DONAU-BULGARIEN UND DER BALKAN Alle Rechte vorbehalten. DONAU-BULGARIEN und der . BALKAN. HISTORISCH-GEOGRAPHISCH-ETIINOGRAPHISCHE REISESTUDIEN AUS DEN JAHREN 1860 — 1879. ZWEITE NEU BEARBEITETE AUFLAGE. II. BAND. MIT 29 ILLUSTRATIONEN IM TEXfE UNI) 10 TAFELN. VON F. KANITZ. LEIPZIG. VERLAGSBUCII1IANDLUNG VON HERMANN FRIES. 1880. VORWORT zum ii. bande der i. auflage. N ur zu rasch bewahrte sich meine auf der ersten Seite dieses Werkes ausgesprochene Voraussieht, Seit wenigen Monaten ist das früher kaum genannte „Bulgarien" nunmehr wirklieh Kernpunkt der orientalischen Frage und Gegenstand höchsten Interesses für Europa geworden. Auf dem Schauplätze blutigen Ringens zwischen Donau und Mo-rava, welcher im I. Bande seine Schilderung fand, herrscht wohl gegenwärtig Waffenruhe, denn der Vermittler Machtwort trennte die Krieger für Kreuz und Halbmond. Eine kurze Spanne Zeit aber noch und es beginnt jener weit gefährlichere diplomatische Kampf zu Constantinopel, welcher trotz der gegensätzlichsten Interessen der betheiligten Gross-mächte in erster Linie die „Autonomie" oder richtiger das „Ausmaass von Menschenrechten für die hartgeprüfte bulgarische Rajah" bestimmen soll. Politische Neuschöpfungen sind, von anderen Factoren abgesehen, nur auf Grundlage umfassendster objectiver Studien möglich. Vor Allem muss der physikalisch-geographische Charakter und Zusammenhang der in Frage stehenden Territorien den entscheidenden Staatsmännern ebenso klar vor Augen stehen, als die Geschichte, Ethnographie, Rengions-nnd Culturverhältnisse ihres Völkerinhalts. Nimmer könnte sonst die Diplomatie ihr Werk politischer Regeneration im Geiste wahrer Gerechtigkeit und mit freudiger Aussicht auf seine Lebensfähigkeit vollbringen. So lasse ich (leim diesen II. Band meines „DONAU-BULGARIEN UND DER BALKAN" mit dem Wunsche hinaustreten, dass er gleich seinem Vorgänger einen bescheidenen Beitrag zur Aufhellung der grossen Frage biete, welche den Welttheil bewegt. Der Augenblick seines Erscheinens dürfte ein willkommener sein. Behandelt ja dieses Buch die hochwichtige, vorwiegend reinbulgarische Centrairegion zwischen Donau und Balkan, welche die am politischen Horizont in Sicht tretende Action Russlands zunächst treffen müsste. Möge der Geist allseitiger Mässigung die über „Bulgarien" schwebende Krise friedlich zu lösen verstehen. Seinem wackeren Volke werde aber gleichzeitig das lang ersehnte vollverdiente Recht, für welches einzutreten ich seit dem Jahre 1860 als heilige Pflicht erachtete! WIEN, am 1. December 1870. VORWORT zur zweiten auflage. Auch in diesem II. Bande war ich nicht nur bemüht, allerorts die ciselirende und verbessernde Feile anzulegen, sondern auch die denkwürdigen Ereignisse zu skizziren, welche seit Beginn des russischtürkischen Krieges den epochalen Umschwung zwischen Donau und Pontus bewirkten. Mein Besuch zu Sofia im September 1879 gestattete mir überdiess diesem Bande ein ganz neues Capitel einzufügen, welches die materielle und geistige Physiognomie der jungen bulgarischen Hauptstadt schildert, sowie einige Streiflichter auf Fürst Alexander's erste Reo-ieruno-stao-e wirft. WIEN, Ostern 1880. f. kanitz. INHALT SVERZEICHN ISS. I. VON TIRNOVO UEBER SELVI UND LOVEC NACH SVISTOV. erühmtheit dos Dikilitas. — Jantrafurth bei Colak. — Begcastell zu Ledenik. — Türkendorf Kistarabul. Seidenzucht zu Musiua. — Bevölkerung eines Bulgaren -Gehöftes. — Kömische Ruinen. — Reliefs und Inschriften. — Antike Reste zu Jaltvr. — Slavejkov und der Dikilitas. — Frauentracht. Han Malkoeu. — Neue Brücke zu Selvi. — Im Ivancu han. — Kannen an der Siiüt-Aciwaud. Könnende. — Rusica-Defile. — Ein Nachtlager. — Plateau von Lovec. — Dessen Ponte de Rialto. — Neue Brücke. — Dzambas Hadzi han. — Türkisches Beschneidungsfest. — Iladzi Chalfa und Boue über Lovec. — Die fictive Stadt Uivardze. — Antike Roste zu Lovec. — Castell. — Das römische Molta und seine Strassen. — Byzantinische Kreuze. — Türkische Eroberung. — Aufstund 1870. — Lovec's zweimalige Eroberung durch die Russen. — Die städtische Bulgarenlegion im Kampfe. — Lovec's Plan. — Speciellcs Inventar einer echt linkischen Stadt. — Gewerbs-thütigkeit. — Abzug der Türken. — Vor und nach der letzten russischen Besetzung. — Moderner Kaimakam. — Jnngbulgarische Intelligenz. — Kirchen. — Der Vladika. — Hilarion und Exarch Josif. Petrovfest. — Im neuen Lovec. — Seine Behörden. — Präsident Radoslavov. — Iläuscr-und Seelenzahl. — Verbesserungen im städtischen Haushalte. — Neubauten und Schulen. — Handel. — Export- und Importfirmen. — Neue Fabrik. — Route nach Svistov. — Torf. — Ungastliches Dorf. — Ruckgewanderte Bulgaren. - Tscherkcssen. — Btilgareni. — Osem- und Catal tepe. — Wandernde Balkandzi. — Ein Versuch Midhat's zur Cultivirung der Donanterrasse. An der Donau. — Bender tepesi. — Grosser See. — Fischerviertel zu Svistov.— Gute Stunde. ~~ Svistov's Lage, Handel, Mabalc, Cuka, alte und neue Kirchen, Schulen und Wohnhäuser. — Eine protestantische Hochzeit. — Mr. Long's Wirksamkeit. — Das Casino. — Bildungslust. — Familiensinn im Geschäfte. — Der Kreischef. — Kloster Sv. Bogorodica. — Svistov nach der russischen Eroberung. — Administration nach russischem Modoll. — Bürgermeister Anev. — Sein eispviosslichos Wirkon zur Verschönerung der Stadt. — Gouvernement nach Ruseuk verlegt. — Rückkehr der emigrirten Türken. — Garnison. — Svisu.v's Export- und Importfirmen. — Bahnlinie, Zölle, Steuern. — Notwendige Reformen. S. I. II. DURCH DEN PASSIONISTEN-SPRENGEL VON NIK0P0LI. Messung auf dorn Kad bair zu Svistov. — Abstieg nach Orese. — Dr. Pavlcviö's ärztliche Erfahrungen. Römerstein. — Traurige Eindrücke im katholischen Dorfe Orese. — Geschichte der vier Mis-Blonsorte. — Papst Gregor XV. und die Bulgaren. — Geistliche Verwaltung. — Der Viccario Generale dolla Bulgaria. — Die Patres und ihre Gönner zu Wien. — „Non abbiamo scuola!" — Riesige Immaculata-Kirche. — Schreiende Missbräuohe. — Entnationalisiruhg der kath. Bulgaren. Ideale mönchischer Volkscrssiehüng. - Merkwürdige Nonnenzuobt — Conflicte im Missionsdorfe Beiina. — Bischof Paoli und Vau Abdnr Raobman. — Oesterreichische Intervention. — Des Autors Ansicht über die Patres. — Rühmliche Stufe des ungarisch• bulgarischen Katholiken sprengeis. — Pfarrort Beiina, das alte Mikro-Byzantium. — Nach Nikopoli. — Geologisches. — Kumpania han. — Pasapordzi. — Handel. — Stadt und Festung. — Osem kalesi. — Asemus. — Römerreste. — Interessante Inschrift. — Türkische Occupation. — Erster Zug König Sigmund's von Ungarn gegen Bajazid. — Die Historiker und die Schlacht von Nikopoli 1396. — Ihr Verlauf nach Aschbach. — Der bayerische Augenzeuge Schiltberg und seine Ausleger. — Prof. Brunn's neueste Hypothese. — Feststellung von „Klein- und Gross-Nikopoli". — Das angebliche Siegesmonument Bajazid's. — Das wirkliche Schlachtfeld von 1396. — Russische Eroberung IS2*J und 1877. — Zerstörung der Stadt. — Rückkehr der moslimschen Einwohner. — Zustand im April 1871). — Eine Illustration türkischen Regiments. — Verfallende Bahnlinie. — Midhat's projectirte Stadt am Osem. — Aberglaube und Zigeunertreiben zu Mahala. — Mückenschwiirme. — Im Missionsdorfe zu Trncevica. — „Hund Garibaldi." — Pater Eugenio's Hoffnungen auf österreichische Frömmigkeit. _ Fahrt nach dem vierten kaih. Pfandorf Lazine. — Seine Kirche. — Putz der h. Anna. — Nonnencostüm. — Des Autors Darstellung und die clericale Presse. — Abhilfe einiger Uebcl-stände in den vier kath. bulg. Gemeinden. — Deren Klagen über die Patres. — Ein päbstlicher Legat im August 1879 erwartet. — Rümerrcste. — Strasse nach Pleven. — Enttäuschung zu Grivica. — Heitere Strassenstaffage. S. ;{(; III. VON PLEVNA UEBER TROJAN UND DEN KALOFER-BALKAN. (IV. BALKAN-PASSAGE.) Jeni Siskov- und Geno han zu Pleven. — Sein Civil-Hospital. — Dr. Geisser und Dr. La Bruce. — Alte und neue Denkmale der Stadt. — Kaimakam Mehemed Bei's Regiment. — Alte Bei-Geschlechtor. — Ein Münzenhändler. — Haidukenfang. — Plevna's Lage. — Geologisches im Tucenicathal. — Höhle und Castell Kajalik. — Das römische Dorionibus und Melta. — Plevna's russische Eroberung 1810. — Seine Ueberrumpelung durch Kosaken im Juli 1877. — Osman Pasa besetzt es. — Erster unglücklicher Angriff am 20. Juli. — Zweiter Angriff am 30. Juli. — Ausfälle der Besatzung. — Fürst Karl von Rumänien übernimmt das Commando. — Unglückliche Stürme am il. September. — Todleben's Tactik. — Die türkischen und russisch-rumänischen Stellungen. _ Sturm der Rumänen auf die 2. Grivica-Redoute am 19. October. — Osmans Erschliessung. — Sein Durchbruchsversuch am 10. Dccember und Capiiulation. — Folgen des Falls von Plevna. — Des Kaisers Hauptquartier zu Bogot. — Am Wege nach Lovec. — Nach Trojan. — Panin Oglu's Strasse. — Zagrep manastir. — Ablanica han. — Ruinen bei Lovec. — Castell Montemno. —-Justinianische Castelle. — Der grosse Trajanische Heerweg und seine Mansionen einst und heute. — Ein echter Balkansohn. — Türkische Regicrungsmaxime. — Merkwürdiger Mudir. — Stadt Trojan. — Industrie, Kirche, Häuserbau und eigenthümliche Brücke. — Am Cerni Osem. — Nach Kloster Trojan. — Dessen Grösse, Physiognomie, sociale Bedeutung, Name, Geschichte, Architektur, Fresken, Leichencultus, Kiril- und Methodijcthurm, Reliquiarium, Mönchsleben, Wild-und Viehreichthum, verlassene Bergbaue, Sabortag und Schule. — Nach dem Kalofer-Balkan. — Branjevo. — Kupenska han. — Wassernoth. — Novoselo als Typus eines Balkanmarktes. — Dessen Holzschnitzer. — Charakter der Bewohner. — Hauseinrichtung. — Ausflüge nach Kloster Sv. Jovan und auf die Ostrec planina. — Gensdarmen und Räuber. — Trauriger Ausgang der Insurrection 1876. — Novoselo's Zerstörung. — Das Kismet. — Aufbruch nach Süden. — Führer Venko Sapec. — Balkandzileben. — Der Wald und sein Kismet. — Ein ungekannter Wasserfall von mir „Ami Boue- Cascade" genannt. — Grossartige Naturbilder am Dobreva grob-Blockhaus. — Wasserscheide zwischen dem Aegäischen und Schwarzen Meere. — Tundzaquelle. — Römerstrasse. — Der Mara-Gedük. — Mythe und Wirklichkeit auf dem höchsten Balkanpasse. — Haiduk Panajot Hitov'.s Schilderung seiner Schrecken. — Rosalitafeld und Rosaljacult. — Hellenische Orpheus- und andere Sagen. — Münze auf Haemus und Rhodope. — Haberlea Rhodo-pensisblume. — Philipp UT. von Macedonien auf dem höchsten Balkangipfel. — Cynoscephalac und Marcus Crassus. — Thrakisch-hellenische und christliche Heilstätten. — Türke und Bulgare im Balkan. — Abstieg. — Karlovo- und Ka/.anlik-Beckcn. — Jürük tepessi und Jürüken-Nomaden. — Militärische Bedeutung des Rosalita-Passes. — Russische Truppen passiren ihn 1877. — Kalofer und seine Iudustrie. — Gründungs-Sage, Autonomie, Schulen, Kirchen und Klöster. — Kalofer erobert und zerstört 1877. S. 75. IV. VOM GIOPSU UEBER DEN TETEVEN-BALKAN UND DAS VID-GEBIET ZUR DONAU. (V. BALKAN-PASSAGE.) Nach Kloster Sv. Bogorodica. — Djumrukcal-Schlucht. — Wunderquell. — Ländliches Fest. — Poli-tisirender Archimandrit. — Giopsu-Becken. — Sein Entdecker. — Schloss Zvanigrad. — Öatal tepe und Koneg mogila. — Schwefelquelle. — Karlovo. — Vorgänge während und nach dem Kriege IS"7 —78 im Giopsu tekne. — Kömerbad Hisar banja. — Sopot. — Sein Kloster und Schloss. — Rosenöl- und andere Production am Giopsu. — Baba türbe. — Auf Janobasa's Mi-naret. — Karahisarli. — Karnare. — Tckita. — Russische Fassage des Trojan-Balkans im Jänner 1878. — Rahmanli. — Aufstieg zum Teteven-Balkan. — Panorama auf dem Kücük Alan. — Die Sredna gora und ihre Bewohner. — Ilirtenniederlassung. — Erstes Nadelholz im südlichen Balkan. — Verfallene Karaula. — Haiduci. — Phyllitzonc. — Rapider Wetterwechsel. — Schlachtenglück des Reisenden. — Profilaufuahme gegen Norden. — 33malige Kreuzung des Beli Vid's. — Seine Quellen. — Geschichte des falschen Vid's. — Holzindustrie. — Billige Fische. — Ribarski Mahle. — Seine Häuser und Menschen. — Nach Teteven. — Ein opponirender Kiatib. — Teteven's Industrie und Strassenzüge. — Kriegerische Ereignisse 1877. — Cerni Vid. — Glozan. — Pomakendorf Hesen. — Toros, dessen Ackerbau und Schicksale im Kriege 1877. — Geologischer Durchschnitt von der Donau zur südlichen Balkanzonc. — 10 Tumuli. — Tabakculturen. — Peilungspunkt Karaula Bezanovo. — Römische und bulgarische Ruinen von Sadovec. — Die beiden Dabnik. — Römische Reste. — Midhat's Vidbrücko und ihre Bedeutung für Osman Pasa. — Eroberung der Schanzen von Telis, Gorni- und Dolni-Dabnik im October 1877. — Das Zuuberschloss von Plevna. — Denkmale für die russischen Gefallenen. — Geologisches. — Von Pleven zum Isker. — Brsljani. — Mücken und Tscherkessen. — Romanenorte. — Vid-Mühle. — Seen bei Golenci. — Der römische Utus und seine Castra. — Zehenterhebung. — Antike Mauern zu Bres. — Antiquitätenhandel und seine Folgen. — Gigen. — Das römische Oescus. — Seine Alterthümer. — Ruinenstätte. — Brückenpfeiler bei Celei. — Streit der Historiker über Trajan's und Constantin's Donau-Steinbrücken. — Ein Sarkophag als Symbol der Vergänglichkeit. S. 129. V. DURCH DAS ISKER-, SKIT-, 0G0ST- UND PANEGA-GEBIET UEBER DEN ZLATICA-BALKAN* NACH ETR0P0L. (VI. BALKAN-PASSAGE.) Der Isker unter Rom und heute. — Landschaft. — Völkerverschiebung. — Mahalcta's Schicksal. — Glava und Koinare. — Zur Ethnographie der moslimschen Zigeuner. — Cumakovci's römische Alterthümer. — Sage von der Marko mogila. — Costüm. — Der fictive Insikra. — Wasserlose Terrasse. — Kneza. — Der Ismail-Brunnen. — Zu Kruscvica. — Der Skit. — Stadt Rahova. — Ihre Physiognomie 1871. — In Achmed Bei's Konak. — Jungtürkenthum in der Provinz und in Constan-tinopel. — Der Kaimakam. — Antike Reste. — Das Römer-Castell. — Geismar's Eroberung der Stadt 1829. — Ihre Einnahme durch die Rumänen 1877. — Handelslage und Verhältnisse 1879. — Am unteren Ogost. — Unterirdische Kirche zu Ilrlec. — Tumuli. — Kartographisch ungekanntes Gebiet von 30 □Meilen. — Die iietive Stadt Wischedrina. — Belibrod. — Am oberen Skit. — Kömer-Castell zu Gabare. — Vertheidigungsgürtel der mioeänen Kalkzone. — Terrasse. — Inschriften zu Konino am Isker. — Kloster Karlukovo. — Sage. — Asketenwohnungen. — Besteigung der Kurman mogila. — Ruscuk-Sofia-Strasse. — Ihre Befestigung zur Römerzeit. — Geologisches. — Die Panega. — Consul Lejean und das Quellgötter-Opfer der moslimschen Mühlenbesitzer. — Poittaken. — Ihre Bewahrung slavischer Bräuche. — Autochthone Ortsnamen. — Kolibi-System. — Jablanica. — Auf dem Gipfel der Dragoica pl. — Die Panega-Strasse im Herbste 1877. — Das Mali-Iskergebiet. — Am Brücken-Pavillon der neuen Sofier Strasse. — Geologisches. — Russische Eroberung des Pravccka-Defilc's. — Cepilovi hanovi. — Wasserscheide. — Hufeisenfabrikation. — Ktropol im Kriege 1877. — Das Städtchen einst und jetzt. — Anhänglichheit emigrirter Bulgaren an die Heimath. — Weg zum Strigl-Pass und Zlatica-Balkan. — Auf dem Kacamarsko-Passe. — Die Topolovica. — Zlatica's Besetzung 1878. — Die Stadt und ihre Bewohner. — Aufgeklärter Hodza. — Gewitter. — Glückliche Rückkehr nach Etropol. S. 103. X INUALTSY euzeichnis8. VI. UEBER ORHANIEH, DEN ETROPOL-BALKAN UND SOFIA ZUM ISKER - DURCHBRUCH. (VII. BALKAN-PASSAGE.) Am Wege nach Orhanieh. — Mali Iskerlnnf. — Richtung der eis- und transbalkanischen Gewässer. — Die neue Kreisstadt. — Ihre Ebene. — Lconofl's Gefecht bei Skrivena 1877. — Vraoes. Aufstieg zum Baba konak-Pass. — Geologisches. — Ilaidukentreiben. — Einnahme des Baba konak-Passcs am tfenjahrstage 1878. — Die Strasse nach Sofia. — Das Sofijsko polje und seine Bewohner. — Interessanter Tuimilus. — Die Jelesnica und Ilunyäd's Heer 1443. — Ein Han für 1000 Pferde. — Schweigger (1578) über Tumuli. — Eintritt in Sofia. — Serdica's Römerstrassen und ihre Mansioncn. — Seine Geschichte. — Crassus. — Serder und Meldicr. — Kaiser Maxiniinus. Unter Kaiser Aurelian. — Der Beiname „Ulpia". — Galcrius. — Constans und Veteranio. — Concil zur Lösung des Arianischen Kirchenstreits. - Verwüstung durch Attila. — Wiederherstellung durch Justinian. — Eroberung durch die Bulgaren. — Residenz der Caren und Patriarchen. — Car Samuel und Kaiser Basilius. — Pctschcnegcn. — König Bela III. — Car Asen. — Joannes Kilski. — Pestkrankheit 1340—42. — Joannes Sisman. — Durch Balabanbcg 1382 erobert. — Silz des Beglerbeg von Rumiii. — Johannes von Hunyäd's Winterfeldzug. — Ungarischer Friedensbruch. — In den österreichisch-türkischen Kriegen. — Sultan Achmed III. — Schanze Badajova 17:57. — Krdzaliensturm. — Mustapha Pasa von Skodra. — Sofia's Lage. — Erdbeben. — Strassen und Eisenbahn. — Stadtthore. — Gewaltsame Verschönerung. — Alter und neuer Konak. — Moscheen. — Ehemalige Sofienkirche. — Sage. — Kunsthistorisches. — Bazarstrassc. — Stickereien — Magazine. — Bäder. — Judencolonie. — Besestcns und Caravan serai. — Ragusanischer Consul — Handelsverkehr. — Häute- und Getreide-Export, — Raki. — Ausländer. — Post. — Hane" — Alte und neue Kirchen. — Schulen. — Jung-bulgarische Tendenzen. — Während des bosnisch, hereegovinischen Aufstandes 1875. — Befestigungen. — Römische Stadtmauern. — Ausflüge. — Der Vitos. — Kloster Dragalevci. — Bojana. — Bali EfTendi's Bad und Fabriken. — Korila — Iskerdurchbruch. — Stadt-Panorama. — Umrahmung der Softer Ebene. — Eine rasch erfüllte Zukunfts-Perspective, g ^„j VII. IN FÜRST ALEXANDER'S RESIDENZ. (1876-1880.) Sofia im serbisch-türkischen Kriege 1S7G. — Seine Rolle im J. 1877. — Gefecht an der Malinska. _ Drohende Zerstörung durch Commandant Osman Pasa. — Gurko's Einzug am 4. Jänner 1878. _ Verwüstung der türkischen Viertel. — Orkan im Deccmber 1878. — Wohnungsnot!] und Schritte zu ihrer Hebung. — Wegzug der Türken. — Statistik der gegenwärtigen Bevölkerung und öffentlichen Gebäude. — Das russische provisorische Gouvernement. — Fürst Alexamlcr's Empfang zu Sofia. — Erstes Ministerium. — Des Fürsten Thätigkoil. — Pertev Effendi. — Sipka-fest. — Brand der Artillerie-Cascrne. — Fürst Alexanders Reise nach dem Süden. — Mein Besuch zu Sofia im September 1879. — Alexandertag und seine Feier in der Kathedrale, im Palaste, Feldlager u. s. w. — Der Fürst, das Ministerium und die Opposition. — Der Volksmann Dragan Cankov. — Die National-Versammlung im Clubhause. — Alexander-Platz und Garten. — Das Palais, _ Aussicht von seinem Balcon. — Auf dem Feuerthurme. — Plätze- und Strassennamen. _ Ministerial-Gebäude. — National-Bibliothek. — Buchdrnckereien und Journale. — Einfluss des neuen Regime's auf das Schulwesen aller Cultc. — Militärische Institute. — Todleben's Plan zur Befestigung Sofia's. — Russische Mappeure und .Ingenieure. — Lösung meines 1871 den Etropolern gegebenen Versprechens. — Zuströmen fremder Eisenbahnbauer und Techniker. — Feuerwehr- und Turn-Verein. — Theuerung der Lebensmittel. —Des Fürsten Versuche zur Hebung der Rindvieh-, Milch- und Gartenzucht. — Ansiedlung europäischer Doctoren, Apotheker, Advocaten, Kaufleute, Industriellen u. s. w. — Inländische Importfirmen. — Bäder, Miethwagcn, Hotels, Gasthäuser. — Vergnügungen. — Gesandtschaften. — Ocstcrrcichische und bulgarische Post. — Personenverkehr. — Telegraph. — Nothwendigo Vollendung der Bahnlinie zur Hebung des Exports. — Begonnene Ausbeutung der Kohlenininen bei Sofia. — Bulgarische National - Bank. — Jetzt und Einst. — Sofia's I2(ijähriger Chronist. S. 224. VIII. UEBER DEN GINCI-BALKAN-PASS DURCH DAS ISKER-DEFILE NACH VRACA. (VIII. IX. X. BALKAN-PASSAGE.) Aufbruch nach Berkovica. — Türkisch-bulgarische Staffage. — Strasse und Gegend. — Kostimbrod han. — Schweigger's „Sophianer Heyden". — Römerstrasse von Pirot nach Sofia. — Gratlec. Das Iskrecthal — Bulgarische Colonistcn aus Rumelien 18*9. — Auf dem Pecenobrdo. — Ginski han. — Schanzen auf dem Passübergang. — Neue Werke vom ,7. 1877. — Russische Poststrasse. — Wahrheit über den Steilabsturz des Balkans. — Geologisches und Archäologisches im Brzia-Defile'. — Karaul-Arnauten und Tscherkessen. — Hitov's und Totju's Banden. — Insurrections-Versuch der Botjev'schen Schaar 187(1. — Zerstörung der Karaule. — Friedliche Physiognomie des Passes 1879. — Klisura. — Berkovica. — Nach Selam Ciftlik. — Felsencircus. — Kloster. — — Entdeckungen im Botunia-Quellgebiet. — Kotlaberg. — An der Vracanska nach Vraca. — Im Kristo Sava han. — Herr Lemonides. — Der Hauptplatz.— Bazar, Industrie, Silberschmiede, Töpfer u. s. w. — Türkisches Beamtenthum. — Ethnographisches. — Vraca's Kula und die Krdzalienstürme 1799. — Tscherkessen - Unthatcn in den letzten Jahren. — Befreiung der Stadt durch die Russen 9. November 1877. — Ausflug in das Izgorigrad - Defile'. — Sein versteinerter Car und andere Merkwürdigkeiten. — Nach dem Isker-Durchburch. — Römerreste zu Mezra. — Brückenproject. — Das seltsame Römerschloss zu Lutibrod. — Archäologisches. — Schatzgräber. Gefährliche Passage auf den Isker-Steilmauern. — Burgen. — Ccrepiskloster. — Wasserfall und Tabakbau zu Slidol. — Geologisches bei Ignatica. — Seronino im J. 1829. — Gabi onica-Bachgebiet. — Lakatnik. — Intelligenz der Balkandzi. — Auf dem Javorec. — Weite Fernsicht. — Unwetter. — Einfluss der Tscherkessen-Colonisation auf die Abnahme der Rindviehzucht. — Ueberfahrt auf das linke Iskerufer. — Osikovsko gradiste. — Sage. — Iskerlauf. — Uebcr den Vraca-Balkan. — Durch das Leva-Defile nach Vraca. — Consul Lejean's Wunsch erfüllt. — Rückblick auf die erreichten Resultate im Iskergebiete. — Seine künftige Eisenbahnlinie. S. 2-14. IX. DURCH DAS SKIT-, 0G0ST- UND CIBRICA-GEBIET UEBER DEN BERKOVICA-BALKAN ZUR TEMSKA. (XI. BALKAN-PASSAGE.) Das Quellbecken des Skit. — Seine Castelle. — Römische Reste zu D. Pestene. — Defile' vor Ohodna. — Unterbrochener Chausseebau. — Borovan. — Ribnica-Gebiet. - Russische geodätische Arbeiten. — Frauenschönheit zu Galatin. — Costüm. — Mittlerer Botunialauf. — Zum Ogost. — Wohltuender Kef. — Messung bei Lesevo. — Nachtlager in Madan. — Jungfräuliche Flecke unserer Karten. — Auf 25 DMeilen kein Dorf, in Wirklichkeit sehr viele! — Gehöftebau zu Gnoinica. — Mückenschwärmc. — Die Cibrica in römischer Zeit. — Cibar, das alte Cebrus. — Seine Besetzung 1877. — Diana-Relief zu VIcederma. — Dusilnica-Gcbiet. — Charakter der Terrasse. -Steilhang des Balkans. — Astronomische Position Gabrovnica. — Lom - Berkovica-Strasse. — Salztransport und Handel. — Vcrenica und Ljubes planina. — Botuniamündung. — Flecken Kut-lovica vor und nach 1877. — Beglici-most. — Ogosthochwasser. — An der Brzia. — Berkovica. — Population und Handel der Stadt. — Ihre drei Sehenswürdigkeiten. — Die Akropolis. Rückzug der Türken nach Sofia. — Physiognomie im J. 1879. — Der Ex-Vladika von Sofia und seine Stellung zur Kirchenfrage. — Antikes Jupiter-Relief. — Kaimnkam Mustafa Ali. — Zusammentreffen mit Leuten der Srcdna gora. — Historisches über Koprivstica. — Hrt bunaja und Bogdan planina. — Ogost-Qucllregion. — Westlicher Pass des Berkovica-Balkan. — Komspitze. — Geologisches. — Auffindung der Tomska-Quellen. — Bivouak in einem Balkandorfe. — Charakteristik seiner Bewohner. X. UEBER PIROT UND DEN CIPROVEC - BALKAN NACH LOM. (XII. BALKAN-PASSAGE.) 'as moralische und physische Moment auf Forschungsreisen. — Ein zeitraubender Zwischenfall. — Auffindung des Razhoiskathals mit Orten. — Neue Pirot-Berkovioaer Strasse. — Defile' vor Krupec. — Stadt Pirot. — Passage des Ciprovec-Balkans. — Serbisch-bulgarische Grenze. — ^^^^'^^1^^^^ "aCh Ciporovica- - R°'«e Sand.tein.one -Westlichste Ogostquellen. - Kloster bei Vlasko. - Kömisch-katholische Keminiscen/en - a Wanderung nach Ungarn. - Alter Hüttenbetrieb. - Teppich-Fabrikation im Balkan' - E h harmonie. — Nachahmung der primitiven Teppiche im Occident. — Castellruinen — \v ' scheide zwischen Ogost und Cibrica. — Temperatur-Verhältnisse. — Dresch-Schlitten — q**86*" der Cibrica. — Astronomische Position Slavotin. — Asiz Pafia's Jagdgebiet _ T <*uel'en Resultate am Lom. — Metkovec. — Nächtlicher Ritt nach Rasova. — Das Cib°.^°Sra|,'llsc'ie unseren Karten und in Wirklichkeit. — Eintragung von 33 ungekannten Orten _ Ab ""^ Lom. — Prächtiges Landschaftsbild. — Durch die Stadt zur Donau. _ Freud] 'c leb n nac" — Verkauf meiner Pferde. — Rückkehr nach Wien. — Lom im September 1871» ° 0*"MK*g. XI. HÖHEN-MESSUNGEN. S. 302. VERZEICHNIS* DER 29 ILLUSTRATIONEN IM TEXTE: Bulgariens Wappen. (Titel). j 1. Marktplatz zu Lovec............... 5 2. Der Dikilitas bei Jalar................. 9 3. Rusicabrücke zu Selvi................. 15 4. Plan von Lovec ................. 20 5. Mosliinscher Töpfer zu Lovec............. 43 0. Katholische Nonnen zu Orese ...".......... .53 7. Römische Sculptur zu Nikopoli.......... 64 8. Türkische Truppen zu Nikopoli............ .68 9. Zigeuner-Puppenspiel zu Mahala............. .84 10. Kampf an der Kadi-Moschee zu Plevna........... .102 11. Kloster Trojan............... . . 105 12. Mönchsschädel-Cultus im Kloster Trojan......... ... 109 13. Schule im Kloster Trojan............... . . 117 14. Ami Boue-Cascade am Mara Gedük............ ... 120 15. Panajot Hitov.................... .... 127 16. Kalofcr's Zerstörung.........* * * * ' .... 139 17. Russisch-türkisches Gefecht bei Sopot am 8. Jänner 1'............ 151 18. Bulgarischer Ackerbauer ............ 171 19. Römer-Castell zu Rahova..........210 20. Römerwerk und Strassennetz von Sofia 1S71 ........ .....212 21. Die Sofienkirche zu Sofia...... • • • .... 256 22. Raub bulgarischer Mädchen durch Tscherkessen . • • •.....*.....20l Römer-Castell Korintgrad zu Lutibrod........... .....264 24. Isker-Defile vor Kloster Ccrepis......... .... 270 25. Osikovsko gradistc im Isker-Durchbruch........... .... 281 26. Dianarelief zu Vlcodcrma............. , . . 284 27. Bulgarischer Gerber zu Berkovica............ .....287 28. Jupiterrelief von Buzadsilar ............ . , 297 29. Bulgarischer Dresch-Schlitten am Ogost......... 23 VERZEICHNIS PER 10 TAFELN: I. ANTIKE RESTE AM DIKILITAS..........* ' " 8 II. DER CENTRAL-BALKAN ZWISCHEN GABUOVO UND SELVI ...... ■ ^ III. EINQUARTIERUNG IN EINEM BULGAKEN1IAUSE..........' * 32 IV. BULGARISCHER IlORATANZ.............. . . 66 V. AM RÖMERBRUNNEN ZU NIKOPOLI................ ' ll8 VI. ROSALITA-PASS UND MAKA-GEDÜK BEI KALOFER . • ■ • • • * l2g VII. EMPFANG RUSSISCHER OFFICIERE IN DER SCHULE ZU KALOrEH . . • • ^ VIII. RABANICA-PASS BEI TETEVEN................. \ 222 IX. SOFIA AM VITOS IM JAHRE 1877............. | . 258 X. IZGORIGRAD-DEFILE BEI VRACA................ In demselben Verlage erschienen: UMSCHAU IM RUSSISCHEN TURKESTAN (im Jahre 1871) nebst einer allgemeinen Schilderung des „Turkestanischen Beckens". Von • Alexander Petzholdt. 27 in den Text gedruckten Holzschnitten und einer oro-hydrographischen Karte. Preis 13 Marli. REISE im westlichen und südlichen europäischen Russland izsi TsitLre 1855. Von Alexander Petzt* Mit in den Text gedruckten Holzschnitten tmd Karten. Preis 12 Mark. DER KAUKASUS. Eine naturhistorische sowie land- und volkswirthscliaftliehe Studie (ausgeführt in den Jahren 186S und 1864) von Alexander Petzholdt. Zwei Bände. Mit vielen in den Text gedruckten Holzschnitten, einer Ansicht von Tiflis und einer orographischen Karte. t)rm 21 #Inrfc. Die deutschen Ansiedelungen in Russland, iure icfdiicfitc und ifirc ooffisioirtlifrfmfifidic feleutung für die fcomigenlieit und Munji; Studien über das Kolonisationswesen in und über die Herbeiziehiing fremder Kulturkräfte nach Russland von Friedrich Matthäi. Preis 7 Sliorft 50 pf. VON TIRNOVO UEBER SELVI und LOVEC NACH SVISTOV. Berühmtheit des Dikilitas. - Jantrufuh.t bei Colak. — Begcastell zu I.edenik. - Türkcmlorf lustaiubul. — Seidenzucht zu Musina. — Bevölkerung eines Bulgaren-Gehöfts. — Römische Buinen. . Behefs wnd Inschriften. — Antike Ke.sto v.u Jalar. — Slavejkov und der Dikilitas. — Frauentracht — Han Malko6u. — Neue Brücke zu Selvi. — Im Ivanen hau; — Bannen an der Ki.üt-Aciwand. — W-bVanits, Donau-Bulgarien und uli- Balkan. ü. ^ mcnZc. — Rusica-Defile. — Ein Nachtlager. — Plateau von Lovec. — Dessen Ponte de Rialto. — Neue Brücke. — Dzambas Hadzi han. — Türkisches Bcschneidungsfcst. — Hadzi Chalfa und Boue über Lovec. — Die fictive Stadt Uivardze. — Antike Reste zu Lovec. — Castell. — Das römische Mclta und seine Strassen. — Byzantinische Kreuze. — Türkische Eroberung. — Aufstand 1876. — Lovec's zweimalige Eroberung durch die Russen. — Die städtische Bulgarenlegion im Kampfe. — Lovec's Plan. — Specielles Inventar einer echt türkischen Stadt. — GewcrhsthiLtigkcit. — Ahzug der Türken. — Vor und nach der letzten russischen Besetzung. — Moderner Kaimakam. — Jnngbnlga-rische Intelligenz. — Kirchen. — Der Vladika. — Hilarion und Exarch Josif. — Petrovfcst. — lm neuen Lovec. — Seine Behörden. — Präsident Radoslavov. — Häuser- und Seelenzahl. — Verbesserungen im städtischen Haushalte. — Neubauten und Schulen. — Handel. — Export- und Importfirmen. — Neue Fabrik. — Route nach Svistov. — Torf. — Ungastliches Dorf. — Rückgewanderte Bulgaren. — Tscherkessen. — Bulgareni. — Osem- und Catal tepc. — Wandernde Balkand/.i. — Ein Versuch Midhat's zur Cultivirung der Donauterrassc. — An der Donau. — Bender tepesi.^ — Grosser See. — Fischerviertel zu Svistov. — Gute Stunde. — Svistov's Lage, Handel, Mahale, Cuka, alte und neue Kirchen, Schulen und Wohnhäuser. — Eine protestantische Hochzeit. — Mr. Long's Wirksamkeit. — Das Casino. — Bildungslust. — Familiensinn im Geschäfte. — Der Kreischef. — Kloster Sv. Bogorodica. — Svistov nach der russischen Eroherung. — Administration nach russischem Modell. — Bürgermeister Anev. — Sein erspriessliches Wirken zur Verschönerung der Stadt. — Gouvernement nach Ruscuk verlegt. — Rückkehr der emigrirten Türken. — Garnison. — Svistov's Export-und Importfirmen. — Bahnlinie, Zölle, Steuern. — Nothwendigc Reformen. A.s ich am 25. Juni 1871 das interessante Tirnovo verliess, band mir der Mutessarif Haidar Bei beim Abschiede den Besuch des „Dikilitas" auf die Seele. „Effendi müssen ihn sehen und uns endlich aufklären, von welchem Volke er aufgerichtet wurde. Alt, sehr alt ist er zuversichtlich." Die anwesenden Herren des Medjlis, sowohl Moslims als Christen bestätigten lebhaft diesen Ausspruch des Gouverneurs. Denn was die Colosse von Karnak dem ägyptischen Fellah, die von drei Männern kaum zu umspannenden Säulen von Persepolis den Kindern des' vielgelobten Schiras und die sculpturreichen Pfeiler zu Uxmal dem Mexicaner, dies alles zusammengenommen bedeutet der Dikilitas (Einzelstein) den Bewohnern des danubischen Centralbulgariens. Schon zu Selvi, in dessen Nähe der Dilikitas steht, war mir erklärt worden, dass er jedenfalls vor den Genevli (Genuesen) entstanden sein mttsste, und unterliesse ich es ihn zu besuchen, so hätte ich das merkwürdigste Alterthum des Landes nicht gesehen. Nachdem im illyrischen Dreiecke mit dem Ausdruck „Genevli" gewöhnlich alles Alte (Ruinen, Münzen u. s. w.) bezeichnet wird, dessen Ursprung ausser menschlicher Aufzeichnung und Erinnerung liegt, musste mir selbstverständlich die Classifici-rung des Dikilitas unter „vorgenuesisch" eine nicht geringe Meinung von dessen Alter beibringen. Meine Neugierde war rege gemacht und der Besuch des Denkmals beschlossen. Von Tirnovo führt eine durch landschaftliche Reize ausgezeichnete Route über Kajidzik und Ledenik zur Kreisstadt Selvi. Ich wollte aber zuerst den Lauf der Jantra bei Semsi kennen lernen und nahm meinen Weg durch ihr pittoreskes Engthor, südwestlich von Tirnovo. Ein mehrtägiges Unwetter im Balkan hatte den Fluss stark angeschwellt, tosend schössen seine braungefärbten Wasser dahin und nur schwer gelang es unseren erschreckten Pferden, ihn bei Co-lak Mahalesi, wo er zwischen thonigen Grünsandsteinfelsen fliesst, zu passiren. An diesem Punkte verliessen wir das mit voller Sommerpracht geschmückte Jantrathai und stiegen nördlich über die etwa 2Va M. breite Wasserscheide zur Rusica hinab. Hart am Wege lag das schöne Bulgarendorf Ledenik, überragt von dem einst stolzen, nun verfallenen Zwingcastell eines türkischen Begs. Weiter auf sanfter Erhebung, umgeben von saftigem Wiesenland, liegt das nette Türkendorf Kis-tambul. Tiefste Stille herrschte im Orte, selbst das sonst unvermeidliche Hundegebell fehlte. Der Fremde meidet gerne türkische Niederlassungen; denn selten giebt es dort einen Han, das Einsprechen in ein Privathaus ist aber immer mit langweiligen Vorverhandlungen verknüpft. Wir trachteten also, durch die erste Gasse ins Freie zu gelangen, und stiessen in den Feldern auf einen Osmanli, welcher mit fünf weiblichen Wesen seine Ernte einheimste. Letztere griffen bei unserer Annäherung rasch nach den Kopftüchern, verhüllten sich und wandten uns in hockender Stellung den Rücken zu, während der Mann gleich auf den ersten Anruf herbeikam und bereitwilligst über den kürzesten Weg zum Dikilitas Auskunft ertheilte. Dieser ging durch tippige Getreidefelder über eine kleine Anhöhe, welche mit dünnen, horizontal geschichteten, nackt zu Tage lagernden Kalkplatten übersäet war, die unsern Aufstieg nicht wenig erschwerten. Ein dichter blauer Gentianenflor bot am Fusse der Höhe malerischen Con-trast zur hellen, grell beleuchteten, foraminiferenreichen Kalkmasse. Noch prächtiger gestaltete sich die Fernsicht gegen N. in das fruchtbare Rusicathal mit sanftem Charakter und gegen S. auf die imposanten Umrisse des Centraibalkans, dessen höchste Spitzen schneeigweiss vom blauen Junifirmament sich abhoben. Der Anblick war prächtig. Ich grüsste die hohen Bekannten, welche ich kurz zuvor bei Ueberschreitung des Sipkapasses in grösserer Nähe gesehen, und stieg nach kurzer, zur Einzeichnung topographischer Daten benutzter Rast gegen Musina hinab, dessen aufleuchtenden hellen Dächern und rauchenden Schornsteinen wir um so lieber zustrebten, als die im Zenith stehende Sonne unbarmherzig niederbrannte. Unsere Cavalcade brachte die grossen Schaf- und Hornviehherden des Dorfes auf dem weiten Wiesenplane, den wir durchreiten mussten, in einige Verwirrung. Nur die Büffel Hessen sich nicht stören. Sie nahmen eben ihr Bad. Aus einer künstlich vertieften Wasserpfütze glotzten mehrere dieser sehr stetigen Thicre mit ihren antediluvianischen Köpfen,empor; andere, nicht genug tauchende, wurden von den Hirten mittelst Schaufeln reichlich übergössen. Musina liegt anmuthig auf einem mit dichtem Eichengestrüpp bedeckten, zur Eusica sanft verlaufenden Hochplateau, welches zahlreiche Wasseradern durchschneiden. Das Dorf ist hübsch gebaut, die Häuser massiv, mit dünnen, häufig in der Umgegend vorhandenen Kalkplattcn gedeckt, und schöne Maulbeerpflanzungen sagten uns, dass hier Scidenzucht als einträglicher Erwerb, wie in den meisten Orten des Rusicagebietes betrieben wird. In dem Gehöfte, das uns gastfreundlich zur Mittagsrast aufnahm, waren die Frauen eben mit dem Sortiren der Cocons beschäftigt. Sie berechneten die Ernte auf 10 Oka (nahezu 25 Zollpfund), was eine Einnahme von 8 Thalern verhiess. Das Aufziehen der Raupen das Abnehmen, Sortiren und selbst der Verkauf der Cocons und Samen ist Sache der bulgarischen Frauen. Für die Dichtigkeit der Bevölkerung südslavischer Gehöfte sei hier bemerkt, dass im Hause, in dem wir unsern Kef hielten, 10 Seelen, nämlich ein altes Ehepaar mit 3 verheiratheten Söhnen, deren Frauen, 7 Enkeln und einer unverheirateten Tochter lebten. Der Statistiker darf auf jedes bulgarische Haus hier kühn 10 Köpfe als eine annähernd richtige Gesannntzahl rechnen. Die Erkundigungen, welche ich über diesen wichtigen Punkt einzog, wurden von dem intelligenten Kniet Musina's bestätigt. Ihm verdankt das wohlhabende Dorf sein Schulhaus, in dem ein in Russland erzogener Bulgare unterrichtet. Auf durch wohlthuend schattige Laubwäldchen ziehenden Pfaden suchte uns der Ortsrichter zum ersehnten Ziele, zum Dikilitas, zu bringen. Er kürzte den Weg mit phantastisch klingenden Erzählungen über dort gefundene merkwürdige Riesenskelette u. s. w. Beim Verlassen des letzten Gehölzes wurde uns endlieh der überraschende Anblick einer freistehenden riesigen Säule, zwischen mehreren Tumuli, auf der sanft gewellten, mit einzelnen Baumgruppen bewachsenen un-cultivirtcn Hochebene. Was wir sahen, erwies sich, näher gekommen, nicht als Säule, sondern als kühn aufstrebender, nahezu quadratischer Pfeiler von etwa 10 Meter Höhe, welcher auf 4 Meter hohem Piedestal stolz in die Luft ragte; dicht neben letzterem stand ein zweites, dessen herabgestürzter Pfeiler aufgelöst in die einzelnen Stein Würfel, sich in merkwürdig regelmässiger Linie staffeiförmig ins Erdreich eingebohrt hatte. Dies war jedoch nicht alles, ganz nahe lagen in einer Vertiefung, im buntesten Chaos durcheinandergeworfen, die von Disteln und Schlingpflanzen überwucherten Reste eines monumentalen Prachtbaues. Ich fand sculptirte Friese, Deckplatten von 1,26 Meter Breite und 2,53 M.Länge mit ornamentirten quadratischen Füllungen, ferner reich profilirte Simse, Pilaster, Säulen, zwei reliefgeschmückte Frontispice, endlich unter vielen zierlichen Werkstücken drei riesige Platten mit Figuren und theilweise noch lesbaren griechischen Inschriften, wie die beigegebenen Abbildungen dies alles viel besser als jede weitläufige Beschreibung zeigen. Der Dikilitas bei Jftlar. *A 60 Mau hatte also nicht zu viel vom „Dikilitas" gefabelt. Ich fand jedenfalls mehr, als ich nach den gewöhnlich phantastischen Uebertreibungen erwartet hatte. Leider wird auch der „Einzelstein" nicht lange mehr als Wahrzeichen einer stolzen geschichtlichen Vergangenheit dieses Bodens fortleben. Die obersten 1,26 M. breiten, 1,58 M. dicken und 0,70 M. hohen Werkstücke haben sich im Laufe der 16 oder 17 Jahrhunderte bedenklich gelockert, einzelne sind bereits von ihrer luftigen Höhe herabgestürzt, und die noch emporragenden zwölf werden den rastlosen Einflüssen der Witterung nur kurz widerstehen. Zusammenhang und Bestimmung der beiden hohen Pfeiler, welche einem Viaduct angehört haben mochten, werden mit Sicherheit erst bei künftiger planmässiger Blosslegung des angrenzenden Terrains festgestellt werden können. Die von mir Herrn Mommsen mit-getheilten 1,26 M. langen Bruchstücke griechischer Inschriften besagen: „Der Senat (?) und der Priester . . ." dann „und des Vaters und der Mutter", geben also über den Zweck der zerstörten Monumentalbaute nur geringen Aufschluss, ihre figuralischen Sculpturen waren alle der Verherrlichung der Jagd gewidmet. Vielleicht stand hier ein Tempel der Diana. Ein Fnmtispice-Relief, sehr lebendig in der Gruppirung, wenngleich etwas schematisch ausgeführt, zeigt einen Reiter mit Hund auf der Eberjagd, ein zweites einen Schild mit horizontalem Jagdspeer und ein dritter Stein einen Jäger mit der Beute in der rechten Hand, begleitet von seinem Hunde. Die Gesimsglieder sind mit Akanthusblatt, Eierstab und Zahnschnitt, die Facetten der Deckplatten mit Herzblatt, Weintraube u. s. w. verziert. Das Material der Pfeiler und des Monumentalbaues besteht aus hartem Jautrastein, welcher der Verwitterung ausserordentlichen Widerstand leistet. Der Boden um den Dikilitas erscheint an vielen Stellen durchwühlt, trotzdem mögen aber weit mehr antike Schätze in der Erde, als zu Tage liegen. Auch die benachbarten Tumuli hatten Beutelustige angelockt. Zwei waren vor etwa zehn Jahren vom Mutessarif Ali Bey zu Tirnovo eröffnet worden. Nach der Führung eines Schachtes stiess man auf eine aus Steinplatten gebildete Grabkammer, welche Knochen, einen Ring mit Schlüssel, ferner eine Lampe und viele keramische Scherben enthielt; leider zerstiebte der interessante Fund in alle Winde. Während meiner zeitraubenden Aufzeichnungen war unvermerkt der Abend eingebrochen. Die Rusica und jenseitige sanft profilirte Hochebene erglänzten bereits in duftigsten violetten Tinten, wir mussten daher trachten unser 1 Stunde entferntes Nachtquartier Jalar zu erreichen. Mit dem Verschwinden des Sonnenballs übte die baumlose weite Ebene, über welche wir zwischen zerstreuten Tumuli hinzogen, einen düsteren Eindruck, den erst der frohe Sonntagslärm in unserem Konak verscheuchte. Kurz vor Jalar war ich auf einen in ziemlich langer Strecke von den Bauern bloss gelegten Wasserleitungscanal gestossen, und am nächsten Morgen fand ich ANTIKE RESTE AM DIKILITAS. westlich vom Dorfe neben dem türkischen Friedhofe einen antiken, dessen Sarkophage, Grabsteine und reichornamentirte Fragmente eines Bogens von 1,58 M. Durchmesser für die grosse Ausdehnung der hierortigen, zuverlässig zum Dikilitas und jenseitigen Nicopolis ad Haemum in naher Beziehung stehenden Römer-colonie sprachen. Hier möchte ich der ganz unrichtigen Angabe des bulgarischen Schriftstellers Slavejkov über den „Dikilitas" gedenken, welche leider mehrere gelehrte Historiker zum irrigen Schlüsse führte, die folgenreiche Schlacht von Nikopoli (1396) sei nicht an der Donau, sondern an der Rusica geschlagen worden. Im IX. Capitel werdeich das Irrige dieser Behauptung erörtern; hier begnüge ich mich, gestützt auf meine auf dem Terrain gewonnenen Grundlagen, Herrn Slavejkov gegenüber auf das bestimmteste zu erklären, dass seine dem russischen Staatsrath Palauzov gegebenen Daten*) über den Dikilitas vollkommen falsch sind. Dieser steht nämlich nicht auf dem linken, -sondern auf dem rechten Ufer der Rusica — nicht an ihrem Zusammenflüsse mit der Jantra, sondern 4 Meilen entfernt von diesem — nicht nordöstlich von Nikup, sondern südwestlich davon — er ist auch kein türkisches Siegesdenkmal, sondern der stehengebliebene Pfeiler eines römischen Viaductes — endlich ist es falsch, dass auf seiner Stätte keine Spur von Inschriften sich vorfindet — denn meine erwähnten Funde (s. die Illustration) zeigen das Gegentheil! Herrn Slavejkov's unrichtige topographische Angaben mussten umsomehr das Urtheil Palauzov's, des Odessaer Professors Brunn u. A. beirren, als er in slavischen Kreisen allgemein als bester Kenner seines Vaterlandes Bulgarien gilt und zudem längere Zeit im Stätdchen Gabrovo nahe beim Dikilitas wohnte. Nicht immer folgt der Verdunkelung einer Thatsache so rasch ihre Aufhellung, als in diesem speciellen Falle. Er birgt die ernste Mahnung für den Historiker, nicht allzu apodiktische Schlüsse auf Grundlage einer einzigen „gleichzeitigen" Quelle aufzubauen! Es wurde mir sehr schwer Jalar, das eine lohnende archäologische Ausbeute versprach, schon nach wenigen Stunden verlassen zu müssen. Künftige Spe-cialforscher werden dort zuversichtlich ihre Rechnung finden. Auch das östlichere nur 5 Kilom. ferne Hodnica, bei dem ein die Grenze zwischen Moesia inferior und Thracia bestimmender Grenzstein vom Jahre 136 n. Chr. gefunden wurde**) und wo grosse Steinbrüche für das nordöstlichere Nicopolis ad Haemum arbeiteten, wäre zu besuchen. Somit seien ihnen beide Punkte ganz besonders em- *) Sitzungsberichte der k. bairischen Akudemie der Wissenschaften zu München. 1869. II. Bd. S. 274. **) Mominsen, Corp. inscr. lat. p. 922. Jirecek, Hcerstrasse von Bolgr. n. Const. S. 154. pfohlen. Wieder stiegen wir die Höhen des Dorfes Musina hinan, diesmal S, W. auf wenig begangenem Pfade und in fortwährendem Kampfe mit dem uns hart zusetzenden dichten Gezweige, das wir im Gänsemarsche durchbrechen mussten. Von Jalar's 79 M. hohem bewaldetem Bachuferrande betrug der Niveauunterschied bis zum Rücken des Plateau's über 300 M. Dicht unter uns erblickten wir nun die durch den Telegraph gekennzeichnete, nach «elvi führende Hauptstrasse und das hochgelegene ferne Malkocu aus dunklem Waldstreife hervortretend, welcher mit den grell beleuchteten Abstürzen des Sipka-Balkans lebhaft contrastirtc. Nach kurzer Rast verliessen wir den hübschen Aussichtspunkt und gelangten nun zum grossen Bulgarendorf Novoselo, das bereits dem Kasa Selvi angehört. Die Frauen des Hofes, in dem wir Mittagsruhe hielten, hatten den weissen, tellerartigen in Tirnovo's Umgebung gebräuchlichen Kopfputz, mit einem dem Kreise Selvi eigentümlichen weit kleidsameren vertauscht. Er besteht aus einem reich farbigen Tuche, das mit einem Blumenkranz am Scheitel befestigt, lang herab auf den Rücken fällt, die Kinder tragen aber buntgestickte Käppchen mit quastenartig nach rückwärts hängenden blauen Fäden. Die schöne Hochebene, welche wir gegen W. bis Malkocu durchschnitten, gehört sicher zu den cultivirtesten, obstreichsten Landschaften und ihre Strasse zu den vorzüglichsten Donau-Bulgariens. Der von einem moslimschen Selvicr «-•ehaltene isolirte Kanli Kuru han bildet einen angenehmen Rastpunkt. Man findet hier immer einige Gäste, denn ganz nahe münden die von Pleven und Svistov kommenden Vicinal-Strassen in die grosse nach Sevlijevo und Tirnovo führende Chaussee; trotzdem ist sie wenig belebt. Die Staffage beschränkt sich auf einige Reiter und Fussgänger. Selten begegnet man einer Lastthiercaravane, noch seltener einem Wagen. Bald nachdem wir mit einem Strassenbugc nach S\V. eine niedere Wasserscheide überschritten hatten, senkten wir uns auf mehreren ganz unnöthig ausgeweiteten zeitraubenden Curvcn durch ein Defile von düsterem Charakter, bei einem Blockhause hinab zur Rusica. Einen Theil der unheimlichen Landschaftsstimmung riefen die Schatten eines über uns wegziehenden Gewitters hervor; bei sonnigem Wetter mag sich der locale Eindruck vielleicht in das Gegentheil verkehren, denn stellenweise erschien das Terrain links unter Cultur gesetzt und die rechtsseitigen Berghänge bedeckt dichter Laubwald bis zur Strasse herab. Bei dem ausschliesslich moslimschen Dorfe Bogatovo, dessen bulgarischer Name „gesegneter Ort" bedeutet, ging der Charakter des allmälig sich verbreiternden Thaies in den freundlichen der Ebene1 von Selvi über, in welche es ganz unbemerkt hinausführt. Abermals ritten wir über die neue siebenbogige Rusica-brücke. Die Spannweite ihrer von den Ufern nach der Mitte sich erhöhenden 7 Bogen, auch ihre Pfeiler und Widerlager aus Bruchsteinen zeigen treffliche Ver- DER CENTRAL-BALKAN ZWISCHEN GABROVO UND SELVI. hältnissc, nur die in türkischer Weise von beiden Enden scharf ansteigende Bahn ist nach unsern Begriffen sehr steil und schmal, doch für den dortigen Verkehr genügend. Mit Vergnügen betrachtete ich den schönen, auf Midhat Pasa's Anordnung von einem bulgarischen Werkmeister ausgeführten Bau und gelangte wenige Minuten darauf Über das schauderhafte Pflaster der Stadt zu dem mir von meinem ersten Besuche her wohl bekannten „Ivancuhan". Der intelligente Handzi hatte sieh in der Zwischenzeit mit einem Tischler alliirt, und als ich in Ivancu's gastliche Hallen einritt, kündigte er mir sofort mit grosser Genugthuung an, dass nun Alles „ä la franca" eingerichtet sei. Wirklich fand ich das früher kahle Zimmerchen mit dem nothwendig-stcn Mobiliar ausgestattet. Wohl waren die Füsse des Tisches viel zu hoch, der Stuhlsitz zu niedrig ausgefallen, doch auf so primitivem Boden sieht man über derartige Kleinigkeiten hinweg; selbst ein kleiner Spiegel und eingerahmte Lithographien zierten die weissen Mauern, ein Rechen zum Aufhängen der Kleider war auch vorhanden — welcher Fortschritt! Gerne lobte ich Ivancu Sacioglu so viel ich konnte; die Temperatur in dem kleinen Räume war jedoch unausstehlich, das Thermometer zeigte (20. Juni Abends) noch 8509669373^03^ 0364544^6107 22° R. Ich flüchtete mich auf den Balcon, welcher in 213 Meter Sechöhe die entzückendste Fernsicht nach dem schneeigen Balkenzuge von Öipka bis Kalofer bot. Das prächtig gemusterte Balcongittcr von Schmiedeeisen gereichte seinem Tirnovoer Meister zu hoher Ehre und bildete den schmucksten Theil des kleinen Neubaues in europäischem Style, welchen der speculative Ivancu seinem sonst echt türkischen, halb verfallenen Han angefügt hatte. Wie zufrieden könnte der Reisende sein, fände er stets im illyrischen Dreiecke solche Unterkunft, wären Essen und Wein immer so trefflich wie im Han zu Selvi! Der Prophet hat wohl den Weingenuss, aber nicht den der Weintraube verboten. Die moslimschen Bewohner der Stadt pflanzen sie mit Vorliebe, da sie sonst wenig zu produciren verstehen. Die östliche nächste Umgebung der im I. Bande bereits geschilderten Stadt gleicht einem riesigen Weingarten. Zwischen rebenbewachsenen Hängen zieht W. von Selvi die Strasse gegen Lovec hin, welche ich am 27. Juni Nachmittags einschlug, um auf einem Abstecher von der grossen Route zunächst den Punkt des Rusicaeintrittes in das Defile von Bare festzustellen. Auf dem rechten Flussufer nördlich der Stadt fand ich die steilabstürzende Höhe von Kursovo, genannt „Süüt Atschi", vom Wasser, wie durch Menschenhand mit colossalen Runnen bedeckt. Selten sah ich ein sprechenderes Beispiel der langsam wirkenden Gewalt des Neptunismus als an diesem kahlen Hange. Kleinlich erschienen neben diesen unmessbaren Äusserungen der nie ruhenden Naturkraft fünf, vielfach bereits eingesunkene Tumuli, welche links am Wege auftauchten, und noch ärmlicher die kleine Brücke über das von Akindzilar und Rahova herabkommende Bächlein. Nach etwa Vj2 St. ritten wir die nördliche Hochebene hinan, auf welcher das rein moslimsche Körmence liegt. Seine Jugend empfing uns mit nicht sehr schmeichelhaften Rufen; einige am Dorfbrunnen beschäftigte Frauen suchten jedoch durch ernste Mahnungen Ruhe zu schaffen. Indessen war auch mein Zaptie Mehmed Ibrahim mit dem Muhtar zurückgekehrt, und sobald dieser über Zweck und Dauer meines Aufenthalts verständigt war, eilte er uns nach dem Mussafirlik zu bringen. Ich überliess die Installation meinem Dragoman, nahm den Dorfzigeuner als Führer, den Zaptie als Schützer gegen allenfallsige inqui-rirungslustige Fanatiker und schlug sofort den Weg zur Rusica ein. Anfänglich ging es auf steiniger Bahn, dann aber auf prächtigem Waldpfadc weiter, welcher hochansteigend in 2 St. über Gradiste nach Serbia führt. Es dauerte nicht lange und wir hatten einen Punkt erreicht, der einen trefflichen Einblick in das Defile gewährte. Die Stelle lag unfern jener, wo ich das Rusica-thal am 10. Juni verlassen hatte. So erhielt ich mit erwünschtester Sicherheit die vervollständigenden Daten für diesen wichtigen Theil des Rusicalaufes. Sein eigentliches Steildefile zwischen Körmence und Bare beträgt höchstens eine Meile; wird einst Selvi mit Nikopoli direet verbunden, so dürfte es den Eisenbahn-Ingenieur kaum abhalten, seine Trace in dasselbe zu legen. Schon gegenwärtig erscheint aber die Herstellung der durch Felsabstürze unfahrbaren Strasse dringend geboten, denn das Defile bildet die natürlichste Verbindungsstrasse vom Balkan über Selvi nach der Donau. Als ich spät am Abend von meiner Fussparthie zu Körmence eintraf, suchte ich im „Mehmed Mussafirlik" ermüdet mein Lager auf. Bei meiner Abgewöhnung alles Comforts berührte mich die sonstige absolute Leere in dem kleinen Räume ebensowenig, wie die klaffenden Risse in den Papierscheiben, welche der kalten Nachtluft freien Zutritt gestatteten. Selbst das unmittelbare Angrenzen des Pferdestalles störte mich nicht, bald den Uebergang ins „Reich des Unbewussten" zu finden, Dank meinen osmanischen Wirthen, welche eine wahrhaft übertriebene Sorge für meine Diät bezeigt hatten. Das lucullische Abendbrot bestand aus einem röthlichen Absudwasser von Birnen, jener türkischen Lieblingssuppe, welcher ich leider niemals Geschmack abgewinnen konnte, aus einigen aufgeschlagenen Eiern, etwas Topfenkäse mit dickteigigem warmem Brot und Wasser. Die wackeren Körmenöer glaubten wahrscheinlich das möglichste geleistet zu haben, Allah lohne es ihnen und nehme dabei mein dem Muhtar beim Abschiede mit blumenreicher Phrase gereichtes Baksis nicht in Betracht. Mit der kaum ins Thal getretenen Frühsonne zogen wir auf der nach Lovec führenden Hauptstrasse 0. W. weiter über die prächtige Hochebene. Sie bildet in jeder Beziehung, landschaftlich wie geologisch, die westliche Fortsetzung des kurz zuvor geschilderten Balkan - Plateau zwischen Tirnovo und Selvi. In leicht gebogener Linie ersteigt man die Terrasse, überschreitet sodann die Ostrice-vicka rjeka auf guter Brücke und gelangt hierauf in drei steilen Serpentinen an einem Han vorbei, zum höchsten, 242 M. über Selvi und 192 M. über Lovec sich erhebenden Strassenpunkt. Auf dem Wege blickt man in die dicht bewaldeten Einschnitte von Ostrec und Bivol und in das fruchtbare Thal von Kerefc Pavlikan hinab, während gegen N. die ausgedehnten Felder und Weiden von Brestovo, Kakrina und Preseka mit riesigen Ochsen- und Schafherden auf den Wohlstand dieser hochliegenden Ortschaften schliessen lassen. Die Strasse ist im Allgemeinen trefflicher gebaut als tracirt, denn die genannten Dörfer bleiben alle fern ausser ihrem Bereiche, und während sechs voller Stunden sieht der Reisende, einen Wachtthurm und Han ausgenommen, keine menschliche Behausung. Obschon meine Arbeiten öftere Aufenthalte herbeiführten, war es doch erst 3 Uhr N., als wir das breite Thal des Osem und kurz darauf, mit einer Curve gegen S., die von ihm durchfiossene Stadt Lovec erblickten. Wie. bestechend farbenprächtig und malerisch sind doch alle diese moslimschen Städte aus der Ferne gesehen! Welch unangenehme Enttäuschungen warten 12 von tirnovo dbber SELVI l'Nli LOVEC nach BViStOV. wieder unser? denkt aber der erfahrene Orientkenner im ersten Moment der Ernüchterung, und diese erfolgt regelmässig, sobald er sie betritt. Durch die östlichste Strates-Vorstadt gelangten wir «abwärts an eine jammervolle Brücke, welche das Mustapha- und Dolne Krai-Mahle mit dem linken Osemufcr verbindet. Das schlechteste deutsche Dorf würde einer gleich hässlichen, wie gefährlichen Baute sich geschämt haben, die auch überdies ähnlich dem „Ponte de Rialto" als Bazarsich präsentirte. Mögen es mir Antonio da Ponte und Luigi Boldu, die grossen Meister der zauberhaften Lagunenstadt, verzeihen, wenn ich ihren kühnen Prachtbau und seine coquetten Läden auf einer Buchseite mit dem elenden Holzgc-rümpel der Lovecer „Osma köprüsü" nenne, deren Knüppelbahn und Löcher für die Füsse meines Pferdes bald verhängnissvoll geworden wären. Die einzige Lichtseite dieser schauerlichen Brücke war der kühlende Schatten, welchen ihr wackelig überhängendes Bretterdach den Passanten und Verkäufern im Sonnenbrand gewährte. Im Jahre 1874 ist diese Brücke ihrer allzugrossen Baufälligkeit wegen endlich abgetragen worden und an ihrer Stelle erhebt sich eine von Meister Nikola aus Drenovo erbaute, auf 7, mit Löwen und andern Sculpturen verzierten Pfeilern aus Sandstein vom nahen Orte Redeven. Ihr hölzerner Oberbau enthält auf beiden Seiten der Fahrbahn hundert kleine Läden, deren Mietherträg-niss nach einem Beschlüsse des Gemeinderathes (biljadije) den türkisch-bulgarischen Schulen der Stadt gewidmet werden sollte. Die Bulgaren klagten jedoch früher, dass die türkische Verwaltung schlecht wirtschafte und das Einkommen grossentheils zur Restauration verfallender Moscheen verwende. Dies wird nunmehr wohl anders geworden sein. Zu Tirnovo empfahl man mir im „Han Moca" abzusteigen, den eine „Wittwe in besten Jahren" betrieb. Ein Blick in das Haus zeigte jedoch, trotz schmeichelnder Zuspräche der hübschen Wirthin, so wenig Einladendes, dass ich sofort wieder aufsass und in dem von unserm Zaptie gerühmten „Dzambas-Hadzi hau" Quartier nahm. Zufälliger Weise war sein nach dem Hauptplatze gehendes Staatszimmer, ein ehemaliger Kaffeesalon, frei, und bald war er durch auf sein Ziegelpflaster gelegte Rohrmatten, einen herbeigeschafften Tisch und Sessel in ein so luxuriös ausgestattetes Gemach verwandelt, wie ich nur an wenigen Tagen meiner Balkanreisen mich eines solchen erfreute. Die Fenster boten zudem die allcrbc-quemste Gelegenheit, das unter ihnen sich entfaltende nationale Gewirrc zu skizziren, von dem meine Illustration einen schwachen Begriff giebt. Einen Mangel zeigte jedoch der sehr reinliche, echt türkische Han, dass er ausser Kaffee keine Küche bot Auch diesen Nachtheil behob aber mein Dragoman, indem er selbst die notwendigen Proviant-Einkäufe besorgte und durch die nahe wohnende Frau unseres Handieners Mehemed bereiten Hess. Der Leser ersieht aus dieser etwas dctaillirtcn Schilderung, dass die In- stallation des Reisenden in einer echt türkischen Stadt keine leichte Sache ist. Dass Lovec aber zu diesen gehörte, verkündete, abgesehen von seinem Gesammtein-drucke, gleich in der ersten Stunde eine höchst pittoreske Procession, welche lärmend über den Platz zog. Drei vornehmere türkische Knaben waren am Tage meiner Ankunft in Mohanied's Gemeinde durch die übliche Beschueidung aufgenommen worden und zogen nunmehr in festlichem Pompe hoch zu Rosse, unter Vortragung grosser Fahnen, mit ohrengefährlicher Zigeunermusik, von ihren männlichen Verwandten zu Pferde und zu Fuss geleitet, durch die Stadt. Das zusammenlaufende Volk ergötzte sich an dem bunten Schauspiele, das allerdings nur einen blassen Abglanz der prunkhaften Feste bildete, mit welchen die Beschneidung der sultanlichen Kinder (suri chatan) zu Constantinopel begangen wird. Seit wann feierte aber der Moslim zu Lovec seine Feste? Ich erwähnte bereits, wie spärlich die Quellen für die Geschichte türkischer Städte fliessen. Alles was ich aus Büchern über Lovec erfahren konnte, bestand in der fragmentarischen Mittheilung des alttürkischen Geographen Hadzi Chalfa, welche v. Hammer übersetzte: „Lowtscha am östlichen Rande eines Berges, von Feldern und Gärten umgeben, wurde im J. 80(5 (der Hedschra) von Mohamed dem Eroberer eingenommen und liegt 12 Tagereisen von Constantinopel; der Fluss Osme geht mitten durch und ist mit einer grossem Brücke überbaut. Die herumliegenden Gerichtsbarkeiten sind: Pilawna (Pleven), Uivardsche*) und Rahowa." Sonst schilderte nur noch Ami Boue Lovec (1840) in zwei Zeilen: „Tille de 12 ä 15,000 hak y compris 300 familles chretiennes, 8 ä 9 mosquees ä minarets." Nachdem diese mageren Worte Alles repräsentirten, was über das ehemals so berühmte und heute noch wichtige Lovec in Büchern zu finden war, so musste ich auch hier gewisser-maassen dem Terrain selbst Befriedigenderes über die Vergangenheit abzuringen versuchen. Sieht man von den Tumuli im Bereiche von Lovec ab, so datiren die ersten sicheren Spuren einer älteren Ansiedlung daselbst aus der Römerzeit. Vor dem Kaffee Stambul Oglu sah ich auf offener Strasse im Pflaster des Dolni Krai, gänzlichem Verderben preisgegeben, einen arg verstümmelten Votivstein, welchen ich copirte und der nach Mommsen's Entzifferung aus der Consulatszeit des Maximus und Paternus, also 233 Jahre nach Chr. herrührt. Zwei andere Inschriftsteine befinden sich, die Schrift nach unten gekehrt, im Strassenpnaster des Gorni Krai's, und vielleicht gelingt es meinen Nachfolgern sie aus ihren Banden zu befreien. An einem Bulgarenhause sah ich das linke Eckstück eines römischen Sarkophags *) Ich bemühte mich lange vergeblich den Namen dieses Bezirks zu eruiren, endlich fand ich ihn auf Oherst v. Schedas Karte als türkische Benennung eines Städtchens „Visedrina" am Ogost, das aber dort in Wirklichkeit gar nicht existirt. Diese Tbatsachc illu»trirt mit andern den traurigen Zustund, in dem die Karte Bulgariens bis zur letzten Zeit herab sich befand. eingemauert, welches einen geflügelten schlummernden Genius mit nach unten gehaltener verlöschender Fackel, auf einem Felsen sitzend, darstellt. Dieses Relief wurde während eines Mühlenbaues am Osem gefunden. Weit interessanter als diese fragmentarischen monumentalen Reste sind aber die Rudera des Castelles, welche ich auf dem heutigen „Hisar bair". (Schlossberg) am rechten Osemufer traf. Ich erstieg sein Plateau im Zickzack durch enge Gässchen und fand auf der das Flussdefile beherrschenden Höhe viele Ziegel, Steinplatten und Säurenreste, die ich sogleich als römische erkannte. Die colossalen Mauern sind dem Anscheine nach durch Pulver gesprengt und allmälig wahrscheinlich zu Neubauten in der Stadt verwendet worden. Noch ist aber der Castellumfang leicht bestimmbar und nach Jirecek's klarer Darstellung herrscht kein Zweifel, dass hier die Mansion Melta stand, welche einen wichtigen Strassenknotenpunkt in Moesia inferior bildete; denn von Philippopolis über den Balkan herabsteigend, führten von hier nordwestlich eine Strasse nach Oescus, eine nördlich nach Novae, eine nordöstlich nach Nicopolis ad Haemum und eine vierte östlich in das obere, stark befestigte Iskergebiet. Die Bischofsstadt Lovec (Jägerburg) spielte auch in byzantinisch-bulgarischer Zeit eine bedeutende Rolle. Dafür sprechen, von alten Quellen und Traditionen abgesehen, zwei auf dem Plateau ausgegrabene Metallkreuze mit prachtvoller Patina. Ich erwarb dieselben und verehrte sie Herrn Katzler, welcher die figuralischen Illustrationen dieses Werkes so trefflich auf Holz übertrug, für seine Sammlung von Antiquitäten. Nach dem obigen Citate Hadzi Chalfa's wurde Lovec 1449, nach anderen Quellen bereits gegen Ende des 14. Jahrb. von Sinan Pasa definitiv erobert. Zu jener Zeit befand sich nach der cursirenden Sage am nördlichen Ausgange des Mustapha Mahle, nahe der Strateska cesma, wo gegenwärtig noch Reste der alten Stadtbefestigung zu sehen sind, ein Thor. Die christlichen Vertheidiger, wird erzählt, leisteten dort lange hartnäckigen Widerstand, dies führte die türkischen Belagerer zu einer List, welche glücklich ihren Zweck erreichte. Sie jagten nächtlicher Weile eine grosse Widderherde, mit brennenden Fackeln an den Hörnern, gegen das erwähnte Stratesthor; die Bulgaren dachten an eine übernatürliche Erscheinung, öffneten es und mit den Widdern drangen die stürmenden Moslims ein. Vergebens war nun der Bulgaren weitere Gegenwehr, bis zu den Werken des südlichen Stadtviertels Dresteni zurückgedrängt, fielen sie dort unter den Streichen der türkischen Uebermacht. An dieser Stelle „Seitli" (geheiligte Stätte) genannt, befindet sich heute noch neben dem christlichen ein verlassener türkischer Friedhof, welcher bei den jenseits wohnenden Moslims in hohem Ansehen steht, weil ihre gefallenen Glaubenskämpfer dort begraben liegen. Während des russisch-türkischen Krieges 1810 wurde Lovec vom General Wo-ronzoff besetzt und litt furchtbar durch epidemische Krankheiten. 1853 wurden die alten Erdwerke, welche man beim Heranznge der Hussen 1828-29 eiligst aufgeworfen, namentlich jene auf dem „Bas kulesi« und „Tabia bair" ausgebessert Als im J. 1876 der in allen Balkanstädten vorbereitete bulgarische Aufstand hell aufloderte, entging Lovec nur durch die Besonnenheit seiner Patnoten dem unglücklichen Schicksale, das Selvi (I. Bd. S. 212) und andere Nachbarorte erreichte. Im April wurde wohl der an das Rahovicaer Central-Comite entsendete Kaufmann Janko Urumov zu Selvi gefangen genommen, später aber frei ge assen, und trotz dringender Aufforderungen vom transbalkaniscben Aufstandsherde Ko-privstica, welche ein rasches Losschlagen forderten, blieben die Lovecer ruhig, da sie den damaligen Moment zur Erhebung nicht günstig erachteten, und in gleichem Sinne suchten sie auch die bei Trojan sich sammelnden Cetas zu beeinflussen. Trotzdem wurden in Lovec 33 junge Leute als „Komiteti",, kverhaftet, nach Ruscuk abgeführt und erst nach der durch englischen Ein-fluss bewirkten Amnestie wieder freigelasssn. Weit unheilvollere Heinisu-clmngen ereilten Lovec im russischtürkischen Kriege 1877. Als General Krüdener Mitte Juli den Befehl erhielt Plevna wegzunehmen, entsandte er zur Deckung seiner linken Flanke ein Kosaken-Deta-chement nach Lovec. Einige Tage früher beorderte Osman Pasa ein Nizam-Bataillon mit einigen tschcr-kessischen Reitertrupps in derselben Richtung mit dem Auftrage, bei Selvi die Unterbrechung der russischen Verbindungen zu bewirken LOVEC Christliche Mahle: 1. Dolni Krai M. 2. Harmane M. 3. Gorni Krai M. 4. Dresteni Krai M. Moslimsche Mahle: 5. Mustapha M. 6. Dikisan M. 7. Abdurrahman M. 8. Kiatib Veli M. 9. Caus Mehemed M. 10. Ciganc (Parcal) M. scnen vertnnüungen zu Dewimen. . ff Dies scheiterte jedoch durch das glückliche Gefecht, welches Oberst Serabkofi «n 16. Juli den Türken lieferte (I. Bd. S. 213). Die Russen folgten dem retirirenden Feinde, und schon am nächsten Tage — wie mir ein ver Augenzeuge berichtet - erschien dort der Essaul Lavrov mit 600 Kosaken u 2 Geschützen. Am Stratos entwickelte sich ein kurzer Kampf, die hiei au g worfenen Schützengräben wurden von Nizams und Basibozuks bald aufgegeben und nachdem 20 Mann gefallen, flüchteten sie gegen Plevna. Lavrov rccognos-cirte in westlicher Richtung, Hess jedoch 200 Russen sammt den Kanonen zurück und ordnete die Aushebung von 000 jungen Leuten an, welche als „Loveanska-tu mlades" nun Lovec vertheidigen sollten. Ihre erste Handlung war die Entwaffnung aller moslimschen Einwohner; diese Vorsicht war dringend geboten, denn nachdem Osman Pasa den mit viel zu schwachen Kräften operirenden Krüdener bei Plevna geschlagen, dirigirte er Risa Pasa mit G00O Mann Infanterie, 500 Reitern und einer Batterie nach Lovec. Dort hatten sich die Kosaken auf den rechtsseitigen Osmahöhen, die „Mladcs-Legion" auf dem linksseitigen Cerveni breg postirt. Am 27. Juli erfolgte der türkische Angriff dem die schwachen Verteidigungskräfte bald weichen mussten. Die Russen zogen sich in guter Ordnung gegen Selvi zurück; die Bulgaren aber, welche für Haus und Familie kämpften, wichen nur schrittweise und setzten ihren beldenmütbigen Widerstand noch in den Strassen fort. 200 Legionäre, darunter Naiden Voinov, ein protestantischer Jungbulgare, fielen im Ilarmane M. und seiner nächsten Umgebung. Nur wenigen Einwohnern gelang es, auf der Seivier Strasse zu entkommen, die Mehrzahl wurde von den verfolgenden Tscherkessen in die Stadt zurückgetrieben, wo die Basibozuks die bulgarischen Viertel plünderten. Viele Christen, auch der mit Weib und Kind flüchtende Schriftsteller Pavlo Mirov wurden am Bas kulcsi tepesi getödtet. Einige Hundert Frauen und Kinder fanden im festen Ivancu Achmak konak des Gorni krai eine Zufluchtsstätte, wo «sie wackere türkische Nizam - Offiziere gegen die Misshandlungcn der wüthenden Tscherkessen schützten. Durch Adil Pasa's in und bei Lovec stehende Division fühlte der von Suley-man Pasa auf dein Öipka hart bedrängte Radetzky seine Verbindung mit dem Hauptcorps stetig bedroht. Zum offenen Angriffe fehlten jedoch ausreichende Streitkräfte, so wurde Skobeleff angewiesen Lovec durch Ueberrumpelung wegzunehmen. Der kühne Reitergeneral versuchte dies am 9. August mit 3 Kosaken-regimeutern und gleich viel Bataillonen Petruchevsky. Die türkischen Vorposten erwiesen sich aber wachsamer als gewöhnlich und Skobeleff wurde gezwungen seine alten Stellungen aufzusuchen. Am 21. August ermannte sich Adil Pasa zu einem kraftlosen Offensivstosse gegen Selvi, die combinirte energische Bewegung der Generale Dragomiroff und des mittlerweile durch das 64. Regiment und eine Batterie verstärkten Skobeleff Hessen ihn aber ohne Erfolge bald den Rückzug nehmen. Am 31. August erfolgte auf Osman Pasa's Befehl ein erneuter verunglückter Vorstoss des Lovecer Corps gegen die russischen Verbindungen bei Selvi, welchen ich im I. Bd. S. 213 schilderte. Die unausgesetzt eingetroffenen Verstärkungen befähigten die Russen nun EINQUARTIERUNG IN EINEM BULGARENHAUSE. selbst die Offensive auf allen Punkten zu ergreifen. Am 3. Sept. wurde von dem an Dragomiroffs Stelle beorderten Fürst Imeretinski mit einer Brigade der 2. Division und Skobeleff's gemischtem Detachement der Angriff auf Lovec unternommen. Am Frühmorgen beschoss die russische Artillerie aus während der Nacht auf der Höhe bei Preseka hergestellten Emplacements die türkischen westlichen Werke und Stellungen, welche diesen unerwarteten Angriff anfangs nur schwach beantworteten. Bald fügte aber das aus den zweckmässig aufgeworfenen Schützengräben kräftig unterhaltene türkische Feuer der sich vorschiebenden russischen Schützenbrigade bedeutende Verluste zu. Erst als General Dobrowolsky, unterstützt durch das wohl gezielte Geschützfeuer des Oberst Solotuöin, mit allen vier Bataillonen und dem 12. Reg. der III. Infanterie-Division zum dritten Mal angriff, gelang es den braven Truppen um 11 Uhr den linken türkischen Flügel aus seiner hartnäckig vertheidigten östlichen Position zu verjagen und sich der Preseka- und Bas kulesi-tabia zu bemächtigen. Skobeleff's Artillerie hatte indessen seiner Infanterie so energisch vorgearbeitet, dass sie bei ihrer Vorrückung nur wenig mehr zu thun hatte. Die Türken wichen auf das linke Osemufer zurück und um 1 Uhr befand sich das ganze östliche, Lovec dominirende Plateau im Besitze der Russen, welche nun von hier aus die westlichen türkischen Verschanzungen wirksam beschossen. Die Vortruppen des Kasan'schen Regiments durchwateten den im Sommer wenig tiefen Osem und setzten sich auf seinem linken Ufer fest; ihnen folgte das Pskov'sche Regiment, während die 2. Brigade der II. Division südlich und die Schützenbrigade nördlich die feindliche Position zu umgehen suchten. Dieses glücklich inscenirte Manöver und das kräftig unterhaltene Geschützfeuer zwangen die Türken zum Aufgeben ihrer beiden Redouten auf dem Öerveni breg und Tabia bair. Nur ihr höchstes und stärkstes Werk auf dem Bas bunar bair hielt sich mit grosser Zähigkeit, aber auch diese Redoute musste gegen 5 Uhr von ihren tapferen, mit vollständiger Umzinglung bedrohten Vertheidigern aufgegeben werden. Die am Morgen von Osman Pasa zum Succurs entsandten Truppen gelangten in Sicht der Stadt, als ihr Schicksal unabänderlich entschieden war. Adil Pasa's Truppen befanden sich bereits in vollstem Rückzüge, dessen Richtung auf Plevna durch Skobeleff's ausgezeichnete Cavallerie grossentheils vereitelt und auf die Tetevener Strasse abgedrängt wurde. Ueber Lizic, Goznica und Mikre flüchtend, verloren die Türken noch durch die eifrige russische Verfolgung gegen 2000 Todte. Der Sieg von Lovec befreite diese Stadt für alle Zeit vom türkischen Regiment, Fürst Imeretinsky's und SkobelefTs Truppen vermochten nun aber den engen Gürtel noch dichter zu ziehen, welcher bald Osman Pasa in Plevna hermetisch einschloss, auch befanden sich nun alle westlichen Verbindungen mit der grossen Strasse nach Sofia in russischen Händen. Kunitz, Donau-Bulgarien und der Balkan. II. 2 Mein vom trefflichen Aussichtspunkte auf dem Hisar bair aufgenommener Plan . ,„ I ovec wird den Leser besser als jede weitläufige Schilderung über die Lrt Lage der Stadt, ihre Verthcidigungswerkc, Uber ihre vier christlichen ,„„1 ehemaligen sechs moslimschen Viertel oric.tircn. O t-hnerzah. des durchschnittlich 270 M,d, hoch hegend,, ,vco (,„rk. neuen « .... ,,.,„ KYmfe rechnete. Diese Daten stimmten mit letzten Häuser-Conscription 1200 Kopte tei-cn Hone sehen nur in den, einen Punkte bereu,, ass die oshms dasvor-JUS Element der Stadt bildete», nnd dem entsprach ihr auffallend onentn-"T Charakter. Ich halte es nicht f«r toMt **r • - W«i „ welchen Kactoren sieh ein Gemeinwesen m.*«rk,s«.,«-r.Majorität zusammen-Man wird staunend bemerken, wie eine Stadt von der..™*, Olingens, „,,,',. Aertte, Advocaten, Buchdrucker, Künstler nnd andere Repräsentanten eUro-lisehen Culturlcbcns zu cxisti.cn verstand. X l, den mir vom Kaimatam „litgctheiltcn ofticellen Aufzeichnungen gab , lotoo- 86 En gros-M«gazine, 603 Verkaufagcwölbc (gröastcnthoila Sohustor, Schneider, Riemer n.s.w. in Hol,budc„ des Bazars), Uff«« W, , ,., 1 Uhrthurm 20 Moscheen (worunter 15 mit Minarcts, 1 C.ebcthauser a \ Mndressebl 1 moslimsche liudschidieh (k..i*. NormaUchnle) und toMektch ,„„1 ., McdKSse j, , Itischofkonak, 1 christliche Normal-, 2 Elemcn-tFlementarsehulcn), •* Mienen, _ _. , , M.i,l,hcnscl,ulen, 1 Kreisamts-, 1 Telegraphen-Gebäude, 1 /nptickaserne, tov.„nd Madel, nsc c ^ r> ( ^ 1 T! K Minen ^'Hacker, t Schlachthaus, 5 Schafstä.le, 46 Gerber, ?rt'iCfensic,ler' 2 Wachsrieher, ft Thonarbeiter, 1 Messerschmied u. s. w. Dies ihttlt dm, Wohnhäusern die stattliche Zahl von Uber :.000 Bauten - natttr- L" ^I'tn'GesSLkaiupf, durch wiederholte Plünderung und den Wegzug der moslimschen Bevölkerung litt Lovec weit mehr als andere bulgarische Städte. Alle zuvor angeführten Zahlen sanken seit dem August 1877 bedeutend ho,,!, ... Tj0iimnn_ (Jaus- und Ciganc Mahle wurden gänzlich, das Die türkischen Abdur Rahman , i aus e j r Dikmn- und Kiatip Mahle theilweise zerstört, der Konak, fünf Moscheen, der nördliche Tl.eil der Bazarstrassc, die zweite Brücke liegen in Ruinen. Heute eicht es höchstens zehn Minaretc; die Medresseh und Mekteb sind verlassen, die Kiüees auf 12 geschmolzen, auch die türkischen Mühlen und Gerbereien sind verödet Drei Tage vor der Eroberung von Lovec begannen seine moslimschen Bewohner, Türken und Zigeuner, ihre Häuser zu räumen und die Läden der Biliaren zu plündern. Mit Beute schwer beladen zogen sie hierauf m endlosen Caravanen nach Lovec und Sofia. Nur 150 der ärmsten Türken blieben, von den reichen Grundbesitzern kehrte Aga Bei zurück; er vertritt heute seine wenigen (Glaubensgenossen im städtischen Gemeinderathe, wo einst der Wille der moslimschen Majorität allein entscheidend war. In dem Lovec, wie es vor der Katastrophe von 1877 bestand, stiess ich auf allen meinen Streifzügen durch die Stadt auf kein Gebäude, welches architektonisch sich über das Niveau des Gewöhnlichen erhoben hätte. Der Stempel des Festen, der Anlage für Jahrhunderte fehlte. Auch hier, wie in allen echttürkischen Städten empfing ich den Eindruck, als könnte ein heftiger Orkan plötzlich das ganze malerische Gerumpel in die Lüfte tragen. Und doch mit welchem Stolze blickte der Türke auf die bescheidenste seiner Moscheen, auf die vom Loth oft bedeutend abweichenden Minarete, so lange sie nur mit ihren spitzen, halbmond-gekrönten Fingern nach oben zeigten; was fände er heute noch an seiner wackligen Osembrücke zu tadeln, hätte ein Hochwasser sie nicht halbzerstört. Fatum-glaube und Unwissenheit helfen ihm glücklich über viele Dinge hinweg, welche nach seiner Ansicht des Occidentalen Auge und Gefühl mit Unrecht beleidigen! Um nicht gegen die Lovecer Moslims ungerecht zu erscheinen, will ich gern ihre bezeigte Rührigkeit in einigen Gewerben rühmen. Ganz besonders tüchtig waren sie als Gerber (saradzi), Verfertiger von Bauernschuhen und cohadzi, welche reich mit Schnürwerk verzierte Kleider fabricirten. Allerdings behauptete man, dass die muhamedanischen Lovecer sich grossentheils aus den nahen, von bulgarischen Mesums bewohnten Dörfern rekrutiren. Ich werde von diesen „Po-maci" im V. Capitel ausführlicher sprechen. Heute wie früher ist die Kürkdzi esnaf (Kürschner) die blühendste Zunft der Stadt. Sie zählte schon 1S71 gegen 80 ausschliesslich christliche Meister, demnach doppelt so viele als nach der officiellen Angabe. Sie unterhält durch Vermittlung ausländischer Agenten, welche periodisch das Land bereisen, einen starken Export von Rinder-, Kalb-, Ziegen- und Lammfellen nach Oesterreich und Frankreich. Auch das Bäcker-, Seifensieder- und Sehneiderhandwerk für Bauernanzüge betreiben einzig Bulgaren. Die Seidenzucht, welche früher eine grosse Bedeutung für den Kreis und die Stadt Lovec hatte, litt durch die Raupenkrankheit; ebensosehr der Weinbau, seit er auch an anderen Punkten des Landes stärker cultivirt wird. Im ganzen gehörte Lovec zu den blühenderen Stadien des Tuna-Vilajets, obschon von Seiten der stets wechselnden Kreisvor-sländc wenig oder gar nichts für ihr Gedeihen geschah. Lovec' Kaimakain, den ich in seinem von Midhat errichteten Jeni-Konak (neues Kreisamt) besuchte, war vollkommen neu und leider auch grün im Verwaltungsgeschäfte. Es war ein junger, nur türkisch sprechender, nett lackirter, Cigaretten drehender EtTendi aus den Corridoren der Stambuler Bab-u-ali. welcher hier jene Studien praktisch venverthen sollte, die er wahrscheinlich nie gemacht hatte. Trotzdem oder vielleicht eben deshalb, klagte er über das Fatum, welches ihn in dieses unwirthliche Land versetzt hätte, wo er — das Thermometer zeigte 18° C. im Schatten — fortwährend friere; er hätte nur einen Wunsch, das meist von störrigen, mit ihren Bisehöfen streitenden Bulgaren bewohnte unangenehme Kaimakamlik mit einem andern in Anatoli zu vertauschen. Schon im Moslimscher Töpfer zu Lovec. menschenfreundlichen Interesse für die von dem guten Effendi Regierten, wünschte ich ihm die baldigste Erfüllung seiner Sehnsucht und schied hiermit vom „Jcni Kaimakam", über die localen Verhältnisse so aufgeklärt wie zuvor. Glücklicherweise fand ich im ersten Lehrer der bulgarischen Schule, Herrn Nikola P. Ko-vacev, in dessen Freunden Miro Pavlov, Manal Lazarov, Mito Pop Kostov, Ma-coganov und namentlich in Pop Kresto höchst intelligente Männer, die ebenso liebenswürdig wie unermüdet mich bei meinen Arbeiten unterstützten. 5 4551 Zur Zeit der bulgarischen Könige müssen zahlreiche Kirchen Lovec geschmückt haben. Noch heute giebt es viele Plätze mit alten Mauern und Gräbern, welche man „cerkoviste" nennt. Auch ihre Namen haben sich erhalten. Sie waren der Sv. Paraskeva, dem Sv. Gjorgje, Nikola, Haralampi u. s. w. geweiht. Heute zählt Lovec nur drei Kirchen ,und alle tragen den Stempel der jüngsten Zeit. Zunächst besuchten wir die neueste im Harmani Mahle gelegene Sv. Troica-Kirche, welche 1877 während des Gefechtes stark beschädigt wurde und nun leer steht, dann jenseits der Brücke die Sv. Nedelja-Kirche des Gorni Krai, in der ich buntbemalte Capitäle von einem neueren Baukünstler traf, welche styllos, doch eine gewisse Originalität der Erfindung zeigten; zu Sv. Bogorodica im Dolni Krai sah ich eine prachtvoll geschnitzte Kanzel, das schöne Werk des oft gerühmten Meisters Pop von Travna. Als ich mit meinen Begleitern die nahen Räumlichkeiten der dreiclassigen Normalschule betrat, scholl mir ein melodisches Willkommenlied entgegen. Sowohl Knaben als Mädchen erwiesen in einer unerwarteten Prüfung, dass Herr Kovacev mit seinen Hilfslehrern Georgi Kirkov, Hadzi Jovanov von Sopot, jetzt in Filipopel, recht tüchtig gearbeitet hatte. Die bischöfliche Residenz ist architektonisch ganz unbedeutend. Ich lernte den Vladika Hilarion nicht persönlich kennen, da er eben der bulgarischen Nationalsynode zu Constantinopel präsidirte. Bei der ersten Exarchenwahl wurde er durch mächtige Einflüsse für diese Würde candidirt; er bekleidete sie aber nur wenige Tage und residirt gegenwärtig als Metropolit zu Köstendil. Auf Vladika Hilarion folgte der Metropolit Josif Lovöanski, welcher nachAntim'sI. Rücktritt zum zweiten bulgarischen Exarchen erwählt wurde und zuletzt seinen Sitz in Filipopel nahm. Obschon ein geborener Bulgare, wurde Vladika Hilarion doch von sämmt-lichen Fortschrittsmännern als ein mächtiges Hinderniss für die raschere Entwicklung der Volksbildung bezeichnet; denn er regierte ganz im Geiste der fa-nariotischen Bischöfe, als deren Zögling er ergraut war. Auch ihm wurden grosse Willkührlichkeiten bei Heirathen und Scheidungen zur Last gelegt, auch er wurde als gewinnsüchtig geschildert, doch noch schlimmer, er lag fortwährend, gleich dem verjagten griechischen Clerus, mit den Lehrern und den liberaler gesinnten Geistlichen von Lovec, z. B. mit Pop Kresto im Kampfe. Es kam manchmal vor, dass Professor Kovacev nach dem Bischof die Kanzel bestieg und das Volk über dessen wirkliches Interesse aufklärte, worauf Vladika Hilarion damit antwortete, dass er durch seine Landpopen Adressen bei den Bauern in Umlauf setzte, welche dem Bischof ihre vollste Ergebenheit und Zufriedenheit mit seinem Regimente aussprachen. Man sieht, der grosse, im Herzen Europa's zum Ausbruch gelangte Cultur- kämpf zwischen Schule und Kirche hat an der Peripherie unseres Wclttheils, am Passe des Balkans, seinen flammenden Wiedersehen! gefanden. So schwach auch hier der Wissensehaft Licht ist, nimmer will es sich mit einer nur bei voller Finsterniss strahlenden Mitra friedlich vertragen. Im Gedankenaustausche mit dem kleinen Lovecer intelligenten Kreise eröffneten sieh mir neue Einblicke in die oft hyperradiealen Anschauungen und Strebungen der Jungbulgaren. Sie waren mir interessant, wenn ich auch oft grössere Klarheit und ruhiges Abwägen vermisste. Es geht eben mit jungen aufstrebenden Nationen wie mit neuem Moste im engen Fasse - beide drohen die hemmende Hülle zu sprengen. Ich sollte mit einer freundlichen Erinnerung von Lovec scheiden. „Verweilen Sic morgen noch bei uns, meinte verbindlich Professor Kovacev, dann feiern wir ein Doppelfest, dem h. Petrov und Ihnen zu Ehren. Sie sind von Meister Abadzi Bcncu's Haus zu einem heiteren Jugendfeste freundlichst eingeladen und dort wollen wir Ihre ernsten Studien durch einige heitere Stunden kürzen." loh ging nie einer Gelegenheit aus dem Wege, meine Kenntniss bulgarischen Volkslebens zu bereichern, und sagte gerne zu. Am Sonnenwendtage (24. Juni) ziehen die Madehen zu Lovec früh Morgens an den rasch fliessenden Osem und werfen die Abends zuvor gewundenen Kränze zugleich in den Fluss. Der allen voraus schwimmende Kranz verpflichtet die Eignerin, ihren Gespielinnen ein Fcstgelage mit Musik und Tanz am „Petrov den" zu geben. Der Zufall machte mich zum Zeugen des fröhlichen Festes. Der 29. Juni wurde ein Tag heiteren Geniessens, eine Nachfeier des Erwachens der Natur zu neuem Schaffen, verschönt von ihren prächtigsten Geschöpfen., von einem Kreise blühender Mädchen in ungebundener Lustigkeit. Am nächsten Tage kam Professor Kovacev mich abzuholen. Vielstimmiger Gesang, Svirala- und Tamburintöne Hessen uns das Festhaus nicht verfehlen. Wir traten in einen massig grossen, mit Guirlanden geschmückten Kaum, dessen prächtigste Zier auf niedrigen Sitzkissen und Tcppichen malerisch lagernde frische Mädchcngcstalten bildeten. Ich erblickte nur wenig regelmässig schöne Gesichter, doch die Augen waren durehgehends dunkel und vielleicht erhöhten Erregung und Freude ihren Ausdruck. Da war nichts von jener Verlegenheit und falschen Coquetteric zu erblicken, wie sie im Occident leider den Mädchen oft schon im jüngsten Alter anerzogen wird. Gleich einem Chor von Nachtigallen schmetterten sie ihre Lieder zu Ehren des Frühlings hinaus, einige der elastischen Gestalten traten abwechselnd zum Horareigen zusammen und dazwischen tönten lustige Wechselgcsänge. Nur schwer trennte ich mich von dem prächtigen Bilde, Freund Kovacev hatte Hecht, es war geeignet, die oft bitteren Widerwärtigkeiten des Reisens auf türkischem Boden ein wenig vergessen zu lassen. Seit den acht Jahren, die seitdem ins Land gingen, hat sich zu Lovec gar manches geändert. Beispielsweise musste, wie viele räuberische Poinaken, auch Hadzi Mustapha, weil er seine Glaubensgenossen zu Gewaltthaten gegen die Bulgaren hetzte, unfreiwillig nach Sibirien reisen; sein schönes Haus bezog aber der russische Oberst und erste Kreishauptmann Francevic Spokaisky, welcher die neue Ordnung der Dinge in diesem Gebiete einführte, indem er zunächst alle übrigen Stellen mit Bulgaren besetzte. Im April 1879 amtirten im Okruzni savet (Kreisamt) als Präsident Herr Dimitri Paskov mit einem Monatsgehalte von 300 Mark, 4 ernannte und 4 erwählte Mitglieder, welche monatlich 200 Mark beziehen; im gradski savet (Stadtgericht) Präsident Kosta Vacov mit 160 Mark, ein Türke, zwei Bulgaren und 4 Ehrenmitglieder mit 120 Mark monatlich, und im sudebni savet (Kreisrath) Herr Mihaii Radoslavov mit 300 Mark, ferner 3 Mitglieder, welche für jede Sitzung 4 Mark Diäten erhalten. Bei der Besetzung der Stellen wurden auch in Lovec, wie in ganz Bulgarien, namentlich solche fähige Männer berücksichtigt, welche wegen ihrer patriotischen Gesinnungen vom Türken regiment verfolgt worden waren. Auch der zuletzt genante Präsident Radoslavov musste, weil er als Lehrer zu Eski Dzuma die verbotene „Svoboda" (Freiheit) las, mit seinem Collegen Gcrenov im Jahre 1873 in das Ruseuker Gefängniss wrandern, von wo er nach Kiutahia in Klein-Asien verbannt, dort bei der griechischen Schule als Lehrer wirkte, bis er 1876 durch englische Vermittelung begnadigt wurde. Im August 1878 zählte Lovec, von seinen zahlreichen türkischen Häuserruinen abgesehen, 930 bulgarische Häuser mit 4600 Seelen,' 300 christliche Zigeuner und 150 Türken. Auch garnisonirte daselbst die 1000 Mann starke Lovcanskcr Druzina der „zemska voiska" (Miliz), deren Kaserne eben vollendet wird. Viele zerstörte Gebäude werden neuestens wieder hergestellt, darunter eines für die Regierung, andere im occidentalen hübschen Style erbaut, auch öffentliche Gärten wurden errichtet und in jenem am Strates mit einer Restauration geht es oft lustig her. Die Strassen erhielten Namen, welche auf die letzten Ereignisse anspielen, es giebt da eine Carska-, Skobelevska-Strasse u. s. w. Für die Reinigung, Pflasterung und Beleuchtung der Plätze und Gassen geschah bereits manches, der türkische Han Halil Aga verwandelte sich in ein Hotel, das europäischen Gewohnheiten besser entspricht. Nun besitzt die Stadt auch in Herrn Dr. Robert Geisser einen trefflichen Arzt, ihre Armen finden in dem neu errichteten Spital Aufnahme und die Garnison besitzt ausserdem einen bulgarischen Militärarzt. Dem während des Krieges stark vernachlässigten Schulwesen wendet man nun vermehrte Sorgfalt zu. An der Unterrcalschule wirken ausser dem tüchtigen Director Fingov die Lehrer Uruiuov und Gorov, 3 Elementarschulen wurden im J. 1879 von 250 Knaben, 3 andere von 90 Mädchen besucht; von den vielen moslimschen Schulen ist aber nur mehr eine thätig. Der plötzliche Wegzug des grössten Theiics der Bevölkerung führte grosse Störungen in den materiellen Verhältnissen der Stadt herbei; doch allmälig gelangen sie wieder in normalere Bahnen, der Speculationsgeist äussert sich in neuen Unternehmungen, auch der Handel wird bereits lebhafter und ein Postamt fördert ihn. Lovec ist im Bezüge seiner Importartikel meist vom Donauhafen Svistov abhängig. Einige grössere Kaufleute bestellen ihren Bedarf aber schon direet durch ihre Commissionäre in Wien, Pest und Galatz. Exportirt werden namentlich Häute, Felle, Corduan nach Wien, wo die feinere Bearbeitung und die Färbung des Leders erfolgt. Bratja Dimccvi ist die bedeutendste Exportfirma für Naturproducte, zu den grösseren Importeuren zählen: Bratja Docevi i zadruzje, dann Petar Dimitrov, welcher namentlich den Handel mit ungarischem Spiritus en gros betreibt; der starke Verkehr in diesem Artikel führte jüngst zur Anlage einer Spiritusfabrik in Lovec selbst, die nach modernstem System betrieben wird. Die nordöstliche Route von Lovec nach Svistov, welche ich am Nachmittag des Petrov - Festtages einschlug, zählt wohl, von den erlangten geographischethnographischen Resultaten abgesehen, zu den monotonsten meiner Reisen durch Bulgarien. Ausserhalb der Stadt, wo die Redifs des Kreises im Sommer ihr Uebungslager auf der Osem ostrov aufzuschlagen pflegten, treten die Höhen gegen NW. zurück und die Strasse bleibt gleich ferne von ihnen, wie von dem reichbewaldeten Gebirgszuge des rechten Flussufers. Bereits nach einstttndigem Ritte befand ich mich auf der niederen, vom Timok bis zum Pontus streichenden, durch unbedeutende Erhebungen undulirten Terrasse, deren dunkles Alluvium wohl ergiebigster Acker- und Weideboden bedeckt, dessen landschaftliche Physiognomie aber auf weite Strecken durch den fehlenden Wald alles Reizes entbehrt. Nur in den tieferen Einschnitten des Terrains erhielten sich vereinzelte Baumgruppen. Erfrischt, von zur Regenzeit anschwellenden kleinen Wasseradern, beschatten diese Oasen, meist hart an der Strasse, einen Brunnen und gewähren den Herden und ihren Hirten bei heissem Sonnenbrande erwünschte Zuflucht. Wahrscheinlich desshalb entgingen sie auch dem Vandalismus .der Anwohner, welche hier da frühere Generationen den Wald vernichteten und eine unvernünftige Regierung ihnen die Ausbeutung der nahen Steinkohlenlager versagte, als Brennmaterial zum Torf greifen mussten. Mit dem Walde scheint hier auch die Vogelwelt ausgestorben zu sein; ausser heiseren Dohlen durchschnitten nur Aase witternde Geier und kreisende Adler die Luft. Strömender Regen zwang mich, in dem von Moslims und Bulgaren bewohnten Drenovo frühzeitig Konak zu machen. Die Unterbringung meiner Pferde verursachte heftigen Streit zwischen den beiden Ortshälften; wie immer in ähnlichen Fällen siegte auch hier die herrschende Race uud die Sorge für Fourage u. s. w. fiel den Bulgaren zu. Die Familie, welcher ich vom Corbasi zugewiesen wurde, empfing mich mit unverhehltem Widerwillen, und besonders waren es die Frauen, welche keifend über die unverhoffte Einquartierung sich nicht beruhigen wollten. Ich griff zu einem probaten Mittel, schenkte den Kindern einige Piaster, erlegte das Geld für die verlangte Gerste u. s. w. zum Voraus, und der Friede stellte sich allmälig her. Nicht so leicht, oder richtiger gar nicht, wollte es mir aber gelingen, die Mosquitos und anderen schwarzen Quälgeister zu bannen, welche mit dem Heulen der Hofhunde vereint, allen Schlaf von meinem Lager scheuchten. Selbst die gelobten Kräuter aus dem Lande des „Königs der Könige" versagten ihre Wirkung, und da auch von Aussen abscheulicher Torfbrandgeruch durch die zerrissenen Papierscheiben des kleinen Kaunies drang, Hess ich in aller Morgenfrühe satteln und empfahl mich mit stillen Verwünschungen dem ungastlichen Dorfe auf „Nimmerwiedersehen". Im scharfen Trabe war das 1 St. entfernte Vucitren erreicht, wo in einem gastfreundlichen Gehöfte frisch gemolkene Büffelmilch mich ein wenig restau-rirte. Hier stiess ich auf im J. 1861 nach der Krim emigrirte, bald aber zurückgekehrte Bulgaren, welche, da sie ihre verlassenen Häuser bereits von angesiedelten Tataren besetzt fanden, nun troglodytenartige Erdhütten bewohnten, wie sie die Abbildung im I. Bande zeigt. Der Niveau-Unterschied zwischen Vucitren und Lovec beträgt nach meiner Messung 77 Meter, 2Va Meilen weiter, bei dem in einem trockenen Einschnitte der Terrasse liegenden Neredince (auch Radenica genannt) aber bereits 179 M. Wie die meisten Orte des Nikopoler Kreises hatten auch Neredince und das nahe Vina eine aus Bulgaren, Türken, Tataren und Tscherkessen bunt zusammengewürfelte Bevölkerung. Die Helden des Kaukasus traten hier überhaupt häufiger auf, leider aber nicht zu höherer Gesittung, Sicherheit und Freude ihrer friedlichen Nachbarn. Viele tscherkessische Gräber erheben sich hart neben jenen aus der grossen Völkerwanderung, und so leicht wie die hier begrabenen Tumulimenschen dem gegenwärtigen, wird höchst wahrscheinlich dem künftigen Culturforscher der glücklicherweise nur kurze Aufenthalt der Kaukasussöhne am Balkan wiegen. Nachdem unser Weg zwischen Neredince und Vina in die durch Midhat angelegte Strasse von Svistov nach Pleven gemündet, übersetzten wir bei Bul-gareni auf ziemlich solider Brücke den in grossem Bogen von W. kommenden Osem Angesichts einer stark bemannten Karaula und zahlreicher Grabhügel, welche von allen höheren Punkten in das von reichen agricolem Leben erfüllte breite Flussthal herabblickten. Auch frischeres Grün und Laubholz erquickten hier wieder das Auge und der Anstieg zur Terrasse gewährte einen hübschen Blick gegen SO., wo das zwei Meilen ferne „Öatal tepe" in duftigen Umrissen auftauchte. In einer zum Lagern geschaffenen grünen Mulde trafen wir etwa 80 Bulgaren beider Geschlechter, welche alljährlich zur Erntezeit ihre zu Hause überflüssigen muskulösen Anno aus den höchsten Balkanthälern in die walachische Ebene tragen und, nachdem sie auf den Bojarengütcrn einiges Baargeld erworben, wieder zurückkehren. Diese wandernden Balkandzi geben den Gast-wirthen nichts zu verdienen. Sie reisen in grösseren Trupps zu Fusse, schleppen den nothwendigen Proviant von Mehl, Butter u. s. w. auf Packpferden mit, rasten an bestimmten Orten und zwar wenn es das Wetter nur cinigermassen erlaubt, am liebsten im Freien. Die lagernden Gruppen bereiteten eben in metallenen Kesseln ihre magere Öorba (Brotsuppe mit etwas Fett) unter sehr lustigen Wechsclgcsängen, deren Schall uns lange begleitete. Mannigfache Ursachen trugen nach der türkischen Eroberung dazu bei, dass die Ackerbau treibende Bevölkerung sich von der Ebene gerne in die Bergregion zurückzog. Wie viel braches Land hatte ich nur auf dem Kitte von Lovec bis Bulgareni hart am Wege gesehen! Da sich die Verhältnisse seitdem zum Bessern veränderten, konnte die überschüssige Volkskraft, welche einst v«r dem Terrorismus der herrschenden Kace ins Bergesdunkel flüchtete, zur Culti-virung der verödeten Donauterrasse herangezogen werden. Türkische Vilajct-Gouverneure hatten aber wenig Zeit an derlei Dinge zu denken; nur Midhat regte auch in dieser Richtung Versuche an. Am nächsten Morgen stiess ich bei Stisarov auf einen scheinbar geglückten. Stisarov (tttrk. Istisar) war vor dem letzten Kriege ein wohlhabendes Dorf von nahezu 100 bulgarischen und 16 tatarischen Gehöften mit grosser Kirche und kleiner Moschee. Ich übernachtete daselbst und besuchte noch Abends bei 20° C. die unter Zelten sommernden Zigeuner, welche die salpctcrhaltigc Erde hier mit dem im I. Bande S. 203 geschilderten Processc auslaugten. In der Portsetzung des von einem dünnen Faden berieselten Einschnittes durchschneidet die Strasse die Balkandzi-Ansiedlung zu Buzurluk. An der eigenthümlichen blauen Frauentracht, am merkwürdig elastischen Schritte der vom und zum Wasser eilenden Mädchen erkannte ich sofort die „Balkandzi", ein Name, mit welchem die Bulgaren des Balkans von jenen der danubischen und thracischen Ebene unterschieden werden. Der früher Buzurluk genannte kleine Ort erhielt nach dem Kaimakam, welcher die Emigration aus dem Elena-Balkan 1868 hierher leitete, den Namen „Mühtit Bei köi". Die neuen Ansiedler lobten den Tausch und besonders den prächtig lohnenden Boden; nur an die „dicke" Luft und an das Trinkwasser konnten sie sich schwer gewöhnen, mit den krystallreincn Balkanquellen war es freilich nicht zu vergleichen. Bald hinter Buzurluk kündigten über unsere Köpfe hinziehende Schwärme von Wasservögeln die nahe Donau an. Ein in flüssiges Gold getauchter Streif flimmerte auch bald über dem uns vom Strome noch trennenden, grell beleuchteten Alluvialstreifen auf, und der ferne Thurm des katholischen Beiina trat einem Pharus ähnlich iu Sicht. Dicht am Ufer bogen wir um das „Bender tc-pesi", auf dessen konischer Spitze ein Thurm des römischen Rcichslimcs gestanden haben mag, und gelangten um 7 Uhr an das „Gornji Orese beklemeh", dessen bulgarische Wächter uns trefflichen Kaffee kredenzten. Trotz der 19° C. im Schatten fesselte uns der Anblick des mächtigen, lange entbehrten Strombildes. Die Aussicht aber, nun in gesteigerter Mittagsgluth einige Stunden hindurch allen Krümmungen des stcilgeböschten schattenlosen Ufers wahllos bis Svistov folgen zu müssen, wäre wohl geeignet gewesen zu verstimmen, hätte mir nicht die Hoffnung gewinkt, dort endlich die sehnsüchtig erwarteten, laug entbehrten Nachrichten aus der Heimath zu finden. Svistov's grosser fischreicher See, welchen eine grösstenteils überfluthetc schmale Barre vom eigentlichen Donaubette trennt, lässt den Strom an seinem südlichsten Punkte unabsehbar breit erscheinen. Vom zweiten Dolni Orese beklemeh schräg hinüber gegen Cimnica gesehen, beträgt der Spiegel mindestens lVi Meile und die am rumänischen Ufer fahrenden Dampfer verrathen sich nur bei sehr starkem Rauch. Unser Weg führte grösstenteils hart am See, und wo er ausgetreten, stellenweise auch durch das Wasser; nahe der Stadt aber, zwischen Obst- und Weingärten über einzelne, zum See vorspringende höhere Nasen. Im Gegensatze zur lautlos auf dem riesigen Wasserbereiche lagernden, nur durch verscheuchte Störche, niederstossende Fischreiher, beutelustige Pelikane oder auffliegende Entcnschwärme unterbrochenen Ruhe, herrschte auf dem Lande reges Leben. Ueberau ertönte Gesang. Die in der „Carova niva" hantirenden Städler boten mir prächtiges Obst an und der ausserordentlich kalte Quell der „Elezova ccsina" wirkte erquickend. Erst am östlichsten Seerande angelangt, wurde ich plötzlich Svistov's Silhouette ansichtig. Bald erreichten wir sein Kekene Mahle, wo grossentheils walachische Fischer wohnen, weiter das Ribari M., wo unter wenig aromatischen Düften die nächtliche Seeausbeute, riesige Störe, Karpfen, Hausen, dann sabie (Säbelfische) in unappetitlicher Weise ausgeschlachtet werden; auch grosse Quantitäten getrockneter Waare sind hier zeitweise für den Export und als Vorrath für die Fastenzeit aufgespeichert. Manches gutgemeinte „dobro doSel" (glückliche Ankunft) tönte mir schon an der Skcla entgegen, die Grüssc mehrten sich auf dem Wege zur „Agcntia", wo mich ein wuchtiges Paquet mit Briefen und Zeitungen erwartete. Nach dreiwöchentlicher Entbehrung war ich nun wieder glücklich bei den Lieben, in Europa, mitten im Getriebe der Welt, und das bescheidene Stübchen im „Janakev Hau" schwamm für mich eine Stunde lang in goldigstem Lichte. Svistov, dessen ereignissreichc Vergangenheit ich im I. Bande (S. 193) erzählte, gewährt, von der Donau gesehen, einen sehr freundlichen Anblick. Die Stadt lehnt teilweise amphitheatralisch an den mit Obst- und Weingärten bepflanzten Hängen des „Kad bair". Früher gaben ihr die nun zerbröckelten Ruinen des mittelalterlichen Schlosses auf der „Cukahöhe" einen malerischen Abschluss. Unten am Donauufer dehnt sich eine langgestreckte Zeile hübscher einstöckiger Gebäude und Magazine aus, welche meist erst nach dem letzten bedeutenden Brande im Juni 1870 im europäischen Style aufgebaut wurden. Hier herrscht reger Verkehr im Sommer; namentlich zur Zeit des Ccrealienexports beleben unzählige Büffel-wagen-, Pferde-Caravanen, Remorqueure, ladende Schleppschiffe, Karlasen u. s. w. die Lände. Die „Agcntia" bildet dann den Mittelpunkt eines ausserordentlich bunten Treibens, an dem der Fremde sich gerne ergötzt. Die Einnahmen des Svistover Zollamtes beliefen sich durchschnittlich in den Jahren 1870 — 75 auf IVaMill. Piaster, wovon Vs für den Import, 2/3 aber für den Export. Die Stadt ging übrigens von 1873 — 76 bedeutend im Wohlstande zurück, denn die früher schwunghaft betriebene Viehzucht, die Haupteinnahmequelle der bulgarischen Stadt- und Landbevölkerung, wurde durch das ihr zum Zwecke der Tscherkessen-Ansiedlung entzogene Weideland ansehnlich reducirt. Auch der Feldbau litt in den letzten Jahren durch die mangelnde Aussaat, und es war durch die verkehrten Maassregeln des türkischen Regiments zu befürchten, dass Bulgariens gesegneter Boden dem traurigen Schicksal der anatolischen Provinzen anheimfallen könnte! Nicht wenig wurde Svistov's raschere Entwicklung auch durch die Folgen der grossen europäischen Bank- und Handelskrisis 1873 empfindlich beeinflusst, welche den aller Hilfsquellen haaren Osten Europa's furchtbar traf. Da es an Creditinstituten fehlt, ist seitdem die rege Baulust zu Svistov wieder eingeschlummert. Svistov zählte 1874 nahe" an 2000 bulgarische, 100 walachische, 1532 türkische und 160 Zigeunerhäuser. Diese 3620 Privathäuser, zu welchen 10 Moscheen, 3 Kirchen und* $naere* öffentliche Gebäude von wenig monumentalem Charakter hinzutraten, theilten sich in 6 Haupt-Mahle. Die Türken wohnten im Tuna Mahlesi un'd At pazar, die Bulgaren im Dolni Mahle mit den Vierteln Pop Miho und Pop Georgi, im Sredno Mahle (Viertel Pop Todor, und Grcki Mahle), dann im Kraina Mahle, auch Kenar oder Harizan Mahle genannt, die Wallachen endlich im Vlaska Mahle, im westlichsten Theile der Stadt. In der Öuka befindet sich eine dem Ii. Demetrius geweihte ältere Kirche. Sie erscheint unbedeutend gegenüber dem kostspieligen Neubau, welchen die Svistover Gemeinde im Dolni Mahle ausführte, obwohl die geräumigen, nun verlassenen Sv. Peter- und Prorok Ilija-Kirchen dort bestanden und auch das Srednji Mahle seine Kirche Sv. Preobrazenije besass. Die 1867 vollendete grosse Kirche ist construetiv höchst unorganisch und decorativ gleich styllos wie die Mehrzahl der modernen Bauten dieser Länder, Constantinopel nicht ausgeschlossen. Wohl überrascht der imposante Kuppelbau bei flüchtiger Betrachtung, doch möchte ich ihm kein allzu hohes Alter vorhersagen; die sehr weit vorspringende Frauenempore scheint, weil jeder Stütze entbehrend, wie angeklebt, die Fenster sind rund, oval oder quadratisch mit gradem Sturze oder mit flachen Spitzbogen abgeschlossen, anderer Stylsünden nicht zu gedenken. Auch die Bilder der Ikonostasis, von dem in München gebildeten Svistover Maler Pavlevic, erheben sich nicht über Alltagsarbeit. Die Kirche verschlang, abgesehen von Naturalspenden in Steinen, Ziegeln, Fuhren u. s. w., etwa 500,000 Piaster; trotzdem erbaute man neuestens auch im Kraina Mahle eine neue Kirche, zu welcher ein nach Bukarest emigrirter reicher Svistover, Namens Balaban, den Grundfonds mit 1000 Dukaten testamentarisch stiftete. Durch Zinsen, andere freiwillige Spenden und Anleihe wurde das Capital vergrößert und der Neubau vom Tirnovoer Metropoliten feierlich geweiht. Für die Verbesserung des Svistover Schulwesens wurden sehr grosse Summen von Seiten ausgewanderter Bulgaren gespendet, welche ihre Anhänglichkeit auch in der Ferne ihrer Vaterstadt bewahrten. Das jüngste bedeutende Ver-mächtniss rührte von dem am 19. März 1870 zu Wien verstorbenen Realitätenbesitzer Todor Milanovic her. Er testirtc sein Gesammtvermögen von etwa 800,000 Piastern Baargeld, Grundstücken, Häusern und einer Bibliothek der Svistover Gemeinde ausschliesslich für Schul- und Bildungszwecke, während er, sehr bezeichnend für den nüchternen Sinn dieses Volkes, seinem religiösen Gefühle mit der Widmung eines „kleinen in Russland anzukaufenden Evangeliums" für die St. Eliaskirche genügte, in welcher er ein Milanovic'sches Familien-Denkmal gestiftet hatte. Svistov war eine der ersten bulgarischen Städte, wo die slavisch-nationale Sprache in die Schule eingeführt wurde, indem man um 1833 seine griechische Lehranstalt in eine hellenisch-slavische verwandelt«? und .1836 aus dem Ver- > machtniss des Kaufmanns Angelov die erste rcinslavische Schule daselbst begründete. 1 ST i besass jedes der drei christlichen Mahle l Kuj^^vUJh} 1 Mädchen-Elementarschule mit 411 Knaben und 186 Mädchen, das Srt?dne-Mahle auch eine höhere Schule, aus 4 Classen bestehend, in welchen zusammen 13 Lehvcr und 7 Lehrerinnen wirkten. Allgemeine und bulgarische Geschichte, Grammatik, Physik, Botanik, Algebra, Geometrie, türkische und französische Sprache, Rc-ligionslchrc, Philosophie und manch anderes wurde an dieser Anstalt vorgetragen, welche 90 Schüler und 46 Schülerinnen besuchten. Ich wohnte am 2. Juli 1871 der feierlichen Jahresprüfung der letzteren an und war durch die Intelligenz und Fortschritte der Zöglinge in hohem Grade erfreut. Die Mütter folgten mit sichtbarer Theilnahme der Lösung arithmetischer Exempel, welche ihre Töchter auf der Tafel oder im Kopfe ausführten. Die Versammlung trug ein anmuthiges Gepräge durch die ausdrucksvollen jugendlichen Mädchenköpfe; Alles hatte den besten Staat angelegt und neben europäischen Moden zeigten sich, namentlich im Kopfputze, orientalische Reminiscenzen, Dasselbe Geraenge, den Kampf alter gegen importierte oecidcntale Sitte, fand ich auch in der Ausstattung der Häuser besserer Familien. Oft traf ich bequeme niedrige Sitzbänkc an den Wänden und Stühle vor einem Wiener Flügel. Spiegel kleiner Formate und schlechte Wiener „Möbelbilder" in Goldrahmen zählten zum erlesensten Luxus, noch mehr aber Schreibtische und Kleiderkasten, da der Bulgare gleich dem Türken gewöhnlich in die Mauer vertiefte Schränke zum Aufbewahren seiner werthvolleren Babe benutzt Die meiste Sorgfalt erschien den kleinen Vorgärten der Häuser zugewendet, indem man die Rabatten mit Bachkieseln oder in soustiger W7eise umrandete und möglichst viele buntgefärbte Glaskugeln auf Stäben in den Blumenhecken anbrachte, zwischen welchen kleine Springbrunnen oder metallene Wasserspeier munter plätscherten. Einige Oleander-, Zitronen- und Feigenbäume, dann alte Buchs- und Weinhecken fehlten selten und bildeten den Stolz des Eigners. Am selben Sonntag, an dem die Schulprüfung abgehalten wurde, wohnte ich dem interessanten Schauspiel einer methodistischen Trauung bei. Der che maligc Schuhmacher Gavriel Hiev, über welchen „der Geist des Herrn unerwartet gekommen", hatte als „Workman of the mission" dem Methodistenthum etwa 10 orthodoxe Svistover Seelen zugeführt. Hiev besass etwas von Dickens köstlich carrikirten „school masters" und der hehre Apostelbcruf hatte seinem ganzen Wesen ein quäkerisches Gepräge aufgedrückt. Er taufte und absolvirte, las die Bibel vor und sorgte auch sonst durch Tractätchen u. s. w. für das Heil seiner kleinen Neophytenschaar; doch die Spendung der heiligen Trauungswcihe lag ausserhalb seiner geistlichen Machtsphäre, um diese zu vollziehen, war der in ganz Bulgarien wohlbekannte Mr. Long von Constantinopel eigens nach Svistov gekommen. Ausser den in Festkleidern erschienenen Verwandten des zu trauenden Brautpaares fanden sich viele Neugierige im Hochzeitshause ein, die Braut trug einen Myrtenkranz im Haare; ihr Bräutigam schien bedeutend jünger zu sein. Mr. Long eröffnete die Cercmonic in feierlich stimmender Weise mit der Vorlesung eines Psalms und einer Anrede in bulgarischer Sprache, worauf die eigentliche Trauung folgte. Der Missionär bildete hierauf den Mittelpunkt der Männer, wie seine geistlich angehauchte Ehehälfte jenen der in ein zweites Gemach sich zurückziehenden Frauen. Während des ganzen Aktes, der durch die salbungsvolle Recitation der bulgarischen Gebete, trotz des fehlenden Weihrauchs, der gewohnten Kerzen und Brautkronen, einen tiefen Eindruck auf die Versammlung übte, bewiesen die in grosser Majorität anwesenden orthodoxen Gäste die grösste Zurückhaltung und es war von Intoleranz keine Spur zu erblicken. Am Abend sollte Mr. Long ein zweites Paar trauen. Ich weiss nicht, ob das Erscheinen des protestantischen Apostels seiner Kirche weitere Neophytcn zu Svistov gewann; jedenfalls ent- wickelte aber dieser tüchtige Mann die crspriesslicliste Thätigkeit, welche darin gipfelte, dass er seine genaue Kenntniss des Bulgarischen zur Herausgabe nützlicher Bücher für das bildungslustige Volk verwerthete. Den Gegensatz dieses wahrhaft evangelischen Eifers werden wir in den Svistov benachbarten römischkatholischen vier Missionsdörfern kennen lernen. Der Sitte gemäss brachte ich dem Brautpaare meine Glückwünsche mit einem kleinen Geschenke dar und sollte nun neben Mr. Long, der sich mit mir über bulgarische Religions- und Bildungsverhältnisse unterhielt, den Ehrenplatz beim Festschmause einnehmen. Die Toaste wuchsen jedoch bald wild, die Köpfe erhitzten sich, wir hielten es daher beide für gerathen, nicht die höher gehenden Wogen des Festes abzuwarten, und suchten die stilleren Räume des „Citaliste" (Leseverein) auf, welcher eine Art Casino der Svistover und namentlich im Winter einen Punkt grösserer Geselligkeit bildet. Es lagen hier einige Zeitungen auf, auch eine kleine Bibliothek und Landkarten fehlten nicht. Ein ängstlicher türkischer Censor hätte jedoch dort nicht seines Amtes walten dürfen, denn an der Wand hing ein altbulgarisches Geschichtsbild patriotischer Tendenz, und wie in der grossen Schule bemerkte ich neben des Sultans Portrait jenes des Kaisers Franz Joseph, was sich durch die intimen Handelsbeziehungen der Svistover mit Oesterreich erklärt. In keiner anderen Donaustadt hörte ich so viel deutsch sprechen und fand ich bei den wohlhabenderen Familien gleiche Vorliebe, der Jugend eine gründliche deutsche Erziehung angedeihen zu lassen. Der Maassstab für Reichthum ist in den bulgarischen Städten ein verschiedener. Zu Svistov wurde der reichste Mann auf 100,000 Mark geschätzt und Leute mit 10,000 Mark Capital erwerben leicht bei einigem Unternehmungsgeist ein hübsches Jahreseinkommen. Als gewöhnlicher Zinsfuss gelten 16% pro Jahr. Oft verband sich türkisches Capital mit bulgarischem Fleisse zu gemeinsamer Unternehmung. So besass der reiche Türke Achmed mit einem Bulgaren zusammen einen Remor-queur auf der Donau, eine Kunstmühle und Brotbäckerei. Gewöhnlich arbeitet aber der Bulgare mit seinen Angehörigen, und in jedem der grösseren, oft überraschend reich ausgestatteten Magazine an der Skela darf man sicher sein, mindestens einen jüngeren Verwandten des Eigners zu finden. Diese Sitte, bloss nahe Verwandte, Neffen und Vettern, im Geschäfte anzustellen, herrscht durch ganz Bulgarien. Ich kaufte bei der Firma Marinov für meinen Dragoman ein Paar Reitsporen, die, nebenbei bemerkt, gleich allen Eisenwaaren des Landes vom Rhein kommen, und fand in dem jungen, deutsch sprechenden Commis Breckov einen Vetter des Kaufherrn, während dessen Schwäger, die Herrn Anev, die Geschäfte der Firma in Wien vertraten. Von Herrn Breckov empfing ich manch schätzenswerthen Wink für meine Weiterreise. Bevor ich diese antrat, wollte ich noch dem Kaimakam meinen Besuch abstatten. Viel Interesse vermochte ich dem guten Manne, der sich vom niederen Zollbeamten, wahrscheinlich auf dem üblichen Baksiswege, zum Administrationschef des Svistover Kreises emporgeschwungen hatte, nicht abzugewinnen, doch muss ich die grosse Freundlichkeit anerkennen, mit der er mir einige verlangte Daten durch seinen bulgarischen Pasapordzi (Passbeamten) ausfertigen Hess. Der Nachmittag wurde noch zum Besuche des nahen Klosters Sv. Bogorodica benutzt. Es ist der Lieblingsausflug der Svistover Welt an Sonn- und Feiertagen. Als klimatischen Heilort für Fieber-Reconvalescenten, suchten ihn selbst Moslims gerne auf. Sein ignoranter, dabei höchst speculativer Duhovnik ist demgemäss mehr Wirth als Mönch, soweit es aber das Geschäft erlaubte, betrachtete er die benachbarten Katholiken zu Beiina gar nicht als Bulgaren, und noch grössere Abneigung empfand er gegen Mr. Long und alle Svistover, die sich Protestanten nannten. In anderen Punkten schien dieser alte Eiferer jedoch äusserst tolerant und stets für allenfallsige Verirrungen seiner Gäste beider Geschlechter zur Absolution geneigt, sobald dieselbe in baarer Münze bezahlt wurde. Vormittags geht Alles zur Kirche, aber Nachmittags verwandelt sich der grüne Rasen vor derselben in einen lustigen Lager- und Tanzplatz mit ländlichen Scenen ä la Watteau. Klein und Gross zecht,.spielt, singt und der heitere Horareigen der Landleute ergötzt Tänzer und Zuseher, bis der Spätabend zur Heimkehr gebieterisch auffordert. Nach dem geglückten russischen Uebergange am 26. Juni 1877, welchen ich im I. Bande schilderte, verwandelte sich das früher so stille Svistov in ein lärmendes Kriegslager. Von ihren fünf hundertjährigen Drängern sich befreit fühlend, begannen die Bulgaren, um ihnen die Rückkehr zu erschweren, die Häuser der geflüchteten Türken zu zerstören. Es kostete keine besondere Anstrengung, um binnen weniger Stunden 400 dieser primitiven Baulichkeiten in Ruinen zu verwandeln. Die massiveren Moscheen widerstanden besser dem ersten Sturm, nur geringe Spuren verrathen, dass ihre Demolirung versucht wurde. Später benutzte man sie als Lazarethe, Magazine u. s. w. Dem strengen Winter 1877—78 fiel ein weiterer Theil türkischer Gebäude zum Opfer; Dachrüstungen, Fussböden, Thüren, Fenster; kurz alles, was brennbar war, musste dem fühlbaren Holzmangel abhelfen; es blieben nur die hohläugigen Mauern stehen. Im Ganzen dürften wohl 600 Häuser zerstört worden sein, und der türkische Stadttheil ge* genüber der ersten russischen Kriegsbrücke gleicht heute noch einem riesigen Trümmerhaufen. Svistov war die erste bulgarische Stadt, wo Fürst (Jerkavsky die Administration nach russischem Zuschnitte ganz in derselben Form einführte, wie ich sie bereits zu Vidin (I. Band) detaillirt beschrieb. Hier wurde auch durch Gouverneur Gerov das Comite zur Unterstützung und Bequartirung der in Massen BULGARISCHER HORATANZ. 5ZI Uber den Balkan geflüchteten rumelischen Bulgaren etablirt, in dem namentlich der wackere Svistover Kaufmann Anev die erspriesslichste Thätigkeit zur Milderung des Looses der Unglücklichen entwickelte. Dieser jungbulgarische, früher im Exil zu Wien lebende Patriot wurde, als später der russische Generalmajor Zolotereff Gouverneur des'Districtes wurde, zum Bürgermeister der Stadt erwählt, und er rechtfertigte diese Wahl, indem er sofort mit aller Energie an die Beseitigung alter Uebelstände ging, welche unter dem inactiven türkischem Regiment Svistov in eine der ungesundesten Donaustädte verwandelten. In der Nähe des Friedhofes, im südlichen, westlichen und mittleren Stadtviertel legte Anev die vor den öffentlichen Brunnen entstandenen Sümpfe trocken, an den Hauptstrassen Hess er Einschnitte zum Abfluss der Wasser anbringen, die zur Stadt führenden Chausseen verbessern, vor der Kathedrale schuf er durch Entfernung des häss-lichen hölzernen Bazargerümpels einen riesigen Platz, auf dem einige Bataillone bequem exerciren können; er regulirte auch viele andere Strassen und Plätze, führte eine bessere Beleuchtung und Trottoirlegung ein und beschenkte seine Vaterstadt mit einem im Mittelpunkte des Verkehrs angelegten öffentlichen Garten. An seiner Stelle befand sich früher zwischen dem Dolne und Sredne Mahle ein durch baufällige Mauern umfriedeter Platz mit verwüsteten türkischen Häusern, welche Anev abtragen Hess. Der von 30 Meter breiten Strassen begrenzte, neu angelegte Volksgarten ist 175 M. lang, 36 M. breit, hat vier Eingänge, und gewährt eine, durch Demolirung hindernder Baraken gewonnene herrliche Aussicht auf das prächtige Donaubild. Andere Verschönerungen, welche der junge thatkräftige Bürgermeister noch plante, blieben leider durch sein Zer-würfniss mit dem russischen Kreispräsidenten Oberst-Lieutenant Mihailoff und dem Ruscuker Gouverneur Akimoff unausgeführt. Auch Anev's Nachfolger, Herr Ne-noviö demissionirte im Juni 1879 und der Kreis-Präsident Krstic hatte mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen. Mit der Etablirung des russischen Hauptquartiers, der Heerverpflegung, von Spitälern und anderen Anstalten für den Krieg entwickelte sich zu Svistov ein grossartiger Verkehr, der eine Menge gewinnlustiger Lieferanten und Speculanten aller Sorten anzog. In den bestehenden und improvisirten Hotels ging es hoch her, die einfachsten Bedürfnisse wurden mit fabelhaften Preisen bezahlt, man gewann enorme Summen und sah nur fröhliche Gesichter. Im Mai 1878 wurde jedoch der Schwerpunkt der russischen Militär- und Civilverwaltung des Fürstenthums von Svistov weg nach Ruscuk verlegt und damit begannen bedeutend veränderte Verhältnisse. Die Theuerung der Miethen und Lebensmittel ist jedoch noch immer auffallend gross und dürfte nicht so bald dem früheren normalen Niveau sich nähern, da die ausgewanderte moslimsche Bevölkerung allmälig wieder zurückkehrt. Kanitz, Donau-Bulgarien und der Balkan, n. Gleich zu Beginn der Schifffahrt 1879 wurden von den österreichischen Donau-Dampfern gegen 5000 Türken zu Svistov ausgeschifft, von welchen viele ihre verlassenen Dörfer im Innern aufsuchten, ein Theil aber in der Stadt blieb. Da man ihnen ausser der gesetzlich garantirten Vertretung in Stadtrath und Gerichten sogleich zwei Moscheen einräumte, ihren Cultüs in keiner Weise beeinträchtigte, das Gebetrufen der Muezins, das Beleuchten der Minarets an Feiertagen wie früher gestattete, so dürfte diese Toleranz auch den noch fehlenden wohlhabenderen Theil von 2000 Seelen der ehemaligen türkischen Bevölkerung zurückführen und es könnte hier, wie in allen bulgarischen Städten sich ein dauerndes gutes Verhältniss zwischen Christen und Moslims bilden, namentlich falls letztere sich mit dem Dienste im bulgarischen Heere befreunden wollten oder wenn sich der nicht leichte Ausweg fände, sie von diesem in irgend einer Form zu entheben. Während des Sommers 1878 begann man auch zu Svistov mit der Aushebung der Milizen, welche durch russische Instructeure organisirt wurden. Ihre Uni-formirung und Bewaffnung ist jener der russischen Armee bis auf die Kopfbedeckung analog, die bulgarische besteht aus einer Schaffellmütze mit farbigem Tuchdeckel und dem griechischen Doppelkreuze an der Stirnseite. Die Montouren kamen aus Russland, ebenso die Kruka-Hinterlader mit Stichbajonnet für die Infanterie; die Miliz wurde mit Chassepots einexercirt. Die Svistover Garnison, eine Druzina von etwa 1000 Mann, bezog die ehemals türkische Kaserne, ein weitläufiges Gebäude, das in jüngster Zeit renovirt wurde. Die erste Revue über die bulgarische Miliz hielt der General-Gouverneur Dondukoff - Korsakoff im Oktober 1878 ab. Der damalige Bürgermeister Anev verstand es dem Fürsten einen festlichen Empfang zu bereiten, was ihm jedoch in seinen späteren Zerwürfnissen mit den russischen Autoritäten wenig Dank brachte. Svistov's bedeutenden Export namentlich für Getreide, Häute, Honig, Wachs u. s. w. vermittelten 1879 grösstentheils die Firmen: J. D. Stancioglu, A. Dul-gerov, Nacov und Taskov; von den Kaufleuten, welche auch den Import von Colonial-, Glas- und Eisenwaaren betrieben, sind zu nennen: J. Jordanov, G. E. Panica, Hadzi A. Konstantinov, J. Panef Söhne, E. Jvanov, endlich für Manu-factur- und Schnittwaaren: D. Nacovic, A. Cvetkov und Cie., K. Solokov, Naöev und Monev, A. M. Beskov, Kristov und Teodorov, A. Gigov, Draganov und Damjanov. Während des russischen Provisoriums wurde die schon von Midhat Pasa projectirte Bahnlinie von Svistov nach Tirnovo zu verwirklichen gesucht; doch wollte das erforderliche Actiencapital sich nicht in Russland finden und das Unternehmen wurde 1878 fallen gelassen. Dem Handel kommt nur die Verbesserung der Strassen nach Pleven und Tirnovo zu Statten. Auch hier erwartet man aber sehnsüchtig die endliche Regelung der handelspolitischen Beziehungen mit dem Auslande. Gegenwärtig befindet sich der Postverkehr mit dem Innern in den Händen eines geringe Garantien bietenden Privatunternehmers. Die Zölle werden wie früher mit 7°/o vom Factura-, d. i. vom declarirten Werthe der zu importirenden Waare erhoben, für Spirituosen besteht neben der Accisegebühr eine besondere Besteuerung der Händler; es ist schwer zu wissen, was heute die Norm bildet, das meiste ist der Interpretation der Beamten überlassen und der gegenwärtige Chef des Svistover Zollamtes Herr A. Cankov ist angewiesen, in verwickeitern Fällen sich beim Ruscuker Gouvernement Raths zu erholen. Das Steuerwesen ist gleichfalls noch nicht geordnet und werden die Abgaben mit geringen Aenderungen nach türkischem System eingehoben. Mit der erfolgten Thronbesteigung des Fürsten Alexander dürfte die Lösung dieser und noch anderer hochwichtiger Fragen durch das berufene Ministerium wohl ernstlich in Angriff genommen werden! II. DURCH DEN PASSIONISTEN-SPRENGEL VON NIKOPOLI. Messung auf dem Kad bair zu SviStov. — Abstieg nach Orese. — Dr. Pavlevic's ärztliche Erfahrungen. _ Römerstein. — Traurige Eindrücke im katholischen Dorfe Orese. — Geschichte der vier Missions- orte _ papSt Gregor XV. und die Bulgaren. — Geistliche Verwaltung. — Der Viccario Generale della Bulgaria. — Die Patres und ihre Gönner zu Wien. — „Non abbiamo scuola!" — Riesige Immaculata-Kirche. — Schreiende Missbräuche. — Entnationalisirung der kath. Bulgaren. — Ideale mönchischer Volkserziehung. — Merkwürdige Nonnenzucht. — Conflicte im Missionsdorfe Beiina. — Bischof Paoli und Vali Abdur Rachman. — Oesterreichische Intervention. — Des Autors Ansicht über die Patres. — Rühmliche Stufe des ungarisch-bulgarischen Katholikensprengels. — Pfarrort Beiina, das alte Mikro-Byzantium. — Nach Nikopoli. — Geologisches. — Kumpania han. — Pasa-pord2i. — Handel. — Stadt und Festung. — Osem kalesi. — Asemus. — Römerreste. — Interessante Inschrift. — Türkische Occupation. — Erster Zug König Sigmund's von Ungarn gegen Bajazid. — Die Historiker und die Schlacht von Nikopoli 1396. — Ihr Verlauf nach Aschbach. — Der bayerische Augenzeuge Schiltberg und seine Ausleger. — Prof. Brunn's neueste Hypothese. — Feststellung von „Klein- u. Gross-Nikopoli". — Das angebliche Siegesmonument Bajazid's. — Das wirkliche Schlachtfeld von 1396. — Russische Eroberung 1829 und 1877. — Zerstörung der Stadt. — Rückkehr der moslimschen Einwohner. — Zustand im April 1879. — Eine Illustration türkischen Regiments. — Verfallende Bahnlinie. — Midhat's projectirte Stadt am Osem. — Aberglaube und Zigeunertreiben zu Mahala. — Mückenschwärme. — Im Missionsdorfe zu Trncevica. — „Hund Garibaldi." — Pater Eugenio's Hoffnungen auf österreichische Frömmigkeit. — Fahrt nach dem vierten kath. Pfarrdorf Lazine. — Seine Kirche. — Putz "der h. Anna. — Nonnencostüm. — Des Autors Darstellung und die clericale Presse. — Abhilfe einiger Uebelstände in den vier kath. bulg. Gemeinden. — Deren Klagen über die Patres. — Ein päbstlicher Legat im August 1879 erwartet. — Römerreste. — Strasse nach Pleven. — Ent- täuschung zu Grivica. — Heitere Strassenstaffage. A m 3. Julimorgen 1871 erstieg ich bei 21° C. im Schatten den Svistov gegen S. dominirenden, von österreichischen Mappeuren gelegentlich der Aufnahme der Walachei trigonometrisch bestimmten „Kad bair" um eine vergleichende Messung an seiner Triangulations-Pyramide vorzunehmen. Nach etwas unsicheren Aussagen sollte sie in Osman's Weingarten gestanden haben; trotz alles Suchens war jedoch keine Spur derselben aufzufinden. Meine Messung ergab 198,7 Meter, die militärische 214,2 M., welche Differenz vielleicht auf der Verschiedenheit der bestimmten Punkte beruht. Das herrlich auf dem prächtigen Aussichtspunkte sich entwickelnde Landschaftsbild hätte mich zu anderer Zeit wohl länger gefesselt, doch mein Reiseprogramm gestattete mir nur selten die Müsse zu ruhigem Genüsse und bald ging es abwärts nach dem südwestlich gelegenen katholischen Missionsdorfe Orese. Die Herren Sismanov, ein geborener Oesterreicher (f 1875), und Dr. Pavleviö, der städtische Arzt, waren so freundlich mich dahin zu begleiten. Letzterer erlitt durch diesen Ausflug keinen Verlust in seiner Praxis. Er verkürzte uns den Weg durch Anekdoten, welche seinen stetigen Kampf mit Popen, Hodza's, Baba's und allerlei Wahnglauben ergötzlich illustrirten; sein Streben, rationellem ärztlichen Rathe in der früher ohne Doctor sich behelfenden Stadt Eingang zu bahnen, wurde auch dadurch erschwert, dass die Apotheke sich für Medicamente < dreifach höhere Preise als in Oesterreich bezahlen liess. Während unseres IV4 M. langen Rittes boten mehrere Einschnitte mit Brunnen ersehnte Kühlung auf der schattenlosen Terrasse. An solchen willkommenen Punkten ruhten wir öfters, da die Miethgäule der Stadtherren mit meinen trefflichen Pferden kaum Schritt zu halten vermochten. Es war bereits 10 Uhr, als wir Orese's Pfarrhaus erreichten, an dessen Westfacade mir sofort ein in der Mitte geborstener, 0,88 M. breiter, 1 M. hoher, mit Kränzen und Stierköpfen gezierter römischer Votivstein auffiel. Ob er auf der vierten der Mauer zugewendeten Seite eine Inschrift trägt und seine Fundstelle konnte ich nicht erfahren. Orese zählte 1871: -6 tatarische und 30 türkische neben 70 römisch-katholisch-bulgarischen Häusern. Letztere unterschieden sich wie die Cultu*en des Dorfes wenig von jenen der nahen orthodoxen Ortschaften, während ich wohl nicht ohne Grund vermuthet hatte, dass der hier seit langen Jahren waltende Einfluss der römischen Missionäre schon im äusseren Anstrich ihrer Arbeitsstätte auftreten werde. Es war dies ein grober Irrthum. Wie die aus der Ferne stattlich erscheinende Ortskirche bei näherer Betrachtung sich als ein mühsam gestütztes Bauwerk erwies, ebenso das Missionsgebäude, welches die Priester vom „Herzen Jesu" und Passionisten-Orden hier aufzurichten sich bestrebten. Die vier Katholikendörfer Orese, Beiina, Lazine und Trncevica, nahe bei Svistov, bilden durch ihr ausgeprägtes hierarchisches Regiment in Mitte der compacten orientalisch-christlichen Majorität eine höchst auffallende Erscheinung, und deBshalb lasse ich der Schilderung jener ganz merkwürdigen Zustände, welche ich in denselben traf, einen kurzen Abriss der Geschichte des Sprengeis vorausgehen. Um 1650 lebten in und bei Nikopoli in 14 Orten Bekenner der Bogu-milensecte, welche der durch die Intervention der Propaganda zum Bischof von Gross-Bulgarien ernannte Filip Stanislavov zum Katholicismus bekehrte. Schon sein Nachfolger vermochte aber diese „Paulikiani", welchen namentlich der Gregorianische Kalender widerstrebte, vom Rücktritte zur Orthodoxie nicht abzu- halten*), die Episkopalkirche zu Nikopoli verfiel und nur die genannten vier Orte blieben der Union mit Rom bis heute treu. Seit längerer Zeit unterstehen sie dem Bisthum zu Bukarest. Wiederholte Brände verheerten die dortige bischöfliche Residenz, einer im Jahre 1846 zerstörte leider auch das Archiv und die Original-Urkunden der Nikopolitanischen M ission für Bulgarien. Letztere bildet einen Bestandteil der „Propaganda della fede" zu Rom, welche Papst Gregor XV. im Jahre 1622 „errichtete, zur Bekehrung jener durch so viele und mancherlei himmlische Gaben einst berühmten Nationen des türkischen Reiches, die jetzt zum Blödsinn herabgesunken seien, die Natur der Thiere angenommen hätten und nur für den Teufel und seine Engel zur Vermehrung der Höllenbewohner sich erhielten und fortpflanzten"**). Das Nikopolitanische Archiv dürfte interessante Aufschlüsse zur Geschichte der Mission in Bulgarien enthalten haben. Das von mir eingesehene kärgliche Diarium im Pfarrhause zu Lazin erzählt, dass seit dem Bestände der Mission 1745_1871 von Rom aus 6 Bischöfe und 39 Priester entsendet wurden. Der erste Bischof war Monsignore Francisco Ferrari 1787, der gegenwärtige M. Ignazio Paoli löste 1870 den seit 1863 wirkenden, als Erzbischof von Tyana (in part.) nach Constantinopel versetzten Antonio Pfluym ab. In jeder Pfarre waren zwei Geistliche, ausschliesslich Italiener, thätig. Es herrschte das Prinzip die Missionäre nie zu wechseln. Sie blieben bis zum Tode auf ihren Posten, wurden sie altersschwach oder krank, so versah der jüngere allein die Geschäfte. Die vier Gemeinden stehen mit einander in einem geistlichen Verbände, dessen vom Bischof aus den Missionären gewählter Vorsteher als „Viccario generale della Bulgaria" die Gesammtheit bei den Landesbehörden und Consulaten vertritt. Die in die Oeffentlichkeit gedrungene Entzweiung zwischen der Pfarrgemeindc Beiina und ihren Geistlichen, welche die Intervention der Schutzmacht Oesterreich-Ungarn hervorrief, eröffnete vor wenigen Jahren auch entfernteren Kreisen einen bescheidenen Einblick in die traurigen Zustände des römisch-katholischen Missionswesens in Bulgarien. Sie sagten dem Nichteingeweihten Manches, doch nicht Alles! Es ist hier nicht der passende Ort, die Frage zu erörtern, durch wessen Mitwirkung die tiefen moralischen Schäden in den vier danubisch-katholischen Bulgarendörfern herbeigeführt und wesshalb sie so lange mit dem Schleier barmherziger Duldung bedeckt wurden. Thatsache ist es, dass ein nur mehrtägiges Studium der Verhältnisse in den Missionsorten schon hinreichte, um mir das nahezu am Tage liegende verwerfliche Treiben der italienischen Geistlichen zu enthüllen. So verführerisch es erscheint, hier auf die zu Orese, Beliua u.s. w. in anschaulichster Plastik sich darstellenden, weil von jeglichem staatlichen Ein- *) Geschichte der Bulgaren S. 464. **) Dr. A. Pichlcr, Geschichte des Schisma S. 538. flusse unbeirrt auftretenden Ideale mönchischer Volkserziehung grelle Schlaglichter zu werfen, will ich doch mich darauf beschränken, sie nur durch objective Erzählung des Gesehenen dem Leser näher zu führen. Ein günstiger Zufall Hess mich zu Orese in dem der Kirche gegenüber gelegenen Pfarrhause die geistlichen Häupter sämmtlicher vier Missionsorte zur trimestriellen Conferenz versammelt finden, da eben der Ortspfarrer P. Carlo Romano temporär die Stelle des „Viccario Generale della Bulgaria" bekleidete. Er führte den Vorsitz und neben ihm traf ich: P. Mariano di Gesu von Beiina, P. Eugenio Maria Valente von Trncevica und P. Candido Lanfredi von Lazine. Der Vicar und der mich begleitende Herr Sismanoviö waren alte Bekannte, was meiner Vorstellung günstig zu Statten kam. Als die geistlichen Herren vernahmen, dass ich aus Oesterreich komme, bestürmten sie mich mit Erkundigungen nach ihren hohen Gönnern im Ministerium des Aeussern und im erzbischöflichen Palaste, deren Namen ich nur theilweise kannte. Insbesondere schien P. Eugenio sich vieler persönlicher Mäcene am Ballplatze rühmen zu dürfen, von welchen allerdings einige in den Ruhestand versetzt waren. Vielleicht brach er desshalb in den Klageruf aus: Früher zeigte man weit mehr Interesse in der Kaiserstadt für uns arme, unter die „barbari ed infideli" ex-ponirte Apostel des wahren Glaubens, jetzt regieren aber bei Euch die Ungläubigen (Anspielung auf den Grafen Beust 1871) und die Gelder fliessen spärlich. Was soll, was wird daraus werden! „Austria non vuole lavorare piü per il Santo Dio!" Da der mit italienischem Pathos polternde Redner seine Lamentationen nicht enden wollte, unterbrach ich die mit zahlreichen Ausfällen auf den Liberalismus gewürzte Philippica, indem ich mir vom Viccario seinen müssig zuhörenden Aushilfspriester Fra Nicolo del Carme als Wegweiser zum Schulhause erbat, von dem ich zum Abschiede zurückzukehren versprach. Ich dachte nicht entfernt, dass mein Ansinnen P. Carlo -in derartige Verlegenheit bringen könnte, als es tatsächlich der Fall war. Nach einer kurzen aber peinlichen Pause stammelte er: „Signore, non abbiamo una scuola." Vermöchte selbst der schlimmste Gegner des Treibens der römischen Missionäre an der bulgarischen Donau es mit so sprechenden Worten zu verurteilen, als es der „Viccario generale" selbst getan? Ich hatte in den vier, so vielfach von Aussen geförderten katholischen Dörfern wahre Musterstätten europäischer Bildung zu finden gehofft und traf mich plötzlich in einen Pfuhl intellectuellster Verkommenheit geraten! Und zu solchem Bildungswerke noch mehr Geld aus Oesterreich! War nicht vielmehr jeder Pfennig zu beklagen, der diesen Aposteln römischer Volksbeglückung seit Decennien zufloss? „Signor, wir sind viel zu arm, um Schulen zu bauen, zu erhalten!" ergänzte P. Eugenio seinen würdigen Amtsbruder. — „Also giebt es in Euerer Pfarre gleichfalls keine Schule?" — „Non, Signore"! — „Und in den Eueren, P. Mariano, P. Candido?" — „Non abbiamo scuola, Signore!" lautete die Antwort auch dieser Herren. Und dies alles Angesichts der riesigen „Immaculata-Kirche", deren Bau ungeheuere Summen verschlungen hatte und den schreiendsten Gegensatz zu den armseligen Strohdächern des bedauernswerthen Pfarrdorfes bildete. - Ich schied von den hochwürdigen Herren mit dem stillen Wunsche, dass der heilige Geist ihre Berathungen gnädiger erleuchte als zuvor! Seit jeher schien das Streben der geistlichen Apostel in den katholischen Pfarren Bulgariens darauf gerichtet gewesen zu sein, durch geschickte Ausnützung * des österreichischen Consularschutzes die staatliche Autorität von ihren Gemeinden möglichst ferne zu halten und auf diese Weise nicht nur die geistliche, sondern auch die materielle Gewalt über dieselben an sich zu reissen. Der weltliche Gemeindevorstand übte nicht den geringsten Einfluss auf das Wohl und Wehe seines Dorfes, er ward überdies von den Patres gewählt und musste sich diesen ebenso sklavisch unterordnen wie das jüngste Kind im Dorfe. Gleich diesem küsste der Corbasi tief gebeugt den Saum des schwarzen Rockes, wenn er sich dem Priester näherte, gleiches thaten Frauen und Mädchen; ich wähnte mich in Paraguay oder in den brasilianischen Pampas. Der Geistliche aus dem fernen Rom war zur Zeit meines Besuches im Jahre 1871 in Wahrheit ausschliesslicher Regent seines bulgarischen Missionsdorfes. ; Nichts geschah ohne seinen Rath, ohne seine Zustimmung. In allen Angelegenheiten der Gemeinde und Familie fällte der „Domin" inappellable Machtsprüche, ganz im Gegensatze zu den orientalisch-bulgarischen Gemeinden, welche dem bezahlten Popen keinen Einfluss auf ihre weltliche Verwaltung gestatteten. Um den Pfarrkindern jeglichen Vergleich in dieser Richtung abzuschneiden, suchten die römischen Fratres ihre Herden von den benachbarten „schismatischen" Communen dadurch zu isoliren, dass sie die letzteren mit dem türkischen Schimpfwort „Kara gjauri" (Schwarze Heiden) tauften und sie auf der Stufenleiter der Völker schlimmer als die Moslims taxirten. Im Laufe eines Jahrhunderts gelang ihnen diese Absicht so vollkommen, dass die Bewohner der vier Missionsorte auf die Frage nach ihrer Nationalität stets mit „As sam Pavliken!" antworteten und sehr energisch dagegen protestirten für „Bulgaren" gehalten zu werden, deren Umgang sie meiden müssten, um nicht den Qualen der Hölle zu verfallen. Dieses einstige jüngste Gericht, welches die ehrwürdigen „Domini" bei jedem Anlasse mit der Erfindungskraft Höllenbreughel's oder unserer modernen Klinkowström's zu malen verstehen, bildet den ausschliesslichen Gegenstand alles Fühlens und Denkens der armen Missionsschafe. Um den jenseitigen strengen Strafen zu entgehen, sind täglicher Kirchenbesuch, häufiges Beichten, Opfer aller Art, vor Allem aber stumme Untcrwerfuug unter den Machtspruch des geist- liehen Regenten dringend geboten. Wenn 3*/2 Uhr Morgens die Frühglocke zum Gebet ruft,■ pilgert die gesammte Gemeinde zur Kirche, auch die Fratres erscheinen; während jedoch Nikola, Pavle, Mara, u. s. w. aufs Feld eilten, um im Schweisse ihre Gaben an Staat und Pfarrer zu verdienen, suchten Don Antonio, Carlo u. s. w. getrost ihr warmes Lager wieder auf! Schon zu einer Zeit, als die orientalisch-bulgarischen Christengemeinden nur in halb unterirdischen Räumen ihre Andacht verrichten durften, erwirkte Oesterreichs Einfluss den Missionären sultanliche Fermane zur Errichtung stolzer Kirchenbauteu. Allmälig erhoben sich in den sonst ärmlich aussehenden vier Pfarrdörfern eben so viele für jenes Land riesige Kirchen mit hohen Thürmen, welche den Stolz der Geistlichen bildeten und den Neid der benachbarten bulgarisch-orientalischen Gemeinden erregten. Das Geld für diese mehr prätentiös als solid aufgeführten Bauten kam zum kleinsten Theile aus Italien, zum grösseren aber vom österreichischen Kaiserhause, aus dem „Redemtoristenfonds" und von anderen frommen Stiftern aus Wien. Die Kirche „la Nativita della Madonna Santissima" zu Beiina kostete über 80,000 Gulden, „Santa Anna" zu Lazin etwas weniger, Orese's Kirche „della Maria Immaculata", welche 9000 Zechinen verschlang, ist dem Einsturz nahe, und die Kirche „San Michele" von Trncevica liegt bereits in Trümmern; der Gottesdienst wird dort in einem provisorisch gezimmerten Holzbau verrichtet. Den raschen Ruin der letzgenannten Kirchen verschuldeten nicht Elementarereignisse, sondern der Unverstand der Geistlichen, welche italienische Baumeister beriefen, bei den Fundamenten kargten, für Oberbau und Decoration aber umsomehr verschwendeten. Namentlich wurde für bestechenden Kleiderpomp der lebensgrossen, aus Italien bezogenen Wachsfiguren der Heiligen viel gethan. Die h. Anna zu Lazin besitzt Werk- und Feiertags-Costüme, welche einen ganzen Schrein füllen, darunter Kleider von schwerster Seide, um welche manche occidentale Modedame sie beneiden könnte. Gleich pomphaft sind die Ornate der Geistlichen, welche grossentheils durch Vermittlung der österreichischen Con-suln von Wien aus gespendet wurden. Hingegen fehlt es an den einfachsten Sitzbänken für die Gläubigen, und selbst im Winter liegen und knieen sie während des oft Stunden lang dauernden Gottesdientes auf dem kalten Steinpflaster. Unmittelbar neben den Kirchen erheben sich namentlich zu Beiina und Trncevica stockhohe, comfortabel eingerichtete Pfarrhäuser und Wirthschaftsge-bäude der Missionäre. Vergebens forscht man jedoch in diesen ansehnlichen Bauten nach bescheidenen, dem Unterrichte gewidmeten Räumen. Waren die geistlichen Herren nicht moralisch verpflichtet, mindestens einen Theil jener im Laufe vieler Jahre aus Oesterreich und anderen Staaten zugeflossenen Hunderttausende von Gulden, oder der Abgaben ihrer Pfarrkinder zur Erziehung derselben zu verwenden? Wer wollte es wagen mit Nein zu antworten? Es klingt vielleicht unwahrscheinlich, ist aber nichts desto weniger eine von mir erhärtete Thatsache, dass in allen vier katholisch-bulgarischen Pfarrdörfern, deren jedes 2 Geistliche nährt, im J. 1871 weder Erwachsene noch Kinder des Schreibens oder Lesens kundig waren! Alle Gebete wurclen mechanisch ohne Buch recitirt; natürlich — unwissende Herden machen das Herrschen leicht! Hingegen zählte jedes Dorf 20—40 erwachsene, durch nonnenartige Tracht ausgezeichnete Mädchen, die ihre Zeit anstatt auf den Feldern ihrer Eltern, im Weingarten des Herrn zubrachten, und an Werktagen, wo in bulgarischen Orten der orthodoxen Confession kein Familienglied feiert, stets in den allezeit offenen Kirchen oder in den Bäumen des Pfarrhauses zu finden waren, denn auf An-rathen der Geistlichen hatten sie dem sündhaften Beirathen entsagt und sich dem Herrn verlobt. Vor zehn Jahren versuchte ein junger römisch-katholischer Bulgare aus dem ungarischen Banat eine Schule in Beiina zu begründen; der Pfarrer bereitete diesem Beginnen grosse Schwierigkeiten, und als jener auch die Bauern über ihre traurigen Verhältnisse aufzuklären begann, da wussten die Patres den Wolf durch allerlei Intriguen beim österreichischen Consulate und den türkischen Autoritäten zu Ruseuk aus ihrem Reviere zu verscheuchen. Ein Stachel war jedoch zurückgeblieben, der im Stillen fortwirkte. Die jungen Männer der Mis-sionsortc zeigten sich darüber erbittert, dass viele der hübschesten Mädchen dureh den „Dienst der Kirche" dem Heirathen entzogen wurden; einsichtsvollere Familienhäupter beklagten einmal den Entgang an Arbeit und auch an Gewinn, da die Bulgaren gleich allen Südslaven, heirathsfähige Töchter nur gegen eine materielle Ablösung an die jungen Bewerber abgeben. Trotzdem schleppten sich diese traurigen Verhältnisse bis 1873 hin, als ein unerwartetes Ereigniss an denselben rüttelte. Zu Beiina besteht neben der römisch-katholischen audi eine kleine orientalische Gemeinde, welche durch das 1871 creirte Constantinoplcr bulgarische Exar-chat dem Ruscuker Sprengel zugetheilt wurde. Als nun der für letzteren neu ernannte bulgarische Bischof seine Diöcese zum ersten Mal bereiste, übte sein humanes, culturfrcuudliches Auftreten im Contraste zu dem herrischen Benehmen der italienischen Patres auf die katholische Majorität des Dorfes einen tiefen Eindruck. Die Aufklärung ist ein Medium, das allmälig oder durch zufällige äussere Anlässe begünstigt, selbst über chinesische Mauern dringt, namentlich dann, wenn ihr verletzte moralische und materielle Interessen zu Hülfe kommen. Erst 1872 gelangte aber der lang verhaltene Groll im intelligenteren Theile der katholischen Bulgarengemeinde Belina's zum Ausbruche. Die Bauern kündeten den Fratres den Gehorsam, indem sie laut die Abstellung vieler Missbräuche for- derten, und als sie kein Gehör fanden, riefen sie die Intervention der türkischen Behörden an. Diese traten anfänglich auf die Seite des über Baksis verfügenden Pfarrers und Dedo Nesko der Hauptsprecher büsste sein Beginnen mit kurzer Haft im Svistover Gefangnisse. Die hierdurch noch mehr erbitterten Opponenten wandten sich nunmehr aber mit ihren begründeten Klagen an den Ruscuker Vali und dieser intervenirte insofern zu Gunsten der Bittsteller, als er dem zur Schlichtung der schlimmen Händel von Bukarest herbeigeeilten Bischöfe Msgr. Ignazio Katholische Nonnen zu Oreäe. Paoli das erbetene Bujurdu zur Reise nach Beiina desshalb verweigerte, weil Msgr. Paoli bei der Pforte niemals seine Anerkennung als römisch-katholischer Bischof nachgesucht hatte und daher zur oberhirtlichen Jurisdiction auf sultanlichem Boden unberechtigt sei. Erst dem energischen Einschreiten des österreichisch-ungarischen Internuntius zu Constantinopel gelang es nach langen unerquicklichen Verhandlungen im Frühjahre 1874, die Vorwände des Ruscuker Vali Abdur Rachman mit diesem selbst zu beseitigen und dem Msgr. Paoli freie Bahn nach Beiina zu öffnen. Die in ihrer Pasaexistenz bedrohten Geistlichen wussten ihren humanen, der bulgarischen Sprache aber gänzlich unkundigen Oberhirten ganz in ihrem Sinne zu beeinflussen, alle Klagen auf Umtriebe der „Schismatischen" zurückzuführen und sich als Märtyrer für die h. römische Kirche zu geriren. Trotz aller Bemühungen des Bischofs die Gemeinden mit ihren Patres zu versöhnen, beharrten jedoch die Bauern von Beiina in ihrer Oppositon und auch die drei anderen Katholikenorte verlangten durch abgesandte Deputirte, „dass die für sie bestimmten Pfarrer der bulgarischen Sprache mächtig sein, einen fixen, im Verhältnisse zu ihren wirklichen Bedürfnissen stehenden Gehalt beziehen, die Gebarung des Kircheneinkommens einem gemischten Orts-Savet (Rath) überantworten und für den Nonnenstand sich entscheidende Mädchen fortan nicht länger im Dorfe weilen sondern in ein Kloster sich begeben sollen." Diese durchaus gerechten Wünsche wurden leider von dem Bischöfe als unerfüllbar bezeichnet. Die unerquickliche Fehde dauerte fort und die erbitterten Bauern gaben ihr, trotz der angedrohten Excommunication, durch die Verweigerung aller Abgaben in Geld und Naturalien an die „Domini" fühlbaren Ausdruck. Die türkische.Regierung lehnte aber, von dem Sachverhalte unterrichtet, die ihr angesonnene Partheinahme für das unmoralische Treiben der ihrer Jurisdiction entzogenen ausländischen Priester vollkommen ab. Die viel gequälten vier Katholikenorte drohten zur orthodoxen Kirche überzutreten, falls das Benehmen der Geistlichen sich nicht ändere; dass sie sich dem bulgarischen Exarchate bereits unterworfen hätten, wie neuestens von Jirecek mitgetheilt wurde, beruht jedoch auf falschen Gerüchten. Und bei solch traurigen Verhältnissen glaubte man in gewissen Kreisen Oesterreichs, namentlich aber am Centraisitze der römischen Propaganda zu Adrianopel die Hoffnung hegen zu dürfen, das Bulgarenvolk werde in den Schooss der Papstkirche zurückkehren! Ein sprechender Beweis dafür findet sich im Wiener „Vaterland" (1. April 1876), wo die Bulgaren in einer ihre Leiden schildernden Correspondenz aus Adrianopel, mit der Aussicht auf dauernde politische Unabhängigkeit von der Pforte für Rom geködert wurden. Es heisst dort: „Wir endigen mit dem, was uns die Geschichte lehrt. Die Türken sind eine Strafe Gottes wegen des im Oriente bestehenden Schisma; und diese Strafe ist eine gerechte. Mögen darum die unglücklichen Bulgaren und Griechen erwachen, mögen sie den schon lang dauernden und fanatischen Hass, den sie gegen ihre treulos verlassene Mutter, die katholische Kirche, im Herzen tragen, endlich einmal ablegen und sich wieder mit ihr vereinigen, und sogleich wird die Vorsehung Gottes Mittel und Wege finden, ihre Leiden zu enden. Wir haben gesagt, dass die Türken eine Strafe für das Schisma sind. Wir wiederholen diese Behauptung, obgleich man uns mit den von der unmittelbaren türkischen Macht befreiten Provinzen, z. B. Walachei, Serbien und Griechenland wahrscheinlich widerlegen möchte. Aber was gilt die politische Existenz der kleinen Herrschaften, welche nur der Gnade ihrer Nachbarn ihr armes Dasein zu verdanken haben?" Diese höchst naiven Aussprüche bedürfen wahrlich keines Commentars, sie fanden durch die Ereignisse der beiden letzten Jahre eine Widerlegung, welche allerdings den für Rom's Ideale arbeitenden Kreisen wenig behagen mag! Ob aber der wahre Katholicismus, sowie Oesterreich - Ungarn durch eine derartige Propaganda in der grossen orientalisch-bulgarischen Majorität an Sympathie gewinnen können, mag der Leser selbst beurtheilen. Ich selbst wünschte den am Pfarrhause zu Beiina prangenden Schild mit dem kaiserlichen Doppelaar und der Umschrift: „Viccariato Cattolico in Beiina, sotto la protezione di Sua Maesta I. R. Apost. d'Austria" so lange entfernt zu sehen, bis das veränderte Betragen der ihn nach allen Richtungen als „Schild" ausnützenden geistlichen Herren aus Rom sich dieses hohen Schutzes als würdig erweist. Schwerlich ist solche Umkehr jedoch von Seite der im altgewohnten Thun ergrauten Patres und ihrer auf gleichem Pfade wandelnden Jünger zu erwarten! Man muss dies um so ernstlicher bedauern, als die von aller Cultur ferne gehaltenen katholischen Missionsdörfer (s. S. 69) einen traurigen Gegensatz zu den in Kirche und Schule eifrig fortschreitenden Bulgaren orthodoxer Confession bilden. Wäre nicht die österreichische Schutzmacht berufen, die Seelsorge dort radical zu reorganisiren? Noch giebt es genug wackere katholische Priester, welche das geistliche Lehramt anders als die italienischen Patres aufzufassen und zu üben verstehen! Wer aber vielleicht glaubt, dass diese hier wahrheitsgetreu geschilderten traurigen Zustände vom Jahre 1871 nicht durch die Geistlichen der vier bulgarisch-katholischen Gemeinden allein herbeigeführt wurden, sondern dass letztere mindestens ein Theil der Schuld trifft, indem sie wenig oder gar nicht bildungslustig seien, der werfe einen Blick auf die überraschend hohe culturelle Entwicklung ihrer Religions- und Stammesgenossen im südlichen Ungarn. Als sogenannte „Paulikianer" waren sie etwa 4000 Familien stark, über die kleine Walachei, um 1740 dort eingewandert und von der Kaiserin Maria Theresia als willkommene Ansiedler mit Privilegien ausgestattet worden, welche ihnen ein Wappen, nationale Schwurgerichte u. s. w. verbrieften. Allmälig gründeten sie im Banate 13 Niederlassungen, von welchen Vinga die bedeutendste. Diese katholischen Bulgaren sind weit im Lande berühmt, nicht allein durch ihre Arbeitsamkeit und Ordnungsliebe, in welchen sie mit den dortigen Deutschen wetteifern, dann durch ihre ausgezeichnete Acker-, Bienen- und Weinwirthschaft, sondern namentlich durch ihren Bildungstrieb. Unter 100 findet man kaum 3, die nicht lesen können. Sie halten ausserordentlich viel auf den regelmässigen Schulbesuch ihrer Kinder, und selbst ein Waisenkind würde dem Vormund weggenommen, falls er es nachlässig zur Schule schickte. In den Comitats-Gefängnissen zählt desshalb auch ein Bulgare zur Seltenheit. Diese vollkommen zuverlässigen Daten zeigen aber im hellsten Lichte, was die römischen Priester aus Italien an den vier katholisch-bulgarischen Missionsorten bei Svistov verbrochen haben! Nach dieser Excursion auf die früher mit einem Schleier bedeckte Terra römischer Volkserziehung" im danubischen Balkangebiete nehme ich meinen unterbrochenen Routierfaden wieder auf. Die Svistover Herren, welche mich nach Orese geführt, kehrten nach der Stadt zurück und bald hatte auch ich den Missionsort und seine „hochwürdige" Conferenz glücklich im Rücken. Mit einer Zeile Don Mariano's für seinen Amtsbruder in Beiina brach ich dahin auf. Die Enttäuschung, welche ich von Orese mitnahm, versetzte mich in eine höcht unerquickliche Stimmung, und meine Brust athmete erst freier auf beim Anblicke des orossartigen Donauspiegels, der, als wir den gegen N. sich öffnenden Riss des Oresebächleins verliessen, plötzlich erschien. Am flachen Ufer, auf der von Svistov nach Beiina führenden Vicinalstrasse hinreitend, passirten wir das von Buzurluk zur Donau rinnende Wässerchen, dann eine Gruppe von 5 Tumuli; das von Bulgaren und Tscherkessen bewohnte Djakovo blieb links und nach dreistündigem Marsche auf dem fruchtbaren Alluviumstreifen, welcher in ansehnlicher Breite hier dem Fusse der hohen Lössterrasse vorlagert, erreichten wir Beiina, dessen weisser Kirchthurm für die Steuermänner der Donaudampfer einen erwünschten Orientirungspunkt im Gewirre der vielgetheilten Strominseln bildet. An einem Ziehbrunnen dicht beim Dorfe stiess ich auf eine Gruppe hochgeschürzter Frauen in buntgestickten, weitfaltigen Hemden mit wollenen Vor- und Rtickschürzen und eigenthümlichem Chignon-Kopfputz. Mehr als das höchst pittoreske Costüm verriethen die kleinen Füsse und eleganten Bewegungen ihre romanische Nationalität. Beiina gehört zu den vielen buntsprachigen Dörfern Bulgariens, 1871 zählte es: 157 katholisch-bulgarische, 76 walachische, 12 türkische und 10 Zigeunerhäuser. Der mit hohen Wänden von Rohrgeflecht umzäunte Pfarrhof überraschte mich durch die Ausdehnung und Regelmässigkeit seiner Gebäude, noch mehr aber contrastirte'mit der armseligen Physiognomie des Dorfes die ausser allem Verhältnisse zu diesem stehende grossartige Kirche im modern italienischen Renaissancestyle, von deren riesigen Baukosten ich bereits sprach (S. 41). Mit fremdem Gelde lässt sich's gut bauen, dachten die Patres vom Herzen Jesu. Aber die Zeit, wo man mit stolzen, sinnberückenden Bauten, mit prächtig staffirten Wachspuppen, Heiligenbildern u. s. w. allein die Schäflein kirrte, war selbst in Bulgarien dem Ende nahe. Der während P. Mariano's Abwesenheit fungirende Cooperator Don Gasparo „del Gesu bambino", bemühte sich die Pfarrkinder weit wegzuhalten. Trotzdem kamen mir wenig erbauliche Dinge zu Ohren. Ich merkte, dass zwischen den geistlichen Herrschern und ihren Regierten nicht Alles richtig stehe, und ahnte, dass die straff gespannten Verhältnisse bald böse Stürme herbeiführen müssten. Dass sie bereits im nächsten Jahre hereinbrachen, dazu trugen wohl die bereits S. 43 erwähnten äusseren Anlässe nicht wenig bei. Nachdem ich die architektonisch-prächtige Kirche in allen Theilen besichtigt hatte, wandte ich mich zu den im Dorfe vorhandenen Kesten aus der classischen Epoche. Obschon zahlreiche antike Steine in den Grundfesten und Mauern der Missionsbauten verschwanden,- sah ich im Pfarrhofe viele Marmor-Säulenschafte, Basen, verwischte Votivsteine u. s. w., am Donauufer aber einen beträchtlichen Theil des römischen Bollwerkes und seiner Uferschutzmauer mit vortrefflichem Cementgefüge. Bei niederem Wasserstande treten auch die Beste einer Wasserleitung und eines grossen Thores hervor; der Marmor-Torso eines Apolls, von dem ich 1862 zu Vidin gehört, war leider nicht zu finden. Nach der Ansicht der Patres stand hier einst „Mikro-Byzantium", was jedoch der Bestätigung bedarf. Jedenfalls möchte ich Beiina den Archäologen als ein sehr beachtens-werthes Terrain empfehlen. Unser Weg nach Nikopoli führte weiter hart am Donauufer gegen W. über drei kleine Wasseradern, an welchen S. ebenso viele Orte in kurzen Abständen von einander erschienen. Bei Belavoda, auch Turk-Belina genannt, einem hübschen Dorfe mit 30 bulgarischen und 45 tatarischen Gehöften, erstiegen wir die Terrasse. Der Zufall liess uns dicht an einem Gehöfte halten, aus dem, wie laute Wehklagen der Frauen verriethen, ein Bulgare in das Reich des Todes hinübergewandert war. Mein Zaptie erblickte darin eine unheilvolle Vorbedeutung für unsere Weiterreise und war nicht zu beruhigen, bis wir die Unglücksstätte mit einem Halte im tatarischen Mahle vertauschten. Es sah sehr freundlich aus und sein Corbasi war ein ziemlich gebildeter Mann, der uns nicht nur gastfreundlich mit einem Morgenimbisse (Milch, Honig, Brod u. s. w.) bewirthete, sondern in besten Kleidern zu Pferde stieg, um uns persönlich nach dem 1 St. fernen Eremenli zu führen. Er streifte mit der charakteristischen Kantschupeitsche leicht sein Pferdchen und fort ging es über die Hochebene im raschen Trabe, den ich aber bei 31° C. im Schatten, aus Rücksicht für unsere Thiere, bald massigen musste. Nahe einer zu Eremenli gehörenden Mühle schied ich von unserem höflichen Begleiter aus den Krimgefilden, dessen Benehmen meine längst gefasste gute Meinung von seinem Stamme noch mehr bestärkte. Während unseres Rittes war der prächtige Grasboden, so weit der Blick reichte, mit zerstreut weidenden Heerden bedeckt, Baumoasen erschienen aber selbst in den zur Donau ziehenden tiefen Einschnitten nur spärlich. Der Lös» reicht hier weit südwärts, etwa 6—8 Meilen in's Land hinein. In der nächsten Umgebung von Nikopoli besitzt er jedoch nur geringe Mächtigkeit, denn dort treten unmittelbar am Donaurande miocäne Tertiärschichten von sandigen Kalkbänken mit unterlagernden Letten und Mergeln auf, welche, nach Fötterle, zahlreiche Steinkerne und Abdrücke von Cerithien, Cardicn u. s. w. enthalten. Die Kalkbänke sind fest, brechen in grossen Blöcken auf die Schichtung ab, nahezu in senkrechten Felswänden, welche von den dazwischen erscheinenden sanfteren Lettenhängen scharf abstechen, wie beispielsweise am Festungsplateau von Nikopoli. Die sandig-lettigen, guten Untergrund für eine üppige Vegetation bildenden Schichten gleichen der ungarisch-siebenbürgischen Pala, bergen viele Hydrat-Ausscheidungen von grüngelblich-opalartiger Kieselerde und verursachen bei grösserer Ausdehnung unter dem Kalke, weil durch Auswaschungen leichtlöslich, oft bedeutende Depressionen des Terrains. Auf der weit gegen W. zum Osem streichenden monotonen Hochebene boten die Lieblingssitze der Raubvögel, oft stark von der Senkrechten abweichende buckelige Telegraphenstangen, einige Abwechselung, bis wir nach zwei Stunden gegen NW. abbogen und kurz vor der Stadt eine mit Obstgärten besäumte Schlucht betraten. Heitere, beinahe italienisch aussehende Staffagen belebten sie und das unter der reifenden Früchte schwerer Last sich beugende Gezweige beschattete und kühlte uns wohlthuend bis zum bulgarischen Viertel von Nikopoli, durch dessen endlose Öarsia wir an den neuen „Kumpania han" gelangten. Dieses weitläufige Karavanserai unterschied sich von den kleinen landesüblichen Han's nicht durch vermehrten Comfort, besseres Mobiliar oder grössere Reinlichkeit, wohl aber durch die Vereinigung einer kleinen Räuberbande zur Ausbeutung der Franken", welche Geschäfte nach Nikopoli führten. Es kostete viele Mühe, für das mir eingeräumte Staatszimmer einen wackeligen Tisch und zwei elende Strohsessel herbeizuschaffen. Der „Kumpania-Chef wunderte sich nicht wenig, dass ich dem ekelhaft schmutzigen Bette mein eigenes vorzog, was alles jedoch ohne Einfluss auf die Werthbemessung des nicht Geleisteten blieb. Ich war in eine der abschreckendsten Hantypen an der unteren Donau gerathen. Wie früher in Oesterreich waren in der Türkei viele unnütze Passformalitäten an der Tagesordnung. Die Stelle der von Midhat creirten „Directeurs des passc-ports" wurde, der nothwendigen Sprachkenntnisse wegen, in den Donauhäfen gewöhnlich von Bulgaren, Armeniern, Griechen oder Juden bekleidet und zwar meistens von ziemlich gebildeten Leuten. Ich war kaum abgestiegen, als sich Nikopoli's „Pasapordzi", Herr Stavropulo, ankündigte, um meine Papiere zu prüfen; mein Ferman flösste ihm heilsamen Respect ein und freundlich stellte er mir seine guten Dienste zur Verfügung. Zunächst wünschte ich den Kaimakam zu sehen, um mir das erforderliche Geleite zur Besichtigung des „Kaleh" und anderer archäologischer Reste der interessanten Stadt zu erbitten. Der Kreischef begegnete in liebenswürdigster Weise nicht nur diesem Wunsche, sondern bedauerte lebhaft, nicht persönlich meinen Cicerone machen zu können, da er zufällig am nächsten Tage die Stadt verliess, in welche er vor kaum zwei Jahren gekommen war; er musste einem Günstling des neuen Vali das Feld räumen. Nikopoli liegt in einer langgedehnten Schlucht, welche gegen die Donau sich erweitert. Ich begann meine Wanderung mit dem Besuche des Donauviertels, das aus schlechten türkischen Häusern, bei welchen das Holz vorwiegt, aus Kaffeebuden, Fischerhütten u. s. w. bestand. Auch die Mauth- und Dampfer-Bureaus befanden sich in feuergefährlichen Barakcn und die Schiffslände erschien, selbst mit Svistov und Ruscuk verglichen, höchst vernachlässigt. Die Todten-stille am Kai stach auffallend von dem lebhaften Treiben am walachischen Ufer ab, wo an Turnu-Magurelli's Skela Hunderte von Wagen sich bewegten und zahlreiche Dampfer und Schlepper verschiedener Gesellschaften Frachten nahmen oder löschten. Die türkische Regierung kümmerte sich aber nicht um das Aufblühen ihrer Donaustädte und drückte auch zu Nikopoli den Verkehr mit unnützen fiscalischen Plackereien, so dass selbst sein ausser allem Verhältniss zur Productions- und Entwicklungsfähigkeit Donau-Bulgariens stehender geringer Handel einzig auf Rechnung seiner Kaufleute kam. Im Getreide- und Rohwaarenexport spielen zu Nikopoli namentlich jüdische „Spagnuolen" die erste Rolle. Ihr Viertel, nahe der verfallenen katholischen Kirche, enthält die nettesten Gebäude der Stadt; sämmtlich einstöckig und europäisch ausgestattet, sprachen sie für den sprüchwörtlichen Fleiss und für den Werth, welchen diese durch spanischen Fanatismus hierher verschlagenen Kaufleute einem angemessenen Comfort beilegen. Die Majorität der Stadtbevölkerung, sowohl Türken als Bulgaren, betrieb neben Agricultur und Fischerei das Kleingeschäft. In der Öarsia sah ich trefflich ausgestattete Läden; schwere, weniger gesuchte Seidenstoffe, Tuche, dann Glaswaaren und Goldgespinnste werden aus Wien bezogen; leichtere bunte Foulards mit orientalischen Desseins, sowie eigens für den türkischen Geschmack erzeugte, mit Etiquetten in allen denkbaren Sprachen versehene Waarcn aus Constantinopel, wohin sie von der rührigen Schweiz und Frankreich importirt werden. Auch englischen Artikeln, besonders Porcellan, Gummi-und Kurzwaaren begegnete ich und daneben erschienen primitive, durch Handarbeit verfertigte Lederarbeiten, Teppiche, Armbänder, Kupferwaaren, messingne Leuchter, Gürtelschnallen und andere bulgarische Industrie-Erzeugnisse, welche trotz der ausländischen Concurrenz, wegen ihrer unglaublichen Billigkeit, viele Käufer finden. Nikopoli's unbedeutende Stellung im Donauhandel und ungebrochener orientalischer Anstrich erklärten sich durch seine vorherrschend türkische Bevölkerung. Es zählte 1871 neben 900 moslimschen und 25 israelitischen, nur 30 Bulgarenhäuser. Die kleine christliche Gemeinde besass eine nette Kirche und ziemlich gute Schule, beide entbehrten aller architektonischen Zier, aber auch unter den Kunitz, Donau-Bulgarien und der Balkan. II. Moscheen sah ich keine von monumentaler Bedeutung. Nur ein Brunnen im TUrkenviertel fiel mir durch die bizarre Form seines kioskartigen Gehäuses auf, mit den nahen Kaffee's bietet er dem Maler einen lohnenden Vorwurf. Auf der nackten Höhe im Osten der Stadt steht der Uhrthurm isolirt als ihr weithin sichtbares Wahrzeichen. Ungemein interessirte mich die kleine Kirche im byzantinischen Style, auf deren Centralkuppel eine Storchfamilie ihren malerischen Horst aufgeschlagen hatte. Die Restauration dieser Baute wäre vom kunsthistorischen Standpunkte höchst wünschenswert!! und würde, wenn bald unternommen, mit geringen Kosten verbunden sein. Leider ist zur Erfüllung dieses Wunsches nur geringe Aussicht vorhanden. In der Stadt selbst wohnen nur wenige Katholiken; wie früher die türkische Regierung hegt auch die orthodox-bulgarische Bevölkerung nicht das bescheidenste Interesse für die „lateinische Kirche"; die Patres der nahen Missionsorte verwenden aber die ihnen zuströmenden Gelder für praktischere Zwecke, und auf ferne Mäcene ist kaum zu hoffen. Nachdem ich das verfallende Denkmal aus weit zurückliegender byzantinischbulgarischer Epoche durch verschiedene Aufnahmen gänzlichem Vergessen zu entreissen gesucht hatte, ging ich an die Besichtigung der sogenannten Festung. Nikopoli war jedenfalls zwischen Vidin und Ruscuk der einzige Punkt, der mit einigem Recht auf diesen Namen Anspruch erheben konnte, da die Werke zu Arcer, Lom, Rahova nur aus ganz primitiven Erdschanzen bestanden und jene von Svistov kaum mehr zu erkennen waren. Nur Nikopoli vermochte die Ueber-schreitung der Donau durch einen aus dem jenseitigen Alutathai vorgehenden Feind zu hindern und, falls sie dennoch erfolgte, eine bedrohliche Position im Rücken des gegnerischen, auf der mittleren Donau-Terrasse operirenden Corps zu bilden. Wohl müssten die Türken — sagte ich 1875 weiter, in der I. Auflage dieses Werkes — sich jedenfalls schon bei Annäherung des Feindes in den Besitz des gegenüber gelegenen Brückenkopfes Turnu setzen und ihn wie in früheren Zeiten befestigen. Denn dieser Punkt bedeutet Air Nikopoli, was Kalafat für Vidin, was Giurgevo für Ruscuk. Schon gegenwärtig müsste aber eine Verstärkung der vom russischen General Kamenski im J. 1810 genommenen und geschleiften Werke von Nikopoli, entsprechend den Anforderungen moderner Fortificationskunst eintreten, denn so günstig auch seine natürliche Lage, reicht diese allein ohne künstliche Nachhülfe nicht aus. Die Festung besteht aus der Citadelle und dem sogenannten „Tuna Kaleh". Letzteres, eine Art Fort mit Erdwall, Mauern und Graben, enthält einige Häuser fllr die Besatzung, Einschnitte für 5 Geschütze und communicirt durch ein Thor mit Zugbrücke an der Ostfronte mit der Stadt. Gelehnt an die von vielen Raubvögeln bewohnte Felswand, sieht es mit seinem Flaggenstocke mehr malerisch als fest aus, doch kann man von hier aus nur auf halsbrecherischen Wegen in die obere Feste gelangen. Mit Stürmen da hinauf zu kommen wäre nicht leicht; ich für meinen Theil zog den bequemeren, immer noch steil genug ansteigenden Hauptweg vor. Die Citadelle folgt in länglicher Dreiecksform den Handlinien des Plateaukopfes. Die beiden ^jnkel ihrer östlichen Schmalseite und die gegen Westen gerichtete Spitze wurden durch je eine halbkreisförmig vorspringende Bastion, die beiden Langseiten gegen N. und S. durch je zwei, das Ganze also durch 7 Bastionen vertheidigt, welche die Namen: Solak-, Tas-, Sirdim-, Jeri-batam-, Hambarla-, Kotsch- und Mezinoglu-Tabia führten und Geschütze von verschiedenstem Kaliber, Alter und Ursprung enthielten. Für ein an occidentale militärische Ordnung gewöhntes Auge trägt jede türkische Festung mehr oder minder den Stempel der Lächerlichkeit. Wir wissen aber aus der Geschichte des letzten russisch-türkischen Krieges, dass die Türken erst an den Ausbau ihrer Festungen gehen, wenn der Feind bereits sich ihnen nähert, und dass sie diese rasch entstandenen Nothwerke meistens mit bewunderns-werther Zähigkeit und Bravour vertheidigen. Dass die Citadelle von Nikopoli allzusehr von einigen nahen Höhen dominirt wird, ist aber so einleuchtend, dass selbst die sorglose, dem „Inschallah" und der Zukunft huldigende Constantinopler Genie -Direction deren Verstärkung durch einige Erdredouten vor Jahren bereits anordnete. Ich selbst sah eine solche im J. 1871 auf der Ostseite* der Stadt vollendet und andere sollten bald in Angriff genommen werden. Wie in allen türkischen festen Plätzen wohnte auch in Nikopoli's Citadelle eine ziemlich starke Civilbevölkerung, welche als „Toptschi" (Kanoniere) zu ihrer Vertheidigung berufen und verpflichtet, dafür manche Vorrechte genoss. Die etwa 100 türkischen Häuser, Dsamien und Hütten gruppirten sich in einer langen, das Kaleh durchschneidenden Strasse und wurden im Verfalle nur von den erbärmlichen Nizams-Kasernen übertroffen, welche an den Wällen der verschiedenen Werke klebten. Durch die westliche Bastion trat ich hinaus auf einen weitläufigen Friedhof, zwischen dessen beturbanten Steinen ich mich niederliess und eines entzückenden Ausblickes auf die schöne Landschaft genoss. Jenseits des mächtigen Stromes lag, unfern der breiten Mündung der die siebenbürgischen Karpathen durchbrechenden Aluta, das handelsthätige Turnu-Magureli, umrahmt von hübschen Baumparks und weissen Villen, und durch radienartig auslaufende Strassen mit dem Dampfschifflandeplatze und den im Umkreise liegenden zahlreichen Ortschaften verbunden, ein freudig anmuthendes Keimen beginnender Civilisation. Auf dem walachischen Donauufer verschwinden unter dem auf die Hebung des materiellen Wohlstandes besorgten Fürsten Carl allmälig die traurigen Spuren vielhundertjähriger Völkerkämpfe, und auch im Innern des Landes entwickelt sich mit staunenswerther Schnelligkeit ein rasch aufblühendes Städteleben. Auf dem türkischen Ufer jedoch vermochte der unparteiische Beobachter 4* nur geringe Fortschritte zu verzeichnen, denn die Majorität der herrschenden Racc bewies für Arbeit so wenig Sinn, wie einst die ihnen stammverwandten Hunnen, an deren Verwüstung der Balkanländer das westlich auftauchende nahe „Osem kalesi" mahnt. Ich sah nicht diese intercssantc^Ruinc aus der Römerzeit, da Lcjcan sie besucht und mit jenem „Asemus" des Priscus identificirt hatte, welches Attila während seines ftuthähnlichen Vordringens gegen Westeuropa vergebens zunehmen trachtete." Selbst bedeutendere Plätze vermochten sich nicht ähnlicher Widerstandskraft zu rühmen. Die blutig zurückgewiesenen Hunnen unterhandelten zuletzt mit diesem kleinen Asemus und versprachen es zu schonen, falls ihre Trainzüge das Oscmthal unbehelligt durchziehen könnten. Nach der Pcut. Taf., welche Asemus „Anasamus" nennt, lag es 17 Mill. von Sccurisca und 9 Mill. von Utus, die Not. Imp. heisst es Ansamus und lässt eine Abtheilung leichter Truppen hier garnisoniren, Plinius nannte es Escamus. Mannert vermuthete es westlich nahe hei Nikopoli, und Lcjean fand wirklich diese Voraussetzung beim dort gelegenen „Osem kalesi" bestätigt, wo er auf die römischen nördlichen Maueru des lange verschollen gebliebenen Castrums stiess. Zu Nikopoli selbst vermochte Lejean aber ebensowenig wie ich die Stätte der römischen Colonic mit Sicherheit zu bestimmen. Jede örtliche Tradition über dieselbe fehlt, auch Mannert vermisstc in den alten Quellen Nachweise, unter welchen Umständen es entstanden und wichtig geworden ist. Forbiger und andere Historiker sahen in Nikopoli an der Donau jenes „Nicopolis ad Istrum", welches Trajan zum Andenken seines Sieges über die Dacier gegründet hatte. Es war dies eine total irrige Ansicht, welche ich bereits (I. Bd. S. 185) mit unumstösslichen Beweisen widerlegte. Das römische Nicopolis an der Donau entstand erst später unter Heraclius und soll seinen Namen einem Siege dieses Kaisers Uber die Perser verdanken.*) Die Völkerstürmc verwischten die Spuren des Castrums und ich vermuthe nur, dass es wahrscheinlich auf der Stelle der heutigen Festung stand. Eine genauere Durchforschung des Terrains bleibt einer späteren Epoche vorbehalten; was heute in Nikopoli von römischen Funden vorhanden, scheint von benachbarten antiken Niederlassungen herzurühren. Aus Gigcn, dem einstigen Oescus, waren beispielsweise kurz vor meiner Ankunft drei römische Inschriften nach Nikopoli gebracht und vom Kaimakam weiter nach Constantinopel befördert worden. Zwei neueste Ankömmlinge sah ich im Konak an wenig geschützter Stelle. Der eine, 1,20 M. hoch, 0,80 M. breit, zeigte eine bekleidete männliche, äusserst schematisch behandelte Figur mit gebeugter Haltung und scheinbar gefesselten Händen, der zweite die von Mommsen nach meiner Copic gelesene Votiv-Inschrift: „Marcus Titius (?) Maximus nach des Duumvirn-Collegiums Gelübde freudig gesetzt u. s. w." Andere Denk- *) Sit7.iinysl.or. .1. k. bayer. Ak. d. Wiss. 1869, 272. nulle aus Blösiens classisclier Epoche befinden sich an der „Soutluk cesine" im Christenviertel. Der Erbauer dieses etwas verfallenen, pittoresken Brunnens hatte die glückliche Idee, ihn grossentheils aus antikem Material zu errichten und bewahrte uns so den elegisch gereimten Nachruf, welchen Fronton, ein mösischer „dispensator ad fiscum" unter Marc Aurel und Lucius Verus dem Andenken seiner Gemahlin Elia widmete. Zuletzt veröffentlichte Mommsen diese grosse, in ein vertieftes Bogcnfeld eingelassene Steintafel im „Corpus" III, 1, 754, I, corrigirt III, 2, S. 992, die zweite im linksseitigen Mauerwerk steckende im „Corpus" III, 1, 755, I. Ob diese interessanten Inschriften auf Nikopoli's Territorium gefunden worden waren, vermochte ich nicht sicher zu erfahren; ich vermuthe jedoch, dass Fronton, der hohe Finanzbeamte Mösiens, seinen Amtssitz wohl zu Oescus, im nahen Gigen hatte und dass seine Votivtafcl von dort herrühren dürfte. Nikopolis theilte die wechselnden Schicksale, welche nach der Zertrümmerung des römischen Weltreiches über Osteuropa hereinbrachen. Berühmt machte es aber erst Sultan Bajazid's grosser Sieg, welcher Bulgariens Loos für nahezu fünf Jahrhunderte entschied. Von Gallipoli, wo die junge osmanische Macht zuerst Fuss gefasst, griff sie in immer ausgedehnteren Cirkelschlägcn nach Eroberungen aus. 1388 überschwemmte Murad bereits Donau-Bulgarien, und nachdem Nikopoli gefallen war, musste sich Car Sisman mit seiner Familie bei Tausli dem Sieger auf Gnade ergeben. Wenige Jahre später hatte er alle osteuropäischen Staaten unter sein Joch gebeugt. Bulgarien und das Serbcnreich waren auf dem Amselfelde Kosovo 1389 zertrümmert worden, Mirca, der Walachenfürst, unterwarf sich 1391, bald zitterten auch das entferntere Polen und Ungarn für ihr Loos, denn ein Jahr später betrat der Halbmond, Schrecken vor sich her verbreitend, zum ersten Male ungarischen Boden. Die heranrückende Gefahr stachelte den Ungarkönig Sigmund zu ernster Römische Sculptur zu Nikopoli. That. Scino Donauflotte zerstörte 1392 die verbündeten türkisch-vvalachischen Schiffe, während er selbst zu Lande durch die Walachei zog, diese unterwarf und Nikopoli zum ersten Male stürmend eroberte. An der Verfolgung seines Waffenglücks hinderten Sigmund die in dessen eigenem Reiche ausgebrochenen Unruhen und Polens drohende Stellung. Das Anschwellen der türkischen Macht zwang ihn jedoch bald wieder zu ihrer erneuten Abwehr; dass sie der gesammten Christenheit bereits gefährlich wurde, unterstützte seine Anstrengungen. Unter Sigmund's Fahnen sammelte sich ein glänzendes Heer aus allen Nationen. Jean-sans-Peur befehligt? die sieggewohnten Mannschaften von Burgund in stolzen Rüstungen, der Connetable Philippe d'Artois, der kriegserfahrene Engueraud de Coucy, Marschall Boucicault und viele andere berühmte Barone führten das französische Hülfsheer, Pfalzgraf Ruprecht, Burggraf Friedrich von Nürnberg, Graf Hermann von Cilly die Baiern, Schwaben, Steiermärker und andere deutsche Völker, die Johanniter- und deutschen Ordensritter waren unter ihrem Grossmeister Philibert von Naillac und Grossprior Friedrich von Hohenzollern im Zuge; auch polnische und böhmische Edle schlössen sich an. Man darf sagen, dass Sigmund's Heer die Blüthe des europäischen Adels in seinen Reihen sah, und seinem Glänze entsprach die stolze Zuversicht, welche es erfüllte. Ein Theil zog durch Serbien, der von Sigmund befehligte aber durch den eisernen Thorpass Siebenbürgens; auf dem weiteren Marsche durch die Walachei stiessen noch Fürst Mirca's Streitkräfte zu ihm. Orsova, Vidin und Rahovo wurden ohne besondere Anstrengung genommen. Zu Vidin lieferte Bajazid's Vasall, der bulgarische Scheinfürst Sracimir, die türkische Besatzung dem Ungarkönig aus. Bei Nikopoli vereinigten sich die getrennten Theile des Heeres, das wohl an 80,000 Kämpfer zählte; durch sechzehn Tage bemühte man sich jedoch vergebens die naher Hülfe gewisse Stadt zu nehmen. Auf die schlimmen Nachrichten von der Donau hatte Bajazid die begonnene Einschliessung Constantinopels aufgehoben und zog in Eilmärschen über Adrianopel und den Balkan heran. König Sigmund meinte, nicht nur Bajazid, sondern sämmtliche Fürsten des Orients wären nicht befähigt ihn zu überwinden, und namentlich glaubten die französischen Herren nicht an des Sultans Kühnheit, sich ernstlich mit ihnen messen zu wollen. Professor Joseph Aschbach*) schilderte mit Benutzung der zuverlässigsten zeitgenössischen Quellen trefflich Gang und Verlust der berühmten Schlacht von Nikopoli. „Der Uebermuth der französischen Ritter zeigte sich besonders, als man mit dem Feinde zusammentraf. Als die Vorposten des türkischen Heeres sichtbar wurden, forderten die französischen Ritter mit ihrem Führer, dem Grafen von Nevers an der Spitze, dass ihnen die Ehre des Angriffs zu Theil werde. Ver- *) Geschichte Kaiser Sigmund's. Hamburg, Perthes 1838. gebens stellte ihnen im Kriegsrathe König Sigmund, welcher in seinen früheren Kriegszügen die Art des Kampfes der Türken kennen gelernt hatte, vor, dass man den Kern des Heeres nicht an deren leichten Truppen verschwenden, sondern auf den Kampf mit den Janitscharen und Sipahi's aufsparen müsse. Daher wären die ungarischen leichten Truppen oder die Walachen, deren Wojwode Mirtscha schon mit tausend Mann eine Recognoscirung vorgenommen hatte, in das Vortreffen zu stellen, welche Meinung auch die besonnenen, an Erfahrung reichen Männer Johann de Vienne und der bejahrte Herr von Coucy theilten. Allein die von tollkühner Kampflust entbrannten anderen französischen Führer, besonders der Connetable Philipp Graf d'Eu bestanden darauf, dass ihnen mit ihren Ritterschaaren die Ehre des ersten Angriffs zu Theil werde, und obwohl Sigmund die Verkehrtheit dieser Anordnung einsah, so besass er doch nicht Ansehen und Kraft genug, diesem Ansinnen zu widerstehen. Ja er konnte nicht einmal verhindern, dass nicht die Franzosen in ihrem Uebermuth die auf Treue und Glauben übernommenen türkischen Gefangenen niedermetzelten. Am Schlachttage selbst, als Sigmund das Heer aus dem Lager geführt, wurde dasselbe in drei Treffen aufgestellt; im vordersten Treffen standen die Franzosen und Burgunder, an ihrer Spitze Johann von Nevers, der Herr von Coucy und Graf d'Eu; das mittlere Treffen, fast ganz aus ungarischen Kriegsvölkern bestehend, befehligte Sigmund selbst; das dritte, aus deutschen, böhmischen, polnischen, bosnischen, walachischen Truppen zusammengesetzt, stand unter Anführung des Palatinus Nicolaus Gara und des Burggrafen Johann von Nürnberg. In der Nacht hatte man eine zahlreiche ungarische Kriegsschaar hinter das Gebüsch, an das sich das Vortreffen lehnte, versteckt, damit dieselbe während der Schlacht hervorbrechen, den feindlichen linken Flügel umgehen und die Türken im Rücken überfallen sollte. Jedoch war dieser Hinterhalt Bajazid's Scharfblick nicht entgangen. Er schickte eine Abtheilung des Heeres ab, den Hinterhalt zu beobachten und im Augenblicke des Vorbrechens zu zerstreuen. Sein Heer war so zahlreich, dass es mindestens dem christlichen an Streitern gleich kam, wenn es nicht, nach der Angabe einiger Schriftsteller, das Doppelte zählte. Er hatte seine Streitkräfte in zwei Heere geschieden, das eine, welches er den Verbündeten in Schlachtordnung gegenüberstellte, sollte ihnen die Meinung beibringen, dass es die ganze Streitmacht der Osmanen sei, das andere, der eigentliche Kern des Heeres, die besten Truppen der Janitscharen und Sipahi's, 40,000 Mann stark, war hinter einer Anhöhe, wo es von Sigmund und den Franzosen nicht bemerkt wurde, unter Baja-zid selbst aufgestellt. Ohne abzuwarten, bis Sigmund das ganze Heer in Schlachtordnung gestellt hatte, stürzte die französische Reiterei, im Eifer allein den Sieg zu gewinnen, sich mit grossem Ungestüm gegen das türkische Heer; nicht nur die leichten Truppen wurden geworfen, sondern aucli die Jauitscluiren, von welchen 10,000 getödtet wurden, selbst die Sipahi's, hinter welche sich die Janitscharen retteten, konnten nicht Widerstand halten und Hohen mit Hinterlassung von 5000 Todtcn. Die Schlacht war für die Christen gewonnen, machte die französische Reiterei Halt, ordnete sie von neuem ihre Schaaren und erwartete sie das ungarische Pussvolk, das langsam heranrückte. Dies war auch die Meinung des erfahrenen Coucy und des Admirals de Viennc. Der Connetable Graf d'Eu bestand aber darauf, den Sieg zu verfolgen. Sein Rath siegte bei den kampflustigen französischen Rittern. Aber in der Hitze des Kampfes und wähnend, dass sie das türkische Hauptheer geschlagen hätten, kamen sie, die flüchtenden Sipahi's verfolgend, an eine Anhöhe, hinter welcher Bajazid mit seinen 40,000 ausgesuchtesten Streitern sie erwartete. Dieses nicht ahnend, stiegen die französischen Reiter, um besser die Anhöhe zu gewinnen, von ihren Pferden, wie sie dies gewohnt waren. Als sie aber die Anhöhe erstiegen hatten, um, wie sie glaubten, den Rest des feindlichen Heeres zu vernichten, wie gross war ihr Staunen, als sich hier Bajazid's furchtbare Streitmacht ihren Blicken zeigte! An Entkommen war nicht zu denken, die meisten hatten ihre Pferde unten an der Höhe zurückgelassen, auch hatte die türkische Reiterei sie von ihrem Rückzüge abgeschnitten. Das ungarische Fussvolk und die übrigen Truppen waren zu weit entfernt, um irgend Hülfe leisten zu können. So fiel das ganze französische Heer entweder auf dem Schlachtfeldc oder es gerieth in Gefangenschaft. Unter den Todten befand sich auch Admiral Jean de Viennc, mit der Fahne der h. Jungfrau in der Hand, mit vielen Rittern; des Herzogs von Burgund Sohn, Johann von Nevers, und die vornehmsten seiner Waffengefäluten wurden gefangen. Noch ehe die Niederlage der Franzosen vollendet war, hatten die Ungarn (Urse aus dem Freiunihcrlaufen ihrer Pferde vermuthet. Noch war die grössere Hälfte des christlichen Heeres nicht in den Kampf gekommen und selbst nach der Niederlage der Franzosen konnte es den Türken den Sieg streitig machen, wenn eine geschickte Anführung nicht fehlte. Unglücklicherweise war Sigmund selbst kein trefflicher Feldherr; dazu kam, dass bei der Unentschlossenhcit Sigmund's die Verräther im Heere, der siebenbürgische Woiwode Stefan Laskovich und der walachische Woiwode Mirtscha, welche die Flügel befehligten und darauf warteten erst dann handelnd einzugreifen, wenn der Sieg sich entscheide, sich von dem christlichen Heere trennten und flohen. Dadurch wurde die Entmutigung des Heeres zum panischen Schrecken gesteigert. Alles floh, als die Türken heranrückten. Nur der Mittelpunkt des Treffens, wo Sigmund befehligte, und jener Theil des Heeres, welchen Nicolaus v. Gara und Graf Hermann v. Cilly anführten, Polen, Böhmen, Bayern, Steiermärker und Schwaben, gegen 12,000 Mann, unterhielten die Schlacht. Als aber Fürst Stefan von Serbien, der Türken Bundesgenosse, diesen 5000 Mann frische Truppen zuführte, konnte Sigmund nicht länger widerstehen. Das ungarische Panier ward geworfen, in seiner Yerthci-digung fielen die meisten steiermärkischen und bayerischen Ritter. Sigmund selbst, in grosser Gefahr schwebend durch das Schwert der Feinde umzukommen oder in Gefangenschaft zu gerathen, ward vom Grafen Hermann v. Cilly und dem Burggrafen von Nürnberg aus der Schlacht gezogen an das Ufer der Donau." Johann von Nevers und die begnadigten französischen Grossen wurden nach Brussa gebracht und später gegen ein Lösegeld von 200,000 Dukaten frei gegeben. König Sigmund flüchtete aber, ein zweiter Xerxes, zu Schiffe mit wenigen Getreuen donauabwärts und kehrte über Constantinopel nach einem in Dalmatien abenteuerlich verlebten Jahre in sein Reich zurück. Die traurigen Folgen der Schlacht von Nikopoli, die verhängnissvolle Türkenherrschaft in Bosnien und Serbien, sowie die Verwüstung der angrenzenden Gebiete bis Steiermark, stempelten sie, ähnlich der Sedaner Katastrophe zum ernstesten Ereignisse jener Zeitepochc; begreiflich also, dass zahlreiche Historiker sich viel mit ihr beschäftigten. Zuletzt that dies Herr Prof. Philipp Brunn zu Odessa in „Geographische Bemerkungen zu Schiltuergcrs Reisen".*) Schiltberger, der „bayerische Marco Polo", hatte bekanntlich die furchtbare Schlacht bei Nikopoli als Knappe mitgekämpft und als überlebender Augenzeuge, durch treue Schilderung ihrer Vorgänge, eine der wichtigsten Quellen für deren Details geliefert. Desshalb wurde sein Büchlein oft und neuestens wieder herausgegeben und erläutert von Karl Friedrich Neumann**) mit dem Motto: „Wer den Schiltberg will verstehen, muss in Schiltberg's Lande gehen." Dies hätte auch Herr Prof. Brunn beherzigen sollen, bevor er es unternahm, auf Schiltbergcr's irrig gedeutete Erzählung hin, die bisher unbezweifeltc Thatsache anzufechten: die Schlacht am 28. Sept. 1306 zwischen Sigmund und Bajazid sei nicht bei Nikopoli an der Donau geschlagen worden. Es erscheint mir um so dringender geboten, genau die Gründe zu beleuchten, welche Pr. Brunn für seinen falschen Ausspruch in's Treffen führt, als dieser ungeprüft in die Werke neuester Autoren bereits übergegangen ist. Sämmtliehe Historiker, welche über die folgenschwere Schlacht geschrieben, verlegten die Wahlstätte in die Nähe eines von König Sigmund vergebens belagerten „Gross-Nikopolis". Auch Hr. Prof. Brunn hält an dieser Thatsache fest," er leugnet jedoch, dass diese Stadt an der Donau sich befand und verlegt sie sanimt dem Schlachtfelde nach Nikup am Rusicaflusse, welcher etwa 6 Meilen südlich von der Donau in die Jantra mündet. Das heutige Nikopoli an der Donau hält aber Prof. Brunn mit jenem „Klein-Nikopolis" der Chronisten für *) Thomas: Brunn zu Schiltberger. Sitzungsber. d. k.baycr. Akail. d. YVissensch. zu München 1869. **) Reisen von Johannes Schiltberger. München. IS59. identisch, welches nach seiner Ansicht mit dem in Frage stehenden Schlachtfelde nichts zu schaffen hat! Auf Grundlage meiner Lokalkenntniss erkläre ich Prof. Brunn's Behauptungen als gänzlich unhaltbar. Vor Allem betone ich, dass jenes von König Sigmund belagerte, also von den Türken vertheidigte „Gross-Nikopolis", bei dem sich die gleichbenannte Entscheidungsschlacht zwischen Kreuz und Halbmond entwickelte, schon desshalb unmöglich in „Nicopi an der Rusica" gesucht werden kann, weil die einst dort gestandene berühmte Römerstadt „Nicopolis ad Istrum", seit sie in den Völkerstürmen zerstört, nie mehr aus ihren Trümmern erstanden ist. Wie ich bereits im I. Bande S. 190 erzählte, traf ich auf dem riesigen Ruinenfelde keine Spur byzantinischer oder bulgarischer Bauten, alles Mauerwerk dort ist römisch. Selbst der Name dieses Nicopolis war verschollen, bis D'Anville zu Ende des ix" Jahrhunderts sein Andenken auffrischte, und Hammer, welcher auch die Balkanpässe, wegen fehlender guter topographischer Behelfe äusserst confus beschrieb, vielleicht durch missverstandene Aeusserungen der Eingebornen irre geführt, die Ruinenstätte bei Nikop an der Rusica „Gross-Nikopolis" nannte. Gehen wir nun einen Schritt weiter und fragen: wo standen das „Gross- und Klein-Nikopolis" der Sigmund'schen Heereszüge? so liegt die Antwort nach sorgfältiger Prüfung der gleichzeitigen chronistischen Quellen, ferner bei unbefangener Auffassung der Schiltberger'schen Darstellung und namentlich, wenn man das in Frage stehende Terrain des gesammten Kriegsschauplatzes aus eigener Anschauung kennt, sehr einfach. Nach meiner Ansicht können und dürfen „Gross-Nikopolis" und sein Schlachtfeld nirgends anderswo als in und bei der heutigen Stadt Nikopoli an der Donau und „Klein-Nikopolis" nur jenseits auf dem ihr gegenüber liegenden Donauufer gesucht werden. Dort befand sich noch im russischen Kriege (1828—29) ein zu Nikopoli gehörendes, mit Wassergraben und Thürmen befestigtes Fort, bei dessen am 25. Januar 1829 mit Sturm erfolgter Eroberung General Malinofski 32 Geschütze und 5 Fahnen erbeutete, ferner Ibrahim Pasa mit 60 Officieren gefangen nahm. Ich führe diese Zahlen an, weil sie für die Bedeutung des Brückenkopfes sprechen; erst nachdem er gefallen, glückte es den Russen, sich des eigentlichen Nikopoli auf dem bulgarischen Ufer zu bemächtigen.*) Das für Nikopoli's Vertheidigung hochwichtige Vorwerk auf dem walachischen Ufer existirte aber sicher schon in älterer Zeit und war höchst wahrscheinlich das „Klein-Nikopolis" der ungarischen Heeresztige 1392 und 1396 gewesen. Alte Karten unterstützen in bestimmter Weise diese Annahme, z. B. Ger. et Leon. Valk's Karte „Bulgaria et Romania", auf welcher dem mit Festungsmauern umgürteten grossen „Nikopoli" hart gegenüber eine kleinere „Civita Picola" erscheint. Die Benennung der den Hauptfesten vis-ä-vis liegenden *) Moltkc, Der russisch - türkische Feldzug 1828 — 29. S. 223. Brückenköpfe mit „Klein" ist in diesen Ländern übrigens nicht selten, ich erinnere z. B. an „Klein-" und „Gross-Zvornik" auf dem rechten und linken Drina-ufer u. s. w. Wenn nun aber der Bulgare Slavejkov, wie ich im I. Bande S. 7 zeigte, über den nur wenige Meilen von seinem damaligen Wohnorte Gabrovo entfernten „Dikilitas" dem Herrn Prof. Brunn vollkommen falsche topographische Mittheilungen lieferte, so ist wohl anzunehmen erlaubt, dass die oft fehlerhaft abgeschriebenen oder falsch verstandenen Chronisten der Sigmund'schen Heereszüge im fernen Bulgarien gleichfalls von Irrthümern nicht frei geblieben sind und manchmal „Klein-" mit „Gross-Nikopolis" verwechselt haben dürften.*) Zufällig giebt es aber auch solche, welche die Lage beider Festen mit vollster Klarheit richtig beschrieben haben, beispielsweise der ungarische Chronist Bonfinius, und ihre Zeugnisse gelangen nun spät aber doch Hammer gegenüber, welcher ein „Klein-Nikopolis" auf dem walachischen Donauufer grundlos leugnete, zu verdienter Ehre. Nur meine den Oertlichkeiten entsprechende ungezwungene, überdies auch durch ältere Karten getragene Bestimmung für „Gross-" und „Klein-Nikopolis" löset die schlimmen Widersprüche und oft sogar komischen Vermuthungen, in welche meine Vorgänger bei ihren versuchten Feststellungen, wegen mangelnder Kenntniss des Terrains, geriethen.**) Prof. Brunn bestreitet aber überhaupt, dass König Sigmund im Jahre 1396 genöthigt gewesen sei Nikopoli an der Donau zu belagern, denn er hätte es ja seit dessen erster Eroberung besetzt gehalten und nicht wieder verlassen. Dieser Ansicht widersprechen jedoch ganz entschieden die auch von Aschbach citirten zeitgenössischen Quellen. Sie erwähnen ganz ausdrücklich, dass Bajazid die 1392 verlorenen Städte Vidin, Svistov. Silistria, und Nikopoli wieder eroberte und (nach Turocz) die ungarischen Gesandten, welche ihn von der Besetzung Bulgariens abhalten sollten, erst dann vor sich Hess, als diese bereits vollendete Thatsache war. Er empfing die Friedensboten in dem mit Trophäen aus den eroberten Festen geschmückten Saale und antwortete auf diese zeigend, sie sähen, er hätte nun doch wohl genügende Ansprüche auf die bulgarischen Länder.***) Auch die Ursachen, wesshalb Sigmund diesen *) Auch die in Jirecek, Gesch. der Bulgaren S. 355 angezogenen Chronisten zähle ich hierher. Was übrigens solche „gleichzeitige Berichterstatter" an unrichtigen Daten über Kriegsereignisse selbst in unserem Zeitalter der Telegraphen und Eisenbahnen oft leisten, trat während des ersten Gurko'schen Balkanüberganges (1877) u. s. w. genügend zu Tage. **) Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass zwischen Rahovo und Nikopoli in byzantinischbulgarischer Zeit keine feste Stadt gestanden hatte, meinte beispielsweise Prof. Aschbach, verleitet durch die Achnlichkeit des von Schiltberger angegebenen zweiten Namens von Nikopoli „Schiltav" mit jenem des walachischen Schilflusses: „Sollte Gross-Nikopolis nicht nahe bei Rachova dem Einfluss der Schyll in die Donau gegenüber gelegen und daher (!) Schylltaun geheissen haben?" ***) Sultan Bajazid's Schreiben an seinen Sohn Soliman, in dem er diesem die Verwerfung von Sigmund's Friedens vorschlagen und die Einsperrung der Boten in Brussa anzeigt, befindet sich in den »Notes et extraits de MSS. du Roi" V. VI. Schimpf nicht vor 1306 rächen konnte, stellte Aschbach überzeugend klar. Wohl versuchte der ungarische König schon ein Jahr zuvor seinem von den Türken hart bedrängten Verbündeten, dem Walachenfürsten Mirea Luft zu schaffen und zog 1395 durch Siebenbürgen ihm zu Hülfe. Sigmund schien sich jedoch vorerst nur mit der Säuberung des walachischen Hodens zu beschäftigen. Es heisst allerdings, dass er nicht nur „Klein-" sondern auch „Gross-Nikopolis" (?) damals genommen hätte. Wäre dies auch richtig, so würden die Türken, als Herren des Umlandes gewiss seine Rückeroberung versucht haben; von einem diesbezüglichen Kampfe erzählen aber die Chronisten nichts und es ist viel wahrscheinlicher, dass Sigmund bei seinem Heimzuge auch das bulgarische Nikopoli räumte, um dessen isolirtc Bestazung nicht unnütz zu opfern. Das ganze bulgarische Donauufer war also in türkischem Besitze, als Sigmund's Heere 1396 auf demselben vordrangen. Wäre dies nicht durch alle bisherigen Ausführungen erwiesen, so spräche dafür die von verschiedenen Quellen und auch von Schiltberger erzählte notwendige Wiedereinnahme Pudem's (Vidin); ferner die gleichfalls von ihm erwähnte Belagerung einer zweiten Stadt, „da ward der turcken vil herslagen", Boucicault nennt sie Raco (das heutige Rahova). Auf dem Wcitcrvormarschc konnte das verbündete christliche Heer zwischen Rahova und Svistov nur auf eine wirklich feste Stadt noch stossen, nämlich auf Nikopoli. Dies war auch in der That der Fall; denn der Avackcre Münchner Reitersmann erzählt: „Und (der König) zoch für ein ander statt, die heisset schiltav; man nennt sie aber in haidnischcr sprach nikopoli. Da lag er ze wasser und ze land XVI tag." Von der, wie ich gezeigt, vollkommen unerwiesenen Annahme ausgehend, dass König Sigmund Nikopoli bereits 1395 besetzte und es daher 1396 nicht wieder zu erobern brauchte, musste Prof. Brunn notgedrungen auch Schiltber-ger's Angabc bestreiten, dass Nikopoli zu jener Zeit den Doppelnamen „Schiltav" geführt habe. Er lässt dabei ganz unberücksichtigt, dass selbst heute bei den verschiedenen Nationalitäten der Türkei viele Orte gänzlich verschiedene Namen führen und, was schwerer wiegt, dass Nikopoli in den deutschen Chroniken Schiltarn und auch auf alten Karten z. B. auf Valk's „Sciltaro", bei Seutter „Sciltara" genannt wird. Prof. Brunn meint aber: „Schiltav kann nichts weiter als eine schlechte Lesart des Namens Schistov sein", und vergisst, dass dieser Name erst in neuerer Zeit aus dem ursprünglich bulgarischen] den Türken unbequemen „Svistov" entstanden ist, der mit Schiltbcrger's „Schiltaw" gewiss keine Achnlichkeit besitzt. Prof. Brunn lässt ferner unerwogen, dass Svistov nie in solcher Weise befestigt war, dass es in der alten oder neueren Kriegsgeschichte eine besondere Rolle hätte spielen oder gar einer Armee und Flotte, wie Sigmund sie befehligte, durch 16 Tage widerstehen können. Um seine Hypothese weiter durchzuführen, dass die Schlacht zwischen Sigmund und Bajazid nicht hei Nikopoli an der Donau, sondern nahe hei dem nicht existirenden „Gross-Nikopolis an der Rusica" geschlagen worden sei, musste Prof. Brunn die christliche Armee von seinem angeblich belagerten Sistov (Schiltav) an der Donau dem türkischen Entsatzheere viele Meilen landeinwärts entgegen ziehen lassen, obwohl dies den Berichten der Chronisten und namentlich des hier sehr bestimmt sich ausdrückenden Augenzeugen Schiltberger vollkommen widerspricht. Dieser erzählt nämlich: „Und do er (Sigmund) ze wasser und ze land XVI tag (vor Nikopoli) gelag, da kam der turckisch kunig, genant wyasit, mit zwaihundert tusent manen der statt zu hilff, do das kunig Sigmund bort, do zoch er im entgegen, uff ain myl wegs mit sinem volk, u. s. w." Diesem an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassenden Berichte Schiltber-ger's gegenüber, erzählt Herr Brunn, zu Gunsten seiner vorgefassten Meinung: die Schlacht könne nicht bloss 1 Meile von der Donau entfernt, sondern müsse mehrere Stunden landeinwärts geschlagen worden sein, da nach einer alten moldauischen Chronik „Bajasid die Christen bis an das Ufer der Donau verfolgte". Was denkt Prof. Brunn mit dieser Stelle zu beweisen? Ich glaube, dass der moldauische Chronist genau so sprechen konnte, wenn die Wahlstatt nur 1 Meile von der Donau entfernt lag, und sie befand sich auch nicht weiter von dieser; denn sonst hätte Schiltberger unmöglich weiter erzählen können: „Und da das der kunig (Sigmund) sach, das sin paner was uudergegangen und das er nicht beliben mocht, da gab er die flucht. Und da kam der von cily (Hermann von Cilly) und hanns Burggraff zu Nüremberg und namen den künig und fürten in us dem her und brachten in uff ain galleyn." Ergänzt diese Stelle nicht überzeugend Schiltberger's Angabe, dass König Ludwig dem Sultan von Nikopoli auf „ain myl wegs" entgegen zog? Denn, wäre nicht das Schlachtfeld so nahe der Donau und den Galeeren gewesen, dürften dann der schwergerüstetc König und seine Retter den leichtbeflügelten türkischen Reitern wohl so glücklich entronnen sein? Das Schlachtfeld von Nikopoli muss aber für Prof. Brunn an der Rusica „nahe dem Hauptquartier des Sultans, das sich in geringer Entfernung nordöstlich von den Ruinen befand", gelegen haben; denn sonst hätte er Bajazid's angebliche „Dykilitasck-Siegespyramide" — welche gewissermassen den Ausgangspunkt für Herrn Prof. Brunn's Arbeit über das Schlachtfeld von Nikopoli bildete und nach seinem Gewährsmanne Slavejkov noch heute „ll/§ Stunde nördlich von den Ruinen bei Nicupi" zu sehen ist (!) — nicht in directe Beziehung zur fraglichen Schlacht bringen können. Nach der durch Slavejkov's Mittheilungen be-einflussten Ansicht des Herrn Prof. Brunn, bezeichnet nämlich dieses Denkmal „den Schauplatz, wo die christlichen Gefangenen en masse enthauptet wurden, so dass die von Slavejkov erwähnten Gerippe in der Nähe der Tumuli die ihrigen sein konnten". Alle diese und noch viele andere, im Hinblicke auf die frühere, wie gegenwärtige Ignoranz türkischer Grossen und Heerführer leicht widerlegbaren Annahmen und Voraussetzungen Prof. Brunn's, fallen aber einfach in Nichts zusammen durch meine auf der genauen Kenntniss sämmtlicher hier in Frage kommender Oertlichkeiten beruhenden Ausführungen (I. Bd. S. 190, II. Bd. S. 7). Dort wies ich unwiderlegbar nach: das keinerlei türkisches Siegesdenkmal bei Nikup an der Rusica existirt, ferner, dass der von Slavejkov dafür ausgegebene Dikilitas nicht l*/a St. nordöstlich, sondern jenseits der Rusica 2*/4 Meilen südwestlich von Nikup und 6V2 M. südlich von Svistov, also nahezu 2 — 3 Tagmärsche von diesem angeblichen „Schiltav" steht, endlich dass er kein Türkenwerk, sondern der stehen gebliebene Pfeiler einer zweifellos römischen Baute sei, von der selbst Architekturstücke noch vorhanden sind (s. Abbildungen S. 6). Somit glaube ich in allen Theilen erwiesen zu haben, dass Herr Prof. Brunn zu Odessa mit seiner neuen Hypothese, bezüglich des Schlachtfeldes von Nikopoli, nicht „der Wahrheit näher gekommen ist, als Aschbach", wie er sich schmeichelte, sondern sich noch mehr als dieser von ihr entfernt hat. Vielleicht gelangen aber Prof. Brunn und andere Historiker endlich zur Erkenntniss, wie beherzigenswerth Dr. Kapp's trefflicher Ausspruch ist: „Es wurde Sache der kritischen Geographie, die Untersuchung über die Wahrheit und Echtheit der vorhandenen Materialien anzustellen. Die Reisen nehmen einen mehr prüfenden Charakter an. Die Entscheidungen über schwebende Fragen werden nicht im Studirzimmer, sondern unter freiem Himmel getroffen".*) In Wahrheit, wer die südliche Umgebung von Nikopoli so wie ich gesehen und studirt hat, wird keinen Augenblick länger zweifeln, dass diese mit den Schilderungen der Chronisten und namentlich mit der schmucklosen, desshalb aber nicht weniger getreuen Beschreibung der grossen Wahlstätte vom bayerischen Reitersmann Schiltberger vollkommen übereinstimmt. Eine Stunde SO. von dem durch Sigmund's vereinigte Heere vergeblich belagerten Nikopoli, befindet sich eine leicht undulirte, niedere Wasserscheide zwischen dem Osem und der Donau. Jenseits hinter ihren Hügeln versteckt, muss Bajazid's über das heutige Lozica herangezogene Hauptmacht die französchen Ritter zerschmetternd empfangen haben, welche siegestrunken das erste geworfene türkische Treffen über diese Wasserscheide hinaus verfolgten. Gewiss dort und nur dort ist die Schlacht von Nikopoli zum Unheil der Donauländer und des christlichen Europa's entschieden worden! Ich erzählte bereits, wie der russische General Malinofski im Jäner 1829 Nikopoli vom walachischen Donauufer her eroberte. Im jüngsten Kriege wurde *) Vergleichende Allgemeine Erdkunde. 1868. die Garnison wohl rechtzeitig verstärkt; da jedoch für eine rationelle Erweiterung seiner auf S. 50 geschilderten Befestigungen, ausser dem Bau einiger detachirter Erdwerke, sehr wenig geschah, vermochte Nikopoli nur kurz dem diesmal von N. und S. gleichzeitig erfolgten Angriffe zu widerstehen. Am 12. Juli wurden die Nikopoli bombardirenden Geschütze zwischen Isias und Turnul durch 3 rumänische und 2 russische Batterien am rechten und eben so viele am linken Alutaufer verstärkt. Während diese 1500 Meter Luftlinie von Nikopoli entfernten Geschütze gegen seine namentlich in der Nacht vom 27. zum 28. Juni stark beschädigten Werke ein so wohlgezieltes Feuer unterhielten, dass man alle Granaten auf denselben explodiren sah, umzingelten die von Svistov heranrückenden Truppen des IX. Krüdener'schen Armeecorps, und zwar die 31. Division Weljaminoff im Osten und die 5. Division Schuldner im Südosten, die Festung auf beiden Osemufern, von der Landseite her, nachdem ihre Cavallerie die leichten, türkischen Vortruppen bei Samlijevo verjagt hatte. Am 14. Juli eröffneten 4 schwere Batterien der 31. Division zwischen Dzurilovo undVublaihr Feuer gegen die Werke der Enceinte, welche ohne Hohlbauten, durch das Bombardement vom linken Donauufer bereits stark demolirt waren. Unter dem Schutze dieser während des ganzen Tages fortgesetzten concentrischen Beschiessung Hess General Krüdener am 15. um vier Uhr Morgens seine Infanterie in zwei Abtheilungen stürmend vorgehen. Die eine sollte die östUchen Erdwerke, die andere die bastionirte westliche Citadelle mit 8 Meter breitem, trockenem Graben und 6 M. hohem Commandement nehmen. Mit grösster Bravour folgten die stürmenden Truppen dem Befehle, doch, ohne jegliche Deckung auf dem offenen Terrain, wurden sie durch das aus den Schützengräben mörderisch wirkende Schnellfeuer mit bedeutenden Verlusten abgewiesen. Gegen 9 Uhr entzündeten die russischrumänischen Projectile einen sehr heftigen Brand in der Stadt und Mittags flogen zwei Pulvermagazine in die Luft, doch erst einige die äussersten türkischen Jägergräben durchbrechende leichte Batterien, welche diese im Rücken und die nahen Schanzen in der Fronte auf die wirksamste Entfernung mit Shrapnels förmlich überschütteten, ermöglichten es der erneuert stürmenden Infanterie, sich am Nachmittage der äusseren Vertheidigungslinie zu bemächtigen, in welcher einige Redouten bereits ihr Feuer eingestellt hatten, da in denselben kein Artillerist mehr am Leben war. Die Russen setzten um so kräftiger ihr Bombardement zur Brechung des letzten Widerstandes fort und gegen 5 Uhr gelaug es nach wiederholten vergeblichen Frontangriffen, dem aus der Reserve frisch herangezogenen Reginiente Galizien in die Kehle des starken Südwestforts einzudringen und es zu nehmen. Ein Theil seiner aus 1000 Mann bestehenden Besatzung wurde gefangen genommen, der andere retirirte, vom Regiment Wologda bis an die Enceinte des Glacis verfolgt, in die Stadt. Da inzwischen die Nacht einbrach, 31 und die Truppen durch die seit Tagesanbruch währenden Kämpfe erschöpft waren, beschloss General Krüdener den Sturm auf die letzten Werke bis zum nächsten Morgen zu verschieben. Die russischen Vortruppen campirten in den genommenen Positionen, unbelästigt vom Feinde, ganz nahe der an mehreren Punkten brennenden Stadt. Als die Russen am nächsten 16. Julimorgen zum letzten Angriffe schreiten wollten, zeigte sich auf den Wällen die weisse Fahne und gleichzeitig erschien ein Parlamentär, welcher freien Abzug der Garnison beanspruchte; er musste jedoch schliesslich in die unwiderruflich geforderte bedingungslose Uebergabe einwilligen. Krüdener sandte sofort das folgende Telegramm an den Car: „Ich habe das Glück zu rapportiren, dass Nikepoli nach blutigem, sich seit gestern von 4 Uhr Morgens bis zum Anbruch der Nacht dahinziehendem Kampfe zu deu Füssen Eurer Majestät liegt. Die Festung hat sich heute auf Gnade und Ungnade ergeben. Die Truppen schlugen sich mit beispielloser Tapferkeit, indem sie progressiv Reihen stark befestigter Positionen besetzten. Zwei Pascha's und etwa 6000 Mann wurden gefangen genommen." In Wahrheit streckte um 5 Uhr Nachmittags, vor dem Ostthore der Festung, die etwa 4000 Combattanten zählende Besatzung das Gewehr, an ihrer Spitze Hassan und Achmed Pasa. Die Sieger erbeuteten überdies, obschon die Türken im letzten Augenblicke Vorräthe und Waffen aller Art zerstört hatten, 40 Festungs- und 12 Feldgeschütze, darunter viele glatte, aber auch mehrere Krupp'sche Rohre, ferner grosse Mengen Munition, Proviant u. s. w. Auch die beiden in der Osma-Mündung postirten Donau-Monitore, welche den rumänisch-russischen Batterien bei Isias grossen Schaden zugefügt hatten, waren in die Capitulation mit eingeschlossen. Schon am 20. Juli wurde zu ihrer Bemannung die Equipage der Fregatte „Svetlana" von Kronstadt entsendet. Der russische Verlust betrug an Todten, Verwundeten und Vermissten 25 Officiere und etwa 1300 Mann, der türkische nicht viel weniger. Ein Theil der kriegsge-fangenen Besatzung wurde Uber Turnu und Slatina mittelst Eisenbahn ins Innere Russlands transportirt, dem anderen, auf Svistov dirigirten, gelang es bei Carovec seine schwache Escorte zu bewältigen und nach verschiedenen Richtungen zu entkommen. Die Belohnungen, welche der Kaiser dem General-Lieutenant Krüdener und allen bei Nikopoli's Eroberung tbätigen Officieren und Mannschaften verlieh, entsprachen der bei seiner Einnahme entwickelten Umsicht und Bravour. Als nach dem ersten unglücklichen Treffen bei Plevna (20. Juli) im russischen Hauptquartier das dringende Bedürfniss nach schleunigster Heranziehung von Verstärkungen sich geltend machte, erging am 27. Juli an das rumänische Armee-Commando die Aufforderung, die für die Operationen am rechten Donauufer herangezogenen russischen Divisionen bei Kalaras und Giurgevo abzulösen und Nikopoli mit der IV. Division Manu zu besetzen. Am 26. Juli ging sie in Boten Kunitz, Donau-Bulgarien and der Balkan. II. 5 über die Donau und am 8. Aug. wurde bei Nikopoli eine Kriegsbrücke geschlagen, welche im Sommer gute Dienste leistete, im Dezember aber durch den starken Eisgang wiederholte Beschädigungen erlitt. Augenzeugen, welche Nikopoli am Tage der Uebergabe sahen, erzählten, dass es auf 2 Hektaren einer riesigen Trümmerstätte glich. Allerorts lagen zerbrochene Waffen- Vorräthe und Munition neben der teilweise geretteten Habe der unglücklichen Einwohner umher. 5000 obdachlosen Türken gestattete General Krüdener in der Citadelle ihr Quartier zu nehmen oder nach einem beliebigen Orte auszuwandern. Viele blieben, die grössere Zahl schlug aber die Richtung nach Vidin und Sofia ein. In der Stadt wurden durch Feuer und Bombardement 8 Moscheen, 1 Synagoge, 1 türkische und 1 israelitische Schule zerstört, ferner der grösste Theil der türkischen Mahle und des jüdischen Viertels. Es blieben etwa 400 beschädigte, doch herstellbare türkische, 120 bulgarische und 5 israelitische bewohnbare Häuser stehen. Seit dem hergestellten Frieden kehren all-mälig die geflüchteten türkischen Familien zurück und reclamiren ihr Eigenthum an Hausstellen, Gärten, Feldern u. s. w. Fänden sie annehmbare Preise, würden sie am liebsten nach den unmittelbar türkischen Provinzen übersiedeln, da ihnen das bulgarisch-christliche Regiment wenig behagt. Nur schwer dürfte Nikopoli seine frühere Blüthe wieder gewinnen. Gegenwärtig zählt es kaum einige tausend Seelen. Die Bulgaren eröffneten ihre Schule, in welcher ein Lehrer etwa 50 Knaben in den elementarsten Gegenständen unterrichtet, an der Kirche sorgen hingegen vier Geistliche für das Seelenheil der Gemeinde. Die israelitischen Inhaber der ersten Handelsfirmen waren bis zum April 1879 noch nicht zurückgekehrt, aller Verkehr zu Nikopoli beschränkt sich gegenwärtig auf den ganz unbedeutenden Localbedarf der in allen Beziehungen reducirten Einwohnerschaft. Wenn das Waffenloos anders gefallen und die moslimsche Sturmfluth gleich im ersten Andränge glücklich nach Asien zurückgestaut worden wäre, wie ganz anders hätte sich Südeuropas Zukunft und Gegenwart gestaltet! Dieser Gedanke beschäftigte mich, als ich am 6. Juli Mittags an eines türkischen Heiligen mit Zink gedecktem Tekke vorüber, S. von Nikopoli, durch einen tiefen Einschnitt zum Osem hinabreitend, auf eine neue sprechende Illustration asiatischen Regimentes stiess. Es war der verfallende Unterbau einer vor Jahren begonnenen Eisenbahnlinie, welche Midhat Pasa zur Erschliessung des äusserst fruchtbaren mittleren Bulgariens geplant hatte. Zunächst dachte er das 45 Kilometer von Nikopoli entfernte Plevna, den Mittelpunkt eines sehr ergiebigen, südlich bis Lovec reichenden Agriculturdistrictes, durch einen Schienenstrang amerikanischen Systems mit der Donau zu verbinden. Da jedoch sehr schroffe Uferhänge Niko-poli's Ausbreitung am Strome grosse Schwierigkeiten entgegenstellen, wollte er 4 eine Stunde westlich von diesem eine Handelsstadt gründen. Polnische Ingenieure entwarfen die Risse für diese grossartigen Projeete. Nach dem in meinen Händen befindlichen Entwürfe sollte die Bahntrace über Mecka, Kujulovci und Grivica geführt werden und die neue Stadt „Sultanieh" am Mündungpunkte des Osem, auf seinem rechten Ufer entstehen. Rasch wurde das Amtshaus für dieselbe aufgebaut, um das die Handelsemporien, die DampfschifTfahrts-Station und der Bahnhof sich gruppiren sollten. Zur Herstellung des Bahn-Unterbaues bot man die gesammte männliche Bevölkerung der Kreise von Nikopoli und Plevna im Zwangswege auf. Es gab Monate, in welchen 20,000 Bauern, ohne jede Entschädigung, an der Trace unter Herrn Menejko's und vieler Conducteure Leitung arbeiten mussten. Da jedoch in der nächsten Umgebung kein geeignetes Bauholz vorhanden, wurden alle schwierigeren Objecto bis zu seiner Herbeischaffung aus dem Balkan verschoben; Erddämme von vielen Kilometern Länge waren bereits aufgeworfen, als Midhat Pasa den Ruscuker Valiposten plötzlich verlor. Sein unmittelbarer Nachfolger hatte aber für dessen grossen Plan kein Ver-ständniss, vielleicht auch nur desshalb nicht, weil er eben von Midhat herrührte. Da wurde Omer Fewzi Statthalter des Vilajets und mit ihm kam Ingenieur Julius von Candia. Letzterer fand in dem von Midhat begründeten Baudepartement neben verstaubten Plänen auch bereits rostende Musterschienen für die Bahnlinie Nikopoli-Plevna. Omer Fewzi Pasa, der zu Wien gebildete Schüler des berühmten Geographen v. Hauslab, nahm mit seinem deutschen Ingenieur Midhat's Projeete wieder auf. Es wurde mit auswärtigen Bauunternehmern zu Frankfurt a. M. unterhandelt; doch schnell eilt in der Türkei das Fatum, abermals übergab der Sultan das Staatssiegel einem neuen Vezier und wieder wurden die Provinz-Statthalter entsetzt oder versetzt. Omer Fewzi traf letzteres Loos, er ging nach Candia zurück, und sowohl Eisenbahn als Stadtgründung am Osem blieben seit 1871, trotz vieler Masbata's (Bittschriften) des Medjlis von Plevna, weiter vergessen! Wie viele Thränen und Schweisstropfen der aus weiter Ferne, von Haus und Familie weggepressten Bauern mochten sich als trauriger Kitt in diese nunmehr von Disteln überwucherten, allen Wettern preisgegebenen Bahndämme gemengt haben! In welchem Staate Europa's, frage ich aber, sind derartige Verhältnisse denkbar und wo würde ein Volk sich solche zwecklose Zwangsarbeit gefallen lassen? Die ganz vergebliche Last des Bahnbaues traf übrigens gleich sehr Christen wie Moslims; nur die Tscherkessen sträubten sich ihr zu genügen. Die Bevölkerung des Kasa Nikopoli war bis 1877 sehr gemengt. Im letzten Decennium kamen zu seinen Türken, Bulgaren und Romanen 23 Tataren- und 14 Tscherkessen-Colonien. In Dzurno selo, das w7ir passirten, wohnten Bulgaren, Walachen, Türken, Tataren und Tscherkessen, in Müselim selo Bulgaren, Türken, Tscherkessen und Tataren. Hart bei diesem Dorfe überschritt ich den Osem auf 5* ziemlich solider Brücke. Sein rechtes Ufer umsäumen hier Kalkhöhen mit grossen-theils nackten, steilen Hängen, das linksseitige wasserarme Plateau, über dem die Strasse nach Pleven führt, dacht bedeutend sanfter ab. In dieser Region bietet das Reisen geringen Reiz; Bäume sind selten, dagegen treten überall zahlreiche Tumuli in Sicht, ohne die Monotonie der Landschaft heben zu können. Ein vor uns hinrasendes Gefährt, welches dem in 3 Gruppen augelegten grossen Tatarenorte Debova zueilte, hüllte die breite Strasse in Staubwolken, dabei Zigeuner-Puppenspiel zu Mahala. brannte die Sonne (30° C. im Schatten) in dem streng O.W. streichenden Thale, die grellen Reflexe der Kalkwände und des Osemspiegels streiften empfindlich das Auge, und unsere armen Thiere wurden durch zudringliche Mückenschwärme, unausgesetzt gequält. Um sie einigermassen zu erfrischen, Hess ich sie bei dem 4 Meilen von Nikopoli fernen Mahala zur Tränke führen, während wir in seinem bulgarischen Kmetengehöfte mit Milch uns labten. Gleich beim Eintritte in den Hof erhielt ich eine sprechende Probe tief gewurzelten Aberglaubens. Eine der jüngeren Frauen erbat sich, den schaumbedeckten Zügel meines Pferdes lösen und damit ihr Kind berühren zu dürfen, welches am Tage zuvor durch ein frei umherlaufendes Füllen erschreckt worden und seitdem unwohl war; zweifellos würde es dann genesen! Wegen des bösen Falles herrschte im Kmetenhause Stille, aus dem angrenzenden Nachbargehöfte tönte aber toller Lärm und lautes Lachen herüber. Ich spähte nach der Ursache des lustigen Treibens und erblickte durch den Zaun eine höchst ergötzliche Scene. Zwei bunt costümirte moslimsche Zigeuner producirten ein bewegliches Puppenspiel, dessen ä la franca gekleidete Acteure sich unter Tambourin- und Gaidamusik unverdrossen im Kreise drehten. Dabei brüllte der Zigeuner seinen Puppen abwechselnd Lob und Tadel zu: Hei, hei, nicht so schnell, Kara Abdullah, du zerreissest sonst die schönen Hosen — Mehemed, sieh doch nicht Fatime so verliebten Blickes an — und du, herrliche Suleima, lass nicht dein Kleid so hoch fliegen, sonst---und dazwischen streute er zweideutige obseöne Phrasen, was alles, vereint mit den possierlichen Bewegungen eines auf der Schulter des Gaidaspielers postirten Aeffchens nicht geringe Heiterkeit bei den biederen Landbewohnern erzielte. Mit einigen Strichen wanderte die vorstehend wiedergegebene Gruppe in mein Skizzenbuch. Mittlerweile war der Abend angebrochen und weiter ging es zum Osem, den wir an einer tiefen Stelle durchführten mussten, um nach unserem jenseitigen Nacktbivouak Trncevica zu gelangen. Anfänglich vermochten wir uns kaum über dessen Lage zu orientiren, so dicht war es in übelriechende Qualmwolken gehüllt. In allen Osemdörfern werden nämlich grosse Mengen Stroh und Gestrüpp in nächtlichen Feuern verbrannt, um das Vieh vor den gefährlichen Mückenschwärmen zu schützen, welche hier wie in Serbien und Ungarn eine wahre Geissei für alle lebende Creatur während der heissen Jahreszeit bilden. Trncevica gehört, wie ich bereits erzählte, zu den 4 Dörfern der katholisch-nikopolitanischen Mission, und da ich hörte, dass P. Eugenio mittlerweile von der Conferenz zu Orese (S. 49) zurückgekehrt war, nahmen wir den Weg nach demPfarr-hofe. Der stets heitere Geistliche empfing mich mit italienischer Liebenswürdigkeit und empfahl mich der besonderen Obsorge einiger bulgarischen Ortsschönen, welche er mir als seine Hausbesorgerinnen vorstellte. Ausser diesen theilte mit P. Eugenio ein niedlicher Kläffer „Signor Garibaldi" sein „langjähriges Esilio". Der Leser erräth, dass der Pater nicht gerade aus Gefühlen der Verehrung seinen Hund so taufte. Wie hätte auch Don Eugenio den grossen Patrioten lieben können, welcher so mächtig an den Säuleu des Stuhles Petri gerüttelt! Was galt dem Pater die Einigung seines Volkes, da sie nur auf Kosten der weltlichen Papstmacht sich vollziehen konnte! Die schimpflichsten Ausdrücke der „Civilta cattolica", von welcher einige veraltete Exemplare auf seinem sonst bücherfreien Tische lagen, schienen ihm zu milde für Vittorio Emanuele e consorti. Ich lenkte das mir wenig behagende Gespräch auf die Statistik des Ortes, dessen Pfarrbuch 90 Häuser mit 811 Seelen, darunter 169 Verheirathcte, 13 Wittwer, 18 Wittwen, der Rest „nubili, fanciulli etc." auswies. Die Zahl der unvermählt bleibenden Mädchen vermochte P. Eugenio nicht genau anzugeben, er meinte, wohl an 30 dürften sich der S. Maria geweiht haben. Gegen Mitternacht scheuchte mich schrilles Glockengeläute vom Lager. Ich forschte nach der Ursache und erblickte unter meinem Fenster Don Eugenio's halb schlaftrunkene, arme Untcrthanen mit Papierlaternen den Weg zur Kirche suchend. Anstatt nach mühevoller Tagesarbeit erquickenden Schlafes zu pflegen, mussten sie allnächtlich und wieder des Morgens zur Kirche, um „ihre Sünden abzubüssen". Ja, die Patres des Nikopolitanischen Missionssprengeis führten gar strenges Regiment über ihre Pfarrkinder, gegen sich selbst aber, wie ich erzählte, etwas weniger. Dass ich unter solchen Eindrücken P. Eugenio's Gastfreundschaft nicht über das nothwendigste Maass in Anspruch nahm, wird man mir wohl gerne glauben und ebenso, dass ich für die Verwirklichung seines Lieblingsgedankens, mit österreichischem Gelde einen kirchlichen Prachtbau zu Ehren des „Protettore S. Michele" aufzuführen, nicht den bescheidensten Schritt that Gerne hätte ich in Wiener cinflussreichen Kreisen für des Paters Idee gewirkt, hätte er auch nur nebenher der dringend nothwendigen Errichtung einer Schule für seine dem lieben Vieh gleich heranwachsenden Pfarrkinder gedacht. P. Eugenio glich aber in diesem Punkte seinem Collegen P. Romano und dieser wieder den hochwürdigen Brüdern P. Mariano und Don Candido auf ein Haar. Ich empfand eben nicht übermässige Sehnsucht, dem letzteren zu Lazine meine Visite abzustatten, doch hörte ich, dass dort viele Antiquitäten gefunden werden, und so beschloss ich, den Weg nach Plevna über das vierte katholische Missionsdorf zu nehmen. Mein kleines Gefolge brach bereits zeitig Morgens nach Lazine auf, ich benutzte aber auf P. Eugenio's Andringen seine nette Equipage; das ging freilich rascher, aber das Tcrrainstudium litt darunter. Der Forschlingsreisende muss unbedingt den Wagen meiden! Bald hatten wir das auf dem höchsten Punkte Trnöevica's aufgerichtete Holzkreuz im Rücken und zwischen prächtigen Baumgruppen hinfliegend, jenen Punkt bei Bulgareni erreicht, in dessen Nähe, 1 Meile südöstlicher, der von Lovec SW—NO. herabkommende Osem mit scharfer Winkelkrttmmung die entgegengesetzte Richtung einschlägt. Bereits auf S. 25 charakterisirte ich diese Parthie als eine der landschaftlich schönsten des Flusslaufes. Jenseits der Brücke ging es durch die mit vielen Herden bedeckte fruchtbare Fläche etwa V2 M. fort, als plötzlich zwischen einigen Baumstreifen ein lateinisches Kreuz aufleuchtete. Es gehörte dem hohen Kirchthurme Lazine's an, in dessen Pfarrhofe wir bald darauf abstiegen. Lazine setzt sich aus 4 besonderen Mahle zusammen. 1871 zählte das ka- tholisch-bulgarische 50, das orthodox-bulgarische 40, das türkische 10 und das Zigeunerviertel 15 Häuser. Auch hier erscheint die katholische'Kirche viel zu grossartig für die nur 634 Seelen starke Gemeinde; ihre Architektur und decorative Ausstattung steht wohl hinter jener von Beiina zurück, doch hatte man nicht mit prachtvollen Seidenroben für die in einem Glasschreine thronende S. Anna gespart, deren aus Wachs, in Naturgrösse, recht packend ausgeführte Figur das Werk eines italienischen Künstlers ist. Ihre buntgemusterten Costüme scheinen jedoch einflusslos auf die Frauentracht des Dorfes geblieben zu sein, denn diese zeigte gegensätzlich zur auffallenden Vorliebe des südslavischen weiblichen Geschlechts für bunte Farben etwas quäkerhaft Nüchternes. Während die orthodoxe Bulgarin grössten Werth auf ein buntgefärbtes oder gesticktes Kopftuch und möglichst reich ornamentirte Schürzen legt, sind diese Trachtstücke in den katholischen Missionsorten durchgehends weiss, und auch am Kopfputze erblickte ich dort selten Blumen, Schmucksachen u. s. w. Die sogenannten „Nonnen", deren Heranziehung die Patres zum Leid der heirathsfähigen Bursche ganz besonders betreiben, tragen übrigens das weisse Kopftuch derartig, dass vom Gesichte wenig zu sehen ist. Diese armen Geschöpfe machten auf mich einen um so unerquicklicheren Eindruck, als bei ihrer totalen Bildungslosigkeit jene ethischen Momente geradezu undenkbar erscheinen, welche im Occident so manche schwärmerisch angelegte Mädchen hinter Klostermauern führen. Meine in der 1. Auflage dieses Werkes veröffentlichte Schilderung der traurigen Verhältnisse zu Lazine und in den benachbarten drei katholisch-bulgarischen Gemeinden erregte begreiflicherweise nicht geringe Sensation in der liberalen und dermalen Presse. Die letztere versuchte wohl einzelne Thatsachen anzuzweifeln oder durch Scheingründe zu bemänteln, es wollte ihr aber gegenüber dem authentischen Sündenregister der italienischen Patres nicht gelingen. Mir war es von Beginn um nichts anderes zu thun, als die Aufmerksamkeit der Einfluss nehmenden kirchlichen und weltlichen Kreise auf die den römischen Clerus in ein unverdient schiefes Licht stellenden Skandale an der unteren Donau zu lenken. Zu meiner nicht geringen Genugthuung kann ich constatiren, dass man meine Mittheilungen in Rom beherzigt und durch energisches Eingreifen einige der unverbesserlichsten Geistlichen, sowie einen der schlimmsten Uebelstände beseitigt hat, indem man seither in drei von den vier Dörfern Schulen begründete. Heute giebt es in Beiina, wo P. Bartholomaeus und P. Bonaventura als Geistliche fungiren, eine von P. Mancov geleitete Knabenschule mit 85 Schülern; die weibliche Jugend erhält leider noch immer keinen Unterricht, dafür zählt das Dorf aber etwa 40 Mädchen, welche dem Heirathen entsagt haben und in der geschilderten Tracht ein beschaulich unfruchtbares Leben führen. Eine grosse Parthei im Dorfe wünscht einen bulgarischen Katholiken zum Geistlichen; im J. 1878 kam auch ein solcher aus Filipopel dahin, musste aber, weil die italienischen Patres gegen ihn intriguirten, diesen bald das Feld überlassen. Zu Orese, wo gegenwärtig P. Gcressimo die Seclsorgc versieht, wurde gleichfalls eine von 40 Knaben besuchte Schule gegründet, in welcher ein weltlicher Lehrer, Namens Angel Borunöov wirkt; 15 Mädchen haben dort dem Heirathen entsagt. Zu Lazine, wo P. Gardo Pfarrer ist, besuchen 45 Knaben die in den letzten Jahren begründete Schule. Weil auch dort 37 Mädchen auf den Kath des Geistlichen das sündhafte Heirathen abschworen, kam es im Beginn dieses Jahres zu Tumulten, da es eine Menge alter Junggesellen im Dorfe giebt, welche keine Frauen finden. Die Majorität der Familienväter petitionirte desshalb an Fürst Dondukoff wegen dieses schreienden Uebelstandes und verlangte, dass diese „Nonnen" entweder in ein Kloster gehen, oder heirathen mögen. Nun soll der Kreisvorstand sich hinbegeben, um die Sache zu ordnen. Zu Trncevica ist Dom Geno absoluter Herrscher. Dort «-iebt es auch heute noch keine Schule, wohl aber eine Menge der Kirche sich widmender unverheirateter Mädchen, was viele Misshelligkeiten und Klagen von Seite der Frauen bedürftigen jungen Männer und Wittwer hervorruft. Nach Fürst Alexander's Besuch im Vatican verlautete, dass im August schon ein päpstlicher Legat, zugleich Bischof für die Katholiken Bulgariens, seinen Sitz zu Ruscuk nehmen soll. Hoffentlich wird er die hier charaktcrisirfen traurigen Zustände in den vier Dörfern des Nikopolitanischcn Sprengeis beseitigen; er würde sich dadurch zweifellos ein grosses Verdienst um die römische Kirche, um die Sittlichkeit und Cultur erwerben! Das Pfarrhaus von Lazine bewahrt eine kurze Chronik der lateinischen Mission in Mösien, deren interessanteste Daten ich auf S. 38 bereits verwertete. Unter den classischen Denkmalen, welchen das Pfarrhaus ein schützendes Dach geboten, vielleicht um ein legaleres Anrecht auf den einst „lateinischen" Boden erheben zu können, sah ich nur werthlose, von Butva herrührende architektonische Fragmente, dann zwei durch den Bischof Angelo Parsi vor Jahren von Nikopoli dahin gebrachte, historisch interessante Inschriftsteine, die publicirt wurden, ohne dass man seltsamerweise in gelehrten Kreisen ihren Bewahrungsort kannte. Sie bilden die Eingangspylone einer die Kirche umschliessenden niederen Mauer und sind so vor weiterer Verschleppung gesichert. Sie erschienen im Mommsen'schen Corpus III. 1, No. 751, 752 und meine genommenen Copien ebendaselbst auf S. 992, unter „Moesia inferior", ad No. 751, 752. Neue Bilder und die angestrengteste Aufmerksamkeit beanspruchende Aufgaben verdrängten die unerfreulichen Eindrücke, welche seit dem Besuche des katholischen Passionistcnsprengels auf mir lasteten. Schon der nächste 8. Julimorgen fand mich beim Strassen-Kreuzungspunkte Vina (S. 25) die Strasse nach Plevna gegen W. einschlagend. Von der berüchtigten Dobruca abgesehen, war dies wohl der langweiligste aller Wege, auf welchen ich Donau-Bulgarien in verschiedensten Bichtungen durchquerte, und doch erschien die Natur auch hier, wenn auch nicht schön, doch grossartig, insofern sie an die Scenerie der oft geschilderten romantischen Theiss-Puszten mahnte. Weit und breit war auf der ausserordentlich fruchtbaren Hochebene kein Baum zu erblicken, noch seltener durchziehende Wasserfäden oder Brunnen, die reiche vegetative Bodendecke bot trotzdem einem vielgliedrigen Kleinleben Schutz und Nahrung; Entomologen würden gleich Botanikern hier sicher lohnende Ausbeute finden. Im üppig wuchernden Distelflor lässt sich auch ein neues Beispiel für die künstliche Wanderung des Pflanzensamens constatiren; denn wie uns die Anwohner erzählten, wurde die in diesem Theile Bulgariens früher ungekannte Distel erst durch das von den Russen aus der Walachei herübergebrachte Zugvieh, im Kriege (1828—29), eingeschleppt. Auch die neue Strasse, welche während Plevna's Belagerung die wichtige Verbindung mit Svistov vermittelte, war meterhoch mit Unkraut bewachsen, nichts hinderte sein Wuchern. Die wenigen Gefährte wichen den gefährlichen Steintrümmern, welche man in echt türkischer Weise statt des Schotters über die Trace^ hingestreut hatte, aus guten Gründen aus; selbst Reiter zogen die alte Strasse vor, und wir thaten es gleichfalls. Nahezu auf 4 Meilen Länge stiessen wir auf keine menschliche Behausung, die Dörfer blieben sämmtlich in weiter Ferne und auch „Pallas", der einzige Ort an derselben auf Lejean's Croquis, existirt nicht, denn es giebt wohl einen Bach, aber keinen Ort dieses Namens. Nahe dem Petre-facten führenden Kreidekalkhugel, welcher die ganze Hochfläche dominirt, erblickten wir einen höchst verdächtig aussehenden bewaffneten Mann mit zwei riesigen Hunden zwischen abgestürzten Blöcken lauernd hocken. Der Kasa Pleven stand eben nicht im Rufe grösster Sicherheit und mein Zaptie hielt sein Gewehr schussfertig. Doch nicht hier, erst im nächsten Jahre, sollte ich die Bekanntschaft der berühmten türkischen „Balkan Tschelebi" machen. Endlich gelangten wir an den Han des während der Kämpfe um Plevna 1877 vielgenannten Grivica. Der Anblick des wohlhabenden, von Baumpflanzungen eingehüllten Dorfes, gehoben durch die letzten eintönigen Strassenbilder, wirkte ungemein wohlthuend. Ich machte vom Dorfe eine kurze Excursion auf die südöstlichen Höhen jenseits des tief eingeschnittenen, mehrere Mühlen treibenden Baches, da der Öorbasi dort viele „latinski kameni" und Mauern gesehen haben wollte. Ungeachtet schlimme Enttäuschungen mich gegen solche Aussagen misstrauisch gemacht, folgte ich einem begreiflichen Zuge, fand einige inschriftlose, wahrscheinlich bulgarische Grabsteine aus älterer Zeit und war für die verlorene Stunde und Mühe um eine neue Erfahrung reicher. Die letzte Meile Weges, welche mich von Plevna trennte, ging durch eine freundlichere Landschaft. Die mit Bäumen bepflanzte Strasse war von Wagen, Reitern und Fussgängern tibersäet, welcbe vom Samstagsmarkte fröhlich nach Grivica und weiter zogen. Der bulgarische Bauer befindet sich gewöhnlich in heiterster Stimmung, wenn er die Stadt mit reichem Erlöse für seine verkauften Waaren verlässt und, durch ein kleines Opfer an Gott Bacchus erleichtert, nach seinem Dorfe heimkehrt. III. • VON PLEVNA UEBER TROJAN UND DEN KALOFER-BALKAN. (IV. Balkan-Passage.) Jeni Siskov- und Gcno han zu Pleven. — Sein Civil-Hospital. — Dr. Geisser und Dr. La Bruce. — Alte und neue Denkmale der Stadt. — Kaimakam Mehemed Bci's Regiment. — Alte Bei-Geschlechter. — Ein Münzenhändler. — Haidukenfang. — Plevna's Lage. — Geologisches im Tuccnicathal. — Höhle und Castell Kajalik. — Das römische Dorionibus und Melta. — Plevna's russische Eroberung 1810. — Seine Ueberrumpelung durch Kosaken im Juli 1877. — Osman Pas'a besetzt es. — Erster unglücklicher Angriff am 20. Juli. — Zweiter Angriff am 30. Juli. — Ausfälle der Besatzung. — Fürst Karl von Rumänien übernimmt das Commando. — Unglückliche Stürme am 11. September. — Todlcben's Tactik. - Die türkischen und russisch-rumänischen Stellungen. — Sturm der Rumänen auf die 2. Grivica-Redoute am 19. Oktober. — Osmans Erschliessung. — Sein Durchbruchsversuch am 10. De-ceraber und Capitulation. — Folgen des Falls von Plevna. — Des Kaisers Hauptquartier zu Bogot. — Am Wege nach Lovec. — Nach Trojan. — Panin Oglu's Strasse. - Zagrep manastir. — Ablanica han. — Ruinen bei Lovec. — Castell Montcmno. — Justinianische Castelle. — Der grosse Trajanische Heerweg und seine Mansionen einst und heute. — Ein echter Balkansohn. — Türkische Regierungsmaxime. — Merkwürdiger Mudir. — Stadt Trojan. — Industrie, Kirche, Häuserbau und eigenthümliche Brücke. — Am Cerni Osem. — Nach Kloster Trojan. — Dessen Grösse, Physiognomie, sociale Bedeutung, Name, Geschichte, Architektur, Fresken, Leichencultus, Kiril- und Methodijcthurm, Keli-quiarium, Mönchsleben, Wild-und Vichreichthum, verlassene Bergbaue, Sabortag und Schule. — Nach dem Kalofer-Balkan. — Branjevo. — Kupenska han. — Wasscrnoth. — Novoselo als Typus eines Balkanmarktes. — Dessen Holzschnitzer. — Charakter der Bewohner. — Hauseinrichtung. — Ausflüge nach Kloster Sv. Jovan und auf die Ostrcc planina. — Gensdarmen und Räuber. — Trauriger Ausgang der Insurrection 1876. — Novoselo's Zerstörung. — Das Kismet. — Aufbruch nach Süden. — Führer Venco Sapce. — Balkandzilcben. — Der Wald und sein Kismet. — Ein ungekannter Wasserfall, von mir „Ami Boue-Cascade" genannt. — Grossartige Naturbilder am Dobreva grob-Blockhaus. — Wasserscheide zwischen dem Aegäischen und Schwarzen Meere. — Tundzaquelle. — Römerstrasse. — Der Mara-Gedük. — Mythe und Wirklichkeit auf dem höchsten Balkanpasse. — Haiduk Panajot Hitov's Schilderung seiner Schrecken. — Rosalitafeld und Rosaljacult. — Hellenische Orpheus- und andere Sagen. — Münze auf Hacmus und Rhodope. — Habcilea Rhodopensisblume. — Philipp III. von Macedonien auf dem höchsten Balkangipfel. — Cynoscephalae und Marens Crassus. — Thrakisch-hellenische und christliche Heilstätten. — Türke und Bulgare im Balkan. — Abstieg. — Karlovo- und Kazanlik- Becken. — Jürük tepessi und Jürükcn-Nomaden. — Militärische Bedeutung des Rosalita-Passes. — Russische Truppen passiren ihn 1877. — Kalofer und seine Iudustrie. — Gründungs-Sage, Autonomie, Schulen, Kirchen und Klöster. — Kalofer erobert und zerstört 1877. V^ern wäre ich im freundlich aussehenden, von Zaptie Ismail empfohlenen „Jeni Siskov han" geblieben; er lag jedoch in Plevna's entlegenstem Mahle, durch ein breites Kothmeer von der eigentlichen Stadt getrennt, und desshalb vertauschte ich ihn mit dem alten „Geno han" im Centrum der Öarsi. Wir ritten in seinen Hof, wo mir sogleich die originelle Construction einer neuen niederen Baute auffiel. Ihre der ganzen Breite vorgelegte hohe Terrasse ermöglichte es nämlich den Absteigenden, aus dein Bügel direct an die Thüren ihrer Zimmer zu gelangen; ausser diesem echttttrkischen Comfort boten letztere jedoch nichts Verführerisches und ich schlug mein Quartier im ruhigeren einstöckigen Hinterhause auf, dessen Veranda den Aufenthalt in frischer Luft erlaubte, während die Fenster seiner Rückfronte nach der Pleven durchmessenden Tucenica gingen, und einen prächtigen Ausblick auf seine schönste Moschee gewährten. Wenn nur die Anwohner nicht die nahen Bachufer zum Ablagerungsplatze der Nase höchst unangenehm sich verrathen-der unsagbarer Dinge gemacht hätten! Eben war eine Zigeunersippc mit dem Ausweiden von Vierfüsslern beschäftigt; die bulgarischen Arbeiter der nahen Mühle protestirten wohl dagegen, doch aller Streit half nichts, den Begriff von Sanitätspolizei kennt man kaum ifi türkischen Städten und auch mir blieb nichts übrig, als mein mit Papierscheiben verklebtes Fenster zu schliessen, nachdem ich eine Skizze von der mit hohem Minaret und kühner Kuppel aus Baumgrün hervortretenden „Kadi zamesi" genommen hatte. Ich besass eine Empfehlung an den Chefarzt des städtischen Civil-Hospitals Dr. Robert Geisser, und eilte dieselbe abzugeben. Wieder stand ich vor einer Schöpfung Midhat Pasa's. Strassen, Schulen, Waisenhäuser, Vorschusscasscn und ähnliche philanthropische Institute allerorts zu errichten, gehörte zu den Lieblingsideen des energischen Mannes. Im Sommer 1865 schrieb mir der Militärarzt Dr. La Bruce, den ich von Nis her kannte, dass Midhat ihn telegraphisch nach Ruscuk berufen und mit ihm zur Ausführung seines geplanten Krankenhauses nach Plevna sich begeben habe. Die Moslims schüttelten damals gewaltig die Köpfe, als jedoch das kleine nette Gebäude vollendet war, freuten sie sich desselben und meinten, „der Djaur-Pasa habe doch manchmal auch Allah wohlgefällige Gedanken." Dr. La Bruce war seitdem gestorben, der von ihm angelegte Garten bildet aber ein fortlebendes Denkmal seiner Liebe für Horticultur. Die von ihm gepflanzten Bäumchen entwickelten sich prächtig, Gesträuche zu schattigen Bosquets verdichtet und ein kleiner Blumenflor, zu dem ich selbst Samen von Camelien, Geranien, Heliotropen u. s. w. durch die Wiener Firma „Pfanzert Nachfolger" meinem Gastfreunde gespendet, begrüssen anmuthig den Eintretenden. Wie gerne hätte ich dem Schöpfer aller dieser Herrlichkeit vereint mit seiner Fatme meine Bewunderung ausgedrückt, mich mit ihnen der heiteren Tage von 1864 zu Nis erinnert. Dort lernte ich „Miss Fatme", eine von Gesicht hübsche, etwas verkrüppelte, dem Doctor treu anhängende kleine Bulgarin kennen, welche sich nach Art der Preciosa's wunderlich herauszuputzen liebte. Sie behing sich mit allen möglichen glänzenden Dingen, steckte die grellfarbigsten Blumen in's Haar und lechzte mit ihren stechenden schwarzen Augen fortwährend nach Bewunderung. Als der arme deutsche Arzt in die kühle Erde versenkt war, zog das trauernde Mädchen wieder nach Nis, wo sie, das einzige Wesen vielleicht, dem Sohne der fernen Hansastadt Hamburg gewiss lange ein treues Andenken bewahrte! Im Hospital begrüsste mich Dr. Geisser, ein liebenswürdiger kleiner Schwabe, der mit einem Oekonomen und dem Apotheker Stefan Drankov Dr. La Bruce's Erbschaft angetreten hatte. Ich vermochte ihm viel Neues aus der Heimath zu erzählen, denn obgleich Pleven nur 6 M. von der grossen Donau-Verkehrsstrasse und ihrem Hafen Nikopoli liegt, war der Doctor doch über die sensationellsten politischen Vorgänge in Europa im Dunkeln. „Es ist nicht möglich", meinte er, „hier sich regelmässig eine fremde Zeitung zu verschaffen, türkisch verstehe ich nicht, bulgarisch ebensowenig, und so lebe ich wie in der Sahara!" Vielleicht widmete er aus diesem Grunde, weil sonst wenig abgezogen, seine volle Zeit dem Hospital, in dessen Sälen grösste Reinlichkeit und Ordnung herrschten. Die Betten waren mit Bulgaren, Tscherkessen und Tataren belegt; Türken fehlten, denn sie meiden nach Möglichkeit das Spital. In dem streng gesonderten Frauenraume, den ich unter dein Titel eines Hekim basi (Arzt) betrat, wand sich ein hübsches Zigeunerweib, das am Tage zuvor den Fuss gebrochen, in convulsivischen Schmerzen. Der Doctor meinte: „Hier wäre eine Amputation notwendig, allein das Medjlis bewilligte mir, trotz öfterer Mahnungen, seit Jahren das Geld nicht zum Ankaufe der nöthigen Instrumente. Ja, wenn Midhat noch Vali wäre!" Obwohl Pleven (türk. Plevna) 1871: 13 moslimsche und 5 christliche Mahle, 18 Moscheen, 9 Minarete, 1 Uhrthurm, 2 Kirchen, 1627 muhamedanische und 1474 christliche Häuser, also nahezu 17,000 Seelen zählte, widmete ihm Lejean, der es kurz zuvor besuchte, doch nur ein Dutzend Worte: Ville agreable, sans plus; au bout de quelques heures, j'en ai assez. Mein Gewissen wollte sich mit dieser kurzen Abfertigung der weitläufigen Stadt nicht begnügen und ich machte mich mit Dr. Geisser wegen des tiefen Strassenkothes zu Pferde auf, um sie näher kennen zu lernen. Consul Lejean war im Rechte: unsere Ausbeute war eine spärliche. Am interessantesten erschienen noch einige Ruinen ausgedehnter älterer Gebäude, welche nach der Tradition von Pasvan Oglu's Krdzalien und des sie in Sultan Se-lim's Namen bekämpfenden Kapudan Pasa's wilden Horden, auf ihrem schmählichen Rückzüge, verwüstet worden waren; dann die Sv. Paraskeva-Kirche, welche durch den Travnioten Jencu neu umgestaltet und den Aposteln Kiril und Metodije geweiht werden sollte. Wesshalb die bei den Südslaven sehr geehrte Heilige*) bei den Plevnaern in Ungnade gefallen, wusste man mir nicht zu sagen. Die zweite *) F. Kunitz, Serbien, S. 543. Kirche Sv. Petar besitzt eine hübsche lkonostasis mit Figürchen in den Säulen und einem Prestol (Altartisch), dessen Stütze ein zweifellos römischer Säulenstumpf mit Kapital bildet. Meine Nachforschung ergab, dass letztere vor etwa 50 Jahren nahe beim heutigen Kaimakam-Konak ausgegraben wurde, wo sich noch bis 1865 die Mauern eines Castells befanden. Von anderen in und bei dieser alten Baute gemachten Funden gab mir Dr. La Bruce im December 1865 Nachricht. Ich lasse für künftige archäologische Forschungen zu Pleven die bezügliche Stelle seines Briefes hier folgen: „Unser Plevna ist ein kleines Städtchen ohne Gesellschaft, ohne Ressourcen, wo iudess Sie sich für einige Zeit besser unterhalten würden, als ich, indem es hier noch bedeutende Reste alter colossaler Gebäude giebt uud wir noch unlängst ein aus den bekannten blutrothen Ziegeln construirtes Grab aufgefunden haben. Dasselbe gehörte einem Kinde an, es fanden sich zwischen Staub und Erde liaare, Zähne und die beiden Schienbeine, welche jedoch bei der Berührung zerfielen, ferner ein starker, breiter, rein goldener Ring mit dem Zeichen und eine Kupfermünze, die ich versuchen werde Ihnen zu senden. (Ist j nicht geschehen.) Auf einem der Ziegel war die Spur einer Hundspfote abgedrückt, was natürlich im frischen Zustande der Ziegel sich ereignet haben muss, letztere hatten aber ausserdem ein Art Stempel oder Marke. Die colos-salen Mauern des Gebäudes, dessen ich zuvor gedachte, sind aus Stein und Ziegeln, alles in prächtigen gewölbten Abtheilungen. Mit jedem Jahre verschwinden sie mehr und nächstes Frühjahr (1866) soll Alles abgedeckt und anderweitig verwendet werden. An dem im Gebäude vorgefundenen Brunnen waren zwei riesige Steine mit zwei eingehauenen Köpfen, Niemand weiss jedoch, was aus ihnen geworden." — So viel ich auch nach dem Schicksale dieser Antiquitäten fragte, vermochte ich es so wenig wie Dr. La Bruce zu erfahren; hingegen fand ich seine Befürchtung vollkommen erfüllt: die colossale Baute war dem Erdboden gleich gemacht und aus ihrem prächtigen Material der neue Regierungs-Konak auf dem nahen Platze erbaut worden. Im Augenblicke meines Besuches residirte daselbst der vom Vali Omer Fewzi Pasa aus Candia berufene Mehemed Bei, ein geborener Arnaute von Janina, der den Kampf mit den Pleven's Umgebung seit längerer Zeit unsicher machenden Haidukenbanden als eine Art Sport betrieb. Der Zufall fügte es, dass der Kai-makam seiueu letzten glücklichen Fang am nächsten Morgen zur Aburteilung nach Ruscuk senden wollte; er lud mich ein, dem Schauspiel anzuwohnen. „Begegneten Sie nicht im Corridor einer Deputation? Was verlangte man von mir? Unter den 8 Haiduken, die ich, Inschallah, für einige Jahre unschädlich zu machen suchte, befinden sich auch die würdigen Söhne zweier Plevnaer Familien, uud da kamen die Herren Väter und Verwandten mit Bitten und Drohuugeu: ich möchte doch nicht rechtgläubige Moslims am hellen Tage, gefesselt, zum Spotte der Rajah, durch die Stadt führen lassen! — Ich erwiderte ihnen: dies sei nicht die grösste Schande, eine grössere aber ist's für uns Türken, dass Ihr Eure Söhne so entarten liesset!" Mir gefiel das muthige Wesen des Kaimakams. Er wagte sich in die unzugänglichsten Verstecke der Räuber und wurde als ebenso gerecht wie fortschrittsfreundlich geschildert. In Mehemed ßei's Adern floss christliches Blut. Er schien stolz darauf, sprach mit Vorliebe Griechisch, die Sprache seiner Mutter, und paradirte gerne mit einigen französischen Wörtern, die er sich auf Candia angeeignet hatte. Sehr strenge wachte er über den Schulbesuch; ich erfuhr, dass die Rudschidieh (Normalschule) und 8 türkische Elementarschulen von 1651 Knaben und 110 Mädchen, die 5 bulgarischen Knaben- und Mädchenschulen von 921 Schülern und 50 Schülerinnen besucht wurden; unter den obwaltenden Verhältnissen gewiss höchst günstige Zahlen. Der Kaimakam bethätigte sein Interesse für meine Studien, indem er mir die Einsicht in die Bücher seiner Verwaltungsbeamten gestattete. Einige ältere Turbanträger des Medjlis schienen hiermit nicht ganz einverstanden, ich benutzte jedoch schnell die günstige Gelegenheit und sammelte das authentische Material, welches ich später noch zu verwerthen gedenke. Als reichsten Mann im ganzen Vid- und Osemgebiete hörte ich Hadzi Omer Bei Muteveli rühmen. Er soll ein Nachkomme des gefeierten bulgarischen, zum Islam übergetretenen Helden Gasi Ali Bei sein, welchen Sultan Murad vor beiläufig 400 Jahren mit 18 Dörfern in Pleven's Umgebung- belehnte. Ihr Zehentertrag wurde auf 1 Million Piaster jährlich geschätzt. Wir dürfen demnach diesen Bei als das angestammte Oberhaupt jener Pomaci (islamitische Bulgaren) im Plevener Kreise betrachten, deren Voreltern wahrscheinlich gleichzeitig mit des Bei's Vorfahr das Christenthum abgeschworen hatten. .Zwei andere reiche mos-limsche Grossgrundbesitzer, die Brüder Nurid und Machmud Bei, entstammen gleichfalls einem altbulgarischen Vojvodengeschlechte, dessen Adelsbriefe, wie behauptet wird, sie sorgfältig bewahrten. Als ich mit Dr. Geisser sie in ihrem nahe der Stadt gelegenen Ciftlik besuchte, wagte ich nicht den heiklen Gegenstand zu berühren. In einem prächtig getäfelten Gemache, das köstliche Düfte aus.dem angrenzenden Parke durchströmten, empfingen mich die beiden Brüder mit vollendetster Artigkeit. Sie zeigten grosses Interesse für Geschichte und Dinge aus alten Tagen und baten mich, künftig in ihrem Konak mein Absteigequartier zu nehmen; wir schieden auf baldiges Wiedersehen in Wien, dessen Ausstellung sie mit dem Kaimakam besichtigen wollten. Der wahrscheinlich auch bis Pleven gedrungene böse Ruf von der „theueren" Kaiserstadt mochte aber meine Plevnaer Freunde, gleich vielen andern Moslims, von dem „djaurischeu" Weltspeeüike! ferne gehalten haben. An Pleven's entgegengesetztem Stadtende steht das Haus Joanes Aladjadjian's, welcher als hervorragender Münzensammler oder richtiger Händler bis nach Constantinopel bekannt ist. Kurz vor meinem Besuche hatte er eine grosse Parthie den Ignoranten Bauern wahrscheinlich um Spottpreise abgenommener griechischer Münzen nach Athen gesendet und konnte uns desshalb nur unbedeutende Funde zeigen. Umsomehr fabelte er von einer nahen Höhle und Burgruine Kajalik. Ich fand, dass Lejean's Lection ihn von seinem Schätzewahn nicht geheilt und dass er noch immer nach der richtigen Wtinschelruthe suchte, um die vermeintlich dort begrabenen Reichtümer zu heben. Vergebens kämpft man mit Vernunftgründen gegen solch festgewurzelten Wahnglauben. Aladjadjian meinte lächelnd: „Ihr Europäer wisset so Vieles und müsset daher auch verborgene Schätze an's Licht bringen können!" — „Wohl verstehen dies Manche, aber nicht Alle!" erwiderte ich, des damals im Zenithe stehenden „wirtschaftlichen Aufschwungs" in der Heimath gedenkend. Pünktlich erschien ich am nächsten Morgen im Konak, um den Abgang der Haiduken nach Ruscuk mit anzusehen. Acht an der Zahl standen sie bereits im kleinen Gefängnisshofe in Reihe und Glied; einige, echte Räubergestalten, stolz und aufrecht, andere verlegen doch nicht gebrochen, es waren jene, deren greise Eltern den Kaimakam nochmals und gleich vergebens in herzzerreissender Klage um Gnade baten. Alle trugen schwere Fesseln an Hals und Armen und waren zu vier aneinander geschmiedet. Es war mir unbegreiflich, wie die Leute in dieser Weise bis Nikopoli gelangen sollten. Jedenfalls war dieser von berittenen Gendarmen escortirte Marsch eine an unsere mittelalterliche Justiz mahnende barbarische Vorstrafe. Als ich dem Kaimakam zu seinem schönen Fange gratu-lirte, dachte ich nicht ohne leises Bangen an die draussen frei in Busch und an der Strasse lauernden ehrenwerten Collegen der geschlossenen Gesellschaft. Mehemed Bei bestand auch darauf, dass ich mindestens zwei Geleitreiter nehmen müsse; da zu diesen noch der Zaptie des mich nach Lovec begleitenden Dr. Geisser stiess, zogen wir nach herzlichem Abschiede von dem wackeren Kaimakam, eine ganz respectable Reiterschaar, gegen Süden, entlang der Tueenica. Plevna liegt durchschnittlich 120 M. über dem Meere im geöffneten Thale der Tueenica, welche, nachdem sie den Grivicabach und ein an Bukova vorbei-fliessendes Wässerchen aufgenommen, 1 Meile WNW. von der Stadt, im Vid mündet. Gegen NO. führt von Plevna eine Strasse über Oalusovat nach Nikopoli, eine andere NW. nach Rahova zur Donau, von dem östlichen Grivica her durchschneidet es die grosse Ruscuk-Sofia-Chaussee, und eine vierte Strasse zieht aus seinem südlichen Weichbilde über Bogot nach Lovec, weiter über den Balkan. Diese Vereinigung hochwichtiger Strassenzüge, die Nähe der 95 M. langen festen Vid-brücke und die günstige Lage zwischen 100 M. höheren, deckenden, zur Be- festigung ganz vorzüglich sich eignenden Plateau's, gestalten Plevna zu einer schon von den'Römern erkannten bedeutungsvollen Position. Das Thal, in dem es sich ausbreitet, ist in dichtem, grobkörnig weissem Kalke eingeschnitten, der nach Fötterle zahlreiche Korallen, namentlich Bryozoen, auch Echiniden, Pectunculus, Ostreen u. s. w. enthält und grosse petrographische Aehnlichkeit mit unserem Leithakalke besitzt. Auf der nördlichen Thalseite stehen die Kalkschichten, steile Wände bildend, senkrecht auf die Schichtungsfläche abgebrochen, während sie auf der Südseite flacher ansteigen. Dieser treffliche Baustein geht in seinen tieferen Lagen in Sandstein über, welcher viele Steinkerne von Gardien, Venus, Lucinen u. s. w. einschliesst und gegen S. sich erstreckt. Alle Hänge bedecken schöne Obstculturen und von N. gesehen, gewährt Pleven's offenes Thal ein reizendes Bild. Bald hinter dem Weichbilde der Stadt, als wir die südliche Richtung einschlugen, verengte sich das Tucenica-Defile, seine Kalkmauern stürzten schroffer ab und rückten bald ganz nahe zusammen. Rechts, vom hohen, nackten Felsvorsprunge blickten grell beleuchtete Mauertrümmer, von den südlichen Höhen zwei Tumuli in's Defile, dessen Stille nur das Klappern eines Mühlganges unterbrach. Weiter, von links her ertönte lautes Rieseln, es kam vom Abflüsse des in der Schätze bergenden Kajalikhöhle begrabenen See's. Nach der Meinung der Eingebornen hat sein Spiegel eine solche Ausdehnung, dass man ihn mit Dampfern befahren könnte. Lejean's Untersuchung zerstörte für uns diesen Wahn; wir haben es hier nur mit einem der zahllosen unterirdischen Kanäle zu thun, wie sie der Kalkformation eigen und ich sie im Karste, in Montenegro u. a. 0. weit grossartiger sah. Ich trug wenig Lust, die zu Hunderten in der Höhle Asyl suchenden lichtscheuen Thiere aus ihrer Ruhe aufzuscheuchen, kreuzte den Bach und stieg, von einem Hirtenknaben geführt, zum Castelle hinan, dem der Zahn der Zeit, mehr aber noch der Verwerthungstrieb der Anwohner schlimm mitgespielt hatte. Das Ruinenterrain umschliesst IV2 Hektaren; doch weit über dasselbe hinaus lagen Ziegel und Trümmer zerstreut umher. Gleich Lejean suchte ich erfolglos nach den Spuren eines Brunnens oder Aquaeductes. Er wird sich wohl noch finden, denn kaum erscheint es denkbar, die Besatzung sei nur auf das tief unten der Höhle entströmende Wasser und den Bach angewiesen gewesen, was ja die Vertheidigung der durch starke Mauern und einen tiefen Graben vom westlichen Terrain getrennten Burg erheblich geschmälert hätte. Lejean glaubte in diesem zweifellos römischen Kajalik-Castell das Dorionibus der Peut. Tafel zu erkennen, wegen seiner nahezu übereinstimmenden Entfernung von ihrem Nicopolistro, welche sie mit 60 Mill. angiebt. Wäre dem so, dann müsste aber das auf der Tafel 10 Mill. von Dorionibus entfernte Melta östlich vom heutigen Kanltz, Donau-Bulgarien und der Balkan. II. (J Dorfe Sgalevica gelegen haben, was nicht der Fall ist, da. es sowohl von Kataneic als Jirecek mit Lovec idcntifieirt wurde. Höchst wahrscheinlich leidet die Balkan-Donauroute der Beut. Tafel an einer Lücke und mit Sicherheit lässt sich heute nur annehmen, dass die römische Strasse von Nicopolis ad Haemum nach Oescus, am Catal tepe bei Osma Gradiste vorbeiführtc, wo ich bedeutende antike Reste fand (I. Bd. S. 204). Ob das wahrscheinlich im Mittelalter restaurirte Ka-jalik-Castell oder die auf S. 78 erwähnte Befestigung im Weichbilde Plevna's den im Jahre 1810 anrückenden Russen kurzen Widerstand leistete, konnte ich nicht genau erfahren. Während der denkwürdigen Belagerung der im letzten Kriege berühmt gewordenen Stadt fiel der Kajalikhügel in die Vertheidigungszone des sogenannten „Grünen Berges", welcher hauptsächlich das Angriffsterrain des rasch berühmt gewordenen jungen Generals Skobeleff bildete. Den grossartigen Kämpfen um Plevna ging eine wenig gekannte Episode voraus, welche es für mehrere Stunden in russischen Besitz brachte. Nach dem mir gewordenen Berichte eines verlässlichen Augenzeugen sprengten an einem der ersten Julitage 1877, etwa 40 Kosaken durch die Stadt, zum Konak des Kaimakams. In den Strassen ertönte der Ruf „Moskov geldi" (Russen kommen), panischer Schreck erfüllte die türkische Bevölkerung, der amtirende Kreishauptmann Ismail Effendi, sein Medjlis und das Häuflein Gensdarmen, welche den Konak bewachten, waren ebenso verblüfft über die sichere Haltung der mit grösster Gemüthsruhe ein gutes Mittagsessen verlangenden Kosaken, wie die in der Stadt lagernden 200 Infanteristen, denn Alles wähnte, das russische Gros folge der kleinen Vorhut auf dem Fusse nach. Nachdem die Eclaireurs des auf Nikopoli vorrückenden Corps bei Wein sich gütlich gethan, ihr Officier die gewünschten Auskünfte über die bei Plevna stehenden türkischen Streitkräfte erhalten und Alle ein kräftiges Hurrah für den Car und Grossfürsten Nikolai ausgebracht, verschwanden sie gleich unerwartet, wie sie gekommen, mit dem Versprechen, dass die Russen baldigst Plevna dauernd besetzen würden. Der Kaimakam, der Kadi und andere Beamte, welchen es nicht gelüstete, die Bekanntschaft der gefürchteten Moskovs zu machen, flüchteten eiligst nach Gorni Lukovic; die Bulgaren rüsteten zum festlichen Empfange der russischen Befreier. Als diese jedoch am nächsten und zweiten Tage nicht erschienen, schöpfte die türkische Bevölkerung wieder Muth und schloss sich in grossen bewaffneten Haufen den 2000 Basibozuks an, welche aus der Umgebung der Stadt zu Hilfe kamen. Die von den fanatisirten Moslims mit Mord und Plünderung bedrohten Bulgaren verbrachten drei schreckliche Tage und Nächte, obschon die angesehenen türkischen Notabein Nurid und Machmud Bei (S. 79) sich eifrig bemühten, die aufgeregten Banden von groben Ausschreitungen zurück zu halten. Die Erlösung aus diesem peinlichen Zustande erschien in Gestalt von 2000 Mann Nizams, welche von Nikopoli heranrückten, von wo der wackere türkische Pa-tricier Küöttk Ali Bei, schleunigste Hilfe durch Eilboten dringend erbeten hatte. Eine grosse bulgarische Deputation, mit der Geistlichkeit und den Uorbasi Ibisa EfTendi, Slatan und Vacov an der Spitze, zog den türkischen Truppen dankbar entgegen, welche auf Befehl ihres Pasa in den Christenvierteln patrouillirten und die gefährlichen Basibozuks zur Ruhe verwiesen. Vier Tage später langte Osman Pasa mit 25,000 Mann von Vidin (I. Bd. S. 27) in Plevna an und begann nach einer kurzen Recognoscirung ohne Zeitverlust mit der Befestigung des nahen östlichen Höhenzuges bei Grivica. Diese sofort und später unausgesetzt glänzend bewährte Umsicht und Energie des tapferen Muschirs war dringend geboten, denn schon am folgenden 19. Juli erschienen die Truppen der durch Nikopoli's raschen Fall (S. 65) frei gewordenen ersten Brigade der 5. Division, welche Plevna besetzen sollte.*) Am 20. Morgens erneuerte der commandirende General Schilder-Schuldner den am Vortage durch eine erfolglose Beschiessung eingeleiteten Angriff, von N. her, mit drei Infanterie-Regimentern, welche unterstützt durch das anrückende Kostroma'sche Kosaken-Regiment und einige Batterien, fechtend in die Stadt eindrangen und die Grivicahöhen besetzten. Die Russen hatten es jedoch versäumt, sich rechtzeitig der grossen Vidbrücke zu bemächtigen. Dieser Umstand ermöglichte es Osman Pasa unausgesetzt Verstärkungen vom linken Ufer heranzuziehen und eine Uebermacht zu gewinnen, deren präcis abgegebenen Schnellfeuersalven und Reiterattaquen die ermatteten Angreifer bald weichen mussten. Vergebens war die Bravour der Officiere, der Kosaken, welche absitzend, mit dem Berdan-Gewehr und Säbel glänzend kämpften. Zu spät, erst als 2 Oberste und 14 Officiere todt, 1 General und nahezu 40 Officiere verwundet, an Soldaten aber 2700 Mann verloren waren, erkannte General Schilder-Schuldner, dass Plevna nicht von einem Detachcinent, sondern von einer bedeutenden Streitmacht vertheidigt wurde, und befahl in nordöstlicher Richtung den Rückzug, auf dem das 19. Regiment sein abgelegtes Gepäck einbüsste und ein grosser Theil des' Trains in Stich gelassen wurde. Die Nachricht von der erlittenen Schlappe bei Plevna, noch mehr aber die Erkenntniss, dass die gesammte mobile türkische Ostarmee ihren Flankenmarsch unbemerkt glücklich vollbracht und nur 65 Kilometer von der einzigen russischen Donaubrücke bei Svistov entfernt stehe, zwang den Grossfürst Nikolaus alle verfügbaren Truppen auf die bedrohte Linie gegen Plevna schleunigst zu werfen, an dessen starker Verschanzung Osman Pasa mit dem Aufgebot aller Kräfte arbeiten Hess. *) In der folgenden Darstellung der Kämpfe um Plevna benutete ich, abgesehen von den Schilderungen einzelner verlässlicher Augenzeugen, die Werke und Pläne von Eüstow, Horseteky, Schröder, Throta, Müller, Rogenspursky, Stuokrad und Berichte der Allgemeinen Zeitung. g * Das Coramando der zweiten Expedition gegen Plevna erhielt General-Lieute- Kampf an der Kadi-Moschee zu Plevna. nant v. Krüdener. Er verfügte über sein eigenes IX. Corps, die 30. Division, die 30. Brigade der 2. Division unter Fürst öahovskoi, 3 Brigaden Cavallerie und 160 Kanonen, zusammen etwa 35—40,000 Manu. Am 29. Juli unternahm General Krüdener eine letzte Recognoscirung um seine Dispositionen für den nächsten Tag zu treffen. Der Plan bestand darin, dass General Loskareff den türkischen nördlichen Flügel bei Bukova, Krüdener selbst das feindliche Centruru bei Grivica, und Fürst Sahovskoi die türkische Südstellung bei Radicevo angreifen sollten; Ca-vallerie-General Skobeleff mit der kaukasischen Kosaken-Brigade und 2 reitenden Batterien wurde aber beauftragt am äussersten linken Flügel, von Bogot aus, das Eingreifen des türkischen Lovacer Detachements zu verhindern. Den 30. um 5 Uhr Morgens begab sich General Krüdener nach der Höhe, von welcher er den Angriff leiten wollte. Es war ein düsterer neblichter Tagesanbruch, ein kühler feuchter Wind blies Uber das kahle Hochplateau von Grivica, auf dem gegen 9 Uhr sich die kreuzenden russisch-türkischen Geschosse begegneten. Um dieselbe Stunde drang das Kanonenfeuer vom rechten Flügel herüber, welcher einen Angriff von 6 Tabors Infanterie und 1 Tscherkessen-Escadron zurückgewiesen hatte. Fürst Sahovskoi, der sehr zeitlich aufgebrochen und Uber Pelisat marschirt war, hatte gleichfalls bereits seine Artillerie auf den südlichen Höhen bei Radicevo das Feuer eröffnen lassen, um die von Krüdener's Batterien in der Front angegriffenen Südostwerke im Rücken zu fassen. Da dies jedoch wegen der allzu-grossen Entfernung nicht genug wirksam gelang, Hess Sahovskoi das tief im Einschnitte liegende Dorf Radicevo durch seine Infanterie besetzen und sodann auf dessen nördlichen Höhen 40 Geschütze dieselben Stellungen nehmen, aus welchen Emin Bei kurz zuvor seine vorgeschobenste Artillerie in die südöstliche Hauptfronte bei Kajalik zurück zu ziehen gezwungen war. Gegen diese durch das russische Feuer erschütterten Verschanzungen unternahm um i Uhr die von Radicevo den Abhang hinabsteigende Infanterie, von einigen Schützenbataillonen unterstützt, den Sturm. Unter einem verheerenden Geschütz- und Gewehrfeuer vorgehend, entspann sich hart an den Linien, namentlich um beide Redouten, ein wüthender Kampf, welcher mit dem Rückzüge der Türken in ihre Reserve-Stellungen auf den letzten, nur 2 Kilometer von Plevna entfernten Höhen endete. In Folge dieses siegreichen Vordringens seines linken Flügels, gab Krüdener dem Centrum und rechten Flügel den Befehl die türkische Nordostfronte anzugreifen. Beinahe gleichzeitig um 24/a Uhr gingen die Generale Veljaminoff und Schilder-Schuldner mit ihren Divisionen von Nord und Ost gegen die stark befestigten Werke der Grivica-Stellung vor, was die über sie hinwegschiessende Artillerie ihnen zu erleichtern suchte. Die Türken feuerten anfänglich sehr massig, doch als die russischen Colonuen in ihren auf dem Vorterrain markirten wirksamen Feuerbereich gelaugten, überschüttete sie ein gut geleiteter Geschoss-Hagel aus Snyder- und Martini-Gewehren, welche die oft zurückweichenden, immer aber wieder vorgehenden tapferen Angreifer zu Hunderten und Tausenden niederstreckte. Insbesondere erlitten die hcldcnmüthigen Regimenter Tamboff und Reusa ungeheure Verluste; die achtmal stiinnende junge Mannschaft des letzteren wurde beinahe gänzlich aufgerieben. Ohne erhebliche Wirkung versuchte Loskareff von Westen her durch kühne Flankenangriffe seiner reitenden Artillerie und Cavallerie der furchtbar leidenden Infanterie Luft zu machen. Der Misserfolg war nicht mehr aufzuhalten; die Ordnung war gelöst, jedes Bataillon, jede Rotte kämpfte planlos im buntesten Gemenge auf eigene Faust. Anfangs glücklicher als der rechte Flügel, war Fürst Sahovskoi, nachdem er seinen ermüdeten Truppen kurze Rast gegönnt, um 6 Uhr zur Wegnahme der türkischen Südost-Reservestellung geschritten. Aber auch hier zwang das mörderische türkische Feuer die Infanterie, welche mit grosser Bravour den ersten verschanzten Abhang erklommen hatte, zum Aufgeben des tollkühnen Beginnens. Man kämpfte Brust an Brust. Wie im Centrum das einzige intact gebliebene Reserve-Regiment Kolomna, ging Sahovskoi's letztes Reserve-Regiment Surpuhoff zum letzten Sturme vor. Vergebens und gleich erfolglos war auch Skobelcffs Versuch , dem rechten Flügel bei Krsin durch sein entschlossenes Vorgehen zu Hilfe zu kommen. Von den zur Offensive schreitenden Türken aus einer Stellung in die andere mit riesigen Verlusten zurückgedrängt, vermochte Sahovskoi seine in voller Auflösung begriffenen Truppen erst auf den Höhen südlich von Radicevo zu sammeln. 500 Mann von der ersten Brigade der 32. Division, welchen es glückte entlang der Tueenica in die südliche Vorstadt Plevna's einzudringen, wurden dort sämmtlich niedergemetzelt. Gegen Sonnenuntergang erliess General v. Krüdener die Dispositionen für den Rückzug. Der rechte Flügel und das Centrum sollten über Vrbica nach Bresljan, Sahovskoi auf Pelisat marschiren, Skobeleff, welcher sich nach Bogot zurückgezogen, dort verbleiben, alle Truppentheilc also ihre Stellungen vom Frühmorgen wieder einnehmen. Einige Abtheilungen kämpften noch trotz der einbrechenden Nacht weiter, unter deren Schutze die Basibozuk's ihr gräuliches Handwerk, die Plünderung und Niedcrmetzelung der verwundeten Russen begannen. Am nächsten Morgen versuchte das von Svistov über Vrbica anrückende Regiment Vorones mit einigen intacten Abtheilungen, ohne Befehl von dem inTrestenik weilenden Krüdener, einen natürlich ganz fruchtlosen Angriff auf die türkische Nordostfronte, welcher die russischen Verluste noch um einige Hundert Mann vermehrte. Im Ganzen betrugen sie 170 Officiere und 7000 Soldaten! Hätte Osman Pasa seinen riesigen, mit verhältnissinässig geringen Opfern errungenen Erfolg energisch ausnützen können, welche Wendung würde der ganze Feldzug genommen haben? Er kannte jedoch seine Truppen und wusste, so tüchtig sie hinter Wällen waren, so wenig hätten sie den Kampf im offenen Felde mit dem tüchtiger exercierten Gegner aufzunehmen vermocht. So äusserte sich der Rückschlag dieser Schlacht zunächst nur in einer furchtbaren, durch versprengte Kosaken hervorgerufenen Panik, welche ihren Weg über Svistov bis Bukarest nahm. In der Meinung die Türken seien im Anzüge Hessen die Fahrleute ihre Trains im Stiche und suchten mit Tausenden von Flüchtigen über die Svistover Kriegsbrücke oder auf Kähnen den rumänischen Boden zu erreichen, wobei Viele verunglückten. Im Hauptquartier zu Tiruovo bewirkte die Hiobspost von Plevna den Entschluss dasselbe nach Bela zurückzuverlegen. Dort wurden in einem grossen Kriegsrathe die kräftigsten Massnahmen beschlossen (1. Bd. S. 150), um.Osman Pasa aus seiner festen, durch fortgesetzte Arbeiten täglich mehr in ein riesiges verschanztes Lager sich verwandelnden Stellung zu vertreiben, welche die Eroberung des hochwichtigen Strassenkuotens Plevna uud West-Bulgariens bedeutend zu erschweren drohte. Während dem gezwungenen Stillstande der Operationen vor Plevna, bis die aus Bussland beorderten Verstärkungen eingetroffen und die zur Action herangezogenen 4 rumänischen Divisionen ihren Aufmarsch beendet hatten, führte G. L. Cotoff den Oberbefehl. Mitte August beschrieb der russische Beobachtungsgürtel eine 1 Meilen lange, bogenförmige Linie vom nördlichen Kiben am Vid, über Kujulovcc und Pelisat bis Bogot, mit den Reserven beim 3 Meilen entfernten Pordim. Während dieser zwei wöchentlichen Kampfpause legte Osman Pasa die Verschanzungen auf dem „Grünen Berge" und die später den Rumänen viel Blut kostende zweite Grivica-Redoute an. Am 14. August unternahm Osman einen schwachen Ausfall, am 22. brach sein Lovacer Detachement ebenso erfolglos gegen Selvi vor (I. Bd. 213); es war dies das einzige Zeichen eines vielleicht nur zufälligen operativen Zusammenwirkens der 'drei türkischen Heerführer, denn gleichzeitig mit Osman griffen auch Suleyman und Mehemcd Ali die russischen Stellungen am Sipka und oberen Lom an. Ein zweiter kräftigerer Ausfall Osman's am 31. Augustmorgen gegen SO. .auf die verschanzten russischen Stellungen bei Pelisat und Sgalevica wurde kräftig zurückgewiesen. Lovca's Einnahme am 3. Sept. isolirte Osman gänzlich auf dem rechten Vidufer und gleichzeitig erschien russische Cavallerie auch am linken, um Plevna's Verbindung mit Sofia zu unterbrechen. Das Eintreffen des zum Oberbefehlshaber der russisch-rumänischen Truppen vor Plevna ernannten Fürst Karl von Rumänien bezeichnete die energische Aufnahme der Offensive gegen dasselbe. Am 5. September recognoscirte Fürst Karl, welcher über 40,000 Russen, 25,000 Rumänen und einen riesigen Feld- und Belagerungspark verfügte, die feindlichen Positionen, in welchen 50,000 Türken mit etwa 90 Feldgeschützen standen. Der dritte Augriff auf Plevna wurde am 7. mit einer Kanonade aus 20 schweren und 88 Feldgeschützen eingeleitet. Die Rumänen standen auf dem rechten, Fürst Imeretinski mit 20,000 Mann am linken Flügel und CotofFs IV. Corps im Centrum. Nachdem der nächtliche Batteriebau auf 1600 M. vorgeschoben, wirkten am 9. nahezu 180 Ceschütze gegen Plevna. Das Feuer wurde auch des Nachts fortgesetzt, um die Ausbesserung der Werke zu hindern. Am 10. ermattete der Artillerie-Angriff in Folge der vielen defecten Lafetten und Munitionsmangels, der wegen eingetretenem Regenwetter schwer zu heben war. Obschon das viertägige Bombardement die türkischen Positionen wenig beschädigte, wurde der ungenügend vorbereitete Sturm auf dieselben für den 11. September^ den Namenstag des Kaisers angeordnet, welcher das blutige Drama von einem bei Radicevo errichteten Observatorium verfolgte. Es lag im Plane, dass während des fortgesetzten Feuers, um 3 Uhr Nachmittags, die Sturm-colonnen plötzlich gegen die überraschten und ermüdeten Vertheidiger losbrechen sollten. Der vorzeitige Angriff des Centrums störte jedoch diese Disposition. Die Avantgarde des linken Flügels unter Skobeleff, beauftragt, die durch Laufgräben verbundenen starken Redouten nördlich von Krsin wegzunehmen, hatte sich der Vorhöhen und am 11. Morgens auch der letzten Kuppe zwischen Brcstovec und dem Tuöenicabache bemächtigt. Das sich bei diesem Anlasse mit den nahen türkischen Schützengräben entspinnende heftige Gewehrfeuer verleitete die in vorderster Linie des CotofFsehen CentrunrS stehenden, für 3 Uhr zum Angriff disponirten Regimenter Jaroslav und Uglic, ohne höheren Befehl, schon Mittag gegen die Radicevo-Redouten vorzubrechen, deren verheerendes Feuer sie jedoch mit grossen Verlusten zurücktrieb, wobei sie die, wie befohlen, um 3 Uhr zum Angriff vorgehenden Regimenter Kazan und Suja mit in die grösste Verwirrung brachten. Auch die ihnen um 4 Uhr aus der Reserve zu Hülfe eilenden Regimenter Galic, Koslov und Vorones wurden durch das heftige Feuer deeimirt -cworfen. Mit Sturmleitern versehen, gingen diese Braven mit grösster Bravour geradeaus gegen den Graben vor, klammerten sich auf drei Seiten der Redoute fest; doch das feindliche Repetirgewehrfeuer streckte sie rotten weise nieder und geschlagen traten sie den Rückzug an. Dieser total missglückte Angriff kostete den betheiligten 7 Regimentern: 119 Officiere und 5200 Mann. Auch die Action des rechten Flügels gestaltete sich nur wenig glücklicher. Unter des Kaisers Augen irriffen Rumänen und Russen vereint gegen 4 Uhr die am meisten vorspringende mittlere Redoute der Grivicafronte an, ihre mit Sturmleitern versehenen Abtheilungen wurden aber an der Contre-Escarpe des Grabens bis zum letzten Officier und Mann getödtet. Erst nach längerer Gefechtspause gelang es dem 2. Jäger -i Bataillon unter Major Poperku und dem 16. Dorobanzen-Regiment in die Redoute einzudringen, von Süden her erstieg das Regiment Arhangel die vom Regen schlüpfrige Brustwehr, wobei Oberst Schmettler, ein Adjutant des Kaisers fiel, als er eine Fahne auf den Wall pflanzte; auch das Regiment Vologda stürmte durch die Kehle in das Werk, dessen Eroberung den Rumänen 56 Officiere und 2500 Mann, den Russen 22 Officiere und 1300 Soldaten nur allein an Todten kostete. Während dieser Vorgänge nahm Skobeleff mit dem Einsatz aller Reserven die mittlere und östliche Krsin-Redoute, deren Brustwehren er ohne Schanzzeug des Nachts mit Bajonneten, Feldgeschirr u. s. w. gegen den Feind kehrte und deren Kehlen er mit Leichen schloss. Von Osman Pasa am nächsten Tage mit Ueber-macht angegriffen, musste Skobeleff, ohne Verstärkungen gelassen, die eroberten Positionen räumen und durch das einzige ihm zugesandte Regiment Suja gedeckt, zurückgehen. Alle Anstrengungen der Türken, durch dreimaliges nächtliches Stürmen auch in den Wiederbesitz der verlorenen Grivica-Redoute zu gelangen, waren vergeblich. Diese einzige festgehaltene Frucht des gewaltigen Ringens am 11. September bezahlten die Alliirten mit dem Riesenopfer von 16000 Mann an Todten und Verwundeten. Wohl aber hatte die junge rumänische Armee an diesem Tage alle gegen ihre Feldtüchtigkeit erhobenen turkophilen Zweifel beseitigt und durch die bewiesene Ausbildung und Bravour mit einem Schlage den europäischen Heeren sich ebenbürtig erwiesen. Erst, nachdem ein erneuter tollkühner Angriff der Rumänen am 17. September auf die zweite Grivica-Redoute abgeschlagen wurde und die Russen in ihren drei niissglückten Angriffen gegen 30,000 Soldaten, sowie mehrere Hundert Officiere vor Plevna verloren hatten, verzichtete die oberste Heerleitung auf dessen gewaltsame Eroberung. Sie gestattete dem zu seiner Bewältigung berufenen genialen Todleben, das unerschütterte Bollwerk durch strengste Einschliessung und Aushungerung seiner, den Stolz ihres Volkes bildenden, auch der ungetheilten Bewunderung Euro-pa's sich erfreuenden, heldenmüthigen Vertheidiger zu bewirken. Der Sultan hatte Osman, welcher des Caren halbe Armee bei dem kurz zuvor kaum dem Namen nach gekannten Plevna festgenagelt, den Titel eines „Ghasi" (siegreichen Glaubenskämpfers) beigelegt, die Magyaren sandten ihm Adressen, einen prächtigen Ehrensäbel und forderten zur Degagirung der tapferen Plevnaer Armee, in zahllosen Meetings, die österreichisch-ungarische Kriegserklärung an Russland. Es blieb jedoch bei diesen wirkungslosen platonischen Sympathiebeweisen; sie vermochten nichts an dem Schicksale Osman's und Plevna's zu ändern, das mit der von Todleben inscenirten klugen Tactik für alle Einsichtigen nur mehr eine Zeitfrage, sonst aber bereits unabänderlich entschieden war. Unter Todleben's Leitung, welcher als Gehttlfe des Fürsten Karl functionirte, rückte die Cernirungslinie immer näher den türkischen Befestigungswerken, während Osman Pasa nicht versäumte, diesen durch fortgesetzte Arbeiten einen permanenten Charakter zu verleihen. Plevna's mit 50,000 Mann und 100 Geschützen bewehrter Vertheidigungsgürtel hatte eine Ausdehnung von 36 Kilometer. Seine nach Tewfik Pasa's Anordnungen erbauten Werke erstreckten sich im ersten nördlichen Abschnitte von Opanec am Vid bis Bukova, mit 4 geschlossenen Schanzen, denen, da diese Position nie ernstlich angegriffen wurde, die Infanterielinien fehlten, welche nach Bedarf in den anderen Abschnitten allmälig angelegt wurden. Das grösste polygonale Werk mit einem Flächenraum von 9000 QM. enthielt bedeckte Räume für Stäbe, Mannschaften, Magazine, ja sogar Pferdeställe. Den Schlüssel der anschliessenden 2. östlichen Grivica - Stellung bildeten die auf dem östlichen Ausläufer des Kammes liegende Bedeute I und die etwas nördlichere Bedoute II, beide mit der Nord-Position durch 1 kleinere Redouten und Infantericlinicn dazwischen verbunden. Vor letzteren lagen, wo es das Terrain erforderte, Jäger- und vor diesen noch Schützengräben, so dass sich hier, wie bei den meisten Abschnitten, oft drei- bis vierfache Feucrlinien ergaben. Der folgende 3. südöstliche, durch die Grivicalinie und die Tueenica-Steilschlucht gut gesicherte Radicevo-Abschnitt zählte vier Redouten, von welchen zwei, vorliegende, in die Contre-Escarpc eingeschnittene bedeckte Wege besassen. Im südlichen, nach Olcegas am Vid laufenden 4. Abschnitt befand sieji die türkische Reservestellung mit dem verschanzten Lager; zwölf Redouten in erster, zwei in zweiter Linie vertheidigten ihn. Namentlich stark war der „grüne Berg" zwischen Krsin und der Tucenicaschlucht befestigt, um den in dieser Richtung kürzesten Weg nach Plevna zu sperren. Die drei Rcdouten dieser Position verbanden Laufgräben mit Infanterie-Linien und Erdhütten. Auf dem westlichen Vidufcr besassen die Türken keine Werke. Die auf verschiedenen Plänen dort angegebenen sind fictiv, die entfernteren bei Dabnik und Telis aber erst im October errichtete isolirte Anlagen, welche zuletzt allerdings mit Plevna in telegraphischem Rapport standen. Von den türkischen Linien durchschnittlich 2 Kilometer entfernt, dehnte sich die russische Cernirungskettc 70 Kilometer lang aus, gesichert durch eine Linie von Schützengräben, verschanzten Batterien, Lunetten, und Redouten an den wichtigsten Punkten. Zwischen den einzelnen Stellungen waren Verbindungsstrassen angelegt, Wegweiser erleichterten allerorts das Auffinden derselben und Telegraphen liefen vom Hauptquartier nach den 6 selbständigen Positions-Abschnitten. Diese erstreckten sich: 1. von der Stellung bei Bivolar am Vid bis zur Grivica-Redoute unter dem Commandern- des Rumänischen Corps Cernat, 2. von der Grivica- zur Galic-Redoute, östlich bei Radicevo, G. L. Krüdener, 3. von der Galic-Redoute bis zur Tucenicaschlucht, G. L. Cotoff, 4. von der Tueenica bis Kirtosabene, G. L. Skobeleff, 5. von Kirtosabene bis Trnen am Vid, G. L. Katalei, und 6. vom linken Vidufer bis zur Position Bivolar auf dem rechten, G. L. Ganiecki. Die Streitmacht in diesen 6 Abschnitten betrug Mitte November gegen 120,000 Combattanten mit 500 Geschützen und ihre 0 Befehlshaber besassen genaueste Weisungen für die verschiedenen möglichen Fälle von Durchbruchsversuchen der belagerten Plevnaer Besatzung. Osman Pasa benutzte so lange als möglich die westliche Einschliessungslücke, um aus dem Donaugebiete und aus Transbalkauien Mittel jeder Art für seinen Widerstand zu beziehen. Trotzdem nun Loskareff in der ersten Septemberhälfte und später Kryloff mit 7000 Reitern dieses bequeme Thor zu schliessen versuchten, führte Schefket Pasa am 22. September 10,000 Mann und einen viele Tausend Wagen starken Convoi mit Vorräthen nach Plevna, wohin selbst noch am 9. Oktober ein schwächerer Transport von 5000 Mann glücklich gelangte. Um sich die Chaussee nach Sofia, wo eine Entsatzarmec sich organisirte, dauernd zu sichern, Hess Osman die Etappen-Orte Lukovic, Radomirce, Telis, Gorni-und Dolni-Dabnik befestigen. Am 19. Oktober machten die Rumänen einen neuen Versuch mit Sturm sich der wichtigen Grivicastellung zu bemächtigen. Die 4. Division, welche bereits viermal im Feuer gestanden und die Annäherungsarbeiten grossentheils ausgeführt hatte, beanspruchte die Ehre des Angriffs. Eine Genie-Compagnie, eine Dorobanzen-Abtheilung mit Schanzkörben, Faschinen u. s. w. als Tete, der ein Jäger-Bataillon folgte, und das 5. Linien-Regiment als 2. Treffen, verliessen um 7S2 Uhr die 4. Parallele, deren rechter Flügel 50, und deren linker nur 20 Meter von der feindlichen Redoute entfernt war. Nach Zurücklegung der kurzen Strecke warf sich die Mannschaft in die Gräben, wo sich sofort ein heftiger Kampf mit den die Aussenlinie ver-theidigenden Türken entspann, deren Batterien wirksam in denselben eingriffen. Trotzdem mussten die Vertheidiger sich in die Redoute zurückziehen. Immer blutiger wurde das Ringen und einen Augenblick schien es, als könnten die todesmuthig kämpfenden Rumänen sich in den Besitz des Werkes setzen. Durch den gedeckten Weg anlangende, frische türkische Truppen machten dies aber unmöglich und unter einem vernichtenden Geschosshagel suchten die Angreifer ihre Parallelen gegen 4 Uhr zu erreichen. Um 6 Uhr versuchte eine andere aus dem 7. Linien-, den 13. und 24. Dorobanzen-Regimentern formirte Colonne einen neuen Angriff, protegirt durch Oberst Herkt's Artillerie, welche Bukova in Brand schoss und viele Brustwehren niederlegte. In den Gräben erwarteten jedoch 4 Reihen Bajonnette die Stürmenden, deren Leichen sie bald erfolglos füllten, denn sie thürmten sich doch nicht hoch genug, um den Ueberlebenden das Erklimmen der feuerspeienden Wälle zu ermöglichen. Erst gegen 9 Uhr traten die erschöpften Truppen den Rückweg an. Ihre Verluste betrugen: 2 Officiere, 287 Mann todt, 22 Officiere, 928 Mann verwundet, jene der Türken gegen 600 Mann. Dieser blutige Kampf um die zweite Grivica-Redoute und ein kleinerer am 3. November, in dem es General Skobeleff glückte, begünstigt von Nebel und nächtlichem Dunkel, sich nur 250 M. von den türkischen Trancheen des „Grünen Berges" entfernt, zu verschanzen, schlössen die directeu Angriffe auf die Plev- naer Werke. Alle Anstrengungen der Russen zielten nunmehr dahin ab, Osman auch von Westen her gänzlich zu isoliren, eine Aufgabe, welche des energischen Gurko's Gardecorps durch die Eroberung von Gorni Dabnik am 24. Oktober wirksam einleitete und G. L. Ganecki's Grenadiercorps durch die Besetzung de» ganzen Terrains zwischen Trnen und Bivolar am linken Vidufer vervollständigte. Als nun General Gurko mit 60,000 Mann Kerntruppen auf der Sofiaer Strasse zur Verhinderung jedes Entsatzversuches vorrückte, richtete Grossfürst Nikolaus an Osman Pasa die Aufforderung zur Uebergabe. Seine Antwort lautete: die mili-tärische Ehre gebiete ihm die Vertheidigung bis auf's Aeusserste fortzusetzen. Ihr nahes Ende war vorauszusehen. Man wusste, dass es Mitte December an Munition, an Brot, Winterkleidern, Arzneimitteln u. s. w. vollkommen mangeln musste, zudem waren die trostlos aussehenden Spitäler mit Verwundeten und täglich' zuwachsenden Kranken überfüllt. Die Besitznahme der nach Sofia führenden Balkanpässe schnitt Osman die letzte Aussicht auf Hülfe von Aussen ab; es blieb ihm nur der verzweifelte Versuch eines Durchbruches nach Westen. „Um der Soldatenehre willen" sollte das Drama von Plevna nicht mit einem zahmen Capitulationsschluss, sondern mit einem brillanten Effecte enden! Osmans Absicht erratheud, traf General Todleben die entsprechenden Vorkehrungen. Am 9. December meldeten die Vorposten, dass dicht neben der ChaussCebrücke eine neue über den Vid geschlagen werde, ferner, dass zwischen diesem und der Stadt grosse Truppenmengen und Fahrparke sich sammeln; des Nachts verriethen Uebcrläufer, dass die zweite Grivica-Redoute, sowie jene bei Krsin geräumt und auch die Besatzungen der übrigen Werke, bis auf geringe Abtheilungen, massirt worden seien. In Wahrheit wollte Osman mit wuchtigem Stosse den Durchbruch versuchen. In der Nacht vom 9. zum 10. standen 30,000 Mann, welche Tausende Fahrzeuge mit flüchtigen moslimschen Einwohnern in die Nachhut aufnahmen, westlich der Vidbrücken. Von dem Feuer seiner Batterien am rechten Ufer unterstützt, rückte dieser eherne Keil bei Tagesanbruch gegen die Logements der 3. Grenadier-Division bei D. Dabnik vor, erstürmte sie sammt zwei Redouten und nahm 8 Geschütze. Der innere Cernirungsgürtel war gelockert, seine äusseren Ringe aber schlössen rechtzeitig einen noch engeren Feuerkreis um die heroische Kraft, welche so lange rühmlich widerstanden hatte. Eintreffende russische Verstärkungen drängten schon um 10 Uhr die Türken aus der eroberten Position gegen die Vidbrücken zurück. Während dort die 2. und 3. Grenadier-Division todesmuthig den Angriff der gesammten türkischen Armee aushielten, waren Rumänen und Russen, ohne ernstlichen Widerstand zu finden, in Plevna's Werke eingedrungen, und marschirten, nachdem die Rumänen um 10 Uhr unter des Kaisers Augen die Stadt besetzt, auf dessen persönlichen Befehl, gemeinsam in den Rücken des Feindes. Von allen Seiten durch überlegene Kräfte bedrängt, gab Osman den Kampf auf und schritt zur Capitulation. Der auf dem linken Vidufer commandirende General Ganecki forderte von dem als Unterhändler entsandten Generalstabschef Tewfik Pasa die unbedingte Ueber-gabe der gesammten Armee, und nahm, als Osman zustimmte, den Degen seines verwundeten Gegners entgegen, dessen Heroismus der russische Kaiser durch die persönliche Zurückstellung der heldenmüthig geführten Waffe ehrte. Der siegreiche 10. December wurde durch ein Hochamt mit Parade, vor dem alle Leiden seiner Truppen theilenden Car Alexander und dem tapfer ausdauernden Fürsten Karl, im Beisein der ausgezeichneten Führer der alliirten Heere, gefeiert. Die Rumänen hatten an diesem Tage nur geringe Verluste zu beklagen, weit grössere aber die Russen, welche 1 General, 54 Oberofficiere und 1670 Soldaten . einbüssten. Der missglückte „der Ehre wegen" unternommene Durchbruchsversuch kostete den Türken 6000 Mann. In russisch-rumänische Gefangenschaft fielen, abgesehen von 10,000 Kranken, 10 Pascha's, 128 Stabs-, 2000 Ober-Officiere und 45,000 Mann. Erbeutet wurden neben zahlreichen Fahnen, 77 Geschütze und grosse Mengen Infanterie-Munition. Den Capitulationsact und seine Begegnung mit Osman schildert General Todleben in einem an den belgischen Genie-Inspector G. L. Brialmont am 18. Januar 1878 gerichteten Schreiben in derselben objectiven hochinteressanten Weise, wie sie dem Autor gegenübertrat, als er im September 1879 zu Odessa die Ehre hatte, sich mit dem gefeierten General Uber den bulgarischen Feldzug zu unterhalten. Die Stelle lautet: „Nach der Capitulation vom 28. November (10. December) kam die Armee Osmans, die Gewehre ablegend, in Trupps, schweigsam und würdevoll, sich unter der Bewachung unserer Truppen zu ordnen. Kaum erkannte man in diesen Leuten dieselben Soldaten, die soeben noch uns einen so hartnäckigen Widerstand geleistet hatten. Ruhig und ergeben, schienen sie dankbar für die kleinste Freundlichkeit, deren Gegenstand unsererseits sie waren. Die türkischen Officiere versicherten einmüthig, dass die Armee von Plevna eine Elite-Truppe gewesen wäre, und dass von dem Augenblicke an, wo sie gezwungen gewesen sei, die Waffen niederzulegen, die anderen Armeen des Sultans nicht im Stande sein würden den Widerstand zu verlängern. An Ort und Stelle gelangt, fand ich Osman Pasa leicht am Bein verwundet, in seinem Wagen sitzend, seinen Arzt sich gegenüber. Er antwortete auf meine verbindliche Anrede: er habe sein Möglichstes gethan, seine Pflicht zu erfüllen; aber alle Tage seien nicht Glückstage. Er fügte hinzu, dass es für ihn ein Trost wäre, wenigstens auch verwundet worden zu sein. Osman ist ungefähr 45 Jahre alt, von mittlerer Grösse, mit intelligentem, sogar sympathischem Gesichtsausdruck. Seine Haltung war voll Ruhe und Würde, ohne es dabei je an Artigkeit fehlen zu lassen. Ich hatte nachmals Gelegenheit, mich mit ihm mehr zwanglos zu unterhalten. Ich fragte ihn: ob ihm Anfang October bekannt gewesen wäre, dass wir Verstärkungen erhalten hätten, seine Verbindungen bedrohend, selbst bevor wir noch den Vid überschritten. — Er antwortete mir bejahend. — Ich machte ihm darauf bemerklich, dass ich gewärtig gewesen wäre, ihn diesen Moment ausnutzen zu sehen, um Plevna zu verlassen und sich mit seiner Armee auf der Chaussee von Sofia nach den Balkan-Uebergängcn hin zurückzuziehen. Er würde so nicht nur seine Armee haben retten, sondern den Marsch der unsrigen abermals in Stellungen aufhalten können, die sicherlich an Stärke derjenigen von Plevna nichts nachgegeben hätten. Osman erwiderte, dass er zu dieser Zeit noch Lebensmittel in Ueberfluss gehabt habe, dass ein vorzeitiger Rückzug seiner militärischen Ehre zuwider gewesen wäre, und überdies seine Verurtheilung in Constantinopel herbeigeführt haben würde. Uebrigens erwartete er ganz gewiss einen entscheidenden Sturm unsererseits, den er sehnsüchtig herbeiwünschte, sicher, ihn zurückschlagen zu können, um uns, Dank der seinen Verschanzungen gegebenen Ausdehnung, noch viel beträchtlichere Verluste, als die von uns am 30. und 31. Aug. (11. und 12. September) erlittenen, zuzufügen. Unter dem günstigen Einflüsse solches Sieges erachtete er sich für unzweifelhaft im Stande, Plevna vor Erschöpfung seiner Vorräthe verlassen zu können. Osmans Generalstabs-Chef, Tewfik Pascha, muss die Anordnung der Verschanzungen von Plevna zuerkannt werden. Ueber die Methode befragt, nach welcher er dabei vorgegangen wäre, erwiderte er, dass er sich nur von der Erfahrung habe leiten lassen. Vier Tage nach dem Falle des Platzes verliessen die Truppen der Ein-schliessungs-Armee in vollkommen gutem Stande und ganz -vollzählig Plevna, um die Operationen General Gurko's auf der Strasse von Sofia und diejenigen des General Radetzki gegen Sipka und Kazanlik zu unterstützen." Die Stadt Plevna erlitt durch die lange Belagerung nur sehr geringen Schaden; mehr hatten ihre Bewohner moralisch zu leiden gehabt, namentlich aber die christlichen, unter dem Vorwurfe von Sympathien für den moskovitischen Gegner. Gegen 70 Türken, welchen grobe Unthaten gegen die bulgarischen Stadtbewohner nachgewiesen wurden, wanderten nach Sibirien, viele emigrirten, und wie in allen Städten des jungen Fürstenthums ist zunächst auch in Plevna ein Sinken der Seclenzahl und des Wohlstandes zu verzeichnen. Als ich am Nachmittage des 9. Juli 1871 vom Kajalik- Castell an den Osthängen des „Grünen Berges" nach Bogot ritt, ahnte ich nicht entfernt, welche europäische Berühmtheit er durch des kühnen Skobeleff's Thaten erhalten sollte, gleich wenig auch, dass sechs Sommer später der mächtige Russencar in einem der armseligen Häuschen von Bogot seine Wohnung aufschlagen und von dort ein hohes Zeichen huldvoller Anerkennung; meiner bescheidenen Verdienste um Bulgariens geographische Erforschung mir senden werde!—Mich fesselte damals nur der romantische Reiz des Tucenica-Defile's, dessen tertiäre, plattig brechende gelbweisse Kalke mit kleinen Austern u. s. w. unter dem dichten, farbigen Pflanzengrunde seiner kühlenden Buchen- und Eichenwäldchen verschwanden. Aus dem Defile heraustretend, erklimmt der Weg nach Bogot sofort ein weites, vom Vid zum Osem streichendes Hochplateau. Dort gewann die Sonne wieder Macht und schattige Stellen erschienen bald eben so selten wie Culturen. Nur nahe bei den spärlichen Orten erschien der Boden bearbeitet, er gehörte grösstenteils dem Fiscus, der ihn beinahe ausschliesslich an Viehspeculanten zur Weide verpachtete» Der Weg verlor sich in ausgedehnten Eichengestrüppwäldern, welche verwildert, einen traurigen Eindruck machten. Kurz vor Bogot kostete es viele Mühe, aus einem derartigen Dickicht, in dem wir überdies den kaum kenntlichen Pfad verloren hatten, heraus zu kommen. Nach kurzem Halte in dem von Bulgaren und Zigeunern bewohnten Dorfe gelangten wir auf die Wasserscheide, welche in das Osemthal hinüberführt, und bald lag es, gegen S. von der hohen Balkankette begrenzt, in vollster Sommerpracht, den reichsten Jahressegen verheissend, vor uns da. Durch die heitere Scenerie belebt, setzten wir unseren Marsch nach Zlkova fort. Dort stiessen wir auf die neue Fahrstrasse, welche bequem von Plevna Uber Brestovec und Bogot nach Lovec führt. Noch bevor die Sonne niederging, erreichten wir diese Stadt, in deren bereits geschildertem „Dzambas hadzi han" einige telegraphisch verständigte Freunde unsere Ankunft erwarteten. Der nächste Tag verfloss in notwendigen Vorbereitungen für eine meiner interessantesten Balkanpassagen. Nicht allein Dr. Geisser, auch mehrere Lovecer Honoratioren wollten mich auf den halben Weg nach Trojan begleiten. Früher sollte aber noch ein bulgarischer Photograph, der einzige Künstler der Stadt, unsere Caravane verewigen. Der Process lief, bei der Schwierigkeit der Aufstellung zu Pferde in dem kleinen Hofe nicht ohne allerlei scherzhafte Zwischenfälle ab, deren ich mich mit Vergnügen wieder erinnerte, als der übersandte Abdruck nach langer Zeit mir zukam. Zur bestimmten Aufbruchstunde fand sich mein buntes Geleite vollzählig ein. Seinen wertvollsten Bestandteil bildete für mich Hadzi Kalcov, ein Bürger von Trojan, der in sein Städtchen zurückkehrte und um die Erlaubniss bat, mich dahin führen zu dürfen. Ich stimmte um so lieber zu, als der mit scharfem Verstände und seltener Ortskenntniss begabte Mann ineine Zwecke bedeutend fördern konnte. Die Sonne war kaum in das Osemthal gedrungen, als unsere neun Pferde den Fluss bei Lovec's Drestine Mahle durchfurtheten. Der Hisar-berg deckt die Stadt hier vollkommen. Nachdem wir viele Osemcurven gekreuzt, öffnete sich das schöne N.S. streichende Thal und wir gelangten auf die gute Strasse nach Trojan, welche ein Lovecer Moslim — Allah öffne ihm dafür den Weg zu allen Paradiesesfreuden — aus eigenem Sacke gebaut hatte. Jedenfalls wirkte sein gemeinnütziges Werk weit erspricsslicher für Leute aller Confessionen, als das jenseits am Ausgange des Defile's, jetzt in Ruinen liegende, ausschliesslich für Christen gestiftete Kloster es einst vermochte. Obwohl dieses „Zagreb ma-nastir" kunsthistorisch ohne jegliches Interesse ist, fürchte ich, dass es bei der in Bulgarien herrschenden Kloster - Restaurationswuth bald seine Auferstehung feiern könnte. Strassenbauten waren aber für das Land zweifellos von grösserem Nutzen und des wackern Panin Oglu's Beispiel sollte recht viele Nachahmer finden. Die seit einigen Jahren durch den polnischen Ingenieur Zimanski noch verbesserte Strassentrace läuft bald hart am linksseitigen Uferrande, bald in dessen sich ausweitender Fläche und wieder auf den sie einschränkenden Bergspornen. Das rechtsseitige Ufer zeigt Hieven gegenüber stark zerklüftetes Gebirge, an dessen jenseitigen Hängen die Selvi-Lovecer Strasse zieht. Weiter bei Ablanica (türk. Arapli) gewinnt die Landschaft freundlicheren Charakter; Obstculturen und Getreidefelder verkünden den Fleiss der in kleinen Querthälern versteckt nistenden christlich-moslimschen Orte. Es herrscht hier durchgehends das System der Wechselwirthschaft, in einem Jahre wird Getreide, im zweiten Mais gebaut; der Boden lohnt reichlich, denn das Osemthal zählt zu den fruchtbarsten der nördlichen Balkanregion. Nach zweistündigem Ritte hielten wir am Ablanica han. Er steht hart an der Strasse, wo dicht neben ihm das von einem Steinbogen überspannte Dorfwässer-chen in den Osem mündet Der mehr pittoreske, als comfortable Han verfügte nur über einige Eier und etwas Schwarzbrot; seine reizende Lage zwischen hohen Bäumen, am Hange üppiger Bergmatten, forderte aber Dr. Geisser und mich zu einem Wettzeichnen heraus. Die rasch entstandenen Skizzen bleiben mir ein werthes Andenken an die in Gesellschaft des humorreichen Arztes verlebten heiteren Stunden, welche als helle Sterne am Horizonte meiner durchschnittlich ernsten Reisetage glänzen. Mit dem Doctor schieden hier auch meine Lovecer Freunde. So wässerig der Wein des Handzi, doch nicht weniger feurig waren unsere getauschten Wünsche auf ein frohes Wiedersehen und auf die gute Zukunft Bulgariens! So angenehm aber auch das Reisen in guter Gesellschaft, benachtheiligt es stets, weil zerstreuend wirkend, die strenge Beobachtung und Registrirung des Details. Nun blieb ich mit meinem Trojaner Patricier allein und konnte der immer complicirter sich gestaltenden Aufgabe mich vollends widmen, die Wasserscheiden zwischen den Flüssen Osem, Vid und Rusica genau festzustellen. Bisher waren die dem Osem zumessenden seitlichen Adern kurz und spärlich, erst weiter, bei einer stark nach SW. ausgreifenden Curve des Flusses hinter Lesnica, die uns zu zweimaligem Kreuzen nöthigte, begannen die Höhen sich vom Bette zu entfernen und betraten wir das eigentliche Osem-Quellgebiet. Nahe beim Orte Lomec stiess ich auf weitläufige Ruinen einer Stadt. Dicht bei ihnen lag in einem Laubdickicht ihr einstiger Schlüssel, ein altes Castell, welches wahrscheinlich mit dem jenseitigen, auf der Höhe bei Dobrodan, das obere Osemthal sperrte. Der Unterbau des Castrums dürfte römisch sein, die ziemlich gut erhaltenen Mauern und ein Thor gehörten aber, ihrer Bautechnik nach, einem der zahlreichen Castelle an, mit welchen der berühmte Kaiser Justinian sein weites Reich vergeblich gegen die Einfälle der Barbaren zu sichern suchte. Die Strasse von Thracien über den Trojan-Balkan zur Donau zählte jedenfalls zu den wichtigsten des römischen Reiches, sonst wäre sie nicht mit solcher Sorgfalt gebaut und befestigt worden. Noch heute sieht man am oberen Osem stellenweise ihre Trace. Sie führte von Philippopolis direct zu den wichtigsten Waffenplätzen an der mittleren mösischen Donau. Auf der Passhöhe hütete das Castell Montemno (Monte Haemo) den Uebergang, andere standen auf den nahen Bergen und stark befestigte Städte schützten an beiden Hängen den Auf- und Abstieg. Zu diesen Mansionen gehörte Sostra, nach der Peut. Taf. 13 Mill. von Melta (Lovec) und 18 Mill. von der Passhöhe entfernt. Diese Maasse stimmen genau mit dem Punkte überein, an dem ich die vorerwähnten Ruinen traf, und somit dürfte Sostra eine beträchtliche Stadt gewesen sein. Mein Begleiter erzählte auch von den Ruinen eines anderen Castells auf einem Berge beim nahen Kaleica, eines dritten auf einem Hügel bei Paninsko Kolibi, eines vierten im Thale des Trziski dol, eines fünften bei Sipko auf dem Vasilovgebirge, eines sechsten am Einflüsse der Kneza, hart bei einer Mühle, in den Osem, eines siebenten bei dem Porti Krali Markovi karaul und von verschiedenen anderen, deren Lage auf und zwischen namenlose Berge fällt. Der obere, archäologisch von mir angeschürfte Osemlauf verspricht dem Forscher, welcher die interessante Darstellung des grossen „Trajanischen Heerweges" Uber den Balkan und der Justinianischen Militärbauten unternehmen wird, die lohnendste Ausbeute. Er wird auch die Mansion Ad Radices näher festzustellen haben, deren Entfernung nach der Peut. Taf. 8 Mill. vom Passcastelle Montemno und 10 Mill. von Sostra betrug. Sie dürfte nach meiner Karte */a Meile südlich von Trojan am Einflüsse des Rasdaveebaches in den Osem zu suchen sein. Die heutige „Trojanska puteka" (Trajansstrasse) führte bereits im Jahre 601 diesen Namen, als der Feldherr Comentiolus von der Donau auf dem bereits stark verfallenen Wege, bei furchtbarer Kälte, unter den Verwünschungen seiner Truppen nach Philippopolis zog. Im Jahre 1048 verfolgte der Byzantiner Arianites auf dieser Strasse in umgekehrter Richtung eine Petschenegen-Horde und verjagte Kanitz, Donau-Bulgurlen und der Balkan. II. 7 sie aus Lovec*). Unter türkischem Regime verödete diese Balkanpassago all-mälig zum schurr gangbaren Saumwcg. Er führt vom Kloster Trojan am Öetnj Osem in 1 St. zum Bcli Osem, kreuzt letzteren nahe an der Knczamündung, zieht hierauf in 2 St. streng S. aufwärts zum Trojanski bcklcmch, erreicht in I St. die Trojan-Passhöhe und Rudera des wahrscheinlich Justinianischen Castclls, Btftigj sodann in 2 St. nach dem jenseitigen Kornarc hinab, von wo im Thale des Giopsu eine gute Strasse nach Filipopel zieht. Im letzten Kriege benutzte eine starke russische Abllieilung den Trojansweg zun. Tebergang von N. her in das transbalkanische KarlpYo-Becken\ id. werde von diesem Zuge im nächsten Gapitel mehr erzählen. Unmittelbar hinter der Ruinenstätte von Sostra schmiegt sich die Strassen-trace einer stark gegen <>. ausgreifenden Curve des Qaemfl an, der wir bis zum Bnlgarendorfe Dlbogdol folgten, von dem ein ziemlich guter Weg Uber eine unter Cultur gesetete bedeutende Depression ostwärts nach Dobnevo in das Thal der Rusica hinüberführt. Wir kamen .sodann bei den rein türkischen Orten Dobrodan und Boriina vorüber, welche die am weitesten vorgeschobenen Boston der herrschenden Kace im nordwestlichen Balkangebiete bildeten und dadurch den oberen Qsem auch zu einer ethnographisch interessanten Scheidelinie gestalteten, denn die wenigen moslimschen < >rte jenseits des Osems gehörten bereits zum District der Pomaci" von dem ich im folgenden Capitel eingehender sprechen werde. Jenseits der westlich herabkommenden forellcnreichen Kaleica beginnt das Gebiet des reinbulgarischen Bezirkes (nahija) Trojan; nachdem wir die Makarska gekreuzt, näherten wir uns am Zusammenflüsse des Cerni- und Beli-Osems seiner kleinen Hauptstadt. Schon an der Kaleicafurth schien die Brust des mir zur Seite reitenden echten Balkansolmes Kalcov plötzlich von einem drückenden Alp befreit, er feuerte eine tief im Gürtel versenkte Pistole in die Luft und Hess lustig ein revolutionäres Lied ertönen, welches Hadzi Dimitris Thaten feierte. Glücklicherweise verstand mein Zaptie nicht bulgarisch, sonst wäre es dem Sänger sogleich oder später schlimm ergangen, denn im Gefühle seiner Minderzahl Hess der Türke keine nationale Regung aufkommen; trotzdem oder gerade desshalb loderte der Wunsch nach endlicher Befreiung immer mächtiger empor. Wie Hadzi Kalcov erzählte, waren kurz zuvor einige mit dem türkischen Regiment in Conflict geratene Jungbulgaren von den sie verfolgenden Zaptie's im Trojan-Balkan aufgespürt worden; drei fielen im Kampfe, andere drei wurden nach Iiuscuk abgeführt, die Insassen des Dorfes Jeniköi aber, welche den jungen Leuten notgedrungen oder aus Erbarmen einige Lebensmittel lieferten, wurden wegen Ein-verständniss mit den „Comitet" zu Gcfängnissstrafen verurteilt. Will der Türke sich erhalten, muss er herrschen. Lange verstand er es selbst dort, wo er, wie *) Jirooek, Die Heerstr. v. Bfltgr. n. Conti S. 150. beispielsweise im Central- und West-Balkan, gar nicht existirte. Die moslimsche Kaste war bis 1876 im Teteven-, Trojan-, Gabrovo-, Travna-, Elena-und anderen Bezirken des Balkans ausschliesslich nur durch die sie repräsentirendc Autorität vertreten. Vom Charakter, von der Energie und Klugheit dieser isolirten, von wenigen Zaptie's unterstützten Beamten hing dort ihre Stellung gänzlich ab. Ich traf einzelne, alttürkischem Costüme und Brauche treu gebliebene Beamte, welche es vortrefflich verstanden, ihren Regierten heilsamen Respect einzuflössen. Die meisten hatten jedoch die einst gefürchtete, echttürkische Schneidigkeit verloren, das von Constantinopel und den Vali's empfohlene Coquettiren mit occi-dentalem Wesen machte sie ebenso unsicher in ihrer Haltung, als jene der untergebenen Rajah gegen die Effendi's immer kühner wurde und endlich zum impo-nirenden Tone überging. In keines der beiden soeben geschilderten Bcamtengenres war jedoch derMudir Mehcmed Aga einzureihen, welchen ich unmittelbar nach unserer Ankunft im schönen Städtchen Trojan in seinem baufälligen Konak besuchte. Wenige Monate zuvor war der Aga noch Lieblingsdiener des Mutessarif Ilaidar Bei von Tirnovo gewesen, welcher ihn als Lohn für geleistete private Dienste zum Regenten der Trojaner Nahija erhob. Mehemcd, der sichtlich noch keine bestimmte Couleur angenommen hatte, fühlte sich durch meinen Besuch so wenig genirt, wie durch meinen sultanlichen Ferman, den er, auf zerrissenen Polstern thronend, herablassend entgegennahm, küsste und nach einem hineingeworfenen Blicke zurückstellte, da er über das Lesen der türkischen Gelehrten-Schrift vollkommen erhaben war. Unsere Unterhaltung dauerte kurz, sie endete eigentlich, bevor sie begonnen; derMudir gähnte und ich that das Gleiche. Was Hesse sich auch mit einem rohen, bornirten, auf der Stufe unserer Schift'zieher stehenden Manne dis-cutiren? Und doch war dieser Mehemed Aga die höchste administrative, in kleinen Händeln auch polizeiliche und inappellable juridische Autorität, w'elcher das Wohl und Wehe der Stadt Trojan, von 11 Dörfern uud 3 Klöstern, mit einer Bevölkerung von etwa 17,000 Seelen ausgeliefert war! Welche Culturfortschritte konnten und sollten unter solch behördlicher Autorität die armen Regierten machen? Ist es da nicht vielmehr ein Wunder, dass sich in den bulgarischen Balkandzi's noch so viel Bildungstrieb und industrieller Sinn erhielt? — Das handelsthätige Städtchen Trojan Hegt in einem stark undulirten, von der Balabanska durchströmten und von hohen Bergen nach S. überragten Thale, in 456 M. Seehöhe, also um etwa 200 Meter höher als Lovec. Seine 600 Häuser kleben weit im Umkreise, bis zum Beli-Osem, um einen kleinen geschlossenen Kern gruppirt, zerstreut an den Hängen und seine 3500 Einwohner treiben mehr Viehzucht, Feld- und Obstbau, als Handel und Gewerbe. Seine bescheidene Carsi in welcher sich namentlich der Verkehr in Rohfellen concentrirt, welche aus der 7* Umgebung zuströmen, liefert den Luxusbedarf für die rauhen Balkandzi; die Putzsucht ist auch bei den Schönen des Haemus heimisch und neben den Bedürfnissen für das Haus findet man einen österreichischen Nürnberger Waarentand, ja der ausländische Flitter droht den heimischen solideren Metallschmuck gänzlich zu verdrängen. Trojan zählt auch mehrere Öeigweber und Messerschmiede, darunter einen, dessen Fabrikate sich eines gewissen Rufes erfreuen, dann Holzschnitzer, deren Arbeiten ausserordentlich billig sind, so kostet beispielsweise eine treffliche Schaufel von hartem Holze nur 30 Para = 7«/2 Neukreuzer. Einen weiteren Erwerbszweig des Städtchens bildet die Rakifabrikation. Ein specula-tiver Bulgare stand eben im Begriffe, sich durch einen Mechaniker aus Wiener Neustadt, Namens Anton Spindler, seine Raffinerie rationeller umgestalten zu lassen. Ich war freudig überrascht, einen Landsmann im fernen Balkan zu treffen, leider schien er sich aber allzu sehr mit Rakigeist für die dort mangelnden spirituellen Genüsse schadlos zu halten. Die 1835 erbaute Kirche bildet des Städtchens einzige architektonische Zierde. In ihren schönen Schnitzwerken glaubte ich die Hand des Vaters des gegenwärtig berühmtesten Meisters Pop von Travna zu erkennen, in den Stützen, welche den baldachingeschmückten Altar tragen, aber zwei Säulen römischen Ursprungs; weil so weit weg von Türkenbrauch, fiel mir noch auf, die Frauengallerie durch enge Holzgitter dem freien Anblicke entzogen zu finden. Andererseits war ich erfreut, dass Trojans Honoratioren ein besseres neues Schulhaus erbauen wollten, das alte war herzlich schlecht und gentigte lange nicht mehr zur Aufnahme der vielen kleinen Balkandzi, welche lernbegierig aus stundenweit entfernten Weilern herabkamen; ich empfahl die beschleunigte Angriflfnahme des Neubaues und widmete für denselben ein bescheidenes Scherflein. Der neue „Ivanöov han", in dem ich abgestiegen war, blickte nach der mit lautem Rauschen und in vielen Cascaden durch's Thal eilenden Balabanska. Er besass an der Wasserseite, gleich sämmtlichen Nachbarhäusern, unter dem hohen Wohngelasse mehrere bis zur Bachsohle hinabgebende offene Etagen, welche als Balcone oder Werkstätten dienten. Hart neben der untersten Veranda meines Häuschens erhob sich eine jener originell construirten, nur dem Balkangebiete eigenen Brücken. Die bloss für einen Fussgänger Raum gebende, 45 Schritt lange Bahn ruhte auf 4 von 8 dünnen Stämmen gebildeten Gerüsten und ihre niederen Geländer waren noch leichter gezimmert. Schwindel unterworfenen Personen leihen diese an Südamerika mahnenden Bauten geringe Sicherheit, es gehört einige Uebung dazu, sie ohne Schwanken zu passiren; die Balkandzi eilen jedoch mit schweren Lasten auf dem Kopfe, festen, sicheren Schrittes über den luftigen Bau, welchen sie übrigens nur bei Hochwasser benutzen. Sonst passiren selbst Frauen, malerisch hoch aufgeschürzt, und Kinder, am liebsten den reisseu- den kalten Bach Angesichts des nahen trockenen Steges. Ueberhaupt konnte ich am Fusse des hohen Central - Balkans bereits jene Körperfrische und Schnellkraft der Bewegung wahrnehmen, welche allen südslavischen Bergvölkern eigen, am meisten aber den Montenegriner charakterisiren. Gerne folgt des Westeuropäers Auge den eleganten Bewegungen der urwüchsigen Gestalten. Das Barometer fiel beträchtlich, graue Schleier verhüllten die höchsten Balkankuppen und bald netzte sanfter Regen die trockenen Culturen. Trotzdem hatten wir am 11. Juli Mittags 22° C. in dieser hohen Lage. Am nächsten Morgen verdichtete sich der Regen, auch die nächsten Berge waren verschwunden, dafür machten sich die stark angeschwollenen Bäche durch wildes Brausen um so bemerkbarer. Trotzdem brach ich zur festgesetzten Stunde nach dem Trojanski manastir auf. Wir kreuzten zunächst die Balabanska, zogen unmittelbar darauf über die niederen Hügel zwischen dem Beli- und Öemi-Osem und setzten sodann im breiten Thale des letzteren den Marsch zum Kloster fort. Es ist der Sv. Bogorodica geweiht und zählt zu den verehrtesten Heilstätten Bulgariens. Mit seiner Berühmtheit können sich nur wenige messen, keines aber mit seinem reichen Besitze. Der Flächeninhalt seiner Felder, Wiesen und Wälder ist wohl nicht genau abgeschätzt, doch erstrecken sie sich hoch hinauf in den Balkan, auch sind die Klöster Sv. Nikola mit 2, sowie Sv. Jovan mit 3 Mönchen Sv. Trojan's Filialen. Je weiter wir gegen das Kloster vorrückten, desto mehr öffnete sich sein schönes Thal, desto mehr offenbarte sich uns dessen Wohlhabenheit und tüchtige Verwaltung. Schöne Herden auf saftigen Triften, weitgedehnte Getreide- und Maisfelder, dazwischen Obst-und Weingärten und prachtvolle Nussbaumwäldchen; doch war das Laubholz meist der Kronen beraubt, denn auch hier wird das Vieh theilweise mit Baumlaub gefüttert. Unser Weg näherte sich dem Rinnsal des öerni Osem, es erschienen sorgfältig gepflegte Gemüsegärten, eine grosse Mühle und endlich tauchte des Klosters Silhouette am Hange eines Berges auf. Obwohl ich bereits früher das Manastir sehr rühmen hörte, überraschte mich doch sein Umfang; es war, ausser Rilo, das grösste bulgarische Mönchswesen, 45 Brüder lebten» hier unter einem Dache in engster Gemeinschaft zusammen. An der nördlichen Schmalseite des im Rechtecke von mehrstöckigen Gebäuden und hohen Mauern umschlossenen Klosters, öffneten sich neben einer kleineren für Fussgänger bestimmten Pforte beide Flügel seines Hauptthores und Hessen uns in den weiten Vorhof ein. Hier begrüsste uns zunächst ein alter Zaptie, des Manastirs officieller Beschützer, in vollem Waffenschmucke. Dieser Wächter war ein rudimentäres Erbe aus vergangenen Tagen, wo die Klöster, ein Anziehungspunkt für raublustiges Türkenvolk, durch Schutzpiquets geschirmt werden musten. Nun hatte der Zaptie nur Bettler und Landstreicher abzuwehren und die Ordnung; auf den kleinen Märkten aufrecht zu erhalten, die sich an Fest-und Sabortagen auf dem grossen Klosterplatzc etabliren. Das Wachhaus lehnt hart am Hauptthore, das anstossende Nebengebäude dient aber zwei sehr heterogenen Zwecken, sein Untergeschoss enthält nämlich weitläufige Stallungen, welche sofort unsere Pferde aufnahmen, das obere Stockwerk beherbergt aber die Kloster schule und eine Art Burse für jene kleinen Balkandzi, welche aus weit entfernten Weilern hieher eilen, um sich die ersten Wissenselemente anzueignen. Diese gleich beim Eintritte prunklos auftretende Huldigung des intcllcctucllen Moments von Seite der Mönche war wohl geeignet, die merkwürdigen Gefühle Kloster Trojan. zu dämmen, welche ich empfand, als ich dieser riesigen Wahnglaubcns-Brutstätte ansichtig wurde, denn mit geringen Varianten gilt auch von Bulgariens Klöstern, was ich über diesen tiefgreifenden Factor südslavischen Volkslebens in meinem „Serbien" äusserte. Das weitläufige Kloster glich' bei meiner Ankunft einem verwaisten Bienenstocke, die Brüder waren alle in den Gemüsegärten, im Felde und Walde beschäftigt. Am bunt bemalten inneren Portal erschienen jedoch der Archimandrit-Namiestnik (Stellvertreter) mit einigen älteren Duhovniks, das Symantron ertönte und freundlich begrübt, trat ich in den eigentlichen Klosterhof, der mit seinen viclstöckigcn Gebäuden, mit Thurm und Kirche auch das an occidentale Stifte gewöhnte Auge überraschte. Wie musste es erst dem armen Hüttenbewohner der Balkansehluchten iinponiren! Das kostbar eingerichtete, im orientalischen Style reizend getäfelte Fremdengemach nahm mich gastlich auf, einige jüngere Brüder sorgten eifrig für meine Installirung und nach den mehrere Tage durchgemachten Kasteiungen fühlte ich mich in dem freundlichen Räume doppelt wohl. Der letzte Hegumcnos Kiril hatte wegen Zerwürfnissen, anlässlich seiner von den Mönchsbrüdern nicht länger tolerirten Missverwaltung, vielleicht auch wegen Intriguen, seine Würde kurz vor meinem Besuche niedergelegt und sich nach dem transbalkanischen Sopot zurückgezogen. Derartige Vorgänge sind in den grösseren orientalischen Mönchsrepubliken nicht selten. Sie stellen eigentlich eine der ältesten Typen unserer modernen Produetions-Genossenschaften dar, denn wir dürfen in ihnen nicht allein die freiwillige Vergesellschaftung von Männern zu religiösem Leben, sondern auch zu gemeinschaftlicher Arbeit und gemeinsamem Erwerbe erblicken. Das Einlagscapital des Einzelnen bildet seine geistige Befähigung, physische Kraft und ernste Hingabe für den Aufschwung des Gemeinwesens. Grössere Intelligenz, höhere Begabung, namentlich praktischer speculativer Sinn führen bald zu angenehmerer Stellung. Der in der Mühle, im Weinberge, auf den Feldern mitschaffende Bruder schwingt sich allmälig zum Verwalter, Cassirer u. s. w. auf, tritt in den engeren Rath des Klosters und selbst die ehrenreiche, obschon sorgenvolle Stelle des Hegumcnos winkt ihm entgegen. Alle eintretenden jungen Leute haben sich anfänglich weit mehr der Arbeit als dem Gebet zu widmen, und wenn einzelne Drohnen es versuchen, auf Kosten ihrer Brüder ein beschauliches Leben zu führen, so werden sie selten lange in der Gemeinschaft geduldet. Anders steht es mit den Invaliden der Arbeit, diese gemessen bis zu ihrem Lebensende die wohlverdienten Interessen des früher zum Nutzen des Gesammtwesens angelegten Arbeitscapitals. Von diesem Gesichtspunkte aus beurtheilt, erscheinen die grösseren orientalischen Klöster in etwas milderem Lichte, doch zählen sie trotzdem so viele Schattenseiten, dass ihre Kenner den jüngsten Beschluss der serbischen Skupstina wohl zu würdigen wissen, welche deren Säcularisirung dem Ministerium des Cultus empfahl. Von den Mönchen vermochte ich nichts Bestimmtes über des Klosters Geschichte zu erfahren und auch die slavischen Annalen schweigen über dasselbe. Ein Prinz der Sismanschen Caren-Dynastie hiess wohl Trojan, es ist derselbe, dessen Tochter Maria die Gemahlin des Audronik, Sohn des Cäsar Johannes Dukas, wurde, es lässt sich jedoch nicht nachweisen, dass er das Kloster Trojan stiftete. Eher ist anzunehmen, dass im Namen dieser früher vielleicht heidnischen Stätte jener des grossen römischen Imperators Trajan wiederklingt, dessen Andenken bei den Bulgaren gleich lebendig wie bei den Serben fortlebt.*) Viele Burgen, die Stadt und auch die Strasse, welche von ihr über den Balkan zieht, *) F. Kunitz, Serbien, S. 72. tragen heute noch des Kaisers Namen, welcher einst zur Reihe der in diesen Gegenden verehrten heidnischen Götter: Perun, Veles, Chors u. A. zählte und nach dem Volksglauben nicht nur Uber gemünzte Schätze und Edelsteine, sondern über zahllose Brunnen flüssigen Goldes und Silbers verfügte. Auch des heutigen Klosters Wohlhabenheit bildete stets einen Anziehungspunkt für beutelustige Horden. Während des verunglückten Aufstandes im J. 1876 und im letzten Kriege 1877 und 1878 wurde der Klosterbesitz durch wiederholte Requisitionen hart mitgenommen, doch blieben seine Baulichkeiten glücklicherweise unbeschädigt. Schon in früheren russisch-türkischen Kriegen litt Sv. Trojan ausserordentlich, und wie immer war es auch hier einem im Gerüche grosser Heiligkeit stehenden Mönche, Namens Partenije, vorbehalten, es zu neuem Ruhme der Sv. Bogorodica wieder herzustellen. Es geschah im J. 1835 durch den Meister Constantin von Pestera bei Filipopel. Die Länge der Kirche misst 34 Schritte, von welchen 8 auf den Altarraum, 16 auf den Mittelraum und 10 auf den Narthex entfallen. Mit Benutzung der vorgefundenen alten Reste wurde der Grundriss wahrscheinlich strenge nach orientalischer Uebung eingehalten. Es ist ein Centraibau mit halbkreisförmig vorspringenden Chor- und Seitenapsiden, einem Narthex mit vorgebauter offener, auf Säulen ruhender Vorhalle an der Westseite und einem kleinen Porticus am seitlichen Nordeingange. Ueber der Vierung erhebt sich eine im Verhältniss zum Gebäude etwas niedere Kuppel, auch die Fensteröffnungen sind spärlich und enge, alle Gewölbe und Bogenabschltisse tonnenförmig und ohne Ueberhöhung. Der Gesammtbau macht trotzdem einen günstigen Eindruck, denn seine Bautechnik und Decoration sind ziemlich gut. Horizontale Ziegelbänder durchlaufen das Mauerwerk von Bruchsteinen, Lisenen beleben die Wände, Apsiden, Ornamente und Heiligenbilder wurden überdies reichlich zur Zierde des Kuppeltambours und aussen an der Vorhalle verschwendet. Zaharije Kristo Samakovec führte auf Bestellung des kunstsinnigen Hegu-menos Hadzi Filoteja, den gesammten inneren und äusseren Freskenschmuck der Kirche in zwei Jahren (1847 — 49) aus, was ihm wohl nur mit Hülfe einiger Gesellen gelang. Von diesem Zaharije soll auch das allegorisch-symbolische Bild herrühren, welches in wahrhaft kindlicher Weise Tag und Nacht, Anfang und Ende, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, mit einem Worte den menschlichen Lebenslauf in einem radförniig gefelderten Kreis an der Aussenmauer des nördlichen Seitenportals darstellt. Mit 28 Jahren hält der bulgarische Maler-Symboliker den Menschen auf der Höhe der Kraft angelangt, auf dieser erhält er sich bis zur Zahl 48, 56 bezeichnet Winteranfang und von hier geht es schroff bergab, bald winkt ihm die Nacht, er stürzt in des Charon's Nachen, wo ihn der grinsende Tod mif der Hippe erwartet. Ein anderer Künstler, Meister Nikolo von Novoselo hat die grosse Ikonostasis gemalt, deren Bilderschmuck vereint mit jenem der Wände, mit vielen von der Decke herabhängenden Votiv-Ampeln und Strausseneiern, zahlreichen metallenen Lichtträgern, kunstvoll gedrehten bunten Weihkerzen u. s. w. der Kirche ein bestechend reiches Aussehen verleiht An Festtagen erfüllt sie heller Glanz, Weihrauchduft aus geschwungenen silbernen Ampeln und der Schimmer vieler Kerzlein, welche die Andächtigen in den Händen halten. Der Balkandzi ist von tiefer Verehrung für alle Aeusserlichkeiten des orientalischen Cultus erfüllt. Er horcht oft mit gebücktem Kücken eine Stunde lang dem Vorleser und ruft tief zerknirscht unter fortwährender Bekreuzigung sein: Mönchsschädel-Cultus im Kloster Trojan. „Gospodin pomilui" (Gott helfe uns!). An Sonn- und Feiertagen wallfahrtet Gross und Klein von den hohen Beigen herab und kauft dem hart unter dem hölzernen Schutzdache am Nordportal sitzenden, geübtem geistlichen Cassirer das Wachs der Klosterbienenstöcke in Form von 5 Kerzensorten, zu 3, 5, 10, 20 und 40 Para ab. Der ganze Handel vollzieht sich äusserst behend, das Geld wird auf eine grosse Blechschüssel geworfen und mit einer kleinen Kelle zusammen gestrichen, ein Korb nimmt aber die Eier auf, welche die Armen gegen Kerzen austauschen, wobei ein Ei dem kleinsten 3 Para - Kerzlein gleichwerthig gehalten wird. Die Frauen treiben noch einen ganz besonderen Cultus. An der Ostseite führt hart neben der Chornische von aussen eine Thüre über mehrere Stufen in einen kryptaartigen kleinen Kaum, wo die Schädel der verstorbenen Mönche, mit Namensaufschriften und Kreuzeszeichen versehen, in kleinen Kistchen und ohne Behälter, bunt durcheinander, aufbewahrt werden. In diesem etwas unheimlichen Gewölbe forschen nun die Frauen eifrig* nach den Cranien jener Mönche, welche ihnen einst im Leben durch Verwandtschaft oder andere Hände irgendwie nahe standen. Trotzdem sie meistens des Lesens unkundig sind, wissen sie die gesuchten Sehadel bald aufzufinden und nun gilt es, durch Aufkleben brennender Kcrzlein auf die Stirnc, sowie durch Gebete dem Seelenheil der heiligen Väter nachzuhelfen. Der ganze Akt spielt sich lautlos ab, die Frauen können ungestört ihren Gedanken nachhängen und manchmal dürfte wohl die Erinnerung an längst verronnene süsse Stunden in dieselben hincinspiclcn. Dem Occidcntalcn fällt es sofort auf, wie ungenirt die Frauen in orientalischen Klöstern sich gebchrden, in welchen sie oft ohne männliche Begleitung die Zellen der Mönche betreten. Gleich neben der Kirche erhebt sich westlich ein breiter, im J. 1865 durch' Ivan von Mleeevo erbauter Thurm mit vier Geschossen, deren oberstes, vom Quadrat in's Octogon übergehend, auf seiner Bedachung einen kleinen Laternenaufsatz trägt. Das Mittelgeschoss enthält eine den h. Kiril und Metodije geweihte, nur von den Mönchen benutzte Capelle. Ihre Ausstattung ist sehr einfach, hingegen sind die Aussenwändc des Thurmcs vom Fusse bis zur Spitze mit bunten Fresken bedeckt. Ausser den beiden Slavenaposteln sieht man noch die Heiligen: Alimpi, Gabriel, Mihail, Simeon und viele geflügelte Cherubim in mehr oder minder geglückten ornamentreichen Umrahmungen. Die kleine Reliquien- uud Schatzkammer des Klosters im östlichen Wohngebäude zeigte bei genauer Besichtigung nichts, was archäologischen Werth be-sässc. Ich fand einige russische, reich mit Silber decorirte Missale, ältere Kreuze vom Athos, abgenutzte kunstlose Ampeln, Leuchter und dergleichen Gerumpel mehr. Verehrer und Sammler altbyzantinischer Kunstwerke werden sich beim Besuche bulgarischer Klöster weit mehr noch, als in jenen Serbiens enttäuscht finden. Sie erscheinen vollkommen abgeweidet, ihre werthvolleren Objecto zerstreuten sich bereits vor Dccennien in alle Winde, grösstenteils aber nach Russland. Die Wohnzimmer der Mönche liegen grösstenteils in den höheren Stockwerken der in massivem Holzbau mit leichtem Mörtclanwurf aufgeführten Umfassungsgebäude, welche nach dem Hofe offene, durch Holzpfeiler und sculptirtc Querbalken gestützte Gallerien tragen, wie man sie in den altmodischen Bauerhöfen unserer Alpenländer sieht; die Bedachungen bestehen durchgehends aus dünnen Kalkplatten. Im östlichen, nach dem Osem gehenden Flügel befindet sich die grösste Zahl der Mönchszellen, sie unterscheiden sich wie ihre Bewohner, von' jenen in lateinischen Klöstern. Fern von jeder Askese stattet der bulgarische Kaludjer sein Gemach mit thunlichsteni Comfort an Teppichen und Sitzkissen aus, denn orientalischer Brauch erblickt in den Klöstern nicht nur Erholungs- statten für die Seele, sondern auch für den Leib, ja betrachtet sie als eine Art geistlicher Hotels. Solche Anschauung heischt, dass die Mönche gerne Gäste empfangen, und desshalb besitzt jeder Klosterbruder das notwendige Inventar an Kaffeegeschirr, Rakigläsern, Tschibuks, Nargilehs u. s. w., um sie angemessen zu bewirthcn. Von den Sitzpolstern gleichen sich oft kaum zwei, ihre verschiedenen Grössen, verblichenen oder neuen Muster, verrathen, dass sie allmälig von dankbaren Frauenjiänden gespendet wurden. An den Wänden hängen Heiligenbilder, mittel-mässige Photographien von Freunden und Verwandten, Lithographien des bulgarischen Exarchen und bis 1877 oft auch — damit kein Zweifel an der Mönche Loyalität gegen das herrschende Regiment aufkomme — des Sultans Bild. Bücher erblickt man wenige, dafür aber um so mehr Waffen. Flinte, Handschar, Pistolen, neben Bissaken und Sattelzeug hängen wahrlich nicht als müssige Zier an der Wand, denn die Mönche bedürfen ihrer oft zur Wehr, wenn sie allein durch den Wald nach fernen Kolibi, nach den Weiden oberhalb des Klosters Sv. Nikola am Ivandclberg reiten oder die 3 St. ferne Filiale Sv. Jovan auf dem Zelcnikovec besuchen; dann sind ja auch die Kaludjer gewöhnlich eifrige Nimrode aus Passion und Notwendigkeit, Der Central- und westliche Balkan ist an Wild sehr reich. Rehe, Hirsche, Füchse u. s. w. giebt es in Menge, Bären, Wölfe, Wildschweine sind nicht selten. Der Duhovnik Kristofor zeigte mir das Fell eines von ihm erlegten schwarzen Bären von ungewöhnlicher Grösse; kurz zuvor war das Jagdglück dem Timovoer Pasa noch günstiger, er schoss in den Klostcrwäldern einen solchen, dessen Fell 14 Spannen lang und auf 10 Lire (200 Mark) geschätzt wurde. Häute von Wölfen gab es beinahe in jeder Zelle. Meister Isegrimm richtet zeitweise unter dem Viehstande des Klosters grosse Verheerungen an und Reinecke wird seinen Geflügelhöfen oft gefährlich, da müssen Gewehre und Fallgruben wohl nachhelfen. Daneben treiben die Mönche friedlichste Hantirungen, oft sah ich sie, namentlich ältere, bei offenen Thürcn, schneidernd und Schuhwerk ausbessernd, in ihren Zellen hocken. Selbstverständlich sind in so grossem Haushalte sämmtlichc Geschäfte regelmässig an die Mönche vertheilt und jeder ist für das ihm anvertraute verantwortlich. Auch die Küche steht unter der besonderen Aufsicht eines Bruders und zu seinem Lobe muss ich rühmen, dass er manch leckeres Gericht auf die riesige, den Tisch vertretende Blechschüssel zu setzen verstand, welches die Einförmigkeit der bulgarischen Speisekarte glücklich unterbrach. Die Standardspeise bildete stets ein gut gedünstetes Lammfleisch mit Gemüse, mit ihr coneurrirte ein wohlschmeckendes Gericht von Käse, Eiern und zerschnittenen Kohlblättern, dann eine gute Mehlspeise, belmousc, aus Mehl mit Eiern bereitet, dazwischen erschienen Hühner in jeglicher Form, Forellen, welche im Osem bis zu l1 4 Kilo gefangen werden, Milch und Honig, welche wie im gelobten Lande der Bibel, so bei bulgarischen Gastereien eine Hauptrolle spielen. Das Obst reift hier spät, auch der Wein, der als Traube sehr angenehm, gekeltert aber ziemlich sauer schmeckt. Den ganz besonderen Stolz des Klosters bilden seine herrlichen Wallnuss-bäume, es verkauft jährlich viele schöne Stämme bis zu 24 Mark im Preise; eine weit bedeutendere Einnahmsquelle gewährt aber den Mönchen sein reicher Viehstand der im Juli 1871: 40 Pferde, 50 Ochsen und Kühe, 50 Schweine und etwa 600 Schafe zählte. Am Sabortage des Klosters muss es stets eine grosse Zahl der letzteren opfern. Da verwandeln sich Höfe und Vorplätze in ein riesiges Lager, Wachtfeuer entzünden sich des Nachts und den Tag über gibt es Markt und Kirche, Tanz und Gebet, es ist der festlichste und wichtigste Jahrestag ftir sämmtliche Anwohner, nur ganz Gebrechliche möchten ihn fern vom Kloster verleben. Die bulgarische Saborfeier gleicht ganz der „Slava", dem bei allen Südslaven und insbesondere bei den Serben üblichen Kirchen - Patronsfeste, desshalb glaube ich hier auf meine Schilderungen des „Sv. Metodije Sabor" am Kopaonik und einer Slava zu Stalac, welche ich in meinem „Serbien" (S. 227, 258) beschrieb, verweisen zu dürfen; im Gegensatze zu dort, wo ich vom materiellen Gewinne der Geistlichen erzählte, muss ich hier die Aeusserung des langen Küchenmeisters Pohornije von Trojan erwähnen, dass der Sabor für sein Kloster eine kostspielige Last sei; „es kommen zu viele Türken und Zigeuner, die nichts zahlen!" meinte er seufzend. Am meisten hatte ich mich während meiner durch abscheuliches Regenwetter verlängerten Rast im Kloster Trojan mit den ^beiden in der Schule beschäftigten jungen Diakonen Maksim Pelov und Parteni Damjanov befreundet. Maksim zeigte grosse Liebe für seinen Beruf und den ausgesprochensten Drang, sich tüchtiger für denselben auszubilden. Er fühlte die grossen Lücken seines Wissens und hätte sich namentlich gern in den Naturwissenschaften unterrichtet. Gerne sprach Maksim vom einstigen Wohlstande Bulgariens, von den Kupfer- und Silberminen des nahen Balkans, brachte verschiedene Mineralien herbei, Krystalle aus der Nähe Zidovica's, und Schlacken, welche 3 St. vom Kloster aufwärts von einem verlassenen Bergbaue am Zerovicabache herrührten, auch Phyllitgneiss und grüne chloritische Phyllite mit Feldspathpartikeln, aus welchen sich der Trojanski-Balkan hauptsächlich constituirt. Schon Maksim's Einrichtung der Schule, seine Wahl der allmälig für den Anschauungsunterricht angeschafften Lehrmittel, die Nume-rirung der Bänke u. s. w. zeigten einen begabten, organisatorischen Geist. Rührend waren einzelne Züge, die er mir aus seiner eigenen Jugend und von seinen kleinen Schutzbefohlenen erzählte. Sie sprachen lebendig für den Bildungstrieb dieses höchst merkwürdigen slavischen Volkes. Zur Sommerzeit, wo die Eltern ihre Kleinen zur Bewachung der zerstreut weidenden Herden nicht leicht entbehren können, stiegen allerdings nur etwa 30 Kinder von den fernen Weilerdörfern zur Klosterschule herab, diese Zahl erhöhte sich aber stets im Herbste und Winter trotz Schnee und Kälte auf 100 und mehr Schüler. Dies alles aber trotzdem kein Schulzwang herrscht, obschon keine andere äussere Anregung, als die eigene Bildungslust den Schulbesuch controlirte. Nebst Altslavisch und Singen lernen die kleinen, aufgeweckt dareinschauenden, mit ihrem Mittagsbrot in Säckchen beladenen Balkandzi auch Lesen, Schreiben, Rechnen, sowie etwas Geogra- Schule im Kloster Trojan. phie und Geschichte. Wahrlich, die Parallele mit manchem westeuropäischen Gebirgslande fällt nicht zu Ungunsten des fernen Balkan aus. Glücklicherweise hat selbst das abscheulichste Wetter mit dem schönen die Aehnlichkeit, dass es oft unerwartet endet. Am Mittag des 16. zerstoben die Nebelschleier und sofort Hess ich meine durch die ungewohnte Ruhe etwas faul gewordenen Pferde zum Aufbruch rüsten. Der Abschied von den gastfreundlichen Mönchen war ein herzlicher und gern nahm ich Diakon Maksim's Erbieten an, mich bis Novoselo zu begleiten. Auf meinem Programm standen zunächst: Erforschung der Rusicaquellen und Passage des Kalofer - Balkans, welche beide östlich vom Osemgebiete liegen. Unser Weg kreuzte unterhalb der Klostermühle diesen Fluss und bog bald darauf bei Manastir selo in den dichten Laubwald der jenseitigen Höhen ein. Das durch i/2 Stunde in prächtiger Vogelschau zu unseren Füssen bleibende Kloster vorschwand plötzlich, dafür entschädigte der in vollster Frische prangende Eichwald; Vogclgesang schmetterte in seinen Kronen, Vegetation und Fauna schienen sich der Auferstehung nach langer Dürre zu erfreuen. Der durch das Gcäste brechende Sonnenschimmer war ein trügerischer, das Barometer stand tief und verhiess wenig Gutes. Doch freute ich mich nach altem Käthe des Augenblicks und sog mit vollen Athemzügen die balsamische Luft ein, während wir langsam durch einen gedehnten sanften Einschnitt aufwärts zogen, der sein bescheidenes Wässerchen zum Osem sendet. Hier schied Diakon Maksim. Später hörte ich, dass er mit dem Trojaner Hegumen Aksenti nach Tirnovo berufen wurde, um sich dort, vor dem türkischen Gerichtshofe, wegen des Klosters Haltung während des Aufstandsversuches im Jahre 187G zu verantworten, doch straflos heimkehrte. Auf der Höhe von Branjevo angelangt, fesselte uns die freie Aussicht. Von W. her blickte der lange Zug der Vasilova planina herüber, deren zahlreiche, das westliche Osem-Reservoir enthaltende Querthäler einzelne pittoreske Bergformen zeigen. Bei reinem Wetter dürfte man hier einen lehrreichen Einblick in die Configuration des Gesammtgcbietes vom Städtchen Trojan bis zur höchsten Balkanregion gewinnen; leider lagen aber stellenweise Nebelschleier auf einzelnen Thälern und Spitzen; jenseits der Wasserscheide überraschte uns sogar strömender Regen. Im aufgeweichten Erdreich rutschten bald die Pferde bei jedem Schritte, dies gestaltete den Abstieg mühsam und auch der Han am vom hohen Küpen herabkommenden Bache machte unserer Wassernoth kein Ende; denn er war von Führern einer Pferdecaravane überfüllt, welche früher dort Schutz gesucht hatte. Da unsere Pferde kein Obdach fanden, blieb uns keine Wahl, als zu wandern. Das Unwetter arbeitete mit aller Macht, hart vor uns toste der hochangeschwollene Wildbach, namentlich für mein Trainpferd war es eine schlimme Aufgabe; doch meine Leute riefen ihre verschiedenen Schutzpatrone an und Alles kam heil hinüber. Die oberhalb Skandale über den Vidimo führende Brücke glich der bei Trojan beschriebenen auf ein Haar, war also für Pferde unpassirbar, und abermals mussten wir durch tiefes Wasser. Das Schlimmste war nun glücklich überstanden; als das Wetter unter weithallenden Donnerschlägen erneuert losbrach, hielten wir schon unseren ersehnten Einzug im Nachtquartier Novoselo, dessen dienstfertig herbeigeeilter Subasi Ruschid uns sofort in einem guten Hause unterbrachte, und damit war die fröhliche Laune meiner Leute wieder hergestellt. Unsere Hauswirthin, eine etwas frühzeitig gealterte Wittwe, und ihr Töchterlein trafen wir, unter dem Eindrucke des bösen Unwetters, in grosser Angst. Freilich baute der dicht beim Häuschen vorbeifliessende Vidimo aus mitgeschleppten Bäumen förmliche Barrikaden und drohte, aus seinen Ufern zu treten. Die geängstigten Frauen hatten bereits vor den Bildern der h. Mutter Gottes und des h. Nikol aus Kerzen angebrannt, und bei jedem Blitze ging es an ein Bekreuzen das kein Ende nehmen wollte. „Glaubt Ihr, dass Euch all dieses etwas helfen wird?" rief der moslimsche Subasi; „seht lieher, dass Ihr die Gäste ehrenvoll unterbringt, für die Pferde will ich selbst sorgen." — „Ako gospot da!" rief die Wittwe und Gott schützte ihr kleines Häuschen, in dem ich mich um so wohler fühlte, als meine gemüthliche Stube den Blick auf den Kreuzungspunkt der kleinen Bazarstrasse gestattete. So wie das Gewitter geendet, belebte sich der Markt, die horizontalen Holzverschlüsse der Gewölbe öffneten sich, die Verkäufer hockten wieder in der Mitte ihres bunten Krams, Wagner und Schmiede klopften und hämmerten lustig darauf los, Alles gewann sein gewöhnliches Aussehen. Obschon Novoselo nur 112 Häuser zählte, bildete es für die umliegenden 13 rein bulgarischen Gebirgsorte einen commercialen Mittelpunkt, und längst hätte es der Sitz eines Bezirksamtes sein müssen, wäre die türkische Administration bei Schaffung und Begrenzung derselben nicht stets so planlos oder willkürlich vorgegangen. Selbst die Bewohner der noch höher gelegenen Balkanorte waren gezwungen, wegen der geringfügigsten Dinge weit hinab bis zum Kreisamte Selvi zu wandern. In Novoselo und sämmtlichen grösseren Flecken des nördlichen Balkans erschien mir der Häuserbau äusserst charakteristisch. Er zeigte Aehn-lichkeit mit jenem unserer Alpenländer, Holz bildet allgemein das Hauptmaterial, aus dem man stets zuerst das vollkommene Hausgeripp mit Fenster- und Thüröffnungen zimmert, das Fachwerk wird später eingefügt und zuletzt die solide, weit vorspringende Dachrüstung aufgesetzt, welche gleich der Krönung ihrer oft bizarr geformten Schornsteine aus dünnen Kalkplatten besteht. Im ganzen Orte bekam ich kein Glasfenster zu Gesicht, sondern nur verschiebbare, in einem Falze laufende Holzladen und senkrecht eingelassene Eisen- oder Holzstäbe dienten allgemein zu erhöhtem Schutze. Im Sommer streicht die Luft frei durch alle Bäume, im Winter werden die Oeffnungen aber mit Papier verklebt. Bei den Umrahmungen von Fenstern und Thüren, bei den Ausgängen der Stützbalken, der Querhölzer und Säulen, welche die Stockwerke tragen, fiel mir oft ein merkwürdiger Sinn für Ornamentik auf. Novoselo, das schon so manchen berühmten Holzschnitzer geboren, könnte bei einiger Nachhilfe leicht das Berchtesgaden Bulgariens werden. Mit gerechtfertigtem Stolze zeigte man mir in der 1857 erbauten Kirche Sv. Bogorodica prächtige Schnitzwerke von Kolu Jonkof, dessen Kunstfertigkeit bis nach Adrianopel und weiter Novoselo's Namen berühmt gemacht. Auch die benachbarten Orte treiben Holzarbeiten als Berufszweig und bergen gleichfalls einen äusserst begabten Menschenschlag. Schon der Gang dieser Ge-birgsbulgaren ist auffallend behend, ihre Gestalten sind hoch und kraftvoll, Haare und Augen dunkel, die Nasen spitzig, die Augenbrauen oft zusammen gewachsen, die Stirnwölbungen stark ausgebildet, die Wangenbeine vorspringend und die occipitale Dolicbocephalie trat in der spitzen Verjüngung des Hinterhauptes unverkennbar hervor. Ich hatte nur selten so hell anklingende Mahnungen an die Kreuzung mit finno-uralischeni Blute in Bulgarien wie hier gefunden. Während ich die lange Abendmusse zum Studium der Physiognomie des Marktes und seiner Bewohner benutzte, hantierten meine Hauswirthin und ihr Töchterlein emsig, um ein würdiges Abendbrot auf unseren Tisch zu stellen. Die Einrichtung der kleinen Küche war originell. Der Orientale vollzieht am liebsten alle Geschäfte in hockender Stellung und dieser Brauch ist auch auf die Bulgaren übergegangen. Demgemäss war der Herd auffallend niedrig, sein Cornichebrett zierte ähnlich wie bei französischen Kaminen, ein Theil des blank geputzten Kücheninventars, Zinnteller, Thonkrüge, Holznäpfe u. s. w. symmetrisch geordnet; die grösseren Kessel, Leuchter, Flaschen, Öutura's, Butterstosser und Mühlsteine waren aber in der anderen Ecke auf einer hohen offenen Stelle untergebracht. Die primitiven Geräthe, die kluge Ausnutzung jedes Plätzchens und die überall herrschende Nettigkeit mahnten an die reinlichen Sennhütten des Salzkammer-o-utes namentlich der Loseralm bei Aussee, auf welcher ich oft so wohl mich fühlte. Um den Vergleich zu vervollständigen, fehlte allerdings so manches, der heitere Steirer Jodler und Zitherklang, dafür schallten aber von den nahen Höhen melodische Pfeifen- und Dudelsacktöne ins Thal herab, denn auch der Balkan hat seine eigenthümliche Poesie und namentlich standen Novoselo's Mädchen im Rufe, dass sie dem Cultus der heidnischen Liebesgöttin nicht ungern huldigten. „Honny soit qui mal y pensei" Am nächsten Morgen machte ich kleine Ausflüge gegen Osten, zunächst nach dem nahen Frauenkloster Sv. Jovan, .dessen detaillirte Beschreibung ich mir wohl ersparen kann, da es im Wesentlichen den geschilderten von Gabrovo, Kazanlik u. s. w. gleicht. Es wurde im J. 1842 erbaut oder wieder hergestellt und seines Kirchleins reichsten Schmuck bildeten Meister Kolu's sculptirte Arbeiten. Die freundliche Hegumenica bat mich einen Imbiss auf ausgebreiteten Teppichen im Schatten grosser Kirschbäume einzunehmen. Mehrere Nonnen, es lebten hier 30, trugen eingemachte Früchte, trefflichen Honig und Käse auf, das Brot war wohlschmeckender, als das landesübliche, der Kaffee gut bereitet, so Hess ich die langathmige Erzählung vom Processe des Klosters mit der Stadt Karlovo Wegen streitiger Felder ruhiger Uber mich ergehen und wünschte schliesslich der frommen Frau den besten Ausgang des sie quälenden Rechtshandels. Vom Kloster begab ich mich auf die Wasserscheide, welche den durch mich zuerst in Karte gebrachten Vidimo von der Rusica trennt. Der Wegsaum zwischen den Feldern war abwechselnd mit Birnen-, Aepfel-, Weichsel-, Zwetschken- und Nussbäumen bepflanzt. Eine folgende baumlose Anhöhe gewährte bald den lehr- r0 reichsten Blick in die Terraingestaltung: bis Dchnevo, auch der Ausflug nach der Ostrec planina war landschaftlich und topographisch lohnend. So kehrte ich gegen Abend mit einer Fülle neuer Daten über früher ganz unklare hydrographische Verhältnisse nach Novosolo zurück. Dort wurde mir eine nicht sehr angenehm berührende Nachricht. Nachmittags war ein vom Seivier Kaimakam eigens ausgeschicktes Zaptie-Piquet eingetroffen, das einer den Kalofer-Balkan unsicher machenden Räuberbande ihr Handwerk legen sollte; schöne Aussicht für mich, der ich am nächsten Morgen seine Passage zu unternehmen gedachte! Der Commandant der Streifcolonnc sagte mir, er müsse mit der Absuchung der Kolibi bei Novoselo beginnen, und zeigte unter diesem Vorwande wenig Lust sich, ohne speciellen Befehl, mit mir in schlimme Abenteuer zu stürzen. Jawasch, jawasch! (Langsam, langsam!) hiess seine Losung und sein Feldzug begann damit, sich beim Subasi des Fleckens für einen mehrtägigen Kef gemüthlich einzurichten. Unter seinen Leuten befand sich zufällig Mehcmed Ibrahim, mein Begleiter von Selvi nach Lovec, und es war bereits viel, dass der Onbasi mit diesem Zaptie suarieh (berittener Gensdarm) mein kleines Geleite verstärkte. „Will Euch das Kismet verderben, dann hilft's auch nicht, wenn ich mehr Leute mit Euch schicke; will es Euch aber wohl, dann seid Ihr genug und wären der Räuber noch so viele. Glücklichen Weg!" Damit entliess er mich. Ja, das Kismet! Für das arme Novoselo, dessen intelligente Bevölkerung stets nur widerwillig dem liederlichen türkischen Regimcnte sich unterwarf, sollte es bald verhängnissvoll werden. Im engsten Zusammenhange mit den bereits zu Tirnovo, Elena, Travna, Selvi, Gabrovo und Lovec 'geschilderten Insurrections-Versuchcn und namentlich mit jenen in beiden letzteren Städten stand im Frühjahr 1876 eine aufständische Bewegung im Umkreise von Novoselo, welche von den Türken blutig unterdrückt wurde. Als die Lovecer Öeta und auch jene von Gabrovo sich aus der, im I. Bande, S. 221 erzählten Ursache zurückziehen mussten, wurde es im Balkan bei Trojan lebendig. Canko Düstabanov's vor der türkischen Uebermacht fliehende Bande verstärkte sich mit den freiheitsliebenden Männern von Novoselo, Batoscvo, Guben und Krevenik, in dessen „Krcvenicki bogas" sie, verschanzt hinter Barrikaden, die von Plevna über Selvi heranrückenden Tscherkessen und Basibozuks erwarteten. Nach verzweifelter Gegenwehr aus ihrer festen Stellung verdrängt, flüchteten die Insurgenten unter Lehrer Nikola und Pope Jovan in die unzugänglichen Schluchten des Mara Gcdük-Balkans, verfolgt von Türken und Tscherkessen, welche Viele niedermachten, jedoch gleichfalls grosse Verluste erlitten. Düstabanov's Bande suchte nach dem Gabrovo-Balkan, die Novoseloer nach Kalofer zu entkommen, wurden aber grossentheils von den ihnen entgegengesandten Nizams gefangen oder niedergemacht. Die Strafe für die genannten insurgirteu Dörfer war eine furchtbare. Der Könitz, Donnu- Bulgarien und der B.tlkun. II. s berüchtigte Kaimakam Nedschib Aga von Plevna, welcher als Civil-Commissär gemeinsam mit dem Sumlaer Muschir Fazli Pasa die aufgestandenen Balkanbezirke pacifiziren sollte, Hess seine Tscherkessen ungehindert dort plündern, Weiber und Kinder morden und zuletzt in Batosevo und Krevenik ihre Kirchen, Schulen und viele Häuser, Giben theilwcise, das hübsche Novoselo und sein Kloster, deren Bewohner in den Balkan geflüchtet, aber gänzlich einäschern. Der im Kolibi Boinovci aufgefundene Führer Düstabanov, der in seinem Hause gefangene Kaufmann Cankov, der Lehrer Nikola und Pope Jovan, welcher die Insurgenten gesegnet, wurden in Tirnovo zum Tode verurthcilt und gehängt. Der planlos inscenirte nordbulgarische Aufstand im Jahre 187G, dessen einzelne Episoden ich an den bezüglichen Losbruchspunkten nach vertrauenswerthen Mittheilungen zu schildern versuchte, endete in solch erfolgloser trauriger Weise; so wollte es das Kismet, das Geschick! Das „Kismet" bedeutet für den Moslim: Anfang, Mitte und Ende aller irdischen Dinge, also auch alles Glückes und Verderbens. Verdorren und Wachsen, Auf-und Niedergang jedes Sterblichen, stehen einzig in seiner Hand. Nur die Astrologen vermögen das Geschick vorherzusehen, desshalb sind dem Sultan, seinen Frauen und Würdenträgern ihre Kismet-Propheten ebenso unentbehrlich — selbst vom aufgeklärten, 1875 gestürzten Vezier Schirwaneh Ruschid wurde es behauptet — als unseren occidentalen Grossen ihre Leibärzte. Wer längere Zeit im Oriente lebt, dem fliegt bald etwas vom all herrschenden Kismetglauben an. Als nach langen Regentagen am 18. Julimorgen 1871 ein Strahl feurigsten Frühgoldes mein Lager streifte, galt mir dies als gute Vorbedeutung für den Tag, welchen ich zur Passage des höchsten aller Balkanübergänge ausgewählt hatte; denn so viele Fährlichkeiten auch das Reisen in primitiven Ländern birgt, steht doch immer für den Geographen „gutes Wetter" an der Spitze seiner Wünsche. Vor dem Aufbruche machte ich noch das Kuppelgeschoss des kleinen Dorf-thurmes zum Observatorium, aus dem ich die höchsten sonnig angestrahlten schneeigen Spitzen des Balkans peilte. „Seht Ihr Herr, dort hoch oben, wo noch das kleine weisse Wölklein hängt, dort liegt das Rosalitafeld, dort müssen wir hinüber." Der Punkt der Passcinsattlung erschien mir etwas zu hoch bezeichnet, doch Venko Saböe musste es wissen, da er alljährlich die Herden von Ostree nach den höchsten Balkantriften führte und wegen seiner Vertrautheit mit allen Stegen, Wasser- und Bergnamen,' als verlässlichster Begleiter mir empfohlen worden war. Alles was im Dorfe mobil, hatte sich zum Abschiede versammelt, vorwiegend Praiien und Kinder; denn die Männer verweilten im fernen Rumänien als Sehnitter, Maurer, Holzarbeiter. Ein stattlicher Reiterzug, geführt vom Onbasi des entsendeten Zaptie-Detachements, gab mir bis zur Ostrecevica das Geleite. Als unsere kleine Caravaiie wieder zusammenschmolz, wurde mein durch allerlei Brigantengeschichten unruhig gewordener Dragoman stiller und hielt sich gern zwischen unserem rauhen Führer Sapec und einzigen Geleitsreiter Mehemcd „Aga", wie er ihn schmeichelnd titulirte, ganz so wie man bei uns oft den Oberlieutenant „Herr Hauptmann" nennt. Ich suchte ihn mit dem „Kismet" aufzurichten, war aber bald zu sehr mit meinen Terrainstudien beschäftigt, um auf seine Stimmung weiter zu achten. Die Landschaft liess sich während der ersten Marschstunden kaum freundlicher denken. Nicht leicht macht man sich eine Idee von dem tiefgesättigten Grün, das in dieser hohen Balkanregion noch im Spätsommer herrscht, wo die Vegetation gegen jene der Niederung in der Reife bedeutend zurückbleibt. Wenn der Balkandzi, ähnlich dem Frieslands- und Hollandsgänger West-Deutschlands, mit dem als Schnitter oder Drescher in der danubischen Tiefebene verdienten Lohn heimkehrt, ist es immer noch Zeit für ihn, an die Einbringung der eigenen schmalen Ernte zu gehen. Die Steuern erwirbt er grösstenteils auswärts, das kleine Feld bestellt die Frau, das Vieh hüten die Kleinen, das Material für sein Haus und die Feuerung liefert aber der steinige Boden und nahe Wald oder richtiger, was man in diesen Ländern „Wald" nennt. Allerorts sahen die bescheidenen Häuschen der Balkandzi, zu 8—20 in Weiler (Kolibi) vereinigt, von den Höhen nieder. Zu ihrem Aufbau werden das steil aufgerichtete, weissglim-merige und kalkhaltige Material und auch die dünn geschichteten, grauen, sault-artigen Mergel der Gegend verwendet. Nach zweistündigem Marsche hatten wir das letzte Gehöft im Rücken und traten in ein dichtes Gehölz, das an vielen Stellen durch Verwüstung arg gelitten hatte. Mehr als die Mühen des Anstiegs, oder die Furcht vor lauernden Wegelagerern, berührte mich der sichtbare Muthwille oder Unverstand, welche oft den herrlichsten Baumriesen tödtende Wunden versetzt hatten. „Und die neu-creirten Forstbeamten zu Stambul? Sie kümmerten sich wenig um Dinge, welche ihren süssen Kef auf weichgepolsterten Divans stören konnten. Ja, wenn die Forste zu ihnen kämen! Nichts geschah von Seiten des Staates zum Schutze des Waldes, und ich fürchte, bis ein seine Aufgabe richtig erfassendes Regiment in diesen Ländern den Einzug halten wird, dürfte es leider um die Balkanforste geschehen sein, welche des Sultans Gläubigern so gerne als unberührtes kostbares Pfand gepriesen werden. Ihnen werden die im Bau fortschreitenden türkischen Eisenbahnen schwerlich mehr Vortheil bringen, denn bei den ewigen Finanznöthen der Pforte sehe ich bereits im Geiste, was vom Barbarismus der Bevölkerung unberührt blieb, in nächster Zeit der Axt habgieriger Speculanten ausgeliefert. Und dann? Wo hätte ein moslimscher Staatsmann sich ernstlich mit dem Morgen beschäftigt! Dafür lässt man das Kismet, das Geschick sorgen. 8* Will es so lässt aus Steinen es Baume wachsen, Allah billir, Allah kerim! Die Beamten des sogenannten Forstdepartements zu Stambul werden aber weiter ihre hohen Gehalte einstecken und schöner Baksis-Medzidije von speculativen Franken sich erfreuen, wenn der „Wald" bereits im türkischen Reiche zur Mythe geworden ist!" So schrieb ich 1876 — seitdem veränderte sich viel am Balkan, und hoffentlich wird Bulgariens neues Regiment die hier ausgesprochene Mahnung ernstlich beherzigen. Erst in 1200 Meter Seehöhe, nachdem wir die aus SW. kommende dunkle Mrdna und krystallklare Ribna gekreuzt, wurde ich bei dem eisigkalten Quell -born Studena kladenica" durch den Anblick eines wirklich prächtigen Buchenwaldes erfreut. Wir befanden uns hier in einer hochromantischen Wildniss, in der wir auf deutliche Bärenspuren stiessen, und nun folgten sich die prächtigsten Landschaftsmotive so rasch, dass ich nur wenige mit fluchtigen Strichen festhalten konnte. „Herr, wenn Ihr Steine, Wasser und Bäume so sehr liebt, kommt's bald noch schöner!" meinte Führer Venko. Der rauhe Hirtensohn, in dem vielleicht ein verlorener Calame steckte, bekundete das richtigste Naturgefühl. Gleich darauf hörte ich zum erstenmale auf meinen Balkantouren das Rauschen eines grösseren Wasserfalles, zwischen Baumgrün blitzte sein weisser Gischt auf und als mich seine kühlenden Tropfen netzten, sah ich eine in unzähligen Sätzen über und durch Phyllitgneissfelsen sich tosend brechende Cascade, deren Hintergrund, nach der gegen S. sich öffnenden Steilschlucht des Balkans, viel zerrissene Kuppen schlössen. Melancholische, lichtgraue Nebelschleier suchten neidisch meinem Stifte die Details des schönen Bildes zu verbergen, flüchtige Sonnenblicke theilten sie jedoch für Minuten, der „ffiara Gedük", die höchste aller Balkanspitzen trat hervor und schien meiner Ausdauer, durch den ihren Hängen geschwätzig enteilenden Wasserfall, aufmunternde Grüsse zuzusenden. Kein Forscher war vor mir diesen Weg gezogen, keiner wusste etwas von der Existenz dieser im Balkan einzigen majestätischen Cascade, auch mein Führer Venko kannte keinen Namen für dieselbe; so machte ich vom Rechte des Reisenden hier Gebrauch und taufte sie in dankbarer Erinnerung der grossen Verdienste meines verehrten Freundes Dr. Ami Boue, des bahnbrechenden wissenschaftlichen Pionniers in der Türkei (1S35-1838) „Ami Boue-Cascade". Ich darf wohl hoffen, dass dieser Name auch vom bulgarischen Volke angenommen und für alle Zukunft in Ehren gehalten werden wird. Wieder strebten wir aufwärts, viele hundert Meter waren noch zu ersteigen, denn erst beim „Dobreva grob" sollten wir ruhen. Es war eine harte Aufgabe für unsere Pferde. Das 1671 Meter hohe Plateau bot jedoch einen so trefflichen Orientirungspunkt gegen Norden, wie man ihn für das Quellgebiet der Rusiea nicht besser wünschen konnte. Von der Ruine eines verfallenen Wachthauses wieder aufwärts kletternd, verscheuchten wir zwei riesige Geier, welche sich auf ein verendetes Caravanenpfcrd niedergelassen hatten; bald kreisten sie hoch über ihrer Beute. Der Nachtigallengesang war längst in dem unter uns ge-gelassencn Laubdome zurückgeblieben, weit und breit umgab uns eine lautlose Ami Bona-Cascade am Mara Gcdük. grossartige Natur. Nur die nächsten Bergkuppen gegen Osten zeigten grüne Halden und vereinzelte Baum stände, darunter der „Pomorjevec" mit der Spitze „Pomorleviea" und der noch bedeutend höhere „Zelenikovec". Gegen Westen jagte aber düsteres Gewölk an den vegetationslosen Phyllitstürzen des Mara Gedük vorüber. Zwischen diesen beiden hohen Marksteinen breitete sich, einer hochgehenden See ähnlich, eine Welt niedrigerer Gipfel aus, deren ausgezeichnetste mir Führer Venko als: „Selistc-, Krevenik- und Ostrcc planina" nannte, auch den von Novoselo zurückgelegten Weg, viele Orte und die Lage von Selvi vermochte icli zu peilen; darüber hinaus lag aber alles in unsicheren Linien. Das gewonnene Material erwies sich später von unschätzbarem Werthe für meine Karte. Nun verlicss mich Zaptie Mehemcd Ibrahim, um zu seinem Piquet nach Novoselo zurückzukehren. Obwohl ich in dieser verrufenen Balkanöde mein Geleite nicht gerne weiter schmelzen sali, mochte ich ihn mit Rücksicht auf sein arg mitgenommenes Pferd — gewöhnlich das einzige Gut eines türkischen Gens-darmen — doch nicht zurückhalten. Nachdem er mein frugales Mahl bei der Blockhausruine „Dobreva grob" gcthcilt, entliess ich ihn mit Dank und reichlichem Baksis. Ich hatte nunmehr die Erforschung des Jantragebietes abgeschlossen. Noch wenige Minuten gegen S. und wir überschritten die Wasserscheide zwischen dein Aegäischen und Schwarzen Meere, das Vilajet Tuna lag hinter, jenes von Adrianopel vor uns. Ein plötzlich laut werdendes melodisches Rieseln rührte bereits vom Hauptquell der thracischen Tundza her, welchen kleine, vom Mara Gedük und östlicheren „Vele Gozedarnik" abfliessende Fäden bilden. Durch eine steil abstürzende, tief eingerissene Schlucht, wie sie dem Südhange des Central-Bal-kans eigen, fliesst die Tundza bei Bujukova hinaus in das rosenduftcrftillte Ka-zanlik tckne, das wir bereits kennen. Zugleich mit dem Bächlein zieht ein stark vernachlässigter Saumpfad hinab zur Ebene. Einst war er cultivirter, mehr frequentirt und bildete wahrscheinlich die Fortsetzung der von Dr. Pojet im Thale bemerkten antiken Strasse, auf welcher die Römer bedeutenden Verkehr zwischen dem thracischen Tonisus- und dem musischen Jatrus-Gebiete pflegten. Von der rauhen Wildniss mit dem auffallendsten Stempel plutonischcr Thätigkeit kann ein rüstiger Bergsteiger leicht in zwei Stunden abwärts zur Ruine des verfallenen Klosters, nahe bei Golemo selo's Rosengärten, gelangen und die Contraste zwischen des Balkans rauher Nordseite und dem Eden an seinem Südfusse auf sich wirken lassen. Unser Weg entwand sich in 1671 Meter Seehöhe der Schluchtromantik der Tundzaquellen. Bald gabelte er und zweigte gegen SW. ab, immer höher anstrebend, bis die Baumregion tief unten lag und nur Krummholzdickicht den Boden teppichartig überzog. Das Thermometer sank während des vierstündigen Anstieges allmählig von 28° auf 15° C. Endlich war der höchste sämmtlichcr Balkan-Uebcrgängc erreicht. Kalte Luft strich über das traurig-öde Phyllit-gneiss-Plateau, welches der Mara Gedük, gleich den nördlich in Sicht gebliebenen Kuppen des Pomorjevec und Zelenikovec, mit scharfkantig zernagten Profil-Linien ROSALITA-PASS UND MARA-GEDÜK BEI KALOFER. überragt. Erst hier, als ich den bedeutenden Abstand des Passes zur höchsten aller Balkanspitzen ermass, fand ich, wie sehr ihre Höhe bisher unterschätzt worden war. Bereits die Seehöhe des Passes beträgt nach meiner Messnug 1930 Meter. Die höchste Kuppe übersteigt ihn jedoch um mindestens 400 M., was zusammen 2330 M. ergiebt und den Mara Gedük nicht nur dem berühmten Vitos bei Sofia gleichstellt, sondern zu den höchsten Punkten zwischen Adria und Pontus gesellt. Diese Zahlen differiren auffallend von jenen meiner Vorgänger; allein schon die Vegetations-Verhältnisse, sowie andere von mir mit 1900 M. gemessene Pässe der Balkankette sprechen dafür, dass die bisherigen Annahmen von 1600 M. für ihren höchsten Punkt irrig waren. Vom Rosalitapasse gesehen, macht die höchste Balkankuppe mit ihren Felsstürzen, Schroffen und tiefen Runsen, in welchen der Sonne entzogene Schneeflecken übersommern, einen tiefernsten,'ja beinahe unheimlicheil Eindruck. Hier, wo die Natur ihr neue Formen schaffendes AValten in grossartigster Weise offenbart, herrschte scheinbar Grabesstille; es war als hätte die rastlos zeugende Ur-kraft zur Feier-Ruhe sich hingelegt. Viel mochte zu solchem Gefühle wohl die kalte, tiefgraue Lasur beitragen, welche Alles ringsum mit merkwürdig herab-stimmenden Tönen einhüllte und die zerstreuende Wirkung der Localfarben nirgends aufkommen Hess. Vergebens suchte das Auge der in der Landschaft souverain herrschenden Melancholie zu entrinnen. Wo immer der Blick haftete, überall trat ihm das Bild des Todes entgegen. Keine lebende Creatur war zu sehen; nur einige Adler zogen, dem Gesichtskreise beinahe entrückt, ihre Ringe in höchster Luftregion. Hart am Wege lagen gebleichte Gerippe gestürzter Cara-vanenpferde; neben einer kesselartigen Vertiefung, die ein leichentuch-ähnliches, schnmtziggraues Schneefeld füllte, zeigten aber rohe Denksteine, dass der Mensch den „Kampf um's Dasein" auch in diese Höhe getragen. Es sind Gräber von Räuberhand Gemordeter oder verunglückter Wanderer, welche die aus Felsblöcken aufgetürmten Orientirungspfeiler verfehlt hatten und vom Schneesturme für immer im kalten weissen Pfühl gebettet worden waren. Der Winter muss hier furchtbar wüthen. Der mehrmals erwähnte Insurgentenführer Pauajot Hitov, welcher, von den Türken arg bedrängt, in diese unzugänglichen Regionen flüchtete, schilderte die Schrecken der höchsten Balkanpässe in seinen Memoiren ungemein anschaulich: „Der Wind tobte wie rasend, der Schnee glänzte blendend weiss, die Flüsse und Giessbäche brausten klagend dahin, die Wölfe heulten im Gebirge und Wintervögel kreischten — sonst hörte und sah man nichts. Uns wurde es furchtbar schwer vorwärts zu rücken, von Zeit zu Zeit sanken wir im Schnee ein. In dieser Nacht konnten wir kaum 300 Schritte weit kommen, der Wind trug uns nach seinem Belieben umher und warf uns mitunter nieder." Wir rasteten auf der Höhe, und Führer Venko Sabce gab einige Schauergeschichten zum Besten, die mit übernatürlichem Gcistcrwaltcn geschwängert, am„Rosaljafeldc" hafteten. Schon sein Name verräth dem Culturforschcr, dass es ein Punkt, den nach altem Bulgaren glaubcn feenhafte Elfen (Samodivi) sich erkoren, und wohl war es ein Feld, auf dem die verführerisch schönen Waldjungfrauen, fern vom Treiben neugieriger Menschenkinder, ihre mystischen Spiele feiern mochten. Nicht leicht konnten sie zur Zeit des Kosalja-Festes (Pfingsten) zum nächtlichen Beigen eine luftigere Höhe wählen, als das „Rosaljafeld" am Fussc des Mara Gedük, welcher llgli wie ein Riesenaltar in zwei Haupt-thälern des thrakischen Rosencults §§jj| wurzelt und die vom Tanze ermii- Panajot Hitov. H Ruhe in seinen nördlichen, von Cas-caden durchströmten Waldhain lud. Noch heute klingen in den Liedern der christlichen und moslimschen Bulgaren poetische Traditionen dieser heidnischen Rosaliafeste nach. Es sind Reste einstiger Berührung mit den autochthonen thrakischen Völkern und Römern, bei welchen die Rosenwälder des Balkans berühmt und der Rosaliacult im höchsten Schwünge stand. Schon vier Jahrhunderte vor unserer Aera hatte aber, wie dies Münzen- und Tumulifunde bezeugen, antike Civilisation den Balkan gestreift. Griechische Kaufleute bahnten mit eingeführten Waaren dort gleichzeitig ihrer UND DSM KALOFEE-BALKAN. 121 Sprache und ihren Göttern den Weg, und die später folgenden Römer vermochten diese nicht zu verdrängen. Selbst die nördlichen Balkan-Territorien nahm griechische Cultur in so alleinigen Besitz, dass ich wohl zahlreiche hellenische, nur selten aber lateinische Inschriften dort traf. Wie etwa heute aber afrikanische Neger die ihnen durch Missionsapostel vermittelte heilige Dreieinigkeit und andere Trausfigurationen der christlichen Kirche auffassen, so formte der thrakische Volksgeist die griechischen Götterideale nach seinem eigenen Fühlen um. Der Musengott Apollo wurde beispielsweise im Pantheon der Thraker zum Jagdgotte, Diana zum bewaffneten Mannweibe u. s. w. Nun, wo durch meine Messungen ein richtigerer Maassstab für die Höhe des Balkans gewonnen ist, begreifen wir leichter die religiöse Scheu und Verehrung, sowie die zahllosen Mythen, mit welchen die classischen Völker zur Majestät ihres „Aimos" und „Haemus" hinanblickten. Der Balkan reicht in die älteste Sage des Hellenenthums, und lässt ihn auch Lieblingssitz ihres gefeiertsten Sängers werden. Die Welt fliehend, in tiefster Einsamkeit, betrauerte dort Orpheus die verlorene Eurydice. Wo hätte Thrakiens Meistersänger auch passender seine klagende Leier ertönen lassen können, als auf des Haemus höchstem Punkte, wo der ausklingende Schmerz weithin über die thrakischen und mysischen Thaler zum fernen Hebrus und Ister drang? Hier blieb Orpheus jeder neuen Liebesregung fremd und wenn er sang, erbebten nach Virgil die Felsen des Ismarus (Mara Gedük?) von Sehnen und süssem Verlangen, die wilden Thierc verlicssen ihre Verstecke und legten sich verständnissvoll zu seinen Füssen, die Blumen wendeten dem Sänger aber ihre Kelche zu und umrankten süss duftend seinen Sitz. Doch auch den Schwann mit bacchischcr Lust erfüllter Mänaden lockten Orpheus' bezaubernde Töne herbei; wie sie aber in dem Saitenschläger den kalten Verächter der wonnig berauschenden Dionysos-Orgien erkannten, zerrissen sie ihn im wilden Aufflammen lodernden Rachcfeuers: Weithin lagen die Glieder zerstreut, Haupt nimmst du und Leier, Hebros, auf, und, o Wunder! da mitten im Strom sie liinabfliesst, Sanft wie Wehmuth klagt der Leier Getön, wie Wchmnth Lullt die entseelte Zunge, die Bord' antworten wie Wehmuth. (Voss, Ovid's Metumorph. XI, 50.) Den hingemordeten Liebling beweinte die ganze Natur. Kopf und Leier des göttlichen Sängers führte der vom höchsten Hacmusgipf'cl abfliessende Tonisus (Tundza) dem Hebrus (Mariea) zu, die Leier schützte Apoll, das Haupt wurde zum Drachen, aus dem verspritzten Blute erwuchs aber die Blume „Cithare jenseits auf dem Gebirge Rhodopc, und dort sollen in letzter Zeit bei den moslimschen Bulgaren, welche ihre slavischc Muttersprache bewahrten, noch Traditionen des Orpheus-Mythus aufgefunden worden sein. Viele erklärten diese von Verkoviö herausgegebenen Lieder als eine Mystifikation, neuestens sprach sich jedoch ein tüchtiger Kenner slavischer Sprachen für deren Echtheit aus. Hinbrauseude Windstösse mahnten mich, dass der Ilaemus jener Palast sei, in welchen die Griechen auch den Ursprung aller Stürme verlegten. Wie war er entstanden? Plutarch lässt einen Sohn des Windgottes Borcas und der aulrauschenden Welle Oreithyia, welcher frevelnd Jupiter's Namen sich beigelegt, in den felsigen Ilaemus verwandeln, und gleiches Loos verhängten die Götter über des Strymon Tochter Rhodope, die er kosend Juno nannte. Aus der Umarmung beider, durch ganz Thrakien hochgefeierten Gottheiten war aber der rasch fliessende Hebrus entsprungen. Die poetische Mythe entspricht hier vollkommen der Wirklichkeit, denn in Wahrheit sind es der Haemus und Rhodope, welchen die Quelladern des Hebrus, der heutigen Marica entfliessen. Haemus und Rhodope wurden auf mehreren Münzen der Kaiserzeit verewigt. Haemus als sitzender Jüngling, mit der Chlamys über den Schenkeln und Lanze, nach dem Aste eines Baumes greifend, als wollte er seine Verwandlung abwehren; wilde Thiere lagern neben ihm. Rhodope, seine Geliebte, gleichfalls auf einem Felsen sitzend, den Oberleib nackt, mit Blumen in der Hand und zu den Füssen. In letzteren wollte man Rosen erkennen. Schon der um die Aufhellung des Haemus- und Rhodope-Cults verdiente Du Mersan bezweifelte diese Deutung. Ich selbst glaube in den Blumen der Rhodope die von Frivaldszky zuerst im Rhodope-Gebirge und von Janka später auch im Balkan gefundene „Haberlea Rhodopensis" zu erkennen. Diese wäre also die nach Plutarch dem Rhodope-Gebirge eigene, aus Orpheus' Blut entsprossene Schmerzensblume Cithare, welche in der Rhodope Hand höchst wahrscheinlich ihr Leid um den in Fels verwandelten Geliebten ausdrücken soll. Die römischen Dichter lassen auch den Kriegsgott Mars zeitweilig seinen Aufenthalt im Haemus nehmen. Ovid und Horaz nennen seine Gipfel „eisige", letzterer vergleicht ihn auch dem Pindus und Helikon, Virgil preiset die Frische seiner Thäler, Servius verlegt sogar das vielgesuchte Tempethal an den Fuss des Haemus, Lucian im Dialoge des Herkules mit Merkur nennt die Berge Haemus und Rhodope „die schönsten und höchsten der Erde"; doch des Haemus Schneefelder erschienen ihm ein fürchterliches Straf-Exil für Verbrecher, Seneca mildert erheblich diese Schrecken und lässt die Frühlingssonne schon sein Eis schmelzen. Die bereits in classischer Zeit berühmte weite Fernsicht vom Haemus, bewog Philipp III., den thatendurstigen Nachfolger des grössten Trägers dieses Namens, ihn mit seinem Sohne Perseus zu besteigen. (T. Livius.) Wahrscheinlich ist der macedonische König von der Stadt Rhodope (Philippopolis) durch das Ak dere-Defile zum höchsten Ismarus - Gipfel (Mara Gedük) aufgestiegen. Mit einem Blicke wollte er den weiten Schauplatz seines Ehrgeizes umspannen, jenes reiche Gebiet, dessen Gold und kriegerische Jugend er seinen weitfliegenden Planen zinsbar gemacht. Bei Cynoscephalae dämpfte Born jedoch die letzteren (199 v. Chr.) für alle Zeit, fünfzig Jahre später war Macedonien schon eine römische Provinz und bald überstiegen römische Adler auch das Rosalitafcld, sowie andere Uebcrgänge des Haemus. Seine Thäler mussten sich aber mit dem Blute der Legionen noch reichlich färben (Virgil), ehe ihre ungczähinten tapferen Bewohner zu Auxiliar-Cohorten derselben sich dauernd bequemten und Donau-Bulgarien durch M.Grassus 20 v. Chr. als „Moesia" Roni's Weltreiche einverleibt werden konnte. Hellenische Götterheroen und slavischc Vilen sind aus dem Balkan seit lange gebannt; tief unten in einer versteckten südlichen Schlacht des Mara Gedük liegt jedoch heute eine der gerühmtesten Heilstätten der thrakischen Christenheit, das der h. Jungfrau geweihte Kloster „Sv. Bogorodiea". Die heidnischen, dem macedonisch-römischcn Joche widerstrebenden Haemus-Völker sind ausgestorben; aber heute noch wie vor zwei Jahrtausenden sind des Balkans Bewohner jedem äusseren Zwange abhold. Hätte beispielsweise der moslimsche Sultan es sich einfallen lassen, von den christlich-bulgarischen Balkandzi den Heerdienst unter dem Halbmondzeichen ernstlich zu fordern, so wären die Schneefelder des Mara Gedük neuerdings von blutigrothcm Scheine wiederstrahlt. Der Türke mied stets ängstlich die höchste Balkan - Region und selbst der wohlbewaffnete Zaptie- Gensdarm betrat nur höchst ungern dieselbe. Wie merkwürdig klingen doch Einst und Jetzt, Mythe und Wirklichkeit auf dem höchsten Balkanpasse ineinander! — Doch erst der aufhellenden geographischen Forschung- unserer Tage blieb es vorbehalten, den mystisch-historischen Vorgängen der classischen Epoche ihren realen Schauplatz wieder zu erobern. Während ich vom „Rosalitapasse" in des Balkans weit zurückliegende Mythenwelt schweifte und dabei der Vergänglichkeit „Alles, was war, ist und wird" gedachte, blieb mein Stift nicht massig, die Profile der höchsten Balkankuppe „Mara Gedük" wurden zum ersten Male von Menschenhand umrissen. Herr Maler Rieger hat sie später prächtig in Farbe übersetzt; hier biete ich meine bescheidene Skizze vom „Rosalita - Passe" — wie ich diesen höchsten Balkan-Uebergang nach seinem Rosaljafelde nannte — den Dichtern und Malern vielleicht als erwünschtes Landschaftsmotiv, wenn sie künftig Orpheus-Mythen und Vilenfcsten ihre Leier oder Palette weihen. Ich fürchte mich zu wiederholen, wollte ich die entzückende Fernsicht schildern, welche sich crschloss, sobald wir den Rosalita-Pass überschritten hatten. Es waren dieselben überraschenden Contrastc zwischen Nord und Süd wie auf dem östlicheren Sipkapasse, ganz dieselben Einblicke in ein mit verschwenderischer Naturpracht gesegnetes Eden, das wieder gegen S. durch einen 0. W. streichenden Höhenzug seinen malerischen Abschluss erhielt. Die Analogie zwischen den benachbarten Becken von Kazanlik und Karlovo ist auch leicht erklärlich, bilden sie ja beide die Producte des gleichen geologischen Processes, welchen ich bereits im I. Bd. S. 232 andeutete; nur dass man hier nicht so rasch, so unvermittelt wie dort, thalabwärts in das gleichfalls mit Rosenauen und Nuss-baumwäldern erfüllte Tekne hinabgelangt. Die beiden Längenthäler von Kazanlik und Karlovo trennt nämlich ein vom Kalofer-Balkan N. S. sich vorschiebender, die Tundza vom Giopsu scheidender langgestreckter Phylitgneissrücken, auf dem der Weg anfänglich steil, dann aber ziemlich sanft, nach dem 1322 M. tiefer liegenden Fabrikstädtchen Kalofer läuft, das sich in der Tundza-Granitschlucht höchst malerisch einnistete. Der Abstieg war reich an wechselnden pittoresken Landschaftsbildern, welche manchmal passende Staffagen verschönten. Hoch auf den Sommerweiden (Jaila) tummelten sich reich wollige Schafe, gehütet von fremdartigen Gesellen. Früher mochten turkmenische Herdenbesitzer (Jürüken) aus dem Perini dagh, nachdem sie die Winterweiden am Saloniker Golfe ausgenützt, auf den frischen Balkan-höhen übersommert haben, und wahrscheinlich wurde auch desshalb der hoch aufragende grüne Vorberg des Mara Gedük „Jtirük tepessi" genannt. Diese Jürüken, nicht „Jurukcn" wie irrthümlich nach Lejean übersetzt wurde, sind versprengte Reste eines ehemals starken asiatischen Nomadenvolkes, das noch heute, wie ich von einem polnischen Arzte und trefflichen Kenner Klein-Asiens hörte, in bedeutender Zahl von Adana bis Kesarea und auch bei Konia zerstreut siedelt, durch einzelne Unterschiede in der Tracht sich kennzeichnet und seinen Namen sing, jürük, plur. jürükler von seinem Wandertrieb erhielt. In etwa 1500 M. Höhe stiess ich auf einem weiten, mit Pfählen vcrpalissadirtcn Raum auf die aus Holz erbauten Wohnhütten, Hürden und Käsereien der genügsamen Hirten-Nomaden. Ein Rudel auf uns stürzender Hunde hinderte jede Annäherung, auch die innerhalb des Pfahlzaunes hantirenden Frauen und Kinder bezeigten wenig Lust unserem Anrufe Folge zu leisten; sie unterlicssen es die bösartigen Thiere abzuwehren. Der Tracht nach zu artheilen, stammten diese Hirten aus dem westlichen Maccdonien, es waren offenbar Cincarcn, welchen interessanten walachischen Volkstamm ich in meinem „Serbien" eingehend schilderte. Da auf dem ganzen Südhangc der Wald beinahe gänzlich ausgestorben erschien, vermochten ihn hier mindestens die weidenden Herden nicht weiter zu schädigen, wie dies leider an der Nordseite der Kette und im nahen Rhodope geschieht; ich werde auf das Unheil, welches diese wandernden Nomaden über die türkischen Forste heraufbeschwören, noch an anderem Orte zurückkommen. Am Wege ringsum war Alles Weidegrund, Bäume gehörten zur Seltenheit. Bei einer Karaula ging es über Schutthalden steil abwärts und Kalofer rückte immer näher. Sein viel coupirtes Terrain machte den täuschenden Eindruck, als sei die Stadt von zahlreichen Wällen umschlossen; sie war jedoch ohne jegliche Werke. Trotzdem bezeichnete ich Kalofer schon 18CG als „wichtigen Sperrpunkt der Strassen, welche von Filipopcl in diese Balkanregion führen." Jene, welche ich eben herabgezogen war, stand wohl im Rufe vollständigster Unzugänglichkeit; General Macintosh äusserte sogar in seinem erwähnten Buche (S. 59): „Die dem Gabrovapasse nächste Strasse liegt in einer zwischen Philippope] und Lofdscha — einer kleinen Stadt in der Richtung von Nicopolis — gezogenen Linie, und soll auch sonst schlecht und unpassirbar sein." Ich glaubte aber schon in der I. Auflage dieses Bandes voraussagen zu dürfen, „dass nach den russischen Leistungen im Kaukasus, der Rosalita-Pass, nun wo er mehr gekannt ist, künftig schwerlieh ausserhalb des Operationsbereiches eines gegen Filipopel vorgehenden Corps fallen wird" — und hatte mich nicht getäuscht, insofern er 1877 von russischen Colonnen wiederholt überschritten wurde. Am 15. August zog die das brennende Kalofer verlassende Besatzung über den Rosalita-Pass nach Trojan zurück und am 15. November passirte ihn zuletzt, nach Süden ziehend, Infanterie mit einer Sotnie Kosaken vom Seivier Dctachcment. Den Weg streng südlich fortsetzend, stiess ich eine Stunde unterhalb der Karaula, am linken Ufer des vom Zanoga herabkommenden, nach Kalofer fliessenden Baches, auf isolirte fabrikartige Gebäude, aus welchen herausdringender eigenthümlicher Lärm verrieth, dass in denselben Gaitan gedreht werde. Die Häuser folgten bald dichter, das Schnurren wurde immer geräuschvoller, ich gelangte in eine förmliche Fabrikstadt, welche, wie ich spater erfuhr, durch ihren schwungvoll betriebenen Export von Posamentierwaaren in ganz Bulgarien berühmt ist. Beinahe jedes Haus beschäftigte durch geschickt abgezweigte Canäle mindestens 3 Drehmaschinen, es gab aber einzelne, welche mit 20 und 30 Apparaten arbeiteten. Letztere waren hier ebenso sinnreich construirt, wie ich sie zuerst in Gabrovo sah. Gewöhnlich befindet sieh oberhalb des Hauses im Bachbette ein Kasten aus Holzpfosten. Sein durchflicssendes Wasser setzt ein kleines horizontales Stossrad in Rotation, dessen vertieale Axc wieder in den über das Wasser vorgebauten Fabrikraum eintretend, dort die Apparate zum Drehen des Gaitans bewegt. Unter der sinnverwirrenden Schnurrmusik von Kalofer's 700 Spindeln zog ich durch das nette Städtchen nach dem mir empfohlenen Han und hatte bald darauf das Vergnügen den Lehrer Dimitri Fingov und den Stadtarzt Demeter Nikolic aus dem syrmisehen Karlovic in meiner grossen, leider aber vollkommen möbellosen Stube zu begrüssen. Ueber die Gründung des nach meiner Messung (Mitte des Stadebens am Wasser) in 600 M. Seehöhe gelegenen Kalofer hörte ich verschiedene Sagen. Nach der verbreitetsten Tradition flüchtete ein Voivoda Kalimfir, als das Bulgaren- land dem Halbmond zufiel, in die damals mit dichtem Wald bedeckte Tundza-schlucht, in welcher er sich mit seinen Mannen ansiedelte. Dort fanden sie einen riesigen Finger, den sie als gute Vorbedeutung betrachteten; ihre Niederlassung nannten sie dcsshalb ursprünglich „Kalogferei". Vom Schlachtfelde ohne Frauen gekommen, überfielen sie das nahe Städtchen Sopot und erkämpften sich dort, gewaltsam ihre „Sabinerinnen". Die Türken respectirten das von „Helden" bewohnte, rasch aufblühende Städtchen und ein Sultan verlieh ihm hohe Privilegien. Mit dem durch Feuer zerstörten Ferman gingen aber Kalofer's Vorrechte verloren, zu welchen das merkwürdige gehörte, dass jeder Moslim vor dem Eintritt in den Stadtbann „die Eisen von den Füssen seines Pferdes nehmen musste." Kalofer, das nach dem Priester Constantin im J. 1811 auf 500 Häuser herabgesunken war, hatte sich seitdem durch seinen schwunghaften Industriebetrieb glänzend erholt, denn ausser der erwähnten Hauptquelle seines Einkommens, fabricirte es auch „minderlik", eine Gattung Möbelstoff, die sich eines wohlverdienten Rufes erfreut. Als ich das freundliche Kalofer am nächsten Früh-morgen, von S. her, im Glänze vollsten Sonnenlichtes und vom reinsten Azurfirmament umrahmt, mit hübschen, nach der Schlucht amphitheatralisch ansteigenden von Weinreben und Obstbäumen durchwachsenen Häusern, mit strahlenden Kuppeln hochliegender Klöster und Kirchen erblickte, machte es mir ganz den Eindruck eines italienischen Städtchens. 1871 bewohnten es 1160 Bulgaren- und etwa 10 Zigeuner-Familien, also etwa 7000 Seelen; frühere Angaben von 2500— 3000 Häusern lagen weit von der Wahrheit ab. Die türkische Autorität wurde durch einen Mudir (Bezirkshauptmann) und einige Gensdarmen geübt, die Bevölkerung regierte sich aber eigentlich, vom moslimschen Elemente unbeirrt, beinahe autonom und schien mit ihrem Loose., trotz mannigfacher Steuern zufrieden. Sorgte auch der Staat nicht für ihren geistigen und materiellen Aufschwung, so hinderte er ihn doch nicht und damit waren die Aufgeklärteren des Städtchens bereits zufrieden. Für die Hebung des Schulwesens geschah von der Commune manches in den letzten Jahren. Neben der gut geleiteten Knabenschule erbaute man eine Mädchenschule mit 70,000 Piastern, an beiden waren 4 Lehrer und 3 Lehrerinnen thätig. Die Prüfung, der ich anwohnte, lieferte den Beweis, dass der jugendliche Nachwuchs voll Eifers einer höheren Bildungsstufe zustrebte; der anwesende Mudir legte freilich den Hauptaccent auf die Recitation türkischer Prosa, der Jeromonach Hrisant auf das Absingen der Liturgie, einige intelligentere Corbasi aber auf die Realstudien und dies gab gute Hoffnung für die Zukunft. Sehr viel dankte Kalofer seinem reichsten Patricier Ivan Docev, Eigcnthümer eines mit orientalisch-occidentalem Comfort, mit Bad, Springbrunnen u. s. w. ausgestatteten Hauses, vieler Liegenschaften und einer Handelsfiliale in Constantinopel; patriotisch gesinnt, opferte er namentlich viel für die Hebung des Schulwesens und den neuen Kirchenbau, welcher mit dreibogiger Vorhalle und Kuppel des Städtchens monumentalste Zierde bildete. Kalofer's drei Kirchen waren der Sv. Vevedemje, Sv. Rozestvo Hristovo und Sv. Troica geweiht, ausserdem besass es zwei Frauen- klöster ferner das berühmte Mönchskloster Sv. Bogorodica an der Bcla rjeka, am Fusse des nahen hohen Balkanbcrgcs Djumrukcal. Kalofer war ein wohlhabendes, zukunftsreiches Städtchen; das Jahr 1877 wurde aber für dasselbe noch verhängnissvollcr, als für das benachbarte Kazanlik. Durch den raschen siegreichen Vormarsch der Russen von der Donau Uber den Balkan sicher gemacht, traten Kalofer's Sympathien für die nordischen Befreier offen hervor. Die Officiere des ersten russischen Streif-Commando's wurden mit unverhohlener Freude empfangen; die Jugend stimmte Freudcnliedcr an und die waffenfähigen jungen Männer traten in die nationale Legion ein, welche Bulgarien von der Fremdherrschaft für immer befreien helfen sollte. Leider folgte Gurko's kühnem Balkanmarsche nur »zu bald sein gezwungener Rückzug und mit demselben erschienen die erbitterten Osmanli, um die ihren verhassten Gegnern erwiesenen Dienste blutig zu rächen. Nachdem Suleyman Pasa die südlichen Tliorc des Hain köi- und Tvardica-Passes besetzt hatte (I. Bd. S. 245), entsandte er am 13. Morgens: 1 Brigade Infanterie, 2 Cavallerie-Schwadronen, 1 Batterie und einen Trupp Basibozuks mit Tscherkessen, unter Rassim Pasa, zum Angriffe auf Kalofer und Karlovo. In drei Colonncn zog das Detachemcnt gegen die stark verschanzten, mit Artillerie besetzten russischen Stellungen, welche die von Golcmo selo und in der Front vorgehenden Angreifer mit lebhaftem Feuer empfingen. Die jede Terrainfalte geschickt, benutzenden Türken entwickelten sich in Schützenketten und rückten bald im Schnellschrittc vor; die Annäherung war jedoch schwierig, da die Gegner das mit Gärten umgebene, gute Deckung bietende Kalofer energisch hielten. Erst als der rechte türkische Flügel das Städtchen von Malko selo aus zu umgehen drohte, der rechte und das Centrum in wiederholten Angriffen den Geschützen der Russen nahe gerückt, suchten diese mit denselben, für ihre Rückzugslinic besorgt, die nördlichen Höhen zu gewinnen. Auf ein gegebenes Signal griffen nun die in Kalofer eindringenden Türken mit dem Bajonnct an und trieben seine verzweifelnd kämpfenden Vcrthcidigcr bis auf den Rosalita-Pass zurück. Was nicht von der Bevölkerung aus der brennenden Stadt in die Balkanschluchten entkam, wurde von den plündernden Basibozuks niedergemacht. Die Russen verloren einige Hundert Mann; Kalofer war aber am nächsten Tage nur ein rauchender Trümmerhaufen. Erst neuestens beginnt der vor dem Kriegsausbruche so blühende Industireort aus der Asche zu erstehen. Etwa 300 Seelen wohnten im Juli 1879 in nothdürftig hergestellten Hütten, auf welche die leere, ausgebrannte Kirche traurig niederblickt. Bereits schnurren aber 30 Gaitan-Maschinen, und dies lässt hoffen, dass auch die noch in fernen Städten weilenden Bewohner ihre alte Heimstätte allmälig aufsuchen werden. EMPFANG RUSSISCHER OFFICIERE IN DER SCHULE ZU KALOFER. 08132078 IV. VOM GIOPSU UEBER DEN TETEVEN-BALKAN UND DAS VID-GEBIET ZUR DONAU. (V. Balkan-Passage.) Nach Kloster Sv. Bogorodica. - Djumrukcal-Schlucht. — Wunderquell. — Ländliches Fest._ — Poli-tisirender Archimand.it. — Giopsu-Becken. — Sein Entdecker. — Schloss Zvanigrad. — Catal tepe und Koneg mogila. — Schwefelquelle. - Karlovo. — Vorgänge während und nach dem Kriege 1877 -78 im Giopsu tekne. — Kömerbad Hisar banja. — Sopot. - Sein Kloster und Schloss. - Rosenol-und andere Production am Giopsu. - Baba türbe. — Auf Janobasa's Minaret. — Karahisarh. -Karnare. — Tekita. — Russische Passage des Trojan-Balkans im Jänner 1878. — Kahmanli. — Aufstieg zum Teteven-Balkan. — Panorama auf dem Kücuk Alan. - Die Sredna gora und ihre Bewohner. — Hirtenniederlassung. — Erstes Nadelholz im südlichen Balkan. — Verfallene Karaula. — Haiduci. — Phyllitzone. — Rapider Wetterwechsel. — Schlachtenglück des Reisenden. — Profilaufnahme gegen Norden. — 33malige Kreuzung des Beli Vid's. — Seine Quellen. — Geschichte des falschen Vid's. — Holzindustrie. — Billige Fische. — Ribarski Mahle. — Seine Häuser und Menschen. — Nach Teteven. — Ein opponirender Kiatib. — Tetevcn's Industrie und Strassenzüge. — Kriegerische Ereignisse 1877. — Cerni Vid. — Glozan. — Pomakendorf Hesen. — Toros, dessen Ackerbau und Schicksale im Kriege 1877. — Geologischer Durchschnitt von der Donau zur südlichen Balkanzone. — 10 Tumuli. — Tabakculturen. — Peilungspunkt Karaula Bezanovo. — Römische und bulgarische Ruinen von Sadovec. — Die beiden Dabnik. — Römische Reste. — Midhat's Vidbrücke und ihre Bedeutung für Osman Pasa. — Eroberung der Schanzen von Telis, Gorni- und Dolni-Dabnik im Oktober 1877. — Das Zauberschloss von Plevna. — Denkmale für die russischen Gefallenen. — Geologisches. — Von Pleven z«m Isker. — Brsljani. — Mücken und Tscherkessen. — Romanenorte. ~ Vid-Mühle. — Seen bei Golenci. — Der römische Utus und seine Castra. — Zehenterhebung. — Antike Mauern zu Bres. — Antiquitätenhandel und seine Folgen. — Gigen. — Das römische Oescus. — Seine Alterthümer. — Ruinenstätte. — Brückenpfeiler bei Celei. — Streit der Historiker über Trajan's und Constantin's Donau-Steinbrücken. — Ein Sarkophag als Symbol der Vergänglichkeit. lieber Kalofer's westliche, mit Wein bebaute Vorhöhen geht es von der Tundza in das gleichfalls zum Maricagebiet gehörende Giopsubecken hinüber. Wir betraten aber nicht sein W. 0. streichendes Hauptthal, sondern das nördlichere Defile des ihm zumessenden Ak dere (Bela rjeka). Allerorts waren arbeitende Leute von Kalofer in städtischer Tracht sichtbar, welche unter Gesang und Kunitz, Douau-Balgarion und der Balkan. 11. 9 Scherz ihren Mais behackten, Maulbccrblätter pflückten oder Obst ernteten. Haselnüsse und Himbeeren gab es überall in Fülle. Bald blieb das fröhliche Treiben hinter uns, die Culturen schwanden, wir kreuzten den Bach, traten sodann in die durch die Hänge der „Öufadarica" und des „Sareolu" sich verengende Schlucht und standen, stets hart am Bachbette aufwärts ziehend, nach Vl2 St. vor der Pforte von Sv. Bogorodica. Dieses etwa seit 200 Jahren wieder „arbeitende" Mönchskloster liegt in 160 M Seehöhe, auf der Sohle eines hochromantischen Kessels, welche saftige Wiesen mit eingestreuten Wein-, Obst- und majestätischen Nusspflanzungen bedecken. Ueberall ertönt das Rauschen des lustig über Stämme und Felsen hinbrausenden Ak dere und von allen Seiten blicken hohe Vorberge des Balkans in dieses reizende Eden. Oestlich der „Selskibuk" und „Kamak", westlich die Abstürze der Cufa-darica, mit sanfter Kuppen- und Spitzenbildung, oft stellenweise bedeckt mit dichtem Baumwuchs oder würzigen Weidetriften für des Klosters reiche Herden. Einige Punkte krönen riesige Kreuze, mit besonderen Namen, den Hintergrund schliessen aber stolz in die Lüfte ragende Gipfel des isolirten „Küpen" und des vielzerklüfteten „Djumrukcal". Dieser letztere bildet die mit dem Mara-Gedük rivalisirende zweithöchste Kuppe des Central-Balkans. Neben diesem mit einigen Strichen hier angedeuteten grossartigen Naturbilde fällt die unscheinbare Physiognomie der berühmten geistlichen Heilstätte bedeutend ab. Das Kirchlein besteht aus einem niederen, kleinen Langschiffe mit doppelter Säulenstellung; das hoch in Ehren gehaltene, vor der Ikonostasis stehende Bild der h. Jungfrau, der Schutzpatronin des Klosters, dann einige alte Gasluster böhmischen Ursprungs bilden des Schiffes* grösste Zier. Grossen Werth mass der Hegu-nienos auch einem in rothen Sammet mit Silberbeschlägen gebundenen Evangelium bei, welches die russische Katharina dem Kloster verehrte. Analysirt man den kleinen Bau nicht en detail, so besitzt er bei allen Mängeln doch eine gewisse Poesie; namentlich vermitteln die originellen Pfeiler seiner Vorhalle, knorrige starke Weinstämme in italienisch heiterer Weise den Uebergang von religiöser Mystik zur befreienden ewig frischen Natur. » Die frühe Nachmittagsstunde lud zu einem kurzen Ausfluge nach der vom Küpen herabziehenden Schlucht ein. Er war im hohen Grade lohnend; geographisch, wie landschaftlich gestaltete sich die Wanderung gleich interessant. In einzelnen Parthien erschien die Scenerie wildromantisch, denn stellenweise bildet der Ak dere Cascaden mit bedeutendem Falle, das Haselnussgebüsch bleibt zurück, mächtige nackte graue Phyllitfelsen treten art den sich überstürzenden Bach und über sein bewegtes lärmendes Treiben erhebt sich der Djumrukcal in ruhiger Majestät. Auf dem Rückwege kamen wir am „Beli Pesak" (auch „Beli bieg", weisser Fels) und bei einer dem Sv. Panteleimon geweihten Capelle vorüber, deren Quell sehr heilthätig für Augenleiden u. s. w. wirken soll! Während der Heimkehr war der Abend angebrochen; im Cekarov han war's bereits stille und der Mond leuchtete durch die milde Sommernacht, Der grellste Gegensatz herrschte im nahen Klosterhofe, den zweistöckige Holzgebäude einschliessen, bestimmt für jene bäuerlichen Pilger, welche nicht das Campiren auf freiem Wiesenplane den wenig einladenden finsteren Räumen vorziehen. Es geschieht gewöhnlich nur bei ungünstigem Wetter; denn am liebsten schläft und bewegt sich der Bulgare in frischer Luft. Kurz vor uns war das Klostergesinde sammt den zum Schneiden, Mähen und zu anderen Feldarbeiten aufgenommenen Hilfsarbeitern, vom Felde heimgekehrt. Als wir den Klosterhof betraten, lagerten viele bereits auf seinem grünen Plane bei hellen Feuern, andere sassen in Gruppen zu Fünf vor riesigen Schüsseln gefüllt mit magerer Suppe, in welcher viel Brod neben spärlichen Topfenstücken umherschwamm und die sie gemeinsam mit hölzernen Löffeln ausschöpften. Der bulgarische Feldarbeiter giebt sich mit der dreimaligen Verabreichung dieses frugalen Gerichtes, etwas Bohnen und Brot zufrieden, daneben beträgt sein durchschnittlicher Tagelohn etwa 100 Para = ty« Mark pro Tag, und weder Wein noch Bier erhitzt die Köpfe dieser genügsamen, fleissigen und nüchternen Menschern Trotzdem traf ich sie aber stets bei der schwersten Arbeit fröhlich und zu heiterem Treiben gelaunt. Kaum hatte das Klostergesinde den Löffel vom Munde, schlug ein lustiger Bursche den Jüngeren vor, sie sollten das Hochzeitsspiel aufführen. Rasch erkor er sich eine dralle Dirne, vielleicht sein wirkliches Liebehen, zur Braut und nun spielte sich unter Gaidamusik und neckischen Scherzen die förmliche Werbung, der Zug zur Kirche mit djever und bairaktar in rasch improvisirtem Flitterpompe ab. Auch die üblichen Geschenke wurden verlangt und gerne von uns gespendet. Das Fest schloss mit einer allgemeinen Hora, welche fröhlicher Scherzgesang begleitete und die aufgeweckten Bursche mit derben Spässen würzten. Wir lachten viel und sahen ein bescheidenes Bild des Klostersabors (Patronsfest), der am 8. Sept. a. St. unter dem Zuströmen der Bevölkerung aus den Kazanlik-Karlovoer Becken hier alljährlich gefeiert wird. Beim Scheine der leuchtenden Himmelsfackel wurde ich nach dem nahe der Kirche gelegenen vornehmeren Gastgebäude geleitet. Es enthält einige kühle, nach bulgarischen Begriffen comfortabel ausgestattete Fremdenzimmer. Der gastfreundliche Hegumenos, der sich noch an Barth's Besuch im J. 1862 sehr wohl erinnerte, leistete mir ein wenig Gesellschaft. Hatte ich zuvor ihn über so viele Dinge ausgeholt, so wollte er nun auch sein Recht haben. Ich sollte ihm über den Lauf der letzten Ereignisse in Frankreich Rede stehen, obwohl ich bereits seit Wochen ohne jede Nachricht vom Kriege war. Der Hegumenos politisirte gerne und schloss seine Sätze stets mit dem stereotypen Refrain: 9* Bogami, Napolijon je padne! — denes samo Wilem je silni! (0 Gott! Napoleon ist gefallen, heute ist nur noch Wilhelm mächtig!) Während unseres Gespräches wurde das Abendbrot gebracht, prächtige Forellen und guter Sliven-Wein bildeten seine köstlichsten Bestandteile; bald machte sich aber die Wirkung unserer Excursion geltend. Laku noc! rief ich dem Hegumenos zu und schlug auf der kühlen Veranda mein Quartier für die Nacht auf. Am nächsten Frühmorgen weckte mich das helltönende Symantron. Der Prior las rasch ein Gebet für meine glückliche Weiterreise. Ich erwiederte diese Aufmerksamkeit und die genossene Bewirthung durch ein Gastgeschenk, das ich auf das verehrte Ikon der h. Jungfrau niederlegte, und gleich darauf ritten wir durch die kühle, vom Sonnenlichte noch unberührte Ak dere-Schlucht dem Giopsu-thale zu. Nach einstündigem Marsche trennte uns der am Vortage überschrittene beiläufig 700 M. hohe Granitsattel gegen 0. von Kalofer und dem Tundzathale, westlich hatten wir aber die Abfälle des Dtiska Janlu, welcher der Phyllitzone des Balkans angehört, zur Seite. Das Terrain ermässigte sich fortwährend, das Defile wurde bald breiter und zwischen Kurtovo und Miterisovo traten wir endlich hinaus in die überraschende landschaftliche Pracht des breiten sonnigen Giopsuthales. Das Becken des „Giopsu" oder der „Srema"*), wie die Bulgaren das Flüsschen nennen, verdankt seine Entstehung jenen grossartigen Dislocationen, welche bis in die Kreidezeit zurückreichen und den Süd-Steilhang des Central-Balkans, sowie sämmtliche beckenförmige Einsenkungen an seinem Fusse schufen. Gleich den östlichen Längenthälern von Kazanlik, Sliven und den westlichen von Zlatica, Sofia, Temska und Pirot, läuft die Giopsuspalte O.W. und wird von den Nachbarbecken durch niedere N. S. streichende Querrücken getrennt, welche die langgestreckte Balkankette mit dem ihr vorlagernden thracischen Mittelgebirge brückenartig verbinden. Wie der Karadza dagh (Öerna gora) den Südrand des Tundzabassins bildet, so der Orta dagh (Sredna gora) jenen des Giopsuthales. Einst waren aber diese Vorgebirge mit der Balkanhauptkettc zweifellos ein ungetrenntes Ganze. Als ich von der Papaini vahöhe bei Miterisovo das Profil der das Giopsu-becken in sanften Linien begrenzenden Sredna gora fixirte, gedachte ich des wackeren Lejean's; denn ihm fällt das Verdienst zu, beide gewissermassen enb deckt zu haben. Vor ihm wussten unsere Kartographen auch nichts von Karlovo, der Hauptstadt des Giopsuthales, von seinem grossen Flecken Sopot und seinen zahlreichen Ortschaften. Lejean verzeichnete deren 15, ich fügte (1871) weitere *) Beide Namen wurden bisher irrig in: Gübsu, Göksu, Strjema u. s. w. verstümmelt. Der türkische. Name Giopsu bietet übrigens kaum einen Anhaltspunkt für die Feststellung der altbulgarischen Burg Kopsis, welche Vojslaf im oberen Tundiathnle 1323 gegründet haben soll. 14 hinzu, was die nun vollständige respectable Zahl von 1 Stadt, 1 Flecken, und 29 Dörfern ergiebt, welche alle dem gesegneten Giopsuboden ihre Existenz danken, der ungemein reich bewässert, gegen Stürme geschützt, sich einer mehr südlichen, durch ihre Ueppigkeit Uberraschenden Vegetation zuneigt. Auf der Miterisovohöhe wies der mich begleitende Hegumenos auf einen fernen Punkt am unteren Ak dere, wo sich ein grosses mittelalterliches Ruinenfeld befinden soll. Nach der traditionellen Sage stand dort einst das altbulgarische Schloss Zvanigrad und hiess auch der Ak dere „Zvanostica". Mit einem Seufzer über die ferne Zeit bulgarischen Glanzes schied hier der Klosterabt. Ich zog nun allein weiter, schwelgend im reichsten Genüsse wechselnder Landschaftsbilder, welche nur der Pinsel eines Rottmann's in ihrer ruhigen Linienpracht und stimmungsvollen Beleuchtung hätte festhalten können. Die jungfräulichen Landschaften des Balkans harren noch ihres Meisters; mein bescheidener Stift versuchte stets nur die ersten Lineaniente zu ziehen. Oberhalb Miterisovo kreuzte ich den prächtigen Schlucht-Ausgang der Garvanstica (Rabenbach). Nussbäume von 1 Meter Stammdurphniesser und 12 Meter weitem Laubdache luden hier zu kühlender Rast ein. In der Ebene weit draussen erschien gegen SW. das Catal tepe, ein im Sonnenlichte feurig erglühender isolirter Granitberg, dessen zwei Höcker seinen Namen rechtfertigten. Einem Blockhausc ähnlich liegt er vor dem zwischen dem Orta- und Karadza dagh zur Filipopcler Ebene führenden Querdefile. Nahe beim Tepe entspringen dem sumpfigen Boden einige schwefelige Quellen von 20° R. und Männer wie Frauen finden in einem bescheidenen Holzbau dort abgesonderte Baderäume. Länger verweilende Gäste wohnen im */4 St. fernen, etwas mehr Comfort bietenden Banja (Lidzaköi). Deutlich erblickte ich gegen S. seinen hcllschimnicrnden Han und die weisse Kirche; SW. tauchte aber mit dem Catal tepe auf einer Linie die kleinere Granitkuppe „Koneg mogila" empor, neben der einige Tumuli von Menschenhand zu bescheidenen Pünktchen herabsanken. Als wir bald darauf den Güben-boru umzogen, gelangte das westlichere Giopsubccken, begrenzt von den Trojan- und Teteven-Balkan-Abhängen und der Sredna gora in Sicht, etwas später aber, bei den „Helenski grobiste", auf einer mit alten Gräbern besäeten Anhöhe vor Karlovo, zwischen majestätischen Nussbaumkronen, dieses Städtchens malerische Silhouette mit hellschimmernden Minareten. AVas wäre eine türkische Stadl ohne die letzteren? In der mit Obst-, Wein- und Rosenculturen verschönten Ebene tauchten noch viele dieser gegen Himmel zeigenden weissen Spitzsäulen auf. Stets üben sie unsagbaren Reiz aus der Ferne, dem Wanderer sind sie Wegweiser zum ersehnten Ziele; der Topograph begrüsst sie aber freudig als sichere Orientirungs- und Peilungspunkte für die Lage der mit Grün umhüllten, sonst schwer kennbaren Orte. Karlovo's Lage ist ebenso lieblich, als seine nach Trojan führende, mit Wasserfällen und Schneefeldern erfüllte Baikauschlucht hoch romantisch. Das Städtchen erhebt sich unmittelbar an ihrem Ausgange und sein Wohlstand ist o-rossenthcils durch die zwischen dem Alai-Bozan und Samoto drvo hervorbrechende wasserreiche Susica bedingt. Karlovo war Kalofer's grösster Rivale auf dem Gebiete der Gaitanindustric, an Zahl der Spindeln überflügelte es dasselbe sogar; man versicherte mir, dass es 1200, daneben sehr viele Sciktuchstühle und auch einige geschickte Holzschnitzer besitze. Karlovo war nicht, wie Barth mittheiltc, »/* muslimisch und Vi christlich, sondern zählte 300 türkische neben 1200 bulgarischen und 50 jüdischen Häusern, also nahezu 9000 Seelen. Die erst seit beiläufig 100 Jahren existirende Stadt entwickelte sich rasch, sie hat als Sitz des Bezirkshauptmanns auch administrative Bedeutung, denn ihr untersteht das ganze „Karlova altschan owassi" (Thalebene unterhalb Karlovo). Die Türken besassen trotz ihrer geringen Zahl (1500 Seelen) hier 7 Moscheen, unter welchen der Kursumlu dzamesi schöne Architektur mir auffiel. Geringes Interesse bieten die zwei Stadtkirchen, Sv. Bogorodica wurde 1848, Sv. Nikola 1852 erbaut. Die bulgarischen Knaben- und Mädchenschulen gehörten zu den besseren des Landes; ich traf hier mehrere junge Kauflcutc, welche viel gereist hatten, Wien und Paris kannten, geläufig deutsch oder französisch sprachen und rege Geschäftsbeziehungen mit Constantinopel, Filipopel und Sofia pflegten. Nach letzterem rechnet man über Zlatica 22 Wegstunden. Karlovo war sehr wohlhabend, viele seiner reicheren Familien befanden sich zur Sommerfrische in dem fernen Hisar bauja, und im J. 1876 gründete Ivan Groccv sogar eine nach europäischem Muster eingerichtete Tuchfabrik, welche ihre Maschinen aus Belgien bezog. Dies alles änderte der 1877 ausgebrochene Krieg. Eine amtliche Depesche von Hamid Pasa, Civil-Gouverneur, und Mehemcd Rassim Pasa, Militärchef von Filipopel, berichtete am 1. August an die Hohe Pforte: „Um die von den aufständischen Bulgaren im Giopsu tekne belagerte muhammedanische Bevölkerung zU befreien, sowie um die lnsurrection von Karlovo und Sopot zu dämpfen, wurde von hier eine Abtheilung Linien-Infanterie und Freiwillige mit 2 Bergkanonen auf Befehl Savfet Pasa's geschickt, welche sofort die Frauen und Kinder der befreiten Dörfer hierher sandten. Hierauf zogen unsere Truppen nach Karlovo, das sie belagerten. Nachdem sie die muselmännische und israelitische Bevölkerung herausgeführt, wurden die bulgarischen Rebellen aufgefordert, die Waffen niederzulegen; da diese aber in ihrer strafbaren Auflehnung beharrten und aus den um die Stadt aufgeführten Schanzen auf unsere Soldaten feuerten, erwiederten diese den Angriff, bis die Rebelten einsahen, nachdem sie einige Dutzend der Ihrigen verloren, dass ein längerer Widerstand vergeblich sei, und durch einen Parlamentär wegen ihrer Unterwerfung unterhandelten. Ihre Bedingungen wurden angenommen, die kaiserlichen Truppen zogen in Karlovo ein, stellten die Ordnung her und nahmen die von den Rebellen ausgelieferten Waffen in Besitz." Die Türken, welche einige Mann todt und verwundet hatten, begannen bald nach den „Hauptrebellen" zu forschen, plünderten unter diesem Titel die wohlhabenden bulgarischen Häuser, zerstörten die Grovec'schc Tuchfabrik, welche eben ihre Arbeit beginnen wollte, und schleppten Hunderte vor das Kriegsgericht nach Filipopel, wo die meisten auf einfache Denunciation gehängt oder nach Asien deportirt wurden. Von Karlovo zog das durch seine fanatischen Muselmänner verstärkte „Paci-fications-Detachement" nach Sopot, wo es in gleicher Weise wüthete. Gurko's .Streifcolonnen befreiten im August nur für wenige Tage Kalofer, Karlovo und Sopot von ihren Peinigern, den Basibozuks und Tscherkessen. Mit Suleyman's Vordringen gegen die Balkanpässe zogen sich die russischen isolirten Detache-nients sämmtlich nach Norden zurück. Als jedoch die siegreichen Russen im Jänner 1878 Thracien dauernd besetzten, flüchteten Karlovo's Türken und Israeliten, weil die Rache ihrer bulgarischen Mitbürger fürchtend, mit den retirirenden Truppen. Das von den Grossmächten sanetionirte Statut für das „autonome Ost-Rumelien" sicherte später den Emigrirten wohl theoretisch die Repatriirung, allein trotz verschiedener abgesandter Commissäre und des Fürst-Gouverneurs Vogoridcs officieller Intervention, wiesen die erbitterten Karlovoer Bulgaren, auf die Hunderte trauernder Wittwen und Waisen der Stadt hinzeigend, die „verrätherischen", des Einverständnisses mit den Basibozuks beschuldigten Ankömmlinge zurück, deren Häuser sie schon früher zur Strafe dem Erdboden gleich gemacht hatten. Noch gegenwärtig, im December 1879, waren die Besitzansprüche der Emigrirten nicht entschieden. Das erwähnte Hisar banja liegt am südöstlichen Hange der Sredna gora. Des Ortes vier eisen- und schwefelstoffhaltige Warmquellcn von 24—35° R. wurden von den Herren des Karlovoer Medjlis gerühmt und sein Besuch mir auch wegen der von den Genevli herrührenden Baureste, Figuren und Inschriften dringend empfohlen. Ich vermochte die empfangenen Winke leider nicht zu benutzen und kann daher nicht sagen, in welchem Maasse sich archäologische Erwartungen zu Hisar banja erfüllen dürften, empfehle es jedoch nachfolgenden Forschern. Mein Routicr wies mich westwärts nach den Giopsu-Quellen. Wir überschritten die einer nahen romantischen Balkanschlucht entfliessende Solovrac rjeka und erreichten auf leidlichem Wege in 3/4 St. das im Sommer 1877 hart mitgenommene Sopot, einen reinbulgarischen Industrieflecken, der 563 M. hoch, hart am südlichen Balkanfussc sich ausbreitet. Seinen Haupterwerb bildet der mit Hülfe des rasch strömenden Ali dere fabricirte Gaitan, doch werden hier auch V0M GIOPSU tTEBEB DEN TETEVEN-BALKAN Seiktuch Wollstrttmpfe u. s. W. gearbeitet und exportirt. Von Sopotfs 3 Kirchen steckt die unter dem schlimmstcu Türkenregiment erbaute Sv. Bogorodica zur Hälfte in der Erde, die zweite hcisst Golema (grosse) Sv. Bogorodica, die Sv. \postoli wurde 1845 geweiht. Trotz dieses Kirchensegens befindet sich aber o-anz nahe in der von ihren Pylonen Pucivalo und Ostru brdo gehüteten Dobrila-Schlucht das uralte, erst neuestens restaurirte Mönchskloster Sv. Spas. Seine blinkende Metallkuppel leuchtet einladend aus dem mit allerlei Mythen mysteriös ausgestatteten Balkankcssel hervor und gab wahrscheinlich Sopot seinen türkischen Namen „Aktschc klissa" (Weisskirchen). Auch die Ruine eines verfallenen vom Aijalan meöe polena" tiberragten Schlosses winkt dort dein Erforscher ' Tao-p Wein und Wallnussbäume reichen bei Sopot bis hart an des vergangcnei rage, i «v,» Balkans Steilhang und bieten durch ihr frisches Grün grellsten Contrast zu seiner mit tausend Nadeln in des Firmamentes Bläue aufstarrenden Phyllitinassc. Besonders prächtig war das Bild Va St- südlicher anzusehen, und am Ali dere, beim östlichsten der 5 Tumuli von Ablalar, konnte ich es mir nicht versagen, des hohen Balkans pittoreske Umrisse, welchen das wunderbar wcchselvolle Colorit unbeschreiblichen Reiz lieh, mit dem Griffel festzuhalten. Noch um 4 Uhr Nachmittags hatte es 29° C. im Schatten. Die Sonne lag glühend heiss auf dem Tekne und zeitigte dessen reichen Segen. Seine Rosen-culturen, welche 1871 in 27 Ortschaften nahezu 360 Kilogr. Oel lieferten, waren wohl längst schmucklos, dafür beugten sich aber die zahllosen Weichsel-, Birnen-, Aepfel- und Zwetschkenbäume unter der Last der Früchte. Man versprach sich ein ebenso gutes Raki- (Slibowitz) als Weinjahr. Nur die Scidenzucht ging im Giopsu tekne seit 1866 durch die Raupenkrankhcit stetig zurück und wurde sogar von vielen Züchtern ganz aufgegeben. Den älteren Wallnussbäumen setzte man andererseits wegen des gestiegenen Werthes ihrer von französischen Ebenisten neuestens viel gesuchten Stämme stark zu und es schien mir, als geschähe nicht überall genug für den Ersatz durch neue Anpflanzungen, denn leider auch hier Hess es die Regierung an jeglicher Anregung fehlen! Mein Karlovoer Zaptie verwechselte unser Reiseziel Karahisar mit dem mir im Medjlis empfohlenen Hisar banja und nahm von Sopot südöstlichen Weg. Bald merkte ich aber den Irrthum und mit einer starken Curve gegen das Türkendorf Ablalar (bulg. Ahijevo) gewannen wir die durch das Tekne schneidende Längenstrasse wieder, mit der Richtung auf das gleichfalls ausschliesslich mos-limsche Janobasa (bulg. Iganovo). Rechts an der Strasse lagen zwei Tumuli, hart vor dem Dorfe stand aber das Türbe eines vielverehrten Baba. Die Gebeine des moslimschen Heiligen beschattet eine riesige Linde, deren Stamm 2 Meter im Durchmesser misst. Nach der grossen Zahl geopferter Fetzen zu schliessen, muss die Wunderthätigkeit des Baba sehr populär sein, nie sah ich ein solches Lumpendurcheinander, jeder der zum Grabe Pilgernden oder des Weges Kommenden hatte irgend einen bunten Lappen aufgehängt; mein Zaptie that das Gleiche, „denn dies bewahre vor Krankheit und halte insbesondere Fieber ferne!" Diese Art einfachster Gabenopferung, sei es nun für Verstorbene, Baumgeister u. s. w. reicht vom Aequator bis zum hohen Norden; Mungo Park fand sie im Wolli-land, und auch in Amerika, im Kaukasus, sowie in Esthland wurde diese Sitte constatirt. Zu Janobasa harrte meiner ein unerwartet freundlicher Empfang. Seine moslimschen Insassen waren eben zum Abendgebet auf dem anmuthigen Moschee-Vorplatze versammelt und luden mich ein, unter seinen Obstbäumen ein wenig auszuruhen. Man brachte zur Erfrischung vortreffliche Milch, dann Weichsel mit etwas Brot. Ich benutzte des Hodza's gute Stimmung und bat um Erlaubniss, den Minaretkranz besteigen zu dürfen. Bei vielen Dorf-Imans begegnete die Gewährung dieses Wunsches stets grossen Bedenken; der Hodza von Janobasa schien aber sofort zu verstehen, um was es sich handle, und kletterte mit mir die enge Steinspirale empor, und da die Moschee so ziemlich im Centrum des Giopsu tekne liegt, bot der Minaretkranz den trefflichsten Peilungspunkt für seine sämmt-lichen, durch rothe Dächer und weisse Minaretsäulen bis in die weiteste Ferne gekennzeichneten Orte. Dem Hodza war der Muhtar (Ortsvorstand) nachgeklettert und beide erwiesen sich als treffliche Kenner der Umgebung. Ihrer seltenen Toleranz zeigte ich mich dadurch würdig, dass ich mit keinem Blicke die Mysterien der unter mir liegenden offenen Gehöfte zu streifen versuchte. Ich nützte die prächtige Gelegenheit, um auch die am nahen Hange der Sredna gora liegenden Orte Dereli, Köleler und das von letzterem durch eine enge Querschlucht getrennte Köseler festzulegen, welches der im Giopsuthale sichtbaren, höchsten Gcbirgs-kuppe ihren Namen „Köseler bair" gab. Die Sonne eilte zur Rüste und die von den Türken gerne gemiedene Nacht hätte mich beinahe bewogen, im nahen Asiklar „Konak" zu machen, wäre dies nicht in moslimschen Orten stets mit vielen Förmlichkeiten verbunden. So zog ich hart am Giopsu, dessen starkes Rauschen die Abcndstille unterbrach, nach dem 1 St. entfernten Karahisarli. Dort schlief bereits Alles und nur der laute Anschlag der Hunde sagte uns, dass wir sein türkisches Mahle erreicht hatten. Meine späte Ankunft verursachte dem Muhtar einige Sorge. Nachdem er mit dem Zigeuner-Kihaja die Häuser sämmtlicher Abdullah, Ibrahim, Machmud und anderer Effendi analysirt hatte, fand er, wie ich es hätte voraussagen können, dass sie für solch' vornehmen Herrn durchaus nicht zur Aufnahme sich eigneten. Mit dieser stereotypen, in allen von Türken und Christen gemeinsam bewohnten Orten wiederkehrenden Phrase Hess der Muhtar seinen bulgarischen Öorbasi-Collegen herbeiholen und wälzte diesem die Sorge meiner Unterbringung zu. Nach kurzem Parlamentiren wurde ich glücklich im christlichen Ortstheile einquartirt, doch Hess mich der reiche schreiende Kindersegen des Hauses lange nicht zur Ruhe kommen. Es zählte 11 Seelen, denn auch hier, südlich vom Balkan, lebt die südslavischc Haus-Communion ungebrochen fort. Das 522 M. hoch liegende Karahisarli besitzt eine warme Quelle, die ich nicht näher kennen lernte, weil ich beim frühesten Morgengrauen aufbrach. Von Karahisarli peilte ich Kahnianli's Minarct in N. 20 W. Es war der Ort, von dem ich meinen Aufstieg nach den Vidquellcn nehmen wollte. Das Giopsubecken verengte sich nun rasch, links zeigte die schwach bewaldete Srcdna gora ihre vielverzweigte Gliederung. Ich stellte hier nur ihren „Tatli dere" (Süsswasser) lest und rechts das in tief eingerissener Balkanschlucht lfcgcnde, 3 St. von Sopot entfernte Karnare. Von diesem Dorfe führt ein steil ansteigender Saumpfad in G St. über den Trojanpass, an einem alten Castell vorbei, zum jenseitigen Osem und weiter hinab nach Trojan (S. 98). Diesen Weg hätte Mchcmcd Ali im November 1877 mit der türkischen West-armee von Zlatica gegen Lovec einschlagen müssen, um den von Suleyman Pasa combinirten Plan zu Plevna's Entsatz verwirklichen zu helfen; seiner Weigerung an dem Wagestücke sich zu betheiligen, folgte seine Entsetzung vom Commando. Suleyman beabsichtigte mit der Hauptarmee gegen Tirnovo vorzustossen, Radetzky dadurch zum Verlassen des Sipka zif zwingen, sich hierauf mit Achmed Ejub's nachrückender Südarmee, sowie mit der über Trojan ziehenden Westarmec bei Lovec zu vereinigen und sodann mit Osman die vor Plevna stehenden Russen zu erdrücken. Der Plan war sicher kühn gedacht, konnte aber schon desshalb nicht vollführt werden, weil die Russen, bereits Mitte November auf dem Kamme des Sofia- Etropol- und Zlatica-Balkans stehend, die türkische Westarmee vollständig im Schache hielten. Denn trotz des eingebrochenen Winters verfolgten die Russen energisch ihre Operationen gegen Thracien. Am 3. Jänner zog Gurko in Sofia ein und hiermit war der Moment für die vom Hauptquartier geplante Vernichtung der türkischen Balkanarmee gekommen. Gleichzeitig mit Radetzky's wuchtigem Offensivstosse gegen Kazanlik (I. Bd. 249), löste das Detachemcnt des G. L. Kareoff seine Aufgabe, die Pässe zwischen dem Sipka- und Teteven-Balkan zu öffnen. Vom 2. Jänner ab concentrirte Kareoff bei Trojan seine zur Verbindung der Gurko- und Radetzky'schen Armeen von Teteven bis Gabrovo vertheilten Truppen: das 9. Infanterie-Regiment, ltyi Bataillon des 10. Regiments, das 10. Schützen-Bataillon, 3 Batterien und die 2. Kosaken-Division. Am 4. Jänner Hess der General seine erste Abtheilung: 8 Compagnien Infanterie, 1 Sappeur-Compagnie, 1V2 Batterie und 2 Sotnien Kosaken gegen den Pass vorgehen, voran das 10. Schützen-Bataillon als Avantgarde. Bei 22° Kälte, die durch scharfen Wind noch empfindlicher wurde, musste der Weg durch hohe Schneemassen gebahnt werden. Oben auf dem Passe standen 3 Bataillone Nizam, ein Trupp Tscherkessen mit mehreren Positionsgeschützen in 3 durch Laufgräben miteinander verbundenen Redouten, durch die Wittcrungsvcrhältnissc in grösstc Sicherheit gewiegt. Ihr schlecht gehandhabter Patrouillendienst und ein starker Nebel luden zu einem Handstreiche ein. Unbemerkt schlichen sich die in Schwärme aufgelösten Schützen-Compagnien an die Befestigungen; sehr bald entdeckt, empfing sie jedoch ein so heftiges Feuer, dass sie mit Verlust den Schutz eines nahen Wäldchens aufsuchen mussten. Bis die zweite und dritte Abtheilung auf dem Kamme eintrafen, erlagen viele der braven Soldaten der grimmigen Kälte. Da der Frontangriff allein schwer durchführbar, Hess Karcoff nun gleichzeitig den Oberst Grekoff, von ortskundigen Bulgaren geführt, am 8. auf einem westlichen Saumpfad die Verschanzungen umgehen und von Karnare aus im Kücken angreifen. Vor Tagesanbruch trat er seinen beschwerlichen Marsch an. Der Weg war so steil, dass die Kanonen zerlegt und auf von Büffeln gezogenen Karren fortgeschafft werden mussten. Trotzdem traf er um 8 Uhr bereits in Karnare ein und vertrieb die schwache türkische Besatzung aus ihren Schützengräben. Von Karlovo eilte ihr wohl ein Nizam-Bataillon zu Hilfe, kam aber zu spät und wurde mit Verlust seiner Fahne und Gefangener nahezu vernichtet. 80 Transportwagen mit Proviant Munition, warmer Kleidung, Zelten u. s. w. wurden in Karnare erbeutet. Während dieses Vorganges hatte Karcoff von N. her das 0. Regiment zum Sturme auf die Pass-Redouten beordert. Es fand aber das sogenannte „Adlernest" bereits geräumt, weil die für ihre Rückzugslinic besorgten Besatzungen, Geschütze und Gepäck im Stich lassend, den Südausgang des Defile's bei Tekita zu erreichen suchten, was ihnen auch gelang, bevor sie durch Grekoff von 0. her daran gehindert werden konnten. Die Gewinnung der südlichen Rückzugslinie kostete ihnen aber trotzdem im Kampfe mit dem 10. Schützen-Bataillon gegen 200 Gefangene. Nachmittags vereinigten sich Karcoff's beide Abtheilungen bei Tekita welche nun, nachdem sie am 10. Karlovo besetzt und den Gegner aus dem Giopsuthale gänzlich vertrieben hatten, östlich bei Klisura die Verbindung mit dem seit 2. Jänner Zlatica besetzt haltenden General Dandeville und westlich über Kalofer mit Radetzky's Sipka-Armee herstellten. Auf dem Friedhofe von Karnare, welcher jetzt viele tapfere Russen und Türken bettet, entwickelt sich ein schönes Profil der das Giopsuthal gegen NW abschliessenden Balkanhöhen. Ich croquirte es und peilte sodann den Kessel von Klisura W., das tief in den Balkan schneidende Defile von Tekita, dem der starke Öufutsuju entfliesst, streng gegen N. Zwischen beiden Punkten ziemlich in der Mitte liegt Rahmanli, überragt vom „Bobu." An diesen höchsten Punkt des Teteven-Balkans schliessen W. der breite „Kapudzik" mit dem vorliegenden etwas niedrigeren „Kücük-Jumrkcal" und gegen 0. die langgestreckte „Koza stena". Mit Rahmanli's romantischer Lage wetteifert das reintürkische Dorf Teke (bulg. Tekita), auch sieht es gleich wohlhabend aus. Sein Han am Wege nach Karnare wurde von den Russen astronomisch bestimmt und bildete gleich Karlovo eine wichtige Position zur Festlegung des südlichen Balkanfusses im Giopsu-becken. Wir Hessen den tiefen Einschnitt von Jembeli (bulg. Slatina) links, kreuzten den reissenden Öufutsuju, durchschnitten hierauf ein wohlthuend schattiges Eichenwäldchen, schöne Maispflanzungen, Rosengärten und befanden uns gegenüber den ersten Häusern von Rahmanli. Nach einer an der Dorf brücke vorgenommenen Messung, welche 599 M. Seehöhe ergab, ritt ich nach der Moschee, wo kurz darauf der Muhtar und die angesehensten Aeltesten zu meiner Begrüssung erschienen. Sie beantworteten bereitwillig mehrere topographische Fragen und erwiesen sich auch sonst in hohem Grade dienstbereit. Hier erhielt ich einen besseren Begriff von moslimscher Gastlichkeit als in Karahisarli. Unter dichten, schattigen Nussbaumkronen schmeckte das von verschiedenen Häusern gespendete Mahl vortrefflich, insbesondere ein ausgezeichnet leckerer Milchreis, dann Honigbrot und Früchte. Die guten Leute meinten, ich sollte doch in ihrem Orte länger verweilen. Mein Programm gestattete dies nicht, denn ich gedachte am selben Tage jenseits des Balkans zu schlafen. Sobald meine Pferde das ihnen vorgebreitete Heu'verzehrt hatten und der als Kaiaus (Wegweiser) angeworbene Kihaja fertig war, brach ich auf. Von Rahmanli ging es zunächst NW. an einer mächtigen Quarzbank vorüber, worauf wir durch junges Buchen- und Haselnussgestrüpp mühsam uns den Weg bahnen mussten. Dabei stiegen wir bis zum Wiesenplateau des „Kücük Alan" fortwährend an. Hier weideten Rahmanli's grosse Herden, gehütet von einigen Burschen. Das Profil, welches ich von dieser Flöhe nahm, gehört zu den schönsten und lehrreichsten meiner bulgarischen Reisen, denn es gestattet einen tiefen Blick in die Configuration des Giopsubeckens, des Balkans, des Karadza- und Orta dagh's, welche es umschliessen. Als es zu seiner Detail-Beschreibung kam, zeigte sich glücklicherweise mein Führer nicht nur mit Wegen und Stegen, sondern mit allen Orts-, Wasser- und Bergnamen wohl vertraut. Ganz besonders interes-sirte mich die niedere, vom Kara tepe des Teteven-Balkans gegen S. vorspringende Nase, welche das aus dem Klisurakcssel strömende Giopsuwasser dicht an den nördlichen Steilhang der Sredna gora drängt. Ueber diese Granitzunge läuft die von einem Blockhause gehütete Strasse von Karlovo nach Klisura, das im Mai 187G von des erstereu fanatischen Muselmännern nahezu vollkommen zerstört wurde. Weiter sah ich das tief nach SW. einschneidende Querthal, in dem das bereits erwähnte Slatina liegt, und westlicher erblickte ich die südlich von Klisura 142 Vom GIOPSU OEHEU DEN TETE VEN - BALKAN sich erhebenden höchsten Punkte der Sredna gora. Der Charakter ihrer Bergformen ist weich, runde Kuppen herrschen vor, scharf ausgeprägte Gipfelbildungen fehlen; doch cuhniniren einige Punkte zwischen Koprivstica und Panagjuristc, die Bogdan- und Hrt Bunaja planina bis zu 1600 M. Durch ungünstiges Wetter beeinflusst, hatte Barth die Höhe der Sredna* gora jedenfalls unterschätzt, er vermochte kein richtiges Bild von derselben zu gewinnen und seine ignorante Umgebung trug Schuld, dass er sogar die Bogdan pl. in des Balkans Central-parthie versetzte, was grobe Verwirrung in unsere Karten brachte (s. Stiehler's Handatlas u. A.). Die noch ihres Detailstudiums wartende Sredna gora wird mancher Analogie und der Kuppcnbildung nach zu schliessen, in geologischer Beziehung ähnliche Verhältnisse wie der Karadza dagh zeigen. Ihr Gerüste gehört wohl der krystal-linischcn Zone an, wie dies am östlichen Fusse bereits erwiesen ist, und wie dort, dürften sich triassischc Gesteine an der Bildung der höheren Parthiecn betheiligen. Vermöge ihrer sanften und reichen Gliederung trägt die Sredna gora einen ungemein freundlichen Charakter, er würde sich gleichmässig über dieselbe verbreiten, wäre der, Wald nicht vor der Vernichtungswuth des Menschen in die tieferen Einschnitte zurückgewichen. Heiter wie das Gebirge, sind auch seine Bulgaren ein ungemein aufgeweckter Menschenschlag, welcher die Freiheit und Bildung hochhält. Bereits um 1830 fasste der nationale Gedanke in den Thälern der Sredna gora Wurzel, ihre alten Bergstädte gründeten auch die ersten Schulen, aus welchen einige tüchtige, ihre Fortbildung im Auslande suchende Lehrer und Schriftsteller hervorgingen, so z. B. Drinov, der zu Panagjuriste geborene hervorragendste bulgarische Historiker. Leider litt diese Stadt gleich Koprivstica furchtbar durch die Maibewegung 1876, welche die tscherkessisch-türkischen Gräuel hervorrief. Ihre Bewohner flohen vor der türkischen Rache nach den hohen Balkanregionen, in deren Schilderung ich begriffen bin. Heute giebt es dort im Giopsu-und auch im oberen Tundza-Thale keinen Moslim mehr! Vom Kücük Alan stiegen wir weiter hinan zum Sir Alan-Plateau. Die Aussicht von diesem 1400 M. hohen Punkte verengte sich rechts und links durch die näher rückenden Berge, gegen SO. erweiterte sich aber das Bild und mein Kaiaus wollte am fernen Horizonte sogar Filipopcl's Lage erkennen. Der Sir Alan trägt die letzten menschlichen Ansiedlungen. In einigen Sennhütten wird hier nicht unbedeutende Milch- und Käsewirthschaft betrieben, allerorts ertönte Pfeifen- und Schalmeienklang; Ziegen, Schafe und Lämmer kletterten überall zwischen Fels und Busch umher. Muskulöse Hirten brachten uns Topfenkäse, Milch und Erdbeeren, die Leute waren derbknochig, hatten sehlichtes blondes Haar und blaue Augen. Neugierig betrachteten sie meinen Anzug, das englische Sattelzeug; Alles war diesen Natursöhnen fremd, sie hatten einen Westeuropäer nie gesehen. UNI) DAS VID-GEBIET ZUU DONAU. 143 • Beim weiteren Aufstieg wurde die Scenerie wechselvoller, es ging über zerklüftetes Gestein und als willkommene Erinnerung an die ferne Heimath erschienen Nadelholzstände, welche um so interessanter, da ich sie als die einzigen Coniferen am langgestreckten Südhange des Central-Balkans constatiren kann. Hochstämmige Fichten wurzelten mit Laubholz gemengt zwischen grotesken Felsabstürzen, bald hatten wir jedoch die Baumregion gänzlich im Bücken, es folgten kahle Halden und nur Knieholz zeigte sich stellenweise bis zum 1747 Meter hohen Punkte, auf dem wir neben einer verfallenen Karaula kurz rasteten. In dem verlassenen Blockhause sah es wüst aus. Angebranntes Holz lag auf der Feuerstelle, Speisereste und Lumpen in nächster Nähe. Mein Zaptie meinte, dass wir wahrscheinlich einige Haiduken aus ihrem Verstecke aufgestört hätten. Weit und breit war aber nichts zu hören, was seine Ansicht bestätigte. Der Kaiaus blies scherzend das „Räuberfeuer" an, mein Dragoman holte die Kaffeebüchse herbei und in aller Gemüthsruhe schlürften wir, unbekümmert um des Zaptie's Bangemachen, den unsere Lebensgeister erfrischenden Moka. Es war allmälig kühl geworden, ein scharfer Luftzug strich über die nackten Höhen und die Moslims eilten ihre beim Aufstieg abgelegten Tuchjacken vom Sattel abzuschnallen. Mir erleichterte der Temperaturwechsel die letzte Kletter-parthie, noch waren mehrere Curven zu erklimmen, bis wir um 3 Uhr Nachmittags endlich auf der Einsattlung standen, welche ich nach ihrem Schmalplateau „Rabanica-Pass" taufte. Er zeigte sich mit 1916 Meter um nur wenig-niedriger, als der höchste aller Balkanpässe bei Kalofer. Diese nie früher von einem anderen Forscher gemessene höchste Region des Central-Balkans wurde nach einer hypothetischen Annahme bisher der Phyllitzone und unteren Kreide zugewiesen; ich stiess jedoch hier auf Granit mit röthlichen Feldspath-partikelchen, uud wir werden sehen, dass derselbe bis zum Westende der Kette, bis zum Timok, durch ihre sämmtlichen höheren Parthien fortzieht. So trafen Türken und Bulgaren zufällig das Richtige, als sie den Balkan „Hodza-Balkan" nnd „Stara planina" (Alt- oder Urgebirge) nannten. Mit erklärlicher Begierde eilte ich auf der Passhöhe einige Hundert Schritte gegen Norden vor, um der jenseitigen Landschaft ansichtig zu werden. Welche Enttäuschung! Ein einziger grauer Vorhang starrte mir entgegen, auch nicht die leisesten Umrisse einer Landschaft waren zu erblicken. Die kalt-graue Luft, welche uns beim Aufstieg entgegenblies — das Aneroid zeigte Luftdruck 663,/ — war die nach Süden gedrungene Avantgarde eines riesigen Wolkenheeres gewesen, das die ganze nördliche Scenerie mit einem dichten Schleier einhüllte. Also sollte ich um die erhoffte, mühsam errungene Aussicht in das wenig gekannte Vidquellen-Gebiet betrogen seiu. Ich berietb mit dem Kaiaus und erfuhr, dass nördlich tief hinab keine menschliche Wohnung lag. Bereits wollte ich zum Miss vergnügen meiner Leute nach der verlassenen Karaula zurückkehren, dort übernachten und besseres Wetter abwarten, da geschah das Unverhoffte. Ein mitleidig Rühren hatte im Rathe der Wettergeister gesiegt; die Nebel theilten sich, eine Coulisse sank nach der andern, und ähnlich den Wandelbildern unserer modernen Ausstattungstücke lag plötzlich die ganze nördliche Landschaft, bis über Teteven hinaus, von hellem Sonnenlicht Übergossen da. Rasch griff ich nach Portefeuille, Stift und Compass. Mit eilender Hand entstand ein riesiges Profil des übereinander sich thürmenden Amphitheaters, aus dem der Leser hier die Passhöhe abgebildet findet, dann peilte ich die vielen Spitzen der hervorragendsten Bergrücken von der Lovecer Vasilova planina bis zum Krevenik bei Jablanica. Das Wichtigste war aber kaum gethan, da blies ein feuchtkalter Luftstrom über uns weg, das sonnige Bild wurde immer kleiner und wie durch einen bösen Zauber war es bald gänzlich verschwunden. Schon hatte ich jedoch das Gewollte erreicht, und wer einmal in ähnlicher Lage sich befand, wird meine freudige Stimmung nachfühlen. Es war das Schlachtenglück des Forschers; bei diesem fünften Balkan-Uebergange lernte ich an meinen Reisestern glauben! Was kümmerte es mich nun, dass es auf halsbrecherischem Wege bergab ging, dass wir ununterbrochen durch den angeschwellten Vid, über Felsen und wahre Hekatomben von Bäumen klettern mussten! Seit Menschengedenken war es hier Niemand beigefallen, die durch Windfälle, Blitzschlag und Brand gefallenen Baumriesen wegzuschaffen. Fortwährend ging es in Curven hinunter, dabei schäumte dicht neben uns ein Wildbach tosend nieder, rechts und links kleine Queradern aufnehmend, Steine los reissend und Holz vor sich schiebend, das vergeblich seinen Weg zu versperren suchte. Zur Seite und auf den Höhen begleitete uns prächtigster Buchenwald, der nur an vereinzelten Stellen Nadelholz kümmerlich neben sich aufkommen Hess. Um so üppiger gedieh aber die bunte Flora auf dem mit durchfeuchtetem Erdreich bedeckten Urgestein, grosse Farnen aller Art, herzförmig, glatt und gezackt, verdichteten sich zu wahrhaftigem Gestrüpp und dazwischen rötheten Erdbeeren in Menge stellenweise den Boden. Immer ging es abwärts. Drei und dreissig Male, ganz wie es unser Führer von Rahmanli vorausgesagt, mussten wir durch das angeschwollene, bedrohlich tiefe Wasser, fort und fort dessen Ufer wechselnd, was sich für meine armen Vierfüssler oft gefährlich gestaltete. An manchen durch abgestürzte riesige Felsstücke verbarrikadirten Stellen war aber für uns Alle guter Rath theuer. Endlich, nach zwei hart durchgekämpften Stunden, nachdem unser Schuhwerk seine Dienste aufgekündet und wir bereits ermüdeten, wurde das enge Defile zahmer, gelangten wir hinaus in eine Lichtung und der laute Gang eines Wasserrades kündete die erste menschliche Stätte an. Es war ein Brettersägewerk, dessen Arbeiter uns freundlich begrüssten. Sie erzählten, dass gegen Mittag ein furcht- an bares Unwetter hier wüthete und dann nach W. gezogen sei. Das Wasser, dem wir hcrabgekommen, war ihrer Aussage zufolge der „Beli (weisse) Vid", der Hauptarm des Vidflusses. Von seinem Ursprünge im Balkan bis unterhalb Teteven läuft er NW. in einer tiefen Furche granitischen Urgesteins, das wechselweise grüne pbyllitisch-serpentinartige Schiefer, dann Hornblendegneiss, dünnplattige Mergel, Sandsteine, reine feinkörnige Quarzite, grüne schiefrige Sandsteine u. s. w. überlagern und durchsetzen. Erst seit 1870 finden sich die Quellen des Vid auf Kiepert's Karte richtig eingetragen. Früher Hess man ihn beim Städtchen Ihtiman am Südfusse des Balkans entspringen, dann gleich dem benachbarten Isker die Balkankette SN. durchbrechen und seinen Lauf nach der Donau nehmen. Diese seit 1788 nachgebetete Fabel der Schimek'schen Karte wurde wohl von dem Napoleon'schen Generalstabs-Officier Lapie bereits im J. 1822 berichtigt. Trotzdem wucherte sie weiter auf Oberst Weiss' Karte bis zu den neuesten Stichen von Oberst Scheda u. A. fort, da die europäischen Kartographen auch von Puljakov's späterer Correctur des Vidlaufes in seiner Monographie der Stadt Koprivstica (1860) keine Notiz nahmen. Im J. 1869 theilte mir Consul Lejean mit, dass er endlich die Vidquellen „nördlich" vom Balkan festgestellt habe, eine Nachricht, welche mich nach Lapie's und Puljakov's Angaben wenig überraschte. Um so mehr staunte ich, als Prof. Hochstctter bei seiner Rückkehr aus Rumelien (1870) mir erzählte, er hätte vom Ursprünge der Vidquellen in Sofia's Umgebung gehört. Ich äusserte gleich meine begründeten Zweifel und eine diesfalls an den österr. General-Consul von Hempfling nach Filipopel gerichtete Frage bestätigte Lejean's letzte Vid-Correctur. Nachdem ich persönlich die Vidquellen auf dem Terrain aufgenommen, ergiebt sich nunmehr als festes wissenschaftliches Resultat, dass der durch 6,3 Längengrade O.W. streichende Balkan-Hauptzug nur von einem Flusse, vom Isker, durchbrochen wird. Dies zur Ergänzung von Prof. v. Hochstctter's, meines verehrten Freundes Notiz über den „falschen Vid"*). Die geographische Fabel des Abbe Schimek's wird aber hoffentlich kaum mehr ihre Auferstehung feiern. Am Beli Vid stiess ich auf die bulgarische Holzindustrie im grossen Style, denn das Nadelholz eignet sich für diese besser, als die schwerer zu bewältigenden Stämme der Laubwälder. Bis zum 1 St. fernen Ribarica Mahle folgten in kurzen Zwischenräumen eine Menge Brettersägen, welche die Wasserkraft des hier starken Fluss-Gefälles mittelst kleiner Stossräder sich tributär gemacht. Diese Sägwerke bestehen seit langer Zeit. Abnehmer sind die Nachbarorte, deren Häuser vollständig Holzbauten, auch wird ein schwunghafter Ausfuhrhandel ni's nördliche Flachland getrieben. Nun wurde es mir klar, wesshalb ich während *) Geograph. Mittheilg. Wim. 1870, s. 299. Kunitz, Donau-Bulgarien and der Balkan. II. 146 VOM OlOrSU UEBER UEN TETEVEN-BALKAN. des zweistündigen Abstiegs so wenig hohes Nadelholz sah. Es ist leider hier, wie überall im Balkan bereits auf dem Aussterbeetat, weil die Regierung aus fiscalischen Gründen dessen Ausbeutung den angrenzenden Gemeinden, ferner fremden Speculanten für eine geringe Abgabe (10 Procent vom Werthc) gestattete und andererseits nicht für die Aufforstung, den rationalen Abtrieb u. s. w. sorgte. Das allgemein übliche Weiden der Viehherden im Walde, ferner Windbrüche und Brände thaten das Uebrige ihn zu schädigen. So wurde im Balkan und noch mehr in den thrakischen Gebirgen einer der kostbarsten Schätze des Landes muthwillig vernichtet. Es existirte wohl seit lange in Constantinopel eine Art Forstdepartement, es erliess auch Vorschriften zum Schutze des Waldes, alles dies aber nur zur Blendung des Auslandes und Versorgung einiger Protections-kinder. Eine wohlthätige praktische Wirksamkeit dieser Organe und Gesetze konnte ich leider nirgends entdecken. Im III. Bande werde ich übrigens mehr von ihnen erzählen. Die Arbeiter der ersten Brettersäge, bei der wir hielten, vertrieben sich ihre Müsse mit Fischfang. Der Vid ist ungemein forellenreich; für 5 grössere und 10 kleine pastrmi (Forellen) forderte man 1 Piaster, ich gab zwei, erhielt vielen Dank und gelangte unerwartet zu einem prächtigen Nachtessen. */a St. weiter abwärts ermässigten sich die Höhen, das Nadelholz versehwand und nahe der von W. einströmenden Zelenikovika erschienen die ersten mageren Culturen neben prächtigen Wiesentriften. Doppelt umzäunte riesige Hürden deuteten auf die schwungvoll betriebene Viehzucht, Schafherden tummelten sich auf vielen Hängen und auch die hier allerorts waldverderbende Ziege fehlte nicht. Wir waren bereits an 1500 M. abwärts vom Passe gestiegen, das Thal erweiterte sieh aber trotzdem nur massig; die Granitberge der Sale planina links, die Hänge des Vasilov-Gebirges rechts schoben sich förmlich ineinander und zeigten manchmal pittoreske Formen. Erst als wir Ribarski Mahle's (Fischerort) 16 Häuser in 619 Meter Seehöhe erreichten, traten die Berge etwas mehr vom Flusse zurück und die Landschaft wurde freundlicher. Selten hatte ich in gleich bescheidenem Räume übernachtet, er mass kaum 3 GM. und mit mir theilten ihn überdies einige knurrende Katzen, welchen Victor Scheffel vielleicht ein höheres Interesse als ich abgewonnen hätte; mit „Hidigeigei'scher" Ausdauer trotzten sie ihrer Verjagung, mein Schlafgemach war nämlich die Milch- und Vorrathskammer des Häuschens. Ausser ihr war wohl noch eine grössere Küche da, dort schlief aber Gross und Klein der Familie. Noch schlimmer stand es mit dem Abendbrot. Ich sehnte mich nach einem Bissen guten Brotes, die ungemein treuherzigen Frauen besassen selbst kaum das Notwendigste, ihre Männer waren auf Arbeit in der Fremde und ohne die mitgebrachten Fische hätten wir nach dem anstrengenden Balkanmarsche mit etwas Milch und Käse vorlieb nehmen müssen. Hätte ich nach des Tages Mühen mindestens ungestört ruhen können! Das kranke stöhnende Kind, die beschwichtigende, fortwährend singende Mutter Hessen dies aber nicht zu und trieben mich beim ersten Morgengrauen vom Lager. Der Tag brach frisch an, das Thermometer zeigte kaum 10° C, das Firmament war jedoch nach dem vortägigen Wettersturme prächtig klar und versprach eine gute Reise. Während des Aufsattelns der Pferde, welche in einer offenen Hürde übernachten mussten, zeichnete ich ein nahes Häuschen als Typus dieser höchsten Balkankolibi. Das steile Dach ist hier durch den grossen Schneefall bedingt, es kragt weit über die Veranda schützend vor, auf welcher die Bienenstöcke ihren Platz finden und die Frauen häusliche Geschäfte verrichten; der feste steinerne Unterbau dient als Kühlraum, Milchkammer und oft aucli als Stallung. Glas kennt man in den nördlichen Balkanthälern nur ausnahmsweise, aber auch Papier zählt zu den Luxusartikeln, denn die Fensterlucken werden grösstentheils mit Holzladen geschlossen. Im Frauenanzuge herrscht Blau vor, das Oberkleid ist ärmellos, den Kopfputz bildet eine gestrickte Kappe mit langen über den Nacken herabfallenden Fransen und als Fussbedeckung dienen Sandalen. Die Männer kleiden sich in gelbes Abatuch und tragen den Fes oder die Cubara. Die Leute sind ungemein flink in allen Bewegungen und aufgeweckten Sinnes. Meine Gastwirthin war die Hurtigkeit selbst, für ein „sbogom" (mit Gott) tauschte ich mit ihr ein „sretjan put" (glückliche Reise) und fort ging es zum Bezirksstädtchen Teteven. Wir durchfurtheten den Vid, überschritten die Zavodna und Hostina, gingen dann auf einer Steinbrücke, wo steil aufgerichtete schiefrige Sandsteine die Flusssohle durchsetzen, auf sein rechtes Ufer über und blieben auf diesem bis zum Granitthore, welches die pittoresken Felsvorsprünge des Marcovi gazeri und Kalugierski sep bilden. Unmittelbar hinter der Enge fliessen links aus schmalem Einschnitte die Brezova und rechts aus breitem Querthalc die stärkere Vasilovska rjeka in den Vid. Nun öffnete sich sein Thal, wir gingen dauernd auf das rechte Ufer zurück, wo am ( rveni breg (Rother Fels) Granit mit rothem Sandstein wechselte, bald folgten gelbbraune Mergelschichten und wir waren aus der Hochgebirgsregion herausgetreten. Im breiteren Thale begleiteten uns nun fortwährend Haselnusshccken, auch Culturen und Obstbäume wurden häufiger, jemchr sich die Berge ermässigten. Während des ganzen dreistündigen Rittes durch das Beli Vid-Defile", in dem zuletzt die Häuser von Teteven zwischen schönen Baumparthien in Sicht traten, erblickten wir nur selten eine der hohen südwestlichen Balkankuppen. Zu diesen zählen: die Klisurska stalica, der Vlah bunar, u. a., deren tiefen Schluchten am linken Vidufer zwischen den bedeutenden Vorhöhen: Sale planina, Bratnica, 10* Golemi klimos, Mrtsovi gazeri und Sokelev sep die erwähnten bedeutenderen Bäche: Zavodna, Hostina und Brezova entströmen. Die Vorberge der rechtsseitigen Vasilova pl. senden aber auf der langen Strecke vom Öerni red bis zum Kalugierski sep ausser der genannten Zelenikovska vor Ribarica keine nennenswerte Wasserader dem Vid zu. Ihre Hänge fallen meist steil ab, allerdings ist dafür das später von Vasilova herabkommende gleichnamige Flüsschen um so bedeutender. Der hohe Rücken der Vasilova planina bildete die Grenze zwischen den Sandschaks von Tirnovo und Sofia; denn letzterer gehörte merkwürdigerweise, obwohl grossentheils südlich vom Balkan liegend, zum Tuna-Vilajet und der nordbulgarische Bezirk Teteven mit seinen 7 Dörfern unterstand wieder dem thrakischen Sofia. Beider war es nicht die einzige Anomalie blos in der politischen Verwaltung, oder was die Türken so zu nennen beliebten! Zu Teteven beispielsweise überraschte mich nicht so sehr die Aermlichkeit als die Erbärmlichkeit des Amtshauses. Der baufällige Konak glich einem Stalle, sein Hof war unreinlicher, als solche gewöhnlich bei uns gehalten werden, überdicss erschien er ganz verödet, denn der Regent von Teteven war nach Orhanieh zur Begrüssung eines durchreisenden Pasa's gegangen und sein Kiatib weilte zum Kef in irgend einem unfindbaren Hause. So musste ich den Zaptiewechsel verschieben und notgedrungen im Han absteigen; glücklicherweise zählte er zu den besseren und gewährte eine treffliche Aussicht nach der Petrahilia und den Oetiri poleni jenseits des Vid's, in dessen klaren Fluten die nackte 5—13 jährige männliche und weibliche Ortsjugend in höchst ungezwungener Weise ihr munteres Spiel trieb. Auf schattiger, grünumrankter Veranda ordnete ich eben die kartographischen Notizen des Tages, als mich der endlich aufgestöberte Amtsschreiber Mollah Mehemed Effendi mit seinem höchstpersönlichen Besuche beehrte. Es war ein echtes Alttürken-Exemplar, dem ich sofort Kaffee und Tschibuk serviren Hess. Der Kiatib verschmähte aber mit abwehrender Handbewegung beides, da er wahrscheinlich einen „Comitet" oder Moskov in mir witterte. Nach einigen Höflichkeitsphrasen, die ein Türke, glaube ich, selbst mit Criminal-Verbrechern herkömmlicher Weise wechselt, forschte der Mollah nach meinem Verlangen. In höflichster Weise erbat ich mir einen Zaptie, der Effendi schien aber meinen „hochtürkischen" Ferman nur halb zu verstehen, noch weniger meine Reisezwecke zu begreifen, und forderte autoritativ, in seine verschlissene, einst braune Kaftan-toga sich drapirend, mein Verbleiben in Teteven bis zur Rückkehr des Mudirs. Vielleicht hatte es der Effendi auf ein Baksis abgesehen. Auf meinen Ferman hinweisend, riss ich jedoch kurz den Faden der Unterhaltung ab, erklärte in bestimmtestem Tone, dass ich meinen Karlovoer Zaptie weiter behalten und trotz seines unbegründeten Einspruches am nächsten Morgen meine Reise fortsetzen werde. Dabei blieb es und wir schieden höchst ungemüthlich von einander. Während das arg mit genommene Sattelzeug meines Packpferdes reparirt wurde, fand ich Müsse, Teteven zu durchstreifen. Es liegt in 421 M. Seehöhe, zählt in 650 Häusern etwa 4000 Einwohner und gleicht vielfach dem Nachbarstädtchen Trojan. Die Steinbedachungen geben auch ihm ein solides schmuckes Aussehen, und sieben der S. 100 geschilderten Korbbrücken führen zu den Feldern und Gärten der Öetiri poleni auf das linke Vidufer. Teteven besitzt eine Knaben-und Mädchenschule, ein Frauenkloster Sv. Bogorodica mit 20 Nonnen, überdiess zwei dem Sv. Ilija und den Sve Sveti (Allen Heiligen) geweihte Kirchen, aber sämmtlich von geringem Bauwerthe. Das Städtchen ist ziemlich wohlhabend, denn in seinen Kolibi wird viel Korduanleder fabricirt, dann Kaploma (Pelze), gelbes Aba, Seiktuch, Strümpfe u. s. w., auch der Forellenfang wird stark betrieben; die Seidenzucht befindet sich aber leider, der Raupenkrankheit wegen, im Rückgange. Bei den mich besuchenden Corbasi zog ich Erkundigungen über die nächsten Communikationen ein. Von Teteven führt, abgesehen von den Saumwegen nach Klisura und Zlatica, eine Vicinalstrasse über Bulgarski Izvor in 3 Stunden an die Chaussee, welche über Zikovica und Pravec in weiteren 5 Stunden nach Orhanieh geht, ein anderer Weg führt über Glozan, Gradisnica, Galata M. Dzelezna, Lesnica, Lesedren und Ablanica nach Lovec, endlich eine dritte Strasse über Glozan, Toros u. s. w. nach Pleven. Dieses Wegesystem, dessen Knotenpunkt Teteven darstellt, veranlasste die Russen, als sie im October daran gingen Osman Pasa's Verbindungen mit Ru-melien zu unterbrechen, sich der Stadt zu bemächtigen. Zur Ausführung wurde das Detachement Karcoff bestimmt, welches seit der Einnahme von Lovec, von dort aus die Verbindung zwischen der Balkan- und Westarmee unterhalten hatte, aber früher nur stark genug war, um die allerorts plündernden Tscherkessen im Zaume zu halten. Allmälig auf 1 Infanterie- und 1 Cavallerie-Division verstärkt, brach Karcoff am 28. Oktober gegen Teteven auf, um nach seiner Wegnahme, durch Demonstrationen gegen Orhanieh die Aufmerksamkeit des Gegners von der Strasse nach Plevna abzulenken, welche in Gurko's Operationsbereich fiel. Zwei Bataillone des 12. Regiments, einige Sotnien des 24. und 36. Kosaken-Regiments und 2 Batterien erschienen am 31. October vor dem von 3 Tabors Nizam und Artillerie schwach besetzten und befestigten Teteven; der Nachmittags von zwei Seiten erfolgte Angriff brachte die Russen in den Besitz der Schanzen, doch hielt sich die Besatzung noch bis zum Abend in der Stadt und trat des Nachts erst den Rückzug nach Orhanieh unbelästigt an. Am 1. November kam Karcoff mit dem Gros nach Teteven, wo viele Vorräthe gefunden wurden, und trat sodann durch sein am Vid zu Turski Izvor zurückgelassenes Kosaken-Detachement am 2. November mit Gurko's Cavallcrie-Brigade Ccrcvin in Verbindung, welche am selben Tage das auf dem linken Ufer gegenüberliegende PcStcrna besetzt hatte. Von der Jantra bis zum Isker stand nun kein türkischer Soldat mehr, die wichtige Sofia-Plevnastrassc war einem östlichen Offensivstosse preisgegeben, welcher auch nicht lange auf sich warten Hess und an dem ein Detachement von Teteven in der Richtung auf Etropol lebhaften Antheil nahm. Als dieses und der Kacamarsko-Balkan-Pass von den Russen genommen waren, rückte Oberst Komarovski am 3. December mit dem Regiment Ncu-Ingermanland von Teteven am Crm Vid über den Balkan, um die Verbindung mit dem gleichzeitig vor Zlatica sich festsetzenden Oberst Kurnakoff herzustellen. Nördlich von Teteven weicht in der mittleren Balkanzone die krystallinische Zone zurück und mesozoische Formationen treten an ihre Stelle. Die Berge an der Plevnaer Strasse, welche ich am 22. Juli Nachmittags einschlug, zeigten sanftere Formen, die Culturen ziehen zu bedeutender Höhe hinan, die Ansiedlungen werden häufiger und schliessen sich auch mehr zusammen. Etwa 3/4 St unterhalb Teteven, wo der Beli Vid von NW. in streng N. übergeht, nimmt er seinen aus SW. von der Kozika herabkommenden schwarzen Bruder „Öerni Vid" auf. Er fliesst wohl in mächtiger Stärke zwischen dem Ramno- und Prusnov-Kamik und deren vorgeschobensten Steilhöhen heraus, das Defile gestattet aber trotzdem in dessen zurückliegende Hauptthäler Cerni Vid und Krusovdol keinen Einblick. Rechts von der Strasse schiebt der Vasilovostock die breite Tres-kavec pl. zum Vid vor, dessen Gefälle auf der kurzen Strecke von Teteven bis Glozan nahezu 100 Meter beträgt. Er fliesst nach diesem wohlhabenden bulgarischen Ort mit 200 Häusern, einer Kirche und Schule im breiten Thale, grosse Viehherden tummeln sich hier auf hochgrasigem Plane umher und fette Triften dehnen sich bis zum Golemi- und Mali Venec aus, welche nach W. und 0. ihn begrenzen. Eine entblösste weisse Wand des „kleinen Kranzes", wohl die nördlichsten Kalke des Teteven-Balkans, leuchtet bis zum Punkte, wo die Strassen nach Orhanieh und Pleven sich gabeln. Nach beiden Richtungen muss man hinter Glozan den brückenlosen tiefen Vid durchfurthen. Die Strasse nach Orhanieh biegt jenseits in ein westliches Defile gegen M. Izvor ein, dessen hochliegender Han weithin sichtbar ist. Wir wendeten uns aber gegen N. und zogen auf dem linken Ufer weiter zum District der Pomaci, der bulgarischen Moslims. Das erste grosse Pomakendorf Hesen lag rechts am Ausgange einer breiten Querschlucht, neben ihm erschien ein bedeutender Tumulus, und auf der westlichen Höhe das türkische Pesterna; kaum hatten wir es im Rücken, wartete unser ein böses Stück Arbeit. Hart gegenüber dem breiten Kalenik-Defile, welches die Obstculturen des reichen Pomakenortes Turski Izvor verschönen, nähert sich das tiefe Vidbett so sehr Pesterna's mitten in der Sandsteinformation auftretenden Kalkhängen, dass sie uns zwangen, über den glattabschüssigen, arg zerklüfteten Felsvorsprung den Weg zu nehmen. Dies war aber bei dem mittlerweile eingetretenen Dunkel nicht leicht; mein Dragoman stürzte, verlor einen Sack mit gesammelten Gesteinproben, auch das Lastpferd fiel und wir hatten zu thun es glücklich auf die Beine zu bringen. Durch diese Unfälle ging sehr viel Zeit verloren und es war Mitternacht, als wir endlich das bulgarisch-pomakische Toros erreichten. Ich erspare mir die Schilderung des elenden Hans, in dem ich einige Stunden schlaflos verbrachte; der Mond leuchtete noch hell, als ich meine Leute zum Aufbruch weckte. Um 5 Uhr Morgens sass unsere Caravane wieder im Sattel. Bulgarischer Ackerlnuier. Bei Toros (204 }L Seehöhe) Hessen wir das oft unwegsame Mittelgebirge des Balkans hinter uns. Die Strasse wurde besser, rechts und links schlössen gut cultivirte Hochplateaus das Vidthal ab, überall stand der Mais prächtig entwickelt, oft manueshoch, kolbcngcscgnet und viel versprechend. Die Bulgaren feierten; es war Sonntag. Trotzdem regte es sich allerorts. Mit uns zogen viele pomakische Bauernfamilien zu Fuss, auf Eseln und Wagen zur Feldarbeit, alle vorsorglich mit gefüllten Wasserfässchen versehen, denn abseits vom Vid stösst man nur auf wenige Quellen. Die moslimschen Frauen und Mädchen tragen auf dem Felde keine Schleier, doch verhüllten sie mit dem blauen Feredschi leicht ihr Gesicht, wenn unsere Caravane nahte. Pomaken, Türken und Bulgaren bedienen sich gleichartiger, höchst primitiver Ackerbau-Werkzeuge; doch zeichnen sich die Bcwässerungs-Apparate der letzteren, wie ich im I. Bande erwähnte, durch sinnreichen Mechanismus aus. VOM QIOPSÜ QBBEB DEM TETE VEN - BALKAN Der Sommer 1877 brachte schlimme Tage für die Toroser Bulgaren. Sic wurden von ihren moslimschen Dorfgenossen und den benachbarten Tscherkessen in jeder Weise an Leib und Leben geschädigt. Mitte October befreite ein kleines recognoscirendes Kosaken-Detachement gegen 700 christliche Weiber und Kinder aus schlimmer Behandlung und geleitate sie über Turski Izvor in Sicherheit nach Lovec, wo man sie leidlich unterzubringen suchte. Von Toros fliesst der Vid gleich der mit ihm parallel laufenden Panega durch 2'/2 Meilen strenge S. N. Zwischen beiden streicht eine sanft gewellte Wasserscheide, die sich vom linken Vidufer ziemlich weit nach W. zurückzieht, während die Höhen von Ogarcin hart an das rechte Ufer treten. Sowohl Vid als Panega durchschneiden in dieser Zone ein ausgedehntes Kreidesandstein-Gebiet, welches namentlich von Toros bis gegen das 2 Meilen nördlichere Aglen alle charakteristischen Eigentümlichkeiten des Karpathen-Sandsteins besitzt. Diese dünn «^schichteten plattenförmigen Sandsteine enthalten neben viel Glimmer ein kalkiges Bindemittel und zeigen auf den Schichtüngsflächen eine bedeutende Zahl undeutlicher Pflanzenfragmentc. Ganz wie bei den Karpathen-Sandsteinen sind auch hier beim nahen Katenec, Kalenik u. s. w. in den schiefrig-mergeligen Parthien schmale Streifen einer muschelig brechenden Glanzkohle eingelagert, deren geringe Mächtigkeit und Ausdehnung aber jeden nutzbringenden Abbau ausschliesst. Südlich von Aglen überlagerten Eoccnkalke diesen Kreidesandstein, welche mit den Nuinmulitenkalken unserer Südalpcn identisch sind. Diese Zone streicht weit gegen W. und 0. und ihre horizontale Lagerung schuf jene ebenen Plateaus mit steilen felsigen Querthälern und spärlichen Wasseradern, welche die Landschaft hier charakterisiren. Nach Fötterle sind die dolomitischen porösen Lager dieses Kalkes zugleich dessen tiefste, auf älterem Gestein lagernde Schichten. Die obersten enthalten eine grosse Zahl Petrefacten, namentlich eine gryphea-artige Auster, zu der sich Gastropoden, Bivalven, eine Khynconella, Echinolampas, Crinoiden, Korallen und viele Nummuliten gesellen. Während der Karpathensandstein bei Toros den Uebergang zur älteren Secundär- und kristallinischen Zone des Balkans gegen S. bildet, stellen die Eocenkalke bei Aglen und über dieses hinaus die Verbindung gegen N. mit dem auf S. 81 charakterisirten grossen mio- und pliocenen Gebiete an der Donau her. Ich sammelte die in diesem Capitel geschilderten geologischen Data zu dem speciellen Zwecke, um den durch Herrn Bergrath Fötterle hergestellten Durchschnitt von Nikopoli bis Jablanica, meinerseits weiter bis zum Südfusse des Teteven-Balkans im Giopsu-Becken möglichst zu vervollständigen. In allgemeinen Zügen dürfte es gelungen sein* im Detail bleibt aber manche Lücke in diesem schwierigen ersten Versuche noch auszufüllen. Auf dem Marsche von Toros nach Drmanica standen 10 Tumuli hart an der Strasse in sehr regelmässigen Abständen. Lag letzteren eine bestimmte Absicht zu Grunde? Ich glaube kaum. Es tritt hier wie oft an anderen Orten das älteren wie modernen Naturvölkern in hohem Grade eigene angeborene rhythmische Gefühl zu Tage, welches bei den fortgeschrittensten Culturnationen in der Vorliebe für möglichst geradlinige Plätze und Strassen, nicht immer zur Befriedigung des Aesthetikers, culminirt. Zwischen Drmanica und Aglen traf ich hübsche Tabakculturen, denn noch war es (1871) der Pforte nicht eingefallen, diesen blühenden Zweig der bulgarisch-thrakisch-makedonischen Bodenwirthschaft durch das unglückliche Monopol arg zu schädigen; erst zwei Jahre später that sie es, ohne den erhofften Gewinn zu erzielen. Wir Hessen Lesnica's kleine Tatarencolonie westlich, durchfurtheten bei Aglen den Vid und hielten in seinem freundlichen Han eine kurze Rast, die ich zur Ausholung der hier den Sonntag feiernden bulgarischen Honoratioren über die nächste Umgebung verwerthete. Die Leute erwiesen sich intelligent und freundlich, wie ich überhaupt diese Eigenschaften im ganzen Vidthal sehr verbreitet fand. Wieder ging es über den Fluss, durch einen Hohlweg hinauf zur 249 M. hoch gelegenen Karaula Bezanovo. Sie ermöglichte Peilungen nach allen Seiten und ihr Commandant Caus Ibrahim war ein sehr trefflicher Cicerone. In reinsten Contouren erschien S. der Teteven-Balkan und gegen 0. übersah man gut das mittlere Osemgebiet. Wir stiegen nun nach Svinar (112 M.) hinab, dessen Öorbasi mir von grossen Ruinen am Vid erzählte, genug, dass ich unter seiner Führung dahin aufbrach. Ohne Rücksicht auf mannigfaltige Terrain-Hindernisse, führte er uns durch Dick und Dünn, auf directestem Wege, in das pittoreske, geologisch hochinteressante Vid-Defile von Sadovec. Nachdem das jenseitige Ufer erklettert, traten wir dicht unter einer Felswand aus dem Unterholze heraus und sahen uns in einem riesigen, von hellen foramim-ferenreichen Kalksteilmauern begrenzten Amphitheater, dessen von Grün bedeckte Sohle der Vid durchschneidet. Dort wo er S. hereintritt, erblickt man auf dem hohen Fels-Plateau seines linken Ufers theil weise noch erhaltene Mauern und Thürme eines der zahlreichen römischen, in diesen Gegenden häufigen Castelle, deren Restauration Lejean mit Recht dem baulustigen Kaiser zuschreibt. Im Mittelalter ersahen sich aber bulgarische Mönche diesen romantischen versteckten Thalkessel zur Anlage eines Klosters aus, von dem noch heute auf dem linken Vidufer ein ziemlich hoher Thurm mit Mauern erhalten ist. Von den Türken oft gebrandschatzt, soll, wie meine Begleiter erzählten, der letzte der Mönche mit den heiligen Büchern und Bildern nach der Walachei vor langer Zeit ausgewandert sein und dort das gleichnamige Kloster „Sadova" begründet haben. Ich suchte und fand es auf der Karte 2 Meilen N. von der Jiul-Mündung, nahe bei dem Flecken Grecesti. Vielleicht birgt es noch gerettete alte Urkunden, welche Uber (las bulgarische Sadovec Aufschlüsse enthalten. Ob es auch so prächtig landschaftlich wie dieses gelegen ist? Vielleicht, denn die orientalischen Mönche theilen mit den occidentalen den bewunderungswürdigen Blick für romantische Punkte Ich bereicherte meine Mappe mit dem schönen Landschaftsbilde und zog nach dem von einem Minaret überragten Cirikovo hinab. Bei einer Insel kreuzte ich zum vierten Mal an diesem Tage den hier sehr breiten Vid und erreichte, das im October 1877 vielgenannte Telis auf dem Hochplateau links lassend, das an seinem bedeutenden Zuflüsse Dabnicka bara im O.W. streichenden Thale liegende, gleichfalls berühmt gewordene Gorni Dabnik (125 M. Seehöhe). Neben seiner netten Kirche stand die Schule, welche aber trotz der 142 bulgarischen Häuser nur von durchschnittlich 20 Kindern im Sommer besucht wurde. Das Dorf zählte (1871) auch 56 türkische und 20 Zigeuner-Familien. Südlich zieht bei zwei Tumuli die Chaussee von Sofia nach Pleven vorüber. Ich gewann sie am nächsten Morgen durch eine kurze östliche Weg-Abbiegung und gelangte in % St. nach dem grösseren Dolni Dabnik mit 230 bulgarischen, 50 türkischen, 10 Zigeuner- und 24 Tscherkessen-Häusern. Bei dem Baue der letzteren stiess man auf römische Reste, welche ich in den Kirchenmauern und am Ortshan eingemauert oder frei umher liegend traf. Ich sah ein inschriftloses Piedestal, ein hübsches Capital, zwei zertrümmerte Votivsteine, einem T. FLAVIO PAPIRO (?), und einem L(ucius)... gewidmet, ein dritter zeigte drei verwischte Brustbilder en relief, und im Frontispice, rechts und links von einem Korbe mit Früchten, zwei Löwen, eine symbolische Darstellung, auf die ich zu Mitrovic in Syrmien sehr häufig stiess Der Kosta han bewahrte ein Relief, geziert mit Blattgewinden, Menschen- und Stierköpfen; endlich sah ich, abgesehen von kleineren Fragmenten und Säulen die Eckstücke eines Giebels mit reichornamentirtem Friese und den Füssen eines freistehenden Löwen, welcher einen Giebel-Ausgang gekrönt hatte. Welche römische Niederlassung auf Dolni Dabnik's Stelle stand, bleibt noch zu bestimmen. Auf der gegen O. sich abdachenden Hochebene zieht die grosser Heerstrasse zum Vid hinab. Der seinem Mündungspunkte nahe bei Plazivcc zueilende starke Dabnikbach durchfliesst hier prächtige Auen. Links an der Strasse lag eine Karaula, eine zweite hart am Flusse, wo die neue Brücke ihn überspannt Als ich im Sommer 1871 die Brücke passirte, war sie noch unvollendet, es fehlten 5 Pfeiler. Ein Jahr ruhte bereits damals der auf 2 Ufer- und 9 freistehende Steinpfeiler berechnete Bau; der letzteren Stärke mass 4, die Spannweite der Bogen 9 Schritte. Die aus Holz fest und zierlich gezimmerte 10 Schritte breite Bahn wurde sehr hoch angelegt; denn der bei niederem Wasserstande allerdings nur durch 5 der 10 Brückenfelder fliessende Vid füllt im Frühjahre das ganze breite Bett. Die auf Midhat's Befehl erbaute Brücke zählt zu den grossartigsten des Landes. Ohne dieselbe wäre es Osman Pasa, der am 18. Juli erst vor Plevna eintraf, unmöglich gewesen, schon am 19. auf dem rechten Vidufer die heranziehenden Küssen mit wirksamem Geschützfeuer zu empfangen und jenen ersten Kampf um Plevna zu seinen Gunsten zu entscheiden, ohne dessen glücklichen Ausgang der Krieg auf diesem Schauplatze wohl jedenfalls eine andere Wendung genommen hätte. Welche guten Dienste diese solide Brücke Osman Pasa während seiner Erschliessung leistete, fand ich Gelegenheit im III. Capitel wiederholt zu betonen. Im Sommer 1877 bildeten Dolni- und Gorni Dabnik gemeinsam mit Telis befestigte Etappen des wichtigen Strassenzuges, auf dem Osman Pasa von Sofia stets neue Mannschaften, Munition und Lebensmittel erhielt. Diese Plevna's Widerstand permanent machende Verbindung konnte bis zum Herbste durch die streifende russisch-rumänische Cavallerie nur wenig gestört werden. Im October jedoch, als das Eintreffen der Garde die Stärke der verfügbaren Truppen bedeutend erhöht hatte, beschloss Fürst Karl auf Anrathen des Generals Todleben, welcher das linke Vidufer persönlich recognoscirte, Plevna auch gegen W. wirksam abzuschliessen. Diese Aufgabe fiel dem energischen Gurko zu, dem ausser Arnoldi's 7 Bataillonen rumänischer Infanterie, 62 Escadronen russisch-rumänischer Cavallerie mit 36 Geschützen NW. zwischen Riben und Trestenik, sowie LoskarefFs 18 Escadronen mit 12 Kanonen S. bei Mediven, noch weitere 32 Bataillone Infanterie, 4 Bataillone Schützen, 1 Sappeur-Bataillon, 28 Escadronen und 114 Geschütze der Garde unterstellt wurden. Zunächst beschloss Gurko sich der Position Gorni Dabnik zu bemächtigen, welche in der Mitte der 12 Kilometer langen Angriffsfronte zwischen den Werken von Telis und Dolni Dabnik lag. Die Besatzungen der letzteren sollten durch zwei Seitencolonnen im Schach gehalten werden, eine dritte hatte bei Dolni Netropol das Vorbrechen türkischer Truppen aus Plevna zu hindern, gegen das schon am 23. eine allgemeine Beschiessung eingeleitet und am 24., dem Tage der Operation gegen G. Dabnik fortgesetzt wurde, um Osman's Aufmerksamkeit von derselben abzulenken. Am 24. zeitlich Morgens überschritt Gurko bei Giri-kovo mit den Gardetruppen den Vid. Drei Infanterie-Colonnen mit je 2 Batterien gingen nach vorausgegangener kurzer Beschiessung stürmend gegen G. Dabnik vor. Die mittlere Brigade warf die Türken aus einem Vorwerke östlich der Chaussee und setzte sich dort, sowie in dessen Schützengräben 300—400 Schritte von der jenseitigen westlicheren Hauptredoute fest; der weitere Angriff auf letztere ward aber zurückgewiesen. Ebenso erfolglos stürmten gegen dieselbe die linke Flügel-Brigade von S. und die Schützen-Brigade von N. her an. Die wiederholten Anläufe wurden stets blutig abgeschlagen. Erst um 8 Uhr Abends gelang es einigen Bataillonen, sich unentdeckt der Hauptposition zu nähern und die Türken zu überfallen, welche nun den gleichzeitig von 0. und N. in dieselbe a eindringenden Sturrneolonncn des Centruins und rechten Flügels nicht hinge Aviderstehen konnten. Nach kurzem heftigen Kampfe war der Erfolg für die Russen entschieden. Ilifzi Pasa capitulirte mit 4 Krupp-Geschützen und 2500 Mann, dem Reste der tapferen Vertheidiger, welche 1500 Verwundete und Todte beklagten, dem 20,000 Mann starken, mit 80 Geschützen operirenden Angreifer aber einen Verlust von 4000 Kämpfern, darunter die verwundeten Generale v. Seddeler und v. Rosenbaum, beigebracht hatten. „Fast jeder Mann der Besatzung", äusserte Todlcbcn, „setzte demnach einen von den vielen Stürmenden ausser Gefecht." Gurko's Flanken-Colonnen errangen an diesem Tage keine entscheidenden Erfolge. Arnoldi, welcher Dolni Dabnik stark befestigt fand, stellte sich SW. vom Dorfe an der Chaussee auf. General Leoneffs Detachement, das gegen Telis operirte, setzte sich, nach einem abgewiesenen Angriff seines Jäger-Regiments, 5 Kilometer von dessen Werken fest. Am Vid-Brückenkopfe vor Plevna blieb es ruhig, da Osman dort, durch den simulirten Angriff auf seine südliche Verthei-digungslinie, zurückgehalten wurde. Gleich unthätig verhielt sich auch der bei Radomirce stehende Schefket Pasa, dessen an der Strasse nach Orhanieh eche-lonnirten Dctachements 7000 Streiter zählten. So vermochte Gurko, nachdem die 2. Garde-Division sich ungestört in der Gorni Dahmker Position mit der Front gegen D. Dabnik befestigt, unter dem Schutze zweier, gegen Radomirce vorgeschobener Cavallerie-Brigaden, am 28. mit 16 Bataillonen, 8 Batterien und einer Cavallerie-Brigade das starke Telis einzuschlicssen. Seine Werke bestanden aus einer grossen Redoute, durch welche die Chaussee mitten durchführt, aus einer westlichen kleineren und vielen Jägergräben. Die freie, waldlose Umgebung begünstigte das gleichzeitige Eintreffen der russischen Einzelcolonnen und um 10 Uhr beschossen 66 Geschütze die türkischen Stellungen so concentrisch, dass Ismail Pasa, dem stetige Trunkenheit vorgeworfen wird, nach einem von den Garde-Ulanen vereitelten Durchbruchsversuche gegen W., mit seinen 3000 Mann und 4 Krupp-Kanonen capitulirte. Der Sieger, welcher kaum 100 Mann verloren, während in den stark zerschossenen Werken viele türkische Leichen umherlagen, erbeutete ausserdem riesige für Plevna bestimmte Lebensmittel- und Patronen-Vorräthe, welche seinen Vertheidigern später sehr fehlten. Nach dem Falle von Gorni Dabnik und Telis erachtete Osman Pasa das fernere Festhalten Dolni Dabnik's für zwecklos. Er räumte es freiwillig am 31. October, worauf Arnoldi's Truppen es besetzten. Plevna's Ummauerung in der riesigen Ausdehnung von 70 Kilometer war somit an diesem Tage durch Gurko's Erfolge eine vollendete Thatsache geworden. Drinnen im „Zauberschlosse", um dessen Oeffnung, unter des Kaisers Augen, nahezu der ganze Feldzug sich drehte, erwartete Osman aber vergebens den Entsatz durch Suleyman oder Mehemed Ali Pasa. Wesshalb der letztere ihm auf der Orhanieh -Plevnaer Strasse nicht zu Hilfe kommen konnte, werden die folgenden Capitel zeigen. Auf dem blutgetränkten Boden um Plevna erheben sich heute prachtvolle Monumente, welche das Andenken der tapferen Gefallenen ehren, darunter bei G. Dabnik ein mit Quadern ummauertes Riesengrab zu Ehren von 14 Officieren und 3096 Soldaten; zwischen diesem Dorfe und Telis eine hohe, mit einem orientalischen Kreuze gekrönte Säule auf vielstufigem Unterbau für die Söhne des finländischen Pulk, welche am 24. October fielen, bei Trnjani ein Cippus und viele andere kleinere. Bei Plevna's Vidbrücke und südlicher tritt unter dem Kalke jener feste Letten und bläuliche Tegel in bedeutender Mächtigkeit auf, welcher sich auch schon nördlich bemerkbar macht. Oben weisslich grau, gleichen die tieferen Schichten dieses Tegels vollkommen dem bläulichen von Baden und Vöslau bei Wien. Auch er zeigt ausser Fischresten wohl erhaltene Versteinerungen von Conus-arten, Pecten und Korallen; wir finden also hier im bulgarischen Miocen vollkommen übereinstimmende Tertiärbildungen mit dem Wiener Becken. Es sind dieselben Ccrithienschichten mit sandigen Kalkbänken und Letten, der Leithakalk und Badener Tegel mit ihren charakteristischen Eigenschaften und Fossilien. Meine im schlimmsten Sonnenbrande ausgeführten topographischen Studien auf der Höhe des rechten Vidufcrs licssen mich das schattige Tucenicathal sehr anmuthig finden, durch welches die Strasse nach Plevna weiterzieht. Bald darauf erblickten wir seine Minarete und eine Stunde später Hess ich mir auf der kühlen Veranda des Geno han's ein frugales Mittagsbrot sehr wohl schmecken. Dem heissenJTage voll Arbeit folgte ein lustiger Abend im Hause des Doctors Geisser, an dem auch der Kaimakam Theil nahm. Es wurde in allen Tonarten musicirt, in allen Sprachen gesungen, und es war Mitternacht, als ein Kavasse des Kreischefs mir durch die engen Strassen nach dem Han leuchtete. Am nächsten Tage, nachdem einige hierher verschlagene österreichische Handwerker meine gesammte Reiseausrüstung in Stand gesetzt, brach ich um 4 Uhr Nachmittags auf. Es galt die Erforschung des unteren Vidlaufes und der Iskermündung. Der Doctor, welcher einen befreundeten Bei in Rahovo besuchen wollte, entschloss sich rasch, und erschien pünktlich, heitere Würze bei ernster Arbeit versprechend. In fröhlicher Laune ging es die hohe Lössebcne hinan, auf der lange weder rechts noch links etwas den freien Ausblick gegen Bukovluk und Grivica hemmte. Eine Meile N. von Pleven betraten wir den Kreis von Nikopoli. Seine Physiognomie erhält durch viele trockene Einschnitte etwas Trauriges und wird selten durch grössere Eichenwäldchen belebt. Die Lösslandscliaft leidet an furchtbarer Eintönigkeit und die Ortschaften sind ihr ebenbürtig, denn ihre Häuser gleichen den Troglodytenwohnungen, die ich am Lom (I. Bd. S. 84) schilderte und abgebildet habe; sie sind hier überdies grossenthcils mit Stroh gedeckt und sehen modernden Heuhaufen sehr ähnlich. Nach kurzem Halte an einem Brunnen, den zahlreiche Herden dieser Gegend umlagerten, erreichten wir Öalisovat und bald darauf in der Dämmerung das Bulgarendorf Brsljani. Nicht Epheu hupte aber seinem Namen entsprechend den Ort ein, sondern stinkender qualmender Rauch zur Vertreibung der Mücken- und Stechfliegenschwärme, welche Menschen und Thieren dieser Donaustriche so gefährlich werden. Da wir der unausstehlichen Hitze wegen in den niederen Troglodyten-Hütten nicht zu bleiben vermochten, lagerten wir im Freien um ein grosses Feuer. Es war ein böses Bivouakiren voll Schlaflosigkeit, weil umgeben von brüllenden Herden und sich anrufenden lärmenden Hütern. Vorsicht erschien hier geboten, Brsljani besass nämlich eine Tscherkessencolonie von 80 Häusern, die im aller-schlimmsten Rufe stand. Der Morgen war kaum da, als wir über Kopriva und Sijakovica dem Vid-bett näher rückten. Vergebens suchte ich auf unseren Karten diese Ortsnamen und jene 20 anderen, welche ich hart am unteren Vidlaufe an diesem Tage verzeichnete. Am rechten Flussufer steht bei Kreta weisser Caprotinen-Kalk an. In dem nur IV2 Meile von der Donau liegenden Sijakovica stiess ich auf Walachen und gewann hier neue Daten, dass sie (1871) gemengt mit Bulgaren, Tataren und Tscherkessen, die spärlichen aber ausgedehnten Ortschaften des bulgarischen Donauufers bevölkerten. Auf Lejean's ethnographischer Karte (1861) ist allerdings keine Spur von dieser 1—2,/2 Meilen ins Bulgarenland vorgedrungenen rumänischen Colonisation zu entdecken. Dafür zeigt sie im Innern Bulgariens zwischen dem Vid und Ogost eine grosse walachische Volksinsel, deren Nicht-existenz ich im nächsten Capitel nachweisen werde. Zum letzten Male kreuzte ich des Vid's tiefes Bett bei einer Insel und grossen Kunstmühle mit 6 Gängen, welche ein speculativer Nikopolitaner hier angelegt hatte. Anton Simeon, ihr Eigenthümer, war zufällig selbst anwesend und ertheilte mir über sein Werk und unsere weitere Route bereitwillig Auskunft. Die riesigen Mühlsteine kamen weit her aus dem Balkan; das Mehl war wohl rein und billig im Preise, doch hörte ich, dass die feinste Sorte in den Donaustädten noch immer von Budapester Darapfmühlen bezogen wird. Eine Messung ergab hier für das Vidbett 37 M. Seehöhe. Wir erstiegen die jenseitige Terrasse, Hessen das von Rumänen, Türken und Tataren bewohnte Golenci (türk. Güljan), welches am Platze des fictiven Lejean'schen „Milkowatz" liegt, rechts und gelangten zum Terrassenrande, auf dem ein hohes Tepe einen trefflichen Orientirungspunkt über die mit hellglänzenden Scespiegeln bedeckte, zur Donau streichende Ebene bot. Das Auge war von dem grellen Sonnenglanzc auf der riesigen Wasserfläche zwischen dem Vid und Isker geblendet. Nur wahre Oasen, einzelne schmale grüne Landzungen im fahlgelbgrauen, Alles bedeckenden Löss trennen die Seen, hinter welchen, hart am "Donauufer, die rein rumänischen Orte Mokresani, Oercilani und Magura liegen. Am „Kara boas", zwischen Mokresani und Golenci, einem alten ausgetrockneten Seebett, fand Herr Ingenieur Menejko 1868 einen Römerstein; ich erwähne dies, da er höchst wahrscheinlich von der Römercolonie Utus .herrühren dürfte, welche 14 Million von Oescus entfernt war. Dieses Maass der Peut Tafel fällt auf meiner Karte merkwürdig genau auf den erwähnten Punkt bei Mokresani an der Vidmündung, wo schon Marsigli die Ruinen eines alten Castells fand. Nahezu zweifellos stand also hier jenes Utus, das in allen Itine-rarien genannt wird, vom gleichnamigen Flusse seinen Namen erhielt, welcher unter Aurelian die Grenze zwischen Dacia ripensis und Moesia inferior bildete, eine Abtheilung Reiter als Besatzung hatte und von Justinian restaurirt wurde. Ich empfehle die an Alterthümern reiche Localität bei Mokresani als vielversprechend meinen Nachfolgern. Von dem hohen Tumulus, der mir für die letzten Correcturen des Vidlaufes gute^Dienste leistete, ritten wir, um dem furchtbaren Sonnenbrande zu entgehen, im scharfen Trabe durch die sandige Ebene dem Bulgarendorfe Bres zu, dessen strohgedeckte aschgraue Häuser, grossen Ameisenhaufen ähnlich, auf dem W.O. streichenden Terrassenrande sichtbar wurden. Die Felder waren bereits abgemäht, und die geernteten Garben standen in gleichgeschichteten Pyramiden, des Zehentpächters wartend. Glücklicherweise war das Wetter gut, oft aber musste das Getreide bei andauerndem Regen wochenlang auf dem Felde bleiben, bis es schwarz wurde, und dieses bildete einen der grössten Ucbelstände türkischer Steuererhebung in natura. Nahe beim Dorfe gewährte eine Menge dicht nebeneinander aufragender Ziehbrunnen einen höchst originellen Anblick. Sie dienten zur Bewässerung von Gemüseculturen, deren Schönheit mich überraschte. Sonst lässt sich dem 280 Häuser zählenden, in 34 M. Seehöhe gelegenen grossen Orte nicht viel Gutes nachsagen; er besitzt wohl eine Kirche, aber keine Schule, die Leute fand ich roh und ungastlich. Bres liegt zweifellos auf einem römischen Werke, dessen Mauern ich an mehreren Stellen constatirte; trotzdem wollten aber seine Insassen keine alten Steine, Münzen u. s. w. gefunden haben und kopfschüttelnd wurden alle meine Nachforschungen abgelehnt. Am ganzen rechten Donaurande von Belgrad bis Silistria und einige Meilen landeinwärts fand ich das gleiche trotzige, misstrauische Benehmen gegenüber dem Ausländer, welcher in wissenschaftlicher Richtung Auskünfte verlangt. Wenige* Stunden später machte ich im benachbarten Gigen dieselben Erfahrungen, wie im serbischen Kostolac, auf der Stätte des alten Viminacium*). Rumänen, Bulgaren und Türken gleichen sich in diesem Punkte auf ein Haar, alle furchten im fremden Ankömmling einen Spion der Regierung ■) Kunitz, Serbion, S. 406. oder Concurrenten, der ihren seit Jahren schwungvoll betnebenen Antiquitätenhandel mit reisenden Agenten aus Russland, Oesterreich u. s. w. stören könnte. Das 1868 von der Pforte erlassene Verbot aller Ausgrabungen und die officielle Nöthigung, selbst zufällige Funde den Autoritäten abzugeben, was viele Umständlichkeiten bei wenig Gewinn brachte, mochte die übertriebene Gebeimthucrei der Leute mit verschulden. Auf alle meine Fragen nach Alterthümern erhielt ich auch zu Gigen mit Achselzucken verneinende Antworten oder ein verschmitztes Wer weiss es!" Man wusste nichts von nahen Ruinenstätten, obschon jedes Haus Hunderte von römischen Ziegelsteinen und im Geheimen' gewiss auch Bronzen, Münzen u. s. w. barg. Glücklicherweise fand ich im Zaptie-Öaus des Dorfes einen verständigen und für Baksis nicht unempfänglichen Türken. Unter seiner Führung besuchte ich den Kirchhof, in dessen Wänden ich eine weibliche Marmorstatue mit dem Rücken nach aussen (!) eingemauert sah; ferner einen Votivstein, auf dem nur der Name eines Veteranen Plotus (Plautus) der Leg. II, zu erkennen war, in einem Bauerngehöfte lag ein den Oberkörper eines Mannes darstellendes Reliefstück; überall traf ich unzählige grosse römische Deckplatten, Heizröhren, Ziegel, Mosaikreste, Kupfermünzen u. s. w. Als die Hitze etwas nachgelassen hatte, stiegen wir gegen 5 Uhr zu Pferde und V« St. darauf stand ich auf jenen grossartigen Resten von Kaiser Trajan's Colonia Ulpia Oescus, welche zuerst uns vom Grafen Marsigli (1717) signalisirt wurden. Während meine Begleitung in der benachbarten isolirten Mehane sich oütlich that, kletterte ich umher und versuchte einen Ueberblick der römischen Niederlassung zu gewinnen. Ihr Umfang erschien weit grösser, als ich erwartet hatte. Ich war geradezu überrascht von der Ausdehnung der Ruinenstätte und andrerseits entsetzt Über die gründliche Zerstörung, welche die prächtige Römerstadt der Erde beinahe gleich gemacht. Nur was diese deckte, entging der Verschleppung, aber auch nur teilweise, denn für die wiederholte Durchwühlung des Bodens sprachen unzählige Gruben und künstliche Erhöhungen. In Wahrheit bildete Gigen seit 15 Jahrhunderten einen magnetischen Anziehungspunkt für Stein- und Schatzgräber aller jener Völker, welche an der Donau landeten und dort vorübergehend oder dauernd ihre Stätte aufschlugen. Einige nahe Tumuli sind Alles, was sie selbst schufen. Spät, sehr spät, erst im J. 1870, gefiel es der türkischen Behörde ein Blockhaus zum Schutze der elassischen Ruinenstätte auf ihrem höchsten Punkte anzusiedeln, und seitdem blieben Ausgrabungen dort streng verboten. Bekanntlich war Oescus einer jener einheimischen Orte am gleichnamigen Flusse, den die Römer, als sie Mösien eroberten, bereits vorfanden und der von Ptolemäus, wahrscheinlich um dessen thrakisch - barbarischen Ursprung anzudeuten, das „Oescus der Triballer" genannt wurde. Der Colonie wurden städtische Rechte verliehen und dem entsprechend wird Oescus auch von der Peut. Tafel durch zwei Thürme charakterisirt. Seine von der Tafel mit XXXI Mill. angegebene Entfernung von Augusta an der Ogostinündung stimmt, in der Luftlinie gerechnet, vollkommen mit jener auf meiner Karte, zieht man jedoch die Krümmungen der Strasse in Betracht, so erscheint das Itin. Ant. im Rechte, welches zwischen beiden Punkten 36 Millien rechnet. Diesem ltinerarium und der Not. Imp. zufolge lag in Oescus der Stab der V. Legion. Dies ist richtig, denn ich selbst habe auf dem Terrain Ziegel der macedonischen Legion (L V MOES) neben andern mit dem Stempel LEG I ITAL gefunden. Bei Oescus soll Constantin eine hölzerne Brücke geschlagen haben, auf welcher er gegen die dacischen Gothen zog. Auf Grundlage der alten Quellen und gestützt auf Marsigli's Mittheilung von Brückenpfeilern in der Nähe der Isker-mündung, erwähnte dies bereits Mannert. Von dein lebhaften Streite, welcher seitdem zwischen den Historikern über die Standorte der Trajaifsehen und Con-stantin'schen Donau-Brücken geführt wurde, sprach ich ausführlich in meinem „Serbien". Und wieder bemächtigten sich in Folge meiner objectiven Darstellung einige jüngere Forscher dieses Gegenstandes, ohne jedoch grössere Klarheit in denselben zu bringen. Ich halte aber heute noch aufrecht, was ich 1868 aus diesem Anlasse äusserte*): „Es ist misslich, aus der Studirstube, aus hunderte Meilen weiter Entfernung, einzig auf Grund verschiedener, sich widersprechender Unterlagen derartige Fragen souverän entscheiden zu wollen, und dass es in diesem Falle um so weniger möglich sei, als über das Terrain und die augeblichen Befestigungen bei Gieli (Celei) nur die allervagsten Andeutungen vorliegen." Ich bedauere andrerseits lebhaft, dass ich meine an derselben Stelle ausgesprochene Hoffnung nicht verwirklichen konnte, die Nachrichten, welche Graf Marsigli im Vorbeischiffen über die RömerbrUcke nahe am Isker erhielt, durch authentische Aufnahmen zu ersetzen. Der Wasserstand der Donau war nämlich bei meinem Besuche viel zu hoch, als dass ich Forschungen in dieser Richtung mit günstigem Erfolge hätte unternehmen können. Was ich erfuhr, bestätiget aber jedenfalls die von Herrn Aschbach u. A. so sehr bezweifelte Existenz einer zweiten römischen steinernen Pfeilerbrücke Über die Donau. Sie stand allerdings nicht bei Vadiu, wie mau dem Gf. Marsigli mittheilte**), sondern 2>/4 Meilen östlicher und zwar etwa 5 Kilom. N. vom bulgarischen Gigen, wo das Castell Palatiolum das Südende der Brücke deckte, und nahe dem rumänischen Öelei» wo Gf. Marsigli bereits die Ruinen eines Römerwerkes bemerkt hatte. Das Brückenkopf-Castell Palatiolum***) war noch unter Maurikios (582 — 602) ein *) Serbien, S. 352. **) Danub. Toni. II. 38. ***) .Tirerek, die Meorstr. v. Belgr. n. Const. S. 159. K.anilz, Domiii • Uulguricn und der linlkun. II. 162 VOM GIOPSU UEBER DEM TETEVEN-BALKAN UND DAS VID-GEBIET ZUR DONAU. Standquartier römischer Truppen, welche die Einbrüche der jenseitigen Slaven abwehrten und diese wohl auch im eigenen Lande aufsuchten. Von der Colonia Ulpia Oescus führte die römische Heerstrasse über Romula Acidava und Castra Trajani an der Aluta durch den Rothenthurm-Pass nach Cedoniae (Hermannstadt), sie wird von den Rumänen noch heute „Calea Trajanului" genannt. Nicht nur die Anwohner, sondern auch ganz zuverlässige alte Steuermänner der Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft versicherten mir, dass bei niedrigem Wasser die Pfeiler der alten Steinbrücke in regelmässigen Abständen sichtbar werden und bei kleinstem Wasserstande sogar 1—2 Meter über dem Donauspiegel emporragen. Meine Zweifel, ob es nicht, wie Aschbach äusserte: „Ueber-bleibsel von zerstörten Burgen und Vesten seien, welche zahlreich am Donauufer angelegt und durch den Strom, der häufig sein Bett verändert, überfluthet worden sind", wurden von allen Befragten auf das Entschiedenste verneint. Künftige Forscher werden untersuchen, in wie ferne die nunmehr bei Öelei sicher festgestellte Römerbrücke für die Ausführungen des Historikers Franke spricht, nach welchen sie vom Kaiser Trajan*) erbaut wurde, oder für Prof. Aschbach, welcher dieses Bauwerk, „falls es überhaupt existirt", dem Kaiser Constantin zuschreiben wollte.**) Der quadratische Grundriss der Colonia Ulpia Oescus ist heute etwas schwierig zu erkennen, da ihr ehemaliges Weichbild durch zwei kleine Seen in drei Gruppen getheilt wird, von welchen die bedeutendste mit den meisten monumentalen Resten nahe der Iskermündung auf einer Area liegt, welche in Dreiecksform, nördlich von der Donau, westlich vom Isker und östlich von einem mit diesem communi-cirenden Seearm umflossen wird. Hier liegen zwischen den mit einer dichten Vegetationsdecke tiberwucherten Mauern der alten Römerstadt allerorts Trümmer ihrer architektonischen Decoration umher, Säulenstämme und Capitäle, Architrave und Deckplatten, grossentheils bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Mitten in diesem Steinchaos steht ein stark beschädigter colossaler Sarkophag mit Kränze haltenden trauernden Genien, einer Mahnung an die Vergänglichkeit irdischer Dinge; bedürfte es solcher noch auf dieser Stätte ehemaligen Glanzes der einst Welten erobernden Römer! *) Zur Geschichte Trajans, 1S40. S. 128. **) Mitth. d. k. k. Centr. Comm. f. Erf. und Erh. der Baud. Wien 185S, ö. 202. V. DURCH DAS ISKER-, SKIT-, OGOST- UND PANEGA-GEBIET UEBER DEN ZLATICA-BALKAN NACH ETROPOL. (VI. Balkan-Passage.) Der Isker unter Rom >nd heute. — Landschaft. — Völkerverschicbung. — Mahaleta's Schicksal. — Glava und Koinare. — Zur Ethnographie der moslimschen Zigeuner. — Curaakovci's römische Altertümer. — Sage von der Marko mogila. — Costüm. — Der fictive Insikra. — Wasserlose Terrasse. — Kneza. — Der Ismail-Brunnen. — Zu Krusevica. — Der Skit. — Stadt Rahova. — Ihre Physiognomie 1871. — In Achmed Bei's Konnk. — Jungtürkenthum in der Provinz und in Constantinopel. — Der Kaimakam. — Antike Reste. — Das Römer-Castell. — Gcismar's Eroberung der Stadt 1829. — Ihre Einnahme durch die Rumänen 1877. — Handelslage und Verhältnisse 1879. — Am unteren Ogost. — Unterirdische Kirche zu Ilrlec. — Tumuli. — Kartographisch ungekanntes Gebiet von 30 □Meilen. — Die fictive Stadt Wischedrina. — Belibrod. — Am oberen Skit. — Römer-Castell zu Gabare. — Vertheidigungsgürtel der mioeünen Kalkzone. — Terrasse. — Inschriften zu Konino am Isker. — Kloster Karlukovo. — Sage. — Asketenwohnungen. — Besteigung der Kurman. mogila. — Ruscuk-Sofia-Strasse. — Ihre Befestigung zur Römerzeit. — Geologisches. — Die Panega. — Consul Lejean und das Quellgötter-Opfer der moslimschen Mühlenbesitzer. — Pomaken. — Ihre Bewahrung slavischer Bräuche. — Autochtone Ortsnamen. — Kolibi-System. — Jablanica. — Auf dem Gjpfel der Dragoica pl. — Die Panega-Strasse im Herbste 1877. — Das Mali-Iskergcbiet. — Am Brücken-Pavillon der neuen Soficr Strasse. — Geologisches. — Russische Eroberung des Pravecka-Defile. — Cepilovi hanovi. — Wasserscheide. — Hufeisenfabrikation. — Etropol im Kriege 1877. — Das Städtchen einst und jetzt. — Anhänglichheit emigrirter Bulgaren an die Heimatb. — Weg zum Strigl-Pass und Zlatica-Balkan. — Auf dem Kacamarsko-Passe. — Die Topolovica. — Zlatica's Besetzung 1878. — Die Stadt und ihre Bewohner. — Aufgeklärter Hod/.a. — Gewitter. — Glückliche Rückkehr nach Etropol. Nordwestlich von der Ruinenstätte des römischen Oescus fliesst der Isker in ruhigem Laufe und ansehnlicher Breite der Donau zu. Der schöne Strom trägt weder Schiff noch Floss und doch böte er schon bei Öumakovci ein prächtiges von den Römern gewiss benutztes Communicationsmittel. Nur elende 11* Ochsen- und Bitttelkarren kriechen heute auf der hei schlechtem Wetter weglosen Strasse hart neben dem Flusse hin, denn des Sultans Unterthancn hatten es leider vollkommen verlernt, sich der Ströme als Bewegungslinien zu bedienen. Um den Isker für den Transport geeignet zu machen, bedürfte es staatlichen Impulses, einer Strompolicei und fortgesetzten Nachhülfe. Wann kümmerten sich aber türkische Provinz-Gouverneure, mit Ausnahme des weissen Raben Midhat, um derartige Dinge? Statt am Bord einer leicht hinfliegenden „Mouche", ritt ich mit Dr. Geisser hart am Iskerbette aufwärts bis Gigen-Mahala, wo er, die Fähre benutzend, den jenseitigen directen Weg nach Rahova einschlug. Ich versprach ihm nach vollendeter Aufnahme des unteren Iskerlaufes gleichfalls dort einzutreffen, sandte durch den liebenswürdigen Boten meine Empfehlungen an Achmed Bei und zog sodann am Tcrrassenrande des rechten Stromufers weiter gegen Süden. Die landschaftliche Physiognomie nahe der Iskermündung gleicht der bereits am unteren Vid-, Osem- und Jantralaufe geschilderten. An den Hängen, welche die fruchtbare Thalniederung zwischen dem bulgarisch-tatarischen Mahala und Slavica im Halbkreise umsäumen, erscheinen auch hier unter dem grauen Löss horizontale gelbe Kalkbänder, deren Petrefacte die Ausdehnung der grossen eoeänen Zone vom Timok bis unterhalb des Ruscuker Lom bestätigen. Auch hier traf ich dieselbe Quellenarmuth, dasselbe über weite Strecken verbreitete Eichenniederholz mit eingestreuten Mais- und Getreide-Culturen, wenig anmuthende Dörfer und Hane; nur die Staffage, das bunte Völkertreiben brachte einigen Reiz in diese ermüdenden Reisetage, während welcher es vollster Hingabe an die selbstgestellte Aufgabe bedurfte, um ihr ohne Ermattung treu zu bleiben. Während der grossen Völkerverschiebung auf bulgarischem Territorium vor nahezu zwei Decennien wurden zu nicht sehr grosser Freude der alten Bewohner am unteren Isker zahlreiche Tataren und Tscherkessen angesiedelt. Im nächsten Dorfe Rahovica stiess ich neben Bulgaren, Pomaken, Zigeunern auf 15 tatarische und 45 Tscherkessen-Gehöfte, in der Nachbarschaft wurden neben anderen Theil-colonien die rein tscherkessischen Orte Sfiröa und Cingane serai, am jenseitigen Ufer aber Bragar mit 100 Tataren- und 400 Tscherkessenhäusern gegründet. Die räuberischen Angriffe der Emigranten aus dem Kaukasus zwangen auch hier sowohl Türken als Christen den Viehstand auf das Notwendigste einzuschränken. Wir marschirten auf vielseitigen Rath mit grösster Vorsicht durch diese verrufene Gegend, welche seit 1877 von der Tscherkessenplage glücklich befreit ist. Hinter Staroselci • stiegen wir von den gefährlichen, mit Dickicht überzogenen Höhen hinab zur Nured Bei-Mühle, sie gehört dem bereits erwähnten Plevener Krösus (S. 70), liegt malerisch zwischen schattigen Weiden und wird von einer Abzweigung des Iskers getrieben. Hier erfuhr ich, dass der beste Weizen dieses Gebietes mit 60 Piast. = 12 Mark pro Kila bezahlt wird. Wegen der häufigen Austritte und Verheerungen des Iskers siedelte das nahe Dorf Mahaleta von der Niederung auf die Terrasse über, seinen 270 bulgarischen Höfen und 14 Zigeunerhäusern wurden später 17 Tataren- und 20 Tscherkessenfamilien zugesellt, welche 1877 gleichfalls emigrirten. Das hier sehr fruchtbare, 37 M. hohe Iskerthal ist stellenweise sumpfig und die Kreuzung des Flusses an diesem Punkte, wie ich selbst erfahren sollte, häufig nicht ohne Gefahr. Das Bett erwies sich bei heftiger Strömung ungemein tief, nur mit grosser Anstrengung gelangte das Packpferd heil an's jenseitige Ufer, auf dem wir sanft ansteigend, bald unser Abend-*ziel, das wohlhabende Glava in 49 M. Seehöhe erreichten. Sein moslimsches Mahle (50 Pomaken- und 12 Zigeunerhäuser) besass eine Moschee mit Medresse, das bulgarische (90 Gehöfte) aber weder Kirche noch Schule! Welch traurige Verhältnisse! Am nächsten Morgen zogen wir weiter über das wohlbestellte Hochplateau von Koinare, dessen Häuser sich weithin ausbreiten. Neben 310 Bulgarenhöfen zählt es 130 Pomaken- und 60 Zigeunerhäuser; letztere Zahl fällt durch ihre Grösse auf, steht jedoch in den Iskerdörfern nicht isolirt da. Der Zigeuner bildet überhaupt in Donau-Bulgarien ein sehr beachtenswertes Element, das der Ethnograph und Statistiker nicht übersehen darf. Es giebt nahezu kein Dorf, in dem es nicht durch 1 — 5 Häuser vertreten erscheint, sehr viele zählen aber 5—20 und manche 70 Zigeunerfamilien. Der braune Sohn von den Ufern des Ganges hat in Bulgarien seinen angeborenen Wandertrieb grösstentheils bezwungen, wurde dort dauernd sesshaft, besitzt Haus und Boden, ist als Ackerbauer oder Handwerker arbeitsam und wohlhabend. Er scheidet sich streng von den bosnischen Gurbeti-Zigeunern, welche die Donaugebiete als Kesselflicker, Bärentreiber u. s. w. in kleinen Trupps durchziehen, in Bulgarien jedoch weniger häufig wie in Serbien, auch minder zerlumpt und sittenlos wie dort, und niemals als Christen auftreten. Der sesshafte Zigeuner Bulgariens erfreute sich grösserer Achtung als der Tscherkesse, dessen Arbeitsscheu und Eigenthum gefährliche Gewohnheiten ihn förmlich rehabilitirten; trotzdem er Moslim, gelang es ihm aber nicht seinen türkischen Glaubensgenossen die' sociale Gleichstellung abzuringen, ja, sie erkannten ihn kaum als solchen an. Der Zigeuner ist nämlich vernünftig genug, seine oft sehr hübsche Frau nicht hinter dem Luft raubenden jaschmak (Schleier) zu verstecken, auch achtet er nicht genügend die strengen Speise- und Hareinsgesetze, im Gegentheil lässt er dem weiblichen Geschlechte vollste Freiheit der Bewegung, ohne dass desshalb die Gebote der Wohlanständigkeit verletzt würden. Die Ansässigkeit des Zigeuners auf bulgarischem Boden muss seit Jahrhunderten datiren, denn er hat seine Ursprache beinahe ganz eingebüsst. Im Mause und Verkehr spricht er türkisch, danchen auch bulgarisch. Da eine Heirath mit fremdem Blute bei ihm äusserst selten vorkömmt, ist sein Typus von jenem des Wander-Zigeuners wenig verschieden. Das längliche Oval zeigt die gleich dunkle Färbung, die Haare sind immer glänzend schwarz, die Zähne blendend weiss, der Körper schlank, mittelhoch und geschmeidig. Die Sucht des sesshaften Zigeuners, durch reine Wäsche, schöne Kleider, prächtige Waffen, kostbares Reitzeug sich hervor zu thun, ist auffallend gross und ebenso die Vorliebe der Frauen für vornehme Stoffe in grellen Farben, für Schminke, Blumen, Münzenschmuck und sonstigen Putz; andererseits kleiden und pflegen sie ihre Kinder mit Sorgfalt und seltener Zärtlickheit. * In den bulgarisch-türkischen Städten treibt der Zigeuner verschiedene Berufe, gewöhnlich findet man ihn aber als Schmied und Rosskamm. Mit tausend Finten weiss er auch als Telal (öffentlicher Ausrufer) Pferde, alte Waffen, Kutschen, Sattelzeug u. s. w. an Mann zu bringen. Er ist nicht geliebt; doch seiner angeborenen Findigkeit wegen begehrt man seinen Rath in allen schwierigen Fällen. Auch für den Reisenden bildet der Zigeuner eine wahre Vorsehung, denn nur er allein besitzt die stets gefüllte Büchse mit Auskunftsmitteln, ohne welche das „Vorwärts" oft unmöglich würde. Desshalb ruft man bei der Ankunft im Dorfe und auch vor der Abreise stets nach dem Gemeindediener, dem „Kihaja", und dieser ist in 99 von 100 Fällen ein Zigeuner. Zu Koinare fand ich abermals Gelegenheit eines zigeunerischen Hufbeschlagskünstlers Geschick an meinen Pferden zu erproben. Fertigkeit, Raschheit mit Schlauheit reichen sich bei Hantirung und Lohnanspruch die Hand. Mit sanfter Senkung ging's zur Öumakovska, und nach 1 St. kreuzten wir ihr Bett beim gleichnamigen grossen Dorfe, welches mir als Fundort von Alter-thümern signalisirt worden war. Bereits unter den Römern war es eine wichtige Position. Auch heute kreuzen sich hier mehrere Strassenzüge am Einflüsse der bedeutenden Panega in den Isker, der hier so tief und breit, dass mit Sicherheit angenommen werden darf, er sei zur Römerzeit von hier ab mit kleinen Schiffen befahren worden, was höchst wahrscheinlich auch die scharfblickenden römischen Militär-Ingenieure zur Anlage des ausgedehnten Castrums an dieser Stelle bestimmte. Oestlich vom Dorfe (56 M. Seehöhe) stiess ich auf einer Nase, welche der Isker und die ziemlich tiefe Öumakovska bilden, auf die ausgedehnten starken Wallmauern des römischen Castrums. Seinen Plan und Umfang zu bestimmen, stellte sich als unmöglich heraus, weil ein grosser Theil der 123 moslimschen Häuser und auch der 110 bulgarischen Gehöfte auf dessen einstiger Area steht. Es wurden hier viele Münzen und Inschrifen gefunden, letztere aber bis auf wenige Trümmer und einen theilweise erhaltenen Votivstein, „dem Publius Aelius Mucinus und seiner Gattin Firmina durch Celsus gewidmet", verschleppt. Die Byzantiner restaurirten wahrscheinlich das Castell, und auch die alten Bulgaren dürften in oder nahe bei Cumakovci eine befestigte Niederlassung gehabt haben. Darauf deutet der Name des Berges „Marko mogila" auf dem rechten Iskerufer, wo nach der Volkstradition der berühmte Nationalheros Marko Kraljevic hauste. Ob dort Reste von Befestigungen vorhanden, kann ich nach den widerspruchsvollen Aussagen der Dorfbewohner nicht bestimmt sagen; die dominirende Lage des isolirten Berges macht es aber höchst wahrscheinlich. Hier und im ganzen unteren Iskergebiete fiel mir die grosse Vorliebe der bulgarischen Landleute für helle Farben auf. Die Männer tragen beinahe ausschliesslich weitgeschnittenc, an Brust und Aermeln mit bunter Wolle ausgenähte Abatuch-Anzüge, auch um das Fes wickeln sie im Sommer ein weisses Tuch. Den Kopfputz der Frauen bilden gleichfalls lange weisse Tücher, das einzige Farbige ihres Anzuges sind zwei Schürzen, welche die Hüften freilassend, vorne und rückwärts über das blendend weisse, weitärmlige Hemd getragen werden. Diese einfache Tracht ist ungemein hübsch und kleidsam. Ein 15 GM. grosses Gebiet der Donauterrasse zwischen Isker und Skit zu erforschen, bildete meine nächste Aufgabe. Alle unsere Karten, auch Kiepert's 1870 erschienene zeigten dasselbe von einem „Insikra" durchflössen, dessen Lauf, wie seine leichte Punktirung andeutete, nicht genau bekannt war. Bald, nachdem ich ('umakovci den Rücken gekehrt, erlangte ich die Gewissheit, dass auch dieser „Insikra" zu den zahlreichen Mythen zähle, welche ich allmälig von der bulgarischen Karte tilgte. Leider, möchte ich sagen, war der Insikra nicht dort vorhanden, wo ihn unsere Karten grossmüthig fliessen Hessen, denn sonst hätte das Terrain zwischen Isker und Skit bessere Bedingungen zur Colonisation geboten. So dünn aber auch die Orte dort gesäet, vermochte ich die wenigen bekannten mit 12 weiteren zu vermehren, unter welchen sich nur 4 neuangelegte befinden. Schon in Öumakovci's unmittelbarer Nähe stiess ich zwischen Isker und Skit den Weg gegen N. nehmend, auf 5 von unseren Karten verschwiegene ansehnliche Bulgarendörfer. Im Schatten einer prächtigen Baumgruppe hielten wir bei 32° C. kurze Rast zu Kneza, dessen riesige Ausdehnung mich geradezu überraschte. Es zählte 1871 neben 370 Bulgarenhöfen, 80 Pomaken-, 70 Zigeuner- und 30 Tatarenhäuser, also nahezu 5000 Seelen. Kneza und die gleichfalls bedeutende Viehzucht neben Ackerbau treibenden Orte Jenica, Strupen, Brenica, Vranjak und Ternak verdanken die Bedingung ihrer Existenz der mit zwei Armen sie durchfliessenden Gostilica, welche bei Starovierci in den Isker fällt. Zwei Meilen westlicher, wo eine andere Ader dem wasserarmen Boden entquillt, wurde 1860 das Tatarendorf Bradarski Bunar gegründet. Reichlich 2'/* Meilen im Umkreise von Kneza gegen O., W. und N. findet sich weiter kein fliessendes Wasser und desshalb auch keine menschliche Ansiedlnng; der landschaftliche Charakter mahnt hier an die DobiUca, und wie dort werden die Herden nach dem „Ismail bunar" getrieben. Nachdem auch wir unsere durstigen Pferde an diesem eine Oasis im wahrhaftigsten Sinne des Wortes bildenden Quellbrunnen getränkt, erreichten wir in l St. den höchsten, mit 134 M. von mir gemessenen Punkt der Hochebene. Bald darauf erschien im N. ein zur Donau führender Einschnitt mit hübschem Eichenwald. Ich bog jedoch gegen W. nach Kruscvica ab um den unteren Skitlauf kennen zu lernen, passirte die 120 Köpfe starke Tataren-Colonie Tatar-Kruscvica und erreichte am Spätabend das gleichnamige Bulgarendorf. Von allen Seiten ertönte der Kuhreigen, heimkehrende riesige Herden wirbelten grosse Staubwolken empor. Der reiche Viehstand gab einen Begriff von der Wohlhabenheit des Ortes, welcher aber, trotz seiner 147 Häuser mit nahezu 1500 Seelen, 1871 ohne Kirche und Schule war! Von Krusevica am nächsten Frühmorgen weiterziehend, constatirte ich, dass der kaum 20 Schritte breite Skit streng N. in nahezu gerader Linie und nicht mit der bedeutenden Curve unserer Karten zur Donau fliesst. An manchen Stellen besäumen ihn vereinzelte Gehölze, grösstenthcils zeigen aber seine Uferhänge nackten Löss mit unterlagernden Mergelschichten. Der Weg über das zur Donau ziehende monotone Lössplateau wirkte in hohem Grade ermüdend, es ist nur wenig unter Cultur gesetzt und selten sieht man einen Baum. Ich beschleunigte daher, soweit es die Hitze zuliess, unseren Marsch nach den weithin sichtbaren drei Tumuli, bei welchen Steilwege im Zickzack nach Rahova hinabführen. Die bulgarische Dampfschiffs-Station Orehovo, gewöhnlich Rahova genannt, hat sich, so zu sagen, in einer vom Regen viel zerklüfteten, tiefen, zur Donau streichenden Lössschlucht eingenistet. Die Häuser steigen vom Ufer hinauf in alle Risse, hier und da schiebt sich ein Minaret zwischen ihre dicht hintereinander aufsteigenden Reihen, und das aus den letzten Deccnnien datirende Christenviertel überragt die unansehnliche Kuppel, welche seiner kleinen Kirche neuestens aufgesetzt wurde. Gleich Nikopoli trägt auch Rahova den Stempel einer echt orientalischen, von europäischem Wesen kaum gestreiften Stadt. Man möchte kaum glauben, dass es bereits vierzig Jahre lang durch Dampf mit dem Occident verbunden, so geringfügig erscheint dem Europäer der ersichtliche Fortschritt. Der Eingeborene fabelt allerdings von riesigen Veränderungen im Vergleiche zu früher, wie muss es also erst damals hier ausgesehen haben? Wohl giebt es zu Rahova einige meist mit Wiener Artikeln leidlich assortirte Läden; was Comfort für den Reisenden, Pflaster, Beleuchtung, Reinlichkeit u. s. w. betrifft, unterscheidet sich die Stadt aber wenig von einem besseren bulgarischen Dorfe, obschon sie der Amtssitz eines Kreischefs und durch ihre Lage am grossen Donaustrome sehr begünstigt ist. loh fand nicht Zeit, diese ersten Eindrucke weiter zu verfolgen; kaum hatte Achmed Bei Effendi, Bahova's Krösus, von meiner Ankunft gehört, als er mich durch Herrn Dr. Geisser zur Uebersiedlung in seinen Konak (Haus) auffordern Hess. Ich nahm gerne an und schied ohne Bedauern von dem wenig behaglichen Caku han. Achmed Bei's Konak liegt nahezu isolirt am Ostende der Stadt, zwischen schattigem Grün an der Lehne der Donauterrasse und bot so recht den Typus eines reichen moslimschen Edelmannssitzes. Ich ritt mit meinen Leuten zunächst in einen grossen Vorhof, in dessen weitläufigen Stallungen meine Pferde sofort auf's beste versorgt wurden, dann ging es in einen mit Kieseln nett gepflasterten kleineren Raum, dessen Südfronte ein Gastgebäude bildete, das mit einem wohl gepflegten Garten communicirte. Zwischen Oleandergebüschen, Weinlauben und Wallnusskronen plätscherten dort lustig mehrere Springbrunnen, lauschige Bos-quete spendeten erwünschten Schatten und aus seiner höher gelegenen mit starken Mauern umschlossenen Parthie lugte Achmed Bei's Wohnhaus herein, in dem er mit seinem Harem residirte. Das Ganze machte den Eindruck grosser Behäbigkeit und mahnte an die Castelle ungarischer Land-Edelleute. An der Treppe des Mussafirliks (Gastgebäude) bat mich der Intendant im Namen des Bei's sein Haus so lange es mir gefiele, als mein eigenes zu betrachten, gleichzeitig stellte er einige Diener zu meiner ausschliesslichen Verfügung, welche, nachdem sie köstliches Orangen-Dultschas, Kaffee und Cigaretten in silbernen Tassen servirt, auf der nahen Veranda unausgesetzt meiner Befehle warteten. In der grossen Prachtstube fielen mir sofort ihre prächtig geschnitzte Decke und einige zierliche Wandschränke auf, die in meisterhafter orientalischer Intarsia ausgeführt, jedes Museum geziert hätten, an den Wänden liefen aber mit weichen Piroter Teppichen belegte Sitzkissen hin, welche die türkischen Wohnräume so comfortabel machen. Ich hatte meine Installirung kaum vollzogen, da kam Achmed Bei persönlich und begrüsste mich in blumenreichsten Phrasen als willkommenen Gast. Der Reisende weiss, was solch' poetische Redensarten im Oriente gewöhnlich gelten, diesmal steckte aber etwas mehr hinter dem schönen Wortklang. Der junge Bei repräsentirte im besseren Sinne jenes moderne Türkenthum der „Reform", das mit seinen zahllosen Schattenseiten in Constantinopel so häufig, in der Provinz aber zur Ausnahme zählt. Achmed Bei war ein etwa sechsundzwanzigjähriger Mann mittlerer Grösse, von angenehmem bescheidenem Aeusseren, blasser Gesichtsfarbe und wohlwollenden, geringe Energie verrathenden Zügen. Als Sprosse eines reichbegüterten Alttürken empfing er seine Erziehung ausschliesslich im Haremlik, dies Hess in seinem ganzen Wesen etwas Weibisches zurück und äusserte sich namentlich in der übertriebensten Sorge für seine Gesundheit, begleitet von grosser Vorliebe für die lateinische Küche. Sonst gerirte sich der Bei mit Selbstbewusstsein als Türke „ä la franca", das heisst, er hatte das türkische Costüm mit dem schwarz-tuchenen Reformrock, Fes und Lackstiefeln vertauscht, bekannte sich ostensibel als Freund europäischen Fortschritts und gleich sehr als Gegner alles Herkommens „ä la turca". Da Achmed Bei beispielsweise keine türkischen Bücher fand, aus welchen er seinen Wissensdrang über fremde Länder und Volker, über Physik u. s. w. stillen konnte, versuchte er italienisch zu lernen und nahm desshalb einen italienischen Gärtner in sein Haus, von dem er jedoch nur wenige Worte profitirte. Nicht viel besser ging es ihm später mit dem Französischen, somit entbehrte er, trotz besten Willens, das unbedingt notwendige Medium, sich in den Strom „fränkischer" Bildung zu stürzen. Gleich vielen Reform-Moslims haftete er an den Aeusserlichkeiten europäischen Wesens, raisonnirte wegwerfend über türkische Zustände und Sitten, gestattete seinen Frauen manche Freiheiten, kehrte sich überhaupt wenig an die Koransverbote, tafelte, trank und toastirte mit uns im Beisein seiner Diener, Hess sie die Gerichte in Handschuhen ä la franca mit Messern und Gabeln serviren u. s. w. Ob Achmed Bei mittelst eines europäischen Idioms tiefer in occidentales Wesen eingedrungen wäre? Ich glaube, schwerlich mehr als die meisten „Pariser Jungtürken" in Constantinopel, welche trotz ihres eleganten Französisch doch gewöhnlich in der Wolle gefärbte Türken bleiben und nur äusserst selten sich mit europäischer Arbeits-, Ordnungs-, Spar- und Rechtsliebe dauernd befreunden. Eine Musterung in Ministerien, Gerichten, Zollämtern u. s. w. während der üblichen Amts- oder richtiger Siesta-Stunden selbst durch verrannteste Turkophilen vorgenommen, würde meinen herben, aber wahren Ausspruch gewiss bestätigen. Vor dieser am türkischen Staatsmarke saugenden, europäisch lackirten Bureaukratie hatte mein liebenswürdiger Gastfreund jedoch eine Tugend voraus — die Humanität gegen seine social tief unter ihm stehenden christlichen Mitbürger. Allerorts, wo Achmed Bei auf meinem Wege zur Stadt Grundstücke, Mühlen u. s. w. besass, hörte ich ihn rühmen. Nirgends Hess er sich Härten zu Schulden kommen, bei Unglücksfällen oder in Missjahren verzichtete er auf den Pachtschilling, in vielen Orten, z. B.^im nahen Bukovica munterte er nicht allein die Bulgarengemeinde zum Schul- und Kirchenbaue auf, sondern unterstützte sie auch mit Geld- und Rohmaterialien. Handelten die moslimschen Begs alle in gleichem Geiste, wahrlich die blutigen Raj ah-Aufstände hätten nie solche Ausdehnung erreicht und den Nachbarstaaten der Türkei so viele Verlegenheiten bereitet. Der Kaimakam von Rahova, so bestechend er sich Europäern gegenüber zu geben verstand, zählte zu den türkischen Beamten, welche sich mit dem Geiste des Hat i humajun nicht zu befreunden vermochten und des Sultans Reform-fermane „mit Achtung unter ihr Minder" (Sitzkissen) legten. Bereits 1864 traf ich diesen Kreishauptmann zu Lom, lernte dort sein Regiment genau kennen und desshalb wollten seine schönen Worte bei mir nicht verfangen. Nachdem ich einige statistische Daten erbeten und empfangen, verabschiedete ich mich etwas kühl von dem würdigen Manne. Rahova hat nur eine Sehenswürdigkeit, und diese ist alten Datums. Schon auf dem Kirchenplatz war ich auf antike Inschrift-Fragmente, Säulenreste u. s. w. gestossen, nun hörte ich von einem alten Schlosse im Westen der Stadt. Achmed Bei Hess es sich nicht nehmen, mich mit seinem feurigen Viergespann dahin zu bringen; obschon ich lieber das Reitpferd vorgezogen hätte, stimmte ich zu. Wie rasend flogen die Rosse von des Kutschers Abdullah sicherer Hand gelenkt, über Römer-Castell zu Rahova. die niederträchtige Fahrbahn und kaum nach einer halben Stunde erblickte ich auf hohem, die Donau beherrschendem Punkte eines stattlichen Thurmes dunkle Körpermasse. Die letzten gefährlichen Serpentinen waren glücklich überwunden und wir standen auf dem Werke selbst, in dem ich bald ein römisches, von Byzantinern und ihren slavischen Nachfolgern restaurirtes Castrum erkannte. Der Bei und Dr. Geisser waren überrascht vom hohen Alter des Castells, das ich mit 1700 Jahren bestimmte, und verlangten die historische und technische Basis meines Urtheils zu hören. Nachdem ich ihren Wunsch erfüllt, gingen wir an die Durchforschung des Planes. Von Sculpturen und Inschriften war nichts zu sehen,,der durchwühlte Boden zeigte nur, dass man hier viel nach Schätzen grub. Das Werk maass in der Längenachse 40 Schritte und seine Hauptmauern schmiegten sich in echt römischer Weise der unregelmässigen Dreiecksform des Plateau's an. Die in zwei Geschossen noch erhaltene Ostmauer des 4,37 M. über die Enceinte vorspringenden Tliurmes ist 11,38 M. hoch und 1,58 M. stark. Er bildete höchst wahrscheinlich den „Lug in's Land" des Castrums. Von hier aus vermochten die Körner jede Bewegung auf dem gegenüber gelegenen dacischen Ufer zu überwachen, man blickt auch weit aus nach Ost und West gegen Ostrovo und Kozlodui. Der Sonnenball senkte sich tiefer und der in diesen Donaugegenden rapide und gefährliche Temperaturwechsel zwang uns — das Thermometer fiel in wenigen Stunden von 31° auf 17° C. im Schatten — dem prächtigen Bilde auf dem Castellberge, das durch die wechselnden Abendtinten an Stimmung gewann, bald Adieu zu sagen. Achmed Bei begab sich nach Sonnenuntergang in sein Haremlik, ich schwelgte aber nach langen Kreuz- und Querzügen im lang entbehrten Inhalte eines vom österreichischen Dampfschiffs-Agenten mir übersandten Brief-paquets aus der Heimath. Die zarten Aufmerksamkeiten, mit welchen Achmed Bei mich wahrhaft überhäufte, Hessen mich das rasche Schwinden der kurzen Rast zu Rahova sehr bedauern. Allah segne den wackeren Bei, sein kleines schwächliches Söhnchen und die unsichtbar gebliebenen Schönen seines Harems, welche den Fremdling aus fernem Lande unermtidet mit ausgesuchtestem Backwerk, Dultschas, Eis, Obst u. s. w. erquickten, die in gütiger Vorsorge ihm sogar ein schützendes Mosquitozelt sandten, ohne das er sonst schwerlich, trotz des prächtig golddurchwirkten Bettes, wohlthuenden Schlaf gefunden hätte. In der lezten Stunde machte ich noch dem Protosincel Alimpi einen Besuch, um ihm meine Sympathie für die Strenge zu bezeigen, mit welcher er dem Mönchs-Bettelwesen zu steuern suchte, leider war er aber von Rahova abwesend. Wie in allen Donaustädten, wandelten die Türken auch zu Rahova das vorgefundene Werk in.eine sogenannte Citadelle um. Sie beherrschte das linke Donauufer, vermochte jedoch, wie Moltke erzählt, 1829 den russischen General Geismar nicht zu hindern, durch einen kühn unternommenen Angriff sich der Stadt zu bemächtigen, welche für die Proviantirung der türkischen Armee bei Kusöuk und Öumla eine grosse Bedeutung hatte. Am 28. Mai setzten bei Tagesanbruch 200 Freiwillige und ein Bataillon des 34. Jäger-Regiments auf 90 von Krajova Jiul abwärts geschafften Booten, unterstützt durch das Feuer aus 22 Geschützen, von Ostroveni aus über den Strom und erstürmten, geführt von Oberst Grabbe, eine der beiden Höhenbatterien Rahova's; indess hatte auch das Regiment Tobolsk die Donau überschritten und die Wasserbatterie, trotz der verzweifelt kämpfenden Besatzung genommen. Noch mussten aber viele Häuser der Stadt einzeln gestürmt werden, bis der commandirende Pasa die Citadelle tibergab. Er selbst, 6 Fahnen, 5 Geschütze bildeten die Trophäen des schwer erkauften Sieges. Die Obersten Grabbe und Tolstoi, 11 Officiere und 175 Mann waren verwundet, 3 Officiere, 47 Mann getödtct; die Türken verloren an 1500 Mann. General Geismar konnte jedoch Rahova nicht dauernd halten, da ihn wiederholte Einbrüche der Vidiner Besatzung- zur Concentrirung seiner Streitkräfte auf dem walachischen Ufer zwangen. Vor seinem Abzüge sprengte er noch alle Werke, und mit ihm verliess auch die christliche Bevölkerung die Stadt; sie wurde im Gouvernement Kazan angesiedelt. Im Spätherbste 1877 wurde Rahova der Türkenherrschaft wohl für immer entrissen. Am selben denkwürdigen Tage, als sich mit Dolni Dabnik's Besetzung (S. 156) der Ring um Plevrta vollkommen schloss, begann das erste rumänische Armeecorps unter General Lupu, vereint mit General Meyendorfs Cavallerie, das westliche Donau-Bulgarien von den Türken zu säubern. Am 31. October ging Oberst Slaniceanu, welcher bisher die befestigten Köpfe der nur 40 Kilometer von Plevna entfernten Donaubrücke zwischen Gigen und Korabia besetzt hielt, auf dem rechten Ufer gegen Rahova vor, welches der im August dort befehligende Oberst Hamdi Bei stark verschanzt hatte. Slaniceanu's Detachement bestand aus dem 1. 6. und 10 Dorobancen-Regimcnt, einigen Compagnien Linie, dem 2. Ro-siori-, dem 2. und 8. Kalarasi-Regiinent mit über 30 Geschützen und repräsentirte einen Effectivstand von nahezu 5000 Mann. Bei Vadin stiess Slaniceanu zuerst auf Widerstand; 200 Türken hielten dort eine von Schützengräben flankirte Redoute besetzt. Das wohlgezielte rumänische Artilleriefeuer, welches das Pulvermagazin der Schanze in die Luft sprengte, zwang jedoch ihre Vertheidiger zum raschen Rückzüge nach Rahova. Durch ein russisches Garde-Ulanen-Regiment unterstützt, recognoscirte Slaniceanu die Stadt bereits am 5. November und fand dort 1500 Mann mit 3 Geschützen. Ein Theil dieser kleinen Garnison zog schon in der folgenden Nacht gegen Lom ab, so dass in den Verschanzungen nur 600—800 Mann zurückblieben; diese zeigten aber auch hier, dass die Türken eine ihnen übergebene Position nicht leicht verlassen und fügten dem Dorobancen-Regimente, welches am 19. November Morgens zuerst angriff, in zweistündigem Gewehrfeuer grosse Verluste zu. Gleichzeitig mit der Infanterie-Action fuhren mehrere rumänische Batterien, gedeckt durch Cavallerie, bis an die äussersten Linien vor und beschossen sie, trotz des feindlichen Schützenfeuers, mit ihrer bewährten Präcision sehr wirksam, zwei andere Batterien warfen von einem südwestlichen höheren Punkte Granaten in die Stadt, welche verheerend zündeten. Trotzdem aber auch die rumänische Artillerie bei Beket am linken Ufer in den Feuerkampf eingriff, gelang es bis zum Abend nicht die zähen Vertheidiger aus ihren Positionen zu verdrängen. Erst am nächsten Morgen, nachdem einige türkische Munitionskarren in die Luft geflogen, nahmen zwei neue zum Sturm schreitende Bataillone mit dem Bajonnet die äusseren \\ erke. Ihre Vertheidiger flüchteten in die zweite, höhere Stellung, hart vor den Häusern Rahova's. Um 3 Uhr Nachmittag- gingen die Rumänen auch gegen diese vor und verdrängten am Abend den Gegner nach zähem Kampfe auch von dort. Von der Unmöglichkeit überzeugt, noch länger die Stadt halten zu können, räumten die Türken sie in der folgenden Nacht und suchten den Weg nach der Ogost-brücke zu gewinnen; da ihnen dort ein rumänisch-russisches Detachement den Uebergang wehrte, benutzten sie im nächtlichen Dunkel eine nördlichere Furth, durchwateten auch den nahen Skit und erreichten, ihre Bagage und 150 Munitionswagen den sie verfolgenden Rosiori und russischen Reitern überlassend, in zersprengten Haufen Lom-Palanka. Rahova's Einnahme kostete den Rumänen 350 Todte und Verwundete, darunter Oberstlieutenant Maldaresku und Major Mateesku schwer blessirt, die Majore Jeni und Guresku, die Officiere Georgesku und Radovic getödtet. General Lupu Hess, nach vollständiger Räumung der Umgebung vom Feinde, sofort Rahova's Werke in guten Stand setzen und seine Verteidigungsfähigkeit durch einige neuangelegte erhöhen. Der Premier-Minister Bratianu beglückwünschte den Fürsten Karl zur Waffenthat von Rahova. Der Fürst antwortete: „Ich danke dem Ministerrath für die mir übersandte Gratulation, und ich bin stolz darauf an der Spitze der tapferen rumänischen Armee zu stehen, welche neuerdings ihre Fahnen mit Lorbeeren bekränzte, den alten Ruhm unserer Vorfahren wieder erneute und den Namen Rahova in die glorreiche Geschichte des Landes eintrug." Im Hauptquartier zu Bogot feierten Grossfürst Nikolaus und Fürst Karl mit Gottesdienst und Festdiner, sowie durch Verleihung zahlreicher Georgskreuze und Medaillen „virtutea militaria" den errungenen Erfolg, welcher durch die Freimachung der unter Rahova's Kanonen liegenden Mündung des bis Krajova schiffbaren Jiul, die Verpflegung der russo-rumänischen Armee im westlichen Bulgarien über Beket bedeutend erleichterte. Während des folgenden strengen Winters wurden von der Garnison alle moslimschen Viertel und auch die türkischen Häuser im christlichen Stadttheile, welche von den geflüchteten Türken, Tataren und Tscherkessen geräumt worden waren, durch die Wegnahme ihres brennbaren Materials nahezu unbewohnbar gemacht. Seitdem ist etwa die Hälfte der früheren türkischen Bevölkerung zurückgekehrt, aber auch diese ist zur Auswanderung bereit, falls sie Käufer für ihre verhältnissmässig hoch im Preise gehaltenen Liegenschaften fände. Von den Moscheen wurden zwei stark beschädigt, eine den Bulgaren zur Herstellung einer Kaserne übergeben. Rahova zählt gegenwärtig 210 christliche Häuser, in welchen beiläufig 900 Bulgaren und 650 Rumänen wohnen, 500 moslimschc Häuser mit 1300 Türken und 100 Zigeunern, dann 1 israelitische Familie. Die christliche Normalschule wird von 120 Knaben und 30 Mädchen besucht. Die Türken besitzen gleichfalls wieder einige Elementarschulen. Gleich nach Rahova's Einnahme wurde dort die russische Administration durch den vom Gouverneur Tuholka ernannten russischen Kreishauptmann Alexander Andrejevic Lisen eingeführt. Mitte März 1S79 befanden sich in den verschiedenen Aemtern und Gerichten 2 Russen, 23 Bulgaren und 3 Türken. Es fungirten im „Naöalnicanstvo" (Kreis-Administration): der Präsident D. Popoff mit 2 Sekretären, im „Okrusnji savet" (Kreisrath): der Präsident D. Kalrauov mit 2 ernannten, 2 gewählten Mitgliedern, im „Okrusnji sud" (Kreisgericht): der Präsident Luka Radulov mit 1 Secretär, 2 ernannten und 12 gewählten Mitgliedern, im „Gradski savet" (Stadtrath): der Präsident J. Suvaroff mit 2 ernannten und 2 gewählten Mitgliedern. Rahova's Handelslage hat sich durch die neuen Verhältnisse nur wenig verändert. Zölle und Steuern werden bis zur erwarteten Bestimmung durch das Parlament wie früher eingehoben. Vom Getreide wird der Zehent, für Schafe 80 Centimes, für Schweine 60 Centimes, zu den Zöllen ein Zuschlag von i/20j0 entrichtet. Die Regulirung der städtischen Strassen und die Verbesserung der nach Vraca führenden Chaussee wurde in Angriff genommen, eine geregelte Postverbindung soll demnächst eingeführt werden. Mit der Ausfuhr von Getreide, Rohproducten, Sumach, Talg und der Salzeinfuhr beschäftigen sich namentlich die grösseren Firmen: Atanas Karakas, M. Dimitrov und Cie., Stojan Ivanov, Saban Halima, Hadzi Hasan, Kilio Raikov, Aleksi Teodorov uud Balavan Bobo-sevski und Cie. u. A.; mit dem Import von Colonialwaaren u. s. w. die bedeutenderen Firmen: D. Milcov, Kristov und Teodorov, C. Milcov, N. Ralcov, J. Milcov, Balaban Bobosevski und Cie., J. Mladenov und Cie. u. A. Rahova gegenüber liegt am walachischen Ufer die grosse Getreide-Exportstation Piket (Beket) uud 61/« Meilen unterhalb, der im Sommer 1875 eröffnete Hafen Korabia. Beide bilden mit ihren Ladung nehmenden oder löschenden Dampfern und Segel-Karlasen den lebendigsten Contrast zur Stille in Rahova, und doch könnte dieses vermöge seiner trefflichen Lage der natürliche Ausfuhrhafen für sein fruchtbares, der unerfreulichen Agrar-Verhältnisse wegen aber leider nur wenig cultivirtes Hinterland sein. Zuletzt geschah allerdings etwas für die Hebung des Verkehrwesens. Eine ziemlich gute, den Skit und Isker kreuzende Fahrstrasse verbindet Rahova mit Vraca, eine andere Uber Leskovec, Staroselo und G. Netropol mit Pleven. Wenn trotz alledem die Handelsbedeutung Rahova's und aller türkisch gewesenen Donau-Emporien einen nur langsamen Aufschwung nahm, so verursachten dies manche bereits angedeutete Factoren und andere, welche ich noch berühren werde. Am 31. Julimorgen sandte ich meine Leute mit Pferden und Gepäcke nach Bukovica voraus, da Achmed Bei mir durchaus die Ehre erweisen wollte, jn seinem Wagen mich dahin zu bringen. Zu Bukovica dankte ich ihm und Herrn 176 durch das I8KBR-, skit-, OGOBT- und PANBQA-GEBIET Dr. Geisser für die zahlreichen Beweise ihrer Liebenswürdigkeit und eilte sodann meiner von Öingane Serai herabkommenden, durch einen kleinen Unfall etwas verspäteten Suite entgegen. Wir durchfurtheten hier den wenig tiefen Skit, ritten hierauf über die schmale, beim Ausflusse kaum V* Stunde breite, niedere Landzunge, welche ihn vom Ogost trennt und zuletzt durch diesen. Etwas westlich von seiner Mündung, 18 Mill. von Cibrus entfernt, stand das römische Städtchen Augusta. In den Avarenkriegen zerstört, wurde es von Justinian wieder hergestellt. Des vorgerückten Tages wegen konnte ich leider diese antike Stätte nicht aufsuchen; sondern erstieg beim Romanendorfe Hrlec, dessen einzige Merkwürdigkeit eine tief in der Erde steckende, casemattenartige Kirche bildet, die jenseitige Terrasse. Ihre wonig interessante Hochebene ist hart am Ogost noch mehr als jene ain Skit mit Tumuligruppen bedeckt Zwischen Rahova, Kruscvica, Hrlec und Butan zählte ich über 26 Hügel, darunter einen isolirten auf der erwähnten Landzunge von auffallender Grösse. Hier wie auch anderwärts sah ich mich leider ausser Stande, die gewiss reiche Resultate versprechende Durchforschung dieser Denkmäler aus prähistorischer Zeit vorzunehmen, denn die totale Unrichtigkeit unserer Karten zwang mich, meine in Rahova unterbrochene geographische Arbeit sofort wieder mit allem Eifer aufzunehmen. Ich hatte nämlich auf der unteren Donauterrasse, zwischen Skit und Lom, also auf einem Gebiet von etwa 30 nMeilen, wo Kiepert's Karte eine afrikanische Leere zeigte, nicht nur die Lage von 60 Orten in Karte zu bringen und deren Nationalität zu bestimmen, sondern auch die total irrige Zeichnung sämmtlicher Wasserläufe, Höhen u. s. w. zu corrigiren. Dies gab vollauf zu thun und war o-nt da ich sonst in dieser monotonen Landschaft die Qualen einer August-Reise bei durchschnittlich 26—30° im Schatten, ohne Schutz gegen das am Löss und Kalk haftende intensive Sonnenlicht und die fortwährende Belästigung durch riesige Mückenschwärme, kaum ertragen hätte. Dass die Reise durch hier sehr zahlreich angesiedelte tscherkessische Raubnester ging, gestaltete diesen langweiligsten Theil meiner bulgarischen Kreuz- und Querzüge wohl romantischer, aber nicht erquicklicher. Nur höchstes Pflichtgefühl und das Bewusstsein, eine nützliche Aufgabe zu erfüllen, spornt den Reisenden auf solchem Terrain auszuharren, wo trotz Foltern, wie sie kaum afrikanische Reisen in höherem Maasse bieten, doch kein rauschender Lorbeer zu holen ist. Des späten Aufbruches ungeachtet hatte ich an diesem Tage Meilen gemacht und verzeichnete als Resultate: die topo- und ethnographische Aufhellung vieler ungekannter Orte, die genauere Aufnahme des unteren Ogostlaufes, die Constatirung, dass er bei Dolna Gnoinica tertiäre Muschelkalke und bei Belibrod röthliche Sandsteinschichten durchbricht, sowie die überraschende Thatsache, dass die auf allen frühcreu Karten am Ogost erscheinende Stadt „Wischedrina" zu ihren anderen Fabeln gehörte. Mit diesem tröstenden Ueberblicke erreichte ich in der Abendkühle das 73 M. hoch am rechten Flussufer liegende Belibrod, in dessen elendem Han ich, soweit es Insecten aller Art zuliessen, Ruhe suchte und fand. Am nächsten Morgen wieder W. gegen 0. dem oberen Skit zustrebend, stiess ich auf dem 168 M. hohen Plateau auf seinen ungekannten grössten Zufluss mit 6 gleichfalls von unseren Karten verschwiegenen Orten. Letztere sehen gut aus, beispielsweise das lVg St. von Belibrod entfernte Rogosna (130 Bulgarengehöfte und 40 Zigeunerhäuser), wo grosse Schweineherden bei einer Eichenwaldoase weideten; nicht minder verrieth auch Brzina (79 bulgarische und 40 tscherkes-sische H.) grosse Wohlhabenheit. Nördlich von diesem Dorfe erscheinen unter dem Löss horizontal geschichtete Kalke im tiefen Bachbette; ich kreuzte es in 90 M. und erreichte, strenge W.O. über die glühend erhitzte Ebene ziehend, in IV2 St. das hart am Skit gelegene Altimir. Eine Stunde abwärts liegt auf dem rechten Flussufer an schönbewaldetem Hange Galica, wo mir einige Römersteine signalisirt wurden. Der Weitermarsch gegen SO. brachte zahlreiche kleine geographische Entdeckungen, deren Detailaufzählung jedoch den Leser ermüden dürfte; sie sind durch Vergleichung meiner Karte mit den ihr vorausgegangenen leicht ersichtlich. Nachmittags ging ich bei Komarevo über den im grossen Halbbogen fliessenden Skit auf einer guten, 6 Schritte breiten, 13 Schritte langen Holzbrücke und in später Dämmerung betraten wir die ihn vom Isker trennende, landschaftlich interessantere Wasserscheide. Letzterem fliesst auch durch Suhace (30 Bulgaren-, 89 Pomakenhäuser) die kleine,, tief im Kalke eingeschnittene Wasserader Gabare's zu, an der ich in später Nacht, beim Scheine eines grossen Feuers, mein Bivouak aufschlug, ohne von den räuberischen Tscherkessen des nahen Dabnica belästigt zu werden. Gabare's 135 bulgarische Gehöfte sind grossentheils fest gebaut, sogar mehrere einstöckige Häuser sah ich. Hier wie in der ganzen mittleren und oberen Balkanregion pflegt man zur Dachdeckung neben Stroh und Ziegeln vorzugsweise dünngeschichtete, grosse Kalkplatten zu verwenden, welche in der Art unserer Schiefer eingedeckt werden. Gabare ist wohlhabend und treibt auch Seidenzucht; diese gewinnt an Ausdehnung, je höher man gegen S. aufsteigt. Unter den Römern und vielleicht auch im Mittelalter stand NO. von Gabare eine bedeutende Befestigung, sie wurde, wie ich mich überzeugte, leider bis auf den Grund verwüstet. Viele Häuser und auch die Kirche wurden beinahe ausschliesslich aus römischem Material erbaut. Zwei Inschriftsteine am Kirchhofe sind unlesbar; Capitäle, Säulenstämme u. s. w. lassen aber auf die reichere Decoration einiger Bauten des antiken Castrums schliessen. Reihe ich dieses Römerwerk jenen an, welche ich auf der mittleren bulgarischen Donauterrasse früher bei Oumakovci, Sadovec, Kajalik, an der Osma u. s. w. traf, so stellt sich bei einem Kunitz, Donaa-Balgarlen und der Balkan. 12 Blicke auf ihre Standorte die Gewissheit fest, dass wir es hier nicht mit planlos angelegten Castellen, sondern mit einem wohl combinirten zweiten Befestigungsgürtel zu thun haben, welcher das Land auf einer von der Donau ziemlich gleich abstehenden Linie O.W. durchschnitt und dem höchst wahrscheinlich eine zweifache Aufgabe zufiel. Die erste bestand in der Unterstützung des grossen Donaulimes, falls er an irgend einem Punkte vom linken Ufer aus durchbrochen wurde, und die zweite in der Beschützung der grossen Transversalstrassen für Truppen-und Proviantbewegung, welche von Thracien und Macedouicn nach Morien zur Donau liefen. Man könnte diese Castelle auch den Schutzring der miocänen Kalkzone Donau-Bulgariens nennen, denn alle liegen in ziemlich gleichen Abständen auf jener Breitenlinie, welche das Zurücktreten der unter dem Löss lagernden eocänen Schichten und der sarmatischen Stufe vor der miocänen Zone bezeichnet. Der 218 M. hohe Anstieg über Gabare's (190 M.) dünnplattige horizontale Kalke zum südlichen Plateau (408 M.) war sehr anstrengend. Als wir die Höhe jedoch bei dem reichen Bulgarendorfe Drasan erreichten, belohnte uns ein genussreicher Blick auf die reich gegliederte bewaldete Terrasse, welcher die zahlreichen Quellen der Öumakovska entfliessen. Hier erreichte der troglodytenartig in der Erde steckende Häuserbau vollends sein Ende. Die harten, überall zu Tage stehenden Schichten verbieten diese primitivste aller Bauweisen. Nun wir aus° dem Löss heraus, erhielt die Landschaft auch Abwechslung und Farbe, die Hochebene des reichen Kamenopol (130-Bulgaren-Gehöfte) und seiner isolirten Tscherkessen-Colonie belebten ungemein viele Rindvieh- uud Pferdeherden von schönem Schlage. Weiter hinaus gegen S. erschienen aber hoch sich aufthürmende Parallelzüge, welche unsere Karten kaum andeuteten; ich ahnte hier bereits die schwere Arbeit, welche bei und hinter Vraca meiner wartete. Kamenopol besitzt eine dreibogige Steinbocke und eine hübsche Kirche mit gemalter Sv. Bogorodica über dem Eingange. Nach kurzem Halt zog ich weiter, um in zweistündigem Ritte den vielgekrümmten Isker unterhalb Radoven wieder zu gewinnen. Mit dem grünfiuthigen Flusse ging es nun abwärts nach dem 150 Gehöfte starken Bulgarendorfe Konino. Sein Kirchhof bewahrt zwei Votivsteine mit griechischen Hexa- und Pentametern, der erste wurde „von Marcellus und (?) Eutychas dem Aesculap, dem Paean, dem Telesphorus und der Hygieia als Dank gesetzt", der zweite stark verstümmelte zeigt die thrakischen Namen: Aurelius Zeises und Eteokles; nach Prof. Kirchhoffs Lesung wurde er von „Zeises und Alend (?) den Eltern zur Erinnerung aufgestellt". Unten in mit Weinlaub und Trauben umrahmtem Relief treibt ein Mann mit dem Stabe ein von Ochsen gezogenes zweirädriges Gefährt an, auf dem ein Fass ruht. Ich hatte zu Konino (141 M. Seehöhe) geographisch und ethnographisch so viel zu thun, dass mir keine Müsse blieb, nach dem Fundorte der Votivtafeln zu forschen. Vielleicht kamen sie aus einer benachbarten Ruinenstätte hierher, möglicherweise stand aber im oder nahe beim Dorfe eine antike Niederlassung. Ich empfehle meinen Nachfolgern es festzustellen, denn die Ortsbewohner wollten und der Subasi, die türkische Autorität des rein bulgarischen Dorfes, konnte mir darüber keine Auskunft geben, obschon er sich sonst über die topographischen Verhältnisse des mittleren Iskergebietes sehr unterrichtet erwies. Die empfangenen Daten genügten mir trotzdem nicht für eine klarere Auffassung seiner Bodenplastik und ich beschloss desshalb die gegen S. liegende „Kurmau mogila" zu besteigen. Von Konino zog ich am Fusse seiner braun oxydirteu schroffen Steilwände, in welchen das Plateau von Kamenopol zum Isker abfällt, diesen O.W. abwärts. Die 250 M. hohen Kalkmauern badeten sich stellenweise im grünen Wasserspiegel und zwangen uns oft, den Weg durch ihn selbst zu nehmen; wo aber das Vorland nur etwas breiter, mussten wir durch ein wahres Dschungel riesiger Maisstauden, zwischen welchen Ross und Reiter förmlich verschwanden. .Ungemein lieblich war die hüglige Landschaft, welche uns am rechten Ufer begleitete, und kurz vor Karlukovo traten wir in ein Defile, das au pittoreskem Reize mit jenen zu Kajalik, Sadovee, Gabare und G. Lukovic wetteiferte. Wie letztere dankt es ganz denselben geologischen Verhältnissen seine Entstehung und hier wie dort schützten einst römische Castelle und byzantinisch-bulgarische Burgen des auf S. 178 charakterisirten AVekrgürtels die durchlaufenden Heerstrassen. Ein plötzlich vorspringender, einst befestigter Felsen bewachte das Defile, wo es sich verengend gegen N. abbiegt, und zwei Castelle standen unfern desselben auf den Höhen. Heute ziehen nur fromme Pilger durch den Karlukovo-Pass zum gleichnamigen Kloster, dessen Mönche an die zu ihrem Klostergebiet gehörenden Castellruinen allerlei Historien aus bulgarisch-türkischer Epoche hefteten. Bald darauf standen wir Einlass heischend am grossen Pfahlzaune der Heilstätte, deren Vorstand Hilarion sich als ein gastfreundlicher Mann und leidlich gebildeter Cicerone erwies. Kirchlein und Klostcrgebäude gehören zu den ärmlicheren Bulgariens, trotzdem Traditionen und die Erfindungsgabe der Mönche manches für sein Ansehen gethan. So wollte der Hegumenos wissen, dass in dem unscheinbaren Kirchlein der Sohn des Garen Joannes Asen II. getraut worden sei, wonach seine Gründung in das XIII. Jahrhundert fiele; der Styl und das Technische der Baute sprechen aber für ihr jüngeres Alter. Vielleicht sind die Grundmauern alt, der Oberbau datirt aber höchst wahrscheinlich aus einer späteren Restauration. Von kunsthistorischen Gründen abgesehen, ist ja auch sonst kaum anzunehmen, dass gerade Karlukovo die Türkenstürme unversehrt überdauert hätte, und ums oweniger, falls wirklieh, wie der Arehimandrit erzählte, des 12* Klosters Burgen dem grossen Murad lange erfolgreichen Widerstand geleistet, weshalb der erbitterte Sieger die letzteren zerstören Hess. Mitten in seinem historischen Excurse wurde der Abt von einem Mädchen dringend verlangt, welches seit einigen Tagen als Patient gegen Anfälle des Teufels (djavolo) im Kloster Hülfe suchte. Wir trafen das arme, an Epilepsie leidende Geschöpf, in Schmerzen sich windend. Ich flüchtete, schon um nicht durch meine profane Anwesenheit die wunderthätige Kraft des geistlichen Exor-cismus abzuschwächen, und eilte durch das Hinterthor des Klosters zum Isker, um in sein nördlicheres Defile" vorzudringen. Dort schlicssen die hohen, senkrechten Kalkmauern noch enger zusammen. Die mystische Romantik ihrer zahlreichen Höhlen mag einst fromme Asketen angelockt haben; aus einer nischen-förmigen Vertiefung blickte eine Capelle herab, Bilder und Kreuze klebten überall an den Felsen, selbst dort, wo man im ersten Augenblicke vergebens nach Wegen späht, welche zu ihnen hinan führen. Wie man mir versicherte, soll hier ein natürlicher stollenartiger Höhlengang in der rechten Iskerwaud auf das Hochplateau hinausleiten, der in Kriegszeiten von den bedrohten Mönchen oft zur Flucht benutzt wurde. Spät Abends kreuzte ich den Isker (116 M.) und zog den an Montenegro mahnenden Steilweg über zerklüftete Felsen hinan zum 255 M. hoch liegenden Dorfe Karlukovo. Der scheidende Sonnenball hüllte die Klosterschlucht in unbestimmtes Spectrumlicht, oben auf dem ausgedehnten Hochplateau schickten die Herden sich eben unter lustiger Sviralamusik zur Heimkehr an, ein Bild beruhigenden Friedens zum Schlüsse eines in aufregender Arbeit verlebten Tages. In Gesellschaft des Subasi und meines Zaptie erstieg ich am nächsten Frühmorgen die Kurman mogila. Sie ist gegen S. hoch hinauf mit Mais, Obst und Wein, nördlich aber nur mit Mais und Eichen bewachsen. Wir wanden uns durch das letzte Baumdickicht und standen auf einem Aussichtspunkte, wie ich mir ihn nicht besser wünschen konnte. Nach S. vermochte ich das 330 M. tief unten liegende Iskerbett bis gegen Strupec abzuwinkein und ebenso die weit zurück über dem Flusse aufsteigenden Bergzüge, unter welchen ich jenen von Teteven deutlich unterschied. Woher die 442 M. hohe Mogila ihren Beinamen „Kurman" erhielt, konnte ich nicht genau erfahren; die Meinungen waren getheilt, doch einige glaubten, dass zur Carenzeit ein bulgarischer Ritter Kurman in seinem Schlosse hier hauste. Der Weg zur Panega läuft über das nördliche Karlukovo-Plateau W. 0. Rechts und links wechseln Wälder mit Culturen. Nach 2. St. ging es abwärts nach Gorni Lukovic, neben dessen Moschee eine schadhafte hölzerne Brückenbahn auf 3 Steinpfeilern den 110 M. hohen Pancgaspiegel überspannt Hier mündete mein Routier in die bereits wiederholt von mir gestreifte grosse Strasse Ruscuk-Sofia, welche ich nunmehr mit ihrem Zweige nach Zlatica der ganzen Länge nach verfolgen wollte. Dass die Römer schon diese Trace benutzten, welche im russisch-türkischen Kriege 1877 eine hochwichtige Rolle spielte und so wesentlich in das Ringen um Plevna eingriff (S. 155, 185), dafür sprechen auch antike Reste zu Gorni Lukovic, wo ich in einem seiner 350 Pomakenge-höfte eine leider verstümmelte Inschrift sah. Der römische Strassenzug war aber auch stark befestigt gewesen, denn abgesehen von den Castellen, welche ich beim 3 Stunden fernen Dolni Dabnik, bei Plevna und weiter am Osem traf, stiess ich unmittelbar hinter G. Lukovic, zwischen steil aufgerichteten Kalkfelsen (obere Kreide) wieder auf eine römische Trümmerstätte und von einer kahlen Höhe bei dem folgenden Dorfe Bloznica blickten die Reste eines anderen Castells in das sich stets mehr verengende Defile der Panega herab. Bei Teodoriöen, etwa 1 St. hinter G. Lukovic, tritt man aus der bereits auf S. 157 charakterisirten Kalkformation heraus in jene des grauen, dünngeschichteten und feinkörnigen Sandsteins, welcher gegen W. zur hohen Dragoica pl. und am Vid 0. gegen Toros fortstreicht, bei Jablanica aber von grauem sandigem Kalkstein überlagert wird und gegen Golema und Malka-Bresnica in wahren Karst Ubergeht. Auf Bergrath Fötterle's kurzer Excursion von Nikopoli nach Jablanica mahnte ihn das Terrain bei Bresnica geradezu an Istrien. „Ausgedehnte kesselartige Vertiefungen, in deren Grund sich rothe Erde, von den Abhängen heruntergeschwemmt, angesammelt hat, und in welchen eine zum Theile üppige Vegetation und der einzige Anbau von Feldfrüchten, meist Kukurutz, sowie hin und wieder einige Wassertümpel zu finden sind, wechseln mit zerrissenen Steinflächen und felsigen Bergen ab, auf welchen kaum die Spuren einer Baumvegetation, sondern nur Gestrüppe und spärlicher Graswuchs sichtbar werden. Die Gesteine zeigen keine Schichtung, sondern ragen bunt durch einander nach allen Richtungen aus dem Boden hervor, durch ausgewaschene Löcher noch mehr zerrissen. Es hat den Anschein, als wären hier mindestens zwei Glieder der Kreidekalke vertreten, denn noch in der Niederung von Golema-Brasnica findet man darin Reste von Caprotinen, während in Mahle-Jablanica, also in den tieferen Parthien neben Korallen auch kleiue Gastropoden und undeutliche Radioliten-reste vorkommen, so dass dessen Einreihung in die Kreideformation zwischen den Cenoman-Karpathensandstein und den Neo com schiefer unzweifelhaft ist; denn erreicht man den kleinen Sattel zwischen Mahle-Jablanica und Jablanica, so ändert sich plötzlich das Gestein und mit diesem die ganze Physiognomie der Landschaft. Unter dem Caprotinen- und Radiolitenkalke treten schwarzgraue bis schwarze Kalkschiefer auf, die theilweise in festere graue Kalkbänke übergehen und dem ganzen Abhang entlang anstehen, der von Mahle-Jablanica nach Jablanica selbst führt. Sie fallen ziemlich flach mit etwa 15 bis 20 Grad nach Stunde 22—23, und enthalten Belemniten, so wie in grosser Anzahl Ammoniten und Crioceras der Rossfelder Schichten. Nirgends noch sah ich die Neocom-schiefer in einer so ausgedehnten Entwicklung und mit einer so reichen Fauna von Cephalopoden wie hier; die grosse Anzahl von Abdrücken, die man allenthalben auf dem Gesteine sieht, zeigt, dass man hier in der kürzesten Zeit eine reiche Ausbeute von Petrefacten zu machen im Stande wäre. Diese Schiefer haben in südlicher Richtung noch eine grosse Verbreitung bis an die Ufer des kleinen Isker und wahrscheinlich bis nach Edrobol und Orhanje an der Strasse nach Sofia, denn erst dort steigt das Gebirge rasch an, und folgt nun das Hochgebirge des Balkan, während die Umgebung von Jablanica aus einem mehr sanften Berglande besteht und nur dort steilere Berge auftreten, wo die Schiefer von dem Radiolitenkalke bedeckt werden." Fötterle's letztere Annahme erwies sich nicht in ihrer weitgezogenen Ausdehnung, denn die ganz nahe bei Jablanica aufragende Masse des Dragoica-Gebirges fand ich nicht aus Kalk, sondern aus plattigem graubraunem Sandstein in den höchsten Parthien constituirt. In der wildromantischen Kalkscenerie, entlang dem geradlinigen Panegalaufe erfreuen den Wanderer nahe den spärlichen wohlhabenden Orten ausser schönen Baumoasen einige isolirte pittoresk gelegene Mühlen, deren grösste dem reichen Abdulah Bei Lovceli gehört. Das Geklapper der primitiven Räderwerke unterbricht lustig die Stille. Manchmal sehen sich aber die Müller von dem capri-ciösen Flüsschen in ihrer Arbeit gehindert, und als Consul Lejean im Hochsommer 1861 hier vorüberkam, traf er an den beinahe versiegten Panegaquellen einige Moslims, die ein Kurban (Lammopfer) schlachteten, um Allah zu reichlicherer Wasserspende für ihre trockenliegenden Mühlen zu bewegen. An die Erzählung dieses Reiseerlebnisses knüpfte Lejean eine diesen Fall verallgemeinernde Betrachtung, welche damit schloss, dass auch des Propheten Lehre vom alleinigen Gotte ihre Bekenner im Laufe der Zeiten nicht von Wahn-und Aberglauben frei zu halten vermochte. Diese Aeusserung zeigt aufs Neue, wie unentbehrlich zuverlässige ethnographische Unterlagen sind, sobald man an die Beurtheilung irgend welcher Verhältnisse im illyrischen Dreiecke geht. Denn dort decken sich Glaube und Nationalität in den seltensten Fällen, und ohne gewissenhafte Untersuchung des Details gelangt man zu ganz unbegründeten Schlüssen. Die Moslims, welche Lejean beim Kurbanopfer an den Quellen traf, waren nämlich weder „Türken" noch in der Wolle gefärbte Muhammedaner, sondern „Pomaci", das heisst slavische Bulgaren, deren Voreltern dem Drucke der Verhältnisse weichend, aus Nützlichkeitsgründen das Christenthum mit dem Islam vertauscht hatten, im Wesen aber nur in geringen Aeusserlichkeiten von ihren der orientalischen Kirche treu gebliebenen bulgarischen Stammesbrüdern sich unterschieden. Diese moslimschen „Pomaci" — Helfer der Türken, von „pomoci" (helfen) so genannt — behielten aber neben der türkischen nicht nur ihre autoch-thone Sprache, sondern blieben auch grossentheils den traditionell überkommenen Sitten und Bräuchen ihrer christlichen Ahnen treu. Der Harem nicht nur armer, sondern auch reicher Pomaken zählt beispielsweise selten mehr als eine Frau, der Julianische Kalender ist allen geläufiger als jener des Propheten, und in heikligen Fällen, bei Krankheit, Viehseuchen u. s. w. nehmen sie, ganz wie die bosnisch-hercegovinischen Moslims serbischen Stammes, ihre Zuflucht weit lieber zum Heilschatze der christlichen Ortsfee, der Baba oder des Popen, als zu Hodza und Koran. Somit erklärt sich das von Lejean unrichtig commentirte, durch „Türken" den „Wassergöttern" an der Panega gebrachte Kurbanopfer, als eine, sowohl bei den christlichen als moslimschen Bulgaren noch herrschende Uebung altslavisch-heidnischen Brauchs, welcher die Quellgötter durch Op/er von Thieren, Münzen u. s. w. günstig zu stimmen sucht. Mein verewigter Freund Lejean war leider der slavischen Sprache gänzlich unmächtig und durchzog auch das Panegagebiet zu flüchtig; sonst hätte sich sein Staunen Über das vermeintliche Wasseropfer der „Türken" auf dem Wege ethnographischer Sondirung gelöst. Dass der „See-cultus" bei den Südslaven stark im Schwünge steht, erwähnte ich bereits in meinem „Serbien" (S. 152^ 154, 272, 536, 537, 538, 543), und auch durch ganz Bulgarien fand ich ihn, namentlich in den entlegenen Balkanschluchten sehr verbreitet, wie er ja bekanntlich auch im europäischen Norden von Schotten und anderen Völkern gepflegt wird. (Lubbock. Die vorgeschichtliche Zeit, S. 212.) Die bulgarisch-moslimschen „Pomaci" unterscheiden sich vortheilhaft von den muhainmedanischen Serben. Während letztere dem Wahne huldigen, dass ihre christlichen Stammesbrüder nur existiren, um auf deren Kosten in Bosnien und in der Hercegovina als Begs umVSpahis einem behaglichen Wohlleben zu fröhnen, während die bosnisch-hercegovinische Rajah unter ihrem Fanatismus seufzte und wiederholt zu blutigen Aufständen getrieben wurde, ist den zum Muhammedanismus übergetretenen Bulgaren aller Religionshass fremd. Ueberau leben diese Pomaci mit ihren christlichen Stammesgenossen in bester Harmonie und nirgends hörte ich in den Orten, welche sie gemeinsam bewohnen, Klage über gegenseitige Feindseligkeit. Desshalb durfte ich wohl im ersten Bande meines „Donau-Bulgarien und der Balkan" (I. Auflage) die begründete Meinung aussprechen, „dass bei einem Umschwünge in der Türkei, welcher den numerisch stärkeren Christen wahrscheinlich das politische Regiment ausliefern dürfte, diese moslimschen Bulgaren voraussichtlich zur Religion ihrer Eltern, der sie noch immer geheim huldigen, wieder zurückkehren werden, und zwar ganz so wie viele krypto-christliche Albanesen dies unter misslicheren Verhältnissen versucht oder wirklich ge-than haben." Der Hauptsitz der „Pomaci" des nördlichen Balkangebietes — denn auch im südlichen gibt es solche, z. B. im thrakischen Despoto dagh — liegt zwischen dem reinbulgarischen Westen und dem mehr türkischen Osten der Donau-Terrasse, zwischen Isker und Osem in der Mitte. Sie bewohnen also das Terrain, wo Lejean's ethnographische Karte jene grosse romanische Volksinsel zeigt, die ich, gestützt auf die detaillirte Bereisung des fraglichen Gebietes, als nicht exi-stirend beseitigte. Nebenbei bemerkt, traf ich in ganz Donau-Bulgarien, von Vidin bis Silistria, zwei geographische Meilen über den Donaurand gegen Süden, kein einziges walachisches Dorf; doch wird das Rumänische häutig von den Donau-Bulgaren verstanden, da viele es während ihrer sommerlichen Wanderzüge auf's walachische Ufer erlernen. Die nahezu vierzig von moslimschen Bulgaren allein oder mit christlichen Bulgaren, vor 1877 oft auch mit Tscherkessen und Tataren, gemeinsam bewohnten Orte liegen von der mittleren Donau-Terrasse bis zu den Vorbergen des Balkans dicht neben einander und tragen ausschliesslich reinslavische Namen. So heissen beispielsweise die zehn Dörfer am Panegaflüsschen von seiner Mündung in den Isker gegen Süden: Gervenibreg, Rupce, Radomirce, Gorni Lukoviö,, Todoricen, Petreven, Deben, Bloznica, Orese und Dobrevci, Namen, in welchen kein türkischer Anklang zu finden ist. Zwischen den letztgenannten Pomakenorten führte uns eine von zwei Karaulen überwachte Strassencurve, nahe dem vielzerrissenen Panega-Karstterrain, in die wirthliehere Region der Jablanica, an der Ostgrenze des von Midhat Pasa neu geschaffenen Kasa Orhanieh, so genannt nach Orhan, dem Sohne jenes Osman's, welcher das türkische Reich stiftete. Zu Jablanica stiess ich wieder auf das der Centrairegion des nördlichen Balkans eigenthümliche, bereits geschilderte Kollisystem (I. Bd.), es reicht jedoch westlich nicht über den nahen kleinen Isker hinaus; jenseits desselben gibt es nur geschlossene Orte. Die Kolibi in dieser Gegend sind ziemlich bedeutend, oft bilden bereits zwei z. B. Sumen und Palilula eine politische Gemeinde. Zum Hauptortc Jablanica gehören drei Kolibi: Gerani, Nanovica und Golema Gora, zusammen zählen sie 160 reinbulgarische Gehöfte, und der Hauptweiler, in dessen trefflichem Han ich eine ziemlich ungestörte Nacht verbrachte, besitzt eine hübsche Kirche, Schule und mehrere wohl versehene Kramläden, welche für die Bedürfnisse der nächsten Kolibi sorgen. In Jablanica gedachte ich die Dragoica planina zu besteigen, meinen Leuten und Pferden aber einen wohl verdienten Rasttag zu gönnen. Ich miethete daher für den Ausflug ein Pferd und Hess mich nur von einigen Dorfinsassen begleiten. Der wegkundige Öorbasi Miko Joto übernahm die Führung und die Ersteigung erwies sich im Verhältniss zur Mühe höchst lohnend. Vom Dorfe ging der Weg zunächst über das Vorplateau gegen N., später W. und zuletzt 0., immer sanft, auf massig steilen Serpentinen mit geringen Curven, in 24/a St- hinan zum breiten Rücken des Dragoica. Seine höckerartigen Gipfel culminiren in 948 M., man steigt also von Jablanica (411 M.) nur 537 M. empor, und doch gewähren wenige, selbst höhere Berge Donau-Bulgariens einen so ausgezeichneten Orientirungs-punkt nach allen Richtungen; ein weites Amphitheater umspannt ihn, das Gebiet zwischen dem Vid und kleinen Isker bis Teteven und Etropol liegt reliefähnlich da. So sanft die Dragoica von S. her ansteigt, in eben so starken Steilschroffen fällt sie gegen N. in das kesselartige Thal von Dobrevci ab. Tief unten schimmerte ein Wässerchen auf, die zweiarmige Jablanica, in der ich einen Bekannten vom vorigen Tage begrüsste, da ich sie bei ihrem östlichen Einflüsse in die Panega kreuzte. Schon hieraus erhellt, dass die Jablanica nicht ihren Weg über Berge nimmt, wie bei Kiepert, oder zum Isker, wie bei Scheda, auf deren Karten man 1871 auch das von ihr durchflossene Dobrevcithal mit 3 Orten und viele andere benachbarte vergebens gesucht hätte. Bei reinstem Firmamente peilte ich die höchsten Punkte des Teteven-, Zlatica- und Etropol-Balkans, die Lizec-Bogdan- und Crna planina, viele am südlichen Horizont erseheinende Orte, und vervollständigte diese Materialien durch ein Croquis des im Herbste 1877 sehr interessant gewordenen, viel coupirten Terrains, worauf ich nach einem in fröhlicher Laune genommenen Imbiss höchst befriedigt nach Jablanica zurückkehrte. Dort empfingen mich die vom Lehrer aufgebotenen Dorfkleinen mit einem hübschen Liede; so beschloss ich in gemüthlichster Weise einen auf solchen Reisen selten ganz gelungenen Tag. Mit Ende October, als Plevna auch am linken Vidufer hermetisch umschlossen war, begann gleichzeitig mit der rumänischen Ausbreitung über Rahova nach Vidin und Belogradeik das von Gurko befehligte Corps seine Operation gegen den westlichen Balkan, um etwaige Unternehmungen der türkischen Reserve-Armee zum Entsätze Osman Pasa's zu verhindern und ihr alle von Sofia in die nordbulgarische Ebene führenden Balkan-Pässe zu versperren. Es galt ausser den seitlichen Wegen von Teteven und Vraca, zunächst die von Sofia über Orhanieh und Jablanica nach Plevna führende Hauptstrasse Schefket Pasa zu ent-reissen, welcher etwa 7000 Mann stark, nach dem Falle des befestigten Telis, sich Über Radomirce auf Gorni Lukovic zurückgezogen hatte. Neben den schon unter Gurko's Befehl stehenden Theilen des Garde-Corps und der combinirten Kosaken-Division wurden ihm zu diesem wichtigen Zwecke noch die 9. Cavallerie-Division und Karcoff's Detachement unterstellt, so dass er rund Uber 40,000 Mann verfügte. Die Operation gegen die türkische Reserve-Armee begann mit der Wegnahme Teteveivs durch Karcoff am 31. October und mit Schefket Pasa's Vertreibung aus dein stark mitgenommenen G. Lukovic am selben Tage durch Gurko. Das ganze Strasscnstück hart am Laufe der Panega, von Radomirce bis Jablanica, wurde von den Türken ohne nennenswerten Kampf preisgegeben, da Schefket, für seine durch Karcoff bedrohte Rückzugslinie besorgt, sich bis zum Mali Isker zurückzog. Am 2. Nov. gewann das ihm auf der Ferse nachdrängende russische Hauptcorps östlich bei Jablanica mit Karcoff bereits Fühlung, und nachdem seine rechte Flügelcolonne unter Leonoff sich am 9. Nov. der Stadt Vraca bemächtigt, setzte sich General-Lieutenant Gurko mit dem Gros seiner Truppen am 15. Nov. über Jablanica gegen Orhanieh in Bewegung, wo mittlerweile der, trotz seiner Bulgaren-Schlächtereien im Jahre 1876, des Verraths beschuldigte Schefket, durch den früher am Sipka kämpfenden Divisionär Schakir Pasa ersetzt worden war. Bei Pravec, Etropol, Orhanieh und Vraca werden wir Gurko's weitere Operationen gegen Schakir verfolgen. Eines der topographisch vernachlässigtsten Gebiete Donau-Bulgariens war bis zu meiner Bereisung (1871) der sogenannte „Mali"- (kleine) Isker, obwohl er bedeutender als die Panega ist, ein ausgedehnteres Quellenreservoir als der Vid besitzt und auf des Balkans Nordseite den ansehnlichsten Zufluss des grossen Isker bildet. Nachdem wir eine niedere Wasserscheide westlich von Jablanica in 2 Stunden überstiegen hatten, begann ich die Aufnahme des vielgegliederten, schwierig aufzufassenden Terrains bei den isolirten „Miskovskiti hanovi" an der grossen Poststrasse, wo ich auf das erste dem kleinen Isker zufliessende Wässerchen stiess; Vi St- sPäter ritten wir uber die soli(le BrUcke> deren 10 Schritte breiter und 60 Schritte langer Oberbau auf 4 Steinpfeilern, den in feste Ufer eingezwängten, aus dem prächtigen Defile" bei Lupen herabkommenden Isker überspannt. Von hier fliesst er gegen Vidrar, nachdem er kurz zuvor den Ate-midbach aufgenommen. Schon früher kamen wir an einer Karaula vorbei, nun folgte am jenseitigen Ufer eine zweite zum Schutze der Strasse und hart am Brückenkopfe zeigte sich ein echt orientalischer, nach allen Seiten offener „Köschk", zum Kef und Genüsse des Panorama's einladend. Eine bunte Gruppe rauchender türkischer Frauen mit lieblichen Kindern, welchen ein Karaul-Zaptie Kaffee credenzte, hielt ihn besetzt; die Schönheit der Landschaft schien sie aber wenig zu interessiren, es wurde laut gestritten, gelacht und geplaudert. Dem Pavillon näher zu treten gestattete türkischer Brauch nicht; zu meiner nicht geringen Ueberraschung löste sich aber ein kleiner hockender Mann in modern schwarzem Nizamrock von der Gruppe los und begrüsste mich als lieben Bekannten, es war der Kaimakam von Sevli-jevo (Selvi), ein braver Osmanli, der sich seines Kasa's Zufriedenheit erfreut hatte, plötzlich aber, nach kaum zweijährigem Dienste vom liebgewonnenen Bulgarien in's rauhe Arnautluk geschickt wurde. Der Effendi klagte bitter über das „Kisniet", das ihn zwang-, mit Harem und Kindern in heissester Jahreszeit eine höchst kostspielige Reise von sechs Tagen zu machen, zu welcher er überdies das Geld borgen musste. Hinter seinem zum Schlüsse ausgerufenen Inschallah! verbarg sich schlecht der Groll gegen das corrupte Stambuler Regiment, welches durch den fortwährenden Beamtenwechsel Land und Staatsdiener ruinirte. Das geborgte Reisegeld muss mit hohen Interessen zurückbezablt werden, die Gehalte fliessen andererseits höchst unregelmässig; ein simpler Calcul erklärt also, aus welchen Taschen der Beamte bei solch kostspieligen Uebersiedlungen sich schadlos zu halten gezwungen sieht! An der Mali Isker-Brücke (361 M.) biegt S. der alte, nunmehr verlassene Weg über Etropol nach Sofia ab, während Midhat's neue Poststrasse Uber Orhanieh dahin geht. Sie zieht 0. W. am Osikovacbache weiter, das gleichnamige Dorf rechts lassend, nur sein Han liegt (408 M. Seehöhe) an der Strasse. Im Osikovacer Bachbette steht dichter, weisser marmorartiger Kalk an, er bestätigt Fötterle's Verrauthung, dass auf die unteren Kreideschichten bei Jablanica gegen S. triassische Gesteine folgen dürften; jenseits der Wasserscheide, im Defile", durch welches die Strasse nach Pravec N. S. läuft, treten aber krystallinisch-trachytische Gesteine auf, welche stellenweise wohl rothe Conglomerate und dichte Kalksteine überlagern, die sich aber später als constituirende Gesteinsart bis zur höchsten Region des Etropol-Balkans erwiesen. Schon hier fiel also vor den Thatsachen die Hypothese, welche noch im Jahre 1870 die westliche Balkankette der Sedimentärzone zutheilen wollte. Auf die triassischen Kalke folgten bald im tief eingeschnittenen Praveckathale porphyrartiges Hornblende-Feldspathgestein, gr-anitische Gebilde, grau-schwarze glimmerige Thonschiefer und Gesteine der zweifelhaften paläozoischen Balkan-Zone. Als Gurko seine auf S. 185 erwähnte Operation gegen die Vortruppen der bei Sofia sich bildenden türkischen Reserve-Armee weiter verfolgte, war es dieses zwischen der Pravecka und dem Mali Isker eingezwängte Hochplateau, auf dem Suvaloff, nachdem sein Gros schon am 21. Nov. den türkischen Gegner bei Osi-kovo verjagt, sich am 22. hart gegenüber der türkischen Position von Pravec festsetzte, um ihre seinen Vormarsch auf Orhanieh hemmenden Werke zu bewältigen. Unter den grössten Schwierigkeiten wurde Artillerie auf die Ostromahöhen hinaufgeschafft, während ununterbrochenes Schützenfeuer die feindliche Besatzung bei Pravec im Schach hielt. Kein Koch- und Bivouakfeuer durften die Truppen anzünden, denn der Feind sollte möglichst im Unklaren bleiben. Hier und in der ganzen folgenden Wintercampagne zeigte sich der Werth der russischen Elite-Gardetruppen, welche auf den Schneeflächen bei etwas trockenem Zwiebak die Nacht denkbar schlecht verbringend, am nächsten 23. Nov. Morgens dennoch mit ungebrochener Kampfeslust zum Angriff vorgingen. Sobald der Nebel ge- fallen war, Hess Suvaloff seine Artillerie die türkischen Stellungen lebhaft be-schiessen und gleichzeitig die 2. Brigade der 1. Division auf beiden Flügeln sich zum Gefecht entwickeln, während die 2. Brigade der 2. Division in Reserve verblieb. Indessen hatte Rauch's rechtes Seitcndetachcment seine am 21. Nov. bei Osi-kovo begonnene Bewegung gegen die linke türkische Flanke fortgesetzt. Auf den schwierigsten, theil weise erst durch Dynamit gesprengten Pfaden die Kanonen von Menschen schleppen lassend, und beständig vom Feinde bedrängt, löste Rauch, wie früher am steilen Elena-Balkan, unaufhaltsam seine Aufgabe. Am 23. Nov. Mittags stand er bereits mit dem geringen Verlust von 72 Todten und Verwundeten auf den die linke türkische Stellung flankirenden Höhen, von welchen er nun leicht in's Thal hinabsteigen konnte. Nach 12 Uhr erfolgte der Angriff der Rauch'schen Avantgarde. Die Türken kannten den Werth ihrer Position und vertheidigten sie hartnäckig, zweimal wiesen sie die muthig vorgehende Schützen-Brigade zurück, als aber bald auch das Regiment Semenoff eingriff, verliessen sie in Unordnung die Höhen. Der moralische Eindruck dieser Schlappe war so mächtig, dass es nicht erst des Eingreifens des Suvaloffschen Gros bedurft hätte, um die Türken zum Verlassen ihrer Schanzen und eiligen Rückzüge auf Orhanieh zu bringen, wobei sie durch das russische Granatfeuer furchtbar litten. Nur die durch 50stündige unerhörte Anstrengung herbeigeführte Ermüdung des Gegners verhinderte die Vernichtung Schakir's, dessen aufgelöste Truppen sich erst in Lazeni zusammen fanden. Aus dem Defile der Pravecka tritt man in ein von ihr durchquertes, parallel mit dem Balkan 0. W. streichendes fruchtbares Längenthal, an dessen Südseite das gleichnamige Bulgarendorf Pravec mit Kirche und Schule liegt. Die Strasse bleibt lU st. von diesem grossen Orte. Es war Mittag, die Sonne brannte fürchterlich und ich beschloss, in einem der dicht am Wege sich reihenden „Öepilovi hanovi" Siesta zu halten. Sie währte kürzer, als meine Leute es gerne gesehen hätten; bereits um 2 Uhr schlug ich den östlichen Weg nach Etropol ein. Auf der Sohle des Pravecthales (435 M.) und am Hange der es NO. begrenzenden Ostroma planina traf ich auch hier wieder jenes charakteristische rothe Con-glomerat, das sich in 0. W. streichender Linie am ganzen Nord- und Südhange des Balkans, parallel mit seinem Hauptkamme, verfolgen lässt. Anfangs marschirten wir zwischen dichtem Strauchwerke hin, je höher wir aber stiegen, desto häufiger erschienen hübsche Eichen-, Birken- und Buchenstände mit eingestreuten Wiesen, auf welchen die Herden von Pravec zerstreut grasten. Sonst war keine Staffage zu erblicken. Nur auf der 720 M. hohen „Diviöiska livada", deren steil zum Isker abgeböschtes Hochplateau sich aus einem körnigen Diorit- oder Diabas-Gestein constituirt", lagerten Hirten und ein Zigeuner, der sein mit zwei schweren Säcken beladenes Pferdchen rasten Hess. Während ich das plötzlich in Sicht getretene Quellgebiet des Mali Isker's croquirte, unterhielt mich der braune Nomade Uber seine Geschäfte. Er kam von Etropol, wo sein Vater die in der Türkei ausschliesslich gebräuchlichen Teller-Hufeisen en gros erzeugte. Neu aufgeschlagen sind sie namentlich auf steinigen Wegen sehr zweckmässig, das schlechte Samokover Eisen, aus dem sie gefertigt werden, nützt sich jedoch ungemein rasch ab uud die Dauer eines solchen Pferdbeschlags steht trotz seiner Billigkeit in keinem Verhältnisse zu seinem Preise. Ein Hufeisen kostet en detail sammt dem Aufnageln 5 Piaster = 1 Mark. Während der Zeit der „Gründungen" dachte ein bekannter, ehemals griechischer Oberst daran, in Oesterreich eine Hufeisenfabrik speciell für den Export nach dem Orient zu etabliren, leider kam das Project, obschon weit reeller als viele andere, nicht zur Ausführung. Unsere steiermarkischen Gewerke, welchen der Sensen- und Nagel-Export bereits durch Belgien, Rheinland u. s. w. geschmälert wurde, sollten einen Versuch mit diesem neuen, lohnenden Artikel wagen; die notwendigen Vorrichtungen dürften wohl nicht sehr kostspielig sein. Beim Abschiede theilte mir der braune Hufeisen-Händler sein Itinerar nach Vraca quer durch das Iskergebiet mit. Das Städtchen Orhanieh ausgenommen, fehlten alle von ihm genannten Orte auf Kieperfs Karte (1871), die ich im Probedruck mit mir führte. Es wunderte mich nicht, denn ich wusste ja bereits, dass ich die Karte von West-Bulgarien in ihren Grundzügen vollkommen erst zu schaffen hatte. Von der Diviciska-Höhe eröffnete sich ein sehr instruetiver Blick auf den Zlatica-Balkan, dessen langgestreckte Kammlinie nur an einem Punkte sich zu schwacher Gipfelbildung aufrafft, ferner in das einzutragende Lupenska-Thalgebiet zwischen dem Urcovat und Prosekat, sowie auf die Berge des Brusen-thales, durch welches ein Theil des Karcoff'schen Detachements von Teteven gegen Etropol vordrang. Hier stand Schakir's rechter Flügel, befehligt von dem ignoranten, selbst des Lesens unkundigen Mustapha Pasa, welcher mit 7 Tabors, 4 Geschützen, etwas tscherkessischer Cavallerie und Basibozuks, Gurko's linker Seitencolonne den Strigl- und Kacamarsko-Balkanpass versperren sollte. Mustapha Hess die grosse bulgarische Schule und einige christliche Privathäuser in Lazarethe verwandeln, wegen angeblichen Einverständnisses mit dem Feinde viele Einwohner verhaften; zuletzt befahl er, dass alle Bulgaren die Stadt verlassen mussten. Erst auf vieles Bitten nahm er diese strenge, höchstes Misstrauen verrathende Maassregel zurück. Am 21. Nov. gewannen Karcoffs Bataillone Fühlung mit der nördlichen, von Osikova durch das Mali Isker-Defile heranziehenden Abtheilung des Generals Dandeville, bestehend aus dem von Prinz Oldenburg befehligten Begiment Preo-brazenski, dem Lcibgarde-Grenadier-Rcgimcnt unter Oberst Lubovicki, dem 4. Dragoner-Regiment und einigen Geschützen. Der 22. Nov. verlief mit Demonstrationen. Am 23. Nov. gelang es Freiwilligen vom Regiment Preobrazenski sich einer vorgeschobenen Schanze zu bemächtigen. Am folgenden Morgen, nachdem man die feindlichen Stellungen durch heftiges Artillcriefeuer genügend erschüttert glaubte, schritten die Russen zum ernsten Angriffe. Durch den Vorgang am 23. Nov. und exemplarische Executionen des unter Mustapha cominan-direnden Miralai zu höchster Wachsamkeit angespornt, Hessen die Türken sich diesmal aber, trotz des Nebels, nicht überraschen. Als die russischen Teten die Werke zu Gesicht bekamen, empfing sie ein so mörderisches Feuer, dass ihre Vorwärtsbewegung in's Stocken gerieth. Die Infanterie wich zurück und gab der, mit Hilfe von Menschenkräften, auf eine fast unzugängliche dominirende Höhe gebrachten Artillerie erneuert Raum die feindlichen Werke zu beschiessen. Der Erfolg zeigte sich bald und gegen Mittag setzten sich, unter dem Schutze der das Thal besäumenden waldigen Hänge, die Garde-Grenadiere rechts und Theile des Regiments Velikoluck links gegen beide türkische Flanken in Bewegung. Als nun um 3 Uhr auch das Centrum zum Angriffe schritt, verliessen die Türken ihre Schanzen und wichen gegen die Stadt zurück. Nur einen Moment vermochten ihre Officiere sie dort zum Stehen zu bringen; das ihnen rasch nachdringende Regiment Preobrazenski vereitelte jeden weiteren Widerstand. Gegen 5 Uhr waren die Russen Herren von Etropol, dessen Häuser nur wenig gelitten hatten und den nachrückenden erschöpften Soldaten treffliche Unterkünfte boten. In der Stadt wurden nur wenige Militärs, darunter der deutsche Militärarzt Dr. Schücking, der seine Erlebnisse sehr interessant beschrieb, zu Gefangenen gemacht. Die zuerst eingedrungenen Truppen folgten energisch den flüchtenden Türken, welche in ungeordneten Haufen Zlatica, oder ihre nächste Schanze, südwestlich an der über Strigl nach Sofia führenden Strasse zu erreichen suchten. Oberst Lubovicki mit den Leib-Grenadieren vertrieb sie aber, trotz der eingebrochenen Nacht, auch dort und zwang sie bis zur Strigl - Passhöhe zurückzugehen. Am 25. Nov. Morgens hielten General Krüdener und der Prinz von Oldenburg mit einem grossen Stabe ihren Einzug in das eroberte Etropol, dessen bulgarische Bevölkerung sie^nach den durchlebten Drangsalen enthusiastisch empfing. So stand Gurko's linker Flügel in der östlichen Flanke des Araba konak-Passes, welchen zu vertheidigen Mehemed Pasa sich eben persönlich anschickte. Von dem im Sommer 1877 gleichfalls in die Action einbezogenen Diviciska-Plateau geht es hinab, auf vielgewundenem, stellenweise abschüssigem Wege, durch dichten Wald, über dioritisches, granitisches und rothes Conglomerat-Gestein; im breiten Iskerthale folgt dichter grauwackenartiger Kalk an dem streng N. S. streichenden ^Abfalle des Pravecstockes. Auf ziemlich guter Brücke überschreitet man den Fluss und betritt unmittelbar darauf Etropol's Weichbild, das sich auf der breiten Sohle des von hohen Bergen eingeschlossenen Thaies malerisch ausbreitet. Der geographischen Lage der Stadt entspricht ihre administrativ-politische Stellung; sie bildete eine Art isolirter Republik und genoss beinahe ein noch uneingeschränkteres Selfgovernment als die meisten östlicheren Balkanstädte. Von diesen unterschied sich Etropol auch durch das vorhandene moslimsche Element^ welches hier aber schon aus dem Grunde mit dem bulgarischen in Eintracht lebte, weil es in der nächsten Umgebung vollkommen isolirt dastand. Midhat Pasa sündigte viel an dem einst blühenden Etropol. Früher bildete es den politischen Mittelpunkt eines ziemlich grossen Bezirkes, auch ging die Haupt-Communications-linie von der Donau nach Thracien über dasselbe und seinen Balkan. Midhat nahm ihm beides; er gründete wenige Meilen westlicher im Bebresthaie die Stadt Orhanieh, erhob sie zum Sitze der Behörden des Kasa, zog die neue Hauptstrasse von Rusöuk nach Sofia durch dieselbe und lenkte so den ehemals namhaften Verkehr von Etropol künstlich ab. Nun standen seine Hane leer, Gras wuchs in den Strassen, in dem von Midhat, für das wirkliche Bedürfniss viel zu gross erbauten neuen Konak langweilten sich ein Mudir, mehrere Schreiber und Zap-tie's, denn die ruhigen Stadtbewohner gaben ihnen wenig zu thun; die nächsten Dörfer am Mali Isker, welche naturgemäss von Etropol aus administrirt werden sollten, gehörten aber zu Orhanieh. Einige angesehene Mitglieder von Etropol's Medjlis klagten bitter über diese Anomalie und baten mich, den Pasa von Sofia darüber^aufzuklären, dass von dort die kürzeste Route nach Ruscuk über den Etropol-Balkan führe und der Umbau der Strasse gleich sehr im Interesse des Vilajets als der Stadt gelegen sei. Sie erwarteten weit mehr von meiner Intervention als>on ihrem eigenen Einflüsse; denn sie hatten bereits mit ihrem Bezirkshauptmann wiederholte, aber vergebliche Schritte beim Vali von Ruscuk gemacht. Jawasch, jawasch, Inschallah! Langsam, ruhig, so Gott will, gab man ihnen^zur Antwort. „Die_Frage wird wohl erst durch europäische Ingenieure entschieden werden, wenn es sich um die Schienen-Verbindung Sofia's mit der Do-nau'auf zweckmässigstem Wege handeln wird und die verschiedensten Tracen zu diesem Zwecke studirt werden müssen" — sagte ich in der I. Auflage dieses Bandes. Der Moment kam rascher, als ich selbst gedacht. Im September 1879 konnte ich mein 1871 gegebenes Versprechen mit bester Aussicht auf Erfolg lösen (S. 237). Als richtige BalkandziJegten aber die Etropoljer nach der Degradirung ihrer Stadt die^Hände nicht in den Schooss. Neben dem Feldbau^ ergriffen sie^mit vermehrtem Eifer den Handel mit Naturproducten, besonders! mit Häuten, Cor-duanleders. w., und um die Einkünfte der Commune zu mehren, suchten sie das 1861 am östlichen_Thalhange, mit einem Aufwände von 50,000 Piastern erbaute Kloster Sv. Troica zum beliebten Heilsorte für die Umgegend zu gestalten. Einzelne der 450—500 bulgarischen Häuser Etropol's sind recht hübsch, das schönste Gebäude bildet jedoch die neue bulgarische Schule, ein einstöckiger Bau für Knaben und Mädchen, aus dem Vermächtnisse eines'in der Walachei reich gewordenen und gestorbenen Etropoljers errichtet. Es ist nicht das einzige Denkmal patriotischer Anhänglichkeit ferne lebender Kaufleutc an ihre Heimath. Auf meinen Reisen constatirte ich wiederholt und oft aus rührenden Zügen, dass der auswandernde Bulgare ganz wie der Grieche, seine Nationalität in der Fremde nie aufgibt und das Heimathsgefühl namentlich durch Widmungen für die Bildung seines Volkes in verschiedenster Form zu bethätigen sucht. Auch zur neuen Kirche Sv. Arandjel haben mehrere Etropoljer aus weiter Ferne ihr Scherflein beigetragen; der Bau bietet jedoch so wenig wie die ältere Kirche Sv. Gjorgje etwas Bemerkenswcrthes. Die G50—700 türkischen Häuser des moslimschen Mahle tiberragen einige Minaretc und ein quadratischer ungeschlachter Uhrthurm; seine grösste Zierde bildet aber der erwähnte überflussig ausgedehnte Mudirkonak von occidcntal-orientalischem Gepräge. Hart an des Mudirs Residenz zieht die alte Strasse gegen SW. an der Suha rjeka über den Etropol-Balkan nach Sofia. Von letztcrem ging Kaiser Isaak Komnenus 1059 über diesen Striglpass nach Lovec, gegen die Petsche-negen, und 1188 Kaiser Isaak Angelus ebenfalls dahin, gegen die Bulgaren.*) Eine südöstliche Abzweigung am Mali Isker führt Uber die Zlatiska planina zur gleichnamigen, während des bulgarischen Aufstandes im Jahre 1876 vielgenannten Kreisstadt Zlatica. Am 6. August, an einem prächtigen Sonntagsmorgen, welcher Stadt und Thal von Etropol mit warmen Tinten ttbergoss, schlug ich, begleitet von dem auch des Französischen mächtigen bulgarischen Lehrer Todor Pejo und einem Zaptie, diese Zweigstrasse ein. Gleich in der Ebene (551 M.) kreuzten wir den Drago-sinbach dicht bei seiner Mündung im Isker und stiegen dann fortwährend am linken Ufer des letzteren aufwärts, zuerst über stark coupirte niedere Vorhöhen, dann aber, wo sich die gut bewaldeten Berge enger zusammenschliessen, auf treppenartigem Steilwege. Je höher aufwärts, desto pittoresker wurde die Landschaft. Aus den östlichen Querschluchten stürzten schäumende, im tollen Laufe Cascaden bildende Wildbäche, über und zwischen mächtigen Granitfelsen zum Isker, der oft versteckt unter dichter Pflanzendecke, nur durch sein Tosen sich verrieth. Die Flora erreicht hier, begünstigt durch die aus vielen Querrissen reich zuströmenden Wasseradern, eine Ucppigkeit, wie ich sie selten im Balkan sah. Den grössten Theil des steil ansteigenden Weges machten wir zu Fuss, dafür entschädigten uns äusserst wohlschmeckende, stellenweise die Büsche roth färbende Himbeeren. Wir waren an 500 Meter aufwärts gestigen, als uns Fels- *) Jirei-ek, Die Ilecrstr. v. Belg. d. Const. S. 101. Barricaden den Isker zu kreuzen zwangen, es wiederholte sich kurz vor dem Ka-camarsko Blockhause, das nach meiner Messung bereits 1178 M. hoch liegt. Schwelgend im reinsten Naturgenusse und belebt von dem eigenthümlichen Gefühle den Balkan neuerdings auf einem Passe zu Ubersteigen, den kein wissenschaftlicher Forscher vor mir betrat, erklomm ich die letzte Steilparthie, welche mich noch von dem 1476 M. hohen Sattel des Ueberganges trennte. Als er erreicht, wirkte der Ausblick von der Passhöhe nach dem thrakischen Süden höchst überraschend, weil so gänzlich verschieden von den Bildern, welche mir auf den östlicheren Teteven-, Kalofer- und Sipka-Pässen entgegentraten. Die letzteren führen im unvermitteltsten Contraste aus den rauhen Quereinschnitten und Bergwildnissen des nördlichen Balkans in seine mit allen Reizen üppigster Vegetatiou geschmückten südlichen Längenthäler. Auf dem Zlatica-Passe blickte ich aber gegen S. in eine enge Querspalte hinab, deren groteske Felsen in malerischsten Formen aufstarrend, die Aussicht gegen Zlatica und das Topolnicathal vollkommen absperrten; nie hatte ich früher eine Phyllitzone von gleicher Ausdehnung gesehen. Abenteuerlich zerklüftet, führt der südliche Steilhang des Zlatica-Balkans der Topolnica zahlreiche kleine Wasseradern zu, was unseren Abstieg vom Kamme ungemein schwierig gestaltete. Jeder suchte selbst so gut er konnte den Pfad durch das Gewirre steil aufgerichteter Blöcke und dichten Gestrüpps; erst tief unten bei einer halbverfallenen Holzbrücke über die Klisekiovska rjeka fanden wir uns zusammen. Dort rastete auch in malerischer Staffage eine grosse, Wolle, Häute und Tabak führende Caravane, welche nach entgegengesetzter Richtung wanderte. Kurz vor dem reintürkischen Dorfe Kliseköi traten auf kurze Strecken Quarzbänke und auch Rothliegendes auf, doch bald folgte wieder reiner typischer Phyllit. Wir zogen weiter an dem durch Zlatica N. S. niessenden Kuru dere, welcher gleich dem östlicher von Pirdop herabkommenden Bache in die Topolnica mündet. Dieses türkisch-bulgarische Dorf liegt hinter einem Hochplateau am Ausgange einer Balkan-Querschlucht, und ähnlich folgen westlich, hart am Balkanrande, durch niedere Querrücken von einander getrennt: Kliseköi, Ce-lopec, Mirkovo und Bunovo, ihre zur Topolnica (türk. Kozlu dere) fliessenden Wasser schwellen sie bereits nach kurzem Laufe zu einem der mächtigsten Quellarme der Marica an. Nach einstündigem Marsche gelangten wir endlich aus dem Defile heraus in ihr Langenthal und 7a St. später waren wir in seinem Hauptstädtchen Zlatica. Den geschilderten äusserst schwierigen Weg über den Balkan hatten Mustapha Pasa's Abtheilungen zurückzulegen, welche nach dem Verluste der Etro-poler Positionen gegen Zlatica flüchteten. Nichts natürlicher, als dass sie am 25. November von den Jekaterinoslav-Dragonern verfolgt, jenseits 3 Geschütze, sowie ihren Munitions- sanmit Proviantpark im Stiche Hessen. Am 3. December Kanltz, Donau - Bulgarien und der Baikau. II. 13 stieg ein Detachement des Generals Dandeville unter Oberst Kurnakoff vom Kacamarsko-Passe herab, vertrieb die türkischen Posten aus Kliseköi und Celo-pe6, fand jedoch Mirkovo und Zlatica so stark befestigt und besetzt, dass es nur eine beobachtende Stellung vor demselben nehmen konnte. Die Nachricht von Plevna's voraussichtlich baldigem Falle, der ihm neue Verstärkungen zuführen musste, aber auch die täglich seinen Truppen sich fühlbarer machenden Unbilden der Witterung bewogen Gurko zu kurzer Einstellung seiner Operationen auf der Balkan-Linie. Dandeville zog seine Avantgarde von Zlatica bis auf die Passhöhe zurück, welche er gleich Etropol tüchtig verschanzen Hess. Nachdem die erwarteten Kräfte eingetroffen, erhielt Generalmajor Brök den Auftrag, mit dem Garde-Grenadier-Regiment, Theilen des 10. Inf. Reg., 2 Sotnien Kosaken und 2 Batterien, bei der allgemeinen Bewegung auf Sofia als östlichste Colonne von Etropol über den Kacamarsko -Pass gegen Zlatica vorzudringen. Brök hatte schon im December die dahinführende unwegsame Strasse verbessern lassen, was den Vormarsch seiner Truppen und des am 1. Jänner nach schlimmen Schicksalen zu ihm stossenden Dandeville bedeutend erleichterte. Am folgenden Tage gingen beide Colonnen zum Angriff auf Zlatica vor. Schon bei ihrer Annäherung räumten die türkischen Truppen die Stadt und zogen über Koznica und Klisura in's Giopsuthal, wobei sie durch die verfolgenden Russen 60 Mann an Todten und etwa 50 Gefangene verloren. Ihre Vertreibung aus dem Karlovo - Becken gegen Filipopel erfolgte durch General Karcoff am 8. Jänner (S. 140). Zlatica türk. Isladi in 720 M. Seehöhe ist von Misivri bis Nis die höchst gelegene Stadt am Südhange der Balkankette, welche auch nur an wenigen Punkten so enge wie hier mit dem ihr südlich vorlagernden niedrigen Parallelzuge zusammen wächst. Dem entsprechend gestaltet sich auch der landschaftliche Eindruck des Zlaticathales. Hier fehlen die prächtigen Weizenfelder, Weingärten, Rosenculturen und Nussbäume mit wunderbaren Kronen, welche in den östlicheren Nachbarbecken von Karlovo und Kazanlik vor dem letzten Kriege das Auge entzückten; an ihre Stelle treten oft im heissen Augustmonat noch in der Reife zurückgebliebene Maisfelder und Obstbäume. Die Temperatur ist hier gewöhnlich etwas rauh, am 6. Aug. 1 Uhr Mittags zeigte mein Thermometer nur 25° C.; wohl hatte sich das Firmament plötzlich stark umwölkt und ein heranziehendes Gewitter grollte bereits in der nahen Sredna gora. Die Bevölkerung um Zlatica fand ich vorherrschend türkisch; zur Zeit der osmanischen Eroberung wanderte der grösste Theil der bulgarischen Bojaren mit ihrem Lehensvolke von hier aus und begründete südlicher das Städtchen Koprivstica. Zlatica gehört zu den ältesten bulgarischen Balkan-Ansiedlungen, sein türkischer Name „Isladi" ist nur eine Verstümmelung des slavischen „Zlato", er bedeutet Gold, welches nach der Tradition unter den bulgarischen Garen hier gewonnen wurde. Jedenfalls ist die goldene Zeit für Zlatica vorüber. Trotz seiner 6—700 türkischen und 2—300 bulgarischen Häuser, ungeachtet hier ein Mudir residirte und 4 Minarete es überragten, war seine äussere Erscheinung höchst armselig, das Innere verödet. Fremde verirrten sich selten hierher und meine Ankunft erregte desshalb nicht geringe Bewegung in der Population. Unter dem Drucke der moslimschen Majorität lebend, erschienen mir Zlatica's Christen wenig aufgeweckt; ich staunte, dass der Aufstand 1876 hier so ergiebigen Boden fand. Die Türken traf ich aber, wenn möglich, noch stagnirender und ohne jegliche Tendenz zum Fortschritt. Nur der Hodza der Büjük dzami, ein asiatischer Türke, machte den Eindruck eines aufgeklärteren Mannes, mit seiner Erlaubniss bestieg ich das Minaret, einen prächtigen Orientirungspunkt über das obere Topolnica-Thal. Während ich vom hohen Minaretkranze Zlatica und seine Umgebung cro-quirte, kamen schwere Tropfen und kurz darauf fiel der Regen in Strömen. Der mich begleitende Lehrer, welcher von seiner Frau nur ungern die Einwilligung zum Ausfluge über den Balkan erhalten hatte, wollte dieselbe durch ein Fortbleiben über Nacht nicht in Unruhe setzen, ich gedachte andrerseits mein Routier einzuhalten und am nächsten Morgen von Etropol die Reise nach Orhanieh fortzusetzen; so traten wir den Rückweg an, hoffend, das Wetter werde bald vorüberziehen. Wir täuschten uns aber gründlich. Jenseits des Balkans schüttete das Gewitter erst recht mit aller Macht seine Fluthen herab, einen Augenblick dachten wir daran, im engen Kacamarsko Karaul zu übernachten. Es war bereits 6 Uhr Abends geworden, wir überlegten, dass im Grunde nichts mehr an uns zu schonen sei, dass wir bis auf die Haut nass, zu Etropol doch mindestens trockene Wäsche und ein wärmendes Nachtessen finden würden. So brachen wir trotz der einbrechenden Dunkelheit auf, vertrauend dem „Glücke der Helden". Ich weiss nicht, wie wir über alle die zahllosen Klippen kamen, durch die Giessbäche von unten und oben, welche uns schon am hellen Tage so viel Mühsal bereitet hatten. Wir müssen jedoch zu Etropol glücklich angelangt sein, da der Spätabend uns nach dem sechsstündigen Kaltbade heil in meinem Hane, am lustig brennenden Feuer, mit dem bereits in Sorge gewesenen Mudir plaudernd fand. Das Abenteuer brachte keine schlimmen Folgen, am nächsten Morgen con-statirte nur mein Dragoman in unserem Rumvorrathe eine starke Bresche! VI. UEBER ORHANIEH, DEN ETROPOL-BALKAN UND SOFIA ZUM ISKER-DURCHBRUCH. (VII. Balkan-Passage.) Am Wege nach Orhanieh. - Mali Iskerlauf. - Richtung der eis- und transbalkanischen Gewässer. — Die neue Kreisstadt. - Ihre Ebene. - Leonoff's Gefecht bei Skrivena 1877. - Vraces. - Auf. stieg zum Baba konak-Pass. — Geologisches. — Haidukentreiben. - Einnahme des Baba konak-Passes am Neujahrstage 1577. - Die Strasse nach Sofia. - Das Soiijsko polje und seine Bewohner. - Interessanter Tumulus. - Die Jelesnica und Hunyad's Heer 1443. - Ein Han für 1000 Pferde. — Schweigger (1577) über Tumuli. - Eintritt in Sofia. - Serdica's Römerstrassen und ihre Mansionen. - Seine Geschichte. - Crassus. - Serder und Meldier. - Kaiser Maximinus. - Unter Kaiser Aurelian. - Der Beiname „Ulpia". - Galerius. - Constans und Veteranio. - Concil zur Lösung des Arianischen Kirchenstreits. - Verwüstung durch Attila. - Wiederherstellung durch Justinian. -Eroberung durch die Bulgaren. — Residenz der Caren und Patriarchen. — Car Samuel und Kaiser Basilius. - Petschenegen. - König Bela III. - Car Asen. - Joannes Rilski. - Pestkrankheit 1340—42. — Joannes Sisman. — Durch Balabanbeg 1382 erobert. — Sitz des Beglerbeg von Bumüi, - Johannes von Hunyad's Winterfeldzug. - Ungarischer Friedensbruch. — In den österreichischtürkischen Kriegen. - Sultan Achmed UI. - Schanze Badajova 1737. - Krdzaliensturm. - Mustapha Pasa von Skodra. - Sofia's Lage. - Erdbeben. - Strassen und Eisenbahn. - Stadtthore. - Gewaltsame Verschönerung. - Alter und neuer Konak. - Moscheen. - Ehemalige Sofienkirche. -Sage. — Kunsthistorisches. — Bazarstrasse. — Stickereien. — Magazine. — Bäder. — Judencolonie. — Besestens und Caravan serai. — Ragusanischer Consul. — Handelsverkehr. — Häute- und Getreide-Export. — Raki. — Ausländer. — Post. — Hane. — Alte und neue Kirchen. — Schulen. — Jung. bulgarische Tendenzen. — Während des bosnisch-hereegovinischen Aufstandes 1875. — Befestigungen. — Römische Stadtmauern. — Ausflüge. — Der Vitos. — Kloster Dragalevci. — Bojana. — Bali Effendi's Bad und Fabriken. — Korila. — Iskerdurchbruch. — Stadt-Panorama. — Umrahmung der Sofier Ebene. — Eine rasch erfüllte Zukunfts-Perspective. Am 7. August setzte ich mein Routier nach Sofia auf Midhat's grosser Poststrasse fort. Vereinzelte Tumuli auf den Höhen nördlich von Pravec bewiesen, dass schon prähistorische Völker diesen Weg kannten. Bei einem Blockhause, 3/4 St. hinter dem Dorfe, Uberschritt ich die zweite niedere Wasserscheide, welche das Mali Iskerthal bei Etropol vom Orhanieh-Becken trennt, UEBER ORHANIEH, DEN ETROPOL-BALKAN UNI) SOFIA ZUM ISKER-DURCHBRUCH. 197 darauf kreuzte ich eine kleine und vor dem Bulgarendorfe Lazeni (Altentas) eine grossere Ader der durch Orhanieh fliessenden, in den Bebres fallenden Crvena rjeka. Der bisher ganz ungekannte, vom Balkan herabkommende Bebres fliesst 6 Meilen S. N. und vereinigt sich bei Svode mit dem Mali Isker, dessen bedeutenden Nebenarm er bildet. Noch auf Kiepert's Karte vom J. 1871 floss der Mali Isker durch Orhanieh (!) nach Etropol, in einem W. 0. mit dem Hauptzuge des Balkans parallel streichenden Längenthaie. Dies war total falsch; denn der kleine Isker hätte über jene Berge fliessen müssen, welche die drei Thäler von Orhanieh, Pravec und Etropol trennen. Abgesehen von diesen natürlichen Hindernissen würde aber auch dieser irrige Lauf einem Bewegungsgesetze widersprechen, das sich auf meiner Karte deutlich constatiren lässt. Im Gegensatze zur Südseite des Balkans fliessen nämlich, mit alleiniger Ausnahme des Kamcik, die seinem Nordhange entströmenden Quellarme der Jantra, des Osem, Vid, Isker und Ogost streng S. gegen N., und trotz mancher Abweichungen im mittleren Laufe gewinnen sie diese Richtung beinahe ausnahmslos kurz vor ihrer Mündung in die Donau wieder. Orhanieh, Midhat's künstliche Schöpfung (S. 191), Hauptort eines 25 Orte zählenden Kasa, war 1871 nur ein grosses Dorf mit 370 bulgarischen, 85 türkischen, 25 tscherkessischen und 20 Zigeuner-Häusern. Seinen architektonischen Glanzpunkt bildete der Regierungsplatz, auf dem der Konak des Kaimakams, der Uhrthurm und die grosse Dzami stehen. Alle diese im „Cincaren-Stil" ausgeführten Bauten erschienen, weil neu, so ziemlich nett; doch wie mir dünkte, Hess ihre Solidität viel zu wünschen übrig; wahrscheinlich fiel auch hier ein grosser Theil der bestimmten Bausummen in die Taschen verschiedener Effendi's. Die Häuser in den regelmässig gezogenen neuen Strassen sehen ärmlich aus, auch die Läden, Wirthshäuser u. s. w. Hessen viel zu wünschen übrig; der einstöckige Han, in dem ich Quartier nahm, zählte noch zu den besten. Weil an der Strasse liegend, dürfte Orhanieh jedoch rasch aufblühen, namentlich, wenn alle die schönen Projeete zur Ausführung gelangen, welche sein Kaimakam mit Emphase entwarf. Mehr als dieser an starker Schwatzsucht leidende Beamte machte sich mir mein Handzi nützlich. Er kannte die Umgebung noch genauer als den Wasserzusatz seines schlechten Weines und gab mir eine Menge topographischer Winke, die sich bei meinem Besuche des Isker-Defile's vollkommen richtig erwiesen. Er machte mich auch auf die ethnographisch interessante Thatsache aufmerksam, dass Uruci, ein 12 Kilometer NW. von Orhanieh liegendes Dorf, von Pomaken bewohnt sei, welche also hier in Mitte einer ausschliesslich christlichen Bevölkerung die einzige moslimsche Oase am Nordhange des Central- und West-Balkans bildeten. Nur in einem Punkte irrte der Handzi: nach seiner Aussage sollte nämlich das nahe Vraces altcrthtimliche Werke bergen. Ich bog- am nächsten Morgen desshalb von der Strasse ab, kreuzte den Bebres, verliess jedoch Vraces, ohne etwas anderes, als einige, vielleicht von einer alttürkischen Schanze herrührende Wälle gesehen zu haben. Von der Höhe oberhalb des schönen Bulgarendorfes, das im prächtigsten Grün beinahe verschwand, gewann ich jedoch einen lehrreichen Blick auf das Becken von Orhanieh. Es bildet in 378 M. Seehöhe beinahe ein gleichseitiges Dreieck, dessen Winkel von den Dörfern Vraces, Skrivena und Lazeni markirt werden; auf der Mitte der südlichen Linie liegt Orhanieh. Die Berge, welche das Dreieck umsäumen, erschienen mit buschigem Laubwald bedeckt, in der Ebene, deren grosse Fruchtbarkeit drei ihr Alluvium durchschneidende Wasseradern begünstigen, war aber ausser der jungen Alleepflanzung an der Strasse kein Baum sichtbar. Hier auf diesem Terrain, mit vielen schwierigen Defileen, versuchte General Gurko's rechter Flügel unter Leonoff, gleichzeitig mit dessen gegen Pravec und Etropol operirendem Centrum und linker Colonne, nach Orhanieh vorzubrechen. Sein am 21. Nov. von Vraca entsendetes Dctachement gliederte sich am 22. in zwei Theile. l*/a Schwadron Garde-Dragoner und 3 Schwadronen Garde-Grenadiere rückten nun über Raskovo auf Lutakovo; Oberst Lichtanski marschirte von Reberkovo über Novacin gegen Skrivena. Die Vorhut der letzten Colonne ging in Folge des dichten Nebels bei dem befestigten, stark besetzten Novacin vorbei bis nahe bei Skrivena und zersprengte dort einen kleinen Tscher-kessentrupp. Sobald aber das nachfolgende Gros Novacin passirt hatte, sperrten mehrere im Hinterhalt gelegene Escadronen Tscherkessen und zwei Tabors Nizam mit einer halben Batterie die Strasse. Eine abgesessene Dragoner-Escadron hielt den heftig andringenden Feind durch ihr Feuer auf und das Detachement vermochte mit geringen Verlusten das nördliche Karaderbent-Defile zwischen Novacin und Raskovo, auf der Bebres- und Isker-Wasserscheide zu erreichen. Dort fanden sie aber die Strasse von nach Vraca flüchtenden Bulgaren verlegt. Menschen, Karren und Vieh verstopften im bunten Durcheinander die enge Passage. Man stürzte ein Geschütz, dessen Bespannung gefallen war, in den Abgrund, um es nicht den Türken zu überlassen; diese nahmen jedoch, trotz aller heroischen Anstrengungen des russischen Häufleins, das zweite. Benachrichtigt von diesen Vorgängen kam Leonoff, welcher nur leichte Scharmützel zu bestehen gehabt, die Hauptposition vpr Lutakovo jedoch nicht nehmen konnte, seiner linken Colonne zu Hilfe. Es gelang ihm die Strasse zu säubern und ohne verfolgt zu werden im geordneten Rückzüge Reberkovo zu erreichen. In diesem unglücklichen Gefechte beklagten die Russen von 12 Officieren der linken Fltigelabthei-lung 3 todt, 7 verwundet; von den 150 Garde-Dragonern 43 todt, 26 blessirt. Die unglückliche Affaire von Novacin erzielte, dass der Türken Aufmerksam- keit von der ungleich wichtigeren russischen Operation gegen ihre Stellung hei Pravec abgelenkt wurde, welche nun von Gurko's Centruin um so leichter genommen werden konnte (S. 1S7). Nachdem Schakir Pasa die Positionen bei Pravec am 23. Nov. geräumt und am 24. auch Etropol verloren hatte, war sein bis Orhanieh zurückgegangenes Gros in der Rückzugslinie ernstlich bedroht. Mehemed Ali, welcher mittlerweile" am 21. Nov. zu Orhanieh eingetroffen war, erkannte dies sofort und bewirkte die Einnahme einer veränderten Stellung bei Vraces, um den Russen das Vordringen in das wichtige Dcfilö des Araba konak-Passes, der practicabclsten Hauptpassage des Balkans in dieser Gegend, zu wehren. Seine beiden Flügel erhielten gleichzeitig die Aufgabe, dem Feinde die seitlichen Uebergänge bei Lutakovo und Strigl zu sperren. Bei Vraces (Thörlein) zieht die Strasse durch das Bebres-Dcfile südlich nach dem Balkan. In 1 St. erreicht man das erste Blockhaus, wo Thonschiefer anstehen, Va St. später, beim zweiten (552 M.) treten aber dioritartige Eruptivgesteine auf, das Defile verengt sich hier und zwingt die Strasse, bis zum dritten 1 St. entfernten Beklemeh (758 M.), den Bebres fünfmal zu kreuzen. Tiefeingeschnittene Querthäler senden ihm auf der ganzen Strecke zahlreiche, aus grössten-theils mit Eichen bewaldeten Bergen entströmende Wildbäche zu. Bei der vierten Karaula (»/4 St.), deren Wahrzeichen ein isolirter riesiger Apfelbaum, beginnt in 802 Bf. der südöstliche steilere Aufstieg durch die wechselnde Phyllit- und Dioritregion. Sieben Serpentinen führen bequem zum Pass hinan, zuletzt bildet Phyllit das constituirende Gestein und frischgrüner Laubwald begleitete uns hinan bis zur Höhe. Der Etropolpass wird im Volksmunde „Araba"- und auch „Baba konak" genannt, desshalb brachte ich ihn mit diesem Namen in Karte. Nur 1050 M. hoch, ist er der niedrigste aller Pässe vom Travna- bis zum Sv. Nikola-Uebergange auf dieser weiten Linie der Balkankette; trotzdem ist der Verkehr hier aber zeitweise höchst unbedeutend. Von Vraces bis zur Passhöhe begegneten wir nur einem Zaptiepiquet, das gefesselte Deserteure escortirte, und einer Caravane mit Wolle, Häuten u. s. w., deren Kiradzi sämmtlich bewaffnet waren. Die Sicherheit Hess gewöhnlich hier viel zu wünschen Übrig, namentlich zur Zeit politischer Putsche, wie 1867, wo zerstreute Banden Orhanieh's Umgebung brandschatzten und der gefürchtete Haidukenheld Ilija, der türkischen Autorität und Gensdarmerie zum Hohne, den Mudir sammt Pferden aus seinem Arotshause entführte. Seitdem gesellten sich neue Haiduken-Lieder zu den älteren, welche die Klephtenthaten auf der westlichen „Umurgas planina" besingen. Auf der Passhöhe überraschte mich der ungemein steil geböschte Absturz ihres vollkommen kahlen Südhanges in ein tief zu unseren Füssen liegendes trianguläres Becken, das nach seinen Hauptorten Gorni- und Dolni Komarci das „Komarci dol" genannt wird. Auf seiner Ostspitze liegt noch ein dritter Ort Strigl, welchen die auf S. 191 erwähnte alte Donaustrasse über Etropol nach Sofia berührte. Die Forcirung dieser in den Rücken der türkischen Araba konak-Stellung führenden hochwichtigen Strasse bis zur Passhöhe gelang Gurko's linkem Flügel bereits wenige Tage nach Etropol's Wegnahme. Da nun General Dandeville vollständig die Position von Vraces umgangen hatte, zog Schakir Pasa am 29. Nov. seine Truppen gänzlich auf des Etropol-Balkan's Kammhöhen zurück. Dorthin entsandte auch der am Araba konak-Passe persönlich befehligende Mehemed Ali sämmtliche zu Sofia einigermassen organisirte Reserven. Nachdem Schakir am 3. Dec. die letzten nördlichen vortheilhaften Wegsperren geräumt oder verloren hatte, ordnete Mehemed gleichzeitig die Verschanzung aller Stellungen bei Strigl, Komarci und Taskesen am Südhange an, welche das Hinabsteigen der Russen nach Sofia aufhalten konnten. Er dachte aus dem Araba konak-Pass einen zweiten Sipka zu schaffen, vergass jedoch, dass nicht bewährte Kämpfer, wie Radetzki's Soldaten, sondern bei Pravec und Etropol geschlagene, durch fortwährenden Rückzug entmuthigte Bataillone mit eiligst zusammengerafften Milizen ihn verteidigen sollten, während die Russen ihre bei Plevna siegreichen Truppen zum Angriffe der wichtigen Position heranzogen. Der Ausgang des bald folgenden Entscheidungskampfes war leicht vorauszusehen. Noch vor dem Eintritte der Katastrophe wurde Mehemed Ali, welcher Plevna's Entsatz, die thörichte Fata morgana des Constantinopler Kriegsrathes, nicht zu verwirklichen im Stande gewesen war, am 11. Dec. abberufen und durch Redschib, früheren Divisionsgeneral bei der Donauarmee ersetzt. Bis zu seinem Eintreffen führte Schakir Pasa das Commando. Am 18. Dec. begannen grosse Schneetreiben in Donau-Bulgarien und der Balkanregion, welche bis kurz vor Neujahr dauerten. Trotzdem trafen vom 20. ab das von Plevna entsandte IX. Armeecorps, die dritte Gardedivision mit einiger Cavallerie in Orhanieh ein. Von dort sollte, nach Gurko's genialem Plane, der Hauptübergang auf die grosse Strasse nach Sofia am Christtage unter seinem Oberbefehle in drei, von den Generalen Rauch, Filosofoff und Kurloff geführten Staffeln, westlich vom Araba konak-Passe, über £uriak erfolgen. Noch westlicher hatte General Veljaminoff s Detachement von Vraces über Zelava die Bewegungen dieser Hauptcolonne zu decken, nordwestlich General Schilder-Schuldner dieselbe gegen Angriffe des bei Lutakovo verschanzt stehenden Feindes zu sichern. Während dieser die türkische Araba konak-Stellung in ihrer linken Flanke fassenden Umgehung sollten ihre Vertheidiger von Graf Suvaloffs Centrum-Colonne in der Fronte durch Demonstrationen beschäftigt und festgehalten werden, der östlich auf dem Strigl-Passe stehende General Dandeville aber nach Mirkovo hinabsteigen, um Schakir Pasa den voraussichtlichen Rückzug durch das Topolnicathal nach Filipopel abzuschneiden. Ein eisiger Nebel lag auf dem Becken von Orhanieh, als am Christtagmorgen Gurko's Colonnen dasselbe in den ihnen vorgeschriebenen Richtungen verliessen. Die Garde-Sappeure hatten einige Tage zuvor die Wege erweitert und die abschüssigsten Stellen durch Stufen im Eise gangbar gemacht, doch der am 24. eingebrochene Schneesturm vernichtete diese mühsamen Arbeiten; es galt sie während des Marsches zu erneuen, was nicht wenig schwierig, da, wo der Schnee unter den Füssen ein wenig schmolz, sich bei der niedrigen Temperatur sofort glatteisige Strecken bildeten. Manche Stellen waren so steil, dass oft 60 Mann es kaum vermochten, mit Stricken eine Kanone oder die zerlegten Protzen und Lafetten je für sich hinaufzuziehen; die Pferde mussten sorglichst am Zügel geführt werden. In der ersten Nacht campirte Gurko mit seinem Stabe im Schnee, bei einem Kosakenposten, der nur ein kleines Feuer unterhielt, um nicht die Aufmerksamkeit des Feindes auf das geplante Umgehungsmanöver zu lenken. Trotz aller Schwierigkeiten stiegen Rauch's Vortruppen am 26. Abends in die Ebene von Sofia hinab. Für die Artillerie schien dies unmöglich. Die Strasse war meist ein Eisspiegel. Man musste nicht allein die Rohre auf Schlitten hinabführen, oder an um Bäume gewundenen Stricken allmälig hinablassen, sondern auch die schweren Munitionskarren einzeln entleeren, ihren Inhalt hinabtragen und dann wieder in die Kisten verpacken. Auf diese grössten Heroismus herausfordernde Weise stand Gurko's Haupt-colonne am Morgen des 30. Dec. bei Njegosovo und General Veljaminoff's Deta-chement bei Zelava gefechtbereit. Die Lutakovo vertheidigenden Türken erhielten trotz der Heimlichkeit, mit welcher die Russen ihren Marsch über den Balkan inscenirt hatten, irgendwie Nachricht von demselben und zogen, von General Schilder-Schuldner beobachtet, am 29. über Ogoja gegen Sofia ab. Graf Suvaloffs und des Prinzen von Oldenburg Truppen gelang es, ihren Instructionen gemäss, Schakir's Besatzungen auf dem Araba konak und Sandornik durch Demonstrationen zu beschäftigen. Weniger glücklich war.Gcneral Dandeville. Am 27. Dec. erschien seine Colonne östlich der türkischen Sandornik-Stellung, deren Angriff am 28. beabsichtigt war. In der Nacht stieg die Kälte jedoch auf 15° R. und der Schneesturm gewann solche Heftigkeit, dass er die Bivakfeuer auslöschte. Mit Zurücklassung ihrer verschütteten Geschütze mussten hier die Russen, nachdem 53 Mann der aller menschlichen Ausdauer spottenden Witterung zum Opfer gefallen und 10 Officiere und 710 Soldaten einzelne oder mehrere Gliedmassen sich erfroren hatten, nach Etropol abziehen. Trotz dieses verhinderten Eingreifens der Dandeville'schen Abtheilung von SO. her, schritt Gurko nach dem Eintreffen seines Gros am 31. Morgens auf der Südseite des Balkans zum Angriffe. Durch seine aus Njegosovo vertriebenen Tscherkessen wurde Schakir Pasa zuerst auf das gegen ihn geplante Manöver aufmerksam gemacht, doch zu spät, um die äusserst wichtige Rückenposition bei Taskesen so ansehnlich zu verstärken, dass sie den lfhssen hätte widerstehen können. Um 10 Uhr hatte sich auch General Kurloff bereits der Höhen bei Cikancovo bemächtigt, welche östlich die Strasse nach Sofia beherrschen; alle Anstrengungen diese Position wieder zu gewinnen, vereitelte die kraftvolle Abwehr des Petersburger Grenadier-Regiments. Ebenso vergeblich war der Angriff einer aus Sofia unter Osman Pasa vorgebrochenen Colonne von 12 Bataillonen, einiger Cavallerie mit 8 Geschützen, um den General Veljaminoff aus der rasch befestigten, die Operationen des Gros deckenden Stellung an der Malinska bei Bogorov zu verdrängen. Seine Infanterie Hess die Türken auf kurze Entfernungen wiederholt herankommen, überschüttete sie dann mit Schnellsalven und ging hierauf, ihr ungeordnetes Kehrt benützend, zu Bajonnetängriffen unter gleichzeitigen Attaquen der Kosaken über, was den Gegner, nach grossen Verlusten, endlich zur resultatlosen Rückkehr nach Sofia bewog. Indessen hatten Filosofoff im Centrum und Rauch am linken Flügel die Offensive gegen die türkische Stellung bei Taskesen ergriffen. Als jedoch die-Regimenter Preobrazenski, Pavloff und Ismailoff um 2 Uhr zum Sturme vorgingen, räumten die Türken in Unordnung das Feld. Ihre Verfolgung übernahm Kurloff, welcher am Abend Makacevo besetzt hatte. Ein Versuch seiner Cavallerie sich auch des wichtigen, die Strasse sperrenden Ortes Dolni Komarci zu bemächtigen, scheiterte aber an dessen kräftiger Vertheidigung durch ein Redif-Bataillon, das an diesem Tage noch nicht in's Gefecht gelangt war. Dieser günstige Umstand ermöglichte es Schakir mit dem Gros seiner Streitkräfte des Nachts vom Araba konak und Sandornik unbelästigt, wenn auch mit dem schwer ersetzbaren Verluste seines in Stich gelassenen Gepäckes, über Komarci nach Petric zu entkommen. Kleine Abtheilungen auf dem Passe verbliebener Nizams machten nämlich durch fortgesetztes Feuern die Suvaloffsche Colonne glauben, dass Schakir's Hauptmacht ihr noch gegenüberstehe, während diese, von dem unglücklichen Gefechte bei Taskesen benachrichtigt, um nicht gänzlich eingeschlossen zu werden, bereits seit dem Abend im vollsten Rückzüge begriffen war. Erst am nächsten Morgen klärte sich der Irrthum und das über den verlassenen Araba konak hinabsteigende Nord-Detachemcnt vereinigte sich nun mit Gurko's Gros zu Schakir's Verfolgung, welche wohl grössere Resultate, als 600 Gefangene, darunter der englische Oberst Baker, erzielt hätte, falls Dandeville, nach dem ursprünglichen Plane, rechtzeitig bei Mirkovo eingetroffen wäre. So gelang es ihm nach dem erlittenen Unfälle erst am 1. Jänner seine auf dem Strigl-Passe im Schnee versunkenen Geschütze auszugraben und sodann den Kacamarsko -Pass hinabsteigend, vereint mit General Brök die vor Zlatica stehenden Türken zu vertreiben. Dies geschah am 2. Jänner und beeinflusste Schakir's Rück- zug so weit, dass er seine Richtung nicht durch die Thäler des Giopsu und der Tundza nacli dem Sipka nehmen konnte. Am 2. Jänner lieferte er den nachdrängenden Russen bei Mirkovo ein Gefecht, in dem er geschlagen, die Gegner aber, nachdem am 31. Dec. General Mirkoviö schwer blessirt worden, nun den Tod des Commandanten der 3. Garde-Infanterie-Division, General Katalei und die Verwundung des Generals Filosofoff von der 1. Brigade beklagten. Die einige offene Strasse über Petriö nach Tatar-Pazardzik hierauf einschlagend, stiess Schakir dort mit den geretteten 12,000 bis 15,000 Mann zur „Westarmee", welche Suleiman Pasa in jener Gegend zu organisiren begann, die jedoch nichts Bedeutendes leistete. Der mit verhältnissmässig geringen Opfern am Neujahrstage erfochtene und am 2. Jänner 1878 vervollständigte Sieg öffnete nun den Russen die ins westliche Thracien und direct nach Sofia führende grosse Balkanstrasse, deren Schilderung ich hier fortsetze. Beim rapiden Abstiege zum 217 M. tief vom Araba konak-Passe isolirt liegenden Han von Komarci stösst man auf starke Quarzbänke, kaum ist aber der nahe Bach überschritten, erscheint wieder die charakteristische, von mir am ganzen Südfusse der Kette constatirte rothe Sandsteinzone. Besonders intensiv gefärbt ist das nördliche Felsthor des kurzen Engdefile's, welches in das schöne Thal von Taskesen hinaus führt. Kurz vor seinem Blockhause und Teke tritt grobschüssiges, granitisch-gneissartiges Gestein auf, dessen weisser, von der Sonne scharf beleuchteter Glimmer das Auge förmlich blendet. Dieser Gneiss streicht weit gegen O. nach Mirkovo und wahrscheinlich auch gegen W. fort. Bei dem kleinen, hübsch gelegenen türkisch-bulgarischen Orte Taskesen (687 M.) kreuzt die Strasse den auch „Ulu dere" genannten Komareibach zum zweiten Male und bald, nachdem sie einen ziemlich feinkörnigen Sandsteinhügel durchschnitten, zum dritten Male, um sodann mit dem nun Malina rjeka heissenden Flüsschen in das topfebene Alluvialbecken von Sofia einzutreten. Ich brachte zunächst den Steilrand des Balkan, als Südfuss des Kücük Sofia-Balkan" richtiger in Karte und ebenso die 10 Orte, welche auf seiner diluvialen Vorterrasse in merkwürdig gerader, W. O. zum Iskerdurchbruch streichender Linie liegen. Es gab auch sonst hier viel zu thun. Die östliche Höhe hinanreitend, constatirte ich in der Opor planina die Wasserscheide zwischen der Topolnica und Malina, fixirte hierauf die benachbarten zahlreichen Orte und die hier auftretende ethnographische Grenze zwischen Türken und Bulgaren. Bis diese Arbeiten vollendet, war der Abend eingebrochen; dies zwang mich, von der Strasse nach Grigorievo (türk. Husesinli) abzubiegen und dort ein Nachtquartier aufzusuchen. Im Dorfe empfing mich volles, ja tolles Leben, das seltsam mit der Stille con-trastirte, welche den ganzen Tag Uber geherrscht hatte. Das grosse Becken von Sofia wird ausschliesslich von Bulgaren bewohnt, die es „Sofijsko polje", sieb selbst aber nicht ohne ein gewisses stolzes Stammcs-bewusstsein „Sopi" nennen, obschon ihre geistigen Eigenschaften von den umwohnenden Bulgaren nicht sehr gerühmt werden. Von sporadischen Erscheinungen abgesehen, lebte schon im J. 1871, in ihren 60 Orten und über diese westlich hinaus, am ganzen südlichen Balkanhange kein Moslim. Auffallend erschienen mir die Unterschiede im Charakter zwischen dem Bulgaren des Gebirges und der Ebene. Verhält sich ersterer Fremden gegenüber anfänglich oft schweigsam, so ist letzterer weniger misstrauisch, denn sein häufiger Verkehr mit der nahen . grossen Stadt macht ihn weltmännischer. Leider steht es hier aber um das Bildungswesen noch schlimmer als in den Bergen. Die wenigsten Orte besassen Schulen oder Kirchen und die Talente dieses begabten und munteren Menschenschlages lagen vollkommen brach. Auch die Leute in dem Hause, das uns nach einigem Parlamentiren gastfreundlich aufnahm, waren aufgeweckten Geistes. Neugierig, machten sie sich viel mit uns zu schaffen; kaum dass ich meine Notizen in Ruhe ordnen konnte. Die Kinder sangen und musicirten, die Erwachsenen tanzten, das Hausvieh brüllte; der Lärm wollte nicht enden. Am nächsten Morgen, als wir die Poststrasse mit einer Curve gegen NW. wieder gewannen, erschien rechts, hart an derselben, ein isolirter Tumulus, gekrönt mit einem Steine, auf dem sich ein riesiger Adler niedergelassen hatte. Bei unserem Nahen spannte er seine Fittige majestätisch zum Fluge aus und einen Augenblick wähnte ich mich einem sculptirten Monumente gegenüber. Leider hinderte das sumpfige Terrain jede Annäherung, und ich musste diesen wahrscheinlich römischen Votivstein unbesichtigt lassen. Noch andere Tumuli zeigten sich rechts von der Strasse, links begleitete uns aber die im weiten Bogen fliessende Malina rjeka, welche hier nach Aufnahme des „Ormanli dere" bedeutender wird. Seine Quellen liegen in dem der grossen Gneisszone an der Topolnica vorlagernden Triasgebiete. Den dritten grösseren Malinazufluss bildet die Jelesnica. Ich glaube, dass an ihrem Laufe höchst wahrscheinlich Hunyad's Heer 1443 das türkische umging, im Rücken überfiel und bis zur Vernichtung schlug. Zwischen D. Bogorov und Öelopec, wo ich die Ebene mit 535 M. maass und auf welcher Veljaminoff der ausgefallenen Softer Garnison so tapfer widerstand (S. 202), kreuzten wir zum letzten Male auf solider dreibogiger Steinbrücke die NW. fliessende, bei Njegovan im Isker mündende Malina. Die dem südlichen Balkanrande vorlagernden diluvialen Höhen waren bereits früher so nahe an uns getreten, dass wir den schönen hochliegenden Flecken Novihan (Jeni Han), wo 1670 ein prächtiger steinerner Han mit Springbrunnen erbaut wurde und Gerard Cornelius von den Driesch noch 1719 einen Han für 900—1000 (?) Pferde getroffen haben will, ferner die westlicheren Orte: Surlan, Lozan, Grubljan u. A. deutlich unterscheiden konnten. Zwischen Krivina und Kaziöane fielen mir links in der Ebene 6 Tumuli auf, welche strenge 0. W. in einer Linie lagen. Das Softer Becken ist überhaupt sehr reich an solchen prähistorischen Monumenten, obschon viele von den „tausend Hügeln" rasirt sind, welche der gut beobachtende, hier wahrscheinlich aber doch etwas übertreibende Salomon Schweigger 1577 auf seinem Durchzuge nach Constantinopel gesehen haben will; man erzählte ihm auch von einem eröffneten Tumulus, in dem sich ein Skelet mit einem Schädel „in Grösse eines Wasserschaffes" befand. Bereits damals glaubten Schweigger und Andere, trotz vieler Gräberfunde, diese Hügel wären zu Vertheidigungszwecken, als „Schantz in einem namhaften Feldzug aufgeworfen worden." Meine Ansichten über die Tumuli der Türkei findet der Leser im I. Bande an verschiedenen Stellen, namentlich auf S. 62 und 234. Nachdem wir bei Vrazdevna den Isker auf einer Brücke mit 5 Steinpfeilern gekreuzt, die im Sommer 1879 der Schauplatz einer herzlichen Abschiedsscene der Softer Bevölkerung von dem scheidenden General-Gouverneur Fürst Dondukoff war und den Namen „Dondukoff most" erhielt; sodann bei Podujeni die niedere Höhe übersetzt hatten, welche Sofia's vorgeschobenstes Vertheidigungswerk „Muser beli tabbia" trägt, erblickten wir die weitgedehnte thrakische Hauptstadt am Nord-fusse des 3200 M. hohen Vitos, in unbeschreiblich sonnig-duftiger Silhouette. Dicht vor dem „Öaus Pasa kapu" hatten wir noch ein kleines, aus SW. kommendes Bächlein zu kreuzen und bald darauf nahm mich das im Centrum Sofia's liegende Haus des Consuls Lutteroti gastfreundlich auf. Sofia erhielt diesen Namen erst im 14. Jahrhundert; früher hiess es bei den Slaven Sredec, bei den Byzantinern Triaditza. Durch seine günstige Lage im Iskerbecken, am Kreuzungspunkte der wichtigen Strassen, welche Dyrrhachium (Durazzo) mit Ratiaria an der Donau, und Singidunum (Belgrad) mit Byzanz verbanden, erhielt Sofia schon in römischer Zeit als Serdica hohe strategische Wichtigkeit und schwang sich rasch zur bedeutendsten Stadt zwischen Philippopolis und Naissus auf. An der Strasse von Serdica nach Philippopolis bildete nach dem Itin. Ant. das 39 Mill. entfernte Ilelice die erste Mansion, an deren Stelle heute das strategisch wichtige Ihtiman steht. Nach Naissus gelangte man über Scretisca mit 24 Mill. zur ersten Mansion Meldia, Vorort des gleichnamigen Stammes an der auf dem Höhenzuge zwischen Isker und Nisava laufenden thrakisch-mösischen Grenze. Die Tab. Peut. entfernt Meldia von Serdica 28 Mill. Dieses Maass fällt auf Dragoman, das sich also den Archäologen zu genauer Durchforschung empfiehlt. Treu dem in diesem Werke verfolgten Plane, will ich es versuchen, einen möglichst chronologisch geordneten Abriss von Sofia's interessanter geschichtlicher Vergangenheit als weiteren bescheidenen Beitrag für die bisher fehlende Städtechronik Bulgariens zu geben. Im J. 29 v. Chr. traf der gegen die Donau vorrückende Crassus die Serder und nördlicher die Meldier, welche die römischen Legionen stark beunruhigten und dafür gezüchtigt wurden. Diese thrakischen Stämme dürften die zahllosen Tumuli im Sofier Becken aufgeworfen haben. Die erste römische Ansiedlung bildete hier wahrscheinlich ein kleines Castell; jene starke Wallmauer mit colossalen Thurm en, welche ich 1871 auffand und noch weiter schildern werde, erhielt das römische Serdica später und höchst wahrscheinlich in der aurelianischen Epoche. Sofia's Boden schuf mehrere historisch berühmte Männer. Nach Eutropius wurde nahe bei Serdica jener Kaiser Maximinus geboren, welcher bekanntlich vom Viehhirten zum Imperator aufstieg. Mehr durch Leibesstärke und Tapferkeit als durch geistige Regententugenden ausgezeichnet, schlug er wohl die Germanen, nahm jedoch das gleiche traurige Ende, welches er so vielen hervorragenden Männern, Gordianus u. A. bereitete. Eißel von Prätoriancrhand. Als Kaiser Aurelian Dacien geräumt und hierauf einen Theil des rechten musischen Donauufers in sein „Dacia ripensis" umgestaltet, wurde ihm auch der District von Serdica einverleibt, und dieses zur Hauptstadt der neuen Provinz erhoben. In jener Epoche begann Serdica Münzen zu schlagen mit dem Ehrennamen „Ulpia", er ist dem dacischen Sarmisegetusa des Kaisers Trajan entlehnt, dessen Bewohner nach Serdica übersiedelt worden waren. Die administrative Vereinigung des südlich vom Haemus liegenden Serdica mit der von ihm durch hohe Berge getrennten musischen Donauprovinz erscheint ebenso auffallend, wie die türkische Administrirung des Sofier Distrietes vom entfernten Ruscuk aus; sie wurde nur durch die wahrscheinlich gleichzeitig im Isker-Durch-bruche angelegte römische Heerstrasse ermöglicht. In Serdica's Umgebung erblickte auch Dioclctiau's Mitregent Galerius das Licht der Welt, welcher die um 298 in den Donauländern angesiedelten Sar-maten, Karpen und Basterner schlug. Serdica's ausgedehnte Ebene war es auch, wo Constans, des grossen Constantin Sojin, den schwachen Gegenkaiser der illyrischen Prätorianer, in Gegenwart beider zum blutigem Streite gerüsteten Heere durch List und seiner Rede Gewalt, zur Ablegung der Cäsarwürde bewog. Es mag ein tragisches Schauspiel gewesen sein, als Veteranio unter dem Zurufe der wieder geeinigten Krieger: „Langes Leben und Sieg dem Sohne Constan-tin's" sein Diadem vom Haupte nahm und huldigend zu Constans' Füssen niedersank! Ein anderes wichtiges Ereigniss bildet das berühmte, etwas früher, im J. 344, von beiden Kaisern Constantius und Constans zu Serdica veranstaltete grosse Concil zur Lösung des Arianischen Kirchenstreites, welches mit der heimlichen Flucht der Arianer nach Philippopolis und dem Gegenconcil dort endete. Zur Zeit der grossen Völkerwanderung wurde Serdica vom Schicksal der meisten thrakischen Städte ereilt. Attila plünderte und verbrannte es. Justinian stellte wohl seine Mauern wieder her; jedoch erst im Mittelalter erholte es sich unter dem nun von den Slaven in „Sredec" umgewandelten Namen. Im J. 809 erschienen die Bulgaren im oströmischen Iskergebiet und bemächtigten sich Serdica's nach heftigem Widerstande. Es spielte fortan unter den bulgarischen Fürsten eine grosse Rolle, ja zeitweise bildete es mit Preslav und Tirnovo ihre dritte Residenz, sowie jene des Patriarchen. Unter keinem Herrscher erreichte Sredec jedoch eine höhere Bedeutung als unter Car Samuel, der einen persönlichen Versuch des Kaisers Basilius es zu nehmen, bei Stiponje, nahe beim heutigen Ihtiman, blutig zurückwies. Zahlreiche Burgen, von welchen ich selbst an verschiedenen Punkten noch Reste sah, erhöhten damals Sofia's Widerstandskraft. Während später alles Land von der Donau bis zur Adria den Byzantinern sichergab, wurde wohl das nahe Bojana am nördlichen Vitosfusse von ihnen erobert, doch das starke Sofia hielt sich tapfer und blieb weiter der stärkste Stützpunkt für wiederholte Aufstandsversuche gegen das gehasste Fremdregiment. Wahrscheinlich um diese Auflehnung zu dämmen, colonisirte Byzanz die besiegten Petschenegen um 1050 auf der verödeten Sofier Ebene, welche ähnlich den heutigen Tscherkessen, für sie und die angrenzenden Gebiete zur Geissei wurden, bis ihr Häuptling Tyrak sich unterwarf. Zur Zeit des Andronikos Komnenos besetzte König Bela III. kurz Sofia, doch eroberten es die Bulgaren wieder unter Asen um 1191, und bei diesem Anlasse wurden die Gebeine des b. Joannes Rilski nach Tirnovo übertragen, von wo sie später über Sofia in das berühmte Rilo-kloster gelangten. 1340 — 78 stritten die Brüder Sracimir und Ioannes Sisman um das 1340—42 durch eine verheerende Pest decimirte Sofia — es blieb Ioannes nur kurz, denn die moslimsche Sturmfluth setzte bereits in ganz Bulgarien, Macedonien und Thracien den Halbmond an des Kreuzes Stelle. Als das westlichere feste Nis von den Türken genommen war, kam die Reihe an Sofia, das lange den türkischen Angriffen trotzte. Nach Hadzi Chalfa wäre die Stadt 1378 von Lala Schahin Pasa, nach den chronologischen Tafeln ist sie aber richtiger durch Balabanbeg erst 1382 erobert worden. Beide Quellen melden aber übereinstimmend, dass die Türken sich Sofia's nur durch eine Kriegslist bemächtigten konnten. Hammer erzählt:*) „Ein schöner türkischer Jüngling verdingte sich dem Befehlshaber Sofia's unter dem Scheine eines Ueberläufers als Falkenir. Auf einer Reilierbeize verlockte er ihn so weit ausser den Mauern der Stadt, bis dass er den günstigen Augenblick sah, seiner Meister zu werden. Er band ihn auf's Pferd, brachte ihn so zu Balaban und dieser ihn so vor die Mauern der Stadt, die sich bei diesem Anblick friedlich ergab." Sofia'Jdieb die Hauptstadt der altbulgarischen Landestheile und der Beglerbeg von Ruiniii schlug dort seine Residenz auf. Die grosse christliche Coalition, welche sich unter des polnischen und ungarischen König's Vladislav Führung zum Rachezuge für die Schmach von Niko- *) Geschichte des Osnuuiischen Reiches. I. Bd. S. 187. poli (S. 54) anschickte, Hess die geknechteten Bulgaren einen Augenblick freier aufathmen. Dieser erste Winterfeldzug des ruhmvollen Heerführers Johannes Hunyäd befreite nach Nis's Eroberung auch Sofia, das, wie es scheint, der siegreichen christlichen Armee keinen ernsten Widerstand leistete. Auf solchen stiess sie erst beim versuchten Vordringen gegen Ihtiman an der Trajanspforte. Ein weiterer Vorstoss erschien schon wegen der Terrainverhältnisse dort unausführbar; das bulgarische Landvolk jedoch, welches die Polen und Serben — auch der Serbenfürst Brankovic befand sich im ungarischen Heere — als stammverwandte Befreier begrüsste, führte es auf Umwegen, nahe bei Zlatica in das nördlichere Topolnica-Defile, in den Rücken der Türken. So feierte Hunyäd am Christtage 1443 auf der mit Schnee und Eis bedeckten Wahlstatt am Hange des Balkans seinen berühmten Sieg über Kasim, den Beglerbeg von Rumiii, und Machmud Tschelebi, Schwager Sultan Murad IL, welche hier in Gefangenschaft geriethen (Hammer). Das denkwürdige Schlachtfeld dürfte, nach meiner Auffassung des fraglichen Terrains, zwischen Petricevo und Poibren, nahe beim Sismanecberge, an den auch die Volkstradition eine grosse Schlacht knüpft, zu suchen sein. Vollkommen sicher dies festzustellen, wäre namentlich für magyarische Forscher eine dankbare Aufgabe. Schwierige Verproviantirung und grosse Kälte verhinderten die Fortsetzung des glücklich begonnenen Feldzugs. Auf Vladislav's Rückzug wurde Sofia durch Brand zerstört und unmittelbar darauf besetzte es Murad, welcher dem Christenheere auf dem Fusse folgte. Der 1444 auf Koran und Evangelium feierlich beschworene Friede hätte Serbien und Ungarn mindestens auf 10 Jahre Erholung gegönnt, falls er nicht schon wenige Tage nach seinem Abschlüsse, auf des päpstlichen Legaten Cardinal Julian Cesarini's Rath, von Ungarn gebrochen worden wäre. Mit der blutigen Rache, welche Murad am 10. Nov. 1444 an dem unglücklichen König Vladislav zu Varna nahm, war auch Sofia's Loos für lange entschieden. Nur sporadisch sah es während der österreichischen Kriege im 17. und 18. Jahrhunderte christliche Krieger. Zuerst im Herbste 1089, als Nis vom Markgrafen von Baden genominen worden, streiften des Grafen Piccolomini Reiter über Sofia hinaus, bei ihrer Rückkehr wurden sie aber von dem aufgebotenen Landstürme in einer Schlucht bei Dragoman Überfallen und deeimirt. Für diese That wurde den Landleuten tür-kischerseits Befreiung von allen Steuern versprochen und noch wirklich zugehalten, als der Reisende Cornelius von den Driesch 1719 durch diesen Ort kam. In Prinz Eugen's Feldzügen 1699 und 1717 beschränkten sich die Operationen des kaiserlichen Heeres nur auf Serbien; Sofia wurde nicht erreicht. Während der Unterhandlung des Passaro witzer Friedens (1718) verweilte Sultan Achmed III. mit grossem Gefolge und Pompe zu Sofia. Ungeachtet zu jener Zeit des Halb- rnoiids Glanz bereits im Niedergange war, wollte man — wie Driesch erzählt — den vermittelnden Vertretern der grossen Seemächte es nicht gestatten, im Weichbilde der Stadt zu wohnen, welche des Sultans Anwesenheit heiligte! Wie ändern sich die Zeiten! ruft man unwillkührlich aus, erinnert man sich der Behandlung, welche Grossherr Abdul Aziz und seine Nachfolger im Stambuler Palaste von General Ignatieff hinnehmen musste. — 1737 streiften österreichisch-serbische Freicorps bis Sofia, besetzten die bei dem nördlichen Slivnica gelegene Badajova-Schanze, mussten sie aber bald räumen und eilends gegen Nis flüchten, als der Anfangs glückliche Seckendorff'sche Feldzug plötzlich eine unerwartet traurige Wendung nahm. Im russisch-österreichisch-türkischen Kriege zu Ende des vorigen Jahrhunderts litt Sofia und sein District durch die vom Grossvezier hier concentrirte Armee. Noch härtere Prüfungen erduldete die Stadt durch den Einbruch der räuberischen Krdzalien des.Bebellen Pasvan Oglu Pasa 1797. Im J. 1820 war Sofia das Hauptquartier Mustapha Pasa's von Skodra. Als persönlicher Gegner von Sultan Machmud's Reformen begab er sich, trotz wiederholter Mahnung, erst nach der Vernichtung des ihm verhassten, nach europäischer Schablone organi-sirten Nizamheeres, auf den Kriegsschauplatz mit 40,000 seiner Arnauten. Er gedachte Constantinopel zu entsetzen, als die Russen ernstlich Miene machten, sich dieses Horts des Islams zu bemächtigen. Sein Erscheinen förderte jedoch nur den raschen Friedensabschluss von Adrianopel. Für die entgangenen Kriegs-lorbeern suchte sich Mustapha durch die Ausplünderung des macedonisch-thracischen Bulgariens reichlich schadlos zu halten. Mit schwerer Beute beladen, kehrte er in die Berge seines Arnautluk zurück; heute aber noch schreckt man ungehorsame Kinder in der Sofier Ebene mit dem Rufe: der Arnaut kommt! Sofia, wo durch nahezu fünf Jahrhunderte die Beglerbegs von Rumiii in einem prachtvollen, mit orientalischer Pracht ausgestattetem Konak residirten, den zu Beginn des Jahrhunderts Feuer zerstörte, war zuletzt nur eine Districtsstadt des grossen Tuna-Vilajets.*) Mit Consul Lutteroti machte ich dem amtirenden Mutessarif einen Besuch. Der in einem äusserst bescheidenen Gebäude amtirende Pasa erwies sich sehr liebenswürdig und beorderte sofort einen Zaptiecaus, mich auf meinen Streifungen durch die Stadt und Umgebung zu begleiten. Zunächst *) Eine Correspondenz der „Deutschen Zeitung" aus Ruscuk vom 20. Juli 1876 brachte folgende Nachricht: „Die Districte von Sophia und Nisch sind vom Donau-Vilajet getrennt worden und bilden fortan ein eigenes General-Gouvernement. Zum General-Gouverneur dieses neu formirten Vilajets ist Massar Puscha, bisheriger Statthalter von Sophia, ernannt worden." Meine an verschiedenen Stellen dieses Werkes geäusserten Bedenken gegen die administrative Venjuickung der transbalkanisehen Sandschaks Nis und Sofia mit dem Vilajet Ruscuk wurden durch diese Meldung gerechtfertigt. Wahrscheinlich zwang der unsichere Verkehr zwischen Sofia und Ruscuk über den insurgirten Balkan, die Pforte zu jener Mnassnahme. Als administrative Grenze zwischen den Vilajets Tuna und Sofia sollte mit Rücksicht auf die geographischen Verhältnisse stets des hohen Balkans Kamnilinie bestimmt werden. Kanltz, Donau-Bulgarien und der Bulkan. II. 14 suchte ich die Daten für einen ä la vue-Plan Sofia's Zugewinnen. Es liegt nahezu genau im Centrum seines grossen Beckens, in 535 M. Seehöhe und in der Form eines ziemlich gleichseitigen Rechtecks, dessen Spitzen den Hauptrichtungen des Compasses entsprechen. Sein ausgedehntes Weichbild durchmessen zwei SW. vom Vitos herabkommende Bäche, über welche mehrere Steinbrücken führen. Das südwestliche Viertel Sofia's, die „Varos", bewohnten ausschliesslich Bulgaren, viele Strassen der anderen Stadttheile waren rein türkisch, vier Gassen israelitisch, in manchen Strassen befanden sich Wohnhäuser von ^———~ IT ""N Zelten ausserhalb der Stadt und die meisten Minarete, einige Moscheen, Caravanserai u. s. w. wurden zerstört. Die Aufrichtung der Zollgrenze bei Aleksinac durch das selbständig gewordene Serbien bildete eine andere wichtige Ursache, welche Sofia empfindlich schädigte. Die serbische Abschnürung förderte indirect nur Nis, das als Grenzstadt den Donauverkehr an sich zog. Hätte die hohe Pforte der commerciellen Entwicklung ihrer nördlichen Provinzen nur einige Sorgfalt geschenkt, so müsste die Linie Salonik-Sofia-Belgrad längst vollendet sein. Trotz dieser und anderer grosser Unterlassungssünden der türkischen Verwaltung begann das einst mit Filipopel an Grösse und Wohlhabenheit rivalisirende Sofia sich zu heben, und nicht wenig Christen, Türken, Tataren, Juden bunt nebeneinander; nur die Zigeuner lebten isolirt in einer Mahala beisammen. Ehemals zählte Sofia 50,000, 1871 nur 19,000 Seelen in 3400 Häusern, die sich auf 8000 Bulgaren, 5000 Türken, 5000 Juden, 900 Zigeuner und etwa 100 Fremde vertheilten. Die Sofia periodisch heimsuchenden Erdbeben griffen störend in seine Entwicklung ein, zuletzt war es im Herbste 1858 durch 14 Tage gefährlich bedroht. 30 — 50 Stösse brachten täglich viele Häuser zum Einstürze, in der Ebene soll gleichzeitig heisses Wasser tiefen Spalten entflossen sein; die geängstigten Bewohner campirten unter Römerwerk und Strassennetz von Sofia 1871. trug- hierzu das umfassende Strassennetz bei, welches auf Midhat's Anordnung durch die Mutessarife Rasim-, Feim- und Essad Pasa im letzten Decennium ausgeführt wurde. In Sofia münden 5 grosse Routen, welche das städtische Weichbild durchschneidend, zugleich seine 5 grössten Verkehrsadern bilden. Es gehen diese Strassen durch das ('ukur kapu NW. nach Nis und Belgrad, durch das Kursumli kapu NNW. über den Berkovica-Balkan nach Lom und Vidin, durch das ("aus Pasa kapu 0. über den Etropol-Balkan nach Plevna und Ruscuk, durch das Stambul kapu SO. über Filipopel nach Constantinopel, und durch das Alkalar kapu über Köstendil nach Salonik, wohin man nach Hadzi Chalfa von Sofia 13 Tagreisen zu Pferde rechnet. Keines der genannten Thore besass architektonisches oder historisches Interesse, einzelne waren sogar nur aus Holz erbaut. Die Anlage der erwähnten Strassenzüge führte jedoch die Erweiterung vieler Gassen und Plätze Sofia's herbei. Der energische Arnaute Essad Pasa liess zu diesem Zwecke ganze Gewölbefronten demoliren oder hineinrücken, freilich Alles auf Kosten ihrer Eigentümer und ohne Entschädigung für abgetretene Gründe; dies ist echt türkisch, aber immer noch ein humanerer Vorgang als zu Constantinopel, wo man, um langen Unterhandlungen auszuweichen, den Leuten ganze Quartiere über dem Kopf abbrannte, um Licht und Raum zu gewinnen! Sofia's bessere Bauten drängen sieh im Centrum und östlichen Theile zusammen. Dort befand sich 1871, nahe beim „Caus Pasa kapu", der Mutessarif-Konak, ein weitläufiges, einstöckiges Gebäude, in dem beinahe alle Aemter des Sandschaks uud der Stadt Platz fanden. Der Mutessarif amtirtc in einem mehr als bescheidenen Räume und die Bureaux des Kasnadar, Malmudir u. s. w., in welche mich die Einholung statistischer Daten führte, waren geradezu erbärmlich. Schon damals trug man sich mit dem Gedanken, einen neuen Kouak neben der hochgelegenen Sofia-Moschee aufzuführen, was später auch wirklich geschah. Sofia zählte 1871 gegen 45 grössere und kleinere Moscheen, darunter 6 stark beschädigte verlassene, drei ohne und einige mit nur hölzernen Minareten; unter den monumentaleren, deren Minarete und lauschige Gärten seinen, wie aller moslimschen Städte grössten Reiz bilden, ist die „Büjük dzamesi" am Stambul kapu, mit 9 Metallkuppeln und schönen Verhältnissen die architektonisch bedeutendste. Historisch interessanter ist aber jedenfalls die bereits erwähnte „Sofia dzamesiu, welche auf dem höchsten Punkte der Stadt, von einem Erdbeben zerstört, theilweise in Ruinen liegt. Wie schon ihr Name zeigt, hatte sie vor der türkischen Eroberung dem Christuscult gedient. Schweigger, der Sofia 1577 besuchte, erzählt: „Wir besichtigten auch etliche alte Kirchen, die etwa dem Sohne Gottes, jetzt aber dem Teuffel und seinem Propheten Muhammed zugehörig", und zuvorlässig war es diese Sofia-Moschee, welche Driesch noch 1719 in voller 14* Pracht, ausgestattet mit riesigen Teppichen, Hängeleuchtern, Koransprüchen u.s.w. besuchte und schilderte. Der Einsturz der einstigen Kirche wird von den Bulgaren dem göttlichen Strafgerichte für ihre Entweihung durch die Moslims zugeschrieben. Als Stifterin gilt traditionell dieselbe byzantinische fromme Princessin Sofia, welche der Stadt ihren heutigen Namen gegeben haben soll. Das hohe Alter dieser auch bei den Türken verbreiteten Sage wird dadurch constatirt, dass sie bereits Driesch 1719 in derselben Form erzählt wurde, er bezweifelte jedoch ihre Stichhaltigkeit. Erwiesen zeigt den Namen „Sofia" erst eine Urkunde, welche Car Ioannes Sisman III. dem Rilokloster ausstellte.*) Speeialhistorikcrn Die Sofienkirclie zu Sofia. bleibt die Entscheidung überlassen, ob diese vermeintliche byzantinische Princessin wirklich existirte. Aus dem Baue selbst, dem ich eine detaillirte Besichtigung widmete, vermochte ich soviel zu constatiren, dass die Tradition in der Hauptsache im Rechte, insofern nur die Ostparthie der Moschee ein moslimsches Werk ist, ihr westlicher Theil aber zweifellos eine christliche Kirche gewesen war. Für diese Behauptung sprechen, von der construetiven Anlage abgesehen, als unumstössliche Zeugen einige byzantinische Fresken im einstigen Narthex, welche ich unter dem dicken Kalküberzugc entdeckte. Leider war es gerade diese kunsthistorisch interessanteste Parthie der Moschee, welche von dem Erdbeben am stärksten ge- *) Jirecck, Gesch. d. Bulg. 399. troffen wurde, ihre nördlichen Mauern liegen in Trümmern und die südlichen sind dem Einstürze nahe. Neben ihnen erhebt sich das später angebaute Minaret noch heute bis zu dem von Stalaktiten getragenen Galleriekranze. Das Hauptportal der ehemaligen Narthex-Facade wurde von den Moslims bedeutend vergrössert und Uber dasselbe eine in den Umrissen noch erkennbare hölzerne Vorhalle aufgeführt. Die sehr bescheidenen Verhältnisse des altbulgarischen Kirchleins genügten auch sonst nicht den Luft und Raum liebenden Türken, und dies führte seine Erweiterung durch einen Centraibau mit Seitenflügeln gegen Osten herbei. Die Ausdehnung der letzteren von der Nord- zur Südwand beträgt 33 Schritte, jene von der ehemaligen westlichen Narthex- bis zur Ostwand genau doppelt so viel, also 66 Schritte, und die Kuppelspannung 11 Schritte. Die letztere Zahl scheint somit dem im türkischen Auftrage arbeitenden Baumeister beim Entwürfe sämmtlicher Verhältnisse als Grundzahl gedient zu haben. Aus dem Haupt-Langschiffe führen zu beiden Seiten viele Durchlässe in die vorliegenden Nebenschiffe. Die moslimsche Decoration der Innenräume beschränkte sich auf die spitzbogig in die Ostwand eingeschnittene, quadratisch umrahmte Kibla und auf die bizarr construirte thurmartige Kanzel, zu der eine Freitreppe hinanführt. Kibla und Predigtstuhl scheinen von einem orientalischen Künstler herzurühren, sie erinnern an elegante arabische Vorbilder, obschon nicht entfernt sie erreichend. Alle Malereien, Ornamente, Koransprüche u. s. w. wurden nach der vulcanischen Katastrophe mit weisser Tünche überzogen, wahrscheinlich um sie vor Profa-nation zu bewahren, eine überflüssige Vorsicht, da die Trümmerstätte Christen und Türken gleich heilig; ich fand sie mindestens, obschon der Zutritt durch die offenen Eingänge Jedermann erlaubt war, frei von absichtlicher Verunreinigung. Ich hatte Grundplan und Perspective der Kirche fixirt und eilte aus den von drohenden Rissen klaffenden Mauern wieder hinaus in das frisch pulsirende Treiben der grossen Bazarstrasse, welche, nachdem das noch kurz zuvor sie überspannende echttürkische Holzdach beseitigt worden, einen freundlichen Eindruck machte. Vor den türkischen Boutiquen drängten sich moslimsche und bunt geputzte bulgarische Frauen, kleine Einkäufe besorgend, dazwischen ambulante, Esswaaren, Backwerk, Sorbet u. s. w. ausschreiende Krämer aller Nationen, mit merkwürdiger Geschicklichkeit ihre riesigen Körbe und Metalltische auf dem Kopfe balan-cirend. Ich trat mit Consul Lutteroti in einen besseren Laden, um verschiedene Producte bulgarischer Hausindustrie, namentlich einige für Bäuerinnen bestimmte, reich ornamentirte Hemden zu erwerben. Neue derartige Arbeiten waren nicht zu haben, denn jede Frau fertigt ihren Bedarf selbst an. Kaum verbreitete sich die Nachricht, dass ein Fremder alte Stickereien kaufe, wurden wir mit Anerbieten bestürmt. Ich wählte mehrere höchst sinnreich combinirte Dessins aus, die später, im Wiener „Oesterreichischen Museum" die Bewunderung aller Kenner erregten. 214 TT K BEB ORHANIEH, DEN BTROPOL-BALKAK Sofias grössere, wohl assortirte Magazine, aus welchen Leinwand, Tuche Seide und Quincaillerie-Waaren en gros ins Land abströmen, hefinden sieh bei-nahe ausschliesslich in den Händen der Juden und Bulgaren, welche durch Com-missionäre direct mit den ersten europäischen Plätzen verkehren. Der grossen Zahl und Wohlhabenheit der spanischen Israeliten-Gemeinde, welche auch viele Handwerker und Tagelöhner zählt, entspricht die im letzten Decennium erbaute, man darf sagen monumentale neue Synagoge mit hoher Kuppel. Sie erhebt sich nahe der Janabasi dzamesi, deren massiges Mauer-Quadrat ein weitgespanntes Kuppeldach und hohes Minaret überragten. Gleich daneben befindet sich das grösste der 6 städtischen Warmbäder, welches Prof. v. Hochstetter 1870 beschrieb: „Es ist neu aufgeführt und eine höchst eigentümliche Staffage auf dem kleinen Platz vor dem Bade bilden drei Kraniche, Prachtexemplare, die da auf- und abspazieren. Der von einer hohen Kuppel überwölbte Baderaum enthält ein polygonales Bassin von 24 Fuss Durchmesser, das Wasser im Bassin hat eine Temperatur von 31° R., während die Brunnen, die seitwärts ins Bassin fliessen, 38° R. haben. Neben dem Vollbad enthält das Bad noch zwei Separatcabinete. In allen derartig natürlich warmen Bädern, an welchen die Türkei ja so überreich ist, habe ich die Temperatur des Wassers immer fast unerträglich heiss gefunden, so dass man kaum begreift, wie es die Türken darin aushalten können. Neben dem grossen Bad, das nur von Männern benutzt wird, liegen zwei Frauenbäder, die von derselben Quelle gespeist werden, eines für Türkinnen und eines für Bulgarinnen. Dem Bad der türkischen Frauen darf man sich kaum nähern, so wird man schon mit einer Fluth von Schimpfworten und mit Drohungen aller Art von Seiten der Frauen, die den Eingang hüten, überschüttet und der türkische Badeaufseher darf es nicht wagen, einen Fremden hineinzuführen. Dagegen nahm der Türke durchaus keinen Anstand mich in das bulgarische Frauenbad zu führen, und mir da zu zeigen, wie in einem Raum, der kaum grösser ist als ein bescheidenes Wohnzimmer, 40 bis 50 Frauen dicht an einander gedrängt auf den warmen Steinplatten um ein kleines Bassin sitzen, sich einseifen und mit warmem Wasser von 35 — 36° R. begiessen. Ein viertes Bad, das von einer besonderen Quelle gespeist wird, ist das Judenbad." Die jüdische Colonie zu Sofia datirt aus der Zeit ihres Exodus in Folge der spanischen Inquisition, und ist jedenfalls eine der ältesten des Landes, denn schon 1578 wurde sie von Reisenden erwähnt. Wie gegenwärtig in der „Carsi" hielt sie früher ihre wertvollen Waarenlager in Besestens und Caravanserai, deren imposante Ruinen mich staunen machten. Noch im Jahre 1719 müssen sie in vollem Glänze bestanden haben; denn Driesch rühmt sie als „erbaut von purem Stein, gegen Feuer wohl verwahret". In diesen festen Gebäuden hatten wahrscheinlich auch die grossen Tuchniederlagen der ragusanischen Factorei ihren Sitz, denn noch heute heisst eines „Cohadziski han" (Tuchhaus). Diese Besestens Uberragten jedenfalls an architektonischem Werth, mit Ausnahme der alten Römerwerke, Alles, was Sofia an älteren und neuen Bauten besitzt; sie rufen jene Epoche türkischen Glanzes unter dem grossen Murad ins Gedächtniss, welche Adrianopel und alle bedeutenderen Städte an der Route Belgrad-Constantinopel mit herrlichen Serai, Moscheen, Brücken und Bazaren schmückte. Später wurde Sofia's grösster, wahrscheinlich von byzantinischen Meistern aus prächtigen Quadern und Backsteinen in alternirenden Lagen aufgeführter Besesten, gleich jenem in Hafsa und anderen Orten, zum bequemen Steinbruch verwandelt; nur einzelne Theile seiner kühnen Spitzbogengallerien dienen noch zu Magazinen und wie vor Jahrhunderten orientalische, füllen sie heute occidentale Waaren, denn der Türke producirt nichts, verstand es auch nicht die primitive bulgarische Hausindustrie den wachsenden Anforderungen entsprechend zu entwickeln und dadurch zur Concurrenz mit der europäischen zu befähigen. Sofia trieb von Alters her, als berühmtes Handelsemporium, mit den Küstenländern an der Adria bedeutenden Verkehr, dafür spricht allein, dass ein jährlich neu gewählter ragusaniseher Consul hier residirte; auch heute noch kommt ein grosser Theil seiner Waarenlagcr von dort zur See Uber Salonik. Der Import aus Oesterreich-Deutschland nach der Türkei hält noch immer dem englisch-belgisch-französisch-schweizer'schen die Wage, östlich von Sofia, über Filipopcl, Adrianopel, Skopia hinaus aber nicht mehr. Durch die von Constantinopel, Enos und Salonik ins Innere führenden Schienenwege ging namentlich dem österreichischen Handel ein Gewinn bringendes Absatzgebiet verloren, das er selbst nach der Vollendung der Belgrad-Sofier Bahnlinie schwerlich mehr ganz zurückerobern wird. Die spanisch-jüdische Colonie spielt auch in Sofia's Export eine hervorragende Rolle. Durch ihre Commissionäre zu Lom, Vidin und Nis wandern viele Tausende in Sofia und Samakov gesammelte Rohhäute, halb verarbeitete Corduan-felle u. s. w. nach Pest, Wien und weiter; das Marseiller Haus Richard allein bezieht alljährlich an 40,000 gesalzene Ziegenfelle für französische Handschuhfabriken. Sehr beträchtlich ist in gesegneten Jahren auch Sofia's Mais- und Getreideexport; der dortige Regierungs-Ambar, in dem die Abgabe vom Getreide zu 8°/o in natura eingelagert wurde, war auf 300,000 Kilo berechnet, was allein 2,400,000 Kilo Production ergiebt. Die Preise sind je nach dem Ausfalle der Ernte grossen Schwankungen unterworfen; 1870 wurden auf dem Platze per Kilo Mais 50, im Jahre 1871 nur 20 Para bezahlt. Bedeutend ist auch Sofia's Umsatz in Spirituosen, ein Sprichwort behauptet sogar: nirgends trinkt man so viel wie in Sofia; wirklich sollen der Wein und Raki aus seiner nächsten Umgebung kaum dessen Bedarf decken. 1871 bestanden zu Sofia 135 Wirthsgeschäfte, deren Flor sich schon aus dem grossen Gewinne erklärt, den sie nahmen.. Man bezieht aus Nis 216 DIES BEB ORHANIEH, i > E N ETROPOL-BALKAN gewöhnliche Weinsorten en gros zu 30 Para pro Oka und verkauft sie en detail mit 60; Stanimak's berühmter dunkler Feuerwein kostet 50 Para en gros, im Klcinverkauf aber 2 Piaster. Der meist aus Filipopcl bezogene Branntwein wird dort en gros mit 372—4 Piaster, zu Sofia en detail mit 6 — 8 Piaster pro Oka bezahlt. Da Sofia's gewerbliche Production nicht Uber die allergcwöhnlichsten Gegenstände hinausging und man allen Luxusbedarf importirte, war für die Etablirung von Europäern bis 1878 nur ein bescheidenes Feld geboten. Abgesehen von Griechen, Armeniern u. A. beschränkte sich die fremdländische Colonie im J. 1871 auf l polnischen Arzt, 1 deutschen Apotheker, 1 italienischen Schneider, 1 sla-vonischen Schmied, 1 Wagner, 1 Uhr-, 1 Schuhmacher und einige nicht stabile Bahn-Ingenieure. Alle fanden im gastfreundlichen österreichischen Consul Lutte-roti _ dessen Flagge damals hier allein europäische Civilisation vertrat — ihren Freund und Schützer. Eine grosse Wohlthat für Fremde und Einheimische bildete auch die wöchentlich zweimalige Besorgung der Post zwischen Constantinopel und Wien durch das österreichisch-ungarische Consulat, da dem türkischen Postamte nur ungern Briefe oder gar Werthe anvertraut wurden. Für den grossen Fremdenzug aus dem Innern nach und durch Sofia sprachen 1871 dessen 39 Hane. Allerdings entsprach keiner den Anforderungen europäischer Reisender; im Oriente lernt man sich aber bescheiden, ich stellte meine Leute und Pferde im besten christlichen „Kara Dimitri han" ein, der auch abgesonderte Zimmer enthielt, und mein Dragoman schien dort ziemlich zufrieden. Noch im J. 1578 gab es zu Sofia eine starke christliche Bevölkerung, welche . 12 Kirchen besass. In einer ruhten die im XV. Jahrb. übertragenen Gebeine des Serbenkrals Miljutin Uros II. (1281-1320); Schulen besass es damals zwei, was auf eine bedeutende Gemeinde schliessen lässt; allmälig schmolz sie zusammen und erst in den letzten Jahrzehnten blühte das christliche Gemeinwesen wieder empor. Auf einem grossen Platze erhebt sich, Sofia's höchsten Punkt krönend, die allem Anscheine nach ziemlich solid gebaute Kathedrale Sv. Kral, in welcher jetzt die vorerwähnten Gebeine des serbischen Königs ruhen, im modern-bulgarischen Kirchenstyle; ihre nüchterne Facade wird von drei Kuppeln und zwei Thurmchen überragt. Schmucklos ist der erzbischöfliche Palast, welcher architektonisch unbedeutend, hinter der Kirche sich bemerkbar macht. Vor zwei Decennien war er Zeuge mancher tumultuarischen Scene gegen das fanariotiseh-bischöfliche Regiment, bis der letzte griechische Vladika, mehr gezwungen als freiwillig, nach dem cisbalkanischen Berkovica wanderte und seinen Stuhl einem national-bulgarischen Bischof räumte. Nahe der Kirche steht die grosse Schule, für welche die Gemeinde bedeutende Opfer brachte, sie überflügelte längst die türkische Rudschidieh. (Hauptschule), wie überhaupt die nationalen Strebungen zu Sofia stets einen dankbaren Hoden fanden. Sofias Jugend galt stets als besonders patriotisch und nahm kräftigen Antheil bei allen Versuchen zur Abschütt-lung der Fremdherrschaft; manchmal wagten sich seine Jungbulgaren ohne die nöthige Klugheit vor, so während des Putsches 1807, wo viele der angesehensten Patrioten des Einverständnisses mit dem Bukarester Actions-Comite beschuldigt, in Ruscuk's Gefängnisse geschleppt wurden. Gleich vielen Bulgaren, welche 1873 der offenen oder geheimen Auflehnung gegen das türkische Regiment geziehen wurden, büssten sie fern vom heimathlichcn Vitos in Diarbekir und anderen Exilen Kleinasiens ihren glühenden Freiheitssinn. Auch der bosnisch-hereegovi-nische Aufstand 1875 verursachte in Bulgarien kaum irgendwo gleich grosse Aufregung wie zu Sofia. Das türkische Gouvernement eilte, jeder thätigen Bewegung der patriotisch gesinnten Elemente vorsorglich zu begegnen, indem es die intelligentesten jungen Leute, Lehrer u. s. w. durch Präventivhaft unschädlich machte. Ueber die Lage und Stimmung zu Sofia während dieser bewegten Epoche enthielt die Wiener „N. Fr. Presse" einen charakteristischen Bericht, der hier als objectiver Beitrag zur Zeitgeschichte eine Stelle verdient: „Sofia, 7. Sept. Seit dem Ausbruch des Aufstandes hat sich die Lage der europäischen Colonie sammt ihren Familien bedeutend verschlimmert, und ist sie einer ernsten Gefahr ausgesetzt. Die misslichen Geldverhältnisse und die uugenügende Organisation der türkischen Armee gestatten dem Staate nicht, eine imponirende Militärmacht schnell zusammenzubringen. Sonntag den 22. August erhielt das hier garnisonirende Cavallerie-Regiment Ordre, nach Serajevo abzumarschiren. Da dasselbe seit zwölf Monaten keinen Sold bezogen und die hiesigen Bankiers nicht so leicht zu bewegen waren, einen Vorschuss zu leisten, so verzögerte sich der Abmarsch des Regiments bis Sonnabend den 28. August, nachdem man ihm Tages vorher für einen Monat Sold verabfolgte und die Regierung sich verpflichtete, für die verbleibenden Harems zu sorgen. Die Stärke des Regiments an Reit-, Pack- und Zugpferden, dann Maulthiercn betrug im Ganzen 410 Stück, und die Montur der Mannschaft befand sich in sehr schäbigem Zustande. Als Ersatz für die abmar-schirte Besatzung wurden Redifs (Reserve) einberufen und, da keine Kasernen existiren, die Leute unter Zelten bequartiert, welche Massregel bei 10 Grad Wärme zur Nachtzeit und 30 Grad Mittagshitzc sehr nachtheilig auf die Gesundheit der Truppen wirken muss. Während in den europäischen Staaten die ältesten Jahrgänge immer zuletzt einberufen werden, ist in der Türkei das Umgekehrte der Fall. Man hat den ältesten Jahrgang, welcher im künftigen Jahre seiner Militärpflicht gänzlich Genüge gethan hätte und entlassen worden wäre, zuerst unter die Waffen gerufen, armirt und in Marsch gesetzt. Die Folge davon ist, dass Missstimmung der mahomedanischen gegen die christliche Bevölkerung erzeugt wurde. Es sind nämlich die einberufenen Redifs meistens Leute bei Jahren, im Besitze eines Geschäftes oder einer Landwirtschaft, meistenteils verheirathet und Familienväter. Gezwungen, die Familie zu verlassen und die Geschäfte zu sperren, nur um die empörten Rajah zur Ordnung zu bringen, sind sie sehr erbittert, und manches Dorf dürfte schlecht fahren, welches mit Einquartierung belegt werden sollte. Viel Bedenken erregt, dass man vergangene Woche aus Russland eingewanderten Tscherkessen, deren Dörfer zerstreut unter den bulgarischen Ortschaften herumliegen, vom hiesigen Gouvernement Waffen, wie Feuersteingewehre, Säbel und Munition, ausgefolgt hatte, damit dieselben die ersten Symptome einer Erhebung in Bulgarien gleich im Anfange unterdrücken oder so lange in Schach halten, bis reguläres Militär auf dem Platze erscheinen könnte. Stehen nun schon in Friedenszeiten die Tscherkessen mit dem Begriff des Eigenthums auf gespanntem Fusse und sind träge zur Arbeit, so wird dies Alles unter den jetzigen Zeitläuften noch verschlimmert, und es könnte leicht die Willkür an die Stelle der Gesetze treten. Ganze Tscherkessendörfer bewaffnen in einer Provinz, die bis jetzt Ruhe hält, heisst beinahe so viel, als einen Aufstand provociren. Es sind schon jetzt in den ersten paar Tagen Fälle vorgekommen, dass die Tscherkessen auf der offenen Chaussee die Reisenden aufgehalten und um ,Para< angesprochen haben, sich damit entschuldigend, dass sie keinen Para besitzen, um sich Brod kaufen zu können. Dies geschieht in der Nähe der Stadt Sofia. Was ist erst auf dem Lande, in den Dörfern des Balkan-Gebirges zu erwarten? Ist doch selbst hier in Sofia der Fall vorgekommen, dass drei einberufene Redifs in ein Han (bulgarisches Gasthaus) gingen, aus dem Stalle drei Pferde nahmen und nach Nis davongeritten sind. Wollen die Bauern zu ihren Pferden wiedergelangen, so müssen sie von Sofia bis Nis (16 Stunden) den Weg zu Fuss machen, und dann wäre noch zweifelhaft, ob sie dieselben zurückbekommen würden. Dieser bewaffnete Landsturm tscherkessischer Nationalität wäre im Stande, ein ganzes Dorf vor Gericht zu führen unter dem Vorwande, dass man im Dorfe einen ,Comitat' — so werden nämlich politische Emissäre genannt — gesehen hätte, der die Bewohner zum Aufruhr aufmunterte. Dass auf diese Art den Europäern der Aufenthalt in Sofia nicht am besten gefällt, liegt auf der Hand. Desshalb trachtet ein Jeder, dem Geldmittel zu Gebote stehen, Sofia zu verlassen und sich nach Constantinopel oder Rumänien zu fluchten. Diejenigen aber, denen die Verhältnisse dies nicht gestatten, befinden sich in sehr misslicher Lage, die abzuwenden nicht in ihrer Macht steht. Nur im Falle, dass der Aufstand auf Bosnien und die Hercegovina localisirt bleibt, sind die Europäer und die christliche Bevölkerung vor Gefahren sicher." Wie rasch und wie traurig erfüllten sich diese Befürchtungen bereits im Mai 1876! Ueber die Kriegstüchtigkeit der sogenannten „Festung Sofia" machte derselbe Correspondeut folgende interessante Bemerkung: „Obgleich Soiia einst als Festung gedient hatte und ringsherum von einem Erdwall eingefasst ist, so stehen auf demselben keine Geschütze! Erst gestern gab der Pascha-Gouverneur dem Kreis-Ingenieur den Auftrag, alle Brücken auf den Chausseen, in guten Stand zu setzen, um die aus Stambul in Belova per Eisenbahn angekommenen Geschütze hierher transportiren zu können. Eine beschädigte oder vom Wasser weggeschwemmte Brücke, wie es deren auf den hiesigen fünf Chausseen giebt, kann jedoch nicht binnen zwei oder drei Tagen hergestellt werden. Jetzt zeigt sich, welchen Fehler die Regierung beging, indem sie die Bahnstrecke von Belova bis Sofia, circa 100 Kilometer, nicht ausgebaut hatte." In Wahrheit durfte man die Garnison und Befestigungen Sofia's, das für einen der grössten Waflfenplätze der europäischen Türkei galt, unbedeutend nennen. Während meines ersten Besuches (1871) bildeten 3 Escadronen kaiserliche Garde-Cavallerie die ganze Besatzung, und dazu hatte man noch aus Er-sparungsgründen, wahrscheinlich für des Obersten Tasche, den Escadronstand auf 65 Mann reducirt. Im Herbste bezogen allerdings die Redifs des Districts ein kurzes Uebungslager auf dem Glacis; sonst war aber, in friedlichen Zeitläuften selten nur ein Infanterist in der Stadt zu sehen. Läge Sofia nicht so nahe an des Vitos Vorhöhen, würde es sich trefflich zur Anlage eines modernen festen Platzes eignen. Die vielgetheilten Wasser, welche es SW.—NO. umfliessen, erschweren jede Annäherung und einige benachbarte Erhebungen des Bodens Hessen sich leicht für wirksame Verteidigung benutzen. Als der russische General Geismar 1829, von der Donau her dem Iskerdefile sich nähernd, Sofia bedrohte, verstärkte man zuerst den die Stadt umschliessenden Erdwall durch vier auf den nächsten Höhen neu angelegte Schanzen. Von diesen bestreichen die „Musi Beiler tabbia", 40 M. Uber der Ebene und die „Medzidieh tabbia", 60 M. üb. d. Ebene auf dem Weinberge Kolibalar, die Constantinopler und Orhanieh-Strasse, letztere wird auch von der „Caus Pasa tabbia" ins Kreuzfeuer genommen, die „Jaudi tabbiasi" auf der Banizorhöhe dominirt aber die Niser und Berkovicaer Strassen. Die im NW. der Stadt auf einem Römerwerke liegende Jaudi tabbia erscheint mit ersterem verglichen, wie etwa ein Tumulus der Wandervölker der Cheops-Pyramide gegenüber. Es ist unbegreiflich, dass Sofia's noch als Ruinen grossartige römische Bauten früher von keinem Reisenden aufgesucht wurden, obschon Mannert ihrer bereits vor 60 Jahren in seiner „Geographie der Griechen und Römer" flüchtig gedachte. Nach mehrfacher Erkundigung fand ich dieselben, aber nicht südlich, wie Mannert irrig erwähnte, sondern im Norden der Stadt. Man nähert sich den für römische Befestigungskunst höchst interessanten Bauresten am besten durch das Kursumli kapu. Ausserhalb dieses Thores durchschneidet die Berko- . 220 ueber OK11ANIKII, den etropol-balkan vicaer Chaussee jenseits der dreibogigen „Sandükli köpri" einen moslimschen Friedhof und gleich darauf die nördliche, durch vier Rundthürme bewehrte Um-wallung des grossen Römerwerkes. Sie ist heute noch in der bedeutenden Ausdehnung von 335 M. erhalten und erhebt sich am Rande des hier mehrere Meter hoch über die Ebene ansteigenden Plateau's. Von den sie flankirenden Eckthürmen lassen sich die anschliessenden Ost- und Westfronten sammt Thürmen etwa 170 M. ganz gut verfolgen, darüber hinaus bedeckt aber hohes Erdreich mit Cul-turen die Werke. Die Thürme sind im vollen Kreise angelegt und werden genau auf ihrer Durchschnittslinie durch die Enceintemauer miteinander verbunden; während die Stärke der letzteren jedoch durchschnittlich 4 M. beträgt, wechselt der Durchmesser der Rundthürme von 6 — 16 M. und ihr gegenseitiger Abstand von 56—82 M. Die Fortsetzung dieser grossen Römerbaute ist jedenfalls W. und S. im Weichbilde der heutigen Stadt, östlich aber in der Richtung auf das Caus Pasa kapu zu suchen; ihr Kernwerk dürfte wohl, wenn ich mir eine Vermutung mit Rücksicht auf das Terrain erlauben darf, höchst wahrscheinlich auf der Stelle der alten Sofienkirche gestanden haben. Spätere Forschungen werden dies wahrscheinlich bestättigen. (S. Plan auf S. 210.) Zu. Glanzpunkten meines Sofier Aufenthalts gehörten die Ausflüge in der Richtung des Vitos. Die Orte an seinem l1/« St. von der Stadt entfernten Hange contrastiren durch das sie umrahmende Grün von den nackten Syenit-Schutthalden und monotonen Grastriften des Colosses, dessen geologisches Gefüge Boue, Viquesnel und Hochstetter trefflich charakterisirten. In einer der zahlreichen Vitosfurchen liegt in 1040 M. Seehöhe das still verborgene Kloster Dra-galevci, welches mit seinen Buchenhainen an Sonn- und Festtagen eine Art Wallfahrtsort für Sofia's Christenheit bildet. Eine andere beliebte Parthie ist das einst befestigte, wasserreiche Bulgarendorf Bojana; auch Jukari-Banja und das entferntere Banjska amFusse des Lülün-Gebirges werden ihrer alkalischen Quellen wegen gerne aufgesucht. Als lohnendste Excursion darf ich aber wohl das 70 M. höher als Sofia liegende Bali Effendi bezeichnen. Am Eingange des Defile's zwischen dem Vitos und Lülün-Gebirge situirt, wirken dort frische Luft und ein gerühmtes Bad ungemein erquickend, auch fehlt es nicht an Zerstreuungen. Ich besuchte das von Midhat Pasa begründete „Isla hane", in dem man Waisenkinder aller Nationen in verschiedenen Handwerken und namentlich in der rationelleren Lederbearbeitung unterrichtete. In Verbindung mit dem Isla hane stand eine ziemlich bedeutende Tuchfabrik, welche Uniformstoffe für die gesammte türkische Gensdarmerie erzeugte. Maschinen und Lehrmeister kamen aus Mähren und Belgien. Eigentlich war Bali Effendi eine ebenso künstliche Schöpfung wie die Fabrik zu Sliven, und wahrscheinlich hätten sich aus Oesterreich importirte Tuche in gleicher und selbst besserer Qualität billiger beziehen lassen; nichts destoweniger gebührt dem Gründer beider Etablissements volles Lob, denn sie waren nach vielen vergeudeten Jahrhunderten erste schwache Versuche die europäische Türkei auf die notwendige Bahn industrieller Production zu leiten. Eine Fahrt von Sofia in entgegengesetzter Richtung brachte mich in 3V2 St. zu dem Punkte, wo der vom hohen Rilostocke herabkommende Isker, nachdem er die Sofier Ebene in leichtgekrümmter Linie SO.—NW. durchflössen, den Balkan durchbricht. Die Fahrt auf dem schlechten Vicinalwege schien endlos. Zusammengerüttelt durch unaufhörliche Stösse des federlosen Wagens schwor ich, selbst in türkischen Ebenen nicht so leicht mehr dem Sattel untreu zu werden, denn abgesehen von den physischen Qualen, welche ich dem das Reitpferd scheuenden Consul zu Liebe erduldete, erschwerte die Fahrt auch die Orientirung über manche topographische Details. Wie ich bereits erwähnte, lassen sich wissenschaftliche Forschungsreisen nun einmal nicht zu Wagen machen, nur das Reiten gestattet volle Freiheit der Bewegung, mit notwendiger Unabhängigkeit von Strassen, Fähren u. s. w. Die Eintragung zahlreicher Orte, welche selbst auf Hochstetter's Karte (1872) am Wege nach Korila fehlen, war unter solchen Verhältnissen ein wahres Kunststück und ich bitte um Nachsicht, falls an der Route auch manche Einzelheit meiner Karte nicht, ganz richtig sich erweisen sollte. Nachdem wir im Han des hochliegenden Korila uns ein wenig gestärkt, ging es zum Defile- des Isker hinab, der hier um 40 Meter niedriger als bei seinem Eintritte in die Sofier Ebene und in so breitem Bette fliesst, dass er leicht durchwatet werden kann. Unzweifelhaft nahm der See, welcher einst das Sofier Becken füllte, durch das bei Korila beginnende Engdefile seinen Abzug. Der Anblick der Iskerschlucht wirkt überraschend. Bis zum Bulgarendorfe Ronca ist sie intensiv roth gefärbt; denn auch hier wird der ziemlich steile Hang der südlichsten Vorberge des Balkans von rothen Sandsteinen gebildet, auf welchen gleichfarbige Conglomerate lagern. Es ist die von mir bereits bei Komarci, Kliseköi, Rahmanli u. a. 0. am ganzen Balkan-Südhange constatirte gleichartige Region. Alles ist hier steril, klippig, pittoresk, aber in hohem Grade unwirtlich und nur einzelne sanft gewölbte Plateau's zeigen Grasnarben, kaum gut genug für die zahlreich hier weidenden Herden. Ich begnügte mich mit dieser ersten Orientirung über das Iskerdefile, in welches damals über Ronca hinaus kein Forscher tiefer gedrungen war, beschloss jedoch wenige Tage später seinen jungfräulich-mysteriösen Schleier von N. her eingehender zu lüften (Cap. VIII). Auf dem Rückwege bei Sofia's Sandükli-Brücke angelangt, erkletterte ich den höchsten Theil des römischen Werkes und zeichnete, nachdem ich seinen Grundplan nach Schritten entworfen, was von dem alten Serdica erhalten geblieben. Die selbst im Verfalle grossartigen Reste gaben den passendsten Vorgrund zum Bilde des modernen Sofia. An keinem anderen Punkte präsentirt sich wie hier die Stadt mit ihrem Vitos so übersichtlieh und malerisch zugleich. Das in vollster Abendpracht daliegende prachtvolle Panorama lud längere Zeit zum Verweilen ein und Herr Lutteroti, der ortskundige Cicerone, erhöhte durch pikante Erläuterungen dessen Reiz. Meie dicht nebeneinander in der östlichen Stadthälfte auftauchende Minarcte verriethen übrigens ohne jeden Commentar, dass dort der Hauptsitz der moslimschen Bevölkerung; während der Musselim-und Te-lek Hassan-Moschee weisse Spitzsäulen neben den Kuppeln der Kathedralkirche im westlichen Christenviertel isolirt auftraten. Südlich von der Stadt erblickte ich die durch ihre geschlossenen Gehöfte und Obsthaine gekennzeichneten Orte: Begier Ciftlik, Dragalevci, Bojana, Bali Effendi, Jukari Banja, Tatarköi u. A. Ausserordentlich schön gestaltet sich nach allen Seiten die landschaftliche Umrahmung des Sofier Beckens. Vom Vitos SO. schliessen es die Berge von Ihtiman und Samakov, unter deren Spitzen mein Zaptie den 2750 M. hohen Rilo dagh erkennen wollte, SW. die sanften Höhen des Lülün-, Visker- und Alkali-Gebirges. Verkehrt man aber den Standpunkt gegen N., so erblickt man die grosse Ebene durch den streng 0. W. streichenden Hang des Balkans scharf begrenzt und über demselben eine imposante Reihe 2000 M. hoher Spitzen. Während ich das Profil der vom Zlatica- bis zum Berkovica-Balkan sichtbaren Kette entwarf, suchte ich die Pass-Einsattlungen herauszufinden und zu peilen, auf welchen ich sie noch zu übersteigen gedachte. In gleicher Winkelschnittlinie mit dem gut markirten Dorfe Gradec erschien zunächst der nach Berkovica führende „Ginci-Pass", mein Reiseziel am nächsten Tage. Die Sonne verglühte auf den höchsten Balkanspitzen, der Abend brach heran und in den Strassen der Stadt herrschte nach moslimschem Brauche bereits Grabesstille, die erst mit dem Hahnenrufe wieder weichen sollte. „Sofia, Thraciens Metropole wird aus viel längerem Schlafe aber erst durch die Zauber unseres Jahrhunderts, durch Eisen und Dampf zu neuem Leben erweckt werden. Neben den Ruinen aus seiner römischen Glanzepoche sehe ich im Geiste einen unserer stolzen Bahnhöfe, auf dessen Geleisen Reisende und Waarenzüge zweier Welten sich kreuzen, und Sofia selbst zu einem hochwichtigen Knotenpunkte des grossen friedlichen Weltverkehrs umgestaltet. Beim Schienenstrange Constantinopel-Sofia-Belgrad allein kann es aber nicht bleiben; denn von Orsova und Salonik werden andere Linien dort münden. Bezüglich Sofia's Zukunft pflichte ich also der abfälligen Ansicht meines verewigten Freundes Lejean nicht bei. Auch von Sofia gilt das Wort „es war nicht", sondern „es wird sein!" Zur gänzlichen Erfüllung desselben bedarf es allerdings weiterer Umgestaltungen, vor Allem eines Regiments, das die günstige geographische Position der grossen Iskerstadt durch entsprechende Institutionen zu fördern versteht. Es ist wohl schwer in die Zukunft zu blicken; nichts desto weniger wage SOFIA AM VITOS IM JAHRE 1877. ich es .vorher zu sagen, dieses neue Regiment wird kommen, weil es eine Noth-wendigkeit ist und desshalb — kommen muss!" — So schrieb ich 1876 und schon ein Jahr später traten Sofia's Verhältnisse vollständig umwandelnde Ereignisse ein, welche ich mit meinen persönlichen Wahrnehmungen vom September 1879 im folgenden Capitel skizziren werde. VII. IN FÜRST ALEXANDER'S RESIDENZ. (1876-1880.) Sofia im serbisch.türkischen Kriege 1876. — Seine Rolle im J. 1877. — Gefecht an der Malinska. — Drohende Zerstörung durch Commandant Osman Pasa. — Gurko's Einzug am 4. Jänner 1878. — Verwüstung der türkischen Viertel. — Orkan im December 1878. — Wohnungsnoth und Schritte zu ihrer Hebung. — Wegzug der Türken. — Statistik der gegenwärtigen Bevölkerung und öffentlichen Gebäude. — Das russische provisorische Gouvernement. — Fürst Alexander's Empfang zu Sofia. — Erstes Ministerium. — Des Fürsten Thätigkeil. — Pertev Effendi. — Sipkafest. — Brand der Artil-lerie-Caserne. — Fürst Alexander's Reise nach dem Süden. — Mein Besuch zu Sofia im September 1879. — Alexandertag und seine Feier in der Kathedrale, im Palaste, Feldlager u. s. w. — Der Fürst, das Ministerium und die Opposition. — Der Volksmann Dragan Cankov. — Die National-Versammlung im Clubhause. — Alexander-Platz und Garten. — Das Palais. — Aussicht von seinem Balcon. — Auf dem Feuerthurme. — Plätze- und Strassennamen. — Ministerial-Gebäude. — National-Biblio-thek: — Buchdruckereien und Journale. — Einfluss des neuen Regime's auf das Schulwesen aller Culte. — Militärische Institute. — Todleben's Plan zur Befestigung Sofia's. — Russische Mappeure und Ingenieure. — Lösung meines 1871 den Etropolern gegebenen Versprechens. — Zuströmen fremder Eisenbahnbauer und Techniker. — Feuerwehr- und Turn-Verein. — Theuerung der Lebensmittel. - Des Fürsten Versuche zur Hebung der Rindvieh-, Milch- und Gartenzucht. — Ansiedlung europäischer Doctoren, Apotheker, Advocaten, Kaufleute, Industriellen u. s. w. — Inländische Importfirmen. — Bäder, Miethwagen, Hotels, Gasthäuser. — Vergnügungen. — Gesandtschaften. — Oesterreichische und bulgarische Post. — Personenverkehr. — Telegraph. — Nothwendige Vollendung der Bahnlinie zur Hebung des Exports. — Begonnene Ausbeutung der Kohlenminen bei Sofia. — Bulgarische National-Bank. — Jetzt und Einst. — Sofia's l2Gjähriger Chronist. Während der letzten serbisch- und russisch-türkischen Kriege 1876 und 1877 war Sofia der Sammel- und Durchzugspunkt jener osmanischen Streitkräfte, welche an die bedrohte Nordgrenze gegen Aleksinac, sowie über den Berkovica-und Etropol-Balkan zur Verstärkung der Streitkräfte in Vidin und Plevna vorgeschoben wurden. Zeitweise glich Sofia einem riesigen Kriegslager, in dem das bunteste Truppengemisch aus Europa, Asien und Afrika zusammenströmte. Legten diese endlosen Zuzüge einer Soldatesca mit loser Disciplin und ungeregelter Verpflegung Sofia und seiner Umgebung bereits riesige Opfer auf, so litt es noch mehr durch die Zügellosigkeit der hier gerne länger als nothwendig verweilenden Tscherkessen und Basibozuks, am meisten aber durch verheerende Krankheiten; denn während der blutigen Kämpfe bei Aleksinac und Plevna war Sofia ein Hauptaufnahmsplatz für kranke und verwundete türkische Soldaten. Das Hospital des Freiherrn von Hirsch-Gereuth, welches während des serbischen Krieges vorzügliche Dienste geleistet hatte, wurde im Frühjahre 1877 mit gesammter Einrichtung dem türkischen Kriegsminister übergeben. Das Spital der brittischen Succurs-Gesellschaft ging gleichfalls bald darauf in türkische Verwaltung über, deren erstes Eingreifen darin bestand, dass sie die eisernen Bettstellen sowie andere europäische Mobilien veräusserte und die Kranken wieder auf echt-und rechtgläubige Weise bettete. Gegen das Ende der Belagerung von Plevna kam Lady Strangford, begleitet von der deutschen Freifrau Katharina von Kosen und errichtete ein anderes occidental ausgestattetes Hospital. Auch Dr. Richard Sarell rettete den Rest seiner bei Telis in russische Hände gefallenen Ambulancen mit grossem Ungemach Uber den Balkan nach Sofia, reiste jedoch, als Plevna's Fall den Muschir Mehemed Ali von seiner aussichtslosen Aufgabe es zu retten, befreit hatte, nach Constantinopel, ohne zu seinen Kranken zurückzukehren. So schön aber auch die Gelegenheit, sich in kurzer Zeit reiche Kenntnisse über alle denkbaren Blessuren, Blattern, Typhus und andere Krankheiten zu erwerben, fehlte es an lernbegierigen und noch mehr an befähigten Aerzten, ja manchmal sogar an den nothwendigsten Medicamenten und chirurgischen Werkzeugen. Gegen Ende 1877, erst als die unglücklichen Gefechte bei Dabnik, Telis, Etropol und Orhanieh nahezu 7000 Verwundete in Sofia's Spitäler lieferten, sandte man endlich von Constantinopel eine grössere Zahl zusammengeraffter Doctoren, Chirurgen, Doctoranden und Apotheker. Sie traten in eine Summe potenzirten menschlichen Elends, das aller Schilderung spottet. Kranke, Aerzte, die Bevölkerung waren gleich sehr zu beklagen. Dazu gesellte sich Ende December die Nachricht vom Anzüge der Russen, für die Moslims eine mit Schrecken, von der schwer ge-ängstigten bulgarischen Bevölkerung mit stiller Hoffnung aufgenommene Botschaft. Am Christtage begann Gurko von Orhanieh aus seinen denkwürdigen Balkan-Uebergang, am Neujahrstage 1878 befand er sich im Besitze des Baba konak-Passes, am 2. Jänner trieb er den retirirenden Schakir Pasa vollends auf Tatar Pazardzik zurück, und keine nennenswerthe Streitmacht trat seinem Marsche auf Sofia hindernd entgegen, dessen Commandant Osman Pasa in den über das Los der thracischen Hauptstadt entscheidenden Kampf wirksam einzugreifen versuchte. In Sofia hörte man das heftige Geschützfeuer von Bogorov und erwartete mit Bangen die kommenden Dinge. Auf S. 202 erzählte ich bereits wie Osman von General Veljaminoff an der Malina zum eiligen Rückzüge gezwungen wurde. Am 2. Jänner recognoscirte Gurko persönlich Sofia's nächste Umgebung und dirigirte Kanltz, Donau-Bulgarien und der Balkan. II. 15 General Rauch mit seiner kämpf bewährten Vorhut gegen die von den Türken besetzte Iskerbrücke bei Vrazdevna. Während des auf beiden Ufern sich entwickelnden Feuergefechtes gingen einige Bataillone des Regiments Preobrazenski über den zugefrorenen Fluss in die rechte feindliche Flanke vor. Da indessen auch Veljaminoff's bedeutend verstärkte Colonne bei Öepnica den Isker passirt hatte und gleichzeitig die linke Flanke der Türken bedrohte, legten sie Feuer an die Brücke vor Vrazdevna und räumten das Dorf. Rasch löschten Rauch's Truppen den Brand und drangen über die Brücke dem Feinde nach, der seine vollständige Umzinglung befürchtend, eilends nach Sofia retirirte. Vom Observatorium des Feuerthurmes sah man Gurko's Colonnen von allen Seiten gegen die thracische Capitale heranrücken. Ohne ausreichende Vertheidi-gungsmittel gelassen, war ihr Fall leicht vorauszusehen. Osman Pasa hatte jedoch gemessenen Befehl, Sofia nicht durch Capitulation zu übergeben, sondern es durch Feuer zu zerstören. Früher forderte er die Consuln, deren Schutzbefohlene und die Bevölkerung auf, mit ihrer besten Habe die Stadt eilends zu räumen. Der österreichisch-ungarische Consul Waldhardt protestirte mit seinen Collegen gegen die Zerstörung des reichen Gemeinwesens und weigerte sich, es zu verlassen. Der tiefe Schnee, die Furcht vor den streifenden Tscherkessenbanden, namentlich auch der Mangel an Transportmitteln hinderte andererseits selbst viele moslimsche Bewohner sich dem Abzüge der türkischen Truppen anzuschliessen, welcher nach authentischer Quelle in der Nacht vom 3. zum 4. Jänner über Bali Effendi nach Köstendil erfolgte. Früher plünderten noch marodirende Soldaten viele Kaufläden und verbrannten einige christliche Häuser. Das plötzliche Eindringen russischer Tscherkessen und Kosaken vertrieb die beutelustigen Nachzügler — Sofia war gerettet. Schlimm war es, dass Osman mehrere angesehene bulgarische Notabein mitschleppte, dass es nur wenigen, darunter dem reichen Ilija Effendi gelang, sich in das Haus des wackeren Consuls Waldhardt zu retten-, noch schlimmer, dass der Pasa Tausende kranker Militärs mit einer nur kleinen Zahl seit lange unbezahlter Aerzte zurückliess, was die Stadt in ein riesiges Hospital verwandelte. Am 4. Jänner Mittags hielt General Gurko an der Spitze seiner siegreichen Truppen unter Musik, Gesang und dem Jubel der von banger Sorge erlösten Bevölkerung seinen Einzug in Sofia's Mauern und Kathedrale, in welcher ein erhebender Gottesdienst gefeiert wurde. Seit 1434, also genau durch volle 444 Jahre, betrat keines christlichen Soldaten Fuss die thracische Hauptstadt. Es war ihrem letzten türkischen Commandanten nicht geglückt, die moslimschen Bewohner, welche kurz zuvor noch ihre bulgarischen Mitbürger den Stachel einer in Allem vom Staate bevorzugten Kaste fühlen Hessen, vor dem Anblicke der triumphiren-den Moskovs zu bewahren. Bald sollten sie des gehassten Kreuzes Sieg noch bitterer empfinden! Da die Bulgaren schon lange Wohnungsmangel litten, nahmen mehrere hundert christliche Familien sofort Besitz von den Häusern der mit Osman abgezogenen Moslims, wodurch sie der Vernichtung entgingen, welcher die türkischen Viertel bald anheimfielen. Durch Feuersbrünste und absichtliche, von Russen und Bulgaren gemeinsam ausgeführte Demolirungen wurden 870 türkische und 8 jüdische Häuser, alle Tülbeler (Grabcapellen), die meisten kleinen und 8 grössere Moscheen zerstört; von den erhaltenen 14 aber 13 für militärische Zwecke verwendet. Die Moslims sahen es als ein deutliches Zorneszeichen Allah's an, dass bei eines Medschit's Sprengung der frevelnde Mineur durch die aufflatternde Mine getödtet, das bedrohte Minaret aber unverletzt blieb. Das vielgedeutete Wunder nahm auf das Gebaren der Sieger keinen Einfluss. Auch der dem reichen Israeliten Farchi gehörende grosse Han, den Baron Hirsch während des serbischen Krieges in ein Musterhospital umwandeln Hess, wurde zerstört und gleiches Los theilten die zwei Gassen in Mitte der Stadt einnehmenden Werkstätten, in welchen türkische Gerber das grösstenteils zum Export nach Oesterreich bestimmte Saffianleder zubereiteten. Auf den rasirten Plätzen errichteten die Brotlieferanten für das russische Feldlager ihre Bäckereien. Ein am 10. December 1878 ausgebrochener furchtbar wüthender Orkan, welcher Flaggenbäume umstürzte und zwei Menschen unter fallenden Mauern begrub, vollendete das traurige Vernichtungswerk. Unter solchen Verhältnissen war es kein Wunder, dass bei dem raschen Zuströmen von Einwanderern aus den benachbarten Städten und von Fremden, welche das Gold der ungemein luxuriös lebenden russischen Officiere anzog, sehr bald empfindlicher Wohnungsmangel eintrat. Der erste russische Stadtgouverneur Alabin und sein Polizeiineister Depauli suchten ihm zu steuern, indem sie zunächst für sich selbst zwei schöne Gebäude mit Gärten und anderem Comfort, , dann 27 Bauten für Aemter und Private, ferner den zerstörten Farchi han und an der Köstendiler Strasse 22 grosse Militärbaraken aus den durch Demolirung gewonnenen Materialien herstellen Hessen. Zahllose türkische marmorne Grabsteine mit goldenen Inschriften verschwanden dabei im Mauerwerk und im Trot-toir der Strassen, welche man regelmässiger zu pflastern begann. Da die Ver-äusserung ehemals türkischen Besitzes endlosen Schwierigkeiten von Seite des provisorischen Gouvernements begegnete, die erhaltenen moslimschen Häuser, soweit sie nicht gleich Anfangs bulgarischerseits occupirt, für die bedeutende Garnison in Beschlag genommen wurden, stiegen die Häuserpreise rapid um 20—30 o/o, trotzdem die stabile Bewohnerzahl sich durch den Wegzug der Türken erheblich verringert hatte. Nach türkischer Berechnung flüchteten von Sofia: 2622 Muhammedaner (Nufus), nämlich: 2362 Türken, 220 Zigeuner und 40 Tataren. Da bei der Registrirung 15* der steucrzahlcndcn „Nufus" das weibliche Geschlecht und Kinder im zarten Alter nicht verzeichnet werden, so darf man die Zahl der emigrirten Moslims auf etwa 5600 anschlagen. Im Jahre 1879 bewohnten die junge bulgarische Capitale nur mehr 500 Türken, 200 Zigeuner, 50 Tataren; hingegen mit Ein-schluss der neu eingewanderten Bulgaren, der wenigen Griechen und Armenier: 7700 Christen, dann 4250 Israeliten und 500 Fremde aus verschiedenen Staaten. Dies ergiebt 13,200 Seelen, welche gegenwärtig in 2600 Häusern wohnen. In dieser Summe sind auch 40 Zigeunerhütten, 6 Warmbäder, 10 Hotels, 145 Hane und alle öffentlichen Gebäude, mit Ausschluss der Militär-Baraken, Kirchen, Moscheen, Synagogen, von etwa 800 Kaufbuden und Waarcnmagazinen, dann 90 Backöfen enthalten. Nachdem Sofia's macedonische Walachcn (Cincaren) dort nur temporär sich aufhalten, die früher grosse armenische Gemeinde bis auf eine Familie herabschmolz und ihre Kirche zur Ruine geworden, besitzt es heute 10 Kirchen, darunter 9 orientalische und 1 katholische, die Juden 4 Bethäuser, die Moslims aber nur mehr eine dem Gottesdienste gewidmete Moschee. Unmittelbar nach dem Abschlüsse der Friedens-Präliminarien übernahm Fürst Dondukoff- Korsakoff an Stelle des plötzlich gestorbenen Fürsten Cerkavsky als General-Gouverneur die Oberleitung Bulgariens; vereint mit den sich beigesellten provisorischen Ministern: General Domontovic, Aeusseres und Vorstand der fürstlichen Kauzlei, General Solotaroff: Krieg, General Gresser: Inneres, Lukianoff: Justiz, Buch: Finanzen, Duholka: Steuern, Drinov: Cultus und Unterricht, die mit Ausnahme des letztgenannten Bulgaren, sämmtlich Russen. Zum Gouverneur des Sofier Districtes wurde der russische Oberst-Lieutenant Lukaöeff ernannt. An ihn hatten sich die Consuln betreffs des Schutzes ihrer Nationalen zu wenden, für welche Angelegenheiten ihm ein „Employe diplomatique", in Person des russischen Consuls Josefoviö beigegeben war. Ihm unterstanden auch der Polizei-Meister von Sofia und die Vorstände (sämmtlich russische Stabsofficiere) der 9 Kreise des Districtes: Spaso Tumbaroff für Sofia, Vasile Popeskoff für Orhanieh, Manol Zlatakoff für Zlatica, Ivanöu Zabrenikoff für Samakov, Trisko Batanovski für Radomir, Kristo Stojanoff für Köstendil und Giorgi Nikoloff für Dubnica. Die Kreise Djuma und Bresnik waren zu jener Zeit noch nicht -geräumt. Als unmittelbare Behörden des Kreises und der Stadt Sofia fungirten im März 1879: I. Das „Okrusnji sud" (Kreis-Gericht), Präsident: Giorgi Kirkov, II. das „Apela-cionji sud", Präsident: Constantin Stoilov, III. der „Gradski saviet" (Stadtrath), Präsident: Todor Pesov, IV. der „Okrusnji saviet" (Kreisrath), Präsident Spaso Tumbaroff, V. der „Administracionji saviet", Präsident: Georgi Nacovic. Als sich Fürst Dondukoff im Jänner 1879 zur constituirenden National-Versammlung nach Tirnovo begab, begleiteten ihn der russische General-Consul Davidoff, der zum Präsidenten der „Vissaga instaneija" bestimmte Justiz-Minister Lukianoff» ferner die ernannten Deputaten Metropolitan-Bischof Melenti und der Gross-Rahbiner Gabriel Avramov dahin. So grossartig auch die Feste, mit welchen Sofia den General-Gouverneur Dondukoff bei verschiedenen Anlässen feierte, wurden sie doch weit vom feierlichen Empfange übertroffen, den die junge Hauptstadt ihrem zu Tirnovo gewählten ersten neubulgarischen Herrscher bereitete. Am 13. Juli 1879, um 2 Uhr Nachmittags hielt Fürst Alexander seinen festlichen Einzug. Zehntausend bulgarische Milizen und hinter ihnen eine jubelnde dichte Hecke von Bürgern und aus dem Sofijsko polje herbeigeströmten Landleuten bildete ein lebendes Spalier. Die weihevolle Begrüssungsrede des Metropoliten Melentin beantwortete der Fürst in bulgarischer Sprache, er schloss mit dem lauten Rufe: Es lebe Bulgarien! Vor dem Palais fand sodann eine Revue statt Der Fürst zeigte sich noch zweimal der begeisterten Menge. Am Abend illuminirte die Stadt und auf den höchsten Vitoskuppen entzündeten sich Feuer, welche in weite Entfernung das freudige Ereigniss verkündeten. Eine volle Woche verstrich unter Jubel, Gesang und Huldigungen aller Art. Schon am zweiten Tage nach dem Einzüge schritt Fürst Alexander zur Bildung des ersten bulgarischen Ministeriums. Dieser Akt vollzog sich nicht ohne Wehen. Der in Varna amtirende Gouverneur Cankov weigerte sich aus Gründen, deren Erörterung hier zu weit führen würde, in das Cabinet einzutreten. Es kam jedoch unter dem Präsidenten Burmov zu Stande. Die erste That der neuen Regierung war die Zusammensetzung einer aus Christen und Muhammedanern bestehenden Commission, welche sich mit der Rückerstattung des den letzteren gehörenden unbeweglichen Vermögens, beziehungsweise mit der Abschätzung jener durch Kauf bereits in den Besitz zweiter Personen gelangten Häuser, Grundstücke u. s. w. beschäftigen sollte. Das Ministerium beherrschte der ernste Wille, alle legitimen Rechtstitel gewissenhaft zu respectiren, was zunächst den Sofier Moslims zu Gute gekommen; wäre die gerechte Durchführung der im Geiste des Berliner Vertrags unternommenen Aufgabe nicht eine sehr verwickelte gewesen! Der am 10. August vom Fürsten empfangene türkische Special - Gesandte Pertew Effendi äusserte sich aber schon für den Versuch im Namen des Sultans sehr dankbar. Neben den fortlaufenden ernsten Regierungs- Geschäften besuchte Fürst Alexander in den ersten Wochen Sofia's sämmtlich e Staats-Institute, Schulen, Wohl-thätigkeits-Anstalten u. s. w., mit seinem bekannten liebenswürdigen Wesen überall fördernd und ermuthigend. Am 1. August langte der Fürst in Radomir an, um mit der im dortigen Lager stehenden III. Druzina das Fest ihres Schutzpatrons Sv. Ilija zu feiern, am 10. August wohnte er der Prüfung in der Militär-Unterärzte-Schule bei, am 11. August erschien er in der Junkerschule zu Bali Effendi, am II. August legte er den Grundstein zur russischen Friedhof-Capelle. Am 21. August beehrte Fürst Alexander das „Sipka-Erinnerungsfest", bei welchem an nahezu tausend tapfere Männer der bulgarischen Legion, zum Andenken für ihre während der Augusttage 1877 auf dem Passe bewiesene Bravour, nach einem im Lager abgehaltenen solennen Gottesdienste, die silberne Denkmünze und je ein Silber-Medzidieh verthcilt wurden. Am 23. August war es namentlich der Fürst, welcher durch sein persönliches Erscheinen, während des nach Mitternacht in der Artillerie-Caserne ausgebrochenen Feuers, Sofia vor grossem Unglück bewahrte. Ungeachtet des furchtbaren Explodirens Tausender von Projectilen gelang es den Brand zu localisiren und das bedrohte nahe Palais sammt dem angrenzenden schönsten Stadttheil zu retten. Die Gegenwart des Fürsten spornte Officiere und Soldaten zu Thaten unglaublichster Selbstverleugnung. Trotzdem forderte das unbändige Element einige Menschenleben; 2 türkische Kruppgeschütze, 4 andere Kanonen, riesige Gewehr-, Revolver- und Mu-nitions-Vorräthe gingen zu Grunde. Der Gesammtschade wurde auf 3 Millionen Franks geschätzt. Das grosse Brandunglück verzögerte des Fürsten projectirte Reise nach dem Süden des Sofier Districtes um einige Tage. Am 1. September verliess Fürst Alexander die Hauptstadt mit einem russischen Viergespann und grosser Suite. Zu Radomir, Köstendil, Dubnica wurde der junge Regent mit grossem Jubel empfangen. In letzter Stadt schlössen sich der österreichisch-ungarische und der deutsche diplomatische Agent als geladene Gäste an und nun ging es zu Pferde in 7 Stunden nach dem pittoresk liegenden Rilokloster, dessen Hegumenos mit 150 Mönchen den Fürsten an der wunderthätigen Sv. Jovankirche feierlich be-grüsste. Auf der in den benachbarten wildreichen Bergen abgehaltenen Jagd wurde neben anderen Thieren eine Gemse geschossen. Auch in dem Eisen-Industrie treibenden Städtchen Samakov erregte des Fürsten Besuch grosse Freude. Jedes der drei festlich geschmückten Stadtviertel, das bulgarische, türkische und spanisch - israelitische hatte Triumphbögen errichtet und das von der Commune gegebene Festdiner fiel glänzend aus. Bei herrlichstem Wetter kehrte der Fürst am 7. September Abends nach Sofia zurück, das sich eben vorbereitete dessen Namensfest freudig zu begehen. Während seines kurzen Wiener Aufenthalts lud Fürst Alexander mich ein nach Varna zu kommen, wo er Bulgarien zuerst als Regent betreten wollte, und auch nach Sofia, wo ich länger sein Gast sein sollte. Eine bereits früher projectirte Reise zum Moskauer ethnographischen Congresse und zur Nisni Novgo-roder Messe machte mir es leider unmöglich dem begeisterten Empfange im classischen Pontus-Emporium anzuwohnen; doch im September eilte ich über Odessa nach Sofia und wurde Zeuge der fürstlichen Namenstagfeier, mit welcher sich gleichzeitig jene für den „Car-Befreier" Kaiser Alexander von Russland verband. Schon zeitlich Morgens entwickelte sich am 11. September auf dem Positano-Platze unter meinen Fenstern reges Leben. Die Häuser waren mit bulgarischen und russischen Flaggen geschmückt, alle Läden geschlossen und eine bunte Menge festlich geputzter Landleute strömte zur nahen Kathedrale, um dort des Fürsten ansichtig zu werden. Nach 9 Uhr erschien er mit einem höchst pittoresken, altbulgarischer Herrschersitte nachgebildeten Cortege. Vor dem fürstlichen Wagen ritt ein in hellen Farben prächtig costümirter Leibgardist, mit wehendem Nationalbanner, vier andere mit blank gezogenem Säbel folgten. Endlose Hurrah begrüssten den Fürsten. In Gegenwart des diplomatischen Corps, der hohen Functionäre und vieler geladener Gäste, welche ein Kranz reizend frischer, festlich gekleideter Schulkinder umsäumte, celebrirte nun Hilarion, der greise Ex-Vladika und gegenwärtige Metropolit von Köstendil, unter Assistenz eines glänzenden Clerus, das Te-Deum mit dem weihevollen Ceremoniell der orientalischen Kirche. Unmittelbar darauf nahm Fürst Alexander im Palais die Glückwünsche der diplomatischen Vertreter und ihrer Nationalen, seiner Minister, des Clerus aller Confessionen, der Armee, der obersten Landes- und Stadt-Behörden entgegen, wobei er für Viele ein verbindliches Wort hatte. Die überaus freundlichen Aeusserungen, welche mir bei diesem Anlasse zu Theil wurden, fanden ihr Echo in den erklärlichen Gefühlen, welche in den letzten Stunden mich tief bewegten. War es nicht trügerischer Schein, als ich in denselben, kurz zuvor noch von des Sultans Statthalter bewohnten Räumen einem leibhaftigen Fürsten von Bulgarien in der Mitte von Vertretern sämmtlicher europäischer Grossmächte hul-* digen sah? Ist es volle Wirklichkeit? frug ich mich wieder, als ich eine Stunde später, dicht an des Fürsten Seite, mit einem glänzenden Kreise von Militärs, Diplomaten, Ministern und ihren Frauen, auf demselben südlichen Stadtglacis einer vom Militärbischof Metropoliten Dimitrije celebrirten Feldmesse anwohnte, auf dem noch vor zwei Sommern türkische Redifs lagerten! Und wie sie mit fliegenden Fahnen, unter Musik, Hörner- und Trommelklang stramm vorbei defi-lirten diese jungen Soldaten der I. Druzina, ihrem Kriegsherrn begeistert ihr „zdravi zelaieme vase visoöestvo!" zurufend, als wollten sie sagen: Du und das Vaterland dürft auf uns zählen — da fühlte ich mein Auge feucht; ich hatte erlebt Bulgariens Befreiung, für welche ich seit langen Jahren meine bescheidenen Kräfte eingesetzt — sie war vollste Wahrheit geworden! Ich versuche nicht weiter hier meine Empfindungen zu schildern, während mancher begeisterter Toaste in der bescheidenen, durch Reisigschmuck und Kriegstrophäen zum Festsale improvisirten Barake, beim endlosen Jubel, welcher sie erfüllte, als der Fürst, während des vom Officiercorps zu seinen Ehren gegebenen Banquets, unter den Klängen der Nationalhymne: „Sumi Marica okrvavena!" — Rausche blutige Marica! — sich zum Chef der von Major Öelajeff commandirten I. Druzina mit kräftigen Worten proclainirte. Eine Revue der grossentheils kampfbewährten Truppen am Nachmittage, ein officielles Diner im Palais, ein Feuerwerk im Lager mit gleichzeitiger Illumination der Stadt und nächsten Berge, schlössen den schönen Festtag, in dessen Verlauf des „Car-Befreiers" oft und dankbar gedacht wurde. Die meiner Erinnerung nie entschwindende Feier voll interessanter Momente bildete den Abschluss der Feste, welche, seit Fürst Alexander den bulgarischen Boden betreten, einander rasch abgelöst. In ernsten Conversationen, mit welchen Fürst Alexander's Vertrauen mich beehrte, in anderen mit den leitenden Staatsmännern und Chefs der oppositionellen Elemente zeigte sich mir der klaffende Spalt, welcher die letzteren von des Fürsten Regierung trennte. Die kurz nach dem Namensfesttage erfolgte Ankunft des populären, zur Opposition sich hinneigenden Volksmannes Cankov gab das Signal zum offenen Ausbruch der Fehde, welche seit Ernennung des Ministeriums Burmov-Balabanov, zwischen diesem und seinen Organen einerseits und den radi-calen Elementen der Tirnovoer National-Versammlung mit ihrem grossen Anhange im Volke andrerseits fortglimmte. Präsident Cankov war von Varna nach Sofia gekommen, um als ernannter Vertreter am Sultanshofe seine Accreditive und Instructionen zu empfangen. Dies bot ihm Gelegenheit, während einiger Audienzen dem Regenten seine Ansichten über den Gang und Effect der bisherigen Regierungsakte freimüthig zu entwickeln. Leider gelang es Fürst Alexander gleich wenig wie einigen warmen Freunden seines Landes, eine Versöhnung der schroff sich gegenüberstehenden Partheien herbeizuführen. Nach viertägiger Anwesenheit, während welcher ich mit Cankov wiederholt bei Diners und gegenseitigen Besuchen verkehrte, reiste er mit seinem kleinen Beamtenstabe nach Constantinopel ab, ohne dass sich die bestehenden Differenzen mit seinem ehemaligen Reise-collegen Balabanov geglättet hätten. Dies bereitete dem jungen Fürsten die erste schwere Regierungssorge. Trotzdem erhofften die Minister mit merkwürdiger Zuversicht einen günstigen Ausfall der Wahlen für die bevorstehende National-Versammlung. Ich war jedoch richtiger über die im Lande herrschende Stimmung unterrichtet. Wenn es sich allein um verschiedene Auffassung über die für das Landeswohl zu ergreifenden Massnahmen gehandelt hätte, wäre ein Ausgleich der Gegensätze leichter möglich geworden. Leider standen die Verhältnisse aber weit schlimmer. Vergeblich zur Versöhnung mahnend, sah ich die wenigen regierungsfähigen Männer in bis zu persönlichem Hasse gesteigerter Stimmung sich feindselig gegenüberstehen und ahnte nichts Gutes. Offen lieh ich meinen Befürchtungen gegen den Fürsten, die Minister, einzelne Führer und auch gegen verschiedene Deputationen Ausdruck, welche Namens des Volkes und der Stadt mit Serenaden, Ansprachen u. s. w. mich zu ehren kamen. So viel Freude diese spontanen Sympathiebeweise mir auch bereiteten, gleich viel Betrübniss trugen in meinen Sofier Besuch die* Nachrichten hinein, welche von regierungsfeindlichen Meetings zu Svistov, Tirnovo, Ruscuk und in anderen Städten erzählten; denn sie Hessen mich die unerquicklichen Scenen voraussehen, welche bald darauf ihren düsteren Schatten auf die Berathungen der bulgarischen Landboten warfen, den Sturz des Ministeriums Burniov-Balabauov herbeiführten und mit Unrecht viele missgünstig oder schlecht unterrichtete Stimmen der europäischen Presse an der glücklichen Zukunft des jungen südslavischen Staatswesens zweifeln Hessen! Die „Narodna zabranije" tagte im „Clubhaus", das man während meiner Anwesenheit für seine hohe politische Bestimmung umwandelte. Fürst Dondukoff Hess den breiten niederen Holzbau zur geselligen Vereinigung für Officiere und Beamte aufführen und mit entsprechendem Comfort in russischer Weise ausstatten. Ausser Lese-, Spiel- und Speisezimmern enthielt das Gebäude einen grossen Con-cert- und Ballsaal, in dem gegenwärtig das bulgarische Parlament tagt. Nordöstlich breitet sich auf dem früher ganz verwahrlosten unebenen Terrain der durch Demolirung und Anschüttung von den Russen geschaffene Alexanderplatz mit gleichnamigem Garten aus, welch letzteren das gebildete Publicum mit Vorliebe aufsucht In einem bescheidenen Kiosk findet man Erfrischungen, und Freunde moderner Musik können sich von 8 —10^ Uhr Abends an der überraschend guten Aufführung Wagner'scher und anderer Compositionen durch die von Herrn Hochala trefflich geleitete fürstliche Hofcapelle erfreuen. Gegenüber dem Alexander-Parke, zu dessen rationeller Pflege der Fürst jüngst einen tüchtigen deutschen Gartenkünstler berief, liegt in der Carigradska ulica der zur Residenz umgebaute ehemalige Vali konak, den 1877 noch kranke türkische Soldaten füllten. Das „Palais" ist ein schlichter einstöckiger Bau, dessen einzige künstlerische Zier ein am Mittel - Risalit angebrachter Wappenschild bildet. Die anschliessenden Mauern mit breiten Portalen umfangen einen etwas unregelmässigen Raum, dessen Ost- und Nordseite einige Domestical-, Remisen- und Stallgebäude, ferner ein Bau für die Palastwache einnehmen. Am westlichen Aussprunge erhebt sich eine zierliche Kuppelmoschee mit demolirtem Minaret; sie soll in eine Privatcapelle für den Fürsten umgewandelt werden. Vom Hauptportal, wo zwei Soldaten neben dem hohen Flaggenstocke Wache halten, schreitet man durch den geräumigen Flur eine mit Waffen geschmückte Doppeltreppe hinan und wird von einem diensttuenden Adjutanten durch mehrere Säle zum Arbeits-Cabinct des Fürsten geleitet. Es ist gleich den Repräsentations-Räumen mit einfacher Eleganz ausgestattet und auch die Decoration des für die künftige Landesfürstin bestimmten Flügels gereicht der Wiener Industrie zur Ehre. Entzückend ist die Fernsicht vom Balcon des Mittelrisalits über den Ale- xanderpark weg gegen Süden, wenn in warmer Sommernacht heller Mondschein die neun Kuppeln der grossen Moschee erglänzen lässt, das milde Licht über der südlichen Viertel Häuser- und Gartengewirre sich breitet, das Zerstreute zu ruhigen Linien massirend, während des majestätischen Vitos unbestimmt duftige Zinnen das Bild schliessen; spielt gleichzeitig die Hofcapelle im lauschigen Parke bekannte heimathliche Weisen, dann mag wohl die Sehnsucht nach dem fernen deutschen Boden für Momente schwinden und auch das Weh, mit dem nach ewigem Weltgesetze die Geburt alles Neuen sich verbindet! Unferne dem Palais steht der Uhrthurm, dessen hohes Geschoss, wenn man es auf abscheulichen Leitern im Innern erklommen, die trefflichste Orientirung über Sofia und seine Umgebung gewährt, wobei die munteren' Bursche, welche in dem wackeligen Observatorium die Feuerwehr versehen, gerne Ciceronedienste leisten. Von hier überblickt man erst recht die grosse tabula rasa, welche durch die Demolirung der türkischen Stadtviertel geschaffen wurde. Ueberau starren uns Ruinen und kahle Flecken an, denn noch immer ist der künftige Bauplan für das neue Sofia nicht entschieden, an dem Architekten in Berlin und anderen Städten herumkünsteln, ohne die wirklichen Bedürfnisse und geringen Mittel des jungen Gemeinwesens zu berücksichtigen. Einstweilen werden einzelne Strassen -und Plätze nach Kräften regulirt und entstehen auch kleine Gebäudecomplexe mit europäischerem Anstrich. Für jeden Neubau muss beim Stadtrate der bezügliche Plan zur Prüfung und Bewilligung vorgelegt werden, ein eigenes Bauamt ist auch für bessere Pflasterung und Beleuchtung der Strassen thätig, bei deren Taufe besonders Namen solcher Männer gewählt wurden, welche sich an-erkennenswerthe Verdienste um das Land oder die Commune erwarben. Es giebt beispielsweise eine nach dem ersten russischen Gouverneur genannte Ala-binska ulica, einen Gurko- und Positano-Platz, letzterer nach jenem italienischen General-Consul benannt, der in schlimmster türkischer Zeit Sofia grosse Dienste leistete; auch jene des französischen Consuls Lege leben in einem Strassennamen fort. Die Hauptadern der Stadt, in welchen das Geschäftsleben am stärksten pulsirt, wurden Carigradska-, Voznesenska- uud Bulevarna ulica genannt. Die Ministerien, für welche Neubauten geplant sind, wurden vorläufig in einem grösseren Gebäude der Sv. Georgievska ulica vereinigt. Nahe befinden sich andere Aemter und auch einige Consulate. Hier und in den beim Alexander-Platze entstehenden Vierteln scheint sich das „high and scientific life" der jungen bulgarischen Residenz entwickeln zu wollen. Im Herbste siedelte dorthin auch die rasch sich vermehrende National-Bibliothek über, welche man anfänglich in einem bescheidenen Häuschen unterbrachte, das jüngst zur Erweiterung des Palais-Areals demolirt wurde. Wohl schwerlich Hessen es sich die Sofier Moslims träumen, dass die stolzeste ihrer Moscheen, die neunkuppelige Büjük dzami 1878 den gehassten Moskovs als Spital und Magazin, 1879 aber ihrer ehemaligen Rajah zur Aufstapelung der Wissensschätze des Occidents und slavischen Ostens dienen werde. Kismet! Den Grundstock der unter Prof. Kirkov's Direction täglich wachsenden Bibliothek bildete des russischen Gelehrten Palauzoffs Büchersammlung. Bis Jänner 1880 kamen ausserdem 1350 Bände aus Petersburg, ferner die Collection der Brailaer literarischen Gesellschaft und einige Widmungen von im Auslande lebenden bulgarischen Kaufleuten hinzu. Viele, theilweise kostbare Werke sandte beispielsweise Herr N. S. Kovacov in Wien, Bruder jenes strebsamen Janko S. Kovacov, welcher in seinem Vaterlande die erste grössere Buchdruckerei begründete. Nach dem letzten Kriege siedelte der junge Typo-graph mit einigen Handpressen nach Filipopel über und lieferte den Russen die nothwendigen Drucksorten. Heute besitzt er in Filipopel und Sofia trefflich eingerichtete Druckereienwelche befähigt sind, für Ostrumeliens und Bulgariens Regierungen, sowie für ihre Schulen, verschiedenartigste Arbeiten auszuführen. Es berührte mich ganz eigenthümlich, als ich Herrn Kovacov's Institut in der ehemaligen Kafene basi-Moschee betrat, wo der näselnde Gesang zu Ehren Allah's und Mohammed's durch das Geräusch von Wiener Schnellpressen und Glättcylindern abgelöst wurde, wo statt Imam und Hodza nun böhmische Schriftsetzer mit bulgarischen Lehrlingen an der Herstellung einer fürstlichen Amtszeitung arbeiteten. Redacteur dieses „Drzaven Vestnik" ist der Ministerial-Beamte Peter Vlkov. Kovacov druckt auch das Oppositionsblatt „Celokupna Blgaria" (Vereinigtes Bulgarien) redigirt von dem als Schriftsteller ergrauten Peter Slavejkov, ferner „Nakovalna" (der Ambos) herausgegeben zur Hebung und Reinigung der bulgarischen Sprache von dem verdienstvollen Etymologen Dr. Bogorov, dann die vom Cleriker Ignatij Rilski redigirte religiöse Zeitschrift „Seljanin" (Landmann) und auch Abel Luksiö's „Bulgarische Correspondenz", deutsch und französisch, die durch interessante Aufsätze und Notizen sehr werthvoll für ausländische Journale ist. Das früher stark verbreitete offieiöse Blatt „Vitosa", unter Leitung des Ministeriums durch Öernev redigirt, wurde Anfangs gleichfalls in dieser Officin, nun aber in einer von Vidin übersiedelten kleinen Druckerei hergestellt. Sonst giebt es zu Sofia noch des Öechen Bogdan Prosek's Anstalt für Lithographie und Buchdruck, ferner Mincov's lithographisch-autographisches Institut, welches früher zu Svistov wirkte. Das rasche Wachsen von Pressen und Journalen zu Sofia, das unter türkischem Regiment, obschon dort ein General-Gouverneur residirte, sich ohne Guttenberg's Kunst behalf, kennzeichnet allein schon den merkwürdigen Umschwung, welchen die Etablirung einer nationalen Regierung auf die Culturverhältnisse des vernachlässigten Landes genommen. Auch das Schulwesen der aufblühenden jungen Hauptstadt empfängt täglich neue, zu höhcrem Aufschwünge führende Impulse, welche den Angehörigen aller Confessionen gleichmässig zu Gute kommen. Sofia's bulgarische Lehranstalten wurden in den letzten zwei Jahren sehr ansehnlich vermehrt und ebenso jene der anderen Culte. Erstere bestehen aus zwei dreiclassigen Elementarschulen mit 600 Knaben und 165 Mädchen, darunter an 100 Schüler aus Macedonien, aus welchem Lande einige der wirkenden 7 Lehrer und 3 Lehrerinnen kamen. Von dort wurden auch zur 1878 begonnenen Organisation des im August 1879 eröffneten Gymnasiums der amtirende Rector und 3 Professoren berufen. Von den 8 Gymnasialclassen activirte man vorläufig 4 mit 110 Schülern, darunter 45 macedonische und 17 ostrumelische junge Leute. Wie das Fürstenthum Serbien die Erziehung des heute noch serbisch-türkischen Grenzlandes sehen wir das kaum erstandene Bulgarien jene der macedonischen Stammesbrüder übernehmen. Sein Unterrichts-Ministerium lässt sich namentlich auch die früher ganz vernachlässigte Bildung des weiblichen Nachwuchses angelegen sein. Dem Mädchen-Gymnasium wurde im October 1879 ein mit 8000 Frcs. subventionirtes staatliches Pensionat angefügt, dem man weitere 20,000 Frcs. für Stipendien zur Verfügung stellte. Die grosse spanisch - israelitische Gemeinde, welche 1878 eine Knabenschule mit 6 Classen, 460 Schülern und 10 Lehrern besass, eröffnete am 16. November 1879 mit anerkennenswerther Unterstützung der Pariser Alliancc Israelite feierlich eine neue Schule mit acht Hörsälen u. s. w. durch Herrn M. F. Pesaro im Namen des Comite und Herrn Director Benchimol, in Gegenwart des Flügel-Adjutanten Baron Corvin, als Vertreter des Fürsten, des greisen Exarchen Antim, des Erzbischof's Melentin, des Gross-Imams und Gross-Rabbiners, des Justiz-Ministers, der Consuln und vieler geladener Gäste, unter Gesang und Ansprachen. Das Institut verspricht eine Bildungsanstalt im modernen Geiste zu werden. Auch die nahezu 500 Seelen zählende österreichisch-ungarische Colonie, grossentheils Katholiken, besitzt nun eine vom Missionspater Timotheus geleitete kleine Schule in dem mit der katholischen Kirche verbundenen Seelsorggebäude, dessen Grund bereits vor sechs Jaren der zu Filipopel residirende Monsignore Reynaudi, Bischof von Egaea i. p., Vicarius apostolicus von Sofia und Filipopel, unter dem Namen der Gattin des österreichischen Vice-Consuls Lutteroti ankaufte. In der 1878 vollendeten Kirche wurde am 18. August das Geburtsfest des Kaisers von Oesterreich in solenner Weise mit Chorgesang und Orgelspiel gefeiert. Der Kirchen-und Schulfonds erhielt ansehnliche Schenkungen, beispielsweise ein Legat von 2000 Francs von dem im Juli gestorbenen Bierbrauer Spitzi aus Prassberg in Steiermark, der sich zu Sofia in zwei Jahren ein ansehnliches Vermögen erwarb. Von den zahlreichen moslimschen Schulen existirt heute nur ein Mekteb mit 45 Knaben und 1 Lehrer. Die Oberleitung dieser sämmtlichen Bildungs-Anstalten führt ein vom Unterrichts-Ministerium ernannter General-Inspector, und dass sie im occidentalcn Geiste furtsckreiten werden, dafür bürgt der nach Sofia als Staats-Secretär berufene Prof. Constantin Jireeek, ferner "im Auslande sieb bildende Lehrkräfte, welche bald in ihr Vaterland zurückkehren werden. Privatunterricht in verschiedensten Fächern, in Musik, Sprachen u. s. w. ertheilen schon gegenwärtig zu Sofia viele Lehrer und Damen, welche sich seit einigen Monaten dort ansiedelten; namentlich rühmt man das Mädchen-Institut des Fräulein Lina von Sardi, welches bereits schöne Erfolge erzielt. Wie nahezu sämmtliche Einrichtungen der jungen bulgarischen Armee, dankt das Fürstenthum dem General-Gouverneur Dondukoff-KorsakofT auch die in Sofia begründete Militär-Akademie, welche 1879 gegen 350 interne und externe Eleven zählte. Das Institut befindet sich an der Samakover Strasse, nahe dem Palais, in einem, während Plevna's Belagerung, türkischerscits mit 6 Parterre-Gebäuden solid construirten Militär-Hospital. Unabhängig von dieser Akademie errichtete der Fürst eine Militär-Unterärzteschule, welche im August 1879 die ersten fertigen Eleven den Druzina's (Bataillonen) zusandte. Das am Ostende der Stadt gelegene staatliche Getreide-Magazin liess das General-Gouvernenieut in ein Militär-Hospital, die unferne türkische Cavallerie-Caserne für die bulgarische Artillerie und die Kara dzami (schwarze Moschee) für einige Zeit zu einem Strafhause umgestalten. Hingegen scheint General Todleben's Plan, aus Sofia eine Festung ersten Ranges zu machen, mindestens vorläufig zu ruhen; obschon im März 1879 der russische Divisionär Kolaceff mit Stab, zum Zwecke der bezüglichen Vorstudien, in Sofia eintraf, wohin bereits früher General Ehrenfeld mit 60 Generalstäblern und 120 Mappearen der Petersburger topographischen Abtheilung gekommen war, um die nun schon weit fortgeschrittene kartographische Aufnahme des Fürstenthums in Angriff zu nehmen. Zur Leitung des staatlichen Ingenieur-Departements im Ministerium des Innern wurde der tüchtige russische Capitän Kopitkin berufen, welcher seine Obsorge zunächst dem vernachlässigten Strassenbauwcsen zuwandte und für die 5 Landes-Districte ebenso viele Chef-Ingenieure mit den nothwendigen Hilfsorganen bestellte. Herr Kopitkin war während meines Besuches so freundlich, den von mir empfohlenen tüchtigen Ingenieur Ciric anzustellen und auf meinen Rath sofort mit dem Auftrage nach Etropol zu senden, um die über dieses Städtchen nach Ruscuk führende Balkanstrasse zu studiren und die zu ihrer Rcconstruction nothwendigen Arbeiten in Vorschlag zu bringen. So löste ich im J. 1879 mein den Etropoljcrn im Sommer 1871 gegebenes Versprechen (S. 191). Die ins Ausland gedrungenen verheissungsvollcn Nachrichten über Eisenbahn-, Strassen- und Privatbauten, welche in Bulgarien rasch ausgeführt werden sollten, brachten eine Menge von Baukünstlcrn und Capitalisten mit verschiedenartigsten Projecten nach Sofia. Unter den Eisenbahn-Unternehmern befanden sich die Herren Utin und Czerny, als Vertreter der russischen Firma Poljakoff, der Gene-ral-Director Stempf für ein Wiener Consortium, Freiherr von Schwarz mit Ingenieur Musika, Bauunternehmer Altmann mit Ingenieur Bürger aus Wien,. Mr. George A. Barkley aus London. Sie alle reisten mit Ausnahme des PoljakorT-schen Vertreters Czerny, welcher im September eine Vorconcession erhielt, wieder ab, ohne dass die so wichtige Eisenbahnfrage bis heute definitiv entschieden worden wäre. Zur Ausführung von Privatbauten u. s. w. siedelten sich dauernd in Sofia an: Gariboldj's General-Agentur „Bulgaria" für Bautechnik, Bergbau und Grundbesitz, der Architekt Johann Handeck, Baumeister August Schlicke, der Bauunternehmer Radosavljevic, die Bautechniker des fürstlichen Palais Ciastiakov et Cie., der Kalkbrennerei-Besitzer Jackisch u. A. Die rationelleren und kostspieligeren Bauten, welche durch diese ausländischen Meister hergestellt wurden, führten zur Gründung des Turn- und Lösch-Vereins „Balkanski sokol" (Balkanfalke) mit dem Motto „Bratska ljubav» (Brüderliche Liebe) nach österreichischem Muster. Sein Präsident Buchdrucker Proäek und die Comiteglieder Georgiev, Ivanov, Trudenko und Malcher suchen die bulgarische Jugend für ihren schönen Zweck zu gewinnen, der um so grössere Förderung von Seiten des Stadtrathes verdient, als gegenwärtig noch in Mitte des Handelsviertels z. B. im grossen Hofe des „Hotel Petersburg« Destillerien von Spirituosen existiren, welche eine permanente Gefahr für ihre Umgebung bilden, die nicht allezeit, wie im September 1879, glücklich ablaufen dürfte. Die Leichtigkeit, mit welcher die ausserordentlich gut bezahlten russischen Officiere und Beamten ihre Imperiale verausgabten, verteuerte das Leben m dem trüber so wohlfeilen Sofia in unglaublicher Weise. Auch nach mrem Abzüge sind die Preise der notwendigsten Lebensmittel nur wemg gesunken und schwer- i Pnlicoi°-ebot sie merklich beeinflussen lieh dürfte ein im September erlassenes loliceiöeDoi »i « en cu »Ä ^.vnptpt vor 12 Uhr Mittags Lebensmittel welches den Landleuten unter Strafe vei bietet, voi ^ & an Zwischenhändler abzugeben. Dabei entsprechen die Waaren nur selten den hohen Forderungen der Verkäufer. Der Fürst that mit anerkennenswerther Initiative den ersten Schritt zur Verbesserung der FleischproduCtion, indem er die Etablirung des rationellen Viehhändlers Jakob Glaser aus Hermannstadt begünstigte. Dieser etablirte im August einen Fleischverkauf in der Carsi, welcher die Küchen des Hofes, der Minister, Consuln u. s. w. mit einem früher stark entbehrten, nun trefflichen Material versorgt. Der Fürst ging noch weiter, Hess durch Glaser im October mit grossen Kosten 15 Stück Rindvieh edelster Racen in Ungarn ankaufen, ferner alle zur Gründung einer rationellen Milchwirthschaft nothwendigen Apparate, und schuf so die erste Muster-Meierei zu Sofia, welche hoffentlich erspriessliche Nachahmung hervorrufen wird. Auch für die Hebung der bulgarischen Gartenwirthschaft interessirt sich Fürst Alexander. Der von ihm berufene Zier- und Geniüsegärtner Carl Betz aus Ober-Hessen übernahm die oberste Sorge für die Hof- und städtischen Gartenanlagen und soll durch das praktische Beispiel Bulgariens primitive Obst-, Blumen- und Gemüsezucht rationeller gestalten. Fürst Alexander und seine Regierung begünstigen im wohlverstandenen Interesse des Landes die Heranziehung tüchtiger ausländischer Kräfte auf solchen Gebieten, welche von den Türken vernachlässigt blieben. Während es beispielsweise vor wenigen Jahren zu Sofia kaum einen vertrauenswerthen Arzt gab, Hessen sich dort neuestens nieder: der fürstliche Leibarzt Dr. Krauss aus Hessen, der Stadtphysicus Dr. Sismanov aus Wien, der Kreisarzt Dr.Golubov, Dr. Nadherny, Dr. Bottalico, Dr. Roy aus Genf, Zahnarzt Hirschler aus Paris u. A., deren Ordinationen 4 gut ausgestattete Apotheken effectuiren. Das neue Justizverfahren zog auch einige tüchtige Advocaten herbei. Der grössten Clientele erfreuen sich die Herren Tismanov und Viskovski. Ein Informationsbureau begründete Herr Po-meranz; für Export und Import etablirten sich die Firmen Raiö et Simiö, Ph. et J. Simon Sieglitz, Max Ziegler u. A., durch deren Vermittlung ausländische Artikel von der amerikanischen Nähmaschine bis zum eleganten Wiener Phaethon bezogen werden. Oesterreichische Biere und feine Weine importirt die Firma Carl Mann, eine elegante „Confiserie Radak" etablirte sich gegenüber der Kathedrale, Tomov et Komanov sind Friseure im Pariser Style, der von Belgrad übersiedelte Bulgare Kara Stojanov und auch Hitrov liefern photographische Landschaftsbilder und Portraits von überraschender Schönheit, Josef Horn empfiehlt sich für Mobiliar und Zimmer-Decoration; überhaupt nimmt das Agenturwesen für ausländische Geschäfte einen stetigen Aufschwung. Für den Importhandel im grossen Maassstabe waren schon zu Sofia seit einer Reihe von Jahren thätig die bulgarischen Firmen: Bratie H. Jankov, Lager aller dort absetzbaren Artikel mit Ausnahme von Woll- und Baumwollstoffen; für letztere und erstere aus Wien und Constantinopel bezogen: Taki Georgev, George Pancev, Nikola Georgiev und Bratie Vati. Unter den spaniolischen Kaufleuten gelten für Grosshandel und Bankgeschäfte als erste Firmen: Brüder Salomon A. Tager, Pinkas A. Tager, welche das ungarische Staatsbürgerrecht erwarben, Rachamin Farchi, Besitzer grosser Liegenschaften, Abraham B. David mit österreichischen Artikeln aller Gattungen, Samuel Gerson, Isak Mardochai, Nissim > Farchi in Colonial-, Manufactur-, Leder-, Glas- und Metall-Waaren, Brüder Pesaro mit Wiener Möbeln und italienischen Comestibles. Manche europäische' Luxus-Artikel, beispielsweise Cigarrcn, fehlen aber noch heute auf dem Sofier Platze und Hessen sich mit Gewinn dort einführen. Der täglich steigende Fremdenzufluss verlangt auch die baldigste Reform des gänzlich vernachlässigten Badewesens. Das grosse türkische Hamam, neben der 240 IN PURST AIjKXANDEK's RE8TDHHZ. Janabasi-Moschee, ist furchtbar unreinlich und sein bulgarischer Pächter Stojan scheut selbst die geringsten Ausgaben für nothwendige Reparaturen des sehr schadhaften Gebäudes und seines Inventars. Die immer häufigeren Besuche fremder Diplomaten, Gelehrter, Journalisten, dienstsuchender Officiere und Beamter, von Kaufleuten, Projectanten, Agenten u. s. w. begünstigten namentlich die rasche Vermehrung der ungemein schnell fahrenden, am Konjski pazar placirten Mieth-wagen zu 1 Franc die halbe Stunde, ferner der bereits während des russischen Provisoriums zahlreich etablirten Hotels. Mein „Kara Dimitri han", sowie andere primitive Hane verwandelten sich durch Zu- und Umbauten rasch in Gasthöfe mit tönenden Namen, in welchen speculative Franzosen, Griechen, Deutsche, Italiener u. A. ihre Zimmer mit bescheidenstem Comfort und „cuisine recherchöe" sich fabelhaft theuer bezahlen Hessen. Zuletzt ermässigten sich die Preise und nicht allzu hoch gespannte Ansprüche finden ihre Befriedigung in den Hotels d'Italic, de Petcrsbourg, de Bulgarie etc. Dort, im Restaurant Parisien oder Isker de-jeunirt man zu 2"/2—3, Diners 4 Francs. Billigere Gasthöfe und Restaurationen führen die Namen: Hotel Odessa, Sipka, Stadt Prag, Sofia, Würtem-berger Hof, Stadt Constantinopel, Bulgarische Krone, Goldener Löwe, Cafe de TUYiivers u. s. w. Einige Restaurants suchten ihre Anziehungskraft durch Umwandlung in „Cafes chantants" zu vermehren. Im September erntete eine höchst mittelmässigc Sängerin unbestimmter Herkunft mit ihren Gefährten solch frenetischen Beifall, dass ich für den Bestand des luftig gebauten Hotels fürchtend, ein ruhigeres Privatlogement aufsuchte. Der Sinn für gebildetere Unterhaltung bürgert sich aber auch zu Sofia allmälig ein. Eine theatralische Dilettanten-Gesellschaft „Planinsko eviete" (Alpenblume) begann im December, bei ziemlich hohen Preisen (I. Platz 8, II. Platz 4 Francs) im Saale des „Hotel Bulgarie" ihre Vorstellungen mit der Aufführung von Schiller's „Räuber", die nach einem Referate „ein kühnes Wagniss, doch leidlich gut ausfiel". Auch das occidentale Tanzvergnügen hielt bereits mit einem von Baron d'Hoguerc patronisirten Festballe, zu Gunsten eines bulgarischen und israelitischen Schulfonds, am 25. Dec. seinen Einzug in Sofia; andere in den höheren Gesellschaftskreisen sollen ihm während des Carnevals 1880 folgen. Grossen Einfluss auf die raschere Entfaltung des socialen Lebens der jungen bulgarischen Capitale nehmen die seit einigen Monaten dort etablirten zahlreichen Gesandtschaften. Nahezu sämmtliche bedeutende europäische Staaten sind am fürstlichen Hofe vertreten. Ende 1879 fungirten für Russland, abgesehen von dem Fürst Alexander persönlich attachirten kais. Flügel-Adjutanten Alexander Cepeloff, der diplomatische Agent und General-Consul Alexander Davydoff. In gleicher Eigenschaft vertraten Graf Khevenhüller Oesterreich-Ungarn, Herr von Thielau Deutschland, Sir Beigrave England, Cavaliere Domenico Brunenghi Italien, Mr. Sckefer Frankreich, Mr. Canaille Janssens Belgien, Mr. de Stourdza Rumänien, Oberst Sava Gruic Serbien u. s. w. Dem österr. ung. General-Consulate ist ein vom Vice-Consul Lutteroti geleitetes Postamt attachirt, welches Briefe, Zeitungen und Packete über Orsova und Constantinopel befördert. Früher bestand auch eine österreichische Linie via Nis nach Belgrad, welche seit dem Ausbruche des serbisch-türkischen Krieges aufgelassen wurde. Bei der Annäherung der Russen flüchteten die im Consulats-dienste stehenden moslimschen Post-Tataren und Sofia's postalischer Verkehr blieb drei Monate lang, bis zur Einrichtung des provisorischen russischen, unterbrochen. Noch heute wird die österreichisch-ungarische Postlinie über Constantinopel vom Handel mit Vorliebe benützt, obschon gegenwärtig ein fürstlich bulgarisches Postamt zweimal wöchentlich regelmässige Verbindungen über Orhanieh, Plevna, Tirnovo, Ruscuk, Varna und via Rumänien nach dem europäischen Norden und Westen, ferner über Berkovica nach Lom und Vidin, über Trn nach Breznik, über Radomir, Köstendil, Dubnica, Rilo manastir nach Samakov, Uber Caribrod, Pirot und Nis nach Belgrad unterhält. Die Adressen der ins Ausland bestimmten Briefe müssen mit lateinischen Lettern geschrieben sein; Francatur-nmrken für den einfachen Brief 25, für eine Zeitungsnummer 5 Centimes. Briefe und Paquete werden mit der auch Passagiere befördernden Fahrpost versendet, deren Einrichtung von Herrn F. Scherner, Kaufmann 1. Gilde aus Granica in Russisch-Polen, noch unter russischem Regime etablirt wurde. Seine Beamten sind sehr liebenswürdig, die Wagen der Unternehmung aber durchschnittlich federlose, auf jeder Station gewechselte offene Vehikel, auf welchen der Passagier seinen Sitz aus Heu und Gepäckstücken, so gut er kann, construiren mag. Von Sofia bis Lom, für eine in 18 Stunden zurückgelegte Strecke, bezahlt der Reisende 54 Francs, will er einen Phaeton benutzen, werden 4 Pferde zum doppelten Preise berechnet. Zur Reform des bulgarischen Postwesens berief man französische Beamte. Selbst nach seiner Reorganisation wird sich aber namentlich im Winter, wenn der Verkehr über den Balkan nur schwer aufrecht zu erhalten ist, die Notwendigkeit der endlichen Schienenverbinduug Sofia's mit dem Occident immer dringender herausstellen. Vermittelt auch der Telegraph den dürftigsten Gedankenaustausch, so kann man, abgesehen von dem sehr hohen Tarife, (man bezahlt für 20 Worte im Innern 2, nach Oesterreich 7, Italien 10, Frankreich, England 11 Va Francs), doch unmöglich Gelder, Packete und Waaren mittelst Drahtpost versenden. Die von den Türken hart vor Sofia's Enceiute begonnene, jetzt verfallene Bahntrace sollte daher eine beständige Mahnung für die bulgarischen Staatsmänner sein, diese wichtige Frage endlich definitiv und rasch zu entscheiden. Dann wird der seit dem Kriege nahezu ganz stockende Export von Kunitz, Doniui-Bul^iiriun und der Bülkau. II. 16 Getreide, Wolle, Fettwaaren, halbverarbeitetem Leder u. s. w. wieder zu blühender Aufnahme gelangen, und auch die reichen Kohlenflötze in Sofia's nächster Umgebung dürften sich ganz anders als heute verwerthen, wenn Vicinallinien sie mit dem grossen Centraistrange verbinden werden. Die Ausbeutung der nur 3 Stunden von Sofia entfernten, vollkommen schwefelfreien Lignitlager von Pernik und Kalkas im Struma-Defile, zwischen des Vitos Syenitstock und dem Melaphyrrücken des Lülün-Gebirges, wurde im September 1879 vom Finanz-Ministerium mit solcher Energie begonnen, dass innerhalb weniger Tage bereits ein bedeutendes Quantum zur Heizung von Zimmern, Küchen u. s. w. vollkommen geeigneter Kohle in das zur Aufnahme von 500,000 Kilogramm eingerichtete Centraidepot der ehemaligen Kara dzami (schwarze Moschee) geschafft werden konnte. Der Preis stellt sich loco Depot mit 20 Francs pro Tonne = 1000 Kilogr. oder 1 Fr. pro 50 Kilogramm, welch billiger Preis dem zur Schonung der Wälder behördlich eingeschränkten Brennholzverkaufe wirksame Concurrenz bereitet. Ein im September 1879, in der Kalkaser Mine ausgebrochener Brand wurde durch die glücklichen Maassnahmen des Ingenieurs v. Zebrovsky, Leiter des fürstlichen Bergbau-Departements, rasch bewältigt. Die Verwerthung der ausserordentlich reichen Mineralschätze Bulgariens wird ihren localen Charakter ablegen, sobald sich ihr ausreichendere Capitalien zuwenden werden. Heute schlummern im Lande noch zahlreiche Sparpfennige unbenutzt in Tausenden von Verstecken, denn das unter dem türkischen Regime gross gezogene Misstrauen wurzelt im bulgarischen Bauer zu tief, als dass er seine mühsam erworbenen Goldstücke irgend einem Geldinstitute anvertrauen möchte, und wäre es selbst so solid fundirt, wie die von Fürst Dondukoff im Februar 1879 zu Sofia begründete „Bulgarische National-Bank". Mit einem Regierungsfonds von 2 Millionen Francs, wovon 200,000 als Reserve, soll diese Bank, welcher auch die disponiblen Staats-Einnahmen zur Verfügung gestellt werden, alle Geschäfte ähnlicher europäischer Banken betreiben und namentlich für die Belebung von Handel und Industrie im Fürstenthum wirksam sein. Der vom Finanz-Ministerium abhängige und zu ernennende Bank-Director ist gegenwärtig Herr Zelesko. Wie der Leser aus meiner Schilderung des neuen Sofia ersieht, macht die junge Residenz, welche am 4. Jänner ihre zweijährige Befreiung vom stagniren-den Türkenregiment feierte, bereits auf vielen Gebieten des socialen, culturellen und materiellen Lebens schöne Fortschritte, die trotz mancher Schwierigkeiten noch weit grössere in naher Zukunft erhoffen lassen. So schied ich nach zehn interessanten Tagen von dem verheissungsvoll aufstrebenden Gemeinwesen mit dem angenehmen Gefühle, dass meine 1876 geäusserte Voraussage: „Sofia war nicht, sondern wird erst sein", keine irrige war. An der Sandüklü- Brücke warf ich einen letzten Blick auf die jüngste europäische Hauptstadt. Nur wenige der einst stolzen Minarete ragen mehr über ihr von Ost nach West sich dehnendes Weichbild empor. Ihre grösste neunkuppelige Moschee nahm die bulgarische National-Bibliothek auf; der vor zwei Sommern noch herrschenden, zwei und dreissig Esnaf (Zünfte) zählenden Türkenschaft blieb nur eine Dzami, und selbst diese ist noch zu gross für die 300 Moslims, welche tief gebeugt, fern von ihren nach Macedonien gesendeten Frauen, heute zu Sofia vegetiren. Ja, das Kismet schreitet schnell über Individuen und Völker weg! Im türkischen Cafe der Sarafska ulica sitzt jeden Mittag der 126jährige Hadzi Mehemed. Seit 60 Jahren fristete er von moslimscher, heute von christlicher Wohlthätigkeit sein Dasein zu Sofia; — besser als wir weiss er, oft mit thränen-erstickter Stimme, von den einst glänzenderen Tagen der dortigen Kinder des Propheten zu erzählen! VIII. UEBER DEN GINCI-BALKAN-PASS DURCH DAS ISKER-DEFILE NACH VRACA. (VIII. IX. X. Balkan-Passage.) Aufbruch nach Berkovica. — Türkisch-bulgarische Staffage. — Strasse und Gegend. — Kostimbrod han. — Schweigger's „Sophianer Heyden". — Römerstrasse von Pirot nach Sofia. — Gradec. — Das Iskrecthal. — Bulgarische Colonisten aus Rumelicn 1879. — Auf dem Pecenobrdo. — Ginski han. — Schanzen auf dem Passübergang. — Neue Werke vom J. 1877. — Kussische Poststrasse. — Wahrheit über den Steilabsturz des Balkans. — Geologisches und Archäologisches im Brzia-Defile'. — Kavaul-Arnauten und Tscherkessen. — Hitov's und Totju's Banden. — Insurrections-Versuch der Botjev'schen Schaar 1876. — Zerstörung der Karaule. — Friedliche Physiognomie des Passes 1879. — Klisura. — Berkovica. — Nach Selam Ciftlik. — Felsencircus. — Kloster. — Entdeckungen im Botunia-Quellgebiet. — Kotlaberg. — An der Vracanska nach Vraca. — Im Kristo Sava han. — Herr Lemonides. — Der Hauptplatz. — Bazar, Industrie, Silberschmicde, Töpfer u. s. w. — Türkisches Bcamtenthum. — Ethnographisches. — Vraca's Kula und die Krdzalicnstürme 1799. — Tscherkessen-Unthaten in den letzten Jahren. — Befreiung der Stadt durch die Russen 9. November 1877. — Ausflug in das Izgorigrad-Defile. — Sein versteinerter Car und andere Merkwürdigkeiten. — Nach dem Isker-Durchbruch. — Römerreste zu Mezra. — Brückenproject. — Das seltsame Römer-schloss zu Lutibrod. - Archäologisches. — Schatzgräber. — Gefährliche Passage auf den Isker-Steilmauern. — Burgen. — Cerepiskloster. — Wasserfall und Tabakbau zu Slidol. — Geologisches bei Ignatica. — Seronino im J. 1829. — Gabronica- Bachgebiet. — Lakatnik. — Intelligenz der Balkandzi. — Auf dem Javorec. — Weite Fernsicht. — Unwetter. — Einfluss der Tscherkessen- \2olonisation auf die Abnahme der Rindviehzucht. — Ueberfahrt auf das linke Iskerufer. — Osikovsko gradiste. — Sage. — Iskerlauf. — Ueber den Vraca-Balkan. — Durch das Leva-Defile nach Vraca. — Consul Lejean's Wunsch erfüllt. — Rückblick auf die erreichten Resultate im Iskergebiete. — Seine künftige Eisenbahnlinie. Ruhe und vortreffliches Futter hatten meine Pferde während der Sofier Rasttage so gekräftigt, dass ich unbesorgt mit ihnen den weiten Marsch nach Berkovica antreteu und die zu Orhanieh gemietheten Aushilfspferde sammt ihren Kiradzi zurücksenden konnte. Nachdem ich so mein Budget bedeutend entlastet, verabschiedete ich mich am 13. Augustmorgen 1871 am Kursumli kapu von Herrn Consul Luttcroti, den seine Postabfertigung für Constantinopel zur Stadt rief, mit herzlichstem Danke für die werkthätige Gastfreundschaft, welche mir von seiner Seite zu Theil geworden. Mit meiner kleinen Caravane marschirtc eine von Ochsen gezogene, bedächtig hinschleichende Araba zum Thore hinaus, welche den dicht verschleierten Harem eines türkischen Grossen nach Nis führte. Es war eine den Europäer fremdartig berührende Staffage, welche mit der Vollendung des langgeplanten Eisenweges verschwinden dürfte. Der neben dem Wagen reitende schwarze Euuuche drängte sich abwehrend zwischen ihn und eine Cavalcade heransprengender bulgarischer junger Leute auf feurigen, mit bunten Bändern geputzten Pferdchen. Am Tage vorher hatten sie einem jungen Hochzeitspaare mehrere Stunden weit das Ehrengeleite gegeben und nun kehrten sie in heiterer Stimmung zur Stadt zurück. Es war eine Gruppe voll Lebenslust, welche mit dem trostlosen türkischen Vehikel grell contrastirte. Die kurz zuvor vollendete Strasse erwies sich vorzüglich und beinahe ganz eben; denn der diluviale Lehm wird hier nur leicht durch flache, muldenartige Einschnitte undulirt, in welchen die Wasser des Lülün- und Visker-Gebirges dem Isker zufliessen. Bis zum Balkanrande berührt die Strasse das einzige Dorf Vrbnica, obschon viele Orte an derselben liegen. Ihre ängstliche Vermeidung scheint überhaupt Princip türkischer Ingenieurkunst zu sein; so boten nur einige zur Seite auftauchende Tumuli geringe Abwechslung. V* St- westlich von Kostim-brod überschritten wir auf solider Brücke die bei Salnici entspringende Blato rjeka, nach den Sümpfen so genannt, welche sie bei Petrifc bildet. Im 549 M. hoch liegenden Kostimbrod han machte ich Mittagshalt nahe der Brücke und Hess mir im Schatten einer Baumgruppe den vom Consul Luttcroti gespendeten Imbiss trefflich schmecken. Gegen 3 Uhr mässigte sich die Temperatur auf 25° C, bald wurde es noch kühler, denn unmittelbar hinter dem Han beginnt der Anstieg über die Vorberge des Balkans. Die Wegrichtung wechselte N. mit N. 20° W. Nach »/a St. blickten wir in die pittoreske, karstartige Kalkschlucht von Gradec, dessen Name auf eine alte Befestigung hinweist, und Va St. später gelangten wir zum 734 M. hohen Carski han, ein ausgezeichneter Orientirungspunkt über das Becken von Sofia, dessen mächtige Ausdehnung schon Schweigger im J. 1577 derartig imponirte, dass er „die Sophianer Heyden, welche nicht kunnt schöner gemahlt werden", über das berühmte Augsburger Lechfeld stellte. Schweigger sah noch auf dieser grossen Caravanenstrasse das alte Pflaster der römischen via militaris, welche von Turres (Pirot) nach Serdica (Sofia) ging*). Zwischen beiden Mansionen gelangte man zuerst an die Mutatio Translitae beim Mündungspunkte des Sukavabaches in die Nisava und, nachdem *) Jirecek, Die Heerstr. v. Belgr. n. Const. S. 25, man letztere hinter Caribrod in ihrem sich verengenden Defile zweimal gekreuzt, Uber die zweite Mutatio Ballanstra, noch am selben Tage Meldia, am nächsten aber die Hauptstadt Serdica, von wo die Strasse weiter nach Heiice führte (S. 205). Ich schied von dem in bläuliche Töne gehüllten Sofia, seiner grell beleuchteten Ebene mit dem sie begränzenden Vitos, und setzte den Aufstieg gegen N. zum Carski han fort, wo industriöse Bulgaren dichten weissaderigen Kalk für die Hauptstadt brennen. Bald darauf ging es in Serpentinen eine von grauschwarzen thonigen Kalkmergeln constituirte Wasserscheide hinan, die uns am Kanislavci han vorüber in das Längenthal des „Iskrec" brachte. Welche Ueberraschung! Die nackten reizlosen Berge, über welche wir gewandert, umschlossen das denkbar prächtigste Landschaftsidyll, wie es kaum in Tirol hübscher zu finden. Wunderbar frische Gehölze und Triften wechselten mit fruchtbaren Culturen, es schien, als wäre alle Vegetation von den Höhen hinab zum Thale gewandert, und mitten durch rieselten aus NW., W. und SW. abströmende Wasserfäden nach der Tiefe, hier und da geräuschvoll eine kleine Mühle treibend, überall netzend, befruchtend, belebend. Als ich im September 1879 auf meiner Fahrt nach Sofia durch diese Gegend kam, stiess ich auf bulgarische Einwanderer aus Kumelien, welche im Begriffe standen, sich hier mit Unterstützung der Regierung ein neues Heim zu gründen. Ausser dem wenig erforschten Isker-Quellgcbiet hatte ich die Lage von 12 unbekannt gebliebenen Dörfern zu fixiren und die einzigen Orte Glinzi und Petschenabrdo auf Kiepert's Karte (1871), weil fictiv, zu streichen. Es giebt am Iskrec keine Dörfer dieses Namens, wohl aber jenseits der folgenden Wasserscheide ein „Ginci", dann eine „Pecenobrdo-Höhe" mit gleichnamigem elenden Han, in dem ich eine schlaflose Nacht verbrachte. Noch vollzog sich der Kampf zwischen Finsterniss und Morgengrauen, als ich zum nahen Blockhause hinanschritt, dessen kleine Besatzung ich am Vorabende im Han bewirthet hatte. Der alte Buljakbasa war bereits auf den Beinen und lud mich zu Kaffee und Tschibuk auf den höher liegenden Tschardak. Als vortrefflichem Kenner der Umgebung verdankte ich ihm manch werthvollen topographischen Wink und auch die erste Andeutung über ein grosses westliches Thalgebiet, von dem auf sämmtlichen Karten keine Spur zu entdecken war. Ich brachte es später zum ersten Male in Karte (Cap. IX.). Vom 855 M. hohen Pecenobrdo han läuft die neue Strasse in unzähligen Serpentinen an den östlichen Hängen des S. N. streichenden Zuges hin, welcher das Isker- und Nisavagebiet trennt. Meist begnügte sich ihr Erbauer mit der Correctur der alten steilen Trace, doch Hess er für Wagen noch immer halsbrecherische Curven genug. Auf karstartigen Kalk folgten lichte Quarzsandsteine röthlicher Färbung und graue kalkige Sandsteine, welche trotz dem stellenweise auftretenden Walde der Landschaft einen traurigen Charakter gaben. Fortwährend auf- und niedersteigend, kamen wir vorüber an dem verlassenen kleinen Ginci han, in l3/4 St. zum grossen neugebauten Garski han (1034 M.), bei dem ich unseren Pferden eine kurze Rast für die letzte Kletterparthie zum Passe gönnte. Nachdem wir nahezu 300 Meter auf im grauen kalkigen Sandstein eingegrabenen Zikzakwegcn erklommen hatten, standen wir in 3/* St. auf der letzten Pass-Vorhöhe. Ein hoher halbkreisförmiger Stuhlberg nahm uns gegen S. hier jede Aussicht; gegen 0. und W. sahen wir aber hinab in die tief unten liegenden fruchtbaren Einschnitte von Bratjevci und Ginci. Von der durch das letztere ziehenden Pirot-Berkovicaer Strasse werde ich im X. Cap. Speechen. Beide Thälcr boten einen angenehmen Contrast zur ringsum herrschenden Kahlheit, obgleich auch ihr Baumwuchs nur spärlich. Zu wirklichem Wald verdichtet sich dieser erst hart am Passe, wo die Senkung des weitgedehnten grasigen lloch-plateau's gegen N. beginnt. Den Uebergang deckten zwei kleine, die Strasse unter Kreuzfeuer nehmende Erdwerke, welche gleichzeitig mit den Schanzen von Sofia, während des russisch-türkischen Krieges 1829 angelegt wurden. 1877 verstärkte man sie durch andere trefflich situirtc Werke auf dominirenden Punkten und detachirtc gleichzeitig von Sofia gegen 2000 Nizams mit Artillerie, um den im westlichen Donau-Bulgarien sich ausbreitenden Russen und Rumänen den Uebergang zu sperren. Die Besatzung gerieth jedoch durch die Wegnahme des östlicheren Baba konak-Passes und die Fortschritte der Serben im Nisava-Gebiete in Gefahr von Sofia abgeschnitten zu werden und zog sich Anfang Jänner, ohne Kampf, auf letzteres zurück. Die von Berkovica anrückenden Russen zerstörten das auf der Passhöhe neu angelegte steinerne Blockhaus mit 4 vorspringenden Rundthürmen und schritten sofort zur Verbesserung der vernachlässigten Strasse, auf welcher nun ein regelmässiger Fahrpostdienst nach Lom etablirt wurde, Etwas südlich von den Mauern des Blockhauses fand ich 1879 eine gut eingerichtete Post-Station „Petro han" mit grossem Pferdestall und tüchtigen Postillonen, welche selbst bei Nacht die steilgeböschten Serpentinen nach N. und S. mit unglaublicher Sicherheit hinabfahren. Man rechnet von dieser Station nach der nächsten „Ginci han" 11, Beledieh han 19, und Sofia 24 Kilometer; nördlich nach Berkovica 17, Kutlovec 22, Cerovian 23, Lom 22';'a; für die Gesammtstrecke Sofia-Lom also: 138^2 Kilometer. Als Fürst Alexander von seiner Reise nach Bukarest und den Donaustädten Bulgariens am 18. October 1879 zurückkehrte, legte er die ganze Strecke in 10 Stunden zurück. Zu Pferde benöthigt man mindestens 5 volle Stunden, um vom Kostimbrod han den 1000 Meter betragenden Höhenunterschied zwischen der Sofier-Ebene und dem Berkovica-Balkan-Pass im allmäligen Anstiege zu überwinden, während man vom Passe gegen Norden, zum gleichfalls 1000 Meter tiefer liegenden Klisura, bequem in 2'/a St. hinab gelangt. Schon diese Thatsache beweist, wie total unrichtig die bis zuletzt wiederholte Annahme, welche dem West-Balkan, ähnlich wie dem Central-Balkan, einen durch Senkung entstandenen südlichen Stcilabsturz vindicirte. In Wahrheit kann aber von einem solchen, wie ich ihn zu Sipka, Kalofer, Karlovo, Rahmanli, Zlatica und Komarci constatirte, von letzterem Punkte bis zum Sv. Nikola-Balkan, also in der ganzen 17 Meilen langen Wcst-parthie der Balkankette, keine Rede sein. Ja, vom Kücük-Sofia-Balkan beginnend, liegt der steilere Hang der Kette bis zu ihren Ausläufern am Timok entschieden auf der Nordseite. Nur der Mangel annähernd richtiger kartographischer Darstellungen vom West-Balkan konnte einige Geologen und zuletzt Herrn Prof. Suess zur entgegengesetzten falschen Annahme führen. Während die „Kücük Sofia-Balkan" genannte südliche Vorregion des Balkans der paläozoischen und krystallinischen Zone angehört, herrscht die letztere bald nach der Ueberschreitung des Ginci-Passes ausschliesslich vor. Schon nach inständigem Abstiege folgte dem weissen und rothen Sandstein beim Doruk karanl schwarzglimmeriger Granit, welcher durch 2 St., bis über Klisura hinaus, andauert. Oft durchbrechen ihn mächtige Dioritgänge, rothglimmerige Porphyre; auch Gneis-, Thon- und Mergelschiefer überlagern seine riesigen Massen. Gleich jenseits des Passes tritt die Strasse in das Quellgebiet des Ogost, und zwar in das streng S. N. streichende Engdefile" der ihm mit rapidem Falle zufliessenden Brzia (Schncll-bach). Nahe der zweiten Orta-Karaula blickte ich nach SO. und SW. in die waldreichen, malerisch schönen Schluchten der Ribna- und Ostrocuka rjeka, welche mit ihren klaren tosenden Fluthen die kleine Brzia mächtig anschwellen. Am Ribna-Einflüsse liegen die Ruinen eines von alten russischen Routiers „Setan kaleh" (Teufelsschloss), von den Bulgaren aber „Marko kralskigrad" genannten Ca-stells; Lejean hielt es mit dem Castrum „Brizia" des Procopius für identisch. Weiter abwärts erscheint von verschiedenen Punkten, als fern auftauchender weisser Streif, die nahezu S.N. streichende Lomer Strasse, dann die als Abschluss der Gebirgszone zwischen Balkan und Donau aufsteigende „Pastrina planina" (Forellenberg), deren Kalkzinnen sich scharf vom blauen Firmamente abhoben, obschon 5 geographische Meilen in der Luftlinie uns von ihr trennten. Im Doruk karaul hielten wir Mittag, im Orta karaul kurze Rast. Des ersteren Besatzung bestand aus freundlichen Türken, jene des letzteren glich aber wegelagernden Vagabunden. Mein Zaptie, ein geborener Arnaute, klagte Angesichts dieser zerlumpten Tscherkessen über den Verfall des Gensdarmen-Instituts durch Aufnahme solchen Räubervolkes, was mich nicht wenig unterhielt; denn es klang, als wenn Hyänen über den Eintritt von Wölfen in ihr Raubrevier Beschwerde führten. Seit Midhat Pasa das Zaptiecorps einer strengeren Zucht unterwarf, fühlten sich die früher dasselbe mit Vorliebe aufsuchenden Albanesen in ihrem bereits mehrfach von mir charakterisirten Treiben gestört, man füllte also die entstandenen Lücken mit Redifs und Tscherkessen, nachdem der friedliebende Tatare wenig Sinn für ein Metier zeigte, das namentlich in letzter Zeit, wo die aufständische Rajah in erster Linie die Vernichtung der kleinen Zwingburgen betrieb, nicht ohne Gefahr war. Auch die Besatzungen der genannten Karaule hatten im J. 1867 volle Arbeit, als Panajot Hitov's und Fiiip Totju's Banden ihre Vereinigung beim nahen Klisura versuchten. Erst von Vraca und Berkovica ausgesandten Nizam-Colonnen gelang es die Insurgenten zu zerstreuen; trotzdem machten lange noch einzelne Trupps die Balkanwege unsicher und entlang der Strasse wurden neue Blockhäuser errichtet. Während des serbisch-türkischen Krieges, zwang am 26. Mai 1876 eine Schaar von 208 Jungbulgaren, welche als friedliche Passagiere einzeln den Donau-Dampfer „Radetzki" auf rumänischem Territorium bestiegen hatten, dessen Capitän sie in Kozludui, nahe bei Rahovo, zu landen. Es waren die Cadres für ein bulgarisches Hilfscorps, das sich im Balkan zwischen Berkovica und Vraca organisiren sollte. Letztere Stadt sandte als Führer 12 berittene junge Leute ihnen entgegen, auf dem Wege schlössen sich weitere 40 und nahe bei Vraca etwa 100 dem Häuflein an, bei dem sich etwa 70 zu Belgrad im J. 1867 für Officier-stellen ausgebildete Legionäre befanden. Kristo Botjev, der Commandant dieser Ceta, erreichte glücklich den Berkovica-Balkan, in dessen Schluchten er ihre Completirung beabsichtigte, um dann, mit dem im nahen serbischen Grenzlande sich formirenden bulgarischen Corps vereint, im Rücken der türkischen Niser Truppen zu operiren. Auch die bei Negotin im Dienste Serbiens bereits stehenden Voivoden Panajot Hitov, Filip Totju, Ilija Markov, Zeljo u. A., welche durch frühere kleine Aufstände sich berühmt gemacht, hofften mit Botjev sodann gemeinsam ganz West-Bulgarien zu insurgiren. Die kriegerischen Ereignisse am Timok gestatteten jedoch nicht, der nach Zaicar dirigirten, etwa 3000 Mann zählenden bulgarischen Legion, Botjev die Hand zu reichen und dieser hatte bald mit seinem Häuflein den Angriff einer sehr starken, von Berkovica gegen ihn gesandten Nizam-Colonne allein auszuhalten. Im Anfange glücklich, wendete sich das Waffenlos gegen ihn. Nach Verlust seiner besten Leute fiel er bei Klisura. Die Legion wurde zerstreut, und es zeigte sich hier neuerdings, dass der friedliebende Bulgare lange noch nicht genügend für die Selbstbefreiung erzogen war. Im J. 1879 fand ich im Berkovica-Balkan sämmtliche Karaule an der Strasse zerstört. Da gab es keine albanesischen oder tscherkessischen Wächter mehr, trotzdem herrschte aber unter dem noch jungen bulgarischem Regimente grössere Sicherheit, als jemals zuvor. Ich traute kaum meinen Augen — einzelne Frauen, kleine Trupps von Mädchen und Kindern trugen Milch, Obst u. s. w. ohne männliche Begleitung über den Balkan auf den Markt zur Hauptstadt! \ In Klisura pflogen die Uber den Balkan verkehrenden Handels-Caravancn gewöhnlich zu übernachten. Es giebt da eine förmliche Gasse von Hanen mit grossen Stallungen, die, als ich 1871 hier durchzog, „wegen schlechter Zeiten nicht arbeiteten"; nur die Mühlen des 130 Häuser zählenden Bulgarendorfes waren im flotten Gange. Hinter dem „Dervent" (Engpass) von den Türken genannten Orte erweitert sich das Defile, die Strasse biegt bei einem isolirten Han nach NW. ab und plötzlich standen wir in dem von vielen Wasseradern durchrieselten Kessel der Stadt Berkovica, deren Minaretc, leuchtenden Nadeln ähnlich, von den dunklen Steilwänden des Balkans die wirksamste Folie erhielten. Ein über Lom eingelangtes Briefpacket, dessen Beantwortung den ganzen 15. August beanspruchte, nöthigte mich, die nähere Besichtigung der Stadt bis zu meinem projectirten zweiten Besuche aufzusparen (Cap. IX). Die Sonne warf ihre ersten Strahlen ins Brziathal, als der vom freundlichen Kaimakam gesandte Zaptie mit militärischer Pünktlichkeit im Hanhofe erschien; meine Leute waren aber nicht weniger brav gewesen und schon um 41/* Uhr trabten wir durch Berkovica's ÖarSi dem östlichen Thalrande zu. Die Richtung ging auf Vraca, durch die 20 bulgarischen Höfe Selam Öiftlik's, in dessen südlicher Gebirgsschlucht das Kloster „Sv. Kiril und Metodije" versteckt liegt. Nachdem die Brzia - Wasserscheide überschritten war, traten wir bei Zlatina in einen riesigen Felscircus, dessen mächtig aufstrebende nackte Kuppen und Spitzen ich vor Wochen zuerst vom Hochplatean bei Kamenica erblickt hatte (S. 178). Nun stand ich hart vor den coulissenartigen Steilwänden und tief verästelten Schluchten mit stark zerrissenem Vorland, auf dem Kiesclschiefer den Granit überlagert. Allerorts durchziehen es zahllose Wasseradern und seine saftige Grasnarbe nährt zahlreiche schöne Herden; nur Baumwuchs erschien spärlich. Nach einiger Umfrage wurde es mir klar, dass ich hier wieder ein Gebiet betrat, von dem unsere Karten absolut nichts wussten. Es war die Quellregion der Botunia, welche Lejean zuerst signalisirt, aber nicht aufgenommen hatte. Die Eintragung ihrer Zuflüsse und ungekannten 12 Orte am oberen Laufe beschäftigte mich ausreichend an diesem Tage. Zunächst erstieg ich nahe bei Zlatina eine Höhe und zeichnete ein Profil des Amphitheaters, das gegen W. mit dem hohen Vokas, östlich mit dem charakteristisch geformten, beinahe senkrecht aus der Ebene aufragenden Kotla ab-schliesst. Hierauf zog ich im Sonnenbrande auf der schattenlosen Strasse, an Draganica und den Ruinen eines Römercastells vorüber, nach Hadjilar Mahalesi (281 M.), ein grosses bulgarisch-türkisches Dorf von 140 Häusern, das überdies Zigeuner und Tscherkessen mitbewohnten. Eine Stunde später senkten wir uns NO. zur Botunia hinab. Mit mächtigem Rauschen tritt sie aus einem das südlichere Thal mit 5 Orten thorartig abschliessenden Defilö, und weiter durch kreideartige Sandsteinfelsen sich zwängend, bei Serdar Öiftlik in die offene Landschaft. Die an und für sich fesselnde Scenerie wirkt durch eine halbverfallene Mühle noch pittoresker; weit grossartiger aber mag sie sich in dem erwähnten südlicheren Defile gestalten, in das einzudringen die vorgerückte Stunde leider mir nicht gestattete. Der Botunialauf beschäftigte mich vollauf, ich constatirte durch Recognoscirung, dass er Dzuma Mahalesi und Sumer links, Dupljak, Glavas und Kravaderci rechts lässt; am Kravaderski han verzeichnete ich noch einen weiteren Zufluss. Kurz darauf brachte uns eine Wegwendung so nahe an den Fuss des Kotla-berges, dass ich seine zahllosen tiefen Risse genau zu unterscheiden vermochte. Er ist der massig emporstrebende kahle nordwestliche Eckstein des riesigen Kalkwalles, welcher, als „Vraca-Balkan", durch 4»/a Meilen SO. zum Isker streicht. Parallel mit den beinahe senkrecht abstürzenden 300 Meter hohen Wänden zogen wir nun auf der ihnen vorlagcrnden, mit frischgrünen Eichenhainen und Maisfeldern bedeckten Hochebene hin. Nur an wenigen Stellen zeigte der schroffe Kalkwall einen tieferen Querriss, wie beim Kloster Sv. Jovan und Dorfe Bistrcc, in dessen Nähe wir das von Vraca herabkommende gleichnamige Flüsschen zum ersten Mal kreuzten. Jetzt floss die bei Krivodol, nach 5 Meilen langem Laufe, in die Botunia fallende Vraöanska klar und ruhig dahin, hier und da eine Mühle treibend; ihre Frühjahrshochwasser lassen aber breite Schuttbette zurück, verwüsten die schöne Ebene und verhindern ihre vermehrte Cultivirung. Einige Damen, im Schatten zwischen einem riesigen Tumulus und zweitem kleineren gelagert, verriethen die nahe Stadt. Sie unterhielten sich laut, schäkerten mit ihren Kindern, welche aus den Tragkörben eines Esels fortwährend Näschereien holten; lange schallte uns fröhliches Lachen nach. Türkische Frauen und Kinder neigen ebenso sehr zum Scherze, als der junge Osmanli sich frühzeitig in das ihn durchs ganze Leben begleitende Ceremoniell künstlich zwängt. Wir kamen an wohl gepflegte Wein- und Gemüsegärten, die Staffage ward häufiger, immer deutlicher auch die Silhouette der Stadt, und trotz längerer Aufenthalte war es noch heller Tag, als wir in Vraca's „Kristo Sava han" unseren Einzug hielten. Man rechnet von Berkovica nach Vraca, dessen Seehöhe ich mit 396 M. bestimmte, eigentlich nur 6 Reitstunden. Entlang der Strasse läuft der beide Städte verbindende, von Insurgenten oft zerstörte Telegraph. Consul Luttcroti in Sofia hatte mich Herrn Leonida George Lemonides, welcher temporär Einkäufe zu Vraca für das berühmte Marseille! Haus Richard besorgte, warm empfohlen. Mein guter Stern Hess ihn einige Tage vor mir im selben Han absteigen. Rasch machte ich seine Bekanntschaft, und wenn ich hier über Vraca und Umgebung mehr zu erzählen weiss als meine Vorgänger, verdanke ich dies meist ihm, dem ebenso unterrichteten als unermüdlichen Cicerone. Im Gegensatze zu anderen Städten, wo ich zuerst schürfen und dann den Eingeborenen Aufschlüsse über das Gefundene geben musste, kannte hier der feingebildete Grieche jeden Stein. Vraca's Schicksale während der classischen Epoche waren allerdings auch ihm fremd und dürften sich überhaupt nur fragmentarisch aus künftigen Inschriftfunden feststellen lassen. Enthusiastisch sprach er aber von einigen noch vorhandenen monumentalen Kesten, und gerne sparte ich ihren Besuch bis zum folgenden Tage, wo Lconida, weil frei von Geschäften, mich zu begleiten vermochte. Selten hatte ich auf meiner Reise so trefflich als in dem von einer Wittwe mit Sohn und Töchterlcin besorgten Kristo Sava han geschlafen und neu gestärkt betrat ich am nächsten Morgen Vraca's Hauptplatz. Er bot ein farbenprächtige« originelles Bild, der Wiedergabc eines Hildebrand werth. Cafe's mit hölzernen Balconcn aller Formen, halb orientalisch, halb occidental gebaute, bunt bemalte Steinhäuser und Buden voll bizarrer architektonischer Details umrahmten das Viereck, dessen Mittelpunkt der ungeschlachte, von dunkler Riescnpappel überragte Uhrthurm bildet. An verschiedenen Punkten blenden das Auge metallene Spitzen sowie Kuppeln von Minareten und Kirchen, und all dies unruhig bunte, durch eine drängende und feilschende türkisch-bulgarisch-tscherkessisch-jüdische Staffage belebte Menschenwerk lehnt an himmelanstrebenden, festgegliederten steilen Kalkmauern, welche im grellweissen Sonnenlichte köstlich vom tiefen Aetherblau contrastiren. Auf diese „Golema piaca" mündet von W. her die grosse, nicht minder belebte Bazarstrasse; denn Vraca ist heute noch, wie vor Alters, eine der berühmtesten Handelsstädte Bulgariens, welche durch gute Strassenzüge mit den Dampfschifffahrtshäfen Lom und Rahova communicirt. In seinen Magazinen strömen desshalb Rohhäute, Ziegenfelle, Wachs, Honig, Wein, Mais, Rind- und Kleinvieh u. s. w. aus dem Küöük- und Büjük-Sofia-Balkan zusammen, um nach der Donau verladen zu werden, oder in grossen Pferde-Caravanen ihren Weg jenseits des Balkans zu nehmen. Der Wein des Vracaer Kasa gehört zu den besseren Bulgariens und wird en gros mit 3 Piastern pro Oka durchschnittlich bezahlt. Rinder, Hammel, Mutterschafe u. s. w. werden grösstentheils lebend nach Constantinopel transportirt, Kleinvieh, Lämmer, Ziegen aber in der Stadt geschlachtet; ihr Fleisch wurde vor dem letzten Kriege zu Spottpreisen, mit 18 Para pro Oka (2«/4 Pfund ä 5 Kreuzer) verkauft. Der Handel mit Lamm- und Ziegenfellen des Vracaer Kreises ist gleichfalls bedeutend; das erwähnte Marseiller Haus Richard kaufte 1871 allein hier gegen 300,000, zum Durchschnittspreise von 17 Piaster pro Paar. Dieser Preis ist jedoch in letzterer Zeit durch Vidiner Agenten, welche mit Wien arbeiten, sehr gestiegen und die vermehrte Concurrenz wird ihn noch bedeutend höher treiben, denn das bulgarische Ziegenfell eignet sich vortrefflich für Schuh-waaren aller Art. Nächst der Lederfabrikation wird auch das Cocon- und Seidengeschäft durch spanische Israeliten zu Vraca betrieben. Es bildet den Sammelpunkt für die ge-sammte Production des Kreises, welche jährlich 10 bis 12,000 Oka Cocons und an 1000 Oka Seide beträgt. Einzelne Orte wie Hujoven und Karas produciren 1500—2000 Oka, andere wie Lakatnik nur 100. Die Seide wird beinahe ausschliesslich in der kleinen primitiven Filatur des Salomon Sapitai aus Sofia gesponnen. Ich traf in derselben viele Bulgarenmädchen mit Sortiren, Auskochen und Spinnen der Cocons beschäftigt, wodurch sie 3—4 Piaster (40 Kreuzer) täglich verdienten. Die fertige Seide wird namentlich an die Kleidersticker Albaniens verkauft, die Cocons wandern aber in die grösseren Filaturen zu Tirnovo und Adrianopel oder durch Agenten nach Frankreich. Leider sank die bulgarische Seidenzucht, welche namentlich einst im benachbarten Kasa Orhanieh eine Haupt-einnahmsquelle bildete, durch Raupenkrankheit und hohe Besteuerung auf Vio ihres früheren Ertrages herab. Eines besonderen Rufes erfreuen sich durch ganz Bulgarien und Thracien Vraca's „Kolundziji" (Silberfiligran-Arbeiter). Der berühmteste Künstler Kujundzi Koci ist, wie sein Name sagt, Sohn eines Schäfers. Ich fand ihn vollauf mit der Zusammenlöthuug von Rosetten, Arabesken, Blättern und Rippen eines Fruchtkorbes beschäftigt, der, obwohl Koci weder Modell, noch Zeichnung entworfen hatte, doch ein wahres Meisterstück wurde, so zart und sinnreich waren die einzelnen Theile gearbeitet. Gerne hätte ich ein Werk seiner Hand erworben; wie er jedoch mit gerechtfertigtem Stolze versicherte, besass er kein Stück vorräthig, da er kaum die bestellten fertig brachte und fremde Hilfsarbeiter verschmähte. Er wies mich an einen Collegen, dessen Cigarettenspitzen, Frauenschmuck, Kaffeebecher u. s. w. mir aber lange nicht so gut gefielen. Diese Filigranobjecte werden gewöhnlieh zu festen Preisen nach dem Gewichte berechnet. Koci Hess sich pro Drain Silber 3'/2 Piaster und für seine Arbeit 21/2 P- bezahlen. In Folge einer an mich gelangten Einladung besuchte ich, mit Herrn Niso Braikov, Lehrer an der grösseren bulgarischen Stadtschule, den reichen Primaten Teodoraki Dimitriev. Er bewillkommte mich herzlich und zeigte viel Sinn für Alterthumskunde. In seinem hübschen Hause sah ich den Kopf einer antiken Statue und einen Votivstein, welche aus Golemo Pestene herrührten, was mich bestimmte dieses Dorf in mein Routier am Skitflusse einzufügen. Teodoraki's Wohnung war mit einem gewissen Comfort eingerichtet. Die Sitzkissen hatten die Frauen äusserst geschmackvoll in bunter Wolle gestickt, die Zimmerdecken waren zierlich in Holz getäfelt und an den Wänden liefen Bretter mit schönen metallenen und keramischen Krügen, welche den ausgesprochenen Sinn der Bulgaren für das Kunsthandwerk bethätigten. Der Eigner war so freundlich, mir zum Abschied einen schön gearbeiteten Krug von durchbrochener Arbeit zum Geschenke anzubieten, der im Wiener Industrie-Museum später sehr gefiel. Um ihn den Fährlichkcitcn meiner Reise zu entziehen, packte ich ihn der stark vermehrten geologischen Sammlung bei, welche ich zur Entlastung des Trainpferdes mit andern grösseren Gegenständen nach Lom sandte. Zu weiterer Sicherung Ubernahm es der Kaimakam, die Kiste durch einen Zaptie dahin zu besorgen. Ein Ferman des Sultans stimmt selbst dem Fremden wenig freundlich gesinnte Beamte zu scheinbarer Zuvorkommenheit; sie furchten, dass sein Träger nach Stambul zurückkehren und dort ihre Carriere nachtheilig beeinflussen könnte. Schade dass nicht die wegen Bedrückung durch Steuerpächter, wegen von Tscherkessen erlittener Unbill u. s. w. Klagenden, die ich dutzendweise auf dem Fluides Kreisamtes traf, solcher Special-Fermane sich erfreuten; da sie für den Einheimischen schwer zu erlangen sind, geht der Wohlhabende in der Provinz nach Stambul, um dort durch Baksise seine Kasa-Autorität günstig beeinflussen zu lassen, sobald es sich um einen wichtigen Process handelt. Auch den Vracaer Kreisvorstand traf ich viel beschäftigt; denn sein Kasa zählte 95 von mir in Karte gebrachte Orte, von welchen unsere Karten allerdings nur 19 zeigten; namentlich gaben ihm die 9 Tscherkessen-Colonien viel zu thun. In der Stadt, welche 2400 Häuser (darunter 50 tatarische und 20 Zigeuner-Gehöfte) besass, erschien das bulgarische Element überwiegend stark vertreten; 7 christlichen Kirchen standen nur 4 Moscheen gegenüber. Noch geringfügiger war das moslimsche Element in den Dörfern des Vracaer Kreises. Es bestand neben 64 rein bulgarischen und 8 gemengt christlich-moslimschen Bulgaren-Orten nur aus neu colonisirten Tataren und Tscherkessen. Der Türke war also bereits im J. 1871 im Kasa Vraca vollkommen ausgestorben; obschon traditionell verlautet, dass es einst dort viele gab, was auch höchst wahrscheinlich, da die Eroberer sich als Grundherren (Spahi, Beg u. s. w.) allerorts auf Ciftlik's und Kula's, wenn schon nicht in grösserer Zahl, zwischen der Rajah eingenistet hatten. Heute existirt aber kein türkisches Haus im grossen Vracaer Kreise, und dies illustrirt am besten meine auf vieljährigen Erfahrungen beruhende, wiederholt ausgesprochene Behauptung, dass der Türke seit langer Zeit von W. gegen 0. zurückweicht. Noch mehr! Im ganzen District Vidin wohnte der Türke, wie dies meine ethnographische Karte en detail feststellt, 1877 nur noch in 7 Kreisstädten, 2 Flecken und 4 Dörfern (letztere sämmtlich im Kasa Berkovica), und selbst in diesen 13 von so vielen hundert Orten gemengt mit Bulgaren; nur das Städtchen Cibrica war rein türkisch. Trotz der Minorität des moslimschen Elements zu Vraca, wusste es sich doch immer dort und selbst über den Umkreis der Stadt hinaus gefürchtet zu machen. Noch 1877 blickte zum Kristo Sava han drohend eine mittelalterlich-türkische „Kula" herüber, von der die Aga's des berüchtigten Kirchenstttrmers Jusuf Pasa von Berkovica, Zeitgenosse des Vidiner Rebellen Pasvan Oglu, vor 76 Jahren Brand und Plünderung bis in die tiefsten Iskerschluchten trugen. Es war ein kastenartig hohes und festes Gebäude, mit wenigen Fenstern, aber mit desto mehr Schiessscharten und gedeckten vorspringenden Balconen zur Vertheidigung. Noch 1877 stand die Kula, welche von so vielen in ihr ausgeheckten Gräueln erzählen konnte, ein Bild trauriger Zeiten, in Mitte einer sie tippig um wuchernden Busch- und Baum-Vegetation verlassen da; nunmehr hat sie wohl für immer ihre abscheuliche Rolle ausgespielt. Wie viel Vraca unter den Krdzalien stürmen gelitten, davon erzählte sein vor ihnen in die Balkanschluchten und später (1799) über Pleven in die Walachei geflüchteter Bischof Sofronije: „Meine Eparchie war verwüstet, die Dörfer verschwunden, Krdzalien und Pasvan's Haiduken hatten sie niedergebrannt, das Volk war zersprengt über die Walachei und andere Länder." Dass Sofronije nicht übertrieb, dafür bürgt die gleichzeitige Schilderung in des berühmten Reisenden Pouqueville „Voyage en More"e" von der Marica: „Grabesstille ruhte über den unangebauten Feldern, nur Leichen und verbrannte Gehöfte sah man am Wege, die Einwohner hatten sich aber geflüchtet oder waren Opfer der wilden Bestien geworden." Noch oft, zuletzt in den Jahren 1876 und 1877 wiederholten sich ähnliche harte Prüfungen für Vraca uud seine Umgebung. An die Stelle der beutelustigen Krdzalien traten die nicht minder habgierigen und sinnlichen Tscherkessen. Ganze Ortschaften wurden gebrandschatzt, Gegenwehr Leistende getödtet, ihre Töchter oder Schwestern truppweise über den Balkan zum Verkaufe nach Asien getrieben oder nach Befriedigung der eigenen Lüste ihrem Schicksal überlassen. Mit dem Anzüge der Russen im Herbste 1877 erschien nach unschilderbarer Pein die endliche Erlösungsstunde auch für Vraca. Bevor Gurko übel" Orhanieh zur Passage des Etropol-Balkans schritt, erachtete er es für nothwendig, das seine rechte Flanke sichernde Vraca den Türken zu entreissen. Am 2. Nov. überschritt eine Escadron Garde-Dragoner, als Vorhut der mit West-Bulgariens Säuberung betrauten II. Garde-Cavallerie-Division Leonoff I. den Skit bei Ko-marevo und rückte über Dzurilovo nach Vraca vor, welches man von 800 Nizams und 300 tscherkessischen Reitern besetzt fand. Obgleich dieselben in einer vor-theilhaft verschanzten Stellung standen, versuchten sie doch keine energische Vertheidigung, denn als Leonoff's Artillerie am 9. Nov. Morgens die Stadt be-schoss und abgesessene Dragoner mit Ulanen im Fussgefecht angriffen, trat die Besatzung nach kurzem Widerstände ihren fluchtartigen Rückzug gegen Süden an, ohne auch nur an die Zerstörung der in grossen Magazinen aufgestapelten Getreide-Vorräthe und anderer Verpflegsartikel zu denken, welche nun den Russen als höchst erwünschte Beute zu Statten kamen. Schon in den nächsten Tagen nahm Leonoff eine Recognoscirung in der Richtung auf Orhanieh vor und am 2f>f> UEBER DEN GINGT-BALK AN-I'ASS Kaub bulgarischer Mädchen durch Tscherkessen. 67 21. Nov. schritt er zur Wegnahme der türkischen Balkanstellung bei Lutakovo, welche mit dem S. 198 geschilderten unglücklichen Gefechte bei Novaöin endete. Erst am 29. December wurde diese wichtige Position von den Türken in Folge des Gurko'schen Balkan-Ueberganges geräumt (S. 201). Ueber meine Musterung Vraca's, das heute wie früher die Hauptstadt des nach russischer Chablone organisirten Vracaer Kreises, war es Mittag geworden. Ich kehrte nach dem Han zurück, wo mittlerweile auch H. Lemonides pünktlich zu einem trefflichen Mahl erschienen war; ein kurzer Kef schloss es, dann machten wir uns auf den Weg zum Defile von „Izgorigrad". Obschon die Augustsonne furchtbar niederbrannte, milderte sich die sengende Hitze doch, sobald wir das Palilula-Viertel hinter uns hatten. Es reicht mit der letzten Häuserzeile weit ins Felsenthor hinein, aus dem die Vracanska (hier Leva genannt) mit einem Knick gegen W. ihren Schnelllauf zur Stadt einschlägt. Ein alter bemooster Viaduct führte uns auf ihr linkes Ufer, wir folgten seinem Zikzakpfad und traten bald darauf in ein Amphitheater, dessen zurückweichende Etagen in immer höher thürmenden Kalkmassen aufsteigen. Parterre-Tribünen ähnlich, ziehen von ihrem Fusse abgestürzte Schuttmassen vertical zu dem sie durchbrechenden tosenden Wild-bach herab und aus ihrer spärlichen Vegetationshülle starren isolirte Kiesenkegel mit Monolithen empor, welche das rauschende Wässerchen zu verschütten drohen. Im hellgelbem „Kalk-Circus von Vraca", dessen Zauber den Eintretenden mit der zwingenden Gewalt grossartiger Naturschöpfungen gefangen nimmt, findet Belogradciks phantastische rothe Sandsteinwelt, deren Schönheit ich im I. Bande pries, einen nahezu ebenbürtigen Rivalen. Von den Eingeborenen wird das Izgorigrad-Defile mit einer gewissen Scheu betreten. Nach der Ueberlieferung hat nämlich hier der zürnende Christengott den Verrath des letzten Bulgarenherrschers Joannes Sracimir Sisman in ewig-sichtbarer Weise geahndet. Hoch auf dem „Kral bair", am rechten Bachufer, sieht man, wie dieser Joannes Sracimir, weil er sein Land den Türken feige ausgeliefert, auf der versuchten Flucht in Stein verwandelt wurde. Aber nicht nur den gekrönten Verräther, sondern auch dessen Tochter, Kutscher, Wagen und Viergespann ereilte die gleiche Strafe. Ihr Blut röthete an jener Stelle die Felsen! Es gehört mehr als lebhafte Phantasie dazu, um den „Koc", den Wagen des treulosen Kral zu erkennen; allein auch hier zeigt die Sage die volle Richtigkeit des „Vox populi, vox deü", denn in Wahrheit verleugnete dieser letzte Bulgaren-fttrst Sracimir das autonom-bulgarische Patriarchat zu Tirnovo, unterstellte seine Vidiner Diöcesen dem griechisch-ökumenischen Stuhle zu Constantinopel*) und erniedrigte sich zum verächtlichen Vasallen der Türken. Als Sultan Bajazid ihm auch Vidin genommen, mochte er vielleicht in die unzugänglichen Schluchten des *) Zachariae v. Langenthal, Beitr. z. Geach. d. bulg. Kirche. S. 33. Kauitz, Donau-Bulgarien und der Balkan. II. 17 258 DBBEB DEN GLNCI-B ALKAN-P A88 Vracaer Balkans geflohen sein. Wesshalb die Sage dem frevelnden Kral seine Tochter als schlimme Beratherin zugesellte? Kannten die alten Bulgaren das neuestens so beliebte „Ou est la femme?" Auf einer riesigen, von Sambucus silvatica überwucherten Schutthalde gelten einige Mauerreste als das „Izgorigrad", als die von den Türken verbrannte letzte Stadt des Krals. Die stellenweise heute noch 9 Meter hohen Beste colossaler Mauern lassen sich auf 250 Schritte verfolgen. Abgesehen aber, dass auf so engem Räume unmöglich eine Stadt stehen konnte, charaktcrisiren der feste Ce-ment des Mauerwerks, sowie andere Anzeichen die Ruinen als Reste eines römischen Baues, der wahrscheinlich zum Schutze des Passes und der nahen Wasserleitung errichtet worden war. Wie in classischer Epoche führt sie noch heute der am nördlichen Defilcausgange liegenden Stadt den kalten köstlichen Quell zu. Kaiser Justinian Hess wahrscheinlich später das von den Barbaren zerstörte Römerwerk restauriren; Jireöek bezweifelt aber, dass es jenes von Pr0-copius erwähnte, in der regio Naissitana gelegene Castell Vratitza war, dessen Namen Lejean im heutigen bulgarischen Stadtnamen Vraca erkennen wollte. Nachdem wir dem historischen Interesse mit der Besichtigung der nahen Ruinen des im Krdzaliensturme (1798) zerstörten Klosters Sv. Nedelja aus der bulgarischen Caren-Epoche genügt, wendeten wir uns wieder zur prächtigen Scenerie, welche alle diese Denksteine aus vergangenen Zeiten cinschlicsst. Ein höchstens 20 Meter breites Thor führt zwischen den aufstarrenden, weissen Nadeln der Kalkpylone hinaus in das gegen Süden sich öffnende Thal. Des Passes hohe Mauern treten hier vor plötzlich auftauchenden, sanft gerundeten Spornen zurück, reiche Herden weiden auf üppigen Matten, die Ziege findet im reich wuchernden Eichen- und Haselnussgebüsch ergiebige Nahrung, tief unten am Bache ertönt das Geklapper zwischen Ahornen und Pappeln versteckter Mühlen und noch südlicher erscheinen die Culturen des hochliegenden Dorfes Izgorigrad. Der Abend war bereits weit vorgeschritten. Einzelne Sterne blickten auf das herrliche Stück Balkanwelt nieder. Spät kehrten wir durch das in tiefblaue Schatten gehüllte Defile" der „verbrannten" Stadt zurück, nach dem gastlichen Vraca. Wie ich bereits S. 145 bemerkte, steht es nunmehr unumstösslich fest, dass die durch 6.3 Längengrade streichende Balkankettc nur an einem Punkte und zwar S. N. vom Isker durchbrochen wird, nach welchem Flusse ich das bezügliche Defile benannte. Im letzten Capitel standen wir bei Korila an seinem südlichen Thore; die nähere Erforschung dieses bis 1871 jungfräulich gebliebenen, von keinem Reisenden betretenen Iskerdurchbruchs gedachte ich nunmehr von Norden her zu unternehmen. Ich trat an eine um so interessantere Aufgabe, da sie mir von meinem früh verewigten Freunde Consul Lejean gewissermassen testamentarisch empfohlen war. Kurz vor seinem Tode schrieb er mir: „II faut qu'un de nous deux en finisse avec les Balkans de Berkovitza, Vratza jusqu' ä Orchanie." Zu Vraca rieth man mir allgemein von dem Unternehmen ab; das Defile sollte weglos, unsicher sein, und derlei Fabeln mehr. Alles dies steigerte aber nur meine Lust, den Iskerdurchbruch zu besuchen; auch mein Cicerone Lemonides war der Ansicht, dass nur die dem Defile anhaftende Romantik seine Schrecken vergrössere, und zu meiner unerwarteten Freude brach er mit mir dahin auf. Am 18. Augustmorgen senkte sich unsere Caravane über die von vier Tumuli und einem riesigen Friedhofe gekrönte niedere Wasserscheide, welche nahe bei Vraca die W. fliessende Vraöanska von der Bela rjeka trennt, thalabwärts gegen Osten. Zur Rechten, von SW. waren nackte hohe Kalkmauern unsere Begleiter. An drei Stellen werden sie von kleinen*Wasseradern durchquert; an ihren Betten und auf den nahen, heftigen Weststürmen ausgesetzten Spornen erschien nur stellenweise Buschwerk, selten ein Baum. Trotz dieser Unwirthlichkeit haben sich hier die grossen Orte: Metkovec, Pavlica, Celopek, Moravica, Mezra und Kreta angesiedelt. Ihre Bewohner theilen allerdings ein hartes Erdenloos. Die nährende Scholle liegt weit unten am Flüsschen, und so ruhig meist sein Wasser, die Fluren befruchtend, dahinfliesst, so tückisch zerstörend wirkt es zu Zeiten; die Ruinen eines alttürkischen Städtchens, dicht neben einem Tumulus am linken, von sanften Höhen berandeten Ufer bei Krpec, erzählen davon. An vielen Stellen des Bela-Rinnsals tritt die das ganze Terrain constituirende Kreide mit zahlreichen Petrefacten hervor und höchst wahrscheinlich gab ihre weisse Farbe dem Fltisschen und Thale ihre Namen. Wir kreuzten den Bach und stiegen zum jenseitigen Dorfe Mezra hinan, das nach verschiedenen Aussagen einige Alterthümer bergen sollte. Der Boden war durch heftigen Regen nahezu in Brei verwandelt, der Weg abscheulich und auch das Dorf mit seinen schmutziggrauen Dächern von dünnen Kalkplatten war nichts weniger als anmuthend. Schon glaubten wir resultatlos abziehen zu müssen, als nach vielen Fragen ein Stein im Hause Dragan Stojanov's signalisirt wurde, welcher wirklich eine sehr verstümmelte Inschrift aus Caracalla's Zeit trug. So lange der Kaiser lebte, vom sklavischen Sinne seines Volkes umschmeichelt, war sein Name hier, wie auf den meisten Monumenten, nach seinem Tode ausgekratzt worden. Prof. Kirchhoff las die Widmung: „Mit gutem Glücke — den grössten und göttlichsten . . . . M. Aur......unter der Verwaltung der Provinz des G. Ovinius (?)....." Mit dieser ersten Entdeckung war der Panzer gebrochen, den unter türkischem Regimente jeder rechtschaffene Bulgare anlegte, sobald man um Objecte aus alter Zeit frug. Des Hauses Tochter wurde zutraulicher und durch ihre Winke geleitet, standen wir bald auf den Ruinen 17* 2ßQ DBBER DEN QINCI-BALKAN-pa88 eines antiken Castrums, das einst mit vielen andern die grosse Iskcrstrasse hütete. Von den Befestigungen ihres südlichen Theiles sprach ich bereits, jene ihres nördlichen werden wir bald kennen lernen; aber auch ihre mittlere Strecke schützten wahrscheinlich einige Castelle, und möchte ich die Orte Boman, sowie Brusen künftigen Forschern zur Untersuchung besonders empfehlen. Des letzteren Name erinnert merkwürdig an die Umschrift uPÖYSUuiis einer dort gefundenen Medaille, welche H. Lemonides an Asiz Pasa sandte. Ueber unsere archäologischen Ausflüge war es Mittag geworden. Wir hielten ein Diner schlecht und recht im Mezra han, wobei freilich der von Vraca mitgebrachte Vorrath das Beste thun musste. Dieser isolirtc Han machte übrigens gute Geschäfte, denn er liegt in der Niederung (281 M.) an der Iskerfurth, durch welche die Bewohner der vielen südwestlichen Orte des Kasa ihren Weg nach der Kreisstadt nehmen müssen. In jedftn anderen europäischen Lande würde man längst an einer so lebhaften Passage eine stabile Brücke errichtet haben. Midhat Pasa dachte daran und Hess durch den polnischen Ingenieur Gavronjski vorbereitende Pläne entwerfen, von welchen ein Croquis in meinen Besitz überging. Das auf zahlreichen Messungen des Wasserstandes beruhende Project fiel aber gleich vielen anderen, nach Midhat's Abberufung, vollster Vergessenheit an-heim. Wir waren glücklich, als die sehr tiefe Furth bei Drmanica heil passirt war, von wo der Isker strenge W. 0. gegen Brusen fliesst. Wir nahmen sofort den entgegengesetzten Weg auf das wohlhabende Bulgarendorf Reberkovo (70 H.), über welches man, an Lutidol, Novacine und Skrivena vorüber, Orhanieh in etwa 3 Stunden erreicht. Fortwährend W. haltend, überstiegen wir .einige zum Isker-bett sanft abfallende Sporne. Sie zeigten theilweise Mais- und Obstculturen, im freundlichen Gegensatze zu den jenseits aufstarrenden Kalkschroffen der Stefanska mogila des Vraca-Balkans. Noch romantischer gestaltete sich des linken Isker-ufers Scenerie kurz vor Lutibrod, bei einer hübschen Capelle, mit der ein Bauer irgend ein Familienereigniss verewigt hatte und die nun in 363 M. Seehöhe einen pittoresken Ruhepunkt dem Wanderer bietet. Ueberraschte es mich überhaupt auf orientalisch-kirchlichem Boden eine derartige Baute zu finden, so noch mehr ihre construetive Form, denn sie glich, wie das Innere, auffallend den Wegcapellen katholischer Länder. Das Interesse an dem zierlichen Bau verschwand jedoch gegenüber einer merkwürdigen geologischen Erscheinung, welche mir fesselnd entgegentrat. Von einem Vorberge des jenseitigen zinnengekrönten Kalkmassivs zogen nämlich, zwischen Laubwald und Culturen, mehrere senkrechte, 1—2 Meter von einander entfernte, 3 —5 M. starke und 50 — 80 M. hohe Mauern N. S. zum strenge W.O. fliessenden Isker so herab, dass man zwischen ihnen im Schatten bequem bis zum Plateau hinaufzusteigen vermochte. Das prächtige Naturspiel, entstanden durch die Auswaschung der lösbaren Erde, war im ersten Augenblicke geradezu packend. Als ich später von Lutibrod mittelst Fähre übersetzte, fand ich, dass die Römer, welche wie kein anderes Volk natürliche Vortheile des Terrains auszunutzen verstanden, auch hier ein sprechendes Beispiel davon hinterlassen hatten. An zwei Stellen, wo die Kalkwände etwa 50 Schritt von einander abstehen, schlössen sie dieselben, sowohl hart am Flusse, als auf dem Plateau des Hügels, durch starke, trefflich erhaltene Mauern zu einem Castelle mit zwei riesigen Höfen, in welchen Gebäude für die Besatzung sich wahrscheinlich einst befanden. Das Ganze wird traditionell „Korintgrad" genannt, was allein schon auf den antiken Römer-Castell Korintgrad zu Lutibrod. Ursprung der Baute hindeutet. Nahe dem Hane lagen unter einer Weidengruppe griechische Inschriftfragmente und Marmorplatten mit sculptirtem Lilienblattwerk. Nach des Handzi's Versicherung wurden sie auf der Spitze des nahe beim Castelle sich erhebenden riesigen Tumulus gefunden. So weit mir bekannt, befindet sich kein anderer künstlicher Hügel so nahe dem nördlichen Balkanhange, und er verdient umsomehr eine genaue Durchforschung, als ihn einst nach der Tradition ein heidnischer Tempel gekrönt haben soll, in dem vielleicht die Reisenden ihre Schutzgötter anflehten, bevor sie das wahrscheinlich schon in alter Zeit verrufene Iskerdefile betraten. Ich selbst musste auf die genauere Besichtigung des Tumulus verzichten, da, ich noch zu einer Ruine sollte, welche NO. vom Castelle, zwischen Feldern aufragt. Durch Gräben, Hecken und über die Rudimente alter Baulichkeiten gelangten wir dort an eine mittelalterliche Kirche von 12 Schritt Länge und 7 Schritt Breite. Sie soll einst die Ortskirchc eines nahen verlassenen Dorfes gewesen sein. Die ziemlich erhaltenen rohen, conventioneilen Fresken im Altarraume deuteten auf kein hohes Alter. Nur die Capitäle zeigten in ihren gedrückten, abgeplatteten Würfelformen mit antikisirenden Voluten, Fisch- und Del-phingestalten auffallende Reminiscenzen an die altbyzantinische Epoche, ohne dass ich sie desshalb dieser zuschreiben möchte. Den en detail arbeitenden Archäologen erwartet, wie man sieht, zu Lutibrod manche dankbare Aufgabe; mir gestattete mein streng vorgezeichnetes Programm leider nur die erste Signalisirung der interessanten Objecte aus den Zeiten Roms, der Völkerwanderung, bis herab zur christlichen Epoche. Als wir in wohlthuender Abendkühle nach dem Dorfe zurückkehrten, zeigten sich seine mit Kalkplatten gedeckten 170 Häuser auf hoher Lehne zum Flusse herabziehend, gegen SO. von den waldigen Kuppen des „Büjük Sofia-Balkan" überragt. Eben verglühte das scheidende Sonnengold auf denselben und mit uns erschien eine Caravane Feldarbeiter an der Fähre, welche gleichfalls nach Lutibrod (Böse Furth) übersetzen wollte. Unter Gesang und Seherzen vollzog sich die Befrachtung des Bootes sehr rasch; die Zugthiere schienen den unangenehmen Process schon gewöhnt und bald stiessen wir ab. Während der Fahrt fasste der primitive, schwer belastete Kahn Wasser, die jungen Frauen kicherten, die älteren riefen unter Bekreuzungen den Schutzpatron des feuchten Elements an, ihr „boze, pomoze Sveti Nikola" (o Gott, hilf uns h. Nikolaus!) im Chore wiederholend. Die Männer blieben jedoch ruhig, schöpften mit Schaufeln, Kappen, Händen das Wasser aus und heil kamen wir hinüber. Auf unserer Excursion waren uns stets einige Dorfinsassen aufmerksam gefolgt; wenn ich das Mauerwerk untersuchte oder maass, traten sie näher und bedauerten sichtbar, dass meine mit H. Lemonides gewechselten Bemerkungen ihnen unverständlich blieben. Oft zischelten sie miteinander, zuckten die Achseln und eine gewisse Unruhe lagerte auf ihren Gesichtern, da sie den Zweck meiner Arbeiten nicht erriethen. Im Dorfe angelangt, fassten sie endlich Muth und rückten mit der Frage heraus, ob wir Spuren von Schätzen in den alten Mauern gefunden? Was hätte uns sonst naeh landläufigem Glauben zu so genauer Besichtigung derselben bestimmen können? Herr Lemonides Hess scherzhaft einige dunkel klingende, auf vergrabenes Gold hindeutende Orakelsprüche fallen und trotz meiner Aufklärungen veranlassten sie nach unserem Abzüge sicher manchen der Anwesenden in heimlicher Nachtstunde den vermeintlichen Schätzen gierig nachzuspüren. In seinem Geisterwahn leistet der Bulgare oft das Unglaublichste an Muth und unverdrossener Arbeit, sobald es sich um zu erhoffende geheime Reichthümer handelt. So viel ich auch vom folgenden Tage, vom 19. August erwartete, an dem ich in das bis dahin unerforschte Iskerdefile eindringen sollte, hielt er noch mehr; er zählte zu den interessantesten meiner Reisen im Balkan. Schon die Früh-sonne schien mir verheissuugsvoller als sonst zu leuchten, kein Wölkchen trübte den Horizont, als unsere Caravane von Lutibrod nordwärts zum Flussbette vorrückte. Etwa 30 Meter oberhalb seines Bettes bog der Weg über einige grasbewachsene Halden nach W. ab und nach */a Stunde standen wir vor einem merkwürdigen Kalkfels-Chaos, durch das tief unten der klargrüne Isker tosend dahinbrauste. Auf den ersten Blick führte kein Weg in dasselbe und doch barg es einen. Unser Führer wies auf eine schwer erkennbare Linie, welche am stark geböschten Abstürze der östlichen Steilwand in schwindelnder Höhe hinzog, mit dem Bemerken, dass vor drei Wochen ein Mönch des benachbarten Klosters sammt seinem Pferde hier verunglückt sei. Die Erzählung Hess mich ruhig, es gab keinen anderen Hochweg, und wollte ich nicht die Erforschung des Isker-Durch-bruches aufgeben, mussten wir ihm folgen. Die Wahl war rasch getroffen. Wir stiegen ab und marschirten, die Thiere am Zügel, Mann für Mann, an der wohl 350 M. über dem Isker aufragenden Mauer hin. Hier und da lag eine Platte quer auf losem Piedestal, durch geringsten Anstoss zum Fall nach der Tiefe bereit, kleineres Geröll polterte oft lärmend zum Isker hinab, dabei blendete uns der grelle Wiederschein der jenseitigen nackten Breitwand, welche in tausend bizarren Zacken ein prächtiges Bild der reinsten Kreidezone gab. Nirgends war ein Baum zu sehen, selten ein Busch, in dem ein vereinsamter Vogel sich schattete; nur smaragdgrüne riesige Eidechsen schlüpften aufgeschreckt in Menge durch das zerklüftete Gestein, um das die Spinne ihre Fäden zog. Ringsum herrschte lautloses Schweigen, auch wir brachen es erst, nachdem die schlimmste Stelle glücklich hinter uns lag. Als der Pfad um den letzten Pylon der einen leichten Halbkreis beschreibenden Wand bog, befanden wir uns in der vollkommen veränderten Scenerie vom Kalke überlagerter mächtiger Quarzitschiefer und rother Conglomerate, bestanden stellenweise mit Buchen, Birken und Eichen. In starker Krümmung schneidet hier der Isker nach S. ein, der Weg folgt ihm hart neben den Ruinen eines kleinen Römcrcastells, das mit einem jenseitigen, gleichfalls auf vorhängendem Felssporne stehenden, correspondirt. Ob die antike Heerstrasse einst tief unten am Flusse lief? Zu Lutibrod hörte ich, dass nahe den Castellen viele Waffen gefunden werden; nach der Schilderung sind es aber mittelalterliche. Bogen, Keulen und Morgensterne kommen häufiger vor, als Schwerter und Feuergewehre. Allmälig senkten wir uns durch Laubgehölz gegen N. zum Isker hinab und hörten seine starke Strömung an die Felsen schlagen. Bald darauf übertönte jedoch heller Glockenton den Lärm. Es war der Willkommengruss des romantischen Cerepisklosters, dessen Mönche unseren Heranzug bemerkt hatten. Die guten Brüder waren über den ersten oecidentalen Besuch ihrer abgelegenen Oede nicht wenig erstaunt und brachten ihren ältesten Raki, dann Kaffee, Eier und Brot zum Imbisse. Den alten Hegumenos und seine 10 Duhovniks beschäftigten eben die Zurüstungen zum nahen Schutzpatronstage Sv. Bogorodica Uzpenije. Im Hofe und auf jedem freien Räume erhoben sich roh gezimmerte Tische, die kleinen Djak's (Schüler) schleppten riesige Stösse von hölzernen Tellern und Löffeln herbei, viele Körbe voll Brot, grosse Zwiebel- und Knoblauchberge waren vorsorglich aufgeschichtet, Rauchfleisch und Käse in Menge für die an diesem Festtage von allen Seiten des mittleren Iskerthales zusammenströmenden Gäste vorbereitet. Das Kloster soll wohlhabender sein, als es nach dem nur mit Kalkplatten gedeckten bescheidenen Kirchlein und seinen armseligen Gebäuden scheinen möchte. Es hatte übrigens auch schlimme Schicksale durchgemacht. Oft verheerte es Feuer und 1798 setzte ihm der bereits erwähnte Kirchenzerstörer Jussuf Pasa von Vraca hart zu. In jenem Jahre war es auch, wo die von Pas van Oglu geschlagene sultanliche Armee auf ihrem Rückzüge Vraca plündernd durchzog, Bischof Sofronije, dem es dort um seinen Kopf bangte, rettete sich damals nach Kloster Cerepis, fand aber dessen Thore geschlossen und die geflohenen Mönche in einer Höhle. Vor Kälte und Hunger krank, blieb er bei ihnen 24 Tage, worauf er über des Balkans Schneefelder nach Sofia zog. „Es gab keine Menschen," erzählt der greise Kirchenhirt, „kein Brot, kein Holz; der Winter war strenge, die Decembernächte lang und wir verschmachteten vor Kälte." Dank der Opferfreudigkeit der Gläubigen erstand Cerepis stets neu aus der Asche. Wir wünschten ihm einen erspriesslichen Sabortag, dessen guter Ausfall stets eine Lebensfrage für jedes orientalische Kloster bildet, und verlicssen unter Opferung eines kleinen Obolus seine gastlichen Hallen. Die Mauern des Cerepisklosters baden sich im Isker und auch die jenseitigen Felswände fallen in einem doppelten S so steil ab, dass hart am Uferrande kein Raum für eine Strasse bleibt. Nur mit ungeheurer Anstrengung bahnte sich hier der Fluss seinen Weg. Der hochanstrebende Saumpfad führt über die durchrissenen rothgefärbten Sporne nach Ignatica, von N. her das erste der vielen Dörfer am rechten Ufer des Iskerdefile's, welches vor meinem Besuche für unbewohnt galt! Hier wächst ein kräftiger dunkler Rauchtabak, von dem der Corbasi uns die Oka mit 5 Piastern (1 Mark) verkaufte; an der Donau hätte er sieher das Zehnfache gekostet. Auf meine Bemerkung, dass der Preis billig, bemerkte der pfiffige Producent: „Herr, verrathet uns nicht, sonst sendet der Kaimakam von Vraca gleich den Steuerpächter und er nimmt uns das Einzige, was seiner Spürnase entging!" Bei Ignatica tritt ein interessanter Wechsel der Formation ein. Ich stiess auf krystallinische, später auf eruptive Bildungen und N. S. strich quer hinüber eine dunkle Granitzone, welcher in mächtiger Ausdehnung echte grünlich-graue Diorite und hellgelbe Granite folgten. Stellenweise wechselten sie miteinander und überlagerten rothe Conglomerate dieselben. Nahe bei Ignatica hätte ich leicht auf das jenseitige Ufer übersetzen können, ich zog es jedoch vor, statt tief n„c ÜBBEB DEN QIN0I-BALKAN-PA8S 266 unten am Flusse, auf dem mühsameren Hochpfade zu bleiben, da nur er die Uebersicht und Aufnahme sämmtlicher Orte desDefile's gestattete, welche grösstenteils auf der Schneide seiner Böschungen 100 M. und noch höher über dem Isker liegen. Weiterzichend, sah ich jenseits das hübsche Dorf Seronino, wo 1829 an 600 Arnauten der Horden des bei Sofia lagernden Pasa's von Skodra, vor den von Vraca anrückenden Russen des Geismar'schen Streifcorps flüchtend, im Isker ertranken. Bei niedrigem Wasserstande fischen die Anwohner zwischen älterem Geschiebe noch immer lange Flintcnläufc und Handschars heraus. Hinter Ignatica überschritten wir die Grenze zwischen den Districten Sofia und Vidin, das linke Iskerufer gehörte aber noch 2 Meilen lang zu letzterem. Jenseits lag zunächst Opletna mit den Ruinen eines Castrums, bei dem folgenden Oselna trägt des Iskers Anland sanften wohnlichen Charakter. Oselna nahezu gegenüber liegt Slidol, ein Weiler mit nur 10 Häusern, auf von der Absynthpflanze gefärbten Matten, versteckt in freundlichen Obsthainen und von imposanten Granitmassen umschlossen, in welchen ein hübscher Wasserfall niedergeht. Die schönsten Parthien unserer Alpen zeigen nicht leicht eine pittoreskere Landschaft. Gleich hinter der 366 M. hoch liegenden Ansiedlung zwingen die steilge-böschten Berge den Pfad hinab zum Flusse, jenseits streichen vor den mächtig aufstrebenden Granitkuppen des Vraca-Balkans, sanfte, intensiv roth gefärbte Höhen bis zum Dorfe Ilisena hin, dessen Häuser in einer tief eingerissenen Schlucht verschwinden. Abermals streiften wir die Rudimente eines römischen Castrums, des fünften seit Lutibrod. Ringsum traten hier Dioritporphyre neben hellgelb gefärbten Graniten auf, was die Landschaft auf beiden Ufern romantisch gestaltete. Wir blickten in eine breite prächtige Schlucht, welcher die grünfarbigen klaren Fluthen der starken Gabronica entströmten. Die zwischen wunderbar frischen Gehölzen auf üppigen Matten hier weidenden Herden gehörten nach der Hirten Aussagen des Bachgebietes hoch gelegenen Orten: Brezovdol, Elenovdol und Osenovlak. Gegenüber erschien Üeündol, der letzte Ort des Vraca-Kasa am linken Iskerufer. Unmittelbar nachdem wir die Gabronica durchfurthet, verliessen wir den Isker. Es galt das in Aussieht genommene hohe Nachtbivouak Lakatnik zu erreichen. Wir mussten eilen, tiefe Abendschatten hüllten bereits das schmale Iskerdefile ein, zudem kannte nur einer unserer Leute das Terrain, dessen schmaler Saumpfad im Gewirre von Dickicht und Steinen leicht zu verfehlen war. Der Weg nahm süd- und südwestliche Richtung. Unseren Pferden kam der Ruhetag zu Vraca trefflich zu Statten, gleich Katzen kletterten sie an den übereinander-gethürmten Hängen hinauf. Ueber schwarzkieselige und porphyrische Ganggesteine gelangten wir auf dem ersten Abschnitte des Plateau's zu vereinzelten Hütten aus Baumrinde, welche der Hirte im Spätherbste bezieht, wenn er seine Herden von den Sommertriften herabtreibt Bald strebten wir durch kleine Walddickichte wieder aufwärts, bis wir auf eine Halde hinaustraten. Sie verflachte sich allmälig zur weiteu Hochebene und stellenweise wechselten am Wege, so weit wir im Halbdunkel unterscheiden konnten, Wiesen und Felder mit sehr niedrig stehendem Mais. In der Ferne erglänzte Feuerschein, der uns erwünschte Richtung gab. Wir stiegen über stark zerrissene Mulden hinab, die Lichter wurden intensiver, riesige Hunde signalisirten unsere Annäherung und das höchstgelegene Balkandorf Lakatnik war erreicht. Seine Bewohner staunten nicht wenig über den unerwartet späten und fremd- • artigen Besuch. Im Hofe des Dorf-C1orbasi, wo wir abgestiegen, gerieth Alles in Bewegung, die Männer holten von ihren Nachbarn Fourage zusammen und sahen nach unseren in einer Hürde nothdürftig untergebrachten Pferden; ihre eigenen bekommen nur selten Gerste oder Heu zu sehen, sie nähren sich von abgeschnittenem Grünfutter oder draussen auf freier Weide. Bunt ging es im grossen Familienhause her, in dem um ein lustiges Feuer die jüngeren Frauen frisches Brot bereiteten, während die älteren Hühner am Spiesse drehten. Auch an Wein fehlte es nicht und die Aussicht auf ein gutes Abendbrot versetzte uns nach dem mühsamen Marsche in fröhliche Stimmung. Allmälig versammelten sich die Insassen des Dorfes, wir tranken auf gegenseitige Gesundheit und gute Freundschaft. Der Wein löste die Zungen; bald trat die verhaltene Neugierde an uns heran, wir sollten Auskunft geben, was uns eigentlich nach der abgelegenen Höhe führte? Die gastfreundlichen, aber etwas rauhen Leute nahmen die Frage ernst. Wir waren von zwei türkischen Zaptie's begleitet zu ihnen gekommen, während des Sultans Gensdarmen sich sonst nur selten in die höheren Balkanorte wagten. War es eine Regierungsangelegenheit, eine neue Steuer oder Frohne, die wir ihnen brachten? Hier zeigte sich wieder das richtige Verständniss des Balkandzi für auch ferner ihm liegende Dinge. Rasch begriffen einige meine Reisezwecke und erklärten nun diese den anderen. Es dauerte nicht lange, da brachte einer ein Stück „Kamen vagliste" (Steinkohle) herbei, die man im südlicheren Theile des Defile's, bei Rebrova, in langen Schmalstreifen zwischen Sandstein gelagert, gefunden hatte, und vermehrte mit derselben meine Gesteinsammlung vom Iskerdurchbruche. Ein anderer meinte: Herr, zum Javorec und höher zum Lakatnik müsst Ihr hinaufsteigen, dort sieht man gegen Süd hinab und noch weiter hinaus nach Sofia, dort könnt Ihr über unsere Nachbarthäler Euch am besten zurecht finden. Wir berathschlagten, fanden den Rath des Alten gut und beschlossen am nächsten Tage den Ausflug nach der Lakatnik planina zu unternehmen. Der Morgen war nicht so rein, als wir gewünscht, trotzdem rüsteten wir zur Excursion nach dem SO. von Lakatnik aufsteigenden gleichnamigen Berge, der schon vom Dorfe gesehen, als einer der höchsten Punkte des Büjük-Sofia-Balkans sich darstellte. Zuerst ging es über bewaldete oder bebaute sanfte Halden, später immer steiler zur Vorhöhe Javorec hinan, auf welcher mächtige Kalkblöcke zerstreut umherlagen. Schon hier, in 1200 M. Seehöhe, entwickelte sich ein höchst instruetives Bild über die tief unten liegende Ortschaft Bov weit hinaus gegen NW. Durch treffliche Erläuterungen des uns begleitenden ortskundigen Corbasi's unterstützt, konnte ich den kartographischen Entwurf der südlichsten Durchbruchparthic des Iskers beginnen und auf seinem rechten Ufer von Lakatnik bis Konica allein weitere 9 Orte in Karte bringen. Während ich mit stiller Arbeit beschäftigt, kreisten zahllose Raubvögel unruhig über dem malerisch aufstrebenden Hochgebirge, iu dessen Schluchten, wie man° mir versicherte, Bären und Wölfe keine seltene Erscheinung. Es wurde plötzlich kühler, gegen 9 Uhr sank das Thermometer auf 16° C, der Wind wehte aus SW., der Horizont begann sich leider zu umschleiern und der weitere Aufstieg wäre unter so trüben Aussichten nutzlos gewesen. Der vom Corbasi prophezeite baldige Regen liess nicht sehr lange auf sich warten. Beim Abstieg entlud sich das Unwetter und zwang uns zu zweistündiger Rast im Dorfe, dessen daheim gebliebene Bewohner sich bald um uns versammelten, denn viele von ihnen hatten ihre Berge nie verlassen, niemals West-Europäer gesehen. Vor wenig Jahren zählte Lakatnik 200 Häuser. 50 Familien wanderten aber seit der Tscherkessen-Colonisation nach dem Kasa Rahovo aus, denn mit der Etablirung dieser räuberischen Nomaden erschien der Balkandzi Haupterwerb, die Viehzucht, welche als Cardinalbedingung vollste Sicherheit der oft nur von Knaben gehüteten Herden voraussetzt, arg bedroht. Trotzdem besass Lakatnik 1871 noch die grosse Zahl von 10,000 Schafen und 3000 Ziegen, auch das jenseitige Osikovo zählte gleich viele. Die einst im Vracaer Kasa blühende Rindviehzucht litt vorzüglich durch die Wegnahme der besten Weideplätze von Seite der Tscherkessen; nach glaubwürdigen Daten sank sie in 10 Jahren von 200,000 auf 80,000, wodurch selbstverständlich auch der türkische Fiscus sehr geschädigt wurde. Unsere dörflichen Besucher klagten viel über Sünden und Härten der Kassenbeamten, Dinge, die mir nicht neu waren; ich hatte genug Untröstliches gehört und schied, als der Regen sich mässigte, nach reichlicher Vergeltung der uns gebotenen Gastfreundschaft, mit besten Wünschen für unsere Wirthe. In wenigen Curven führt ein abschüssiger Pfad gegen N. zum Iskerbette hinab. Wir erreichten es an einem seiner geographisch und historisch interessantesten Punkte. Ich liess mich sofort auf der stabilen Lakatnikfähre übersetzen, und während unsere Leute mit der Ueberschiffung der Pferde beschäftigt, welche des kleinen Kahnes wegen nur einzeln erfolgen konnte, suchte ich die nächste Umgebung eingehender zu studiren. Am linken Iskerufer, das ich der Fähre gegenüber mit 360 M. bestimmte, steigen drei schroffe Kalkberge in vielen senkrechten niederen Stufen empor, deren obere Fläche spärliche Vegetation bedeckt. Zwei tiefe Steilschluchten, welchen ziemlich starke Bäche entfliessen, trennen den triangulär zum Flusse verlaufenden mittleren Berg von seinen an Höhe und Gestalt ihm nahezu vollkommen gleichen beiden Nachbarn. Man glaubt sich einen Augenblick einem Kiesen werke von Menschenhand gegenüber. Diese benutzte jedoch nur die durch Erosion geschaffene Position zu Vertheidigungszwecken, indem sie den Mittelberg mit einem Castelle krönte und an den Fuss der beiden andern starke Befestigungen legte, deren Ruinen die am Iskerdurchbruche von mir gefundenen antiken Werke auf 8 vermehrten. Andere dürften sich wahrscheinlich im südlichen Defiletheile finden, namentlich am Einfluss des Iskrec. Diese grosse Zahl von Castellen giebt jedenfalls ein sprechendes Zeugniss für die hohe strategische Wichtigkeit, welche die Römer der Strasse im Iskerdefile beilegten. Ueber Stobi, Serdica und Oescus verband sie das trajanische Dacien mit Thessalonica und Dyrrhachium. Noch im Mittelalter soll die Befestigung auf dem mittleren Berge, „Osikovsko gradiste" genannt, eine bedeutende Rolle gespielt haben. Die Tradition behauptet, dass sie uneinnehmbar, lange vom Feinde belagert war, bis ein mit demselben einverstandenes verliebtes Mädchen auf die Idee kam, den hier sehr tiefen Isker durch eine Mauer abzuleiten (!); ferner, dass noch gegenwärtig dort viele Bogen, Pfeil- und Lanzenspitzen aufgefischt werden. Eine ähnliche Fabel wurde mir von Korintgrad bei Lutibrod erzählt. Das „Osikovsko gradiste" markirt den Punkt, bei welchem der von Korila S. N. herabkommende Isker plötzlich die Hauptrichtung W. 0. durch die letzten zwei Drittheile seines vielgekrümmten Steil-defile's nimmt, was ich flussaufwärts gegen Zaselje vordringend, in Verbindung mit einer Peilung auf Korila constatirte. Vom Osikovsko breg bis zum Iskrec herrschen im Defile krystallinische Gebilde vor, in seinem südlichsten Theile ge-, langt die kohlenführende mesozoische Formation, Sandsteine, Thonschiefer, Mergel, rothe Sandsteine und Conglomerate zur Geltung. Die Einschiffung meiner Pferde vollzog sich unter grossem Lärm und Zeitaufwand, da die, durch den angeschwollenen rauschenden Strom aufgeschreckten Thiere das schwankende Boot nicht betreten wollten. Mein Packpferd sprang sogar mit den Vorderfüssen aus diesem heraus und nur den energischen Fährleuten, welche es sofort am Schweife zurückzerrten, dankte ich die Rettung meiner Effecten. Der Isker fliesst hier in tief eingeschnittener Furche; an manchen Stellen beträgt sein Bett 7 — 8 Meter. Auch der letzte Theil unserer Wanderung Uber den Vraca-Balkan gewährte fortdauernd interessante Einblicke in die Isker-region, und als wir am isolirten Osikovsko han vorbei, über Hochwiesenland ansteigend, den 1412 M. hohen Izgorigrad-Pass erreichten, erhielt ich lehrreiche Aufschlüsse über das Botunia-Quellgebiet. Lange ritten wir auf dem schönen Hochplateau hin, es wurde Nacht; als wir abwärts zur Vracanska uns senkten, strömte erneuert- heftiger Regen nieder und noch hatten wir bis Vraca 2»/a Stunden. Glücklicherweise ging es nun durch das Izgorigrad-Defile" weiter, welches ich wenige Tage zuvor besucht hatte und in dem mein Zaptie jeden Stein ganz genau kannte. Ich beorderte ihn als Wegweiser mit am Gewehrlaufe befestigter Blendlaterne an die Tete des Zuges, während der zweite Zaptie die Kette schliessen musste; denn manchmal bedurfte es rascher Nachhilfe, wenn bei der herrschenden totalen Finsterniss einer der Reiter zwischen Busch und Gestein Osikovsko gradiste im Isker-Durchbruch. abwärts vom Wege gerieth und mit der Spitze nicht gleichen Schritt halten konnte. Unsere Caravane hatte jedenfalls etwas gespensterhaftes. Ich zählte nicht, wie oft wir auf diesem peinlichen Ritte des Baches Rinnsal gekreuzt, doch dachte ich an jenen schöneren Abend, als ich mit Lemonides dasselbe Defile" bei prächtigster Beleuchtung und unter dem vollen Eindrucke seiner traditionellen Legenden durchwandert hatte. Wie wenig gleichen sich die Stunden im Leben und auf Reisen! Genug, wir erreichten wieder Vraca ohne nennenswerthen Unfall und die Erforschung des Iskerdefllö's war bis auf seinen südlichsten, minder schwer zugänglichen Theil, über den ich mich überdies von den Höhen oberhalb Bov zu orientiren vermochte, glücklich ausgeführt. Allerdings war der Ritt oft äusserst anstrengend, ja halsbrecherisch gewesen; denn stellenweise ging es auf nur fussbreiten Pfaden in schwindelnder Hohe an tiefen Abgründen hin, in welchen die Gebeine gestürzter Menschen und Thiere bleichten. Andrerseits lohnten aber auch reiche Resultate das Wagniss. Ich hatte die topographische Aufnahme des 10 Meilen (die Curven eingerechnet) langen Balkan-Durchbruches als der Erste bewerkstelligt, von Kreta bis Korila 45 Orte festgestellt, wo man früher kaum drei kannte, und zahlreiche geologisch-archäologisch-ethnographische Daten gesammelt. Ich freute mich, meinem zu Plouegat (Finistere) vergeblich nach Genesung ringenden Freunde Lejean die Lösung des ihm gegebenen Versprechens melden zu können. Ob mein Schreiben ihn durch die Kette der Frankreich occupircnden deutschen Heere erreicht haben mag? Ein Jahr später, im Sommer 1872, gedachte Prof. Rockstroh aus Dresden über Vraca in das Iskergebiet einzudringen, er unterliess es jedoch, weil die Bewohner des Dorfes Lutibrod sein Vorhaben tollkühn nannten und ihm das Märchen aufhalsten, dass im ganzen Durchbruche, wo ich 22 Orte in Karte gebracht, keine menschliche Ansiedlung vorhanden sei. Hierdurch abgeschreckt, machte H. Rockstroh Kehrt, nachdem er am Nordthore des Isker-Defile's gestanden und dessen senkrecht abfallende „Kalkmauern" bewundert hatte. Diese einzige geologische Date und Hochstettens „Geologische Uebcrsichtskartc der östlichen Türkei", welche bei absolutem Mangel an sicheren Daten, die gesammte westliche Balkankette der mesozoischen Zone zuwies, führten mehrere neuere Gelehrte zum Glauben, dass ihr geologischer Bau wirklich dieser Hypothese entspreche. Alan glaubte, dass des Iskers Durchbruch-Gcbiet aus „Karstkalkstein" bestehe, und liess sogar die gesammte Westkette des Balkans aus „Kalk und Sandstein" sich constitui-ren (!). Erst ein Jahr nach dem Erscheinen der v. Hochstetter'schen Publication war es mir vergönnt, sämmtliche Pässe des Central- und West-Balkans zu überschreiten und zu constatiren, dass nicht nur der bereits 1864 von mir bereiste und charakterisirte westlichste Sv. Nikola-Balkan, sondern auch der östlichere Berkovica-Balkan, ferner der anschliessende Sofia-Balkan und das in diesen eingeschnittene Iskerdefile der krystallinisch-eruptiven Zone angehören. Nachdem Herr Prof. Toula 1875 dieses Gebiet bereiste und meine Wahrnehmungen vollkommen bestätigte, kann nunmehr wohl kein Zweifel darüber herrschen, dass krystallinisch-eruptive Bildungen mindestens gleich stark neben mesozoischen Formationen im westlichen Balkan vertreten erscheinen. Interessant gestaltet sich ein vergleichender Blick auf die von mir gewonneneu Höhenzahlen einzelner wichtiger Isker-Uferpunkte. Nach diesen zeigt der Fluss von seinem Durchbruchspunkte der Balkan-Kette bei Korila bis zu seiner Mündung in der Donau, auf nur 20 geogr. Meilen Laufläuge, die zahlreichen Curven ungerechnet, das erstaunlich grosse Gefälle von genau 500 Metern. Sie 272 UEBEU DEN GlNCI-ÜALKAN-l'ASS DURCH DAS ISKER-DEFILB NACH VRACA. vcrthcilen sich, vorausgesetzt, dass meine Einzelmcssungen richtig: von Korila bis Osikovsko gradiste........Vk Meil- = 164 M von diesem bis zum Mezra han ..........- = 133 - - Konare............*f* - = 91 - - Kloster Karlukovo....... - Cumakovci.......... - Mahala........... - zur Mündung......... 3/., - = 25 -2 - = 56 -2 - = 22 -33/4 - — 9 ■ 20 Meil. = 500 M. was ein Durchschnittsgefälle von 25 Meter auf 1 geographische Meile ergiebt. Mit diesen Resultaten, deren Prüfung künftigen Forschern vorbehalten bleibt, scheide ich hier vom Isker, dessen Durchbruch der Balkankette in ihrem System eine so wichtige Rolle spielt. Zweifellos wird er auch die Eisenbahnstrasse aufnehmen, welche, wie einst seine grosse Römerstrassc, Süd- mit Nord-Bulgarien verbinden wird. Die Terrain- Schwierigkeiten, welche sich ihrer Anlage entgegenstellen, sind durchschnittlich nicht grösser, als jene in vielen österreichischen Fluss-Engthälern, welche zum grossen Vortheile der Anwohner bereits längst überschient sind! IX. DURCH DAS SKIT-, OGOST- UND CIBRICA-GEBIET UEBER DEN BERKOVICA-BALKAN ZUR TEMSKA. (XL Balkan-Passage.) Das Quellbecken des Skit. — Seine Castelle. — Romische Reste zu D. Pestcnc. — Delile' vor Ohodna. — Unterbrochener Chausseebau. — Borovan. —Ribnica- Gebiet. — Russische geodätische Arbeiten. — Frauenschönheit zu Galatin. — Costüme. — Mittlerer Botunialauf. — Zum Ogost. — Wohlthuendor Kef. — Messung bei Lesevo. — Nachtlager in Madan. — Jungfräuliche Flecke unserer Karten. — Auf 25 Q]Meilen kein Dorf, in Wirklichkeit sehr viele! — Gehöftebau zu Gnoinica. — Mückenschwärme. — Die Cibrica in römischer Zeit. — Cibar, das alte Cebrus. — Seine Besetzung 1877. — Diana-Relief zu Vlcederma. — Dusilnica-Gebiet. — Charakter der Terrasse. — Steilhang des Balkans. — Astronomische Position Gabrovnica. — Xoni-Berkovica-Strasse. — Salz-Transport und Handel. — Verenica- und Ljubes planina. — Botuniamündung. — Flecken Kutlovica vor und nach 1877. — Beglici most. — Ogosthochwasser. — An der Brzia. — Berkovica. — Population und Handel der Stadt. — Ihre drei Sehenswürdigkeiten. — Die Akropolis. — Rückzug der Türken nach Sofia. — Physiognomie im J. 1879. — Der Ex-Vladika von Sofia und seine Stellung zur Kirchenfrage. — Antikes Jupiter-Relief. — Kaimakam Mustafa Ali. — Zusammentreffen mit Leuten der Sredna gora Historisches über Koprivstica. — Hrt bunaja und Bogdan planina. — Ogost-Qucllregion. — Westlicher Pass des Berkovica-Balkan. — Konispitze. — Geologisches. — Auffindung der Temska-Quellen. — Bivouak in einem Balkandorfe. — Charakteristik seiner Bewohner. "Wiederholt überschritt ich den zwischen Isker und Ogost zur Donau hinab-fliessenden Skitfluss und suchte seinen unteren Lauf kartographisch festzustellen. Wo lagen jedoch seine Quellen? Auf Scheda's Karte (1869) kommen sie westlich von Vraca, vom Nordhange des Balkans herab. Demnach hätte ich beim Marsche von Berkovica nach Vraca auf dieselben stossen müssen; dies war jedoch nicht der Fall. Von Consul Lejean hatte ich andererseits Daten erhalten, dass der Skit nördlich bei Vraca entspringe. Ich musste Gewissheit erlangen, wie weit dies richtig, und verHess am 21. August Mittags Vraca, um des Skits Quellgebiet genauer zu erforschen. Kunitz, Dunau-Bulgarien und der Balkan. II. 18 Herr Lemonides und einige Patricicr der Stadt gaben mir das Geleite bis zu den vier Tumuli des türkiseben Friedhofs, von dem ich die Hochebene W. 0 zum jenseitigen sanften Thalrand durchschnitt, worauf ich zur Kostalevska mogila hinanritt. Dieser 120 M. über Vraca gelegene Punkt bietet einen trefflich orientirenden Ausblick gegen S. auf die Kalkmauern des Vraca-Balkans vom Isker bis zur Botunia, mit der malerisch vorgelagerten Stadt und ihrem viel zerklüfteten Izgorigrad-Defile". Es war ein romantisches fesselndes Bild, dem ich nur ungern den Rücken wandte, um meinen Weg weiter gegen N. fortzusetzen Bald stand ich auf der Isker- und Skit-Gebietgrenze. Zwischen zwei mächtigen Kalkpylonen blickten wir angenehm überrascht hinab in ein prächtiges waldgrünes Becken, das östlich die gegen 300 M. hohen Abstürze des Kalkplateau's halbkreisartig umrahmten, auf dem wir standen. Diesem Halbringe entflossen radienartig fünf Wasseradern, welche an der Sehne des Bogens, von einem SW.—NO streichenden geradlinigen Walle aufgehalten, ihren gemeinsamen Ablauf durch dessen NNW. gelegenen Einschnitt bei Mali Pestene nahmen. Das schöne, streng geometrisch zugeschnittene Thalbecken, in dem ich 7 Orte, darunter fünf neue in Karte brachte, war das gesuchte Quellenreservoir des Skits. Es konnte kaum' pittoresker gedacht werden und glich vollkommen einem englischen Park, den die Natur gegen die rauhen Nordoststürme durch eine hohe Mauer schützen wollte-ihr nördlichster Theil heisst „Strenica breg", ihr südlichster „Brborov kami«-" zwischen beiden, ungefähr in der Mitte des Plateau-Randes, liegen die Ruinen des Schlosses „Veselec" auf gleichnamiger Höhe. Kurz bevor wir in's Thal hinabstiegen, war ein heftiges Gewitter über dasselbe hingezogen. Es halte die Vegetation merkwürdig erfrischt und die riesigen Büffel-, Rind- und Kleinvieh-Herden, welche in Hürden, unter Bäumen und Felsvorsprüngen Schutz gesucht, zogen wieder hinauf zu den einladenden Matten an welchen zahllose, im Sonnenlicht flimmernde diamantne Tropfen hingen. Wir nahmen unsere Richtung auf Mramoren, ein wohlhabendes Dorf mit 70 bulgarischen Höfen und 13, seit 1877 verschwundenen tatarischen Häusern. Man nahm uns gastlich auf, opferte für unsere Bewirthung einige Enten und Hühner; crtheilte auch auf alle Fragen bereitwillig Antwort. Viel erzählten die Hausleute von den listig ausgeführten Diebstählen der zu Virosko angesiedelten 30 Tscherkessenfamilien, welche zur Freude der Anwohner gleichfalls vor den anrückenden Russen emigrirten. Ich brachte die Sprache auf das „Veselec kalch", doch ohne über seine Vergangenheit Bestimmtes zu erfahren; hingegen erzählten sie von „stari zidovi", von alten Mauern im nahen Dolni Pestene und dortigen Inschriften, welche Niemand lesen könne. Dies leitete mich auf einen interessanten Fund, der mir sonst entgangen wäre. Als wir am nächsten Morgen zu Dolni, auch Golemi (Gross) Pestene genannt, denn es zählt 150 Bulgaren geh öfte, nach alten Mauern und Inschriften fragten, wollte zuerst Niemand etwas von solchen wissen. Als jedoch mein Zaptie den Zigeuner kihaja streng zu examiniren begann und weiteres Leugnen nutzlos erschien, führten mich die Dorfältesten auf den Ortskirchhof, wo ich einen verstümmelten lateinischen Votivstein, riesige Deckplatten, verwitterte Capitäle u. s. w. fand, die nach einstimmiger Aussage von einem alten Tempel herrührten, welcher einen isolirten Tumulus am jenseitigen Skitufer einst krönte. Der sehr angeschwollene Fluss hinderte, mich persönlich von der Wahrheit des Behaupteten zu überzeugen; ich empfehle also diesen Punkt gleich dem „Veselec - Castell" künftigen archäologischen Forschern zu genauer Untersuchung. Beim hochliegenden Mali Pestene trat ich durch das Engdefile des Skit wieder hinaus auf die grosse Terrasse, welche N. zur Donau streicht. Zu Ohodna, 1 St. von M. Pestene, stiess ich am linken Flussufer in 175 M. Seehöhe auf Rudera eines Römerwerkes, welche die Anwohner irrthümlich für Reste eines zerstörten Klosters hielten. Von diesem Punkte beschreibt der Skit jenen mächtigen Bogen gegen 0., den ich bei Komarevo tiberschritten und croquirt hatte. (V. Cap.). Der Lauf des Flusses war nun sicher gestellt, nicht so das Reservoir seines grössten, S. 177 erwähnten Brzina-Armes, das allen Anzeichen nach westlich von Ohodna liegen musste. Ich schlug desshalb diese Richtung ein, kreuzte bald die erste Brzina-Quellader und gelangte sodann auf die grosse Strasse welche NNO. über Banica zum Donauhafen Rahova führt. Durch 3/4 St. erfreute ich mich der trefflichen Chaussee, doch kurz vor Borovan schnitt sie plötzlich auf der Grenze zwischen den Kreisen Vraca und Rahova ab. Ihre Fortsetzung glich den landesüblichen miserablen, weglosen Strassen. Mein Zaptie gab mir die Aufklärung, dass wohl beide Kaimakams gleichzeitig den Befehl des Vali erhalten hätten, von ihren Städten aus die Chaussee zu bauen, dass aber wahrscheinlich der Rahovaer die bezügliche Ordre unter sein minder (Sitzteppich) gelegt und sie, zum grossen Aerger der Vracaer, welche ihren Theil rasch vollendeten, trotz aller Mahnungen unbeachtet liess. Ich erhielt hier einen neuen, die Indolenz türkischer Amtsorgane um so drastischer illustrirenden Beweis, wenn man bedenkt, dass alle Strassenbauten nicht aus dem Staatssäckel, sondern mittelst Frohne hergestellt wurden. Leider folgte auf Midhat kein zweiter Vali mehr, der sich durch Bereisungen von der Ausführung der papiernen Ruscuker oder Constantinopler lrade überzeugt hätte; ohne Controle lohnen diese aber, wie im erzählten Falle, grösstentheils kaum die Tinte, mit der sie geschrieben werden. Trotz solcher Erfahrungen giebt es aber immer noch Stimmen in der europäischen Presse, welche von tönenden Stambuler Reform-verheissungen irgend welchen Gewinn für des Sultans schlecht regierte Provinzen erwarten! Unter Borovan's grossem Carski ambar, in dem man den Gctreidezebent für die Regierung aufspeichert, warf ich, während der wohlthucndcn Mittagsrast bei 28° C. im Schatten, einen letzten Blick auf die Skit-Hochebene (165 M.), mit hier ungemein fruchtbaren Feldern, jungem Eichwald und weiten Grashalden, auf welchen ringuni grosse Herden zerstreut lagerten. Ich nahm hier noch einige Winkel für die richtigere Eintragung des Flusses und wandte mich nun, die schmale Wasserscheide überschreitend, 0. W. auf Dcbene, der Botunia und dem mittleren Ogost zu. Zerlumpte Tscherkessen, mit geschulterten Gewehren, zogen nach heftigem Wortwechsel mit meinem Zaptie, der sie wegen ihrer Bewaffnung tadelte drohend vorüber. Diese Gottesgeissel aus dem Kaukasus sass namentlich den armen Ogost-Bulgaren tief im Fleische. Nicht nur Debene, sondern auch die benachbarten Dörfer Tri Kladenica, Malorad, Füren, Belibrod, Brzina u. a. litten durch kleinere und grössere Colonien. Jene von Devcne zählte 45 Häuser, seit deren Etablirung die bulgarische Gehöftezahl von 184 (officielle Angabe) auf 129 allmälig sank. Devene liegt an der dem Ogost zufliessenden Ribnica rjeka, an welcher ich 8 Orte constatirte. Des Baches isolirter Quellberg, Kitko mogila, dessen Spitze ein antikes Castrum trug, ist ein trefflicher Orientirungspunkt auf der undulirten Terrasse zwischen dem Skit und Ogost. Die Ribnica hat zwei Arme, welche sich unterhalb Tri Kladenica vereinigen. Ich überschritt ihren westlicheren, in 139 M. nahe beim nun verlassenen Tscherkessenorte Medjidije vor Galatin, dessen Lage der Russe Skolanoff während der Arbeiten zur europäischen Gradmessung astronomisch bestimmte. Bekanntlich übernahm Russland den bezüglichen, auf die Türkei entfallenden Theil dieser grossartigen internationalen Aufgabe, weil die Pforte nicht über genügend wissenschaftlich gebildete Generalstabs-Officiere verfügte, ohne jede materielle Entschädigung vielleicht nur desshalb, damit seine Ingenieure eine so treffliche Gelegenheit benutzen, um die bezüglichen Gegenden auch für weniger wissenschaftliche Zwecke zu croquiren. Die russischen Arbeiten bargen sich jedoch später, im Gegensatze zu jenen über Asien, in das sorgfältigst gehütete Geheimniss. Schon früher hörte ich oft von Galatin sprechen, denn es ist weit im Lande, als der Ort höchster bulgarischer Frauenschönheit berühmt. Begreiflich war meine Neugierde nicht wenig gespannt, wie weit sich Realität und Fama decken würden. Als wir an das Dorf kamen, schallte von allen Höhen melodischer Kuhreigen zur Schlucht herab, in welcher Galatin's Gehöfte sich malerisch ausbreiten. Eben kehrten die Herden heim. An einem Brunnen im Dorfcentrum harrte ihrer eine Schaar lachender, singender Mädchen; sonst hätte mich solch gewohnte Staffage nicht sonderlich interessirt, diesmal musterte ich aber, nach dem Hofe des Corbasi fragend, die heitere Gruppe und bemerkte sofort einige anmuthige Gestalten von kräftigem Schlage mit eleganten Bewegungen in kleidsamer, beinahe coquetter Tracht. Mehr Müsse die Galatiner Mädchenwelt zu studiren, fand ich im Hause einer Wittwe, in dem ein Jahr zuvor auch die russischen Officiere wohnten. Die Gesichter der beiden Töchter, welche sich auffallend frei bewegten, zeigten einen hellen Teint, und wichen durch geradlinigere Nasen von dem gewöhnlichen bulgarischen Typus ab, ihre Zähne waren blendend weiss, die gerötheten Wangen schienen mir jedoch mit Schminke prä-parirt. Im Costüme spielt hier eine Art Diadem die Hauptrolle, dessen über der Stirne kranzartig befestigtes Band vom Hinterhaupt lang herabfällt und durchaus mit Geldstücken, am Ende aber mit Fransen benäht ist. Bei den Frauen tritt, ein weisses Tuch an seine Stelle. Besonders gut kleidet das faltige, an Brust und Aermeln weitgeschnittene Hemd mit kleinem Halskragen, dessen weisses Linnen, unter den beiden roth, blau, braun gestreiften, nach vorn und rückwärts gebundenen Schürzen mit langen Wollfransen, hervorsah. Grosse Ohrringe, schwere Armspangen, Fingerringe, sowie Blumen im Haar fehlten natürlich nicht; statt der sonst üblichen Sandalen trugen die Mädchen aber schwarze oder rothe Schuhe an den zierlich geformten Füssen. " Am nächsten Tage fand ich, dass der hübschere Frauentypus nicht Galatin spe-ciell, sondern dem ganzen nordwestlichen Vracaer Kasa eigen, ich traf ihn namentlich auch zu Raikovo, das gleichfalls von den Russen astronomisch bestimmt wurde. Am Wege dahin, nahe dem zur Botunia steil abgeböschten Terrassenrande steht ein iso-lirter Tumulus, welcher eine entzückende Aussicht auf ihr mittleres Gebiet bot und mich befähigte, meine am 16. August bei Kravadere unterbrochene Aufnahme hiercr-fol greich fortzusetzen. Am vielgewundenen Laufe des Flüsschens lagen tief unten viele schmuck aussehende, reinbulgarische Orte, mit rothen Ziegeldächern, durch niedere, Eichenwald und Birken tragende Sporne von einander getrennt, welche auf unsern Karten fehlten. Zwischen Krivodol und Muticevo Mahle sah ich die Vraca's Izgorigrad-Defile entfliessende Vracanska mit der in Sonnenglanz getauchten Botunia sich vereinigen; Maisculturen, Weinberge, dazwischen Obst-und Oelbäume, von Brombeerranken überkrochenes Schwarzdorn- und Haselnuss-gebüsch, dann prächtige Wiesen mit riesigen Herden verschönten das Bild, dessen Hintergrund die lJ/2 Meilen fernen Kalkmassen des Kotla schlössen. Donau-Bulgarien bietet nirgends lieblichere Landschaften, als in seiner mittleren Kreidezone, zwischen der Donau - Lössterrasse und der wildromantischen Hochregion des Balkans. Ich glaubte mich hier nach Ober-Italien versetzt, hätten nicht die verödeten Grasplätze und das dürftige Eichengestrüpp unseres Hochplateau's den lebhaftesten Gegensatz zur Idylle des Botuniathals gebildet. Im Häuschen des Raikovoer Subasi hielt ich kurze Mittagsrast bei 31° C. im Schatten. Das schöne grosse Dorf liegt hart am rechten Botuuia-Ufer, am jenseitigen Uferrande fahrt die Strasse von Vraca Uber Krivodol und Komestica in 14 St. nach Lom. Ich zog Erkundigungen ein über die am unteren Flusslaufe liegenden Orte, peilte die charakteristische, hier ihre bewaldete Seite zeigende Pastrina (S. 248) und setzte hierauf meinen Marsch NNO. über das viel coupirte Plateau zum Ogost fort. Zahlreiche Wasseradern durchschneiden in allen Richtungen die Terrasse, fortwährend sieht man hübsche Maisculturen, Wiesen mit Eichwald wechseln und dazwischen zahlreiche Ortschaften. Ich verzeichnete vom linken Skit- bis zum rechten Botunia- und Ogostufer 25 Orte, wo Kiepert's und Scheda's Karten nur 4 — 5 kannten! Die Plateauflächc blieb ziemlich gleichmässig. Nur hinter Gradisnica, welches in einem beim Kloster Sv. Jovan zum Ogost verlaufenden Einschnitte liegt, erhob sich das durchschnittlich 160 Meter hohe Terrain zu einer 100 M. aufsteigenden Kuppe, deren schöner schattiger Eich wähl zu kühlender Rast einlud. Wir bedurften ihrer ebenso dringend wie unsere armen Thiere, da wir von Raikovo volle 2 St in sengendem Sonnenbrande marschirt waren. Eine weitere Stunde brachte uns bei Kosan Mahle im Zikzak zum hier in ansehnlicher Breite fliessenden Ogost hinab. Auf seinem rechten Ufer ragte erae nackte Kalkwand in mehreren Etagen auf, in deren Höhlen einige Herden vor der grossen Hitze Schutz suchten; das linke Ufer war aber, so weit der Blick reichte, fahlbrauner Löss. Hart vor Kosan M. stiessen wir auf das zwischen Weiden, Eichen und Pappeln steckende Öiftlik eines wohlhabenden Türken, der mich vom hohen Öardak herab in freundlichster Weise begrüsste. Er hatte seinen Grundbesitz an die • Bulgaren des Dorfes verpachtet und war nur zur Controle seines Erntcantheils gekommen. Der liebenswürdige Effendi liess uns Tschibuk und Kaffee serviren. Selten kam mir ein echt orientalischer Kef auf offener luftiger Veranda und weichen Teppichen so erwünscht. Noch um 6 Uhr Nachmittags zeigte an diesem heissesten Augusttage das Thermometer 28° C. im Schatten, als wir nach Durch-furthung des Ogost im jenseitigen Levcevo lagerten. Ich bestimmte dort das Flussufer am Dilov han mit 83 M., während das rechte bei dem Va St. abwärts liegenden Belibrod am 1. Aug. (S. 177) 73 M., also 10 M. weniger ergeben hatte, was ein ziemlich zufriedenstellendes Resultat lieferte. Zu Levcevo siedelten, wie in den meisten Nachbar-Orten am Ogost, Zigeuner in grösserer Zahl; ich notirte hier 14, neben 120 bulgarischen Gehöften und 15 Tatarenhäusern. Ein trockener tiefer Löss-Einschnitt brachte uns in l*/a St. nach Madan, dessen Wasserader zu schwach ist, um den Ogost zu erreichen. Trotzdem zählte das Dorf 95 bulgarische Gehöfte mit riesigem Viehbesitz; auch seine 50 Tataren-und 6 Zigeunerhäuscr schienen wohlhabend zu sein. Ich wohnte im weitläufigen stattlichen Hause des Corbasi, hätte es jedoch gern mit einem bescheideneren vertauscht, da selbst meine Anwesenheit den zwischen Staresina und Schwieger- tochter ausgebrochenen Streit nicht zu dämmen vermochte. Dies verleidete milden kurzen Aufenthalt bis zum nächsten Morgen, und ich fürchte, dass der laut geführte Zwist noch immer fortdauert, wenn die junge Frau nicht arbeitsamer oder ihr Schwiegervater nicht nachsichtiger geworden ist. Glücklicherweise litt ich nur selten unter derartigen unerquicklichen Scenen; im Gegentheil bewunderte ich oft das ruhige Zusammenleben von manchmal 20 Personen unter einem Dache! Der folgende 24. August gestaltete sich zu einem der mühevollsten Tage meiner Reise. Auf Kiepert's Karte erschien das von der Cibrica. durchströmte Gebiet zwischen dem Lom und Ogost so jungfräulich weiss, als läge es an den Kongoquellen. Bald hatte ich erkundet, dass selbst die Städtchen „Wische-drina", „Milkowatz" und auch das Dorf „Köstendil", welche gleich verirrten Schäflein in weiter Wüste sich auf unsern Karten langweilten, in Wirklichkeit gar nicht existirten. Ihre Wegstreichung ergab aber nur das negative Resultat eines sehr grossen leeren Fleckes. Und doch war die Donauterrasse nicht uncul-tivirt, im Gegentheil, nach einigen Stunden wurde mir bereits vollkommen klar, dass sie stark bewohnt sei. So galt es nicht nur den unteren Cibricalauf zu erforschen, sondern auch die Topographie eines 25 DMeilen umfassenden Gebietes, von dem kein einziger Ortsname bekannt war, herzustellen. Nicht genug mit dieser alle Kräfte anspannenden Arbeit, sollte der Tag im buchstäblichsten Sinne ein heisser werden. Schon am frühen Morgen, beim Aufbruch von Madan gegen NNO., brannte die Sonne sengend auf der schattenlosen Terrasse und versprach gegen Mittag eine noch tropischere Leistung. Wir erreichten zunächst Görna Gnoinica, ein Dorf mit 150 bulgarischen Gehöften, im tiefen Einschnitte des gelbbraunen Löss. Vom hochgelegenen Han gesehen, lag das grosse Dorf in der Vogelschau da. Jedes Einzelgehöft trennt ein mit Strauchwerk bewachsener Erdwall von dem benachbarten und in der Mitte des verschanzten Raumes steht des Staresina's Haus, das nicht viel grösser als die Häuschen seiner verheiratheten Söhne. Die Holz- und Zweiggeflechtwände sind von aussen und innen mit weissgetünchtem Lehm angeworfen, Thülen und Fenster sehr niedrig und aus dem hohen Strohdache steigt ein unverhältnissmässig grosser, von Rohr geflochtener Rauchfang empor, welcher durch Lehmanwurf weniger feuergefährlich gemacht wird. Diese unansehnlichen Häuser umstehen im Kreise einige Koliba's aus Reisiggeflecht und Bäume; ein Ziehbrunnen mit hohem Hebebaum vervollständigt das charakteristische Gepräge der Bulgarengehöfte am unteren Ogost. Auf der mit zahlreichen Tumuli bedeckten Hochebene lag bis 1877, '/a St. NO. von Gnoinica, das Dorf Buzovec mit 100 Häusern, welches als eine der grössten und wohlhabendsten Tataren-Ansiedlungen galt. Auf dem Weiterritte gesellten sich zu der das Athmcn erschwerenden Glühhitze riesige Mücken- und Steck fliegenseh wärme, welche sich trotz unserer abwehrenden Laubwedel namentlich auf unsere armen Thiers mit Verbissenheit warfen. Die Mücke Bulgariens ist eine Schwesterart der berüchtigten Golubacer Ilöhlcnmücke, deren Naturgeschichte ich in meinem „Serbien" (S. 398) erzählte. Sie rivalisirt. in ihren Verheerungen mit der Blackfly des nördlichen und mit den Musquitos von Süd- und Centrai-Amerika. Als wir nach einer höchst beschwerlichen Marschstunde an die Cibrica gelangten, eilten meine Leute unsere an vielen Stellen blutenden Pferde mit Wasser zu übergiessen, das sie mit der Hand flink schöpften. Es ist dies, auch wenn die Pferde Ermüdung zeigen, ein häufig angewendetes Erfrischungsmittel. Das zum Lom streichende linke Cibricaufer erscheint flacher und bedeutend niedriger als das rechte, gegen N. erhebt sich aber sein zur Donau abfallender Steilrand bei Liova auf 165 M., während jener des rechtseitigen Plateau's, zwischen der Cibrica und dem Ogost, im Kilcr bair in nur 101 M. culminirt. Ich ritt einen hochgelegenen Tumulus hinan und überblickte ein weites Terrainsegment, auf dem hier und da Rauchsäulen die Lage der Orte in den Terrassen-Einschnitten bezeichneten. Gegenüber von Vleederma (76 M.) durchfurthete ich die Cibrica 2lU Meilen oberhalb ihrer Mündung. An dieser liegt das ausschliesslich von Türken bewohnte, nach dem Flusse genannte Städtchen Cibrica, als Oase, in der am Donauufer ganz romanischen und im Innern ausschliesslich bulgarischen Landbevölkerung. Die Türken heissen das Städtchen „Cibar Palanka", unsere Karten auch „Dschibru" und „Dschibra"; der richtige slavische Name Cibrica ist kein autochthoner, sondern von Cebrus oder Ciabrus abgeleitet. Es ist derselbe Fluss, welchen Ptolemäus als Grenze zwischen Ober- und Niedermösien bezeichnete, an dessen Ufern das kloine Geschlecht der Myser wohnte, und an dem auch das gleichnamige Städtchen stand, welches unter Rom eine gewisse Bedeutung hatte. Nach der Not. Imp. lag hier nämlich eine Abtheilung der V. Legion und ein Haufe Reiter. Es kann wohl kein Zweifel darüber herrschen, dass dieser in den Völkerstürmen zerstörte, vom Kaiser Justinian aber wieder neu befestigte Ort auf der Stelle des gegenwärtigen Cibrica sich befand. Seine im Itin. Ant. mit 18 Millien von dem westlicheren Almus bestimmte Entfernung trifft nämlich vollständig mit jener zwischen Cibar- und Lom-Palanka überein, das ich bereits im I.Bande S. 85 mit Almus identificirte. Zuletzt fristete der kaum 100 türkische Häuser zählende Flecken nur ein kümmerliches Dasein durch Ackerbau und Kleinhandel; die Dampfer ziehen ohne zu landen vorüber, nur Minaretspitzen verkünden sein Dasein. Westlich liegt das bulgarische Mahle mit 80 Gehöften, das im November 1877 die es von streifenden Basibozukbanden befreienden rumänischen Kalarasen des Generals Lupu freudig begrüsste. Von einstiger höherer Cultur des Ciabrus-Gebietes in der classischen Epoche geben monumentale Fragmente Zeugniss, welche zerstreut dort an vielen Orten gefunden werden. Ein solches, das gut erhaltene Relief der Artemis, sah ich am Portal der schönen Sv. Paraskeva-Kirche zu Vleederma. In Haltung und Gewandung an die berühmten Statuen der Göttin im Vatican und Palazzo Colonna erinnernd, zeigt es mit anderen derartigen in Mösien aufgefundenen Darstellungen (I. Bd. S. 207), dass der Dianencultus dort sehr verbreitet war. Antike grosse Steinplatten, versicherten die Dorfältesten, seien beim Baue der Kirche (1857) in deren Grundfesten versenkt worden. Es ging also auch hier, wie in vielen anderen Kirchenbauten, welche nach Erlass des Pariser „Hat i humajun" auf bulgarischem Boden allerorts entstanden, manch epigraphischcr Beitrag für römische Geschichte verloren. Einiges könnte aber nun unter dem nationalen Regiment noch gerettet werden; beispielsweise sollen nahe dem Tumulus auf den recht-seitigen Cibrica-Höhen bei Vleederma einige Steine liegen, welche vielleicht interessante Inschriften enthalten. Vlcederma's schöne Weizen- und Maisculturen begleiteten uns lange. In 1V4 St. erreichten wir Komas-tica, dessen Erscheinung einen unfreundlichen Eindruck machte; die Sonne stand im Zenith und des Dorfes armselige, grell beleuchtete Lehmhäuschen verschwimmen mit dem fahlen Löss zu einer schmutziggrauen Masse. Nur ein kleines, mehrere Mühlen treibendes Wasser, welches das Dorf in zwei ungleiche Hälften theilt, ) schwächte den untröstlichen, an ägyptische Fellahdörfer Diana-Relief zu Vleederma, lebhaft mahnenden Eindruck ab. Das von dem l1/« St. fernen südwestlichen Krkisaba kommende Bächlein erwies sich als grösster seitlicher Zufluss der Cibrica; er wird nach dem Hauptdorfe Duselniea rjeka genannt. Für die 6 Orte an seinem kurzen Laufe ist er geradezu eine Bedingung ihrer Existenz; denn wo auf der bulgarischen West-Terrasse kein Wasser, darf man sicher sein, keine menschliche Niederlassung zu finden. Beispielsweise bilden die 5 □ Meilen zwischen Herlec, Görna- und D. Gnoinica bis Kule Mahle schon in geringer Entfernung vom Donau-, Cibrica- und Ogostrande eine traurige, nur mit magerem Gras bedeckte Steppe» Ein gleich unwirthliches Aussehen, hier und da nur durch Eichengestrüpp etwas gemildert, zeigt die 2 St. breite Hochebene, über welche wir, fortwährend dem schlimmsten Sonnenbrande ausgesetzt, südlich nach Progorelee ritten. Dort kreuzte ich die Cibrica in 132 M. bei einer reizenden Lauboase, worauf wieder durch 2'/.2 St. eine höchst monotone Landschaft folgte. So weit das Auge blickte, überkroch nur dürftiges Sumaeh- und Eichengestrüpp bis zu halber Manneshöhe die 184 M. hoch gelegene Fläche, während die schmalen Zwischenräume eine steppenartige fahlgrüne Grasnarbe füllte. Wohlthuend belebten dagegen die am fernen südlichen Horizont in prächtigen Abendfarben auftauchenden Profile des Balkanzuges von Vraca bis Belogradeik, insbesondere Jene des Berkovica-Balkans, dem ich zustrebte, die etwas gesunkenen Lebensgeister. Hier wurde es mir übrigens neuerdings klar, dass nur solche Forscher, welche nie den West-Balkan von N. her gesehen, ihren seither oft nachgebeteten Ausspruch wagen konnten, die Kette mache nur von S. aus den Eindruck eines hohen Gebirges! Auf diesem und so manchem anderen Punkte der nördlichen Balkan-Vorterrasse, ja schon auf der Donaufahrt bei Vidin, würden sie wohl zu anderer Ansicht gelangen. Endlich war das Tagesziel Gabrovnica erreicht und hier endete auch glücklicherweise die wenig anheimelnde Lössregion. Das von den Russen astronomisch bestimmte Dorf, mit 66 bulgarischen Gehöften, einer Kirche und Schule, liegt östlich der Strasse von Lom nach Berkovica. Der nächste Frtthmorgen traf mich auf derselben in einem Gewirre ungeschlachter, von Büffeln und Ochsen gezogener Fuhrwerke, welche walachisches Steinsalz nach letzterer Stadt führten. Bekanntlich besitzt die Türkei keine eigenen Gruben und dieser notwendige Lebensartikel wurde aus Oesterreich, Frankreich und Rumänien importirt. In Lom fand ich Gelegenheit, mich über die Salzpreise aus den walachischen Gruben von * Okna zu unterrichten. Dort kosteten (1871) 100 Oka = 126 Kilogr. 4172 Piaster, ihre Fracht bis zum Donau-Ufer 20V2 P-> dann mittelst Dampfer nach Lom 8 P., türkischer Einfuhrzoll 38f/a p-> ihre Uebertragung auf Wagen lVa P-, Fracht nach Berkovica 8 P., Summa 118 Piaster = 11. 8 Gulden österr. W., daher 9. 46 Kreuzer pro Kilogr. oder 5. 55 Kreuzer pro österr. Pfund; also trotz der ungeheuren Fracht- und Zollspesen doch billiger als in Oesterreich, wo das Salz en detail 7_8 Kreuzer pro Pfund kostete. Nachdem das provisorische russische Gouvernement den Salz-Importzoll sehr ermässigt, wurde er vom bulgarischen Finanz-Ministerium zur Vermehrung der Staatseinnahmen erhöht, was im J. 1879 heftige Klagen in der National-Versammlung herbeiführte. Nachdem wir die Gabrovnica und die gleichfalls zum Ogost messende Vrlska bara gekreuzt hatten, erreichten wir einen Punkt, den ich bald als einen der geographisch interessantesten am ganzen Ogostlaufe erkannte. Hier vereinigen sich nämlich alle seine kleineren und grösseren Quellarme aus SW., S. und SO., welche, eingekeilt zwischen den oft hoch anstrebenden Vorbergen des Berkovica-Balkans, von diesem fächerartig abfliessen. Vor mir ragten aus der Hochebene die isolirte Verenica und östlicher der Ljubes auf, an deren Hängen ich zahlreiche, ungekannte Orte sah, darunter das durch seine Schweinezucht bedeutende Kosarnik. Ich kreuzte die Vrlska an ihrer Mündung und gelangte in Va St an jene der &ugavica (104 M.), deren Gebiet gleichfalls ein Dutzend von unseren Karten verschwiegener Orte umfasst. Eine Meile östlicher mündet die grössere Bo- tunia am Fusse der unmittelbar aus der Hochebene aufsteigenden Pastrina-Kalk-zinnen, welche ich zuerst vom Berkovica-Balkan erblickt hatte. So gab es auf dem Wege über Belotinci kartographisch viel zu tkun, dabei bot stetiger landschaftlicher Wechsel reich entschädigenden Naturgenuss. Kurz vor G. Kutlovica durchfurtheten wir den dort in zwei Armen fliessenden seichten Ogost und traten in sein durch Obstculturen und Maisfelder verschöntes Thal, aus dem zwei Minarete, die ersten seitdem ich Vraca verlassen, uns freundlich winkten. Wir ritten an einer Palanka mit Rundthürmen vorüber, deren Unterbau wahrscheinlich römisch, und bald ruhte es sich gut auf der schattigen Veranda des türkischen Hans, der trotz seines ärmlichen Aussehens mehr bot, als er versprach. Der stattliche Orts-Subasi stellte sich bald ein, mit ihm kamen mehrere Honoratioren, und so genoss ich seit 17 Tagen wieder zum ersten Mal, und zum letzten Mal auf dieser Reise, für eine Stunde das süsse dolce far niente anheimelnden türkischen Kefs bei Kaffee und Tschibuk. Dabei hörte ich neben vielen unwesentlichen Dingen, dass es im Orte nur 15 bulg. Gehöfte neben 70 türkischen und 65 Tscherkessen-Häusern, im nahen M. Kutlovica Bulgaren und Tataren, in M. Kutlovica Ciftlik aber blos Bulgaren gebe. Diese hatten schon vor 1877 im Berkovica Kasa weitaus die Majorität, denn unter seinen 90 Orten gab es nur 9 mit Türken, Tscherkessen und Tataren gemengt. Nachdem letztere Bulgarien verlassen haben, ist Kutlovica heute das einzige Dorf am Ogost, in dem noch einige Moslims verweilen. Mein Weiterritt auf der grossen Strasse nach Berkovica, am Hange der Ljubes planina, führte mich bald an den Zusammenfluss der Brzia mit dem Ogost, dessen kurz zuvor vollendete, lüderlich ausgeführte Steinbrücke „Beglici most" vom Frühjahrshochwasser zerstört worden war. Traurig ragten ihre Pfeiler über das tiefe Ogostbett empor; es blieb uns keine Wahl, als den Durchritt zu wagen, der obschon nicht gefahrlos, auch dem Packpferde ohne Unfall gelang. Wir ritten nun streng N. S. an der mit dem ganzen Reize eines lustigen Hochgebirgswassers strömenden Brzia hin. Zweimal, bei Borovci und am Joncov han, ihre Ufer wechselnd, behielten wir beinahe doch immer das weite Segment der hohen nackten Kuppen des Berkovica- und Vraca-Balkans vor Augen. Beim Han gewann das grossartige starre Naturbild lebensvolleren Reiz durch die stets häufiger auftretende Bewaldung der sanfteren Vorberge; ein sehr hübsches Ge-birgs-Profil bereicherte hier meine Mappe. Wir umritten noch die cultivirten Höhen von Abdusalem und Komarevci, kreuzten die Kalesnica und wieder stand ich am Eingänge des herrlichen Kessels, aus dessen nordwestlichstem Winkel Berkovica's Minarete aufleuchteten. Die Lage der Stadt ist unvergleichlich schön. Von allen Seiten mit waldigen Höhen und schattigen wasserreichen Schluchten umgeben, wird sie in künftigen Ta"-en sicher der sommerliche Zufluchtsort vieler wohlhabender Bewohner des heissen Donaustriches werden. Ausser Berkovica's natürlichen, sofort in die Augen springenden Vorzügen liess sich ihm aber selbst bei längerem Aufenthalt kaum mehr Gutes, als anderen bulgarischen Städten nachrühmen, in welchen das türkische Element die Majorität behauptete. 1871 stellte sich die Bilanz mit Bulgarischer Gerber zu Berkovica. 520 bulgar. und 36 spanisch-israelitischen Häusern, gegenüber 500 türkischen (darunter 31 Zigeunerhäuser) zu Gunsten des beginnenden Fortschrittes her. Berkovica's Handel mit Rohproducten und Seide monopolisiren einige reichere Israeliten. Im Kasa wurden etwa 10,000 Oka Cocons und 100 Oka Seide pro-ducirt. Das Zurichten der Häute für den Export bildet auch hier einen Hauptzweig der bulgarischen Industrie. Die Illustration zeigt den einfachen Apparat, welcher zur Bearbeitung der Felle verwendet wird, er entspricht der dem Osten eigenen Liebe für möglichst grösste Bequemlichkeit und sitzende Lebensweise. Das ganze Städtchen trägt diesen orientalischen Charakter von Heute auf Morgen. Es fehlt jedes Menschenwerk von monumentaler Gestaltung; bei keinem Hause giebt es, den Regierungskonak ausgenommen, eine anmuthende Facade, solideren Steinbauten begegnet man selten und selbst die Moscheen und Kirchen scheinen jüngst in eiliger Hast entstanden zu sein. Als ich Berkovica zum ersten Mal besuchte, bot es nur drei interessantere Objecte, welche sämmtlich ihren Reflex von verschwundenen Tagen erhielten. Das erste war seine ehemalige Akropolis, das zweite der 1860 aus Sofia von den Bulgaren verjagte fanariotisch-griechische Metropolit, das dritte ein antikes Relief in seinem Besitze. Ich nahm diese drei Sehenswürdigkeiten der Reihe nach in Augenschein. NO. der Stadt thront ihre alte Burg auf hohem Felssporne, welchen die Arme der Kalesnica umfliessen. Der Anstieg zu diesem Kaleh ist etwas mühsam, denn mit scharfer Böschung erhebt^sich die mit Ruinen gekrönte Höhe 120 M. über Berkovica's Niveau (437 M.). Die noch immer bedeutende Ausdehnung der erhaltenen Schlossmauern niisst»130 Schritt Länge, bei 60 Schritt Breite. Sie stammen wahrscheinlich aus dem Mittelalter; ob die Grundfesten römisch, möchte ich nach flüchtiger Untersuchung wohl vermuthen, aber nicht entscheiden. Die Höhe beherrscht, als vorzüglicher Auslugspunkt, Stadt und Thal bis zu den« Orten Belovica Mahle und Selam Ciftlik, sowie sämmtliche Defileen der sie umschliessenden Berge; man darf also annehmen, dass Römern und Byzantinern die Wichtigkeit des Punktes nicht entgangen sei. Für eine römische Niederlassung hier oder in der Nähe spricht auch ein Votivstein auf dem Friedhofe des 1 St. nördlicheren Komarevci. Prof. Mommsen las ihn: Dem besten grössten Jupiter, dem Erhalter, Tib. (Claudius ?) Naso (?) mit der Aelia Antonia seiner Gattin einen Altar mit einer Statuette nach ihrem Gelübde haben gesetzt. Gleich anderen westbulgarischen Städten wurde auch Berkovica tttrkischer-seits beim Anrücken der Russen im Herbste 1877 tüchtig verschanzt. Man krönte den Schlossberg mit einer starken Redoute, machte den Weg auf sein Plateau fahrbar und brachte einige Geschütze auf dasselbe. In den letzten Novembertagen erschien ein von General Leonoff aus Vraca abgesandtes Detachement, um Berkovica zu recognosciren, fand jedoch bald, dass Artillerie mit Cavallerie nicht hinreichten, die Stadt zu bewältigen und hielt sich in beobachtender Reserve. Vom 12.—14. Dec. versuchten die Türken den Gegner zu verdrängen, wurden jedoch zurückgeschlagen und retirirten hierauf über den Ginci-Pass nach Sofia, wobei sie ein Geschütz einbüssten. Eclaireurs vom Kaiser Alexander Ulanen-Regiment, geführt vom Capitän Graf Berg, besetzten sofort am 15. die Stadt, mit deren Fall sich nahezu das ganze westliche Donau-Bulgarien in den Händen der Russen befand. Als ich im September 1879 Berkovica passirte, fand ich seine Physiognomie unverändert, wenige Neubauten waren entstanden, nur zerstörte miKCH DAS SKIT-, OGOST- UND CIBRIOA-GBBTJS1 Moscheen und Minarete erzählten von den grossen Veränderungen, die sich zuletzt vollzogen, und mehr noch das an gewohnter Stelle nahe am Schlossbcrge aufgeschlagene Lager, in dein nun an Stelle türkischer Nizams, eine bulgarische Druzina mit etwas Cavallerie und 8 Geschützen unter lustigem Hörnerklang flcissig exercirten. Die Bekanntschaft mit Dorothcij, dem von Sofia vertriebenen Vladika, kam nur insofern auf halbem Wege entgegen, als er mir gleich nach meiner Ankunft durch seinen Archidiakon Joniki.j beste Grüssc, begleitet von prächtigen Forellen, frischem Obst und einem hübsch gearbeiteten Gürtel sandte. Ich erwiederte diese Aufmerksamkeit durch einen Dankbesuch bei dem etwas verwitterten Prälaten der fanariotischen Kirche. Er empfing mich in seinem bescheidenen, doch nett gehaltenen Häuschen sehr liebenswürdig, mied es aber, die gerade damals schwungvoll betriebenen Trennungswünsche seiner ehemaligen bulgarischen Schäflein vom Constantinoplcr Patriarchate zu berühren; er klagte nur über das ihm widerfahrene grobe Unrecht und über die „teuflischen Verleumdungen« seiner Widersacher, welche ihn zwangen, Berkovica als Exil aufzusuchen. Alles Unrecht lag natürlich auf Seite der Sofiaer Gemeinde. Nachdem ich aber wenige Tage zuvor von unhetheihgten Personen ein ganz gegensätzliches Uliheil über die bezüglichen Vorgänge im J. 1860 gehört, machte die Darstellung des Ex-Vladika auf mich nur geringen Eindruck. Der Grieche Dorothcij hatte genau wie sein Vorgänger, Bischof Joakim von Sofia, auf die Hellcnisirung der Bulgaren hingearbeitet. Letzterer befahl 1823, die in Cerovcn bei Berkovica befindlichen bulgarischen Heiligenbilder und Codices zu vernichten. Die Bauern thaten es nur theilweisc, vergruben diese Alterthümcr und erhielten dafür griechische Kirchenbücher. Während des bulgarisch-griechischen Kirchenstreits wurde auch dieser Frevel von griechischer Seite geleugnet. Um den Gegenbeweis zu führen, Hess Bischof Dorothcij an der von den Bulgaren behaupteten Stelle nachgraben, und obwohl von dieser Absicht nichts früher verlautete, fanden sich dort richtig Reste zerstörter Pergamente, sowie einige Bilderrahmen. Der alte geistliche Herr ging endlich von seinen Lcbcnsschicksalen zu einem erfreulicheren Gegenstände, zur griechischen Kunst über und sprach von den noch ungehobenen zahlreichen Schätzen, welche der thracisch-maccdonischc Boden berge. Als Illustration holte er alte Münzen und ein kleines, ausgezeichnet schönes Marmorrelief herbei, welches man ihm auf einer Reise zu Buzadsilar, im Kasa Sliven, verehrt hatte. Nach Prof. Kirchhoff's Lesung enthält die undeutliche Inschrift eine Widmung an den Zeus Sabazios. Die 0,21 Meter hohe Figur des Gottes mit Adler und Blitzen ist wohl sehr archaistisch ausgeführt, zeigt jedoch in Haltung und Linien ein hochentwickeltes Stylgefühl. Gerne hätte ich das 0,35 M. hohe und 0,23 M. breite Relief für eines unserer Museen erworben, der Metropolit wollte sich aber nicht von dein Schatze trennen; so zeichnete ich ihn mindestens und gebe hier seine treue Nachbildung. Berkovica's Kirche, nach welcher mich des Vladika's Archidiakon geleitete, bot kein besonderes Interesse, und ebenso wenig die benachbarte Schule, welche in der Vorbereitungsciasse etwa 150, in den drei höheren: 60 Schüler zählte. Die Mädchenschule fand ich von etwa 100 Kindern besucht. In Mustafa Ali, Kaimakam des Kreises, lernte ich einen sehr gefälligen reformfreundlichcn Mann kennen. Wie alle einsichtigen Ka-savorstände klagte er über die schlechte Organisation des Dienstes, welche ihn mit unzähligen, täglich sich wiederholenden Plackereien überhäufe und ihm die Zeit zur Bereisung seines ausgedehnten Amtssprengels raube. Beim Abschiede versprach er, mir seinen wegkundigsten Zaptie als Begleiter über den Balkan nach Pirot mitzugeben; beruhigt über diesen Punkt, dankte ich ihm herzlich und suchte meinen Han wieder auf. Der Rest des Tages schwand im Gespräche mit dem Jlandzi Nikolcov Kokol und zwei jungen Männern, welche er mir als auf einer Ferienreise begriffene Landsleute aus seinem fernen Geburtsorte Koprivstica vorstellte. Es waren zwei Brüder; Stojan Doganov, Zögling der militärärztlichcn Akademie zu Constantinopel, und Nikola, Lehrer in seiner Vaterstadt; beide erwiesen sich über deren Geschichte sehr unterrichtet. Koprivstica (türk. Avrat alan) genoss einst gleich vielen anderen sogenannten „Voimk-orten" grosser Privilegien von Seiten der türkischen Sultane. Bis zum berüchtigten Krdzaliensturme zählte es 10,000 Einwohner. Zerstört und verlassen, gelangte es allmälig wieder zu grösserer Blüthe und besass 1875 etwa 1100 Familien, als Jupiter -Relief von Buzadsilar. die bekannten traurigen „massaercs" im Jahre 1870 es abermals furchtbar trafen (S. 142). Die Koprivsticacr sind aufgeweckte Leute, das Reisen und Gelderwerben in der Fremde ist ihnen, gleich Tirolern und Bocchcsen, angeboren, viele auswärtigen Handel treibende Bulgaren, dann Lehrer stammen von hier; andrerseits aber auch Klephtenführcr, darunter der ritterliche bulgarische Bandenchef Donöo. Ich unterhielt mich vortrefflich mit den intelligenten jungen Männern und empfing auch manch nützlichen Wink über die bis heute topographisch wenig gekannte Sredna gora, deren höchste Kuppen „Hrt bunaja" und „Bogdan planina", nach den Mittheilungen der Herren Doganov, S. von Koprivstica sich erheben, das nunmehr zu dem politischen Zwittergeschöpf „Ost-Rumelien" gehört. Meine Leute hätten die ihnen zu Berkovica vergönnte 30-stündige Rast sehr gerne verlängert, doch liess sich ihr Wunsch mit meinem Rentier nicht gut vereinbaren. Bereits am 27. brach ich wieder auf, um den Berkovica-Balkan auf seinem bisher von keinem Forscher betretenen Westpasse zu überschreiten. Auf dieser Passage galt es, abgesehen von der Richtigstellung der westlichen Ogost-quellen, noch eine andere Aufgabe zu lösen. Als ich 1864 den „Sveti Nikola-Balkan" gewissermassen geographisch entdeckte und 1870 vollkommen in Karte brachte, gelangte ich bei seinem Südfusse an die Mündung eines bis dahin un-gekannten ansehnlichen Zuflusses der Nisava, zur „Temska", deren Quellen nach den Anwohnern vom fernen Berkovica--Balkan herabkommen solltcu. War dies richtig, so musste ich jenseits des Passes auf dieselben stossen und konnte sie zum ersten Mal in Karte bringen. Westlich von Berkovica begann der Anstieg in Curven über jene grasigen sanften Sporne des Balkans, welche die Stadt ringförmig einschlicssen und ihre prächtigen Herden nähren. Bald klommen wir steiler aufwärts und schon nach 1 St. sahen wir aus 218 M. Höhe herab auf die Stadt; neben uns rauschten Wasserfäden über verwitterte graue Kalke abwärts in das schöne Ringbecken, aus dem ihre weissen Minarete, gleich Juwelen auf grünsammtnem Untergrunde, aufblitzten. Kurz rasteten wir im schattigen, hochgelegenen Eichwald des Kitko, er hinderte den Ausblick; bald lag aber die Baumregion hinter uns und allmälig erschien eine Reihe von Querthälern, darunter jenes der Kalimanica mit 6 Orten, von welchen ich die näheren ohne Fernglas gut zu unterscheiden vermochte. Weiter nach W. tauchte das grössere Dlgodelska-Thal mit 10 Orten, dann jenes des eigentlichen Ogost auf, in dem 15 Orte liegen. So vermochte ich mich hier schön über die Configuration des ganzen westlichen Ogost-Quellgebietcs in allgemeinen Zügen zu orientiren, welches ich wenige Tage später durchschneiden und detaillirter aufnehmen wollte. Bald verlor die Landschaft ihren heiteren Charakter. Wir zogen über magere Triften und oft lag ihr grauwackenartig sandiges Untergestein kahl am Tage. In einer kesselartigen Mulde, ziemlich genau auf dem Flecke, wo Oberst von Scheda's Karte das nicht existirende Städtchen „Sirischnik" zeigt, sassen neben einem Quellbrunnen zwei in zottige Felle gehüllte, wild aussehende Hirten, sonst begegneten wir keiner Menschenseele während des Anstiegs. Der Verkehr zwischen hüben und drüben vollzieht sich hauptsächlich auf dem östlichen, um 400 M. niedrigeren und deshalb bequemeren Ginci-Passe (S. 247), zu dem Vicinal-strassen aus allen Thälern hinanführen. In massiger Curve umritten wir den höchsten Punkt des Berkovica-Balkans, seine imposante Komspitze, auf der südlich ihr vorlagernden 1919 M. hohen Garesda planina, und der Pass war überschritten. Tief unten, in einem mit der Hauptkette parallel streichenden schluchtartigen Längenthal floss ein kleiner Wasserfaden, gespeist von des Kom's nahezu senkrechten Runsen, W.O. zwischen abgestürzten Felsblöcken und spärlichem Buschwerk. Das Gesammtbild machte den Eindruck majestätischer Oede. Einige Raubvögel und Reptilien belebten die grauen, schiefrigen und dichten Kalke, oft bedeckt mit Grauwacken-Conglomeraten und zerrissen von tausend kleinen Rinnen, welche in der heissen Sommerzeit vollkommen trocken liegen. Kein Baum erfreute das Auge! Beim Abstiege stiess ich wieder auf die erwähnte charakteristische rothe Standsteinzone des südlichen Balkanhanges. In zahlreichen Serpentinen ritten wir sodann N. S. abwärts über den 0. W. streichenden Kalkzug des Radotina-Vorgebirges und traten bald darauf in ein gleich gerichtetes Längenthal, das gegen S. ein ansehnlicher Parallelzug abschloss und sich, zu meiner nicht geringen Ueberraschung, als ein reich bevölkertes erwies. Zunächst kamen wir in das Dorf G. Krivodol. Hier erschien nun der kleine, vom Kom abfliessende Wasserfaden, nachdem er die Radotina östlich umgangen, die Orte Gubes, Komastica und Brla durchflössen und einige nordöstlichere Quelladern aufgenommen, als ziemlich starker Bach in breiter Rinne dahinrauschend. Es war, wie ich nach einiger Umfrage klarstellte, der gesuchte Oberlauf des bedeutenden Flüsschens Temska rjeka; die schwierige Balkan-Passage hatte sich reichlich gelohnt. Bis zum Abend brachte ich das östliche Temska-Quellgebiet gänzlich in Karte und gewann die erfreuliche Aussicht, auch am nächsten Tage wichtige Beiträge zur richtigeren Eintragung des wenig gekannten West-Balkans zu gewinnen. Mit diesem tröstenden Gedanken ging ich in dem kaum 3 □ Meter grossen niedrigen Räume, den mir ein gastfreundlicher Bulgare abgetreten hatte, etwas ermüdet zur Ruhe; bald schlief ich ein, denn das frugale, aus Milch und Eiern bestehende Abendbrot beschwerte wenig meinen Magen. Die Leute im oberen Temskathale leben sehr massig. Etwas Viehzucht und ein kleines Gärtchen decken die bescheidenen Bedürfnisse dieser echten Balkandzi. Kanitz, Donau-Bulgarien und der Balkan. 19 Ich habe bereits die intellcctuelleu Verhältnisse der physisch ungemein kräftig entwickelten Gebirgs - Bulgaren wiederholt berührt. Im Allgemeinen theilten sie hier die geringe Bildungsstufe ihrer Nachbarn im östlicheren Sofia-Balkan, lebten in merkwürdiger Abgeschlossenheit von allen äusseren Welthändeln und wussten von diesen gleich wenig, wie vom benachbarten Fürstenthum Serbien und seinen ihrer Befreiung geltenden Plänen. Dies erklärt die vollkommene Passivität des grossen reinbulgarischen Temskagebietes während der Siege, welche die Serben im Juli 1876 an der nahen Babina glava und Nisava erfochten. Keine Flinte rührte sich in den Temskaschluchten, mindestens verlautete nichts nach aussen über eine erzielte grössere Bewegung, welche General Cernajeff's viel verbreitete schwungvolle Proclamation gerne hervorgerufen hätte. X. UEBER PIROT UND DEN CIPROVEC-BALKAN Das moralische und physische Moment auf Forschungsreisen. — Ein zeitraubender Zwischenfall. — Auffindung des Razboiskathals mit 30 Orten. — Neue Pirot-Berkovicaer Strasse. — Defile vor Krupec. — Stadt Pirot. — Passage des Ciprovec-Balkans. — Serbisch-bulgarische Grenze. — Beim Pavlov krst auf der Passhöhe. — Abstieg nach Ciporovica. — Rothe Sandsteinzone. — Westlichste Ogost-quellen. — Kloster bei Vlasko. — Römisch-katholische Reminiscenzen. — Auswanderung nach Ungarn. Alter Hüttenbetrieb. — Teppich-Fabrikation im Balkan. — Farbenharmonie. — Nachahmung der primitiven Teppiche im Occident. — Castellruinen. — Wasserscheide zwischen Ogost und Cibrica. — Temperatur-Verhältnisse. — Dresch-Schlitten. — Quellen der Cibrica. — Astronomische Position Slavotin. Asiz Pasa's Jagdgebiet. — Topographische Resultate am Lom. — Metkovec. — Nächtlicher Ritt nach Rasova. — Das Cibricagebiet auf unseren Karten und in Wirklichkeit. — Eintragung von 33 ungekannten Orten. — Abstieg nach Lom. — Prächtiges Landschaftsbild. — Durch die Stadt zur Donau. — Freudige Ueberraschung. — Licitando-Verkauf meiner Pferde. — Rückkehr nach Wien. — enn ich auch weniger als andere Reisende von den unangenehmen Zwischenfällen und Mühsalen erzähle, welche auf meinen Balkantouren beinahe täglich meine Geduld und Energie gleich sehr auf die Probe stellten, so darf der Leser nicht glauben, sie seien mir erspart geblieben. Im Bewusstsein, dass Reisen in von der Cultur kaum gestreiften Ländern keine Spaziergänge, ertrug ich grossentheils gleichmüthig Fatiguen und Abenteuer, welche ich in meiner Schilderung oft nur leicht berührte. Nicht immer so meine Begleitung! Nirgend so sehr als im Kriege und auf Forschungsreisen gewinnt man die Erfahrung, wie intensiv das moralische Moment die menschliche Physis beeinflusst. Das Bewusstsein, einer hehren Sache, der Wissenschaft oder dem Vaterlande seine Persönlichkeit zu weihen, stählt wunderbar alle Muskeln und lässt selbst Schwächere leichter Mühsale und Gefahren überwinden, als kräftigere, nur im Lohne des Reisenden stehende Begleiter oder militärische Söldlinge. NACH LOM. (XII. Balkan-Passage.) Lom im September 1879. Glücklicher Weise ging der vierte Monat meiner Reise zu Ende und trennte mich nur noch die letzte der für 1871 projectirten Balkan-Passagen von dem Endziele, von der Dampfschiffs-Station Lom. Dies war gut, denn bereits seit mehreren Tagen klagte mein sonst braver Dragoman über die grossen Fatigucn der Märsche bei schlechter Nahrung und unerträglicher Hitze, Uber die stets kürzeren Rasten in den Städten u. s. w. Auch der Sürüdzi und selbst meine Pferde fingen an zu erlahmen. So bedurfte es im letzten Augenblicke des Einsatzes noch vermehrter, oft bis zur Härte gesteigerter Energie, wollte ich mein Routier wie ich es voraus bestimmt, am 31. August glücklich vollführen. Namentlich zu Krivodol, dem armseligen Orte, wo ich die Nacht des 28. verbrachte, gab es Anlass zu allgemeiner Verstimmung. Trotz des besten Willens der Bewohner war dort weder Heu noch Gerste für unsere ermüdeten Pferde aufzutreiben, auch fehlte eine geschlossene Stallung. Am nächsten Frühmorgen, als man ihnen wieder etwas Grünfutter vorwerfen wollte, entstand grosser Lärm. Mein Trainpferd war verschwunden; es hatte, wahrscheinlich durch Hunger getrieben, vom Zaune der niederen Schafhürde sich losgerissen und das Weite gesucht. Ich sandte sofort den Zaptie mit einigen ortskundigen Leuten hinaus und nach zwei verlorenen kostbaren Stunden kehrten sie mit dem eingefangenen vierbeinigen Deserteur zurück, welcher reuig den Kopf senkte. Ich war froh, dass die Sache so gut abgelaufen, befand mich jedoch der neuen Schwierigkeit gegenüber, den Zaptie, welcher nach diesem angreifenden Jagdsporte seinem Pferde gerne einige Stunden Ruhe gegönnt hätte, zu sofortigem Aufbruche zu bestimmen. Wie immer erzielte auch diesmal ein in Perspective gestelltes grösseres Baksis vollständige Wirkung. Nach Kreuzung der Temska, deren Spiegel die Reflexe der hochstehenden Sonne schon seit Stunden in flüssiges Gold verwandelt hatten, erstiegen wir nahe bei Vlkovia den jenseitigen kahlen Höhenzug zwischen Krivodol und Prvol Ciftlik in einigen Serpentinen. Der Weg ging theilweise über eingesprengte gelbe Jaspis- und Quarzitbänke, Wald trat nur auf einem östlichen Berge in Sicht. Auf der Höhe angekommen, blickte ich hinab in ein weites Bachgebiet. Es war dasselbe, von dem ich auf dem Peöenabrdo karaul zuerst Kunde erhalten hatte (S. 246). Allmälig stellte sich heraus, dass demselben auch jene vom Ginci-Passe abfliessende Wasserader angehöre, welche unsere Karten, über hohe Gebirge weg, zum östlicheren Isker ziehen Hessen. War ich am Tage zuvor nicht wenig überrascht, die Temska-Quellen 6 geogr. Meilen östlich von ihrer Mündung entfernt aufzufinden, so war ich noch mehr verwundert, dass die erklommene Höhe uns nicht direct hinüber zur Nisava, sondern in ein der letzteren angehörendes, bisher ganz ungekanntes, viel verästeltes Thal brachte, welches vom Iskersystem durch einen bedeutenden Höhenzug getrennt wird und in dem ich bald 1 Kloster und 23 Orte constatirte. Alle diese Dörfer zählten 30—70 Häuser und besassen reiche Herden, hübsche Culturen und kleine Kirchen; leider aber selten eine Schule. Sie gehörten ausnahmslos der bulgarischen Nationalität an. Moslims fehlten hier gänzlich. Nachdem ich meine ungeahnte Entdeckung in Karte gebracht, senkten wir uns nahe der Klosterschlucht Sv. Kirik, am Südrande der Triput planina über Moinci zum wohlhabenden Dorfe Smilovci herab. Seine 60 Häuser liegen in 759 M. Seehöhe, auf einer sanften Erhebung des fruchtbaren, den Eindruck eines alten Seebeckens machenden Thaies. Vor nicht langer Zeit durchfloss es ein Bächlein, das von den südlichen Plateau's der NW. aufragenden Basara planina herabkam, heute haben jedoch die schwächlichen Wasseradern der entwaldeten Kalkrücken nicht mehr die nothwendige Kraft, um die Razboiska zu erreichen; sie versickern unfern von Smilovci in einem trügerisch grünen Sumpfe. Als ich die südöstlichen Höhen hinanritt, um einen genaueren Einblick in das jenseitige Gebiet der Kalotinca zu gewinnen, mit welcher sich die Razboiska vereinigt, querte ich eine von Pirot direct zum Ginci-Passe und weiter nach Berkovica führende breite Strasse. Nie hörte ich früher von dieser Baute Midhat's; ich dachte seiner dankbar, als ich auf derselben nun bequem meine Route nach Pirot fortsetzen konnte. Wir ritten 1 Stunde O.W. im Thale fort, dann aber in Curven durch ein wasserloses Engdefile, dessen viel zerrissene Hänge mit karstartigen Farben und Dollineu an die S. 184 geschilderte Landschaft am Panega-Ursprung mahnten; erst kurz bevor wir den höchsten Strassenpunkt erreichten, begrünten sich die Abstürze und Plateau's. Sie gestatteten manchmal prächtige Weitblicke auf das Nisava-thal. Am Silberbande seines in zahllosen Windungen aufleuchtenden Flusses erschienen viele rothdachige Dörfer, weisse Ciftliks und fern im N. die serbischen Grenzberge in rauchblauen Tönen, durch die charakteristischen Profile des Ja-strebac und Rtanj markirt. Ich peilte die wichtigsten Punkte, dann ging es auf wechselnd schwarzen und lichtfleckigen Kalken die zahlreichen Serpentinen rasch hinab nach Krupec, bei dem Ruinen einer alten Stadt sich befinden sollen. Ich sah sie nicht, denn der Abend war bereits angebrochen und noch hatten wir IV2 St. Weges bis zu unserem Ziele, bis Pirot. Seit zwei Jahren ist diese Stadt serbisch geworden und ebenso das untere Temska-Thal, über welches mich am 29. August Nachmittags meine Passage des Ciprovec-Balkans führte. Ich übernachtete zu Gozdusa, 2 Meilen westlich von der Grenze, welche im Berliner Congresse zwischen Serbien und Bulgarien gezogen wurde. Am 30. August Morgens überschritt ich bei nur 9° C. zwischen dem Medza uud Debilir, nahe beim „Pavlov Krst" (St. Paulskreuz), zum zwölften Male des Balkans Central- und Westparthic auf dein „Vrska glava-Pass" mit dem Vorsatze die Erforschung- seines östlichen Thcils bis zum Pontus im folgenden Jahre fortzusetzen. Die Passhöhe gewährte gegen N. eine beschränktere Fernsicht, als ich erwartet hatte. Kaum waren wir von derselben etwas abwärts gestiegen, wechselte zu meiner Ueberraschung die Kalkregion mit einer tiefroth gefärbten Sandsteinzone, welche der Belogradciker vollkommen ähnlich sah und zweifellos deren Fortsetzung bildete. Längere Zeit kletterten wir zwischen colos-salen rothen Blöcken im schönen Buchenwald abwärts zur tieferen gleichfarbigen Conglomerat-Schichte. Der Weg schlängelte sich auch hier zwischen zusammen gebackenen, isolirten Felsen hin, welche scheinbar dem Boden entwuchsen. Endlich ebnete sich das Terrain. Wir waren nahezu 1400 M. herabgestiegen und traten nun in das breite Ogostthal, dessen Mittelpunkt der schöne Flecken Ciporovica in 441 M. Seehöhe bildet. Wie ich bereits früher erwähnte, war das obere Ogostgebiet beinahe eine terra incognita, von der man absolut nichts wusste. Verführt durch die Aehn-lichkeit des einzig bekannten Ortsnamens Ciprovac mit jenem des Flusses Cibrica vermutheten die Kartographen seine Quellen bei dieser Stadt und Hessen sie durch dieselbe fliessen. Dieser grobe Irrthum drückte den stattlichen Ogost zur ärmlichen Rolle herab, welche er auf Kiepert's Karte noch 1871 spielte. Wie ich aber auf dem Wege nach Ciporovica zu constatiren vermochte, grenzt das Quellgebiet des Ogost dicht an jenes des Lom und ist vom westlichen Prevalskabache bis zur östlichen Leva rjeka nicht weniger als nahezu 10 geogr. Meilen breit. Der grosse Widerspruch dieser Thatsache mit den früheren landläufigen Darstellungen bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. Auf unserer Route blieb links bei Vlaska ein kleines Kloster Sv. Arandjel, das sich mit dem nördlicheren Schwesterkloster Ivan Rilski in die Seelencuratel der kirchenarmen westlichen Ogostthäler theilt. Heute sind dieselben rein bulgarisch-orthodox; einst erfreuten sie sich jedoch nicht gleich ungestörter Glaubenseinheit. Noch um 1690 war Ciporovica der Mittelpunkt eines grossen römischkatholischen Gebietes, welchem die gegenwärtig durch ihre schwunghaft betriebene Teppichfabrikation ausgezeichneten Orte Zelesna, Kopelovci u. a. angehörten. Um 1670 residirte zu Ciporovica der katholische Erzbischof des Sprengeis Sofia, ein Franciscaner, der in Stille seines Amtes waltete. Damals bildete Ciporovica eine Domaine der Sultanin Valide, die keine Steuern erhob. Trotz dieser Protection wurde die Stadt 1688 während des österreichisch-türkischen Krieges von den Türken verwüstet und wegen ihrer österreichischen Sympathien so vielfältig-bedrückt, dass ihre Bewohner auszuwandern beschlossen. Vom Kaiser Leopold I. erhielten sie um 1700 Sitze und Privilegien in Siebenbürgen, die Karl VI. bestätigte. Noch heute siedeln ihre Nachkommen zu Alvinc, Deva und Karlsburg, doch schmolzen sie durch Romanisiruug bis auf wenige hundert Seelen. Ob die zu Reussdorf und an anderen siebenbürgischen Orten ansässigen bulgarischen Protestanten aus dem Gebiet von Ciporovica stammen, ist unaufgeklärt; gegenwärtig sind auch sie romanisirt.*) Noch 1869 sah Lejean bei Ciporovica einen Stein mit der Inschrift „A. D. 1612", welcher wahrscheinlich von der „latinska crkva" (lateinische Kirche) herrührte, deren Ruinen ich auf einer Anhöhe nahe beim Dorfe sah. Letzteres bewahrt nur wenige Traditionen der katholischen Epoche dieser Gegend, und vergebens suchte ein päpstlicher Emissär vor einigen Jahren dieselben zu beleben. Ueber die geringen Aussichten für eine propagandistische Thätigkeit in dieser Richtung sprach ich mich in der ersten Auflage (I. Bd. S. 143) rückhaltslos aus. Ciporovica, auch Ciporovci und Ciprovec genannt, das Tschiprowatz unserer Karten, zählte einst zu den wichtigeren bulgarischen Bergstädten. Nach Safarik befand sich zur Carenzeit dort eine Colonie „Sasi". Es ist dies der verballhornte Name der sächsischen Bergleute aus Siebenbürgen in serbischen und bulgarischen Urkunden. Heute ist Ciporovica ein netter Flecken von 300 Häusern, bekannt durch seinen Teppichexport. Wir rasteten im Han, bis man Quartier für uns fand. Ein glücklicher Zufall brachte mich in das gastliche Haus eines Krämers, dessen Frau die Teppichweberei im grossen Style betrieb, was mir erwünschte Gelegenheit bot dieselbe näher kennen zu lernen. In der Teppichindustrie tritt die reiche Gestaltungskraft des Bulgaren vereint mit angebornem Gefühl für Linien- und Farbenrhythmus am eminentesten zu Tage. Der Bedarf an Sitz- und Fuss-Kilims im Orient ist ausserordentlich gross, denn die Vorliebe für solche ist bis in die bescheidenste Hütte eingedrungen. Der ärmste Moslim benöthigt überdies, dem strengen Koran-Rituell gemäss, einen Gebet-Kilim. Dieser ausserordentliche Consum von Teppichen aller Art bestimmte seit langer Zeit die industrielle Physiognomie zahlreicher Orte dies- und jenseits des Ciprovec-Balkans. Abgesehen von Pirot und Ciporovica, den Centren dieser einträglichen Hausindustrie, bildet auch zu Zelesna, Görna Zlatina, Govesda, Vlasko selo u. a. O. beinahe jedes Haus eine kleine Fabrik. In das Sortiren, Spinnen, Färben der zur Teppichfabrikation ausschliesslich^ verwendeten Schafwolle theilen sich Frauen und Männer. Die Bereitung der dunklen Couleurs, namentlich des Braun und Schwarz, die Aufrichtung des einfachen Webstuhls, ferner die mühsame Herstellung der Ketten besorgen ausschliesslich die Männer, während die Wahl des Musters, der Farben und das Weben den Frauen überlassen bleibt. Jeder Ort erzeugt seine Teppiche in herkömmlichen Formen; jene von Ciporovci sind beispielsweise durchschnittlich 2 M. lang, 1 M. breit und vorherrschend schwarz, braun, blau gemustert. Teppiche, welche diese Grösse überschreiten, werden im nördlichen Balkan selten und nur auf besondere *) Czoernig, Ethnographie der Ocsterr. Monarchie. III. 143, 146. * Bestellung gearbeitet. Manchmal laufen aus den fernen Städten Ruscuk, Adrianopel, ja selbst aus Stambul Aufträge durch Vermittlung von Piroter und Berko-vicaer Kaufleuten ein, welche den Preis vereinbaren und Angeld bezahlen, da die Herstellung eines Prachtkilims viele Wochen Arbeit und bedeutende Vorauslagen beansprucht. An Teppichen grossen Formates arbeiten oft gleichzeitig 4—6 Frauen und Mädchen. Giebt es deren nicht so viele im eigenen Hause, so helfen jene der Nachbarn gegen eine Entschädigung von 4—6 Piastern pro Tag. Im Winter wird bei Licht bis zur späten Nachtstunde emsig geschafft. Die Arbeiterinnen sitzen auf einer langen Holzbank dicht neben einander, jede webt den ihr durch die beaufsichtigende Hausfrau zugewiesenen Streifen von unten nach oben; es wird dabei wenig gesprochen, manchmal ein Mährchen, eine lustige Geschichte erzählt oder ein Lied im Chore gesungen. Mädchen im zartesten Alter bewegen gleich den Erwachsenen ihre verschiedenfarbigen Schützen und die Festschlagkämme mit unglaublicher Flinkheit und Kraft. Staunend sieht man, ohne vorliegende Farbenskizzen oder andere Vorlagen, wie sie in europäischen Fabriken üblich, jene bunten, reizenden geometrischen Linienspiele im auf- und absteigenden Zikzak entstehen, welche, auf der Wiener Exposition mit ersten Preisen gekrönt, als beliebter Salonschmuck zu Portieren, Divandecken u. s. w. viel gesucht werden. Die Nachfrage steigerte sich derartig, dass Pariser, Berliner, rheinische und österreichische Etablissements, beispielsweise die Weltfirma „Haas & Söhne", zur Nachahmung dieser farbenprächtigen, einzig auf traditionellem Wege entstandenen Kunstwerke schritten. Da Ciporovci's Männer mit der während des letzten Jahres fabricirten Waare auf den Piroter Panajir gezogen waren, erschien der Flecken nahezu verödet. Am nächsten Morgen sah ich bei der Brücke, welche auf das linke höhere Ogost-ufer führt, nur einige Frauen, deren emsiges Spinnen mit vornehm elastischer Bewegung sich hübsch ansah. Ueber lange weitärmlige Hemden werden in diesem Balkangebiete knapp anliegende ärmellose blaue Oberkleider getragen; grosse auf den Rücken herabwallende weisse Tücher bilden den Kopfputz mit dem der Wind sein neckisches Spiel treibt. Von unserem Wege führte eine gegen 0. abbiegende Curve hart am Flussbette nach dem Teppiche fabricirenden Zelesna und weiter zur Mündung der Prevalska im Ogost, den wir bei Belimir durchfurtheten. NW. von diesem hübschen Dorfe mit 120 Häusern liegt auf einer Höhe die Ruine eines alten Castells. Auf dem Weitermarsche am linken Ufer des Ogost sammelte ich die letzten topographischen Daten zu dessen richtigerer Darstellung; wieder verzeichnete ich viele Orte an gleichfalls ungekännten, aus N. ihm zufliessenden Wasseradern, welche wir kreuzten. Hinter Kamena Riksa erreichten wir die 406 M. hohe Wasserscheide zwischen dem Ogost- und Cibricagebiet. Wir befanden uns hiev um nahezu 1500 M. tiefer als am Vortage und hatten demgemäss zur Mittagsstunde auch 20, statt 10° C. im Schatten. In einem hübschen Wäldchen rasteten wir kurz. Trefflich schmeckte der von Ciporovci vorsorglich mitgenommene kalte Imbiss mit Rothwein, und der Ausblick auf das nun tief unter uns liegende sonnig beleuchtete Ogostthal erfreute während der mit Kaffee und Cigarette gewürzten Siesta das Auge. Ueberau hatten die türkischen Steuerpächter den Bulgarischer Dresch-Schlitten am Ogost. Zehnten bereits eingehoben; bevor dies geschehen, durfte Niemand es wagen, das in Haufen von 10 Garben aufgeschichtete Getreide vom Felde fortzubringen. Glücklicher Weise ist der Sommer hier grösstentheils trocken und der durch Regen verursachte Schaden war selten bedeutend. Das Einbringen der Ernte stand eben auf der Tagesordnung und allerorts konnte man auf den Feldern fröhliche Leute erblicken, beschäftigt mit Dreschen, Reutern und Verladen des Getreides. Alle mit dem Feldbau zusammenhängenden Verrichtungen stehen in Bulgarien, wie ich bereits bemerkte, wohl auf höherer Stufe als bei Türken, Albanesen, Serben und im eigentlichen Orient; trotzdem tritt des letzteren Einfluss häufig und namentlich im Dreschverfahren auf. Vergleicht der Leser beispielsweise die vorstehende Abbildung mit jener des in Aegypten gebräuchlichen Dreschwagens und des syrischen Dresch-Schlittens in Riehm's „Handwörterbuch des biblischen Alterthums", so wird er nicht wenig über die grosse Aehnlichkeit dieser primitiven Vorrichtungen staunen. Hier wie dort besteht das Dreschwerkzeug aus breiten harten, nach vorn aufwärts gebogenen Holzplanken, auf der Rückseite mit eingeschnittenen kleinen Spalten, in welchen scharfkantige Feuer-, Kiesel- oder sonstige schneidige Steine fest eingezwängt werden. Dieser durch Steine und die aufsitzende Person beschwerte „Dresch-Schlitten" wird über im Freien, auf einer festgestampften Tenne geschüttetes Getreide von Rindern oder Pferden im Kreise so lange hingezogen, bis die Körner ausgedrückt und das Stroh zu feinem Gehäcksel zerschnitten ist. Wir sehen hier also eine Dreschweise, wie sie von den Israeliten der Bibel und ihren ägyptischen Lehrmeistern im Ackerbau, bereits vor Jahrtausenden angewendet wurde. Nachdem meine Erforschung des Ogostgebietes vollendet, erübrigte mir, meinem Programme gemäss, nur noch die genaue Feststellung der Cibrica-Quellen. Dass sie nicht, wie auf unseren Karten, direct dem hohen Balkan entfliessen, hatte ich bereits am Vortage beim Abstiege nach Ciporovica erfahren. Da die Reservoirs des Ogost und Lom nur durch einen kaum */* St. breiten Rücken von einander getrennt werden, war dort, in des Balkans Hochregion, für sie kein Platz; das Cibrica-Quellgebiet musste also dicht vor mir in den Vorbergen des Ciprovec-Balkans liegen. Auf dem Weitermarsche gegen N. stiess ich auch wirklich beim hochliegenden Smoilanovci und dem auf der Hochebene sich ausbreitenden D. Riksa auf die beiden Cibrica-Arme, welche bald darauf bei Slavotin vereinigt, im ungetheilten Strange zur Donau fliessen. Da Slavotin von den Russen astronomisch bestimmt wurde, zog ich mein Routier über dasselbe, um es als Winkelstation zu benützen. Vor diesem wichtigen Punkte sah ich links bei Smoilanovci das schöne Waldrevier, von dessen Wildreichthum der abgesetzte Asiz Pasa von Vidin mir viel erzählt hatte. Asiz war ein tüchtiger Nimrod, welcher es den Bären und Wölfen des Balkans, noch mehr aber den Feinden der Reform geschworen hatte. Ich erinnere hier gerne an den talentvollen Mann (I. Bd. S. 119). Unter schwierigen Verhältnissen würde er durch seine genaue Kenntniss Donau-Bulgariens diesem Lande wirksamste Dienste geleistet haben, und seine Energie hätte auch die Tscherkessen der Orte Belotince und Gjurgzie im Zaum gehalten, über deren Räubereien die Bulgaren von D. Riksa bereits lange vor 1876 bitter klagten. Doch was kümmerten derartige, den Bestand des Staates gefährdende Kleinigkeiten die mit Tausenden von Liren bezahlten Säulen der hohen Pforte zu Stambul, wenn sie nur ihre Schützlinge unterbringen und dafür riesige Baksise in Seelenruhe einstecken konnten! Von Slavotin machte ich zunächst gegen NW. einen kleinen Abstecher, um mich über das südlichste Lomgebiet zu orientiren, in dem ich 9 Orte neu verzeichnete. Es war meine letzte grössere topographische Errungenschaft auf dieser Reise, dann ging es NO. nach Slivovik und weiter, über eine beinahe baumlose Ebene. Allmälig war ich von der Ogost-Cibrica-Wasserscheide 300 M., im Ganzen also vom Ciprovec-Balkan-Pass 1800 M. herabgestiegen und stand nun wieder auf der bulgarischen Donau-Terrasse. Stark undulirt, zeigte sie hier nur in den tiefsten Einschnitten saftiges Grün, die Luft war furchtbar heiss und ich schätzte mich glücklich, als wir in später Abendstunde unser Nachtquartier Metkovec (93 M.) erreichten. Dieser, zu den wohlhabendsten Dörfern des Lomkreises zählende Bulgaren-Ort erbaute in den letzten Jahren eine schöne Kuppelkirche von überraschender Grösse. Dicht neben derselben lag eine reizende Baumoasis, in deren Schatten ich noch um 8 Uhr 20° C. verzeichnete. Lästige Mückenschwärme verleideten mir den Aufenthalt im Freien, ich tröstete mich aber, es war ja die letzte Nacht, welche ich auf bulgarischem Boden im Jahre 1871 zubringen sollte. Sie gestaltete sich schlimm genug. In der kleinen Stube des primitiven Dorfhans herrschte unerträgliche Schwüle, der Schlaf floh mein Lager und auch der Gedanke an den bevorstehenden Ritt in der zu erwartenden Gluth-hitze des nächsten Tages war kein tröstlicher. Ich beschloss mindestens letzterer Qual zu entfliehen, weckte gegen Mitternacht meine Leute, liess die Pferde füttern, satteln und brach auf. Mein Zaptie kannte genau den Weg, die Luft war ungemein mild, der prachtvoll gestirnte Himmel leuchtete uns, und als röthliche Schimmer am östlichen Horizont den ersten Septembermorgen verkündeten, waren wir heil in Rasova angelangt. Niemals werde ich vergessen, mit welchen Gefühlen ich hier das wunderbare Schauspiel des sich vollziehenden Sonnenaufgangs genoss, nie die unbeschreibliche Farbenpracht des Nachtübergangs zum Tage, nie die grellen Contraste zwischen den goldigen Tinten des östlichen und dem dunklen westlichen Firmament-Segmente, niemals das allmälige Aufleuchten der hohen Balkankette im Süden, welche, noch wenige Monate zuvor eine räthsel-hafte Welt, mir nunmehr ihre Geheimnisse erschlossen hatte. Rasova und Krkisaba waren die letzten Orte, welche ich neu einzeichnete. Hiermit war meine topographische Aufnahme West-Bulgariens abgeschlossen. Welche terra incognita es aber vor meinen bezüglichen Arbeiten war, dafür sei hier zuletzt noch angeführt, dass Kiepert's anerkannt beste Karte vom J. 1871 an der falsch situirten Cibrica nur 4 Orte verzeichnete, von welchen Köstendil auf der bulgarischen Donauterrasse nicht existirt; Tschiprowatz, Werenitza und Gabronitza aber am Ogost, also an einem ganz andern Flusse liegen. Ausser dem Städtchen Cibar, an der Donau, kannten also unsere Karten vom J. 1871 an der Cibrica nicht einen Ort, während meine Karte nun alle ihre 33 Dörfer zeigt! Schon in einiger Entfernung von Rasova wurde uns ein solenner Morgen-gruss aus Hunderten lustiger Hühnerkehlcn; den Schornsteinen entstiegen blaue Rauchwolken, denn fleissige Frauen kochten bereits die stärkende Milchsuppe für ihre früh zur Feldarbeit hinausziehenden Männer. Der Bulgare geht gerne zeitig zu Bette und liebt es mit dem Hahnenruf aufzustehen; eine Ausnahme machte nur der Dorfhandzi. Mein Dragoman klopfte ihn jedoch sehr bald wach und halb schlaftrunken bereitete er für uns den wärmenden Moka. Erfrischt setzten wir unseren Ritt Uber die dampfende Fläche fort, auf welcher die gefürchteten Mückenschwärme ihren Tanz in dem von Sonnenlicht geschwängerten Aether begannen. Golenci, Lom's reiches Vordorf, über das seine Strassen nach Vraca und Berkovica ziehen, war jedoch schon nahe und bald ging es mit langen Ca-ravanen schwer beladener Karren zwischen reifenden Wein- und Obstpflanzungen, deren Bäume unter der reichen Früchtelast zu brechen drohten, hinab zum Flusse. Beim Abstiege gewährten uns die in seinen Uferrand eingeschnittenen Serpentinen volle Müsse, die landschaftlichen Reize des gegen SW. sich breit öffnenden, mit aller Sommerpracht gesegneten Lomthals zu gemessen. Allerdings nur einem Silberfaden ähnlich erschien sein vielgeschlängelter Wasserlauf, verglichen mit dem im Sonnengold erstrahlenden breiten Bande, das plötzlich NW. aufleuchtete. Es war die lang entbehrte Donau in voller Majestät. Dampfer durchfurchten sie, leuchtende Streifen hinter sich ziehend und frische Morgenluft schwellte der rumänisches Getreide nach Westen exportirenden Karlaschen weisse Segel. Das Ganze bot ein Bild von einfach grosser, wirkungsvoller Schönheit, welches die unabsehbare walachische Tiefebene und ein wunderbar hellblaues Firmament abschlössen, dessen Vorgrund der von Fischern belebte Lom und die schon im I. Bande geschilderte, gleichnamige Handelsstadt mit blinkenden Minaret-spitzen und Kirchenkuppeln bildeten. Rasch ging es über die Lombrücke zur langen Palilulastrasse der Handzi, Trödler, Töpfer, Schmiede und durch die stark belebte Handels -Carsi an die Donau. Hier grüssten die österreichisch-ungarischen Farben vom hohen Mäste der Donau - Dampfschifffahrts-Agentie. Ihr liebenswürdiger Chef Rojesko übergab mir, als schönstes Angebinde, lange auf mich wartende, ersehnte Briefe aus der Heimath. Dass meine sämmtlichen Sendungen aus dem Innern; Gesteine, Industriemuster u. s. w. glücklich zu Lom angelangt und der letzten Bestimmung im nahen Magazine warteten, bereitete mir gleichfalls nicht geringe Freude. — Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, er kann gehen! Eine Stunde nach meiner Ankunft ritt ein Telal (öffentlicher Ausrufer) mit meinen Pferden durch Lom's Strassen, um sie den Meistbietenden zuzuschlagen. Er pries ihre Schönheit und erntete spöttische Bemerkungen. Mit Recht bemerkten feilschende Käufer, dass die Thiere stark mitgenommen; dann wussten sie auch, dass ich sie verkaufen musste, und boten wahre Spottpreise. Am liebsten hätte ich mein treues Pferd, das mich so oft durch reissende Flüsse und über die schwierigsten Balkanpässe trug, mit mir genommen. Herzlich war der Abschied von meinen Begleitern. Ganz besonders dankte ich dem braven Dragoman für die geleisteten treuen Dienste; das Versprechen, ihn und keinen andern für meine folgende Reise zu engagiren, freute ihn mehr, als das empfangene Baksis. Schon am nächsten Tage bestieg ich den zu Berg fahrenden Dampfer. Nach vier monatlichen, glücklich durchgeführten Kreuz- und Querzügen empfand ich ein ungemein befriedigendes Gefühl, als ich mit vielen mühsam gefüllten Tagebüchern, Mappen und Kisten heil den lange entbehrten Boden europäischer Civilisation betrat! Acht Jahre später, im September 1879 besuchte ich wieder Lom - Palanka. Welch totale Veränderung! An der Landungsbrücke fürstlich bulgarische Policei-und Zollbeamte in schmucken Uniformen, höflich ihrem amtlichen Dienste nachkommend, vom Dampfschifffahrts-Gebäude eine schöne breite Strasse hinauf zur Stadt führend, dort eine früher ungewohnte Reinlichkeit, ein Volksgarten, neue Häuser in Bau oder Renovation, tiberall fleissige Hände mit der Errichtung von Ehrenpforten beschäftigt für den ersten neubulgarischen Fürsten Alexander, welcher auf der Reise zum Besuche des Fürsten Karl von Rumänien freudigst erwartet wurde. Man muss solchen, in alle Verhältnisse eines Landes, tief einschneidenden Wechsel selbst erlebt haben, um zu begreifen, wie schwer sich die durch ihn erregten Gefühle schildern lassen! HÖHEN-MESSUNGEN. Im Sommer 1871 bestimmte ich auf dem in diesem Bande behandelten Gebiete Donau-Bulgariens und des Balkans folgende Höhen mittels Aneroi'd: Meter üb. d. M. Jalar, Bachufer............'•....... 7 8 Musina, Plateau.................... 388 Novoselo........................ 364 Strassenpunkt, höchster zwischen Sevlijevo und Lovec..... 455 Lovec, Dzambas Hadzi han................. 265 Vuöiterna...................... 187 Radenica, Han .............•...... 81 Orese, Gorni beklemeh an der Donau............ 30(?) Svistov, Kad bair................... 199 Trencevica, katholischer Pfarrhof ............. 108 Lazen, katholischer Pfarrhof................ 84 Plevna, Geno han................... 116 Ablanica, Strassenhan................... 394 Trojan, Ivancov han .................. 456 Trojan-Kloster .................... 470 Novoselo, Bachufer............'...... 506 Studena kladenica (Quellausfluss)............. 1228 Dobreva grob karaula . . . -N............. 1671 Rosalita-Pass, bei den Gräbern.............. 1031 Kalofer, Tundzaufer................... 608 Kloster am Ak dere .................. 010 Helenski grobiste, Anhöhe O. von Karlovo......... 471 Sopot, Han....... ............... 563 Karahisarli, bulgarisches Mahle.............. 522 Rahmanli, Brücke................... 599 Siralan-Höhe..................... 1400 Verlassene Rabanica karaula ............. 1747 Rabanica-Pass.................... 1882 Ribarska Mahala, am Beli Vid.............. 619 Teteven, Han ............-......... 421 Glozan, Han..................... 328 Toros, Han...................... 205 Bezanovä karaula .*.................. 249 Svinar........................ 1113 Meter üb. <1. H. Gorni Dabnik...................... 125 Karaula auf dem linken Vidufer bei der Brücke vor Plevna .... 106 Vidufer, bei der Mühle gegenüber von Kreta......... 36 Gigen, Han...................... 1,1 Mahala, Nurid Bei-Mühle................. 37 Glava, Han............<......... 49 Cumakovci, Han.................... 04 Kneza...........•............ 104 Höchster Terrassenpunkt zwischen Kneza und Krusevica .... 134 Rahova, Achmed Bei-Konak ............... 82 Belibrod, Ogostufer................... 73 Plateau zwischen dem Ogost und Skit 1 St. 0. von Belibrod ... 169 Brzina, Bachufer bei der Mühle.............. 00 Komarevo, Skitufer bei der Brücke............. 101 Gabare....................... 190 Plateau zwischen Drsan und Kamenopol........... 4°8 Konino, Han..................... l4i Karlukovo-Kloster, linkes Iskerufer........; . . . 116 Karlukovo, Subasi konak im Dorfe............. 255 Kurman mogila, auf der Spitze.............. 442 Gorni Lukovic, rechtes Panega-Ufer bei der Brücke...... 110 Jablanica, Han.................... 4H Dragoica planina, auf dem Gipfel.....>....... 048 Mali-Iskerufer, Brücke an der Strasse nach Orhanieh...... 361 Osikovec, Strassenhan.................. 408 Pravec, Strassenhan................... 436 Wasserscheide zwischen Pravec und Lupen......... 720 Etropol, Han..................... 551 Kacamarsko karaula.................. 1178 Zlatica-Balkan, Passhöhe................ I490 Zlatica, Han.................... 720 Orhanieh, am Uhrthurme................• 378 Bebresufer an der 2. Karaula............... 551 ..............758 '......802 jj n Jj » ^* 5? ') )5 5? ?? 3. „ Baba konak-Pass des Etropol-Balkans........... 1050 Komarcki han an der Strasse............... Taskesen, Han................> r.* 687 Dolni Bogarov, Han . . . ................ 552 Sofia, bulgarisches Stadtviertel............... 558 Korila, Han...................... 529 Kostimbrod, Han.................... 549 Carski han...................... 734 Pecenobrdo han.................... 855 Melor über d. M. Ginski carski han.................... 1035 Ginci-Pass des Berkovica-Balkans............. 15°8 Klisura....................... 493 Berkovica, Nikolcov Kokol han.............. 420 „ , Kirche................... 448 Berkovica, Ruine auf dem Kaleh bair............ 550 Hadzilar Mahalesi................... 281 Kravaderski han an der Strasse nach Vraca......... 313 Vraca, Kristo Sava han................. 306 Mezra han am linken Iskerufer.............. 232 Lutibrod, Grab-Capelle................. 364 Slidol, im Weiler ................... 366 Javorec höhe, Vorberg des Lakatnik ............ 1202 Iskerfurth am Osikovsko gradiste............. 365 Höchster Balkan-Strasscnpunkt zwischen Vraca und Sofia . . . 1412* Kostalevska mogila.................. 512 Mramoren...................... 262 Ohoden, linkes Skitufer bei der Ruine............ 175 Borovan, Garski ambar................. 165 Vereinigungspunkt der Osen- und Galatinska rjeka...... 139 Plateau zwischen Raikovo und Krumsin........... 258 Levcevo, linkes Ogostufer ................ 83 Vleederma, Han.................... 76 Progorelec, rechtes Cibrica-Ufcr.............. 132 Plateau vor Gabrovnica................. 184 Belotinci, Ogostufer................... 104 Kitkoberg, westlich von Berkovica............. 818 Kom-Pass des Berkovica-Balkans............. 1919 Gorni Krivodol.................... 949 Smilanovci, Han ..........-......... 759 Nisor, Han...........' ......... 797 Koprivstioa-Wasserscheide zwischen der Nisava und Temska . . 936 Gozdusa . . . \................... 671 Vrtibog karaula ................... 1481 Bratkov-Pass des Ciprovec-Balkans............ 1897 Ciporovci ...................... 431 Plateau nördlich von Kamena Riksa............. 406 Metkovec, Kirche ................... 93 Druck von C. Grumbach in Leipzig.