Joachim KEMPER* * Archivrat, Staatsarchiv München, Schönfeldstraße 3, D-80539 München, Tel. +49 /89/28638-2534 e-mail: joachim.kemper@stam.bayern.de Archivische Netzwerke in Europa. Aktivitäten und Projekte von "ICARUS" im Jahr 2010 KEMPER, Joachim, Archival Networks in Europe. Activities and Projects of "ICARUS" in 2010. Atlanti, Vol. 20, Trieste 2010, pp. 267-276. Original in German, abstract in English, Italian and Slovenian, summary in English The article describes some activities and projects of the "International centre for archival research" ("ICARUS"). First it describes the formation of "ICARUS"at present; "ICARUS" consists of more than 60 members in 10 countries. After this follows a look at some projects, such as "Monasterium"or "Matricu-la" and EU-projects. The activities of "ICARUS" is reflected in several meetings and conferences. In conclusion the "Agenda 2015" as a policy document of "ICARUS" is published. KEMPER, Joachim, Sistemi archivistici in Europa. Attivita e progetti di "ICARUS" nel 2010. Atlanti, Vol. 20, Trieste 2010, pp. 267-276. L 'articolo descrive alcune attivita e progetti del "Centro Internazionaleper la Ricerca Ar-chivistica" (ICARUS). Dapprima viene de-scritta la situazione attuale di ICARUS, che comprende piu di sessanta membri di dieci paesi. Dopo di cio segue una rassegna di alcu-niprogetti, come "Monasterium"o "Matricu-la" e di altri progetti europei. Le attivita di ICARUS si riflettono in svariati convegni e conferenze. In conclusione viene pubblicata l'"Agenda 2015", documentopolitico di ICARUS. KEMPER, Joachim, Arhivski strežniki v Evropi. Projekt „IKARUS" in njegovo delovanje v letu 2010. Atlanti, Zv. 20, Trst 2010, str. 267-276. Avtor predstavlja nekatere aktivnosti in izvedbe projekta Mednarodnega centra za arhivske raziskave (ICARUS). Najprej opisuje vsebino in namen projekta ICARUS, v katerega je včlanjenih več kot 60 članov iz desetih držav. Zatem se posveti izbranim projektom, Im folgenden Beitrag sollen ausgewählte Aktivitäten und Projekte des „International centre for archival research" (kurz: ICARUS; http://www.icar-us.eu) vorgestellt werden. „ICARUS" kann auf eine mehr als zweijährige, recht erfolgreiche Existenz zurückblicken, und geht im Kern aufjenes „Konsortium" zurück, das sich zuvor im Umfeld des virtuellen Urkundenarchivs Monasterium gebildet hatte. Zunächst soll „ICARUS" in seiner jetzigen Form und Zusammensetzung beschrieben werden (Pt. 1), dann folgt ein Blick auf einige laufende Projekte, an denen „ICARUS" beteiligt ist (Pt. 2). „ICARUS" als (vor allem) archivisches Netzwerk spiegelt sich in seinen Konferenzen und Veranstaltungen, weshalb auch hier ein Rückblick sowie ein kleiner Ausblick geboten werden (Pt. 3). Abschließend folgt ein Blick in die Zukunft, indem die im Jahr 2009 beschlossene „Agenda 2015" vorgestellt wird (Pt. 4). 1. Der Verein „ICARUS" Das „International centre for archival research" ist, wie bereits ausgeführt, als Verein der Nachfolger des Monasterium-Konsortiu-ms, in dem sich die an Monasterium Beteiligten regelmäßig getroffen haben. „ICARUS" ist als Verein nach österreichischem Recht eingetragen; derzeitiger Sitz ist Wien. Zentral ist die internationale, europäische Ausrichtung von „ICARUS", die auch in den im Jahr 2008 in Pressburg (Bratislava) verabschiedeten Statuten zum Ausdruck kommt. „ICARUS" hat sich zum Ziel gesetzt, konkrete Projekte zu initiieren, diese durchzuführen oder wenigstens als Partner zu begleiten. Daneben steht die Vernetzung der europäischen Archive (sowie generell von „Gedächtniseinrichtungen": Bibliotheken und Museen) auf der Agenda des Vereins; verschiedene internationale und nationale Tagungen, Konferenzen und Fortbildungen dienen ebenfalls diesem Vereinszweck. Das Monasterium-Konsortium wurde durch „ICARUS" quasi institutionalisiert, festere Strukturen wurden etabliert. Diese waren aus meiner Sicht, eines Teilnehmers an den früheren Konsortiumstreffen von Monasterium, zweifellos nötig, um größere Projekte gemeinsam mit den „richtigen" Ansprechpartnern durchführen zu können. „ICARUS" verfügt mittlerweile über ein Management, das als ausführendes Organ des Vorstands agiert und sich wie folgt zusammensetzt: • Administration • Wissenschaft, Strategie und Metadaten • Technische Entwicklung • Digitalisierung Dem Vorstand selbst obliegt die Leitung des Vereins. Neben dem Präsidenten stehen mehrere Vizepräsidenten sowie weitere Vorstandsmitglieder. Jeder Staat, der in der Generalversammlung des Vereins mit Mitgliedern vertreten ist, hat das Recht, einen Vizepräsidenten zu stellen. Gegenwärtig hat der Verein über 60 Mitglieder aus insgesamt zehn Staaten: Deutschland, Italien, Kroatien, Österreich, Schweiz, Serbien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn (zukünftig vermutlich: Spanien). Nimmt man die Verteilung der Mitglieder auf die einzelnen Staaten in den Blick, so zeigen sich natürlich noch einige „weiße Flecken" auf der archivischen Landkarte. Allerdings ist festzuhalten, dass zumal die Nationalarchive oder großen Staatsarchive Mitglied bei „ICARUS" sind (z.B. in: Österreich, Tschechien, Slowakei, Slowenien sowie Ungarn). Rund die Hälfte der Mitgliedsinstitutionen ist aus Deutschland und Österreich. Eine eigene, noch im Aufbau befindliche Plattform auf Wiki-Basis dient der Kommunikation innerhalb des Vereins. Ein Wort noch zur Finanzierung: „ICARUS" wird nicht durch Mitgliedsbeiträge finanziert, sondern einerseits durch verschiedene Projektmittel, dann über eigene Dienstleistungsangebote und über eine Basisförderung der Europäischen Union. 2. Aktuelle Projekte 2.1 Central European Virtual Archives Network of Medieval Charters (EU-Projekt) "ICARUS" hat gemeinsam mit Partnern aus sechs europäischen Staaten in den Jahren 2008 bis 2010 dieses Projekt (kurz: „Charters network") betrieben. Projektpartner waren das Tschechische Nationalarchiv, das Slowakische Nationalarchiv, das Archiv der Republik Slowenien, das Ungarische Staatsarchiv und das Bayerische Hauptstaatsarchiv; die Koordination erfolgte durch das Diözesanar-chiv St. Pölten. Das Projekt fand im Rahmen des Programms „Culture 2007-2013" statt. Zu den Projektzielen gehörte einerseits die Stärkung der überregionalen bzw. internationalen Zusammenarbeit zwischen den einzelnen beteiligten Staaten. Durch ein Expertenau-stauschprogramm wurden kurze oder auch längere Auslandsaufenthalte von Archivaren ermöglicht; regelmäßige Treffen und Workshops dienten dem fachlichen Austausch. Die Digitalisierung von Beständen der einzelnen Archive bildete ein weiteres wichtiges Projektziel, wobei die Digitalisierung und Onlinestellung mittelalterlicher Urkunden natürlich herausragte (Digitalisierung der Urkunden des Slowakischen Nationalarchivs; Import sämtlicher ca. 108.000 Urkunden des Ungarischen Staatsarchivs; Erfassung der „slowenischen" Urkunden des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Wien usw.). Das Bayerische Hauptstaatsarchiv betrieb beispielsweise im Rahmen des Projekts die Erschließung und Onlinestellung der Urkunden von Hochstift und Domkapitel Freising (ca. 8.000 Urkunden), eines Bestandes also, der aufgrund der Freisinger Geschichte viele grenzüberschreitende Bezüge aufweist. npr. "Monasterium" ali "Matricula" in projektom Evropske unije. Delovanje projekta ICARUS je bilo doslej predstavljeno na številnih srečanjih in konferencah, predstavljen in objavljen pa je tudi že dnevni red za projekt ICAR^US "A^genda 2015". SUMMARY The article describes some activities and projects of the "International centre for archival research" ("ICARUS"). "ICARUS" consists of more than 60 members in 10 countries. Central is the european and international orientation of "ICARUS" with the aim to initiate and conduct projects like "Monaste-rium ", "Matricula " and some other projects (such as the EU-project "Central European Virtual Archives Network of Medieval Charters"); furthermore "ICARUS" works linking the european archives (several meetings, conferences and workshops like "ICARUS@work"). At the end of the article a new policy document is published: the "Agenda 2015". 2.2 Net.Archiv (EU-Projekt INTERREG IVa) Das grenzüberschreitende Projekt versteht sich als Kooperationsnetzwerk archivischer und landesgeschichtlicher Einrichtungen in Deutschland und Österreich. Konkret beteiligt sind die Bundesländer Bayern und Oberösterreich (Archiv der Diözese Passau; Oberösterreichisches Landesarchiv; Bayerische Akademie der Wissenschaften), „ICARUS" übernimmt die Koordination und Aufgaben als Dienstleister. Im Rahmen des Projekts (Laufzeit: 1. Januar 2009 - 31. Dezember 2010) sollen Kirchenbücher der Diözesen Passau und Linz digital erfasst und im Internet bereitgestellt werden. Der gemeinsame Grenzraum steht auch im zweiten Arbeitsfeld des Projekts im Vordergrund: die Geschichte des ehemals bayerischen, seit 1779 österreichischen „Innviertels" soll im Rahmen des „Historischen Atlas von Bayern" aufgearbeitet werden; da wesentliche Teile der Archivalien zum „Innviertel" im Bayerischen Hauptstaatsarchiv liegen, ist vorgesehen, diese digitalisieren zu lassen, um die einschlägigen Archivalien im Oberösterreichischen Landesarchiv digital zur Verfügung zu stellen. 2.3 Matricula Im sogenannten „Matricula"-Projekt ist die Schaffung eines staatenübergreifenden Portals für Kirchenbücher geplant; das Portal ist seit dem Oktober 2009 in einer Beta-Version im Internet verfügbar (http://matricula-online.eu). Beteiligt sind bislang mehrere deutsche und österreichische Archive, eine Kooperation und reger Erfahrungsaustausch besteht unter anderem mit dem Moravsky Zemsky Archiv (Tschechien). Bislang sind annähernd 900.000 Seiten aus Kirchenbüchern online verfügbar. Die „Matricula"-Datenbank steht, obwohl diese Seitenzahl beachtlich ist, immer noch in den Anfängen. Es handelt sich um ein Pilotprojekt mit dem Ziel, möglichst viele Partner einzubinden. Entsprechendes Interesse ist vorhanden, beispielsweise im Kreis der deutschen Kirchenarchivare; gleichzeitig besteht aber anscheinend noch viel Bedarf für Diskussionen und Überlegungen (z.B. bezüglich der Frage, ob Gebühren erhoben werden oder nicht). 2.4 Monasterium Das internationale virtuelle Urkundenarchiv Monasterium (http://www.monasterium.net) ist längst aus der Phase eines reinen Projekts herausgewachsen. Da Monasterium und dessen Funktionalitäten mittlerweile in Grundzügen bekannt sein dürften, soll nur darauf hingewiesen werden, dass das Portal auf einer ganzen Reihe früherer und laufender Projekte und Initiativen in den beteiligten Staaten beruht. Es ist immer noch das Hauptarbeitsfeld des Vereins „ICARUS" und seiner Mitglieder. Monasterium ist das mit Abstand größte virtuelle Urkundenarchiv überhaupt; derzeit (Stand: April 2010) werden die Abbildungen (samt Regesten) von über 160.000 Urkunden aus zehn Staaten über das Netz geboten, diese Zahl wird weiter ansteigen. Über die Beteiligung von „ICARUS" am Projekt zum Aufbau eines europäischen Archivportals („APENET") soll sichergestellt werden, dass die Monasterium-Daten auch in übergreifenden Portalen abrufbar sind. 2.5 European network on archival cooperation („ENArC"; EU-Projekt) Neues, von der Europäischen Union gefördertes Projekt, an dem zehn Staaten beteiligt sind; Start im Spätjahr 2010. 3. Meetings und Konferenzen • "ICARUS"-Meetings: Halbjährliche Treffen der „ICARUS"-Mitglieder und des Vorstands an wechselnden Orten (einmal jährlich findet in diesem Zusammenhang auch die Generalversammlung des Vereins statt). Auf den Meetings besteht für Mitglieder und Gäste die Möglichkeit, in einem größeren Rahmen über eigene Projekte und Arbeitsergebnisse zu berichten; verschiedene Arbeitsgruppen (etwa zu Technik und EDV) treffen sich zum Austausch. Daneben stehen vereinsinterne Fragen und Planungen im Vordergrund. Zuletzt fanden die Meetings in Zagreb, München und Brünn statt (2009/2010). • ICARUS@work: Workshops oder Tagungen in den Mitgliedsländern des Vereins; diese werden seit Jahresbeginn 2010 in Zusammenarbeit mit „ICARUS" organisiert. Es fanden bereits statt: Workshop zum kroatischen Archivinformationssystem (ARHINET) im Oberösterreichischen Landesarchiv (20. Januar 2010); Workshop und Projektpräsentationen im Rahmen der Tagung in Radenci (17.19. März 2010); Workshop „Cadastral maps in central europe" (Budapest, 17.-18. Juni 2010); „Die virtuelle Urkundenlandschaft der Diözese Passau" (16.-17. September 2010). Bei den staatlichen Archiven Bayerns fand zuletzt ein Workshop statt, der dem Abschluss eines großen Projekts zur Urkundendigitalisierung diente: „Digitale Urkundenpräsentationen: Laufende Projekte und aktuelle Entwicklungen" (16. Juni 2010, München). • Größere Konferenzen: Aktuell geplant ist eine große Abschlusskonferenz zum EU-Projekt „Central European Virtual Archives Network of Medieval Charters". Die Konferenz wird (Stand: April 2010) vom 23. bis 25. November 2010 in Wien stattfinden (geplanter Titel: „Archive im Web. Erfahrungen, Herausforderungen, Visionen"). Die Tagung will sich zum Ziel setzen, den derzeitigen Zustand zu bestimmen und aufbauend auf den Erfahrungen einschlägiger Projekte über die Positionierung der Archive im Internet nachzudenken. Im besonderen Fokus stehen dabei die Onlinepräsentation von Archivgut, neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Archiven und Forschung sowie Modelle für internationale Kooperationen. Angestrebt wird, ein breites europäisches Spektrum von Referenten in die Konferenz einzubringen. Die Konferenz dient zugleich dem Start des neuen EU-Projekts „ENArC". • Neben diesen eigenen Veranstaltungen steht die aktive Teilnahme von Vertretern des Vereins an Tagungen und Präsentationen, die aufgrund der internationalen Ausrichtung von „ICARUS" einen immer breiteren Raum einnimmt. "1 4. Zukunft: Die „Agenda 2015 1. Einführung Die Archive Europas verwahren nicht nur einen bedeutenden Teil des kulturellen Erbes, sondern man kann sie auch als die Hüter des historischen Gedächtnisses des K^ontinents bezeichnen. Die aufbewahrten 1. Als Positionspapier für die Zukunft wurde auf dem "ICARUS"-Meeting in München (November 2009) die sogenannte "Agenda 2015" beschlossen. Die "Agenda" ist ein "lebendes", weiter zu diskutierendes Dokument; der Abdruck erfolgt in der derzeit gültigen Version (Stand: April 2010). Informationen repräsentieren das Werden und Wachsen Europas. Sie liefern die Basis zu einem differenzierten Verständnis historischer und aktueller Vorgänge und bewahren die Grundlage der Identität des Kontinents, seiner Länder, seiner Bewohner, seiner Kultur. In Archiven finden sich ausschließlich Unikate, die immer nur an einem bestimmten Ort aufbewahrt und eingesehen werden können. Die Hürden für den Zugang zu diesen Materialien sind daher hoch; Hindernisse stellen nicht nur unterschied^liche Sprachen und Mentalitäten, sondern auch aufwändige R^eisen dar. Diese Faktoren bilden für die meisten europäischen Bürger eine schwierige Barriere, so dass sowohl der individuelle Blickwinkel als auch jener diverser Forschungsprojekte meist beschränkt bleibt. Der Verein „ICARUS - International Centre for Archival R^e-search" setzt sich zum Ziel, diese Barrieren niederzureißen und den Bürgern Europas einen umfassenden, unkomplizierten Zugang zu ihrem historischen Gedächtnis zu ermöglichen, und zwar unabhängig von nationaler Zugehörigkeit, sozialem Status und Bildungsgrad. Archivalische Dokumente und die in ihnen enthaltenen Informationen werden als Gemeingut aller Europäer verstanden, das nun mittels der neuen Informationstechnologien erstmals in der Geschichte auch wirklich allen zugänglich gemacht werden kann. Bisher an bestimmte Orte gebundene Informationen können nun ihrer örtlichen Fixierung entrissen und nicht nur einem weit größeren Publikum zugänglich gemacht werden, sondern mittels neuester Erschließungstechnologien in neuen Zusammenhängen gesehen und verstanden werden. Dies weitet das Gesichtsfeld und eröffnet wissenschaftlich und kulturell arbeitenden Menschen neue Arbeitsmöglichkeiten. Ziel von ICARUS ist die nachhaltige Etablierung und sukzessive Erweiterung eines europäischen Netzwerks für archivalisches Erbe. Die gemeinsame Vergangenheit und das historische Gedächtnis der europäischen Länder und Kulturen sollen durch innovative Strategien mittels modernster Technologien stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt werden. ICARUS versteht sich als komplementäre Initiative zu den derzeit maßgeblichen europäischen Initiativen auf diesem Sektor: • Durch die Knüpfung eines Netzwerks und die Schaffung eines Rahmens für archivische K^ooperation in Europa werden die Grund^lagen geschaffen, dass qualitätvolle Inhalte entstehen und in Portale wie APEnet oder Europeana fließen können. • Durch den Fokus auch auf Staaten in Mittel- und Südosteuropa werden die Voraussetzungen geschaffen, dass kulturelles Erbe auch dieser R^egion - bisher eher unterrepräsentiert in den einschlägigen Portalen - nachhaltig ins Bewusstsein der Europäer gelangen kann. 2. Ausgangslage Die digitale Bereitstellung sowie die damit verbundene erleichterte Zugänglichkeit von europäischem Kulturgut wird von der Europäischen K^ommission im Rahmen verschiedener Förderprogramme (Cultu-re2000, Culture 2007, Interreg, Econtenplus etc.) unterstützt. Viele Kulturerbeeinrichtungen, voran die Nationalbibliotheken und großen Museen der einzelnen Staaten, reagierten relativ rasch auf diese neuen Herausforderungen durch die digitale Präsentation von Informationen und Objekten auf unterschiedlichen Internet-Plattformen. Virtuelle Verbund^kataloge und digital abrufbare Bücher und Zeitschriften gehören längst zum Standardangebot moderner Bibliotheken. Die Ergebnisse dieser Digitalisierungsprojekte fließen jetzt schon zu einem großen Teil in die europäische digitale Bibliothek „Europeana". 2.1. Archive als Verwahrer von Unikaten Die Rolle der Archive als Informationsdienstleister in der digitalen Welt ist bislang - im Vergleich zu den Bibliotheken - eher untergeordnet. Gibt es generell nur vage Vorstellungen über die Aufgaben und Arbeitsgebiete von Archiven, so werden auch die Unterschiede zu Nachbareinrichtungen wie Bibliotheken und Museen von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zu diesen ist der Unikatcharakter von Archivgut. Die Kernbestände der Archive bestehen in der R^egel aus den Unterlagen der ihnen zugeordneten Einrichtungen. Mit der Übergabe dieser Unterlagen an das Archiv werden sie zu QQuellen für die historische Forschung und damit zu wichtigem Kulturgut. Der Umstand, dass Archivalien nur im K^ontext der Verwaltungsabläufe, in deren Rahmen sie entstanden sind^, verstanden werden können und daher immer in organisatorische Zusammenhänge eingeordnet o o o werden müssen, macht ihre (elektronische) Erschließung zu einem komplexen Vorgang, der auch die dahinter stehenden Verwaltungsstrukturen zu berücksichtigen hat. 'S Der Unikatcharakter von Archivgut setzt besondere Sorgfalt bei der Bereitstellung zu R^echerchezwecken voraus, da im Falle von Schäden oder Zerstörung keine weiteren Exemplare zur Verfügung stehen. Archive enthalten einzigartiges, einmaliges QQuellenmaterial - unabhängig davon, ob es sich um ein kleines Gemeindearchiv oder eine große staatliche Archivinstitution handelt. Materialien zu einem bestimmten Forschungsthema finden sich aber nur selten in einem einzigen Archiv, sondern sind oft nicht nur über mehrere Länder und R^egionen, sondern auch Staaten verstreut; das hat zur Folge, dass für internationale Forschungen oft zeit- und kostenaufwändige R^eisen notwendig wären, diese aber nicht durchgeführt werden und daher der Blickwinkel national verengt bleibt. Die Möglichkeit, unikales Kulturerbe digital über Internet beliebig vielen Menschen an beliebig vielen Orten der Welt rund um die Uhr zugänglich zu machen, ermöglicht eine regelrechte Revolution nicht nur in der Benützung der historischen Archive, sondern mittel- bis langfristig auch hinsichtlich der Forschungsergebnisse: internationale Zusammenhänge werden transparenter, durch modernste Erschließungsmethoden (z. B. „semantic web") werden völlig neue Fragestellungen möglich, Archivgut wird zum Gemeingut: für jedermann zu jederzeit zugänglich, was wiederum zu einer grenzüberschreitenden Bewusstseinsbildung der europäischen Bevölkerung beiträgt. 2.2. Schlussfolgerungen Diesen Herausforderungen wollen sich die im Verein ICA^RUS vertretenen Archive in besonderer Weise stellen. Viele haben dazu bereits wertvolle Vorarbeiten geleistet durch die Aufbereitung der in ihrem Archivgut enthaltenen Informationen in elektronischen Bestandsverzeichnissen oder durch die Digitalisierung einzelner Bestandsgruppen. Mehr und mehr entstehen auch nationale und institutionsbezogene Archivportale. Doch sind diese Aktivitäten gewöhnlich regional oder national begrenzt, so dass sich aus europäischer Sicht wiederum eine sehr heterogene, weitgehend unkoordinierte Vielzahl von Strategien, Methoden und Arbeitsweisen ergibt. Ähnlich heterogene Verhältnisse liegen sowohl im nationalen als o o auch im europäischen Rahmen bei der Erschließung von Archivgut vor. Die Erschließung als K^ernstück archivarischer Arbeit ist die Grund^lage für die Benutzung der historischen (Quellen. Die Ordnung und Verzeichnung der Dokumente und Informationen erfolgt in unterschiedlichem Ausmaß, abhängig vom Informationswert, der zu erwartenden Benutzungsintensität, den vorhandenen Personal- und Finanzressourcen sowie technischen Kapazitäten. Inhomogene oder fehlende Erschließungsrichtlinien machen eine Institutionen oder Länder übergreifende Darstellungsweise von Archivgut unmöglich, wodurch deren R^echerchier-barkeit vor allem im Online-Bereich wesentlich erschwert wird^. Archive zählen zu jenen modernen Dienstleistungsbetrieben, für die es unabdingbar ist, sich in Zukunft stärker nicht nur am nationalen, sondern am europäischen Markt der virtuellen Angebote zu positionieren. Da eine derartige Neupositionierung auf lange Sicht nicht alleine zu bewerkstelligen ist, ergibt sich ein nicht unerheblicher Bedarfan transnationalen Netzwerken, die sich mit diesen Problemen beschäftigen und Lösungsansätze ausarbeiten. 3. Ziele und konkretes Arbeitsprogramm Aus der eben geschilderten Situation sowie aus den Erfahrungen des Vereins „ICARUS - International Centre for Archival R^esearch" ergeben sich folgende Arbeitsbereiche für die kommenden 5 Jahre: 1. Ausbau des internationalen Netzwerks von ICARUS Ziel ist es, das bestehende europaweite Netzwerk von ICARUS weiter auszubauen. Dies soll durch die folgenden Aktivitäten gefördert werden: a) Hal^bjä^hrliche ICA^US-Meetin^s Wie bereits seit der Etablierung von ICARUS üblich, finden alle 6 Monate Treffen in jeweils anderen Mitgliedsländern statt, zu denen alle Mitglieder von ICARUS eingeladen sind. Diese Zusammenkünfte im Umfang von jeweils ca. 2 Tagen dienen der kontinuierlichen Abstimmung der gemeinsamen Aktivitäten, dem Austausch der neuesten Entwicklungen und Erfahrungen in den einzelnen Staaten, dem aktuellen Statusbericht der einzelnen Mitglieder, der Durchführung weiterer Planungen, der Entwicklung gemeinsamer Visionen und Strategien. Während im Sommer jeweils die Generalversammlung stattfindet, wird im Herbst eine Sitzung des Vorstands zusätzlich zu dem allgemeinen Treffen abgehalten. b) Regelmäßige nationale Workshops Um ICARUS auch in den Fachkreisen der einzelnen Staaten bekannt zu machen und neue Partner für das Netzwerk zu gewinnen, veranstaltet in jedem Land ein Partner einen nationalen Workshop. Die Gestaltung dieser Workshops liegt grundsätz^lich in der Verantwortung des jeweiligen Partners. Als Richtschnur wird jedoch vorgegeben, dass diese gewöhnlich einen Tag dauern und aus zwei Blöcken bestehen: einer o o Bestandsaufnahme nationaler Aktivitäten auf dem Gebiet der digitalen Bereitstellung von Archivgut, einer Diskussion des K^ontextes von ICA- o o RUS und zu internationalen Entwicklungen ganz allgemein. c> c> o Die Impulsreferate zu Block 2 werden jeweils von Vortragenden aus anderen Staaten gehalten, wodurch gewährleistet wird, dass ein Austausch auf internationalem Level stattfindet. c) „ICARUS-Academy" Um die Verbreitung von Fachwissen über bestimmte Themengebiete des Archivwesens, wie Digitalisierung, online-Archive und Ähnliches nicht nur in Fachkreisen zu fördern sondern auch dem weiten Kreis historisch interessierter Laien zu offenbaren, sollen von ICARUS Vorträge zu verschiedenen relevanten Themen organisiert werden. Diese Vorträge sollen in den verschiedenen Mitgliedsländern von jeweils auswärtigen Fachleuten gehalten werden, um eine verstärkte internationale KK^ommunikation zu gewährleisten. Die Organisation dieser Vorträge übernimmt der lokale Veranstalter in Zusammenarbeit mit ICARUS. In Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern von ICARUS sollen spezielle Fortbildungsprogramme mit den Schwerpunkten Digitalisierung, online-Archive (Erstellung und Nutzung), Archivmanagement, R^estaurierung, KK^onservierung etc. entwickelt werden, die Forschern und Laien in ganz Europa offen stehen. d) Präsentationen auf nationalen und internationalen Tagungen, Workshops etc. Möglichkeiten für einen intensiven Erfahrungs- und Wissensaustausch bieten auch Workshops, fachspezifische nationale sowie internationale Tagungen, die in den Mitgliedsländern regelmäßig stattfinden (z.B. Nationale Archivarsversammlungen etc.). Die aktive Teilnahme von ICA^RUS-Mitgliedern an solchen Veranstaltungen ist sehr erwünscht und kann bei Bedarf auch von der Administration von ICARUS koordiniert werden, wobei es dafür nötig ist, die wesentlichen Informationen über solche Tagungen möglichst früh an ICARUS zu übermitteln. Mitglieder, die an solchen, nicht von ICARUS initiierten Veranstaltungen aktiv teilnehmen (Vorträge halten etc.) werden gebeten, dies der ICARUS-Administration mitzuteilen, damit dies in den aktuellen Tätigkeitsbericht von ICA^RUS aufgenommen werden kann. e) Personalaustausch In dem EU-Projekt „Charters Network" wurde erstmals ein Entwurf für ein internationales Personalaustausch-Programm vorgelegt. Auch nach Beendigung des EU-Projekts im Herbst 2010 soll das Austausch-Programm nach Maßgabe der finanziellen Bedeckung weiter bestehen bleiben. Das Programm bietet Archivmitarbeitern die Möglichkeit, für einen begrenzten Zeitraum (bis ca. 3-4 Wochen) in einem ausländischen Archiv ihrer Wahl zu arbeiten. Die Anmeldung für das Personalaustauschprogramm erfolgt über ein vorgefertigtes Formular, das zum Download auf der Website www.icar-us.eu zu finden ist. Zusätzlich zu dem Formular wird um ein Empfehlungsschreiben des Arbeitgebers oder einer anderen zuständigen, übergeordneten Person gebeten. Beide Dokumente müssen dann an die Administration von ICARUS gesendet werden. Die Auswahl der Teilnehmer wird durch ein eigenes KK^omitee getroffen. Nach Ende des Austauschs wird um das Ausfüllen eines Evaluierungsformulars gebeten (ebenfalls downloadbar). Ziele des Personalaustauschprogramms sind: Aufbau eines Netzwerks und verstärkter Kontakte auf persönlicher und fachlicher Ebene, K^ennenlernen anderer Arbeitsweisen und Technologien, intensiver Austausch von Wissen und Erfahrung, Stärkung des interkulturellen Dialogs. f) „Linking the Neighbourhood" - Programm Um das Netzwerk von ICARUS auszubauen, soll auch verstärkt die grenzüberschreitende K^ommunikation gefördert werden. In einem „Linking the Neighbourhood" - Programm soll durch die Mitglieder der K^ontakt zu deren Nachbarstaaten aufgebaut werden und die transnationale Zusammenarbeit durch Workshops in dem jeweiligen Nachbarland ausgebaut werden. Die Aufgaben hierbei sind folgende: Akquirierung neuer K^ontak-te, Verbreitung von Informationen, Veranstaltung eines nationalen Workshops im Nachbarland gemeinsam mit einem lokalen Veranstalter. 2. Unterstützung von Digitalisierungsvorhaben Der zweite große Arbeitsbereich erstreckt sich auf Digitalisierun-gs- und Erschließungsarbeiten an einzelnen Archivbeständen der beteiligten Mitglieder. Es wird jedoch nicht beabsichtigt, eine neue digitale Bibliothek zu schaffen, sondern sämtliche Inhalte im Rahmen der bereits bestehenden, einschlägigen Plattformen (siehe unten) zur Verfügung zu stellen. Dadurch können Kräfte und K^ompetenzen gebündelt werden und wird die nachhaltige Verfügbarkeit aller Inhalte sichergestellt: Sämtliche Inhalte (sowohl beschreibende Metadaten als auch digitale Objekte) werden über nationale (z.B. AR^HInet in Kroatien www.arhi-net.hr) bzw. typenbezogene Portale (z.B. für Urkunden www.monaste-rium.net) verfügbar gemacht. Dadurch gelangen sie auch in das im Entstehen begriffene europäische Archivportal APEnet (www.apenet.eu), in dem ICARUS als associated partner fungieren wird^. In weiterer Folge wird der Zugang zu sämtlichen digitalen Objekten auch über Europea-na gewährleistet sein. ICARUS versteht sich in mehrfacher Hinsicht als komplementäre Initiative zu den oben genannten Portalen: Während diese im Wesentlichen die technischen Voraussetzungen für eine Zusammenführung von existierenden elektronischen und digitalen Informationen zu Archivmaterial in europäischen Gedächtnisinstitutionen entwickeln, versucht ICARUS, die Arbeit dahinter und davor zu internationalisieren und zu koordinieren mit dem Effekt der Bereitstellung hochqualitativer Inhalte im Rahmen der genannten Portale. Die Koordination und Unterstützung von laufenden und zukünftigen Digitalisierungsprojekten der Mitglieder, sei es durch die Vermittlung von technischen Gerätschaften, Mitarbeitern oder Sonstigem, wird bei Bedarf von ICARUS angeboten. 3. Laufende Weiterentwicklung der online-Archive und Einspeisung neuer Inhalte Ein wesentlicher Teilbereich von ICARUS bleibt weiterhin die Pflege des online-Urkundenportals www.monasterium.net sowie auch des neu etablierten Kirchenbuchportals www.matricula-findbuch.net. Darüber hinaus stellt ICARUS als assoziierter Partner alle seine digitalen Inhalte als content provider für das europaweite Archivportal APE-net (www.apenet.eu) zur Verfügung. Die Einspeisung neuer digitaler Inhalte in diese Portale, sowie der weitere technische Ausbau der Nutzungsmöglichkeiten in Zusammenarbeit mit dem Institut für Historisch-Kulturwissenschaftliche Informationsverarbeitung (HKI) der Universität zu K^öln (kollaboratives Archiv) sind ein ständiger Aufgabenbereich für ICA^RUS. 4. Nutzung der online-Portale im Schul- und Universitätsbetrieb als aktive Lehr- und Anwendungsmethode Mit der Schaffung des kollaborativen Archivs MOM-CA wurde die aktive Einbindung von Internet-Usern in den Prozess der Urkundenforschung und -bearbeitung ermöglicht. Diese Funktionen werden nun auch in universitären Lehrgängen an der Universität Wien und der Universitä degli Studi di Napoli Federico II aktiv verwendet. Basierend auf den Erfahrungen aus diesen Lehrveranstaltungen sollen ähnliche Projekte an anderen Bildungseinrichtungen entworfen werden. 5. Informationsverbreitung (ICARUS und alle seine Mitglieder betreffend) durch elektronische Medien: Die Verbreitung von Neuigkeiten aus ICARUS, sowohl inner-, als auch außerhalb des Netzwerks sowie an die breite Öffentlichkeit ist ein wichtiges Anliegen. Durch regelmäßige News-Updates auf der Homepage www.icar-us.eu werden alle Website-Besucher über kommende und vergangene Veranstaltungen, Tagungen, Workshops und sonstige Angelegenheiten informiert. Weiters werden in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen (je nach Bedarf) elektronische Newsletter an alle Mitglieder und andere interessierte Personen und Institute versandt. Wir legen allen Mitgliedern nahe, dieses Service zu nutzen und wichtige Neuigkeiten um und aus ihrem jeweiligen Archiv so an die breite Öffentlichkeit zu bringen. Die Zusammenstellung des Newsletters geschieht durch Caroline Maximoff^ (caroline.maximoff@icar-us.eu), und daher sollten relevante Informationen an sie weiter gegeben werden. 6. Schaffung einer internationalen Kommunikationsplatl^orm für die Mitglieder von ICA^US auf WIKI-Basis Um die K^ommunikation zwischen den einzelnen Mitgliedern von ICA^RUS zu vereinfachen, wird eine online K^ommunikationsplattform auf WIKI-Basis eingerichtet, in der sich die Mitglieder einfach untereinander austauschen können.