P 1733 Ortsgeschichtliche Etymologie. III. Pfrag. Über den Ursprung und die Bedeutung des Namens der Stadt Prag wurde bereits viel gestritten; Sage, Geschichte und Sprache kamen hiebei in Erwägung, doch das Resultat blieb immer negativ; und doch lässt sich diesbezüglich bereits ein Schlussurteil abgeben. ln alten hebräischen Urkunden wird Prag als „Mezigrady" (= Grenzburgen) benannt. Es ist damit offenkundig der Raum zwischen den zwei Hauptburgen Hradcany und Vysehrad gemeint, woraus horvorgeht, dass die Moldau daselbst noch um das X. Jahrhundert eine wichtige politische Grenze bildete und dass sich die beiden erwähnten Burgen hier gegenseitig im Schach hielten. Es geht dies auch untrüglich aus dem Gedichte der Königinhofer Handschrift hervor, welches die Vertreibung der Polen aus Prag durch den Böhmenherzog Oldrich im Jahre 1003 schildert. Demnach dehnte sich schon damals Prag auf beiden Moldauufern aus, aber der Teil am linken Ufer, woher Oldrich kam, war nicht in die geschlossene Befestigung einbezogen, denn sonst konnte er doch nicht unbehelligt mit seinen 350 Mann gleich die Moldaubrücke stürmen. Hingegen heisst es im Gedichte: jm Sfmen Prag bergen sie mit Vorsicht sich; Die Waffen in Mänteln verhüllen sie.“ — Die etymologische Klärung ist folgende: das Grundwort des Namens „Prag“ oder „Praha“ ist „präg", im ftltslavischen: Grenze, jetzt Türschwelle, also nur mehr die Grenze des Hauses, daher auch der Spruch: „Du darfst nicht meine Schwelle betreten." Diese Grenze ist hier die Moldau mit ihren beiden Ufern. Es ist auch möglich, dass die böhmische Form „Praha“ selbst die Dualbildung von „präg“ ist, denn bei einem so bedeutenden Flusse hat jedes Ufer für sich eine besondere Bedeutung, da zwischen beiden eine imponierende neutrale Zone liegt. Die „Mezigrady" waren nun die Hauptschutz- und Verteidigungspunkte auf beiden Ufern, also die beiden Grenzburgen. Analoge lokale wie sprachliche Verhältnisse PT «S’/’/g V biaten auch Praga~und Varsava (Warschau) in bezug auf den Weichsel-Strom. Der älteste Beleg für den Namen „Prag“ wurde im Archive des geheimen ostindischen Ordens „Sad Bay“ festgestellt. Dieses Archiv, das früher in Prag war, wanderte später nach Edinburg; das Bestreben, es wieder an die alte Stelle zurückzubringen, hatte bis nun keinen Erfolg. Der Name lautet daselbst, dem Wesen der indischen Sprache angepasst, die keine Konsonantenanhäufungen duldet, als „Paragava", in der Bedeutung: Ort des Zusammentreffens, d. i. Ort der Vereinigung — bei feindlicher Bedrohung, also: Zufluchtsstätte, Festung. Ortsnamen der gleichen Wurzel tauchen aber auch sonst sehr häufig auf und finden sich immer an einer Grenzlinie vor oder identifizieren sich mit solchen. So kann die „Prasnä bräna" in Prag selbst sonst nichts bedeutet haben, als Grenztor. Ein „Prachovä“ befindet sich an der Bezirksgrenze von Bites (Böhmen); die „Pra-chover Felsen“ (bei Oicin) stellen noch heute einen durch Schanzen, Doppelwälle, Burgwälle u. drgl. geschlossenen Limes dar; es muss also einmal hier eine wichtige Grenzlinie bestanden haben. Die Grenze zwischen Schlesien und Ungarn am Oablunkau-Passe bilden die Höhen „Prazenkowa" und „Prazenkowa gora“ mit zahlreichen alten Schanzen; in Steiermark wurde ein Punkt, der an der Bezirksgrenze liegt, im Oahre 1365 urkundlich „an der Prach“ genannt; eine Alpenweide, namens „Praga", wird schon im Oahre 925 urkundlich als Grenze zwischen Kärnten und Tirol erwähnt; der Fluss „Prachova“ bildet die Grenze zwischen Siebenbürgen und Rumänien usw. usw. —- Ob die Namen „Prag“ bei Hutturm, bei Stuttgart, in Baden u. a. den gleichen Prämissen entsprechen, müsste erst nachgeforscht werden, doch kann das Schlussergebnis nur das gleiche sein. Dass der Name „Prag“ sehr ^lt sein, bezw. dass an dieser Moldaustelle seit undenklichen Zeiten eine wichtige Ansiedelung bestanden haben muss, dies geht auch aus der Reisebeschreibung des spanisch-arabischen Kaufmannes Ibrahim-ibn-Oakub hervor, der sich um das Oahr 965 in Prag aufhielt und die Ansiedlung — unter diesem Namen — als die damals grösste Handelsstadt Mitteleuropas bezeichnet. — Der slavische Name des Ortes ist aber zugleich auch der Beweis, dass diejenigen, welche hier zuerst angesiedelt waren und diesen Namen gebrauchten, nur Slaven gewesen sein können. — M. Zunkovic. IV. Semmering. Der Name des die Grenze zwischen Niederösterreich und Steiermark bildenden Gebirgsstockes Semmering war in etymologischer Hinsicht bisher nicht verständlich, obschon die Lösung selbst in seiner Funktion als Grenzberg liegt. Überdies trübte die Aufklärung hier auch der Umstand, dass für diese Lokalität in den alten Urkunden noch zwei verschiedene Namen parallel laufen. In der ältesten bekannten Aufzeichnung vom Jahre 1141 finden wir den Namen „Cerevaldum“, 1145 „Cerwalt“, 1160 silva „Cerwalt“, 1161 „Cerewalde", 1171 „Cerewalt“, 1241 „Cerwalde“, 1227 „Semernic“, 1246 mons „Semernik", 1291 „Simernich", 1318 „in dem Cerwalt bey dem Semernich“ usw. Im Jahre 1362 findet sich der Name „Zerbalt“ urkundlich das letztemal vor; von dieser Zeit an entwickelt sich erst sukzessive der rein slavische Name „Semernik“ unter dem deutschen Spracheinflusse zum heutigen „Semmering.“ Die beiden Namen stehen jedoch in einer nahen organischen Verbindung, denn „Semernik" bezeichnet, wie erwähnt, einen Grenzberg im allgemeinen, „Cerwalt“ hingegen einen Grenzwall am Passe selbst. Für den ersteren Namen ist das Grundwort „sem“, das sich im lateinischen „semi“ (= halb, geteilt), im griechischen „sema“ Zeichen, Grenzstein), „semaino“ (= abgrenzen), im slo-venischen „semenj" (= Markt, wo man Waren zum Wechsel bringt), im böhmischen „zeman“ ( = Grundherr, Schutzherr, der die Grenzen sichert) u. a. m. noch im gleichen Sinne erhalten hat. Da aber über diese Grenzhöhe seit jeher vom Wiener Becken aus die Passage gegen Süden führte, musste diese Paßstelle doch auch irgendwie militärisch gesichert sein; und diese Schutzvorsorge nannten die damals dort noch wohnenden Slovenen „cerval", d. i. „cer“ (=Grenze) und „val“ (= Wall), also deutsch: Grenzwall, was etymologisch wie schutztechnisch keiner weiteren Erklärung bedarf, da es kaum einen wichtigeren Pass gibt, der einst keine Verteidigungs- oder Schutzvorsorge besass. Diese Vorsorge verfällt aber selbstredend sehr bald, wenn die Relationen zum Nachbar dieselben entbehrlich machen, wie es hier der Fall war, als im Jahre 1276 Steiermark ohnehin zu Österreich geschlagen wurde, daher zu dieser Paßstelle ein Feind direkte nicht mehr gelangen konnte. Es ist daher auch ganz natürlich und selbstverständlich, wenn der Name „Cerwalt“ dann noch kurze Zeit besteht, hierauf aber umso eher aus dem Gebrauche schwindet, je rascher das namengebende sichtbare Objekt v seinen Bestimmungswert verliert oder für das Auge selbst nicht mehr fassbar ist. — Wo dieser Grenzwall war und ob sich derselbe dem kundigen Auge noch heute irgendwie in seinen Spuren zeigt, ist dem Verfasser nicht bekannt. Der Kuriosität halber sei hier nur erwähnt, dass Müller in den Blättern für die Landeskunde von Niederösterreich (1888) über den Namen „Cerwalt“ die Erklärung gibt, „es sei dies die Waldwüste, wo Markgraf Qtakar, da weit und breit nichts für die Unterkunft und Versorgung bestand, für die armen Reisenden ein Hospiz errichtete, es ist dies also ein, „zum Zehren,“ d. i. „zur Bestreitung des Lebensunterhaltes dienender oder wenigstens mithelfender Wald“. — Eine ähnliche Erklärung bot er auch für die Einöde „Zerwand“ (bei Emmersberg), „deren Föhrenwald an wüster Trockenheit seinesgleichen sucht“. — Es ist wohl überflüssig über die Wertlosigkeit dieser Etymologie ein weiteres Wort zu verlieren, da sie der Sprachwissenschaft, , der Geschichte sowie den Prämissen der allgemeinen Entstehung der Ortsnamen kurzweg widerspricht. Es wäre daher nur richtig wieder den alten historischen Originalnamen „Semernik“ allgemein und offiziell einzuführen; da aber bei unseren destruktiven politischen Verhältnissen ein solcher Apell auf die Vereinfachung im Verkehre kaum ein Gehör finden dürfte, wäre es doch geboten, dass sich wenigstens alle.Slaven derselben historischen Namensform, d. i. „Semernik“, ausnahmslos bedienen. — J M. Zunkovic. r , * Ergänzung zu: II. Orlice. ’: • ' ‘ Zum Artikel „Orlice“ (S. 9) sendet der Verfasser Fr. Egerle noch folgende Ergänzung: Für die Richtigkeit der Etymologie des Namens „Bilä Orlice" (Stille Adler) spricht auch der Umstand, dass sich am linken Ufer dieses Flusses, unweit des Tunnels der Staatsbahn bei Chotzen, auch eine Höhe mit einer noch spärlich erhaltenen Ruine befindet, die man heute nur mehr als „Hradniky“ (= Befestigungen) bezeichnet, die aber im Oahre 1390 noch als „Bilä Hora" urkundlich benannt erscheint. Damals stand dort eine Burg und nannten sich deren Besitzer: „päny z Bile Hory“. Als sich aber später der Besitzer Mathias Slasek eine neue Feste im nahen Orte „Slatiny“ erbaute, geriet der ursprüngliche Name zugleich mit dem Verfalle der Burg langsam in Vergessenheit ; die verbleibenden Mauerreste wurden dann nur mehr mit dem Gattungsnamen „Hradniky“ belegt. — Verfällt einmal eine Burg, so wiederholt sich dies sehr oft, dass sie den gangbaren Eigennamen einbüsst, und nur mehr den Gattungsnamen „Ruine, alte Burg, Burgberg“ u. ä. weiterführt. Slavische Geschichtsquellen. I. Berichte muselmännischer Schriftsteller über die Slaven bis zum Ende des X. Jahrhun- dertes. Mitgeteilt von 0. v. Meduna. (Fortsetzung.) Ibn-Dasta, auch Ibn-Rosteh genannt, verfasste im ersten Drittel des X. Dahrhundertes das „Buch der kostbaren Kostbarkeiten“, welches erst im Dahre 1868 durch Rieu im britischen Museum aufgefunden wurde. Schon im folgenden Dahre hatte der Orientalist Daniel Chwolsen die Übersetzung bewirkt und in seinem Werke: „Nachrichten über die Chasaren, Burtasen, Bulgaren, Magyaren, Slaven und Russen“ benützt. Wenn auch das im britischen Museum aufgefundene Manuskript sehr beschädigt ist, so bringt es doch weiteres Licht über die geographischen und ethnographischen Verhältnisse im nordöstlichen Europa, wie sie vor 1000 Üahren bestanden hatten. Ibn-Dasta berichtet : „Bulgarien grenzt an das Reich der Burtasen. Die Bulgaren wohnen an den Ufern des Stromes, welcher Itil1) heisst und sich in das Kaspische Meer ergiesst, die Grenze bildend zwischen den Ländergebieten der Chasaren und Slaven. Der bulgarische Car, Almuz mit Namen, bekennt sich zum Islam; sein Gebiet besteht aus morastigem Boden und dichten Wäldern, innerhalb denen die Bulgaren* 2) leben. Sie zerfallen in drei Gruppen, nämlich Barsulen, Äskaien und Bulgaren (im engeren Sinne). Die Chasaren treiben Handel mit den Bulgaren, ebenso bringen die Russen ihre Waren zu ihnen, haupt- J) Itil hiess früher die Wolga. 2) Die sogenannten W olgabulgaren, welche im Mittelalter an der oberen Wolga und Kama einen islamitischen Staat mit der Hauptstadt Bolgarg gegründet hatten. Ihre Nationalität ging in der russischen auf. sächlich Fälle vom Zobel, Hermelin; Eichhörnchen u. a. Die Bulgaren sind ein Ackerbau treibendes Volk, welches allerlei Gattungen Körnerfrucht kultiviert, vornehmlich Weizen, Gerste und Hirse. Ein grosser Teil der Bevölkerung bekennt sich zum Islam, besitzt Moscheen und Lehranstalten mit Muezzims und Imams. Dene Bulgaren, welche Heiden geblieben sind, werfen sich beim Begegnen eines Bekannten mit dem Gesichte zur Erde.3) Zwischen dem Reiche der Burtasen und dem Reiche der Bulgaren beträgt die Entfernung drei Tagereisen. Die Bulgaren führen Überfälle auf die Burtasen aus, berauben sie und führen sie in die Gefangenschaft. Die Bulgaren haben Reitpferde, Panzer und volle Ausrüstung; dem Car entrichten sie die Steuer hauptsächlich in Pferden; auch von jedem, der heiratet, muss dem Car ein Reitpferd abgeliefert werden. Von muselmännischen Kauffahrerschiffen, welche zu ihnen gelangen, wird der Zehent erhoben. Die Kleidung ist ähnlich jener der Muselmannen; ebenso haben die Friedhöfe ein ähnliches Aussehen wie bei diesen. Ihr Hauptreichtum sind Marderfelle. Münzen eigener Prägung besitzen sie nicht, sie tauschen sie gegen Marderfelle ein, von welchen das Stück mit 21/a Dirhen berechnet wird.4) Zwischen den Gebieten der Badschnaken5) und der Slaven liegt ein zehn Tagereisen weiter Raum, bedeckt mit Steppen, wegelosen Landstrecken, mit zahlreichen Flüssen und dichten Wäldern. Nahe der Grenze liegt die Stadt Kiev. Das Land der Slaven ist eben und bewaldet und in den Wäldern wohnen die Slaven; Weinberge und Ackerfelder haben sie nicht. Sie verfertigen hölzerne Gefässe, welche zur Aufbewahrung des aus den Bienenkörben gewonnenen Honigs bestimmt sind; sie betreiben die Schweine- und die Schafzucht. Die Frauen der Verstorbenen bringen sich Messerwunden im Gesicht und an den Händen bei ; der Leichnam wird verbrannt. Am nächstfolgenden Tage begeben sich die Frauen an den Ort, wo die Verbrennung statlfand, sammeln die Asche und geben sie in eine Urne, welche indessen auf einen Hügel gestellt wird. Nach Verlauf eines ■) Nach anderen Berichten besteht dieser Brauch nicht bei den Bulgaren, sondern bei den Chasaren. 4) Ibn-Dasta erzählt, hier etwas ganz Undenkbares. Die Marderfelle können als Kaufmittel nur eine Ausnahme gewesen sein, denn sonst wären sie ja wertlos gewesen, wenn es so viele Marder gab. Diese Ansicht beruht auf dem Fehler der sprachlichen Auslegung des Wortes »kunicnoe«, dem »kouna« (= Münze) und nicht »kuna« (= Marder) zugrundeliegt. Dass die damaligen Völker in Russland keine Münzen besessen hätten, ist daher unzutreffend. (Vergl. auch den Artikel »Jus primae noctis bei den Slaven«, »Staroslovan«, 1913.) 5) d. i, Pecenegen. Jahres bringen die Witwen etwa zwanzig Gefässe, mit Honig gefüllt, zu diesem Hügel, wo gegessen und getrunken wird, nachdem die Familie des Verstorbenen sich dort versammelt hat. Wenn der Verstorbene drei Frauen gehabt hatte, so gibt diejenige, welche erklärt, dass sie ihn besonders geliebt hat, sich den Tod durch Erhängen, worauf deren Leichnam ebenfalls verbrannt wird. Alle slavischen Heiden sind Götzenanbeter. Von den Getreidegattungen wird die Hirse am meisten angebaut.6) Zur Erntezeit erheben sie ein Gefäss mit Hirsekörnern zum Himmel und rufen: „Herr, der Du uns die Nahrung gibst, versehe uns damit stets zur Genüge.“ Sie haben verschiedene Gattungen von Lauten, Guslas und Schalmeien; diese sind zwei Ellen lang; die Lauten haben acht Saiten. Berauschende Getränke werden aus Honig bereitet. Bei der Verbrennung Verstorbener geben sie sich lärmenden Vergnügungen hin, indem sie der Freude Ausdruck geben, dass Gott den Verstorbenen seiner Gnade gewürdigt hat. Arbeitstiere gibt es bei ihnen wenige und Reitpferde hat nur der Car.7) Die Bewaffnung besteht aus Wurfspiessen, Schild und Lanzen; andere Waffen besitzen sie nicht. Ihr Oberhaupt wird gekrönt; allen seinen Befehlen wird Folge geleistet; seine Residenz befindet sich in der Mitte des slavischen Landes; er wird „Haupt der Häupter“ tituliert. Die Stadt heisst Dschar-bad (!), und werden dort allmonatlich durch drei Tage Märkte abgehalten. Der Car hat Reitpferde und trägt einen starken, kostbaren Panzer. Im Lande der Slaven herrscht eine so strenge Kälte, dass die Bewohner Gruben ausheben, sie mit einem hölzernen Dache von ähnlicher Förm wie bei den christlichen Kirchen, überdecken und dieses mit Erde Überwerfen. In solche Erdlöcher übersiedelt die ganze Familie; sie nehmen Holz und Steine, entzünden ein Feuer bis die Steine glühend werden und übergiessen sie mit Wasser, wodurch heisser Dampf entsteht, welcher die Grube so erwärmt, dass die Inwohner sich der Kleider entledigen können. In solchen Behau- e) Es liegt hier ein offener Widerspruch mit der kurz vorher erwähnten Schilderung vor, wonach die Slaven keine Ackerfelder besitzen; wahr ist, dass die Slaven fleissige Ackerbauern waren. 7) Der in der Anmerkung 1 berichtigte Fehler erhält hier noch eine weitere Ausgestaltung. Vorher hiess es, dass die Burtasen als Steuer Pferde abliefern, sowie dass jeder Heiratende dem Car ein Pferd als Abgabe leistet. Nun heisst es wieder, dass es wenig Arbeitstiere gibt und dass Reitpferde nur der Car hat. Hier hat wieder jemand aus Unverstand »kunicnoe« aus »kon, kun« (= Pferd) abgeleitet. sungen bleiben sie bis zum Frühjahr.®) Der Car bereist alljährlich sein Land. Wenn in der Familie eine Tochter ist, nimmt sich der Car jährlich eines ihrer Kleider, ist dort ein Sohn, so erhält er ebenfalls eines von dessen Kleidern. Wenn die Familie kinderlos ist, so bekommt der Car als jährliche Abgabe eines der Kleider der Frau oder des Dienstmädchens.8 9) Wird ein Räuber festgenommen, so befiehlt der Car entweder dessen Erdrosselung oder übergibt ihn der Aufsicht eines der Verwalter der Grenzprovinzen. Die Russen10 *) bewohnen eine in einem See gelegene Insel, welche einen Flächenraum von drei Tagereisen einnimmt; ihr Gebiet ist morastig und mit Wäldern bedeckt und der Boden ist so beweglich, dass er in Schwankungen gerät, wenn man ihn betritt. Ihr Car heisst Chakan-Rus. Sie führen Überfälle auf die Slaven, zu denen sie auf Schiffen gelangen, aus, machen sie zu Gefangenen und verkaufen diese anderen Völkern. Ackerbau betreiben sie nicht und nähren sich nur von dem, was sie aus dem Lande der Slaven geraubt haben. Wenn ein Knabe geboren wird, so legt der Vater ein entblösstes Schwert vor den Neugeborenen und sagt: „Du wirst nach mir kein Vermögen erben und wirst bloss das besitzen, was du dir durch dieses Schwert erwerben wirst.“ Sie haben kein unbewegliches Eigentum, weder Städte, noch Dörfer, noch Ackerfelder. Der Handel beschränkt sich einzig auf den Verkauf von Zobel-, Hermelin- und anderen Feilen; den erzielten Geldbetrag verwahren sie sorgfältig in ihren Gürteln. Sie kleiden sich unrein,11) die Männer tragen goldene Armbänder. Ihre Sklaven behandeln sie gut und sorgen für deren Bekleidung. In ihrem Lande sind viele Städte12); sie sind gast- 8) Wie man sieht, hat der Autor, auf Grund der Berichte seiner Vorgänger über die Zugehörigkeit der Bulgaren zu den Slaven, die arabischen Nachrichten über die strengen Winter im Bulgarenlande auf alle von Slaven besiedelten Gebiete ausgedehnt. 9) Hier liegt zweifellos wieder ein etymologischer Fehlgriff vor, denn was soll der sonst so stolze Car mit allen diesen Kleidern machen? — Es handelt sich hier vielleicht eher um eine Leinwandabgabe. 10) Russen Messen bei den das Baltische Meer umwohnenden Völkern die Normannen, jenes kühne Seeräubervolk, welches von Skandinavien aus nicht nur die Küsten der Ostsee, sondern des ganzen Abendlandes heimsuchte. Sie gründeten an den Mündungen der Flüsse und auf Inseln feste Niederlassungen, von wo sie die Nachbarn überfielen. Die zu den Slaven eingefallenen Normannen verschmolzen bald mit diesen, indem sie deren Sprache und Sitten annahmen. u) Dass den Muselmannen, welchen die Religion häufige Waschungen vorschreibt, die Normannen unrein erschienen, ist leicht begreiflich. la) Hier ist es augenscheinlich, dass lbn-Dasta aus verschiedenen Quellen kompilierte und dabei so leichtfertig verfuhr, dass er den Widerspruch mit seinen, einige Zeilen vorher ausgesprochenen Worten, nicht bemerkte: »Sie haben kein unbewegliches Eigentum, weder Städte, noch Dörfer, noch Ackerfelder,« freundlich, höflich mii fremdländischen Zugehörigen, überhaupt mil allen, welche ihr Land öfter besuchen, gestatten Niemandem, die Fremden zu belästigen oder zu bedrücken. Sollte dies geschehen, so stehen sie ihm hilfreich bei und leihen ihm ihren Schutz. Ihre Schwerter sind Suleimanschwerter.13) Wenn einer der Stämme Hilfe beansprucht, so ziehen sie sämtlich zu Felde; es gibt bei ihnen keine Uneinigkeit; sie kämpfen einmütig mit dem Feinde, bis er unterliegt. Entsteht ein Streit zwischen ihnen, so wird der Car als Richter angerufen, vor welchem beide Parteien ihren Standpunkt darlegen. Hat der Car den Richterspruch getan, so wird er befolgt. Sollten die Parteien mit dem Urteil unzufrieden sein, so muss das Endurteil der Entscheidung durch die Waffen anheimgestellt werden. Zum Zweikampfe erscheinen die beiderseitigen Familienmitglieder bewaffnet; der Sieger im Zweikampf ist auch Sieger im Streitfall. Unter ihnen befinden sich Zauberer, Wahrsager und Oberpriester. Diese verlangen die Darbringung von Opfern der Gottheit, wobei Pferde und auch Menschen geopfert werden; diese erleiden hiebei den Tod durch Erhängen. Die Russen (Normannen) sind tapfere Krieger; wenn sie ein anderes Volk anfallen, kämpfen sie so lange, bis es unterliegt. Die Besiegten geraten in Sklaverei. Sie sind kühn im Angriff, zeigen diese Kühnheit aber nicht zu Pferde, weil sie alle Überfälle zu Schiff ausführen. Ununterbrochen tragen sie das Schwert bei sich, weil einer dem anderen nicht traut und weil die Arglist unter ihnen allgemein ist. Wenn jemand ein noch so geringes Eigentum erwirbt, so wird er vom Bruder oder Genossen beneidet, die die Absicht haben, es sich anzueignen.14 *) Stirbt ein Mann von vornehmem Stande, so wird ein Grabhügel (mogila) errichtet, in welchem er bestattet wird. Seine Kleider, die goldenen Armbänder, Esswaren, Gefässe mit Getränken und geprägte Münzen16) werden in das Grab gelegt. Schliesslich wird zu dem Verstorbenen seine bevorzugte Gattin — noch lebend — gegeben. Die Graböffnung wird sodann zugeschüttet und die geopferte Frau stirbt im Grabe. 13) Der Orientalist Freiherr von Hammer-Purgstall sagt, dass diese Hiebwaffen in der persischen Provinz Chorassan erzeugt und von dort bezogen wurden. Möglich, dass die normannischen Schwerter ähnliche Eigenschaften hatten und deshalb Suleimanschwerter benannt wurden. “) Diese Charakteristik entspricht den früher geschilderten Eigenschaften der Russen (Normannen) durchaus nicht und sieht man hier abermals die wahllose Kompilation Ibn-Dastas. lä) Früher hiess es wieder, dass diese Völker keine Münzen kannten! Abn-Mansura, f 980, war arabischer Lexikograph, von dem unter anderem folgendes Zitat herrührt: „Die Slaven sind ein Volk mit rötlicher Gesichtsfarbe und blonden Haaren; sie sind Nachbarn der Chasaren. Bei uns (Arabern) heissen Menschen mit lichter Gesichtsfarbe „Slavaninen", weil sie den Slaven ähnlich sind. Al-Mukadesi schrieb in den Jahren 985 und 986; er erzählt: „Das türkische Reich grenzt im Norden an Chowarezm16); dorthin werden aus dem Bulgarenlande eingeführt: verschiedene Gattungen Felle, Schwerter, Panzerrüstungen, Birkenholz (oder Buchenholz), gefangene Slaven, Schafe und Hornvieh. Itil17) ist eine grosse Stadt am Strome gleichen Namens,18) der sich ins Meer (Kaspisches Meer) ergiesst. In der Stadt und um dieselbe sind viele Wohnstätten; unter der Bevölkerung sind zahlreiche Muselmänner; deren Herrscher ist ein Jude.19) Die Gesetze sowie die Richter sind muselmännisch, jüdisch, christlich und auch heidnisch. Ich hörte, dass ein Volk, welches Slaven sind, sie (die Chasaren) angriff und ihr Reich eroberte.20) Die Chasaren haben Ähnlichkeit mit den Slaven. Die Russen (Normannen) leben auf einer ungesunden Insel im See, der sie gegen ihre Feinde schützt; es sind ihrer etwa einhunderttausend Seelen; sie haben weder Ackerfelder noch Viehherden. Die Slaven fallen über sie her und rauben ihr Eigentum.21) (Fortsetzung folgt.) 10) Das Reich der Chowarezm erstreckte sich damals vom Kaspischen Meere bis Bagdad und umfasste einen grossen Teil von Persien. 17) Jetzt Astrachan genannt. 18) Heisst jetzt Wolga. 19) Schon im VIII. Jahrhunderte war der Chakan der Chasaren mit einem Teile der Bevölkerung zum Judentum übergetreten. 20) Swjatoslav (945—973) schlug i. J. 965 die Chasaren entscheidend: sie verschwanden dann völlig vom politischen Schauplatz, 21) Ibn-Dasta sagte das Gegenteil, dass nämlich die Slaven von den Russen (Normannen) überfallen und beraubt werden. Der Widerspruch mit der Mitteilung Al-Mukadesi's ist nur ein scheinbarer, denn im Laufe der sechzig Jahre, welche die schriftstellerische Tätigkeit Ibn-Dastas von jener Al-Mukadesis trennen, sind wahrscheinlich die Slaven von der Verteidigung zum Angriffe übergegangen, wobei die in Russland ansässig gewordenen Normannen sehr bald ihr Volkstum verlieren, d. h. sie gehen in den Slaven auf. Der Verlust der Nationalität war das allgemeine Schicksal der räuberischen Normannenhorden. Den in Frankreich eingefallenen Normannen musste i. J. 911 ein ausgedehnter Landstrich — die Normandie — überlassen werden; sie nahmen aber sehr rasch französische Sprache und Sitten an. Die Normannenscharen, welche Italien heimgesucht, fruchtbarer Gebiete sich bemächtigt und die Grafschaft Apulien gegründet hatten, verloren ebenfalls sehr bald ihr ursprüngliches Volkstum. Geschichtliches über die Skordisker. Mit g el eilt von Dr. 3. Velic. Das alte Albanien war ein Teil des Reiches Illyricum; das Land bewohnten die Illyrer und Skordisker. Die Hauptstadt war Skodra (Skadar, Skutari), die schon vor der Römerzeit befestigt war, was daraus hervorgeht, dass sie im dahre 169 v. Chr. von den Römern durch längere Zeit belagert werden musste, und hat sich dort Gentius, der letzte König der freien Illyrer, auch den Siegern ergeben. In der alten Geographie gelten die Skordisker als ein grosses keltisches Volk, das sich über das südliche Ungarn längs der Save bis zur serbischen Morava erstreckte, sonach das gesamte Flachland des nachmaligen Pannonien umfasste. Überdies gab es noch weitere Partien des gleichbenannten Volkes in Mösien wie Macédonien. Der Grundstock des Skordisker-Volkes und die Grundlage für diese ethnographische Kennzeichnung ist jedoch zweifellos in der Sar planina, jenem Gebirgszuge, der den Hämus (Balkangebirge) mit den südlichen Kalkalpen verbindet, zu suchen. Die Griechen wie Römer nannten und schrieben, diktiert durch ihre Spracheigenart, das Gebirge nicht als „Sar“, und die Bewohner nicht etwa als „Sarici", sondern „Skardus“ (Ptolemäus) und „Scordisci" (richtiger „Scardisci“). Mit dieser Festlegung der eigentlichen oder ersten Wohnsitze der Skordisker stimmen auch die Nachrichten überein, die uns namentlich Livius übermittelt hat. — Perseus, König von Macédonien (168—179), bereitete sich zu einem Feldzuge gegen die Römer vor, und musste naturgemäss, falls er ernstlich an die Meeresküste gelangen wollte, das Wohngebiet der Skordisker passieren. Dies setzte voraus, dass ihm diese freundlich gesinnt, ja in seinen Plänen selbst behilflich seien. Perseus ging noch weiter : er forderde die Bastarner, eine Völkerschaft zwischen der Donau und dem Balkan, auf, sich mit ihren Stammesbrüdern, den Skordiskern, im Lande der letzteren kriegsbereit einzufinden (Liv. XL, 57). Die vereinigte Heereskraft überschritt nun unter Kommando des Königs Perseus die Höhen des Skadrus-Gebirges (Sar planina) und gelangte so nach grossen Beschwerden nach Scodra (Liv. XLIII, 20), die königliche Hauptstadt von Illyricum (Liv. XLV, 26). Die geographische Zentrale der Wohnsitze der Skordisker kann sonach nur im Territorium der Sar planina zu suchen sein, denn 8* Perseus kann von Macédonien nach Skodra nur über diese gelangt sein, selbst wenn hiebei das Skadrus-Gebirge nicht eigens erwähnt wäre. Es handelt sich nun um die Festlegung, seit wann die Skor-disker auf dem Balkan beglaubigt sind. — Herodot (um hkk v. Chr.) erwähnt diesen Namen noch nicht, Livius (geb. 59 v. Chr.) schon. Sie müssten sonach in der Zeit von Herodot bis Perseus in jenes Gebiet eingedrungen sein. Doch dies wäre ein arger Trugschluss, denn nur deshalb, weil sie Herodot noch nicht kennt oder nennt, können sie doch da gewesen sein, jedoch unter einem anderen Na-. men ; und dies ist offenkundig hier der Fall : sie sind unter dem Sammelnamen „Celten“ auf dem Balkan inbegriffen. — Nebstbei erzählt die Geschichte, die Skordisker seien im pannonischen Kriege unter Kaiser fiugustus völlig vertilgt worden, was auch nicht buchstäblich zu nehmen ist, denn es gab schon kurz darnach genug blutige Aufstände und Kämpfe auf demselben Gebiete; dieses muss sonach ununterbrochen entsprechend bevölkert gewesen sein. Die Geschichte fasst nämlich einen Teil der Balkanvölker, namentlich die Japoden, Bojer, Skordisker als „Cellae“ zusammen, welche Tatsache endlich eine Beleuchtung erfordert. Wir haben hier immer mit zwei (auch mehreren) Namen für ein und dasselbe Volk zu rechnen, u. zw. dem geographischen und dem militär-organisatorischen. Dene Völker, die ihre Kriegsformationen oder taktischen Einheiten, bezw. ihre Ergänzungsbezirke als „celedi“ (= Kriegsschar) bezeichneten, galten den Römern durchwegs als „Celtae“ ; diejenigen, die ihre Unterabteilungen „voji, boji“ (=Zug, heute Korps) nannten, waren die „Boji“ ; diejenigen, welche sich gebietsweise in „kaza, chasa“ formierten, waren die „Kazaki, Chasari, Chatti" usw. — Der Name „Scordisci“ ist daher nur der geographische Untertitel jener „celedi“, also „Celtae“, die sich im Raume der Sar planina, der Stadt Skodra und des Skodra-Sees militärisch gruppierten. Diese Aufklärung ist dringend notwendig im Auge zu behalten, wenn man das scheinbare Chaos der verschiedensten, auf ein und demselben Gebiete erwähnten ethnographischen und topischen Namen, im allgemeinen und ex ovo verstehen oder entwirren will. M. Zunkovic: Uber altslavische Handschriftenschätze. Die Erkenntnis, dass die Slaven schon im Altertume wie im Mittelalter eine sehr bedeutende eigene Literatur und eine hochaus-gebildete Sprache hatten, festigt sich mit jedem Tage umso mehr, je weiter sich die bezüglichen Forschungen vertiefen. Ganz abgesehen von den Runenschriftdenkmälern auf Stein und Erz, welche die Existenz der slavischen Sprache offenkundig durch mehrere tausend Jahre konkret belegen, haben sich aber auch Pergamenthandschriften, — so weit eben heute bereits Klärungen vorliegen —, schon aus dem V. Jahrhunderte n. Chr. erhalten und stossen wir bei der Weiterforschung höchstwahrscheinlich auf noch ältere Belege. Man glaubte bisher auch immer, dass kein Beweismaterial vorliegen könne, weil man über die alte Geschichte und Kultur der Slaven überhaupt nichts wusste, und in jenen Fällen, wo sich Beweise einstellten, da vernichtete oder entwertete man sie sofort, weil dies gewissen Kreisen nicht in das Programm passte. Und unter diesen zwischen Leichtgläubigkeit, Unwissenheit, Indolenz und toleriertem Betrug oszillierenden Vorstellungen bewegten wir uns bis zum gestrigen Tage, denn wir glaubten selbst blind daran, dass die handschriftlichen Beweise für die slavische Vergangenheit nur äusserst spärlich sein können. Heute hingegen können wir sagen, dass diese Belege ausserordentlich zahlreich sind, nur liegen sie unbeachtet, daher unbekannt in den Archiven, Bibliotheken usw., oder sie bekamen, wie die Runeninschriften, eine irreführende Punze, indem man sie als „germanisch“ klassifizierte, ohne hiemit weiter etwas überzeugend Klärendes geboten zu haben. Es seien nun nachstehend alle jene Orte und Länder angeführt, in welchen sich altslavische Handschriften befinden, die aber weiter noch gar nicht oder nur teilweise überprüft sind. Venedig. Auf Seite 205 des „Staroslovan" (1913) wurde aufmerksam gemacht, dass sich in den Jahren 1851 und 1853 im gewesenen Kloster „dei Frari“ in Venedig ungefähr 13 Millionen Handschriften befanden, worunter sich Originalurkunden russischer, böhmischer, polnischer, südslavischer wie ungarischer Könige, der Republik Ragusa, Berichte über Dalmatien, Istrien, das Uskoken-Gebiet u.a.m. befanden. In den erwähnten Jahren hatte der damalige Landesarchivar von Zagreb, J. Kukuljevic-Sakcinski, selbst Gelegenheit, in diese immensen Archivschätze Einsicht zu nehmen. So viel bekannt, kümmerte sich slavischerseits in den verwichenen 60 Jahren niemand weiter um diese altslavischen Geschichts- und Kulturbelege. Rom. Im Vatikan erliegen zahlreiche, namentlich kirchenslavi-sche Handschriften, da sich der liturgisch-sprachliche Streit zwischen Rom und den Slaven nahezu seit der Gründung des Stuhles Petri in Permanenz erhalten hat. Als kirchliche Zentrale aller katholischen Slavenvölker sind dahin zum mindesten alle rituellen kirchenslavischen Werke zur Zensur eingelangt und wohl auch Vergleichsexemplare deponiert worden. Die bei 40.000 Handschriften zählende Sammlung der Vatikanischen Bibliothek, die in den letzten Jahren mit Rücksicht auf eine unangenehme Erfahrung bei einem Brande nun in feuersicheren Räumen untergebracht sind, enthält viele Slavica, die augenscheinlich sprachlich noch gar nicht durchforscht sind. — Palacky studierte wohl im Jahre 1837 die Vatikanische Bibliothek; inwieweit man ihm jedoch Einblick gewähren liess, ist schwer zu sagen, denn die Wahl eines Protestanten für diese Mission wird wohl niemand für klug bezeichnen. Überdies weiss man, dass die Königin Christine von Schweden, bekannt als besondere Liebhaberin der Wissenschaften und Sammlerin von Handschriften, nach Entsagung auf den Thron im Jahre 1655, mit 56 böhmischen Handschriften nach Rom zog und dort auch im Oahre 1689 starb. Ihre Bücherschätze kaufte sodann Papst Alexander VIII. und verleibte sie der Vatikanischen Bibliothek als „Bibliotheca Alexandrina“ ein. Wien. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrt allein etwa an 300 Stück südslavischer Urkunden, meist diplomatischer Richtung angehörend. Was sich ansonst in einzelnen Städten in öffentlichen Sammlungen, in Klöstern, Burgen, dann bei Privaten vorfindet, hiefür fehlt uns überhaupt jeder Überblick, da ja vieles unbekannt ist, vieles ist noch gar nicht gesichtet, manches noch nicht als slavisch erkannt, manches noch gar nicht lesbar. Fast jede Stadt verwahrt irgendeine mehr oder weniger wichtige altslavische Handschrift. So wissen wir, dass sich derlei Handschriften vorfinden in: den Klöstern auf dem Berge Athos, in Admont, Berlin, Budapest, Dresden, St.-Gallen, Göttingen, Graz, Greifswald, Halberstadt, Klosterneuburg, Lambach, Magdeburg, Mailand, Mainz, München, Paris, Oxford, Rheims, Stettin, Stockholm, Utrecht, Wernigerode usw. Konstantinopel. Zum Krongute eines jeden regierenden Sultans gehört eine aus 2000 Handschriften bestehende Bibliothek, gewöhnlich „Serailbibliothek“ genannt (in Top kapu), die aus Samm-lungen der Kaiser von Byzanz sowie der Sultane besteht, jedoch in den letzten (Jahrhunderten keine Vermehrung mehr erfuhr. Die Bibliothek wird sorgsam versperrt gehalten, daher auch kein Archiv-diensl daselbst eingeführt ist. Bis zum (Jahre 1850 waren darin nebst den arabischen und syrischen auch viele slavische Handschriften, wie dies Dr. Mordtmann erzählt. Seit dieser Zeit werden keine solche mehr gezeigt; man weiss nun nicht, ob sie in der Bibliothek selbst versteckt gehalten werden, oder ob sie bei dem bekannten Slaven-hasse der Osmanen vernichtet, verkauft, verschenkt oder gestohlen wurden, daher über deren Schicksale oder Existenz klugerweise geschwiegen werden muss. — Für jeden Fall ist es ein arges Versäumnis seitens der slavischen Wissenschaft, dass sie dieser Bibliothek rechtzeitig keinerlei Beachtung widmete. — Der auf Seite k3—k<ö beschriebene „Majestätsbrief Alexanders d. Gr. an die Slaven" soll daher, wie das „Russische archäologische Institut in Konstantinopel" mitteilt, heute auch nicht mehr in der Serailbibliothek erliegen. Spanien. Man nimmt allgemein an, dass die (Jesuiten, welche sich nach der Aufhebung des Ordens im Oahre 1773 sowie anlässlich der wiederholten vorübergehenden Vertreibungen zumeist nach Spanien wandten, dahin auch wertvolle, namentlich altböhmische Handschriftenschätze mitnahmen. Es ist daher wahrscheinlich, dass noch heute in den spanischen Klosterbibliotheken noch manche alt-slavische Handschrift unbeachtet oder unerkannt erliegt. Frankreich. Ähnliche Verhältnisse wie in Spanien, bietet auch Frankreich. Wie viel slavische Handschriften in der napoleoni-schen Zeit aus den Bibliotheken der Städte, Klöster und Schulen aus Österreich nach Frankreich wanderten, weiss man heute nicht; es ist aber wahrscheinlich und auch fallweise geschichtlich belegt, dass Handschriften dieser Provenienz über das ganze Land in Museen, öffentlichen wie Privatbibliotheken Aufnahme fanden. — Infolge der in den letzten Oahren erfolgten Einziehung der Kirchengüter und Aufhebung von Klöstern und Orden dürften sich die Nachforschungen schwieriger gestalten, da wertvolle Manuskripte voraussichtlich wieder mitgenommen und abermals in andere Länder übertragen wurden. — Sachsen. Nach Sachsen gelangten altslavische Handschriften leicht aus dem benachbarten Böhmen, Mähren und Schlesien, da wiederholt Raubzüge in die erwähnten Länder unternommen wurden. Überdies war Sachsen im XII. Oahrhunderte noch slavisch, daher es naheliegend ist, dass sich hier unter besonders günstigen Verhältnissen so manches bewusst oder unbewusst in den Klöstern und Burgen erhalten hat. Polen. In den Klöstern wie Familienbibliotheken Polens, des einst grössten mitteleuropäischen Staates, dürften sich so manche slavische Handschriften, namentlich altböhmische erhalten haben, zumal am polnischen Hofe das Böhmische eine Zeit hindurch die Umgangssprache war. Überdies wissen wir, dass in Polen ein anderes Fragmentexemplar der Königinhofer Handschrift gefunden und an Hanka nach Prag gesendet wurde, aber leider den Adressaten nicht erreichte. Schweden. Bekanntlich wurden gegen Ende des 30jährigen Krieges viele Kunst- und Bücherschätze von Prag, die Dietrichstein-sche Bibliothek aus Nikolsburg sowie jene des Domkapitels von Olmütz und der dort bestandenen Klöster von den Schweden als Kriegsbeute nach Stockholm überführt. Einiges kam schon im Dahre 1685 zurück, da es dem österreichischen Gesandten Anton Grafen Nostitz gelang, mit schwerem Gelde 133 Stück alter Urkunden und Privilegien der böhmisch-ständischen Archive rückzuerobern. — Bischof Dittrich von Dresden, der ein geborener Böhme war, schreibt in einem Briefe vom 12. Duli 1850 an Dr. Beda Dudik, den mährischen Landesarchivar, dass, nach einer Aussage des eben in Karlsbad weilenden Bibliothekars der Universität Lund, die gesamten literarischen Schätze Böhmens und Mährens in Schweden auf 7—8000 Stück anzuschlagen seien. Überdies muss beigefügt werden, dass beim grossen Brande des Residenzschlosses in Stockholm (1697) auch ein grosser Teil der Bibliothek zugrunde ging, sowie dass durch öffentliche Versteigerungen (wie z. B. im Dahre 1765) viele dieser Werke in unbekannte Hände gelangten und überdies aus dem Lande kamen. — Bereits früher wurde der „Bibliotheca Alexandrina“ in Rom erwähnt, in welcher sich gleichfalls 56 Bohemica aus Schweden befinden. Als Napoleon im Dahre 1809 die Hofbibliothek in Wien der wertvollsten Bücherschätze beraubte und sie nach Paris schaffen liess, bemühte man sich sehr bald nach dem Sturze Napoleons, dieselben wieder zurückzuerhalten, und schon im Dahre 1814 brachte Kopitar das Geraubte zurück. Um die Rückerwerbung der schwedischen Kriegsbeute kümmerte sich aber bis heute von staatswegen niemand, obschon jene literarischen Schätze für den Beutemacher selbt keinen sprachlichen Vollwert haben, und doch auch nach dem Friedensschlüsse meist rückgestellt werden; der Hauptgrund wird wohl darin zu suchen sein, dass es eben Slavica sind. Das wertvollste slavische Werk ist der sogenannte „Liber gi-ganteus“ (auch „Gigas Ubrorum“), ein in bezug auf Form, Geschichte und Inhalt in der Welt einzig dastehender Riesenkodex, der aus dem ¡Jahre 1239 stammt und einst dem Kloster Brevnov bei Prag gehörte. Er enthält ausser der Bibi. Geschichte, einem Traumbuche, Chroniken, altslavischen, altrutenischen, hebräischen, griechischen und lateinischen Musteralphabeten, auch das geschichtlich wichtige „Necro-logium Podlazicense“. Von diesem Werke besitzen wir bis heute nicht einmal ein Faksimile für den Fall des Verlustes des Originales. Selbstredend ist uns aber vom Hauptteile dieser Beule gar nicht bekannt, wo er hinkam, wo er sich heute befindet oder was er enthält, da er schon zugrundegegangen sein kann, oder aber irgendwo unbeachtet oder verworfen liegt. Russland. Dass in Russland sowie in den südslavischen Ländern viele Handschriften, namentlich solche kirchenslavischer Richtung vorhanden sind, ist sowohl bekannt, als auch selbstverständlich. ln den griechisch-orientalischen Klöstern mag sich noch manches wertvolle Stück befinden, das noch unerkannt seiner verdienten Bewertung harrt. Ein Teil der schwedischen Kriegsbeute vom ¡Jahre 1648 aus Österreich kam damals auch in die Stadt Abo, welche jedoch im ¡Jahre 1743 an Russland fiel. China. Im ¡Jahre 1884 berichtete der russische Konsul in Muk-den seiner Regierung, dass in den kaiserlichen Bibliotheken in China — bekanntlich befindet sich eine solche in allen grösseren Städten — eine Menge böhmischer (!), vermutlich jedoch altslavischer Handschriften, festgestellt worden sei. Bei der Einnahme Mukdpns im ¡Jahre 1900 sind nämlich sehr wertvolle slavische Handschriften in der dortigen Bibliothek gefunden worden, und gelangten im ¡Jahre 1901 hievon zwei Waggons nach Petersburg. Jedes Stück war sorgfältig in Seide verpackt und in eine Metallkapsel eingelegt. — Über den Inhalt oder den literarischen Wert dieser Handschriften war bis nun weiter nichts zu hören. Dass slavische Handschriften durch die häufigen Handelsmissionen, namentlich russischerseits, nach China gelangen konnten, ist doch sehr naheliegend, denn derokluge Kaufmann brachte den massgebenden Würdeträgern des fremden Staates stets allerlei ungewöhnliche Geschenke, um sie für die eigenen Zwecke günstig zu stimmen. — Übrigens war es früher allgemein Sitte, dass sich die Potentaten gegenseitig mit literarischen Geschenken bedachten; es ist daher durchaus nichts Verwunderliches oder Verdächtiges, wenn man etwa in Ostasien eine böhmische Handschrift findet, umsomehr als es täg- lieh klarer wird, dass die Verbreitungssphäre der slavischen Sprache umso grösser wird, je weiter wir in der Zeit nach rückwärts gehen. * Hiemit wurde einige Orientierung gegeben, wo altslavische Handschriften sind, oder wo sie den geschichtlichen Kalkulationen nach sein könnten, womit jedoch nicht gesagt sein will, als ob nicht auch an anderer Stelle, wo man solche vielleicht gar nicht vermuten kann, wertvolle Handschriftenschätze erliegen könnten. Ein ernstes Postulat wäre es nun, wenn für diese allgemeine wie spezielle Forschungsarbeit, dann überhaupt für die Führung aller gemeinsamen, den Altslavismus berührenden Fragen ein Zentralinstitut oder eine „Altslavische Akademie“ gegründet würde, doch ist an die Realisierung einer solchen grossen Idee bei den heutigen betrübenden Verhältnissen in der slavischen Wissenschaft und dem gegenseitigen Misstrauen der slavischen Völker untereinander, nicht zu denken, daher es wohl am vorteilhaftesten ist, wenn diese hohe Mission einstweilen die Privatforschung versieht. Indessen will jedoch unsere Revue alle Entdeckungen, Erfahrungen und Hinweise dieser Art liebevoll sammeln und pflegen. Alle Daten der Forscher, welche sich auf eine noch nicht oder ungenügend bekannte Handschrift oder sonstige altslavische Geschichts- und Kulturbelege beziehen, oder auch nur die Spuren zur Auffindung andeuten, sollen daher hier ihre Veröffentlichung und Taxierung finden. Mit dem Wachsen des Materiales und damit des Erfolges, wird sich sodann auch das Interesse automatisch erhöhen, und was heute utopistisch erscheint, wird einst zur Wirklichkeit; aber der Anfang will einmal gemacht sein! — M. Zunkovic: Untersteiermark, die Urheimat der Gralsage. Die wohl allgemein befremdende Überschrift muss, ehe in die weitere Begründung eingegangen wird, gleich kurzweg geklärt werden. Darüber, dass die Gralsage keltischen Ursprungs ist, sind bisher alle wissenschaftlichen Anschauungen eipig, nur wird deren weitere Ausbildung nach Nordspanien verlegt; dass sie aber heute in weit kürzerer Fassung, als der lose zusammenhängende Sagenzyklus vom hl. Gral, dann Parcival und Lohengrin, im Volksmunde wie in der Lokalität in Untersteiermark bekannt ist, darüber herrschte über die engste Heimat hinaus bis nun völlige Unkenntnis. Der keltische Ursprung des grundlegenden Sagenstoffes ist aber auch hier zutreffend, denn auch die Bewohner Steiermarks gehörten einst ethnographisch zu den Kelten, womit die allgemeine Provenienzfrage insoweit gelockert erscheint, dass die Sage ebensogut wie in Spanien, auch in der keltischen Steiermark ihren Anfang genommen haben kann. Den unmittelbaren Anstoss zur wissenschaftlichen Überprüfung dieser Frage gab Hans v. Thal, der in dem Artikel „Monsalvatsch“ (s. „Reichspost“ v. 12. Februar 1. 3.) seihe Entdeckung auf einem Ausfluge vom steirischen Bade Rohitsch-Sauerbrunn in das nördlich davon gelegene Dranntal veröffentlichte. Auf dem Wege fiel ihm ein hohes Kreuz mit einer sonst ungewöhnlichen Darstellung auf. Zur rechten Seite des geschnitzten Heilands schwebte ein Engel, der mit einem flachen Gefässe das Blut unter der Seitenwunde des Erlösers auffängt. Knapp beim Kreuze tritt eine kristallhelle, mit Zementstein sorgsam umfasste Quelle zutage. Eine alte Frau aus dem Volke kam damals gerade dazu, bekreuzigte sich und benetzte sodann mit der nassen Hand Stirne und Augen. Darauf entnahm sie dem Handkorbe ein Fläschchen, füllte es an der Quelle, verkorkte es sorgfältig und legte es wieder in den Korb. All das Gebaren zeigte dem unbeachteten Zuseher, dass es sich hier um etwas besonders Ehrfurchtsvolles handeln müsse. Als nun der Beobachter mit der Frage hervortrat, wozu sie diese paar Tropfen Quellwasser benötige, bemerkte sie, es sei dies ein „Gnadenquell", und sie benötige das Wasser für ihren siechen Mann. Sie fügte noch resigniert bei, dass ihr Mann zwar daran nicht glaube, und wenn einer nicht glaubt, da hilfts ihm auch nicht, doch wolle sie es doch noch damit versuchen. Dies steigerte die Neugier des Fragers über den Wunderquell noch weiteres zu hören. Die Frau erzählte nun: „Es ist dies ein wundertätig Wasser, das aus dem See vom „Heiligen Berg“ kommt. Auf dem See fährt, ohne Segel und Ruder, gezogen nur von einem grossen Vogel, der an den Nachen mit einer goldenen Kette vorgespannt ist, der Sendbote Gottes. Er steht im Kahne und horcht, und kommt dann selbst, wenn sich einmal die Ungerechtigkeit in der Welt schon allzubreit macht und bereits die Unschuld bedroht. Ein Vogel sitzt ihm auf dem Kopfe und ein Horn hängt ihm zur Seite.“ — Hierauf entfernte sich die Frau geschäftig mit kurzem Grusse und ging bergab in ihren Wohnort. Thal begab sich nun auch in das unterhalb gelegene Dorf Stu-denitz und suchte im Gasthause eine Stärkung. Dort traf er einen einzigen Gast an; es war dies der Seelsorger des dortigen Frauenklosters. Im Gespräche stellte es sich heraus, dass sich der Priester auch mit Forschungsarbeiten beschäftigt. Auf die Nachfrage hin, welche Bewandtnis es mit der von der Bäuerin gehörten Sage habe, führte ihn der Priester in sein Heim und zeigte ihm in der Bibliothek eine Menge von Manuskripten, Büchern, Rollen und Zeichnungen, die alle darauf Bezug hatten. Schon unterwegs erzählte er ihm folgendes: „Diese Sage ist für mich geradezu der Schlüssel gewesen, durch den ich in den mittelalterlichen Sagenschatz eingedrungen bin, in den herrlichsten, den wir Deutsche besitzen. Begreiflicherweise hat das Volk Wahrheit und Dichtung, Religion und Geschichte bunt durcheinander gewürfelt. Was Sie von der alten Frau gehört haben, ist nicht mehr und nicht weniger, als die Sage Lohengrins, welche die Literarhistoriker an den Ufern der Schelde spielen lassen; nur ist zu bemerken, dass dort dem Volke die Sage vollkommen fremd ist; hier kannte sie aber jedes Kind und dies gab mir zu denken.“ — Im Heim zeigte er ihm vor allem eine farbige Skizze mit einem steilen, fast unzugänglichen Bergriesen, auf dem eine Burg von mächtiger Ausdehnung gezeichnet war. Die Rückwand derselben lehnte sich an einen kahlen Felsen, von dem ein ungeheures Kruzifix über die Burg hinab blickte. Ein zur Seite des Heilands schwebender Engel fing mit einem strahlenfunkelnden Gefässe das Blut aus der Seitenwunde auf. Die Zeichnung hatte die Überschrift: „Gegend und Burg Monsalwaescne nach den Andeutungen in Eschenbachs Parcival.“ Als nun Thal im weiteren Gespräche fragte, namentlich als er ihm durchs Fenster die Gralburg im Geiste auf der Spitze des hohen Berges zeigte, w o die Beweise seien, schlug der Priester den Parcival auf, und las ihm nun die Stelle vor, in der sich Parcival auf der Suche nach dem Gral dem Monsalvatsch nähert, und fügte bei: „Nicht von Norden kam er, sondern von Osten. Er berührt die Ortschaft Gredin, d. i. Heiden bei Pettau, er übersetzt die goldführende Trane, d. i. der Fluss Drann, der vom Fusse des Wotsch über Maxau ostwärts der Drau zustrebt; und es ist historisch nachgewiesen, dass an der Drann einst Goldwäschereien etabliert waren! Hier spricht er vom Gnadenquell: den haben Sie soeben gesehen ! — Und nun die Beschreibung des Berges selbst, sein Verhältnis zur Umgebung und die typischen Merkmale! Oede Bergfalte, jeder Wassersturz, jeder Riss der Formation stimmt! — Und dann hoch oben auf dem Berge fand ich die deutlichen Spuren einer grossangelegten Wasserleitung (?). Am Wotsch stand aber nie eine Ortschaft ! Und schliesslich: nach der Sage soll die Gralsburg auf den Ruinen eines Venustempels errichtet worden sein, und ich habe die charakteristischen Mauerreste des Venustempels auf der Spitze des Wotsch aufgedeckt. Sie können morgen alles sehen! - Und endlich: wie kommt die Sage Lohengrins, des Sohnes und Nachfolgers Parci-vals, hierher, in diese jetzt ausschliesslich von Slaven bewohnte Gegend? Eine Sage, die dem Slaven nicht zueigen ist und die daher auch nicht von ihm importiert werden konnte? — Und ferner: der Gral wird als ein flaches Gefäss beschrieben, das ein Engel am hl. Karfreitag dem Heilande an der Seitenwunde hielt, um das kostbare Blut aufzufangen. Haben Sie irgendwo anders eine ähnliche Nachbildung gesehen? Ein schwebender Engel mit der Gralschüssel in den Händen an der Seite des Heilands? Ich nicht und niemand. Nur hier und in nächster Umgebung finden Sie derartige skulptureile und malerische Nachbildungen. Ist dies nicht auch ein Beweis ? Und wenn Sie auf das Wesen der Sage eingehen: die Sage ist doch durch und durch deutsch. Wie käme eine solche nach Spanien, das von den deutschen Gauen doch durch ganz Frankreich getrennt ist? Auf dem Wege dahin schon wäre ihre Mystik durch die romanische Phantasie erstickt und erdrückt worden. Nicht in Monsegur, nicht in Kan-tabrien, nicht in Montferrat, wohin sie die Literarhistoriker verlegen, haben wir die Gralburg zu suchen, nein, hier in diesem ehemals ganz deutschen Lande, in der Steiermark, auf der Spitze des Wotsch!“ — Als Thal darauf fragte, ob diese Forschungen abgeschlossen seien, erwiderte der Priester, dass er daran sei, und wies dabei auf die massenhaft auf dem Tische liegenden Notizen. — Mit der Bemerkung, dass jener Priester kurz darauf gestorben sei, beschliesst Thal dieses sein Erlebnis. — Ehe wir nun dem Hauptthema kritisch nähertreten, müssen einige störende Unrichtigkeiten in der Schilderung des P. Hytrek — so hiess nämlich jener Priester — behoben werden. Vor allem ist es nicht zutreffend, dass in der Drann je Gold gewaschen wurde, denn sowohl ihr Ouellgebiet wie ihre bescheidenen Zuflüsse schliessen in geologischer Hinsicht eine auch nur nennenswerte Goldverseifung aus. Es ist da dem Forscher ein grober Lesefehler unterlaufen, denn Eschenbach selbst nennt im Parcival (IX, V. 1980) die Drau als „mit golde ein wazzer“, was hingegen richtig ist, da bis in die jüngste Zeit von Privaten dort Goldwäscherei betrieben wurde; aus den Dahren 1692— 169A sind uns noch die Namen der zünftigen Goldwäscher urkundlich bekannt; zu Römerzeiten stand aber das Gewerbe noch unter Staatsaufsicht, dem ein eigener „comes metallorum“ vorgesetzt war. Dass nun Hytrek, der jahrelang in Stude-nitz wohnte, wo doch die Drann vorüberfliesst, ein solches Märchen erzählt, ist wohl kein Beweis für die Verlässlichkeit seiner Forschungen. Überdies mündet die Drann cirka 8 km südöstlich von „Gandin“ in die Drau; was Hytrek als Drann bezeichnet, heisst bei Eschenbach „Grejan“, heute „Grajena" (1283 Grayana) genannt, die sich tatsächlich hier in die Drau ergiesst, jedoch auf der Pettauer Seite. Die Ortschaft „Gredin“ lautet im „Parcival“ richtig „Gandin“. Es ist dies das heutige Doppeldorf „Ober-“ und „Unter-Hajdin“ (1164 Chandingen, 1202 Candin), das genau gegenüber von Pettau liegt, und durch bedeutende Funde aus römischer wie vorrömischer Periode in jüngster Zeit viel genannt wird. Ebenso unhaltbar ist die Behauptung, dass solche Arten der Darstellung des Gekreuzigten nur in dieser Gegend heimisch seien, denn diese sind in den katholischen Gegenden überall zu finden und seil Jahrhunderten bekannt; mitunter wurde hiebei der Engel sogar durch einen Mönch ersetzt. Geradezu unsympathisch und aufdringlich berühr! aber die spontane Hervorhebung des deutschen Ursprungs der Gralsage, weil dieses Gebiet einst deutsch war. Dieses Gebiet war aber in der historischen Zeit nie deutsch. Hytrek war sonach über die Vergangenheit dieser Gegend sehr einseitig orientiert und mit den lokalen Verhältnissen sichtlich nicht genügend vertraut. Er war ein Fremdling in dieser Gegend, da in Preussisch-Polen geboren, wo er auch im Jahre 1899 starb. Die von Thal geschilderte Begebenheit spielte sich allerdings auch schon im Jahre 1895 ab. Überdies ist das Wichtigste von dem, was Hytrek hier erzählt und als eigene Entdeckung anführl, gar nicht die Frucht seines Forschergeistes, denn darüber schrieb schon Dr. G. Puff („Taschenbuch“), dann Davorin Trstenjak („Slov. Glasnik“, 1867), und auch noch auf diese Quellen wurde Hytrek vom Oberlehrer Jos. Majhen daselbst aufmerksam gemacht.1) Interessant wäre allenthalben die Kenntnis seines Forschungsabschlusses, den er in den Jahren 1896—1899 im Pariser „Figaro“ veröffentlicht haben soll, doch konnte der Artikel bisher nicht aufgebracht werden. Dass uns aber auch die Kenntnis dieser Publikation mit Rückicht auf die bereits hervorgehobenen Mängel unsere Arbeit irgendwie im positiven Sinne erleichtert hätte, ist kaum anzunehmen. Wir wissen doch längst alles in der 1) Im Vorworte von Kraliks »Gralsage« (Regensburg, 1909) ist überdies zu lesen: »Oder sollte er (Artus) mit seinen Tafelrundern den Gral nach einem Gerücht in den Alpen gesucht haben, etwa auf dem Berge Wotsch, nicht weit von Rohitsch, wohin die Volksüberlieferung noch in unseren Tagen die Gralsburg versetzt«. Hauptsache, nur fehlte es bisher an der unmittelbaren Inspiration, diesem Thema endlich eine gründliche Überprüfung zuteil werden zu lassen, was wir nun Hans v. Thal zu verdanken haben. * Vor allem ist es notwendig, den Kern oder das Gerippe des ganzen Sagen- oder Legendenkomplexes blosszulegen, um alles Weitere' verständlicher zu gestalten. ln der christlichen Fassung bezeichnete man mit dem „hl. Gral“ jenes Gefäss, in welches ¿Joseph von Arimathia das Blut des gekreuzigten Heilandes aus der Seitenwunde aufgefangen und als kostbares Kleinod in Obhut genommen haben soll. Seine Nachfolger brachten später dieses Gefäss mit dem Blute irgendwo ins Abendland, wo es lange verborgen gehalten wurde, weil man überhaupt niemand würdig fand, dieses Heiligtum zu besitzen oder auch nur zu behüten. Irgendeine nähere Andeutung über jene Lokalität im Abendlande fehlt anfangs gänzlich, denn die Legende bildete sich eben sukzessive aus, und da dieses Thema erst später spekulativ aufgegriffen wurde, war der Phantasie für die örtliche Fixierung vorerst ein weiter Spielraum gegeben. Erst dann, in der Gewissheit, dass man lange gar nicht wusste, wo jenes Gefäss verwahrt sei, meldeten sich verschiedene Stellen, die den hl. Gral zu besitzen behaupteten, und die Interims-Mystik zu religiösen Reklamezwecken dienstbar machten. Es gab auch bald ein Dutzend Orte, die alle den einen echten Gral zu besitzen angaben, und die sich mitunter handgreiflicher Schwindeleien leicht überweisen Hessen. Dass aber die Gralsage gleich in den ersten nachchristlichen ¿Jahrhunderten im untersteirischen Gebiete entstanden sein muss, wenn hiebei nicht schon eine ältere, heidnische Lokalsage lediglich der Verchristlichung unterlag, hiefür spricht folgendes. Die Niederschreibung oder die sehr genaue mündliche Überlieferung dieser Grallegende, die dann erst in Frankreich eine höhere Beachtung fand, muss nämlich in ihrer christlichen Fassung schon in die Zeit des V.—VIII. ¿Jahrhundertes fallen. Die Anhaltspunkte hiefür bieten die im Epos „Parcival“ erwähnten Ortsnamen, und namentlich der Name „Gandin“. Der Anonymus Leobiensis, welcher die Zerstörung der Stadt Pettau im ¿Jahre kb2 erwähnt, gebraucht hiefür nicht etwa den bei den Römern gangbaren Namen „Poetovium“, sondern „Candida“, weist hiemit also auf das heutige „Hajdin“. Die erste urkundliche Erwähnung von Pettau taucht erst wieder im Jahre 874 als „Betlowe" auf, womit freilich nicht gesagt sein will, dass der Name zuvor vergessen gewesen wäre. Hätte sich aber die Gralsage vor dem V. und erst nach dem VIII. Jahrhunderte entwickelt, so wäre wahrscheinlich immer die Stadt „Peltau“ und nie „Hajdin“ genannt worden, da letzteres in dieser Zeitspanne kaum etwas mehr als ein bescheidenes Dorf gewesen sein konnte. Bis zum Jahre 1846 wusste man aber überhaupt nicht, dass die Namen „Gandin, Rohas, Tra“ usw. wirklich existieren, d. h. man hielt sie für erdichtet, oder suchte sie, ähnlich wie den Monsalvatsch, überall, nur nicht in Untersteiermark. Erst lange später wurde Titurel, der sagenhafte Sohn eines ebenso sagenhaften christlichen Königs von Frankreich, nach Salva-terre in Biscaya (Spanien) geführt, wo er auf dem Berge Monsalvatsch, einer schwer zugänglichen Höhe, einen Tempel für den Gral und eine Burg für die Gralhüter erbaute, was selbstredend auch nur wieder eine Sage ist, denn erst der Trieb, in einer topischen Namensähnlichkeit die Lösung zu finden, verlegte die Sage nach Spanien, weil sich dort einige anklingende Namen fanden. — Als letzter hiezu erkorener Hüter kommt nun Parcival auf jene Burg. Er wird als schöner aber dummer Jüngling geschildert, der das Glück hatte, den hl. Gral, den Inbegriff aller menschlichen Sehnsucht, zu finden, wofür er dann in König Artus’ Tafelrunde aufgenommen wurde. — Die „Lohengrin"-Sage hängt aber nur genealogisch mit jener des Gral zusammen, denn Lohengrin war der Sohn Parcivals, daher auch der weitere erbliche Beschützer des Gral-Heiligtums. — Die Gralsage (oder Legende) wurde, soweit dies literargeschichl-lich heute geklärt ist, im XII. Jahrhunderte in dem Versroman des Robert von Baron poetisch verarbeitet, der hierin das apokryphe Nikodemus-Evangelium, die „Vindicta Salvatoris“, dann die verschiedenen Sagenstoffe über Merlin, Artus und Parcival verwertete. Daraus schöpfte weiter Chrélien de Troyes das Material für seine unvollendeten „Conte de Graal", die später andere fortsetzten und beendeten. — In rein mystischer Auffassung schildert die Vorgeschichte des Gral noch der Prosaroman „Grand Saint Gral“, woraus eben hervorgeht, dass diese Legende ausschliesslich in Frankreich ihre kunstpoetische Weiterentwicklung erhielt. In die deutsche Literatur wurde die Gralsage durch Wolfram v. Eschenbach (f um 1220) eingeführt, der zu seinem Epos „Parcival" vor allem Chrélien als führende Quelle benützte; die Lücken dieses fragmentarischen Werkes will er aber, wie er selbst darin anführt, dem Proven^alen Kyot entnommen haben, von dem die französische Überlieferung zwar nichts weiss, weshalb diese Quelle vielfach als eine pia fraus Eschenbachs angesehen wurde. Da sich aber Kyot selbst (bei Eschenbach) auf eine Schrift des Mauren Flegetanis und auf eine lateinische Chronik von „Anschouwe“ beruft, liegt kein logischer Grund vor, diese Angaben schon im Prinzipe zu bezweifeln ; ja im Gegenteile, wir erfahren durch diese Ouellenetappen, dass die Schlussquelle, die „Chronik von Anschouwe“, Eschenbach alles jene Material lieferte, das in Chrétien fehlte, und erst dadurch die Gralsage einen festen, realen Unterbau erhielt. — Bei Eschenbach ist der hl. Gral bereits ein wunderbarer Stein, welchen Engel in uralter Zeit zur Erde brachten, aber so lange in der Luft hielten, bis ihn auf dem Berge Monsalvatsch eine tempelartige Burg aufnahm und sich für dessen Bewachung würdige Ritter fanden.2 * * * * * * 9) Die Annahme, dass die Kyot-Ouelle Eschenbachs eigene Erfindung sei, ist aber auch deshalb scharf abzuweisen, weil die topischen Momente in Untersteiermark, wo eben die Ursprungsform der Gralsage mit allen ihren Annexen heimisch war, reell sind, und sogar sehr genaue Lokalkenntnisse erforderten, die Eschenbach als geborenem Bayer jedenfalls mangelten. Und selbst, wenn er dieses Gebiet persönlich bereist hätte, erscheint es fraglich, dass ihm z. B. 2) Böhmische Volkstraditionen erzählen, dass die bekannte Burg Karlstein nach den Plänen der Graiburg erbaut worden sei, — Die Legende vom wunder- baren Stein wiederholt sich auch bei den Arabern, denn der uralte Fetisch, der »Schwarze Stein« in der Kaaba in Mekka, hat doch auch eine ähnliche Vorge- schichte: er wurde vom Engel Gabriel Abraham als Geschenk gebracht. — Wer die Erzählung Al-Masudis (s. »Staroslovan« S. 23, letztes alinea) liest, wird zu unserer Gralsage gleichfalls Analogien finden, denn dort wird auch ein Gnaden- brunnen, ein aus verschiedenartigen Gesteinsarten ausgeführter Tempel und überdies ein Tempel, der mit roten Korallen (»Grallen«) geschmückt war, erwähnt. Wer erinnert sich da nicht der mit Halbedelsteinen geschmückten Wenzelskapelle in Prag und jener auf der Burg Karlstein? — Und wer weiss, ob die erste Gralburg nicht deshalb so hiess, weil sie ein korallengeschmücktes Heiligtum barg (vergl. auch das Epos »Titurel«), und ob nicht deraufhin erst der Einfluss der christlichen Passion, irregeführt durch eine missverstandene Etymologie, dem Zeitgeiste entsprechend, aus der realen Tatsache eine applizierende Legende konstruierte. Für jeden Fall ist die konkrete Grundlage, dass jemand jene Blutstropfen von Jerusalem auf den Boc gebracht hätte, höchst phantastisch; hingegen ist es sehr glaubwürdig, dass in einer Gegend, wie hier im slovenischen Gebiete, wo fast jede Höhe eine Kirche oder Kapelle krönt, auch auf der Spitze dieses auffälligen Bergkolosses irgend ein besonderes Heiligtum stand. — Systematische Nachgrabungen würden vielleicht einen greifbaren Beweis erbringen. Dass aber oben, wie P. Hytrek »festgestellt« hat, je eine »grossartige« Wasserleitung bestanden hätte, ist schon physikalisch wie technisch ausgeschlossen, denn der relative Höhenunterschied zwischen der »Gnadenbrunn«-Quelle in Studenitz und der Kuppe beträgt — 719 m! — 9 der Bach „Grajena“ aufgefallen wäre, der allerdings nächst Pettau in die Drau münde!, aber an sich so unansehnlich isf, dass vielleicht mancher Pellauer dessen Exislenz bis heute noch nicht beachtet hat. — Und auch im Falle, als Eschenbach dieser Bach aufgefallen wäre, so ist es ausgeschlossen, dass er etwa um das ¡Jahr 1200 „Gandin" als eine „wile“ (= weite) Stadt bezeichnet hätte, da damals Pettau eine Stadt und Hajdin ein inferiores Dorf war, wie dies aus den Urkunden hervorgeht.3) Vorübergehend sei auch erwähnt, dass schon Wolframs Namensvetter (oder Verwandter?) Ulrich von Eschenbach, der um das Ende des XIII. dahrhundertes am Hofe des Erzbischofs Friedrich von Salzburg und später am Hofe des Königs Wenzel II. von Böhmen lebte, dahin arbeitete, die Lügen der Artus-Romane durch historische Wahrheiten zu verdrängen, da der Kern der Sagenstoffe durch die Kunstpoesie immer weiter zurückgedrängt und verdunkelt wurde. Bei den damals obwaltenden Verhältnissen konnte aber dies nicht anders kommen, weil bei der grossen, um die Gralsage rotierenden literarischen Bewegung der Kern der Fabel von selbst in den Hintergrund treten musste, denn die Poesie jener Zeit kristallisierte sich doch nahezu ausschliesslich um den Minnegesang und den Frauendienst, sofern eben jemand nicht als „unmodern" erscheinen wollte, und in dieser Richtung bot die Gralsage an sich doch wenig Anknüpfungspunkte. Auffallend ist es auch, dass sich in Spanien, der vermeintlichen Urheimat der Gralsage, — ausgenommen eine kurze Erwähnung in Amadis de Gaula —, hievon nicht eine volkstümliche Spur nach-weisen lässt. Desgleichen fehlt es in der Provence wie in Italien an Behandlungen dieses Legendenstoffes. Die älteste geschriebene Fassung der Gralsage setzt aber eine längere Entwicklung der mündlichen Traditionsformen voraus; die 3 3) Eine der jüngsten und verbreitetsten deutschen Ausgaben des »Parcival« ist jene von Wilh, Hertz (Stuttgart, 1906), die jedoch einen bedenklichen Fehler hat: sie lässt unter anderem vom Originaltexte alles jene aus, was sich auf Untersteiermark bezieht. — Wenn der Kommentator in der Vorrede nun auch ehrlich bekennt, »dass er den Dichter gekürzt und manch üppig wucherndes Beiwerk nicht bleiben liess«, so ist die Wahl des Ausgeschiedenen sicherlich keine glückliche oder berechtigte, wenn man dabei gerade den Ariadnefaden zum Kern der Gralsage auf dem halben Wege abschneidet. Wie daher bei einem solchen Opus, bei dem die Provenienz der Fabel, der wirkliche Gang der Handlung, die Personen- wie topischen Namen noch so ungeklärt sind,, \eine solche Beschneidung anticipando vorgenommen werden konnte, ist für jeden Fall rätselhaft und lässt die buntesten Kombinationen zu. skeleitierte Einfachheit wie Urwüchsigkeit dieser Überlieferungen hat sich aber eben nur mehr in Untersteiermark erhalten. Die Bowohner um den „Salvatsch" wissen heute, wie alle Nachforschungen nahezu übereinstimmend lauten, nur mehr Weniges oder sehr Verworrenes über den lokalen Sagenzyklus zu erzählen. 3ene Frau, die im CJahre 1895 Hans v. Thal die Lohengrinsage spontan und flüchtig erzählte, ist längst gestorben. Es war dies vermutlich die Frau des Kirchendieners in Studenitz, die deshalb weit bekannt war, weil sie eine Unmenge von Geschichten, Sagen, Märchen und volkstümlichen Traditionen wusste, die leider kein Zeitgenosse rechtzeitig niedergeschrieben. Die moderne, hastende Zeit nimmt bei ihren, egoistischer und materieller gewordenen Lebensanschauungen der Umwohner kaum mehr eine Notiz von solchen dunkeln Volkserzählungen. Viele Kirchenlieder dieser Gegend spielen zwar noch auf die Gralsage an, indem sie auffällig das Thema variieren, dass die Engel das Blut des Gekreuzigten in goldene Kelche aufgefangen haben, aber diese Anspielung ist erst jetzt in der Rückwirkung verständlich. Es ist aber wahrscheinlich, dass diese Publikation weiteren Kreisen den Impuls geben wird, das etwa noch vorhandene, aber bisher unverstandene volkstümliche Material dieser Richtung in die Öffentlichkeit zu bringen oder doch das bereits Bekannte zu ergänzen, eventuell zu berichtigen. Einen weit grösseren und für die gesamte Gralforschung zu-grundelegenderen Beweiswert, als die variablen Lokalsagen und Legenden, bieten jedoch die bezüglichen geographischen wie Personennamen, deren überraschend harmonierende Etymologie erst dasjenige überzeugend bestätigt und ergänzt, was in der Volkstradition schon undeutliche Umrisse angenommen hat. Geographische Namen. — Die wichtigsten Namen dieser Richtung im „Parcival“ fügen sich lokal wie inhaltlich vollkommen in das Milieu der Handlung, soweit sie eben verlässlich erkennbar sind. (Auf der beigegebenen Karte — Beilage 11 — sind sie durch einen Unterstrich hervorgehoben.) Die Reise Parcivals zum Monsalvatsch schildert Eschenbach (IX, Vers 1895—1911) folgend: „so ich riche tjoste wolde tuon, so reit ich für Gauriun. ich han ouck manege tjost getan vor dem berc ze Famorgan. ich tet vil richer tjoste schin vor dem berc ze Agremontin. 9* swer einhalp wil ir tjoste han, da koment uz fiurige man: anderhalp si brinnent niht, swaz man da tjostiure siht. unt do ich für den Rohas durch aventiure gestrichen was, da kom ein werdiu windisch diet uz durch tjoste gegenbiet, ich fuor von Sibilje daz mer al umb gein ZU je, durch Friul uz für Aglei.“ — „Gauriun" ist wahrscheinlich das alte „Gurina“ (im südlichen Kärnten), wo einst eine bedeutende Burganlage war und interessante Altertümer „etrurischer" Provenienz gemacht wurden. Der Umstand, dass man im Oargon „Gaurina“ sagt, dürfte Anlass zur Schreibweise „Gaurion“ gegeben haben, denn die Tendenz einer absichtlichen Namensentstellung waltete hier sicherlich nicht vor. „Famo r g an“, das zwischen Gaurion und Agremontin liegen muss, ist noch ungeklärt; ebenso „Sibilje“; dass aber dieses mit Sevilla (Spanien) identisch wäre, ist unbedingt abzuweisen, da eine nähere Betrachtung der Reiseroute Parcivals dies ausschliesst. „Agremontin“ ist höchstwahrscheinlich der 0 k r a - Pass, der alte Gebirgsübergang von Kärnten gegen Aquileja. „Rohas“ ist das heutige Rohitsch, slovenisch Rogatec, an der Sotla (an der steirisch-kroatischen Grenze) mit zwei Burgen. Die Namensform „Rohas“ war in den mittelalterlichen Urkunden allgemein. „Zilje“ ist das heutige Ci 11 i, slov. Celje (in Untersteiermark.). „Friul“ = Friaul. „Aglei“ = Aquileja, das im Slovenischen Oglej lautet. — lm Verse 1971—1988 sagt Eschenbach weiter: „Uz Zilje ich für den Rohas reit, dri maentage ich da vil gestreit. mich duhte, ich het da wol gestriten; darnach ich schierste kom geriten in die wiien Gandine, danach der ane dine Gandin wart genennet. da wart Ither bekennet. diu selbe stat lit alda, da diu Greian in die Tra, mit golde ein wazzer, rinnet, da wart Ither geminnet. dine basen er da vant, diu was frouwe überz laut. Gandin von Anschouwe hiez si da wesen frouwe. si heizet Lammire; so istz laut genennet Stire.“ — Die darin angeführten lopischen Namen „Sandin, Greian“ und „Tra“ (mittelalterlicher Name für den ,,Drau“-FIuss) sind bereits erklärt. „Anschouwe“. — Dies scheint ein Orts- wie Familienname zugleich zu sein. Welcher Ort dies war, ist jedoch nicht absolut klar, denn es befindet sich nordöstlich von Pettau („Qandin“) sowohl ein „Dänschendorf“ wie ein „St. Dohann", welche beide die Slovenen als „Danževci, Danževo, Danž“ bezeichnen. Ob in dem einen oder anderen Orte je ein Schloss war, ist nicht bekannt. Urkundlich weiss man nur, dass „Dänschendorf“ im Dahre 128S als „Dohannsdorf“, 1322 als „Villa Dansen“, „St. Dohann“, hingegen im Dahre IW als „Dohanns“ erwähnt erscheint. — Augenscheinlich ist der Name „Anschouwe“ nur die abgeschliffene Form von „Danževo“, wofür es auch Analogien gibt, denn der untersteirische Ort „Anže" kann einmal nur „Danže" geheissen haben, da er deutsch im Dahre 1500 als „Hansach“ wiedergegeben wird, und lautet im Slovenischen der Rufname für „Dohann“ gerade in dieser Gegend auch nicht etwa „Danžek", sondern „Anzek“. — Mit dem französischen Königsgeschlechte „Anjou“ hat daher der Name „Anschouwe“ nichts weiter gemein, als die altslavische Sprachwurzel „jan, janž, janež“, die eine Grenze, einen Grenzschutzpunkt oder den Grenzverteidiger kennzeichnete. Die lateinische Chronik von „Anschouwe“, die Eschenbach selbst erwähnt, war demnach eher eine als „Chronik von Danževo" bekannte Quelle, aus der er den lokal reellsten Teil der Grallegende entnommen. Möglicherweise hiess die Chronik auch deshalb so, weil sie vom Priester „Danež“ oder „Danž“ herrührte, den Eschenbach selbst sowie spätere Dichter zu einem Annex der Gralsage machten. Dass die slovenische Namensform hier beibehalten wurde, ist deshalb begründet, weil sich der deutsche Spracheinfluss in dieser Gegend überhaupt erst im XII. Dahrhunderte geltend zu machen begonnen, und hier auch niemals, ausgenommen die Städte, ansonst einen Boden gewann. Wir können daher daraus den sicheren Schluss ziehen, dass jene von Kyot benützte Chronik wohl schon lange vor dem XII. Dahrhunderte existiert haben muss. Einen etwaigen Zweifel, ob es sich hier wirklich um das „win-dische“ Steirerland handelt, behebt nicht nur der Umstand, dass das Land „Stire“ doch eigens hervorgehoben ist, sondern auch die bereits angeführten Verse 1905—1908, die Simrock neuhochdeutsch folgend frei wiedergibt: „Als am Rohas ich im Steirerland Abenteuer sucht und jand, Da kamen tapjre wind sehe Männer Entgegen mir als Lanzenrenner." Der von Parcival zurückgelegte Weg erscheint allerdings vorerst etwas unklar, was jedoch nur hinweist, dass Eschenbach mittelbar eine südsteirische Quelle benützte, die beschriebene Gegend jedoch selbst nicht vom Augenschein her kannte, denn schon das Herumwerfen mit „Rohas“ zeigt, dass er geographisch nicht genügend orientiert war. Allerdings geht aber aus dem Texte auch hervor, dass Parcival wenigstens zweimal zum „Monsalvaesche“ ritt. Bei den weiteren Forschungen könnte auch zur graphischen Darstellung der geschilderten Reiseroute Parcivals geschritten werden, da anzunehmen ist, dass auch die sonstigen Ortsnamen kaum aus der Luft gegriffen, sondern nur verballhornt sind. „Salvatsch, Monsalvaesche“. — Der vermeintlich in Spanien liegende „Monsalvatsch“ ist der untersteirische Berg „Boč" (oder „Voc“), der im „Parcival“ ebenso zu „Vatsch“ (und „Vaesche“) wurde, wie „grola“ zu „gral“. „Sal“ ist nur das attributive Adjektivum „zal“, das im Slovenischen gross, stattlich, aber auch böse, wild, toll bedeutet. „Mon, Mont“ ist selbstredend nur eine orientierende französische Zugabe, um den B e r g Charakter des Namens hervorzuheben, denn Eschenbach spricht analog auch von „terre de Salvaesche“ und „funtane la Salvatsche“. „Salvatsch“ ist daher richtig ein „zal Voc", d. i. hoher, stattlicher, böser (da steiler) Berg, was er auch in der Wirklichkeit ist. Er erhebt sich nämlich noch um \kl m über die sonst höchste Erhebung des Dranntaler Höhenzuges (Plesivec 833 m), da er 980 m hoch ist. Er bildet auch die Grenzen der Bezirkshauptmannschaften Marburg und Pettau, und besagt auch die Etymologie seines Namens („bok“ = Flanke; „bočiti“ = in der Flanke stehen), dass er das Ende einer Linie, eine Grenz-ecke bildet.*) 4 4) Auf dam »Boč« befindet sich allerdings ein Punkt am südlichen Hange, also durchaus nicht auf der Kuppe, den man noch immer als »na gradu, na gradišču, na zasedi« (= auf der Burg, auf der Burgstätte, im Hinterhalte) bezeichnet, und sind dessen Mauerreste noch heute gut sichtbar. Ueber dieses Bauwerk ist geschichtlich — einstweilen — nichts bekannt, ein Hinweis, dass die Stätte schon Aber auch weitere Lokalitäten am „Salvatsch“ stimmen mit den Angaben im Epos „Parcival" (IX. Buch) überein. Parcival stösst hier auf einen Klausner, der in einer Höhle („gruft“) wohnte. Am „Boč" befindet sich tatsächlich die sogenannte „Spelka“-Höhle. Die Volkserzählung sagt zwar heute, die Höhle habe den Namen nach der berüchtigten Räuberin „Špelka" (= Elisabeth), die im XVII. dahrhun-derte hier gehaust haben soll. Tatsächlich ist aber „spila, spilka“ nur die allgemeine südslavische Bezeichnung für eine Höhle; da dieselbe klein ist, gebrauchte man auch das Diminutivum. Das Volk hat wohl nur in der Erklärungsverlegenheit zu dieser Etymologie gegriffen. — Überdies weiss das Volk zu erzählen, dass „Špelka" alle ihre geraubten Schätze in der Höhle vergraben habe, doch könne dieselben niemand finden, da ein böses Wetter gleich das nötige Fackellicht verlösche. Selbst der Vers 779—780, welcher besagt, dass der Klausner Parcivals Pferd unter einem Felsen untergebracht habe, über den ein Wasserfall brauste, („das was ein wilder marstal; da durch gienc eins brunnen val"), ist auch lokal belegt. Dort, wo die Wände des „Boč" das Tal steil abschliessen, bietet sich in einer wildromantischen Waldpartie ein imponierender, aber unbeständiger Wasserfall. Man beobachtete auch schon oft, dass mit diesem, unmittelbar aus dem „Salvatsch“ hervortretenden Wasser oft Grottenolme ähnlicher Art, wie in der Adelsberger Grotte, zum Vorschein kommen, wenn sie vom Überfallswasser mitgerissen werden, ein schlagender Beweis, dass das Volk berechtigt ist, im Innern des imponierenden Gebirgs-stockes einen grossen See zu vermuten, daher die reale Bedingung für die Bildung der Lohengrin-Sage hier auch gegeben war. Man nimmt vielfach an, Eschenbach habe zum Teile in Steiermark gelebt, oder habe doch das Land gekannt. Es mag dies ja zutreffen, aber das „Monsalvatsch“-Gebiet kannte er unbedingt nicht, denn weshalb hätte er dann „Salvatsch“ geschrieben, da er doch nur den Namen „Boč“ oder „Voc“ an Ort und Stelle gehört haben konnte, denn „zal Boč" sagt man doch nur, wenn man den Berg vor mehreren Jahrhunderten verlassen worden sein muss. Hingegen ist es ziemlich wahrscheinlich, dass sich auf der Kuppe selbst einst irgendein festes Wachobjekt befunden hat, da sich von hier ein weites Gebiet beobachten und bewachen lässt. Hat aber P., Hytrek dort Mauerreste gefunden, was bisher noch niemandem gelang, und auch eine diesbezügliche Sage gehört, so kann sich diese nur aus der falschen Etymologie gebildet haben, weil das altslavische »ven« = Grenze bedeutete. So lange also auf der Kuppe keine sichtbaren Bauzeichen festgestellt werden, die im konkreten Falle gewiss da sind, müssen wir annehmen, dass Hytrek hiebei lediglich Autosuggestionen erlag. schildert. Daraus geht hervor, dass Kyot unbedingt eine slovenische Schrift oder Chronik vorlag, denn im mündlichen Verkehre wäre er kaum zu diesem zusammengesetzten Eigennamen gelangt. — Man bringt auch den Aufenthaltsort Eschenbachs auf Schloss „Wildenberg“ (Bayern) mit dem „Salvatsch“ in sprachlichen Zusammenhang, was nicht abzuweisen ist, da „zal Boc“ eben ein „wilder Berg“ ist; ob aber dies nur ein Zufall ist, oder hier doch ein Zusammenhang besteht, sei weiteren Forschungen zur Entscheidung Vorbehalten. „Gnadenbrunn.“ — Am nordöstlichen Fusse des „Boc" liegt der Markt Studenitz (slov. Studenice). Im Klostergarten daselbst befindet sich heute ein zierliches Bassin, in welchem eine Menge frischer Quellen emporsprudelt, die kurz darauf vereinigt bereits eine Mühle treiben. Der Ort selbst hat nach dieser Quelle den Namen, denn eine gefasste Quelle heisst im Slovenischen „studenec“. Eine Aufschrift auf dem Stein besagt: „Fons gratiae“ (= Gnadenquell). Im Urtexte des Parcival heisst die Stelle (IX, V. 456—458): „diu sla in da nicht halden liez; funtäne la salvatsche hiez ein wesen, dar sin reise ginc.“ Dass dieser Quelle seit den ältesten Zeiten eine Art Heilkraft zugeschrieben worden sein musste, geht daraus hervor, dass das vermutlich mindestens SGhon im XII. ^Jahrhunderte hier bestandene Nonnenkloster vom Patriarchan Pertold von Aquileja im Dahre 1249 die Bewilligung erhielt, offiziell den Namen „Fons Grade“ oder „Genadenprunn“ statt „Siudeniz“ (juxta conterminium Polschach) führen zu dürfen. Seit dieser ersten urkundlichen Benennung laufen die Namen „Studeniz“ und „Fons Gratiae“ das ganze Mittelalter hindurch parallel nebeneinander. Auffallend ist es, dass diese kirchliche Adelung des Ortsnamens auf den Slovenen keinen Einfluss übte; es scheint eben, dass die Heilkraft des „Gnadenbrunnens“ keine überzeugende war. — Möglicherweise ist das Wasser radioaktiv oder hat es eine sonstige chemische Eigenschaft. Ansonst ist man ja heute nicht im Zweifel, dass Wässer dieser Art nichts weiter als Sympathiekurmiltel sind, was auch die eingangs erwähnte Bäuerin in ihrer Erzählung aus eigenem Bedürfnis zufügt. „Prizljan.“ — Im III. Buche, V. 391—392 heisst es: „Do kert der knabe wolgetan gein dem forest in Prizljan.“ — Man sagte nun bisher immer, es sei dies ein Wald in der Bretagne, „Brezilian“ genannt. Es ist aber darin entweder das slovenische „brsljan“ (=Epheu) oder aber ein „breza“ (= Birke) etymologisch geborgen. ¡Jene Stelle mit der Schilderung, wie Parcival im Walde von „Prizljan“ die schöne Fürstin ¡Jeschufe unverhüllt schlafend antrifft, ist demnach entweder eine Variante des Dornröschen-Motives, oder es handelt sich wirklich um einen Birkenwald. Zwischen Sludenitz und Laporje befindet sich tatsächlich der Wald „Na breznici". Ob nun diese oder jene Annahme hier den Vorzug verdient, ist schwer zu entscheiden, nachdem die bezüglichen Angaben im Epos zu allgemein gehalten sind. — Erwähnenswert ist aber auch das Zusammentreffen, dass der Herr von „Vergulahi“ im „Parcival“ immer mit dem Monsalvatsch nahe zusammen genannt wird. Nun liegt aber ein „Verhole“ sowohl bei Laporje, wo die Herrschaft Sludenitz noch heute einen grösseren Waldbesitz hat, und ein zweites nordwestlich davon an der Strasse Wind. Feistritz—Qonobitz. Überdies ist der slavisch klingende Name „Oeschute" anscheinend auch kein Personen- sondern nur ein Gattungsname, der im Böhmischen als „jesitnä“, im Slovenischen als „jezitna“, eine eitle, eingebildete, sich für etwas Besseres haltende Weibsperson kennzeichnet. „Indian." — Hiemit ist „Windian“, d. h. das Land der Winden oder Wenden, also Untersteiermark, bezw. das heutige Wohngebiet der Slovenen, gekennzeichnet, worüber auch kein Zweifel bestehen kann, da der Monsalvatsch doch immer in unmittelbarer Verbindung mit „Indian" genannt wird.5 6) Im XVI. Buche des Epos erfahren wir aber nebstbei, dass in diesem „Indian“ nicht nur „¡Johann“ („priester Johann man den hiez“) geboren wurde, sondern dass die Sage von Lohengrin („Loherangrin“) tatsächlich am „Mon-salvaesche“ auch ihre Heimat hat. Im Anschlüsse an „Indian“ wird auch „Tribalibot“ genannt; es sind dies die Nachbarn der Slovenen in Kroatien und Serbien, die man im Altertum als „Triballi" bezeichnete. Hiemit ist der Schlüssel gefunden, der das Verständnis für das Hauptgeheimnis der Gralsage, d. i. den Ort der Handlung, öffnet. Viele, meist minder wichtige topische Namen bleiben allerdings noch rätselhaft, weil sie durch die romanische Behandlung ausser- 5) Ein genaues Analogon bietet auch der Name des asiatischen »India« mit seiner abgeschliffenen Namensform, denn diese Bezeichnung ging doch auch aus »Vindhya« hervor, wie das grosse, Indien in zwei Teile scheidende Grenzgebirge genannt wird (»vin« altslav. Grenze). ordentlich entstellt sind, doch wird die Weiterforschung wohl auch hier noch genügende Klärungen bringen. — Einen wichtigen, orientierenden Beitrag für die Gralsage bietet die Etymologie des Begriffes „Gral“ selbst. Die untersteirischen Slo-venen verstehen unter „grola“ — Tropfen, Blutstropfen, Korallenkügelchen (am Rosenkränze); die deutsche Form derselben Wurzel ist: Koralle.— Eine Schale mit den Blutstropfen würde der Slovene daher „kupa grol" nennen, und daraus wurde eben im Deutschen wie Französischen „gral, graal“, umsomehr als das slo-venische „grola“ schon auf dem Wege zu den benachbarten Kärntnern die Form „gralle“ angenommen hat. — Die Etymologie sagt also, dass die älteste Version der Legende, wonach es sich in der Hauptsache um das Auffangen der Blutstropfen des Erlösers handelt, richtig ist. Die Ur-legende erzählt aber auch nur vom Blute, und die reellste Etymologie kann nur jene sein, welche auch von der Urform der Legende gestützt wird. — Die Sprachforscher haben nun in ihrer Ratlosigkeit über die Bedeutung des Begriffes „gral“ zu vermuten begonnen, es müsse dies eine Schüssel bedeuten, weil im Griechischen einen Mischkrug, im Lateinischen „crater, cratalis“ einen Mischkessel, ein Bassin, einen Krater u. ä. bezeichnen könne. Dies hatte zur Folge, dass man die primäre Fassung der Legende dahin berichtigte, der „gral" sei ein alter vergessener Begriff für eine Schüssel; gemeint sei hiemit jene, die Christus am letzten Abende verwendete. Die Kontinuität der Legende wurde daher nur durch eine Metonymie unterbrochen, d. h. das Minderwichtige — das Ge-fäss — wurde auf diese Art mit dem Wichtigen — dem Inhalte — verwechselt, und die Legende selbst entsprechend umgeformt. Personennamen. — Die wichtigsten Personennamen im „Par-cival“ stehen in bezug auf ihre Etymologie zur körperlichen, geistigen oder moralischen Beschaffenheit sowie zur sozialen Stellung der Träger derselben in innigster Relation; allerdings können bisher als sprachlich sicher geklärt nur die Namen: Baruc, Gawin, Klin-schor, Kundrie und Perceval angesehen werden. „Baruc, Baruch." — Es ist dies die slovenische Bezeichnung für den Beschützer, Schulzherr, d. i. „varuh“; „angel varuh“ = der Schutzengel. Die Verse im „Parcival“, IX, 1969—1970 bestätigen dies auch: „er kerte, da der baruc was, und ich fuor für den Rohas,“ d. h. Parcivals Neffe zog wieder in das Land seines Herrn zurück, er selbst aber nach „Rohas“. „Sawin." — So bezeichnet man im Kroatischen einen grossen, reichen Herrn im allgemeinen noch heute. „Klinschor." — Diesen Namen kennt vor Eschenbach nur Kyot. Es war dies angeblich der Herrscher von „terre de labour“ in Kalabrien, der zu Chapo (Capua) residierte. Er wurde vom König Ibert von Sizilien entmannt, als ihn dieser beim Ehebrüche mit seiner Frau überraschte. Im „Parcival" spielt er bereits die Rolle eines bösen Zauberers. Im Wartburgkriege gilt er sogar schon als ein gelehrter, jedoch aus dem Ungarlande stammender Sänger, den gelegentlich auch der Teufel unterstützt. — Dass Klinschor aus Kalabrien gewesen wäre, ist eine handgreifliche Dichtung, und führt uns namentlich die gleichzeitige Andeutung an die Heimat in Ungarn, sowie die Namensetymologie in eine ganz andere Richtung. Der Name „Klinschor" bedeutet im Slovenischen an sich: der Entmannte. — Im Südslavischen heissen die Hoden „klini", entmannen „klin-cati", und nach allem, was man noch gelegentlich in der Volkssprache hört, muss der Entmannte bei den Slaven einst „klincar“ oder „klincur" genannt worden sein.6) Was jedoch Klinschor als Herrscher von „terre de labour“ betrifft, so war dies wahrscheinlich auch nur ein Herr von „Laporje“, der Nachbarpfarre von Studenitz (gegen Norden), was man schon deshalb annehmen darf, weil so viele topische Namen des Epos im „Parcival“ hier vereinigt Vorkommen. Sonderbarerweise ist aber „terre de labour“ auch eine halbe Übersetzung von „Laporje", denn dieses bedeutet eben „Mergelboden“ („lapor“ = Mergel), welcher hier tatsächlich vorherrscht. — Hieraus ist zu schliessen, dass jenem Kyot eine slavische Quelle vorlag, die er bei nicht gründlicher Kenntnis des Slovenischen übersetzte, und die dann auch Eschenbach benützte, oder diente letzterem ein bayrischer Slovene als Cicerone, was gut 6) »Klincati« bezeichnet des Näheren eigentlich das Zusammenklo-p f e n der Hoden, auf welche Art z. B. in der Herzegowina noch heute die Kastration der Huftiere erfolgt und sich auch im deutschen Worte »Klopfhengst« erhalten hat. — Der Slovene unterscheidet sprachlich genau die beiden Arten der Entmannung, denn das Ausschneiden der Hoden heisst »skopiti« (auch »re-zati«), das Verklopfen derselben aber »klincati«. — Dass hier sprachlich eine so genaue Unterscheidung gemacht wurde, — wahrscheinlich ist aber anderswo auch Analoges zu finden —, ist naheliegend, denn die alten Schilderer der einstigen Rechtsverhältnisse unterlassen es nie zu erwähnen, dass in Steiermark die Eunuchisierung von Amtswegen oft schon bei den geringsten Vergehen angeordnet wurde. Ueberdies ist die alte Volksjustitz, dass man denjenigen, den man bei ihm nicht zukommenden Beischlafe ertappt, an Ort und Stelle entmannt, in den Alpenländern wie auch auf dem Balkan bis heute nicht völlig in Vergessenheit geraten, was z. B. die Konsulaffaire in Prizren i. J. 1913 bestätigt. möglich war, denn aus der Raffelsieffner Zollordnung gehl doch klar hervor, dass im IX. Jahrhunderte noch ein grosser Teil der Bevölkerung Bayerns aus Slovenen bestand. — Es wird demnach in weiterer Folge an die Deiailforschung die Pflicht herantreten, Eschenbachs Bezugsquellen auf der neuen Basis objektiv nachzugehen, denn Kyot-Eschenbach sind es lediglich, welche die Gralsage durch Überleitung zum Lohengrin, zur Sage vom Priester Johannes (Anschouwe?) und zur Geschichte von Klinschor in konzentrische Bahnen lenkten, wozu sie wohl ihre Quelle selbst inspiriert haben mag. „Kundrie." — So heisst bei Eschenbach die hässliche und verführerische Gralsbotin; bei Rieh. Wagner ist es das schöne, verführerische Weib, das die Gralsritter betört. Sie weckt bei Parcival (Wagner schreibt „Parsifal") die Sehnsucht nach ihrer Liebe; sie ist es, die den Reinen in ihre Arme lockt und auf Parcivals Lippen den ersten heissen Kuss aufdrückt. — Auffallenderweise bedeutet aber dem untersteirischen Slovenen „kundra" die weibliche Scham, dann überhaupt ein verwahrlostes, schamloses Weib. — ln die Gralsage ist sonach der Gattungsbegriff „kundra" der slove-nischen Originalfassung, weil sprachlich unverstanden, bereits als Eigenname übernommen worden. Weiters muss der, augenscheinlich nicht zusammenhanglose Zufall erwähnt werden, dass sich in Studenitz seit unkontrollierbarer Zeit ein Kloster adeliger Dominikanerinnen befand, das zwar im Jahre 1782 aufgehoben, aber im Jahre 1886 vom Orden der adeligen Magdalenerinnen, auch „Reuerinnen“ genannt, erneuert bezogen wurde. Möglicherweise besteht in dieser unausgesprochenen Nonnentradition ein Zusammenhang mit irgendeinem durch die Gralsage unmoralisch verknüpftem adeligen Weibe, das die Gralritter verführte. Das Kloster in Studenitz gehörte nämlich vor wie nach der Aufhebung jener Ordensregel an, das büssende Frauen und gefallene Mädchen zu bessern hatte. Übrigens deutet auch eine Stelle (IX, V. 192—195) deutlich dahin, wo Parcival Sigunen fragt: „durch wen tragt ir das vingerlin? ich hörte ie sagen maere, klösnaerinne unt klösnaere die solden miden amurschaff.“ — „Parceval.“ — Die primäre Sage bezeichnet jenen Einfältigen, der das Glück hatte den hl. Gral zu finden, als „Parceval". Die Grundidee, dass sich das Glück meist an die Dummheit knüpft, und sich in den verschiedensten Varianten durch die Erzählungen aller Völker zieht, findet hier auch etymologisch ihre Bestätigung. lm Slovenischen bezeichne! man einen geistig Beschränkten, namentlich wenn er nebstbei kropfig ist, mit „prca, prcav, prcavi"; auch die Böhmen verstehen unter „prcali se“ — sich einfältig benehmen. — Nachdem nun alle Namen in der spezifisch untersteirischen Gralsage in der slovenischen Sprache ihre klare Etymologie finden, ist es mehr als wahrscheinlich, dass auch „Perceval“, wie die älteste Namensform lautet, in dem Grundworte „prca, perca“ seinen Ausgang hat. „Perceval“ ist daher nur ein kürzerer Begriff für das klarere deutsche „Hans im Glücke“ oder „Dummer Hans“. — Überdies wird im „Parcival“ einige Male des Kropfes erwähnt, und sind namentlich die Alpenländer doch als jenes Gebiet bekannt, wo die Erkrankung der Schilddrüse am häufigsten ist. * Befreit man nun den Kern der Gralsage von den anklebenden Schlacken, so ergibt sich ungefähr folgendes Bild. Der Grundgedanke kristallisiert sich um die allgemeine volkslümliche Anschauung : der Dumme hat das Glück, denn man glaubt doch immer, dass der unverschuldet Geistesarme mitunter mehr Erfolg im Leben habe, als der an Geist wie Körperkraft Hervorragende, denn beim Klugen sieht man a priori das Glück als eigenes Verdienst und nicht als durch Zufall herbeigeführl an. Ausserdem unterliegt der Dümmling weniger den Verführungen, wie solche in der Gralsage eine hervorrag 3nde Rolle spielen, denn seine ganze Klugheit konzentriert sich im Misstrauen oder im starren Beachten eines Verbotes. Um diesen Kernpunkt gruppieren sich dann die Episoden, welche die Richtigkeit jener Lebenserfahrung demonstrieren, denn zum Finden des Grales bedarf man eben einer Person, die den lockendsten Versuchen widersteht, und diesen Bedingungen kann am ehesten ein Einfältiger entsprechen. Im bretonischen Gralmärchen, dessen Held „Peronnik“ heisst, tritt diese Auffassung auch noch ziemlich prägnant zutage. Daraus geht weiters hervor, dass die Grundlage dieser Handlung eigentlich an gar kein konkretes Begebnis anspielt, sondern nur eine didaktisch-moralisierende Erzählung ist, die wohl den Ort wie das Ziel fixiert, aber die handelnden Personen nominell gar nicht hervorhebt, denn es muss dem aufmerksamen Leser doch aufgefallen sein, dass die Träger der Handlung hier ebensowenig besondere Eigen-, sondern nur charakterisierende Gattungsnamen tragen, wie dies ja auch in vielen Sagen und allen Märchen im allgemeinen der Fall ist. So kommt es wohl auch, dass die Personen in der Sage kaleidoskopartig wechseln; die Handlung selbst hat sich eine flüssige Form bewahrt und der Mangel einer konkreten Begebenheit zeitigte die vielen Varianten. Auf diese Weise musste die Gralsage schliesslich zu einem konfusen Mysterium werden, und dies umso mehr, als auch noch die reale Kontinuität mit der Urheimat verloren ging, d. h. die Tradition dabei unbeachtet blieb, namentlich aber, weil die Sprachwissenschaft als letztes Reagens gegen die drohende Entfremdung vollständig versagte. Diese sprachkritische Beachtung und Durchleuchtung des Gralsagenkomplexes zeigt aber auch im grossen, dass den Erklärern bisher gleich die erste Orientierung fehlte, daher die Deutung, Darstellung wie Durchgeistigung der Sage oder Legende überall eine verschiedene war, stets im Reiche der buntesten Phantasien schwebte, und soweit sie sich noch konkret erhielt, immer dem subjektiven Urteile des Erklärers unterlag. Man vergleiche z. B. nur die wunderlichsten Auslegungen des Namens „Perceval“. Der eine meint, er sei als „perce-val“, d. i. „durchs Tal“ zu nehmen; der zweite „pier-cheval“ bedeute „Peterchen — das Pferd“; der dritte: „parcheval“ heisse so viel als „hoch zu Ross“; der vierte: es sei als „farsifal“, d. i. „der unwissende Ritter“ zu deuten; der fünfte meint, es sei hier das lateinische „per se valens“ (= durch sich stark) kontaminiert; der sechste leitet es vom arabischen „parseh fal" her, wonach es etwa „der reine Tor, der arme Dumme“ bedeute, zu welcher Auslegung sich auch Richard Wagner verführen Hess, aber dabei seiner genialen Denk- und Gestaltungskraft gemäss der Ursprünglichkeit am nächsten kam. Auf einen slavischen Erklärung sver-such ist jedoch niemand verfallen, obschon das ganze IX. Buch des „Par cival“ dazu klar len kte, und die Marschroute Parcivals in Untersteiermark derart sicher fixiert ist, dass ein prinzipielles Abirren bei dieser Auslegung völlig ausgeschlossen war. Und selbst wenn die erste Quelle eine lateinische Chronik gewesen wäre, so fällt es erst recht auf, dass der Verfasser z. B. hiebei trotzdem nicht den lateinischen, schon in der Römerzeit gangbaren Stadtnamen „Aqui-leja“ und auch nicht den mittelalterlichen „Aglar", sondern den ausschliesslich slovenischen „Aglei" (für „Oglej“) gebraucht. Allerdings muss man hier auch zugeben, dass es nicht erfolgversprechend schien diesem Thema slavischerseits seit dem Momente, als die lokale Kontinuität der Sage mit Untersteiermark zerrissen war, näher zu treten, denn die geschichtliche Rehabilitation der Sage erforderte besondere Zufallsprämissen. Der Forschende musste näm- lieh, nebst einer genauen lokalen Orientierung, sozusagen von Geburt aus mit den Intimitäten der slovenischen Sprache jenes Gebietes vertraut sein, denn ein vorübergehend in jener Gegend Lebender erhält kaum je einen Einblick in die Sprachgeheimnisse und Spracheigen-heiten, die hier im Volke niedergelegt sind. Man weiss auch seit langem, dass die Sprache des untersteirischen Slovenen einen ganz ungewöhnlichen Reichtum an originellen Begriffen besitzt, daher es auch der Slavist Kopitar in einem Schreiben an Dobrovsky bedauert, kein geborener Untersteirer zu sein. Die wissenschaftliche Rehabilitierung der Urheimat der Gralsage gibt uns aber eine sehr deutliche Weisung, wie es auch bei den sonstigen Sagen und volkstümlichen Geistesprodukten in bezug auf ihre Provenienz stehen mag. Wir haben schon an der Lex Salica, dem Boewulf, am Rolandliede, an der Edda gezeigt, dass sie alle ihre Wurzel auf slavischem Boden haben oder doch slavische Einflüsse bekunden; weitere Aufklärungen und Richtigstellungen werden folgen. Dass dem so ist, namentlich soweit es sich um die deutsche Nostrifizierung handelt, ist aber auch einleuchtend, weil natürlich. — Die deutschen Gebiete von heute sind in der Wirklichkeit nur ein einziges grosses slavisches Gräberfeld; es ist demnach doch nicht verwunderlich, wenn bei der sprachlichen Diffusion der Stammbewohner, die sich erst im Laufe vieler Oahrhunderte organisch vollzog, auch gewisse Geistesprodukte des bodenständigen Volkstums unbewusst mitübergingen. In diesem Falle handelt es sich aber nicht einmal um einen Sprachwechsel, sondern hier ist lediglich eine slavische Volkslegende übernommen worden, die dann so lange weiterverbreitet, forterzählt, angepasst und umgeprägt wurde, bis die Ursprungsquelle selbst in Vergessenheit geriet, umsomehr als sich der erste Besitzer um seine Autorschaft nicht weiter kümmerte. Nur so war es möglich, dass die Parcival-Sage, die überdies durch Richard Wagner als ein meisterhaft vertontes Mysterium auf die deutsche Bühne gebracht wurde, mit der Zeit den wahren Taufschein zu verlieren drohte. Der uns suggestiv aufgedrängte Revisionsprozess mit der Gralsage von ausschliesslich deutscher Seite stellt daher die alten Verhältnisse wieder her und bringt zugleich ein neues helles Licht in die geistige Arbeitsstätte der slavischen Volksseele in alter Zeit, denn dieses zeigt, dass die 51aven von ihrer Geschichte nichts gefälscht, sondern im Gegenteile, dass geradezu andere Nationen bei unseren Volksschätzen aller Art regelmässige Anleihen machten und unseren heimischen Produkten, allerdings zum grossen Teile unbewusst, später ihre eigene Fabriksmarke aufdrückten. Eine wissenschaftlich objektive, internationale Sichtung und Detailuntersuchung des grossen volkstümlichen Forschungsmateriales, das chaotisch aufgehäuft liegt, ist daher endlich geboten. Die früheren Kenntnisse sind den späteren Erkenntnissen scharf entgegenzuhalten, umsomehr als wir dermalen doch darüber nicht im Unklaren sind, dass die politischen Einflüsse wie auch der geringe Widerstand gegen Autosuggestionen schon unser Reindenken empfindlich getrübt und die einseitige Spezialisierung zur Gewohnheit gemacht haben. Der verlässlichste Mentor bei dieser Scheidungsarbeit kann aber wieder nur die Sprachwissenschaft sein, die hiebei als den untrüglichsten Prüfstein die Volksterminologie verwertet, denn nur diese vermag dort die Sache mit der Lokalität in innigste Relation zu bringen, wo sie selbst ihre Geburtsstätte hatte, wie es in der Gralsage eklatant der Fall ist.7) 3. Ruzicka: Kulturbilder aus altslavischer Zeit. I. Belege aus der Grünberger Handschrift. (Fortsetzung.) ln der Grünberger Handschrift heisst es weiter: . . . u jednej sä desky pravdodatne, u vtorej mec krivdy kärajüci . . .* 19) Die Gesetzestafeln, wie sie auch bei Moses erwähnt werden, enthielten wohl die wichtigsten Rechte und Gesetze. Auch die Bürger von Novgorod Hessen sich ihr „russisches Recht“ zu Beginn des XI. 3ahr-hundertes vom Fürsten Daroslav bestätigen. Die Bürger derselben Stadt empörten sich im 3ahre 1208 gegen Demeter Miroskin, zerstörten und zertrümmerten ihm alles, die Güter und Hofe verteilten sie, nur dasjenige beliessen sie ihm, was auf den Tafeln verzeichnet war („a cto na d’sckah . . . a to knjazju ostavisa . . was sozusagen verbrieft war, d. i. die Forderungen des Fürsten von den Novgoroder Kaufleuten. Man spricht doch auch heute von „landtäflichen" 7) An dieser Stelle sei allen jenen Personen und Anstalten, welche dem Verfasser bei der Durchforschung dieses Themas in dieser oder jener Weise behilflich waren, der ergebenste Dank im Namen der Wissenschaft ausgesprochen. 19) » . . . Die eine hält die Tafeln der Gesetze, die andere das Schwert, das Unrecht strafende . . .« Gütern, also noch zu einer Zeit, wo zur Evidenthaltung keine Bretter, sondern Bücher dienen, was allerdings daher kommen mag, dass man die Vormerkungen zwischen zwei Brettern aufbewahrte, wie ja auch der Böhme die Buchdeckeln noch immer „desky“ nennt und auch im Deutschen niemand sagt, die Bibliothek besitzt „Bücher“ sondern „Bände“. Das Schwert war auch hier schon das Symbol des Rechtes wie der Gerechtigkeit. Der älteste schriftliche Beleg hiefür ist in Saxo Grammaticus enthalten, der betreffs des Gottes Svantevit erzählt, dass in dessen Heiligtume nebst dem Zaume und dem Sattel, sowie sonstigen Attributen der göttlichen Verehrung auch ein Schwert von ungewöhnlicher Grösse die Bewunderung erweckte, weil es besonders kunstvoll verziert war. Es war dies also eine kirchlich geweihte Waffe, wie es ja auch bei den Südslaven ziemlich allgemein gebräuchlich ist, dass man vor dem Kampfe seine Waffen weihen lässt. Die weitere Beschreibung sagt: „. . . protiv ima plamen pravdozvesten, pod nima svatocüdnä voda . . /'20) Wie schön werden hier die Symbole des altslavischen Kultus hervorgehoben! Neben den Gesetzestafeln und dem Schwerte auch das Feuer und das Wasser, u. zw. das Recht kündende, reinigende Feuer und das heilige, reine Wasser. Diese zwei Elemente ziehen sich durch alle Zeremonien des altslavischen Kultus hindurch, seien dies nun Gottesdienst, Gebräuche oder Aberglauben, und noch heute weiht die Kirche Feuer und Wasser, damit man in jedem frommen Hause über dieselben verfüge und bei Nottaufen, bei Begrüssungen von Gästen, bei Todesfällen, namentlich das letztere, stets zur Hand habe. Noch zu Kosmas Zeiten (geb. 1039) zollten die Böhmen dem Feuer eine grosse Verehrung.21) — Der byzantinische Chronist Chalkondilas bezeugt, dass noch kurz vor ihm in Prag das Feuer und die Sonne angebetet wurden. Ebenso verehrten die Russen das Feuer, das sie „Svarozic“ nannten. — Die Ruthenen der Karpathengegend glauben, dass der Car Feuer und die Carin Wasser die Welt erschaffen hätten. — Die Slovaken hingegen sind der Ansicht, dass das Feuer die Sonne, den Mond und die Sterne schuf, und die Slovenen wollen wissen, dass alles Weltleben erst in jenem Momente einsetzte, als das erste Feuer auf der Erde entzündet wurde.22) 2U) »Beiden gegenüber die Recht kündende Flamme, unter ihnen das heiligreine Wasser.« 21) Kosmas Chronik, 10, 197. 22) Mächal, Ndkres slov. bäjeslovi, S. 10. Um Spalato (Dalmatien) spricht die Hausfrau, wenn sie abends über die Gluien des Herdes das Kreuz machl und die noch glimmenden Kohlen mit Asche bedeckt, auf dass sie bis zum Morgen nicht verlöschen, folgendes Gebet: „Heiliger Vid (Veit), erhalte diesen Funken, damit er über Nacht nicht verlösche!“23) Dass der Name „Svati Vid" und „Svantevit“ identisch sind, ist wohl naheliegend. Namentlich wurde das Feuer am häuslichen Herde als für das Wohl des ganzen Hauses von besonderem Einflüsse angesehen; man glaubte, es erhalte die Familie.24 25) Die Kleinrussen pflegen zu sagen: „Schätzen wir das Feuer wie einen Gott, es ist unser lieber Gast.“26) — Bei den Südslaven geht die Braut, wenn sie das erstemal das neue Heim betritt, dreimal um den Hausherd und küsst dann die Erde vor ihm.26) — In den Karpathen verteilt der „vatah“, d. i. der Führer der Hirten, wenn sie das Vieh das erstemal auf die Bergweiden treiben, lebendes Feuer, das er durch die Reibung von zwei Hölzern hervorgebracht, und führt dabei eine Reihe altherkömmlicher Zeremonien aus. Wie das Wasser, hat auch das Feuer eine reinigende und heilende Kraft. Über das Feuer zu springen oder die Herde über dasselbe zu treiben gilt als eine Reinigung. Dem Springen über das üohannisfeuer soll gleich die Reinigung durch das Wasser, also das Baden, folgen. Unter dem Titel „kupadio“ versteht man also nicht nur die Reinigung durch das Wasser, sondern zugleich auch durch das Feuer. Das Feuer ist ein Heilmittel. Die Serben kurieren sich mit dem lebenden Feuer.27) Die Russen vertreiben Hautausschläge, indem sie die Funken eines Feuersteines auf die kranke Stelle schlagen, und dabei sprechen: „Feuer, Feuer, nimm weg dein Feuerchen!“28) Namentlich zur Zeit der Epidemien gilt das Feuer als Präservativum gegen Ansteckung. Dem Feuer wird Butter auf dem Herde geopfert. In Russland warf man früher Schweinefett und sonstige Nahrungsmittel ins Feuer; in Istrien im besonderen Getreidekörner.26) Bei den Uskoken (an der kroaüsch-krainischen Grenze) liess man das zu Weihnachten geweihte Feuer nicht ausgehen. In Dal- 23) Rad jugoslov. akademije, Band 89, S. 158. 24) Rad jugoslovanske akademije, Bd. 89, S. 156—157. 2B) Cubinskij, Trudi etnog. statist. ekspediciji, Petersburg 1872. S. 44—45. — Afanasjev, Poeticeskaja etc., II., S. 10, ?6} Rad jugoslov. akad., Bd. 89, S. 157. 27) Rad jugoslov. akad., Bd. 89, S. 152. 25) Afanasjev, Poeticeskaja etc,, I., S. 204. 29) Afanasjev, Poeticeskaja etc., II., S. 45. matien wird zu Weihnachlen ein grosses Feuer, „koleda" genannt, angezündet und bis heute als etwas Heiliges angesehen; da und dort muss es sogar der Priester weihen. Man tanzt „kolo“ um das Feuer, singt dabei Lieder und pflegt zuletzt über dasselbe zu springen.30) Ähnliche Gebräuche gab es auch zu Ostern. Bei den lüneburgischen Slaven flammten Feuer am Vorabende des Osterfestes. So weit dieses sichtbar war, so weit begünstigte die Natur das Gedeihen der Felder. Stitny erzählt, dass die alten Böhmen am Karsamstag ein Feuer anzündeten, Gott bittend, was durch dieses Feuer erwärmt oder gesegnet werden soll. — Die Polen zünden am' weissen Samstag ein Feuer an und machen damit einen Rundgang um die Stallungen und das Wohnhaus. Das Verbrennen der Hexen auf den Höhen in der Nacht des Philipp-Dakobfestes gehört auch hieher, denn hiemit wollte man nur böse Geister fernhalten. Dass man der Sonne bei Erreichung ihres höchsten Standes ein Feuer, Dohannisfeuer, anzündet, ist noch heute bei allen Slaven gebräuchlich. Die Südslaven nennen dieses Feuer „kres“ und den Monat CJuni darnach „kresnik“. — In Dalmatien heisst dieses Feuer „Ijetska koleda“31) (= Sommersonnenwende) oder „velika koleda“32) (= grosse Sonnenwende), zum Unterschiede von der „zimska koleda“ (= Wintersonnenwende) zu Weihnachten. Das Feuer wird auf einer eigens hiezu gewählten Höhe oder aber vor der Kirche angezündet; in diesem Falle werden auch die ganze Nacht hindurch die Glocken geläutet. Die Slovaken nennen das Sonnwendfeuer „vajano“, in manchen Gegenden auch „turice“; die Polen „sobötki". — ln Böhmen wirft man glimmende Knochen in die Höhe, und ruft dazu : „Sag uns grosser Heiliger, heiliger Dan, wie lange werden wir leben!“ Die Antwort lautet: so viele Dahre, als der Knochen bis zum Erlöschen in die Höhe geworfen wurde. Es handelt sich also hier um die Zukunftserforschung. Ansonst wird im Kreise um das Feuer getanzt, dann gesungen und schliesslich auch über das Feuer gesprungen. Gegen Früh geht man dann baden und treibt auch das Vieh durch dieses Feuer zur Schwemme. Man kannte auch Gottheiten des Feuers. Nach Nestors Chronik stand die Statue Peruns in Novgorod über dem Volga-Strome auf 30) Oest.-ung. Monarchie in Wort und Bild. Dalmatien S. 143. 31) Oest.-ung. Monarchie in Wort und Bild. Dalmatien S. 144. 32) Rad jugoslovanske akademije, Bd. 85, S. 170. — einem Burgwalle, bis heute „Perun" genannt. Die Statue erwähnt auch der Moskauer Chronist Hosius', die aus der lateinischen Schrift des Al. Guagnin übertragen wurde, bei der Beschreibung Novgorods. Es heisst da, dass an der Stelle, wo jetzt das Perunsche Kloster steht, eine Statue des Götzen Perun gestanden sei. Sie soll eine Menschengestalt gezeigt haben, und hielt in der Hand einen blitzartig flammenden Stein, denn „Perun" bedeutet sowohl bei den Ru-thenen wie Polen den Donner, und der ärgste Fluch des steirischen Slovenen an der Mur ist: „perun te ubij“, d. i. „der Blitz soll dich erschlagen“. — Zu Peruns Ehren entzündete man ein Feuer aus Eichenholz, das Tag und Nacht brennen musste. Waren aber die Wärter unaufmerksam und Hessen das Feuer ausgehen, so büssten sie dies mit dem Leben.38) Die Seen, Flüsse, Bäche und Meere waren belebt mit übernatürlichen Wesen, und wurde die höchste über das Wasser herrschende Gottheit dementsprechend benannt, wie bei den Russen „vodjanik, vodovik, djeduska vodjana“, bei den Lausitzern „vodni muž“, bei den Slovenen „vodnik“ oder „povodnji mož“, bei den Elbeslaven „Voden bog“ usw. — Dass die allen Slaven die Flüsse wie eine Art Gottheit verehrten, beweist schon Prokopius (Geheimschreiber Beiisars im Jahre 527 n. Chr.) mit den Worten: „Sie verehren auch Flüsse und Nymphen und diesen ähnliche Gottheiten“ (III, 14). — Nestor behauptet von den Poljanen, dass sie Heiden den Flüssen, Quellen und Hainen opferten. Dasselbe erzählt Kosmas von den Böhmen, die noch im XI. Jahrhunderte Brunnen Opfer brachten. Zu Beginn des XII. Jahrhundertes musste der Bischof von Prag dieses Götzentum verbieten. Helmold (Chron. c. 47) berichtet, dass die baltischen Slaven abergläubische Ehren den Flüssen und Seen erwiesen. Die Göttinnen der Flüsse und Bäche nannte man „rusalke", und hat sich die Erinnerung an dieselben besonders lebhaft in Russland erhalten. Man stellte sich dieselben als herrliche, freundliche Frauen-gestalten mit langem, aufgelösten, bis unter die Kniee reichendem Haar vor. Sie zeigten sich im Frühjahre und blieben bis zur Sommersonnenwende sichtbar, in hellen Sommernächten badend, kosend oder tanzend. Mit ihren lockenden Reizen bezaubern sie leicht die Sterblichen und verführen oft die Hirten, die sie beim Mondenscheine zum zauberhaften Gesänge mit ihrer Schalmei begleiten müssen; wer aber da den Lockungen verfällt, ist verloren, denn er wird gewöhnlich zu Tode gekitzelt. — * M) Zibrt v Slov. sbor., VI.r S. 312. In dem ganzen Zyklus der altslavischen Feiertage spielt das Wasser eine besondere Rolle u. zw. die wichtigste zu Weihnachten, weil es da zu Orakelzwecken herangezogen wird. In Russland sucht man die Zukunft zu erfahren, indem man am hl. Abend eine Schüssel voll Wassers, ringsum mit Schmuck belegt, aufstellt. Man giesst Blei in das geweihte Wasser. In den Brunnen oder in die Quelle geben die Mädchen eine halbe Nuss, einen halben Apfel und ein Stück Weihnachtsbrot; hiebei spricht man: „Brunnen, hier bringe ich dir ein Abendmahl, und sage mir die Wahrheit auf das, was ich dich fragen werde.“ Sie horchen nun zu und je nach dem Geräusche legt man sich die Antwort aus.34) Die Mädchen blik-ken auch unter das Eis, um zu erfahren, was ihnen bevorsteht. Die feierliche Wasserweihe in der altslavischen Kirche ist noch ein Rest der heidnischen Gebräuche. — Namentlich beim Übergange des Winters in den Sommer macht sich das allgemeine Bestreben nach Reinigung, d. i. Waschungen, fühlbar. Am Gründonnerstag rufen die Polen die Vesna singend an: Osterfest, o Osterfest Wo bliebst denn gar so lange ? — Beim Brunnen, beim Brunnen, Da wusch ich mir Hände und Füsse! Und dieses Waschen treffen wir zur Osterzeit überall bei den Slaven an. Mit dem vor dem Sonnenaufgänge geschöpften Wasser wäscht man sich und betet zugleich zum Sonnenaufgänge gewendet. Der Gebrauch ist bis heute so allgemein, dass sich jeder, der ausserhalb der Stadt aufwuchs, gewohnheitsmässig so wusch, ohne weiter zu wissen, dass er damit nur einen heidnischen Gebrauch unserer Vorfahren in Kontinuität erhält. — Bei den Slovaken heisst sogar der Ostermontag der „Bademontag“ („küpaci pondelok“). Das Sichbegiessen mit Wasser zur Osterzeit ist bei den Slaven geradezu eine Selbstverständlichkeit. Der Bursche geht die Mädchen begiessen, ebenso wie er sie mit der Ostergerte prügeln geht. Am 34) Eine besondere Berühmtheit besitzt in dieser Hinsicht der sogenannte »Schicksalsbrunnen« in der Vorstadt Ejub von Konstantinopel. Er heisst »Nijet« (= das Fehlende), denn dort kann man gegen einen »cerek« (Münze) erfahren, ob man etwas Verlorenes noch Aussicht habe wiederzufinden. — Dieser Brunnen wird seit undenklichen Zeiten als der Ort verehrt, wo man auf jede Frage nach dem Schicksal von Dingen oder Personen eine Antwort erhält. Dem Namen nach muss er schon aus der vorosmanischen Zeit herrühren; er bildet heute eine ergiebige Einnahmsquelle für die Derwische, die sich das Orakel seitens der Leichtgläubigen gut bezahlen lassen. Karsamstag weiht man noch heute das Feuer wie auch das Wasser auf dem Lande. Gebräuche mit den Waschungen gab es auch zur Zeit der Sommersonnenwende, und nannte man diese Festiichkeiten „rusadla“ oder „rusalje“, und hiess bei den Ruthenen jene Woche „rusadelni“. „Rusalije" waren heidnische Spiele, die Nestor nachstehend schildert. Männer, Frauen und Mädchen hielten nächtliche Zusammenkünfte und verbrachten die Zeit mit Gesprächen, mit Gesang, Spiel und Tanz. Beim Tagesanbrüche gingen sie aber jauchzend zum Flusse und wuschen sich dort. — Bei diesen Festen wurde auch das Orakel erforscht. Am Dnjepr ist ein sogenannter „Rusalka-Hain“. Die Mädchen winden dort Kränze aus Birkenreisig u. zw. jede eine solche Anzahl, als sie Personen besonders liebt. Die Kränze werden dort niedergelegt und man kehrt erst nach einer Woche zur Stelle. Wessen Kranz indessen nicht vertrocknete, der wird lange leben. Man wirft dann die Kränze ins Wasser; schwimmt der Kranz gleich, so bedeutet dies ein langes Leben; taucht er vorerst unter, so ist dies ein Zeichen des nahen Todes. Wir haben hier nur einige wenige Beispiele angeführt, wie unendlich wichtig die beiden in der Grünberger Handschrift angeführten Elemente des Feuers und Wassers in der heidnischen Zeit bei den Slaven waren; bei einem so wichtigen Volksakte jedoch, wie er sich dort abspielt, liegt aber eine doppelte Berechtigung vor, von einer „rechtskündenden Flamme" und einem „heiligreinen Wasser“ zu sprechen, denn es ist ja naheliegend, dass die Gebräuche im Kleinen umsomehr auf grosse und wichtige Aktionen übertragen wurden. Ähnliche Deduktionen bieten aber auch die in der erwähnten Handschrift an den Tag tretenden sozialen Verhältnisse. — Dem eigentlichen Gedichte ist eine Art Gesetzesparagraph vorangestellt, auf den sich dann, als es zum Streite kommt, berufen wird, und der jedenfalls auf den Gesetzestafeln verzeichnet war; er lautet: „Jeder Älteste führt die Kamp]er seiner Sippe; die Männer stählen sich, die Frauen besorgen die Wirtschaft. Und stirbt einmal das Haupt der Sippe, so wählen alle Genossen einträchtig behujs einheitlicher Leitung sich einen Führer aus ihrem Stamme, der fürsorglich weiter in höhere Versammlungen geht, geht mit den Kmeten, Lechen und Vladikas. — Es erheben sich die Kmeten, Lechen und Vladikas und billigen das Recht nach dem Gesetze.“ —S6) 35 35} Alle deutschen Zitate aus der Grünberger Handschrift sind der Ueber-setzung M. Zunkovic’ entnommen (»Die Handschriften von Grünberg u. Königinhof, dann das Vysehrad-Lied. — Kremsier 1912). Der Inhalt der Handschrift besagt über allen Zweifel, dass hier eine Art Landtag stattfand. Es herrschten da Fürsten, — in diesem Falle sogar eine Frau —, in Gemeinschaft mit der Vertretung des Volkes, d. i. den Kmeten, Lechen und Vladikas. Es war dies sonach eine ausserordentlich fortschrittliche Verfassung für jene Zeiten, und nehmen wir noch geschriebene, kodifizierte Gesetze hinzu, so zeigt dies auf eine hohe Kulturstufe. Es ist hiermit ein sicherer Beleg erbracht, für die Art der Verfassung bei den Slaven, u. zw. einer Verfassung, die nur ein freies, unbedrücktes Volk besitzen kann. Da aber vielleicht die Anführung in dieser Handschrift nicht genügt, so muss man auch bei den übrigen Slavenstämmen nachforschen, ob sie nicht auch gleiche oder ähnliche Verhältnisse hatten; und da kommen wir zu weiteren allgemein bekannten Beweisen, die zeigen, dass die Volksversammlungen überhaupt den Grundzug der altslavi-schen Verfassung bildeten, und geht das Vertrauen zu solchen aus allen Traditionen hervor. Die altslavische Mythologie lehrte dies, und daraus zog der heidnische Slave seine Schlüsse und handelte auch darnach. Die Lausitzer hielten sich an die Anordnungen ihrer Hauptgottheiten, erzählt schon Thietmar von Merseburg (L. VI, 150). Die kroatischen Slovenen wissen, dass es Vilen waren, die den Menschen das Ackern, Säen, die Toten zu begraben, das bestellte Feld abzuräumen, das Gras zu mähen, den Pferch zu pflegen und feste Wohnstätten zu bauen lernten.36) Aber ähnlich wie bei Homer finden wir auch in der slavischen Mythologie Spuren von Versammlungen der höheren Wesen. In der Zeitschrift des Böhmischen Museums 1853, S. 469 heisst es z. B.: zeigt der Mond die Sichel, so begeben sich die Hexen auf die Grenzen, wo sie Versammlungen abhalten, und satteln sich zu diesem Zwecke die Ofenkrücke oder den Besen. — ln Böhmen pflegen die Hexen auf die Babi hory zu fliegen, in Mähren auf den Radhost, in Russland auf die Lisa gora bei Kijev, in Untersteiermark auf das Bacher-Gebirge. Ähnliches zeigt die Striga, augenscheinlich eine Gottheit des wohltätigen Regens, denn die Slovaken meinen,, dass die Striga, sobald sie sich badet, Regen bringt, die in der Nacht zur hl. Lucia — man nennt den Tag auch „stridzi den" — auf einer Höhe bei Tokaj an der Teiss Versammlungen abhalten.37) — Die Wassermänner hal- 36) Kukuljevic, Rad jugoslov. akademije, 1888, S. 207. 37) Auch die Slovenen kennen die »striga« (= Hexe) und den »strigon« (= Vampyr), ebenso die Italiener die »strega« (= Hexe), die Russen den »stribog« (= Windgott). — ten in den Monalen September und Oktober bei mondhellen Nächten an Quellen Versammlungen ab, daher es gefährlich ist zu jener Zeit, wie das Volk behauptet, die Fluren zu betreten. Dass man sich gelegentlich versammelt und beratet, gehört geradezu zur slavischen Naturnotwendigkeit. Die Slaven sind gesellig, sie finden sich gerne gastlich zusammen, um sich über ihre Familien oder wirtschaftlichen Angelegenheiten zu beraten. Schon Dobrovsky sagt über die Kroaten („Slovanka“): „Sie sind redselig, und sie besprechen jede Kleinigkeit so gründlich, dass man dazu lachen muss.“ Über die Illyrer wird erzählt, dass sie sonntäglich Beratungen abhalten über Familienangelegenheiten, über Käufe und Verkäufe, über Abgaben und die Arbeitsverteilung für die kommende Woche. Und so folgt ein Beweis dem andern vom minder wichtigen zum wichtigen. Ähnlich spricht sich Prokopius von Caesarea aus; er sagt: „Die Slaven und Anten — letztere wohnten zwischen dem Dnjestr und Dnjepr — sind nicht etwa der Herrschaft und Willkür eines einzelnen Mannes unterworfen, sondern sie stehen seit undenklichen Zeiten unter der Volksregierung, denn sie beraten alle ihre Angelegenheiten gemeinschaftlich. Ebenso werden bei diesen beiden fremden Völkerschaften alle sonstigen Fragen nach althergebrachten Gesetzen behandelt und erledigt.“ — Und ähnlich schildert dies der Kaiser Mauritius, der da sagt: „Bei beiden Völkern, den Slaven wie Anten, finden wir die gleichen Sitien und die gleiche Lebensweise. Sie lieben die Freiheit über alles, und sie können auf keine Weise zur Dienstbarkeit oder Unterwürfigkeit des Einzelnen gebracht werden.“ Hierher gehört auch das Zeugnis Helmolds (Chron. Slav. I, S. 16), der erzählt, wie der slavische Fürst Mstivoj von Mecklenburg, durch den Sachsenherzog beleidigt, erst in Rhetra die Slammesältesten versammeln musste, um den Rachefeldzug zu besprechen. Er konnte nicht nach eigenem Willen gegen ihn ziehen, sondern musste eben die Vertreter des Volkes zuvor befragen. — Etwas Ähnliches findet sich auch in der böhmischen Geschichte vor. Als nämlich der Fürst Vladislav dem Kaiser Friedrich die Beteiligung an dem Zuge nach Italien ohne Einwilligung der Volksvertreter versprochen, da schreibt der Chronist und persönliche Augenzeuge darüber: „Als dies einige böhmische Herren hörten, sagten sie, dass dies nicht richtig war, weil es ohne ihre Einwilligung geschehen, und verdient derjenige gekreuzigt zu werden, der einen solchen Rat gegeben.“ Richtig ist daher auch das Urteil Karamzins in diesem Sinne, der schreibt: „Das slavische Volk, mag es sich auch unter die Herrschaft von Fürsten gestellt haben, behielt sich doch grosse Freiheiten vor, und versammelte sich bei wichtigen Anlässen oder dem Lande drohenden Gefahren stets zu einer besonderen Beratung. Solche Volksversammlungen waren seit jeher in russischen Städten gebräuchlich, womit der Beweis erbracht ist, dass die Einwohner einen bestimmten Einfluss auf die öffentlichen Vorkehrungen hatten." Solche Beratungen nannte man „vjeca, vjece“ oder „vjoce“. Der Chronist von Novgorod schreibt z. B.: „Die von den Pecenegen bedrückten Novgoroder versammelten sich zur Beratung „na vjecah“, was zu unternehmen wäre.“ Solche Nachrichten über „vjece" sind von den Städten Kiev, Novgorod, Viadimer u. a. erhalten. ln der Stadt Novgorod hat die altslavische bürgerliche Freiheit trotzdem, dass die Fürsten dieselbe tuniichst beschränken wollten, am längsten ihre hervorragende Rolle gespielt. Die Stadt war nämlich das Muster einer eigenen alten und freien Gemeinde, die sich ihre Gesetze und Vorrechte noch im Oahre 1020 vom Fürsten Daro-slav bestätigen liess. Die Bürger versammelten sich auf dem Hauptplatze zu den „vjece", wobei alle wichtigen Themata, ja selbst die Absetzung von Fürsten, besprochen wurden. Bei einer solchen Gelegenheit beschlossen sie sogar, Fürst Svjatoslav müsse ihnen seinen Sohn als Ratgeber beistellen, denn sonst nehmen sie sich einen anderen Fürsten.38) Eine Erinnerung an diese Versammlungen hat sich noch in Polen erhalten, denn dort benannte man jene Gerichte, die sich mit den Höfen und Grenzfragen beschäftigten, als „vieca“.39) Dass sich übrigens die Slaven zu regelmässigen öffentlichen Beratungen versammelten, lesen wir auch in der Lebensbeschreibung des hl. Otto (II, 31); dort heisst es wörtlich: „Neben dem Heiligtum des Triglav in Stettin, gab es zwei weitere, weniger schmuckvolle und bekannte. In ihnen befanden sich nur Tische und Bänke für Volksversammlungen, denn die Slaven versammelten sich hier an bestimmten Tagen und zu gewissen Terminen entweder zur Unterhaltung oder aber zu öffentlichen Beratungen, da sie gewohnt waren, sich in diesen Heiligtümern zusammenzufinden." Aus alledem ist ersichtlich, dass das Bedürfnis der öffentlichen Beratung dem Slaven sozusagen im Blute liegt, sowie dass sich der geschilderte Landtag unter Lubusas Vorsitze genau so abspielte, wie es bei den Altslaven sonst überall Sitte und Gebrauch war, und wäre die ganze Situation gerade in dem Falle unglaubwürdig oder ver- * 3 3S) Istor. gosud. Rossij. T. I., S. 234. 3i)) »Ruskaja pravda« S. 131. dächtig, wenn die Schilderung irgendwie davon abweichen würde. Wir können uns daher ganz ruhig mif der Tatsache abfinden, dass dieses Gedicht um das CJahr 1817 niemand gefälscht haben konnte, weil damals von den jetzt immer deutlicher hervortretenden grosszügigen Verhältnissen der Altslaven in sozialer Hinsicht noch niemand die leiseste Ahnung hatte, denn die Beweise für die Richtigkeit brachten erst die vergleichenden Forschungen der jüngsten Zeit an den Tag. — {Schluss folgt.) M. Zunkovic: Die Königinhofer Handschrift ist zweifellos echt. Seit dem Erscheinen meiner Rehabilitationsschrift, welche erweist, dass die Königinhofer Handschrift zweifellos echt ist,1) herrschte im Lager derjenigen, die ein Interesse daran haben sie als Fälschung verrufen zu wissen, eine erzwungene, nervöse Ruhe; die Verteidigung wurde nur mehr passiv geführt, die stumpf gemachten Waffen wurden nicht mehr geschliffen. Erst in jüngster Zeil, — nach 21/2 Dahren! —, trat wieder ein Kämpe im Prager Universitätsprofessor Dr. Gustav Friedrich im Tagblatte „Närodni Listy“ (3. April 1. 3.) schüchtern und unsicher mit der Erklärung auf, dass jene Handschrift* 2) doch eine Fälschung sei. Die angeführten Gründe sind aber dabei so nichtssagend, so lendenlahm und so kritiklos, dass man geradezu Mitleid und Beängstigung fühlt, wenn man sieht, wie sich ein Mann in hoher pädagogischer Position selbst zu einer derartigen öffentlichen Bloßstellung je verleiten lassen konnte.3) Wir bringen nachstehend Punkt für Punkt seine „Beweise“, und fügen zugleich unmittelbar unsere Widerlegungen an; dass wir dabei jenen Keil wählten, der zum Klotze passt, möge uns der Leser verzeihen. Wir glaubten schon, es sei bei den Gegnern die bessere Einsicht eingezogen, wobei es weiter aussichtslos sei, in dieserh ungleichen Kampfe je zu siegen, doch ist dies demnach nicht der Fall; die Gegner sehen ihre volle Niederlage noch nicht, sie wollen sie fühlen. Habeani! — *) »Rukopisy Zelenohorsky a Krälodvorsky«. — Jich literärni rehabilitace provedenä starymi a novymi dükazy pravosti. — Kremsier 1911 (1. September), — Verlag J. Slovak. 2) In der Folge bedeutet in diesem Artikel HS = Handschrift, KH = Königinhofer Handschrift. 3) Die volle Niederlage Prof. Friedrichs im Streite um die Echtheit des Wappens von Pribislau scheint ihn auch nicht vorsichtiger gemacht zu haben. Professor Friedrich führ} für die Fälschung folgende Argumenle an: 1. Der Text ist auf ein Pergament geschrieben, das vor dem Beschreiben für andere Zwecke bestimmt war. — Wenn ich also heule einen Bogen Schreibpapier bereitstelle, um ein Slück Geselchies darin zu verpacken, ihn aber dann beschreibe, so isl dies nach Friedrich bereits ein Beweis für Fälschungsabsichten!? 2. Die Initialen weichen in der KH von solchen in anderen HS ab. — Zeichnen oder malen etwa andere Zeichner und Maler immer dasselbe und nach gleicher Manier? Da gäbe es keine individuelle, sondern eine uniforme Kunst! 3. Die KH ist in einer Schrift geschrieben, die nur eine Imitation einer älteren Schrift ist. — Das ist doch im Prinzipe jede Schrift; wir lernen doch alle nach älteren Mustern und Vorlagen schreiben! Und weshalb wird hier die Imitation beanständet, im Punkte 2 aber die Differenzierung? Es ist also schlecht, ob so oder so! Wo ist da die Logik geblieben?! 4. Die KH rührt von einem Schreiber her, der an eine andere HS gewöhnt war, sich hier demnach einen Zwang antat. — Könnte uns Professor Friedrich nicht zeigen, wie die HS zwanglos geschrieben ausgesehen hätte? Kann der Schreiber nicht zugleich ein Abschreiber gewesen sein ? Unter derlei paläographischer Gedankenleserei könnte Professor Friedrich schliesslich genau so nachweisen, dass der Schreiber schielte, dass er rothaarig war, oder dass alle HS auf der Welt gefälscht sind! 5. Die KH ist von jemandem geschrieben, der die im Mittelalter gangbaren Abkürzungen nicht genau kannte. — Machen denn heute, wo wir obendrauf genaue Regeln haben, alle Menschen die Abbreviaturen gleich?! Absolut nicht und weshalb soll dies im Mittelalter besser gewesen sein? Nach Professor Friedrich ist daher eigentlich derjenige, welcher in der Rechtschreibung Fehler macht, auch schon ein Fälscher. 6. Die KH hat viele Radierungen, mit denen man wohl die Sprache archaischer machen wollte; in einem Falle ist sogar eine Berichtigung zu sehen, die im Böhmischen unmöglich ist. — Hat Professor Friedrich in seinem Leben noch nie einen Schreibfehler gemacht, nie etwas radiert oder gar einen Fehler undeutlich ausgebessert?! Wer kann weiter ruhigen Gewissens sagen, dass ein Begriff im Böhmischen im Mittelalter nicht existierte oder genau so aussah, wie wir ihn uns heute vorstellen? — Hat überdies Professor Friedrich gar keine Kenntnis davon, wie es dem Professor Gebauer, dem zweifgrimmigsten Gegner der KH, erging, als er in derselben Tausende von grammaiischen Fehlern entdeckt haben wollte? Professor Old. Seykora (Prossnitz) prüfte diese „Fehler“ nach und fand, dass jeder Fehler inderKH lediglich ein Fehler Gebauers war. Das Epitheton „velky Gebauer“ (= grosser Gebauer) verlor daraufhin seinen ganzen künstlichen Kurswert. Diese sechs völlig nichtssagenden Indizien genügen aber dem Professor Friedrich schon allein, über die KH das Todesurteil zu fällen und sie schon auf dieses hin als Fälschung offen zu erklären. Wir müssen aber dieser blutarmen Verurteilung doch die Frage entgegenhalten, woher denn jener Fälscher, — Friedrich sieht natürlich wieder in Hanka den genialen Verbrecher —, wohl die Dichtungen haben mochte, denn Fälscher von Beruf können allenthalben Schriften, Münzen, Schlüssel, Vasen u. drgl. täuschend nachmachen, aber die Rolle eines Goethe, Schiller, Homer u. ä. in dichterischer Hinsicht kopieren zu wollen, ist denn doch nicht so einfach, und man darf doch nicht den dichterischen Genius mit einer höheren manuellen Fertigkeit in ein Doch spannen, denn der erstere ist eine besondere divinatorische Gabe, die letztere ein durch entsprechende Vorübungen leicht zu erlernendes Handwerk. — Woher stammt überdies der Inhalt, namentlich der historische Teil, von dem sich erst in jüngster Zeit vieles Unverständliche und Zweifelhafte als richtig erwiesen hat? —-Wie bringt man neuen HS ¿Jahrhunderte erfordernde Altersmerkmale bei? Namentlich in letzterer Hinsicht müsste sich ein Paläograph von Beruf, wie es Professor Friedrich sein will, des Näheren aussprechen. In den Initialen der KH ist z. B. echtes Gold aufgelegt; er möge uns doch mitteilen, wie man echtes Gold auf Pergament auflegt, ohne dass es mechanisch befestigt ist, und doch nicht abfällt, abbröckelt u. drgl. Bekanntlich geriet die im Mittelalter gewiss weitbekannte Methode des Auflegens von Gold mit der Einführung des Buchdruckes, da die Gelegenheit hiezu immer seltener wurde, mit der Zeit ganz in Vergessenheit, und ist das Geheimnis seit Jahrhunderten, trotz aller Versuche, nicht mehr zu ergründen. Man behalf sich später meist damit, dass man Goldbleche auflegte und mit den umgebogenen Rändern an das Pergament befestigte.4) — Es wäre auch recht interessant Fried- 4) In der Erzbistumsbibliothek in Kremsier befindet sich z. B. eine handschriftliche Bibel burgundischer Arbeit, die dem Ende des XIII. oder Anfänge des XIV. Jahrhundertes, also auch ungefähr der Zeit der KH angehört. Diese Bibel weist ungewöhnlich viel und massiv aufgelegte Arabesken von echtem Gold auf. Es fanden sich schon viele Künstler und Paläographen ein, welche das Geheimnis der Goldbefestigungsmethode an dieser Vorlage ergründen wollten, aber der Er- richs Ansichten über das „Berliner“ Blau in der KH zu hören; vielleicht könnten wir ihm diesbezüglich nähere Altersdaten über blaue Farben bieten usw. — Wir verlassen aber nun das Gebiet der negativen Polemik, da wir einen kurzen historischen Überblick machen müssen, um klarzulegen, warum und auf welche Art es überhaupt möglich war, die KH je der grossen Öffentlichkeit gegenüber als gefälscht darzulegen. Gefunden wurde sie am IS. September 1817 im Turmgewölbe der Dekanatskirche in Königinhof von einer viergliedrigen Gesellschaft, worunter sich auch W. Hanka befand. Die HS war damals alt und schwerbestaubt. Über die tatsächlichen Umstände dieses Fundes besteht absolut kein Zweifel. Bis zum ¡Jahre 1829 dachte auch niemand an eine Fälschung. Da trat der Hofbibliothekar Barth. Kopitar, ein Slovene, lediglich mit der Bemerkung auf, dass ihm die HS verdächtig vorkomme; irgendwelche konkrete Beweise brachte er jedoch nicht vor. Im ¡Jahre 1832 trat auch der Slovake Palkovic als Gegner auf; beide verstummten jedoch bald, als Palacky unwiderlegliche Beweise für die Echtheit erbrachte, worauf die HS bis zum ¡Jahre 1847 gänzlich unbelästigt blieb. Die Beweisführung für die Echtheit war ja, abgesehen von den realen historischen, kulturgeschichtlichen, sprachlichen wie paläogra-phisehen Daten, namentlich dadurch eine überzeugende, weil der Universitätsbibliothekar und Kreuzherrnordenspriester ¡Joh. Zimmermann in Prag im ¡Jahre 1818 am Deckel eines Bucheinbandes eine alte HS fand, die allgemein als dem XII. ¡Jahrhunderte angehörig, — einige meinten, sie könne vielleicht auch dem XIII. Jahrhunderte entstammen —, erkannt wurde. Diese enthielt auf der einen Seite das Fragment eines altböhmischen Minneliedes, auf der anderen das auch in der KH befindliche Gedicht „Gelen“ (= der Hirsch). Existiert aber ein Gedicht aus jener Zeit, so kann es unmöglich, wie man behaupten wollte, von W. Hanka um das ¡Jahr 1817 aus russischen oder südslavischen Volksliedern konstruiert worden sein. Gegen diesen stählernen Beweis der Echtheit prallten nun alle Waffen der Gegner ab. Den Feinden des böhmischen Volkes, die ihm den in der KH enthaltenen herrlichen Liieraturschatz nicht gönnten, zum Teile wohl folg blieb — soweit eben bekannt — vollkommen aus. — Gerade dieser Kodex verwendet überdies mit Vorliebe die blaue Farbe, wie sie auch die KH zeigt, zu Verzierungen. Weshalb ist nun diese Farbe hier echt und dort falsch?! Wäre es da nicht ratsamer, statt in Sophismen aufzugehen, paläo-graphische Vergleichsstudien der beiden HS vorzunehmen, wer.r. mar. die Sache überhaupt ernst nimmt? — ____ auch deshalb skeptisch waren, weil man die Möglichkeit solcher Dichtungen den Altböhmen überhaupt nicht zumuten konnte, handelte es sich nun darum, diesen unangenehmen Kronzeugen auf irgendeine Art zu dequalifizieren. Schon im Jahre 18¥7 meldete sich der Germanist Moritz Haupt, der in den „Berichten über die Verhandlungen der kgl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften“ behauptete, diese HS sei auch eine neuzeitliche Unterschiebung. Da er jedoch nichts Positives oder Überzeugendes vorzubringen wusste, und überdies höchst inferiore slavische Sprachkenntnisse hatte, wurde dessen Vorstoss noch im gleichen Jahre in den „Slavischen Jahrbüchern“ in entschiedener Form abgewiesen. Nun herrschte bis zum Jahre 1856 wieder volle Ruhe. Da erschien Julius Feifalik, ein pathologischer Gegner der KH, in Prag, und drang in den Musealausschuss zur Berufung einer Kommission, welche das Pergament des Minneliedes, die verwendete Tinte und namentlich die Schrift überprüfen soll. Diesem Wunsche wurde am 17. Februar 1857 entsprochen, wobei das handschriftliche Fragment in einem eigenen Gutachten der Kommission als gefälseht und unterschoben erklärt wurde. Inwieweit Feifalik, der Hofbibliothekar in Wien war, die Kommissionsmitglieder dabei hinterging oder für sich gewann, ist nicht bekannt; dass es aber dabei nicht ehrlich zuging, wird später dargelegt. Jenes Gutachten über das Minnelied, das dann erst im Jahre 1858 im „Časopis Če-skeho Musea“ (S. 138) vom Sekretär des Landesmuseums, W. Nebesky, einem persönlichen Feinde Hankas, veröffentlicht wurde, lautet (in der Übersetzung) folgend: „Auf-den ersten Blick (!) erweckte sowohl die Schrift wie auch die Tinte bei der Kommission den Verdacht, der aber noch gesteigert wurde, als man schon mit blossem Auge und noch besser mit Hilfe der Lupe Spuren einer alten, entfernten Schrift unter dem jetzigen Texte bemerkte, und erhielt später bei der chemischen Untersuchung hiefür die volle Bestätigung. Man überstrich nämlich einige Rand- wie Textstellen mit Ammoniumsulfid, und später, in Gegenwart des Professors Dr. Rochleder, noch mit Ferrocyanwasserstoffsäure, worauf sich vollkommen deutlich die Buchstaben, Verzierungen und Zeichen des früheren Textes, u. zw. nicht nur am Rande, sondern auch unter und zwischen den Zeilen abhoben. Es kann daher kein Zweifel sein, dass der jetzige Text auf einem Palimpseste geschrieben ist. Der ursprüngliche, durch Abkratzen des Pergamentes beseitigte lateinische Text trägt jedoch die Buchstaoen, Verzierungen und Zeichen auf Grund der sichtlich überzeugenden chemischen Hilfs- mittel, einen weit jüngeren Charakter, als die Schrift des Minneliedes. Jene muss man in das XV. Jahrhundert verlegen, in-dess der heutige böhmische Text als eine Schrift des Xll. oder XIII. Jahrhundertes angesehen wird; es kann daher kein Zweifel obwalten, dass dies ein Erzeugnis einer weit jüngeren Zeit und eine mit der Absicht der Irreführung bewusste Nachmachung einer älteren Schrift ist.“ — Dieser genial konzipierte, wenn auch leicht erkennbare Betrug, dessen Gelingen natürlich auf die Indolenz des Musealausschusses aufgebaui war, hatte einen unerwarteten Erfolg, denn das Landesmuseum in Prag weiss bis zum heutigen Tags nicht, welchen Charlatanen es vor 57 Jahren plump aufgesessen ist. Dass aber der Musealausschuss während dieser langen Zeit wirklich so naiv war, eine solche handgreifliche Mystifikation nicht zu erkennen, nicht zu ahnen, oder die ausrangierte HS doch noch einmal näher anzusehen, bleibt wohl für alle Zeiten ein Rätsel, und möge über die Folgen dieser unfassbaren Passivität und Leichtgläubigkeit die böhmische Nation weiter zu Gerichte sitzen. Diese bedauerlichen Vorkommnisse waren es aber auch, die es dem Universitätsprofessor Dr. Thomas Masaryk (Prag) im Jahre 1886 ermöglichten, dass dessen neuer Feldzug gegen die KH relativ erfolgreich war, weil er den greifbarsten Beleg, d. i. die Existenz eines schon im XII. Jahrhunderte existierenden Gedichtes der KH(„Jelen") für die Echtheit derselben bereits „glatt“ beseitigt vorfand. Masaryk und seine Helfershelfer konnten daher auch vom „Jelen" (und dem „Minneliede") nur wie von einer abgetanen Sache sprechen, da letztere HS zu dieser Zeit schon allgemein als plumpes Falsifikat bekannt und verschrien war. Dieses auffällige Ausschalten jener zwei Gedichte erschien jedoch mir bei der rigorosen Überprüfung des böhmischen Handschriftenstreites vom ersten Tage an verdächtig, doch konnte ich nicht dagegen auftreten, so lange keine Beweise Vorlagen, ob die radierte Schrift wirklich dem XV. Jahrhunderte angehört und einen lateinischen Text enthält; daran, dass die HS ein Palimpsest sei, glaubte ich ohneweiters. Meine Skepsis hatte darin ihre Wurzel, weil ich weiss, dass es direkte unmöglich ist, in einer radierten Schrift das Jahrhundert positiv zu erkennen, umsomehr als schon bei Erstschriften über die Zeit der Verfassung oft Meinungsdifferenzen auftauchen, die mehrere Jahr- hunderte umfassen; in einem Palimpseste ist aber eine solche, zeitlich derart begrenzte Taxierung noch mit umso grösserer Vor sicht aufzunehmen. — Ein gewissenhafter Paläograph gibt n i e ein bestimmtes Jahrhundert als positiv, sondern immer nur als möglich oder wahrscheinlich an, da es für die Übergänge einmal kein untrügliches Merkmal gibt. — Seither setzte ich jedoch alle Hebel in Bewegung, für dieses schon im Prinzipe verdächtige paläographische Urteil auf photochemischem Wege, d. i. durch die Palimpsestphotographie, eine reelle Handhabe zu gewinnen, und gelang es mir endlich dieses Ziel zu erreichen. Es stellte sich nun heraus, dass die Kommission im Jahre 1857 einen unglaublich verwegenen wissenschaftlichen Betrug, wie ein solcher in der Literaturgeschichte der Welt einzig dasteht, verübte u. zw. zweifellos mit Vorbedacht, denn wie die Beilagen III und IV darlegen, befindet sich unter der sichtbaren Schrift absolut keine radierte Schrift, daher auch keine dem XV. Jahrhunderte angehörende, und noch weniger ein lesbarer lateinischer Text, denn die HS mit dem „Minneliede“ und dem Gedichte Jelen“ ist überhaupt kein Palimpsest, daher unten nichts zu sehen und noch weniger etwas zu lesen war. Nachdem aber nun die verbrecherischen Machinationen jener „Überprüfungskommission“, die begreiflicherweise die ganze Welt düpieren musste, weil einen solchen „Befund“ jeder als glaubwürdig ansehen muss, offengelegt sind, so ist hiemit auch der Hauptstein des Anstosses in der Echihsitsfrage der KH beseitigt. Dass aber hier eine planmässige Berechnung vorlag, ersieht man namentlich daraus, dass nach der abenteuerlichen Aktion Fei-faliks, eines wütenden böhmischen Renegaten, gleich ein auffälliges Bestreben, die KH nach jeder Richtung herabzusetzen, namentlich auf deutscher Seite besonders bemerkbar wurde, da man dem böhmischen Volke den ungetrübten Besitz dieser herrlichen Dichtungen eben nicht gönnte. Schon kurz darauf trat ein Anonymus im „Tagesbote für Böhmen“ auf, der Hanka direkte als den Fälscher der KH bezeichnete, und ihn in weiteren Artikeln ansonst in ehrenrührigster Weise angriff, so dass Hanka gezwungen war, den Schutz des Gerichtes zu suchen. Er klagte den Redakteur des Blattes, David Kuh, da sich der eigentliche Verfasser fortgesetzt feige verborgen hielt, auf Ehrenbeleidigung. Der Redakteur wurde vorerst verurteilt, aber die letzte Instanz hob die Strafe mit dem salomonischen Urteile auf, dass es gar keine Beleidigung sondern geradezu eine Ehre sei, wenn jemand glaube, ein Mann von heute sei imstande die KH zu verfassen. Erst 55 Jahre später wurde der Name jenes anonymen Verleumders bekannt. Das „Montagsblatt aus Böhmen“ brachte am 27. Jänner 1913 die sensationelle Nachricht, dass dies der Regierungsrat Anton Zeidler war, der am 20. Jänner d. 3. in Prag im Alter von 90 ¡Jahren starb, und womit die eingegangene Verbindlichkeit, das Redakfionsgeheimnis zu wahren, erloschen sei. Zeidler war nämlich damals der deutsche Berufskollege des Bibliothekars Hanka, dem wohl eher der Neid zum hochangesehenen Manne als die wahre Überzeugung die Feder zu dieser planmässigen Ehrabschneiderei in die Hand drückte. Wenn aber das „Montagsblatt“ obendrauf dem Berichte mit stolzem Pathos und unüberlegt beifügt, „dass es durchaus kein Ceche, sondern ein Deutscher war, der die Fälschung der KH nachgewiesen,“ so überlassen wir den Deutschen gerne voll und ganz diesen Lorbeer — mit breitem Trauerrande, denn Zeidler hat überhaupt nichts „nachgewiesen“, sondern die KH lediglich insoweit in Verruf gebracht, dass die reine Freude daran in der Folge getrübt erschien. Im ¡Jahre 1859 trat wieder Professor Max Büdinger (Wien) in Sybels „Historische Zeitschrift“ gegen die KH auf, dem sogleich die offizielle „Wiener Zeitung“ sowie die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ akkompagnierten, wobei allerdings die Beeinflussungen Fei-faliks fühlbar sind. — Im Jahre 1863 betrat Professor Wattenbach (Berlin) denselben Weg. Es ist aber hiebei auffallend, dass weder Zeidler, noch Büdinger oder Wattenbach irgendwelche nennenswerte slavische Sprachkenntnisse besassen, daher hier eigentlich nicht mitsprechen konnten. Wattenbach ging sogar noch weiter: er erklärte die KH vom paläographischen Standpunkte für ein Falsifikat, ohne sie je gesehen zu haben; ja, als man ihm nahelegte, sich wenigstens photographische Kopien zur Beurteilung kommen zu lassen, antwortete er, „er habe keine Zeit hiezu“. — Im gleichen Sinne schrieb noch im Jahre 1913 ein gewisser Erdmann Hanisch (Beuthen) in dagic’ „Archiv“ folgenden monströsen Satz: „Sollte wirklich Herr Zunkovic wissenschaftlich so harmlos sein, dass er glaubt, zur Untersuchung der Echtheitsfrage einer Urkunde bedürfe es unbedingt des persönlichen Augenscheines ?“ — Die Redaktion des „Staro-slovan“ gab ihm darauf (1913, S. 296—298) folgende, wohl nicht erwartete Antwort: „Wir erklären nach den gemachten Erfahrungen jeden für einen Charlatan, wer eine alte HS als falsch erklärt, ohne sie je gesehen zu haben, denn seriöse Leute geben über etwas, was ihnen unbekannt ist, überhaupt kein Urteil ab.“ — Durch alle diese Umstände, denen sich noch die nervöse publizistische Verbreitung der „erwiesenen“ Fälschung deutscherseits, das li allgemeine Überhören der nackfen Tatsachen und Vernunftsgründe, die sukzessive Einschmuggelung des falschen Schlussurteiles in die Literaturgeschichten, Lehrbücher, Konversationslexika u. drgl. zugesellten, wurde schliesslich auch die öffentliche Meinung verwirrt, da sie fortgesetzt dasselbe zu hören bekam. Die studierende Dugend, die ohnehin schon im Prinzipe dem negativen Kritiker nachläuft, wollte schliesslich eine verdächtige Sache auch nicht weiter auf dem Schilde tragen; unter dem überwältigenden Eindrücke der Fama gingen allmählich auch viele slavische politische Zeitschriften auf die von den Deutschen inspirierten Ideen ein, und so rückte auch das ominöse 3ahr 1886 heran, in welchem schliesslich die Universitätsprofessoren Masaryk und Gebauer die KH auch böhmischerseits als Fälschungen erklärten. Wir müssen daher dieses lärmende Schlussauftreten unter den obwaltenden Prämissen heute vielleicht doch etwas milder, als bisher, beurteilen, namentlich wenn wir jetzt die gut maskierten Fallgruben näher kennen, in welche die beiden Professoren dabei stürzten, denn es ist wohl anzunehmen, dass alle die „Erklärungen“ der Beiden wirkungslos verpufft wären, wenn sie nicht einen derart aufgewühlten Boden hiefür vorgefunden hätten; ja, wahrscheinlich wäre die Inspiration für eine solche desparate Unternehmung ansonst überhaupt ausgeblieben.5) Die KH ist ein glänzendes, echtes Zeugnis für die Beurteilung des altböhmischen Schrifttums. Als verdächtig, gefälscht oder unterschoben wurde sie tatsächlich nur deshalb angesehen, weil man sich eine so hohe und imponierende kulturliterarische Vergangenheit der Böhmen vorerst nicht vorstellen konnte. Gleichzeitig tauchten gewichtige, begründete Gegenzweifel in der Tatsache auf, dass es um die Zeit der Auffindung der KH, also gerade zu der Zeit des höchsten Verfalles der böhmischen Sprache, weder einen hervorragenden Dichter und noch weniger einen gründlichen Kenner der altböhmischen Sprache gab. Das Resultat von allem war daher die allgemeine Ratlosigkeit, daher die Wage der Meinungen stets im labilen Gleichgewichte blieb. Sollte aber heute noch jemand übrig bleiben, der trotzdem seine Zweifel und Bedenken nicht völlig verwinden kann, so ist dies für 5) Wenn jener unerhörte Betrug an der ganzen grossen Oeffentlichkeit i. J. 1857 etwa mitbestimmend war für die Justifizierung der KH i. J. 1886, so weiss Prof. Masaryk, der als Führer jener Exekution nun die geklärte Wahrheit durch ein glückliches Lebensschicksal noch selbst erfährt, was jeder wissenschaftlich Ehrliche zu tun hat, wenn er durch falsche Prämissen selbst gröblich irregeführt wurde. die grosse Sache bedeutungslos, denn jeder Wahrheit hängt stets eine Spur von Skepsis an. Die KH ist jedoch über allen Zweifel echt und möge sich die b ö h mi sehe N a t i o n dieses reinen Sieges der objektiven Wissenschaft fortan ungestört erfreuen. Um aber nun Jenen, die in den HS-Streit doch noch nicht genügend eingeweiht sind, einen allgemeinen Einblick in die Einwendungen und Widerlegungen der beiden Kampfparteien zu geben, werden nachstehend noch die wichtigsten Streitpunkte kurz hervorgehoben: a) die früheren Schicksale sowie die lokalen und persönlichen Umstände der Auffindung der KH sind sowohl gerichtlich als auch durch das Zusammentreffen von solchen Umständen, die kein Menschengeisl zu lenken oder zu bestimmen vermag, zeitlich und biographisch einwandfrei aufgeklärt; b) ist die HS in paläographischer Hinsicht stets und überall als alt und als etwa dem Ende des XIII. oder dem XIV. Jahrhunderte angehörend erkannt worden. Zu diesem Urteile gelangten nicht nur alle seriösen heimischen Paläographen und Mikrochemiker (Vrtätko 1861 und Belohoubek 1886), sondern die gleichen Zeugnisse brachte auch Dr. Pic im Jahre 1911 mit, der von den heute bekanntesten Paläographen des Auslandes hierüber das Urteil einholte. Es waren dies: Moritz Prou, Emil Chatelain, Elie Berger, Couderc in Paris und Dr. Hektor Verga sowie Achille Ratti in Mailand. Alle diese sagen, dass die KH den genannten Jahrhunderten angehört; einer hievon gibt zu, dass sie möglicherweise auch dem Beginne des XV. Jahr-hundertes angehören könnte, was nur darlegt, wie vorsichtig gewissenhafte Leute derlei Urteile fällen, weil es eben keine verlässlichen Merkmale für eine engere Zeitbestimmung gibt. Stammt aber die Schrift aus dieser Zeit, so kann logischerweise der Text nicht dem XIX. Jahrhunderte entstammen, denn das eine schliesst das andere aus; c) dass aber die Dichtungen selbst als solche alt sind, dies geht auch daraus hervor, dass eben das Gedicht „Jelen“ schon in einer weit älteren HS vorhanden war, als es die KH ist, und diese Quelle ist altersecht; d) war sowohl die Schrift wie das Aussehen der KH auch schon zur Zeit der Auffindung sehr alt. Mit ihr zugleich wurden überdies, gleichfalls tiefverstaubt, zwei andere HS-Fragmente gefunden, die als altersecht überhaupt niemals angezweifelt wurden. Hanka gab auch selbst zu, einzelne verblasste Stellen nachgebessert zu haben, die iix sich auch noch heule gut abheben. Nebslbei war es gerade zur Zeil der Auffindung am leichtesten zu erkennen, ob die KH frisch geschrieben oder aber alt sei; gerade damals soll aber dieses niemandem aufgefallen sein?! e) Die philologischen Einwendungen Professor Gebauers wurden, wie bereits angeführt, schon so überzeugend als durchwegs falsch nachgewiesen, dass die Gegner den philologischen Standpunkt bei der Bekämpfung der Echtheit längst aufgeben mussten. Dass jedoch Gebauers grammatische Belege je ernst genommen werden konnten, wird nur bei dem Bewusstsein verständlich, weil diese Einwendungen niemand gründlich überprüfte, daher nahezu die ganze wissenschaftliche Welt dabei nur einem blinden Autoritäiswahne zum Opfer fiel. Gebauer beging nämlich in seinem pathologischen Hasse gegen die KH derart unerklärliche Fehler, dass es heute schwer fällt zu sagen, ob dieselben der Leidenschaft, der Oberflächlichkeit oder der Gedächtnisschwäche zuzuschreiben seien. So erklärte er z. B. den Begriff „letal“ im Psalter von Wittenberg, welche HS Gebauer selbst dem XIV. Dahrhunderte zuschreibt, als richtig, in der KH hingegen als im selben Dahrhunderte unmö g lieh. Wer aber solche Kontradiktionen in einem Atem schreibt, ist eben selbst unsicher, denn bewusst äussert niemand solche krasse Widersprüche oder widerruft später den einen oder den anderen. Gebauers Einwendungen waren daher schon deshalb vom ersten Tage an verdächtig; nach näherer Überprüfung erwiesen sie sich jedoch geradezu als falsch oder als für Unwissende berechnet. Ein zweites Beispiel: Gebauer behauptete, der Begriff „panstvo“ (= Herrschaft) in der allgemeinen Bedeutung „päni“ (= Herren) sei im Altböhmischen nicht erwiesen. Professor Seykora fand in den untersuchten 600 böhmischen Literaturdenkmälern vom XIII.—XIX. Dahrhunderte an 200 gegenteilige Beweise. — Ein weiteres Beispiel: Gebauer behauptete, die Akkusativformen „hada“ und „iura“ seien ein Beweis für die Fälschung, denn die synchronistische Form könne nur „had“ und „tur“ sein. Diese Behauptung ist völlig unverständlich, denn solche Akkusative kommen bei den gleichen wie verwandten Begriffen in älteren wie jüngeren HS hundertemal vor, wovon sich jeder sehr bald überzeugen kann, sofern er sich in der altböhmischen Literatur nur ein wenig umsieht usw. usw.; f) die vielfachen Behauptungen, der moderne Fälscher habe zahlreiche Textstellen anderen alten HS wörtlich entnommen, daher die Dichtungen eine Art Centonen seien, d. h. aus einem schon vorhandenen Texte wurden zusammenhanglos Verse genommen und zu einem Gedichte anderen Inhaltes mechanisch zusammengesetzt, haben sich als eine vorsätzliche Irreführung herausgestellt, die wohl nur den Zweck hatte das Vertrauen zur KH weiter zu lockern, ln dieser Einwendung steckt aber schon organisch die Widerlegung, denn wie kommt denn die HS zu Tausenden grammatischer Fehler,wenn der Text ohnehin altersechten Schriften entnommen war?! Es sei aber hier an einem Beispiele gezeigt, wie unehrlich die Gegner auch dabei vorgingen. Da wurden zerstreute Textstellen mitunter so zusammengebracht, dass es den Anschein hatte, als wären sie im Originale zusammenhängend. So wurden z. B. im „Kampfspiel“ der KH die Verse 74, 124 und 61 (in dieser Reihenfolge) aneinandergekoppelt, und dann hingewiesen (siehe „Athenäum", 1886, S. 271), dass die „Chronik von Stillfrid" auch die gleichlautende Stelle habe, daher der Fälscher letztere benützt haben müsse usw., wobei die Gegner wohl voraussetzten, dass sich weiter niemand finden werde, der die „Festlegungen“ so vieler Universitätsprofessoren anzuzweifeln oder gar nachzuprüfen wagen würde. Dass hier sonach bewusste Irreführungen, planmässige Schwindeleien und wohlberechnete Verleumdungen vorliegen, wurde schon in der Darlegung der Machinationen Gebauers, Feifaliks und Zeidlers für jedermann überzeugend nachgewiesen. Über die weiteren geheimen Motive, weshalb man so viel Anstrengungen machte, um die KH als Falsum zu stigmatisieren, und wieso es überhaupt möglich war, je Leute für diese literarische Totengräberarbeit schliesslich sogar im böhmischen Volke zu finden, darüber herrscht heute auch kein undurchdringliches Geheimnis mehr, doch wird darüber gleichfalls erst deutlicher gesprochen werden, bis alle die Hauptakteure der stille Rasen decken wird, sofern sie es nicht für richtiger finden, noch bei Lebzeiten eine Generalbeichte abzulegen. Damit daher ja niemand weiter im Zweifel bleibe, wie es mit der reinen Wahrheit um die KH stehe, sei hier das Schlussurteil noch kurz und rücksichtslos zusammengefasst: die KH selbst ist echt, also keine Fälschung; falsch und gefälscht waren lediglich die Beweise für die Verdächtigung derselben als Fälschung. — Hiemit erscheint ein nahezu hundertjähriger, in der Völkergeschichte einzig dastehender Streitfall für alle jene beendet, denen die Wahrheit über alles geht. Alles weitere ist nun Sache der böhmischen Nation, d. h. die Frage, ob sie noch genug mutige und patriotische Männer besitzt, welche imstande sind eine schon tiefgehende wissenschaftliche Kor- ruption endlich zu entwurzeln, sowie den durch unlautere Vorspiegelungen dem böhmischen Volke zugefügten Makel, als hätten sich die Böhmen im Wege der Fälschungen je eine alte Literatur beschaffen wollen, bald gründlich und schonungslos zu löschen. Es sei zum Schlüsse in stiller Resignation über das Geschehene und nicht mehr voll Gutzumachende das angeführt, was der Verfasser selbst der deutschen Ausgabe der KH (Kremsier, 1912) voranstellte: „Es gab seinerzeit in Prag eine wissenschaftliche Koterie, die sich im Wegfegen altslavischer Kulturdokumente geradezu überbot und sie alle dem Schlummer ewiger Vergessenheit überantwortet wissen wollte. Die böse Absicht ist ihr aber nur zum Teile gelungen. Sie hat es erreicht, dass nahezu vergessen ist jene schöne Zeit, als der Bildhauer kraftstrotzende Zäboj-Statuen meisselte; nur mehr mit Misstrauen werden seither die farbenprächtigen Gemälde betrachtet, welche traute Szenen aus jenem poetischen Blütenkranze darstellen; längst verstummt sind jene klangvollen Melodien, die der Meister der Töne einem solchen taufrischen Volksliede unterlegte; nicht mehr wagt es der Professor laut jener heimischen Heroenzeit zu gedenken, indes die fernen Heldensagen der Griechen, Römer und Germanen zum obligaten Schulthema geworden sind; die Führer des Volkes, sie haben die Verbindung mit jener Volksseele verworfen, in welcher noch das organische Gefühl einstiger Grösse heimlich weiterpulsiert; die ergrauten Erben der heimischen Geschichte, welche die Achtung der uralten Väterzeit pflegen und verteidigen sollen, sie rühren sich nicht mehr, weil man sie verlacht, verfolgt, vernichtet! Doch jenerheuchlerischverdächtigte und zynisch bespöttelte poetische Hausschatz ist heute wieder ehrlich gemacht und dem böhmischen Volke hoffentlich für alle Zeiten unbestritten wiedergegeben. Kehret daher nun wieder zurück ihr Künstler mit dem Meissei, der Palette und der Fiedel und setzet begeistert eure irrtümlich unterbrochene Arbeit fort; zeiget wieder ihr Lehrer des Volkes vor aller Welt in Wort und Schrift, dass der Dichtkunst Zauberwalten unserer Ahnen jenen klassischen Zeugen in keiner Weise an Geist und Kraft nachsteht; kehret wieder ihr seligen Führer des Volkes, die ihr so richtig wusstet und fühltet, dass der wunderbarste Talisman dauernder Volksgunst nur die Hochachtung der Traditionen sein kann; klärt ihr patriotischen Männer mutig weiter unsere grosse Vergangenheit auf; streuet neuen Samen der Vaterlandsliebe, der Wertschätzung der hei- mailichen Scholle und der edlen Begeisterung für alles angestammte Hohe und Schöne; der Märtyrertod für die Wahrheit ist — Leben!“ —6) * Schlussbemerkung, — Die Tafel III zeigt die dem XII,—XIII. Jahrhunderte angehörende HS, welche das sogenannte »Minnelied« (»Milostnä pisen«) enthält; die Tafel IV zeigt das auf der zweiten Blattseite enthaltene, als »Hirsch« (»Jelen«) bekannte Gedicht. Auf beiden Tafeln ist links der heute sichtbare Text wiedergegeben; auf der rechten Seite ist derselbe Text unter der Annahme, dass sich unterhalb ein Palimpsest befindet, dargestellt, was jedoch hier nicht zutrifft. Damit aber der diesbezüglich nicht informierte Leser einen Einblick gewinne, in welcher Weise die Photochemie ein Palimpsest zur ^Darstellung bringt, wurde auf der Tafel V das Palimpsest der 4. Seite der Grünberger HS behufs Entgegenhaltung beigegeben. Die hier schwarz hervortretenden Stellen gehören einer älteren, nicht genügend radierten Schrift an, die jedoch auf den Tafeln III und IV vollkommen fehlen, aber unbedingt hätten auftreten müssen, wenn sie je da gewesen wären, umsomehr als man ja die gelöschte Schrift bis zu einer gewissen Grenze schon meist mit unbewaffnetem Auge feststellen kann. Als Kuriosität sei schon hier erwähnt, dass auf der Tafel V (am Schlüsse der 3. Zeile von unten) nun auch jene Stelle deutlich sichtbar ist, die man als das Kryptogramm Hankas »V, Hanka fecit« gelesen haben wollte. Die Palimpsestphotographie hat jedoch diesen »sensationellsten« Beweis für die Fälschung der Grünberger HS nun optisch, technisch wie paläographisch als einen äusserst plumpen und unvorsichtig konzipierten Humbug der »realistischen« Wissenschaft aufgedeckt.7) Dr. D. Velic: Die diplomatische Sprache Alt-Albaniens. Albanien bildete in der historischen Zeit stets eine Art Zusam-menstosspunkt verschiedener Völker und Religionsbekenntnisse. Die ältesten bekannten Bewohner waren wohl die Illyrer, die zweifellos 6) Der Schlußsatz gilt namentlich dem Andenken des Prof. Dr. Pic, dessen wissenschaftlich so erfolgreiches Leben hauptsächlich infolge einer besonders verletzenden Kritik seitens eines Prager Universitätsprofessors so tragisch endete. 7) Wegen Raummangel kann gegen die gleichzeitige Verdächtigung der Grünberger HS durch Prof. Friedrich erst im 3. Hefte in analoger Weise vorgegangen werden. zu den Slaven einzureihen sind, nachdem von ihnen wohl auch die topischen Namen in Albanien, die fast ausschliesslich slavisches Gepräge tragen, herzurühren scheinen. Doch alle Umwohner und Handelsinteressenten, mögen diese nun Römer, Griechen, Serben, Bulgaren, Osmanen, Italiener, Venetianer u. dgl. geheissen haben, schufen hier, wo die Nachbarsprachen von allen Seiten zu einem verworrenen Idiom zusammenflossen, und wo der sprachliche Einfluss immer zugleich durch die politischen Fluktuationen beeinflusst war, eine Art neutrales, oder besser gesagt sprachlich vogelfreies Gebiet. Diese Einflüsse zeitigten daher eine äusserst labile Sprache, die sich aus slavischen, griechischen und romanischen Sprachsplittern zu einem bunten Mosaikbilde zusammensetzte, und wobei jene Farbe vorherrschte, welche Sprache fallweise politisch oben stand. Da aber die sprachliche Interessensphäre fortgesetzt wechselte, konnte sich hiebei weder dieser noch jener Dialekt zu einer prävalie*-renden Verkehrssprache herauskristallisieren, was das Schlussresultat zeitigte, dass sich schon die Bevölkerung zweier mässig entfernter Gebiete bereits schwer verstand, sich daher auch nicht als zusammengehörig fühlte. Es ist auch bekannt, dass sich im dahre 1913 auf dem Albanesenkongresse diese minimale Volksgruppe untereinander gar nicht oder nur schwer verständigen konnte, weil die lokalen Dialekte zu stark variieren. — Etwas Ähnliches besitzen wir in der friaulischen Sprache, wo sich die slovenische und italienische Sprache gegeneinander aufbäumen, und wo es schliesslich, da keine Sprache Konzessionen machen wollte, zu einem inferioren Idiom kam, das über die lokalen Verhältnisse hinaus auch für niemanden ein tieferes Interesse hat. — So kam es, dass die Urkunden — oder die diplomatische Sprache im alten Albanien, namentlich im Mittelalter, als es ja eine al-banesische Sprache de jure gar nicht gab, ständig zwischen lateinisch, slavisch und griechisch wechselte. Dass die slavische Sprache dabei eine relative Majorität aufweist, erklärt sich daraus, dass namentlich der Einfluss der Serben auf Albanien stets am intensivsten war, wobei auch das Religionsband fördernd wirkte. In dieser Hinsicht ist besonders die Zeit der in Albanien angesehenen und führenden Familie der Kastriota erwähnenswert, deren Macht sich aus kleinen Anfängen zu einer grossen Bedeutung herausbildete. Der erste bekannte „Kastriot“ (etymologisch = Verteidiger einer Burg, also: Bürger) war der Serbe Paul, der im Jahre 1368 als Kastellan der Burg K a n i n a (nächst Valona) fungierte. Sein Sohn Ivan (1407— 1437) verfügte bereits über 2000 Reiter, von dem eine Relation sagt, dass er „ein genug mächtiger Herr auf albanesischem Gebiete“ war (dominus satis polens in partibus Albanie“). Diese albanischen Dynasten waren überdies durch Heiraten mehrfach verwandt mit den letzten serbischen Fürsten der Nemanja und Brankovič. — Ivan hatte vier Söhne, von denen Georg, bekannt als „Skander beg“ (d. i. „Beg Alexander“) die bedeutendste Rolle spielte. Seine Mutter hiess Vojsava. Es ist bekannt, dass die Kanzler aller albanischen Fürsten nur serbisch schrieben. Wie rein slavisch diese Kanzleien waren, ersieht man aus einer Meldung der Ragusaner im Dahre 1434 an den Kaiser Sigismund, dass Andreas Topia, ein anderer albanesischer Fürst, nur „sclavonos cancellarios et scientes sclavicam linguam et lit-teram“ besitze, sich daher bei Empfang lateinischer Briefe erst an eine „lateinische Kanzlei“ an der Küste wenden müsse, wodurch jedoch die Geheimnisse nicht gewahrt werden können; deshalb solle ihm der Kaiser künftig ausschliesslich slavisch schreiben. Als Beispiel, wie eine Urkunde aus jener Zeit aussah, wird nachstehend eine solche des „Skander beg“ aus dem Dahre 1459 ersichtlich gemacht. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv (Wien) besitzt mehrere vom genannten Albanerfürsten herrührende Urkunden, die alle in serbischer Sprache verfasst eind; ob und wo sich eventuell noch weitere befinden, ist dermalen nicht verlässlich bekannt. Wortlaut jener Urkunde, worin Skander beg den Ragusanern den Empfang von 500 Dukaten bestätigt, in lateinischer Transkription: ,,-j- V ime oca i sina i ducha svetoga amin. Mi gospodin Gjurg Kastriot, rečeni Skender beg, dajemo na videnije vsakomu, komu se dostoit i pred koga se izneset ovi naš list otvoreni a pod pečatim prstena mojega znamenova(na)go megju nami s komunom dubrovčcim za ovoizi posl postave naše, što postavich u komun dubrovčki naš četnik Rajan i gospodin Paval Gazul a po našei zapovedi, jere pri-mich od mnoho počtenoga kneza i vlastel i vse opkine vlastel dub-tovičkich a po našem dijaku Nincu Vukasolik/u a s našim listom verovanim . e . st. dukat zlatich. a za vekje verovanje ja dijak Nine s moom rukom pisach u grad Dubrovnik a po zapovedi gospodina mi Skender bega. a piša na Ijet roždestva christova tisukju i. d. sta i . nth . , na dni . v . aprila.“ Verdeutschung. ,,-f Im Namen des Vaters und des Sohnes und des hl. Geistes Amen. Wir, Herr Georg Kastriot, genannt Skander beg, geben jedermann, den es angeht und vor den dieses unsere offene, mit meinem eigenen Siegelringe beglaubigte Schreiben gelangt, zu wissen, dass zwischen uns und der Gemeinde Dubrovnik für jenen Dienst unserer Person, den unser Vorsteher Rajan und Herr Paul Gazul nach unserem Befehle mit der Gemeinde Dubrovnik vereinbarten, dass ich vom vielehrenwerten Bürgermeister und Edlen, sowie von den Dubrovniker Edlen der ganzen Gemeinde und durch unseren ■>-* „t-ymnl** ¿„»OMI /^.7 7 „ t- i %l ir^Y-Ai Jr«4 in H n | f* V« j im r- Al . , V , fp t — Mt O ‘ t\** f* ff-Mi i r-i-im"’"’¿J ft"'! ßctutony < ^ j,n]u Faksimile einer Urkunde »Skander begs« aus dem Jahre 1459. Sekretär Ninc Vukasulic mit unserem beglaubigten Schreiben 500 Golddukaten erhielt. Behufs nachdrücklicherer Bestätigung habe ich, Sekretär Ninc, mit meiner Hand an die Stadt Dubrovnik geschrieben und nach dem Befehle meines Herrn Skander beg. Ich habe dies geschrieben im Dahre 1^59 n. Chr. G. am 2. April.*) Das Siegel Skander begs bildet ein Gemmenring, auf dem eine Vila (Nymphe), als Beschützerin südslavischer Helden, dargestellt ist. *) Die früher allgemein übliche Bewertung der Buchstaben für Zahlen ist in slavischer Hinsicht namentlich in Prof. Dr. W. Vondräks »Altkirchenslavische Altslavische Schriftproben. VI, Der Krönungsbeutel des Königs Stephan I, Das Kapuzinerkloster in Wien besitzt ein gesticktes Täschchen (Bursa), das einen Bestandteil der Krönungsinsignien des Königs Stephan I. von Ungarn (997—1088) gebildet haben soll, was auch richtig sein dürfte, denn in der Bulle des Papstes Urban VII. (1378 —1389) ist zu lesen, dass Kaiser Mathias und Kaiserin Anna schon während ihrer Lebenszeit unter anderen auch diese Reliquie dem genannten Kloster zur Aufbewahrung übergeben haben. Diesen goldgestickten Beutel soll der hl. Stephan, stets mit Silber münzen vollgefüllt, bei sich getragen haben, um den Armen, wo immer er sie fand, ein Almosen reichen zu können. In kulturgeschichtlicher Hinsicht ist diese Reliquie namentlich deshalb von hohem Interesse, weil sie altslovenische Schriftstickereien in cyrillischer Schrift trägt, und damit beweist, dass die alten Schriftsteller, welche, wie z. B. Gebhardi »Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten« (Halle, 1790) erzählen, dass der erste ungarische Monarch seinen neuen Staat nach slavischen Mustern geformt hatte, hiezu volle Berechtigung haben. Die eine Seite des Beutels enthält die Figur des Heilandes, dann etliche Heilige und Engel mit einigen, schon schlecht leserlichen Buchstaben oder abgekürzten Inschriften. Wichtiger ist jedoch die zweite Seite, weil deren Schrift hier nicht nur deutlicher ist, sondern auch den Hauptteil der Stickerei ausmacht. Wie die beigegebene Fig. 7 zeigt, befindet sich in den 5 kreuzförmig angebrachten Medaillons die Schrift: »budi gn (gospodin) milost(i) tvoje na nas ninje i v vjeki«, d. i. »walte, o Herr, deine Gnade über uns jetzt und in Ewigkeit«. Die zweizeilige Inschrift am unteren Rande sagt: »Be (Be = Bože) uščedri ny i blagoslovi ni i / prosvjeti lice svoje na ni i omiluj(ni)«, d. h. »Gott beschütze uns und segne uns und lasse dein Angesicht leuchten auf uns und erbarme dich (unser)«. — Das letzte Wort ist der Naht wegen nicht mehr voll leserlich. Ist nun dieser Beutel für den hl. Stephan selbst erzeugt worden, so stammt demnach auch die Schrift aus dem X. Jahrhunderte; ist er älter, so ist auch die Schrift älter, da paläographisch gegen diese Annahme auch nichts einzuwenden ist. — Für jeden Fall sehen wir aber daraus, dass die Magyaren für die slavische Sprache einst eine Grammatik« (Berlin, 1900) übersichtlich dargestellt. — Schriftliche Abmachungen pflegte man früher nicht durch die Unterschrift sondern durch das Siegel zu bekräftigen. Uebrigens wissen wir, wie es mit den ältesten Belegen und Denkmälern der magyarischen Sprache bestellt ist. M. v. Czerlien schreibt diesbezüglich (»Auf slavischen Spuren«, Zagreb, 1914, S, 121): »Als ältestes Denkmal der magyarischen Sprache gilt ein Fragment einer ungarischen Bibel aus dem XIV, Jahrhunderte mit vielen slavischen, lateinischen, deutschen Worten gemengt, soweit es sich um moralische, wissenschaftliche und metaphy- weit höhere Achtung hatten, wie heute, sowie dass die nationale Färbung ihrer ältesten Geschichte keiner seriösen Nachprüfung standhält. Fig, 7. sische Ideen handelt, für welche die magyarische Sprache keine Ausdrücke hatte; dieses Fragment befindet sich in der Wiener Hofbibliothek. Nach Silvestre soll im Pester National-Museum noch eine ungar. Schrift aus dem XII, Jahrhunderte auf bewahrt sein, das sog. »Sermo super Sepulchru m«, welches unter anderem auch folgende Ausdrücke aufweist: »milostben, ise mucut, aclamat, vola, neke, meret, holz, isten, urdung, intervinec, uola, vola, ember, uromc, a.rchanyel, ovdoma, El zoboducha«. Silvestre sagt weiter: Eine magyarische Literatur datiert seit Franz I. (1745—1765), der erst die Anwendung des Magyarischen in der Verwaltung und in der Schule — ausgenommen Theologie und Medizin — gestattete.« Ueberdies ist es höchst unglaubwürdig, dass diese Kroninsignie je als Geldbeutel diente, denn die Dimensionen —- 50 cm breit und 52 cm tief — schliessen es nahezu aus, dass jemand einen solchen, noch dazu mit Münzen vollgefüllt, getragen haben konnte. — Weit eher war dies — nebst der Metallkrone — eine zweite Paradekopfbedeckung, denn der Umfang, welcher noch durch eine spätere Naht sichtlich verringert wurde, entspricht viel eher einer Kopfweite; ausserdem ist die Schrift der angebrachten Segenssprüche so gestellt, dass man sie nur bei aufgesetzter Mütze lesen kann; beim Beutel erscheint sie aber verkehrt. Desgleichen wird einen Beutel kaum jemand auf der Leibseite' mit Heiligenbildern und Widmungsschriften besticken, da sie nicht nur niemand sieht, sondern sie gehen durch das Wetzen selbst sehr bald zugrunde, M, Zunkovic, VII, VII, Das altslavische Muttergottesbild in Donauwörth. In der »Geschichte des Klosters zum Hl. Kreuz in Donauwörth« (Bayern), verfasst von Cölestin Königsdorfer, dem letzten Klosterabte (1829), findet sich die Beschreibung eines Muttergottesbildes, welches nicht nur auf die hohe Stufe altslavischer Kunst und Schriftkunde ein helles Licht wirft, sondern auch zeigt, wie weit zerstreut Zeugnisse dieser Art zu finden sind, sowie dass wir die Kenntnis von solchen überhaupt nur in den seltensten Fällen und lediglich dann erhalten, wenn der Zufall eine günstige Konjunktur herbeiführt. Die Geschicke dieses Bildes (siehe Fig. 8) sind ganz eigenartig, — In den Turm der Klosterkirche schlug der Blitz ungewöhnlich oft ein. Man schrieb die Schuld der besonderen Höhe des Turmes zu, welche die Elektrizität der Gewitterwolken allein auf sich ziehe, und das Mittel, die zerstörende Wirkung des Blitzschlages durch eine Blitzableitung zu paralisieren, war damals noch nicht bekannt, obschon die Israeliten wie Aegypter bereits Blitzschutzanlagen kann- ten. Im Jahre 1730 wurde daher beschlossen, die Turmmauern etwas abzutragen. Bei dieser Arbeit kamen die Maurer auf einen hohl tönenden Raum und riefen in der Ungewissheit, ob sie da die Demolierung noch fortsetzen sollen, den Pfarrer herbei. In dessen Anwesenheit wurde nun die Mauer behutsam weiter abgetragen, wobei man zuerst auf eine Steinplatte stiess. Als auch letztere vorsichtig entfernt wurde, fand man hinter dieser ein herrliches Muttergottesbild auf rotem Sammte, dessen Konturen und Randschrift mit Seide ausgenäht waren. Obschon nun das Bild gewiss durch lange Zeit Fig. 8. (190—200 Jahre) hier versteckt war, war dasselbe doch noch nicht zu sehr zerfallen, so dass es wieder dem Originale gleich restauriert werden konnte, und befindet es sich seither wieder im Hauptaltare. Im Volksglauben bildete sich posthum die Ansicht, der Blitz habe deshalb so oft eingeschlagen, weil das wunderbare Bild nicht auf dem würdigen Platze untergebracht war, denn seither soll der Blitz in den Turm nicht mehr eingeschlagen haben. Der wissenschaftlich wertvollste Teil des Bildes ruht aber in der schön ausgenähten, nach Arabeskenart arrangierten Umschrift, die lange als unleserlich angesehen wurde; erst i. J. 1825 wurde sie durch den Slovenen Barth. Kopitar entziffert. Der in cyrillischer Schrift dargestellte Text, der vcn oben zum rechten Rande läuft, dann auf die linke Seite überspringt und am unteren Rande endet, ist altslavisch und lautet: »O tebje radujetsja obradovannaja vsjakaja tvar angelski sobor i člve / čski rod osvjaštennaja cerkv raju slovesni i djevstvennaja pochvalo iz nejaže bogvo / plotisja i mladenec bist preže ve(k) si(n) Bog na(š) ložesna bo tvoja prestol sotvori tvoježe črevo prostrannjeje / nebes sodjelavše o tebje radujetsja obradovannaja vsjakaja tvar slava tebje«. — Uebersetzung: »Ueber dich freut sich getröstet jegliches Wesen, der Engelchor, wie das Menschengeschlecht, die geheiligte Kirche, angesehen wie das Paradies, und das verwirklichte Wort, aus dem sich Gott verkörperte und zum Jüngling geworden ist; denn vor Zeiten hat sich der Sohn in deinem Schosse den Thron errichtet. Deine Empfängnis hat das Leben schöner als den Himmel gemacht, Ueber dich freut sich getröstet ein jegliches Wesen. Ehre dir!« — Das Alter dieses Bildes ist schwer zu begrenzen, denn es kann schon die Kopie einer älteren Vorlage sein. Da aber die Schrift jener ähnlich ist, wie sie auf den ungarischen Kroninsignien des hl. Stephan vorkommt, die aus dem X. Jahrhunderte stammt, ist es nahezu sicher, dass wenigstens die Vorlage noch als weit älter anzusehen ist. — Dass das Bild in Donauwörth verehrt wurde, ist nichts Verwunderliches, nachdem Bayern doch noch zu Beginn des Mittelalters von Slaven bewohnt war, was ja noch die Raffelstettner Zollordnung (903—906) untrüglich bestätigt. — Weshalb das Bild im Turme so vorsichtig vermauert wurde, darüber haben wir wohl keine Belege, aber die Annahme Königs-dorfers, dass es vom letzten katholischen Pfarrer, P. S. Mauser, auf diese Art erhalten wurde, als derselbe i. J. 1543 die Kirche dem protestantischen Prediger übergeben musste, klingt sehr glaubwürdig. Weshalb er es beim Abgehen nicht selbst mitnahm, dürfte seine be-sondern Gründe gehabt haben, denn entweder wollte er das Gnadenbild durch die Verwahrung in der eigenen Wohnung nicht profanieren, oder er fürchtete, dass ihm das Bild abgenommen und ver-unehrt werden könnte. Möglicherweise hoffte er auch, dass der Ansturm des Protestantismus bald vorübergehen und er selbst wieder auf seinen alten Posten rückkehren werde. — J. Sloväk, (Fortsetzung folgt.) Sammelstelle für altslavisches Sprachgut. »Babylon«. In Lappland befinden sich zahlreiche, künstlich äuf-getürmte Steinlager, deren Ursprung und Bedeutung niemand kennt. Der Akademiker v. Bär hielt sie für eine Art von Labyrinthen. Ihr Alter ist sehr hoch, da sie schon mit langsam wachsenden Flechten völlig überzogen sind. Die Lappländer haben eine besondere Ehrfurcht vor diesen und nennen sie allgemein »Babylom, Babylon«. — Alle diese Zweifel und Rätsel behebt aber der Name selbst, denn »Babylon«, richtig »Babylom« besagt im Slavischen etwa Grenze, Grenzpunkt, Grenzzeichen, Die »Baba«-Steine sind in Süd-Russland sehr häufig als Grenzsteine zu finden; ansonsten heissen solche auch: »bavun, vabja, babjak«. — »Lom« ist das slavi-sche Wurzelwort für: Trennung, Grenze, Kampfplatz. »Babylon« bedeutet daher ungefähr: Schutzpunkt, Wachpunkt an der Grenze, und kommt auch in ausgesprochen slavischen Ländern nicht unhäufig, aber immer an Grenzzonen vor. — C. »Glagol«, — Bedeutete ursprünglich: Laut, Stimme, aber schon in der Handschrift des hl. Hieronymus (»Glagolita Clozianus«) hat es die progressive Bedeutung: reden, sprechen, d, h. Laut an Laut fügen. »Glagolica« ist demnach gleichbedeutend mit: Lautschrift, welcher Begriff sich vielleicht im Gegensätze zur Bilderschrift bildete. Der sprachlich richtigste Ausdruck für das »buchstabieren« ist daher im Slavischen »glagoliti«, umsomehr als die sla-vische Buchstabenfolge nicht mit dem »Alphabete« oder dem »ABC« übereinfällt. — Böhm, »hlahol« = S c h a 11, T o n. 2, (Fortsetzung folgt.) Wissenschaftliches Allerlei. Welche Begriffe gehören in ein Wörterbuch? Ganz sine ira et studio mögen hier einige Bemerkungen über die Grenzen der Wortwahl bei Anlage eines grösseren Wörterbuches folgen, wobei im besonderen das slovenisch-deutsche W orte r b u c h von Pletersnik näher betrachtet werden soll. Das genannte Werk erschien i. J. 1895, nachdem viele Jahrzehnte zuvor hiezu das Material fleissig gesammelt wurde. Wie nun dieser Wortschatz zu verwerten sei, gab der bedeutendste Sammler O. Caf (f 1873) sehr richtig an, indem er schrieb; der Zweck dieses Wörterbuches, das vor allem für die Slo-venen geschrieben wird, ist, alle slovenischen W ortschätze aus den Büchern von der ältesten bis zur neuesten Zeit und aus allen slovenischen EckenundEndenzusammenzutragen, damit dieses Wörterbuch zu einem Depot für den gesamten slovenischen Sprachschatz werde; der einzelne Schriftsteller wird dann zu entscheiden haben, was er hievon für sein Fach wählen und verwerten kan n«, — Diese einzig vor Abwegen schützende Richtschnur wurde jedoch später nicht eingehalten, was sich bereits zu rächen beginnt, denn der Lexikograph kann nicht so universell sein, um in jedem Falle zu bestimmen, ob dieser oder jener Begriff ein echtes Volksgut ist oder nicht, denn die Volkssprache ist die massgebende für den Sprachforscher und Lexikographen, nicht aber die sprachliche Schulkünstelei, Im Vorworte zum erwähnten Wörterbuche steht aber sogar ausdrücklich der Vermerk, dass die Redaktion darüber zu entscheiden hatte, was aufzunehmen und was auszuscheiden sei. Dass aber ein solches Worfeln eine äusserst gewagte Arbeit ist, wird wohl niemand bezweifeln, denn der subjektive Geschmack kann bei einer solchen Sortierung sehr schwere Fehler begehen, unter denen dann die Allgemeinheit zu leiden hat, und beging sie in diesem Falle auch in ausgiebigster Weise, Man wird daher einmal alles auf diese einseitige Art Ausgemärzte wieder hervorholen müssen, denn die Annahme, dass fast jedes Wort, das auch der Grieche, Römer, Italiener, Franzose, Deutsche, Magyare, Osmane u, a. besitzt, nur von diesem stammen kann, ist ein schwerer Aberglaube, umsomehr als es genau so auch umgekehrt sein kann, Ueberdies vergass man dabei gänzlich zu beachten, dass es ursprachliche Begriffe gibt, die allen oder doch mehreren Sprachen von jeher gemeinsam angehören. Wir wollen zum Beweise nachstehend nur einige Beispiele anführen. In erster Linie hat die Redaktion viele Begriffe des grossen zusammengetragenen Sprachschatzes deshalb ausgeschieden, weil man sie nicht als eigenes Sprachgut ansah; so ist z. B. das reinslovenische und nur hier gebräuchliche Wort »zenkovati« (siehe »Staroslovan« S. 67) wohl nur deshalb nicht aufgenommen worden, weil man es voreingenommen für den Germanismus »senkovati« angesehen haben mag, — Ebenso auffallend ist es, dass z. B, die Begriffe »puta« (= Butte) und »putar« (= Buttenträger) im Wörterbuche fehlen, obschon sie bei allen Slovenen für jenes Holzgefäss gebraucht werden, in welchem bei der Weinlese die Trauben oder der Most getragen werden. Die Redaktion schreckte jedenfalls vor der Aufnahme in dem Wahne ab, es sei dies ein ausgesprochener Germanismus. Aber bei den Griechen hiess die grosse Urne für die Aufbewahrung des Weines doch auch »butis, buttis« oder »butinon«; im Deutschen kennt man »Butte« und »Bottich«; im Französischen »la botte« (= das Gebinde), »la potée« (= Topf, Tongefäss), »la bouteille« (= die Flasche), »la botte« (= der Stiefel) u, s. w.; welcher dieser Begriffe, die alle sichtbar die Grundbedeutung der Umschliessung tragen, ist nun der ursprüngliche? — Der Etymologe muss nun beim Nachschlagen des grössten slovenisch-deutschen Wörterbuches daraus folgern, dass eine Wurzel mit dieser Bedeutung der slovenischen Sprache fremd ist; und zu einem solchen Trugschlüsse wurde der Forscher lediglich durch die übel angebrachte Engherzigkeit des Lexikographen verführt. Vom wissenschaftlichen Standpunkte muss auch der Umstand auf das Entschiedenste missbilligt werden, dass viele Begriffe indezenter Richtung von der Aufnahme ausgeschieden, und, wie es in der Vorrede weiter heisst, die bezüglichen Aufzeichnungen überdies vernichtet wurden. Es war dies wohl naheliegend, weil die Sammelarbeit zum grossen Teile die Geistlichkeit besorgte und dann noch von Theologen sortiert wurde. Eine solche Feinfühligkeit ist jedoch in diesem Falle nicht am Platze, denn der Lexikograph hat lediglich die sprachliche Materie zu verwerten, ohne dabei in eine moralisierende Philosophie zu verfallen, denn, dass jemand durch ein Wörterbuch auch schon verdorben werden könnte, wird doch niemand glauben. So wurde z. B. der Begriff »ccta« {= Fetzen) aufgenommen; dass es auch ein moralisch verwahrlostes Weib bedeuten kann, wurde verschwiegen, hingegen beigefügt: »aus dem Deutschen« (entnommen). Die Deutschen bezeichnen allerdings mit »Zotte« eine obszöne Äusserung. Doch auch die Griechen legten der Aphrodite den Beinamen »Kotys« bei (unser »c« wird im Griechischen meist zu »k«), u. zw, dann, wenn sie hiemit das Dirnentum niedrigster Art kennzeichnen wollten. Wer will nun beweisen, dass das slovenische Wort »cota« tatsächlich vom deutschen »Zotte« stammt? — Woher hatten es die Deutschen, wenn es auch schon die alten Griechen hatten? — Von den Griechen unmöglich, da sie mit diesen niemals benachbart waren, sonach doch eher von den Slaven, wenn es diese wieder etwa von den Griechen hatten; oder übernahmen es die Griechen von den Slaven oder gar von den Deutschen? — Keine der Permutationen besagt uns etwas Positives, aber die primär gewiss nur konkrete Bedeutung ist dem Slaven bis heute geblieben, dem Deutschen ist es schon ein abstrakter, dem Griechen sogar schon ein mythologisierter Begriff, daher die Annahme am ehesten berechtigt ist, dass der Begriff dort seine Heimat hat, wo er am realistischesten bewertet erscheint. Die Lexikographen der Zukunft werden daher über die Genesis der Sprachbildung und Sprachentwicklung weit grosszügiger denken müssen, denn ein Lexikon ist eben ein Universalmagazin aller einer Sprache angehörenden Begriffe ohne Rücksicht auf ihre Herkunft, Bedeutung oder beschränkte Gebrauchsfähigkeit; diese Rücksichten mag derjenige zur Schau tragen, der die Begriffe fallweise anwendet, niemals aber der Lexikograph. M. Z, Ueber Grenzbegehungen. J. E. Chadt schreibt im Artikel: »Die Grenzzeichen in den böhmischen Ländern« (»Staroslovan«, 1913, S. 265—270), wonach daselbst jährlich öffentliche oder offizielle Grenzbegehungen vorgenommen wurden, um festzustellen, ob während des Jahres nicht welche Grenzzeichen versetzt oder entfernt wurden. In dem Werke »Hospodarstvi polne« (»Feldwirtschaft«, Prag, 1703) wird derselbe Vorgang analog geschildert und zum Schlüsse noch beigefügt, dass »jährlich nach der genauen Besichtigung der Grenzen auch im Grundbuche (Landtafel) zugefügt werden muss, ob alle Grenzzeichen intakt gefunden wurden, oder ob irgendwo eine Unkorrektheit angetroffen und wie diese wieder beseitigt wurde.« Ein altes, i. J. 1307 kodifiziertes, aber ansonst schon viel älteres Gesetz der alten Preussen (Wenden) sagt im § 24 auch schon ausdrücklich : »A Ile Jahr sollen die Schulzen mit ihren Ratsherrn die Grenzen bereiten, und werden diese unerkenntlich gefunden, so müssen sie erneuert werden bei der Strafe der Bezahlung alles Schadens, der sich daraus ergeben könnte«. Dr. R. B. Einige Glossen zur Karte: Beilage II, Dem mit den sprachlich-nationalen Verhältnissen in Untersteiermark nicht vertrauten Leser wird es befremden, wie in einem reinslovenischen Gebiete die Ortsnamen so entsetzlich entstellt in die Militärkarten aufgenommen werden können; die Sache heischt daher dringend eine Aufklärung. — Das militärgeographische Institut trägt daran keine direkte Schuld, denn es erhält die offizielle Namensform von den politischen Behörden. Ist nun bei letzteren irgendein Mann, der gar nicht die lokale Sprache beherrscht, was leider vielfach der Fall ist, in dieser Hinsicht massgebend, so werden selbstredend die gebräuchlichen slovenischen Ortsnamen nach Möglichkeit entstellt, als »offiziell« verzeichnet; und eine solche »Autorität« muss nun bei der Kartenerzeugung ernst genommen werden! — Es gäbe da allerdings Gegenmittel, wenn sich vor allem die Vertreter der Gemeinden endlich gegen diese Barberei stellen würden, und sich auch die oberste Militärbehörde solche irreführende Ulke verbieten würde, denn die Militärkarten haben einen wichtigeren Zweck, als eine Ablagerungsstätte von Etymologien beschränkter politischer Beamten zu sein. Truppen- und Generalstabsoffiziere wissen da manche Episode zu erzählen, die durch solche Willkürlichkeiten schon im Frieden zu grossen, mitunter recht unangenehmen Folgen führte; der Feldzug 1866 in Böhmen hat auch schon so manchen bedenklichen Fingerzeig hiezu gegeben; und ist es gänzlich ausgeschlossen, dass wir unsere Militärkarten im Ernstfälle nicht mehr benötigen werden? — Für solche gefährliche Witze ist dies jedenfalls das unrichtigste Feld, abgesehen davon, dass damit die slavischen Nationen dauernder gereizt werden, als durch jede sonstige rasch vorübergehende Zurück-1 Setzung. Die Ortsnamen sind ein nationales, sprach-geschichtliches Erbe, daher das empfindlichste »Rührmichnichtan!« — So sagt z, B. weder der Slovene noch der Deutsche »Wotsche«; das »e« wurde erst in einer politischen Kanzlei zugefügt, lediglich um dem Namen ein »germanischeres« Gepräge zu geben. Doch kann eine solche »Berichtigung« nur unter ganz abnormalen Verhältnissen ein Missverständnis herbeiführen. Es gibt aber auch Fälle, in welchen der Orientierteste ratlos dasteht. So befindet sich z. B, am südlichen Rande des Pettauerfeldes in der Generalkarte die Ansiedlung »Jurje-voselo«, in der Spezialkarte steht hingegen an derselben Stelle »Georgendorf« und (eingeklammert) »Jurovec«; die Bevölkerung selbst sagt »Jurjevoselo«, in neuerer Zeit aber meist »Jurovska ves«. Wir haben sonach hier schon vier verschiedene Namen. — Nun befindet sich aber etwa 9 km östlich auch ein »Jurovec«, das vielleicht nur zum Unterschiede vom ersten in der Karte als »Jurov e t z« verzeichnet ist, was jedoch im mündlichen Verkehre nicht zur Geltung kommt. So kam es auch vor etlichen Jahren, dass dieser Namensknäuel ein tragikomisches Nachspiel hatte: gelegentlich der Manöver geriet eine Kolonne in das falsche »Jurovec«, und kam natürlich an diesem Tage nicht mehr zurecht zur »Schlacht«. Der einzig richtige Name ist aber jener in der Generalkarte (»Jurjevoselo«), da dies der historische ist, und schon i. J. 1440 als ;Juriuselle« urkundlich vorkommt; als »Jurovec« wird ausschliesslich nur das östliche Dorf bezeichnet. »Georgendorf« ist aber weder beim Volke, noch im Kataster noch in irgendeiner Urkunde bekannt, ist also nichts weiter als eine neuzeitliche Uebersetzung, da wohl irgendeinem politischen Beamten die späteren, ohnehin schon halb über- setzten Namensformen von »Jurjevoselo« in »Juringeschiezz, Jurein-geschiezz« in den Urkunden jedenfalls noch nicht voll genügten. So lange daher in Oesterreich diesem privaten Unfug in amtlichen Dingen nicht allseits ernstlich entgegengetreten wird, ist an eine unbedingte Verlässlichkeit und Brauchbarkeit unserer Militärkarten nicht zu denken, und mit dem Nachfragen bei der Bevölkerung wird meist die Konfusion nur noch gesteigert, denn wer viel Fuss-i eisen mit der Militärkarte in der Hand unternommen, wird gewiss auch dieselben Erfahrungen in slavischen Gebieten gemacht haben: man wird oft nicht klug, wenn man die Sprache auch gut beherrscht, ob dieser Ort, Berg. Bach u. drgl. richtig so heisst, wie ihn die Karte bezeichnet, oder wie ihn die Bewohner daselbst nennen. Bei Besprechung solcher Differenzen kann man dann oft hören: »der Name ist auf der Karte falsch, und hat diesen erst die Bezirkshauptmannschaft in X. konstruiert«. Alle Ortsnamen lassen sich aber auf einen, d. i. den historischen Namen nahezu ausnahmslos zurückfuhren. Bei Durchführung dieses Prinzipes käme es zu ausserordentlich willkommenen Vereinfachungen in allen Aemtern, denn dann wäre ein Name, der allen entsprechen muss, weil er von altersher sein Recht ersessen hat, die Regel, ein Doppelname eine seltene Ausnahme; heute ist es umgekehrt. — Freilich wissen wir auch den Grund, weshalb diese einladende Vereinfachung nicht platzgreifen darf: weil da die meisten Ortsnamen eine slavische Physiognomie bekämen, und dieses verträgt man — einstweilen — noch nicht; im Gegenteile: es werden noch immer weitere neue Namen amtlich aus der Taufe gehoben, mögen sie noch so unbegründet oder geschmacklos sein.*) Diesem Thema endlich einmal eine objektive Behandlung im Interesse des Verkehres wie der erleichterten Amtierung zu widmen tut dringend not, — aber die kompetenten Organe müssen sich eben auch rühren. — M. Zunkovic. *) Vor kurzem wurde z. B. dem Dorfe »Vcrlicka« (Böhmen) bewilligt, den bisherigen deutsch gekleideten Namen »Worlitschka« in »Adlerdörfel« umzuwandeln. Wären jedoch die »Adlerdörfler« klüger gewesen und hätten sie Wenigstens etymologisch an ihrem Heimatsorte treu gehalten, so führten sie heute den Namen »Kampfdörfler«, denn in »vorlicka« ist nicht »orel« oder »vorel« (= Adler) das Grundwort, sondern »bor«, und hier als Diminutivum »borlic«, d. i. ein kleiner Kampfplatz oder Zufluchtsort. Dieser Name hätte dann wenigstens eine historisch-etymologische Grundlage; der jetzige ist nur ein Beweis für die lokale ortsgeschichtliche Unwissenheit. Kleine Kinder begnügen sich aber bekanntlich auch mit Talmi-Geschenken! Ergänzung zu »Sensationelle Grabfunde in Südrusslan d«. Zu dem Artikel »Sensationelle Grabfunde in Südrussland« (S, 74—78) bietet Herodot (IV, 71) eine sehr wichtige Ergänzung, denn wir erfahren daraus, dass um das Jahr 450 v. Chr. die scythischen Könige tatsächlich so begraben wurden, wie es das »Soloh«-Grab zeigte, und was uns zugleich einigermassen auch über das Alter dieser Gräber orientiert sowie darin bestärkt, dass hier ein Car begraben wurde, weil dieses eben im Lande Gerrhos liegt. Herodot sagt nämlich: »Die (scythischen) Könige werden im Lande Gerrhos begraben. In der Gegend, bis wohin man den Borysthenes hinauffahren kann, graben sie, wenn ihnen der König gestorben, eine grosse viereckige Grube in die Erde«. — Er erzählt nun weiter, dass sie »die Leiche balsamieren, mit Wachs überziehen und dann mit der Leiche zu allen vom Könige beherrschten Völkern herumfahren, bis sie zuletzt bei den Gern anlangen. Hier legen sie die Leiche in das Grab, stecken Lanzen in die Erde, legen Stangen darüber und machen ein Dach aus Weidenzweigen. Im übrigen leerbleibenden Raum aber erwürgen und begraben sie eines seiner Kebsweiber, seinen Mundschenk, seinen Koch, Stallmeister, Leibdiener, seine Pferdeknechte und Pferde, und vor allen anderen die Erstlinge von Tieren, und geben goldene Schalen dazu. Dann werfen sie, wie um die Wette, Erde auf das Grab, und beeifern sich dasselbe so gross als möglich zu machen«. Dass diese Angaben beim »Soloh«-Grabe im grossen, ja sogar bis in einzelne Details stimmen, dieses bedarf keiner weiteren Erwähnung, 0. Cerveny. Reflexe der altsibirischen Kultur. Seit dem Einsetzen der grosszügigen und radikalen Revisionsarbeit des »Staroslovan« auf dem Gebiete des Altslaventums ist kaum ein Jahr verstrichen, und doch liest und erfasst man heute schon so manches alte wissenschaftliche Werk mit einem weit er-höhteren Verständnisse, wie kurz vorher. Wer sich bei seiner Lektüre die neuen Fundamentalsätze des wirklichen menschengeschichtlichen Wissens über die Slaven genau vorhält, dem fallen förmlich die Schuppen von den Augen, das Verständnis für das Einst tritt immer überzeugender hervor, und man sagt sich schliesslich selbst: so ist es, so muss es gewesen sein, denn anders ist alles unnatürlich oder rätselhaft. Wieso es aber möglich war, dass man gerade über die geschichtliche wie kulturelle Vergangenheit der Altslaven so blind, so unwissend, so abergläubisch war und überdies so wegwerfend urteilen konnte, das bleibt ein ständiger Makel der allgemeinen wissenschaftlichen Forschungstätig-keit, wie im besonderen jener der slavischen. Als erste Errungenschaft muss schon die Tatsache hervorgehoben werden, dass man nun bereits mit Voraussetzungen, wie z. B., dass es nie eine Völkerwanderung in bisherigen Sinne gab, beruhigt arbeiten kann, ohne Beschimpfungen unflätigster Art anhören zu müssen. Das Wegräumen solcher Hindernisse war aber das erste Postulat, denn auf sensible und feinfühlende Forscher wirken solche öffentliche Herabsetzungen immer abschreckend oder zurückhaltend, und jeder Terrorismus schädigt die Wissenschaft, da man damit doch immer nur unlautere Tendenzen verfolgt. Die unmittelbare Veranlassung zu diesem Aufsatze gab dem Verfasser der Artikel: »Sensationelle Grabfunde in Südrussland« (S. 74—78), denn die alten Schriftsteller sowie zahlreiche Kulturfunde bestätigen sowohl den Inhalt wie die Bodenständigkeit jener Kultur, die man schon anticipando als importiert wissen und erklären wollte. Wir folgen hier dem Werke N, H. Brehmers »Entdeckungen im Altertume« (Weimar, 1822), welcher bei seiner Beschreibung der uralten Handelsverbindungen zwischen Russland und China sehr beachtenswerte Belege für die einstigen, bisher unbeachteten Kulturverhältnisse bietet. Es ist doch naheliegend, dass der Ueberfluss an kostbarem Pelzwerk, der Kupferreichtum, die ergiebigen Goldbergwerke, das schätzbarste Elfenbein — die Zähne des Walrosses — und so manche andere Naturgeschenke der Eisländer mächtig zum Handel oder zum Umtausche gegen Artikel anderer Art anregten. Es musste sich hier frühzeitig gegen Osten, Süden und Westen ein blühender Handel entwickelt haben, wenn die Geschichtschreiber dessen auch mit keiner Silbe erwähnen. Die siebente tyrische Karte von Asien bietet allerdings einiges Licht über die Handelswege, denn sie zeigt, obschon sie stark beschädigt ist, dass schon einst, in vor-denklicher Zeit, das Flussgebiet des mächtigen Ob-Stromes durch Schiffahrtskanäle mit dem Kaspischen wie Aral-See verbunden gewesen sein muss, Brehmer, der wieder zum Teile das Werk des Grafen Sievers »Nordische Beiträge« benützt, sagt (S. 445/1), dass uns zwar die Bücher keinen Aufschluss über den Zustand und den Handel der ältesten Bewohner Sibiriens geben, aber man kann ihn aus der Erde gewinnen, wenn man auf die dort vorhandenen ältesten Gräber und Bergwerke entsprechende Rücksicht nimmt. In den ältesten Gräbern trifft man noch wenig Eisen; in den flachen Gräbern nur Asche, keine Skelette, Die Gräber mit Steinmälern enthalten die kostbarsten und künstlichsten Gegenstände, goldene, silberne und vergoldete Gefässe, Goldplättchen, goldene Armbänder, Ohrringe und Verzierungen aller Art, seidene Gürtel, irdene Töpfe, die ganz den heutigen chinesischen gleichen; auch eiserne Steigbügel und Zäume, letztere meist mit Gold und Silber verziert, kommen bisweilen vor. Gräber mit einzelnen Denksteinen geben nicht selten viel Gold und Silber zur Ausbeute, die Gräber mit kleiner oder viereckiger Einfassung nur kupferne Waffen. Kurze Schwerter, Pfeil-und Lanzenspitzen, Leuchter, Tierbilder, Werkzeuge und Geräte bestehen bloss aus Kupfer, die Bilder aus Kupfer und Erz, Mancherlei Gusswerk enthält nebst anderen Verzierungen Figuren von Argalischafen, Steinböcken, Renntieren, Löwen sowie allerlei sonstigem Wild. In einem jüngeren Grabe wurden ein eisernes Schwert und 10 Pfeilspitzen gefunden; auf der Brust der Leiche lagen viele Goldblättchen, wie sie natürlich in den Kolywanischen Erzen verkommen; nächst der rechten Hand lagen zwei kleine, geschmiedete Goldringe, viele kupferne, schwach versilberte Beschläge von Pferdegeschirr sowie roh gearbeitete kupferne Steigbügel. Auf dem festen Ge-l wölbe eines anderen Grabes, das sich nicht öffnen liess, bedeckte ein circa 18 kg schwerer, aus Kupfer gegossener Kessel einen Streithammer aus gleichem Metall. — Was aber hier in Asien gefunden wurde, fand man im grossen und ganzen auch im »Soloh«-Grabe in Südrussland vor, ein Beweis, dass dieselben Objekte, dieselben Formen, dieselben Vorlagen überall anzutreffen sind, was, ganz abgesehen von der hohen Technik der Metallbearbeitung, der Goldschmiedekunst, des Legierens usw, zum berechtigten Schlüsse führt, dass dereinst ein ungemein ausgedehnter Handel betrieben wurde. Wir brauchen uns daher nicht zu wundern, wenn Ibrahim ibn Jakub, der sich um das Jahr 965 auf einem Jahrmärkte in Prag aufhielt, erzählt, dass dort auf zahlreiche Russen mit ihrer Pelzware anwesend waren. Aehnliche Verhältnisse zeigten sich aber auch nächst der chinesischen Grenze. Aus vielen aufgefundenen Stücken erhellt die Gewissheit, dass auf dem Handelswege russische Roh- wie Kunstprodukte dahin gelangten. In der Steppe des Irtis-Flusses, mit seinen Zuflüssen Isim und Karasun, findet sich eine Unmenge von Grabhügeln vor, zwischen denen zahlreiche Ueberbleibsel alter Festungswerke, ganze Reihen von aufgeschütteten Hügeln, Reste von Wachhäusern, die alle noch heute die russische Bezeichnung »karaul« (= Wache) tragen, dann Wälle von Kilometer-Länge u. ä. zu sehen sind. Die Grabfelder ziehen sich weiter zu beiden Seiten des Irtis und ostwärts bis zum Stromgebiete des Jenisei. Südwärts erheben sich am linken Ufer dieses Stromes wieder ungezählte Grabhügel als Zeugen einer einst dichten wie auch wohlhabenden und hochkultivierten Bevölkerung. In noch grösserer Zahl und noch gewaltigeren Dimensionen füllen sie das Land der Gebirgssteppe von Abakansk aus. Waren nun alle diese Gebiete einst dicht bevölkert, wie dies aus den so zahlreichen grossen Gräbern geschlossen werden muss, so waren sie damals auch wohlbekannt, was auch deren Aufzeichnung auf den tyrischen Karten mit der Detail-Angabe der dortigen Völkernamen bestätigt. Es blühte dort ein intensiver Handel, dessen mächtigster und unwiderstehlichster Magnet das Gold war, das schon in der Urzeit unbezweifelt an vielen Punkten des Altai-Gebirges und am Ural bergtechnisch gewonnen wurde. Das Gold wie Kupfer, das so zahlreich in den erwähnten Gräbern gefunden wurde, und das nicht so mühelos in der Natur angetroffen wird, gleicht in der Schmelzung wieder ganz dem Gold und Kupfer in den Gräbern westlich davon. Im Altai traf man auf einen Schacht vom 25 m Tiefe; zwei lange Stollen kreuzten sich darin. In diesem fand man noch alte Werkzeuge, kupferne Keilhauen u. drgl. In einem weiteren Schachte lag das Skelett eines Čuden, das ganz von metallischen Kalken durchsetzt war. Neben demselben lagen ein lederner Schlauch, gefüllt mit silber- und goldhaltigem Ocker, sowie Keilhaue und Fäustel. — Aus den ältesten geschichtlichen Nachrichten wie Anspielungen geht hervor, dass der durchaus nicht kunstloise Bergbau in diesem Teile des heutigen Russland schon mindestens 500 Jahre v. Chr. betrieben würde. In erster Linie kommen da die Massageten in Betracht. Herodot sagt von ihnen: »Ihre Kleidung und Lebensart ist der scythischen ähnlich. Sie streiten zu Ross und zu Fuss; sie führen Bogen, Spiess und Streitaxt. Gold wie Kupfer sind bei ihnen sehr gebräuchlich, denn auch Bogen, Spiess und Streitaxt sind von Kupfer; die Kopfbedeckung, Gürtel und Halsverzierungen schmücken sie mit Gold. Ihre Pferde tragen einen kupfernen Brustharnisch; Zügel, Zaum und Gebiss sind jedoch goldgeschmückt. Eisen und Silber ist bei ihnen nicht in Gebrauch, es findet sich auch nicht in ihrem Lande (unrichtig, denn das Altai-Gebirge ist reich an Eisenerzen'), wohl aber Kupfer und Gold in Menge«. — Strabo wiederholt gleichfalls die Nachricht von dem Goldreichtum der Massageten, die er jedoch aus anderen Quellen, namentlich Ktesias, geschöpft haben dürfte. Im bekannten Majestätsbriefe (s. S, 43—46) sagt aber Alexander d. Gr. den Slaven und Massageten die Schlussherrschaft über alle Länder der Erde zu. Es drängt sich nun die Frage heran, wie Alexander auf die Massageten verfiel, die er nach den geschichtlichen Aufzeichnungen niemals beherrschte und demnach bestenfalls dem Namen nach gekannt haben konnte? — Oder wie kommt jemand, wenn jener Brief unterschoben ist, so ohneweiters auf die skurille Idee an die Balkanslaven gleich die Massageten anzugliedern, die doch Tausende von Kilometern von diesen entfernt, nördlich der Aral-Sees gewohnt haben sollen? — Das Igor-Lied nennt aber noch im XII, Jahrhunderte die Goten als Bewohner Südrusslands, und »Mezogoti« sind etymologisch eben nur die »angrenzenden« Goten (»meza« = Grenze, »chod« = Krieger). Die Gräber dieser Goten haben aber wieder gleiche Grabbeigaben, wie jene am Aral-See und an der chinesischen Grenze. Es folgt daraus, dass die Massageten nicht gerade dort wohnten, wo sie die Geographen fixiert haben, analog wie es auch Wenden in Frankreich, am Bodensee, in Sachsen, in den Alpenländern und in Kleinasien gab und gibt. War aber die Zentrale des Gold- und Kupferbaues in Sibirien und am Ural, so bestand dort eine hohe metallurgische wie schmiedetechnische Industrie, die ihre Produkte auf den zahlreichen Handelswegen absetzte. Diese Leute müssen aber auch tropische Länder gekannt haben, da sie so vielfach Löwenmotive in der Goldschmiedekunst verwerteten, sowie Greife darstellten, also fabelhafte Vögel, deren Darstellung man bisher nur der Kenntnis der Hellenen zuschrieb. Umstände und gelegentliche Andeutungen sagen auch, dass der Handel Sibiriens mit seinen Natur- und Kunstschätzen ostwärts bis an die chinesische Mauer und darüber hinausging, u. z. sowohl auf dem Land- wie Wasserwege. Zur Herstellung des letzteren wurde das Stromsystem des Ob ausgenützt, von wo die weitere Verbindung mit dem Aral- See über Turkestan zu den chinesischen Gewässern geführt zu haben scheint. Nach Herodot soll die Bildung des Aral-Sees durch die Abschliessung der Durchbrüche in den entfernten Randgebirgen hervorgerufen worden sein, damit neue Wasserbecken geschaffen werden und der Wasserweg kein zu grosses Kanalnetz erfordere. -— Wie dem auch sei, —■ diese Frage wurde schon viel erörtert, ist aber unseres Wissens bisher noch nicht entgültig aufgeklärt —, die eine Tatsache steht fest, dass die alten Bewohner Sibiriens einen vielseitigen Bergbau betrieben, grosse metallurgische Kenntnisse hatten, als Waffenerzeuger wie Goldschmiede einen hohen Kunststandpunkt einnahmen und hiebei gewiss mehr schufen, als sie für ihren Hausbedarf benötigten, daher naturgemäss damit auch das Ausland versorgten, also Handel trieben. Da aber die zahllosen Gräber vom europäischen Russland über Sibirien bis an die chinesische Grenze überall denselben Charakter und Grabbeigaben derselben Art und Form aufweisen, so können sie nur von jenem Volke stammen, das die Rohprodukte in reichem Masse hiezu hatte. Dieses gibt aber den bisherigen Anschauungen über die grosse Völkerwanderung ein wesentlich anderes Bild. Die Geschichte sagt, dass die Slaven im V.—VI. Jahrhunderte aus Asien nach Europa kamen. Es müssten also zu jener Zeit, da die Slaven doch als die Hauptmasse jener grossen Völkerbewegung angesehen werden, unbedingt Slaven in immenser Zahl in Asien gewohnt haben; die Geschichte will jedoch davon nichts wissen. Waren dies jedoch keine Slaven, dann fehlt wieder die Erklärung, wieso diese Millionen von Menschen unterwegs ihre Sprache völlig gewechselt haben konnten, denn in Europa angelangt sprachen sie schon slavisch. Das eine schliesst nun das andere aus, und das Schlussbild ist: die Slaven waren in Sibirien und Zentralasiengenau so wie inEuropa Autochthone; was wir als Völkerwanderung bezeichnen, ist eine weiter unhaltbare, jeder Logik entbehrende Phantasterei. V. T. Ugorskij. Ueber die Palimpsestphotographie. Im Artikel »Zur Erfindung der Palimpsestphotographie« (siehe »Staroslovan«, 1913, S. 207—211) wurde des Näheren darüber geschrieben, dass es viele reskribierte Handschriften gibt, deren gelöschten Text man bis zu einer gewissen Grenze auf photochemischem Wege wieder lesbar machen kann. Das Verdienst dieser Erfindung wurde in letzter Zeit ausschliesslich dem Benediktinermönche Raphael Kögel des Klosters Wessobrunn (Bayern) zugeschrieben, worauf die Erzabtei Beuron (Hohen-zollern) i. J. 1912 ein eigenes Palimpsest-Institut gründete und die Erfindung als Geheimnis betrachtete. Indessen stellte es sich jedoch heraus, dass die Methode der Lesbarmachung der Palimpseste schon seit etwa 15 Jahren bekannt und das Verfahren hiebei durchaus kein Geheimnis ist, nachdem dasselbe schon wiederholt öffentlich beschrieben, allerdings aber wenig beachtet wurde. Ob aber das Institut in Beuron die gleiche oder eine besondere Methode besitzt, wissen wir allerdings nicht, doch kann ein prinzipieller Unterschied nicht bestehen, da das Resultat überall dasselbe ist. Mussten aber bis nun Palimpseste zum Photographieren nach Beuron gesendet werden, so entfällt dies hiemit, da jeder versiertere Photograph denselben Effekt erzielen kann. Es entfällt dadurch zugleich die Gefahr, dass Originaihandschriften auf dem Postwege verloren gehen könnten, was namentlich nun beim neuerwachten böhmischen Handschriftenstreite wesentlich in die Wagschale fällt, denn jene Befürchtung war es, die das Landesmuseum in Prag zurückhielt, einen Echtheitsbeweis auf dem Wege der Palimpsestierung herbeiführen zu lassen. — Diese Furcht ist aber nun vollends ausgeschaltet, denn die Plandschriften können fortan auch im Museum selbst pa-limpsestisch photographiert werden. Dr. Vlad. Pavläk, Bakteriolog der Landesmolkereischule in Kremsier, der sich selbst intensiv mit der Indienststellung der Photographie zu wissenschaftlichen Zwecken beschäftigt, gibt für das Verfahren Palimpseste auf photochemischem Wege lesbar zu machen, folgende Vorschrift: Die Grundbedingung ist zwei vollkommen kongruente Negative der reskribierten Handschrift herzustellen. Das photographische Stativ muss daher derart stabil sein, dass Verschiebungen oder Erschütterungen die beiden Aufnahmen nicht differenzieren. Die eine Aufnahme geschieht mit einer gewöhnlichen Platte durch einen Lichtfilter, der nur die kürzesten Strahlen — also die ultravioletten und violetten bis Frauenhofer D — durchlässt. Die zweite Aufnahme erfolgt mit einem Filter, welcher die infraroten und roten Strahlen bis Frauenhofer E durchlässt. Hiezu muss jedoch eine orthochromatische (oder panchromatische) Platte — am besten eine Pinaverdol-Platte — genommen werden, — Von diesen Negativen macht man nun Kontaktdiapositive, die sonach genau kongruent mit den beiden Negativen sind. Passt man nun die Negative mit den Diapositiven genau zusammen, u. z. das erste Negativ mit dem zweiten Diapositiv und umgekehrt, bis sich alles vollkommen deckt, so erlöscht die neue (spätere) Schrift vollständig und die alte (radierte) Schrift taucht auf, u. z. bei der ersten Kombination hell und durchsichtig, bei der zweiten schwarz. Man kann sodann die alte, verschwundene Schrift wieder mehr oder weniger deutlich lesen und auch reproduzieren. Da das Gesamtverfahren demnach einem Berufs-Photographen keinerlei Schwierigkeiten bietet, ist hiemit auch allen Archiven, Bibliotheken, Museen wie Privaten, die Besitzer von Palimpsesten sind, die Möglichkeit geboten, dieselben lesbar zu machen, ohne dass sie deshalb aus der Hand gegeben werden müssten. Die nunmehrige Lesemöglichkeit der Palimpseste dürfte auch der slavischen Wissenschaft so manche angenehme Ueberraschung bringen, denn es ist doch anzunehmen, dass viele reskribierte Handschriften nichtslavischen Inhaltes in der radierten Schrift doch auch bisher unbekannte slavische Texte enthalten können. Die Redaktion. Wissenschaftliche Fragen und Antworten. Hier werden ausschliesslich solche einlaufende Fragen veröffentlicht und fallweise beantwortet, die das Geprägte eines breiteren wissenschaftlichen Interesses tragen. Frage 4. — Vergessene Inschriftsteine in Mähren. — Im »Časopis muzejniho spolku olomuckeho« (1885, S. 129) werden mehrere Steine mit Inschriften in Mähren angeführt, wie sie sich noch in einer vom Schlossarchive Rajec (Raitz) stammenden Schrift aus dem Jahre 1755 verzeichnet vorfinden. Wahrscheinlich ist es, dass seither alle diese Steine schon nicht mehr auf ihrem ursprünglichen Platze stehen, vielleicht auch schon zertrümmert und zu Bauzwecken verwertet sind. Ein solcher Stein befand sich in einem Weingarten bei Slavkov (Austerlitz); er hatte eine dreireihige griechische, also wohl cyrillische Schrift; der Text wurde niemals entziffert. — Unter dem Schlosse von Brumov (bei Ung. Brod) befand sich, in das Gewölbe eingemauerf, ein merkwürdiger Sarkophag, der an zwei Stellen griechische Texte enthielt, u. z. die eine Inschrift bestand aus zwei, die andere aus sechs Zeilen; entziffern konnte sie niemand. — Ein solcher Stein befand sich auch nächst Kromefiž (Kremsier), er hatte eine dreizeilige griechische Inschrift, jedoch unbekannter Sprache, Die Nachforschung nach demselben blieb bis heute ohne Ergebnis. — Oestlich von Ždar (Neustadtl) stand damals ein grosser Stein mit einer 9 zeiligen, sonst unbekannten Schrift, — In einem Walde zwischen Neustadt und Zwittau befanden sich die Reste einer alten Burg. Ober dem Haupttore war damals eine lateinische und ober dieser eine zweite Inschrift unbekannten Alphabetes zu sehen. — Der Verfasser jener Notiz fügt selbst bei, dass dies wahrscheinlich altslavische Schriften seien. Möglicherweise trug der vierterwähnte Stein eine Inschrift in Runen. Wir fragen hiemit offen an, ob jemand eine nähere Kenntnis von diesen Inschriften, sei es in der Wirklichkeit, sei es in der Literatur oder Tradition, besitzt; andererseits bitten wir in dieser Richtung nachzuforschen und uns im positiven Falle Näheres mitzuteilen. Frage 5. — Wo liegt »Sibilj e«? — Im Epos »Parcival« (IX. Vers 1909—1911) heisst es, dass der Hauptheld von Rohas gegen »Sibilje« fuhr, und von da durch Friaul nach Aquileja, u. zw. auf dem Meere. Da diese Schilderung geographisch höchst phantastisch ist, ist sie entweder nicht ernst zu nehmen, oder ist der Text selbst verderbt. Doch spricht dagegen wieder die bestimmte Angabe von Rohitsch, Cilli, Aquileja. Wir fragen daher an, ob jemand eine Andeutung geben könnte, dass es irgendwo in diesem Gebiete im Mittelalter einen Ort »Sibilje«, oder sehr ähnlich lautend, gab? — Dasselbe gilt für »Famorgan« (im 1898. Verse), Diese Lokalität müsste zwischen »Gurina« in Kärnten und dem »Okra«-Passe liegen, falls sich der Dichter eben keine geographische licentia poética erlaubt hat. — (Vrgl, auch den Artikel »Untersteiermark, die Urheimat der Gralsage«.) Bekanntermassen liegt keiner dieser Orte am Meere; ja selbst Aquileja kann man eigentlich nicht als solchen zählen, Bibliographie. Alle einlangenden Werke werden grundsätzlich mit Titel, Verlag und Preis angeführt; jene, welche altslavische Themata berühren, auch kurz besprochen, eventuell noch später eingehender gewürdigt. — Unaufgefordert zugesendete Werke werden nicht zurückgestellt. Czerlien ¡M. v., ¿¡Auf slavischen Spuren. — Zagreb 1914. (8°, 214 S.). — Kommissionsverlag Mirko Brey er, Zagreb. Preis K 3'60. Wie der Titel ahnen lässt und auch das Vorwort deutlich sagt, war der Verfasser —- als Laie der Wissenschaft — bestrebt sich über die Arbeiten jener Gelehrtenklassen eingehend zu informieren, die als Gegner des Slavischen bekannt sind, da ältere wie jüngere Aeusserungen anderer Fachmänner namentlich auf die Sprachwissenschaft, deren Führung die Deutschen nahezu souverän an sich genommen haben, bereits einen starken Schatten werfen. Der Verfasser will dabei nicht so sehr als Richter auftreten, sondern er sammelt und gruppiert alle Belege, die geeignet sind, den Wert der deutschen Sprachdenkmäler in das ihm richtig scheinende Licht zu stellen, und beanständet manches als unecht, was für echt ausgegeben wurde, wie z. B. die beiden Eddas, die Germania, die Gotenbibel und die gotische Schriftsprache, die nordgermanische Besiedlung des Elbegebietes, die Sage über die Entdeckungen der Nor- mannen in Amerika, die geschichtliche Darstellung der Völkerwanderung, die Einwanderung der Slaven, ihre kulturelle Rückständigkeit in alter Zeit, die Irrungen bei historischen Voraussetzungen, den Wert der alten Schriftsprachen, die nicht das richtige Mittel sein können bei Aufhellung der Urzeiten, Ursitze oder Ursprachen der Menschen unbedingt verlässlich zu sein, usw, usw. — Der Verfasser lässt hier nahezu alles Revue passieren, was die Geschichte und Forschung seit undenklichen Tagen fassbar Richtiges und logisch Falsches aufgehäuft. Er zeigt uns daher auch ein umfassendes Sündenregister nicht nur der nichtslavischen, sondern auch der slavischen Wissenschaft, denn ohne die unglaubliche Passivität der letzteren hätte das menschengeschichtliche Wissen über die Slaven nie auf solche bedenkliche Abwege geraten können. Es ist daher hocherfreulich zu vernehmen, dass wieder einmal ein Mann aufgetreten ist, der Mut besitzt mit offenem Visier und wohlgerüstet in den Kampf für die Wahrheit über die Vergangenheit der Slaven einzugreifen. Sein Werk wird die Slaven belehrend erheben, die Deutschen in ihrem Herrenwahne ernüchtern, und Allen zusammen die Augen öffnen, dass es höchste Zeit ist auf allen Linien umzulernen, denn die Anzeichen, dass die slavischeRenaissance mit gewaltigen Schritten herannaht, rühren nich von Schemen, Phantasten oder »panslavistischen« Poltergeistern her, sondern der reale Kampf um die Wahrheit und Wirklichkeit hat sich unter dem Ueberdrucke der Fälschungen der öffentlichen Meinung automatisch eingestellt, weil das Mass der wissenschaftlichen Unmoral übervoll wurde; und da die Wahrheit ein ewiges Leben vor sich hat, kann dieser Kampf nur mit dem Siege enden. Dr. 0. Jahn. ZRözycki ZK. v., ZDie ZJnkunabeln des ZDruckers des cGurre-cremata in ZKrakau. — Eine bibliographische und typographische Untersuchung. — München 1911. — Verlag Karl Kuhn (Hirtenstr. 15). Gross 4“, kart. 49 S. mit 3 Doppeltafeln in Lichtdruck. — Preis 8 M (9 K 50 h). Das Werk bietet eine gründliche, streng objektive Untersuchung der Erzeugnisse des ersten, bisher gänzlich übersehenen Typographen der alten Königstadt Krakau. — In dieser Stadt hat es nämlich um das Jahr 1473 eine Buchdruckerei gegeben, die, wie der gewissenhafte Verfasser herausgefunden, mindestens vier Wiegendrucke hergestellt hat, welche aber bisher alle mit Unrecht dem Augsburger Typographen Günther Zainer zugeschrieben wurden. Aus verschiedenen, über jeden Zufall erhabenen Indizien geht hervor, dass diese Offizin im St. Bernhard-Kloster in Krakau gewesen sein musste. Der Vergleich der verwendeten Typen sowie die minutiöse und methodisch genaue Untersuchung der Abnützungsmerkmale desselben, das Studium der Wasserzeichen des Druckpapiers sowie das mühevolle Nachforschen nach den noch vorhandenen Exemplaren mit ihren Widmungsnotizen, macht das Werk nicht nur zu einem willkommenen Mentor für jeden Adepten der Inkunabelkunde, sondern es bringt auch ein weiteres Licht in die glänzende Epoche der humanistischen Bewegung am Ausgange des Mittelalters in Polen. — Die Kenntnis der hier befolgten Methode bei Untersuchungen dieser Art, dann, wie man falsche, schon nahezu erstarrte Antizipationen wieder überzeugend beseitigt, kann jedem ernstlich beflissenen Bibliographen in seinem eigenen Interesse ehrlich empfohlen werden. — Dr. A. Wisinger. Ergänzungen und Berichtigungen. I, Ergänzungen, — Im Artikel »Die Handschrift des hl. Hieronymus« wäre auf Seite 42, am Schlüsse des 1. alinea (nach: »nachbarlich mengt.«) noch der Satz einzufügen: »Am zutreffendsten könnte man diese Sprache als »kraski jezik«, d. i. Sprache des Karstgebietes, spezialisieren, welche Kennzeichnung schon seit dem XVI. Jahrhunderte bekannt ist. Eigentlich ist es aber nur ein Uebergangsdialekt von der slovenischen zur kroatischen Sprache, welche letztere früher auch nur als eine Varietät der »windischen« angesehen wurde. (S. auch »Staroslovan«, 1913, S. 28.) II, II, Berichtigungen, — Nachstehende störende Druckfehler im 1. Hefte wären zu berichtigen: a) S. 40 ist in der 10. Zeile v, u, statt »R» das zyrillische »R«, d. i. »P« zu setzen; b) S. 50 ist am Schlüsse der 10. Zeile v. u. das ausgefallene Wort »früher« einzufügen; c) S. 73 lies »alldeutschen« statt »altdeutschen«; d) S. 82 « »deutschen« statt »Deutschen«. Orientierungskarte zum Artikel »Untersteiermark, die Urheimat der Gralsage«. .Stjfar) St^Warti. Schirimt ^indisch tO'jGdjt'n** Z d S(&qßz, XrmlC'l II .xwi SUmfifi