H?^^//5 ^2" Rcise in dcn Rcgentschllftcn Tunis Tripolis «W" / / von 'HeMrich Freiherrn von Mnlhau. Erstcr Band. N cbst ci n o ni A u h a » g: Hleber die muentdeckten pljönizischcu Zuschriften von Karthago. Mil TUrlkupscr, PliNl u«„ Tunn» und 5U lilhagraphivlen Inschvislen. D y k'schc Vuchhandkmg, Prcis dcs voMüldigcn Wcrkcs in dvri utttriinibaren Viinden 4 Thlr. Im Verlage der Dyk'schen Buchhandlung in Leipzig sind erschienen und in allen Buchhandlungen zu haben: Aslier, Dr. I)., offenes Sendschreiben an den hochgelehrten Herrn Dr. Arthur Schopenhauer, gr. 8. yoh. 4 NgT, .Haios, II. W., Der Naturforscher am Amazonenstrom. Leben der Thiere, Sitten und (Gebräuche der Bewohner, Schilderung der Natur unter dem Aequator während eines elfjährigen Aufenthalts. Aus dem Englischen. Mit 8 Kupfern, zahlreichen Illustrationen u. 1 Karte. er. 8. seh. '$'/. Thlv. Becker, K. Fr., El-Z>i<)l,!ngti, >un> drin ftrirchijchcn Altn. Nach den ursftrüna-lichen Quellen und nach MttchMumM u,o,vAilgenzeugen. Mit 1 litboar Plane. gr. 3. geh. ' . 28 ^ar' — Kucllcnstückc «nl> Hludn',i ninv üc» Fcldztt^ l>rr Reichuarmcc un„ 1757' Ein Veitrag zur delltschen Geschichte un 18. Jahrhundert. Mit 2 Karten und 2 Tabellen, gr. 6. geh. 2 Thlr. 10 Ngr. Bungener, Felix, Dr« Prcd,ss b,l-^enm«. Historisches Gemälde. A. d. Französischen. 3 Bde. Mit dem Por-trait des Verfassers. 8. geh. 1,/ H^. Campe, I. H>, Rnliiusun der Mngcrr. Ein Lesebuch für Kinder. 8. geb 6 Nqr' < ll,ni»!»eN, .Ion» (««nst seringhi Lazcha), llez ^nglu-^ffghanen Wanllerunqen uncl Abenteuer unter llen «ilöen 5tämmon cenfralazienz. V<»u ih>,i ^ll.^t wündlich er/.ählt und ni<'schriedell von Ifuliert Oswald I^rv A. o>viil«xt veil Adele Gräfin voil lla^lin^en - ^c!iieli^^, Illnail^ge^ehen vn,l «1. 1'^ I^ei^ehaur. Kehst 5 'l'afeln A!>l»i!,^j,^ 12 i< Chamisso, A. V0N, PtlrrSchlemchk' 'uunders.uinO.cichtchlc. Berichtigte Ausqade Mit den verschiedenen Lesarten, Anmerkungen u. Anleitung. «. geh. 2 Vlgr <'<>i>bt der« nöthigsten Beylagen. Bei müßigen Stunden in gmer Ordnung zusamme" getragen 1727. gr. 8. geh. 1^ Th! ^nlck^hllulc, It., ein achtzehnjähriger Aufenthalt auf ller Lolllkllgfe Afrika A, d. !^i,^!i^cl!!^> ülü^r^et/t, <^r. 8. Mh. 1 'l'hlr. 27 I'i^ Curzon, Rol'ert .jun., ocsuchr i>, den Klöstern dc,- Lcuaulr ^lieise durch AegM ten, Palästina, Albanien u d die Halbinsel Athos). Nach der dritten Auflage deutsch von Meißner. Mit 12 Tafeln Abbild, u. zwei Musitbeilagen. Neue wohlfeile, mit emem Register verm. Ausg. gr. 8. geh. 1 Thlr. 10 Ngr. Neise in den Regentschaften Tunis und Tripolis von Heinrich Freihcrrn van Maltzan. Erster Band. Nebst einem Anhang: Ueber die neuentdeckten phönicischen Inschriften von Aartljago. Mit TilMüpser, Mn >wn Tnni5 und 59 lilh^gruphirle» Inj'chriften. Leipzig. Dy t'fche Buchhandlung. 1870. DaS Recht der Ueberfetzmig bleibt vorbehalten. Seiner Majestät Aönig Audwig dem Zweiten von Bayern, meinem allergnädigsteu Könige, in tiefster Ehrfurcht gewidmet vom Verfasser. Vorwort. <^as vorliegende Wert lain: als eine Fortsetzung meiner „drei Jahre im Nordwesten von Afrika (Leipzig, Dllrr'sche Buchhandlung, 2. Aufl., 1868)" angesehen werden. Letzteres war dem Westen, dieses ist dem Osten jenes großen Lä'ndercomftlexes gewidmet, welchen die Araber el Maghreb, b. h. ihren „Occident", nennen, und der sich von Tripolis bis nach Marokko erstreckt. Die Entwicklung arabischer Cultur auf national berberischein Untergrund ist all' den vier Staaten, welche diesen nordafrikanischen Occident bilden, gemeinsam, aber diese Entwicklung ist weit entfernt davon, überall eine gleiche zu sein. Sie bietet im Gegentheil der Schattirungen und Nüancirungen so viele, daß die Beobachtung und getreue Schilderung dieser Völker nur das Resultat eines längeren Aufenthalts unter ihnen und ausgedehnter, in's Einzelne gehender Reisen in ihren verschiedenen Provinzen und Districten bilden kann. Solche in's Einzelne gehende Reisen zu unternehmen war mir vergönnt und die Beobachtung des LebenS und der Sitten meine vorzugsweise Beschäftigung, dem Satze zu Folge, daß unter den Merkwürdigkeiten aller Länder doch nocb der Mensch die beobachtungswiirdigste ist. So biete ich denn dem Leser hier in erster Linie die Schilderungen des Volkslebens der Tuniser und Tripolitaner. Möge er sie eben so freuudlich aufnehmen, wie früher die der Algierer und Marokkaner. Wer ein Land bereist, in dem wir fast bei jedem Meilenstein auf die Neste der hohen Cultur großer Völker, wie der Römer und Karthager, stoßen, der kann, wenn anders ihm nicht jeder historische VI Sinn abgeht, unmöglich den Wunsch unterdrücken, neben den lebenden auch bie längst verschwundenen Bewohner dieses Landes in ihren noch erhaltenen Werken zu studiren. Dieses Studium bildete denn mein anderes Reisemotiv, und den Resultaten, zu welchen es mich führte, sind manche Seiten dieser drei Bände, vorzugsweise des zweiten, den ich den archäologischen Band nennen möchte, gewidmet. In Allem habe ich mich jedoch bemüht, die übertriebene Häufung gelehrter Citate iu ermüdeuden Noten zu vermeiden und nur auf die nöthigsten Quellen turz und gleich im Text verwiesen. Aber ein wenig Archäologie blickt denn doch hie und da hervor und wird vielleicht als eiu „utile «uin äuloi" manchem Leser nicht unwillkommen sein. Im Anhang zum ersten Baude findet der Freund des phöuici» schen und karthagischen Alterthums, jcncr wichtigsten Periode »ord-afrikcmischer Geschichte, eine Sammlung von 59 Phönicischen Inschriften, von denen nur ein sebr kleiner Theil (einige sieben) bis jcht, freilich in unvollkommener Form, in Europa bekannt geworden waren. Dieselben stammen aus deu neuesten Ausgrabungen von Karthago, welche der Sohn des ersten Ministers von Tunis veranstaltete und dessen Fünde er zu einem Museum vereinigte. Von diesem Museum hatte ick Aufaugs 18K8 gehört und der Wunsch, die in ihm befindlichen Zuschriften zu copireu, bildete deu Hauptgrund meiner zweiten Reise nach Tunis. Wie dieser Wunsch durch das ungebildete, an Vandalismus gränzende Betragen des Museumbefchers vereitelt wnrbe, wie man mir beim Copireu der ersten Inschrift hemmend in den Arm fiel, als ob ich ein Heiligthum eutweiht hätte, habe ich andern Orts ausführlich beschrieben (Sittenbilder aus Tunis und Algerien, Leipzig, Dyk'sche Buchhandluug, 1869). Enttäuscht, aber nicht entmuthigt, reiste ich damals von Tunis ab, kehrte jedoch im October desselben Jahres wieder dahin zurück, immer noch aus Erreichung desselben Zieles erpicht. Dieses sollte mir jetzt durch eine dringende Empfehlung, welche ich der Güte des königlich preußischen Ministeriums verdankte, erleichtert werden. Man VII ließ mich dießmal copiren und diese Coftieen biete ich dem Leser iu den lithographirten Tafeln am Anhang des ersten Bandes. Gern hätte ich ihm jedoch mehr geboten, nämlich nicht die Copieen, fondern die Photographiern besagter Inschriften. Solche Vervielfältigungen durch Lichtbilder bieten den unberechenbaren Vortheil, daß sie jedem Zweifel an der wissenschaftlichen Trene des Herausgebers Schweigen auferlegen und ich erkannte diesen Vortheil so gut, daß ich so bald als thunlich beim tnnisischen Premierminister nm die Erlaub-uiß einkam, die Inschriften Photographiren lassen zu dürfe». Aber so weit giug die halberzwungene Gefälligkeit des Staats» mannes nicht. Copiren hatte man mich lassen, aber Photographiren! — bei diesem Gedanken fiel dem Ministersohn ein, daß er dieß ja selbst thun lassen und durch die Herausgabe eines archäologischen Werkes berühmt werden könne! Man hütete sich jedoch (mit ächt orientalischer Doppelrcdnerei) mir sogleich eine abschlägige Antwort zu geben, sondern ließ mich volle sechs Monate ans Bescheid warten. Ich hatte bereits eine neue Rundreise durch die Provinzen Tunisiens gemacht, mich mehrere Monate in Tripolis anfgehalten nnb noch immer keine Antwort. Schon wollte ich nnverrichteter Sache nach Deutschland zurückkehren, als sich mir Plötzlich durch die Gefälligkeit des englischen Gouverneurs von Malta eiue neue Pforte aufthat, welche mich zur Erreichung meines Ziels zu führen schien. Dieser nahm sich meiner Sache energisch an, schrieb an den englischen Consul in Tunis, ihn ersuchend, noch einmal nm Erlaubniß zum Photo-graphiren nachzusuchen, nnd o Freude!— der Consul antwortete, daß der Minister eingewilligt habe. Schnell schickte ich einen in solchen Aufnahmen geübten Photographen von Malta nach Tunis nnd schon am nächsten Tage bestätigte ein Telegramm von ihm die Worte des englischen Consuls. Aber die Enttäuschung kam nach. Ein zweites Telegramm zerstörte alle meine Hoffnungen und meldete, daß der Ministersohn, beim Anblict des photographischeu Apparats auf andere Gedanken gekommen sei und nun definitiv die Erlaubniß verweigere, weil er selbst die Absicht hege. diese Inschriften herauszugeben. VIII Möge er dieß thun! Die Wissenschaft kann dabei nur gewinnen und vielleicht wirb sein Werk nicht nur ihn berühmt, sondern nebenbei auch noch mir Ehre machen, indem es baithut, daß ich kein ungetreuer Copist war. Da aber bei der traditionellen Langsamkeit der Araber in allen Unternehmungen im Allgemeinen und bei ihrer vollkommenen Apathie in wissenschaftlichen im Besondern — die Herausgabe der Inschriften von Seiten des Ministersohns gewiß noch sehr lange auf sich wird warten lassen, so erlaube ich mir eiustweilen meine Copieen als ein freilich nnvollkommnes, aber doch das einzig unter den Umständen mögliche Surrogat für jene erst spät zu erwartenden Photographiern vorzulegen. Bei der Interpretation haben mir vielfach die Rathschläge unsres ausgezeichnetsten Kenners des phönicischen Alterthums, Professor Dr. Levy in Vreslau, welche derselbe so gütig war, mir brieflich nach Tunis zukommen zu lassen, gclcitet und es ist mir deßhalb eine angenehme Pflicht, ihm hier öffentlich meinen Dank auszusprechen. Schließlich noch ein Wort über die chronologische Folge dieser Reisen. Der erste und dritte, sowie der kleinere Theil des zweiten Bandes sind nieinen beiden letzten Reisen in den Jahren 1868 nnd 1869 gewidmet. Im zweiten dagegen habe ich eine früher, bereits im Jahre 1854 von mir geinachte archäologische Reise in den Provinzen Tunisiens zu Grunde gelegt. Das Werk dürfte dennoch Anspruch darauf machen, als ein Ganzes zu erscheiuen, da ich die ältere Reise durchweg nach meinen neueren Erfahrungen umgearbeitet habe. Was meine Schilderungen der Regentschaft Tripolis im Besondern betrifft, so hat dieses Werk keineswegs die Anmaßung, jenen großen Ländercompler erschöpfend zu behandeln. Dazu wären noch drei weitere Bände von Nöthen. Znbem sind meine Reisen in dieser Regentschaft noch keineswegs zum Abschluß gelangt. Vielmehr hoffe ich dieselben noch weiter auszudehuen, um meinen bisherigen Erfahrungen neue an die Seite zn stellen, und in einer späteren Epoche dem Leser in der vollständigen Beschreibung auch der Nebenprovinzen IX jenes ausgedehnten Landes eine Fortsetzung dieser drei Bände vorlegen zu können. In diesen habe ich mich auf die Hauptstadt, ihre Umgebung und die unmittelbar an Tunisien sich reihenden Provinzen beschränkt. Dresden, den 1«. October I869. Zer Verfasser. Ileber die Rechtschreibung ambischer Uamen. I)ie von mir in meinen früheren Werken befolgte Rechtschreibung lder Aussprache gemäß) habe ich auch hier im Grundsätze beibehalten. Nur bietet sich bei dem tunisischen Dialect die Eigenthümlichkeit, daß manche sich ähnelnde Buchstaben, die im algierischen kaum zu unterscheiden sind, hier scharf in der Verschiedenheit ihrer Betonung hervortreten. Die Sprache nähert sich in dieser Beziehung mehr dein Arabisch des Qorän. Zudem sprechen auch die gebildeteren Araber Tunisiens viele Wörter nicht in dialectischer Verderbthcit, wie das Volk, sondern nach den Regeln der Schriftsprache aus, z. B. sagen sie Ssayydy, nicht Sidi, wie das Volt, I.iauma, nicht Iluma, Qayrucin, nicht Kiruan, u. s. w. Ich sah mich deßhalb veranlaßt, mich in diesem Werke mehr der Schreibweise des literalen Arabisch Zu nähern, ja dieselbe größtentheils ganz anzunehmen und die dialectische Aussprache, wenn sie von der richtigen Schreibart abweicht, in Klammern nebenbei zu geben. Vor allen Dingen schien es mir wünschenswerth, alle arabischen Wörter auf solche Weise durch deutsche Buchstaben wiederzugeben, daß man gleich erkennen könne, für welche arabischen diese Buchstaben stehen. Zu diesen: Zwecke schien mir keine Methode für ein mehr populäres Werk geeigneter, als die von Sprenger in der Einleitung zu seinem „Mohammed, der Prophet" (Vd. I, S. 1 — 5) aufgestellte. Dieses System bietet den Vortheil, die vielen Punkte unter den Buchstaben möglichst zu vermeiden, wodurch andere Methoden dem Druck so viele Schwierigkeiten bereiten. Dennoch glaubte ich in Bezug auf einige wenige Buch- XI staben von der Sftrenger'schen Methode abweichen zu können, und zwar in Bezug auf solche, welche letztere durch fremdländische Lautwerthe, die im Deutschen ein andres Acqui-valcnt haben, wicdcrgiebt. Wenn z. V. ) als z wiedergegeben wird, so ist das der englische Lautwcrthi der deutsche dafür ist jedoch ein einfaches s. Der Buchstabe heißt Sayn, nicht Zayn. Andrerseits ist das deutsche s zu schwach für das arabische ^; letzteres findet sein Aequivalent im Deutschen nur in unserem ss. Nm nicht zwei k, ein vuul'tirtes und unpunltirtes, zu haben und ^ und ^ auch durch die Form schärfer zu unterscheiden, als dieß durch Punkte geschieht, schrieb ich ersteres k, letzteres, wie Wüstcnfeld und andere Orientalisten, q. Nur in zwei Buchstaben war eö mir unmöglich, den Punkt zu vermeiden, d. h. im -!s und im ^, t und I.l. Mein Alphabet ist also folgendes- j mit Fatha a, ^ .^ ^ -, . > alle drei, wenn am Anfang der s nut Kesra t, ', . ^< Worter, j nnt Dhamma o, i < nnt Prolongation a. ^ b. ^, t. ^ th, wie das englische tn in t1l0. ^ dsch. ^ !>, ein starkaspirirtes h. ^> ch, wie in „machen", ^ d. ö ds, in Tunis wie das englische tl,, nur schwächer. ) r. > s, wie in Wesen. ^ ss, wie in Wasser. XII l^i" sch- ^o y^ wie im französischen Nayon. ^ö dh, wie das englische tk in tl^ii-. ^? t, wie t in Todt. H- ts, in Tunis auch ähnlich wie das englische tk, nur stärker. ^ °, ein leichter Guttural, im Deutschen ohne Aequi- valent. ä rh oder gh. In Tunis Nhayn, in Tripolis Ghayn. ^- f. ^H q, in der Stadt wie ein hinten am Gaumen ausgestoßenes k, auf dem Lande wie g in Gut. ^k. ^ l. s» M. ^ n. zo h. . w, in Diphthongen u, mitvorhergehcndem Dhamma ü. ^S y, mit folgendem Kesra yi, mit vorhergehendem Kesra Y. Locate. .7. a. '^' i. .'. . o. Diphthonge. ^.7. in der Mitte der Wörter ay. ^ -7. am Schluß der Wörter a. "7. au. Inhalt. Seite Erstes Oapitel. Tunis, die Stadt. Erster Anblick von Tunis. — Golettci. — Zollplcickercicn. — Kläglicher Zustand des Hafens und der Flotte. — Fahrstraße uon Goletta nach Tunis. — Ankunft im fränkischen Viertel. — Ausdehnung der Stadt. — Wanderung um die Stadtthore. — Die Qa^ba, eine moderne Ruine. — Die Vorstadt VZ,b-ess-Sfuu> qa. — Der heilige Wasserträger. — Europäischer Stadt» theil. — Iudenviertcl. — Das Irrenhaus. — Die Ssnq's oder Basare. — Hauptmoschee. — Der Basar der Rosenölhändler. — Die Gräber der Bey's. — Paläste. — Bä- der. — Gefängniß. — Kasernen......... 1 Zweites Oapitel. Allssemeiner Ueberblick über die uerschie: denen Schichten der Bevölkerung. Die Europäer in Tunis. — Ihre ausnahmsweise günstige Stellung. — Einfluß des Orients auf ihre Moralität. — Consnln und ihre Nachäffer. — Der Consul der Republik San Marino. — Skandalsucht der Tuniser Franken. — Unehrlichfeit einzelner Beamten. — Die Juden in Tunis. — Die tiefe Stnfe, welche sie einnehmen. — Versuche, ihr Schicksal zu bessern. — Reichthum einzelner Juden. — Unehrlichkeit, — Schmutz des jüdischen Viertels. — Die Moslims von Tunis. — Ihr Verhalten gegenüber Andersgläubigen. — Aberglau» brn. — Wunderliche Heilige. — Religiöse Persönlichkeiten. — Vielweiberei. — Ihre beschrankte Anwendung, — Der eigentliche Bürgerstand. — Seine Tugenden und Fehler. — Tracht der Männer und Frauen. — Die Mamlukcn. — Die Knlngly's. — Die Suawua. — Die Dschebäliya. —-Die Dscherkba und andere Ketzer. — Seltsame Gebräuche beim Gottesdienst............- - 50 Vlittes Ollpitel. Regierung und Nessierte. Trauriger Zustand der Regentschaft in der Gegenwart. — Entstehung XIV Seite der Macht der Vey's von Tunis. — Die drei Herrscher« Paläste. — Regierung Ahmed Bey's. — Mohammed Bey. — Der gegenwärtige Regent. — Trauriger Zustand der Finanzen. — Die tunisische Frage hauptsächlich eine Finanzfrage. — Die verschiedenen Anleihen. — Der Conflict mit dem französischen Consul. — Die Teskere's und ihre Gnt-werthung. — Factischer Bankrott. — Einkünfte des Landes. ^ Fehlerhafter Modns der Steuercintrcibnng. — Versuche zur Convertirnng der Schulden. — Die Negierung und die europäischen Finanzschwindler. — Die übrigen Ministerien. — Die sogenannte Constitution und ihr Schick« sal. — Der öffentliche Unterricht. — Das Heer. — Die militärische Grziehuug.............110 Wiertes Oapitel. Eine Audienz beim Bey von Tunis. Ehrenvolle Stellung der Consul» in Tunis. — Fahrt nach dem Bardo. — Der Palast. — Oeffentliche Gerichtssitzung. — Empfang im Innern des Palastes. — Seltsames Vorzimmer. — Antichambriren. — Der Saal der Spiegel. — Die Person des Fürsten. — Nothwendigkeit und Nichtigkeit der ofsiciellen Dolmetscher. — Der erste Minister. — Der erste Dragoman. — Beendigung der Audienz. — Der Thron-faal...................149 Zlünftes Oapitel. Besuche bei tunislschen Großen. Allmacht des ersten Ministers. -— Seine Abknnft und Jugend. — Sein Reichthum und vornehme Wahlverwandtschaft. — Mein Anliegen beim Minister. — Das Mnscum seines Sohnes. — Antichambriren. -^ Das Personal des Mini» steriums. — Thürsteherdienste selbst der höchsten Beamten. — Audienz beim Minister. — Moralität moslimischer Beamten. — Der Aufbrnch des Ministeriums. — Der Sohu und die Gemahlin des ersten Ministers. — Der Candidat mehrerer Akademien. — Besuch beim General Chayr-ed-Dyn. — Der ciuilisirteste Moslim in Tunis. — Seine Reformpläne. — Unmöglichkeit ihrer Durchführung, — lKhayr»ed-Dyn's freiwilliger Rücktritt. — Sein Werk über die Cioilisatiousfähigkeit des Orients. — Eindruck seiner Persönlichkeit................166 Sechstes Kapitel. Der Mittelstand in Tunis. Verhältniß, mäßige Unzugänglichkeit deö Mittelstandes für die Euro» XV Seite päer. — Eigenthümliche Begriffe über Wohlhabenheit. — Die maurische» Kaufleute. — Die Notare. — Die Schulmeister. — Mühiges Leben der Bürger. — Ssy ^»lad und sein Oheim. — Die junge und die alte Gesellschaft. — Die Schrecken der väterlichen Gewalt. — Einladung zum Mittagessen. — Inneres eines tunisischen Bürgerhan« ses. — Der Oheim als Störenfried. — Lurus und Unbequemlichkeit des arabischen Lebens ........200 Kiebenles Oapitel. Das Volksleben im Ramadhän in Tunis. Das eigentliche Volk. — Charakteristische Erscheinung des« selben am RamaMn. — Leiden des Tages und Freuden der Nacht. — Das Hanut und seine wichtige Rolle. — Besuche in meinem Hannt. — Nächtliche Vergnügungen. — Karagns. — Vorurthcile der Europäer gegen denselben. — Die Tänzerknaben im Ramadhän. — Ihre Knnst, Geld zn erpressen. — Die Madkma. — Das jugeudliche wildc Hecr. — Das Gespenst in der Schanbudc. — Der Störer der Geister. — Die Kaffeehäuser in den Ramadhimnächten. — Die arabische Mnsik. — Die jüdischen Mnsikauten. — Arabische Lieder. — Zeitvertreib im Ramadhän bei Tage. — Daö Beschauen des Hofaufznges. — Der Staatswagen des Bey. — Der Leibkutscher und seine Popularität. — Die Begrüßung des Fürsten. — Die Page». — Bcschen« kung derselben. — Rückkehr des Hofes nach dem Vardo . 215 Achtes Oapitel. Karthago und seine Uebeireste. Nnbeden» tmdheit der Ruinen von Karthago. — Mein erster Ausflug zu denselben. — Gesellschaft. — Erster Anblick des Trum» merfeldes. — Das unterirdische punische Karthago. — Das Dorf Duar»esch-Schatt. — Der Circus. — El Mo'älqa und seine Wasserbehälter. — Der Ludwigshügel und seine Kapelle. — Der vermeintliche Tempel des Aeocnlap. — Herr Beulö und seine Nachgrabungen. — Der Tempel der Thanith. — Die Treppe nach dem Meere zu. — Rnincn von Hafen- und Handelsbauten. — Die Wasserbehälter des Teufels. — Der Tempel des Saturn. — Die Häfen uon Karthago. — Die verschiedenen Pläne der alten Stadt. ^ Wandalismus moderner Nachgräber. — Ausflug nach dem Westeude der karthagischen Halbinsel. — Salinen von XVI Seite Hoqra. — Dschebel Chawy, — Cap Qkmart. — Ssayydy Bu Ssz°yd. — Rückkehr über das Seethor des alten Karthago, 269 Neuntes Oapitel. Bü Schätir (Utica) und Biserta lHippo ' Zaritus). Moderne Beförderungsmittel und Verkehrs» erleichtenmg, — Mein Reisegefährte, der Oberst. -^Hcchrt bis zum Medscherda. — Schlammigfeit dieses Flnsscs,.— ' , ' Terrainueränderungen seit dem Alterthum. — Nü Schatir -und Bedeutung des Wortes. — Die Häfen von Utica, — Der Kanal. — Die warme Quelle. — Die Schildkröten. — Amphitheater. — Wasserbehälter. — Hunger der Schild« kröten. — Der See uon Porto Farina — RHZ,r el Melda, — Das „Haus des Bey". — Fahrt nach Biserta. — Römische Ruinen, — Columbarien. — Der See uon Biserta, — Feierlicher Ompfang in Biserta. — Fest der Spahis zu Ehren meines Reisebegleiters......316 Htnhanss. Ueber die neuentdeckten phönicischen Inschriften uon Karthago............... 345 H, 1, Die Dankittschriften in el Manuba...... 343 §. 2. Grabinschrift............. 384 §. 3. Daukinscbriften aus dem Mnseum zn Karthago. . 335 §. 4. Dankinschriften aus la Goletta....... 390 §. 5. Inschriften mit bekannten Namen...... 396 §. 6. Verzeichnis; der in diesen Inschriften vorkommenden neuen phöuicischen Eigennamen und Wörter . . . 398 Mistes Gapitel. Tunis, die Stadt. Erster Aüblics: von Cu,iis. — VoMln, — 'lollplacliereieü. — Rsäglicher 2»' stood des hlise»« u»d d« Flolle. — Führstraj'e ra» G«M!a nach Tunis. — 7I»!lU!lst im srmckischen Vinlel.— Aüsdelmung der "iludl, — wnndcning u>n die 5lMlhore. — Die Na>.l>li, cine >iwdm>e Auine. — Die Norstadl Bnl>>ess< 5su»^i. — 2er heilige wassttlniger. — Eu,opüij'chtt 5>r, d.h. „Nachmittagsmarkt"u.s.lv. Diese Basare bilden nicht etwa architektonisch abgeschlossene Mittelpunkte des Verkehrs, sondern find in den Vorstädten lediglich gewöhnliche offene Straßen, nur in der innern Stadt 16 finden wir diese als Ssuqs dienenden Straßen häufig gedeckt. Das ganze Erdgeschoß der diese Straßen einfassenden Häuser wird von kleinen, nischenartigen, stets offenen Buden eingenommen, in denen der Verkäufer oder Handwerker sein Geschäft treibt. Der Name „Ssuq" selbst besitzt eine sehr weite Bedeutung, er ist eben so gut auf einen in sich abgeschlossenen Basar, auf eine von Buden umgebene Straße, auf einen Jahrmarkt, ja auf einen öffentlichen Platz anwendbar, auf dem vielleicht nur einmal in der Woche Handel getrieben wird. So befindet sich am nördlichen Ende der besagten Vorstadt Nabat el Dschesyra ein großer freier Platz, genannt „Ssuq el Nhonum", d. h. der Schaafmarkt, genannt, der jedoch seiner Bedeutung allwöchentlich nur auf wenige Stunden entspricht. Die Vorstadt Nabat el Dschesyra findet ihren nördlichen Abschluß bei der Qayba, der von massenhaften Mauern umgebenen Citadelle von Tunis, in deren Nähe ein fünftes Thor, das Vab Ssayydy 'Abd Allah, gleichfalls noch zu dieser Vorstadt gerechnet werden muß. Die Qa^ba trennt die südliche Vorstadt, el Dschesyra, von der nördlichen, Nabat ess Ssuyqa, d. h. „Vorstadt des kleinen Markts", ab, indem sie die ganze Breite zwischen den Mauern der Altstadt Tunis und den allgemeinen, Stadt und Vorstädte umfassenden Stadtmauern einnimmt. Ihr Nmkreis bildet ein großes unregelmäßiges Viereck, dessen Mauern und Thore, von außen gesehen, einen recht stattlichen Eindruck gewähren und die Idee aufkommen lassen, als entspräche die Qa^ba wirklich nol Tunis. — M'e ausnahmsweisc giinjlige 5lell»ng, — Einft'ust des Vrienls ai,f ihie Noralüiit. — Cntij'nln und ihre Uachajser. — 2er Consul der AepMik 5an Würiilo. — 5l!!Mdülsucht der Tunijcr Frnnken. — UneWchKeit einzeluer Beamien. — Die Duden in Cunib.— Die liefe !5luft, welche j>e einnehinen. — versuche, ihr Schicksal >ni Essern. — Reichlljum einzelner Iuden. — Uueljrliäikeil,— 5chm,ch des iiidischen vierlels. — Die M°5lin>s uan Tnüis,— üyr verhallen gegeuiiüer Audcisglmilnssen, ^ Al>er< glaillie». — wunderliche heilige, ^ Aeligiöse s.iersönluh>k'ile!>. — viel» weilwei.— Ihre lieschrüMc Anwendung, — Der eige»llicheBnrgcrll,ind.— 5ei»e Tngcudcn und Fehler, — Clacht der Männer und Fraue». — Die Nam-luken. — Die VuluM'5. — Oie ?unw»a, — Die Oschel'ülW. — Die Dschernöl! und nudere Nel/er. — äeltsame Geöninche dei,» Galtesdienst. In keiner Stadt bieten vielleicht dic verschiedenen Elemente, aus welchen die Bevölkerung besteht, größere Contrasts in ihrer äußeren Erscheinung, in ihren Sitten und Gebräuchen, ihren moralischen uder unmoralischen Instinkten, in ihren religiösen Meinungen, ihren Nechtsanschauungen und ihrem allgemeinen Bildungszustande dar, wie in Tunis. Unter diesen Elementen steht uns selbstredend das europäische am Nächsten, welches hier durch einige zehn- bis zwölftausend Vertreter refträsentirt ist, und mit dem wir uns deßhalb zuerst beschäftigen wollen. Wäre dieses Element unverfälscht seinem Ursprünge treu geblieben, das heißt Würde es die Sitten und Anschauungen Europa's noch jetzt so widerspiegeln, daß wir in ihm nur ein Bild unsrer Heimat!) wiederzufinden glauben könnten, so wäre natürlich jede Beschreibung desselben inter- 51 esselos und überflüssig. Dem ist jedoch nicht fo. Die in Tunis ansässigen Europäer, von welchen wir den größten Theil vielleicht richtiger Levantiner nennen sollten, sind in der That ihrer ursprünglichen Heimath entfremdet. Sie sind nur noch dem Namen nach und in der äußeren Erscheinung Europäer, der Sprache nach sind sie es nicht immer, denn viele finden bei Weitem mehr Leichtigkeit, sich arabisch auszudrücken, als in dem Idiom ihres Mutterlandes. Aber obgleich sie aufgehört haben, Europäer zu sein, so sind sie doch deßhalb keineswegs Eingeborne im vollen Sinne des Worts geworden. Sie bilden vielmehr ein Völkchen 8ui Mnens, eine kleine zwitterhafte Mischlingsnation, welche ihre eignen Sitten und Gewohnheiten, ihre eignen Tugenden und Laster besitzt, und welche, trotz der Mannichfaltigkeit des Ursprungs ihrer verschiedenen Elemente, dennoch in vielen Allgemeinheiten übereinstimmt und sich durch diese vom wirtlichen Europäer ebensogut wie vom Eingebornm unterscheidet. Zu diesen Allgemeinheiten gehört zuerst eine eigenthümliche Rechtsanschauung, welche in den seltsamen juridischen Verhältnissen wurzelt, unter denen der Schützling europäischer Konsulate hier lebt. Der Umstand, daß ein solcher Schützling Von der einheimischen Jurisdiction völlig frei ist, daß er nur von seinem Consul gerichtet werden kann, dessen Regiment gewöhnlich ein höchst sanftes, oft ein allzu nachsichtiges zu sein pflegt, erzeugt das Gefühl einer Unabhängigkeit, ja einen gewissen Uebermuth, der an und für sich tein Uebel wäre, ginge er nicht allzuoft mit einer sittlichen Laxheit und einem Bewußtsein von rechtlicher Ungebundenheit Hand in Hand, welche jedes geordneten Rechtszustaudes spotten. Der hier lebende Europäer weiß es aus Erfahrung, daß der Consul, sein einziger Richter, ein großes Widerstreben gegen ein energisches Auftreten in Rechtssachen empfindet, daß er gewöhnlich nur die gröbsten Vergehen und selbst diese kaum vor sein Tri- 4* 52 bunal fordert; was Wunder also, wenn er sich durch recht-liche Gründe nur schwach beeinflussen läßt und sehr wenig Respect vor ihnen hegt. Ist seine moralische Disposition zum Bösen geneigt, so findet er hier das beste Feld, dieß mit einem gewissen Grade von Ungestraftheit ausüben zu können. Der Umstand, daß große Verbrechen, wie in Tunis überhaupt, so auch in dessen europäischem Viertel Verhältnise mäßig selten sind, ist vielleicht eher einem glücklichen Zufall zuzuschreiben, welcher hierher meist Angehörige solcher Nationen geführt hat, deren Gemüthsart eine sanfte ist, nicht aber dem Mangel an Gelegenheit. Ein solches Volk von sanfter Gemüthsart sind die Malteser, welche über die Hälfte der europäischen Bevölkerung von Tunis bilden. So lange sie allein oder wenigstens zum überwiegenden Theil das Proletariat des Frankenviertels aufmachten, gehörten Mordthaten und Todtschläge Zn den größten Seltenheiten. Anders ist dieß erst vor wenigen Jahren geworden, seit sich ein andre« Element des Proletariats hier eingefunden hat, nämlich die zahlreichen vor der Conscription entlaufenen Süditaliencr und Sicilianer. Diese haben dem europäischen Stadttheil nun den traurigen Nuhm verschafft, daß in ihm fast ausschließlich vom ganzen Stadtgebiet von Tunis blutige Verbrechen begangen werden. Eine höchst nachtheilige Folge der Ungebundenheit, deren sich die Europäer hier erfreuen, bildet ihr Widerwille gegen jede, selbst dre vom allgemeinen Besten gebieterisch geforderte Verpflichtung. So hat man bis jetzt die Bewohner des Frankenviertcls noch nicht dahin bringen können, ihre Straßen rein zu halten, welche die schmutzigsten, ungesundesten und übel-riecl'cndsten von ganz Tunis sind, oder sich einer kleinen Abgabe zu unterziehen, welche die Eonsuln in Vorschlag brachten, um endlich einmal eine von den einfachsteil Sanitätsgrundsätzen gebotene Straßenpolizci in's Leben zu rufen. Aller Eifer der Consuln scheiterte an dem bösen Willen ihrer Schutzbefohlenen, welche 53 nicht zum Leisten einer Abgabe angehalten werden konnten, da den Consuln bis jetzt nur die juridische, nicht aber die straßenpolizeiliche Gewalt zustand. So standen also die Europäer in Tunis eigentlich unter gar keiner städtisch-polizeilichen Autorität. In neuester Zeit verspricht dieß jedoch anders zu werden. Die Consuln, in dieser Frage glücklicherweise einig, haben zu Ende des vorigen Jahres (1^63), von ihren Negierungen die Ermächtigung nachgesucht und auch wirklich alle erhalten, von ihren Schutzbefohlenen Abgaben zu straßenpolizeilichen Zwecken zu erheben, und so dürste denn in Zukunft das Frankenviertel nicht mehr das schmutzigste der Stadt und ein häßlicher Schandfleck für die sogenannten civilisirten Nationen bleiben. Zu was für Lächerlichkeiten und zugleich zu welch' lästigen Störungen die Mängel führen, welche dem EMm der eonsularischcn Justiz ankleben, dazu taun uns folgendes Beispiel einen treffenden Beleg liefern. Wird es den Consuln schon schwer, Polizei nnd Justiz auszuüben, wenn es sich nnr um ihre eigenen Untergebenen handelt, so nehmen diese Schwierigkeiten jedoch noch viel größere Verhältnisse an, wenn es sich um einen Conflict zwischen Untergebenen verschiedener Consulate handelt. In solchen Fällen, mag auch das Necht des Einen und das Unrecht des Andern noch so klar auf der Hand liegen, so erfolgt doch jedesmal ein endloser Proceß, den die Advocaten der respeetiven Consulate ausfechten und von dem sie sich mästen, bis die erbärmlichste Kleinigkeit und die einfachste Rechtsfrage, die bei uns ein Richter erster Instanz entscheiden würde, ihre Erledigung gefunden hat. In privatrechtlichen Fällen treffen freilich die Folgen dieses Uebels, wie groß es auch sein mag, doch immer nur Einzelne. Sind aber solche Fälle mit Fragen aus andern Nechtsgebicten eomplicirt, zum Beispiel mit solchen aus dem Straßenpolizeirecht oder der Sanitätsjurisftrudenz, so droht die Verzögerung ihrer Lösung für die gesammte Bevölkerung 54 eine Calamität zu werden. So war es in dem zu besprechenden Falle. Die Sache verhielt sich folgendermaßen: In der „Straße der Malteser", einer der schmutzigsten von Tunis, aber leider einer der unvermeidlichsten, durch die fast alle Bewohner des Frankenviertels täglich Passiren müssen, war nach einen: Hausbrande ein großer Haufe von Trümmern, Erde, Asche u. s. w. mitten auf dem Gassenraume liegen geblieben. Niemand wollte diesen Schutthaufen, der allmählig durch Gassenkoth und durch Nnrath, welchen die benachbarten Malteser darauf entluden, zu einem die ganze Straße verpestenden Ungethüm anwuchs, hinwegräumen. Der Eigenthümer des abgebrannten Hauses behauptete, sein Miether, der Zur Zeit des Brandausbruches darin wohnte, habe die Verpflichtung, den Schutt wegzuräumen, und der Miether schickte die Verpflichtung dem Hauseigcnthümer zurück. Da Beide verschiedenen Nationen angehörten, so mußten nun die Consulate die Sache ausfechten, was sie glaube ich auch sechs Monate lang thaten, worüber sie aber schließlich wegen einer Competenzfragc nicht einig werden tonnten. Unterdessen versperrt aber der Schutthaufen nach wie vor die Straße, verpestet die Luft und die Consuln selbst, welche alle Tage daran vorbei fahren, müssen sich sagen, was für ein mangelhaftes Ding doch ihr Iustizverfahren sei. Eine andere Eigenthümlichkeit, welche wir bei den in Tunis angesiedelten Europäern beobachten, wurzelt in den: merkwürdigen Einstuft, welchen, trotz der Verschiedenheit der Religion und trotz der tiefen Verachtung, mit welcher der christliche Levantiner auf die Moslims herabsieht, eben diese Moslims auf die Sitten und Gewohnheiten der Franken ausgeübt haben. Eine Folge dieses Einflusses, welche dem Fremden am Auffallendsten entgegentritt, bilden die fast orientalische Lebensweise und häuslichen Gewohnheiten der Levantiner. Ohne daß sie einen eigentlichen Harem kennen, ja obgleich 55 sic diesen Begriff höchlichst verabscheuen, so führen doch in der That ihre weiblichen Angehörigen häufig das abgeschlossene Leben moslimischer Haremsgeschöpfe. Jedes Hauswesen zieht sich hier mit beinahe orientalischer Abgeschlossenheit von der Außenwelt zurück, die Frauen gehen selten aus, der Mann besorgt die Einkäufe für die Küche; ja selbst auf diesen Herrn der Schöpfung erstreckt sich der einheimische Einfluß- seine Berührungen mit der Außenwelt beschränken sich auf das Geschäftliche! Erholung und Vergnügen kann er nur in seiner Häuslichkeit finden. Diesem Umstand ist es vielleicht zuzuschreiben, daß die Moral der hiesigen Europäer M Bezug auf die geschlechtlichen Verhältnisse nicht so verderbt erscheint, als man es aus ihrem allgemeinen tiefen Standpunkt der Moralität schließen möchte. Daß dieser Standpunkt aber ein tiefer sei, beweist das laxe Ehrlichkeitsgefühl, welches sich bei allen geschäftlichen Beziehungen geltend Macht. Ehrlichkeit ist bei der großen Mehrzahl der Tuniser Franken eine gänzlich außer Credit gekommene Tugend; so daß derjenige, welcher diese antediluvianische Eigenschaft hier zur Geltung bringen wollte, als Sonderling verlacht werden würde. Als Entschuldigung für diesen Mangel an Ehrlichkeit Hort man hier nicht selten den Umstand anführen, daß die Juden, in deren Händen fast der ganze Handel ist, ja auch und zwar auf die unverschämteste Weise betrügen, und daß kein Kaufmann hier auf einen grünen Zweig kommen könne, welcher sich diese nicht zum Beispiel nehmen wolle. Auch an lächerlichen Seiten fehlt es den hier wohnenden Levantinern nicht. Eine der komischsten derselben ist vielleicht jene kleinliche Pedanteric, mit welcher sic die geringfügigsten europäischen Costümregeln beobachten. Von europäischer Bildung besitzen sie fast nichts, aber im Acnßern auch nur um cin Haarbreit von europäischer Sitte abzuweichen, das scheint ihnen die ärgste Ketzerei. Nirgends findet der ofenrohrartige 56 Cylinder größere Verehrer als unter den Franken in Tunis, nirgends widmet man der Müde größere Aufmerksamkeit, nirgends hängt man so fest an den erbärmlichsten Kleinlichkeiten der äußern Ausstattung des Europäers. Wehe Demjenigen, welcher glaubt, deßwegen, weil er in einem barbarischen Lande ist, sich in seinem Anzug ein wenig gehen lassen zu tMnen, seine alten Kleider auftragen will, oder nicht Geld und Gelegenheit hat, um sich neumodische aus Paris kommen zu lassen, denn von wo anders läßt kein Tuniser Franke, der sich zur ersten Gesellschaft rechnet, seine Kleider kommen. Ein gar nicht mehr junger Mann, aber unverbesserlicher Stutzer, der einst den Löwen der europäischen Colonie in Tunis spielte, unterhielt mich einmal einen ganzen Abend über — man rathe! — den Frack des französischen Consuls. Dieser letztere Herr ist nämlich so vernünftig, nicht übertrieben viel auf Toilette zu halten und trug an jenein Abend einen Frack, der vielleicht altmodisch war, den ich aber gewiß nicht bemerkt haben würde, hätte mich nicht das Orakel der Mode in Tunis darauf aufmerksam gemacht. Wie kann man ein so altmodisches Kleidungsstück tragen! mit zwanzig Aus-rufungszcichen, das war das dritte Wort des Löwen von Tunis. Ein anderer, etwas jüngerer, erst angehender Löwe stellte mich einmal ernstlich darüber zur Nede, warum ich meine Cravatte immer auf dieselbe Weise binde. „Ich könnte es vor Langeweile nicht aushalten", behauptete er, „wenn ich stets mein Halstuch nach einem Modell tragen müßte." Im Clubb von Tunis hörte ich die Elite der männlichen Jugend allen Ernstes die Frage studiren, welche Hosenfarbe am Modernsten sei! O Gott! und um solche Sachen zu hören, kommt man nach Afrika. Lieber die Wüste als ein Frankenviertel in einer afrikanischen Stadt. Die reichere und vornehmere Klasse von Europäern, wozu die Consulsfamilien, deren einzelne oft schon seit Gene- 57 rationm hier ansässig sind, das Personal der Consulate, ferner die reicheren Kaufleute, Bankiers und die zahlreichen christlichen Beamten der hiesigen Regierung gehören, zeichnet sich durch eine ihr eigenthümliche Lächerlichkeit aus, welche wir in unsrer Heimath zuweilen auch, jedoch nirgends zu solch' "Ppiger Blüthe gedeihen sehen, wie in der schönen Stadt Tunis. Diese Lächerlichkeit besteht in einer wahrhaft knabenhaften Sucht nach goldenen Mützenlitzen, nach Ordensbändern und andern eitlen Auszeichnungen, welche hier so gcmein sind, daß sic aufhören, letzteren Namen zu verdienen. Die goldnen Mützmlitzen, welche hier das äußere Merkzeichen einer ofsi-cicllen Stellung auswärtiger Unterthanen bilden, werden nämlich in Tunis nicht nur von allen Consuln, ihren Secretary Kanzlern, Conciftisten u. s. w., sondern außerdem noch von cincr Anzahl von Menschen getragen, welche sich etwas darauf zu Gute thun, ein kleines Acmtchen bei irgend einer hier bestehenden europäischen Institution auszufüllen. So schmücken sich die Beamten des französischen Telegraphen, der italienischen Post und andrer gleich hochwichtiger Anstalten mit goldberändcrten Mützen und fallen damit den armen Tunisern nicht wenig in die Augen, welche vor lauter Gold-glanz nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Da die Consuln in Tunis eine so bevorzugte Stellung einnehmen, so konnte es nicht fehlen, daß diese den Neid und die Eifersucht vieler hier ansässiger Europäer erweckte oder kühne Wünsche und verwegene Pläne in ihnen hervorrief. Consul zu werden, und sei es auch nur von dem kleinsten und erbärmlichsten Fürstenthum der Erde, das ist der Traum eines jcden Europäers in Tunis. Leider giebt es aber der Staaten, welche in dieser Regentschaft wirtliche Interessen haben, nur verhältnißmäßig wenige, und deren Consulate fanden sich unglücklicher Weise von Männern besetzt, die selbst ein Tuniser Tausendkünstler nicht aus ihrer Stellung hinaus- 58 intriguiren tonnte. In dieser Verlegenheit kam es nun den Candidate« der Consulate sehr gelegen, daß einige Duodezstaaten, wie die Republik San Marino und das Fürstenthum Monaco es nicht sehr genau damit nahmen, ob sie Interessen in Tunis haben mochten oder nicht, und sich für Geld und gute Worte dazu herbeiließen, einen Consul daselbst zu ernennen oder vielmehr den eitlen Titel eines Consuls zu verleihen, eines Agenten, welcher zwar gar nichts Zu thun hat, der aber in den Augen der hiesigen Regierung immer noch eine viel höhere Stellung einnimmt, als er verdient und als der Duodezstaat für seinen Vertreter beanspruchen kann, da sich diese Negierung, deren geographische Kenntnisse sehr limitirter Natur sind, unmöglich vorstellen kann, Wie klein und wie erbärmlich die besagte Republik und das genannte Fürstenthuin denn eigentlich seien. Natürlich ist von einem Gehalt für die Vertreter solcher Mächte in Miniatur nicht die Rede, sie müssen im Gegentheil noch froh sein, wenn sich die Republik oder der Fürst die Befriedigung ihrer Eitelkeit nicht allzu theuer bezahlen läßt. Aber so eigenthümlich sind die Verhältnisse am hiesigen Hofe und der hiesigen Negierung beschaffen, daß ein nach unsern Begriffen rein illusorischer Titel nicht nur ein gewisses Prestige ausübt, sondern selbst baaren Vortheil abwirft, sei es im Handel, indem jeder Consul zollfreie Einfuhr beanspruchen kann, sei es bei gewissen Vorkommnissen, wovon folgender Fall ein kurzweiliges Beispiel liefern mag. Der jetzige Bey besaß vor vier oder fünf Jahren einen italienischen Leibarzt, Namens Dr. Lumbroso, ein Individuum, für welches der allerhöchste Puls eine wahre Goldader geworden war. Ms dieser Mann anfing, seine Schätze ansehnlich genug zu finden, um in Tunis eine Rolle spielen zu können, empfand er auf einmal eine heftige Sehnsucht nach einer goldbelitzten Mütze, ohne welche ihm alles Gold in seinen Taschen werthlos 59 schien. Tag und Nacht träumte er nur nur davon, Consul zu werden, womöglich von einer Großmacht. Diesen Traum in Wirklichkeit zu verwandeln, gab er sich die größte Mühe und soll zu diesem Zweck einige zweihundert Briefe an alle möglichen großen und kleinen Veamtcn in allen möglichen großen und kleinen Staaten geschrieben haben, in denen die schönsten Versprechungen von diplomatischen Vortheilen in Tunis den verschiedenen Regierungen den Mund wässern Machten. Keine dieser Regierungen biß jedoch an, außer einer einzigen, derjenigen nämlich der ältesten, leider aber auch der kleinsten Republik der Erde. Wie es dem Doctor gelungen, die zwei Consuln und ihre Senatoren, welche das Nohl des Freistaates leiten, zu bestechen, weiß ich nicht, kurz, es gelang, Lumbroso wurde zum Consul von San Marino ernannt und der Bey von diesen: Ereignis; benachrichtigt. Groß war das Erstaunen bei Hofe, als man diese Ernennung des Vertreters eines Staates erfuhr, von dessen ^listenz man bis jetzt nicht das Geringste gewußt hatte, "ber ein Consul ist einmal ein Consul und refträsentire er auch nur einige Bauerndörfer und ein paar Kuhställe, und so wurde auch Lumbroso in förmlicher Audienz vom Bey empfangen, um ihm seine Creditive zu überreichen. Der Doctor hatte, um die Förmlichkeit seines ersten officiellcn Auftretens zu erhöhen, sich mit einem Gefolge umgeben, welches ein vollständiges Consulatspersonal vorstellen sollte. Natürlich hatte sich die Republik nicht entvölkern können, um ihm dieses Personal zu liefern, dasselbe mußte vielmehr aus solchen Tuniser Franken, welche in ihren ehrgeizigen Plänen sich nicht bis zur Consulswürde selbst verstiegen, sondern mit den untergeordneten Stellen begnügten, gebildet werden. Einige Commis aus Handclsbureaux, ein Apothekergchülfe und, wie ich hörte, auch ein früherer Friseur, das waren die Herren, welche Lumbroso in die improvisirten und von ihm 60 selbst erfundenen Uniformen von Consulatssccretären, Kanzlern, Dragoman n. s. w. der Republik San Marino steckte. Für sich selbst hatte er ein wunderschönes Staatskleid erdacht, welches diejenigen der übrigen Consuln vollkommen auszustechen bestimmt war. Die erste Vorstellung des Consuls der großen Republik ging denn auch wirtlich mit dem feierlichsten Pomp von Statten, wie er bei dem Gesandten einer Großmacht nicht glänzender sein konnte. Der Doctor, wohlbekannt mit den Eitelkeiten des hiesigen Hofes, fand bald darauf noch zweimal Gelegenheit, ähnliche Theateraufzüge zu veranstalten, deren erster wirklich von vollendet komischem Effect war. Da der Bey von Tunis in den letzten zehn oder zwölf Jahren fast von allen Souveränen größerer Staaten deren lebensgroße Oelvorträts geschenkt bekommen und sehr hoch aufgenommen hatte, so kam Lumbroso auf den glücklichen Gedanken, etwas Aehnliches in Bezug auf seine Republik in Scene zu setzen. Die Porträts derjenigen Bauern, welche gerade in dem Freistaat die höchsten Würden bekleideten, würden natürlich wenig Eindruck auf den an Uniformen und Epauletten gewöhnten Vey gemacht haben. In dieser Verlegenheit wußte sich aber der Doctor zu helfen, indem er beschloß, dem Fürsten das vermeintliche Bild des Schutzpatrons der Republik, des heiligen Marino selbst, zu überreichen. Dieses Gemälde, welches auf irgend einem Trödelmarkt von Italien gekauft worden war und irgend einen beliebigen Heiligen vorstellte, welchem man bei dieser Gelegenheit den Namen des Heiligen Marino beigelegt hatte, wurde mit entsprechendem Eeremoniell und großem Pomp überreicht, und der erstaunte Bey, welcher mit Bildern ganz anderer Art vertraut war, erblickte nun das Conterfei eines glatzköpfigen, weißbärtigen, alten Priesters, mit einem goldenen Heiligenschein um den Kopf und mit einem goldbrocatncn Meßgewande betleidet, von dessen Verhältniß zu dem Freistaat und wahrer Bedeutung er keine Ahnung hatte, vielmehr in Bezug auf ihn glaubte, die ganze Republik sei eine Art von geistlichem Staate und werde von besagten: alten Priester gegenwärtig Ngiert. Der andere Theateraufzug, welchen der Doctor zu seiner eigenen Verherrlichung nöthig fand, zur Aufführung zu bringen, setzte dem ganzen Schwindel die Krone auf. Die Republik Scm Marino besitzt nämlich einen Orden, welcher eigens auf Anrathen folcher Männer, wie Lumbroso, vor wenigen Jahren Hu dem Zwecke, um fremden Fürsten und Höfen Sand in bie Augen zu streuen, geschaffen worden ist, und mit dessen Ileberreichung beschloß der Doctor den Bey zu überraschen, ahnlich wie letzterer in neuester Zeit mit den Großtrcuzen wglisclM und französischer Orden geschmückt worden war. Natürlich musite die große Republik ihre Zustimmung geben, was sie unter der Bedingung that, dasi Lumbroso die Insignim bcs Ordens aus eignen Mitteln anschaffen müsse; dieß War freilich eine harte Nuß für die Zähne des Doctors, denn wenn auch die Republik klein ist, so ist ihr Orden doch 3wß und zwar größer und prächtiger, als der irgend einer Großmacht. Dennoch entschloß sich der große Consul zu diesem Opfer; der Orden wurde angeschafft, in einer vergoldeten Staats-Grosse nach dem Bardo gebracht, dort unter den üblichen Zeremonien überreicht und Lumbroso zum Dank dafür mit einem tunisischen geschmückt, auch erhielt er außerdem noch höchst ansehnliche Geschenke, welche vielleicht mehr werth waren, als die ganze Republik mitsammt ihrem Orden. Das ist nämlich des Pudels Kern, daß in diesem Lande die Befriedigung solcher Eitelkeiten noch einen goldnen Boden hat, daß der Ueberrcicher eines Ordens an den Bey in orientalischer Weise gcchrt, d. h. in fürstlicher Weise beschenkt zu werden pflegt, und zwar nicht nur er selbst, sondern Alles, was um und an 62 ihn hängt, decorirt, reich belohnt und so vollauf für die Mühe, einige fade Hofceremonim absolvirt zu habm, bezahlt wird. Dieser Umstand hat zur Folge, daß ein großer Theil des Hofftersonals und der im tunisischen Dienste stehenden Europäer, Griechen, Kopten oder Juden förmlich Jagd auf solche Fremde zu machen Pflegt, welche in der Lage sind, oder doch für fähig gehalten werden, bei ihren Negierungen dahin wirken zu können, daß der Bey einen neuen Orden bekomme: eine Excentricität, welche ich aus eigner Erfahrung verbürgen kann, denn auch an mich erging von Seiten eines im Dienste des Bey stehenden, hochgestellten Europäers die Anfrage, ob ich nicht seinem Landesherrn auf irgend eine Weise den Orden irgend eines kleinen deutschen Fürsten verschaffen könne. Diese Zumuthung sollte durch in Aussicht gestellte Geschenke, sowie durch das Versprechen eines hohen Ordensgrades im Nischan Iftichär eine besonders verlockende Kraft gewinnen, eine Verlockung, die zum Unglück des hohen Beamten an mir gänzlich verloren ging, auch» dann verloren gegangen wäre, wenn ich selbst die Macht besessen hätte, den fraglichen Gegenstand der Eitelkeit aus dem Ordensarchiv des fraglichen kleinen Fürsten-thums heraufzubeschwören. Zur Ehre unseres Vaterlandes sei es gesagt, daß noch kein deutsches Fürstenthum und sei es auch noch so klein, bis jetzt auf diesen tunisischen Ordensschwindel eingegangen ist. Dasselbe kann man nicht von andern Ländern sagen. So wurde vom Fürstenthum Monaco einige Monate, nachdem die internationalen Freundschaftsbezeugungen mit der obengenannten Republik so glänzend zur Aufführung gebracht worden waren, dieselbe Comödie in Scene gesetzt, ein Generalconsul in Tunis ernannt und der Bey mit dem Orden des Duodezstaats geschmückt, von dessen wirklicher Kleinheit er natürlich keine Ahnung besah. Auch bei dieser Gelegenheit regnete es Geschenke und Decorationen. Ein so glänzendes Auftreten von 63 Kleinstaaten, wie San Marino und Monaco, sollte zuletzt noch dio tomische Folge haben, daß sogar andere sogenannte Fürsten, deren Familien schon seit Jahrhunderten aufgehört hatten, ein Fürstenthum zu besitzen, plötzlich den Ehrgeiz empfanden, mit dem Bey Orden auszutauschen. So existirt irgendwo in Italien noch ein Fürst Gonzaga, welcher von den ehemaligen Herzögen von Mantua abstammen soll und einen Orden besitzt, welchen in Europa zwar lein anständiger Mensch zu tragen wagt, welcher aber in Tunis auf einmal eine ganze Classe ehrgeiziger Candidaten in's Dasein rief, die sich alle danach schnten, mit diesem Orden geschmückt zu werden, sobald es bekannt geworden war, daft irgend ein Intriguant den Bey bewogen hatte, ihn anzunehmen. Ebenso ging es mit einem andern Orden, demjenigen vom heiligen Grabe, welchen jetzt ein Bischof in Jerusalem und ein Prior der Franciscaner in Rom verleihen-. auch dieser, einst zur Bekämpfung der Ungläubigen gegründete, nun aber zur Käuflichkeit herabgesunkene Orden wurde dem Bey angehängt und von vielen Europäern in Tunis begehrt und in Empfang genommen. Endlich, um das Maaß der Eitelkeiten voll zu machen, giebt es noch ewige von französischen Gesellschaften gestiftete Medaillen, welche man auf der Brust fast eines jeden europäischen Beamten des Bey's sowohl wie vieler Consulate von Tunis findet, namentlich eine, welche aus Paris stammt, die der sogenannten „8auv6teul'8 ä« 1^ 8oino" zur Rettung der in der Seine Ertrinkenden gegründet, welche man übrigens auch bekommen kann, ohne den geringsten Ertrunkenen gerettet zu haben, wenn man sich nur verpflichtet, der Gesellschaft einen jährlichen Beitrag zu zahlen. Eine so durch goldbelitzte Mützen und Ordensbänder geschmückte Klasse von Menschen, wie diejenige, welche die "ste Gesellschaft des Frankenviertels bildet, kann natürlich nicht ohne Exclusivität bestehen. Auch bilden die Eonsuln, 64 ihr Personal und die reicheren Kaufleute eine kleine Aristokratie, welche nicht gerne niit der übrigen Christenheit von Tunis Händedrücke wechselt. Da es dieser Gesellschaft jedoch an den in Europa üblichen Zerstreuungen fehlt, da es in Tunis weder Theater noch Concert giebt und nur sehr selten ein Fiedelbogcn zum Tanze aufspielt, so mußte man zu einer Unterhaltung andrer Art seine Zuflucht nehmen. Man wählte die schlechteste und nach unsern Begriffen ungebildetste, diejenige nämlich, allein Skandal nachzuspüren, der sich im Frankenviertel oder am Hofe etwa ergeben mochte, diesen breit zu dreschen und auszuschmücken, ja nicht selten, wenn der Stoff sich allzudürftig zeigte, gradezu zu erfinden; und fo kommt es, daß heut zu Tage im europäischen Stadttheil der Nuf keiner einzigen Dame auf zwei Füßen steht, und der Fremde, welcher bei seiner Ankunft mit einer Wolke von skandaltustigcm Geschwätz überschüttet wird, glaubt, Tunis müsse das leibhaftige Canoftus des Juvenal sein, ehe er entdeckt, daß in diesem vielen Skandal denn doch wohl ein wenig Uebertreibung liegen könne. Tunis ist allerdings nicht grade das Paradies vor dem Sündenfall, aber die Tuniser Europäer sind bemüht, es auch ein wenig gar zu schwarz zu malen. In einem Punkte läßt freilich die Moral der Europäer in Tunis Vieles zu wünschen übrig, nämlich in ihrer Ehrlichkeit im Handel im Allgemeinen, und im Besondern in ihren Verkehrsgrundsätzen mit der hiesigen Regierung. Diese Negierung auf die schamloseste Weise zu betrügen, daraus macht sich mit wenigen Ausnahmen kein Tuniser Franke oder Jude einen Skrupel. Man ist im Stande, für Gegenstände, welche zehn werth sind, einen Preis von hundert Zu verlangen und diesen Preis, da der Staat oft langsam zahlt, durch addirte Zinsen noch mit der Zeit auf das Doppelte zu erhöhen. Mit den Coursen der gangbarsten Artikel des Großhandels, mit denen des Kupfergeldes, der Schatzscheine und 65 andrer Papiere wird cm unglaublicher Schwindel getrieben, mancher neue Ankömmling mit ihnen auf schauderhafte Art betrogen und schon Viele, welche im naiven Glauben, hier ihr Capital zu verdoppeln, nach Tunis gekommen waren, haben sich binnen wenigen Wochen ihrer sämmtlichen Baarschaft entledigt gesehen. Viele dieser Sünden müssen freilich auch zugleich den Juden in die Schuhe geschoben werden, mit denen wir uns später beschäftigen werden. Leider lassen diejenigen Europäer, welche ihrer bevorzugten Stellung gemäß mit gutem Beispiel vorangehen sollten, diese Rücksicht oft gänzlich aufter Augen. So giebt es unter den Consuln und Consularbeamtm einige, welche das schlechte Beispiel der schamlosesten Unredlichkeit unvcrhüllt geben. Namentlich eine Art, fich zum Nachtheil der eigenen Regierung und deren Würde, sowie zur größten Beeinträchtigung der Einheimischen, Vortheil zu verschaffen, ist in den letzten Jahren bei vielen Consulate«, von deren Zahl wir Nur das englische, amerikanische und schwedische, sowie vielleicht auch das französische ausnehmen dürfen, zur Gewohnheit geworden. Diese Bereicherungsart besteht darin, daß der Consul einem Unterthan des Bey's seinen officiellen Schutz gewährt, ihn der einheimischen Jurisdiction entzieht und als einen Bürger seiner eigenen Nation anerkennt, natürlich für theures Geld, welches aber Demjenigen, der dafür die Rechte eines Europäers erlangt, nie zu theuer vorkommt. Namentlich sind es die einheimischen Juden, welche ihr oft ungerecht erworbenes Vermögen vor der häufig verdienten Confiscation schützen und Unstrafbarteit für ihre fraudnlösen Speculationen, ihre offenen Betrügereien und tausendfachen Schwindel erringen wollen, die zu diesem Mittel ihre Zuflucht nehmen. In den letzten Jahren pflegten diese Menschen m Mnge williges Gehör und der Bestechung offene Taschen namentlich bei dem spanischen Consular zu finden, welches I. 5 66 in Tunis wegen des schamlosen Handels, den es mit dem spanischen Staatsbürgerrecht trieb, in gerechtem Mißcrcdit steht. Freilich konnten solche Nechte nicht ohne einen Schein von einem juristischen Grund verliehen werden und man war schamlos genug, die Abstammung mancher hiesiger Israelite« aus Spanien als solchen gelten zu lassen, obgleich die dadurch errungenen Rechte durch beinahe vierhundertjährigc Nicht-ausübung längst verfallen sein mußten. Das Komischste bei dieser Sache wax, daß der Consul das spanische Bürgerrecht an afrikanische Juden zu einer Zeit verkaufte, in welcher die spanischen Gesetze noch jedem Israeliten den Aufenthalt auf spanischem Boden untersagten. Eine andere Unredlichkeit, welche sich viele Europäer, selbst solche in ofsiciellen Stellungen, und unter diesen namentlich wu-der die Beamten des genannten Consulats zu Schulden kommen lassen, bildet die sogenannte Speculation mit Bergwerten. Ich gebrauche nicht umsonst das Nort „sogenannt", denn den wahren Zweck dieser Speculationen bildet keineswegs die Ausbeutung der Bergwerke, sondern diese müssen nur den Vorwand hergeben; sie dienen dazu, eine Gelegenheit herbeizuführen, um die Regierung auf ungestrafte Weise betrügen zu können. Diese schöne Speculation wird auf folgende Weise bewerkstelligt. Der Europäer verlangt und erhält (durch den Einfluß der Consuln) die Concession irgend eines der zahlreichen Bleibergwerke in der Regentschaft. Diese Bergwerke liegen zum größten Theil so weit vom Meere, daß die in diesem wegelosen Lande sehr große Schwierigkeit des Transports der Mineralien ungeheure Kosten verursacht und somit die Ausbeutung wenig Nutzen verspricht. Aber daran liegt dem Concessionisten nichts. Er erwartet seinen Vortheil von ganz anderer Seite, nämlich von der hiesigen Negierung, welche er zu zwingen hofft, ihm für eine wirkliche oder vermeintliche Rechtsverletzung, die er geschickt herbcizu- 67 führen bestrebt ist, eine bedeutende Entschädigungssumme zu zahlen. U,m diesen schönen Zweck zu erreichen, wird mit der Negierung ein Contract abgeschlossen, in dem sie sich verpflichtet, dem Concessionisten gewisse Nechtc, Verkehrserleichterungen, selbst Lieferungen von Lebensmitteln zu geringen Preisen, sowie Arbeiter für mäßigen Lohn u. s. w. zu liefern, und dieser Contract wird so verwickelt als möglich abgefaßt, so daß oin geschickter Advokat aus einem einzigen Iota desselben beim geringsten Anlaß eine Rechtsverletzung herausfädeln kann. Die arglose einheimische Regierung besitzt keine Ahnung von all' den verwickelten Clauseln, zu deren Beobachtung sie sich verpflichtet hat, und giebt in ihrem unordentlichen Schlendrian und unregelmäßigen Geschäftsgange sehr bald den gewünsch-ten Vorwand. Dann ist die oÄU»:l litis gefunden, der Concessionist stellt seine Arbeiten im Bergwerk ein, welche Arbeiten er meist nur zum Schein aufgenommen hatte, erklärt sich für beeinträchtigt, behauptet, einen entsetzlichen Geldverlust erlitten Zu haben, und fordert eine entsprechende Entschädigungssumme, eme Forderung, welche der bestochene Consul mit allen ihm M Gebot stehenden ofsiciellen Mitteln unterstützt, bis die arme Legierung, die selbst kaum Geld genug hat, um die aller-nöthigften Ausgaben zu bestreiten, sich gezwungen sieht, dem Schwindler für seinen imaginären Verlust einen Sack voll ^eld zu überreichen. Gegenwärtig herrscht freilich in der Staatscasse eine solche Ebbe, daß diese Speculation nur noch selten gelingt. Dennoch soll noch in diesem Jahre der spanische Consul auf eigne Rechnung etwas Aehnliches in Scene gesetzt haben. Ein womöglich noch weniger erfreuliches Bild, als die Europäer in Tunis, bietet uns die dortige Iudenschaft. Wie überall in den Ländern, in welchen die Juden Jahrhunderte l"ng unter dem despotischen Druck nicht nur eines Fürsten, sondern einer ganzen sie hassenden Nation geseufzt haben, 5* 68 wie überall in moslimischen Ländern, so sehen wir sie auch in Tunis auf der tiefsten Stufe der moralischen Entartung angekommen. Die Ursachen, welche sie zu einem so tiefen Fall geführt haben, müssen ohne Zweifel für uns einen Grund bilden, um ihren moralischen Zustand milder zu beurtheilen, als denjenigen der hiesigen Europäer. In neuester Zeit ist freilich der Druck, welcher auf dem unglücklichen Volk Israel lastet, auch hier sanfter geworden, viele Juden haben sich außerdem noch durch die oben angedeuteten Mittel der Gewalt des Bey gänzlich entzogen, so daß sie mm alle Rechte der Euroftäer genießen, aber die Nachwirkung der alten Tyrannei laßt sich natürlich nicht in wenigen Jahren verwischen, obgleich bei der außerordentlichen Fähigkeit dieses Volkes, sich jedem neuen Zustand zu assimiliren, bei ihm vielleicht weniger Zeit dazu gehört, um jene Nachwirkung zu überwinden, als bei andern Nationen. Einen auffallenden Beleg zu dieser Wahrheit liefern uns die Israelite« in Algier, welche kaum seit 40 Jahren die Mcnschenrechte genießen und sich jetzt schon so sehr civilisirt haben, daß wir sie manchmal nur schwer von Europäern zu unterscheiden vermögen. Die Tuniser Iudenschaft ist von dieser Höhe jedoch leider noch weit, obgleich auch hier Viele angefangen haben, sich wenigstens äußerlich zu europäisiren, aber bis in ihr Innres ist die Civilisation denn doch noch nicht gedrungen. Die hiesige Iudenschaft, welche an 30,000 städtische Mitglieder zählt, pflegt gewöhnlich in zwei Unterabtheilungen eingetheilt zu werden, in die gewöhnlichen Juden und in die sogenannten Grana oder Qräna. Letzteres Wort, dessen Ursprung mir nicht ganz klar ist (wenn es nicht vielleicht von Gornv, Plural Grana, d. h. Livorneser, herkommt), dient hier zur Bezeichnung aller später eingewanderten Juden, namentlich der Nachkommen der aus Spanien unter Ferdinand und Isabella vertriebenen. Die Grana, an Zahl weit unbedeutender, als die übrige Juden- 69 schaft, scheinen immer gewisse Privilegien vor dieser besessen zu haben, sie hatten ihre eignen Oberhäupter und standen nicht direct unter der willkürlichen Herrschaft der Dey's und Bey's von Tunis. Als äußeres Unterscheidungszeichen von den übrigen Israeliten besaßen sie eine eigne, allerdings sehr häßliche Kopfbedeckung, nämlich eine Art von weißer, baumwollener Nachtmütze, während ihre weniger privilegirten Stam-Mesgenossen das schwarze Fes und den schwarzen Turban tragen mußten. Diese Unterscheidungszeichen, welche im Jahre 1852, als ich zum erstenmal diese Regentschaft besuchte, noch gang und gebe waren, sind nun außer Gebrauch gekommen, seit die Tuniser Juden dieselben Rechte wie die orientalischen Naja's erlangt haben und sich, diesen gleich, mit dem rothen Fes, der früher nur den Moslims erlaubten Kopfbedeckung, schmücken. Fast alle Grana in Tunis stehen jetzt unter dem Schutz irgend einer europäischen Macht, indem sie sich bei den (5on-sulaten so gut zu insinuiren und auch klingende Gründe anzuwenden verstanden, daß ihnen ihre angestammte Eigenschaft als Europäer trotz der Verjährung wieder ofsiciell zuerkannt wurde. Eie genießen dadurch alle Rechte der übrigen Europäer, namentlich den ausuahmsweisen Gerichtsstand, und erfreuen sich einer viel unabhängigeren Lage, als wenn sie in Europa selbst lebteu. Ihnen kann die Justiz des Bey nichts anhaben. Ganz anders verhält es sich jedoch mit denjenigen einheimischen Juden, welche noch der Herrschaft des Bey Unterthan sind. Sie sind Ungerechtigkeiten, Erpressungen und Grausamkeiten jeder Art ausgesetzt. Es scheint unglaublich, ist aber wahr und durch ein in meinem Besitz befindliches konsularisches Actenstück behärtet, daß im Jahre 16«» allein 17 tunisische Juden ungestraft ermordet werden konnten, ohne daß irgend Jemand, selbst nicht einmal ein Consul, Einsprache gewagt oder auf die Bestrafung der Mörder gedrungen hätte. 70 In den religiösen Traditionen scheint kein wesentlicher Unterschied zwischen den Grana und den übrigen Israelite« zu bestehen. Beide folgen dem spanischen oder portugiesischen Ritus und sprechen auch das Hebräische, mit einziger Ausnahme des Buchstaben Cheth, den sie nur wie Ha erklingen lassen, diesem gemäß aus. Ich ließ mir von einem Rabbiner Stücke aus der Bibel vorlesen und fand die Aussprache derjenigen sehr ähnlich, wie sie auf unsern Universitäten üblich ist, und sehr verschieden von derjenigen der deutschen und polnischen Rabbiner. Namentlich vermeiden sie die Aussprache des langen Qamez als O, welche dem Hebräisch der polnischen Juden einen so häßlichen .Mang giebt. Eine eigenthümliche rituelle Gewohnheit, welche bei den meisten anderwärtigen Israeliten entweder nie bestanden hat oder doch längst schon außer Gebrauch gekommen ist, hat sich in Tunis erhalten, die nämlich der allmonatlichen feierlichen Absolutionen, welche in jeder Synagoge vom Vorsitzenden Rabbiner verkündigt und von einer Anzahl herumziehender Unterrabbiner in allen Privathäusern nachgepredigt zu werden pflegen, damit auch die Frauen, welche hier von jedem öffentlichen Gottesdienste ausgeschlossen bleiben, am Vortheil des Sündcnnachlasses Theil nehmen können. Dieser Sündennachlaß soll, wie mir von glaubwürdiger Seite versichert wurde, von den meisten der hiesigen Israeliten, deren Bildungsstand leider noch ein tiefer ist, nicht als eine Vergebung ihrer begangenen Sünden allein, sondern sogar als e'me Indemnität für die zu begehenden aufgefaßt werden, ja er gilt, so heißt es, auch zugleich als eine Freisprechung von allen lästigen Verpflichtungen, seien sie nun persönlicher oder commercieller Natur, so zwar, daß ein Tuniser Jude, welcher die Absolution erhalten hat, sich nicht mehr verpflichtet fühlt, irgend welche Schulden zu bezahlen. Bei meinen öfter wiederholten Besuchen in den hiesigen 71 Synagogen fiel mir die geringe Feierlichkeit, der Mangel an Nuhe, Würde und Ernst auf, welcher bei dem Gottesdienste herrscht. So lange die Gesänge dauern, erlauben sich die Knaben allerlei Schabernak mitten im Tempel, ohne daß irgend Jemand es rügt, die Sänger selbst find zerstreut und scheinen ihren Geist, Gott weiß wo, zu haben, nur nicht in den heiligen Büchern, deren Inhalt sie in näselndem Singsang vortragen. Höchst eigenthümlich kam mir auch die Art und Weise des Predigens vor. Der Oberrabbiner, mit einem rothen Fes ohne den Turban, jenes Respectszeichen im Orient, und einem sehr bunten Anzug geschmückt, sah durchaus wie ein Schauspieler aus. Er saß vor einem Tische, auf den er beide Ellenbogen und auf diese sein Haupt gestützt hatte, und hielt in dieser Stellung einen Vortrag, 'welcher mehr der scherzhaften Declamation eines unserer Humoristen glich, als einer Predigt. Er sprach arabisch und zwar mit einer ganz außerordentlichen Volubilität und einem auffallenden Mangel von Ernst und Sammlung. Er sprach von Moses und Aaron, aber die Art und Weise, wie er von ihnen sprach, schien dieses erhabenen Gegenstandes durchaus unwürdig. Er liebte es besonders, polemische Anspielungen zu machen und legte den Gegnern semer Ansicht so seltsame Paradoxen in den Mund, daß sie die ganze Gemeinde zum Lachen hinrissen, ^eberhcmftt glich die ganze Predigt mehr einer scherzhaften Discussion, zu welcher jeder der Anwesenden sein Scherflein beitragen konnte, ein Vorrecht, von dem auch viele Gebrauch machten, denn nicht selten wurde die Rede durch das Da-zwischensftrcchen einzelner Gemeindemitglieder unterbrochen. Bei derselben Gelegenheit wurde ich, als ich ein Gebetbuch der hiesigen Israelite« in die Hand nahm, durch eine höchst merkwürdige Seltsamkeit überrascht, welche dieses enthielt. Die meisten Gebete waren zwar hebräisch, sowohl in der Schrift, als in der Sprache, aber am Schluß des Buches 72 war ich erstaunt, cm sehr langes Gebet zwar auch in hebräischer Schrift, aber in arabischer Sprache abgefaßt zu finden. Dieses Gebet ist das beliebteste und am meisten unter der hiesigen Iudenschaft verbreitete, das einzige, welches die Frauen, die hier niemals hebräisch lernen, verstehen können, und welches deßhalb in den Privathäusern vorzugsweise gebetet wird. Eine Clausel dieses Gebetes ist recht bezeichnend für die finstern Nachegefühle eines unterdrückten Voltes, welches sich an seinen Unterdrückern nicht anders rächen kann, als indem es die Gottheit anfleht, diese zu verderben. Diese Clausel lautet: „Schütte, o Herr, deinen Zorn aus über Spanien, Issmäyl, Kedar und Edom." Nur der Name Issmäyl, der die Araber als Ismaeliten bezeichnet, und derjenige von Spanien, jenes Landes, welches den Juden so große Leiden bereitete, sind hier im buchstäblichen, die beiden andern jedoch im figürlichen Sinne zu verstehen, und zwar wurde mir versichert, würden von der hiesigen Iudenschaft, wenigstens von den Ungelehrten, für welche ja dieses arabische Gebet ausschließlich verfaßt ist, unter Kedar die Anhänger der mohammedanischen Religion (wahrscheinlich die Türken, da ja Issmäyl schon die Araber begreift), unter Edom die Christen im Allgemeinen verstanden. Jedenfalls ist es komisch, ein solches Gebet, Gott möge seinen Zorn auf Spanien ausschütten, bei einem Volke zu finden, von welchem in neuester Zeit so viele sich um den spanischen Schutz beworben und das spanische Bürgerrecht, Dank der Bestechlichkeit des Consuls, erlangt haben. Die Vielweiberei, welche bekanntlich den alttestamentarischen Anschauungen durchaus nicht zuwider ist, wird auch bei der hiesigen Iudenschaft im Princip aufrecht erhalten. In der Praxis findet sie jedoch nur selten ihre Anwendung, ich hörte nur von einem Dutzend Fällen unter einer Einwohnerschaft von 30,000 Israeliten. Auch die Ehescheidungen sollen 73 nicht so häufig sein und von den Rabbinern nur im Falle der Kinderlosigkeit gestattet werden. Im Ganzen ist die Moralität der wohlhabenderen Juden in Bezug auf die geschlechtlichen und Familienverhältnisse eben keine schlechte: die Ehen werden in jugendlichstem Alter eingegangen: die Familienbande gelten für ebenso heilig, wie in Europa: die hülflosen Aeltern werden von den Söhnen, die Kinder von den Tätern mit liebender Sorgfalt, mit jener patriarchalischen Pietät geehrt und gepflegt, wie sie den semitischen Nationen eigenthümlich ist. Bei den ärmeren und armen, ja oft bettelarmen Israeliten hat jedoch der Zustand der Erniedrigung, w dem sie leben, die Unterdrückung von Seiten der Araber, die Geringschätzung ihrer eignen Landsleute, und vor allen Dingen jener schlechteste Nathgeber, die Noth, einen Zustand der Moralität erzeugt, den wir einen tief betlagenswerthen nennen müssen. Alle Laster, selbst diejenigen, welche die Natur verbietet, finden sich hier in einem erschreckenden Grade vertreten. Die Zahl der öffentlichen Frauen ist Legion, ganze Straßen werden von ihnen bewohnt, das schändliche Gewerbe wird in Privathäusern wie in öffentlichen Vordellen ausgebt, ja es wurde mir von höchst glaubwürdiger Seite versichert, daß im Iudenviertel sogar Häuser noch schändlicherer Art existirten. Die verrufenste Iudenstraße von Tunis, nach einem arabischen Heiligen Ssayydy 'Äbd-Alla Qo'sch genannt, darf den schlechtesten Quartieren von London und Paris an die Seite gestellt werden, ja übertrifft sie vielleicht noch an moralischer Versuntenheit. Freilich würde in jenen beiden Weltstädten der Fremde, der in diese schlechtesten Viertel eindringen wollte, sich auch noch in Perfon und Eigenthum bedroht sehen, und insofern verdient vielleicht das Iudenviertel von Tunis immer noch einen Vorzug, denn Mordthaten, Todtschläge und offene Räubereien gehören dort zu den außerordentlichen Seltenheiten. 74 Die sanfte Gemüthsart der hiesigen Israeliten läßt leinen Gedanken an Handgreiflichkeiten und Gewaltthaten aufkommen. Hinterlistige Diebstähle sollen wohl vorkommen, aber doch auch verhältnißmähig selten sein. Unredlichkeit, wenigstens das, was wir Europäer so nennen, ist allerdings bei einem Theile der Iudenschaft an der Tagesordnung, und zwar vielleicht in höherem Grade bei der wohlhabenderen, als bei der ärmeren. Im Kleinhandel fand ich hier nicht die hyperbolische 'Ueberforderung, wie sie in Algier Mode ist', bei den meisten Gegenständen, welche ich zu kaufen versuchte, wurde höchstens ein Zehntel mehr als der rechtmäßige Preis gefordert; machte ich ein zu geringes Angebot, so blieb der Händler einfach bei seiner Weigerung, lief mir beim Weggehen nicht nach und verfolgte mich nicht mit Zudringlichkeiten, wie ich das aus jener Stadt gewohnt war. Auch zeigte sich die zu kaufende Waare meist in gutem Zustande und preiswürdig. Anders sind die Verhältnisse beim Großhandel. Hier erreicht der Betrug in Betreff der Qualität der Waaren wirklich oft fabelhafte Verhältnisse, das Korn wird mit Sand untermischt, die guten Oliven mit solchen von schlechtester Qualität vermengt, das Oel erster Güte mit solchem von der gemeinsten Art vermischt, die tresslichen Datteln des Dscharyd mit den trockenen, erbärmlichen Früchten aus der Umgegend von Ssfaqess vermengt: bei einer größern Lieferung von Häuten, Fellen oder Schafwolle findet der Käufer, welcher für die erste Qualität gezahlt hat, nach Lieferung der Waare, daß die Hälfte der gekauften Rohartitel unbrauchbar ist. In allen diesen Fällen hilft keine Reclamation, denn die Errichtung eines Handelsgerichts gehört in Tunis noch zu den frommen Wünschen. An Betrug gränzend müssen wir auch die meisten Bank-und Wechselgeschäfte, wie sie hier üblich sind, nennen. Ein Fremder, welcher an einen hiesigen Bankier Creditbrief oder 75 Wechsel hat, bekommt sein Geld, selbst wenn sein Creditbrief auf Franken lautet, dennoch in der Landesmünze, d. h. in Piastern ausgezahlt, deren Kursschwankungen so abnorm sind, daß bei diesem Umsatz von einer Münze in die andere gewöhnlich 3—4 Proccnt verloren gehen, denn natürlich berechnet der Bankier die Piaster, welche er liefert, zu dem höchsten, diejenigen, welche er kauft, zu dem niedrigsten Preis, ja viele halten sich für berechtigt, noch um 2 Procent biese Gränze des Curses zu überschreiten. Will dann der Fremde, wie es fast immer der Fall ist, französisches oder englisches Geld statt der Landesmünze haben, so muß er dieses von demselben Bankier kaufen und so gehen wieder 3—4 Procent verloren. Ich erinnere mich, daß ich auf diese Weise für einen Wechsel, der auf 1000 Franken lautete, nach bem doppelten Münzumsatz, gerade nur 900 bekam und zwar Ileß ich mir die Summe in derselben Münze auszahlen, "uf welche der Wechsel lautete. Auch gegen diese Unredlichkeit hilft keine Reclamation. Der Fremde thut deßhalb am klügsten, jeden Wechsel, der auf einen cingebornen Israelite« ausgestellt ist, zurückzusenden und nur solche auf europäische Häuser anzunehmen, deren es zum Glück mehrere in Tunis giebt. Noch größere Verhältnisse erreicht die Betrügerei bei allen denjenigen Israeliten, welche mit der hiesigen Regierung Geschäfte machen. Bei Lieferungen von Lcbensmitteln Munitionen, Kleidungsstücken u. s. w. für die Armee Pflegen so großartige Unterschlcife stattzufinden, daß wir Europäer uns kaum einen Begriff davon machen können. Die Re-rierung läßt sich zwar in ihrer fatalistischen Langmuth die besten Materialien in Rechnung bringen, aber man braucht nur das Brod und Oel, sowie die zerlumpten Kleider der armen Soldaten anzusehen, um zu berechnen, daß die Lieferanten etwa 75 Procent bei dem Handel gewinnen müssen. Einer dieser Lieferanten und zugleich der Intendant der Steuereintreibung, 76 ein gewisser Nissim Samama, hatte sich durch solche und andere fraudulöse Speculationen ein so ungeheures Vermögen erworben, daß er für gut fand, seine Schritte nach andern Gestaden zu wenden. Dieser Biedermann lebt jetzt in Paris und genießt fern von Tunis die Früchte dieser schönen Industrie. Zu ihrem Unglück sieht sich jedoch die tunisische Regierung genöthigt, sich zur Verwaltung ihrer Finanzen dieser Leute zu bedienen, da die Araber in allen Verwaltungszweigen im Allgemeinen, in den Finanzen aber im Besondern eine große Unfähigkeit an den Tag legen, und Europäer will der Bey zu solchen Aemtern nicht, da sie nicht unter seiner Gerichtsbarkeit stehen. Letzteres ist nun allerdings noch mit der Mehrzahl der Israeliten von Tunis der Fall, aber der Bey gewinnt dabei doch nichts, denn diese Schlauköpfe haben sich bis jetzt immer grade in dem Moment seiner Jurisdiction zu entziehen gewußt, in welchem sie durch irgend eine recht himmelschreiende Betrügerei derselben am Schuldigsten verfallen sein mußten. Doch dergleichen warnende Beispiele, wie die Flucht Nissim's, haben die Negierung noch nicht eines Bessern belehrt. Auch der heutige Finanzverwalter, ein gewisser Qayid Momo, gehört demselben Schlage an und ist noch dazu ein naher Verwandter Nissim's. Man giebt diesem Beamten nämlich hier den Titel Qayid, welcher in keinem andern arabischen Lande von Israeliten geführt wird. Dieser Titel bei einem Juden hat wahrscheinlich den französischen Neiseschriftsteller über Tunis, Mr. de Flaux, verblüfft und ihn auf den seltsamen Gedanken gebracht, der flüchtige Qayid Nissim habe letztere zwei Worte als Titel geführt, denn er sagt, 1o üo^ nommn. Kamama »an OMm88im. Die Matadore unter der Iudmschaft treiben dann noch im Großen Wuchergeschäfte mit ganzen Stämmen des Innern, indem sie sich gewöhnlich mit einem Qayid oder Schaych asso- 77 ciiren, welcher in Verbindung mit ihnen die Steuern der armen Unterthanen zu einer Jahreszeit erpressen muß, in welcher grade das Geld am Seltensten zu sein Pflegt. Der Araber, dem im Falle der Nichtzahlung Gefängniß und Prügelstrafe bevorsteht, sucht sich dann mit den grüßten Opfern Geld zu verschaffen und der schlaue Jude benutzt seine Verlegenheit, um ihm seine nächste Aerndte für die Hälfte, oft für ein Viertel des wirklichen Werthes abzukaufen. Auf diese Weise sind schon ganze Provinzen auf Jahre an den Bettelstab gebracht worden. Die kleineren Wucherer in der Stadt eifern diesen Matadoren nach Kräften nach und haben es wirklich in der Kunst, auf hundert Procent zu leihen, sehr weit gebracht. Eine gute Eigenschaft, welche den Israeliten aller Länder eigen ist, nämlich das enge Zusammenhalten, die gegenseitige Unterstützungs-Bereitwilligkeit, kurz das Gefühl der Brüderlichkeit und Solidarität des ganzen Volkes, dieser Glanzpunkt unter allen Eigenschaften des jüdischen Volkes, soll in Tunis, wie ich zu meinem Befremden vernahm, in geringerem Maaße vertreten sein, als bei den jüdischen Genossenschaften andrer Länder. Wmn man in andern Ländern behaupten kann, baß es beinahe beispiellos ist, daß ein Israelite einen Glaubensgenossen übervortheilt habe, so muß man dagegen in Tunis das traurige Factum bestätigen, daß gegenseitiger Betrug nicht nur unter den Genossen einer und derselben Synagogengemeinde, sondern sogar unter den Mitgliedern einer und derselben Familie keine Seltenheit ist, ja der Betrug nimmt sogar zuweilen solch' ungeheure Verhältnisse an, wie sie, hoffe ich, in ähnlicher Weise in Europa nicht vorkommen können. So erregte vor einigen Jahren folgender Fall allgemeines Erstaunen. Einer der reichsten, wie ich glaube, sogar der reichste unter den jüdischen Millionären von Tunis, "n gewisser Cardosli, war jo unwissend, daß er weder lesen 78 noch schreiben konnte. Das Einzige, was man ihm in Bezug auf letztere Kunst beigebracht hatte, war, daß er seinen Namen zu unterzeichnen vermochte. Dieser letztere Umstand, verbunden mit seiner Unfähigkeit, zu lesen, sollte sein Unglück sein. Einer seiner Verwandten verstand nämlich nicht nur die Kunst zu lesen, sondern auch diejenige, Handschriften sehr geschickt nachzuahmen und dieser ließ sich von Cardoso kleine Wechsel auf drei bis vierhundert Piaster u. s. w. ausstellen, wußte es aber so einzurichten, daß der Commis, der den Wechsel schrieb, vor der Zahl so viel Raum übrig ließ, daß man sehr gut eine andere Zahl davor setzen konnte. Nachdem nun Cardoso die kleinen Wechsel unterschrieben hatte, setzte sein Vetter, die Handschrift des Commis nachahmend, vor die Zahl des Wechsels noch einige Hunderttausende, schickte dann die Papiere nach Marseille, Livorno oder Trieft, wo überall die Unterschrift Cardoso's bekannt war. Die Wechsel wurden zu Geld gemacht und Cardoso erfuhr nicht eher von ihrer Existenz, als bis schon zwei bis drei Millionen, nach Einigen noch viel mehr, auf ihn gezogen worden waren. Dennoch hielt er es seiner Ehre angemessen, die ganze Summe zu zahlen, machte aber mit dem lieben Vetter in Zukunft keine Geschäfte mehr. Trotz dieser Unredlichkeit ist jedoch ein großer Theil der Iudenschaft in Tunis arm, ja bettelarm geblieben. Alan kann fast von den hiesigen Juden dasselbe wie von den Eng-" ländern sagen, von denen es oft, wiewohl etwas allzu apodiktisch heißt, daß es bei ihnen nur Reiche und Arme gebe. Das jüdische Proletariat ist das schmutzigste, zerlumpteste und anscheinend ärmste unter den Armen von Tunis, was gewiß m einer Stadt wie diese, welche an arabischem Proletariat einen so großen Ueberstuß besitzt, viel heißen will. Wahrhaft schaudererregend sind die Lebmsmittel, von denen sich dieses Proletariat nährt, welches nicht mit dem reinlichen 79 einfachen trocknen Brod zufrieden ist, aus dem die ganze Mahlzeit eines armen Arabers zu bestehen Pflegt, sondern sich an allerlei vermeintlichen Leckerbissen zu ergötzen gewohnt ist, Lekerbissen von so ominiöfem Aussehen, daß ihr bloßer Anblick auf reizbare Magen wie die Seekrankheit wirken kann. So sieht man in den jüdischen Stadtthcilen an den Thüren der Speisebuden lange Reihen schwarzer, schwärz-licher oder auch nur schmutzfarbener Gerichte ausgestellt, unter denen mir besonders ein abscheulicher Fischragout, mit schwärzlichem ungeläutertem Oel zubereitet, auffiel: aber wenn auch "ach unsern Begriffen unreinlich, so war das Gericht doch koscher und wurde von einem ultrakoschercn streng orthodoxen Sohn Abrahams, in einen öligen Kaftan gekleidet, mit feigen Händen, an seine in Beachtung der Sfteisegesetze überaus strengen Neligionsgcnofsen verkauft. Dieses Proletariat betreibt außer dein Handel mit allem Schmutzigen, Abgetragenen und Zerlumpten, seien es nun Kleider, Hausutensilien oder Möbel, auch noch solche Gewerbs-zweige, vor denen der reinlichere und würdevollere Araber eine Art von instinktivem Abscheu empfindet. So findet "an in ganz Tunis leinen einzigen arabischen Stiefelputzer, und dennoch ist die Zahl der Stiefelputzer Legion, aber dieses Gewerbe wird hier fast ausschließlich von den ärmeren Söhnen Israels betrieben, während doch in dem benachbarten Algier, m welchem der Islam unter der Wolke der Fremdherrschaft steht, der Jude fchon längst die Stiefelbürste an den Araber abgetreten hat. Allerdings gehört mehr Ueberwindung des Ekels und Ncinlichkeitsgefühls dazu, mit dem Gassentoth von Tunis, der ein ganz eigenthümlicher, verjährter, fetter Koch, gleichsam ein Urkoth ist, in nahe Berührung zu treten, als mit dem der reinlichen Stadt Algier. So sehr aber auch die Dürftigkeit dieses israelitische Proletariat bedrängen mag, so ist sie doch nicht im Stande. 80 dasselbe zu dem in einigen Fällen nicht unvortheilhaft erscheinenden Neligionswechsel zu bewegen, sei es nun, um den Islam anzunehmen, eine Annahme, welche dem Bekehrten die Aussicht auf Staatsämter eröffnet, sei es, um sich einer der geistlichen Genossenschaften anzuschließen, welche in Tunis durch Priester und Missionäre vertreten sind. Unter letzteren Genossenschaften zeichnet sich namentlich die anglikanische Kirchengemeinde zur Zeit aus. Dieselbe besitzt hier in Tunis einen höchst eifrigen, seine Mission ernst auffassenden und von der vollen Berechtigung, ja Nothwendigkeit derselben überzeugten Iudenmissionar. Was auch immer meine Ansicht über die Zweckmäßigkeit solcher Missionen sein mochte, so konnte ich dennoch, nachdem ich mich mit der Thätigkeit und der Wirkungsweise dieses Missionars bekannt gemacht hatte, nicht umhin, einzugestehcn, daß derselbe in mancher Beziehung Gutes gestiftet hatte und zwar hauptsächlich durch den Einfluß der von ihm gegründeten Knaben- und Mädchenschule, in welcher einige zweihundert arme Iudenkinder uncntgeldlich Unterricht erhalten und zwar keineswegs' in der Religion allein, sondern in allen möglichen Zweigen der elementaren Wissenschaften. Seltsam ist es freilich, daß die Juden ihre Kinder in eine Schule schicken, in der man den englischen Katechismus und Sprüche aus dem Neuen Testament lernt, aber sie scheinen sicher darauf zu rechnen, daß die Jugend das auf die Religion Bezügliche sehr schnell vergessen, die nützlichen Kenntnisse dagegen bewahren werde. Bekehrt ist sicherlich aus dieser Schule noch kein Knabe oder Mädchen hervorgegangen. Zum Theil mag auch jene Toleranz in Bezug auf den Besuch der Missionsschule in dem geringeren Fanatismus der Tuniser Iudenschaft ihren Grund haben. In andren Städten der Regentschaft, versicherte mir der Geistliche, habe er umsonst versucht, Missionsschulen zu errichten. In Ssussa zum Beispiel habe er keinen einzigen Schüler bekommen können. Ich 81 wohnte einem Examen der Tuniser Missionsschule bei und war wirklich erstaunt zu hören, wie diese Kinder in so kurzer Zeit so Mannichfaltiges gelernt hatten. Die Juden sind eben in allen Ländern ein geistig reichbegabtes, lernbegieriges, civilisationsfähiges Volk. Trotz der oft großen Armuth vieler ihrer Mitglieder, so Prosperirt doch im Ganzen die Tuniser Iudmschaft ebensogut, wie diejenige andrer Länder. Ihre unzweifelhaft höhere geistige Begabung, welche ihnen selbst der ärgste Judenfeind Mgestehen muß, erhebt die Israelite« in culturhistorischer und nationalökonomischer Beziehung hoch über die apathischen, mdustrielosen und ungeschickten Araber. Diese Vorzüge haben ihnen denn auch manche Vortheile gesichert, unter denen die Blüthe ihres ökonomischen Zustandes, während diejenige der Araber immer mehr in Verfall geräth, besonders in die Augen fällt. In den letzten zwanzig Jahren hat der jüdische ^ndustriegeist über den arabischen auch hier, wie in andern Ländern des Islam, die auffallendsten Triumphe errungen. Ganze Straßen und Basare, deren Verkäufer bei meinem ersten Aufenthalte in Tunis (1852) noch alle gläubige Moslims waren, werden nun von Juden eingenommen und wenn es m derselben Proportion weitergeht, so kann man den nicht Mehr fernen Zeitpunkt berechnen, wann der letzte Araber von "en Juden aus den Vasars verdrängt worden sein dürfte. Ihre größere Prosperität, ihre den hygienischen Grundsätzen mehr Rechnung tragende Lebensweise und die eigenthümliche Zähigkeit und Fruchtbarkeit ihrer Nasse bilden ohne Zweifel die Ursachen, warum sich die jüdische Bevölkerung von Tunis in diesem Jahrhundert so auffallend vermehrt hat, wahrend die arabische immer mehr abnimmt. Ganze Stadt-theile, welche vor noch nicht langer Zeit ausschließlich arabisch waren, sind nun jüdisch geworden. Seit die Regierung I 6 82 die Israelite« nicht mehr zwingt, ihr eigenes schmutziges Stadtviertel, die Yära, ausschließlich zu bewohnen, seitdem hat der Bevö'lkcrungsstrom, der sich von diesem Viertel aus ergießt, alle andern Stadttheile überschwemmt. Man zählt gegenwärtig in der Stadt Tunis einige dreißigtausend Is-racliten, was für eine Bevölkerung von höchstens 120,000 Seelen, unter denen 10,000—12,000 Europäer, ein ganz aus-nahmsweises Verhältniß bildet und für dic arabische Bevölkerung nur eine Proportion von zwei Drittheilcn zu den anderweitigen Voltsclcmentcn übrig läßt. Auch in dieser Veziehung würde ein gleichmäßiges Fortschreiten in demselben Verhältniß, welches wir bis jetzt in Bezug auf Zunahme der einen und Abnahme der andern Bevölkerung beobachten, m nicht langer Zeit das vollkommne Ueberhandnchmm der Juden und den Untergang der Araber in Aussicht stellen. Was endlich die arabische Bevölkerung von Tunis betrifft, welche, wie wir gesehen haben, immer noch zwci Dritttheile der gesammten Einwohnerschaft ausmacht, so besteht dieselbe aus verschiedenen Elementen, unter denen natürlich die ursprünglichen Stadtaraber, welche wir Europäer die Mauren zu nennen gewohnt sind, den hervorragenden Rang einnehmen, obgleich die übrigen hier vertretenen moslimischcn Voltstheile zusammen genommen, ihnen an Zahl vielleicht wenig nachstehen dürften. Mit dieser maurischen Bevölkerung hat sich im Lause des letzten Jahrhunderts diejenige gänzlich vermischt, welche ihre Abstammung von den spanischen Moslims aus Andalusien herleitet und hier noch zuweilen mit dem Namen „Landuloss" oder „Andaloss" bezeichnet zu werden Pflegt, obgleich in den meisten Fällen die Traditionen über die Herkunft einzelner Familien sich im Laufe der Jahrhunderte verwischt haben. Der „Landuloss" und der ursprüngliche Stadtarabcr von Tunis bilden heutzutage eine und dieselbe homogene Voltsmasse, welche der Araber des Innern 83 vorzugsweise durch „?unessy" (d. i. Tuniser) oder „Aulad ?uniss" (die linder von Tunis) zu bezeichnen pflegt. Was diese ächten Tuniser besonders kennzeichnet, ist vor Allem ihr tiefrcligiöser Charakter, den man oft Fanatismus genannt hat, welcher jedoch nach unsrer Ansicht diesen Namen nicht verdient, da wir unter Fanatismus jenes gegen alle fremden Religionselemente und deren Angehörige abstoßende Wesen, wie wir es in Marokko und andern Ländern des Islam finden, nicht aber jenes blos sanfte, wenn auch entschiedene Ablehnen heterogener Annäherungen verstehen. Ab-lehnend gegen alle fremden Religionselemcnte und ihre An-^hörige ist die religiose Anschauung und Praxis der Tuniscr; allerdings ihre Moscheen, Heiligeniapellen, ja ihre Friedhöfe bleiben dem Nichtmoslim so unzugänglich, wie in den strengsten Agenden des Orients, ihre religiösen Schriften sollen für dcn Christen unnahbare Heiligthümer, mit sieben Siegeln vcrschlossme Bücher, bleiben, und sind es auch hier in Tunis wenigstens in so fern, als die Oeffcntlichkeit ihr Auge auf sie wirft; so wird zum Beispiel jeder arabische Buchhändler sich entschieden weigern, dem Fremden ein Werk m seinem Laden zu verkaufen, er wird sogar ein aufgeschlagenes Buch, in welches der neugierige Europäer einen Blick zu werfen trachtet, schnell zuschlagen und auf die Seite legen, damit ja das profane Auge nicht die geweihten Buchstaben entheilige. Ja diese ablehnende Haltung geht noch weiter und macht sich selbst in Dingen geltend, welche nach unsern "lropäischen Begriffen mit der Religion gar keinen oder vielmehr einen negativen Zusammenhang haben, indem sich dü' Religion zu ihnen nur abwehrend und tadelnd verhalten kann, welche aber bei den Moslims, so seltsam cs auch klingen mag, dennoch ebenfalls von einem durch religiöse Meinungen beeinflußten Standpunkt aus beurtheilt werden. Wenn wir zum Beispiel in Tunis finden, daß der 84 Eintritt in diejenigen öffentlichen Häuser, deren Bewohnerinnen dem Islam angehören, dem Nichtmoslim mit eben derselben Nnerbittlichkeit verweigert wird, als wären diese Locale Moscheen und nicht Tempel der heidnischen Venus, so wird es uns schwer, zu begreifen, wie dieses Verbot einen religiösen Grund haben könne. Und dennoch ist es so. Die eigenthümlichen sittlichen Anschauungen der Orientalen hängen nämlich so enge mit ihrer Religion zusammen, daß es kaum ein einziges Element des Volkslebens giebt, auf welches letztere nicht irgend einen Einfluß ausübe. Nun bildet aber die abgeschlossene Stellung der Frauen, das heißt ihre Unnahbarkeit in Bezug auf jede Annäherung, welche nicht durch die Ehe geheiligt ist, einen der Haufttgrundsätze des durch die Religion geheiligten Sittencodex. Wenn dieser Grundsatz auch dadurch eine Ausnahme erleidet, daß die Existenz öffentlicher Frauen überhaupt nicht unmöglich gemacht wird (polizeilich tolerirt im officiellen Sinne wird sie eigentlich nie), so sucht man doch diesen Sittenverstoß so viel als möglich der Öffentlichkeit zu entziehen, namentlich dem neugierigen Auge des Europäers. Diesem gegenüber betrachten sich die Moslims gewissermaßen als eine einzige große Familie. Sie kennen die Schwächen und Fehler dieser Familie, sie haben dieselben mitunter selbst hervorgerufen und begünstigen sie, wenn sie ihr Interesse oder Vergnügen fördern, aber sie dem Blick des Ungläubigen zu enthüllen, das schiene ihnen ein Verrath an Religion und Vaterland. Zudem fürchten sie von solchen Annäherungen den schlimmsten Einfluß für die ganze moslimische weibliche Welt. Sie wissen, wie viel Verführerisches die große Freiheit, Welche Europäerinnen genießen, für die Araberinnen besitzt. Wer steht aber dafür, daß der Umgang mit Europäern, wenn er mit der einen Classe von Frauen stattfindet, und diese Classe, wie es nicht fehlen kann, eine freiere Lebensweise zu führen lehrt, sich nicht auch indirect auf die übrigen Frauen geltend 85 macht? Denn eigenthümlicher Weise besitzen grade die Frauen dieser Classe in Tunis auf die übrigen einen nicht unbedeutenden Einfluß, zu dessen Geltmdmachung ihnen nicht die Gelegenheiten fehlen, zum Beispiel Feste, Hochzeiten u. s. w., zu denen sie in ihrer Eigenschaft als Tänzerinnen oder Sängerinnen zugezogen werden, ein Einfluß, dessen Macht leicht erklärbar ist, denn diese Frauen besitzen durch ihre größere Lebenserfahrung eine Art von Superiorität über die andern, sie imftoniren ihnen gewissermaßen, sie gelten für die Weisen und Klugen und werden nicht selten um Rath gefragt. Würden nun diese Araberinnen ein ebenso freies Leben wie ihre Standesgenossnmen in Europa führen, so möchte das Nnsperrungssystem, in Bezug auf die Frauen im Allgemeinen, emen empfindlichen Stoß erhalten. Dieses Einsperrungssystem ist aber einmal in der Religion begründet und darum erscheint es den Arabern im Interesse derselben, daß auch die öffentlichen Frauen vom Umgang mit Europäern fern gehalten werden. Diese mehr oder weniger von der Religion beeinflußten Seiten' des sittlichen Lebens sind übrigens auch die einzigen, w denen sich das ablehnende Verhalten der Tuniser gegen "lles Heterogene geltend macht. Von diesem bis zum abstoßenden Fanatismus, wie wir ihn in andern Ländern des Islam bemerken, ist aber noch ein weiter Schritt. Der Tuniser zeigt sich weit entfernt von jener mißtrauischen Zurückhaltung, welche der Algierer oder Marokkaner den Europäern gegenüber beobachtet. Vielmehr erwartet hier überall den Fremden das freundlichste Entgegenkommen; Frauen und Kinder ergreifen bei seinem Anblick nicht mit Jammergeschrei die Flucht, wie in Marokko und selbst manchen Städten Algeriens; tritt n in einen Laden, ein Kaffeehaus, ein Bad, überall begegnet er freundlichen Gesichtern und gefälligen Manieren, wenn nur er selbst uicht gradezu ein Bär ist, denn die Tuniser sind 86 feme Physiognomiker und entziffern schnell auf dem Gesicht des Fremden das Wohl- ober Uebel-Wollen ihnen gegenüber: entdecken sie letzteres, so verhalten sie sich einfach Passiv; im entgegengesetzten Falle aber sind sie die Liebenswürdigkeit selbst. Wie oft wurde ich von Leuten, die ich gar nicht kannte und die nicht das geringste Interesse dabei haben konnten, auf die zuvorkommendste Weise aufgenommen und bewirthet; ein sicheres Zeichen, daß bei ihnen von Fanatismus nicht die Rede war. Diesen letzteren Namen verdient auch das strenge Festhalten an der orthodoxen Glaubensrichtung, welches die ächten Tuniser kennzeichnet, gewiß nicht; das strenge Einhalten der fünf Gebetszeiten, die gewissenhafte Beobachtung der Fasten im heiligen Monat Namadhan theilen sie mit allen guten Moslims der übrigen Gebiete des Islam. Einen Schritt weiter gehen sie vielleicht in ihrer außerordentlichen Verehrung für verstorbene uder lebende Heilige, eine Seite des religiösen Lebens, welche wir wohl Aberglauben nennen müssen, da das eigentliche Dogma, wie es im Qoran niedergelegt ist, dieselbe nicht kennt und sie folglich als ein überwuchernder Auswuchs des Glaubensgebäudes betrachtet werden muß. Die Heiligen-Verehrung, welche zwar in allen mohammedanischen Ländern, außer in denjenigen der Wahabiten, üpftig gedeiht, scheint mir dennoch in Tunis in hervorragendem Grade entwickelt. Die Zahl der hier verehrten Heiligen ist Legion, aber unter diesen erfreuen sich einige wenige ganz besonders der allgemeinen Beliebtheit. Die geläufigste Bezeichnung für diese Heiligen bildet das Wort „Derwisch", ein Begriff, dessen Bedeutung im Maghreb (Nordwesten von Afrika) eine ganz andere ist, wie im Orient, wo er auf alle Mitglieder der Mönchsorden ausgedehnt erscheint, während er im Maghreb, welcher keine Mönchsorden kennt, die inj gottseliger Beschaulichkeit, Einsamkeit und Abgezogenheit von der Welt lebenden religiösen Persönlichkeiten bezeichnet. Unter diesen Derwischen unter- 87 scheidet man zwei Arten, welche wir nach unserm Sprach' gebrauch die „verrückten" und die „nichtVerrückten" (das Wort „vernünftig" findet auf einen Derwisch wohl kaum seine Anwendung) nennen würden. Die ersteren werden von den Moslims „Buhaliya", d. h. die „Verzückten", die andern ./Myya", d. h. die „Weisen" genannt. Die Buhaliya sind in Wirklichkeit, wenn immerhin sich unter dem Gewand des Wahnsinns nicht schlaue Verstellung verbirgt, wie dieß allerdings zuweilen auch vorkommt, irrsinnige Menschen, welche oft einen Lebenswandel zur Schau tragen, der allen Grundsätzen der Religion zu spotten scheint, und dennoch für Heilige gelten, weil die phantastische Fiction der Moslims in Bezug auf sie anzunehmen liebt, daß ihr Geist im Himmel weile, daß sie in enger Gemeinschaft mit der Gottheit stehen, deren brünstige Verehrung ihren Verstand gänzlich absorbire, während auf der Erde nur ihre sichtbare Hülle zurückgeblieben sei. Ein solcher Buhal (Singular von Vuhaliya) darf ungestraft und ungerügt Alles thun, was Religion, ja was Sitte und Anstand verbieten, dennoch ist er unfähig, ein Unrecht zu begehen. Mag seine Handlung auch durchaus ciuc Verwerfliche sein, eine Sünde ist sie doch nicht, denn wir Menschen sehen nur, was er nach unsern beschränkten Begriffen zu thun scheint, nicht aber das, was er wirklich thut. Verletzt zum Beispiel ein Buhal jenes Gebot des Propheten, welches den Wein verdammt, so sündigt er doch nicht, denn das, was wir kurzsichtigen Menschen für Nein ansehen, ist m der That nicht Nein, sondern ein Trank des Paradieses, in welchen die dienstthuenden Engel den profanen Traubensaft verwandeln, so wie er die Lippen des De^isches erreicht. Oder verstößt ein Derwisch gegen jene heüigste aller Vorschriften, über welche dem Moslim keine einzige geht, gegen das Gebot des Fastens im Namadhan, so begeht er in 88 Wirklichkeit doch kein Nnrecht, denn nur für unsere umnachteten Blicke scheint er zu essen, in der That aber sorgen die Engel dafür, daß kein Atom von dem, was er genießt, in seinen Magen herniedergleite. Sogar einen Ehebruch kann der Vuhal begehen, ohne die Ehe zu brechen, denn die seiner Wollust geweihte Frau erscheint nur dem beschränkten Menschenauge als ein weibliches Wesen und als die Gattin eines Andern, in Wirklichkeit aber ist sie eine Huri des Paradieses, und die mit ihr begangene anscheinende Sünde ist in der That eine andächtige Vereinigung zum Lobe Gottes, ein brünstiges Aufgehen in der Allliebe des Höchsten, ein inniges Verschmelzen zweier auserwählten Seelen in der höchsten religösen Extase. Daß die Buhaliya, von einem solchen Standpunkt aus beurtheilt, eine hohe Verehrung genießen müssen, wundert uns nicht, wohl aber kommt es uns inconsequent vor, wenn die Tuniser in Bezug auf diese Wahnsinnigen verschiedene Stufen der Heiligkeit annehmen und zwar Stufen, deren Höhe nicht nach dem Grad des Wahnsinns bemessen erscheint, sondern nach anderweitigen Gründen. Diese Gründe scheinen von der socialen Stellung des fraglichen Individuums oft wesentlich beeinflußt. Ist zum Beispiel der Vuhal ein Bettler, der sich in allem Gassenkoch von Tunis herumwälzt, von Nn-rath nährt und von den ekelhaftesten Lumpen strotzt, welche oft grade an dem Körpertheile die größten Blößen darbieten, wo sie es am Wenigsten thun sollten, so umgiebt ihn zwar, wenn er eine anständige Höhe des Wahnsinns erreicht hat, immerhin der Nimbus einer gewissen Verehrung, aber dieser Nimbus erscheint doch bei Weitem verdunkelt durch denjenigen, welcher das Haupt eines Derwisches von höherm Stande umleuchtet. Namentlich dann, wenn der Buhal vor seiner Verrücktheit sich der Kenntnisse und des. ehrwürdigen Titels eines ^äleb (Schriftkenners) oder gar eines Mem (Gelehrten) erfreut hat, wird ihn ein blendender Heiligenschein umstrahlen. 89 Ein schlagender Beweis hiervon wird uns geliefert, wenn wir unsern Blick auf die verschiedenen Buhaliya, welche gegenwärtig die Straßen der Stadt unsicher machen, werfen. Unter diesen gehören, soviel ich entdecken konnte, alle bis auf einen einzigen der Classe der Bettelderwische an, welche von der Verehrung der Gläubigen nur ein bescheidenes Theil erhalten. Jener einzige aber bildet den Gegenstand der abergläubischsten Ehrfurcht, welche er, wenn ein selbstkasteiendes, entbehrungsvolles Leben, verbunden mit den Gxcentricitäten eines Verrückten überhaupt hierzu berechtigen, gewiß auch verdient. Dieser noch nicht im Greisenalter stehende Heilige heißt Ssayydy Mohassen und war seines Berufes ein Gelehrter: seine Familie genießt in Tunis die größte Achtung und zählt mehrere ihrer Mitglieder unter den höchsten geistlichen Würdenträgern; sein eigner Bruder ist Mufti an der Hauptmoschee, Dschami" es Saytunai er selbst war gleichfalls zu hohen geistlichen Würden ersehen und seiner Ernennung gewiß, hätte er es nicht vorgezogen, Derwisch zu werden, und hätte ihm die göttliche Gnade nicht den Nang eines Buhnl vorbehalten, mit welchem, so verehrt er auch immer sein mag, dennoch jegliche Amtsführung und sei es selbst die eines Kirchenamts, zu dem bekanntlich kein Neberfluß an Verstand gehört, nicht zu vereinigen ist. Ssayydy Mohassen wohnt in Tunis in einem höchst seltsam aussehenden Hause, an dem ich oft vorbeigekommen war und es lange für eine unbewohnte, halbe Nuine gehalten hatte, ehe ich erfuhr, daß dieß die Wohnung des großen Heiligen sei. Dieses Haus besteht heut' zu Tage eigentlich nur aus einem großen, die Straße überwölbenden Thorbogen, über dein ein kleines Zimmer liegt, dessen einziges Fenster durch einen dichten Bretterverschlag verdeckt ist. Die beiden Flügel des Gebäudes, welche vor etwa zwanzig Jahren noch stattlich und baufest dastanden und die der Derwisch in gutem 90 Zustand von seinen Aeltern geerbt hatte, sind nun Ruinen und zwar erst durch die Bemühung des Heiligen dazu geworden. Denn eine der liebenswürdigen Excentricitäten dieses frommen Mannes besteht darin, daß er sein eigenes Haus dcmolirt und zwar mit einziger Hülfe seiner Hände, daß er Tage lang am Mörtel kratzt, bis er ihn herausgerieben und den dadurch befestigten Stein gelockert hat und so fort, bis ihm im Laufe einiger Jahre die Zerstörung einer ganzen Wand gelungen ist. Einige sehr fromme Moslims wollen dieses Verfahren des Derwisches sogar nicht einmal der Verrücktheit, sondern einem tiefreligiösen Beweggrunde zuschreiben, welcher in der Erkenntniß wurzeln soll, daß das Wohnen in gemauerten Häusern an und für sich sündhaft sei, da ja Adam und die Patriarchen solche nicht kannten und selbst der Prophet nur in einer elenden Lehmhütte hauste. In Folge dieser seit zwanzig Jahren rastlos thätigen Zerstörungswuth des Heiligen ist nun von seinem ganzen Hause nichts übrig geblieben, als das kleine Zimmer über dem Thorbogen, welches dem Derwisch bis jetzt noch zu schonen beliebt hat, wahrscheinlich um nicht mit der Polizei in Collision zu gerathen, die selbst in einer so schlecht verwalteten Stadt wie Tunis nicht zugeben kann, daß man einen Straßen-bogen, unter dem täglich taufende von Menschen Passiren, auf die dem Heiligen beliebte Weise zur Gefährdung so vieler Leben demolire. Vielleicht besaß er auch noch einen andern Grund, um dieses Zimmer zu schonen, den nämlich, daß er selbst doch einen Wohnort und ein Versteck vor den Blicken der Neugierigen haben mußte. Denn in diesem Zimmer hält sich der Derwisch seit Jahren, ohne es jemals zu verlassen, auf. Nur wenige Menschen in Tunis waren so glücklich, ihn jemals zu Gesicht zu bekommen, da er nie aus dem Hause geht und auch keine Besuche annimmt. Einer dieser Wenigen, welcher den Derwisch einmal durch eine Mauerritze erblickt hatte, 91 schilderte mir das höchst seltsame Aussehen desselben, wie derselbe aller moslimischen Sitte zuwider im ganzen Gesicht rasirt sei, wie er sein struppiges Haar einem Veduinenweibe gleich lang wachsen lasse, wie ihm ein Gemisch der eigenthümlichsten buntesten Lumpen und Flicken zur Umhüllung diene. Von was dieser Gottesmann lebt, scheinen die frommen Moslims als ein Geheimnis; zu betrachten, dessen Enthüllung nur der Gottheit zusteht, welche ihren erkorenen Liebling mit der Speise und dem himmlischen Trank des Paradieses ernähren soll. Ich hege jedoch die bescheidene Ansicht, daß diese Vermeintliche Speise des Paradieses ganz einfach in Gestalt einer groften Schüssel voll Kusskussu in sein Haus gelangt, welche ihm sein Bruder, der Mufti, allabendlich Zuschickt. Jedoch ob von Himmelsbrod oder von Kusskussu ernährt, jedenfalls genießt der auf so geheimnißvolle Weise Gefütterte die abergläubigste Verehrung aller tunifischen Moslims; manche Wunder werden ihm zugeschrieben, und sein Grab wird dereinst gewiß eine ähnliche Berühmtheit erlangen, wie die beliebtesten unter den Qobba's von Tunis. So lange er auf Erden wandelt, besitzt freilich die Verehrungssucht der Gläubigen wenig Mittel, sich äußerlich geltend zu machen, da der Derwisch wie gesagt die Nähe der Menschen flieht. Anders verhält es sich in dieser Beziehung mit dem berühmtesten unter den, wie es heißt, nichtVerrückten Derwischen, unter den sogenannten Aifiyya (Weisen), einem gewissen Mohammed ess Ssoldo. Freilich wird es mir schwer zu begreifen, wie dieser Heilige den Titel eines Weisen führen kann und warum man ihn nicht einfach, wie seinen ebenerwähnten Collegen, einen Buhal nennt. Denn von Weisheit ist in dem Benehmen des Gottesmannes auch nicht die schwächste Spur zu entdecken. Wenigstens vermögen unsre beschränkten Blicke keine weise Handlung in derjenigen zu erblicken, welcher sich der sogenannte Hufyv in den letzten Jahren mit Vorliebe 92 ergeben hat. Diese Handlung besteht darin, daß er täglich abgerissene Bausteine aus seinem Fenster auf die Straße wirft und mit heißem Wasser begießt, ein Verfahren, welches nach Ansicht vieler Muslims die Cholera, Hungersnoth und die fürchterliche Tyfthusepidemie, welche die Regentschaft im verflossenen Jahre heimsuchten, auf geheimnißvolle Weise herbeigezaubert haben soll: was aber der fromme Mann mit Herbeiführung aller dieser Leiden bezweckte, das weiß Niemand, oder vielmehr darüber giebt es so viel verschiedene Versionen, daß es einem Nichtwissen des Grundes gänzlich gleichkommt. Auch Ssayydy Mohammed Ssoldo bewohnt sein eignes Haus, und zwar ein recht stattliches Gebäude, aus welchem er niemals einen Schritt auf die Straße setzt; auch er rasirt sich das ganze Gesicht und kleidet sich in phantastische Lumpen, auch er lebt von sogenannter Paradiesesspeise, aber er unterscheidet sich von seinem Collegen Ssayydy Mo1.,assen dadurch, daß er nicht die Nähe der Menschen flieht, sondern seinen zahlreichen Verehrern gestattet, ihn in seinem Hause zu besuchen, eine Erlaubniß, von welcher diese einen weitgehenden Gebrauch machen. Was sie dort unter der Leitung des ehrwürdigen Heiligen beginnen, das habe ich natürlich nie sehen können, aber gehört habe ich es oft, denn häufig, wenn ich am Hause des Derwisches vorbeikam, wurden meine Schritte durch ein seltsames Geräusch wie festgebannt, welches einem tausendtehligen Froschgequake in auffallender Weise glich. Das waren die Gebete der Verehrer Ssoldo's, welche alle im gleichen Tone und scharfen Tacte dieselben Worte und kurzen Sätze, d. h. manchmal nur den Namen Gottes „Allah", manchmal einen Lobspruch, wie „gelobt sei Gott", manchmal ein Fragment des Glaubensbekenntnisses wie „Es ist nur ein Gott" in näselndem Singsang wiederholten. Dazwischen erklang hie und da das Gestöhne eines Verzückten oder das Geschrei eines Wüthenden, die Nachahmung eines Hundegebells oder 93 eines Löwengebrülls, welche andeuteten, daß einige dieser Frommen sich durch lange fortgesetztes Beten schon in die Extase hineingearbeitet hatten, in welcher der Mensch aufhört, seiner Sinne mächtig zu sein. Der Umstand, daß diese sich regelmäßig um den Heiligen Versammelnden gewissermaßen einen Orden bilden, der jetzt zwar erst im Entstehen begriffen ist, der aber gewiß mit der Zeit seine Stelle unter den übrigen religiösen Genossenschaften des Maghreb, den sogenannten Chuän, einnehmen wird, scheint mir allein fähig, einen Erklärungsgrund abzugeben, warum man Ssoldo als einen ^ufyy bezeichnet, da die Ordensmitglieder, trotz ihrer großen Verehrung für die Buhaliya, dennoch nicht gerne ihren Stifter einen Wahnsinnigen genannt hören wollen. Außer den beiden genannten berühmtesten Heiligen lebt in Tunis noch eine große Anzahl äii minoruw Avntmm, Derwische, meist von der Classe der Buhaliya, welche sich nicht in das Geheimniß der Unnahbarkeit hüllen, sondern ihre Verrücktheiten vor der ganzen Welt zur Schau tragen, selbst vor dem Bey und seinem Hofe von jugendlichen Adjutanten und Pagen, einer leichtsinnigen und, wie es scheint, nicht gehörig von Hciligenverehrung erfüllten Jugend, die wit den ehrwürdigen Gottesmännern allerlei Schabernak zu spielen Pflegt, ihnen Wein zu trinken giebt und sich daran ergötzt, wenn die Derwische durch den Rausch noch verrückter gemacht werden, was freilich bei einigen derselben eine schwierige Sache ist, da sie schon den vollen Höhepunkt der Blödsinnigkeit erreicht haben. Unter diesen befindet sich ein gewisser Ilamydu et 'I'rablessy, den man den Hofnarren des Bey nennen kann, ein gewisser Mined esch Schähby, ein andrer Namens j. — Der gegenwärtige Regc„l. — Tran» iger Injiand der Finanzen. — Oie tunisische Frage linuptsächlich eine Finanzsrage. — Oie verschiedenen Anleüjen.— Der Cansticl mit dem sranzösijchen Consul'.— Oie Teskere's und ihre EnlwelllMg. ^ Faclischer Vankrolt, — Einkünfte des landcs. — Fehlelliasler Modus der ^lcim-cintmlinng. — Uersuche M Con> vertirung der 5ch»lden.— Die Regierung nnd die europtüschen Fiücin^schwind» ler. — Die iiürigen Minijlerien. — Die sogenannte Conjlilulwn und iljr Schiciisa!'. — Der öffentliche Unterricht. — Das Heer. — Die militärische Erziehung. ,)Aie letzten Leiden eines in der Auflösung begriffenen Staats", das wäre vielleicht der am Meisten der Wirklichkeit entsprechende, jedoch für unsern Geschmack etwas zu lange Titel, welchen wir diesem Capitel beilegen tonnten, denn die gegenwärtige, politische und national-ökonomische Lage, sowohl der Negierung als der Regierten dieser Regentschaft, bietet uns nichts als ein Bild anscheinend unheilbarer Leiden, wie Wir sie nach gewöhnlichen menschlichen Begriffen als die Vorgänger der Auflösung, des moralischen und politischen Todes, anzusehen versucht sind. Daß diese jetzt zur vollen Höhe ge-diehenm Leiden tief in der Geschichte der letzten Jahrhunderte dieses Landes Wurzeln, ist ein Satz, welchen wir zwar nicht in Abrede stellen wollen, da es beispiellos wäre, daß so auffallende Wirkungen ohne tiefliegende Ursachen vorkämen, aber zur Erklärung dieser Leiden dürfte uns fast allein schon die Geschichte der letzten zwanzig oder dreißig Jahre hm- Ill längliche Erläuterungsgründe an die Hand geben. Deßhalb wollen wir auch dem Leser gänzlich jenen Auszug aus der Geschichte der Regentschaft Tunis ersparen, mit welchem die modernen französischen Reiseschriftstellcr ihre Vücher über Tunis um mehrere Capitel vermehren zu müssen geglaubt haben, und ihn in dieser Beziehung auf das einzige zuverlässige Wert, welches über diese Geschichte in unserm Jahrhundert erschienen ist, auf die „Tunisischen Annalen" des französischen Consuls Rousseau, verweisen, aus welchem besagte Nciseschriftsteller den sämmtlichen Inhalt ihrer historischen Capitel, den sie uns komischer Weise als das Resultat ihrer eignen Forschungen geben, abgeschrieben haben. Allerdmgs enthalten die „Tunisischen Annalen" insofern eine grofte Lücke, als sie uns nicht die viel interessantere Geschichte der moslimischen Eroberung von Afrika, der sclbstständigcn Dy-nastieen der Aghlabyten, 'Obaydyten und Sayryten, sondern nur die Schicksale der Regentschaft seit der Feststellung der türkischen Oberhoheit geben, Schicksale, welche wenig Interessantes, sondern nur die allen unterjochten arabischen Völkern gemeinsamen historischen Eigenthümlichkeiten darbieten, als da smd: beständige Empörungen unzufriedener Stämme, blutige Kämpfe der verschiedenen Statthalter, bald untereinander, bald mit den eignen Unterthanen, bald mit fremden Ein-, dringlingen, das Ringen nach Unabhängigkeit dieser letzteren, bald erfolglos, bald vom Gelingen gekrönt. Durchwandeln wir den obern, die Qa<>-ba umgebenden Theil der Altstadt Tunis, und erkundigen wir uns nach den Namen einzelner dort befindlicher, fürstlicher Paläste, so können Wir in diesen Namen und in der gegenwärtigen Bedeutung der durch sie bezeichneten Gebäude die Geschichte von Tunis unter türkischer Oberhoheit in kräftigen Grundzügen skizzirt erblicken, deren Deutung uns nicht schwer wird. Da haben wir zuerst ein uraltes, jetzt halbverfallenes Gebäude, „Dar 112 ed Dauletly" genannt (neben dem gleichnamigen Bade gelegen) und vor Jahrhunderten von demjenigen Würdenträger bewohnt, welcher die höchste Gewalt in Händen hatte, denn „Dauletly" bildete die arabische Version des türkischen Worts „Dey", ein Titel, welchen im 16. und 17. Jahrhundert die von den Ianitscharen erwählten, vom Sultan bestätigten Herrscher von Tunis führten, ähnlich wie diejenigen von Algier ihn bis zu ihrem Fall, wenigstens im Munde der Europäer, (denn die Moslims nannten sie nie anders, als „Pascha") bewahrten. Aber ungleich den algierischen wußten die tunisischen Dey's nicht die Ungethciltheit ihrer Herrschaft zu erhalten. Neben ihnen entstanden sehr bald andere Gewalten, welche ihnen lange den Rang streitig machten und deren einer es zuletzt sogar gelang, sie gänzlich zu verdrängen. Diese waren die Pascha's und die Anfangs unwichtigen, aber später immer mehr an Bedeutung zunehmenden sogenannten Bey's, ein Titel, welcher ursprünglich nur einen unter dem Dey stehenden militärischen Befehlshaber bezeichnete, aber bestimmt war, hier in Tunis zu einer in andern Ländern des Islam ganz unbekannten Bedeutung zu gelangen. Von der als selbstständiger Würdestellung einst vorhandenen Existenz eines Pascha oder Väscha, wie ihn die des harten Lippenbuchstabens ermangelnden Araber nennen, giebt noch heutzutage das in östlicher Richtung von der Qayba gelegene „Dar el Bäscha" Zeugniß, eine große unförmige Baumasse, bei Weitem weniger verfallen, als das „Dar ed Dauletly", aber gleichwohl jetzt unbewohnt und wahrscheinlich auch unbrauchbar, seit die Würde dessen, nach dem es benannt ward, in derjenigen des Bey aufgegangen ist. Der Pascha war im 16. und^ 17. Jahrhundert unter den drei höchsten Würdenträgern von Tunis gleichsam das fünfte Nad am Wagen. Nicht aus der Wahl der Ianitscharen hervorgegangen, wie der Dey, nicht durch Erblichkeit berufen, wie m der Bey, wurde er direct vom Großsultan ernannt und konnte deßhalb seiner Bestimmung, welche diejenige zu sein schien, zwischen den beiden andern Würdenträgern das Gleichgewicht herzustellen und aufrecht zu erhalten, nur in soweit entsprechen, als die directe Autorität seines Bestallers sich in Tunis lebhaft fühlbar machte. Da dieß aber nur höchst selten, nur vorübergehend der Fall war, und die Oberhoheit des Sultans meistentheils eine nominelle und schattenhafte blieb, so vermochte auch der Pascha nur bei den allerselten-sten Vorkommnissen irgend eine Machtentwickelung zu zeigen oder zu thatsächlichem Ansehen zu gelangen. Anders verhielt es sich mit demjenigen Würdenträger, dessen offieicllc Ncsidcnz zwischen dem Palast des Dauletly und demjenigen des Pascha halbwegs inmitten lag, dem einzigen dieser drei Fürstenpaläste, welcher im Laufe der Zeiten nicht nur dem Verfall getrotzt, sondern sich zu erhöhter Bedeutung, stattlicherer Größe und prächtigerer Ausschmückung erhoben hat, nämlich mit dem „Dar el Bey", oder Haus des Bey, welches noch jetzt den Stadtpalast des regierenden Fürsten und eines der schönsten, wohlcrhaltensten Beispiele maurischer Architectur bildet. Denn während die Macht der Dey's zu Ende des 17. Jahrhunderts thatsächlich aufhörte und ihr leerer Titel Zur Bedeutung eines städtischen Gouverneurs, den der Fürst nach Gutdünken ernennt, hcrabgedrückt wurde, während die Würde des Pascha in derjenigen des Souveräns aufging, gelangte der dritte dieser Würdenträger, der sogenannte Äey, zur unbestrittenen Alleinherrschaft über die ganze Regentschaft, und zwar definitiv zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in der Person Ssavydy Ilossayns ibn Alvy et ^urti, dem Stammvater der jetzigen Dynastie, welche die Gewalt der Dey's ein für allemal brach und ihre Nachfolger zu bloßen Titelträgern herabsetzte. I. 8 114 In der Familie yofsayns ist seitdem die Würde der zwar die Oberhoheit der Sultane anerkennenden, aber thatsächlich unabhängigen Herrscher, unter dem officiellen Titel „Bäscha Bey, hahib Memlekat Tuniss", d. h. „Pascha-Bey, Beherrscher des Königreichs Tunis", erblich geworden und bis auf den heutigen Tag geblieben, und zwar in der Form eines Senioraterbes, so daß jedesmal der Bejahrteste im ganzen fürstlichen Hause zum Thron berufen wird, obgleich nicht die Beispiele fehlen, daß diese Form verletzt wurde. Nichts kann uns hiervon einen bessern Beweis, sowie über die ganze Tunisische Geschichte einen practischeren Ueberblick gewähren, als folgender Stammbaum der Dynastie der IZossayniten, welcher so viel ich glaube, auch das Verdienst hat, unedirt zu sein. 115 I. Nossayn ibn lIllhy, regiert ron 170<>—1?^5, Modammed. HI. Mobammcd IV. °Altty Bet>, II. °UlYY Bäscha, verdrängt Bey, verbrängt sei- folgt seinem seinen Oheim mit Hülfe der neii Vetter °Alyy Bruder, regiert Algierer, regiert von 1735 bis Mscha, regiert von von 175N biZ 175«, sein Sohn Junass lebte als 1758—1759. 178Z. Prätendent in Algier. VII. Mainnub V. Yamüda Väschn, VI. ^Othmän Bey, folgt seinein Nen, ermordet usurpirt die Rechte Bruder im 1,1814, wird in dem- seinen Vetter seines Vetters Mal»- selben Jahre von seinem Vetter ^Othmän, regiert m»d Veli, regiert von Madmud ermordet, dessen Rechte von 1814—1824. 1782-181». er usurpirt hatte. Vm. Mossahn IX. Mu?tllvha Mohammed ibn "Othmkn, nach Bel>, solgt seinem Ney, folgt seinem dem Tode seines Vaters im Gc- Vater, regiert Bruder, regiert iängnif; geboren, bleibt im Gc- 1824—1335. 183,^—183?. sängnib V. 1814—1855, ^ 1808. XI. Modammeb XU. Noilammed 1, °AlhY, 2. 'räyib, i, Pnbar, X. Akmeb Vey. 3, El Nmyn, Ney, folgt seinem eic Revolution hatte die Staatscassen völlig geleert, obgleich sie für die tunisischcn Großen eine Quelle der Bereicherung bildete, denn alle mit Bekämpfung derselben betrauten Generäle und Beamten benutzten diesen Vorwand, um von den armen Unterthanen, gleichviel ob schuldig oder unschuldig, große Summen zu erpressen; ganze Stämme wurden ausgeplündert, in vielen sogar die Frauen aller ihrer Schmucksachen mit Gewalt beraubt und die Oberhäupter so lange im Gewahrsam gehalten, bis sie sich durch ungeheure Lösegelder loskauften. Namentlich der jetzige Kriegsminister General Säruq, gleichfalls ein griechischer Mamluk, soll in dem Feldzug gegen die Rebellen den Grund zu seinem ungeheuren Vermögen gelegt haben-, seinem Beispiel folgten alle übrigen großen und kleinen Würdenträger, und der erste Minister erhielt natürlich von all' den erpreßten Geldern den Löwenantheil in Gestalt einer großartigen Bcstechungssummc, welche ihn bestimmte, seine Untergebenen nach Belieben schalten Zu lassen, aber in die Staatseassen floß von diesen erpreßten Geldern auch nicht ein Kupferstück. Um diese Casscn wieder zu füllen, wurde die Zweite Anleihe, diejenige vom Jahre 1865 abgeschlossen und zwar für eine Summe von 36 Millionen, Welche gleichfalls wieder das Budget mit einer jährlichen Zahlung (für Zins und Amortisation) von nahezu 4 Millionen gravirte. Als Garantie dieser Zahlung wurden die Stellern auf die Olivcnärndte, sowie auf die Einfuhr (Duancn) gegeben. Die Regierung hatte sich also nun zu einer jährlichen Zahlung von 8 Millionen Franken verpflichtet und die wichtigsten Quellen ihrer Einkünfte verpfändet. Dennoch wäre vielleicht 124 der Zustand kein verzweifelter gewesen, denn sicheren Quellen zu Folge betrugen die Staatseinkünfte am 1. Januar 1866 noch 16 Millionen Franken, hätte nur der erste Minister auf der gefährlichen Bahn, die er betreten, innegehalten. Aber wie es scheint, war die Verlockung zu groß, sich selbst durch Weiteres Verschulden des Staates zu bereichern und so wurden neue Teskere's in Masse ausgegeben, welche binnen einem Jahre die Summe von 20 Millionen erreichten. Diese schwebende Schuld zu consolidiren, sollte im Jahre 1867 eine 3te Anleihe Mit mehreren Frankfurter Häusern, refträsentirt durch ein Pariser Haus, contrahirt werden, welche wegen der Credit-losigkeit der Regierung nicht zu Stande kam. Auf diese 3te Anleihe hatte jedoch die Negierung bereits einen Vorschuß von 4 Millionen von einem der besagten Häuser erhalten, und als Garantie sämmtliche Stadtzölle (Octroi's), das Product sämmtlicher in Pacht gegebenen Steuern, die Zehnten auf die Cerealien und sämmtliche Ausgangszölle verpfändet. Der Betrag der garantirten Staatseinkünfte (die Ausgangszölle allein gab der Chasnadär auf 2^ Millionen Franken jährlich an) war allerdings hinreichend für die Sicherstellung der Zinszahlung der ganzen Anleihe vom Jahre 1867, wäre sie zu Stande gekommen; da dieß aber nicht der Fall war, so hielt sich die Regierung durch diese Verpfändung ihrer Einkünfte nicht gebunden, worin sie dann freilich in ihrem Recht gewesen wäre, wenn sie nicht den obenerwähnten Vorschuß von 4 Millionen angenommen hätte. Für diesen Vorschuß mußte jedoch die Verpfändung gültig bleiben. Die Rücksicht auf diese noch nicht gelöste Verpflichtung setzte jedoch der erste Minister gänzlich außer Augen, indem er die bereits verpfändeten Ausgangszöllc als Garantie für die Consolidirung einer dringenden Platzschuld von Neuem verpfändete. Inzwischen wurde die finanzielle Lage des Staates durch 125 Cholera, Mißärndte, Hungertyphus, sowie durch die im Herbst 1867 ausgebrochene neue Revolution, an deren Spitze der Prinz Ssayydy el 'Adel Bey stand, dermaßen verschlimmert, daß nun selbst die bisherigen schwachen Einkünfte nicht mehr bezogen werden konnten, oder wenn etwas von ihnen eingebracht wurde, so lieferte doch das offenkundige Elend dem ersten Minister einen Vorwand, um die Staatscassen den Gläubigern gegenüber für leer zu erklären oder auch, wenigstens zeitweise, wirklich leer zu lassen, und fast alles eingegangene Geld in seine eignen Taschen zu stecken. Zugleich schlug der Chasnadär eine andere Politik ein. Die Schwäche des französischen Agenten zu jener Zeit verdoppelte den Muth des englischen und italienischen Consuls und es wurde denselben ein Leichtes, die auswärtigen Anleihen, welche alle bis jetzt unter französischem Schutz standen, von der Regierung gänzlich ignoriren zu machen und alle etwa noch vorhandenen Mittel den inneren Schulden, d. h. den Schatzschcinen oder Tcskere's, deren Besitzer sich unter englischen und italienischen Schutz gestellt hatten, zuzuwenden. Diese Platzschulden waren inzwischen durch Agio, Zinsen u. s. w. auf 40—50 Millionen angewachsen. Der erste Versuch zur Befriedigung dieser Gläubiger wurde unter der Aegide von italienischen Häusern in Tunis und unter dem besondern Schutz des englischen Consuls, dessen Schutzbefohlene, die Maltesischen Geschäftsleute, sich dabei um namhafte Summen betheiligt hatten, gemacht. 12 Millionen Franken Teskcre's wurden in neue Obligationen (innere Schuld) convertirt. die Mit 12"/o verzinslich und zu 3 Raten in 3, 5, und 9 Jahren rückzahlbar sein sollten. Durch diese neue consolidirte Schuld, welche man die erste Conversion nennt, lud sich die Regierung "ne jährliche Zinszahlung von 1,820,000 Franken, die Amortisation gar nicht einmal zu rechnen, auf. Als Garantie hierfür verschrieb sie den betreffenden Häuscrn, unter dcren Patronage die Consolidation vorgenommen wurde, die Ausfuhrsteuer 126 auf Oel, Wolle, Seife und Datteln, grade diejenigen Steuern, welche sie früher schon zweimal verpfändet hatte. Als ein Beleg zu dem Leichtsinn, mit welchem die Negierung hierbei Verpflichtungen einging, möge der Umstand dienen, daß sie allen Denjenigen, welche die Teskerebesitzer zur Theilnahme an der ersten Conversion zu bewegen wußten, eine Commission von 5"/o garantirte, welche sich durch anderweitige fraudulöse Sftecu-lationen noch viel höher steigerte, so daß man berechnet hat, daß von dem ganzen ersten Converfionsanleihen zwei Millionen durch Commissionsgebühren verloren gingen. Natürlich erhoben die Besitzer der älteren Pfandrechte gegen diese Beeinträchtigung ihrer Interessen Widerspruch. Da dieser Widerspruch aber erfolglos blieb, so ermuthigte dies die anderen Tcskerebesitzer, sowie die tunisischc Negierung, welche sich um jeden Preis vor den einheimischen Gläubigern Ruhe verschaffen wollte, zur Veranstaltung einer zweiten Consolidation von 10 Millionen Franken Teskere's der schwebenden Schulden. Dießmal wurden schlauer Weise auch noch französische Häuser dazu genommen, welche die Verwaltung der ihnen verpfändeten Steuern mit übernahmen. Unter diesen Steuern befanden sich jedoch abermals solche, welche schon früher verpfändet waren, wie man sich aus folgender Liste derselben überzeugt, die uns zugleich ein Bild von der großartigen Veräußerung des öffentlichen Guts geben tann. 1) Die Stempclgebühren. 2) Die Zehnten auf die Olivenärndtc. 3) Alle Ausgangszölle, welche nicht der ersten Conversion verpfändet sind. 4) Die Pachtgelder der Getreidemärkte. 5) Ein Theil des Einkommens des Fruchtmarkts. 6) Ein Theil des Ertrags des Tabalmonoftols. 7) Ein Theil der Steuer des Belad el Dscharyd. L) Das Product der Fischereipacht. 12? 9) Die Pacht der Einkünfte der Provinz Ssfaqess. 10) Der Ertrag der Salzverpachtung in Tunis. 11) Das Pachtrccht für Wein- und Branntwein-Fabrikation. Schließlich noch einige 10 Nummern, welche die Pachtungen der Einkünfte kleiner Städte, Seehäfen oder auch ganzer Stämme als Sicherstcllung anwiesen. Ein Supplementarvertrag erweiterte diese zweite Conversion um 10 Millionen, so daß sie nun im Ganzen ein Capital von 20 Millionen mit einer Zinszahlung von 2,400,000 Franken darstellte. Dieser andern Hälfte der 2ten Conversion wurden folgende Staatseinkünfte verpfändet: 1) Sämmtliche Steuern der Provinz Ssussa. 2) Der Pachtzins der Schwämme und Polypen-Fischereien. 3) Die Einkünfte von der Provinz Mistyr (Monastyr). 4) Die Einkünfte von folgenden Stämmen: a) Faräschysch, d) Wartan, 0) Madschir, ä) Ußlatiya, 6) Dschenduba,' t') Auläd Ssayd, 3) Biscrta und Nass cl Dschebel, k) Auläd Vayr, 1) Vadscha, k) Qayak. Endlich wurde eine dritte Conversion von Anfangs acht, später 15 Millionen Franken veranstaltet und derselben als Garantie der Ertrag der Verpachtung des Kalks, der Kohlen, der Lederfabrikation, des Gypses, der Backsteinfabrikation und die Steuer der Pacht von Dscherba, die Ausfuhrsteuer der Wolle, der rothen Mützen, der Häute der Stämme Nafat und Ssuassa und die Steuern von 6^ Procmt auf die 128 Hausmiethe in Tunis, sowie die Einkünfte der Dar ei Dscheld gegeben, lauter Einkünfte, welche schon früher mehrmals verpfändet worden waren. Inzwischen war jedoch die Unzufriedenheit der Obligationsbesitzer der äußeren Anleihen, welche seit 2 Jahren keme Coupons gezahlt bekamen und die ihre Aussicht auf spätere Zahlung durch die sich häufenden neuen Anleihen wesentlich vermindert sahen, auf's Höchste gesteigert worden, so daß sie die französische Regierung darum angingen, sich ihrer Sache anzunehmen. Dieß geschah auch Anfangs wirklich energisch durch den neuen Consul, Vicomte de Botmillot, welcher den Bey dahin zu bringen wußte, seine Zustimmung zur Vildung und Bevollmächtigung einer gemischten Steuercommission zu geben, die alle Staatseinkünfte verwalten sollte. Es ist bekannt wie dieß Project an dem Widerstand der übrigen Con-suln scheiterte, wie der Bey auf deren Vorstellungen sein Wort zurücknahm, wie darauf der französische Consul seine Flagge einzog und erst dann die Verbindung mit der Negierung wieder anknüpfte, als ihm die von ihm verlangte Genugthuung zu Theil geworden war. Diese Genugthuung war jedoch eine solche, daß es klar wurde, daß die französische Negierung einstweilen noch nicht die Absicht hegte, die Gläubiger mit allen ihr zu Gebot stehenden Mitteln zu unterstützen. Die ganze Satisfaction bestand nämlich in bloßen diplomatischen Förmlichkeiten oder wenn man will Spiegelfechtereien-. der Bey erklärte sich bereit, das französische Project anzunehmen, ja er nahm es ofsiciell an, aber die französische Negierung erklärte ihrerseits, von dieser Annahme keinen Gebrauch machen zu wollen: der erste Minister mußte dann ehrenhalber noch den Consul um Verzeihung bitten, was allerdings für ihn eine bittre Pille gewesen sein mag, aber er hatte die Gmugthung, daß alle finanziellen Anschläge und Pläne Frankreichs wenigstens vor der Hand unausgeführt blieben. 129 Dieß geschah im April des Jahres 1866 und seitdem hat die tunisische Frage auch keinen Schritt weiter gethan. Eine diplomatische Commission in Paris soll sich zwar mit ihr beschäftigen, aber übcr deren Arbeiten verlautet seit jener Zeit auch nicht das Geringste. Unterdessen fährt jedoch der Chas-nadär auf dem einmal betretenen Wege der Nichterfüllung seiner Verpflichtungen und des Schuldenmachens in schrecken-erregender Weise fort und verpflichtet täglich den Staat zu Iahlungen, welche allen Verhältnissen desselben spotten, stellt Teskere's über Teskere's aus, verwendet aber alle wirklich eingehenden Staatseinkünfte theils zu seinem eignen Vortheil, theils mit Hintansetzung seiner wahren Verpflichtung, welche doch die ältesten Gläubiger zuerst berücksichtigen sollte, zur Befriedigung (freilich nur ratenweiser und momentaner Befriedigung) grade der neuesten Creditoren, um so den Besitzern der Conversionspapicre in Aussicht später zu veranstaltender neuer Cunvcrsionen mehr Vertrauen einzuflößen. Da dcr tunisischen Negierung keine andere Ressource mehr übrig bleibt, als die Ausstellung neuer Schatzscheine oder Teskere's, und da der Cours dieser Tcskere's in Folge der Creditlosigteit des Staates auf ein Minimum gesunken ist, so sind ganz ungeheure Ziffern ln Tcskere's dazu nöthig, um cinewvcrhältmßmäßig nur sehr geringen Werth in baarer Münze zu rcpräsentiren. Vor Wei Monaten waren die Schatzscheme der tunisischen Regierung nur etwa 3 — 4 Procent werth, jetzt (Anfangs 1Ll><)) sollen sie gar auf 1V2 Proccnt herabgcsunken sein, so daß, wenn der Staat eine Summe von 15,000 Franken nöthig hat, er für eine Million Teskere's ausstellen muß. Da die Bedürfnisse der Regierung und der sie ausplündern-den Großen aber immer im Steigen begriffen sind, da ferner die vielen kleineren europäischen Gläubiger des Hofes und der Armee, wie Schneider, Schuhmacher, Lieferanten u. s. W. von Zeit zu Zeit mit kleinen Abschlagszahlungen abgespeist I- 9 130 werden müssen, so ficht man sich täglich zur Ausgabe auf kolossale Summen lautender Tcskere's genöthigt. Ich wage es kaum die Ziffer niederzuschreiben, welche die Summe der von der Negierung im I. 1868 ausgegebenen Schatzscheine darstellt. Diese Ziffer soll sich nach den durchaus glaubwürdigen Mittheilungen, welche mir zwei der ersten Bankiers von Tunis machten, auf die ungeheure Summe von 160 Millionen Franken belaufen, eine neue schwebende Schuld, welche so groß sie auch scheinen mag, dennoch der Negierung nicht mehr als 3 — 4 Millionen einbrachte. Da mit allen Teskcre's ein fortlaufendes Interesse von 12 "/<> verbunden ist, so wurde im vorigen Jahr allein das Budget um weitere 20 Millionen jährlicher Zinszahlungen gravirt. Die Regentschaft Tunis besitzt also jetzt (Anfang 1«69) eine Schuldenlast von etwa 275 Millionen, sage zweihundert fünfundsiebenzig Millionen Franken, welche mit etwa 35, sage fünfunddrcißig Millionen, jährlich zu verzinsen und zu amorti-siren wäre, wovon man sich aus folgender Zusammenstellung überzeugen kann. Namen der Anleihe. Nominelle Summe. Zahl der Obligationen. Zinsfuß. Jährliche Zinszahlung. Rückständige Schuld. Anleihe v. 1863 3»,346M >1 5Ul) 4,L00,0N0 0,30U,0U0 Anleihe V. 1865 3«,Uä8,U00 73,58« il, 5!!0 ! 7°/° 4,0UN,UÜU Anleihe v. 18«? nicht z.Ttand« gekommen, darauf als Vorschuß erhalten: 4,oc>a,n«0 Erste Conversion 18«? i2,auo,00N 24,UNt> bou.onu Hweit« Conversion 18U7, erste Hälftt>, i ia,noo,ona 12"/,, 2,400,000 mit Amortisation, iä. zweiteHälftc I«,0N0,000 20,00» 2,4UU/,00 mit Amortisation. Die Renten wurden ni,r;uni i. Theil qezahlt Dritte (5o,iverswü, N,00DM0 '2"/, üMUMN mit Amortisation. There's 18L8 i«uMa,uuo ! 12Vi, ! 7g,L00M« Circa ss?5> Millionen. Etwa 35 Millionen. 131 Da aber die gesammten Staatseinkünfte selbst in den besten Jahren und nach den günstigsten, von Vielen für hyperbolisch gehaltenen Angaben höchstens 26 Millionen betrugen, so ist der thatsächliche Bankrott offenbar, dessen officiclle Erklärung freilich wohl niemals stattfinden wird, dessen Existenz aber schon jetzt durch die 2jährige Nichtzahlung der Coupons hinlänglich dargethan erscheint. Leider ist es sehr schwer, wo nicht unmöglich, einen genauen Begriff von den Einkünften dieses Staates zu bekommen. Der erste Minister hat sich nämlich stets geweigert, hierüber Aufschlüsse Zu geben und auch in andrer Weise ist es unmöglich, sichere Angaben zu erhalten, so daß die Schätzungen nur annähernd sein können. Die-ienigc, welche wir hier geben, ist dem Werke eines Herrn Cubisol entlehnt, welcher lange französischer Viceeonsul in der Goletta war und dem Viele eine richtige Kenntniß der Ressourcen der Regentschaft zuschreiben, während Andere seine Angaben für durchaus übertrieben erklärt haben. Jährliche Einkünfte der Regentschaft Tunis nach Cubisol. Franken 1) Besteuerung der öffentlichen Märkte sArba) 5,703,340. 2) Verschiedene Pachtgelder...... 2,755,900. 3) Eingangszülle ......... 894,040. 4) Besteuerung der Dattelpalmen im Dscharyd und in Qäbess.........1,550,000. 5) Zölle von den Olivenpflanzungen im Sahcl, Sfaless, Dscharba und Qäbess .... 1,550,000. U) Zehnten von der Olivcnärndte von Tunis, Ssolayman, Mansil, Biserta, Sarhuan, Te-burba und Nass Dschebel.....1,067,500. ?) Gebühren des Throns von besagter Oliven- ärndte............ 279,000. ^) Gebühren für Beaufsichtigung der Pflanzungen ............ 186,000. 9* 132 9) Zehnten von der Weizen- und Gerstenärndte 1,302,000. 10) Kopfsteuer von 3« Piaster auf 700,000 Einwohner..........6,696,000. 11) Verpachtung der Domänen..... 496,000. 12) Invcstiturgebührm von 24 Qäyid's und 36 Tchaychs...........4,491,000. Summa 26,916,660. Obgleich diese Uebersicht der Staatseinkünfte für die zuverlässigste gilt, so können wir ihr doch keinen unbedingten Glauben beimessen. So finden wir hier Zum Beispiel die Einnahme der Kopfsteuer, als dieselbe schon wieder auf 36 Piaster per Kopf herabgesetzt worden war, noch auf nahezu sieben Millionen Franken berechnet, während nach den sehr zuverlässigen Papieren eines hiesigen Bankhauses, deren Einsicht mir gestattet wurde, diese Steuer selbst zu der Zeit, als dieselbe noch auf 72 Piaster per Kopf festgesetzt war, niemals mehr als fünf Millionen einbrachte, also jetzt, da sie auf die Hälfte vermindert ist, nur dritthalb Millionen einbringen dürfte. Allerdings sollte die Steuer, wenn sie regelmäßig einginge, selbst jetzt noch die von Cubisol erwähnte Summe einbringeil, aber es steht unzweifelhaft fest, daft diese hohe Einnahmesumme niemals anderswo, als auf dem Papier vorhanden war. Dieses große Mißverhältniß zwischen dem officielien Steucranschlag und dem thatsächlichen Steuer-ergebnift rührt vor allen Dingen von dem fehlerhaften Modus des Eintreibcns und den vielen Mißbräuchen her, welche dabei vorzukommen pflegen. Die Kopfsteuer muß nämlich in der ganzen Regentschaft, mit Ausnahme von Ssussa und einigen andern wohlhabenderen und civilisirteren Städten und Districten, vermittels der Gewalt der Waffen durch eine das ganze Land durchziehende Heeresmacht eingetrieben werden, an deren Spitze gewohnlich der Thronfolger steht, welcher deß' halb den Titel „Bey'des Feldlagers" (Vey ei Mehalla( 133 führt. Nun zeigen sich aber die Kosten dieses alljährlichen Feldzugs so bedeutend, daß diese allein schon einen namhaften Theil der eingetriebenen Summen beanspruchen! ein andrer noch ansehnlicherer Theil geht durch Unterschlagung der Generäle, Obersten, ja des befehligenden Prinzen selbst, verloren, so daß sogar in guten Zeiten nur wenig in die Staatscassen zu fließen ftstegt. In schlechten Zeiten aber, wie in den Hunger-jähren 1867 und 1868, wenn selbst die grausamste Behandlung nichts von den gänzlich verarmten Unterthanen erpressen kann, erweist sich diese Quelle der Staatseinkünfte als rein illusorisch. Die gewöhnliche Ressource der Steuercintreiber, oaß sie eine Anzahl Wucherer mit sich führen, welche den Arabern gegen Verpfändung ihrer künftigen Acrndten die zur Steuerzahlung nöthige Summe vorschießen, zeigte sich in den besagten Hungcrjahren als eine höchst unergiebige Quelle, da die meisten Schuldner ihre aus früheren Jahren herrührenden Verpfändungen zuerst erneuern mußten und diese Er-Neuerung gewöhnlich ihre Aerndtcn für so lange Zeit zur Verfügung der Gläubiger stellte, daß ihnen selbst in der entfernteren Zukunft fast nichts zu veräußern übrig blieb, wenigstens nichts, was einen Wucherer reizen konnte. Ohne ^e Darleihen der Wucherer vermögen aber selbst in guten wahren die hiesigen Steuerpflichtigen selten zu zahlen, um so mehr in schlechten. Daher kam es, daß die Armee, welche wie gewöhnlich das Land plündernd und nebenbei die Steuern Antreibend durchzog, so wenig baares Geld vorfand, daß sie, statt Werthgegenstände nach Tunis zu bringen, im Gegenteil noch der Negierung eine so namhafte Summe kostete, daß man ernstlich daran denkt, in der Zukunft die Feldzüge Kur Steuereintrcibung ganz einzustellen. Dennoch dürften wohl dle Großen, welche an der Spitze dieses herumziehenden Feldlagers zu stehen pflegen, eine solche Einstellung ihrer Thätigkeit zu hintertreiben suchen, denn wenn diese Thätig- 134 keit auch den Staat, statt ihn zu bereichern, nur noch mchr ruinirt, so bringt fie den Großen doch manchen Vortheil; Pferde, Ochsen, Kameele werden geraubt, ganze Stämme ausgeplündert, ihr Hab und Gut verkauft und dabei geht für die eigentlichen Steuern dennoch kein Heller ein, nicht einmal genug, um die Kosten der Expedition und den Gehalt der sie befehligenden Großen zu decken, denn diefe wissen es immer fo einzurichten, daß der Staat ihnen sehr bedeutende Summen schuldig ist. Auch von allen übrigen in der obigen Liste angeführten Steuern pflegt selbst in guten Jahren kaum die Hälfte, in schlechten natürlich gar nichts einzulaufen. Dennoch würde man irren, wollte man aus der Geringfügigkeit der vom Staat bezogenen Summen immer den Schluß ableiten, daß die Unterthanen in Wirklichkeit nicht mehr gezahlt hätten. Diese armen Leute haben im Gegentheil oft viel mehr gezahlt, als die Negierung von ihnen forderte. Jeder steuereintreibende Beamte besitzt nämlich das Recht, die von der Regierung geheischte Summe in seiner Forderung um einen gewissen Procentsatz (gewöhnlich sind es i5"/<») ^ überschreiten und den Ueberschuß zu behalten; je nachdem sich jedoch der Beamte groß und mächtig fühlt, demgemäß steigert er auch den Mehrbetrag seiner Forderungen, so daß es vorkommen soll, daß oft das Doppelte von der regelmäßigen Steucrsumme entrichtet wird. Die Negierung aber kann froh sein, wenn sie die Hälfte von ihrer Steuerquote bekommt. Eine andere großartige Unterschlagung findet bei den Zollämtern in Betreff der Steuern für Export und Imftort statt. Diese Steuern sind, wie so viele andere, verpachtet, aber die Pächter wissen es gewöhnlich, man begreift durch welcherlei Mittel, so einzurichten, daß ihnen ein Theil, oft das Ganze der zu zahlenden Pachtsumme vom Minister geschenkt wird. Zum Vorwand dieser Schenkung dient der geringe 135 Ertrag der Steuern, aber dieser geringe Ertrag ist das Resultat des großartigen Schmuggels, den nicht selten der Steuer-Pächter selbst begünstigt, um so seine geheime Casse und die des Ministers zu füllen, während die officielle Casse leer bleibt und der Negierung einen Prätext liefert, die Zinsen derjenigen Anleihen, welchen diese Steuern zur Garantie dienen, nicht zu Zahlen. Schwieriger, sollte man glauben, müßten die Unterschlagungen in den Fonduq's (Caravanserai's) und auf den öffentlichen Märkten sein, denn nichts ist mehr den Blicken des Publicums ausgesetzt als diese Localitäten. Auf jedem Markt und in jedem als Verkaufsort dienenden Fonduq be-findet sich nämlich ein Regierungsbeamter, welcher zwar nur den bescheidenen Titel Vawäb (Pförtner) führt, der aber in Wirklichkeit ein unter gegenwärtigen Umständen nicht ganz unwichtiger Finanzbcamter geworden ist. Diesem liegt es ob, von jedem zum Verkauf kommenden Gegenstand, und sei es eine Kameelladung Stroh oder Holzkohlen, einen ganz unver-hältnißmäßig großen Stcuerbetrag (oft über 50"/«) zu erheben. Da diese Steuer vor Aller Augen bezogen und regelmäßig einregistrirt wird, so sollte man denken, daß es schwer sein würde, ihren Betrag dem Staat zu entziehen und ihn m die Taschm einzelner Großen wandern zu lassen. Dennoch lvird dies hier möglich, ja sehr leicht ausführbar gemacht und Zwar durch die elastische Dehnbarkeit des Instituts der Tcs-kere's, d. h. der obenerwähnten Schatzscheine. Der Begriff „Teskere", der eigentlich wörtlich und strenggenommen immer dasselbe bedeutet, erweist sich nämlich in Wirklichkeit als ein so elastischer, daß während zum Beispiel die Teskere's der Staatsgläubiger heut zu Tage nicht zwei Procent werth sind, diejenigen des ersten Ministers und seiner Sippschaft al Pari ausgezahlt werden. Dafür sind aber auch erstere auf den Finanzminister, dessen Cassen stets leer bleiben, letztere da- 136 gegen auf irgend eine sichere Steuerquelle, wie die öffentlichen Märkte, Fonduq's und viele andere ausgestellt. Die Schcch-fcheine in Tunis tragen keine Unterschrift, sondern nur das Siegel des Vey's, sie werden nicht ausschließlich wie europäische Schatzscheinc auf die Staatscasse, welche die öffentlichen Einkünfte bezieht, oder vielmehr beziehen sollte, sondern oft auch auf irgend einen beliebigen Schuldner des Staats, d. h. Steuerpflichtigen, ausgestellt. Nun kennt aber der erste Minister diejenigen Steuerquellen nur zu gut, bei denen Geld zu hoffen ist, und laßt sich alle seine persönlichen Teskerc's (denn er weiß es stets so einzurichten, daß der Staat ihm ungeheure Summen schuldet) auf diese sicheren Zahler ausstellen, während das gewöhnliche Volk und vor Allem die auswärtigen Staatsgläubiger nur solche Teskere's bekommen, welche auf die allerschlechteste Quelle, d. h. den Finanzminister (einen reinen Schatten, der eine Art von Strohmann oder Popanz und nebenbei eine Creatur des ersten Ministers ist) lauten. Die Tcstere's des ersten Ministers und seines Sohnes werden auf allen Märkten von Tunis zuallererst ausgezahlt und verlieren nicht das geringste Disconto, da die Vawäb's in heilsamer Furcht vor dein großen Manne stehen. Mit den Echatz-scheinen der übrigen weniger einflußreichen Großen soll es viel schlechter gehen, am Schlechtesten jedoch mit denjenigen der Prinzen des regierenden Hauses, welche oft zu Drohungen ihre Zuflucht nehmen müssm und gleichwohl nichts durchsetzen, da ihr Einfluß eine reine Null ist-, gar nichts aber soll in die ofsicielle Casse des Fincmzministers fließen; wozu auch? die Ansprüche an dieselbe sind so ungeheuer, daß selbst im Faß der Danaidcn das Wasser länger weilen möchte, als in der Tunisischcn Staatscasse das Geld, wenn cs überhaupt hineinkäme. Wie wenn ein große Fruchtbarkeit versprechendes Saatfeld alljährlich grade zur Zeit, wenn seine Früchte reifen, von 137 Heuschreckenschaarcn abgefressen würde, so wird durch solche Zustände dem Staatshaushalt alle Lebenskraft entzogen. Je größer die Ansprüche an ihn in den letzten Jahren geworden sind, desto schwächer wurden seine Mittel, um diese Ansprüche zu befriedigen. Nach zuverlässigen Berechnungen, deren Treue mir durch einige der tüchtigsten Geschäftsmänner von Tunis verbürgt wurde, dürfte die gesammte Einnahme des Staats, welche nach Cubisol 26 Millionen betragen soll, in Wirklichkeit nicht mehr als 18 Millionen Franken ausmachen, natürlich nur in dem Falle, daß sie wirklich einginge. Es ist merkwürdig, daß, wenn wir dem Reisenden Peyssonel Glauben bennessen können, schon vor 150 Jahren die Einkünfte dcr Regentschaft Tunis etwa dieselben, ja größere waren wie in unsrer Zeit. Erschlägt sie auf 24 — 25 Millionen an. Zu i^ner Zeit betrugen die Staatseinkünfte Frankreichs nur 125 Millionen, heute sind sie auf 2000 Millionen oder, wie die Franzosen es nennen, zwei Milliarden gestiegen, also um das Sechzehnfache. Da nun der Werth des Geldes etwa in demselben Verhältnis; gefallen ist, so müßte Tunis jetzt ein Einkommen von 4tt0 Millionen besitzen, wenn es mit Frankreich !" culturhistorischer und ökonomischer Beziehung vorgeschritten wäre, »der wenn es noch heule ein dcmselbcn Geldeswerth entsprechendes Einkommen, wie zu Peyssvnels Zeit besäße. Aus solchen Ziffern spricht beredt der Verfall. Dieser geringen Einnahme steht ein passives Budget von über 45 Millionen gegenüber, d. h. 35 Millionen für die Ver-Unsung der Staatsschuld und wenigstens 10 Millionen für Unterhalt des Hofes, der Armee, der Flotte, der Beamten u.s.w. ^s ist wahr, man hilft sich dadurch, das; man die Armee nicht bezahlt, daß man die Schiffe dcr Flotte verpachtet, daß der Hof v"n Credit lebt und wenn er keinen findet, einige mißliebige Neichc, welche dem ersten Minister nicht gehörig den Hof gemacht haben, zu unfreiwilligen Schenkungen zwingt, oder gar, 138 wenn man das Glück hat, einen Anklagepunkt gegen sie zu besitzen, ihrer sämmtlichen Habe mitsammt ihres Lebens be-raubt, wie dies zum Beispiel im Herbst 1667 der Fall war, als zwei Generäle, Ißmäyl ess Ssunny und Ssayydy Naschyd aus Ssussa im Verdacht standen, den rebellischen Prinzen Ssayydy el Adel Bey mit Geld unterstützt zu haben und auf Befehl des Fürsten erdrosselt wurden. Aber auch diese unrechtmäßigen Einnahmsquellen sind nicht unversiegbar. Die Finanzlage wird dadurch nicht im Mindesten gebessert und bleibt nach wie vor ein gordischer Knoten, der vielleicht nur durch den Alexauderhieb eines offen erklärten Staatsbanke-rotts zu zerhauen sein dürfte. Ob freilich die auswärtigen Mächte der Regentschaft dieses «doiwiiW «f tl>n aot" wie die Engländer die Erlaubniß, Bankerott zu machen, nennen, zugestehen werden, ist eine Frage, welche ich fast verneinen möchte, da die europäischen Gläubiger, welche meist die ihnen schuldigen Summen wirklich in baarem Gelde oder in Ae-quivalenten bezahlt haben, auf diese Weise ebenso schlecht wegkommen, d. h. mit demselben Proeentsatz abgefunden würden, als die betrügerischen Teskerebesitzer, welche oft eine .Million nominellen Capitals mit 15,000 Franks erworben haben. Man könnte überhaupt nur eine solche Form des Bankerotts hier zulassen, welche nicht den nominellen Cre-denzen der einzelnen Gläubiger, sondern den Wirklich von diesen Gläubigern bezahlten Summen Rechnung trüge. Diese Form des Vankerotts ist in Tunis schon bekannt. So machte zum Beispiel vor einem Jahre die Gesammtheit aller tunifi- , schen Prinzen officiell bankerott, aber die Procente, mit denen, die Gläubiger abgefunden wurden, waren je nach der Höhe der wahren, nicht der nominellen Credenz berechnet, so daß z. B. ein reeller Handwerker, dessen gelieferte Waare wirklich so viel, oder nahezu so viel werth war, als er forderte, 85 Procent erhielt, also fast nichts verlor, während ein 139 Wucherer, der einem leichtsinnigen Prinzen 200 Frgnken in baarem Gelde geliehen und dafür einen Schuldschein von 10,000 Franken erhalten hatte, sein wirklich ausbezahltes Capital, also nur 2 Procent der von ihm geforderten Summe bekam. Freilich hielt es schwer, in allen Fällen auf den wahren Ursprung der Credenz zurückzugehen und manche Ungerechtigkeiten mögen dabei vorgekommen sein. Ebenso große Schwierigkeiten würden sich bei der Erforschung des Ursprungs der Staatsschulden ergeben, aber auch diese Schwierigkeiten würden vielleicht zu überwinden sein, wenn man es nur vermiede, die Untersuchung einer inländischen Commission, die stets der Bestechung offen sein würde, anzuvertrauen. Es wüßte eben ein Schiedsrichteramt gebildet und wo möglich aus den ofsiciellen Repräsentanten aller in Tunis interessirten Mächte zusammengesetzt werden. Nur auf diese Weise kann dem unglücklichen Lande geholfen werden, nicht aber auf diejenige, welche der erste Minister im letzten Jahre Zu wiederholten Malen versucht hat. ^r setzte sich nämlich mit mehreren vermeintlichen europäischen Finanzmännern in Verbindung und hoffte mit deren Hülfe eme Staatsbank zu gründen, sowie eine allgemeine Conversion aller Staatsschulden zu veranstalten, wobei jedoch die Rechte dor am Meisten berechtigten älteren Staatsgläubigcr vernachlässigt, dagegen die tunisischen, meist wuchcrhaften Platzschulden über Gebühr berücksichtigt werden sollten. Glücklicherweise kam dieses Vorhaben nicht zur Ausführung und zwar nicht so sehr in Folge der Protestationen auswärtiger Mächte, welche Protestationen allerdings auch nicht fehlten, als in Folge des durchaus hohlen Bodens, auf dem der Credit der besagten Finanzmänner ruhte. Man entdeckte nämlich zu spät, daß man sich mit einem Consortium von Schwindlern eingelassen hatte, von denen zwei bereits Wegen fraudulöser Sfteeulationen strafrechtlich verurtheilt worden 140 waren, n/ld die auch diesmal nichts Eiligeres zu thun wußten, als die Regierung, welche ihnen eine Anzahl Tcskere's anvertraut hatte, durch Unterschlagung derselben zu betrügen und dann glänzend bankrott zu machen. Diese Comödie spielte zu Anfang des Jahres 1868. Seitdem hat der Chasnadär noch mehrmals dergleichen versucht oder wenigstens angestrebt, aber niemals mit Erfolg. In seiner Noth wandte er sich endlich im December 1863 an einen Mann, der schon öfter, obgleich ohne allen ofsiciellen Charakter, in den hiesigen Angelegenheiten vermittelnd aufgetreten war, welcher das höchste Vertrauen des ersten Ministers besaft und der nun in Tunis die Atolle eines „äuu» ex inalMun," spielen sollte. Dieser vermeintliche Netter des Staats war eine jener zweifelhaften Persönlichkeiten, wie sie nur im Orient, hier aber auch oft auf's Glänzendste, Carriere zu machen pflegen, deren Charakter aus einem Gemisch von Charlatanismus, Großthuerei der Welt gegenüber und der gemeinsten Kriecherei vor Fürst, Minister und Hof, verbunden mit einer gehörigen Dosis von Schlauheit bei gänzlich mangelnder Ehrlichkeit zusammengesetzt ist. Seiner ursprünglichen Profession nach war er Arzt, d. h. einer jener italienischen Quacksalber, wie sie im Orient floriren, seiner Religion nach Israelit, und als solcher steckte er mit allen Wucherern von Tunis unter einer Decke. Dieser Mann hatte sich, nachdem er in Tunis ein Vermögen zusammcngeschwindelt, nach Italien zurückgezogen, wo er sich Baron nannte und von wo aus er dem Tunisischcn Hof, mit dem er scine Verbindungen fleißig unterhielt, Sand in die Augen streute und ihn glauben machte, als sei er in seinem Vaterland zu einer wichtigen politischen Stellung gelangt. Was Wunder also, wenn der Minister in ihm einen möglichen Netter des Staats erblickte und ihn nach Tunis zur Bildung eines neuen Finanzplans berief. Der große Mann kam, begleitet von der obligaten An- 141 zahl sogenannter Finanzgrößen, die cr aus Paris, London oder Gott weiß woher zusammengetrommelt hatte, im December 1868 auch wirklich in Tunis an. Aber wie es scheint, hatten die FinanZmänner, deren Taschen leer und schleimiger Füllung bediuftig waren, sich die hiesigen Zustände nicht so schlimm vorgestellt. Sie waren im süßen Wahn gewesen, als sei hier wirklich noch etwas zu stehlen, sahen sich aber enttäuscht, denn mit Testere's, deren Ausstellung nichts kostet als Papier und Dinte, konnten sie zwar ihre Taschen füllen, aber, um sie zu befriedigen, waren so ungeheure Summen in Teskerc's nothwendig, daß eine neue so massenhafte Emission derselben, wie sie ihr Fall erheischte, den Curs dieser Staatsscheine bis auf Null herabgedrückt, und ihnen gar keinen Gewinn übriggelassen haben würde. Die große Finanz eoinmission zog es deßhalb vor, sich vom Minister für ihre Neise auf wucherhafte Weise entschädigen zu lassen, abzureisen und den unglücklichen Staat, statt ihn zu retten, seinem Schicksal zu überlassen. Doch genug von diesem unerquicklichsten Thema, den ^unisischen Finanzen, über die man Foliobände schreiben könnte, welche jedoch, fürchte ich, alle zu nichts führen würden. "5mn es nur in den übrigen Gebieten der Verwaltung besser aussähe, so würde ich mich freuen, dem Leser nach dem eben skizzirten traurigen Gemälde das Bild mehr befriedigender und erquicklicherer Erscheinungen vorführen zu können. Leider ist dieses jedoch nicht der Fall und deshalb will ich mich bei Besprechung der übrigen Verwaltungszweige so kurz wie möglich fassen. Was zuerst die äußern Angelegenheiten betrifft, so befinden sich dieselben ausschließlich in den Händen des ersten Ministers, welcher mit seinem Titel „Wasyr ei kebyr" (Großvezier) auch den des Ministers des Acußern ver-einigt. Die ganze äußere Politik besteht hier, wie in allen kleinen und schwachen Staaten, darin, daß man die Eifer- 142 süchteleien der Großmächte in geschickter Weise zu nährey bestrebt ist, daß man dem englischen Consul mit Frankreich, dem italienischen mit England u. s. w. bange zu machen sucht, daß man aus seiner eignen Schwäche politisches Capital macht, daß man Jedermann schmeichelt und Jedermann verräth, daß man die schönsten Versprechungen giebt und nichts hält und daß man schließlich allen wirklich ernsten Forderungen der auswärtigen Mächte jene „Vis inertly" entgegensetzt, welche den orientalischen Staaten zur zweiten Natur geworden ist. Aber wie der Krug so lange zum Brunnen geht, bis er zerbricht, so dürfte auch diese diplomatische Spiegelfechterei nur so lange die Existenz dieses erbärmlichen Staates zu fristen vermögen, bis einmal einer Großmacht die Geduld ausgeht und sie das diplomatische Spinncngewebe des ersten Ministers, mitsammt der staatlichen Existenz dieser Regentschaft, mit einem Schlage zu Nichte machen würde, was vielleicht zu geringeren politischen Verwicklungen führen möchte, als man gewöhnlich anzunehmen beliebt. Diese Katastrophe schien schon einmal nahe herbcigcrückt und zwar vor vier Jahren, als ein großer Theil der Regentschaft der Rebellion anheimgefallen war und Frankreich und die Türkei sich um die anzutretende Erbschaft der Vcy's von Tunis streiten zu wollen schienen. Damals wurde jedoch die äußere Katastrophe verschoben und der innere Verfall beschworen, und zwar geschah Letzteres, wie die kurzsichtigen Tuniser glauben, durch die Aufhebung der sogenannten Constitution, welche der Bey proclamirt hatte. Diese Constitution besaß wenigstens das Verdienst, daß sie nicht, wie die moderne des Vicckönigs von Aegypten, die für so unreife Staaten, wie alle Länder des Orients, gänzlich ungeeigneten parlamentarischen Zustände nachzuäffen strebte. Sie sollte nur an Stelle der frühern Willkür geregelte gesetzliche Verhältnisse, einen unabhängigen Gerichtshof, die 143 Gleichheit aller Unterthanen ohne Berücksichtigung der Confession, vollständige Handelsfreiheit und Abschaffung jeglicher Privilegien, ein Handels- und Wechselrecht, die Sicherheit des Privateigenthums, eine durch einen Staatsrath geführte Controle der öffentlichen Gelder, und ähnliche vernünftige, eines civilisirten Staates würdige Einrichtungen Anführen. Vor allen Dingen sollte die Justiz zu einer Würde und Bedeutung erhoben werden, welche bisher in nwslimischen Ländern beispiellos gewesen war. Alle diese Reformen konnten nur von den einseitigsten moslimischen Fanatikern verdammt werden und würden gewiß nicht zum Vorwand der Rebellion ausgebeutet worden sein, hätte man nicht zu gleicher Zeit mit ihnen eine Verordnung ganz anderer Natur, nämlich ein neues Steuergesctz proclamirt, welches alle bisherigen dem Lande aufgelegten Lasten bedeutend vermehrte. So wurde zum Bei-spiel die Kopfsteuer von 36 auf 73 Piaster, also gerade um das Doppelte, erhöht. Diese Last, welche von den nomadischen Stämmen des Innern am Schwersten empfunden wurde, bildete die wahre Ursache, warum sich diese empörten; zum legalen Vorwand konnte fic ihnen freilich nicht dienen, da die einzige Beschwerde, welche Moslims das Necht haben, gegen ihre Regierung zu erheben, religiöser Natur sein muß; einer solchen Anforderung entsprach aber die Verleihung der Constitution vollkommen, denn diese konnte als im Widerspruch mit den Traditionen des Islam gedeutet werden. So wurde venn dieser Vorwand von allen Fanatikern ausgebeutet; die Rebellion kam. wie immer in moslimischen Ländern, auf vermeintlich religiöser Vafis zu Stande, und, wenn sie auch schkesilich besiegt wurde, so blieb sie doch insofern erfolgreich, als sie die Negierung zur Nichtausfühnmg der Constitution bewog, denn officicll aufgehoben wurde letztere eigentlich niemals. Auf dem Papier besteht sie noch heutzutage fort; aber alle Neformcn, welche sie eingeführt hatte, sind that- 144 sächlich abgeschafft- unter andern auch diejenige einer geregelten Justizverwaltung und so kommt es, daß nun in Vezug auf Gerechtigkeit der alte patriarchalische Zustand nach wie vor fortbesteht, demgemäß die kleineren Streitigkeiten von den Qädhy's oder religiösen Nichtern, alle wichtigeren Fragen aber von dem Vey in eigner Person abgeurtheilt werden. Auf diese Weise ist auch das Amt eines Iustizministcrs jetzt unnütz geworden und diese Würde, welche mit dem Titel des Groftsiegelbewahrers i^alnb et, ^aba^) verbunden war, abgeschafft worden. Das Ministerium des öffentlichen Unterrichts, welches der Verfassung gemäß eingeführt werden sollte, ist niemals zu Stande gekommen, ebenso wenig die des Handels, Ackcr-bau's und der öffentlichen Arbeiten. Die letzteren Verwaltungszweige sind zwar dem sogenannten Minister des Innern anvertraut, da aber dieser sehr oft anderweitig beschäftigt ist, zum Beispiel im ganzen vorigen Jahre in diplomatischer Eigenschaft zu Paris weilte, so leiden diese Verwaltungszweige ebenso sehr, wie die innern Angelegenheiten, welche das specielle Fach des besagten Ministers bilden. Außer diesen und dem bereits erwähnten Finanzministerium, sowie dein der äußern Angelegenheiten find noch zwei andere Ministerien vorhanden, das des Krieges und das der Marine. Letzteres ist jetzt zu einer reinen Sinecure geworden, seit die Dampfschiffe des Staates vermicthet und die ganze Flotte nur aus einer einzigen alten Fregatte besteht. Das Kriegsministerium, sollte man glauben, möchte wenigstens einige Thätigkeit entwickeln, da doch eine gewisse Heeresmacht vorhanden zu sein scheint, freilich zum größten Theil auf dem Papier, und in Wirklichkeit nur durch ein paar tausend verhungerter, gräßlich zerlumpter armer Teufel mit unbrauchbaren alten Gewehren und Säbeln refträsentirt; aber dennoch sollen die wirklichen Geschäfte des Kriegsministers sehr limi- 145 tirter Natur sein. Nie ich hörte, beschränkt sich seine ganze Amtsthätigkeit darauf, Vcstcchnngssummen von Seiten derer in Empfang zu nehmen, die zum Militärdienst gepreßt werden sollen und die sich dieser Calamität nur durch bedeutende Geldopfer entziehen können. Die Form der Conscription in Tunis ist nämlich so Mangelhaft, daß sie der Willkür der Beamten den frciesten Spielraum gewährt. Nehe dem jungen Mann, der nicht mächtige Beschützer oder Geldmittel genug besitzt, um sich von der Militärpflicht zu befreien und zwar hilft es nicht biel, sich einmal frei gemacht zu haben; der Loskauf durch Bestechung (denn ein officiell autorisirter Loskauf findet nicht statt) muß jedes Jahr erneuert werden, so oft die Wcrbe-officiere ihre Rundreise durch die Provinzen zurücklegen. Auf biese Neisc soll es vorgekommen sein, daß mancher junge Mann sich 5—6 mal loskaufte, um zum siebenten Male, lvenn seine Mittel nicht mehr ausreichten, ein Opfer der Nerbcofficiere zu werden. Diese schwere Last des Zwangswcisen Militärdienstes tnfft ausschließlich die städtische Bevölkerung; die Nomaden werden nicht zur regelmäßigen Truppe gezogen, vielmehr nur zur unregelmäßigen, blos bei gewissen Gelegenheiten reaui-rnteu, und zwar auch nicht alle Stämme, sondern meist nur solche, deren Lagerplätze im Norden der Regentschaft und in Nicht allzugrofter Entfernung von Tunis sind. Besonders "npfindlich wird diese Last dadurch, daß sie eine lebenslängliche ^ weil nur Alter, Tod oder Krankheit vom Militärdienst befreien kann. Uebrigens ist es in neuester Zeit, da alle Mütel zur Kleidung und Verköstigung der Truppen fehlen, o>t vorgekommen, daß man die Soldaten gern desertiren ließ. >>ch glaube, es wäre eine wesentliche Erleichterung für die Legierung, weun die ganze Armee descrtirte. Viel nützen l"nn sie auf leinen Fall. Einen auswärtigen Feind besitzt I- 10 146 glücklicherweise die Regentschaft nicht, sonst würde sie bald das Opfer selbst der kleinsten Macht werden, welche ihr Duodezheer gegen sie führen würde. Der einzige Zweck, der bei dieser Armee denkbar ist, wäre der, die Araber des Innern in Ordnung zu halten, ein Zweck, welchem sie in der letzten Rebellion jedoch nur halb entsprach, denn dieselbe wurde viel mehr durch Nachgeben des Vcy auf der einen und Verrath unter den Rebellen auf der andern Seite, als durch die Heeresmacht beseitigt. Dieses tapfere Heer besteht nominell, was die regelmäßige Truppe betrifft, aus 5 Infanterie- und 2 Artillerie-Regimentern, jedes zu 3000 Mann, einer Eskadron Cavallerie zu 500 und etwa 1000 Marinesoldaten, zusammen einige 22,000 Mann, von denen jedoch gegenwärtig nicht die Hälfte bei den Fahnen ist. Die unregelmäßige Truppe besteht aus 6000 Kurugliya (Nachkommen der Türken), als Infanterie, 2000 Suawua und 4500 Ssval.nya (Reiter). Auch von diesen irregulären Soldaten, die im Frieden fast keinen Dienst versehen, ist wenig mehr als die Hälfte wirklich vorhanden. Die Truppen werden von der Regierung verköstigt (d. h. sie erhalten schlechtes Schwarzbrod und ungeläutcrtes Oel als Zuspeise) und gelleidet; gewöhnlich aber findet man es bequemer, sie in den entsetzlichsten Lumpen gehen zu lassen. Ihren Sold, der gering genug ist und für den Gemeinen nur 3—4 Piaster (etwa 15 Groschen) monatlich beträgt, ist zur reinen Mythe geworden. Sogar die Officiere haben in den letzten drei Jahren keinen Gehalt bezogen, obgleich auch der ihrige nach sehr bescheidenem Maaßstab bemessen ist. Der Molken (Lieutenant) bezieht nämlich nominell 22 »/2 Piaster ictwa 3^ Thaler) monatlich, der Msbäschv (Hauptmann) 37V2 Piaster (etwa 0 Thaler), der Qolässy (Major 2ter Masse) 8?'/2 Piaster (etwa 15 Thaler), der Bimbäschy (Major ister Klasse) wenig mehr, der May Amyn oder Qäymaaam 147 (Oberstlieutenant) 125 Piaster (etwa 21 Thaler), der Amyr Alay (Oberst) 350 Piaster (etwa 41 Thaler), der Lywa (Generalmajor) 550 Piaster (etwa W Thaler), der Faryq (Gcnerallicutcnant) 10N0 Piaster (etwa 175 Thaler). Die Gehalte der Unteroffiziere sind: für den Schauschbaschy (Feldwebel) 12 Piaster (2 Thaler) monatlich, für den Schausch (Sergeant) 8 Piaster (IV2 Thaler) und für den Onbaschy Korporal) « Piaster (1 Thaler). Da die Regierung selbst brn Officicren Wohnung, 5Neidung und Kost liefert oder viel-wchr sich zu liefern verpflichtet hat, so dürften diese geringen Ehalte dennoch nicht unzureichend erscheinen, und die tuni-sischc Armee befände sich ganz wohl, würde nur der Sold wirtlich bezahlt, die Kleidung geliefert und wäre die Kost in Aolgc der Betrügereien der Lieferanten, der hohen und niedern Beamten nicht gar so schlecht. Der effective Stand der Armee mag gegenwärtig (18U9) etwa 10,NW Mann betragen. Für diese geringe Mannschaft ist eme ganz ungeheure Anzahl von Officicrcn vorhanden, theils solcher, die bei der regulären oder irregulären Truppe angestellt sind, theils solcher, welche zum sogenannten Generalstab gehören. Außer diesen führen noch alle Mamluken des Vev, die in Wirklichkeit nur Pagendienste versehen, militä-nsche Titel, deren geringster der eines Lieutenants ist, und schließlich werden die höheren militärischen Würden, namentlich bie Generalstitel noch an Civilbeamte verliehen, welche nie ewen Säbel geführt und nie einen Schuß Pulver gerochen haben. So giebt es zum Beispiel gegenwärtig in Tunis 21 ^cnerallieutcnants, wovon nur 10 Militärs, 37 Generalmajore, wovon nur die Hälfte in der wirklichen Armee dient. Was endlich die militärische Erziehung betrifft, so be-steht im Serail des Vardo neben der eigentlichen Pagen-schule, die gar nichts lernt und nur dem Vergnügen des Bey bimt, noch eine sogenannte polytechnische Schule, wo die Iüng- 10' 148 linge etwas, d. h. einige Worte Französisch kauderwelschen lernen und nebenbei einige schwache Begriffe von Mathematik erhalten. Kein Wunder, daß bei einem so mangelhaften Unterrichte nur untüchtige Officierc hervorgehen, und daß die Armeeschule sich eben so illusorisch erweist, wie alle andern auf dem Papier sich prächtig ausnehmenden öffentlichen Anstalten dieses Landes. 149 Viertes Kapitel. Eine Audienz bcim Bey von Tunis. Eylenvosse 5lcss!ing d«r Consul« in Tunis. — Fchrl nach dem Vardo. — Der Palast.— Oesfeulliche Gcrichlölitziing, — Empfang im Innern de^ Palastes. — 5cltfames Vurzinnncr, — Antichamliriren. — Der 5nlch einbilden, das beste Arabisch zu reden, für roh und un-^bildet zu gelten. Die Conversation wurde also von unsrer Seite fran-^sisch, von Seite des Vey's arabisch geführt, wobei ich den "ortheil hatte, seine Worte zweimal zu vernehmen, ein Um-^"nd, welcher bei einer diplomatischen Verhandlung vielleicht Iunstig erschienen wäre, indem er dem Antwortenden mehr ^it zum Uebcrlegen seiner Worte gelassen hätte, aber bei Unserm nur aus Gemeinplätzen zusammengesetzten Gespräch 'wr langweilig war. Uebrigens bot einigen Ersatz für die Unbedeutendheit des Gesprächs, durch die sich meine hiesige "ldienz durchaus nicht von ähnlichen in Europa unterschied, ^"s sprechende Wohlwollen und die in die Augen fallende gliche Gütigkeit, mit der der Fürst seinen Gast empfing. ^" vornehme Orientale besitzt eine Feinheit des Tacts und 160 eine edle Natürlichkeit der Manieren, verbunden mit einem hohen Anstand, worin ihn die gewiegtesten Höflinge und Diplomaten Europa's nicht erreichen. Ein Europäer, welcher mit dem Orient noch nicht vertraut wäre, könnte versucht werden, das zarte Interesse, welches der hohe Herr an seiner Person zu nehmen scheint, für mehr als bloße Form zu halten. Obgleich mich eine langjährige Erfahrung von Menschen und Dingen im Orient natürlich vor einer solchen Lächerlichkeit bewahren mußte, so konnte ich doch nicht umhin, mich einen Augenblick dem angenehmen Eindruck des so überaus freundlichen Empfanges hinzugeben, welcher mir zu Theil wurde. Ein solcher Empfang, sagte mir der Consul, sei seit etwa einem Jahre keinem Europäer mehr zu Theil geworden, ein Umstand, auf den ich übrigens weit entfernt war, mir das Geringste einzubilden, da ich mir sehr gut denken konnte, warum man mich besser empfing, als diejenigen Europäer, welche dem Vey in diesem letztverflossenen Jahre ihre Aufwartung gemacht hatten. Diese Europäer waren eben meist Gläubiger der Negierung oder auch schwindelhafte Finanzmänner gewesen, deren langer Rede kurzer Sinn immer nur das Wort „Geld" und wieder „Geld" bildete. Daß cm von Finanznoth schwerbedrängter Hof solche Postulanten, wenn auch anständig, aber doch nicht mit übergroßer Herzlichkeit empfing, wird man natürlich finden. Ich war seit langer Zeit wieder der erste Europäer, der einen bloßen Höflichkeitsbesuch machte, der auch nicht ein Glas Wasser vom hiesigen Hofe verlangte, und dieser Umstand hatte zur Folge, daß ich hier nur lachende Gesichter und freundliche Mienen antraf. Aber nicht nur wohlwollend und herzlich sollte der Empfang sein, welcher mir zu Theil wurde, sondern auch entschieden ehrenvoll, wie ich bald aus einem Umstand merkte, der mir Anfangs nicht aufgefallen war. Neben dem Bey befand sich 161 ein schöner, etwa sechzigjähriger, weißbärtigcr Mann mit interessanten, jedoch etwas leidenden Zügen, welcher an unserm Gespräch Theil nahm und der, als der Fürst selbst Platz genommen und auch uns zum Sitzen eingeladen hatte, gleichfalls sich auf einen Sessel niederließ, eine Vergünstigung, welche sonst Niemand im Saale gestattet wurde. Dieser Mann war Niemand anders, als der allmächtige erste Minister, Mu^tapha Chasnadär, der, an einer schmerzlichen Krankheit leidend, heut zum ersten Male wieder am Hofe erschien, um unsrer Audienz beizuwohnen. Mul)tapha bildete U! der anspruchslosen Einfachheit seiner äußeren Erscheinung ^nen seltsamen Contrast gegen seinen Herrn. Obgleich mit "llen Orden Europas und des Orients geschmückt, so trug ^ doch keinen einzigen, und statt seiner glänzenden Minister-uniform nur einen einfachen, ziemlich schlechtgemachten, grauen Paletot von altmodischem europäischem Schnitt. Sein Be-^hmcn, dein Fürsten gegenüber, der nur durch seine Augen 'leht, nur hört, was er ihn vernehmen läßt, nur durch seine "Ermittelung handelt, der ihm die größte Freiheit und Nnge-i^vungonheit gestattet, athmete einen überaus feinen Tact, der "en gebornen Diplomaten beredt offenbarte, und zeigte sich, bon Kriecherei, wie von Familiarität gleichweit entfernt, als ^n Gemisch ehrerbietiger Vertraulichkeit und unterwürfiger Iuthulichkeit. Ein wahres Muster orientalisch diplomatischer Manie-^u bildete auch der hochgestellte Vcamtc, welchem heute das ^lnt cincs Dolmetschers zufiel. Derselbe war ein gcborncr U)risclM Christ, ich glaube maronitischer Abkunft, Namens ^lyass Musally, welcher jetzt als Director des Ministeriums °es Acußern fungirt und den hier auch bei Civilisten üblichen Und überhaupt auf alle hohen Beamten anwendbaren Titel "nes Generals führt. General Elyass stand während der 6"nzen Audienz, seines hohen Ranges ungeachtet, aufrecht da. I 11 162 Sein Benehmen dem Bey gegenüber verkündete ein ähnliches Gemisch von zweierlei Gefühlsstimmungen, wie dasjenige des ersten Ministers, nur daß bei ihm die Ehrerbietung und Unterwürfigkeit bei Weitem vorwalteten. Der feine, im Arabischen wie im Französischen gleichgewandte Syrer gab meine einfachen Worts mit einem orientalischen Redefluß wieder, welcher meine Bewunderung erregen mußte,- denn während er streng jene übertrieben blumenreichen Floskeln und jenen sogenannten orientalischen Rcdeschwulst vermied, welcher heutzutage selbst an einzelnen moslimischcn Höfen für ein Zeichen von geringer Bildung gilt, und es in der That auch ist, denn nichts ist leichter uud schülerhafter, als pomphafte Hyperbeln zu ersinnen, so verstand er es doch, in seiner übrigens recht getreuen Uebersetzung meine Worte in ein so elegantes, geschmeidiges und gefälliges Gewand zu Neiden, daß ich es fast als einen Vortheil erkennen mußte, daß meine Rede nicht unmittelbar, sondern erst durch dieses verschönernde Medium an das fürstliche Ohr gelangte. Dazu die unnachahm-bare, halb aufrechte, halb gebückte ächte Höflingsstellung des Generals, sein feiner leichthin lächelnder Mund, seine ehrfurchtsvoll niedergeschlagenen Augen: es war ein Schauspiel, welches jeden europäischen Höfling vor Neid hätte bersten machen tonnen. Elyafs ist ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, dessen Aeußeres, wenn auch nicht grade von der Natur vernachlässigt, doch gewöhnlich erscheinen würde, wäre nicht das beredte Spiel seiner ausdrucksvollen Züge, welches den schlauen Diplomaten und gewiegten Hofmann offen verkündet. Außer diesen Persönlichkeiten befanden sich noch vier andere im Audienzsaale, welche ich Anfangs ihrer eigenthümlichen Haltung zu Folge, für Hoflaquaien anzusehen versucht war. Sie standen nämlich mitten im Saal, steif und kerzen-grade, die Arme senkrecht hinabgestreckt, in Neih und Glied 163 da, in einer Positur, wie man sie an unsern Höfen kaum bei Laquaien ficht, welche an der Wand aufgestellt sind, um auf jeden Wink des Herrn zum Dienst herbeieilen zu können. Wer beschreibt jedoch mein Erstaunen, als ich erfuhr, daß diesc anscheinenden Laquaien nichts Geringeres seien, als vier Generäle, welche man uns zu Ehren hier aufgestellt hatte, cine neue Auszeichnung, welche unsrer Audienz zu Theil ^vurbc. Dich waren übrigens wirtliche oder wie man hier anscheinend pleonastisch sagt „militärische Generäle" (da wie Hksagt auch Civilisten, sogar Juden und Kaufleute, diesen ^Uel führen); sie trugen auch nicht das Gewand der Reform, bm europäischen Paletot, wie der Bey, sein Minister und General Elyass, sondern die sogenannte Zuavcmmiform, welche ursprünglich arabische Kleidung, die eine Zeitlang ganz von Hof und Armee verbannt war, man jetzt wieder eingeführt, ^ h. den Franzosen nachgeäfft hat. Diese vier tapferen Krieger nahmen nicht am Gespräch Theil, sondern verharrten während der ganzen Audienz in ihrer militärischen steifen Haltung, als ob sie statt Kaffee eiserne Ladstöcke zu sich Kcnommen hätten. Uebrigens dauerte unsre Audienz nicht lange. Die Art und Weise, wie sie beendigt wurde, war auch wieder ächt orientalisch oder vielmehr tunisisch, denn dergleichen findet selbst nicht in Constantinopel statt. Dort nämlich, ebensogut Wie an unsern Höfen, pflegt der Monarch selbst die Audienz abzubrechen und den zarten Entlassungswink zu geben, welcher "^tn Aufwartenden sagt, das; er sich zurückziehen müsse. Hier "bcr fand nichts von Alledem statt. AIs wir etwa zwanzig Minuten mit dem Vey die gewöhnlichen, bei Audienzen üb-l'chcn Phrasen ausgetauscht hatten, setzte mich der Consul plötzlich durch die Frage in Erstaunen, ob ich nun gchen !""lle? Ich glaubte nicht, daß dich von mir abhinge, wurde jedoch cines Andern belehrt, und so erhoben wir uns, mit 11* 164 denselben höchst einfachen Ceremonieen Abschied nehmend, welche unsern Eintritt bezeichnet hatten, wobei man hier nicht einmal die selbst am kleinsten deutschen Hofe übliche Förmlichkeit beobachtet, nach rückwärts schreitend abzutreten, um dem Fürsten bis zuletzt nur das Gesicht zuzuwenden. Als wir uns von der Audienz zurückgezogen hatten, stand uns noch eine kurze Zusammenkunft mit dem ersten Minister bevor, zu welcher wir in einen ziemlich schmucklosen Nebcnsaal geführt wurden. Bald erschien der Chas-nadär Muxtaftha, der hier nicht mehr, wie bei der vorangegangenen Audienz, die zweite Rolle spielte, sondern im vollen Glanz seiner hohen Amtswürde prangte. Auch er unterhielt sich, einige kurze arabische Sätze abgerechnet, meist durch Dolmetscher mit uns, da sowohl er wie sein Fürst keiner europäischen Sprache mächtig ist. Nun stand uns noch die Besichtigung der Prunkgemächer des Schlosses bevor, ein Vergnügen, auf welches ich übrigens gern verzichtet hätte, denn eine geschmacklose Nachahmung europäischen Luxus', wie sie uns hier geboten wurde, pflegt nirgends einen guten Eindruck hervorzubringen; in orientalischen Palästen erwartet man sie aber am Wenigsten. Der Thronsaal erwies sich als ein großer, länglicher viereckiger Raum, dessen eine Längenseite ganz von Fenstern eingenommen wurde, vor welchen wenigstens ein Dutzend geschmackloser, europäischer Consolen standen und auf jeder Console eine Pariser Pendeluhr und ein Paar falsche Blumensträuße in Glasglocken, eine Geschmacklosigkeit, wie man sie kaum in einem französischen Kaffeehaus erbärmlicher findet. Die andere Längenseite nahmen die in Oel gemalten Porträts in Lebensgröße fast aller europäischen Monarchen ein, zum größten Theile die Geschenke dieser Monarchen selbst und recht gut ausgeführt; das von Ludwig Philipp dem vorletzten Bey, Ahmed Pascha, geschenkte Porträt dieses Königs besaß wohl unter 165 Allcn den größten Werth, da es auf einem so täuschend getroffenen Gobelin ausgeführt war, daß ich es gewiß für ein Oelbild gehalten hätte, wäre ich nicht darauf aufmerksam gemacht worden. Die eine Vreitenscite des Saals nimmt ein gewöhnlicher europäischer Thron, die andere die Eingangs-lhüren ein. Die übrigen Gemächer zeigten gleichfalls durchaus nicht bm orientalischen Stempel. Auch in ihnen waren Oelporträts ln Masse aufgehäuft, und zwar ineist solche von früheren Vey's und ihren Ministern oder von europäischen Herrschern Und Prinzen souveräner Häuser. Sehr seltsam nahm sich Unter diesen von Epauletten und Ordenssternen funkelnden Conterfei's ein Gemälde aus, welches einen katholischen Heiligen vorstellte. Gs war übrigens sehr schlecht ausgeführt und wahrscheinlich auf einem Trödelmarkt in dein bilder-eichen Italien erstanden worden. Ich konnte mir nicht denken, wie es hierherkam, erfuhr jedoch, daft es ein Geschenk "'r Nevublik San Manuo sei und den heiligen Marinas, chren Schutzpatron, vorstellen solle. Hierher war es durch "Mnittlung des oben schon erwähnten Doctor Lumbroso gekommen, welcher sich das Generalconsulat dieser Republik verschafft und dem Bey sogar den prachtvollen großen Orden dieses Kleinstaates überreicht hatte, ein Schwindel, welchen W dem ordenssüchtigen Tunis das beste Gelingen krönte und der Gnadengeschenke und Orden in Masse abwarf, denn der ^) wurde natürlich nicht über das Duodezformat des frag-llchen Staats aufgeklärt, sondern glauben gemacht, er habe ^ mit einer höchst respectabeln Macht zu thun. 166 Jünftes Kapitel. Besuche bei tumsischm Großen. Allmacht de^ ersten Ministers. — Icine Abknnsl »üd Ilügend, — 2ein ^leichiynm n»d wrneyme Wahlftmvaüdlschasl.— Meitt AnNe^n l'eim Minister.— Das Mftun! seines 5'o!)>ic5. — Aulichamlmren.— Das ftersanaldes Ministeriums. — C>Mstchttdie„llc stlßst der höchsten Vmmlc,,.— Audienz vein, Minister.— lüornliinl moslimischcr Veamlen. — DerAilWnich des MiniNeiiums. —Oer 5oh>l und die GenmlMi des ersten Ministers.— Der Candidut mehrerer Aka» demie«. — Vejnch l»eim General Clia^r-elxO^n. — Oer 'ilifirlestc Maslim in Cnm5. — 5ei>le ^icsarnipünie. — Un«wg!>ch!ml ihrer Durchsuhrilüg. — Cha^r-ed-Oljn's fteiwilliger Alisillritl. — 5einns und UnLe. qnemlichkeit des axalüsche!» teßens. Der Mittelstand in einer moslimischen Stadt zeigt sich von allen in ihr vertretenen Standeselementen dem Europäer vielleicht am Schwersten zugänglich. Dieß ist nicht schwierig zu erklären: das Hofftersonal und die Großen werden durch ihre offieielle Stellung, welche sie der Oeffentlichkeit anheimgiebt, schon von Amtswegen mit allen Consuln und durch sie auch mit ihren Schützlingen in häusige, oft tägliche Verbindung gebracht; sie empfangen, ja sie machen zuweilen Besuche; ihre Häuser und Villen stehen uns bei vielfachen Gelegenheiten offen, da das unnahbare Fraucngemach bei ihnen stets ein abgeschlossenes, von der officiellen Staatswohnung getrenntes Gebäude bildet, während bei dem Mittelstande auch bei Tage Mann und Frau stets unter einem Dache bleiben, wenn ersterer es nicht vorzieht, etwas Abwechselung außerhalb seiner wegen der Anwesenheit der Frauen bcsuchlosen Behausung zu erstreben. Auch das Proletariat steht dem Europäer nicht so fern, wie der Mittelstand, namentlich nicht in einer Stadt wie Tunis, wo viele gemeine Araber angefangen haben, für Europäer zu arbeiten, ja selbst in deren Dienste getreten sind. 201 Beim Mittelstand dagegen fehlen die ofsiciellen Berührungspunkte einerseits, andrerseits ist er nicht durch Armuth gezwungen, sein Brod im Dienste der Europäer zu suchen. Außerdem zeigen sich auch bei ihm die religiösen Vorurtheile noch am Mächtigsten und Beharrlichsten, so daß cr wenig geneigt scheint, auf die allenfallsigen Versuche der Europäer, Bekanntschaft oder Freundschaft anzuknüpfen, einzugehen. Und doch ist auch hier, wie in andern Ländern gerade die Kenntniß des Mittelstandes interessant und für die Beurtheilung der Sitten der ganzen Bevölkerung von höchster Wichtigkeit. Daß mir eine solche Kenntniß nicht fehlen dürfe, wenn ich anders dieß Volk nicht blos nach seinen gesellschaftlichen Extremen beurtheilen wollte, war die Einsicht, welche mich dazu bestimmte, mein Möglichstes zu versuchen, um wenigstens mit einem oder dem andern vom Mittelstände von Tunis in Berührung zu treten. Der Zufall sollte mich in Erreichung meines Wunsches über Erwarten gut bedienen. Der Fremdenführer, welchen ich in meinen Dienst genommen hatte, war ein Araber (ich hatte es lange mit den Juden, die freilich intelligenter sind, versucht, aber diese guten Leute hielten nichts für sehcnswerth außer ihren Synagogen und den israelitischen Basaren, auch besaßen sie gar keine Berührungen mit den mir vorzugsweise interessanten Moslims) ein Araber aus Tunis, welcher zwar seinem Stande gemäß allerdings zum Proletariat gerechnet werden mußte, der aber, ein solcher Gleichheitssinn herrscht Unter den moslimischen Glaubensgenossen, in nahem Bekanntschafts-, ja Freundschafts-Verhältniß zu einer Menge von Personen stand, deren sociale Stellung eine weit höhere war, als die seinige, ja welche nicht selten eine Stufe höher hinauf Nichte, als der eigentliche Mittelstand. Dieses schätzbare Individuum, welches Issmayl (gewöhnlich in Tunis Ssmahl ausgesprochen) hieß, und für meinen Dragoman galt, obgleich 202 das Dolmetschen nicht eben seine Sache war, wurde auf unsern Gängen durch Stadt und Vorstädte nicht selten von Gevattern Hans und Consorten (denn er war nebenbei mit der halben Stadt verwandt) angeredet und in freundlichster Weise eingeladen. Freilich erfolgte von Seiten der Mehrzahl bald ein mißtrauischer Rückzug, sowie man entdeckte, daß Issmayl und ich zur Zeit zusammengehörten und daß man durch eine Einladung des orthodoxen Moslim sich auch die des Ketzers auflud. Aber in einzelnen Fällen zeigten sich denn doch die Freunde meines Dragomans weniger vor-urtheilsvoll. Die erste Ausnahme von jener gewöhnlichen Regel des Mißtrauens bildete ein junger Mann von ziemlich offenem einladenden Aussehen, der, wie mir mein Führer sagte, einer der bessern Familien von Tunis angehörte und nach hiesigen Begriffen wohlhabend zu nennen war. Die Begriffe, welche die Tuniser über Wohlhabenheit hegen, sind allerdings eigenthümlicher Natur. Ein hiesiger wohlhabender Bürger besitzt oft alles Mögliche, Häuser, Felder, Gärten, Olivcnvflanzungen, ein Geschäft, das seinen regelrechten, wenn auch sehr langsamen Gang geht, aber von baarem Geld ist bei ihm in vielen Fällen keine Svur zu finden. So war es auch mit meinem neuen Bekannten', derselbe galt sogar für besonders wohlhabend, er nannte ein schönes großes Haus m der Stadt, ein geräumiges Stallgebäude mit Remisen, einen Fonduq (Karawanserai), den er vermicthete, einige Olivenhaine, Felder, Villa's in der Umgegend sein, aber er befand sich stets in der größten Geldverlegenheit, konnte seinen Schneider nicht bezahlen, schuldete rechts und links kleine Summen und ein Paar Goldstücke schienen ihm ein Eldorado unbekannten Ueberflusses. Da es mir jedoch natürlich nicht um ein Geldgeschäft mit ihm, sondern nur um seine Bekanntschaft zu thun war, um an ihm den Typus seiner Classe zu studiren, so wird man 303 begreifen, das; mich seine finanziellen Verhältnisse weder abschreckten, noch überhaupt kümmerten, denn ich wußte, daß in Bezug auf gute Nachschläge bei allen Moslims doch Hopfen und Malz verloren sei. Dieser junge Mann hieß Ssy halad (Ssy ist die Ab--kürzung von Ssavydv oder Ssydv, Herr, welchen vollständigen Titel man den Großen giebt, während die weniger Vornehmen ihn nur in der abgekürzten Form führen) und bewohnt in der Nähe der großen Infanteriekaserne im obern AHeil der Vorstadt ein schönes, geräumiges Haus, von dem über die Hälfte leer stand und das übrige dünn bewohnt war, denn Ssy Halali war der einzige Mann in der Familie, die außer ihm nur noch aus seiner Mutter und Schwester bestand. Da auf diese Weise aber, wenn auch nur wenige, doch immer Frauen im Haus waren, so durfte kein fremder männlicher Fuß hineingesetzt werden, und deßhalb empfing Ssy ei Cage. — O«5 beschauen des husanlzuges. ^ Der 5!lials> wagen des Ne». — Der üeil'kutsch er und seine j^opulariläl. — Die Ve° grii^ung de5 Fürsten, — Die ^agen. — Veschenkung dersewen. — Uücklklir des hose?» nach dem Vardo- F/er Hof, die Großen, ihre Intriguen, ihre luxuriösen Sitten und Ausschweifungen einerseits, das bescheidenere, aber immer noch äußerlich oft glanzvoll erscheinende Leben der mittleren Stände andrerseits, welche wir uns in den vorhergehenden Abschnitten bemüht haben dem Leser vorzuführen, gehören zwar zur Vollständigkeit des Bildes, dessen Skizzirung wir uns vornahmen, aber dennoch dürfte das Interesse dafür gegen dasjenige zurücktreten, welches uns das eigentliche Volksleben einzuflößen berechtigt ist. Um jedoch das Volk, das wahre Volk in seiner Nnverfälschtheit zu studiren, bietet sich uns keine bessere Gelegenheit dar, als wenn wir es während einer Epoche beobachten, in welcher es die ganze Eigenthümlichkeit seines Wesens frei entwickeln und, durch einseitige Vexatwnm und hemmende Polizeivorschriften unbehindert, zur Schau tragen kann. Eine solche Epoche bietet uns in mos< 213 limischen Ländern nur der heilige Monat Ramadhan dar, denn nur während seiner Dauer gestattet die Strenge der islamitischen Sittenanschauung eine freiere Entwicklung des Volkslebens, namentlich derjenigen Seite desselben, welche die öffentlichen Lustbarkeiten zum Vorwurf hat, nur während seiner Dauer läßt sich die sonst unerbittliche Polizei zur der Concession herab, auch ein nächtliches Straßenleben zu gestatten; die sonst so strenge, patriarchalische, väterliche Gewalt läßt gleichfalls etwas von ihrer üblichen Nnerbittlicht'eit nach und erlaubt der Jugend, eine freiere Bethätigung ihrer natürlichen Lebhaftigkeit, ja es will fast scheinen, als habe sogar das Moralgesetz seine gewohnten Bande in auffallendem Grade gelockert, denn die Nächte des Namadhän führen uns eine Reihe von Anschauungen vor, welche mit diesem Gesetz in einem noch handgreiflicheren Widerspruch stehen, als die während der andern Monate vorkommenden Abweichungen von demselben. Dennoch bieten diese Widersprüche keinen absoluten moralischen Verfall dar, sondern sie bilden nur gleichsam den einen extremen Pol der ethischen Gesammtheit, deren anderer Pol in der strengsten Orthodoxie und der unerbittlichsten Auslegung des Sittencodex wurzelt. Denn während auf der einen Seite die Sitten im Namadhän zügelloser erscheinen, als in gewöhnlichen Zeiten, zeigt sich auf der andern in keinem Monat des Jahres der Moslim strenger an das Cere« monialgesetz gebunden, in keinem Monat besucht er fleißiger die Moscheen, befolgt er strenger die Gebote des Propheten, welche so manchen nach unsern Begriffen erlaubten Genuß in die Acht erklären, kurz, in keiner Zeit bewährt er sich als ein orthodoxerer Mohammedaner, als in diesem Monat. Wie in diesen beiden Gegensätzen, der religösen Strenge auf der einen und der moralischen Zügellosigkeit auf der andern Seite, so zeigt sich die doppelte Natur des Ramadhan auWn fast allen 220 andern Erscheinungen des Volkslebens. Dieser Monat ist zugleich die Fastenzeit und zugleich der Carneval, die Tage gehören der ersten, die Nächte dem zweiten an. Bei Tage herrscht Hunger, Durst, Unbehaglichkeit im höchsten Grade, denn die moslimischen Fasten sind die strengsten von allen, indem sie nicht nur den Genuß von Speise und Trank, sondern auch das Rauchen, Schnupfen, ja selbst das Riechen an Essenzen (d. h. vegetabilischen Oelen, denn die deftillirten Wasser, wie Nosenwasser :c. sind erlaubt) untersagen und sie sind nicht nur im Princip die strengsten, sondern sie werden auch am Strengsten beobachtet, denn Keiner, selbst nicht der leichtsinnigste Jüngling, wagt es, sich von ihnen zu emancipirm. Bei Nacht aber pflegt der Moslim in diesem Monat seines Leibes mit einer ganz außergewöhnlichen Vorliebe, wie er sie demselben sonst nie zu Theil werden läßt, er kauft die besten Lebensmittel, welche ihm nur erschwinglich find, er labt sich am aromatischsten Kaffee, an den ausgesuchtesten Süßigkeiten, er gönnt seiner Nase die feinste Prise und seinem Gaumen den köstlichsten Rauchtabak, kurz er entschädigt sich auf jede ihm nur denkbare Weise für die Tagesstraftazen durch nächtliche Genüsse. Bei Tage trifft man nur blasse, gelbliche Gesichter, unzufriedene Blicke und kann fast in jeder Straße ein Paar Leute im heftigsten Wortwechsel begriffen sehen, denn auf diese meist sinnlichen und durch keine geistige Arbeit im moralischen Gleichgewicht gehaltenen Menschen pflegt das Fasten stets den Eindruck eines Reizmittels zu den schlimmsten Zornausbrüchen, einer grausamen körperlichen Strafe zu j machen, der sie sich zwar aus Werkheiligkeit unterwerfen, die sie aber innerlich verwünschen möchten-. da ihnen jedoch die abergläubische Ehrfurcht, welche jeder Moslim vor dem Ceremonial-gcsetz empfindet, dieß zu thun verbietet, fo wenden sie ihre Verwünschungen und die ganze Wucht ihrer gereizten Unge- 221 duld allen den unglücklichen Sterblichen zu, mit denen sie der Zufall in Berührung bringt. Namentlich diejenigen Moslims, welche Sklaven jener schädlichen, oder unendlich fesselnden Gewohnheit, des Rauchens des yaschysch, Kyf oder, wie man ihn in Tunis nennt, des Takrury geworden find, zeichnen sich an den Fasttagen durch ihre cholerische Reizbarkeit aus. Nnter ihnen Pflegt die geringste Gelegenheit zu heftigem Streit zu führen, Schimftfworte antworten auf Schnnpfwortc, täglich sind Prügeleien an der Tagesordnung, ein gräßliches Geschrei stört die Ruhe der Nachbarn und die Takruryraucher erwarten unter den Verwünschungen des Nächsten den ersehnten Augenblick des Maghreb (Sonnenuntergangs). Ist aber dieser gekommen, dann senkt sich eine allgemeine süße Harmonie auf alle Gläubigen, selbst die, welche einem solchen Titel am Wenigsten Ehre machen, herab', der befriedigte Magen gestattet kein Aufkeimen der bitteren Galle und die süße Ver« dauungsscligkeit läßt alle Sterblichen wie Brüder erscheinen. Ebenso auffallend erweist sich der Contrast zwischen der Ausgestorbenheit bei Tage und der nächtlichen Belebtheit der Straßen. Nährend sonst in moslimischen Ländern grade die frühesten Morgenstunden das lebhafteste und bunteste Straßcn-leben darbieten, herrscht zu derselben Zeit im Namadhän eine Todtenstille, als ob eine Calamität die Stadt betroffen hätte; sämmtliche Läden bleiben bis gegen Mittag geschlossen, die Kaffeehäuser sind theils nicht geöffnet, theils, wenn sich auch ihre Thüren aufthun, zeigen sie doch ein Bild der trostlosesten Verödung. Erst des Nachmittags kriechen die Vudenbesitzer aus ihren Häusern hervor, öffnen langsam und gravitätisch ihre kleinen nischenartigen Läden und installiren sich regungslos m einen Winkel derselben, mehr Statuen, als lebenden Wesen vergleichbar. Mit Sehnsucht sehen sie dem Maghreb und dem ihn verkündenden Kanonenschuß entgegen: sie wissen genau den Augenblick, wann er ertönen wird, und halten 222 mit ängstlicher Vorsicht die kleine Cigarrette (denn fast alle sind Raucher) und einen Wasserkrug bereit, um die zwei an: lebhaftesten gefühlten Bedürfnisse und am schmerzlichsten vermißten Genüsse sogleich im ersten Moment, in dem es das Gesetz gestattet, genießen zu können und auch leinen Augenblick einer überflüssigen, nicht mehr länger gebotenen Enthaltsamkeit zu weihen. Das Essen selbst bildet bei den meisten Städtern ein erst in zweiter Neihe zu befriedigendes Bedürfniß. Nur die Araber vom Lande, die Beduinen, pflegen gleich im Moment des Maghreb mit gieriger Hast über die bereit gehaltenen Speisen herzufallen und sich meist im Augenblick so viehisch zu überessen, daß ihnen aller Genuß an den Speisen, ja nichten selten aller weitere Appetit verloren geht. Der Städter dagegen, der diese Verfahrungsweise der Beduinen als eine gemeine und thierische Völlcrei verspottet, geht anders zu Werke. Zuerst genießt er einen Trunk reinen Wassers und gönnt, ja verschafft nicht selten seinem Nächsten denselben Genuß. Wahrhaft rührend fand ich immer die Scenen, welche ich in diesem ersten Augenblick nach dem Maghreb, der dem Wassertrinken gewidmet ist, in den Straßen von Tunis beobachtete. Vor jedem Kaffeehaus, jedem Varbierladen, jenen zwei Hauptversammlungsorten der Moslims in den Städten, sah ich lange Reihen weißumhüllter Gestalten sitzen, welche, so wie der heilverkimdende Kanonenschuß des Sonnenuntergangs sie mit der Macht eines elektrischen Schlages belebte, die Rechte nach dem Labetrunk ausstreckten und nicht umsonst, denn vor jede dieser Gestalten trat hier der Kasseewirth, dort der Barbier oder einer ihrer Gesellen und bot ihr in dem üblichen irdenen Geschirre das köstliche Naß dar, jenes reinste und natürlichste Getränk, welches die Verehrung des Arabers mit einer Art von geheiligtem Nimbus zu umgeben liebt. In diesem Augenblick scheint alle Moslims ein verstärktes Band 233 der Brüderlichkeit zu umschlingen; der Geschäftsmann, den der Sonnenuntergang fern von den Seinen überrascht, der Fremde, welcher noch nicht seinen Weg bis zur Herberge zurückgelegt hat, wird von dem ihn: oft völlig unbekannten Kaffccwirth, vom Barbier, oder von irgend einem sonstigen Budenbesitzcr, an denen ihn sein Weg vorbeiführt, mit gastfreundlicher Beflissenheit angehalten und ihm der köstliche "Trank gereicht, der ihm gewiß noch in erhöhterem Grade Bedürfniß ist, als dem Eigenthümer des Ladens selbst, dessen Durstgefühl nicht durch Geschäftsgang oder Reisen gereizt wurde. Nach Befriedigung dieses von allen Orientalen am lebhaftesten empfundenen und auch am Nächsten aufs Gewissenhafteste berücksichtigten Bedürfnisses wird dann die kleine Ci-garrette oder von den altmodischen bejahrteren Männern die fönst fast außer Gebrauch gekommene Pfeife angezündet, und nach einigen Zügen des geliebten Tabackrauches steht der gelabte und befriedigte Mensch auf, um zu Hause im Kreise der Seinen eine schmackhafte und nahrhafte Mahlzeit zu sich zu nehmen. Zu dieser pflegt der tunisische Städter, der sich, wenigstens die ärmere, fast neun Zehntel der Bürgerschaft bildende Classe, in gewöhnlichen Zeiten nur einmal wöchentlich Fleisch gönnt, im Namadhan stets die trefflichsten und zwar mit Vorliebe kräftige, in geringem Umfang große Nahrungskraft bietende Speisen zu wählen, meist Hammelfleisch, Hühner, Eier u. s. w., durch würzendc Zuspeise gaumengerecht gemacht. Aber so erwünscht auch der Spcisegcnuß dem ausgehungerten Beobachter des Namadhan sein muß, so pflegt voch der Städter, wenigstens der einigermaßen der Rohheit entwachsene Bürger, nicht mit derselben Gier, wie der thie-lische ^andaraber, über die Speisen herzufallen, sondern gönnt bem langsamen und gewissermaßen methodischen Genusse derselben wenigstens eine halbe, oft eine ganze Stunde. Daher kommt es, daß man in dem ersten Theil des Abends auf 334 den Straßen fast nur Bedumm, die ihre Mahlzeit voreilig beendet haben, oder allenfalls auch Diener wohlhabender Bürger findet, welche das Essen in die ärmeren Häufer tragen, denn die allgemein fchon so hülfebeflifsene moslimische Wohlthätigkeit erreicht im Ramadhän einen bevorzugten Höhepunkt und gestattet selten, daß irgend Jemand durch Noth gezwungen wird, die Fasten über Gebühr auszudehnen. Erst eine oder zwei Stunden nach dem Maghreb füllt sich die Straße wieder, die Kaffeehäuser nehmen ihre zahlreichen Besucher auf, die finstern Buden des Karagus öffnen ihre Thüren den sich mit Gewalt hineindrängenden Kinder-fchaaren, hier tönt ein arabisches Concert aus einem impro-visirten Vergnügungslocal hervor, dort erblickt man durch die halbgeöffnete Pforte einer andern Spelunke die lasciven Bewegungen der Tänzerknaben; in den Gassen selbst drängt sich Kopf an Kopf, Burnus an Burnus; die Kaufläden zieren sich mit matten Lcimftchen und Leuchtern; eine Menge kleinerer oder größerer Laternen schwebt bald tief am Boden, bald in halber Mannshöhe, je nachdem der Träger ein Kind oder ein Erwachsener ist, dahin, und die launischen auf- und ab-hüpfenden Lichtfünkchen verwandeln die Nacht in ein wie von zahllosen spottenden Irrlichtern durchzucktes, geheimnißvolles, durchsichtiges Halbdunkel. Eine Erleuchtung der Stadt oder wenigstens ihrer belebteren Theile auf öffentliche Kosten findet nicht Statt; da aber in jeder verkehrvolleren Straße der ächt moslimischen Stadttheile Läden an Läden gränzen und deren Besitzer in denselben beim Schein ihres Ocllämftchens im Gespräch mit Verwandten und Freunden die Mitternacht zu erwarten, ja oft um mehrere Stunden wachend zu über' schreiten pflegen, so unterscheiden sich diese dem Verkehr gewidmeten Mittelpunkte durch ihre verhältnißmüßige Helle von den übrigen stilleren, blos von Privathäusern umringten Gaffe" des maurischen und überhaupt von allen des christlichen und 225 jüdischen Quartiers im Ramadhän ebensosehr, wie sie gegen ihr eigenes Aussehen in allen anderen Monaten des Jahres, in welchen sie vom Maghreb an die tiefste Dunkelheit umhüllt, einen grellen und dem Sittenbcobachter nicht unwillkommenen Contrast darbieten. Dergleichen nächtliche Erscheinungen wären natürlich nicht möglich, wenn nicht die gestrenge Polizei, deren allabendliche Hauptbeschäftigung in den andern Monaten des Jahres das Einsperren aller derer ist, die ohne Laternen und ohne einen triftigen Grund des Ausgehens auf der Straße gefunden werden, wenn dieselbe nicht im Namadhan von ihrer Uncr-bittlichkeit nachließe. In diesem glücklichen Monat ist sogar die sonst unvermeidliche Laterne nicht offieiell geboten- wenn sie dennoch von vielen, ja den meisten Ausgehenden getragen wird, so gilt sie mehr als ein Zeichen der Respectabilität und der soliden Absichten des nächtlichen Ausgangs, bei den Frauen sogar als ein Tugendschild, denn die im Dunkeln schleichenden kann man unfehlbar für sehr lockeres Gelichter erklären. Was bildet den Zielpunkt aller dieser nächtlichen Aus-gange? Die theils kindischen, theils lascivcn Vergnügungen des Karagus, der Tänzerbuden u. s. w. gewiß nur bei den Wenigsten, nur bei der leichtsinnigen, lärmenden Vergnügungen zugethanen Jugend. Alle respcctabeln Leute aber gehen zu einem andern Zwecke aus- das Ziel der Vornehmeren bilden die Privathäuscr der Reichen, welche so glücklich sind, ein eignes von dem von den Frauen bewohnten Hauptgebäude abgesondertes Nebenlocal zu besitzen, in welchem sie ihre Freunde empfangen können, denn ms eigentliche Haus wird lein profaner männlicher Fuß hineingelassen-, das Ziel der Bürger, der Leute vom Mittelstande und selbst der solideren Classe des nrn^rcn Volkes aber bilden die Kaufläden der Krämer, die Vuden der Barbiere viel öfter als die eigentlichen Kaffeehäuser, M welchen sich meist nur die Fremden, d. h. die Araber vom 236 Lande, die gemeinen Soldaten und von den Tunisern selbst nur der Janhagel einzufinden pflegt. Die Bude aber, das, was der Araber „Mnut" nennt, spielt in den Nächten des Ramadhan eine wichtige, eine fast noch wichtigere Rolle, als in den übrigen Monaten bei Tage. Wörtlich übersetzt bedeutet dieses Wort „klanut" zwar nur „Laden" und es dient auch als übliche Bezeichnung für die Kauflocalc der Händler, für die Werkstätten der Handwerker, aber in Wirklichkeit besitzt es für die maurischen Stadtbewohner einen ganz andern Sinn. Das Ilanut eines Arabers vom Mittelstände ist ihm oft viel weniger, oft nur so nebenbei der Schauplatz seiner Gewerbsthätigkeit, der wahre Werth jedoch und oft der einzige Zweck desselben besteht für ihn darin, daß er daselbst für alle seine Freunde, die ihn aufsuchen wollen, zu Hause sein kann, denn in seinem Wohngebäude, bei dem er nicht so glücklich ist ein abgesondertes Nebenlocal zu besitzen, darf er fast Niemand, nur seine allernächsten Blutsverwandten empfangen und selbst diese würden sich durch die Gegenwart der Frauen mehr genirt, als unterhalten fühlen, denn die Frau ist einmal im muslimischen Leben ein Aceord, welcher zum Mißton wird, sowie er an's Ohr der Oeffentlichteit dringt und dessen bloßes Anklingen schon störend auf den geselligen Frieden wirkt. Vom Ilanut aber ist und bleibt die Frau auf ewig verbannt. Auch mit keiner Sylbe wird ihrer dort gedacht, sonst wäre Fried' und Freundschaft schnell in Hader und Zwist verwandelt. Bleibt dieser Zankapfel aber entfernt, so herrscht in der Gesellschaft zwar nicht jene leichte, angenehme, abwechslungsvollerc Unterhaltung, welche bei uns aus dem Umgang verschiedener Geschlechter entspringt, aber doch eine ganz leidliche, freilich ein wenig gravitätische, indeß nicht gradezu schwerfällige Geselligkeit-, ja, wie fast jeder Nachtheil im Leben von einem relativen Vortheil begleitet ist, so führt auch hier die Abwesenheit der Frauen 237 insofern ein Ersatzmittel mit sich im Gefolge, als ein freierer und gemüthlicherer Verkehr zwischen Leuten von den verschiedensten Ständen stattfindet, als in unsern europäischen Gesellschaften, aus denen wir oft manchen unterhaltenden Mann, mit dem wir selbst ganz gern verkehren würden, nur deßhalb ausschließen, weil seine etwas ungehobelten Manieren die Damen unangenehm berühren könnten. Ich denke mit Schrecken daran, was für einen Eindruck es hervorbringen würde, wollte man die socialen Elemente vieler arabischer Gesellschaften mit ihren wörtlichen Aequivalenten in Europa vertauschen. In Tunis zum Beispiel kommt es täglich vor, daß cm Oberst oder selbst ein General mit seinem Barbier, seinem Schuster oder Schneider in traulichem Gespräch den Abend zubringt. Nun denke man sich den tunisischen General und den tunisischen Barbier in europäische verwandelt, so wäre das Vild, welches uns ihre gesellige Vereinigung vorführen würde, an und für sich schon ergötzlich genug, vollends zur Comödie würde es aber dann werden, wenn man die respective^ Gattinnen dieser Herren zur Gesellschaft hinzuziehen wollte. Freilich läßt sich dieses zwanglose Verkehren von Leuten der verschiedensten Stände bei den Arabern durch eine größere Gleichheit der Bildung oder, wenn man will, einen gleichgroßen Mangel an Bildung einigermaßen erklären, aber diese Erklärung genügt nicht, denn Stolz und Anmaßung sind bekanntlich viel öfter die Begleiter der Unwissenbeit, als der Bildung: wir müssen vielmehr den Grund in dem allgemeinen demokratischen Geist, welcher alle semitischen Völker durchweht, suchen und ein wenig, glaube ich, mag auch die Ausgeschlossenheit der Fraucn,deren Rivalität bei allen Völkern eine größere zu sein Pflegt, als die der Männer, zu jenem traulichen Verein der verschiedensten Rangclassen bei den Arabern beitragen. Das yanut also ist der Tempel, in welchem diese Feste 15" 238 der socialen Gleichheit am Allgemeinsten gefeiert werden. Ohne ein Ilänut fühlt sich der Stadtaraber zu allen Zeiten, vorzüglich aber im Ramadhän unglücklich und auch derjenige Europäer, welcher, wie ich, in arabischen Ländern fast nur mit Eingeborenen zu verkehren gewohnt ist, empfindet lebhaft das Vedürnift nach einem solchen Ilänut, in dem er seine Warte aufschlagen kann, um von hier aus das bunte Straßenleben, das mcmnichfaltige interessereiche Treiben des Volks studiren und zugleich seine einheimischen Freunde und Bekannten empfangen zu können. Auch ich mußte ein solches Ilänut haben, das war bei mir ausgemacht, ehe noch der heilige Monat Ramadhän angebrochen war. Der Umstand, daß ich keine Seife, Schwefelhölzer oder sonst irgend etwas zu verkaufen hatte, bildete nach arabischen Begriffen durchaus keinen Grund, warum ich kein I.Iänut miethen sollte, ich kannte der Präcedenzfälle genug, in denen im Ilänut auch nicht ein Strohhalm verkauft, sondern lediglich Geselligkeit getrieben wur'oe. Mehrere meiner Bekannten besaßen solche einzig und allein zum Dariuncnsitzen bestimmte Läden. In einem derselben hatte ich mich freilich installiren können und Jedermann würde mich willkommen geheißen haben. Aber ich wäre eben nie aus einer gewissen Parasitenrolle herausgekommen, ich hätte keinen Bissen Kusskussu essen, keine Tasse Kaffee trinken können, ohne daß diese Gegenstände von Jemand anders bezahlt worden wären, denn der Ilänutbesitzer hält es für seine Pflicht, seine Besucher zu tractiren, ja nicht selten zwingt er sie zu einem übermäßigen Genuß öliger, honigtriefender Süßigkeiten, die dem europäischen Magen gewöhn' lich widerstehen. Solchen Calamitäten auszuweichen und um zugleich ein Absteigequartier im maurischen Stadttheil zu haben, lieft ich ein Ilänut miethen und zwar ein großes viereckiges Loch im Erdgeschoßemes großen Basars, das, leidlich von nur möblirt, Zu einem ganz freundlichen Zimmerchen wurde. 229 Gleich am ersten Abend, als ich kaum darin mstallirt war, erhielt ich einen so zahlreichen und buntscheckigen Besuch, daß die klcinc Bude ihn kaum fassen konnte. Es kann einen recht deutlichen Begriff von dem socialen Gleichheitsgcfühl der verschiedensten Stände m moslimischen Ländern geben, wenn ich diese bei mir versammelten Besucher ihrem Stande gemäß bezeichne. Da war zuerst als Respectsperson ein dicker alter Oberst von den Ssftälnya, sehr pomphaft und gravitätisch, der den seltsamen Ehrgeiz besaß, französisch sprechen zu wollen, was er freilich erst lernen muhte, denn einstweilen beschränkte sich seine Conversation auf einige banale Phrasen, die er von Meinem Bedienten, einem Araber, der in Paris ein Paar Brocken französisch aufgefischt, papageimäßig auswendig gelernt hatte. Dieser Würdenträger war nicht nur intim mit meinem Bedienten, sondern auch unzertrennlich von zwei andern Leuten sehr niederen Standes, von seinem Barbier und dessen Gesellen, und stets, wenn man den Oberst bei sich hatte, war man sicher, auch diese beiden ankommen zu sehen. Dann kamen einige Schulmeister, ich glaube es waren deren sogar fünf oder sechs, sehr respectable Leute, die den Qoran auswendig wußten und ihn vermittels des spanischen Rohrs tagtäglich einer Schaar auf dem Boden hockender, in näselndem Singsang rccitirender Bürschchen einzubläuen pflegten. Unter diesen Schulmeistern befand sich einer, welcher mit dein allen gemeinsamen Titel „Mowaddib" (Lehrer, in Tunis „Meddeb" ausgesprochen) den noch viel ehrwürdigeren eines „Schaych" vereinigte, der bei religiösen Persönlichkeiten eine andere Bedeutung annimmt, als diejenige eines Stammesoberhaupts der Beduinen, unter welcher er uns geläufiger ist, nämlich die eines halben Heiligen. Dieser Schaych entsprach übrigens seinem religiösen Titel insofern vollkommen, als er sich so ernst, emsylbig und langweilig, wie möglich, zeigte. Er war in dem holden Wahn befangen, daß mein Mnut nicht mir, 330 dem Ketzer, sondern dem rechtgläubigen Sspccky gehört, sonst hätte ihm sein austerer Fanatismus gewiß nicht gestattet, darinnen zu bleiben. Der Schaych hatte nur den Oberst und die Schulmeister durch die Thüröffnung von außen erblickt und war gekommen, um sich von ihnen verehren zu lassen, was denn auch in höchst salbungsvollen, aber sehr langweiligen Phrasen geschah. Er gehörte sicherlich nicht zur Classe der lustigen Heiligen, eine Classe, welche so seltsam auch die Zusammenstellung der beiden sie bezeichnenden Worte sein mag, dennoch besteht und in Tunis nicht ohne Vertreter ist. Auch bei mir befanden sich an jenem Abend zwei solche lustige Heilige, welche es jedoch in sehr verschiedenem Grade waren. In geringerem Grade gebührte dieser Titel einem gewissen Mohammed, der sich Wakyl des Grabes eines Marabut's, Namens Schaych ben Meluka, nannte und deßhalb eine hohe Verehrung genoß, die aber noch höher gewesen wäre, wenn er es nicht geliebt hätte, die Nolle eines Lustigmachers zu spielen und sich in allerlei wenig erbaulichen Localen herumzutreiben. Die Lustigkeit dieses vermeintlichen Heiligen bestand hauptsächlich im Hersagen von Paradoxen und im Schmieden kleiner nichtssagender Versspiele; unterhaltend war sie eigentlich wenig, namentlich da sie von einem fieberhaft ungeduldigen Wesen, sehr gegen die zur Schau getragene Seelenruhe der übrigen Moslims abstechend, begleitet war, gewiß viel weniger unterhaltend, als die des andern lustigen Heiligen, der mich an jenem Abend besuchte und dessen eigentlichen Namen ich nie erfahren habe, da ihn alle Welt nur bei seinem Spitznamen „Mossnän" kannte. Mossrsän bedeutet „hastig" und dieses Prädicat verdiente der Heilige auch vollkommen, denn er war so unruhig, so eilig in all' seinen Bewegungen, so zerstreut und vergessen dabei, wie es einem Heiligen nur möglich ist. Uebrigens führte er seinen Heiligentitel nicht seiner eignen äußeren Lebensweise 231 wegen, sondern er hatte ihn geerbt, denn er stammte von irgend einem Maräbut aus der frommen Stadt Qayruan, m der beinahe jeder Pflasterstein ein Heiliger ist. Diesem Titel machte er freilich nach unsern Begriffen wenig Ehre, aber nach arabischen entsprach er ihm insofern, als seine zerstreute Hastigkeit an Geistesverwirrung gränzte und letztere das sicherste Kriterium des Heiligenstandes bildet. Was die Araber in seinen Gesprächen am Meisten unterhielt, war der komische Gegensatz zwischen seinen Aussprachen und seinem vermeintlichen Heiligenstande. Während nämlich alle Heilige eine große Gleichgültigkeit gegen irdische Güter empfinden oder Vorgeben, bildete fein drittes Wort das Sätzchen: „Ich liebe das Geld mehr, als Alles auf Erden", ein Ausspruch, der für uns Europäer gar keinen, für die Araber aber des Contrasts wegen einen hohen Werth der Komik besitzt. Nebenbei durchzog seine Gespräche ein höchst unerbauliches Element, das aber wieder, des Gegensatzes halber, seine komische Wirkung äußerte. Auch liebte er es sehr, Andere auf unbarmherzige Weise aufzuziehen und hatte dann stets alle Lacher für sich. Namentlich ein altes verschrumpftes Männchen bildete vorzugsweise den Zielpunkt seines Spottes. Dieser arme Teufel war einst ein Mamlute gewesen und am Hofe des Bey, Mu^afa Pascha, zusammen mit dem jetzigen ersten Minister erzogen worden, eine Zeitlang ging es ihm gut, ja glänzend, jetzt aber hatten ihn schlechte Geschäfte und die Raubsucht seines früheren Mitsklavm, des Chasnadar, der ihm sein prächtiges Haus, eines der schönsten von Tunis, zu dessen Erbauung er fast sein ganzes Vermögen verwendet, ohne Weiteres nach hiesiger Ministerjustiz weggenommen hatte, heruntergebracht. Dieser Unglückliche mußte sich stets zum Hohn „Minister" schimpfen hören, man klagte ihn scherzhafter Weise aller Gewaltthätigkeiten und Veruntreuungen seines früheren Mitsllaven an, kurz er bekam die ganze Hefe des Spottes in reichlichem Maaße zu kosten. 232 Bei Jedem konnte jedoch der Heilige seinen Witz nicht an den Mann bringen. Einmal versuchte er es auch einen andern meiner Besucher, der nichts Geringeres war, als der Scharfrichter des Vey, aufzuziehen, aber das bekam ihm übel, denn der Scharfrichter führte nicht nur ein scharfes Messer, sondern auch eine scharfe Zunge, mit der er dem Heiligen übel zusetzte, so daft dieser sich kleinlaut verbarg und bald darauf seinen Abschied nahm. Waren alle meine Besucher fort, sü blieben mir oft noch einige Stundendes Abends, um mich in den verschiedenen Kaffeehäusern, Mufitlocalen und Schaubuden des maurischen Quartiers herumzutreiben. Diese Besuche durfte ich allerdings meinen arabischen Bekannten kaum eingestehcn, denn die meisten dieser Locale gelten für wenig ehrbar, um nicht zu sagen für berüchtigt, aber der Reisende, der die Vulkssittm studiren will, muß, natürlich soviel wie möglich, Alles sehen und kann sich um keine selbst noch so ehrbaren Vorurtheile kümmern. So schlich ich mich denn, nur von dem unvermeidlichen Laternenträger begleitet, aus der Stille meiner kleinen Bude in den wilden Strudel einer der belebtesten Straßen, welche in meiner nächsten Nähe beim Platze Halfawyn ihren Anfang nahm. Hier wurde uns lange die Wahl schwer, welche Bude wir zuerst besuchen sollten, denn beinahe aus jedem Hause drang uns das laute Getrommel der Bendayr (Tamtams), das wilde Gelärm der Darbuta, das heisere Geflöte der ^oqra oder das Geklimper des 'Aud (der arabischen Guitarre) und das krächzende Geschnarche des Rhebäb (Altviole) entgegen, dazwischen ertönte der näselnde Singsang einer oder mehrerer menschlicher Stimmen, das Geschrei des Kinderschwanns, das wie Schakalsgebell heisere und helltönende Gejauchze der Weiber, die finstern Baßstimmen fluchender Araber, und wie Fröschegequake stimmte zu dem Allen der Chor der auf der Straße unharmonisch durcheinander schwätzenden Spaziergänger. Wie 233 man sieht, war der Ohrenschmaus, der dem Vorbeigehenden auf dieser Straße geboten wurde, nicht gering, aber die Augenweide fehlte gänzlich: sie blieb ausschließlich für das Innere der Buden aufgespart und wurde von der Außenwelt durch eine dichte Vretterthür unbarmherzig abgesperrt. Der Talisman, der diese Bretterthür aufthat, bestand jedoch nur in einigen wenigen Kupfcrstücken. Aber was hinter der Bretterthür vorging, das tonnte Niemand ahnen, der diesen Talisman nicht gelöst hatte und dadurch gewannen diese Buden für den Neuling den ganzen Neiz des Geheimnisvollen. Die erste Höhle, in welche mich der Zufall führte, war eine jener zahlreichen Karagusbuden, welche das unterscheidend eigenthümliche Vergnügen der Ramadhannächte in allen Gebieten des Islam bilden und deren Hauptanziehungspunkt in einer Puftpencomödie, durch Schattenspiele dargestellt, besteht, ein Volksvergnügen, welches zur Zeit der Herrschaft der Türken von Constantinopel hierher verpflanzt worden ist. Die Haupt-Person dieses Schattenlustspiels ist Karagus (ein türkischer Name „Schwarzauge") selbst, eine höchst seltsam geformte Persönlichkeit, welche mit dem „Gott der Gärten" bei den Alten eine auffallende und unanständige Aehnlichkeit besitzt. Die Mehrzahl der nach dem Orient kommenden Europäer, wenn sie diesen antiken Priap noch heutzutage im Schattenspiel mit ungeschwächter Specialität fortleben steht, pflegt bei seinem Anblick in tugendhafte Entrüstung auszubrechen. Aber eine solche Entrüstung erinnert sehr au Donquichotterie, wenn sie nicht noch Schlimmeres, eine schlüpfrige Phantasie, verräth: denn die meisten gewohnten Zuschauer des Karagus denken sich bei dessen seltsamer körperlicher Bildung und der offenen zur Echautragung derselben fast gar nichts. Die Aehnlichkeit mit dem Gott der Gärten ist für sie eine reine Sache der Tradition geworden-, man hat sie eben seit dem Alterthum beibehalten, ohne zu ahnen, daß das, was die Alten für ein 234 heiliges Symbol und keineswegs für etwas Unanständiges ansahen, plötzlich obscön geworden sein könne. Deßhalb finden auch die Moslims durchaus nichts Unmoralisches an diesen Darstellungen, ähnlich wie bei den Römern die Priafteen oft im Kreise anständiger Matronen gefeiert wurden; sie schicken vielmehr ihre Kinder in die Karagusbudm, denn für den Geschmack der Erwachsenen sind die Lustspielchen doch meist gar zu naiv. Letztere besitzen in Tunis stets fünf oder sechs stehende Figuren, worunter jedoch nur eine einzige Heldenperson, nämlich Karagus selbst, der stets als Türke gedacht wird, und da er eine türkische Erfindung, ist, natürlich immer die dankbare Rolle hat. Alle andern Rollen sind undankbar und stellen sämmtlich Leute vor, die von Karagus gehänselt, auf grobe Weise betrogen, ausgeraubt, geschlagen, kurz auf jede Weise mißhandelt werden. Recht bezeichnend für das Selbstgefühl des Tuniser Volks ist es, daß unter diesen undankbaren Rollen niemals ein Moslim aus hiesiger Stadt und nur selten ein Moslim überhaupt figurirt. Wenn dieß vorkommt, so klebt ihm gewöhnlich irgend ein Makel oder Verdacht der Ketzerei an, er ist ein Dscherbyte, ein Mosabyte oder sonst ein Hetcrodoxcr. Vlit Vorliebe aber läßt man die Juden herhalten. Ein Jude fehlt nie und eine Jüdin selten, welche gewöhnlich beide allerlei betrügerische, pfiffige Anschläge auf Karagus haben, der sie aber entdeckt und sich in seiner groben Polichinellmanicr durch derbe Witze und Schmähreden, nicht selten durch Prügel an den Schlauköpfen rächt. Auch die Malteser, welche das Proletariat der hier angesiedelten Europäer bilden und am Meisten mit Moslims in Geschäftsverbindung stehen, pflegen als Repräsentanten der ganzen Christenheit nicht selten in diesem Puppenspiel dargestellt und natürlich verspottet zu werden. Zum allgemeinen Ergötzen erscheint auch manchmal eine „Madäma" (dieses italienische Wort gebrauchen die Tunifer, um eine 235 Europäerin zu bezeichnen). Die „Madama" zeichnet sich gewöhnlich durch einen Luxus von Crinoline aus und ist dadurch viel eher erkenntlich, als man die andern Figuren, mit Ausnahme des nur allzu offenbaren Karagus selbst, unterscheiden kann, denn bei den meisten muß man erst seine Nachbarn fragen, was diese oder jene Puppe vorstellen solle. Der Madama geht es meistens sehr schlecht; sie hat fast immer das Nnglück, die Neigung des Karagus zu erwecken, dem sie denn auch gewöhnlich, nach langen tugendhaften, aber fruchtlosen Kämpfen, zum Opfer fällt. Manchmal ist die Madama auch eine Speculantin auf die Gefühle der Männer im Allgemeinen und des Karagus im Besonderen; in diesem Falle wird sie stets betrogen, denn Karagus verspricht zwar, zahlt aber schließlich doch nicht den Preis für ihre Gunst. Eine moslimische Frau soll natürlich in dem orthodoxen Puppenspiel nicht vorkommen und wenn hiervon cine Ausnahme gemacht wird, so geschieht es doch nur, um irgend eine bcttel-haft schmutzige Landbeduinin darzustellen. Die Sprache, der sich der Puppenspieler bedient, bildet jetzt ausschließlich der allein Allen verständliche tunisische Dialect, denn das Türkische, welches früher das übliche Idiom des aus Stambul stammenden Karagus war, ist in den letzten 20 Jahren ganz abgekommen. Der tunisische Dialect besitzt jedoch seine verschiedenen Rebenmund arten, jenachdem er von einein Mauren, einem Juden, einem hier ansässigen Malteser, einem Landaraber, einem Dscherbyten gesprochen wird, und diese weift der Sftielmann gewöhnlich trefflich nachzuahmen, ebenso wie er den Stimmen verschiedene Höhe und Tiefe, vom brummenden Baß des Karagus selbst bis zum flötenden Fistelton der Madama zu geben versteht. Besonders ergötzlich ist die Nachahmung des Dialects der Juden, welche, wie fast in allen Ländern, auch in Tunis ihre eigenthümliche fehlerhafte Aussprache besitzen und mit der Grammatik auf schlechtem Fuß 236 leben. Wäre diese Verschiedenheit des Tons und Dialects nicht, so würden wir die meisten Puppen kaum für das, was sie vorstellen sollen, erkennen, denn dieselben erweisen sich als so überaus rohe Sculpture« von Pappendeckel, das; sie bei uns ein sechsjähriges Kind wahrscheinlich besser verfertigen dürfte. Der Text dieser kleinen Lustspiele ist außerordentlich einfach; von einer poetischen Verwicklung, einer Verknüpfung und Lösung des dramatischen Knotens ist nur in den wenigsten Fällen und auch dann nur in der oberflächlichsten Weise die Nede. Meistens besteht die ganze Posse aus einer abgerissenen Aufeinanderfolge von Scenen, die miteinander fast nichts gemein haben. Fast in allen erscheint der Held, Kara-gus, als Sieger, theils durch seine Zunge vermittels seines oft beißenden, meistens jedoch nur derben Witzes, theils aber auch durch seine Fäuste und einen in diesen gehandhabten Knüttel, mit dew er den Rücken aller andern Comödienfiguren auf energische Weise heimsucht. Fünf: oder sechsmal zum Wenigsten in jeder Posse erscheint das sämmtliche Personal in einen gordischen Knoten zusammengeschnürt, auf welche chaotische Verschlingung Karagus nach Leibeskräften einhaut. Das Finale ist dann jedesmal noch eine besonders verwickelte und energische Prügelscene. Wie man sieht, ist hier von einem eigentlichen Lustspiel oder selbst von einer feineren Posse nicht die Rede. Der Nitz ist immer derb, selten, wie derjenige der neapolitanischen Pulcinella, geistreich -. mit letzterem besitzt aber Karagus sonst eine gewisse Aehnlichkeit; es ist derselbe rohe Mutterwitz, hinter äußerster Unwissenheit und anscheinender Dummheit versteckt. Freilich ist dieser Mutterwitz der eines Türken und nicht eines Italieners und deßhalb auch um so viel plumper und schwerfälliger. Wie allen wahrhaft volksthümlichm Charakteren, fehlt 237 auch dem Karagus nicht cine gewisse moralische Tendenz. Er ist die Verkörperung der naiven, unverdorbenen Ehrlichkeit der untersten Stände; er Weis; nichts von einem Abfinden mit dem Gewissen; freilich erscheint dieses bei ihm oft je nach den Umständen weiter oder enger, aber im Grunde ist es doch das Gewissen des ehrlichsten Theils des Volkes, vor dem er sich zeigt; was diesem Volke Unrecht erscheint und sei es oft auch nur etwas durch einseitige Rcligionsvorurtheile Verbotenes, das wird auch von Karagus verworfen; was dagegen die volt'sthümliche Ansicht nur als leichte Sünden ansieht, und seien es oft auch solche, die in Wirklichkeit einen schlimmeren Namen verdienen, das macht sich Karagus keinen Scrupel, zu begehen. Einen eigentlichen heimtückischen Vctrug begeht er aber nie; wenn er seinen Nächsten übervortheilt, beraubt oder durchprügelt, so geschieht dieß immer auf eine Weise, daß er alle ehrlichen Leute für sich hat, denn es geschieht stets zur Strafe für irgend einen listigen Anschlag, der gegen ihn unternommen wurde. Nichts ist aber dem Volte in allen Ländern verhaßter, als heimtückische List, und nichts erscheint ihm erwünschter und gerechter, als deren Entlarvung und Bestrafung. Man sieht, eine gewisse poetische Gerechtigkeit fehlt in den Possenspielen des Karagus nie. Was man schließlich von der Unmoralität und Obscö-wtät dieses Puftpenspiels gesagt hat, so habe ich dergleichen, wenigstens hier in Tuuis, niemals entdecken können. Derbe, ja nicht selten unfläthige Witze kommen selbst in den deutschen mittelalterlichen Possenspielcn (z. B. bei Hans Sachs) vor und doch ist es noch Keinem eingefallen, dieselben deßhalb für unmoralisch zu erklären. Ich glaube die von manchen Reisenden über Karagus verbreiteten perhorreseirenden Gerüchte stammen lediglich aus dem Mangel an Sprachkenntniß dieser Europäer her, welche die Worte der Posse nicht verstanden, aber die obenerwähnte körperliche Aehnlichkcit der Hauptfigur 238 mit dem Gott der Gärten ^in ihrer tugendhaften Entrüstung allein im Auge hatten, aus ihrer eigenen Phantasie den Schluß ableiteten, als müßten jene Worte eine ebenso unanständige Bedeutung besitzen, wie ihnen die Figur des Kara-gus unanständig erschien. Dem ist jedoch nicht so. Die traditionelle körperliche Monstruosität der Hauptperson dieser Posse übt auf den Text derselben, wenigstens hier in Tunis, gar keinen Einfluß. Würden auch sonst die in Ausübung ihrer väterlichen Gewalt so gewissenhaften und strengen Moslims ihre Kinder hineinschicken, wenn sie die Karagusbuden als für die Moral gefährdend ansähen? Nach den Freuden der Schattensftielbudcn stand mir der Genuß eines andern Ramadhänvergnügens bevor, das heißt die Besichtigung der Tänzer und ihrer Künste. Alle Individuen, welche in öffentlichen Buden tanzen, gehören nämlich dem männlichen Geschlechte an. Die Tänzerinnen treiben ihr Wesen nur in Privathäusern, in welche sie übrigens Jedermann zu sich kommen lassen kann, aber unter zwei Bedingungen, der einen, sehr leichten, daß er sie gut bezahle und der anderen, allerdings viel schwerer zu erfüllenden, daß er ein gläubiger Moslim sei. Denn zu einem Ketzer, Christen oder Juden kommen diese orthodoxen Jungfrauen nicht ins Haus, welche zwar der Vsnug vul^ivn^,, dienen, jedoch nur in soweit, als dieselbe sie mit frommen Moslims in Berührung bringt. Nur ein Gläubiger darf sich an den schmachtenden Bewegungen, den wallenden Schwellungen des Busens, den feinen Schwenkungen des Hauptes, den üppigen Zuckungen des Mttellörpers dieser arabischen Terpsichoren weiden. Ner aber das Unglück hat, ein Ketzer, Christ oder Jude zn sein, dem bleiben die Reize, welche die gläubigen Priesterinnen der Venus beim Tanze entwickeln, ein ewiges Räthsel. Ein schwaches Ersatzmittel wird ihm allerdings dadurch geboten, daß er dieselben Bewegungen, dieselben schmachtenden Ge- 239 bärden, dieselben lasciven Schwenkungen der Beine, welche die Tänzerinnen mit großer Virtuosität in Scene setzen sollen, an den sie getreu copirenden Tänzerknaben studircn kann i aber wie eine selbst noch so getreue Copie der sixtinischen Madonna dennoch niemals zu einem Raphael wird, so lassen auch diese oft mit großer Geschicklichkeit nachgeahmten Pantomimen kalt, da sie nicht aus der natürlichen Quelle entspringen, welche allein diese Bewegungen erklären kann. Denn das ganze Ge-bärdensftiel dieser Tänzer stellt etwas vor, das uns eben nur bei dem weiblichen Geschlecht intcressiren kann', ihr Tanz ist die Coftie einer ausdrucksvollen Pantomime, welche nur bei. dem Weibe einen Sinn hat, denn sie drückt ihre ganze leidenschaftliche Hingabe, ihren liebenden Paroxismus, ihr Aufgehen in der Seele des Erwählten ihres Herzens durch glühendes Micnenspicl und heftige Erregtheit der sinnlichsten Fibern ihres Körpers in wollüstigster Weise handgreiflich aus. Dennoch haben es einige dieser Tanzkünstler in ihrer Virtuosität, die Frauen nachzuahmen, zu einem so hohen Grade Von Geschicklichkeit gebracht, daß wir immerhin ihre Kunst anerkennen können, wenn auch unser Beifall durch den Mangel der Natürlichkeit dieser Tänze nüchterner gestimmt wird. Mitunter waren freilich die Erscheinungen dieser Tänzer so un-vortheilhaft, daß sie uns trotz all' ihrer Virtuosität nur wie Carricatmen vorkommen konnten. So sah ich in einer Bude einen einäugigen, zum Islam bekehrten Juden, bei dem das Wort „Tänzerknabe" nur als Bezeichnung seines Standes (etwa wie man bei uns manchmal selbst von einem Erwachsenen das Wort „Kegeljunge" gebraucht), nicht aber seines Alters gelten konnte, denn der sogenannte „Knabe" hatte seine Vierzig auf dem Nucken. Allerdings hatte er auf diese Weise mehr Zeit gehabt, sich in seiner Kunst, die Bauchmuskeln, tactgemäß in Bewegung zu setzen, gründlicher einzuüben, aber ein wenig an Geschmeidigkeit hatten besagte Muskeln mit den 340 vorgerückten Jahren denn doch verloren. Darin besteht nämlich eine der ausdruckvollsten Pantomimen des arabischen Tanzes, daß die tanzende Person, mit den Füßen wie angewurzelt stehen bleibend, nur die Bauchmuskeln in tactmäßige, Anfangs langsame, aber immer heftiger werdende, zuletzt bis zum höchsten Paroxismus gesteigerte Schwenkungen versetzt. Eine andere Scene ihrer choreographischen Darstellungen bildet ein Schritt, den ich den „Schwcbegang" nennen möchte. Bei diesem erscheinen nur die Beine thätig; die Tanzenden schweben durch die ganze Länge des Zimmers auf und ab, heben von Zeit zu Zeit die Beine zu einem schwungvollen Hüpfen in die Höhe oder führen nur mit dein einen derselben lascive Schwenkungen ails, lassen es auch wohl manchmal in zitternden Schwingungen oscilliren und fallen dann wieder in einen wie schwimmenden Nandelgang ein. Da bei diesem Theile des Tanzes nur der Unterkörper dem Publicum ein Schallspiel darbietet, so kann sich dieses leichter der Illusion hingeben, als habe es wirklich Tänzerinnen vor sich, eine Illusion, welche dadurch sehr begünstigt erscheint, daß die Gewände der Tänzer, und am Erkennbarsten grade deren unterer Theil, dem weiblichen Geschlechte entlehnt sind. Alle Tänzer tragen nämlich lange, faltige Weiberhemden, die bis auf die Fersen hinabhängen und deren niedere Hälfte durchaus einem europäischen Weibcrrocke aus der Zeit der Crinoline, unter welchem man jedoch letzteren Artikel entfernt hätte, gleicht, denn der Rock erscheint weit und faltenreich und schmiegt sich in seiner Swssfülle grade den kühnsten Bewegungen am Geschmeidigsten an. Höchst drollig nahm sich allerdings dieß lange, faltige Weiberkleid bei einem andern Tänzer aus, dessen Physiognomie eine komische Uebertreibung dessen, was viele Leute männlich nennen, bildete, nämlich bei einem ältlichen Neger mit einem grotesk-martialischen Gesicht, mit finstern derben Zügen, einem 341 stoppligen Zicgenbart und rollenden wilden Äugen. Dieser Neger war jedoch ein großer Virtuose und hatte cs in der Elasticität seiner Vauchbewegungen wirklich erstaunlich weit gebracht, nicht so weit jedoch, wie einer seiner jüngeren Collegen, den ich in einer andern Bude sah. Es war dieß em nur sechzehnjähriger Junge, bräunlich wie der Hirtenknabe David und demselben auch durch sein hübsches Gesicht vergleichbar. Dieser Bursche wußte seiuen Mittelkörper in so kühne Schwenkungen zu versetzen, daß man geneigt war, ihn als mit dein Oberleib nur lose zusammenhängend anzunehmen und ein ängstlicher Mensch jeden Augenblick versucht woren wäre, das Abbrechen dieser Wespentaille zu befürchten. Für mich bildete eines der amüsantesten Schauspiele in diesen Tänzerbuden die Art und Weise, wie sich die Jünger der Terpsichore von ihren Kunden bezahlt zu machen wußten. Es wird nämlich kein bestimmtes Echaugeld gefordert, überhaupt kein Eintrittsgeld entrichtet, sondern der Grundsatz „Ttandespersonen zahlen nach Belieben" scheint hier in der demokratischsten Anwendung auf alle Welt ausgedehnt. Die Nelt dieser Buden besteht jedoch meist aus armen Teufeln, welche sich gezwungen sehen, ihre Kupferstücke eng beisammen zu halten und es hält sehr schwer, diese ^ieute zu Ausgaben zu bewegen, gegen die sie sich mit Händen und Füßen zu sträuben geneigt sind. Dennoch wissen die Tänzer das Geld ihren Taschen zu entlocken und zwar bedienen sie sich auch hierin ganz desselben Verfahrens, welches ihre Vorbilder, die Tänzerinnen, mit so viel Erfolg in Scene setzen. Vine Tänzerin pflegt nämlich, wenn sie von einem ihrer Bewunderer ein Schaugeld erhäschen will, sich dicht vor diesen hinzustellen, ihn lose um den ^eib zu fassen, wenn er steht, oder ihm die' Hand auf den Kopf zn legen, wenn cr sitzt, und in dieser Stellung die volle Virtuosität ihrer Bauch-mnstelbewcaungeu zur Geltung zu bringen, was sie oft mit 343 so vielem Feuer chut, daß der mit ihr in so nahe Berührung Gebrachte gleichfalls Feuer fängt und die Stränge seines Geldbeutels zu einem namhaften Geschenke öffnet, das der Sitte gemäß gewöhnlich aus einer einzigen werthv olleren Münze besteht, die man der Tänzerin mit dem Speichel seines Mundes auf die Stirn klebt. Eine andere bei diesen Damen gleichfalls sehr beliebte Verfahrungsweise, sich Geld zu erschmeicheln, welche jedoch nur in Bezug auf die sitzenden Zuschauer ihre Anwendung findet, besteht darin, daß sie sich in der Hohe des Sitzenden der Länge nach ausstrecken und halb scheinbar halb wirklich auf den Boden legen, während sie ihr Haupt lose auf den Schooß des Sitzenden stützen, der gewöhnlich, da die meisten Araber Burnusse anhaben, eine bauschige Höhlung darbietet; in dieser Höhlung beginnen sie dannmitdem Haupt ähnliche Schwingungen und Schwenkungen, wie sie dieselben sonst mit dem Körper aus-führen, Schwenkungen, welche an die Stöße eines Widders erinnern würden, wären sie nicht sanft und zart und trügen sie nicht den Charakter einer Liebkosung, welche auch wirklich selten ihren Zweck verfehlt. Nun denke man sich alle diese bei einer hübschen jungen Tänzerin so verführerischen und bestechenden Bewegungen von dem alten Neger oder dem einäugigen Iudenrenegaten ausgeführt, so erhält man ein zwar keineswegs harmonisches, aber grade durch seinen grotesken Contrast amüsantes Bild. Trotzdem, so seltsam es auch klingen mag, erreichten doch gleich' falls diese Leute ihren Zweck, sich bezahlt zu machen, wenn auch aus dem diametral entgegengesetzten Grunde, wie die Frauen. Man konnte die zudringlichen Menschen, die mit einer Beharrlichkeit, welche eines bessern Zweckes würdig gewesen wäre, ihre Opfer festhielten und ihnen vortanzten, bis diese es vor Ungeduld nicht mehr auszuhalten vermochten, eben nicbt anders los werden, als wenn man seinen Beutel 243 öffnete, und war froh, sich durch cm kleines Geschenk der Unannehmlichkeit zu entheben, sie in unmittelbarster Nähe zu besitzen. Freilich mochten diese Geschenke in den meisten Fällen sehr dürftig ausfallen, denn ich sah oft die Tänzer ein saures Gesicht schneiden, wenn ihnen ein recht schmächtiges Kupferstück in die Hand gedrückt wurde, aber beklagen durften sie sich doch nicht, auch nicht mehr fordern, denn dieß gestattet die maurische Sitte in Tunis nicht. Von einem entschieden komischen Effect waren mir die Bemühungen eines andern Tänzerknaben, den ich in einer Karagusbude seine Kunst, durch beredte Pantomimen vom Publicum Gelb zu erpressen, ausüben sah. Die Schatten-sftielbuden vereinigen nämlich nicht selten mit ihrer eigenen Specialität auch das Tanzvergnügen oder vielmehr die Anschauung der Tänzer, welche letztere jedoch hier als Neben-sache gelten und somit eine weniger lucrative Stellung einnehmen, da die Schaulustigen vorgeben können, sie seien nur des Puvftensviels wegen gekommen, und da sie für dieses ein Eintrittsgeld entrichten müssen, meist schon hinreichend bezahlt zu haben glauben. Nun bestand in besagter Karagus-bude das Publicum fast ausschließlich aus einem Kinderschwarm, kleinen Knaben von sechs bis zwölf Jahren, denen das Verständniß für pantomimische Verzückungen noch gänzlich abgehen mochte. Dennoch wurden auch sie dazu verurtheilt, dergleichen mitansehen zu müssen. Aber dafür zu zahlen, dazu waren sie nicht leicht zu bewegen. Der Tänzer, der dießmal wirtlich ein Knabe und zwar ein sehr breitschultriger vierschrötiger, grotesker kleiner Bursche war, dem das lange Weiberhemd höchst komisch stand, gab sich zwar alle Mühe, sein gnomenhaftes Publicum zum Oeffncn des Geldbeutels zu bewegen, aber mit sehr geringem Erfolg und Zwar aus triftigen Gründen, denn die meisten Kinder waren von ihren Erzeugern eben nur mit den wenigen, als Eintrittsgeld zur 16' 244 Karagusbudc zu zahlenden Kupferstückm ausgestattet worden. Dennoch gab sich das kleine tanzende Ungethüm alle Mühe, auch von diesen Knaben Geld zu erpressen, legte sich ihnen nach der obendeschriebmen Manier der arabischen Tänzerinnen, der Länge nach vor die Füße und mit seinem dicken Schädel in ihren kleinen, noch sehr wenig bauschigen Schooß und versetzte ihnen dort die obligaten Kopfstöße, bis der so gemißhandelte Knabe, von Ungeduld außer sich gebracht, den Zudringlichen entweder unbezahlt davon stieß, oder wenn er wirklich noch ein einsames Kupferstück in seinen verödeten Taschen ausfindig machte, durch Ueberreichung desselben leidlich befriedigte. Eine solche gnomenhafte Versammlung eines meist noch unterwüchsigcn Publikums fand ich auch in einer Bude vor, in welche mich ein außerordentlicher Lärm, der aus ihrer halbgeöffneten Thür in das stillere Halbdunkel der Straße drang, in der Voraussetzung gelockt hatte, daß der außergewöhnliche Spektakel auch ein außergewöhnliches Vergnügen verheißen müsse. Dem war nun freilich nicht so, wenigstens nicht nach europäischen Begriffen. Nach arabischen jedoch war das Vergnügen bedeutend; es war ein süßer Taumel Halb-Verzückter Ilafchyschraucher, umschwärmt von einer singenden, schreienden und hüpfenden Knabenheerde, durch deren halbgeöffnete Reihen sich ein Paar schmachtend dahin gleitender Tänzerknaben Vahn brach, welche ihre tactmäßigen Bauchmuskelbewegungen mit einen: näselnden Singsang begleiteten und all' dieß schwermüthige Geseufze der halbbetäubten Kyf-genießer, diese hellen Durtöne des jauchzenden Kinderschwarins, diese unharmonischen Nasenklänge der tanzenden Sänger begleitete und übertönte zuweilen der Mißton eines arabischen Concerts, welches durch die Leistungen eines dumpf brummenden Masswad (Dudelsack), einer hellschreienden hoqra (Flöte) und eines Paares wie zerbrochene Trommeln erklingender Ben-dayr (Tamburine) vertreten war. 345 Nur mit großer Mühe gelang es uns, den gordischen Knoten des chaotischen Zuschauergewirres zu durchdringen und unsere Plätze in einer, wenn auch nicht stilleren, doch wenigstens den Rippenstößen etwas weniger ausgesetzten Ecke zu nehmen. Dort wurde mir sowohl, wie meinem Laternenträger irgend etwas in einer Tasse gereicht, aus deren Darreichungsweise wir den Schluß ableiten konnten, daß man uns zumuthete, ihren Inhalt zu leeren. Ich besaß zwar eine Ahnung davon, was dieses Getränk, das wie saures Bier aussah, auf welches man Pfeffer gestreut hätte, vorstellen solle, den <,'>/lob nämlich, ein aus Malz, Korn oder T'ogcl-samen bereitetes warmes Gebräu, auf das eine Dosis Zimmt oder Ingwerpulver ausgestreut wird: aber ohnehin kein Verehrer dieser speciellen arabischen Köstlichkeit, machte mich das zweifelhafte Aussehen der hier angebotenen Auflage derselben doppelt mißtrauisch und ich begnügte mich deßhalb damit, die volle Tasse so lange in der Hand zu halten, bis ich in der Person eines zwerghaft verkrümmten Wesens, welches mit seinen ineinander gewundenen Gliedern zu einem dicken Ball verschlungen neben mir kauerte, einen dankbaren Abnehmer dafür fand. Kaum jedoch glaubte ich einen Moment relativer Nuhe gewonnen zu haben, als meine friedlichen Hoffnungen durch deutliche Anzeichen eines heraufbeschworenen drohenden Sturmes gestört wurden. Der eine der singenden Tänzerknaben hatte nämlich die unglückliche Idee bekommen, ein Lied anzustimmen, welches bei dem sämmtlichen Publicum sich einer allgemeinen Bekanntheit und, wie es schien, außerordentlichen Beliebtheit erfreute, und dieses Lied sollte einen wahren kleinen Aufruhr zur Folge haben. Den Text dieses Liedes, welches übrigens, glaube ich, nur aus einer einzigen, stets wiederholten Strophe bestand, vermag ich leider nicht mit buchstäblicher Genauigkeit wiederzugeben, da die kleinen Nngethüme. welche es sangen, den Tact so wenig beobachteten, daß ich aus dem Munde des einen 346 den Anfang vernahm, während der andere schon beim Schluß angelangt war. Der Effect des Chaotischen, für welches der Araber soviel Vorliebe zeigt, wurde dadurch allerdings erhöht, aber, wie gesagt, die Verständlichkeit wenig gefördert. Dennoch glaube ich verbürgen zu können, daß es sich in dem Liede um eine „Madäma" (Europäerin) handelte, und daß diese „Madäma" beschuldigt wurde, irgmd Jemand eine ungeregelte Leidenschaft eingeflößt zu haben. Mit diesem irgend Jemand schien sich aber das ganze Publicum zu idenrificiren, indem es mit den Worten des Liedes von der „Madäma" Befriedigung seiner heißen Liebe und Erhörung seiner glühenden Wünsche, welche besagte „Madäma" auf so unvorsichtige Weise hervorgerufen hatte, stürmisch verlangte. „Stürmisch", dieses Wort kann ich wohl mit Bedacht gebrauchen, denn wenn auch die Tänzerknaben zuerst mit ihren näselnden Tönen allein fistelten, so gaben sie doch den Anklang zu einem Anfangs schwachen, aber immer mehr und mehr wachsenden Echo, welches allmählig zu einem wilden Gebrause vieltöniger Stimmen anschwoll und zuletzt in einen stürmischen Orkan ungeregelt wogender Tonwellen ausartete. M' diesen Aufruhr hatte die imaginäre „Madäma" verursacht, für die, wenn sie existirt hätte, ein solcher Enthusiasmus ohne Zweifel viel Schmeichelhaftes besessen haben würde. Auf diesen Umstand, daß grade eine Europäerin den Gegenstand eines erotisch-Iasciven Liedes bilden muß, brauche ich wohl den Leser als auf ein weiteres charakteristisches Wahrzeichen des moslimischen Volksgeistes, wenigstens wie er sich hier offenbart, nicht erst aufmerksam zu machen. Die Gefühle, welche das Lied ausdrückt, sind zwar nicht an und für sich beleidigend, der Gegenstand derselben wird keiner Käuflichkeit seiner Gunst angeklagt, sonst würde nicht eine „Madäma," sondern eine verachtete jüdische Priesterin der Venus aus dem Viertel Ssayydy 'Abd-Allah Qo'sch diesen Gegenstand bilden, 347 aber ehrend nach den moslimischm Begriffen, welche jede öffentliche Erwähnung einer Frau übel deuten und das Lob ihrer Schönheit schon als einen ihr angethanen Schimpf ansehen, sind jene Gefühle keineswegs, und darum darf ihr Gegenstand keine Gläubige, sondern muß die Angehörige einer andern Religion sein. Indeß dem Sturm, welchen die „Madama" heraufbeschworen hatte, sollte bald ein peremfttorisches Ende geinacht werden und zwar durch den Kaffeewirth, welcher froh war, diesen Vorwand zu besitzen, um seine Bude von der sämmtlichen Jugend zu reinigen, welche ihren (Xlob bereits verzehrt hatte und zu einer neuen Tasse nicht mehr die nöthigen Kuftfer-stücke besitzen mochte, folglich dem Kaffeewirth nur die Ohren, nicht aber den Beutel zu füllen versprach. Die Operation des Hinauswerfens dieser zahlreichen Bande war nicht so schwer auszuführen, als man vielleicht denken möchte. Die Bande besaß ihren Leithammel, das heißt einen besonders kecken angehenden Jüngling, der ihr Rädelsführer war, und der Wirth wußte instinktmäßig, daß er diesen erst vor die Thür setzen müsse, dann würde die ganze Schaar nachfolgen. Dieß that sie denn auch wirklich mit der Folgsamkeit einer Schafheerde, und die Bude blieb endlich im ausschließlichen Besitz der Uaschyschraucher, einer kleinen, aber resftcctablm Gesellschaft gelber Gesichter und stillvergnügter Seelen, welche sich von jetzt an in ihrem Lieblingswinkel der Spelunke den Süßigkeiten des grünen Krautes und den durch seinen Genuß e'rzeugten Paradieses-Träumen ungestört hingeben konnten. Da ich mich jedoch selbst nicht in jenem beneidenswerthen Zustande befand, in welchen der Genuß der Cannabis indica Zu versetzen pflegt, so ffühlte ich bald in Gesellschaft dieser contemplativen Versammlung jenen Grad von Langeweile, der uns einen Ortswechsel wünschcnswerth erscheinen läßt. Ich begab mich daher auf die Straße und da siel ich wieder 348 in das entgegengesetzte Extrem, das heißt ich gerieth abermals mitten in die lärmende Jugend hinein, die soeben die Verzweiflung des Wirths gebildet hatte. Aber nun hatte der Lärm eine Art von System angenommen und dieß System gipfelte in einem e'inzigen Wort, welches das Feldziel des kleinen Gnomenheers für die nächste viertel Stunde verkündigte. Dieses Wort hieß „Ghula" oder „Nhula" sje nach der Art, das arabische Rhayn wiederzugeben) und dieses Ziel bildete die Bude, wo besagte „Nhula" zu sehen war. Ich wußte, daß dieses Wort „ein Gespenst" bedeute und hatte bisher von ihm nur in diesem Sinne gehört. Natürlich mußte ich jetzt annehmen, daß es auch noch einen andern Sinn habe, denn wie groß auch die Wunder des heiligen Monats Namadhän sein mögen, so groß sind sie denn doch nicht, daß sich in demselben ein leibhaftiges Gespenst für Geld sehen läßt. Aber wenn auch kein leibhaftiges, so war doch diese „Nhula" die Nachahmung eines Gespenstes, und zwar eines höchst anständigen Gespenstes, welches einige sieben Fuß in der Länge maß und entsprechend geisterhaft mager war. Diese Beschreibung der „Nhula" hatte man mir schon auf der Straße gegeben, aber der Leser begreift, daß ich mich unmöglich dabei begnügen konnte, einen so interessanten Gegenstand vom bloßen Hörensagen kennen zu lernen. Hätte ich übrigens auch nicht in die fragliche Bude hineingewollt, so würde mich der andrängende und langsam, aber standhaft fortschiebende Kinderschwarm doch wahrscheinlich hineingestoßen haben. Dort angekommen, sah ich nun wirklich ein höchst respectables Gespenst, eine ellenlange Figur, in die pflichtschuldige, weiße Geistertracht gekleidet, mit hängenden langen Armen, aber eigenthümlicher Weise nicht mit einem Todtenschädel, sondern mit einer abgedroschenen, gemeinen europäischen Carnevalsmaske. Brachte dieß schon einen wenig ehrerbietigen Eindruck hervor, so wurde meine Ehrfurcht vor dem 249 Gespenst noch dadurch besonders vermindert, daß dasselbe nun zu tanzen anfing und zwar nicht etwa einen gemessenen, feierlichen, einer Geistererscheinung würdigen Tanz, sondern auf die ganz gewöhnliche arabische Weise, ja es begann sogar seine Beine in lascive und seine Bauchmuskeln in sehr gewagte Schwingungen zu versetzen. Nur eines schien mir bei dieser letzteren Procedur räthselhaft, daß nämlich der Bauch des Gespenstes so gar tief unten am Boden befindlich war, während doch Kopf und Arme in unabsehbarer Hohe zu schweben schienen. Da der oben erwähnte Leithammel des wilden Knabenheeres grade mein Nachbar in der Bude geworden war und ich ihm eine große Kenntniß der Geheimnisse aller Namadhän-vergnügungen zuschrieb, so äußerte ich ihm mein naives Befremden über die seltsame Körperbildung des Gespenstes und bat ihn, mir dieses Naturgeheimmsi zu enthüllen. Der kecke Bursche war auch sogleich bereit, dieß zu thun, nur that er es nicht etwa durch Worte, sondern in handgreiflicher Weise. Er packte nämlich das Gespenst um den Leib, oder vielmehr um denjenigen Theil, welcher den Mittelkörper hätte vorstellen müssen, wäre das Gespenst regelrecht construirt gewesen. Da dieses aber nicht der Fall, sondern der fragliche Theil etwas ganz Anderes war, als was er hätte vorstellen sollen, so sah ich nun zu meinem Erstaunen den ganzen Oberkörper der Figur als ein leeres Laken zu Boden sinken, während sich die gehaltvolle Masse des Unterkörpers auf einmal sehr wüthend zu geberdcn anfing und mit kindisch geformten Bcinchen und Armen auf den Störer der Geister lostrommelte und einhieb. Zuletzt zog aber dieser Kern des Unterkörpers doch den Kürzern und fand es angemessener, seine ehrwürdige Hülle zu verlassen, so daß das Gespenst jetzt zu einem bloßen auf dem Boden liegenden Betttuch redueirt war, während sein Kern sich als ein kleiner zwölfjähriger Bengel entpuppte, der nun mit seinem Friedensstörer den Kampf auf's Neue aufnahm. 250 Indeß war des Gespenstes Kern denn doch meinem neuen Bekannten nicht an Kraft gewachsen. Dieser trug vielmehr bald den Sieg davon und benutzte ihn dazu, sich der ent? seelten Hülle zu bemächtigen, diese anzuziehen, ihren oberen Theil, bis zu welchem sein eigner Körper nicht -hinaufreichte, vermittelst zweier Stöckchen in der Höhe aufrecht zu halten, und begann dann selbst Gespenst zu spielen. Dieß würde er auch vielleicht mit großer Virtuosität zu thun fortgefahren haben, wäre nicht der Meister der Bude hinzugekommen, hätte er ihn nicht im Nu der geraubten Geistertracht entkleidet und dann mit einem sehr wohl gezielten Fußtritt auf die Strafte befördert, wohin ihm bald die getreue Hcerde nachfolgte. Die Nuhe, welche nun eintrat, benutzte der Meister der Bude dazu, mir die geistreiche Erfindung der Rhula anzupreisen. „Sehen Sie", so sprach er, „die Angara (Christen) haben es weit in Erfindungen gebracht, sie haben Telegraphen, Eisenbahnen u. s. w. geschaffen, aber das gegenwärtige Beispiel zeigt, daß auch der Grfindungsgeist der Moslims noch nicht ganz ausgestorben ist; wir haben die Rhula erfunden, und zwar ist sie eine ganz neue Erfindung, ein Umstand, welcher Diejenigen Lügen straft, welche behaupten, der Islam könne nichts Gescheutes mehr hervorbringen." Ich gab dem Wirth natürlich Recht und bewunderte mit ihm um die Nette den hohen Erfindungsgcist der modernen Tuniser. Nur ein Bedauern wagte ich bei dieser Gelegenheit auszusftrechen, das nämlich, daß die Moslims von Tunis, die doch so mannichfache Talente besäßen, die sogar im Stande gewesen wären, eine Nhula zu erfinden, es in manchen andern Zweigen noch so wenig weit gebracht hätten, so zum Beispiel in der Musik, in welcher sie noch so weit zurück sind, daß sie ihre Zuflucht immer zu jüdischen Musikanten nehmen müssen und kein Mensch die von Arabern ausgeführten Tonstücke an- 251 hören will. Dieß, meinte jedoch der Wirth, rühre nicht von den geringen Talenten der Moslims im Allgemeinen und ihrer schwachen Befähigung zur Musik im Besondern, sondern von ihrem religiösen Widerstreben gegen alle dergleichen Vergnügungskünste her. ,/Andena'Ayb" (es gilt uns für Schande); diese Redensart bildet das Steckenpferd der Moslims in Bezug auf die meisten honetten Vergnügungen, wie Tanz, Musik, Theater u. s. w., wenn sich ihr Tadel nicht bis zu dem höheren Verdammungsurtheil,/AndenaI5aräm" (es gilt uns für Sünde), steigert, unter welche Kategone fast alle bildenden Künste und so viele andere Dinge fallen. Aber mochte sich der gute Mann auch noch so sehr hinter ,/Ayb" und „Ilaräm" verschanzen, so brachte ich ihn dennoch zum Stillstand, indem ich ihm bewies, daß, da die Moslims doch einmal die Sittenvorschriften in Bezug auf die mehr oder weniger kindischen und rohen Vergnügungen, wie Karagus, die Tänzerbuden und selbst die berühmte Rhula, welche noch eher wie die Musik in's Bereich des ,/Ayb" und „Ilaräm" gehörten, überträten, und da sie doch wahrscheinlich ebensowenig wie andre Völker alle Vergnügungen entbehren könnten, sie besser thäten, ein gesittetes, wie die Musik, zu cultivircn, als ihre Zeit mit Lappalien und Kindereien in dem ewig vorherrschenden Müßiggang zu vergeuden. Doch zu was für einer Tirade hatte ich mich da hinreißen lassen? War ich denn noch ein Neuling im Orient, der wähnt, wirklich etwas an jenem Gesetz der apathischen Vornirtheit, welches das Gehirn aller Moslims regiert, rütteln zu können? Ich kam mir selbst mit meinem Rcformeifer lächerlich vor. Jedoch was will man? Manchmal ist die Ungeduld über dieses ewige culturhistorische „Kon pogZumns" des Islam wirklich nicht in Schranken zu halten, und selbst der älteste Reisende, der den Orient lieb gewonnen zu haben glaubt, fällt aus seiner Rolle und ärgert sich über diese starre »vis M6l-tiu6", die diesem Volke und dieser Religion innewohnt. 353 Die algierischen Moslims zeichnen sich in dieser einen Beziehung vortheilhaft vor den tunisischen aus, daß sie gegen das Musiciren nicht dasselbe Vorurtheil^ hegen, wie letztere, wenigstens in der Praxis, denn in der Theorie verdammen ihre Gottesgelehrten, ihre hochspurigen Qadhy's und Mufty's dasselbe ebensogut. Aber wenigstens können die Algierer das süße Bewußtsein genießen, daß sie in den Namadhannächten in ihren Kaffeehäusern gläubige Musikanten Zu hören bekommen, während die Tuniser auf die Juden angewiesen sind, ein Umstand, welcher unter Anderm auch die komische Folge mit sich führt, daß der gläubige Musikfreund, der sich gewöhnt hat, seine Ramadhannächte durch holde Töne versüßen zu lassen, am Freitag Abend darauf verzichten muß, weil die Juden durch Musikmachen ihren Sabbath zu schänden Vermeinen. Am Freitag Abend bieten daher die tunisischen Kaffeehäuser selbst im Namadhan ein trauriges Bild dar. Die Guitarre ruht unbenutzt im Winkel, die Geige findet keinen Streicher, die Trommel keinen Spieler und die Darbuka feiert trostlos in einer dunklen Ecke. Selbst der kleine Putztisch mit den Nippsachen, mit den duftenden Blumensträußen, dem großen, runden Glase mit den Goldfischchen und den bunten, graciös geformten Niechfläschchen, der in keinem Kaffeehaus vor dem Divan, auf welchem die Musikanten sitzen, fehlt, entbehrt an diesem Tage seiner Laternen, seiner Oellämftchcn, und scheint seine Trauer über den unglücklichen Umstand auszudrücken, daß die Musikanten Juden sind und daß diese Juden einen fürchterlich strengen Sabbath haben. An den übrigen sechs Abenden der Woche kann man aber das Concert dieser strengen Sabbathbeobachter nach Herzenslust genießen, da fast jedes größere und anständigere Kaffeehaus im Ramadhan Musikanten hält. Ihr Concert besteht gewöhnlich aus der Production einer oder zwei altmodischer Guitarren, Aud genannt, einer seltsamen Art von 253 Altviole, Rhebäb geheißen, eines 'lar, d. h. eines kleinen Tamburin nüt Schellen, und einer Darbuka, so nennt man eine längliche thönerne Trommel. Der Spieler der Altviole ist gewöhnlich die Hauptperson, er giebt die eigentliche Melodie, welche die Guitarren klimpernd begleiten, und ^är und Darbuka durch entsprechenden ^ärm effectvoller zu machen bemüht sind. Im ^ärmmachen haben sie es denn auch weit gebracht; was aber den musikalischen Genus; betrifft, so wird der Europäer sich enttäuscht sehen. Nichl als ob die arabischen Melodieen, welche diese ^eute spielen, unharmonisch wären, nein, dieselben Melodieen hörte ich in Algier und anderswo mit einen: gewissen Vergnügen. In Tunis aber, wo die Musitanten Juden sind, die sich für civilisirt und erfindungsreich halten, erscheint diese arabische Musik durch einige häßliche Zuthaten aus dem Gehirn dieser Künstler vermehrt und verunstaltet-, nicht selten wird ein verhunztes europäisches Lied, ein Marsch oder sonst etwas mittm in den arabischen Rahmen hineingepfercht, dann kommen Variationen von der Erfindung des Hauptmusikanten, und bei dein Allen herrfcht eine souveräne Verachtung für die Richtigkeit und Reinheit des Tones, da die verfeinerten Juden einen einfach richtigen Ton wahrscheinlich als zu simpel, zu primitiv und ihrer verwirrwarrten Tausendtünstelei unwürdig ansehen. Dieses falsche Spielen der Musikanten hat manche Europäer auf die Idee gebracht, welche selbst heutzutage noch eine gewisse Verbreitung hat, daß die arabische Musik kleinere Tonfractionm, als die unsrige, viertel, achtel und sechszehntel Töne besäße, die man mit unsern Noten gar nicht schreiben tonne. Dem ist jedoch nicht so. Was man für solche Tonfractionen ansah, waren ganz einfach falsche Töne gewesen. Hiervon gewann ich die Gewißheit, als ich eines Tages in Tunis einen wirtlich arabischen Musikanten aus dem Innern der Regentschaft (denn im Innern sind die 'Juden nicht die ausschließlichen Ton- 254 künstler wie in der Stadt) ausfindig machte, denselben mit in's jüdische Concert nahm und mir dieselben Mclodieen, welche die Juden verhunzten, von ihm vorspielen ließ, und siehe da, alle vermeintlichen viertel, achtel und sechszchntel Töne waren verschwunden und ich bekam eine reine klangvolle Tonweise zu hören, welche in ihrer Einfachheit sehr gegen das Unding abstach, was die Juden durch falsches Spiel und Manieriren aus ihr gemacht hatten. Ueberhaupt besitzen dieLandaraber musitalische Traditionen, welche sich weit unverfälschter erweisen, als die der mosaischen städtischen Künstler. Diese Kinder Abrahams blicken zwar mit souveräner Verachtung auf ihre bäurischen Rivalen und namentlich auf deren rohere, urwüchsige Instrumente herab, auf deren ^oqra (eine Art von primitiver Clarinette), auf den Sfeff (die antike tNM »implox, wie sie leibt und lebt), auf den Fehall (eine verkleinerte Form der erstern, zuweilen auch von Metall gemacht), auf die Schebaba (gleichfalls eine Nohr-flöte), auf deren Bendayr (kleine, flache, horizontale Trommeln, die mit Stöcken angeklungen werden), auf deren '1'obla (einer kleinern Auflage des ^'obel, der gewöhnlichen großen Trommel), aber trotz Alledem muß ich gestehen, daß diese Landaraber dem Geist der reinen, unverfälschten Musik näher standen, als ihre städtischen Mitstreber, welche, ohne von der classischen Musik Europa's auch nur eine Idee zu besitzen, dennoch vom Europäischen, und zwar vom schlechtesten, wie es sich in dein Geklimper und Gegeige der italienischen Concertgeber von Tunis offenbart, angesteckt und verderbt worden waren, so daß sie vermeinten, die einfachen arabischen Melodieen mit den com-plicirten Tonkünsteleien der modernen italienischen Virtuosen schmücken und verunstalten zu müssen. In diesem Urtheil war ich keineswegs etwa von einem einseitigen, veralteten Vorurtheil gegen die Confession dieser städtischen Musikanten, welches mir einige Fanatiker der mo- 255 dernen Zcitgeistsrichtung vielleicht andichten möchten, bestimmt worden, sondern besaß dafür einen Gewährsmann, dessen Unparteilichkeit man um so mehr schätzen dürfte, da er selbst der Religion dieser Voncertgeber, das heißt dem Mosaismus. angehörte, und zwar in der Person eines der besten, modernen italienischen, zufällig auch israelitischen Violinisten, der durch sein anerkennendes Verständniß der classischen deutschen Musik gegen die Ignoranz, Manierirtheit und den schlechten Geschmack der übrigen heutigen Italiener einen vortheilhaften Gegensatz bildete. Dieser Künstler, welchen die unglückliche Idee, vor dem gänzlich unfähigen europäischen Publikum von Tunis Concerte zu geben, hierher geführt hatte, und der mir bei meinen Experimenten über jüdische und arabische Musik zur Seite zu stehen pflegte, war gern bereit, einzugestehcn, daß die naturwüchsige und einfache, vom falschverstandnen Geist der Civilisation noch nicht verderbte Musik der ^andaraber in Bezug auf Reinheit des Tones und Aufrichtigkeit des Aus-drucks weit über jenes Zwitterding Zu stellen sei, welches seine hiesigen Glaubensgenossen durch schlechtangebrachte europäische Zuthaten und durch falsches, vermeintlich verfeinertes und raffinirteres Spiel aus ihr gemacht hatten. Wie sollte es auch anders sein? Die heutige ächtarabische Musik ist ihrem classischen, antiken Vorbild getreu geblieben', sie ist in der That nichts Andres, als eine nur in unwesentlichen Dingen modisicirte Form der Musik der alten Griechen und Römer, welche die Araber durch das vermittelnde Bindeglied der mit ihnen in vielfache Berührung getretenen Byzantiner überkommen und gleichsam geerbt haben, sie ist in der That nichts Andres, als ein Nachtlang jener hehren, einfachen Mclodieen der ersten sechs Jahrhunderte unsrer Zeitrechnung, von denen einige selbst die Jahrtausende zu überleben bestimmt waren, wie zum Beispiel die majestätische Tonweise des gregorianischen Kirchengesanges, welche selbst heutzutage ihrer 256 mächtigen Eindruckskraft noch nicht verlustig gegangen ist. Dagegen bieten uns die verkünstelten und verderbten Entstellungen, welche die tunisischen Stadtmusiker mit ihr vorgenommen haben, nur ein unharmonisches Zwitterding, welches den Hörer kalt läßt und nicht einmal den Vortheil besitzt, dem Freund des Alterthums ein Interesse einzuflößen, da er dabei einen ähnlichen Eindruck empfängt, als sähe er eine antike griechische Temftelruine durch das elende Flitterwerk unsrer modernen Nestauratoren verunstaltet. Auf einem Instrument haben es jene städtischen Tonkünstler noch weiter in der entstellenden Nachahmung europäischer Virtuosität und in der Verhunzung europäischer Me-lodieen gebracht, nämlich auf der Violine, deren Spiel von den Rhebäbgeigern gewöhnlich als der Höhepunkt tonkünstlerischen Ehrgeizes angesehen wird. Wehe dem Europäer, der nicht entweder taub ist oder allen musikalischen Sinnes entbehrt, welcher in den Vereich des Fidelbogens eines solchen Ehrgeizigen geräth. Ohne zerrissene Ohren oder gestörte Gemüthsruhe wird er sich nicht herausziehen. Glücklicherweise sind nicht alle Nhebäbspieler so ehrgeizig, aber deren, welche sich bis zur Violine zu versteigen Pflegen, giebt es denn doch eine gewisse Zahl. Zum Glück hatte ich diese Zahl gleich an den Fingern weg und kannte auch von Ansehen bald diejenigen, welche im Stande waren, mein Gehörsorgan auf eine solch' ohrenmör-dcrische Probe Zu setzen. Mein erstes Umsehen, so wie ich in ein musikalisches Kaffeehaus trat, galt deßhalb auch der llllenfallsigen Violine, welche etwa in seinem Winkel schlummern mochte, um bald in schaudererregende Thätigkeit gesetzt Zu werden, und sowie ich ihrer ansichüg wurde, wußte ich schon, daß hier meines Bleibens nicht sein könne, denn gegen die Qualen, welche dieses Instrument uns unter dein Fidclbogen eines tunisischen Juden bereiten kann, sind, glaube ich, diejenigen des Fegefeuers reiner Kinderspott. 25? Sehr oft ist diese Instrumentalmusik von dem näselnden Singsang menschlicher Stimmen oder, um getreuer zu schildern, von dem pfeifenden Geblase menschlicher Niechorganc begleitet, denn einen Gesang, bei welchem das mittlere Organ des Gesichts eine wichtigere Nolle spielte, habe ich gewiß nie vernommen, als denjenigen, welchen die Spieler der Guitarre, des ^ar und der Darbuka in den Concerten tunisischcr Kaffeehäuser zum Besten gaben. Daß diesen flötenden Nascntönen der Text irgend eines Liedes zu Grunde liege, vermochte ich zwar Zn ahnen, aber etwas von diesen Worten zu verstehen, das war wegen der entstellenden Kraft des tonleitenden Kanals, d. h. der Nase, durchaus unmöglich. Da ich jedoch den Wunsch empfand, wenigstens einige dieser Textesworte in verständlicher Deutlichkeit zu vernehmen, so mußte ich sie mir nach Beendigung der voealischen Leistung von einem der Sänger hersagen lassen und zwar von dem einzigen Wesen unter den Musikanten, welches die besagten Worte wirklich im Kopfe besaß, denn wie es schien, wußten die andern Mitsänger keine Sylbe davon, sondern brummten oder fistelten nur instinkt-mäßig mit. Dieß war nicht so leicht auszuführen, als man vielleicht glauben möchte, denn das Gedächtniß dieses Sängers war so eigenthümlich beschaffen, daß es ohne Guitarre, 'far und Darbuta und durch eiuen andern Kanal, als die Nase, seinen Inhalt nicht in Worten entleeren konnte. Trotz dieser Hindernisse gelang es mir, seinem widerstrebenden Gedächtniß einige, wenn auch meist abgerissene Sätze zu entreißen, durch welche ich von der Bedeutung der bieder wenigstens einen Begriff zu gewinnen im Stande war. Eines derselben hieß „el Dschemala" (d. h. die Kamceltreiber) und schien die gewohnten Begebnisse, die Freuden und Leiden, besonders aber die Gefahren einer Kamcelkaravaue Zum VorWurf zu haben. Sein erster Vers lautete etwa folgendermaßen : I. 17 258 Frisch, ihr Wüstenknechte, auf! Die Kameele treibt zum Lauf, Ferne sind noch Tunis' Mauern, Araber am Wege lauern. Ein andres Lied hatte den so beliebten Gegenstand einer Liebesklage zum Text und begann mit folgenden Strophen: O meine Qual! mein Schmerz! Der mich wie Feuer brennt. Vereinsamt ist mein Herz, Vom Liebchen, ach! getrennt. So viel ich entdecken konnte, waren die Texte dieser einfachen Lieder nicht das Product eines Barden aus Tunis selbst, sondern den Landarabern entlehnt, welche freilich jetzt, wenn sie in die Stadt kommen, ihre kindlichen Weisen unter der geschnörkelten und gekünstelten Form des Iudengesangs kaum wieder erkennen dürften. Zuweilen, wenn auch selten, werden diese Kasseehaus-musikanten ihrer volksthümlichen Umgebung entzogen, um in den Palästen der Großen vor einem zwar vornehmer«, aber in Wirklichkeit eben so ungebildeten und moralisch oft viel tiefer stehenden Publicum ihre Künste zu zeigen; das eigentliche Ramadhanvergnügen der Großen bilden jedoch die Mme's, welche sich für das Verbot, öffentlich zu tanzen, in den Privathäusern desto gründlicher entschädigen und nicht zum Nachtheil ihrer goldgestickten Beutel, welche die Prahlerische Verschwendung einiger Vornehmen oft bis zum Nande zu füllen liebt. Der Vornehme genießt überhaupt vom Namadhan fast nur die Freuden; den Qualen des Fastens muß er sich zwar als orthodoxer Moslim gleichfalls unterwerfen, aber er sucht sie dadurch wesentlich abzuschwächen, daß er einen großen Theil des Tages in den Armen des Schlummergottes zubringt. Leider muß er sich aus diesen jedoch manchmal zu einer Stunde herausrütteln, in der er es gewiß nicht nach freier 359 Wahl thun würde, aber oft bringt es seme officielle Stellung mit sich, daß er sich grade den allersüßcsten Träumen entreißen muß, um sich im Palast des Bardo oder im Dar el Bey in Tunis in der allerhöchsten Nähe seines Landesvaters auf Staatskosten zu langweilen, denn zum Unglück für seinen Hof und das sämmtliche Beamtenpersonal besitzt seine Hoheit die üble Gewohnheit, selbst im Ramadhän ziemlich früh aufzustehen und seine kräftige Constitution gestattet ihm, die 10—I2stündigen täglichen Fasten ohne die Beihülfe eines Tagesschlafes bequem zu ertragen. Das bildet aber nicht das Vergnügen der verweichlichten, wollüstigen Mamluken und des ganzen faulenzenden Beamtenschwarms, welcher dem ersten Minister überall und demnach auch dann folgen muß, wenn dieser sich zum Bey begiebt. Doch wir glauben den Leser schon in einem früheren Abschnitt hinlänglich über die der Wanderameise anscheinend nachgeahmten Sitten dieses dem Chasnadär nachlaufenden Veamtenschwarms unterhalten zu haben; die Volkssitten, wie sie sich uns im Namadhan darbieten, Welche unsern gegenwärtigen Gegenstand bilden, haben damit eigentlich gar nichts zu thun; wohl aber dürfte uns wenigstens das äußere Auftreten des Hofes während dieses heiligen Monats interessiren und auch dem Stoff dieses Capitels insofern nicht ganz fremd erscheinen, als in keiner andern Zeit des Jahres die sonst meist zurückgezogene Welt des fürstlichen Palastes mehr an die Oessentlichkeit tritt und sich mehr der Schaulust und dem Zuweilen sehr kritischen Urtheil des Volles aussetzt. Unter den Tagesvergnügungen des tunisischen Volkes im Namadhan, welche ihm die Qualen des Fastens und die Langeweile der Abstinenz vom Tabakrauchen versüßen und vngesscn zu machen helfen, nimmt das Beschauen des täglichen Hofaufzuges nicht die geringste Stelle ein. Der ganze Hof, den Bey an der Spitze, mit allen Ministern, Beamten, 17' 260 Mamluken und dem zahlreichen Troß officieller Nichtsthuer pflegt sich nämlich jeden Morgen im Namadhan von der gewöhnlichen Residenz im Vardo in die Stadt zu begeben und dort in dem sogenannten „Hause des Vey" d. h. dem Stadt' Palast der Beherrscher von Tunis bis zum vorgeschrittenen Nachmittag sein Absteigequartier zu nehmen. Zuerst ergötzt sich das Volk, welches in dichten Schaaren auf dem Platz zwischen der Qacha und dem „Dar cl Vey" aufgestellt zu sein Pflegt, an dem pomphaften, officiellen Erscheinen seines Souveräns, welcher in einer altmodischen, schwerfälligen Staats-carosse, von acht Mauleseln gezogen, seinen Einzug halt. Diese Maulesel werden „ü WDmmwut" geleitet, das heißt jedes zweite Paar hat seinen Postillon, der es führt und auf einem der Thiere reitet, gewöhnlich einendrollig aussehendenHalbncger in seltsamer, hechtgrauer, reich mit Goldstickerei beladener Livree nach pseudo-euroftäischem Schnitt, mit einem viel zu kurzen Jäckchen und mangelhaften Beinkleidern, unter welchen ein Paar herabhängender schmutziger Strümpfe den natürlichen Wadcnmangel des Nosselenkers deutlich zur Schau gelangen lassen. Dieß hindert aber gar nicht, daß außer diesen Postillonen noch ein Kutscher vorhanden ist und auf den: Bocke sitzt, obgleich er gar nichts zu thun hat, da bekanntlich das Gespann «:» la Damnunt," jeden Kutscher überflüssig macht. Aber der erste Kutscher des Vey von Tunis ist eine große Personage, die nur zum Staat gehalten wird und welche bei einem Hofaufzug nicht fehlen darf! Einige nennen ihn sogar einen Stallmeister: da aber ein solcher nach unsern Begriffen nicht auf dem Bocke sitzt, so können wir ihm, so leid es uns auch thut, keinen andern Titel als Kutscher geben. Diesem Titel gemäß behandelte ihn auch der französische Hof, an welchm er vor einigen Jahren, ein Geschenk von Pferden zu überbringen, gesandt wurde. Man ließ die vermeintliche große Personage ganz einfach mit den Bedienten essen, gab ihm keinen Orden, wie einem an- 261 dem Abgesandten, sondern irgend ein andres Geschenk und kümmerte sich gar nicht um seinen für einen Kutscher auffallend hohen Rang; er besitzt nämlich den Obersttitel, trägt das Commandeurkreuz des Nischan Iftychär um den Hals und wird von allen Seiten gegrüßt, gehätschelt, mit Selam-aleks geehrt, kurz er ist ein wahrer kleiner Stallsouverän und gewiß nicht ganz ein bloßer Kutscher. Aber wir Europäer besitzen einmal kein rechtes Verständniß für einen General, der die Stiefeln putzt, einen Oberst, der Kutscher oder Haremeunuche ist u. s. w. In Tunis scheint man jedoch grade die auf solche bedientenhafte Weise beschäftigten Stabsofsieiere mehr als die andern zu schätzen, und wenn man bedenkt, daß sie vor den übrigen allerdings den Vorzug haben, daß sie überhaupt etwas thun und putzten sie auch Stiefeln, während die andern sich lediglich dem süßen Nichtsthun widmen, so muß man noch den gesunden Menschenverstand des Tuniser Volks anerkennen. Ssayydy lMcch, so heißt der Kutscher des Bey, ist jedenfalls nicht nur eine große, sondern auch eine volksthümliche Personage; während der vier bis fünf Stunden, welche er auf dem Platz wartend zubringen muß, bis der Bey zurückkehrt, pflegen sich ihm schaarenwcise die Bürger von Tunis zu nähern, küssen ihm in stiller Andacht das linke Unterfutter seines aufgeschlagenen Mantelkragens (man nennt das „die Schulter küssen") und der große Mann unterhält sich leutselig mit der ihn bewundernden Menge, für die der Kutscher gewiß ebensoviel ist, wie ein Minister. Endlich ist der Fürst beim Dar cl Bey angekommen und nun erblickt das so weise beherrschte Volt in frommer Ehrfurcht die Person dessen, welcher sich um die Negierung und um seine treuen Unterthanen weniger kümmert, als der kleinste Unterbeamte in der ganzen Regentschaft. Die Person bes Bey und namentlich sein Ramadhaneostüm sind aller- 362 dings geschaffen, Effect zu machen. Letzteres, das er jedoch nicht alle Tage im heiligen Monat trägt, ist besonders geeignet, jeden frommen Moslim, der am Alten hängt und die Costümreform mit Grauen ansieht, die schöne längstvergangme Zeit des orientalischen Glanzes und Pompes in's Gedächtniß zu rufen. Es besteht nämlich aus einem alttürkischen, langen Schlepftgewande, halb Kaftan, halb Mantel, so reich mit Goldstickerei überladen, daß man seinen Werth auf 8000 Piaster schätzt. Aber so wenig demonstrativ ist ein mosli-mifches Publicum, daß selbst ein so orthodoxes Namadhän-costüm seines Fürsten nicht seinen lautwerdenden Enthusiasmus hervorruft. Kein Gruß wird laut, kein Lebehoch erschallt, keine Pantomime verkündet die Ehrfurcht des Volkes vor seinem nominellen Beherrscher, nur hie und da hebt ein Europäer, welcher früher den Bey betrogen hat, um jetzt seinerseits vom Bey wegen absoluten Geldmangels unbefriedigt gelassen zu werden, und der zum ewigen Zwecke der Geldreklamation nach dem Palaste kommt, den Hut in die Höhe, aber das kommt nicht alle Tage vor. Stumm Md zeichenlos ist die Begrüßung eines orientalischen Despoten, mag er nun beliebt oder unbeliebt sein, und der Zuschauer wird über das Ja oder Nein dieser beiden letzteren Punkte durch das Benehmen des Volkes dem Fürsten gegenüber auch nicht im Mindesten aufgeklärt. Nur die zu Allernächst Stehenden, an denen der Bey vorbei muß, um vom Wagen in den Palast zu schreiten, und diese sind immer nur Hofbeamte oder sonstige Staatsfaulenzer (denn soweit drängt sich die etwas apathische Neugier des Volks, nicht vor) stürzen pflichtschuldigst auf die Hände des Bey oder seinen Rockzipfel los, und scheinen hochbeglückt, wenn sie ihre Lippen auf einen in der Eile erhäschten Uniformknoftf am Aermclaufschlag, einen ledernen Säbelgurt, ein Stück Rockfutter, oder, höchste der 263 Seligkeit, auf die etwas schwielige, schweißig fette, allerhöchste Hand selbst drücken konnten. Kaum hat die achtspännige Staatscarosse den Bey abgesetzt, sv folgen sich dichthintereinander die Würdenträger des Hofes, zuerst die des persönlichen Hofstaates des regierenden Fürsten. Das Volk hat sich unter dem jetzigen Bey daran gewöhnen müssen, seine Ehrfurcht, wenigstens insofern, als ein hoher officieller Titel eine solche einzuflößen vermag, von Personen in Anspruch genommen zu sehen, welche ihres unreifen Alters wegen in jedem geregelten Staate es höchstens bis zum Pagen oder allenfalls zum Fähnrich gebracht haben würden. In Tunis hegt man aber andere Grundsätze in Bezug auf die Befähigung zu einen: hohen Posten und warum nicht? Da die Beschäftigung der meisten dieser Würdenträger ausschließlich im Nichtsthun besteht, so gehört gerade nicht notwendigerweise die Erfahrung eines reiferen Alters dazu, sie würdig auszufüllen. Viel Lächerliches, nach unsern europäischen Begriffen, liegt freilich in dem Umstand, daß alle diese Hofämter oder vielmehr Sinecuren, statt die in Europa üblichen Hoftitel, welche Jedermann nach ihrem wahren Werthe schätzt oder nicht schätzt, zu führen, sich mit pomphaften militärischen Titulaturen spreizen, so daß ein Fremder, der zum ersten Male an diesen Hof kommt, sich vor lauter Divisions- und Brigade-Generalen, Obersten, Flügeladjutanten u. s. w. gar nicht zurechtfindet, und sich fragt, wenn er dic zarte Jugend dieser Titelträger sieht, was für jahrelange Kriege, wieviel mörderische Schlachten wohl vorgekommen sein Müssen, damit das ganze Geschlecht reiferer Offiziere ausge-ftorben und diese Jünglinge in der Anciennetät an die Neihe gekommen seien? Nach einiger Zeit merkt er freilich, daß diese Generäle, Obersten u. s. w. wenig mehr sind, als Bediente, bns heißt Pagen, welche einem etwas kindischen Fürsten die Zeit vertreiben müssen. Die zwei ältesten dieser titelge- 364 schmückten Pagenschaar sind nun freilich dem gewöhnlichen Pagenaller schon entwachsen, aber aus Gewohnheit beibehalten worden. Diese sind der Generallieutenant °Alläla ben Frydscha, und der Generalmajor Muytafa ben Issmäyl, junge Männer zwischen zwanzig und dreißig. Ersterer ist seines Handwerks nach Barbier und hat folglich doch irgend irgend etwas gelernt, weßhalb er auch vom Volke entsprechend höher geschätzt wird, als alle andern Günstlinge, denen man nur solche Verdienste um die allerhöchste Person nachrühmen tann, welche wir besser mit Stillschweigen übergehen. Der Andere soll der Knecht eines Hufschmiedes gewesen sein, findet aber leider jetzt nicht mehr Gelegenheit, dieses geistreiche Handwerk auszuüben, während der zum General beförderte Barbier noch heutzutage seine Kunst an den Kinnbärten des Bey's und des ersten Ministers in Uebung hält. Die Staatswagen dieser beiden Matadoren der Gunst-lingsschaar pflegen gewöhnlich derjenigen des Bey auf dem Fuße zu folgen. Das Tuniser Volk erblickt diese Günstlinge, was auch immer ihr zweifelhaftes Verdienst sein mag, dennoch nicht mit so mißtrauischen Blicken, wie es die Favoriten früherer Bey's, welche sämmtlich fremden Ursprungs und aus dem Sklavenstande hervorgegangen, also eigentliche Mamluken waren, anzusehen pflegte. Diese jetzigen sind eben „Auläd Tunis" d. h. „Kinder von Tunis" und folglich dem Volke stammverwandt, während die andern einer fremden Schmarotzer-schaar, die im Lande keine Wurzel und keine Symftathieen besaß, angehörten. Seit nämlich die Sklaverei aufgehört hat, muß der Bey, um seinen Palast mit einer blühenden Jugend zu schmücken, statt wie früher zum Markte von Menschcnsteisch, nunmehr zur Necrutinmg unter seinem eignen Volke seine Zuflucht nehmen und diese Recrutirung, die nicht selten mit Gewalt vor sich geht, bildet denn auch die Hauptbeschäftigung der beiden genannten Generäle, welche, seit sie nicht mehr 265 selbst die Blicke dos Bey's auf sich zu fesseln vermögen, sich dadurch in Gunst zu halten suchen, daß sie diesen Blicken andere erwünschte Gegenstände vorführen. Das Resultat ihrer Bemühungen bildet die stete Erneuerung und oft übergroße Vollzähligkeit der jungen Höflingsschaar, welche den Vey überall und folglich auch im Namadhän in die Stadt zu begleiten Pflegt. Bei diesen Gelegenheiten sitzen die älteren Mamluken (denn so nennt man die Hofdiencr mißbrauchs-weise immer noch, obgleich sie keine eigentlichen Mamluken sind) in eignen Wagen, aber die ganze jüngere Schaar ist m einen oder mehrere große Omnibusse eingepfercht, welche das stumme Staunen und Kopfschütteln der armen Tuniser erregen, wenn sie sehen, von was für unwürdigen Gegenständen ihr Souverän umgeben ist. Diese jungen Mamluken werden jedoch, trotz ihrer vermeintlich glänzenden Stellung, nie beneidet', wenn man über sie spricht und fragt, woher sie kämen, so beeilt sich jeder Tuniser zu betheuern, daß es Kinder wären, welche „leinen Vater hätten", und verschwört sich hoch und theuer, daß er selbst nie seinen Sohn zum Mamluk hergeben werde, eine gute Absicht, die leider nicht immer gegen die Bestechungen des Hofes Stich hält, denn von diesen vermeintlich vaterlosen Kindern besitzen viele in Tunis ihre deutlich nachweisbaren, legitimen Erzeuger. Ist der Bey im Palaste angekommen, so hört das öffentliche Schauspiel, welches er seinem getreuen Volke im Ramadhan in höchsteigener Person zu geben beliebt, dennoch keineswegs auf, sondern es beginnt vielmehr, denn ein Gemach des Palastes ist demgemäß angelegt und auf allen Seiten auf eine so durchsichtige Weise mit großen Glasfenstern ausgestattet, daß der Bey zwei Straßen und zwar zwei der belebtesten Basarstraßen sowohl selbst bequem übersehen, als auch von s"nen Unterthanen vom Kopf bis zur Zehe deutlich gesehen 366 werden kann. Dort erblickt man ihn denn vier oder fünf Stunden lang beinahe regungslos in einem großen Lehnsessel sitzen, dem gegenüber ein anderer steht, auf dem manchmal irgend eine vornehme Persönlichkeit, die zur Begrüßung des Fürsten kam, gewöhnlich aber der allmächtige erste Minister Platz nimmt, so daß dem Volke auf diese Weise an jedem Ramadhäntage der Anblick seines nominellen und der seines thatsächlichen Beherrschers, des stumpfsinnigen Throninhabers und des verschmitzten griechischen Räubers des öffentlichen Guts zu gleicher Zeit in erwünschtem und oft mehr als erwünschtem Maaße geboten wird. Ich kann jedoch nicht sagen, daß die Tuniser eine übertriebene Ungeduld zeigten, von diesem Schauspiel zu profitircn, vielmehr sind es höchstens einige bornirte Landaraber, welche in stummer Verzückung zu dem Glaskasten, in dem die beiden hohen Personagen sitzen, hinaufschielen und durch deren Reihen, mit geheimnißvollem Schaudern gelispelt, die Worte „Bey" und „Chasnadär", als ein kaum hörbares Gemurmel die Runde machen. Ob der Bey dadurch, daß er so gleichsam oui'^ln populo fastet und also sein strenges Festhalten an den Satzungen des Islam in officteller Weise zur Schau trägt, wirklich seinen Zweck erreicht, sich bei den Orthodoxen beliebt zu machen, will ich dahin gestellt sein lassen. Auf die meisten Moslims macht jedoch seine Erscheinung geringen Eindruck. Jedenfalls sind die tunisischen Städter über diesen so wenig erquicklichen Anblick schon Vlasirt geworden. Was höchstens noch ihre Aufmerksamkeit, ihr erneuertes Kopfschütteln, vor Allem aber ihre ironische Heiterkeit erregen kann, ist ein anderes Namadhänsvcrgnügen des Bey, welches für einen so bankrotten Fürsten jedenfalls seine Erstaunen erregende und zugleich komische Seite hat. Alle Tage im heiligen Monat läßt nämlich der hohe Herr für eine nam- 367 hafte Summe (man spricht von drei bis viertausend Thalern) Kleinigkeiten, Spielzeug, wohlriechende Essenzen, Theaterflitter, Niftftsachen, Galanteriewaaren aller Art, kurz, was wir im gewöhnlichen Leben „Lumftenzeug" nennen würden, auf den Basars der Stadt durch die beiden genannten Generäle, die Pagenhüter, einkaufen, ein allerhöchstes Vergnügen, welches vielleicht auf den Handel einen belebenden Einfluß ausüben könnte, würden besagte Artikel in Geld gezahlt. Da letzteres aber nicht in Geld, sondern in Teskere's (Schatzscheinen), die keinen Heller werth sind, geschieht, so ist nur ein allgemeiner Ruin des Kleinhandels die Folge dieser seltsamen allerhöchsten Grille. Alle diese Artikel werden zu dem wichtigen Zweck angeschafft, um sie an die jungen Mamluken zu schenken und um diesen die Qualen des Fastens durch ihrem Alter angemessene Zerstreuungen zu versüßen und ein jeder dieser Vengel muß am Schluß des heiligen Monats einen wahren Kramladen voll nichtswürdiger Lumpereien sein eigen nennen. Aber nicht nur sie ziehen aus diesen Mterhaften Kleinigkeiten Vergnügen, dieselben, wenigstens deren oberflächliche Anschauung, bildet auch einen Hauptspaß für sämmtlichen Janhagel und die Gassenjugend von Tunis. Diese hoffnungsvolle Jugend pflegt sich nämlich gegen 2 oder 3 Uhr jeden Ramadhännachmittag auf dem Platz einzusinken, wo die Mamluken in die Wagen steigen müssen, um von da nach dem Bardo zu rollen, denn der Bey und Hof verbringen fast nie die Nacht in Tunis. Wenn dann die Pagen mit vollen Händen erscheinen, wenn der eine ein kleines Schiff von vergoldetem Blech, der andere einen roth- und grünangestrichnen Bleisoldaten, ein dritter emen Elephanten von Holz und Filz in der Hand hält, und außerdem Blumensträuße, Bonbonsschachteln, Kuchen u. s. w. ihren Weg in die Omnibusse finden, da weiß die befriedigte 268 Neugier der zuschauenden Gassenjungen sich nicht mehr in Schranken zu halten, sie bricht in lautes Iubclgcheul aus, in welches sich wohl hie und da einige ironische Töne mischen mögen, und die Pagenschaar verläßt unter dem Geschrei ihrer weniger vergoldeten Altersgenossen die schöne Stadt Tunis, um im Bardo endlich die Fasten zu brechen. 269 Achtes Kapitel. Karthago und seine Ueberreste. UBedeulendheil dcrAnmeu van M,l!jagc — Mein erster Aussing zu denselben.— Gestssschasl. — Erster Anl'licß des Tnimmerseldes. — Das uulerirdische pnnischc AlU'l!',ag°. — Das DorsDuar-esch-Scha«. — Der Circus. — Cl Wo'lU^a und seiue wasserl'ehälter. — Der cudwigslnigcl uud seine Kapelle. — Der M'meiullichc Tempel des Aesculap.— Herr Beuk uud seine NachgralinN' gen. — Ott Tempel der Tamil). — Die Treppe »ach dem Mecie zu.— Anium von Hasen- und Handess-Vaulen.— Die wasse>che!,iisttr des Teujels.— Del Tempel des 5alulu. — Die Hase» von Aarlhago. — Die verschiedenen Pläne d« allen 5lad«. - Vaildalisinus niodc,ncr Äachgräßcr. — Ausflug nach dem Wettende der karthagischen hallnnsel. — Salinen von l>pa. — Dschebcl Cl^uvlj. — Cap Qämart. — 5slWdu Vu 5sa^d. —AuMehr Mr das 5«e« lljor des allen Aarlljago. Im Staube liegt Karthago, tamn erblickst Am Strand Du Trümmer seiner hohen Vauten. M^ie Wahr diesc oft ciürten Verse des großen italienischen Dichters, das drängt sich namentlich dem Emsegler in den tumsischm Golf auf, den das Schiff gewöhnlich dicht an dem Trümmerfelde, welches Linst Karthago war, dicht an der m der letzten Noth kurz vor Nebergabe der Stadt gegrabenen, künstlichen Ausmündung des punischen Kricgs-hafms vorbeiführt, um ihn gleich darauf bei den aus der Untiefe erkennbar hervorragenden Trümmern des denkwürdigen Steindamms Scivio's, der jene andere frühere Ausmündung, welche allen beiden karthagischen Häfen gemeinsam war, versperrt hatte, an's Land zu setzen. Wie sehr er sich auch Mühe geben mag, er erblickt nichts, gar nichts von den Resten der Giace l'alta Carthago c a pena i segni Dell' alte sue ruine il Udo sorba. 270 ehemaligen Weltstadt. Von der Rhede aus gesehen, scheint diese einstige Gebieterinn des Mittelmeers selbst mit all' ihren Ruinen verschwunden und das denkwürdige: „lainjam poriorunt lmnas" zur Wahrheit geworden. Anders ist es freilich, wenn man Karthago vom Lande aus erblickt und ein Ausflug dahin kann immer noch mit dem Gindruck erfüllen, daß hier der Leichnam einer Weltbeherrscherin im Staube modert, natürlich jedoch nur denjenigen, welchem weder Geschichte noch Archäologie fremd sind und der sich außerdem noch durch frühere Besuche anderer Ruinenfelder ein Verständniß gebildet hat, welches nicht nach dem Auffallenden, in die Augen Stechenden urtheilt, sondern nur nach den gewissenhaft geprüften Spuren und Kennzeichen des historisch Denkwürdigen, dessen Fingerzeige erst mühsam erforscht und kritisch erwogen werden müssen, ehe ihr Sinn uns im Lichte einer wissenschaftliche.« Errungenschaft erscheinen kann. Auf dieses Ruinenfeld der einstigen Weltstadt lade ich also den Leser ein, mich zu begleiten, nicht jedoch mit der Anmaßung, als könne ich ihm viel Neues, irgend ein wichtiges, dem Felde der Gewißheit und nicht dem der Vermuthung angehöriges Resultat eigner Forschung über dieselbe mittheilen, noch auch in der Absicht, ihm die Quintessenz aus den Werken früherer Erforscher compilirend aufzutischen, sondern lediglich, um ihm in meinen eignen Eindrücken, in meinen nicht durch das Schwören „in vorda w^igtri" bestochenen, selbständigen Beobachtungen eine möglichst getreue und kurzgefaßte Gesammt-schildcrung dieser denkwürdigsten Reste des Alterthums in ganz Afrika zu geben und zugleich auf die neuesten Ausgrabungen (namentlich diejenigen des Chasnadar vom Jahre 1666), welche noch in keinem Werke ihre Besprechung gefunden haben, aufmerksam zu machen. Dieser Ausflug wird gewöhnlich zu Wagen gemacht, eine Art der Beförderung, die in Tunisien zur Zeit meiner 271 ersten Reise noch eben so selten war, wie die Mittel dazu, die Wagen und die fahrbaren Straßen. Letzterer existirtcn damals nur in der nächsten Nähe der Hauptstadt einige wenige, so wenige, daß es ein Wunder schien, wie es in Tunis noch Miethwagen geben konnte. Dennoch sollten mehrere Lohnkutscher, meist Malteser, hier Geschäfte machen, so hieß es', im Augenblick waren jedoch ihre sämmtlichen Fuhrwerke nur durch einen einzigen Wagen vertreten, ein sprechender Gegensatz gegen den heutigen Neberfluß. Diesen Phönix von einem Wagen gelang es uns denn auch zu dem Ausflug nach der punischen Stadt zu miethen. Wenn ich sage „uns", so denke ich dadurch mich nicht in dem volltönenden und so bequem schriftstellerischen Plural auszudrücken, sondern verstehe dießmal darunter eine Gesellschaft von fünf Personen, welche außer mir aus einem gutmüthigen und corpulenten, alten Franzosen, einem jüngeren, der diVschönsten Anlagen zu einer ähnlichen üppigen Entwickelung besaß, einem Iudenmissionar und einem jungen Engländer bestand. Der alte Franzose war Vonvivant, der es auf alte gute Weine abgesehen hatte, womit er sich selbst bei einem Frühstück auf den Ruinen Karthago's zu tractiren dachte, und nebenbei, in müßigen Stunden, namentlich aber in jenem glückseligen Lebensmoment, den die Franzosen „«ltrs 1k trampe et w puil-u" nennen, ein wenig Archäolog und führte als solcher natürlich jenes unvermeidliche Vademecum jedes alterthumsliebendcn Franzosen, der diese Gestade besucht, nämlich „Vui6lm äo 1a "IM^ I5oc,uorou68 8ur la wpo^nlplilo ä« 1':moioiu>k Oartiia^o" "ebst Karten und Plänen in der Tasche. Der jüngere Franzose ^ar aus Bordeaux und natürlich ein Weinreisender (denn 5v«s kann aus Bordeaux anders kommen, als Wein und Weinreisende?), der ächte Typus seiner Classe. Alle französischen ^einreisenden sind nämlich, wie meine Leser, wenn sie diese schätzbare Classe der menschlichen Gesellschaft je kennen lernten. 272 wissen werden, nach einem und demselben Modell gebildet. Sie find alle kleine Casanova's, was Zahl und Bedeutsamkeit ihrer galanten Abenteuer betrifft, und erheitern uns das Leben dnrch die oft sehr anschaulichen Schilderungen ihrer erotischen Heldenthaten-, dann loben sie übermäßig französisches Wohlleben, Eleganz, und vor allen Dingen die nur in Frankreich gebotenen Freuden der Tafel, unter welchen begreiflicherweise die Weine von N. N. und Compagnie in Bordeaux die erste Stelle einnehmen; ferner pfuschen sie in Politik, in welcher sie den Mantel stets nach dem von Paris Wehenden Winde hängen. Früher warm sie liberal, jetzt sind sie eingefleischte Bonapartisten, ihr drittes Wort ist, wie sich von selbst versteht, „!:>. B"^ äe 1a k'i-HNLo". Für Archäologie hegen sie eine ebenso gründliche Verachtung, wie für alle andern Wissenschaften und unser Weinreisendcr, der in die punischen Ruinen gerieth wie Pontius Pilatus in's Credo, hatte sich der Gesellschaft anch keineswegs deßhalb angeschlossen, um „Karthago und seine Ueberreste" zu sehen, von denen er übrigens so wenig wußte, wie einst sein heiliggesprochener König Ludwig IX., der Karthago betrat, ohne von dessen Vergangenheit eine Ahnung zu besitzen, sondern lediglich, um auf der Spazierfahrt den alten Franzosen, der für reich galt, zu einer recht namhaften Weinbestellung zu beschwatzen, was jedoch zu seinem Leidwesen und zu unsrer Belustigung nicht gelang; der alte Franzose zeigte sich widerborstig; er trank nur alte Weine, und das nagelneue Haus N. N. und Compagnie, für welches der jüngere reiste, flößte ihm nicht das Vertrauen ein, als könne es ein altes Wein-lager besitzen. Der Iudenmissionar, ein geborner Preuße, bekehrter Posenscher Jude und naturalisirter Engländer, von den Arabern gewöhnlich „Papas el Inglis" (der englische Pope) genannt, war ein sehr gelehrter Hebräloge, welcher es mit 373 seinem undankbaren Ncruf, sich mit bckehrungsscheuen Juden herumzuzanken, höchst gewissenhaft nahm. Die Isracliten sind ein so taufscheucs Volk, daß man statistisch feststellen kann, daß jedes wirklich oder vermeintlich bekehrte Mitglied dieses interessanten Volkes den englischen Missionsgescllschaften im Durchschnitt auf dreißig- bis vicrzigtausend Thaler zu stehen kommt. Ich sage „vermeintlich", denn sehr oft ereignete es sich, daß der theuer Erkaufte für eine gewisse Summe, die ihm der Rabbiner auszahlt, wieder zurücktritt. So hätte ich auch unserm heutigen Reisebegleiter ein ersprießlicheres und womöglich ergiebigeres Feld für die Bethätigung seiner Intelligenz gewünscht und schlug ihm deßhalb vor, sich hier, im Gebiet einer uralten, hochwichtigen und doch noch so wenig erforschten, antiken Civilisation, mit karthagischen und vunischen Alterthümern zu befassen, wozu ihn seine Kenntniß des Hebräischen, von welcher Sprache die der Punier bekanntlich nur einen Schwesterdialcet bildet, sehr befähigte. Aber umsonst. Die todten Karthager interessirten ihn zu wenig, desto mehr aber die lebenden, leider jedoch manchmal mit Fäusten drcin-schlagenden Juden. «Auch den heutigen Ausflug machte er nur deßhalb mit, weil er sich gestern mit den sehr reizbaren afrikanischen Kindern Abrahams so fürchterlich herumgezankt hatte, daß er es für gerathen hielt, ihnen einmal einen Tag lang gar nicht vor die Augen zu treten. Nicht als ob er ganz ohne Einsicht und Theilnahme für den Gegenstand unsres Ausflugs gewesen wäre, aber da dieser bei ihm nur ein Ncbeninteresse erweckte, so war auch sein archäologischer Standpunkt ein mangelhafter, und zwar so mangelhaft, daß er Karthago nach Virgil's Ameide zu studircn dachte, welche n denn auch in der Tasche führte und gelegentlich daraus Verse citirte. Ein Archä'ologe von anderm Schlage war der junge Engländer, welcher eben die Universität Oxford absolvirt hatte I. ' 18 274 und viel unverdaute klassische Gelehrsamkeit in seinem Hirn beherbergte. Auch er führte einen Autor in der Tasche, nämlich „8i1lun Italiens 60 doll« ^unlou") aus welchem er oft lange Tira-den declamirte, leider mit der entsetzlichen englischen Aussprache, wonach das Lateinisch ungefähr wie plattdeutsch klingt. Diese kosmopolitische Gesellschaft wurde Vor Alexis' Hotel glücklich in die alte Micthkutsche verpackt, vier im Wagen, der Engländer mit 8>Iiu5 It:üi«u« auf dem Bock, und nun ging es auf dem holprigen, an Pfützen und Lachen überreichen Straßenboden, zuweilen auch über ein noch unbequemeres Pflaster, ein nagelneues jüngstgemachtes Zugeständnis; an den Zeitgeist, durch die bald engen, bald weiten, bald sehr krummen und winkligen, bald jedoch ausnahmsweise einmal etwas gradcren Gassen von Tunis bis vor das westliche Thor, wo uns die frische Seeluft entgegenwehte. Mühsam legte das holprige Fuhrwerk auf einer damals nur tracirten, nicht aber geebneten Straße die anderthalb geographischen Meilen, welche Tunis von Karthago trennen, zurück. Der Neg führte beinahe während der ganzen Fahrt längs dem sogenannten See von Tunis, einem fast gänzlich vom Meer abgeschlossenen seichten Busen, dem ^t^niim m.-ii'mum der Alten, ocr Valnra der Araber (gewöhnlich im Diminutiv gebraucht und Vehäyra ausgesprochen). Da diese Straße größtentheils eben ist, so hatten wir beständig die Trümmcrstättc der alten Nebenbuhlerin Roms vor Augen; aber das, was wir von ihr sahen, war eigentlich unbeschreiblich wenig, so wenig, daß wir glaubten, durch irgend ein Terrainhindcrniß, das wir kaum ermessen tonnten, noch von dem Anblick der Ruinen ausgeschlossen zu sein. Es war auch wirklich ein kleiner Erdhügcl, vom Schutt dcr Jahrtausende, wie alle Erhöhungen dieses Trümmerfeldes, aufgehäuft, welcher uns die Aussicht auf einer Seite zu versperren schien. Als wir diesen aber endlich erklommen hatten und das 275 Weite Nuinengcfilde frei vor uns liegen sahen, da war unsre Enttäuschung groß, denn wir erblickten nichts, was nur einigermaßen in die Augen siel; doch wir erblickten etwas, dieß war die nagelneue Kirche des heiligen Ludwig, von Louis Philiftft erbaut, sowie einige geschmacklose moderne Villen tunisischer Großen und drei elende arabische Dörfer, die einzigen über den Voden emporragenden Gegenstände auf dem Trümmerfelde der einstigen Weltstadt. Wir theilten so dieselbe Enttäuschung, welche so vielen Reisenden vor uns zu Theil geworden, von denen mancher über die Zerstörungswuth der Menschen und der Zeit in bittre Klagen ausbrechend, entmuthigt den Rückzug antrat, ohne das Ruinenfeld einer genauen Besichtigung unterworfen zu haben, wie z. B. Chateaubriand, der es nur sehr flüchtig betrat, und einem Bekannten auftrug, seinen Namen dort ein-zukritzeln. Aber wir ließen den Muth nicht sinken. Ich wußte, daß das punischc Karthago von der Oberfläche der Erde gänzlich verschwunden sei. Das, was noch von ihm übrig, muß unter, nicht über der Erdoberfläche gesucht werden. Davis, der fleißige dreijährige Forscher und Sucher im Schütte Karthago's, hat uämlich bei seinen zahlreichen Nachgrabungen die Erfahrung erprobt, daß im Durchschnitt eine Erdschicht Von zwanzig Fuß Höhe die Reste des pumschen Karthago bedeckt, an erhöhten Stellen weniger, an vertieften etwas mehr, so daß auf jedes Jahrhundert eine Erdanhäufung von einem Fuß kommen soll. Ich glaube freilich nicht, daß diese Erdschicht so regelmäßig progressiv von Jahrhundert zu Jahrhundert angewachsen ist, sondern daß, da sie hauptsächlich aus den Ruinen der auf einmal zerstörten Bauten des römischen Karthago, dessen Trümmer ja überall auf denen des fthöni-"schen lagernd gefunden werden, besteht, das Jahrhundert dieser Zerstörung den größten Theil der Erdmasse angehäuft haben muß, welche allerdings im Laufe der Zeit durch ange- 18* 276 schwemmtes Land noch bedeutend erhöht worden sein mag. Da ich nun Wichte, daß Alles, was von Karthago's Vau-resten oberhalb des Erdbodens emporragt, dem römischen und byzantinischen, möglicherweise selbst dem vandalischen und nicht dem punischen Karthago angehöre, so konnten jene wenigen formlosen Massen von Mauerwerk, welche hie und da aus dem Nuinenfelde emftortauchten, nicht meinen Enthusiasmus, kaum mein Interesse erregen, denn die Wichtigkeit des römischen Neukarthago tritt bekanntlich gegen diejenige der alten sidonischen und selbst der vier Jahrhunderte jüngeren tyrischcn Colonie in verschwindende Nnbedcutendheit zurück. Aber ich war, durch specielle Studien in Bezug auf diesen einzelnen Punkt vorbereitet, auch gar nicht in dem Wahne hierhergekommen, als könne ich von dem alten Karthago irgend etwas sehen, sondern, wie es mannichfaches Interesse bietet, ein Schlachtfeld zu betreten, auf welchem schon vor vielen Jahrhunderten ein weltentscheidendes Schauspiel sich abgespielt hat, obgleich wir auf demselben oft jeden specielleren Anhalts-punkt für unsre Forschungen vermissen, so bildete auch hier mein anregendes Motiv nur das Studium der Oertlichkeit im Allgemeinen und derjenigen genalleren topographischen Bestimmungen im Besondern, welche mit einiger Gewißheit ermittelt werden können. Auch hierin gab ich mich keinen sanguinischen Hoffnungen hin und ließ mich in meinen topographischen Studien keineswegs von jenen älteren Plänen phantasiereicher belehrten leiten, welche uns zum Beispiel haarklein die Stellen bezeichnen wollen, wo das Wohnhaus des Hannibal, die Thermen des Gargilius, die Villa des Valerius und andere unmöglich zu bestimmende antike Bauten befindlich waren. Dergleichen Pläne machen zwar dem Dich-tungsvermögcn, nicht aber dcr gelehrten Gewissenhaftigkeit dieser Herren Ehre. In nüchterner Stimmung also, insofern ich nicht erwartete, 277 irgend etwas Erstaunliches zu sehen, in gehobener Stimmung jedoch, so oft ich an die historische Bedeutung des Bodens, auf dem ich wandelte, dachte, betrat ich das mächtige Trümmer-gesilde, und zwar zuerst auf dessen westlicher Seite. Dort empfing uns gleich zu Anfang ein elendes modernes arabisches Dorf, Duär esch Schatt, das heißt die „zerstreuten Häuser", genannt. Es ist unzweifelhaft, wie alle Dörfer, Lusthäuser, ja wie manche Städte der Umgegend aus dem Raube des alten Karthago, und zwar dicht an der Stelle des ehemaligen römischen Circus, erbaut. Die „zerstreuten Häuser" haben ihr Material aus den Uebcrresten der hier im Grabe schlummernden antiken Civilisationen der Pöner, der Nömcr und Byzantiner zusammengestohlen. Antike Granitsäulen, korinthische Capitäler, hie und da ein Bruchstück eines Vasreliefs, wohl auch ein Arm oder Bein einer Statue, ein Fragment einer Inschriftstafel, kostbare Stücke der schönsten Marmorarten aus Steinbrüchen, die wir nicht mehr kennen, dieses Alles zeigt sich hier mit elenden arabischen Luftziegeln und morschein Olivenholz zu einem unharmonischen Ganzen vereinigt. Ein zweites arabisches Dorf, ebenfalls wie esch Schatt innerhalb der einsten Mauern der eigentlichen Stadt gelegen, ist ei Mo'alqa, wohin wir nun unsre Schritte wandten. Auf dem Wege dahin kamen wir an einer ovalen Vertiefung des Erdreichs von über 15>00 Fuß Länge und entsprechender Breite vorbei, in welcher man allgemein die Form des römischen Amphitheaters von Karthago erkennen will. In der That bietet diese Stelle auffallende Aehnlichkeit mit dem Terrain des in Rom tracirbaren Circus Maximus am Fuß des Palatins. In der Mitte des Circus konnte ich deutliche Spuren der Sftina, ähnlich wie wir sie am Amphitheater des Nomulus, Sohnes des Maxentius, in Ron: sehen, erblicken. Auch ein Theater will Davis hier entdeckt haben. Dieses, 278 welches Edryssy (wenn anders er nicht, wie Viele vermuthen, unter Theater das Amphitheater versteht) noch im zwölften Jahrhundert beinahe unversehrt dastehen sah, welches der arabische Geograph für die am Besten erhaltene Baute Karthago's erklärt und dessen kunstvolle Säulenhallen, Pfeiler, Bogen, Basreliefs er beschreibt, ist jetzt, wenn wir es überhaupt in den von Davis signalisirten Trümmern erkennen können, nur noch durch einige wenige schwache Mauerreste vertreten. El Mo'alqa heißt „das angefügte oder das angelehnte Dorf" und es verdient diesen Namen vollkommen, denn seine Häuser sind an die ehemaligen Wasserbehälter des römischen Karthago angebaut, ja zum größeren Theile bilden diese Behälter selbst die Wohnungen der Dörfler. Diese Wasserbehälter, welche natürlich jetzt trocken sind, waren sogenannte pisoinil« Umm-lllo, welche zur Reinigung des durch einen Aquäduct zugeführten Wassers dienten. Der Aquäduct, welcher sie speiste, war jenes riesige Bauwerk, dessen noch vorhandene Reste die tunisischc Landschaft nicht weniger zieren, als die Bogen der lunia (^lauäi^ und .lulm die römische Campagna. Er führte das Nasser aus zwei Quellen, deren eine, die westliche und entfernteste, beim heutigen Dschuqar (dem antiken Zuchara), deren andere beim Dorfe Sarhuan entspringt, aus einer Entfernung von fünfzehn geographischen Meilen nach Karthago. Er wurde, wie wir nach einer Münze wissen, Während alle alten Schriftsteller über ihn schweigen, unter Kaiser Septimius Severus erbaut, existirte also etwa drittehalb Jahrhunderte, als er von den Vandalen zerstört ward. Die unteren Gewölbe diescr pi«mnu« limm-ii« sind begreiflicherweise im Laufe der Zeiten mit Schlamm und Erde an-gcfüllt Worden, so daß die ärmlichen Araber sich mit den oberm begnügen müssen, in denen, wie ich mich mit eignen Augen überzeugte, ihre große UnrcinUchkeit einen traurigen Contrast gegen die einstige, auf völlige Klärung des an und für 279 sich nahezu schon reinen Wassers berechnete Bestimmung bildet. Diese Piscinen sind sehr bedeutend. Es sind längliche Gewölbebauten von etwa 13 Schritt Vreite und, so viel ich bei der Zerstörtheit des mittleren Theiles der meisten bemessen tonnte, etwa 8U Schritt Länge. Ihre Höhe läßt sich nicht mehr bestimmen. Obgleich Victor Gu6rin behauptet, daß es deren 14 gebe, so konnte ich doch nur 10 entdecken und zwar 9 parallele und eine transversale. Was man auch immer über die Erbauer dieses Riesenwerkes gesagt haben mag, so scheint mir der Charakter der Architektur dennoch deutlich darauf hinzuweisen, daß wir auch sie den Römern, den Erbauern des Aquäducts, welcher hier mündete, zuschreiben müssen. Sie bestehen nämlich durchaus aus der in Rom so häufigen oiwmLutiola 8truowi-a inow-t^ welche meines Wissens die Karthager nicht kannten. Diesen Piscinen zur Seite liegt ein anderes großes, noch sehr wohlerhaltenes Gewölbe von höchst massiver Structur mit Mörtel, die sich beinahe der 6u,6iuontloia structure :mti<^m>. nähert. Auch dieses scheint einen hydraulischen Zweck besessen zu haben. Der Gewölbebau macht es jedoch auch hier unwahrscheinlich, daß das Werk den Karthagern seinen Ursprung verdanke. Vielleicht dürfte übrigens auf dieses Gebäude jene Annahme Victor Guerins ihre Anwendung finden, welche bei den karthagischen Piscinen einen älteren und neueren Ursprung zugleich voraussetzt, indem sie zuerst von den Karthager als offene ^tm-lmo (Ncgenwasserbehälter) gebaut und dann von den Römern durch Hinzufügung des Gewölbes in ^igoinuo umgeschaffen worden Wären. Nachdem wir die riesigen Piseinen bewundert hatten, wandten wir uns, den: Wunsche unsrer französischen Neise-sefährtcn folgend, nach dem sogenannten heiligen Ludwigshügel, dem hervorragendsten Punkt dieses Trümmerfeldes, auf Welchem sich die auf Befehl Louis Philipp's 1641 errichtete 280 Kapelle des heilig gesprochenen Königs, Ludwig IX. von Frankreich, erhebt. Am Fuße dieses Hügels kamen wir auf der nach Westen gewendeten Seite an einigen antiken Gewölbruinen vorbei, welche nach Oure^m äß 1a Nnllo, der sie freilich nicht gesehen hat, Gelimers Gefängniß oder vielleicht auch Dido's Schatzkammer angehört haben sollen, deren wahrer Cha-rakter, als Cisternen, jedoch augenfällig ist und von Niemand geläugnet werden kann, der nicht, wie Dursau äe 1a Nalie, die Topographie Karthago's von seinem Studierzimmer aus zu regeln unternimmt und sich die Mühe giebt, selbst hierherzukommen. Die Kapelle selbst ist ein ziemlich unbedeutendes Gebäude, in einem gothisch sein sollenden Styl und enthält eine wenig künstlerische Statue des heiligen Königs, welcher in der Nähe, nach Einigen sogar auf dem Hügel selbst im Jahre 1270 an der Pest starb, ehe er noch den Kampf gegen den Sultan von Tunis 'Omar el Mula Mosstanqa hatte beginnen können, den bekanntlich sein Bruder Karl von Anjou siegreich durchführen sollte. Das Kirchlein trägt die Inschrift: Louis Philippe Koi des Fran^ais A crige ce monument en Fan 1841 Sur la place oil expira le roi St. Louis son aieul. Im Innern zeigen sich einige recht Hübsche Swkkver-zierungen an Altar und Wänden, im besten arabischen Geschmack ausgeführt, ein Beweis, daß jene Kunst, welche die Araber Noqsch Uadyd nennen, vor dreißig Jahren sich noch einer gewissen VlütHe erfreute, die wir leider jetzt vermissen. Die Kapelle ist mit einer Mauer umgeben und ein schöner Garten um sie Herum angelegt, von welchem man eine entzückende Aussicht über das tiefblaue Mittelmeer mit seinen Inseln, über das weite Trümmergefilde, über die weiße Masse der Stadt Tunis bis nach Mica und (5astra Cornelia westlich, bis an die Hügelkette am gegenüberliegenden Ufer des Golfes mit ihrer Hauptzierde, dem dovpelgiftfeligen Dschebel 381 Bu Qarnayn, nach Einigen die ^Lmiin ken^nM des Virgil, und bis an dm majestätischen Alias südlich genießt. Außer den bekannten, aus el Dfchem (Tysdrus) stammenden Inschriftstafeln bemerkte ich hier in den Wänden der Seitengebäude, welche den Garten des Ludwigshügels umgeben, zahlreiche Marmorfragmentc von Statuen, ein wahres kleines Museum bildend. Im Garten sah ich auch einige schöne Säulen von Cipollino mit je 24 Canellinmgm. Alle diese Marmor-fragmente stammen offenbar aus römischer Zeit und wohl von dein Tempel her, der in Neukarthago die Stelle des Baaltcmpels einnahm. Diese französische Stiftung hat, wie ich mich später bei meinem ihr 1668 gemachten Besuch überzeugte, das Schicksal gehabt, welches gewöhnlich die ^ieblingswerke einer gefallenen Dynastie unter ihren Nachfolgern, die, wie sie ihrer Vorgänger ungern gedenken, so auch deren Schöpfungen mit mißliebigein Auge ansehen, zu treffen Pflegt. Die ^udwigskapclle wird nicht rcstaurirt, obgleich sie dessen sehr bedürftig, der Garten nicht unterhalten, die von ^ouis Philipp gegründete Stelle eines Abbe von St. ^iouis Wird nicht mehr besetzt und der Wächter, ein kläglich aussehendes Subject, kaum bezahlt und nagt am Hungertuche. Eine ungleich größere Wichtigkeit als durch das Andenken an den heiligen Ludwig erhält dieser Hügel jedoch dadurch, daß wir in ihm mit einiger Bestimmtheit die ^age der berühmten Byrsa oder Citadelle von Karthago erblicken können. Da fast alle neueren Erforscher des karthagischen Trümmerfeldes hierin einig sind und nur der einzige Davis, welcher überhaupt die ganze bisherige Topographie umwirft, die Vyrsa in die Nähe des Seethores, zwischen die Häfen und Ssayydy Bu Ssa yd verlegen will, so brauche ich mich nicht auf eine kontroverse über diese topographische Einzelheit, welche schon eine vielfache Besprechung von anderen Seiten gefunden hat, 282 einzulassen. Der französische Akademiker Beule, dessen Werk über Karthogo vielleicht das ausführlichste und gründlichste der neuesten Zeit genannt werden dürfte, hat die von Ouroau <16 I«, Naile ausgesprochene Ansicht, daß die Byrsa nicht eine einfache Atroftolis, sondern eine ganze, große, viele Tempel und Paläste enthaltende Citadcllenstadt gewesen sei, über den Haufen zu werfen gesucht. Beule's Ansicht gründet sich einer-, seits auf die Anschauung des Hügels selbst, welcher ganz das Ansehen trägt, als sei er von jeher ein isolirtes, inselartiges Plateau gewesen, wie geschaffen zu einer Akropolis, und dieser Beweis ist vielleicht der stichhaltigste, anderntheils auf seine hier gemachten Entdeckungen einer Mauer, die er für die Citadcllenmauer hält und die dem Mittelpunkt des Plateau's so nahe liegt, daft sie den Naum der Citadelle dermaßen beschränkt, daß wir unmöglich an eine Citadellcnstadt denken können. Eine große Schwierigkeit bietet sich jedoch hier. Die alten Autoren geben den Umfang der Vyrsa als 2000 Schritt betragend an, was etwa 8000 Fuß ausmacht, während der Ludwigshügel im Ganzen nur einen Umfang von etwa 4200 Fuß besitzt. Um dieses große Mißverhältniß zwischen dem von den Alten angegebenen Umfang der Byrsa und demjenigen des Ludwigshügels zu erklären, nimmt Beule an, der erstere sei am Fuße des Hügels, außerhalb der ihn umgebenden Mauern und der um diese Mauern laufenden sehr breiten Straßen und nicht dicht am Nandc des Abhangs gemessen, und auf diese Weise glaubt er die 8000 Fuß, als den äußeren Umfang der Byrsa, herauszubringen, Während der innere, den wir also bei den Alten nicht angegeben fänden, nur 4200 Fuß betragen hätte, was dem wahren Umfang des Ludwigshügels entsprechen würde. Nir müssen gestehen, daß eine solche Erklärung uns doch etwas zu gekünstelt erscheint. Nichts beweist uns, daß die Alten den Umfang einer Festung nach den Stadtstraßcn, welche in 383 einiger Entfernung von ihren Mauern einen Kreis um dieselbe beschrieben, jemals gemessen hätten. Wir können deßhalb nicht umhin, zu der Theorie zurückzukehren, daß die Vyrsa außcr dem Ludwigshügel auch noch andere Theile des karthagischen Stadtgebiets in ihren Mauern enthielt; daß sie von diesen jetzt durch Abhänge getrennt und isolirt erscheint, bildet freilich auch wieder eine Schwierigkeit, jedoch sind die Terrainvcrändenmgen gewiß hier im Laufe der Jahrtausende sehr bedeutend gewesen, viel bedeutender, als Beule dieß annimmt, der nur von einer durch Einsturz der Abhänge verursachten Verringerung des Plateau's des Ludwigshügels spricht. Ich glaube vielmehr, daß die Byrsa sich bedeutend gegen Norden, über den Ludwigshügel hinaus, erstreckte und daß sie möglicherweise jenen jetzt abgesonderten kleinen Ruinenhügel, auf welchen man gewöhnlich den römischen Temvcl der ^uno OoßiLkti» versetzt, mit in sich schloß. Südlich und östlich vom Ludwigshügel kann sie sich nicht weit erstreckt haben, da im ersteren Falle kein Naum für die drei Straßen, welche von den Häfen nach der Citadelle führten, übrig geblieben und im zweiten die Festung zu nahe an's Meer gekommen wäre. Auch in westlicher Richtung boten die Mo'alqa-Cisternen, die freilich in ihrer jetzigen Gestalt nicht punisch sind, in deren Nähe aber, wie angedeutet, altkarthagische gelegen zu haben scheinen, ein ähnliches Hinderniß für die Ausdehnung der Hügelstadt. Daß die Citadelle sich auf der südlichen Seite nicht weiter ausdehnen konnte, als der heutige Ludwigshügel, beweist auch die von Beule gemachte Entdeckung eines Stückes ber alten vunischen Mauer, die er für diejenige der Vyrsa hält. Sie soll die dreißig Fuß Dicke (zum Drittel vun soliden Mauern aus s^xn Wuäi^ta, zu zwei Dritteln von Gemächern oder Magazinen eingenommen), welche Aftpian der Stadtmauer Karthago's, ebensowohl wie del Vyrsamauer beilegt, gemessen haben. Leider ist jedoch Beule's Ausgrabung 384 an dieser Stelle jetzt (1868) wieder verschüttet, so daß wir seine darauf gestützte Ansicht nicht controliren können. Dagegen ist eine andere Entdeckung, welche Beule hier machte, noch jetzt sichtbar und nicht weniger interessant. Es ist gleichfalls eine Umfassungsmauer, deren geringere Dicke (von 6 Fuß) andeutet, daß sie nicht diejenige der Vyrsa selbst gewesen sein kann. In der Byrsa befand sich aber nur ein einziges Gebäude, dem wir eine so massive Umfassungsmauer mit Wahrscheinlichkeit zuschreiben können. Dieß war der große karthagische Haupttempel, gewöhnlich Tempel des Aescu-lap genannt. Wir wissen, daß dieser Tempel auf dem Scheitel des Byrsahügels auf einer Terrasse lag, eine Lage, welche durchaus derjenigen der heutigen Ludwigskirche entspricht. Unter dieser Kirche dürften ohne Zweifel die Fundamente des sogenannten Aesculaptempels zu suchen sein. Wie oft ist es schon von Archäologen bedauert worden, daß die abscheuliche Kirche nicht abgetragen und der unter ihr gelegene Buden wissenschaftlich untersucht werden kann! Frankreich läßt zwar die Ludwigstirche in verwahrlostem Zustande, ihren Nächter fast vor Hunger sterben, es hat die Stelle eines Kaplans eingehen lassen; die Kirche macht ihm somit durchaus keine Ehre mehr-, aber das groteske Gebäude wird heilig gehalten und darf nicht abgerissen werden! Wenn übrigens die Verehrer des heiligen Ludwig einigen historischen Sinn besäßen, so Würden sie selbst auf dieser Abtragung bestehen, denn es ist so ziemlich erwiesen, daß grade der Ludwigshügel am Allerwenigsten ein historisches Recht darauf hat, dem Andenken des in Karthago gestorbenen Königs gewidmet zu sein, da grade er der einzige Theil dieses Trümmerfeldes ist, welchen der heilige Konig niemals besessen hat, auf dem er folglich auch nicht hat sterben können, wie die meisten unwissenden modernen Franzosen behaupten. Zu diesen Unwissenden gehört Beule nicht. Dieser bedauert vielmehr auf- 285 richtig das Hinderniß der Kirche, sowie dasjenige eines modernen Friedhofs, welchen die Franzosen auch wieder grade an der interessantesten Stelle, da wo die Nachgrabungen am meisten Resultate versprochen würden, angelegt haben. Die Ludwigskirche nun liegt nur wenige Schritte von der von Beule' aufgedeckten Umfassungsmauer, welche wir für diejenige des alten Haupttempels von Karthago halten können. Diese Mauer ist aus »:>xa cMllrnw, von dem in Karthago vorkommenden Tuffstein gebaut. Sowohl die Nömcr, als die Karthager pflegten auf diese Weise Bauten zu errichten. Wir wissen deßhalb auch nicht, ob die von Beule entdeckte Mauer wirklich die altkarthagische oder die später römische ist. Vielleicht ist sie beides, das heißt die altkar-jhagische von den Römern restaurirt. Einen ausschließlich römischen Ursprung müssen wir dagegen dem an den Fuß dieser Mauer angelehnten palastartigen Gebäude zuschreiben, von welchem Beule bei derselben Gelegenheit fünf Bogcnge-wölbe aufgedeckt hat, die gleichfalls noch sichtbar sind. Diese Gewölbe sind von Beule mit einer Ausführlichkeit beschrieben, die nichts zu wünschen übrig läßt. Er möchte sie für Reste des Palastes der römischen Proeonsuln halten, welcher am Fuß des Aesculaptempels lag. Von diesem Aesculaptempel selbst, das heißt von dem römischen, hat der französische Archäologe bei Gelegenheit dieser Ausgrabungen gleichfalls zahlreiche kleinere Vaufrag-Mentc eutdeckt, die bei der Zerstörung des römischen Karthago von der Trümmermasse des Tempels hinabgestürzt und mit ben Ruinen des an seinem Fuße gelegenen Palastes verschüttet wurden. Diese Baureste sind von schönem weißen Marmor und gehören dem korinthischen Styl an. Der römische Tempel war also ein marmornes Prachtgebäudc aus der Kaiserzeit, in welcher man den korinthischen Styl so vielfach anwandte. Dieser Tempel war, wie wir aus den alten Au- 386 toren schließen können, an der Stelle desjenigen erbaut worden, Welcher einst im alten Karthago die vornehmste Stelle und den höchsten Nang einnahm, des vielerwähnten Haupttemftels der phönicischen Colonie, auf dem Gipfel der Byrsa gelegen und die ganze Stadt beherrschend. Dieser Tempel war das Palladium religiöser und nationaler Heiligkeit und linverletzlichkeit und zugleich der innerste und festeste Kern der Citadelle, wo auch der Schatz der Republik vor den Gefahren der letzten Belagerung unter Scivio Sicherheit gefunden hatte. Hier war es auch, wohin sich die letzten Neberbleibsel der Vertheidiger Karthago's, als schon die ganze übrige Besatzung der Vyrsa (nach Appian 50,000 Seelen) zu Scipio geflohen war und sich unterworfen hatte, nämlich die neunhundert römischen Neberläufer, die vom Sieger keine Gnade hoffen konnten, zurückgezogen hatten. „Von da, meldet Appian, vertheidigten sie sich leicht wegen der Höhe und Steile des Tempels, in dessen Hof man selbst zu Fricdcnszeiten auf sechzig Stufen hinaufsteigen mußte. Als sie aber endlich durch den Hunger, die Nachtwachen, den Schrecken und die Arbeit ganz entkräftet waren, flohen sie aus dem Vorhof in den Tempel selbst und auf das obere Dach desselben." Bei diesen Ueberläufern befand sich auch die heroische Gattin Hasdrubals mit ihren Kindern, welche nach der Flucht ihres feigen Gemahls es vorzog, sich in den Flammen des von den verzweiflungsvollen Belagerten angezündeten Tempels zu begraben, nachdem sie vorher die gerechtesten Schmähworte auf ihren schändlichen Gemahl gehäuft. So siel mit Karthago der berühmte Tempel, einst das Nationatheiligthum der alten punischen Stadt, um erst anderthalb Jahrhundert später wieder errichtet Zu werden und zwar als ein römischer Aesculapstempel. Die Römer und Griechen nannten auch den altkarthagischen Tempel schon einen Tempel 287 des Aesculaft, wenigstens nennen ihn Aftpian, Livius und Strabo so. Demnach wäre er dem pönicischen Gotte Esmun, dem echten Kabiren, welcher den Weltkreis durch eine kreisförmig gewundene Schlange dargestellt, zum Symbol hatte, geweiht gewesen. Dieß ist jedoch nicht meine Ansicht, die ich gleich erläutern werde. Neber die Architektur dieses Tempels lassen uns die alten Autoren völlig im Dunkeln. Wahr--scheinlich war er aus dem gewöhnlichen karthagischen Kalkstein erbaut und gewiß theils auch von Holz, da er sonst nicht so schnell ein Raub der Flammen geworden wäre. Welches war aber die Gottheit, die in diesem National-heiligthum verehrt wurde? Der von griechischen und lateinischen Autoren (wovon keiner älter als Strabo, der anderthalb Jahrhunderte nach dem Fall Karthago's lebte) ihr beigelegte Name „Aesculaft" kann uns nicht maßgebend sein, da bekanntlich die Griechen und Römer in ihrer Auslegung fremder Culten im Allgemeinen mit dem größten Leichtsinn zu Werke gingen und im Besondern in Bezug auf die fthöni-cischen Götter neben andern falschen Auffassungen auch den ^rrthum begingen, in jedem durch eine Schlange symbolisirten Gott ihren Gesundheitsgott zu erblicken. Nun bildete aber die Schlange das Symbol säst aller vhömcischcn Götter, keineswegs des Gsmun allein, in dem die Nömer ihren Aesculaft erkannten. Wäre Esmun der Haufttgott Karthago's gewesen, so mußten wir von seiner Verehrung doch mehr Spuren finden, als dieß der Fall ist, denn sein Vorkommen in einigen Eigennamen beweist nichts. Namentlich müßten die zahlreichen Votiv-lafeln aus der altkarthagischen Zeit diesen Namen, als den der gefeiertsten Gottheit, enthalten. Diese Votivtafeln geben uus aber ausnahmslos die Namen zweier andern Gottheiten, ^r Thanith, von welcher wir sogleich reden wollen, und des Vaal Chamon, in dem wir nach Movers (1, 42«) den Baal Chon oder Chom (eine Form des als El, Bel oder Belitan 288 verehrten Hercules) erblicken können, der das erhaltende Princip darstellte und mit dem syrischen Gatte Makar oder Malik karth, (König der Stadt, d. h. Tyrus) ursprünglich vielleicht identisch war, obgleich man später zwei Götter daraus machte. Nach demselben Movers stand die zweite Gründung Karthago's (im I. 813 v. Chr. Geb.), welche von Tyrus ausging und der vertriebenen Königstochter Elissa zugeschrieben wird, unter der Schutzgottheit des Makar. Dieser wurde also der Schutzgott der neuern Colonie, und fand als solcher gewiß sein Heiligthum auf dem hervorragendsten Punkte der Vyrsa; sein Cultus wurde mit demjenigen der Schutzgottheit der ältern phönicischen Stadt, der von den Sidoniern schon um die Epoche zwischen 1214 bis 1233 gegründeten Altstadt Kattabe vereinigt und dieses Götterftaar bildete von nun an den Gipfel des Pantheons der vereinigten sidonischen und tyrischen Colonien, auf die der Name Karth Chadascha, d. h. „der neuen Stadt", (welchen Anfangs nur die tyrische geführt haben dürfte, während die sidonische Kambe oder Kakkabe hieß) ausgedehnt wurde. Die von der sidonischen Colonie verehrte Gottheit War die berühmte Thanith, „das Angesicht des Baal", wie sie die Inschriften nennen, von deren Tempel man die Spuren auf einem der Ludwigskirche gegenüber gelegenen Hügel entdeckt haben wollte, aber mit wenig Grund, wie mir scheint. Bis hierher hatten die beiden Franzosen Geduld genug bewiesen, um uns auf unserer archäologischen Wanderung zu begleiten. Aber hier kamen sie zum Stillstand. Das Dejeuner war eine viel zu wichtige Angelegenheit, um so in aller Eile, wie wir Andern es wünschten, abgemacht zu werden. Selbst Dureau de la Malle wurde über ihm vergessen und so blieben denn die beiden Landsleute sitzen, als wir uns anschickten, die übrigen Alterthümer des Ruinenfeldes zu besuchen. Zuerst wandten wir uns nun zu dem östlich vom Ludwigshügel gelegenen arabischen Fort, welches das Meer 289 von semer Höhe beherrscht. Von hier zieht sich in südwestlicher Richtung, mit dem Mccresufer parallellaufend, eine Anhöhe hin, deren Ausdehnung an achtzehnhundert Fuß in der Länge betragen mag. Diesen Hügel hält Davis für den der Vyrsa und nimmt an, daß hier die Citadelle, die wichtigsten städtischen Bauten, der Aesculaptemftel und andere gestanden hätten. Allerdings ist er geräumig genug, um Wohnungen für fünfzigtauscnd Menschen enthalten zu haben. Auch sehen wir hier so viele Ncberreste, daß die Annahme große Wahrscheinlichkeit für sich hat, daß hier eines oder einige der bedeutendsten Bauten des alten Karthago gestanden haben, und da man unter den daselbst entdeckten antiken Nesten manche auffand, welche unzweifelhaft punischen Ursprungs sind, namentlich die vielen phönicischen Votivtafeln, so dürften jene Bauten oder wenigstens ihre Vorgänger (denn sicherlich wurden sie später umgebaut) zum Theil schon dem älteren Karthago angehört haben. Die jetzt vom elenden arabischen Fort mit seiner aus fünf lahmen oder blinden Invaliden bestehenden Garnison eingenommene Stelle hält der englische Archäologe nach seiner originellen Paradoxie für die des Tempels des Haufttgottes selbst, den auch er Acsculap oder Es-mun nennt. Der freie viereckige Platz, auf welchem sich dieses Fort erhebt, ist 600 Fuß lang und halb so breit. In seiner Mitte erblickten wir die massiven Mauern eines mächtigen antiken Gebäudes von 180 Fuß Länge, 80 Fuß Breite und ti Fuß Dicke seiner Mauern. Die Mauer ist bis tief in den Boden hinein, wie neuere Nachgrabungen gezeigt haben, unversehrt erhalten. Diese so ganz der Bedeutung eines befestigten Tem-pels angemessene mächtige Mauer umschließt einen viereckigen Naum, unter welchem große Negenwassercisternen befindlich swd. Von dem Tempel, oder was sonst das Gebäude gelesen sein mag, welches innerhalb jener Mauereinfassung lag, I. 19 290 vermochten wir nichts zu entdecken, als Theile der Mauern des untern Stockwerks. Schwache Spuren eines möglichen All erheiligsten (aäMm) konnten wir westlich und Reste eines Porticus östlich ausfindig machen. Von diesem Porticus führte allem Anschein nach eine Riesentreppe gegen die Meeresseite hinab. Dieser Umstand scheint allerdings der von Davis ausgesprochenen Ansicht zu Hülfe zu kommen. Wir wissen, daß der Tempel der Haufttgottheit von Karthago, derjenigen, welche die klassischen Autoren gewöhnlich Aesculaft nennen, den Schiffern von Weitem auf dem Meere sichtbar war. Nun kann es aber nicht leicht eine größere Beförderung dieser Sichtbarkeit aus der Ferne geben, als diejenige, wie wir sie uns in Verbindung mit einer solchen Niesentreppe vorstellen. Eine solche Treppe schloß alle am Fuße des Tempels aufragenden hohen Gebäude aus, welche allenfalls, wenn sie sehr hoch hinaufreichten, die Aussicht auf den Tempel beschränken konnten. Der Blick des Seefahrers hätte so vom Meere unmittelbar zu der Treppe und von ihr zu dem auf ihrer Höhe gelegenen Tempel hinaufschweifen können. Ferner wissen wir, daß eine Treppe von 60 Stufen zum Aesculaptempel hinaufführte. Aber grade dieser Umstand widerspricht Davis' Annahme, denn die am Fort gelegene Treppe hatte nicht 60, sondern über 100 Stufen. Jetzt bildet sie freilich nur noch einen Ruinenhaufen, in welchem jedoch die Treppen- und Stufenform deutlich zu traciren ist. Da das felsige Erdreich unter der Treppe verschiedene Höhe darbot, so mußten einzelne Stufen auf Gewölben getragen werden, während andere dicht an den kahlen Felsen anlehnten, auf dessen einem Theile das moderne arabische Fort steht und auf dessen anderm einst eines der ersten religiösen Gebäude Karthago's gestanden haben möchte. Da dieser Tempel jedoch unmöglich, wie Davis' ganz vereinzelt dastehende Annahme behauptet, derjenige des vermeintlichen Aesculaft gewesen sein kann, so müssen wir ihn 391 dem Cultus einer andern Gottheit zuschreiben. Die bevorzugte Lage und die Wichtigkeit der Mauerreste berechtigen uns zu dem Schlüsse, daß hier ein Heiligthum einer der Haupt-gotthciten der Stadt gestanden habe, und da wir den Tempel der einen von den beiden in Karthago vorzüglich verehrten altphönicischen Gottheiten schon auf der erwähnten Stelle des Ludwigshügels identificirt haben, so bleibt uns für dieses zweite religiöse Hauptgebäude nur die Wahl, in ihn: das Heiligthum der weiblichen Schutzgottheit, der schon erwähnten Thanith, zu erblicken, einer Göttin, welche unter den verschiedensten Namen bekannt geworden ist. Virgil nennt sie die Juno und schreibt die Gründung ihres Tempels der fabelhaften Dido zu, welche letztere jedoch bekanntlich (nach Movers) nichts Anderes war, als eine phönicische Göttin (keine vergötterte Fürstin, da die Phönicier solche Vergötterungen nicht kannten). Die Römer aber verwechselten Dido mit Elissa, der tyrischcn Königstochter, welcher man die zweite Gründung Karthago's, das heißt diejenige der tyrischen Colonie zuschreibt, und 8i1K,8 Italic» nennt sogar diese Elissa unter diesem letztern Namen eine Göttin und beschreibt ihr Heiligthum auf solche Weise, daß wir darin den Tempel der Thanith erkennen müssen. Die Thanith war ohne Zweifel eine Form der Astarte und wahrscheinlich dieselbe, wie Dido, welche man die umherirrende Astarte nannte, und der man deßhalb die Gründung von Colonieen zuschrieb. In dieser Annahme bestärkt uns auch der Name Coclestis (d. h. die himmlische Jungfrau), welchen die meisten römischen Autoren der vornehmsten weiblichen Gottheit Karthago's geben, denn Thanith wurde "ls eine reine Jungfrau gedacht, mit deren Cultus keine Unzucht verbunden war, wie mit dem der Baaltis und Salambo, ^ deren Dienste unzüchtige Priesterinncn und Gallen standen, denen der Phallus heilig war, und die mit dem Cultus des unzüchtigen Adonis verbunden gedacht wurden. 19' 3!)I Ich bin jedoch weit entfernt davon, die Vermuthung, als habe hier der Tempel der Thanith gestanden, als Gewißheit auszusftrechen. Beule und Andere suchen letzteren auf einem kleinen, dicht beim Ludwigsberg gelegenen Hügel, auf dem sich schwache Spuren von Mauern, unter dem sich aber zwei deutlich nachweisbare Cisternen befinden. Auch kann ich durchaus nicht leugnen, daß alle Gebäude, welche um das Fort herumlagen, ihren Trümmern nach römisch gewesen zn sein scheinen. Selbst die besprochene viereckige Baute, zu welcher die Niesentreftfte vom Meere hinaufführte, zeigt große Aehn-lichkeit mit einem römischen Wert und zwar mit einer Basilika, denn was Davis für ein Adytum hält, dürfte wohl ein Chal-cidicum gewesen sein. Ausier dieser Baute befinden sich in dieser Gegend noch folgende Ruinen: 1) Auf der der Treppe entgegengesetzten Seite des Forts die Neste eines kolossalen Gebäudes, dessen unterer Theil aus sehr großen, festen und regelmäßigen Backsteinen, dessen oberer aus oÄ6n,uiMm »ti'uctm'a in««i'ta besteht. Davis halt es für die Basilika des Thrasamund. 2) Auf derselben Seite, mehr den: Meere zu gelegen, eine Nuine von rundlicher Forin, in der man einen Tempel des Apollo erkennen wollte. Davis hält sie für ein Vorrathshaus im kolossalen Styl. Die Bauart besteht im untern Theil aus derjenigen Structur, welche die Römer Pseudo-isodomum nannten, im oberen aus der bekannten Mörtel-struetur mit kleineren Steinen. Einige schöne Säulen von Cipollino, welche man hier noch ficht, lassen auf die architektonische Pracht der Baute schließen. 3) Am Fuße dieses Gebäudes, dicht am Meere und an die moderne Villa des Generals Ssayydy Mahmud 'Äsays anstoßend, einige nischenartige Bauten, offenbar Handelsmagazine, deren unterer Theil aus dem Fels selbst gehauen, deren oberer eme Mörtelstruetur mit Gewölben waren. 293 4) Vielfache Spuren von Cisternen auf dem Berge dicht neben dem Fort, unter andern acht tiefe brunnenartigc Schachte, welche offenbar zu den besagten Cisternen führten. Ueberhaupt scheint der ganze Berg, auf dem das Fort steht, ausgehöhlt gewesen zu fein und ist auch jetzt noch nicht überall von: Schutt ausgefüllt. 5) Endlich die Oistm-nKo, das am Besten erhaltene, schönste und großartigste Gebäude, welches uns auf dem karthagischen Trümmerfclde übrig geblieben ist. Sie liegen landeinwärts in sehr geringer Entfernung von den obengenannten Ruinen. Nm sie Von den vielen andern Cisternen von Karthago zu unterscheiden, nennen sie die Araber „Dawämiss esch Schaytan", wörtlich übersetzt die „Gefängnisse des Teufels". Die Araber bezeichnen nämlich jede Cistcrne als Damuss (d. h. Kerker), und da fie die bewunderungswürdige Structur dieser schönst erhaltenen Cisternen in Erstaunen setzt, so wissen sie natürlich ihre Erbauung teinem andern Hexenmeister zuzuschreiben, als demjenigen, welchen der Voltsglaube aller Länder im Allgemeinen und der der Araber im Besondern für den Meister in allen Künsten hält, dem Satan. Ich nehme jedoch einen etwas weniger ehrwürdigen und ungleich neuereu Ursprung für sie an nnd zwar nicht einmal einen karthagischen, sondern einen römischen, da mir die ganze Structur durchaus diesen Stempel zu tragen scheint. Die (^tovnlio bestehen aus 18 beinahe vollkommen erhaltenen, parallelen Gewölben, jedes von etwa fünfzig Schritt Länge und entsprechender Breite. Die Gänge auf beiden Seiten der compacten Gruppe sind so wohl conservirt, daß Wir, ihnen entlang gehend, uns über den speciellen Zweck einer jeden einzelnen Cisternc volle Aufklärung verschaffen können. Die erste bestand aus vier Abtheilungen, zwei qua-dratförmigen in der Mitte und zwei vollkommen kreisförmigen an den Seiten. In der einen dieser kreisförmigen Cisternen 294 hat sich die Wendeltreppe, auf welcher die Schöpfenden zu dem in beträchtlicher Tiefe beginnenden Wasserspiegel hinabstiegen, so gut erhalten, daß ich selbst es wagen konnte, ihre 25 kolossalen Stufen bis zu der Stelle, wo noch immer Wasser vorhanden ist, hinunterzuwandeln. Dieß bildete nur in seinem oberen Theil ein halsbrecherisches Hinabklimmen, denn gleich am Nande sind einige sieben Stufen halbzerstört, alle andern aber unverletzt. Diese eine runde Cisterne ist nicht im Innern mit Cement bekleidet, sondern zeigt ihre Backsteinstruetur frei, alle andern haben aber ihren Mörtelbewurf behalten. Von der 2ten bis 9ten Cisterne zeigen sich die Gewölbe einfach und ohne Unterabtheilungen. Die 10te zerfällt in 3 Kammern, zwei runde und eine viereckige in ihrer Mitte und die letzten acht bestehen dann wieder aus ungetheilren Bassins. Ueber den vier runden Cisternen befinden sich Kuppeln. Sie sowohl, wie alle gewölbten Theile dieses mächtigen Cisterncnbaue» sind in der späteren römischen Cementstructur ausgeführt, verkünden somit deutlich ihren Ursprung. Von allen Seiten zu diesen Cisternen führend, entdeckt man Kanäle und Rinnen, welche das Regenwasser diesem wunderbaren Werte zuführten. Die bedeutendste dieser Leitungen ist durch die vor zwei Jahren (diese Bemerkung bezieht sich auf meine letzte Ncise im I. 1808) vom ersten Minister unternommenen Ausgrabungen aufgedeckt worden: sie bildet einen etwa 3 Fuß breiten Gang, der jetzt 7 —8 Fuß tiefer als die Erdoberfläche, schon im Alterthum einige 3 Fuß tiefer gewesen sein muh, denn über ihm sind in der genannten Höhe drei sehr solide gewölbte Brücken aufgedeckt worden, Welche offenbar den Straßen angehörten, welche über diesen Leitungen fortliefen. Eigenthümlich zeigt sich das Erdreich, welches wir oberhalb der besagten Brücken sahen. Es ist mit großen thönernen Einfassungen versehen und will es fast 395 scheinen, als habe zu einer späteren Epoche, als vielleicht die tiefer gelegene Leitung von Erde angefüllt war, eine andere oberhalb der Brücken das Regenlvasser den Cisternen zugeführt. Alle Anzeichen scheinen deutlich darzuthun, daß diese Nasserbehälter wirklich Oiswrnno, d. h. Sammelorte für Ne-genwasser und nicht etwa I'i^inao waren, da von einem Aquäduct, welcher die Piscinen hätte speisen können, hier keine Rede ist. Wenn man jedoch schließen will, als müsse ihre Erbauung von den Puniern herrühren, weil diese, welche offenbar keinen Aqnäduct besaßen, auf Cisternen allein angewiesen waren, so bedenkt man nicht, daß sich ja ganz dasselbe von dein neuen, von den Römern wiedererbauten Karthago, vor der Zeit des Septimius Sevcrus, sagen läßt. Während anderthalb Jahrhunderten und darüber waren auch die Römer von Neukarthago ohne Aquäduet und mußten deßhalb das Bedürfniß nach Cisternen lebhaft empfinden. Hiermit will ich gar nicht behauptet haben, als könnten die Fundamente dieser (.^mtoriuw nicht ursprünglich ftunisch sein, aber in ihrer jetzigen Gestalt sind sie es einmal gewiß nicht, sondern entschieden römisch, d. h. wahrscheinlich von den Römern auf Punischen Grundmauern neucrbaut. Die ganze Gegend um die Oikwrm«; und um das Fort herum scheint offenbar eine speciell auf den Handel und die Schifffahrt bezügliche Bedeutung gehabt zu haben. Die vielen Wasserbehälter dienten den hier landenden Schiffern zur Versorgung mit dem Nöthigsten, die zahlreichen Magazine zum Stapelplatz ihrer Waaren, die obengenannte, viereckige Baute dürfte vielleicht in ihrer Eigenschaft als Basilika mehr einer Handelsbörse als einem eigentlichen Gerichtshof entsprochen haben. Auch die andern Bauten besaßen wohl eine Beziehung auf den Handel. Von diesen hatte man die unter Nr. I bezeichnete als einem römischen Theater angchörig betrachtet. Nenn sie jemals diesem Zwecke entsprach, so hat sie doch 296 jedenfalls in sftätrömischcr Zeit eine sehr verschiedene Bestimmung erhalten, deren Natur durch Davis' Nachgrabungen unzweifelhaft festgestellt wurde. In ältester Zeit dürfte jedoch auch sie einem mercantilen Zweck entsprochen haben, später diente sie, wie Davis beweist, zu einer christlichen Basilika: möglicherweise war sie eine der zwei uns aus der Kirchengeschichte bekannt gewordenen, dem heiligen Cyprian geweihten Kirchen. Wir wissen durch Victor Vitensis, daft die eine dieser Kirchen am Hinrichtungsorte Cyprians nahe an den „Piseinen" errichtet wurde. Nun befinden sich in nächster Nähe dieser Basilika die Dawämiss esch Schaytan, d. h. die Negenbehälter des Teufels, die oben beschriebenen punischen Cisternen. Aber Cisternen sind keine Piscinen und dann scheint auch Cyprian aufterhalb der Stadt seinen Tod gefunden zu haben, wie derselbe Victor Vitensis andeutet, indem er sagt, man habe den Heiligen den Blicken der Neugierigen entziehen wollen. Der andere bedeutende Trümmerhaufen, den wir oben unter Nr. 2 angeführt haben, führt auf den älteren Plänen den Namen „Tempel des Apollo". Uebcrhaupt hat man allen größeren Anhäufungen von Schutt und Mauerwerk Tempelnamen beigelegt. So sehen wir auf den älteren Plänen und selbst auf demjenigen des originellen, aber manchmal nicht unkritischen Davis einen Tempel des Baal, des Neptun, der Juno, der Venus und anderer Götter, deren Verehrung in Karthago nur errathen, nicht bewiesen werden kann, ein Forum und dergleichen mehr, Bezeichnungen, zu denen mir lediglich das Dichtungsvermögen dieser Archäologen Anlaß gegeben zu haben scheint, denn aus den spärlichen Angaben der alten Schriftsteller lassen sich kaum allgemeine topographische Bestimmungen, geschweige denn so specialisirte, entnehmen. Ebenso wie mit der Topographie der Tempel scheint es mir sich mit derjenigen der Straßen Karthagos zu verhalten, 297 namentlich mit jenen drei, fast auf allen Plänen citirten, deren vermeintliche Namen Via Salutaris, Via Saturnalis und Via Venerea uns durch Polybius überliefert sind, jedoch so griechisch-römisch klingen, daß wir ihren; U.eberlieferer kaum Glauben bcimessen können. Davis selbst hat diese Straßen auf seinem Plane verzeichnet und nimmt an, sie seien unter derselben Namcnsform oder einem phönicischen Aequivalcnt dafür bereits den Bewohnern des ftunischen Karthago bekannt gewesen. Jede Straße soll zu einem ihrem Namen entsprechenden Heiligthum geführt haben, die Via Salutaris zum Tempel des vermeintlichen Aesculap (des Deus Salutaris und zugleich des Vaters der mit ihm verehrten Göttin Salus), die Via Venerea zum Tempel der Astarte (Venus, Juno oder Diana), endlich die Via Saturnalis zum Tempel des El oder Ulom (Saturn). Aber die ächten phönicischen altkarthagischen Namen der Straßen im puuischcn Karthago kennen wir nicht und wissen, daß es sehr schwer ist, phönieischc Götter mit römisch-griechischen zu identificircn, folglich aus einein griechischen Namen auf den entsprechenden karthagischen zu schließen. Noch weniger dürften uns die Straftcnnainen in Neukarthago aufklären, denn es scheint uns weder bewiesen, noch auch (nach Allem, was wir über die Antipathieen der Römer gegen alles Punische wissen) sehr wahrscheinlich, daß im römischen Karthago, welches ja erst, nachdem die Stadt lange zerstört dagelegen, erbaut wurde, die Straftennamen nur eine Wiederholung der alten punischen gewesen seien und daß wir somit aus einem späteren römischen auf den ursprünglichen karthagischen Namen schließen könnten. So schwimmt fast Alles in Betreff der Topographie des alten Karthago im Nebelhaften und das Beste möchte wohl in Bezug auf dieselbe sein, uns ieder namentlichen Bezeichnung der Ocrtlichteiten, mit Ausnahme solcher wie die Byrsa und die Häfen, gänzlich zu enthalten. 398 Ehe wir zu unsern Reisegefährten, welche auf dem Ludwigshügel zu bleiben vorgezogen hatten, zurückkehrten, weilten wir noch kurze Zeit bei einem Nuinenhaufen, welcher auf Davis' Plan den stolzen Titel „Tempel des Saturn oder Baal Chammon" trägt. Man kann hier ein Gebäude im Boden traciren, dessen Umkreis etwa zweihundert Fuß betrug. Innerhalb dieser Peripherie befinden sich vier verschiedene Neihen von je zwölf und zwölf Pfeilerfundamenten, welche möglicherweise den inneren Abtheilungen des Heiligthums angehörten. Falbe hat auf seinem Plan dieses Gebäude als ein einfaches „karthagisches Haus" bezeichnet. Dasselbe that Sir Grenville Temple. Davis aber schließt aus der symbolischen Wichtigkeit, welche er der Vierzahl der Pfeilerreihm und der Zwölfzahl der Pfeiler selbst, beilegt, daß es ein Tempel und zwar, der mystischen Bedeutung der Zahlen zu Folge, ein dem Saturn, welchen er Baal Chammon nennt, geweihter Tempel gewesen sei, da dem Saturn, als dem Gotte der Zeit, die Vierzahl, als Zahl der vier Jahreszeiten, und die Zwölfzahl, als Zahl der zwölf Monate, heilig waren. Da nun Davis bei einer tieferen Nachgrabung unter den Fundamenten dieser Ruinen ein anscheinendes Aschenlager und viele verbrannte Menschentnochen gefunden hat, so sucht er hier die Stelle für den Schauplatz der menschlichen Opfer, welche dem Baal Chammon oder Moloch dargebracht wurden. Wir können diese Ansicht nicht theilen und haben schon oben unsre Vermuthung, die sich auf einige Stellen in Movers' Werke stützt, ausgesprochen, das; in Karthago der tyrische Matar oder Melkarth, den uns die Geschichte als den Hauptgott der Stadt nennt, wahrscheinlich als einer und derselbe mit Vaal Chammon, den uns die Inschriften als vornehmste männliche Gottheit bezeichnen, gedacht wurde. Beide hießen I^ll (König) und die Aussprache Moloch für den einen (Baal Chammon) und Melek für den andern (Makar) scheint uns 299 späteren Ursprungs. Da wir nun den Tempel dieses Gottes schon auf dem höchsten Punkte der Citadellenstadt erkannt haben, so bleibt uns für die zuletzt erwähnte Trümmermasse keine irgendwie haltbare Bezeichnung übrig, außer vielleicht die die des Baal Ulom d. h. Saturn, wenn man überhaupt annehmen kann, daß uns der Name Via Saturnalis ^oder Senilis (man nannte Saturn den Senex, Greis), welchen eine Straße des späteren römischen Karthago's führte, dazu berechtigt, auch in dem ftunischen die Verehrung derselben Gottheit vorauszusetzen. Endlich glaubten wir es wagen zu können, die beiden Franzosen von den Tafelfreuden des Frühstücks zur Besichtigung der Häfen Karthago's abzuholen. Wir fanden sie in der süßesten Verdauungsseligkeit eben beschäftigt, dem eingenommenen schwarzen Kaffee noch den nöthigen Cognac folgen zu lassen. Aus dieser Verdauungsruhc war jedoch der Weinreisende nicht aufzurütteln. Derselbe behauptete, ein anderer französischer Commis voyageur, den sein Unstern nach Karthago geführt, habe ihm mitgetheilt, diese Häfen seien trotz ihres pomphaften Titels doch in Wirklichkeit nichts als Zwei mm-68 a «lmaräs (Gntenpfützen) und durchaus nicht sehenswerth. Wir ließen ihn also in Gesellschaft der Cognacflasche und begaben uns mit seinem archäologischen Gefährten nach den ja auch von Dureau de la Malle genannten Häfen. Wir fanden sie in südöstlicher Richtung etwa achtzehnhundert Schritt vom Ludwigshügel, mitten in dem Garten der Villa des ersten Ministers. Bei ihrem ersten Anblick Mußte ich gestehen, daß der Wcinreisende nicht so Unrecht gehabt hatte. Diese einst so berühmten Häfen besaßen aller-bmgs eine große Aehnlichteit mit Entenpfützen. Sehenswerth lvaren sie aber doch, denn sie sind von allen Localitäten des Stadtplans von Karthago die einzigen, deren Lage wirtlich unverkennbar scheint. 300 Die Beschreibungen, welche uns die Schriftsteller des Alterthums von Karthago's Häfen hinterlassen haben, Passen nämlich vollkommen auf die hier befindlichen zwei Nasserbecken. Am Ausführlichsten ist wohl Appians Schilderung (VIII. Cap. 69.), welcher sagt: „Die Seehäfen hatten die Lage, daß man von einem in den andern schiffen konnte und der Eingang vom Meere in dieselben war 70 Fuß breit und wurde mit eisernen Ketten verschlossen. Der erstere wurde den Handelsleuten gelassen und enthielt viele und verschiedene Schiffsseilc. In der Mitte des innern lag eine Insel, welche, wie der Hafen selbst, von einem hohen Quai umgeben war; die Insel lag gegen den Eingang des Hafens und zwar auf einer solchen Höhe, daß der (auf ihr postirte) Admiral Alles sehen tonnte, was auf dem offenen Meere geschah, die Herbeischissendcn aber nicht gut entdecken konnten, was im Hafen vor sich ging. Ja nicht einmal die hcreinschiffenden Kaufleute hatten die Schiffsmagazine sogleich vor Augen, denn es lag eine doppelte Mauer um dieselben und es war ein eignes Thor, welches die Kaufleute aus dem ersten Hafen in die Stadt hineinführte, ohne daß sie durch die Schisssmagazine gingen." Diese kurze, aber deutliche Schilderung paßt in all' ihren Einzelheiten durchaus auf die erwähnte Localität. Hier unterschieden wir unverkennbar zwei Wasserbecken, ein größeres und ein kleineres, welche durch einen deutlich nachweisbaren Canal zusammenhingen, und auch jetzt noch durch einen unterirdischen verbunden werden. Ebenso deutlich zeigten sich die im Erdreich zu tracirmden Spuren desjenigen Eanals, welcher den größeren Hafen mit dem Meere verband. Die von Aftpian erwähnte Insel ist freilich im Laufe der Jahrhunderte eine Halbinsel geworden, indem der eine Arm des Kothon durch angeschwemmtes Land ausgefüllt wurde, aber diese ausgefüllte Stelle ist so viel tiefer als alles sie umgebende Land gelegen, daß man deutlich erkennt, sie könne noch nicht lange 301 ausgefüllt sein. Auch die Insel selbst ist durch Alluvium zu einer für den kleinen Hafen, in dessen Mitte sie lag, unver-hältnißmäßig großen geworden. Aber immerhin gehört viel böser Wille dazu, die richtige Bestimmung dieses Hafens zu verkennen. Er war gewiß der Kriegshafen, der größere der Handelshafen. Diese Ansicht gewinnt, möchte ich sagen, zum Ueberfluß noch dadurch an Gewißheit, daß noch an dem deutlich zu traeirenden Ausfluß des größeren Hafens die Spuren des Steindamms des Scipio, womit dieser Feldherr die Schifffahrt Karthago's kurz vor der Einnahme der Stadt sperrte, zu unterscheiden sind und von allen wissenschaftlichenFor-schern erkannt wurden. Ebenso ficht man vom kleineren Hafen nach dem Meere zu deutlich die Spuren eines andern Canals, desjenigen nämlich, welchen die Karthager nach Sperrung des Handelshafens, und somit auch des Kriegshafens, denn beide Häfen hatten nur einen Ausgang, gruben. Dieser letztere Canal ist sogar so deutlich zu traciren, daß es aussieht, als habe er vor noch nicht langer Zeit seinem Zwecke entsprechen können, ein Umstand, der mich zur Vermuthung bringt, daß das spätere römische Karthago sich dieser Ausfuhr bedient habe. Noch jetzt stehen beide Häfen durch eine unterirdische Wasserströmung in Verbindung, welche, wenn sie aufgedeckt würde, wohl den ummauerten, mit Quais umgebenen Canal offenbaren möchte. Ferner wissen wir, daß die Häfen in nächster Nähe der Taenia, der schmalen Landzunge zwischen dem Meer und dem See von Tunis lagen, und auch dieses trifft hier ein. Endlich hat Beule auf der einstigen im Kriegshafen gelegenen Insel eine nicht kleine Anzahl interessanter phönicischer Inschriftstafeln entdeckt und sind überhaupt rings um beide Häfen zahlreiche Trümmer vorhanden. Gegen solche Gewißheit, wie wir sie aus der Anschauung der Oertlichkeit selbst schöpfen, muß wohl die Annahme jener älteren, keineswegs auf Localtenntniß und felbst nicht einmal 3tt2 auf gute Quellen basirtcn Plane zurücktreten, von denen der eine (Mcmncrt's) den Hafen in das sogenannte »w^num, den See von Tunis, verlegt, während der andere (Estrupp's) ihn an der Westsftitze der Halbinsel beim Cap Qamart sucht. Estruftft wurde durch Aftftian's vermuthlich fehlerhafte Angabe der Himmelsrichtung zu seiner Annahme verleitet und durch dieselbe genöthigt, eine im Westen vorhandene schmale Landzunge für die historische Taenia zu erklären. Es scheint jedoch bewiesen, daß jene Landzunge aus neueren Anschwemmungen gebildet ist und im Alterthum gar nicht existirte. Auch wäre so der Hafen Von Karthago außerhalb des karthagischen Golfs zu liegen gekommen. Selbst Mannert's oben mitgetheilter Ansicht pflichtet heutzutage Niemand mehr bei. Vielmehr theilen alle Neueren, welche über Karthago geschrieben haben, selbst Dureau de la Malle, Beule und der sonst allen Andern widersprechende Davis, die auch nach meinem Ermessen allein richtige Meinung, daß die erwähnten Wasserbecken wirklich die Häfen des ftuni-schen Karthago seien. Daß sie auch dein römischen Karthago dieselben Dienste geleistet haben, ist mehr als wahrscheinlich, doch konnten sich die Nömer nicht wieder der ursprünglichen Einfahrt in den Handelshafen bedienen, da Seipio's Damm nicht hinweggeräumt wurde (er ist noch heute vorhanden). So blieb nichts übrig, als die von den Karthagern zuletzt gebrochene Einfahrt in den Kriegshafen zu benutzen, so daß also zur Zeit des römischen Karthago die Schiffe erst durch den Kriegshafen in den Handelshafen gelangten. Auch die Byzantiner haben offenbar die Häfen zu demselben Zwecke wieder benutzt, wie aus Prokopios' Beschreibung hervorgeht, welcher uns belehrt, das; der eine derselben zu seiner Zeit den Namen Mandration geführt habe. In nächster Nähe dieser Wasserbecken kamen wir an zwei geschmacklosen, rothangestrichcncn modernen Gebäuden vorbei, ebenfalls Lusthäusern zweier Minister des Beherrschers von Tunis. Es scheint, daß in diesem Lande nur noch die Minister, 303 welche das Mark des Volks aussaugen, Wohlstand genug besitzen, um Landhäuser ihr eigen zu nennen. Ich konnte mich eines traurigen Gefühls nicht erwehren bei dem Gedanken, daß auch diese Vergnügungsbauten roher Mamluken mit dem Raube des alten Karthago erbaut wurden. Wie mancher interessante Fund, wie manches Kunstwerk, wie manche Inschrifts-tafcl mag hier unter dem häßlichen rothen Anstrich verborgen schlummern. Wohl ist nie eine Stadt so systematisch ihrer Uebcrreste zu unnützen Zwecken beraubt worden, wie Karthago. Nas Römer, Vandalcn, Araber übriggelassen, das haben großen Theils schon im Mittelalter die Italicner entführt. Im elften und zwölften Jahrhundert pflegten alljährlich italienische Schisse die besten Vautrümmer von Karthago hinwegzuführen. Edryssy spricht von den schönen Tcmpelsäulen, von den prachtvollen Basreliefs, von den vielen Marmortafeln verschiedenster Farben, von Statuen, Mosaiks und Kunstwerken aller Art, welche noch im zwölften Jahrhundert hier vorhanden waren, aber er sagt auch, daß kein Schiff Karthago's Gestade verlasse, ohne werthvollcs Baumaterial von dort zu entführen. Nach all' diesen Beraubungen muß man sich darüber wundern, daß überhaupt noch etwas von den Trümmern übriggeblieben ist, daß sogar noch Kunstgegenstände gefunden werden, wie Falbe's, Davis' und Beule's Nachgrabungen beweisen. In neuester Zeit hat übrigens die Ruinen Karthago's das härteste Schicksal betrossen, indem sie unter die vermeintlich wissenschaftliche Oberaufsicht eines kleinen Barbaren, des ältesten Sohnes des ersten Ministers, gestellt worden sind. Dieser blödsinnige Jüngling bildet sich ein, etwas von Alterthümern zu verstehen, und bethätigt seinen Eifer durch höchst ungeschickte Nachgrabungen, welche jedoch, so ungeschickt sie auch ^n mögen, trotzdem, fo reich an Antiquitäten ist nämlich lnnner noch dieses Trümmerfeld, manches interessante Alterthum zu Tage gefördert haben. Aber leider sind alle diese 304 Alterthümer für die Wissenschaft so gut wie verloren, da sie nicht gehörig verwahrt und beaufsichtigt und so von den Dienern des Ministers je nach Belieben verschleppt und zerstreut werden. Der Fehler, in welchen die meisten der Nachgräber in karthagischer Erde verfielen, scheint mir der zu sein, daß sie ihren eignen Entdeckungen eine zu große Wichtigkeit zuschrieben, indem sie namentlich viele Kunstgegenstände für punische erklärten, während doch die größte Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß, mit Ausnahme der fthönicischen Inschriftstafeln (und selbst von diesen sind viele neuphönicisch, andere, zwar mit der älteren Vuchstabcnform geschrieben, nähern sich jedoch in ihrer dialectischen Eigenthümlichkeit entschieden dem neu-phönicischen Idiom), alle den: römischen und nicht dem älteren Karthago angehören. Von diesem Irrthum scheint mir auch Davis nicht frei zu sein. Die von ihm aufgedeckten, oft sehr kunstreichen Mosaikfußböden tragen durchaus den römischen Typus und doch erklärt er viele davon für Punisch. Allerdings sind Darstellungen darunter, welche man auf den Cultus karthagischer Gottheiten beziehen kann. Aber diese Gottheiten wurden ja auch im römischen Karthago verehrt, wie wir durch die Kirchenväter wissen. Ich glaube, man kann überhaupt nicht vorsichtig genug zu Werke gehen, wenn man einem Kunstwert einen punischen Ursprung zuschreiben will. Wir wissen fast nichts von einer punischenKunst. Freilich gab es in Karthago griechische Künstler und von diesen mögen einzelne Kunstgegenstände herstammen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist, daß neun Zchntheile aller in Karthago entdeckten Kunstgegenstände römisch oder byzantinisch und nicht ftunisch seien. Auch Gegenstände christlicher Kunst sind unter den in den karthagischen Nachgrabungen gefundenen Alterthümern sehr zahlreich vertreten. So befand sich noch vor einem Jahre im Museum des Ministersohnes em sehr geschmackvolles byzantinisches Tauf- 305 kecken von Marmor, dessen Rand als Rundschrift einen Bibcl-Vers im correctestm Griechisch (bekanntlich eine Seltenheit auf byzantinischen Denkmälern, die gewöhnlich an Sprachfehlern eine große Auswahl enthalten) trug. Leider ist dieser interessante Gegenstand seitdem spurlos verschwunden, wie so Vieles aus diesen: Museum, dessen Zugang man in unverständiger Eifersucht den Gebildeten erschwert, während man dem rohen Personal des Hausdienstes, den Gärtnern, Negern, Eunuchen, gestattet, sich Tage lang darin herumzutreiben und mit den Steinen zu machen, was ihnen beliebt. Ich bin versichert, daß manches Alterthum in den letzten Jahren aus diesem Museum von unverständigen Dienern genommen und als Baustein einer Gartenmauer oder zu ähnlichem Zweck benutzt worden ist. Als wir den Häfen den Zoll unsrer Neugierde gebührend gespendet hatten, verließen wir das Trümmerfeld der eigentlichen Stadt, der Vyrsa, und ihrer Umgebung und begaben uns über Duär esch Schatt (die zerstreuten Häuser) nach der Vorstadt des alten Karthago, Megara, Wo wir noch die Reste cincr christlichen Basilika, sowie mehrerer Häuser sahen, welche sämmtlich dem römischen Karthago angehört hatten. Darauf bestiegen wir wieder die alte Miethlutsche: der Weinreisende bedauerte, einen Tag in Anschauung langweiliger Alterthümer verloren zu haben; der Iudenmissionar jammerte, daß wir nicht den Landungsplatz des Aeneas entdeckt hatten, Welcher nach seiner Meinung sich beim Dorfe Ssavydy bu Ssa'yd befand. Diesen Mangel hofften wir an einem andern Tage nachzuholen, freilich nicht, um den phantastischen Landungsplatz des Aeneas zu identificiren, sondern um das Gestade, welches der Missionar dafür hielt, zu besuchen, da dasselbe ebenfalls in der weiteren Umgränzung Karthago's inbegriffcn ist und wir nut dem Ausflug dorthin auch den nach den Katakomben beim Cap Qämart verbinden wollten. I. 20 306 Die beiden Franzosen waren nicht zu bewegen, diesen Ausflug mitzumachen, was uns insofern erwünscht kam, als wir ihn Zu Pferde, statt in der alten Miethkutsche, ausführen konnten, denn der alte Herr hätte unmöglich auf ein Pferd gekonnt. Wir drei also, der ganze, der halbe Engländer und ich, mietheten an einem der folgenden Tage drei tolle kleine berberische Pferde, denen ein flinkbeiniger Führer im Geschwindschritt zu Fuße nachfolgte, auch oft vorauslief, wenn er uns den Weg zeigen mußte. Nnscr Weg, der dießmal nicht der schlechten Fahrstraße zu folgen brauchte, ging querfeldein, und bald erreichten wir die noch sehr ansehnlichen Trümmer des oben erwähnten Aquäducts, Uon dem hier zwar keine stattlichen Bogen (solche giebt es nur an zwei Stellen) mehr stehen, dessen Linie aber deutlich durch eine lange Neihe kolossaler Vautrümmer von großen viereckigen Kalksteinb locken zu erkennen ist. Dieser ritten wir entlang bis an die Stellc, wo die Wasserleitung unsrer Annahme nach die dreifache äußere Mauer Karthago's, das heißt hier der Stadt im weitesten Sinne, erreicht haben mußte. Ich sage mußte, denn von dieser Mauer, welche nach Strabo vierstöckig war und Ställe für die Elephanten, sowie Wohnungen für zweitausend Soldaten enthielt, sind jetzt nur mehr sehr zweifelhafte Neste vorhanden. Diese Mauer, welche sich längs der ganzen Landseite Karthago's durch den Isthmus von dem Stagnum von Tunis an bis Zum heutigen Salzwassersumvf von ^oqra hinzog, besaß nach Strabo sechzig, nach Polybius nur fünfundzwanzig Stadien. Freilich wissen wir nicht, ob beide Autoren einerlei Maaß von Stadien meinten, d^ren es bekanntlich fünf oder sechs verschiedene Maaße gab. Jedenfalls verdient der letztere Autor, welcher selbst Kricgsmann war, in dieser Sache als Gewährsmann unser Zutrauen um so mehr, da feine Angabe, wenn wir nämlich annehmen, daß er olympische Stadien, deren etwa acht auf ein römisches Mil- 30? liarium gingen, gemeint habe, mit der Wirklichkeit überein--stimmt. Ob Strabo, wie Davis meint, die einfache Seemauer, welche an die dreifache Landmauer anstieß, mitrechnete und so seine sechzig Stadien, d. h. (angenommen, daß auch er olympische meinte) über sieben Millianen, herausbrachte, lasse ich dahingestellt sein und ist auch die ganze Frage wegen der Ungewißheit des Stadienmaaßes sehr schwer zu entscheiden. Unsre flinken kleinen Nosse trugen uns schnell den antiken Salinen entlang nach dein Cap Qämart, wo sich der dreihundert Fuß hohe Dschebel Chäwy erhebt. Dieser Hügel verdient seinen Namen, welcher „der hohle Berg" bedeutet, vollkommen, denn sein Inneres ist durch und durch von laby-rinthischm Katakomben durchzogen. Allem Anscheine nach war hier der Begräbnißplatz des späteren christlichen Karthago, denn die weiten Räume der Todtennischen deuten auf Beisetzung der Leichen, nicht auf Aufstellung der Ollae in Co-lumbarien. Allerdings wurden auch im pumschen Karthago die Leichen unverbrannt beigesetzt, aber weder die Form der Gräber, noch auch ein einziger Fund berechtigen uns dazu, cm so hohes Alter dieser Hyftogäen anzunehmen. Vielmehr fand man ausschließlich hier christliche Embleme und durchaus keine heidnischen. An einem Grab wurde das Symbol des siebenarmigen Temftelleuchters von Jerusalem eingemeißelt gefunden. Von dem Gipfel dieses „hohlen Berges" genossen wir einen höchst interessanten Vlick auf Karthago's Gefilde. Hier befanden wir uns am Westlichen Ende der Vorstadt Mcgara, bor uns hatten wir gen Westen einige Sandhügcl und eine Landzunge, welche den Salzsee von (>qra, der dort an die Saline angränzt, vom Meere trennt. Hätte diese Landzunge Nnnier bestanden, wie Estrupft annimmt, so wäre Karthago 6ar nicht eine Halbinsel zu nennen gewesen. Aber es scheint, Wie wir übrigens schon oben erwähnten, bewiesen, daß sie 20* 308 von neuerer Bildung ist und daß also früher der heutige Salzsee von Yoqra einen Theil des Meeres bildete. Damit fällt Gstruftft's ganzer Plan, welcher in diese Gegend den Kothon und auf den Dschcbel Chäwy die Byrsa verlegt und in der neueren Landzunge die historische Taenia von Karthago erblicken will. Antike Trümmer sind in dieser Gegend nur wenige, auf dem Dschebel Chäwy gar keine. Dieser ist vielmehr der reine Fels ohne alle Schuttaufhäufung. Am Strande hat jedoch Davis die Fundamente einiger Häuser entdeckt, von denen er eines für jenes historisch berühmte Landhaus des Hannibal hält, wohin dieser Feldherr sich nach Beendigung des zweiten vunischen Krieges flüchtete, ehe er in's Exil und in den Tod ging. Warum nicht? Wenn es ihm Vergnügen macht. Aber dann werfe er nicht mehr den älteren Plänen ihre Phantasterei vor, wenn sie eine Strafte der Mavalien, ein Haus der Dido und ein Stadthaus des Hannibal angeben. Die meisten Archäologen sind unverbesserlich und werden stets unverbesserlich bleiben. Dicht an den „hohlen Berg" gränzt das Vorgebirge Qämart, der äußerste nördliche Punkt der karthagischen Halbinsel. Auf ihm befindet fich die Nuine eines wahrscheinlich mittelalterlichen Castells. Hier wollte der Iudenmissionar den Punkt entdecken, von wo aus Venus im Virgil dem Aeneas die Stadt Karthago gezeigt habe. In der That eignete sich auch wohl kaum eine Stelle besser zu einer Rundschau auf die alte ftunische Stadt, denn vom Cap Qämart übersieht man mit überraschendster Deutlichkeit ihr weitausgcdehntes Gefilde. Am Fuße dieses Vorgebirges liegt das nach ihm benannte freundliche Dörfchen Qämart, schon der dritte bewohnte Ort innerhalb des weiten Trümmerfeldes von Karthago, den wir auf unsern Wanderungen kennen lernten. Außer Duär esch Schatt, MoNqa und Qämart giebt es jedoch noch zwei andere 309 moderne Ortschaften im Stadtgebiete Karthago's, Ssayydy bu Ssa yd am Cap Karthago, und Ssayydy Daud, am Aquäduct gelegen. Aus dem Umstände, daß diese fünf Ortschaften, zu denen wir sogar noch eine sechste, ei Aryana, die jedoch mehr eine Aneinanderreihung von Villen und Gärten ist, rechnen können, in dem weiten Wüstengefilde, welches einst Karthago war, verschwindend klein erscheinen, kann man vielleicht besser als aus irgend welchen andern topographischen Angaben einen Begriff von der Ausdehnung der alten Punierstadt gewinnen. Das Wort Qämart, wahrscheinlich vom hebräischen und Phönicischen 1Q2 abzuleiten, deutet auf ein heißes, der Sonne ausgesetztes und von ihrem Strahle versengtes Vorgebirge, eine Bezeichnung, welche auf diesen trocknen Kalksteinfelsen vollkommen paßt. Was die Etymologie des Wortes Karthago selbst betrifft, so wird dasselbe allgemein von Karth Chadascha, (N^"is-^5N^) d. h. „die neue Stadt" abgeleitet, woraus durch Neglassung der beiden Endsylben Karthacha und später Karthago entstanden sein soll. In der griechischen Form A^x^m", Karchcdon, haben sich sogar noch mehr Buchstaben des fthö-mcischen Namens erhalten. Davis will in Karthago das Tarschisch der heiligen Schrift sehen, welches bis jetzt immer für ein großes phönicisches Emporium in Spanien gehalten Wurde, doch auch hiefür sind seine Beweise nicht stichhaltig. Der Name Karthago hat sich noch in der Benennung des Vorgebirges erhalten, welches sich bei Ssayydy bu Ssa yd erhebt, und wohin wir nun unsre Schritte lenken sollten. Der Weg dahin führte uns durch jenen Theil der einstigen karthagischen Vorstadt Megara, welchen man jetzt Marssa nennt. Hier befinden sich die Villen und mitunter recht schönen Gärten vieler tunisischer Reichen sowohl, als die der Prinzen des fürstlichen Hauses, welche in der Marfsa den Sommer zuzubringen pflegen. Da wir auf dem Wege von hier uns etwas Vom Meere entfernten und ungefähr bis in die Mitte der 310 Halbinsel landeinwärts vordrangen, so erreichten wir die alte Römerstraße, welche die Byrsa mit dem Stadttheile beim Cap Qamart verband und von der noch spärliche und nicht sehr deutliche Spuren vorhanden sind. Nach einein Ritt von etwa dreiviertel Stunde erreichten wir das arabische Dorf Ssayydy bu Ssa yd, nach einem hier gefeierten arabischen Heiligen so genannt. Es liegt auf dem höchsten Punkt des Vorgebirges und überhaupt der ganzen karthagischen Halbinsel. Von Weitem nahm es sich sehr ansehnlich, beinahe wie eine Stadt aus. Im Innern zeigte es jedoch viel Verfall und Schmutz, wie alle arabischen Ortschaften. Am Fuße des Hügels, auf dem es erbaut ist, befinden sich einige Felsengrotten. Hier wollte der Missionar durchaus den Landungsplatz des Aeneas erblicken und fing an folgende Verse aus Virgil zu citiren: Uebcrhängende Felsen nach vorne gekehret beschirmen Eine mit Quellen und Felsensitzen versehene Höhle. Aeneis I, 166. Wir konnten freilich hier weder Quellen noch besonders charakteristische Felsensitzc entdecken, aber das störte den Bewunderer des Virgil nicht. Er sagte auf englisch, es käme nur auf einen „»trowi, ut'im«H'i,ii3,ti0n", eine Anstrengung der Phantasie, an. Ich glaube aber, die meisten archäologischen Pfuscher haben gar nicht nöthig, ihre Phantasie noch anzustrengen, dieselbe liefert ihnen ohne alle Anstrengung schon die blühendsten Uebertreibungen. Uebrigens hat Davis, und ich glaube vor ihm schon Chateaubriand, den Satz aufgestellt, daß Virgil wirklich die Ufer des karthagischen Golfs und nicht ein bloßes Phantasiegemälde geschildert habe und auf diesen Punkt denke ich bei meinem Ausflug in die Dachla, wohin Davis den Landungsplatz des Aeneas verlegt, zurückzukommen. 311 Wir waren vor den Bewohnern von Ssayydy bu Ssa yd, als vor schr fanatischen Moslims und besondern Feinden aller Europäer, gewarnt worden. Dennoch sollten wir sie nicht so finden. Wir ließen uns in dem einzigen kleinen Kaffeehause, dessen sich die Ortschaft rühmt, nieder, in einem höchst kläglichen Local, so kümmerlich eingerichtet, wie nicht die ärmste Vauernkneifte in Europa, und dennoch bekamen wir in dieser Spelunke einen so ausgezeichneten Kaffee, wie man ihn in den luxuriösesten Kaffeehäusern Europa's umsonst sucht. Neben uns hatten sich einige zwar sehr Zerlumpte, aber, wie wir vernahmen, ganz wohlhabende Bürger niedergelassen, von denen einer, ein uraltes Männchen mit langem weißen, in eine sehr scharfe Spitze zulaufenden Vart, sich mit uns in ein Gespräch einließ, im Laufe dessen er sich bald als ein ausgedienter Seeräuber entpuppte. Wir brannten natürlich vor Begierde, ihn etwas von seinen Abenteuern erzählen zu hören. Aber dazu war das alte Männchen nicht zu bringen. Er war jetzt fromm geworden, befolgte mit Aengstlichkeit die kleinlichsten Ceremonialvorschriftcn des Islam und enthielt sich aller weltlichen Dinge. Vielleicht mochte er uns auch für unwürdig halten, etwas von dem „heiligen Krieg", denn so Wird die Seeräuberei meistens bezeichnet, mit unsern unheiligen Ohren zu hören. Aber einer andern Erzählung über einen ebenfalls geheiligten Gegenstand hielt er uns nicht für unwürdig, vielleicht sollte dieselbe auch unser Seelenheil befördern und uns durch die Gnade des großen Heiligen, Ssayydy bu Ssa yd, dem Islam zuführen. Diesen, den Schutzpatron des Dorfes, betraf sie nämlich. „Ssayydy bu Ssa yd", so erzählte der Alte, „war ein Kroßer Heiliger, welcher alle möglichen Wunder wirken konnte. 3ür euch, o ihr Ungläubigen", so aftostrofthirte er uns nun direct, „möchte es wohl von hervorragendem Interesse sein, zu vernehmen, durch welches Wunder er einen eurer Glaubens- 312 genossen, einen christlichen Schissscaftitän, zum Islam bekehrte. Dieser Rumy, obgleich ein Ketzer, erfreute sich dennoch vermöge der göttlichen Vorausbestimmung, welche ihn zum künftigen Moslim ausersehen hatte, der Gunst des Heiligen, so daß dieser den Umgang mit ihm nicht scheute und ihn sogar oft auf seinem Schiffe zu besuchen pflegte. Eines Tages versuchte der Caftitän, den Gott durch Nacht zum Licht zu leiten beschlossen hatte, dem Heiligen einen Streich zu spielen. Er ließ nämlich plötzlich, als derselbe eben zum Besuch bei seinem noch in Glaubensnacht befangenen Freunde auf dem Schiffe war, dieses unter Segel gehen. Aber der Heilige, Welcher die List merkte, bemitleidete den armen Ketzer, welcher vermeinte, ihm etwas anthun zu tonnen, er lächelte nur und sagte: „Du wirst nicht weit kommen!" In der That kehrte auch das Schiff, ehe es sich noch einen Knoten vom Lande entfernt hatte, plötzlich wieder, gegen alle Wahrscheinlichkeit, gegen conträren Wind und Strömung an die Stelle zurück, von welcher es ausgelaufen war. Run stieg der Heilige aus und der Capitän ging bald darauf ohne ihn unter Segel. Aber trotzdem ereignete sich auch dießmal dasselbe Wunder. Das Schiff kehrte auch dießmal schleunigst an's Land zurück und der Capitän zerbrach sich den Kopf über den Grund dieses mysteriösen Ereignisses. Bei seiner Landung sollte ihm dieser jedoch klar werden. Der Heilige, welcher am Ufer stand, rief dem Caftitän zu: „Ich hatte meine Schuhe auf dem Schiffe aus Vergessen zurückgelassen, darum tonnte es seine Fahrt nicht fortsetzen." Der Capitän konnte einer so Wunder-thätigen Bekräftigung der göttlichen Mission des Heiligen nicht widerstehen, warf sich ihm reuig zu Füßen und rief: „Ich erkenne, daß Du ein großer Heiliger bist, aber ich werde nicht eher mich zu Deinem Glauben bekehren, als bis Du mir eine neue Probe Deiner Wunderkraft gegeben haben wirst. Ich möchte ein Mittel gegen das Ertrinken bei einem Schiffbruch 313 besitzen, welches ich bisher von all' unsern Priestern umsonst verlangte, die zwar viel Geld nahmen, aber das Wunder nicht bewirken konnten. Der Heilige erwiderte: „Du bist zwar kleingläubig, aber ich will Dich schon zum Glauben zwingen." Darauf gab er ihm eine Schnur von Kameelhaaren, die seinen Turban zu umschlingen Pflegte und empfahl ihm, sich dieses heiligen Talismans niemals zu entledigen. Als nun der Capitän bald nachher Schiffbruch litt, wollte er sich die Schnur um den Hals binden, um zu versuchen, ob er sich durch ihre Nundertraft retten könne. Aber seine Matrosen, Welche wußten, von wein die Schnur herstamme, entrissen sie ihm und zerschnitten sie in so viele Stücke, als sie Köpfe zählten: fie gaben jedem uon ihnen ein Stück davon, dem Capitän nicht mehr und nicht weniger als den andern. Obgleich nun letzterer befürchtete, die Schnur tonne durch Zerschneidung ihre Wunderkraft verloren haben, so war doch dein nicht also. Nicht nur er, sondern alle Matrosen schwammen durch Hülfe des Talismans Tage lang und kamen alle bei dem Wohnort des Heiligen an's ^and, obgleich sie weit davon Schiffbruch gelitten hatten. Dieses Wunder war zu offenbar. Der Capitän und alle Seeleute bekehrten sich und wurden die frömmsten Moslims." Der Rückweg von Ssayydy bu Ssayd führte uns dem karthagischen Golf entlang an die schon oben beschriebene Stelle, wo sich am Fuß und auf dem Hügel des modernen arabischen Forts die wichtigsten Handelsbauten des späteren römischen Karthago grupviren, in deren Nähe die berühmten Dawamiß esch Schaytän, die ui^tm'n^, liegen. Auf dem Wege dahin kamen wir jedoch noch an eine andere höchst in-teressante Stelle und wichtige Ruine, in südsüdwestlicher Niching vom Fuße des Hügels von Ssayydy bu Ssayd in der ^ä'he einer nun unbewohnten Villa des letzten tunisischen Akib et 'faba (Großsiegelbewahrers), nach dessen Tode das 314 Amt aufgehoben wurde, gelegen. Hier befinden sich am Meere Felsengrotten, trefflich zu Seebädern geeignet und gleich daneben die zwar kümmerlichen, aber doch deutlich nachweisbaren Neste eines Thores, welches wir keinen Anstand nehmen mit Davis für das Seethor von Karthago Zu halten, natürlich mit der Restriction, daß wir den jetzt noch stehenden Bauresten keinen punischen Ursprung zuschreiben, sondern lediglich annehmen, dieses Thor könne im späteren römischen Karthago dieselbe Stelle und Bedeutung eingenommen haben, wie sein ftunischer Vorgänger im ursprünglichen. Was noch von diesem Thore steht, sind vier durch einen zehn bis fünfzehn Schritt breiten Naum getrennte Pfeilermassen oder vielmehr Pfeilerbruchstücke, von denen die zwei mittleren etwa 20 Fuß breit sein mögen und fensterartige Oeffnungen mit Gewölben darbieten. Besaß dieses Thor wirklich die Bedeutung eines Seethores, das heißt bildete es den Eingangspunkt für die in Karthago zu landenden Waaren, so würde dieser Umstand, verbunden mit demjenigen, daß an dem nahen Hügel des jetzigen arabischen Forts eine Gruppe von Handelsbauten vereinigt war, uns zu der Vermuthung berechtigen, daß hier ein Handelshafen befindlich gewesen sei. Da wir nun aber die Lage des Handelshafens im alten punischen Karthago kennen, so liegt die Annahme auf der Hand, daß der beim Seethore gelegene erst zur Zeit des späteren römischen Karthago eine solche Bedeutung erlangte. In der That mochte wohl der einstige Handelshafen Altkarthago's im römischen Karthago nicht mehr seinem ursprünglichen Zwecke entsprochen haben. Der von Scipio erbaute Steindamm, welcher dessen Ausgangs-canal versperrte, wurde nie hinweggeräumt, denn seine Reste sind noch heute vorhanden. Der alte Handelshafen konnte also nur durch den Kriegshafen und dieser durch den ganz kurzen Canal, welchen die Karthager in der letzten Noth, als 315 Sciftio ihren andern Ausgangscanal versperrt hatte, gruben und der, wie ich glaube, später offen blieb, mit dem Meere eine Verbindung unterhalten. Diese Verbindung scheint aber Zu umständlich gewesen zu sein und so zogen es die Kaufleute im römischen Karthago vor, einen neuern Hafen für ihre Handelsschiffe zu gründen und dieser kann nur am Seethore und Zwischen demselben und dem Nferwasser am Fuße des Forchügels gelegen haben. In der That erblicken wir hier im Uferwasser zahlreiche Quaderblöcke, ganz von der Art, wie sie zu einem Hafendamm verwendet zu werden pflegten, denn obgleich die Sicherheit des Golfs im Ganzen den Schiffen auch ohne den Schutz eines Molo genügen konnte, so war doch für ausnahmsweise Stürme ein solcher wünschenswerth und gewiß auch vorhanden. 316 Keuntes Kapitel. Bü Schatir (Utica) und Biserta (Hippo Zaritus). Moderne Vesarderungsmitlel und Uerlttyrserleichlerung. — Meiit Aeisegesljyrie, der Vüerst. — Fahrt lüs zom Nedschttda, — Schlammiglieil dieses Flusses. — Tcrrainveriinderuügen seil dem Allerlljum.— V>> Ich^ttix und VedeuNüig des wottes. — Die hijsen von Mica.— Der Raiml. — Die warme Nuell'e.— Die Schildkröten,— Amphithcaier, — MsservelMtt.— Hunger der Schild, kruleu. — Oer 5ee no» ftoilo Farina. — A!jär el Melah. — Ol>5 „haus des Ve^j," — Fahrl nach Vijerla.— Aömijche Amnen.— Cusiinilmrien. — Der 5ee von Aijerla. — Feieilicher Empfang in Biserla.— Fejl der 5pahis zn Ehren meines Ueiseliegseilürs. A5enn auch im Allgemeinen ein Land des Stillstandes in der Civilisirung und folglich (da es keinen absoluten Stillstand giebt) ein ^and des Rückschrittes, so bietet doch die Regentschaft Tunis in Einzelheiten die damit im Widerspruch stehende Erscheinung dar, daß sich Manches im Laufe der letzten zwanzig oder dreißig Jahre verbessert oder vervollkommnet hat. Zu diesen Einzelheiten gehört namentlich die Verkehrserleichterung, deren unleugbaren Fortschritt ich selbst aus eigner Erfahrung zu beurtheilen verursacht ward. Zur Zeit meiner ersten Reise in diesem Lande gab es außer der kurzen Strecke zwischen Tunis und Karthago und zwischen ersterer Stadt und dem Palast der Mohammadiya keine einzige fahrbare Straße in der ganzen Regentschaft. Jetzt ist das anders geworden. Man kann jetzt Reisen von fünf-oder sechstägiger Dauer in einer Richtung hin im Nagen zurücklegen, während man früher auf das Reiten allem angewiesen war. So sollte ich denn auch bei meiner letzten An- 31? Wesenheit in Tunis in den Stand gesetzt werden, den Ausflug von dieser Stadt nach den Ruinen von Utica und Hippo in letzterer bequemer Weise zu machen. Zu diesem Ausflug hatte sich mir ein Reisegefährte octro-Yirt, ein Mann, den ich nicht zurückweisen konnte, da er mir in Tunis eine gewisse Gastfreundschaft erzeigt hatte, der zwar von Alterthümern keine Ahnung besaß, aber doch in andrer Beziehung auf dieser Fahrt unterhaltend zu werden versprach. Es war ein Oberst von der unregelmäßigen Neitertrupfte der Sftahis, dessen officielle Residenz die Stadt Viscrta bildete, welche aber selten das Glück genoß, den tapferen Krieger in ihren Mauern zu besitzen. Dicßmal machte ihm aber die bevorstehende Olivenärndte einen Ausflug dorthin wünschenswert!), namentlich, da er nur dadurch Aussicht besaß zu einigem Gelde zu kommen. Seiner Person nach war er ein Prachtexemplar von einem Stadtaraber, der aber etwas von dem kriegerischen Wesen der Landbewohner angenommen hatte. Der ersteren Classe gehörte seine Statur an, die sich ganz Mer fleischigen Ueberfülle erfreute, wie man sie nur bei Städtern, bei den Beduinen aber nie findet. Der letzteren entsprach sein mehr entschlossenes Wesen, sein männlicherer Sinn und vor Allem eine gewisse Liebe zur Abenteuerlichkeit, welche den Nomaden zu charatterisiren pflegt. Bei dem Allen War er gutmüthig, zwar jetzt im heiligen Monat Na-madhan bei Tage etwas verstimmt, aber dafür Pflegte er nach Sonnenuntergang in der süßen Verdauungsscligkeit desto hei-, ierer aufzuthauen. Dieser Ritter tonnte natürlich nicht ohne Sancho Pansa sein. Letzterer war in der Person cincs Burschen mit sehr großen Augen und sehr buschigen Augenbrauen vertreten, "essen unbeschreibliche Dummheit ganz zu dem würdevollen AlNte paßte, welches er versah. Dieses bestand nämlich hauptsachlich im Pfeifenstopfen, denn der Oberst war schon ältlich 318 und folglich altmodisch und hatte sich nicht die neumodische Cigarette, die sonst in Tunis allgemein vorherrscht, angewöhnt. Sancho Pansa hieß Mohammed, ebenso wie sein Herr, weß-halb ihre Heldenthaten oft vielfach verwechselt, d. h. die Dummheiten des Dieners dem Herrn zugeschrieben wurden u, s. w. Wollte man sie anders, als durch Titel unterscheiden, so blieb nichts übrig, als den feinen den „dicken Mohammed", den andern nur schlechtweg „Mohammed" zu nennen. Der dicke Mohammed besaß eine einzige unangenehme Eigenschaft, welche zwar Anfangs, ehe man alle ihre üblen Folgen erprobt, amüsant zu werden versprochen hatte, welche aber in Wirklichkeit und auf die Dauer höchst störend zu werden drohte. Diese Eigenschaft war eine höchst übel angebrachte ehrgeizige Einbildung; übel angebracht, denn sie hatte sich ein Object erwählt, zu dem gar keine Berechtigung vorlag; dieses Object bildete die Kenntniß fremder Sprachen im Allgemeinen und der französischen im Besondern. Der gute Mann bildete sich ein französisch zu sprechen und das hatte die unangenehme Folge, daß er nur in den seltensten Fällen dazu zu bewegen war, arabisch zu reden, die einzige Sprache, deren er mächtig war. Statt mich also mit ihm in einer uns beiden verständlichen Sprache auszudrücken, ward ich nun zur wiederholten Anhörung einiger stereotypen französischen Sätze verurtheilt, welche der Oberst von meinem Bedienten (denn dieser war sein Sprachmeister gewesen) auswendig gelernt hatte und welche sich bei solchem Sprachlehrer natürlich durch ihre kühne Verachtung der Grammatik und Syntax auszeichneten. Der Umstand nur, daß dieser Bediente auch zugegen war und mit dem andern Mohammed zusammen auf dem Kutschenschlag saß, verschaffte mir die Möglichkeit, von diesem zu erfahren, was die Phrasen seines Schülers, die ich meist nicht verstand, denn eigentlich sagen wollten. Der erste Theil unsrer Fahrt führte uns am Bardo 319 und an der Alnncdiya, der großen Artillcriekascrne, vorbei, in nordwestlicher Richtung dem unteren Laufe des Ued Med-scherda zu, welchen wir nach drei Stunden erreichten. Auf dem Wege waren wir an zahlreichen Olivcnvflanungen, dem hauptsächlichen und heutzutage fast einzigen Reichthum Tunisiens, vorbeigekommen, hatten dann einen kleinen Marabut, Namens Ssayydy Merwan zur Linken, und eine hübsche Fontäne, welche im hiesigen Dialect den verderbten Namen Ssab-bäla (Regenguß) führt, sowie ein einst prächtiges, nun ruinen-haftes Landhaus des verstorbenen s^al.nb et "laba (Großsiegelbewahrer), des letzten, welcher diesen nun abgeschafften Ministcrposten versah, zur Rechten gelassen. Interessant wurde jedoch das Terrain erst, als wir am Ufer des Medschcrda angekommen waren. Dieser bedeutendste Fluß der Regentschaft, im Vergleich mit unsern deutschen Flüssen freilich noch immer tlein genug, da er weder schiffbar ist, noch eine ansehnlichere Breite besitzt, als etwa der Alain oder Neckar in dem obersten Theile ihres Laufes, ist nichts andres, als der historische Bagrades, in den punischen Kriegen so häufig erwähnt. Iln der weiter unten zu eitirenden Beschreibung seiner schlammigen Ufer, seines langsamen Laufes und seines schmutzigen Nassers, welche der römische Dichter Silius Ita-licus giebt, läßt er sich noch heute erkennen. Diese Schlammigkeit, die im Laufe der Jahrhunderte eher zu- als abgenommen hat, bildet auch die Ursache der großen Terrainvcr-schiedenhcitcn, welche diese Gegend heute im Vergleich mit 'hrer Beschaffenheit im Alterthum darbietet. Das alluviale Erdreich, welches diese steten Ablagerungen von Schlamm seit bem Alterthum an einzelnen Stellen neu schufen, an andern nur vermehrten, füllt jetzt einen ungleich, ja ganz auffallend b"l größeren Raum als zur Zeit der punischen Kriege. Dadurch ist Utica, der einstige Seehafen, nun zu einem Bin-Ncnorte geworden, der über eine deutsche Meile von der Küste 330 entfernt ist; dadurch ist auch ein Arm dieses früher an seiner Mündung ein Delta bildenden Flusses (nach Julius Honorius, der von mehreren Ausflüssen spricht) im Laufe der Zeiten ausgefüllt worden, so daß man nun von Oa8tr Alli-Ms freilich an Ruhm bedeutend gegen seine Schwesterstadt Hippo i-ogiu» zurückstehen. Aber dennoch rühmt es sich vieler Märtyrer, unter denen auch der Bischof Petrus, der 255 auf dem Concil von Karthago erschienen, später den Zeugcntod starb. Gin schwarzes Schaf scheint der um 400 lebende Bischof Equinus von Hippo Diarctorum (wie es bei dieser Gelegenheit genannt wird) ge-lvrsen zu sein, denn nachdem er „od iüM'uIntiltLm o.ju»" von ewer Kirchenversammlung verurtheilt worden war, und sich "uf den heiligen Stuhl berufen hatte, dessen Beschluß sich aber nicht fügen wollte, mußten zwanzig Bischöfe nach Hippo abgeschickt werden, um ihn abzusetzen. Sie erwählten an seiner stelle Florentinus, der im Jahre 411 auf dem Concil zu Karthago erschien und im Donatisten Victor einen schismatischen Gegenbischof hatte. Später erschienen noch Marianus Und Palmatius auf den Concilen von 484 und 525, und im Jahre 646 wird Donatus im Streit wegen des Monothele- tismus erwähnt. 22» 340 Leider ist jene Inschriftstafel auch Alles, was sich von den Resten der alten Colonia erhalten hat. In archäologischer Beziehung bot also Viserta meiner Neugierde nur durch seine Topographie Interesse. Für eine Unterhaltung ganz andrer Natur hatte jedoch mein Reisegefährte gesorgt, der dicke Oberst, welcher schon am Tage nach meiner Ankunft mich im Där ei Bey, dem Negierungshause, in dem ich abgestiegen war, abzuholen kam und mich zu einem arabischen Feste führte, welches, wie er sagte, mir zu Ehren, welches m der That aber für ihn selbst von seinen Untergebenen veranstaltet worden war. Auf einem freien Platz einer der Vorstädte hatte sich die ganze Schaar, welche der Oberst commandirte und die allerdings weitentfcrnt davon war, ein Regiment zu bilden, sondern nur aus fünfzig Mann bestand, aufgestellt und gewährte mit ihren wallenden Burnussen, ihren kleinen, aber feurigen Pferden einen sehenswerthen Anblick. Leider hat sich die Pferderasse in Tunisien in den letzten 20 bis 30 Jahren dergestalt verschlechtert, daß ein schönes Pferd nun zu den größten Seltenheiten gehört. Namentlich die Pferde der Ebene, welche die eine Kategorie der hiesigen Nasse bilden, und sich durch höhere Beine, schlankeren Hals und feineren Körper vor den kräftigeren, gedrungenen und kleineren Verg-pferden unterscheiden, sind so entartet, daß man unter zehn kaum ein für den Militärdienst taugliches findet. Die Ursachen dieser Verschlechterung der Nasse sind ohne Zweifel in der Unsicherheit des Besitzes zu suchen, indem der Eigenthümer eines schönen Pferdes beinahe sicher sein kann, daß dasselbe ihm von der Negierung genommen wird, um als Geschenk entweder an irgend einen europäischen Fürsten (denn in diesem jetzt so pferdearmen Land bilden dennoch immer noch die Pferde der alten Tradition zu Folge die üblichen Schentungs-gegenstände) oder einem hiesigen Großm, oder auch irgend einem jener Schwindler, welche mit der Negierung Geschäfte 341 haben, geschenkt zu werden. So wurden neulich einem meiner arabischen Bekannten zwei der wenigen guten Pferde, die es in Tunis noch gab, ohne Weiteres weggenommen und einem italienischen Doctor, der irgend einen schwindelhaften Vertrag mit der Regierung abzuschließen dachte und den Bey vollkommen für sich gewonnen hatte, geschenkt. So boten denn auch diese Pferde der Sftahi's nicht jene schöne Erscheinung dar, welche man sich von berberischen Pferden, die ja bekanntlich eine Abart der arabischen Rasse bilden, erwarten sollte, aber dennoch liegt so viel Feuer, Kraft und Gelenkigkeit in dieser trefflichen Nasse, daß ich wahrhaft erstaunte, wie so unbedeutend aussehende Thiere solch' edle Bewegungen, solchen kühnen'Flug entwickeln konnten. Die arabische „Phantasia" ist im Allgemeinen zu bekannt, als daß ich die, deren Zeuge ich hier ward, noch beschreiben dürfte. Sie ging übrigens zu allgemeiner Befriedigung und zu der des Oberst von Statten. Nachher lud mich letzterer zu einem großen Thurm von Kusstussu ein, von dem sich seine Untergebenen wirklich ganz ungeheure Massen zu Gemüth führten, und das Fest beschloß ein Tanz oder vielmehr das Ansehen der erotischen Verzückungen einer rabenschwarzen Terpsichore, welche es in der Kunst, sich den Bauch anscheinend zu verrenken, sehr weit gebracht hatte. Am nächsten Morgen, als ich mich eben vom Oberst trennte, der in Biscrta. blieb, um seines schwierigen Amtes zu warten, welches hauptsächlich im Gcldcrpressen von seinen Untergebenen bestand, wartete meiner noch von Seiten dieses trefflichen Mannes eine süße Ueberraschung, süß nicht etwa im bildlichen, sondern im buchstäblichen Sinne des Worts, denn ich wurde von ihm mit einigen zehn Pfunden eines nach arabischen Begriffen trefflichen, mir jedoch unausstehlichen Gepäcks Mit Honig und Oel ausgestattet. Durch diese splendide Gabe sollte ich für den Verlust, den mir die Schildkröten bereitet 342 hatten, entschädigt werden. Leider ging jedoch diese gute Absicht verloren, denn ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als das entsetzliche Backwerk, welches den ganzen Wagen in eine Traufe von Oel und Honig zu verwandeln drohte, dem ersten besten Beduinenlager zu schenken, das ich nach meiner Abreise von Biserta antraf, ein Umstand, der mir noch tausendfältige Segnungen in Worten zuzog, mit denen beladen ich glücklich wieder in der „grünen Stadt", Tunis, anlangte. H n h a n g. mumiäe^im ^ömci^Hen Iilscl'ui^en nu8 ^eu Ruinen von Raülittgo von Aeinrich Ireiherrn von Maltzan. Mit 8 lilhogfaphirlm ^aftln, enlhallend 59 Inschrift««. Anhang. Neber die neuentdeckten phönicischen Inschriften von Karthago. Aie von uns in Tunis und Umgegend copirten neuentdeckten fthönicischen Inschriften, über deren Fundort und jetzige Aufbewahrungsstätte, sowie über unsre Benutzung derselben wir uns schon in der Vorrede ausgesprochen haben, geben wir hier in der Reihenfolge, in welcher sie zu unsrer Benutzung gelangten, das heißt: 1) Die wichtigsten Dankinschriften im Museum des Lustschlosses el Manuba. 2) Die einzige in neuester Zeit gefundene Grabinschrift, gleichfalls aus el Manuba. 3) Die wichtigsten Dankinschriften im Museum des Lustschlosses zu Karthago. 4) Einige Dankinschriften, im Hafenstädtchen „la Goletta" bewahrt. 5) Als eine Auslese aus dem Inhalt der weniger wichtigen Dankinschriften in den beiden Museen (die Gesammtzahl beläuft sich auf 148), welche wir gleichfalls alle copirten, aber nicht der Mühe werth halten, wiedergegeben zu werden, lassen Wir die Liste der in ihnen vorkommenden Eigennamen und die Angabe der Ziffer, wie oft jeder einzelne Name vorkommt, folgen. 6) Am Schlüsse geben wir noch ein Vocabularium aller neuentdcckten, erst durch diese Inschriften bekannt gewordenen 346 Eigennamen und Wörter, selbst der zweifelhaften, die jedoch durch ein Fragezeichen hinlänglich unterschieden sind. Unter den 148 Inschriften im Besitz des Ministersohnes von Tunis befinden sich auch einige dreißig, welche der Eigenthümer im Jahre 1867 zur Ausstellung nach Paris geschickt hatte und die jetzt wieder in el Manuba sind. Man hatte wahrscheinlich, um auf der Ausstellung zu figuriren, die interessantesten auswählen wollen; da aber das Museum nie einem Kenner gezeigt worden war und der Eigenthümer weniger als nichts von fthönicischen Alterthümern versteht, so hatte man sich bei der Auswahl natürlich nicht von der philologischen Wichtigkeit der Inschriften, sondern nur von dem in die Augen fallenden Theil dieser Denkmäler, das heißt, den mehr oder weniger gut erhaltenen eingekritzelten Figuren leiten lassen. Diese Figuren, deren wir einige Beispiele zugleich mit den zu ihnen gehörenden Inschriften in den lithogravhirten Tafeln geben, sind alle kindisch, plump, im rohesten Kunststyl eines auf der tiefsten Kunststufe stehenden Volkes ausgeführt. Dennoch oder vielleicht grade deßhalb gefielen sie dem ungebildeten Museumsbesitzer so gut, daß er nur diejenigen Inschriften, welche von den nach seiner Ansicht schönsten Figuren umgeben waren, nach Paris schickte. Auf diese Weise kam fast nichts Anderes, als die allerunintercfsantesten Inschriften zur Ausstellung. Ein Wunder scheint es jedoch, daß unter diesen sich wirklich auch einige wenige befanden, welche für den Phönicologen Interesse bieten konnten. Die zur Ausstellung nach Paris gesandten Inschriften Wurden dort von Herrn L6on Nodet copirt und im Journal asiattiM (DüLLmdre 1868) veröffentlicht. Wir würden uns natürlich enthalten haben, solche Inschriften, welche bereits veröffentlicht wurden, hier wiederzugeben, wenn die von Herrn Nodet gemachten Copieen richtig wären. Da dieß aber nicht der Fall ist (wie auch ein Artikel von Herrn Longpöricr im 34? Aprilhcft des ^om-ual a^iati^uo von 1669 darthut), so geben Wir von denjenigen der in Paris ausgestellten Inschriften, welche einige Nichtigkeit besitzen, unsre eignen Copieen, die in manchen Stücken von denen des Herrn Rodet abweichen. Dieser Inschriften sind jedoch nur sieben (bei Rodet Nr. 1, 4, 5, 8, 11, 13 und 14, in unsrer Reihenfolge Nr. 3, 8, 14, 17, 18, 19 und 33), welche wir somit allein der Mühe werth halten, reprodueirt zu werden. Die andern dreizehn Inschriften in der Publication des Herrn Rodet (der im Ganzen nur 30 Inschriften giebt; von den 30—40, die in Paris waren, hat er über 10 ganz unwichtige mit Recht weggelassen) bieten zu wenig Interesse, zudem sind grade sie von Herrn Rodet richtig copirt, mit einziger Ausnahme seiner 3ten, wo ebenso wie in seiner 5ten fälschlich ^^ü^ copirt wurde, während ^'ü"Nx deutlich ist. Die Berichtigungen zu Herrn Rodet's Copieen, welche Herr Longpürier im Aprilhcft des ^uui-nai uSiatiM« 1869 veröffentlichte, waren uns erst zugekommen, als wir schon unsre Bemerkungen über Herrn Rodet's Copiecn geschrieben hatten. Um so mehr freuen wir uns, daß Herr Longpmier in vielen Dingen mit uns übereinstimmt. Auch er kann das Eberbaal "icht entdecken, sondern liest wie wir Asarbaal. Er giebt ledoch I Inschriften mehr, als Herr Rodet. Von diesen glauben wir die eine, die 14te bei Longfterier, in unsrer 32sten zu entdecken. Die andere, die 22ste bei Herrn Longftäricr, ist tucht mehr in der Sammlung des Ministersohnes zu finden, sie ist spurlos verschwunden, ebenso die 13te bei Rodet und "ie I3te bei Longpm-ier, Wie so viele andre Denkmäler, die ich im Frühjahre 1668 in cl Manuba sah und im Herbst desselben Jahres nicht mehr finden konnte. Die 2Zste Inschrift von Longpürier war mit numidischen oder neuphönici-schen Zeichen geschrieben. Nun hatte ich aber bei meinem ersten Besuch des Museums viele Inschriften (einige 20) mit 348 diesem Schriftthftus daselbst gesehen. Jetzt sind sie alle spurlos verschwunden, die Steine wahrscheinlich zum Bau benutzt, wie Alles zu Grunde geht/ was diesen Leuten gehört. Im ganzen Museum findet sich jetzt keine einzige Inschrift mit neuphönicischem Typus. Zie Z an km schuften in el Manuba. Die Inschriften beginnen, mit einer einzigen Ausnahme, mit der geläufigen, vielbekannten Formel: welche bekanntlich folgendermaßen übersetzt wird: Der Herrin Thanith, dem Angesicht Baal's und dem Herrn Vaal Chamon..... Von dieser stereotypen Eingangsformel weicht nur eine einzige, unsre 4liste, ab, indem hier die Votivformel umgekehrt erscheint, so daß „Baal Chamon" vor „der Herrin Tha« nith" genannt wird. Eine andere, nur orthographische Abweichung finden wir auf unsrer 25sten Inschrift, wo statt des üblichen ^ die verlängerte Form dt)O steht. Auf diese, die Götternamen enthaltende Eingangsformel folgt mit nur zwei Ausnahmen das bekannte "!"!) l^t>' (der-enige, welcher gelobte) oder tt"^ N'tt (diejenige, welche gelobte). Die Ausnahmen bilden die 20ste und 52ste Inschrift, in welchen statt des geläufigen "!"^ das schon aus der 23sten und 83sten Inschrift bei Davis bekannte KN: steht. Bei der 20sten fehlt auch das Relativum ^l<, ähnlich wie auf der I6ten bei Davis. Nm nicht unnütz jene bekannte Eingangsformel zu wiederholen, berücksichtigen wir in dem Folgenden nur die Eigennamen, die allenfallsigen Titel (von Amt oder Ehren) und 349 den Schluß der Inschriften, ähnlich wie Dr. Levy in seiner Besprechung der Davis'schen Inschriften (Pho'nicische Studien III, §. VII, S. 41). Das Verbum der Eingangsformel ^"v werden wir nur in den wenigen Fällen noch zu beachten haben, in welchen ihm eine Femininalendung angehängt ist, oder in welchen es, ohne daß eine solche Endung vorhanden, dennoch Femininalbedeutung besitzt. Letzteres ist auf der lOten, Uten, 34sten, 48sten und 57stm unserer Inschriften der Fall, ohne daß hier ein Zweifel übrig bliebe, da in keinem dieser Fälle das folgende Wort mit einem X anfängt, welches allenfalls als Schlußbuchstabe von ^i^ gelten könnte. Die regelmäßige Femininalendung 55^) ist auf sieben unsrer Inschriften (24, 27, 38, 39, 46, 49, 53) deutlich zu lesen. Die dem Neuphönicischen sich nähernde Form d>!)1"^ findet sich vollkommen deutlich nur in unsrer !)ten Inschrift; in der 13ten ist sie zweifelhaft; iu der i?ten scheint sogar ^!)"!1) mit zwei Ain zu stehen, doch ist dasselbe sehr undeutlich. Eine auf ein einziges )? auslautende Form des 1^«iu. III psrs. 8wF. ^61-f. ist nirgends deutlich nachweisbar. Den Schluß unserer Inschriften bilden, wie gewöhnlich, die Namen der Weihenden, denen in einzelnen Fällen der Wunsch um Erhörung folgt, theils in der bekannten Formel K2^ t<^ p^ 2 „wenn Du seine Stimme hörest, so segne lhn", theils in der kürzeren tt^ ^llll^ „erhöre seine Stimme" (s. Inschrift 12). Noch öfter scheint jedoch die Schlußformel unserer Inschriften den Dank nach erfolgtcr Erhörung auszudrücken, indem einfach 5^ xull^ ohne das darauf folgende «D12 steht, wie auf der Isten, 7ten, 32sten, 44sten und 47sten unserer Inschriften. Bei der 32sten ist es jedoch wahrscheinlich, daß ursprünglich KD12 stand und durch Verletzung der Inschrift in Wegfall gekommen ist. Als eigenthümliche, bis jetzt noch nicht vorgekommene Abweichungen von diesen mehr oder weniger bekannten Schluß- 350 formeln finden wir auf der 28sten Inschrift ^p statt «^, also „meine Stimme" statt „seine Stimme", und auf einer andern Inschrift K2^' statt tt^IN, d. h. „möge er ihn segnen" anstatt „mögest du ihn segnen" (s. Inschrift 85). Doch von diesen Ausnahmsfällen ausführlicher am geeigneten Ort. Sonst haben wir es in diesen Inschriften fast nur mit Eigennamen zu thun, durch das gewöhnliche j2 (Sohn) mit einander syntaktisch verbunden. Gin einziges Mal finden wir auch ^tt „Gattin" (Nr. 23) und ein andres Mal die Erwähnung eines Sohnes des Weihenden mit ^^1 „und sein Sohn". Ueber andere auf die Weihenden bezügliche Bezeichnungen, Ehrentitel u. s. w., übrigens äußerst selten vorkommend und meist noch zweifelhaft, müssen wir auf die einzelnen Inschriften verweisen. Wir lassen nun den Schluß der Inschriften, Von den Worten "!"<) ^55 an, folgen. 1) 2^« Adonbaal, Sohn des Naaljithen, Sohnes Des Abdesmun, Sohnes des Gerastoreth, Als er seine Stimme erhörte. Alle Namen sind bekannt, und wir würden diese Inschrift gar nicht wiedergegeben haben, wäre es nicht der Schlußformel wegen, in der kein Zweifel übrig bleiben kann, daß hier wirklich einfach t^s? pllll^ ohne darauf folgendes 5N-N steht. Somit finden wir hier das bestätigt, was Dr. Levy (Phömcische Studien III, S. 45) in Bezug auf die 39ste und 60ste Inschrift bei Davis ausspricht, während es bekanntlich bei der 5ten und 6ten Davis'schen Inschrift zweifelhaft ist, ob nicht ursprünglich ttH12 folgte. In unseren Inschriften finden wir die Weglassung dieses letzteren Wor- 351 tes, wie man unten sehen wird, viel häusiger als sein Vorkommen. Baalhanno, Sohn des Germiskor, Sohnes des Baalhanno. Auffallend muß hier der völlig neue Name „Germiskor" erscheinen, in dessen Lesung wir nicht zu irren glauben, da nur das vorletzte Zeichen einem Zweifel unterliegt, die andern aber alle vollkommen deutlich sind. Was das besagte Zeichen betrifft, so entspricht dasselbe allerdings ebensogut einem Vav, aber wir wüßten nicht, was wir aus "NH'N-!) machen sollten. "12Dn^ dagegen ist einer Deutung fähig. 12^2 leiten wir nämlich vom Verbum ^21^ oder 129 (beide Schreibarten kommen schon im Hebräischen vor) ab, welches bekanntlich nMßloogo «onäuxit^ bedeutet, und zwar als ein in der Art des Infinitiv von Ii;ü (der chaldäischen und syrischen Infmitiv-form) abgeleitetes Nomen, welches eine ähnliche Bedeutung haben dürfte, wie das aus gleicher Wurzel stammende hebräische ^->2t5'?2 (Lohn), das. sich nur durch die Femininalendung von unserm "!IO?2 (denn die Permutation des Sin in Samech bietet keine Schwierigkeit) unterscheidet. 1I2N12 würde also die Bedeutung von „Gast oder Freund des Lohnes" (amions wor«6lwm) und etwa den Sinn des lateinischen „moronwr" haben. Ein solcher Eigenname bei einem Handelsvolte wie den Phöniciern kann nur als passend erscheinen. Bis jetzt haben wir freilich das Wort ^ nur in Verbindung mit Gotternameu gefunden, aber es scheint uns nicht widersinnig, dasselbe auch mit einfachen Hauptwörtern verbunden zu denken. 352 Bodastoreth, Sohn des Asar- baal, Sohnes des Adramelech. Hier sinden wir zum ersten Male auf karthagischen Inschriften den uns aus Ies. 37, 38 und II. Kön. 19, 37 bekannten Eigennamen Adramelech aus "^llTi ^ik, d. h. „Herrlichkeit des Königs" gebildet. Wir sehen daraus, wie der äußerste Osten (Assyrien) und der äußerste Westen (Karthago) des semitischen Sprachgebiets vielfache Vcgegnungsftunkte, selbst in der Wahl ihrer seltneren Eigennamen, besahen. Diese Inschrift, welche sich unter der kleinen Anzahl der vom Ministersohn von Tunis zur Pariser Ausstellung von 1667 gesandten befand, wurde dort von Herrn Loon Nodet, gleichzeitig mit 1!> andern, coftirt und im .luuinlü ^smtiWL (U«L6mw6 1868) veröffentlicht. Die daselbst von Herrn Lüon Nodet (Seite 355) gegebene Copie zeigt sich jedoch in einem Punkte mangelhaft, indem sie nämlich das vorletzte Zeichen der dritten Zeile in der Form eines vhönicischen Beth abbildet, wodurch der völlig neue und bis jetzt nirgends con-statirte Name >P2"!I!>' (Gberbaal) herauskommen würde. Es ist wahr, Herr Rodet liest dieses Eberbaal noch auf einer andern Inschrift, der zweiten im Decemberheft 1868 des ^cmrnai ^Mlitujuo (Seite 353), auf deren Original, das wir im Museum in el Manuba sahen und covirten, jedoch ebensogut wie im vorliegenden Falle ein deutliches Sain statt des Beth Zu erkennen ist, und zwar annähernd an die bekannte Form, wie sie sich.auch auf I)r. Levy's alphabetischer Tafel (Phö-nicische Studien, erstes Heft, Tafel III) unter der Rubrik VI, ä. findet. Das von Herrn Nodet auf seiner ersten Inschrift (a. a. O. Seite 352) gelesene Vaaleber, ein Scitenstück zu diesem Eberbaal, ist ebensowenig stichhaltig, luie man sich 353 weiter unten, wo wir die besagte Inschrift als unsere 8te geben, überzeugen wird. Herr Longpürier macht über diese beiden Inschriften in Bezug auf ^'-^2p statt ^'2^0 dieselben Bemerkungen wie wir (^«mi'nlü ^nwticzuo, Nai8—^viil 1869, Seite 345). Bodeslnun, Sohn des Chimilkat, Sohnes des Esmunjithen (Sohnes des) Macharbaal. Alle Namen sind bekannt; nur Macharbaal unterscheidet sich von der gewöhnlichen Form dadurch, daß hier das Ha in Cheth ftermutirt hat, so daß wir also hier „Macharbaal" statt „Maharbaal" zu lesen hätten. Auffallend ist ferner, daß das Wort j2 zwischen den zwei letzten Eigennamen fehlt, eine Eigenthümlichkeit, welche wir weiter unten (in der ölten Anschrift) noch einmal, und zwar auch wieder vor dem Namen Maharbaal. beobachten, ein Umstand, der uns auf den Gebanken gebracht hat, daß Maharbaal zugleich als Zuname üblich war, wie wir auch später in lllDnp ein andres Wort finden werden, das gleichfalls als ein Zuname angesehen werden könnte. Auf den bekannten Namen „Abdmelkarth" folgen hier slvei Zeichen, welche wir nicht zu deuten vermögen, übrigens auch mangelhaft ausgeführt scheinen. 6) ^' 1^?x (p) Asarbaal, Sohn des Abdmelkarth (Sohnes des) Asmelech. Der Name ^Qip wurde bis jetzt nur einmal, und zwar w einem Fragment, nämlich mit fehlenden Endbuchstaben, ent-I. 23 354 deckt oder vielmehr vermuthet, und nur von Oi'. Levy so ge» deutet, während Andere diesen Namen nicht erkennen wollten. Wie richtig jedoch Dr. Levy die diesen Namen enthaltende 23ste Inschrift von Davis gelesen, beweist der Umstand, daß obige Inschrift ihn deutlich giebt. Das Fragezeichen, womit Dr. Levy in seinem Wörterbuch (Seite 37) diesen Namen noch begleitet, kann also in Zukunft wegfallen. Chimilkat, Sohn des Bodmelkarth, Sohnes des Aserbaal, als er seine Stimme erhörte. Ein weiteres Beispiel einer Dankinschrift, in welcher der Dank nach erfolgter Erhörung ausgedrückt wird, wie unsere Isle und die 89ste und 80ste Inschrift bei Davis. X?2I5', mit einem Aleph statt mit einem Ain geschrieben, sind et sich auf diesen Inschriften mehrmals. Baaleches, Sohn des Aris, Sohnes des Es- munamas, Sohnes des Melkarth- mathan, wenn du seine Stimme hörest, segne ihn. Außer den: bekannten Eigennamen Ans haben wir hier drei neue, Baaleches, Esmunamas und Melkarthmathan. Letzterer, den wir durch „Gabe Melkarth's" übersetzen, bedarf keiner Erläuterung, da er nach der Analogie der wohlbekannten Namen ^^Q und ^'ü^?2 gebildet ist. In Osmunamas dagegen zeigt sich der Göttername mit einem Verbum verbunden, welches uns bisher noch nicht auf phönicischen Inschriften vorgekommen war. Dieses Zeitwort 355 ist das hebräische 55:p, „tragen, stützen". ^xi?2^ würde also „Esmun hält aufrecht" oder „Esmun unterstützt" bedeuten. Der Name hat übrigens im Hebräischen seine bekannte Analogie im Eigennamen >^?^ (guom ^olwva in 8im, ^L»tat) II. (M-cm.. 17, 16. Was nun endlich den Namen Vaaleches betrifft, so erscheint das letzte Zeichen desselben allerdings etwas undeutlich, indem es nur aus einem verticalcn Strich und einer horizontalen Linie besteht, welche vom Mittelpunkt der ver-ticalen nach der linken Seite ausläuft. Aber, wenn wir es nicht etwa für ein verstümmeltes !< nehmen wollen (was jedoch wenig wahrscheinlich, da sonst die horizontale Linie eher zur Rechten sich verlängern und zur Linken nur angedeutet sein dürfte), so bleibt uns kein anderer Buchstabe, für den wir dieses Zeichen halten könnten, als Samech. Dadurch erhalten wir den etwas räthselhaften Namen ?'^!?-, dessen Etymologie jedoch uns einer Deutung fähig scheint. ??!? kommt in der Bibel in der Bedeutung „Fessel" oder im bildlichen Sinne für „der Gefesselte" vor (Gescnius Lexicon, Ausgabe 1847, S. 696: 51^ «umpo3 «onorew cUowm ost VW eompeäito vsl compoäiris). Die wirkliche Uebersetzung würde also „Fessel Baals" oder „der Gefesselte Vaals", und der Sinn etwa „der durch ein Gelübde an Baal Gebundene" sein. Auch diese Inschrift wurde von Herrn Löon Rodet (a. a. O. Seite 352 — 353) veröffentlicht und mit einziger Ausnahme von 22^2 so gelesen, wie von uns. Statt letzterem giebt jedoch Herr Rodet 1ü!?>>2 (Baaleber), ein Seitenstück zu seinem oben citirten „Eberbaal". Doch, wie dieses auf fehlerhafter Copie beruht, so sind auch bei der Abschrift unserer Inschrift zwei Zeichen von Herrn Rodet falsch wiedergegeben. Das vorletzte ist bei ihm ein 2, in Wirtlichkeit aber ein deutliches 2, das letzte bei ihm ein ^, 23* 356 Während es eine viel weniger ausgesprochene Form hat, die jedoch der eines Samech am Nächsten steht. Herr Longverier, welcher diese Inschrift als die 19te aufführt Journal ^8iÄtiMo Nui'8—H,vrI1 1869 Seite 354) kann ebenfalls das Baaleber hier nicht entdecken. Er liest jedoch nicht wie wir ^^'^'2, sondern "N>'5!)2; aber der fünfte Buchstabe dieses Wortes sieht bei ihm ganz so aus, wie ein phönicisches 2, nur scheint er ihn für ein verzogenes ? zu halten; der sechste ist gewiß kein deutliches Resch, sondern nur ein Strich mit einer Linie links, die mit ihm einen rechten Winkel bildet. Im letzten Eigennamen findet Herr Longftörier nicht das leichtertlärliche jliQliij?^, sondern einen völlig neuen Namen ^llN"^^, den er Mel-karthmoschel vocalisirt. Gegen die Richtigkeit dieser Lesung wollen wir nichts einwenden, aber der Name ist jedenfalls bis jetzt beispiellos. 9) ^2 15^ Diejenige, welche gelobte Methmelkarth (vielleicht Amethmelkarth?), Tochter des Bodmelkarth, Sohnes des Gersochen. Der weibliche Eigenname „Amcthmelkarth" ist bis jetzt nur in seiner Abkürzung „Methmelkarth" vorgekommen, und Wir glauben, daß wir ihn auch hier so auffassen müssen, da das Alefth uns dem vorhergehenden ^"15 anzugehören scheint. Eine Femininalendung auf !) allein ist bekanntlich im Phö-nicischen noch nicht nachgewiesen, dagegen kommt die verlängerte Form auf ^ selbst bereits im Altphönicischen vor, z. B. auf der 79sten Inschrift bei Davis (Levy Phon. Stud. 35? III. S. 53), im Neuphönicischen ist sie, wie man weiß, sogar häufig. 10) X Diejenige, welche gelobte, Mathanbaal, Tochter des Chamlan. Diese Inschrift zeigt eine auffallende Analogie mit der 56sten bei Davis, wo ebenfalls das 1"^ mit Fcmininalbedeu-tung in der Masculinform, während in beiden Fällen Ma-thanbaal, Tochter des ..., folgt. Genau dasselbe finden wir auf der folgenden Inschrift, deren Stein in meinen: Besitz ist. ^) 11) 2 ^22^2 ^1) Vtt Diejenige, welche gelobte, Mathanbaal, Tochter des Bodmelkarth, Sohnes des Bod- astoreth, Sohnes des Gersochen. Schon das dritte Beispiel dieses 712 ^2^v °!°!^ l^di, gewiß eine höchst auffallende Erscheinung. Daß das "1^ in gewissen Fällen als ^enßii» oommums gebraucht wurde, hat schon Dr. Levy in seinen „Phönizischm Studien" angedeutet. Neber die Natur dieser Fälle scheinen uns aber die drei vorliegenden Beispiele (unsre 10te und Ute Inschrift und die 56ste bei Davis) einige Aufklärung zu enthalten. Der in allen drei vorkommende Name ^2^ll ist selbst xonerig «ommunig und wird viel häufiger Männern, als Frauen beigelegt. Deßhalb dürften wir wohl annehmen, daß auch die *) Ich kaufte ihn vom Gärtiwr von St. Louis in Katthago; er war nie in el Manuba, und ich führe ihn hier nnr an, weil er ein Seitenstück zn der )0ten Inschvift aus el Manuba bildet. 358 Masculinform der 3ten Person pm'f. T-ü mit Vorliebe in solchen Fällen als Aeiißris oommumn gebraucht wurde, in welcher ihr ein Eigenname,^der selbst Fenßn« oommumn war, folgte. 12) ^P^(tt) l^^),? ^?2^ k'itt sl T', Methmclkarth, Tochter des Hannon, Sohnes des Abdmelkarth, Sohnes des Aris, erhöre seine Stimme. In dieser sehr fragmentarischen Inschrift haben wir das Wort ^ü und den Anfang des Namen >)5! (biblisch für t^!"! weiter unten in der 34sten Inschrift ganz deutlich zu lesen) ergänzt, letzteren, weil er der kürzeste auf Nun auslautende Name ist und hier nur sehr wenig Buchstaben fehlen. Der Schlust unsrer Inschrift enthält denselben orthographischen Fehler, wie unsre 7te tt^ statt x^ll/, was an die neufthönicischen Inschriften, von denen viele KN^'ll/ .Inäns, Ntmlo ) als ^«n6ri» oommlmi» annehmen und dann würde das p den Anfangsbuchstaben eines Frauennamens bilden. Das « ist 359 ohnehin sehr undeutlich und das Zeichen sehr vieler Deutungen fähig. Wenn wir es als ein Lamed auffassen wollten, so könnten Wir den Namen zu 7!v^', Glissath, ergänzen und dann lesen: „die Gelobende, Elissath, Tochter des Abdmel-karth". Wollen wir aber «^12 stehen lassen, so muß hier ein sehr kurzer, höchstens dreibuchstabiger Frauenname ergänzt werden, etwa lil /, das wir aus der 38sten Inschrift bei Davis kennen. 14) (jid^i) dpü ^ mri ^l^ld) (^Ntt) ^ Ntt !?2l1 ^'2(d) Der Herrin Thanith, dem Angesicht Baals (und den, Herrn) Baal Chamon derjenige, welcher gelobte (Esmun-) immez, Sohn des Bodo, Svhnes dcs (Ilchen-) Melkarth, Sohnes des Esmunjithen, Sohnes des Amasam Die Inschriftstafel ist auf der linken Seite abgebrochen und auf der rechten beschädigt, so zwar, daß von jeder Zeile 3, 4 oder 5 Buchstaben am Schluß und bei den zwei ersten Zeilen je eine vorn fehlt. In der ersten Zeile, welche die Götternamen enthält, fehlen die Worte ^l^V. die zweite, an deren Anfang wir das fehlende ^ ergänzen mußten, ist nach den Worten !^« ""^ abgebrochen, und "die dritte beginnt mit f'Ntt, worauf gleich ^2 folgt; also bildet flltt den Schluß eines Eigennamens. Vis jetzt ist uns auf phönicischen Inschriften zwar noch kein auf s>?2« auslautender oder damit beginnender Ei-, genname vorgekommen, aber im Hebräischen besitzen wir in N>M, Amaziah, ein Analogon. N'^« heißt «Wom äou» 360 lokoravit" und ist vom Zeitwort ^2« (stark sein) und der Abkürzung für Iehova gebildet. Auf einer fthönicischen Inschrift müssen wir natürlich einen andern Götternamen in Verbindung mit ^>2k voraussetzen; der einfachste wäre ^!)ü: da aber mehr als drei Zeichen zu fehlen scheinen, so wählen wir den geläufigen ^l^tt, den wir schon in einer früheren Inschrift in Verbindung mit einem fast gleichlautenden Verbum im Namen 9ll^!2^tt gefunden haben. In unserm Falle dürfte jedoch s'Ott nicht im Xai, wie 5?2!? in obigem Namen, sondern im Piel stehen, da nur dieses die Bedeutung „stark machen" besitzt. Wir vocalisiren also ^t2t<, Im-mez, und schreiben den vollen Namen Esmunimmez und nicht, Esmunamaz, der uns mehr einer Gottheit zuzukommen scheint. Es wäre freilich auch denkbar, daß Menschen den Namen Esmunamaz, d. h. „Esmun ist stark", geführt hätten, da ja auch solche offenbar göttliche Benennungen wie Adon-baal, „Baal, der Herr," von Menschen geführt wurden. Außer diesem völlig neuen Namen Baalimmez haben wir auf unsrer Inschrift noch zwei andere bis jetzt noch nicht vorgekommene, nämlich Iithenmelkarth und Amasam. So glauben wir nämlich diese beiden Namen lesen zu müssen. Beim ersteren war die Ergänzung der Buchstaben ^51 so deutlich angezeigt, daß über ihn wohl kein Zweifel herrschen kann. l^p5?2^' nach Analogie von ^ü^' gebildet, ist als Namensform so einleuchtend, daß darüber nichts mehr gesagt zu werden braucht. Mehr Schwierigkeit bietet der andere Name, den wir 2P5T!? lesen, dessen Zeichen übrigens alle vollkommen deutlich sind, so daß über deren Deutung kein Zweifel herrschen kann, 'wohl aber darüber, ob dieses Wort einen selbstständigen Namen oder nur den zweiten Theil eines andern bildet. Besonders irreführend ist das am Schluß der fragmentarischen 4ten Zeile stehende ^ll/dt, welches wir versucht werden könnten, mit 361 dem die 5te Zeile beginnenden ?^p in Verbindung zu bringen, um so den aus der 8ten Inschrift bekannten Namen ?!2^Nl?d< zu erhalten. Hiergegen spricht jedoch der Umstand, daß die 4te Zeile hinter ^?2ll>e< abgebrochen ist und zwar so, daß 3—5 Buchstaben fehlen, sowie der, daß das Wort ?NP in Verbindung mit einem andern, mit Tp steht. Diese am Schluß der 4ten Zeile fehlenden fünf Buchstaben haben wir durch ?2 ,71' ergänzt, also 5 Zeichen, gewiß nicht zu viel, da auch am Schluß der ersten 5 fehlen. Was sollen wir aber aus ?x?^, das somit als selbstständiger Eigenname erscheint, machen? Auch dieses ist nach Analogie von ^?l?!> gebildet. Statt eines Götternamens „Baal oder Esmun" haben wir jedoch hier in Verbindung mit ?ll>' ein etwas räthselhaftes Wort. Wir glaubten Anfangs, statt des Am in 12)? einen andern Buchstaben, ein 2 oder N lesen und den Namen ^2?Q!1 oder Hli?^ schreiben zu können, worin wir eine Abkürzung von ^!">!I??2>', d. h. nlM'm ^mmon 8ii8w1lt" zu erblicken geneigt waren. So einladend jedoch diese Erklärung auch scheinen mochte, so war ich doch genöthigt, sie aufzugeben, da ich mich nach wiederholter Besichtigung des Steins davon überzeugt hatte, daß hier wirklich ein deutliches Ain stehe. Statt eines Götternamens (einen Gott 12!? kennen wir bis jetzt nicht) haben wir hier also in Verbindung mit llllp das Wort I2P, welches „Volk" bedeutet. Der Sinn von llp?!2!? kann natürlich mcht wie der von ^!^!2^' passiv, sondern muß activ aufgefaßt werden und zwar als „HUl 8N8tuNt jXMilllm" fund nicht als „M 8u»tulit P0Mw»«). ^^^' Würde also etwa den Sinn „Beschützer des Volkes" haben. Vielleicht können wir auch diese Wortzusammensetzung nicht als einen Eigennamen, sondern als einen Ehrentitel, etwa wie das lateinische „Mer patriae" gelten lassen und in diesen, Falle müßte das von uns in der 4ten Zeile ergänzte iü wegfallen. 362 Auch diese Inschrift befand sich unter den im Jahre 1867 Zu Paris ausgestellten und wurde von Herrn Löon Rodet (.lourn. ^iat. I)««. 1868. Seite 355) fast ebenso wiedergegeben, wie von uns. Seine Erklärung scheint uns jedoch nicht genug dem fragmentarischen Charakter der Inschrift Rechnung Zu tragen. Er liest nämlich vom dritten Zeichen der 2ten Zeile an: und übersetzt „Le Sidonien Bodadon Melqart fils de Eschmu- namasam. Das letzte Zeichen der 3ten Zeile, welches er als n auffaßt, während es doch offenbar ' ist, bringt er unmittelbar in Verbindung mit dem 7^5 des Anfangs der 4ten Zeile, ebenso das ^l^di am Schluß letzterer mit dem T!)?^ am Anfang der 5ten, während doch am Ende jeder der beiden Zeilen 3 — 5 Buchstaben fehlen. Auf diese Weise kann er auch keine einladende Bedeutung für das am Schluß stehende HP gewinnen, denn dieses noch zu ?N!>"?2^5< geschlagen, würde den monströs angen Eigennamen T>'O?2PI?2^d< ergeben. Diesen, also aus 3 Wörtern zusammengesetzten Eigennamen hält er in der Bedeutung „N«nmn gantiont I« poupio" aufrecht. Auf einer weiter unten mitzutheilenden Inschrift, der 35sten, haben wir jedoch das H^'II^' noch einmal und zwar in Verbindung mit einer näheren Bezeichnung des Volkes, nämlich: Dort würde sich also der Sinn „Beschützer des Volkes von Karthago" ergeben, wie es hier einfach „Beschützer des Volkes" heißt. Denken wir uns nun einen Eigennamen wie so muß uns das Monströse desselben gleich auffallen und auf den Gedanken bringen, daß ^np in beiden Fällen nicht als 363 das 2te, sondern als das erste Zusammensetzungswort eines Comftositums anzusehen sei. Dr. Levy, dein wir diese, sowie die 35ste Inschrift von Tunis aus mittheilten, antwortete uns, ganz mit dem Oben-gesagtcn übereinstimmend, daß allerdings in beiden ^^Op eine andere Stelle und Bedeutung haben müsse, als die ihm don Herrn Nodet in seiner Erklärung unsrer I4ten, seiner 4ten Inschrift beigelegte. Unsre 35ste war nicht auf der Pariser Ausstellung. Herr Longvl'ncr, bei dem sich obige Inschrift als die Ilite aufgeführt findet (.Icm-nni ^»iüti^n« N:u'8 ^vi ii 18lW, Seite 351), ist unsrer Ansicht in Bezug auf den Umstand, daft Herr Rodet den fragmentarischen Charakter der Inschrift nicht genug berücksichtigte und svricht es aus, daß das Ende der dritten Zeile unmöglich unmittelbar mit dem Anfang der vierten verbunden werden könne; dasselbe sagt er w Bezug auf die vierte und fünfte. In der dritten Zeile liest er anders wie wir, nämlich ^"!«-!2, Vodadouai, wo wir l' - ^1' ^ «12 lesen. 15) ^0N ^2 ^k 22 s2 '^12? ^2 Azri, Sohn des Chamlan, Sohnes des Sardoni, Sohnes des Kofi. Was den ersten, bis jetzt unbekannten Namen „Azri" betrifft, so glaubte ich Anfangs in den ihn bildenden Zeichen das schon bekannte '^2 (liourssaäß Cartn^. ^, Ü, Levy, ^o'rterb. S. 30) wiedererkennen zu können, überzeugte mich jedoch, bei Prüfung des Steins, daß das Anfangszeichen eher einem « als einem N entspreche, ^ü« wäre kein auffallender Eigenname. Einen ihm beinahe gleichlautenden haben wir schon im Hebräischen, nämlich "^, tlmZnm-u» (02 Magon, Sohn des Zur, Sohnes des Magon. 17) ?(^)xn ?(x)x^2k'tt x^ x(n)v^ ^i Diejenige, welche gelobte, Maad- koschereth, Tochter des Abdi, als er ihre Stimme erhörte. Diese Inschrift, welche sich offenbar der dialectischen Ver-berbtheit des neuphönicischen Idioms nähert, bietet die Eigenthümlichkeit, daß fast in allen Worten Ain die Stelle des Alcvh zu vertreten scheint. So in dem Worte !?^, auf dessen Ichluß-Ain sogar noch ein zweites >' zu folgen scheint, so daß wir vielleicht p!)^) statt des schon in einem früherm Beispiel constatirten tt^) lesen müsscn. Auch weiter unten haben wir ^ statt tt^P. Dich sind ohne Zweifel orthogra- 366 phische Fehler, deren häufiges Vorkommen, namentlich in der Zeit der Entstehung der neuphömcischen Denkmäler, jedoch anzudeuten scheint, daß in einer späteren Epoche die Buchstaben >' und l<, obgleich an sich grundverschieden, doch in der Aussprache sich einander genähert hatten und auch in der Schrift bei den Ungebildeten zu allerlei Verwechselungen führten. In der Lesung der Zeichen, welche den Eigennamen 7^^21^ zu bilden scheinen, könnte man uns in Bezug auf zwei dieser Zeichen den Vorwurf der Willkürlichkeit machen und wir müssen offen gestehen, daß wir ihn verdienen würden, wenn wir unsre Entzifferung für etwas anderes gelten lassen wollten, als für einen bloßen Versuch, aus diesen aller Inte-prctation spottenden Zeichen einen Sinn herauszubringen. Von dem Worte ^'Q ist in der That nur das N vollkommen deutlich; das "> haben wir ergänzt; das Zeichen, welches wir als p lesen, gleicht allerdings eher einem t2, da die Rundung mit dem diesem Buchstaben eignen Punkt in der Mitte versehen ist. Dasselbe hätten wir schon von dem vor dem Mem stehenden Zeichen sagen müssen. Was sollen wir aber aus t2!2 oder t2!2N machen? Uebrigens kommt auch die vergrößerte Form des Ain zuweilen vor und wir wagen es deßhalb, diese Lesung hier vorzuschlagen. Am Schluß der drittletzten Zeile fehlt ein Buchstabe. Diesen zu ergänzen, wählen wir "! und erhalten so das Wort ^?2, welches uns aus dem Hebräischen als ein Zusammensetzungswort von Eigennamen bekannt ist, z. B. in l"!^M (oi-nu,m' oder ll bedeuten, bei ihm mehr dein letzteren. Ferner ist das drittletzte Zeichen dort ein !2, während es uns als ein P erschien. Das 4te der 5tcn und das 2tc der 4ten Zeile tragen bei Rodet nicht so ausgesprochen den Charakter des I?, wie auf unsrer Copie. Eine große Satisfaction gewährt uns die von Herrn ^ongvm-icr (.1l>ui-n:ü ^8. Kars—^vi-N 1869, S. 349) veröffentlichte Copie, denn dieselbe stimmt genau mit der unsrigen übe rein. Nur fehlt unbegreiflicherweise ein p in der dritten Zeile, wo zwei p aufeinander- 368 folgen. Dieß kann nur ein Druckfehler sein, denn Herr Long-pörier selbst liest hier 2 Ain, also müssen sie in seiner ursprünglichen Copie gestanden haben. Er liest nämlich die dritte Zeile: Die gelobende Amastoreth. Hiegegen haben wir nur das einzuwenden, daß zwischen PQ!) und, 7^7> mehr als ein Buchstabe fehlt und daß das zweite Zeichen der 4ten Zeile kein li, sondern eher ein U/ ist. Im Nebrigen liest er ganz wie wir. Auch findet sich bei ihm V^P statt xdn (bei Rodet). Sogar die Ergänzung des Pl5^ zu !?^t^2 nimmt er gerade so vor, wie wir. 18) i Iithenathor, Sohn des Sufet. Obgleich das 4te Zeichen der letzten Zeile etwas undeutlich ist, so glauben wir doch hier den Namen der auch von den Phöniciern verehrten ägyptischen Göttin "!7^, Athor, Hator oder Hathor erblicken Zu können, welche wir auch auf Noiltonsis V, 4 und vielleicht auch (Nion»i8 XI, 1 finden. IT^l'!' würde also durch „Athor verleiht" oder „Gabe der Athor" zu erklären sein. Streng grammatisch sollte allerdings statt ^ die Femininalform ^N'stehen, da ja ->NP ts-mwin. ist, doch haben wir ja schon in "^ statt 55"N) ein Beispiel, daß die 3te Person mu8e. »i,^, in den phönicischen Verben oft statt der 3ten Person t6m. »in^. steht. Diese Inschrift findet sich bei Rodet (^. ^g., Düo. 1868, Seite 357) und bei Longp«rier (.1. ^8. Nar»—^.vril 1869, S. 346). Erster« läßt das 3te und 4te Zeichen der letzten Zeile unausgedrückt (nur durch ftunctirte Linien angegeben), letzterer dagegen macht aus diesen zwei Zeichen ein 369 einziges und zwar ein et, während wir deutlich ein p und ein andres Zeichen, das wir für ein N ansehen wollen, zu lesen glaubten. Herr Longpörier findet so hier den Namen -,«^', Itanad. Ein andrer Gelehrter, Herr äe VoM, hält dagegen dieses Doppelzeichen für ein A (Zade) und liest ^^^, Ithantsid. Die Lesung als ^ scheint mir plausibler, als die als k, denn das Zade hat oft eine so monströse Form, daß es wie zwei Zeichen aussieht. Dennoch glauben wir hier unser -)7^w festhalten zu müssen, da wir sonst nicht wüßten, was der Strich zur Linken bei dem 4ten Zeichen, oder dem 3ten nach Longp<'irier, bedeuten soll, denn das Zade hat alle seine Ausläufer zur Rechten. Herr Longftörier ist jedoch mit uns einig, daß der Ne Buchstabe wirklich ein Nun ist und nicht ein l^ wie bei Rodet. 19) Q(!^) k p ^xim'? p id) Hamelech, Sohn des Sivagbaal, Sohn des A... Den ersten Namen 1^7, stellen wir nur als höchst ungewisse Vermuthung auf, da das erste Zeichen undeutlich ist und das 3te fehlt. Bei der Kürze, welche das Wort offenbar haben mußte (da nur ein Buchstabe am Zeilenanfang fehlt und ->"!) vorhergeht und ?ü nachfolgt), scheint uns jedoch kaum ein anderer auf 1 auslaufender Name hier ergänzt werden zu können, als 1^!^, der zwar bis jetzt beispiellos, dessen Bedeutung „der König" aber gewiß zu Eigennamen paßt. Vielleicht haben wir hier jedoch statt des N ein »1 zu ergänzen, und dann würden wir den weiter unten dreimal (Inschriften 40, 41 u. 43) vorkommenden Namen 1^!1 Chimelcch, ein Seitenstück zu dem bekannten T^osi, Chimil-kat, haben. ^' finden wir als schlichten Eigennamen ohne Zusam-Mensctzungswort auf der 17ten Inschrift bei Davis, 4te Zeile, und die hier vollkommen deutlichen Zeichen bestätigen die von I. 24 370 Or. Levy (Phon. St. Ill, 49) veröffentlichte Lesung vollkommen. Hier steht übrigens ^'1 nicht allein, sondern mit 5^2 zu einem zusammengesetzten Eigennamen verbunden, dessen Bedeutung wir, da nach I)r. Levy I'PI vom hebräischen ^? (vereinigen) abzuleiten ist, als „Baal vereinigt", oder „Baal, der Vereiniger", auffassen. Herr Rodet hat auch diese Inschrift (a. a. O. No. XI. S. 355) veröffentlicht, dock) giebt er unbegreiflicher Weise die 4te Zeile als fragmentarisch, so daß bei ihm deren letzte Hälfte von den Zeichen ^ an gänzlich fehlt. Auch liest er svNsi statt 1^71 oder "!>^, während das 1 am Schluß dieses Eigennamens doch deutlich zu erkennen ist. Mit dieser Inschrift muß es übrigens eine eigenthümliche Bewandtniß haben. Herr Longvürier, dessen Covieen sonst nichts zu wün-schen übrig lassen, giebt sie nämlich ganz in derselben unvollkommenen Form, wie Herr Nodet (^cmrilul ^gilltiyun Uars— ^vi-il) S. 348, 9te Inschrift). Wir können keinen Irrthum bei beiden Herren zugleich voraussetzen und müssen deßhalb glauben, daß zwei Inschriften cxistirten, welche beide das s))1'l jü I^si hatten und daß die eine, die nach Paris zur Ausstellung gesandte, verstümmelt ist, die andere von uns in el Manuba ganz wohlerhalten gesehen wurde. Der Umstand, daß dieselben Namen sich in derselben Folge auf verschiednen Inschriften wiederholen, kommt noch öfter vor. Daß aber so wie hier die Buchstaben auf beiden Inschriften eine gleiche Abtheilung in Zeilen zeigen, ist gewiß ein seltner Fall. Auch Herr Longfterier liest hier I^llfi und nicht si?2si. 20) N . ^si ki5^ gelobte Chimilkat. Diese kurze fragmentarische Inschrift ist nur insofern interessant, als sie uns cm weiteres Beispiel des uns bereits aus Davis' 23ster und 83ster Inschrift bekannten «N) an 371 Stelle des gewöhnlichen 1^ giebt. Das Nelativum t?« fehlt, ähnlich wie auf der 16ten Inschrift bei Davis. In der Eingangsformel bemerken wir ^5? (Herr) mit einem p als 1"'!? geschrieben. 21) j^N^ s2 Sohn des Bodmelkarth, Sohnes des Sufet, Sohnes des Mathan. Mutten oder Mathan, welches wir bis jetzt auf allen karthagischen Inschriften nur als Zusammensetzungswort anderer Eigennamen fanden, steht hier allein als besondrer Name, ähnlich wie Umm. 1,2, und auf einer neuphönicischen Inschrift bei Dr. Levy (Phon. Stud. lll. § VIII. No. 6.). 22) - ^) ^N gelobte Vaalvada, Sohn des Aris. Auch hier fehlt wie bei der obigen 2Osten und der 16-ten bei Dauis das Nelativum !5'l< vor -!"^!. Der Name t<^^2 ist neu. Er scheint nach Analogie des hebräischen ^>"!-^ (yusm Deu» korvavit, Kum. 34, 26) gebildet und dürfte also „Schutz des Baal" bedeuten. Im Hebräischen kommen die Formen !"!"k? und !>'"!O nebeneinander vor. Hier haben wir die häusige Permutation des I'l in «. Nitt ist mit einem Samech statt P1« geschrieben. 23) (KN^ t^« 24« 372 Diejenige, welche gelobte Mathanbaal, Gattin des Abd- Melkarth, Sohnes des Vaalhanno, Sohnes Des Bodastoreth, wenn er ihre Stimme erhöret, Möge er sie segnen. Was diese Inschrift besonders interessant macht, ist der Umstand, daß wir hier zum erstenmal auf phönicischen Denktafeln das Wort NI5N (Gattin) deutlich und unzweifelhaft haben. Der Name 5pm7U2 ist uns als weiblicher Name schon aus unsrer iNten und Iltcn und der 50sten und 63sten von Davis bekannt. Auch hier fehlt wie in drei der citirten Fälle das 55 nach dem "^. Da jedoch der Stein etwas verletzt ist, so haben wir es ergänzt. Im Namen !^7^l!v ist das p ausgefallen. In ttk^ statt x^ neues Beispiel der Permutation des >' in 5>. Das Schlußwort «1^2'' bietet gleichfalls eine Eigenthümlichkeit dar, da das Imperfectum als Optativ bis jetzt auf diesen Inschriften nur in der 2ten Person gebraucht erscheint. Die Gottheit wird jedoch hier nicht direct in der Zten Person angeredet, ein Umstand, den wir versucht sind dadurch zu erklären, daß die Weihende eine Frau war und Frauen nach der Anschauung einiger orientalischen Völker der Gottheit ferner stehend und nur durch Vermittlung ihrer Männer mit den Göttern in Verbindung gedacht wurden. 24) H^-!2 «"^2 ^« Diejenige, welche gelobte Giddenem, Tochter des Aris. In 2^2 haben wir hier wohl ohne Zweifel die authentisch fthönicischc Form des durch Plautus' l'ueuulus bekannten punischen Frauennamens Giddcnem oder Giddcnemme. Der in 373 Davis' 42ster Inschrift vorkommende Eigenname ?^12 ist offenbar mit diesem verwandt. Freilich erhellt bei letzterem nicht, welchen Geschlechts er ist (Levy Phon. Stud. Ill, 53). Bei unsrer Inschrift lassen jedoch das vorhergehende ttii) und nachfolgende !^ keinen Zweifel übrig. Diese kleine Inschriftstafel bildet somit eine der interessantesten wissenschaftlichen Errungenschaften aus dem Museum in ei Manuba. 25) 5^2 ^t^ ^^ Dieses Inschriftsfragment, welches nur einen Theil der Eingangsformel aufweist, ist insofern bcmerkcnswerth, als hier statt des gewöhnlichen ;D die verlängerte Form «2D steht, welche wir schon aus Davis' 32ster Inschrift kennen. 26) ^n^ ^t^i 5xü ^ 7^n . . . >D ^)'« ^) !^l«) Der Thanith de,n Angesicht Baals und dem Herrn Chlunon, Derjenige, welcher gelobte Adonbaal, Sohn des . . . . ka. Diese Inschrift bietet die Eigenthümlichkeit, daß hier das „Vaal" vor Chamon ausgelassen ist. ^!">d i'l^b statt Der Name 5xi^e< ist derselbe, wie in Davis' 66ster Inschrift statt ^I5t. 27) ^ ^« ^>? Diejenige, welche gelobte Chanmelkarth. Der völlig neue, aber durchaus verständliche Name l^p^N nach Analogie von ^^!1 und T^QN gebildet, 374 erscheint hier als Femininum, obgleich er seiner Bedeutung nach gewiß ebenso gut zonei-is oomnmins war, wie ^I^NO und andere. (Gewiß haben wir hier das bekannte Hamilkar). 28) 552-12 ^P (Erhöre) meine Stimme, segne ihn. Die Inschrift, von welcher nur diese sieben Zeichen übrig geblieben sind, ist insofern interessant, als hier bei ^ das Suffixum der ersten Person »iux. und nicht wie gewöhnlich das der 3ten Person steht. Da letzteres aber bei «2^2 unzweifelhaft ist, so müssen wir annehmen, daß dieses Gelübde von einer Person für eine andere, vielleicht von einem Vater für seinen Sohn dargebracht wurde. 29) ^xiNOP tt^ ^tt ^7! ,2 d^n^'2 N2 Diejenige, welche gelobte Emethbaal, Tochter des Vaalhamw, Sohns des Chimilkat. Der Eigenname /^l^p kommt bis jetzt nur auf einer Inschrift von Davis, der Wsten, vor und zwar deutet ihn Prof. Vaux als weiblich für /^T^k, I),-. Levy dagegen als männlich, entstanden aus NQ^? oder 71V^ und 5P2 und twmliug Ocn bedeutend. Wir glauben uns, obgleich das weibliche Geschlecht des 5x27^ unsrer Inschrift unzweifelhaft aus derselben hervorgeht, dennoch letzterer Etymologie nähern zu müssen, indem wir jedoch 5>^ vocalisiren und dieses für das Femininum des bekannten ^!? oder !2!? (oiv68) halten, welches auch in der Bedeutung von „Anhänger" gebraucht wurde. ^-PTP würde also die „Anhängerin des Baal", d. h. „Dienerin des Baal" bedeuten. 30) 2 '15^ 1^2 .... 375 Glissi, Sohn des Vaalhcmno. .....segne. Wir kennen bereits aus der lüartli. XII. und der 40sten Davis'schen Inschrift einen weiblichen Eigennamen I'llt^, Elissath, und glauben nicht zu irren, wenn wir in dem 't^!? unsrer Inschrift die Masculinform desselben erblicken. 31) » Mathanhabore, Sohn des Sufet, Sohnes des Vaalhanno. Der erste Eigenname, dessen Zeichen auf der Tafel alle deutlich und unverkennbar sind, ist neu und interessant. Das so vielfach gebrauchte Zusammensetzungswort von Eigennamen sNn findet sich hier in Verbindung nicht mit einem der gewohnten Götternamen, sondern mit dem abstractcn Begriff des Schöpfers. Das Participium k"!i2 findet sich in der Bedeutung „Schöpfer" bei Iesaias 65, 18 und im plurul. wajWt. 5P^- (dein Schöpfer), Eccles. 12, 1. Der Umstand, daß es hier mit dem vorgesetzten Artikel steht, würde vollkommen der Ncgel entsprechen, wonach das Gattungswort durch Vorsehung des Artikels gewissermaßen zum Eigennamen wird, wie 5p2 (der Herr) mit dem Artikel als ^^, „der Gott Baal", wenn wir es hier nicht mit einer Zusammensetzung von zwei Wörtern zu thun hätten, als deren zweites K1^ sigurirt. Nun pflegen allerdings solche Worte wie ^'ü, ^ in Zusammensetzungen in der Regel nicht mit dem Artikel zu stehen, aber bei t^D scheint mir der Fall anders. Dieses allein, d.h. ohne den Artikel, würde wohl in diefem Falle nicht hinlänglich die Bedeutung eines zum Aoni. pi-op. gewordenen Particips besitzen. tt^T^v, als „Gabe des Schöpfers" aufzufassen, scheint uns deßhalb nicht allzu gewagt. 376 32) tt^ ^2 ^ Nir^ (TQ'!^) si 112 l^d< 1Ol1 ^>'2^ (^) I^2x ^ 7!i^Qii:x (d)Q ^NI^t 7!21 2(!i?2) Der Herrin Thanith, dem Angesicht Vaals und dem Herrn Dem Baal Chamon, derjenige^ welcher gelobte Chimilkat, Sohn des Bodastoreth, Sohnes des Abdmelkarth, Sohnes des Achbar, Ein Denkmal der Herrin Zadthanith, der Königin, Nie er seine Stimme erhörte. Der aus Davis' 71ster, 75ster, 77ster und 78ster Inschrift bekannte Eigenname "!l^ findet sich hier zum erstenmal auf den Steinen in el Manuba. Nur die vierte Zeile bietet in der Lesung einige Schwierigkeit. Deutlich sind der Name N)N und das vor diesem stehende ",!i, ebenso das vor diesem befindliche i7!2"i. Was "!ü betrifft) so waren wir freilich Anfangs versucht, das "! für ein "1 zu deuten und 1ü, d. h. „Tyrus", zu lesen, wodurch sich 5^51 "15t 71Ü1, d. h. „der Herrin von Tyrus, Thanith", ergeben würde. Aber genaue Prüfung der Inschrift überzeugte uns, daß wirklich ein "! und kein ^ hier stehe. ^ aber als ^1A, „Sidon", zu deuten, schien uns eine zu gewagte Abkürzung. In dieser Verlegenheit wurden wir durch Herrn Professor Dr. Levy, dem wir die Inschrift von Tunis aus mittheilten, brieflich darauf aufmerksam gemacht, daß die Sylbe 11! sich bereits auf einer von I)«v«r,-iu (.luurn. ^siitt. ^vrii — Nm 1868) veröffentlichten Inschrift auch in Zusammensetzung mit einem Götternamen und zwar mit 5>2 befinde, ganz wie hier mit l">^' "!!i ist nach Or. Levy von "Nü abzuleiten, ähnlich Wie im Hebräischen '"tt^ von -,1t^. Nach der 377 Analogie vom hebräischen ''"«^ ^, welches ja auch einen zusammengesetzten Gottesnamen bildete, können wir also T^iü wohl gleichfalls für einen zusammengesetzten Namen, einen Beinamen einer Göttin und zwar der im Wort enthaltenen Thanith nehmen. Da "^! „navm-tit" so bedeutet, so können wir Mlii^t als „Thanith,^die sich wendende", bezeichnen, ein Begriff, dem ohne Zweifel irgend eine symbolische Bedeutung zu Grunde lag. Anfang und Ende der 4ten Zeile haben wir ergänzt und zwar bei ersterem auf den Rath Dr. Levy's ^n, so daß wir ÜÜN (Denkstein) erhalten, bei letzterem die Zeichen 2^ welches mit den ersten Zeichen der 5ten Zeile und dem letzten der 4ten zusammen l")i^ (Königin) geben würde, ein Titel, der der Thanith zukommt. Diese Inschrift befand sich gleichfalls unter denen, welche der Ministersohn zur Ausstellung nach Paris schickte. In der Arbeit des Herrn Rodet (^ouriüü ^8ÜltiM6, Döoemdi« 1866) findet sie sich nicht, wohl aber in derjenigen des Herrn Longpi'mer (^ouni. ^8. Um-8-H.vi-li 1880, Seite 380, 14te Inschrift) und zwar genau so, wie auf unsrer Copie, wiedergegeben. Herr Longvürier findet gleichfalls hier den schon bei Davis vorkommenden Namen "^2^', Achbar. In der 5ten und 6ten Zeile liest er !>-)5p xot5'> licD Er»svricht sich nicht über die Bedeutung dieser Worte aus, aber wie man sieht, ist seine Lesung der Zeichen genau die unsrige, nur sciue (Kintheilung in Worte verschieden. 33) (1)-!) . . . N^Q-12 P Die gelobende Koschereth, Tochter des Asibel, Sohnes des Vodmelkarth. 378 Undeutlich ist von dieser Inschrift nur die zweitletzte Zeile, namentlich deren ötes, 7tes und lOtes Zeichen. Wir lesen die beiden ersteren als Tau, da sie diesem Buchstaben am Nächsten kommen, und halten das letztere für ein etwas mangelhaftes Aleph. Das Wort N^2, welches wir schon in der 17ten Inschrift in der Zusammensetzung mit "l!>'O zu li"!^"^'» kennen lernten, finden wir hier allein. Doch dürfte es sich auch an und für sich ebensogut zu Eigennamen eignen, wie als Theil eines zusammengesetzten Namens, da seine Bedeutung „Glückseligkeit" von jeher bei allen Völkern zu persönlichen Namen gebraucht wurde. Bei den modernen Franzosen ist sie es noch heute in ihrem „I^Iieitü". dDl' oft die Stelle des !"! und zuweilen auch des ' einnimmt. 34) 12 ll/tt Diejenige, welche gelobte Bohereth, Tochter des «. Gerastoreth, Sohnes des Hannon. Ein weiteres Beispiel, daß ^ in der Masculinform für das Femininum steht. ^1"ü, dessen Deutung wir einem Fingerzeig des Herrn Prof. Levy verdanken, ist nach diesem Gelehrten das 1'arü-oipium tdm. I. ^onj. von ^!12 „glänzen", heißt also „die Glänzende". 379 7!17,!5"1) statt TNliVp-!) erinnert an die ^Im^^onM, wo 5^7M12x statt l^l^"^ steht, sowie an unsre 23ste Inschrift, auf welcher wir 711^"!2 statt 51^^^'^ hatten. ^N, Hannon, biblisch statt des im Phönicischen häufiger vorkommenden d<^. ^s"! kommt in Esra und Nehemia öfters vor/ 35) (l^i 5P2 ,2) ^^^ ^",V Der Herrin Thanith de,n Angesicht Baals und dem Herrn Dem Vaal Chamon, derjenige, welcher gelobte, Aris Sohn des Bodbaal, der Richter, Beschützer Des Volks von Karthago, wenn er höret Seine Stimme, möge er ihn segnen. Diese Inschrift, deren fragmentarischer Zustand uns bestimmt, auch ihre ersten Zeilen zu geben, damit über die Zahl der zu ergänzenden Zeichen lein Zweifel bleibe, ist auf der linken Seite in solcher Weise verletzt, daß in der ersten Zeile, wo das Fehlende deutlich nachweisbar, 8 Zeichen in Wegfall gekommen sind. In der 2ten fehlt wahrscheinlich ein Buchstabe weniger, da das l"! in j^si fast immer die Stelle von 3wei Zeichen einnimmt, also sieben, von denen das "> am Anfang unfehlbar angezeigt war. Die andern sechs haben wir mit dem üblichen "^ ^« und dem Anfangsbuchstaben von ^"itt ergänzt, da uns kein anderer Äiteraler Eigenname, der auf U^ endet, bekannt war, als Aris. Gleich darauf nämlich folgt p. Der Name ist also mit dem l? abgeschlossen. In der dritten Zeile fehlen gleichfalls 6—7 Buchstaben (es sind neun erhalten, also einer mehr als in der 380 vorigen). Wir ergänzen nur sechs, weil darunter solche wie 12 und !i sind, die immer mehr Raum einnehmen. Bei^die-ser Ergänzung hat uns der Anfang der 4ten Zeile rit^s??2pll geleitet. Aus dieser Zeichenfolge sind mit vollkommner Deutlichkeit die Worte 5^? ?x, also „das Volt der Stadt" herauszulesen. Auf N"!i? folgt unmittelbar ein li, und dieses dürfte wohl der Anfangsbuchstabe eines die Stadt näher bezeichnenden Wortes sein. Nun kennen wir leine für den Fundort unsrer Inschrift (Karthago) mehr geeignete Bezeichnung, als die, welche im Phönicischen die geläufigste für Karthago war und die mit »1 beginnt, nämlich ^A"!!"!, d. h. die neue, in Verbindung mit 71"!?, „die Neustadt", Karth Chadascha, woraus das griechische ül«^^ö«p und das lateinische Oiu-tlm^o entstanden sind. Wir haben also in diesem Sinne das Ende der 4ten Zeile mit !"!I^1 und darauf folgendem U/2 ergänzt, letzteres, weil es durch die übliche Schlußformel, die hier fast vollständig ist, angezeigt war. Etiyas willkürlicher möchte unsre Ergänzung der dritten Zeile scheinen. Der Umstand, daß vor ?2p ein ü? steht, erinnert uns zu lebhaft an unsre 14te, die 4te Bodet'sche Inschrift, wo wir in der letzten Zeile deutlich das Doppelwort I2>'^!? haben. Wir sind deßhalb versucht, auch hier eine ähnliche Ergänzung vorzunehmen. 7^!i li^P H^^ würde also „der Beschützer des Volkes von Karthago" heißen. Wenn wir in der 14tcn Inschrift noch schwankten, ob wir i2x??2p als Eigenname oder als bürgerlichen Ehrentitel anzusehen hätten, so tonnen wir hier jedoch keinen Augenblick den Begriff eines Eigennamens festhalten, da „Amasamkarthchadaschah" ein Monstrum eines uom. propr. sein würde. Hier können wir das viermal zusammengesetzte Wort nur als einen bürgerlichen Ehrentitel auffassen. Vor dem I?!?, das wir am Schluß der 3ten Zeile 381 ergänzten, bleibt jedoch noch Raum für einige 3—4 Zeichen und diesen haben wir durch den bürgerlichen Amtstitel ausgefüllt, welcher am Besten dem Begriff eines „Beschützer des Volks von Karthago" entspricht, nämlich das Wort !2?^7>, der Richter oder Sufet. Solcher Erwähnungen des Amts-titels Sufet fand ich noch auf mehrern Inschriften in ei Manuba. In dem Namen '5^1! statt d!)^!) haben wir hier zum erstenmal in Verbindung mit dem Götternamen ^2 eine ähnliche Abkürzung, wie wir sie schon in ci"^n-!2 statt ^-^Ui2x und in l"^t5^-^ statt 5^^"!2x kennen. In der letzten Zeile finden wir abermals statt dem üblichen «2^251 den Optativ in der dritten Person als ^Diü', wie wir dieses schon auf einer frühern Inschrift bemerkten. 36) Von dieser Inschrift hat sich nur die letzte Zeile erhalten, ohne daß es erhellt, wie viele über ihr fehlen, da der Stein abgebrochen ist. Wir lesen diese Zeichen (^2^1)' ^ ^7p25i N2 7^ Zobcth, Tochter des Abjathar, Sohnes des Iithenbaal. 7^ dürfte das Participium uot. tom. sm^. Xai von ^2A „glänzen" sein und somit eine ähnliche Bedeutung haben, wie das obige N^ü, Bohereth, d. h. „die Glänzende". Iwü«, dessen richtige Lesung wir gleichfalls Herrn Professor Levy verdanken, ist der bekannte biblische Eigenname 1!^2l< (Mor adunälmtiÄL), welchen wir in den Vü-chern Samuels (I. Sam. 22, 20 ff.) mehrmals finden und der von Luther als „Ab-Iathar" wiedergegeben wird, obgleich er der Vocalisation nach Ebjathar heißen sollte. Das Fehlende dieser Zeile haben wir durch den geläu-flgen Namen ^2^' ergänzt, der durch das ' am Anfang und die Zahl der mangelnden Zeichen angedeutet schien. 383 Der gelobende Chimilkat, Sohn des Hanno, Sohns des Chimilkat Von dieser Inschrift sind nur die drei ersten Eigennamen bekannt. Was die zwei letzten Zeilen betrifft, so haben wir über ihre Bedeutung nur Vermuthungen, die jedoch so sehr im Ungewissen schwimmen, daß wir uns enthalten, sie als ein selbst nur muthmaßliches Resultat unsrer Forschungen zu geben. ^"i!i heißt bekanntlich „die Herren" und dürfte für „Chamon und Thanith" stehen. «5p, „sein Wort", scheint gleichfalls deutlich. Aber was für ein Zusammenhang zwischen diesen Worten herrschen kann, darüber dürfte uns nur die letzte Zeile aufklären, und diese ist gerade am dunkelsten. 3s) (2)r^2 K111 ^« Diejenige, welche gelobte Boschetbaal, Tochter des Garmelkarth. Der Name v!?-^VH, in dessen zweitem Theile wir nur das durch die folgenden Zeichen ^ angezeigte 2 ergänzt haben, ist zwar neu, dürfte jedoch sehr leicht erklärbar sein. Wir leiten ihn vom hebräischen 5^ (pmior) ab und dieses mit ^^ in Verbindung gebracht, ergiebt die für einen weiblichen Eigennamen höchst passende Bedeutung „pu^or llkalig". Herr Dr. Levy, dem wir von Tunis aus auch über den Fund dieser Inschrift Mittheilung gemacht hatten, schien unsrer An- 383 ficht über diesen Namen beizupflichten, indem er uns schrieb: „So wäre z. B. 5!?27^H als Frauenname höchst instructiv und würfe ein helleres Licht auf das 7^2^, welches II. Sam. 11, 21 für das gewöhnliche ^!?21' steht (vergl. auch ^l^lll'^ und ^Il^'d<)." Auch !^^N-!) ist bis jetzt noch nicht dagewesen, bedarf aber keiner Erklärung, da dieselbe auf der Hand liegt. 39) (71)1 702^ «^ V(k) Die gelobende Lebanath, Tochter des Abdesmun, Sohns des I^'nab. Der neue Name 5^1^ scheint uns das Femininum des im Hebräischen vorkommenden männlichen Eigennames T^d (Esra 2, 45», Neh. 7, 48). Seine Bedeutung „-üw" eignet sich trefflich zu Frauennamen (vergl. französisch Ulanolie, italienisch liilmlH, spanisch I5llm«n, u. s. w.). Die Schlußbuchstabcn üV' könnten wir als Imperfectum von Dp, chaldäisch „sammeln, verbinden" auffassen, und da etwas am Ende fehlt, ^'2 hinzuergänzen, ^'ül^ würde bann „Vaal vereinigt" bedeuten. 40) ^2 (w p I^1d< ^2 1^ Baaljithen, Sohn des Aris, Sohnes des Chimelech, Sohnes des Adonbaal. In I^ll sind alle Zeichen deutlich, besonders das letzte als 2 unverkennbar. Wir können also hier wohl das fehlende li ergänzen und dann statt des gewöhnlichen 1^l1, ^hamlon, eine dem geläufigen N2d?2li (Freund der Königin) analoge Form 1^"2N (Freund des Königs) annehmen. 384 41) Denselben Namen enthält dießmal ganz unverkennbar eine von mir in Karthago gekaufte Inschriftstafel, die noch in meinem Besitz ist, Chimelech, Sohn des Bodestoreth. Auch in diesem Falle ist das D so deutlich, daß wir nicht an j^l^, Chamlan, denken können. Die 40ste Inschrift findet sich. bei Rodet (a. a. O. S. 356) und bei Longpürier sa. a. O. S. 334). Ersterer liest wie gewöhnlich '^VlN), aber Herr Longvüricr nimmt wie Wir 1^2M), das er Hamilc vocalifirt, an. Die 4iste Inschrift giebt dieser Ansicht volle Bestätigung, und nun kann es keinem Zweifel mehr unterliegen, das; hier ein Männername 1^2si existirte. Ob wir ihn nun nach Analogie von Adramelech, Chimelech oder, wie Herr Longpürier vorschlägt, Hamilc, vielleicht Himilk schreiben müssen, mögen Andre entscheiden. 42) ^k^ Abdadon ' Sohn Maharbaal's, Sohnes des Meltarchchillez. Der Name ^5^I!P (Knecht des Herrn), so einfach und naturgemäß er auch ist, kommt doch hier zum erstenmal auf karthagischen Inschriften vor. tz. ^ Grabinschrift. Nnter allen von uns in el Manuba coftirten Inschrif-ten befand sich blos eine einzige, einem Grabdenkmal ange- 385 hörige, und diese noch dazu nur im Fragment. Wir geben sie auf den lithographirten Tafeln als die 43ste. 43) (;)H ^I^QIDx 12? Grabmal des Abdmelkarth, Sohnes des Vaalschillek, Sohns des Melkar(thjithen). Alle Namen sind bekannt. §. 3. Zankinschrifien aus dem Museum zu Karthago.*) Als wir im Februar 1866 vom Museum in el Ma-nuba eine leider nur flüchtige Einsicht hatten nehmen können, war uns daselbst außer einigen höchst interessanten alten phö-nicischen Dankinschriften, von denen wir eine im Anhang zu Unsrer „Reise auf der Insel Sardinien (nebst einem Anhang über die phönicischen Inschriften Sardiniens. Leipzig, Dyksche Buchhandlung. 1869.)" veröffentlichten, auch eine Anzahl neuvhönicischer Schriftdenkmäler aufgefallen, welche, der verhältnißmäßigen Seltenheit dieser evigrafthischen Denkmäler wegen, unsre Neugierde mächtig erregten. AIs uns erst im November desselben Jahres durch, günstige Umstände eine einigermaßen freiere Benutzung dieses Museums gestattet worden war, sahen wir uns natürlich sogleich nach den ebener-wähnten Inschriften um, konnten sie jedoch zu unsrer Enttäuschung nicht wiederfinden. Auf Nachfrage hieß es, sie seien jetzt wahrscheinlich in einem andern kleinen Museum, welches sich im Lustschloß bei Karthago befände. Als wir *) Das Mllsemn befindet sich im Landhaus Sr. Excellenz Ssciyydy Muotafa Chasnadllr. des ersten Ministers, cmf dem Rmnen-felde'uon Karthago, dicht an dm Häfen der alten Stadt. I, 25 386 jedoch auch zu letzterem Zugang erhalten hatten, traf uns eine neue Enttäuschung, denn sowohl die neuphönicischen, als eine große Anzahl der interessantesten altvhönicischen Inschriften, welche wir damals flüchtig erblickt hatten, waren und blieben verschwunden. Die unbegreifliche Fahrlässigkeit der Moslims, ihre Nichtkenntniß und Geringschätzung der Alterthümer, welche sogar gestattet, daß werthvolle Denkmäler als gemeine Bausteine verwendet werden, kann allein einen Erklärungsgrund für dieses unbegreifliche Verschwinden so vieler Inschriftstafeln abgeben. Alles, was wir in dem kleinen Museum zu Karthago entdecken konnten, waren einige 30 altvhönicische Dankin-schriften, von denen wir diejenigen, welches etwas Neues oder Zweifelhaftes enthalten, hier wiedergeben. 44) « Aris, Sohn des Iithenbaal, Sohns des Micipsa grub ein (diese Inschrift), wie er seine Stimme hörte. Den bisher noch auf keiner Inschrift gesehenen Eigennamen «2k^?n glauben wir für nichts Anderes, als die phönicische Form des uns nur in lateinischer bekannt gewordenen numidischen Eigennamens Ni^ipsa halten zu können. Allerdings hat dieser Name zwei Buchstaben (5 u. 2) mehr als der lateinische, so daß wir ihn etwa Messivnasl'a aussprechen müßten. Aber ähnliche Einschiebungen von Buchstaben bieten sich uns ja auch in der unzweifelhaften Form des Namens Massinissa (Levy, Wörterb. S. 31), welche ^t^ll lautet, also ein l", u. ) mehr hat als die römische Version Massinissa. Eine andere phönicische Lesart desselben (Judas 16, 2, 3), welche i^tt^^O lautet, hat gleichfalls zwei oder drei Zeichens l^ u. 5<) mehr als die lateinische. Erscheint so der 387 eine numidische Königsname zweimal auf Inschriften und zwar jedesmal in verschiedener Form, so haben wir dagegen den andern „Nioip8a" bis jetzt noch nirgends unzweifelhaft con-statirt gefunden, denn der eine Fall (auf einer Münzlegende bei Müller, Levy, Wörterb. S. 29), wo der Name ^n lautet, wird von den Kennern mit Recht in Zweifel gezogen. Auffallen mußte es aber, daß dieser Name bis jetzt fehlte, da ihn uns die lateinischen Quellen als einen der Verbreitetesten in Numidien nennen. Wir schlagen also diese Identification des Namens Ui«ip8t>, mit unserm ^^3)ü??2 vor. Das Wort ^1N halten wir für dasselbe wie das hebräische v^si (einmeißeln, eingraben), es kommt übrigens schon im Hebräischen vor: ^N, ^1!1 u. ^N, alle diese 3 Formen sind nachweisbar. Regelrecht sollte freilich hier, wie uns Ur. Levy mit Recht bemerkte, ein Verbindungswort (1) vor dem ^"ü"! stehen, da ja schon ein Verbum, 1"!), vorhergeht. Doch dürfen Wir Vielleicht hier eine syntaktische Nachlässigkeit oder einen Fehler des Steinmetzen annehmen. 45) ^ 1^251 p 7N7^!N2 Bodastoreth, Sohn des Chimelech, Sohns des Nave. In I^ii haben wir das ^ ergänzt. Das 1 am Schluß ist ebenso deutlich, wie auf unsrer 40. u. 41. Inschrift, also schon das dritte Beispiel des Vorkommens dieses Seitenstücks zu ^ü^N. Auch hier können wir nicht das gewöhnliche sdtM „Chamlan" annehmen. Das letzte Wort ist ziemlich undeutlich. Wir glaubten Anfangs kiü, Bodo, lesen zu können, aber das i ist zu ausgesprochen und die so erlangten Schlußzeichen ^ bestimmen uns das erste Zeichen ) zu lesen. KD würde für «"W (lIß00i'U8) stehen, welches sich in dieser Bedeutung besser zu Eigennamen eignen dürfte als in der andern „Imditans". 25* 388 46) (1) ^ri dx2 ^x(i?) Dem Herrn Baal Chamon und Der Herrin Thanith, dem Angesicht des Baal Diejenige, welche gelobte Mathanel Tochter des Mathanbaal Sohnes des .... Das einzige Beispiel, daß der Name des Gottes svN vor demjenigen der Göttin T^N steht. vtt^ll „Gabe des El", analog ^2^Q „Gabe des Baal". ^k als Göttername kommt bekanntlich auch im Phö-mcischen vor, wie auf der großen Sidonischen Inschrift ^tt-si (Sohn Gottes) und auf der 2ten von Umm-el-Awamid P2li ^ (El Chamon). Wie ^I^NQ, so dürfte auch ^«^ll sich sowohl zum männlichen wie zum weiblichen Eigennamen eignen. 47) 2 Baalschillek, Sohn des Mathanelim und sein Sohn Tobüach, wie er seine Stimme erhört. Außer dem bekannten Namen 1^d>ü haben wir hier zwei andere, völlig neue, deren Etymologie jedoch durchaus keine Schwierigkeiten bereitet. ll^«^Q erinnert an das in der vorigen (46sten) Inschrift vorkommende dtt^Q. Hier steht das dtt im Plural als ll5« für das hebräische ?^l<, und die Bedeutung ist statt „Gabe Gottes" hier „Gabe der Götter". Den dritten, auf unsrer Inschrift vorkommenden Eigennamen, in dessen Lesung wir nicht zu irren glauben, da das erste Zeichen für ein p zu groß sein dürfte, halten wir für das 389 kartioip. aot. Xal von Nül2 (schlachten, opfern) als person« lichen Eigennamen gebraucht. Der Sinn wäre also „der Opferer". Interessant ist unsre Inschrift, weil sie außer dem Weihenden noch dessen Sohn (5^1) nennt, wovon uns kein anderes Beispiel bekannt ist. Dieß erinnert an Melitensis I., wo es heißt: „Abdosir und sein Vruder Osirschamar". Die Zeichen, welche tt^i bilden, sind übrigens deutlich. Möglich wäre es jedoch, daß wir hier eine Andeutung von einem Menschenopfer hätten, und daß die Worte tt^i N2t2 et Wnm immolavit bedeuten. In beiden Fällen würde s12t2 gleichgeschrieben, wenn auch in einem als partioip. N2I2, im andern als 3 M-». poi-k. !"!l!!2 vocalisirt. Doch dürfte wohl in letzterem Falle eine andre Wortfolge und zwar «^ riüNi zu erwarten sein. 48) x^TNP 1"V ^« Diejenige, welche gelobte Asthanith, Tochter des Abdsesmun. Der Name ^7^?!? scheint uns hier ziemlich deutlich lesbar zu sein. Das Sain allein ist etwas undeutlich. Für l^TNx haben wir bekanntlich in 5x2IP und Ivmp Analo-gieen, die uns jeder weitern Erklärung überheben. Auch hier, wie in den Inschriften 10, 11 und 26, steht "N) als ^0116113 oONMIlM». 49) CV^ ^5< Diejenige, welche gelobte Nasarbaal, Tochter des Vodastoreth, , Sohnes des Hanno, Sohnes des Adonbaal. 390 Obgleich das ' in ^ü"M etwas undeutlich scheint, so nähert sich doch das Zeichen diesem Buchstaben am Meisten. II) können wir hier in verschiedenem Sinne auffassen und in jedem wird es sich zum Zusammensetzungswort eines Eigennamens eignen, sei es als „cU^äßm»,", wodurch der Name „Krone Baals", sei es als oongLoratio, wodurch sich der Sinn „Weihe des Naal" ergeben würde. Wir könnten es auch als Abkürzung von "l'^ „der Geweihte" auffassen, obgleich es dann eigentlich in der Femininalform 7!"^ stehen müßte. IT^T^^I würde, wenn es hier nicht Männername wäre, als „lili^ ^kwrt«8" zu übersetzen sein. Hier müssen wir freilich das !7, als Schreibfehler bezeichnen und annehmen, daß T^N'^ für 7^5Mx-^ stehe. 50) ^2^ ^2 U^l< !^^2 ^ Aris, Sohn des Channibaal, Sohns des Baalzillach. Der Name !"!^^'- ist neu, bedarf aber keiner Erklärung, da er ganz nach Analogie des bekannten N^Q^K gebildet ist. (Levy, Wörterbuch 7.) Zaltkinschriflen aus ln Ooletta. Auf einem Ausflug, welchen wir nach der Hafenstadt von Tunis, la Goletta, unternahmen, fanden wir in dem dortigen Bettelmönchskloster, dessen Vorstand die katholische Pfarrei des Städtchens versieht, im Garten ein kleines Museum, etwa 20 Inschriftssteinc enthaltend, die mit mehr Sorgfalt aufbewahrt und vor Verletzung geschützt wurden, als die von el Manuba und Karthago. Außerdem bekamen wir von dem dort residirenden belgischen Consul, Herrn Cubisol, einige Inschriftstafeln aus dem Nachlaß seines Bruders, des franzö- 391 fischen Viceconsuls Cubisol, geschenkt. Letzterer war ein steißiger Sammler gewesen und soll an 30 phönicische Inschriftssteine besessen haben. Er hat auch einige 12 derselben in einer kleinen Schrift, die er über die Regentschaft Tunis herausgab, veröffentlicht. Die dort gegebenen Coftieen sind jedoch leider völlig unbrauchbar und stellen monströse Zeichen dar, die offenbar aus Unkenntniß der fthönicischen Schrift entstellt sind. Desto mehr ist dieses zu bedauern, als jene von Cubisol copirten Originale seitdem spurlos verschwunden sind; denn diejenigen Inschriften, welcher mir sein überlebender Bruder zeigte, und von denen die interessantesten jetzt mir gehören, sind ganz andere, und keine einzige derselben befindet sich in Cubisols Werkchen. Von diesen in la Goletta von uns copirten Inschriften besitzen folgende allein Wichtigkeit. Bodesmun, Sohn des Chimilkat, Sohns des Chamonjithen Maharbaal. j7M2^ halte ich für eine fehlerhafte Form von ^T,^!"!, ein zwar neuer Name, der aber nach Analogie von jN'^15^ leicht zu erklären ist. Vor ^l^sin fehlt auch hier, wie auf der 4ten Inschrift das p, was uns auf den Gedanken gebracht hat, als könne ^INssQ einen Zunamen oder religiösen Ehrentitel gebildet haben. 52) (5xi!)^ kl?) l^« Derjenige, welcher gelobte Zophonbaal. Ein zweites Beispiel des schon in unsrer 20sten und in der 23sten und 83sten Inschrift bei Davis constatirten KI5') an Stelle von "ill. Der Eigenname, dessen erster Theil M vollkommen deutlich ist, scheint uns nach Analogie des hebräischen N^3^ 392 (yu6ui Dons adgoonäiält vei tultu» 6»t) gebildet. An Stelle des fehlenden Götternamens haben wir hier den einfachsten, ^!?2, ergänzt. Die Bedeutung des Namens wäre also „der Schützling Baals". Obgleich die Vocalisirung strenggenommen ^?^, Zephanbaal, sein dürfte, so glauben wir doch in der Aussprache der Septuaginta, welche sich ohne Zweifel auf wohlbegründete Volkstraditionen stützte, folgen zu müssen, da sie den analogen Namen "^O!i, Sophonias, schreibt, und vocalisiren deshalb Zofthonbaal und nicht Zephanbaal. Die gelobende Ariseth, Tochter des Abdmelkarth, Sohns des Adonbal. In l^^tt haben wir sie zum erstenmal, aber unzweifelhaft die Femininalform des bekannten männlichen Eigennamens t?-,«, Aris. 54) /?!)2^^ ",-!) l^« Die gelobende Zofthonbaal, Tochter Magon's, Sohns des Chimilkat, Sohns Magon's, wie er seine Stimme erhörte. Der bereits in unsrer 52sten Inschrift vorgekommene männliche Eigenname ^ü25^ erscheint hier als weiblicher, als welchen ihn das nachfolgende !°>2 deutlich zu erkennen giebt. Er war also Aonsi-is oumnnmis, wie das bekannte ^I^liO. Der Umstand, daß ^2 hier auch in der Mascu-Imform als 3sn6ri8 ooinmunis gebraucht ist, bestärkt uns in dem schon oben bei Inschrift 10 und 11 ausgesprochenen Satz, daß dieß besonders dann der Fall zu sein Pflegte, wenn auf das ">"!2 ein nomen pi-opi'ium folgt, welches selbst Mn6i'l3 C0MMUM8 war. Dreimal hatten wir bis jetzt lö'tt 393 7)2 bp^rw ^i^ und hieran schließt sich unser ^) 2N 7i2 yx2^0ü als viertes Beispiel an. 55) ,(«)P°N) l^« Die gelobende Scho^ereth, Tochter des Hanno. Das auf -N) folgende )? und der Umstand, daß nach diesem ein Zeichen fehlt, bestimmt uns hier, die neuvhöni-cische Form k)?^) zu vermuthen und k zu ergänzen. T^M halten wir für das Participium lom. »i«^. Xai von "!>'l^, welches „spalten, öffnen", oder bildlich „schätzen" bedeutet. Als Eigenname würde wohl der Sinn „die Pförtnerin" (d. h. eines Heiligthums) festzuhalten sein. Vielleicht tonnen wir 7^!)A auch als Beinamen einer Göttin „die Er-öffnerin des Heils" auffassen und dann den nach !? fehlenden Buchstaben durch I ergänzen, woraus T^'t^p Asscho ereth entstehen würde. 56)' ^ll ^2 ^PI^IV "^ gelobte Asarbaal, Sohn Mazri's, Sohns des Abdmelkarth. Ein zweites Veisftiel des bis jetzt nur auf einer Inschrift von Bourgade vorgekommenen Namens ''"^N (s. Levy Wörterbuch aä vovoin ^^ill). 57) nx 71(2) (KN171 Thedira, Tochter des Abdzophon. Obgleich "1^ bei dieser Inschrift nicht im Femininum steht, so giebt doch das dem Vaternamen ^^2P vorhergehende 71, vor dem wir das fehlende - ergänzen müssen, den Namen der weihenden Person als den einer Frau zu erkennen. Von diesem Namen sind die drei ersten Zeichen ^71 394 vollkommen deutlich. Wäre das "! nicht unzweifelhaft, so hätten wir in dem Namen vielleicht das !>'"QN (Tiberia) bei Judas 1 s>, 1—3 erblicken können. Da dieß aber der Fall und da uns kein hebräischer Stamm "!"!71 bekannt ist, so halten wir das l^ für ein Präfix und 1"! (wahrscheinlich aus "111 abzuleiten) für die Wurzel. Wir hätten hier also ein Nomen nach der Art des Infinitiv von Piöl, ähnlich dem hebräischen 5'^T! von 5!^. Vom Verbum "li"! kommt bereits in der Bibel ein so abgeleitetes Nomen, nämlich tt^>? -^ Dan. «. 17, 21, — vor, welches in seiner Bedeutung „3,6t6rnita,8" sich wohl auch zu persönlichen Eigennamen eignen mochte. Nach Analogie dieses biblischen l^"^ ergänzen wir denn auch hier ein d< am Schlüsse. Der völlig neue Name s^-ilH (Dieners des Verbergenden, d. h. Beschützenden) bereitet uns keine Schwierigkeit. Wir haben schon oben ^PD^ii zweimal gehabt. Hier finden wir nun das dort als Verbum gebrauchte Stammwort ^D^ in der Particiftialform zum Beinamen des Gottes selbst geworden. 58) 2 ^ l-^d 7,(1!^) Wir geben die ganze Inschrift, um die Ergänzung der fehlenden Buchstaben zu erleichtern, und übersetzen nur die zwei letzten Zeilen: Die gelobende Ariseth, Tochter des Nadab, Sohns des Nathan. Die auf den drei ersten Zeilen fehlenden 3 — 4 Anfangszeichen geben uns einen Fingerzeig für die Ergänzung der vierten Zeile. Die dritte bietet uns entweder wieder den schon auf der 53sten Inschrift vorkommenden Namen 7)l5^X 395 oder wir müßten das K zu "l^ schlagen und hätten dann einen neuen Eigennamen 7!l5^ (die Herrin). Wir ziehen es jedoch vor, hier den bekannten Namen !7>l5^t< und bei II) ein weiteres Beispiel von der Masculinform der 3ten Person als Aunori» omnrminl», wie auf Inschrift 10, 11, 26 und 54, anzunehmen. Ob jedoch ^"IK oder Till^ zu lesen, jedenfalls giebt das Schluß - 71 den Namen als einen weiblichen zu erkennen und erleichtert uns die Ergänzung der vierten Zeile, deren zwei ersten Buchstaben also Tin wären. Auf die zwei ersten von den uns erhalten gebliebenen Zeichen der vierten Zeile folgt das Wort ^2 (Sohn), also muß das vorhergehende, völlig deutliche 2"! den Schluß eines Eigennamens bilden und zwar eines solchen, der nur 3—4 Buchstaben hatte, da zwischen Nü und II höchstens 1 oder 3 Zeichen fehlen. Von Eigennamen mit 3—4 Zeichen, welche auf 2^ enden, ist uns unter den bisher bekannten fthönici-schen keiner erinnerlich, wohl aber besitzen wir im Hebräischen einen solchen und zwar den bekannten Eigennamen D^), Na-dab, welchen der Sohn des Ierobeam und viele andre führten. (1 Kon. 15, 25. 31.) Wir ergänzen also das fehlende Zeichen zu einem ) und lesen 2^. Im Schlußnamen unsrer Inschrift lesen wir das drittletzte Zeichen als ^ und nicht als ^, da wir nicht wüßten, was wir aus ili2 machen sollten. In ,7» aber haben wir den sehr bekannten biblischen Namen, welchen der Prophet Nathan und viele andere führten. 59) ^I^ «^sillV- p^ ll^l>' Diese Inschrift unterscheidet sich von allen bisher dagewesenen dadurch, daß hier das übliche in oder 7,2 durchaus nicht zu entdecken ist. Alle Buchstaben sind übrigens deutlich, bis auf den I0ten der vorletzten und den ersten der letzten 396 Zeile. Ersteren nehmen wir als ', könnten ihn aber auch als ? gelten lassen: letzterer scheint verzeichnet oder unvollständig. Wir ergänzen ihn zu einem 2, da er mit diesem eine gewisse Aehnlichkeit zeigt. Dieses könnte dann mit dem folgenden 5"^ zusammen wohl „in Sidon" gelesen werden. Was sollen wir aber aus M?2lt^ machen? Es scheint offenbar aus zwei Worten zusammengesetzt, vielleicht folgenden: 1) Nl5^, das für j^^ (wir haben diese Form statt jlll?« schon Judas 22, 2) stehen könnte; 2) ^5!, welches für 71'^, beleben, Pi«l von !">'/i, leben, gelten dürfte. Dieß würde den Sinn „Esmun belebt" geben. Doch müssen wir gestehen, daß uns diese Erklärung keineswegs befriedigt und wir Andern eine bessere Deutung überlassen. tz. 5. Zuschriften mit bekannten Ilamen. Außer den erwähnten 59 Inschriften, welche mehr oder weniger Neues bieten, haben wir in den verschiednen Sammlungen noch etwa 120 Dankinschriften vorgefunden und covirt, welche jedoch nur die stereotypen Formeln und außerdem lauter bekannte Eigennamen enthielten. Wir begnügen uns deßhalb hier damit, eine Uebersicht über die Häufigkeit des Vorkommens eines jeden dieser bekannten Namen zu geben. So fanden wir in diesen Inschriften den Namen ^)"!tt, Adonbaal, achtmal immer in dieser Form, nie !5^e<, Aris, achtmal. 5<^, Bodo, einmal. ^pdll^H, Bodmelkarth, sechsmal. 5N!^^2, Vodastoreth, zwanzigmal. d^!">/!)I!, Vaalhannv, dreizehnmal. "N^i:, Baalasar, zweimal. 397 I^PH, Vaalschillek, einmal. ^O'!), Gersochen, viermal. ^t^^V^. Gerastoreth, dreimal. tiü5ll!i, Chimilkat, sechsunddreißigmal. st?2N, Chamlan, sechsmal. l^li, Hanno, neunzehnmal. ^I2M, Hannibaal, zweimal. ^)^), Magon, fünfmal. ^21!1v, Maharbaal, viermal. sN'^^2, Malkjithen, einmal. ^li^^n, Melkarthchillez, zweimal. ^1pv?2^ll, Mathmelkarth, viermal. ^ü^ll, Mathanbaal, sechsmal. ^^üp, Abdesmun, fünfmal. ^2"!2^, Abdbaal, einmal. T^^Q'^p, Abdmelkarth, zweiundzwanzigmal. ^I^l^x^l^!?, Abdastoreth, dreimal. ^!2?x, Asmelech, viermal. ^xn^ix, Asarbaal, dreimal. 120^, Sufet, sechsmal. Wie man sieht, sind die beliebtesten Namen dieser Liste 71^?2N (36mal vorkommend), «^ (I9mal), 51-,Nl?xi2 (20-mal), !7^p^2^>' (22mal) und k^pl! (I3mal). Alle andern kommen verhältnißmähig seltner, die genannten aber auf einer Inschrift oft 3mal vor. So heißt es auf einer auf einer andern: Bei den beiden Namen l^i^i! und r^v"^ bemerken wir die Eigenthümlichkeit, daß ersterer vorzugsweise in dieser verkürzten Form statt der längeren r^Nl5^i2p steht, letzterer aber viel häufiger ist, als seine verkürzte Form 398 T^P^OID. Im Ganzen scheinen diejenigen Namen, welche sich auf eine weibliche Gottheit beziehen, wie Ti^llN und !"!",!"^-Q häufiger, als die auf eine männliche bezügliche, die Verehrung der Göttin (Thanith, Astoreth u. s. w.) war also wohl volksthümlicher, als die des Gottes N-^Q, der von allen Göttern noch am häufigsten in den Eigennamen sigurirt. i^K'tt spiH neben ihm in diesen Namen nur eine sehr unbedeutende Nolle. Dem 7>1P^2 stand die l^Q, in der wir wohl die 5^71 oder 7^7^!? erkennen müssen, als beliebteste Göttin zur Seite. Sie war die Königin, wie er der König, der bald als „König der Stadt" 7NP ^Q, bald auch schlechtweg als „König" wie in I^IP, ^?271 erscheint. Kerzeichniß") der in diesen Zuschriften vorkommenden neuen pljomcischen Eigennamen unö Wörter. ''"lltt ? N0M. prop!'. NM8«.) vielleicht für K1Ü!?, I7te Inschrift. "IT^N, Abjathar, iwin. propr. m^o. Biblisch (1. Sam. 22, 20.) 36ste Inschrift. 1/^-!-!i>, Adramelech, NUIN. propr. Mll8o. Biblisch (Ies. 37,38. 2. Kon. 19, 37.) 3te Inschrift. '^ül< ? Azri, nuin. propr. mag«.) vielleicht von ^t<, Schatz, I5te Inschrift, 4te Zeile. Til^"!«, Ariseth, now. propr. kom., Fcmininalform von ^«,Aris, 53.Inschr., zweitletzte Zeile. *) Wir haben hier nur alle diejenigen Eigennamen und Wörter aufgenommen, welche sich noch nicht in Dr. Levy's Phönicischem Wörterbuch (Breslau, Schletter'sche Buchhandlung, 1864) angeführt finden. Die zweifelhaften sind mit Fragezeichen versehen. 399 ^Nl^T^di ? Esmunimmez, num. pi-opi-. ma»«.) analog dem hebräischen ^^^, Amazia, I4te Inschrift. l^^^^l^«, Esmunamas, nom. propv. wakc». Analog dem hebräischen!^^ Amasia, 8. Inschrift, Zeile 3, 4, I6te Inschrift. Zeile 4. Nlö'tt, 8nd8wnt. t'«w., statt des hebräischen "W, das Weib, die Gattin. 23ste Inschrift. ^'2">2, Bodbaal, nom. propr. ma^o., verkürzte Form von ^212!?, 35ste Inschrift. 711!"!!!, Bohereth, d. h. „die Glänzende"^ n«m. zn-opr. fom. von ^"^, glänzen. 34. Inschrift. Oü^x2 ? Baaleches, d.h. „der Gefangene Baals", nom. propr. mn8o.) vielleicht von T^, Fessel, und d!)2. 8te Inschrift, 3te Zeile. XIOdx^, Vaalftada, d. h. „Vaal bewahrt", ^om. pwpr. Mli8o. Nach Analogie des hebräischen ^-H (Num. 34, 28.) 23ste Inschrift. N7^^i:, Baalzillech, d. h. „derjenige, welchen Baal beglückt". !>om. propr. inll8o. Analog s^)f2l5'tt. 50ste Inschrift letzte Zeile. 7!)2!1^i!, Boschcthbaal, d.h. „Schamhaftigkeit Vaals". Xom. pl-npl. lem. 38. Inschr. 3. Zeile. 7^!5^ü, Vothastoreth, nom. propr. mageui. statt ^^^t5^1ü, Bodastoreth, 4iiste Inschrift, letzte Zeile. ll^2, Giddenent, nom. propr. ssm. Der aus dem Poe-nulus von Plautus bekannte punische Frauenname Gidenemme. 24ste Inschrift. 4U0 l^s^Q^, Germelkarth, d. h. „Freund des Melkarth". Mm. pi-opr. mage. 38ste Inschrift. 12O?2-!2 ? Germiskor, d. h. „Freund des Lohnes", nom. propr. mage. Vielleicht von ^2!I>Q oder "^2^12, Lohn, und "i^, Gast oder Freund, Ite' Inschrift. ^"Illl^^», Gerastoreth, nam. propr. ma^o., statt des gewöhnlichen N-^I^2. 34ste Inschrift, letzte Zeile. i^llN ? Hamelech, d. h. „der König". Xom. propr. inago. I9te Inschrift. ^PIM^, Sivagbaal, d. h. „Vaal vereinigt". Nnin. propr. ma»o. vom Verbum M, vereinigen, und ^!)D, vergl. )17, Sivag, als noni. propr. bei Davis 17, 4. i!)te Inschrift. I^vsi, Chimelech, d. h. „Gnade des Königs", num. propr. ma8o. Analog 7^?2N, Chimilkat, d.h. „Gnade der Königin". 40ste, 4iste und 45ste Inschrift. ^^?2M, Chanmelkarch, d.h. „Gnade des Melkarth". ^!om. prop,-, ldm. Analog ^2^, Han- nibaal. 27ste Inschrift, letzte Zeile. 17!^Q^ ? Chamonjithen, d.h. „Chamon giebt", nomm. prapr. mg,8ou1., vielleicht statt ^^NN. 5iste Inschrift. I^si, Hannon, nom. P1UPI-. ma»o. Biblisch (1 Par. 11, 43). 34ste Inschrift, letzte Zeile. 401 I1ÜH, Tobcach, d. h. „der Schlächter", nom. ^wz,»-. mn«s>. als l'-'vt. .,<>. z<n>i»'. ij>!,8c Vicllcicht von< Iinftcrfect. von -^, vcrbmdcn, nnd ^!<'2. 39ste Inschrift, Ictztc Zcilc. li^P?^^^', Iithcnmclkarch, d. h. „Mcltarth vcrlciht", «om. ,»i',,,»'. n!:!^,^. Analog /^:^' und ^^. 1,to Inschrift, ^te Zeile. 17!^!1', Iithenathor, d. h. „Athor verleiht", ^oin. propr. ,!,.'^o. "!"!? sindet sich Melit. 5, 4. 18to Inschrift, letzte Zeile. ^^ ? Kosi, d. h. „der Mundschenk". Xom. prnpr. mag^.^ vielleicht von ?12 (Becher) abzuleiten, löte Inschrift, 5tc Zeile. ^I^, Koschereth, d.h. „Glückseligkeit". Nom. propr. lom. 3Zstc Inschrift, 3te Zeile. T^^'?, Lebeneth, d. h. „die Weiße". Nom. pro^i'. lum. Analog dem hebr. Eigennamen 71^^ (Esra 2, 4l>). 39ste Inschrift, 3te Zeile. ^'2-!5!?2, Macharbaal. ^'om. iiropi'. mago., statt des gewöhnlichen v!?21!"1!2, Maharbaal. 4te Inschrift, letzte Zeile. I. 26 402 iT^l^^n, MIkarthmathan. ^M!1. pll'^n-. Mli8l'., analog dem bekannten ^:^2, «te Inschr. ^''^^^, Melkarthjithen, n<»m. z»ojn'. n,:,,8o., analog dem bekannten n^^tt. 14te Inschrift. ^^!?5^^!2 ? Micipsa, nmn. iu'<»pl'. inn8c. Vielleicht der bekannte numidische Name. 44ste Inschrift, Zeile 3 u. 4. 5^^lip?2 ? Maadkoschereth, d. h. „Zierde der Glückseligkeit". Analog dem hebr. !"^"^'??. 17te Inschrift, 3te Zeile. ^'^v, Vlathanel, d. h. „Gabe Els", ^'nm. pi-upr. tew. Analog ^'2^1^. 4<>. Inschr., 3. Zeile. ll^^?2, Mathanelim, d.h. „Gabe der Götter". Xom. propi'. m:l«>, 47ste Inschr., 3te Zeile. l^!7^?2 ? Mathanhabore, d. h. „Gabe des Schöpfers". Vielleicht vom I/.'N'Ucip. m!i»<'. Xnl von d<-!ü, erschaffen, mit vorgesetzten: Artikel und ^,?2. Liste Inschrift, 2te Zeile. 2"l^ ? Nadab, n»»,n. pr!(,ln^). 45. Inschr., letzte Zeile. ^2^, Neserbaal, d. h. „Krone Baals", now. pioi>r. lum. Vom hebräischen ">^ ( Von ^D^, verbergen, und "^, Sklave. 57ste Inschrift, Schluß. ^', »>ü)8t. um^c, „der Herr", statt des gewöhnlichen !"ldv 20ste Inschrift, Ae Zeile. ^0'!), Asntelech, d. h. „Hülfe des Königs", num. propr. m:i8<'. Hier zum erstenmal vollständig gelesen, ttte Inschrift, letzte Zeile, 7^0, Asthanith, d.h. „Hülfe der Thanith". ^mnon 1»ioj,l'. t'cm. 48ste Inschrift, 2te Zeile. ^'^', Elissi, n«m. prcpr. mi^c. Maseulinform des bekannten iveiblichen Eigennann'ns ^k^', Elisseth oder Elissa. :W. Inschr. 2. Zeile. I2x^?2!), Amasam, d. h. „Beschützer des Volks", entweder männlicher Eigenname oder bürgerlicher Ehrentitel. 14. Inschr., letzte Zeile. 71^"!7,-^?2>5?2^ ? ^»I^f. s'<',npo8. N!!l8onl. „Beschützer des Volks von Karthago", wahrscheinlich bürgerlicher Ehrentitel. 35ste Inschrift, Zeile 3 u. 4. ^kll^', Asibel, d. h. „von Bel erschaffen", u«m. propr. ,n«,8<',. Analog dem hebräischen ^i^ und !1'H'^ :i3ste Inschrift, tste Zeile. 2 l<^, 8ud»t. tdm., „das Angesicht", statt des gewöhnlichen ,9. 25ste Inschrift, Iste Zeile. ^^"!1l, Zadthanith, uom. i)lupr. t«m., wahrscheinlich Beiname der Göttin Thanith. 32ste Inschrift, 4te Zeile. 404 Y^^O^, Zofthonbaal, „derjenige, den Vaal verbirgt". ^oni. i»',l8<-. Analog dem hebr. ^'^'^, Zefthanja oder Zofthmna. 52ste Inschrift, ^te Zeile. 5^"^, Zoreth, d. h. „die Glänzende", mun. pvlip,-. t'«m. von!i^, glänzen. 86. Inschr., letzte Zeile. Nl^'!"! ^P, siehe oben "5'^ 7^^P^x^?2x. l','!!/^, Scho^crcth, d. h. „die Pförtnerin^, IUNN. propr. ium. von ^^'^' (öffnen). l,5ste Inschrift, letzte Zeile, ^^-^l^, Sardoni, d. h. der Sardinier, Denominativum von ji"?^', Sardinien. 15te Inschrift, 5te Zeile. n X"!1^, Thedira, d.h. „Ewigkeit", «om. propr. lem'm. Vielleicht das biblische ^l^')^ (poi-pbtm-ta8). 57. Inschrift, 4. Zeile. (Msückl l'ü! h, Ael>l'l>vger m Dessau Plan -von. T W M I S, /. ,i'ee.ttras.re. tf. MasrJtfc dm firos-s S. F'raiiv.ös.Con.vufiU■ sicyellHinctJim-s. 3. Seethor. )Z.PlätxlLdf$satft/ityflassim.\ 8. Citadefte. 17. Thor.i/"iw(( »line Zeit. Auszüge a. seinem Briefwechsel, zusammengestellt n. erläutert. Nebst einem Anhange: Daniel Wilhelm Trillers An-»'erklingen zu Kl^pstock's ^elehrtenrepublil. gr. 6. geh. 3 THIr. c''.lil«!,nlt> Ephraim i.cj>m>i, sein Leben und seine Welle. .',ebst einigen Nach^ lrägen zur fachmännischen Ausgab/. Mit zwei Facsimiles. Neu« wohlfeile Ausgabe in 4 Lieferungen, ar. 8. geh. 4 Thlr. 24 Nar. ivis, N,. Karthago und seine Ueberreste. Ein Bericht über die Ausgra-Inui^'n und Forschungen auf" der Stätte der phönicisehen Metropolo in Afrika und anderen l>cmachhartcn Ortschaften. Aus dem Enplisrhen. Mit Karten, Pliincu und Illustrationen, gi: Š. f>eh. t 'l'lilr. Wanderungen durch Ruinen-Städte auf numidischem und karthagischem Gebiete. Eine Fortsetzung von desselben Verfassers Werke „Karthago und in'ue UtberresW'. A us dem Englischen. Mit einer Karte *md Illustrationen, er. 8. «eh. 2 Thlr. Nnis, G., die ,üt.'<: Abbildungen, ii Landschaften, 9 Plänen, 18 Inschriflen u. 1 ilarte. Zwei AblHeilunaen. gr. ft. geh. 6"^ THIr. >el^e>»i, 1>>'. ll., l.. ^nnaei 8enecae discipline moraliz cum Hnton!nl»na 2c»ntentio et compa^m. ^>. 6. ^,h. ^» ^^-. dcr I,tilifts ^niilü!'.' u»K dic kl.»j!>>chr>l ^ludir». Eine gi)mnasialpädagogische Etudie. ^r. 6. gch. i!i Ngr. iiber 8uton5 Vierk de viriz iüullribuz. Eine philologische Studie. ^>. «. ^>h. 21 ^ßr. ÜNtzer, Heini., i'rcundrMldcr .^^, C>c>t!l)c's «.rbrn. Studien zum Leben des Dichters. 2. wohlfeile Ausgabe, gr. 8. geh. 1 Thlr. 27 Ngr. <',oc',uctl)r'ft M,N. Erster und zweiter Theil. Zum ersten Male vollständig erläutert, ü. verm. u. verb. Auslage, gr. 8. geh. 3 Thlr. 15 Ngr. C'»oel!>e'!> ^romlllirn'H »nl» P.,i,kur.,. Ein Äersuch zur Erklärung und Aus: Heutuug dieser Dichtung,,,,, ^ielie, mit einei» Nachtrage verinehrte Ausgabe, gr. 8. geh. 15 Ngr. ^»mlir'Ä ^ssn. Zum ersten Male vollst, erläutert, gr. 6. gch. I THIr. 15 Ngr. !>elina, Kr. F. W., uvkundlichr ^ci>,,»gr z»r ^»eschichlt «nl> Krir^ l?. >>.,!,,l,uudnta. Nach d.n Originalien dcr Herzogl. AnHaltinischen Archive ^eraus^e^eben. Erste Abtheilung: Zur Geschichte der ^'iederlandc. A. u. b. T.: PHilibcrt du Vois, diplomatische Berichte an den Fürsten Ludwig iu Anhalt von 1<>U5 bis 103^>. 1. u. 2. Aand: 1«0ii bis 1008. gr. 8. s>eh. ' !i THir. ^! Ngr. »^'ichtUNg, die, «nl> ^ftcgc l>c« Zimmrl.,lN,Hriu>!,ft. Auf eigenen ErfaHrun-«e> beruheltde Rathschläge, wie man diesen schönen und belehrenden Zim-«er'chmuck zu behandeln Hat, um cm gesundes und fröhliches Gedeihen !essr lben zu erzielen. M't ä2 erklärende,: Holzschnitten «uo einen» lilho- "^ Hirten Titelbild« i» Tondrull. «. geh. 12'/,. Ngr. tni v<»<». lteeenl,uit, < n» illlavil, u'eiltaoue u'^elit .> o sephuti KI«i,l. ft. mu.j. sseh. 1'/. 'l'hlr. ch, F., Hlonigl PrcuH. KrnsgerichtsralH, dic tjlilauNall dr^ Pirrclort. lii/m O'.aftlar. Erinnerungen aus dem .uurlcben. «. geh. .'i Ngr. us Ch. Tagebuch auf einer Reise in Kleinasien i. J. 1838 und ichl' über seine Entdeckungen in Lykien auf einer zweiten Reise im 1840. Deutsch von Dr. J. Th. Zcnki-r. Mit ^. Deutsch bearbeitet von I. Corner 3 Bde. gr. 6. geh. 5 Thll Göhriug, C., Cnrtcz, dic Ernlirrnn^ va>, Mrxico. Fortsetzung von „C>! lulnbus". Deutschlands wackerer Jugend erzählt. Mit zahlreichen IM strationen. 6. geb. 20 Ng> Gösche!, E. Fr., ^lnlrrlitülungc» )ur Schilderung (^aelhr'scher Dichl- m> Dluknicisc. Ein Denkmal. 3 Theile. Neue wohlfeile Ausgabe in 1 Nmil« 8. ach. 1 THÜ Goethe's Faust. 2THIe. Mit berichtigtem Texte, den verschiedenen Le^artc!» erklärenden Anmerkungen u. Einleitung. 6. geh. 1. 4Ngr.; II. 6 Ngr. Vol> ständig geh. 10 Ngr.; geb. ' 11'/, Ng< — Hermann unl» DorutlM. Mit Einleitung, Anmcrkliugen und deu verschü denen Lesarten. 8. geh. 2^ Ngr.; acb. 3 N^ — ceidm drü .jungen Wcttl)rrli." Venchtigie Ausgabe. Mit Einleitung, d^ verschiedenen Fassungen und Lesarten und erläuternden Anmerkungen, i gch. 3 Ng> — Unnekc ?,l^ Grote, O., l^rschichlt <'')ritchc,i!.n,lw. Nach der zweiten Auflage deuts H ' Meißner und Höpfner. U Vändc (dic Vände 1 bis 12 des Or^ enthaltend) nebst ausführlichem Namen- und Sachregister über das Werk. Mit dem Portrait d.s Verfassers, 14 Karten und 11 Plänen, geh. Herabgesetzter Preis 12 Gützlaff, Carl, d.,5 cclien dc« 3«u,-ilu.nn^ verstorbenen Kaisers von C Nebst Denkwürdigkeiten des Hofes von Peking und einer Skizze der h sächlichsten Ereignisse in der Geschichte dcs chinesischen Reiches während ^ letzten fünfziss Jahre. Aus dem Englischen, gr. 8. gch. 20 '. ^ IIe<^»lii«I, ll., Noize an ijiientlicbt auf Verü,nl»,88unss de« Mini^tei iu,u8 der Marin« und der Kc>1> nieen. A. d. ?ranxö!;i8che». Mit Kupfern u. Karten, ßr. 8. ss«h. 2"',., ^!>! Herder, I. G., Der Cid. Nach spanischen Romanzen. Mit Einleitung, d< abweichenden Lesarten und Erläuterungen. 6. geh. 3 Nss Nemcudnitz.Leiftzig, Heinrich Vachmann, z