Muzikološki zbornik Musicologica! Annual XX, Ljubljana 1984 UDK 781 .6:001.895 MUSIKGEBUNDENE INNOVATIONSVORGÄNGE: EIN Brno SONDERFALL DER DIALEKTIK DES MUSIKALISCHEN UND AUSSERMUSIKALISCHEN Es ist durchaus verständlich, wenn die heutige Tagung beim Modellieren des gegebenen Themas absichtlich von dort ausgehen will, wo wir gestern unsere Analysen und Bilanzen der musikalischen Innovationsquellen des 20. Jahrhunderts abgeschlossen haben. Nun ist es bereits genug klar, dass uns dieses Zeitalter tatsächlich zahl reiche Beispiele ununterbrochener grundsäzlicher Umwandlungen sowohl der Musikproduktion selbst als auch deren Voraussetzungen und Realisierungskontexte bietet, wobei es im Lichte der gestrigen Ausführungen schlechthin auffällig wurde, dass es eben die durch vielseitige Wirkungen aussermusikali scher Lebensbereiche gegebene Dynamik der letzteren Erscheinungsgruppe sein kann, die manche wesent!iche Veränderungen des Musikstrukturierens erzwingt. Denoch wäre es allzu einseitig, ja theoretisch zweifelhaft, wenn nicht gerade irreführend, jener bunten Empirie die Schlussfolgerung zu entnehmen, es gebe ausschliesslich die in der Bewegung des aussermusikali sehen Kontextes vorkommenden Innovationsquellen der Musiksprache und keine anderen. Würde man sich mit solch einer These zufriedenstellen, dann hätte es offensichtlich keinen Sinn, in unseren Gesprächen fortzusetzen, und die Teilung des Kolloquiums in zwei thematische Umkreise, d. h. in den der aussermusikalischen und jenen der innerlich musi kal i sehen Innovationsquellen der Musik wäre vom Anfang an als falsch zu schätzen. Den Anlass jeder Musikinnovation könnte man ruhig in einem oder in mehreren ideologischen, ideellen, sozialpsychologisehen, techno!ogi sehen und ökonomischen Determinationsfaktoren finden und die Innovationen der Musik liessen sich darüber hinaus als blosse Folgen charakterisieren ,- d.. h. als Endphasen bestimmter, durch aussermusikali sehe Impulse gestarteter und überwiegend im aussermusikali sehen Milieu verankerter Vorgänge. Anders könnte man diese Vorstellung so ausdrücken, dass dem Gebiet der Musik selbst keine Innovationsquellen ihrer Entwicklung eigen seien und dass man hier lediglich gewissen "Durchführungsmechanismenl, allgemeinerer Neuerungsprozesse begegne. Dies entspricht aber weder unseren realen Musikerfahrungen, noch dem Sinn von Ausführungen Ivan Polednaks, der in seinem Grundreferat die .aussermusikalischen Momente eigentlich als Innovationsquellen des sog. Musikuniversums geschildert hat, 101 d. h. eines breiteren Bezugsfeldes, in dem die sich entwickelnde Musikproduktion spezifisch eingebettet ist. Meiner Meinung nach geht aus Polednaks Gedanken zweierlei Erkenntnis hervor: einerseits kann man annehmen, dass sich wirklich hinter jeder Musikinnovation - und zwar nicht nur in unserem Jahrhundert und sicherlich auch nicht ausschliesslich auf dem nichtartifi ziel 1 en Gebiet - bestimmte aussermusikali sehe, jedoch das Musikuniversum tief durchdringende und in diesem Sinne musikbezogene Regungen verbergen, andererseits ruft eben das feste Verwurzeln aussermusikali scher Tatbestände ins Musikuniversum die Notwendigkeit hervor, die Innovationsquellen aus dem gesamten Geschehen an der Achse "Aussermusikalisches - Musik" herausgreifen zu müssen. Das erstere Moment korrigiert die allzu bequeme Praktik jener Musikhistoriker, die sich die Innovationsprozesse nicht anders vorzustellen wissen als automatisch verlaufende Umwandlung des autonomen Musikdenkens der Komponisten (etwa auf die Art: Haydn zeugte Mozart, Mozart zeugte Beethoven ..... usw.), durch die letztere Erkenntnis wird dann eine wirksame Abwehr gegen schroffe Kurzschlüsse gefunden, wie sie oft bei Musiksoziologen, sozio!ogisierenden Musikgeschichtsschreibern und Kulturhistorikern der Musik vorkommen. Und weil das einseitige autonomisti sehe Konzept mindestens in der marxistischen Musikwissenschaft schon längst überwunden ist, lasset uns hauptsächlich Argumente gegen die nicht weniger schädlichen "Kurzschiusspraktiken" sammeln! Versuchen wir auf dieses Problem so einzugehen, dass wir zunächst nochmals - sozusagen pro domo sua - die Grundbegriffe leicht präzisieren. Im vollen Einklang mit der Auffassung dieses Kolloquiums unterscheiden wir streng zwischen Musikinnovationen und deren Quellen, d. h. Impulsen, Anregungen und Anlassmechanismen. Die Innovationen der Musik halten wir dann für die, in der Musik erreichten und aus ihr heraushörbaren (natürlich auch analytisch herausgreifbaren) Neuerungen, also für solche Zustände einer konkreten Musikstruktur, die sich von dem Eingelebten merklich, anders gesagt qualitativ unterscheiden. In diesem Zusammenhang erhebt sich allerdings die Frage nach der ontologisehen wie funktionalen Beschaffenheit der mit den Musikneuerungen nicht identifizierbaren Innovationsquellen. Was den ontischen Aspekt angeht, so setzen wir einstweilen voraus (und werden uns auch weiterhin bemühen, es zu beweisen), dass es sich sowohl um aussermusikali sehe als auch um musikalische Tatbestände handeln kann. Eine Quelle der Musikinnovation ist allerdings als solche nur dann denkbar und identifizierbar, wenn sich eine aussermusikalische oder musikalische Entitat als Vorbedingung, Ausweg, Ursache, Anlassfaktor oder Träger eines qualitativ neuen Zustandes der Musikstruktur (bzw. des Musikstrukturierens) konkret bestimmen lässt, womit der funktionale Aspekt gegeben wird. Es fragt sich nun aber nach der, diese Funktionalität ermöglichenden Qualität von Wirklichkeiten, die als Innovationsquellen der Musik auftreten: Welche Eigenschaften muss eigentlich ein aussermusikali scher wie musikalischer Sachverhalt (bzw. ein Komplex mehrerer Sachverhalte) besitzen, damit er fähig wäre, als Innovationsquelle der Musik zu wirken? Hier lohnt es sich schon sorgfältig zu differenzieren. Da die Musikinnovation ein qualitativ neues Moment der Musikstruktur ist, kann man annehmen, dass im Rahmen der Musik selbst für eine Innovationsquelle ein solcher Vorgang quantitativen Anwachsens neuer Merkmale zu halten ist, der klar 102 und deutlich in eine qualitative Umwandlung der Musik mündet. Üblicherweise verläuft dieser Vorgang allmählich, nach und nach, historisch gemessen in relativ langsamen Tempi , man kann sich aber auch Situationen vorstellen, wo es zu einer Anhäufung oder Verquickung solcher Vorgänge kommt, so dass man dann bildlich gesagt von einer qualitativen Umwandlung zu der anderen viel leichter und scheinbar "direkt" überspringt, was offensichtlich eben der Fall des avantgardistischen Musikzeitalters ist. Ein bisschen anders verhält es sich sicherlich mit den ausserhalb der Musik liegenden Innovationsquellen. Das evolutionsmässige Anwachsen neuer Merkmale ökonomischen, sozialpolitischen oder ideellen Charakters kann qualitative Veränderungen ökonomischer, sozialpolitischer oder ideeller Realität zur Folge haben, nicht aber direkt der Musik. Der Zusammenhang mit der Musik (genauer gesagt mit deren Innovationen) muss irgendwie vermittelt werden. Im Grunde genommen kommen hier zwei Vermittlungsarten in Frage. Erstens ist es denkbar, dass die nach und nach verlaufenden quantitativen Veränderungen eines gewissen aussermusikalischen Bereichs einen ähnlich verlaufenden Prozess in der Entwicklung des Musikstrukturierens stimulieren, der dann sogar ohne Rücksicht auf das Entwicklungsergebnis des erwogenen aussermusikali sehen Gebiets in einer qualitativen musikalischen Umwandlung, also in einer Musikinnovation gipfelt. Zweitens gipfelt der Prozess des quantitativen Anwachsens neuer Merkmale eines aussermusikalischen Kontextes (beispielsweise eines technologischen) auf dem eigenen Gebiet mit einer diesbezüglichen Innovation, deren Stärke dann die Musik - bildlich gesagt -"auf einmal" in Wandel bringt. Natürlicherweise kommen beide genannten Typen oft miteinander eng verknüpft vor. Vielleicht wird jemandem diese Übersicht scheinen allzu mechanistisch zu sein, sie ist aber eben als grobe Skizze des gesamten Bezugsfeldes restlos. Erst jetzt lassen sich auch einige spezielle Fälle näher und präziser herausgreifen. Vor allem schweben hier die alten Erfahrungen vor, dass nämlich als reale Innovationsquellen der Musik nicht alle Prozess des allmählichen Anwachsens neuer Musikstrukturmomente auftreten und - was noch wichtiger ist - auch nicht alle intensiven Neuerungen, qualitativen Umwandlungen, d. h. Innovationen auf derr Gebiet des Sozialpolitischen, Technologischen usw., auch wenn sich hier ganz natürlich Auswirkungen hinsichtlich der Musik erwarten liessen. Dank Zofia Lissa wissen wir z. B., dass nicht einmal jeder gesellschaftliche Revolutionsumbruch die Neuerungen der Musik zur direkten Folge haben muss. Ebenso selten rufen dann bestimmte epochale technische Erfindungen unmittelbare Umwandlungen des Musikstrukturierens hervor. Viel eher entzündet sich eine Musikinnovation durch die ideelle Vorbereitung solcher Prozesse, oder sie stellt sich erst als Folge deren bereits etablierter und massenhaft durchgesetzter Ergebnisse ein. Die erwähnten Vorgänge selbst verursachen in der Regel zuerst eine Anpassung vorhandener und eingebürgerter Musiktypen den neu geschaffenen aussermusikal i sehen Bedingungen, wie es die Expropriation des Kulturerbes durch die siegende revolutionäre Schicht oder das bekannte Beispiel der neu erfundenen technischer Medien im Dienst des konventionellen Repertoires beweisen. Andermal entstammt wieder manche überraschende Musikinnovation einem relativ schwachen und unauffälligen aussermusikalischen Impuls. Diesbezüglich lässt sich also kaum eine allgemein verbindliche Regel formulieren. Keineswegs entspricht einer hypothetischen Leiter aussermusikali scher Umwandlungen, die 103 sozusagen der Stärke des Innovationsmasses gemäss gebildet wird, eine ähnlich konstruierbare Stufenfolge der Musikneuerungen. Eine der partikulären Schlussfolgerungen könnte nun schon vielleicht folgendermassen lauten: Zwischen den Entwicklungsbewegungen des aussermusikali sehen Bereichs und den Innovationen des eigentlichen Musikgebietes gibt es ein kompliziert vermitteltes, wenn auch den Grundthesen der Dialektik entsprechendes Verhältnis, wobei als Vermittlungsmilieu eben das sog. Musikuniversum (im Sinne von Polednaks Ausführungen) auftritt. Ist nun aber dieses Verhältnis wirklich dialektischer Art, so lässtessich als wechselseitige Beziehung.des Aussermusikali sehen und innerlich Musikalischen begreifen, und zwar mit allen daraus hervorgehenden Konsequenzen. Die wichtigste unter ihnen ist dann möglicherweise die Chance, da s s die seit jeher als aktivierende Kraft auftretende und die Sphären ihrer eigenen Voraussetzungen und Realisierungskontexte konstituierende Musik nicht nur ständige Auswirkungen im breiten menschlichen Dasein hat, sondern auch darüber hinaus mit ihren eigenen Umwandlungen und Innovationen die übrige Realität in der Richtung qualitativer Entwicklungsveränderungen beeinflussen kann. Die Musikwissenschaft soll also die Musik nicht als blosse determinierte Entität beschreiben, denn ebenso gut kann man beweisen, dass sich die Musik manchmal als wirksam determinierender Faktor benimmt, der nicht selten in differenten aussermusikal i sehen Kontexten Innovationen hervorruft, sicherlich wiederum mittels des bereits erwähnten Musikuniversums. So erhalten wir ein Komplementärbild unserer Grundproblematik: Will man ihr tatsächlich gerecht werden, so müssen wir uns ebenso mit verschiedensten Innovationsquellen der Musik wie mit der Musik als Innovationsquelle unterschiedlicher Realitätsbereiche befassen. Dass ein Musik- oder Musiktheaterstück die Massen zum Revolutionshandeln mehrmals in der Geschichte bewegt hat, ist wohl bekannt. In diesen Fällen verursachte allerdings die Musik nicht eine Gesellschafts innovation, mindestens nicht als der einzige stimulierende Faktor: Die soziale Lage musste schon genug ausgereift werden, um sich durch einen kulturellen Anlass wie durch den letzten Tropfen zu entzünden. Ich bin jedoch fest überzeugt, dass ein reiches Beweismaterial für unsere Behauptung in den von I. Polednak gesammelten Beispielen zu finden wäre, denn eben im 20. Jahrhundert wird die Musik (und ebenso ihre Rezeption) zu einem Massenfaktor im wahren Sinne des Wortes, zu einer Kraft also, die sich keineswegs lediglich passiv den analog massenhaften aussermusikal i sehen Vorgängen und deren Innovationen anpasst, sondern relativ oft als spezifischer "Besteller" zugunsten ihrer eigenen qualitativ neuen Bedürfnisse und Gesellschaftsaufgaben immense Anpassungen anderer Bereiche dem Musikkontext erweckt. Alles, was wir einstweilen gesagt haben, bezieht sich allerdings immer noch nur auf die Oberfläche der in der Musik verlaufenden, durch verschiedene aussermusikal i sehe Kontexte hervorgerufenen oder von der Musik ausstrahlenden Innovationsvorgänge. Unsere Denkart ist nämlich allzu abstrakt und versachlicht. Dies schlägt sich übrigens sehr deutlich in den benutzten Formulationen aus, etwa vom Typus "die Musik wird durch den Einfluss eines aussermusikalischen Sachverhaltes innoviert", "es können der Musik selbst bestimmte Quellen ihrer Innovationen eigen sein", "die Musik tritt als Innovationsquelle 104 anderer Bereiche auf" u. a. Solche Aussagen sind so konzipiert, als wenn die Musik wie die übrigen Bereiche lebendige und einander ansprechende Organismen wären. Naturi ich wohnt jedem als System bestehenden Wirklichkeitsbereich ein spezifisches Geschehen inne, dessen Existenz uns berechtigt, über das "Verhalten" oder sogar die "Taten" jener Sphären zu sprechen, ebenso selbstverständlich ist es aber, dass alle bisher in Betracht genommenen Bereiche ihre "Lebendigkeit" dem Menschenverhalten, -denken und -tun verdanken. Die eingelebte Au ssagena rt verneint dies zwar nicht, die Einbettung jener Systeme und deren Interaktionen ins menschliche Denken und Handeln wird sozusagen schweigend angenommen oder einfach mitgemeint, letzten Endes wird aber somit eine Personifikation begangen, die unangenehme methodologische Folgerungen haben kann. Die Musik ist zwar syntagma ti seh als spezifische Klangstruktur und paradigmatisch als System spezifischer klingender Ausdrucksmittel zu definieren, jedoch selbst das Begriffswort "Klang" (wie auch "Ton" oder "Schall") verweist auf das Hörbare und darüber hinaus auf das spezifische menschliche Musikhören. Musik ist daher weder der rein physikalische Vorgang als potenzieller Träger einer Information, noch das versachlichte Tonwerk als erstarrtes Objekt unserer Analysen, noch die Partitur: Sowohl die Objekt-Existenz der Musik, als auch ihre Sinnvöl1igkeit für produzierendes wie rezipierendes Subjekt vollzieht sich auf der Ebene der Subjekt-Objekt-Dialektik in Akten des Wahrnehmens, Hörens, Denkens und Nachempfindens, d. h. in Aktivitäten des realen Menschen, gegenüberwelehern auch die von uns erwogenen zusammenhängenden aussermusikalischen Bereiche wieder ihre eigene spezifische Relevanz besitzen. Nicht nur die Entwicklung der Musik, sondern auch deren zahlreiche Interaktionen mit den anderen Bereichen spielen sich daher in einigen ihrer entscheidendsten Phasen nirgendwo anders ab, als in der menschlichen psychischen und praktischen Tätigkeit, in zahlreichen Prozessen der Interiorisation und Extériorisation. Und der so agierende Mench ist begreiflicherweise auch der Hauptgarant und "Schiedsrichter" dessen, was an und in der Musik, bzw. kraft ihrer innoviert wird. Um zu erfahren, weshalb ein Musikinnovationsvorgang geschehen soll , muss man daher die gesamte Struktur der Bedürfnisse, Aktivitäten und Interesse historisch konkreter Menschen in Betracht ziehen. Nur wenn man diese spezifisch "phasenhafte" Situierung der Innovationsprozesse der Musik in die Tiefschichten des individuellen wie gesellschaftlichen Bewusstseins und zugleich in die breiten Kontexte des menschlichen Daseins und praktischen Handelns nicht ausser Acht lässt, ist man imstande, diesbezügliche Mechanismen und ihr Fungieren vollkommen zu berücksichtigen. Und man bekommt auch eine reale Beantwortung der immer noch rätselhaften Frage, wie es eigentlich überhaupt kommt, dass die Musik als Produkt und Kommunikat innovierenden Umwandlungen unterliegt. Verschiedene Bereiche der Menschenaktivität neigen doch zu qualitativen Veränderungen und zu Ergebnissen, die als Innovation anzusehen sind, im unterschiedlichen Masse. Einige Typen des Produzierens bleiben Jahrhunderte-, ja jahrtausendelang fast unverändert, denn sie befriedigen mehr oder weniger konstante Bedürfnisse, andere (oder dieselben unter bestimmten geschichtlichen Umständen) weisen allerdings die Tendenz auf, rasch fortzuschreiten, was immer mit neuen 105 Zielsetzungen der Praxis und deren Reflexion zusammenhängt. Wenn die Musik ausschliesslich für eine, bestimmten stabilen Lebensbedürfnissen dienende Produktionsweise zu halten wäre, dann würden sich alle wesentlichen Neuerungen des Musikstrukturierens nur auf merkliche Umbrüche der gesellschaftlichen Einrichtung, des allgemeinen Lebensstils und dergleichen zurückführen lassen. Die einmalige Entwicklungsdynamik der europäischen Menschheit seit der Antike hat tatsächlich zu mehreren Wandlungen der Musikproduktion beigetragen und sogar "das Musikalisch-Neue" ist ein Begriff mittelalterlicher europäischer Provenienz. Der Unterschied zwischen diesem Musikkulturtypus einerseits und der Lage in der ethnischen Musik wie in den alten Hochkulturen des Orients andererseits ist klar und beredt. Dennoch reicht zur vollkommenen Klärung der europäischen Musikentwicklungsspezifik nicht einmal die These von der Determiniertheit æer Musik durch die sich ändernden Lebensweisen und -bedürfnisse. Die zum Tanzen, Gastmahl oder Zeremoniell bestimmte Musikproduktion entwickelte sich nämlich auch in grossen Zeitspannen der europäischen Geschichte eher allmählich, da ein neues Bedürfnis manchmal nur mit verhältnismässig leichten Schattierungen des gegebenen mus i kal i sehen Produkt i on stypu s saturiert werden konnte. Es gab und gibt zwar in der funktional-heteronomen Musik auch Veränderungen modischer Art, die oft sehr überraschend wirken können, aber auch diesmal handelt es sich um relativ einfache Verschiebungen auf der Ebene typisierter Erzeugungsarten. Die Mode kann natürlich ihr Entwicklungstempo intensivieren und sogar extrem zuspitzen, denn es beginnt hier ein spezifischer Automatismus zu herrschen, eine Lust zu ständigen, wenn auch oft nur "pendelnden" Änderungen, jedoch auf diese Art und Weise wird eigentlich nur das Interesse um einen und denselben stabilisierten Produktionstypus gefördert und immer aufs neue angereizt. Übrigens weisen die Neuerungen modischer Art ein sehr eingeengtes Repertoire von Alternativen auf, die sich im gegebenen Bereich "auftischen" lassen: Auch die seit jeher existierende, .musi ka-l.i sehe Heteronomie (also die "lebensgebundene" oder "Alltagsmusik") und die spezifisch profilierte nichtartifiziel1 e Musik von heute verfügen in den ersten Reihe mit Umwandlungen, die nichts anderes sind, als chronologisch wiederhol bare Kontraste, Stufenfolgen u. a. Auch in der Musik kann man - bildlich gesagt - Novitäten begegnen, deren wechselndes Vorkommen etwa dem Zauberkreis mini - midi - maxi in der Damenmode entspricht! Dies beschreibend fühlen wir allerdings sehr gut, dass wir noch lange nicht auf der Spur jener wesentlichen Innovationsvorgänge der Musik sind, deren Impakt die zeitgenössischen Entwicklungstendenzen ausmacht. Es steht uns aber noch eine Möglichkeit zur Verfügung, nämlich die Produktion-Rezeption-Prozesse der Musik vom Gesichtspunkt der Kommunikationstheorie und der Semiotik zu beleuchten. Sogar nicht einmal hier ist die Lage ganz eindeutig. Ein ausgeprägtes Kommunikationssystem, beispielsweise ein sprachliches, neigt überhaupt nicht allzu gern zu raschen qualitativen Umwandlungen, denn seine Hauptsendung ist, eine verlässliche Verständigung zu gewährleisten. Die miteinander komunizierenden Subjekte haben keine Lust, die vorhandenen Bezeichnungskonventionen um jeden Preis zu stören, d. h. immer aufs neue umzubilden; neue Elemente treten daher dem gegebenen Zeichenvorrat und Syntaxis-Gebäude eher allmählich hinzu. Die 106 Kodifizierung neuer, nach und nach anreifender Zustände wird sogar künstlich gebremst, auch eine neue Lebensumgebung wird so lange wie möglich mit den vorhandenen sprachlichen Mitteln beschrieben. Glücklicherweise ist jedoch das Beispiel der sprachlichen Kommunikation nicht gerade passend für den Fall der Musik und der Kunst überhaupt. Sobald nämlich die als eine der schönen Künste sich relativ autonomisierende Musik zu einem eigenständigen, in die verbale Sprache sicherlich unübersetzbaren und auf die traditionellen Funktionen der heteronom gebundenen Musik unreduzierbaren Mitteilungssystem wird, entfesselt sich hier eine völlig spezifische Entwicklung der musikalischen Semiosis. Die sog. elementaren Zeichen sind sehr flexibel sowohl in ihrem materiellen Aufbau als auch in der Art ihres Hinweisens auf die repräsentierte Realität. Weil sie nur ausnahmsweise als konventionalisierte Symbole, dagegen aber viel öfter als elastische ikonisch-indexartige Vertretung des Prozessuellen auftreten, stellt die Bildung jedes Superzeichens, also auch der Werktotal i tat, immer eine einmalige Angelegenheit dar. Das Musikproduzieren verliert so seinen, in funktional-heteronomen Kontexten gewonnenen typisierten Charakter und nähert sich immer stärker dem Typus der individualisierten Kreativität ans dem paradigmatischen Hintergrund (d. h. dem Vorrat von eingespeicherten Möglichkeiten des Musikstrukturierens) treten zahlreiche neue, den indi vidua!isierten schöpferischen Taten entnommene Momente hinzu, wodurch sich die Musikentwicklung ungeheuer beschleunigt. Es beginnt die Überzeugung zu herrschen, dass ein neuer Gehalt ohne neue Äusdrucksmittel unaussprechbar ist, und weil die Musik mit ihrer Zeichenelastizität sogar für die Kunst des anders Unaussprechlichen gehalten wird, steigert sich ganz enorm der Anspruch auf Neuerungen des musikalischen Mitteilungssystems wie einzelner Werke. Seit jeher wird die Musikpraxis von einer spezialisierten Reflexionsart begleitet: Die alte normative Musiktheorie bildet sich nun mehr und mehr in individuelle schöpferische Poetiken um, oder - um dies von einem anderen Standpunkt aus zu formulieren - anstatt der Norm als Petrifikationsvorschrift setzt sich die normative Forderung des Neuartigen als Ästhetisch-Wirksamen durch. Das wachsende historische Bewusstsein als neuer Aspekt spezieller Musikreflexionen ermöglicht bewusste Rückgriffe zu den alten, bereits historisierten Paradigmen, als Spiegeleffekt dieses Historismus stellt sich dann die Oberzeugung ein, dass alle Epochen ihre eigene axiologische Berechtigung haben und dass es also die Pflicht unserer Epoche ist, durch Innovationen neue Wertsysteme absichtlich zu etablieren. So sind wir zu dem bekannten Bild der artifiziellen Musikszene von heute gelangt. Um es richtig auszustatten, muss man noch die Tatsache erwähnen, dass man bisher für den "Schiedsrichter" auf dem gegebenen Spielplatz nur den Musikproduzenten gehalten hat. Seine Bedürfnisse, etwas musikalisch zu äussern, entscheiden doch in der ersten Phase, warum etwas in der Musik innoviert wird oder nicht. Die Musikkommunikation stützt sich aber noch um einen zweiten Pol, nämlich um den des Empfängers, Rezipienten oder Konsumenten. Im musikalischen Bewusstsein des letzteren Menschentypus wird die Nachricht dekodiert, hier realisiert sich die Bedeutung des als Aussage fungierenden Musikzeichens. Und da die Ansprüche auf die Aussagepotenz der Musik hier infolge des ständig wachsenden Unterschieds im Speziaiisierungsmass des Produzenten 107 und Konsumenten anders sind als bei den Fachmusikern, wird die Innovation von den Musikrezipienten nicht immer so herzlich willkommen heissen. Die Musik lässt sich dann ohne Rücksicht auf die Rezipientengemeinde nur zu einer gewissen Grenze durch Innovationen ändern. Nicht nur der Fachmusiker also, sondern auch der Adressat seines Schaffens entscheidet letzten Endes darüber, ob etwas innoviert werden soll oder nicht. Diese Entscheidung muss dabei nicht aussen!iesslich den repressiven Charakter tragen: Nicht so selten tritt der Konsument sogar als "Besteller" mancher Änderungen auf, nämlich mi t seinen sich ändernden Kunstbedürfnissen, mit seiner Bereitschaft, einen für ihn aktuellen Lebensbereich als potenziellen Gehalt der Musikaussage zu verstehen, usw. Aus unserer Charakteristik der Musikkommunikation gehen zwei wichtige Erkenntnisse hervor: Erstens ist es ganz klar, dass eben das Fungieren der künstlerisch eigenständigen Musik in der menschlichen Kommunikation die Notwendigkeit der Innovationen auf diesem Gebiet in einem ungeheueren Ausmass begründet, zweitens haben wir so ein viel plastischeres Bild jener bereits erwähnten Situation gewonnen, für die es typisch ist, dass sich die Innovationsquellen der Musik in deren eigenem Rahmen herausbilden. Da aber solche Prozesse mannigfaltig menschengebunden sind und letzten Endes im reichlich strukturierten Bewusstsein des musikalisch wahrnehmenden, denkenden und schöpfenden Subjekts verlaufen, gibt es auch hier eine spezifisch ausgeprägte, wenn auch sehr subtile Dialektik des Aussermusikal i sehen und Musikali sehen. Der über die Notwendigkeit der Musikinnovation entscheidende Produzent wie Rezipient tut dies sicher!ich wegen seiner Musikausdrucks- oder auch Musikgeschmacksbedürfnisse: Das Neue soll im Moment antreten, wenn die vorhandenen Mittel angesichts der kommunizierenden Subjekte "verbraucht" sind, d. h. nicht mehr ausdrucksfähig oder ästhetisch wirksam. Zur Innovationsquelle werden so eigentlich emotionelle und rationelle Regungen des musikalisch hörenden und denkenden Menschen, die sich in der Hervorhebung oder auch Unterdrückung bestimmter Musikstrukturierenstypen ausschlagen. Und weil die Musikstruktur erst als wahrgenommener akustischer Anlass existent sein kann, sind die ans Musikhören und Musikdenken gebundenen Innovationsquellen tatsächlich "wie im Rahmen der Musik" situiert. Zugleich fühlen wir aber, dass eben die Psychik als Spielplatz der Musik und der die Musik betreffenden Entscheidungen jene "innermusikalischen" Geschehnisse in eine intime Nähe anderer bewusst gemachter, bzw. im Unterbewusstsein verharrender Sachverhalte und Inhalte bringt. Als Repräsentation des Prozessuellen im menschlichen wie gesellschaftlichen Leben wird die Musik (bzw. ihr semantisches System) manchmal ungeheueren dynamischen Umwandlungen innovationsmässig angepasst. Und die Musik, sogar nicht nur die artifizielle, wandelt sich innovationsartig (oder bloss modisch) um, weil sie wirksam bleiben soll: Im Hintergrund dieser Umwandlung steht naturi ich wieder der Mensch, dessen sich ändernde psychische Struktur neue Anreize zugunsten der Erfüllung von neuen (aber auch manchen tradizione!len) Bedürfnissen durch die Musik braucht. Ein weiteres Moment der erwogenen "subtilen Dialektik" wird durch das Spannungsfeld gegeben, das auf Grund der Beziehung "Musik - deren rezeptive und kognitive Reflexionen" entsteht. Diesen Reflexionen treten nebst der fachlichen Berücksichtigung der Musik und des Musikuniversums in den letzten Jahrhunderten 108 auch Verbalisierungen des Musikerlebnisses und zahlreiche Mittel der Verstehenshilfe hinzu. Von der Sicht der Kommunikationstheorie her handelt es sich um ein klares Beispiel der sekundaren Kommunikation, also der sog. Metakommunikation9 wobei Forscher wie H. H. Eggebrecht und J. Volek darauf hinweisen, dass die primäre Kommunikation der (bzw. in der, mittels der usw.) Musik heutzutage schon von einem mehrfach grösseren Komplex der manchmal sogar institutionalisierten Metakommunikationsakti vi täten umgeben ist. Dass der Auswirkung jener sekundären Vorgänge die europäische Musik ihre spezifische Entwicklungsdynamik, Gehaltsfülle und soziale Würdigkeit verdankt, liegt auf der Hand. Streng genommen bildet also der musikalisch hörende, denkende und schaffende Mensch zugunsten der Musik ein künstliches ontologisch aussermusikal isches, jedoch sachlich und funktional musikbetreffendes Milieu, welches die primären Musikkommunikationsprozesse zu fördern hat. In diesem sekundären Bereich ist es dann durchaus möglich, differente neue Projekte zu entwickeln, zu begründen und auch durch Propagation verständlich zu machen. Und es ist sogar möglich den Willen des Komponisten als Antizipation neuer, bisher verborgener Bedürfnisse des Hörers zu manifestieren. Nicht wesentlich anders verhält es sich aber auch mit den anderen, das Musikuniversum ausmachenden und der Musik primär dienenden aussermusikal i sehen Bereichen. Wo und wann immer da ein Fortschritt erreicht wird, sei es auf dem Gebiet der Ausführungspraxis, der Notenschrift oder des Notendrucks, des Instrumentenbaus oder der Tontechnik, eröffnet sich damit ein gern ausgenützter Raum für die Musikinnovationen. Es ist also nicht mehr so, dass lediglich das Streben des Musikproduzenten, etwas neues in der Musik zu leisten, entsprechende Neuerungen in der unmittelbaren Umgebung der Musik "bestellt" und hervorruft: Als dialektischer Gegenpol entfaltet sich hier eine Lage, die sozusagen für ein Diktat breiter musikbezogener Zusammenhänge gegenüber der Musik selbst zu halten ist. Das 20. Jahrhundert ist sicherlich ein Zeitalter, in dem alle diese, mit dem Werdegang der autonom-artifiziel1 en Musik gestarteten Prozesse ihren Höhepunkt erreicht haben. Die Musik wird planmässig und zielbewusst innoviert, sie verursacht zahlreiche Veränderungen in der menschlichen Lebensweise, starke qualitative Umwandlungen der Musiksprache werden durch weitreichende Änderungen neuer und neuer aussermusikal i scher Kontexte hervorgerufen und last not least erzwingen die um der Musik willen bestehenden, musikbezogenen, wenn auch ontisch aussermusikali sehen Reflexionen und Realisierungssphären an Hand eines spezifischen "Diktats" ein immenses Vordringen in die Gebiete des bisher Unbekannten und Unerwarteten. Es wäre natürlich möglich dies so zu beurteilen, dass es sich um die Konsequenzen eines gewissen "falschen Autonomie--Bewusstseins" des artifi ziel 1 en Musiktypus handle, um eine künftig nicht lange gangbare Sackgasse der losgerissenen Musikentwicklung, bzw. um Krämpfe einer künstlichen (als Kunst auftretenden) und in sich verborgenen "musica reservata" von heute. Seit den siebziger Jahren sind tatsächlich viele Komponisten nicht mehr gerade bereit, ihre musikalische Ausdrucksweise zu innovieren - ja, zu legitimen Neuerungen (oder nur modischen Regungen?) sind bewusste Rückgriffe zu historischen Vorlagen geworden. Die Frage, ob sich die Kunstmusik auch weiterhin in den bisherigen Tempi und durch Innovationen entwickeln lässt, überlassen wir aber den 109 Komponisten selbst. Vom Standpunkt eines Musikwissenschaftlers aus scheint es wichtiger zu sein, dass es noch eine andere Musik gibt, nämlich die des populären bzw. nicht-artifi ziel!en Typus, die quantitativ und hinsichtlich bestimmter Grundfunktionen der Musik im individuellen wie gesellschaftlichen Leben sogar schon auch qualitativ der ersteren überlegen ist. Und hier spielt sich im Zusammenhang mit der Herauskristallisierung der massenhaften Produktions- und Rezeptionsweise mindestens seit 1950 dasselbe ab, was früher ausschliesslich für die Musik als Kunst kennzeichnend war. Der Beitrag von I. Polednak hat uns dazu ein sehr reiches Argumentationsmaterial angeboten: In diesem Lichte kann man für bewiesen halten, dass in der nicht-artifiziellen Musik von heute, in ihrem weiter sich herausbildenden massiven Universum und an den zahlreichen Achsen, die sie mit dem Gesamtleben der Gesellschaft verknüpfen, solche Vorgänge verlaufen, die zweifellos die Benennung "Innovation" verdienen. Ich persönlich bin der Meinung, dass die Musik sowohl in ihrem Inbegriff, als auch in ihren einzelnen Abzweigen an Innovationsvorgänge kaum verzichten kann, soweit sie sich in ihre breite, durch Innovationen verschiedensten Typus dynamisierende Umwelt als Faktor einschalten will, dem es obliegt, viele alte Funktionen unter neuen Umständen und auch neu hinzutretende Sendungen sinnvoll zu erfüllen. POVZETEK Inovacije v glasbi so novosti, ki so v njej zaznavne in se jih da analitièno ugotoviti. Gre torej za tiste znaèilnosti konkretne glasbene strukture, ki se od vsega, kar smo vajeni, znatno in tudi kvalitativno razlikujejo. Za vsako inovacijo obstajajo doloèeni, izvenmuzikalni impulzi, ki pa globoko prepajajo takoimenovano glasbeno vesolje, to je široko obmoèje, v katerem se nahaja in razvija glasbena produkcija. Ta èvrsta vrašèenost izvenmuzikalnih silnic v glasbeno vesolje zahteva, da poišèemo vire inovacij iz celotnega dogajanja-, ki se odvija na osi nizvenmuzikalno - glasba'1. Prvi moment korigira preveè lagodno prakso tistih glasbenih zgodovinarjev, ki si inovacijskih procesov ne znajo razlagati drugaèe kot avtomatièno potekajoèo premeno avtonomnega glasbenega mišljenja skladateljev. Slednji nam daje uèinkovito obrambno sredstvo proti "kratkim stikom", ki se pogosto dogajajo pri glasbenih sociologih in historiograf ih, ki naj bi se opirali na sociologijo. Ker pa je enostranski avtonomistièni koncept vsaj v marksistièni muzikologiji ze davno premagan, nam ta moment tudi pomaga zbirati argumente proti praksi, ki ni niè manj škodljiva od navedene. V tej zvezi je treba poudariti, da ne nastopajo kot realni viri inovacij v glasbi vsi procesi postopnega narašèanja novih momentov muzikalne strukture. Prav tako pomembno pa je tudi dejstvo, da ne predstavljajo takšnega vira vse velike novosti in kvalitativne spremembe na socialno-politiènem in tehnološkem podroèju, pa èeprav bi seveda od njih tudi lahko prièakovali posledice, ki so važne za glasbeni razvoj. Kot je ze opozorila Zofija Lissa, ni nujno, da bi vsak družbeni preobrat sprožil glasbene novosti. 110