361 Tristan Coignard ∗ UDK 323.15(73=112.2):008''18/19'' Universität Bordeaux DOI: 10.4312/linguistica.60.2.361-375 Montaigne, Institut universitaire de France GEGEN DEN BEDEUTUNGSVERLUST EINER KULTUR: JOHN EISELMEIER UND DER STATUS DER DEUTSCHSPRACHIGEN MINDERHEIT IN DEN VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA ZU BEGINN DES 20. JAHRHUNDERTS 1 JOHN EISELMEIER (1861–1947) UND SEINE PÄDAGOGISCHE TÄTIGKEIT IN DEN USA In einer unveröffentlichten, auf Deutsch verfassten Autobiographie (Eiselmeier 1934), die seinen Werdegang von der Kindheit bis in die 1920er Jahre schildert, verwies der in verschiedenen Midweststaaten tätige Lehrer und Pädagoge John Eiselmeier 1 auf die Hindernisse, auf die er während seiner beruflichen Laufbahn stieß. Insbesondere im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts machte er auf eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen als Deutschlehrer aufmerksam. Dies erklärte sich erstens durch den Rückgang der Schülerzahlen, der ihm den wenig beneidenswerten Status eines „itinerant Teacher of German” einbrachte (Eiselmeier 1934: 227). Zweitens wurden die neuen Bedingungen auf eine feindliche Stimmung gegenüber der Vermittlung der deutschen Sprache zurückgeführt. Die von Eiselmeier gesammelten Erfahrungen an einer Mittelschule von Saint Paul (Minnesota) waren symptomatisch für den Status der deutschen Sprache in den USA um die Jahrhundertwende: „Wenn es so weiter ging, dann musste das Ende bald kommen. Was dann?” (Eiselmeier 1934: 230) Eiselmeiers Zweifel am Fortbestehen der deutschen Sprache in Amerika waren in dieser Phase so groß, dass er mit einem Fernstudium in Jura an der Universität Minneapolis begann, das ihm einen Berufswechsel erleichtern sollte (Eiselmeier 1934: 231). Auch wenn die Schilderung seiner eigenen Lehrerkarriere vorwiegend positive Aspekte hervorhebt, fällt auf, dass sein Werdegang offensichtlich von einem allmählichen Statusverlust ∗ Tristan.Coignard@u-bordeaux-montaigne.fr 1 Bis auf einige kurze Würdigungen (Owen 1947) seines Wirkens gibt es bisher keine einschlägige Übersicht des Lebens und der Tätigkeiten von John Eiselmeier. Als Sohn österreichischer Landwirte wurde er am 9. Juli 1861 in der Nähe von Linz geboren, wanderte 1876 mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten aus und ließ sich zuerst im südlichen Illinois nieder. Spätere Etappen wie das Studium am Northern Western College in Watertown (Wisconsin), der Lehrerabschluss 1882 und die spätere Lehrer- und Ausbildertätigkeit in St. Paul und Milwaukee werden im Beitrag erläutert. Der Autor dieses Aufsatzes bereitet außerdem eine längere biographische und analytische Schrift über Eiselmeier vor. Linguistica_2020_2_FINAL.indd 361 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 361 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 362 der deutschen Sprache und Kultur gekennzeichnet war. In dieser Hinsicht sind seine Erfahrungen und Analysen aussagekräftige Zeugnisse für dieses Zeitalter. Untersu- chungen über seine pädagogische Tätigkeit ermöglichen es, sein intellektuelles Wir- ken und seine eigene Diagnose zur Entwicklung der deutschen Sprache und Kultur in den USA herauszuarbeiten. Dies entspricht auch einer Auseinandersetzung mit den entscheidenden Fragen, denen sich die deutschsprachige Gemeinschaft in der Zeit um 1900 stellen musste. Dieser Aufsatz setzt sich zum Ziel, wesentliche Facetten von Eiselmeiers Tätig- keiten in den Mittelpunkt zu stellen, um einerseits seine Selbstwahrnehmung und ande- rerseits seine Sicht auf die Entwicklung der deutschsprachigen Gemeinschaft zu ana- lysieren. Somit sollen die sehr ergiebigen Quellen, die von ihm stammen, ausgewertet werden. An erster Stelle: das unveröffentlichte Manuskript seiner Autobiographie Aus meinem Leben sowie einige Auszüge einer auf Englisch geschriebenen Autobiogra- phie (Eiselmeier 1938), 2 die teilweise in der Zeitung Jonesboro Gazette veröffentlicht wurde (über die Jahre 1862 bis 1885, beziehungsweise 1917 bis 1938). Von Bedeutung sind auch seine Bemühungen, einschlägige Unterlagen 3 über Jahrzehnte hinweg zu sammeln und sie in scrapbooks für zukünftige Leser zu vermerken. Dabei spielten sowohl erziehungswissenschaftliche Themen, aktuelles Tagesgeschehen als auch Erin- nerungen und Aufarbeitungen der deutschamerikanischen Geschichte eine wesentliche Rolle. Der Sammler und Chronist John Eiselmeier wurde dabei zum Historiographen der Verflechtungen zwischen seinem eigenen Werdegang und den Statusveränderun- gen der deutschstämmigen Kultur und Identität in den USA. Der Fall Eiselmeier stellt sich als besonders ertragreich heraus, wenn es darum geht, die Entwicklung der deutschen Sprachminderheit in den Vereinigten Staaten zu ergrün- den. Die Forschungen zu diesem Thema erwiesen sich in den vergangenen Jahrzehnten als ergiebig (Wirrer 2008; Wolf-Farré 2013) und liefern daher einen fundierten Aus- gangspunkt für die Analyse von Sprachminderheiten, deren Entwicklung zur Schrump- fung tendieren und von einem ungünstigen Umfeld geprägt sind (Keel 2018). Die Perspektive, die von John Eiselmeiers Werk ausgeht, verdeutlicht noch eingehender, welche Fragen sich der deutschsprachigen Gemeinschaft stellten und welche Strategien erwogen wurden, um über das Erlernen der Sprache die Beziehung zur Herkunftskul- tur in einem mehrsprachlichen Kontext aufrechtzuerhalten. Viele Überlegungen Eisel- meiers betreffen den Themenkomplex des Wechselverhältnisses von Sprachminderheit und Identität und befassen sich mit Fragestellungen, die in den letzten Jahren in den Mittelpunkt der Forschung gerückt sind (Földes 2019; Wildfeuer 2018). 2 Das unveröffentlichte Material, das in diesem Beitrag verwendet wurde, stammt aus der Bibliothek des Max-Kade-Instituts der University of Wisconsin-Madison. Der Autor dieses Aufsatzes ist dem Direktor des Instituts, Professor Mark Louden, und dem Bibliothekar Kevin Kurdylo, der ihn auf die Schriften von John Eiselmeier aufmerksam gemacht hat, zu großem Dank verpflichtet. 3 Es handelt sich vor allem dabei um autobiographische Schriften und sonstige Veröffentlichungen in Medien wie Jonesboro Gazette und Milwaukee Herold, aber auch um Aufsätze aus publizistischen Fachorganen wie Pädagogische Monatshefte oder Monatshefte für deutsche Sprache und Pädagogik. Linguistica_2020_2_FINAL.indd 362 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 362 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 363 Obwohl seine eigene Lebensbeschreibung das Bild einer einheitlichen deutschame- rikanischen Identität wiedergab, verschwieg Eiselmeier keineswegs die Krisenerschei- nungen, die sich innerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft offenbarten und ihren Status bedrohten. Er thematisierte sowohl den Rückgang der Sprache, die Anfeindun- gen gegen Deutsche im Kontext des Ersten Weltkriegs als auch das zunehmende Des- interesse an einer intensiven Pflege der deutschen Kultur in den Einwandererkreisen. Diese Analysen bieten Anlass zu einer Auseinandersetzung mit folgenden Fragen: Stel- len die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eine Etappe dar, bei der es zum Übergang von einem offenen Integrationsmodell, das als verwurzelten Kosmopolitismus (Appi- ah 1996: 22) 4 bezeichnet werden kann, zu einem Assimilationsmodell kommt? Sind die Schriften Eiselmeiers das Zeugnis für einen Wendepunkt im Selbstverständnis der deutschamerikanischen Gemeinschaft und deren Positionierung in der Gesellschaft? 2 DIE JAHRHUNDERTWENDE UND DIE DEUTSCHE FRAGE: DIAGNOSE EINES RÜCKGANGS 1883 wurde das zweihundertjährige Jubiläum der Gründung von Germantown und so- mit der Niederlassung der ersten deutschen Einwanderer in Nordamerika begangen. Die damit verbundenen Veranstaltungen und Initiativen wurden zum Ausgangspunkt eines Selbstreflektierens und einer Bewusstwerdung innerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft. In Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Veröffentlichungen wurde kontrovers diskutiert, wie der Rückgang der deutschen Kultur in den USA vermieden werden könne und welche Mittel die Gemeinschaft einsetzen könne, um ihren Stellen- wert zu behaupten und ihren Beitrag zur Bildung der amerikanischen Nation deutlicher hervorzuheben. In diesem Kontext wurde die “deutsche Frage in Amerika” thematisiert (Goebel 1914), die explizit das Problem des Bedeutungsverlusts der deutschsprachigen Kultur in den Mittelpunkt stellte. In einer Reihe von Aufsätzen und Vorträgen, die er in einer Kampfschrift zusammentrug, versuchte Julius Goebel, Professor für Deutsche Literatur und Sprache an der Staatsuniversität in Illinois, die „leider nicht ganz unwahre Antwort, daß unser Deutschtum als solches hier seinem Untergang entgegenschreite” (Goebel 1914: 37) zu erläutern und zu widerlegen. In einem Aufsatz aus dem Jahre 1886 („Zur deutschen Frage in Amerika”) kam er zu einem Zwischenfazit und führte zwei Argu- mente an, die für die damalige Diskussion charakteristisch waren. Einerseits ermahnte er die deutsche Gemeinschaft, sich der Situation bewusst zu werden und sich keine Illusionen über den tatsächlichen Stand der deutschen Kultur in Amerika zu machen. Weder das Festhalten an Folklore und an überholten kulturellen Traditionen noch das Ziel einer vollkommenen Assimilation waren seines Erachtens erstrebenswert (Goe- bel 1914: 37). Beide Strategien führten seiner Meinung nach zu einer zunehmenden 4 In der seit drei Jahrzehnten geführten Debatte über Kosmopolitismus und Integration wurde der Begriff “rooted cosmopolitanism” geprägt. Er ist auch für eine historische Auseinandersetzung mit Einwanderung und Herkunftskultur relevant. In dieser Hinsicht macht der Begriff deutlich, dass es Migranten gelingen kann, ihre kulturellen Wurzeln beizubehalten und gleichzeitig Anpassungsfähigkeit sowie Offenheit für die Integration im Einwanderungsland vorzuweisen. Linguistica_2020_2_FINAL.indd 363 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 363 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 364 Marginalisierung und zum Verlust jeglichen Einflusses in der Gesellschaft. Zweitens leitete er von dieser Überzeugung zwei bedeutende und zusammenhängende Argu- mente ab: Die deutsche Gemeinschaft sollte sich zu ihrem positiven Beitrag zur Ent- wicklung der amerikanischen Gesellschaft bekennen und ihre bereichernden Elemente durch eine vom deutschen Vorbild abgeleitete Erziehung fördern. Goebel brachte damit das Dilemma zum Ausdruck, mit dem sich die deutschspra- chige Gemeinschaft in den darauffolgenden Jahrzehnten auseinandersetzen sollte: An uns wird es liegen, ob wir, ähnlich den Helden des Revolutions- und Bürger - krieges, zur geistigen Entwicklung dieses Landes beitragen, was an uns ist, oder ob wir, noch immer mit dem alten Fluche beladen, klanglos nach und nach zerbrö - ckeln und in ein anderes Volkstum aufgehen, nachdem wir das reiche geistige Erbe des Vaterlandes mit der Muttersprache elend vergeudet haben. (Goebel 1914: 39) Goebel konnte somit ein Krisenbewusstsein auf den Punkt bringen, das in den Krei- sen der Verfechter der deutschen Sprache und Kultur verbreitet war. Das Fazit des Verfalls konnte nur widerlegt werden, wenn es gelingen sollte, die Gemeinschaft zu mobilisieren und ihren Beitrag zu rehabilitieren und anerkennen zu lassen. Auch John Eiselmeier zitierte Goebel, wenn es darum ging, im Jahre 1914 „hoffnungsvoll” in die Zukunft zu schauen (Eiselmeier 1926: 27). Doch der Rückgang sollte sich fortsetzen. Der Kontext eines schwindenden Interesses für die deutsche Kultur und die Debatte über deren Existenzkrise hatten auch direkte Auswirkungen auf die persönliche und berufliche Laufbahn von John Eiselmeier. Immer wieder wurde er mit der abweisenden Haltung eines wachsenden Teils der englischsprachigen Gesellschaft gegenüber dem Erlernen der deutschen Sprache konfrontiert. Er beschrieb somit regelrechte Kampag- nen, die sich gegen den Unterricht richteten: Der Kampf gegen den deutschen Unterricht wurde auch hier wieder aufgenom- men. […] Der deutsche Unterricht wurde zuerst als überflüssig angegriffen. […] Es entstanden Vereine, Taxpayer’s [sic] Associations, Bürger Ausschüsse und wie man alle zum Zwecke der Unterdrückung des deutschen Unterrichts gegrün- dete Gesellschaften nannte. Gelang es nicht, den Unterricht aus den Schulen zu entfernen, dann gingen die Gesellschaften wieder ein, um im nächsten Jahr wie- der zu erwachen. (Eiselmeier 1934: 227) Eiselmeier bekämpfte in seiner autobiographischen Schrift die von den genannten Gruppierungen, aber auch von Schulratsmitgliedern angeführten Argumente vehement, musste aber mit Bedauern registrieren, dass der Deutschunterricht in den unteren Klas- sen der „Mittelschulen” abgeschafft wurde (Eiselmeier 1934: 230). Seine Diagnose war um die Jahrhundertwende deutlich: Er ging von einem Bedeutungsverlust der deut- schen Sprache in den Vereinigten Staaten aus. Dies führte aber nur vorübergehend zu Entmutigung und Selbstzweifeln. John Eiselmeier war sich seiner Berufung und seiner Aufgaben sicher und wurde zu einem der prägenden Akteuren, die sich für den Erhalt Linguistica_2020_2_FINAL.indd 364 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 364 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 365 der deutschen Sprache und für eine Vermittlung der deutschamerikanischen Kultur und Identität einsetzten. Die Tatsache, dass Eiselmeier in zahlreichen Schriften über seine eigene Tätigkeit reflektierte, verdeutlicht die wichtige Rolle, die der Erziehung und dem Schulsystem bei dieser Vermittlung zugewiesen wurde. 3 JOHN EISELMEIER UND DER „GEIST DER DEUTSCHEN ERZIEHUNG” Der Werdegang von John Eiselmeier als Pädagoge kann mit der Geschichte des Leh- rerstands in den Vereinigten Staaten aufs Engste verknüpft werden (Eiselmeier 1934 und 1938; Owen 1947). Eiselmeier wurde am North Western College in Watertown (Wisconsin) zum Lehrer ausgebildet, sammelte an verschiedenen Schulen in Illinois, Nebraska, Minnesota und Wisconsin Unterrichtserfahrungen, die er später als Aus- bilder im Rahmen des National German-American Teachers‘ Seminary an angehende Lehrkräfte weitergeben konnte. So wurde er zu einem Protagonisten und gleichzeitig zu einem Chronisten der Entwicklung der deutschen Sprachminderheit in den USA. In dieser Hinsicht können einige wichtige Etappen seiner Laufbahn erwähnt wer- den, weil sie wesentliche Facetten seines Engagements veranschaulichen. Eiselmeiers Erfahrungsbericht ist sowohl vom Bewusstsein, dass die Zukunft für die deutschspra- chige Gemeinschaft eine unsichere war, als auch von einem bemerkenswerten Poten- zial geprägt, das er selbst zusammen mit Gleichgesinnten für Fortbestand und Pflege der deutschen Kultur in den USA ausschöpfen wollte. John Eiselmeier war sich bereits in jungen Jahren der Wirkungskraft der Erziehung bewusst: Aus einfachen Verhältnissen stammend, empfand er das Studium am College in Watertown als außerordentliche Gelegenheit für seinen sozialen Aufstieg und für die Verwirklichung seiner deutschamerikanischen Identität (Eiselmeier 1934). As Lehrer in ländlichen Regionen beschrieb er die Mannigfaltigkeit der Erfahrungen, die er sam- meln konnte. Sein Interesse für Didaktik war sehr ausgeprägt und äußerte sich in der Tatsache, dass er sich stark für die Frage der Lesebuchgestaltung (Eiselmeier 1934: 236–237) und für Pädagogik (Eiselmeier 1934: 241) einsetzte. In dieser Hinsicht fällt besonders auf, dass Eiselmeier bemüht war, die Ausstrahlung der deutschen Kultur zu fördern und somit zur Festigung ihres Status beizutragen. Die Ausstellung von Lehr- büchern und Lehrmitteln, die er für die Jahresversammlung des Nationalen Deutsch- amerikanischen Lehrerbundes in Milwaukee vom 30. Juni bis 3. Juli 1908 leitete, 5 war ganz im Sinne der Prioritäten, die zu diesem Zeitpunkt gesetzt wurden: Es ging dar- um, den Fremdsprachenunterricht als Bestandteil der deutschamerikanischen Identität in den Mittelpunkt zu stellen, aber auch den Erwerb der Mehrsprachigkeit zu einem 5 Siehe den Aufsatz “Nationaler Deutschamerikanischer Lehrerbund.” Monatshefte für deutsche Sprache und Pädagogik, Band 9, Nr. 5 (Mai 1908), 132: “Eine Ausstellung von Lehrmitteln und Lehrbüchern für den modern-sprachlichen Unterricht ist für die Tagung vorbereitet, die in übersichtlicher Weise einen Einblick in den gegenwärtigen Stand dieses Unterrichtszweiges in Amerika, sowie in Deutschland und Frankreich bietet. Über 2000 Objekte sind von den Verlagshandlungen für die Ausstellung eingesandt worden. Sie sind in einem gedruckten Katalog übersichtlich geordnet, der den Besuchern frei zur Verfügung gestellt wird. Die Ausstellung steht unter Leitung von Seminarlehrer John Eiselmeier.” Linguistica_2020_2_FINAL.indd 365 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 365 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 366 wesentlichen Ziel des amerikanischen Schulsystems zu machen. In seiner schriftlichen Vorstellung der wesentlichen Exponate ging Eiselmeier darauf ein. Er machte auf die Bedeutung kulturgeschichtlicher Handbücher aufmerksam, die den Zugang zu den als wesentlich angesehenen Zügen der Vergangenheit im deutschsprachigen Raum er- leichtern sollten. Insbesondere die didaktischen Werke des Verlages von Eugen Diede- richs hob er hervor (Eiselmeier 1908: 225). 6 Genannt wurden Deutsches Leben der Ver- gangenheit in Bildern (Diederichs 1908), aber auch zwei Monographien, Der Gelehrte in der deutschen Vergangenheit (Reicke 1900) sowie Lehrer und Unterrichtswesen in der deutschen Vergangenheit (Reicke 1900), von Emil Reicke (1865–1950) – in Eisel- meiers Präsentation wird fälschlicherweise „Reiche” erwähnt (Eiselmeier 1908: 225). Den didaktischen Vorstellungen Eiselmeiers entsprechend, setzen alle drei Schriften das Medium Bild intensiv ein und verleihen dem Prinzip der Anschaulichkeit obersten Vorrang. Die leitende Rolle der Abbildungen für die Vermittlung des kulturellen Erbes wurde bereits vom Verleger Eugen Diederichs unterstrichen. 7 Das thematisierte Eisel- meier deutlich in seiner Vorstellung: In dieser Verbindung möchte ich auch auf die Wandbilder zur deutschen Göt- ter- und Sagenwelt aufmerksam machen. Diese herrlichen Bilder müssen dazu beitragen, das Interesse der Kinder an der Vergangenheit unserer Ahnen mächtig anzuregen. […] Aus Bildern wie „Walküren auf dem Schlachtfeld“ oder „Wal- halls Wonnen“ gewinnen sogar wir Erwachsene klarere Vorstellungen von der Anschauungsweise unserer Ahnen. (Eiselmeier 1908: 226) Das Medium Bild, und überhaupt die Materialisierung des Lehrstoffes wurden von Eiselmeier als geeignete Mittel angesehen, die Vertrautheit der deutschsprachigen Gemeinschaft mit dem kulturellen Erbe zu wecken oder zu festigen. Für Eiselmeier gab sich damit der Sprachunterricht zur Aufgabe, der deutschamerikanischen Identität durch den veranschaulichten Bezug zur Vergangenheit eine noch tiefere Verwurzelung in der Herkunftskultur zu verleihen. Ferner betonte er bei der Präsentation der Ausstellung, dass das Verlagswesen zu Beginn des 20. Jahrhunderts wesentlich mehr „Bücher, welche die zu lehrende Spra- che zur Unterrichtssprache machen” zur Verfügung stelle „als vor etwa 15 Jahren” (Eiselmeier 1908: 227). Eiselmeier unterstrich damit, dass das pädagogische Material 6 “In der Gruppe Kulturgeschichte sind weit mehr Bücher ausgestellt, als unter Geschichte. Das scheint anzudeuten, dass man der Kulturgeschichte einen größeren Wert beilegt als früher. Hier möchte ich besonders auf drei Werke hinweisen: „Diedrichs Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern“; Reiche „der Gelehrte“ und besonders das Werk von Reiche: „Der Lehrer“”. 7 Eugen Diederichs, “Vorwort.” In: Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern, 11: “Der Atlas erhebt nicht den Anspruch ein kulturgeschichtliches Lehr- und Nachschlagebuch zu sein, das nach Vollständigkeit strebt. Er will aus der Quell der Kunst heraus dem Beschauer “Dokumente deutschen Lebens” ohne Vermittler zur inneren Anschauung bringen und seiner Phantasie so viel Stoff zuführen, dass jetzt, wo eine große Bewegung zum Schutz der bedrohten Heimat durch Deutschland geht, die ehrwürdigen Zeugen alter Vergangenheit wieder eine vertiefte Sprache zu ihm reden.” Linguistica_2020_2_FINAL.indd 366 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 366 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 367 die Entfaltung eines mehrsprachlichen Unterrichts ermöglichte und dass hiermit die Weichen für eine Sprachvielfalt gestellt wurden, welche die Besonderheiten verschie- dener Minderheiten in den Vereinigten Staaten widerspiegeln könnte. Dadurch könnte auch der Niedergang der deutschen Kultur und Sprache aufgehalten werden. Was die Lösungsansätze für eine Bekämpfung des Bedeutungsverlusts der deutschen Kultur betrifft, bleibt festzuhalten, dass sich Eiselmeier für eine Anpassung der didaktischen Mittel, für eine Intensivierung des Deutschunterrichts und für eine stärkere Vermitt- lung des kulturgeschichtlichen Erbes einsetzte. Mit diesen Prinzipien waren von Seiten John Eiselmeiers auch Zielsetzungen und Forderungen verbunden, die er in einem anderen Kontext formulierte. Diese Grundsätze könnten laut Eiselmeier nur dann umgesetzt werden, wenn ein Strukturwandel des Lehr- systems vorgenommen werden würde. Um die Jahrhundertwende schärfte Eiselmeier seinen Kenntnisstand über den Lehrberufsstand, über die Besoldung der Lehrkräfte und über die staatliche Verwaltung des Schulwesens in den Vereinigten Staaten. Sein Urteil fiel kritisch aus. In dem 1902 erschienen Aufsatz „Der amerikanische Volksschulleh - rerstand und seine Besoldung” zeigte Eiselmeier, dass der Status der Lehrkräfte in den Vereinigten Staaten im Durchschnitt niedriger war als im deutschen Kaiserreich. Bei den untersuchten Kriterien „Berufsbewusstsein”, „Ausbildung”, „Besoldung” und „Rente” ging Eiselmeier mit der amerikanischen Verwaltung hart ins Gericht: So lange man in Amerika die Lehrer nur auf ein Jahr […] anstellt und sie so ge- ring besoldet, wird man keinen Lehrerstand heranziehen. […] Der Lehrer muss seiner Stellung eben so sicher sein, wie das heute Briefträger und Polizisten sind. Meines Erachtens ist dies die Grundbedingung zur Sicherung eines Lehrerstan- des. […] Aber auch die Besoldung des amerikanischen Volksschullehrers muss eine bessere werden. Der Lehrer wird in unserem Lande, das sich als das reichste Land der Erde rühmt und mehr für die Schulen zu thun behauptet als europäische Länder, thatsächlich schlechter bezahlt als die meisten Fabrikarbeiter und Hand- werker. (Eiselmeier 1902: 225) Der scharfen Verurteilung des amerikanischen Schulsystems wurde von Eiselmeier die Darstellung des deutschen Modells gegenübergestellt. In dem bereits zitierten Auf- satz wurde insbesondere die Ausbildung der Lehrkräfte als beispielhaft beschrieben (Eiselmeier 1902: 222). Dieser Aspekt ist für Eiselmeiers Argumentation in doppelter Hinsicht bedeutend. Erstens untermauerte der Modellcharakter des deutschen Schul- systems den bedeutenden Beitrag der deutschsprachigen Gemeinschaft zur Förderung des allgemeinen Bildungsstands und stärkte deren Position. Zweitens konnte Eisel- meier für den Fortbestand von Institutionen plädieren, welche dieses Vorbild den ame- rikanischen Verhältnissen anpassen könnte. Dies war in erster Linie das Deutsch-Eng- lische Lehrerseminar (National German-American Teachers’ Seminary), an dem auch er selbst lehrte, aber auch die German-English Academy. Eiselmeiers Wunsch nach einer Verbesserung des amerikanischen Schulsystems prägte die historische Übersicht, in der er sich mit dem Entstehen der Lehrerbildung Linguistica_2020_2_FINAL.indd 367 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 367 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 368 befasste und die 1918 veröffentlicht wurde (Eiselmeier 1918). Nachdem er auf einzel- ne Persönlichkeiten wie Franz Daniel Pastorius eingegangen war, zeigte er, wie die Anzahl der in Deutschland ausgebildeten Lehrkräfte im 19. Jahrhundert nicht mehr ausreichte, um innerhalb der deutschamerikanischen Gemeinschaft die Unterrichtsbe- dürfnisse zu decken (Eiselmeier 1918: 185). Er wies darauf hin, dass bereits 1837 über die Möglichkeiten beraten wurde, ein solches Seminar für die Deutschamerikaner in Pennsylvanien einzurichten: Das erste Seminar wurde 1841 in Philippsburg eingerich- tet. Zwei Punkte wurden von Eiselmeier in diesem Zusammenhang hervorgehoben: Als Zweck des Seminars wurde nicht nur die Förderung und Erhaltung der deut- schen Sprache angegeben, sondern die Lehrer sollten auch imstande sein, in der englischen Sprache zu unterrichten, und sie sollten vollkommen vertraut werden mit den Sitten ihres jetzigen Vaterlandes; kurz, die Lehrer sollten die ihnen an- vertraute Jugend in allem unterrichten können, was man mit Recht von einem Bürger der Vereinigten Staaten fordern darf. (Eiselmeier 1918: 185-186) Obwohl diese Initiative aus Geldmangel aufgegeben werden musste, war sie für John Eiselmeier ein aussichtsreicher Ausgangspunkt für die Etablierung der Kultur- und Sprachminderheit in den Vereinigten Staaten: Die Verwurzelung im kulturellen Erbe sollte weitergeführt und an die nächste Generation weitergegeben werden. Paral- lel dazu sollten sich die Schüler zur amerikanischen Verfassung und zum amerikani- schen Bürgerverständnis bekennen. In den 1870er Jahren konnten sich laut Eiselmeiers Analyse Lehrerausbildungs- stätten definitiv durchsetzen. Eine besondere Rolle spielte das Nationale Deutschame- rikanische Lehrerseminar in Milwaukee, an dem er zwischen 1904 und 1919 selbst angestellt war. Es wurde von Eiselmeier als die Krönung der Bemühungen vorgestellt, um die Förderung der deutschen Sprache und Kultur auf angemessenem Niveau bei- zubehalten. Die Gründung des deutschamerikanischen Lehrerbundes im Jahre 1870 stellte die Weichen für die Eröffnung des Seminars, das am 14. November 1878 seine ersten Aufnahmeprüfungen durchführte. In seiner autobiographischen Schrift betonte er die Bedeutung der Institution für seine eigene Laufbahn: „Ich sah die Anstellung am Seminar als das Höchste an, was einem Lehrer in seiner Laufbahn geboten werden konnte. Und noch heute sehe ich die Beförderung so an wie damals” (Eiselmeier 1934: 242). Doch die Bedeutung des Lehrerseminars für das Selbstverständnis der deutschen Sprachminderheit übertraf bei weitem das einzelne Schicksal John Eiselmeiers. In einem Artikel, der 1916 in der Milwaukee Sonntagspost erschien, bemühte sich Eiselmeier, die Bedeutung dieses Seminars für das gesamte amerikanische Schulsys- tem hervorzuheben. Mit Verweis auf offizielle Instanzen des Schulwesens wies Eis- elmeier darauf hin, dass es „mit einer einzigen Ausnahme – das Nationale Deutsch- amerikanische Lehrerseminar – […] keine eigentlichen Vorbildungsschulen für neu- sprachliche Lehrer” gab (Eiselmeier 1916). Die exemplarische Funktion der von Deut- schen und Deutschamerikanern vertretenen Vorstellung von Ausbildung und Didaktik wurde dementsprechend erneut in den Mittelpunkt gestellt. Bettina Goldberg zeigte Linguistica_2020_2_FINAL.indd 368 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 368 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 369 auf überzeugende Weise, wie sehr das Seminar und die private zweisprachige Schule German-English Academy um 1900 für ihre innovativen Methoden und für ihren mehr- sprachigen Unterricht geschätzt wurde. Zahlreiche Absolventen des Seminars sorgten um diese Zeit für einen als zufriedenstellend angesehenen Deutschunterricht an öffent- lichen Schulen, so dass sich das Erlernen der Sprache in Wisconsin auf einem durchaus stabilen Niveau halten konnte (Goldberg 1995: 177). John Eiselmeier machte also in seinen Schriften deutlich, dass der Weg aus der Existenzkrise über den von Julius Goebel heraufbeschworenen „Geist der deutschen Erziehung” (Goebel 1914: 8) führte. Er sah darin einerseits ein unerlässliches Instru- ment, um die Präsenz der deutschen Kultur in den Vereinigten Staaten zu garantieren; er war auch andererseits der Überzeugung, dass deutschamerikanische Bildungsinsti- tutionen zur Verbesserung des gesamten Schulwesens beitragen konnten. Angesichts dieser Vorstellungen wird nun untersucht werden, wie Eiselmeier den zunehmenden Bedeutungsverlust nach der Jahrhundertwende einschätzte und wie er sich gegenüber dem Assimilationsprinzip positionierte. 4 DIFFERENZIERTE ASSIMILATION? EINE SPRACHMINDERHEIT UND IHR VERHÄLTNIS ZUM SOZIOKULTURELLEN UMFELD In dem für die Jahrhundertwende charakteristischen Kontext der Verunsicherung spiel- te die Debatte über Assimilation in der deutschamerikanischen Öffentlichkeit eine we- sentliche Rolle. Russell Kazal machte anhand des Beispiels von Philadelphia deutlich, dass sich in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg gegensätzliche Tendenzen in- nerhalb der Gemeinschaft äußerten. In dieser Hinsicht gab es durchaus eine Bewegung, die sich zum Ziel setzte, der Assimilation zu widerstehen (Kazal 2004: 130-148). Mit der Gründung des Deutschamerikanischen National-Bunds im Jahre 1901 wollten die Träger des „Deutschthums” Botschaften an zwei verschiedene Adressaten richten 8 . Einerseits wollte die neue Instanz für Anerkennung um die Verdienste der deutschspra- chigen Gemeinschaft in Amerika werben: Der National-Bund sollte ein Sprachrohr für die Loyalität der Deutschamerikaner gegenüber dem „Adoptiv-Vaterland” sein. An- dererseits sollte die Vereinigung das Selbstbewusstsein der Gemeinschaft stärken und sie dazu aufmuntern, sich für die „Wahrung der Interessen der Deutsch-Amerikaner in allen Staaten der Union” einzusetzen (National-Bund 1901). Mit der einflussreichen Persönlichkeit seines Präsidenten Charles J. Hexameter sollte der National-Bund dazu beitragen, ein umfangreiches Programm umzusetzen, das auf der Überzeugung einer weltweiten Ebenbürtigkeit von deutscher und englischer Sprache beruhte: Er empfiehlt die Einführung des Unterrichts der deutschen Sprache in öffentli- chen Schulen auf der breiten Grundlage. Neben der englischen bildet die deut- sche Zunge die Weltsprache, in den entferntesten Winkeln der Erde, wohin die Pioniere der Zivilisation, des Handels gedrungen, finden wir die Völker beider Zungen vertreten. (National-Bund 1901) 8 Der Text der “Platform” des National-Bundes ist online abrufbar unter http://www.archivaria.com/ BdDA/BdDABund1.html. Linguistica_2020_2_FINAL.indd 369 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 369 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 370 Das für Eiselmeier zentrale Lehrerseminar in Milwaukee wurde auch bei der Grün- dungsversammlung des National-Bundes gelobt und als Pionierleistung gewürdigt. Dennoch muss nun hinterfragt werden, ob John Eiselmeiers Anliegen dem Ansatz ent- spricht, das Deutsche als Weltsprache zu etablieren. In seinen Stellungnahmen äußerte er in dieser Hinsicht vielmehr Bescheidenheit. Die Vorstellung der deutschen Kultur als wesentlichen Pfeiler der amerikanischen Kultur wurde von Eiselmeier um 1900 und in den darauffolgenden Jahrzehnten nuan- cierter dargestellt als in den Kreisen des deutschamerikanischen National-Bundes. Das Deutschtum sollte sich eher in ein breiteres Schul- und Kultursystem einfügen und in diesem Zusammenhang einen angemessenen Platz belegen. In einer längeren Schrift, die Eiselmeier 1926 veröffentlichte und die als synthetischer Rückblick angesehen werden kann (Eiselmeier 1926), betonte er mit einer gewissen Distanz die Bedeutung der Deutschamerikaner für die Kultur der Vereinigten Staaten und erläuterte dabei die Gründe für den Rückgang ihrer Rolle zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Für Eiselmeier bot sich die Gelegenheit, nochmals zu unterstreichen, dass an der Loyalität der Deutschamerikaner nicht zu zweifeln war. Den Ersten Weltkrieg deutete er als Beweis für die Identifikation mit den Werten der Vereinigten Staaten und für die Ablehnung einer nichtdemokratischen Welt- und Gesellschaftsordnung: Im Weltkrieg haben die Deutschamerikaner bewiesen, dass sie ihrem Vaterland treu sind, und wenn es heißt, das größte Opfer zu bringen; nicht nur das Leben zu wagen, sondern gegen das eigene Blut zu Felde zu ziehen. Obwohl die aller- meisten den Krieg nicht billigten, haben sie doch das Leben daran gesetzt, als das Vaterland rief. Damit ist die politische Einstellung der Deutschamerikaner schon gegeben. Sie waren immer und sind heute treue Bürger ihres neuen Vaterlandes. Niemals haben sie deutsche Politik getrieben. Die meisten kamen als Gegner des politischen Vaterlandes herüber, oder sie waren ihres Glaubens wegen verfolgt worden. (Eiselmeier 1926: 28) Damit wollte er betonen, dass die Pflege der Herkunftskultur keineswegs im Wider- spruch mit dem Willen zur Integration stehe. In dieser Hinsicht beschrieb Eiselmeier die Jahrzehnte ab 1870 als Blütezeit und sah das Erziehungswesen als Triebfeder einer Epoche, in der die Deutschamerikaner auf idealtypische Weise ihre Verwurzelung in der Herkunftskultur und ihre Einfügung in die soziokulturellen Verhältnisse der ameri- kanischen Gesellschaft zu verbinden vermochten (Eiselmeier 1926: 9–12). Diese Zeit des Gedeihens in Amerika neigte sich laut Eiselmeier bereits in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg dem Ende zu. Natürlich unterstrich er dabei das Gewicht der antideutschen Kampagnen. Doch sein tatsächliches Anliegen in der Schrift Das Deutschtum in Angloamerika war es nicht, die außenstehenden, gesamtge- sellschaftlichen Faktoren in Erinnerung zu rufen. Ihm lag es viel mehr daran, die Ursa- chen für den Rückgang innerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft zu ergründen. Auch in seiner autobiographischen Schrift verfolgte er diese Absicht. Seine Argumen- tation beruhte auf der Annahme, dass der Bedeutungsverlust selbstverschuldet war, Linguistica_2020_2_FINAL.indd 370 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 370 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 371 dass die Deutschamerikaner eine widersprüchliche Vorgehensweise selbst zu verant- worten hatten. So bemängelte er die finanzielle Unterstützung, die den Schulanstalten hätte zukommen sollen. Der Deutschamerikaner ist infolge seines Fleisses und seiner Sparsamkeit sehr erfolgreich gewesen. […] aber in der Unterstützung der Schulen und ähnlichen Anstalten haben wir nicht getan, was wir hätten tun sollen und können. Und hier ist zwischen dem nichtkirchlichen und dem kirchlichen Deutschamerikanertum kein allzu grosser Unterschied. Ich weiss aus Erfahrung, dass es auch in den kirchlichen Kreisen keine Anstalt gibt, die sich über zu grosse Freigebigkeit zu beklagen Ursache hatte. (Eiselmeier 1934: 245) Als symptomatisch betrachtete John Eiselmeier einen Spendenaufruf aus dem Jahre 1908, den er als regelrechtes Scheitern ansah. Dieser mangelnden Investitionsbereitschaft entsprach zudem das Desinteresse eines Großteils der Gemeinschaft für die historischen Wurzeln der Herkunftskultur. Als Eiselmeier die einflussreichen Lehrerpersönlichkeiten vorstellte, die ihn geprägt hatten, teilte er über Heinrich Mauer Folgendes mit: Durch ihn bin ich in die Geschichte des Deutschamerikanertums eingeführt wor- den, die auch er neben seiner Hauptbeschäftigung betreibt. Ich habe mich mit der Sache ziemlich eingehend befasst, muss mich aber wundern, mit welch grosser Gleichgiltigkeit (sic) die grosse Masse unserer Stammesgenossen die Geschichte ihrer Mitbürger deutschen Blutes ansieht. Für so manche minderwichtigen Din- ge haben wir Zeit und Geld; die Geschichte unserer Stammesgenossen ist uns gleichgiltig (sic). (Eiselmeier 1934: 251) Integration sollte laut Eisenfeld durch die Vergegenwärtigung der deutschen Ver- gangenheit begünstigt werden. Den Willen, die eigene Geschichte zu verinnerlichen, konnte er bei der Mehrheit der Deutschamerikaner nicht feststellen. Die Selbstverschuldung bei dem Bedeutungsverlust war laut Eiselmeier nicht nur auf Gleichgültigkeit und zunehmendes Desinteresse beschränkt. Er betonte auch, dass innere Konflikte eine Verteidigung des deutschamerikanischen Spezifikums deutlich erschwerten: „Das Deutschamerikanertum war und ist eben ein Haus, das mit sich selbst uneins ist” (Eiselmeier 1926: 30). Eiselmeier war der Ansicht, dass die Einwan- derungswelle nach der Revolution von 1848/1849 den Ausgangspunkt für Spannungen und Interessenunterschiede markierte. Er betrachte diese Zugewanderten als „kirchen- feindlich” und machte ferner die lutherische Kirche für die Spaltungen innerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft verantwortlich. Selbstverständlich war dieses Urteil subjektiv und beruhte auf eigenen lokalen Erfahrungen; dennoch war es ein Zeichen, dass Eiselmeier im Jahre 1926 von einer Krise des Gemeinschaftssinns ausging. Der allmähliche Verlust der deutschen Sprache in den USA wurde als Symptom für die Ent- fremdung gegenüber den kulturellen Wurzeln gedeutet: Linguistica_2020_2_FINAL.indd 371 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 371 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 372 Mit der Sprache schwindet ein Teil dessen, was man unter dem Begriff Volks- tum zusammenfaßt; doch nicht alles. Für die Heimat sind die Deutschamerikaner dauernd verloren; politisch ganz und kulturell beinah vollständig. Was sich in Pennsylvanien ereignet hat, wird sich im mittleren Westen wiederholen. Dort ist heute auf dem Lande noch der Pfälzer Dialekt im Pennsylvania Dutch erhalten, der sogar eine Literatur hat. Die hochdeutsche Sprache ist verschwunden in den Gegenden, die vor 200 Jahren von den deutschen Sektierern besiedelt worden sind. (Eiselmeier 1926: 31) 5 SCHLUSSFOLGERUNG Mit diesem Fazit aus dem Jahre 1926 schien Eiselmeier, die Verbindung der Deutsch- amerikaner mit der Heimat für aufgelöst zu erklären. Dennoch trifft dies nur bedingt zu. Er selbst räumte im besagten Zitat auch ein, dass das Hochdeutsche zwar nicht mehr gesprochen wurde, dass aber Dialekte wie das Pennsylvania Dutch nach wie vor gän- gig waren und sich auch im mittleren Westen erhalten würden. Davon ausgehend kann keineswegs von Auflösung einer Sprachminderheit die Rede sein: Das Nachlassen der Verbindung zu den sprachkulturellen Wurzeln bedeutete keineswegs Assimilation, sondern Wandel im Selbstverständnis dieser Gemeinschaft. Die Identifikationskrite- rien waren nicht mehr mit den ursprünglichen Herkunftsterritorien verknüpft, sondern beruhten auf den kulturellen Merkmalen, die sich nach dem Einwanderungsprozess in den USA durchgesetzt hatten. John Eiselmeier gehörte zu denjenigen, die sich für den Erhalt der deutschen Sprachminderheit einsetzten und immer wieder mit einer un- gewissen Gegenwart konfrontiert waren. Sein Wirken und seine Schriften machten in diesem Kontext deutlich, wie wichtig die Tradierung einer Kultur und die Vermittlung einer Sprache für die Identität einer Sprachminderheit sind. Teil des Integrationspro- zesses ist die Bemühung, das Vergessen zu bekämpfen, aber auch die Grundlagen des Zusammenhalts innerhalb der Gemeinschaft immer wieder neu zu definieren und den wandelnden Verhältnissen anzupassen. Primärliteratur DIEDERICHS, Eugen (ed) (1908) Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern. Ein Atlas mit 1760 Nachbildungen alter Kupfer- und Holzschnitte aus dem fünfzehnten bis achtzehnten Jahrhundert. 2 Bände. Leipzig: Diederichs. EISELMEIER, John (1902) „Der amerikanische Volksschullehrerstand und seine Be- soldung.“ Pädagogische Monatshefte, Band 3, 7, 221–227. EISELMEIER, John (1908) „Unsere Lehrmittelausstellung.“ Monatshefte für deutsche Sprache und Pädagogik, Band 9, 7/8, 225–228. EISELMEIER, John (1916) „Volksschule, Lehrerstand und Lehrerbund.“ Milwaukee Sonntagspost, 25.06.1916. Scrapbooks. Madison: University of Wisconsin, Max Kade Institut. EISELMEIER, J. Eiselmeier (1918) „Ein Beitrag zur Lehrerbildungsfrage.“ Monats- hefte für deutsche Sprache und Pädagogik, Band 19, Nr. 1, Januar 1918, 183–89. Linguistica_2020_2_FINAL.indd 372 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 372 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 373 EISELMEIER, John (1926) Das Deutschtum in Angloamerika. Berlin: Deutscher Schutzbund Verlag. EISELMEIER, John (1934) Aus meinem Leben. Manuskript. Madison: University of Wisconsin, Max Kade Institut. EISELMEIER, John (1938) Autobiography. Manuskript. Madison: University of Wis- consin, Max Kade Institut. GOEBEL, Julius (1914) Der Kampf um die deutsche Kultur in Amerika. Aufsätze und Vorträge zur deutsch-amerikanischen Bewegung. Leipzig: Dürr’sche Buchhand- lung. REICKE Emil (1900) Der Gelehrte in der deutschen Vergangenheit. Mit 130 Abbil- dungen und Beilagen nach den Originalen aus dem fünfzehnten bis achtzehnten Jahrhundert. Leipzig: Diederichs. REICKE, Emil (1901) Lehrer und Unterrichtswesen in der deutschen Vergangenheit, mit 130 Abbildungen und Beilagen nach Originalen aus dem fünfzehnten bis acht- zehnten Jahrhundert. Leipzig: Diederichs. Sekundärliteratur APPIAH, Kwame Anthony (1996) „Cosmopolitan Patriots.“ In: M. C. Nussbaum/J. Cohen (Hrsg.) For Love of Country. Boston: Beacon Press, 21–29. FÖLDES, Csaba (Hrsg.) (2019) Kontaktvarietäten des Deutschen im Ausland. Tübin- gen: Narr Verlag. GOLDBERG, Bettina (1995) „The German-English Academy, the National German- American Teachers’ Seminary and the Public School System in Milwaukee.“ In: H. Geitz/J. Heidekingand/J. Herbst (Hrsg.). German Influences on Education in the United States to 1917. Cambridge: Cambridge University Press, 177–192. KAZAL, R. A. (2004) Becoming Old Stock. The Paradox of German-American Identi- ty. Princeton and Oxford: Princeton University Press. KEEL, William D. (2018) „USA.“ In: A. Plewina/C. M. Riehl (Hrsg.) 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Eiselmeier wurde zum Zeugen des zunehmenden Bedeutungsverlustes der deut- schen Kultur und der Spannungen, denen die deutsche Gemeinschaft ausgesetzt war. Selbstreflektierung wurde dabei zum Ausgangspunkt für seine Diagnose über die Ver- änderungen in der amerikanischen Wahrnehmung der deutschsprachigen Einwanderer. Eiselmeier verschwieg keineswegs die Krisenerscheinungen, die sich innerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft offenbarten und ihren Status bedrohten. Er themati- sierte sowohl den Rückgang der Sprache, die Anfeindungen gegen Deutsche in Kontext des Ersten Weltkriegs als auch das zunehmende Desinteresse an einer intensiven Pflege der deutschen Kultur in den Einwandererkreisen. Diese Aspekte bieten den Anlass für eine Diskussion über folgende Hypothese: Stellten die ersten Jahrzehnte des 20. Jahr- hunderts eine Etappe dar, bei der es zum Übergang von einem offenen Integrationsmo- dell zum Assimilationsmodell kam? Schlüsselwörter: Sprachminderheit, Deutschamerikaner, Integration, Assimilations- debatte, Erziehungssystem Abstract A COMMITMENT AGAINST THE DIMINISHING INFLUENCE OF A CULTURE: JOHN EISELMEIER AND THE STATUS OF THE GERMAN- SPEAKING MINORITY IN THE UNITED STATES OF AMERICA AT THE BEGINNING OF THE 20TH CENTURY John Eiselmeier, who was born near Linz and who settled with his family in the south- ern part of Illinois in the 1870s, has so far received little scholarly attention. He trained as a teacher and gained teaching experience at various schools in Illinois, Missouri, Nebraska and Wisconsin. He was later able to pass this experience on to prospective teachers as a trainer within the National German-American Teachers’ Seminary. He became a campaigner for the preservation of the German language and the German- American school system. Linguistica_2020_2_FINAL.indd 374 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 374 24. 03. 2021 14:21:05 24. 03. 2021 14:21:05 375 Eiselmeier witnessed the increasing loss of importance of German culture and the ten- sions which the German community was exposed to. Through self-reflection he became aware of the changes in the American perception of German-speaking immigrants. Eiselmeier by no means concealed the symptoms of the crisis that appeared within the German-speaking community and threatened its status. He addressed the decline in the language, the hostility towards Germans in the context of the First World War and the increasing disinterest in German culture. These events provide the opportunity to discuss the following hypothesis: did the first decades of the 20th century represent a stage which led to a transition from open integration to assimilation? Keywords: linguistic minority, German-Americans, integration, debate on assimila- tion; education system Povzetek PROTI IZUBI POMENA (NEKE) KULTURE: JOHN EISELMEIER IN POLOŽAJ NEMŠKE JEZIKOVNE MANJŠINE V ZDRUŽENIH DRŽA V AH AMERIKE NA ZAČETKU 20. STOLETJA V okolici Linza rojenemu Johnu Eiselmeierju, ki se je v 70. letih 19. stoletja z družino naselil v južnem delu Illinoisa, se je v znanstvenih raziskavah doslej posvečalo malo pozornosti. Eiselmeier, po izobrazbi učitelj, je poklicne izkušnje pridobival na šolah v Illinoisu, Missouriju, Nebraski in Wisconsinu. Kot predavatelj jih je kasneje pre- našal na bodoče učitelje v okviru učiteljskega seminarja National German-American Teachers' Seminary. Tako je postal akter, ki se je zavzemal za ohranitev nemškega jezika in nemško-ameriškega šolskega sistema. Eiselmeier je postal priča stopnjujo- če se izgube pomena nemške kulture, a tudi napetosti, ki ji je bila nemška skupnost izpostavljena. Samorefleksija je bila zanj izhodišče za diagnosticiranje sprememb v ameriški percepciji nemško govorečih priseljencev. Kriznih pojavov, ki so v nemško govoreči skupnosti postajali očitni in ki so bili grožnja njenemu položaju, Eiselmeier nikakor ni zamolčal. Tematiziral je tako upad jezika, sovražnost v odnosu do nemščine v kontekstu I. svetovne vojne kot tudi naraščajočo nezainteresiranost za intenzivno skrb za nemško kulturo v priseljenskih krogih. Ti vidiki predstavljajo izhodišče za diskusijo o naslednji hipotezi: Ali predstavljajo prva desetletja 20. stoletja obdobje, v katerem je prišlo do prehoda iz odprtega modela integracije v asimilacijski model? Ključne besede: jezikovna manjšina, nemški Američani, integracija, razprava o asimi- laciji, izobraževalni sistem Linguistica_2020_2_FINAL.indd 375 Linguistica_2020_2_FINAL.indd 375 24. 03. 2021 14:21:06 24. 03. 2021 14:21:06