301 Aneta Stojić * UDK 81'367.4 Universität Rijeka DOI: 10.4312/linguistica.59.1.301-310 ZUR SEMANTIK VON KOLLOKATIONEN 1 1 EINFÜHRUNG In der Sprachwissenschaft wird den Kollokationen seit mehreren Jahrzehnten großes Interesse entgegengebracht. Trotzdem konnte bisher keine eindeutige Bestimmung die- ser spezifischen sprachlichen Erscheinung erreicht werden. Ein Grund dafür liegt in der Tatsache, dass Kollokationen für viele sprachwissenschaftliche Disziplinen relevant sind und jede ihre eigene Sichtweise beansprucht. So haben sich in der Sprachwissen- schaft unterschiedliche Kollokationsauffassungen etabliert, die sich vom weiteren bis zum engeren Verständnis von Kollokationen erstrecken. 2 Die weitere Auffassung fasst die Kollokation als Kookkurrenz im Sinne des Miteinandervorkommens von sprachli- chen Elementen in Sätzen auf, wobei das Hauptkriterium die statistische Signifikanz ist. Im engeren Sinne stellt die Kollokation eine syntagmatische lexikalische Verbindung dar, die typisch, konventionell und rekurrent ist. 3 Beiden Auffassungen ist gemeinsam, dass sie Kollokationen als bevorzugte Verbindung von Wörtern auf syntagmatischer Ebene betrachten, die häufig miteinander vorkommen. Da es sich um eine Kombina- tion bestehender Begriffe handelt, zieht die engere Sichtweise zusätzlich Merkmale heran, um Kollokationen von anderen häufig miteinander vorkommenden Syntagmen zu unterscheiden. 4 In Anlehnung an Reder (2006: 77) lassen sich diese Merkmale wie folgt bestimmen: konventionsbedingte Kookkurrenz der Kollokationsbestandteile, semantische Abhängigkeitsbeziehung in der Kollokation und eingeschränktes Bezie- hungspotenzial. Somit stützt sich die engere Kollokationsauffassung auf semantische Kriterien. Nachfolgend soll dies näher erläutert werden, wobei mittels einer funktiona- len strukturell-syntaktischen Sicht auf die Kollokationsbestandteile die Kollokationen beschrieben werden sollen, um zum besseren Verständnis dieser komplexen sprach- lichen Erscheinung beizutragen. * astojic©ffri.hr 1 Diese Arbeit wurde von der Universität Rijeka im Rahmen des Projektes uniri-human-18-29 unterstützt. This work has been fully supported by the University of Rijeka under the project number [uniri- human-18-29]. 2 Einen ausführlichen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Kollokationsforschung bieten Bahns (1996), Bartsch (2004), Lehr (1996), Reder (2006), Konecny (2010), Stojić (2012) u. a. 3 Die engere Auffassung entspricht dem sog. phraseologischen Kollokationsverständnis und die weitere dem sog. frequenzorientierten Kollokationsbegriff, der für die Korpuslinguistik relevant ist. 4 Mehr dazu in Stojić/Košuta (2012). Linguistica_2019_FINAL.indd 301 9.10.2019 8:58:57 302 2 KONVENTIONSBEDINGTE KOOKURRENZ Synchron betrachtet, bezeichnet die Kollokation einen Inhalt, der in einer bestimm- ten Sprachgemeinschaft innersprachlich begründet ist. So lautet beispielsweise die deutsche Verbindung Licht ausschalten im Englischen to switch the light off und im Kroatischen gasiti svjetlo ‚Licht löschen‘. Die gleiche außersprachliche Wirklichkeit wird in diesen Sprachen unterschiedlich versprachlicht, ohne dass sich dies seman- tisch erklären ließe, was den Schluss nahelegt, dass die Zuweisung willkürlich erfolgt (Stojić 2014: 82). Demnach bilden die Bestandteile der Kollokation zusammen eine Einheit, deren Bedeutung in einer bestimmten Sprachgemeinschaft konventionalisiert und sprachtypisch ist. Dies deutet auf Idiosynkrasie hin. Wenn die Wortverbindung idiosynkratisch ist, dann geht der Bildung dieser Wortverbindung ein unregelmäßiger Prozess voraus. Nach Konecny (2010: 167) ließe sich allein durch die Aufdeckung dieses Prozesses zeigen, ob ein bestimmtes Wort in der Verbindung einmal motiviert war oder nicht. Die Autorin veranschaulicht dies am Beispiel des Verbs lichten, das in der Bedeutung von hochziehen im Gegenwartsdeutschen nur in der Kollokation einen Anker lichten vorkommt. Es scheint also, dass diese Verbindung willkürlich ist. Bei diachroner Betrachtung zeigt sich jedoch, dass das Verb lichten etymologisch mit dem Syntagma leicht machen im Sinne von erleichtern verbunden ist. Dies kann mit dem Hochziehen des Ankers in Verbindung gebracht werden, da sich das Schiff mit dem hochgezogenen Anker leicht fortbewegen kann. Die Bedeutung scheint nach dieser Interpretation doch motiviert zu sein, sodass der Schluss naheliegt, dass diese Ver- bindung einmal frei war und mit der Zeit erstarrt ist. Die Kohäsion zwischen Kollo- kator und Basis bedingt, dass die Bedeutung des Verbs mit der Zeit verblasst und das Syntagma einen Anker lichten gegenwärtig als usuelle Wortverbindung zu bestimmen ist, die im Deutschen somit Idiosynkrasie aufweist. Nach Konecny (ebd. 176ff.) hängt der Grad an Idiosynkrasie von der Art der Kollokation ab, woraus folgt, dass es Kol- lokationen mit niedrigerem Grad an Idiosynkrasie und solche mit einem höheren Grad an Idiosynkrasie gibt. Der Grad selbst hängt von der Konzeptualisierung des Phäno- mens ab, die in der Kollokation versprachlicht wird, wobei der Grad an Idiosynkrasie durch eine diachrone Betrachtung der Bedeutung ermittelt werden kann. Daraus folgt, dass die Prozesse, die zu semantischen Änderungen führen, bestimmten Regeln folgen und daher nicht vollkommen idiosynkratisch sind. Die Frage, welche Prozesse in einer Sprache aktiviert werden und wie sie sprachlich ausgedrückt werden, ist jedoch idio- synkratischer Natur. Dies bedeutet, dass bei Kollokationen nur der Akt idiosynkratisch ist, durch den in einer Sprache etwas auf bestimmte Art und Weise versprachlicht wird. 3 SEMANTISCHE ABHÄNGIGKEITSBEZIEHUNG Die Verbindbarkeit lexikalischer Einheiten beruht auf grammatischen und semanti- schen Prinzipien. Bei Kollokationen äußert sich die Grammatizität darin, dass die Be- standteile der Kollokation eine syntaktische Einheit bilden, demnach syntaktisch auf- einander bezogen sind. Nach der Art und Weise wie sich Kollokationen morphosyn- taktisch verhalten, ist feststellbar, dass diese den allgemeinen grammatischen Regeln einer jeweiligen Sprache folgen. Das bedeutet, dass die einzelnen Bestandteile auf die Linguistica_2019_FINAL.indd 302 9.10.2019 8:58:57 303 gleiche Weise wie freie Wortverbindungen auch morphosyntaktisch verbunden wer- den. Die Bestandteile bilden syntaktische Muster. Hausmann (1985: 119) unterscheidet sechs Grundstrukturen im Deutschen, die auch auf die kroatische Sprache übertragbar sind (Stojić/Murica 2010: 116): 1. Verb + Substantiv (Basis), z. B. Gerechtigkeit su- chen/tražiti pravdu, Sport treiben/baviti se sportom; 2. Adjektiv + Substantiv (Basis), z. B. schwarzer Pfeffer/crni papar, frisches Obst/svježe voće; 3. Substantiv (Basis) + Verb, z. B. das Telefon läutet/ telefon zvoni, der Hund bellt/pas laje; 4. Substantiv + Substantiv (Basis), z. B. eine Prise Salz/prstohvat soli, eine Tasse Kaffee/šalica kave; 5. Adverb + Adjektiv (Basis), z. B. vollkommen ruhig/potpuno miran, tödlich verletzt/ smrtno ranjen; 6. Adverb + Verb (Basis), z. B. richtig handeln/ispravno postupiti, scharf kritisieren/oštro kritizirati. Die Beispiele zeigen, dass die äußere Grundstruktur der Kollokationen in beiden Sprachen, hier der deutschen und kroatischen, binär ist. Diese zweigliedrige Grundstruk- tur kann durch das Hinzufügen weiterer Elemente, welche die Bedeutung der einzelnen Bestandteile der Kollokation determinieren, erweitert werden. So besteht beispielsweise die Kollokation reiche Ernte einfahren aus drei Bestandteilen, die jedoch weiter in zwei Basiskollokationen zerlegt werden kann: reiche Ernte und Ernte einfahren. 5 Betrachtet man die innere Struktur der Kollokationen, so können spezifische lexi- kalische Beziehungen ausgemacht werden, die häufig erst im Sprachkontrast auffällig sind. Vergleichen wir nämlich die Kollokation Ernte einfahren mit dem kroatischen Äquivalent prikupiti žetvu ‚Ernte einsammeln‘, so zeigt sich, dass der Bestandteil Ernte bzw. žetva seine Grundbedeutung beibehält und im Sprachkontrast übersetzungsäqui- valent ist. Dieser Bestandteil ist somit semantisch unabhängig und wird deshalb in der deutschsprachigen Kollokationsforschung auch Basis genannt. Die andere Komponen- te, die mit der Basis gemeinsam auftritt, ist ihr hierarchisch untergeordnet, weil sie im semantischen Sinne von der Basis abhängt. Denn einfahren bzw. prikupiti kann, isoliert betrachtet, Unterschiedliches bedeuten. 6 In Verbindung mit Ernte bzw. žetva wird das 5 Ähnlich argumentiert auch Hausmann, der Kollokationen lange Zeit ausschließlich als binäre Struktur definierte und erst in seinen späteren Arbeiten die zweigliedrige Grundstruktur auf eine sog. Tripelstruktur ausweitet, die aus zwei binären Kollokationen besteht, die zu einer Tripelkollokation verbunden sind (2004: 317ff.). Die Kollokationen Kritik an jmdm. üben und massive Kritik lassen sich auf die Tripelstruktur massive Kritik an jmdm. üben ausweiten. 6 Nach Duden-Online hat das Verb einfahren folgende Bedeutungen: 1. in etwas [hinein]fahren; fahrend in etwas gelangen; 2. (als Ernte) in die Scheune bringen; 3. (umgangssprachlich) erzielen, erwirtschaften; 4. durch heftiges Auffahren beschädigen, zerstören; 5. sich an ein bestimmtes Fahrzeug gewöhnen; 6. durch entsprechende Fahrweise allmählich zu voller Leistungsfähigkeit bringen; 7. an das Ziehen eines Wagens gewöhnen; 8. zur Gewohnheit werden, sich einspielen; 9. (den einziehbaren Teil eines Apparates o.Ä.) mithilfe einer Mechanik nach innen bringen; 10. (Jägersprache) (von Fuchs, Dachs, Kaninchen o. Ä.) in den Bau [hinein]kriechen (www. duden.de/rechtschreibung/einfahren [12.11.2018]). Das Verb prikupiti hat nach dem Online- Wörterbuch Hrvatski jezični portal folgende Bedeutungen: 1. sabrati na jedno mjesto ono što se kupi ‚an einen Ort zusammentragen‘; 2. u manjoj mjeri, donekle okupiti (se) na jedno mjesto ‚selten sich an einem Ort versammeln‘; 3. (se) pren. sabrati se, doći k sebi ‚übertr. mit sich: sich sammeln, zu sich kommen‘ (http://hjp.znanje.hr/index.php?show=search [12.11.2018]). Linguistica_2019_FINAL.indd 303 9.10.2019 8:58:57 304 Element jedoch monosemiert. Diese Konstituente wird in Anlehnung an Hausmann (1984: 401) Kollokator genannt. Ausgehend vom Status der Basis und des Kollokators ergibt sich ein asymmetrisches Verhältnis in der Kollokation, in der grundsätzlich eine semantische Abhängigkeit des Kollokators von der Basis ausgemacht werden kann. Um die Bedeutung eines Kollokators zu definieren, ist mindestens eine Basis oder mehr erforderlich. Daher hat der Kollokator eine semantische Rolle bei der Bestimmung der Bedeutung einer Basis und nicht umgekehrt. Hausmann (1993: 475) erklärt die seman- tische Abhängigkeitsbeziehung in der Kollokation mit Hilfe des Begriffs Semiotaxis. Dieser stellt im Allgemeinen eine semantische Dimension auf der syntagmatischen Ebene dar. Hausmann deutet den Begriff jedoch um und bezeichnet den Kollokator vs. die Basis der Kollokation als semiotaktisch abhängig, während die Basis semiotaktisch autonom ist (ebd.). Der Ausgangspunkt für eine solche Reflexion ist die Fragestellung, ob die Bedeutung des Wortes autonom ist oder ein Kontext benötigt wird, der ein Wort semantisch spezifiziert. Nach Hausmann wird die Bedeutung eines Kollokators durch das Vorhandensein einer Basiskonstituente bestimmt, mit der es kontextuell verbunden ist. Mit Kontext meint er dabei das lexikalische Umfeld der Wörter auf der Ebene der parole und nicht den Situationskontext. Die Basis stellt immer eine referenzielle Größe dar, welche dazu dient, etwas zu benennen bzw. sprachlich zum Gegenstand zu ma- chen. Sie überträgt ihre Grundbedeutung auf die Bedeutung der Kollokation, während die Bedeutung des Kollokators unterschiedliche Modifikationen erfahren kann. Sie kann spezifiziert, erweitert oder verengt, im schwachen Grade sogar auch umgedeutet werden (Stojić/Štiglić 2012: 267). Beim letzteren Typ sind zwei Arten von semanti- schen Beziehungen zu unterscheiden: metonymisch bedingter Wandel (z. B. eine Tafel Schokolade) und metaphorisch bedingter Wandel (z. B. Applaus ernten). Die Bedeu- tungsveränderung des Kollokators führt zur Polysemie, welche erst durch das Auftre- ten einer bestimmten Basis im Text disambiguiert wird. Wenn ein mehrdeutiges Lexem in einer Kollokation verwendet wird, differenziert seine Bedeutung von der Bedeutung seiner synonymen Partner und ist nicht mehr mehrdeutig. Das führt zur Unterscheidung zwischen kollokationsinterner und kollokationsexterner Bedeutung des Kollokators. Die kollokationsinterne Bedeutung ist die Bedeutung des jeweiligen Kollokators in der Kollokation und kollokationsextern die Bedeutung des Kollokators außerhalb der Kol- lokation, z. B. ist die Bedeutung von besuchen in der Kollokation den Arzt besuchen nicht dieselbe wie in der freien Verbindung die Großeltern besuchen (ebd.). 4 EINGESCHRÄNKTES BEZIEHUNGSPOTENZIAL Das Prinzip des eingeschränkten und selektiven lexikalischen Kombinierens ist ein uni- versales Merkmal jeder Sprache, während sich die Regeln einer solchen Verbindung und ihre semantischen Implikationen von Sprache zu Sprache unterscheiden (Borić 2000: 202). In der Regel werden Lexeme nach ihrer Bedeutung kombiniert, die auch mit der Bedeutung des Partners kompatibel sein muss. Diese durch Kompatibilität be- dingte Verbindbarkeit ist die Kollokabilität, die bei Kollokationen lexikalischen Rest- riktionen unterliegt. Dies äußert sich darin, dass eine geringe paradigmatische Substi- tuierbarkeit vorliegt, die gewisse Substitutionsrestriktionen zur Folge hat. So kann man Linguistica_2019_FINAL.indd 304 9.10.2019 8:58:57 305 das Verb bekommen in der Verbindung mit ein Kind nicht mit dem Synonym erhalten ersetzen. Diese Verbindung weist eine sprachinterne Bedingtheit auf. Welche Partner und wie viele ist, semantisch gesehen, in den meisten Fällen nicht vorhersagbar. 7 Nach Kohn (1992: 374) bestimmen die Selektionsbeschränkungen in Abhängigkeit von den semantischen Merkmalen, welche Lexeme innerhalb bestimmter syntaktischer Rahmen miteinander verbunden werden können und welche nicht. Eine Verbindung wie grüne Kuh wäre zwar kein Verstoß gegen das System der deutschen Sprache, aber aufgrund des Weltwissens, das uns sagt, dass diesen sprachlichen Ausdrücken keine Referenten in der Welt entsprechen, ist eine solche Verbindung eher auf kreative Texte in Kunst oder Werbung beschränkt. Einige Einschränkungen sind durch die Kollokationsnatur bedingt, z. B. ranzige Butter. Das Lexem ranzig weist ein eingeschränktes Kolloka- tionspotenzial auf, wobei sich die Frage stellt, ob diese Tatsache von den Substantiven Butter, Margarine, Öl, mit denen es gemeinsam auftritt, abhängt, oder es sich lediglich um einen konventionellen Gebrauch dieser Lexeme handelt. Kollokationsrestriktionen wirken sich auf das Kollokationspotenzial einzelner Le- xeme bzw. das Umfeld, in dem ein Lexem vorkommen kann, aus. Das Kollokations- potenzial selbst ergibt sich aus dem Bedeutungsumfang. Lexeme mit allgemeiner Be- deutung haben ein größeres Kollokationspotenzial als Lexeme mit spezifischer, enger Bedeutung (Pritchard 1998: 278). So unterscheiden sich z. B. die Adjektive einge- fleischt und scharf im Kollokationspotenzial. Während scharf mit einer relativ großen Anzahl von Substantiven kombinierbar ist, z. B. Messer, Klinge, Soße usw., kann ein- gefleischt nur mit wenigen Substantiven wie Junggeselle, Optimist, Gegner verbunden werden. Das Kollokationsfeld 8 von scharf ist somit größer als das von eingefleischt. Je niedriger das Kollokationspotenzial ist, desto größer ist der Grad der Lexikalisierung und Kohäsion. Die Substitutionsrestriktionen wirken sich auch auf die semantische Kohäsion aus. Ist eine Konstituente der Kollokation nicht durch ihr Synonym zu ersetzen, ver- stärkt sich die semantische Kohäsion. So kann beispielsweise in der Wortverbindung starker Kaffee das Adjektiv stark nicht durch sein Synonym kräftig ersetzt werden. In anderen Kollokationen ist dies jedoch möglich, wie in starker Händedruck und kräftiger Händedruck, sodass es sich bei den letzten zwei Beispielen um eine se- mantische Verbindung schwacher semantischer Kohäsion handelt. Nach Teubert (1999) unterscheiden sich Kollokationen von freien Wortverbindungen gerade durch das Merkmal der semantischen Kohäsion. Je nach Grad der Kollokabilität kann die Intensität variieren. Je höher der Grad der Kollokabilität, desto geringer ist der Grad der Kohäsion (Iliescu 2006: 192). 7 Die Restriktionen beziehen sich nicht auf die morphosyntaktische Struktur. Dies bedeutet, dass zu einer Basis mehrere Kollokatoren derselben morphologischen Struktur gehören können. Es handelt sich also um funktionale Substituierbarkeit, die aber auf der semantischen Ebene Restriktionen aufweist. 8 Mit „Kollokationsfeld“ ist die Gesamtheit aller Synonyme mit gleichem Kollokationspotenzial gemeint. Mit den Kollokatoren erheben, zahlen, entrichten kollokieren Basen wie Steuern, Gebühren, Eintrittsgeld u. a. (Hausmann 1985: 127). Linguistica_2019_FINAL.indd 305 9.10.2019 8:58:57 306 Die paradigmatische Substituierbarkeit einer Komponente bestimmt auch die lexi- kalische Stabilität der Kollokation. Für eine Kollokation mit einem niedrigeren Grad an Stabilität kann eine Komponente, die Basis oder der Kollokator, substituiert werden, wie in Anforderung/Bedingung/Kriterium erfüllen. Der Grad der lexikalischen Stabili- tät hängt demnach vom Kollokationspotenzial des Kollokators ab. Eine weitere Fragestellung betrifft auch die Wahl der einzelnen Bestandteile bzw. die Frage, welche Konstituente in einer Kollokation die andere wählt und wovon diese Wahl abhängt. Nach Konecny (2003: 105ff.) kann das Verhältnis zwischen den Kollokations - komponenten unilateral und bilateral sein. Ein einseitiges Verhältnis ist dann gegeben, wenn die Basis vom Kollokator gewählt wird, aber der Kollokator die Basis nicht im - pliziert. Im bilateralen Verhältnis impliziert der eine Bestandteil den anderen und umge- kehrt. Der Kollokator ist in diesem Falle normalerweise ein expressives Lexem. Der Grad der Kollokabilität ist eingeschränkt oder unilateral, während der Grad der Kohäsion sehr hoch ist. Ein bilaterales Verhältnis zwischen den Kollokationskonstituenten ist beispiels- weise in den Verbindungen ein Pferd wiehert, eine Kuh melken, ein Verbrechen begehen oder einen Streit schlichten gegeben. Verben wie wiehern haben einen unikalen Grad an Kollokabilität, während melken mit anderen Lexemen eine Kollokation eingehen kann. Aber das Verb melken geht ausschließlich mit solchen Lexemen eine Kollokation ein, die zum selben semantischen Feld gehören (ein Tier, das gemolken werden kann). Die Verben begehen und schlichten werden wiederum nur selten kollokationsextern verwen- det. Das bilaterale Verhältnis zeigt sich auch in der Tatsache, dass die Basis manchmal weggelassen werden kann. So kann zum Beispiel das Verb schlichten ohne Basis ver- wendet werden. Das unilaterale Verhältnis erscheint in Kollokationen, deren Kollokator einen hohen Grad an Kollokabilität, eine geringe Expressivität und schwache Intension aufweist. Die Basis und der Kollokator haben kein gemeinsames Sem. Konecny (ebd.) veranschaulicht das unilaterale Verhältnis am Beispiel der italienischen Kollokation fare/ avanzare/formulare una proposta ‚einen Vorschlag machen/unterbreiten/formulieren‘. Die Basis wählt einen der möglichen Kollokationspartner aus, um den notwendigen In- halt auszudrücken. Laut Konecny ist die Bestimmung des unilateralen und bilateralen Verhältnisses nicht immer einfach. Es gibt keine klare Grenze und daher handelt es sich um ein Kontinuum, auf dem sich Kollokationen befinden. Ob unilaterales oder bilaterales Kollokationsverhältnis, Basis und Kollokator bedingen sich immer gegenseitig. Eng mit der Implikation und Ausgerichtetheit ist auch die Assoziativität verbunden. Im Bereich der Lexikologie handelt es sich um das unbewusste Verknüpfen sprach- licher Zeichen auf der Grundlage psychologischer Prozesse (Donalies 1994: 342). Die Assoziation von lexikalischen Einheiten im mentalen Lexikon und die Verbindung der gespeicherten Konzepte führen nämlich zu assoziativen Verbindungen. Die Assozia- tivität der Kollokationen ist nicht einseitig ausgerichtet, sie ist reversibel. Das Lexem melken assoziiert das Wort Kuh, aber das Lexem Kuh muss nicht unbedingt melken assoziieren (Gladysz 2003: 62). So ist zum Beispiel das Adjektiv blond direkt mit Haar verbunden, also handelt es sich um ein Lexem mit hohem Grad an Assoziativität. Auf der anderen Seite hat das Lexem Haar ein größeres syntagmatisches Potenzial und der Grad der Assoziativität ist demgemäß geringer. Somit ist der Grad der Assoziativität Linguistica_2019_FINAL.indd 306 9.10.2019 8:58:57 307 indirekt proportional zum Umfang des Kollokationspotenzials. Die Assoziativität selbst kann durch die außersprachliche Realität bedingt sein, in der bestimmte Objekte, Eigenschaften oder Tatsachen miteinander verbunden sind oder durch innersprachliche Konvention, die vorgibt, dass bestimmte Lexeme mit anderen gemeinsam vorkommen. 5 SCHLUSSFOLGERUNG Die Betrachtung der Kollokation als semantisch asymmetrische Verbindung verdeut- licht, dass diese spezifische Art von Mehrwortverbindung durch eine Reihe unter- schiedlicher Eigenschaften gekennzeichnet ist, die sich gegenseitig bedingen und im unterschiedlichen Maße in einer Kollokation ausgeprägt sind. Die Bedeutung der Basis kann unabhängig vom Kollokator bestimmt werden, was sie aus semantischer Sicht re- lativ unveränderlich macht. Diese Stabilität im semantischen Sinne ermöglicht die rela- tiv transparente Bedeutung der Kollokation. Somit können Kollokationsverbindungen als kompositionell oder semikompositionell charakterisiert werden. Der Kollokator hingegen stellt eine in semantischer Hinsicht variable Komponente der Kollokations- verbindung dar. Er weist einen bestimmten Grad an Polysemie auf, weil er in verschie- denen Kollokationen unterschiedliche Bedeutungen haben kann, die erst in der Verbin- dung mit der Basis disambiguiert werden können. Die Verbindung mit der Basis selbst hängt von semantischen Einschränkungen, den sog. Kollokationsrestriktionen, ab. Sie können nicht nur durch die Kompatibilität der semantischen Merkmale erklärt werden, da sich Kollokationsmuster nicht wie semantische Klassen verhalten. Handelt es sich um Verbindungen von Lexemen, die nicht mindestens in einem semantischen Merkmal miteinander übereinstimmen, kann die Untersuchung aus diachroner Perspektive dazu beitragen, die Natur der Verbindung zu bestimmen. Die Bedeutung des Kollokators kann mit der Zeit Bedeutungsveränderungen durchlaufen, sodass die Bedeutung kol- lokationsintern nicht (mehr) mit der kollokationsexternen Bedeutung übereinstimmt. Vom Grad der semantischen Modifikation des Kollokators hängt auch die semantische Motivation ab. Je höher der Grad der semantischen Modifikation des Kollokators, desto geringer die Motivation und desto höher die Idiosynkrasie. Aus synchroner Perspektive hängt die Bedeutung des Kollokators von der Stärke des semantischen Zusammenhalts zwischen Kollokator und Basis ab. Je enger die Be- deutung, desto stärker die semantische Kohäsion und desto geringer das Kollokations- potenzial. Die semantische Kohäsion beeinflusst auch die Kollokationsrestriktionen. Die übertragene Bedeutung, die sich aus der Kollokationsverbindung ableitet, führt zu Restriktionen im Bereich der paradigmatischen Substituierbarkeit. Die Kohäsions- stärke hängt somit von der Bedeutungsveränderung ab. Je höher die Kohäsion, desto weiter hat sich die kollokationsinterne Bedeutung von der der kollokationsexternen Bedeutung entfernt. Es liegt somit der Schluss nahe, dass der Grad der Festigkeit einer Mehrwortverbindung in Abhängigkeit zur Kohäsionsstärke bestimmt werden kann. Dies weist auf den äußerst graduellen Charakter der Kollokationsverbindung hin, die sich deshalb je nach Kohäsionsgrad auf einem Kontinuum zwischen freien Wortver- bindungen und Phraseologismen befindet. Je stärker die Kohäsion, desto näher liegt die Kollokation an den Phraseologismen. Linguistica_2019_FINAL.indd 307 9.10.2019 8:58:57 308 Abschließend lässt sich festhalten, dass Kollokationen als dynamisches Phänomen aufzufassen sind und dass gerade diese Tatsache ihre eindeutige Bestimmung geradezu unmöglich macht. Literatur BAHNS, Jens (1996) Kollokationen als lexikographisches Problem. Eine Analyse all- gemeiner und spezieller Lernerwörterbücher des Englischen. Tübingen: Niemeyer. 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Diese syn - tagmatischen Wortkombinationen, die zusammen eine Einheit bilden, unterscheiden sich wegen ihrer Unauffälligkeit und semantischen Transparenz auf den ersten Blick nicht von anderen sprachlichen Sequenzen. Vergleicht man sie aber mit gleichwertigen Ver- bindungen aus anderen Sprachen, erscheinen oftmals gewisse Unterschiede. Die Art und Weise, wie man Kollokationen bildet, und somit auch die Möglichkeit der Bildung neuer Bedeutungen, die aus einer bestimmten Wortkombination ergeht, ist nämlich jeder Spra- che immanent. Kollokationen sind folglich einzelsprachspezifisch. Mithilfe einer funkti - onalen strukturell-syntaktischen Sicht auf die Kollokationsbestandteile sollen im Beitrag die semantische Motivation, die semantische Kohäsion zwischen den Bestandteilen der Kollokation sowie die semantischen Modifikationen des Kollokators beleuchtet werden. Da die Spezifik der inhaltlichen Beziehungen oftmals erst im Sprachvergleich auf der lexikalischen Ebene deutlich wird, werden einzelne semantische Charakteristika am Bei- spiel von Kollokationen unterschiedlicher Sprachen illustriert. Ziel des Beitrages ist es, die ambivalente inhaltliche Seite der Kollokationen aufzudecken, um somit zu einem besseren Verständnis dieser sprachlichen Erscheinung beizutragen. Schlüsselwörter: Kollokationen, Basis, Kollokator, Idiosynkrasie, semantische Kohä- sion, semantische Verträglichkeit, syntagmatische Beschränkung Linguistica_2019_FINAL.indd 309 9.10.2019 8:58:57 310 Abstract A CONTRIBUTION TO THE SEMANTICS OF COLLOCATIONS As a specific type of multi-word expressions, collocations still pose a major challenge from a descriptive perspective, despite numerous existing studies. This is especially no- ticeable at the lexico-semantic level. These syntagmatic word combinations, which form a unity, differ from other linguistic sequences because of their apparent semantic incon - spicuousness. However, by comparing them with equivalent multi-word expressions in other languages, some important differences become evident. This relates in particular to the formation of collocations, and thus to the creation of new meanings emanating from particular word combinations, which are language specific. Adopting a functional structural-syntactic view of the collocation components, our goal is to investigate the semantic motivation as well as the semantic cohesion between the elements of the col - location and the possible semantic modifications involved. Since the specificity of the se - mantic relations often becomes lexically evident only at a cross-linguistic level, examples of collocations in different languages are provided. The aim of the paper is to present the ambivalent character of the collocations and contribute to a clearer understanding of the linguistic phenomenon in question. Key words: collocations, base; collocate, idiosyncracy, semantic cohesion, semantic compatibility, syntagmatic restriction Povzetek K SEMANTIKI KOLOKACIJ Kljub številnim raziskavam so kolokacije kot specifična vrsta besednih zvez z de- skriptivnega vidika še vedno izziv, in sicer predvsem na leksikalno-semantični ravnini. Te sintagmatične besedne kombinacije, ki skupaj tvorijo enoto, se zaradi neopaznosti in pomenske transparentnosti na prvi pogled ne razlikujejo od drugih jezikovnih sekvenc. Če pa jih primerjamo z enakovrednimi zvezami iz drugih jezikov, je pogosto opaziti določene razlike. Način, kako se tvorijo kolokacije, s tem pa tudi možnost nastajanja novih pomenov, ki se razvije iz določenih besednih kombinacij, je namreč imanentna vsakemu jeziku posebej. Zato so kolokacije jezikovno specifične. V prispevku je s pomočjo funkcionalno strukturalno-skladenjskega pristopa osvetljena pomenska moti- vacija kolokacijskih sestavin, pomenska kohezija med njimi ter pomenske modifikacije kolokatorja. Ker se specifika vsebinskih razmerij pogosto osvetli šele z jezikovno pri- merjavo na leksikalni ravnini, so posamezne pomenske lastnosti prikazane s primerom kolokacij iz različnih jezikov. Cilj prispevka je prikazati ambivalentno vsebinsko plat kolokacij, da bi tako prispevali k boljšemu razumevanju teh jezikovnih pojavov. Ključne besede: kolokacije, osnova, kolokator, idiosinkrazija, pomenska kohezija, po- menska kompatibilnost, pomenske restrikcije Linguistica_2019_FINAL.indd 310 9.10.2019 8:58:57