* % S T I M M U X G S R I L D V O N D E R I) A L M A T I N I S C II E N K t) S T E ERICH VON KUNSTI VERLORENER STRAND Mit 15 Bildbeigaben 1938 PAUL Z S O L N AY VERLAG BERLIN • WIE N • LEIPZIG FZC Alle Redite, insbesondere das der Ubersetzung, vorbehalten Copyright 1938 by Paul Zsolnay Verlag A. G., Wien Einbandentwurf Rudolf Geyer. Drudc: „Elbemiihl“, Wien IX. Seiner Durchlaucht, dem Herrn Reidisvermeser von Ungarn, Vizeadmiral NIKOLAUS HORTHY DE NAGYBANYA , dem letzten Kommandanten der k. u. k. Flotte, ehrerbietigst • •• gemidmet Z u m G e 1 e i t e Die rot-wei8-rote Flagge ist von den Meeren verschwunden, iiber die sie anderthalb Jahr- hunderte unbesiegt geweht hat. In unseren Herzen aber lebt sie fort als das Wahrzeichen unseres einstigen herrlichen Berufes und der Erinnerung an die weite, blaue See, die jetzt ferne von unseren Staatsgrenzen rauscht. Unsere Aufgabe ist es, trotz aller Ungunst des Schicksals, auch den kommenden Gene- rationen den Gedanken an See und Seefahrt stark und lebendig zu erhalten. Darum hat es uns besonders gefreut, daB mein Freund, Linien- schifTsleutnant a. D. Erich von Kunsti, sich ent- schlossen hat, aus seinen Erinnerungen schop- fend, ganz unpathetisch und in dem ihm eigenen meisterhaften Erzahlerton, den Schauplatz un¬ seres Wirkens und unser Seemannsleben zu schil- dern. Ebenso wie ihm zur.Veranschaulichung von ernsten Stimmungen und der Schonheiten von Gottes freier Natur Tone formlicher Lyrik zu Ge- bote stehen, wiirzt er heitere Episoden mit der ihm eigenen fein ziselierten Note eines liebens- wiirdigen, leicht sarkastischen Humors, der be¬ sonders ergotzlich anmutet. 6 Aber aus jeder Zeile spricht die tiefinnerste Verbundenheit mit dem alten Metier, die ein kost- bares, vom Vater iibernommenes Erbgut bildet. So wiinschen wir denn dem ,,Verlorenen Strand“ den verdienten vollen Erfolg und sind iiberzeugt, daB alle, die das Meer und seine Landschaft lieben, dieses Erinnerungsbuch mit Freude auf- nehmen, daB aber zumal die vielen einstigen k. u. k. Seeleute es mit einem heiteren und einem feuchten Auge genieBen und sehnsiichtig der fernen Tage gedenken \verden, da wir — stolz auf einen herrlichen, einzigartigen Beruf — jung und gliicklich waren. Bruno Dittrich, LinienschifTskapitan d. R., Prasident des Marine-Verbandes De n Frcunden von Paula v. Preradovie Durch unsre Jugend hat das Meer gebriillt, Durch unsre Jugend ist der Sturm geflogen. Und \vurden wir aucli nur, wie alle sind, Wir wissen doch: So wie wir ausgezogen, So meereslufterfullt, ganz Salz und Wind, So sicher tragend die geheimen Kronen, So \viderfahrt die Jugend denen nicht, Die in den Stadten und am Walde wohnen. O einsam Schreiten im Oktoberlicht, O blaues Gleiten durch die reine Welle, O Mowenflug, o ferne, freie Sicht, O abendrotdurchgliihte Himmelshellel Auf kahler Heide stand der Thymian, Die Myrte bliihte auf den Kustenhiigeln, Das Mohnfeld sah uns rot und leuchtend an, Die Sonne glanzte auf den Movvenfliigeln. Heroisch strahlend lag das Heimatmeer Und grenzenlos und ewig lag die Feme. Und unsre Jugend wog wie Gold so schvver Und unsre Traume stieBen an die Sterne. Ihr Freunde, einsam liegt der alte Strand, Steinerne Stadte haben uns verschlungen, Der jungen Feuerseelen Loderbrand, Vom kiihlen Leben ward er langst bezvvungen. Doch greift hinauf ins artig schlichte Haar, Das salzige Sturme nimmermehr zervviihlen, Ihr vverdet dort fiir heut und immerdar Den Kronreif unserer starken Jugend fiihlen. V o r w o r t Seit fiinfzehn Jahren lebe ich in der Stadt. Ich bin ein Stiidter geworden wie Millionen andere, denen Biiro, Kino und KafTeehaus eine Welt be- deuten, die sich und ihre Angelegenheiten fur auBerordentlich wichtig halten und gewiB mit keinerlei Sentimentalitat belastet sind. Und doch — manchmal fallt ein Name, ein altes Bild taucht aus dem Winkel einer Lade, ein fremder Duft zieht vorbei, eine Melodie. Da steht plotzlich mit fast schmerzhafter Deutlichkeit das Bild der siidlichen Heimat vor mir: Zusammen- klang dreier Farben — das Blau von Himmel und Meer, die wei8e Narbe des Strandes und die mattgriinen Hiigel der seltsam verschlungenen Kiiste. Eine Mo\ve schreit; von irgendwo tonen die Glocken einer Schafherde. Schwer und herb liegt der Geruch von Meer und Macchie in der Luft. Wenn die Bilder allmahlich verblassen und die grauen Mauern der Stadt wieder' vor mir liegen, dann weiB ich, daB die Leere, die geblieben ist, nie mehr erfulit werden wird. Ich wei8 auch, daB es allen so geht, die unten an der Adria ihre freie, unbekiimmerte Jugend verbracht oder spa- 9 ter unter der alten rot-weiB-roten Flagge gedient haben. Nicht die Trauer um die vergangene Jugend ist es, sondern das Wissen um das Verschwinden einer Welt, die Inhalt und Zweck unseres Lebens vvar, die endgiiltig und un\viderruflich verloren- ging, als am 31. Oktober 1918 die k. u. k. Flagge das letztemal von den Masten unserer Schiffe sank. Diese Seiten sollen keine Biographie sein — dazu ware kein AnlaB —, sondern nur der Ver- such, eine Zeitlang noch die Erinnerung an diese eigenartige, so sehr osterreichische Welt zu be- wahren. *« 4 Pola, San Pol icarpo Kommandos, Pfeifensignale! Patrouillen wer- den vorgeschickt, feindliche Positionen erkun- det. Ein Gefecht ist im Gange! Das alles hat sich nicht etwa im Weltkriege, sondern viel friiher abgespielt, fast taglich auf unserem Wege von San Policarpo zum Gymnasium am anderen Ende der Stadt. Hie Marinenachwuchs, die so- genannten „Gnocchi“, dort die „Mularia“, die eingeborene italienische Jugend. Schultaschen, Lineale, oft auch das Taschenmesser, vor allem aber die iiberall herumliegenden Steine waren die WafTen. In der Kunst des Steinewerfens hat- ten wir es durch lange und sorgfiiltige t)bung zu erstaunlicher Fertigkeit gebracht. Oft gelang es bei diesen Kampfen, unsere Feinde in die Niihe eines militarischen Objektes zu locken. Mit Hilfe einiger Zigaretten waren dann rasch ein paar handfeste Matrosen der Wache mobilisiert, die den in den Hinterhalt gefallenen Gegner nach allen Regeln der Kunst verpriigelten. Das \var nicht ritlerlich, aber fiir uns, die wir immer einer erdriickenden tlberzahl gegeniiberstanden, auBerordentlich erfreulich. Die Marine bildete in den Hafenstadten ein in 11 sich geschlossenes Reich und zwischen ihr und der Bevolkerung herrschten, bis auf bestimmte zarteAusnahmen, keinesonderlichenSympathien, Wenn auch diese Tatsache nur bei der Jugend beider Lager so drastisch zum Ausdrucke kam, mehr als korrekt waren die Beziehungen nie. Neben nationalen mochten dabei auch soziale Griinde eine Rolle gespielt haben. Im Gegensatz dazu war das Verhaltnis zwiscben Offizieren und Mannschaft der Marine und der kroatischen Be¬ volkerung Dalmatiens sehr gut und freundschaft- lich. Die k. u. k. Kriegsmarine hat sehr viel \virt- schaftliche und kulturelle Pionierarbeit in Istrien und Dalmatien geleistet. Von den Bewohnern der Klistenlander ist dies vielfach erst nach dem Kriege anerkannt worden. Die beiden groBen Handelshafen Triest und Fiume verdorren, weil sie kein Hinterland be- sitzen, und Pola, der Hauptkriegshafen der Mon- archie, wird wohl in absehbarer Zeit \vieder das kleine istrianische Nest werden, das es einstens war. Wir Lausbuben hatten allerdings unsere eigene Auffassung von Pionierarbeit und waren stolz auf jede siegreich beendete Schlacht. Nach den wechselvollen Ereignissen des Heimweges von der Schule nahmen uns wieder die sicberen Be- zirke von San Policarpo auf, diesem merkwiirdi- gen Viertel im Osten des Hafens, das, durch die Parkanlage des Monte Žaro von der Stadt ge- 12 % trennt, z\vischen Marinekaserne, Seearsenal, Ma- rinespital und der Marinekirche gelegen, der eigentliche Wohnsitz der Marine war. Wie alle Militarfamilien, fiihrten auch wir kein seBhaftes Dasein, sondern wechselten zwi- schen den verschiedenen Marinestationen Triest, Pola, Fiume, Žara, Sebenico und der Bocche di Cattaro. Die friiheste Erinnerung meiner Kind- heit aber ist der Maximilian-Park in San Poli- carpo mit seinem verwirrenden Durcheinander adriatischer Flora. Da wuchsen alle moglichen Arten von Lorbeer, Platanen und Oleander ne¬ ben Pinien, Akazien und Magnolien. Da wucher- ten Farnkrauter neben Efeu und griinem Moos. In der Mitte des Parkes ragte das mit den iibli- chen SchifTsschnabeln gezierte Denkmal des Erz- herzogs Ferdinand Max. Nach dem Kriege sah ich es irgendwo im Auslande als Siegestrophae aufgebaut. Um den Park herum gruppierten sich die grauen Mauerblocke der ararischen Wohnhauser. Sie \varen alle mit einem Gewirr von Garten um- geben, den Schauplatzen unserer jugendlichen Heldentaten, die immer irgendwie mit kleinen Oberschwemmungen, Feuersbriinsten und Ex- plosionen zusammenhingen und meistens durch die rachende Hand eines Vaters oder Onkels endeten. In der groBen Marinefamilie war fiir uns Buben jeder Seeoffizier ein „Onkel“. Bis auf einige Gefiirchtete der hoheren Chargen, denen manchmal unsere Frechheiten mit Recht zu bunt 13 wurden, vertrugen wir uns mit den „Onkeln“, besonders mit den jiingeren, ausgezeichnet. Wir leisteten ihnen Gesellschaft bei langweiligen In- spektionsdiensten, brachten Zigaretten aus den vaterlichen Bestanden und lieBen uns manchmal sogar dazu herbei, ein Brieflein an eine unserer Schwestern zu besorgen. Dafiir setzten sie Preise bis zu 20 Hellern fiir unser Radrennen um den Exerzierplatz aus und stifteten uns zu allen mog- lichen Lausbubereien an. Als kleiner Bub schloB ich mich einmal auf der StraBe einem solchen Onkel an und beglei- tete ihn ein Stiick des Weges. Ich war sehr er- staunt, als er plotzlich wie vom Erdboden ver- schwunden war. Um die Ecke war mein Vater gekommen, sein damaliger Kommandant. Wie es sich herausstellte, hatte der Herr Linien- schifTsfahnrich es vorgezogen, statt an Bord zu bleiben, ins Dampfbad zu gehen. Er hat es trotz- dem spater noch sehr weit gebracht — bis zum Flottenkommandanten und dann zum Reichs- verweser von Ungarn. Sonntags wurden wir von den GroBen zu Aus- fliigen im Segel- oder Dampfboote nach Val Mag- giore, nach Brioni oder nach Veruda mitgenom- men. Der „Brodetto“ und der Hummer im Gast- haus Marincovich im Hafen von Fasana zahlen zu meinen schonsten Erinnerungen. Weitere Fahrten nach Rovigno, Parenzo oder nach Pro- montore konnte man mit den Rundenbooten der Torpedobootsstation Pola machen, was nicht 14 erlaubt, aber um so schoner war. Landeinwarts gab es sogar einen richtigen Wald, das Ziel zahl- loser Backhendelausfliige — den Kaiserwald. Fur uns Kinder war er der schwache Ersatz fiir die heiBersehnten Sommerfrischen\valder in Karnten oder Steiermark. Immer war etwas los. Man konnte im Hafen mit der Angel Branzini und Scombri fangen oder den Fischern beim Legen und Einholen der Netze helfen. Die Schlupfwinkel der alten Arena lockten, des stolzen Wahrzeichens des romischen Pietas Julia. Den Werften auf der Oliveninsel, den Werkstatten, Kranen und Maschinenhallen des Seearsenals galt unser tiefstes Interesse. Besondere Ereignisse aber waren die Besuche auf den groBen SchifTen. Am liebsten ware man in jeden Winkel und in jeden Kohlenbunker ge- krochen. t)berwaltigt vom verwirrenden Getriebe eines Geschiitzturmes, den gewaltigen AusmaBen der SchifTsmaschinen und der Hohe des Krahen- nestes, kehrte man, den neuen Matrosenanzug mit einer Schichte von Kohlenstaub und Ol be- deckt, befriedigt nach Hause zuriick. Auf eines muBten wir verzichten: Auf den rich¬ tigen Winter mit Eis und Schnee. Jeder zuge- frorene Tiimpel, jede Schneeflocke war ein Er- eignis. Dieser immergriinen Landschaft fehlten die erfrischenden und begluckenden Gegensatze der Jahreszeiten. So zogen wir fast taglich, ob Sommer, ob Winter, begleitet von den be- dauernswerten Wesen, denen unsere Erziehung 15 anvertraut war, an den Strand von Musil oder Val Cane. Versammlungsort war der aufgelassene GeschiitzschieBplatz bei Saccorgiana. Dort gab es so etwas wie eine Parkanlage, eine groBe Wiese und eine Gastvvirtschaft. Herumliegende Granatstiicke,' zerschossene Panzerplatten ver- liehen diesem Schauplatze groBangelegter Rau- ber- und Gendarmspiele einen romantischen Hintergrund. Bei diesem SchieBplatz begann die Wildnis der Macchie. Sie fiihrte hinunter an den Strand, an unseren Strand, von dessen Duft und Farben meine Kindheit erfullt war. „Allein an ihrem Duft wiirde ich meine Heimat erkennen!“ Napoleon soli diesen Ausspruch getan haben. Jeder, der eine Zeit seines Lebens in den Re- gionen des Mittelmeeres verbracht hat, \vird ihn verstehen. Eigenartig und unvergeBlich ist der Geruch der Macchie. Es ist, als ob der steinige Boden selbst ihn ausstrahlte unter dem heiBen Sengen der Sonne. Der Geruch der einzelnen Pflanze geht auf in der berauschenden Sinfonie von hun- derterlei Diiften, in der Wacholder, Myrte und Thymian den Grundakkord geben. Vom Strand her aber bringt der Seewind den reinen Ozon- hauch des Meeres. Wer die Macchie nicht kennt, wer das groBe Panorama der Berge, das satte Griin der nord- lichen Wiesen und Walder gewohnt ist, wird ihren Zauber nicht verstehen. Und doch verfallt ihm jeder, der einmal offenen Herzens in diese Landschaft geblickt hat, die grofi ist in ihren klaren Linien und ihrer volligen Anspruchslosig- keit. In unabsehbaren Wellen zieht das Gewirr niedrigen Strauchwerks iiber die Hange und Hii- gel des Kiistenlandes, umsaumt die Buchten des 2 Kunsti, Strand 17 Strandes und kriecht weit hinaus auf die schma- len Riicken der Landzungen. Wer genau schaut, dem ofTenbart sich unter dem Gestriipp von Erika, Myrten und Wachol- der die iiberraschende Vielfalt der mittellandi- schen Flora. Neben hundert Arten von wilden Ghrysanthemen und Moosen, neben dem grau- blauen Thymian bliihen Steinnelken, Primeln und Anemonen. Niedrige wei8e Mauern aus kunstlos geschich- teten Steinen umfassen kargliche Wiesen, auf denen Schafe weiden oder ein einsamer Esel kummerliches Futter sucht. Nur selten unter- brechen Gruppen von Oliven- und Feigenbiiu- men, die Mulde einer Doline oder das grelle Gelb des bliihenden Ginsters die endlose, immergrune Dečke. Stets aber leuchtet von irgendwo ein blauer Streifen des Meeres in diese Landschaft und gibt ihr Sinn und Weite. Zahllos sind ihre Wandlungen. Seltsam und doch tief vertraut ist ihre vollige Stille, \venn abends die Sonne aus dem strahlen- den Dom des Himmels gliihend in das bleigraue Meer sinkt. Wenn der letzte purpurne Streifen verschwunden ist, dann sehen — einer alten Oberlieferung nach — Sonntagskinder einen hellen griinen Schein durch den Raum fliegen. Einen Augenblick lang halt die Natur den Atem an, bevor sie Himmel, Wasser und Erde zu grauen Schleiern mischt. Von Grund aus verwandelt aber ist das Bild, 18 unbandig und drohend, wenn die schweren Seen dcs Siidwest- oder Sciroccosturmes gegen die Felsen drohnen und die weiBen Fahnen der Brandung bis zum steinigen Kiinsten\veg tliegen. In fahlem Gelb liegt der Horizont. Von der nahen Bucht knattert es wie Gewehrfeuer, wenn die schweren Kiesel, von der ungeheueren Kraft der Wellen weit auf den flachen Strand getragen, polternd zuriickrollen. Schwarze, niedrige Wol- kenfetzen jagen vorbei. Der Sturm treibt krei- schende Moven vor sich her und fangt sich pfeifend im Gestriipp. Ganz anders, heiter und strahlend, griiBt dich der Strand, wenn gliihendes Mittagslicht auf den Felsplatten liegt und seine glitzernden Reflexe weit hinaus bis zum scharfen Striche der Kimm wirft. Gemachlich kriiuselt sich das Meer unter den sanften Streichen der sommerlichen Brise und leise geht sein regelmaBiger Atem in den Kliiften und Grotten des Strandes. Zikaden zir- pen eintonig und unermiidlich. Rauchfahnen und rostbraune Segel der Chioggioten ziehen am Horizont und bannen die Mystik der unendlichen Weite. Wir Kinder haben den Strand nicht so ge- sehen. Fiir uns war er weiter, unbegrenzter Spiel- platz, uneingeschriinkter Besitz. Wir sahen die Seesterne und Krabben in den Felsmulden, die Muscheln zwischen den sonnenwarmen Steinen und die griinen Eidechsen unter den Strauchern. Die Bambushecke lieferte uns die Pfeile fiir un- 2 * 19 sere Bogen und der Wacholderstrauch die ge- gabelten Aste fiir unsere Schleudern. Ringsum auf den Kiistenhiigeln und Land- zungen schnitten die VViille und Reduits der alten Seeforts Stoja di Musil, Bourguignon, Veruda, und \vie sie alle hieBen, ihre scharfen Silhouetten in den blauen Himmel und lieBen uns schon da- mals begreifen, daB unsere Heimat Grenzland war, gefahrdeter Boden. An diesem Strande wurde uns die tiefe, dran- gende Sehnsucht nach Weite und Fremde in das Herz gelegt, die uns noch heute nicht ruhen la8t. Als kleiner Bub bekam ich einmal zu Weih- nachten — die Tannen und Fichten fiir die Christbaume muBten von weither mit der Bahn nach Pola gebracht werden — ein groBes, kunst- voll getakeltes Modeli eines Dreimasters. Um seine Seetiichtigkeit zu erproben, brachten \vir es mit vieler Muhe an den Strand und lieBen es in einer kleinen Bucht vom Stapel. Es schwamm wundervoll und sah aus wie ein richtiges Voll- schifT. Dann spielten wir Seereise und stieBen es von einer Seite der Bucht zur anderen. Bei einer solchen Fahrt kam plotzlich eine Boe daher und legte sich in die Segel. In elegantem Bogen wen- dete mein schones SchifT gegen die ofTene See und rauschte vor dem Winde davon. Ich starrte ihm nach, bis es sich — ein kleiner, weiBer Fleck — in der blauen Ferne verlor. Noch heute weiB ich, daB damals, neben der tiefen Trauer um den Verlust, das erstemal jah und brennend 20 der Wunsch mitzufahren, die Sehnsucht nach Fremde und fernen Landern in mir aufbrach. Wir sind keine Musterkinder gevvorden bei diesem freien, ungebundenen Leben am Strand und haben unseren Miittern, die oft allein mit uns fertig werden muBten, wenn die Vater zur See fuhren, viel Sorgen und Plage gemacht. Da- fiir hat uns dieser Strand, sein starkes Sonnen- licht, das Salz seinerWellen und der Atem seines Windes Krafte mitgegeben, von denen wir noch lange zehrten im harten Kampfe mit dem Leben. „ Wer nicht geschunden wird, wird nicht erzogen.“ „Drei Schritte vor dem Vorgesetzten Kopf- wendung, — rechte Hand an den Kappenrand!“ Wir standen im Hofe der Marineakademie und lernten salutieren, die erste aller militari- schen Kunste. Von den morgendlichen Knie- ubungen schmerzten noch Beine und Waden. So hatten wir uns das nicht vorgestellt, als wir nach den ersten vier Klassen Gymnasium oder Realschule aus allen Gauen der Monarchie zur Aufnahmepriifung in die Marineakademie nach Fiume gefahren waren. Wir Marinekinder, die ja den Betrieb ein wenig kannten, vvaren nicht so enttauscht wie unsere neuen Kameraden aus dem Hinterlande. Schon das Meer war nicht so, wie \vir es kannten und die anderen es sich vorgestellt hatten. Nach Westen, weit gegen Vo- losca zu, nach Osten iiber Sušak hinaus war die Kiiste mit Hafenanlagen, Werften und Fabrik- kais verbaut. In allen Farben schillernde Ol- flecke lagen auf dem grauen Wasser. Die Inseln von Veglia und Cherso versperrten den Blick auf die freie See, nur die StraBe von Farasina gab ein kleines Stiick des Horizontes frei. 22 Das Gebaude der Akademie, der typische Ka- sernenbau der Monarchie, stand auf einer An- hohe inmitten eines groBen Parkes und blickte streng und wiirdevoll iiber den Hafen. Vom Gie- bel wehte stolz die rot-weiB-rote Flagge. Nach der Aufnahmepriifung waren wir einge- kleidet worden. Die Matrosenmonturen, in die man uns gesteckt hatte, \viesen die Merkmale aller in Massen erzeugten Uniformstlicke auf. Sie schienen fur einen eigenartigen, utopischen Menschenschlag verfertigt zu sein, da sie keinem normalen Menschen paBten. Nach den morgendlichen Freiiibungen im Hofe ging’s von einem Saal in den anderen: Studien- saal, Lehrsaal, Speisesaal, Turnsaal und Schlaf- saal. Dazwischen Freizeit im Park. Ununter- brochen ,,vergatterte“ man sich, trat an und trat ab. „Schau g’radaus!“ „Steh g’rad!“ ,,Ruhe in der Einteilung!“ — Ein gestrenger IV. Jahrganger patrouilliert hinter der Front und lauert auf einen AnlaB, seinen liebenswiirdigen Aufforde- rungen durch ein paar PiifTe oder einen \vohl- gezielten Tritt Nachdruck zu verleihen. Die Wut, die da in einem aufstieg, und die unmittelbar darauf folgende resignierte Einsicht: ,,Da kann man halt nichts machen“ — mogen die wesent- lichen Merkmale aller militarischen Disziplin sein. Natiirlich \varen Handgreiflichkeiten verboten. Man nahm das aber nicht sehr ernst und sie 23 haben weder uns noch unseren Nachfolgern ge- schadet, denen \vir sie redlich weitergegeben haben. Der Allgevvaltige, von dem vor allem unser Wohl und Wehe abhing, war der Klassenoffizier. Ich denke mit Dankbarkeit und Verehrung an ihn. Vier Jahre hat er uns mit echtem Wohl- wo!len, Freundschaft und viel Geduld gefiihrt. Die Aufsicht wahrend der Freizeit war alteren Unteroffizieren anvertraut. Das ging uns im An- fange machtig gegen den Strich. Diese einfachen, braven Manner haben es aber mit viel Takt und Klugheit verstanden, ihre Autoritat zu wahren. Das war sicher nicht leicht, da unser ganzes Sinnen und Trachten darauf gerichtet \var, diese armen Leute in Verlegenheit zu bringen. Eine Ausnahmestellung hatte der alte StabswafTen- meister, der Generationen von Seeoffiziersnach- wuchs betreut hat. Wir vertrauten ihm unsere kleinen Sorgen und Note an; dafiir mufiten alle, die nach Wien oder in nordlichere Gegenden auf Urlaub fuhren, ihm vom Bahnhof in Wiener- Neustadt ein Paar \Vurstel mitbringen. Nirgends, so behauptete er, seien sie so gut \vie dort. Zu allem ungewohnten und manchmal pein- lich empfundenen Neuen kam noch der Zwang des wirklichen Lernens, den ich vom Gym- nasium in Pola her nicht gewohnt war. Fiir uns MarinesproBlinge ergab sich iiberdies die merk- wiirdige Tatsache, da8 unsere guten Onkel, die in San Policarpo und in der Schvvimmschule in 24 E R Z II ERZOG I M FERDINAND MA X-D E N KMAL P O L I C A R P O - P A R K * Pola so viel Unfug mit uns getrieben hatten, plotzlich unsere Vorgesetzten \varen, die sich nicht im mindesten um unsere fruhere Intimitat kiimmerten. Ich war mit vierzehn Jahren ein recht kleiner Knirps. Alles war mir zu groB, die Montur, das Gewehr beim Exerzieren und die Riemen in den groBen Booten, die ich nicht umspannen konnte. Gegen diese langen, schweren, fiir ausgewachsene Matrosenfiiuste bestimmten Ruder hatte ich eine tiefe Abneigung. „E i n s, z w e i. . i . . e i n s, z w e i. . i . . . !“ „Riemen auf!“ Zwolf Ruder fliegen im Schwung empor und stehen kerzengerade gegen den Himmel. Das war die Ehrenbezeigung, die Ruderboote beim Pas- sieren von Flaggenoffizieren zu leisten hatten. Die Wahrscheinlichkeit, im Golfe von Fiume an Flaggenoffizieren vorbeizufahren, war aber kei- neswegs so groB, daB die Ausdauer, mit der die- ses Manover geiibt wurde, begriindet erschien. Wir waren wohl mit Recht der Ansicht, daB dies nur geschah, weil das Emporschnellen der Rie¬ men besondere Schwierigkeiten bereitete und weil das kalte Wasser von den Ruderblattern iiber unsere steifen Finger rann. Mit der Zeit aber lernte man eine Menge klei¬ ner KnifTe, die das Leben erleichterten: wie man ein Fieberthermometer bearbeiten m.uBte, um einer Schularbeit zu entgehen, an welchen Stellen man die hohe Parkmauer zu kleinen Ausfliigen % 25 in die Umgebung iiberklettern und wie man sich aus der Kantine Wein und Bier schmuggeln konnte. Nach dem ersten Jahr, als man schon stolz auf einen unerfahrenen Nachvvuchs herabblicken durfte, begann man sich heimisch zu fiihlen. Es muBten nicht mehr alle PiifTe widerstandslos hingenommen werden, und so kam es mitunter zu regelrechten Jahrgangsraufereien, die plotz- lich im Speisesaal oder in den Gangen aus- brachen und mit groBer Erbitterung gefiihrt wurden, bis die Aufsichtsorgane dem Zauber ein Ende machten. Wenn auch die meist jungen Offiziere, die unsere Lehrer und Vorgesetzten \varen, fiir unsere harmloseren Lausbiibereien viel Verstandnis hatten, konnte man doch bei solchen und ahnlichen Gelegenheiten ganz plotz- lich ins Loch fliegen und dort bis zu vier Tagen auf einer Iiolzpritsche bei Einbrennsuppe und Brot iiber seine „Verbrechen“ nachdenken. Wer Bekannte in der Stadt hatte, die fiir gute Auffiihrung verantwortlich waren, durfte, je nach den Studienerfolgen, an Sonntagen „aus- speisen“ gehen, wie dies so schon hiefi. Da zeigte man sich dem erstaunten Volk im Glanze der Paradeuniform, im kurzen Spenzer, der Offiziers- kappe und dem Zoglingssabel, einer Art ver- langerten Kiichenmessers. Die anderen wurden unter Aufsicht in die Umgebung spazierenge- fiihrt. Das waren die sogenannten „Viehtriebe“. Manchmal ging es mit Tendern und Booten nach 26 Abbazia, Buccari oder Cirkvenica. Die Ausfliige nach Abbazia waren besonders beliebt, weil man dort den Vorrat an gutem osterreichischen Ta- bak erganzen konnte. Das Bordhemd bis an den Hals angefiillt, driickte man sich an dem ungari- schen Finanzer im Fiumaner Hafen vorbei. Diese um die Hiiften zusammengeschniirte Ma- trosenjacke war auch sonst der Aufbewahrungs- ort zahlloser uberfliissiger Dinge, die sich als dicker Wulst um Hiiften, Bauch und Riicken- partien legten. In einer fiir damalige Zeiten iiberraschend verstandnisvollen Weise hielt man uns zu jeder Art von Šport an. Ein FuBballplatz und gute Tennisplatze standen uns zur Verfiigung. Turnen und Fechten waren obligat, Rudern und Segeln gehorten zur maritimen Ausbildung. Am Ende eines jeden Schuljahres wurden gro8e Wett- kampfe zvvischen den Jahrgiingen veranstaltet. Beim; Unterricht verstand man allerdings keinen Spa8. Wer bei JahresschluB durchfiel, flog hinaus. Die Vorzugsauszeichnung, die so- genannten „Kn6pfel“, wurde nur von ganz wenigen erreicht. Mehrmals in der Woche zogen wir hinaus zum Akademiehafen, wo uns die Grundlagen aller maritimen Kunst, Rudern, Se¬ geln und die Anfange des Manovrierens und der praktischen Navigation, beigebracht wurden. Nach dem langen, harten Schuljahr \vinkte der Lohn: die Ubungsreise. Erste Seereise Die Zeit des stolzen Segelschiffes, der Ver- korperung alten Seemannstums, war vorbei. Der vollgetakelte Obungsmast im Akademieparke war entfernt worden, und unser Jahrgang war der erste, der die Obungsreise an Bord eines DampfschifTes absolvierte. Unsere Vorfahren zur See waren vor allem Seeleute gewesen und erst in zweiter Linie Sol- daten, wenn sie sich auch noch so hervorragend geschlagen hatten. Die rasche Entwicklung der Technik hatte ganz andere strategische und tak- tische Probleme des Seekrieges geschafTen. Da- mit war auch ein anderes Seemannstum entstan- den, ein wissenschaftlich-technisch-militarisches, das zwar nicht die Tradition des SegelschifTes besaB, aber doch vom ganzen Zauber der See umwoben war und von der neuen Romantik der Maschine. Nach den verschiedenen VVechselfallen der * SchluBpriifungen kam endlich der Tag, an dem weit drauBen im Kanale von Farasina eine Rauchwolke sichtbar wurde, Mastspitzen und Schlote tauchten aus dem Horizont, und dann ging die „Elisabeth“ — S. M. S. „Kaiserin Elisa- 28 beth“ — auf der Reede von Fiume vor Anker. Am nachsten Tage schifTten wir uns mit un- seren Habseligkeiten ein, und dann \vurden die Anker gelichtet. Zwischen den Inseln und durch die Kanale Dalmatiens ging es, mit einigen Auf- enthalten in kleinen, einsamen Buchten, nach Lussin, Žara, Spalato, Sebenico und in die Bocche di Cattaro. Die ,,Elisabeth“ gehorte schon damals zu den Veteranen der Marine. Sie hat spater im Ivriege bei cTer Belagerung von Tsingtau ein ruhmreiches Ende gefunden. Auch auf den Reisen \vurden wir nicht ver- wohnt. Wir schliefen in Hangematten im Batte- riedeck, unter uns die Mannschaft, was be- merkenswerte Nachteile hatte. Die Hangematten muBten wir selbst aufhangen und am nachsten Morgen wieder kunstgerecht zu gleichmaBigen Wiirsten zusammenrollen. Kleider und Schuhe reinigten wir uns selbst, unser ganzes Hab und Gut war in einer kleinen Holzkassette unterge- bracht. Als besondere Begiinstigung bekamen wir jeden Abend ein Glas Wein. Da wir fest- stellten, daB der einzelne davon doch nichts hatte, schiitteten wir die Rationen zusammen und verteilten das Ganze unter die vier Gewinner einer Lotterie. Auf diese Weise hatten allabend- lich vier Mann so lange einen richtigen Rausch, bis man uns diesen schonen Brauch abstellte. In See versalien wir regelmaBigen Wachdienst auf der Kommandobriicke, auf Deck und bei den Maschinen. Wir exerzierten an den Ge- % \ 29 schiitzen, machten unaufhorlich Ortsbestimmun- gen, beobachteten Sonne, Mond und Sterne mit dem Sextanten und wurden bei Gefechts-, Feuer- und \Vasseralarmen herumgestoBen. Sehr unan- genehm empfanden wir die strenge Vorschrift, Tagebiicher zu fiihren, in denen \vir unsere Er- lebnisse auf den Reisen verewigen muBten. Be- sonders unseren nichtdeutschen Kameraden be- reitete dies noch manche Schvvierigkeit. So fand sich im Tagebuch eines Zoglings aus Budapest folgender Vermerk: „22 Uhr kommt ein Insel in Sicht, was Lissa zu sein glaubt.“ Im Hafen ging es in die Boote zum Rudern und Segeln oder mit den Landungsgeschiitzen zu sehr kriegerischen Operationen ans Land, die in der Dienstsprache merkwiirdigerweise „Boote auf Kriegsfufi“ hieBen. Unsere braven Dalma- tiner Matrosen, die dies ohnehin nicht ver- standen, nannten es einfach „Boote na Christus“. Diese Fahrten endeten meist mit einem Bad am freien Strande. Das \var endlich wieder das rich- tige, strahlende, blaue Meer, nicht das lang- weilige schwarzgraue Wasser des Fiumaner Hafens. Bei den Landgangen bekamen wir den ersten noch recht zahmen Vorgeschmack von Reisen, fremden Liindern und Menschen. In diesen klei- nen Hafenorten Dalmatiens bot sich uns zum erstenmal das reizvolle Bild, das uns spater so vertraut werden solite: KafTeehaustische auf der Riva unter miickenumschwarmten Bogenlampen, 30 hellerleuchtete, weiBe Hauserfronten, schmale Seitengassen, die das Dunkel verschlingt. Sterne spiegeln sich im tiefschvvarzen Meer, das leise an den Steinquadern des Molos platschert. Auf der Riva promenieren schwarzhaarige, schlank- beinige Madel Arm in Arm, das Spitzentuch um die Schultern. Vielleicht nahm man einen Blick mit oder ein schiichternes Lacheln, an das man noch lange denken konnte. Wir waren damals sechzehn Jahre alt. Nach vierwochiger Kreuzung kam der erste Urlaub im Glanze der Montur. Er verlief unge- stort, bis auf einen Zvvischenfall. Es war in der stark besuchten Halle eines groBen Hotels in Wien. In meiner schonsten Uniform lehnte ich lassig an einer Saule in der Nahe des Lifts und besah mir das Publikum. Plotzlich wurde laut und deutlich eine tiefe, energische Frauenstimme vernehmbar: ,,Hallo, Sie, junger Mann!“ . . . ? . . . „Ja, Sie! — Liimmeln Sie hier nicht herum, sondern bringen Sie mich gefalligst in den zwei- ten Stock!“ Die nachsten Zoglingsreisen fiihrten uns schon liber die „goldene Linie“ hinaus ins Mittelmeer. Diese goldene Linie war der Breitengrad von Spizza, dem siidlichsten Punkte Dalmatiens und der Monarchie. Auf SchifTen, die ins Ausland fuhren, wurden nach Oberschreiten dieser Linie die Gagen und Lohnungen in Gold ausgezahlt, daher der klangvolle Name. Durch die Strafie von Otranto, der albanischen 31 und griechischen Kiiste entlang, ging es nach Kephalonia, Korfu, Zante oder Patras, um das Kap Matapan in das Inselgewirr des Agaischen Meeres. Ehrwiirdige Namen klangen auf: Delphi, Ivorinth, Athen, Salamis. Voli hohnischer Ge- nugtuung dachte ich an die Griechischstunden im Gymnasium, die mir nichts mehr anhaben konnten. Wir wurden ge\vissenhaft von einem Altertum zum anderen gefiihrt. Ich mu8 aber gestehen, daB mich damals die ehrwiirdigen Schauer der Geschichte noch nicht erfaBten. Wir interessierten uns mehr fur die Gegen\vart, fiir das Wetter, die Diensteinteilung und den Land- gang in den Hafen. In Griechenland lernten wir die Herrschaft des „Jarac“ kennen, des Hammel- fleisches in allen seinen Erscheinungsformen. Sein Geruch ist allgegenvvartig. Man schmeckt ihn im Wein, er liegt im Parfum der Frauen und im berauschenden Duft der Tubarosen. Zum erstenmal kamen wir zu dem ersehnten Ziel jeder Levantereise, nach Smyrna, mit dem un- sere Marine geradezu heimatliche Gefiihle ver- banden. Auf der Uberfahrt nach Alexandrien erfuhren wir dann auch, daB Seefahrt nicht immer ein Vergniigen ist. Die langen, schvveren Stidwest- seen forderten ihre Opfer. In manchem griinlich- bleichen Gesicht stand die Reue iiber die vor- schnelle Berufswahl. Die anderen freuten sich und verspeisten mit Appetit die iibriggebliebenen Rationen. 32 Drei Tage Kairo! Wie auf der Biihne ver- wandelt sich die Szene. Nach den schwankenden Hangematten die weichen Betten des Shepheards Hotel. Riesige Neger putzten die Schuhe und servierten bei den Mahlzeiten. Bei den Pyrami- den ware es fast zu einer Schlacht gekommen. Arabische Fiihrer bemachtigen sich jedes Frem- den, der die Pyramide besteigen will, und schlep- pen ihn gegen entsprechenden Bakschisch die allerdings recht hohen Stufen hinauf. Das wider- sprach unserem Sportgeist. Unter dem lauten Protestgeschrei der Araber, deren Attacke wir siegreich abgeschlagen hatten, erstiirmten wir keuchend, aber ohne Hilfe die Spitze. An den Abenden durften wir das Hotel nicht verlassen. Die vielen Ausgange aber und unsere Erfahrungen im Durchbrennen machten dieses Verbot natiirlich unwirksam. Wir konnten von Gliick sagen, daB unsere nachtlichen Streifziige durch die iibelsten Teile der Stadt, das Araber- viertel und den Fischmarkt, ohne ernstliche Z\vischenfalle verliefen. Dann hatten die Herrlichkeiten des Orients ein Ende. Auf der Riickreise in die heimischen Ge- wasser der Adria wurden uns die Traume von iippigem Wohlleben und Abenteuern griindlich ausgetrieben. 3 Kunsti, Strand Arrest und erste Gage „Herr Admiral! Ich melde gehorsamst, zum Kommandorapport bestimmt!“ Der Herr Admiral, dem ich in der Kommando- kanzlei der Marineakademie diese peinliche Mel- dung erstatten muBte, \var mein Vater. Tatbestand: Verlassen des Akademierayons des Nachts in Zivilkleidung. „Sie haben also die Frechheit gehabt . . Jetzt folgte eine liingere, nicht sehr schmeichelhafte Beurteilung meiner Charakter- und Geistes- eigenschaften. „Vier Tage verscharfter Arrest! Abtreten!“ Nach Jahren erst hatte ich den Mut, meinem Vater zu gestehen, dafi die so sehr beanstande- ten Zivilkleider noch dazu seinem eigenen Kleiderkasten entnommen waren. Die Ernennung meines Vaters zum Akademie- kommandanten hatte fiir mich, nebst einigen Vorteilen, auch sehr empfindliche Nachteile. Offiziere und Professoren schenkten mir ein besonders liebevolles Augenmerk. Sie meldeten auch meine kleinsten Vergehen, bei denen sie sonst wahrscheinlich ein Auge zugedriickt hiit- ten. Dieses gewiB ehrenwerte Bestreben, auch 34 nur den leisesten Gedanken an Protektion zu vermeiden, brachte es mit sich, daB ich wahrend des letzten Akademiejahres mehr im Arrest saB, als die anderen drei Jahre zusammengenommen. Erfreulich \varen die Raubziige, die ich in die Kiiche der elterlichen Wohnung unternehmen konnte. Bei einer solchen Gelegenheit horte ich plotzlich aus dem Park das Hornsignal „Ver- gatterung“. Da ich nichts Passendes gefunden hatte, aber fest entschlossen war, den Riickzug nicht ohne Beute anzutreten, erwischte ich einen gemachlich in der Rahmsauce schmorenden Hasenbraten und verschwand unter lautem Pro¬ test der Kochin. Als ich dann unten in der Ein- teilung stand, erkannte ich am freudigen Grin- sen meiner Umgebung, daB etwas nicht in Ord- nung war. Ich hatte in der Eile den Braten ins Bordhemd gesteckt, und nun tropfte die Sauce langsam an mir herunter. Von diesen rein personlichen Leiden und Freu- den abgesehen, fiihrten wir als „IV. Jahrganger“ ein sehr angesehenes Dasein und fiihlten uns als groBe Herren, soweit eine Militarerziehungs- anstalt solche Gefiihle iiberhaupt aufkommen lieB. Wir kannten jeden Winkel des Hauses und des Parkes, hatten unsere Extrauniformen und trugen unter Herzklopfen unvorschriftsmaBige Schuhe und Kragen. Jeder von uns hatte ein Hauflein Knaben des ersten Jahrganges zum Ab- richten zugewiesen, mit denen man gnadig oder ungnadig sein konnte, was angenehmen Macht- 3 * 35 kitzel verursachte. Sonntags war freier Ausgang in die Stadt. Bei der Platzmusik auf dem Molo Adamich er\varteten \vir voli Ungeduld das Er- scheinen der Auserwahlten. Dem er\vachenden Sinn fiir die Weiblichkeit hatte man in weit- blickender Weise dadurch Rechnung getragen, daB man uns den Besuch von Ballen und Thea- tern gestattete. Die Stadt Fiume hatte sehr viel geselliges Le¬ ben, das sich aber im Hinblick auf die drei rivali- sierenden Nationalitaten in recht komplizierten Formen abspielte. Die Bevolkerung war zum Teil italienisch, zum Teil kroatisch, die Ver- waltung ungarisch. Es gab Balle im „Casino patriottico“, dem italienischen Klub, und in der kroatischen „Čitaonica“, die wir gleich gerne besuchten. Wir waren nicht aus Zwang, sondern, \vie alle Angehorigen der Armee und Marine, aus tiefster Oberzeugung unpolitisch. Es mutet merk- \viirdig an, daB dies damals nicht nur erlaubt, sondern sogar Pflicht war. Zarte Bande kniipften uns an alle Nationalitaten der Stadt, und so er- hielten wir schon damals unsere erste diploma- tische Schulung, die spiiter im Dienste als k. u. k. Seeoffiziere auch aus anderen Griinden oft sehr notwendig war. Eines Tages lag wieder die „Kaiserin Elisa- beth“ drauBen auf der Reede. Diesmal nicht, um uns zur nachsten Ubungsfahrt mitzunehmen, sondern um Schauplatz und wiirdiger Rahmen fiir den feierlichen Akt der Ausmusterung zu sein. 36 Zum letzten Male klang das Signal „Vergatte- rung“ vom Park herauf. Zum letzten Male traten wir an, schon in der neuen Pracht der groBen Dienstuniform: Flottenrock mit Epauletten und Dienstgiirtel, Zweispitz — genannt der ,,Jubel- kiibel“ — und dem richtigen langen Sabel. Dann zogen wir an Bord der „Elisabeth“, die zu Ehren des Tages Flaggengala gesetzt hatte. Nun stehen \vir in Reih und Glied am Achteren Freideck. In strahlender Junisonne liegen Bucht und Hafen von Fiume. Ober den Hausern von Sušak ragt die alte Burg von Tersato, und tief hinein in die Bucht schneidet der schmale Strich des Molo lungo. Die helle Front der Akademie griiBt heriiber und driiben unter den Hangen des Monte Maggiore blinken aus dunkelgriinen Lor- beerhainen die weiBen Hausergruppen von Vo- losca, Abbazia und Lovrana. Hornsignale! Die Messe beginnt. Zur Wand- lung und Kommunion singt feierlich die Boots- mannpfeife, in schweren Falten bauscht sich die Heckflagge und knattert leise im Wind. Ernst und mahnend klingt das „Gebet vor der Schlacht“. Dann verliest mein Vater die Eidesformel, die wir nachsprechen: Wir schvvoren zu Gott dem Allmachtigen einen feierlichen Eid, Seiner Apostolischen Majestat, unserem Allerdurchlauchtigsten Fiirsten und Herrn Franz Joseph dem Ersten, von Gottes Gnaden Kaiser von Osterreich. 37 und Apostolischer Konig von Ungarn . treu und gehorsam zu sein . in allen Diensten Folge zu leisten, gegen jeden Feind . zu Wasser und zu Land und in den Liiften, bei Tag und Nacht, in Schlachten, in Sturmen, Gefechten und Unter- nehmungen jeder Art.tapfer und mannhaft zu streiten, unsere SchifTe, Flaggen und Truppen in keinem Falle zu verlassen . . . . .wie es den Kriegsgesetzen gemaB ist und braven Kriegs- und Seemannern zusteht, .und auf diese Weise mit Ehre zu leben und zu sterben. So wahr uns Gott helfe. Amen! GroB und feierlich rauschten die Klange des ,,Gott erhalte“. Kein Schatten, keine triibe Ahnung fallt auf die Feier dieser Stunde. Nach dem Einriicken in die Akademie defilierte « im Hof die Zoglingskompagnie vor den jiingsten k. u. k. Seekadetten. Dann holten vvir unsere erste Gage und \varen mit einemmal ervvachsene Manner. „Ecco i pescatori!“ Wir waren die jiingsten Angehorigen eines Korps von hoher maritimer und militarischer Tradition. Die Erfolge und WafTentaten der k. u. k. Kriegs- marine im Verlaufe ihrer 200jahrigen Geschichte sind um so hoher anzuschlagen, als sie aus- schlieBlich dem Geiste und der Tiichtigkeit ihrer Offiziere und Mannschaften zu verdanken waren. Denn immer war die Marine das Aschenbrodel, die vernachlassigte Schwester der groBen Armee gevvesen. „Ecco i pescatori“ — „da kommen die Fi- scher“ — sagten die Italiener, als die oster- reichische Flotte bei Lissa in Sicht kam. Diese „Fischer“ haben unmittelbar darauf bewiesen, daB sie mehr konnten, als Fische fangen. Trotz- dem war dieser Ausspruch bezeichnend, denn bis in die letzten Jahre vor dem Kriege krankte die Marine immer an mangelndem Material und un- zureichender Ausriistung. Ihre Geschichte war ein einziger, oft beschamender Kampf gegen Un- vernunft und Geldmangel, das chronische Obel der alten Monarchie. Wann immer ein weit- blickender Monarch oder Staatsmann zur Er- 39 kenntnis gekommen war, da!3 einer GroBmacht SchifTahrt not tue und daB diese SchifTahrt nur unter dem Schutze einer Flotte gedeihen konne, fanden sich immer eine Inrtendanza oder ein Gu- bernium in Triest und spater ein Hofkriegsrat oder Parlament in Wien, die so lange Eingaben und Sch\vierigkeiten machten, bis alle schonen Plane ins Wasser fielen. Als Kaiserin Maria Theresia um 1750 die SchafTung einer bescheidenen Flotte beabsich- tigte, um die Seefahrt der Erblande im Mittel- meer gegen die Piraterie der Barbareistaaten Marokko, Algier und Tunis zu schiitzen, waren es sonderbarer Weise die Triester Kaufleute, die diese Absicht vereitelten. Der Grund \var der, daB sie zur Beitragsleistung fiir den Bau und die Instandhaltung der SchifTe herangezogen \vorden vvaren. Oberdies befiirchteten sie vom Erstarken der nationalen SchifTahrt das Aufkommen einer Konkurrenz und zogen es vor, ihre Waren auf SchifTen fremder Nationen zu verfrachten. Die Argumente der Triester Kaufleute waren, wenn auch traurig, so doch vom „geschaftlichen“ Standpunkte begreiflich. Die spateren Schwie- rigkeiten der Zentralstellen sind nur daraus zu erklaren, daB die Erblande, und dann auch die Osterreichisch-Ungarische Monarchie, seit jeher fast dogmatisch an einer durchaus kontinentalen Einstellung festhielten. Dies mochte auch der Grund fiir den immer bekundeten Mangel an kolonialen Interessen gewesen sein. 40 Osterreich kam nach einigen bedeutungslosen Ansatzen erst dann zu einer Flotte, als dies nicht mehr zu vermeiden war. Nach dem Frieden von Čampo Formio im Jahre 1797, der den Zusam- menbruch der Republik Venedig besiegelte, wurde die Lagunenstadt von den k. u. k. Truppen besetzt. Dort fand man eine Flotte vor und so wurde Osterreich eine Seemacht. Napoleon hatte allerdings noch vor dem Friedensschlusse Vene¬ dig besetzen lassen und den Kern der veneziani- schen Flotte in Besitz genommen. Immerhin wa- ren noch zehn LinienschifTe, fiinf Fregatten und eine Anzahl von Galeeren, Galeoten, Feluken und Schaluppen ubriggeblieben. Viel spater noch war diese Abstammung der osterreichisch-ungarischen Kriegsmarine unver- kennbar. Das Offizierkorps bestand zum groBten Teil aus Italienern, die Dienstvorschriften waren von der venezianischen Flotte iibernommen wor- den, und bis um das Jahr 1850 \var auch die Dienstsprache italienisch. Sehr viele Seemanns- ausdriicke unserer Marine sind italienischen Ur- sprungs. Noch in den Achtzigerjahren gab es so man- chen alteren Offizier, der mit der deutschen Sprache auf KriegsfuB stand. Um diese Zeit soli einmal ein jtingerer Offizier in seiner Dienstbe- schreibung folgenden Satz vorgefunden haben: „Ist ein sehr feiger Seeoffizier.“ Voli Entriistung beschwerte er sich bei seinem Kommandanten. Man erzahlt sich, daB dieser brave Seebar einem 41 Freunde gegeniiber sein Erstaunen hieriiber mit folgenden Worten ausgedriickt habe: „Non so cosa che vol. Ge scrivo: sehr fe — iger (fahiger) Seeoffizier e adesso me vien con Beschwerde.“ (Ich \veiB nicht, was er will. Ich schreibe ihm binein: Sehr fe — iger Seeoffizier, und jetzt be- schwert er sich noch.) Langsam setzte sich das Verstandnis fiir die Notwendigkeit einer Seemacht .durch. In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts kreuzten im ostlichen und \vestlichen Mittelmeer immer haufiger k. k. Kriegsschiffe zum Schutze der Han- delsschiffahrt vor griechischen und marokkani- schen Seeraubern. Alle diese groBeren und klei- neren ZusammenstoBe und Kampfe, \vie die Lan- dung bei El Araisch 1827 und die Eroberung von Saida 1840 haben die Kriegsmarine auf der Hohe ihrer Aufgaben gefunden. Die Kriege in den Jahren 1809, 1813 und 1848, die zeitweise den Verlust der Kiistengebiete mit sich brachten, haben auch der Kriegsmarine ein wechselvolles Schicksal bereitet. Erst die t)ber- nahme des Marinekommandos durch Erzherzog Ferdinand Max im Jahre 1854 brachte ein ra- scheres Tempo ihrer Entwicklung. In diese Zeit fallt auch die Verwendung der ersten Dampf- schiffe und der Ausbau Polas als Hauptkriegs- hafen. Das Seegefecht bei Helgoland im Jahre 1864, bei dem eine k. u. k. Eskader und eine Anzahl kleinerer preuBischer Einheiten unter dem Kom- 42 mando des Linienschiffskapitans v. Tegetthoff einer starken danischen Obermacht gegeniiber- standen, hat wieder die hervorragenden kriege- rischen und maritimen Eigenschaften der Ma¬ rine erwiesen. Tegetthoff hat dann auch am 20. Juli 1866 die Flotte Osterreichs zum Siege bei Lissa gefiihrt. Die telegraphische Instruktion, die er beim Aus- bruche des Krieges gegen Italien vom Hofkriegs- rat erhalten hatte, lautete sinngemaB: „Den Feind nicht angreifen, im iibrigen nach eigenem Ermessen handeln.“ „Den Feind anrennen und zum Sinken brin- gen“ und „MuB Sieg von Lissa werden“ waren die Signale, die vor der Schlacht vom Flaggen- schiff „Erzherzog Ferdinand Max“ \vehten, als Tegetthoff nach „seinem Ermessen“ zum Entsatz von Lissa ausgelaufen war. Ein eigenartiger Zufall wollte es, daB beim Hissen des zweiten Signals die Leine riB und das Wort „muB“ allein wie ein Symbol des unbe- dingten Willens zum Siege von der Gaffel wehte. Nach der siegreichen Schlacht wurde der Vize- admiral und Theresienritter mit Ehren und Aus- zeichnungen iiberhauft und kurze Zeit darauf zum Marinekommandanten ernannt. Dann aber ereilte ihn das osterreichische Schicksal. Er war zu groB geworden, man feindete ihn an und machte Schwierigkeiten, wenn er, der Fana- tiker seines Berufes, der Prediger osterreichi- scher Weltgeltung, ein ungewohntes Tempo in 43 der Neugestaltung der Flotte einschlagen wollte. Ein Vorfall ist bezeichnend: Nach der Schlacht bei Lissa war die Nachricht in der europaischen Presse erschienen, da8 das LinienschifT „Kaiser“ in der Schlacht gesunken sei und daB die Oster- reicher auBerordentlich hohe Verluste erlitten hiitten. Um dieser Falschmeldung zu begegnen, hatte Tegetthoff im Hafen von Triest auf dem angeblich gesunkenen „Kaiser“ ein Festessen ver- anstaltet, zu dem eine Anzahl fremder Seeoffiziere eingeladen war. Die Marineverwaltung verwei- gerte anfanglich den Ersatz der Kosten des Mahles und be\villigte sie erst nach langwierigen Verhandlungen. Der Sieger von Lissa aber erhielt einen Verweis ,,wegen eigenmachtigen Vorge- hens“. Tegetthoff hat den Kleinkrieg gegen Bonzen und Behorden nicht lange mitgemacht. Er starb im Alter von 44 Jahren. Der rasche Fortschritt der Technik und damit des Schiffbaues, das Expansionsbediirfnis der Machte in der Bliite- und Konjunkturzeit der zweiten Hiilfte des 19. Jahrhunderts hatten der Kriegs- und Handelsschiffahrt machtige Impulse gegeben. Koloniale Interessen, die Forderung des Oberseehandels und die ErschlieBung neuer, fer- ner Wirtschaftsgebiete \varen die Probleme dieser Zeit, denen sich auch die Monarchie nicht ganz verschlieBen konnte. Auf den Weltmeeren er- schien die k. u. k. Flagge. Beim Boxeraufstand in China im Jahre 1900 hat auch die neuere Ge- 44 neration der Kriegsmarine ihre Feuertaufe in vollen Ehren bestanden. Es waren auch nicht nur maritime, militarische und politische Aufgaben, die die Marine zu er- fiillen hatte. Die Ergebnisse einer Reihe wissen- schaftlicher Expeditionen, wie die Weltumseg- lung der Fregatte „Novara“ von 1857 bis 1859 und die Nordpolexpedition von Payer und Wey- precht von 1872 bis 1874, waren auf ihren Ge- bieten maBgebend fiir die wissenschaftlichen Forschungen ihrer Zeit. An den Flotten anderer GroBmachte gemessen, war die k. u. k. Kriegsmarine klein und unzu- langlich. Ihr Geist und ihre Tiichtigkeit aber ha- ben ihr iiberall, wo sie ihre Flagge zeigte, hohe Achtung und Anerkennung verschafTt. Seekadetten Das Leben zur See \var schon, aber fiir den Seekadetten keineswegs komfortabel. Zehn bis fiinfzehn meist nicht sehr ordnungs- liebende Jiinglinge muBten den drangvoll engen Raum der Kadettenmesse, die nicht groBer war als ein bescheidenes Wohnzimmer, miteinander teilen. Die Einrichtung war einfach: schmale Hiingekasten an den Wanden, Lederbanke und ein Tisch. Dem Besucher bot sich oft ein maleri- sches Bild. An einem Ende des Tisches war eine Bridgepartie im Gange, am anderen eine Partie Schach. In der Mitte verzehrten einige Land- giinger noch rasch ihr Abendessen und in den Ecken auf den Lederbiinken schliefen Seekadet¬ ten, zusammengerollt \vie Hunde. Dazvvischen lagen Kappen, Siibel, Keksschachteln und Flotten- rocke in schoner Eintracht herum. Dichte Rauch- schwaden verdunkelten das Licht der Gliihlam- pen. Der Rangiilteste der Messe hatte das traurige Los, fiir die Ordnung in der Kadettenmesse ver- antvvortlich zu sein. Da Ermahnungen nichts hal- fen, muBten eindrucksvollere Mittel angewendet werden. Gegenstande, die nach einer bestimmten, 46 sehr knappen Frist nicht vveggeraumt waren, wurden „lanciert“, das heiBt kurzerhand iiber Bord befdrdert. Dieses Schicksal solite einmal einem schonen neuen Flottenrocke bereitet \verden, der schon geraume Zeit in einem Winkel der Messe ein un- beachtetes Dasein fiihrte. Die Nachschau ergab, daB er einem besonders zerstreuten und unor- dentlichen Kameraden gehorte, der eben auf Deck VVache hielt. Rasch wurde der Name aus dem Futter entfernt und dann dem Besitzer bei seinem Erscheinen in der Messe mitgeteilt, daB eben ein Flottenrock, dessen Eigentumer nicht festzustellen sei, „lanciert“ werden solle. Da er aber den meisten gut passe, habe man beschlos- sen, ihn zugunsten der Messekasse zu versteigern. Noch rasch eine Probe — der Rock saB auch ihm wie angegossen. Bei der nun folgenden Auktion erwarb unser zerstreuter Freund seinen eigenen Flottenrock um den ansehnlichen Preis von fiinf Kronen, mit denen dann abends ein iippiges Fest- mahl bereitet wurde. Kabinen gab es keine. Die Hangematte in der Batterie \var wieder in ihre Rechte getreten. Je¬ der besaB eine groBe Kiste, den sogenannten „Casson“, in dem er sein ganzes Hab und Gut unterbringen muBte. Diese weniger eleganten als soliden Gepackstiicke, die sich alle glichen \vie ein Ei dem anderen, stellte das k. u. k. Arar in groBziigiger Weise jedem Seekadetten kostenlos zur Verfugung. Es war nicht leicht, in diesem Un- 47 getiim etwas zu finden. Ein Seekadett aus grauer Vorzeit soli sich in seinem „Casson“ eine Kurbel eingebaut haben. Sie hatte an der AuBenseite einen GrifT, an dem er immer so lange drehte, bis der gesuchte Gegenstand aus unergriindlichen Tiefen zum Vorschein kam. Daher der Ausdruck ,,kur- beln“, der in der Marine zum BegrifTe geworden war. Unser unmittelbarer Vorgesetzter war der G. D. O., der Gesamtdetailoffizier, nach dem Schiffs- kommandanten der rangalteste Offizier an Bord. Neben seinen sonstigen zahlreichen Obliegenhei- ten als Mutter des SchifTes teilte er unseren Dienst ein und leitete unsere maritime und mili- tarische Ausbildung. Neben dem laufenden Tur¬ nus der Deck- und Signalvvache hatte jeder seine besondere Diensteinteilung beim G. D. O., beim Na- vigations- oder Manovrieroffizier, bei den Turm- geschiitzen und Batterien. Wir waren den Mann- schaftsabteilungen zugeteilt und muBten mit Dal- matinern, Polen, Ungarn und Ruthenen Dienst- reglement und Namen der Vorgesetzten studieren. Da konnte es passieren, dafl man so einem bra- ven Mann eine lange, ausfuhrliche Rede hielt. Durch freundliches, zustimmendes Kopfnicken ermuntert, fragte man zum Schlusse: ,,Na, hast du verstanden?“, worauf unter strahlendem La- cheln die Antwort erfolgte: „Ungor, bitta.“ Den SchifTskommandanten sah man nur aus Respektsdistanz, wenn er einsam und unnahbar auf Deck auf und ab ging. Einem alten Schifts- 48 zeremoniell zufolge muBte alles vom Achteren Freidecke, der iiblichen Promenade wahrend der Freizeit, verschwinden, wenn der Schilfskom- mandant dort erschien. Der heikelste Dienst war die Deckwache im Hafen. Der Wachkadett muBte alles wissen, alles bemerken und war der Priigelknabe fiir schlecht- gelaunte Vorgesetzte. Wenn der G. D. O. suchen- den Blicks auf Deck erschien, wuBte man, wie- viel es geschlagen hatte. „Herr Wachkadettl“ „Befehlen, Herr Korvettenkapitan.“ „Haben Sie keine Augen im Kopf?“ — ? _ “ Ein finsterer Blick \vies auf ein winziges Stiick Putzwolle, das bei der Reinigung an der Reling hangengeblieben war. War man beim Fallreep mit der Abfertigung eines Bootes beschiiftigt, so tonte es von vorne: „Herr Wachkadett!“ Man galoppierte nach vorne. „Sehen Sie nicht, daB die Bugflagge unklar ist?“ Statt vorschriftsmaBig im Winde zu wehen, hatte sie sich um den Flaggenstock gewickelt. Die Nachtwachen waren zwar weniger auf- regend, aber fiir schlafbediirftige Jiinglinge recht bitter. Endlos zogen sich die vier Stunden der „Hundswache“ — so hiefi im Marinejargon die Wache von zwolf Uhr nachts bis vier Uhr friih. Die „Diana“, die Morgenwache von vier Uhr bis 4 Kunsti, Strand 49 acht Uhr, brachte, nebst romantischen Sonnen- aufgangen auf hoher See, die morgendliche Schiffsreinigung. Von den Reinlichkeitsorgien an Bord eines k. u. k. KriegsschifTes kann sich der Laie kaum einen BegrifT machen. Reifiende Strome von Wasser ergieBen sich iiber Deck und werden von taktmaBig vorgehenden Mann- schaftskolonnen mit Reibbesen und Gummi- schrubbern bewaltigt. Messing- und Kupferteile werden mit verbissener Energie bearbeitet, bis sie gliinzen wie eitel Gold. Acht Glas der SchifTsglocke brachten endlich die ersehnte Ablosung. Dann konnte man aber nicht in die Hangematte kriechen, sondern muBte wiihrend der nachsten vier Stunden als „Korvee- kadett“ die Boote fiihren, die den Verkehr mit dem Lande zu besorgen hatten. Wehe, wenn das Motorboot oder die Dampfbarkasse von einer solchen Fahrt mit einem Kratzer oder gar einer ernsten Havarie zuriickkehrte. Dann waren einige VVochen Bordarrest sicher. Der ungewohnte und komplizierte SchifTs- dienst barg fiir den Neuling mancherlei Fahrlich- keiten. Man konnte unseren Matrosen die Freude iiber kleine seemannische Blamagen der Herren Seekadetten deutlich anmerken. Unsere Seeleute, die sich hauptsachlich aus den Kiistenlandern rekrutierten, besaBen in ihrer Urwiichsigkeit sehr viel gesunden Menschenverstand. Kadavergehor- sam vvar bei der Marine so gut wie unbekannt. Bei aller militarischen Disziplin muBte man sich 50 das Vertrauen des Mannes erst ervverben. Dann konnte man aber auch, wenn es not tat, auBer- gevvohnliche Leistungen verlangen. Nach einem zweimonatigen Ausmusterungs- urlaub waren wir auf die Schlachtschilfe der Eskader kommandiert worden. Eskaderkommandant war Kontreadmiral An¬ ton Haus, gewiB die markanteste Figur der letz- ten Epoche der Kriegsmarine. Er war im Welt- kriege bis zu seinem Tode im Februar 1917 Flotten- und Marinekommandant. Wegen seiner iiberragenden Fahigkeiten und seines oft beiBen- den Sarkasmus genoB er in der Marine eine Art scheuer Verehrung. Er besaB in hohem MaBe die Gabe des Fiihrers und war vielleicht der genialste Seestratege und Taktiker seiner Zeit. Die Tragik seines Lebens war es, daB die erdriickende Cber- macht des Feindes und die Eigenheit der mo- dernen Seekriegsfiihrung den praktischen Beweis dieser iiberragenden Fahigkeiten in ofTener See- schlacht nicht zulieBen. Wir Seekadetten auf dem FlaggenschifTe bekamen ihn fast nur in See auf der Kommandobriicke zu Gesicht. Meist stand er allein an einem Ende der Brucke, groB, hager, mit graumeliertem Spitzbart, das Fernrohr unter dem Arme. Da paBten die Signalkadetten hollisch auf und die Signale flogen nur so den Mast hin- auf. Wegen unserer verschiedenen Missetaten in der Marineakademie war unser Jahrgang den einzelnen SchifTskommandos zur besonderen Be- 4 * 51 handlung ans Herz gelegt worden. Trotz dieses un- riihmlichen Beginnes unserer Karriere sind aber aus diesem Jahrgange die beiden jiingsten The- resienritter der Kriegsmarine hervorgegangen: die LinienschifTsleutnants Gottfried Banfield als Flieger und Hermann Rigele, unser Jahrgangs- erster, als U-Boots-Kommandant. Unsere ersten dienstlichen Erfahrungen waren also geeignet, die von Ausmusterung und Urlaub noch anhaltende Hochstimmung bedenklich her- abzuschrauben. Wir kamen bald darauf, daB die Zoglinge des vierten Jahrganges der Marineaka- demie viel groBere Herren gewesen waren, als die Herren Seekadetten. Wenn es auch keinen Dunkelarrest mehr gab, trat reichlicher Bord- arrest an seine Stelle, und es war sehr bitter, zu- sehen zu miissen, wie die Kameraden im schon- sten Flottenrock ans Land zogen. Die Landgange \varen naturliche Hohepunkte im Leben des Seekadetten. Mit hundert Kronen Gage konnte man selbstverstandlich keine groBen Spriinge machen und wir zerbrachen uns den Kopf, wie der Wirtschaftskrise, die fiir uns schon damals begonnen hatte, beizukommen sei. Wir verfielen dabei auf Mittel, die sich von den heute angewendeten kaum unterschieden. Es gab in der Marine eine sehr niitzliche Anstalt, die Offiziersuniformierung. Sie war eigentlich ein groBes Warenhaus, in dem man gegen einen monatlichen Gagenabzug vom Flottenrock bis zur Zahnbiirste alles auf Kredit erhalten konnte, 52 was man brauchte. Nun geschah folgendes: Zwei Verschworene begaben sich, mit einem Paar Epauletten oder den Goldborten der Galahose ausgeriistet, in die Uniformierung. Dort ver- kaufte der erste die Gegenstande gegen den enor¬ men Betrag von vier oder fiinf Kronen. Da man diese Dinge aber nicht entbehren konnte, betrat kurz darauf der zweite das Lokal und kaufte sie auf Kredit wieder zuriick. So hatte man fiinf Kronen und auBerdem seine Epauletten. GroBere Sorgen hatten wir nicht und wenn ein- mal ein Bordarrest oder eine unvorhergesehene Dienstfahrt iiber einen hereinbrach und auf ir- gendeiner Riva eine Nina, Giulia oder Silvia ver- gebens wartete, dann konnte man sich mit den schonen Worten unseres Dienstreglements tro- sten: „Der Seemann muB die Beschwerden und Un- bilden des Dienstes mit Gleichmut und Fassung ertragen.“ Der Ozean Das Jahr 1910 brachte das Jubilaum der hundertjahrigen Unabhangigkeit Argentiniens. GroBe Festlichkeiten und eine internationale Flottenrevue waren geplant, bei der die k. u. k. Kriegsmarine durch den Kreuzer „Kaiser Karl VI.“ vertreten werden solite. Mit der Reise nach Buenos Aires war der Besuch der wichtigsten Hiifen an der Ostkliste Siidamerikas verbunden. Ich zahlte zu den wenigen Gliicklichen und Vielbeneideten, die die Reise mitmachen sollten. Jeder Seeoffizier kennt die eigentumlich ge- hobene Stimmung vor dem Auslaufen zu einer groBen Reise. In die Erwartung des Neuen, Un- bekannten, in die Freude an Wechsel und Weite mischt sich die leise Wehmut irgendeines Ab- schiedes. Gerade diesen Abschieden in Heimat und Fremde aber, die meist jah und unvermittelt brachen, \vas noch in voller Bliite stand, ver- danken wir so viele schone und ungetriibte Er- innerungen. Der „Kaiser Karl VI.“ \var wahrend einiger Wochen im Dock in Pola auf Glanz hergerichtet worden. Eines Tages, um acht Uhr morgens, wa- ren wir dampfklar. 54 „Ankerstationen! — Schottentiiren schlie8en!“ Ganz anders, bedeutsam und erregender klingt das schon hundertmal gehorte Signal. Der Wind reiBt dicke Rauchballen von den Schloten und streut sie iiber den Hafen. Dampfpfeife und Si¬ rene heulen auf. „Los von der Boje!“ Klatschend fahrt die schwere Trosse durch den Bojenring ins Wasser. Die Maschinen arbeiten, und langsam dreht der Bug zur Ausfahrt. Wir gewinnen Fahrt, leise rauscht die Bugwelle auf. „HornistI — Backbord, habt acht!“ So griiBen wir noch einmal die SchifTe der Es¬ kader, die wir auf nahe Distanz passieren. Dann runden wir den Wellenbrecher und setzen in Kurs Stidost. Bei Kap Brancorso versinkt der Hafen von Pola, der Alltag des Eskaderdienstes und wieder ein Abschnitt des Lebens. Von der Brucke blicke ich iiber Schlote, Auf- bauten und Deck. Und da ist es mir, als erwachte dieses SchifT, das mir im Hafen nur Wohnraum und Exerzierplatz gewesen war, zu eigenem Le¬ ben, als \viirde es ein vernunftbegabtes Wesen, mit dem ich jetzt erst Freundschaft schlieBe. Bei jedem Auslaufen nach langerer Liegezeit im Hafen hatte ich dieses merkwurdige Gefiihl. Als ich am Morgen des dritten Seetages um vier Uhr zur Wache auf die Brucke kam, stand dunkelrot im Gliihen der aufgehenden Sonne der spitze Kegel des Atna vor mir. Zwischen Cala- 55 % c brien und Messina, an Scylla und Charybdis vor- bei, steuerten wir durch die StraBe von Messina. Leider habe ich damals von diesen schonen und interessanten Gegenden nicht viel gesehen, weil gerade unter Deck irgendein Alarm geiibt \vurde. So etwas gab es auch bei unseren Fahrten an fremden Gestaden. Am nachsten Vormittage liefen wir in Algier ein. Die erste Begegnung mit der Fremde war ein Schwarm netter, junger Frauen, der sich iiber Deck ergofi, als wir uns am Wellenbrecher ver- taut hatten. Sie sprachen unglaublich rasch fran- zosisch, trugen groBe Korbe und gaben vor, Wa- scherinnen zu sein. Mit den iiblichen Einladungen beim General- konsul und der osterreichisch-ungarischen Ko- lonie, Wanderungen durch die Stadt und Aus- fliigen in die Umgebung vergingen die Tage in Algier. Diese Ausfliige \vurden natiirlich zu Pferd unternommen. Es ist eigentiimlich, daB fast jeder Seeoffizier eine besondere Vorliebe fiir die edle Reitkunst hat. Da sie aber die wenigsten be- herrschten, waren diese Unternehmungen meist mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Die Sage erziihlt von einem besonders vorsichtigen See- manne, der bei seinen Reitausfliigen immer einen kleinen Bootsanker mitgenommen haben soli, den er an einem langen Ende um den Hals des Pferdes band. Wenn es dem braven RoB einfallen solite, die vereinbarte Geschwindigkeit in be- drohlicher Weise zu iiberschreiten, wurde ein- 56 fach der Anker losgemacht, hakte am Boden fest, die Schlinge wiirgte am Halse des Renners und die Situation war gerettet. Nach der StraBe von Gibraltar empfing uns schwere Diinung, der starke, tiefe Atem des Ozeans. Sechs Tage lang, wahrend der Oberfahrt ven Cadiz nach St. Vincent auf den Kapverden, sahen wir zum erstenmal fiir liingere Zeit nichts als Himmel und Wasser. Wie klein wird da die Welt, wenn auch der Blick ringsum ins Unend- liche schvveift. Jede Rauchwolke am Horizont, jede Begegnung wird zum Ereignis, und gespannt ervvartet man die Antwort auf das Iibliche Signal: „What ship?“ Wenn man da nachts auf der Brucke Wache halt und wahrend dieser Stunden tiefster und volliger Einsamkeit nichts sieht als die Sterne und nichts hort als das Rauschen der Bugvvelle, dann versteht man es, daB seit jeher die Seelen der Seefahrer aufgeschlossen waren fiir Miirchen, Spuk und Aberglauben. Das Bild einer nachtlichen Begegnung im Ozean steht deutlich vor mir. Aus dem Dunkel der Nacht taucht plotzlich aus nachster Nahe die Silhouette eines groBen Dreimasters. Kein Licht, kein Laut, keine Bewegung verrat Leben. Kein Signal wird beantwortet. Nach wenigen Minuten ist die Erscheinung vorbei. Ich will nicht glau- ben, daB es ein gewohnliches SegelschifT war, das ohne Lichter fuhr und dessen Wache zu faul war, unsere Signale zu beantworten. Fiir mich war es der „Fliegende Hollander“. 57 Wir hatten andauernd schones Wetter, und nur der SchifTsdienst erinnerte daran, daB wir uns nicht auf einer Vergniigungsreise befanden. Kei- nen Augenblick \varen Sonne und Sterne vor uns sicher. Mit Uhr und Sextanten bevvafTnet, errech- % neten \vir taglich Dutzende mehr oder minder richtige SchifTsorte. Ich war sehr erstaunt, als einmal mein umstandlich und genau errechneter Standort mitten in der Wiiste Sahara lag. Seit der StraBe von Messina hatten wir nur \vestliche und siidvvestliche Kurse gesteuert. Das hatte fur denjenigen, der die Vormittagswache hielt, die unangenehme Folge, daB einige Minuten vor zwolf Uhr, also schon unmittelbar vor der Ablosung, der Navigationskadett erschien und die Uhr um zehn bis funfzehn Minuten zuriickstellte. Auch die Begriffe von Jahreszeit und Temperatur verwirrten sich. Es war Marž. Da wir der Sud- hemisphare zusteuerten, naherten wir uns dem VVinter. Dabei wurde es aber mit der Annaherung an die Tropenregion von Tag zu Tag heiBer. Zum erstenmal sah ich fliegende Fische und das Siidliche Kreuz. Die fliegenden Fische blie- ben zu Hunderten auf Deck liegen und wurden von der Mannschaft gesammelt und mit groBem Appetit verspeist. Beim Anblick des Siidlichen Kreuzes soli Alexander von Humboldt in Tranen ausgebrochen sein. Bei aller Hochachtung vor dem groBen Naturforscher halte ich diesen Auf- wand an Gefiihl fiir stark iibertrieben, da sich das Kreuz des Siidens von den Sternbildem des * 58 nordlichen Himmels nicht wesentlich unterschei- det und iiberdies keine Ahnlichkeit mit einem Kreuze hat. Zwei Tage lagen wir vor St. Vincent. Nach der Kohleniibernahme erschien der Beamte der Koh- lenfirma, schwarz und schmutzig \vie ein Neger, in der Messe und lud uns flir den Abend zu einem Kostiimball in den Klub ein. Die Insel St. Vincent ist eine ode Steinwiiste, auf der es auBer einigen Negern nichts gibt als Kohlenlager und eine groBe englische Telegraphenstation. Wir gingen mit sehr gemischten Gefiihlen ans Land und wurden in einem wundervoll eingerichteten Klubhaus empfangen. Der Bali hatte in irgend- einer GroBstadt nicht stimmungsvoller und scho- ner veranstaltet sein konnen. Die Menschen — es waren kleine Postbeamte und ihre Frauen —be- wegten sich frei und ungezwungen. Das ist eng- lisches Wesen und englische Lebenskunst. Die Oberfahrt von St. Vincent nach Bahia dauerte zehn Tage. Am sechsten Tage sah der Signalkadett plotzlich imFernrohr einen schwar- zen Strich. Es war der Aquator. Bei genauer Betrachtung stellte sich allerdings heraus, daB der schwarze Strich ein iiber das Objektiv des Fernrohres gespannter Faden war. Der Aquator aber war da und forderte seine Opfer. Die Neulinge, die ihn zum erstenmal passierten, muBten die Taufe empfangen. Als die Ortsbestimmung die Breite von nuli Grad, 59 nuli Minuten ergab, erschien plotzlich Gott Nep¬ tun hochstpersonlich mit Dreizack, wallendem Bart und einem phantastischen Gefolge von See- ungeheuern, Seejungfrauen, Negern und Tiirken auf dem vorderen Freideck. Mit wiirdevoller Strenge verlangte er vom SchifTskommandanten Name, Herkunft des SchifTes und Ziel der Reise. Dann erklarte er, da8 sich alles seinen Anord- nungen zu fiigen habe und nunmehr der Taufakt beginne. Der gesamte SchifTsstab war natiirlich auf Deck versammelt. Plotzlich saB ich auf einem Brett iiber einer groBen, mit Seewasser gefiillten Balje, ein zahnefletschender Neger schwang einen riesigen Pinsel und seifte mich mit Kleister ein. Mit einem ebenso gewaltigen Messer wurde ich griindlichst rasiert und dann verschwand ich in den nassen Tiefen des SchafTes. Auf diese Weise erhielten alle, die den Aquator zum erstenmal passierten, die hohere seemannische Weihe. DaB wir in den Tropen waren, merkte man nicht nur an der steigenden Temperatur, sondern auch an den Vorgangen in der Natur. Fast dra- matisch spielt sich der tropische Sonnenaufgang ab. Eben noch funkeln und leuchten die Sterne in tiefster Nacht. Viel naher und groBer scheinen sie als am Himmel der hoheren Breiten. Mit einem Male steht ein fahler Schein im Osten, der mit erstaunlicher Raschheit wachst und Himmel und Wasser in immer leuchtendere Farben klei- det. Da bricht auch schon der erste grellrote Blitz aus dem Horizont. Nicht langsam und freundlich 60 warmend beginnt die Sonne ihren Lauf. Kaum zur vollen Scheibe gewachsen, tritt sie auch schon ihre unbarmherzige Herrschaft an. Durch die hellen, gliihenden Tropentage, die alle einander vollkommen gleichen, fahren wir \vie in einem strahlendblauen, glitzernden Dom aus Himmel und Wasser. Manchmal aber ballen sich plotzlich weiBe Nebelstreifen iiber dem Meere und dann braust, gekront von einem leuchten- den, farbigen Bogen, eine Regenboe liber das SchifT. Unglaubliche Mengen Wasser prasseln nieder, und in wenigen Minuten liegen Himmel und Meer wieder in strahlendem Sonnenglanze. Damals stand ein Komet am Himmel, und \venn der Mond aufging, so leuchteten seine glam zende Sichel, der silberne Streifen des Kometen und der gelb funkelnde Abendstern wie geheim- nisvolle Schriftzeichen im fahlen Blau des abend* lichen Firmaments. Und zu diesen Sonnenunter- gangen, die anmuteten \vie Bilderbogen aus Tau- sendundeiner Nacht, spielte die Musik auf dem Achteren Freideck frohliche Walzer von Leh&r und StrauB. Nach zehn Tagen verfarbte sich das Wasser und Buschel von Seetang trieben vorbei. Ich weiB nicht, wie Kolumbus Amerika entdeckt hat. Ich entdeckte es so, daB plotzlich dreii schwarze Punkte am Horizont auftauchten, die sich all- mahlich als langstielige Kokospalmen entpupp- ten. Ich war enttauscht. — Dann aber wuchs hinter den drei simplen Palmen der BegrilT 61 Amerika empor. Neuer Erdteil, neue Landschaft, neue Menschen. Wundervoll das Gefiihl, Weltbiirger zu sein, wundervoll zu \vissen, daB man vor acht Wochen % in Pola war, heute vor Bahia in Brasilien und friiher oder spater im Leben im Hafen von Shan- ghai, Kapstadt oder New York vor Anker gehen werde. Damals habe ich das alles nur undeutlich empfunden. Heute, wo uns die groBe, weite Welt verschlossen ist, heute wei8 ich es. Damit soli nichts gegen die Heimat gesagt sein, alles aber dafiir, daB mit der Liebe zum Vaterlande der Sinn fiir Weite und Weltlaufigkeit nicht verloren- gehen mu 8. Siidamerika Wenige Hafen der Welt werden dem Reisen- den, der sich nach langer Seefahrt den Kiisten eines anderen Erdteiles nahert, so viel von der Erfiillung des Traumes von Neuem, Unbekann- tem, vom Entdecken und Erleben — kurzum, vom Reisen — geben wie die Bucht von Rio de Janeiro. Vor der Kulisse weicher, welliger Hiigel- linien, die gekront sind von den spitzen Kegeln des Assucar und Corcovado, breitet sich in der phantastisch gegliederten Bucht inmitten des un- bekiimmerten Bliihens und Drangens des Tropen- waldes die wunderbare, weiBe Stadt. Nach dem tropischen Meere lernten wir nun auch die tropische Landschaft kennen. Ich er- lebte sie zum erstenmal bei einer Reiherjagd bei Nictheroy auf der anderen Seite der Bucht. In einem Boot, im Schilf eines kleinen Sees ver- steckt, ervvarteten wir den Morgen. Ich hatte gegen die vielen enthusiastischen Schilderungen des tropischen Urwaldes immer ein gewisses MiBtrauen gehegt. Es stimmte aber alles: die AfTen, die Papageien und Kolibris, das verwir- rende G.erank von Luft\vurzeln und Lianen und 63 die kopfgroBen, leuchtenden Chrysanthemen. Nur Reiher waren nirgends zu sehen. Wenn man Rio de Janeiro kennengelernt hat, versteht man, daB die Brasilianer so stolz auf ihre Stadt sind. Sie ist gehegt und gepflegt wie kaum eine Stadt Europas. An ihre Sitten muBten wir uns allerdings erst gewohnen. So sah einer meiner Kameraden auf der Avenida Rio Branco ein Madchen, zu dem er sogleich in Liebe ent- brannte. Er tat, was ein Jiingling in Europa in solchen Fallen zu tun pflegt. Er fragte, ob er ein Stiickchen mitgehen diirfe. Der Erfolg dieser be- scheidenen Anfrage war verbliifTend. Er wurde sofort verhaftet, verbrachte einen Tag im Arrest und vvurde erst nach langvvierigen Interventionen freigelassen. Hingegen kam eines Tages ein sehr eleganter, wiirdiger Herr an Bord und lud uns zum Besuche eines vornehmen und soliden Klubs in der Stadt ein. Wir gingen hin und lernten in diesem soliden und vornehmen Klub auBer Po- kerspielen noch einige andere Dinge, die nicht unbedingt zum Bildungsschatz eines neunzehn- jahrigen Seekadetten gehoren. Wir hatten gegeniiber dem Marinearsenal An- ker geworfen. Neben uns lag der groBe amerika- nische Kreuzer „North Carolina“. Es war erstaun- lich, mit welchem Komfort die SchifTe der U. S. Navy ausgestattet waren. Die Mannschaft speiste auf weiBen Tischtiichern, mit schonem Tafelge- schirr, wofiir unsere Dalmatiner ebensowenig Verstandnis gehabt hatten wie fiir die „Prohibi- 64 tion“, die schon damals auf den amerikanischen SchifTen eingefiihrt war. Das war auch die Er- klarung, warum wir bei allen Landgangen zu jeder Tages- und Nachtzeit in. den Anlagen beim Landungsplatze schlummernde amerikanische Matrosen herumliegen sahen. Sie schliefen dort ihre Rausche aus, mit denen sie nicht an Bord durften, ohne sich schweren Strafen auszusetzen. Einige Tage nach unserem Einlaufen wurde das EintrefTen des neuen brasilianischen Dread- nougths „Minas Geraes“ von der WeTft in Eng- land angekiindigt. Am Morgen der Ankunft fuhren Hunderte von geschmiickten und bewim- pelten Fahrzeugen, angefiillt mit Menschen, dem neuen SchlachtschifT entgegen. Als es bei der Ha- feneinfahrt erschien, setzte ein unbeschreiblicher Larm ein. Auf allen SchifTen heulten Dampf- pfeifen und Sirenen, Tausende von Menschen er- hoben ein ohrenbetaubendes Geschrei. So emp- fingen die begeisterten Brasilianer ihr neues SchifT. Wie in allen groBeren Hafen, veranstalteten wir auch in Rio das obligate Bordfest. Den Blu- menschmuck dazu lieferte billig und in zauber- hafter Reichhaltigkeit der Tropenwald am Ufer der Bucht. Aus Mannschaftshangematten, die mit Teppichen und Flaggen bedeckt wurden, ent- standen schwellende Ottomanen und prachtige Klubsessel. Das Achtere Freideck verwandelte sich in einen flaggengeschmiickten, bliihenden Hain, iiber den die Turmgeschiitze in die 5 Kunsti, Strand 65 schwarze, sternenklare Nacht hinausdrohten. Vereint mit dem in aller Welt siegreichen Wiener Walzer, taten sie ihre unfehlbare VVirkung auf romantische Madchenherzen. Ich habe den Aufenthalt in Rio de Janeiro in sehr schoner Erinnerung behalten. Nicht vvegen des Nachtklubs und nicbt nur wegen der wunder- vollen Landschaft, sondern hauptsachlich wegen der kleinen Senorita Maria Elvira, die ich bei diesem Feste kennengelernt hatte. Sie war sehr klein und hatte einen unendlich langen Namen. Als \vir dann eines Tages die Anker lichteten und der „Kaiser Karl VI.“ sich langsam in Be- \vegung setzte, schoB hinter einem Molo ein Mo- torboot hervor. Drinnen stand eine kleine, weiBe Gestalt und winkte und \vinkte, bis das kleine Boot dem groBen SchifTe nicht mehr nachkom- men konnte. Seit vielen Jahren war kein k. u. k. Kriegs- schifT in den Hiifen Siidamerikas gewesen. Und so vvurden wir iiberall, wo wir hinkamen, in Bahia, Pernambuco, Santos und Montevideo besonders herzlich empfangen. Bei Festen und Ballen der osterreichisch-ungarischen Kolonie hatte man allerdings manchmal den Eindruck, als waren diese Kolonien erst aus AnlaB unserer An\vesenheit gegriindet worden. Die HofTnung auf das goldene Verdienstkreuz mit der Krone oder gar den Franz-Josephs-Orden mag die Ur- sache dieses Eifers ge\vesen sein. Im Gegensatze dazu waren die deutschen Ko 66 lonien iiberall sehr stramm organisiert und ver- fiigten iiber ein bei zahllosen Bierabenden er- probtes Vereinsleben. Bei einer solchen Gelegen- heit — ich glaube, es war in Montevideo — wurde folgende Frage an mich gestellt: „Sagen Sie, Ver- ehrtester, wann hat nu der Kaiser Karl VI. eigent- lich regiert? —“ Ich wuBte es nur annahernd und warf ein Bierglas auf den Boden, um dem Ge- sprach eine andere Wendung zu geben. Bei allen unseren Auslandreisen konnten wir feststellen, da8 der Empfang, den unsere Gesandt- schaften und Konsulate uns bereiteten, sehr ver- schieden war. In den meisten Fallen merkte man aufrichtige und herzliche Freude liber das Stiick Heimat, das zu Besuch kam. Manchmal aber hatte man das Gefiihl, als storten wir den idylli- schen Frieden einer sehr beschaulichen und wohl- geregelten Welt, eine Erscheinung, die sich ge- wi8 nicht nur auf die osterreichisch-ungarischen Auslandvertretungen beschrankte. Der Besuch von KriegsschifTen hatte flir Konsulate oder Ge- sandtschaften oft den Beigeschmack einer Inspi- zierung, weil man dort wuBte, da8 die Reise- berichte der Schiffskommandanten im Ministe- rium des AuBern mit groBem Interesse gelesen wiirden. Es war auffallend, da8 manchmal ge- rade in den Hafen, bei deren Konsulaten wir unsere Ankunft angemeldet hatten, Typhus oder Cholera wutete. 5 * Wir steuerten im graugelben Wasser der schmalen, ausgebaggerten Fahrrinne der La- Plata-Miindung von Montevideo nach Buenos Aires. Es \var Mai. Regenschauer und dichte Nebel- wande erinnerten daran, daB auf vierzig Grad Siidbreite der VVonnemonat in den Herbst fa.ll t. Wegen der bevorstehenden Jubilaumsfeiern in Buenos Aires war der Schififsverkehr besonders stark. Vorsichtig, unter standigen Lotungen. ta- steten wir uns langsam vorwarts. Als aber der Nebel, der schlimmste Feind der Seefahrer und Flieger, so dicht \vurde, daB man vom Ileck aus den GroBmast nicht mehr sehen konnte, muBten wir ankern. Die Situation war nicht sehr gemiit- lich. Ringsum tonten die Nebelsignale, Dampf- pfeifen der fahrenden und SchitTsglocken der verankerten SchifTe. Ich stand auf Deck und be- miihte mich, aus dem Durcheinander der Signale auf Distanz und Kurs der passierenden Dampfer zu schlieBen. Da heulte plotzlich dumpf und dro- hend aus unmittelbarer Nahe eine Dampfpfeife auf und dann tauchte auch schon hoch ober mir eine riesige, schvvarze Wand aus dem Nebel. Es war der Bug eines groBen Ozeandampfers, der direkt auf uns zuhielt. Ein Augenblick atemloser Spannung. — Dann erst, als der Dampfer im letzten Augenblicke abdrehte und knapp an uns vorbeirauschte, fuhr mir der Schreck in die Glieder. Der Nebel lichtete sich und \vir setzten die 68 Fahrt fort. Nach einigen Stunden losten sich vorne dunkle Silhouetten aus den grauen Schleiern. Es waren KriegsschifTe fast aller Nationen der Welt, die in zwei langen Linien auf der Reede von Buenos Aires vor Anker lagen. Von Hafen und Stadt war nichts zu sehen, da die Schiffe wegen der geringen Wassertiefen weit drauBen im Golfe ankern muBten. Wir hatten den uns vorgeschriebenen Anker- platz erreicht. Die „krummen Eisen“ rasselten auf den Grund, am Vortopp entfaltete sich die blau- weiBe Flagge Argentiniens und einundzwanzig SchuB des Territorialsaluts rollten iiber die See. Und nun begann ein dauerndes SchieBen. Einige Nationen hatten zwei oder drei Einheiten unter dem Kommando eines Admirals entsendet. Nach internationalem Seezeremoniell wurden Schiffe mit dem Rangabzeichen von Flaggenoffizieren mit einer dem Rang entsprechenden Anzahl von Schussen begriiBt. Die Signalkadetten schauten sich die Augen aus, um ja keine Kommandoflagge zu iibersehen, und muBten peinlich darauf ach- ten, daB jeder Salut auch richtig beantwortet wurde. Unterlassungen und Regelwidrigkeiten in solchen Fallen bedeuteten eine Verletzung der internationalen Hoflichkeitspflicht und haben ofters zu diplomatischen Verwicklungen gefiihrt. In irgendeinem exotischen Hafen geschah es einst, daB der Territorialsalut eines einlaufenden k. u. k. KriegsschifTes nicht innerhalb der vor¬ geschriebenen Frist erwidert wurde. Auf die so- 69 fortige Beschwerde des SchifTskommandanten kam ein Offizier an Bord, um die Entschuldigung seines Hafenkommandos vorzubringen. Z\vischen ihm und dem Kommandanten entspann sich fol- gendes Gesprach: „Herr Kommandant! Fiir den Vorfall, den das Hafenkommando auf das tiefste bedauert, gibt es z\volf Griinde. Der erste ist, daB \vir kein Pul- ver haben.“ „Ich danke, Herr Kapitan, die iibrigen elf konnen Sie sich ersparen.“ Am Tage unseres EintrefTens in Buenos Aires war die Nachricht vom Tode Konig Eduards VIL von England eingelangt und fiir alle SchifTe ein Trauersalut von einundsiebzig SchuB in Pausen von einer Minute angeordnet worden. Die Luft erdrohnte unter der friedlichen Kanonade von mehr als dreiBig KriegsschifTen. Die langen Li- nien der SchifTe, iiber denen ununterbrochen das Miindungsfeuer der Geschiitze aufblitzte, die weiBen, sich langsam verziehenden Rauchballen, dies alles bot ein eindrucksvolles Bild seeman- nisch-militarischen Gepranges. Am nachsten Morgen fand die Parade der argentinischen Flotte statt. In Kielwasserlinie, mit Flaggengala und Relingsalut, passierten die Einheiten der argentinischen Armada unsere Li- nien. Was da an uns vorbeifuhr, einige Kreuzer alteren Datums, Zerstorer und Torpedoboote, war nicht erschiitternd, aber gut gemeint. Dann lich- teten auch wir die Anker und wurden von einem 70 Lotsen durch die Fahrrinne in den Hafen ge- steuert. Im Dock Nr. IV, einem der Bassins des groB- ziigig angelegten Hafens von Buenos Aires, gin- gen wir in Vertauung. Das Bild dieser niichternen, modernen GroBstadt und ihrer Umgebung ent- tauschte nach der tropischen Pracht von Rio de Janeiro. Auffallend war, daB fast jeder Dampfer bis zum kleinsten Schlepper das groBe „M“ auf dem Schlote fiihrte, das Abzeichen der „Mihano- vič-Line“, der weitaus groBten Reederei Argen- tiniens und ganz Siidamerikas. Alleiniger Be- sitzer war Senor Mihanovič, ein ehemaliger Dal- matiner Matrose. Obwohl er angeblich weder lesen noch schreiben konnte, war er damals osterreichisch-ungarischer Generalkonsul und hat uns wahrend unseres Aufenthaltes in Buenos Aires wahrhaft groBziigige Gastfreundschaft er- wiesen. Nun kamen Wochen der Feste, Besichtigungen, Ausfluge und Vergniigungen jeder Art. Da man dazvvischen auch Wache halten muBte, war die¬ ser Betrieb recht anstrengend. Oft kam ich um zwolf Uhr nachts zur Wache an Bord und ging um vier Uhr friih wieder ans Land. Wann wir zum Schlafen gekommen sind, weiB ich nicht mehr. Nur an einen tiefen, erquickenden Schlum- mer erinnere ich mich. Es war dies in der Loge des Staatsprasidenten wahrend der Galavorstel- lung von „Lohengrin“ mit Tita RufTo und der Bellincioni im Teatro Colon. % 71 Im Dock IV lagen uns gegeniiber der deutsche Kreuzer „Bremen“ un d die im Weltkriege so beriihmt ge\vordene „Emden“, mit denen wir uns schon in Montevideo angefreundet hatten. In der Messe ging es in diesen Tagen sehr leb- haft zu. Fast immer hatten wir Besuch aus der Stadt oder von den anderen SchifTen. Wie es an- gehenden Seeleuten geziemt, vvar der Alkohol- konsum bei dieser Art von Geselligkeit betriicht- lich. Dabei kam uns unser guter roter Dalma- tiner Wein, in Bordeauxflaschen gefiillt, sehr zu- statten. Eines Tages kamen die Seekadetten des chilenischen Kreuzers ,,Esmeralda“ an Bord. Als die Stimmung vorgeschritten \var, gingen sie dazu iiber, jedes geleerte Glas mit dem Rufe „De esta čopa non se beve mas!“ (,,Aus diesem Glase wird nicht mehr getrunken!“) an die Wand zu schleu- dern. So sehr uns dies imponierte, \vare es uns doch lieber gevvesen, wenn diese Begeisterungs- ausbriiche in der Messe der „Esmeralda“ statt- gefunden hatten. Wir hatten einen sonderbaren Kauz an Bord. Er vvar damals LinienschifTsleutnant, hieB mit dem Vornamen „Maxl“ und hatte oft die merk- wiirdigsten Einfalle. Er vvar Inspektionsoffizier, als der Besuch des argentinischen Kriegsministers und anderer hoher Offiziere ervvartet wurde. Wir standen zum Empfange auf Deck bereit, ich als Wachkadett neben ihm. Als der Kriegsminister erschien, nahm „Maxl“ Stellung, griifite stramm und sagte laut und deutlich: „Servas, Schurl!“ 72 Der Minister hielt dies olfenbar fur eine beson- ders ehrerbietige BegriiBung und dankte verbind- lich. Die anderen Offiziere \vurden ebenso be- griiBt, und alles ging gut, bis ein hochgevvach- sener Herr in Živil auf Deck trat. Als ,,Maxl“ auch bei ihm sein „Servas, Schurl!“ vernehmen lieB, stutzte er einen Augenblick, dann sagte er freundlich: „Guten Tag, meine Herren!“ Spater erfuhren wir, daB es der deutsche General von der Goltz war, der sich auf einer Studienreise in Buenos Aires aufhielt. Unser Verkehr in der Stadt bevvegte sich, so- weit er gesellschaftlicher Natur war, fast durch- wegs in Kreisen der Gesandtschaften und Kon- sulate. Wenn man mit Einheimischen in Be- ruhrung kam, konnte man, wie liberall in Siid- amerika, die Feststellung machen, daB die oberen Schichten bei allern immer \vieder betonten Stolz auf den technischen und \virtschaftlichen Fort- schritt ihres Landes von starken Minderwertig- keitsgefiihlen gegeniiber europaischem Kultur- und Geistesleben befangen \varen. Im Verlaufe der letzten Jahrzehnte diirfte sich dies griindlichst geandert haben. In der einheimischen Gesellschaft herrschte da- mals noch fast altspanisches Zeremoniell. Frauen und Tochter wurden angstlich bewacht. Ich hatte auf einem Bali ein Madchen aus einer alteinge- sessenen Familie der Stadt kennengelernt. Zum besonderen Vertrauensbevveis \var sie dann mit ihrer Mutter zu einer Besichtigung an Bord ge- 73 komnien. Als ich tags darauf einen feierlichen Besuch in ihrem Hause abstatten wollte, wurde ich nicht empfangen. Dagegen erschien am nach- sten Tage der Vater an Bord, dankte flir meinen Besuch und erklarte mit Bedauern, daB er nicht die Absicht habe, seine Tochter schon jetzt zu verheiraten. Ich nahm diese Mitteilung mit In- teresse entgegen, womit mein Abenteuer mit dem schonen Fraulein Dolores zu Ende war. Weniger zeremoniell verliefen unsere Ausfliige in die verschiedenen Hafenspelunken, zu denen zuvorkommende Wachleute uns bereitwilligst den Weg wiesen. In Rauberzivil, mit dem Re¬ volver in der Tasche, kamen wir uns auBerst verwegen und interessant vor. Den Hohepunkt der Feierlichkeiten bildete eine Parade der Garnison von Buenos Aires und der Matrosendetachements aller Nationen vor dem Prasidenten der Republik auf der Plaga del Majo. Wir hatten unsere Abteilung aus den lang- sten Kerlen, die unter der Bemannung aufzu- treiben waren, zusammengestellt und wahrend der ganzen Uberfahrt fleiBig gedrillt. Der groBe Platz, alle Fenster und benachbarten StraBen waren dicht gefiillt mit Menschen. Nach den argentinischen Truppen defilierten die Matrosenabteilungen der Nationen, vom Pu¬ blikum durch Zurufe und Applaus begriiBt. Als aber unsere baumlangen Dalmatiner in vvunder- barem Paradeschritt, den \vir ihnen in harter Arbeit beigebracht hatten, anmarschiert kamen, 74 brach ein Jubel los wie bei keiner anderen Na- tion. Die braven Burschen waren stolz wie Mad- chen, die einen Schonheitspreis gewonnen haben. Den originellen AbschluB der Parade bildete eine Abteilung Gauchos, die in gestrecktem Ga- lopp liber das harte StraBenpflaster an der Tri¬ bune des Priisidenten vorbeifegte. Die Feste waren verrauscht, ein SchilT nach dem anderen verlieB den Hafen. Nach vier er- eignisreichen Wochen warfen auch wir die Ver- tauungen in Dock IV los. Unter den Klangen des Heimatsmarsches, mit wehendem Heimatswimpel — er \vurde wahrend der Riickreise bei jedem Auslaufen gehiBt — setzten wir uns in Bewegung. Aus der Lange des Wimpels konnte man auf die zuriickgelegte Strecke schlieBen — fiir je tausend Seemeilen \vurde er um einen Meter verlangert. Ich habe es damals nicht begreifen konnen, daB ein Teil unseres SchifTsstabes, vor allem die Alteren, sichtlich vergniigt und guter Laune war, als es \vieder nach Hause ging. Im Grunde ge- nommen verstehe ich es noch immer nicht, weil ich mir auch heute nichts Schoneres vorstellen kann, als ohne ernstliche Sorgen und ohne Biiro durch die Welt zu fahren. Die Hafenanlagen von Buenos Aires liegen hinter uns. Hauser und Baume treten zuriick, die Hiigel der Kiiste verflachen und versch\vinden langsam im Dunste. Noch habe ich das Bild der aufgeregten GroBstadt vor Augen, noch klingen Musik und ein paar heiBe, zartliche Worte im 75 Ohr, und schon ist nichts mehr um mich als der klare, geschlossene Kreis der Kimm. Das war das Schone und Gesunde an unserem Leben, daB es nach Zeiten der Spannung und Steigerungen immer wieder in einfache Formen zuriickfiihrte. Die raschen Obergange, die nichts bis zur Neige auskosten lieBen, haben uns viel Alltag und viel Un\vahres, Gezwungenes erspart. Das Wetter im Atlantik meinte es nicht so gut \vie auf der ersten Cberfahrt. Auf nordlichen Breiten kamen wir in den Nordostpassat. Zehn Tage stampften \vir gegen die schwere See bei Windstarken von acht bis zehn. Die lebenden Seen kamen iiber Deck, brachen sich am vor- deren Geschiitzturm und zischten hoch herauf zur Brucke. Auch Menschen, die nicht zur See- krankheit neigen, kann andauernder schwerer Seegang zur Verzweiflung bringen. Im Bette muBt du dich anhalten, beim Essen spiilt es dir die Suppe vom Teller, gehst du auf Deck, wirst du plotzlich gegen eine Wand oder gegen die Re- ling geschleudert. In unserer Messe herrschte das Chaos. Selbst- verstandlich hatte jeder seine Lieben in der Hei- mat mit Geschenken aus der Ferne bedacht. Da gab es lebende Kolibris, Papageien und Affen, sogar ein ausgestopftes Krokodil. Ich glaube nicht, daB die lieben Verwandten viel Freude damit hatten. Der Aufenthalt in Santa Cruz de Teneriffa solite uns den Abschied von den Schonheiten der vveiten 76 Welt besonders schwer machen. Ich erinnere mich an einen friedlichen Abend im Garten der Pen- sion „Quisisana“, hoch oberhalb der Stadt. Wir standen im Banne der volligen Stille, die sich selt- sam abhob von dem gewohnten Surren und Sum- men der Dynamos und Ventilatoren. t)ber einer grauen Wolkenbank war der Vollmond aufge- gangen. In seinem milden Lichte erglanzten die Dacher der Stadt zu unseren FiiBen und die Hange und Gipfel des Pic, die aussahen \vie Skulpturen aus getriebenem Silber. Wir sprachen in unserer zwanzigjahrigen Weisheit iiber Gott und die Welt, ein wenig auch iiber die Frauen, taten Vergangenes leichtfertig ab und erwarteten, toricht und verblendet, alles von der Zukunft. Corrida! Die ganze Stadt war wie im Fieber. Mit der gebotenen Skepsis und inneren Ableh- nung des zivilisierten und teihveise humanistisch gebildeten Mitteleuropaers ging ich hin und war nach zehn Minuten mitgerissen vom unvergleich- lichen Schwung und spriihenden Leben dieser Stunde. Ich fand es selbstverstandlich, da8 der Espada, der den Stier erst beim dritten StoBe fallte, ausgepfifTen wurde, und pfifT mit. Ich fand es selbstverstandlich, daB dem geschickteren Kampfer Hiite, Mantillas, Stocke und Tabatieren zuflogen. An diesem Brauche beteiligte ich mich jedoch nicht, da ich von meinen Bekleidungs- und Ausriistungsgegenstanden nichts entbehren konnte. Der Bann war erst gebrochen, als ich beim Verlassen der Arena zusehen konnte, wie 77 die versammelten Fleischhauer von Santa Cruz um die gefallenen Stiere feilschten. Die letzte Etappe vor der Adria war der Hafen von Cartagena. Den starksten Eindruck dieses Aufenthaltes erhielt ich in einem kleinen Variete im Hafen. Eine Nummer des Programms hieB „Der Floh“. Hier suchte ein bemerkensvvert hiib- sches Madchen durch mehr als zehn Strophen einen Floh, wobei sie mit groBer Geschicklichkeit alle szenischen Moglichkeiten dieses dramati- schen Vorwurfes ausniitzte. Je naher \vir der StraBe von Otranto kamen, desto nervoser wurde die Stimmung an Bord. Denn nach dem Einlaufen kam unweigerlich die groBe Inspizierung. Es wurde noch mehr geputzt und gescheuert als sonst. In der Messe herrschte vollig ungewohnte Ordnung, die nur dadurch moglich geworden war, daB Papageien und Koli- bris teils fortgeflogen, teils eingegangen waren und daB auch das Leben unseres kleinen AfTen leider ein friihes Ende gefunden hatte. Wir be- trauerten ihn tief, weil er so lustige Gewohn- heiten gehabt hatte. Mit Vorliebe stieg er durch eine Luke in die Kommandantenwohnung, fraB das Obst auf und zerriB alle Zigaretten, die er fand. Das gefiel uns besonders gut. Beim feier- lichen FlaggenschuB um acht Uhr muBte alles auf Deck Stellung nehmen und bei den Klangen der Volkshymne der Flagge, die auf dem Flaggen- stocke gehiBt wurde, die Ehrenbezeigung leisten. Der AfTe ,,Joko“ liebte es, im richtigen Augen- 78 blick auf die Flagge zu springen und sich lang- sam und feierlich mithissen zu lassen. Zvviespaltig war auch die Stimmung vor dem Wiedersehen mit der Heimat. Mit leiser Wehmut \vies man den schonen, bewegten Bildern der Reise ihren endgiiltigen Platz in der Erinnerung, freute sich auf Kameraden, neuen Marineklatsch und Erziihlungen, die man als „Weltreisender“ in den verschiedenen Messen zum besten geben wiirde. Mit wehendem Heimatswimpel, angesichts der ganzen Eskader, gingen wir vor Castelnuovo in der Bocche di Cattaro vor Anker. Sommer-Eskader „Signal vom FlaggenschiflT‘ — R 9 — meldet der Signalkadett von der oberen Brucke. „Gleichzeitige Wendung um 90 Grad nach steuerbord!“ „Ein—ge—holt!“ singt der Signalgast. Auf den SchifTen geht der Wendungswimpel hoch und sechs Schlachtschifle drehen sich wie Zirkuspferde in der Manege. Aus der Kielwasser- linie ist eine Front geworden. Wieder ein Signal, — ein kurzes Manover, das Geschwader liegt in steiler StafTel hinter dem FlaggenschifTe. So geht das Exerzieren \veiter auf dem groben, blauen Exerzierplatze der Adria. Jeder Ballettmeister hatte seine helle Freude an der Raschheit und Sicherheit der Evolutionen. Diese Quadrille zur See, die „taktischen Ubungen im Verbande“, sehen leicht und selbstverstandlich aus \vie ein Kinderspiel und erfordern doch sehr viel Erfah- rungund Geistesgegenwart. Sie waren notwendig, wenn der Fiihrer im Ernstfalle sein Geschwader fest in der Hand haben wollte. Auf der Brucke herrscht vom Kommandanten bis zum letzten Signalgast angespannte Aufmerk- samkeit. Denn \venn einmal Distanz und Peilung 80 S. M. S. KAISER K A R F. VI. vom FlaggenschifTe nicht ganz stimmen, kann es passieren, daB plotzlich von der Signalraa des Kommandierenden kurz und schlicht das Er- kennungssignal des siindigen SchifTes weht. Dann weiB der Kommandant — und auch die ganze Eskader, daB dies eine Nase war. Unter der Brucke, auf dem vorderen Freideck, ist die freie Mannschaft bei der „EfTektenreini- gung“. Jeder hat seine Siebensachen vor sich aus- gebreitet, putzt und biirstet ein wenig an ihnen herum und liest dabei zum z\vanzigsten Male die Briefe seiner Braut. Einer hat sich’s im Schatten des Geschiitzturmes bequem gemacht, und wah- rend ober ihm auf der Brucke, im BewuBtsein, daB eine Anzahl von Nasen den Zylinderhut be- deuten kann, Gehirne angestrengt arbeiten, Augenpaare gespannt an Fernrohr, Distanz- • messer und KompaB hangen, singt der unten vergniigt sein Liedchen und flickt seine Unter- hosen. Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel und zeichnet die Konturen der SchifTe hart und dunkel gegen den glatten Spiegel der See. Die Kuppen der Insel von Stagno, San Andrea und Calamota, die beiden spitzen Hiigel der Halb- insel Lapad treten aus dem Dunst. Wenn wir diesen Kurs weitersteuern, konnten \vir in zwei Stunden im Hafen von Gravosa ankern. Wieder klettern Signale am Fockmast des FlaggenschilTes empor. Geht der „Zirkus“ weiter? Das Schicksal hat 6 Kunsti, Strand 81 ein Einsehen: „Gravosa einlaufen! Den vorge- schriebenen Ankerplatz einnehmen!“ Gravosa und Ragusa sind von \veiBen Uni-^ formen iibersat. Aus allen Osterien und Gostio- nen in den engen GaBchen klingen mehr oder weniger melodisch die heimatlichen Gesange un- serer Matrosen. Am Stradone und auf dem Platz vor dem Rek- torenpalast beherrscben die Offiziersuniformen das Bild. Zu den Klangen der Platzmusik wan- dern Gruppen von schlanken, sch\varzhaarigen Madchen, Offizieren und einheimischen Jiinglin- gen, streng voneinander getrennt, im grellen Scheine der Bogenlampen z\vischen Porta Pile und Ploče unermudlicb auf und ab. Nur Blicke gehen hin und her, werbende, die schiichtern er- widert werden, und sehr miBvergniigte der Ein¬ heimischen. In der Stadt bat sich das Bild gewandelt. Stra- Ben und Platze haben sich geleert, nur die KafTee- bausterrassen sind dicht besetzt. Zwischen Grup¬ pen von Seeoffizieren jeglicher Altersklasse sitzen vereinzelte \veibliche Gestalten. Meist sind sie liber die erste Bliite hinaus und unterhalten sich sehr angeregt. Sie stammen aus Wien, Budapest oder Prag und tauchen mit riihrender Regel- maBigkeit in allen Hafen auf, \vo gerade die Eskader vor Anker liegt. Wir nannten sie die „Kiistenwittibs“. 82 An solchen Tagen herrschte auch in den Mau- ern von Ragusa die lebendige Gegemvart. Wenn du aber in stillen Tagen die Stadt durch eines der alten Tore bei Pile oder Ploče betrittst, dann ist es dir, als hatte die Zeit vor diesen Toren haltgemacht. DrauBen am bliihenden, palmen- umhegten Festungsgraben ist das Branden des Tages verebbt und die zeitlose Ruhe zu Stein er- starrter Jahrhunderte umfangt dich. Rechter Hand vom Stradone, im Viertel der Vornehmen, da riicken dunkle Fronten venezianischer Minia- turpaliiste zu schmalen Gassen zusammen, deren Durchblick von der Kuppel oder dem Saulen- portal einer Kirche begrenzt ist. Auf der anderen Seite aber klettern winzige, gemiitliche GaBchen steil zur Stadtmauer empor. Zwischen den Hau- sern ist Wasche gespannt und in kleinen Fen- stern bliihen rote Geranien und weiBe Kapern. Ein Schritt durch eine kleine vervvitterte Holz- tiir fiihrt dich in eine Welt, deren Schweigen noch tiefer ist. Schrages Sonnenlicht fiillt in einen stillen, von Saulen umschlossenen Kloster- garten. Ein Kafer summt. SiiBer, siidlicher Duft liegt in der Luft. Zwischen Orangenbaumen, Aga- ven und bliihenden Oleanderstrauchern wandeln, wie vor Jahrhunderten, stumme, weiBe Benedik- tinermonche. Dieses winzige Stiick Erde, eng umschlossen vom Meer und der steilen, steinernen Mauer der Berge, hat eine groBe Vergangenheit. DrauBen auf dem kleinen Friedhofe von Lapad sind auf 6 * 83 ver\vitterten Marmorsteinen die Namen der alten Ragusaer Patrizier zu lesen. Sie \varen stolz und unbeugsam und zogen es vor, ihr Geschlecht aus- sterben zu lassen, als sie sahen, daB ihre Freiheit verlorenging. Man kann sich in dieser Stadt des Gefiihls nicht erwehren, daB sie sich vor der Gegemvart und ihren Menschen verschlieBe und immer noch traume von der groBen, Jahrhunderte wahren- den Zeit, als die SchifTe der freien Republik Ra- gusa das Zeichen des heiligen Blasius weit liber die Meere trugen. VVieder blitzt es driiben auf und schwarzbrau- ner Rauch bricht aus der Bordwand des Schlacht- schifTes, das wir im Gegenkurse passieren. Einige Sekunden vergehen und dann steigen bei der Scheibe in unserem Kielwasser, fast gleichzeitig mit dem grellen Knattern der Detonationen, die hohen, weiBen Garben der Granateinschlage auf, 20 Meter kurz, 100 und 120 Meter weit. Den gan- zen Tag schon schleppt der „Satellit“ Scheiben fiir eines der dicken SchifTe der Eskader. Es hat 30 Grad im Schatten, den es leider nicht gibt. Ich lehne am Gelander der Brucke und blinzle ab und zu auf den KompaB, ob der Steuermann den Kurs richtig halt. Wieder eine Lage! Dicht vor der Scheibe schlagt eine Granate ein. Natiir- lich! Der vordere Stiinder ist weg. Es ist ja sehr erfreulich, daB die driiben so gut schieBen, aber 84 die Scheibe sollten sie lieber nicht treffen, denn dies bedeutet wieder eine halbe Stunde Reparatur und spateres Einlaufen. Wir haben kein Eis mehr an Bord, und ich denke an nichts mehr, als an eine gut gekiihlte, kostlich betaute Flasche Bier. Rumms, rummsl geht es weiter. Bedrohlich iiberdecken die Lagen die Scheibe, aber — o Wunder — sie bleibt heil! Und dann bekommen wir endlich das ersehnte Signal: „t)bung beendet. Hafen Brgulje einlaufen!“ Wenn man zehn Stunden Scheiben geschleppt hat, klingt selbst das Wort ,,Brgulje“ lieblich in den Ohren. Friedlich vereint mit den Schiffen der Eskader, liegen wir im Hafen. Er sieht so aus, \vie fast alle einsamen Buchten des Insellandes Dal- matien. Vom steilen Strand steigen rund um die Bucht steinige Hiigel hinan. Zwischen grauen Felsen wuchert spiirliches Buschwerk. Irgendwo am Hiigelrande steht einsam eine Zypresse oder ein Olbaum. Weit und breit ist keine Špur einer menschlichen Siedlung. DrauBen bei der Hafen- einfahrt beginnt der weiBe Lichtkegel von Punte Bianche, seltsam geschaftig in dieser totenstillen Welt, sein unermiidliches Drehen. Die Sehnsucht nach der Flasche Bier hat in der gastlichen Messe eines der groBen SchifTe reichlich Erfiillung gefunden. Voli angenehmer Bettschwere und in sicherer Er\vartung von min- destens sechs Stunden Schlaf kehre ich an Bord 85 zuriick. Der Fallreepsposten erwartet mich mit einer Meldung: „Morgen um drei Uhr triih dampfklar. Nach Sebenico abgehen, Kohle und Proviant ergan- zen.“ Ich iiberlege, ob es nicht doch besser gewesen vviire, Bankbeamter zu \verden. Sechs Schlachtschiffe des ersten Geschwaders steuern im „gesicherten Marsch“ die Adria hin- auf. Weit vorne spannt sich der Bogen der Auf¬ klarer, kleine Kreuzer und Zerstorer der Flot- tille. Im Osten verschwimmen Insel und Kiiste zu einem dunklen Streifen. Wie eine Koppel Jagdhunde an der Leine, seitlich gestaffelt von der Kiehvasserlinie der Schlachtschiffe, preschen die Torpedobootsdivisionen in Gruppenformation durch die leichtbevvegte, blaugraue See. „Klarschiff zum Gefecht!“ Glatt und kahl lie- gen die Decks der SchifTe. Sonnenzelte, Zeltstan- der und Geliinder, alles, was auf einem Kriegs- schiff an Bequemlichkeit erinnern konnte, ist ge- raumt. In den Radiostationen ist hoher Betrieb. Mel- dungen der Aufklarer werden empfangen, Be- fehle spritzen hinaus in den Ather. Da — kaum merklich anfangs — verschieben sich die diinnen Rauchvvolken, die den weiten Halbkreis der Aufklarer bezeichnen, und schlie- 6en auf das Gros zusammen. 86 „Gefechtsalarm!“ Greli und aufgeregt, von einem Horn dem anderen weitergegeben, schmet- tert das Signal durch das Schiff. Am Vor- und Grofitopp steigt die Flagge empor, ein Hasten, Jagen und Rennen setzt ein. Nach wenigen Mi¬ nuten liegt wieder lautlose Stille iiber dem Schifle. Machtige Rauchsaulen wehen von den Schloten, das Gesch\vader geht auf Hochstge- schwindigkeit. Weit vorne tauchen graue Schwaden aus dem Horizont. Langsam werden Masten und Aufbau- ten sichtbar. Der Feind! Es sind die braven, alten Kasten des zweiten Geschwaders. Langsam schwenken die Rohre der Geschiitz- tiirme aus. Hydranten schleudern Strome von Wasser iiber Deck. Noch lastet lautlose Stille iiber den SchifTen. Da plotzlich blitzt es auf dem FlaggenschifTe auf, dreifaches Feuer zuckt aus dem vorderen Turme. graugriiner Rauch schieBt aus den Rohren, dreifacher Donner zerreiBt die Stille. Und nun beginnt das hollische Konzert auf der ganzen Linie. In das Krachen der eigenen Lagen mischt sich der scharfe, diinne Knall der feindlichen Geschiitze. Beide Geschwader sind in dichten Qualm gehiillt, aus dem ununterbrochen das Miindungsfeuer aufblitzt. Noch immer steu- ern die Torpedobootsdivisionen geschlossen in Feuerlee des Geschwaders. Da klettern Signal- flaggen am Fockmaste des FlaggenschifTes em¬ por. „Torpedoboote zum Angriff!“ Und nun kom- 87 men Sekunden atemloser Spannung. Die Meute ist losgelassen. Wie ein Ruck geht es durch die gleichmiiBig dahinsausenden Torpedobootsgrup- pen. Noch hoher steigt die Welle am Bug und tief bohrt sich das Heck in die See. Mit hochster Fahrt schieBen die Boote vor, brechen zwischen den Schiffen des Geschwaders durch und jagen auf den Feind zum entscheidenden AngrifT. Bis jetzt war alles Spiel gewesen, Spiel mit dem Kriege. Diese Minuten aber sind blutiger Ernst. Es gehoren sichere Augen und gute Ner- ven dazu, mit 30 Seemeilen Geschwindigkeit zwi- schen den einzelnen SchifTen eines Geschwaders durchzubrechen, das, bei einer SchifTsdistanz von 300 Meter, selbst mit 20 Seemeilen lauft. Es ist ein vvundervolles Bild von gesammelter, harter und zielbevvuBt eingesetzter Kraft. Die Schlacht hat den Hohepunkt erreicht. Wir nehmen an, daB der Sieg unser ist — es ist immer gut, so etwas anzunehmen —, drehen hart an den Feind, und das Vernichtungsfeuer aus allen Kalibern setzt ein. Da erscheint mitten zwi- schen den Linien, unbekiimmert um das Toben der Schlacht, ein freundliches weiBes SchifT, die Jacht des Flotteninspektors, des Herrn liber Krieg und Frieden. Ein Signal — die Geschiitze verstummen, SchlachtschifTdivisionen manovrie- ren und in kiirzester Zeit steuern zwei Geschwa- der in langer Kielwasserlinie, friedlich vereint, die Adria hinauf. 88 In zwei Reihen liegen die SchifTe der Eskader vor dem Strande von Grado. Bild des Friedens! Die Mannschaft badet in groBen Segeln, die von Bug zu Backspiere gespannt sind. Kreischende Moven gleilen durch die Luft und landen in kiihnem Sturzflug. Auf Deck promenieren bliiten- weiBe, fernrohrbewafTnete Offiziere, Motorboote pendeln eifrig z\vischen SchifTen und Strand, von dem die bunte Reihe der Badezelte und das far- bige Gewimmel der Badeanziige lustig heriiber- griiBen. Erst damals begann das Trikot, bestaunt, bekrittelt und bewundert, seinen Siegeszug, und damals wurde auch die Adria erst richtig entdeckt. Dies war vor allem den Schonheiten unserer Kiiste, zum Teile wohl auch den jiingeren Jahr- gangen der Kriegsmarine zu verdanken. Seufzend beklagten sich die Flaggen- und Stabsoffiziere, daB diese Entdeckung nicht schon fruher statt- gefunden habe. Kleine, weiBe Segelboote, mit holder Fracht beladen, kreuzen neugierig zwischen den SchifTen. Stolz und unberiihrt setzt man die Promenade auf Deck fort, bis man sich endlich zu einem priifenden Blick durchs Fernrohr entschlieBt. Ist das Ergebnis giinstig, dann setzt von hiiben und driiben ein Winken und Deuten ein, bis das kleine Segelboot am Fallreep liegt. Nun folgt eine ernsthafte und sachliche Fiihrung durch das SchifT. Maschinen, Geschiitze und Torpedos wer- den achtungsvoll bestaunt; \virkliches Interesse erregen Kiichen, Dampfwascherei und Kabinen. 89 In der Messe servieren zwirnbehandschuhte Ordonnanzen den Tee in riesigen, mit blauen An- kern verzierten Schalen. Leise brummen die Ven- tilatoren, durch die Luken dringt der Schrei einer Move oder das Trillern der Bootsmannpfeife. In der Ecke schmachtet eine Stimme zur Gitarre: „Son fili d’oro i tui capelli biondi . . Blicke, Fragen und Antworten gehen hin und her. So haben sich in Grado, Portorose, Brioni und Lussin viele zarte Bande angekniipft. Meistens losten sie sich wieder, manchmal aber verwickel- ten sie sich zur Ehe. Driiben, gegen die italienische Kiiste zu, taucht die Sonne ins Meer. Von den SchifTen ertonen die Hornsignale zum Flaggenmanover, und wenn der letzte Sonnenstreifen versunken ist, fallt, auf allen SchifTen gleichzeitig, der FlaggenschuB. Der Generalmarsch setzt ein, langsam sinkt die Flagge am Heck. Ernst und feierlich, in seltsamem Ge- gensatze zur frohlich-unbeschwerten Stimmung dieser Stunden, erklingen Hymne und ,,Gebet vor der Schlacht“. Es ist finstere, sternenlose Nacht. Nichts ist zu sehen als der schwache Schein vom abgeblende- ten Hecklichte des Vordermannes. Das ideale Wetter fur angrifTslustige Torpedoboote. Vom Kommandierenden ist „verscharfter Wachdienst“ angeordnet worden. Die Mannschaft schlaft bei den Geschiitzen. Hundert bewafTnete Augenpaare 90 starren angestrengt ins Dunkel. Alle Lichter sind abgeblendet. Wehe dem SchifTe, das nicht licht- dicht ist, wehe dir, wenn du auf Deck cine Ziga- rette anziindest! Vom Lande her blinken beruhi- gend und ganzlich unkriegerisch die Kiistenfeuer. Stunde um Stunde vergeht, und schon glauben wir, daB unsere Feinde, die Torpedoboote, uns nicht gefunden haben. Nebst vielen schon be- kannten Vorteilen hatten die kriegerischen Obun- gen im Frieden dem Ernstfalle gegeniiber auch den Vorzug, da8 man ziemlich genau wu8te, wann der Feind kommen miisse. „Torpedoboot steuerbord“, heult plotzlich eine Stimme durch die Nacht. Auf der Brucke blitzt es auf, der Lichtkegel eines Scheinwerfers zerschneidet die Finsternis. Nun wird es auf allen SchifTen lebendig. Grelle Lichtgarben huschen suchend iiber das Wasser, vereinigen sich zu Biindeln und tasten umher wie Arme eines riesi- gen Polypen. Da schimmert es \vei8 und leuch- tend auf im Licht: — Die Bug\velle eines Bootes, das in sausender Fahrt auf uns zujagt. Noch eines — und noch eines! Die Scheinwerfer sau- gen sich an den Zielen fest, und jetzt setzt schmet- ternd auf allen Schiffen das Feuer der Abwehr- geschiitze ein. Wie wei8e Gespensterpferde kom¬ men die Boote herangebraust. Ein \veiBer, schim- mernder Streif strebt pfeilgerade aus dem Dunkel auf uns zu. Die Bahn eines Torpedos, der jetzt harmlos, ohne Sprengladung, in 15 Meter Tiefen- einstellung, unter unserem Kiel durchlauft. Das 91 ware im Ernstfalle ein TrefTer ge\vesen. Nur \venige Minuten hat der Spuk gedauert, dann wenden die Boota ab und werden von der Nacht verschluckt. Irgendwo glotzt ein Scheinwerfer senkrecht gegen den Nachthimmel, das Zeichen des Kom* mandierenden fiir das Ende der Cbung. Dann blinken rote und wei6e Lichter, vereinigen sich zu Kombinationen, verschwinden und leuchten wieder auf. Signal vom FlaggenschilT: „In den Zentralhafen einlaufen!“ Pola Die Sehnsucht nach einem festen Stiick Erde, zu dem man gehort, scheint dem Menschen im Blute zu liegen. Nur so ist es zu verstehen, daB wir immer wieder, wenn unser SchifT nach lan- gerer Abvvesenheit den Wellenbrecher bei der Hafeneinfahrt von Pola rundete, das Gefiihl hatten, als nahme die Heimat uns auf. Denn die vvirkliche Heimat des Seeoffiziers ist die Kabine, die er mit sich herumfiihrt wie die Schnecke ihr Haus. Gerade dieses Unstete und Wechselvolle unseres Berufes war es auch, was auf junge Ge- miiter und alle, die sich das Leben hinter einem Biiroschreibtisch nicht vorstellen konnten, einen so groBen Anreiz ausiibte. Vielleicht erklart sich dadurch auch die eigenartige Zusammensetzung des Offizierskorps der alten Kriegsmarine. Dieses Korps war ein kleines Spiegelbild der groBen Monarchie. Es hat den Beweis erbracht, daB Menschen verschiedenster Nation und Her- kunft eintrachtig und kameradschaftlich neben- einander leben konnen, wenn gleiche Interessen und Auffassungen sie miteinander verbinden. Bei aller militarischen Disziplin und selbstverstand- lichen Obereinstimmung von Lebensauffassung 93 und Lebenshaltung als k. u. k. Offiziere \var aber von einer geistigen Uniformitat keine Rede. In der alten Marine gab es Gelehrte, Eigenbrotler, Draufganger und Windhunde. Es war viel kriti- scher Geist und Oppositionslust, aber auch viel Sinn flir Humor in unserem Korps. Gber Be- grifTe, \vie Treue, Kameradschaft, Korpsgeist und Pflichtgefiihl, verlor man nicht viele Worte, und doch waren sie stark und lebendig, wenn auch in einer angenehmen, phrasenlosen Selbst- verstandlichkeit., Ich habe wahrend meiner Dienstzeit jahrlich nur eine Rede gehort. Sie wurde zu Kaisers Geburtstag gehalten und dauerte nie liinger als eine Minute. Nach dem Kriege habe ich dieses Versiiumnis griindlichst nachgeholt. Der Eigenart dieser Menschen entsprach auch das Leben in der groBen Marinefamilie, deren Hauptsitz Pola \var. Dieses Pola! Ich glaube nicht, daB liber eine andere Stadt der alten Monarchie so viel ge- schimpft worden ist wie liber Pola. Der Wahr- heit die Ehre — meine Vaterstadt, der Zentral- kriegshafen, war ein recht schiibiges Nest. Sie war \veder siidlich pittoresk noch nordlich sau- ber. Die stolze Vergangenheit, von der die Arena, der Tempio d’Augusto und die Porta Aurea be- redtes Zeugnis ablegten, konnte die Mangel der Gegenwart nicht auf\viegen. Die kommunalen Einrichtungen wiesen einen beklagenswerten Zu- stand auf. In den engen, schlecht beleuchteten 94 %r 4 Gassen roch es nach allem Moglichen, und auf den StraBen lag eine dicke Staubschichte, die sich bei Regen in einen ziihen, gelblichen Brei ver- wandelte. Das iibliche Fuhrwerk war das soge- nannte „Schwingerl“, der meist mit einem melan- cholischen Schimmel bespannte „Fiaker“, mit dem man fiir funfzig Heller bei einiger Geduld von einem Ende der Stadt zum anderen gelangen konnte. Ein beliebter Seekadettenscherz \var es, so ein vorbeitrottendes Fahrzeug anzurufen: „Libero?“ Wenn die Antwort kam: „Si, Signor“, erwiderte man frohlich: „Evviva la libert&!“ und ging weiter. Dem ,,Politeama Ciscutti“ sah man erst nach eingehender Betrachtung an, daB es ein Theater war. Allerdings hatte es die nette, durch alte Tradition geheiligte Einrichtung, daB die vor- derste Reihe beim Orchester, die sogenannte „Eselsbank“, kostenlos und ausschlieBlich fiir Seekadetten reserviert war. Von dieser „Esels- bank“ aus entschied sich auch meistens der Er- folg oder MiBerfolg einer Stagione. Fast das ganze Ufer des Ilafens war durch Arsenal und Werftanlagen verbaut, \vas bei einem Kriegshafen nicht verwunderlich, fiir das Landschaftsbild aber keines\vegs forderlich war. Nur die Aussicht von der Anhohe des Monte Žaro iiber den.Hafen gab Weite und freundliches Grii- Ben des ofTenen Meeres. Hier ragte, mit dem Blick iiber Hafen und Flotte, das Denkmal Wilhelm von TegetthofTs. Auf dem Sockel standen die Worte: 95 Dem Vize-Admiral VVilhelm von Tegetthoff Kaiser Franz Joseph I. 1887 Tapfer kampfend bei Helgoland, Glorreich siegend bei Lissa, Ervvarb er unsterblichen Ruhm sich Und Osterreich-Ungarns Seemacht. Heute steht es in Graz auf dem nach ihm be- nannten Tegetthoffplatz und blickt auf die Zins- hauser in der Hartenaugasse. Es war eine schone und dankenswerte Tat, das Denkmal in der Heimat aufzustellen. Es liegt nur so viel Bitterkeit und endgiiltige Resignation darin. Gegen San Policarpo zu erhob sich zwischen zwei grofien Exerzierplatzen der graue Stein- vviirfel der Marinekaserne. Von hier klangen in allen Tonarten und Hohen die Marschsignale der Hornisten herauf, nach denen unermiidlich Tau- sende von unschuldigen Rekruten gedrillt wur- den. Hier spielten sich auch alle Paraden und militarischen Feierlichkeiten ab. Fiir den kundi- gen Infanteristen sind sie wohl nicht immer die Quelle ungetriibten Vergniigens gewesen, denn der rein militarische Teil unseres Berufes war nicht eben unsere Starke. Der groBe Umschlagplatz zwischen den Schiffen im Hafen und der Stadt war der Molo Belona, an der VVurzel des langen Dammes gelegen, der Kriegs- und Handelshafen schied. Von hier aus ergoB sich der Strom der Landganger in die 96 4 UAFEN V O N POLA M A RI N L K A S I N O IN POLA Stadt, hier traf sich alles \vieder, wenn nachts die letzten Boote zu den Schiffen abstieBen. Rings um den Monte Žaro spielte sich auf engem Raume das Leben des Seeoffiziers in Pola ab. San Policarpo, das Marineviertel — Marine- kasino und Theater —, die Via Sergia, Haupt- straBe und Korso der Stadt —, die Piazza del Foro mit dem Rathaus, alles das gruppierte sich um diesen lorbeergriinen Hiigel. In die anderen Bezirke kam man fast nie, wenn man von einigen engen GaBchen unter dem Kastell, einer alten Befestigung auf einem Hiigel der inneren Stadt, absehen will. In diesem wenig anmutigen Vier- tel befanden sich die verrufenen Lokale der Stadt. Ihre Sensationen waren harmlos und ein- deutig. Die einzigen sehr willkommenen Be- reicherungen des Polesaner Nachtlebens bildeten das Gastspiel eines Tingeltangels oder ein Wan- derzirkus. Die italienische Bevolkerung Polas und seine \viirdigen Stadtviiter liebten uns nicht, fanden es aber ganz in der Ordnung, daB die Stadt fast nur von der Marine lebte. In besonderem MaBe traf dies fiir die ehrsame Zunft der Zimmerver- mieterinnen zu. Es \var die Sehnsucht jedes jun- gen Seeoffiziers, eine richtige Wohnung auf dem Lande zu besitzen. Diese Zimmer \viesen fast alle dieselbe Einrichtung auf. Uber roten Pliisch- mobeln hingen Photographien samtlicher Fa- milienmitglieder, einzeln oder in Gruppen. Auf Eckbrettern standen Vasen mit Pfauenfedern 7 Kunsti, Strand 97 oder getrockneten Palmenblattern. Da wir diese Zimmer nur selten bewohnten, nahmen die Haus- frauen von ihren Mietern fast gar keine Notiz, es sei denn, daB sie unsere Toilettenartikel be- niitzten. Diese Ungez\vungenheit ging bei meiner liebenswtirdigen Hausfrau so weit, daB ich, als ich eines Nachts unerwartet nach Hause kam, zu meiner peinlichen Uberraschung eine schon auf- gebahrte Leiche in meinem Zimmer vorfand. Auf meine bescheidene Anfrage \vurde mir unter vielen Tranen mitgeteilt, daB die „povera zia“ gestorben sei und daB ich doch gewiB nichts da- gegen haben werde, daB man sie in einem \viir- digen Raum aufgebahrt habe. Mit den Htitern des Gesetzes, der stadtischen Polizei, lebten wir natiirlich auch auf gespanntem FuBe, da wir mit unseren zwanzig Jahren zwar sehr standesbe\vuBte k. u. k. Seeoffiziere, aber doch noch recht ausgelassene Jiinglinge waren. So hatten die armen Wachleute schwere Ge- wissenskonflikte auszukampfen, wenn \vir nachts in den StraBen randalierten und die Firmentafeln iiber den Geschaften vertauschten. Bei diesem nicht sehr innigen Verhaltnisse zwi- schen Marine und Bevolkerung die liebenswiir- digen Mittler zu spielen, war einer ganz beson- deren Gattung von Menschen vorbehalten, der ich an dieser Stelle ein bescheidenes Denkmal setzen mochte: dem Polesaner Madchen, der „Mula“, wie wir sie nannten. Sie \var meist sehr hiibsch, mit aller Anmut der Siidlanderin. Sie t 98 hatte keinerlei nationale Vorurteile und \var ein frohlicher und anspruchsloser Gefahrte. Cber ein Paar Striimpfe oder ein Seidentuch war sie gliick- lich und verstand es auch viel besser als die meisten Madchen der nordlicheren Breiten, ihre billigen Fahnchen mit Schick und Grazie zu tragen. Sie stopfte unsere Striimpfe, sorgte fiir unsere Wasche und lehrte uns das Walzertanzen. Sie war — um mit Claude Farrčre zu sprechen — unsere „petite alliee“, nur war sie nicht so mon- dan wie ihre Kollegin aus Toulon und hatte keine Ahnung von Kokain und Opium. Sie herrschte bei den Maskenballen im Theater oder beim „Nitschmann“, auf dem Korso und Roll- schuhplatz. Dies war die eine Ebene, auf der sich unser Dasein in Pola bewegte. Die andere war das Le¬ ben in der Marinefamilie, die alle ihre Mitglieder durch gleiche Interessen und eine freundliche, ungezwungene Gastfreundschaft verband. Den Mittelpunkt dieser Geselligkeit bildete das Marinekasino, das wahre Heim des unverheirate- ten Seeoffiziers. Es war ein reprasentativer Bau, in einem groBen Garten am FuBe des Monte Žaro gelegen. Wir waren sehr stolz auf unser Kasino, denn es war keine Offiziersmenage im iiblichen Sinn, sondern ein Herrenklub, der, \vas Einrich- tung und Fiihrung betraf, auch vervvohnten An- spriichen geniigen konnte. Das auBere Bild und das Leben in seinen Raumen entsprach voll- kommen dieser Auffassung. Die militarischen 7 * 99 Formen waren nach Moglichkeit gemildert, was wiederholt die MiBbilligung zu Besuch weilender hoher Militarpersonen hervorgerufen hat. Dies anderte jedoch nichts an unserem fast fanati- schen Festhalten an dem rein privaten und ge- sellschaftlichen Charakter des Kasinos. Fasching im Marinekasino! Symbol einer nie mehr wiederkehrenden, frohlichen und sorgen- losenZeit! Rauschende Walzermelodien, unermiid- lich sich drehende Paare im groBen, weiBgoldenen Saal! Die Marinemusik war die beste Militarmusik der Monarchie, die Seeoffiziere die besten Walzer- tanzer ihrer Zeit, und so war der Fasching schon wegen des Uberschusses an Mannlichkeit ein Dorado fiir tanz-, flirt- und heiratslustige junge Madchen. In den letzten Jahrzehnten vor dem Kriege hatte das ganz auf sich selbst gestellte Leben in Pola einen starken Auftrieb durch das rasche Aufbliihen der Insel Brioni als Seebad und Som- meraufenthalt der oberen Zehntausend der Mon¬ archie erhalten. Aus einer macchieiiber\vucherten, weg- und steglosen Adriainsel hat der Unternehmungsgeist und die Energie Karl Kupehviesers einen wunder- baren Garten geschafTen, der aber doch echte, unverfalschte Natur geblieben ist. Es ist die Eigenart der adriatischen Land- schaft, daB ihre einfache, oft sogar karge Anmut sich stellenweise zu leidenschaftlicher, verschwen- derischer Schonheit verdichtet. Ragusa, Canosa, 100 Porto Palazzo auf der Insel Meleda und auch Brioni gehoren zu diesen gesegneten Orten. Ich habe den AufstiegBrionis erlebt von seinen Anfangen als Ausflugsort Polas bis zum inter- nationalen Seebad mit Luxushotels, Winter- seebad, Golf- und Poloplatzen. Wann immer es der Dienst und die Finanzen zulieBen, zogen wir in Schwarmen von Pola hin- iiber und hatten am Ruhme und Aufschwung der Insel unseren redlichen Anteil, wenn auch unsere Tiitigkeit nicht immer den ungeteilten Beifall der miinnlichen Kurgaste gefunden haben mag. In eindringlicher Weise empfand ich den trau- rigen Wandel der Zeiten wahrend eines Aufent- haltes in Brioni einige Jahre nach dem Kriege. Eines Morgens wurde ich durch Kanonenschiisse aus dem Schlafe geweckt. Es war der Salut einer englischen Eskader, die eben im Kanal von Fa- sana vor Anker ging. Und nun spielte sich alles so ab, wie ich es von friiher her so gut kannte. Motorboote legen an, denen frischgebiigelte See- offiziere mit erwartungsvollen Mienen entsteigen; auf den Kais und vor den Hotels promeniert zwanglos und sicher ganz zufallig die holde Weiblichkeit der Insel. Und nun beginnt der Rei- gen von Tanzfesten, Ausfliigen und Partien aller Art, bis eines Tages driiben auf den SchifTen wieder die Anker gelichtet werden und die letzte Rauchvvolke ober Peneda und Brancorso ver- schwunden ist. In einer Reihe von Jahren hatten Existenz- # 101 kampf und Alltag schon einen Schleier um die Vergangenheit gelegt. Beim Anblicke dieser Rauchvvolke aber ervvachte wieder mit aller Scharfe das Gefiihl des Zuriickbleibens am Ufer, des Gebundenseins an eine kleine, eng umgrenzte Welt. Diese Wolke stand iiber Inseln, die mir von Kindheit an vertraut waren, und iiber einem Strande, der uns Briicke gevvesen \var zwischen Heimat und Welt. Zu unserer Zeit war Brioni der Inbegriff dessen, was \vir in Pola nicht hatten: den Betrieb mit Hotelhalle, Bar und Tanzparkett, mit neuen Men- schen und vor allem mit Frauen aus allen Stad- ten der Monarchie, die hiibsch und elegant waren und iiberdies den unschatzbaren Vorteil hatten, nicht die Frauen unserer Kameraden zu sein. Trotz aller dieser Lichtpunkte aber blieb die Eigenart des Lebens in Pola unverandert. Auf sich selbst gestellt, als Enklave in einer frem- den Umgebung, in einer Stadt, die keinerlei geistige und kiinstlerische Anregung bot, hatte sich eine mit viel Galgenhumor ge\viirzte Ge- selligkeit herausgebildet, die vielfach an das Leben in einer Kolonie erinnerte und so gar nichts Ararisches an sich hatte. Das Schonste aber an unseren langeren und kiirzeren Aufenthalten in Pola war die GewiJB- heit, da8 nach nicht allzulanger Zeit der Augen- blick kommen \verde, in dem man \vieder in Kurs Siidost setzt — die Adria hinunter. Levante \ Das lobliche Bestreben der europaischen Miichte, die Segnungen ihrer Kultur dem primi¬ tiven Orient zu vermitteln, mit anderen Worten, die Suche nach neuen Absatzgebieten, der Wett- lauf nach dem Ol und die Sorge um den Weg nach dem Fernen Osten, hat um die Jahrhundertwende den „Zug nach dem Osten“ entstehen lassen. Dem Balkan, Kleinasien und Syrien galt das groBe In- teresse der europaischen Diplomatie. Man riB sich um WafTenlieferungen und Eisenbahnkonzessio- nen, in allen ostlichen Hauptstadten tauchten Mi- litar- und Handelsmissionen in groBer Zahl auf, und in den Gewassern der Levante erschienen die KriegsschifTe der Machte. Sie „zeigten die Flagge“ und „schiitzten die Interessen der Staatsangeho- rigen“. Man hatte also schon damals Sinn fiir Propa¬ ganda und Reklame, nur scheute man sich aus einem richtigen werbetechnischen Gefiihl, die Dinge so einfach beim Namen zu nennen. Auch Osterreich-Ungarn hatte sich in der ihm eigenen bescheidenen und unaufdringlichen Art an dieser Be\vegung beteiligt und die Entsendung eines eigenen StationsschifTes in das ostliche 103 Mittelmeer beschlossen. Diese MaBnahme war um so verstandlicher, als durch den tiirkischen Boykott im Jahre 1908 ein groBer Teil des Le- vantemarktes fiir die Monarchie verlorengegan- gen war. Mir war das alles sehr recht, da ich im Sommer 1911 nach der Offizierspriifung als frischgebacke- ner Seefahnrich auf den Kreuzer „Kaiserin und Konigin Maria Theresia“ kommandiert worden war, der den Stationsdienst in der Levante iiber- nehmen solite. Die „Maria Theresia“ war kein Prunkstiick unserer Flotte. Sie hatte eine Wasserverdrangung von 5000 Tonnen, verfiigte iiber zwei 19-cm- und acht 15-cm-Geschiitze sowie die erstaunliche Ge- schwindigkeit von 18 Seemeilen in der Stunde. Um ihrem ehrvviirdigen AuBeren neuen Glanz zu verleihen, hatte man aus purer Koketterie ihre altmodischen, diinnen Schlote durch neue, mach- tigere ersetzt, \vodurch zwar nicht der Kampf- wert, wohl aber das kriegerische Aussehen un- seres braven SchifTes sehr gehoben \vorden war. Unser erstes Reiseziel waren die Inseln des Ionischen Meeres, Korfu, Zante, Kephalonia, die ich, wie den groBten Teil der Levante, von den Zoglingsreisen her kannte. Zu Griechenland muB man sich eine eigene Beziehung schaffen, wenn man die Enttauschung des ersten Eindruckes iiber\vinden will. Schon sind die Farben, die unendlich zarten Nuancen von GelblichvveiB und Rosa der felsigen Berge, ge- 104 bettet im Blau von Himmel und Meer. Schon sind die groBen Linien der kiihn geliederten Kuste. Die Landschaft aber ist arm. Ein Oliven- hain, der dunkle Kegel einer Zypresse sind Er- losung in dieser bedriickenden Eintonigkeit. So sonderbar es klingt — dieses Land lebt auf, wenn man es an den Statten seiner einstigen Grofte besucht, die so eindringlich von Vergang- lichkeit und unerbittlichem Wandel sprechen. So tief meine Abneigung gegen Museen und iihnliche Institute ist, in denen, von iiberallher zusammen- getragen, mit blau umriinderten Zetteln ver- sehene Dinge stehen, so unvergeBlich ist mir die erste Begegnung mit dem Parthenon auf der Akropolis, dem Apollotempel in Delphi oder dem Lowentor in Mykene. Wie vor Jahrtausenden stehen sie noch heute frei in ihrer Landschaft. Wenn da mit einem Male der graue Staub un- ziihliger Griechisch- und Geschichtsstunden von ihnen abfiillt, dann versteht man in neidvoller Bewunderung diese Denkmaler einer Zeit, der Schonheit und Kunst nicht Wissenschaft oder Kult, sondern natiirlicher Ausdruck freier und selbstbe\vuBter Sinnenfreude waren. Wiihrend unserer monatelangen Kreuzungen an der Kiiste und den Inseln Griechenlands wurde ich von erbarmungslosen Fachleuten oder idioti- schen Fiihrern durch die Mehrzahl der griechi- schen Museen geschleppt. Trotz meiner jugend- lichen Unreife ist es ihren vereinten Bemiihungen nicht gelungen, meine durch Sachkenntnis unge- 105 triibte und herzliche Beziehung zum alten Hellas zu storen. Wir passierten Kap Matapan, die Siidspitze Griechenlands, bei schwerem Siid\vest, der daran erinnerte, daB man ein SchifT und nicht nur eine schwinnnende Maschine unter den FiiBen hatte. Dann begann die Rundreise in alle kleinen Hiifen der Agaischen Kiiste und Inseln: Kalamata, Nau- plia, Paxos, Paros, Delos und Syra. Uberall roch es nach Tuberosen und Hammelfett. Uberall „zeigten wir die Flagge“ und luden die Konsuln der Monarchie zum Fruhstuck auf unser SchifT. Meistens \varen es Honorarkonsuln, eingeborene Wiirdentrager, leicht erkenntlich an schwarzen Bratenrocken, weiBen Glacčhandschuhen und starkem Benzingeruch. Die ersten Wochen jeder Auslandreise standen immer im Zeichen intensiven Drills. Štab und Mannschaft muBten sich und das SchifT kennen- lernen, Feuer-, Wasser- und Gefechtsalarm wech- selten in bunter Folge, und in einsamen Buchten wurden die Boote ausgesetzt und eifrig Rudern und Segeln geiibt. In den Messen bildeten sich die ersten Sympathien und Antipathien aus. Jene fiihrten oft zu dauernden Freundschaften, diese zu mehr oder weniger heftigen Reibereien, wie dies beim Zusammenleben auf so engem Raume nicht anders moglich war. Zum erstenmal genoB ich die Sensation einer eigenen Kabine mit einem richtigen Bett. Die Hangematte gehorte der Ver- gangenheit an. 106 0 Wenn auch unsere Reiseroute sicherlich nach bestimmten diplomatischen und wirtschaftspoli- tischen Grundsatzen zusammengestellt war, ver- riet sie doch deutlich die Eigenheiten unseres Kommandanten. In der Marine war er wegen seines groBen Fachwissens, seiner Abneigung gegen jede Geselligkeit und seiner leidenschaft- lichen Liebe zur Jagd bekannt. Diese Leiden- schaft bewies er dadurch, daB er im Hafen vom achteren Freideck aus mit einem Flobertgewehr _ • > * auf treibende Konservenbiichsen und Flaschen schoB. Die Konservenbiichsen waren die Hasen und die schonen, bauchigen Weinflaschen die Hirsche. Um seine gute Laune zu erhalten, war- fen wir manchmal ganze Rudel solcher Hirsche vom vorderen Freideck ins Wasser, die er dann mit erstaunlicher Sicherheit erlegte. Unser Bummel durch das Agaische Meer wurde durch den Ausbruch des Tiirkisch-Italienischen Krieges unterbrochen, wofiir wir den Kriegfiih- renden auBerordentlich dankbar waren. Vom Kriegsministerium, Marinesektion, so hieB das, weil man uns ein eigenes Marineministerium nicht gonnte, erhielten wir den Auftrag, in Piraus einzulaufen und weitere Befehle abzu- warten. OfTenbar \vollte man ein Zusammen- trefTen mit italienischen oder tiirkischen Kriegs- schifTen vermeiden. Die nun folgenden sechs Wochen verbrachten wir nach Moglichkeit in Athen. Schon damals wetteiferte die Hauptstadt Griechenlands mit der 4 107 Rumaniens um den Titel eines ,,Pariš des Ostens“. Man gab sich auBerordentlich fortschrittlich und mondan. Vor allem aber wurde unglaublich viel politisiert, woran wir damals noch nicht gewohnt waren. Ministerprasident und erste Figur Grie- chenlands war Eleutherios Venizelos, der schon zu dieser Zeit seine ersten Intrigen gegen die griechische Dynastie spann. Unser Leben hatte sich wieder einmal vom Grunde aus verandert. Sowohl der Gesandte wie auch der Generalkonsul der Monarchie fiihrten, zum Unterschiede von der Mehrzahl unserer aus- wartigen Vertreter, ein sehr gastliches Haus. Auch die sonst sehr exklusive Gesellschaft Athens hatte uns mit der Zeit gnadigst aufgenommen. Balle, Empfange und Tees hauften sich. Wir spielten Tennis im ersten Klub Athens und un- ternahmen Autoausfliige als Gaste des Hofes. Wie meist im Leben waren auch damals seinen Annehmlichkeiten durch Dienst und Geldnote Schranken gesetzt. Das recht eintonige Dasein im Hafen von Piraus erfuhr durch die dort beson- ders zahlreich auftretenden Brande eine will- kommene Abwechslung. Diese groBe Hafenstadt besaB merkwiirdigerweise keine Feuerwehr. Die Hafenbehorden hatten es sich daher zur Gewohn- heit gemacht, die anwesenden KriegsschifTe vom Ausbruche eines Brandes zu verstiindigen, was gleichbedeutend mit der Aufforderung zur Ent- sendung einer Loschabteilung war. Wir haben uns im Verein mit den Abteilungen eines deut- 108 schen und russischen Kreuzers, die damals in Piraus lagen, mit vielem Hallo als freiwillige Feuerwehr betatigt und eine Reihe von Branden geloscht. Die russischen Matrosen waren schein- bar der Ansicht, daB die brennenden Objekte von Rechts wegen ja doch dem Feuertode verfallen waren, und nahmen mit, was sie brauchen konnten. An einem der letzten Tage unseres Aufenthaltes lief die griechische Flotte, namlich der Kreuzer „Averov“ und einige Zerstorer, in Piraus ein. Den „Averov“ hat ein reicher Grieche dieses Namens seinem Vaterlande zum Geschenke gemacht. Er ist heute noch der Stolz der griechischen Flotte und hat wahrend seiner langen und bevvegten Vergangenheit manchmal mit der Regierung und manchmal auch gegen sie gekampft. Das Ein- laufmanover dauerte mehrere Stunden. Der Zer¬ storer, der neben uns in Vertauung ging, ver- suchte, anscheinend vergebens, mit dem Heck die Stufen des Molos zu erklimmen. Die Sieger der Seeschlacht von Salamis diirften sich bei diesem Manover ihrer Nachkommen im Grabe umgedreht haben. Wenige Tage spater schwammen wir wieder mit Kurs Siid zwischen den Inseln der Agais. Am Weihnachtstage, bei kaltem, stiirmischem Wetter, liefen \vir in Alexandrien ein und — o Wunder — auf den Dachern, den Kuppeln der Moscheen und den Decks der SchifTe lagen hauch- diinne weiBe Schleier. Es war richtiger Schnee. 109 Er gab uns mehr von der Illusion heimatlicher Weihnachten als der Kerzenglanz des Lorbeer- baumes, den wir in der Messe aufgestellt hatten. Dann aber war dieser Zauber vorbei, und der Orient begann. Zunachst noch unecht und ver- waschen im iiberall gleichen Klischee der groBen, internationalen Ilafenstadt, schon echter in Kairo, wo \vir mit Pyramiden, Sphinx und Konigsgra- bern Wiedersehen feierten. Wir iibersetzten den Nil bei Assuan, besuchten selbstverstiindlich das Agyptische Museum und wohnten im Shepheard- Hotel. Mit Vorliebe trieben wir uns in den verschie- denen Bazars herum. Wenn wir auch meistens nicht das Geld hatten, um etwas zu kaufen, so war das Handeln und Feilschen um die wert- vollsten Stickereien, Teppiche und Intarsien, daS sich immer in hochst dramatischen Formen ab- spielte, allein schon ein Vergniigen. Die lebendigste Erinnerung an Kairo ist der abendliche Blick von der Alabaster-Moschee iiber Sphinx und Pyramiden hinaus in die Wiiste. Hier fiihlt man unmittelbare „Poesie des Orients“, be- freit von Reiseschilderungen und einschlagiger Literatur. Wo immer man in Gebiete englischer Ober- hoheit oder Interessen kommt, staunt man iiber die unerreichte Kolonisationskunst des Empire. Seit Jahrhunderten lehnen sich Volker gegen die britische Herrschaft auf. Seit Jahrhunderten wird verhandelt, werden Zugestandnisse gemacht, Ko- 110 nige und Regenten eingesetzt, und am Schlusse bleibt doch alles beim alten. Man liiBt den Do- minions und Kolonien ohnc jegliche Prestige- politik ruhig ihre nationalen und religiosen Ei- genheiten und beschrankt sich auf die allerdings sehr griindliche Vertretung der vvirtschaftlichen und militarischen Interessen. Der lange, blonde Policeman in den StraBen Kairos und Alexandriens, um dessen unerschiit- terliche Ruhe das Geschrei und Geschnatter des souveranen agyptischen Volkes tobt, ist ein iiber- zeugendes Wahrzeichen des britischen Welt- reiches. Jaffa, Haifa, Beirut, Alexandrette! Unseren Kommandanten zog es nach den Jagdgriinden Kleinasiens. Bei dem Besuch auf dem turkischen Stations- schifT in Beirut, einem uralten Kanonenboot, staunten \vir iiber die groBe Anzahl seiner Offi- ziere. Es \varen durchwegs bartige Greise, die hier scheinbar in einer Art Versorgung lebten. Einige Tage nach unserem Auslaufen erschien eine italienische Flottenabteilung, die jedenfalls nur darauf gewartet hatte, vor dem Hafen und schoB den armen Tiirken in den Grund. Die svrische Kiiste ist kein angenehmer Auf- enthalt fiir Seefahrer. Sie ist arin an natiirlichen Hafen. Auf ofTener Reede sind die Schiffe bei meist schlechtem, felsigem Ankergrunde schutz- los den \vinterlichen Weststiirmen ausgesetzt. Auch die Navigation war damals in diesen Ge- 111 \vassern recht schwierig, da wegen des Krieges die Leuchtfeuer an der kleinasiatischen Kiiste ge- loscht waren. Unser Hauptvergniigen war das Reiten. Auf den abenteuerlichsten Kleppern zogen wir mit groBer Begeisterung los. Ich erinnere mich an eines meiner Reitkunststiicke, bei dem es meinem Pferd gelang, sich mit mir in ein KafTeehaus auf dem Ilauptplatze in Beirut zu begeben. Unter begreiflicher Aufregung von Personal und Gasten verlieB ich dann, mein RoB am Ziigel, das Lokal. Es kamen nun Wochen der Einsamkeit in stillen, verlassenen Hiifen und Buchten Klein- asiens, in denen wir mit mehr oder \veniger Er- folg allen Arten von Wasserwild, Wildschweinen und sogar Leoparden nachstellten. Noch nie habe ich die Natur so unmittelbar und in solcher Unberuhrtheit empfunden wie damals. Da gibt es stille Buchten, \vie Makri oder Marmariza, die wie einsame Gebirgsseen anmuten. Die dichtbe- waldeten Berge der Kiiste schieben sich vor der schmalen Einfahrt zusammen und spiegeln sich dunkel im glatten, glasklaren Wasser. Zahllose Wildenten, Kormorane und Reiher bevolkern die Ufer, und es fiillt auf, wie \venig scheu diese Tiere sind. Wenn man landeinwarts durch die dichten, unabsehbaren Walder streift, hat man das Gefuhl, als hatte nie eines Menschen FuB diesen Boden betreten und als ergreife man als erster Besitz von ihm. Efeu- und moosbesponnene Reste romischer Siedlungen, auf die man in- 112 9 D I F »MARIA T II E R E S I A“ IM H A FE N VON S Y R A mitten des Urvvaldes stoBt, lassen diese dunkle und schweigende Einsamkeit noch tiefer emp- finden. Die Menschen in diesen armseligen Dorfern der Kiiste waren grundverschieden von dem gierigen, bakschischschreienden Gesindel der Hafenstadte. Bei aller OfTenheit und Freundlichkeit, mit der sie uns entgegenkamen, lagen doch Wiirde und Stolz in ihrer Haltung. Wir kulturgeblahten und wunschgepeinigten Westeuropaer konnten viel von der Ausgeglichenheit und fast frohlichen An- spruchslosigkeit dieser armen Tiirken lernen. Vielleicht hat man seither auch ihnen schon bei- gebracht, daB jeder Mensch unbedingt vom Wahn befallen sein miisse, innerhalb von hochstens dreiBig Jahren — mehr stehen nicht zur Ver- fiigung — reich und beriihmt zu werden. Der Kommandant eines dieser Hafen, in den alle Jahre nur einmal ein SchifT kam, ein tiirki- scher Schifisleutnant, bemiihte sich ganz beson- ders um uns. Dieser arme Teufel hatte seit Jah¬ ren kein Gehalt bekommen. Er und seine Familie darbten und hungerten im vollsten Sinne des Wortes. Als wir ihn fragten, ob \vir denn nichts flir ihn tun oder ihm etwas geben konnten, ant- wortete er: „Euer Anerbieten ehrt und freut mich, aber ich brauche nichts.“ Wo \vir einliefen, kamen Kranke aus der gan- zen Umgebung an Bord und lieBen sich von un- seren Arzten behandeln. Es war riihrend, mit welcher Selbstverstandlichkeit da menschliche 8 Kunsti, Strand 113 Solidaritiit und Hilfsbereitschaft vorausgesetzt wurden. Die letzte dieser stillen Buchten war Marma- rica. Wir verlieBen sie am Faschingdienstag um Mitternacht bei schvverem Sturm und wolken- bruchartigen Regenboen. Ohne Leuchtfeuer, mit unverlaBlichen Seekarten, \var das Auslaufen keine Kleinigkeit. Auf der Brucke, trotz Olmantel und Siidvvester, naB bis auf die Haut, dachte ich zwischen Peilen und Distanzmessen dariiber nach, daB jetzt iiberall auf der Welt in hellen, rauschenden Salen die Korke von den Cham- pagnerflaschen flogen, und bedauerte mich sehr. Im Hafen Vathy auf Samos nahm uns das Leben \vieder auf. Als Nachfolger des durch seinen Ring so beriihmt gevvordenen Polykrates herrschte hier, wenn auch unter tiirkischer Ober- hoheit, Kopassis Effendi, der Fiirst von Samos, iiber die 60.000 Einwohner der Insel. Seine Ge- mahlin, Prinzessin Helene, entstammte einer an- gesehenen Wiener Familie. Mit seinen Ministern und Senatoren, Hofdamen und Adjutanten er- innerte dieses Staatswesen an einen in den Orient verpflanzten kleinen deutschen Fiirstenhof der Vorkriegszeit. Beim Galadiner im fiirstlichen SchloB ging es sehr zeremonios zu. Nachdem alle Gaste versammelt waren und das furstliche Paar auf Thronsesseln Platz genommen hatte, be- gannen zwanzig weiBhaarige Miinner feierlich und gravitatisch den Tanz der Senatoren, nicht etwa in Nationaltracht, sondern im Frack. Erst 114 nach dieser Zeremonie begann das Diner. Das Liicheln, das sich \vahrend unseres Auf- enthaltes immer wieder auf die Lippen schlei- chen \vollte, verschwand jedesmal angesichts der bez\vingend herzlichen Gastfreundschaft des Fur- stenpaares. Leider konnte sich Kopassis EfTendi nicht mehr lange seiner Herrschaft erfreuen. Einige Wochen nach unserem Aufenthalte in Samos wurde er das Opfer eines Attentates grie- chischer Nationalisten. Im Kielvvasser eines tiirkischen Torpedobootes passierten wir die Minensperre von Smyrna. Wir \vurden von der Bevolkerung besonders freudig begriiBt, da man annahm, daB die Italiener nichts gegen Smyrna unternehmen \viirden, solange wir im Hafen lagen. Unsere Marine hatte in Smyrna eine zweite Heimat. Man hatte Bekannte von friiheren Auf- enthalten, in deren Hausern man alles kennen- lernte, was zur „Gesellschaft“ gehorte, und un- terhielt sich ausgezeichnet. Die Levantinerin ist auffallend hubsch und auffallend gut angezogen. Man weiB nicht, wel- cher Nationalitat sie angehort, weil sie alle Spra- chen spricht. Auf hohe Bildung, tiefes Gemiit legten wir keinen sonderlichen Wert. Die Vater und Gatten waren meist sehr wohlhabende Kauf- leute und hatten Besitzungen in der Umgebung der Stadt, auf denen wir fast unsere ganze freie Zeit verbrachten. Die Welt war damals sehr an- genehm eingerichtet. 8 * 115 Wir \varen jung, gerade gevvachsen und hatten gutsitzende Flottenrocke. DaB wir Soldaten wa- ren und zur See fuhren, umgab uns nach den damaligen Auffassungen mit einem romantischen Nimbus, von dem wir weitgehenden Gebrauch machten. Die Schnallen unserer Dienstgiirtel und die Embleme unserer Kappen waren gesuchte Sammelobjekte, und die verblendeten Madchen gingen so weit, uns die Knopfe von den Flotten- rocken abzuschneiden. Heute ist dies wohl nicht mehr so. Die Schrek- ken des groBen Krieges liaben — wie man sieht — den Krieg und damit das Kriegerhandwerk nicht abgeschafTt, sie haben beide nur ihrer Romantik entkleidet. Die mannliche Idealgestalt ist, den schweren Zeiten entsprechend, nicht mehr Mars mit Riistung und Sclrvvert, sondern Merkur, der Handelsbetlissene. Nach dem Kriege ist ein schweres Schicksal iiber die bewegte und lebensfrohe Stadt gegangen. In den tiirkisch-griechischen Kampfen wurde sie zum groBten Teile eingeaschert; die meisten un¬ serer alten Bekannten sind umgekommen oder geflohen. Wiihrend unseres Aufenthaltes erreichte uns der Befehl zur Vereinigung mit der Eskader, die eben auf einer Kreuzung im Ionischen Meere war. Das war der Anfang vom Ende unserer Reise. Zur anbefohlenen Stunde, am anbefohlenen Orte, vor dem Kanal von Korinth wendeten wir 116 in das Kielwasser der drei SchlachtschifTe der „Radetzky“-Klasse. Um uns mit aller Deutlich- keit zu zeigen, daB es mit der schonen Selb- stiindigkeit vorbei sei, wehte gleich darauf vom FlaggenschifTe das Signal „Taktische Ubungen im Verbande“. Nachdem wir unsere Nase \veg- hatten, was wohl der Zweck der Cbung war, liefen wir in Patras ein. Am nachsten Abend gab der Admiral auf dem FlaggenschifTe ein groBes Fest. Der „Erzherzog Franz Ferdinand“ hatte das iibliche Festge\vand angelegt, das flaggen- und blumengeschmiickte Deck erstrahlte im Licht. Die Spitzen der Stadt waren erschienen und ganze Bukette seiden- rauschender Griechinnen schwebten das Fallreep empor. Als das Fest den Ilohepunkt erreicht hatte, setzte schlagartig schwerer Sturm ein. Gir- landen und Flaggen flogen in Fetzen davon, Frauen kreischten und flohen unter Deck. Das Wetter wurde immer arger. Die Anker hielten nicht, und die ganze Eskader trieb den Kanal hinauf. Von einem Bootsverkehre mit dem Lande \var keine Rede, und erst am nachsten Morgen konnte die holde Fracht, etwas zerzaust und durchgebeutelt, ans Land gebracht werden. Einige Tage spater steuerten \vir im Eskader- verbande heimwarts. Es war das letzemal, daB ich an Bord eines k. u. k. KriegsschifTes die gol- dene Linie passierte. Diese Tage liegen \veit zuriick. Die Zeit hat ihnen die Erinnerung an ihre kleinen Leiden und 117 Freuden genommen und sie zu einem farben- frohen, von Sonnenlicht und Leuchten des Meeres erhellten Bild verschmolzen. t)ber dem schau- menden Band des Kiehvassers und dunklen, qualmenden Rauchstreifen weht die rot-wei8-rote Flagge von der GafTel. Ringsum tauchen die dunklen Konturen der Inseln aus schimmerndem Blau und \veit driiben am Horizonte zieht die Silhouette eines Dampfers. Man kannte seine Gesellschaft und seine Route, durch ihn fiihlte man sich irgendwie verbunden mit fernen Meeren und Landern. Immer fuhren wir Neuem und Unbekanntem entgegen, hatten einen schonen, mannlichen Be- ruf und das BewuBtsein, etwas zu gelten als Angehorige eines groBen, machtigen Staates in fremdem Lande. Denn trotz aller Norgelei und Herabsetzung war die alte Monarchie eine GroB- macht, deren Vertretern iiberall in der Welt ge- biihrende Achtung bezeigt wurde. i A d d i o Mamula...! Die Ereignisse vvarfen ihre Schatten voraus. Man riistete, man schrieb und redete so viel vom Kriege, daB es einmal irgendwo losgehen muBte. Dafiir war seit jeher der Balkan ein sehr ge- eigneter Schauplatz, und der Balkankrieg im Jahre 1912 ware fast schon der Beginn der gro- Ben Auseinandersetzung geworden. Die Mon- archie hatte mobilisiert, die gesamte aktive Flotte \var in Dienst gestellt. Sie bestand aus zwolf SchlachtschifTen des I. und II. Geschwaders und der Kreuzerflottille. Flottenkommandant war Vizeadmiral Anton H a u s. Wesentlich bescheidener war meine Tatigkeit als Fregattenleutnant und Kommandant der rechten 7-cm-Batterie auf S. M. SchifT „Erzher- zog Karl“, dem FlaggenschilTe des II. Gesch\va- ders. Wahrend der Blockade der montenegrinischen Kliste durch die Seestreitkrafte der Machte, die- ses letzten Versuches europaischer Solidaritiit, lagen wir, die III. schwere Division, in der Bocche di Cattaro. Mit diesem stillen, weltabgeschiedenen Golfe, dessen Buchten wie die Finger einer Hand in die 119 steil aufragenden Berge greifen, hatte es eine eigene Bevvandtnis. „Addio Mamula, Kobila, Kabala, Addio Vermač, non torno piu E se ritorno, ritorno col fiore Evviva 1’amore, la liberta.“ Das \var das Bocche-Lied. Es hatte eigentlich keinen Sinn und mufite mit einem Anflug von Wehmut leise gegrohlt werden. Die Matrosen sangen es, wenn sie nach vierjahriger Dienstzeit von der Bocche aus in ihre Heimatdorfer ein- riickten, sie sangen es aber auch zur BegriiBung, wenn unsere SchitTe zvvischen dem Eiland Ma¬ mula und der Spitze d’Ostro in die Bocche steuerten, und \vir sangen mit. Kobila und Kabala, das waren die zwei alten Torpedolancierstationen an der Innenseite der Einfahrt, die heute noch darauf warten, eine ein- dringende, feindliche Flotte in den Grund zu bohren. Ihnen gegeniiber steigen die wei6en Hauser von Castelnuovo zwischen Palmen und Zvpressen den Bergriicken hinan, hinter dem, in • wirksamem Gegensatz zu diesem slidlich-freund- lichen Bild, die steilen, schneebedeckten Wande des Radostak emporragen. Hier war der Sitz des Militarkommandos, des Seebezirkskommandos und eines KafTeehauses. In der geraumigen mittleren Bucht befanden sich die Anlagen der Station Teodo, die aber keinesvvegs so bedeutend waren, daB sie den friedlichen Eindruck dieser groBen und stillen 120 Landschaft storten. Hinter Kohlenlagern und Werkstatten triiumte der groBe, etwas verwil- derte Marinepark, durch dessen Baumwipfel und Straucher die Dacher der Villen lugten, in denen Offiziere und Beamte der Station ein nicht sehr aufreibendes Landleben fiihrten. In der schmalen Enge von Catene schieben sich die steilen Berghange \vie Kulissen vor dem innersten Becken, den Buchten von Risano und Cattaro, auseinander und geben den Blick auf die melancholische Klosterinsel Otok frei. Jah und unvermittelt steigen hier von der UferstraBe die Berge zum gewaltigen Massiv des Lovčen empor, hinter dem sich die Steinwusten des „Landes der schwarzen Berge“ dehnen. In un- zahligen Windungen klettert die StraBe von Cat¬ taro iiber die Grenze zum Njeguš-Sattel hinauf. Sie ist heute noch, nachdem sie ausgebaut und verbreitert wurde, nicht ungefahrlich. Im Kriege war sie der Friedhof zahlloser Lastvvagen, die den Nachschub nach Albanien zu besorgen hatten. Die Bocche \var ein Reich fiir sich. Ihre Buch¬ ten waren so weit verzweigt und geraumig, daB das Gefiihl von Beengtheit nicht aufkam, und doch lebte man in volliger Weltabgeschiedenheit. Wie es ein Bocche-Lied gab, gab es auch eine Bocche-Krankheit, der jeder verfiel, der eine Zeitlang in diesen stillen, vertraumten Buchten gelebt hat. Ihre Symptome \varen eine wohl- temperierte Melancholie, die sich sofort in eine Art Heim\veh verwandelte, wenn man, seewarts 4 121 steuernd, die Spitze d’Ostro gcrundet hatte. Zu sch\veren Komplikationen fiihrte diese Krankheit nur, wenn im Winter der beriihmte Bocche- Regen einsetzte und wochenlang die VVolken- fetzen von den Bergen fast bis ins Meer herab- hingen. Wenn da alle normalen Beschaftigungen, \vie Rot\veintrinken, Bridge und Schach, ver- sagten, verfiel man auf die sonderbarsten Dinge. Man sammelte Marken, Pflanzen oder Steine, las Philosophen oder schrieb seitenlange Briefe. Wunderbar aber war die Wiederkehr der Sonne. Ein phantastisch-marchenhaftes Bild steht vor mir. Nach langen grauen Regentagen lichtcn sich endlich die sch\veren Wolken und wandeln sich in wei81iche, wallende Schleier, die der auf- klarende Himmel langsam in helles Blau fiirbt. Da ergliiht mit einem Schlag, hoch ober uns, der machtige Kegel des Lovčen in den Strahlen der sinkenden Sonne. Rot, vom zartesten Rosa bis zum leidenschaftlichsten Purpur, umhiillt den Berg. Durch den blauen Vorhang aus Nebel und Regenschauern muten seine Grate und Schluch- ten an wie Zinnen und Tiirme einer fernen, am Himmel schvvebenden Marchenstadt. Diese Wintermonate des Jahres 1912 \varen mein letzter langerer Aufenthalt in der Bocche vor dem Kriege. Wir lebten im tiefsten Frieden, trotz Mobilisierung dachte niemand ernstlich an einen Krieg, und doch lag schon damals eine eigentiimliche Spannung in der Luft. Der Dienst, die Ausbildung und alle kriegsmaBigen Obungen, 122 die bis dahin bei allem Ernste den Stempel des Kriegsspieles hatten, erhielten plotzlich einen un- mittelbaren Sinn. Ich war damals das jiingste Mitglied der Offi- ziersmesse des „Erzherzog Karl“. Das freie Le¬ ben in den verschiedenen Kadettenmessen war vorbei und man muBte sich unter den Augen von alteren Kameraden und Vorgesetzten gesittet und w(irdig benehmen. Diese Wiirde war natiirlich ein relativer BegrifT und hinderte uns — die altesten Messemitglieder mit inbegrifTen — nicht, die dienstfreie Zeit uns mit allerlei SpaBen zu ver- treiben. Dafiir gab es fast in jeder Messe ein be- sonders geeignetes Objekt. In unserem Falle war es der Schiffskurat, ein seelensguter Mann, der keinen Scherz iibelnahm. Nur einmal sah ich ihn ernstlich ergrimmt, als er nach einem Spazier- gange am Lande, seine Kabine vom Boden bis zur Dečke mit Kohlenbriketts angefiillt vorfand. Aus dieser Zeit stammen auch meine ersten Beziehungen zur Fliegerei. Damals sah ich zum ersten Male ein Flugzeug aus der Nahe. Vor dem Auslaufen in die Bocche hatte jedes der drei SchifTe unserer Division ein Seeflugzeug an Bord genommen. Es \varen Flug- boote nach dem System Donnet-Leveque mit 50-PS-Motoren, die ersten unserer Marine. Die Namen der Piloten dieser Vorlaufer und Vete- ranen des Seefliegerkorps haben im Kriege guten Ivlang gehabt. Aus einem alten Schuppen des Arsenals von 123 Teodo, drei Seeflugzeugen und zwei Piloten ent- stand damals die erste aktive Seeflugstation der Marine. Ich war, ,,unbeschadet des aufhabenden Dien- stes“, wie dies so schon hieB, zum Beobachter eines der Flugzeuge bestimmt worden. Damals \var das Fliegen noch keine Selbstverstandlich- keit und so muBte ich oft stundenlang am Molo in Teodo warten, bis Wind, Wetter und Motor sich so weit geeinigt hatten, daB ein Startversuch moglich war. Dann konnte es aber vorkommen, daB man die langste Zeit mit Vollgas auf dem Wasser herumrutschte und einfach nicht in die Luft kam. Wenn das eine Zeitlang andauerte, wurde der Motor heiB, fauchte einige Male bose und starb ab. Jetzt setzte die Hauptbeschaftigung des damaligen Flugbeobachters ein: das Durch- drehen des Motors. Es war eine \vundervolle gymnastische Ubung. Aus der Lederkappe und unter der korkgefiitterten Schwimmjacke rann der SchweiB in Stromen, bis — in den selteneren Fallen — der Motor ansprang oder man von einem mitleidigen Motorboote nach Hause ge- schleppt wurde. Manchmal aber gelang es. Wenn man mit vieler Geduld vielleicht gar auf 3000 Meter Hohe gelangt war, dann waren die Mauern der Berge ringsum versunken und die Welt tat sich auf. Ruhig und gelassen, schimmernd im Sonnen- glanze, lag gegen Westen die ungeheuere Flache des Meeres. Es gab keine Grenzen, kein Horizont 124 schied Himrael und VVasser, irgendwo, weit drauBen, verschwamm alles zu vveiBlichem Dunst. Inseln, Buchten und Landzungen schoben sich auseinander und wurden zur Landkarte. Tief unter uns aber, zierlich eingebaut in diese groBe Landkarte, lagen die Fjorde und Buchten der Bocche. Ich habe dann spater im Kriege noch drei Jahre in der Bocche gelebt. Beim groBen Ab- schied aber habe ich nur die friedlichen Erinne- rungen an die Bocche mitgenommen. An den \veiten Blick von oben iiber stille Buchten und felsige Berge, an den alten, vertraumten Marine- park, an weite Spaziergange in den Bergen und blaue Glyzinen vor einer steinernen Wirtshaus- terrasse. Viele Jahre nachher habe ich als schlichter Passagier eines Touristendampfers mit Dalma- tien Wiedersehen gefeiert. Es ist zweifellos sehr viel fiir die Bocche geschehen, und der Fremden- verkehr hat sich auch dieses stillen Winkels be- machtigt. In Cattaro wird man von geschaftigen Autobussen iiber die LovčenstraBe geschleift, in Castelnuovo — jetzt Ercegnovi — hat man ein modernes Strandbad gebaut und aus dem Ge- biiude des Divisionskommandos wurde ein prach- tiges Hotel. . . Addio Mamula! Torpedoboot „XXX“ Scirocco, Windstarke acht! Wie eine flache umgestiilpte Schale lastet der Himmel auf dem bleigrauen Meere. Nur die Fliigel der Moven, die Brecher der Seen und die Bran- dung an der Kiiste schimmern weiB in diesem Grau aller Schattierungen. Der Wind pfeift in den Masten und Aufbauten; liber das gevvolbte Vorderdeck schaumen die Seen bis zu den Schlo- ten. Jedesmal, wenn der „DreiBiger“ seine Nase etwas tiefer in einen herankommenden Wellen- berg steckt, hore ich hinter mir lasterliches Flu- chen. Es ist unser Koch, der den nicht sehr aus- sichtsreichen Versuch unternimmt, auf seinem Miniaturherde beim vorderen Schlot unser Mit- tagessen zu bereiten. Manchmal sieht er aus wie ein Seiltanzer, wenn er, einen Topf in jeder Hand, liber das schmale Deck balanciert. Ich stehe neben dem Kommandoturme, einen Meter ober Wasser, und halte mich am Karten- tische fest. Trotz Wasserstiefeln, Olmantel und Stopfbiichse — einem moglichst fest um den Hals gewundenen Handtuch — rinnt mir das Salzwasser an der Haut herunter. Auf der Bank 126 neben mir sitzt, unberiihrt vom Toben der Ele¬ mente, „Kondor“, der Flottillenhund, ein kleiner, schwarzer Koter giinzlich unbestimmbarer Rasse. Leicht geargert, aber doch interessiert, blickt er um sich und empfangt jede Welle mit einem kurzen, verachtlichen GeklafT. Ich begreife nicht, \vie er es fertigbringt, bei diesem Seegang so ruhig auf der Bank zu sitzen. Unsere gesamte Mannschaft — siebzehn an der Zahl — vergot- tert ihn, denn er hat fast alle Eigenschaften, die man von einem Hunde verlangen kann. Er ist in- telligent, \vitzig und jederzeit spielbereit, nur treu und wachsam ist er nicht. Er hat auch kei- nen festen Wohnsitz, sondern quartiert sich nach Laune fiir Tage oder Wochen auf irgendeinem Boote der Flottille ein. Vom achteren Niedergange her nahert sich eine vermummte Gestalt. Der Kommandant iiber- nimmt die Wache. Diese Zeremonie vollzieht sich ungefahr folgendermaBen: „Herr Kommandant, meoasams (ich melde ge- horsamst), Kurs 120 auf San Giovanni in Pe- lago.“ „Verdammtes Sauwetter!“ „Jawohl, Sauwetter!“ „Also, geh essen jetzt!“ In der Messe lasse ich mich von der Ordonnanz wie eine Zwiebel aus meinen zahlreichen Um- hiillungen schalen. Was \vir stolz als „Messe“ be- zeichnen, ist ein Raum von ungefahr vier Metern Lange und drei Metern Breite, den ein Tisch, zwei 127 Lederbanke und zwei Schriinke vollstandig aus- fiillen. Am Tische \vird gegessen und auf den Banken geschlafen. Kabinen gibt’s natiirlich keine, und ein Waschraum von unvorstellbarer Winzigkeit vervollstandigt die Privatraume des Stabes, bestehend aus dem Kommandanten und dem Zvveiten Offizier. Das also war Seiner Majestat Torpedoboot „XXX“, dessen Zweiter Offizier ich zu sein die Ehre hatte. Das „Torpedoboot“ war Hochsta- pelei, weil wir gar keine Torpedos an Bord hat- ten. Der ,,Dreifiiger“ war einstmals ein Torpedo¬ boot ge\vesen, jetzt aber waren wir ein be- scheidenes Minensuchboot, dazu bestimmt, mit einem Artgenossen von Heck zu Heck durch ein Stahldrahttau verbunden, vor einer SchifTs- abteilung daherzufahren. In besagtem Drahttau sollten sich die Minen fangen, die der bose Feind gelegt hatte. AuBer zu unseren militarischen Aufgaben, wie Fangergeschirrfahren, Minenab- schleppen und -sprengen, wurden wir noch zu einer Reihe anderer Dienste verwendet und wa- ren im Verein mit unserem Zwillingsbruder, dem ,,ZweiunddreiBiger“, in der Eskader die Madchen fiir alles. Wir schleppten Scheiben, holten Post und Proviant und ahnliches mehr. Wir wurden weidlich geschunden im Eskader- dienst. Wenn wir auch keine uberragend wich- tigen Aufgaben zu erfiillen hatten, waren doch dem Kommandanten und, wenn er in See Wache hatte, auch dem Zweiten Offizier das 128 Wohl und Wehe des Bootes und seiner Mann- schaft bedingungslos anvertraut. Ich glaube nicht, dafl es noch einen anderen Beruf gibt, der so junge Menschen vor so ernste Verantwortungen stellt. Es war kein stolzes und auch kein komfor- tables Dasein, aber es hatte viele Vorteile. Im Hafen band man das Boot, fernab von gestrengen Admiralsaugen, in irgendeinem Winkel an und konnte eigentlich tun, \vas man wollte. Es gab keine Deckwache, keinen Mannschaftsunterricht und kein Bitten um Landgang. Dieses Leben war giinzlich unmilitarisch und schon darum be- sonders erstrebenswert. Dazu kam noch der rasche VVechsel, der vollige Umbau der Szene, der unseren Beruf im allgemeinen und das Zi- geunerleben in der Flottille im besonderen so reizvoll machte. \Vie schon war es nach einigen Tagen See- fahrt, die auf unserer winzigen Blechschachtel wahrlich kein Vergniigen war, am VVellenbrecher von Brioni in Vertauung zu gehen! Wahrend man in der Waschkammer mit er\vartungsfroher Energie der obligaten Schicht aus Kohle, Ol und Salz zuleibe ging, drangen vom Hotel „Carmen“ die gediimpften Kliinge eines Walzers heriiber. Durch die Luke sah man auf der Seeterrasse bei roten Lampenschirmen die hellen Abendkleider der Frauen. Es gab aber auch friedliche Fahrten voli be- haglicher Idylle, wenn man sich nach getaner 9 Kunsti, Strand 129 Arbeit zwischen den Inseln und durch die Ka¬ nale dem Hafen zuschlangelte. Prali und gemiitlich liegt die Sonne auf der olglatten See. Einschlafernd stampft die Ma- schine, rauscht die Welle am Bug; wenn wir nahe unter Land fahren, hort man ihr leises Platschern und Gurgeln in den Kliiften und Zacken des felsigen Strandes. Die Stimmung am Boote entspricht dem scho- nen Wetter und der Erwartung des nahen Ilafens. Das Deck ist belebt: einer hockt mit Farbtopf und Pinsel am Vorderdeck und bessert mit liebe- voller Hingebung und viel zuviel Farbe den An- stricli aus. Ein anderer bearbeitet mit Putzwolle und Fett den VerschluB einer 47-mm-Kanone, die im Verein mit einer zweiten unsere gesamte Artilleriemacht darstellt. Aus der Maschinenluke taucht ein schvvarzes, zahnefletschendes Unge- heuer auf. Es ist der Kopf des Heizers, der grin- send nach frischer Luft schnappt. Ich sitze, sehr mangelhaft bekleidet, auf der kleinen Bank hinter dem Kommandoturme, blicke in den blauen Himmel und atme den Duft •• , von Meer, Macchie und eines frischgefangenen Branzins, der hinter mir in der Pfanne schmort. Weit davon entfernt, diese kostlichen Dinge nach Gebiihr zu wiirdigen, denke ich dariiber nach, * \vie viele Vordermanner ich bis zum nachsten Avancement habe, von wem ich mir bis zum Ersten zehn Kronen ausleihen konnte und wie ich nach dem Einlaufen in Lussin am schnellsten 130 nach Cigale komme. Denn dort wohnt Erzsi, ein wundervolles Madchen aus Budapest. Das grelle Strahlen der Sonne hat sich allmah- lich in sanftblaues Leuchten verwandelt, und am westlichen Himmel beginnt der Kampf der Far- ben vom grellen Gelb bis zum satten Violett. Dunkler und scharfer werden die Silhouetten der Inseln, die Luft ist klar und durchsichtig wie Glas. Der erste Štern blitzt auf und schon blin- ken geschaftig, rot, weiB und griin, die Leucht- feuer an der Kiiste, von der manchmal ein leiser Windhauch den siiBen Duft von bliihendem Gin- ster heriibertragt. Fischerboote gleiten nahe an uns vorbei. Die •braunen Segel hiingen schlafT an den Masten und eintonig klingt der Gesang der Manner, die ste- hend die schweren Ruder bedienen. Wir begrii- Ben sie mit dem iiblichen, langgezogenen Ruf: „Imate ribe?“ (Habt ihr Fische?) — „Imamo da!“ (Ja, wir haben welche!), kommt der GruB zu- riick, dann verschwinden sie in der Dammerung. Wir haben Kurs auf das Feuer von Mortar, dann wenden wir in die Bucht. Freundlich und verheiBungsvoll, in sanftem Bogen aufgereiht, begriiBen uns die Lichter von Lussinpiccolo. Wir kannten die Inseln Dalmatiens nicht nur von militarisch-maritimen Gesichtspunkten zahl- loser Fahrten und Gefechtsiibungen, sondern wir betrachteten sie als unseren ureigensten Besitz, wahrscheinlich darum, \veil sich ja doch sonst niemand um sie kummerte. Wir fiihlten uns in 9 * 131 einer Art HaBliebe mit ihnen verbunden und vertrugen uns mit ihren Bewohnern weit besser als mit der Bevolkerung in den groBeren Hafen- stiidten. Der Pfarrer von Curzola, bei dem es das gute Essen gab, \var unser Freund. In Orebič, dem Ruhesitz der alten Handelskapitiine, bekam man den besten Refosco und in Lissa ofTneten sich uns die gastlichen Hauser der Dojmi und Topič. Es gab aber auch Hafen und Buchten, die so gottverlassen \varen, daB es groBter Phantasie bedurfte, um die Zeit irgend\vie totzuschlagen. Da muBten dann oft die Bootshunde herhalten. Man versammelte zum Beispiel die ganze Flot- tillenmeute am Molo und band jedem Hund einen Luftballon an den Schwanz. Die Aiifregung war unbeschreiblich, die R^eaktion verschieden. Einige sprangen unter lautem Gebell in die Hohe, um den Ballon zu fangen, was begreiflichervveise nicht gelang, andere rannten in Karriere davon. Unser guter „Kondor“ lieB sich nichts vor- machen. Seelenruhig zerbiB er die Schnur und blickte der entsch\vindenden roten Kugel mit iiberlegenem Hohne nach. Ich erinnere mich auch an ein groBes Hunde- wettrennen am Molo von Sebenico. Die Konkur- renten sind in einer Reihe aufgestellt und wer- . den von ihren Herren gehalten. Hundert Schritte weiter befindet sich das Ziel in Gestalt einer Extrawurst, die eine Ordonnanz verlockend hin und her schwingt. „Flick“, ein uralter, fetter 132 Spitz, der sich das Laufen schon lange abge- wohnt hatte, steht ebenfalls am Start, mitleidig belachelt von den Besitzern der jungen Genera- tion. Die Wetten sind abgeschlossen, der Start ist gegliickt und das Feld schieBt davon. „Flick“ trottet gemiitlich hinterdrein. Da flitzt eine er- schreckte Katze quer liber die Bahn. Die Wurst ist vergessen, die ganze Meute jagt hinter dem Todfeind her. Nur ,,Flick“, der Philosoph, liiBt sich nicht beirren. Langsam und gemachlich be- gibt er sich zur Wurst und ge\vinnt das Rennen. Abends versammelte man sich dann auf einem der Boote und vertilgte „Patina“, den Dalmatiner Rotvvein, in betrachtlichen Mengen. Und nun wird darauflosphilosophiert, debat- tiert und gestritten, um so mehr, je weniger Sor- gen wir hatten. Wir schimpfen liber unseren Be- ruf im allgemeinen und unsere Marine in beson- deren, werden poetisch und sentimenta!, was durch die groBe Menge Alkohol und den volligen Mangel an Weiblichkeit zu erklaren ist. Von den SchifTen ertonen die getragenen Klange der Retraite, Mond und Sterne spiegeln sich zitternd im tiefschwarzen Wasser. Das war ein Jahr vor dem Kriege. Mit keinem Gedanken dachten \vir daran, daB diese Inseln und Iviisten einmal nicht uns gehoren konnten und daB es dieses Leben, das trotz aller Be- schriinkung und Einfachheit ein Herrenleben war, nicht mehr geben solite. Das letzte Jahr Es \var cine merkwiirdige Zeit, dieses letzte Jahr vor dem Kriege. Es brachte den gewalt- samen Tod einer Geschichtsepoche, deren natiir- licher Ablauf noch nicht erreicht \var. Die dar- auffolgende hat, ebenso gewaltsam, mit einer heute noch unbegreiflichen Raschheit und Griind- lichkeit das Bild der Welt gewandelt. In meiner Erinnerung tragt gerade das letzte Jahr besonders deutlich die Merkmale dieser zum Tode verurteilten Zeit. Sie kannte, an heuti- gen Verhaltnissen gemessen, trotz aller Dissonan- zen im „europaischen Konzert“, trotz Parlaments- raufereien und nationalen StraBentafeldebatten eigentlich keine Sorgen. An den gefahrlichen Sturmzeichen der unhaltbaren sozialen Zustande sah man geflissentlich vorbei und zufolge des allen Dingen innewohnenden Beharrungsvermo- gens ging „alles von selbst“. Jedenfalls hatte nie- mand auch nur eine leise Vorstellung davon, was es bedeuten wiirde, wenn dieses schone Gleichgewicht einmal ernstlich gestort wiirde. Im kleineren Gesichts\vinkel unseres unbe- kummerten Daseins zeigte sich diese Welt von ihren besten Seiten. 134 Es \var die Zeit des Walzers und der Operette, der bunten Uniformen und rauschenden Balle, die Zeit, in der jeder wuBte, daB er wenig Geld habe, dieses jedoch sicher, aber niemand, was ein Abgebauter, ein Arbeitsloser oder ein Visum sei. Es war die Zeit des Glanzes der Haupt- und Residenzstadt Wien, wo es eben nur „a Kaiserstadt, a Wean“ gegeben hat, Wunschtraum aller Angehorigen der Armee und Marine. Wenn wir auf Urlaub kamen, wurden wir in einer fast unerklarlichen Weise verwohnt. Ein Flotten- verein nahm sich fiirsorglich unser an, man „trug Marine“ und schmiickte seine Salons mit Flottenrocken. Wir alte waren Reiter iiber den Bodensee, aber wir ritten frohlich und waren guter Dinge. Damals hatte es sich in der Monarchie schon herumgesprochen, daB man, um ans Meer zu fahren, nicht mehr nach Italien oder an die Riviera reisen miisse, sondern ebensogut in Ab- bazia, Brioni, Grado und Lussin baden und in der Sonne liegen konne. Auch in Pola gab es wahrend der Regatten des k. u. k. Jachtgeschwa- ders schon so etvvas wie eine ,,Saison“. Das neuervvachte Interesse des Hinterlandes fur Kiiste und Seefahrt, das \vachsende Verstand- nis fiir die Seegeltung einer GroBmacht, vor allem aber das starke und tatkraftige Interesse des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand — kurz, aber bedeutsam ,,FF“ genannt — hatte die k. u. k. Flotte in den letzten Jahren zu einem 135 Machtfaktor gemacht, mit dem die Welt rechnen muBte. Noch im Jahre 1914 war S. M. S. „Szent Istvdn“ als letztes einer Klasse von vier moder- nen GroBkampfschifTen vom Stapel gelaufen. Wir besaBen eine Anzahl moderner, kleiner Kreuzer, Zerstorer und Torpedoboote. Sogar zum Ankauf und Bau von Unterseebooten und See- flugzeugen hatte man sich entschlossen. Immer zahlreichere Besuche hoher und hoch- ster Herrschaften, fremder Eskadern und Kriegs- schifTe gaben Gelegenheit zu Flottenparaden und Empfiingen auf hoher See, bei denen sich das alt- ehrwiirdige Seezeremoniell als Meister der Regie ervvies und auf der groBen Biihne des Meeres un- vergeBliche Bilder voli festlicher Bewegung und leuchtender Farbenpracht schuf. Eine der letzten Kundgebungen des Drei- bundes, an dessen Haltbarkeit wir nie ernstlich geglaubt hatten, war der Besuch Kaiser Wil- helms II. in Italien und die darauffolgende Be- gegnung mit Erzherzog Franz Ferdinand in Mi- ramar. In zwei langen Linien, von Miramar bis Bar- cola, liegt die Eskader im Golf von Triest. Der Himmel ist verhiingt, ab und zu braust eine Regenboe daher. Plotzlich aber, wie auf ein Zei- chen des Biihneninspizienten, reiBt der graue Vorhang auseinander und strahlende Sonne liegt iiber dem Golf. Sie glanzt an den weiBen Mauern des kaiserlichen Schlosses, laBt den grauen Spie¬ gel des Meeres hellblau aufleuchten und schim- 136 mert in den Mauern und Dachern der Stadt. Da tauchen auch schon die Masten und der weiBe Bug der „Hohenzollern“ aus dem Horizont. Auf den SchifTen fliegt die groBe Flaggengala empor, Hornsignale schmettern und die Mannschaft tritt zum Relingsalut an. Die „Hohenzollern“ hat die Fahrt verlangsamt und steuert zwischen den bei- den Linien der SchifTe. Auf einer erhohten Plattform liber der Kom- mandobriicke steht allein und unbeweglich, gleichsam sein eigenes Denkmal, Wilhelm II., Imperator-Rex, Beherrscher des, wenn nicht stiirksten, so doch gefiirchtetsten Reiches der Welt. Wie Weihrauch steigt der Pulverdampf der salutierenden Geschiitze zum Himmel. Die Luft erzittert in einem unbeschreiblichen Chaos von Tonen. In das Rauschen der Hymnen und Brausen der Hurrarufe schmettern, von Schifl* zu SchifT iibernommen, der Generalmarsch und der Salut der Geschiitze. HinreiBend und immer \vieder ergreifend, trotz aller grausamen Dissonanzen, ist dieses charakteristische altoster- reichische Klanggemisch. In den Rahmen dieser Zeit fiigt sich sinnvoll ein anderes Bild meiner Erinnerung. Ein weiBes Haus aus roh behauenen Steinen in einem klei- nen Garten, irgendvvo am Strande eines istriani- schen Fischerdorfes. Auf den Fliesen der Tiir sitzen drei junge Madchen und singen zur Laute. Vom Strand her tont leise und regelmaBig das Platschern der Wellen. 137 Ich habe \vahrend dieses letzten Jahres in dem kleinen Hause am Strande viele frohliche und sicher die friedlichsten und sorglosesten Stunden meines Lebens verbracht. Ihm verdanke ich eine sehr liebe Erinnerung und z\vei Wochen Bord- arrest, denn eines Sonntags — ich war damals Horer des Seeminen- und Telegraphenkurses in Pola — solite mir eine stolze Auszeichnung, das Erinnerungskreuz fiir die Mobilisierung 1912/13, iiberreicht werden. Ich war zu diesem feierlichen Akte nicht erschienen und so stellte man fest, daB ich strafbarerweise ohne Erlaubnis den Garni- sonsort verlassen hatte. Mai 1914! Noch einmal vvehten festlich die Flaggen, rollte der Salut der Geschutze iiber die See. Im Hafen von Triest begriiBt die k. u. k. Es¬ kader ein einlaufendes Gesclrvvader der engli- schen Mittelmeerflotte. Noch einmal lebte fiir uns der Glanz dieser sterbenden Zeit auf. Kein Tag verging ohne Bali, Gartenfest oder Reunion auf einem der SchifTe. Wir machten Ausfliige, spielten Tennis mit un- seren englischen Kameraden; der Verbriiderung und des Whiskys war kein Ende. Acht Wochen spater steuerte unsere Flotte, „KlarschifT zum Gefecht“, zur Aufnahme der von den Englandern gejagten deutschen Kreuzer „Goeben“ und „Breslau“ die Adria hinunter. Nur dem Umstande, daB der Durchbruch der beiden SchifTe nach Konstantinopel gliickte, \var es zu- zuschreiben, daB es nicht zu einem unverhofift 138 friihen VViedersehen mit unseren englischen Freunden gekommen ist. Damals aber gingen die Feste weiter. Ich ent- sinne mich einer kleinen Geschichte, die fiir eng¬ lischen Humor bezeichnend ist. Nach einem Empfang auf dem Schlachtkreuzer ,,Indomitable“ besichtigten wir das SchifT. In unserer Gesell- schaft befand sich der Kommandant eines un¬ serer Torpedoboote mit seiner Frau. Als \vir zu den Torpedobootabwehrgeschiitzen kamen, wen- dete sich der „Lieutenant“, der uns fiihrte, zu der jungen Frau, deutete zuerst auf eines der Ge- schiitze, dann auf den Gatten und sprach listig schmunzelnd: „Look here! That’s to kili him!“ Damals war ich Zweiter Offizier am „Drei8iger“. Nach lieber Gewohnheit hatten \vir uns irgendwo zwischen Trabakeln und Tendern versteckt und konnten uns so die langste Zeit ungestort den Freuden des Daseins hingeben. Eines Tages war aber doch ein Motorboot des Flaggenschiffes zu uns vorgedrungen und hatte den Befehl iiber- bracht, morgen auf der Hohe von Salvore die terminmaBigen SchieBiibungen durchzufiihren. Dies war weiter nicht tragisch und wir beschlos- sen, das Angenehme mit dem Niitzlichen zu ver- binden. Zu diesem Zvvecke luden wir einige Gaste zu einer Friihlingsfahrt an die istrianische Kiiste, was naturlich strengstens verboten war. Gegen Abend liefen wir wieder in Triest ein, nachdem wir unsere Gaste, die durchwegs weiblichen Ge- schlechtes waren, sorgsam unter Deck verstaut % 139 hatten. Wir setzten eben zum Vertaumanover an, als driiben auf dem FlaggenschifT, sch\ver aus- nehmbar in der volligen Windstille des Abends, ein kurzes Signal hochging. „Tb ,30‘, 5“, ,,Tor- pedoboot ,30‘ Preidistanz“. Dies bedeutet, daB sich ein so angerufenes SchifT dem signalisieren- den auf Sprechvveite zu nahern habe. Ich habe mir dieses Signal sehr gut gemerkt, denn es bezeichnet mit absoluter Genauigkeit den AbschluB des unbekummerten Lebens in den Tag und den Beginn eines anderen, uber dem auch in seinen besten Zeiten immer der Ernst des Krieges oder der Druck der Nachkriegszeit Iag. tWir gingen also auf „Preidistanz“ des „Viribus Unitis“. Vom achteren Freideck aus teilte uns ein Flaggenleutnant durch das Megaphon, fri- volerweise auch „Zusatzpappen“ genannt, den Befehl des Eskaderkommandos mit: ,,Sofort nach Pola auslaufen, Kohle, Proviant erganzen, dann nach Durazzo abgehen, weitere Befehle vom Kreuzerflottillenkommando in Durazzo.“ „Verstanden!“ brullte ich zuriick. „Ganze Kraft vorwarts!“ „Ganz backbord!“ Nach wenigen Minuten ist Triest samt Hotel Exzelsior, Bona via und Caf6 Specchi samt Ball- festen, Englandern und Whisky-Soda nur mehr ein weiBlicher Dunst, aus dem die Masten der SchifTe und die in der Abendsonne rosig glanzen- den Hiinge des Monte Opcina herausragen. 140 Vor allem galt es, den netten Madchen, die unten in der Messe ihrer Befreiung harrten, klar- zumachen, daB sie nicht den Armen ihrer Fa- milien entgegeneilten, sondern mit uns nach Pola fuhren. Dies gelang und es gelang auch die schwierige AusschifTung am Kohlenmolo in Pola und die Instradierung unserer holden Fracht per Bahn nach Triest. Drei Tage spater ankerten wir vor Durazzo. Was jetzt kam, war noch nicht der Ernst, es war sogar das Gegenteil davon. Trotzdem unterschie- den sich diese Wochen, die letzten vor dem Drama in Sarajevo, sehr \vesentlich von den fest- lichen Tagen in Triest. Operette in Albanien Die europaischen Machte hatten es — warum, weiB ich nicht mehr — fiir gut befunden, Al¬ banien, von dem die meisten Europiier mit Recht nur sehr dunkle Vorstellungen hatten, zu einem selbstandigen Fiirstentum zu machen, und den Fiirsten von Wied mit diesem nicht sehr dank- baren Geschafte betraut. Um nun den Albanern, die von dieser Rangerhohung nicht sonderlich erbaut waren, die richtige Begeisterung fiir ihren neuen Fursten beizubringen und um wieder ein- mal die Einigkeit und den unerschiitterlichen Friedenswillen der Machte darzutun, hatte man sich zu einer internationalen Flottendemonstra- tion entschlossen. Die SchilTe Osterreich-Ungarns, Englands, Deutschlands, Italiens, Frankreichs und RuBlands lagen vor Durazzo, der Residenz, 0 und so \veit ihre Geschiitze reichten, reichte auch die Macht des Fursten von Albanien. Der alte Konak auf dem Hauptplatz \var von einer Wiener Firma mit osterreichischem Gelde sehr geschmackvoll eingerichtet worden und es war eigentlich alles vorhanden, \vas man fiir ein Balkanfiirstentum und eine Operette im Theater an der Wien brauchte: ein Palais, eine Staats- 142 flagge —•* den roten Adler auf schwarzem Grunde — einen* Hausorden — den Skanderbeg-Orden I — Gesandte, Fliigeladjutanten und Hofdamen. Nur Untertanen hatte man keine. Diesem immer- hin storenden Mangel suchte man dadurch abzu- helfen, daB man mit Geld und guten Worten die alte Feindschaft der einzelnen Albanerstamme untereinander neu belebte und aus diesen Gegen- satzen heraus ein regierungstreues albanisches Volk schuf. Die Einstellung der Machte zum neuen Fiirstentum war ungefahr die, da8 die Mon- archie und Deutschland es unterstiitzten, Italien es ablehnte und daB England, Frankreich und RuBland sich passiv verhielten. Die Bucht von Durazzo ist sehr seicht und so muBten die SchifTe weit drauBen in See ankern. Aufgabe des „DreiBigers“ mit seinem geringen Tiefgang war es, moglichst nahe unter Land vor Anker zu liegen, die Vorgange in der Stadt zu beobachten und den Verkehr mit S. M. S. „St. Georg“, dem Vertreter der Monarchie in der internationalen Eskader, aufrechtzuerhalten. Vier Wochen lagen \vir Tag und Nacht unter Dampf. Da die Bucht von Durazzo auch noch die angenehme Eigenschaft hat, von Siiden bis We- sten, der Anmarschrichtung der schweren Mittel- meerseen, offen zu sein, rollten wir wahrend die- ser vier Wochen fast ohne Unterbrechung von einer Dollbordsleiste zur anderen. Zu diesen An- nehmlichkeiten kam noch, daB es in Durazzo, 143 auBer groBen Mengen von Hiihnern, keine fri- schen Nahrungsmittel gab. Dem Mangel an Eis muBten wir dadurch abhelfen, daB \vir die Hiihnerleichen in Strohkorben am Maste hiBten und im Seegang hin und her baumeln lieBen. So hatten sie \venigstens frische Luft. Da der neue Fiirst iiber keine regularen Trup- pen verfiigte, hatten die SchifTe zur Bewachung des Palastes und der Gesandtschaften, vor allem aber zur gegenseitigen Ubervvachung, Detache- ments ausgeschifTt. Das MiBtrauen der Machte untereinander und die damit verbundene Ner- vositat war unbeschreiblich. Wenn irgendwo in der Stadt sich ein paar albanische Strolche unter groBem Geschrei balgten, lichteten wir Hals iiber Kopf Anker und rasten zum „St. Georg“, um unseren Admiral moglichst vor den anderen ans Land zu bringen. Die anderen Nationen taten dasselbe, und so fanden fast taglich solche un- frehvillige Admiralsbegegnungen statt. Eines Nachts wurden wir durch eine SchieBerei aus dem Schlafe geweckt, die bald zu regelrechtem Schlachtenlarm ausartete. Die Admirale rasten ans Land, Maschinenge\vehre knatterten, Leucht- kugeln stiegen, und als man am nachsten Mor- gen das Schlachtfeld absuchte, fand man in einem Gebiisch den von hunderten Geschossen durch- bohrten Leichnam eines Ochsen. Der "VViderstand der Aufstandischen, so nannte man diejenigen, die entweder gar keinen oder lieber einen anderen Fiirsten gehabt hatten, hatte 144 sich verstarkt. Sie hatten sich im Raume von Tirana versammelt und riickten von dort aus gegen die Stellungen der Regierungstruppen vor, deren ganze Macht aus einigen tausend Albanern und einem bunten Gemisch von Abenteurern aus aller Herren Landern bestand. Die Stadt ist durch weite Sumpfgebiete vom Hinterland getrennt und nur iiber einen schmalen Landriicken z\vischen der Bucht und den Siimpfen zu erreichen. Wir lagen ganz nahe unter Land und konnten die Kampfe wie aus einer Loge im Theater beob- achten. Bald grifTen die Aufstandischen unter lautem Geschrei und wehenden Fahnen an. Wie sie aber in den Bereich der Batterien von Du- razzo kamen, rollten sie die Fahnen zusammen und rannten zurtick. Dann wieder entfalteten die Regierungstruppen das schwarz-rote Banner und gingen zum Angriff iiber, der aber auch nie iiber die Reichvveite der Geschiitze hinauskam. Da die SchifTe den Auftrag hatten, erst dann einzu- greifen, wenn die Aufstandischen in die Stadt selbst eindrangen, kam bei diesen Kampfen na- tiirlich nichts heraus. Langsam gewohnte man sich an diesen Zu- stand. Das Fiirstenpaar besuchte die SchifTe, empfing Abordnungen und fremde Delegationen und verlieh den Skanderbegorden. Wenn wir hin und wieder bei einem Spaziergange durch die Stadt, wenn man diesen trostlosen Steinhaufen so nennen konnte, der fiirstlichen Karosse be- gegneten, stellten wir uns hinter eine Ecke und 10 Kunsti, Strand 145 briillten „Mbroft, Mbret“, was auf albanisch „Es lebe der Fiirst“ bedeutet. Am nachsten Tag konnte man dann in den Wiener Zeitungen die Nachricht lesen, dafi der Fiirst gelegentlich einer Ausfahrt durch die Stadt Gegenstand begeisterter Ovationen der Bevolkerung gewesen sei. Sonntag nachmittags spielten die SchifTs- kapellen abwechselnd im Garten des fiirstlichen Schlosses. Ilofdamen und Offiziere promenierten unter den Ivlangen der „Lustigen Witwe“. Wenn der Kinderwagen mit dem Prinzen Skanderbeg, dem zweijahrigen Thronfolger, aus dem Schlosse in den Garten geschoben wurde, trat die Wache unter das Gewehr. Diskret, aber doch wirksam tonte von der „Front“ das Knattern der Gewehre. Man wartete formlich auf das Auftrittslied des Tenors oder der Diva. Die Schiisse von Sarajevo bereiteten der Ope- rette in Albanien ein vorzeitiges Ende. Sie loste sich auf. Ein SchifT nach dem anderen lichtete sang- und klanglos, meistens des Nachts, die Anker. Dann folgten Gesandte, Fliigeladjutanten, Hofdamen und zum Schlusse der Fiirst und die Fiirstin. Das Schicksal liebt starke Kontraste. Der Ko- modie von Durazzo folgt das erschiitternde Trauerspiel in der Adria. Die k. u. k. Flotte gibt dem toten Thronfolger und seiner Gattin, gibt ihrem Admiral das letzte Geleite. 146 Auf dem achteren Freidecke des „Viribus Unitis“ ruhen, unter einem Meer von Blumen und Kranzen, mit der rot-weiB-roten Flagge bedeckt, die beiden Katafalke. In langsamer Fahrt steuert die Flotte im Kielvvasser des FlaggenschifTes die Adria hinauf. Tausende von Menschen stehen an der Kiiste und sinken in die Knie, wenn die % * Schiffe, mit der Flagge auf Halbtopp, langsam vorbeiziehen \vie stumme Racher und graue Vor- boten kommenden Unheils. Am dritten Urlaubstag erhielt ich den Einriik- kungsbefelil. Die StraBen zum Bahnhofe waren voli singender, jubelnder Menschen. DaB der Ausbruch eines Krieges AnlaB zu Bewegung, Auf- regung und Begeisterung sein konne, verstand ich; den Jubel aber begriff ich schon damals nicht ganz. Die groBe Maschine des Krieges hatte zu ar- beiten begonnen. Auf dem Bahnhof ergriff sie fiir vier Jahre Besitz von mir. Der mannliche Teil der Menschheit bestand nur mehr aus Uni¬ formen, der weibliche zunachst aus Kranken- schwestern und Labedamen. Meine erste Begeg- nung mit dem Kriege war dann auch der An- sturm einer Schar tatkraftiger Madchen, die mich unbedingt mit Zwieback und sclrvvarzem Kaffee erquicken wollten. Wiihrend der Fahrt nach Pola hatte ich hin- reichend Zeit, Betrachtungen iiber die Situation 10* # 147 anzustellen, und mu8 gestehen, daB ich mir iiber ihre Tragweite keines\vegs im klaren war. Ich bin geneigt, zu glauben, daB ich damals die- ses Schicksal mit den GroBen und VerantvvorD lichen der Welt geteilt habe. Jedenfalls war ich fest iiberzeugt, daB ich in einigen VVochen meinen unterbrochenen Urlaub als ruhmbedeckter Held werde fortsetzen konnen. Am Morgen vor der Ankunft in Pola wartete ich gewohnheitsma8ig beim Fenster des Abteils auf die Wendung des Zuges, die, wie ein auf- rollender Vorhang, plotzlich wieder den Blick auf das Meer freigibt. Ich war gewohnt, dieses Bild mit der argerlichen Vertrautheit des ein- riickenden Urlaubers zu begrtiBen. Damals aber stieg einen Augenblick lang die dunkle Ahnung in mir auf, daB es sich um mehr handeln konnte als um den „Kriegsfall B“, „1“ oder „A“, daB es vielleicht um dieses Meer gehen werde, um diese Inseln und um den heimatlichen Strand. Seeflieger » Die „Flotten-Flugabteilung Kumbor“ in der Bocche di Cattaro bestand zu Beginn des Krieges aus zwei Zelten, in denen die Flugzeuge — drei an der Zahl — untergebracht waren, einem sehr behelfsmafiigen Stapel, um die Apparate ins Wasser zu bringen, und einer winzigen Holz- baracke, der sogenannten Messe. Militarisch be- trachtet war also unsere Station nicht sehr impo- sant, dafiir war sie aber reizend gelegen. In- mitten eines Olhaines, der vom Steilabhange der Berge sanft zur Spitze Gjenovič abfiel, hatten wir unsere Zelte aufgeschlagen. Wenn ein starker Windsto6 kam, flogen sie davon, und die Flug¬ zeuge kugelten durcheinander, was ihnen keines- wegs forderlich war. Die Unterbringung im Ar- senal in Teodo war nicht moglich gewesen, da bis dorthin die montenegrinischen Batterien des Lovčen reichten. Wir fiihrten einen recht eigentiimlichen Krieg in diesen ersten Monaten. Wenn Wetter und Flugzeuge es gestatteten, unternahmen wir Auf- klarungsfliige iiber die montenegrinischen Stel- lungen und in den Seeraum von Ragusa bis zum Drin-Golf. Sonst lagen wir am Strande, fischten, 149 gingen spazieren und sahen dem Artillerieduell zwischen dem Lovčen und unseren Forts auf dem Vermač-Sattel zu. Eines Tages kam aber doch die erste Begeg- nung mit dem riclitigen Feind. „Rauchwolken im Feld 6 C“, meldete die Si- gnalstation Obostnik. Nach der Karte war das ungefahr 20 Seemeilen westlich von Antivari. Zehn Minuten spater passiert Seeflugzeug ,,E 33“ mit Siidkurs die Spitze Ostro. Wir fliegen mit Vollgas, um Hohe zu gewinnen, und belauschen gespannt den Motor. Im Anfang des Krieges war der eigene Motor ein viel ge- fahrlicherer Feind als die Abwehrgeschiitze und Jagdflieger des Gegners. Es ist klares Borawetter, und unser „Dreiund- drei8iger“ bockt und stoBt in den Boen. Das Meer unter uns sieht aus wie ein riesiger blauer Acker, in dem die kurzen Boraseen gleichmaBig Furchen ziehen. Wir steigen, und immer rascher ofTnen sich die Buchten des siidlichsten Zipfels Dalmatiens. Mit dem „Auge Gottes“ — so nann- ten wir die groBen Zeiss-Doppelfernglaser — suche ich krampfhaft den Horizont ab. Jetzt habe ich sie! Weit drauBen an der Kimm hangt ein sch\vacher, dunkler Strich. Der Pilot be- kommt einen „Renner“, mit der Hand gebe ich den Kurs an. Der dunkle Strich vervvandelt sich in einen breiten, grauen Rauchschwaden, und in einigen Minuten steht es fest: es sind mindestens zehn Einheiten, die in Kielwasserlinie nordlichen 150 Kurs steuern. Das also ist der Feind! Es ist nicht zu glauben, wie sch\ver es im Anfang ist, aus der Luft die GroBe von SchifTen zu beurteilen. Jetzt sind wir so nahe, daB ich Masten, Schlote und Aufbauten unterscheiden kann. Silhouettentafel heraus und verglichen! Was da unten in langer Kielvvasserlinie, gesichert von einem Kranze von Kreuzern und Zerstorern, gegen die Bocche steuert, ist der Kern der franzosischen Schlacht- flotte. Ich erkenne zwei Dreadnoughts, Typ „Jean Bart“, fiinf „Patrie“ und fiinf „Danton“. Wir sind 2000 Meter hoch und beschlieBen an- zugreifen. Das ist zwar nicht sehr gefahrlich, aber doch das Diimmste, was man in diesem Falle tun kann. Immerhin ist es ein erhebendes BevvuBtsein, daB zwei k. u. k. Fregattenleutnants die Schlachtflotte Frankreichs bekriegen. Unsere BewafTnung besteht aus zwei Steyr- pistolen und vier Bomben, die wir uns mit viel Liebe aus Konservenbiichsen und Sprengpatronen selbst verfertigt hatten. Wir sausen, Hohensteuer vorgedriickt, mit Vollgas auf das Flaggenschiff los. Ich erkenne die riesigen Trikoloren an den Masten, und jetzt haben auch sie uns bemerkt. Die Kielvvasserlinie lost sich auf, einzeln brechen die Schiffe aus und ziehen Kreise. Ich bin selbst erstaunt iiber diesen unerwarteten Erfolg. Miin- dungsfeuer blitzt auf, und rings um uns hiingen die kleinen wei8en Rauchballe der Schrapnells in der Luft. Wir drehen auf und steuern im Parallelkurse das Flaggenschiff an. Mit dem vor- 151 gestreckten Arm schatze ich den Vorhaltwinkel und dann sausen unsere „Bomben“ auf den Feind. Ober ihr Schicksal ist mir nichts bekannt- geworden und ich fiirchte sehr, daB sie gar nicht explodiert sind. Ich richte noch ein verheerendes Feuer aus den beiden Steyrpistolen auf den Feind, dann brechen \vir die unentschiedene Schlacht ab und nehmen Kurs auf die Bocche. Die Kriegserklarung Italiens hatte auch dem Krieg in der Bocche ein anderes Aussehen ge- geben. Die Tage vor und nach dem Mai 1915 waren eine scharfe Leistungsprobe fiir Mann und Material der Seeflugstation Kumbor. Wir hatten die Be\vegungen in der Siidadria bis hin- unter zur OtrantostraBe zu iibervvachen und hin- gen vom Morgengrauen bis in die Nacht hinein . in der Luft. Bei Stundengeschwindigkeiten der damaligen Apparate von ungefahr 120 Kilometer dauerten diese Fliige sechs bis sieben Stunden. Von feindlicher Gegenwirkung war noch nicht viel zu merken, dafiir kampften wir einen er- bitterten Kampf gegen unsere Motoren. Beson- ders zahlreich waren Kurbelwellenbriiche. Da wuBte man wenigstens gleich, daB einem nach der Notlandung nichts anderes iibrigbleibe als Gottvertrauen und die HofTnung, von einem eige- nen Torpedoboot entdeckt und eingeschleppt zu werden, bevor die Italiener dies besorgten. 152 * S EEF LU G S T ATI O N KUMBOR N A CII DER LANDUNG IN DER RO C C II E Dl C ATT A RO Im allgemeinen hatten wir Gliick. So \vurde cin Flugzeug unserer Station nach fast vierund- zvvanzigstiindigem Treiben bei schwerer See nahe der italienischen Kiiste von einem eigenen Unter- seeboot aufgefunden und unbehelligt in die Bocche geschleppt. Auf iihnliche Weise ver- brachte auch ich einmal einige nicht sehr ge- miitliche Stunden in der Adria. Wir versuchten allerhand, schossen Signalpistolen ab, schlitzten die Tragflachen auf und verwandelten uns in einen Segler. Sehr \veit kamen wir damit aller- dings nicht. Mit der Zeit verspiirten wir Durst und tranken das Wasser aus dem Kiihler. Es schmeckte wie warmes Ol. Endlich tauchten die Mastspitzen eines Fahrzeuges auf, das direkt auf uns zuhielt. Bis zum letzten Augenblick waren wir im Zweifel, ob es Freund oder Feind sei und ob wir den Abend im trauten Heime oder aber an Italiens gastlicher Kiiste beschliefien wiir- $ den. Seit diesem Tage habe ich meinen vormaligen Klassenoffizier aus der Marineakademie in noch lieber Erinnerung, weil er der Kommandant des Zerstorers war, der uns gleich darauf in Schlepp nahm und in die Bocche brachte. Wir waren langsam zur Einsicht gelangt, daB sich der frisch-frohliche Krieg zu einer dauern- den Einrichtung entwickeln \verde. Das Leben in der Bocche hatte bestimmte, nicht sehr ab- wechslungsreiche Formen angenommen. Es spielte sich fast ausschlieBIich auf der „Linie 153 # A—B“, der KiistenstraBe von Castelnuovo nach Catene ab, an der auch unsere Station lag. Es bildeten sich Bridge-, ja sogar Pokerpartien, man ging in die Berge spazieren und geriet in hochste Aufregung, wenn sich auf der „Linie A—B“ ein weibliches Wesen zeigte. Wie alle Dinge, die langere Zeit andauern, hatte sich auch der Krieg biirokratisiert. Neben dem wirklichen Kriege, den Fernfliigen und BombenangrifTen, gab es eine Menge Kleinarbeit: Sicherung von Geleitziigen, Flottillen und Unter- seebooten, Rekognoszierung von Minenfeldern und Suche nach feindlichen U-Booten. Jetzt kann ich gestehen, daB wir das grausige Kriegshand\verk hie und da auch zu freund- licheren Dingen miBbrauchten. Es kam vor, daB neben Bomben und Munitionsgurten Rosen und Veilchen im Flugzeuge verstaut waren. Dann ergab es sich, daB eine U-Bootsuche bis iiber Ragusa ausgedehnt werden muBte. Ober dem Stradone riB man kiihne Kurven und warf ein- mal statt Bomben Blumen und ein kleines Brief- lein ab. Allen jenen, die jetzt vielleicht bedenklich den Kopf schiitteln und meinen, daB dieses Vorgehen denn doch von laxen Ansichten iiber Disziplin und Verantwortung zeuge, sei gesagt, daB solche kleine Menschlichkeiten gottlob immer und iiber- all in schvversten und hartesten Zeiten vorkom- men, auch wenn sie nicht immer einbekannt werden. 154 Es ist nicht osterreichisch, iiber osterreichische Art zu reden. Diese Ausnahme aber sei gestattet: Die k. u. k. Kriegsmarine hat im Krieg und Frie- den ihren Mann gestellt wie nur irgendeine an- dere Marine der Welt, meist unter schwierigeren Bedingungen. Bei allem Hang zur Selbstkritik und aller Freude an kleinen Schnippchen, die man dem Ernst des Daseins schlagen konnte, haben unsere Seeleute ihre Pflicht getan, ohne viele Worte, in ihrer Art. Weil sie darin alte Osterreicher waren, auch wenn sie aus Budapest, Prag oder Agram stammten. Manchmal nahmen auch die groBen Ereignisse des Krieges ihren Weg iiber die Bocche: das Auf- tauchen der franzosischen Flotte in der Siid- adria, die Torpedierung ihres Flaggenschifles durch ,,U 12“ unter Egon Lerch, das Einlangen des ersten deutschen U-Bootes aus der Nordsee. Damit begann der U-Boot-Krieg im Mittelmeer, und die Bocche vvurde zum standigen Stlitz- punkte fiir die Fernfahrten der deutschen und osterreichisch-ungarischen U-Boote. Ich habe in drei Jahren des Krieges sehr viele deutsche U-Boot-Leute kennengelernt und mir so manchen Freund unter ihnen ervvorben. Eines muB vor allem gesagt werden: sie waren unver- gleichliche Soldaten und Seeleute. Ihre Leistun- gen kann nur der ermessen, der im Kriege mit ihnen und ihren Schicksalen gelebt hat. Fiir diese Art von Kriegertum gab es — wie auch fiir den Kriegsflieger — keinen „Vorakt“ in der Ge- 155 schichte. Man kann sich sch\ver eine Vorstellung davon machen, was es heiBt, in einem Fahr- zeuge, das nichts ist als eine einzige Maschine, durch Wochen, ja Monate, ganz auf sich selbst gestellt, im stiindigen Kampfe gegen die Ele¬ mente und eine feindliche Welt voli Tiicken und raffiniertesten Nachstellungen, immer wieder den Willen zum AngrifT und Einsatz bis zum letzten zu haben. Wenn unseren U-Boot-Leuten nicht dieselben Erfolge beschieden waren, \var nur die lacherlich geringe Anzahl und die Unzuliing- lichkeit unserer Boote daran schuld. Wir haben uns mit unseren deutschen Kame- raden ausgezeichnet vertragen. Man muBte nur ihre Eigenart kennen und ihnen geradeheraus die Meinung sagen, wenn einem etwas nicht paBte. Dafiir hatten sie viel mehr Verstandnis wie flir stummes Gekranktsein. Die Flugstation Kumbor hatte sich im ersten Kriegsjahr machtig ent\vickelt. Wir besaBen re- gelrechte Hangars, Werkstatten, einen Stand von ungefahr 20 Flugzeugen und die entsprechende Anzahl von Piloten und Beobachtern. In den Anfangen des Krieges waren wir im Seeflugwesen den Italienern entschieden iiber- legen. Das hat sich dann spiiter dank englischer und franzosischer Hilfe sehr griindlich geandert, und in den letzten Kriegsjahren machten sich die Mangel an Material von Tag zu Tag immer grausamer fiihlbar. Damals aber waren wir die ersten, die den 156 Krieg auf die andere Seite der Adria getragen haben. Es ist eine sternklare, totenstille Nacht. Um drei Uhr morgens beginnt die Flugstation zu leben. Hangartore ofTnen sich, Flugzeuge schwan- ken heraus auf die Plattform. Gedrosselte Mo¬ toren pfauchen, und aus den AuspufTrohren zucken blaue Flammen. In der Messe sind die Bemannungen von „L 43“, ,,L 45“ und „L 49“ versammelt. Wir trinken unseren Tee und suchen rasch unsere Ausrustung zusammen, Einen hort man leise fluchen, \veil er sein Glas, Notizbuch oder seine Lederhaube nicht finden kann. Sonst wird nicht viel gesprochen. Dann geht’s hinaus zu den Ap- paraten, um noch rasch die Ausrustung zu kon- trollieren. Maschinengewehr, Munitionsgiirtel, Bomben und Photoapparat werden verstaut. Die Motoren rasen zur letzten Probe, Propellerwind fegt uber den Platz, dann reiBt der Larm plotz- lich ab, und ein Flugzeug nach dem anderen rollt iiber den Stapel. Nach einigen Minuten sind alle drei Apparate im Wasser und steuern mit ge- drosseltem Motor der Ausfahrt zu. Da steigt eine Leuchtkugel. Wir geben Vollgas, und breit schaumt das Wasser am Buge. Bei 200 Kilogramm Bomben und vollen Vorraten ist es gar nicht so sicher, ob man aus dem Wasser kommt, bevor der Motor heiB wird. Nach langem Anlauf ge- 157 lingt der Start, und auch die beiden anderen Ge- fahrten sind in der Luft. Unser Auftrag lautet: „Hafen von Bari reko- gnoszieren, aufnehmen, Bomben auf Bahnan- lagen.“ Nach der Ausfahrt haben wir Kurs Siidwest genommen, die Berge der Bocche stehen wie eine schwarze Wand hinter uns. Man hat das Gefuhl volliger Einsamkeit bei diesen Fliigen durch die Nacht, in der es nichts gibt als das kalte Fun, keln der Sterne und das gleichmaBige Drohnen der Motoren. Im Osten steigt langsam ein fahler Schein auf, der den Himmel allmahlich zu zar- tem Blau verfarbt, bis endlich die ersten Strahlen der Sonne violette Reflexe iiber die dunkelgraue Fliiche unter uns streuen. Es ist Nordwestwind aufgesprungen, der zu- sehends frischt und rasch die weiBen Morgen- nebel zerstreut. Wir fliegen jetzt in Gruppe zu- sammengeschlossen und haben, trotz Vollgas, nur 800 Meter Hohe erreicht. Die Aussicht, kaum mehr als 1000 Meter iiber den Feind zu kommen, ist nicht erhebend. Nach eineinhalbstiindigem Fluge verbreitert sich die Kimm vor uns zu einem dunklen Streifen. Jetzt heiBt es, sich auf die wenigen Minuten der Aktion vorzubereiten, wahrend derer der Beobachter alles fast gleich- zeitig machen muB: Beobachtungen notieren, auf feindliche Flugzeuge achten, dem Piloten den Kurs geben, Bomben abwerfen und photogra- phieren. 158 Die Kiiste Siiditaliens liegt vor uns. Obwohl ich in diesen Augenblicken ganz andere Sorgen hatte, stand ich immer wieder unter dem zauber- haften Eindrucke dieses friedlichen Bildes. Von der Bucht von Manfredoma bis zum Kap Otranto sch\vingt, zwischen dem tiefen Blau des Meeres und dem zarten Griin des weiten, ebenen Landes, der sanfte Bogen der Kiiste, aus dem, wie Perlen an einer Schnur, in seltsam gleichen Abstanden die weiBen Stadte heraufschimmern. Wir haben die Gruppe auseinandergezogen und nehmen Kurs auf Bari, leicht kenntlich an seinen charakteristischen Hafenanlagen. Jetzt sind wir oberhalb der Stadt. Im Hafen nur Seg- ler und kleine Dampfer, keine KriegsschifTe! Ich erkenne die Geleise der Kiistenbahn und die Bahnhofanlagen im Siiden. Die StraBen sind leer, da und dort ein verlassener Wagen. Irgendwo am Rande der Stadt blitzt es auf, und die be- kannten weiBen Rauchballe hangen ringsum in der Luft. In 1000 Meter Hohe ist man auch fiir Maschinengewehre ein sehr dankbares Ziel. Und jetzt spielt sich alles in rasendem Tempo ab. Wir haben nach Siiden gewendet und steuern iiber den Geleisen den Bahnhof an. Der Pilot nickt mir zu; auch er hat das Ziel entdeckt und weiB, daB er es jetzt gerade anzufliegen hat. Mit der Hand am Abwurfhebel warte ich, bis die groBe Halle das Objektiv der Zielvorrichtung durchwandert. Zwei 20-Kilo-Bomben los! Es .sieht aus, als ob sie zuerst in weitem Bogen 159 zuruckfielen und dann erst, schon knapp iiber dem Boden, rasch nach vorne schossen. Jetzt blitzt es z\veimal auf, und iiber einer Halle und den Geleisen liegen graue Rauchwolken. Ich gebe dem Piloten ein Zeichen und dasselbe Spiel be- ginnt von neuem. Jetzt sausen die 50-Kilo-Bom- ben hinunter. Der Rauch der Explosionen hat sich verzogen und durch das Glas erkenne ich, daB drei Wagen einer Zugsgarnitur umgestiirzt sind. Ich hole die Kamera heraus und beginne zu photographieren. Ilafen, Stadt, Bahnhof, iiber denen jetzt \vieder graue Explosionswolken lie¬ gen. Das sind unsere Kameraden! Da! Verfluchte Schweinerei! Der Motor setzt aus, zieht wieder durch — und jetzt ist es endgiiltig aus! Beklem- mende Stille geistert um uns, man hort nur das Sausen der Spanndriihte und die trockenen Schlage der explodierenden Schrapnells. Wir miissen hinunter und wenden in scharfem Bogen seewarts, um moglichst weit von der Kiiste nie- derzugehen. An den weiBen Kammen unter uns sehe ich, daB der Wind weiter gefrischt hat. Bei Windstarke 6 ist das Landen, noch dazu ohne Motor, keine leichte Sache. Wir haben gegen den Wind gedreht und setzen auf. Zweimal, dreimal schleudern uns die Wellenberge wieder in die Luft zuriick, dann liegen \vir unversehrt auf dem Wasser. Wir betrachten unseren Apparat und finden iiberall, in Tragflachen und Boot, Gewehr- einschiisse. Wahrscheinlich ist der Benzintank 160 / R O M R E N A N G R I F F A U F R R I N' D I S I I) E R K O N A K I N' I) U R A Z Z O beschiidigt. Fiir Untersuchungen ist keine Zeit, denn wir sind kaum drei Seemeilen vom Hafen und sehen auch schon die Mastspitzen einiger Fahrzeuge, die auf uns zusteuern. Jetzt heiBt es, rasch alles zur Zerstorung des braven ,,L 49“ vor- zubereiten, bevor die Italiener da sind. Da — ge- rade ober uns geht ein Flugzeug in steilen Spi¬ ralen nieder. Ich erkenne das sch\varze Kreuz im rot-weiB-roten Felde. Zwei Minuten spater landet „L 45“ 50 Meter neben uns. Es war nicht viel Zeit fiir Gefiihle und Be- trachtungen. Und doch weiB ich, daB ich nie im Leben so viel Dankbarkeit empfunden habe als damals fiir diese Tat schonster Kameradschaft. Bei schwerer See, angesichts des feindlichen Ha- fens, niederzugehen, das war fast Aufopferung, denn die Aussichten, mit dem mit vier Personen beladenen Flugzeug wieder in die Luft zu kom- men, waren sehr gering. Mit Motorkurbel und Pistolen schlagen wir die Wande des Bootes ein, das nun rasch zu sinken beginnt, und zerfetzen die Tragflachen. Dann springen wir ins Wasser und schvvimmen zu „L45“ hiniiber. Mit Schrecken sehe ich, daB sein Motor steht und der Beobachter verzweifelt Ver- suche macht, ihn anzukurbeln. Rascher, viel rascher, als wir schwimmen konnen, treibt der Wind das Flugzeug von uns weg. Endlich springt der Motor an, „L 45“ kommt uns entgegen und dann turnen wir hinein. Mein Pilot, Freund und Spielgefahrte vom Strand in Pola, ist rascher als 11 Kunsti, Strand 161 ich und erobert sich einen Platz zwischen den Beinen des Beobachters; mir bleibt der etwas luftige Sitz unter dem Motor. Jetzt kommt das Sch\vierigste — der Start. So leicht liifit uns die See nicht aus. Irniner \vieder kracht der Bug gegen einen Wellenberg. Lange kann das Boot diese Beanspruchung nicht aushalten. Aber auch dies gelingt — \vir sind in der Luft. Ich blicke mich um und sehe von „L 49“ nur mehr die oberen Tragflachen. Den kriegen die Italiener nicht mehr! Mit Wehmut denke ich an mein kostbares „Auge Gottes“. Wir haben Kurs auf die Bocche genommen, und ich habe es mir auf meinem Galeriesitz be- quem gemacht. Die Kleider trocknen im Wind, und ich dose vor mich hin, noch etwas benom- men vom raschen Ablauf der Ereignisse. Die heimatlichen Berge kommen in Sicht, und ich glaube, daB \vir es fiir diesmal geschafTt haben. Diese Annahme erweist sich als irrig. Denn plotzlich beginnt auch dieser Motor zu schieBen, setzt aus und aus dem Vergaser schla- gen helle Flammen. Wir sind gottlob nicht hoch und kommen im Sturzflug hinunter, bevor die Tragflachen zu brennen beginnen. Auch diese Landung gelingt. Der Brand wird geloscht, und jetzt liegen wir, diesmal zu viert, aber sonst mutterseelenallein, auf hoher See. Und nun ge- schieht ein Wunder. Der Posten auf Punto d’Ostro hat uns, ein winziges Piinktchen, in 50 Kilometer Entfernung niedergehen gesehen. 162 Ein Torpedoboot schleppt uns ein. Dieser Tag stand flir uns unter keinem guten Štern. Auch ,,L 43“ war nicht zuriickgekehrt. Spater erfuhren \vir, daB es nordlich von Bari mit Kurbehvellenbruch niedergehen muBte; die Besatzung geriet in Gefangenschaft. Man denkt heute kaum noch an den Krieg. Dies ist nicht verwunderlich, denn es liegt gott- lob im Wesen der Menschen, Unangenehmes rasch zu vergessen. Traurig ist nur, daB oft die- jenigen, die nicht oder nicht mehr dabei waren, auch jene vergessen, die den Krieg in seiner grauenvollsten Art erlebt haben, die er fiir ihr Leben gezeichnet hat, an Korper oder Seele. Ich habe viel Gliick gehabt im Kriege, und es ist mir wahrscheinlich viel besser gegangen als den meisten anderen, die drauBen waren. Ich weiB nichts von Schiitzengraben, Dreck und Lau- sen, und trotzdem behaupte ich, daB alle, die den Krieg in irgendeiner Form \virklich erlebt haben, zu Erkenntnissen gekommen sind, die die an¬ deren nicht haben. Sie wissen, wie wenig alle Sorgen und auch alle Freuden des Lebens \viegen gegen die Frage. ob man abends wieder sein Glas Rotwein trinken werde — oder nicht. VVahrend dreier Jahre in der Bocche habe ich viele Kameraden um den groBen Tisch in der Messe sitzen gesehen. Spater dann, als ich Kom- mandant der Seefliegerschule Valbandon war, ist n* 163 der ganze Seefliegernachvvuchs durch meine Hande gegangen. Viele, denen man bei irgendeinem Start noch gedankenlos zugewinkt hat, sind nicht mehr wiedergekommen. Einige haben wir kurz darauf unter den Triimmern ihrer Apparate hervorge- zogen, einige sind spurlos verschvvunden, andere wieder sah man liber dem Feinde plotzlich \vie angeschossene Vogel zur Erde taumeln, viele sind driiben in Gefangenschaft geraten. Auch von ihnen habe ich die \venigsten \viedergesehen. Nach dem Umsturze wurden sie, so wie wir, in alle Winde zerstreut. Die junge Kriegsgeneration, aus der ja die See- flieger hervorgegangen sind, hat sich hervor- ragend geschlagen. Wir hatten auch Reservisten, altere Semester, im Seefliegerkorps, die ausge- zeichnete Flieger geworden sind. Erstaunlich und bewundernswert aber war es, mit welcher Selbst- verstandlichkeit, Umsicht und Schneid die ganz Jungen, oft halbe Kinder, ihre Pflicht und in sehr vielen Fallen noch viel mehr als ihre Pflicht getan haben. Durazzo Ich saB wieder einmal im Kaffeehaus inCastel- nuovo, musterte ziemlich hofTnungslos die Gaste, stoberte in uralten „Illustrierten“ und blickte dann und wann durchs Fenster hinaus auf die Bucht. Von Gjenovič naherte sich ein Zerstorer. Ich dachte nichts Boses, als er vor dem Molo stoppte und ein Boot aussetzte. Nach zehn Minuten erschien ein Unteroffizier im KafTeehaus und iiberreichte mir einen schrift- lichen Befehl, „ . . . hat sofort mit S. M. SchifT ,Huszar‘ (das war der Zerstorer, der unten lag) nach Durazzo abzugehen und dort die notigen Vorarbeiten ftir die Errichtung eines Flugstiitz- punktes durchzufiihren“. Ich zahlte meinen Sch\varzen, unterdriickte wehmiitige Betrachtungen iiber Zahnbiirste, Seife und Pyjama und befand mich zehn Minuten spa- ter an Bord des „Huszar“. Die Sonne ging eben unter, als wir Punta d’Ostro passiert und in Kurs Siidost gesetzt hatten. In der vergangenen Nacht hatten die Italiener vor den anriickenden k. u. k. Truppen Durazzo unter dem Schutze einer alliierten Flottenabtei- lung geraumt. Um dies mit Sicherheit festzustel- 165 len, war ich selbst noch an diesem Morgen zu einem Rekognoszierungsflug iiber Durazzo ent- sendet vvorden. Wir entledigten uns dieser Auf- gabe in einfacher Weise dadurch, daB wir iiber der Stadt Kreise zogen und dabei langsam tiefer gingen. Da niemand auf uns schoB, hatte ich mit Recht angenommen, daB die Italiener nicht mehr da seien. AuBer mir wurden noch zwei Offiziere mit einer Mannschaftsabteilung sowie zwei Motor- boote befordert, die die Aufgabe hatten, die Minensperre vor Durazzo festzustellen und eine freie Einfahrt in den Hafen zu schafTen. Da wegen dieser Sperre das Einlaufen groBe- rer Fahrzeuge nicht moglich war, hatte der „Huszar“ den Auftrag, uns mit den beiden Motor- booten zehn Meilen seevvarts von Durazzo aus- zusetzen und dann wieder in die Bocche einzu- riicken. Die Situation entbehrte nicht einer gewissen Romantik, da in den albanischen Gewassern feindliche Einheiten vermutet werden muBten und liberdies bei auffrischendem Siidwest ein Gewitter am Himmel stand, was fiir die spatere Seefahrt mit den kleinen Motorbooten nicht sehr vielversprechend war. Gegen Mitternacht waren wir auf dem anbe- fohlenen Punkte. Die Boote \vurden ausgesetzt, worauf sich der „Husz&r“ empfahl. Es \var eine stockfinstere Nacht, das Wetter wurde zusehends schlechter. Wir wuBten nur, daB wir gegen Osten 166 irgendwo zu den dem Kap Durazzo vorgelager- ten Klippen und Banken kommen muBten, die an einigen Stellen flir kleinere Fahrzeuge passier- bar waren. Zuniichst ging alles glatt, dann aber, bei zunehmender See, gingen die Brecher iiber die Boote weg, die Motoren wurden naB und setzten aus, einmal der eine, dann der andere. Mit vieler Muhe brachten \vir sie wieder in Gang und nahmen einander abwechselnd in Schlepp. Auf diese Art kamen \vir natiirlich kaum vom Fleck. Wenn die Motoren endgiiltig versagten, hatten wir die angenehme Aussicht, in die ofTene See getrieben zu werden. Bei diesem Seegange hatte dies mit ziemlicher Sicherheit das Ende unserer Expedition bedeutet. Es goB in Stromen und man sah keine zehn Meter weit. Merkwiirdigerweise hielten die Mo¬ toren durch und gerade das Gewitter kam uns zu Hilfe. Im Scheine der Blitze erkannten wir die Konturen des Kaps Durazzo und konnten uns orientieren. Endlich kamen wir zu den Klippen, fanden ruhigere See und tasteten uns langsam, Meter fiir Meter, durch. Alles andere war leicht. Bei Morgengrauen legten wir an dem groBen Holzmolo im Hafen an. Auf diese recht abenteuerliche Art feierte ich Wiedersehen mit Durazzo, das bereits von un- seren Truppen besetzt war. Wir fiihlten das be- greifliche Verlangen, unsere miiden Haupter zur Ruhe zu legen und begaben uns zu diesem Zwecke in den Konak, das ehemalige konigliche 167 SchloB. Er sah traurig genug aus. Die schonen Wiener Mobel, Teppiche und Vorhiinge waren nicht mehr zu erkennen. Nach langem Suchen fand ich in einem Kasten einen Pack Tischtiicher aus schwerem Damast. Diese breitete ich auf den groBen Tisch im Prunksaal und hatte ein \vunderbares Bett. Am nachsten Morgen steli te es sich heraus, daB der Ivonak der Sitz eines Landsturmbrigadekom- mandos und erfreulichervveise auch einer Offi- ziersmenage \var. Diese Feststellung und der Um- stand, daB die Offiziere der Brigade mir in der ruhrendsten Weise mit einem Stiick Seife, einer neuen Zahnbiirste und einer Garnitur Wasche ausgeholfen hatten, lieBen die Zukunft wesent- lich rosiger erscheinen. « Dann aber, bei einem Gang durch die Stadt, sah ich Bilder, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Die Reste der geschlagenen serbischen Armee hatten sich, Hunger und Krankheit im Gefolge, durch ga-nz Albanien bis an die Kustenorte ge- schleppt, wo sie von EntenteschifTen aufgenom- men worden waren. Der ganze Ort starrte vor Schmutz. Gberall sah man die Wirkungen unserer Bomben: aufge- rissene StraBen und eingestiirzte Hauser. Die Italiener hatten vor dem Abzuge Hunderte von Pferden erschossen. Jetzt lagen die Kadaver in den StraBen herum und verbreiteten einen in- fernalischen Gestank. Von Cholera angefangen, 168 waren fast alle Krankheiten vertreten. Zerlumpte, ausgemergelte Gestalten strichen durch die Gas- sen und in den Hausern lagen Kranke, Sterbende und Tote nebeneinander. Von dieser Seite hatte ich den Krieg noch nicht gekannt. Nach zehn Tagen hatte ich meinen Auftrag durchgefiihrt und riickte in die Bocche ein. Im Himmel konnte es nicht schoner sein. Die Selig- keit dauerte nicht lange, denn nach einigen Wo- chen zog ich als Kommandant der neu errichte- ten Station wieder in Durazzo ein. Es war kein beneidens\vertes Dasein. Wenn auch unsere Truppen in der Organisierung des ungeheuer schwierigen Nachschubes und in der Bekampfung der Seuchen AuBerordentliches ge- leistet hatten, war man gegen das niedertrachtige Klima und die Malaria fast machtlos. Trotzdem unsere Leute Unmengen von Chinin schlucken mu6ten, kamen taglich neue Erkrankungen vor, die leider sehr oft todlich ausgingen. Ruhe und Freizeit gab es fast gar nicht. Das von den Italienern besetzte Valona \var nur eine halbe Flugstunde von Durazzo entfernt, und aus den vordersten Stellungen unserer Front konnte man die Vorgange im feindlichen Hafen genau verfolgen. Wenn ein italienisches Flugzeug auch nur zu einem kurzen Rundfluge startete, wurden wir selbstverstandlich alarmiert. Wir taten den ganzen Tag nichts anderes als Apparate ins Was- ser bringen, starten und eine Zeitlang Sperre 169 fliegen. Wenn nichts kam, riickte man ein und brachte die Apparate wieder ans Land. Dann konnte das Spiel von neuem beginnen. Oft kam es auch zu Begegnungen in der Luft, die beiderseits Verluste brachten. Einmal hatten wir auf dem halben Wege nach Valona plotzlich einen italienischen Kampfeinsitzer ober uns, der sich in der zudringlichsten Weise mit uns zu be- schaftigen begann. Als Bombenmaschine waren wir ihm natiirlich an Geschwindigkeit und Wen- digkeit sehr unterlegen und trotz aller Matzchen, Sturzflug und Abtrudeln war er nicht abzuschiit- teln. Manchmal kam er so nahe, daB ich das Miindungsfeuer seines Maschinengewehres sehen konnte, und heute noch wiirde ich das Gesiclit des Piloten erkennen. Da wir ihn aber immer im Riicken hatten, kam ich mit meinem Maschinen- gewehre kaum zum Schusse. Plotzlich horte das SchieBen auf, der Pilot drohte wiitend mit der Faust heriiber, drehte dann ab und verschwand. OfTenbar hatte der Gute eine Ladehemmung. AuBer einer erheblichen Zahl von Einschiissen in den Tragflachen und im Boote hatten wir nichts abbekommen. Unsere Station lag nahe der groBen Landungs- briicke gegeniiber der Stadt. In verlassenen, zur Not instand gesetzten Hausern waren Štab und Mannschaft untergebracht. Leider hatte es sich herausgestellt, daB in diesen verlassenen Hausern ein iiberaus reges Leben herrschte. Meine zoologi- schen Kenntnisse erfuhren eine wesentliche Be- 170 reicherung. Ich lernte genau den Unterschied zwischen harmlosen Moskitos und den gefahr- lichen Malariatragern. den Anopheles, kennen und studierte eingehend die Lebensweise von Flie- gen, Flohen und Wanzen. Auf Anraten von Fach- leuten hatte ich mein Bett von der Wand weg- geruckt und die BettfiiBe in Konservenbiichsen gestellt, die ich mit Sublimatlosung fiillte. Was aber taten die albanischen Wanzen? Sie krochen an den Wanden hinauf und die Dečke entlang, bis sie ober dem Bett warcn. Dann lieBen sie sich herabfallen. Ein Beweis fiir die Intelligenz und Kiihnheit dieser Rasse. Unser einziges Vergniigen war das Reiten, die alte, ungluckliche Leidenschaft des Seemannes. Die hierzu notwendigen Pferde \vurden uns in liebenswiirdiger Weise von den Offizieren der Brigade zur Verfiigung gestellt. Allerdings konn- ten wir uns nicht weit von der Station entfernen und muBten unsere Kunste auf die Sanddiinen am Strande der Bucht beschranken. Oberraschun- gen konnte man dabei nur erleben, wenn das RoB plotzlich Lust auf ein Bad verspiirte. Dann begab es sich, bevor man etwas dagegen unter- nehmen konnte, ins Wasser, legte sich nieder und walzte sich behaglich in den kiihlenden Flu- ten. Die operativen Aufgaben des Seeflugsttitz- punktes Durazzo \varen die Rekognoszierung der siidlichsten Adria, insbesondere der StraBe von Otranto, und BombenangrifTe auf Valona sowie 171 die Fahrzeuge der feindlichen U-Boot-Abwehr. Die Erfolge der deutschen und der k. u. k. U- Boote im Mittelmeere hatte die Entente mit dem Versuche der „Verkorkung der Adria“ beant- wortet. Die StraBe von Otranto solite unsere U- Boote vom Mittelmeer absperren. Eine Unzahl von Zerstorern, Flugzeugen, Fesselballons und Fischdampfern mit eisernen Schleppnetzen wa- ren standig aufgeboten. Wir hatten den Auftrag, diese Sperre nach Kraften zu storen, und so fiihrten uns unsere Fltige oft \veit hinein ins Ionische Meer. Der Fernblick aus einem Flugzeuge im Kiisten- gebiete laBt sich mit nichts anderem vergleichen. Kein Flug iiber Land, auch nicht die Aussicht von der hochsten Bergesspitze, gibt diesen un- mittelbaren Blick auf einen Ausschnitt unseres Planeten, dieses Wiedersehen mit dem Schul- atlas. Aus 3000 Meter Hohe sahen wir bei klarer Sicht weit iiber die albanischen Berge, in den Golf von Tarent bis zur Insel Korfu. Wir hatten uns eine eigene Taktik flir die Be- gegnung mit Fischdampfern zurechtgelegt. Meist flogen wir in einer Gruppe zu drei Flugzeugen in breiter Front. Die beiden Flankenapparate hatten beim AngrifTe die Bedienungsmannschaf- ten der Abvvehrgeschiitze durch Maschinen- gewehrfeuer zu vertreiben, wahrend das Mittel- flugzeug, tiefer gehend, den Bombenangriff durchfiihrte. Bei einem solchen Fluge trafen wir bei Kap 172 Santa Maria di Leuca, der Siidspitze Apuliens, auf eine Gruppe von Fischdampfern, die in aller Seelenruhe ihre U-Boot-Netze schleppten. Ob- wohl sie uns schon langst bemerkt haben muB- ten, \var keine Bewegung festzustellen. OfTenbar hielten sie uns fiir Freunde. Wieder einmal konnte ich mich iiberzeugen, mit \velch unglaublicher Raschheit sich die Ereignisse im Luftkriege ab- spielten. Alles verlief planmaBig. „K 133“ und „K 134“ erofTneten aus 800 Meter Hohe das Ma- schinengewehrfeuer. Nach \venigen Minuten wa- ren die Dečke der Dampfer leer. „K 132“ glitt auf 200 Meter, dann schlug eine Serie von sechs Bomben um und auf einem der Dampfer ein. Ober die grauen Spreng\volken der Bomben stieg ein weiBer Strahi herauf. — Kesselexplosion! Nach drei Minuten \var vom Dampfer nichts mehr zu sehen. Mein letztes Auftreten in Durazzo war ein niichtlicher Angriff auf Valona. Ich flog mit einem jungen, eben erst der Schule entschliipften Mannschaftspiloten. Wir hatten noch bei hellem Mondlicht unsere Bomben abgeworfen. Wahrend des Riickfluges aber verzog sich der Mond hinter eine dichte Wolkenbank und als \vir vor Durazzo waren, verschwammen Licht, Himmel und Was- ser zu einem schwarzen Brei, in den wir jetzt hineinlanden sollten. Kopfvvackelnd und achsel- zuckend ging mein Pilot in Gleitflug. Jeder alte Beobachter weiB, daB man in solchen Fallen dem Piloten keine Ratschlage geben soli. Ich starre 173 also krampfhaft hinunter. Plotzlich sehe ich Wasser unter mir, spiire einen StoB und hore das Krachen von splitterndem Holz. Unter Was- ser, zwischen Tragflachen und Spanndrahten, fand ich mich \vieder. Die Sekunden, wahrend derer ich mich bei volliger Finsternis an die Oberflache schlangelte, gehoren nicht zu den an- genehmsten meines Lebens. Als ich mich umsah, tauchte eben der Kopf des Piloten neben mir aus den Fluten. Noch gurgelnd versicherte er mir, daB er bestimmt nichts dafiir konne, woraus ich schloB, daB er noch am Leben sei. Wir hielten uns an den klaglichen Resten unseres Apparates fest und warteten, bis uns ein Motorboot abholte. Bis auf unzahlige blaue Flecken und eine unbe- deutende Verletzung meiner Hand \var uns merk- \viirdigerweise nichts geschehen. Mit Trauer ge- dachte ich meines zweiten ,,Auge Gottes“, das nun ebenfalls auf dem Grunde des Meeres lag. Ich hatte erst die dritte Rate bezahlt. Da ich nun doch fiir einige Zeit auBer Gefecht gesetzt war, riickte ich in die Bocche ein. Dort ereilte mich die unvermeidliche Malaria tropica und anschlieBend daran mein erster Urlaub. Die Flotte Die Schlachtenflotten der Machte waren im Kriege — von wenigen Ausnahmefallen abgese- hen — zur Untatigkeit verurteilt. Den Seekrieg fuhrten Torpedoflottillen, U-Boote und Seeflieger. Die Ursache hierfiir waren die erdriickende zahlenmaBige Oberlegenheit der Ententeflotten, die es nicht gestattete, eine Entscheidung in ofTener Seeschlacht herbeizufiihren, und die un- vorhergesehene Entwicklung und Gefahrlichkeit der U-Boot-Waffe. Der mogliche Erfolg hand- streichartiger Unternehmungen der Flotte gegen kleinere Schilfsverbande oder gegen die feind- liche Kiiste standen in keinem Verhaltnis zum Einsatze. Ein einziger TorpedotrefTer konnte ge- niigen, um ein GroBkampfschifT zu versenken. Dies bedeutete nicht nur den unersetzlichen Ver- lust einer machtigen Kampfeinheit, sondern auch eine ebenso empfindliche moralische EinbuBe. Die einzige Seeschlacht des Weltkrieges, bei der es auf beiden Seiten zum Einsatze aller Krafte kam, war die Schlacht am Skagerrak. Trotz ihres taktischen Sieges konnte die deutsche Flotte der zahlenmaBig weit iiberlegenen englischen nicht so entscheidende Verluste beibringen, daB die 175 strategische Lage zur See cine Anderung erfahren hatte. England behielt die uneingeschrankte See- herrschaft iiber die Nordsee und damit — im Verein mit den Flotten seiner Verbiindeten— die Herrschaft iiber alle anderen Meere der Erde. Nach der Schlacht lag Englands „Grand Fleet“ nach wie vor untatig, aber im wesentlichen un- gesclnvacht, in Scapa Flovv. Ich wage zu behaup- ten, daB nur durch die Tatsache ihrer Existenz — „Fleet in being“ nannten das die Engliinder — der Weltkrieg entschieden wurde. Ohne die eng- lische Seeherrschaft ware es nie zu einer Ab- schniirung der Mittelmachte und damit zum Zu- sammenbruche gekommen. Nicht die WafTen, sondern Hunger, Kalte und Mangel an RohstofTen aller Art haben die Entscheidung gebracht. Der k. u. k. Flotte fiel in weit kleinerem MaB- stabe eine ahnliche Aufgabe zu. Nur ihrer Exi- stenz ist es zu verdanken, daB die Gegner \vah- rend des ganzen Krieges es nicht gewagt haben, an unseren Kiisten. Truppen zu landen und daB der groBte Teil des Nachschubes fiir die k. u. k. Truppen in Montenegro und Albanien fast un- gestort iiber den Seeweg geleitet werden konnte. Ich hatte durch einige Monate als Radiooffizier auf S. M. S. Szent Istvan Gelegenheit, das Leben auf der Flotte im Hafen kennenzulernen. Wieder konnte ich sehen, wie sich iiber ein SchifT, das selten fahrt, langsam eine Art Erstarrung legt. Das ewige Einerlei und GleichmaB der Tage hatte eine gewisse SeBhaftigkeit herausgebildet, 176 H I N S P I Z I E K U N G D ER EL OTTE DURCII KAISER KARI D 1E FLOTTE IM II A F E N VON POLA die dem Leben zur See sonst fremd war. Jedes SchifT besaB sein eigenes Kino, seinen eigenen Gemiisegarten an Land und sein Fischerboot. Man hatte seinen genau eingeteilten Dienst und seine freie Zeit. Man ging an Land spazieren und spielte im Kasino Bridge. Das war alles sehr schon und angenehm. Trotzdem herrschte in den Messen eine eigentiimliche stille Resignation. Dann aber geschah immer wieder das Merk- wiirdige: Sooft die Flotte oder Teile von ihr mit dem Gegner zusammentrafen, war der Erfolg auf ihrer Seite. Bei allen diesen kleineren und gro- Beren Gefechten zeigte sich eine klare tlber- legenheit der eigenen Fiihrung, die bei etwas giinstigeren Krafteverhaltnissen im Mittelmeere dem Kriege im Siiden Europas eine ganz andere Wendung hatte geben konnen. Zur groBen entscheidenden Schlacht ist es nicht gekommen. Die Flotte war nicht schuld daran. GewiB ist, daB sie auch diese letzte entschei- dende Probe so bestanden hatte, wie es die Tra- dition der k. u. k. Kriegsmarine und der Geist ihrer Besatzungen verbiirgt hat. 12 Kunsti, Strand Da s Ende Das kleine Seebad Valbandon, in dem die k. u. k. Seefliegerschule untergebracht war, lag abgeschieden von aller Welt, inmitten der Macchie des Strandes bei Fasana. Ein Hotel, zwei Villen, ein kleiner Hafen und ein Strandbad, das war alles. Vor dem Kriege war es das weniger fashionable Gegenstlick zu Brioni auf der anderen Seite des Kanals von Fa¬ sana. Jetzt schlief es seit Kriegsbeginn einen tie- fen, unbeachteten Dornroschenschlaf. Ich war vom „Szent Istvan“ mit dem lakoni- schen Auftrage abkommandiert \vorden, in Val¬ bandon eine Seefliegerschule ins Leben zu rufen. Hier solite die erste gemeinsame Ausbildung der Flugschiiler und dann die praktische Schulung der kiinftigen Beobachter stattfinden. Ich er- weckte also das Dornroschen aus dem Schlafe, richtete zuerst mir eine Wohnung, dann Lehrsale und Unterkiinfte fiir Štab und Mannschaft ein. Nach einigen Wochen Vorbereitung begann der Schulbetrieb. Wir iibten fleiBig Bombenwerfen, MaschinengewehrschieBen und Photographieren. Im theoretischen Unterrichte lernte ich mit mei- nen Schulern eine Menge Dinge, von denen ich 178 friiher keine Ahnung gehabt hatte. Dieses kleine Reich war mein Eigentum, in dem ich schalten und walten konnte, wie es mir beliebte. Weit und breit gab es keinen Vorgesetz- ten. Es mag vielleicht freventlich sein, aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben, muB ich be- kennen, daB es mir in diesem letzten Jahre aus- gezeichnet gegangen ist. _ % Die Flugstation Pola, die Flugschule auf der Insel Cosada und die Seefliegerschule Valbandon lagen im siidlichsten Teile des Kanals von Fasana ziemlich nahe beisammen. Sie bildeten ein be- sonders beliebtes AngrifTsobjekt der italienischen Flieger. „Achtung, Luft!“ hieB das gefliigelte Wort, auf das hin sich jedermann, der hierzu in der Lage war und dyrch seinen Dienst nicht daran gehin- dert wurde, in einen bombensicheren Unterstand begab. Zuerst klingt es wie gemiitliches Brummen und Schnurren, allmahlich aber schwillt es an zu lau- tem, gleichmaBigem Drohnen. Dutzende von Scheinwerfern suchen den Himmel ab, bis es plotzlich in einer der Lichtgarben hell aufleuch- tet. Wie zierliche weiBe Libellen hangen die schvveren Caproni in der Luft. Jetzt setzt das wahnsinnige Krachen und Knattern der Abwehr- batterien ein, wie Sternschnuppen blitzen die Explosionen der Schrapnelle am Himmel. Aus dem Rattern der Motoren und dem Krachen der Geschiitze lost sich ein eigenartiges, widerliches 12 * 179 Gerausch. Es ist das Fauchen und Zischen der herabfallenden Bomben. In Valbandon gab es keinen Unterstand. Wir hatten also Gelegenheit, dieses erhebende Schau- spiel vom Fenster oder im Freien zu beobachten. Mit der Zeit hatten wir es so weit gebracht, daB wir schon aus dem Gerausche der fallenden Bom¬ ben mit erstaunlicher Genauigkeit Ricbtung und Entfernung des Einschlages vorhersagen konn- ten. Peinlich war es, \venn das Zischen immer lauter wurde, ohne sich dabei nach irgendeiner Richtung zu verschieben. Dann \vuBte man, daB es in unmittelbarer Niihe krachen werde. Trotz- dem bei jedem AngrifTe Brand- und Sprengbom- ben in nachster Nahe einschlugen, kamen wir ohne ernstliche Beschadigung davon. Es war ar- gerlich genug, daB wir den Verlust einiger Rosen- stocke und Obstspaliere zu beklagen hatten. So ein BombenangrifT hatte auch seine guten Seiten. Bevor der Feind noch verschwunden war, stiirzten sich unsere Leute — soweit \vir es ihnen gestatteten — in die Boote und kehrten kurz darauf mit kostbarer Ladung wieder zuriick. Der durch die Bombenexplosion auf dem Wasser er- zeugte Druck war so groB, daB er in einem be- stimmten Umkreise alle Fische totete. Sie schwammen auf und konnten ohne Miihe gesam- melt werden. Der Seeraum zwischen der Insel Cosada und Valbandon war der eigentliche Exerzierplatz der Flugschliler. Ich hatte nach dreijahriger Beob- 180 achtertatigkeit ebenfalls den Leidensweg vom ,,kleinen IIupfer“ zum „gro8en Hupfer“ und zur ersten Kurve durchgemacht und die Piloten- priifung abgelegt. Es war schon zu fliegen, ohne dabei den Dummheiten junger Mannschaftspilo- ten zusehen zu miissen. Bei schonem Wetter rutschten die Schulappa- rate den ganzen Tag lang auf dem Exerzierplatze herum, erhoben sich schwankend in die Luft und rissen, sichtlich unfreiwillig, die abenteuerlich- sten Kurven. Manchmal sah es aus, als kamen sie direkt zum Fenster hereingeflogen. Dann kam es wohl auch vor, da8 ein Motorboot sich um ein Flugzeug bemiihte, das Schwanz oder Tragflachen vorwurfsvoll gegen den Himmel reckte. Das wa- ren die „Kraxen“, bei denen aber nie viel ge- schah. Boser und folgenschwerer waren die ge¬ gen Kriegsende immer haufiger auftretenden Tragflachen- und Strebenbriiche. Sie waren be- sonders deprimierend, weil ihre Ursachen Ma- terialfehler waren, untriigliche Anzeichen, daB es auch hier dem Ende zuging. Verluste und steigende Anforderungen hatten zu empfindlichem Personalmangel gefiihrt. Wir waren gezwungen, den Nachwuchs mit ungenii- gender Ausbildung an den Feind zu schicken. Wir Alteren hatten bei der allmiihlichen Ent- wicklung des Luftkrieges Erfahrungen sammeln konnen, diese jungen, siebzehn- bis zwanzig- jahrigen Burschen aber unternahmen ihre ersten Feindesfliige gleich unter den schwersten Bedin- 181 gungen. Erschreckend stiegen die VerlustzifTern an. Es kam der Fruhling des Jahres 1918. Auch in mein kleines Reich hielt er seinen Einzug. Die Wiesen fiirbten sich, auf den Beeten bliihten Veilchen, Primeln und Narzissen und auf den Obstbaumen leuchteten die ersten weiBen und rosa Sterne. Es war so schwer zu glauben, daB inmitten dieses Bliihens und Werdens sich ein groBes, machtiges Reich unter tausendfachem Tod, unter Krampfen und verzweifeltem VVehren zum Ster- ben anschickte. Und doch! — Wer sehen und boren konnte, der wuBte schon im Sommer des Jahres 1918, daB das Ende unvermeidlich sei. Die Unruhen auf der Flotte und die Meuterei auf den Einheiten in der Bocche waren nicht — wie es vielfach dargestellt wird — der Beginn des allgemeinen Zusammenbruches, sondern nur sein erstes Anzeichen in der Kriegsmarine. Die Leute, die damals ihren Offizieren den Ge- horsam verweigerten und allerhand wirres Zeug zusammenredeten, das waren nicht mehr unsere Matrosen, das waren Menschen, die, durch die Lange des Krieges, schlechte Ernahrung und die Untatigkeit auf den groBen SchifTen zermiirbt, einer gigantischen Propaganda von auBen und der systematischen Hetze im Innern erlegen wa- 182 ___ • ren. Die Feindespropaganda war ein mit auBer- ordentlichem Geldaufwand sehr geschickt ange- \vendetes Kriegsmittel. Die innere Hetze wurde teils von marxistischen Volksbegliickern im Sinne „ewiger Friede“, „goldenes Zeitalter“ und „Vbl- kerbefreiung“, teils mit nationalen, den kommu- nistischen also direkt widersprechenden Argu- menten gefiihrt. In den Kopfen der Leute herrschte heillose Vervvirrung. Sie faselten gleich- zeitig von Lenin, von Konig Alexander, dem Be- herrscher des kiinftigen groBslawischen Reiches, und von Wilson, dem groBen Demokraten. DaB sie nach vier Jahren Krieg nach Hause gehen wollten, war begreiflich und niemand wird be- haupten, daB der Krieg ein erstrebenswerter Zu- stand sei. Der verhangnisvolle Irrtum bestand jedoch darin, zu glauben, daB man nur die Waf- fen niederlegen und sich den gerechten Siegern iiberantworten miisse. Alles andere werde der unfehlbare Herr Wilson bestmoglichst erledigen. Man mag den nationalen Bannertragern zum Teil guten Glauben zubilligen, die weit geriebe- neren Marxisten aber entfachten die heilige Flamme der Revolution nur, um ihr eigenes, kleines Siippchen daran zu kochen. Man merkte das herannahende Ende an den groBen Ereignissen des Krieges und an den klei- neren Vorgiingen der eigenen Umgebung. Wenn wir zu den Leuten redeten — wir muBten dies in den letzten Wochen sehr oft tun —, fiihlten wir deutlich die Mauer, die sich zwischen uns 183 und ihnen aufgerichtet hatte. Sie versahen willig den Dienst, mit ihrem Herzen waren sie aber schon in der neuen Welt, von der man ihnen so viel verheiBen hatte. Ich kann nur aus diesem kleineren Gesichts- winkel meines eigenen Erlebens urteilen, und es \vare toricht, Menschen oder Institutionen anzu- klagen, die unter dem harten Zwange der Ereig- nisse standen. Die Art aber, wie wir, die Deutschen und Un- garn der Marine, die letzten k. u. k. Seeoffiziere, den Zusammenbruch mitmachten, lieB in uns das bittere Gefiihl aufkommen, vergessen und im Stiche gelassen zu sein. Ich habe eben den Lehrplan fiir morgen auf- gegeben: Gruppe A — Motorenkunde im Lehr- saal, Gruppe B — Bombenabwurf und Ma- schinengewehriibung auf die verankerte Scheibe, Gruppe C — Auswertung von Lichtbildern der italienischen Kiiste. Nachste Woche wird wieder ein Teil der Schiller nach Cosada zur Flugausbil- dung abgeschoben. Jetzt gehe ich noch zu den neuen Baracken hiniiber und dann fahre ich nach Pola zu meinem Freund Schaki, gestrengem Stabschef beim Kommando des Seefliegerkorps, um ihn mit allen moglichen Wiinschen fiir die Ausriistung der Schule zur Verzweiflung zu bringen. Unter meinem Fenster weidet friedlich unser 184 junges Kamel. Ein deutsches U-Boot hat es vor kurzem von der afrikanischen Kiiste mitgebracht. Ich blicke hiniiber gegen Pola zu. Ein Unter- seeboot verlaBt den Hafen und steuert in die ofTene See, ein zweites und drittes folgen, ge- leitet von einem Zerstorer. Es sind groBe deutsche Boote. Jetzt stoppen sie, und ich kann mir nicht erklaren, was das bedeuten soli. Es sieht aus, als tauchten sie, plotzlich aber baumt sich das eine Boot mit dem Bug steil aus dem Wasser und gleitet dann immer schneller in die Tiefe. Da geht mir ein Licht auf und ich \veiB, daB meine Sorgen um Lehrplan und Ausriistung der k. u. k. Seefliegerschule iiberflussig geworden sind. Der letzte Akt des Dramas beginnt. Die Deutschen versenken ihre U-Boote. Sie haben immer viel friiher als \vir gewuBt, was los ist. Von da an geht alles Schlag auf Schlag. WalTen- stillstand mit Italien, Verhandlungen mit den nationalen Ausschiissen, Seine Majestat entbindet uns des Eides. Am 30. Oktober langt beim Flottenkommando eine lange, sehr verz\vickte Depesche des Armee- oberkommandos ein. Darin heiBt es unter an- derem: „Die Flotte, Marineanstalten und sonstiges Ma- rineeigentum wird dem siidslavvischen National- rate in Agram — in Pola im Wege des lokalen Ausschusses — sukzessive iibergeben . . . Da ein Flaggenwechsel aus internationalen Griinden nicht sofort durchfiihrbar ist, \vare, 185 nach Obergabe an den siidslawischen National- rat, der Fiihrung nationaler Abzeichen neben der Kriegsflagge kein Hindernis in den Weg zu le- gen ... Dem gesamten Štabe steht es frei, auf den Ein- heiten der Flotte und bei den Behorden nach ordnungsmaBiger Obergabe an den siidslawi- schen Nationalrat weiter dienstleistend zu ver- bleiben. . Das war der papierene Tod der k. u. k. Kriegs- marine. Es ist symbolisch, daB nur der Amts- schimmel sie iiberlebt hat. In ganz Pola und insbesondere auf meiner Station wiitet die Grippe. Ober die Halfte meiner Leute ist krank. Ich habe keinen Arzt, keine Medikamente und zu wenig Verkehrsmittel, um die Leute ins Spital zu bringen. Einige Tage vor dem Zusammenbruche hatte eine Sappeurabteilung des Heeres mit dem Bau eines bombensicheren Unterstandes in Valbandon begonnen. Fiir diese guten Leute gab es keinen Zusammenbruch und keine Revolution. Sie sprengten unverdrossen weiter, tagein, tagaus, nachdem es schon langst keine Monarchie und keine Kriegsmarine mehr gab. Beklemmend und gespenstisch, in gleichen Abstiinden wie ein Grabessalut, klangen die dumpfen Sprengschiisse. Eine Welt stirbt. In wenigen Tagen ist ein lebendiger, bis ins kleinste kunstvoll gefiigter 186 Organismus zerstort. Pola versinkt in einem Meer von Kot. An allen Ecken und Enden knattert Gevvehrfeuer, Patrouillen mit dem selbstgefiillig verlotterten Gehaben der Revolution durchziehen die Stadt. Kokarden und Armbinden in allen Farben und Kombinationen beherrschen das Bild. Mitteilung vom Kommando des Seeflieger- korps vom 31. Oktober 1918: „Um 4 Uhr p. m. wird auf allen Einheiten der Flotte die k. u. k. Flagge eingeholt.“ Ich habe das Kommando der Seefliegerschule Valbandon auftragsgemaB dem rangaltesten na- tionalen Funktionar iibergeben. Es ist mein Mo- torbootfiihrer, ein braver Dalmatiner. Aus run- den Augen glotzt er mich verzweifelt an und bittet flehentlich um Rat, \vas er jetzt tun solle. Nachmittags verlasse ich dieStation undwandere landeinwarts die Hiigel hinan. Driiben, gegen Pola zu, breitet sich das lang- vertraute Bild. Die Reihen der Schiflfe, im Hinter- grunde die Hauser der Stadt, Monte Žaro und Kastell. Ich vvarte, — da tonen verworrene Fetzen von Hornsignalen herliber, — dann sinkt auf den SchifTen langsam die rot-wei8-rote Flagge von den Flaggenstocken. Es gibt keine k. u. k. Flotte mehr. Der ganze Friede eines klaren Herbsttages ist um mich. Ringsum wuchert und duftet die Macchie. Das helle Oktoberlicht liegt freundlich 187 « iiber den grunen Hiigeln, leuchtet festlich im Blau des Meeres und glitzert im sanften Gekrausel der Wellen des Strandes — unseres v e r- 1 o r e n e n Strandes.- Bilderverzeichnis Stimmungsbild von der dalmatinischen Kiiste. Erzherzog Ferdinand Max - Denkmal im Policarpo-Park. Die Marineakademie in Fiume . . . . S. M. S. Kaiser Karl VI. Sommer-Eskader 1913. Hafen von Pola. Marinekasino in Pola. Die „Maria Theresia“ im Hafen von Syra Fiirst und Fiirslin von Samos auf der „Maria Theresia“. Seeflugstation Kumbor. Nach der Landung in der Bocche di Cattaro Bombenangriff auf Brindisi. Der Konak in Durazzo. Inspizierung der Flotte durch Kaiser Karl Die Flotte im Hafen von Pola . . . . Q u e 11 e n Alfred Freiherr von Koudelka: Unsere Kriegsflotte 1556 — 1908 . Hans Hugo Sokol: Osterreich-Ungarns Seekrieg 1914 — 1918 . Fiir die freundliche Beistellung von Bildern sei herz- lichst gedankt den Herren: LinienschifTsleutnant a. D. Oberstleutnant Ing. Oskar Buchberger; LinienschifTskapitan a. D. Bruno Dittrich, Ehrenprasident des Marineverbandes; LinienschifTsleut¬ nant a. D. Hans Fischa; LinienschifTsleutnant a. D. Ing. Peter Freih. von Handel-Mazzetti; LinienschifTskapitan a. D. Ernst Klein; Korvettenkapitan a. D. Max Lettner; LinienschifTsleutnant a. D. Nikolaus von Martiny; Linien¬ schifTsleutnant a. D. Ing. Karl Metzl; Marine-SchifTbau- ingenieur a. D. Oberbaurat Otto Popper; Studienrat Prof. Dr. Franz Schicht. I n h a 1 t Vorwort. 9 Pola, San Policarpo. 11 „Allein an ihrem Duft wiirde ich meine Heimat erkennen!“. 17 „Wer nicht geschunden wlrd, wird nicht erzogen“ 22 Erste Seereise.28 Arrest und erste Gage.34 „Ecco i pescatori!“.39 Seekadetten.46 . Der Ozean.54 Siidamerika.63 Sommer-Eskader.80 Pola.93 Levante.103 Addio Mamula ... !.119 Torpedoboot ,,XXX“.126 Das letzte Jahr.134 Operette in Albanien.142 Seeflieger.149 Durazzo.165 Die Flotte.175 Das Ende.178 Bilderverzeichnis.189 Quellen.190