Das Problem des inneren Sinnes Das Innere, das Äußere, und die Apperzeption Zdravko Kobe Kant schreibt in einer Reflexion, daß »alle weitere Erklärung durch den Verstand von Raum, Zeit und Apperzeption - die als Formen der Sinnlichkeit bzw. des Denkens die drei Grundquellen aller empirischen Erkenntnis ausmachen - unmöglich ist«.1 Warum ist die Welt des Menschen in Raum und Zeit, warum hat er kein Vermögen der intellektuellen Anschauung, wie sind die drei Formen überhaupt miteinander vereinbar, auf alle diese Fragen läßt sich nicht anders als mit einer Tatsachenfeststellung antworten, nämlich, daß der Mensch mit einem äußeren und einem inneren Sinn und dem Vermögen zu denken ausgestattet ist. Und selbst dann hat diese Antwort nur eine eingeschränkte Geltung, da sie das Gemüt nicht in seinem reinen Ansichsein darstellt, sondern Erscheinung bezeichnet, Erscheinung des inneren Sinnes. Im Rahmen einer Theorie, die jedes Erfahrungswissen für in einer konstituierenden Weise durch den Erkenntnisapparat des Subjekts vermittelt erklärt, und die aufgrund dessen gewisse Eigenschaften von Gegenständen der Erfahrung schon aus der Natur dieses Apparats a priori abzuleiten imstande ist, nimmt somit der innere Sinn eine ganz besondere Stellung ein. Denn als ein Grundvermögen des Gemüts ist er einerseits für eine der sinnlichen Formen der Erfahrungswelt verantwortlich; zugleich ist er aber dasjenige Mittel, das uns wenigstens eine empirische Erkenntnis von der Beschaffenheit unseres Erkenntnisapparats, von den in der Konstitution der Erfahrung mitwirkenden Faktoren und Prozessen verschaffen kann. Als solcher - als Teil und Ganzes zugleich - muß der innere Sinn einer der Schwerpunkte des transzendentalen Idealismus sein, und auch Kant hat zugegeben, daß »in demselben das Geheimnis des Ursprungs unserer Sinnlichkeit liegt«.2 Trotzdem sucht man in der Kritik der reinen Vernunft wie in den anderen Werken von Kant vergebens nach einer näheren Darstellung der Theorie des inneren Sinnes, seiner Rolle und seines Verhälnisses zum äußeren Sinn einerseits und zur Einheit der Apperzeption anderseits. An den wenigen Stellen, wo diese Frage überhaupt berührt wird, sind nur partielle Bestimmungen gegeben, die dabei nicht immer miteinander vereinbar sind. Wie es oft vorkommt, ist demnach auch hier aus den zerstreuten, mit den Anschwemmungen von vorkritischen Konzeptionen vermischten Fragmenten die entschprechende Theorie erst zusammenzusetzen. 1. Ref. 5041, AA XVIII , S. 70. 2 . KrV, B 334 A 278. 80 Zdravko Kobe * Im Rahmen des traditionellen Modells des Erkennens, dessen Hauptzüge dem Rationalismus und Empirismus gemein waren, beruht die Lehre vom inneren Sinn auf der scharfen Trennung des Äußeren und des Inneren, des Ausgedehnten und des Vorstellungshaften. So bekommt man das gewöhnliche Bild einer transparenten, direkt zugänglichen Innerlichkeit, gegenüber der eine immer wankende Welt der äußeren Phänomene steht. Im Gegensatz zu dieser Auffassung, wo dem inneren Gebiet der Vorstellungen zweifache Überlegenheit der Unmittelbarkeit und vollkommener Gewißheit zukommt, besteht aber das Hauptmerkmal von Kants Betrachtung im strengen methodologischen Parallelismus der beiden Sinne. »Vermittelst des äußeren Sinnes (einer Eigenschaft unsres Gemüts) stellen wir uns Gegenstände als außer uns, und diese insgesamt im Räume vor. Darinnen ist ihre Gestalt, Größe und Verhältnis gegen einander bestimmt, oder bestimmbar. Der innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüt sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschauet, gibt zwar keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Objekt; allein es ist doch eine bestimmte Form, unter der die Anschauung ihres innern Zustandes allein möglich ist, so, daß alles, was zu den innern Bestimmungen gehört, in Vehältnissen der Zeit vorgestellt wird. Äußerlich kann die Zeit nicht angeschaut werden, so wenig wie der Raum, als etwas in uns. Zwischen den beiden Sinnen läßt sich eine völlig kongruente Reihe von Equivalenzen ziehen. Wie der äußere Sinn äußere Dinge zum Gegenstand hat, so bezieht sich der innere auf den Zustand des Subjekts und seine Vorstellungen; wie der äußere Sinn seine Gegenstände in die Form der Räumlichkeit setzt, ebenso stellt sie der innere in der Zeit dar; und so wie der äußere seine Erkenntnisse infolge der Einwirkungen der äußeren Dinge bildet, so antwortet auch der innere Sinn auf die Veränderungen im inneren Zustand des Gemüts. Beide liefern uns also Anschauungen zu einer möglichen Erkenntnis, nur sind diese im ersten Fall die Anschauungen der räumlichen Dinge, im zweiten aber die inneren Aschauungen des Gemütszustandes in Form der Zeit, die die Grundlage zur inneren Erfahrung ausmachen. Die Analogie erstreckt sich aber noch weiter. Nach Kant wird die Erkenntnis eines Gegenstandes nur unter der Bedingung hervorgebracht, daß die zwei heterogenen Bestandstücke, Begriff und Anschauung, zusammentreffen. Diese ist aber uns Menschen dadurch allein gegeben, daß der Gegenstand das Gemüt auf gewisse Weise affiziert. »Die Fähigkeit, Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit.«* Damit die Anschauung entsteht, muß also die Affektion des Gemüts stattfinden, die etwas Mannigfaltiges in ihm hervorbringt. 3 . KrV, B 37 A 22-23. 4 . KrV, B 33 A 19. Das Problem des inneren Sinnes 81 Sofern nun der innere Sinn in der Tat ein Sinn und also passiv ist, müssen die angegebenen Bedingungen auch für ihn ihre Gültigkeit erweisen. Das Subjekt kann demnach eine Vorstellung von sich selbst nur dadurch bekommen, daß sein Gemüt affiziert wird, daß also in ihm Empfindungen auftreten, die dann von ihm in die innere Erfahrung vereinigt werden. Weil der Gegenstand dieser Erkenntnis sein eigenes denkendes Ich ist, muß zum Unterschied von den Vorstellungen der äußeren Objekte die Affektion aus seiner eigenen Tätigkeit entspringen. Affektion ist insoweit Selbstaffektion, was ihr eine größere Dignität geben mag, es handelt sich aber immer noch um eine passiv wahrgenommene Veränderung des inneren Zustandes, die als Wahrnehmung für ihr Mannigfaltiges auf Eindrücke angewiesen ist. Aus der sinnlichen Natur der inneren Erkenntnis folgt ferner, daß die Seele auch sich selbst nicht als etwas Ansichseiendes erkennen kann. Weil wir uns der Vorstellungen als in der Zeit bestimmt bewußt sind, indem wir in der inneren Welt die Veränderungen und den Wechsel verschiedener Gemüts- zustände wahrnehmen, läßt der phänomenale Status der Zeit keine andere Erklärung zu, als daß das empirische Selbstbewußtsein ebenso zu Erscheinun- gen gehöre. Die innere Welt verliert damit den Vorzug, der ihr im traditionel- len Modell des Erkennens eigen war, da sie - in genau demselben Sinne wie die äußeren Dinge - sich als vermittelt und durch die kontingenten Eigen- schaften des inneren Sinnes geprägt erweist. Wäre dieser anders beschaffen, als er tatsächlich ist, wäre die Form seines passiven Anschauens verschieden, oder wäre die innere Anschauung sogar aktiv und intellektuell, so würde unsere Selbsterkenntnis uns in einer ganz anderen Gestalt zum Vorschein bringen. Allgemein genommen, gelten also alle Bedingungen der Sinnlichkeit wie für den äußeren so auch für den inneren Sinn. Doch sobald die Frage von ihren jeweiligen Rollen in der Konstruktion der Erfahrung gestellt wird, zeigt sich, daß die Sache doch nicht so einfach ist. Die erste Schwierigkeit steckt schon darin, daß die Zeit nicht nur formale Bedingung der inneren Erfahrung ist, sondern sich zugleich auf die Erscheinungen der äußeren bezieht. Auf gewisse Weise sind die Zeitbestimmungen noch mehr als mit den inneren, mit den äußeren Phänomenen verbunden, da es eben die räumliche Substanz ist, die uns eine Anschauung vom Beharrlichen verschafft, das eine allgemeine Bedingung der kategorialen Bestimmung von Zeitverhältnissen in der Erfahrungswelt ist. Und selbst wenn der Stellenwert des Raums in der Bestimmung der Zeit beiseite gelassen wird, bleibt die Tatsache, daß wir uns die materiellen Dinge doch in Raum und Zeit vorstellen. Wenn es aber unmöglich ist, die Zeit anders als mittels des inneren Sinnes anzuschauen, so folgt, daß an der Konstitution der äußeren Erfahrung auch der innere Sinn teilnimmt. Und anders kann es auch nicht sein, denn - wie Kant zu wiederholen pflegt - alle uns zugängliche Dinge sind nur Erscheinungen, d.i. bloße Vorstellungen, die dem erkennenden Subjekt »inhärieren«. 82 Zdravko Kobe »Weil alle Vorstellungen, sie mögen nun äußere Dinge zum Gegenstande- haben, oder nicht, doch an sich selbst, als Bestimmungen des Gemüts, zum innern Zustande gehören; ... so ist die Zeit eine Bedingung a priori von aller Erscheinungen überhaupt, und zwar die unmittelbare Bedingung der inneren (unserer Seele) und eben dadurch mittelbar auch der äußern Erscheinungen. Der innere Sinn hat somit Vorrang vor dem äußeren. An der angeführten Stelle ist seine Überlegenheit um so ersichtlicher, als Kant uns erklärt, daß die Zeitlichkeit der äußeren Erfahrung durch die Zeitverhältnisse in der inneren Anschauung vermittelt wird. Die zweite Schwierigkeit, übrigens eng mit der ersten verbunden, bezieht sich auf die Frage der Natur des im jeweiligen Sinn gegebenen Mannigfaltigen. Es ist leicht sich klarzumachen, wofür das Mannigfaltige des äußeren Sinnes stehen soll - es handelt sich wohl um rohe Empfindungen von materiellen Dingen, um die nachgebliebenen Spuren ihrer kausalen Wirkungen. Es verhält sich aber ganz anders mit dem Mannigfaltigen des inneren Sinnes. Ins- besondere, weil Kant diese Rolle den Gefühlen abzulehnen scheint, indem er ausdrücklich betont,6 daß der Ausdruck Empfindung im Fall des Gefühls der Lust und Unlust in einer ganz anderen Bedeutung verstanden wird, als wenn er für die Eindrücke des äußeren Sinnes steht. Hume hat bereits hervorgehoben, im Gemüt sei keine Vorstellung des Ichs selbst zu finden, in ihm bestehe vielmehr nur der Wechsel von solchen und anderen konkreten Vorstellungen, die sich immer auf etwas anderes beziehen; und auch Kant hat zugegeben, daß »den eigentlichen Stoff, womit wir unser Gemüt besetzen, die Vorstellungen äußerer Sinne ausmachen«,7 daß es eben die äußeren Dinge sind, »von denen wir doch den ganzen Stoff zu Erkenntnissen selbst für unsern inneren Sinn her haben«.8 Das Problem liegt somit darin, daß der innere Sinn kein eigenes Mannigfaltiges zu haben scheint, und auch zur Selbsterkenntnis des Menschen von dem abhängt, was ihm die äußeren Sinne zur Verfügung stellen. Zu beiden soeben angeführten Bedenklichkeiten gesellt sich noch ein dritter Einwand. Wenn sich der innere Sinn in der Tat über die ganze Sphäre des Geistes erstreckt, was als Folge des konsequent durchgeführten Parallelismus entstehen muß, wäre es uns also nur auf diese empirische Weise möglich, sich der Vorstellungen bewußt zu werden, so würde sich der Begriff des Selbstbewußtseins als höchst problematisch erweisen, da dann kein einziger Fall eines von dem inneren Sinn unabhängigen Bewußtseins übrigbleiben würde. Man weiß aber, mit welchem Eifer Kant auf der Unterscheidung von diesen zwei so heterogenen Fähigkeiten des menschlichen Gemüts insistierte, und daß seiner Meinung nach eine der Hauptquellen der Irrtümer in der 5 . KrV, B 50 A 34. Cf. auch KrV, A 99, und Ref. 5636. 6 . Cf. KdU, T W A X, S. 118. 7 . KrV, B 6 7 . 8 . KrV, B xxxix, Anm. Das Problem des inneren Sinnes 83 Philosophie darin zu sehen ist, daß man diese zwei Begriffe für einerlei zu erklären pflegt.9 Es scheint also genug Belege und vor allem ganz sachliche Gründe zu geben, die uns trotz Kants Zuneigung zur vollkommenen Analogie zwischen innerem und äußerem Sinn erlauben, sogar nötigen, diesen groben Parallelismus aufzugeben. Fast alle Interpreten entschließen sich deshalb lieber für eine Erklärung, die sich durch Annahme von Wissen besonderer Art auszeichnet. Es handelt sich um den Typ des Wissens, der auf der transzendentalen Einheit des Bewußtseins beruht, worin ich nach Kants Worten meiner selbst bewußt bin, »nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur daß ich bin.«10 Dieses Bewußtsein ist weder eine empirische noch intellektuelle Erkenntnis, es ist vielmehr ein bloßes, d.i. inhaltsloses Selbstbewußtsein. Insofern ist es zwar durchaus leer, ermöglicht aber doch die Einrichtung eines reinen Punkts der Selbsttransparenz, der der empirischen Determination entnommen ist. Vor allem aber fungiert es als Grundlage, woran auch andere besondere Arten des Wissens, die noch nicht zur Dignität der Erkenntnis erhoben sind, anknüpfen können. Denn wenn intellektuelles Bewußtsein der Konstitution des Gegenstands der (äußeren) Erfahrung vorgeht, so muß es auch zu dem Zeitpunkt, in dem in unserem Gemüt die ersten Empfindungen vorkommen, bereits seine Tätigkeit ausüben. Damit ist aber neben der transzendentalen Einheit der Apperzeption noch eine Stelle für eine neue Art des Bewußtseins freigemacht, die allerdings empirisch sein mag, die aber dessen ungeachtet nicht zur Erkenntnis im Kants emphatischen Sinne gerechnet werden kann. In einer sehr wichtigen Reflexion gegen den Idealismus kann man in der Tat eine dreistufige Gliederung des Bewußtseins finden, die sich in völlige Übereinstimmung mit solchen Interpretations- versuchen bringen läßt. »Bey dem Unterschiede des Idealismus und Dualismus ist zu unterscheiden das transcendentale Bewustseyn meines Daseyns überhaupt. 2. meines Daseyns in der Zeit, folglich nur in Beziehung auf meine eigene Vorstellungen, so fern ich durch dieselbe mich selbst bestimme. Dieses ist das empirische Bewustseyn meiner selbst. 3. Das Erkentnis meiner selbst als in der Zeit bestimmten Wesens. Dies ist das empirische Erkentnis. «-11 Von entscheidender Bedeutung ist natürlich der zweite Punkt, »das Bewußtsein meines Daseins in der Zeit«, das nicht mehr bloße Form der Apperzeption ist, da es mit einem Inhalt ausgestattet ist, zugleich steht es aber noch vor der Konstitution der Erfahrung im vollen Sinne. Um was für ein Bewußtsein handelt es sich eigentlich? Zunächts ist es offenbar, daß darin als empirischem Bewußtsein bereits das Moment der Empfindung enthalten sein 9 . Ct. Anthropologie, T W A XII, S. 430-431, und KrV, B 153. 10 . KrV, B 157. 11. Ref. 6313, A A XVIII , S. 615. 84 Zdravko Kobe muß, das vermutlich aus dem äußeren Sinn stammt. Diese Vorstellungen sind dazu den Zeitverhältnissen unterworfen - und insofern liegt es nahe, sie als durch den inneren Sinn vermittelt zu betrachten - dennoch ist aber die hier vorkommende Zeit noch nicht die bestimmt erkannte Zeit, wie sie uns in der äußeren Erfahrung erfassbar ist, da ihr jede konkrete Bestimmung mangelt; als solche kann sie aber nur eine andere, unbestimmte, subjektive Zeit sein.12 Vorstellungen, die den Inhalt dieses Bewußsteins ausmachen, drücken schließlich keine notwendigen und für jeden verbindlichen Beziehungen aus, indem ihre Verhältnisse zueinander von den völlig zufälligen Umständen des Erfahrens abhängen, die ihr Auftreten im Gemüt in der gegebenen Folge bewirken. Was ihnen abgeht, ist die objektive, allgemeingültige Bestimmung, ihre Gültigkeit ist nur eine subjektive. In diesem Sinne sagt Kant, daß ich mit ihnen noch nicht die Gegenstände bestimme, sondern durch sie als meine Modifikationen nur selbst bestimmt sei. X Beim empirischen Bewußtsein handelt es sich also nach dieser Interpretation um das Bewußtsein dessen, was mir den kontingenten Umständen gemäß die äußeren Sinne darbieten und was aus diesem Grunde nur subjektiv und unbestimmt ist. Es handelt sich um ein Bewußtsein der Vorstellungen, auf die noch nicht die (dynamischen?) Kategorien angewandt worden sind; es handelt sich um ein Bewußtsein der Empfindungen oder Erscheinungen, sofern der Begriff der Erscheinung nicht im weiteren Sinne verstanden wird, sondern laut Kants Erklärung, daß Erscheinung ein »unbestimmter Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt«.13 Soll nun aus diesen subjektiv gegebenen Vorstellungen eine objektive Erkenntnis gebildet werden, so müssen sie gewissen apriorischen Regeln gemäß bestimmt werden. »Empirische Erkenntnis oder innere Erfahrung besteht im Übergang von diesem Zustand, der, je nach dem, ob diese oder jene Interpretation angenommen wird, als subjektiver oder unbestimmter erklärt wird, in den objektiven Standpunkt, d.h. in die Konstitution des Gegenstandes des inneren Sinnes.«14 Auf diese Weise zeigt sich, wie Kant behaupten kann, daß alle Vorstellungen im inneren Sinn enthalten sind. Der innere Sinn des subjektiven Bewußtseins 12. Cf. z.B. P. Lachièze-Rey, L'idéalisme kantien, Vrin, Paris 1950, S. 66, Anm. 2: »Nach dem soeben angeführten Text [der Reflexion 6313] könnte man vermuten, daß sowohl im empirischen Bewußtsein wie in der empirischen Erkenntnis das Ich in der Zeit stehe. Wir glauben, daß dies keineswegs der Fall ist: die in empirisches Bewußtsein eingreifende Zeit ist eine Zeit, die bloß durch individuelle psychologische Erscheinungen bestimmt ist.« 13. KrV, B 34 A 20. In diesem Zusammenhang cf. besonders G. Prauss, Erscheinung bei Kant, De Gruyter, Berlin 1971. Prauss schreibt sonst dem Bewußtsein der Erscheinung einen insgesamt wirklichen Charakter zu, der in einer eigentümlieben Art des Urteils zum Ausdruck kommt, nämlich im Wahrnehmungsurteil, wenn ich in meinen Sinnen vorhandene Gegebenheiten nicht als objektive Eigenschaften der Dinge selbst auspreche, sondern nur behaupte, es scheint, daß etwas der Fall ist. 14. P. Lachièze-Rey, op. cit., str. 65, Anm. 2. Das Problem des inneren Sinnes 85 ist nicht ein Sinn in derselben Bedeutung wie der äußere, dessen Gegenstände immer als bereits konstruiert betrachtet werden, und auch nicht in derselben Bedeutung als der objektiv gemachte innere Sinn, dessen Gegenstand die durch Kategorien bestimmte Erfahrung von dem Zustand unseres Gemüts ist. In diesem »nichtobjektiven« Sinn steht er bloß für die unmittelbare vorkategoriale Selbstpräsenz des Gemüts in Beziehung zu seinen eigenen Vorstellungen - mögen sie nun aus den Sinnen oder aus dem reinen Denken stammen - die jeder Erfahrung vorangeht und eine vorbereitende Phase für diese darstellt. Als solcherk ann er nicht als Erkenntnis aufgefaßt werden, er bildet aber doch denjenigen minimalen Punkt reiner Intellektualität, der das selbstbewußtseiende Ich über Erscheinungen erhebt.15 * Diese Interpretation hat zweifellos mehrere Vorteile. Sie ist durch manche Belege aus Kants Schrifften unterstützt, den Kategorien ist ihre konstitutive Rolle in der Umwandlug des Subjektiven ins Objektive zugewiesen, die Apperzeption und das subjektive Bewußtsein sind den Phänomenen entnommen, die Bedenklichkeiten des inneren Sinnes scheinen aufgehoben; als ein weiterer, für sie sprechender Grund, kann noch ihre Übereinstimmung mit den Voraussetzungen von Kants praktischer Philosophie zugesetzt werden. Man kann sogar sagen, daß durch sie der Standpunkt beschrieben ist, den Kant selbst innig hegte. Alles verläuft also glatt, sogar zu glatt. Auf diese Weise finden wir uns nämlich wiederum dem traditionellem Modell der Erfahrung gegenübergestellt, das aber für Kants Grundentdeckung blind ist. Die vorgeschlagene Interpretation setzt nämlich ausdrücklich voraus, daß die ersten sinnlichen Impressionen, wie sie dem Gemüt unabhängig von seiner Tätigkeit gegeben werden, bereits die Einheit der Vorstellung besitzen. Indem die Sinne durch einen Gegenstand affiziert werden, treten nach dieser Voraussetzung ins Gemüt Vorstellungen ein, die wegen ihrer Winzigkeit und Flüchtigkeit freilich nicht immer unmittelbar beobachtet werden können, die aber als Vorstellungen bereits auf etwas anderes, auf ihre Objekte bezogen sind. So kann etwas Rotes eine Empfindung in uns hervorbringen, die schon an sich ihren Gegenstand hat und etwas Rotes vorstellt. Diese elementaren, gewöhnlich einfachen Vorstellungen machen demnach die Grundbestandteile, Atome der Erfahrung, Quanta des objektiven Wissens aus, die vom Subjekt schon fertig vorgefunden werden. Ehe noch irgendeine Ausübung seiner tätigen Kraft stattgefunden hat, steht ihm bereits eine Menge von diskreten einheitlichen Vorstellungen zur Verfügung, die nur noch (fast mechanisch) 15. In dieser Intellektualisierung des nichtobjektiven inneren Sinnes ging ein Lachičze-Rey so weit, daß er dem empirischen Bewußtsein sogar die Zeitlichkeit abzulehnen bereit war: »Empfindung, die als Anlaß zur Äußerung der Tätigkeit dient, befindet sich nicht in der Zeit, wenn sie abgesondert betrachtet wird...« (P. Lachičze-Rey, op. cit., S. 37.) 86 Zdravko Kobe miteinander kombiniert werden sollen. - Im Gegensatz dazu besteht aber Kants Grundbehauptung eben darin, daß das Denken in seiner Synthesis der Erfahrung keine schon vorgefundenen Atome des Wissens verwenden kann. Alles, was ihm die Sinnlichkeit bieten kann, ist nur ein chaotisches, unverbundenes, rhapsodisches »Gewühle der Erscheinungen«,16 worin keine Ordnung und keine Einheit zu finden ist. Sinne geben uns keine Vorstellungen, sondern bloßes Mannigfaltiges, das »an sich zerstreut«17 angetroffen wird. Die Einheit kann darum kein Ausgangspunkt sein, sondern ist immer nur Resultat, sie kann nicht gegeben werden, sondern ist vielmehr immer gemacht, und wo man es mit ihr zu tun hat, da ist schon der Verstand mit seiner Tätigkeit gewesen. »Unter allen Vorstellungen ist die Verbindung die einzige, die nicht durch die Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann.«18 Ist uns aber durch die Sinne bloß das Mannigfaltige der Anschauung gegeben, das ohne Einheit ist, so hat das zur Folge, daß sinnliche Empfindungen vor der Tätigkeit des Denkens überhaupt nicht zu den Vorstellungen gerechnet werden können, da die Einheit eine ihrer Wesensbestimmungen ist. Eine Vorstellung ohne Einheit ist überhaupt keine Vorstellung.19 Als bloße Wirkung einer unbekannten Ursache ist das Mannigfaltige nichts als eine positive, tatsächliche Bestimmung unseres Gemüts. Der Grund seines subjektiven Status liegt somit nicht darin, daß es als Folge der zufälligen empirischen Umstände enstanden ist und daß seine Verbindung im inneren Sinn nicht objektiv bestimmt sei, sondern vielmehr darin, daß in ihm überhaupt keine Verbindung vorhanden ist - es ist eben darum subjektiv (und nicht objektiv), weil es sich auf kein Objekt bezieht, weil es selbst überhaupt nichts vorstellt, weil es mit einem keine Vorstellung ist, sondern nur Materie für diese.20 Soll aus dem in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen eine Anschauung werden, soll es die Einheit der Vorstellung erlangen, so muß auch hier zuerst die Verbindung hergestellt werden. »Die synthetische Einheit des Bewußtseins ist also eine objektive Bedingung aller Erkenntnis, nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich 16 . KrV, A 111. 17 . KrV, A 120. 18 . KrV, B 130. 19 . Cf. H. Robinson, »Anschauung und Mannigfaltiges in der Transzendentalen Deduktion«, Kant-Studien 72 (1981), S. 140-148, und »The Priority of Inner Sense«, Kant-Studien 79 (1988), S. 165-182. 2 0 . Cf. Ref. 177 ( A A X V , S. 65): »Empfindungen sind keine Vorstellungen, aber sind die Materie dazu.« Ähnlich auch Ref. 413 (AA X V , S. 167): »Die Eindrüke sind noch nicht Vorstellungen, denn diese müssen auf etwas anderes bezogen werden, welches eine Handlung ist. Nun ist die reaction des Gemüths (der Rückschlag) eine Handlung, welche sich auf den Eindruk bezieht und, wenn sie allein genommen wird, nach ihren besonderen Arten categorien heissen.« Das Problem des inneren Sinnes 87 Objekt zu werden, weil auf andere Art, und ohne diese Synthesis, das Mannigfaltige sich nicht in einem Bewußtsein vereinigen würde.«11 Das »subjektive« empirische Bewußtsein der Folge der Vorstellungen, das von der oben dargestellten Interpretation für ihre unmittelbare Manifestation ausgegeben worden ist, drückt somit keinesfalls die unverarbeiteten Gegebenheiten der Sinne aus, sondern enthält ebensogut eine Synthesis. Ja, insofern diese Verbindung nur für die kategoriale Verbindung, die objektiv gültig ist, stehen kann, fällt jedes mögliche Bewußtsein der Vorstellungen als Vorstellungen mit der Konstitution des Gegenstandes des inneren Sinnes, d.h. mit der inneren Erfahrung zusammen. Eine Alternative wirkt sich selbst ausschließend: entweder ist die Synthesis des Mannigfaltigen noch nicht ausgeübt worden, in diesem Fall sind jedoch in mir keine Vorstellungen vorhanden und ich bin mir keiner Sache (nicht einmal mir selbst) bewußt, oder es sind bereits die Kategorien darauf angewandt worden, die freilich das Bewußtsein möglich machen, allein dieses ist dann eben objektiv, nicht mehr »subjektiv«. Wollte man somit den Zustand des Bewußtseins, wie es vor der Konstitution der Erfahrung oder Anwendung der Kategorien ist, beschreiben, oder wollte man aus einem konkreten Bewußtsein alle synthetischen Zusätze des Denkens wegnehmen, dann würde man kein reines, nicht-phänomenales Subjekt bekommen - im Gegegenteil, man würde dann alles verlieren. »Denn wenn wir dartun können, daß unser Erkenntnis von Dingen, selbst das der Erfahrung nur unter jenen Bedingungen allein möglich sei, so sind nicht allein alle andere Begriffe von Dingen ... für uns leer und können zu gar keinem Erkenntnisse dienen, sondern auch alle data der Sinne zu einer möglichen Erkenntnis würden ohne sie niemals Objekte vorstellen, ja nicht einmal zu derjenigen Einheit des Bewußtseins gelangen, die zum Erkenntnis meiner selbst (als Objekt des inneren Sinnes) erforderlich ist. Ich würde gar nicht einmal wissen können, daß ich sie habe, folglich würden sie für mich, als erkennendes Wesen, schlechterdings nicht sein. Kategorien sind nicht nur Bedingungen der äußeren Erfahrung, sondern sie bedingen jedes Bewußtsein, auch das wirkliche Bewußtsein der Vorstellungen, weil vor der kategorialen Synthesis dem Mannigfaltigen diejenige Einheit mangelt, die zum expliciten Bewußtsein notwendig ist. Ohne sie würden sinnliche Gegebenheiten ihr regelmäßiges Spiel nach dem Gesetz der Assoziation treiben können, das, wie bei Tieren, gewissen Einfluß auf das Verhalten des Menschen haben würde, und die Sinne würden ihm fernerhin Erscheinungen oder Empfindungen vermitteln, da sie dem Denken vorhergehen und unabhängig von ihm sind. Aber wegen der chaotischen Beschaffenheit eines solchen Stoffes, würden wir nicht einmal wissen können, daß diese Erscheinungen in uns vorhanden sind. Wir würden den Tieren 2 1 . KrV, B 138. 2 2 . Brief an M. Herz, 24. Mai 1789. 88 Zdravko Kobe gleichgemacht, wo nichts als bloß eine kausal bestimmte Reihe der physischen Begebenheiten, ohne irgendeiner Vorstellungswert, besteht. Aber nicht allein das Bewußtsein der Vorstellungen ist ohne kategoriale Verbindung unmöglich. Weil Kategorien - die nichts als verschiedene Modi der Einigung sind - auf die Konstitution des Objekts eingerichtet sind, ist die ursprünglich entstandene Einheit nicht Einheit des Subjekts und seiner Vorstellungen, sondern die Einheit des äußeren Gegenstands. Indem die Tätigkeit des Denkens das Mannigfaltige durchdringt, bringt sie Einheit und Ordnung hinein, so daß sie, von dem Begriff des transzendentalen Objekts geleitet, das sinnlich Gegebene ursprünglich in den Raum auswirft, wo es seine bestimmte Stelle den Kausalgesetzen gemäß erhält. Im Gegensatz zum traditionellen Idealismus insistiert Kant, »daß äußere Erfahrung eigentlich unmittelbar ist«,23 und »daß folglich innere Erfahrung selbst nur mittelbar und nur durch äußere möglich ist.«24 In der Synthesis der Erfahrung werden wir uns unmittelbar äußerer Gegenstände bewußt, und erst nachdem das Mannigfaltige der Anschauung in dem Objekt vereinigt ist, ist es möglich, sich auch die Einheit der Vorstellung vorzustellen. Das Bewußtsein der Vorstellungen als Gegenstand des inneren Sinnes ist aus dem des äußeren abgeleitet und sekundär." Was gewöhnlich den Ausgangspunkt darstellt, ist hier eben das Endergebnis. Aus diesen Gründen erweist sich die vorgeschlagene Interpretation, die sich auf »subjektives« Bewußtsein der Vorstellungen vor der Konstitution der äußeren Erfahrung beruft, als unhaltbar. Es ist einfach unmöglich, sich des Mannigfaltigen der Anschauung in seiner inneren Unmittelbarkeit bewußt zu sein, weil in jedem wirklichen Bewußtsein eines Gegenstandes des äußeren wie des inneren Sinnes diese vorbereitende Phase der Notwendigkeit nach immer schon überschritten und das Mannigfaltige vereinigt ist. Davon können wir allein vom Standpunkt der schon vollzogenen Synthesis sprechen, sofern diese zu ihrer Ausübung einen Stoff vorausetzt und das Mannigfaltige wohl schon gegeben werden mußte.26 Sein Gegebensein selbst ist jedoch im Zeitpunkt seines Vorkommens nicht beobachtbar, weil das immer schon hinter dem Rücken des Bewußtseins geschehen ist. Seine Daseinsweise ist eben dies »Immer-schon«. Deswegen ist subjektives empirisches Bewußtsein auch keine 2 3 . KrV, B 276. 2 4 . KrV, B 277. 2 5 . Cf. KrV, B 156, wo Kant schreibt, »daß wir die Bestimmung der Zeitlänge, oder auch der Zeitstellen für alle innere Wahrnehmungen, immer von dem hernehmen müssen, was uns äußere Dinge Veränderliches darstellen, folglich die Bestimmungen des inneren Sinnes auf gerade dieselbe Art als Erscheinungen in der Zeit ordnen müssen, wie wir die der äußeren Sinne im Räume ordnen«. Cf. auch KrV\ B 238 A 193: »Ich werde also, in unserm Fall, die subjektive Folge der Apprehension von der objektiven Folge der Erscheinungen ableiten müssen.« 2 6 . Cf. hierüber Kiesewetters Brief vom 15. Dezember 1789, zusammen mit der Kants Antwotrt vom 9. Februar 1790. Das Problem des inneren Sinnes 89 selbständige Komponente in der Konstruktion der Erfahrung, sondern eine der transzendentalen Bedingungen, die immer schon ausgefüllt worden sind, damit es möglich war, daß jetzt wirkliches Bewußtsein zustandegebracht werde." Es kann sogar behauptet werden, daß das Mannigfaltige überhaupt nichts mit dem Bewußtsein zu tun hat, indem es im Zeitpunkt seines Gegebenseins noch keine Vorstellungswert hat. Empfindungen würden nie etwas anderes als Modifikation eines Wesens sein, wenn das Denken in seiner Synthesis der Erfahrung keinen Erfolg habe. Insofern ist selbst die Vorstellungsnatur des Mannigfaltigen als solchen und sein Verbinden mit dem Bewußtsein (»Bewußtsein der Erscheinung«) Folge einer nachträglichen Operation, die alles, was einmal vorstellungshaftund bewußt wird, in der Weise betrachtet, als wäre es von jeher und an sich etwas solches gewesen.28 * Die falschheit einer Interpretation ist nun freilich nicht Richtigkeit einer anderen, und die oben angegebenen Vorwürfe behalten nach wie vor ihre Gültigkeit. Wie dann die Apperzeption und beide Sinne in einen Zusam- menhang bringen, so daß jene Schwierigkeiten aufgehoben werden? Nach der weit verbreiteten Meinung entspringen diese dem Versuch Kants, beide Sinne analog zu betrachten. Im Gegegnteil sind wir aber der Überzeugung, daß der Schlüssel zu ihrer Auflösung gerade darin liegt, ihn zu Ende zu führen. Zunächst soll erinnert werden, daß bei Kant eine Zweideutigkeit im Gebrauch des Begriffs der Vorstellung besteht. Auf der einen Seite bezeichnet sie alles, was einen Inhalt des Bewußtseins ausmacht, es mag nun kommmen, woher es wolle, auf der anderen Seite bezieht sie sich dagegen ausschließlich auf Gegegenstände des inneren Sinnes. In der ersteren Bedeutung drückt die Vorstellung die Tatsache aus, daß es eine epistemologisch relevante Beziehung zwischen dem Subjekt und dem jeweiligen Objekt gibt, die wohl auch von jenem abhängt. In diesem Sinne ist die ganze Erfahrungswelt nur ein Inbegriff von Vorstellungen. Dies darf jedoch nicht als Behauptung, daß uns ein äußerer Gegenstand als Vorstellung gegeben werde und in uns sei, verstanden werden 2 7 . Hier mag Kants Bemerkung wiederholt werden, »daß hier nicht von dem Entstehen der Erfahrung die Rede sei, sondern von dem, was in ihr liegt.« (Prolegomena, T W A V, S. 170.) 2 8 . Allein, aus der Tatsache, daß das Mannigfaltige der Anschauung nicht unmittelbar beobachtet werden kann, folgt doch allenfalls nicht, daß es ein nicht phänomenales Ereignis oder etwas ist, was ins Gebiet der Dinge an sich eingeordnet werden muß. Denn bei Kant fallen die Bedingungen der unmittelbaren Beobachtbarkeit nicht mit den Kriterien der Erscheinungswirklichkeit zusammen; vielmehr ist für ihn (in der empirischen Bedeutung) wirklich alles, »was mit einer Wahrnehmung nach empirischen Gesetzen zusammenhängt.« (KrV, A 377.) Zur Bestätigung der Phänomenalität ist es erforderlich, eine kausale Kette zu finden, die uns von einer wirklichen Erkenntnis bis auf die zu findenden Begebenheit hin leitet, wenngleich diese in der Zeit ihres Auftretens von keinem beobachtet worden ist. Weil nun der Prozeß des Erfahrens ebensogut seine empirische Seite hat, kann auf diese Weise auch der empirische Zeitpunkt festgestellt werden, in dem unsere Sinne von einem Körper affiziert worden sind und das respektive Mannigfaltige ins Gemüt eingetreten ist. 90 Zdravko Kobe - als räumlicher ist er gerade außer uns. Damit wird vielmehr nur aufgestellt, daß seine Erfahrung durch den Erkenntnisapparat des Subjekts vermittelt wird und teils von dessen Beschaffenheit abhängt. Freilich kann aber auch dieses Vorstellungsverhältnis zwischen Subjekt und Objekt ein Gegenstand der Erkenntnis werden. Das findet in der inneren Erfahrung statt, und es ist eben hier, wo der Unterschied zwischen den beiden Bedeutungen des Begriffs Vorstellung am besten zum Ausdruck kommt. Denn wenn ich mir empirisch bestimmt meiner Vorstellungen - oder, um es genau zu sagen, meines Vorstellungszustandes - bewußt bin, dann ist die Vorstellung einerseits der Gegenstand der Erfahrung, anderseits besteht aber auch zwischen dem Subjekt und diesem seinen Objekt eine Vorstellungsbeziehung, weswegen ich sagen kann, daß diese Vorstellung (die ich jetzt als Vorstellung nehme) ebensogut durch meinen Erkenntnisapparat vermittelt, daß sie nur Vorstellung und bloß Erscheinung ist. Zwischen Subjekt und Objekt besteht somit sowohl bei den äußeren wie bei den inneren Gegenständen eben dasselbe Verhältnis: in beiden Fällen »hat« das Bewußtsein einen sich von ihm unterscheidenden, intendierten Gegenstand vor sich, nur daß er einmal ein räumliches Ding und dann ein Vorstellungszustand ist. Insofern ist es vielleicht keine Übertreibung zu behaupten, daß sich Vorstellung als Gegenstand des inneren Sinnes ebensowenig wie das intentionale Objekt des äußeren im Subjekt befindet, sondern eben (freilich nicht in räumlicher Bedeutung, aber dennoch) außer ihm ist. »Hier ist nun zu merken, daß ein jedes obiect etwas von der Vorstellung unterschiedenes, welches aber nur im Verstände ist, bedeute, mithin der innere Sinn selber, der uns selbst zum obiecte unserer Vorstellungen macht, sich auf etwas von unserem Selbst (als transcendentalem Gegenstand der apperception) verschiedenes beziehe. Damit verändert sich nun auch die bei den Kantinterpreten geläufige Auffassung von dem Verhältnis der Apperzeption und des inneren Sinnes. Diese pflegt vorauszusetzen, daß die »Vorstellungen des äußeren Sinnes« (d.i. kognitive Einstellung des Subjekts, die auf räumliche Gegenstände gerichtet ist) schon aufgrund ihrer Vorstellungshaftigkeit irgendwie durch die »Vorstellungen des inneren Sinnes« vermittelt werden, nur daß das Subjekt in diesem Fall nicht den Vorstellungen als solchen zugewandt ist, sondern seine Aufmerksamkeit dem, was sie vorstellen, gilt. - Wenn wir aber die soeben angeführte Bemerkung berücksichtigen, daß nämlich die Vorstellung, wenn überhaupt etwas, dann intendierter Gegenstand des inneren Sinnes und nicht ein Werkzeug, mit dem wir äußere Dinge wahrnehmen, ist, so erweist es sich, daß das Bewußtsein immer in einer direkten intentionalen Beziehung zu seinem Objekt steht, wenngleich dieses auch räumlich sein mag. 2 9 . Ref. 5654, AA XVIII, S. 312. Das Wort Vorstellung wird hier konsequent im »transzendentalen« Sinne, als intentionale Einstellung des Subjekts bezeichnend, gebraucht. Das Problem des inneren Sinnes 91 »Der Sinn ist entweder innerlich oder äußerlich; innerlich wird nur ein Sinn gennant und dadurch die apperception verstanden. Diese ist aber kein Sinn, sondern wir sind uns dadurch so wohl der Vorstellungen der äußeren als inneren sinne bewust. ... Die Form des inneren Sinnes ist die Zeit. Die Form der Apperception ist die formale Einheit im Bewustseyn überhaupt, die logisch ist.*?0 Mit seiner Bezeichnung der transzendentalen Apperzeption als »der formalen Einheit im Bewußtsein überhaupt, die logisch ist,« hat Kant sonst klar genug darauf hingewiesen, daß unter ihr keine besonderen Fälle des Bewußtseins zu verstehen sind. Durch sie werden vielmehr logische Bedingungen ausgedrückt, die von jeder Vorstellung, soll sie Erkenntnis werden, erfüllt sein müssen.31 Diese Einheit der Apperzeption ist somit überall dort realisiert, wo man es mit einem vereinheitlichen Objekt der Erkenntnis zu tun hat, sowohl in der inneren als auch in der äußeren Erfahrung; sie ist jedoch nie als eine abgesonderte Instanz neben der Erkenntnis vorhanden, sondern immer in ihr. Deswegen kann sie auch nicht als ein Gegenstand des Bewußtseins betrachtet werden, ihre Merkmale kann man vielmehr nur aus der konkreten (äußeren oder inneren) Erkenntnis abstrahieren, indem man darin »dies Förmliche des Bewußteins«32 isoliert. Dadurch bekommt man die abstrakte Form jedes objektiv gültigen Bewußtseins oder jeder Erkenntnis, die eben wegen der Abwesenheit von jeglichem Inhalt in allen Fällen gleich, unwandelbar, allgemein und leer ist. Man kann eigentlich ein und dieselbe Einheit des Bewußtseins einmal zusammen mit ihrem Inhalt betrachten, was die empirische Erkenntnis eines Gegenstandes ergibt, und dann ohne diesen Inhalt, womit die bloße transzendentale Form dieser Erkenntnis zum Vorschein gebracht wird. Die Form ist in beiden Fällen wohl dieselbe. Das empirische Selbstbewußtsein fällt mit der inneren Erfahrung zusammen, wo die Apperzeption und der innere Sinn immer schon verbunden sind. Es ist demnach falsch, von einem Selbstbewußtsein des inneren Sinnnes zu reden, weil es ebenso wie das des Denkens nie abgesondert auftreten kann. Der innere Sinn ist eben ein Sinn, nicht Denken, seine Data sind an sich zerstreut und unverbunden. »Der innere Sinn ist noch nicht Erkentnis meiner selbst, sondern zuerst müssen wir Erscheinungen durch ihn haben, nachher allererst durch Reflexion über 30 . Ref. 224, A A X V , S. 85. Auch hier ist Vorstellung im Sinne der intentionalen Einstellung zu verstehen, die wohl ein Vorstellungsverhältnis einschließt. Deshalb würde es klarer ausgedrückt lauten: »wir sind uns dadurch so wohl der Gegenstände der äußeren als inneren Sinne bewußt«. 3 1 . Cf. KrV, B 404 A 346, wo steht, daß »das Bewußtsein an sich nicht sowohl eine Vorstellung ist, die ein besonderes Objekt unterscheidet, sonder eine Form derselben überhaupt, so fern sie Erkenntnis genannt werden soll.« 32 . Anthropologie, T W A XII, S. 430. 92 Zdravko Kobe dieselbe uns einen Begrif von uns selbst machen, der alsdann empirisches Erkentnis meiner selbst, d.i. innere Erfahrung, zur Folge hat.