///^4 ^ ?/< Abenteuer eines l» ret a g nischen Edelmanns auf den Philippinen-Inseln von Alexander Dumas. Ans dcm Französischen überseht. Zweiter Band. Leipzig, »83«. H-erlag von Christian Ernst Kollmann. Erstes Kapitel. Abenteuer Ne-Lampago's. Ach unterbrach ihn plötzlich, und sagte: „Nc-Lampago, ick Höre lieber die Abenteuer, die Dn selbst erlebt hast; erzähle imS Deine Unglücksfälle." Der alte Fischer stieß einen Seufzer aus. Da er mei« ner Aufforderung nachkommen wollte, begann er seine Er« zählung in jenen poetischen Ausdrücken, an denen die tagalesiscke Sprache so reich ist, und die zu übersetzen mir kaum gelingen würde. „Der kleine See ist nicht mein Heimathsland," sagte er; „ich bin auf der Insel Zebu geboren. Als ich zwanzig Jahre 'alt war, nannte man mich einm hübschen Jungen. Aber glauben Sie mir, ich war auf meine physischen Vortheile nicht stolz, ich zog es vor, der erste Fischer meines Dorf's zu bleiben. Trotzdem beneideten mich meine Gefährten, und zwar deshalb, weil mich die Mädchen nach Abent. e. bret. Edelm. ,c. 2. Vb. l __ 9 __ ihrem Geschmacke zu finden schienen u»d mich srcu»dlich ansahen." Dieses naiue Geständniß des Greises machte mich lächeln. Er bemerkte es nicht und fuhr fort: „Ich theile Ihnen diese Dinge mit, mein Herr, weil man in meinem Alter davon reden kann, ohne fürchten zu müssen, lächerlich zu erscheinen. Ack, es ist schon so lanqe her! Und dann erwähne ich diese» UmstcmdcS nicht ans Eitel, keit, sondern um Ihnen eine genaue Erzählung zu liefern. Uebrigens schmeichelten mir die freundlichen Blicke der jungen Mädchen, die sie mir zuwarfen, wenn ich durch das Dorf ging, durchaus nicht. „Ich «ebte Theresa, mein Herr; ich liebte sie leidenschaftlich, und ward von ihr wiedergclicbt. Jeder andere Blick, außer dem ihrigen, war mir gleichgültig. Ach, The< resa war das schönste Mädchen dcS Dorf's? Es ist der ar-imn Frau wie mir ergangen, sie hat sich sehr verändert! Die Jahre sind eine schwere Last, sie drücken uns zu Boden, und man kann nicht dagegen ankämpfen. „Wenn ich jetzt an die schönen Tage meiner Jugend denke, an die Kraft und den Muth, den wir aus unserer gegenseitigen Zuneigung schöpften, erpressen mir Bedauern und Rührung noch Thränen. „Aber wo sind diese schönen Tage? Rauhe ttnd schreckliche Stürme haben sie dcwon getragen. „Das Leben hat seine Morgenröthe wie der Tag/und wie der Tag auch hat es sein Abendroth." Der Fischer schwieg. Ich wollis lhu in summ Nachdenken nicht unterbrei _^ »» __ chen. Eine tiefe Stille trat cm, die einige Augenblicke dauerte. Plötzlich erwachte Re-Lampago wie aus einem Traume; er, fuhr mit der Hand über seine Stirn, sah uns an, als ob er um Entschuldigung bitten wollte, und begann wieder: „Wir sind miteinander aufgewachsen und haben un3 auch verheirathct, alö wir das Alter dazu erreicht hatten. Theresa wäre lieber gestorben, ehe sie einen: Andern angehört hätte, und ich wäre selbst die ungünstigsten Bedingungen eingegangen, um nur die Freundin meines Herzens zu besitzen. „Leider muß man den beschwerlichen Lebensweg fast immer unter Thränen zurücklegen. „Die Verwandten Theresa's widersetzten sich unserer Lierbindung. Stets erfanden sie neue Vorwände, und so viel ick mich auch anstrengte, sie zur Einwilligung in uustre Ncrbindung zu bestimmen — ich konnte es dahin nicht bringen. „Obgleich sie wußten, daß wir, wie die Palmen, eins ohne das andere nicht leben konnten, daß eine Trennung unser Tod wäre — unsere Thränen, unsere Bitten und Leiden fanden nur unempfindliche Menschen, und wir dul« detm, ohne daß Jemand wußte, warum. „Schon begann ich den Muth zu verlieren, als eines Morgens der Gedanke in nur aufstieg, dem Jesuskinde der Kirche von Zebu die erste Perle zu weihen, die ich fischen würde. Zeitiger als sonst ging ich an das User des Mce-reS, und bat mit lauter Stimme den Herrn der Herren, er möge mich schützen und mit memcr Theresa vereinen. i * — 4 — „Die Sonne begann ihre Feuerstrahlcn auf die Erde herabzusenden; sie vergoldete die glänzende Fläche der Wasser. Die Natur erwachte, und jedes lebendige Wesen sang dein Schöpfer in seiner Sprache eine Danleichhmne. „Bewegten Herzens tauchte ich auf den Meeresgrund, um die so heiß ersehnte Perle zu erlangen. Meine Bemühungen blieben anfangs fruchtlos. „Hätte mich Jemand in jenem Augenblicke beobachtet, er würde in meinen Zügen die Muthlosigkeit geksen haben. Ader dennoch verlor ich nicht ganz den Muth. Ich begann wieder, aber ohne glücklicher zu scin. „,,O, Allerhöchster,"" rief ick, „„hast Du denn mein (Y.'bet nicht gebort? Du willst also das Erbieten, das ich Deinem geliebten Sohne ssemacht, nicht annclnmu?""*) „Ich tauckle zum sechsten Male unter, und dies Mal brachte ich von dem Meeresgrunde zwei große Austern mit empor. Mein Herz schlug laut vor Freude. Ich öffnete die eine dieser Austern, und fand eine so schöne Perle, wie ich in meinem Leben keine ähnliche gese« heu hatte. Die Freude darüber war so grosi, daß ich in ') Nach der indischen Tradition, selbst nach der spanischen, war das Jesuskind uon Zebu schon vor Entdeckung der Philippinen vorhanden. Nach der Gvcberung ward das Kind in dem Lande gefunden. Die siegreichen Spanier brachten es in die Kathedrale, wo es grrsie Wunder verrichtete. meinem Kahne zu tanzen anfing, als ob ich den Verstand verloren hätte. Der liebe Gott beschützte mich, denn er selbst hatte mich ja in den Stand gesetzt, mein Gelübde zu erfüllen." „Mit freudig erregten: Herzen kehrte ich heim. Um mein Wort nicht zu brcchm, trug ich diese schöne Perle zu dem Herrn Pfarrer von Zebu. „Der Herr Pfarrer war über »nein Geschenk erstaunt. Diese Perle hatte einen Werth von fünftausend Piastern. Sie können sie in der Kirche bewundern, dmn das Jesus« kind liält sie stetS in der Hand. Der Pfarrer dankte, und wünschte mir Glück zu dem guten Gedanken. „„Gehe, mein Freund/'" sagte er; „„der Himmel wird Dich für diese gute Handlung belohnen, und früher oder später Deine Wünsche erfüllen."" „Zufrieden verließ ich den frommen Mann, und eilte zu Theresa, um ihr die Worte des Pfarrcs mitzutheilen. „Wir freuten uns wie zwei Kinder. Die Jugend hat von Gott mancherlei Privilegien erhalten. Das vorzügste Privilegium ist die Hoffnung. Mit zwanzig Jahren, wo das Herz noch hossm zu dürfen glaubt, entflieht aller Kummer; wie der Morgenwind die Wassertropfen aufsaugt, die daö Gewitter in den Kelchen der Blumen zurücklasse, so trocknet die Hoffnung die Thränen, die den Augen entströmen, und verjagt die Seufzer, die der gepreßten Vrust rntqucllcn. „Wlr hielten das Ende unserer Leiden für so gewiß, daß wir der schmerzlichen Vergangenheit nicht mehr gedach-tm. Im Frühlinge des Lebens läßt der Kummer keine — 6 — tiefere Spur zurück, als der Fusi des flüchtigen Indianers in dem Sande, wenn der Wind vom Mcerc weht. „Als die Bewohner des Dorfes nnstre Freude sahen, beneideten sie unser Loos, und die Verwandten Theresa's fanden keinen Vorwand mehr, uns ihre Einwilligung zur Hcirath zu versagen. „Wir erreichte,: glücklich den Haftn, unser Kahn ward sanft von dem Winde geschaukelt; wir sangen Iubelhymnen ohne zu bedenken, daß unS ein Felsenriff zerschmettern konnte. „Die jungen Indianer sehen Morgen« die Sturmwolke nicht, die Abend's Verheerung über sie ausschüttet; der Vüf« fel weiß die Schlinge nicht, und oft stürzt er sich in die Gefahr, um sie zu vermelden. Ich geberdcte mich wie ein Unsinniger, ich sah die Sonne, ohne des Schattens zu gedenken. Das Unglück brach schneller herein, als ich es gefürchtet hatte. „Eines Abends kehrte ich vom Fischfange zurück, und wollte zu Theresa gehen, um bei ihr von deS TageS Last und Hitze auszuruhen. Da erschien einer meiner Nach« barn, der mir stets in großer Freundschaft zugethan gewesen. „Vei seinem Anblicke hörte mein Herz anf zu schlagen, und ein heftiges Zittern befiel mich. Sein Gesicht war bleich und entstellt, seine Augen sahen mich erschreckt an, und seine Stimme zitterte, nls er sagte i „ „Die N»1o« (die Malaien) sind auf unserer Küste gelandet."" „„Himmel!"" rief ich, indem ich die Hand vor daS Gesicht legte." ___. >? ____ „„Sie haben mchrc Personen des Dorfs überrascht und sie als Gefangene mit sich genommen."" .„.Und Theresa?"" rief ich. „„Man hat sic fortgeschleppt!"" war die Antwort. „Ich hörte und sah Nichts mehr. Wie dem Krieger, dessen Herz von dem vergifteten Pfeile getroffen, schwand mir ans einige Minuten die Besinnung. „Als ich wieder zu mir kam, war mein Gesicht von Thränen naß. „Plötzlich aber erwachte der Mutb wieder, und mir ward klar, daß ich keine Zeit verlieren dnrfte. „Ich lief an das Ufer, wo mein Kalm stand. Nasch band ich das leichte Fahrzeug los, und ruderte mit aller Kraft den Malaien nach, nicht um ihnen Theresa zu entreißen, sonder,, um ihre Gefangenschaft und ihr Unglück zu theilen. Man leidet ja weniger, wen» man nicht allein leidet. „Der Ucberbringcr dieser verbängnisivollcn Botschaft scch mich abfahren; er glanbte, ich habe den verstand verloren. „Es sckien, als ob der „Große Geist" mich beseelte. Mcin Kahn flog über das Meer dahin, als ob er Flügel hätte. Mau hätte glauben mögen, mir standen zwanzig Ruderer zu Gebote. Ich flog so rasch dahin wie die Seeamsel, die von dem Sturme getragen wird. „Nach einer kurzen peinlichen Fahrt entdeckte ich endlich die Sttväuber, die meinen Schah fortschleppten. Dieser Anblick verdoppelte meine Kräfte, so daß ich die Piraten bald einholte. „Als ich bei ihnen angelangt war, rief ich in den ruh-- — 8 — rcndstm Tönen, daß Thercsa meine Frau sei, und daß ich lieber die Sclaverei mit ihr theilen, als sie verlassen wolle. „Die Piraten horten meine von Thränen erstickte Stimme; nickt aus Mitleiden, sondern aus Grausamkeit nahmen sie mich an Bord. „Ich war ja ein Sclave mehr.' Warum sollten sie mich zurückweisen? „Einige Tage später kamen wir in Iolo an. „Hier theilte man die Gefangenen. Der Herr, dem wir durch das Loos zufielen, nahm uns mit sich. War ich deshalb am frühen Morgen auf den Fischfang ausgezogen? Hatte ick deshalb, damit mich ein solches Loos treffe, dem Jesuskinde zu Zebu die erste Perle geopfert, die ich finden würde? „Trotz meines Kummers murrte ich nickt; ick bereuete das gekrackte Opfer nickt. Der Allerhöchste ist Herr — sein Wille mußte ja gesckehcn!" Ne-Lamftago schwieg, um mit Ergebung zum Himmel emporzublicken. Wir konnten auf stmcm Gcsicbtc die Spuren erkennen, die das tiefe Leid seines Lebens zurückgelassen hatte. Die eftisskeit des Windes hatte sich immer noch nicht gemildert, er warf uufer Schiff hin und her. Unsere Matrosen, die ihr Abendessen vollendet, setzten sich an die Seite des Fischers, um seine Erzählung zu hören. Auf ihren Gesiebttrn las man eine schr naive Spannung. Durck ein Zeichen forderte ich den Erzähler auf, fortzufahren. „Unsere Gefangenschaft dauerte zwei Jahre," begann der — 9 — Fischer wieder. „In dieser Zeit erduldeten wir unendliche Leiden. Oft führten mich meine Herren an die Ufer eines See'S, der im Innern der Insel lag. Eine solche Trennung von meiner Theresa, von meiner Frau, dauerte Monate lang. Ich sage von meiner Frau, denn da wir durch die Menschen nicht verbunden werden kannten, hatten wir uns vor dem gütigen Auge Gottes verbunden. Kehrte ich zurück, so fand ich meine arme Gefährtin stets gut, treu und ergeben. Ihr Muth erhielt den meinigen aufrecht. „Ein Umstand veranlaßte mich, einen kühnen Entschluß zu fassen. „Theresa ward schwanger. „Ach, welche Freude würde ich gehabt haben, wenn wir in Zebu, in unserer Familie, bei unsern Freunden gewesen wären! Welch ein Glück würde mir der Gedanke, Water zu werden, bereitet haben! In der Sclaverei erstarrte dieser Gedanke mir daö Blut, und ich beschloß, die Mutter mit ihrem Kinde den Qualen der Gefangenschaft zu entreißen. „Auf einem der Ausflüge hatte ich mich am Fuße verwundet, und diese Wunde ward mir eine große Hilfe. „Eines TagcS gingen meine Herren nach den Ufer des großen See's, und da sie wußten, daß ich verwundet war, ließen sie mich in Iolo zurück. „Ich benutzte diese Gelegenheit zur Ausführung eines Plans, den ich langst festgestellt, nämlich dazu, mit meiner Theresa zu entfliehen. „Das Unternehmen war kühn, aber der Drang nach Freiheit verdoppelte meine Kräfte und vermehrte meinen Muth. Ich zögerte nicht einen Augenblick. — 10 — „Als die Nacht angebrochen war, schlug Theresa einen Weg ein, den ich ihr bezeichnet hatte. Ich betrat einen nndcrn, und in kurzer Entfernung von dein Meere trafen wir wieder zusammen. Wir warfen uns in einen kleinen Kakn, und befahlen uns dem Schuhe des Himmels. „Wir ruderten die ganze Nacht. Nie in meinem Leben werde ich diese geheimnißvolle Flucht vergessen. Der Wind war stark, die Nacht dunkel und die Sterne verloren ihren Glanz. „Stets glaubten wir das Geräusch der Leute hinter uns zu hören, die man zu uustrer Verfolgung ausgesandt hatte. Unsere Herzen klopften heftig. „Endlich brach der Tag an. Nach und nach unterschieden wir in der Morgendämmerung die Felsen, die das Meer begrenzten, und wir konnttn aus der Entfernung wahrnehmen, daß man uns nicht verfolgte. „Eine frohe Hoffnung erfüllte die Seele, muthigcr fuhren wir fort zu rudern, indem wir unsere Barke nach Norden richteten, um eine christliche Insel zu erreichen. „Die wenigen Coeoönüsse, die ich mitgenommen hatte, waren nur eine schwache Nahrungsquelle. Drei lange Tage fuhren wir auf dem Meere, ohne etwas zu genießen. Da verließen unS die Kräfte, erschöpft sanken wir auf die Kniee nieder, und riefen das Jesuskind von Zebu an. „Nach diesem inbrünstigen Gebete waren unsere Kräfte völlig erschöpft. Die Nuder entsanken unsern ermatteten Händen, und wir legten unS auf dem Voden des KahnS nieder, entschlossen in «wer innigen Umarmung zu sterben. — n — „Unsere Kraftlosigkeit nahn: unmerklich zu, endlich verloren wir völlig das Bewußtsein. „Der Kahn blieb den Wellen überlassen. „Als wir wieder zu uns kamen —nach wie langer Zeit vermag ick nicht anzugeben — sahen wir unS von sorgenden Christen mngebcn, die unS in unserm zerbrechlichen Fahrzeuge bemerkt, und mitleidig aufgenommen hatten. „Kaum befanden wir uns auf dem Lande, als meine theure Theresa von hcftigm Schmerzen ergriffen ward — sie schenkte der Welt ein kleines, gebrechliches Kind. „Ich kniete vor diesem unschuldigen Geschöpfe nieder, das der Sclaverci entgangen. Es war ein Knabe." Der Fischer seufzte, und Thränen rannen auf seine abgemagerten Hände herab. Die Zuhörer ehrten diese schmerzliche Erinnerung. „Es dauerte lange, ehe wir uns wieder erholten," fuhr Re?Lamdago fort; „endlich waren wir so weit hcr< gestellt, daß wir die Insel Negros verlassen konnten, auf der unS daö Jesuskind so wunderbar hatte landen lassen. Wir liesien uns am Ufer dieses großcn See's uicder, der im Innern der Insel Lü^on liegt. Hier übte ich meinm Stand als Fischer, und wünschte mir Glück dazu, daß ick es konnte, denn ich brauchte die Malaien nickt zu fürchten, die uns in Zebu bald wieder ergriffen haben würden. „Meine erste Sorge bei unserer Ankunft war nun, mich in der Kirche in Moron trauen zu lassen. Ich hatte cS Gott gelobt, und wollte dieses Gelübde dem nicht brechen, der in unsern Herzen lies't. __ < I __ „Dann erbauete ich jene Hütte, die Sie kennen und be« gönn mit meiner Familie ein ruhiges Leben. „Der Fischfang lieferte einen reichlichen Ertrag, iH war jung und konnte leicht meine Fische an die Schiffe verkaufen, die durch die Meerenge fuhren. „Mein Sohn ward ein prächtiger Junge." „Er gleickt seinem Vater," sagte ich, indem ich mich des Anfangs der Erzählung des Greises erinnerte. Aber meine Vemertung konnte ihm kein Lächeln «nt« locken. „Er war ein guter Fischer," fuhr er fort, „und wir drei lebten sehr glücklich; da traf uns ein fürchterlicher Unglücksschlag. „Das Jesuskind hatte uns ohne Iweifcl verlassen, oder Gott war nicht zufrieden mit unö. Ich murre nicht, aber er hat uns zu hart bestraft, denn er fügte uns ein Leid zu, das unö dem Grabe nahe brachte." Der Greis weinte heiße, bittere Thränen. Ach, der italienische Dichter hatte Necht, wenn er sagte: „Nichts ist von Dauer auf der Erden, als die Thränen!" Die Stimme 3lc-Lamftago's ward durch Seufzer erstickt; trotzdem aber fuhr er mit Anstrengung fort: „In ciner schönen, mondhellen Nacht hatten wir un« sere Nche ausgeworfen. Da fühlten wir, daß uns das Zurückziehen derselben erschwert wurde, und das Kind tauchte in daö W^sscr, um daS Hinderniß zu beseitigen. „Ucber den Rand meines Kahns gelelütt, wartete ich, daß eö zurückkommen sollte. Da bemerkte ich bei den Sil« _____ 1 ez _____ bcrstrahlcn des Gestirns, das auf uns niedcrsab, einen brci. tm Vlutstreifen auf der Oberfläcke des Wassers. „Eine Furcht befiel mich und ich zog rasch mein Netz zurück. „Mein unglückliches Kind hatte sich daran festgeklammert — aber als ich eS bemerkte, hatte es aufgehört zu leben." „Wie, Ihr Sohn?" rief ich. „Mein armer Joseph Maria," sagte er, „ein Caiman, der sich in dem Nche gefangen, hatte ihm den Kopf abgebissen." „Seit dieser verhängnißvollen Nacht beteten wir, Theresa und ick, zu Gott, daß er unS zu sich rufen möge, denn es fesselte uns ja NicbtS mehr au die Erde. „Wer von uns Beiden zuerst sterben wird, soll uon dem andern neben unserm geliebten Kinde begraben werden — dort, unter jenem kleinen Hügel, neben der Hütte, wo das Holzkreuz steht. Der Letzte, der stirbt, wird ohne Zweifel einen mitleidigen Christen finden, der ihn an der Seite derer begräbt, die er in seinem traurigen Leben so innig geliebt hat." Re-Lampago schwieg. Um seinem Schmerze sich hin» zugeben, erhob er sich und nahm durch ein Zeichen Ab-schicd. Mit kummervollem Herzen dankten wir ihm. Der Wind hatte sich gelegt. Die aufmerksamen Matrosen erwarteten meine Befehle. Einige Minuten später fuhren wir Jala-Jala zu, das wir noch vor Untergang der Sonne erreichten. Zweites Kapitel. Jala-Jala. Ankunft meines Bruders Henri. Der Bandit Ca-joui, änteu-^ut«». Alila. Banditen vom See Bay, N,n Morgen nach der Ankunft ergriff ich wieder die Zügel meiner klemm Regierung. Mcine Abwesenheit war ihr eben nickt günstig gewesen und ich mußt mehre einge-risscne Mißbrauche abstellen. Einige leichte Strafen, eine unausgesetzte, rege Wachsamkeit stellten bald wieder Ordnung und Disciplin her und ich konnte meine Sorge wieder der Cultur und den Ländereien widmen. Die Winterzeit begann, die Zeit der Negen und Stürme. Kein Fremder wagte sich über den See, um uns zu besuchen. Meiner Frau und mir aber fiosscn die Tage friedlich und glücklich dahin; die Langeweile war uns fremd. Diese friedliche Einsamkeit wnrd bald durch einen unvorhergc- sehemn glücklichen Zufall unterbrochen. Ich empfing näm-lich einen Brief aus Manilla, der mir anzeigte, daß mein älterer Bruder Henri angekommen sei, daß mein Sckwager ihn angenommen habe und daß er mich mit der lebhaftesten Ungeduld erwarte. Ick hatte nicht gewnßt, daß er Frankreich verlassen, um mich aufzusuchen. Diese so Plötzliche Ankunft bereitete mir eben so viel Uebcrraschung als Freude. So sollte ich denn einen der Mcinigen sehen, einen Bruder, für den ich stets eine zärtliche Freundschaft gehegt hatte. Wer nie den heimischen Herd, nie seine Familie, nie die Gegenstände feiner ersten Neigungen verlassen hat, wird schwerlich das Gefühl begreifen können, das dieser glückliche Brief in mir erregte. Als der erste Freudenrausch sich ein wenig gelegt hatte, wollte ich keinen Augenblick verlieren, um nach Manilla abzureisen. Meine Vorbereitungen waren bald getroffen. Ich wählte mein leichtestes Boot und meine kräftigsten Indianer. Nachdem ich meine Anna umarmt, fuhr ich über den See, für meine Ungeduld leider zu langsam. Ick würde lieber gesehen haben, daß meine Barke Flügel gehabt, damit sie rasch, wie mein Gedanke, den Namn durcheilt hätte, der mich von memem Bruder schied. Nie ist mir eine Reise länger vorgekommen, obgleich meine beiden kräftigen Ruderer, von meiner Ungeduld angefeuert, alle ihre Kräfte aufboten, um mich so rasch als möglich an das Ziel meiner Wünsche zu befördern. Endlich kam ich an. Ich eilte sogleich zu meinem — 16 — Schwager und warf mich in die Arme Henri's. Die Freude des Wiedersehens raubte uns Veidm den Gebrauch der Sprache für einige Augenblicke, nur Thräne» bekundeten die Empfindungen unserer Herzen. Nachdem der erste Rausch vorüber war, richtete ich tausend Fragen an ihn. Kein Mitglied unserer Familie ward vergessen. Die geringsten Kleinigkeiten, die auf diese tlicuern Wesen Bezug hatten, warm für mich von großem Interesse. Den Nest deS TageS und die ganze darauf folgende Nacht brachten wir in einer ununterbrochenen, interessanten Unterhaltung zu. Dm nächsten Morgen reis'ten wir nach Jala-Jala ab. Henri hatte Eile seine Schwägerin kennen zu lernen; und mich drängte eS, ihm das Glück zu zeigen, das ich in dem Besitze dieser theuern Lebensgefährtin fand. Gute Anna, meine Freude war Deiue Freude, mein Glück war das Deinige! Du empfingst Henri wie einen Bruder und diese geschwisterliche Freundschaft war stctS eben so aufrichtig, wie Deine Liebe zu mir! Einige Tage verflossen in traulicher Unterhaltung über Frankreich und über Alles, was es uns Theures enthielt. In meine Freude mischte sich ein Gefühl von Trauer, das ich nicht unterdrücken konnte. Ich dachte an unsere zahlreiche Familie, die auf der Erde so weit zerstreut war. Mein jüngster Bruder war auf Madagascar gestorben. Robert, der ältere, wohnte auf Portorico, und meine beiden Schwäger waren Schiffökapitcnns, die sich stetö mit Indimfahrern auf großen Reisen befanden. „. «^ __ Arme Mutter, arme Schwestern! Ihr ivar't allein, ohne Stütze — welch' eine Zeit voll Vesorgniß und Angst mußtet Ihr durchleben! AH, wie gern hätte ich Euch bei mir ssehabt! Aber eine ganze Welt trennte uns und nnr die Hoffnung auf ein Wiedersehen verscheuchte die Wolken, welche die glücklichen Tage der Anwesenheit meines Bruders mitunter verdüsterten. Henri rnhcte einige Zeit aus, dann wollte er meine Arbeiten theilm. Nackdcm ich ihm meine Pläne mitgetheilt, übernahm er die Leitung der Pflanzungen und der Erndtm. Ich selbst behielt mir das Regiment über meine Indianer vor, die Sorge für die Hcerden und die Verfolgung der Banditen. Mit diesen unruhigen Indianern lebte ich in einem steten Kampfe; aber ich rühmte mich der kleinen Gefechte nicht, die ich ihnen oft zu liefern gezwungen war. Ich bc-fahl im Gegentheil ernstlich meinen Gardisten, darüber zu schweigen, damit meine Anna nicht beunruhigt und in mei-ncm Bruder der Wunsch nicht angeregt würde, mich zu begleiten. Ich wollte ihn den Gefahren nicht preisgeben, denen ich selbst ausgesetzt war. Wenn es sich nnr um kleine Gefechte in freiem Felde gehandelt hätte, so wäre die Gefahr nicht so groß gewcftn; aber der Kampf Mann gegen Mann, der oft vorkam, war denn dock ein anderes Ding. Ich kann mir das Vergnügen nicht versagen, einige der Umstände zu erwähnen,' die mich zu dem, schon früher gemachten Ausspruche berech, tigen, daß die Kugeln der Banditen mich respectiren. Abent. e. bret. Ebelm. ,c. 2. Vd. 2 — 18 — Eines Mend's kehrte ich mit meinem Lieutenant zu der Besitzung zurück. Wir warm Veide nur mit Dolchen bewaffnet, und gingen durch einen dichten Wald am See. „Herr," sagte Nlila, „wir befinden uns in der Gegend, die Cajoui am häufigsten besucht." Cajoui war nämlich einer der gefährlichsten Räuber-chefs. Es machte ihm Vergnügen, an einem Tage Zwanzig seiner Landslmte zu ertränken. Ich hatte den Entschluß gefaßt, das Land von einem solchen Mörder zu befreien, und die Mittheilung meines Lieutenants veranlaßte mich, einen kleinen Fußsteig einzuschlagen, der uns zu einer im Walde versteckten Hütte führte. Alila erhielt den Auftrag, zu wacken, während ich gmg, um die Personen kennen zu lernen, die diese Hütte bewohnten. Ich stieg die kleine Treppe hinauf, die zu dem Innern der tagalesifchen Hütten führt. Eine Indianerin, beschäftigt eine Matte zu flechte», war allein darin. Ich forderte Feuer von ihr, um meine Cigarre anzuzünden, dann ging ich zu meinem Lieutenant zurück. Zufällig richtete ick meine Blicke auf das Aeußere der Hütte; sie kam mir viel größer vor, als sie mir, nach dem Innern zu urtheilen, geschienen hatte. Ich stieg rasch die Treppe wieder hinan, durchforschte den Raum, in dem sich das junge Mädchen befand, und bemerkte im Hintergründe eine kleine, durch eine Matte verborgene Thür. Ich sticß heftig die Thür auf, und in demselben Augenblicke schoß Cajoui, der mich mit seinem Karabiner erwartet hatte, auf mich ab. — 19 — Das Feuer und der Nauch machten mich blind. Ein unerklärlicher Zufall wollte es, daß die Kugel meine Kleider streifte, ohne mich zu verwunden. Als Alila, der wußte, daß ich kein Feuergewchr bci mir truss, den Knall hörte, so glaubte er, ich sci erschossen. Er stürzte die Treppe hinan, und fand mich, von einer Rauchwolke umgeben, wie ich mit dem Dolche in der Hand meinen Feind suchte. Als dieser sah, daß ich nach seinem Schusse noch auf den Füßen stand, so glaubte er wahrscheinlich, daß ich das änten-^ulen bei mir trage, ein dia« bolisches Gebet, das, nach dem Glauben der Indianer, den Menschen für jede Fcuerwaffe unverwundbar macht. Die Furcht bemächtigte sich des Banditen; er stürzte sich zu einem Fenster hinaus, und licf aus Leibeskräften durch dm Wald. Alila hielt das, was mir begegnet, nicht für möglich; er betastete meinen ganzen Körper, um sich zu überzeugen, daß die Kugel mich nicht durchbohrt hatte. Als er keine Wunde fand, sagte cr i „Herr, wenn Sie das äuten-^nteu Mt hatten, was ren Sie todt!" Meine Indianer haben nämlich stets geglaubt, daß ich im Besitze dieses Geheimnisses und noch manchlr anderer wärc. So hatten sie z. B. gesehen, daß ich vierundzwanzig, selbst sechsunddreißia. Stunden weder Speise :;ock Trank zu mir nahm, sie waren überzeugt, ich könne auf diese Weise endlos fortleben. Ein guter tagalesischer Pfarrer, den ich besuchte, sank fast vor mir auf die Kniee nieder uud bat mich, ihm die Macht mitzutheilen, ohne Speisen zu leben. — 20 — Die Tagaler haben ibrm alten Merglauben bewahrt. Aber fie sind alle Christen, wenn sie diese Religion auch nur wie Kinder verstehen und glauben, daß das Feiern der Sonn- und Festtage, und jährlich eine Beichte genüge, um Vergebung aller Sünden zu erhalten. Ich erzähle eine kleine Anekdote, die zur Genüge beweist, was die Indianer unter christlicher Liebe verstehen. Zwei junge Indianer hatten ihrem Nachbar Geflügel gestohlen. Dieses Geflügel verkauften sie an meinen Haushofmeister für die Summe von ungefähr zwölf Sous. Ich ließ sie kommen, um sie zu bestrafen und zu ermähnen. In ihrer Unschuld antworteten sie mir: „Es ist wahr, Herr, wir haben unrecht gehandelt; aber wir konnten nicht anders, denn wir gehen morgen zur Kommunion und haben kein Geld, um eine Tasse Chocolate zu trinken." Es ist gebräuchlich, nach der Communion eine Tasse Chocolate zu trinken, und die Unterlassung dieses Gebrauch'S wäre für sie eine größere Sünde gewesen, als der Diebstahl, dessen sie sich stbulrig gemacht. Zwei böse Gottheiten spielen bei ihnen eine große Nolle; sie glaubten daran, ehe die Philippinen erobert wurden. Der eine dieser finstern Götter ist der ^ie-n-Uim, von dem ich bereits gesprochen habe; er wohnt in Wäldern und in dem Dickicht großer Feigenbäume. Diese Gottheit kann Jedem, der nicht an sie glaubt oder nickt gewisse Kräuter bei sich trägt, alleS nur mögliche Böse zufügen. Eo oft ein Indianer an einem dieser Fei-- __ Z« __ gmbäume vorübergeht, macht er ein Zeichen mit der Hand und spricht: I'avit pa. Diese tagalesischen Worte heißen: Mit Erlaubniß, gnädiger Herr. Der gnädige Herr des Ortes ist der lie-Lalan. Die andere Gottheit wird ^Luan genannt. Sie wacht vorzüglich über die Wochenbetten, man sieht oft einen Indianer, während seine Frau in Kindcsnöthen liegt, auf seinem Dache reiten und mit einem Säbel die Luft durchhauen, um den ä-"»« fortzujagen. Oft setzt er dieses Manöver mehre Stunden fort, bis die Frau entbunden ist. Ein Glaube, um den sie die Europäer beneiden könnten, ist der, daß der Tod eines Kindes, wenn er vor dem Verstandesalter erfolgt, ein Glück für die ganze Familie ist. Das Kind geht als Engel in den Himmel, nm dort ein Beschützer aller seiner Verwandten zu werden. Demnach ist das Vcgräbniß ein großes Fest; Verwandte und Freunde sind dazu geladen. Man trinkt, singt und tanzt die ganze Nacht in der Hütte, wo daS Kind gestorben ist. Aber ich bemerke, daß der Aberglaube der Indianer mich zu weit von dem Hauptgegenstande ablenkt. Ich werde später eine passendere Gelegenheit finden, von den Sitten und Gebräuchen dieser seltsamen Menschen zu sprechen. Mein Lieutenant also versicherte mich, Wß ich das äutvu.Hnteu besäße, und daß folglich ein Schuß mich nicht verwunden könne. Dann wandte er sich an das junge Mädchen, das mehr todt als lebendig in einem Winkel saß. — 32 — ..Verwünschte Creatur," rief er, „Du bist die Conlu, bine Cajoui's; jetzt haben wir mit Dir zu thun!" Mit dem Dolche in der Hand stürzte cr auf sie zu. Ich warf mich zwischen ihn und das arme Mädchen, denn ich wußte, daß cr im Stande war, zu morden, vor-züglich wenn man mein Leben bedroht hatte. „Unglücklicher," rief ich. „was willst Du thun?" „O, nicht viel, Herr! Ich will diesem häßlichen Weibe die Haare und die Ohren abschneiden, es zu ihm schicken und ihm sagen lassen, daß wir ihn bald wieder antreffen würden." Es kostete Mühe, ihn an der Ausführung dieses Plan's zu hindern. Ich mußte mrine ganze Autorität anwenden und ihm versprechen, die Hütte anzuzünden. Mein Schuh erlaubte dem erschreckten Mädchen, sich in den Wald zu flüchten. Mein Lieutenant hatte Necht, wenn cr dem Cajoui sagen ließ, daß wir ihn bald wiedersehen würden. Einige Monate später entdeckte ich, mchre Meilen von dem Orte, wo wir seine Hütte in Brand gesteckt hatten, in einem der dichtesten Theile des Waldes eine kleine Hütte. Nnr drei meiner Gardisten begleiteten mich. Meine Indianer liefen, um sie zu umstellen; aber plötzlich versanken sie alle drei bis an den Gürtel in eine Art Sumpf, der mit Zweigen und Kraut bedeckt war. Da ich „icht so rasch lief, als sie, bemerkte ich die Gefahr; ich wandte mich ab von dem Sumpft, um die Hütte auf dem einzigen Wege zu erreichen, der dorthin führte. 2^ __ Plötzlich stand ich Cajoui so nahe gegenüber, daß ich ihn fast mit der Hand erreichen konnte. Ich hatte meinen Dolch in der Hand; aber auch er hatte den seinigen. Es entspann sich ein Kampf. Während einiger Secunden kämpften wir mit Stichen, denn Icder wich aus, so gut er lonnte. Ich glaube aber, daß icb im Nachtheile war, denn der Dolch Cajoui's hatte nicht unbedeutend meinen rechten Arm verletzt; glücklicher» weise lonnte ich mit der linken Hand ein Pistol von sthr großem Caliber aus meinem Gürtel ziehen. Ich feuerte eS anf die Mitte seiner Brust ab — die ganze Ladung durchfuhr den Körper meineb Feindes. Einige Secunden lang versuchte sich Cajoui noch zu vertheidigen; aber ich stieß ihn kräftig zurück, daß er vor meinen Füßen niedersank, und entriß ihm den Dolch, den ich jetzt noch aufbewahre. Jetzt erschienen meine Leute, die aus dem Moraste her-auögestiegm waren. Mitleidig verbanden wir Cajoui's Wunde, machten eine Tragbahre, legten ihn darauf, und trugen ihn nach meiner fast sechs Stunden weiten Besitzung, wo ich ihm alle Sorgfalt angedeihen ließ, die sein Zustand erheischte. Ich glaubte, er würde bald seinen Geist aufgeben. Von Viertelstunde zu Viertelstunde brachten mir meine Leute Nachricht von ihm. und stetS sagten sie: „Herr, er kann nicht sterben, weil er das ^nten-^ntsn bei sich trägt; es ist ein Glück, daß Sie, der Sie es ebenfalls besitzen, auf ihn geschossen haben, denn unsere Waffen sind machtlos gegen ihn." - 24 — „Hier, Hcrr, ist das ^nten-^uten, das ich bei ihm gefunden habe." In demselben Augenblicke kam ein Anderer und zeigt? an, daß Cajoui nicht mchr lebte. „Sehen Sie," sagte Alila, „wenn ich ihm sein ^ulon. änten nicht genommen hätte, er lebte noch!" Ich durchblätterte das kleine Buch; es enthielt Gebete und Anrufungen in tagalesischer Sprache, die nicht viel Sinn hatten. Ein guter Mönch war anwesend; er nahm mir das Buch aus den Händen. Ich glaubte, er sei eben so neugierig als ich; aber ich hatte mich getäuscht. Er ging in die Küche, und kam einige Augenblicke spater zurück, um mir zu sagen, daß er ein äuw-ä»-I?ä abgehalten habe. Mein armer Lieutenant weinte fast darüber, denn er betrachtete das kleine Buck als scin Eigenthum und glaubte, es würde ihn unverwundbar gemacht haben. Auch ich würde es als ein Document indianischen Aberglaubens aufbewahrt haben. Am folgenden Tage hatte ick viel Mühe, meinen Pfarrer, den Vater Miguel, zu bewegen, daß er Cajoui auf dem GotttcsaFer beerdigen lasse. Er behauptete, ein Mensch, der das äutell-äuten hei sick getragen habe, könne nicht an einem geweiheten Orte beerdigt werden. Um ilm zu gewinnen, mußte ich anführen, daß man dem Cajoui das ^ni-ell-^nteu vor semem Verscheiden ab' genommen habe. und daß ihm Zeit zur Nme geblieben sei. Einige Tage nach dem Tode Cajoui'S hatte mein treuer Alila eine eben so große Gefahr zu bestehen, als _ 35 - die war, der ich im Kampfe mit dem Banditen ausgesetzt gcwcstn. Aber Alila hielt sich tapfer, obgleich er das äntsn-Eliten nicht besaß; ein Feuergewehr jagte ihm leine Fürcht ein. Große Fahrzeuge, wahre Archen Noa's, die mit ausländischen Kaufmannswaren beladin waren, kamen wöchentlich auf dem Passig an dem Dorfe vorbei, um nach Scmta-Cruz zu gehen, wo Donnerstags ein großer Markt abgehalten wurde. Acht unternehmende nnd verwegene Banditen schifften sich auf einem dieser Fahrzeuge ein, und verbargen ihre Waffen unter den Waarenballcn. Kaum befand sich das Schiff im offenen Fahrwasser, als sie die Waffen ergriffen und ein entsetzliches Blutbad anrichteten. Jeder, der Widerstand leistete, ward erwürgt. Den Lootftn selbst warf man in's Wasser. Alo sie endlich auf keinen Widerstand mehr stießen, raubten sie den Reisenden das Geld und nahmen alle werthvollen Gegenstände, die sie fanden. Dann brachten sie das Schiff an eine Küste, und stiegen, mit Veme beladen, an das Land. Man hatte mich von diesem verwegenen Unternehmen in Kenntniß geseht. Ich bcgab mich sogleich an den Ort, wo sie gelandet waren. Unglücklicherweise kam ich zu spät. Die Banditen hatten bereils ihre Veutc getheilt und flohcn den Bergen zu. Obgleich ich nur wenig Hoffnung hatte, sie zu erreichen, so begann ich dennoch sie zu verfolgen. Nach einem — 26 — langen Marsche begegnete nur ein Indianer, der mir sagte, daß einer der Vandittn, der kcin so guter Fußgänger wäre wie die übrigen, nicht weit entkommen sei, und daß wir ihn cinbolen würden, wenn wir uns ein wenig beeilten. Alila war mein bester Läufer, er besaß die Schnelligkeit und Leichtigkeit des Hirsches. ..Geh', Alila," sagte «ch zu ihm, „und bringe mir den Flüchtling todt oder lebendig! ^ Um weniger in: Laufen gehindert zu sein, ließ mein wackerer Lieutenant sein Gewehr zurück, er nahm eine Lanze, und entfernte sich. Bald sahen wir ihn nicht mehr. Aber einige Minuten später hörten wir einen Gewehr« sckuß. Der Bandit mußte auf Alila geschossen habm, und wir hielten ihn für todt oder verwundet. In der Hoffnung, ihm noch rechtzeitig zu Hilfe zu lommen, beschleunigten wir unsere Schritte. Aber bald sa« hen wir ihn — er kam uns ruhig entgegen. Seine Kleider und sein Gesicht waren mit Blut bedeckt, und in der linten Hand trug er den scheußlichen Kopf des Banditen, den cr bei den Haaren hielt, wie Judith einst den Kopf des Ho» loscrnes. In der rechten Hand trug er seine Lanze. Aber mein armer Alila war verwundet. Ich untere suchte sogleich die Wunde: sie war nicht gefährlich. Nun fragte ich ihn um die Einzelheiten seines Kampfes. „Herr," antwortete er, „gleich nachdem ich Sie der-lassen hatte, sah ich den Banditen, aber auch er sah micb, und lief, was er tonnte. Da ich aber noch bcsscr laufe» lcnntc, als er, war ich ihm bald auf den Fcrsm. Als er — 27 — kcine Hoffnung mehr hatte, zu entkommen, wandte er sich, und hielt mir ein Pistol entgegen. Furchtlos näherte ich mich ihm. Da krachte der Schuß, und ich fühlte, daß ich im Gesichte verletzt war. Auch diese Wunde hielt mich nicht auf. Ich drang auf ihn ein, und stieß ihm meine Lanze durch den Leib. Da der ganze Bandit zu schwer war, um ihn Ihnen zu bringen, habe ich ihm den Kopf abgeschnitten — hier ist er!" Nachdem ich dem taftfern Nlila zu seinem Siege Glück gewünscht, untersuchte ich scine Wunde genauer. Ein Stück Vlei war ihm in die Vacke gefahren, war aber durch den Backenknochen verhindert, tiefer einzudringen. Nachdem das Blei herausgezogen war, ging die Heilung rasck von statten. Da meine zahlreichen Streifzüge gegen die Banditen fast zu Ende sind, so berege ick sie ferner nickt mehr, son-dern bleibe nun bei der Schilderung meines gewöhnlichen Lebens in Jala-Jala. Drittes Kapitel. Jala-Jala. Vermigan. Der Kapilam Gabriel Lafond. Ioa- qum Valthasar. Tay,Fouug. Streitigkeiten. Banditen. Tapuzi. Die Insel Tcilim. Vürgerkrieg. I!m diese Zeit brachte ein Unglück die Trauer in mein Haus. Briefe von meiner Familie kündigten mir nämlich an, daß mein Bruder Robert aus Portorico zurückgekehrt, aber bald darauf an einer schweren Krankheit gestorben sei. Er hatte in den Armen der Mutter und der Schwestcru seinen Geist aufgegeben und zwar in dem kleinen Hause uon la Plancke, wo wir Alle erzogen waren. Meine autt Anna weinte mit nns; sie wandte die zärtlichste Sorgfalt an, um den Schmerz zu lindern, den wir, mein Bruder Henri und ich, empfanden. Einige Monate später suchte uns ein neuer Kummer heil». Wir hatten in Jala-Jala eine kleine Gesellschaft ge- __ IN _ bildet, die aus meiner Schwägerin bestand, aus Dclaunay, einem jungen Manne auS Saint-Malo, der uon Bourbon gekommen war, um in Manilla eine Zuckcrsiederei zu errichten; aus Vermigan, einem jungen Spanier und aus meinem Freunde, dem Kapitam Gabriel Lafond, der, wie ich, aus Nantes stammte. Letzterer ist der Verfasser eines achtbändigen Werkeö: Fünfzehn Jahre auf einer Reise um die Welt. Er war auf dem Schiffe „der Sohn Frankreichs" uach den Philippinen gekommen, hatte einige Jahre in Süd-Amerika verlebt, bedeutende Stellen als commandirender Kaftitain in der Marine bekleidet und war endlich, nach mancherlei Abenteuern, mit einem kleinen Vermögen in Manilla angelangt, wo er sich ein Schiff zum Fischfänge in dem stillen Oceane gekauft hatte. Vei der Insel Trogatabu zerschellte sein Sckiff auf einem der Felsen, die diese Insel umgeben. Lafond rettete sich durch Schwimmen, aber er hatte Alles verloren. Von dort war er nach den Mariannen-Inseln gegangen, wo ihn Kummer und schlccbte Nahrung auf das Krankenlager warfen. Als er Manilla erreichte, war er noch mit einer schrecklichen Dysscnterie behaftet. Ich hatte ihn auf meine Besitzung geführt und hier ließ ich ihm alle Sorgfalt zu Theil werden, die ein Landsmann, ein liebenswürdiger und aufrichtiger Freund verdient. Unsere Abende brachten wir mit unterhaltenden lind lehrreichen Gesprächen hin. Da jeder von uns große Reisen gemacht hatte, wußte — 30 — er Manches zu erzählen. Am Tage leisteten die Kranke» den Damen Gesellschaft, und ich und mein Bruder lagen den gewöhnlichen Beschäftigungen ob. Aber bald trübte ein unglücklicher Zufall die Ruhe, die in Iala-Inla herrschte. Vermigan ward so gefährlich krank, daß ich nach ei« nigcn Tagen die Hoffnung aufgab, ihm das Lcbcn zu retten. Nie werde ich die verhängmjwollc Nacht vergessen, in der wir Alle in dem Saale versammelt waren, nie den Schmerz und die Bestürzung, die sich in allen Gesiebter,» zeigte. In dem angrenzenden Zimmer horten wir das To-desröcheln: der arme Vermigan hatte nur noch einige Augenblicke zu leben. Mein Freund Lafond, den die Krankheit ebenfalls in einen fast hoffnungslosen Zustand versetzt hatte, unterbrach das Schweigen. „Heute stirbt Vermigan," sagte er, „in einigen Ta-gen, vielleicht morgen schon, kommt die Reihe an mich. Sieh', mein lieber Don Pablo, ich kann schon sagen, daß ich nicht mehr lebe. Betrachte meine Veine, meinen Kör« per — ich bin nur noch ein Skelctt, ich kann nicht einmal mehr Nahrung zu mir nehmen. ES ist besser, zu steri ben, als zu leben." Ich wagte nicht, ihm einige Worte des Trostes und der Hoffnung zu sagen, denn ich war fest überzeugt, daß seine Ahnung sich bewahrheiten werde. Wer mir damals gesagt hätte, daß er und ich Alle überleben würden, die uns in Fülle der Gesundheit um« gaben! — 31 — Doch, greifen wir der Zukunft nicht vor. Der arme Vermigan hauchte seinen letzten Seufzer aus. Das Haus von Jala-Jala war nicht mehr Jungfrau; ein menschliches Wescn war darin gestorben. Am andern Morgen gingen wir traurig und schweigend nach dem Fnedhofe, um unsern Freund zu begraben, und ihm die letzte Ehre zu erweisen. Wir setzten ihn a>n Fuße eines großen Kreuzes bei, das in der Mitte des Gottesackers stand. Trauer und Schweigen herrschte mehre Tage lang in dem Hause auf Jala-Jala. Einige Zeit nachher hatte ich das Glück, meine Ve-mülnmgen für Freund Lafond von dem schönsten Erfolge gekrönt zu sehen. Die starken Mittel, die ich anwendete, gaben ihm die Gesundheit, und später den Appetit zurück. Bald war er im Stande, sich nach Frankreich einzuschiffen. Jetzt lebt er in Paris, ist mit einer Frau verheirathet, die alle einen Mann beglückende Eigenschaften besitzt, ist Vater von schönen Kindern, bekleidet einen angesehenen Posten, und erfreut sich der allgemeinen Achtung. Die sechs Monate, die er in Jala-Jala verlebt, hat er nie vergessen. Die Undankbarkeit befleckt nie ein so edleS, treues Herz! Zwischen ihm lind nur waltet daS freundschaftlichst!,', innigste Verhältniß ob, und ich bin glücklich, hier aussprechcn zu können, daß er stets sein wird, was er ist: mein bester Freund. Da ich einmal mehrcr Personen erwähne, die einige — 32 — Zeit auf Jala »Jala gelebt haben, so darf ich auch einm meiner Colonisten nicht übergehen, Ioaquin Valthasar aus Marseille, einen so excentrischen Menschen, wie ich nie einen gekannt habe. Sehr jung noch hatte sich Ioaquin in Marstille «inge« schifft. Da er in die Liste der Schiffsmannschaft nicht mit eingetragen war, gab man ihn in Vourbon an Vord des Astrolaba, der eine Reise um die Welt machte. Auf den Mariannen 5Inseln destrtnte er, und kam völlig entblößt nach den Philippinen. Hier wandte er sich an gute Mönche, wie er sagte, um sich zu bekehren und an sein Seelenheil zu denken. Fast zwei Jahre hat er unter den Mönchen und alts ihre Kosten gelebt. Dann eröffnete er in Manilla ein Kaft feehaus, und verschwendete eine ziemlich große Summe, die er von einem Franzosen und mir geliehen hatte. Dann kam er auf meine Besitzung, wo er ein großes Gebäude von Stroh errichtete, daS mehr Achnlichkeit mit einem Magazine, als mit einem Haust hatte. Hier unterhielt er eine Art Serail und adoptirte alle Kinder, die man ihm geben wollte; diese und die stinigen unterrichteten sich gegenseitig, daß sein Haus einer Schule glich. War er einer seiner Frauen überdrüssig, so ließ er einen von stinen Arbeitern kommen, und sagte mit großem Ernste: „Diese Frau schenke ich Dir; sei ein guter Ehemann, und behandele sie gut. Und Du, Frau, sieh' hier Deinen Mann; sci ihm treu. Gott segne Euch! Und nun macht, — 33 — daß Ihr fortkommt, lind laßt Euch ine wieder vor mir scheu!" Er halte nie einen Soli Geld; die stärksten Summen verschwendete er in wenige» Tagen. Er borgte von aller Welt, nnd zabtte nie zurück; cr lebte wie ein echter India: ncr, lind war feig wie ein Haase. Wegen seines blonden Haares lind stincs blassen, bart« loftn Gesichtes hatten ihm die Indianer dm Beinamen ^uelu-Nouz'au gelben. Diese tagalestschm Worte heißen.' „Der kein Blut hat." Eines Tages fnhr ich in eincm kleinen Voote übcr den See. Ioaquin und zwei Indianer befanden sich bei mir. Da wurden wir von einem jener schrecklichen Stürme der chinesischen Meere überrascht, die man t^-l^unF nennt. Diese aichcrovdmtlich seltcncn Stürme sind erschrecklich. Der Himmel bedeckt sich mit schweren Wolken, der Negm fällt in Strömen, das Tageslicht verschwindet fast, und der Wind tobt mit einer solchen Gewalt, daß er Alles umstürzt, was ihm in den Weg kommt. Wir befanden «mS also in unsern» kleinen Voote. Kaum hatte der Stnrm sich erhoben, als Balthasar alle Heiligen deS Paradieses anrief. Verzweiflungsvoll rief cr mit lauttr Siimmc: „O mein Gott, mein Gott! Ich bin cin großer Sun? dcr, verleihe mir die Gnade und gestatte mir, daß ich beichten und die Absolution empfangen kann!" Scin Klagen und Rnftn schten meine beiden Indianer in Erstaunen. Unsere Lage war kritisch genug, um uns die Geistesgegenwart soviel als möglich zu bewahren zu siMn, Ment. e. bret. Edclm, ?c, 2. Vd, ? — I^ — damit wir unser leichtes Fahrzeug über dcm Wasser erhielten. Da es aber mit zwei großen Valancirstangen von VambuS versehen war, konnte es sich vollkommen zwischen zwei Wassern erhalten, ohne umzuschlagen, wenn wir vorsichtig und behutsam zu Werke gingen und die Seite den Wellen nicht aussetzten. Was ich voraus ssesehen, geschah. Eine Welle überschüttete uns, wir warm einige Secunden lang völlig begraben. Die Welle ging vorüber, und wir kamen wieder auf die Obcrflää>e des Wassers. So oft eine Welle kam, ging sie über unsern Köpfen hinweg. Wir hatten die Füsse unter die Vänkc gesteckt, und hielten uns fest angeklammert. Nur unser Oberkörper ragte schmettern. Ein Schrei ließ sich vor unö vernehmen. Ich sagte meinem Lieutenant, cr möge allein und ohne Waffen weiter gchen. Einige Minuten später kam cr mit zwei Indianern zurück; er hatte sie versichert, dasi ich in friedlichen Absichten käme. Man hatte sie geschickt, um uns in das Dorf zu führen. Vei dicftr Begleitung hatten wir NicbtZ mehr zu fürchten. Fröhlich sehten wir den Rest des Weges fort, bis Zu dem Orte, wo der trichterförmige Gang endigte. — 47 — Der Ort, den wir mm passirten, war mit ungeheuren Feloblöckcn angefüllt, die man hoch aufgeschichtet hatte. Dahinter ragte drohend ein kahles Gebirge empor, auf 5em sich keine Spur von Wegetation zeigte; es glich einer alten europäische!, Festung, die eine magische Macht inmitten der hohen Verge erbauet, welche sie beherrschte. Mit einem einzigen Blicke hatte ich die ganze Gegend erfaßt, durch die wir gingen; ich überdachte die unermeßlichen Mannichfaltigkeitm, welche die Natur bictct. Plötzlich lag das ersehnte Iicl meiner Reise, das Dorf Tapuzi, vor meinen Blicken. Vs liegt am äußersten Ende dieser Hochebene, und be« steht aus vielleicht sechzig Strohhäusern, die den indianischen Hütten gleichen. Die Einwohner standen an den Fenstern, um uns kom< men zu sehen. , Unsere Begleiter führten uns zu ihrem Chef, tem w»tlln.lil,8»n»7!)n (altm Chef.) Dieser war ein schöner Greis; seinem Gesichte nach zu urtheilen, nuißte er wohl achtzig Jahre alt sein. Nachdem kr freundlich gegrüßt, fragte er mick: ,,Als was sind Sie gekommen? Als ein Freund, oder >nu- «ins Neugicrde? Oder zwingen Sie die gransamen Ge-sche der Castiliancr bei uns eine Zufwcbt Zu suchen? Köm-wen Sie in dieser Absicht, so seien Sie willkommen, Sie lwdm hier Brüder finden." „Nein," antwortete ick, „wir sind nicht gekommen, "ln bei Ihnen zu bleiben. Ich bin Ihr Nachbar, der Ve- — 48 — sitzer von Jala--Jala. Ich komme, um Sie zu besuchen, Ihnen meine Freundschaft anzubieten, und Sie nm dle Ih? risse zu bitten." Bei dem Namen Jala «Jala machte der Greis eine Bewegung der Ucberraschling. Dann sagte er: „Es ist schon lange Zeit her, daß ich von Ihnen habe sprechen hören; man balt Sie für einen Agenten deö Gouvernements, der die Unglücklichen verfolgt. Aber ich habe a»ch geHort, dasi Sie Ibre Sendung mit Güte und Rachsicht erfüllen, und daß Sie ihnen oft Unterstützung gewähr reu. Deshalb selen Sie willkommen!" Nack dieser Einleitung brackte man uns Milch und Kartoffeln. Während des Mahles fuhr der Greis fort, frei mit mir zu reden. „Vor vielen Jahren," sagte er. „ich weisi nicbt mehr die Zeit anzugeben, kamen einige Männer nach Tapuzi, um hier zu wohnen. Sie wohnten hier so ruhig und sicher, daß noch Andere ihrem Veispiele folgten, und sich dadurch der ihnen auferlegten Strafe für begangene Fehler zu ent« ziehen suchten. Bald sah man Familienväter mit Weiber,« und Kindern ankommen. Diese machten die ersten Grundlagen zu dem Gouvernement, das Sie jetzt sehcu. „Jetzt ist fast Alles Gemeingut' einigt Kartoffel« oder Maiüseldcr und die Jagd genügen uns. Wer besitzt giebt dem, der Nichts besitzt. Fast alle unsere Kleidungsstücke sind von den Frauen gewebt und genäht. Der Abaca (eine vegetabilische Seide) versieht uns mit den nöthigen Fäden. Das Geld kenne» wir nicht, wir bedürfen dessen nickt. — 49 — „Der Ehrgeiz ist verbannt; jeder ist sicher, daß er nicht Vor Hunger umkommt. „Von Zeit zu Zeit kommen Fremde zu uns. Wenn fic sich unsern Gesetzen unterwerfen wollen, so bleiben sic bei uns; man gewährt ihnen eine Prüfungszeit von vierzehn Tagen, dann köimm sie sich entscheiden. Ist diese Zeit vorüber, stebt es ihnen frei, sich entweder zurückzuziehen oder unserer Familie anzugehören. „Unsere Gesetze sind mild und nachsichtig. Die schwerste Strafe, die wir verhängen können, ist, daß wir den für immer fortjagen, der sich eines großen Versehens schuldig gemacht hat. „Die Religion unserer Väter haben wir nicht vergessen, und Gott wird mir einst ohne Zweifel meine ersten Sünden verzeihen, weil ich in seinem Dienste und in dem Meiner Mitmenschen so lange und so viel gewirkt habe." „Aber wo ist Ihr Chef?" fragte ich. „Wer sind Ihre Nichter und Ihre Priester?" „Ich bin es!" sagte er. „Ich allein bekleide alle dich .Aemter. „Früher lebte man hier wie unter wirklichen Wilden; ich war jung, stark und allen meinen Brüdern ergeben. „Ihr Oberhaupt starb; da ward ich gewählt, um es zu ersetzen. „Nun verwandte ich alle meine Sorge darauf, daß Nichts geschah, was ungerecht war oder sich mit dem Gli« cke derjenigen, die sich mir anvertrauten, nicht vereinigte. „Bis dabin batte man sich wenig um die Religion gekümmert; ich wollte meines Gleichen daran erinnern, daß Abent. e. bret. Edelm, n. 2. Äb. 4 — 50 — sie geborene Christen seien. Deshalb sehte ich Sonntags eine Stimde fest, wo wir Alle gemeinschaftlich beteten, und ich bekleidete mich mit allen Attributen eines VerkündigerS des Evangeliums. Ich schloß die Heirathen, vollzog die Taufen, und ertheilte dcn Sterbenden die Tröstungen der Religion. „In meiner Jugend bin ich Chorknabe gewesen, ich erinnerte mich der kirchlichen Ceremonien. Bin ich auch nicht mit den zu diesen Nmtsverrichtungen nöthigen Attributen investitirt, so übte ich sie doch mit Treue und Liebe, und deshalb hoffe ich, daß meine guten Absichten mir die Wer« zeihung des höchsten Herrn erwirken werden." Die Worte des Greifes hatten meine Bewunderung erregt. Ich befand mich unter Leuten, die in dem Nufe standen, daß sie als Räuber und Mörder in zügelloser Freiheit lebten. Und nun war es eine Verbindung von Brüdern, die fast Alle dieses Namens würdig waren. Ich bewunderte vorzüglich diesen schönen Greis mit seinen so einfachen Grundsätzen von Moral und Recht, der diese Verbindung seit so vielen Jahren regiert hatte. Ich theilte dem Gnise alle meine Gedanken mit, lobte sein Benehmen und versicherte ihm, daß der Erzbischof von Manilla alle feine religiösen Handlungen, die er in so edler Absicht ausgeübt, billigeu würde; ich erbot mich selbst, bei dem Erzbisckoft dahin zu wirken, daß er ihm einen Gehilfen senden möge. Aber der Greis cmtwottete mir: „Nein, mein Herr; ich daM Ihnm. Sprechen Sie nie von Ms. Nu- bürden gewiß glücklich sein, einen Die- — 51 — ncr des Evangeliums hier zu haben, aber bald würden wir auch durch seinen Einfluß dem spanischcn Gouvernement unterworfen sein. Wir winden Steuern zahlen müsse», der Ehrgeiz würde sich unter imS emschleichm, und aus den freien Menschen, die wir jetzt sind, würden Sclaven werden. DaS kann uns nicht glücklicher machen. Nein, noch einmal: sprechen Sie nie von uns; geben Sie mir Ihr Wort darauf!" Sein Raisonnement schien mir so richtig zu sein, daß ich setner Forderung genügte. Ich lodte ihn noch einmal, wie er es verdiente, und versprach ihm, die Ruhe der Vc-wohner seines Dorf'S durch keine Indiscretion zu trüben. Abends empfingen wir den Besuch sämmtlicher Ein» wohner, vorzüglich der Frauen und jungen Mädchen, die von einer unbegrenzten Nrugierde geplagt wurden, einen Weiße» zu sehen. Nicht eine der Frauen von Tapuzi war je aus ihrem Dorfe gekommm, sie hatte ihre Hütte fast nie aus dcm Gesichte verloren. Man kann sich deshalb nicht wundern, daß sie so neugierig waren. In Begleitung des Greises und einiger Alten machte ich am folgenden Morgen einen Gang durch die Ebene und besuchte die Kartoffel- und Maiöfeldcr, die den Einwohnern das Hauptnahrunasmittel bieten. Als wir dahin kamen, wo ich Abends zuvor die enormen Felsblöcke gesehen hatte, blieb der Greis stehen und sagte: „Sehen Sie, Castiltatter, wie Gott die Tapuziner zu eil'er Zeit bestrafte, wo sie noch wie wilde Thiere lebten. ' ,^„/ 4' "- 52 — (Der Tagaler nennt jeden Europäer eincn Castilianer.) Sehen Sie dieses Gebirge, das aller Vegetation baar ist. In einer Nacht erhob sich ein furchtbares Erdbeben, der Berg spaltete sich in zwei Theile, und ein Theil verschlang die Hälfte des Dorf'S, das damals an der Stelle stand, wo jetzt diese ungeheuren Felsen sich befinden. Wäre der Niß einige lnmdcrt Sckritte weiter gegangen, von der Bevölkerung Tapnzi's lcbte nicht eine Person mehr. Aber riu Theil blieb verschont, und ließ sich dort nieder, wo jetzt das Dorf steht. „Seit der Zeit beten wir zn Gott und leben so, daß wir eine so große Strafe nicht verdienen, als die war, die in jener schrecklichen Nacht die unglücklichen Opfer betroffen hat." Die Unterhaltung und die Gesellschaft des Greises, ich könnte wohl sagm des Königs von Tapnzi, waren für mich buchst interessant. Aber ick war bereits mehrere Tage von Jala-Jala fern, und hatte zu fürchten, daß meine Abwesenheit Besorgnisse erregen würde. Ich befahl meinem Lieutenant, die Abreise vorzubereiten. Wir nahmen also Abschied von unsern Wirthen. Zwei Tage später kam ich auf meiner Besitzung an. Ich war zufrieden mit der Reise nach Tapuzi. Meine Anna befand sich in großer Vesorgniß, nicht mir wegen meiner Abwesenheit allein, sondern auch deshalb, weil die Bewohner zweier großen FleHen der Proviyz so zu sagen sich den Krieg erklärt hatten. Die Wüthigsten, drei bis vierhundert von jeder Seite, Men sich auf die Insel Talim begeben. — 53 — Dort standen sie sich einander gegenüber, um cinc Schlacht zu liefern. Bei einzelnen -Plänkeleien waren be-reits einige Opfer gefallen. Diese Nachricht hatte Anna erschreckt. Sie wußte, daß ich nicht der Mann war, der ruhig das Ergebniß des Kampfes i>, seiner Wolmung abwartete. Sie sah mich schon mit meinen zehn Gardisten im ärgsten Gewühle, und vielleicht auch alö Opfer meines AuMeifers. Ich beruhigte sie, wie ich stets pflegte, indem ich ihr versprach, vorsichtig zu sein und sie nicht zu vergessen. Aber ick dürfte keinen Augenblick verlieren, eS mußte einer Collision ein Ziel gesteckt werden, die dm Tod vieler Menschen bewirken würde. Aber was sollte ich mit mein n zehn Gardisten anfangen? Durfte ich hoffen, diese Menge unter meinen Willen zu beugen? Wahrlich ncin! Wollte ich nnt Gewalt ein, schreiten, so hätte ich unS Alle geopfert. Was war nun zn thun? Wollte ich alle meinc Indianer bewaffnen, so fehlte «S an Fahrzeugen, um sie nach Talim zu schassen. In dieser Verlegenheit entschloß ick mich, allein mit meinem Lieutenant zu reisen. Wir nahmen unsere Waffen und bestiegen ein kleines Voot, das wir selbst lenkten. Kaum hatten wir unS dem Ufer soweit genähert, daß die Stimme uns erreichen konntt, als bewaffnete Indianer uns zu ricsen, wir sollten nicht landen, oder man würdc Feuer cxch^nö gckn. Wir achteten dieser Drohung nicht; einige Minuten später sprangen wir an's Land. In kurzer Enlfernuna, be-,iWden sich die Kämpfer. — 54 — Ich liing direct Zu den Führern. „Unglückliche," sagte ich, „was beginnt Ihr? Auf Euch, auf die Anführer, wird die gange Strenge der Ge« setze fallen! „Noch ist es Zeit: verdient die Verzeihung, befehlt Eu« ren Leuten, die Waffen niederzulegen, und zieht Euch mit ihnen zurück. Weigert Ihr Euch, fo stehe ich in wenig Minuten an der Spitze Eurer Feinde, um Euch zu bekam« pfen. Gehorcht, oder man wird Euch Alle wie Nebellen bchandeln!" Sie batten mich aufmerksam angehört — ich sah, daß sie halb besiegt waren. Aber einer von ihuen antwortete mir: „Wenn Sie unö nun die Waffen nehmen — wer steht dafür, daß unsere Feinde nicht kommen und uns angreifen ? " „Ich!" liab ich zur Antwort. „Ich gebe Euch mein Wort darauf. Und wenn sie mir nicht gehorchen, wie Ihr nur jetzt gehorcht, so tomme ich zu Euch Zurück, gebe Euch die Waffen wieder, und kämpfe an Eurer Spitze." Diese Worte, die im Tone dcr Autorität und des Befehls gesprochen wurden, brachten die gehoffte Wirkung hervor. Schweigend traten die Führer heran, und legten ihre Waffen zu meinen Füßen nicdcr. Die Uebrigcn folgten ihrem Beispiele. Nach einigen Augenblicken lag ein ganzer Berg Kara-bincr, Gewehre, Lanzen und Säbel vor mir. — 55 — Ich bezeichnete ein Dutzend Individuen von denen, die mir gehorcht hatten, gab jedem ein Gewehr, und sagte: „Ick Ucrtraue Euch die Aufbewahrung dieser Waffen an. Will man sie Euch entreißen, fo schießt auf die, die sich in dieser Absicht nähern!" Nachdem ich mir ihre Namen hatte angeben lassen, ging ich zu dcr feindlichen Partei, die sich gerüstet hatte, den Feinden entgegenzurücken. Ich ließ sie stlll stehen, indem ich sagte: „Keinen Kampf mehr! Eure Feinde sind entwaffnet. Auch Ihr werdet mir Eure Waffen geben, oder auf der Stelle die Voote besteigen, um zu Eurem Dorfe zurückzu« kehren. Gehorcht Ihr mir nickt, so gebe ich Euern Fcinl den die Waffen zurück, und stelle mick an ihre Spitze, um Euch zu bekämpfen. Führt meinen Befehl aus, und ich verspreche Euch, daß Alleö vergessen sein soll." Man schwankte nicht lange. Die Indianer wußten, daß ich ihnen nur wenig Zeit zum Ucbcrlegcn gab, und daß meiner Drohung die Strafe auf dem Fuße folgte. Nach einigen Minuten stiegen sie Alle in ihre Kähne. Ich blieb mit meinem Lieutenant so lange am Ufer zurüst, bis ich die kleine Flotte fast aus dem Gesichte verloren hatte. Nun ging ich wieder in das andere Lager, wo man mich mit Ungeduld erwartete. Ick kündigte den Indianern an, daß sie leine Feinde mehr hätten, und demnach ruhig in ihr Dorf zurückkehren könnten. Viertes Kapitel. Jala-Jala. Aufenthalt. Gefangene. Don Prudeneio Santos, Alcade von Pagsaüjan. Feste. Jagden. Hamilton Lindsay. Insel und See Socolme. Grotte des San - Matco, 333ie man sieht, so verging fast kein Tag, an dem ich nicht neue Gefahren zu bestehen hatte. Ich gewöhnte mich daran, vertraute meinem guten Sterne, und ging siegreich aus allcn meinen Unklugheiten hervor. Meine Indianer liebten mich, und deshalb durste ich ihrer Treue mich versichert halten. Wie gern war ich bereit, wenn es sich darum handelte, ihnen einen Dienst zu leisten. Meine Sorgfalt ward nicht nur den Bewohnern von Ia«a-Ia!a zu Theil, sie erstreckte sich auch auf die der ganzen Provinz. Jeden Monat ging ick nach Pagsanjan, um dort den Alcaden zu besuchen. Diesen VesuÄ? nannte ich „den Besuch der Verzeihung." In den Gefängnissen des Haupt-ortcS befand sich stets eine große Zahl Gefangener, die sich — 57 — leichte Vergehen hatten zu Schulden kommen lassm. Der Alcade, Don Prudencio de Santos, ein achtbarer und guter Mann, mit dem ich befreundet war, konnte ihnen die Strafe nicht auferlegen, die ihm gerecht erschien. Sein Amt verpflichtete ihn, die Processe einzuleiten, und sie drm Urtheile der Tribunale zu unterstellen. Wie in Europa, so ist auch auf den Philippinen der Gang der Gerechtigkeit träge. Wieviel dieser Unglücklichen warteten Jahre laug auf ein Urtheil, das ihnen die Frei? hcit zurückbringen sollte. Kam ich in Pagsanjan an, so brachten mir die Verwandten oder die Freunde der Gefangenen Bittschriften, und baten um meine Verwendung. Ich untersuchte die Vergehen, deren sie sich schuldig gemacht. Fand ich, daß sie eine einfache Züchtigung verdienten, so fragte ick, ob sie mit der zufrieden sein wollte», die mir angemessen erschiene. Ihre Antwort war stetö eine bejahende. Ich verhandelte nun mit dem Alcaden über die Strafe, die mein Client erhalten sollte. Waren wir einig, so schickte ich einen Befehl nack dem Gefängnisse. Mein Indianer unterzeichnete eine Sänift, in der er sich mit meinem NuSspruche zufrie-tcn «klärte und daß er ihn angerufen habe. Nun empfing er die Züchtigung, die ich für ihn erwirkt hatte, und er ward unwiderruflich in Freiheit gesetzt. Kehrte ich Abends nach nmner Vesitzuug zurück, so fand ich die, die mir ihre Freiheit verdankten, auf dem Wege. Sie küßten mir die Hand als Zeichen ihrer Dauk-backeit. 3iach solchen Besuchen empfand ich cine süße Gcuug- — 58 — jhmmss, ein Glück, das nur der zu Batzen vermag, dcr selbst einen Gefangenen dcr Freiheit zurückgegeben hat. Meine Indianer unterwarfen sich mir blindlings. Ihrer Treue, ick wiederhole es, war ich so gewisi, daß ich die Vorsichtsmaßregeln ferner nicht mehr ergriff, die ich während des ersten Jahres meines Aufenthaltes in Jala-Jala angewendet hatte. Meine Anna lheilte meine Arbeiten, meine Sorgen, und selbst einen Theil meiner Gefahren. Wie glücklich war fie, wenn sie mich, selbst nach einer kurzen Abwesenheit, wiedersah! Die Freude strahlte m ihrem Antlitze. Ihre Zärtlichkeiten waren ein Balsam, der mich alle meine An« strengungcn vergessen »nackte. Ibre Vorwürfe selbst, die sie mir sanft wegen dcr Uonihe machte, die ich ihr bereitet, warm nur ein süßes Gluck. Die Beweise von Dankbarkeit, die meine Indianer unausgesetzt an den Tag legten, kanu ich nur lobend berichten. Kam der Geburtstag m hm haben." Einen Monat lang behandelte ick den unglückliche» Iägcr. Ich hatte das Glück, seine Wunden zu heilen, aber er erklärte den Ebern, die er als seine bittersten Feinde bttrachtett, emcn Krieg auf Tod und Lcben. 5* — 68 — Die Jäger, die eine weniger ermüdende Jagd liebten, bestiegen kleine Barken, und jagten Wasservögel, die auf den kleinen Inseln zwischen Jala? Jala und der Insel Ta-lim in Menge vorhanden waren. Hier lagen sie einer Jagd ob, die in Europa unbekannt ist, nämlich der anf große Fledermäuse, eine Art Vamftyre, welche die Naturforscher unter dem Namen 3lns-setten kennen. Während sechs Monaten im Jahre, zur Zeit der Wcst-Passat-Winde, sind alle Bäume dieser kleinen Inseln, vom Gipfel bis zu dem untersten Zweige, mit diesen Fledermäusen bedeckt. Sie ersetzen die Blätter, deren die Bäume völlig beraubt sind. Gingewickelt in ihre großen Flügel, schlafen diese Thiere am Tage; Nachts schwärmen sie in großen Haufen alls, um sich fern her ihre Nahrung zu holen. Tritt der Ost.-Passat-Wmd ein, so verschwinden sie. um sich nach der Küste von Lü?on zu flüchten; sie wählen dort stets dieselben Orte. Aendcrt sich der Passatwind wieder, so kehren sie zu ihrem alten Aufenthaltsorte zurück, Sobald meine Gäste den Fuß auf eine dieser Inseln setzten, begannen sie die Füsilade, die so lange dauerte, bis die Fledermäuse, erschreckt von dem Schießen und von dem Schreien der in den Zweigen hängen bleibenden Verwunde-ten, in Masse davonflogen. Wie eine große Wolke schwärmen sie eine Zeit lang über ihrer Wohnung, dann lassen sie sich auf einer der kleinen benachbarten Inseln medcr. — 69 — Sind die Jäger des Blutbades nicht müde, so können sie dort ihre Jagd von Neuem beginnen; aber es finden sich stets Opfer genug vor, und man beschäftigt sich dann, sie unter den Bäumen aufzusuchen, von denen sie herabgefallen sind. Ist die Fledermaus«Jagd vorbei, so amüsirt man sich cms Iguana's zu schießen, eine Art Eidechse von fünf bis zehn Fuß Länge, die in den Felsen am Ufer des See's wohnen. Ist man der Jagd, wozu keine GeschiHlichkeit erforderlich ist, müde, so besteigt man die Kähne, und genießt noch ein anderes Vergnügen: man scbießt auf die Adler, die in der Luft kreisen. Hierzu ist aber eine große Gesclucklichkeit und cin sehr sicheres Auge erforderlich, denn die Adler stbwcbm stetS so hoch, daß man sie nur mit einer Kugel erreichen kann. Dann kehrt man in den mit Wildpret angefüllten Kähnen nach Hause zurück, und Jeder hat irgend eine Heldenthat zu erzählen. Der Iguana und die Fledermaus haben ein saftiges, zartes Fleisch; aber was den Geschmack anbetrifft, so kommt Alles auf die Einbildung an, wie man sehen wird. Nach einer diescr großm Jagden auf den kleinen Inseln sagte mir ein junger Amerikaner, daß er und seine Freunde die Iguana's und Fledermäuse zu kosten wünschten. Da ich Alle damit einverstanden glaubte, so gab ich Meinem Haushofmeister den Auftrag, cin Carit von Iguana's und ein Ragout von Fledermäusen bereiten zu lassen. DaS Mittagessen begann mit dem Carit. — 70 — Alle speiste» mit dem besten Appetite. Da sagte ich zu einem von ihnen: „Sie sehen, daß der Iguana ein delicateS Fleisch hat." Bei dem Worte Iguana wechselten alle meine Gäste die Farbe; unwillkürlich stießen sie die Teller zurück, »nd konnten selbst das Stück nicht verschlucken, daS sie im Mundc hatten. Man mußte die Iguana's und Fleder« dermäuse abtragen lassen, damit sie ihr Mahl vollenden konnten. So oft ich konnte, begleitete ich nmnc Gäste. Dann warm die Jagden stets ergiebig und interessant, weil ich sie in wildreiche und Pitore6ke Gegenden führte. Einigemal führte ich sie nach der Insel von Socolm, die noch interessanter ist, als die Fledermaus-Inseln. Socolm ist ein runder See von einer Meile im Umfange; er liegt in der Mitte eines großen See's, von dem er durch einen Erdgürtcl geschieden ist, odcr richtiger gesagt, durch ein schmales Gebirge, das sich mehr als fünfhundert Metres über die Wasserfläche erhebt. Die Abhänge siud mit prachtvollen großen Väumen bedeckt. Nach dieser Seelüste gchen die Indianer niemals, aus Furcht vor den CaimanS, und darum nistcn dort fast alle Wasservögel des großen Ser'S. Jeder Baum ist von oben bis unten mit Mist bedeckt, und in diesem Miste befinden sich eine Menge Eier und Vögel. Eines Tages führte ich meinen Bruder und Hamilton Lindsay, einen eben so unerschrockene» Reisenden als wir selbst wann, in einem kleinen Boote nach dem Gebirge — 7l — von Socolm. Mit Hilfe einiger Indianer führten wir die^ sen schwierigen Plan auö. Wir waren die ersten Touristen, die sich auf den See von Socolm wagten. Die Indianer, die uns auf dieser Spazierfahrt begleiteten, weigerten sich, weiter zu fahren; sie hielten am Ufer an und botei, ihre ganze Veredtsamkeit auf, um uns von unserer Absicht abzubringen. „Sie sehen sich unnütz einer grosien Gefabr aus," sagten sie, „gegen die eS kein Verlheidigungömittel giebt. Sie werden bald auf dem Grunde des Wassers Tausende von Caimans sehen, die Sie angreife». Wie wollen Sie sich gegen diese unverwundbaren Feinde vertheidigen, die Ihre Kugeln nicht erreichen? Glauben Sie, daß Sie ihnen durch die Flucht entkommen? Da täuschen Sie sich. Die fürchterlichen Thiere smd in ihrem Elemente rascher, als Ihr Kahn. Sobald Sie in ihrem Bereiche sind, beginnen sie auch ein fürchterliches Blutbad, dem zu entkommen eine Unmöglichkeit ist." Diese Bemerkungen waren nickt ungegründet, und sicherlich war es eine UnkluglM, in einem elenden Kahne einen See zu befahren, der mit einer Menge Caimans bevölkert ist. Aber Gefahren und Schwierigkeiten haben uns nie« Mals zurückgeschreckt, wie man bereits gesehen hat. Ohne uns um die Prophezeiung meiner klugen Indianer zu kümmern, hatten wir während ihrer langen Rede unsere Vor-bereitungen getroffen, und wir betraten unser Boot. Kaum war cö eine Strecke vom Ufer entfernt, als wir Alle von einer gewissen Bewegung ergriffen wurden. Ohne __ ^2 __ » Zweifel ward sie von der Nähe der Gefahr erregt, von dem Anblicke der Gegend, die siä, vor uns aufrollte. Wir befanden uns in einem Scblunde, der rings von holzen, mit dichter Waldung bedeckten Bergen eingeschlossen war. Ueberall bildete sich eine Wand, die uns unübersteig-lich erschien. Der Schatten, den diese Berge in den Schlund warfen, brachte eine Dämmerung hervor, die, verbunden mit dem Schwelgen in dieser Einöde, einen traurigen, melancholischen Anblick erzeugte. Unwillkürlich bemächtigte sich unser eine Beklemmung, die uns verhinderte, uns gegenseitig unsere Beobachtungen mitzutheilen. Aber unser Kahn entfernte sich immer weiter von dem Orte der Abfahrt; er glitt leicht über diesen flüssigen Schleier, der m'e von ungestümen Winden bewegt, und nur dann von der Sonne beschienen ward, wenn sie im Zenith stand. Die herrschende Stille ward plötzlich durch das Erscheinen eines Caimans unterbrochen; er streckte seinen scheußlichen Kopf aus dem Wasser, öffnete seine ungeheure Schnautze, als ob er uns drohen wollte, und schwamm ans uns zu. Der Augenblick war gekommen. Das große Drama, das unsere Indianer angekündigt hatten, sollte in Erfüllung gehen, oder alle unsere Furcht verscheucht werden. Es war kein Augenblick mehr zu verlieren. Wir mußten unS entschließen, entweder dem Feinde zu entfliehen, oder uns seinem Angriffe preisgeben. Ick leitete den Kahn. Mit Aufwendung aller meiner Kraft suchte ich ihn den, Ufer zuzuleiten; aber das fürch? — 73 — terliche Thicr gewann so rasch einen Vorspnmg, daß es uns fast erreichte. Da feuerte Lindsay anf gutcö Glück stin Gewehr auf den caiman ab. Der Knall brachte cine wunderbare Wirkung hervor und verscheuchte alle unsere Besorgnisse. Er unterbrach auf die eclatanteste Weise die Stille, die bis dahin rings geherrscht hatte. Der Caiman fuhr erschreckt auf den Grund zurück. Unzähltche Echo's, als ob ein Tirailleurftuer stattfände, setzten sich bis zu dem Gipfel der Berge fort, und ein Schwärm Seeraben stieg auö den Bäumen auf, ein durchdringendes Sckreim ausstosiend, in das sich das Freudengeschrei der Indianer mischte, die vom Ufer aus den Schrecken und die Flucht des befürchteten Feindes bemerkt hatten. Völlig beruhigt, setzten wir friedlich unsere Spazierfahrt fort. Von Zeit zu Zeit erschienen einige Caimans, aber die Schüsse unserer Gewehre trieben sie in ihre Wohnungen zurück. Wir näherten uns großen Bäumen, deren Zweige über den See hinabhingm. Diese Zweige waren mit Nestern bedeckt, die bis an dm Rand mit Eiern gefüllt warm, und eine so große Menge jm'ger Vögel saß darin, daß man hätte mchre solcher Kalme damit anfüllen können, als der war, in dem wir fuhren. Die durch unsere Schüsse ersclmcktm Seeraben schwärmten unaufhörlich wie eine große Wolke über uns; sie wollten sich von dem Orte nicht entfernen, an welchem sie ohne Zweifel mütterliche Sorgfalt zurückhielt. — 74 — Nachdem wir eine Tour über den ganzen See gemacht hatten, kämm wir an den Ort der Abfahrt zurück, wo imS die Indianer erwarteten, uni unö bei einer zweiten Fahrt in dem Boote zu hclsm. Wir wollten indeß diese Spazierfahrt nickt beenden, ohne etwas für die Wissenschaft gethan zu haben. Wir maßcn alfo den Umkreis deS Scc's, der fast vier Kilometres betrug. Die größere Tieft nach dcr Mitte zu konnten wir nicdt mcssm, aber in kurzer Ontfermmg von dem Ufer fanden wir überall, daß sie hunderlvierundzwanl zig Fuß betrug. Es ist bemerkcnswerth, daß der See von Bay nirgends tiefer als sechzig Fuß ist. Von Socolm führte ich mcme Gäste auch nach Los Vannos, an den Fuß emcü mehr als tausend Metres hohen Gebirges, wo aus schönen Quellen kochendes Wasser sprudelt, das sich in dm See ergießt. Durch die Mischung der Wässer entstehen Väder aller Temperaturen, wie man es nur immer wünsclim kann. Auch ist hier auf dm Hügeln die Jagd ergiebig und leicbt. Holz- und wilde Tauben sind in großer Zahl von banden, sie sitzen ruhig auf ten großm Bäumen und harren ohne Mißtrauen dcr Jäger, die nie die Vädcr verlassen, olme ihre Jagdtaschen damit angefüllt zu haben. Zuweilen gab ich ihnen auch daö imposante Schauspiel einer Büsscljagd; abcr seitdem dem armen Ocampo das Unglück widerfahren, erlaubte ich keinem Fremden mehr, an den Gefahren derselben lheilzmiehmen. Sie mußten auf Bäumen oder Bergen ihre Plätze nehmen, um in völliger Sicherheit dieses Schauspiel genießen zu können. — ?ä — Die Tage der Ruhe verbrachten wir in den an die Fruchtfclder grenzenden Gehölzen, und lieferten den Affen, den gefährlichsten Feinden unserer Erndtcn, Schlachten. Sobald ein kleiner, zu diesen Affenjagden abgerichteter Hund uns durch sein Gebell anzeigte, daß die Marau-deurs sich näherten, begaben wir uns an den Ort, und das Gewehrfcucr begann. Der Schrecken fubr in die kleine Familie; jcdcr verbarg sich auf seinem Vaumc, und machte sich so gut als möglich unsichtbar. Aber der kleine Hund verließ den Fuß des VaumeS nicht. Wir umgaben den Baum, und stets entdeckten wir den, der sich darauf verborgen hielt. DaS Schießm begann dann von Neuem, biö er siel. Waren uns mehre Opfer gefallen, so ließ ich sie an Galgen, die rings um die Iuckcrfclder errichtet warm, aufhängen, um die Entflohenen zu erschrecken. Aber der größte ward stets dem Vater Miguel, meinem guten Pfarrer, gebracht, für den cin Affenragout die größte Delicateffe war. Oft auch führte ich meine Gäste mehre Tagemärsche Weit von Jala-Jala, um ihnen bewunderungswürdige Gegenden, Wasserfälle, Grotten oder die prachtvolle, üppige Vegetation der Philippinen zu zeigen. Eineö Tages schlug mir Hamilton Lindsay, der kühnste Reisende, den ich je gekannt, derselbe, der mich auf dem See von Socolm begleitet hatte, vor, eine Partie nach der Grotte von San-Matco zu machen. Mehre Reisende, auch ich, hatten zwar diese Grotte schon besucht, aber nur — 76 — so unvollständig, daß man nur einen kleinen Theil derselben kennen gelernt. Dieser Vorschlag war dergestalt nach meinem Geschmacke, daß ich ihn mit Eifer annahm. Aber diesmal wollte ich nicht wie sonst zurückkommen, das heißt, ohne alle nur möglichen Versliche angestellt zu haben, um die Grotte in ihrem ganzen Umfange kennen zu lernen. Lindsay, mein Vrnder und ein Arzt, dessen Namen ick verschweigen will, faßten mit mir den Entschluß, zu erforschen, ob Alles, was unS die Indianer von dieser Grotte sagten, einige Wahrscheinlichkeit hatte, oder ob ihr poetischer Geist Wunder erfunden, die nicht existirten. Ihre alten Traditionen gaben dieser Höhle einen un, geheucrn Umfang. Man sähe darin, sagten sie, Feenfta, laste, mit dcncn sich Nichts vergleichen lasse, und diese Pa, laste dienten fantastischen Wesen zur Residenz. Da wir unS vorgenommen hatten, alle diese Wunder selbst zu sehen, so traten wir die Neise nach San-Mateo an. Ein Indianer, der unß begleiten mußte, nahm Hacke und Schaufel mit, nm nns Bahn zu brechen, wenn Aus, ficht vorhanden war, nnsere Promenade über die bereits be, kannten Grenzen auszudehnen. Auch nahmen wir den zur Ausführung unsers Plan's nöthigen Vorrath an Fackeln mit. Wir kamen zeitig bei San-Mateo an. Den Nest des Tages verbrachten wir damit, die be, wundmmnawm'digen Gegenden iu der Nähe des Fleckens in Augenschein zu nehmen. Wir stiegen auch in das Bett eims Wassersturzes — 77 — hinab, der ftme Quelle in dm Bergen hat, n»d nördlich von dein Flecken herabfällt Hier sahen wir mehre India: mr und Indianerinnen, die Goldstaub ans dem Sande wuschen. Das Resultat einer täglichen Arbeit von vier Stunden schwankte zwischen einem Werthe von zwei bis acht und zehn Francs. Es richtet fick di«s nach der mehr oder minder ergiebigen Ader, die der Zufall entdecken läßt. Diese Industrie, die Bebauung der mit außerordentlicher Fruchtbarkeit begabten Ländereicn und das vortreffliche Bauholz der benachbarten Gebirge sind der ganze Reichthum der Bewohner, die im Allgemeinen in Glück und Ueberfl»si leben. Kaum dämmerte der nächste Morgen, so traten wir den Weg nach der Grotte an, die zwei Stunden von dem Flccken entfernt liegt. Anfangs war der Weg, der sich zwischen köstlichen Nciß, und Betel-Pflanzungen hinzieht und selbst von ei; ner Prachtvollen Vegetation eingerahmt ist, leicht zu ftassi» ren; aber ungcfäbr in der Mitte seiner Ausdehnung ward er schwierig und gefährlich; er weicht von den bebauetcn Fek dern ab, und zieht sich an den Ufern deS Flusses hin. Bald mußten wir von einem Ufer zu d,!M andern schwimmen, um die kleinen Fußwege zu benutzen, die sich uns zeigten. Viö in kurzer Entfernung von der Grotte ward die Ein-förmigkeit dieser wildm G^rndcn durch Nichts unterbrochen. Man geht inmitten einer Schlucht, wo die Aussicht , nach allen Seiten durch Felsen begrenzt wird. Aber bei einer starken Biegung, die der Fluß macht, wird plötzlich das Auge durch den Anblick eines Panora» — 78 — ma's geblendet, das sich langsam und mit feenhafter Pracht entrollt. Man denke sich einen Strom am Fuße zweier ungeheuern pyramidenförmigen Verge, beide vollkommen einander ähnlich und von derselben Hohe! Der Zwischcnraum, der sie trennt, gestattet einen Blick in das Weite und läßt den Hintergrund eines Bildes entdecken, das zu beschreiben eine Unmöglichkeit ist. Zwischen den beiden Niesm öffnet sich dem Flusse eii, Auögang, und vor den Füßen des Wanderers stürzt er sich auf Klippen herab, die durch enorme Blöcke von wei« ßcm Marmor gebildet werden. Das klare und durchsichtige Wasser spielt über alle Hindernisse hinweg, die seinen Lauf hemmen. Mitunter bildet es eine brausende Cascade, dann verschwindet es wieder am Fuße eincS großen Felsens, um bald darauf schäumend und zischend wiederzuerscheinen, als ob eine übernatürliche Kraft es aus den Eingeweiden der Erde schleuderte. Weiterhin bildet es noch eine Menge kleiner Wasserfalle, dann stießt es ruhig wie ein silbergewirktcs Tuch in einem Bette von glänzend weißem Marmor fort. Nachdem es alle Klippen überwunden, fließt es endlich friedlich in einem bescheidenen Bette weiter. Die üppige Vegetation, welche die Ufer bedeckt, strahlt der helle Wasserspiegel zurück. In diesem Gebirge nun, am rechten Ufer des Fluft scs, befindet sich die berühmte Grotte. Man überschreitet den Fluß, indem man von einem Felsblocke zum andern springt. Nachdem man einen Abhang himmtergcklettcrr, befindet man sich an dem Eingang« — 79 — der Grotte, in die ich meinen Leser Schritt vor Schritt führen werde. Dieser Eingang von einer fast regelmäßigen Forin stellt den gewölbten Porticuö einer Kirche dar, der mit grünen Schlingpflanzen und frischen Lianen umwunden ist. Kaum hat man die Schwelle überschritten, so befindet man sich in einer breiten, geräumigen Vorhalle, die mit Tropfstein von gelblicher Farbe ausgelegt ist. Ein Heer Fledermäuse, erschreckt durch das FackelMt, rauscht empor und stürzt sich durch den Ausgang der Grotte. Ist man einige hundert Schritte weit in dein Innern vorgedrungen, so wird die Decke höher und der Gang geräumiger. Aber Plötzlich verschwindet die Decke, und der Gang verengert sich dergestalt, daß er nur einem einzigen Menschen Naum bietet, und dieser ist noch gezwungen, auf Händen und Knieen zu kriechen. In dieser unangenehmen Lage muß man einige hundert Metres zurücklegen. Dann erweitert sich der Gang abermals, und die Decke erhebt sich mehre Toisen. Aber bald muß man ein neues Hinderniß übersteigen; eö gilt eine Mauer von zwei bis drei Ellen Höhe zu überspringen. Unmittelbar dahinter befindet sich die gefährlichste Stelle der Höhle. Zwei ungeheure Schlünde gähnen den Unklugen an, der mit seiner Fackel in diesem finstern La< byrinthe nicht sehr vorsichtig weiter geht. Wirft man Steine in diese Schlünde, so beweis't der schlvere, dumpfe Fall auf den Boden, daß sie mehre hundert Mctres tief sein müssen. Nun wird der Gang breit und gcrämmg, und bietet — 8« — nichts Vemerkenswerthes, bis zu dcm Orte, wo die bisher angestellten Nachsuchuugm zu Ende gewesen. Hier scheint er sich in einer Nundung zu schließen, die durch mancherlei Gestalten des Tropfsteins gebildet wird. Man glaubt einen von Säulen getragenen Dom zu sehen. Dieser Dom enthält einen kleinen See, aus dem stets ein Bach rinnt, der sich in den Scklündm verliert, von denen ich bereits gesprochen habe. In diesen: Theile stalten wir nun ernstliche Nachfort schungen an, um zu ergründen, ob eine Verlängerung unserer unterirdischen Promenade möglich sei. Wir untersuchten mehremai den See, nber wir fanden Nichts, das unsere Wünsche begünstigte. Dann wandten wir unS nach recktS, und untersuchten bei dem Scheine der Fackeln jede kleine Vertiefung, die wir in der Wand bemerkten. Nach mancherlei »nftuchtbaren Bemühungen entdeckten wir endlich eine Svalle, durch die man kaum mit dem Arme greifen tonnte. Indem wir eine Fackel hineinbrachten, sahen wir zu unserer großen Überraschung einen großen Raum, dessen Krystallwände blitzten. Diese Entdeckung erweckte den lebhaften Wunsch, das näher zu prüfen, wag wir jetzt so unvollkommen sahen. Der Indianer erweiterte mit seiner Hacke und seiner Schaufel die Ocffnung, durch die wir einzutreten hofften. Um cinen Einstmz zu vermeiden, arbeitete er langsam und in schwachen Schlägen. Das Gewölbe, das über unsern «Häuptern hing, — 8l — konnte uns verschütten, und man wird sehen, daß die an-gewendete Vorsicht nicht unnütz war. In dem Augenblicke, wo unsere Hoffnungen in Erfüllung gehen sollten, und wo die Dcffmmg bereits so groß war, um un« den Eingang zu gestatten, erhob sich über uns Plötzlich ein dumpfe« und anhaltendes Brausen, das uns vor Schrecken erstarren machte. Die Decke ward erschüttert, und schien auf uns herabzustürzen. Während eines kurzen Augenblick's, der uns wie eine Ewigkeit erschien, standen wir versteinert da. Unser In-dianer selbst stand unbeweglich wie eine Bildsäule, die Hand auf den Stiel seiner Hacke gestützt, in derselben Pos sition, in der er sich befand, als er den letzten Schlag g» than. Nach einem Augenblicke feierlichen Schweigens erholten wir unö ein wenig von unserm Schrecken, und wir untersuchten die Gefahr, die uns bedroht hatte. Neber unsern Köpfen zeigte sich ein breiter Riß in der Decke, drr einige Metres weit fortlief. Gegen die Wand hin, wo er endete, sahen wir einen ungeheuern Felsen, der sich losgerissen hatte, aber in seinem Fallen durch eine,, von der Vorsehung gefügten Glücksumstaud aufgehalten worden war. Der Kopf der Hacke, deren Spitze in einem harten Boden fest saß, hatte ihm als Stützpunkt gedient, und auf diesem Glückspfciler hing er über der Oeffnung, die wir angebracht hatten. Nachdem wir unö hinlänglich überzeugt, daß die Hacke und der Felöblock sicher standen, faßtfn wir den Entschluß, Abent. c, b«t. Gdchn. 'c. 2. Vd. h __. «2 __ einer nach dem andern durch diese gefährliche Oeffmmg zu schlüpfen. Der Doctor, der bis dahin geschwiegen hatte, erschrak so heftig über diesen Vorsatz, daß ihm die Stimme versagte, als er uns bat, ihn zurückzuführen. Als ob er plötzlich von einem Sänvmdcl ergriffen würde, sagte er mit stockender Stimme, daß ihm der Athem fehle, daß er dem Ersticken nahe sei, und daß sein Herz mit großer Heftigknt schlage; er fügte hinzu, daß er an einem Pulsaderbruche stürbe, wenn er noch länger inmitten der Gefahren bleiben müsse, denen wir uns aus« sehten. Er bot dem. der ihm das Leben rettete. Alles, was er besaß; er bat unsrrn Indianer mit gefalteten Händen, ihn nicht zu verlassen und ihn zu führen. Wir hatten Mitleiden mit ihm, und erlaubten dem Indianer, seine Bitte zu erfüllen. Sobald der Indianer zurückgekehrt war und wir die Gewisibeir hatten, daß die Ursache unscrü augenblicklichen Schreckens festgebannt stand, brachten wir unsern Vorsatz zur Ausführung. Wir glitten einer nach dem andern durch diese gefährliche Oeffnung, die kaum genügenden Naum für eincn unserer Körper bot. Wir dachten bald nicht mehr der Gefahr, die uns bedroht hatte, eben so wenig der Unklugheit, die wir be» gingen, denn unsere ssanze Aufmerksamkeit ward von dem in Anspruch genommen, was sich unsern Blicken bot. Wir befanden uns in einem ungeheuern Saale, der, einen magische,,, feenhaften Anblick bot. — 83 — Die Decke, der Vodcn und die Wände strahlten mit, blitzten in dem Liä,te unserer Fackeln, als ob sie mit dem durchsichtigsten Krystall bedeckt wären. An einigen Stellen schien die Hand des Menschen die Ausschmückung dieses entzückenden Palastes geleitet zu haben. Tropfstein mid Warzenstein, durchsichtig wie das flüssige Wasser, aus dem sie entstanden, bildeten die seltsamsten Gestalten; sie stellten glänzende Draperien dar, Säulenreihen, Kronleuchter und Candelaber. An dem einen äußersten Ende, dicht an der Mauer, sah man einen Altar mit seinen Stufen, der den Prediger zu erwarten schien, um hier die Messe zu lesen. Gs würde meiner Feder unmöglich sein, Alles, was uns hier zur Bewunderung hinriß, zu beschreiben. Wir glaubten wirklich, daß wir unö in einem Palaste aus „Tausend und einer Nacht" befänden. Die Indianer selbst hatten nur einen schwachen Theil der Wunder geahnt, die wir hier entdeckten. Nachdem wir diesen glänzenden Palast verlassen, setz-ten wir unsern unterirdischen Spaziergang fort. Wir dran? gcu immer tiefer in die Eingeweide der Erde. Ein krum« mes Labyrinth von einer halben Meile bot nichts Bemer-kenswerthes, wenn wir die Gefahr lmberücksichtiat lassen wollen, die uns von Zeit zu Zeit unsere unbezähmbare Neugierde zuzog. An einigen Stellen hatte die Decke nicht mehr die Festigkeit des Steins, die Erde allein erhob sich hier, und "st kürzlich stattgehabte Einstürze bewiesen. daß leicht be- 6' — 84 — trachtliche Hindernisse entstehen tonnten, die uns den Nück^ weg abschnitten. Dessen ungeachtet setzten wir linsern abenteuerlich«!: Weg fort, und wir kamen in einen neuen großartigen, präche tigen Naum, der, wie der erste, in Tropfstein strnhlie nnd ih,n an Schönheit in seinen Einzelnheiten Vcichtö nachgab. Nir unterwarfen auch diese unS umgebenden Wunder einer sorgfältigen Prüfung; wie Prismen strahlten sie den Schein unserer Fackeln zurück. Einige Warzensteine, groß und rund wie Haselnüsse und glänzend wie Znckerfrnättc, nahmen wir uon dem Vui dm auf. Einige Tage später befanden wir uns auf einem Balle in Manilla; wir prüsentirtcn dicsc Russe den Damen, und diese brachten sie sofort zu dem Munde, um sie aufzuknacken; aber als sie die Täuschung gewahrten, wollten sie sie behalten, um, wie sie sagten, sich Ohrgehänge dar? aus machen zu lassen. Nachdem sieb unsere Augen an diesem schönen und glänzenden Schanspiele gelabt, machten sich Hunger und Ermüdung fühlbar. Wir hatten in diesem dunkeln Sollterrain einen Naum von mehr alö vier Kilometres durchschritten; seit dem Morgen hatten wir ireder Spcise noch Trank zu n»S genommen, und der Tag war bereits vorgerückt. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, daß die morali, sche Kraft vcrhältnißmäßig mit der physischen abnimnn, und ohne Zweifel befanden wir uns in diesem Zustande, alS düstere Voraussetzungen unsere Einbildung heimsuchten. Einer von uns warf nämlich die Bemerkung hin, daß — 85 — cine Vrrschüttung stattfinden und uns von dem Ansgangc trennen könne, oder, was noch wahrscheinlicher war, dasi der nngehcllere Felsen, der auf unserer Hacke schwebte, das Gleichgewicht verlieren, herabstürzen und uns jeden Auös gang versperren tonne. In welcher entsetzlichen Lage würden wir uns befinden, wenn ein solches Unglück einträte! Auf eine Hilfe von außen bcr konnten wir nicht hoffen, selbst nicbt auf dic unseres Freundes, des Doctors, dcn die Furcht völlig bestürzt gemacht hatte. Unsere Dolche wären dic einzige Zuflucht gewesen, um nicht langsam in einem Grabe abzusterben. Alle diese Betrachtungen, die wir eine nach dcr andcrn cmalysirten, veranlaßten uns zu dem Entschlüsse, den Rück« weg anzutreten nnd andern Unklugen, wenn sich deren fins den sollten, dic Erforschung des Namncö zu überlassen, der noch vor uns lag. Wir hatten bald dte Strecke hinter uns, die uns von dem Orte trennte, den wir am meisten zu fürchten hatten. Die Vorsehung war uns hol?; die Hacke unterstützte immer noch den Felsen, der so lebhafte Befürchtungen in uns erregt hatte. Indem wir soviel nls möglich das lcistste Anstreifen an die Hacke und dcn Felsen vermieden, glitten wir, einer nach dem ardern, abermals durch diese Ocffnung. Als wir uns außcr Gcfahr sahen, traten wir fröhlich dcn Weg nach dem Ausgange an. Da plötzlich schte uns ein dumpfes und anhaltendes Gernuscb, wobei dcr Boden unter den Füßen erbebte, von Neuem in Schrecken. Aber bald wur- — 86 — den wir beruhigt, der Indianer kam zu uns, und zeigte uns seine frei gemachte Hacke. Der Unbesonnene hatte sie nicht einbüßen wollen; nachdem er gewartet, daß wir uns einige Schritte entfernt, hatte er sie, indem er davoneilte, durch einen starten Ruck bei dem Stiele herausgezogen. Der Vorsehung oder seiner Schnelligkeit hatte er zu danken, daß er von dem Felsblocke nicht zerschmettert wurde, der, seiner Stütze beraubt, auf den Boden gestürzt war und nun völlig den Ausgang verschüttet halte, der unS soeben noch freie Bahn gelassen. Es war ersichtlich, daß nach »ins Niemand mehr den schönen Theil der Grotte wurde betreten können, den wir so glücklich gewesen kennen zu lernen. Nach dieser lchtm Episode liesien wir uns nickt lange bitten, den Nusgang aufzuflicken. Nicht ohne eine lebhafte Freude begrüßten wir das Licht der Sonne. Unsern Freund, dm Doctor, fanden wir auf eincm Marmorblocke, Betrachtungen über unser langes Ausbleiben und unsere Uncrschro-ckcnheit anstellend. Vielleicht wird man die Schilderung der Genüsse nnd Aufregungen, aus denen mein Leben in Jala-Jala bestand, für übertrieben halten; aber ich versichere, daß ich nur die Wahrheit berichte, und es würde mir leicht sein, mehre Personen zu nennen, die berett sind, die Wahrheit meiner Berichte zu bestätigen. Es haben übrigens mehre Rcismde, die einige Zeit auf meiner Besitzung gewesen, Bilder von meinem Leben unter dm mir ergebenen Indianern veröffentlicht. — 87 — Ich fähre unter andern „die Neise um die Welt" des unglücklichen Dümont-d'Oruille und die des Mceadnmals Laplace an; in einer jeden derselben wird man specielle Ar-tiüel iibcr Jala «Jala finden. Ich tonnte ebenfalls Thomas Dent anführen, der jetzt in London lebt; er befand sich einige Zeit anf Jala-Jala, und hat mick auf mehren meiner abenteuerlichen Auöflüsse bcglettct. Ich war glücklich, ihn in Europa wieder anzutreffen und ihm die Dienste iu das Gedächtniß zurückzurufen, die er mir so freundlich geleistet Hai. Fünftes Kapitel. Der Viceadmiral Laplace. Matrosen, die von ber Artemisia descrtirt waren. Der Kapitain dcS Schiffes Paris. Tagaler. Ceremonien. Hciraihen, Der Caiman. Die Voa-Schlangr. M. R. G. Rüssel. Dajon « Pawy. Alin-Moramy. Heuschrecken. !Va ich einmal Herr,, Laplace genannt, will icb cine kleine Anekdote von ihm erzählen, in der er eine Nolle spielt, und die cm Zeugniß von dem Einflüsse ablegen wird, den ich überhaupt in der ganzen Provinz Laguna ausübte. Mehre Matrosen von der Equipage der Fregatte Are tcmifia, die der Viceadmiral Laplace befehligte und deren Kapitain er damals war, hatten in Manilla sich heimlich entfernt. Trotz der Nachforschungen, die das spanische Gouvernement hatte anstcllcn lasse», war eö unmöglich gewesen, den Zufluchtsort von vicr dieser Matrosen zu entdecken. Herr Laplace brachte einige Wochen auf meiner Ves fihlmg zu. — 89 — Der Gouverneur hatte ihm gesagt: „Wenn Sie Ihre Leute wieder haben wollen, so wenden Sie sich an Herrn de la Gironi<'re. Niemand ist fähiger sie zu entdecken, als er. Bringen Sie ihm den Befehl von mir, er möge Nachsuchungen anstellen lassen." Herr Laplace übergab mir diesen Befehl; aber ich war zu unabhängig, um an die Ausfülmma. desselben zu denken. Ich befaßte mich nicht mit Deserteuren. Einige Tage später kam ein Kapital» mit hundert Soldaten in Jala-Jala an. Er benachrichtigte Herrn Laplace, daß er die ganze Provinz durchsucht, aber durchaus keine Spur von den Deserteuren entdeckt habe, denen er seit vierzehn Tagen nachspüre. Diese Nachricht betrübte Herrn Laplace. Er kam zu mir und sagic: „Hcrr de la Girouiire, ich sehe, dasi ich gezwungen sein werde, ohne die entflohenen Leute unter Segel zu gchm, wenn Sie sich der Nachforschung nach denselben nicht uu« terzichen wollen. Ich bitte Sie, opfern Sic mir einen kleinen Theil Ihrer Zeit, indem Sie mir diesen Dienst leisten." Dies war kein Befehl mehr, eö war eine Bitte. Mcmc Antwort darauf ließ nicht lange auf sick warten. „In einer Stunde, Commandant, breche ick auf, und ehe acbtundvierzig Stunden verflossen sind, werden Ihre Leute hicr sein." „Merken Sie sich tvohl," antwortete er, „daß Sie es mit schlechten Subjecten zu thun haben. Gcben Sie Ihr Leben — 90 — nicht preis, »md wenn sie Widerstand leisten, behandeln Sie sie ohne Schonung. Lassen Sie auf sie schießen." Einige Minuten später fuhr ick auf dem See den Orten zu, die ick für den Schlupfwinkel der desertirtcn Matrosen hielt. Mein Lieutenant und ein Soldat meiner Garde begleiteten mich. Wir Alle waren gut bewaffnet und wohl im Stande, Vier Kerls zur Vernunft zu bringen, die keine andern Waf« fcn als Knüttel hatten. In dem ersten Dorfe, bei dem wir landeten, zog ich Erkundigungen ein. Ich hatte einen großen Vortheil vor der spanischen Polizei voraus, der die Indianer nie die Wahrheit sagten, wenn eS fich mn die Verfolgung Schuldiger handelte. Ich wandte mick an einen nur bekannten Indianer. Mein Name allein sawn imponirte il,m; er gehorchte blindlings und wagte nicht, mir die Wahrheit zu ver-bcrgen. So erfuhr ich, daß die Deserteure sick in dem großen Flecken Pila verborgen hielten, daß der Pfarrer sie unter seinen Schuh genommen, daß sie in seiner Wohnung sich befänden, und daß sie diese Wohnung nur Nachts verlie« ßcn, aus Furcht, vor Abfahrt der Artemisia entdeckt zu werden. Der Sckutz des Pfarrers erschwerte mir meine Sen« dung; es war weder klug noch leicht, die Pfarvwohnung anzugreifen. Um die französischen Matrosen zu fangen, mußte man List anwenden. — 9l — I» kurzer Entfernung von dem Flecken verbarg ich mich in einem Gehölze. Hier erwartete ich den Anbruch der Nackt, um mit meinen Lenten wider zum Vorscheine zu kommen. Dann begab ich mich zu dem Vorsteher des Fleckens, und sagte ihm: „Es haltm sich hier vier französische Deserteure ver< borgen; dies kann nur mit Deiner Bewilligung und der Deiner Untergebenen geschehen. Deöhalb werde ich Dich nach Manilla führen, wo Du dem Gouvernement Ncchew schaft von Deinem Verhalten ablegen sollst." Zitternd antwortete der arme Indianer: „Gö ist wahr; aber ich versichere, daß wir in unserer Pflicht nur auf die Bitte und den Befehl dcö Pfarrers ssefehlt haben, der sich der armen Franzosen erbarmt hat, weil sie nach ihrer Aussage an Bord des Schiffes sehr unglücklich gewesen sind." „Ich glaube Dir," sagte ich, „und Dein Fehler soll verziehen werden, wenn Du die Matrosen augenblicklich hierberführst. Sage ihnen, was Du willst, um sie zum Kommen zu bcwcgcn. Aber verschweige durchaus meine Gegenwart. Bist Du in einer halben Stunde nicht zurück-gekehrt, so werde ich Dich holen!" Der Indianer ging. Eine Viertelstunde später hörte ich die Matrosen in der Straße ein französisches Lied singen. Ich befahl nm neu beiden Gardisten, sich zu verbergen. Dann stellte ich wich so an die Thür, daß die Deserteure eintreten konnten, ohne mich zu sehen. Gleich darauf befanden sich __ _ Me vier in dem Zimmer. Ich stellte mich zwischen sie und die Thür. „Ihr seid von der Artemisia desertirt," sagte lcli. „Ich bin gekommen, um Euch gefangen zu nehmen und an Bord der Fregatte zurückzuführen." „An Bord unserer Fregatte, mein Herr? Lieber wollen wtr sterben! Wir lassen uns eher todten, als daß wir dorthin gehen!" Die vier Burschen griffen nach ihren Knütteln, sie schienen durchaus keine Furcht vor mir zu haben. Ich schlug in die Hand, eine Thür öffnete sich, und meine beiden Gardisten traten ein, den Karabiner vorgestreckt und den Dolch an der Seite. „Ihr seht," sagte ich, „daß Euch die Windbeutelei nichts m'itzt. Ich will Euch nicht todten. Werft Eure Knüttel weg und gebt mir daß Ehrenwort, ohne Widerstand zu folgen. Weigert Ihr Euch, so lasse ick Euch wie Banditen fortschleppen. „Glaubt mir, ich leiste E«ch einen Dienst. Nach der Abfahrt der Fregatte würde man Euch unfehlbar ergreifen und in das Gefängniß werfen, bis ein Schiff Euch nach Frankreich bringt, wo man Euch vor ein Kriegsgericht stellt. Deshalb folgt mir freiwillig, und Ihr werdet Euch nicht zu beklagen haben. Ich selbst werde mich für Eure Verzeihung verwenden." Der Anblick meiner Gardisten und die Worte, die ich an sie gerichtet, überzeugten die Deserteure. Sie lieferte» ihre Knüttel ab und versprachen, Alks zu thun, was ich — 93 von ihlMi fordern würde, indem sie mich zugleich baten, ihnen die Nachsicht des Commandanten zu erwirken. Ich beruhigte sie, und wir gingen. Am folgenden Morgen waren wir in Jala-Jala, und ich erfüllte das Versprechen, daS ich Herrn Laplace gegeben hatte. Er erhielt sein« Matrosen zurück. Die Bitte der gu< ten Anna bestimmte den Commandanten, ihnen einen Theil der Strafe zu erlassen, die sie verdient hatten. Ich gab Herrn Paria, der damals Sä>iffölie»ltenant war, einige Soldaten meiner Garde und ein großes Boot, damit er die Matrosen nach der Rhede von Manilla bringen konnte. Herr Paris verließ mit Bedauern Jala-Jala.') Schon ofr habe ich von den Tagalern gesprochen und einige ihrer Charattnzüge geschildert; aber iä» bin nicht so weit anf die Einzelnbuten eingegangen, als nöthig ist, um ein vollständiges Bild von der Bevölkerung zn entwerfen, die den Spaniern unterthan und deren erster Ursprung nur eine Annahme und em wirtliches Problem ist., Es ist wahrscheinlich, fast gewiß, daß die Philippinen ursprünglich von Slammvölkern bewohnt waren, einer lleii nen Negerra?e, die man jetzt noch in einem großen Theile der innern Wälder antrifft. Die Tagaler »ennen sie Aj« las, dlt Spanier Negritos. In einer, ohne Zweifel sehr entfernten Zeit sielen die nächstm Ztnchbarn der Philippinen, die Malaien, in die *) Herr Paris. gegenwärtig SchiffslVipitam, lM in Pari,?, wo ich das Glück l^ltc, ihn anzutreffen. — 94 — Ufergegenden, und griffen die eingeborene Bevölkerung in de» Verben an. Später — fiigte es der Zufall bci der Schifffahrt oder wolllen fie Vortbeil von den Reichthümern des VodenS ziehen — später vereinigten sich die Chinesen, Japanesen, die Bewohner des großen Archipels des Süd-meeres, Iawanesen und selbst Hindus mit ihnen. AuS der Mischung, die aus der Vereinigung dieser verschiedenen Menschen mit so mancherlei Physiognomien entstand, gingen die verschiedenen Nuancen und Typen hcr-vor, die man unter der tagalesischen Na<^e bemerkt. Diese Naye hat jedoch im Allgemeinen die malaische Physiognomie und Grausamkeit bewahrt. Der Tagaler ist wohlgewachscn, mehr groß als ttein. Er hat lange Haare, selten einen Bart, eine bräunliche, mitunter weiße Farbe; sein Auge ist groß und lcbbaft. zuweilen ein wenig geschlitzt, wie das der Chinesen; die Nase ist ein wenig groß; die Backenknochen sind hervorspringend, wie bei der malaischen Ra^e. Sein Charakter ist leickt und fröhlich. Er liebt Tanz und Musik. In dcr Liebe ist er feurig, mit seinen Feinden grausam. Nie vergißt er Ungerechtigkeiten, und stets rächt er sich mit dem Dolche, der bei ihm die Lieblingswaffe ist, wie der Kris bei den Malaien. Das Wort, das er in ernsten Sachen gegeben, hält er. Den Hazardspielen ist er mit Leidenschaft ergeben. Er ist ein guter Ehemann, ein vortrefflicher Vater, eifersüchtig auf dic Ehre seiner Frau, aber sorglos um die seiner Tochter, — 95 — die, trotz der Iugendvergehungen, ohne Schwierigkeit einen Mann findet. Seine Mäßigkeit ist bewunderungswürdig; Wasser, cm wenig Reis und gesalzener Fisch genügen ihm. Für das Alter hegt er stets eine grosie Verehrung. In einer Familie gehorcht in allen Zeiten des Lebens der Jüngere dem Aeltcrn. Er übt die Gastfreundschaft ohne Egoismus und ohne einen andern Gedanken, als den, seines Gleichen zu unterstützen. Kommt ein Fremder, zu einem Indianer zur Ieit des Essens, so ist es die erste Sorge der Familie, daß sie ihn einladet, einen Platz am Tische einzunehmen. Ist ein Greis, dem das Alter nicht mehr erlaubt '^l arbeiten, von allen Hilfsmitteln entblößt, so laßt er sich l"-'i einem Nachbar nieder. Hier wird er als zum Hanse ^'lwrig betrachtet. Er kann hier bis an das Ende seiner Tage bleiben. Bei feierlichen Gelegenheiten liebt er es, seine Geber-^n und Worte zu ftoetisiren und zu dramatisiren. Und ^'b geschieht stets mit einem Tacte, der um so mehr zu ^wundern ist, als man ihn bei Völkern findet, die man ^wöhnlicl» zu der untersten Classe der Civilisation rechnet. Eine kleine Anekdote wird genügen, um den Leser in "en Stand zu setzen, sich ein Urtheil zu bilden. Ich befand mick zufällig an dem Tage in dem Flek« ^ Siniloan, an dem man das Fest des Schutzpatrons ^ime. Die Alten luden nück ein, an ihrem Vanket tbeil-^"chmm. WährendM ganzen Festeö war ich der Gegen« — 96 — stand der zartesten Aufmerksamkeiten und ausgesuchtesten Zuvorkommenheiten gewesen. In dem Augenblicke, alö ich aufstehen, danke» und von meinen Wirthen Abschied nehmen wollte, bat mich der Aelteste ihm zu erlauben, nur einen Toast zu bringen. Das Glas in der Hand, erhob er sich und sagte mit lauter Stimme: „Brüder, die Ehre, die mir der Gebieter von Jala-Jala erzeigt, indem er meine Einladung annahm, ist nicht mir allein. Wie die Strahlen des himmlischen Gestirns, erstreckt sie sich auf Euch Alle. Vereinigt Euch Venn nut mir, und smdet Eure Wünsche zu dem höchsten Herrn, daß er ihm stets Glück verleihe', Friede seinem Haust und Freude seinem Herzen." Nachdem er das Glas geleert, warf er es auf den Boden, daß es in Stücke zerbrach. Dann nahm er wi« der das Wort: „Dieses Glas, das dazu gedient hat, um die Bitten zu bekräftigen, welche die Einwohner von Siniloan für unsern Gast zu dem Herr» gesendet haben, soll künftig Niemandem mehr dienen". EinS der seltsamsten Dinge bei den Tagalern ist di< Heirath. Zwei Ceremonien gehen voran. Die erste heißt: tain manoo, tagalefische Worte, die bedeuten: der Hahn sucht seine Henne. Sobald ein junger Manu seinem Vater und seiner Mutter gesagt hat, daß er einer Indianerin den Vorzug gebe, so gehen diese eines Abends zu dm Eltcm derselbe", — 97 — und nach einer gleichgültigen Unterhaltung bietct die Mutter des Bewerbers der der Erkorenen einen Piaster. Der Bräutigam ist angenommen, wenn der Piaster angenommen wird. Sogleich kauft die Mntter für diesen Piaster Vcttl und Cocos-Wcin. ViS tief in die Nacht hinein kauet die ganze Gesellschaft nun Betel und trinkt Cocos-Wein. Dabei spricht man von allen andern Dingen, nur von der Hcirath nicht. Die jungen Leute zeigen sich nur dann erst, lvcnn der Piaster angenommen ist, sie betrachten diese Annahme als die Einleitung zu ihrer Verbindung. Am folgenden Morgen stellt sich der junge Mann den ältern seiner Braut vor; er wird wie der Sohn vom Hause empfangen; er wohnt und schläft hur, theilt alle Arbeiten, und vorzüglich die, die dem jungen Mädchen obliegen. Nun tritt er einen Dienst an, der zwei, drei auch vier Jahre dauert. Während dieser Ieit muß er auf seiner Huth sein, denn hat man an ihm ctwas zu tcidrln, so wird er wieder fortgeschickt, und nie kann er wieder um die Hand des Mädchens anhalten, das er heirathen wollte. Die Spanier haben MeS versucht, diesen Gebrauch zu unterdrücken, da er Ungcbührlichkcitcn in seinem Gefolge hat. Wie oft hat ein Vater, um einen Mann, der ihm Nichts kostet, in seinem Dienste zu haben, diese Dienstzeit unendlich ausgedehnt, und wie oft hat man den zurückgc-Abeut. e, bret. Gdelm. :c. 3. Vd. 7 — 98 — schickt, der bereits zwei oder drei Jahre gearbeitet hatte, mn einen andern unter dem Namen des Bräutigams zu nehmen. Oft aber auch ist es der Fall gewesen, daß die beiden Verlobten ungeduldig wurden, und die Neckte der Ehe vor dcr Hochzeit übten. Das junge Mädchen schleppt ihren Geliebten bei dm Haaren zu dem Pfarrer des Dorfs, und sagt ihm: „Sie entführe ihn, und sie müßten nun getraut werden." Dann findet die Heirath obne Zustimmung der Eltern statt; cZtführt aber der junge Mann seine Geliebte, so wird er streng bestraft, und das junge Mädchen wird der Familie zurückgegeben. Verlaufen die Dinge in guler Ordnung, hat der Bräutigam seine zwei oder drei Jahre gedient, sind die Eltern mit seinem Charakter und seinem Betragen völlig zufrieden, so kommt der Tag der zweiten Ceremonie, den man lnjin b<^<,i nennt, zu deutsch.- der junge Mann will den Knoten der Verbindung schürzen. Diese zweite Ceremonie ist ein großer Festtag. Alle Verwandte und Freunde der beiden Familien sind im Hause der Braut versammelt; sie theilen fich in zwei Lager, deren jedes über die Interessen der Verlobten dcbattirt. Jede Familie hat einen Advocatcn, und dieser allein nimmt zu Gunstm seines Clienten dab Wort. Die Verwandten habm nickt das Reckt zu reden; fie — W — machen nur leise ihre Bemerkungen, wenn sie den Advoca-ten günstig beurtheilen. Die Indianerin bringt nie eine Aussteuer mit. Wenn sie einen Mann nimmt, besitzt Ne Nichts. Der junge Mann bringt die Ausstattung mit, und an ihn richtet der Adliocat der Vraut das erste Wort, um ihn darum zu befragen und die Bedingungen festzustellen. Ich theile die Neden der Advocate« mit, die bei einer Ceremonie dieser Art gehalten wurden, der ich aus Nm-gierde beiwohnte. Um die Eigenliebe der Parteien nickt zu verletzen, reden die Advocaten nur in Allegorien. Bei der Ceremonie, die ich mit meiner Gegenwart beehrte, begann der Advocat der Braut folgendermaßen' „Ein junger Mann und ein junges Mädchen hatten sich verbunden; sie besaßen Nichts, nicht einmal eine» .Ort, wo sie gegen Wind lind Wetter geschützt waren. Mehre Jahre lang war die junge Frau sehr unglücklich. Endlich war ihr Unglück vorbei, und eines Tages sah sie sick in einer schönen Hütte, die ihr gehörte. Sie ward Mlittcr von einem hübschen kleinen Mädchen. Am Tage der Niederkunft war ein Engel erschienen, der ihr gesagt hatte: Erinnere Dich Deiner Heirath und der Tage des Elend'S, die Du verlebt hast. Ich nehme das Kind, das Du geboren, unter meinen Schutz. Wenn eS groß und ein hüb« sches Mädchen sein wird, um dc>S die jungen Leute freien, so gieb es nur dem. der ihr einen Tempel bauen wird, in dem sich z.'hn Säulen befinden, deren jede alls zebn Steinen besteht. Befolgst Du mcmc Vtt'chle nicht, so 7* — 100 — wird Deme Tochter unglücklich sein, wie Du es gewesen bist." Nach dieser Nede ergriff der Addocat der andern Partei das Wort: „Es gab einmal eine Königin, deren Königreich am Ufer deS Meeres lag. „Unter den Gesehen ihrer Regierung existirte auch eins, das mit der größten Strenge gehandhabt wurde. „Alle Säüffe, dic in einem der Haftn ihrer Staaten ankamen, durften nach diesem Gesetze nur in einer Tiefe von hundert Klaftern ihre Anker auswerfen. Wer dieses Gesetz nicht befolgte, wurde schonungslos zum Tode verur-theilt. „Es ereignete sich eines Tages, dasi ein braver See-mann von emcm heftigen Sturme überrascht ward. „Nach unglaublichen Anstrengungen, sein Schiff zu retten, ward er gezwungen, in diesem Haftn vor Anker zn gehm, obgleich sein Kabeltau nur achtzig Klafter lang war; er zog es vor, auf dem Schaffotte zu sterben, statt sein Schiff mit der Mannschaft umkommen zu lassen. „Die erzürnte Königin ließ ihn vor sich kommen. „Er warf sich ihr zu Füßen, und sagte ihr, daß ihn eine höhere Macht gezwungen habe, ihwt Gesehen zuwiderzuhandeln, und da sein Kabeltau nur achtzig Klafter lang sei, könnc er nicht auf hundert Klafter Anker werfen. Deshalb bitte er um Verzeihung." Hier schloß er seine Nede. Der andere Advocat entgegente: „Die Königin war gerührt von der Vitte lind der Un- — lUl — möB^keit des armen Kapitains, aus hundert Klafter seine Anker auszuwerfen; sie verzieh ihm, und daran that sie Necht." Bei diesen letzten Worten erheiterten sich alle Gesichter, und die Musiker begannen auf ihren Guitarren zu sftielm. Braut und Bräutigam, die sich in einer angrenzenden Kammer befanden, erschienen nun. Der junge Mann nahm den Rosenkranz von seinen: Halse, und hing ihn nm den Hals semer Braut. Dann nahm cr den ihrigen, um dm zu ersetzen, den er ihr gegeben hatte. Die Nacht ward mit Tnnzen verbracht, und die Ceremonie der Heirath ward, ganz wie in unstrn christlichen Ländern, noch acht Tage hinausgeschoben. Ich gebe nun eine Erklärung der Reden der Ndvoca-tm, die ich nicht völlig verstanden hatte, wie man sie mir mittheilte. Die Mutter der Braut hatte sich ohne Unsstcuer ver-heirathet, und dadurch war sie sehr unglücklich geworden. Der Tempel, den sie für ihre Tochter verlangen sollte, wie der Engel befohlen, war ein Hans. Die zehn Säulen, deren jede aus zehn Steinen bestehen sollte, bedeuteten, daß das Haus einen Werth von hundert Piastern haben müsse. (Fünfhundert Francs.) Die Nede dcs Advocatcn des jnugen Mannes bedeutete, daß er einwillige, das Haus zu geben, weil cr nicht davon sprach; "ber da er nur achtzig Piaster besäße, so bäte er die Eltern seiner Braut ftßfällig, die fehlenden zwanzig Piaster nicht ein Hinderniß seiner Verbindung sein zu lasftn. Die von der Königin ertheilte Verzeihung galt — !02 — dem jungen Manne, den man mit seinen achtzig Piastern genehmigte. Die Dienstbarkeit vor der Heirath, deren ich vorhin erwähnte, ward schon lange ausgeübt, ehe die Spanier das Land eroberten; sie beweis't dcn Ursprung, den ich den Ta-galern beilege und den ich von den Malaien herleite. Da die Malaien Muselmänner sind, so haben sie einige Ge« brauche unserer alten Patriarchen beibehalten. Die letzte Ceremonie, die Verbindung in der Kirche, ist ganz christlich, wie ich bereits bemerkt habe. Der Tag, an dem sie stattfindet, wird mit einem gro-sim Feste, mit Banket und Tanz beschlossen. In einigen Dörfern dauert dieses Fest drei Tage. Während dieser drei Tage muffen die jungen Ehcleute offene Tafel halten und jeden, der kommt, gleich viel ob er ihnen bekannt ist oder nickt, reichlich bedienen. Am dritten Tage giebt die Pathe der jungen Frau jedem Anwesenden oder Gaste eiue Tasse von chinesischem Porzellan, und der, der sie empfängt, ist gehalten, ein Geldstück hineinzulegen und sie der jungen Frau dann zu überreichen. Diese Gabe soll eine Art Entschädigung für die großen .Opfer sein, welche die jungen Gheleute während der drei Tage gebracht haben. Ich glaube nun meinen Lesern die Indianer und ihre Gebräuche hinlänglich geschildert zu haben; ich werde sie nun mit zwei Gattungen von Ungeheuern bekannt mackcn, die lch oft Gelegenheit gehabt zu beobachten und selbst zu bekämpfen. — !03 — Die eine dersrlbm, die Voa^ Schlange, wohnt in den Wäldern; die andere, der Caiman, wohnt in großen Fliis« ftn und Seen. In der Zeit meines ersten Aufenthaltes in Jala-Jala waren die Caimans an der Küste, wo das Dorf lag, in großer Zahl vorhanden. Ick habe täglich aus meinm Fenstern gesehen, wie sie in dem Wasser lauerten und die Hunde wegschnappten, die sick dem Ufer näherten. Eine Kammerfrau ans meinem Hause war eines Tages so unvorsichtig, sich am Ufer des See's zu baden. Da ward sie von einem Caiman, einem ungeheuern Exemplare, überrascht. Einer meiner Gardisten kam in dem Augenblicke dazu, als das Ungeheuer sie fortschleppen wollte. Er schoß seinen Karabiner ab, und die Kugel traf ihn unter d«r Achsel, der einzigen verwundbaren Stclle. Aber die Wunde war nicht stark genug, um ihn aufzuhalten — «r verschwand mit seiner Vcute. Das kleine Loch der Kugel bewirkte indeß seinen Tod. Es ist bemerkenSwcrth, daß in dem Wasser des See's von Val) die geringste Wunde, die man dem Felle des C5'3n!" sagte er. (Wie Sckade!) „Wie kannst Du Dich eines solchm Wortes bedienen!" sagte ich. „Ach ja," fuhr er fort, „wir haben wenig Aussicht für uns — der Wind hätte ihn uns zutreiben sollen." Diese, mit indianischer Kaltblütigkeit ertheilte Antwort machte mir begreiflich, dasi dcr Ausruf ,,837»°!" dem Sonnenschirme des Chinesen gall, dessen Verlust meinen Führer mehr beschäftigte, al pilain eines Schiffes aus dem Haftn seiner Geburtsstadt. Er verblieb einige Monate in Cavite, und während dieser Zcit ward unsere Freundschaft die innigste. Selten verfloß ein Tag, an dem wir uns nicht sahen, und nie hat zwischen zwei Personen wohl eine herzlichere Freundschaft stattgefunden. Unsere beiden Schiffe lagen in kurzer Entfernung von einander in dem Hafen vor Anker. Eines Tages ging ich auf dem Decke spazieren, um «in Boot zu erwarttn, das mich nach Malvilain's Schiffe bringen sollte. Der Freund war in diesen: Augenblicke mil einem Mastenmanöver beschäftigt, ein Tau r»ß und der Abent. e. brct. Ebelm. ,c> 2. Vd, 9 — 130 — Mast schlug auf eine Gruppe Matrosen, in der sich auch Malvilain befand. Von meinem Schisse auS konnte ich AlleS sehen, was flch auf dem meines Freundes ereignete. Ich glaubte, er sei todt oder verwundet. Meine Angst und meinen Schrecken konnte ich nicht beherrschen. Ick warf mich in das Wasser und erreichte schwimmend das Schiff meines Freundes, den ich so glücklich war unverletzt anzutreffen. Er war mit dem Schrecken davongekommen. Zitternd und von Wasser triefend schloß ich ihn in meine Arme. Dann widmete ick meine Sorge einigen Matrosen, die nicht so glücklich gewesen waren, als er. Ein anderes Mal war ich die Ursache, daß Malvilain in Schrecken gesetzt wurde. Dickte, schwarze Wolkm hatten sich über Cavite zusammengezogen, und ein furchtbares tropisches Gewtttcr entlud sich. Minutenlange Donnerschläge erschütterten die Luft, der Blitz, wie lange Feucrschlangen, fuhr zischend auS den Wolken herab und umwühlte die kleine Ebene von Cavite bis zu dem Ankerplätze der Schiffe. Ungeachtet dieses Wetters ging ich zu Malvilain. Schon wollte ick den Fuß aus das Verdeck ftineS Schiffes sehen, als ein Blitz in das Meer fuhr, aber so dicht m-ben mir, daß er mir dm Athem raubte. Ich empfand eine» so heftigen Schmerz auf dem Rücken, als ob man mir einen Feuerbrand zwischen die Schultern gelegt hätte. Der Schmerz war so stechend, daß ich laut aufschrie, als ich mich wieder erholt lMe. — I3l — Malvilain war emige Schritte von mir entfernt, und ssuck er war von dem clectrischen Schlage betäubt, der mich leicht berührt hatte. Als er meinen Schrei hörte, glaubte er, ich sei schwer verletzt. Er stürzte herbei und schloß mich in seine Arme, biö ich ihn über meinen Zustand beruhigt batte. Der Funke hatte mich gestreift, ohne eine Verletzung bewirkt zu haben. Diese beiden Anekdoten führe ich an, um unser freundschaftliches Verhältniß näher zu bezeichnen und dar;utl,un, wie hart ich in meinen theuersten Empfindungen betroffen wurde. Bis zu dem Tage, au dem ich schreibe, war mein Leben so reich an außerordentlichen Ereignissen, daß ich natürlich glauben mußte, das Schicksal des Menstffcn sei einer höheren Ordnung unterworfen, der sich AlleS fügen muß. Dieser Gedanke kräftigte mich in dem Ertragen des mir auferlegten Unglück's. War eS nicht auch meine Bestimmung, daß ich Pros-per von Malvilain aufrichtig lieben, und daß ich von ihm eben so wiedergeliebt werden mußte? Ich konnte nickt daran Zweifeln. Ginige Tage zuvor, ehe die schreckliche Cbolera auf den Philippinen ausbrach, ging das Schiff Malvilain's unter Segel, um nach Frankreicls zurückzukehren. Unser Abschied war schmerzlich, und wir Versprachen uns gegenseitig, uns bald wiederzusehen. DaS Schicksal hatte m: — 133 — Zustand nicht. Ihr Glück, Mutter zu sein, war so groß, daß sie durchaus nicht an sich selbst dachte. Ich hatte meine Zuckerrohr-Ernte vollendet; sie war sehr ergiebig gewesen. Auch meine Pflanzungen waren vollbracht. Um meiner Frau einige Zerstreuungen zu verschaffen, scklug ick ihr uor, sie möge einige Zeit bei ihrer Schwester Iosepm'ne zubringen, die sie zärtlich liebte. Freudig nahm sie diesen Vorschlag an. Wir reis'ten ab. Unser kleiner Henri und seine Amme begleiteten uns. Wir richteten uns bei meinem Schwager, Don Julian Calderon ein, der damals ein hübsches Landhaus an dem Ufer des Passig, eine halbe Stunde von Manilla, bewohnte. Josephine war eine der drei Schwestern meiner Frau, für die sie die lebhafteste Zuneigung empfand. Ich liebte sie wie meine eigene Scbwcster. Der Tag unserer Ankunft war ein Festtag. Alle unsere Freunde auö Manilla erschienen zum Be-suche. Anna war so glücklich, unseren lieben Henri bewundert zu sehen, daß ihr Gesundheitszustand sick sichtlich besserte; aber diese scheinbare Besserung dauerte nnr einige Tage, und bald hatte ich den Schmerz, eine Verschlimmerung ih» res Uebels eintreten zu sehen. Ich rief den einzigen Arzt von Manilla zu Hilfe, in den ich Vertrauen setzte, meinen Freund Genu. Nachdem er sie secks Wochen lang häusig besucht, ohne daß seine Sorgfalt ein genügendes Resultat krönte, riech er nur, — 134 — nach meiner Besitzung zurückzukehren, wo schon so viel Kranke, die an ähnlichen Ucbeln gelitten, die Gesundheit wiedererlangt hatten. Da Anna selbst die Rückkehr wünschte, so sehte ich den Tag der Abreise fest. Ein bequemes Fahrzeug, mit guten Ruderern bemannt, erwartete uns am äußersten Ende des Gartens meines Schwagers auf den: Passig. Eine zahlreiche Gesellschaft begleitete uns bis zu dem Ufer des Flusses. In dem Augenblicke der Trennung sprach sich eine düstere Trauer in allen Gesichtern aus. Ein Jeder schien sich zu sagen: „Werden wir uns auch wiedersehen?" Meine Schwägerin Josephine, die in Thränen fast verging, warf sich in Anna's Arme. Ich hatte Mühe, sie zu trennen, denn wir mußten endlich abreisen. Ick zog meine Frau in das Voot, und die beiden Schwestern, die sich stets so innig geliebt hatten, riefen sich die letzten Ab-schicdsworte zu, wobei sie sich zugleich versprachen, nicht so lange getrennt zu bleiben, sondern sich bald wiederz -scheu. Dieser schwere Abschied und die Leiden meiner Frau machten unsere sonst so fröhliche Neise düster und trübselig. Wir kamen an. Ich begrüßte Jala: Jala nicht mit demselben glücklichen Gefühle, als sonst. Meine arme Frau mußte zu Bette gebracht werden, und ich verließ ihr Zimmer nicht mehr in der Hoffnung, daß meine Sorgfalt ihr einige Erleichterung gewähren könne. — l35 — Aber leider machte die» Krankheit von Tag zu Tage erschreckliche Fortschritte. Ich war der Verzweiflung nahe. Ich schrieb an Josephine und schickte ein Boot nach Manilla, um die Schwester abholen zu lassen, nach der sick Anna sehnte. Das Boot kam ohne Josephine zurück; es brachte mir einen Brief, der mir anzeigte, daß die gute Josephine selbst schwer erkrankt sei und das Bette nicht verlassen könne, daß sie darüber großen Kummer empfinde, daß ich aber Anna versichern möge, sie würde bald kommen, um sich nie mehr von ihr zu trennen. Seit unserer Rückkehr nach Iala-Iala waren noch nicht fünfzig Tage verflossen, eine Zeit, die mir wie «ine Ewigkeit erschien, als mir jede Hoffnung entschwunden war. Der Tod nahete sich mit starken Schritten, und mit ihm der furchtbare Augenblick, der mich von der schied, die ich so innig liebte. Sie war bei vollem Verstande geblieben und konnte meine durch den Schmerz entstellten Züge scheu. Als sie fühlte, daß ihr letztes Stündlein gekommen war, rief sie mich zu sich und sagte: „Lebe wohl, mein theurer Paul, lebe wohl! In dem Himmel werden wir uns wiedersehe,:! Erhalte Dich Deinem Sohne. Wenn ich nicht mebr lebe, kehre in Dein Vaterland zurück, damit Du Deine alte Mutter wiedersiehst. Verheirctthe Dick in Frankreich wieder, wenn Deine Mutter es von Dir fordert, aber nicht auf den PWppincn, denn hier würdest Du leine Lebensgefährtin finden, die <> so liebt, wie ich Dich geliebt habe! — 136 — DieS waren die letzten Worte dieseö Engels an Güte und Sanftmulh. Das heiligste, zärtlichste Band war ge-lös't — meine Anna lebte nicht mehr. Ick bitlt iliren seelenlosen Körper in meinen Armen, lwffte ihn durch nieine Zärtlichkeiten zum Leben zurückzurufen, aber das Schicksal hatte bereits unwiderruflich ent« schieden. Man mußte mir mit Gewalt die kostbaren Ucberrestc entreißen, die ich an mein Herz druckse. Dann zog man mich in das angrenzende Zimmer, wo sich mein Sohn be« fand. Indem ich ibn in meine Arme schlosi, wollte ick weinen; aber meine Augen hatten keine Thränen mehr, und ich blieb selbst bei dm Zärtlichkeiten meines armen Kindes unempfindlich. Es gibt keine Natur, die start genug ist, um fünfzig Tagen dcS Wachens und der Angst Widerstand zu leisten; ich verfiel in eine Schwäche, der ein tiefer Schlaf folgte. Als ick am andern Morgen erwachte, lag mein Sohn in meinen Armen. Aber, grosier Gott, welch' ein erschreck« lickcö Erwachen war dicSt Allee Furchtbare meiner Lage drängte sich meiner Einbildung auf. Ach, meine vereh, rungswürdige Lebensgefährtin war ja nicht mehr, dieser «ee liebte und tröstende Engel, der Alles Verlassen hatte, Ver-wandle, Freunde und die Freuden einer Hauptstadt, um mit mir allein an diesem wilden Orte zu leben, wo sie tausend Gefahren ausgesetzt war und außer mir keine Seele zu ihrrm Schutze hatte! Si« lebte nicht mehrt Das — 137 — furchtbare Schicksal hatte sie mir entrissen, hatte mich für immer in Schmerz und Trostlosigkeit versenkt. Die Beerdigung fand am folgenden Tage statt. Kein Einwohner von Jala-Jala fehlte dabei. Ihr Körper ward dicht neben dem Altare der einfachen Kircke beigesetzt, wo sie so oft für mein Glück zum Himmel gebetet hatte. Trauer und Bestürzung herrschten lange in Jala-Jala. Alle meine Indianer empfanden den schmerzlichen Verlust. Anna war während ihres LedenS vergöttert gewesen, nach il»rem Tode ward sie aufrichtig beweint. Mcbrerc Tage lang verblieb ick in einer völligen Hin? fälligkcil; ick konnte mich nur mit der Sorge mn meinen Sohn befassen, denn hierin fand ich den einzigen Trost, der mir blieb. Drei Wochen waren bereits verflossen und noch batte ich das Zimmer nicht verlassen, in dem meine arme Frau gestorben war; da empfing ich einen Brief von Josephine. Sie benachrichtigte mich, daß ihre Krankheit schlimmer geworden sei und schloß mit den Worten i „Komm, mein lieber Paul, komm zu mir, wir werden zusammm weinen; ich fühle, daß Deine Gegenwart mich trösten wird." Ich zögerte nicht lange, um der Bitte meiner Io« sefthine nachzulommen, denn ick hatte sie ja stetS geliebt wie meine eigene Schwester. Meine Gegenwart konnte sie trö-sten, und auch ich fühlte, daß es mir ein großer Trost sein — 13« — würde, eine Person zu sehen, die meine Anna so innig geliebt hatte. Tue Hoffnung, ihr nützlich zu sein, belebte meinen Muth wieder ein wenig. Ich übergab meine Besitzung Prosper Vidie, einem bewährten Freunde, der mich während der letzten Tage mciner Frau nicht verlasse» hatte, dann reis't« ich mit meinem Sohne ab. Nach den ersten schmerzlichen Ergießungen, die das Wiedersehen in Ioschlnnen und mir erregte, und nachdem wir unseren Tribut an Thränen gebracht, prüfte ich ihren Zustand. Eg bedürfte einer große» Anstrengung, mn ibr meine Unruhe zu verbergen, denn ich erkannte cine der schwersten Krankheiten, die mich fürchten ließ, daß ich bald ein neueS Unglück zu beklagen haben würde. Leider hatte ich richtig vorausgeseheni acht Tage später verschied die arme Io» scphine unter furchtbaren Schmerzen in meinen Armen. WaS für Unglücksfälle stürmten in so kurzer Zeit auf mich ein! Es bedürfte wahrlich einer Ergcbuug und Kraft, wie ich sie hatte, um nicht zu «lichen. Nackdem ich meiner Schwägerin die letzten Pflichten erfüllt, kehrte ich ,:ach Iala-Iala zurück. Die Welt schien mir völlig verändert zu sein. Ich mußte meine Verge und Wälder besuchen, um wieder ein wenig Ruhe zu gewinnen. Es verflossen mebrere Monate, ohne daß ich an meine Geschäfte denken konnte; aber die letzte Bitte meiner armen Frau, in mcin Vaterland zurückzukehren, verpflichtete mich, ,mch damit zu befassen. — 139 — Ich trat meine Besitzung meinem Freunde Vidic ab, da ich ihn für den Fähigsten hielt, das angefangene Werk zu verfolgen und meine armen Indianer gut zu behandeln. Er forderte, daß ich noch einige Zeit bei ihm bleibe, um ihn mit meiner tlcinen Regierung vertraut zu machen. Ick willigte um so lieber ein, da einige Monate meinen Sohn stärker u»d fähiger machten, die Reise zu ertragen. Demnach blieb ich in Jala-Jala. Aber das Lebcu war mir so peinlich geworden, daß mich Nichts zerstreuen, Nichts mich meinen traurigen Gcdanken enlreißcn konnte. Die schönen Gegenden um Iata-Iala, die ich stetö mit so großem Vergnügen betrachtet hatte, waren mir gleichgültig geworden. Ich suchte die düstersten, einsamsten Orte auf, und besuchte vorzüglick oft das Ufer eincö Flusses, der zwischen hohen Bergen floß und von großen Bäumen beschatte! ward. Diese Gegend war vielleicht mir nur allein bekannt, und wahrscheinlich hat vor mir nie ein menschliches Wesen dort gesessen. Dort überließ ich mich ganz meinen schmerzlichen Erinnerungen: meine Frau, meine Brüder und meine Schwägerin beschäftigten ausschließlich meine EinbllduugS« kraft. Entriß mich endlich der Gedanke an meinen Sohn den düsteren Traumereien, so kebrte ich langsam nach meiner Besitzung zurück, wo die Zärtlichkeiten des armen Kindes meinen Schmerz verscheuchen zu wollen schienen; aber sie trugen nur dazu bei, mich an die Zeit zu erinnern, wo Anna mir stetS entgegenkam, mich m ihre Arme schlosi und mich alle Müdigkeit und Langeweile, die ich fern von — 140 — ihr empfunden, vergessen mackte. Diese Zeit war leider für immer dahin, und indem ich meine Lebensgefährtin verloren, hatte ick daS ganze Glück meines Lebens verloren. Mein Freund Vidie that zu meiner Zerstreuung Alles, waS in seinen Kräften stand. Er sprach oft von Frankreich, von meiner Mutter und von dem Troste, den sie finden würde, wcnn ick ihr meinen Solm bräckte. Die Liebe zmn Vaterlande und der Gedanke, dort liebreicke Seelen zu finden, deren ick so sehr bedürfte, waren wohlthätiger Balsam, der die Schmerzen ein wenig lin? derte, die stets noch im Grunde deö Herzens zuckten. Meine Indianer waren tief betrübt, als sie erfuhren, daß ich entschlossen sci, sie zu verlassen. So oft sie mir begegneten, legten sie ihren Kummer an den Tag. „Herr," sagten sie, „was soll aus uns werden, wenn wir Sie nlckt mehr sehen?" Ick beruhigte sie so viel als möglich und sagte ibncn, daß Vidie an ihrem Glücke arbeiten und daß ich mit mei« nem Sohne, wenn er groß geworden, wiederkehren würde, um sie nickt mchr zu verlassen. Sie antworteten mir: „Gott erhöre Sie, Herr! Aber wie lange wird es dauern, ehe wir Sie wiedersehen! Nun, Sie werden unö ja Mcht vergessen!" In der Zeit. wo mein Kummer und meine Traurigkeit sick ein wenig milderten, fand ich Gelegenheit, mit ei« mm Landömanne in ein inniges FreuudschaftövcrlMmß zu - I4l - treten; cr ward mir ein wahrhaft guter Freund, für dcn ich stets jene innige Zuneigung bewahrt, die fern vom Va-terlandc geboren wird. Ick spreche nämlich von Adolph Barrot, der als General-Consul nach Manilla geschickt war. Er kam mit einigen Freunden nach Jala l Jala, um dort einige Tage zu Verbringen. Da ick nicht wollte, daß er unter meiner Geistesverfassung leiden sollte, so suckte iw ihm den Aufenthalt in Jala «Jala so angenehm als mög? lich zu machen. Ich veranstaltete mebrere Iagdpartim und Ausflüge in die Verge und über dcn See; für ihn nahm ick das Leben wieder an, das ich zu führen gewohnt war, «he das Unglück über mich hereinbrach. Siebentes Kapitel. Neise zu den Negritos oder Ajetas. Der Bambos. Der Cocosbaum. Der Pisang. wohnlich ist und am Fuße großer Bäume gefunden wird, denen es von selbst entrinnt. Dann nimmt er «in Stück Bambos von der Lange — 15! — einer halben Elle, spaltet es, und zerschneidet es mit dem solche zu Spähneu, die er auf daS Gummi legt. Nun reibt er zwei Stücken Vambos, bis sie in Vvand gerathen, der Brand theilt sick dm Spähnen und dem Gmnnü nut, und in kaum einer Minute flackert ein Feuer empor, an dem man einen Ochsen braten kann. Dcr Kock hauet zwei oder drei dicke Vambosstämmc ab, und legt in jeden das hinein, was er locken will, gewöhnlich NeiS und Palmenaftfel, Dann fügt er das nöl tbigc Wasser hinzu, schließt die Oeffinmg mit Blättern und fetzt dcn Stamm in die Mitte des Feuers. Dieser VamboS verkohlt zwar von Außen, aber die Feuchtigkeit deS Wassers schützt.das Innere, und die Spei-sm kochen darin, als ob sie sich in Gefäßen von Thon befänden. Die großen Palmcnblätter dienten uns zu Tellern. Wie man sieht, war unser Mahl ein sehr frugales, selbst an den Tagen, wo wir nock Reis und geräuchertes Fleisch besaßen; denn als dicstr Vorrath erschöpft war, mußten wir uns mit Palmenäpfeln begnügen. Aber da die Jagd uns einen Hirsch oder einen Büffel lieferte, der unter unsevn Schüssen fiel, so war unsere Nah-rung einige Tage lai,ss die wahrer Epicuräcr. Wir tranken Wasser, wenn unö eine Quelle oder ein Vack dazu einlud; aber fehlten uns diese Mittel, so schnitte», wir lange Stücke Lianen ab, aus dmm cm flares, durch-sichtiges Wasser quoll, daS dem Qucllwasftr Vorzuziehen war. Ich reiste nicht wie ein Nabob, denn es war lmmög< - ^52 - lich, nicht Gepäck mitzunehmen, da wir oft dichte Urwäl-der durchdringen oder über Flüsse schwimmen mußten. Sonne und Wind warm unsere Führer. Mir blieb also die Wahli entweder zu reisen, wie ich rcis'ie, oder zu Hanse zu bleiben. Die erste Nackt verfloß ruhig. Der Schlaf stärkte uns zur Fortsetzung der Reise. Schon früh am nächsten Morden waren wir auf den Neinen, und nach einem srugalcn Frühstück!raten wir im? fern Marsch an. Länger als zwei Stmidcn stiegen wir einen mit dichtein Walde bedeckten Vera, hinan. Der steile Weg war rauh und ermüdend. Erschöpft erreichten wir endlich den Gipfel; wir betraten ein großes Plateau, das zu überschreiten wir mchrcr Tage bedurften. Aus diesem Plateau habe ich den majestätischsten und schönsten Urwald der Erde geschm. Er bestand auS gi« gantischm Bäumen, die sich kerzengerade, wie Binsen, zu ei-ner ungeheuern Höhe erhoben. Nur an ihren Gtpfcl wuchsen Zweige, die sich ineinander schlangen und ein Gewölbe bildeten, das ?cn Sonnenstrahlen undurchdringlich war. Uuter diesem Dache und zwischen diesen herrlichen Bänmcn lieft die fruchtbare Natur eine Menge wunderbarer Schlingpflanzen wachsen. DaS mdiamsche Zlohr z. B. und die Liane erheben sich bis zn den höchsten Gipfeln, senken sich wieder zur Erde lierab und fassen Wnrzel, um sich abermals in neuen Nan-ken zu erheben. Dann senken sie sich wiederum hernieder — 153 — lind vereinigen sich in Zwischmräumm zu Säulen, dic mit-unter die schönsten Decorationcn bilden. Auch sieht man hier verschiedene Arten Pandanus, dessen Blätter garbenförmig von« Boden ausgehen, um sich zu einem prachtvollen Büschel zu vereinigen. Ebenso sieht man Farnkraut, das wahre» Bäumen gleicht; wir erstiea.cn oft eins dieser Kräuter, um dcn Wipfel abzuschneiden, dcr einen höchst angenehmen Saft hatte und Nahrung, wie die Palme, bot. Aber ungeachtet dieser anßerodentlicben Vegetation ist die Natur traurig und still. Kein Geräusch läßt sick hören, weun nickt mitunter der Wind in den Wipfeln rauscht, oder das Murmeln eines WasscrfallS auS der Ferne her-überdringt. Der feuchte Boden wird uie uon der Sonne beschienen ; klcine Seen und Bäche, dic nicht fließen, ausicr wc»n sie Gewitter anschwellen, bieten dem Blicke ein schwarzes, stehendes Wasser, auf dcm sich nie ein schöner blauer Himmel abspiegelt. Die einzigen Bewohner dieser traurigen, aber großartigen Gegenden sind die Hirsche, die Büffel und die Eber; am Tage verbergen sie sich in ihren Höhlen, und nur Nachts gehen sie auf Nahnmg aus. Selten bemerkt man einen Vogel; auch die auf den Philippinen so häufigen Assen fliehen die Einsamkeit dieser ungeheuern Wälder. Eine einzige Insectenart, die Verzweiflung der Reifenden, hcsiudtt sich hm im Uederfwß, es sind dies klcmc — 154 — Blutegel, die auf allen mit Wald bedeckten hohen Bergen dcr Philippinen wohnen. Sie kauern in dem Kraute, auf den Blättern der Bäume, nnd fallen wie Heuschrecken auf die Beute, der sie sich beinächtigen wollen. Die Reisenden sind stets mit kleinen Messern von Bam-boS versehen, um sich ihrer zu entledigen; dann reiben sie die kleinen Wunden mit gekautem Tabak. Aber bald erscheint ein anderer Blutegel, angezogen durch das rinnende Blut, um die Stelle dessen zu ersetzen, von dem man sich befreit hat, und es ist eine unausgesetzte Aufmerksamkeit erforderlich, um nickt das Opfer dieser kleinen Vamftyre zu wcrden, die gefräßiger und größer sind, als unsere gewöhnlichen Blutegel. Während ich diese seltsame Natur beobachtete, suchten meine Indianer einen Hirsch, einen Büffel oder einen Eber anf, um ihn zu erlegen und so den Mundvorrath zu er« setzen, der auf die Neige ging. Unsere ganze Kost beschränkte sich nur noch auf Pall menäftfel. Die Palme hat nun zwar einen angenehmen Geschmack, aber sie ist so wenig nahrhaft, daß sie dem erschöpften Neiscnden keine Kraft giebt, dcr naä> einem langen nnd beschwerlichen Marsche ein Lager auf dem feuchten Boden, und als Dach den freien Himmel findet. Aus diesem Grunde schlugen wir so viel als möglich die Nicktung naä, der Seite ein, die von dem stillen Oceane bespült wird. Wir wußten, daß hier das Land beginnt, das die — 155 — Ajttas bewohnen. Auck wollten wir ein großes tagalesisHes Dorf, Vinangonam-de-Lapon, berühren, das verloren am F»ße der westlichen Verge inmitten der Wilden liegt. Mehre Nächte hatten wir bereits in den Wäldern zu« gebracht, olme eben große Unbequemlichkeiten zu empfinden. Die Feuer, die wir jeden Abend anzündeten, erwärmten uns und gaben Schuh gegen die Myriaden von Blut, tgeln, die uns sonst anstgesogen haben würden. Nack unserer Ansicht genügte noch eine Tagereise, um das Ufer des Meeres zu erreichen, wo wir ein wenig zu ruben hofften; da kündigte uns plötzlich ein ferner D.onner das Naben eines Gewitters an. Wir schten indessen nnsern Weg fort; aber gleich dar« auf näherte sich das Getöse auf eine Weise, die imS befürchten ließ, daS Wetter werde über unsern Häuptern loS-brechen. Wir mußtm anlialtcn, vor der Nackt unser Feuer am zünden, unsere Abendmahlzeit bereiten und Blätter aus her, abgebogene Palmenzwcigc legen um uns wenigstens vor dem starken Mgen zu schützen. Kaum hatten wir diese verschiedenen Vorbereitungen vollendet, als daS Gewitter über uns zu toben begann. Hätten unsere Fmerbrändc nicht einen bleichen Schein verbreitet, wir würden eine tiefe Finsterniß gehabt haben. Und noch war die Nackt nicht angebrochen! Wir kauerten nun alle drei, jeder einen Palmenzwcig in der Hand, unter dem Sckuhdache, das wir improvisirt hatten, und erwarteten den AnSbnich dcS Gewitters. Die Donncrschläge verdoppelten sich, der Negen Pcischte — 156 — so gewaltig die Bäume, als ob ein Wasserfall hernieder-stürztc. Unsere Fencr waren bald erloschen; wir befanden nns in einer dichten Finsterniß, die von Zeit zu Ieit durch Vlihc uutcrbrochm ward. Dann trat eine blmdmdc Hcllc ein, um sogleich wieder der schwarzen Nacht zn weichen. Ein fürchterliches Toben hatte sich rings um unS ber erhoben. Der Donner grollte ohne Unterbrechung, denn das Echo der Verge gab ihn zuweilen dumpf, zuweilen hell krachend zurück. Ein starker Sturm schüttelte die Vaumwiftfel, riß un-gchmre Zweige ab und schleuderte sie krachend auf den Boden; er entwurzelte ganze Baumstämme, die in ihrem Sturze die Zweige von den benachbarten Bäumen abrissen. Der Negcn fiel ununterbrochen in Strömen herab. Ein Strom, der sich am Fuße des Verges gebildet, auf dem wir Zuflucht gesucht, ließ sick in den Pansen uer-nchmen, wenn der Donner schwieg. Wir hörten das Rauschen der Wasser, die sich von dem Berge herabstürzten. Mit diesem Toben Vereinigte sich ein trauriges Geheul, ähnlich dem Heulen eines großen Hundes, der seinen Herrn verloren hat. Dies waren die Klagen der erschreckten Hirsche, die hier „nd dort eine Zufluchtsstätte suchten. Die ganze Natur schien in Zuckungen zu liegen und den Elementen den Krieg zu erklären. Das schwache Dach, unter dem wir saßen, war bald dahin — wir trieften von Wasser. Wir verliest«« diesen traurigen Zufluchtsort, nnd Men «s vor, unsere fast erstarrten Glieder ein wenig zu bewegcn. — 157 — Unser ganzer Körper war von jenen furchtbaren kleinen Blutegeln bedeckt, deren Viffe uns nach und nack die so nöthigen Kräfte raubten. Ich gestehe, daß ich in diesem Augenblicke eine Neu-gierde zum Teufel wünschte, für die ick so hart bestraft wurde. Diese Nacht war ein Scitenstück zu der, die ich in dem Bambosrohre verbracht, alö ich auf dem See Sänss« bruch gelitten hatte. Allem Anscheine nach wurden wir nicht von einer so großen Gefahr bedroht, denn wir konnten niün von den Wellen verschlungen werden; aber einer der großen Bäume, unter den wir uns zu flüchten nun gezwungen zyaren, lonnle entwurzelt werden und auf uns stürze«: — schon ein durch den Wind abgerissener Zweig genügte, um uns zu erschlagen, und der Blitz, schrecklicher durch sein Geräusch alö durch seine Wirkung, konnte lins treffen. Die Kälte, die wir empfanden, war uns vorzüglich schrecklich; sie hatte uns dir Glieder gelähmt, daß wir sie laum bewegen konnten. Mit Ungeduld erwarteten wir das Ende des Unwetters. Aber erst nach langen Stunden tödtlichcr Angst cntl fcrute sich der Donner nach und nach. Dann legre sich der Wind, und endlich hörte auch der Regen auf. Eine Zeit lang hörten wir nur noch schwere Tropfen zwischen die Bäume fallen, und zuletzt nichts mehr, als daS dumpfe Rauschen der Wasserfalle. Als die Ruhe wieder eingetreten, war der Himmel ohne Zweifel mit Sternen besäet; aber wir waren dieses — 158 — hoffnunggebenden A„blick's beraubt, da der ganze Wald ein für das Auge undurchdringliches Vlätterdack bildete. Der Schlaf ist dem Mmsckcn so nöthig, daß wir, trotz der Kälte und trotz unserer von dem schrecklichen Regen durchnäßten Kleider den Nest der Nacht ziemlich ruhig schlafen konnten. Am folgenden Morgen war dieser Wald, in dem einige Stunden zuvor die furchtbarste Aufregung herrschte, ruhig und still. Wir waren schrecklich anzuschauen, als wir unsere Höhle verließen. Der gm^e Körper war mit Blutegeln bedeckt, und die Vlutsfturen im Gesichte gaben uns ein scheußliches AuS-sehen. Indem ich meine beiden armcn Indianer ansah, konnte ich mich des Lachens nicht erwehren. Auch sie sahen mich an — die Achtung allein hielt ihre Heiterkeit in Schranken, denn auch ich mußte schrecklich gemißhandelt sein und meine weiße Haut sollte noch lange die Kennzeichen bewahren, daß mich diese verwünschten Thiere bearbeitet hatten. Wir waren so aufgerieben, daß wir vor Mattigkeit keine Bewegung ausführen konnten. Aber hier galt eö zu handeln, und zwar rasck. Wir mußten rasch Feuer anzünden, um unS zu erwärmen, einige Palmcnzwcige kochen, einen Fluß, der geräuschvoll vor unS vorüberbraus'te, durchschwimmen, und an denv selben Tage noch daS Ufer des stillen Oceans erreichen. Zögerten wir, unsere Wanderung fortzusehen, so tonnte es viMcht nicht mehr «nöglich sein, den Fluß zu — 159 — überschreiten; wir hatten bereits mehre hinter MlS, und tonnten dann weder rückwärts noch vorwärts, es wäre vielleicht die Nothwendigkeit eingetreten, daß wir mehre Tage das Verlaufen des Wassers abwarten mußten, ehe an eine Fortsetzung der Reise zu denken war. Da die Gewitter in diesen Gegenden häufig sind, so konnte auch ein anderes rasch nachfolgen, und wir hätten mehre Wochm an diesem einsamen Orte ohne Hilfsquellen blriom müssen, in dieser Einöde, wo schon eine Nacht sü fürchterlich gewesen war, daß wir lange daran denken würden. Wir durften also keine Zeit verlieren.' Wir zogen den Umschlag von Palmendlättern von unsern Querbcutcln, dir wir sorgfältig vor Feuchtigkeit geschützt iiatte», und waren glücklich, als wir sahen, daß unftre Vorkehrungen nicht unnütz gewesen: sie waren vollkommen trocken. Das Gummiharz erlaubte uns, leicht ein Feuer anzuzünden. Welch ein wunderbares Gefühl belebte uns, als diese wohlthätige Wärme unsere Glieder durchdrang, als unsere triefenden Kleider trockneten! Wir erhielten wieder Muth und neue Kräfte. Aber um dieses Wohlsein zu genießen, mußte man es so theuer erkaufen, wie ich es erkauft hatte. Ich zweifele, daß es viel Eur'opäer giebt, die an der verbrachten Nacht und an dem darauf folgenden Morgen Theil haben möchten. Unsere kleine Kucke war bald hergestellt, und noch rascher war das Bereitete verzehrt. Wir'dachten nun an den Aliforuch. — 160 — Meine Indianer warm besorgt. Sie fürchteten, daß wir nicht mehr über den Flusi würden kommen könne», der unser in einiger Entfernung wartete; sie gingen rascher als ich, dcnn sie wollten zuerst dort ankommen. Als ick fie einholte, sab ich, daß sie verwirrt waren. „Ach, Hcrr," rief mei,i treuer Alila, „es ist nicht möglich, binüberzukommen! Nir wcrdcn uns hier auf einige Tage niederlassen müssen." Ich blickte nach dem Flusse: er rollte sein gelbes Wasser schäumend über umgestürzte Felsen dahin, und bot d«n völligen Anblick eines Wasserfalle, der entwurzelte Bäume und abgerissene Aeste mit sich fortschleppt. Meine Indianer hatten ihren Entschluß sckion gefaßt, sie suchten einen Ort aus, wo es sich gemächlich bivouakiren ließ. Aber ich wollte im Unglücke nickt sogleich den Muth verlieren; ich sftälM sorgfältig nach einem Wege ans dieser Verlegenheit. Der Fluß war vielleicht hundert Schritte breit , ein ssutcr Schwimmer konnte ihn in einigen Minuten durch-schwimmen. Aber er mußte an dem jenseitigen Ufer an einer nicbt so abschüssigen Stelle landen, wo er aus dem Wasser steil gen tonnte; andernfalls hätte er riskirt, wer weiß wohin gerissen zu werden. Von dem Ufer, an dem wir uns befanden, war es leicht, sich in das Wasser zu werfen; aber an dem entgegengesetzten zeigte sich in einer Entfernung von hundert — l6I — Schritten nur ein Ort, wo die Felsen unterbrochen waren. Nachdem ich mit den Blicken die zurückzulegende Enti fernung gemessen, glaubte ich Kraft genug zu haben, um den Ucbcrgang zu versuchen. Ich schwamm besser, als meine Indianer, und war ick einmal an dem andern Ufer, so konnte ich sicher sein, daß sie mir folgten. Demnach erklärte ich ihnen, daß ich hinüberschwimmen würde. Aber ein Gedanke machte mich in diesem Entschlüsse schwanken. Wie sollte ich die Querbeutel, in denen sich der kost-bare Pulvervorrath befand, vor der Nässe bewahren? Wie sollte ich meine Waffen bergen? Es war unmöglich anzunehmen, alle diese Gegenstände auf dem Rücken durch einen so reißenden Fluß zu tragen, in dem ich aller Wahr« scheinlickü'it nack mehr als einmal unter das Wasser tauchen würde, beuor ich das andere Ufer erreichte, Meine Indianer waren erfindungsreich in solchen Din-gen, sie zogen mich bald aus der Verlegenheit. Sie hieben mehre indianische Nohrstäbe ab und banden sie zusammen. Dann stiegen sn auf den Gipfel eines Baum'S, der über den Flusi hing; hier banden sie eins der Enden fest, und reichten mir das andere, damit ich cs an das entgegengesetzte Ufer trüge. Als alle meine Vorkehrungen getroffen waren, warf ich mich in das Wasser. Ohne große Mühe erreichte ich das entgegengesetzte Ufer, und brachte glücklich mein Rohr mit. Abent. e. bret. Edclm. ?c. 2. Vd. 11 — 162 — Hier befestigte ick es so hoch an einem Vaumc des Users, daß es dem Orte gegenüber, Uon wo es ausging, etwas tiefer lag, ohne das Waffer zu erreichen, und daß mithin die Gegenstände gesichert waren, die wir über diese Brücke neuer Art hingleiten lassen wollten. Unser Manöver gelang vollkommen. Mit Hilfe des Nohrs gelangten auch meine Indianer rasch zu mir. Nir waren glücklich, als wir uns alle drei an dem andern Ufer befanden, um so mehr, da wir hoffen durften, vor Ende deS Tages das Meer zu erreichen. Wir hatten genug des Waldes gehabt! Es drängte uns, die Sonne wiederzusehen, die stit einigen Tagen unsern Blicken entzogen gewesen. Die Rlutegelwundcn verur» sachten uns noch immer einen stechenden Schmerz, und wir wurden immer schwächer, da die Nahrung nicht hinreichte, um die entschwundenen Kräfte zu ersetzen. UebrigenS zweifelten wir nicht, daß wir, sobald wir das Ufer des Meeres erreicht, doppelt für die Entbehrungen und MüMlg« ketten entschädigt werden würden. Mit der Hoffnung hatten wir unsern Muth wieder erlangt, und die verhängnißvolle Gewittevnacht war bald ver> «essen. Ich war fast eben so gut zu Fuß als meine Indianer, die sich nicht minder als ich beeilten, aus der unerträglichen Feuchtigkeit zu kommen, in der wir einige Tage gelebt hatten. Wohl zwei Stunden mochten verflossen sein, seitdem — 163 — wir den Flusi verlassen hatten, als wir in der Entfernung ein dumpfes Getöse vernahmen. Wir glaubten anfangs, es sei ein neueS Gewitter im Anzüge; aber bald erkannten wir an der Regelmäßigkeit dcS Tosenö, das aus weiter Entfernung zu kommen schien, daß es das Rauschen des stillen OccanS war, der seine Wogen an der Westküste von Lü?on brach. Diese Gewißheit brachte in mir «ine wohlthätige Bewegung hervor. In einigen Stunden sollte ich ja meinen blauen Himmel wiedersehen, sollte mich an dm Strahlen der wohlthätigen Sonne erwärmen, und sollte eine nur durch dcn Horizont begrenzte Aussicht haben, ich sollte mich endlich von dcn verwünschte!: Blutegeln befreien, und abermals die von Vögeln und Thieren belebte Natur sehen, statt der odm Gegenden, die wir durchschritten hatten. Der Abhang des Gebirges ward sanft, und unser Weg leicht. Das Wogengeräusch ward merklich stärker. Gegen drei Uhr Nachmittags bemerkten wir durch die Bäume den klaren Himmel, und kurze Zeit daraus bewunderten wir das Meer und eine prachtvolle, mit glänzendem feinen Sande bedeckte Küste. Unser erstes Geschäft war nun, uns der Kleider zu entledigen und unö in die Wogen zu stürzen. Während wir ein erquickendes Bad nahmen, amüsitten wir uns zugleich damit, daß wir eine Menge Muscheln von dcn Felsen rissen, die uns ein so saftiges Mahl boten, wie wir c« leider seit unserer Abreise nicht genossen hatten. - 164 — Nachdem wir uns erquickt hatten, dachten wir an Ruhe, wonach wir ein lebhaftes Vedürfnisi fühlten. Wir legten unS nun nickt mehr auf nackten und un, gleicken Holzstücken nicdcr, sondern auf weichem, feuchtem Sande, der von den letzten Sonnenstrahlen nocb warm war. Gs war fast Nackt, als wir uns auf dieses Vctt nie, derlcglen, das wir dem besten Federbette vorzogen. Unsere Querbeutel dienten unS zum Kopfkissen. Nachdem wir unsere wohlgcladmcn Waffen zur Seite gelegt, sanken wir alle drei in einen tiefen Scklaf. Ich weiß nicht, wie lange ich mick dieses erquickenden Scklaf's erfreut hatte, als ich durch den schmerzlicken Druck eines Thieres geweckt wurde, das sich um mich hcrumbe-lvegte. Mir war, als ob spitze Krallen meine Haut rihten, und ich empfand cincn heftigen Sckmerz. Dieselbe Empfindung weckte auch mcine Indianer. Wir rafften einige Kohlenbrände zusammen, die noch aMeten, und nnn konnten wir sehen, was für eine neue Art Feinde uns angriff. Es war der sogenannte Einsiedler»Bernhard'), und zwar in so großer Menge, daß der Boden um uns hcr damit besäet zu sein schien. Wir sahen deren von allen Grüßen und jedem Alter. *) Der Einsiedler. Bernhard ist eine Art Krabbe, Tasche«-krebs, d,r in Muscheln wohnt, welche das Echlcimthicr verlassen hat. Nachts kommen sie aus dem Meere, um am Strande sich Nahrung zu suchen. — 165 — Wir fegten dm Sand von unserm Lager hinweg, in der Hoffnung, die Thiere zu entfernen und einige Ruhe zu finden; aber die lästigen oder vielmehr hungrigen Einsiedler kehrten bald zu ihrer Beschäftigung zurück, und ließen uns weder Nuh' noch Rast. Noch waren wir beschäftigt, diese Annäherung abzusto« ßen, als wir plötzlich am Saume des WaldrS cinen hellen Schein bemerkten, der sich uns näherte. Wir ergriffen un« ftre Gewehre, und warteten schweigend und unbeweglich. Bald erkannten wir einen Mann und eine Frau, die Fackcln trugen und aus dem Walde kamen. Wir erkannten, daß es Ajetag waren, die wahrscheinlich Fische an dem Ufer suchen wollten. Sie näherten sich uns big auf einige Schritte, dann blieben sie cmcn Augenblick stehen und sahen nns starr an. Sitzend beobachteten wir sie, um ihre Absichten zu entdecken. Bei der Bewegung, die dcr eine von ihnen machte, um den Bogen von seiner Schulter zu nehmen, machte ich mein Gewehr schußfertig. Das Knacken der Feder an mci-ner Waffe genügte, um sie zu bannen; fic warfen die Fackeln von sich und verschwanden wie erschreckte, wilde Thiere in: Walde. Die beiden Wilden, deren Besuch wir so eben gehabt, konnten vielleicht ihre Kameraden benachrichtigen, in Masse zurückkehren und uns einige vergiftete Pfeile in den Lclb jagen. Diese Furcht und die Einsiedler-Bernhards, die uns immer noch zwickten, veranlaßten miS, den Rest der Nacht — 166 — bei einem großen Feuer zuzubringen. Es war nicht klug, zu schlafen, denn der Vewns lag vor, daß wir unS dem Lande der Ajetaö nahe befanden. Als der Tag erschien, nahmen wir ein gutes Frühstück ein, das uns die Muscheln lieferten, aus denen wir nach Belieben wählen konnten. Dann sehten wir unsere Neise fort. Nachdem wir eine Zeitlang das felsige Meeres-ufer verfolgt, betraten wir den Wald wieder, der sich in kurzer Entfernung von dem Strande ausbreitete. Der Tag war sehr ermüdend, aber er verfloß, ohne daß sich etwas ereignete, das bemerkeuSwcrth wäre. Die Nacht war schon völlig angebrochen, als wir bet dein Dorfe Vinangonan-delLamfton ankamen. Dieses von Tagalern bewohnte Dorf liegt wie eine Oase fast civilisirter Menschen mitten in Wäldern und unter wilden Völkerschaften. Es giebt keine gangbare Straße, um von hier aus zu Völkern zu gelangen, die unter span« scher Herrschaft stehen. Mein Name war den Bewohnern von Vinangonan-de-Lampon bekannt. Wir wurdm mit offenen Armen empfangen, und alle Häupter des Dorfs stritten sich um die Ehre, mich bei sich aufzunehmen. Ich gab dem den Vorzug, der mich zuerst eingeladen hatte. Mir ward bei ihm die liebreichste Gastfreundschaft zu Theil. Kaum war ich eingetreten, so wollte die Hausfrau selbst mir die Füße waschen. Man verschwendete überhaupt — 167 — alle Sorgfalt, inn die Freude darüber an den Tag zu le« gen, daß ick, nach ihrer Ansicht, ihrem Hause den Vorzug gegcbcn hatte. Während ich ein wirklich gutcg Nachtessen einnahm, füllte sich die Hütte mit jungen Mädchen, die mich mit eis ner wahrhaft komischen Neugierde betrachteten. Nach dem Essen begann mein Wirth eine Unterhaltung, die mich ein wenig ermüdete. Ich sehnte mich nach einem guten Vcttc, das heißt, nach einer Matte. Da sagte mir der Tagaler: „Sie sind müde, Herr, Sie müssen zur Ruhe gehen. Wählen Sie unter diesen jungen Mädchen, die schönste wird ihnen Gesellschaft leisten." Es lebten leider nock zu schmerzliche Erinnerungen in mir, als daß ich dieses seltsame Anerbieten meines Amphitryon hätte annehmen können. Ich begnügte mich, die excentrische Art und Weise, wie man in Binangonan-de-Lampon die Besuchenden chrt, in meinem Tagebucke zu notiren. Als ich den Indianer fragte, ob dieser Gebrauch allgemein sei, antwortete er: „Ja, aber wir üben ihn nur bei Fremden, die durch ihren Rang und ihre Farbe sich auszeichnen." Ick blieb drei Tage bei den guten Tagalern von Vis nangonan, die mich wirklich wie einen Fürsten aufgenommen hatten. Am vierten Tage nahm ich von ihnen Abschied, und wir schlugen die Nicktung nach Norden ein, nach den Gebirgen, die stets mit dichten Waldungen bedeckt sind und — !68 — denen glichen, die lrir hint« uns hatten. Außer kleinen Fußwegen, auf denen sich nur wilde Thiere zeigen, bicttn sie dem Reisenden keine betretene Straße. Wir schtcn unsere Reise mit Vorsicht fort, denn wir befanden uns in dem Lande der Njctas. Nachw ließen wir stcts unsere Feuer brennen, und einer stand Schildwache, da wir nichts mehr als eine Ue, berraschung fürchteten. Achtes Kapitel. Anlunft bei den Ajetas oder Negritos. Abreise. Schifffahrt auf dem Men Ocean. Anfimft in Jala-Jala und Manilla. IVährend wir eines Morgens schweigend unsern Weg feilschten, hörte» wir vor lins einen Chor kreischender Summen, die eher dem Geschrei der Vögel, als menschlichen Lauten glichen. Wir waren auf uns« er Hutl>, und schlüpften vorsichl tig von einem Baume zu dem andern. Plöhlich sahen wir in kurzer Entfernung oor uns uni ssefähr vicrzia. Wilde uon jedem Geschlechte und jcdem Alter, die wirklick das Ansehen wilder Thiere hatte». Sie saßen um ein großes Feuer, das sie an dem Ufer emeS Flusses angezimdtt hatten. Indem wir ihnen unsere Gewehre zeigten, traten wir ihnen einige Schritte entgegen. Kaum hatten sie u»S erblickt, als sie ein gellendes Geschrei ausstießen und sich anschickten, zu entfliehen. — !70 — Aber ich gab ihnen cm Zeichen und zeigte ihnen Pn-kctc Cigarren, die wir ihnen geben wollten. Glücklicherweise hatte ich in Vinangonan mich über die Art und Weise unterrichten lassen, wie man sich diesen Wilden zu nähern hat. Sie hatten uns verstanden, und stellten sich in einer Reihe auf, wie Menschen, die die Nevüe Passiren sollen. Es war dies das Zeichen, daß wir uns ihnen nähern konnten. Wir näherten uns ihnen, die Cigarren in der Hand. Auf einem Ende der Neihe begann ich auszutheilen. Es war wichtig, sie unS zu Freunden zu machen, und deshalb mußte ich einem Jeden, nach dem Gebrauche, einen gleichen Theil geben. Die schwangern Frauen zählten für zwei; sie klopften sich auf den Vauch, um mir anzudeuten, daß ihnen ein doppelter Theil zukäme. Nachdem die Vertheilung geschehen, war der Friede geschlossen und die Alliance befestigt. Weder die Wilden noch wir hatten etwas zu fürckten. Nun begannen Alle zu rauchen. Der Chef ging zu einem Hirsche, der an einem Vam me aufgehangen war, und schnitt mit einem Vambosmesser drei große Stücke davon ab. Diese Stücke warf er in das Feuer; nach einigen Augenblicken holte er sie wieder heraus und brachte sie unS. Das Acußere dieses Bratens war ein wenig verbrannt und mit Asche bedeckt, daß Innere aber war welch und saftig. — 171 — Ich brauchte deshalb dieses fast kannibalische Mahl nicht mit Widerstreben zu genießen; meine Wirthe würden daran Anstoß genommen haben, und ich wollte einige Tage lang in Frieden mit ihnen leben. Demnach verzehrte ich nut Appetit meinen Hirschbraten, der im Ganzen genommen nicht schlecht war; meine Indianer folgten meinem Beispiele, nachdem daS Me Ein-Verständniß festgestellt war. Einen Verrath hatten wir nun nicht mchr zu befürchten. Ich befand mich nun unter den Menschen, die aufzusuchen ich von IalaiIala aufgebrochen war; ich konnte sie nach Gefallen prüfen und kennen lernen. Wir richteten unser Viuouac mna>> Schritte von dem ihrigen ein, als ob wir zu der Familie unserer neuen Freunde gehorten. Da ich nur durch Gcberdcn und Zeichen zu ihnen sprechen konnte, ward es mir schwer, mich ihnen begreiflich zu machen; aber schon am Tage nach meiner Ankunft fand ich einen Dolmetscher. Eö brachte mir nämlich eine Frau ihr Kind, damit ich ihm einen Name gäbe; diese Frau war bei Tagalern erzogen, sie hatte die Sprache derselben erlernt, erinnerte sich deren noch, und konnte mir, wenn auch ein wenig mühsam, jede Aufklärung geben, die ich wünschte. Die Menschen, mit deuen ich mich für einige Tage eingelassen hatte, schienen mir, wie ick sie vor mir sah, mehr eine große Assenfamilie, als menschliche Geschöpfe zu ftin. Ihre Stimmen hatten große Aehnlichkcit mit diesen Thieren, und ihre Bewegungen glichen denen der Affm völlig. — 172 — Der einzige Unterschied, den ich fand, bestand darin, daß sie sick des VogenS und der Lanze bedienten, und Feuer machen konnlen. Um sie genau zu schildern, beginne ick mit der Beschreibung ihrer Formen und Physiognomien. Der Ajetaö oder Negrito Hal eine schwarze Ebenholz« färbe wie der afrikanische Neger. Völlig ausgewachsen, ist er vier und einen Halden Fuß lang. Scin Haupthaar ist wollig, und da er es nie abschneidet oder Pflegt, so bildet es eine Krone um seinen Kopf, die ihm ein seltsames Aussehen giebt. Won Weitem glaubt man. er sei mit einem Heiligenscheine umgeben. Scin Auge ist ein wenig gelblich, aber lebhaft und blitzt wie das eines Adlers. Die Nothwendigkeit, von der Jagd zu leben und stets Veute aufzuspüren, bildet dieses Organ und giebt ilnn diese auffallende Lebhaftigkeit. Die Züge des A^taS sind denen des schwarzen Afrikaners ähnlich, nur sind seine LiPPcn weniger hervorspringend. So lange sie jung sind. haben sie schöne Formen; aber das Leben in den Wäldern, das stete Schlafen in freier Luft, das Entbehren eines Zufluchtsortes, daß sie an einem Tage viel, und sehr oft gar Nichts essen, das lange Fasten und die darauf folgenden Mahlzeiten, die sie mit der Gc« fräßigkcit wilder Thiere verschlingen: dies AllrS giebt ihnen einen starken Bauch und macht ihre Glieder lang und dünn. Außer einem kleinen Gürtel von Baumrinde, der acht bis zehn Zoll breit ist und die Mitte des Kö'rperü umgiebt, tragen sie keine Bekleidung. — 173 — Ihre Waffen sind: eine Lanze von Vmnbos, ein Bogen von Palmenholz und vergiftete Pfeile. Sie ernähren sich von Wurzeln, Früchten und den Ergebnissen der Jagd. Das Fleisch essen sie roh. Sie leben in Horden von fünfzig bis sechzig Köpfen. Am Tage bleiben die Greise, die Schwachen und die Kinder bei einem großen Feuer, während die Andern jagend die Wälder durchstreifen. Haben sie eine Beute gemacht, die itmen Nahrung auf mehre Tage gewährt, so bleiben sie Alle bei dem Feuer. Abends legen sie sich bunt durcheinander in die Asche schlafen. Es gewährt einen wunderlichen Anblick, fünfzig dieser wilden Menschen von allen Formen und jeden Alters so zu sehen. Die alten Frauen besonders sind sehr häsilich.' die als ten Glieder, der starke Bauch, das außerordentliche Haupthaar geben ihnen das Aussehen von Furien oder alten Hexen. Gleich nach meiner Ankunft kamen die Mütter, die Kinder in zartem Alter hatten, „m sie mir zu zeigen. Um ihnen zu gefallen, bewies ich den Ernährerinnen einige Iärtliäckeiten; aber dirs wollten sie nickt, und ungeachtet ibrer Geberdcn und Worte war es mir unmöglich, ihre Absicht zu verstehen. Am folgenden Tage kam die Frau, von der ich bereits gesagt, daß sie unter Tagalern gelebt hatte, von einer Horde aus der Umgegend an. — 174 — Wohl ein Dutzend anderer Frauen, die alle ihre klei< nen Kinder auf den Armen trugen, begleiteten sie. Sie erklärte mir, was mir Abends zuvor unbegreiflich gewesen war. „Wir haben," sagte sie mir, „sehr wenig Worte, um mit einander- zu sprechen. Alle unsere Kinder nehmen bei ihrer Geburt den Namen des OrteS an, wo sie geboren sind. Dies giebt dann eine große Verwirrung, und aus diesem Grunde bringen wir sie Ihnen, daß Sie ihnen Namen geben sollen. Nach dicser Erlärung wollte ich die Ceremonie mit allem Pompe vollziehen, den mir Ort und Umstände er» laubten. Ich kannte die Förmlichkeiten einer Taufe, und näherte mich einem tleincn Bache. Meine beiden Indianer mußten Pathen sein, und im Verlaufe einiger Tage taufte ich ungefähr fünfzig dieser armen Kinder. Jede Mutter, die mir ihren Säugling brackite, war stetZ von zwei Personen ihrer Familie begleitet. Ich sprach die Worte dek heiligen Sacramentes, goß Wasser auf den Kopf des Kindes, und sagte langsam und laut den Namen, den ich dem Kinde geben wollte. Da ich mm kein anderes Mittel hatte, den gegebenen Namen, z. B. Franz, ihrem Gedächtnisse einzuprägen, so ließ ich die Mutter und die fle begleitenden Zeugen den Namen so oft wiederholen, biä sie ihn gcläufig ausi sprechen konnten imd ich gewiß war, daß sie ihn nicht vergessen würden. Indem sie sich entfernten, wiederholten — 175 — sie unaufhörlich den Namen, um ihn dem Gedachtnisse fest einzuprägen. Am ersten Tage dauerte diese Ceremonie sehr lange; dann aber verminderte sich die Zahl der Täuflinge, und ich konnte meine Gäste nach Gefallen studiren. Die Frau, die tagalesisch sprach, behielt ich bei mir; in den langen Unterredungen, die ich mit ihr hatte, machte sie mich mit ihren Sitten und Gebräuchen bekannt. Die Ajetas haben keine Religion, sie beten kein Gestirn an. Es scheint indeß, daß sie von den Tingmancrn den Gebrauch angenommen haben, einen Tag lang den Felsen oder den Baum zu verehren, in dem sie eine Aehn-lichkeit mit irgend einem Thiere entdecken; dann verlassen sie ihn schnell, um ferner uicht mehr an einen Götzen zu denken, bis ihnen eine andere bizarre Gestalt aufstößt, di« den neuen Gegenstand einer frivolen Verehrung bietet. Für ihre Todten hegen sie eine große Verehrung. Jahre lang gehen sie zu den Gräbern, um Tabak und Vctel darauf niederzulegen. Den Vogm nnd die Pfeile des Verstorbenen hangen sie am Begräbnißtage über dem Grabe, auf, weil sie glauben, der Todte steige jede Nacht aus seinem Grabe, um auf die Jagd zu gehen. Die Begräbnisse finden ohne alle Ceremonien statt. Man legt den Todten seiner ganzen Länge nach in einen Graben, und deckt ihn mit Erde zu. Aber wmn ein Njetas gefährlich krank ist, wenn die Krankheit für unheilbar gehalten wird, oder wenn er leicht durch einen vergifteten Pfeil verwundet ist, so legen ihn — 176 — seine Freunde in cin großes Loch, kreuzen ihm die Arme auf der Brust, und begraben ihn lebendig. Um mit meiner Dolmetscherin über Religion zu reden, fragte ich sie, ob sie nickt an ein höchstes Wesen glaube, an eine allmächtige Gottheit, uon der die ganze Natur und wir selbst abhingen, die da? Firmament erschaffen habe, und alle unsere Handlungen sehe? Sie sah mich lächelnd an und sagte i „Ick erinnere mich, daß Ihre Brüder, als ich noch jung war und unter ilmcn lebte, oft Uon einem Herrn sprachen, der im Himmel wohne. Abcr es war eine Lüge. Denn sehen Sie (sie erhob sich, ergriff einen kleinen Kieselstein, warf ihn in die Luft und fügte sehr ernst hinzu) sehen Sie, kann cm König, wie fie sagen, eher in dem Himmel bleiben, als dieser Kieselstein? Was sollte ick darauf antworten? Ich ließ die Religion und ging zu andern Fragen über. Wie ich bereits gesagt, warten die NjetaS oft den Tod eines Krcmkm nickt ab, um ihn zu begraben. Hat man einein von ihnen die Ehre des Begräbnisses erwiesen, so fordert eS der Gebrauch, daß sein Tod gerächt werde. Die Jäger der Horde, der er angehörte, ziehen mit ihren Lanzen und Pfeilen aus, um das erste lebende Wc-sen. das sick ihren Blicken darbietet, zu todten, sei eS ein Mensch, ein Hirsch, ein Eber oder cin Büffel. Wenn sie sich zur Aufsuchung ihres OftferS in das Feld begeben, so brechen sie auf ihrem Wege durch den Wald alle jungen Schößlinge von den Stauden ab, die — 177 — sie fmden, und beugen die Wipfel der Richtung zu, die sie verfolgen. Diese Vorsicht wenden sie an, um die Reisenden und die Nachbarn aufzufordern, sich aus der Gegend zu entfernen, wo fie das Thier oder den Menschen, der ihr Opfer werden soll. aufsuchen; denn fällt einer von ihnen in ihre Hände, so todten sie ihn schonungslos. Der Ajetas ist in der Ehe treu, und hat nur eine Frau. Wenn ein junger Mann seine Wahl getroffen hat, so halten seine Freunde und Verwandte um das junge Mädchen an. Eine Abweisung findet in keinem Falle statt. Man wählt einen Tag. Vor Sonnenaufgang an diesem Tage wird das junge Mädchen in den Wald geschickt. Hier versteckt eS sich, oder eS'versteckt sich auch nicht, je nachdem eS die Verbindung mit dem wünsäit, der um das Mädchen angehalten hat. Eine Stunde später wird der junge Mann zur Auf« snchung seiner Braut ausgeschickt. Hat er das Glück, sie zu finden und sie vor Sonnenuntergang ihren Verwandten zuzuführen, so ist die Heirath vollzogen und die Braut ist für immer seine Frau. Kehrt er aber ohne sie zurück so kann er sich nicht mehr um sie bewerben. Das Alter wird bei den Ajetas hoch geachtet; stets beherrscht ein Grcls die Horde, der er angehört. Alle Wilden dieser Ra?e leben, wie schon gesagt, in großen Familien von sechzig bis achtzig Köpfen. Sie schweifen durch die Wälder, ohne einen festen Abent,^ c. brct. Edelm. n. 2. Vd. 12 — 178 — Wohnsitz zu haben, und ändern je nach dem Vorhandensein des Wildprct's ihren Aufenthalt. Fühlt eine Frau das Herannahen ihrer Entbindung, so entfernt sie sich von ihren Gefährten, geht an das Ufer eine« Flusses, bindet cm Stuck Holz qner zwischen zwei Bäumen fest, legt ihren Leib auf diese Stütze, neigt den Kopf der Erde zu, und bleibt so lange in dieser Lage, bis sie entbunden ist. Dann badet sie sich mit dein Neugeborenen in dem Flusse, und kehrt sofort zu ihrer Horde zurück. Da diese Menschen in rohem Nalnrzustande leben, so besitzen sie durchaus keil, musikalisches Instrument. Ihre Sprache ahmt das Gezwitschcr der Vögel nach, und da sie wenig Worte hat, so ist es für den Fremden sehr schwer, diese Wilden zu studircn. Sie sind vortreffliche Jäger und bedienen sich des Bogens mit einer wunderbaren Geschicklichkeil. Die kleinen Kinder beiderlei Geschlechts üben sick am Ufer der Flusse mit kleinen Bogen, wahrend die Elttrn die Wälder durchstreifen. Wenn sie in dem durchsichtigen Wasser einen Fisch bemerken, so sckießen sie einen Pfeil auf ihn ab, und cö ist selten, daß der Schuß nicht trifft. Alle Waffen der Ajeraö sind vergiftet. Ein einfacher Pfeil könnte ein so starkes Tkier, wie den Hirsch, nicht so sckwer verwunden, daß es aufgehalten würde; aber wenn der Wurfspieß mit dem Gifte bedeckt ist, dessen Vereitung ihnen bekannt ist, so genügt die klemste Verwundung, um in dem Thiere einen nicht zu löschenden Durst zu erregen, und der Tod ^folgl unmittelbar, wenn es getrunken hat. — 179 — Nun schneiden die Jäger das Fleisch aus der Wunde, und können die Beute ohne schädliche Folgen als Nahrung genießen; aber vernachlässigen sie diese Vorsicht, so wird das ganze Fleisch so bitter, das eS selbst die Ajetas nicht verschlingen tonnen. Da ich nie an das berühmte Voab von Java habe glauben wollen, so hatte ich in Sumatra Untersuchungen über diese Gißart angestellt, deren sich die Malaien bedienen. Bei dieser Gelegenheit entdeckte ich, daß es einfach eine starke Auflösung Arsenik in Citronensaft war. In diese Auslösung werden die Waffen mehrmals eingetaucht. Ich wollte nun auch wissen, was die Ajetas anwendeten. Sie Mrten mich an den Fuß eines großen Baumes, rissen ein wenig Ninde davon ab, und sagten mir, daß diese Rinde ihnen als Gift diente. Ick kauete etwas davoni sie hatte einen unerträglich bittern Geschmack und war im Naturzustände nicht schädlich; aber die Ajetas unterwerfen sie einer Zubereitung, deren Geheimniß sie mir mittheilen wollten. Wenn ihr Gift zu einer Art Teig gestaltet ist, so be-streichcn sie ihre Waffen damit, vielleicht einen Viertel I5ll dick. Der Ajetas ist in allen seinen Bewegungen schnell und gewandt; er steigt wie die Affen auf die höchsten Bäume, und verfolgt, schnell wie der Hirsch, die wilden Thiere, waS seine Lieblingsbeschäftigung ist. Es gewährt einen höchst seltsamen Anblick, wenn diese Wilden zur Jagd ausziehen: Männer, Fvcuen und Kin- 12 5 — 180 — der laufen durcheinander, sie sthcn aus wie ein Haufei: Orang-Utangs, die auf Streifereien ausgehen. Einige kleine Hunde von einer ganz besondern Rave begleiten sie stets; sie dienen ihnen zur Aufsuchung der verwundeten Beute. Ich hatte die Gastfreundschaft, die mir diese wilden Menschen gewährten, genügend genossen und erfahren, was ich wissen wollte. , Das beschwerliche Leben, das Entbehren des Obdach'ö, und die traurige Kost, die mir die Wilden boten, ward mir zum Nebcrdrusse; ich beschloß, nach Jala-Jala zurückzukehren. Wor der Abreise kam ich jedoch auf den Gedanken, das Ekelet eines Mlden mit mir zu nehmen. Es war dies nach meiner Ansicht ein seltenes Stück für den Iardin dcS Plantes oder daä anatomiscke Museum. Das Unternehmen war gefährlich, da die Ajctas ihre Todten hoch verehrten; sie konnten uns bei der Beraubung ihrer Gräbcr evtappm, und dann wäre eS um uns geschehen gewesen. Aber da ich gewohnt war, alle Hindernisse zu besiegen, die sich mcimm Willen entgegenstellten, so an-derte die drohende Gefahr mnncn Entschluß nicht. Ich theilte meinen Indianern die Absicht mit; sie hat-len Nichts daran auszusetzen. .Eine halbe Stunde von unserem Bivouac hatte ich mehre Gräber bemerkt. Um Mittag eines Taa^S nahmen wir unser Gcpäck, sagten unsern Wirthen Lebewohl, und schlugen de» Mg nach diesem Orte ein. — 181 — In den ersten Gräbern, die wir öffneten, hattc die Zeit einen Theil der Knocken zerstört, und ich konnte mir Zwei Schädel erlangen, die wahrlich die Gefahr nicht aufwogen, der ich mich ausgesetzt hatte. Wir sehten indeß unsere Arbeit fort. Gegen Abend entdeckten wir eine Frau, die wir an der Stellung erkannten, die sie in ihrem Grabe eingenommen, als man sie vor ihrem Tode beerdigt hatte. Ihre Knochen waren noch mit Haut bedeckt, aber sie war so ausgetrocknet, daß sie sich im Zustande der Mumie befand. Dies war ein passender Gegenstand. Nir holten sie aus ihrem Grabe, und begannen die einzelnen Theile in unsere Säcke zu stecke», als wir plötzlich ein gellendes Geschrei hörten. Die Ajetas kamen an. Nun hatten wir kcine Zeit mehr zu verlieren. Wir bemächtigten uns rasch unserer Beute, und eilten davon. Wir mochten kaum hundert Schritte weit gelaufen sein, als uns Pfeile um die Ohrcu schwirrten. Die Ajetas saßen auf den Baumwipftln, wo sie uns erwartet hatten; sie griffen uns an, und wir hatten kein Mittel, uns zu vertheidigen. Glücklicherweise kam unS die Nacht zu Hilfe; ihre Pfeile, die gewöhnlich sicher gezielt waren, trafen in der Dunkelheit nickt. Ohne unsere Flucht zu unterbrechen, feuerten wir ciüS unserer Gewehre ab, um sie zu erschrecken. Wir kamen mit dem Schrecken davon und der vorläufigen Warnung, wie gefährlich eS ist, die Ruhe der Todten zu stören. — 182 — slls wir aus dem Walde traten, zeigten mir einige Blutstropfen an der reckten Hand eine leichte Schramme; ick war dcr Ansicht, daß ich sie bei dem heftigen Laufen bekommen hätle. Wie gewöhnlich kümmerte ich mich weiter nicht darum und wanderte rüstig bis zum Meercsufer weiter. Wir hatten unser Skelet nicht aufgegeben, sondern es mit uns genommen. Am MeereSufcr legten wir es in den Sand, eben so unsere Querbeutel und unsere Gewehre. Dann sehten wir uns, um von den Beschwerden des Ta-ges auszuruhen. Nun begannen meine Gefährten Betrachtungen über unsere Lage anzustellen. Mein Lieutenant, der die Gcfah« ren zu würdigen wußte, rief auöi „Ach, Herr, was haben wir gethan! Was soll aus unö werden? Morgen werden die wüthenden Ajetas uns auf dem Fuße folgen, um die verfluchte Beute 5,1 rächen, die wir ihnen um den Preis unseres Lebens genommen ha? ben. Wenn sie unS nur auf freiem Felde angriffen, so könnten wir IMS wenigstens mit unsern Gewehren vertbeidi» gen; aber wae können wir gegen diese Thiere unternehmen, die wie Affen von einem Baume zu dem andern klettern? Die Wälder sind für sie Festungen, aus denen sie Pfeile auf ,mS berabschleudcrn, die leider sttts treffen! Wäre es nicht glücklicherweise Nackt gewcsm, als sie uns angriffen, wir hätten ein Jeder jetzt einen guten Pfeil im Leibe; dann hätten sie unS die Köpfe abgeschnitten, um sie zu einem Siegcsftste z„ benutzen. Und den Ihrigen, Herr, hättm sie aufgepflanzt und um ihn herumgetanzt. Ach, Herr, — 183 — wag bätte unS nicht Alles geschehen können, wenn die Nacht unsere Flucht nicht begünstigt hatte! Wir können dock nicht immer an dieser Küste bleiben, an dem einzigen Orte, der günstig ist zur Vertheidigung gcgm die ver: dämmten Negritos; wir, müssen nach Haust zurückkehren, und dies kann nicht anders geschehen, als daß wir die Wälder passiren, die diese abscheuliche Na«.'e bewohnt, bei der wir rohes, blutiges Fleisch gegessen haben. Ach, Herr, ehe wir diese verwünschte Reise unlernahmen, hätten Sie sich alleS dessen erinnern sollen, was uns bei den Tingui-anern und Igoroten begegnet ist!" Ich hatte dieses rührende Klagelied meines Lieutenants, das übrigens nicht ohne Grund war, ruhig angehört. Um ihn wieder zu rnnuthigm, sagte ick ihm, als er geendet hatte: „Wie. auch Du, mein tapferer Alila, hast Furcht? Ich glaubte, der Tic balan, die bösen Geister und die Seelen der Verstorbenen allein könnten Dir Furckt einjagen? Du machst mich wahrhaftig glauben, daß Menschen, wie die, die keine andern Waffen als schlechte Pfeile haben, Dich erschrecken können! Beruhige Dich, morgen, wenn es Tag ist, wcrden wir schon schen, was zu thun ist. Für jcht aber wollen wir einige Muscheln suchen, denn mich hungert sehr, trotz der Fmckt, die Du mir einstoßen willst. Diese kleine Rede gab Nlila die Fassnng zurück; er stand auf und machte Feuer an. Dann nahm er brennende Bambosstäbe nnd ging mit seinen Kameraden nach den Felsen, um Muscheln zu suchen. Alila hatte indessen Recht, und ich selbst verhehlte mir — 184 — nicht, daß nur ein Zufall allein uns aus der kritischen Lage ziehen konnte, in die wir durch mein Versehen gc-rathcn waren, als ich daran dachte, das Museum von Paris mit dem Skelette eines AjetaS zu schmücken. (Dieses Skelet befindet sich jetzt in dem anatomischen Museum.) Aus Temperament und Gewohnheit war ich nickt der Mann, der vor einer Gefahr erschreckte, die mir nickt un» mittelbar drohete; aber ick gestehe, daß ich nicht ohne Ve-sorgniß an den folgenden Tag dachte. Meine Indianer hatten bereits so viel Muscheln her-beigetragen, als zu unserer Mahlzeit nöthig waren — da kam Alila außer Athem herbeigelaufen. „Herr," sagte er, „ich habe soeben eine Entdeckung gemacht i an der Küste, vielleicht hundert Schritte von hier, fand ich ein Voot, das das Meer in den Sand geworfen hat; es ist groß genug, um uns alle Drei zu tragen. Wir können uns desselben bedienen, um nach Vinangonan Zu gelangen, und dann sind wir vor den vergifteten Pfeilen dieser verdammten Ajetas sicher. Diese Entdeckung war entweder die rettende Vorsehung, oder eilt Inbegriff von noch größeren Gcfabrcn als die, die uns am anderen Morgen auf dem festen Lande vorbehalten waren. Ich ging sogleich nach der Stelle, wo Alila seine wich, tige Entdeckung gemacht hatte. Nachdem wir das Voot von dem Sande befreit, der einen Theil desselben bedeckte, versah ich mich mit Vambos-stä'ben, und nach einigen Versuchen erlangte ich die Gewiß- — 185 — heit, daß wir uns seiner zur Fahrt über den stillen Ocean bedienen konnten, nm uns von den Njetas zu entfernen. „Nun," sagte ich zu Alila, „hatte ich nicht Nccht? Erkennst Du hier die Vorsehung? Scheint es nicht, als ob dieser schöne Kahn, der vielleicht einige tausend Meilen von lmr gefertigt ist, eigens geschickt ist, um unS aus dm Klauen der Wilden zu retten?" „Ja, Herr, es ist dies unsere Bestimmung. Morgen werden sie sich schön wundern, wenn sie unS nickt mchr finden. Aber gehen wir auch sogleich an'S Werk, denn eS bleibt noch viel zu thun, ehe dieser schöne Kahn, wie Sie ihn nennen, in einen schiffbaren Stand verseht wird." Wir zündeten augenblicklich ein großes Feuer am Ufer des Meeres an, und gingen in das Gehölz, um einige Vambos und Rohrstäbe zu fällen. Dann begannen wir alle Defflnmgen zu verstopfen, die sich unter unseren Bemühungen in diesem verlassenen Voote vermehrten. Wer noch leine Neisc zu den Wilden gemacht hat, wird es nicht begreifen, wie man ohne Werkzeuge und Nägel die Spalten eines Fahrzeugs verstopfen und es fär das Meer tauglich machen kann. Dieses Mittel ist indeß sehr einfach. Unser Dolche, Bamboo und einige Nohrstäbe ge, nügen. Wenn man einen VamlwS abschabt, so erhält man eine Art Werg, die man in die Spalten stopft, damit das Wasser nicht eindringt. Will man eine Oeffnung von einigen Zollen im Durchmesser verstopfen, so macht man aus dem Bambos ein kleines Vrct, das etwaS größer als die Oeffnung ist. Mit — 186 — der Spitze des Dolches bohrt man nun klcine Locker um die Orffnung in das Boot, und eben so viel Löcher in das kleine Bret. Mit einem Rohrseile näht man nun das Bret auf die Orssmmg, alö ob man ein Stück Tuch auf einen Rock näht. Vestreickt man nun die Nath mit Gummiharz, so kann man sicher sein, taß das Wasser nicht eine dringt. Das Rohr vertritt die Stelle des Hanfs. Eifrig arbeiteten wir an unserm Rettungsboote. Als die Ausbesserung vollendet war, brachten wir zwei starke Valancirstangm an, die wir aus Vambos gefertigt hatten, denn ohne diese Valancirstangen hätten wir uns nicht zehn Minuten auf dem Wasser halten können, ohne unizuwerfen. Aus einem andern Vambos »nachten wir einen Mast. Unser großer Querbeutel, in dem sich das Skelet befand, ward zu einem Segel umgeschaffen. Die Nackt war noch nicht weit vorgerückt, als wir alle unsere Vorbereitungen vollendet hatten. Der Wind war günstig. Eö drängte uns, unser Fahrzeug zu versuchen und den Kampf gegen neue Schwierigkeiten zu unternehmen. Unsere Waffen und das Skelett, die Ursache der neuen Drangsale, brachten wir in das Boot. Dann stießen wir es über den Sand in daS Wasser. Länger als eine halbe Stunde hatten wir gcgm die Brandung zu kämpfen. Mit jedem Augenblicke drohete uns die Gefahr, von großen Wellen verschlungen zu werden, die sich an den Felsen der Küstc brachen. — 187 — Na^aum war ich wieder hergestellt, als mein lieber Sohn, mein einziges Glück, das letzte geliebte Wesen in diesem frucktbarm und zugleich verheerenden Lande, als mein armer Henri plötzlich krank wurde. Seine Krankheit machte reißende Fortschritte. Meine Freunde ahnten, daß mir ein großes Unglück bevorstände. Nur ich allein kannte den Zustand nickt, in dem sich mein Kind befand. Meine leidenschaftliche Liebe zu ihm hielt es für unmöglich, daß mich die Vorsehung von ihm trennen könnte. Mein Arzt, oder vielmehr mein Freund Genu, ricth mir, ihn nach Jala «Jala zu bringen; er meinte, die Luft, in der er geboren, und das Land würden ohne Zweifel seine Genesung begünstigen. l3 — 190 — So reis'te ich denn nut ihm und seiner Gouvernante ab. Da so viel Personen die Gesundheit in Jala-Jala wiedererlangt hatten, durfte ich hoffen, daß auch mein Sohn dort Genesung finden würde. Die Neise war sehr traurig, denn ich sah mein armeS Kind leiden, ohne daß ich ihm beistehen konnte. Nei unserer Ankunft empfing mich Vidie, und einige Augenblicke später bewohnte ich mit meinem Henri dasselbe Zimmer, das mich an zwei schmerzliche Verluste eriimertei an den meiner kleinen Tochter und den meiner geliebten Anna. Ja, noch mehr: es war dasselbe Iimmer, in dem mein Henri das Licht der Welt erblickt hatte! Vertrauend auf meine Kunst und Erfahrung sehte ich mich an das Vctte meines KindcS, lind verließ «S nicht mehr. Ich schlief neben ibm und verbrachte alle meine Tage damit, ihm die zärtlichste Sorgfalt angedeilien zu lassen. Aber leider konnte ich seine Leiden nickt lindern. Ich gab die Hoffnung auf — am neunten Tage nach unserer Ankunft verschied das theure Kind in meinen Armen. Es ist unmöglich, die Gefühle zu schildern, die sich Meiner bei dieser letzten Prüfung bemächtigten. Mein Herz war gebrochen, mein Kopf brannte wie im Feuer. Ich ward fast wahnsinnig, und nie im Leben hat sich meiner eine größere Verzweiflung bemächtigt. Ich empfand Nichts mehr, als meinen furchtbaren Schmerz; man mußte Gewalt anwenden, um die sterblichen Reste meines Kindes auö mei« ,ien Armen zu reißen. Am folgenden Tage ward er neben seiner Mutter bei- — l9? — gesetzt, und in der Kirche von Jala-Jala erhob sich cin Grabmal mehr. Mein Freund Nidie suchte mich vergebens zu trösten und zu zerstreuen; mehr als einmal wollte er mich aus dem verhängnißvollen Zimmer entfernen — er konnte eö nicht dahin bringen. Ich hoffte und glaubte das Recht dazu zu haben, daß auch ich an dem Orte sterben müsse, wo meine Frau und mein Kind den letzten Seufzer ausgehaucht hallen. Mein Schmerz war so heftig, daß ich weder weinen noch sprechen konnte. Die Aufzehrung eines hitzigen FiebecS war meinein Wunsche zu langsam. In einem Augenblicke der Verirrung stand ich auf dem Punkte, daö größte Verbrechen zn begehen, dessen sich ein Unglücklicher gegen seinen Schöpfer schuldig machm kann. Ich verschloß meine Thüre, ergriff den Dolch, der so oft mein Lcbm vertheidigt hatte, und wandte ihn gegen meine eigene Brust. Schon wählte ick den Ort, wo ich durch «inen einzigen Stoß mein trauriges Dasein endm konnte, schon sank mein durch den Wahnsinn erstarrter Arm auf die Vrust herab — da stleg plötzlich cin Gedanke in mir auf und hinderte mich, das unverzeihlicke Verbrechen zu begehen, daS Vere brechen dcr Verzweiflung. Meine Mutter, meine arme, in» nig geliebte Mutter erschien vor meinem inneren Auge, und ich hörte sie sagen: „Du willst mich verlassen? Ich soll Dich nicht mehr sehen?" Dann erinnerte ich mich der letzten Worte meiner theuren Anna. — 198 — „Kehre zu Deiner alten Mutter zurück!" Dieser Gedanke brachte eine völlige Umwandlung in mir hervor; schaudernd warf ich den Dolch von mir — dann sank ich entkräftet auf mein Bett. Thränen traten in meine trockenen, brennenden Augen und erleichterten mein schwer belastetes Herz. Die Kraft der Seele, deren ich so sehr bedürfte, rich« tit« mich wieder auf. Ich dachte nicht mehr an den Tod, wohl aber daran, mein hartes Geschick zu erfüllen. Die strömenden Thränen machten mich ruhiger, und ich gab mich nun ganz dem Gedanken hin, meine Mutter und meine Schwestern zu umarmen. Dann schrieb ich folgende Zeilen in mein Journal: „Woher kommt mir die Kraft, die Feder zu ergreifen? Mein armer Sohn, mein innig geliebter Henri lebt nicht mehr! Seine Seele ist zu ihrem Schöpfer gegangen! Mein Gott, verzeihe diese Klage meinem Schmerze. Aber was habe ich denn gethan, daß ich diese grausame Prüfung erleiden muß? Mein Gohn, mein Sohn, meine einzige Hoff, nung, mein letztes Glück, ich soll Dich nicht mchr sehen! Ach, einst war ich glücklich, ich hatte ja meine gute Anna und mein liebes Kind. Aber bald entriß mir ein gvcmsa mes Geschick meine Lebensgefährtin. Mein Leid war groß und tief, aber Du bliebst mir, mein Sohn! Alle meine Neigungen vereinigten sich in Dir. Deine Liebkosungen trockneten meine Thränen, Du lächeltest wic Deine Mutter, und in den schönen Zügen Deines Antlitzes fand ich die ihrigen wieder. „Ach, und heute habe ich sie Beide verloren! Mein — 199 — Gott, wic leer, wie traurig ist es lin« mich her! Könnte ich sterben in diesem Zimmer, das all' mm, Glück und all' mein Unglück birgt. Hier habe ich meinen armen Bruder beweint, hier habe ich meiner Tochter die Augen zugedrückt, hier sagte mir die sterbende Anna das letzte Lebewohl, und hier hat man Dich, mein Sohn, auS meinen Armen gerissen, um Dich neben der Asche Deiner Mutter zu begraben ! „Welches Leid, welcher Kummer für einen einzigen Menschen! „Gott der Güte und Barmherzigkeit, stiebst Du mir mein armes Kind nicht zurück? Ach, ich fühle taum, daß ich mich verzehre, und er, der alle Elemente meines Glück's hat entfliehen sehen, wird mcine Verirrung mir verzeihen. „Da ich künftig dieser Welt Nichts mehr nütze, so gilt eS mir gleich, ob ich meinem Schmerze erliege. Hätte ich nicht die Hoffnung, meine Mutter und meine Schwestern wiederzusehen, ich würde hier in Jala-Jala meinem trauigen Leben ein Ende machen. Eucr Grab würde auch das meine sein, Ihr, die ich so zärtlich geliebt habe! Ich würde neben Euch ruhen! „Doch nein, eine heilige Pflicht gebietet mir, mich Von Euck zu trennen und Euch für cwig Lebewohl zu sagen. Ach, der Augenblick wird grausam, sehr grausam sein, wo ich von Euch scheide! „Und Du, theuere und gute Gattin, gelieblc Anna, sieh' auf mich herab, Deine letzten Worte sollen in Erfüllung gehe»; ich werde reism, aber Gram und Schmerz werden — 200 — mich auf dieser Reise begleiten — mein Herz und meine Erinnerungen bleiben in Jala?Jala zurück. „Und Du, mit meinem Schweiße, mit meinem Blute und meinen Thränen benetztes Land, Du warst, als mich das Schicksal an Deine Küste führte, mit finstern Wäldern bedeckt — heute prangen reiche Fruchtfclder an diesen Stätten, unter Deinen Bewohnern herrschen Ordnung, Ueberfluß und Wohlsein, statt Unordnung, Elend und Mangel! Meine Bemülnmgm find mit Glück gekrönt, Alles um mich her gedribet; nur ich allein bin grenzenlos unglücklich! „Aber das Unglück trifft nur mich allein, mein Werk wird fortbestehen. Ihr werdet glücklich sein, meine Freunde! Und habe ich Einiges zu Eurem Glücke beigetragen, erinnert Ihr Euch zuweilen dessen, den» Ihr so oft den Namen des VaterS gegeben, bewahrt Ihr ihm nur ein wenig Dankbarkeit, o, so hütet gewissenhaft die Gräber dreier gc« liebter Wesen, die ich Euch anvertraue!" Meine Leser verzeihen nur gewiß diese traurige und lange Klage, sie werden sie begreiflich finden, wenn sie meine Lage bedenken. Ich war fünftausendfünfhundert Meilen von meinem Vas terlande entfernt, der gräßlichste Schlag hatte mich getroffen; auf den Philippinen hatte ich keine Verwandte mchr, nur in Frankreich konnte ick hoffen, liebende Herzen zu finden. Der Gedanke, meine guten Indianer zu verlassen, die mir so treu ergeben gewesen, vermehrte meinen Schmerz. Ich kannte mich nicht entschließen, sie von dieser Trennung in Kenntniß zu sehen. So blieb ich in meinem Zimmer; ich verließ eS nicht einmal, um z» Tische zu Lehen. — 20! — Mein Freund Vidie that AlleS, um mich auf ten Abschied vorzubereiten und mich zu trösten; er veranlaßte mich vorzüglich, nach Manilla zu gehen und dort die Vorbereitungen zu meiner Abreise zu treffen; aber eine unwiderstehliche Gewalt hielt mich in Jala-Jala zurück. Ich war so schwach, der Gran: hatte mein Herz so zerrissen, daß ich unfähig war, irgend einen Entschluß zu fassen. Ich vrr« schob es von einem Tage zum andern, und täglich ward ich unentschlossener. Es bedürfte einer unvorhergefchenm Gele« sscnheit, um meine Apathie zu besiegen; es war vorzüglich nöthig, daß daS süße Gefühl der Dankbarkeit den Sieg über mich davon trug, ein Gefühl, dem ich niemals widerstehen konnte. Diese Gelegenheit, diesen meine Abreise bcstimmenden Grund führte die Vorsehung herbei. Ich hatte in Manilla eine Freundin, eine cngelgute Frau, die mir in treuer Ers gebung zugethan war. Seit meiner Ankunft auf den Philippinen war ich mit ihrer Familie eng liirt gewesen, ich hatte sie als Kind gekannt, und später noch, als sie sich mit einem achtbarm Manne verheirathete, dm sie bald darauf verlor. Damals hatte ich sie getröstet, wie eS aufrichtige Freundschaf! nur vermochte. Sie war Zeugin des Glück's gewesen, das ich in dcm Besitze meiner theuern Anna gefunden, und als sie ssehort, daß ich unglücklich geworden, hatte sie eine weite Reise nicht gescheuet, um zu mir zu kommen und meinen Kummer zu theilen. Die gute Dolores Senneris kam eines Morgens in Jala »Jala an; sie warf sich in meine Arme, und iväh- — 202 — rend einiger Augenblicke waren Thränen der einzige Ausdruck unserer Gedanken. Als die erste Aufregung ein wcnig vorüber war, sagte sie mir, daß sie ssekommen sci, um mich in den Vorberei» tlmgen zu meiner Abreise zu unterstützen. Ich war zu dankbar für diesen Beweis der Freundschaft der guten Do« lores, um mich ihren Wünschen nicht zu fügen, und es ward beschlossen, daß ich am folgenden Morgen Jala l Jala für immer verlassen sollte. Das Gerücht Von diesem Entschlüsse verbreitete sich bald unter meinen Indianern. Alle kamen, um mir Lebewohl zu sagen; alle waren tief betrübt, und weinend sagten sie mir: „Ach, Herr, nehmen Sie uns die Hoffnung auf Ihr Wiedersehen nicht! Trösten Sie Ihre Mutter, und kehren Sie dann schnell zu Ihren Kindern zurück!" Das war ein Tag der peinlichsten Aufrequng. Der folgende Tag, der 29. Februar 18A8, war ein Sonntag. Ich ging in die Kirche, um von dcm Grabe, das die Neste meiner Lieben barg, Abschied zu nehmen. Zum letzten Male hörte ich in diesem einfachen Gotteshause, das ich hatte erbauen lassen, und in dem ich so oft die kleine Bevölkerung von Jala-Jala um mich versammelt gesehen, die heilige Messe. Nach der Messe ging ich nach dem Flusse, auf dem das Fahrzeug lag, das mich nach Manilla bringen sollte. Dort standen alle meine Indianer, der gute Pfarrer Vater Miguel und mein Freund Vidie. Ich nahm den lchicn Abschied von ihnen. — 303 — Nun stieg ich mit Dolores in das Boot. Kaum entfernte es sich von dem Ufer, als Aller Arme sich nach mir ausstreckten und Aller Lippen die Worte riefen: „Glückliche Neise, Herr! Kommen Sie bald, bald wieder l" Einer der Nettesten gebot durch ein Zeichen Sckwei« gen, dann sagte er mit lauter Stimme diese prophetischen Worte: „Brüder, weinen und beten wir, denn die Sonne hat sich für uns verdunkelt; das Gestirn, das sick entfernt, hat unsere schönsten Tage beleuchtet; künftig des Lichtes beraubt, werden wir nicht wissen, wie lange die Nacht dauert, die durch das Unglück seines Wegganges über uns ange< hrochen." Diese Ermahnung des alten Indianers warm die letz» ten Worte, die bis zu mir gelangten. Das Voot entfernte sich. Meine Blicke hefteten sich starr auf dieses theure Land, das ich nie wiedersehen sollte. Nach einer jener reizenden Nächte, wie ick sie in den schönen Tagen meiner Reise geschildert, kamen wir in Ma« mlla an. DoloreS bestand darauf, daß ich bei ihr wohnte. Bevor sie ihre Reise zu mir angetreten, hatte ihr« Freundschaft Alles zu meinem Empfange vorbereitet. Alle jene kleinen Aufmerksamkeiten umgaben mich, deren Ge« heimniß nur eine Frau kennt, und die sie mit so vieler Grazie den anzunehmen verpflichtet, der der Gegenstand derselben ist. — 204 — Meine Fenster gingen nach dem reizenden Ufer des Passig hinaus. Tage lang saß ich da und sah die niedlichen indianischen Barken über das Wasser gleiten. Dann empfing ich die Besuche meiner Freunde, die rS sich angel legm sein ließen, mich zu zerstreuen. War ich allein, so dachte ich, um meine Melancholie zu täuschen, an die Neise, an das Glück, meine arme Mutter, meine Schwestern und einen Schwager zu sehen, den ick noch nickt kannte; dann auch au die Neffen und Nichten, die während meiner Abwesenheit geboren waren. Die Verpflichtung, die erhaltenen Besuche zu erwiedern, und die fortschreitende Kräftigung meiner Gesundheit versetzten mich in eine Verfassung, die mir erlaubte, mich mit der Beschleunigung meiner Abreise zu beschäftigen. Der franzosische General-Consul von Manilla, mein Freund Adolph Barrot, erwartete täglich den Befehl sci-ner Regierung, nach Frankreich zurückzukehren; er schlug mir l,ov, so lange zu warten, und dann die Reise mil ihm gemeinschaftlich zu machen. Ich nahm mit Freude diesen Vorschlag an, und wir beschlossen, den Rückweg über Ostl Indien, daö rothe Meer und Egypten zu wählen. Die Icit, die ich noch in Manilla verbrachte, sollte mir nicht unbenutzt verstreichen. Die Spanier erinnerten sich, daß ich einst als Arzt große Erfolge gehabt hatte; bald meldeten sich Kranke von allen Seiten, und ich übte, natürlich unentgeltlich, meinen früheren Veruf wieder aus. Aber waS für ein Unterschied lag zwischen dieser Zeit und der meines ersten Auftretens! Damals war ich jung, — 305 — voll Kraft und Hoffnung, ich wiegte mich in den gelvölm? ticken Illusionen der Jugend, und eine lange, glückliche Zu« lunft schwebte vor meiner Einbildung. Jetzt war ich gebeugt von der Last des Kummers und der Arbeit, mid ich hatte nur den einen Wunsch, Frankreich wiederzusehen während meine Erinnerungen mich stets wieder nach Jala« Jala zurücktrugen. Armer kleiner Winkel der Erde, den ick civllislrt hatte, wo meine schönsten Jahre des Lebens unter Arbeiten, Aufregungen, Glück und Sckmerz verflossm waren! Arme Indianer, die ihr mich so liebtet, ich sollte euch nicht wiedersehen! Die Unendlichkeit des Meeres sollte mich für immer von euch trennen! ' Welche Betrachtungen und Erinnerungen drängten lich nur auf! Aber leider, man würde vergebens gegen seine Bestimmung kämpfen. Die in ihren Wegen umrforschliche Vorsehung hatte mir noch neue. harte Prüfungen vorbehalten. Da ick nun eiumal wieder Arzt Von Manilla ssewor, den war, so besuchte ick von Morgens früh bis Abends spät Kranke. Dolores und ihre Schwester Trinidad sorgt ten mit rührender Zärtlichkeit für mick, und trugen viel zur Heilung der noch immer blutenden Wunden meines Herzens bei. Oft sah ich auch die beiden Schwestern meiner nrmen Frau, Ioaquma und Mariquita; ebenso auck meine junge Nickte, die Tochter jener vortrefflichen Ioftfthinc, dte gleich nach meiner Anna in das Grab gesunken war. AlS ich mich noch in Manilla befand, hätte fast ein — 206 — großes Unglück Jala-Jala in dm ersten Zustand der Barbarei zurückgebracht. Die Banditen, die meine Besitzung, so lange ich sie bewohnt, stets respcctirt hatten, griffe» sie in einer schönen Nacht an, und bemachtigtm sich des Hauses, in den, sich Vidie eingeschlossen hatte und vertheidigte. Er mußte durch ein Fenster entfliehen und sich in dein Walde verbergen; seine noch sehr junge Tochter blieb bei ihrer Amme, einer Indianerin, zurück. Die Banditen plünderten und zerbrachen Alles in dein Hause, und Verwundeten das Mädchen mit einem Säbelhiebe, wovon es noch heute die Merkmale trägt/) Dann zogen sie sich mit ihrcr Veute zurück. Aber Jala-Jala war ein zu wichtiger Punkt geworden; das spanische Gouvernement schickte Truppen ab, um Vidie zu beschützen und die Ordnung ausrecht zu erhalten. Endlich erhielt Adolf Barrot seine Instructions von der französischen Regierung, die ihn nach dem Vaterlande zurückriefen. Meine Vorbereitungen zur Abreise waren bereits getroffen. Den 29. October 1839 machte ich mein« schmerzlichen Abschiedsbesuche. Ich empfing soviel Beweist deS Wohlwollens und der Liebe der Einwohner von Manilla, ich ließ so gute und ergebene Freunde dort zurück, daß der Gedanke an die Tren- ') Mademoiselle Vlbie ift gegenwärtig in Nantes, w° sie ihre Erziehung vollendet. — 207 — nung von ihnen mir das Herz brach. Mein Schmerz war so groß, daß eS einer übermenschlichen Kraft bedürfte, um nicht auf die Trennung von meinem zweiten Vaterlande und von diesen Mm Freunden zu verzichten, die mir sagten i „Bleiben Sie in unserer Mitte!" Der Gedanke an meine Mutter erhielt meinen Entschluß aufrecht. Aber in diesen süßen Gedanken mischten sich tausend Betrachtungen, die meine Seele betrübten. Seit langer Zeit hatte ich keine Nachrichten von meiner Mutter empfangen; ihr ganzes Leben war eine Reihe von Unglücksfällen und steter Selbstverleugnung gewesen. Die zahlreichen moralischen Leiden mußten ihre Gesundheit anac-griffen haben, und da ich einmal ein Sohn des Unglück's war, konnte ich mich des schrecklichen Gedankens nicht erwehren, daß ich die nicht mehr antreffen würde, wegen der ich ein mir so theures Land verließ. Aber in einem ruhigen Augenblicke hatte ich einen Ents schluß gefaßt, und Nichts konnte mich abhalten, ihn auszuführen. Ich entriß mich den Armen meiner Freunde. Sie hatten mich bis an den Hafen begleitet. Ein leichtes Voct brachte mich an Voro des Dreimasters „der Latton." Um zelm Uhr Abends lichtete er die Anker und fuhr mit vollen Segel» auö der Bucht. Ich befand mich in einer so großen Aufregung, daß ich in der Hoffnung auf dem Verdecke blieb, die Frische der Nacht würde die Glut kühlen, die mich verzehrte. Ich sthtc mich auf eine Wachtbank, uud Von h^r cms sah ich — 308 — nach und nach die Fcuer von Manilla verschwinden, dann die Insel Marivcleö und die Verge uon Marigondon. Ich sagte den Philippinen das lchte Lebewohl. Meine Aufregung vergrößerte sich nach und nach, und bald empfand ich ein brennendes Fieber, das mir eine Art Delirium zuzog. In diesem Delirium sah ich Jala«Jala in seinem Em-Porblührn, wie zur Zeit meines Glück'S. Meine treue Lebensgefährtin stand in ihren schönsten Tagen, sie lächelte mir Zu. Mein Bruder und mein Sohn befanden sich ihr zur Seite. Alle drei streckten mir die Arme entgegen. Vergebens wollte ich mich an ihre Brust werfen — eine unwiderstehliche Kraft hielt mich zurück. Ich wollte sprechen — aber es war mir unmöglich, ein Wort hervorzubringen. Da hörte ich Anna sagen: „Warte noch. Deine Bestimmung ist noch nicht er« füllt!" Dann wurden die Gestalten dieser drei geliebten We-ftn bleicher, sie bedeckten sich mit einem Grabtuckc. Anna zeigte meinem Vruder zwei Gräber, indrm sie zu ihm sagte: „Gehe voran, wir folgen Dir?" Nun gingen sie alle drei nach den Gräbern, Vater Miguel und meine weinenden Indianer begleiteten fic. Die Gräber öffneten sich, und die Verstorbenen stiegen langsam die Stufen hinab. Wahrscheinlich ward mein Delirium ein vollständiges. Erst am folgenden Tage kam ich wieder zu mir selbst. Min Körper war wie zerschlagen und mein Gesiäst in Thränen gebadet. Ich schleppte mich in dir Kajüte und — 209 — legte mick auf das Bett. Noch lange flössen meine Thränen, dann sank ich in einen tiefen Schlaf, der meinen, durch das Delirium vergrößerten Leiden, «in Ziel setzte. Die Sonne hatte bereits zur Halste ihren Lauf voll« bracht, als ich wieder erwachte. Die Thränen und der Schlaf hatten meine gewöhnliche Ruhe zurückgebracht. Ich stand auf, und wollte noch einen letzten Blick auf Lücon werfen — ach, wir hatten uns schon zu weit entfernt, ich sollte das Land, in dem ich so viel Erinnerungen zurückließ, nicht mehr sehen! Hier sollte eigentlich mein Bericht schließen; aber iä» kann mich nicht erwehren, meiner Rückkehr in das Water, land einige Zeilen zu widmen. Auf verschiedenen Schiffen reis'te ich um die Küsten von Ostindien, durch den persischen Meerbusen und durch daö rothe Meer. Dann landete ich in Egypten. Nachdem ich so oft die erhabenen Werke der Natur be' wundert, fühle ich da« lebhafte Verlangen, nun auch die gigantischen, von den Händen der Menschen ausgeführten Arbeiten zu sehen. Ich ging nach Tliebm und besuchte einzeln seine Pa» laste, seine Gräber und seine zahlreichen Monolithen. Dann stieg ich zu dem Nil hinab, und verweilte unterwegs überall, wo sich mir sehenöwerthe Monumente zeigten. Ich bestieg den Gipfel einer der Pyramiden, verbrachte einige Tage in Kairo, und ging endlich nach Alex-alidrim, wo ich mich «infchiffte, um den kleinen MeereS-räum zu überschreiten, der mich von Europa trennte. Ich hätte wohl einen Vergleich aiistellm mögen zwi-Abent. e. bretag, Tdclm. „. 3. Vd. l4 — 210 — schen den großen Menschen-Arbeiten und den Werken des Schöpfers; dieser Vergleich wäre aber sicher nicht zum Vortheile der Ersteren ausgefallen, denn ich halte alle diese unnützen Monumente nur für dauerhafte Beweise von dein Stolze und dem Fanatismus einiger Menschen, denen sclavische Völker gehorchten. So hatte ich auch die Shuren der Verwüstung der beiden großen Eroberer der Welt gesehen: war der Erste nicht ein stolzer Despot, indem er Sclaven «Cohorten nach seinem Willen handeln ließ und Krieg und Verheerung unter friedliche Völker brachte, um Gräber zu Profanircn und unnütze Eroberungen zu machen? Die Geschichte zeigt ihn uns, wie er an den Folgen einer Orgie stirbt, und den Anderen, wie er, leider! nach so großem Nuhmr an einen Felsen geschmiedet ist! In Begleitung meines Freundes Barrot bestieg ich den Gipfel der einen der Pyramiden, und von dort ans be« wunderte ick in frommer Sammlung den majestätischen Nil, der sich durch eine wate, von der Wüste und kahlen Gebirgen begrenzte Ebene fortwindct. Als ich hierauf unter mich sah, konnte ich kaum meine Reifegefährten bemerken, welche die große Sphinx betrachteten; sie erschienen mir wie kleine schwarze Punkte auf dem Sande. Da sagte ich mir: nicht diese unnützen Monumente sollen wir bewundern, sondern den großen Fluß, der, stets den Gesetzen einer weisen Allmacht gehorchend, jährlich z" einer bestimmten Zeit seine Grenzen überschreitet und sich wie ein Meer ausbreitet, um ungeheure Ebenen zu bewäs- — 2ll — sern und zu befruchte», daß sic sich mit reichen Ernten bedecken. Ohne dieses mweränderliche und wohlthätige Natnrge« setz würden alle dicse schönen Felder nur ein Theil der Wüste sein, in der kein Wesen leben kann. Diese Betrachtungen brachte ohne Zweifel ein Leben hervor, das in jener großen Natur dahingeflossen war, aus der der Mensch unaufhörlich Gefühle schöpft, die ihn zu dem höchsten Wesen erheben. Jene Natur hatte ich zu ge« nau in ihren Emzelnhciten, in ihren Wohlthaten und in ihrer Pracht beobachtet, als daß diese Menschen l Schöpfung den Eindruck auf mich hervorbringen konnte, den icb von dem Beschauen der egyptischcn Monumente erwartet hatte; und dann auch hatte ich wohl schon die Ahnung, während ich Europa zu segelte, daß ein kurzer Aufenthalt in Mitte der Civilisation mich meine alte Freiheit, meine Berge und meine Einsamkeit auf den Philippinen bedauern lassen würde. Wir kamen in Malta an. Hier ward ich achtzehn Tage in dem Fort Manuel eingeschlossen, um Quarantaine zu halten. Während dieser Zeit empfing ich Nachrichten von meii ner Familie. Meine Mutter und meine Schwestern schrieben mir, daß sie sich einer vollkommenen Gesundheit erfreuten, und daß sie meiner Ankunft mit einer lebhaften Ungeduld entgegensähen. Meine Quarantaine war beendet, und ich blieb faff noch eine Woche in der Stadt, um die Abfahrt eines Dampft schiffeS nach Frankreich zu erwarten. 14* — 212 — Ich benutzte diesen Aufenthalt, um Alles zu sehen, was Malta dem Reisenden Schcnswerthes bietet. Dann trat ich die Reise nack meinem Vaterlande an; schon in der folgenden Woche erkannte ich die kahlen Felsen der Provence, und endlich Frankreich, das ich vor zwanzig Jahren verlassen hatte. ' Einige Tage später war ich in Nantes, und hier ge« noß ich einige Zeit die ganze Fülle deö Glück's, das man in der Mitte von Personen empfindet, von denen man so viele Jahre entfernt gewesen und die einem Unglücklichen, der durch ein seltsames Geschick so hart geprüft, die einzigen liebenden Herzen sind. Aber die Unthätigkeit, in der ick lebte, ward mir lästig; ich hatte ein zu thätiges Leben geführt, als daß ein so rascher Uebergang nicht einen nachtheiluM Einfluß auf meine Gesundheit ausüben sollte. Der Gedanke, den Nest meines Lebens unfruchtbar und einförmig verstreichen zu sehen, war mir unerträglich. Da ich nicht wußte, womit ich mich beschäftigen sollte, faßte ich den Entsckluß, Europa zu bereisen und die civi-lisirte Welt zu studiren, in der ich damals fremd war. Ich durchreis'te Frankreich, England, Belgien und Italien. Dann kehrte ich zu meiner Familie zurück, ohne in den Studien, die ich gemacht hatte, Etwas gefunden zu haben, über dem ich meine Indianer, Iala«Iala und meine einsamen Reisen in den Urwäldern vergessen konnte. Die Gesellschaft der in höchster Civilisation erzogenen Menschen — 213 — vermocht« die Erinnerung an mein verflossenes bescheidenes Leben nicht zu «erwischen. Trotz meiner Bemühungen blieb mir stets eine Traurigkeit, die zu verbergen mir unmöglich war. Meine gute Mutter sah mit Kummer meine Abneigung, mich in irgend einem Orte meines Vaterlandes fest niederzulassen; sie hegte die vielleicht nicht ungcgründetc Befürchtung, daß ich nach den Philippinen zurückkehren würde. Sie bot Alles auf, um mich daran zu hindern; sie spracb von einer Heirath, indem sie in allen ihren Briefen wiederholte, daß sie glücklich sein würde, wenn ich mich entschließen könnte, ein neues Band zu knüpfen, sie führte an, dasi nach mir «nein Name erlöschen würde, und forderte endlich als den lehicn Trost für sich, daß ick mir eine Lebensgefährtin wähle. Der Wunsch, diesen Anforderungen zu genügen und dann auch die letzten Worte meiner Anna: „Kehre in Dein Vaterland zurück und verheirathe Dich mit einer Lands» männin," bestimmten mich endlich. Ich hatte bald eine Wahl getroffen, die allen Wünschen dea Mannes völlig entsprach, in dem nicht das Andenken einer früheren Verbindung so lebhaft gewesen wäre. Aber nichtsdestoweniger war ich glücklich, denn meine neue Gattin besaß alle Eigenschaften, die zu meinem Glücke nöthig waren; sie machte mich zum Vater zweier Kinder, und schon segnete ich den Entschluß, zu dem meine Mutter so viel beigetragen — aber leider sollte das Glück für mich nicht von langer Dauer sein: der Leidenskclch war noch nicht ganz geleert, und ich sollte noch viel der Thränen ver« gießen. — 244 — Auf der. Friedhofc von Venoux erhob sich für Dich, arme Mutter, zwischen dem eines Gatten und eincS Soh: neS ein einfaches Grabmal, und bald sollte sich auf dem Friedhofe von Ncuilly noch ein anderes erheben. In meinem tiefen Schnurze ließ ich auf das Letztere folgende Verse setzen i „O sich' herab auf unsern Schmerz, Bewahre Deines Sohnes Lauf, Und lebe, treues Mutterherz, In Deiner Tochter wieder auf!" Ende. Druck der C. Schumann'schen Vuchdruckerei in Schueeberg.