeiten zu seinem Vortheil. Die Unterwerfung der greben'scheu Kosaken unterstützte ihn m seinem Vorhaben, und gab 1711 den Anlaß zur ersten Begründung einer Kosaken-Linie nördlich vom Kaukasus. Diese 182 greben'schen Kosaken schildert Suboff (Ugrtin» l^MasIla^o Ili-aja II., 108) als Flüchtlinge, die den Attaman Zarutzky in seinen Ansprüchen für seinen Stiefsohn, einen Sohn eines der falschen Dcmetriusse unter der Regierung von Vasilius Schuisky, unterstützten und nach der Gefangennehmung jener in die Sund-schaischen Gebirgsrücken, oder Greben (Gebirgskamme, wie sie von den Russen genannt werden) sich flüchteten. Allein schon bei der Besetzung von Terki im Jahr 1568 werden greben'sche Kosaken genannt, welche die ersten Bewohner dieser russischen Niederlassung bildeten. Georgi wirft sie fälschlicher Weise mit den Terk'schen Kosaken zusammen. Wann sie entstanden sind, ist nicht nachzuweisen, wie es mit vielen andern Kosaken derselben Zeit der Fall ist. Anfangs wohnten sie mehr im Gebirge und behaupteten gegen alle Nachbarvölker ihre Freiheit. Wahrscheinlich aber hart bedrängt und zu schwach, um sich gegen die Gebirgs-Vdlker zu behaupten, vielleicht auch um ungestrafter Einfälle machen zu können, baten sie 1711 Peter den Großen, unter die Zahl der russischen Unterthanen aufgenommen zu werden. Es wurde ihnen mit der Bedingung gestattet, daß sie sich auf dem linken Ufer des Terek ansiedelten und den Fluß von seinem Em-siuß in das Meer bis dahin, wo die Sundscha sich in ihn ergießt, bewachten. Es entstanden auf diese Weise die fünf ersten Stanitzen (oder Städte, wie sie damals noch genannt wurden) Alt- und Neu-Gladka, Kurdjukowa, Schtschadnn und Tscherwlennoi. In Folge eines Vertrages mit dem vertriebenen Schah Tha-masip 1722 wurden alle westlich und südlich am kaspischen Meere gelegenen Länder an Rußland abgetreten, und Peter der Große übernahm selbst das Commando über die Truppen, welche diese besetzen sollten. 442 Schiffe von Astrachan aus geschickt, landeten am Ausflusse des Flüßchens Sulak (südlich vom Terek), und mit 106,000 Mann unternahm er die Unterwerfung Dagestans bis Derbend. Auf dem Rückwege erbaute er am Sulak die Festung zum heiligen Kreuz (Swatoi Krest, nicht zu verwechseln mit der Stadt gleichen Namens an der Kuma) und legte eine starke Besatzung hinein. Vergebens suchte im Jahr 1725 der Schamchal von Tcnku mit einem Heere von 80,000 Dagestanern sie zu erobern und zu zerstören, der General Kropotoff schlug und verjagte ihn. 183 Terki, die Stadt, welche so lange der Punkt gewesen war, von wo aus Rußland seine Macht gegen den Kaukasus entfaltet hatte, wurde im Jahre 1728 aus freien Stücken geschleift und nur eine schwache Verschanzung, die noch heutzutage den Namen der Terk'schenVerschanzung führt, steht unweit der Stelle, woes früher gestanden. Die Stelle selbst wird.jetzt vom Meere bespült. Seine Garnison wurde nach Swatoi Krest und Tarku übergesiedelt. Doch alle Eroberungen, welche Peter der Große am kaspischen Meere geschaffen, gingen nach seinem Tode wiederum und zwar ohne Schwertstreich verloren, und ein Vertrag zwischen dem damals schon mächtigen Wekil Nadir Kuli-Chan, dem spätern Nadir Schah, und der Kaiserin Anna Ioannowna setzte im Jahre 1735 den sogenannten alten Terek zur Gränze beider Reiche. Trotz der Siege Münnichs in der Türlei kam ferner ein eben so nachtheiliger Vertrag zwischen derselben Kaiserin und dem Sultan 1739 zu Belgrad zu Stande, in Folge dessen auch die beiden Kabar-den für frei erklärt wurden. Die Festung Swatoi. Krcsi wurde geschleift, und seine Bewohner, unter dem Namen der Terk'scheu Kosaken fortwahrend bekannt,, zur Garnison einer neuen Stadt Kisljar,^) welche auf dem nördlichen Ufer des Terek, wo er sich in drei Arme theilt, 70 Werst vom Meere entfernt, erbaut und mit Wallen umgeben wurde, verwendet. Handeltreibende Bergvölker und Kumüken benutzten die Sicherheit der Umgebung und gründeten an der Festung eine Art Vorstadt. Um die Stadt noch wehr zu sichern, wurden am nordlichen Arme des Terck noch die drei Stanitzen Kargalinka, Dubosssky und Borosdinka angelegt, und zu deren Bevölkerung aus jeder Stanitza der Don'schen Kosaken eine Familie hierher versetzt. Dieß war auch die Ursache der Benennung Semeinsche, d. i. Familien-Kosaken — ein Name, welchen sie jetzt noch führen. Doch kaum hatte Katharina II. den russischen Thron bestiegen, als sie sogleich auf den Kaukasus ihr Augenmerk richtete und 1763, nachdem ein Fürst der kleinen Kabardah, Kurgok Kantschiokin, die christliche Religion angenommen, sich unter den *) Die Stadt wurde nach dem nördlichen Arme des Terek so genannt. Der Name ist tatarisch und bedeutet ein ertrunkenes Mädchen. Aber schon in, dem Derbend-Nameh wird diese Gegend Kisljar genannt. 184 Schutz Rußlands gestellt und ein Stück Land westlich am Terek abgetreten hatte, die Anlegung einer neuen Festung an der östlichen Gränze der kleinen Kabardah am Terek befahl. Trotz des Widerspruches der Kabarder war im folgenden Jahre Mosdok zum Schrecken aller Bergvölker fertig und mit 200 getauften Kabar-dern und 50 Familien don'scher Kosaken bevölkert. Von nun an traten die Kabarder entschieden gegen Rußland auf, und je mehr sich dessen Einfluß im Kaukasus vermehrte, um so stärker wurde ihr Haß. Um den Strich Landes zwischen der äußersten greben'schen Stanitza Tscherwlennoi und Mosdok zusichem, wurde im Jahr 1770 ein Theil der unnütz gewordenen Wolga-Kosaken hierher versetzt und diese gründeten unter dem Namen der Mosdok'schen Kosaken die Stanitzel, Kalinoffök, Mekensk, Naur, Ischtschorsk und Koljugai. Von nun an begann ein heftiger Kampf zwischen den Tscher-kessen, d. i. den die nördlichen AbHange des westlichen Kaukasus bewohnenden Bergvölkern und den Russen, der bis jetzt noch nicht ausgekämpft ist. Die mächtigen Torguten unter ihrem Chan Ubaschi traten als entschiedene Gegner der Tscherkessen und No-gaier auf und bekämpften sie in mehreren Schlachten. Die Folge war, daß die beiden Kabarden sich unterwerfen mußten. Die plötzliche und unvorhergesehene Flucht der Torguten aber nach ihren ursprünglichen Wohnplätzen, nach der Songarei. gaben den Bergvölkern wiederum neuen Muth, und durch die Vekehrungs-versuche der Russen aufs äußerste gereizt, griffen die Kabarder zu den Waffen und setzten den am Terek commandirenden General von Medem in nicht geringe Verlegenheit. Trotz der türkischen Hülfe erreichten sie aber ihre Unabhängigkeit doch nicht und wnrden 1774 durch den mit den Türken abgeschlossenen Tractat zu Kutschuk-Kainardschi für russische Unterthanen erklart. Um die nördlichen und ostlichen Gränzen noch mehr vor den Einfallender Bergvölker zu sichern, oder vielmehr um beständig ein starkes Heer bei der Hand zu haben, und in nöthigen Fallen in die innern Angelegenheiten des Kaukasus einzugreifen, erhielt der General von Iakoby, der den General Medem ersetzte, den Befehl, die Vertheidigungs-Linie von Mosdok aus westlich längs des Terek und der Malka zu verlängern und eine Verbindung mit Tscherkask 185 durch Festungen herzustellen. Es wurden westlich und nordwestlich von Mosdok die Festungen Iekaterinograd, Pauloffsk, Mariisk, Georgieffsk, Andrejeffsk (jetzt wieder verlassen), Aleran-droff, Sewernoi, Stauropol, Moskoffsk und Donsk zum Schrecken aller Bergvölker augelegt und zur Bevölkerung derselben ebenfalls wieder Wolga-Kosaken angewendet. Eine unmittelbare Folge war die Unterwerfung des Seraskiers der Kuban'schen Tataren, Kasi-Gerai-Sultan, im Jahre 1778 und die Besitznahme der Gegenden nördlich am Kuban, d. i. des alten Fürstenlhums Tmurorakan. Dieser wurde von nun an Granz-stuß im Westen, wie der Tcrek und die Malka es im Osten smd. Die Kabarder griffen 1779 von neuem zu den Waffen, fochten aber unglücklich gegen den General Iakoby und gaben dadurch die Gelegeuheit, daß Nusitand die Malka als südliche Gränze der ciskaukasischen Provinz erklärte und im folgenden Jahre in der Nähe der berühmten kaukasischen Bader, nach denen es schon lange gestrebt hatte, die Festung Konstantinogorsk anlegte. Die Unterwerfung des grusischen Königs Heraklius II. 1783 machte es nothwendig, eine Straße mitten durch die kleine Kabardah und über den Kaukasus zu errichten, und so wurde am Fuße des Kaukasus am rechten Ufer des Terek im Lande der Inguschen die bedeutende Festung Wladikaukas (Herrscher des Kaukasus) im Jahre 1784 erbaut. Um die an der Taschla und am Iegorlük angelegten russischen Colonien gegen die Einfalle der Transkubaner, wie meistens die jenseits des Kuban wohnenden Bergvölker von den Russen genannt werden, zu schützen, wurde im Jahre 1794 die Linie westlich von Georgieffsk bis an die Nedremannlsche Redoute ge-zogen und durch die Stanitzen Boroffskoleßn, Temnolesin, Protsch-noiokopsk, Grkgorkopolsk, Temischbegsk und Kaukask näher bestimmt. Die vier letztern liegen unmittelbar an dem Kuban. Die "ste Stanitza an diesem Flusse, Ustlabinsk, war schon drei Jahre früher erbaut. Die Strecke zwischen der Malka und dem Kuban bot aber immer noch den Tscherkessen Gelegeuheit ihre Einfalle in Cis-Kaukasien zu erneuern, und der Schwarzwald hatte für die Rauber hinlänglich Schlupfwinkel, um sie in ihren Unternehmungen zu unterstützen. Vorzüglich war der Theil des Gebirges, aus dem 186 der Kalaus entspringt und den wir schon unter dem Namen des Rauberwaldes kennen gelernt haben, und die auf ihm befindliche Stanitze Borossskoleßn (wörtlich übersetzt Rauberwald-Stam'tza) am meisten den Ueberfallcn ausgesetzt, und um diesen ein Ende zu setzen, wurden im Jahr 1798 von dem Dorfe Soldatsk längs des obern Theils der Malka und vou Konstantinogorsk längs des Podkumok bis zum Kuban acht Redouten aufgeführt, und diesen, um besonders die in Aufnahme gekommenen Bader noch mehr vor etwaigen Ueberfallen zu sichern, im Jahre 1803 und 1«04 noch sechs neue hinzugefügt, so daß nun die obere Gegend des Schwarzwaldes, der Malka und des Kuban durch 14 Redouten (Solenobrodsk, Bjelometschetski, Solsk, Ieschotsk, Neu-Utschreschdemij, Ka-sajeffsk, Ober-Abasinsk, Kalmuck, Kislowodsk, Niedcr-Abasinsk, Ust-Tachtamüschsk, Vatalbaschinsk, Iesentutzk und Kirilsk) vertheidigt ist. Um endlich noch die Stelle am Kuban von der Stanitza Ustlabinsk bis Kaukask zu decken, errichtete man im 1.1805 aus kleinrussischen Kosaken die Stanitzen Woroneschsk, Ladogsk, Tiflisk und Kasansk. Mit der Erbaunng der zuletzt genannten Stanitza war die südliche Gränze durch einen militärischen Cordon, der mit der sogenannten Militärgranze in Ungarn verglichen werden kann, vor den Einfallen der Bergvölker gesichert. Von Zeit zu Zeit wurden auf den Stellen, wo man es noch nothwendig fand, neue Sta-nitzen oder Redoutcn erbaut. Aber weit entfernt, mit dem Ve-sitzthume, den eben dieser Cordon von den Bergvölkern schied, zufrieden zu seyn, schob man immer Festungen iu die feindlichen Länder jenseits des Cordons und beengte die Besitzungen der Kaukasier. Auf diese Weise ist man jetzt dahin gelangt, daß die angranzenden Provinzen unter russischer Oberhoheit stehen und seine Bewohner durch in ihrem Lande liegende Festungen so eingeengt sind, daß sie öffentlich nicht mehr wagen, feindlich gegen Nußland aufzutreten. Nach der Unterdrückung der polnischen Revolution wurden auch von den vier Regimentern der kleinrussischen Kosaken, welche der Adel Kleinrußlands errichtet hatte, zwei an die Linie versetzt und sind nun 8 Jahre (seit 1833) in Thätigkeit. Zu derselben Zeit verwandelte ein kaiserlicher Befehl 32 Dörfer mit 27 — 30,000 Einwohnerin Stanitzen und sicherte dadurch besonders die kaukasischen Bader und die große Straße von Stauropol nach Iekaterinograd. Endlich wurden noch zur Verstärkung der einzelnen Stanitzen und «87 zur Begründung neuer in den Jahren 1836 und 1837 nlcht weniger als 2075 Familien (10,851 Seelen stark) hierher versetzt. Nach der geschichtlichen Auseinandersetzung der Entstehung der Linienkosaken wird es wohl mm, ehe ich überhaupt auf ihre Fuuctionen und Eigenthümlichkeiten übergehe, nothwendig, eine genaue statistische Uebersicht derselben zu geben, zumal selbst der genaue Suboff in seinem Gemälde der kaukasischen Lander den Be« stand anders angibt als er wirklich ist, und mir Hülfsmittel zu Gebote standen, die mich mit den geringsten Details bekannt nachten. Suboss theilt die kaukasische Linie in die linke, rechte und mittlere Flanke und rechnet zn der ersteren das terskische, semein'sche, greben'sche, mosdok'schc und wolga'sche Regiment, zu der zweiten hingegen die übrigen Regimenter, als das choper'sche, kuban'sche und kaukasische. Die mittlere Flanke bildet den Theil der kaukasischen Militärstraße, welcher von Iekaterinograd bis Wladikaukas sich hinzieht, gehört aber gar nicht zur kaukasischen Linie, die Ciskaukasien vor den Einfallen der Bergvölker zu schützen hat, sondern eben zur militärisch besetzten kaukasischen Straße, die in ihrem ganzen Verlauf bis Tistis wiederum eine eigene Linie von Krepostcn, Lagern und Redouten zu seiner Beschützung hat. Aber nicht Kosaken in Stanitzen sind die Wachter der Straße, sondern Linien-Truppen verschiedener von einander unabhängiger Regimenter. Zur Zeit als der Kaiser Nikolaus die Linie im Jahre 1837 besuchte, bestand sie aus 9 Regimentern berittener Kosaken und drei Artillerie-Compagnien, von denen die erstem damals 13,167, die letztern 448 Mann stark waren. Befehlshaber ist ein General unter dem Namen Ataman oder Hetmann, unterstützt von 11 Stabs-officieren. Diese neun Regimenter bestehen aus: 260 Offt'cieren, 687 Urjadnik's, (Unterofficiere, Feldwebel lc.), 12,208 Kosaken. SummaVl3,i6? Mann mit 12,880 Dienst- und l 1,436 eigenen Pferden. Die drei Artillerie-Compagnien bestehen aus: 12 Officieren, 46 Urjadniks und 390 Gemeinen. Summa: 448 Mann mit 460 Dienst-und 306 eigenen Pferden. 188 Die Starke der einzelnen Regimenter ist verschieden und muß in den verschiedenen Zeiten eine andere seyn, da sie einzig von der Fruchtbarkeit der Kosakenfrauen und der in den einzelnen Jahren herrschenden Mortalität abhangt. Die Stanitzen bleiben immer dieselben, aber die Anzahl ihrer Einwohner ist je nach den Geburts- und Sterbelksten bald geringer bald größer. Im Herbst 1837 betrug die Stärke der Mannschaft und Pferde der einzelnen Regimenter, bei deren Aufzahlung ich von Osten nach Westen gehe, wie folgt: 1. Das Regiment der terki-semein'schen Kosaken: 1 Stabsofficier, 26 Officiere, 70 Urjadniks, 549 Gemeine. 646 Kosaken mit 642 Dienst-Pferden. 2. Das Regiment der greben'schen Kosaken: 24 Officiere, 60 Urjadniks, 789 Gemeine. 873 Kosaken mit 866 Dienst-Pferden. 3. Das Regiment der mosdok'schen Kosaken: 29 Officiere, 100 Urjadniks, 1535 Gemeine. 1664 Kosaken mit 1366 Dienst- und 1340 anderen Pferden. 4. Das Regiment der gorskischen Kosaken: 1 Stabsofficier, 35 Officiere, 77 Urjadniks, 930 Gemeine. 1071 Kosaken mit 1076 Dienst- und 1047 anderen Pferden. 189 5. Das Regiment der Wolga-Kosaken: 1 Stabsofficier, 21 Officiere, 65 Urjadniks, 1148 Gemeine. 1252 Kosaken mit 1286 Dienst- und 1266 anderen Pferden. 6. Das Regiment der choper'schen Kosaken: 4 Stabsofficiere, 27 Officiere, 91 Urjadniks, 1582 Gemeine. 1714 Kosaken mit 1806 Dienst- und 1766 anderen Pferden. 7. Das Regiment der stauropol'schen Kosaken: 26 Officiere, 77 Urjadniks, 1643 Gemeine. 1751 Kosaken mit 1777 Dienst- und 1757 anderen Pferden. 8. Das Regiment der kuban'schen Kosaken: 2 Stabsofficiere, 36 Officiere, 76 Urjadniks, 1984 Gemeine. 2078 Kosaken mit 2157 Dienst« und 2127 anderen Pferden. 9. Das Regiment der kaukasischen Kosaken: 2 Stabsofficiere, 36 Officiere, 71 Urjadniks, 2009 Gemeine. 2118 Kosaken mit 2147 Dienst, und 2113 anderen Pferden. 190 Diese neun Regimenter theilt man in die der ersten, zweiten und dritten Abtheilung (N0W5I) ein und rechnet zu der ersten die beiden westlichen Regimenter, das kaukasische und kuban'sche; zu der zweiten die mittleren: das stauropol'sche, choper'sche, wolgaische und gorskische, und endlich zu der dritten Abtheilung die östlich wohnenden Regimenter: das mosdok'sche, greben'sche und semein'sche. I. Die Regimenter der dritten Abtheilung oder der linken Flanke. 1. Das terki - semein'sche oder semein - kisljar'-sche Regiment ist das schwächste, trotzdem es, wie der Name schon sagt, aus der Verschmelzung zweier Regimenter des terk'-schen und semem'schen entstanden ist. Es nimmt im kisljar'-schen Kreise die Ländereien unmittelbar um Kisljar, vorzüglich an dem Flüßchen Kisljarka ein und besitzt zu seinem ökonomischen Gebrauche einen Flächeninhalt von 500 Quadrat-Werst. Nach wie früher bewohnen die terek-semein'schen Kosaken eine Vorstadt Kisljars und die drei Stam'tzen Kargalinka, Dubosssky und Borodinka. Erst in der neuesten Zeit ist unweit des kaspi-schen Meeres die Stanitza Alexandriisk erbaut worden. Die Kosaken beschäftigen sich hauptsächlich mit Fischfang und Weinbau und die Anzahl der Weinfelder soll über 1500 betragen. Große Vortheile ziehen sie aus dem Baue der Färberröthe und fuhren deren nach Suboff bis zu 1000 Pud *) jährlich ans. Außerdem wird auch Seidenzucht, weniger Ackerbau und Viehzucht getrieben. Nogaier in 300 Filzhütten beweiden die Steppen des Regimentes und bezahlen deßhalb für jede Filzhütte 5—10 Rubel an das Regiment ab. Im Herbst 1837 hatten die fünf Sra-m'tzen folgende Einwohnerzahl: Kargalinka, in 266Häusern 445 männlichen, 597 weibl. Geschl. Duboffsky 168 — 375 — 420 — — Borosdinka 199 — 264 — 289 — — Kieljar-Vorstadt 307 — 833 — 445 — — Alexandriisk 42 — 109 — l46 — — ' 902 — 2025 H 1697^1 ^" *) Dsts Pud hat 40 russische oder 35 Leipziger W»d, 191 Von diesen 2025 Kosaken männlichen Geschlechts befanden sich 646 (mit 1 Stabsofficier, 26 Officieren und 70 Urjadniks) in vollem, 385 (mit 10 Officieren und 19 Urjadniks) nur im mnern und 45 außer Dienst; 68 waren über 60 Jahre, 769 unter 16, und 65 über 16, aber unter 20 Jahren. 2. Das greben'sche Regiment hat ebenfalls seine Wohnsitze am Terek im tisljar'schen Kreise und besitzt einen Flächeninhalt von 1020 Quadratwersten. Trotzdem die Kosaken zn den ältesten der Linie gehören, so sind sie der Zahl nach bis in die neueste Zeit einander gleich geblieben, und nur zwei neue aber mibrdcul tende Stanitzel» haben sie den allen fünf hinzugefügt. Cie beschäftigen sich hauptsachlich mit der Jagd und führen oft große Züge witten durch das Land der Kmnükm nach dem nahen Kaukasus a»s. Ihr Getreidebau ist sehr gering, desto mehr beschäftigen sie sich aber mit dem Hanfball und d?r Hanfbereitung, mit der Seidenzucht und dem Weinbau. Ueber 2000 Weingärten liefern eine solche Menge Wcin, daß die ganze Umgegend damit versehen wird. Einen Hauptnahrungszweig bildet noch das Aus-Maben von wilder Farberröthe. Die Viehzucht reicht zum eigenen Bedarf hin, und trotzdem der fischreiche Tcrek ihnen hinlänglich Fische liefert, so wird der Fischfang nur sehr wenig betrieben. Die 7 Stanitzen waren im Herbst 1837 wie folgt bevölkert: Tscherwlennoi in 572Hausern 1427 männl. u. l517 weibl. Gcschl. Alt-Gladka — 150 — 399 — — 4l8 — — Nen-Gladka — 128 — 274 — — 303 — — Schtschadrin — 266 — 428 — — 537 — — Knrdjukowa — 122 - 271 — — 293 — — Schelkosawodsk — 105 — 272 — — 262 — — Parbotscheffsk — 19 — 63 — — 69 — — — 1362 - 3134 — —3399"'— —'" Von diesen 3134 Kosaken männlichen Geschlechtes waren ^3 (nn't 24 Ofsimren und 60 Urjadniks) in vollem und 265 ."^6 Offtciereu und 11 Urjadniks) nur im innern Dienst. )I. . "b"' sich außer allem Dienst, 185 waren über 60 Jahre, "1 zwischen 16 und 20, und 1284 unter 16 Jahren. , ?' D"s mosdok'sche Regiment nimmt ebenfalls die nördlichen Ufer des Terck ein, und zwar von der westlichen Stanitza 192 Tscherwlennoi des greben'schen Regimentes au, bis zur Kreisstadt Mosdok. Von den 6 Stanitzen liegt nur noch Kallnoffs in dem kisljar'schen Kreise, während alle übrigen sich in dem Vereich des mosdok'schen befinden. Das ihnen angewiesene Terrain hat den bedeutenden Flächenraum von fast 2000 Quadratwersten (40 geographischen Quadratmeilen). Die Kosaken, welche, wie oben gesagt, schon vorder Bildung der eigentlichen Linie im Jahr !770 von der Wolga hierher versetzt wurden, haben den kriegerischen Geist ihrer Vorfahren beibehalten und geben an Tapferkeit den greben'schen Kosaken nichts nach. Die Stanitze Naur ist des Muthes und der Tapferkeit seiner Bewohner halber berühmt, und zweimal schlug sie die Angriffe ihrer Feinde siegreich zurück. Das erstemal versuchte Kalga-Sultan, der General der von dem Chan der Krim Dewlet Gerai den Tscherkessen zur Hülfe gesandten 8000 Mann, im Jahre <7?4 Naur, eine einfache Sta-m'tze mit dritthalbtauscnd Einwohnern und nur von einem Pallisadenzaun umgeben, einzunehmen. Kraftig wehrten die Kosaken alle Angrisse ab, und erlegten gegen 800 Mann und unter ihnen den kabardischen Fürsten Kurtschnk aus der Familie Tatarchan. Noch heldenmüthiger war die zweite Vertheidigung im Jahr 1788 gegen den Scheich Mansur, der als von Gott abgesandter Prophet eine furchtbare Coalition gegen die Russen im Kaukasus erregt hatte. Gegen 20,000 Tschetschen versuchten vergebens Herr der Stanitza zu werden, die Kosaken thaten Wunder von Tapferkeit. Die Fraum ergriffen ebenfalls die Waffen und stellten sich in die vordersten Reihen, wo die Gefahr am größten war. Katharina II., als sie den heldenmüthigen Beistand der Naur'schen Kosaken-Frauen erfuhr, setzte ihnen sämmtlich eine lebenslängliche Pension aus. Jagd ist die Hauptbeschäftigung der mosdok'schen Kosaken, aber trotzdem vernachlässigen sie nicht den Getreidebau und bewässern durch mit vieler Mühe gegrabene Brunnen die entfernteren Steppen-Gegenden. Leider sind aber die Ländereien am Terek häufigen Ueberschwemmungen ausgesetzt. Der Weinbau ist weniger einträglich und trotzdem die Anzahl der Weingärten bis auf 2000 angegeben wird, so scheint das Terrain für reich-lichen Ertrag nicht geeignet zu seyn. Grosie Sorgfalt verwenden die mosdok'schen Kosaken auf den Bau des Saflors, und schicken hauptsächlich in das Gebirge eine große Menge dieser 193 Farbpftanze. Eine Haupteinnahme bildet bei ihnen auch noch die Viehzucht und Fischerei. Im Jahr 1837 hatte das Mosdok'sche Regiment 6 Sta-nitzen mit folgender Vewohnerzahl: Kalinoffsk in 359 Häusern mit 1041 mannl- u. 1167 weibl. Geschl. Mekenei — 142 — — 684---------694 — — Naur — 544 — — 1449---------1530 — — Ischtschorsk — 432 — — 1361---------1473 — — Stodereffsk — 220 — — 550---------571 — — Koljllgai — 247 — — 706---------758 — — ^ 1944 __ — 579,---------6l95 __ — Von diesen 5791 Kosaken männl. Geschlechts waren zu derselben Zeit 1664 (mit 29 Ofsicieren und 100 Urjadniks) vollständig activ, 621 (mit 1 Stabsofftcier, 14 Officieren und 40 Urjadniks) dürfen nur zum innern Dienst verwandt werden und die übrigen 3496 waren vollkommen passiv, wenn nicht die Noth aufs höchste gestiegen war. Von den letztern befanden sich 2521. unter 16, 505 zwischen Iß und 20 Jahren, 221 zwischen 20—60 und 249 über 60 Jahren. II. Die Regimenter der zweiten Abtheilung oder der mittlern Flanke. 4. Das gorskische Regiment oder das Regiment der Bergkosaken ist aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt und erlaubt deßhalb nicht eine dctaillirtere Beschreibung der Kosaken, welche es bilden. Iekaterinograd (Katharincn-stadt) ist die einzige Stam'tza aus den frühern Zeiten und erhalt in dem nächsten Capitel eine Beschreibung. Die übrigen 10 Sta-"itzen sind zum Theil aus Dörfern gebildet worden, zum Theil haben Bergvölker, vorzüglich Tschetschen, Inguschen und Ossen dte christliche Religion angenommen und freiwillig den Functionen der Linienkosaken sich unterworfen. Eincstheils mag der letztere Umstand die Ursache zur Benennung des ganzen Regimentes gewesen sey«, anderntheils mögen auch die nahen achlowischen Gebigskamme (Greben) und die zum Theil hohen Ufer der Malka den Namen herbeigeführt haben. Das erste Beispiel zur Annahme Weisen u,,d «andevbesch«il.u>,>icn. XXIII. 1I M«se nach Kaukasien.) tm der christlichen Religion unter den Bergvölkern gab schon vor der Anlegung der Festung Mosdok der Kabarder-Fürst Kurtschok (auch Kurgok genannt) Kantschiokin. 200 Personen beiderlei Geschlechtes kamen später nach Mosdok um sich taufen zu lassen. Dadurch auf die Vortheile aufmerksam gemacht, welche durch die Verbreitung der christlichen Religion der russischen Macht am Kaukasus entständen, erließ Katharina II. bei ihrem Regierungsantritt einen Nkas, vermöge dessen man allen Kaukasiern, die gesonnen wären die christliche Religion anzunehmen, mancherlei Vortheile und unter andern Geld zukommen ließ. Die sanguinischen Erwartungen bestasiaten sich aber nur im Anfange, denn bald sah man ein, daß nicht die Religion selbst die Kaukasier zur Veränderung ihres Glaubens bewogen hatte und daß sie als Christen zum großen Theil eben so unsichere Unterthanen waren. Man fand auch, daß einzelne verschmitzte Kaukasier zwei- und mehrmal sich taufen ließen, nm die ihnen ausgesetzte Belohnung zu erhalten. Ans dieser Ursache wurden die Bekehrungsversuche eingestellt. So oft man es spater, ja selbst in der neuesten Zeit versucht hat, machte man stets dieselben Erfahrungen. Es kam außerdem noch der Nachtheil dazu, daß die Kaukasier, besonders die fanatischen Mohammedaner, nur mit Widerwillen die Bekehrung ihrer Landsleute betrachteten und die Ueberzeugung erhielten, daß sie mit ihrer Freiheit auch ihren Glauben ablegen müßten. Der Haß gegen Rußland erhielt dadurch reichliche Nahrung. Zu spat hat man nun jetzt die entgegengesetzte Weise eingeschlagen und schützt jeden Andersgläubigen, besonders den Mohammedaner, in seinem Glauben nicht nur, sondern erbaut sogar Moscheen, schmeichelt den Priestern und besoldet angesehene Leute, die ihren Landsleuten begreiflich machen sollen, daß die russische Regierung es mit ihnen gut meine und gar keinen Eingriff in ihre kirchlichen Angelegenheiten thun würde. Auch dadurch hat Rußland sich nicht so sehr genützt, als es wohl geglaubt hat. Man halt die Besoldungen für Bestechung oder, wenn angesehene Bergfürsien sie erhielten, für Schwache, und hegt im erstem Falle kein Zutrauen gegen solche Leute oder sieht im letztern Falle mit Hochmuth auf den Kaiser herab, der gezwungen wäre von kleinen Fürsten den Frieden mit Geld zu erlaufen. Trotz aller großen Opfer ist die Anzahl der getauften Kaukasier 195 nur gering, und da ihr Auftnthalt jenseits der Linie ihnen durch ihre ungetauften Brüder verbittert wurde, waren sie meist gezwungen, ihr Vaterland aufzugeben, um jenseits der Malta und des Terek im jetzigen mostwk'schen Kreise sich niederzulassen. Es entstanden auf diese Weise eine Menge kleiner Dörfer, deren Bewohner nun zum Theil zu Kosaken gemacht worden sind. Die Strecke zwischen der pauloffskischen Stanitza und Mosdok war nur durch die eine Stanitze Iekaterinograd vertheidigt, und wenn auch unbedeutende Verschanzungen längs des nördlichen Ufers der Malta, wie auch auf dem ganzen Verlaufe des Terek, vorhanden sind, so waren diese doch nicht hinreichend das Land vor den Einfallen der Bergvolker zn schützen. Es wurden deßhalb die Stanitzen Lukoffsk, NeuOssetinsk, Tschernojarsk und Gorsk mit Kaukasiern bevölkert, uud die ebenfalls an der Malka gelegenen von Russen bewohnten Dörfer Paulodolsk, Priblüschnoi, Prochladnoi und Soldatsk, so wie die beiden an der Kura gelegenen Gosudarstwennoi und Kursk in Stanitzen verwandelt. Um die neu errichteten Stanitzen vollzählig zu machen, versetzte man wie schon gesagt noch 568 Familien aus dem Innern Rußlands hierher. Die Vergkosaken besitzen jetzt westlich von Mosdok die besten Gegenden des mvsdok'schen Kreises und beschäftigen sich eben so wie die andern mit Ackerbau, Viehzucht und Fischfang. Sie besitzen einen Flacheuramn von beinahe 3000 Quadrat-Wersten. Die 11 Stanitzen werden bewohnt wie folgt: 1. Gorski in 131 Hsrn. v. 189mannl.u.323weibl.Geschl. 2. Lukosssk in 113 — 288---------317 — — 3. Paulodolök in 250 — 826--------873 — — 4.Neu-Ossetinskin 84 — 293--------300 — — 5. Tschernojarsk in 88 — 306-------- 305 — — 6. Iekaterinograd in 298 — 610-------- 816 — — 7. Priblüschnoi in 119 — 300-------- 263 — — s. Prochladnoi in 160 — 505--------- 566 — — 9-Soldatsk in 193 — 695-------- 557 — — 10.Gosudarsiwemwi 384 , — 1075--------1023 — — N.Kursk in 59 — 137---------145 — — 1879 — 5424-------^ 5542 — — Das Regiment der Bergkosaken besteht aus 1071 Mann (darunter i Stabsofficier 35 Ofsiciere, 77 Urjadniks) in voller 13* 196 Activität; 388 Mann (darunter 7 Officiere und 13 Urjadm'ks) werden nur zum innern Dienst verwandt und 1325 (und unter ihnen 416 über 60 Jahre) sind ganz außer Dienst. Von den unmündigen sind 2267 unter 16, und 391 über 16 Jahren. Die Ursache der geringen Menge der voll-activen Kosaken gegen die übrigen liegt darin, daß das Regiment noch nicht ganz eingerichtet ist und 60 Familien erst angefangen haben ihre Hauser zu bauen, 77 hingegen noch hauserlos sind. Ihre innere Einrichtung braucht demnach sehr viel Leute. 5. Das wolgaische Regiment oder das Regiment der Wolga-Kosaken hat ebenfalls in der neuesten Zeit eine totale Veränderung erlitten, da Iekateriuograd, früher dazu gehörig, jetzt Hauplstanitza der Bergkosaken ist, Pauloffsk, Marieffsk und die alcraudroff'sche Stamtza ganz eingezogen sind und nur noch Gem-gieffsk übrig geblieben ist. Dafür sind aber nicht weniger als l2 neue Stam'tzen erbaut worden, und die sonst so wenig geschützte und nur durch unbedeutende Redouten vertheidigte Gegend der kaukasischen Bäder zwischen der Malka und der Kuma gehört jetzt zu den Theilen der ciskaukasischen Provinz, welche die Bergvölker am wenigsten zu durchbrechen im Stande sind. Der Ueberfall von Kislowodsk im Jahr 1636 wird wohl der letzte gewesen seyn, der in dem Pjatigorskischen Kreise geschehen ist. Um den neu errichteten Stanitzen die gehörige Starke zu geben, wurden nicht allein mehrere in dem Bereich liegende Dörfer geradezu in solche umgewandelt, sondern man verwandte ebenfalls Kaukasier, welche die christliche Religion angenommen hatten, und Armenier dazu und versetzte aus dem Innern Rußlands nicht weniger als 380 Familien (bestehend aus 1040 männlichen und 899 weiblichen Geschlechts) hierher. Die verschiedenartigen Elemente, aus denen ebenfalls dieses Regiment zusammengesetzt ist, sind auch die Ursache, daß seine Kosaken sich eben so wenig zusammengefunden habcn, wie die des gorskischen Regiments. Ihr Hauptnahrungszweig ist der Ackerbau und die Viehzucht, und besonders die letztere verspricht bei dem günstigen Terrain, das von den Fuchs- und Füufbergen durchzogen wird, mit der Zeit ausgezeichnet Zu werden. Der Fischfang kann, der unbedeutenden Flüsse halber, nur gering seyn, aber der Weinbau fangt an zu gedeihen und hat schon reiche Ausbeute gegeben. 197 Die Einwohnerzahl betrug wahrend meiner zweiten Anwesenheit in Ciskaukasien wie folgt: 1. Probjeschnoi m. 462 mannl. u. 46?wbl.G. in 198Hstn. 2. Neßlobnoi — 525 — 503 — — 149 — 3. Georgieffsk — 270 — 241 — — 80 — 4. Nieder-Podgornoi — 462 — 451 — — 126 — 5. Ober^Podgomoi — 634 — 615 — — 208 — 6. Ale^andriisk — 1177 — 116i — — 329 — 7. Babukoffsk — 886 — 541 — — 192 — 8.Gorjatschewodsk — 465 — 504 — — 201 — 9.Iesentuksk — 713 — 697 — — 270 — 10.Kislowodsk — 238 — 246 — __ QH ___ il.Vorgusomtsk — 100 — 102 — — 36 — 12. Bjelometschetsk — 554 — 557 — — 196 — 13. Lüsogorsk-Armensk — 525 — 503 — — 149 — 65,3 "^" 6111 — — 2092 — Dazu kommen noch die Leibeigenen der ^tam'tzen Vabukoffsk und Lüso-Armensk, 360 Seelen männlichen und 295 weiblichen Geschlechts in 92! Hausern. Von diesen 6893 Bewohnern männlichen Geschlechtes befanden sich 1252 (darunter 1 Stabs-officier, 21 Officiere, 65 Urjadniks) in vollem, 476 (darunter 1 Stabsofficier 5 Officiere und 27 Urjadniks) im innern Dienst und 1583 dienstfähige verrichten die häuslichen Geschäfte, zumal 66 Familien noch gar keine Häuser haben und 25 selbige zu bauen angefangen hatten. 301 Kosaken sind über 60 Jahre alt, 2761 hingegen befinden sich unter dem 16ten und 520 zwischen dem 16ten und 20sten Jahre. 6. Das choper'sche Regiment bildet bei Suboff das erste der linken Flanke und hat im Jahre 1836 und 37 ebenfalls eine totale Veränderung erlitten. Sewernoi ist die einzige Stanitze, welche diesem Regiment bei der neuen Einrichtung geblieben. Früher nahm es nördlich von genannter Stanitze bis "ach Donsk die Umgegenden der großen russisch-kaukasischen Heerstraße ein und bestand außer Sewernoi und Donsk noch aus der stauropol'schen und moskauischen Stanitze, jetzt hingegen hat es die Gegenden am obern Kuban und das zwischen Malka und Kuban sich nach Ciskaukasien vorschiebende Gebirge, das nordlich vorzugsweise den Namen Schwarzwald führt, zu 198 vertheidigen und erstreckt sich ostlich bis auf die östlichen Abhänge des runden und des Raubcrwaldcs. ?u seiner jetzigen Gestaltung zog man aus Donsk, Moskoffsk und Stanropol, so wie aus der früher zum wolgaischen Regimente gehörigen alerandroffs-kischcn Stanitze die dort wohnenden Kosaken-Familien, machte die Bewohner von Sabljah, Sergieffsk, Kalinosssk und Gru-schesska zu Kosaken, und ihre Dörfer zu gleicher Zeit zu Sta-nitzen, verwandte die früher zum kuban'schen Regiments gehörigen Kosaken der Stanitza Woroffokolestn, und, um das rechte Ufer des Kuban, an dem, wie wir früher gesehen haben, eine Menge Redouten aufgeführt waren, ebenfalls mit Stam'tzen zu versehen, wurden 506 Familien aus dem Innern Rußlands in den Bereich des choper'schen Regimentes versetzt. Auf diese Weise hat nun dieses die Stärke erhalten, welche es jetzt besitzt und vermag jeden feindlichen Versuch, den Kuban zu überschreiten oder die Schluchten des Schwarzwaldes durchzuschleichen, zu vereiteln. Auch diesem Regiment fehlt noch das gemeinschaftliche Interesse, was nur mir der Zeit durch die gemeinsamen Gefahren und Angelegenheiten hervorgehoben werden kann. Ihr Terrain ist besonders wegen der krauterrcicheu Hohen des Schwarz-, Räuber- und runden Waldes zur Viehzucht und zum Theil wegen der wasserreichen Niederungen zum Getreidebau geeignet. Wahrscheinlich werden die 165 Familien, welche in der Zeit, wo ich diese Gegenden zum zweiten Male besuchte, noch häuserlos waren, nun ihre Wohnungen sich vollendet haben und nach uud nach zu dem Wohlstand gelangen, den die günstigen Verhältnisse ihnen darbieten. Es bewohnte im Jahr 1837 das choper'sche Regiment 11 Stanltzen und hatte zu derselben Zeit folgende Einwohnerzahl: 1. Sabljah mit 175Hsrn. 7tt)V.mannl.u. 653 wbl. G. 2. Krugloleßn —303 — 1119 — — 1154— — 3. Sewjernoi — 88 — 508 — — 450 — — 4. Kalinoffka *) — 330 — 1150 — — zygy _ »- *) Nicht zu verwechseln mit der Stanitza gleichen Namens des greben'schen Regimentes. 199 Uebertrag: mlt 896 Hsrn. 3493 B. mannl. u.3347 wbl. G. 5. Gruscheffka — 223 — 820 — - 738 — — 0. Sergieffsk — 170 — 757 — — 668 — — 7. Newinnomüsk — 250 — 9V — — 852 ^ — 8.Bjelometschetsk*)—208 — 991 — — 9,5 — — 9. Vatalpaschinsk — 361 —1287 — — 1264— — 10. Vekitscheffsk —275 —1102 — — 1024 — — il.Suworoffsk — 340 — 1233 — — 1181 — — "^-2723 —10602 — —10039 — "^ Von den 10,602 Bewohnern männlichen Geschlechtes waren zu der schon oft genannten Zeit nur 1704 Mann (darunter 4 Stabsofficicre, 27 Officicre und 91 Urjadniks) in voller Activi-ät, 1029 (darunter 11 Officiere und 40 Urjadniks) versorgten den innern Dienst und die übrigen, und zwar 646 wegen zu hoheu (da sie das 60ste Jahr überschritten hatten), 5l66 wegen des minorennen Alters s unter ihnen halten 990 das !6te Jahr erreicht) und 2057 besorgten die häuslichen Geschäfte, zumal ein großer Theil, wie schon oben gesagt worden ist, noch mit der innern Einrichtung ihrer hauslichen Angelegenheiten beschäftigt war und zum Theil selbst den Bau ihrer Häuser noch nicht begonnen hatte. 7. Das stauropolsche Regiment ist ebenfalls in dem letzten Iahrzehcnt errichtet worden und besteht aus geringen Theilen des chopcr'schen und kuban'schcn Regimentes, aus getauften No-gaiern und Abassen, aus 57 hierher versetzten russischen Familien und aus den Bewohnern der in dem Terrain des Regimentes liegenden Dörfer. Sein Hauptzweck ist die Hauptstadt des Kreises gegen etwaige Einfälle der Bergvölker und der zwar fn'cd-lichen aber stets unruhigen Nogaier und Kalmükm zu sichern. Ein Theil (s. oben in dem vorigen Capitel) umgibt deßhalb Stauropol in einem Kranz und hat besondere Verpflichtungen gegen sie zu verrichten. Die übrigen Stanitzen dienen zur Vertheidigung der großen Straße von dem Bereich des vorigen Re-glmentes bis Stauropol und beschützen die nordöstlichen AbHange ) Nicht zu verwechseln mit der Stanitze gleichen Namens der Wolga-Hosaken. 200 des Schwarzwaldes, so wie diesen selbst in seinem nordwestlichen Verlaufe von Newinnomüsk des vorigen Regimentes längs des Kuban, bis dieser zum erstenmale eine rein westliche Richtung annimmt, und dann weiter die Höhen desselben Gebirges, wo der Iegorllik entspringt, bis zu dessen rein nördlichen Abhängen. Da die siauropol'schen Kosaken nur zum geringen Theil aus Fremdlingen bestehen und meist noch seit dem vorigen Jahrhunderte dieselben Gegenden bewohnen, so ist der Wohlstand bedeutend, Viehzucht und Akerban sind die Hauptbeschäftigungen. Wie die Kosaken längs des Terek, lieben auch diese die Jagd und finden in den zum Theil bewachsenen Höhen des Schwarzwaldes hinlänglich Stoss ihrer Liebhaberei zu genügen. Fische gibt es bei ihnen nur wenige, und selbst der Fischfang am Kuban ist unbedeutend. Der Bestand der Stanitzen und seiner Hauser und Bewohner war im Herbst 183? folgender: I.Beschpagir*) mit234Hausern 862Bew.männl. 822wbl.G. 2.Nadeschda — 520 — 1849 — — 1968 — 3-Spizeffsk — 90 — 316 — — 271 — 4.Alt-Marieffsk — 264 — 871 — — 844 — 5.Michailoffök — 627 — 2256 — — 2368 — 6.Poschcstn)cnsk — 334 — 1414 — — 1406 — 7.Kamennobrodsk — 374 — 1271 — — 1250 — 8. Neu-Marieffsk — 403 — 1203 — — 1223 — 9.Sengilejeffok — 237 — 805 — — 722 — 10. Tatarka — 204 — 695 — — 667 — II.Nikolajesssk — 230 — 930 — — 9l3 — l2.Temiwlcßn — 224 — 758 — — 759 — t3.Borsuklossök — 233 — 734 — — 747 — —3974 — 13966 — — 13959 ^. Im Herbst 1837 waren von den 13966 Kosaken männlichen Geschlechtes 195 l (darunter 26 Officiere und 77 Urjadniks) im vollen Dienst, 1240 (darunter 7 Officiere und 10 Urjadniks) verrichteten nur den innern Dienst und die übrigen waren zum Theil wegen des hohen (1019) oder minorennen Alters l689l. *) Auch Mroffsk genannt. 201 darunter 1172 über 16 Jahre alt) dienstunfähig, zum Theil hatten sie die häuslichen Geschäfte (3075) zu besorgen. III. Die Regimenter der ersten Abtheilung oder der rechten Flanke. 8. Das kuban'sche Regiment wird zum großen Theil noch durch seine früheren Bestandtheile zusammengesetzt und nur zwei Stam'tzen sind, die eine Woroffskoleßn, zum choper'schen, die andre, Temnoleßn, zum siauropol'schcn Regimente versetzt worden. Dafür hat man aber sechs neue Stam'tzen errichtet. Den kubanschen Kosaken gehört der Winkel, welcher von dem Kuban dadurch, daß er zuerst semen nördlichen Lauf in einen westlichen und dann wiederum in einen nördlichen verwandelt, gebildet wird, und ihr Bereich erstreckt sich selbst da noch, wo der Kuban nun endlich wiederum in westlicher Richtung dem Meere zulauft, weiter nördlich tief in den stauropol'schen Kreis hinein. Ihr Hauptaugenmerk geht nun dahin, die Verbindungen der jenseits des Kuban nomadisirenden Nogaier mit ihren Brüdern diesseits zu verhindern und jeglicher Art von Einfällen sich zu widersetzen. Die Kosaken der Stanitzen, welche unmittelbar am Kuban wohnen, haben sich schon lange an das eigenthümliche Leben gewöhnt und sehen allen ihnen drohenden Gefahren ruhig entgegen; die übrigen hingegen, durch 68 neue Familien, die aus dem Innern Rußlands hierher versetzt wurden, verstärkt, gewöhnen sich nur schwierig an ihre neue Lebensweise, zumal die öden Steppen des Nordens und die dort herrschenden Krankheiten nicht geeignet sind, ihnen ihren Aufenthalt angeuehm zu machen. Ihre Hauptbeschäftigung ist der Ackerbau und (weniger aber) die Viehzucht. Die altern Stanitzen sind reich und begütert, da der Bo-ben ihnen fortdauernd eine vielfältige Ernte liefert. Die beständigen Kämpft mit den Bergvolkern und besonders mit den Tscher-kessen haben den Bewohnern der letztern eine solche Tapferkeit und einen solchen Muth verliehen, daß ihnen hierin kaum die greben'sche», Kosaken gleichen. Die Häuser- und Einwohnerzahl der 10 dazu gehörigen Stanitzen betrug im Jahre 1837 wie folgt: 20« z.Ubeschnoi m.222Hsrn. 806 Cinw. mannl. 731 w.G. 2.Protschnoiokop -.415 — 1487 — — 1583 — Z.Grigoriopolsk —420 — 1459 — — 1470 — 4,Neu-Troizk — 6^>3 — 2099 — — 2126 — 5. Temischbegsk —412 — 1291 — — 1405 — 6.Neu-Lokinsk — 51 — 225 — — 182 — 7.Neu-Alexandroffsk — 315 — 863 — — 829 — 8.Uspensk —527 — 1600 — — 1706 — g.Staschewatsk -^470 — 1539 — — 1529 — 10.Kaukask _^295^^ 798 — — 807 — ^ — 3750 — 12387 - — 12418 — Von den 12367 männlichen Geschlechtes waren in dem oben genannten Jahre 2078 (darunter 2 Staabsofficiere, 36 Ofsiclere und 76 Urjadniks) für den vollen und 930 (darunter 1 Stabs-Officier, 7 Officiere und 30 llrjadniks) nur für den innern Dienst. Die übrigen waren theils minorenn (und zwar 4682 unter und 1240 über dem löten Jahre), theils bejahrt (1305) und theils (1245) mußten sie endlich den hauslichen Geschäften vorstehen. 9. Das kaukasische Regiment hat bedeutenden Zuwachs in der neuesten Zeit erhalten, da nicht allrkn die schon bestehenden fünf Stam'tzen fast um ein Drittel vergrößert worden sind, sondern fünf neue Stamtzen beschirmen auch die nordwestlichen Gränzen des stauropol'schen Kreises. Es hat seinen Sitz zum Theil unmittelbar an dem Kuban von der Stelle an, wo er zum zweitenmal seinen nordlichen Lauf in einen westlichen umändert, um dann in gleicher Richtung dem schwarzen Meere zuzufließen, und gränzt unmittelbar an die tschernomor'fchen Kosaken, die unabhängig von den Linien-Kosaken unter einem eigenen Ataman stehen. Die ältern Kosaken dieses Regimentes zeichnen sich durch ihre Tapferkeit aus und schlagen sich beständig mit den Trans-kubanern (Sakubanzen rnss.) herum. Eben so häufig als diese Einfalle bei ihnen machen, rauben und plündern sie auf feindlichem Gebiete. Wenn sie daher in dieser Hinsicht unmittelbar den gre-ben'schen Kosaken an die Seite gestellt werden können, so haben sie vor diesen einen bedeutenden Vorzug dadurch, daß sie nicht dem Müßiggang huldigen und Ackerbau und Viehzucht bei ihnen in blühendem Zustande sich befinden. Was die neuen Ankömmlinge, die nicht weniger als 496 Familien ausmachten, anbelangt, 392 so werden die vom Don hierher versetzten eher an diese eigenthümliche Lebensart sich gewöhnen, als es mit den übrigen Kleimus-sischcn der Fall ist. Die Häuser- und Einwohnerzahl betrug im Jahr 1837 wie folgt: 1. Kasansk mit 1455 E. mannl. 1548 wbl.G.in48iHsrn. 2.Tisiisk — 1202 — 1244 — — 305 — I.Ladosssk — 1693 — 1562 — — 490 — 4.Ustlabmsk — 1036 — 1119 — — 390 — 5.Woroneschsk — 922 — 753 — — 349 — 6.Neu-Malorossiisk — 892 — 779— —307 — 7.Neu-Donezsk — 571 — 552 — — 179 — 8. Archangelsk — 1436 — 1384 — — 452 — 9.Iljinsk' — 1891 — 1876 — — 470 — W.Dmittieffsk — 1003 — N41 — —^66 — ^12103 — 11958 — —3790 — Zu derselben Zeit waren von dem männlichen Personal 2118 Mann (und unter ihnen 2 Stabsofficiere, 36 Officiere und 71 Urjadm'ks) in voller Activität und 952 (unter ihnen 9 Officiere und 17 Urjadniks) hingegen nur für den innern Dienst. Von den übrigen Kosaken besorgen 2340 die häuslicken Geschäfte, 566 befinden sich über 60 Jahre und 6127 (unter ihnen 1672 über 16 Jahre alt) waren minorenn. Trotz dem zu jener Zeit 155 Familien noch gar keine Hauser und 70 diese erst zu bauen angefangen hatten, ist doch die Anzahl der voll-activen nur wenig geringer als die der übrigen, und wenn man die halb activen dazu rechnet, sogar stärker. Man hielt es aber für nothwendig, da das hierher gehörige Terrain derjenige Theil der Linie ist, wo die Transkubanrr am häufigsten durchbrechen. Durch diese 9 Regimenter ist die ganze südliche Gränze Cis-kaukasiens gegen die Einfalle sämmtlicher Kaukasier hinlänglich geschützt, und ohne zu fürchten plötzlich aufgegriffen und in die Verge geführt zu werden, kann man die ganze südliche Gränze allein durchwandern. Der letzte Ueberfall von Bedeutung geschah noch im Spätsommer 1636, wo Abadsechen unter ihrem Anführer Ali Charzis beabsichtigten, die Stanitza Batalpaschinsk zu überrumpeln, und da ihnen dieses fehlschlug, in Kislowodsk einige Leute entführten. Dieß gab mm noch die Veranlassung, daß «04 eine besondere Commission niedergesetzt wurde, um alle schwachen Stellen der Linie zu untersuchen, und wo man sie nicht hinlänglich gesichert fand, wurden durch Erbauung von Stanitzen oder Verstärkung derselben dafür Sorge getragen. Auf diese Weise ist die Starke der Linien-Regimenter zu einer solchen Hohe gediehen, wie wir sie jetzt sehen. Ueber 13,000 Mann stehen jeden Augenblick bereit, den unerwartetsten Anfall von Seiten der Birgvölker abzuwehren und beobachten auf ihrer über 500 Werst langen Linie alle Schritte der Feinde. Als Suboss in jenen Gegenden sich befand, betrug das ganze männliche Personal kaum 22,000 Mann, und wenn, wie jetzt, etwas über den sechsten Theil bestandig in Activität war, so bestand (vor nicht 10 Jahren) die mobile Colonne der Kosaken nur wenig über 3000 Mann. Daß bei der großen Ausdehnung der südlichen Gränze Ciskaukasien noch nicht so gesichert seyn konnte, sieht man aus der Vergleichung des frühern und jetzigen Bestandes. Diese 13000 Mann werden nun noch durch 6300 Mann Reserve verstärkt, und sollte es nothwendig werden, so verlaßt auch die andere Hälfte (12,649) den häuslichen Herd, und vertauscht den Ackerpfiug mit der Büchse, die Sense mit dem Säbel. Ja, die fast 7000 Mann starke sogenannte zweite Jugend mit einem Altervon 16 —20 Jahren vermag in die Reihen der Kämpfer zu treten und binnen 24 Stunden ersteht dadurch eine Macht von 38,000 Mann, die dem stärksten Feinde der Berge trotzen kann. Die Anstrengungen Rußlands, den Kaukasus, koste es was es wolle, sich zu unterwerfen, sind großartig, und mag man von dort aus jetzt das Gerücht ausstreuen, als habe es alle Er? oberungsplane aufgegeben, so ist es doch gegründet, daß es gerade zu keiner Zeit so sehr nach dem Besitze des großen Gebirges gestrebt hat, als gerade jetzt, wo die drei asiatischen Reiche China, Persien und die Türkei ihrem Verfalle mit schnellen Schritten entgegengehen, wo England, Rußlands schlaue Politik in Asien erkennend, durch Waffensiege seinen Einfluß in dem reichsten Erdtheil geltend machen will und geltend gemacht hat. Scheinbar sieht Rußland dem Vorwartsrücken der Brüten ruhig entgegen, und alle Eroberuugen, so glanzend sie auch ausgefallen, sind dem Selbstherrscher aller Reußen nicht das, was sie uns scheinen. Seine Emissäre, größtentheils Armener, durchziehen ganz Asien, die Macht Rußlands als unüberwindlich schildernd und bringen 205 sein Ansehen auf eine Stufe, auf die es Gewalt nicht gehoben hätte. Fortwahrend handeln Russen oder russische Unterthanen mit den Bewohnern des innersten Asiens, und diese fühlen sich Mehr zu jenen gezogen, als zu den selbstsüchtigen Kaufleuten Englands, die immer ihre Uebermacht zu erkennen geben. Je glücklicher England in Asien kämpft, um so mehr verringert sich sein Einfluß, und seine Herrschaft wird in Asien umso wankender, je mehr es erobert. Mit der Eroberung Cabuls, Kandahars und Kantons nennen sich die Engländer Herren jener Städte und wagen doch nicht ohne große Begleitung die Thore zn verlassen; und sollten Herat, Lahore und Peking noch in ihre Hände fallen, dann gehören von neuem große Streitkrafte dazu, um diese zu behaupten. Immer neue Kampfe werden sich erheben und alle Hülfsmittel nimmt England zusammen, um der stolzen Eroberung sich zu erfreuen, bis alle Cassen erschöpft, diese schneller verloren gehen, als sie gewonnen. Nicht so macht es Rußland. Was es beiltzt, befestigt und beruhigt es. Die Sitten und Gebrauche der Völker, die es unterworfen, ehrt es und schützt sie in seinen Grundpfeilern. Es versucht nicht umsonst sie mit sich zu assimilircu, und, ihnen gleiche Rechte mit den achten Russen gebend, werden sie ohne es zu wollen Russen. In Persien, der Türkei, Chiwa und Buchara ist trotz des unglücklichen Feldzuges gegen Chiwa sein Einfluß so hoch gestiegen, wie er nie gestanden, und Chiwa ist ihm nicht die Verlegenheit geworden, als wenn es erobert worden wäre. Und doch hat es seinen Zweck erreicht. Der Chan von Chiwa sucht russische Freundschaft. Er hac sie gefunden und, seine Unabhängigkeit ungefährdet glaubend, beherrscht ihn Rußlands Einfluß mächtiger als je. Dieses hat nun nicht nothwendig, mit Kosten große Truppenmassen dahin zu senden, um die Stadt zu behaupten, die beständig von den geflohenen Chiwaern zum Ziel ihrer Raubsucht gesetzt seyn würde. Sein Handel ist frei, und das alte Turan, das alle Jahre Hunderte tapferer Abenteurer ausschickte, die Asien und selbst Europa zittern machten und zum Theil eine Zeit lang beherrschten, beugt sich jetzt dem Willen des weißen Zares, dessen Schaaren an den Gränzen gewappnet stehen, um den günstigen Augenblick zu erfassen. Die überhandnehmende Umnacht der Türkei und Persiens macht «OH es jetzt nothwendiger als je, seine Macht zu entfalten. Bedeutende Truppen stehen schon in den transkaukasischen Provinzen und können in wenigen Tagen von Nikolajeff und dem Ausstuß des Bug oder von Sebastopol aus an der kleinasiatt'schen Küste landen. Da setzt sich nun der Verbindung mit Transkaukasien das tapfere Häuflein der Kaukasier entgegen und droht dieses von dem eigentlichen Rnßland abzuschneiden. Bis zum Anfang des vorigen Jahrzehnts hatte der Selbstherrscher keine Zeit, seine Aufmerksamkeit auf das entfernte Gebirge zu richten, wahrscheinlich ist es auch, daß die damalige Zeit die richtige Auffassung des Kaukasus noch nicht erlaubte. Erst mit der Zeit als persische Schaaren in Grusien plündernd einfielen und mit blutigen Köpfen bis in ihr eigenes Land zurückgedrängt den Frieden durch Abtretung einiger reichen Provinzen erkaufen mußten, stieg die Wichtigkeit des unfruchtbaren Gebirges, und als auch die Türkei in Europa und Asien vor Rußlands Siegen sich beugen mußte, geschah der erste Schritt zur Unterwerfung des Kaukasus. Paske-witsch wurde aber bald vom Schauplatz seiner Thaten abgerufen, um in Polen der Revolution ein Ende zu machen. Kaum war aber dieses geschehen, so war das erste was Nicolaus that, die Linie zu verstärken. Im Jahre 1834 wurde die Defensive verlassen und die Offensive ergriffen. Die ersten Expeditionen von dem tapfern Welljaminoss geleitet kosteten viele Opfer, und doch wur-den die Opfer mit jedem Jahre großer. Im Westen und Osten wurde zu gleicher Zeit gckämpft und nichts versäumt, um den Zweck zu erreichen. Und was die selten fehlende Büchse der unbeugsamen Kaukasier verschonte, fiel unter Ken herrschenden Seuchen und unter den Anstrengungen des Kampfes. Mit jedem Jahre ziehen neue Schaaren aus, um die großen Lücken zu füllen. Die Stärke der Linienkosaken habe ich schon oben angegeben; wenn sie schon bedeutend genannt werden muß, so wird sie doch von den nicht stationären Truppen übertroffen. Im Herbste des Jahres 1837 befand sich in Ciskaukasien, auf der Linie und an den nördlichen Abhängen des Kaukasus eine Division Linientruppcn, bestehend aus 4 Regimentern, 10 Linienbataillonen und 1 Bataillon Sapeurs. Dazu kommen nun noch die alten Saporoger oder jetzigen tschernomor'schcn Kosaken (d. i. Kosaken des schwarzen Meeres) und die bei ihnen stehenden 10 Linien- 207 batailloue. Außerdem befinden sich die beiden Regimenter klein-russischer Kosaken seit 1833 in diesen Gegenden nnd 4 Regimenter don'scher Kosaken haben beständig in Ciskaukasien ihren Aufenthalt. Dazu kommt nun noch die beweglich«' Artillerie, bestehend aus einer Feld- und Vergbrigade für die regulären Truppen, 3 Batterien für die Linien- und 2 Batterien für die tscher-nomor'schen Kosaken. Stellen wir noch einmal den Befund sämmtlicher Truppeucontingente zusammen, so erhallen wir folgende Zahlen: I. Reguläre Truppen 41,000 Mann: 1. Eine Division Linientruppen . . . 20,000 Mann. 2. Zehn Linienbataillone in Ciskaukasien 10,000 — 3. Zehn Lmienbataillone in Tschernomo-n'en und längs der Küste am schwarzen Meere in Tscherkessien...........10,000 — 4. Ein Bataillon Sapeurs ..... 1,000 — 41,000 MannI II. Irreguläre Truppen 27,567 Mann: 1. Zwei Regimenter kleinru ssischer Kosaken 1,200 — 2. Vier Regimenter don'scher Kosaken . 3,200 — 3. Neun Regimenter Linienkosaken . . 13,167 — 4. Sieben Regimenter tschernomor'scher Kosaken *)......... . . . 10,000 — Summe aller Truppen: 68,567 Mann. Dazu kommen nun noch an Artilleristen . 1,600 — und diese besitzen an Kanonen, zu denen aber noch nicht die der einzelnen Festungen gezählt sind, welche man im Nothfall ebenfalls gebraucht, folgende Zahl: 1. Drei Batterien (Feldbrigade) ...... 36 Stück 2. Dreipfündige der Bcrgartillerie gehörige Kanonen 24 — 3. Schlüsselbüchsen..........26 — 4. Drei Batterien der Linienkosaken .... 36 — 5. Zwei Batterien der tschernomor'schen Kosaken 24 — Summe der Kanonen und Schlüsselbüchsen: 146Stück. *) Die Stärke der tscheruomor'schen Kosaken beruht nicht auf genauen Angaben ««h kann daher in der That etwas stärker oder schwächer seyn. Auf leinen Fall ist aber der Irrthum, wenn er vorhanden seyn sollte, bedeutend. 208 Die Division (die 22ste) besteht wie schon gesagt aus 4 Regimentern zu 5000 Mann, und von diesen ist ein jedes in 5 Bataillone zu 1000 Mann getheilt. Das 5te Bataillon bildet die Reserve, und besteht wie die übrigen vier aus 4 Compagnien zu 250 Manu. Die 4te wird aus verheiratheten Soldaten gebildet. Aus diesem ersieht man, daß von den 20,000 Mann nur 12,000 in voller Actwität sind, da die Reserve mit den vier dazu gehörigen verheiratheten Compagnien 4000 und die übrigen 16 verheiratheten Compagnien ebenfalls 4000 Mann betragen, und nur im Nothfall gebraucht werden. Auch sind nicht immer alle Compagnien vollzählig, selbst in dem Fall, wo sie als solche auf dem Papier aufgeführt werden. Trotzdem betragt aber die Stärke der stets disponibel« Truppen des nördlichen Kaukasus immer noch 60,000 Mann. Die Kosaken-Regimenter sind bedeutend schwächer als die des Linienmilitärs. Bei den Linien- und tschernomor'schen Kosaken hängt es von der jedesmaligen Bevölkerung ab, jedoch ist die bei den einzelnen Regimentern angegebene im Allgemeinen die Zahl, wie sie sich nur geringen Differenzen vorfindet. Die Regimenter der don'schen Kosaken waren früher schwächer, und bestanden nur aus 500 Mann; jetzt hingegen sind sie auf 850 Mann erhöht. Von den beiden kleinrussischen Regimentern hat ein jedes nur 600 Mann. Die verschiedenen Kosaken-Regimenter stehen unter besonderen Chefs, die oft nur den Rang eines Generalmajors haben und den Titel Ataman oder Hetman führen. Chef aller Kosaken des weiten russischen Reiches ist der Großfürst-Thronfolger Alexander Nikolajewitsch. So bedeutende Kosten auch die regulären Truppen verursachen, so gering sind die der Linien- und tschernomor'schen Kosaken, und der Kaiser erhält durch sie ein fast 24,000 Mann starkes Heer, was ihm größere Vortheile als eine gleiche Anzahl Linientruppen bringt. Das Land, das sie bebauen und das sie ernährt, haben sie von der Krone erhalten und vertheidigen dafür die südliche Gränze gegen die Einfalle der Kau-kasier. Ihr Dienst ist die einzige Abgabe, die sie dem Staat entrichten, und das was sie sich auf ihren Aeckern oder sonst auf eine Weise verdienen, gehört ihnen ohne den geringsten Abzug. 209 Außer der vollkommenen Freiheit von allen Abgaben erhalten die gerade Dienstthuenden, wenn sie sich nur innerhalb eines Rajons von 100 Werst von ihren Stauitzm befinden nnd nicht außerhalb desselben verbrancht werden, noch eine unbedenrcndc Besoldung, bestehend in Geld, Fourage und Proviant. Diese ist aber in den einzelnen Regimentern verschieden, und wird nicht wie bei uns in viertel- sondern in drittcljahrigen Raten (U' '1'lol,) ausgezahlt. Es ist dieß eine Sitte, die ganz Rußland angehört. Von den Regimentern der ersten Abtheilung (llolo^) erhalten dn'tteljährig (N" ^'roy die Officierc 16 Rubel 50 Kopeken und für 2 Reit- und 1 Zugpferd 3 Tschetwert*) Hafer und 45 Pud Hen an Geld nach dem jedesmaligen Preise desselben vergütet, die übrigen hingegen für sich 3 Rubel 96 Kopeken, für 1 Reit-und 1 Zugpferd hingegen 2 Tschetwert Hafer und 30 Pud Heu. An Proviant wird für die Person 2 Tschetwcrik Mehl und ein Garnez Graupen gerechnet. Die Officiere der zweiten Abtheilung und des mosdok'schen Regimentes der dritten Abtheilung bekommen in dritteljährigen Terminen nur 5 Rubel 96 Kopeken und eben so viel Fourage und Proviant, wie die der ersten Abtheilung. Davon machen nur die Stanitzen eine Ausnahme, die früher zum kuban'schen Regimentc geborten, indem sie gerade noch wie früher besoldet werden. Das grebcn'sche Regiment der dritten Abtheilung hat ein jährliches Einkommen, und zwar der Iesau! l5 Rubel 84 Kopeken, der Sotnik 14 Rubel 85 Kopeken, der Chorunschij 12 Rubel 8? Kopeken und die übrigen 11 Rubel ^ Kopeken. Für jedes Pferd wird ebenfalls jährlich l> Tschetwcrt Hafer ausgezahlt, an Proviant erhalt der Iesanl 8, der Sotnik 9, ber Chorunschij 7 und die übrigen jeder 6 Tschetwerik Mehl ""d außerdem 3 Tschetwerik Graupen. Das scmcin'sche Re-6ttnent, das ebenfalls zur dritten Abtheilung gehört, bezicht die größte Einnahme, denn der Icsaul erhält 45, der erste Sotnik und Chorunschij 40, der zweite Sotnik und Chorunschij 25, 2 Saurjad-Chorunschij 40, einer 35, und einer ^), 7 Urjaduiks ^, vier 15, einer 14, vierzehn 12, ein Schreiber 17 nnd ein *) Ein Tschetwert enthält etwas mehr als I'/^ Berliner-Schasset (3,5399) und besteht aus 8 Tschetwerik oder 64 Garnez. A'isen und Ländeibeschrlibunge,,. XXIII. ' 14 (Reise nach Kaukasien.) 210 anderer 15, die Gemeinen 12, 13 und 14 Rubel. Für Proviant und Fourage ist ihnen eine Summe von 40 Rubeln ausgesetzt. Dabei ist noch zu bemerken, daß die Fouragc nur für die Wintermonate vom 16 (oder 20) October bis 16 April ausgezahlt wird; die übrige Zeit müssen die Pferde ihre Nahrung auf den Steppen sich selbst suchen. Aus der Auseinandersetzung der Besoldungen sieht man, daß mit nur sehr geringen Kosten Rußland sich ein Heer von über 13,000 Mann auf den Beinen verschasst hat, und sich dadurch die schwierigsten Gränzen sichert. Das Land, das es an seine Linien-Kosaken abgetreten, besaß in der Zelt wo dieß geschehen, gar keinen oder nur einen sehr geringen Werth und war eigentlich in Besitz genommen, weil die frühern Herren desselben es nicht behaupten konnten. Was würde dem Kaiser die Bewachung dieser schwierigen Gränzen kosten, wenn er gezwungen wäre, hier ein ebenso starkes Heer regulärer Truppen zu unterhalten? In Staaten, wie Deutschland, England und Frankreich würde freilich ein Colonisiren von Regimentern aus mehreren Ursachen unmöglich seyn, und was cm Vorzug in Ruß-land ist, kaun und wird es nie bei uns seyn. Die Verfassung der Linien-Kosaken unterscheidet sich m nichts von der der don'scheu, und ist wie dort eine kriegerische, nur mit dem Unterschiede, daß zu Neu-Tscherkask eine eigene Kriegskanzlei unter dem Vorsitz des Ataman errichtet ist, während hier der Civilgouverneur Ciskaukasiens Präsident im Kriegs- und Crmünalgericht ist. Das Land ist Eigenthum des Kreises in dem es liegt, und für jeden Kreis wird aus ihnen ein Beisitzer gewählt, welcher bei allen Fallen zugegen ist und gleichsam den Präsidenten und sein Collegium controlirt. Chcf aller Linien-Kosaken ist ein General unter dem Na-man eines Ataman, und dieser ernennt mit Veistimmung des ciskakausischcn Befehlshabers für jedes Regiment einen Chef, der nur den Rang eines Majors zu haben braucht. Es versteht sich von selbst, daß jede bestimmte Ernennung von dem Kaiser selbst ausgeht, und der Ataman nur in Vorschlag bringen kann. Die meisten Regimenter besitzen ihren eigenen Stab, dessen Officiere den Stab des Atamans, jetzt bestehend aus il Officie-ren, ausmachen. Die Ofsiciere führen noch die alten, bei den Ko- 211 sake« üblichen Namen, und bestehen demnach aus Iesauls, Sot-niks und Chorunschijs während die Saurjad-Chorunschij und Ur-jadniks die niedern Stellen ausfüllen. Die Iesauls entsprechen am meisten unsern Hauptleuten und spielten in den ältern Zeiten, wo die Kosaken noch unabhängig waren, eine wichtige Rolle. Sie waren die Chefs der einzelnen Stanitzcn, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß das Wort mit dem tatarischen Aul, d. i. Dorf, zusammenhangt. Spater (bei den Mongolen) gebrauchte Man das Wort überhaupt zur Bezeichnung wichtiger Vorsteher-Aemter, so zur Bezeichnung eines Anordners der Heere oder der Hoffestlichkcittn. Sotnik ist ächt russisch, hangt mit Lomja (ein Hundert) zusammen, nnd bedeutet demnach zunächst einen Befehlshaber von Hundert, also ein Hundertmann; auf gleiche Weist nennt ja auch die altere russische Geschichte Tausendmau-ner (Tüsjaschtschnik). Die Chorunschij sind die achten Fahnen-trager, da das Wort von clioru^, die Fahne, abzuleiten ist. In der ganzen russischen Anme gehören die Fähndriche den Officie-rcn an, und bilden die letzte Classe derselben. Sie befehlen ebenfalls eine Abtheilung Soldaten, und haben demnach mit ihrer eigentlichen Beschäftigung gar nichts mehr zu thun. Die Urjad-niks und Saurjad-Chorunschij bilden die hdhern Stellen der gemeinen Kosaken. Nach dem Alter theilen sich dle Kosaken in vier Abtheilungen: in die erste und zweite Jugend, in Männer und Greise. Die erste Jugend begreift alle Kinder männlichen Geschlechts von der Geburt an bis zum 16tcn Jahre und bestand 1837 aus 28,641 Knaben; zur zweiten gehören alle Jünglinge von dem lkten bis 20sten Jahre. Zu derselben Zeit betrug ihre Anzahl 6826. Die Männer bilden allein die Soldaten, und zu ihnen rechnet Wan alle Kosaken vom 20sten bis 60sten Jahre. Sie theilen sich in die Nestrojewen (12,649 Mann) und Strojewen (13,166 Mann) d. h. in die passiven und activen, von denen die letztern in beständigem Dienst sich befinden, während die erstem der Besorgung der häuslichen und landwirthschaftlichen Beschäftigungen vorstehen. Nur im äußersten Nothfälle, wenn z. B. die Stanitze selbst überfallen wird, ergreifen anch sie die Waffen. Die Kosaken über 60 Jahre alt (4757 Mann) gehören dem Greisenalter an und haben keinerlei Art von Verpflichtung auf sich., 14* 212 Es ist sehr schwierig über die Linien-Kosaken etwas im Allgemeinen zu sagen, da nicht allein verschiedene Völker zur Bildung derselben beitragen mußten, sondern sie auch zu verschiedenen Zeiten entstanden. Selbst der neuesten Zeit verdanken sie ja, wie wir gesehen haben, eine bedeutende Verstärkung. Russisches, tscherkessisches, ossischcs, tschetschisches und mongolisches Blut rinnt in den Adern der verschiedenen Kosaken nur zum geringen Theil rein, sondern mehr oder minder vermischt. Für diejenigen, welche als Kosaken geboren wurden, und denen der kriegerische Geist des Vaters bei der Geburt mit eingebunden war, hat aber nach und nach dieselbe Lebensart eine Gleichheit der Sitten und Gebräuche hervorgerufen. Kühnheit, Tapferkeit, Unverdrossenheit und Gleichgültigkeit gegen Mühen uud Gefahren hat sich allmählich bei allen denen eingebürgert, die von Jugend auf durch gleiche Interessen und Beschäftigungen mit einander verbunden waren. Die Waffen lieben die Linien-Kosaken über alles, und von der ersten Jugend an üben sie sich in dem Gebrauche derselben. Mit Sicherheit schießen sie auf dem Pferde nach dem Ziele und in vollem Rennen treffen sie eine ausgestopfte Figur mitten durch die Brust. Wie der Tscherkesse oft nur wahrend der Nachtzeit seine Waffen von sich legt, so ißt und trinkt der Linien-Kosak, ja verrichtet sogar seine häuslichen und landwirth-schaftlichen Geschäfte mit ihnen. Mit großer Sorgfalt putzt er sie und wendet an sie oft seine ganze Baarschaft. Daneben liebt er über alles das Pferd, den treuen Begleiter seiner Strcisereien, und dieses seinen Herrn kennend und in dessen Plane eingehend, wird oft besser als ein Mitglied der Familie behandelt. Dieselben Verhältnisse zwischen Herrn und Pferd treten hier hervor, wie ich sie schon oben bei den frühern don'schen Kosaken geschildert habe. So rauh das Aeußcre des Linien-Kosaken auch ist, und so grob seine Gesichtszüge erschciuen, so hat er in seiner Brust doch ein Herz, was jedem edlen Streben nachgibt, warm für alles Gute schlägt. Er vergißt nie, was man ihm gethan und bleibt dem, der seine Gunst zu erringen verstand, fortwährend freundlich gesinnt; aber auch wehe dem, der es wagt, ihn oder eines seiner Familienglieder oder Freunde zu beleidigen. Die Rache würde 213 ihn treffen, möge er seyn, wo er wolle. Freundlich wird der Fremde aufgenommen, der fern von der großen Straße in die einsamen Gegenden seiner Sram'tze sich verirrte, und hat er einmal die Schwelle überschritten und die Laren des Hauses begrüßt, dann knüpfen ihn die Bande der Verwandtschaft an die Familie, in der er sich befindet. Die mannbaren Bewohner der schlechtesten Hütte schützen ihn mit ihrem Leben und setzen ihrem Gaste vor, was die Wirthschaft oder die Jagd liefert. Wenn die Linien-Kosaken auch im Allgemeinen viele Aehn-lichkeit mit den oben geschilderten don'schen besitzen, so weichen sie doch in vielen Stücken wiederum von ihnen ab. Während die Kosaken am Don alle sechs Jahre den heimischen Herd verlassen, um die fernen Gränzen Rußlands zn bewachen und in dieser Zeit nie ihre Hütte mit der Familie, die sie einschließt, zu vertheidigen branchen, knüpft sich hier der Linien-Kosak enger an die Familie an, deren Oberhaupt er ist, und lebt mit dieser die Jahre semes Lebens hindurch. Unter seinem Schutze wachsen die Knaben heran und sehen den Vater gerüstet hinausziehen gegen den gemeinsamen Feind oder sein Eigenthum schützen gegen dessen Einfälle. Von der ersten Jugend an besteht sein Bestreben darin, die physischen Kräfte zu entwickeln; alle seine Spiele zielen dahin, diese zu erhöhen. Schweren Herzens sieht der 16jährige Jüngling seinen Vater und vielleicht den ältern Bruder ziehen, um im Kampfe mit dem Feinde seines Kaisers Ruhm und Beute sich zu holen. Der Krieg gegen die Kaukasier ist eben ein ganz anderer als wir glauben und wissen. Es ist zwar immer der Kampf zweier sich feindlicher Völker, aber die gemeinschaftliche Seele desselben, der Feldherr, spielt hier nicht die wichtige Rolle, welche er in unsern Kriegen führt, er leitet nur die großem Plane und überlaßt ledem Einzelnen die weitere Ausführung. Der Kosak ist nicht das blinde Werkzeug seines Officiers und dieser nicht das seines Chefs, sondern trotz des unbedingten Gehorsams, den er seinem Vorgesetzten schuldet, bleibt ihm doch im Kampfe hinlänglich freies Spiel, um seine Entschlossenheit und seinen Muth zu zeigen. Das innere Leben einer Kosaken-Familie ist gemüthlicher als man glauben sollte, und die dem Kaukasier angeborne Liebe zur Frau und zu den Kindern ist auch bei der Berührung mit diesen auf den Kosaken übergegangen. Die Gefahren, in denen die Familie 214 stets schwebt, knüpfen auch die Glieder derselben enger an einander, und der nothwendige Schutz von Seiten des Familienhauptes und der streitbaren Familienglieder hat das Selbstgefühl dieser erhoben und sie selbst abhängiger gemacht. Der Bruder fühlt sich als geborner Ritter seiner Schwester und ist stolz darauf, wenn ihm Gelegenheit, sie zu beschützen, gegeben wird. Freudig setzt er dem Feinde seine Brust entgegen und ist von der Kugel getroffen noch glücklich, wenn er die Schwester oder Geliebte gesichert weiß. Todverachtend stürzen die nächsten Freunde auf die Leiche des Getreuen, um sie den gierigen Handen des Feindes zu entreißen und ihr auf väterlicher Scholle, in geheiligter Erde, die letzte Ruhe zu geben. Der Kaukasier ehrt die heilige Sitte, welche der Kosak von ihm gelernt, und überläßt den Todten ruhig den Seinen, oft alle Verfolgungen auf die Zeit des Wegtragens einstellend. Kaum vermag der Knabe selbststandig auf ebener Erde sich zu bewegen, so greift er nach den Werkzeugen seiner spätern Beschäftigung, und spielt mit kleinen Lanzen am liebsten. Kriegerische Spiele liebt er am meisten, und innig erfreute ich mich in Ieka-terinograd, als Knaben von 9 — 14 Jahren die Eroberung einer feindlichen Veste aufführten, und sich in zwei Parteien getheilt mit den schweren Waffen bekämpften. Gegenseirige Schonung war ihnen fremd, und Hohn hätte den getroffen, der nur einen Schmer-zenslaut von sich gegeben. Auch die Mädchen nehmen an den Beschäftigungen ihrer Brüder Theil, und zeigen sich diesen in Gewandtheit und Tapferkeit würdig. Nicht selten ist es, wie wir aus der Geschichte der Linien-Kosaken wissen, daß Frauen die Waffen ergreifen, um den heimischen Herd zu vertheidigen. Die zweimalige Vertheidigung Naur's besonders von Frauen gegen so starke Feinde kann gut neben die heldenmüthige Aufopferung der Bewohner Saragossa's gestellt werden. Kaum sind die häuslichen Geschäfte vollendet, dann sucht das altere Mädchen auch die ernstem Beschäftigungen des Mannes, und tummelt das stolze Roß mit derselben Geschicklichkeit herum oder Hort im Winter aufmerksam den Erzählungen eines bejahrten Kosaken zu. Nächst dem Kampfe liebt der Linien-Kosak am meisten die Jagd, und die zum Theil bergigen, zum Theil ebenen und sumpfigen Steppen seines Landes geben ihm hinlänglich Gelegenheit, seine Lieblingsbeschäftigung zn versuchen. Ohne Furcht über- 2l5 schreitet er sogar die südlichen Marken, und durchstreift ganz allein die feindlichen Steppen. Oft ist der Feind, oder dessen Familie oder dessen Heerde sein Ziel, und ohne besonders dazn autorisirt zu seyn, überfallt er diese und kehrt reich beladen nach dem väterlichen Hause zurück. Oft kommt plötzlich die Nachricht, daß eine Hecrde Schafe oder Rindviehes, feindlichen Stammen gehörig, ohne große Bedeckung vielleicht mitten im feindlichen Lande weidet; dann wirft sich die kampflustige Kosaken-Jugend schnell auf das Pferd und eilt auf heimlichen Wegen dem Orte zu, wo jenc sind. Ohne sich Zeit zu gönnen, fallen sie über die Opfer her und bringen nicht selten mehr als tausend Stück auf einmal in die heimische Stanitza. Ein General, von dem ich spater noch weitläufiger sprechen werde. Saß, hat nur das Geschäft, den Feind in seinem eigenen Lande zu beobachten, und unterhält bei ihm selbst seine Spione, welche ihn mit allem, was dort vorgeht, bekannt machen. In Protschnoi-Okop, einer festen am Kuban gelegenen Burg, unweit der Stanitzc gleichen Namens, sitzt er und lugt von seinem Adlersitz hinüber nach den südlichen Gauen der Tschcrkesscn. Plötzlich erfaßt er die Gelegenheit, welche sich ihm dargeboten, nimmt an Leuten aus dcn nächsten Stam'tzen und Krjeposicn was er zu gebrauchen denkt, und überschreitet, ohne daß Jemand seiner Begleitung ahnt, wohin es gehen soll, den Kuban. Auf dem Marsche erst theilt er den Plan mir, und alles jauchzt der Ausführung entgegen. Die erschrockenen Kankasicr, den Feind nicht ahnend, entfliehen schnell in die Walder, und überlassen die leeren Hütten ihrem Geschick. Aber auch der Feind ist schlau und beobachtet den gefürchteten russischen General, der, ihren Kindern als Echaitan (Teufel) geschildert, zum Popanz dient, um sie zu beruhigen. Stets auf der Hut, gelingt es Saß nur selten, diese zu überlisten und selbst die List, welche ihm Jahre lang so sehr genützt, dasi er die Nachricht verbrettete, er verreise und dann endlich wirklich verreist, um des Nachts unbemerkt in sein Ablernest zurückzukehren, glückt ihm jetzt nur noch selten. Desto weniger lieben die Kosaken aber die Landwirthschaft und die Viehzucht, und nur die Noth zwingt sie, das nothwendige Brod sich zu verschaffen. Die Regimenter, welche großen- 216 theils aus kleinrussischen Bauern bestehen, und mehr im Westen wohnen, machen eine Ausnahme, und leben seit den wenigen Jahren ihres Hierseyns in einer Wohlhabenheil, zu der sie zu Hause nie gekommen wären. Um einer Hnngersnoth vorzubeugen, hat auch hier die Regierung sich genöthigt gesehen, große Magazine zu errichten, m die alljährlich eine bestimmte Menge Getreide abgeliefert werden muß. Es bleibt aber Eigenthum der Familie, die es gegeben und sobald Mißwachs n. s. w. eintritt, erhalt sie das Gegebene zum Theil oder ganz zurück. So ungern sich aber schon die don scheu Kosaken in die heilsame Maaßregel fügten, so ungern thun es auch die der Linie. Den Frauen liegt es in den altern Regimentern ob, die häuslichen Geschäfte zu besorgen und zum Theil selbst das Vieh auf die Weide zu führen, wenn nicht die christlichen Kalmükm oder Nogaier für eine Kleinigkeit es thun. Die Linien - Kosaken des Westens sind wohlhabender als die des Ostens, und besitzen besonders zahlreiche Heerden. Wenn auch der Boden ihre Mühen reichlicher belohnt, als im Osten, so liegt doch die meiste Schuld an der Abneigung der semein'schen und greben'schen Kosaken gegen jede landwirth-schaftliche Beschäftigung. Nur die äußerste Noth treibt sie zur Thätigkeit. Hingestreckt auf ihre Burke, jenen dicken Filzmantel der Kaukasier, verschlafen sie die Tage der Ruhe. Wie der Linien-Kosak nach und nach die Sitten und Gebräuche der Kaukasier angenommen hat, so finden wir auch bei ihm dieselbe Kleidung, zumal diese naturgemäß bereitet ist, und die kaukasische, besonders tscherkessische Kleidung ist gleichsam zur natio-nellen Tracht (wenn ich mich hier dieses Wortes bedienen darf) erhoben. Sämmtliche Kosaken, die ich gesehen, waren tscherkessisch gekleidet, und nach glaubwürdigen Männern soll die Kleidung der ostlich wohnenden nur wenig verschieden styn, und sich mehr der tschetschischcn und kumück'schen Tracht nähern. Suboff gibt dem mosdok'schcn und wolga'schen Regiment die Tracht der don'schcn Kosaken. Die Stanitzen, welche ich abcr aus beiden Regimentern besuchte, unterschieden sich hierin in nichts von den stauropol'schen und übrigen. Ich übergehe hier eine nähere Detaillirung derselben, da sie weiter unten bei den Tschcrkessen abgehandelt wird. 217 Die Sram'tzen sind von einem pallisadenahnlichen Zaune und bisweilen auch von einem wallformigen Erdanfwurf umgeben, und trotzen auf diese Weise dem eisten Angriff der Kaukasier. Des Nachts werden Wachen ausgestellt, die in beständiger Activität die Gränzen des Wohnortes untersuchen. Große Hunde unterstützen die Patrouillen. Was ihnen entgeht, spuren diese auf und geben dnrch lautes Gebell die etwaigen Gefahren kund. Wehe dem Fremden, der plötzlich von ihnen angefallen würde. Die Sorgfalt zur Bewachung der Gränzen ist am Tag noch erhöhter. Patrouillen durchziehen die unebenen Gegenden, und durchsuchen besonders die Schilffelder, welche sich in großer Menge am Terek und Kuban befinden. Es werden allenthalben Wachen ausgestellt und in gewissen Entfernungen je nach dem Terrain stehen Posten, die auf ihren Wüschken die ganze Umgegend erschauen können. Diese Wüschken sind eine Art hölzerner Platformen, die auf vier Pfosten von 20 — 40 Fuß Höhe sich befinden. Abwechselnd sieht stets ein Kosak darauf und lugt mit seinen scharfen Augen in die Ferne. Bei der geringsten Erscheinung, die auf einen Ueberfall der Bergvölker hindeuten könnte, zündet er seinen Majak, bestehend aus trocknem Reisig oder Holz, zum Signal für seine entferntesten Brüder an. Im Augenblick lodern auf allen Wüschken die Feuer hell auf und geben die gemeinschaftliche Gefahr zu erkennen. Die gerade activen Kosaken eilen dem Punkte der Gefahr zu, und ordnen sich unter Anführung eines gewählten odcr gesetzten Führers zu weitem Untersuchungen. Die Etanitzen sind auf ihrer Hut, die Thore werden geschlossen, und alles erwartet wit Spannung die endliche Gewißheit. Das Verlöschen des Majak gilt für ein Zeichen der vorübergegangeneu Gefahr, Boten hingegen verkünden den einzelnen Stam'tzen die bevorstehende Ankunft der Kaukasier. Bald fallen auch Schüsse. Ich übergehe hier die weitere Auseinandersetzung solcher Ueberfalle, und verschiebe die Beschreibung derselben bis auf eines der nächsten Capitel. Ehe ich die Linie überschreite, wird es wohl gut seyn, noch einige Worte über die tschernomor'schcn Kosaken zn sagen. As mit der Unterwerfung des Seraskiers der kuban'schen Tataren Mi Jahre 1778 die Bewohner des Kuban ihr Vaterland verließen, 2l8 versetzte der Fürst Potjemkin die Ueberbleibsel der einst mächtigen Saporoger, nachdem diese sich bei der Belagerung von Otschakoff ausgezeichnet hatten, in die verlassenen Gegenden. Sie behielten ihre ursprüngliche Verfassung mit der Aufgabe, gleich den Linien-Kosaken die Gränze gegen die Tscherkessen zu vertheidigen und wurden nun Kosaken des schwarzen Meeres (tschernomor'sche Kosaken) genannt. Diese Kosaken standen bis zum Jahr 1820 unter der Gerichtsbarkeit des Kricgsgouverneurs von Cherson und mußten in allen Fallen von dort aus ihre Befehle und weitere Verordnungen erwarten. Die Weitläufigkeit, welche dadurch entstand, und die Unkenntnisi des cherson'schen Kriegsgouverneurs mit den Oerllichkeiren Tschernomoriens waren die Ursache, daß ein kaiserlicher Ukas im Jahre 1820 dieses Land unter die Befehle des kaukasischen Oberbefehlshabers stellte. Auf diese Weise vermögen auch die tschernomor'schen Kosaken in großerm Einklänge mit den übrigen Kosaken zu handeln. Das ungesunde Klima, besonders durch die Sümpfe des Kuban hervorgerufen, raffte, bevor die Menschen sich daran gewohnten, eine große Menge weg, und die einigemal daselbst ausgebrochene Pest trng zur Verminderung der Einwohnerzahl ebenfalls nicht wenig bei. Aus dieser Ursache wurden zuerst in den Jahren 1809 bis 1811 aus Klcinrußland nicht weniger als 22,000 Menschen hierher versetzt und da auch von diesen wiederum ein Drittel unterlag, vermehrten im Jahre 1820 wiederum 25000 Kleinrussen männlichen Geschlechts die Einwohnerzahl Tschernomoriens. Trotzdem beträgt die gesammte Volksmenge Tschernomoriens jetzt nicht mehr als 61,000 Seelen. 219 Dreizehntes Gapitel. Neise von Iekaternn'MÄ liis Wladikaukas. Allgemeine Vetrachtungen über den Kaukasus; Troglodyte«; Androphagcn; Prometheus; Medea; bange Ahnungen; Widerwillen der russischen Veamtcn, an den Kaukasus zu gehe»; Vorbereitungen; Ielaterinograd; frübcre Straße durch die kleine Karbardal,; Vorzuge der sogenannten Kronöreisentcn; mein Logis in Ickatcrinograd; kaukasische Schwaben; die schottländische Eolonie; Peterson; Vilduna und Mangel an Vaterlands liebe bei den dortigen Schwaben; Ursachen; Wichtigkeit der ^age Iekatcrmograds; Ci,-senbahn von Moskau dalün; Reveille; Kampf zwischen Timur und Tochtamnsch; Ueber.-gang über die Malta; die Soldatenvorstadt; das Manthamt; Karawane» .-Escorte; die Vergvolker; Prischib; die Schildwache auf einem Vaume; nissische Deserteurs; mem Logiö; der Teret; Amt; Dschulat; ^ager der Karawane; Abreise von ^rischib; Reichthum an Wild; Uruch; das Dorf Vorok; Vegetation; Tscherkessicn; Ansovieb; Ober,-Dschulat; Fraraday; Tatartnp; Ruinen u»d Sagen daselbst; Tepuö; Durdur; Ardon; Abenteuer; Archou; Ankunft in Wladilanlaö. So stand ich nun an der gefürchtttcn Tschei'kessen-Granze, die ich morgen überschreiten wollte, und sah sehnsuchtsvoll, aber auch bangen Herzeus den Ereignissen, welche mir über derselben entgegentreten würden, entgegen. Alles was über den Kaukasus schon in Deutschland zu meiner Kunde gekommen, und was in Petersburg und Moskau noch ergänzt wurde, trat an den Pforten des alten Amazonenlandes vor meine Seele, und war trotz des Anblickes eines großartigen Gebirges gar nicht geeignet, dunkle Ahnungen, die meiner sich bemächtigt hatten, zu verscheuchen. Den Schleier, hinter dem Aberglaube und der Hang des Menschen zum Ucbernatürltchen und Schrecklichen entsetzliche Dinge ausgebrütet hat, wollte ich lüften, um ein Land kennen zu lernen, was nach dem Verfasser von „Rußland und die Tscherkcsscn" noch in denselben dichten Nebel gehüllt ist, als es zu den Zelten war, wo der greise Herodot diese Gegenden beschrieb. Alle jeue abenteuerlichen Gestalten, welche die Mythe und Geschichte in den kaukasischen Isthmus versetzt hat, sollten ihrer phantastischen Form beraubt vor meinen Angen das wiederum werden, was sie immer gewesen. Die Troglodyte« (Höhlenbewohner) der alten Griechen, ein ganzes Volk, was aller menschlichen Kultur fremd, gleich den Thieren in Höhlen wohnte, konnten von den griechischen Kaufleuten und Abenteurern, die hierher kamen, leicht aus der Sitte mehrerer kaukasischer Völker, ihre armseligen Hauser an den Berg anzulehnen, oder zum Theil sogar unterirdisch als sogenannte Sakly oder Erdhütten zu erbauen entstehen. Leicht 220 konnte ferner das Volk der Androphagen (Menschenfresser) bei den Griechen, die bei allen guten Eigenschaften von einer gewissen Großsprecherei nicht freizugeben sind, sich bilden, wenn sie cine Gegend kennen lernten, deren Bewohner sich dem Eindringen herrschsüchtiger Fremdlinge keck entgegensetzten, und die, welche es wagten, ihre geheiligten Wälder zu betreten, ihren Gottheiten opferten, oder als Sklaven aller Verbindung mit ihrem Vaterland entzogen. Gehort nicht selbst jetzt noch Menschenraub bei den Tschcrkessen zu den gewöhnlichen Dingen, denen nur die Russen ein Ende zu machen sich festgesetzt haben? Ein unbedeutender Fluß trennte mich noch von dem Lande, wohin die Griechen ihre dunkelsten Mythen versetzten. Prometheus mußte dort den Frevel büßen, den Göttern das heilige Feuer geraubt zu haben, und seltsam ist es, daß noch bei den Ossen die Sage geht und selbst von ihnen die Stelle gezeigt wird, wo in grauer Vorzeit ein Mann, der aus weiter Ferne zu ihnen gekommen und ihnen viele Wohlthaten erwiesen, von dem Padischah der bösen Geister zur Strafe, daß er die Menschen seiner Herrschaft entzogen, au einen Felsen geschmiedet sey. Das Land, wo jene kriegerischen Frauen, die Amazonen wohnten, sollte ich nun bald betreten und die Gegenden kennen lernen, wo die grausame Medea ihren Vater verrieth, um von den Liebkosungen des schlauen Iason umfangen, sich in Griechenland ein neues Vaterland, was ihr doch nie ihr ursprüngliches ersetzen konnte, zu suchen. Das Land, von dem selbst der bedeutungsvolle Verfall von Osmaus einst mächtigem Reiche die Blicke Europa's nicht ganz abzulenken vermag, wohin ganz Europa mit großer Spannung blickt, dem Kampfe des kleinen Häufleins der Tscherkcsscn mit dem nordischen Niesen seine gerechte Bewunderung zollend, das Land, von wo aus dem Selbstherrscher aller Reußen mächtige Hindernisse entgegengesetzt werden, seine Macht auszubreiten, das Land entfaltete sich jetzt in noch nie gesehener Schönheit vor meinen Blicken, und erzeugte in mir die verschiedenartigsten Gefühle, die irgend in einem menschlichen Herzen Raum fassen können. Der Drang im Innern, den Schleier, der den Kaukasus bedeckte, zu losen, und das Bewußtseyn von Gefahren, denen ich entgegen ging, riefen in mir eincn Widerspruch hervor, der nur allmählich sich lösen könnte, um einer freudigen Stimmung, end- «si lt'ch das Land meiner Wünsche erreicht zu haben, Platz zu machen. Der Aufenthalt in Rußland war nicht geeignet gewesen, das bange Gefühl, was sich doch bisweilen in jenen trüben Stunden, wo der Mensch einer finstern Stimmung leider zu leicht nachgibt, seiner bemächtigt, ganz zu verscheuchen. Die Russen (und zum Theil selbst Ofsiciere), welche eine Zeitlang in den kaukasischen Ländern sich aufgehalten hatten, unterschieden sich in nichts von den Reisenden des alten Griechenlands, und wie diese, um ihrer Reise ein größeres Gewicht zu geben, oder ihren Erlebnissen mehr Bedeutsamkeit zu ertheilen, vergrößerten sie die Gefahren, die dort ihrer geharrt, und riefen dadurch eine solche Abneigung gegen die paradiesischen Gegenden des Kaukasus hervor, daß Beamte nur unter großen Vortheilen und auf kurze Zcit sich an den Kaukasus versetzen ließen, oder daß sie lieber ihr Leben in Armuth und Sorgen in sonst entfernten Gegenden Rußlands fristeten, als daß sie ihrer Meinung nach in den kaukasischen Ländern dem gewissen Untergänge entgegen gingen. Ich gehöre nicht zu denen, die jedes Geräusch erschreckt, oder welche die Mücke in der Ferne für einen Elephanten halten, aber alles das, was ich noch in der nächsten Nähe des Kaukasus hörte, bewies mir klar, daß ich großen Gefahren entgegen ging. Selbst meine Umgebungen waren nicht geeignet, meine mir aufgezwungcne Meinung zu andern. In der ganzen Stanitze herrschte ein reges Leben; jedermann bereitete sich zu der morgenden Erpedition durch Tscherkessien, der ich mich anschließen sollte, vor. Kosaken sprengten durch die breiten Straßen, und schienen kaum die Zeit, wo ich mit den übrigen Reisenden mich unter ihren Schutz begeben sollte, erwarten zu tonnen. Soldaten gingen still einher, als gingen sie einem ahnungsvollen Tage entgegen. In der Festung wurde die Kanone, die den Weg uns mitten durch die gefürchteten Kaukaster bahnen sollte, geladen und einstweilen zur Verfügung gestellt. Außerhalb der Stauitze hatte sich eine große Karawane, die morgen sich uns anschließen wollte, gelagert, und vertrieb sich durch allerhand Vorbereitungen den Tag. Ein Theil hatte die Schaschken, jene halbkrummen Säbel der Kaukaster, aus ihrer Scheide hervorgezogen, um nachzusehen, ob sie noch im guten Stande wären; ein anderer putzte die schmalkolbigen Flinten. 22« Was Wunder demnach, wenn auch ich bei alle dem, was um mich und mit mir vorging, nicht müßig war und meine Waffen untersuchte. Um alles bei der Hand zu haben, kaufte ich mir nach tscherkessischer Sitte einen Gürtel, schnallte diesen um und versuchte zum erstenmal eine vollständige Rüstung anzulegen. Um in dieser keinen lächerlichen Anblick zu geben, vertauschte ich ferner meinen Obcrrock mit einem tscherkessischen Tschok*) und anstatt meiner deutschen Kopfbedeckung setzte ich die Tscherkessenmütze auf. Ueber die Schulter warf ich die scharfgeschlissene Echaschke und in den Gürtel steckte ich vorn zur Linken den Kinschal oder Kandschal (türkisch Kandschar) einen großen Dolch, dem zweischneidigen Schwerte der Römer nicht unähnlich, zur Rechten hingegen eine Pistole. Ein Doppel-Terzerol hatte ich scharf geladen noch in der Tasche. Meine doppelläufige Flinte nahm ich vor mich in die Hand. So glaubte ich wenigstens dem ersten Angriffe trotzen zu können, und bei den uns folgenden Ueberfallen und Scharmützeln nicht eine unbrauchbare Person zu seyn. Wie ganz anders fand ich aber alles, als ich geglaubt und wie lacherlich kam ich mir spater, wenn ich nur leicht oder gar nicht bewaffnet die gefährlichsten und verrufensten Gegenden durchwanderte, vor! Iekaterinograd liegt auf dem nördlichen Ufer der Malka, nicht weit von der Stelle, wo diese m den Terck sich ergießt, und wurde schon im Jahre 1776, also ein Jahr vor Gründung der Linie von Mosdok bis Neu-Tscherkask, hart an der Stelle, wo die Tscherkcssen gewöhnlich übersetzten, erbaut. Es wurde zu Ehre« der Kaiserin Katharina II, Iekaterinograd^') (Katharinen-stabt, grad das zusammengezogene gorod) genannt, und war anfangs blosie Festung. Als aber im Jahre 1785 Ciskaukasien zur selbstständigen Provinz gemacht wurde, erhob Katharina die Festung zur Hauptstadt der kaukasischen Provinz, als welche es so *) So nennt man den kurzen Ueberrock der Tscherkessen. **) Glieder der kaiserlichen Familie bekommen stets anstatt des Namens Katharina den Namen Iekaterma. Auf gleiche Weise wird auch Ioann und nicht Iwan den Prinzen kaiserlichen Geblütes ertheilt. Aus Versehen ist früher durch diesen Gebrauch eine Verwechslung geschehen. «23 lange blieb, bls, wie wir oben schon gesehen haben, 1793 Geor- gieffsk dazu ausersehen wurde. Damit sank die Bedeutung der Stadt fast auf ihr voriges Nichts zurück, bis endlich im Jahr 1324 die große Straße von der Linie nach Wladikaukas von der östlichen Seite des Tcrek auf die westliche verlegt wurde. Iekate-rinograd wurde nun der Sitz eines Majors mit einem Bataillon. Es erhielt ferner eine Quarantäne und hiermit war jedermann, der nach Grusien ging, oder von dorther kam, eine Zeitlang daselbst zu verweilen gezwungen. Die Festung selbst ist den Fremden verschlossen, aber gern nehmen die daran wohnenden Linienkosaken der Iekaten'nogradokischcn Stanitze diese für eine unbedeutende Vergütung auf. Dadurch hat sich in der Stanitza ein Wohlstand gebildet, der den aller von mir gesehenen übrigen übertrifft. Auch ich wurde mit meinem Gefährten dahin verwiesen und erhielt in einem kleinen Hause ein geräumiges Zimmer. Früher führte die grosie Straße von Stauropol nach Wla-bikaukas über Mosdok, und Festungen schützten in der kleinen Kabardah dieselbe. Der beiden auf dem rechten Ufer des Terek durchziehenden Gebirgsrücken (Arük, russ. Grcben) wegen verlegte man aber 1824 die Straße von dem rechten Ufer des Terek auf das linke, wo eine nur einmal durch den Pschechesch unterbrochene Ebene bis Wladikaukas lauft. Auf der andern Seite hingegen botm die vielen Schluchten und Uuebeuheiten den räuberischen Tschctschen hinlänglich Gelegenheit, die Reisenden zu überfallen, und trotz der grostcn Vorsichtsmaaßrcgeln und großen Bedeckungen fielen häufig Uebcrfälle vor. Jetzt erst erkannte ich den Werth meiner Papiere ganz und die Worte in denselben: „ernannt auf allerhöchsten Befehl Sr. kais. Maj. zur Erforschung der kaukasischen Lander," wirkten wie eine magische Gewalt auf alle Behörden, denen ich meine Papiere vorzuzeigen hatte. In dieser Eigenschaft wurden mir nach und nach eine Menge Vorrechte klar, von denen ich auch alsbald Gebrauch machte. Vor allem mußte mir >n allen Orten, wo keine Wirthshäuser zur Aufnahme der Reisenden vorhanden sind. Quartier gegeben werden, ein Vorrecht, was ich in den kaukasischen Landern, wo nur in den großem Städten Wirthshäuser und dann oft in einem erbärmlichen Zustande sich vorfanden, sehr zu schätzen wußte. Dann mußten aljc Behörden 224 mich in meinen Untersuchungen so viel als möglich und zwar un-enrgelclich unterstützen. Wo es gefährlich zu reisen war, bekam ich die nöthige Bedeckung, und wo ich Menschen zu irgend einer Dienstleistung nothwendig hatte, erhielt ich diese, ohne mehr als ein geringes Trinkgeld an die mir Dienenden abzugeben. Mein Logis erfreute mich wegen seiner freundlichen Lage und wegen seiner Sauberkeit, und wenn ich schon früher einigemal Gelegenheit hatte, die Reinlichkeit der Kosaken zu rühmen, so wurde diese in Iekaterinograd in einem so hohen Grade ausgeübt, daß sie einer deutschen Wirthschaft Ehre gemacht haben würde. Fern von aller Eleganz war das mir angewiesene Zimmer rein ausgefegt, und daß dieses nicht etwa erst kurz vor meiner Ankunft geschehen war, wurde mir des Nachts klar, wo ich nicht im geringsten von jenen bekannten Sechsfüßlern gepeinigt wurde. Außer einem großen nicht angestrichenen Tische und einigen ringsherum stehenden Bänken, fand sich nur noch ein ebenfalls hölzerner Stuhl und eine glattgescheuerte Schlafstelle (Pritsche) vor. Meine Wirthin war eine freundliche Kosakenwittwe, deren Mann vor einigen Jahren im Kampfe gegen die Tschetschen geblieben war. Mchts versäumte sie, um den kurzen Aufenthalt mir so angenehm als möglich zu machen, und wie alle Frauen gern plaudernd stand sie immer in ehrerbietiger Entfernung, meine Befehle erwartend. Alles was seit einiger Zeit in der Stanitze und in der Umgebung geschehen war, erfuhr ich auf das genaueste, und als gar die Rede auf ihren verstorbenen Mann kam, brach sie in Thränen aus und pries den Seligen, mit dem zusammen zu leben ihr nur wenige Jahre vergönnt gewesen war. Es erinnerte mich diese Scene lebhaft an einige andre, deren ich in Deutschland auf frühern Reisen Zeuge gewesen war. Mit großer Geschwätzigkeit zählte sie mir alles auf, was an Lebcnsmitteln die Stanitze auszuweisen hatte, und als ich ihr einen Eilbcrrubel übergab, mit der Bitte mir Lebensmittel einzukaufen, entfernte sie sich aus kurz? Zeit, um mit ciner solchen Mengc von denselben zurückzukehren, daß ich wohl auf acht Tage keinen Hunger leiden konnte. Mit derselben Bereitwilligkeit bereitete mir die sauber gekleidete Kosakin ein Abendessen, wie ich es lange nicht so wohlschmeckend und nahrhaft gehabt hatte. Als ich von einer kleinen Tour in der Stanitze und der Um- 325 gegend zurückgekehrt war, und eben an mein Tagebuch mich setzen wollte, trat mein Reisegefährte mit einem Fremden, der in die Kleidung unserer Bauern gehüllt war, ein. Schon betroffen von dem Vaterländischen, was mir jetzt so unerwartet entgegen trat, wurde ich es noch mehr, als der fremde Mann freundlich auf mich zukam, und mir einen gnten Abend wünschte. Wer lange Zeit von dem Vaterhause entfernt gewesen und die Sehnsucht nach ihm nicht untergraben hat, wird die Freude begreifen, die mich mit einem Nu durchdrang. Seyd ihr denn wirklich em Deutscher? war die erste Frage, welche mein Landsmann in der schwäbischen Mundart an mich richtete. Und als ihm meine Antwort alsbald zur Gewißheit wurde, richtete er eine Menge Fragen an mich, die alle gründlich zn beantworten mehrere Tage verlangt hätten. Wir freuten uns, das; wir gegenseitig uns gefunden und mit beiden Händen faßte ich den kaukasischen Landsmann und zog ihn auf die harte Bank neben mich nieder. Bald erfuhr ich wer er war. Er gehörte der sogenannten schottlandischen Colonie zu Karas unweit Pjatigorsk an und hatte eine Menge Waaren, besonders Eisen- und Vlech-waaren, so wie auch Kattun bci sich, um dieselben jenseits des Kaukasus zu verkaufen. Dieses betriebsame Völkchen der Schwaben, die leider der Religion halber ihr Vaterland verlassen hatten, hat bald seinen Vortheil zu verstehen gelernt, und befindet slch z„m großen Theil in einem guten Zustand. Kaum war die Ernte vorbei, so eilte ein Theil der Bewohner von Karas mit einem Wagen, vor dem zwei gutgenährte Pferde gespannt waren, über die Berge dahin zu ihren jenseitigen Brüdern, um mit deren Hülfe ihre Waaren abzusetzen und dann mit gefülltem Beutel wiederum der Heimath zuzuwandern. Als ich erfuhr, dasi auch sein Schwiegersohn mit ihm sey, schlckre ich ihn ans, um auch diesen mir zuzuführen, und während der Zeit bat ich meine Wirthin um den Selbstkocher (Sac wowar), um mit dessen Hülfe mir selbst Thee zu bereiten. Die beiden Schwaben fanden sich bald ein und beim Brausen dcs Nassers im Kessel und bei gemüthlichem Einschlürfen eines Glases Thee's nach dem andern verlebte ich mit ihnen cincn traulichen Abend. Allmählich erfuhr ich die ganze Geschichte ihres Lebens. Ihre Eltern waren noch im vorigen Jahrhundert aus leisen und Länd«besch«ll,>t!igm. XXIII. «5 ol. li.'ttzk^a «lokol!.-,) bilden. Unter ihnen sind das Manthamt, die Quarantäne und eine Kaserne zu nennen. Da unsere Reise nach Asien ging und nicht daher kam, so hatte niemand ein Recht, uns wit irgend etwas zu belastigen. Wer aber ans Asien kommt, hat sich mehrere» Verationen zn unterwerfen, und bevor man sich diesen nur unterziehen kann, muß sogar eine totale Purification des Körpers und des ganzen Gepäckes, in soweit es Peststoff in sich aufzunehmen im Stande ist, so wie eine Untersuchung des ersiern von Seiten des Arztes geschehen. Nnn erst wird man, wie ich spater noch erzählen werde, den Händen der Mauthbeamten überliefert. Durch den letzten Friedensschluß zwischen Rußland und Per-sien ist es nämlich den Bewohnern des letztern noch erlaubt, Er-zcngm'sse, die daselbst ihren Ursprung haben, mit einer nur geringen Abgabe in allen transkaukasischen Landern einzuführen. Dahin gehören besonders Seldenwaaren, Teppiche :c. Um nun den Leitern Verkauf jener Waaren im übrigen Rußland ohne die volle Stencr zu verhindern, ist auf den jenseitigen Ufer der Malka das obengenannte Mauthamt erbant worden. Um auch die Pest von dem östlichen Europa fern zn halten, muß Jedermann, trotz der Quarantänen an den Gränzen Persiens und der Türkei, selbst wenn er aus einer vollkommen pcstfreien Gegend Transkau-kasiens kommt, einer Raucherung und weitern Untersuchung sich nn-tenverfcn. Endlich hatten alle Glieder der eine Viertelstunde langen Karagane den ihnen angewiesenen Raum eingenommen und der lange Zug bewegte sich knarrend durch das unangenehme Getose der Arben (Wägen) langsam vorwärts. Er wurde durch eine Kanone, an der einer der dazu gehörigen Artilleristen die brennende Lunte trug, k^ssnet. Fünfzig Mann Infanterie von einem reitenden Lieutenant an-Aefuhrt folgten ihr, nnd nnn kamen alle die verschiedenen Völker, die ^schcrkessien, das wir eben betreten hatten, durchwandern wollten, ^"ein Neisegesellschafter setzte es seines vielen Geldes wegen durch, ^aß er mit seinem Wagen unmittelbar anf die Soldaten folgte, w'nfzehn Linien-Kosaken escortirttn uns auf der Seite. Unsere 238 Karawane war aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt, und doch bewegte sich alles in friedlicher Eintracht neben einander. Außer den schon genannten beiden Deutschen bestand sie noch aus einigen russischen, armenischen und grusischen Kaufleuten, aus ungefähr 50-^60 polnischen Recruteu und zum größten Theil aus verschiedenen Kaukasiern, die mit ihren plumpen Alben europäische Waaren nach Tisiis brachten, oder früher mit asiatischen Waaren beladen, nun wiederum leer ihrer Heimath zueilren. Die Karawanen sind jetzt fast nur noch Asien und Afrika eigenthümlich und lassen sich mit den gemeinschaftlichen Reisen der Kaufleute unserer freien Reichsstädte zu der Zeit, wo die Ritter auf ihren festen Burgen raubend in die Ebenen einfielen, vergleichen. Wie damals immer eine bewaffnete Macht jede Waarensendung begleiten mußte, so vereinigen sich auch hier wohlbewaffnet die Reisenden, um alle Ueberfalle abzuwehren. Die gemeinschaftlichen Gefahren sind auch das einzige Band, was die Glieder einer Karawane mit einander verbindet und zusammen hält. Zwar auf einander gewiesen, geht doch jedes einzelne Glied seinen eigenen Weg, und bekümmert sich kaum um den, der vor oder nach ihm herzieht. Die große Schweigsamkeit des Asiaten macht jede weitere Annäherung unmöglich, und ebenso unbekannt man beim ersten Zusammentreffen sich gegenseitig fühlt, ebenso fremd steht mau sich fast noch, wenn man sich nach Wochen- ja Monate laugem Zusammenleben wiederum trennt. Jeder versieht sich auf die Dauer der ganzen Reise mit allem Nöthigen, besonders mit Speije und Trank, und man würde, hatte man es nicht gethan, bei der großen Entfernung bewohnter Ortschaften in nicht geringe Verlegenheit kommen. Ruhig, der Menge der Menschen gar nicht entsprechend, bewegt sich meist der Zug vorwärts, als wenn Jedermann beständig auf der Hut wäre, um einen Ueber« fall würdig zu empfangen. Ware das Knarren der Räder u"d der gleichmäßige plumpe Tritt der Büffel, Ochsen und Kamele nicht gewesen, es würde noch unendlich stiller hergegangen seyn-Welchen Lärm würde bei uns eine gleiche Menge von Mensche" hervorrufen? Wie man sich denken kann, bewegte sich unsere Karawane bei der großen Anzahl der Fußganger nur langsam vorwärts. Ruhig saß ich anfangs in meinem Wagen und betrachtete alles 239 aufmerksam, was um mich vorging. In jedem Gebüsche was wir fanden, wähnte ich Tscherkessen versteckt und erwartete jeden Augenblick den Angriff. Wenn ein Kosak plötzlich sein Pferd anspornte und vontro ä torio einer jener Anhöhen, welche die Russen Gurgan, die Tscherkessen und alle übrigen dort hausenden Völker hingegen Tep^ nennen und Grabmäler darstellen sollen, zuritt, um von da aus die Umgegend zu recognosciren, konnte ich kaum die Zeit erwarten, wo der Kosak wieder zu uns kam, und uns die Botschaft — nicht von dem Herannahen einer feindlichen Truppe, sondern von der völligen Gefahrlosigkeit und Ruhe brachte. So vergingen einige Stunden und es blieb immer beim Alten. Des Harrens auf meinem Sitze und des Dahinschleichens auf dem Wagen überdrüssig, sprang ich endlich herab, um wenigstens ein paar Worte deutsch mit meinen beiden Landuleuten aus der schottlandischen Colome zu plaudern. Meiner Verwunderung über das Ausbleiben der feindlichen Tscherkessen setzten beide ruhig entgegen, daß es so schlimm gar nicht sey, und daß man ohne irgend eine Bedeckung keck die gauze Kabardah durchreisen könuc. Die Bewohner der Gegend, die wir eben durchwanderten, seyen lange schon Rußlands Unterthanen, und hätten seit geraumer Zeit durch die Noth gezwungen sich das Rauben abgewöhnt. Die ferner wohnenden feindlichen Tscherkcsscn und Tschctschen wagten jetzt nicht mehr, bis hierher ihre Ueberfalle auszudehnen. Vorsicht sey freilich immer noch nothwendig, und sie sey auch am meisten geeignet, völlige Sicherheit herzustellen. Nach diesen Worten wurde es mir zwar um das Herz unendlich leichter, und freier schaute ich hinaus in das Freie, aber daß wir die ganze Kabardah, ohne nur im geringsten ein Abenteuer zu erleben, durchwandern sollten, war mir doch nicht recht. Die 6anze gerühmte Sicherheit hatte ich fast auf einmal hinweg gewünscht, denn mcin ganzer Waffenschmuck war ja unndthig geworden, und hing umsonst an mir. Da ich die beiden Deutschen ohne alle Waffen erblickte, ärgerte ich mich sogar über nu'ch uud uu-wUlig ging ich wiederum nach meinem Wagen, und legte alle Waffe« bis auf die Flinte weg. Die nächste Nähe wurde wir langweilig und so wanderte ich zuerst der langen Karawane entlang, um alle Glieder derselben etwas genauer zu betrachten. Bis dahin war ich viel zu geschäftig mit mir gewesen, uud hatte 240 mich mit Ausnahme der beiden Deutschen um keinen meiner Neise-gesellschafter bekümmert. Jetzt wo ich mich nun freute, eine Gelegenheit gefunden zu haben, die so sehr gepriesenen Kaukasier in der Nahe zu betrachten, wurde ich auch da gewahr, dast ich mich zum zweitenmale getauscht hatte. Ich hatte so viel von der schmucken Kleidung und dem edlen Wuchst der Bergvölker vernommen, und jetzt sah ich auf einmal ein halbes Hundert derselben zerlumpt, in einer ärmlichen Kleidung, schmutzig, überhaupt in einem Zustande der einzunehmen nicht geeignet war. Wiederum die elenden Arben und nirgends etwas, was nur im geringsten mein Wohlgefallen erregen konnte. Ehrerbietig trat ein jeder aus dem Wege; nichts von dem Trotze, der den Kaukasier auszeichnen sollte. Die Augen, die ich unter einer freien Stirne thronend geglaubt, sprachen knechtische Demuth aus, und von all der entsetzlichen Wildheit, von der ich so viel gehört und gelesen hatte, sah ich auch gar nichts. Hätte das machtige Gebirge vor mir mich nicht immer von neuem daran erinnert, daß ich mich in der Kabardah befände, ich würde mich wiederum unter die armseligen Kalmüken versetzt gewähnt haben. Zum erstenmal war ich unzufrieden auf meiner Reise mit dem was ich sah, und in mich gekehrt ging ich zurück zu meinem Reisegefährten. Es geht in der Regel so, daß zu große Erwartungen nur selten befriedigt werden. Während ich jetzt durch die mit mir ziehenden Kaukasier eine entgegengesetzte Ansicht von den Bewohnern des Kaukasus erhielt, fand ich später 'in ihnen immer mehr, bis endlich der Kaukasier mit meinem Eintritt in Asien wiederum in dem Lichte erschien, wie ich ihn immer in mir getragen hatte. Die Kaukasier, die um einen geringen Fuhrlohn Waaren über das Gebirge nach Tifiis oder Rußland bringen, sind auch nicht im Stande, ein treues Bild von den dortigen Bewohnern zu geben, da sie selbst nur dem ärmsten und elendesten Theile angehören und eben, weil ihnen die Gegend, wo sie geboren wurden, nicht den nöthigen Unterhalt darbieten kann, sind sie gezwungen auf eine andere Weise ihr Brod zu verdienen. Der achte Kaukasier, der sich als solcher rein erhalten hat, wird nie einen Dienst selbst nicht um Lohn verrichten, sondern schweift lieber hungrig auf den Bergen herum, bis es seiner Flinte gelingt, das zu verschaffen was ihm fehlt. Die Entfernung der Krepost (Veste) Prischib, das Ziel unserer «41 heutigen Wanderung, betrug nur 15 Werst, also wenig mehr als zwei deutsche Meilen, und doch wurde von dem uns führenden Lieutenant beschlossen, etwas über der Hälfte des Weges an einem unbedeutenden Bache, den die Russen den schwarzen (melier, «»la rjotzckka) nennen, einen Stillstand eintreten zu lassen. Alles lagerte sich in das hohe Gras oder suchte unter dem dürftigen Gebüsche Schutz gegen die zwar schon sehr schiefen, aber doch noch brennenden Strahlen der Sonne zu finden. Der üppige Wuchs der Krauter und Graser der nächsten Umgebung erlaubte mir kaum diese naher zu betrachten und nur mit vieler Mühe gelang es mir in den Krauterwald einzudringen. Der Weg, da wöchentlich zwei- und dreimal große Karawanen die Kabardah passiren, war breiter und deutlicher als in den don'schen Landen. Pfahle zeigten die jedesmaligen Entfernungen von einer Werst zur andern an. An allem, was mir begegnete, sah ich, daß ich mich in einem Lande befand, das sich keiner Cultur erfreute, denn nirgends war außerhalb des Weges eine Spur von einem Menschen aufzufinden. Hanfig begegneten wir Thiergerippen und an ihnen nagten noch Geyer und Naben. Hier begriff ich erst recht den Nutzen dieser bei uns so verfolgten Vögel. Man gibt sich bei einer Karawane nicht die Mühe, wenn ein Zugvieh plötzlich niederstürzt und seinen Geist aufgibt (was m der Regel plötzlich geschieht), dieses aus dem Wege zu räumen, sondern läßt es eben liegen, wo es gestürzt ist. Geyer und Raben tragen schon Sorge, das Fleisch, bevor es in Fänlm'ß übergeht, aufzuzehren. Als wir in die Nahe vonPrischib kamen, wurde unser eintöniges Gerausch durch den Ruf »Wsoki! (wer da, wörtlich übersetzt hörel), her aber nicht von dem Standpunkt kam auf dem wir uns befanden, sondern aus der Hohe herab ertönte, unterbrochen. Verwundert sah ich aufwärts nach der Gegend hin, woher der '"uf erschallte und erblickte auf einem Baume eine Schildwache, ^lan hatte nämlich den günstig gelegenen Baum dazu erwählt, die Umgegend zu beschauen, und dadurch eine Wüschke erspart. Eine solche bedeutende Höhe war für Prischib um so mehr nothwendig, da die Veste zum Theil von Buschwerk eingeschlossen wird. leisen «nd Landerbeschrfibungen. XXIII ,s- (Reif« nach Kaukasien.) '" 242 Auch Bell erzählt in seiner Reisebeschreibung etwas Aehuliches.*) Der Muezzin in der Ebene Tetschagus unweit des Adakum habe jedesmal, wenn die Zeit des Betens herangekommen sey, einen bestimmten, eigens dazu gewählten Baum erstiegen, um die Glaubigen an ihre Pflicht zu erinnern. Es war ziemlich spat, als wir vor den unbedeutenden Wallen Prischib's wiederum mit demselben Nuf zlusc^i begrüßt wurden. Mit der Trommel gab man alsbald das Zeichen, daß hier übernachtet würde, uud jedermann suchte sich um der Veste herum ein freies Plätzchen, auf dem man den kommenden Morgen erwarten wollte. Die polnischen Recruten wurden in das innere Bereich gebracht und unter strenge Aufsicht gestellt, da besonders in der Kabardah es ist, wo diese armen Leute von der Furcht, hier so fern von dem Vaterlaude ihr Lebeu vertrauern zu müssen, ergriffen werden und ohne zu wissen wohin von dem Orte ihrer Furcht in die nahen Verge und Wälder laufen. Häusig geschieht es, daß, da sie des Weges und der Gegenden ganz unkundig sind, sie gerade den Russen wiederum in die Hände laufen, um — eine harte Strafe abzubüßen. Nur wenigen gelingt es, bis zu den freien Kaukasiern zu kommen, wo sie meistens Sklaven desjenigen werden, dem sie zuerst entgegentreten, uud deßhalb nicht immer einem glücklichen Loose entgegengehen. Der Sprache nicht machtig, müssen sie erst diese erlernen, und an das rohe und unbequeme Leben der freien Kaukasier nicht gewohnt, finden sie oft trotz der guten Behandlung, die sie von Seiten der Tscherkcssen, nicht aber der Tschetschcn und Lesgier erhalten, einen zeitigen Tod. Alle Verbindungen mit ihrem Vaterlande sind ihnen auf jede Art, mögen sie sich als treue Soldaten bewahren oder unter dem Schutze eines Tscherkessen sick bcsinden, abgeschnitten, uud die Rückkehr in dasselbe ist ihnen im erster» Falle nur nach 20 Jahren möglich. Alle Briefe, die sie in die Hcimath senden wollen oder von dort her bekommen, gehen erst durch die Hände ihrer Behörden, und wehe ihnen, wenn diese Klagen über ihr armseliges Leben enthalten. Für den Kaukasus wählt man von den Recruten meist die aus, welche in ihrem Vaterlande sich durch schlechten Lebenswandel ausgezeichnet haben, und außerdem sind es Polen, *) Bell's Journal of a residence in Circassia Tom. I. p. 210. 243 welche die kaukasischen Regimenter jährlich ergänzen. Da aber der Kaukasus besonders von den gemeinen Leuleu fast mehr als die Hölle selbst gefürchtet wird, so gehört cs zn den schwierigsten Aufgaben solche Recruten glücklich an Ort und Stelle zn bringen, denn wo cs diesen nur irgend möglich ist, suchen sie sich durch die Flncht zu entziehen. In Rußland sclbst hilft keine Flucht, denn sie mögen laufen wohin sie wollen, so müssen sie der umsichtigen Polizei wiederum in die Hände fallen. Trotzdem sie aber dieses wissen und vielleicht schon einmal die harte Strafe überstanden haben, laufen sie immer wieder fort, um nur noch härtern Züchtigungen entgegen zu gehen. Merkwürdig ist es, wie die gemeinen Russen im Gegensatz zu den Polen sich dabei durch Pfiffigkeit auszeichnen und die letztern es gewöhnlich sind, die sich durch Dummheit auszeichnen. Der R:> sse stiebt in der Regel erst dann, wenn er weist, daß er nicht mehr aufgegriffen werden kann, und gibt sich bei den Tscherkessen für einen Polen aus, wohl wissend, daß er sich als Russe nicht derselben Aufnahme zu erfreuen habe. Er überredet oft eiucn Polen, mit dem er zusammen als Recrut transpom'rt wird, oder mit dem er in einem Regimente dient, zur Flucht, besonders wenn er weiß, daß dieser aus der Hcimath noch etwas Geld mitgebracht hat, nimmt ihm dieses ab und kehrt oft, wenn ihm alle Aussicht zum Weiterkommen abgeschnitten ist, von freien Stücken znrück, um dadurch eine gelindere Strafe zu bekommen, wahrend der Pole nach mehreren Tagen unstatcn Irrens doch wieder cingefangcn wird. Der Officier, dem es gelungen ist, eine Anzahl Recruten ohne bedeutenden Verlust glücklich an Ort und Stelle zu bringen, erhält Meist cine Belohnung und nicht selten sogar einen Orden. Außer den Soldaten und Recruten war es nur meinem Gefährten und mir erlaubt, die Veste zu betreten und wir erhielten ln ihr eine sogenannte Kronwohnung. Man darf freilich hier unter diesem Namen nicht ein elegantes Logis verstehen, nicht ein-Wal ein solches, wie ich es schon in Iekaterinograd besessen, sondern mein Zimmer war in Pn'schib ein drei Ellen im Kubik haltendes Loch, in dem ein Brctt, um als Tisch zu gelten, auf einen Klotz geschlagen war. An der einen Seite hattc man etwas angebracht, was das Ausehen einer Bank hatte. Es war mir nicht möglich, in diesem Zimmer, das unsere 16 * 244 Sachen allein schon fast ausfüllten, lange zn verweilen, znmal wohl auch eine geraume Zeit vergangen seyn konnte, seitdem es zum letztenmal gereinigtwar. Ich suchte, nachdem ich von den eingekauften Vorräthcn etwas zn mir gesteckt hatte, das Freie außerhalb der Veste, nnd erfreute mich an dem schönen Abend. Die Umgegend Prischibs ist in hohem Grade freundlich, und der nahe Tcrek mit seinem jenseitigen hohen Ufer und seinen rasch laufenden und rauschenden Wassern erhöhte mir unendlich den Genuß. Es war das erstemal, wo ich diesen in der Geschichte berühmten Fluß, an dem einst das machtige und große Volk der Türken lebte, sah. Er gab ihm vielleicht den Namen, oder erhielt diesen umgekehrt von ihm. Es ist noch Sitte im Kaukasus und nicht weniger in ganz Asien, daß ein Volk seinen Namen von dem großen Flusse, der sein Gebiet durchstießt, erhalt oder umgekehrt diesen dem seinigen gibt. Solche Beispiele gibt es in Menge und oft noch werde ich Gelegenheit haben, sie im Verlaufe meiner fernern Reisebeschreibung zu erwähnen. Wie der Terek laut stürmend und alles mit sich fortreißend dem Kaukasus, seiner Wiege, entströmt, so stürzten sich auch seine frühern Bewohner, die Türken, auf Asien und Europa. Das kühle Wasser des Terek lud mich ein, in seinen Flu-then meinem Körper wiederum die Frische zn ertheilen, wornach er sich nach der Hitze des Tages so sehr gesehnt hatte, zumal mir auch dabei Gelegenheit gegeben wurde, das jenseitige steile Ufer des Flusses einer nahern Betrachtung zu unterwerfen. Nachc dem ich mich im Wasser erfrischt, wanderte ich nach dem jenseitigen Lande, und erfreute mich der dortigen schönen Punkte, welche sich mir zum Beschauen der diesseits des Terek und Lesgen liegenden großen Kabardah darboten. Die Anhöhe, auf der ich mich befand, gehört dem nördlichen der beiden klein-kabardischen Gebirgskamme au, die ohne mit dem Kaukasus zusammenzuhängen, die kleine Kabardah nnd einen Theil von Tschetschien, bis dahin wo die Sundscha ihnen ein Ziel setzt, durchlaufen. Der Kaukasier nennt sie schlechtweg Arük oder Arak, der Russe hingegen Greben — Namen, die genau unserm deutschen Wort Gebirgskamm entsprechen. Ihre einzelnen Theile führen, wie ich später noch in der Beschreibung des kabardischen Landes zeigen werde, verschiedene Namen; so heißt der, an dessen westli- 245 chem Ende ich mich befand: Dalagareh, und seine höchste Spitze Schkekesch.'no. Diese beiden Gebirgskämme besitzen eine unbedeutende Hohe und mögen einer viel spätern Zeit ihren Ursprung verdanken. Sie bestehen aus einem sehr lockern, nur leise durch Thon zusammengehaltenen Sandstein, der sogar zum Theil durch Gerolle ersetzt wird. Die bereits untergegangene Sonne mahnte mich plötzlich an den Rückweg, so gern ich auch noch einen kaum eine Stunde entfernten türkischen Thurm, ein Minaret, das südlich am Terek auf derselben Seite auf einer Anhöhe liegt und der einzige Ueberbleisel eines frühern großen Dorfes ist, betrachtet hätte. Die Russen nennen ihn das nieder-dschulat'sche Minaret. Die ganze Ebene am Terek bis an die südliche Gränze der Kabar-dah, also bis an den Karadag, mag wohl früher den Namen Dschulat (oder Kulat in Petit de la Croir Ucbersetzung von Schercffeddins Lebensbeschreibung des Timnr) geführt haben. Es ist zwar noch dasselbe fruchtbare Land, aus dem sich Timur für sein ganzes Heer Lebensmittel holen wollte, aber nur üppige Krauter und zwischen ihnen Wild in großer Menge nehmen jetzt die Stellen ein, wo früher Getreidefelder waren. Dämmerung hatte allmählich die Erde mit einem purpurnen Schleier bedeckt, und trat in Kampf mit dem Lichte des hoch am Himmel stehenden Mondes. Mein Reisegefährte sowohl als weine beiden deutschen Landsleute sprachen ihre große Sorge, welche ihnen mein Ausbleiben verursacht hatte, aus und warnten, da besonders auf dem jenseitigen Ufer häufig Tschetschen lauern um unvorsichtige Reisende zu entführen, mich vor ferneren ähnlichen Ercursionen. Ich setzte mich ruhig über eine Stunde zu Meinen Landsleuten, und nahm mit ihnen ein gemeinschaftliches Mahl ein. Das bunte Treiben der Menge um mich interesstrte mich zu sehr, um es so bald zu verlassen, und so wanderte ich Mit einem jener russischen Schwaben durch das verschiedene Gewühl der Menschen. Es war eben etwas ganz Anderes und weit verschieden von allem, was uns dergleichen im Vaterlande geboten werden kann. Meistens hatten sich die einzelnen Glieder unserer Karawane gruppirt, um ein gemeinschaftliches Mahl zu sich zu nehmen, oder waren eben damit zu Ende und legten sich ohne ein Wort zu sagen, nachdem sie den letzten Bissen zu sich 24« genommen, auf die Seue, um in Morpheus' Armen furchtlos den andern Morgen zu erwarten. Es war mir interessant, die verschiedenen Sitten der einzelnen Völker in ihrer Reinheit zu beobachten. Das Zligvieh war abgespannt. Es suchte sich in geringer Eutfermlug ohne Hüter seine passende Nahrung in den hohen Krautern und legte sich dann wie seine Herren, wenn es gesättigt war, an derselben Stelle nieder. Ein jeder der Fuhrleute hatte in der Regel nur einen Wagen, aber mehrere gehörten meistens zu einer Familie, die, wenn Ruhe eingetreten war, sich zusammen kauerte und gemeinschaftlich sich das Mahl bereitete. Nächst dem Fuhrwerke ist der Hauptbesitz einer Familie ein Kessel (Kasän), und gilt zugleich für das Band, das die einzelnen Glieder unter einander verbindet. Während es bei uns die Wohnung ist, in der man sich gegenseitig findet, so ist es hier der Kessel, der alle Glieder einer Familie zu gewissen Zeiten um sich vereinigt. Da eben dieser Kessel das allein Bezeichnende einer Familie ist, so zahlten sich die nomadisirenden Volker hauptsächlich nach den sich vorfindenden Kesseln. Trotzdem hier am Terek hinlänglich Wasser zur Reinigung derselben vorhanden war, so gab man sich doch kaum die Mühe dazu. Der Kessel wird, da ein Dreifusi zu den unnöthigen Dingen gehdrt, an der etwas erhöhten Deichsel des Wagens angebunden, und in diesem Zustande unter ihm Feuer angemacht. Wie interessant war mir ferner alles Ucbrigc, was sich mir hier m einer kurzen Zeit zu betrachten darbot, und bald schon hatte ich, besonders da die halbe Dämmerung die armliche Kleidung mir nicht deutlich zu erschauen erlaubte, mich mit allen den Völkern, die noch vor wenig Stunden mir so erbärmlich vorkamen, ausgesöhnt. Hier saß ein Haufen rüstiger Männer zusammen und ließ seine rauhen und «licht viel umfassenden Stimmen in ekntönenden Melodien erschallen. Ein Vorsänger sang in der Regel eine Strophe und das ganze übrige Personal siel dann mit dreimaligem Wau! wau! wau! ein. Auf die Frage, welche mein Begleiter an einen, der russisch verstand, richtete, welchen Inhalt ihr eben gesungenes Lied hatte, wurde ihm erwiedert, daß sie einen ihrer Helden besungen hatten. Also auch diese rohen Völker sind für das Große empfänglich. Dort saß eine andere Gruppe mit übereinander geschlagenen Beine«/ 247 und blies ruhig den Tabaksrauch aus der kurzen Pfeife in die Lüfte. Weiter gingen wlr und stießen anf Tataren, die mit ihrem Gesichte nach Süden, wo Mekka, ihre geheiligte Stadt, liegt, gewendet, ein Gebet des Dankes zum Höchsten, den sie mit uns gleich verehren, sandten. ^t»ck l,gt ^ ill^I, Inil olü»^, alzok KiU in Noliam^ä lazuli nilak *) (ich bekenne, dasi nur ein Gott und Mahomed sein größter Prophet ist), war der Anfang und der Schluß ihres Gebetes. Diesen gegenüber standen einige lange Gestalten gläubiger Schiiten und blickten mit Verachtung auf die ketzerischen Sunniten, die außer ihrem Koran noch die Summ, jene Sammlung der Aussprüche von Mahomeds nächsten Nachfolgern, als heiliges Buch erkaunten. ^ll^, nklien'! Iloi »en ki O8M3N, OmiN', ^I^udc:kl:l »el)o I,i»nnom it8Ll>incla F6ll«in! (Gott ist groß! Mögen denn Osman, Omar und Abubeker auf ewig verflucht seyn!) ist die Glaubensformel, mit der die Schiiten jedes Geber beginnen. Unsere Karawane, die so verschiedene Völker m sich faßte, zeichnete sich auch noch dadurch aus, daß fast alle europäischen und asiatischen Religionen mit ihren verschiedenen Secten hier vertreten wurden. Die russischen Kaufleute reprasentirten die griechische, die polnischen Rccruten die katholische, meine beiden Landsleute die streng lutherische Kirche. Einige Juden, die sich unter den polnischen Recruten befanden, waren dem Glauben lhrcr Vater treu geblieben, und zwei uus begleitende Kalmükcn Murmelten ihr nmmanidn«! inaocünlm fortwahrend vor sich hin. ^ssen, die zum Theil nicht einmal Heiden, sondern ohne alle Religion sind, wie ich später zeigen werde, befanden sich ebenfalls in Menge unter uns, und belächelten wahrscheinlich die gläubigen, von denen ein jeder wähnte, den ächten Rt'ng von ihrem Allvater erhalten zu haben. Es war fast Mitternacht, als ich noch einmal ganz allein unsere bereits in hörbaren Tonen schlafende Karawane besah, und *) Ich gebe hier genau die Worte in dem achten tatarischen Dialekt der am Kaukasus herrschenden türkischen Sprache, wie ich sie oft gehört, wieder. 248 dann ruhig der Veste zuging, um auch mich wiederum für den nächsten Tag zu stärken. Knarrend öffneten sich die. Thore der Veste, und ich trat in den innern Bereich derselben ein. Mein Reisegesellschafter lag auf dem Boden unseres Zimmers, wahrscheinlich schon lange sich auf dem harten Boden dcs süßen Schlafes erfreuend. Die unbedeutende Räumlichkeit erlaubte mir nicht, auch hier mich auszustrecken und gern verließ ich das Zimmer, um in dem Wagen mein Nachtlager aufzuschlagen. Allerhand Bewegungen meines Gefährten hatten mich auch von der wahrscheinlichen Anwesenheit der schon mehrfach erwähnten ungeftügelten Sechsfüßlcr belehrt. Des Morgens halb 5 Uhr wurde Appell geschlagen, und die Stille des eben dämmernden Tages durch das laute Erwachen der ganzen Karawane untelbrochcn. Außerhalb der Festung begann ein Treiben und Drangen, ein Durcheinanderlaufen und Schreien, wie es eben unter so vielen Menschen denkbar ist. Der größte Theil bewegte sich nach dem nahen Teret, und den Menschen folgte lautbrüllend das Zugvieh. Noch einmal besah ich mir die Veste, die schon einigemal den andrangenden Kaukasiern widerstanden hatte, und ersah aus den unbedeutenden Wällen, die ein Quadrat um die innerhalb derselben liegenden 16 — 20 unbedeutenden, mit Schilf bedeckten Häuser bilden, daß entweder die Tscherkessen oder Tschetschcn, so tapfer sie auch auf offenem Felde seyn mögen, vor Mauern und Wallen eine große Unkenntniß beweisen, oder daß die darin liegenden Soldaten durch ihre Tapferkeit sich auszeichnen müssen. Es war gegen 6 Uhr, als wir endlich von Prischib aufbrachen, um nur die unbedeutende Strecke von 25 Werst (etwas über 3'/, Meilen) zurückzulegen. Die ganze Karawane bewegte sich wiederum in derselben Ordnung und mit derselben Langsamkeit vorwärts. Das Wetter begünstigte uns auch heute wie die beiden folgenden Tage, und immer lag noch vor uns das majestätische Gebirge des Kaukasus. Ohne auf etwas zu stoßen, kamen wir schon gegen w Uhr an dem Flüßchen Argudan an, und fanden daselbst schon eine Karawane, die wohl noch starker als die unsrige war, gelagert. Unsere Begleitung wechselte sich gegenseitig ab und wir erhielten die, welche jene bis Hieher gebracht hatte. Ueber eine Stunde wurde Halt gemacht und Jedermann 219 erfreute sich unter dem Schutze der das Flüßchen umgebenden Bäume gegen die brennenden Sonnenstrahlen gesichert zu seyn. Mit der Flinte auf dem Rücken wanderte ich in Begleitung zweier Russen aufwärts dem Flüßchen, um für den kommenden Mittag den Braten zu suchen. Die Kabardah ist sehr reich an verschiedenem Wild und Geflügel, und besonders findet man hier sehr viele Fasanen und verschiedene Arten von Enten. Mit Mühe brach ich mir durch das hohe Gras und Schilf Bahn, hatte aber das Vergnügen, mehrere Stücke der erstem zu erlegen, und bei der Karawane angekommen den Führer derselben mit zwei Fasanen zu erfreuen. Es ist merkwürdig, daß die in den Vesten liegende Garnison sich so wenig mit der Jagd beschäftigt, und trotz der ihnen dazu behülflichen Waffen ziehen die Soldaten vor, wenn sie zu Hause sind, des Müßigganges zu pflegen. Das Fleisch, das ihnen geliefert wird, ist nicht immer gut, und da sie es meist für mehrere Tage erhalten, so geschieht es bei der gro« ßen Hitze in den Sommermonaten nicht selten, daß es halb oder ganz verdirbt. Und doch ziehen sie vor, es vom Hunger gepeinigt zu genießen, als sich die geringe Mühe zu geben, Fallen zu stellen oder mit der Flinte sich Wild zu verschaffen. Meine Fasanen waren dem Lieutenant ein willkommenes und seltenes Geschenk, trotzdem die ziemlich dreisten Vögel in dem Gebüsche aller Vesten in Menge herumflatterten. Nach einer Stunde Aufenthalt brachen wir wieder auf, und passirten nach einer Stunde das Flüßchen Lesgen. Es war erst 2 Uhr, als wir schon in der Veste Uruch, welche ihren Namen von dem Flüßchen, an dem sie liegt, erhalten hat, ankamen und das Zeichen zum Bleiben gegeben wurde. Ich benutzte die Zeit, um die nächste Umgebung etwas näher zu betrachten, und wo möglich doch das Innere eines Tscherkessen-Dorfes (Auls) zu besehen. Der Lieutenant, dem ich mich durch bie beiden Fasanen verpflichtet hatte, ertheilte mir alsbald die Erlaubniß, mit zwei Soldaten das kaum eine Stunde entfernte große Dorf Vorok, das nach seinem Besitzer den Namen hat, zu besichtigen. Einer der beiden Deutschen begleitete mich und diente mir, da er des Russischen hinlänglich machtig war, als Dolmetscher. Der Vorsicht halber bewaffnete ich mich, und wanderte so mit meiner Begleitung dem Dorfe, das an dem Flüßchen Schaker liegt, zu. Einer der Sol- 250 daten trug die Botanisirbüchse, und kaum mehr als eine Viertelstunde von Uruch entfernt war sie schon ganz angefüllt. Die Wiesen — wenn ich mich des Namens für diese mit Kräutern und Gräsern dicht bewachsenen Gegenden, wo man ohne sich hinzuwerfen sich leicht verstecken und den Augen der Menschen entziehen kann, bedienen darf — unterscheiden sich von den uusrigen hinlänglich durch die Höhe und die größere Maunichfaltigkeit der Pflanzen, unter denen Gräser und Schmetterlingsblüthler nicht so häufig vorkommen. Mehr ähneln sie den Steppen Ciskaukasiens und Südrußlands in der Zeit, wo durch den Wassermangel die Sonne den dortigen Boden noch nicht verbrannt hat. Die Prairien Nordamerika's, wie sie uns Washington Irving schildert, kommen ebenfalls mit diesen Wiesen überein. Es treten hier schon eine Menge acht kaukasischer Pflanzen, welche die aus den Bergen strömenden Flüsse mitgebracht haben, auf. Die Flora der kabardischen Wiesen im Frühlinge ist mir unbekannt, und wenn ich daher hier versuche von ihr ein Bild zu geben, so bezieht es sich nur auf die Zeit, wo ich die Kabardah durchreiste. Die Gräser gehören meistens den Geschlechtern an, die auch auf unsern Wiesen vorkommen, erscheinen aber in einer bedeutendem Höhe, so daß unser kleines Flinkeroder Zittergras (Nri-a nieöia !_..) bis zu drei Fuß hoch und mehr von mir gesammelt wurde. Im Verlaufe meiner Reise durch die Kabardah beobachtete ich außerdem: Calamagrostis Epigeios Roth, Phalaris arundinacea L., Agrostis alba L., A. tenui folia M. B., Saccharum cylindricum Lam., Milium vernale M. B., Urachne virescens Trin., Panicum aegyptiacum Retz, P. glabrum Gaud., Melica altissima L., Molinia coerulea Mnch., Molinia serotina M. et K.j Briza media L., Dactylis glomerataL., Koeleria cristataPers., Glyceria arundinacea Kth., Poa arundinacea Lit., P. nemoralis L., P. pratensis L., P. trivialis L., Testuca elatior L., Bromus moilisL., B. commutatus Schrad., B. inermis L., B. tectorum L., Bracbypodium sylvaticum Beauv., Triticum repens L,, T. junceum L., T. cristatura Schreb., Phi'agmites coramunis Trin. etc sgorjüijltcfr ästf)lretd? fanb fid) bte gamilie bet* ^ompoftten UOV, so: Xanthiura Strumarium L., Senecio erucifolius L., S-Jacobaea L., S. macrophyilus M. B., S. campestris DC, S-brachyaetus DC, S. racemosus D C., Galatella dracunculoi-des D C, Tripolium vulgäre N. v. E., Inula Helenium L.? I- 251 hirta L., I. britannica L., Pyrethrum achilleifolium M. B., Achillea Gerberi Willd. , A. Millefolium L., A. nobilis L., Tanacetum vulgäre L., Artemisia austriaca Jcq., A. Marschal-liana Spr., A. scoparia W. et K., A. pontica L. > A. Absinthium L., A. leptophylla M. B., Eupatoriura cannabinum L., Petasites vulgaris Dcsf., Linosyris villosaDC., Xeranthemum cylindraceum Sm., X. annuum L., Centaurea phrygia L., C. salicifolia M. B., C, Biebersteinii DC, C. Scabiosa L., C. orientalis L., C. Adami Willd. 3 C. centauroides L., Serratula xeranthemoides M. B., Jurinea linearifolia DC., Jurinea Pol-lichii Steud., Cirsium incanum M. B., C. canum All., C pa-lustre Scop., Carduus hamulosus Ehrh.? C. albidus M. B., Echinops sphaerocephalus L., Scorzonera eriosperma M. B,, S. purpurea L. etc. 3u ityuti gefeilten fid) in grower WltnQt «ttb t>on bebeuteubev Ssolje vide X)ip\aceen, befonberč: Dipsacus laciniatus L., D. piiosus Ij., Scabiosa ucranica L., S. isetensis L., Trichera montana R. et. S., T. arvensis Schrad. etc. Weniger zahlreich fanden sich Repräsentanten der übrigen Familien vor, jedoch war an einzelnen Arten unter den Papi-lionaceen das Geschlecht ^8tr2^u3 I.. reich, und hanfig fand ich hier und durch ganz Ciskaukasien: A. contortuplicatus L., A. dasyanthus Pall. A. diffusus Willd., A. galegiformis L.. A. subulatus Pall, etc, £>ic »orjiSgKc&fteH übrigen 9>ftonjen, nietete mit Cm Sßege entgegentraten, to Aren; Oxytropis pilosa DC, Lotus corniculatus L.} Trifolium vesiculosum Savi, La-thyrus incurvus Willd., Althaea ficifolia Cav., A. rosca Cav. A. officinalis L.7 Lavatcra thuringiaca lu, Ranunculus acris L., R. polyanthemos L., Thalictrum ilavum L., LJunias orientalis L., Sanguisorba officinalis L., Siler aquilegifolium Gärtn., Hera-cleum villosum Fisch., II. ilavescens Baumg., Chaerophyllum noaculatura Willd., C. bulbosum L., Anthriscus ncmorosus Spr., Valeriana officinalis L., Campanula bononiensis L., C. collina M. B., C. lactiflora M. I>., Verbascum ovalifolium Don., V. undulatum Lam., Symphytum asperrimum M. B., Echium rubrum Jcq., E. vulgäre L., Anchusa officinalis L., A. panicu-lata Ait., Nonnea pulla Mnch., Lycopsis arvensisL., Linaria genistifolia Mill., Nepeta nuda L., Salvia sylvestris L., Statice latifolia Sm., S. tatarica L., Urtica dioica h. etc. 252 Es war Abend geworden, als wir in dem Aul ankamen und uns einer guten Aufnahme bei den Tscherkessen erfreuten, so daß es mir leid that, nur eine Stunde verweilen zu können. Was der Haushalt hergab, wurde vorgesetzt, und um die guten Leute nicht zu betrüben, aß ich ihren nicht reinlich zubereiteten Spießbraten und das trockne, aus Mais bereitete Brod. Die erste Frage, welche mein Wirth that, der es (seinen Worten nach) als ein besonderes Glück ansah mich zu beherbergen, war, ob ich Hakim (Arzt) sey, und als ich es ihm bechere, führte er mich zu seiner Tochter, von der ich aber, da sie ganz mit einem weißen baumwollenen Tuche bedeckt da lag, gradezu gar nichts sah. Verwundert sagte ich ihm, daß ich, wenn ich heilen sollte, auch den Gegenstand meiner Heilung sehen müßte, aber eben so verwundert antwortete er mir, daß ich, um ein böses Bein zu curiren, doch auch dieses nur zu sehen brauche. Damit lüftete er das Tuch von unten, streifte die weiten rothen Beinkleider in die Höhe, und zeigte mir die böse Stelle. Es war leider die sogenannte weiße Kniegeschwulst (i^mor ölkus), die ich bereits in einem vorgerückten Zustande vorfand. Das ganze Bein war im hohen Grade abgemagert. Was ich ihm sagen konnte war nicht tröstend, da ich ihm, um das Madchen zu retten, nur schleunige Amputation vorschlagen konnte, und deßhalb den Rath gab, mit seiner Tochter nach Pjatlgorsk zu gehen. Vielleicht äußerten auch noch die dortigen Mineralwasser eine gute Wirkung auf das Bein? Den übrigen Zustand des Mädchens naher zu erforschen, war geradezu unmöglich. Unsere Ankunft hatte im Dorfe eine große Sensation erregt, und besonders stellten sich Männer und Kinder in großer Anzahl ein, um die fremden Thiere naher zu besehen. Daß ich nicht Russe war, sondern Deutscher, schien bei allen einen guten Eindruck zu machen, und mit der größten Freundlichkeit wurde ich ersucht, eine längere Zeit zu verweilen. Leider mußte unsere Unterhaltung mehr durch Zeichen als mit Worten geführt werden, da mein Wirth fast der einzige war, der einige Worte russisch radebrechte. Die Sonne war untergegangen, als ich den Rückweg antrat, und da es sich nach tscherkessischer Etikette für mich durchaus nicht schickte, zu Fuß zn gehen, wurde mir ein Pferd ge- 233 sattelt. Von den Vornehmsten des Dorfes begleitet, kam ich in kurzem wiederum in Uruch an. Ich übergehe hier eine nähere Beschreibung der Tscherkessen, da in den nächsten Capiteln diese so vollständig als es nnr möglich ist, erfolgen soll. Den andern Morgen (den 30 August) früh um 5 Uhr brachen wir wiederum auf, um am heutigen Tag einen Weg von 35 Werst bis zur Veste Ardon zurückzulegen. Wir befanden uns bereits nicht mehr in dev großen, sondern in der kleinen Ka-bardah. In der Regel läßt man den Terek die Gränze zwischen der großen und kleinen Kabardah bilden; allein ein machtiger Häuptling der letztern, Ansor, nahm schon vor langer Zeit die fruchtbare Gegend zwischen dem linken Ufer des Terek und dem rechten des Flüßcheus Lesgen, was eine Stunde oberhalb des Argudan in den Terek fallt, ein, und wurde alsbald mächtig. Nach ihm hieß die ganze Gegend, die nun das Besitzthum seiner Nachkommen wurde, Ansorieh, und führt bis auf den heutigen Tag bei den Kabardern noch diesen Namen. Der schöne Anblick des Kaukasus entzog sich allmählich unsern Blicken, da ein Ausläufer desselben, der den Namen Karadag (Schwarzberg) oder Pschechesch führt, mit seinen unbedeutenden Höhen das entfernte Gebirge deckte. Die Gegend bis dahin ist sumpfig und zum Theil dem Bache, den die Russen ebenfalls wiederum t5cl,?rn3)a rjet»^!^ (schwarzer Bach) nennen, emlang mit Bäumen und Gesträuch bewachsen. Der Terek soll hier eine bedeutende Breite besitzen und eine Menge Inseln bilden. Auf seinem jenseitigen Ufern liegen Dörfer des Taltostaineh (d. i. des Bergherrn), des Besitzers vom westlichen Theil der jenseits des Terek gelegenen kleinen Kabardah, und ein ziemlich betretener Weg führt zu dein Hauptsitz des Work (Edelmann) Mahomed Ansov und zu dem höher aber ebenfalls am Uruch gelegenen großen Dorfe Kugolk, dessen Bewohner früher mehr abwärts eine halbe Stunde seitwärts der Veste Uruch wohnten. Die Sonne brannte heiß, als wir endlich am Karadag und in der am Anfang desselben liegenden Vestc Ober-Dschulat ankamen, um uns eine Stunde Ruhe zn gönnen. Diese Veste besetzt den Eingang eineö zwei Meilen langen Thales, das westlich durch den Karadag, östlich hingegen durch den zweiten (südlichen) kleinkabardischen Gebirgsrücken, welcher den Namen Be- 234 lantscha führt, gebildet wird. Der Terek verschmälert durch das Thal laufend dasselbe, und das Thal kaun besonders von der Stelle aus, wo jetzt die Veste erbaut ist, durch einige hundert Mann leicht gegen ein großes Heer vertheidigt werden. Dschulat ist demnach der erste Paß an der großen kaukasischen Militarstraße und besitzt eine große Wichtigkeit. Aus dieser Ursache hat man auch an das südliche Ende des Thales eine zweite Veste, Durdur, angelegt, die aber, da das Thal nach Süden sich allmählich erweitert, den andrangenden Kaukasieru weniger Hindernisse in den Wege legen kaun; sie beherrscht aber nichtsdestoweniger die ganze ossische Ebene, die sich bis an das eigentliche Gebirge hinzieht. Erst seit dem letzten Perser-Kriege, wo eine große Anzahl Kaukasier sich hier verschanzt hatte und dem Durchmarsch russischer Truppen sich eutgegensetzte, hat man diese in ihrer ganzen Größe erkannt, trotzdem schon früher Reisende auf die Wichtigkeit des kabardischen Passes aufmerksam gemacht haben. Der Karadag oder Pschechesch bildet einen Ausläufer des nord-ossischen Gebirges, das an dem Uruch angekommen eine bedeutende Hohe, Atturtübarson, bildet und mm zuerst nordwärts und dann östlich sich umbiegend in den Karadag der Gränze zwischen der Ka-barda und der ossischm Ebene ausläuft. Der über dem Terek liegende Belantscha hingegen nimmt eine dem nördlichen klein-kabardischen Gebirgsrücken parallele Richtung an, ist nur wenig breiter, und endigt ebeufalls aber schon früher uud zwar unweit der Festung Grosnaja an der Sundscha. Man nennt ihn auch deßhalb Suudscharük. Es that mir leid, das ganze zwei Stunden lange Thal, das jetzt noch den Namen Tatartup führt, nicht naher untersuchen zu können, da ich mich ohne hinlängliche Begleitung nicht aus dem Bereiche der Veste begeben durfte, und unsere Karawane meinetwegen sich nicht aufhielt, denn hier findet man noch zahlreiche Ueberbleibsel einer vergangenen Große. Die Zeit, wo die ehemals hier gelegene Stadt Tatartup erbaut wurde, ist ebenso unbekannt als die, wo sie zuerst keine Bewohner mehr hatte- Trotzdem sie nicht unbedeutend gewesen seyn mag, so findet man sie doch fast nirgends erwähnt. Nur die Geschichte von Derbend (I)erb«nä ngintck), welche auf Befehl des Tatarchans Gerai der Bewohner 255 von Derbenr Mohamed Awabi Akthachi verfaßte, und der Italiener Iosaphat Barbaro sprechen von ihr. Nach dem erstern heißt sie eigentlich Dschulat und erhielt nach semer Zerstörung durch die krimschen Tartaren den Namen Tatan-Schehr, d. i. Tatareustadt. Der Name Tatartup mag erst viel spater entstanden seyn. Demnach könnte die Stadt mit Madschar, zumal sie mit dieser zusammen genannt wird, erbaut seyn. Zur Zeit Timurs musi sie reich gewesen seyn, denn in dessen letztem Kriege mit Tochtamisch wollte dieser sich, wie wir oben gesehen haben, daselbst verproviantirm. Rcineggs erzählt zuerst von den Ruinen, die zu seiner Zeit dort gewesen sind und meint, daß der Ort erst seit achtzig Jahren wüst läge; demnach wäre er zu Ende des siebenzehnten Jahrhunderts verlassen worden. Güldenstadt, der auch diese Gegenden besuchte, zahlt daselbst noch sieben Ruinen: eme Mesched, drei Minarets, zwei christliche Kirchen und ein Gebäude mit einem unterirdischen Gewölbe. Außerdem fanden sich noch eine Menge Gräber theils in Form von gemanerten Gewölben im ganzen Thale vor, theils erschienen sie besonders außerhalb des südlichen Einganges, also schon in der ossischen Ebene, in Form der in Ciskaukasien und Südrußland vorkommenden Hügel, welche die Russen Kurgan, die Bewohner dieser Gegenden aber Tepa nennen. Bei meiner flüchtigen Untcrsuchuug des ganzen Thales fand ich nur eiucu Minaret, unbedeutende Mauern, von denen man die Steine zum Bau der Caseruen verwandt hatte, uud eine Menge Grabmaler und zwar von beiderlei Sorten. Die Caserne schien mir sogar aus der Mesched, von der Güldenstädt spricht, erbaut zu seyn. Trotz aller Nachsuchungen habe ich keine Inschrift irgendwo entdecken können. Die Grabmaler schienen ein verschiedenes Alter zu haben, und oberhalb der Vcste Durdur beobachtete ich, wie es auch schon Dubois dc Montpereur gethan hatte, einige ganz frisch aufgeworfene Graber. Güldenstadt erzählt von zwei Steinen in der Mitte des Thales, welche die arabische Inschrift ihrer Besitzer uud die Iahrzahl 1745 und 1765 enthielten. Man sieht hieraus, daß noch wenige Jahre vor Güldenstädt die Sitte, hier wichtige Todten zu begraben, herrschte. Nach Reineggs sollen in einigen halb offenen Grabern uuverwestc Leichen, die sogar biegsam gewesen waren, gefnnden worden seyn. Alle Mo- 236 hammedaner der Umgegend betrachten Tatartup als einen geheiligten Ort, und die Fürsten von zehn Meilen im Umkreise lassen sich gern daselbst begraben, da die Sage, wie zu Reineggs Zeit, auch jetzt noch sich dort vorfindet, daß der Prophet Elias hier wiederum erscheinen würde, um die Menschen zum Guten zu führen. Von hier aus wären auch die Verstorbenen dem Elias naher, und würden von ihm sogleich in das Paradies und in das Reich der Huris geführt. Die Russen hätten zwar jetzt am Ein-und Ausgang von Tatartup Festungen erbaut, um das Erscheinen des Propheten Elias zu verhindern, allein die Stunde sey jetzt naher als je, wo die Lehre Mohammeds über den ganzen Erdkreis verbreitet werde, und die Christen sämmtlich bekehrt würden. Pygmäen ähnliche Geister bewachten die Ueberreste der hier liegenden heiligen Männer, und durchzögen auf Hasen reitend angstlich das Thal, um jede Bewegung der Russen zu bewachen. Nach allem diesem scheint es, daß Tatartup später gar nicht mehr bewohnt war, sondern ein Begräbnißplatz, an dem alle wichtigen Todten begraben wurden, gewesen ist. Die Mescheds und Minarets wären eben in diesem Fall erbaut worden, um den dahin Wandernden Gelegenheit zur Ausübung der Pflichten ihrer Religion zu geben. Da entweder Pietatsgefühle oder die Bestattung eines Todten selbst die gläubigen Mohammedaner Hieher führte, so waren Gotteshäuser in hohem Grade nothwendig. Stellt doch Klaproth die Behauptung auf, daß Madschar (wenigstens späterhin) ebenfalls ein Begrabnißort gewesen sey, und so viel man auch in der neuesten Zeit dagegen gesprochen hat, so behalt diese seine Meinung doch eine große Wahrscheinlichkeit, die freilich nie zur Gewißheit kommen kann, da unverzeihliche Gleichgültigkeit der damalige» dortigen Beamten den dort angesiedelten Colonisten erlaubte, sich beim Baue ihrer Häuser der Ruinen Madschars zu bedienen. Dubois de Montpereux vergleicht Tatartup auch mit Madschar, trotzdem er die Ruinen, welche man unter dem letztern Namen versteht, gar nicht gesehen haben kann. Derselbe berühmte Reisende begeht einen zweiten, fast unbegreiflichen Irrthum dadurch, daß er den noch jetzt im Norden des Thales von Tatartup befindlichen Minaret, nachdem die Veste Ober-Dschulat auch den Namen Minaretsk führt, in die Nahe 257 der am südlichen Ausgang des Thales gelegenen Vcste Durdur setzt, und dieser nach dem Thurme den Namen gcben läßt. Von dem noch zu Güldenstädts Zeit unweit des Durdur befindlichen Minaret ist aber jetzt keine Spur mehr vorhanden, während der eine am nordlichen Ausgange noch ganz so aussieht, wie ihn wenige Jahre vor mir Dubois sah. Er isi von Backsteinen erbaut, noch sehr gut erhalten, und besitzt eine Hohe von achtzig Fnsi. Eine Thüre führt in das Innere zn einer Wendeltreppe, welche aber nach oben ganz verfallen ist. Meine oben ausgesprochene Behauptung gewinnt noch mehr Wahrscheinlichkeit, wenn man den Namen Tatartup selbst noch etwas naher betrachtet. Tup ist ohne Zweifel das tatarische Tepa, Tnpa oder Stupa, d. i. Hügel, Grabhügel, B^gräbniß-platz; Tatartnp hieße demnach ein Tatarenbegräbniß. Die Tataren Kiptschaks waren ferner Nomaden, wie auch jetzt noch die Ueberbleibsel derselben, die Nogaier, es sind und hatten keine festen Platze zu ihrer stehenden Wohnung. Aber sie liebten, wie die vor ihnen hier wohnenden Komanen. ihre Todten an einen geheiligten Ort zu begraben und machten deßhalb mit ihnen weite Reisen. Allen diesen Gründen stehen aber die beiden zn Güldenstädts Zeiten in Tatartup befindlichen Kirchen entgegen, da auf keinen Fall die Mohammedaner erlaubten, daß auch Christen an ihren geheiligten Orten begraben würden. Jetzt, wo freilich von diesen Kirchen wohl keine Spur mehr zu finden ist, laßt es sich, wenn wir einem glaubwürdigen Reisenden, wie Güldenstädt war, nicht unbedingt Glauben schenken, nicht mehr nachweisen, ob sie einer frühern oder spätern Zeit ihre Erbauung verdanken. Die Wahrscheinlichkeit spricht für das erste, zumal wir auch wissen, daß unter Johann dem Schrecklichen das Christenthum unter den Tscherkessen und Osscn verbreitet wurde. Die Kirchen der damaligen russischen Missionare scheinen aber von keiner Bedeutung gewesen zu sevn. Auf jeden Falle wurde, wie schon oben gesagt, die ganze Ebene am Terek von der Stelle an, wo Bescktamak aufhört, bis zum Karadag (oder Pschechesch) Dschulat genannt, da es in Timurs Lebensbeschreibung bestimmt heißt, Timur zog dem Lande Kulat zu, indem er den Lauf des Terek, den er passirt war, Weisen und Ländcrbcsch«ibu»ge,i. XXIII 1? (Meise nach Kaukasien.) ' ^ ^ 258 verfolgte. In dem Auszug des Derbend-Nameh von Klaproth (IVouv. 5ourn. 28iat. III. ^,. 442) wird Dschulat auch Tatari-Schehr (d. i. Tatarenstadt, Tatartup) genannt und gesagt, daß Dschulat den letzten Namen deßhalb erhalten habe, weil nach der Zerstörung der Stadt durch den Chan der Krim sich viele Tataren daselbst niedergelassen hatten. Später (S. 456) werden Tatari-Schehr (hier Scheheri-Tatar) und Dschulat neben ein. ander genannt. Klaproth meint deßhalb, daß Dschulat auf der rechten Seite des Terek gestanden habe, und der obengeuanntc Niederdschulat'sche Minaret ein Ucberblcibsel jener Stadt sey; Tatartup hingegen sey Tatari-Schehr. Timur sey nun ferner nach Klaproth nicht nach der zuletzt genannten Stadt, sondern nach der Gegend zu, wo der Niederdschnlat'sche Minaret steht, gezogen. Dabei laßt Klaproth Timur den Koisu und die Sundschah, nicht aber den Terek passiren, wo er dann allerdings auf dem rechten Ufer des Terek geblieben wäre. Die Verschanzungcn, welche Timur aufgeworfen hat, will Klaproth sogar bei scinem Dortseyn am Ausflüsse des Kurp noch gesehen haben und behauptet demnach, daß daselbst die Schlacht geliefert worden sey. Allein, wenn ich der Uebcrsetzung von Petit de la Croir trauen darf, standen Timur und Tochtamüsch erst auf dem rechten Uftr des Terek einander in Schlachtordnung gegenüber, allein der letztere, wahrscheinlich um ein günstigeres Terrain zu suchen, brach plötzlich auf, und zog sich an die Ufer der Kura ^) zurück. Timur passirte nun ebenfalls den Terek, um, wie es heißt, in das Land Kulat zu gehen und sich daselbst aufs neue mit Lebensmitteln zu versehen. Er muß demnach ziemlich nahe au Tochtamüsch vorbeigezogen seyn, der ihm auf dem Fuße folgte. Auf dem hohen Ufer des Tcrek stellte sich Timur in Schlachtordnung, und den !5 April 1395 (nach Hammer-Purgstall) kam es zu dem für Tochtamüsch so unglücklichen Treffen. Der Ort, wo die Schlacht vorfiel, war demnach am Terck, unweit der Stelle, wo die Malka in ihn fällt. Wenn wir demnach Dschulat nicht als eine bestimmte Stadt, *) Hammer-Purgstall nennt den Fluß in der Geschichte der goldene« Horde S. 359 Kurp, was wohl auch richtig wäre, wenn Timur nicht den Terel passirt hätte. solidem als cine fruchtbare Gegend betrachten, die sich östlich sogar über den Terek ausdehnte, und ihrer Fruchtbarkeit halber sehr bewohnt war, wie die Ruinen aus einer frühern Zeit noch beweisen, so wäre es vielleicht auch möglich, daß Tatartup zum Begrabnißplatz der Bewohner des Landes Dschulat gewählt worden sey. Die Sitte, die Todten dahin zu begraben, wäre dann auch nach der Verwüstung Kulats geblieben. Tatartup wäre demnach nicht gleichbedeutend mit Tatari-Schehr, sondern nur dessen Vegräbnißplatz gewesen. Petit de la Crop's*) Meinung, daß Tatartup seinen Namen von einem Hunnenstamme Sien-Pi, gewöhnlich aber Topa genannt, erhalten liabe, hat schon Klaproth ^) hinlänglich widerlegt. Vor Mittag wurde wiederum Appell geschlagen und die ganze Karawane setzte sich in Zug. Wenn mir bis jetzt unser langsames Vorwärtskommen oft zum Ucberdruß gewesen war, so hatte heute der Schneckengang durch das Thal von Tatartup für mich geflügelte Eile. Alle Augenblicke blieb ich zurück und wurde gerade in dem Augenblicke, wo ich glaubte etwas Interessantes beobachten zu können, von einem Kosaken wiederum in die Nahe des Zuges zurückgeführt. So kam ich allmählich bei der Vcstc Durdur vorbei in die ossische Ebene, ohne viel gesehen zu haben. Wie ich schon vbcn gesagt habe, ziehen sich eine Menge von Grabhügeln durch die Ebene hinein. Mit dem Eintritt in dieselbe hatten wir die Kabardah verlassen und befanden uns in Ossieu, einem Lande, das im Kaukasus am wichtigsten ist und dessen Bewohner die Verbindung zwischen den asiatischen und europäischen Völkern des indogermanischen Stammes bilden. Doch ich will mich mit diesem Lande und seinen Bewohnern nicht langer aufhalten und die Reise bis Wladi-kaukas weiter verfolgen. Wir gingen heute «och zwei Meilen weiter und laugten gegen Abend endlich an der Veste Ardon an. Eben so wenig mir es möglich war, in der Kabardah ruhig zn bleiben, eben so sehr trieb I2 m«r nairo et Ia mer cl»8pil>nn<: j». 152. Klaproth NMltt das Werk fälschlicherweise Voyage» kiztuil^noz ct ß«oßi-l>pbic^uoz llan« lo p,'»)'z mc. **) Klaproth, Reife II. Theil Seite 367. 17 * 260 es mich in der ossischen Ebene vorwärts. Dem Kaukasus war ich auf einmal um vieles näher getreten und vor den nahen Höhen waren die Eisspitzen ganz verschwunden. Diese schöne ossische Ebene wird nach Norden von dem Karadag eingeschlossen und setzt sich südlich bis hart an das Gebirge fort. östlich hingegen wird ihr durch den Terek, über den die Ebene sich fortsetzt, selbst eine Gränze gesetzt. Mit der Flinte auf dem Rücken und der Botanisirbüchse in der Hand wanderte ich von Ardon hinaus ins Freie und erfreute mich an dem hohen Wüchse der mir entgegen tretenden Krauter und Graser, in denen wohl selten die Sense der Menschen gehaust hatte. Wo das Schwert und die Büchse nothwendig ist, da hat der Mensch keine Zeit der friedlichen Sense sich zu bedienen, um seinem Vieh für den Winter die nöthige Nahrung zu verschaffen. So in mich gekehrt, wanderte ich weiter. Wie viele Tausend Menschen könnren hier glücklich neben einander wohnen und von den Früchten des Samens, den ihr Fleiß dcr fruchtbaren Erde vertraut, die Tage ihres Lebens sich erhalten? So haben aber wilde Thiere die Gegenden, wo Menschen selbst sich gegenseitig verfolgen, eingenommen und vertragen sich oft friedlicher neben einander. Tausenderlei Gedanken gingen an meiner Seele vorüber: da hörte ich auf einmal das Stampfen von Rossen aus der Fernc. Aufgeschreckt sah ich der Gegend zu, woher der Ton kam, und acht Tscherkessen sprengten auf leichten Pferden gerade auf mich zu. An ein Entfliehen war nicht zu denken uud so blieb ich ruhig stehen, dem Ausgange entgegensehend. Un» willkürlich spannte ich beide Hahne meines Gewehres, als wenn dieses mich vor einer Gefangenschaft schützen konnte, und hielt dasselbe vor mich hin. Mitten im Laufe wurden vor mir die Pferde angehalten, und einer der Reiter, ein schöner Mann, frug mich, wahrscheinlich wer ich sey und was ich hier mache? Das Herz pochte in hörbaren Schlagen und eine Stimme in mir sagte: letzt wirst du in das Gebirge entführt. Da ich weder den Sprecher, noch dieser mich verstand, zeigte ich auf die eben von der uutergeheudcn Sonne beschienene Veste. Da sprengten die acht Reiter wieder dahin. Meinen Augen kaum trauend sah ich den gefürchteteu Tscherkessen nach und erfreute mich meiner Freiheit. Die Wirklichkeit selbst schien mir nicht mehr wahr zu seyn, so sehr hatte ich in der kurzen Zeit mich schon an die 261 Gefangenschaft gewohnt. Allmählich wurde es aber in mir ruhiger und schnellen Schrittes eilte ich der Veste zu, ehe es vielleicht jenen Reitern einfallen konnte zurückzukehren. Dort erfuhr ich, daß es sogenannte friedliche Kaukasier, die ihrer Heimath wieder zuritten, gewesen seyen. Unweit der Karawane waren auch sie abgestiegen und erwarteten, auf das weiche Gras hingestreckt, mit uns den nächsten Morgen. Den 31 August früh um fünf Uhr brachen wir wiederum auf, um heute bis zu dem 34 Werst (5 Meilen) entfernten Wladikaukas zu kommen. Der Weg führte auf der ossischen Ebene fort, aber unsere fast rein südliche Richtung hatte sich in eine ost-ost-südliche verändert. Wir passirten eine Menge größerer und kleiner Flüsse nnd unter ihnen den Ardon, an dessen nördlichem Ufer die Veste gleichen Namens lag, und kamen schon zeitig in der Veste Ardon an dem Flusse gleichen Namens an, um daselbst eine Stunde auszuruhen. Weiter zogen wir dann und laugten, ohne irgend etwas zu begegnen was der Erwähnung werth wäre, schon um vier Uhr Nachmittags in Wladikaukas auf dem jenseitigen Ufer des Terek an. Vierzehntes Gapitel Peschreibung Tscherkessiens. ^csoraxisse üvcr die stellende Macht Rußlands; unvollkommene Kenntnis, Tschotterenö; Spencer; Veariff Tscherkcssicns; verschiedene Ausdehnung des Landes; Trauslubanlen: Gränzen; Vewohner; Beschaffenheit; Oebirge; der tschcMss>sche .Kaukasus; Schogalesch; Salzlager: Naphthaquellen; der eigentliche Kaukasus: dcr Elbrus mlt seinen Ausläu. fern; Tnumgebirge; die beiden Aruk; Flüsse: der Kuban; beide Indschik; Unip; Laba; Schagwascha; Pschczis; Terct; Uruch; Malta; Tscherek; Urwcm; Tschcgem: Vaksan; Klima; Krankheiten; Intennitteüs; Abassen; Nogaier: Talarcn. Der verzweifelte Kampf der Tschcrkessen gegen die andrängende Macht Rußlands hat seit einem Iahrzchcnt ein Volk aus der Vergessenheit und Geringschätzung, worin es bis dahin versenkt war, hervorgezogen und ganz Europa blickt jetzt unverwandt nach Osten auf das tapfere Hauflem der Tscherkessen. Wenn auch der hartnackige Widerstand und der keine Gränzen kennende Muth der letztern allenthalben eine rühmliche Anerkennung finden muß, so würden die Tscherkessen doch nicht diese 2«2 Berühmtheit erlangt haben, wenn nicht zufallige Umstände die Sympathie Europa's für das bedrängte Volk jetzt mehr als je in Anspruch nähme. Die ungeheure Ausdehnung des russischen Reiches und dessen im Innern rasch fortschreitende Cultur weist ihm im europaischen Staatenbunde eine der wichtigsten Stelleu an. Was Wunder demnach, wenn alle Völker Europa's, für die doch mehr oder weniger die Morgendämmerung der Freiheit beginnt, mit Besorgniß auf den steigenden Einfluß des Selbstherrschers aller Reußen als des Repräsentanten der nnumschränk-ten Monarchie blicken, wenn ein Theil von ihnen mit ihren Fürsten in der Furcht lebt, von dem ungeheuren Kolosse erdrückt zn werden, und ein anderer neidisch auf die stets wachsende Macht blickt. Man verkennt aber gewiß die Tendenz Rußlands, wenn man wähnt, daß jetzt sein Bestreben uur darauf ginge, seine Macht im Westen auszudehnen und Deutschland unter die Aufsicht seiner Bajonette zu stellen. Mit der Eroberung von Deutschland hörte Rußland auf Rußland zu seyn und das ungeheure Reich würde in sich zerfallen. Es kennt Nußland demnach die Gefahren, welche dann hereinbrechen würden, und sucht zunächst seinem Innern die festen Bande zu verleihen, durch die es allein der Zeit trotzen kann. Und wenn es auch den Gedanken der Vergrößerung (von dem freizusprechen mir nie in den Sinn gekommen ist) in sich trägt, so richtet seine Aufmerksamkeit sich doch nur nach Asien, den für ihn wichtigsten Erdtheil, um zunächst dort für seine errichteten Fabriken, die nirgends in Europa Absatz finden, diese» zu suchen und ihnen zu verschaffen. Das ist es auch, was besonders England, das bis jetzt fast allein den asiatischen Handel besaß, fürchtet. Noch vor zwölf Jahren hielt kein Eng-ländex es für möglich, daß die rohen Bewohner Rußlands, die mit Baren und Wölfen ein Land bewohnten, ihnen den Alleinhandel in Asien, wenn auch nicht entreißen, doch diesem gefährlich werden könnten. Aus seinen sorglosen Träumereien aufgeschreckt, spie auf einmal der englische Handelsstand Gift und Galle gegen ein Volk, das er bis dahin gar nicht geachtet hatte. Um den eigenen Egoismus und die tief inwohnende Gewinnsucht zu bedecken, wurde von England aus zuerst der nordische Autokrat verdächtigt und als Feind jedes höhern Auf-schwnnges geschildert. Die Tscherfessen, mit denen damals die 263 Kriege lebhafter als je geführt wurden, waren die ersten Märtyrer der Freiheit, und da wirklich dieses Volk durch einen ritterlichen Geist, der nicht leicht wo anders gefunden wird, sich auszeichnet, so lag die Sympathie, die jedermann für die Tscherkessen ergriff, nahe, und das Sicgsgeschrei derselben hallte, wie früher das der Polen, durch ganz Europa. So steht es mit dem Interesse Tscherkessiens. Fast alle englischen Zeitungen, denen sich viele französische anschließen, nehmen alle Berichte, welche ihnen, besonders wenn sie den Russen nachtheilig sind, zukommen, begierig in ihren Blättern auf und geben sich gewöhnlich gar nicht die Mühe, sich mit den dortigen Localitäten zuvor vertraut zu machen, um groben Irrthümern zu entgehen. Engländer unterstützen auf alle Weise die Tscherkessen im Kampf gegen Nußland und scheuen selbst die Gefahren nicht, Reisen dorthin zu machen, um dem bedrängten Volke beizusteheu. Drei kühne Abenteurer, Bell, Longworth und Stewart, durchzogen Jahre lang Tscherkessien, um seine Bewohner im Kampf gegen die Russen zu bestärken. Sie versäumten nichts, um den Haß gegen Nußland anzuschüren, und die Beschreibungen ihrer Reisen liefern eine Menge interessanter Daten, die bis jetzt von keinem Reisenden erwähnt wurden. Die letztern würden aber noch um vieles wichtiger gewesen seyn, wenn Bell und Longworth nicht einfache Kaufleute gewesen waren und den englischen Na? tioualstolz nicht stets durchblicken ließen. Trotz des langen Aufenthaltes in Tschcrkessien vermag Bell die Tscherkessen nicht von den Massen zu unterscheiden und wirft Stämme von beiden durcheinander. Man darf sich nicht wundern, daß ich nich't auch die mehrere Auflagen erlittene Reisebeschreibung von Spencer erwähnt habe. So lange Spencer aber nicht mchr Beweise von seinem Aufenthalte in Tscherkessien bringt, so lange mnß ich wenigstens die Wahrheit seiner Reise bezweifeln. Von allen den neuen Dingen, deren Bell so viele erwähnt, erzahlt Spencer nichts, und viele seiner Nameu gehören ohne Zweifel nicht in das Reich der Wirklichkeit. Sein ganzes Buch ist voller Widersprüche, und nur die schöne bilderreiche Sprache in demselben ist, wie der Weihrauch den er seinen Landsleutcn spendet, die Ursache, daß es zwei oder gar drei Anflagen erlitten hat. So, nm nur ein Beispiel stnzu- 264 führen, ist ihm in Konstantinopel die Sklaverei ein Gränel, in Tscherkessien hingegen findet cr es gut, daß jeder Fremde (d. h. Russe) ergriffen wird, um als Sklave verkauft zu werden. Er meint, es sey nun einmal so Sitte. Nur wo die Engländer herrschten, sey Menschlichkeit und Freiheit, und er schlagt deßhalb der englischen Regierung vor, einen Haftn an Tscherkessiens Küste einzunehmen und die Unterwerfung der Tscherkessen mit geneigter Miene anzunehmen. Die Engländer, so spricht er weiter, seyen eine Nation von Shopkeeper, und da sey eben Tscherkessien, zumal der englische Handel in Deutschland einen bedeutenden Stoß erlitten, das Land, wo es viele Waaren absetzen könne. Factisch ist übrigens von Spencers Reift, daß er mit dem Grafen Woronzoff längs der tscherkessischen Küste gesegelt ist. Der Begriff Tscherkcssiens ist bis jetzt, trotz der neuesten Reisebeschreibuttgen eines Dubois de Montpereur, eines Bell, Longworth ic., unbestimmt geblieben, und bald verstand man nur die am schwarzen Meere lebenden Kaukasier darunter, bald wollte man alle Bewohner der nördlichen AbHange des Kaukasus als Tscherkessen anerkennen. Franzosische Blätter der vorigen Jahre, trotzdem Dubois de Montpcreur, selbst ein Franzose, eine ziemlich genaue Beschreibung des Kaukasus geliefert hat, lassen sogar Kachetien (die Ebene des Alasan), die östliche jenseits des Kaukasus liegende Provinz Grusieus, von Tscherkessen bewohnt werden und setzen es wiederum in die Nahe von Anapa und Suchum-Kaleh. Es ist aber auch nicht leicht, die Gränzen Tscherkessiens anzugeben, da die Tscherkejsen sich nicht rein erhalten, sondern stets mit ihren Nachbarn, den Tataren und Abassen, vermischt haben. Nur die herrschenden edeln Familien sind in der Regel noch ächt tscherkessischen Stammes, wahrend das Volk mir Abassen, Tataren, Nogaiern ic. gemischt erscheint. Vor allem haben sich die Kabarder und Bcslenen am reinsten erhalten. Die große Gefahr, welche von Seiten der Russen ihre Unabhängigkeit bedroht, hat das Drückende der tscherkessischen Herrschaft sehr gemildert, und während die Tscherkessen sonst früher in beständigem Kampf unter sich waren, haben sie sich gegenwärtig vereinigt, und die unterworfenen und freien Abassen zu einem Bündniß gegen den gemeinschaftlichen Feind aufgefordert. Deßhalb sehen wir jetzt außer den Tscherkessen besonders noch Abassen im offenen 265 Kampfe mit Rußland, und alle Völker, welche im Nordwesten des Kaukasus wohnen, führen trotzdem den Namen Tscherkessen, zumal die Massen zum Theil gern den Namen ihrer frühern Herren annehmen. Ferner blieben die Verhaltnisse im Kaukasus nicht immer dieselben und in jedem Jahrhundert veränderten sie sich, aber stets spielen die Tscherkessen, je mehr die Ossen ihren Einfluß verlieren, eine um desto wichtigere Rolle und ihre Fürsten werfen sich allenthalben bald im Osten oder Norden, bald im Wcsten als Herrscher auf. Die Streitigkeiten unter den kiptschak'sche» Mongolen begünstigten zuerst die Ausbreitung ihrer Macht, und während im Westen des nördlichen Kaukasus die Komanen in der Kuban, der sie, so wie auch dem sie durchströmenden Fluß ihren Namen wahrscheinlich mittheilten, unter dem Namen der kuban'schen Tataren sich festsetzten, sehen wir im Osten des Gebirges die Tscherkcssen herrschen, denn Rubruquis und Plan Carpin setzten dorthin ihr Circassia. Die Chane der Krim wurden der Macht der Tscherkessen, von denen ein Stamm, die Kabarden, den ganzen nördlichen Westen sich unterworfen hattc, bald gefährlich und drängten diese wiederum nach Osten vor. Damals scheint der ganze nördliche Kaukasus vom schwarzen bis zum kaspischen Meere den Namen Tscherkessien geführt zu haben. Mit der Zeit, wo die Russen zuerst in Terki sich festsetzten, beginnt der Verfall der tscherkessischcn Macht im Osten, und wenn auch daselbst noch von Tscherkessen gesprochen wird, so verliert sich doch allmählich der Name daselbst und er beschrankt sich nur noch auf den westlichen Theil det, Kaukasus bis fast an die Sundscha. Trutz der scheinbaren Anerkennung der russischeu und krim'schen Oberherrschaft von Seiten eines grosicn Theiles der Tscherkessen, üben die letztem doch fortwährend auf alle Völker im nordwestlichen Kaukasus, besonders auf Abassen, auf die im Kaukasus wohnenden Tataren, auf Nogaicr und Ossen eine Art Herrschaft aus, und ihre Fürsten werden durch den ganzen Kaukasus hoch geachtet. Viele Häupter selbst im Osten knüpften durch Verheurathungen mit tscherkessischen Fürsten gern Verbindungen au und liebten sogar Tscherkesscn genannt zu werden. So blieb es nun bis auf den heutigen Tag, und fortwährend heißt der nordwestliche Kaukasus Tscherkessien. 266 Es ware daher vielleicht am besten, die nicht ganz richtige Bezeichnung Tscherkessien für die bestimmten Gegenden zu verbannen, wenn der Name nicht schon zu allgemein verbreitet wäre und wir einen andern und bessern an die Stelle setzen könnten. Die Russen haben schon oft die irrige Bezeichnung Tscherkessiens gefühlt und nannten daher alle jenseits des Kuban bib an die Schlucht von Gagrah und den Kamm des Kaukasus wohnenden Völker Sakubansky (Transkubaner). Von diesen aber unterschieden sie die Kabarder. Ware genannter Name auch bei andern Völkern gebräuchlich geworden und könnte er auch auf beide Kabarden und auf die diesen unterworfenen Tatareuländer bezogen werden, so bezeichnete wohl Transkubanien noch am besten das Land. So ist man aber gezwungen, den Namen Tscherkessien beizubehalten und darin alle Völker des nordwestlichen Kaukasus wohnen zu lassen, die entweder achte Tscherkessen sind oder tscherkessische Fürsten besitzen, und endlich die, welche jetzt mit ihnen gemeinschaftliche Sache gegen Rußland machen. Folgende Gränzen bezeichnen demnach das Land naher. Im Norden wird es durch die Linie (Kuban, Malka und Terek) genau bestimmt; östlich sind dieTschetschen und Ingnschen Nachbarvölker, und eine Linie jenseits des Terek von Mosdok grade südlich herabgezogen trennt das Gebiet der ersteren von dem der Tscherkefsen. Südlich bildet der Pschechesch und dessen Fortsetzung jenseits des Terck, dann das Hauptgebirge: Mjaschich-Par, Tuturguh, Dschu-mantau, Maruch, Nistn und endlich der Oschtcn mit semer Fortsetzung bis zum Meere die Gränze. Im Westen liegt das schwarze Meer. Tscherkessien befindet sich demnach zwischen dem 54" 4 sen den Pseg odcr Psog auf. 7. Weniger unbedeutend ist der Pschisch mit seinen» Ne- Nliscn und Landerbeschveil'inige,!. XXIII. ' Iß (Neise nach Kaufnsien.) 274 benfluß derPschaha. Sein oberer Lauf ist ganz unbekannt, weiter unten scheidet er aber die Hattuquähen von den Tschertscheneis. 8. Der unbedeutende Tagamlük (Sitsa bei Bell). 9. Der Pschaß. 10. Der Psakups, von Bell fälschlich Karakubangenannt. Nach einigen Bachen folgt nun: 11. Der Sup (bei Pallas und Reineggs Kisljar-Kettn) mit seinem Nebenfluß Onobat. 12. Der Aftps (Kara-Kuban bei den Tataren) mit seinen Nebenflüssen Schepsch und Dogwoi. 13. Der Ubin. 14. Der II. 15. Der A sips. 16. Der Chabl. 17. DerAntchir. 18. Der Pschezis (auch Nuagatschi genannt) nächst der Schagwascha der bedeutendste Fluß. Mit dem Psisch, Psakups und Afips bildet er die Flüsse zweiter Große. Erst nach der Vereinigung der Flüsse Vugundur, Ab in und Adakum, von denen die beiden ersten im Osten, der letztere hingegen im Westen sich ausbreiten, erhält er diesen Namen. Eine Menge Bäche entströmen dem Norden des tscherkessischen Kaukasus, besonders dem Merchotschi und dem Schogalesch, um ihr Wasser dem Adakum und Min zuzuführen. An Nebenbächen reicher ist der erstere und derSchips, Nebitschik, Haberdah und Bachan setzen ihn vorzüglich zusammen. Bevor der Pschezis in seinem rein westlichen und dem Kara-Kuban parallelgehenden Laufe in diesen sich mündet, nimmt er noch von Süden her besonders vom Schogalesch kommend auf: den Schesch, Psebebsi, Nefil und Wastogai. 19. Der Tu sup sch fließt zu gleicher Zeit mit dem Kara-Kuban in den Kisiltasch. Wahrend der Kuban mit allen seinen südlich und westlich in ihn sich mündenden Nebenflüssen fast allein Tscher-kessien durchfließt, so gehört der ihm an Größe nichts nachgebende Terek nur zum Theil ihm an, da Anfang und Ende dieses Flusses außerhalb dieses Landes liegen. Seinen Namen erhielt er wohl sicher schon früher, bevor die aus Süden an- «75 drängenden Offen oder Assen den Kaukasus mit seinen nördlichen Ebenen einnahmen, von den damaligen Bewohnern, den türkischen Stammen (aus denen wohl sicher, wie ich später zeigen werde, die Tscherkessen hervorgingen), und Terek bedeutet demnach Türken fluß — eine Meinung, die man früher schon (besonders durch Eichwaldt) ausgesprochen hat. Der Terek entspringt, wie wir später noch genauer sehen, im Offen-Gau Turso. Sobald er aus diesem herausgetreten ist, geht er rein nördlich und bildet das Thal, durch das die große Militärstraße führt. Bei der Vesie Dschulat tritt er in Tscherkessien ein, läuft bis an die Linie fortwährend nördlich und verändert von da an seine Richtung in eine ostliche, von nun an die Linie bis an das kaspische Meer bildend. Unweit Mosdok verläßt er Tscherkessien, was er von Iekaterinograd an nördlich begränzte, bildet zwischen Tschetschien und spater nachdem er die Suudscha aufgenommen hat, zwischen den Kasi-Kumücken und Ciskaukasien die Gränze und ergießt sich dann in das kaspische Meer. Von den vielen Flüssen, welche sich in den Terek ergießen, sind für uns die wichtig, welche ganz oder zum Theil Tscherkessien angehören. Wenn wir demnach den Terek von seinem Eintntte in Tscherkcssien verfolgen, so nimmt er bis zu seinem Austritt auf seiner linken Seite folgende Flüsse auf: 1. Den Ur uch (bei Güldenstadt Iref); entspringt im Gau der Digoren und setzt sich daselbst aus den Hauptbächen Chaltschi-und Digor-Don^) zusammen. Da wo das nordossische Gebirge sich umbiegt, um den Pschechesch zu bilden, tritt er in Tscherkessien ein, bildet ein breites Thal und fließt unweit der Uruch-schen Veste in den Terek. 2. Den Lesgen und 3. den Argudan. Sie erhalten ihr Wasser aus Bächen, die fast sämmtlich auf den Fortsetzungen des Baldür-Galü entspringen. 4. Die Malta (Balka von den Tscherkessen genannt). Sie entspringt von der nordöstlichen Seite des Elbrus und des Kubangebirges, nimmt zahlreiche Bäche vom Bermamuk und Mowahannah, vorzüglich die beiden nördlicher entspringenden und *) Don behentet im ossischen Fluß. 13* I7ss ihr an Stärke gleichen Flüsse: K asaut und die kleine Malta auf und bildet bis zu ihrem Einflüsse in deu Terek unweit Je-» katerinograd die Linie. Ihr Lauf ist demnach rein ostlich. Alle Flüsse der großen Kabardah und des tatarischen Tschertessienö, welche vom Hauptgebirge des Kaukasus vom Elbrus bis Guran, »der von dem nördlicher liegenden schwarzen Berge entsprmqen, vereinigen sich mit ihr und machen ihren Umfang so bedeutend, daß sie bei ihrem Einfluß in den Terek diesem an Größe nichts nachgibt. Der Theil der kabardischen Ebene, in welchen« die größten Flüsse, nachdem sie sich zn einem Strome vereinigt baben, in ihn sich münden, hat, zumal sich anch bald darauf die Malka in den Terek ergießt, den Namen Bcschtamak, d. i. die fünf Mündungen erhalten. Die wichtigsten sind, wenn wir die Malka stromaufwärts gehen, folgende: n. Der Tscheret; er entspringt im Gau Valkar, geht zwischen dcm Anzüut und Vuschtun-Tau dein östlichen Theile des Tutun-Gebirges aus diesem, empfangt von Westen her den Chulam und die Choi und tritt in die Kabardah, wo er reicht chen Zufluß besonders durch den zwischen dem Valdürgalü und Znaschti fließenden Psngamsn erhalt. 1». Der Urwan bildet eigentlich nur einen Seitenarm des Tscherek, wird aber dadurch, daß er den von Vurtuu-Tau entspringenden Naltschik aufnimmt, bedeutend, erhalt als Zufluß spater uoch die Schalucha, steht durch einen Seitenarm wie^ derum mit dem Tschegem in Verbindung und ergießt sich endlich zurück in den Terek. c. Der Tschegem entspringt aus dem Hauptrücken des Kaukasus, gibt dem Theil des tatarischen Tscherkessiens, den er dnrchfikefit, seinen Namen, tritt zwischen dcm Achkaja und Lacha aus dem Tutungebirge in der Kabardah ein und vereinigt sich zunächst mit dem Baf'san. <1. Der Vaksan entspringt ebenfalls auf dem Hauptge-birge und zum Theil selbst vom Elbrus, erhält aber seinen vorzüglichsten Zufluß aus dem Oschchamascho und tritt zwischen dein Mi-Ajak, einer bedeutenden Hohe des Tschalpak, und dem Lacha ail^ dem tatarischen Tscherkessien, um in die Kabardah zu ge^ langen. Er vereinigt sich erst mit dem Tscherek, bevor er in der Malka einmündet. In seinem obern Laufe nimmt erden Kert- 277 man, Kindschal und Gun del en anf, die sämmtlich vom Kindschalgebirge mtd Tschalpak entspringen. <-. Der Baksanenok oder der kleine Baksan entspringt in den ostlichen Ausläufern des Klndschal „nd ist der unbedeutendste der genannten Flüsse. Die Flüsse, welche der Terek auf seiner rechten Seite auf? nimmt, sind sehr unbedeutend und fliesten sämmtlich in die kleine Kabardah. An der südlichen Gränze derselben nimmt er den aus dem Inguschen-Gebirge kommenden K um bale», später den Anbasch, beide von Süd-Osten kommend, und endlich, nachdem schon die Malka von der linken Seite sich in ihn ergoffen, den Kurp auf. Der letztere entspringt auf den nördlichen Abhängen der Velantscha und theilt dann den Achlowischen Gebirgs; kämm in zwei Theile, bald darauf in den Tercr mündend. Alle Flüsse, welche außer dem Kuban längs der Küste sich m das schwarze Meer ergießen, sind von Norden nach Süden: Semes, Hapetsai, Pschad, Beschi, Tschopsin, Dschub-geh, Schapsucho, Nigcpsucho, Aguia, Tnaps, Makup-seh,Waja, Sukusch, Schachah, Leup, Saschah, Ardu und Gesch. Nach diesen vorausgeschickten Bestimmungen wird es begreiflich, warum das Klima in einem verhältnismäßig kleinen Lande nicht gleichmäßig ist, und während im Norden die Hitze im Sommer bis anf 30 (nach eigenen Erfahrungen) und 3l" lnach 1»>. Conradi in Pjatigorsk) steigt, im Süden steto eine kühle und angenehme Luft weht. Die Temperatur daselbst ist nach der Hohe sehr verschieden und erst über 11,00<» Fuß beginnt die Schneellm'e. In der Ebene der Kabardah zeigt sich der Winter meistens gelind, doch kommt es nicht selten vor, daß mehrere Wochen, ja sogar einige Monate lang ununterbrochen Schnee und dann meist von bedeutender Hohe liegt. Im streu, gen Winter 1837/38 war das Thermometer bis auf 21" U. ge> sunken und der Schnee lag vom 20. Decbr. 1837 bis zum 27. Februar 1338. Die Hitze des Sommers kühlt sich hausig durch von Nordosten herkommende Winde ab, wodurch aber nicht selten, wenn diese unerwartet kommen, Krankheiten hervorgerufen werden. Leberkrankhciten, und besonders Gallenfieber erscheinen nicht selttn gegen Ende Mai oder August epidemisch. Das Land 278 müßte nach seinen klimatischen und tellurischen Verhältnissen gesund seyn, wenn sich nicht auch hier die Wahrheit bestätigte, daß culturlose Gegenden sich der Gesundheit des Menschen feindselig zeigen. Es scheint sich wirklich aus der Fäuluiß organischer Stoffe, welche in cultivirten Ländern in der Landwirthschaft vortheilhaft benutzt werden, ein eigenthümliches Miasma zu bilden, was die Luft ungesund macht und denen, die diese einathmen, schädlich wird. Im hohen Sommer, wo diese Ausdünstungen am stärksten vor sich gehen, ist auch die Gefahr in diesen Landern zu wohnen, am größten, und dann ist nicht minder die Regenzeit, welche in den Monaten November und März oder etwas früher sich einstellt, gefahrlich, weil das Wasser die Auflösung in der Erde liegender organischer Stoffe begünstiget. Die gewöhnliche Krankheit ist dann das kalte Fieber, und wenige Menschen gibt es, welche nicht in geringerem oder stärkerem Grade davon ergriffen werden. An den Küsten des schwarzen Meeres wird selbst das Vieh davon befallen und ich sah Hühner, welche schlotterten. Vieles zur Verschlimmerung tragen freilich die unbequemen Wohnungen, welche durchaus nicht gegen die äußern Einflüsse hinlänglich schützen, und die verschiedene Nahrung bei. So erkrankten im Jahre 1836 in der Veste, die auf dem Vorgebirge Ardler nach seiner Einnahme errichtet wurde, von zwei Bataillonen mehr als die Hälfte, und unter ihnen befand sich auch der damals dort commandirende General Simbursky und bald darauf der ihn allein vertretende Oberstlieutenant Norden-stamm. Ein Glück für die Russen, daß die Tscherkessen die günstige Gelegenheit zur Ueberrumpelung versäumten. Nur wenige Gegenden Tscherkessiens gibt es, welche an und für sich ungesund sind, und zu ihnen gehören die morastigen Ufer des Kubans, so wie der nördliche Theil des Schapsuchen-Gaues. Aber auch hier ließe sich durch Ziehen von Graben vieles verbessern. Tscherkessien wird, wie schon gesagt, außer von den Tscher-kesseu vorzüglich noch von drei ganz verschiedenen Völkern: Abassen, Nogaiern und Tataren bewohnt, über welche die Tscherkessen von jeher eine Suprematie ausübten. Diese vier verschiedenen Völker haben sich zum großen Theil so untereinander »ermischt, daß es jetzt schwer wird, die Gaue nach den Völkern, 27V welche sie bewohnen, zu sondern. Von Tscherkessen vorherrschend werden die Gegenden am Terek und südlich von der Malta bis zu dem Tutungebirge, also die kleine und große Kabardah, der nördliche und westliche Theil des Achmetgcbirges und alle Thäler der aus dem tscherkessischen Kaukasus nordöstlich entspringenden Flüsse von der rechten Seite des Chods und dann der Lab a bis zum schwarzen Meere bewohnt. Südlich nehmen sie die Küsten desselben bis zum Flnsse Schachah ein. Neuerdings haben sich auch einige Tscherkessen zwischen dem großen Indschik und dem Ump niedergelassen. Zwischen der Lada und dem Kuban wohnen Nogaier und im hohen Gebirge des Kaukasus von dem Elbrus westwärts über den Oschten bis an das Meer besonders an den Quellen und dem obern Laufe der beiden Indschik, des Uruft, der beiden Laba und des Chods, und jenseits des Gebirges vom Schachah bis an die Schlucht von Gagrah nur Abassen. Nördlicher nehmen sie auch die Thaler zwischen Kuban und Urup bis an den Einfluß des kleinen Tegen in den letztern ein und bewohnen, wie wir schon gesehen haben, selbst einige Gegenden diesseits der Linie, nämlich an dcr Kuma und dem Podkumok. Die Tataren endlich findet man an den Quellen des Kuban und östlich vom Elbrus zwischen dem Hauptgebirge und den Tutunbergen. Fünfzehntes Gapitel. Gintheilung Tscherkesfiens. Mntheilung; d« kabardischc Kreiö; die große Kabavdah; Gebirge; Flüsse; Einwohner; die kleine Kabardah; die beiden Aruk; Ansorieh; Kuban-Laba/ÄrM; die entflohenen Äabaider; Molen; Mochosch, Abadsecha; Iegorokoi; Kemur; Ademi; Halt»; Psche-dug; M«rkre,ö; Nato; seine verschiedene» Bewohner; Nekraftss'sche Kosaken; Beschaffenheit; Weste RaieM>; Sudschuk-Kaleh; Doba; Mcsippel,; Anapa; Dschimiteja; Ada; Gau Gchapsucho,- Name; der am Meer befindliche Theil; Oelentschik; Pschad; Wulan; Dschubgeh; KodoK; Vustn vo>, Schapsuch«; TuabS; Waja; Schncho; nördlichez Theil des Gaues; Straße nach Ocleittschik; dcr abassische Kreiö; die kleine Abaffah; Louh; Dudaruch; Klitsch; Tcamkt, Mlimkt; Viberd; Alanen; die lzroßc Abassah; Vaschilbai; Tam; Äasilberg; Vamkai; Vag; Schegrai; die tmnömontane Abnssah; Gaschei; Ar^ dona; Vliussa; Leup; Tcrampseh; Mvimai; Sotscheh; Sengi; Damisch; Ardlcr: Gcsch; die neun Verhrudernngen; Tataren-Kreis; seine Vewohncr; Valtar; Vufjin^a; Vhulam; Tschegcm; Un,stp>eh; Karatschai: No^aier^Ärcis, Mauftir; Neuruö; Einwohnerzahl. Wenn auch die Bewohner Tscherkessiens im Verlaufe der Zeit sich vielfach verändert und die verschiedenen Vblker daselbst durch 28l> tie immerwährenden Berührungen mit cinandcr sich nicht in ihrer Reinheit erhalten haben, so ist es doch nothwendig Tscherkessien nach seinen Bewohnern in vier große Provinzen oder (lim uns des acht deutschen Wortes Kreis zn bedienen) in vier Kreise zn theilen, von denen aber der tscherkessischc Kreis von den Einwohnern und demnach auch von uns, zumal er noch durch die kleine Abassah in zwei abgesonderte Theile geschieden ist, wiederum in drei Kreise, deren Bewohner, wenn auch eines Stammes, doch dnrch Sprache nnd Sitten sich hinlänglich unterscheiden, getheilt wird. Auf diese Weise erhalten wir mm sechs Kreise (der ka-bardische, Kuban-Laba-, Meer-, »wgaische, tatarische uud abassische Kreis), die nun der Reihe nach aufgeführt werden sollen. Ich beginne mit den Kreisen, die vorzüglich von dem herrschenden Volke, den Tschcrkeffen, eingenommen werden uud gehe von Osten nach Westen, zumal im Osten dcrTscherkessenstamm wohnt, dessen Für-, sten sich von jeher am reinsten erhalten haben. I. Dcr kabar bische Kreis. Er ist unstreitig der fruchtbarste und schönste Tscherkessieus und besitzt die fruchtbarsten Ebenen, die nur im Süden durch Hohen, welche den Kreis hinlänglich mir Wasser versehen, uuter; brochcn werden. Er erstreckt sich von der östlichen Gränze, von Tschctsckicn bis an den nordlichen Ausläufer des Elbrus, bis an die kleine Maffah. Nördlich bildet die Malka (über welche die Tschcrkesftn noch im vorigen Jahrhunderte sich ausgebreitet hatten) die Glänze und südlich wird das Laud durch das Tutuugebngc von den tatarischen Stämmen jenseits desselben geschieden; weiter nach Osten trennt dcr Vschechcsch von den Ossen und jenseits des Terek der Kumbalei und der (Gebirgsrücken) Velantscha von den Inguschen. Er zerfällt in zwei Gaue, von denen der westliche die große, dcr östliche die kleine Kadardah genannt wird. Beide werden durch den Lesgen, und^ wo dieser in den Terek fallt, durch letzteren von einander geschieden. Nach Klaproth sollen die Kabar-der von einer Eintheilung in die große uud kleine Kabardah gar nichts wissen, trotzdem spricht er aber in seiner Reise in den Kaukasus und nach Georgien Thl. l. S. 309 von der Theilung des Volks, als dieses von den krim'schcn Tataren gedrängt die Fünfberge verließ und ein Theil sich am Baksan, der andere am 28« Terek niederließ. Gerber^) nennt die gebirgigen Gegenden am Baksan und in den Fünfbelgen die obere Kabardali, hingegen erstreckt sich die untere bis an die Flüsse Terek »nd Suudscha. Die in den Fünfbergen zurückgebliebenen Tscherkessen führten auch den Namen der pjatigorskischen sFüufberg-) Tscherkessen, haben sich aber im Verlaufe der Zeit verloren. 1. Die g r o si e KabardaH ist im Westen und Suden sehr gebirgig, da vom Kuban- und Tutuugebirgc machtige Arme auslaufen. Das erste schickt seine Ausläufer östlich in die Ka-bardah und diese führen von Süden nach Norden gehend die Na-nien Tschalpak,**) Kind schal (Kandschal), Bermamuk, Mowahannah, Pagun und Elmurß. Besonders erstreckt sich der Kindschal tief in das Land und theilt sich in drei Ausläufer, die sich zwischen der Malta und dem Flusse Gundelen verlaufen. Von ihnen ist der südliche mit Namen Chaimascheh der be-deutcudste. Zwischen dem Flnß Gundelen und den diesen aufnehmenden Vatsau zieht sich der Tschalpak hin. Das Turun-gebirgc führt verschiedene Namen, wie ich schon zum Theil bei der Beschreibung der Flüsse gesagt habe; von seinen Haupthbhen laufen bedeutende Arme nach Norden, von denen die westlichen mit den Ausläufern des Kubangebiiges mehr oder miudcr in Verbindung stehen. So heißt der westlichste Theil zwischen Baksan uud Tschcgem Lacha. Ein bedeutender Arm zieht sich ferner zwischen genannten Flüssen, den Namen Chatüteh führeud, hin^ durch. Zwischen Tschegem und Tschcrek liegen die eigentlichen Tutunberge, von deren Hauptspitze Burtun - Tau zwei mach-ligc Arme auslaufen. Der eine lSchinagagego) gchr nördlich und endigt mir drei Ausläufern (Bund ü n, Muscheschcko „nd Schaluchaschcha), die eine Menge Quellen für die zahlreichen Zuflüsse dcr Schalucha besitzen und vom Tschegem und Naltschik in der Ebene eingeschlossen sind; dcr andere hingegen wendet sich unter den, Namen Chulamam-Sürtüh mehr östlich und theilt sich in zwei Zweige (Narrüjano uud Ch oinü-Baschi), welche zwischen dem Naltschik und Choi und zwischen dem Choi und Tscherck >) Müllers Samml. russischer Geschichten; Band 4. Seite ,!>. ^) Kupfer versteht rvohl in seinem Berichte über seine Reise zum Elbrus diesen Gebirgsrücken unter dem Namen Inal. 282 hinlaufen. Der nordwestliche, den Lachabergen gegenüberliegende und bis zum Burtun-Tau sich hinziehende Theil der Tutunberge fuhrt den Namen Achkaja. Zwischen dem Chulam und dem eigentlichen Tscherek sind die beiden Höhen It-Tau und Busch-tur-Tau zu nennen und zwischen Tscherek und Bsugamsu erstrecken sich die Anzünt-Berge, der östlichste Theil des Tutun-gebirges. Von den drei vom Guran auslaufenden Armen schickt der Baldür-Galü einen Ausläufer zwischen Lesgen und Tscherek hindurch. Der bedeutendste Theil von ihm führt den Namen Margut Von dem Nagapschi hingegen drängt sich ein unbedeutender Gebirgsrücken, trotz dem er auch mit dem Valdür-Galä in Verbindung sieht, zwischen Uruch und Lesgen hindurch und führt den Namen Schaker. Der Pschechesch ist nur unbedeutend. Sämmtliche genannte Gebirge bestehen aus einem schwarzen Schiefer, in denen zum nicht geringen Theile Erze liegen, die einer spatern Bearbeitung entgegen sehen. Nach Norden wird er durch Muschelkalk und häufig durch Sandstein ersetzt. Die Tutunberge haben demnach die größte Aehnlichkeit mit dem rscher-kessischen Kaukasus und sind ebenso wie dieser zum großen Theil bewachsen. Auch sie führen deßhalb den Namen der schwarzen Berge. Die dem Hauptgebirge sich nähernden Theile, besonders das obere Kubangebirge, besteht aus Urgestein, wie jeues selbst. Im Nordwesten nehmen auch die Fuchs- und Fünfberge zum Theil die Kabardah, ohne aber daselbst bedeutend zu werden, ein. Die ganze östliche und zum großen Theil nördliche Kabardah bis an den Terek und der Malka entlang bis in das Gebirge bildet eine fruchtbare Ebene, die reichliches Wasser hat, um die Bemühungen der Menschen hinlänglich krönen zu können. Ueber den üppigen Psianzenwuchs dieser Gegenden, besonders wo die fünf oft genannten Flüsse sich vereinigen, um in den Terek sich 3" ergießen, habe ich schon oben bei meiner Durchreise durch die Kabardah gesprochen. Und doch ist der Gau nur wenig bevölkert, da kaum 20,000 Einwohner die reichen Gefilde der schönen gegen 400 Quadrat-Meilen großen Kabardah einnehmen. Zur Zeit als die kabardischen Fürsten ihre Herrschaft fast über den 283 ganzen Kaukasus ausgebreitet hatten, wo Timm in die Ebene der Kabardah zog, um für sein ungeheures Heer Unterhalt zu finden, wo Dschulat noch eine volkreiche Stadt war, damals war wohl die Kabardah das Land, das die Kornkammer des kaukasischen Isthmus genannt werden konnte. Zuerst entführten die wollüstigen Tatarchane die schönsten Knaben und Mädchen aus der Kabardah, und als die Macht dieser Despoten gebrochen war, verwüsteten russische Heere seit der zweiten Hälfte des von'gen Jahrhunderts die gesegneten Gefilde der Malka und des Terek. Noch im Jahre 1822 verließen eine Menge Kabarder, um den Verfolgungen von Seiten der Russen, gegen die sie eine Verschwörung eingeleitet hatten, zu entgehen, die vaterlichen Besitzungen und viele folgten ihnen spater nach. Bei den ihnen früher unterworfenen Bewohnern der kleinen Abassah fanden sie eine. freundliche Aufnahme und wohnen jetzt zwischen dem Urup und dem großen Indschik unter dem Namen der entlaufenen Kabarder. Jetzt erst ist es den Russen gelungen den Stolz der kabardischcn Fürstenhäuser Ataschuk, Misost und Dschambulat zu beugen, aber wit Widerwillen ertragen diese das fremde Joch und sehen harrend einer Zeit entgegen, wo sie es wieder abschütteln kon-nen. Zwölf Festungen, zum Theil mit starker Mannschaft besetzt, bewachen die beutelustigen Bewohner der großen Kabardah und beobachten alle ihre Schritte. Nach den Flüssen, woran sie liegen, haben sie mit Ausnahme der beiden Festungen Pnschib und Metschet, die eine am Terek, die andere am Baksan gelegen, ben Namen erhalten und beherrschen stets das Thal, worin sie liegen. Von Westen nach Osten zu gehend sind es folgende: Kindschal, Kasaut, Tschegem, Naltschik, Baksan, Metschet, Urwan, Tscherek, Prischib, Argudan, Uruck und Ober-Dschulat. Die Dorfer sind meist nur klein und führen in der Regel den Namen ihrer Besitzer. Das größte ist das des Fürstenhauses Misost. 2. Die kleine Kabardah. Die russische Generalstabskarte von 1834, Schuberts Atlas des westlichen Rußlands und mit ihnen viele andere setzen den Terek als die westliche Gränze, allein dich erstreckt sich noch (wie auch Klaproth richtig sagt) über denselben bis. an den Lesgen, von dem an bis zum Terek 284 der Theil Au so rieh heißt, da er der mächtigen adeligen Familie Ansor geHort. Der Terek bildet nur von da an, wo der Lesgen sich mit ihm vereinigt, die westliche nnd dann anch die nördliche Gränze. Südlich nennt der Knmbalci die kleine Kabardah von dem ^andc der Inguschen nnd östlich reicht sie bis zn einer Linie, welche man von der Stanitza Echedrinsk bis zn der Stelle der Sundscha, wo sie ihren nördlichen Lauf in einen östlichen umändert, zieht. Der Theil östlich am Terek wird von zwei Gebirgen durchzogen, welche dic Russen Greben (Kämme), die Eingeborenen Arük (Arack nach Klapr.) nennen. Das nördliche heißt, bis da wo der Knrp es von Süden nach Norden durchstießt, Arük-Dala-gareh, „nd von da, bis es sich in Tschetschien in den Winkel der Snndscha und des T erek verliert: A r ü k - Suksan, (A ch -lowische Grcben bei den Russen). Das südliche Gebirge ist eine Fortsetzung des Pschechesch. führt anfänglich den Namen Vclantscha nnd dann Sundsch-Arük, lanft nordlich an der Sundscha hin und verliert sich bei Grosnaia. Zwischen beiden Gebirgen liegt ein schönes Thal Mchantschnrt. Nur einige unbedeutende Bäche durchziehen diesen größern Theil der kleinen Kabardah nnd können das sonst fruchtbare Thal nicht hinlänglich mir Wasser versehen, daher im Sommer gleich den Steppen Süd-Rußlands in ihm alles ein verbrannte^ Anschn besitzt. Nnr der westliche Theil bis znm Kurp, der auf dem südlichen Kamm entspringt, den nordlichen in zwei Theile (westlich den Dalagareh und östlich den Suksan) trennt und zwischen de>, Stanitzen Paulodolsk und Neu-Ossetinsk in den Terek M ergießt, macht eine Ausnahme. Unweit des Ursprungs des ge-nauu^n Flusses befindet sich der kleine See Dschaman. Die übrigen Flüsse sind zu nnbedeutend um aufgeführt zu werden, daher ich nur noch den südlichen Gränzfluß Kumbalei nenne. Dieser entspringt in, Lande der Inguschen von dem Mamoch- Früher führte, wie wir schon oben gesehen haben, die M^ litärstraße von Mosdok nach Wladikaukas, und Redouten u«'d Besten, die aber jetzt wieder verlassen sind, waren zu ihrer Vertheidigung erbant. Wenn schon die große Kabardah menschenleer genannt wurde, so 285 ist es dieser Gau noch mehr. Im Westen an den, Terek zwischen den beiden Kämmen und im Norden längs der südlichen User des Terek ist sie am meisten bewohnt. Das größte Dorf gehört dem Fürsten Vekowitsch. Ein zweites, nicht minder ansehnliches, befindet sich am Eingänge des Passes, welcher von den beiden Gebirgsrücken Arük-Dalagareh und Snskan gebildet wird, und geHort der Fürstenfamilic Achlau, weßhalb es auch den Namen Achlowa führt. Der kleine District An so rieh westlich am Terek ist der fruchtbarste Theil der kleinen Kabardah und mag wohl früher den Namen Dschulat geführt haben. Er besteht nur aus den Thälern des Lesgen und Uruch, die beide durch einen Avm mit einander verbundeu sind. Südöstlich bildet der Pschcchesch die Grau',e> Die Familie Ansor gehört zu den reichsten in Tscherkessien nnd lebt mit ibren Unterthanen m zwölf Dörfern zerstreut. Die größte» sind nach ihren Besitzern Kugolk und Vorok benannt worden-Dlc kleine Kabardah hat kaum ein Drittel des Umfanges der großen und ihre Einwohnerzahl belaust sich auf 8009 Seelen. II. Der Kuban-Labakrcis. Er ist bedeutend größer als dcr vorige und wird nördlich nnd uorddsilich vom Kuban, dcr Laba, an deren Mündung er sich auch auf ihrem jenseitigen Ufer fortsetzt und wo dicse (in das Gebirge sie verfolgend) ihre südöstliche Richtung m eine rein südliche verändert, von einer geraden Linie, die Fortsetzung jeuer Dichtung bis znm Urup bildend, südlich bingegen von dem Hauptzug des tscherkessischen Kaukasus begränzt. Im Westen lrenm der Afips und ein Ausläufer vom Kinsfesa, einer bedeutenden Höhe des tscherkcssischeu Kaukasus, diesen von dem Mcer-l''eis, und im Osten bildet, wenn wir nun die Gegenden, welche die flüchtigen Kabarder eingenommen haben, dazu rechnen, der M'osic Indschik, die südlichen Abhänge des Achmetgebirgcs und "n Arm dcs Schegerek, der unter dem Namen Tagwarch bekannt 'st, die östlich!: Gränze. Demnach wohnen nördlich die tscherno-mor'schen Kosaken und die trauskubanischcn Nogaier, östlich und südlich Abassen und westlich die Mcertscherü'sstt,. Allen Anschein "ach ist der Kreis fruchtbar und im Verhältniß mit den andern bevölkert. Der Norden ist eben, der Süden nnd Osten hingegen gebirgig, da der tscherkessischc Kaukasus sowohl als die Achmet? »86 berge das Land in verschiedenen Richtungen durchziehen. Es scheint jedoch, als wenn diese Höhen, welche jedoch grdßtentheils bewachsen sind, nur unbedeutend wären und zwischen ihnen breite und große Thaler sich befänden. So schildert es uns wenigstens Bell nach seinem kurzen Auftnthalte in dem Gaue der Abadsechen. Ueber die Flüsse, welche das Land bewässern, habe ich schon gesprochen und es bleibt mir nur noch übrig, das Verhältniß dieses zum großen Theil ganz unbekannten Landes, vor dem selbst der unerschrockne kühne Bell eine gewisse Scheu hatte, zu Rußland naher zu beleuchten. Die Bewohner des Kuban-Labakreises, deren Fürsten sich einer ächt tschcrkessischen Abkunft rühmen und streng auf die Reinheit ihres Blutes halten, haben sich von jeher durch ihn' Raubereien und durch ihre tapferen und kühnen Thaten ausgezeichnet. Wenn auch die Tatarchane sich Herren der Kuban-Tscher-kessen nannten, so war ihr Einfluß nur unbedeutend und nur dann folgten letztere der Fahne derselben, wenn sie von den Reichthümern des Landes, wohin sie geführt wurden, gelockt, große Beute sich versprachen. Die Stamme, welche den Gau bewohnten, breiteten sich selbst über den Kuban aus und hatten demnach vielfache Berührungen mit den Tataren der Kn'm und den No-gaiern, weßhalb sic auch die Reinheit ihres Stammes sich nicht erhalten konnten. Mit den Russen wurden sie erst seit der Besitz-nähme Tschernomoriens bekannt, und über den Kuban zurückgedrängt, erwachte von dieser Zeit an bei ihnen ein Hasi gegen das Volk, das es wagte, ihren räuberischen Einfällen ein Ziel zu setzen. Die alten Saporoger, ihres frühern thatenreichen Lebens sich be-wußt, hatten kaum die Gegenden, welche sie jetzt bewohnen, eingenommen, als sie auch alle Einfälle der Tschcrkcssen erwiderten-Fanatische Priester, wahrscheinlich im Anfange von der hohen Pforte gesendet, durchzogen den ganzen Kaukasus, Feuer und Schwert gegen die Ungläubigen predigend. Die immer mehr sich steigernde Macht Rußlands und die Habsucht und Rohheit vieler Granzbeamten erhöhten immer mehr den Haß der freien TsckM kessen, die mit dem größten Widerwillen und nur von der Noth' wendigkeit gezwungen sich vor dem russischen Adler beugten. Alle Siege, welche die Russen über sie erfochten, häufig eintretende Hungersnoth, und der Mangel an Sstlz, welcher am meisten 287 sich fühlbar macht, waren aber noch nicht im Stande, ihre völlige Unterwerfung zu Stande zu bringen. Eine Menge Tataren und Nogaier, Rußland hassend, flohen das Gebiet, das diese sich unterworfen, und trugen bei den Kubantscherkessen nicht wenig bei, die Feindschaft gegen die Russen zu vergrößern. So steht es demnach noch und mit Widerwillen halten die Stämme, die zunächst am Kuban wohnen und häufige Berührungen Mit den Russen unterhalten müssen, den versprocheneu Frieden, nachdem ihre Ernten ihnen schon oft zerstört und ihre Heerden genommen wurden, wahrend die mehr südlich im Gebirge wohnenden ihre Einfalle nach wie vor machen. General Saß steht aber auf seinem Adlernest zu Protschnoi-Okop und bewacht mit Falkenaugen jeden Schritt seiner Feinde. Bis jetzt besitzen die Russen innerhalb des Gaues sehr wenig, und von den Besten, die sie besonders in den Jahren 1829 und 1830 daselbst erbauten, sind einige, so die Veste am Giag und am langen Walde,*) wiederum verlassen worden. Wohl aber halten die Russen noch die Veste zur Himmelfahrt, welche das offene Feld zwischen Laba und Urup im Gau der Beslenen bewacht, besetzt. Die fernere Eintheiluug in Gaue ist sehr schwierig, da die Stamme ihre ursprünglichen Gegenden zum Theil verlassen und sich mit andern Tscherkessen vermischt haben. Dadurch hat sich die Macht der zurückgebliebenen fürstlichen Geschlechter so vergrößert, daß nicht selten der Name derselben für den des Stam-wes gebraucht wurde und jener ganz in Vergessenheit gerieth. Visweilen trennte sich auch oft ein Stamm, so daß nun das Land in zwei Gaue zerfiel. Solcher Gaue nun werden in dem Kuban-Labakreis neun genannt. 3. Der Gau der entflohenen Kabarder gehört eigentlich zu der kleinen Abassah, von der ich ihn aber seiner Bewohner halber getrennt habe. Er ist nur klein und umfaßt die Gegenden östlich vom Achmetgebirge, von dem er übrigens durch den Urup getrennt ist, bis zum großen Indschik. Nördlich gränzt *) In der im Jahre 1830 gemachten Erpedition gegen Madsechen und Schabsuchen, welche Klaproth in dem nouveai ,7uuin2i i.^u^-^r. vli. p. 434-457. mittheilt, wird die Veste Dolgoileß, was übrigens dasselbe bedeutet, genannt. 288 er an die Mansur - Nogaier und südlich an di'e große Abassab. Nach russische» Angaben wird er von 15,000 Seelen bewohnt, nnd es ist desihalb wahrscheinlich, daß auch Kabarder zerstreut in der großen und kleinen Abassah wohnen. Zu den ersten Flüchtlingen, welche sich von der Kabardah in der ihnen unterworfenen kleinen Abassah niederließen, gehören einige Fürsten ans der Familie Ataschuk, die schon im Jahre l807 am kleinen Indschik sich niederließen. Später gesellten sich noch andere zu ihnen und im Jahre 1822 flüchteten sich eine Menge Fürsten aus den drei Familien mit ihren Unterthanen nach der kleinen Abassah, wo sie nun die oben bezeichneten Gegenden einnahmen. Im Jahre 1887 haben mehrere der zuletzt geflohenen Fürsten dem damaligen Oberbefehlshaber Baron Rosen die Alternative gestellt, daß sie sich unterwerfen würden, wenn ihre früheren Besitzungen ihnen wiederum übergeben würden, oder die hartnäckigsten Feinde blieben. Ich kenne die Gründe nicht, die den Varon Rostn bestimmten, auf diesen Antrag nicht einzugchen nnd Unterwerfung ohne alle Bedingung zu verlangen. Ich glaube wenigstens, dast durch den Ueberlritt dieser geflohenen Kabardcr den Russen bedeutende Vortheile in ganz Tscherkessien entstünden. Dic beiden vorzüglichsten Häupter heißen Hadschi Iansit Okn uud Veiö-lam Oku. 4. Der Gau Veslen oder Vconi. Der Gau Ves-len liegt nördlich von der großen Abassah und wird westlich durch den Chods von den Mochoschen, und östlich durch den Urnp von den geflohenen Kabardcrn geschieden. Nach Norden hin wohnen die Nogaier, nach denen keine genauen Gränzen vorhanden sind. Seine 25,000 Bewohner nehmen demnach die Thaler der großen und kleinen Laba, wie sie aus der großen Abassah heraus-, tritt, und die des kleinen und großen Tegen bis an die Vcste zur Himmelfahrt ein und finden in den schwarzen Bergen, welche hier den Namen Achmet führen, hinlänglich Zufluchtsorte für ihre Räubereien, .häufig hat man sie zu unterwerfen versucht, da sie gleichsam eine Vormauer gegen die Abadsechen, mit denen sie sich in der nem'stcn Zeit eng verbunden haben, bilden, aber nur erst einige Fürsten erkennen scheinbar die russische Oberherrschaft an. Die übrigen sind erbitterte Feinde, welche mit den Abadsechen ,'m Jahre 1836 gemeinschaftlich Kislowodsk überfielen. 289 Unter ihnen leben jetzt die Ueberreste der Mamchei, welche früher an den Ufern des Flusses Ul wohnten und im Jahr 1624, wo sie sich vorgenommen hatten ihre Wohnplätz? zu verlassen, vom Oberst Kotzarcff plötzlich überfallen und zum Theil niedergehauen wurden. Sie leben in den Thalern des kleinen Tegen, welcher im Osten des Achmet entspringt. 5. Der Gau Mochosch liegt südlich von der Laba und wird östlich durch den Machmach, einen unbedeutenden Nebenfluß des Chods, von dem Gau Besten und westlich durch den Ul von dem Gau Kemur geschieden. Südlich von ihm wohnen Abad-sechen. Trotzdem die Bewohner eine große Strecke Landes einnehmen, so zahlen sie doch, nachdem Krieg und Pest unter ihnen gewüthet haben, kaum noch 6 — 8000 Seelen. Sie sind von allen Tscherkessen am friedfertigsten, wohlhabend und treiben viel Viehzucht und Ackerbau. Reinlichkeit, die man so selten in Asien findet, wird bei den Mochoschen in hohem Grade ausgeübt, und nur bei ihnen, so wie auch, jedoch weniger, bei den Kemurquahen und Kabardern sieht man saubere und nette Wohnungen, in denen die Räume für das Vieh geschieden sind, und selbst dieses ordentlicher abgewartet wird. Eine Folge davon mag wohl auch die größere Wohlhabenheit und besonders ihr Reichthum an Heer-den seyn. 6. Der Gau Abadsecha umfaßt die nordöstlichen Abdachungen des tscherkessischen Kaukasus von den Quellen des Psakups bis zu denen der Schagwascha und des Fars. Im Westen gränzt er an den Gau der Pschcduchen, im Norden an die Wohnsitze der Hattuquaher, Iegorokojcr und Mochoschcn, im Osten an bie große Abassah und im Süden an die Wohnsitze der Schap-suchen und der im hohen tscherkessischen Kankasus wohnenden Abassenstamme. Die Anzahl seiner Bewohner betragt gegen 180,000 — 200,000, weßhalb dieser an Stärke nur den Schap-suchen nachsteht. In den frühern Zeiten bewohnten die Abad-sechen, wahrscheinlich von den Tataren dcs Kuban und der Krim bedrängt, die Hohen des südlichen Theils des tscherkessischen Kaukasus, vermischten sich viel mit den bei ihnen wohnenden Abassen, weßhalb sie wahrscheinlich den Namen Aba-Sakcn (d. h. Abassen tscherkessen) oder Abadsechen annahmen, drangen gegen den Anfang des vorigen Jahrhunderts durch Abassen verstärkt in den Reisen und Ländülbcschreibungtn. XXIII. IQ (Reise nach Kaukasien.) 290 nördlichen Abdachungen und in den Ebenen am Kuban ein und machten sich die meisten dort wohnenden Stamme zmspstichtig. Seitdem bewohnen sie mm auch diese Gegenden und fielen fast alljährlich in dem Gebiete ihrer Stammverwandten, der Abassen und Tataren, später auch auf russischen Grund und Boden ein. Die Besitznahme des rechten Ufers des Kuban und eines großen Theils der kleinen Abassah durch die Russen vereitelte zwar oft ihre Einfälle, aber ein großer Theil der Bewohner jener Gegen" den verließ lieber den heimathlichen Boden, wo er unter der Herrschaft der Russen friedlich leben mußte, und floh zu den Abadstchen, und ertheilte dadurch der Macht der Abadstchen einen nicht geringen Zuwachs. Die Folge ist ferner, daß nur die wenigsten Abadstchen noch tscherkessischen Stammes sind, und kaum haben sich Fürsten und einige Edelleute rein erhalten. Es befinden sich unter ihnen die Nachkommen der Tatarchane, jener einst stolzen Beherrscher der Krim mit vielen ihrer damaligen Unterthanen, dann alte Bewohner der Halbinsel Taman, Nogaicr, Pscheduchen, Hattuqnähen, Kemurqnahen, und selbst Kabarder. Von allen Tscherkessen sind demnach die Abadstchen diejenigen, welche sich am meisten mit andern Völkern vermischt haben-Aus dieser Ursache betrachten sie die Kabarder und Beslenen, ja selbst die Meertscherkesstu nicht für ebenbürtig, und nur die äußerste Noth, in der alle unterjochten Volker emancipirt wurden, hat den Abadsecheu gleiche Rechte eingeräumt. Wesentlich unterscheiden sie sich auch hinsichtlich der Sprache, die eben ein Gemisch von Tscherkessisch, Abassisch und Nogaisch ist, der Sitten und Gebrauche. Edelmltth und Gastfreundschaft werden nicht in dem hohen Grade ausgeübt, als bei den übrigen Tscherkessen, aber wie diese zeichnen sie sich durch keiue Schranken kennende Kühnheit und Tapferkeit aus. Sie sind die erbittertsten Feinde der Russen, und die letztem haben es nur der Tapferkeit und Schlauheit des Generals Saß zu verdanken, daß ihre Einfälle sich sehr gemindert haben. Im Gegentheil übt jetzt Saß in sei-ner ganzen Strenge das Vergeltungsrecht aus. Im Jahre 1636 machten sie im Herbst den letzten bedeutenden Einfall, und übelsielen Kislowodsk, verloren aber auf dem Rückwege bei dem hart-nackigsten Widerstände ihre tapfersten Führer. Trotz aller annehmbaren Vorschläge verschmähen sie aber fortwahrend den Frieden, 291 nur auf Rache sinnend, behandeln aber die russischen Gefangenen nichtsdestoweniger menschlicher als man von ihrer Rohheit und ihrem Hasse erwarten sollte. Drei Jahre lang wurde der Baron Turnau, der zum zweitenmale wagte mitten durch Tscherkessien zu gehen, gefangen gehalten und gut behandelt. Der Gau ist vollkommen unbekannt, da nur Sasi einigemal wagte, bei ihnen Streifzüge zu machen. Bett hat einen sehr geringen Theil dieses Gaues gesehen und gibt uns von diesem gar keine Beschreibung. 7. Der Gau Egorokoi oder Iegorokoi nimmt die Gegenden zwischen dem obern Laufe des Giag und der Schagwascha ein, welche Flüsse sie von den Mochoschen und Hattuquahcn scheiden. Nördlich von ihnen wohnen die Ademi, südlich hingegen die Abadscchen. Seine 4—5000 Bewohner machen jetzt mit den Abadsechen, nachdem sie früher sehr von ihnen bedrängt waren, gemeinschaftliche Sache und haben meistens, als die nun verlassenen Vesten am Giag und am langen Walde sie hart bedrängten, ihre Wohnsitze verlassen, um sich in den nördlichen Thälern des Gagwareh niederzulassen. Zum Theil sind sie wieder zurückgekehrt. 8. Der G au Ke m u r befindet sich an beiden Ufern der Laba von ihrem Einfluß in den Kuban aufwärts bis zur Aufnahme des Fars. Westlich zieht er sich bis an die Mündung der Schagwascha, deren ferneres östliches Ufer aber die Ademi bewohnen. Diese und die Mochoschen gränzen südlich an ihre Wohnsitze, östlich wohnen Nogaier und westlich Hattu-Plähcn und Ademi. Seine Bewohner, Kemurquahen (tatarisch Kemirgoi, russisch Kemiurgoi) genannt, haben sich nach den Siegen Emanuels in den Jahren lß28 und l829 grdßtentheils unterworfen und gehören zu den wohlhabendsten Tscherkessen. Ihr Reichthum besteht besonders in großen Heerden und es gibt mehrere Familien, welche über 30,000 Stück Vieh besitzen. Früher waren sie mächtiger und übten auf ihre Nachbarn einen großen Einfluß aus. Nach Klaproth sollen es abgefallene Iegorokoi seyn. Die immerwährenden Streitigkeiten mit den übrigen Tscherkessen und die Kriege mit den Russen haben die Anzahl der Ein- !9 * 292 wohner so sehr verringert, daß sie jetzt kaum zu 10,000 Seelen angegeben werden können, wahrend sie früher allein mehr Streiter stellen konnten. Eine große Anzahl Kemurquähen entfloh der russischen Herrschaft und lebt jetzt bei den Abadsechen und Abas-sen. Im vorigen Jahre haben die Russen in ihrem Gebiete auf dem rechten Ufer der Laba eine Stanitze und eine Veste angelegt, die beide Nekrasoff genannt werden. 9. Der Gau Adcmi begreift einen kleinen Theil der Gegend zwischen der Schagwascha und dem Giag, wird demnach von den Iegorokojern, Kemurquähen und Hattuquähen unmittelbar eingeschlossen. Wahrscheinlich sind seine Bewohner dieselben, welche Massudi im zehnten Jahrhundert unter dem Namen Ademhat aufführt, zumal sie noch dieselben Gegenden einnehmen. Seine kaum 1500 Einwohner waren zu unmachtig, um den andrängenden übrigen Stammen zu trotzen und verbanden sich in der Regel mit den Kemurquähen und Iegorokojern. Wegen seiner Kleinheit wird er in der Regel nicht mit unter den tscherkes-sischen Stammen aufgeführt. 10. Der Gau Hattu liegt zwischen den Flüssen Pschisch und Schagwascha, und seine Bewohner die Hattuquahen (Quahe, wie Chuadsche oder O.uaidsche bei den Kuban-Tscherkessen, Dorf), Gattukai oder Gattükoizy von den Russen genannt, ungefähr noch Z000 Seelen stark, bewohnten früher den nördlichen Theil des Gaues Schapsucho, vorzüglich die Ufer der Flüsse Afips, Ubin, II und Asips; allein Streitigkeiten mit den Natochuadschen und Schapsuchen, so wie spater auch mit den tschernomor'schen Kosaken nöthigten sie ihre Wohnsitze zn verlassen und sich zwischen Schagwascha und Giag niederzulassen. Mit den Pschcdu-chen wurden sie l824 durch Kotzareff zur Ruhe gebracht und 1828 durch Emanuel zum Theil unterworfen, während die übrigen südlich zu den Abadsechen flüchteten und nun mit diesen jetzt gemeinschaftliche Sache gegen die Nüssen machen. Bell nennt den südlichen Theil des Gaues Schagerai. 11. Der Gau Pschedug (Psidug oder Psadug) beginnt östlich am Pschisch und erstreckt sich westlich bis zum Sup. Nördlich scheidet der Kuban von den Kosaken des schwarzen Meeres und südlich trennt der tscherkessische Kaukasus von den Meer- 293 tscherkessen und zum Theil auch von den Abadsechen. Er besitzt an Umfang allem fast eben so viel als die vier vorhergehenden Gaue. Seme Bewohner, trotzdem sie mehrmals, besonders im Jahre 1824 durch den Oberst Kotzareff und im Jahre 1830 durch General Emanuel hart bedrängt wurden, widerstreben doch fortwährend der russischen Herrschaft. Ein großer Theil von ihnen hat sich zu den Abadscchen geflüchtet, um den gemeinschaftlichen Feind zu bekämpfen; ein anderer hingegen sich südlicher zwischen dem Ausläufer des Kiusfesa und dem obern Laufe des Psakups angesiedelt, wo er noch selbstständig mit den Schapsu-cheu gemeinschaftliche Sache macht. Die im Norden zurückgebliebenen haben sich in zwei Stämme getheilt, von denen der eine, die Tschertschinei (Kirkinei bei Klapr. im ?>iuuv. lourn. nsiat. lom. VII. p. 442.) die Gegenden zwischen dem Pschisch und Psakups, der andere Kamischei (Kamaschidseh bei den Nüssen, Chamüsch bei Schubert) die zwischen dem Psakups und Sup einnimmt. Klap-roth rechnet (an der oben bezeichneten Stelle) die beiden Etämme nicht zu den Pschednchen, sondern zu den Hattuquahen. Trotz der häufigen Auswanderungen nach Süden geHort der Pscheduchen-Gau noch zu den am meisten bevölkerten und seine 18 — 20,000 Einwohner zeichnen sich durch ächt tscherkessische Tugenden aus. Zur Zeit als Bell und Longwotth die östlichen Küsten des schwarzen Meeres besuchten, standen die Pscheduchen zum Theil im engern Verbände mit den Meertscherkessen; es scheint aber doch, als wenn ein großer Theil sich nach Frieden und Ruhe gesehnt hatte, denn Bell spricht seine Sorge für diesen tapfern Stamm unumwunden aus. lll. Der M e e r k r e i s. An Große gibt er dem Kuban-Labakreis wenig oder gar nichts nach und erstreckt sich längs der Küste des schwarzen Meeres vom Ausfluß des Kuban bis zum Fluß Schacho und der Höhe des Nagoi-Koich. Nach Rcineggs wird er (wahrscheinlich von den Nogaiern) Tscherkeß Topragi, d. i. Tscherkcssenland genannt, erstreckt sich aber bei ihm bis Besonta (Pitzunda). Im Norden begranzt ihn der Kuban. Oestlich reicht er bis zum Gau der Pschedugen, von dem er durch den Sup und den vom Kiuss 294 fesa ausgehenden Ausläufer getrennt wird. Von da an bildet der Hauptrücken des tscherkessischen Kaukasus bis zum Nogai-Koich die östliche Gränze, jenseits welcher Pschedugen und Abadsechen wohnen. Der Kreis ist nur nach Norden hin zum geringen Theil eben und wird sonst durch die nördlichen und westlichen Ausläufer des tscherkessischen Kaukasus durchzogen. Er ist demnach im hohen Grade gebirgig, und wenn die Höhen besonders im Norden auch unbedeutend und kaum einige tausend Fuß emporsteigen, so zeichnet er sich doch durch seine engen Thäler, steilen Felsenwände, und romantische wilde Felstnpartien aus. Der üppige Baumund Kräuterwuchs mildert aber wiederum das rauhe Aeußere des ganzen Kreises. Unter solchen Umstanden ist die Fruchtbarkeit nicht bedeutend und am wenigsten für Ackerbau geeignet. Nur der Norden macht hiev?« eine Ausnahme, und trotz der hausigen Berührungen mit den Russen ist der Kreis daselbst sehr bevölkert und eine Menge zerstreut liegende Dörfer füllen die fruchtbaren Ebenen und krauterreichen Thaler aus. Auch der ganze Küstenstrich bis an den Schacho ist fruchtbar, jetzt aber leider zum großen Theil verlassen, da die Russen sich der schönsten Punkte bemächtigt und daselbst Besten angelegt haben. Das Innere des Landes, in dem übrigens vcrhältnißmaßig viel Menschen wohnen, ist zur Viehzucht geeignet und der Reichthum seiner Bewohner besteht nur aus Heerden. Bell *) laßt sich auf seiner Reise erzählen, daß die Meertscher-kessen und Abadsechen den Namen Agutschipsi führten und hinsichtlich ihrer Sprache sich von den östlich wohnenden Stämmen unterschieden. Mir ist der Name ganz unbekannt und außer Bell führt ihn Niemand weiter an; es wäre demnach möglich, daß der Name eine Verstümmlung des Wortes Kusch-Hasip wäre, welches, wie wir schon gesehen haben, jenseits der Berge wohnend bedeutet. Dann gehörten aber die Abadsechen, ein Stamm, der sich von den Mcertscherkessen hinlänglich auch durch die Sprache unterscheidet, nicht zu ihnen. Die Meertscherkessen haben nur wenig tscherkessisches Blut in sich, da sie schon seit den ältesten Zeiten sich vielfach, beson- 5) Bell Journal Voi, II. ^H. 237, 295 ders mit Hunnen, von denen ein Stamm, die Kabiren, auch die südlich vom Kuban gelegenen Gegenden am Meere einnahm und zum großen Theil seinen Brüdern nicht nach Westen folgte, vermischt haben. Die Gesichtszüge zeigen noch am deutlichsten das Gepräge einer mongolischen Physiognomie, die sich sogar, wie man auf den von Bell gelieferten Abbildungen einiger Mecrtschel kessen sieht, noch in der Farbe erhalten hat. Aber auch spater, als die Komancn das östliche Kiptschak verließen und am Kuban sich nicht hinlänglich vor den Mongolen schützen konnten, flüchteten viele sich in die Berge zu den freien Tscherkessen. Später kamen Nogaier, von Russen und den krimschen Tataren gedrangt, zu ihnen, und gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts wurde das westliche Tscherkessien von den flüchtigen Bewohnern Tamaus und der Krim und von den jenseits des Kuban wohnenden nekrasoss'-schen Kosaken von neuem als Zufluchtsort gegen die Verfolgungen der Rnssen erwählt. Der ganze Kreis zerfallt in zwei große Gaue, die aber von einer Menge Geschlechter und Verbrüderungen bewohnt werden. 12. Der Gau Nato begreift die Gegenden nordlich vom Kuban bis zum Merchotschi und erstreckt sich westlich bis zum Abin und Pschezis; es nehmen deßhalb seine Bewohner (Nato-chuadschen, Natuchasch oder Natuchaizen bei den Russen, Nettug-hash bei Reineggs, Natuchassy oder Neczkwadscha bei Chatoss, Natchu-Kaitsch bei Pallas, Netchquadscha bei Klaproth, Notwhatsh bei Bell) das ganze sogenannte weiße Gebirge (Schogaleh) ein. Auf der Karte, welche Bell liefert, ziehen sich die Nato, chuadschen bis zum Schacho herab, wahrend auf vielen andern sie nur die Gegenden bis Psched bewohnen. Die Natochuadschen, wohl 50,000 Seelen stark, verdienen von allen Tscherkessen-Stämmen am wenigsten den Namen Tscher-kessen, da sie ein Gemisch von vielen Völkern sind. Mehrere, wie z. B. Klaproth, rechnen sie zu den Massen. Zur Zeit als Reineggs den Kaukasus bereiste, bestand der Stamm der Nato-chuaoschen zugleich mit dem der Kcssek nur aus 200 Hütten. Der dabei genannte Stamm der Kessek wird um so wichtiger, als er an die frühere Benennung der Tscherkessen erinnert und als letzter Ueberbleibsel des Namens der Kosaken oder Kasogen erscheint, «W Die Eroberung Tamans durch die Russen und die Uebergabe der Halbinsel Krim war dic erste Ursache der engern Vermischung der Bewohner des Gaues, denn eine Menge Tataren kamen auf das jenseitige Ufer des Kuban und an die Küsten des Meeres, um sich der russischen Herrschaft zu entziehen. Sie erhielten als frühere Bewohner von (Halb-) Inseln den Namen Adaly von dem tscherkessischen Ada, was Insel bedeutet. Zu gleicher Zeit flüchteten sich dt'e nckrasoff'schen Kosaken*) aus ihren drei am Kuban gelegenen und von den Russen zerstörten Stanitzen: Se-beloi, Kagnat und Chantipe hierher, und wenn sie auch spater nach Klaproth nach Vessarabien und in die Gegend von Varna von den Türken versetzt seyn sollen, so scheint doch ein großer Theil von ihnen zurückgeblieben zu seyn. Als die Russen auf dem diesseitigen Ufer des Kuban sich festsetzten und in dem Gau Repressalien ausübten, wurden die verschiedenen, durch Unglück und Pest heruntergekommenen Stamme endlich gezwungen sich miteinander zu verbinden und nahmen den Namen des mächtigsten Stammes, nämlich den der Natochuadschen an. Auster diesen waren es noch zwei Stamme, die ursprünglich diese Gegenden bewohnten, die Schegakeh und Schana oder Schani. Die erstem (von Chatoff Szegakeh, von Peyssonnel Schahhakei genannt) nahmen die Gegend um das Flüsichen Bugur, an dem das jetzige Anapa liegt, ein *) Die Geschichte dieser interessanten Kosaken ist nach Klaproth (in Voyage dans les steps d'Astrachan et du Caucase par le Comte Jean Potocki, publiee par Klaprolh Tom. I. pag, 233-) fol; gende: Als Peter der Große den gefahrlichen Aufruhr des Kosaken-Hetmans Kontradei Vulawin mit dem Vlute von 20,000 Kosaken unterdrückte, floh eine Abtheilung drr letztern unter Anführung eines gewissen Netrasoff an die Ufer des Kuban und setzte daselbst ihr räuberisches Leben fort. Unter dem Schutze des türkischen Seras-kiers zu Kapil, einer türkischen Stadt am Kuban, verübten sie die unverschämtesten Räubereien in der ganzen Umgegend. Als aber nach dem Frieden von KutschubKainardschi ihre Stanitzen von den Nüssen zerstört wurden, flüchteten sie sich nach der Gegend von Anapa, und als General Gudowitsch auch (!73l) Anapa und Kapil einnahm, wurden sie von den Türken an das westliche Ufer des schwarzen Meeres versetzt. Merkwürdig ist, daß ein Stamm im Osten des jetzigen Swanien den Namen Nekra so ffsky (bei den übrigen Völkern Malacki) führf. (S. Schuberts Alas.) «97 und erhielten deßhalb als am Meere wohnend den Namen Sche-chakeh, d. i. nahe am Meer wohnend. Sie sind die Ueberbleibsel der zuerst aus der Krim eingewcmderten Kabarder und waren machtig, so lange ihrc Fürsten hier wohnten und Handel und Schissfahrt trieben. Ihre Hauptstadt war Schantschir, von der jetzt noch die Ruinen sichtbar sind. Leider weist man über die Erbauung und den Verfall Schantschirs gar nichts. Die Schana breiteten sich früher über den Kuban aus und wurden mit der Besitznahme Tschernomoriens zurückgedrängt. Vielleicht sind die Saingen des Plinius und Areian oder Sagide» des Procop, die in der damaligen Zeit aber südlicher wohnten, dieselben. Die Italiener des Mittelalters führen die letztern aber als Sanna noch an derselben Stelle südlich von Nikepsucho an. In der neuesten Zeit haben sie sich so verloren, daß Bell von ihnen und von den Schegaki mit keiner Sylbe spricht. Der Gau Nato ist wohl gebirgig, aber die Hohen des Scho-galeh sind nur unbedeutend und verlaufen sich in die Ebene vor dem Kuban. Der Strich von dem Ausfluß des Kuban-Sees in das schwarze Meer bis in die Nahe von Anapa ist sandig und unfruchtbar, mit dem Thale von Anapa aber, in dem der Bugur fließt und das den Namen Hochoi-Suk*) führt, beginnt fruchtbares Land und die Russen haben auf beiden Seiten der Festung Colonien angelegt, die ganz die Einrichtung der Lim'en-kosaken erhalten haben. Die nördliche Colonie hat den Namen der nikolajeffskischen, die südliche den der semnomüsk'-schen Stanitze erhalten. Diese beiden Stanitzen sind förmlich mit einem Wall umgeben und der bestandigen Gefahr ausgesetzt, von den Tscherkcssen überrumpelt zu werden. Bell erwähnt eines solchen Uebersalles. **) Um die Gegend zu bevölkern, erließ der Kaiser einen Ukas, dem zufolge jedem russischen Bauer, der nicht eines Privatmannes Leibeigener war, freistand, sein Dorf zu verlassen und als freier Kosak die Gegend von Hochoi-Suk zu bewohnen. Außer verarmten Kronbauern fanden sich aber auch viele Leibeigene von Gütern der südlichen Gouvernements ein und dieses gab Anlaß zu Beschwerden von Seiten der Herren. Gegen ) Suk heißt im Tscherkessischen klein, während Schoh groß bedeutet. ^) Lell Journal lyn,. II. z». 2/. 5 »5 298 15,000 Seelen sollen in der Zeit eines Jahres sich daselbst angesiedelt haben. Ihre Zahl nimmt aber mit jedem Jahre ab, und wenn nicht bedeutende Verstärkungen kommen, werden in kurzer Zeit die Colonien zu Grunde gehen. In der Höhe des Thales Hochoi-Suk, wo ein Weg von Anapa über den Schogaleh nach Sudschuk-Kaleh führt, ist zum Schutz die Vcste Rajeffsky angelegt worden. Bell meint zwar, daß dieses im Jahre 1839 unweit der Küste erbant worden sey; allein der Küstenstrich südlich von Anapa bis an die Bucht von Sudschuk-Kaleh ist seiner zum Theil steilen Ufer halber unbequem und außerdem zeichnen sich die Bewohner dieses ganzen Striches durch ihren Haß und ihre Unbeugsamkeit aus. Nur die unbedeutenden Flüßchen Sukwa, Deßwa und Oserek finden sich daselbst vor und der Besitzer des Thales, in denen das letzte Flüßchen fließt, Alibi, trotzt mit Kerisuh-Saums, dem Herrscher des Thales der Semeß, die in die Bucht von Sudschuk-Kaleh sich ergießt, aller List und Gewalt der Russen. Besonders um den letztern zu demüthigen und den Tscherkess^n einen wichtigen Hafenplatz zu entreißen, legte Rajeffsky im Jahre 1838 die neurussische Veste hart an dem Ausflüsse des Semeß an. Die Bay, in welche die Semeß ausfiießt, führt, wie ich schon gesagt habe, den Namen Sudschuk-Kaleh, weil die Türken auf der Spitze der Landzunge, welche von Norden und Westen die Bay einschließt und den Namen Tauba führt, eine Festung dieses Namens erbaut hatten. Den Namen Sudschuk-Kaleh erklären schon die frühesten Reisenden und meinen es hieße so viel als Wurstschloß. Eben so unwahrscheinlich ist die Meinung Klaproths und anderer, daß es tscherkessisch Dschugo Suk Kaleh, d. i. kleiner Mäuse Schloß bedeute. Der eigentliche Name der Bucht jedoch ist Suschuldschak und hieraus erst haben wahrscheinlich die Türken ihr Sudschuk gebildet. Dieje Bucht war seit den ältesten Zeiten bekannt und als Handelsplatz benutzt. Skylar von Karyandra führt hier (nach Dubois de Montpöreur) eine Stadt Namens Patous auf. Strabo nennt sie Pata. Wahrscheinlich ist es, daß hier auch Strabo's Gorgippia, welche nach Boeckh den Beinamen Hieros führte, lag, denn eine Stadt des letztern Namens nennen hier Plinius und Anian. Im Mittelalttr erkannten dfe Genueser, deren sich 299 die Tscherkessen noch jetzt unter dem Namen Dschenuweh erinnern, die Wichtigkeit der Lage dieser Bucht und nannten sie deßhalb Csio Inmenu (die schöne Bucht). Wahrscheinlich besaßen sie auch hier Handelsm'ederlagen, die nach Klaproth den Namen ?ono Susaco oder Suaco führten. Nachrichten zufolge, die uns Bell mittheilt, soll die Festung im Jahre 1696 erbaut worden seyn, wohl aber nicht von Tscherkessen, sondern von dem Tatarchan, da eine Menge seiner Unterthanen allmählich an der Bucht sich niedergelassen hatte. Wahrscheinlich ist es aber, da nach Dubois und Bell die jetzigen Ruinen eine große Aehnlichkeit mit dem alten Pon' am Rion haben, daß Sudschuk-Kaleh zu derselben Zeit, wie dieses, also im Jahre 1578 erbaut worden ist. Sie wäre demnach türkischen Ursprungs und türkische Beamte residirten auch daselbst bis zum Jahre 1781. Seitdem wurde Sudschuk-Kaleh verlassen und zerfiel wahrscheinlich von selbst in Ruinen. Die Besetzung der Krim durch die Russen brachte von neuem eine Menge Tataren nach Tscherkessien, und um über diese sich die Oberherrschaft vorzubehalten, wurde von den Türken im Jahre 1784 Anapa, von welcher Festung ich gleich sprechen werde, angelegt. Sieben Jahre spater, also 1791, waren die Russen willens auch Sudschuk-Kaleh wegzunehmen und es wieder in Stand zu setzen, allein die Tscherkessen zerstörten es bis auf den Grund. Man gab deßhalb den Plan auf. 1811 wurde es wiederum von den Russen hergestellt und ein Jahr lang besetzt, allein der 1812 abgeschlossene Frieden gab Sudschuk-Kaleh den Türken zurück. Durch den Frieden von Hunkiar-Skelessi trat endlich aber 1829 die Türkei alle Ansprüche auf Tscherkessiens Küste, folglich auch auf Sudschuk-Kaleh an Rußland ab und dieses machte im Jahr 1332 zuerst sein Recht dadurch geltend, daß es den Handelsplatz Semes (Semisseh nach Dubois) verbrannte, den ganzen Haß aber des Besitzers Kerisuh-Samus auf sich zog. Aber immer blieb die Bay der Hauptstapelplatz, von wo aus besonders Sklavenhandel getrieben wurde und woher die Tscherkessen ihre Kriegsmaterialien erhielten. Im Jahre 1836 flüchtete sich das englische Kauffahrteischiff Vken hierher, wurde aber von den längs der ganzen Küste kreuzenden russischen Schiffen in Beschlag genommen und trotz der Protestation der Engländer so lange zurückbehalten, bis es nach Beendigung des Streites von freien Stücken herausgegeben wurde, 300 Um Ken'suh-Samus zur Unterwerfung zu zwingen, zumal die nur wenig südlicher gelegene kabardische Veste (Kabardinsk) nicht im Stande war die Bucht hinlänglich zu beaufsichtigen, wurde als Rajeffsky von seinem siegreichen Zuge von der südlichen tscher-kessischen Küste zurückkehrte im Innern der Bucht unmittelbar an dem Semes eine Vestc erbaut, die den Namen Noworossiisk erhielt. Emige Jahre früher war schon im Süden dcr Bucht an einer günstigen Stelle eine Vestc angelegt, von der aus man die Bucht zu beherrschen hoffte. Sie erhielt von dem daselbst befindlichen Dorfe Doba ihren Namen, der aber jetzt in Kabardinsk umgeändert ist. Früher wurde sie zuweilen auch Alexandrinsk genannt. Mein das Schiff Viren zeigte, wie leicht man sich den Augen der Späher in Kabardinsk entziehen konnte und bestimmte wohl auch die spatere Anlegung von Noworossiisk. Noch südlicher gegen die Gränze des Gaues liegt eine Bucht, m die das Flüßchen Mesippeh sich ergießt und die von ferne der Bucht von Gelentschik ahnlich sieht. Aus dieser Ursache, zumal sie häufig schon Schisser getauscht hat, wurde sie Schalaudschl Gelentschik (d. i. falsches Gelentschik) genannt. Das rauhe Gebirge, zwischen dem der Mesippeh fließt, heißt Tatschagus. Wenden wir nun uns wiederum nach Norden an den Ausgang des kleinen Hochoithales zu der bedeutendsten Festung an Tscherkessiens Küste, zu Anapa, so haben wir schon gesehen, wann und zu welchem Zwecke sie 1764 erbaut wurde. Bis auf die neueste Zeit hatte die Festung gleiches Geschick mit Sudschuk-Kaleh und wurde 1791, 1807, 1611 und 1828 von den Russen erobert, 1829 hingegen an Rußland abgetreten. Sie war immer sehr fest und ein Pascha mit drei Roßschweifen residirte als türkischer Gouverneur in Anapa, besaß aber außerhalb des Rayons der Festung gar keine Macht. Es scheint, daß die Türkei auf den Besitz Anapa's deßhalb einen großen Werth legte, um sich den Einfluß einestheils auf die im Kaukasus lebenden Sunniten zu erhalten, anderntheils aber einen Fanatismus gegen den gemeinschaftlichen Feind, Rußland, hervorzurufen. Als Gudowitsch sie 1791 eroberte, war sie nur mit einem Erdwall versehen, hatte aber nach Suboff*) eine Garnison von 25,000 Mann mit 83 Kanonen und 9 Mörsern. *) Suboff's Cartina Iteffliasfcawo Kraja 3ttt Sfcil, ©cits 58, 30! Nach der Zurückgabe zog man hohe Mauem um die Festung und sie wurde dadurch wichtiger. Im Durchschnitt waren gegen 4 — 5000 Einwohner in Anapa und beschäftigten sich mit dem Handel, da die Tscherkessen seit dem Verfall Sudschuk-Kalehs hier alle ihre Erzeugnisse und Sklaven gegen andre Waaren eintauschten. Anapa, ein Name, den früher die ganze Gegend führte, liegt hart am Einfluß des Bugur am Meere und besitzt eine sehr vortheilhafte Lage, da es auf einem allmählich emporsteigenden und am Meere senkrecht abfallenden Verge liegt. Es hat ungefähr eine Stunde im Umkreise und ist auf der Höhe des Berges in Form eines Amphitheaters erbaut. 2500 Mann bilden die Garnison und haben zu ihrer weitern Vertheidigung 20 Kanonen im Besitz. Da die Natochuadschen alle Verbindung mit den Russen abgebrochen haben, so hat Anapa mic der Besitznahme durch dieselben aufgehört Handelsplatz zu seyn und wird es wohl auch nicht eher werden, als bis ganz Tscherkcssicn sich der russischen Herrschaft unterworfen hat. Auster Anapa, der rajeffski'schcn und neurussischen Veste haben die Russen im Norden dcr von Auapa ausgehenden Sandebene ai,f der schmalen Landzunge, welche den Kubansee (Kisil-tasch) von dem Mecre trennt, eine Vcste erbaut, die den Namen Dschimiteja (Schimiteschkoje bei Schubert, Schamatia von den Tscherkesscn genannt) führt. Nach Bell wird der ganze Küstenstrich von Dschimiteja bis Anapa noch durch sechs Redouten besetzt und ein? derselben hielt im Jahre 1839 eine hartnäckige Belagerung aus. Merkwürdig ist, dasi Schubert in seinem schon angeführten Atlas diese Redouten gar nicht kennt. Endlich hat sich auch eine Stanitza (Watasowa) im Norden unweit des Kuban gebildet und wahrscheinlich wird zu ihrem Schutze in der Nahe jetzt noch eine zweite angelegt worden seyn. Fassen wir nun das Innere des Gaues etwas näher ins Auge, so sehen wir von dem Schogaleh-Gebirge mehrere Arme m die Ebene des Kuban sich verlaufen und zwischen ihnen befinden sich äußerst fruchtbare Thäler, in denen trotz der russischen Nähe die Natochuadschcn eine große Menge zerstreut liegender Dörfer besitzen. Die Thäler führen nach den in ihnen rauschenden Flüssen den Namen und gewöhnlich werden dann auch die Dörfer so 302 benannt. Von Westen nach Osten gehend sind es folgende fünf: Hochoi-Scho, Tusupsch, Wastogal, Nefil und Psebebsi. Der bedeutendere Fluß Adakum versperrt allen weitern Ausbreitungen des Schegakeh den Weg im Osten und bildet mit seinen zahlreichen Nebenflüssen Bachan, Haberdah, Nebidschik, Schips und Mass eine große schöne Ebene, in der sich nur unbedeutende Ausläufer des Merchotschi verlieren und die den Namen Ada führt. Nach Bell befinden sich in ihr eine Naphtha - und eine Salzquelle. Wahrscheinlich ist Ada einer von den 29 Stämmen, mit denen Peyssonel^) uns bekannt macht, wenn dieser auch der ihm verfolgten Ordnung nach an die kleine Abassah gränzen müßte. Die Reihenfolge, in welcher er sie nennt, ist zufallig, denn sonst würde die kleine Abassah ganz im Westen liegen. Vom Merchotschi gehören wahrscheinlich nur die nordlichen und nordöstlichen Abhänge zum Gau Nato, da dessen weiterer Ausbreitung im Osten der Fluß Abin, dessen Thal bereits zum Gau Schapsucho gehört, eine Gränze setzt. 13. Der Gau Schapsucho oder Chekus erstreckt sich nördlich vom Kuban zwischen dem Abin und Asips über den Rücken des tscherkessischen Kaukasus hinweg bis zum Meer und zieht sich an dem Ufer desselben zwischen ihm und dem Rücken des Gebirges entlang bis zum Thal des Schacho. Der Arm des Papai, einer Höhe des tschcrkessischen Kaukasus, welcher sich bis an das Meer hinzieht, trennt nach Norden hin den Gau von dem der Natochuadschen. Das Land ist in hohem Grade gebirgig und nur nach Norden hin, also da wo der Kuban den Gau begranzt, wird es allmählich flach, aber trotzdem nicht weniger zugänglich, da das alljährliche mehrmalige Uebertvetcn des Kuban die Gegenden daselbst sumpfig und morastig gemacht hat. Dazu kommt noch, daß die häufigen Erpeditionen der Russen die Einwohner aus dem stachen Lande vertrieben und so der Theil des Gaues sich selbst überlassen wurde. Die Höhen der südlichen Strecken sind zum großen Theil mit schönen Wäldern bewachsen, besitzen aber hinlänglich schöne Matten für die Heerden, den einzige» Reichthum der Schapsuchen. *) Die Verfassung des Handels auf dem schwarzen Meere, übersetzt von Cuhn S. 59. 303 Wahrscheinlich ist es, daß der Gau seinen Namen von dem Flusse Schapsucho, der im Südwesten des tscherkessischen Kaukasus entspringt und dem Meere zufließt, erhalten hat, da die Fürsten des Thales von hier aus ihre Macht weiter entfalteten. Factisch ist es, daß selbst noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts der nördliche Theil von Hattuquahen bewohnt wurde und daß diese, wic ich schon gesagt habe, sich erst spater an ihre jetzigen Wohnorte begaben. Auch die Abassen erstreckten sich früher weiter nach Norden, wie wir aus den byzantinischen und grusischen Geschichtschreibern ersehen, und der Fluß Nigepsucho, aus dem die Griechen wahrscheinlich ihr Nikopolis machten, war zur Zeit Constantins des im Purpur Gebornen, so wie das ganze Mittel-alter hindurch, die Gränze zwischen Tscherkessien und Abassien. Der Verständlichkeit halber wird es gut seyn den ganzen Gau, der von 210,000 Seelen bewohnt wird, in einen cis-und transmontanen Theil zu bringen und jeden für sich zu betrachten. Die Einwohner von beiden Districten sind großenteils achte Tscherkessen und haben sich von jeher durch ihre Tapferkeit, ihre Großmuth und ihren Biedersinn ausgezeichnet. Besonders gilt aber dieses in hohem Grade von den transmontanen (oder am Meere wohnenden) Schapsucheu (von Peyssonel und andern Schapsik, von Chatoff Szapsugi genannt). Betrachten wir diesen Theil zuerst etwas näher, so finden wir, daß er aus einer Menge Thaler, die sich von dem Rucken des tscherkessischen Kaukasus herabziehen, besteht. Kleine Flüsse bewässern sie und erlauben häusig den Bewohnern auf derselben Flache sich anzusiedeln. Oft sind auch die Thaler so eng, daß kaum eine Straße neben dem Fluß möglich ist und die Menschen gezwungen sind, sich auf den Höhen anzusiedelu. Nicht selten ziehen sich aber die Höhen zurück und schließen dadurch große ebene Strecken, in denen sich zahlreiche Schapsuchcn niederließen, ein. Besonders sind es aber die Gegenden um die Mündung der Flüsse, die sich durch ihre Fruchtbarkeit auszeichnen und die Menschen auf ihnen sich anzusiedeln einladen. Leider haben aber die Russen die Schapsuchen von den schönsten Strecken zurückgedrängt und traurige, von ärmlichen Erdwällen umgebene Besten beherrschen die Umgegend. Da alle Versuche, die Einwohner friedlich zu stimmen, an dem Haß derselben gegen die Russen scheiterten, so sind jetzt die meisten 304 der frühem am Meere befindlichen Dörfer verlassen und ihre Bewohner haben sich auf unfruchtbare Felsen, die sie gegen die Eingriffe ihrer Feinde schützen, zurückgezogen, um daselbst ein armseliges Leben zu führen. Wenden wir uns nun zur nähern Beschreibung des Küstenstriches mit den daran liegenden Buchten und den darin fließenden Flüssen und beginnen von Norden nach Süden, so kommen wir zuerst auf die wahre Bucht von Gelentschik. Sie bildet nach der Aussage Sachverstandiger mit der von Suchum-Kaleh in Abchasien den schönsten Hafen an der ganzen Osiküste des schwarzen Meeres und besitzt ungefähr eine Stunde Breite und drei Viertel Tiefe. Als nach den glorreich geendeten asiatischen Kriegen Nikolaus an die Unterwerfung des Kaukasus dachte, wurden im Jahr 183l zwei Regimenter ausgesandt, um sich des Handelsfieckens Kutliseh, was dem Work (Edelmann) Hattuquoi gehört und an dem unbedeutenden Flüßchen gleichen Namens liegt, zu bemächtigen. Nach tapferer und hartnackiger Gegenwehr nahmen russische Truppen zum erstenmal tscherkesstsches Land in Besitz. Ein trauriger Aufenthalt wurde der Garnison im Verlauf des ersten Winters zu Theil, da sie, nicht hinlänglich gegen die häufigen Ueberfälle der Tscherkessen geschützt, in beständiger Thätigkeit seyn mußte, um sich der eigenen Haut zu wehren. Abgeschlossen von allen friedlichen Menschen hatte sie selbst mehrmals an dem Nöthigsten Mangel und war gezwungen, dieses in weiter Ferne sich zu holen. Erst das Jahr darauf wurden die nothwendigen Vorsichtsmaßregeln getroffen, um die Garnison mehr zu sichern. Man vergrößerte selbst den Rayon der Festung so weit, daß gegen 4—5000 Mann innerhalb derselben Platz finden können. Gelentschik gibt demnach an Größe Anapa, mit dem es eine gleiche Besatzung hat, nichts nach und verspricht bei seiner günstigen Lage einst wichtig zu werden. Wie die Bucht von Sudsckuk-Kaleh, so war nicht minder auch schon die von Gelentschik schon lange bekannt, und es unterliegt keinem Zweifel, daß, wie auch schon Dubols*) sagt, die Stadt und der See Torikos des Skylax hierher zu setzen sind. Plinius nennt hier einen Fluß Tarusa und einen See Pagrai. *) Dubois voyage autour du Caucasc I. p. 107. 305 Daß sie auch den Genuesern wegen ihrer Vorzüglichkcit bekannt war, unterliegt keinem Zweifel, aber unmöglich ist wegen der schlechten damaligen Karten den Namen aus der Zeit zu ergründen. Wahrscheinlich ist es der schwarze See (Nauro I.gc<, 5. Maua I.acllo) des Bcm'ncasa und Frcdutius vonAncoua.*) Hier war es auch, wo im Jahre 1813 der Italiener Scassi ein Handelsetablissement unter den Auspicien des Fürsten von Richelieu, damaligen Gouverneurs von Odessa, gründete und auf diese Weise hoffte, die Tscherkessen für die Nüssen zu gewinnen. Wie dieser Plan scheiterte, werde ich spater mittheilen. Verfolgt man die Küste weiter nach Süden, so kommt man zuerst an das Flüßchen Hapctschai, und wenn man ein zweites Dschongoti überschritten hat, so nähert man sich wiederum einer wichtigen Bucht, der von Pschad. Nächst der Bucht von Gelentschik zeichnet sich die von Pschad durch ihre Vorzüglichkeit aus und diente auch von jeher als Hafen für alle hier handeltreibenden Völker. Hier sollen nach Dubois die Griechen zuerst sich niedergelassen haben und der ganze Küstenstrich von Sudschuk-Kaleh bis Pschad war von Achäern bewohnt. Es scheint mir jedoch, daß diese Achaer, welche wahrscheinlich kleinasiatische Griechen waren, weiter südlich gewohnt hätten, denn bei Skylax, Strabo und Plinius wohnen noch zwischen den Sinden (welche die Halbinsel Tamau uud die nördlichste Küste Tscher-kessiens bis nach Anapa einnahmen) und Achäern die Kerketen, die erst bei Arriau verschwinden, so daß nun Achäer und Sinden neben einaudet" wohnten. Es eristirt auch noch unweit der jetzigen Wcljaminoff'schen Veste eine Ruine, die nach dem Vorgebirge, auf dem sie liegt, den Namen Aguia führt, und wahrscheinlicher ist es, dasi hier die Burg Achaja («x«t« «cn.«,?) des Ptolemäus und das alte Achaja (?l«^.«l« «x«l«) des Arrian gelegen hat. Den Genuesern im Mittelalter war die Bucht von Pschad eben- *) In der Bibliothek zu Wien findet sich ein Atlas vor, den GMiosus Veuincasa von Ancona im Jahre 1380 verfertigt hat und zu Wol-fenbüttel hat man außer einigen unbenannten Karten zwei, welche das mittelländische und schwarze Meer darstellen. Die eine hat der Graf Hoctomanus Fredmius von Ancona im Jahre 1497, die andere Vaptista Ianuensis im Jahre 1514 ausgearbeitet. Reisen und Ländn-beschreibumien. XXlII. Hl) (Reise nach Kaukasien.) 306 falls bekannt und sie wurde Bem'ncasa unter dem Namen Mauro Zega, von Frcdutio von Ancona und Vaptksta Ianuensis (Vcscoute von Ianua) hingegen Manro Zichia genannt. Als Scassi anf dem Wege des Handels Verbindungen mit den Tscher-lessen anzuknüpfen suchte, errichtete er auch zu Pschad ein Etablissement und erwarb sich an dem jetzt noch lebenden, nun greisen Besitzer der ganzen Gegend Mahomed Indal-Oku einen treuen Freund, der auf alle Weise ihn unterstützte. Doch so gut das ganze Unternehmen eingeleitet war, so vereitelte doch das rohe Benehmen der meisten dortigen Russen und die den Tschcrkessen angeborne Raubsucht das Gelingen, und die Entführung eines schönen tscherkessischen Madchens durch einen der dortigen russischen Agenten, Mudross, war die erste Ursache, daß die Russen wieder Pschad uud Gelentschik verlassen mußten. Iudar-Oku (auch I'endar-Oku genannt), dessen Sohn bei der Entführung thätig gewesen war, gerieth dabei in eine mißliche Lage, da er von nun an bei seinen eigenen Landsleuten als russischer Spion verdächtigt wurde. Der alte Mann nahm sich aber mit aller Kraft seines Vaterlandes an, und kaum waren seine Gastfreunde in Sicherheit, so trat auch er als erklärter Russmfeind auf. Alle Unterhandlungen und Proclamations scheiterten an seiner Vaterlandsliebe, und als sogar Weljaminojf im Jahr 1837 mit einem Geschwader erschien, um sich seiner Küste zu bemächtigen, flüchtete sich der vertriebene Indar-Oku nach hartnäckiger Vertheidigung in die unzugänglichen Berge. Dort hat er sich mit seiner Familie einen neuen Wohnsitz geschaffen und übt frei von allem Verdacht einen großen Einfluß auf ganz Tscherkessien aus. Weljumlnoff zerstörte die freundlichen Anlagen Indar-Oku's und erbaute an ihrer Stelle eine Veste, die den Namen zur neuen Dreieinigkeit (Nowotraykoje) führt. In die Bucht ergießt sich ein ziemlich bedeutender Fluß, der ebenfalls den Namen Pschad führt und gegen seine MünDung hin ein schönes, großes Thal bildet, das sich durch seine Fruchtbarkeit auszeichnet. Weiter hinauf theilt er sich in zwei gleich starke Arme, von denen der südliche den Namen Pschad, der nördliche hingegen Du ab führt. Dubois irrt deßhalb, wenn er sagt, daß der Fluß Pschad auch Duab genannt würde- Die Höhe des tscherkessischcn Kaukasus, aus dem er seine Hauptquellen erhält, hat den Namen Kadschere-Chiaps und ist 307 wie die beiden Thaler des Pschad und Duab mit schönen Wäldern bewachsen. Verläßt man nach Süden zu Pschad, so kommt man nachgenn-ger Entfernung zuerst zu einer kleinen Vncht, die den Namen Bcschl führt und in die ein Flüßchen gleichen Namens sich ergießt, und hat man noch eben so viel Weges zurückgelegt, so befindet man sich an einer neuen ausgezeichneten Bucht, die von den Türken Wu» lan genannt wird, und in die sich das Flüßchcn Tschopsin ergießt. Das Dorf, das an der Mündung des Flüßchens früher lag, führt nicht, wie Dubois will, den Namen Wulan, der überhaupt bei den Tscherkessen nicht gebräuchlich ist, sondern heißt wie das Flüßchen selbst. Im Jahre 1837 wurde die Gegend um die Bucht ebenfalls von Weljaminoff eingenommen und daselbst die Veste Michael (Michailowskoje) erbaut. Die Alten scheinen die Bucht nicht gekannt zu haben, wohl aber ist sie bei Frcdutio von Ancona als Flume Londia, bei Baptista Iannensis hingegen als Fiume Landia aufgezeichnet. Fast in gleicher Entfernung als Tschopsin von Pschad liegt, befindet sich die Bucht Schapsucho von Tschopsin. Um dahin zu gelangen, muß man zuerst das Flüßchen Psid passiren und kommt dann in das schöne und fruchtbare Thal von Dschubgeh, das durch seine große Bevölkerung sich auszeichnet. Ein nicht unbedeutender Fluß gleichen Namens stießt in demselben und ergießt sich in eine schone Bucht, die den Namen Kodos oder Kodan führt. Ali Bey heißt der Fürst, der hier herrscht und seine Macht weit über die nächste Umgebung ausgebreitet hat. Sein Einfluß übe: den ganzen Gau ist groß, und wenn es den Russen gelänge, diesen Häuptling für sich zu gewinnen, dann würde wenigstens die Küste bald beruhigt seyn. Um die Macht dieses Fürsten zu brechen, versuchte man schon im Jahre 1833 ihn von seinem Wohnsitze zu verjagen und landete mit einer bedeutenden Mannschaft m seinem Besitzthum. Die Schapsuchen wehrten sich auf das hartnäckigste, wurden aber mit Hülfe der Kanonen aus der Ebene verjagt, fanden jedoch auf der Höhe einen Zustuchteort, von dem aus sie die Russen so lange berunruhigten, bis diese von der Schwierigkeit der Besetzung der Küste hier überzeugt sich wiederum einschifften, um sich nicht einem gewissen Untergange auszusetzen. Ali Bey hatte jedoch das Unglück im Sommer 1634 mit vierzig seiner 20* 308 Landsleute auf einem türkischen Schisse, das eben nach Trebisond gehen wollte, den Russen in die Hände zu fallen. Gewiß aber verstanden dle Russen iyren Vortheil nicht, da sie ihn alsbald gegen zehn Russen der Freiheit wieder gaben. Nach Dubois lag hier die alte Lazika des Arrian und die Stadt Tazos des Prolemäus; wahrscheinlich ist es aber, daß beide Städte viel südlicher sich befanden. Ebenso setzt Dubois die Alba Zichia des Mittelalters fälschlicher Weise hierher. Wohl möchte aber hier der Hafen von Zmzuchl (Venincasa), Sirsacho (Fredutio von Ancona) oder Eusako (Baptista Ianuensis), den Klaproth ganz irriger Weise nach Sudschuk-Kaleh versetzt, liegen. Die Bucht Kodos bildet keinen vortheilhaften Hafen, und wahrscheinlich ist es deßhalb, daß die Genueser ihren ausgezeichneten Hafen Alba Zichia oder Alba Zega etwas südlicher in dem Busen von Schapsucho besaßen. Dieser Busen hat eine bedeutende Ausdehnung und erstreckt sich gegen 14 bis 16 Werst nach Süden. Die meisten Karten geben ihn nicht richtig an und bilden aus ihm drei oder vier kleinere Buchten, die zwar nur Mündungen von Flüssen sind, aber sämmtlich gute Häfen liefern. Im Norden ergießt sich der Fluß Schapsucho, der hier eine schöne Bucht bildet uud an dessen Mündung deßhalb die Russen im Jahre 1838 die Veste Tenginsk unter Anführung des Generals Rajeffsky erbaut haben, hinein und im Süden wird er durch das Cap Kluf begranzt. Außer dem Schapsucho mündet sich noch der Nigepsucho in den Busen und bildet an seinem Ausstuß ebenfalls wiederum ein Bucht, die denselben Namen führt. Dubois*) nennt diese irriger Weise Ztschubeschli, ein Name, der wohl mit Subaschi übereinstimmt, zumal die Tifliser Karte ebenfalls eine Bucht des letztern Namens dorthin setzt. Allein auch dieses ist falsch, da die Türken und Grusier die Bucht, welche durch den Ausfluß des Schach» gebildet wird, mit dem Namen Subaschi belegen, wie es auch Bell und Schubert auf ilnen Karten richtig augeben. Dubois wurde wahrscheinlich durch die Tifliser Stabskarte, welche ihm am häusigsten zur Richtschnur diente, darauf hmgcleitet. Der Fluß Nigepsucho verdient noch eine besondere Erwähnung, *) Dubois dc Montpercui Voyage, Tom. 1, p, 195T 309 weil er lange Zeit die Gränze zwischen Tscherkessien und Abchasien bildete und zur Zeit Constantins des im Purpur Geborenen eine Stadt Nikopolis, wahrscheinlich das gräcisirtc Nikepsucho, hler stand. Dubois hat gewiß nicht unrecht, wenn er die Ruinen, welche man daselbst noch findet, von dieser Stadt herleitet; es ist aber wahrscheinlich, dasi, da die Küste den ganzen Busen entlang sich durch ihre Fruchtbarkeit und Bequemlichkeit auszeichnet, sich hier stets Handelsniederlagen vorfanden. Die zahlreichen Ruinen auf den Hohen längs des Busens sprechen ebenfalls dafür, daß hier einst der Handel blühte, und zwar schon ehe die Genueser sich festsetzten. Gewiß waren zu der Zeit, als 300 Völker das Emporium Dioskurias besuchten, auch die Küsten des Busens Schapsucho sehr bevölkert und die Einwohner daselbst breiteten die Waaren, welche sie in Dioskurias holten, in ganz Tscherkcssien ans. Aus den oben erwähnten Ruinen haben die Russen kurz nach der Einnahme von Schapsucho eine Redoute erbaut, welche den Namen Gerdüch erhalten hat. Dubois*) setzt irriger Weise das Dorf Tu, das am Flüßchen gleichen Namens liegt, zwischen die Mündungen der Flusse Schapsucho und Nigepsucho. Später führt er noch zwei Flüsse Ztschubeschi und Schimetduchaitsche auf, die nur durch einen Berg getrennt würden. Aber weder Bell noch Schubert erwähnen sie. Das Cap Kluf schließt, wie schon gesagt, den Vusen nach Süden, und indem es hervorragt, bildet sich auf der andern Seite eine Bucht, die eben denselben Namen führt und die beiden Flüsse Kluf und Tu aufnimmt. Die Tifliser Karte und Dubois verwechseln aber wiederum diese Bucht mit einer südlichern, indem sie sie Wardan**) nennen. Nun folgt eine rcnche Küste, die kaum erlaubt, daß ein schmaler Pfad auf ihr sich hinzieht. Hier war wohl auch die Stelle, wo Mithridates auf der Flucht aus dem pontischen nach dem lwsporischen Reiche gezwungen war, wit seinem Heere sich einzuschiffen, um nicht eine Beute der wilden Tscherkessen zu werden. Zwei unbedeutende Flüßchen stürzen sich wildbrausend aus dem Gebirge und führen mächtige Stein-bldcke mit sich. Der obere führt den Namen Nibuh, der untere *) Dubois de Montpereux Voyage. Tom. I. pag. 195. *•) 2>4selfr|i pag. i96. 8t0 Agula, und Bell meint, daß hier die Burg Achaja gestanden habe. Daß sie südlicher sich befand, als Dubois meint, habe ich schon oben gesagt, aber eben so wenig mag sie am Ausfluß des wilden Aguia gestanden haben. Wahrscheinlich befand sie sich nur wenig südlicher und zwar auf der Höhe, die nach Süden hin das reizende Thal des Tnabs beherrscht. Allck hier haben die Russen unter Anführung des Generals Rajesssky im Jahr 4838 (den 24. Mai) Platz gefaßt und an dem Ausflüsse des Tuabs (Thapseh oder Tuabseh bei Dubois) eine Veste erbaut, welche zu Ehren des verstorbenen Generals Weljamiuoff den Namen Weljaminosssk erhielt. Die von Wuth und Rache erfüllten Tscherkessen aufs neue hier zurückgedrängt, versuchten mehrmals die Russen von ihrem Eigenthum zu vertreiben. Immer zurückgeschlagen, gelang es ihnen endlich im Frühling des Jahres 1840 drei Vestcn zu erobern und die ganze Mannschaft über die Klinge springen zu lassen. Unter diesen drei Besten war auch Weljaminoffsk und Lasareffsk. Aber von neuem haben sich die Russen der zerstörten Ueberbleibsel bemächtigt und eine stärkere Veste an ihre Stelle gesetzt. Trotzdem aber ist die Lage der neuen Garnison um nichts sicherer gestellt, da die nächsten Höhen das ganze Thal beherrschen und man schon mit einigen Kanonen die Veste zusammenschießen konnte. Da wo der Tuabs in das Mccr sich ergießt, wird durch diesen wiederum eine Bucht gebildet, welche auf der Tifliser Karte und bei Dubois*) den Namen Mamai führt. Die Bucht jedoch, welche die Türken so nennen, liegt wie Subaschi viel südlicher und zwar in dem tscherkessischcn Abassien, da wo das kleine Flüßchen Pfecha sich in das Merr ergießt. Nach Norden hin wird sie durch ein steiles Cap geschützt und verspricht deßhalb mit der Zeit einer der vorzüglichsten Häfen zu werden. Wahrscheinlich ist es diese Bucht oder die gleich, zu erwähnende von Waia (und nicht die von Dschubgeh), welche Benincasa und Fredutio von Ancona auf ihren Karten unter dem Namen Cavo de Cubba und Bap-tista Ianueusis als Guba aufführen. Das letztere ist jedoch wahrscheinlicher, und dann wäre zwischen Tuabs und Waia die Gegend zu suchen, welche jene oft genannten Italiener Sanna -') Dubois de Montpereux Voyage. Tom. I. p, I9g. 3l1 nannten und die dann mir der Gegend übereinstimmte, welche Plinius und Arn'an von den Saiugen bewohnen lassen. Waia mag von Tuabs ziemlich so entfernt liegen, als die, ses von Schapsucho, und um dahin zu gelangen, passirt man drei Flüßchen Schepseh, Makupseh und Ascheh. Dubois meint, daß südlich von Tuabs der Gau der Schapsuchen aufhöre und nun der der Ubychen beginne. Allein dieser Abassenstamm bewohnt nur die Höhen des Gebirges, wohin ihn aber wahrscheinlich erst die Tscherkessen zurückdrängten. Denselben Fehler machte vor ihm die große Tifliser Stabskarte von 1634, und nach ihn^ auch Schubert in seinem Atlas des westlichen Rüstlands. Waia ähnelt als Bucht am meisten der von Tuabs, und der Fluß gleichen Namens, welcher in dieselbe sich ergießt, bildet ein schönes fruchtbares Thal, von dem die Russen sich im Jahr 1839 des Einganges bemächtigt haben, um daselbst eine Veste, die zu Ehren des Contreadmirals Lasareff Lasareffsk genannt wurde, zu erbauen. Sie hatte das Unglück schon im nächsten Jahre von den Tscherkessen eingenommen und zerstört zu werden, ist aber wiederum aus ihren Trümmern erstanden. Auf dem Cap, das von Norden her die Bucht schützt, liegen nach Bell gut erhaltene Ruinen, die sich dann nur einige Werst südlicher, an der Mündung des Flusses Sukuch wiederholen. Die Fruchtbarkeit der ganzen Gegend spricht auch dafür, daß hier einst eine größere Betriebsamkeit geherrscht hat.- Es ist Schade, daß Bell uns nur so wenig über diese und andere Ruinen, die ihm im Verlaufe seiner zweijährigen Anwesenheit daselbst begegneten, sagt. Sukuch wird von dem nächsten Flusse Schimwatsch, an dem ein schönes großes Dorf liegt, durch einen ziemlich breiten Gebirgsrücken, der fast nicht erlaubt den Weg längs der Küste zu verfolgen, geschieden. Wenige Werst stachen Landes trennen Schim-toatsch von der südlichen Gränze des Gaues, der durch das Thal Schacho oder Schacheh geschlossen wird. Die Tifliser Generalstabskarte, Dubois*) und Schubert setzen zwischen Waja und Schacho drei Dörfer, welche sie Dsiasch oder Dsiascheh nennen. Bell, der lange Zeit, besonders in Schimtoatsch sich aufhielt, erwähnt sie aber gar nicht, und daher ist wohl ihre Existenz, trotzdem *) Dubois de Monlporeux Voyage. Tom. I. p. 199. 3l2 Schubert sie in seinem Atlas ebenfalls wieder nennt, zweifelhaft. Dubois glaubt, daß diese Dörfer schon im Mittelalter cxistirt hätten, und von den schon oft genannten Italienern unter dem Nameu Aiazo, Aiaco und Saiazzo aufgeführt waren. Auch das Thal von Schacho wurde vor zwei Jahren von den Russen besetzt, und eine Vesie dann mit Namen Golowinsk zu Ehren des jetzigen Oberbefehlshabers von Cis- und Trans-kaukasien erbaut. Die Bucht, welche durch den Ausfluß des Schacho gebildet wird, führt den Namen Subaschi. Daß die Tifliser Karte und Dubois diesen Namen dem Busen von Schapsucho gegeben habe», ist schon oben gesagt. Sie verfallen aber in einen neuen Fehler, indem sie nun diese Bucht Sutschall*) oder Suntschali neunen. Allein die Türken belegen mit diesem Namen ebenfalls eine südlichere Bucht, und zwar die, welche durch das Flüßchen Sascheh gebildet wird. Dubois laßt ferner hier den Achaus des Arrian fließen, demnach wäre dieser Fluß der heutige Schach». Wenden wir uns nun zu dem nördlichen Theile des Gaues Schapsucho, so sehen wir diesen nur im Süden gebirgig, allein die Arme, welche das Hauptgebirge nördlich sendet, sind unbedeutend und verlieren sich in der Ebene am Kuban. Wenn daher hier, wie in den transmoutancn Gegenden, kaum Ackerbau getrieben werden kaun, so liefern die zum Theil krauterrcichen Hohen die schönsten Matten für das Vieh. Viehzucht ist auch die Hauptbeschäftigung, welche die Schapsuchen daselbst treiben. Ganz im Norden ist es zwar, wie schon gesagt, eben, aber die morastigen Umgebungen des Kuban und die Nahe der Russen erlauben ebenfalls keinen Getreidebau. Die Mitte dieses cismontanen Theiles ist aber im hohen Grade fruchtbar, und eine Menge rieselnder Flüsse, die ich sämmtlich schon Seite 274 aufgeführt habe, be> wassern die Felder und Wiesen. Trotzdem ist auch hier der Ackerbau in den Hintergrund getreteu, und Viehzucht ist wiederum die Hauptbeschäftigung. Die Ursache davon sind die hausigen Ueber-sälle der Russen, die gewöhnlich zur Zeit der Ernte den Kuban überschreiten, und alles, was ihnen entgegenkommt, zerstören. Die Einwohner sind dadurch sehr gedemüthigt und besuchen schon *) Dubois dc Montperem Voyage. Tom. I. p, 199. 313 zum großen Theil den jenseits des Kuban angelegten russischen Handelsmarkt. Hiemit geben sie das erste Zeichen einer friedlichen Gesinnung, d. h. einer baldigen Unterwerfung. Um sie von den noch im hohen Grade feindlichen Natochuadschen zu trennen, und um Gelentschik mehr mit Tschernomorien zu verbinden, suchte General Weljaminoff im Jahre 1834 einen Weg vom Kuban «ach Gelentschik, setzte bei der Olgastanitza über den Kuban, durchschritt mit vieler Mühe die morastigen Gegenden, indem er zuerst den Antchir entlang ging, wendete sich dann nach dem Abin und verfolgte dessen Lauf bis auf die Höhe des Gebirges, überschritt dieses, und langte unter allgemeinem Jubel in Gelentschik an. Alle die zahlreichen Ddrfer, die zerstreut auf dem Wege lagen, wurden von Grund aus zerstört. Um sich den Weg offen zu erhalten, erbaute der General im folgenden Jahre auf dem linken Ufer Abin und auf dem rechten Nikolajeffsk. Um auch auf dem jenseitigen Ufer des Kuban einen Punkt, der den Anfang des Weges beherrscht, zu besetzen, ist in der neuesten Zeit auch der Olgastanitza gegenüber eine Veste, die nun den Namen der Olgaveste erhalten hat, erbaut worden. Abin ist die dritte Veste, welche im Jahre 1840 von den Tscherkessen eingenommen wurde. Schon früher, im Jahre 1829, hatten die Russen unter General Emanuel an der östlichen Gränze, an dem Afips und seinem Nebenfluß Pschepsch festen Fuß gefaßt, und am erstern die Veste Friedrich, am letztem die Veste Johann erbaut. Wie es scheint, ist aber die erstere wieder verlassen worden. Nachdem wir nun die drei ächt-tscherkessischen Gaue durchgenommen haben, gehen wir zu den drei übrigen, und beginnen wir dem abassischen, da dessen Bewohner in Sprache, Sitten und Gebrauchen sich am wenigsten von den Tscherkessen unterscheiden. IV. Der abassische Kreis oder die Abassah. Wenn schon die beiden letzten Kreise bei ihrer Beschreibung eine Menge Schwierigkeiten darboten, so ist dieses in noch hdherm Grade bei dem abassischen der Fall, da Reisende ihn fast gar nicht besucht, und Russen in ihn nur kurze Einfälle gemacht haben. Er nimmt großentheils die hohem Gebirgsgegenden ein und zieht sich zum geringen Theil in die schwarzen Berge hinein. Seine südliche Gränze ist demnach der Hauptrücken des Kaukasus 3t4 von seinem westlichen Beginne am schwarzen Meere bei Gagrah bis östlich zum Dschumantau. Die Hohen jenseits der Tiberdal, und das Kubangebirge bis zu seinem Eintritt in Kaukasien scheiden ihn von den kaukasisch-tatarischen Gauen und der großen Kabardah. Nördlich sind der Unkemttniß des Landes halber die Gränzen schwieriger zu bestimmen. Eine Linie von der östlich-nördlichen Umbiegung des Urup nach der Gränze Ciskankasiens und der Kabardah gezogen, scheidet den Kreis von den transkubanischen Nogaiern, die südlichen Abhänge des Achmetgebirges, hingegen der vom Schcgerek nördlich auslaufende Gebirgsrücken Gagwareh und der vom Nagoi-Koich westlich dem Meere zulaufende Arm trennt ihn zuerst von den Kuban-Lada-, und dann von den Meertscherkessen. Westlich ist das schwarze Meer. Seine Bewohner, die Abassen, erfreuen sich erst seit den russischen Kriegen einer großer« Freiheit, da ihre Herren, die Tscherkessen, nur durch die Noth gezwungen ihnen größere Rechte einräumten. Im Kriege verschafft allein der persönliche Muth, Tapferkeit und die nöthige Umsicht eine allgemeine Achtung, und wenn auch diese Tugenden im Allgemeinen den Tscherkessen zukommen, so zeichneten sich doch auch viele Abassen, sogar des gemeinen Standes, im Kampfe aus, und erhielten mit der Zeit ein Ansehen, nach dem selbst tscherkessische Fürsten umsonst strebten. Während sie früher, wo sie eben noch unter dem Drucke der Tscherkessen seufzten, dadurch, daß sie oft bei den Russen Schutz gegen ihre Unterdrücker fanden, eine Vorliebe zu diesen hatten, so hat sich diese mit der größern Freiheit in denselben Haß umgewandelt, der auch die Tscherkessen in allen ihren Unternehmungen leitet. Da sie die kanm zugänglichen Höhen des Gebirges bewohnen, so liegt für sie die Zeit noch fern, wo russische Besten sie beherrschen. Nur die nördliche Gränze, da wo sie an die Nogaier stößt, und die westliche am Meere sind einigermaßen den Russen zuganglich, und wenn auch hier jetzt einige Vesten erbaut sind, so beherrschen diese doch kaum die Umgegend von einer halben Stunde. Der Unkenntniß des Landes halber ist auch die fernere Eintheilung des Kreises nach den Stämmen in Gaue äußerst schwierig, da ihr Name dadurch, daß einzelne Verbrüderungen oder Geschlechter unter ihren Führern mächtig wurden, in den Hintergrund trat, und der der Verbrüderung oder des Geschlechtes dafür allgemein 3l5 wurde. Auch die Unterwerfung einzelner Geschlechter durch tscher-kessische Fürsten wurde die Ursache, daß der Name des Stammes zurück- und der der Geschlechter hervortrat. Ich nehme für Abassien drei Stämme, und demnach auch drei Gaue an, und führe bei denselben die einzelnen Verbrüderungen oder Geschlechter, in so weit sie bekannt sind, namentlich anf. 14. Die kleine Abassah liegt im Osten und zieht sich südlich von der Hohe des Dschumantau und Maruch in den Thalern des Kuban von seiner steinernen Brücke an, in denen der Tiberdah, Schona und der beiden Indschik nördlich bis an das Land der transkaukasischen Nogaier und an Ciskaukasien. Oestlich gränzt sie an das Land der kaukasischen Tataren und an die große Ka-bardah, während westlich im hohen Gebirge die große Abaffah, nördlicher hingegen die Beslenen wohnen. Der Gau ist in seiner ganzen Ausdehnung im hohen Grade gebirgig, und bestehr nur aus den engen Thalern der obengenannten Flüsse. Ackerbau liegt fast im Bereich der Unmöglichkeit, und Viehzucht kann wegen der schroffen, oft nackten Felsen ebenfalls nur wenig getrieben werden. Grosie Viehheerden, wie sie viele Tscherkessen, besonders Mochoschen besitzen, kennt man in der kleinen Abassah nicht. Die Bewohner der kleinen Abassah haben sich erst seit den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts zum großen Theil wieder in die Berge, die sie wahrscheinlich auch früher bewohnten, zurückgezogen. Die Kabarder, welche die Abasscn in einer größeren Abhängigkeit erhielten, versetzten (wenn ich den Erzählungen einiger Digorcn-Assen trauen darf) schon zu Anfang des l?ten Jahrhunderts sechs Geschlechter des abassischen Stammes To-pantah (Vaskech bei den Tscherkessen genannt) in den westlichen Theil ihrer Besitzungen, also in die Gegenden des Kuban, wo dieser aus dem hohen Gebirge tritt, an die Malka und an die fünf Berge, um sie die fruchtbaren Gegenden daselbst bebauen zu lassen, wahrend sie selbst auf Raub und Krieg auszogen. Diese sechs Geschlechter (Louh, Viberd, Klitsch, Tramkt, Aßlankt und Dudaruk) erhielten deßhalb bei den Tataren den Namen der Alti-Kessek-Abassi*), d. h. die sechs Massen-Stücke. Dubois -) Vielleicht bedeutet auch der Name Alti-Kessek (Massi wird in der Regel weggelassen) die sechs tscherlessischen Abassen-(Stämme), da, 31« hat deßhalb ganz umecht, wenn er aus den sieben im Norden des Kaukasus befindlichen Provinzen des Massudi die Alti-Kessek macht, da Massudi auf jeden Fall die sieben chasarischen Landschaften am asoff'schen und schwarzen Meere darunter verstanden hat. Das Land nun, welches diese sechs Geschlechter einnahmen, wurde die kleine Abassah genannt. Als General Fabrician die stets sich wiederholenden Raubzüge der Kabarder auf das strengste ahndete, und diese mehreremal entscheidend schlug, bestimmte ein Vertrag die Malka von nun an als Gränze zwischen Ciskaukasien und den Besitzungen der Kabarder. Ein großer Theil der kleinen Abassah kam so unter russische Oberherrschaft. Trotzdem die Bewohner des ganzen Gaues für unabhängig von den Kabardem erklart wurden, wanderten doch wegen vielfacher Bedrückungen von Seiten der Russen und des rohen Betragens der dortigen Beamten viele der an den Fünfbergen Wohnenden aus, und zogen die Herrschaft der Kabarder vor. Die übrigen wurden nur mit Gewalt zurückgehalten. Nach Pallas*) blieben damals auf russischem Gebiet aus dem Geschlechte Louh 1500 Seelen, „ „ „ Biberd 1600 „ „ „ Klitsch 600 „ „ „ „ Tramkt 1700 zusammen: 4900 Seelen. Die genannten sechs Geschlechter, oder vielmehr Verbrüderungen, haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten, und, wenn auch die zu ihnen entflohenen Kabarder (s. oben) noch einen großen Einfluß auf sie äußern, so stehen sie doch selbständiger da, und sind gegen die Flüssen meistens feindlich gesinnt. Von Norden nach Süden mich wendend, nehmen die einzelnen Geschlechter folgende Gegenden ein: 1. Das Geschlecht Louh (Löuquadscheh bei Klaproth, Lau-chadsch auf der Tifliser Karte) nimmt die beiden Thäler des kleinen Indschik und des Kuban bis fast an die Mündung des Kalmursa in den letztern ein und hat sich ungefähr 4000 Seelen wie wir gesehen haben, die Tscherkessen sich früher Kasaken nannten, und noch jetzt so von den Offen genannt werden. ) Bemerkungen auf einer Reise ic. Band I. Seite 365. 317 stark seit i829 unterworfen. Auf dem linken Ufer des Kuban haben die Russen in ihrem Bezirk die Redoute Ustdscheguta angelegt. Die Louher führen bei den Russen auch häufig nach ihren Fürsten den Namen Ismail Ali-Abassen. Pallas und Klaproth *) geben sie hoher im Gebirge wohnend an. 2. Das Geschlecht Dudaruch (Budarch bei den Russen) ist unstreitig das stärkste und bewohnt seit langer Zeit den nördlichen Thcil des Gaues zwischen dem Urup und dem großen Iudschik. Den Norden, besonders die Thäler des Urup und des großen Indschik haben sie aber nach und nach an die geflohenen Kabarder abgetreten, und nehmen deßhalb nur noch die Thaler der drei in den großen Indschik fallenden Flüsse (Marau, Bsche-gok und Kefar) ein. Ihre Anzahl kaun man wohl auf 7000 Seelen schätzen. 3. Das Geschlecht Klitsch befindet sich südlich von dem Gau der Karatschai auf der rechten Seite des Kuban und nimmt die engen Thäler des Elmurs, besonders das, worin der Kal-mursa fließt, ein. Es ist sehr arm, zählt kanm 5000 Seelen und hat sich ebenfalls Rußland unterworfen. In seinem Gebiete ist die sogenannte steinerne Brücke über den Kuban, die von den Tscherkesscn Miwa - Lamysch, von den Tataren hingegen Tasch-Kupyr genannt wird. 4. Das-Geschlecht Tramkt uimmt die Thaler der unbedeutenden Flüsse Tibcrdah und Schona ein und zahlt, da sein größter Thcil noch an der Kuma und Podkumok wohnt, kaum 4000 Seelen. Die Zurückgebliebenen führen jetzt zum Uutcrschiede von diesen nach ihren Fürsten den Namen Dschantemir. 5. Das Geschlecht Aß lank t bewohnt die untern Thaler des kleinen Indschik, des Kardenek und des in den letztern sich ergießenden Aksant und umfaßt gegen 9 bis 10,000 Seeleu. Die Tifliser Generalstabskarte nennt die Gegend, die der Stamm einnimmt, Voschoch — ein Name, der wahrscheinlich Vaskech, wie die Tscherkessen alle Bewohner der kleinen Abassah nennen, heißen soll. 6. Das Geschlecht Viberd (Vibcrduch bei den Russen) breitet sich nördlich von jenem aus und nimmt die obern Thäler *) Klaproth Neise, Band I. Seite 45l. 318 des kleinen Indschik und des Marau ein. Die Anzahl seiner Glieder laßt sich kaum mit einiger Gewlßheit angeben, wahrscheinlich mag sie aber doch gegen 10,000 betragen. In den oben angegebenen Gränzen der kleinen Abassah ganz auf der Höhe des Gebirges wohnt ein Stamm, der von allen umwohnenden Völkern den Namen Alanen führt, und es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Stamm ein Rest des alten Volkes der Alanen ist. Wie wir später zeigen werden, sind auch die Ossen Nachkommen dieses einst mächtigen Volkes und demnach mit diesen Alanen nahe verwandt. Während meines Aufenthaltes in Ossien sagte man mir mehr als einmal, dasi im Westen zwischen Swanien und Abchasien und eben so unweit des Elbrus in der großen Kabardah Ossen wohnhaft waren, die in Sprache, Sitten und Gebrauchen vollständig mit ihnen übereinstimmten. Von den neuern Schriftstellern erwähnt diese Alanen nur Dubois. Die Tifliser Generalstabskarte und der Atlas des westlichen Nußlands setzen ihr Land an die Quellen des Kardenek und des kleinen Indschik, wahrscheinlicher nehmen sie aber auch die Höhe der Schona ein und erstrecken sich wohl selbst bis an den Dschumantau. Im vorigen Jahrhundert sprechen Graf Potocki und Reineggs ebenfalls von ihnen und ersterer behauptet, daß sie ungefähr 1000 Seelen stark eine eigene Sprache redeten und Hüte trügen. Die Generalkarte von Georgien und Armenien, die I. N. de l'Isle bearbeitet hat, setzt diese Alanen an einen Nebenfluß des Kuban und Pater Lamberti führt sie an derselben Stelle an. *) Die Ossen der Kabardah gehören zu den Ueberresten jener, die gleich den Abasscn von den Kabardern in den Westen ihrer Besitzungen versetzt wurden. Sie wurden fast wie Leibeigene betrachtet und waren gezwungen für ihre Herren das Feld zu bebauen. Ihre unglückliche fernere Geschichte werde ich später weitläufiger erzählen. Jetzt bewohnen sie kaum noch tausend Mann stark die Thäler der kleinern in den Vakscm und die Malka fließenden Flüsse. Es thun mir leid, daß ich auf meiner Reise nach Ossien und Radscha nicht auch Swanien und diesen Stamm der Alanen -) rowcki Va)üßo Vol. I. P9ß. 106, 146 und 181 > Reineggs Beschreibung des Kstukasus, 2. Thl. Seite l5. 319 besucht habe, um näher zu untersuchen, ob sie mit ihren Brüdern den Ossen so weit übereinstimmen, als eben behauptet wird. Auf jeden Fall liefern sie aber den Beweis, daß die Alanen oder Assen des Mittelalters sich fast über den ganzen Kaukasus verbreitet hatten, denn im Osten und Westen finden sich noch mehrere Spuren. Häufig werde ich im Verlauft meiner Reisebeschreibung Gelegenheit haben, über sie zu sprechen. 15. Die große Abassah. Unter diesem Namen versteht man eigentlich und verstand man früher im Gegensatz der kleinen Abassah alle übrigen Gegenden, die von Abasscn, zu denen dann auch die Abchasier gehören, bewohnt werden. Man sieht aus dieser Ursache auf vielen Karten hierunter die ganze Küste von der nördlichen Gränze Mingreliens bis in die Mitte des Gaues der Schapsuchen, ja sogar bis hinunter nach Anapa und bis zu dem Ausfluß des Kuban begriffen, wahrend die eigentliche große Abassah, wie ich sie verstanden haben will, nur zu Tscherkcssien gehört. Allein daß die Gegenden, welche ich eben beschreiben will und die noch diesseits des Hanptgebirges liegen, von ächten Abassen, zu denen sich nur wenig Fremde gesellt haben, bewohnt werden, und daß die jenseits des Gebirges wohnenden Abasscn, sowohl die unter einem eigenen Fürsten stehenden als die tscherkessischcn freien, von den diesseits wohnenden und den meisten übrigen Völkern des Kaukasus die transmontanen (Kuschhanp) genannt werden, bestimmt mich zur Annahme der großen Abassah in der Ausdehnung, wie ich sie eben angeben will. Die Tifliser Karte nennt die kleine und große Abassah, also die diesseitigen Gegenden, Abadsah. Es scheint, daß alle Abassen ursprünglich jenseits der Berge gewohnt und sich weit in Mingrelien verbreitet haben. Zu einer gewissen Zeit wanderte aber ein Stamm Vaschilbai, um dem Drucke lhrer Fürsten zu entgehen, über die Verge, und ihr neues Land erhielt daselbst zum Unterschiede des Landes aus dem sie gewandert, den Namen der kleinen Abassah. Später wurden die sechs oben genannte« Geschlechter den Kabardern zinspstichtig und gaben den Gegenden, wohin sie von diesen versetzt waren, den Namen der kleinen Abassah, wahrend das Land der übrigen mit dem der jenseitigen Abassen die große Abassah genannt wurde. Ein Theil der letzteren hatte erbliche Fürsten und ihr Fürstenthum erhielt den 320 Namen Abchasien oder Awchasien. Sie erstreckt sich östlich von der kleinen Abassah und zwar von den Quellen und dem oberen Laufe des Bschegok bis westlich zu dem Gebirgsrücken Gagwareh, der wie schon oft gesagt von dem Schegerek auslauft. Im Süden bildet der Hauptzug vom Oschten bis über den Nisiri die Gränze. Nördlich ist es besonders das Achmetgebirge, was den Gau von den Kuban-Laba-Tscherkessen und zwar zunächst von den Beslenen trennt. Der ganze Gau ist in hohem Grade gebirgig und die armen Einwohner vermögen dem felsigen Boden nur einen geringen Ertrag, der nicht im Stande ist sie zu ernähren, abzugewinnen. Oft in einer Höhe von 6 — K000 Fusi über der Meeresfiache kann kaum die Gerste, das einzige Getreide das dort gebaut wird, vor dem eintretenden Froste reifen. Auch die Viehzucht kann in einem Lande, wo die schroffen, steilen Felsen oft von wenig oder gar keiner Erde bedeckt sind und wo ungeheure Abgründe den Heerden nicht selten Opfer entreißen, unmöglich gedeihen, und nur kümmerlich und in größter Dürftigkeit vermögen die Bewob-uer der großen Abassah ihr Leben zu fristen. Und doch lieben sie ihre engen Thaler, in denen reißende Bache oft den ganzen Raum ausfüllen und wollen sie nicht mit den lachenden Gefilden der nördlichen Ebenen vertauschen. Frei wie der Steinbock bei ihnen von einem Felsen zum andern springt, um sich die gewürzhaften Krauter an schauerlichen Abgründen zu suchen, bewegt sich der Abasse in seinen unzugänglichen Bergen, in dencn noch kein Fremder Fuß gefaßt hat und lebt glücklich in seiner Armuth, der er sich selbst übergibt. Seit den russischen Kriegen haben die Tscherkessen alle Macht über sie verloren; gern folgen sie aber ihnen in die nördlicheren Ebenen, um sich das was ihnen die Natur versagt, dort zu holen. Rusiland hat noch nicht versucht, diese fernen Kaukasier zu unterwerft« und kein russischer Soldat betrat die Marken ihres Vaterlandes. Ueber die Schwierigkeit-, die einzelnen Geschlechter der großen Abassah genauer zu bestimmen, habe ich schon gesprochen. Oft sind die Namen der Geschlechter untergegangen, da bei den Gliedern derselben es Sitte wurde sich nach einem mächtigen Häuptling zu nennen. Es scheint jedoch auch, als wenn einzelne tscher-kessische Abenteurer einzelne Familien sich tributpflichtig gemacht 3M und ihnen damit auch den Namcn mitgetheilt hätten. Dieser Name blieb selbst dann noch nach dem Tode eines solchen Häuptlinges, wenn vielleicht die so zu einer Verbrüderung verbündeten Familien Niemand mehr über sich erkannten. Von Osten nach Westen gehend besitzt die große Abassah folgende Geschlechter oder Verbrüderungen: a. Das Geschlecht Baschilbai (Beschilbai bei Pallas und Klaproth, Veschlpbai anf der Tifliser Karte) bewohnt die Quellen und den obern Lauf der Flüsse Pschegok und Kefar und bestand zu Güldcnstädt's Zeiten, wo es aber wahrscheinlich noch nördlicher wohnte, aus 1000 Familien, während es jetzt trotz der früher herrschenden Pest uud der Unterdrückungen der Kabarder doppelt so viel Glieder besitzt. Es scheint das Hauptgeschlecht zu seyn, da es den Namen des ganzen Stammes noch tragt. b. Das Geschlecht Tam oder Tamm (Tamoff auf dem Atlas des westlichen Rußland) bewohnt nördlich von den geflohenen Kabardern das Thal des Urup, aber nicht bis an dessen Quellen und zahlt kaum 3000 Seelen. Pallas, Klaproth und die Tifliser Karte übergehen dieses Geschlecht gauz und gar. c. Das Geschlecht Kasilbeg (richtiger wohl Kisilbeg, wie es auch Güldensiadt nennt) bewohnt die Quellen des Urup und der großen Laba und zahlt kaum 1000 Seelen. Die Tifliser Karte führt als dazu gehörig noch ein Geschlecht mit Namen Kuadsch auf. 6. Das Geschlecht Barakai oder Brakai (Barokai bei Güldenstadt, Barrakin bei Pallas und Klaproth) nimmt nördlich von dem vorigen das Thal der großen und vielleicht auch zum Theil das der kleinen Laba ein und bestehr aus ungefähr ft000 Gliedern. Die Tifliser Karte setzt sie falschlicher Weise an die Quellen des Chods und der Laba. Im Jahre 1776 stürzte nach Reineggs *) in seinem Lande ein großer Fels herunter. o. Das Geschlecht Vag (Bach bei Güldenstädt, Beg auf der Tifliser Karte, Bagoff in Schuberts Atlas **) hat weder *) Neineggs historisch, topographische Beschreibung des Kaukasus 1. Thl. S. 2!)2. **) Wahrscheinlich gehört auch das Geschlecht Vah, welches Klaproty unter seinen rransmontauen Abassen (l. Band S. 475) aufführt)' leisen ,md L.niderbesch«ibm,c,en. XXIII. Ii (Reife nach Kaukattcn.) 322 Fürsten, noch Edelleute unter sich und jeder steht demnach dem andern gleich. Zur Zeit Güldenstadts bestand es aus 300 Familien, während es jetzt gegen 4000 Glieder umfaßt. Es bewohnt die hohen Thäler des Oschten, aus denen die kleine Laba und der Chods entspringen. t. Das Geschlecht Schegrai (Tschagrai bei Klaproth, Scheigrei auf der Tifliftr Karte, Schegirei auf dem Atlas des westlichen Rußland) nimmt ebenfalls die Thaler des Chods und zum Theil auch der kleinen Laba ein und gränzt demnach im Süden an das Geschlecht Vag, im Norden hingegen an den Stamm der Veslenen. Die Zahl seiner Glieder betragt kaum 5000. 16. Die transmontane Abassah. Sie liegt wie der Name schon sagt im Westen jenseits des Gebirges und erstreckt sich bis an die Küsten des schwarzen Meeres. Im Norden be-gränzt sie das Gebirge, welches von Süden her das Thal der Schacho einschließt, und im Süden das, was von Norden aus die Schlucht von Gagrah bildet. In den frühern Zeiten bildete sie einen integrircnden Bestandtheil des Königreiches Abasgien (Abchasien), und noch im Mittelalter, wie uns die italienischen Karten eines Benincasa :c. lehren, wurde dieser Gau ebenfalls zu Avogasia, d. i. Abchasien gerechnet. Erst die neueste Zeit, seitdem die jetzigen Beherrscher Abchasiens sich Rußland unterworfen und die Kriege mit den Tscherkessen eine größere Ausdch' nung erhalten haben, hat die Bewohner den Tscherkessen mehr zugeführt, so daß sie zur Vertheidigung ihres Vaterlandes mit diesen gemeinschaftliche Sache machen. Dieß ist die Ursache, weßhalb man den Gau mit Abchasien nicht mehr vereinigen darf- Ihre Bewohner unterscheiden sich in Sitten und Gebrauchen nur wenig von den Tscherkessen und zeichnen sich durch einen unerschütterlichen Muth und eine unbeugsame Hartnäckigkeit, worin sie sogar noch die Tscherkessen übertreffen, aus. Sie sind wohlhabend, da ihre breiten und fruchtbaren Thaler ihnen nicht allein den Getreidebau erlauben, sondern die geringe Mühe ihrer Bewohner reichlich belohnen. Auch die Viehzucht ist bei ihnen in einem Zustande, wie man ihn weder in dem abassischen noch in trotzdem er unter den lismontanen ebenfalls ein Geschlecht Wgh (G. 460) nennt, hierher. 223 dem Meerkreise findet. Vor allem aber ausgezeichnet ist ihr Weinbau/ zumal die Stöcke von freien Stücken, ohne die geringste Mühe zu verlangen, reichlichen Ertrag geben. Auf dem ganzen westlichen Kaukasus ist der daselbst gebaute Wein unter dem Namen Sanah bekannt. Die Folge hiervon ist, daß die Zahl der Bewohner verhaltm'ßmaßig die aller übrigen Gaue übertrifft, denn man kann von der Schach» bis zur Schlucht von Gagrah gegen 16,000 Seelen annehmen. Bell *) meint, daß zweierlei Stämme den Gau bewohnen: ächte Abassen und Asras, und daß der Fluß Hämisch im Norden des Caps Ardler sie von einander trennt. Die Sprache beider sey so verschieden, daß sie sich gegenseitig nicht verstehen. Die Asras stimmten in allem mit den südlicher wohnenden Abchasiern, die ebenfalls den Namen Asra führten, übcrein; zur Unterscheidung würden aber die letztern jetzt von ihnen Psibe genannt. Allein diese Trennung des Gaues entstand, wie Bell selbst sagt, durch Streitigkeiten, die lange Zeit die einzelnen Geschlechter und Verbrüderungen unter einander hatten und' welche durch die gemeinsame Gefahr jetzt noch ganz beseitigt worden sind. Zweierlei Sprachen sprechen aber Vells Abassen und Asras sicher nicht, vielleicht, da eben eine lange Zeit Hader zwischen ihnen herrschte uud aller gegenseitige Umgang abgebrochen war, nahm die Sprache der nördlichern Abassen viel aus der der Tscherkessen, mit denen sie fortwahrend in Verbindung standen, an. Der gegenseitige Haß der nordlichen uud südlichen Abassen bestand noch vor zehn Jahren, und die Spaltung unter ihnen war wohl Ursache, daß die Tifliser Stabskarte den Gau ebenfalls in zwei Theile brachte, von dem sie den nördlichen Sascha, den südlichen hingegen Ardona **) nannte. Was Bell's Namen der Asra anbelangt, so wird dieser von mehreren kaukasischen Völkern gebraucht, um überhaupt die Abassen zu benennen. Sein Name Psibe dient aber zur Bezeichnung des Abassenstannnes, welcher den nördlichen Theil Abchasiens bewohnt, und wird nirgends für sämmtliche Abchasier gebraucht. *) LeN lournai Vol. II. pag. 55 UNd 54. '*) Dubois, der überhaupt wie schon gesagt sich nach der Tifliser Karte richtete, nimmt ebenfalls zwei Stämme dieses Namens an. Cram. I. p. 202 und 202.) 21* 324 Der Gau ist zwar in hohem Grade gebirgig, seine breiten fruchtbaren Thäler erlauben aber allenthalben den Getreidebau. Das Innere des Landes ist ganz unbekannt und nur die Küste haben uns die neuesten Kriege einigermaßen aufgeschlossen. Verfolgen wir demnach diese von Norden nach Süden, so bekommen wir Folgendes zu erwähnen. Auf der Strecke von Schacho südlich bis zum Flusse Psecha lassen die Tifliser Karte, Dubois und Schubert Ubychen wohnen. Von da an bis zum Hämisch liegt aber ihr Gau Sascha. Verläßt man das Gebirge, das südlich das Thal von Schacho begränzt, so kommt man zuerst zu einer kleinen aber bequemen und tiefen Bucht, welche die Türken Chissa nennen und in die ein kleines Flüsichen Buh mit Namen stießt. Dubois übergeht dieses Flüßchen, trotzdem es dadurch merkwürdig wird, dasi der Besitzer des Thales, in dem es fließt, einem Bruder des türkischen Generals Hafts Pascha gehört, der den Namen Hussein führt und eine lange Zeit seine Landsleute zum Frieden zu bewegen suchte. Uebcrschreitct man den Berg, der im Süden das genannte Thal einschließt, so kommt man in ein zweites Thal, in dem ein größerer Fluß, Lcup mit Name», stießt. Hierin befindet sich auf einer unbedeutenden Höhe eine Burg, welche die Russen Fagurka nennen, und es unterliegt keinem Zweifel, daß es dieselbe ist, die Cbardin und de la Motraye auf den zu ihren Werken gehörigen Karten Hamorka nennen. Die Bucht, welche durch die Mündung des Leup gebildet wird, führt bei den Türken den Namen War dan. Dubois nennt fast an derselben Stelle ein Flüßchen Sega. Zwischen Leup und dem nächsten Flusse Tcrampseh, den ebenfalls die Tifliser Karte und Dubois vergessen haben, liegt eine schone fruchtbare Ebene, die sich mit geringen Unterbrechungen längs der Küste bis zum Cap Ardler hinzieht. Auch die hoher nach dem Hauptrückeu des Gebirges zu gelegenen Thäler der ganzen Breite unterscheiden sich sämmtlich durch ihren größern Umfang und durch ihre Fruchtbarkeit. Daher sind es auch besonders diese Gegenden, welche bewohnt werden. Vom Terampseh an spitzt sich die Küste zu und bildet endlich ein nicht unbedeutendes Vorgebirge, hinter dem ein Busen, in den die Flüßchen Psecha (Sjujepeh auf der Tifliscr Karte, Sioepe bei Dubois) und Sa- 325 scheh fließen, sich hinzieht. Dieser Busen besitzt eine Ausdehnung von 2 bis 3 Stunden und wird im Süden wiederum durch ein bedeutendes vorspringendes Cap begränzt. Seine Ufer bilden vom nördlichen bis zum südlichen Cap einen Halbmond, in dessen Hintergründe zwei Buchten liegen, die durch die Mündungen der oben genannten Flüsse gebildet werden. Die obere Bucht nennen die Türken Mamai, die untere hingegen Sutschali. Eine nicht unbedeutende Ruine befindet sich am Ufer der ersteren, während an der letzteren, wohin Dubois die Masetika des Arrian setzt, die Russen im Jahre 1838 eine Vcste Nawaginsk erbaut haben. Der Fluß, welcher übrigens anch den Namen Sot-scheh oder Satscheh führt, ist bedeutend und gehört nebst dem bald zu erwähnenden Gesch, dem Schacho, Tuabs und Tschopsin zu den größten an Tscherkessiens Küste. Das Thal, worin er fließt, ist sehr bevölkert und deßhalb haben wohl die südlichern Abasseu ihre mit ihnen im Streit lebenden und nordlicher wohnenden Abassen nach deren Hauptthale Saschen genannt. Dubois meint ferner, daß die Sannigen des Plinius und Arrian, so wie die Sagiden des Procop die Saschen des heutigen Tages waren. In diesem Falle würde dann wohl die Schreibart des Procop und nicht, wie man sonst meint, die des Plinius die richtige seyn. Das Cap, welches den eben beschriebenen Busen nach Süden schließt, wird Sengi genannt und bildet die südliche Gränze der Saschen. Nach Dnbois ist es das Vorgebirge des Hercules, das nach dem Tempel, der auf seiner Spitze stand, den Namen erhielt und demnach müßte auch in der Nahe die Stadt Nesis des Arrian gestanden haben. Südlich vom Cap Sengt bildet sich wiederum eine vorzügliche Bucht, die nach dem Fluß, der in sie sich ergießt, den Namen Hämisch (Chamüschljar auf der Tifliser Karte, Kamuischlar bei Dubois) erhalten hat. Hier war es, wo ohne Zweifel die Vor-gys des Arrian und die Caccari der Italiener des Mittelalters lagen. Von der Bucht des Hämisch zieht sich die Küste wiederum weiter in das Meer und bildet ein bedeutendes Cap, das den Namen Ardler (Ardoljar) bei allen kaukasischen Völkern und bei den Türken führt. Vielleicht war es auch hier, wo der Tempel des Hercules stand. Bedeutende Ruinen sprechen wenigstens dafür. 326 daß hier in frühern Zeiten eine Stadt oder Burg gestanden habe. Ich stimme übrigens ganz mitDubois überem, daß diese Stelle es war, wo die Santa Sophia oder Sancta Soffia der Italiener des Mittelalters stand. Das Cap Ardlcr verschmalert sich nach Süden, und indem sich die Küste bis Gagrah einwärts zieht und von da an wiederum bis zum Cap von Pitzunda in das Meer sich vorschiebt, wird ein großer Busen gebildet, der, da Gagrah grade in der Mitte desselben liegt, der Busen von Gagrah genannt werden kann. Er war schon den Italienern des Mittelalters bekannt und unter dem Namen Cavo de Giro verstanden diese wohl den ganzen Busen und nicht eine besondre Bucht. Dadurch daß sich das Cap Ardler nach Süden schräg abschneidet, bildet sich gleich anfangs eine der ausgezeichnetsten Buchten, in die der Fluß Ardo sich ergießt. Das Thal, worin dieser Fluß fließt, gehört zu den schönsten an der ganzen Küste und erlaubt wegen seiner Breite und des ruhigen Dahingleitens des Flusses den Bewohnern sich in zahlreicher Menge daselbst niederzulassen. Mehrere Dörfer füllen demnach auch das breite Thal bis in die Höhe seines Ursprunges aus und führen sämmtlich den Namen Ardochuatschen (Dörfer des Ardo). Mit diesem Thale beginnt auch der District Ardona, den die Tifliser Karte und Dubois bis zur Schlucht von Gagrah setzen. Schon lange gelüstete es den Russen nach diesen gesegneten Gefilden, und so war auch nach der polnischen Revolution Ardler der erste Punkt, der gleich den Festungen Anapa und Gelentschik im Norden die Küste des Südens beherrschen sollte. Im Jahr 1836 zog der damalige Oberbefehlshaber Baron Rosen selbst aus. Unter Leitung des Generals Walchosssky landete man auf der Küste der Bucht und nach tapferer Gegenwehr der Massen behaupteten die Russen das Terrain. Auf beiden Seiten war der Verlust bedeutend; auf abassischer Seite blieb der reiche und angesehene Veislam Vey und auf russischer Seite mußte Bcstuscheff, einer der größten Dichter Rußlands, seine Kühnheit mit dem Leben bezahlen. Die Festung erhielt den Namen Konstantinoffsk oder zum heiligen Geist und hat eine Garnison von 800 bis 1000 Mann. Seitdem beherrschen die Russen die Umgegend, aber nur so weit als die Kanonen reichen, und im höhern Thale leben nach wie vor die Massen. Noch versucht man durch Milde die Bewohner zu ge- 327 winnen, und gewiß wäre es gelungen Friedensunterhandlungen anzuknüpfen, wenn nicht Bell den Tscherkessen englische Hülfe zugesagt hätte. So liegt die Zeit vielleicht noch fern und der Haß, der immer mehr sich einwurzelt, verbietet alle nähern Verbindungen. Die Russen müssen gleich den Franzosen in Algier ausziehen und alljährlich die Ernten verwüsten, bis die Noth die Abassen zwingt Frieden zu schließen. Huugersnoth wird ihnen um so fühlbarer seyn, als sie diese noch nie kannten, und wahrend nicht selten diese in dem übrigen Tscherkessien wüthete, hatten die Abassen des Gaues reichlichen Ueberstuß. Ein unbedeutender Berg liegt zwischen dem Ausfluß des Ardo und dem des Gesch, und das Thal, das dieser bildet, ist nicht minder schön und fruchtbar als das des Ardo. Rustam Peh heißt der Fürst, dem der größte Theil des Thales gehört. Wegen der Nahe bei dem des Ardo begreift man unter dem Namen der Ar, dochuadschen auch die Dörfer und Bewohner des Thales der Gesch. Wenden wir uns nun ganz nach dem Süden Tscherkessiens, so bleiben uns nur noch zwei unbedeutende Thaler übrig, welche der Verbrüderung Zandrüsch gehören. In dem nördlichen fließt die Schanda und in dem südlichen die Schemi. Ein bedeutendes Gebirge, was eine unmittelbare Fortsetzung des Oschten ist, scheidet das Thal der Schemi von der Schlucht von Gagrah, der nördlichsten Stelle Abchasiens. Wenn die genannten Thäler auch nicht an Breite und Fruchtbarkeit den beiden andern gleichen, so erlauben sie doch den Bewohnern ihr Getreide daselbst zu bauen. Neun Verbrüderungen sind es, welche den Gau bewohnen, und von ihnen nehmen die Chamüsch, Eschchorepschi, Gedscha, Adschiki und Zandrüsch die niedern, die Ubychen, Asuchwa-Mar-schanitza, Medoweih (oder Megmei, auch Atschipsi genannt) und Aschchoadsah die höhern Gegenden ein. Die beiden mächtigsten Verbrüderungen sind die Ubychen, welche den Rücken des Gebirges einnehmen und die Gegenden um den Nagoi-Koich auch diesseits desselben bis zu den Quellen der Schagwascha bewohnen, und Zandrüsch im Süden. Nächst diesen sind es noch die Medawei (Midawk oder Madaweh bei Klaproth), welche schon seit den ältesten Zeiten die Höhen um den Oschten einnahmen. Es scheint, als wenn zum großen Theil die Namen dieser Verbrüderungen gewechselt hätten, denn Klaproth führt als zu seiner Zeit daselbst wohnend folgende Namen auf: Ubuch, Schaschi, Ibsip, Kubi- chen, Aratchowaß, Bah und Nalkupi-Madschawi, und zu ihnen müssen wohl noch die früher genannten Tubi gerechnet werden. *) V. Der Tataren-Kreis. Er liegt im Norden der großen Kabardah und kleinen Abas-sah und erstreckt sich südlich von der steinernen Brücke im Thale des Kuban, von dem Gebirgsarm Oschchemacho und den Tuttm-bergen bis an den Hauptzug des Gebirges vom Elbrus bis an den Guran. Im Westen sind die Thaler des obern Kuban die letzten Besitzungen und nach Osten hin scheidet der östliche Ausläufer des Guran, der Nagaschpi von den Ossen. Das Land ist im hohen Grade gebirgig und erlaubt den Bewohnern nur mit vieler Mühe dem steinigen Boden einigen Ertrag abzugewinnen. Gerste ist fast das einzige Getreide, was in den bedeutenden Hohen, wo zeitiger Winter eintritt, noch fortkommt. Aber auch die Viehzucht kann nicht so gedeihen, wie in den schönen Alpen der großen Kabardah. Eine Armuth herrscht deßhalb in den Thalern, wie man sie nur noch in den höhern Gegenden der kleinen und in der ganzen großen Abassah findet. Die Bewohner dieser engen und unfruchtbaren Thaler sind grdßreutheils Tataren oder stammen vielmehr von den frühern Bewohnern der nordlichen fruchtbaren Ebenen der Kabardah und Ciskaukasiens. Wahrscheinlich sind es demnach Komanen, Nachkommen der alten Türken und Verwandte der Tscherkessen. Sie erzählen es von sich selbst und behaupten, daß ihre Vorfahren Städte besessen hätten und einst mächtig gewesen waren. Madschar und wahrscheinlich auch Dschulat mag von ihnen erbaut und bewohnt gewesen seyn. In der letzten Zeit vor ihrer Auswanderung wohnten sie an der Malta und deßhalb erhielten sie zum Theil den Namen Malkaren oder Balkaren. Wann ihre Auswanderung vor sich ging, laßt sich durchaus nicht bestimmen, *) Klaprorh Reise Bd. i. S. 475 und 463. Er läßt die Tubi mit den Ubychen zusammenleben. Ihre Wohnungen erstreckten sich damals bis an das Meer, s. retook! Vu^gs, Vol. I. p^. j22. Es scheint, als wenn beide Verbrüderungen früher einen großen Stamm am Meere gebildet hatten und von den Schapsuchen in die Gebirge zurückgedrängt wären, llbpchen befanden sich auch gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts noch bei Anapa. 329 da uns alle Nachrichten über die zersprengten Trümmer eines einst mächtigen Volkes fehlen. Anf jeden Fall wurde sie durch die Tyrannei der Mongolen hervorgerufen und wahrscheinlich zu derselben Zeit, als ein anderer Theil ihrer Brüder sich im Westen an beide Ufer des Kuban zurückzog und der dortigen Gegend und dem Flusse seinen Namen ertheilte. Zur Zeit Dschingis-Chans geschah es wohl nicht, sondern gewiß später, vielleicht als Ma-mai's Scepter im Süden der russischen Steppen eisern drückte oder Timur seinen Raubzug durch dieselben Gegenden unternahm. Zuerst wohnten sie übrigens, wie erzählt wird, in der großen Ka-bardah, als aber die Kabarder der Fünfberge von den Tataren der Krim gedrängt sich hierher flüchteten, wurden die jetzigen Bewohner des Gaues in die höchsten Thaler des Vaksan, Tschegem, Naltschik uud Tscherek zurückgedrängt und wahrscheinlich zuerst den Ossen unterworfen. Die meisten ihrer Fürsten scheinen nämlich ossischen Ursprunges zu seyn. Spater als die Macht der ka-bardischen Fürsten sich durch den ganzen Kaukasus ausbreitete, wurden auch sie diesen zinspftichtig. Die Gestalt und Physiognomie dieser Tataren sagt uns übrigens deutlich, daß sie nur eine sehr geringe, ja zum Theil gar keine Vermischung mit Mongolen zu erdulden hatten. Die Tataren des ostlichen Kaukasus und der nördlichen Ebenen unterscheiden sich demnach hinlänglich von diesen, denen das acht Türkische beigeblieben ist. Da sie schon zeitig den Ossen und nachher den Tscherkessen unterworfen waren, so wurde auch dadurch, daß die Herren ihre Töchter ihren Unterthanen nicht verhcirathe-ten, eine Veränderung der National - Gestalt unmöglich. Sie unterscheiden sich von den Tscherkessen nur durch einen kürzern und gedrängtem Bau, durch eine braunere Farbe und durch kleinere Augen. Das Gesicht ist runder und der ganze Kopf größer, indem er noch dazu auf einem kürzeren Halse sitzt. Eine Ausnahme machen aber davon die am Kuban lebenden Karatschai, die, trotzdem sie dieselbe Sprache und fast denselben türkisch-tatarischen Dialekt sprechen, sich wesentlich von jenen unterscheiden. Diese Karatschai stehen auch den ihnen nahewohnenden Ossen, Swanen und Tscherkessen fern und ähneln in allem den südlicher wohnenden Abassen und noch mehr den Lesgiern. Ihre Gestalt ist schlank und ihre Physiognomie trägt das Gepräge eines süd- 330 kicheren Charakters. Ein dunkler Teint, schwarze Haare und feurige, blitzende Augen unterscheidet sie hinlänglich von ihren mehr östlich wohnenden Brüdern. *) Verfolgen wir den tatarischen Kreis von Osten nach Westen, so erhalten wir folgende Gane: 17. Der Gau Balkar oder Malkar ist unstreitig der rauheste und wildeste in ganz Tscherkessien und erstreckt sich vom Guran und seinem östlichen Ausläufer bis dahin, wo der Katün-tau des Hauptgebirges durch den Duwalakaja mit dem Busch-turtau des Tutungebirges in Verbindung steht. Trotzdem der Flächeninhalt an Größe dem aller übrigen Gaue fast gleichkommt, so ist es doch nur das Thal des Tscherek, welcher zwischen den An-züntbergen und Vuschturtau austritt, das bewohnt ist, und selbst in diesem ist nur ein kleiner Theil bewohnbar. Die Thäler der übrigen im Gau entspringenden Flüsse, besonders des Psugamsu, erlauben keinem Menschen sich in ihnen niederzulassen. 18. Der Gau Vißinga (Bisinge oder Visnige bei Güldenstadt, Vsüngi bei Schubert) nimmt ebenfalls nur ein Thal ein nnd zwar das, was durch einen Nebenfluß des Tscherek, den sogenannten reißenden Tscherek (Tscherek chacho) gebildet wird. Er liegt westlich von jenem Gau nnd erstreckt sich bis zu dem Asche-mantau und dem Kischine-Sürt, welche das Hauptgebirge hier mit den Tutunbergen verbinden. Seine Bewohner sind nur zmn Theil Tataren, während die andern meistens Swanen sind und seit langer Zeit sich im Norden des Gaues, besonders in dem Dorfe Chulam, niedergelassen haben. Dieß ist auch die Ursache, warum mehrere, wie z. B. Güldenstädt, einen Gau Chulam annehmen. Wahrscheinlich verstehtReineggs unter seinem Stamme Schakman die Bewohner dieses Theiles, da er diesen zwischen den Bissingi und Tschegem wohnen laßt. Klaproth und andere betrachten den Gau des reißenden Tscherek gar nicht als einen besondern und vereinigen ihn mit dem Gau Balkar. Mit diesem zusammen hat er ungefähr 5—6000 Seelen. *) Die Beschreibungen, wie ich sie eben gegeben habe, beruhen nicht auf Autopsie, sondern nach den Aussagen vieler Kaukasier und Russen, denen diese Tataren bekannt waren, habe ich das Ganze so zusammengestellt. Möchte mir noch die Freude werden, zum zweitenmal den Kaukasus besuchen zu können und das Mangelhafte nachzuholen. 33t 19. Der Gau Tschegem, nach dem Flusse, in dessen Thale dieser Stamm lebt, so genannt. Der Tschegem entspringt wie der Tscherek aus den höchsten Höhen des Hauptgcbirges selbst, und sein Thal wird nach Westen zu durch den Dscharschi, Schaltrak und Weltlamüsch, welche das Hauptgcbirge mit den Tutunbergen verbinden, von dem Thale des Baksan geschieden. Die schon bei der Beschreibung des vorigen Gaues beschriebenen Berge trennen das Thal des Tschegem von dem des Tscherek. Die Bewohner des Gaues sind ächte Tataren und leben wie die Balkaren in kleinen Dörfern zerstreut. Ihre Dörfer führen noch jetzt ziemlich dieselben Namen, wie sie uns Klaproth vor beinahe dreißig Jahren aufgeschrieben hat, es sind aber oft nur zu zwei und drei zusammenstehende Hauser; die Anzahl der Bewohner, welche Klaproth auf 400 Familien schätzt, hat sich seit der Zeit bis auf 2000 vermehrt. Suboss verfallt in seinem Gemälde der kaukasischen Lande*) in denselben Fehler, in den schon lange vor ihm Güldenstadt und Pallas verfallen waren, indem sie meinen, daß die Grusier die Bewohner dieses Gaues Dschiki nannten. Unter diesem Namen verstehen aber diese, wie schon Klaproth richtig bemerkt, die Tscherkessen. 20. Der Gau Urustpieh (Oruspie bei Remeggs, Urusby bei Klaproth) liegt im Westen des vorigen zwischen dem Oschcha-wacho und dem schon bei der Beschreibung des vorigen Gaues genannten Berges. Er umfaßt wiederum nur ein Thal, und zwar das obere des Baksan, und wird ungefähr von 400 Familien bewohnt. Klaproth nennt den Gau Baksan und meint, daß der eigentliche Stamm der Urusby mehr nordwestlich und zwar auf dem Gebirgsrücken des Tschalpak wohne, und nicht selbständig sey, sondern zu dem Stamme der Kararschai gehöre.**) Suboff führt ihn weder auf, noch nennt ihn. Allein wahrscheinlich wurde er durch das große Dorf Urusipieh, das am Ausgange des Vaksan aus dem Kreise liegt, so getauscht, daß er dieses als einen besondern Gau betrachtete. Die Einwohner sind nicht sämmtlich Tataren, sondern viele Ossen, den Sitten ihrer mehr östlichen Brüder treu geblieben, wohnen unter ihnen. *) 8udoss ciilvtiua. 3ter Theil, Seite 134. **) Klaproth Reise, Band I. Seite 512 und 530. 332 Nach Klaproth nennen die Tscherkessen die Bewohner der beiden letzten Gaue Tscherigä, ein Name, welcher große Aehnlich-keit mit dem des Abassengeschlechtes, Schegrai oder Schegirci, wie es Schubert nennt, besitzt. Die Grusier hingegen nennen die Bewohner aller vier Gane Bassianen, ein Name, der von einer ihrer angesehensten Familien entlehnt seyn soll. Möglich ist es aber auch, daß der Fluß Baksan, der den Grusiern am meisten bekannt war, die Ursache zu dieser Benennung gegeben haben mag. 2l- Der Stamm Karatschai (Karschaga Kusch'ha tscherk., Karatscherkeß tatar., Kara-Dschiki grns., Karatschioli imereth. und mingr.) begreift nur die hohen Thaler des Kulan und Ulükan, die beide sich noch oberhalb der steinernen Brücke zum Kuban vereinigen, und wird demnach von dem Elbrus und zweien von diesem nordwärts gehenden Armen eingeschlossen- Klaproth *) gibt seine Gränzen viel zu weit an, und rechnet, wie wir oben gesehen haben, sogar noch einen Theil des vorigen Gaues dazu. Das Dörfchen, das einige Karatschaier im Westen an der Ti-berdah angelegt hatten, ist verlassen, und alle Bewohner desselben haben sich wiederum in ihren ursprünglichen Besitzungen niedergelassen. Trotzdem die Karatschai sämmtlich den eigenthümlichen ratarischen Dialekt reden, den auch die übrigen Stämme dieses Kreises sprechen, so stimmen sie doch, wie ich schon oben erwähnt habe, so wenig in Physiognomie und Gestalt mit jenen überein, daß dieses 10,000 Seelen starke Völkchen wohl andern Ursprungs seyn muß. Es ist ein großer Fehler, in den fast alle Geschichtsforscher gefallen sind, daß sie glauben, die Sprache allein sey hinlänglich, den Ursprung eines Volkes zu bestimmen. Wie unsicher diese hierbei aber ist, beweist gerade der Orient, wo die Völker bald als Sieger, bald als Besiegte ihre Muttersprache aufgaben und doch dasselbe Volk blieben. Die Constitution des Körpers und die Physiognomie, die sich allein Jahrtausende erhalten, wenn das Volk nicht aufHort dasselbe zu seyn, leitet weit richtiger, und nur nebenbei müssen Sitten, Gebräuche und Sprache berücksichtigt werden, wenn die Forschungen belohnend seyn sollen. Diese meine Behauptung, daß nämlich die Karatschai nicht tatarischen Ursprungs sind, wird noch dadurch bestätigt, daß im *) Mproth Reise, Band I. Seite 5W. 333 Norden des Gaues, gegen die steinerne Brücke hin, noch eine große Menge Ruinen sich vorfinden, welche nach der Aussage aller, die sie besehen und unbesehen wenigstens beschrieben haben, nicht tatarischen oder mongolischen, sondern, wenn auch nicht geradezu europäischen, doch christlichen Ursprungs sind. Es ist Schade, daß die wissenschaftliche Erpedition, welche von der Petersburger Akademie aus im Jahre 1829 zur Untersuchung des Elbrus ausgeführt wurde, so wenig Aufmerksamkeit diesen Ruinen gewidmet hat, und so muß der Aufschluß über dieselben wiederum bis dahin verschoben werden, wo ein Reisender sie von neuem besichtigt. Diese Ruinen haben einen bedeutenden Umfang, und bestehen vorzüglich aus Kirchen und Grabmalern. Nach der Aussage der Karatschai selbst sollen hier einst Frengi, d. i. Europäer, gewohnt haben, und mehr als einmal hat man Waffen hier gefunden, auf denen europäische, besonders genuesische Zeichen standen. Die Genueser hatten, wie bekannt, Handclsnieder-lagen an dem Ufer des ganzen, besonders östlichen und nördlichen schwarzen Meeres, und leicht konnte bei den spatern mongolischen Unruhen eine Anzahl Europaer sich in das Innere des Landes zurückziehen, da ihnen vielleicht alle Möglichkeit, auf dem M?er zu entfliehen, entzogen war. Möglich ist es auch, daß sie freiwillig an den fruchtbaren Ufern des Kuban und der Malka sich niederließen. Sieur Ferrand, Leibarzt des Chans der Krim, Selim Gerai, zu Anfange des l6ten Jahrhunderts, erzahlt ebenfalls, daß die Kabarder ihm Kirchen zeigten, die von Genuesern herrühren sollten.*) Diese letzte Meinung wird um so wahrscheinlicher, als bei den Kabardern eine Sage, die fast von allen Neisebeschrcibem des Kaulasus erwähnt wird, gcht, daß sie ihr Land durch die Abtretung einer schönen Frau an Europäer erhalten hatten. Es wird nämlich erzählt, daß ein Fürst von Frcngi einen Fürsten dcr Kabarder besucht, und daselbst eine sehr schone Frau bemerkt habe. Plötzlich sey er von Liebe gegen sie ergriffen worden, und habe sie um jeden Preis verlangt. Der Kabarder setzte als Preis, das; die Frengi ihnen das Land abtreten und deßhalb auswaudern sollten. Der Fürst der Frengi erhielt die schone Frau, und verließ nun mit seinen Unterthanen sein früheres *) Stöctlein Glaubeusbott, ix. Vand, Seite 94. 334 Besitzthum. Wohin sie gewandert seyen, verschweigt uns die Sage. Man hat nun geglaubt, daß ein betriebsames Völkchen im östlichen Kaukasus, die Kubetschi, wegen ihrer Geschicklichkeit im Verfertigen der Waffen und wegen ihrer abweichenden Sitten europaischen Ursprunges seyen, und sie deßhalb mit dieser Erzählung in Zusammenhang gebracht. Mehrmals habe ich selbst im Kaukasus aus dem Munde der Kaukasier vernommen, daß die Kubetschi diese Frengi seyen. Dieses betriebsame Völkchen jedoch, von dem uns Potocki*) so viel erzählt, enstirtaber schon seit undenklichen Zeiten im Kaukasus, und aus dem schon einigemal erwähnten Derbend-Nameh") ersehen wir, daß zur Zeit des persischen Schahs Nuschirwan im Lande der Kaitaken ein Land von Schmieden (Serkeran), das den Namen Kubitschi hatte, vorhanden war. Daß diese Menge Ruinen von katholischen Mönchen, die besonders unter Innoceuz IV nach der Tatarei und dem Kaukasus gesandt wurden, herrührten, ist durchaus unglaubhaft, da man nicht weiß, aus welchen Mitteln diese Leute solche prachtvolle Kirchen erbaut haben sollten. Daß sie bei ihren Bekehrungen großen Erfolg gehabt hatten, ist noch weniger wahrscheinlich. Eben so wenig haben die russischen, von Johann dem Schrecklichen ausgesandten Missionare weder hier noch in der Kabardah bedeutende Kirchen gebaut. Ganz zurückzuweisen ist die Meinung anderer, welche glauben, daß die Kirchen, zumal auch eine in dem Gau Tschegem sich vorfindet, von mährischen und böhmischen Brüdern aufgebaut seyen, und daß der Name Tschegem und Zichen mit Zechen, dem Namen der Böhmen, zusammenhinge. VI. Der Nogaier - Kreis. Er befindet sich im Norden Tschcrkessiens und seine Bewohner nehmen die fruchtbaren Ebenen zwischen dem Kuban und der Laba ein. Aus dem erstem Flusse ziehen sie sich noch südlicher herab, und eine Linie, welche von der nordwestlichen Umbiegung des Urup bis zu dem Punkte wo die kleine Abassah und Ciskaukasien zusammeustoßen, gezogen wird, bildet die südliche Gränze gegen den Gau der geflohenen *) Potocbi Voyage. Tom. I. pag. 106. *•) Extrait du Derbent-Nameh in 2fouv. Journ. asiat. To"1»lH< pag. 447« 335 Kabarder, und die kleine Abassah und eine Linie nordwestlich von derselben Umbiegung quer über die Veste Wosnesensk bis an die Laba scheiden die Nogaier von dem Gau der Beslenen. Der ganze Kreis ist sehr fruchtbar, wird aber trotzdem von den lieber nomadisirenden Nogaiern nicht oder nur wenig zum Ackerbau benutzt, sondern Viehzucht, der sie schon seit Jahrhunderten oblagen, ist jetzt noch ihre Hauptbeschäftigung. Da ihnen aber nicht mehr erlaubt ist, außerhalb ihres Gaues herumzuziehen, so sind sie doch gezwungen, nach und nach an eine mehr feste Wohnung sich zu gewöhnen. Außer der Laba und dem Kuban bewässern noch einige Nebenflüsse den Kreis und von ihnen fallt der kleine und große Indschik, so wie der Urup hier in den Kuban; der Tschamlük, der den Kalartschakli von Osten her aufnimmt, hingegen in die Laba. Die Nogaier dieses Kreises, von denen ich schon weiter oben gesprochen, und deßhalb hier nur wenig beizufügen habe, haben sich schon länger als ein Jahrzehnt den Russen unterworfen, und sie sind, wie ihre Brüder, in Ciskaukasien bereits gute Unterthanen des Kaisers. Besser wäre es, sie ganz bei den Nogaiern Ciskaukasiens aufzuführen, und es würde auch geschehen seyn, wenn die Russen sie in den Vereich daselbst aufgenommen hätten. Zwei Vesten, die eine Iarkason am grosien Indschik, und die andere Georgia am Urup, befinden sich im Kreise, und bewachen die Schritte der Nogaier. Der Kreis wird von zwei Geschlechtern, von denen ich ebenfalls schon gesprochen habe, bewohnt. g. Das Geschlecht Mansur lebt in dem mehr südlicheren Theil und nimmt das Land zwischen Urup und Kuban ein. Die Zahl seiner Glieder belauft sich auf 6000. K. Das Geschlecht Naurus bewohnt die mehr nördlichen Gegenden zwischen der Laba und dem Kuban, und besteht aus 10,000 Seelen. Nachdem nun die Emtheilung Tscherkessiens und seiner Bewohner in Kreise, Stamme und Geschlechter so genau als es eben nur nach eigenen und fremden Hülfsmitteln geschehen konnte, gegeben worden ist, wird es gut seyn, noch einmal durch eine Uebersicht über das Land und seine Bewohner dieses in seinem ganzen Umfang und in seiner Wichtigkeit darzustellen. 336 I. Der kabardl'sche Kreis. 1. Die kleine Kabardah mit 8,000 Einwohnern. 2. Die große Kabardah mit 20,000 ___ zusammen: 28,000 Einwohner. II. Der Kuban-Labakreis. 3. Der Gau der entflohenen Kabarder mit 15,000 Einwohnern. 4. Der Gau Beslen mit 25,000 „ 5. Der Gau Mochosch mit 8,000 „ 6. Der Gau Abadsecha mit 200,000 „ 7. Der Gau Iegorokoi mit 5,000 „ 8. Der Gau Kemur mit 10,000 „ 9. Der Gau Ademi mit 1,500 „ 10. Der Gau Hatt« mit 3,000 „ 11. Der Gau Psedug mit __________20,000 „ zusammen: 287,500 Einwohner. M. Der Meerkreis. 12. Der Gau Nato mit 50,000 Einwohnern. 16. Der Gau Schapsucho mit ________210,000 zusammen: 260,000 Einwohner. Diese drei acht tscherkessischen Kreise: 575,500 Einwohner. IV. Der abassische Kreis. 14. Die transmontane Abassah mit 16,000 Einwohnern. 15. Die große Abassah mit 32,000 „ 16. Die kleine Abassah mit _____38,000 „ zusammen: 86,000 Einwohner. V. Der tatarische Kreis. 17. Der Gau Valkar j 18. Der Gau Bissinga j '"lt 6,000 Einwohnern. 19. Der Gau Tschegem mit 2,000 20. Der Gau Urustpich mit 1,200 „ 21. Der Gau Karatschai mit ______10,000 zusammen: 19,200 Einwohner. VI. Der nogaische Kreis mit 16,000 Einwohnern. Diese drei unächt tscherkessischen Kreise: 121,200 Einwohner, mit den drei ächt tscherkessischen: 575,500 zusammen: 696,700 Einwohner. 337 Sechzehntes Gapitel. Von den Pewohnern Tscherkessiens. Veiichiedcne Vewohncr; Korperconstitution der Tscherkessen; Schönheit derselben; Constitution der Notier; der Abassen; Name: T scherkeß; Adiche; Verfassung; Geschichte derselben; Classen; Herrscher oder ^scheh; Edelleute oder Work; Gemeine oder Tscho-chotl; Sklaven oder ^»schilt; Volksversammlung im Westen; Streitigkeiten; Verbrü: dtlung; Richter; Geschworne; Volksversammlung iin Osten; Ein. und Ueberfälle; Vorbereitungen dazu; Art des 6iampssiihrens: die Todten: Strafe der Feigheit; des Mordes; Mutprcis; Wutrache; Verstümmelung; Ehebruch; Diebstahl: Vcsiy des Vodens; zufälliger Schaden; (Gastfreundschaft; Konak; Ehrfurcht vor dem Alter; Familien; Wohnungen; Dörfer; Rechte des Familienhanptts; Verhältniß des Mannes zur Frau; Schamhaftigkeit junger Eheleute; Gebnrt; Erzieher oder Atalik; Streit um die Ehre. ein solcher zn seyn; Kostspieligkeit des Erziehcramtcs; Kleidung der Männer; Waffen; Kleidung des weiblichen Geschlechtes: Beschreibung des Festes der Zurückgabe eines Zöglings; Geschenke der Fremde»; Musik und Gesang; ein Kriegsgejang; ein Lobgesang: Tanz; ernste Spiele; Pferderennen; Geschenke deö Wirthes; Gastmahl; Speisen und Getränke; Erziehung der Mädchen; das Corset; Freiheiten des weiblichen Geschlechtes; Dissepti; Brautstand und freie Wahl bei demselben; Kallm oder Vrautpreis; Verlobung; Verkeurathung; Scheidungen; Entführungen; Beschäftigungen; Jagd; Thiere Tschev-lessieuö; Gesinge!; ^and.- und Seeräubereieu; Ackerbau; Getreidearten; Säen und Ernten; Nrod; Gemüse,- und Gartenbau; Viehzucht; Pferde; Rindvieh; Nieneuzucht; häusliche Geschäfte; männliche Arbeiten; Handel; Sklavinnen; Einsuhr; Krankheiten; Behandlung derselben; Todesfälle; Gebräuche dabei; Vegrä'bniß; Opfer; Todtcnfcste; Religion; Geschichte derselbe» in Tscherkessicn; allgemeine Gebräuche; Verehrung deö Krenzes; Druidismus; Fest der Maria; Fest der Kinder,-Einweihung; Osterfest; Sonntag; der Donnergott Tschibleh; der Feuergott Tleps; Serseres der Gott der Winde und des Wassers; Mcsitcha der Gott der Wälder und Mcnen; mohammedanische Feste. So verschieden auch die vier Hauptudlker Tscherkessicns sind, und noch mehr ursprünglich waren, so sehr haben sie sich dnrch die Länge der Zeit, in der sie neben und miteinander leben mußten, in Sitten und Gebräuchen, ja selbst in der Sprache und Korperform genähert, so daß es jetzt schwierig ist, selbst die entfernteren Tscherkessen und Nogaier von einander zu trennen. Im Allgemeinen sind Tscherkessen und Abassen als die ursprünglichen Bewohner dieser Gegenden ähnlicher unter einander, und eben so sind die Nogaier den Tataren nördlich vom Elbrus bis zum Gu-ran verwandter als den beiden vorhin genannten Völkern, zumal sie spätere Einwanderer sind. Aber außerdem haben die ursprünglichen Bewohner des nordwestlichen Kaukasus, wenn sie sich auch die stürmischen Jahrhunderte der Völkerwanderung und der Mongolenherrschaft hindurch ihre Nationalität bewahrt hatten, doch vielfach mit Völkern andern Stammes, besonders mit Finnen und Mongolen vermischt; ja vor dieser Zeit, wo die iudo-germanischen Assen (Ossen) ihre Herrschaft über den ganzen Kaukasus und Reisen und Länderbeschreibungen. XXIII <)2 (Reise nach K»ukasien.) 338 dessen nördliche Abdachungen ausgebreitet hatten, mag viel indogermanisches Vlut in die Tscherkessen und noch mehr in die Massen übergegangen seyn. Auf jeden Fall ist, wie ich später noch weitläufiger zeigen werde, aus der letzten Vermischung der schone Menschenschlag der Tscherkessen, dem seit dem Anfang unserer Zeitrechnung jedes andere Volk Gerechtigkeit widerfahren ließ, als solcher erst entstanden. Alle die spatern fremden Elemente, die in sie übergingen, vermochten nicht das Ursprüngliche, was durch die stets gleiche Lebensweise befördert wurde, zu vernichten oder nur wesentlich zu verändern, und so sehen wir bei allen tscherkessischen Stammen den ihnen eigenthümlichen Nationalcharakter durchschimmern, der im Westen (am Meere) selbst nicht durch das fast hartnäckige Mongolenblut der dort einmal hausenden Kabiren, eines Huunenstammcs, und im Osten durch finnische Beimischungen, besonders des Chazarenstammes der Kabaren vernichtet, sondern nur wenig beeinträchtigt werden konnte. Ehe wir nun weiter zur speciellen Beschreibung der Bewohner Tscherkessiens übergehen, wird es wohl nothwendig, erst das Charakteristische in ihrer Kdrperform, was eben diese seit jeher auszeichnet, naher zu beschreiben, und so schwierig es auch sonst bei Völkern aufzufassen ist, so tritt es doch bei den Tscherkessen, eben weil es ihnen so eigenthümlich ist, und die umwohnenden Völker ihnen ferner stehen, leichter hervor. Ein majestätischer stolzer Wuchs mit breiter Brust, starken Schultern, knapper Taille, kräftigen aber durchaus nicht dicken Armen und Beinen, und kleine Füße zeichnet die Männer aus; eine schlanke große Figur mit mittelmäßiger Brust und hohen aber breiten Hüften, abgerundete schöne Arme und Beine, schone Hände mir langen Fingern und ebenfalls kleine Füße kommen allen Tscherkesst'nnen zu. Der Kopf ist bei beiden Geschlechtern rundlich und der Hin-terkopf steht zu dem Gesicht in dem besten Verhältniß. Ein meist langer Hals verbindet ihn mit dem Rumpfe. Die Stirn ist weder breit noch klein, und die Backenknochen treten gar nicht über die Fläche des Gesichts hervor; die Augen sind mittelmäßig groß, meist braun oder blau, und werden durch die über ihnen liegenden starken Brauen, von meist dunkelbrauner Farbe, sehr hervorgehoben. Aus dem Blick der Manner spricht die ihnen in-wohnende Freiheit und Kraft, und der der Frauen zeichnet sich durch 339 schalkhafte Milde und Feuer zugleich ans. Das Haar ist dunkelbraun und von beträchtlicher Starke, daher man Madchen und Frauen immer mit langen Zöpfen, Männer mit schönen Barten sieht. Dic Hautfarbe des weiblichen Geschlechts besitzt eine milde Weiße, die durch ein wenig durchschimmerndes Karmin zum Theil unterbrochen wird; die des männlichen Geschlechts zieht sich mehr oder weniger ins Gelbliche. Bei keinem Volke wird aber auch der Schönheit so sehr gefröhnt als bei den Tscherkejsen, und keine Mutter unseres Europa's kann mit sorgsamern Augen die Reize ihrer Töchter pflegen, als dieses in Tschcrkessien der Fall ist. Da Jahrhunderte lang dieselbe naturgemäße Kleidung die schönen Glieder umschloß und keine unsinnige Mode das Gefühl für natürliche Schönheit unterdrückte, so haben sich dieselben Formen bis auf unsere Zeit erhalten. Dieselben Tscherkessierinnen, welche im 10ten Jahrhundert Massudi*) und im 13tcn Ibn al Vardi, im 16ten Intermno, und im !8tcn den Dominicaner Jean de Luca so entzückten, daß sie zum Lobe der Gottheit, die solche Wesen erschaffen, ein Lied anstimmten, dieselben Tscherkessierinneu, welche in allen türkischen Harems glänzen, und allen Europäern, denen das Glück zu Theil wurde sie zu sehen, selbst wenn sie sich bei uns als Feinde des weiblichen Geschlechts bewiesen, das Lob über ihre Schönheit abzwangen und einen starkern Herzschlag in ihrer Vrust verursachten — dieselben Tscherkessicriunen bewohnen noch dieselben Gegenden des nordwestlichen Kaukasus nnd erfreuen durch ihr Daseyn jedermann, in dem das Gefühl für natürliche Schönheit noch nicht erstickt ist. Ein enges ledernes Leibchen umschnürt die zarte Brust des Madchens von ihrer Mannbarkeit an bis zu ihrer Verheurathung, und erhöht die schöne Form des obern Theils des Körpers. Knappe Schuhe, genau dem Fuße angepaßt, hemmen nicht die natürliche Entwicklung desselben, befördern aber seine naturgemäße Ausbildung. Gleichmäßige Beschäftigungen im Freien und im Hause, besonders an dem «och an das Alterthum erinnernden Web- *) Nach Massudi gibt es kein Volk weiter auf der ganzen Erde, bei welchem die Männer regelmäßigere Züge, einen glänzenderen Teint und einen schlankern Wuchs hätten. Die Frauen, sagt er ferner, sollen von überraschender Schönheit und sehr wollüstig sepn. 340 stuhl, gymnastische Spiele, an denen die Madchen mit den Knaben Theil nehmen, und zu denen ich das Reiten rechne, die täglich stattfindenden Waschungen und das Baden, aber nicht wie bei den übrigen Orientalen in warmem Wasser, sondern in den klaren reinen Bergflüssen selbst, oder in Wasser was aus diesen in die Badezimmer geleitet wnd, tragen ebenfalls dazu bei, die Schönheit zu pflegen und ihr eine längere Dauer zu gebeu. Die Tscherkesscn wissen, daß sie schön sind, und während alle umwohnenden Völker gern deren Frauen unter sich aufnehmen, halten diese streng bei ihren Verheurathungen auf ächt tscherkessisches Blut. Es gehört unttr die seltenern Fälle, daß ein Tscherkesse ein fremdes Madchen heimgeführt hat. Die Schönheit selbst hat in ihnen den Sinn dafür erhöht und ihr Geschmack in allem, womit sie sich kleiden und was sie thun, gibt diesen zu erkennen. Ihre Bewegungen sind edel, ihr Gang stolz, ihr Entgegenkommen freundlich. Was man bei uns den Knaben und Mädchen mit vieler Mühe beibringen muß, wird den Kindern tscherkessischen Stammes angeboren, und während bei den Nogaiern und Kalmüken diese plump und unbeholfen auf der Erde sich bewegen, zeichnen sie sich bei den Tscherkessen schon von ihrer ersten Jugend an durch Raschheit und einen guten Anstand aus und erhalten sich diese bis in das späteste Alter. So sind im allgemeinen alle Bewohner Tscherkessiens, aber je nachdem sich fremdes Blut mit ihnen vermischt hat, wurde ihr Körper Abänderungen unterworfen, die aber das Charakteristische nie vernichten konnten. Am meisten findet man das acht Tscher-kessische noch bei den Kabardern und Beslenen ausgeprägt, und deren Frauen werden durch den ganzen Kaukasus wegen ihrer Schönheit gerühmt. Selbst zwar zum Theil finnischen Stammes, hat sich das Fremde durch stete Verheurathungen unter sich und mit den Töchtern der ihnen am meisten ähnlichen Digoren-Osse" allmählich wieder ausgeschieden und das wenige Tatarenblut, das während ihres Aufenthaltes in der Krim die Kabarder in sich aufnahmen, vermochte das Eigenthümliche nicht zu verändern. Vorherrschender wird aber die tatarische Physiognomie und Constitution bei den Kuban - Tscherkessen, und wenn auch die letztere bei den Schapsuchen und Natochuadschen dieselbe geblieben ist, so hat sich doch durch die innige Vermischung mit den Kabiren- 34l Hunnen, wenigstens den Männern, etwas denen Eigenthümliches aufgedrückt. Wahrend die östlicheren Tscherkesscn sich durch ihre schönen Augen und die weiße Hautfarbe auszeichnen, fangen die erstem an, hier mehr oder weniger geschlitzt zu erscheinen, und die letztere hat einen gelblichen Anstrich. Die zwischen der Laba und dem Kuban wohnenden Nogaier unterscheiden sich wesentlich von ihren Brüdern in Ciskaukasien und Taurien, und wahrend diese die kleine untersetzte Statur beibehalten haben, werden hier die Figuren schlanker, die Haut erscheint hingegen weißer. Das mehr oder weniger aufgedunsene Gesicht hat sich zum grosien Theil verloren, und der dummgute Blick, besonders der taurischen Nogaier, ist dem offenen festen Blick des Tscherkessen gewichen. Merkwürdig ist es aber, daß die Augen zwar großer, aber geschlitzter als bei den No-gaiern Tauricus sind. Es ist aber auch wahrscheinlich, dasi die letztern auch weniger mongolisches Blut in sich haben, das finnische hingegen bei ihnen noch aus den Zeiten der Chasaren vorherrscht. Ueber die Tataren habe ich schon früher (Seite 328) gesprochen. Was endlich die Abasscn anbelangt, so herrscht hier neben der tscherkessischen Korperform die ossische vor, und die letztere findet man besonders bei den Abassen des hohen Gebirges. Die Bewohner der kleinen Abassah sind die, welche sich merkwürdiger Weise am meisten von der ursprünglichen Form entfernt haben, und es scheint als wenn sie mit den Nogaiern genauern Umgang gepflogen hätten, denn wie diese sind sie klein und untersetzt, ihre Manieren unbeholfen und ihre Gesichtszüge wenig deutlich. Möglich ist es auch, daß die harte Herrschaft der Tscherkessen, die sie zu den schwersten Sklavenarbeiten benützten, allmählich hiervon Ursache wurde. Die an der Kuma und dem Podkumok unterscheiden sich nur wenig von den Nogaiern, wahrend die am obern Kuban sich wieder mehr den Tscherkessen nähern. Die südlichen Abassen am schwarzen Meere und die Abchasen, welche doch mit jenen gleichen Stammes sind, haben sich mit Grusiern viel vermischt, und der braune Teint, die dunkeln blitzenden Augen, die große Nase, das schwarze Haar:c. werden bei ihnen vorherrschend. Bevor ich die innere und äußere Einrichtung der Tscherkessen weiter verfolge, wirb es wohl nothwendig seyn, einige Worte über den Namen Tscherkeß zu sagen, und alle Benennungen, welche 342 dafür früher gebräuchlich waren und jetzt noch sind, der Reihe nach aufzuführen, zumal die Meinungen hierüber getheilt sind. Der älteste Name ist ohne Zweifel Tscherkeß, ein Wort, was wohl eben so alt ist, als das Volk, welches ihn führt. Zu Herodots Zeit enstirte schon am westlichen Anfang des taun'schen Cherso-nesus eine Stadt Karkinitis, und wahrscheinlich ist es, daß die Kerkeren der Alten die Tscherkessen der Neuern sind, und daß Kerktte die ursprüngliche Benennung ist. Edrisi und die meisten orientalischen Schriftsteller verändern den Namen in Terkesch und hieraus ist wohl die tatarische Benennung Tscherkeß, die nun die Russen und zum Theil auch die Deutschen angenommen haben, entstanden. Die weichen Sprachen der byzantinischen Türken und Italiener, welche letztere in der zweiten Hälfte des Mittelalters viele Colonien an Tscherkessiens Küste besaßen, bildeten Ciarkassi daraus. Dieses Wort gab nun Anlaß, daß Franzosen, Engländer und die meisten übrigen Europäer die Bewohner des nordwestlichen Kaukasus Cirkafsier nannten. Die im Mittelalter zu den Großchanen reisenden Mönche, wl? Plan Karpin, Rubruquis u.a., nennen die Tscherkessen Kergis, ein Name, der ebenfalls mit Kcrket zusammenhangt, und dnrchaus der Aehnlichkeit des Wortes halber nicht mit Kirgise gleichbedeutend gehalten werden darf. Man hat verschieden gesucht, den Namen Tscherkeß zu erklären, und Klaproth war der erste, der die Fabel vom Kopfabschneiden erfand, indem er*) behauptet, daß die umwohnenden Völker die Tscherkessen wegen ihres Räuberlcbens so benannt hatten. Tscher heißt im Tatarischen Weg, Kesmek hingegen abschneiden, demnach bedeutet Tscherkesidschi so viel als Iol k essi d sch i, nämlich Wegabschneider, d. i. Rauber. Alle spätern Reistbeschreiber bis auf Bell haben die Aussage Klap-roths für wahr angenommen und in ihren Werken dasselbe wiederum aufgeführt. Nur Suboff^) sagt uns, daß die Nogaier sie zwar ebenfalls des räuberischen Lebens wegen Tscherkessen genannt hätten, gibt uns aber eine andere Erklärung des Wortes. Nach ihm heißt im Nogaischen Tsch erk abschneiden und Keß der Kopf-Demnach bedeute Tscherkeß so viel als Kopfabschneider. *) Klaproth Reise, Theil i. Seite 558. **) Subolk Nartwa Theil III. Seite 15. 343 In der neuesten Zeit hat auch Neumann *) versucht, elne Erklärung des Wortes zu geben. Dsich oder Zichu bedeute im Tschcrkessischen Mensch, Dsichursche hingegen sey der Plural und bedeute Menschen. Aus Dsichursche sey nun das moderne Zar-kase oder Tscherkesse entstanden und die dort wohnenden Völker hätten sich deßhalb so genannt, weil sie die Ureinwohner gewesen waren. Abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit, daß die Tscher-kessen sich sollten Menschen genannt haben, liegt der Sprung von Dsichursche bis zu Tscherkcß etwas zu weit, und um den letzten Namen aus den ersten zu bilden, mußte man fast jeden Buchstaben verandern. Nun heißt auch nur im kabardischcu Dialekt Dsougch (Dsych oder Tsuch bei Klaproth, D'tsuch bei Sjdgren) der Mensch, wahrend er im Westen Tsifu (nach Bell, Tli nach Marigny) genannt wird. Auch nennen sich die Tscherkessen nicht selbst so, sondern stets Adichen, em Name, der eher aus dem Tscherkessischen abzuleiten wäre. Adiche hangt auf jcdcn Fall mit dem Wort 5vx« ^"), worunter die Griechen ein Volk, das an den Küsten des schwarzen Meeres, also in dem heutigen Tscherkcssien wohnte, verstanden, zusammen. Bei den alteren Schriftstellern kommt zur Bezeichnung der Bewohner der nord-östlichen Küsten des schwarzen Meeres neben andern Namen nur der Name Kerkete vor und wahrscheinlich mag dieser Name vor der Besitznahme'des Landes durch die Sa-ken allgemein gewesen seyn. Als diese aber das herrschende Volk wurden, entstand wohl durch Itacismus der Name Zichen oder Zechen aus Saken, und die Tscherkessen, sowohl der ursprüngliche als auch eingewanderte Theil, nannten sich lieber Saken, Sachen oder Eichen, als Tscherkessen. Der Name Kerkete blieb aber neben Sichen und Strabo führt beide Namen neben einander auf. Gegen das Ende des ersten Jahrtausends unserer christlichen Zettrechnung verschwindet aber der Name Kerkete ganz und neben einem Lande Zichim führt Constantin Porphyrogeneta noch ein zweites, was mehr ostwärts im Gebirge lag, unter dem Namen Kasachia auf. Betrachtet man Zichia und Kasachia naher, so wird eS **) Zuyoi ober Zvyioi Slrnb. Dion. TcrieR; fax01 Arr> ^X°* Proc* Zigac I'lin, 5 ZigiL Prise. unO Avienus, *) Neumann Rußland, Seite 94. 344 wahrscheinlich, daß die Sylbe Ka nur vor Sachia gesetzt ist, um diese Gegend mehr von dem am Meer liegenden Sachia oder Zichia zu unterscheiden. Der Name Kasach wird von nun an für alle Tscherkessenstämme vorherrschend und Consiantins Zeitgenosse Mas-sudi nennt in seinem Werke, „goldene Wiesen und Edelsteinminen" benannt, in dem heutigen Tscherkessien nur ein Volk Keschek, aus dessen Beschreibung man die Tscherkessen erkennt. Nach ihm ist das Wort persisch und heißt stolz, anmaßend; im Arabischen (sagt er ferner) würde man Aksch sagen. Andere Orientalen nennen sie Kaschak. Vis auf die Zeit, wo die Kabarder wiederum in Tscherkessien einwandern, nannten sich die Tscherkessen selbst Kasachen oder Kasaken und die Russen sprechen in ihren alten Chroniken ebenfalls von Kasaken oder Kasagen. Wahrscheinlich sind auch, wie ich schon oben bei der Reise durch das don'sche Kosakenland gesagt habe, mit dem Verfall des Mongolenrciches die russischen und ordinskischen (d. h. mongolischen) Kasaken aus den Tscherkessen entstanden. Wir ersehen auch aus Karamsins Geschichte des russischen Reiches, daß alle im Süden Rußlands herumschwcifenden Volksstämme, besonders die Berenditschen und Torken (gewiß Türken) den Namen Tscherkessen führten. Tscher-keß scheint demnach neben Kasak die gewöhnliche Benennung gewesen zu seyn. Eichwald irrt deßhalb, wenn er in seiner schon citirten alten Geographie behauptet, daß der Name Tscherkeß (als ?^tt()i!«<50l) zuerst im I5teu Jahrhundert von dem Byzantiner Chalkondylas gebraucht worden sey, wohl aber ist er der erste Grieche, der für Xe^?/«l-?'^«ox«twl gebraucht. Als der Name Kasak und Tscherkeß aber für die herumziehenden und spater sich constituirenden Räuberbanden gebrauchlich wurde,, schämten sich wahrscheinlich die im Vaterlande gebliebenen Tschel-kessen des entehrenden Namens und nannten sich des alten Namens eingedenk Adichen, ein Name der ohne Zweifel mit dem Wort ^X«l der Griechen zusammenhangt. Möglich ist es auch, daß einer der vielen Stamme, der gerade der herrschende war, diesen Namen führte und ihn auf seine übrigen Stammgenossen übertrug. Ihre Nachbarn die Ossen nennen aber nach wie vor die Tscherkessen Kasaken, wahrend sie bei den Grusiern fortwährend Dschicheten, oder da die Endung „eten" rein grusisch ist, Dschich^ d. i. Zichen genannt werden. 345 Tie Erklärung des Namens Adichen ist nur von Russen und zwar von Bestuscheff und Suboff versucht worden, allein der erstere verwechselt Adiche mit Adaly, wenn er sagt, daß das erste Wort Inselbewohner bedeute. Mit dem Namen Adaly belegen nämlich die Tscherkessen selbst alle Tataren, welche nach der Besitznahme der (Halb-) Insel Taman durch die Russen über den Kuban flohen, denn Ada hcisit im Tscherkessischen Insel. Suboss gibt uns wie von Tscherkesi auch von dem Wort Adichc eine neue Erklärung, indem er behauptet, daß (in der tscherkessischen Sprache?) Hc!e eine Schlucht oder enges Thal, cl»o hingegen das Meer bedeutet. Demnach wären die Tscherkessen Bewohner von engen Thalern am Meere— eine Behauptung, der niemand widersprechen kann, wenn die Uebersetzung richtig und die oben angegebene Ableitung nicht vorzuziehen wäre. Nach Neumann fiele die Ableitung von Adichc mit der von Tscherkeß zusammen. Es bleiben nur noch zwei Namen für Tschcrkessien übrig, welche von Nachbarvölkern gebraucht werden, nämlich Gabartieh und Sakubanien. Des erstem bedienen sich die Tschetschen und er stammt noch aus der Zeit, als die Kabarder die mächtigsten Tscherkessen waren. Sakubanzen, d. h. jenseits des Kuban lebende, nannten aber die Russen alle daselbst wohnenden Völker, die besonders feindselig gegen Rußland auftraten. Jetzt beginnt auch bei den Russen dieser Name allmählich zu verschwinden. Dubois de Montpereur, Neumann und Andere, die über Tscherkessi'en und seine Bewohner geschrieben, haben die Meinung verbreitet, dasi daselbst eine aristokratische Feudalherrschaft die Grundlage der Verfassung sey, allein was wir unter Lehnwesen verstehen und was im Mittelalter bei fast allen europaischen Volkern die Grundlage der Verfassungen war, findet sich durchaus nicht in Tscherkessi'en, wenn es auch nicht zu läugnen ist, daß es einst in diesem Lande eine Zeit gab, wo etwas Analoges sich vorfand. Aber weit entfernt, daß die Verfassung der Tscherkessen dem vollkommen ausgebildeten Lehnswesen des Mittelalters gleich kommt, ähnelt sie vielmehr dem Zustande des alten Deutschland, ans welchem sich die Lehen herausgebildet haben. Mehr aber noch verdient die staatliche Einrichtung der Tscherkessen mit derjenigen, welche uns Homer bei seinen Völkern der Odyssee und der Iliade schildert und welche später bei den Spartern vorhanden war. 346 verglichen zu werden, und wer das Wenige, was ich über die Verfassung der Tscherkessen niederschreiben kann, mit dem vergleicht, was uns Platner ") über die der alten Griechen mittheilt, wird die Aehnlichkeit beider Regierungsformen nicht verkennen. Die Zeit und der Raum hier erlaubt mir nicht, die Parallelen bis in das Einzelne zu verfolgen. So weit die Geschichte der Tscherkessen hinaufreicht, ersehen wir, daß, wie diese Jahrtausende hindurch in Sitten und Gebräuchen dieselben gewesen, auch ihre Verfassung die ganze Zeit hindurch als fast dieselbe sich erhalten hat. In ihren Bergen und Schluchten lebten die Tscherkessen zurückgezogen und erhielten sich und ihre Sitten rein. Wie die Bergluft, die sie athmeten, sie selbst immer läuterte und der fernern Ausbildung ihres Körpers hülfreich war, so erhob die Einfachheit, in der sie lebten, und die Lauterkeit ihres Wandels sie über alle Volker der Nachbarschaft, besonders die der Ebene. Kühn setzten sie jedem Eroberer, der es wagte in ihren Thalern sie heimzusuchen, sich entgegen und bewahrten die Freiheit in den Bergen, von denen sie aber oft plündernd in die Ebenen einfielen. Aber auch über sich erkannten sie keinen Herrn und unter einander gleich hatten nur die das meiste Ansehen, die sich durch Weisheit, Muth und Reichthum auszeichneten. Nur zuweilen gelang es tapfern Führern sich als Herren aufzuwerfen, und zwei Männer, Stachemfai: zu Arrians und Rededja zu Mstislaffs Zeiten hat die Geschichte als Könige von Tscherkessien namentlich aufgeführt. Neumann hat deßhalb Unrecht, wenn er behauptet, daß nie Könige in Tscherkessien geherrscht hätten. Mit der Einwanderung der krim'schen Tscherkessen im Kaukasus und der Unterwerfung vieler kaukasischen Volker unter ihre Herrschaft tritt in der Verfassung allerdings eine Aenderung ein, indem die Fürsten jener krim'schen Tscherkessen, welche die unumschränkte Macht der mongolischen Herrscher kennen gelernt hatten, sich ebenfalls im Kaukasus eine unumschränkte Gewalt anmaßten und mit eiserner Hand die unterjochten Völker regierten. Mit der Vergrößerung der herrschenden Familien traten aber Uneinigkeiten *) Notiones juris et justitiae ex Homcri el Hesiodi carminibus eX' plicatae ab Eduardo Platnero. 347 unter denselben ein und schnell benutzte diese das Volk zu seinem Vortheile. Allmahlich stellte sich das alte Verhältniß wieder her, nur mit der Ausnahme, daß die Fürsten der Eingewanderten immer noch einen mächtigen Einfluß auf das Volk besaßen und fortwährend Erpressungen und Ungerechtigkeiten verübten. Die Oberherrschaft der Tatarchane war nur nominell, und wenn auch Peys-sonel in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts den Tribut aufführt, den die Tschcrkessen zu liefern hatten, so wissen wir doch, daß sie diesen nie freiwillig entrichteten. Oft mußten, wie uns auch de la Motraye ^) als Zeitgenosse erzählt, die krim'schen Tarareu mit blutigen Köpfen wiederum abziehen. Ebeu so nominell war die Herrschaft der Russen über die östlichen Tscherkcssen, besonders über die Kabarder, und sie diente nur dazu, um die Unterdrückungen der Fürsien zu unterstützen. Die Macht der Fürsten hatte sich besonders im Westen wiederum gehoben; das Volk aber ertrug nur mit Ingrimm das Joch ihrer Herren, die, je mehr jenes den schmählichen Fesseln sich zu entwinden suchte, die Strenge verdoppelten, womit sie ihre Herrschaft bewachten. Die Unterdrückungen müssen bedeutend gewesen seyn, denn plötzlich erhebt sich in den Gauen der Abadsechen, Schapsuchen und Natochuadschen das ganze Volk und verlangt drohend die Rechte, die ihm gehören. Es ist merkwürdig, daß dieses Auflehnen eines hart bedrängten Volkes gegen ihre zahllosen Herren kaum zwei Jahrzehnte vor der französischen Revolution sich ereignete, und wahrend in Tschcrkcssien nur wenig Blut auf dem Altare der Freiheit vergossen wurde, floß dieses in Europa oft in Strömen- Hiermit war dic Macht der Fürsten im Westen ganz gebrochen und im Osten bewahrten sie sich nur einen Schatten, der sie an ihre frühere Größe erinnerte. Wahrscheinlich ist cs aber, daß bie letztern unter der Oberherrschaft der Russen wieder mächtig Werden. Es ist demnach in der staatlichen Einrichtung von neuem ber Zustand eingetreten, der seit langer als zwei Jahrtausenden herrschend, nun nationell genannt werden kann und den zu beschreiben die folgenden Zeilen gewidmet sind. *) De la Motraye Voyages Tom, II. Pag. 54, 348 Das ganze Volk der Tscherkessen theilt sich in vier Classen: Herrscher, Aelteste, Volk und Sklaven, und das Verhältniß der einzelnen Classen zu einander hat sich bei den Tscherkessen auf ähnliche Weist wie bei den Griechen das der /W^kl^ tt(>l6rel9 (7^«^t3). 6^«or«5 und 6o,)),ol gebildet. Anfangs waren wie bei allen Völkern die Herrscher durch ihren Einfluß zur Macht gelangt und nur nach und nach wurde die Würde erst erblich. Jeder Stamm (Kabileh) hatte seinen eigenen Herrscher, aber nur selten gelang es einem derselben alle Stamme zu gemeinsamem Walten zu vereinigen. Mit der Einwanderung der krim'schen Tscherkessen, deren Häupter sich als Herren aller unterjochten Stamme betrachteten, trat das Verhältniß derselben zu ihren Unterthanen greller hervor, und stolz auf ihre Abkunft, die sie bis auf Mohammed zurückführten, verheuratheten sie sich nur unter sich. Dadurch wurde der Abstand zwischen Herren und Unterthanen mit jedem Lebensalter größer, und da die ersten krim'schen Herrscher geistig und körperlich den Tscherkessen überlegen waren und wohl verstanden durch Freigebigkeit sich die Gunst und Liebe ihrer Unterthanen zu erhalten, so wurden diese allmählich als etwas Höheres betrachtet und der Herrscher selbst fiel in ihrer Meinung, wenn er ein Mädchen aus niederem Stande heirathete. Trotzdem daß, als die Herrscher an Zahl zunahmen, die andern Classen aber ziemlich dieselben blieben und die erstem mit der Abnahme ihrer vielfach getheilten Macht durch Druck und Harte das zu erzwingen suchten was ihnen abging, erhielt sich doch bei dem gemeinen Tscherkeß eine angeborne Ehrfurcht gegen ihre Herren. Zur Zeit als der Genueser Interiano in der zweiten Hälfte des 15ten Jahrhunderts *) Tscherkessien besuchte, scheint die Macht der Herrscher in ihrer Blüthe gestanden zu haben, denn es war dem Volke nicht einmal erlaubt, sich Pferde 3« halten. Sobald das Füllen eines Gemeinen erwachsen war, nahm es der Herrscher weg und gab dem Eigenthümer mit den Worten: „das kommt dir zu, aber kein Pferd" einen Ochsen dafür. *) Nach Neumann (Rußland und die Tscherkessen Seite 31) ist Interiano nicht, wie Klaproth und Dubois wollen, im Jahre 1552 in Tscher^ tessien gewesen, da er schon 1494 gestorben ist. Im Jahre 1502 gab Aldus Manutius das Büchlein äoUa vna äe ^cki heraus. 349 Spater wo das Verhältniß der Herrscher zu ihren Unterthanen gelinder wurde, verschwanden allmählich alle Vorrechte und Gerber *) erzahlt schon, wie wenig zu seiner Zeit die Tscherkessen ihren Herrschern gehorcht hätten. Zu Rcincggs Zeit, also in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, war es jedoch noch keinem gemeinen Tscherkessen erlaubt einen Panzer zu tragen, und noch jetzt unterscheiden sich die Herrscher durch ihre rothen Schuhe, die sie allein tragen dürfen. Die Herrscher führen bei den Tscherkessen selbst den Namen Pscheh oder Pschih, bei den Massen Cheh, bei den tatarischen Stammen hingegen Bek oder Bey, und man erkennt allein schon an den Namen die Abstammung der Herrscher, die sonst bei den Meer- und Kuban-Laba-Tscherkessen nicht so leicht zu entziffern wäre. Die Russen nannten sie früher mit Recht Wla-delzü, d. h. Herrscher, während sie jetzt, da ihnen mit den russischen Fürsten gleiche Rechte eingeräumt worden sind, ebenfalls den Namen Knäsja, d. i. Fürsten führen. Noch immer aber verheurathen sich die Herrscher besonders nur unter einander und die Herrscher der benachbarten Völker stehen ihnen im Range nicht gleich. Ein tscherkessischer Pscheh würde es unter seiner Würde halten eine tschetschische oder abassische Prinzessin zur Frau zu nehmen. Im Westen Tscherkessicns ist allerdings dieses Vorurtheil nicht mehr vorhanden, aber im Osten besonders bei den Kabardern und Veslenen wird noch streng auf die Ab-kuuft gehalten. Die fortwährenden Kriege im Westen tragen viel dazu bei, das Ansehen der Herrscher zu untergraben, da allein persönliche Tapferkeit und Klugheit Einfluß auf die Umgebung ausüben können. Viele von den frühern Unterthanen, sogar aus dem gemeiuen Stande, haben sich in der neuesten Zeit so hervorgethan, daß sie nicht selten bei ihren Landsleuten mehr Ansehen besitzen, als Glieder der herrschenden Familien. Der Name Herrscher wird demnach auch unpassend und ist dem jetzt mehr gebrauchlichen des Fürsten nachzustellen. Ich werde deßhalb, um die jetzigen Pscheh zu bezeichnen, mich auch in der fernern Erzählung des Wortes Fürst bedienen. In der Kabardah, wo die (wenigstens die zurückgebliebenen) Herrscher seit langer Jett schon unter *) Sammlung russischer Geschichten 4. Vd. Seite 24. 330 der Oberherrschaft der Nüssen stehen und diese die Rechte der Fürsten in ihrer ganzen Integrität durch das ganze weite Reich aufrecht halten, haben sie sich in ihrer angebornen Würde mehr erhalten, und selbst die allgemeinen Volksversammlungen handeln nur selten gegen ihren Willen. Die zweite Classe bilden der Adel, oder wie ich oben gesagt habe, die Aeltestcn, und wie der Name 7^^ bei den Griechen und der Name Stadtaltester bei uns nicht immer einen Mann bedeutet, der an Jahren, sondern mehr einen, der an Verstand und Einsicht alt ist, so ist es auch bei den Tscherkessen. Es war natürlich, daß die Herrscher oder Fürsten, die eben den Staat mehr nach außen zu vertreten hatten, in der Regierung durch Männer, die sich durch Weisheit auszeichneten, unterstützt wurden. Die Söhne dieser Aeltesten erhielten schon durch ihren Vater mehr Ansehen und wurden oft wieder die Rathe der Fürsten, bis endlich auch diese Wurde erblich erscheint. Die Tscher-kcssen nennen ihren Adel Work, die Abassen Woischa und die tatarischen Völker Mu'rsen oder Us 0 enen. Die letzten Namen haben auch die Russen bei sich eingeführt. Suboff und andere nehmen dreifachen Adel an und Klaproth unterscheidet einen alten und neuen. Diese Verschiedenheiten der Classe bildeten sich dadurch, daß nach der Besitznahme des Landes durch die krim'schen Tscherkessen die frühern Herrscher in untergeordnete Verhältnisse traten, und wenn sie auch, wie es mit den abassischen Fürsten der Fall war, diesen Namen beibehielten, so blieben sie eben doch untergeordnet und waren jenen nicht ebenbürtig. Sie bildeten den sogenannten hohen Adel, der den abassischen Fürsten gleichstand. Beide konnten sich unter einander verheurathen, ohne einen Mißgriff zu thun. Die meisten kaukasischen Fürsten wurden überhaupt nur dem tscherkessischen hohen Adel gleichgestellt. Der frühere Adel behielt seine untergeordnete Stellung gegen seine frühern Fürsten bei und bildete nun den niedern Adel. Beide Abtheilungen verschmolzen aber mit der Zeit in einander, und nur selten hört man noch, daß ein Glied des hohen Adels ein Recht gegen eines aus dem niedern Adel geltend gemacht hätte. Im Gegentheil ist in der Regel der hohe Adel, als er mit seinem Ansehen auch die meisten seiner Besitzungen verlor, armer und besitzt deßhalb schon weniger Einfluß. Eigentliche Rechte hat er vor jenem nie im 351 voraus gehabt, wenn nicht hierin vielleicht etwas lag, daß Fürsten, die keine männlichen Nachkommen hatten und ihr Geschlecht nicht untergehen lassen wollten, ihre Töchter lieber einem Gliede ans einer früher herrschenden Familie zur Ehe gaben, um dann auf diesen die Rechte eines Fürsten überzutragen. Ein dritter Adel bildete sich endlich dadurch, daß Fürsten gemeine Tscherkessen, welche sich im Kriege ausgezeichnet hatten oder Erzieher ihrer Kinder waren, in den Adelstand erhoben. Klaproth nennt solche Edelleute Vegaulia. Wie der Fürstenstand besonders im Westen dmch Reichthum, Tapferkeit und Einsicht allein sich Ansehen erhalten hat, so gilt dieses anch von dem Adel, und je mehr jetzt viele gemeine Tscher-kessen durch ihren Reichthum in den Versammlungen Einfluß erhalten haben, um so mehr hat sich dieser bei dem Adel vermindert; dadurch, daß wiederum Aelteste in der ursprünglichen Bedeutung erwählt werden, sind alle Vorrechte zwischen den drei freien Ständen aufgehoben und der alte Zustand ist von neuem eingetreten. Gelbe Schuhe machen aber in der Regel immer noch den Edelmann kenntlich. Im Osten besitzt der Adelsstand noch ein größeres Ansehen, und nur hier hat er sich die Bedeutung, die ihn anfangs ausmachte, erhalten. In der Kabardah und in dem Gau der Beslenen bildet der Adel noch den Rath und die Begleitung der Fürsten, und wenn es Krieg gibt, wählen die letzteren sich die Tapfersten aus ihnen. Die Zeit aber, wo die Edelleute die Fürsten bei Tafel und sonst bedienten, findet sich nirgends in Tscherkessien mehr vor, und hat wahrscheinlich auch nie in der Art eristirt, wie sie uns geschildert worden ist. Den dritten Stand bildet das gemeine Volk und stellt die zahlreichste Classe dar. Sein Zustand hat sich erst in der neuesten Zeit zu seinen Gunsten herausgestellt, wie es jetzt der Fall ist, jedoch ist er nie so ungünstig gewesen, wie Klaproth *) ihn schildert. Trotz des Druckes, unter dem das Volk eine Zeit lang seufzte, stand es doch nie in der Abhängigkeit von Fürsten und Edelleuten, wie dort und wiederum bei Dubois **) gesagt wird. *) Klaproth Reise, 1. Vd. S. 5tt4. **) iwdoiz Vo)'i»sso lom. I. i». 10!). Dubois hat überhaupt diese verschiedenen Stände ganz verkannt und verwechselt sogar die Tschochotl mit den Sklaven. 352 Richtiger hatten die ältern Reisenden Reineggs und Güldenstadt, so wie auch schon früher Gerber den Zustand aufgefaßt. Die gemeinen Tscherkesscn, welche den Namen Tschochotl bei den Tscherkessen (Thfoktl und Thfokwatl nach Bell), Waguscheh bei den Abassen und Tokaff bei den Tartaren *), führen, waren nie Leibeigene, und wenn sie auch in frühern Zeiten den Fürsien und Edelleuten Dienste verrichten und Abgaben bezahlen mußten, so stand es ihnen doch immer frei, ihren Herrn zu verlassen und einen andern sich zu wählen. Auch die Edelleute verließen nicht selten ihre Fürsten und handelten für sich, ohne sich unterzuordnen. Jetzt findet man sogar in den Gauen der Abadsechen, Schapsuchen und Natochuadscheu gemeine Tscherkessen, die sich aller Abhängigkeit entzogen haben, und nicht selten geschieht es, daß Edelleute sich ihnen im Kriege wenigstens unterordnen. Nur in der Kabardah ist leider jetzt ein Zustand eingetreten, der wahrscheinlich zur Leibeigenschaft führen wird. Alle kaukasischen Fürsten und Edelleute erfuhren nämlich bei der nähern Bekanntschaft mic russischen Großen, daß die gemeinen Russen größttnthells Leibeigene wären, und schlau wie sie waren, maßten auch sie sich schnell den förmlichen Besitz nicht allein des Grund-eigemhums an, was zu ihrem Terrain gehorte, sondern behaupteten auch Eigenthumsrecht auf die daselbst wohnenden gemeinen Kaukasier zu haben. Als in Transkaukasien der Besitz der La«-dereien geregelt wurde, verstanden viele, besonders Grusier, die mit der damaligen Regierung in näherer Verbindung standen, hieraus große Vortheile zn ziehen, und ohne oft wirklich dem Fürstenstande anzugehdreu, verstanden sie die Würde sich anzueignen. Auf diese Weise wurden sie oft Herren von Unterthanen, denen sie zum Theil oft selbst früher untergeordnet waren. Die Leibeigenschaft, die vorher in den kaukasischen Landern nie existirt hat, ist leider nun eingeführt und Rußland glaubt dadurch, daß es die Fürsten auf Kosten des Volkes bereicherte, die Anhänglichkeit der letztern sich erworben zu haben, hat sich aber leider die Gunst des Volkes oft verscherzt. Die Rußlaud unterworfenen tscherkessischc", besonders kabardischen Fürsten behaupten nun ebenfalls ein Eigenthumsrecht auf ihre frühern Unterthanen zu besitzen, und so wird -) Pepssonel und Güldenstädt nennen sie auch Tschakar oder Tschagar. 353 wohl, da die russische Regierung sie in ihrem Rechte bestärkt, der Zustand eintreten, von dem Klaproth schon in dem ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts spricht. Doch das Recht über Leben und Tod ihrer Leibeigenen, von dem Klaproth spricht, haben selbst nicht russische Herren. In dem kabardischen und Kuban-Laba-Kreise mit Ausnahme des Gaues der Abadsechen haben allein noch die gemeinen Tscherkessen ihren Herren Abgaben zu zahlen, und gewöhnlich ist es, daß sie von dem Ertrage den zehnten Theil abgeben. Außerdem liefern sie noch in die Küche derselben verschiedene Nahrungsmittel. Wenn ein Fürst eine Reise macht, so ist jeder seiner Unterthanen verbunden, ihn nicht allein in seinem Hause aufzunehmen, sondern sogar mit seiner ganzen Begleitung so lange zu unterhalten, als er eben da bleibt. Auf keine Weise ist ihm aber erlaubt, in die Eigenthumsrechte semes Unterthanen einzugreifen und darf weder etwas, was er nicht geschenkt erhalten hat, als sein Eigenthum betrachten, noch irgend ein Vorrecht gegen das weibliche Personal in Anspruch nehmen. Die Sitte, daß von jeder Heerde, die einem Fürsten begegnet, ein Stück abgeliefert werden muß, ist dahm zu beschranken, daß der Eigenthümer derselben den Fürsten auffordert etwas zu verweilen, und ihm zu Ehren ein Stück Vieh schlachtet. Dieses thun aber nicht allein Unterthanen, sondern auch Fremde. Es ist demnach kein Diensizwang, sondern eine Vorschrift der Gastfreundschaft, dieser bei allen Kaukasiern so hochgefeierten Tugend. Den vierten Stand endlich bei den Tscherkessen bilden nun die Sklaven, Pschilt oder (nach Suboff) Pschetleh, Kadyera bei den Massen und Kuli bei den Tataren. Sie bestehen jetzt, wo die Raubzüge unter den einzelnen Stammen aufgehört haben, aus Nicht-Tscherkessen, besonders aus Russen und Tataren. Bei der Einfachheit, in welcher die Tscherkessen leben, bedürfen sie nur wenig Diener, die mir den Frauen die häuslichen Geschäfte besorgen und bisweilen die Männer in ihren Beschäftigungen unterstützen. Aus dieser Ursache war die Anzahl der Sklaven in Tscherkessien stets nur gering. Meistens bestanden sie aus Kriegsgefangenen, Ia-süren, oie entweder im offenen Kampfe oder bei Ueberfällen erbeutet wurden. Aber außerdem ist Jedermann, der Tscherkessien ohne einen Freund in demselben zu besitzen betritt, Sklave dessen, der Reisen i,»d LändcrbeschreibilWc». XXIII. ^Z (Reise Nüch Kaukasien.) 354 ihn zuerst findet. Auf diese Weise kommen viele russische Soldaten, besonders Polen in die Gefangenschaft der Tscherkessen. Da es den letztern jetzt nicht mehr möglich ist, ihre Gefangenen in die Türkei auszuführen, so sind sie eben gezwungen sie bei sich zu behalten. Früher war Anapa der Ort, wo einer der bedeutendsten Sklavenmarkte gehalten wurde. Die Sklaven sowohl als die ächten Kriegsgefangenen werden im allgemeinen gut behandelt, und wenn sie keine Versuche zu entfliehen machen oder sonst nicht durch Ungehorsam oder Wider-spänstigkeit die Gunst ihrer Herren verscherzen, werden sie als Glieder der Familie betrachtet. Nicht selten erhalten sie auch nach jahrelangem treuem Dienste ihre Freiheit. Der Herr hat übrigens vollkommenes Eigenthumsrecht über seinen Sklaven, und kann demnach mit ihm machen was er will. Niemand kaun ihn zur Rechenschaft ziehen, selbst wenn er ihn todten sollte. In der Regel können die Sklaven sich verheurathen und oft kaufen die Herren sogar noch eine Sklavin, um sie einem Sklaven zur Frau zu geben. Aber außer der Menschlichkeit treibt den Tscherkessen auch die Habsucht dazu, denn Kinder, welche aus einer solchen Ehe hervorgehen, sind wiederum Sklaven. Je mehr Kinder demnach von einer Sklavin geboren werden, um so reicher wird sein Hausstand. Das Verhältniß der einzelnen Stände habe ich im allgemeinen angegeben, und es geht aus diesem hervor, daß ein jeder von dem andern unabhängig war. Es gab nur einmal eine kurze Zeit, wo die Fürsten dem Volke Gesetze vorschrieben 'und wo ihr Wille selbst Gesetz war. Unmöglich aber konnten die freien Tscherkessen der Verge eine Herrschaft lange ertragen; bei der ersten Gelegenheit zerbrachen sie die Fesseln. Jeder stand wiederum dem andern gleich. Aber es mußte doch, zumal geschriebene Gesetze nicht enstiren, etwas vorhanden seyn, was das ihnen angeborne Gefühl für Recht unterstützte und in strittigen Punkten den Ausschlag gab. Dieses sind nun die Versammlungen, Tafes, die nach der Wichtigkeit des berathenden Gegenstandes größer oder kleiner sind. In der Regel erstrecken sie sich nur auf den Bereich eines Gaues, und erst in der neuesten Zeit ist es vorgekommen, daß mehrere Stamme sich vereinigt haben, um über das Wohl des Vaterlandes zu berathen. Alle Streitigkeiten stehe« 355 unter dem Ausspruche einer Volksversammlung; sie selbst ist heilig und unverletzlich, wie der Ausspruch den sie gethan. Die größte Strafe würde den treffen, der es wagte, während einer Versammlung eine Beleidigung irgend Jemand oder gar dieser selbst anzuthun, oder wer dem allgemeinen Beschlusse nicht unmittelbare Folge leisten wollte. Wenn demnach irgend elwas zur Entscheidung kommen soll, so versammeln sich je nach der Wichtigkeit der Sache die Glieder einer Familie, einer Verbrüderung, eines oder mehrerer Stämme in der Regel an einemOrte, der von den Tscherkessen aus irgend einer Ursache heilig gehalten wird. Gewöhnlich ist es unter einem großenBaum, wo die Tscherkessen wie die alten Deutschen und Griechen zusammen kommen, um gleichsam die geheiligte Ruhe der Druiden zu empfinden. Im westlichen Tscherkessien hat Jedermann das Recht, eine Versammlung zu berufen, aber meistens macht sie sich schon besonders bei Streitigkeiten zwischen Gliedern verschiedener Familien oder Verbrüderungen von selbst nothwendig und die Häupter derselben schicken dann herum, um mit der Angabe des Ortes und der Zeit förmlich einzuladen. Im Osten bestimmen in der Regel die Fürsten oder Edelleute die Versammlungen. Im Westen berathen sich die Glieder der einzelnen Familien und Verbrüderungen erst unter einander, damit in den Versammlungen keine Zeit unnöthig verloren geht und Jedermann demnach schon mit allem, was besprochen werden soll, bekannt ist. Die Versammlungen werden meist gegen Abend gehalten und dauern oft, besonders beim Mondenschein, bis spat in die Nacht hinein. Fürsten, Edelleute und Gemeine haben gleiche Stimmen. Jedermann, der das Recht hat einer Versammlung beizuwohnen, zieht seine schönsten Kleider an, und wascht sich noch einmal, bevor er den ihm bezeichneten Platz einnimmt. Die Aeltesten und unter ihnen die Geschwornen nehmen den mittelsten Raum, den eigentlichen Gerichtsplatz ein, und wählen aus sich die drei Ober-nchter oder Präsidenten, unter deren Leitung die Verhandlungen vor sich gehen. Niemanden ist es erlaubt, bis auf den Gerichtsplatz vorzudringen, und man darf nur in der Reihe seyn, die vorgeschrieben ist. Damit auch die entfernteren Glieder alles was vorgeht, nicht allein hören, sondern auch sehen können, setzen sich die Aeltesten auf den Boden nieder und die hintersten Reihen der jüngern Leute besteigen ihre Pferde, um von diesen aus Antheil 23* 33S zu nehmen. ES herrscht die größte Stille, die um so größer und schauerlicher wird, je wichtiger die Verhandlungen selbst sind. Ein Präsident halt in gemessenen Worten und oft in bilderreicher Sprache eine Rede, in der er auseinandersetzt, warum die Versammlung berufen ist, und fordert alle Anwesenden auf, nach Pflicht und Gewissen zu sprechen und dann ihre Stimme zu geben. Jedermann hat das Recht zu reden, wird aber von einem der Präsidenten unterbrochen, wenn die Rede zu lang oder nichtssagend ist. Zuerst geben die ältern Leute nach den Aeltesten ihre Meinung, und dann erst kommt es an die Jüngern. Wenn alles hinlänglich besprochen und abgehandelt ist, schließt einer der Präsidenten mit einer Schlußrede die Verhandlungen und man geht nun auf die Abstimmung über. Stimmenmehrheit allein gibt die Entscheidung, und Niemand wagt mehr gegen den Volkswillen seine Unzufriedenheit zu äußern. Streitigkeiten, die eben nur einzelne Familien oder Verbrüderungen betreffen, werden auch nur von diesen geschlichtet, aber dann ist eine Appellation gegen die Entscheidung möglich. Eine Versammlung von wenigstens zehn Verbrüderungen hat aber absolut entscheidende Stimme und kann nicht mehr umgeändert werden. In den einzelnen Familien herrscht ziemlich unumschränkt das Oberhaupt, und dieses ist, wenn die Familie groß, mehrere Väter in sich einschließt, das älteste Mitglied, aber oft wird auch ein jüngeres erwählt, wenn es sich durch Weisheit auszeichnet. In den Verbrüderungen (Brüderschaften), Tleusch, werden die Streitigkeiten zuerst vor die an Einsicht und Tapferkeit den übrigen vorragenden Mitglieder, die den Namen Aelteste oder Tamatas führen, gebracht. Diese Aeltesten sind der Zahl nach in den einzelnen Verbrüderungen verschieden, und werden nach Stimmenmehrheit gewählt. Aus ihnen geht der Präsident oder Oberrichter Had schi hervor. So lange dieser und die übrigen Aeltesten sich nicht des Zutrauens des Volkes unwürdig machen, behalten sie bis an den Tod ihr Amt, und nicht selten wird es dann auf den ältesten Sohn übergetragen. Der Hadschi versucht zuerst die Streitigkeiten beizulegen, und ruft zu seiner Unterstützung die übrigen Aeltesten herbei. Gelingt es ihm nicht, so müssen alle Glieder einer Verbrüderung zusammen kommen und die Entscheidung geben. In diesem Falle wählen die Aeltesten je nach der 357 Stärke der Verbrüderung sechs, acht oder zehn sogenannte Geschworne oder Tarkoch aß, die mit der Leitung des Ganzen beauftragt sind, und unter sich wiederum den Präsidenten ernennen. Vereinigen sich mehrere Verbrüderungen zu einer großen Versammlung, so werden aus den Geschwornen drei Präsidenten genommen. Ehe ich aber zu den Versammlungen der östlichen Tscherkessen übergehe, wird es wohl nothwendig, etwas Näheres über diese Tleusche oder Verbrüderungen, die allenthalben auf dem Kaukasus vorkommen, wo keine Fürsten vorbanden sind oder diese >mr durch ihren Reichthum ein unbedeutendes Gewicht über das übrige Volk besitzen, zu sagen. Im hohen Grade ausgebildet sind sie bei den Osscn des mittel- und südossischen Gebirges. Im Osten Tscherkessiens, z. V. bei den Karbardern, sind sie unbckannnt, da sie daselbst durch die Fürsten vertreten werden. Diese Verbräderungen scheinen schon seit den ältesten Zeiten eristirt zu haben, da sie besonders bei den Spartern unter dem Namen Phratrien oder Phrätrcu vorhanden sind, und ebenfalls von Homer*) schon erwähnt werden. Mit der Abnahme der Macht der Patriarchen und Fürsten machten sie sich von selbst nothwendig. Sie bildeten sich wahrscheinlich dadurch, daß die einzelnen und zwar in der Regel die nabe verwandten, vielleicht zu einem Geschlechte gehörigen Tscherkessen zu gemeinschaftlichem Schutze, durch den ein Mitglied für das andere stand, sich verbanden. Diese Verbrüderungen bestehen demnach entweder nur aus Fürsten, Edelleuten oder Gemeinen, oder sie sind mehr oder weniger gemischt. Meist führen sie den Namen des Hauptgeschlechtes, das die Verbrüderung bildet oder auch des Flusses, in dessen Thale sie lebt. Wenn Bell meint, daß er der erste wäre, der die Verbrüderungen der Tscherkessen als solche erkannt hatte, so irrt er sich, da schon vor ihm Suboss **) sie erwähnt und die Russen auf ihren kaukasischen Karten sich zur Bezeichnung der Brüderschaften des Wortes ok5ckt8c1,k!5two, d. i. Gesellschaft, bedienen. Suboff gebraucht zur größem Deutlichkeit die Worte: di^t^oje obsckt-»oliezt^o, d. i. brüderliche Gesellschafs; ') Iliade 2. Buch, 363. Vers. 5*) Suboss Kanins, I. Thl. S. 44. 358 Die Glieder einer solchen Verbrüderung haben eine Menge Verpflichtungen gegen einander zu erfüllen, und es herrscht im allgemeinen der Grundsatz: „Einer für Alle und Alle für Einen." Bei strittigen Fallen hat die ganze Verbrüderung das einzelne Glied zu vertreten und muß z. B. eine Strafe, die eine Volksversammlung verhängt, zahlen helfen. Sie muß ferner Frau und Kind, wenn der Mann, besonders im Kriege, gefallen ist und nichts hinterlassen hat, ernähren. Wenn einer zu arm ist, um den Brautpreis zu zahlen, steuert die ganze Verbrüderung bei; die Frau gehört aber, wenn der Mann gestorben ist, auch der Verbrüderung an und ein Mitglied derselben kann sie heurathen, ohne einen Brautpreis zu zahlen, muß aber die vorhandenen Kinder ernähren. Will die Frau in eine andere Verbrüderung heuratlien, so verbleiben ihre schon vorhandenen Kinder der Vere brüderung ihres verstorbenen Mannes. Die einzelnen Glieder einer Verbrüderung dürfen sich ferner nicht unter einander ver-heurathen, und es wird streng darauf gesehen, daß Niemand eine Frau unter seinem Stand nimmt. Wenn es auch den einzelnen Gliedern einer solchen Verbrüderung erlaubt ist, willkürlich herauszutreten und in eine andere überzugehen, so geschieht es doch nur selten, da es immer den Anschein hat, daß der Herausgetretene durch seine Unverträglichkeit oder durch andere Ursachen sich selbst zu diesem Schritte brachte. Die Starke der Verbrüderungen ist sehr verschieden. Weniger als zwanzig Mitglieder zählen sie aber nicht, selbst diese Zahl kommt nur äußerst selten vor, und zwar meist nur in dem Falle, daß Unglück, nämlich Krieg oder Pest, die größte Menge der Mitglieder hinwegraffte. Da aber die Verbrüderung eben in der Anzahl der Glieder ihre Macht und Stärke besitzt, so ldsen sich dann gemeiniglich die schwachen auf und verbinden sich mit einer starkern. Selten kommt es aber vor, daß große Brüderschaften bei eintretenden Mißhelligkeiten sich trennen und auf diese Weise zwei bilden. Wenden wir uns nun wiederum nach Osten oder überhaupt zu den Stämmen, die immer noch Fürsten mit einer gewissen Suprematie über das Volk besitzen, so erscheinen auch hier die Volksversammlungen anders, und wenn auch sie allein dem Gesetze Kraft zu geben vermögen, so können doch die Fürsien mehr 359 oder weniger auf sie einwirken. Diese Art Volksversammlungen ähneln denen der alten classischen Völker, bei denen ein wenn auch nur wenig bevorzugter Adel vorhanden ist. Jedermann hat zwar hier das Recht seine strittige Sache vor eine Versammlung zu bringen, aber wenn er nicht mächtige Häuptlinge (besonders sobald er mit einem Fürsten Streit hat) zu seinen Gönnern besitzt, so findet sich Niemand ein, oder die nur wenigen Eingefun-dencn können keinen Beschluß fassen. Ist aber einmal eine Versammlung ausgeschrieben, so vereinigen sich zuerst die Fürsten zur Berathung und bringen so die Sache zunächst vor die Edelleute, die meist durch gleiches Interesse an die der Fürsten gekettet und oft von ihnen abhängig, mit diesen in der Regel übereinstimmen. So schon berathen kommt die Sache endlich vor die Volksversammlung, der allein das Recht zusteht, die schon gefaßte Entscheidung der Lords (wenn ich mich dieses Wortes bedienen darf) zu sanctioniren oder zu verwerfen. Wie bei den Griechen haben wir daher zuerst die Versammlung des Adels s/3nv)^) und dann erst die des Volkes («7«^). Man wird leicht einsehen, baß auch hier die Fürsten einen machtigen Einfluß auf die Stimmenden ausüben können, wenn sie schlau genug sind. Selbst bei deu Volksversammlungen der westlichen Tscherkessen haben ja die Machtigern, wie allenthalben, so auch hier ein großes Gewicht, und hauptsachlich sind es die Tleusche, die nach ihrer relativen Starke einen bedeutenden Einfluß auf die Stimmenden und demnach auch auf die Entscheidung besitzen. Diese Tafts oder Volksversammlungen berathen entweder das allgemeine Wohl, oder geben bei Streitigkeiten und innern Angelegenheiten die Entscheidung, und sind, wenn wenigstens zehn Verbrüderungen gegenwartig sind, die höchste Instanz. Das Wohl des Vaterlands betrifft nur seine Stellung nach außen, und da jetzt Rußland der einzige Feind ist, so werden in den allgemeinen Versammlungen, die eben dieses zu berathen haben, nur die Verhältnisse gegen Rußland erwogen. Da ferner die einzelnen Verbrüdcnm.qen und selbst Stamme nicht mehr im Stande sind, allein zu widerstehen, so vereinigen sich Tscherkes-sen zur gemeinschaftlichen Handlung, und berathen vorher die Art und Weise der Ausführung. Alles übrige wird den einzel- 360 nen Familien und Verbrüderungen anheimgestellt, und diese handeln inmitten ihrer Marken, wie es ihnen beliebt. Bevor der Krieg die Bewohner Tscherkessiens zusammenführte, fanden nicht einmal Versammlungen in dieser Ausdehnung statt, und die eine Verbrüderung bekümmerte sich nicht um die andere. Jetzt hingegen , wo die Russen besonders längs der Küste des schwarzen Meeres Besten angelegt haben, von denen aus sie häufig Ueberfälle machen, ist es nothwendig geworden, gemeinschaftlich zu handeln. Aus dieser Ursacke versammeln sich nun in bestimmten Zeiten mehrere Stamme oder Verbrüderungen, und berathschlagen sich mit einander, was in dieser Noth zu thun sey? Da die Russen ihre Expeditionen geheim halten, so kommen sie den Tscherkessen immer unerwartet, und diese vermögen deßhalb nur geringen Widerstand entgegen zu setzen. Daher berathen denn diese Tafts auch mehr die Art und Weise, wie sie selbst einen Ueberfall auf eine Veste oder einen Einfall auf russisches Gebiet machen wollen. Sind sie mit allen übereingekommen, so wird der Bluteid geleistet, d. h. sie schworen bei und mit einander bis auf den letzten Tropfen Blutes auszuhalten. Der Eid wird entweder auf den Koran geleistet oder, wo die Tscherkessen sich nicht zur Lehre Mohammeds bekennen, dient irgend ein geheiligter Ort der Vorzeit, ein altes Kreuz oder die Ruinen einer Kirche zum Gegenstand, bei dem geschworen wird. Zur bestimmten Zeit finden sie sich alle an der bezeichneten Stelle und angethan mit den schönsten Kleidern und prächtigsten Waffen ein, um bei dem feierlichen Zuge, als welchen sie ihren Ein- oder Ueberfall betrachten, würdig zu erscheinen. Noch einmal versprechen sie nicht von einander zu weichen und wählen aus den Tapfersten ihre Führer, denen sie unbedingten Gehorsam leisten. Es werden die großen Kessel über die Feuer gesetzt, und ein gemeinschaftliches Mahl soll wo möglich die Glieder noch enger an einander ketten. Alles geht in der größten Ruhe vor sich, und würdig wird der Vorabend bedeutungsvoller Tage gefeiert. Man bleibt meist bis zum frühen Morgen beisammen, und bevor der Marsch angetreten wird, wascht man die treuen Begleiter der Menschen, die Pferde, noch mit warmem Wasser. So ruhig als möglich folgt alles dem Führer. Bei Ei»'» und Ueberfallen richtet man es nun stets so ein, daß man, wenn Dunkelheit eintritt, nur wenige Stunden von dem Orte der Be- 361 stimmung entfernt ist. Noch einmal überlaßt man sich ruhig dem Schlafe, und träumt vielleicht vou der Beute, die man den andern Tag finden wird. Bevor es dämmert, wird aufgebrochen, und rasch stiegt man anf den Pferden dem Ort der Bestimmung zu, damic die Nachricht die Säumigen in der Veste oder Stamtze nicht früher treffe. Mit wilder Hast stürzen die Tscherkessen auf die Wohnungen der Feinde, hauen alles, was ihnen entgegen kommt, nieder, und erst wenn ihnen kein Widerstand mehr geleistet wird, nehmen sie alles, Menschen und Vieh mit sich, und verschwinden eben so schnell als sie gekommen sind, in den Bergen. Doch nicht immer gelingen so die Plane, und oft treten ihnen die von der ganzen Sache in Kenntniß gesetzten Nüssen schlagfertig entgegen, ihre Feinde würdig empfangend. General Saß, vou dem zn sprechen mir noch mehrmals Gelegenheit werden wird, besitzt nämlich unter den Tscherkesscn selbst ihm Ergebene, und diese finden sich unbemerkt in den Versammlungen, welche die Russen mit dem Namen Sobranie belegen, ein. Durch sie erfährt nun Saß alle näheren Einzelnheiten, und trifft hiernach seine Vorkehrungen. Sobald die Tscherkessen bemerken, daß ihre Plane von den Russen erkannt und sie selbst entdeckt sind, suchen sie sich zurück zu ziehen, um auf einen andern Tag die Ausführung zu verschieben. Aber in der Regel ist ihnen dann der Weg abgeschnitten, und sie sind gezwungen, sich in einen jedenfalls ungleichen Kampf einzulassen. Nicht immer ist zwar die Zahl der Russen der der Tscherkessen überlegen, aber die Hülfsmittel und besonders dieKanonen, die den ersteren den wesentlichsten Nutzen bringen, und bei den letztern deßhalb tausend Mann (Schipsckeh Tsifucheh) *) heißen, geben in jedem Kampfe den Ausschlag. Durch Engländer und Türken erhielten in der neuesten Zeit auch die Tscherkessen Kanonen, und ebenso kam es bisweilen vor, daß sie die eine oder andere von den Russen erbeuteten, allein die Unkenntniß, mit diesen schwerfälligen Waffen umzugehen, war die Ursache, daß einzelne unter ihnen mit der Kanone, die dem Feinde keinen Schaden that, sich beschäftigen mußten und deßhalb dem Allge- *) Schipscheh Tlicheh bei den Narochuadschen, Schipscheh Tsugcheh oder Min Tsugcheh (Min ist türkisch) bei den Kabardern, Sil Agueh bei den Abassen. 362 meinen entzogen wurde». Daher haben in der neuesten Zeit die Tscherkessen aufgegeben, der Kanonen, auch wenn sie einige erobert haben sollten, als einer ihnen unnützen oder sogar schädlichen Waffe sich ferner zu bedienen. Die Art und Weise wie der Kampf geführt wird, ist zu interessant und eigenthümlich, um ihm nicht einige Augenblicke Aufmerksamkeit zu gönnen. In dem ersten Falle stehen meist nur Lim'enkosaken und Tschcrkessen einander gegenüber, und zwei gleich tapfere Völker beginnen den Kampf. Da, wie schon gesagt, die Linienkosaken die Kleidung der Tscherkessen angenommen haben, so scheidet eben nur die Stellung die Feinde von einander. Bis hierher haben bei den Tscherkessen die Anführer geleitet, mit dem Beginn des Kampfes hören aber ihre Befehle auf, Geltung zu besitzen, und jeder einzelne ist nur sich selbst verantwortlich. Er handelt, wie er es für das beste hält und hört nicht auf den Ruf seines Feldherrn, der als solcher gar nicht enstirt. Daß hierdurch die Tscherkessen im offenen Felde gegen die dem Befehle des Führers blindlings folgenden Russen im Nachtheile sind, versieht sich von selbst, wenn auch auf der andern Seite nicht zu verkennen ist, daß der einzelne dann, indem er beim Feinde eine schwache Seite bemerkt, nicht selten diesem dadurch mehr schader, wenn er ihn, ohne erst einen Befehl abzuwarten, daselbst schnell und unverhofft angreift. Sobald beide feindliche Abtheilungen auf Schußweite sich einander genähert haben, springt ein jeder vom Pferde, stellt meistens eine Gabel,*) auf der die Flinte aufgelegt wird, in die Erde und wartet ruhig bis der Gegner geschossen hat. Nun sendet auch er dem Feinde die Kugel entgegen. In den hohen Kräutern verbergen sich die Gegner, um ihre Gewehre von neuem zu laden, springen einen Schritt vorwärts und stehen so um zwei Schritte einander näher. Es wird wiederum gefeuert und von neuem versteckt sich alles in dem hohen Grase, bis die todbringende Kugel wieder bereit ist, in das Herz des Feindes zu dringen. Endlich stehen beide Parteien einander so nahe, daß jede Kugel treffen muß. Plötzlich zieht *) Häufig führen die Tscherkessen einen 5 —7 Fuß hohen Stock, der sich nach oben mit einer Gal'el endigt, bei sich, um in die letztere die Flinte zu legen, wenn sie sicher schießen wollen, 363 einer die scharf geschliffene Schaschke aus der Scheide und stürzt sich auf den nahen Feind. Es ist das Signal für Freund und Feind, ein Gleiches zu thun, und in einem Augenblick sieht man bei beiden Parteien die Schwerter blitzen. Der Linienkosak nimmt seine Mütze*) herab und steckt sie in den Gürtel, um sich seinem Freunde erkennen zu geben, denn dadurch wird es bei dem Handgemenge erst möglich, sich von einander zu unterscheiden. Es folgt ein Gemetzel, das nur dann endigt, wenn der eine Theil die Unmöglichkeit eines langer« Widerstandes einsieht. Mit Hast ergreift dieser die Leichname der todten Bruder und flieht mit ihnen, wo möglich zu Pferde, in die nahen Verge. So ist der Kampf, wenn nur Linienkosaken den Tscherkessen gegenüber stehen, aber anders wird er, wenn auch Linieumilitär Theil nimmt. Hier vereinigen sich auch die Tschcrkessen in einzelnen Massen, um denen der Feinde hinlänglichen Widerstand zu leisten. Entweder beschützen Kosaken die Pelotons der Linien-Soldaten oder diese bilden ein Quarrt und trotzen mit vorgehaltenen Bajonetten dem stürmischen Andränge der Tscherkessen. Mit Linienmilitär ist der Kampf ungleich, und dieses wohl wissend, suchen die Tscherkessen lieber Höhen zu gewinnen, von denen aus sie dem Feinde zu schaden versuchen. Früher setzten sie sich mit aller Macht und Hartnäckigkeit dem Vordringen russischer Heere entgegen, und stürzten blind auf die Feinde, von denen sie gewöhnlich mit Kartatschen empfangen wurden. Die bedeutenden Verluste, die sie dadurch erlitten, belehrten sie bald eines Bessern, und seitdem weichen sie auch schwächer» Abtheilungen von Linienmilitär aus, um sie lieber von günstigern Punkten anzugreifen. So ziehen die Russen jetzt häufig mitten durch Tscherkessien, ohne die Bewohner zum Stehen zu bringen. Wenn der Tscherkesse im offenen Felde Sieger bleibt, so mordet er so lange, als er noch Widerstand findet, und führt dann erst, was die Waffen gestreckt hat, in die Gefangenschaft; wenn er aber den Kosaken weichen muß, sucht er schnell auf seinem Pferde der Verfolgung sich zu entziehen, und kann er auch hiermit die ') Die Tscherkessen scheeren sich nämlich nach orientalischer Sitte den Kopf, und unterscheiden sich durch die Kahlheit desselben von den Kosaken. 364 Sicherheit nicht erlangen, so springt er herab, sein treues Roß mit dem Kindschal verstümmelnd und erklimmt wie eine Gemse die schroffen Felsen, wohin ihm der Feind nicht folgen kann. Gefangen gibt er sich nur selten und wehrt sich so lange als möglich. Sinkt er endlich schwer getroffen nieder, dann zerbricht er seine Schaschke und schleudert seine Flinte auf einen Stein, daß sie in Stücken zerbricht. So sucht er noch sterbend dem Feinde die Vortheile, welche sein Tod ihm bringen könnte, zu entreißen. Es ist eine schöne Sitte der Tscherkessen und auch der Kosaken, daß sie den Todten, der im Kampfe gefallen, nicht dem Feinde überlassen, und sich lieber großen Gefahren aussetzen, um den gefallenen Bruder, dessen Seele ja unmittelbar in das Paradies eingegangen ist, in geweihter Erde zu begraben. Der Feind achtet an dem Feinde diese Pietät und legt häufig dem Hinwegtragen der Todten nicht das geringste Hinderniß entgegen. Auch ohne Losegeld gibt er sie zurück. Als im Jahre 1838 General Rajesssky Tuabs eingenommen hatte und eine Menge Tscherkessen dabei geblieben waren, kam den folgenden Tag ein tscherkessischer Abgesandter zu ihm mit der Bitte die Todten ihm auszuliefern. Mit den Worten: „wir führen keinen Krieg mit den Todten," übergab der General dieselben zur Verfügung. „Möge Allah mir Gelegenheit geben, daß ich einst deinen Leichnam den Deinigen eben so überliefern kann," waren die Worte des Dankes, welche der rohe Tscherkesse aussprach. Der Tod im Kampf ist ja das schönste, wornach fast jeder Kaukasier strebt, und freudig opfert er sich demselben, wenn es das Schicksal gebeut. Auch darin gehen die Tscherkessen einem europaischen Volke voran, daß sie nie Gefangene niederhauen und stets bereit sind, sie gegen Lösegeld oder andere Gefangene freizugeben. Wehe dem, der als Feigling im Kampfe sich bewiesen, oder gar die Sache der Freiheit verrathen hat. Wie bei den Griechen, so ist auch bei den Tscherkessen schon der bloße Verlust einer Waffe eine Schande, und der Krieger soll, wenn es ihm auch nicht gelingt einer Beute sich zu bemächtigen, doch wenigstens dem Feinde nichts überlassen. Mit oder auf dem Schilde ist auch der Wahlspruch eines tscherkessischen Kriegers..Es versammelt sich das Volk, wenn Jemand der Feigheit sich schuldig gemacht, «nd die gewichtige Sache wird vorgetragen. Die Verbrüderung, 3" 365 der der Schuldige gehört, stößt ihn ans ihrem Bunde, und noch glücklich kann er sich preisen, wenn er nur als Sklave verkauft wird. Auf ewig ist er mit seiner Familie gebrandmarkt und muß selbst wünschen, ans dem Lande seiner Schande entführt zu werden. Auch die unschuldigen Kinder trifft das Loos der Schande und sie müssen die Scholle, anf der sie das Licht zuerst erblickten, verlassen, um nun fremden Menschen anzugehören. Wie schon oben gesagt, steht auch den Volksversammlungen zu, die innern Angelegenheiten zu ordnen, und sie sind demnach die eigentlichen Verwalter der Justiz. Alle Streitigkeiten zwischen einzelnen Tscherkessen schlichten sie und ein jeder muß sich ihrer Entscheidung unterwerfen. In der Zeir wo Scassi sieben Jahre im westlichen Tscherkessien zubrachte,*) hatten die Versammlungen noch nicht das Gewicht, und die einzelnen brauchten sich, in dem Fall daß sie es schon vorher erklart hatten, nicht dem Urtheil derscl-zu unterwerfen. Es lag dann den Brüderschaften, zu denen die beiden Bethelligten gehörten, selbst ob sich durch Gewalt oder Vergleich Recht zn schassen. Dadurch wurden jene oft Jahrhunderte dauernden Feindseligkeiten hervorgerufen, von denen die altern Reisenden sprechen. Jetzt, wo alle Verbrüderungen durch das Anrücken der Russen von gemeinschaftlicher Gefahr bedroht sind, hat man endlich eingesehen, wie nachtheilig solche Feindseligkeiten dem allgemeinen Wohle sind, und jede Streitigkeit muß sich, wenigstens im Westen, der Entscheidung einer Volksversammlung unterwerfen. Ebenso werden alle criminellen Untersuchungen von ihr geleitet, und ihr liegt es allein ob, bestimmte Strafen zu verhängen. Mord m,d Ehebruch sind die einzigen Verbrechen, deren Bestrafung noch bisweilen den Familien, in denen sie verübt worden sind, übergeben ist. Betrachten wir nun der Reihe nach die einzelnen Fälle, welche vor eine Volksversammlung gehören, und beginnen mit dem wichtigsten, dem Morde oder Todlschlage, so untersucht man hier ebcn so gewissenhaft, als man es bei uns nur thun kann. Die Bestrafung des Morders ist im westlichen Kaukasus der Versamm- *) Scassi, ein Genueser, gründete, wie wir später sehen werden, in Gelentschik und Pschad russische Handelsmederlagcn und ernannte zu seiner Hülfe zwei Commissionäre, Tausch uiid Mudroff. Bei ihm befand sich auch eine Zeit laug Taitbout de Martgn,,, von dem wir eine interessante Beschreibung ftincr dortigen Reise besitzen. 366 lung anheimgestellt, während im Osten die Familie dessen, der erschlagen ist, die Rache zu übernehmen hat. Die Geschwornen setzen sich um den Gerichtsplatz herum, und mit den nähern Umstanden bekannt, fordern sie, nachdem einer der Präsidenten den Vortrag gehalten hat, die ganze Versammlung auf, mitzutheilen, was bis jetzt noch nicht bekannt sey. Hat man sich nun verständigt, ob der Mord absichtlich oder zufällig geschehen sey, so richtet sich auch hiernach die Strafe. Im erstern Falle muß der Mörder 200 Ochsen oder an anderm Vieh oder Sklaven, so viel als diesen an Werth gleicht, zur Straft geben; da es aber einem einzelnen nur selten möglich ist, eine so bedeutende Summe zu zahlen, so ist zunächst die Familie und die Verbrüderung, zu der er gehört, verbunden, das Fehlende aus ihren Mitteln zu ersetzen. Die Verbrüderung hat schon vorher unter sich abgestimmt, ob sie den Verbrecher durch die Zahlung des Fehlenden wieder unter sich aufnehmen will oder nicht. Ist er im letztern Falle nicht allein im Stande, den Blutpreis, Thlil-Uassa (Kangleh bei den Tataren), zu zahlen, so wird er entweder der Familie des Gemordeten übergeben oder mit seinen Waffen ins Meer geworfen. Im erstern Falle steht es der Familie vollkommen frei, mit dem Verbrecher zu machen was sie will, und er wird entweder getödtet oder als Sklave verkauft. In einigen Gegenden des Westens vollzieht aber die Bestrafung des Verbrechers die Brüderschaft, zu der er gehört, und die bei dem Fall betheiligte Brüderschaft hat nur die Untersuchung einzuleiten. Lag der Mord nicht in der Absicht des Mörders, so braucht er nur die Hälfte des Blutpreises zu zahlen. Ebenso ist die Zahl der Ochsen, durch welche man sühnen muß, geringer, wenn der Gegenstand des Mörders eine Frau oder ein Mädchen war. Gewohnlich zahlt man hier, und auch in andern Fällen nur die Hälfte; in einigen Gegenden des Westens hingegen wird der Mord an einem Fürsten und Edelmann höher bestraft. 5) So ist bei den Abadsechen der Preis für einen Gemeinen nur eilf, für einen Edelmann hingegen dreißig Sklaven. War der Gemordete ein Sklave, so hat der Mörder dessen Werth zu erlegen. Der Fall ist aber nur äußerst selten, wo Jemand an einem Gliede des weiblichen Geschlechtes oder gar an einem Sklaven *) Bell Journal Vol. I. pag. 204- Vol. II. p. 375. 367 einen Mord ausübte. Wie die Verbrüderung, zu der der Mörder gehört, zur Zahlung des Blutpreises beisteuert, so hat auch die Verbrüderung des Gemordeten ein Recht, auf einen Theil des Blutpreises Anspruch zu machen. In der Regel fallen ihr zwei Drittel oder drei Viertel zu, während das übrige aber die Familie des Gemordeten verlangen kann. Meist treten hier und hei allen übrigen Fallen, die unter die Gerichtsbarkeit einer Versammlung gehören, nur die Verbrüderungen, aus denen eben Mitglieder betheiligt sind, zusammen, und der Rath der Aeltesten verhandelt sie. Aber Appellation an eine aus wenigstens zehn Verbrüderungen bestehende Versammlung ist möglich. Eine Versammlung wird aber stets als ungültig betrachtet, wenu nicht sämmtliche Aelteste der dabei betheiligten Verbrüderungen gegenwartig sind. Bell*) erzählt einen Fall, wo ein zum drittenmal ergriffener Dieb von einer unvollständigen Versammlung zum Tode verurtheilt und die Strafe alsbald vollzogen wurde. Die Verwandten des Hingerichtetcu betrachteten es, wenn auch nicht als Mord, doch als eine grobe Beleidigung, die zu neuen Feindseligkeiten und Erbitterungen führte. Mit der Ermordung ist der Mörder der Blutrache anheimgefallen, und dem nächsten Verwandten liegt es ob, sie an dem Mörder zu vollziehen, d. h. das Blut des Erschlagenen mit dem Blute des Todtschlagers zu sühnen. Aus dieser Ursache muß der Mörder sich so lange verborgen halten, bis der Blutpreis bezahlt ist. Mit der Annahme desselben hört jede Verfolgung auf. Aber nur ungern fügen sich die Tscherkesscn bei der Ermordung eines ihrer Glieder dem Aussprxch der Versammlung, und wollen oft auf keine Weise den Vlutpreis annehmen. Die Pietatsgefühle gegen einen Verwandten stehen höher, und wie Ajar es unnatürlich fand, daß man nach Bezahlung des Blutpreises mit dem Mörder, vielleicht seines eigenen Sohnes, in einer Stadt wohnen könne, **) so habe auch ich von Tscherkessen vernommen, daß Blut durch Blut gesühnt werden muß. Im Osten ist die Blutrache, die ja auch «och in vielen europäischen Landern trotz des milden Christcn- *) Leli journal Vol. I. p. 499. **) Iliade Ltes Buch, I65ster Vers. 368 thumes herrscht, *) noch in ihrer ganzen Reinheit, und Beispiele, so schrecklich wie sie uns Malcolm in seiner persischen Geschichte erzählr, finden sich auch hier vor. Noch nicht genug, daß der Mörder einem gewissen Tode in der kürzesten Zeit entgegengeht, ist nun der nächste Verwandte des erschlagenen Mörders verbunden, das Blut seines getödceten Verwandten wiederum mit Blut zu sühnen. Und fällt hier der Mörder, so ist dessen Mörder von neuem der Blutrache anheimgefallen. Nichts kann ihn von dem gewissen Untergange retten und wiederum verfallt sein Mörder der Blutrache. Es erfolgt auf diese Weise, wenn nicht die eine Familie das Land, in dem sie so glücklich gewesen, verläßt und weit in die Ferne zieht, ein gegenseitiges schaudervolles Morden. Und selbst bis dahin folgt oft der Dolch des Vollstreckers der Blutrache. Verachtung würde den treffen, der das Blut seines nächsten Verwandten ungesühnt ließe, und die unabwendbare Folge würde die Ausstoßung aus der Brüderschaft seyn. Nicht selten gehen dadurch Familien zu Grunde und Jahrhunderte lang wahrt dieselbe Feindschaft. Bell erzählt ein interessantes Beispiel, wo ein Wahnsinniger einen Knaben tödtete, und der Vorfall der Volksversammlung vorgelegt wurde. Die Versammlung verurtheilte die Verbrüderung des Wahnsinnigen zur vollen Strafe, weil sie ihr wahnsinniges Mitglied hatte bewachen sollen. Aber nicht allein der Mord wird so scharf geahndet, sondern auch jede Verstümmelung oder Verwundung irgend eines wichtigen Organes erhalt seine Sühne. Genau wird vie Nothwendigkeit des Organes, das eben verwundet wurde, untersucht und nach der Brauchbarkeit desselben bestimmt sich die Strafe. So wurde ein Tscherkesse, der im Streite dem andern den rechten Arm so zcr^ hauen hatte, daß er unbrauchbar wurde, mit fünfzig Ochsen bestraft, die dem Verstümmelten allein anheimfielen, da er nun weniger im Staude war, sich selbst zu cruähren. Ein Säbelhieb auf die Brust oder in das Gesicht verlangt als Sühne, je nach der Gefährlichkeit, sechs bis zehn Ochsen. Ein Finger von der linken Hand abgehauen, wurde mit zwei Ochsen bestraft. Wird eine Frau verwundet, so ist die Strafe stets geringer. *) So die Vendetta der Corsicaner, die in ihrer Furchtbarkeit ganz der kaukasischen Blutrache gleicht. 369 Nächst Feigheit und Mord ist Ehebruch eines der größten Verbrechen. Trotzdem er bei der größern Freiheit des weiblichen Geschlechtes in Tscherkessi'en leichter ist, so erscheinen die Falle doch nur selten. Dt'e Reinheit der Sitten und die große Ehrfurcht, welche man für das innere Familienleben besitzt, schützen am meisten gegen das Verbrechen. Der Ehebrecher sieht so lange als die Volksversammlung noch nicht entschieden hat, in der Hand des beleidigten Mannes, und dieser hat das volle Recht ihn, wenn er ihn auf der That ertappt, niederzustoßen. Gewöhnlich läßt er sich aber abfinden und verhandelt mit dem Ehebrecher, so daß die Sache gar nicht vor eine Versammlung zu kommen braucht. Hat er aber den Ehebrecher ermordet, so verfallt er nichtsdestoweniger der Blutrache, die aber hier weit leichter, wenigstens bei den westlichen Tschcrkessen, zu sühnen ist: 40 — 60 Ochsen sind gewohnlich zur Sühne hinlänglich. Die Ehebrecherin steht aber ganz in der Gewalt des Mannes und er kann mit ihr machen was ihm beliebt. Tddtct er sie, so findet sich Niemand, der ihr gefallenes Blut rächt. Nach Taitbout dc Marigny*) hingegen wird sie ebenfalls von ihren nächsten Verwandten, bald vom Vater, bald vom ältern Bruder gerächt. Bisweilen schneidet der Mann aber einer Ehebrecherin die Nase oder Ohren ab, rasirt ihr die Haare vom Kopfe, schlitzt ihr die Acrmel auf und schickt sie so geschändet ihren Eltern zurück. Doch der angethane Schimpf muß, trotzdem die Ehebrecherin von diesen getddtet oder verkauft wird, mit Blut gerächt werden. Deßhalb geschieht auch dieses, wie Marigny richtig sagt, ^*) nur selten. In den meisten Fällen straft der Mann seine ehebrecherische Frau innerhalb seines Hauses, und gibt sich selbst die Schuld, daß er so wenig Acht gehabt hat. Dcr Ehebrecher bezahlt in der Regel 25 Ochsen Straft, und eben dieselbe Summe muß ein Mann, der ein Mädchen verführt hat, erlegen. Schon das bloße Zurückschicken einer Ehebrecherin mit oder ohne Zurückforderung des Brautpreises wird als eine Schmach, die den Eltern angethan, betrachtet, und ruft nicht selten, wie uns Bell aus dem Norden *) Marigny Voyage en Circassie, cd. par Klaproth in Potocki Voyage. Tom. I. pag. 291. **) PotocM Voyage edit, par Klaproth. Tom. I- P- 311. Reisen und Länderbcschlcibimgm. XXIN. 24 (Reise nach Kaukasien.) 370 Tscherkessiens em interessantes Beispiel erzählt, große und lange währende Feindschaft hervor. Menschenraub kommt unter den einzelnen Stammen jetzt nicht mehr vor, und nur selten werden Sklaven gestohlen. Entführung von Mädchen ist nicht erlaubt, und wenn auch dieses selbst beigestimmt hatte. Zurückgabe desselben und außerdem noch eine Straft von zehn bis fünfzig Ochsen ist die Entscheidung der Versammlung. Diebstahl gehört zu den gewohnlichen Verbrechen und wird nur dann bestraft, wenn der Dieb auf der That ertappr wird. Es wird sogar, wie bei den Lacedamomern, zu einem guten Rufe eines jungen Burschen gerechnet, wenn er viel gestohlen hat. Ein Madchen verachtet nach Marigny den Jüngling, der noch keine Kuh entwendet hat. Diebstahl ist jedoch nie in der Familie und eben so wenig in einer Verbrüderung erlaubt, und der, der sich daselbst an etwas vergreift, wird auf das Harteste bestraft. Den neunfachen Werth der gestohlenen Sache hat der Dieb dem Bestohle-nen zu ersetzen. Bei jedem frischen Versuche wird die Strafe erhöht und beim dn'ttenmale muß der Dieb 200 Ochsen bezahlen oder wird getödtet. Man setzt deßhalb in einer Verbrüderung kein Mißtrauen gegen einander, und das Haus zu verschließen gehört zu den ganz unbekannten Dingen. Aber gern schleichen sich kühne Jünglinge auf das Gebiet anderer Verbrüderungen und versuchen sich eines Stückes Vieh nach dem andern zu bemächtigen. Gelingt es ihnen, ohne ergriffen zu werden, so eilen sie schnell ihrer Familie und Verbrüderung zu und werden im Triumphe empfangen. Ihr Ruhm stiegt, je nach der Gefährlichkeit des Unternehmens, von einem Munde zum andern. Auf keinen Fall wlrd der Raub, der einmal in Sicherheit ist, herausgegeben. Der Wachter des gestohlenen Viehes wird zur Rechenschaft gezogen. Befreundete Verbrüderungen dulden aber oft eben so wenig den Diebstahl unter sich und bestrafen dann auch mit dem neunfachen Werthe. Wer aber einer fremden Verbrüderung oder gar einem fremden Stamme etwas stiehlt und dabei ergriffen wird, hatte früher nur den doppelten Werth des Gestohlenen zu ersetzen, jetzt hingegen, wo man besonders im Westen allen Anlaß zu Streitigkeiten vermeiden will, wird auch ein solcher Diebstahl höher bestraft und seine Untersuchung erfolgt durch Geschworne, 371 seine Bestrafung hingegen durch den Ausspruch einer Volksversammlung. Man verhört die Zeugen, welche die Wahrheit ihrer Aussage oft mit einem Eid bekräftigen müssen, und erlaubt dem Delinquenten, der von eigenen Gerichtsdienern zu- und abgeführt wird, sich zu vertheidigen. Da die Pferde am höchsten geschätzt werden, so sind sie es auch, die am hausigsten gestohlen werden, und des Nachts, wo diese im Freien sich lagern, erscheinen oft entfernte Diebe und führen sie weit weg. Bell war mehrmals Zeuge solcher Dieb» stähle, und auch ich erinnere mich noch deutlich des hausigen guten Rathes, meine Pferde des Nachts bewachen zu lassen. Streitigkeiten gehören ebenfalls vor die Schranken einer Volksversammlung, und ereignen sich häusiger und verwickelter als man bei einem solchen rohen Volke glauben sollte. Zunächst gibt der Boden die häufigste Veranlassung, und da das ganze Land Eigenthum des Volkes, nicht aber des Einzelnen ist, so hat ein Jeder das Recht, sich da niederzulassen, wo er Lust hat. Gewohnheit leitet im Allgemeinen, vermag aber nie ganz die Streitigkeiten um den Besitz eines Stückes Land zu vermeiden. Es nimmt jede Familie so viel Land zum Ackerbau ein, als sie braucht, und das was sie auf diese Weise in Besitz genommen und bearbeitet hat, darf ihr Niemand streitig machen. So lange sie es bebaut, ist sie factisch Herr davon. Da aber der Getreidebau nur nothdürftig zum eigenen Bedarf, wie wir weiter unten sehen werden, betrieben wird, so bleibt noch hinlänglich Land übrig, das gar nicht benutzt wird. Der Tschcrkesse wechselt aber mit dem Boden, und gebraucht ein Stück desselben nur so lange, als es noch Nahrungsstosse in sich trägt. Ist es ausgesogen, dann rodet er gewöhnlich ein Stück Wald aus, und baut hier nun sein nöthiges Getreide. Dieses Stück bleibt der Familie so lange als sie es wieder bebaut. In der neuesten Zeit, wo die Russen an der Küste die fruchtbarsten Gegenden in Besitz genommen haben, sind viele Familien höher in das Gebirge geflohen, und haben sich unter andern Familien niedergelassen. Dadurch ist allerdings das fruchtbare Land seltner geworden und Streitigkeiten stellen sich als Folge ein. Es wird nothwendig, daß eine Versammlung berufen wird und die Ent- 24* 372 scheidung gibt. Im Allgemeinen gilt der Wahlspruch, daß wer eher kommt, auch ein früheres und gültigeres Recht besitzt. Bei zufälligem Schaden hat diesen der zu ersetzen, von dem er mittelbar oder unmittelbar ausging. Marigny*) erzählt zwei interessante Beispiele, die einen Blick in die Fähigkeiten der Tscher-kesscn zu thun erlauben. Ein Fürst sah auf seinem Felde eine Ziege und ertheilte einem seiner Diener den Auftrag, sie fortzujagen. Dieser ergriff alsbald einen Stein und warf damit der Ziege ein Bein entzwei. Aus Furcht vor Strafe nahm er ein Tuch, und verband das Vein der Ziege, die von Schmerzen geplagt nach Hause eilte, und in der Nähe der Feuerstelle Linderung suchte. Die Bandage fing Feuer und von noch größeren Schmerzen gequält, lief sie quer durch ein Feld, das reifes Getreide trug und zündete dieses an. Der Eigenthümer des Getreides berief eine Versammlung, und der Fürst des Dieners wurde zum Schadenersatz verurtheilt. Noch interessanter ist das zweite Beispiel, und wenn es auch schon durch Neumanns Werk ebenfalls bekannter geworden ist, so erlaube ich mir es von neuem mitzutheilen. Zwei Tscher-kessen besaßen einen Acker Feld, auf dem ein Baum stand, gemeinschaftlich. Der eine, wahrscheinlich um ihn dürr werden zu lassen, schälte die Hälfte der Rinde herab, und verließ kurze Zeit darauf seine jetzige Wohnung, den Acker jenem überlassend. Der Baum war unterdeß dürr geworden, und um ihn zu fallen, legte der alleinige Besitzer Feuer an denselben an. Einer der Zuschauer wollte seine Pfeife anzünden, und indem er auf den Baum zuging, fiel er um und schlug ihn todt. Die Vcrwaudten des letztern verlangten von dem Eigenthümer des Baumes, als des Urhebers des Todtschlages, den Blutpreis, und trugen dc'e ganze Sache einer Versammlung vor. Mit beredter Stimme setzte aber der Eigenthümer auseinander, daß nicht er für den zufälligen Schaden stehen konnte, sondern der, der die Ursache von demDün'-werden des Baumes durch das Abschälen der Rinde gewesen sn> müsse auch für alle Folgen stehen, die durch seine Handlung hervorgerufen würden. Er wurde freigesprochen- *) Potocfci Voyage Tow. I. p. 290, 373 Endlich sieht noch zweierlei, wogegen in allen civi'lisirten Staaten Europa's ungestraft gesündigt wird, unter dcr Gerichtsbarkeit der Volksversammlungen': die Pflichten gegen das Alter und gegen die Gastfreundschaft. Während leider bei nns das Alter so wenig von dem Staat in Schutz genommen, und oft dem Muthwillm der Jugend ausgesetzt wird, erfreuen sich alte Leute bei den Tschcrkessen einer allgemeinen Ehrfurcht. Nicht allein Verachtnng trifft den, der sich an einem Greift oder einer Matrone vergreift oder diese beleidigt, sondern das Volk versammelt sich und legt dem, der sich vergangen, je nach dcr Große des Verbrecheus eine Sühne auf. Die Ehrfurcht vor dem Alter hat sich den Tscher-kesftn so tief eingeprägt, daß nur selten Verletzungen gegen dasselbe vorkommen. Wenn ein Greis oder eine Matrone erscheint, so erheben sich alle Jüngern, und Niemand wagt sich eher wieder zu setzen, als bis die altere Person sich gesetzt hat. Ein grauer Bart ist das ehrenvolle Zeichen eines Greises und ruft Achtung und Liebe hervor. Nirgends wird wohl die Gastfreundschaft mehr ausgeübt als bei den freien Bewohnern des Kaukasus, und jeder Fremde, dem es einmal gelungen ist einen Freund zu finden, kann sicher durch die gefahrlichsten Thaler wandern. Mit der Gefahr seines Lebens schützt der Gastfreund den Fremden, und jede Schmach, die diesem angethan, ahnt er schärfer als wenn sie ihn getroffen. Er sorgt für alle Bequemlichkeiten dcs Gastfreundcs, nimmt ihn freudig in seinem Hause auf, und räumt ihm daselbst die schönste Stelle ein. Jeden Wunsch sucht er zu erfüllen, und so lange dieser bei ihm verweilt, beeiftrt sich jedes Glied der Familie fröhlich zu seyn, um das Herz des Fremden zu erfreuen. Sollte dieser aus dem Bereiche der Gegend, wo dcr Wirth seinen Einfluß nur geltend machen kann, in eine andere reisen wollen, dann wird er einem andern Tscherkesscn, dcr dort Ansehen besitzt und nun Gastfteund wird, übergeben. Die Gastfreundschaft ist in ganz Vor- und Mittelasien hoch geachtet, und zur Bezeichnung des Gastfteundes dient fast allge-wein das Wort Konak. Die Tschcrkcssen des Ostens gebrauchen dafür die Benennung Hatsche, bei denen des Westens hingegen führt er den Namen Visim. Alle reichern Familien besitzen in der Regel ein besonderes Gebäude für den Gast, das Fremdcnhaus, 374 in dem er allem ist und ungestört schalten kann, wie er will. Die schönsten Teppiche, die eine Familie hat, schmücken es aus. Wer kein Fremdenhaus besitzt, ist gezwungen, wenn ein Gast sich ein-sindet, seine Familie woanders, entweder im Freien oder in einem andern Hause seiner Nachbarschaft unterzubringen. Sobald der Fremde, besonders wenn er Nicht-Tscherkesse ist, eintritt, erhebt sich die ganze Familie und wagt sich nicht eher zu setzen, als bis der Gast irgend einen Ehrenplatz eingenommen, und mit dem Worte „Tieß" die Erlaubniß zum Sitzen gegeben hat. Wenn daher ein tscherkessischer Abgesandter, der zu General Rajcffsky geschickt wurde, um die Gebliebenen zu erbitten, zu diesem „setz' dich" sagte, so hat es hierin seinen Grund. Die Glieder des weiblichen Personals entfernen sich in der Regel. Es ist Sitte, die Waffen abzugeben, gleichsam als Zeichen der freundlichen Gesinnungen. Nur den Kindschal behält man als oft nothwendiges Instrument zurück. Es wird ein Gastmahl bereitet, au dem Jedermann Theil nehmen kann, aber der Wirth und die nächsten Verwandten dürfen nichts von dem Essen anrühren, außer was ihnen von den Gasten dargeboten wird. Die Ueberbleibsel gehören der Familie des Wirthes. Nach Tisch sucht man alles hervor, was dem Gaste Freude machen kann, und die Töchter des Fürsten Indar Oku zu Pschad gaben sich alle Mühe, um den Taitbout de Marigny vor seiner Abreise zu erfreuen. Man tanzte und musicirte ihm zu Gefallen. *) Als Interiano sich in Tscherkessien befand, wurde die Gastfreundschaft noch mehr ausgeübt, und der Fremde durfte sich gegen die Töchter des Hauses Dinge erlauben, die jedem andern streng untersagt waren. **) Auch der Dominicaner Jean de Luca und de la Motraye berichten, daß die Tscherkessen jeden Fremden drei Tage lang bewirtheten. Ihre Söhne und Töchter bedienten ihn mit entblößtem Haupte und wuschen ihm die Füße. ***) Wie der Wirth aber Pflichten gegen seinen Gast zu erfüllen hat, so **) Klaprotl), Reise I. Theil S. 600. »**) 'I'kcvonol rel2t!on5 cl« clivei-5 voyage« eurieux. I'om. I. ?> 2l-ve 1st Notr^o V079Z05 lom. II. p. 80. 375 auch dieser gegen den Wirth, und er darf sich nicht eher entfernen, als bis er die Erlaubniß des Wirthes dazu erhalten hat. So lange man nicht durch Ehebruch oder Mord sich der Gastfreundschaft unwürdig gemacht hat, ist man gesichert. Um dem Gaste noch größere Rechte zu verleihen, reicht ihm die Frau des Hauses ihre Brust, an der jedes ihrer Kinder seine erste Nahrung eingesogen hatte; nimmt er sie in den Mund, so ist er adoptirt uud den rechtmäßigen Kindern gleich gestellt. Die Verbrüderung, zu der sein Wirth gehört, muß mit dem Augenblicke ihn als zu ihr gehörig betrachten und bei Verfolgungen, wo die Hülfe des Wirthes nicht ausreicht, ihren Schutz angcdeihen lassen. Ein schönes Beispiel der Gastfreundschaft liefert ebenfalls Marigny. Indar Oku, der Gastfreund von Scassi und der übrigen bei den Handelsniederlagen angestellten Russen, schützte selbst diese noch, als einer derselben Mudroff ein Mädchen entführt hatte und die Eltern derselben drohend von den Fremdlingen die Rückgabe und Sühne für das Vergehen verlangten. „Wie," rief der bestürmte Indar Okn in einer deßhalb festgesetzten Volksversammlung, wo man die Auslieferung der Fremden verlangte, aus, „wie könnt ihr Verrath verlangen uud mir die schändliche Feigheit zumuthen, die Pflichten eines Konak zu vergessen. Ich werde nie und nimmer dulden, daß einem meiner Gäste nur die geringste Beleidigung widerfährt:c." Wer aber ohne Konak Tscherkessien zu betreten wagt, wird Eigenthum dessen, dem er zuerst begegnet, und nur das bestimmte Ldsegeld kann ihn aus der Gefangenschaft retten. Russische Deserteurs gehen deßhalb jedesmal einer gewissen Sklaverei entgegen. Gelingt es aber einem Fremden, bevor er ergriffen wird, in das Haus irgend eines und selbst in das seines Verfolgers zu gelangen, so steht er mit dem Augenblick, wo er die Schwelle übertreten hat, in dem Schutze der Familie, der das Haus gehört. Sein eigener Feind vielleicht heißt ihn inmitten seiner Hütte willkommen, und schützt ihn gegen alle äußern Angriffe. Die Tscherkessen ehren das Innere einer Familie, und Niemand wagt den Fremden aus dem Haust zu entführen. Schmach würde den treffen, der einen Gast verriethe. Ausstoßung aus der Brüderschaft, der er angehört, ist die geringste Strafe, die ihn trifft. Früher wurde ein solcher an den Rand eines Abgrundes geführt und hinabgestürzt. 376 Das Haupt einer Familie ist der Vater, und willkürlich schaltet er in derselben wie er eben Lust hat. Er allein und die erwachsene männliche Jugend sind aber auch die natürlichen Beschützer des Hauses, d. h. des weiblichen Geschlechtes und der Sklaven, welche letztere nie Waffen tragen dürfen. Aber keineswegs ist das weibliche Geschlecht so von dem mannlichen abgeschieden, wie cs sonst im Orient gebräuchlich ist, und es nimmt an allen Festen und sonstigen Belustigungen Theil- Nur die Volksversammlungen sind ihnen verschlossen. Sind altere Sohne vorhanden, so verheurathen sie sich, bleiben aber noch so lange in ihrer Familie, als der Vater lebt, dessen Autorität nach wie vor in Kraft bleibt. Selbst nach dem Tode eines Familienhauptes zerstreut sich nicht immer die Familie, da oft alle Mitglieder sich unter den altern Bruder stellen. In der Regel verlassen aber die jünger« Sohne dann das väterliche Haus, und gründen sich nach Belieben einen neuen Herd. Die Wohnungen sind je nach dem Reichthum und der Große der Familien und nach der Gegend verschieden. Die Aermeren besitzen in der Regel nur ein Haus, und theilen den einzigen Raum, den es einschließt, sogar noch mit dem wenigen Vieh, was ihnen gehört. Ein solches Haus (Uneh tscherk. Twia abass.) vermag nur wenig gegen die äußern Einflüsse zu schützen, da Wind und Regen in der Regel freien Eintritt haben. Im Westen werden die Häuser meist aus einfachem Flechtwerk, zwischen welches lehmige Erde geworfen wird, verfertiget, und wenn es von einer größer« Dauer seyn soll, so schlägt man in den vier Ecken vier starke Pfahle in die Erde, und belegt den Raum zwischen je zwei Pfählen mit Reisig, auf welches man Lehm oder Thon wirft. Um das Herunterfallen des letzter« zu vermeiden, wird die so gebildete Wand durch Planken in ihrer Lage erhalten, und wie die Wand an Hohe steigt, werden auch diese höher gezogen. Die Dacher ähneln m der Regel unsern Strohdächern, nnd werden auch auf dieselbe Weise verfertigt. Oft gibt man sich gar nicht die Mühe das Flechtwerk mit Lehm auszufüllen. Bisweilen be-dienl man sich zum Hauserbau der Baumstämme, und legt diese nur wenig zugehauen einfach übereinander. Die Lücken werden mit Moos ausgefüllt. Diese Art Hauser ähneln denen, wie ich sie häufig in Mingrelien, und in Europa in der Schweiz und 37? Rustland gefunden habe. Das ebenfalls in einen rechten Winkel aufsteigende Dach wird aus Brettern verfertigt. In der großen und kleinen Abassah, so wie in beiden Ka-barden baut man meistens die Hanser ohne Holz, lehnt sie an die Berge an, oder gräbt sie znm Theil in die Erde. Steine, die gar nicht zugehauen sind, bilden die Wände, und wenn diese eine Höhe von sieben bis zehn Fuß erhalten haben, werden um ein Dach zu bilden auf je zwei gegenüberstehende Mauern Stangen mit Zweigen durchflochten gelegt. Darüber kommt ebenfalls lehmige Erde. Das Dach wird demnach flach, und im Frühling und Herbst bringt die ganze Familie den Abend auf ihm zu. Daß diese Art Häuser eben so wenig wie die vorigen vollkommen gegen Wind und Wetter schützen, sieht man leicht ein, und es braucht noch nicht ein Platzregen zu seyn, um das Dach durchzuweichen. Wenn solche Hauser zum Theil in der Erde sich befinden, so führen sie bei den Russen den Namen Semljanken, bei den Grusicrn hingegen Sackly. In der Regel gibt man sich nicht die Mühe, die natürliche Erdfarbe zu verändern, und nur im Westen findet man die Wände weist oder wohl anch (nach Bell) hellgrün angestrichen. Außer der Thüre und dem Nauchfangc steht man in der Regel keine Oeffuung, und eine Art Fenster (Schamawupsch), was ein viereckiges Loch darstellt, und durch einen Laden geschlossen werden kann, gehört zu den seltenem Dingen. Der Thüre gegenüber befindet sich ein erhöhter halbcirkclfdrmiger Raum, der als Feuerstätte dient, und über demselben ist bisweilen eine Art Rauchfang angebracht. Wenn es regnet, dringt das Wasser ungestört durch die obere Oeffnung in das Zimmer ein. Der Boden des Zimmers behält meistens seinen natürlichen Zustand, und wird nur bei den Reichen mit Teppichen ausgelegt. An Mobilieu findet sich im eigentlichen Sinne dcs Wortes in einem tscherkessischen Hause nichts vor, denn die erhöhte Schlafstelle dcs Hausherrn zur Rechten der Feuerstätte, und die zur Linken der Thüre befindliche Erhöhung für die Leute niedern Standes und die Sklaven sind immobil. Die erstere ist in der Regel mit Teppichen und Kissen belegt, und nur ebenbürtige Tscherkessen dürfen diesen Platz einnehmen. Den schönsten Schmuck in einer Hütte bilden die Waffen, die in der größten Ordnung und stets sauber gehalten an hölzernen Nägeln hängen. 378 Reiche Leute richten sich bequemer ein, und besitzen neben ihrer eigentlichen Wohnung noch einen Stall für das Vieh. Wenn die Familie groß ist, erbaut man sich ferner ein größeres (ich möchte sagen Familien-) Haus, in dem alle Glieder zusammen kommen, eines für das weibliche Geschlecht, eines für die Sclaven u. s. w. Das Familien-, selten das Fremden-Haus steht in der Mitte, und um dasselbe befinden sich die übrigen drei bis zehn und mehr an der Zahl. Im Osten, wo man steinerne Häuser besitzr, baut man gewohnlich die einzelnen Häuserchen neben einander, und bildet so nur ein Haus, das aber aus mehreren Zimmern besteht. Die Sklaven und die übrige Bedienung wohnt aber abgesondert. Neu-mann irrt, wenn er meint, daß das Fremden-Haus stets in der Mitte stehe und das schönste Gebäude sey, denn in der Regel, weil eben Fremde doch nur selten kommen, ist es mehr oder weniger verfallen. Bell, dem man doch am meisten Glauben schenken darf, beklagt sich nicht selten über die schlechten Fremden-Hauser. Im Westen, wo die Hauser ihre Garten besitzen und zum Schutz gegen Ueberfalle häufig mir Pallisaden umgeben sind, liegen sie meist zerstreut und (wenigstens an der Küste) mehr oder weniger hinter Bäumen versteckt. Eigentliche Dörfer gibt es deßhalb gar nicht, und von Städten kann in ganz Tscherkessien nicht die Rede seyn. Die Wohnungen führen deßhalb in der Regel nach dem Thale, in dem sie liegen, den Namen, und zur näheren Bezeichnung sprichtman vom obern, mittlern oder untern Theil. Chuadsche oder Kuad sch (Whatfch bei Bell) ist der gewöhnliche Name für ein solches zerstreutliegendes Dorf, und man nennt wohl auch, indem man dieses Wort an den Namen des Thales oder Flusses/ der darin stießt, hangt, die Bewohner darnach — eine Sitte die durch den ganz Westen Tscherkessieus gebrauchlich ist. So versteht man unter Ardochuadschen (Arouwhatsch bei Bell) die Bewohner des Thales der Ardo, an dessen Ausfluß das Cap Ardler liegt. Schemichuadschen sind die Bewohner des Thales der Schemi, und nicht der Fluß selbst, der eben Schemi heißt. Bei den Pschedu-chen, Hattu- und Kemurquahen ist für Chuadsch das Wort Qnaitsch oder Quahe gebräuchlich, und Hattuquahen bedeutet daher die Bewohner des Gaues Hattu. Die Kabarder bedienen sich des Wortes Tschela oder des tatarischen Aul zur Bezeichnung 379 von Dorf Die Dörfer der Kabarder unterscheiden sich auch wesentlich von den übrigen dadurch, daß die einzelnen Häuser näher an einander gebaut sind, und das Ganze die Gestalt eines achten Dorfes erhält. Unter Kawak (was ein tatarisches Wort ist) verstehen die Kabarder kleinere Dörfer oder Familien-Wohnungen. Die Massen haben ebenfalls zur Bezeichnung von Dorf ein besonderes Wort, nämlich Tsutak. Wenden wir uns nun von den Wohnungen der Familien zu diesen selbst, so haben wir schon gesehen, daß das Haupt derselben, oder wo dieses gestorben ist, der älteste Bruder unumschränkter Herr ist und willkürlich milden Gliedern derselben verfahren kann. Die Kinder, die von ihm erzeugt sind, bleiben das ganze Leben hindurch sein Eigenthum, und es steht ihm selbst frei, dieselben zu verkaufen oder zu todten. Aber trotz dieser barbarischen Sitte geschieht das letztere uic, das erstere hingegen selten, und in der Regel nur mit Mädchen. Es ist aber weniger die Habsucht, was den Vater dazu treibt, seine eigene Tochter in den Harem irgend eines reichen Türken, oder gar in das Serail zu Konstantinopel zu verkaufen, sondern eigene Armuth bestimmt ihn dazu, durch den Verkauf der Tochter dieser zugleich ein angenehmeres Leben zu verschaffen. Sie sträubt sich nie gegen den Willen des Vaters, wenn sie nicht vorher schon eine ernste Neigung gefaßt hat, und übergibt sich selbst freudig dem Kaufmann, der sie großen Ehren entgegenführt. Die Eitelkeit, eine mächtige Gebieterin in einem Harem zu werden, treibt sie oft an, den Vater selbst um den Verkauf zu bitten. Es geschieht nicht selten, daß ein solches Mädchen nach vielen Jahren wiederum mit Reichthümern beladen in das geliebte Vaterland zurückkehrt, und von den Freuden die es genossen, und von den Ehren die ihr angethan, mit geschwätziger Zunge spricht. Der Mann leitet wie bei uns die äußern Angelegenheiten, und die Frau (seltener die Frauen) steht dem Haushalte, wobei sie von den Kindern und Sklaven unterstützt wird, vor. Das Verhältniß der Frau zum Mann ist nicht so untergeordnet, wie im übrigen Orient, und wenn nur eine Frau vorhanden ist, dann übt sie immer einen großen Einfluß auf ihren Mann aus. Der Mann darf sie weder tddtcn noch verkaufen, und selbst wenn er sie ohne gegründete Ursache den Eltern zurück schickt, kann er den Vrautpreis nicht 380 zurück verlangen, sonder ladet im Gegentheil noch die Feindschaft und den Haß jener auf sich. Schlagen darf cr sie, doch muß er sich in Acht nehmen; denn wenn er ein wichtiges Glied verletzt oder gar verstümmelt, verfallt er in die Straft, die oben angezeigt ist. Den größten Einfluß erhalt die Frau erst, wenn sie mehrere Kinder hat. Bis zur Geburt des ersten Kindes, und selbst noch nach derselben betrachtet man sie fortwahrend als Mädchen, und sie würde vor Scham errothen, wenn Jemand nur eine An-spielung auf ihren rechtmäßigen Gemahl machte. Auch dieser meidet seine junge Frau und besucht sie nur des Nachts, wo Dunkelheit das gegenseitige Errdthcn verhindert. Zwei junge Eheleute sieht man nie am Tage bei einander, und die Frau flieht, wenn sie zufällig mit dem Manne in Gegenwart anderer zusammenkommt. Trotzdem scheut sie sich aber nicht den Besuch eines fremden, selbst jungen Mannes anzunehmen. Marigny *) erzahlt ein interessantes Beispiel, wo er die Frau des Nogai, eines Sohnes des Pschad'schen Fürsten Indar Oku, ^) besuchte. Als diese die Nachricht von der Ankunft ihres Mannes erfuhr, entfloh sie schnell durch das Fenster. Diese Scheu gegen die Oeffentlichkeit des inneren Familienlebens dehnt sich auch auf alle Fremden aus, und wie junge Eheleute einander fliehen, so ist es gegen die Sitte, den Mann oder die Frau nach der Familie zu fragen. Die Höflichkeit, sich nach dem Befinden der Frau und der Kinder zu erkundigen, wird in Tscherkessien, wie auch im übrigen Orient, nicht allein für eine Unhdflichkeit, sondern sogar für eine grobe Beleidigung gehalten. Eine strenge Ahndung dieses Verstoßes würde die Folge seyn. Die Frau ist zwar stolz, wenn sie zum erstenmal der Hoffnung Mutter zu werden mit Gewißheit entgegen sieht, denn erst mit der Geburt des Kindes tritt sie in den Stand der Frauen ein, aber doch schämt sie sich der Folgen, die sich an ihr allmählich bemerkbar machen, und flieht die fröhlichen Spiele und Gesänge der Schwestern. Zurückgezogen lebt sie nur sich und ihrem Gatten, ") Nach Bell ist Indar Oku nicht Fürst, sondern nur Edelmann. Der Fürst, dessen Vorfahren früher diese Gegenden bis nach Anapss beherrschten, heißt Pschemaff. 381 und schwärmt in der Zeit, wo sic Mutter wird. Der Mann ist im Innern zwar nicht weniger stolz, meidet aber seine Frau und verläßt nicht selten, wenn er die Stunde der Niederkunft herannahen sieht, seine Wohnung auf einige Zeit. Oft mehrere Wochen nach der Entbindung seiner Frau schleicht er sich in dieselbe zurück und begrüßt errdthend Weib und Kind. Erst wenn die Kinder groß geworden, und besonders Söhne vorhanden sind, erhält der Vater die Ehre Haupt einer Familie zu seyn, und kann zu einem Aeltesten oder Geschwornen erwählt werden. Die Frau braucht die Gesellschaft des Mannes nicht mehr zu meiden, und erscheint gern in dem Kreise ihrer bereits herangewachsenen Kinder. Begleiten wir die Lebensgeschichte der Bewohner Tscherkes-siens von dem Tage an, wo sie das Licht der Welt erblicken bis dahin, wo sie zu einem andcrn Seyn abgerufen werden, so werden wir finden, daß immer das Edle, wodurch sich von jeher der Tscherkeß auszeichnet, ihn bis an das höchste Alter begleitet. Wenn auch die mütterliche Liebe den theuren Ankömmling mit ganzer Kraft umfangt, so wird doch äußerlich bei der Geburt eines Kindes keine Freude gezeigt und der Vater ist sogar, wie wir eben gesehen, nicht selten fern. Die Mutter ernährt in der Regel das Kind an ihrer Brust bis zu der Zeit, wo es selbstständig auf der Erde sich bewegen kann. Die Veschneidung, wenn die Eltern sich zur Lehre Mohammeds bekennen, erfolgt gewöhnlich erst dann, und der Mollah, der das heilige Geschäft nach den gewöhnlichen Regeln vollbrachte, erhalt je nach dem Reichthum der Familie eine Belohnung, bald ein Pferd, bald abcrauch nur eine Ziege. In einigen Gegenden wird das Kind, nachdem es geboren, ohne alle Bedeckung 24 Stunden der freien Luft ausgesetzt, ohne daß es vorher durch Waschen gereinigt worden wäre. *) In andern zieht die Mutter das Kind gar nicht auf, sondern der künftige Erzieher des Kindes hat schon vorher für eine Amme gesorgt und den dritten Tag muß die Mutter ihr Kind fremden Leuten überlassen. Die Sitte, die Erziehung der Kinder bis zur Mündigkeit derselben andem zu überlassen, findet sich hier und *) suboss Kartin», 2, Theil S. lA. 382 da im Orient, wenigstens bei allen Völkern türkischen Stammes oder wo irgend einmal türkische Fürsten herrschten. Die allgemeine Bezeichnung für einen solchen Erzieher ist Atalik. Was die scheinbar barbarische und alles Familienleben tödtende Sitte hervorgerufen haben mag, wird uns wohl immer unbekannt bleiben, da bei den Orientalen die Ataliks schon seit sehr langer Zeit erwähnt werden. Vielleicht wollten die kriegerischen Türken nicht, daß die jungen Männer durch die Erziehung der Kinder dem allgemeinen Wohl des Vaterlandes entzogen würden, es sollten sie nicht die Bande der Kinderliebe fesseln, wenn einem andern Volke Krieg erklart war. Den Sohn, der dem Vaterlande angehörte, wollte man ferner des Vaterlandes würdig erziehen, und dieses entzog ihn daher der Mutterliebe, unter der er leicht verweichlicht werden konnte. Der Erzieher gibt seinen Zögling, wenn er seine volle männliche Kraft erhalten hat, dem Vater zurück und dieser erscheint nun zum erstenmale öffentlich mit dem Sohne. Vielleicht trug auch dazu bei, daß die Reize der Mutter, die ihrem Kinde nicht die Nahrung reichte, nicht so früh verschwanden, und die kriegerischen Manner, wenn sie aus der Schlacht oder von einem Einfalle auf feindlichem Gebiete heimkehrten, von ihren stets blühenden Weibern würdig empfangen werden konnten. Durch die Entführung der Kinder war allerdings das tiefere Familienleben gestört, aber durch die dauernde Jugend des Weibes wurde auch der Krieger mehr an diese gefesselt. Die zarten Rücksichten, welche nicht allein bei den ächten Türken, sondern bei allen türkischen Stammen, also auch bei den Tsckerkessen, stattfinden, wornach sich z. B. junge Eheleute nur versteckt sehen, erhöhen die Liebe beider und knüpfen sie fester an einander. Der Erzieher oder Atalik wird meistens von den Eltern aus einem niedern Stande erwählt und steht dann zu der Familie seines Zöglings, der bei den Tscherkeffen Pkuhr (oder Pchuhr) heißt, in einem gewissen freundschaftlichen Verhältnisse. Früher, wo die Stände noch strenger geschieden wurden, ward die Ehre ein Erziehir zu seyn, weit höher gehalten und im Osten wird noch jetzt ein größeres Gewicht darauf gelegt. Der Erzieher hat von seiner Erziehung nur wenig Vortheile, die noch dazu in einer eingebildeten Ehre bestehen. Er muß in Allem für seinen Zögling sorgen, er muß die Amme mit ihrem Säugling ernähren und kleiden, er 383 muß den letztern herangewachsen lehren die Waffen, die er ihm zu geben hat, zu gebrauchen und das Pferd, das er ihm ebenfalls kaufen muß, zu regieren. Die Bedürfnisse des Zöglings wachsen mit den Jahren, und kann er den Bogen spannen, mit der schweren Flinte schießen und geschickt reiten, dann führt der Erzieher ihn zum ersteumale in den Kampf und sorgt darin für das Wohl seines ihm Uebcrgebcnen. Ein größerer Antheil der Beute ist das einzige, was er im voraus bezieht. Und das alles thut der Erzieher für die Ehre dem fürstlichen oder adeligen Hause verwandt zu seyn und vielleicht in den Adelstand erhoben zu werden. Dabei opfert er seine Familie, um dem Zögling eben alles zu seyn, und wahrend dieser gut gekleidet und prachtig ge-waffnet ist, darben seine eigenen Kinder und laufen zerlumpt einher. Es ist unter den Gemeinen und Edelleuten oft schon vor der Geburt des Kindes in einer fürstlichen Familie, bevor man nur weiß ob es ein Knabe wird, großer Streit, da ein jeder der Ehre eines Ataliks theilhaftig werden will. Nicht selten kommt es dabei zu offenem Zwiste, den dcr Vater des noch ungebornen Kindes nicht schlichtet, bis es endlich dem tapfersten unter ihnen gelingt sich allein zu behaupten. In frühern Zeiten wurden selbst die Kinder kurz nach der Geburt von einem sich aufdringenden Erzieher, der zuvor mit der Amme und vielleicht mit der Mutter sich verständigt hatte, geraubt. Eiebcn 3cugen, die bei dem Raube gegenwartig sind, müssen später die Aechtheit des Kindes mit einem Eide bekräftigen. *) In der Negel gibt auch der Erzieher und nicht der Vater bei der Uebernahme deS Zöglings ein Fest, zu dem alle seine Verwandten und Bekannten aus der Nähe und Ferne kommen. In der ganzen Zeit der Erziehung erfahren die Eltern nicht nur nichts über ihr Kind, sondern es würde sogar unschicklich seyn, wenn der Vatcr oder die Mutter sich nach ihm erkundigte. Der Erzieher behalt den Zögling bei sich, bis die Zeit seiner mannlichen Kraft **) herangekommen ist. Dann benachrichtigt er die *) Reineggs Beschreibung des Kaukasus, 1. Theil S. 251. »*> Dubois (v«>»sso Vom. i. p. 51?.) meint sogar, daß der Vater seinen Sohn erst verheurathet sehen dürft. 384 Eltern mit dem Zustande des Sohnes und fragt sie um Erlaubniß, denselben zurückgeben zu dürfen. Die Eltern bestimmen ihm die Zeit, suchen sich je nach dem Rekchthume Geschenke zu verschaffen, und ein großes Fest, wozu alle Bekannten und Verwandten eingeladen werden, findet statt. Vell war Zeuge einer solchen Uebergabe, und ich erlaube mir hier mitzutheilen, was er darüber sagt und diesem noch einiges hinzuzufügen. *) Der Atalik war Alibi, ein transmontaner Abasse von bewährtem Rufe und der Pchur ein Sohn aus einer vornehmen Abadstchen-Familie. Alle Verwandten des erstern hatten sich der Einladung desselben gemäß an einer bezeichneten Stelle eingc-funden und zogen Männer und Frauen gegen 40 Köpfe stark nach dem Gaue der Abadsechen, wo der Vater des Zöglings sie erwartete. Ein jeder hatte seine schönsten Kleider angethan und die prächtigen Waffen umgürtet. Die Männer waren sämmtlich zu Pferde, die Frauen hingegen in jenen zweirädrigen, unbeholfenen Arbcn, von denen ich schon früher gesprochen habe. Aber diese hatte man jetzt mit den schönsten Teppichen ausgelegt und eben so war über ihnen eine Art Dach verfertigt, um die zarten Frauen und Mädchen gegen die brennenden Strahlen der Augustsoune zu sichern. Da die Sitte verlangt Geschenke zu bringen und Geschenke zn empfangen, so führte Jedermann etwas Passendes bei sich, um es bei der Ankunft zu übergeben. Die Manner hatten sich Pferde und Waffen erlesen, die Frauen hingegen Spangen, Ketten, Ninge, Tücher und andere Luxus-Artikel. Die kühne Jugend ritt voraus und die langsamen, von Ochsen (die ebenfalls geschmückt waren) gezogenen Alben schloffen den Zug. In der Mitte befand sich der Atalik mit dem Zöglinge, beide im größten Schmucke und auf stolzen Rossen. Als letztes Geschenk des Erziehers für oen Zögling wurde ein weißer Zelter mit kostbarem Zaume, Sattel und Schabrake von einem Diener geführt. D^' Zögling war in den gewöhnlichen Oberrock der Tscherkessen (Tschok westtscherk; Zieh ostscherk., Tschekmen tatar.. Cob-ba bei Rekneggs), unter dem das seidene Unterkleid (Anteri tscherk. und türk.. Kaftan tatar. Agaluk grus. und überhaupt kauk.) glänzte, und in ziemlich enge Beinkleider (Hoschek, *) VoU 5ournl,1, Vo?. I. p. 3<>8 etc. *) Bell Journal, Vol. h p. 308 etc. 385 Gonschek tscherk., Aekwa abass.. Schalwar tatar.) gekleidet. Die runde mit Pelz besetzte Mütze (Pa oder Pako tscherk., Kalpa abass., Kalpak tatar.) bedeckte das gcschorne Haupt. Schöne rothe Schuhe (Tschakkoh tscherk.) bezeugten seine fürstliche Abkunft. Der Oberrock ähnelt einem europäischen, besonders aber der jetzt im preußischen Militär eingeführten Liteffka, und unterscheidet sich hauptsächlich durch den Mangel des Kragens- Er besitzt meist eine blaue oder violette, im gewohnlichen Leben aber die natürliche schmutzig-gelbe oder gelb-graue Farbe nnd ist von Tuch. Silberne Tressen schmücken die Enden des Rockes und häufig auch den Rücken desselben. Ausgezeichnet ist er dadurch, daß auf beiden Seiten der Brust die Patrontaschen angenäht sind, von denen eine jede 8—10 hölzerne oder metallene Patronen enthalt. Der untere Rock ist von Seide oder Kattun und im erstem Falle meist einfarbig blau, roth oder weiß und ebenfalls an den Enden mit goldenen Tressen geschmückt; soll er prachtvoll seyn, so vertreten Stickereien die Tressen. Die Aermel ragen in Form von Manschetten heraus. Er wird mit Baum, wolle wattirt, und diese in einer bestimmten Ordnung an die Seite oder den Kattun festgenäht, so daß, wenn einmal ein Loch vorhanden ist, dieses nicht weiter reißen kann. Aus dieser Ursache ist eö auch nur möglich, daß die Tscherkesscn und alle Kankasier den untern Rock so lange tragen, bis kein Fetzen mehr daran ist. Bei den Karbardern ist er nur wenig kürzer als der Oberrock, bei den östlichen Tscherkessen hingegen, die überhaupt vieles in der Kleidung von den Türken genommen haben, stets länger. Dubois *) und Neumann **) verkennen diese beiden Röcke ganz, wenn der erstere den untern Rock für eine Art Hemd halt, und der letztere ihn eine vielfarbige Unterweste, die auch anstatt Hemd getragen werden könne, nennt. Bei ihm ist auch der Oberrock eine Art tuchene Jacke. Das eigentliche Hemd ist ebenfalls wenigstens bei den Reichern vorhanden und führt b?i den Tscherkessen den Namen Ianah, bei den Massen hingegen Asch. Beide Röcke werden in der Taille durch einen schwarzledernen und mit silbernen Zierrathen versehenen Gürtel (Btschirük) zusammen gehalten. ") Dudol«, Vo^ga I'om. I. p. li8. **) Neumann, Rußland und die Tscherkessen S. U6. H gfnd. Er wurde so lauge zurückbehalten, bis ein Schaf als Ldsegcld bezahlt wurde. Ein anderer mußte eine Quantität Honig zur Bereitung von Vusah zahlen. Scheunen sind nicht vorhanden, und zur Aufbewahrung des Getreides baut man sogenannte Schober. Die Art und Weise, wie die Körner aus dem Strohe gewonnen werden, ist verschieden von der uusrigen, ähnelt aber der, wie sie in der heiligen Schrift hin und wieder beschrieben wird. Da man das Stroh a»f keine Weise wcder zum Streuen, noch zum Düngen braucht, so wird b.im Auskörnen auch nicht auf die Erhaltung desselben Rücksicht genommen. Auf einer Art Tenne breitet man es aus und läßt die Körner durch Ochsen austrcten. Ein eigenes mit spitzigen Steinen beschlagenes Brett, auf dem ein Madchen oder ein Knabe steht, wird von diesen im Kreise herumgeführt und unterstützt durch das Zerreiben der Aehrcn das Auoldrnen. Gereinigt wird es auf dieselbe Weise wie bei uns. Da man selten Brod backt, so gebraucht man auch, um Mehl zu bereiten, nur selten die Mühlen, die sich deßhalb in einem rohen Zustande besiuden. Die Hirse wird in der Regel nur in einem Mörser zerstoßen und dann sogleich benutzt. Oder will man sie enthülsen, so nimmt man zwei Klotze eines harten Holzes und treibt diese mir der Hand herum. Um Mehl zu gewinnen, gebraucht man eine Art Mühlsteine und dreht sie mit den Händen herum. Nur hie und da hat man kleine und einfache Wassermühlen nut horizontalen Rädern. Dieselbe Aufmerksamkeit, welche man dem Getreidebau widmet, verwendet man auch auf den Gemüse- oder Gartenbau, d. h. man baut eben so viel, als man für den eigenen Haushalt braucht. Die meisten Sorten unseres Kern- und Steinobstes wachsen wild und nur bei wenig Pflege müßte man vorzügliches Obst erhalten; so pflanzt man aber kaum in der Nahe der Wohnung ciulge Obstbaume und überlaßt sie dann dem eigenen Geschicke. Suboff int daher sehr, wenn er die Obstcultur Tscherkcssiens 421 anpreist *) denn nirgends, die Weinbeeren und zum geringen Theil die Pfirsiche ausgenommen, findet man so schlechtes Obst als in den kaukasischen Landern, dem eigentlichen Vaterlands des Obstes. Selbst in den jenseiligen Landern in Grusicn sind Aepftl und Birnen schlecht, und in der Kabarda erhielt ich Aepfel, die kaum genießbar waren. Kirschen und Zwetschgen liebt man gar nicht. Trotzdem ist besonders längs der östlichen Küste des schwarzen Meeres ein großer Reichthum an Obstbaumen jeder Art vorhanden. Der Wemstock wachst, wenigstens in den südlicheren Gegenden am schwarzen Meere wild, und schlangelt sich in zahlreichen Reben von einem Baum zum andern. Die Beeren werden viel benützt, und man geht in den Wald, um so viel zu holen, als nothig sind. Die Ubychcn bereiteten seit langer Zeit einen vorzüglichen Wein, der unter dem Namen Sana durch den ganzen westlichen Kaukasus berühmt ist. Auch die übrigen Massen befleißigen sich hie und da seiner Bereitung. Wichtiger sind aber die Beeren wegen der Bereitung des oben angegebenen Tuschag oder eingedickten Traubensaftes. Die Maulbeerbaume kommen häufig vor, werden aber gar nicht benützt, und so einträglich auch dic Sei-denzucht seyn könnte, so gibt man sich doch nicht die Mühe sie zu cultiviren. Nach Bell soll sie jedoch in den Thalern der Pschad, der Tuabs und in dem transmontanen Abassien betrieben werden. Der Lorbeer ist im westlichen Tscherkessien vorhanden, wird aber nicht geachtet. Mehr Sorgfalt verwendet man noch auf den Gemüsebau, und wie ich schon oben gesagt habe, befindet sich fast in der Nahe einer jeden Wohnung eine Art Gemüsegarten. Bohnen liebt man im ganzen Kaukasus, und sie bilden in der Fastenzeit bei den Mohammedanern mit Essig eingemacht fast die einzige Speise. Die Abadsechen scheinen sich ihrer Cultur am meisten zu befleißigen und besitzen verschiedene Spielarten der Busch- und Stangenbohne von gutem Geschmack und reichlichem Ertrage. Großentheils ähneln sie unsern sogenannten Wachsbohnen. Arabische Bohnen habe ich nie aus Tschcrtessien gesehen, man baut aber daselbst unter diesem Namen eine weiße Bohne mir wachs-farbener Hülse, die zwar erst spat, aber desto reichlicher tragt. Erbsen und Linsen findet man nur selten, und unsere Kohlarten, *) subols Kartin». Theil III., Seite 00. 422 so wie Kartoffeln sind gänzlich unbekannt. Da alle pikanten Krauter von den Kaukasiern gelieht werden, so erfreuen sich eine Menge Lauck-Arten einer besondern Cultur; außerdem wird viel spanischer Pfeffer und Vasilicum gebaut. Mehrere Ampfer-Arten, vorzüglich die säuerlichen Sorten, werden mit Essig eingemacht gegessen. Den Keuschlamm-Strauch, dessen Beere den kaukasischen Pfeffer bilden, scheinen die Tscherkessen nicht zu besitzen, und dessen Früchte demnach aus den transkaukasischen Ländern zu beziehen. Größere Aufmerksamkeit verwenden die Tscherkessen auf die Viehzucht, und nach der Anzahl der Pferde und Ochsen wird der Reichthum der einzelnen Familien bestimmt. Man findet oft Heer? den von mehreren hundert Stück verschiedener Art, die einem einzigen Herrn angehören. Das Vieh findet sich, mit Ausnahme der südlichen Thaler, immer auf der Weide, und eine besondere Stallfütterung für die Winterzeit ist zum großen Theil unbekannt. Bell behauptet jedoch, daß im Norden Tscherkessiens auch Heu gemacht und geerntet würde. Da das Vieh bestandig auf der Weide ist, so sieht es den Sommer über wohlgenährt, im Winter hingegen mager und dünn aus, und in einem harten Winter geht gewohnlich eine große Menge zu Grunde. Vor allem liebt man die Pferde, die treuen Begleiter des Tscherkessen auf dem Wege des Ruhmes und der Ehre. Sie sind vorzüglich und erfreuen sich durch den ganzen Kaukasus eines hohen Preises. Schon seit den ältesten Zeiten erkannte man ihren Werth an, und ein Theil der kabardischen und die fünf Berge führen bei den Alten den Namen der Pferde- (hippischen) Berge. Sie sind etwas klein, und ihr Aeußeres dürfte eher mager genannt werden, trotzdem haben sie aber ein gutes Aussehen. Ihr Kopf ist langer als bei den übrigen kaukasischen Pferden, und ihr feuriges Auge thut die ihnen inwohnende Lebendigkeit kund. In der Ebene sind sie flink und werden von andern nur selten eingeholt; anf den Bergen hingegen gehen sie sicher vorwärts, und tragen furchtlos den kühnen Reiter an jähen Abgründen vorbei. Nach Pallas sollen sie sich auch noch durch den ganzen vollen Huf ohne Pfeil auszeichnen. *) Jeder Fürst hält streng auf die Pferde-Race, welche *) Pallas' Bemerkungen, Vanb l. S. 393, und die Liste Kupfer-Tssftl. 423 seit Jahrhunderten schon in seiner Familie durch Tugenden sich auszeichnete, und brennt ihr angenommenes Zeichen den Fohlen von einer Race auf die Hüfte. Pallas hat die Zeichen in seiner Reiscbeschreibung auf einer besondern Tafel, auf welcher er auch den sonderbaren Huf darstellt, abgebildet. Zu meiner Zeit waren aber folgende Zeichen, die übrigens zum großen Theil Pallas fehlen, die wichtigsten, und die Pferde, welche sie trugen, die theuersten. Wie der Araber streng auf die reine Race seines Pferdes halt, so nicht weniger der Tscherkesse, und auf keine Weise duldet er die geringste Ausartung. Die Preise sind sehr verschieden, aber im allgemeinen betragt der Werth eines ausgezeichneten Pferdes stets gegen 200 Rthlr. Mittelmäßige hingegen kauft man in der Regel mit 30 und 40 Rthlr. Nächst den Pferden wird das Rindvieh hoch geachtet, und die Ochsen sind es vorzüglich, die bei allen Handelsgelegenheiten die feste Münze bilden. Wahrend man bei uns nach Thalern rechnet, geschieht dieses hier nach Stück Ochsen. Trotzdem man ihr Fleisch, wie ich oben schon gesagt habe, nicht liebt und das der Schafe vorzieht, so bringt das Vieh doch vielerlei Nutzen, ohne irgend eine Unannehmlichkeit hervorzurufen. Das ganze Jahr hindurch ernährtes sich selbst, bedarf keiner weitern Pflege, und wird allgemein zum Ziehen benutzt. Die Pferde hält man zu hoch, um sie zu diesem uiedrigen Geschäfte zu gebrauchen, daher muß das Rindvieh alles, was die Pferde nicht auf dem Rücken tragen, ziehen. Es muß pflügen und einernten, das Hausgeräthe in die neue Wohnung, welche erbaut worden ist, schaffen, das nöthige Holz holen, und die Matronen und Kinder auf Reisen vorwärts bringen. Erwachsene Mädchen und junge Frauen reiten gewöhnlich. Zum Fahren bedient man sich derselben rohen Wägen (der Arben, tscherk. Gkuh), wie ich sie schon einigemal beschrieben habe. Allein in Tscherkessien, wenigstens in den gebirgigen Gegenden, sind sie kleiner und den Oertlichkeiten, auf denen sie vor- 424 kommen, angepaßt. Weniger liebt man die Büffel, benutzt sie aber in einigen Gegenden eben so häufig. Trotzdem dieses Thier größer und stärker ist, hat es doch wegen seiner ungemeinen Trag« beit und Langsamkeit weniger Nutzen, nimmt aber auch mit einer geringen Nahrung fürlieb. Endlich findet man auch Schaft und Ziegen in großer Menge in dem Haushalte der Tscherkessen. Die erstem sind großer als die unsrigen, häufig schwarz und anstatt der weichen Wolle bedecken gekräuselte oder schlichte Haare das Fell. Ausgezeichnet sind sie durch die Fettniederlagen, welche sich um die Schwanzknochen hermnlagern und dadurch den Schwanz zu einer besondern Dclicatesse aller Orientalen machen. Mit den Tataren mnnen die Tscherkessen dicse Art Schafe Aschamtuch. Zuletzt muß ich noch der großen Hunde Erwähnung thun, welche die meisten Familien zum Schutze der offenen Wohnungen besitzen, und dem friedlichen Fremden, der sich ihnen nähert, fletschend die Zähne zeigen. Zu den landwirthschaftlichen Beschäftigungen der Tscherkessen gehört auch die Bienenzucht, zumal, wie wir gesehen yaben, nächst der Hirse der Honig es ist, welcher am häufigsten genossen wird. Die Bienen kommen in Menge wild vor und vieler Honig, häufig in Form des sogenannten Steinhom'gs (von dem ich spater noch sprechen werde), wird in hohlen Bäumen und in Felsenklüflen gesammelt. Die meisten Familien haben aber auch eigene und ofr bedeutende Bienenzucht, und in der Behandlung derselben stehen sie in nichts unseren Bienenzüchtern nach. Ihre Korbe stehen aufrecht, sind kaum mehr als zwei Fuß hoch und haben eine halb ovale Form. Sie werden aus zähen Reisern geflochten und mit Lehm beworfcn. Im Sommer haben sie das Flugloch nach Norden, um die Hitze im Stocke zu vermindern, im Winter hingegen nach Süden. Gegen den Herbst hin werden die schwersten und leichtesten Körbe herausgesucht, und ihre Bewohner getddtet. Gewöhnlich bleibt nur em Drittel übrig, das nun den Stamm für das nächste Jahr bildet. Nach Klaproth *) sollen die jungen Schwärme mit einem kegelförmigen aus Baumrinde verfertigten Hute, der an der Spitze einer vier Faden langen Stange befestigt ist, eingefangen werden. Er soll dadurch hineingelockt wer- *) Klaproth Reise, Theil I. Seite 53g. 425 den, daß man mit kleinen Hölzern an: Ende der Stange klappert. Vielfach habe ich in der Kabardah wenigstens nach diesem Instrumente gefragt, abcr nirgends darüber Aufschluß erhalten kdn,-ncn. Wie man mir erzählte, macht man es in Tscherkcssien beim Einfängen der Zungen Schwärme eben so einfach, als es bei uns verständige Bienenzüchter thun. Wenn schon Landwitthschaft und Viehzucht vorzüglich dem weiblichen Geschlechte obliegen, so sind es die übrigen häuslichen Geschäfte noch mehr. Die Frauen zeichnen sich durch große Ge-schicklichkeit im Verfertigen von allerhand weiblichen Arbeiten aus, und ebenso wie man eine kühne That, den schlauen Raub eini» ger Ochsen u. s. w., auf feindlichem Gebiete lobt, ebenso geht das Lob einer geschickten Tscherkessienn von Mund zu Muude, und die schon oben erwähnte Dissepli hat ihrcn KunstfertigkVitcn es hauptsächlich zu verdanken, dasi ihr Name im ganzen Kaukasus berühmt wnrde. Mit großer Geschicklichteit bereiten sie aus den steifen Ziegen- und Kühhaarcn eine Art Tuch, was unserm Flanell ähnlich, aber grober und härter ist, und verfertigen davon ihre und der Manner gewöhnliche Kleidung. Besonders geschickt sind sie im Trejsenmachen, und alle die vielen Tressen aus Silberfaden, die vielfach an ihrel Kleidung gebraucht werden, sind sämmtlich von ihnen selbst bereitet. Auch im Sticken und Weben zeigen sie sich geschickt, und ich habe Teppiche gesehen, die durch Schönheit und Eleganz sich auszeichneten. Vorzüglich verfertigen sie durch Verfilzung die oben erwähnten Vurkcn, und außerdem eine Art dicker Teppiche. Für die Manner machen sie häufig auch Säbel- und Dolchscheiden, so wie Futterale für die Flinten. Die Manner, wenn sie nicht die Noth zum Arbeiten zwings, strecken sich auf ihren Vurken aus, oder sitzen mit übereinandergc-schlagenen Beinen auf den Teppichen, den Rauch aus ihren kurzen Pfeifen einziehend und ausblasend. Nur wenige beschäftigen sich mit crnstcrn Dingen, besonders mit dem Schmiedehandwcrk und der Bereitung des Pulvers. Ihre Berge liefern Eismerze in Menge, und Holz haben sie ebenfalls genug, um das reine Me, tall zu gewinnen. Außer gewöhnlichen Eisenwaaren als: Nageln, Hacken, Schaufeln, Messern :c. verfertigen sie zum Theil vorzügliche Flintenläufe dadurch, daß sie in einer Spirale herum, 42ft gewickelten Drath im Feuer zusammenschweißen. Ihre Dolche und Säbelklingen haben keinen Werth, und sie beziehen auch diese vorzüglich von den Kubetschi, dem Volke, das fast den ganzen Kaukasus damit versieht. Panzerhemden und Armschienen werden nicht mehr gemacht, und die vorhandenen vererben sich vom Vater auf den Sohn. Früher waren die Tscherkessen in der Verfertigung derselben sehr geschickt. Silberne Zierrathen findet man besonders an den Gürteln und mit vieler Geschicklichkeit werden sie meist schwarz gearbeitet im Lande gemacht; auch Ringe, Spangen :c. sieht man nicht wenige. Außer Metallwaaren verfertigen die Männer auch allerhand Lederarbeiten. Leider sind sie aber im Gerben umgeschickt, und fast alles Leder, auch die Pelze ziehen Feuchtigkeit an. Das Gerben besteht bei ihnen auch' nur darin, daß Holzspane und Rinde befeuchtet, und eine knrze Zeit auf die Haute gelegt werden. Hierauf reibt man sie, zieht sie einigemal durch Wasser, und bringt sie von neuem mit Holzabfallen in Berührung. Bei so geringer Industrie kann auch der Handel nur unbedeutend seyn, und dadurch daß die Russen die ganze Küste besetzt haben, hat er fast ganz aufgehört. Mit den übrigen Völkern des des Kaukasus ist er unbedeutend. Dasi das Geld nur wenig in Tscherkessicn bekannt ist, habe ich schon früher Gelegenheit gehabt zu erwähnen, und während im Innenland das Rindvieh eigentlich das größere Geld ist, wornach gerechnet wild, so sind es an den Küsten die Sklaven. Türken und Armenier sind die Mittelspersonen zwischen den Tscherkesseu und den übrigen handelnden Volkern; wie aber kem Fremder das Land ohne Gastfreund betreten darf, ohne der Gefahr selbst Sklav zn werden sich auszusetzen, so muß auch der nach Tscherkessien handelnde Kaufmann daselbst einen Bisim oder Gastfreund besitzen, der ihn schützt. So besaßen dke Russen während der Zeit ihrer Handelsniederlagen im zweiten Iahrzehend unseres Jahrhunderts den schon oft erwähnten Indar-Oku als Gastfreund, und krin Tscherkesse wagte bis zur Entführung des Mädchens cmen Russen zu beleidigen. Der Kaufmann erhalt von seinem Gastfreunde Wohnung für sich, für seine Diener und Waaren, und muß in der ganzen Zeit seines Aufenthaltes von ihm ernährt werden. Dafür gibt er aber für jeden Sklaven <«5 (oder was einem Sklaven an Werth gleich ist, so z.V. 400Okas*) Wachs oder Honig) 5 sim Nordens Pfd. oder 10 ^im Südens Stück Waaren ab, von denen ein jedes den Werth von 20 türkischen Piastern **) haben must, an seinen Wirth ab, der nun wiederum seiner Bruderschaft einen Theil abtreten muß. Der Haupthaudel bestand noch vor wenigen Jahren an der Küsteundim Innenlande aus Sklavinnen. Seit der ältestenZeit schon haben die Tscherkessierinncn durch den ganzen Orient eine Berühmtheit ob ihrer Schönheit, der sich nicht ein zweites Volk rühmen kann, sich erfreut. Der Chakan Disabulos schenkte dem griechischen Gesandten eine Tscherkessicrin, und Massudi schreibt entzückt über die schönen Gestalten. Was man im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung schon nannte, hat auch im zweiten Anerkennung gefunden, und alle Reisenden stimmen in das Lob der tscher-kessischen Sklavinnen ein. Die Harems des Sultans und der türkischen Großen sind angefüllt mit Tscherkessierinen, und viele von ihnen besitzen in dem Staatshaushalte ihres neuen Vaterlandes einen wichtigen Einflusi. Die wenigsten dieser Sklavinnen sind aber achte Tscher-kefsierinncn, da der Tscherkesse nur selten seine Tochter, so sehr diese es auch oft wünscht, verkauft, sondern in der Regel führen auch Mädchen der benachbarten Volker, besorders der Russen, Massen, Ossen und Grusier, die auf den hä:?ft>>n Einfallen geraubt werden, diesen Namen. Man kauft diese Mädchen gewöhnlich schon vor der vollen Entwicklung ihres Körpers, um sie dnrch reichliche Nahrung und eine geregelte Nnhe in den Zustand zu bringen, den die Türken lieben, uämlich in den der Beleibtheit. Die Bewohnerinnen des Kaukasus führen ein arbeitsames und thätiges Leben, und bewegen sich auch außerdem noch viel im Freien herum, so daß es nicht auffallen darf, wenn sie sich eine schlanke Figur erhalten. Kommen sie aber plötzlich in einen Zustand der Gemächlichkeit und Nnhe, so fttzen sich bei ihnen nach und nach jene Fettpolster, welche die Türken so sehr lieben, ab, und ans der *) Ein Oka betragt ungefähr 27? Leipziger Pfund; 6 Oka machen l Batman. "") Die Piaster sind im Preise sehr gesunken. Während sie früher 25 Sterl. kosteten, betragen sie jetzt nur 4 D. 428 schlanken, nach europäischen Begriffen schonen Kaukasienn wild eine türkische Schönheit. Die Tscherkessierinnen haben über die übrigen Sklavinneu eines Harems gewöhnlich dadurch ein Uebergewicht, daß ihre Erziehung im Vaterlande naturgemäßer und freier statt fand, als es im Orient bei dem weiblichen Geschlechte der Fall ist, und daß dabei ihre geistigen Anlagen sich zn ihrem Vortheile herausbilden konnten. Sie gelten daher durch den ganzen Orient für gebildeter und poetischer. Die frühern Chane der Krim und eine Zeit lang auch die Sultane zu Konstantinopel hatten nur Tscherkessierinnen in ihren Harems, und es geht die Sage, daß als einer der Selims am frühen Morgen seine grusische (georgische) Geliebte gefragt habe, welche Tagszeit wohl eben seyn möge? diese geantwortet hatte: „der Tag könne nicht mehr fern seyn, da sie immer um diese Zeit ein gewisses Bedürfniß fühle." Die andere Nacht hätte er um dieselbe Zeit seiner tscherkessischen Geliebten dieselbe Frage vorgelegt und die Antwort erhalten: „Wohl mag bald der Tag beginnen, denn ich fühle den Zephyr des Morgens mit meinen Haaren spielen." Der Preis einer Tscher-kessicrin ist nach ihrer Schönheit und nach den gerade obwaltenden Verhältnissen verschieden, und betragt oft 6 — 8000 Piaster, bisweilen aber auch nur einige Hundert. Jetzt wo die Russen zum großen Theil dem Sklavenhandel ein Ende gemacht haben, ist der Handel mit Pelzwerk bedeutend geworden, und eine große Partie der sogenannten Astrachaner stammt von tscherkessischen Schafen. Außerdem sind es besonders Wolfs-, Fuchs- und Marder-Felle, welche jede Art oft 3« l 00,000 Stück jahrlich ausgeführt werden. Sie sind im Lande billig, und das Stück wird kaum mit ein paar Groschen bezahlt. Barenfalle führt man nur wenig, kaum einige tausend Stück aus, da die Barenjagd zu gefährlich und ihr Ertrag nicht belohnend ist. Ziegen-, Hirsch-, Gemsen- und Steinbockfelle, die bei uns, besonders die letztern zur Fabrication von Handschuhen gesucht werden, benutzt man mit Ausnahme der Haare fast gar nicht, aber in nicht geringer Anzahl werden von Türken und Russen allerhand Hörner aufgekauft. Haute besonders vom Rindvieh und Pferden gehen m großer Menge nach der Krim, wo sie entweder bearbeitet oder weiter 429 verführt werden. Rindvieh und Schafe verkauft man nur selten, aber Pferde aus Tscherkessien stehen allenthalben in hohem Preise. Einen wichtigen Ausfuhr-Artikel bilden endlich noch Wachs und Honig und schon, als Peyssoncl in der Krim sich aufhielt, wurden jährlich gegen 6 bis 8000Okas Wachs und 5 bis 6000 Quintals Honig ausgeführt. Später sollen, wie nur armenische Kaufleute versicherten, jährlich gegen 20 bis 30,000 Okas meistens nach Konstantinopel und von da nach England verkauft worden sey«. Von ihren eigenen Fabricate« führen die Tscherkessen nur ihr sianellartiges Tuch (Tschekmen), entweder in ganzen Stücken oder schon zu Rocken und Beinkleidern verarbeitet, und Burken in nicht unbedeutender Menge aus, und verschen damit einen großen Theil des Kaukasus. Ihre Flinten werden ebenfalls gesncht, und vor allem haben ihre silberneu Arbeiten, die Tressen und Schnüren eine große Berühmtheit durch die Kunst und den Geschmack, mit denen sie verfertigt worden sind, erhalten. Die rohe Wolle ihrer Schafe wird nur wenig verführt, sondern meist im Lande verarbeitet. Wichtig könnte mit der Zeit dieHolzausfuhr werden, besonders da im Norden und Westen des asoff'schen und schwarzen Meeres ein ganzlicher Mangel von Wäldern vorhanden ist, und an der Küste Tscherkessiens Brenn- und Nutzholz in Menge wachst. Eichen und Buchen-Arten kommen am häufigsten vor, und dec Buchsbaum oft von ungemeiner Stärke bildet nicht selten dichte Wände gegen die andrängenden Fluthen des Meeres. Die Einfuhr ist bei der Einfachheit, mit der die Tscherkessen leben, nur gering, und besteht vorzüglich in baumwollenen, wollenen und seidenen Stoffen. Seitdem die Küste von den Russen besetzt ist, werden fast gar keine Waffen und keiil Pulver mehr nach Tscherkessien gebracht. Tabak, den sie leidenschaftlich lieben, erhalten sie aus andern Gegenden der kaukasischen Lander. Wichtig aber ist das Salz uud den Tscherkessen unentbehrlich. Sie können es nur von den Russen beziehen, und sind deßhalb zu gcwisscn Zeiten von ihnen ganz abhängig. Nur die unterworfenen und fn'cdlichcn Stamme erhalten ein gewisses Quantum gegen andere Waaren, den feindlichen wird es aber nicht verabfolgt, und diese sind daher gezwungen, es um einen hohen Preis von jenen 430 zu kaufen. Das Bedürfniß darnach ist oft so groß, daß einzelne Stamme oder Brüderschaften deßhalb mit den Russen Frieden machen. Die große Einfachheit und Mäßigkeit, womlt der Tscherkesse lebt, ist die Ursache, warum Krankheiten im allgemeinen seltner vorkommen und ein hohes Alter von hundert unb mehr Jahren keineswegs zu den Seltenheiten gehört. Eigentliche Aerzte gibt es unter ihnen nicht, und wie bei allen rohen Völkern, so beschäftigen sich auch die Priester und alten Frauen vorzüglich mit der Arzneikunst. Die häufigsten Krankheiten sind das kalte Fieber, die Kratze, Blattern, Lungen- und Leberentzündungen und Gallenfieber. Die Pest erscheint nur selten in Tscherkessien, tritt aber dann mit einer solchen Wuth auf, daß oft über die Hälfte der Bewohner stirbt. Das kalte Fieber herrscht über den ganzen Kaukasus, und gehört zu den gefährlichen und heftigen Krankheiten. Ich werde spater noch einigemal darüber zu sprechen Gelegenheit haben. Die Kratze oder wenigstens ein dieser ähnlicher Ausschlag tritt nicht selten epidemisch auf, und wurde früher bevor die kaukasischen Bäder von den Nüssen zu deren Bedarf weggenommen wurden, durch diese vertrieben. Jetzt reibt man die Kranken mit einer Salbe, die den scharfen Saft einer Pflanze, wahrscheinlich einer Art des Geschlechtes ^cointum ^. (^. Kasutum I^'iscK. ?) enthält, mehrmal des Tages ein, und gibt innerlich aromatisch-schweißtreibende Getränke. Die Blatterl, sind (wenigstens im westlichen Kaukasus) häufig, und richten nicht selten bedeutende Verwüstungen an. Sie werden mehr geflohen als die Pest, und der Kranke, der von ihnen ergriffen ist, wird in der Regel seinem Geschicke überlassen. Auf elendem Teppiche in einer ärmlichen Hütte liegt der Unglückliche in der Nähe des Feuers, und sieht erwartungsvoll dem Augenblicke entgegen, der ihn von seinen Leiden erlösen soll. Verlassen von au.u Menschen, nicht hinlänglich geschützt gegen Wind und Req^u ist der Tod die stete Folge. Es gehört zu einer großen Seltenheil, wenn ein solcher Kranker der Genesung wieder gegeben wird. De la Motraye *) erzählt ebenfalls, daß die Blattern sehr häufig in Tscherkessien vorkommen; es scheint aber, daß er eine andere mildere Krankheit, wahrscheinlich die *) De la Motraye Voyages, Tom. II. p. 93. 431 Masern, damit verwechselt habe. Nach ihm ist jede Mutter besorgt, daß die Kinder um die Schönheit derselben zu erhalten, schon zeitig von den Blattern befallen werden, und legt sie deßhalb zu andern, welche davon ergriffen sind. Am liebsten impfen sie das Contagium, um die Krankheit sicher hervorzurufen, ein. Matrouen sind es gewöhnlich, welche das Geschäft der Inoculation besorgen. Zu diesem Zwecke binden sie drei Nadeln zusammen, und stechen mit diesen an fünf verschiedenen Stellen (in der Herzgrube, auf der linken Brust, am Nabel, auf der Fläche der rechten Hand uud auf dem Rücken des linken Fußes) oberflächlich in die Haut bis Blut kommt. Das Contagium wird nun mit den wunden Stellen in Berührung gebracht. Vor der Operation wurde das Kind erst im!Innern durch eine Purganz, bestehend aus den Blattern uud Wurzeln der Ochsenzunge (^n^iuga ^»nicu^ta ^it. oder I^co^is arvenzi» I^.j und Honig gereinigt, nachher werden die wunden Stellen mit getrockneten Angelica - Blattern belegt, und mit Fellen von neugebornen Lämmern umwickelt. Hierauf bedeckt man die Kinder mit Pelzen, und gibt ihnen als Nahrung einen Absud von Kümmelmehl vermischt mit zwei Drittel Wasser und einem Drittel Schafsmilch. Von Zeit zu Zeit erhalten sie auch ein gelindes Abführungsmittcl, bestehend aus Ochsenzunge, Süßholz und Angelica. Am fünften oder sechsten Tage, selten spater, kommen die Pusteln zum Vorschein. Außer den genanten Mitteln, welche in Tscherkessien den Namen: Fehinne, Allida und Albahcl*) führen, gebraucht man noch das Gänseblümchen und die Cardobeuedicten (Hellenhiet und Heldeit). In der Regel kochen sie die fünf Krauter mit den Wurzeln zusammen, und bereiten für alle Krankheiten ein Getränk daraus. Lungenentzündungen sind wahrscheinlich Folge der schneidenden und scharfen Vergluft und treten wie die übrigen Entzündungen stets imermittirend auf. Gegen die Sitte der Orientalen sind Blutentziehungen in Tscherkessien die gewöhnlichen Heilarten, und um sie zu bewerkstelligen, schneidet man mit einem Messer in das Fleisch und läßt die Wunde so lange bluten, als *) Diese Namen klingen mehr arabisch als tscherkessisch, und es wäre deßhalb möglich, daß sie de Ia Motrape mit andern perwechselt hatte. 43s man es für nothig hält. Da sie in der Regel nicht weit von dem entzündeten Organe, also hier unmittelbar auf der Brust vorgenommen werden, so wird hierdurch anch eine Art antagom-siischer Wirkung erzielt. Gegen Leberentzündungen und Gallen-fiebcr, welche übrigens häufiger die Fremden heimsuchen, vermögen die Tjcherkessen nur wenig auszurichten, und der Kranke endet gewöhnlich schon in einigen Tagen. Im Julius und August treten sie oft epidemisch auf und richten, wenn diese Monate sehr heist sind, große Verwüstungen an. Da nach dem Glauben der Tscherkcssen jede Krankheit durch böse Geister hervorgerufen wird, so halten sie es für nothwendig, deren fernere Einwirkungen so viel als möglich abzuhalten, und da jene des Nachts thätiger sind als am Tage, so darf vor allem der Kranke nicht schlafen, sondern muß anf alle Weise wach erhalten werden. Alle Verwandten und Freunde finden sich nach und nach ein, lärmen besonders des Nachts in hohem Grade, und führen allerhand kriegerische Spiele auf. Bell erzahlt häufig, wie> schwer es ihm wahrend seiner mcdicinischen Praris geworden sey, die tobenden Gäste zu entfernen. Trotz seines Verbotes hätte man stets, wenn er den Rücken gewendet, das Lärmen von neuem begonnen. Am größten ist der Spektakel bei verwundeten Kriegern, da Jedermann gezwungen ist, diese auf irgend eine Weise zu unterhalten. Eine eiserne Pflugschar befindet sich in der Nähe des Kranken, und wer eintritt, schlagt mit einem eisernen Stabchen dreimal darauf. Wenn der Kranke schlafen will, fahrt einer der Anwesenden mit drr Hand in ein in der Nahe stehendes Gefäß, und bespritzt den armen Leidenden mit kaltem Wasser. Die Jugend beiderlei Geschlechts findet sich ein, und sucht durch Gesang und Tanz das Herz des Kranken zu erfreuen. Sänger stimmen zu seinen Ehren ein Lied an, und besingen in bilderreicher Sprache seine Thaten. Ein Stück Vieh wird nach dem andern geholt und geschlachtet, um die vielen Gaste auch würdig zu bewirthen. Aberglaube leiret nicht selten den Arzt bei seiner Heilung, und besonders Mohammedaner halten die Benutzung des Koran zur Wiederherstellung des Kranken für nothwendig. Die Mollahs lesen demnach emzelne Capitel vor, und wo kein Koran aufzu-treiben ist, sucht man sich cmzelner Stellen daraus auf kleine 433 Zettelchen geschrieben zu verschaffen, zerreißt diese in Stücken und laßt sie mit Wasser dcn Kranken trinken. Dem heidnischen Tschcr-k'essen ist es gleich, ob das Papier, was verschluckt werden soll, eine Stelle aus dem Koran oder aus der Bibel enthalt, und Bell wurde einigemal ersucht, irgend ein Gebet für einen Kranken auf ein Stückchen Papier zu schreiben. Wenn aber kein Mittel mehr hilft und der unerbittliche Tod schnellen Schrittes herbeieilt, dann hdrt der tobende Lärm auf und Jedermann wendet seine Blicke auf den Kranken. Mit dem Augenblicke, wo die Seele zu einem hohem Seyn entflieht, beginnen alle Anwesenden ein fürchterliches Klagegeschrei, das um so größer ist, je mehr der Todte einer allgemeinen Achtung sich erfreute. Die Frauen, besonders diejenigen, welche dem Verstorbenen am nächsten stehen, und vor allen die Wittwe und Töchter hören auf die lieblichen und milden Wesen zu seyn. Mit einer Wuth fahren sie sich in die Haare, und reißen unbarmherzig in diesen herum. Mit den Nägeln zerkratzen sie sich das Gesicht und die übrigen unbedeckten Theile des Körpers. Niemand nimmt mehr Rücksicht auf den andern und jedes sucht auf seine Weise den tiefen Schmerz kund zu thun. Auch die Männer ergreifen ihre Reitpeitschen oder Stöcke und schlagen ihre Glieder unbarmherzig. So vom Blute oft triefend läuft Jedermann wie unsinnig herum und stößt den Kopf gegen alles, was in den Weg kommt. Ist der erste Schmerz vorüber, dann setzen sich die Verwandten zusammen nnd berathen sich unter einander, wie sie den Todten ehren wollen. Die Art des Todes und der Stand des Todten bestimmt die nähern Einzelnheiten. Ein Krieger, der im Kampfe gefallen, genießt, wenn er angesehen war, die größte Ehre. Geringer sind schon die Feierlichkeiten, wenn der Tscherkesse an einer im Kriege erhaltenen Wunde stirbt, und sie sind wieder um so großer, je kürzere Zeit er dann noch lebt. Der im Kampfe gefallene, so wie auch der vom Blitz getroffene geht unmittelbar in das Paradies ein, wenn Jemand aber an einer Wunde mederlic-gend noch eine längere Zeit lebt, so hatte er entweder durch Ungeduld, oder dadurch, daß er offen den Schmerz zeigte, gegen die Gottheit gesündigt und kann daher auch nicht auf gleiche Feierlichkeiten Anspruch machen. Stirbt der Tschcrkesse im hohen Alter, so wird er mehr geehrt, als wenn ihn der Tod in dcr schönsten Reisen „nd Läüderbestlneibungen. XXIII. <)^ (Reise nach Kaukasisin.) 434 Blüthe seines Lebens hinwegrasste. Frauen, Mädchen und Sklaven erhalten weniger Ehrenbezeugungen, und sie mehren sich ebenfalls nach dem Alter und dem Ansehen der Verstorbenen. Ein im Kampfe Gefallener wird erst mehrere Tage nach seinem Tode begraben, da eine Menge Vorbereitungen für die Festlichkeiten dieß nothwendig machen; ein Sklave oder ein Mädchen wird oft schon nach wenigen Stunden der Erde übergeben. Bei einem großen Leichenbegangm'ß finden sich alsbald alle Frauen und Madchen der ganzen Verbrüderung und Nachbarschaft ein und unterstützen sich gegenseitig bei den Zubereitungen für das Gastmahl. Ist die Familie des Verstorbenen arm, so sind die einzelnen Glieder seiner Verbrüderung verbunden, das Nöthige mitzubringen. Den Tag und oft auch die Nacht hindurch wird Brod gebacken und das tscherkessische Bier und der Meth gebraut. Die jungen Bursche holen das Schlachtvieh herbei und übergeben es gelobtet und znm Theil schon in Stücken geschnitten den Frauen. Die Glieder der Familie des Verstorbenen thun gar nichts als wehklagen. Der Todte, wenn er im Kampfe gefallen war, wird, wie er ist, auf einen Teppich inmitten seiner Wohnung gelegt: starb er hingegen zu Hause, gleichviel ob an erhaltenen Wunden oder an einer Krankheit, so must er erst gewaschen werden, worauf man ihm die schönsten Kleider anzieht. Sind diese zu schlecht, so müssen neue, meist auf Kosten der Verbrüderung gemacht werden. Die übrigen ihm gehörigen Kleidungsstücke werden auf ein Kissen, das an einer Seite des Todten befindlich ist, gelegt und die Waffen entweder im Zimmer aufgehängt overman macht vor der Thüre aus den letztern eine Art Triumphbogen. Die Wittwe steht zu Füßen des Todten an der Thüre und ein weißes Taschentuch in der Hand sieht sie ihren geliebten Gatten unverwandt an, von Zeit zu Zeit Schmerzenstdne von sich gebend und die Thränen trocknend. Die Tochter sitzen auf beiden Seiten des Todten unbeweglich vor sich hinstarrend. Der übrige Raum des Zimmers ist mit den nächsten weiblichen Verwandten, die sämmtlich ihren Schmerz durch Schluchzen und Weinen kund geben, ausgefüllt. Der männliche Theil der Trauernden befindet sich außerhalb des Zimmers in der Nähe des Einganges zu demselben; je nach dem Grade der Verwandtschaft und nach dem Alter 435 geht einer von ihnen nach dem andern in das innere Gemach, gibt einen Schmcrzenslaut, der von den Frauen wiederholt wird, von sich, hält seine Hände umschlungen an die Stirn und kniet vor dem obenbezeichneten Kissen nieder, sein Haupt bis zu diesem neigend. In dieser Stellung bleibt er so lange, bis die Töchter des Hauses ihn an den Armen ergreifen und beim Aufstehen unterstützen. Sie geben ihm dadurch gleichsam zu erkennen, daß er seinem tiefen Schmerz Einhalt thun solle. Tritt aber ein Greis ein, so geziemt es sich nicht, seine Trauer laut zu äußern, sondern er sagt irgend etwas, z. B. „es war Gottes Wille," was zur Beruhigung der Familie dient. Wahrend dieser Zeit wird von einigen jungen Leuten auf einem geheiligten Platze, wo schon viele ihren ewigen Schlaf schlafen, das Grab zur Aufnahme des Todten gefertigt und dieses ziemlich tief und in der Regel langer und breiter, als der Todte ist, gemacht. Wenn dieser Mohammedaner war, so must der Theil des Grabes, wo der Kopf ruht, nach Suden, also nach der Gegend, wo Mekka befindlich ist, liegen. Man überwölbt auch diese Stelle mit Steinen oder einfach mir Flechtwerk. Gewöhnlich am dritten Tage gegen Abend wird der Todte von einigen jungen Leuten hinausgetragen. Ein Priester beginnt unter Ablesen einiger Stellen aus dem Koran den )ug und je nach dem Grade der Verwandtschaft folgen die Anwesenden. Ueber dem Grabe feuert man noch einmal Flinte und Pistole ab und der Tapferste unter den Trauernden zieht die Schaschke des Todten aus ihrer Scheide, einigemal sie über ihn schwingend. Das Licb-lingspferd wird dreimal um das Grab herumgeführt und ihm oft als Eühnopfer oder zum Gedächtniß des feierlichen Tages ein Ohr abgeschnitten. Sind alle Förmlichkeiten zu Ende, so senkt man den Todten in das Grab und Jedermann ist bemüht, damit dieser nun für immer den Blicken der Welt entzogen sen, etwas beizutragen. Aus der Umgegend selbst holt man noch Erde herbei, um den Grabhügel so hoch als möglich zu machen. Ein Stein bezeichnet die Stelle, wo der Kopf liegt. Früher besaßen die Tscher-kessen eine eigene Art Grabmaler, und Bell hatte in der Zeit seiner Anwesenheit daselbst mehrmals Gelegenheit diese näher zu betrachten.*) ") Loll Journal, Vol. i. p^. 454., „ebst einer Abbildung. 28* 436 Fünf große mid platte Steine waren ungefähr fünf Fuß hoch, eine längliche Form bildend, aufgestellt und ein großer sechster Stein von oft nenn Fuß Lange und fünf Fuß Breite verdeckte die obere Oeffmmg. In einem Stein der Vorderseite befand sich ein rundes Loch von der Größe eines Kinderkopfes. Auf dem Grabe des Verstorbenen werden eine Menge Schafe und ein oder mehrere Ochsen geschlachtet und das so erhaltene Fleisch dient zum Theil für die Bereitung eines großen Gastmahls, zum Theil vertheilt man es auch unter die Armen. Ein wenig wird auch zubereitet auf das Grab gestellt, damit ein jeder, der zufällig vorbeigeht und Gebete für den Verstorbenen hersagt, etwas davon genießen kann. Neineggs behauptet, daß es bei den Kabardern Sitte sey, auch Sklaven und Gefangene auf dem Grabe zu opfern,*) allein Menschenopfer haben zu keiner Zeit im Kaukasus geherrscht, und kein alterer noch nenerer Reisender erwähnt dieser Barbarei. Wie alle Anwesenden verbunden sind, zur Feier des Todten etwas beizutragen, so haben sie auch ein Recht auf einen Theil der Hinterlassenschaft, nämlich auf die Sachen, zu denen sie vielleicht selbst etwas gegeben hatten. Gewöhnlich wird alles, was auf dem Kissen liegt, vertheilt. Die Waffen aber, das Pferd und das Bett des Verstorbene» verbleiben der Familie und muß ein halbes oder ganzes Jahr auf derselben Stelle liegen oder stehen bleiben. Die Waffen werden von Zeit zu Zeit heruntergenommen und gereinigt, um sie so von neuem gepntzt der alten Stelle wieder zu geben. Das Pferd darf in der ganzen Zeit den Stall nicht verlassen und muß gut gefüttert werden. Ja selbst die Wittwe und ihre Töchter können die ersten vierzehn Tage oder vier Wochen, bis ein großes Gastmahl gegeben ist, nicht ihre Wohnung verlassen, damit sie gegenwärtig sind, wenn ein ferner Verwandter sich einfindet, um sein Beileid zu erkennen zu geben. Je nach den, Ncichthume der Familie des Verstorbenen wird eine kürzere oder längere Zeit nach dem Begrabnisi ein großes Fest gegeben, zu dem alle Glieder der Verbrüderung und sämmtliche Verwandte eingeladen werden. Bei den Reichen erfolgen sie schon wenige Tage darauf und wiederholen sich selbst einigemal ') Reineggs Beschreibung des Kaukasus, Thl, l. Seite 259. 437 ,'m Verlaufe des Jahres, bei den Aermern hingegen treten sie erst ein halbes oder ganzes Jahr darauf ein. Ein solches Todten-fest muß im Freien und zwar in der unmittelbaren Nähe des Grabes gehalten werden, mag anch das Wetter sein wie es will. Mehrere Tage vorher treffen die weiblichen Glieder der Familie ebenfalls wieder Vorkehrungen und an dem bestimmten Tage ft'n-den sich oft gegen 300—500 Menschen an der bezeichneten Stelle ein. Je nach dem Reichthums werden von neuem Opferthiere auf dem Grabe geschlachtet und ihr Fleisch dann zum Gastmahl verwendet. Die Frauen sitzen auch hier wiederum entfernt von den Mannern und nehmen in der Regel einen hoch gelegenen Platz ein. Wer durch irgend eine Ursache verhindert ist zu kommen, erhalt etwas zugeschickt. Jeder Fremde, der zufällig vorbei kommt, ist gezwungen an den Feierlichkeiten Theil zu nehmen, denn er würde im Falle der Weigerung dem Todten eine Beleidigung anthun. Ritterliche Spiele schließen das Fest, was nicht selten mehrere Tage dauert. Tanz und Gesang, außer wenn der letztere zu Ehren des Verstorbenen ertönt, sind bei einem Feste solch ernster Bedeutung verbannt. Wettrennen und Wettkämpfe spielen deßhalb die Hauptrolle und enden nicht selten blutig. Die ganze Verbrüderung ist eifrig darauf bedacht, die in großer Menge herbeigekommenen Fremden würdig zu empfangen, und nichts wnd gespart, um das Fest so glänzend als möglich zu machen. Waffen, Kleidungen und Pferde werden ausgesetzt und fallen dem Sieger anheim. Spencer hat in der Beschreibung seiner Reise mit vieler Poesie und großer Gewandtheit ein solches Todtenfest beschrieben. Nach ihm beginnt das Fest nach dreimaligem Losfeuern der Flinten und Pistolen. Vier oder sechs der nächsten Verwandten gehen, ein neu aufgezäumtes Pferd an der Hand, dreimal um das Grab herum und verwunden sich am Ohre, damit einige Tropfen Blut mit den Worten: „das gehdrt für dich" auf das Grab fallen. Mehrere Jahre hindurch wiederholen sich diese Todteufeste, und man darf sich mcht wundern, wenn bei diesem großen 3luf-wandc Familien ihre Vermdgensumstande ruiniren. Ja nicht selten verarmen ganze Verbrüderungen dadurch. Wer zu Hause auf dem Krankenlager an einer Krankheit 438 stirbt, kann nie auf solche Ehrenbezeugungen Anspruch machen; sein Körper wird ebenfalls nach dem Tode gewaschen, dann aber sogleich in baumwollenes Zeug von weister Farbe genäht. So wird er nur eine kurze Zeit den Verwandten und Nachbarn gezeigt und oft noch au demselben Tage begraben. Auch die Zahl der Opferthiere, welche auf seinem Grabe geschlachtet werden, ist geringer. Es scheint als wenn weniger dic Liebe zum Todten als vielmehr die Art und Weise, wie dieser stirbt, das Maß für den äußern und innern Schmerz ist, denn eine Wittwe trauert mit ihren Kindern in eine schwarze Kleidung gehüllt viel langer um ihren Gatten, wenn dieser vom Feind erschlagen wurde. Der Schmerz wüthet in ihrem tiefsten Iunern und keinen Tag verfehlt sie das Grab ihres Beschützers zu besuchen, daselbst sich zu geißeln und die Haare auszuraufen. Bell*) fand einigemal die herausgerissenen Haare einer tieftrauernden Wittwe um den Leichenstein geschlungen. Nachdem ich auf diese Weise das öffentliche und Familien-Leben geschildert habe, bleibt mir nur noch übrig, der Religion und ihren Gebräuchen einige Aufmerksamkeit zu widmen. Es ist aber nicht leicht, das religiöse Treiben eines Volkes, was sich seit Jahrtausenden m seinen Bergen allen Eingriffen in seine Art zu lcbm hartnäckig entgegengesetzt hat und mit inniger Liebe das, was ihm von seinen Ahnen vererbt war, ergriff, einer genauern Beschreibung zu unterwerfen. Der Glaube an ein höheres Wesen, der wohl noch aus einer patriarchalischen Zeit stammt, hat sich alle Jahrtausende seines Seyns hindurch erhalten und kann trotz der fremden Beimischungen immer noch als Grundlage aller religiösen Ansichten der Tscherkessen betrachtet werden. Als von Indien aus die erste Cultur über den Westen Asiens verbreitet wurde und Indier in der Gegend des Kubans sich niederließen, theilten auch diese ihre religiösen Ansichten mit, und es entstanden neben der alleinigen Gottheit noch Wesen, die ursprünglich zwar selbst Menschen, doch durch ihre Sittenreinheit ") Nell 5ourni,l, Vol. II. ,,»3. 350. Bell beschreibt mehrmals, so Vol. I. p.-^. 203 und Vol. II. I'«6. 437 die Feierlichkeiten bei Gelegenheit eines Begräbnisses. Zum Theil habe ich seine Erzählungen benutzt. 439 und guten Lebenswandel mit der Gottheit in naherm Zusammenhange standen. Noch spater ließen sich Griechen und zwar Achaer an der Küste Tschcrkessicus nieder und brachten ihre ausgebildeten Götter mit. Als aber mit dem Beginn unserer Zeitrechnung von Palastina aus eine neue Lehre ihre wohlthuenden Strahlen in allen Landern verbreitete, fand sie im Süden der kaukasischen Länder und an der Ostküste des schwarzen Meeres ein fruchtbares Land und an Abchasiens Küste wurde eine prächtige Kirche, der bald mehrere folgten, erbaut. Von Pitzunda, wo die Bischöfe dem reinen Christenthume innig zugethan waren, und von Dioscurias, mit dem 300 verschiedene Volker handelten, aus wurde der christliche Glaube auch in Tscherkessicu verbreitet und bestand neben den frühern Ansichten. Die fanatischen Araber versuchten nm-sonst ihre Irrlehre über den Kaukasus auszubreiten und so blieb die christliche Religion fortwahrend in Tscherkessien die herrschende Kirche. Es scheint aber, als wenn der Geist derselben nicht in das Wesen der Tscherkessen eingedrungen ware, zumal auch keine Ncligion ihren Sitten und Gebrauchen ungünstiger seyn kann. Milde und Sanftmuth, zwei große Tugenden des Christenthums, müssen bei einem Volke, wo nur mannliche Kraft Werth hat, Laster seyn. Das russische Fürstenthum Tmutorakan und später die Herrschaft der Grusier über den ganzen Kaukasus besonders unter der Königin Tamar, trugen dazu bei, die christliche Religion, wenn sie auch nach den dortigen Ansichten gemodelt wurde, in Tscherkessien zu erhalten. Die Mongolen, welche im Norden des Kaukasus den Islam mit Fener und Schwert einführten, versuchten trotz der Siege Timurs, Nogai's und anderer ihrer Herrscher umsonst den Nacken der freien Tscherkcssm zu beugen. Das Christenthum vermischt mit heidnischen Gebräuchen blieb nach wie vor die herrschende Religion in Tscherkessien. Jordan de Se-veraco*) gibt uns ein kurzes aber wahres Bild des Zustandes des Christenthums auf dem Kaukasus, und aus ihm ersehen wir, daß dieses im vierzehnten Jahrhundert nicht von dem des neunzehnten sich unterschied. Wie jetzt brachten damals die Tscherkessen m der Nähe eines Kreuzes ihre Opfer. Als Interiano an *) Bocueil dc voyages ct dc memoircs publie par la societe do Geographie Tom. IV. pag. 60. 440 der Ostküste des schwarzen Meeres war, fand er die Bewohner daselbst dem christlichen Glauben zugethan. Aber nnr das weibliche Geschlecht und von den Männern die Jugend und das Alter besuchten die Kirchen und befolgten die Vorschriften derselben. Wer von ihnen die Waffen führen und das Roß leiten konnte, brachte seme Zeit auf Raubzügen zu und wagte deßhalb nicht einen heiligen Ort zu betreten. Von den seltsamen Gebräuchen der damaligen Tscherkessen erwähne ich nur, daß die Kinder erst im achten Jahre getauft wurden. Zu derselben Zeit und die beiden Jahrhunderte vorher wurden auch von Rom aus besonders Mönche aus dem Orden der Minoriten in den kaukasischen Isthmus und nach den tatarischen Landern gesendet, um die christliche Religion daselbst zu verbreiten. Ebenso mögen die Genueser, welche zu jener Zeit in Tschcrkessien Handelsniederlagen besaßen, zur Verbreitung des Christenthums beigetragen haben. Aus dieser Zeit stammen wohl auch die meiste» Kirchen, deren Ruinen noch jetzt sichtbar sind. Als aber ein neues Mongolen-Reich in der Krim sich bildete und die kuban'schcn Tataren machtig wurden, sing der Islam an allmählich im Westen Tscherkessiens sich einzudrängen und neben der christlichen Religion zu bestehen. Im Osten jedoch erhielt die letztere durch die Bekehrungsversuche unter Johann dem Schrecklichen neue Anhänger, ohne aber, wie auch im Westen, festen Fuß zu fassen. So blieb es bis in das achtzehnte Jahrhundert, wo mit der überhandnehmenden Schwache des krim'schen Chanatcs Rußland den Tscherkessen gefahrlich wurde. Diese letztem verbanden sich von nun an mit ihren frühern Feinden, den Tataren und Nogaiern, und so wurde der mohammedanischen Religion zuerst der Eingang gestattet. Je mehr Rußland im Verlaufe der Zeit bemüht war, seine Macht in Tschcr-tessicn geltend zu machen, um so mehr verlor die christliche Religion, zu der sich die Feinde des Vaterlandes bekannten, ihr Ansehen und machte dem Islam Platz. Selbst die Vekehrungsversuche der Russen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts verfehlten ihren Zweck'. Als endlich gar im neunten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts im Osten des Kaukasus ein fanatischer Schwärmer in der Person des Schcik-Mansur auftrat und die Fahne des Anf-siandes gegen Rußland und alle Christen in der Hand, unter dem Beistand und dem Solde der hohen Pforte die mohammedanische 441 Religion im Kaukasus ausbreitete, nahmen auch die meisten Fürsten Tscherkessiens dieselbe an, um so vereinigt Rußland widerstehen zu könne»?. Von dieser Zeit an schreibt sich erst die Ausbreitung des Islams im westlichen Kaukasus, wo die Paschas von Anapa und die Handelsverbindungen mit den Türken das Volk vorbereitet hatten. Die Flucht der frühem Einwohner Tamans und vieler krim'schen Tataren, die sämmtlich sich zu Mohammeds Lehre bekannten, vermehrten die Anzahl der Bekcnner derselben. Aber trotzdem in der neuesten Zeit zwei Propheten Chasi - Mollah und Schamil erstanden, um alle Kaukasier durch die mohammedanische Religion nn't einander zu verbinden, so herrscht doch fortwährend in Tscherkessien eine Gleichgültigkeit gegen deu Islam, aber auch gegen die christliche Religion. Der Glaube, den im eigentlichen Sinn des Wortes die Tscherkessen besitzen, ist ein Gemisch von heidnischen, christlichen und mohammedanischen Gebrauchen, und bald herrschte die eine bald die andere mehr vor; das christliche Princip ist aber vorwaltend. Im allgemeinen kann man annehmen, daß die Fürsten sich häufiger zum Islam bekennen, als das Volk, und daß der Islam im Norden verbreiteter als im Süden ist. Bell behauptet zwar, daß in den Thalern von der Waja bis Sutscha ebenfalls der Mohammedanismus vorherrsche. *) Der Glaube an einen alleinigen Gott, an ein unerbittliches Fatum und an eine Fortdauer nach diesem Leben bildet die Grundlage der Religion der Tschcrkesseu. Durch Erfüllung aller Pflichten: als Ehrfurcht vor dem Alter, Tapferkeit, Gastfreundschaft, Wohlthätigkeit und Beten führt man ein tugendhaftes Leben, und je mehr sich jemand derselben rühmen kann, um so geeigneter muß er seyn, unmittelbar nach dem Tode selig zu werden. Das Bereich der Verstorbenen ist in die Hölle und den Himmel getheilt und jedes derselben hat wiederum seine verschiedenen Grade. In dem Himmel haben die Tschcrkessen meistens die sieben Stufen der Mohammedaner, und Frauen so gut als Manner können in ihn eingehen. Um die Wohlthaten Gottes zu verdienen, ist es nothwendig, den Armen von seinem Ueberstusse mitzutheilen und Gebete gen Himmel zu senden. Es gibt noch eine gewisse Anzahl Wesen, die zum Theil der Heidenzeit angehören, zum Theil *) Bell Journal Vol. I. p. 431. 442 aber wohl auch aus den Heiligen der christlichen Religion entstanden sind und irgend etwas vorstehen. An diese wendet man sich, wenn man sie braucht. Um Gott und jenc Wesen zu feiern, existiren bestimmte Tage, au denen die Anbetung uud Huldigung besonders vorgeschrieben ist. Diese Festtage dauern eine verschiedene Zeit und beginnen mit einem Opfer, das aus verschiedenen Stücken Vieh besteht. Eigentliche Priester sind, die Mollahs (die aber nur den acht mohammedanischen Ritus zu vollziehen haben) ausgenommen, nicht vorhanden und gewöhnlich vertreten ältere Leute von fleckenlosem Lebenswandel deren Stelle. Da die Andächtigen nachher das Opferfleisch verzehren, so sind die Opferthiere anch zahlreich und jede Familie tragt aus seinem Haushalte einen Antheil bei. Die Stelle wo geopfert wird, musi heilig seyn und ist schon, so weit man sich zurückerinnern kann, als solche benutzt worden. In der Regel ist es ein schattiger Hain, in dem fast tausendjährige Eichen und Buchen durch ihr ehrwürdiges Alter diesen heiligen, und wie alle übrigen Baume unter dem Schutze eines besonderen Waldgottes Mesitcha stehen. Wie bei den alten Deutschen werden auch bei den Tscherkessen alle Opfer, Versammlungen :c. in einem Haine vorgenommen, und es ist, wenn der Wind leise durch die Blätter rauscht, als wenn überirdische Geister sich in den Wipfeln niedergelassen hatten, um die Berathungen und Feierlichkeiten zu leiten. Der Priester geht dem ganzen Zuge, der sich in der Nahe des geheiligten Ortes versammelt, mit unbedecktem Haupte voran, und in dem Hain an der Opfersielle angekommen zündet er eine Fackel au und spricht über diese seinen Segen. Nun führt man das Opferthier herbei und mit der Fackel werden die Haare des Theiles, an dem die Tddtung vollbracht werden soll, abgesengt. Hierauf ergreift er ein Gefäsi, das meist aus einem Thierhorne besteht und mit Schuat gefüllt ist, und gießt seinen Inhalt auf den Kopf des Thieres, diesen dadurch dem Feste heiligend. Alle übrigen Theile fallen den Anwesenden zu und werden verschiedentlich zubereitet diesen überlassen. Während der ganzen Handlung bittet nun der Priester zu verschiedenenmalen um irgend eine Wohlthat: um das Gedeihen der Feldftüchtc, um Gesundheit, um gute Beute im Kriegen, und das ganze Volk unterstützt ihn durch lautes Anrufen der Gottheit oder der ihm beigesetzten Wesen. Ist die Anbetung send und verstehen kaum den Koran zu lesen. Meistens sind es Lesgier oder Tataren von der Westküste des kaspischen Meeres. Sie werden von dem Volke erhalten, und müssen alle kirchlichen Geschäfte, als die Beschneidung, die Unter-richtung der Kinder, das Nnfen zum B.'ten, das Trösten der Kran? ken :c. besorgen, dafür bekommen sie in der Regel: 1 Procent Honig und Wachs, 10 Proc. Getreide, von 3(1 Stück Rindvieh und von 40 Stück Ziegen oder Schafen 1 Stück. Die beiden Hauptfeste Ramadan und Beiram werden fast allein gefeiert, und an dem letztern ist es Sitte, daß man sich gegenseitig besucht. *) Dubois Voyage Torn. I. p. 137. **) Potoclsi Voyage Tom. 1. p. 352. In unserm Verlage in erschienen unb durch Olle Vueliliandlunaen zub^z^tfttn: Ferdinandv. Wran ael's Reise längs der 3tord« küste von Sibirien und auf dem Gismee«, in den Jahren I82TV bis 182Ä. Nach den handschriftlichen Journalen unb Nolizen bearbeitet vom Staatbrach G. Engelhardt. Herausgegeben nebst einem Vorwort von Hl-, und Professor C. Ritter. Mit Tafeln der Temperaturverhältmsse und einer Landkarte. 2 Theile. 46 Bog. gr. 8. Velinpapier, brosch. Preis 5 Thlr. Au« unter dem Titel: Magazin von merkwürdigen neuen Reisebeschrei« bungen. AuS fremden Sprachen üliechht und m,t Anmer« kungen begleitet von I. R. Förster und andern Gelehrten. 38ster nnd 39ster Band.— Verli». Voß'scke Vuchdandlung. ^," Unterzticyneten ,st «richlencn unö a» ulie BulOliaiiolu«»»» «l,anol »vvlvenl Morgenland und Mbendland. Bilder von der Donau, Türkei, Griechenland, Aegypten, Palästina, Syrlen, dem Mtttel-meer, Spanien, Portugal und Südfrantreich. Vom Verfasser der Cartons. Drei Bände. 12. In Umschlag broschirt. Preis 4 fi. 3 kr. oder 2 Rthlr. U Zr. Inhalt deS ersten BandeSt Türkei und tziriecheniand. «. Re,selust. z. Die Donaurelse. F. K^nstanlmopel. H. Der junge Kultan. 5» Die Derwische. «. Hürltsche Vadeftene. ?. Dir Relorm. «. Die Casnnen. :>. Miö«Uen üoer d,e Türtenarmee. iu. Der Eeraskler. il. Europäische Kleidung in» Onent. »2. Die Dardanellen nnd Troja. l3. Smyrna. iH. Eftios. <5. Quarantäne l,n Piräus. 16. Atlien. '7. Der Kb-ni^, »ud sein Haus. l«. Daö Äeifen in Griechenland, ll». Das Land der «dotier. A>. Vwouac zu Delplü. «l. Konnlh. !il. Aryolis. 25. Vparia. HH. Messene und PlXaalla. 25. Olympia. 26. Patras. 2?. Die Griecyen. 2». G«i«H,sH« Zustände. H9. Dle Phäateninsel. Inhnlt deS zweiten Bandest Äegppten, Palästina, Syrien, l. Aierandrien. 2. Mebemed NN. 3. Ncgyptlsctic Besteuerung und IuNiz. /». Ewrlchtuna zur Nllreise. 5. Die N'lba'le. ß. Reise nach Cairo. 7. Cairo. «. Ivraliun Pascya. 9. Aeyyptüche Levranstalten. in. Die Pyramiden. ,». ?lllfal)rt nacy Tl?«ven. '2. T»«vcn. tz> HlrmonMs und Dmboö. ««. Plülä «nd die Kataraften. l°^. Das Beduine«' lag«, lü. Die FelstN!>rädmd bic Alterthümer. 2«. Die sOdne Safte. 2«. Nitt durch die Wüste. 23. Jerusalem. 25. Bethlehem. 25. Das todt« Meer. 2b. Zug durch Palästina. 2?. Nazareth. 2». Da« Innere von Syrien. 29. Da» maSlus. 5v. Clir'sttnmord in Damaskus. Fl. D« Antilivanon. 52. Valve«. 2z. Dtr große j^dano». 3i. Neyrul. Inhalt des dritten Bandes: Das Mittelmeer, Spanien, Portugal, die Provence. ». Cypern und NOodus. 2. Das aesirandete schiff. 5. Die Dampfschiffe im Mittelmeer, ä. Malta. 5. Die franzdslscyc Verberel «nb die <2p>he von Europa, «z. Malaga. ?. Die andalusischc Landtutsche. ». Granada, u. Dte Alüamvra. tll. Reiie naa, Aranjuez. ,,. Aranjuez. 12. Madrid. «3. DaS Stltrgefecyt. zi. Der Frohnleichnametag «n Madrid, l«. El Oscorial. l«. Drei Tage unter Räudern. »?. Das Laud der Mauren. t8. SevMa. ä«. Die Cigarren-Fabrik. 20. C>'dl^. 2l. Lissabon. 22. Cintra. 23. Der Ph«uilien. 2». Die Proven«. 2K. D'e Rlione. Neben lebendigen Schilderungen der Natur und des Volkslebens findet sich in diesen Mildern auch mancher interessante Beitrag zur Beurtheilung der politischen Zustände, namentlich Syriens und Aegvptens, welcke der Verfassec erst im Lause des Jahrs 1840 besucht hat. Cr hat die Verwaltung und die Heeresmacht der beiden ägyptischen Pascha?, des VaterS und des Sohnes, mit einenen Augen gesehen, und feine Tagebücher beurkunden, wie richtig er die Vodeniosigkeit ihrer Macht, die Gebrechlichkeit aller ihrer kriegerischen Nessourceu zu würdigen wußte. Stuttgart und Tübingen, 1812. I. G. Votta'scher Verlag. KRte — Montenegro und die Montenegriner. Ein Beitrag zur Kenntniß der europäischen Türkei und des serbischen Volks. Preis 1 fi. 24 kr. oder 20 gr. RVte — V^nnVl» ^ «,»«>»«> 7 die Mmerikaner in ihren moralischen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Aus dem Englischen überseht vom Versasser. Preis 3 . Urquhart. A. d. Engl. übe,seht von Dr. F. G. Buck. 2 Bde. 5 fi. oder 3 Rlhlr. 8 gr. Ivte Lfg. Rußland und die Tscherkessen. Von K. F. Neu mann. Preis 1 fi. 30 kr. oder 21 gr. 2«ste — Reisen auf den griechischen Inseln des ägäi« scheu Meeres. Von Hr. LudwigRoß. Elster Band. Preis 2 fi. 15 kr. oder 1 Rthlr. 8 gr. 21ste — Gin Vesuch auf Montenegro. Von Heinrich Stieglitz. Prels 2 fi. 45 kr. oder 1 Rthlr. 8 gr. 22ste — Acht Wochen in Syrien. Ein Beitrag zur Geschichte des Feldzuges 1840. Mit einer Kalte vom Kliegschauplatz. Preis 2 fi. oder 1 Rchlr. 4 gr. Stuttgart und Tübingen. 3. V. Cotta'lche Suchhandlung. ?k^