NARODNA IN UNIVERZITETNA KNJIŽNICA 030032745 GESCHICHTE DER EiSENBAHNEN OESTERREICHISCH- UNGARISCHEN MONARCHIE. II. BAND. WIEN * TESCHEN * LEIPZIG. KARL PROCHASKA K. U. K. HOFBUCHHANDLUNG & K. U. K. HOFBUCHDRUCKEREI. MDCCCXCVIII. 5tr< sa ZUM funfzigjAhrigen regierungs-jubilaum SE1NER KAISERLICHEN UND KONIGLICH- APOSTOLISCHEN MAJESTAT FRANZ JOSEPH I. UNTER DEM PROTECTORATE SR. EXC. DES K. U. K. OEHEIMEN RATHES HERRN DR. LEON RITTER V. BILlNSKl MINISTER A. D. ETC. ETC. UNTER BESONDERER FORDERUNG SR. EXC. DES K. U. K. G EH El MEN RATHES HERRN FML. EMIL RITTER v. OUTTENBERO MINISTER A. D. ETC. ETC. UNTER MITWIRKUNG DES K. U. K. REICHSKRIEGSMINISTERIUMS UND HERVORRAGENDER FACHMANNER HERAUSGEGEBEN VOM OESTERRE1CHISCHEN EISENBAHNBEAMTEN-VERE1N. UNTER MITWIRKUNG DER FACHREFERENTEN: WILHELM AST, K. K. REGIERUNGSRATH, HANS KARGL, K. K. MINISTERIALRATH, DR. FRANZ LIHARZIK, K. K. SECTIONSCHEF UND DES REDACTIONS-COMITES : FRANZ BAUER, ALFRED BIRK, THEODOR BOCK, KARL GOLSDORF, FRANZ MAHLING, JOSEF SCHLUSSELBERGER REDIGIRT VON HERMANN STRACH. ; • fliK ALLE RECHTE, DAS GESAMMTE WERK BETREFFEND, BEHALTEN SICH DAS REDACTIONS-COMITE UND DIE VERLAGSHANDLUNG VOR. GESCHICHTE DER EISENBAHNEN DER OSTERR.-UNGAR. MONARCHIE. II. BAND. Oesterreichs Eisenbahnen iind die Staatswirthschaft. Dr. Heinrich Ritter von Wittek, Geh. Rath, Sectionschef im k. k. Eisenbahn-Ministerium. I. Einleitung. D IE nachstehenden Untersuchungen verfolgen den Zweck, in allge- meinen Umrissen die Stellung zu kennzeichnen, welche die Eisenbahnen in Oesterreich wahrend der 5qjahrigen Epoche seit dem Regierungsantritte Seiner Majestat unseres allergnadigsten Kaisers innerhalb der Staatswirthschaft einge- nommen haben. An die im ersten Bande dieses Werkes enthaltene Geschichte des Eisenbahnwesens ankniipfend und dieselbe durch ubersichtliche Zusammenfassung der materiellen Ergebnisse der einzelnen Entwicklungsphasen erganzend, leiten diese Erorterungen zugleich auf das Gebiet der heimischen Wirthschafts- geschichte hinuber, zu deren Darstellung sie einen vielleicht nicht unwillkommenen Beitrag bieten. Allerdings einen nicht ganz vollstandigen. Denn die Eisen¬ bahnen und mit ihnen die durch sie be- dingten Ruckwirkungen auf die Staats- wirthschaft reichen in ihren vielfach ziel- gebenden Anfangen — wir erinnern hier nur an das a. h. Cabinetsschreiben vom 19. December 1841*), dann die Errichtung und Gebarung der ausserordentlichen Creditcassa**) — in die Zeit vor 1848 zurtick. Gleichwohl kann diese letztere, wie die beigegebene Karte zeigt, bei dem Mangel eines zusammenhangenden *) Hofkanzleidecret vom 23. December I ° 4 I i P. G. S. Nr. 145, vergl. Bd.I., Strach, »Die ersten Privatbahnen«, S. 195 u. ff. **) Vergl. Bd. I, Strach, »Die ersten otaatsbahnen«, S. 250 u. ff. Eisenbahnnetzes nur als Vorlauferin der Aera des Eisenbahnverkehres gelten und fallt daher ausserden Rahmen dieser Arbeit. Auch so bleibt unser Thema noch um- fassend genug. Handelt es sich doch darum, den Beziehungen nachzugehen, in welchen die Eisenbahn als das in die Ent- wicklung des modernen wirthschaftlichen und Cultur-Lebens vielleicht am tiefsten eingreifende und dessen eigenartige Ge- staltung massgebend beeinflussende Ver- kehrsmittel mit der Gesammtrvirthschaft des Staates zusammenhangt und auf sie nachweisbar eingewirkt hat. Je weiter aber die Ausblicke sind, tvelche diese Beziehun¬ gen eroffnen — denn es gibt fast kein Ge¬ biet des staatlichen und wirthschaftlichen Lebens, das von der Wirkung der durch den Bahnverkehr erzielten Zeit- und Geldersparnis unbertihrt bliebe — desto augenfalliger wachst die Scbvvierigkeit, diese Beziehungen auch nur einigermassen vollstandig zu erfassen und darzustellen. Um ihrer Herr zu werden, miisste man im Stande sein, sich die Eisenbahnen aus der Gesammt - Entwicklung der letzten 50 Jahre wegzudenken und ein vergleich- bares Bild der Gestaltung zu geben, wie sie sich ohne das Hinzutreten der Dampf- Locomotion auf der Schiene vollzogen haben wiirde. In diesem Negativbilde wiirden beispielsweise alle die grossen Industrien fehlen, deren Entstehung theils mit den Eisenbahnen selbst im ursach- lichen Zusammenhange steht, theils durch dieselben tiberhaupt erst ermoglicht worden 1 4 Dr. H. Ritter v. Wittek. ist. Ein starres System unuberschreitbarer Schranken, durch die Raumdistanz und die Transportkosten gezogen, hatte, von den Kiistengebieten und schiffbaren Wasser- wegen abgesehen, die wirthschaftliche Entwicklung des Binnenlandes gehemmt und zersplittert, die Theilnahme am Welt- verkehr auf jene durch den Zufall der natiirlichen Lage begiinstigten Gebiete beschrankt. Gerade fiir Oesterreich aber —• ein Landergebiet, dem die Naturgabe leicht und bequem schiffbarer Wasser- strassen nur in sehr beschranktem Masse zutheil geworden ist —• kann die Be- deutung der Schienenwege nicht hoch genug angeschlagen werden. Die Aus- breitung und Verdichtung des Eisenbahn- netzes stellt demnach eine grosse wirth- schaftliche Culturarbeit dar. Sie bildet die Grundlage, auf welcher die heutige Entwicklung der einzelnen Productions- zweige, namentlich aber des Handels und der Industrie, zum wesentlichsten Theile beruht. Schon dieser Zusammenhang lasst die Wichtigkeit des Eisenbahnwesens fiir die Volks- und Staatsvvirthschaft klar er- kennen. So erscheint der Stand des Eisenbahmvesens als Gradmesser der ge- sammten wirthschaftlichen Entwicklung. Von diesem Gesichtspunkte aus gewinnt der Umfang, in dem der Ausbau des Eisenbahnnetzes und der durch dasselbe vermittelte Verkehr Fortschritte aufvveisen, ein vielleicht noch hoheres Interesse, als diesen an und fiir sich vermoge der darin zum Ausdruck gelangenden Bethatigung materieller und intellectueller Volkskraft zukommt. Als Umrisslinien fiir die dimensionale Entwicklung des Eisenbahnwesens der im Reichsrathe vertretenen Konigreiche und Lander seit 1848 bis zur Gegenwart mogen die nachstehenden statistischen Daten dienen. Fiir das Jahr 1848 wird nach der amtlichen Statistik*) die Lange der dem Verkehre iibergebenen Bahnen der oster- reichischen Monarchie mit 214-4 Meden [zu 4000 Wr. Klafter] = 1626 km ange- geben. Hievon entfallen auf die damals *) Tafeln zur Statistik der osterreichischen Monarchie fiir die Jahre 1847 und 1848, zweiter Theil, S. 59. eroffneten Strecken der Meilen km Nordlichen Staatsbahn. . 32'8 = 249 Siidlichen Staatsbahn . . 31-2= 237 Kaiser Ferdinands - Nordb. 53-0= 402 Wien - Gloggnitzer Bahn sammt Seitenbahnen . iro = 83 Wien-Brucker Bahn . . 5'5 = 4 2 Lombardisch-venetianisch. Ferdinands-Bahn . . . I3‘0 = 99 Mailand-Monza-Bahn . . 1 '7 = 13 Ungarischen Centralbahn 207 = 155 Oedenburg - Katzelsdorfer Bahn.37 = 28 Budweis - Linz - Gmundner Bahn.26-0= 197 Pressburg-Tyrnauer Bahn 8'5 = 64 Prag-Lanaer Bahn . . . 77 = 57 Zusammen 2i4’4=i626 Von diesen Bahnen waren die drei letz- teren [zusammen 42 Meden = 318 km] Pferdebahnen, so dass die Gesammtlange der Dampfbahnen sich auf 172'4 Meden [= 1308 km] herabmindert. Zum Zwecke des Vergleiches mit dem heutigen Stande sind hievon jedoch die ausserhalb der im Reichsrathe vertretenen Konigreiche und Lander gelegenen Bahnen auszuscheiden, wonach sich das Bahnnetz des der der- maligen osterreichischen Reichshalfte ent- sprechenden Landercomplexes im Jahre 1848 auf 133'5 Meden [= 1013 km] Dampfbahnen [hievon 64 Meden = 485 Staatsbahnen] und 337 Meilen [= 254^»] Pferdebahnen, zusammen 167 Meilen [= 1267 km ] reducirt. Die Bau- und Einrichtungskosten aller Bahnen, wovon nur die Strecken Wien- Ganserndorf und Wien-Neustadt doppel- geleisig hergestellt waren, sind fiir Ende 1848 mit zusammen 78,233.666 fl. C.-M. [=82,145.34911. o. W.] ausgewiesen. Die Zahl der im Jahre 1848 auf obigem Bahnnetze in Vertvendung gestandenen Locomotiven betrug 232. Der Personen- und Waaren-Verkehr, welcher in Folge der inneren Unruhen dieses Jahres einen Riickgang gegen das Vorjahr aufweist, umfasste auf den Beforderte Personen Ctr. Waaren Locomotivbahnen 2,844.329 10,779.421 Pferdebahnen. . 157-695 2,348.416 Zusammen 3,002.024 13,127.837 Oesterreichs Eisenbalmen und die Staatswirthschaft. 5 Die finanziellen Ergebnisse waren, von den politischen Umwalzungen gleichfalls ungunstig beeinflusst, folgende: Einnahmen Ausgaben Ueberschuss NOrdl.Staats- jn fl- C.-M. od. Abgang bahn .... 1,010.448 1,142.278 — 131.830 Siidl. Staats- bahn .... 1,355.107 96o.67o -j- 394437 Kaiser Ferd,- Nordbahn . 2,984.764 1,971.492 -f- 1,013.272 Wien-Glogg- nitzerBahn 1,073.229 555-539 + 5X7- 6 90 Wien-Bruck. Bahn.... 128.739 106.460 + 22.279 Budw. -Linz- Gmundner Balin.... 576.940 396.800 + 1 So. 140 im Ganzen 7,129.227 5,133-239 + 1,995-988 [= fl- 5- W. 2,095 787] Die uberaus bescheidenen Verhaltnisse des Bahnbetriebes in seinen Anfangen vor 50 Jahren bediirfen keiner weiteren Er- lauterung. Die damals eroffneten Strecken der Stammlinien des heutigen Hauptbahn- netzes — von Wien im Norden einerseits iiber Prerau, Olmutz bis Prag, andererseits bis Oderberg, im Siiden bis Gloggnitz und nach der Liicke des Semmering iiber Bruck und Graz bis Cilli reichend — lieferten insgesammt einen Reinertrag von rund 2 Mili. fl. Dem gegeniiber stellt sich der gegemvartige Stand des Eisenbahn- tvesens in den Reichsrathslandern durch folgende statistische Zahlen dar: Die Ausdehnung des Bahnnetzes [incl. der iiber die Grenze reichenden Anschluss- strecken] hat mit Ende 1895 eine Ge- sammtbaulange von 16.492 erreicht, wovon 7381 km auf die osterreichischen Staatsbahnen [davon 53 km im fremden oder Privatbetriebe], 9092 km auf gemein- same und osterreichische Privatbahnen [darunter 1503 km vom Staate theils fiir eigene, theils fiir Rechnung der Eigen- thiimer betrieben] und 99 km auf fremde Bahnen entfallen. Im eigenen Staatsbe- triebe standen 8751 km, im fremden 115 km, im Privatbetriebe 7626 km. Das venvendete Anlage-Capital des osterreichischen Bahnnetzes beziffert sich Ende 1895 auf 2.628,344.385 fl. Dar¬ unter sind die Kosten der Staats- und vom Staate betriebenen Bahnen [incl. Localbahnen] mit 1.195,802.630 fl. und jene der selbststandigen Privatbahnen mit I -432,541-755 A- inbegriffen. Die Anzahl der Locomotiven war Ende 1895 bei den Staatsbahnen auf 1879, bei den Privatbahnen auf 2342, zusammen auf 4221 gestiegen. Der Personen- und Giiterverkehr zeigt pro 1895 nachstehende Mengen*): Beforderte Gepack u. Giiter Personen Tonnen Staatsbetrieb. . 44,326.806 28,673.469 Privatbetrieb. . 62,115.739 65,205.251 Zusammen 106,442.545 93,878.720 Die finanziellen Betriebsergebnisse weisen im Jahre 1895 folgende Gesammt- ziffern aus : Gesammte Betriebs- Einnahmen Ausgaben in fl. o. W. Staatsbetrieb. . . 94,348.410 63,5x1.740 Privatbetrieb . . 153,284.451 82, 330.645 zusammen 247,632.861 145,842.385 Betriebs-Netto- Ertrag Staatsbetrieb.30,836.670 Privatbetrieb.70,863.836 zusammen.101,700.506 Von dem zuziiglich der sonstigen Einnahmen, welche bei den im Staats- betriebe stehenden Bahnen 3,623.753 fl. betrugen, mit 34,460.423 fl. ausgewiese- nen Jahresertrage der k. k. Staatsbahnen und vom Staate fiir eigene Rechnung betriebenen Privat-Hauptbahnen ivurden 1,797.746 fl. als Pachtzins fiir den Be- trieb fremder Bahnen, ferner 9,791.422 fl. als vertragsmassige Zahlungen fiir Ver- zinsung und Amortisation verwendet; zur Abfuhr an den Staat gelangten [abziig- lich der den Eigenthiimern der Local¬ bahnen ausbezahlten Ertragnisse per 217.931 fl.] 21,336.554 fl., wovon das Netto - Erfordernis der Extraordinarial- Ausgaben mit 7,161.805 fl. in Abschlag kommt, so dass das Reinertragnis aus dem Staatseisenbahn-Betriebe sich fiir das Jahr 1895 auf 14,174.749 fl. **) beziffert. Um die Grossartigkeit dieser Ent- ivicklung mit einem Blicke iibersehbar zu machen, folgt hier eine kurz zusam- mengefasste Gegeniiberstellung der we- *) Hauptergebnisse der Osterreichischen Eisenbahn-Statistik im J. 1895, S. XXI. **) Hauptergebnisse der osterreichischen Eisenbahn-Statistik im Jahre 1895, S. XXVII. 6 Dr. H. Ritter v. Wittek. sentlichsten charakteristischen Ziffern aus den vorher im Einzelnen gegebenen sta- tistischen Daten des Anfangs und des Schlusses der Epoche von 1848 bis zur Gegenwart, wobei sammtliche Langen- ziffern sowie Bestand und Ergebnisse 1895 sich nur auf die osterreichische Reichs- Es ist flirvvahr eine grossartige Lei- stung, die in dieser doppelten Zahlen- reihe zum vergleichenden Ausdruck ge- langt. Welche Summe von Thatkraft, technischer Arbeit und Opferwilligkeit in diesen niichternen Zahlen begriffen ist, erhellt schon aus den ganz ausser- gewohnlichenSchwierigkeiten, die bei dem Ausbaue und Betriebe des osterreichischen Bahnnetzes zu iiberwinden waren. Nicht umsonst hat die osterreichische Ingenieur- kunst bei der Losung des Problems der Ge- birgsbahnen von Anbeginn bahnbrechende Erfolge errungen und neuestens auf dem Gebiete der oconomischen Ausfuhrung von Bahnen niederer Ordnung bemer- kenswerthe Fortschritte erzielt. Ihren Leistungen im Vereine mit einer um- sichtigen administrativen Organisation des Localbabnwesens ist es vornehmlich zuzuschreiben, wenn Oesterreich unge- achtet der den Eisenbahnbau erschweren- den und vertheuernden Bodengestaltung seiner Gebirgslander in Bezug auf die Entwicklung des Eisenbahnwesens hinter den wirthscbaftlich und culturell weiter vorgeschrittenen und capitalsreicheren westlichen Staaten keineswegs zuruck- geblieben ist, vielmehr in der technischen Ausbildung und wirthschaftlicben Verwer- thung; dieses machtigen Hebels der Be- triebsamkeit und des Volkswohlstandes seit einem halben Jahrhundert stets eine hervorragende Stelle eingenommen hat. Es ist hier nicht der Ort, auf die tech¬ nischen und betriebsoconomischen Mo¬ mente, welche dabei in hervorragendem Masse mitspielen, naher einzugehen. Fur den Zweck der gesammtwirthschaftlichen Betrachtung genilgt wohl der Hinweis auf die Grosse der Dimensionen, die sich als das reale Ergebnis der bisherigen Entwicklung darstellen, und auf jene der materiellen Mittel, deren Aufwendung er- forderlich war, um dieses Ergebnis her- beizufuhren. Insofern es sich dabei in erster Reihe um die directe oder sub- sidiare Verwendung von Staatsmitteln handelt, ist der Zusammenhang des Eisenbahnwesens mit der Staatswirth- schaft von selbst gegeben. Dass er aber den Gegenstand nicht erschopft, wird arts der folgenden Darlegung klar werden. II. Theorie und Literatur. Um die in ihrer Gesammtheit kaum je zu tiberblickenden Beziehungen der Eisenbahnen zur Staats\virthschaft an- schaulich und darstellbar zu machen, hat die Theorie zu dem Hilfsmittel gegriffen, diese Beziehungen in eine Reihe concre- ter Momente zu gliedern, welche zum grossen Theile ziffermassig erfasst \ver- den konnen. Eine solche Eintheilung lasst sich etwa in folgender Weise aufstellen: A. Die Eisenbahnen \virken einerseits d i r e c t auf die Staatswirthschaft ein, u. zw. a) im s p e c i e 11 e n Staatsbudget der das Eisenbahnwesen umfassenden Ver- waltungszweige, insofern die Eisenbah¬ nen selbst Bestandtheile der staatlichen Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 7 Wirthschafts-Gebarung sind [Staats- eisenbahnbau, Staatseisenbahn - Betrieb] oder eine unmittelbare Einwirkung, ihrer Gebarungs-Ergebnisse auf den Staats- haushalt durch bestimmte, vom Staate mit denEisenbahn-Unternehmungen eingegan- gene Rechtsverhaltnisse [Staatsgarantie, Staatsbetheiligung an der Capitalsbe- schaffung oder am Reinertrage] herbei- gefuhrt wird; b) in den Etats anderer Dienstzrveige, zumal der fiscalischen, indem die Eisenbahnen selbst gleich dem durch sie vermittelten Verkehre Objecte bilden, aus denen dem Staate kraft seiner Finanz- hoheit Einnahmen zufliessen [Steuer- leistung], dann dadurch, dass die Eisen¬ bahnen concessions- oder vertraesmassia: gehalten sind, fiir staatliche Dienstzweige [Post, Telegraph, Militar] theils unent- geltlich, theils zu ermassigten Preisen Leistungen zu vollziehen, welche gegen- iiber dem normalen Preise dieser letz- teren fiir den Staatshaushalt geldwerthe Vortheile [Ersparnisse] darstellen; c) ausserhalb des Staatsbudgets, in¬ dem die im Staatseigenthum befindlichen Eisenbahnen Bestandtheile des Staats- vermogens bilden, die, abgesehen von ihrem Ertrage, schon vermoge des auf dieselben verwendeten Erwerbungs- oder Herstellungs - Aufwandes Werthobjecte darstellen. Auch die Privatbahnen konnen vermoge des vorbehaltenen Heimfalls dem Staatsvermogen im weiteren Sinne beigezahlt werden. B. Die indirecten Einwirkungen der Eisenbahnen auf die Staatswirthschaft sind ebenso mannigfacher als zum Theil venvickelter Art. Am nachsten liegt hier die Beziehung zu den Hilfsindustrieen des Eisenbahn- wesens, welches ja an und fiir sich eine eigene grosse Industrie [Transport- industrie] darstellt, indem der Eigenbedarf der Eisenbahnen an Bau- und Betriebs- materialien die einschlagisren Industrie- zTveige ins Leben ruft. Schienen-Erzeu- gung und Eisenbriicken-Construction, Locomotiv- und Waggonbau, der Auf- schwung des Kohlenbergbaues konnen als Beispiele dienen, wobei die hiedurch geschaffenen Steuerobjecte nicht zu iiber- sehen sind. Ein \veiteres, nur durch Detail- forschung, fiir welche namentlich das Attractionsgebiet neu entstehender Local- bahnen reiches Material bieten wiirde, ziffermassig erfassbares Moment der indi¬ recten staatswirthschaftlichen Einwirkung der Eisenbahnen bietet die durch sie be- einflusste Entwicklung des Wirthschafts- lebens und der Steuerkraft der von Eisen¬ bahnen durchzogenen Gegenden, wobei namentlich die Erweiterung bestehender und die Errichtung neuer Industriestatten sowie die Hebung des Grundwerthes und die fortschreitende Verbauung in der Nahe der Bahnhofe und Haltestellen in Betracht kommen. Schliesslich ist eiir be- deutsames staatswirthschaftliches Moment in der staatlichen Einfiussnahme auf die Verkehrsgestaltung durch Tarife, Fahr- ordnungen etc. insoferne zu erblicken, als hiedurch staatswirthschaftliche Zwecke [Export, Fremdenverkehr] gefordert \ver- den. Dass diese Einfiussnahme des Staa- tes auf die Eisenbahn-Tarifpolitik im weitesten Umfange beim Staatsbetriebe ermoglicht ist, und hier namentlich zu Gunsten der Hebung der heimischen In¬ dustrie wirksam bethatigt werden kann, wird insgemein als einer der iiber- wiegenden Vortheile dieser Venvaltungs- form der Eisenbahnen anerkannt. Von den aufgezahlten Beziehungen erscheint die als a) angeftlhrte directe Einwirkung der Eisenbahnen auf den Staatshaushalt nicht nur als die augen- falligste, sondern auch vermoge der gros- sen Summen, mit denen sie in den Staats¬ budgets und Gebarungs-Nachweisungen auftritt, als die quantitativ tiberwiegende und deshalb finanziell wichtigste. Sie vor allen hat daher den Blick auf sich ge- zogen, und ist Ausgangspunkt wie auch Hauptgegenstand der fachwissenschaft- lichen Behandlung dieser Seite des Eisen- bahnwesens geworden. Was nun die leitenden Gesichtspunkte betrifft, welche die Theorie fiir die staats- wirthschaftliche Gebarung der Eisen¬ bahnen aufstellt, so stimmen alle Autoren darin iiberein, dass der staatliche Ein- fluss auf die Verwaltung des Eisenbahn- wesens ohne Unterschied, ob es sich um vom Staate selbst oder von privaten Gesellschaften unter Heranziehung offent- 8 Dr. H. Ritter v. Wittek. licher Mittel betriebene Bahnen handelt, neben den volkswirthschaftlichen auch die finanziellen Rucksichten zu wahren hat. Hierbei wird allgemein davon aus- gegangen, dass normalerweise anzu- streben sei, aus den Betriebs-Einnahmen nebst den Betriebs-Auslagen die Ver- zinsung und Tilgung des verwendeten Anlage-Capitals zu bestreiten, so dass fiir selbe Zuschusse aus Staatsmitteln nicht erforderlich werden. Gleichwohl wird diese Regel keineswegs als eine absolute hinge- stellt, sondern zugegeben, dass dieselbe namentlich bei Bahnen, die ungeachtet mangelnder Ertragsfahigkeit aus hoheren staatlichen Rucksichten, wie etwa zu Zwecken der Landesvertheidigung, ge- baut werden miissen, Ausnahmen leidet. Auch wird zur Rechtfertigung solcher Ausnahmen auf die »indirecte Ren- tabilitat« hingeiviesen. Dieser Hinweis findet mit vollem Grunde bei Bahnen in vvirthschaftlich minder entwickelten Landern statt, deren Einbeziehung in das Bahnnetz eben deshalb erfolgt, um das culturelle und vvirthschaftliche Niveau zu heben. Beide Ausnahmsfalle begegnen sich in der Anwendung der vorstehenden Satze auf das osterreichische Bahnnetz, welches eine grosse Zahl rein militarischer und solcher Bahnlinien umfasst, deren Existenz- berechtigung vornehmlich in der Auf- schliessung raumlich ausgedehnter ent- legener Landestheile fiir den Verkehr und die wirthschaftliche Entwicklung begriin- det ist, wobei auch die abnormen Anlage- und Betriebskosten in den Gebirgslandern nicht zu iibersehen sind. Es kann daher fiir die osterreichi- schen Eisenbahnen im Ganzen und zu- mal fiir die osterreichischen Staats- balinen, welche derzeit zum grosseren Theile die jiingeren, minder ertrags- fahigen Linien umfassen, billigerweise wohl nicht davon die Rede sein, den Grundsatz der eigenen Aufbringung der Capitalslasten aus dem Betriebe in seiner vollen Scharfe anzuwenden und zu for- dern, dass diese Bahnen ohne Zuschusse aus Staatsmitteln, d. i. ohne Gebarungs- Deficit verwaltet werden. Das Gebarungs- Deficit der Eisenbahn-Verwaltung bildet daher den eigentlich kritischen Punkt der ganzen Sache. Seine ziffermassige Hohe und mit der Ausdehnung des Bahnnetzes zeitweilig zunehmende Steigerung, seine Ursachen und seine Riickwirkung auf das Deficit im Staatshaushalte — alle diese Momente sind schon wahrend der Herr- schaft des Garantie-Systems in der Fach- literatur eingehend erortert worden. Abgesehen von auswartigen Arbeiten, welche den Stoff in vergleichender Dar- stellung fiir die verschiedenen Staaten wie auch im Zusammenhange mit den eisenbahnpolitischen Zeitfragen*) behan- deln, hat zuerst der Altmeister der osterreichischen Finanz- und Wirthschafts- geschichte, Hofrath Professor Adolf Beer in seinem bekannten Buche »Der Staats- haushalt Oesterreich-Ungarns seit 1868« [Prag 1881, F. Tempsky] eine umfassende Darstellung der Eisenbahn-Gebarung im Rahmen des gesammten Staatshaushaltes gegeben. Der Verfasser fiihrt auf S. 241 die Subventionen und Dotationen an Industrie-Unternehmungen nach dem wirk- lichen Erfolge mit den summarischen Jahresziffern fiir die Periode 1868—1877 an, beziffert sodann die ertheilten Bau- vorschiisse und die im Jahre 1878 ver- ausgabten, ferner pro 1879 un< ^ 1880 praliminirten Betrage und kniipft daran die Bemerkung: »In diesen Summen liegt zum Theil die Erklarung fiir das seit einigen Jahren gestorte Gleichgewicht im Staatshaus¬ halte. Es lasst sich wohl schwerlich in Abrede stellen, dass iibertriebene Vor- *) Vgl. Dr. Alfred von der Leyen’s Ab- handlung: »Die Ertrage der Eisenbahnen und der Staatshaushalt« in Schmoller’s Jahrbuch, 16. Jahrg., 4. Heft. Daselbst wird den giin- stigen finanziellen Erfolgen des Staatsbahn- Systems in Preussenund den tibrigen deutschen Staaten der Einfluss, den die Gebarung der Eisenbahnen auch bei dem Bestande des Privatbahn-Systems auf die Staatsfinanzen iibt, gegentibergestellt: »Als finanzielle Aufgabe aller Eisen¬ bahnen kann wohl die bezeichnet werden, soviel Einnahmen aus dem Eisenbahnbetrieb zu erzielen, dass einmal die Betriebs-Ausgaben gedeckt und ausserdem das Anlage-Capital der Eisenbahnen zu dem landesiiblichen Zins- fusse verzinst wird. Die Frage, ob es unter Umstanden nicht nurwunschenswerth, sondern — aus Griinden, die nicht auf dem Eisen- bahngebiete, sondern auf anderern, sei es z. B. allgemein wirthschaftlichem, politischem, militarischem Gebiet liegen — sogar geboten ist, auch Eisenbahnen anzulegen, die mit Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 9 stellungen von der Prosperitat der Bahnen bei der Ertheilung von Eisenbahn-Con- cessionen und der Gewahrung von Zinsen- garantieen mitgewirkt haben.« Am Schlusse dieses Abschnittes, wel- cher eine eingehende Darstellung der Garanti e-Verhaltnisse der einzelnen Bah¬ nen und der ziffermassigen Ergebnisse derselben enthalt, folgt eine Uebersicht des Standes des Garantie-Guthabens des Staates [Ende 1862: 3-34 Mili. fl., Ende 1867: 15-047 Mili. tl., Ende 1877: 129'146 Mili. fl., vvozu .noch etwas liber 19 Mili. fl. an Zinsen kommen, zusammen daher 148-368 Mili. fl.; Ende 1878 : Ge- sammtguthaben 172-4 Mili. fl.]. »Diese gewiss nicht unbedeutenden Be- trage mussen bei Beurtheilung der Finanz- lage Oesterreichs in dem letzten Jahr- zehent mit in Anschlag gebracht werden und erklaren auch zum Theile das An- wachsen der Staatsschuld.« [S. 254 a. a. O.] Die gleiche Anschauung, dass das Deficit im Staatshaushalte grosstentheils durch die Subventionirung von Privat- bahnen begriindet sei, vertritt Dr. Gustav Gross in seiner Abhandlung »Die Staatssubventionen fiir Privatbahnen« [Wien 1882, Holder]. In erster Reihe die osterreichischen Verhaltnisse beriick- sichtigend, bietet diese Schrift als syste- matische Behandlung der Lehre von den Eisenbahn-Subventionen, durch eine sehr tibersichtliche genetische Darstellung der osterreichischen Staatsgarantie [S. I2ibis 128] sowie durch die Zusammenfassung ihren Ertragen das Anlage-Capital tiberhaupt nicht oder nicht vollstandig verzinsen, soli hier ausser Erorterung bleiben. Die Regel wird sein, dass man eine derartige Verzinsung verlangt, und zwar bei Staatsbahnen soviel Zinsen, als der Staat zur Aufbringung des Anlage-Capitals hat zahlen mussen, bei den Privatbahnen mčglichst hoh ere Zinsen. Pri¬ vatbahnen sind gerverbliche Unternehmungen, mit deren Betrieb ein oft recht bedeutendes Risico verbunden ist. Einen Gegenvverth fiir ein solches Risico bildet eine den landes- tiblichen Zinsfuss iiberschreitende Dividende.« »Ein unmittelbares Interesse des Staates an der Finanzpolitik der Privatbahnen liegt da vor, wo der Staat fiir deren Ertrage Biirgschaft geleistet hat. Wenn der .Staat die Verpflichtung iibernommen hat, fiir eine bestimmte Hohe der Dividenden, oder auch nur fiir die Zinsen der Obligationen einer Eisenbahn aufzukommen, muss ihm der fiir das Garantie-System anzufuhren- den staatswirthschaftlichen Griinde be- sonderes Interesse. Die Eintheilung der Subventionen in positive und negative, letztere als Befreiung von gewissen staat - lichen Lasten und Abgaben verstanden [S. 49], bildet den Ausgangspunkt, um in dem der letzteren Subventionsform gewidmeten Schlusscapitel die Besteue- rung der Eisenbahnen einer eingehenden Erorterung zu unterziehen [S. 158—186]. Die uns hier als directe staatswirth- schaftliche Vortheile aus dem Betriebe der Eisenbahnen interessirenden conces- sionsmassigen Vorbehalte [Heimfallsrecht, Besteuerung, Betheiligung am Reiner- trage, Beniitzung der Eisenbahnen durch Staatsbehorden und Staatsanstalten] sind am Schlusse der Einleitung [S. 23—25] erwahnt. In der Heranziehung des wei- teren Kreises der volks- und staats- wirthschaftlichen lnteressen, die mit dem Eisenbahmvesen in Verbindung stehen, findet der Verfasser triftige Argumente, um fiir die wenigstens theihveise Auf- rechthaltung des Privatbahnsystems ein- zutreten und darzuthun, dass die Sub¬ ventionirung von Privatbahnen in ratio- nellen Grenzen theoretisch zu rechtferti- gen sei. Auch Prof. Dr. Kaizl, dem wir eine iiberaus werthvolle, durch die anziehende Form der Darstellung und das warme Interesse des Autors fiir seinen Gegen- stand ausgezeichnete Abhandlung: »Die Verstaatlichung der Eisenbahnen in Oester- daran gelegen sein, einmal, dass seine Biirg- schaft in mOglichst geringem Umfange in Anspruch genommen wird, und sodann, dass, wenn sie in Anspruch genommen ist und er Zuschtlsse geleistet hat, ihm diese Zuschiisse und deren Zinsen moglichst bald zuriicker- stattet werden. Hier liegt also eine sehr enge Beziehung^ der Staatsfinanzen und der Finan- zen der Privatbahnen vor. Mit wirklichem Erfolg kanu der Staat in diesen Fallen seine lnteressen nur wahrnehmen, vvenn er die Verwaltung der Bahnen in die eigene Hand nimmt. Thut er das nicht, so werden der¬ artige Privatbahnen genau so wirthschaften, vvie nicht garantirte Bahnen, ja, sie werden noch ivemger, als reine Privatbahnen, zu einer \virkhch sparsamen Finanzwirthschaft geneigt sein, weil sie sicher sind, dass ihnen Ertrage, wenn auch vielleicht bescheidene Ertrage, unter allen Umstanden zufallen mtissen.« IO Dr. H. Eitter v. Wittek. reich« (Leipzig, Dunker & Humblot, 1885] verdanken, die er treffend »eine staatspsychologische Untersuchung« [Vor- wort S. II] nennt, verschliesst sich, wie- wohl decidirt auf dem Standpunkte des Staatsbahnprincipes stehend, keineswegs der Erkemitnis, »dass sich die Subventio- nirung von Privatbahn-Unternehmungen theoretisch sehr glanzend begrunden lasst, und dies vor Allem durch den [von Sax, Ver- kehrsmittel, I. Bd., S. 71 ff. aufgestellten] geistreichen Hinweis auf den Unterschied zwischen der directen oder anders ge- sagt der privatwirthschaftlichen Renta- bilitat, d. i. dem Gewinn, welcher dem Einzelunternehmer zukommt, und welclier moglicherweise gering ist oder auch ganz fehlt, und zwischen der in dir ec te n oder der v o Ik s wirt h s c h aftlic h en Rentabilitat, welche gleichzeitig und vielleicht von allem Anfange an iibergross sein kann und in den mannigfaltigen naheren und entfernteren wirth- s chaftlichen und ausserwirth- schaftlichen Vortheilen besteht, welche der gesammten Volksgenossen- schaft durch jede Eisenbahn zutheil werden.;< [S. 31, 32.] Was nun weiters die schon oben allgemein besprochene Wahl und nahere Abgrenzung des ftir die Verwaltung des Eisenbahnwesens in staatswirthschaftlich- finanzieller Hinsicht aufzustellenden leiten- den Grundsatzes anlangt, dessen theore- tische Formulirung durch Sax [Verkehrs- mittel, II. Bd. Die Eisenbahnen, S. 222] wohl als grundlegend zu betrachten ist, so bedingt die a. a. O. erorterte Behandlung der Eisenbahn als einer offentlichen U11- ternehmung im Gegensatze zum allgemei- nen Genussgute und zur offentlichen Anstalt, welch letztere nach dem ledig- lich auf Deckung der Gesammtkosten abzielenden Gebtihrenprincip zu verwalten ist, das Streben nach Erzielung eines hoheren, dem vollen Verkehrswerthe der Leistungen entsprechenden Ertrages. [S. 224 a. a. O.] Wenn nun schon das Gebuhrenprincip bemussigt ist, in die Eigenkosten die nothwendige Verzinsung und Amortisation des Anlage-Capitals ein- zurechnen [S. 225 a. a. O.], so besteht wohl kein Zweifel, dass das Augenmerk der Verwaltung in staatswirthschaftlicher Plinsicht auch bei Staatsbahnen*) auf die Erzielung moglichst ho- her Ertrags-Ueberschusse iiber die Gesammtkosten gerichtet sein muss. Hiebei kann es keinen Unterschied machen, ob dem Princip der offentlichen Unter- nehmung, wie Sax auf S. 229 a. a. O. will, ftir Bahnen hoherer Ordnung zwei positive Ziele gesetzt werden: der Ausbau des Netzes und die Refundirung der Aus- falle friiherer Betriebsperioden, — oder ob das in Rede stehende Ziel aus socialoco- nomischen Grtinden noch weiter, namlich dahin gesteckt wird, dem Staate ftir die Erfullung der heute an ihn herantretenden gemeinvvirthschaftlichen und socialen Auf- gaben moglichst ausgiebige Zuschusse zu liefern.**) In dieser Hinsicht sind von Friedrich Freiherrn von Weichs-Glon [»Das finanzielle und sociale Wesen der moder- nen Verkehrsmittel«, Tiibingen, Laupp 1894] zwei Momente hervorgehoben, welche in enger Beziehung zum Verkehrs- wesen stehen; einerseits die wachsenden Erfordernisse des Staatshaushaltes zur Befriedigung der sich mehrenden und er- hohenden gesellschaftlichen Bediirfnisse sowie die fortwahrend steigenden Erfor- *) V g 1 . A d o 1 f W a g n e r »Finanzwissen- schaft«, Leipzig 1879, IV. Bd., S. 736: »Als staats- und volkswirthschaftliche Anstalten ersten Ranges sollen die Staatsbahnen auch zunachst nach staats- und volkswirthschaft- lichen Gesichtspunkten, nur unter gleich- zei tiger geniigender Wahrnehmung des finanzielle n Interesses verwaltet werden. Demnach erscheint es zweckmassig, sie wie die Staatsforste und Domanen unter eines der volkswirthschaftlichen Ministerien, nicht direct unter das Finanzministerium zu stellen, eventuell bei allgemeinem Staats- bahnsystem undbeim Vorhandensein eines groš seren Bahnnetze s unter eineigenesEisenbahn-Ministerium.« **) »D e r E i n f 1 u s s volks wirthschaftlicher Interessen darf nicht soweit gehen, dass hie- durch der staatsfinanzielle Beruf der Staatsbahnen zu Schaden kommt. Das Staats- bahnprincip ist sicherlich an sich nicht fis- calischen Zwecken entsprungen, doch war speciell in Oesterreich die Rlicksicht auf die Staatsfinanzen nicht ohne bestimmenden Ein- fluss schon auf die Inaugunrung dieses Systems.« [Exc. Dr. Ritter v. Bi lih s ki in seiner Antrittsrede als Prasident der General- Direction der Ssterreichischen Staatsbahnen am 9. Januar 1892. Zeitschrift f. Eisenb., 1892, S. 4 l.] Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirtbschaft. II dernisse fiir Zwecke der Vertheidigung und Sicherheit und die zunehmende Schwierig- keit der Beschaffung der hiefiir noth- \vendigen Mittel; anderseits die sociale Frage [S. IV]. Indem an einer spateren Stelle [S. 126] die Grande fur die be- jahende Entscheidung der Frage ausge- fiihrt werden, ob die Ueberschusse aus dem Betriebe der offentlichen Verkehrs- mittel auch zur Erfiillung allgemeiner staatlicher Zwecke herangezogen werden diirfen, schliesst die Beweisfuhrungmit dem Hinweise auf die rein praktische Erwagung, dass fiir die stetig zunehmenden Erforder- nisse des Staatshaushaltes die nothigen Mittel unbedingt herbeigeschafft werden miissen. Von diesem Gesichtspunkte aus wer- den der staatlichen Verkehrsmittel-Finanz- politik zwei Gruppen von Aufgaben gestellt: so viele Einnahmen aus dem Betriebe zu erzielen, dass nicht nur die Kosten fiir Abniitzung, resp. Erneuerung der Anlagen ersetzt, die eigentlichen Betriebs-Auslagen gedeckt und die For- derungenoffentlich-rechtlicher Natur erfiillt \verden, sondem auch neben Beibringung von Quoten zur Schuldentilgung eine solche Verzinsung des Anlage-Capitals sich ergibt, welche die vom Staate zu bestreitenden Capitalslasten iibersteigt, um derart Zuschiisse zu de n allge- meinen staatlichen Einnahmen zu schaffen. Anderseits ist es Aufeabe o der vorerwahnten Politik, Vorsorge zu treffen, dass der Staatshaushalt thunlichst vor den storenden Wirkungen geschiitzt werde, welche die Schwankungen in den Verkehrsmittel-Ertragnissen ausuben. [S. 127 a. a. O.] Es kann nun nicht wundernehmen, dass angesichts der in der Theorie herr- schenden Uebereinstimmung hinsichtlich der staatswirthschaftlichen Ziele, denen die Verwaltung der Eisenbahnen sowohl bei dem Bestande subventionirter Privatbah- nen, als namentlich in der Fiihrung des Staatsbetriebes nachzustreben hat und die allgemein in der Erreichung des hochst- moglichen Ertrages gesucht werden, neue- stens zumal die finanziellen Ergebnisse des Staatsbetriebes sowie die Methode, welche die Verwaltung der Staatsbahnen zu diesen Ergebnissen gefilhrt hat, in der Publicistik und Fachliteratur den Gegen - stand der eindringlichsten Untersuchungen gebildet haben. Dr. Albert E d er hat in seinem Buche »Die Eisenbahnpolitik Oesterreichs nach ihren finanziellen Er¬ gebnissen« [Wien, Manz 1894] eine auf umfangreiches Ziffern-Material gestiitzte historisch-kritische Gesammtdarstellung des Gegenstandes durch die einzelnen Ent- wicklungsphasen bis zur neuesten Zeit geliefert. Die pessimistische Beurtheilung dieses Entvvicklungsganges ist, insoweit sie sich auf die Wiederaufnahme des Staatsbetriebes bezieht, nicht umvider- sprochen geblieben*) und sind auch sonst gegen den rein privatwirthschaftlichen Standpunkt der Abhandlung gewisse Bedenken nicht zu unterdriicken. An dieses Buch anknilpfend, wendet sich Professor Dr. josef K a i z 1 in einer scharf polemischen Abhandlung [»Passive Eisen¬ bahnen. Ein Capitel zur Finanz- und Socialpolitik Oesterreichs« in der Wiener Wochenschrift »Die Zeit« vom Juni 1895] vornehmlich gegen die in den Jahren 1891 und 1892 bewirkten Herabsetzun- gen der Gutertarife auf den Staatsbahnen. Seinen Ausfuhrungen, die von ihm auch im Abgeordnetenhause wiederholt mit Nachdruck geltend gemacht wurden, ist wohl nicht ohne Grund der Hinweis auf die ungarischen Tarifmassnahmen [Zonen- und Localgiitertarif des Handels- ministers von Baross], unter deren Druck die osterreichischen Tarif-Ermassigungen erfolgten, entgegengestellt worden. Auch waren ja bei dem empirischen Versuche, das fiir die Verkehrs-Entwickelung und die Einnahmen - Steigerung wirksamste Tarif-Niveau zu finden, Irrthiimer wohl entschuldbar. Wie man nun aber die letzten Ziele der damaligen Tarif-Herab- setzungen und ihre Riickwirkung auf die einlosungsreifen Privatbahnen beurtheilen moge, so viel ist sicher, dass ihr anfang- liches Ergebnis Anlass geboten hat, zu dem neuen Curse der staatlichen Eisen- bahn-Tarifpolitik iiberzugehen, wie er mit stiirkerer Betonung der staatsfinanziellen Rucksichten seit dem Jahre 1892 wahr- nehmbar hervortritt. *) S. »Neue Freie Presse« vom 22. Septem¬ ber 1894 »Die Eisenbahnpolitik Oesterreichs«. 12 Dr. H. Ritter v. IVittek. Der leitende Gedanke, diesen Riick- sichten neben den volkswirthschaftlichen Interessen beim Staatseisenbahn-Betriebe zu ihrem vollen Rechte zu helfen, kann wohl nicht leicht scharfer und treffender zum Ausdruck gebracht werden, als dies in einer Rede Sr. Excellenz Dr. Emil S t e i n- b a c h’s — dem im Abgeordnetenhau.se am 5. November 1892 gegebenen Finanz- Expose — geschehen ist, deren einschla- gigerTheil hiernach demstenographischen Protokolle des Abgeordnetenhauses im Wortlaute folgt: »Sie haben Alle die Einfuhrung des Staatseisenbahnwesens mit Beifall be- griisst, und ich darf sagen, dass ich mich dieser Empfindung jederzeit angeschlossen habe, und mich ihr auch heute noch aus vollem Herzen anschliesse. Wenn Sie aber das Staatseisenbahmvesen aufrecht erhalten wollen, miissen Sie trachten, dass Ausgaben und Einnahmen iiberhaupt im Verhaltnisse bleiben. Wenn die Ausgaben fortrvahrend steigen und die Einnahmen zu stark herabgesetzt werden, dann ist gar nichts anderes moglich, als dass das Staatseisenbahnwesen in seinen Erfolgen in einer bestimmten Reihe von Jahren com- promittirt werden muss. Der Staat kann seine Eisenbahnen im Wesentlichen nach dem Princip verwalten, welches man immer das Gebiihrenprincip genannt hat, aber auf eine wenn auch ver- haltnismassig niedrigere Durch- schnittsrentabilitat muss der Staat sehen; das ist das Princip, das anzustreben ist, und ich bin vom Finanz- standpunkte unbedingt dazu verpflichtet, darauf zu sehen, und ich glaube damit auch im Interesse des Staatseisenbahn- wesens zu handeln. Wiirde man dies nicht thun, dann ware das Resultat einfach das, dass die Nichtinteressenten den Ausfall zu bezahlen haben f ii r die Eisenbahninteressenten, und auf die Dauer lassen sich das die N i c h t - E i s e n b a h n i n t e r e s- senten nicht gefallen.« III. Die Eisenbahnen im Staatsbudget unter dem Garantie-System. Nach dem glanzenden Aufschwung, den das osterreichische Eisenbahnwesen in den Fiinfziger-Jahren unter der unmittel- baren Leitung des Staates genommen hatte, folgt die ungefahr 25 Jahre umfassende Periode, in welcher das Privatbahn-System in Verbindung mit staatlichen Zinsen- und Ertrags-GarantieenderverschiedenstenArt zur nahezu ausschliesslichen Geltung ge- langte. Die Erlassung des Eisenbahn-Con- cessionsgesetzes vom 14. September 1854, R.-G.-Bl. Nr. 238, und die mit 1. Januar 1855 erfolgte Concessionirung der osterr. Staatseisenbahn-Gesellschaft zum Betriebe der derselben zeitweilig tiberlassenennord- lichen und siidostlichen Staatsbahnlinien, konnen als Ausgangspunkt dieser eisen- bahnpolitischen Wandlung betrachtet wer- den. Unter dem Drucke der Zeitverhalt- nisse war der Staat leider bemtissigt, sich seines werthvollen Bahnbesitzes, auf wel- chen nach den von H. Strach im Ab- schnitte iiber die ersten Staatsbahnen [Bd. I, S. 313] angestellten, auf Original- quellen zuriickgreifenden Berechnungen rund 350 Mili. fl. C.-M.*) = 367-5 Mili. fl. ost. Wahrg. verwendet worden waren, unter keinesrvegs giinstigen Bedingungen zu entaussern —- der Verkaufserlos wird mit nur 168-56 Mili. fl. C.-M. = 176-988 Mili. fl. Oest. Wahrg., d. i. etwa 48 Procent der Selbstkosten angegeben — und sich zunachst dem Eisenbahnwesen gegeniiber eine weit- gehende finanzielle Zuriickhaltung aufzu- erlegen. Doch ist, wie Adolf W a g n e r in seiner Finanzwissenschaft [2. Aufl., *) Adolf Wagner, Finanzwissenschaft [2. Aufl., Leipzig 1877] L, S. 598, gibt 336-26 Mili. fl. C.-M. = 353-?73 Mih- A- ost. Wahrg. an. Eder berechnet in seinem Buche »Die Eisenbahnpolitik Oesterreichs« etc. S. 49 den Capitalsverlust des Staates mit iiber 223-54 Mili. fl. Oesterreichs Eisenbahnen und die Staats\virthschaft. 13 Leipzig 1877, IV/l, S. 696] treffend her- vorhebt, das Princip des Staatsbahmve- sens, das in Oesterreich von allem Anfang gewahrt wurde, keineswegs aufgegeben \vorden, indem nicht nur bei der Con- cessionirung, sondern auch bei der Ver- ausserung der Bahnen der Vorbehalt eines Wiedereinlosungsrechtes stipulirt wurde. Nachdem gleichwohl der Betrieb des Bahnnetzes fortan der Privatindustrie iiberlassen war, schien hiedurch der an- gestrebte Zweck, den Staatshaushalt von weiteren Ausgaben fiir Eisenbahnzwecke zu entlasten, im Wesentlichen erreicht. Denn die Zinsengarantieen, mit welchen die vormaligen Staatsbahnen den con- cessionirten Gesellschaften tibertragen worden waren, hatten zunachst nur for- melle Bedeutung. Der Ausbau des Netzes aber ging insgemein in die Hande der Gesellschaften iiber und nahm sohin mit Ausnahme einiger wenigen Strecken, deren Bau durch den Staat fortgesetzt oder neu eingeleitet wurde [Nordtiroler Bahn, Wiener Verbindungsbahn, spaterhin Sie- benbiirger Bahn Arad-Karlsburg], die Staatsfinanzen nicht in Anspruch. Gleiclvvvohl begann schon Anfangs der Sechziger-Jahre das bei der Ueberlassung der Eisenbahnen an die Privatindustrie ange\vandte Garantie-System, welches urspriinglich, wie bei den Garantie-Zu- sicherungen an die Staatseisenbahn-Ge- sellschaft und spaterhin die Stidbahn, nur als formelle Verstarkung des gesellschaft- lichen Credits gedacht war, effective Wirkung zu aussern, indem der garan- tirende Staatsschatz infolge des Zuriick- bleibens der wirklichen hinter den garan- tirten Bahnertragnissen mit Garantie-Zu- schiissen in Anspruch genommen wurde. Schon das erste, in Form eines Finanz- gesetzes*) verfassungsmassig zustande ge- kommene Staatsbudget fiir das Jahr 1862, in welchem die Summe der Staats- ausgaben mit 388,772.222 fl. 94 kr., die Bedeckung durch Staatseinnahmen mit 294,650.334 fl. angesetzt und der sohin im Wege des Credites zu bedeckende Abgang mit 94,121.888 fl. 94 kr. beziffert ist, weist im ersten Theile — Erfordemis *) Finanzgesetz'vom 2. November 1862, R.-G.-Bl. Nr. 76. — unter den anderen, zu keinem der be- stehenden Verwaltungszweige gehorigen Ausgaben [A. XV] in der Abtheilung »Subventionen und Zinsengaran- tien fiir verschiedene Industrie- Unternehmungen C« eine Reihe solcher Ausgabsposten fiir Eisenbahnen auf, und zwar: Fiir die Siid-Norddeutsche Verbindungs¬ bahn .600.000 fl. fiir die Theissbahn .... 400.000 » Kaiserin Elisabeth-Bahn . . 900.000 » Letztere Ausgabspost erscheint mit dem charakteristischen Beisatze »Ausnahms- weise und unter Aufrechterhaltung aller der Staatsverwaltung in Betreff des Umfanges der iibernommenen Zinsengarantie aus lit. g des § XII der Concessions-Urkunde zukommenden Rechte als Vorschuss«. Nebst diesen, zusammen 1,900.000 fl. betragenden Garantie-Zahlungen enthalt das i862er Budget noch unter »Schul- d e n t i 1 g u n g E« als Capitalsriickzahlung von durch Einlosung von Privateisen- bahnen, entstandenen Schulden den Betrag von 105.400 fl. und unter »Capitalsan- lagen F« eine Ausgabspost fiir Staats- eisenbahnbau, welche nach Abschlag der eigenen Bedeckung per 100.000 fl. mit 1,740.855 fl. eingestellt ist. Im zweiten Theile des Staatsvoran- schlages — Bedeckung; — kommen aur das Eisenbahnwesen beziigliche Posten nicht vor. Aus dem Titel der Eisenbahnen hatte somit der Staatshaushalt im Jahre 1862 eine Netto-Belastung von 3,746.255 fl. zu tragen. In dem Finanzgesetze *) fiir das Ver- waltungsjahr 1863, welches beziiglich seiner Eintheilung mit j enem des Vor- jahres ubereinstimmt und bei einem Staatsausgaben-Erforder- nisse von.367,087.748 fl. dem eine Bedeckung von nur.. . 304,585.094 » gegeniibersteht, mit einem Abgange von . . . 62,502.654 fl. abschliesst, sind in der Hauptrubrik XV, C Subventionen und Zinsengarantien an *) Vom 19. December 1862, R.-G.-Bl. Nr. 101. 14 Dr. H. Ritter v. Wittek. solchen zu Eisenbahnzwecken mit den im Vorjahre gemachten Vorbehalten ein- gestellt: Fiir die Stid - Norddeutsche Verbin- dungsbahn [gleich dem Vorjahre].600.000 fl. ftir die Theissbahn [gleich dem Vorjahre].400.000 » ftir die Kaiserin Elisabeth- Bahn [— 42.000 fl.] . . . 858.000 » ftir die Zittau-Reichenberger Bahn [neu] .337.000 » zusammen Carantie-Erforder- nis.2,195.000 fl. [gegen das Vorjahr -f- 295.000 fl.] Die Ausgabspost der Capitalsrtick- zahlung von durch Einlosung von Privat- eisenbahnen entstandenen Schulden [E] mit 105.400 fl. ist unverandert ge- blieben. Ftir Staatseisenbahnbau [F] erscheint ein specificirtes Praliminar, welches an Ausgabsposten enthalt: d) Regieaufvvand .... 67.321 fl. b ) Auslagen zur Vermeh- rung des Stammvermo- gens. 642.985 -•> c) Unter-, Ober- und Hoch- bau.1,496.250 » zusammen 2,206.556 fl. und nach Abschlag der eigenen Bedeckung von . . 130.000 » die Netto-Ausgabe von . . 2,076.556 fl. ausweist. Der gesammte Aufwand ftir Eisen- bahnzwecke ist im Jahre 1863 mithin gestiegen auf 4,376.956 fl. Im Finanzgesetze vom 29. Februar 1864,*) welches die i4monatliche Pe¬ riode vom 1. November 1863 bis letzten December 1864 umfasst, sind die ge- sammten Staatsaus- gaben auf.614,260.059 fl. die Staatseinnahmen mit 568,547.335 » festgesetzt. Der Abgang betragt somit. 45,712.724 fl. Bei den Subventionen [B] an Industrie- Unternehmungen [Cap. 14] sind unter den ausserordentlichen Ausgaben als mit 4 °/ 0 verzinsliche Vorschiisse eingestellt an die Stid-Norddeutsche Verbindungs- bahn. 600.000 fl. Theissbahn. 860.000 » Kaiserin Elisabeth - Bahn [mit dem gleichen Vor- behalte wie in den Vor- jahren].1,300.000 » Bohmische Westbahn . . 250.000 » ferner an die Zittau-Reichen¬ berger Bahn. 100.000 » zusammen 3,110.000 fl. Bei dem Etat der Staats- schuld kehrt im Cap. 20 [Schuldentilgung ] \vieder die Post: Einlosung von Privateisenbahnen .... 105.400 » so dass die Eisenbahn-Aus- gaben.3,215.400 fl. ausmachen, welchen gegen- iiberstehen die Einnahmen aus den Aerarialeisenbahnen [Cap. 31, Titel 5 der Be¬ deckung] mit. 106.813 » Der praliminirte Netto- Staatsaufvvand fiir Eisen- bahnzwecke betragt mithin in der Finanzperiode vom 1. November 1863 bis 31. December 1864 . . . 3,108.587 fl. Im Staatsvoranschlage fiir das Jahr 1865, dessen Staatsausgaben laut des Finanzgesetzes vom 26. Juli 1865*) mit.522,888.222 fl. und Staatseinnahmen mit 514,905453 * festgesetzt sind, wornach ein Abgang von . . . 7,982.769 fl. resultirt, nehmen die Subventionen ftir Eisenbahnen an ausserordentlichen Aus¬ gaben [Erfordernis-Cap. 15, Titel 3—8] folgende Summen in Anspruch: Stid-Norddeutsche Verbin- dungsbahn .... Theissbahn . . . Kaiserin Elisabeth-Bahn Bohmische Westbahn Zittau-Reichenberg. Bahn Siidliche Staatsbahn . zusammen 680.000 fl. 970.000 » 1,400.000 » 315.000 » 100.000 » 8.218 » 3,473.218 fl. ') R.-G.-Bl. Nr. 14. : ) R.-G.-Bl. Nr. 54. Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 15 Transport . . 3,473.2180. Im Etat der Staats- schuld [Gap. 21, Titel 7] sind fiir Einlosung von Privatbahnen .... 105.993 » eingestellt. Die Ausgaben o o fiir Eisenbahnzwecke be- tragen mithin .... 3,579.2110. An Einnahmen gleicher Art ist nnr eine Post im Ordinarium — Aerarial- eisenbahnen — in der Be- deckungCap. 33, Tit. 6 mit 138.029 » praliminirt, so dass die Netto-Belastung fiir Eisen- bahnzwecke.3,441.182 0. ausmacht. Auch das Budget des Jahres 1866 bietet bezuglich der Eisenbahnen ein ahnliches Bild. Es schliesst nach dem Finanzgesetze vom 30. December 1865 *) bei.531,273.881 0. Staatsausgaben und . . 491,134.735 » Staatseinnahmen mit einern Abgange von .... 40,139.146 0 . ab. Unter den Eisenbahn-Ausgaben ist nebst den im Subventions-Etat [Cap. 16, Titel 3 — 8] fortlaufenden Garantie-Vor- schiissen, fiir die gleichen Bahnen wie im Vorjahre mit zusammen 3,498.736 0 . und der Einlosung von Privatbahnen [Cap. 22, Titel 8] mit .... 1 17495 » eine grossere Post fiir Aerarialeisenbahnen im Erfordernis-Etat d. Staats- eigenthums [Cap. 34, Titel 6 der Bedeckung] mit . 1,466.985 » eingestellt, so dass fiir Eisenbahnen im Ganzen zu verausgaben waren. An Einnahmen ist un¬ ter jenen vom Staatseigen- thum [Cap. 33 der Be¬ deckung] in Tit. 6 eine solche von den Aerarial- eisenbahnen mit praliminirt. Die Netto-Be¬ lastung des Budgets be- tragt mithin. 5,083.2160. 158.029 4,925.187 0. *) R -G -BI. Nr. 149. Das Finanzgesetz fiir das Jahr 1867*) bestimmt die Staatsaus¬ gaben mit ..433,896.000 0. und die Staats einnahmen mit .407,297.000 » den Abgang sohin mit . 26,599.000 0 . Auch hi er erscheinen Ausgabsposten der gleichen Eisenbahnen im Subven- tions-Etat mit zusammen 1,416.0000. die Einlosung von Privat¬ bahnen mit. II7.000 » die Aerarialeisenbahnen mit 78.000 » betragt. Mit dem Jahre 1868 — dem ersten, in welchem die neugeordneten staats- rechtlichen Verhaltnisse der Monarchie auf das osterreichische Budget ihre Wir- kung aussern — beginnt die Periode, die sich durch das stetige Amvachsen der Garantie-Vorschuss-Zahlungen an die Eisenbahnen charakterisirt. Im Staatsvoranschlage dieses Jahres, fiir welches nach dem Finanzgesetze vom 24. Juni 1868 *) die Staats¬ ausgaben mit .... 320,230.526 0. die Staatseinnahmen mit 281,245.907 » festgesetzt sind und der zubedeckende Abgang mit 38,984.619 0 . beziffert ist, erscheint im Subventions- Etat [Cap. 10, Titel 1—3] neben der Bohmischen Westbahn mit . . , . und der Zittau-Reichen- berger Bahn mit . zum ersten Male die Lem- berg-Czernowitzer Bahn mit der Vorschusszahlung von . zusammen Eisenbahn- Ausgaben. 1,466.0000. In der Bedeckung [Cap. 9] gelangt, gleichfalls zum ersten Male, ein Riickersatz 250.000 0. 216.000 » 1,000.000 » *) Vom 28. Dec. 1866, R.-G.-Bl. Nr. 176. i6 Dr. H. Ritter v. Wittek. geleisteter Vorschiisse, und z\var von der Kaiserin Elisabeth-Bahn mit 700.000 fl. zur Einstellung. Ausserdem sind unter den Einnahmen vom Staatseigenthume [Cap. 26, Tit. 3] als solche der Aerarial- eisenbahnen eingestellt . . 158.029 » zusammen Eisenbahn - Ein¬ nahmen .858.029 fl. so dass die praliminirte Netto - Belas- tung des Budgets fur Eisenbahnzwecke nur.607.971 fl. betragt. Die Budgetziffern der einzelnen Jahre von 1862 bis 1868 sind in der folgen- den Tabelle iibersichtlich zusammen- gestellt: Tabelle I. Staatsausgaben und Staatseinnahmen ftir Eisenbahnzwecke in Millionen Gulden innerhalb der Budgets 1862—-1868. Die Ziffern der vorstehenden Tabelle konnen, wie hier zur Vermeidung eines Missverstandnisses hervorgehoben werden muss, kein vollstandiges Bild der direc- ten Einwirkung der Eisenbahnen auf den Staatshaushalt in der besprochenen Periode bieten, da es sich bei der Budget-Auf- stellung nur um Praliminar-Annahmen pro futuro und nicht um die zur Zeit derselben noch unbekannte wirkliche Gebarung handelt, deren Ergebnisse von den Praliminar-Ansatzen wesentlich abweichen konnen. Auch erleiden die Staatsvoranschlage durch Nachtrags-Cre- dite oder Specialgesetze, welche auf das Budget ruck\virkende Bestimmungen ent- halten, haufig Aenderungen. Hiezu kommt noch, dass in der hier behandel- ten Periode, welche die ersten Jahre nach Wiedereinfuhrung verfassungs- massiger Einrichtungen umfasst, die Technik der Budgetirung und Praliminar- Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 17 Aufstellung erst am Beginn ihrer Ausbildung stand und dass schliess- lich der ruhige Gang der wirthschaft- lichen Entwicklung in dieser Zeit wieder- holt durch Kriegsereignisse [1864 und 1866] unterbrochen wurde, \velche die Einhaltung des Budgets unmoglich machten. Das Interesse, welches die angefiihrten Ziffern fiir den Zweck unserer Darstellung bieten, beschrankt sich daher auf die Wiedergabe der bei der Budgetirung an- genommenen oder vorausgesetzten Wir- kungen des damals noch am Beginn seiner Entwicklung stehenden Garantie- Systems auf den Staatshaushalt. Die in den einzelnen Jahren von 1868—1881 unter Beriicksichtigung des Silber-Agios geleisteten Garantie-Vor- schuss-Zahlungen sind in der foleen- den Tabelle II summarisch zusammen- gestellt. Tabelle II. Geleistete Garantie-Vorschiisse in den Jabren 1868—1881 in Millionen Gulden osterr. Wahrung. In der vorstehenden Zeitperiode ge- langten Garantie-Vorschuss-Schulden zur Riickzahlung: 1. Seitens der Bohmischen Westbahn im Jahre 1869 fiir die Periode vom 2. April 1863 bis Ende 1867 mit 1,515-353 A- Noten, durch Uebergabe von Prioritats- Obligationen; 2. seitens der Kaiserin Elisabeth-Bahn, welche im Jahre 1870 ihre ganze bis dahin aufgelaufene Garantieschuld im urspriinglichen Betrage von 7,676.004 fi sammt Zinsen tilgte; 3. seitens der Kaschau-Oderberger Eisenbahn, welche im Jahre 1880 eine Theilquote der empfangenen Vorschiisse mit 173.172 fl. Silber an den Staat riick- zahlte. Diese Riickzahlungen, welche zusammen 9,364.529 fl. ausmachen, sind in der Tabelle II nicht beriicksichtigt. Werden dieselben von der Summe der in den Jahren 1868—81 geleisteten Garantie- Vorschiisse in Abzug gebracht, so ergibt sich die Netto-Garantie-Leistung in dieser Periode mit rund 198.941 Millionen fl. *) Ueber die Ergebnisse der Eisehbahn- Gebarung im Rahmen des Staatshaus- halts geben vom Jahre 1868 ab die in den Mittheilungen des k. k. Finanzmini- steriums enthaltenen Nachweisungen Auf- schluss. Sie bringen die Erfolge der etatmassigen Gebarung im gesammten Staatshaushalte, die geleisteten Garantie- Vorschiisse und den Netto-Aufwand fiir den seit 1873 wieder in grfisserem Um- fange aufgenommenen Staatseisenbahn- bau, dann die Betheiligung des Staates beim Baue von Privateisenbahnen. Die Ziffern, welche — wie dies auf eisen- bahn-finanziellem Gebiete infolge der Verschiedenartigkeit der Contirungs- grundsatze so haufig begegnet — von den aus anderen Quellen geschopften Angaben theilweise ab\veichen, sind in Tabelle III zusammengestellt. *) Gesammtlange des Osterr. Bahnnetzes in km: 1868 4.533 1869 5.273 1870 6.112 1871 7.350 1872 8.508 1873 9-334 1874 9.673 1875 10.336 1876 10.780 1877 II.255 1878 11.302 1879 11.379 1880 II.434 1881 11.712 Geschichte der Eisenbahnen. II. 2 Dr. H. Ritter v. Wittek. Tabelle III. Die vorstehende Tabelle schliesst mit 1881 als dem letzten Jahre ab, in welchem der Staatshaushalt, soweit es sich um die Einwirkung der Eisenbahnen handelt, noch unter dem Zeichen des Garantie- Systemes stand. Zwei Momente treten dabei augenfallig hervor. Zunachst das durch die Inbetrieb- setzung ertragsschwacher Neubaulinien bedingte rapide Anwachsen der Garantie- Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 19 Vorschuss-Zahlungen in der Periode 1868 I schlagigen Stellen des Motivenberichtes bis 1876 von i'6 auf 23'9 Millionen fl., ' [589 der Beilagen der VIII. Session] folgen vvelcher Umstand bekanntlich den An- hier auszugsweise: stoss dazu gab, durch das von dem damaligen Handelsminister Ritter von Chlumecky [Abb. 1] eingebrachte und mit Erfolg vertretene Gesetz vom 14. December 1877, R.-G.-Bl. Nr. n6,*) »die garantirten Bah- nen betreffend«, die Wiederauf- nahme des Staats- betriebes bei noth- leidenden und den Staat tibermassig belastenden ga¬ rantirten Bahnen sowie deren Er- werbung durch den Staat grund- satzlich vorzu- zeichnen. Hiemit war der erste entscheiden- de Schritt gethan, um die bisheri- ge eisenbahnpoli- • tische Richtung zu verlassen und zum gemischten Systeme iiberzu- gehen, in wel- chem fortan den Privatbahnen die vom Staate selbst betriebenen Bah¬ nen zur Seite s teh en. Ueber den hie- fiir bestimmen- den Gedanken- gang gibt die am 1. December 1876 eingebrachte Regierungs -Vorlage, welche dem obigen Gesetze zugrunde liegt, authentischen Aufschluss. Die ein- *) Vgl. Dr. Victor Roli »Das Gesetz vom M- December 1877 liber die Regelung der Ver- haltnisse. garantirter Bahnen« [Wien, 1880, Zamarski], woselbst namentlich die Rechts- irage vom Standpunkte der Bahnen scharf gepruft \vird. »Indem der Staat die zum Baue und Betriebe von Eisenbahnen ins Leben ge- rufenen Erwerbsgesellschaften durch Ge- vvahrung von Zinsen- und Ertragsgaran- tien in ausgiebiger Weise unterstiitzte und den Staats- finanzen die Gefahr schwerer Lasten aufbiirdete, wurde von dem Grund- gedanken ausge- gangen, dass diese Unterstiitzung nur als eine formelle, die Aufbringung der zur Begriin- dung des Unter- nehmens nothigen Geldmittel erleich- ternde, jedenfalls nur voriibergehen- de Staatshilfe zur Ueberwindung der Schwierigkeiten der ersten Betriebs- jahre zu dienen habe, und dass flir die Abkiirzung die- ser Periode wirth- schaftlicher Un- mUndigkeit der wirksamste An- trieb eben in j enem individuellen Er- werbsinteresse der Gesellschaften zu suchen sei, von des- sen Bethatigung die kiinftige wirth- schaftliche Prospe- ritat der Unterneh- mungen zu erwar- ten \var. Thatsachlich hat die b ezeichnete An- nahme sich jedoch nur bei einer Min- derzahl der mit- tels Staatsgarantie ins Leben getretenen Eisenbahn-Unternehmungenbewahrheitet ( be- zuglich welcher die steigende Ertragsfahig- keit der Linien eine Vorschussleistung des garantirenden Staatsschatzes nach einigen jahren ganz entbehrlich werden liess oder doch ausreicht, um dieses Ziel unter normalen Verhaltnissen in naherer Zukunft sicher ge- wartigen zu lassen. In diesen Fallen hat das System des Privatbetriebes mit Staatsgarantie den ge- hegten Ervvartungen und Voraussetzungen entsprochen. 2 * 20 Dr. H. Ritter v. Wittek. Bei der Mehrzahl der garantirten Bahnen gestaltete sich die Sachlage jedoch anders, namentlich seitdem man dazu gelangt war, das System der Concessionirung an Privat- gesellschaften mit Staatsgarantie auch auf Eisenbahnlinien anztrvvenden, deren Ertrags- verhaltnisse eine wirksame Sethatigung des individuellen Erwerbsinteresses der con- cessionirten Gesellschaften ganzlich oder doch zum allergrossten Theile ausschliessen mussten. Bei diesen Bahnen, welche seit ihrem Bestande genothigt sind, die Staatsgarantie alljahrlich, und zwar mitunter in sehr grossem Umfange, ja sogar mit dem hochsten zu- lassigen Betrage in Anspruch zu nehmen und denen jede Hoffnung auf eine Besse- rung dieses Verhaltnisses in naherer Zu- kunft benommen ist, erscheint die \virth- schaftliche Lage durch das rapide Anwachsen einer den Vermogenswerth des Unternehmens aufzehrenden Garanti e-Schuldenlast ernst- lich bedroht sowie das Interesse des ga- rantirenden Staatsschatzes in hohem Grade gefahrdet. Hiezu kommt, dass bei einer thatsachlich auf Kosten des Staates stattfindenden Ge- barung selbst durch scharfe und kostspielige Controle die Gefahr einer immerhin m 5 g- lichen Misswirthschaft nicht beseitigt werden kann, und dass die bei so ungUnstigen Er- gebnissen naheliegende Vermuthung einer solchen Gefahr die Thatkraft und den Geist der Verivaltung in nachtheiligster Weise be- einflussen muss. Der Anwendung des Garantie-Systems auf derartige Bahnen ist schliesslich in jenen einzelnen Fallen, wo die Betriebseinnahmen nicht einmal zur Bedeckung der Betriebs- kosten ausreichten, das Hervortreten der Streitfrage liber das Betriebs-Deficit zuzu- schreiben — einer Streitfrage, deren schad- liche Folgen fiir den Osterreichischen Eisen- bahncredit keiner weiteren Erorterung be- diirfen. In der That haben sich bei einigen garantirten Bahnen derartige Missverhaltmsse herausgebildet und sind die finanziellen Opfer, welchehieraus ftir den Staatsschatz erwachsen, ungeachtet der wirksamsten Controle, welche schliesslich doch den Mangel des individu¬ ellen Erwerbsinteresses nicht ersetzen kann, namentlich im Hinblicke auf die stetige Stei- gerung der Garantielast, nahezu erdriickend geworden Wie die als Beilage I angeschlossene Uebersicht der im Staatsvoranschlage der Finanzgesetze eingestellten Ausgaben an 4 °/o igen Vorschiissen ftir garantirte Eisen- bahn-Unternehmungen zeigt, ist das budget- massig bewilligte Jahreserfordernis ftir Garan- tie-Vorschusse in den Jahren 1868 bis 1876 von M 37 - 5 00 A- oder 0-45% des gesammten Staats- ausgaben-Budgets auf 23,124.680 fl. oder 5-73°/ 0 dieses Budgets gestiegen. Nach der als Beilage II nachfolgenden Zusammenstellung haben die derzeit noch aushaftenden Garantie-Schulden von Eisen- bahnen der im Reichsrathe vertretenen Lander seit 1861 bis 1875 den Gesammt- betrag von 94,263.719 fl., darunter an Vor¬ schiissen 83,783.288 fl. und an Zinsen bis 31. December 1875 10,480.430 fl. erreicht.*) — Dabei ist nicht zuiibersehen, dass bei mehreren garantirten Bahnen infolge der noch an- hangigen Abrechnungen und Capitalsfest- stellungen, Nachtragszahlungen fur die ver- flossenen Jahre ausstandig sind. — Eine er- hebliche Besserung der Garantielast ist auch nach den Aufstellungen des Staatsvoran- schlages ftir 1877, vvoselbst die Erfordernis- summe von der Regierung mit 22,160.000 fl., darunter 21,165.000 fl. Silber beziffert wird, nicht zu gewartigen, vielmehr eine vveitere Mehrbelastung infolge des hoheren Silber- Agios zu beftirchten. — Wenngleich die Ploffnung begrundet erscheint, dass die Hohe der Garantielast der bestehenden Bahnen den Culminationspunkt erreicht hat, so ist doch nicht zu vergessen, dass demnachst die Garantie fiir die Salzkammergutbahn [rund mit i 1 /« Millionen] in Wirksamkeit treten wird, und einige andere Linien mit Staatsgarantie dotirt sind, deren Conces¬ sionirung immerhin in Aussicht genommen vverden darf.« Ausserdem zeigen die Schlussziffern der Tabelle II, dass das seit 1876 im Staatshaushalte neuerdings eingetretene Gebarungs-Deficit mit den fiir Eisen- bahnzwecke gemachten Ausgaben in so naher Beziehung steht, dass wohl von einem ursachlichen Zusammenhange ge- sprochen werden kann.**) Die Sumrne der Garantie-Nettozah- lungen in den Jahren 1868 —1881 mit nominell I97'6, effectiv 2o8'3 Mili. fl. deckt sich nahezu mit dem Passiv-Saldo der Staatshaushalts-Bilanzen derselben Periode, vvogegen die Summe der Staats- Deficite 1876—1881 mit 262 Millio¬ nen fl. augenscheinlich dadurch so hoch ausgefallen ist, dass der mit den hohen Garantie - Vorschusszahlungen im Ge- sammtbetrage von H4'8 Mili. fl. zu- *) In dem vom Abg. Dr. Russ als Be- richterstatter verfassten, ein glanzendes Plaidoyer fiir den Staatsbetrieb darstellenden Berichte des Eisenbahn-Ausschusses vom Mai 1877 [Z. 678 der Beilagen] ist die Ga- rantieschuld Ende 1876 incl. Zinsen mit 122,672.434 fl. berechnet. **) Vgl. B e e r, »Staatshaushalt Oesterreich- Ungarns«,an den im I. Abschnitt angefiihrten Stellen, S. 241 u. 254. Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 21 sammentreffende Aufwand fiir den Eisen- bahnbau nach Verwendung des demselben Iiberwiesenen 52 Millionen-Antheils aus dem Nothstands-Anlehen vom Jahre 1873 mit noch fast weiteren 50 Mili. fl. gleich einer laufenden Gebarungs-Auslage be- handelt und mit der vollen Capitalsziffer in die Jahresbudgets eingestellt wurde, obwohl er doch eine Capitals-Investition darstellt. Ohne diese beiden Ausgabs- posten wiirde die Summe der Ge- barungs - Deficite obiger Jahre statt 262 nur 100 Mil- lionenfl. betragen haben. Unter diesen Umstanden be- greift sich die sorgenvolle Acht- samkeit, \velche die Ressortmini- ster der zweiten Halfte der Sieb- ziger-Jahre, Rit- ter von C h 1 u- mecky und Frei- herr von Pretiš, der Garantie-Ge- barung zuwand- ten. Nebst dem vorhin bespro- chenen Gesetze liber die garantir- ten Bahnen war es die Einrichtung einer scharferen Controle und eines die frtihere Unsicherheit und Verschleppung der Garantie-Abrechnungen behebenden Rechnungswesens, auf welches Ziel die Bemiihungen der leitenden Staatsmanner vornehmlich gerichtet \varen. Es bleibt ein nicht hoch genug anzuschlagendes Verdienst des damals zum zweiten Male nach Oesterreich berufenen General- Directors Sectionschefs von N o r d 1 i n g [Abb. 2], in diesen schwierigen und ver- wickelten Gegenstand Ordnung und Klar- heit gebracht und nebst der Errichtung einer eigenen General - Inspections - Ab- theilung fiir diesen Dienstzweig, durch die Einsetzung der Garantie-Rechnungs- commission den festen organisatorischen Rahmen geschaffen zu haben, in dem die Abwicklung der Garantie - Verhaltnisse mit den Gesellschaften unter sorgsamer Wahrung der Interessen des Staats- schatzes sich seither anstandslos und rechtzeitig vollzieht. *) Um die Gebarungs-Ergebnisse der Staatsgarantie bis zur Gegenwart zur Darstellung zu bringen, sind die- selben in den bei¬ den nachstehen- den Tabellen IV und V zuerst jahr- weise, dann sum- marisch bis Ende 1895 fiir die ein- zelnen Bahnen nach den Sum- men der densel- ben ausgezahl- ten Garanti e-Vor- schiisse, der ge- leisteten Riick- zahlungen, der bei den Verstaat- lichungen erfolg- ten Abschreibun- gen und dem Stande der per 1. Januar 1896 aufrecht verblie- benen Forderung des Staates an solchen V orschiis- S'en zusammen- gefasst. — Die von den Garanti e- Vorschiissen rechnungsmassig zu entrich- tenden 4°/ 0 igen Zinsen, deren Hohe nach den einzelnen Jahren variirt, sind hierbei nicht beriicksichtigt; ebenso nicht die auf Abschlag der Zinsenfor- derung des Staates geleisteten Garantie- Riickzahlungcn. *) Ueber das Wirken Sectionschef von NiJrdling’s in Oesterreich enthalt eingehende Mittheilungen: Konta, Eisenbahn-Jahrbuch, neue Folge, II. [13.] Bd., S. 5, Wien 1880, Lehmann & Wentzel. 22 Dr. H. Ritter v. AVittek. Garantie-Vorschiisse und Riickzahlungen, dann Netto- [Die Riickzahlungen Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 23 Garantie-Gebarung in Millionen Gulden 1882—1895. sind fett gedruckt.] Tabelle IV. 24 Dr. H. Ritter v. Wittek. Tabelle V. Staats-Garantie-Vorschusse vom Beginn der Garantie-Leistung bis Ende 1895. Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatsrvirthschaft. 25 Die Schlussziffern zeigen den Ge- sammterfolg, dass von den 3ii'3 Mili. fl. Garantie-Vorschiissen 30-6 Mili. fl. = 9'8 % an den Staat zuriickgezahlt, 189-3 Mili. fl. — 6o-8°/ 0 durch Ab- schreibung erloschen sind und 91-4 Mili. fl. = 29’4°/ 0 als Forderung des Staates aufrecht bestehen. Diese Forderung reprasentirt allerdings nur insofern einen realisirbaren Werth, als die Ertragnisse der betreffenden Bahnen Aussicht auf Ueberschiisse, welche den garantirten Reinertrag iibersteigen, eroffnen oder im Falle ihrer Einlosung ein eriibrigendes Vermogen rechtlich zur Tilgung der Ga- rantie-Schuld herangezogen werden kann. Der Vollstandigkeit halber ist noch bei- zufiigen, dass in den vorstehenden Auf- stellungen nicht inbegriffen sind die [nicht riickzahlbaren] Garantie-Zuschiisse fiir die Zittau-Reichenberger Bahn, die den osterreichischen Staat seit ihrer Eroffnung standig mit Betragen belastet, \velche von 337.000 fl. [1863] successive bis auf jahr- lich 35.000 fl. herabgesunken sind. Dessgleichen ist die auf G rund des Gesetzes vom 20. Mai 1869, R.-G-.B 1 . Nr. 85, zufolge des Uebereinkommens vom 27. Juli 1869, R.-G.-Bl. Nr. 138, und des Zusatzartikels vom 30. Januar 1870 an die Siidb ahn-Gesells chaft als fixer Staatsbeitrag zur Verzinsung und Tilgung des fiir den Bau der Eisenbahn- linien Villach-Franzensfeste und St. Peter- Fiume aufgenommenen ftinfpercentigen Specialanlehens per 50,000.000 fl. bezahlte Annuitat von 762.047 fl. o. W. Noten in den vorerwabnten Gesammtziffern nicht enthalten. Diese Ausgabspost wird librigens von Anbeginn nicht im Etat des Eisenbahnwesens [Handelsministerium] sondern in jenem des Finanzministeriums unter dem Titel »Staatsschuld der im Reichsrathe vertretenen Konigreiche und Lander« verrechnet. Andererseits besteht fiir den Staat der Siidbahn gegeniiber ein Participations- Verhaltnis an den Brutto-Einnahmen, in- dem zufolge des Uebereinkommens vom 13. April 1867, R.-G.-Bl. Nr. 69, Antheile [Vi o und VJ derselben, insoweit sie die Grenzwerthe von 107.000 fl. und 110.000 fl. per Meile iibersteigen, dem Staate aui Abschlag seiner Kaufschillingsrest-Forde- rungen zugewiesen sind. Aus diesem Titel sind dem Staate, bevor die Frage infolge Ablaufs der Steuerfreiheit der Unternehmung mit Ende 1880 streitig wurde — ein Streit, der bekanntlich in allerjiingster Zeit durch schiedsgericht- liches Urtheil zur Austrap-uno- sjelanert | ist*) — m den Jahren 1871—1879 zu_ sammen 6,166.405 fl. zugeflossen. In¬ folge des Schiedsrichterspruches empfing der Staat fiir die Jahre 1880—1895 eine weitereAbschlagszahlung von 1,669.950 fl. Die Betheiligung des Staates an dem Reingewinn der Kaiser Ferdinands- Nordbahn datirt seit der Neu-Concessio- nirung mit 1. Januar 1886 und wird an einer spateren Stelle beriicksichtigt wer- den. Das analoge Verhaltnis bei der A u s si g-Tepl i tz er Eisenbahn [seit 1894] kommt in den Einnahmen des Staatsbetriebes zum Ausdruck. *) V gl. Band I. Konta: »Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs von 1867 bis zur Gegenwart«. IV. Staatsbetrieb und Staatshaushalt. Mit der von dem Handelsminister Ritter v. Krem er [Abb. 3] und dem Finanzminister Dr. Ritter v. Dunajewski Ende 1880 eingeleiteten Erwerbung der Kaiserin Elisabeth-Bahn beginnt in Oe- sterreich die Eisenbahn-Verstaatlichung in grossem Stile — eine staatsivirth- schaftliche Action, \velche die folgenden Handelsminister systematisch fortgefiihrt haben, und zwar Baron Pino-Frieden- thal [Abb. 4] beziiglich der Kaiser Franz Josef-, Kronprinz Rudolf-, Vorarl- berger-, Pilsen - Priesener-, Prag-Duxer- und Dux-Bodenbacher Bahn, Marquis Bacquehem beziiglich der galizischen Carl Ludwig-Bahn, Ersten ungarisch- galizischen Eisenbahn und ungarischen Westbahn, Graf Wurmbrand beziig- lich der Lemberg-Czernowitzer Eisen¬ bahn, Bohmischen Westbahn, mahrisch- 26 Dr. H. Ritter v. Wittek. schlesischen Centralbahn und mahrischen Grenzbahn. Wie kaum eine andere hat diese Action, bei deren Durchfiihrung bis zum Jahre 1886 Sectionschef Frei- herr von Pusswald [Abb. 5] in her- vorragender Weise leitend mitwirkte, das Staatsbudget schon durch die Erweiterung des staatlichen Wirthschaftsbereiches nach- haltig beeinflusst.*) Mit dem Jahre 1882 \vird die ge- sammte Einnahmen- und Ausgaben-Ge- barung der neu erworbenen Kaiserin Elisabeth-Bahn in den Staats-Voranschlag einbezogen und erlangt fortan der bis dahin auf die Praliminirung zersplitterter Bahn- fragmente beschrankte Titel »Staats- eisenbahn-Betrieb« eine liervorragende, durch die hinzutretenden Verstaatlichungen stetig wachsende Bedeutung. Die Ge- barungs-Ergebnisse des Staatsbetriebes, dessen Neu-Einfiihrung unter den schwie- rigsten, durch den raschen Zmvachs neuer Linien bedingten Organisations- Verhaltnissen nur .der rastlosen Energie und seltenen Spannkraft des ersten Pra- sidenten Sectionschefs Freiherrn von Czedik [Abb. 6] gelingen konnte, neh- men fortan im Staatshaushalte wie in der *; Die nachstehende Zahlenreihe zeigt den wachsenden Umfang der im Staats- betriebe stehenden Bahnen : Oeffentlichkeit einen breiten Raurn ein; sie werden als Priifstein fiir den Werth des geltenden eisenbahnpolitischen Sy- stems Gegenstand des allgemeinen In- teresses und rufen eine eigene Literatur hervor, in der die Meinungs-Gegensatze scharf auf einander stossen. Die Tren- nung der Materie in zwei Etats — Handels- und Finanzministerium •—■ zwi- schen vvelchen ilberdies manche Posten, wie die Rentenzahlungen fiir verstaat- lichte Bahnen, je nach der Form des Entgelts hin- und herschwanken, er- schwert die Uebersicht. Die finanziellen Gesammt-Ergebnisse des Staatsbetriebes stellen sich, nach dem Massstabe der fiir diesen Verwaltungszweig in der Theorie angenommenen Gebarungs-Principien im Ganzen als ungiinstige dar, da von einer Aufbringung von Netto-Beitragen zu all¬ gemeinen Staatsz\vecken bisher nicht die Rede sein kann. Vielmehr ist die Gebarung des Etats der Staatsbahnen gegeniiber den aus dem Eisenbahnbesitze erwachsenen Capitalslasten durch\vegs eine passive, in- dem die Betriebs-Ueberschiisse der Staats¬ bahnen aus den oben im Abschnitt II erorterten Griinden nicht ausreichen, um die zumeist im Etat der Staatsschuld \virkenden Zinsen- und Tilgungs-Erfor- o o dernisse der fiir den Bau und die Er- werbung der Staatsbahnen aufgenommenen Schulden zu bedecken. Wenn es aber auch als feststehend gelten muss, dass das osterreichische Staatsbahnnetz seine Anlagekosten nur zum Theil aus dem Betriebe verzinst und deshalb Jahr fiir Jahr Zuschiisse aus allgemeinen Staats- mitteln beansprucht, so ist doch das Ausmass dieser Zuschiisse je nach den verschiedenen fiir die Berechnung der Capitalslasten angewendeten Methoden ein bestrittenes. Die hieriiber veroffent- lichten amtlichen Daten der Staatsvoran- schlage und Verwaltungsberichte wur- den von parlamentarischer und publi- cistischer Seite namentlich deshalb be- mangelt, weil in denselben die auf die Hohe des zu verzinsenden Anlage-Capitals Einfluss tibenden Nachtragsbauten und Investitionen anfangs nicht vollstandig in Rechnung gezogen waren.*) *) Kaizl, »Passive Eisenbahnen«, S. 7. Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschait. 27 Ohne auf diese Controverse hier naher I einzugehen — die hauptsachlichen Bean- standungen sind seit 1895 durch Ein- beziehung der Nachtrags-Erfordernisse in den amtlichen Berechnungen beriicksich- tigt — darf doch auch andererseits nicht iibersehen werden, dass die Betriebs- Ueberschiisse der osterreichischen Staatsbahnen in ihrem budgetaren Effecte eigent- lich kiinstlich verschlechtert sind. Im Zusammen- hange mit dem bei der Wiederaufnah - me des Staatsbe- triebes proclamir- ten Grundsatze, »dass die Staats¬ bahnen in jeder Hinsicht gleich den Privatbahnen behandelt \verden sollen«, ist man bei strenger und nicht immer wolil- wollender Anwen- dung der staat- lichen Budget- und V errechnungsfor- men auf die Ge- barung des Staats- betriebes dazu ge- langt, diese letz- tere so eng ein- zuschniiren, dass ihre Ergebnisse schon aus diesem Grande hinter je- nen der Privatbah¬ nen nothgedrun- gen zuruckstehen mussten. Vor Allem schon dadurch, dass den Staatsbahnen weder ein E r- neuerungs- o der Reservefond, noch ein Capitalconto zu Gebote stand, um — wie es die Natur derartiger Unter- nehmungen erheischt — Auslagen, die ausserhalb der normalen Betriebskosten erwachsen und eine nutzbringende Capi- talsanlage oder Wertherhohung darstellen, auf mehrere Jahre zu vertheilen oder dem Anlage-Capital zuzurechnen. Die Methode, derartige Auslagen als ausserordentliche Betriebsausgaben zu bebandeln, drangte spaterhin zu dem Nothbehelf der offenen oder verdeckten Ressortschulden, als \velche die falhveise bei Einzeltransacti- onen beschafften Investitionsfonde, die sodann bei ihrer Verwendung im Budget als laufende Einnahmen figurirten, wohl gelten miissen. Die Unzulanglichkeit dieser in der Sach- lage vollauf be- grtindeten Vorsor- gen gegeniiber der Hohe des Bedar- fes hatte eine sach- lich durchaus unge- rechtfertigte Her- abdriickung des Reinertrages der Staatsbahnen und im budgetaren Effect eine Ver- schlechterung der Bilanz des Staats- eisenbahn-Etats zur F olge, welcher, insoweit nicht ein- zelne Investitionen in den vorenvahn- ten Specialfonden Bedeckung fan- den, mit den vollen Capitalssummen der Investitions- Auslagen statt mit der durch deren Beschaffung dem Staate envachsen- den Jahreslast her- angezogen wurde. Vom Standpunkte einer sachlich rich- tigen Darstellung der Gebarungs - Ergebnisse der Staats¬ bahnen muss daher die von Sr. Excel- lenz dem Herrn Finanzminister Dr. Ritter v. Bilinski angebahnte Aenderung der bisherigen Budgetirung durch Schaffung eines besonderen Investitions-Budgets dankbar begriisst werden. Als praktische Anwendung des Annuitaten - Princips *) *) Vgl. die im Bericht des Eisenbahn- Ausschusses vom 17. Mai 1887, S. 10, bean- tragte Resolution [Z. 413 der Beilagen]. Abb. 3. 28 Dr. H. Ritter v. Wittek. schliesst sich die neue Budgetirungs- Methode folgerichtig jener an, in \velcher der Staat sich an der Donau-Regulirung und den Wiener Verkehrsanlagen be- theiligt hat. Die consequente Durch- fiihrung dieser Reform wird bei aller fachlichen Strenge, die das Staatsbahn- Budget nicht zu scheuen hat, fortan ein treues und wahres Bild der Eisenbahn- Betriebs-Gebarung des Staates zustande bringen helfen. Ein weiterer, die Ge- barungs-Ergebnisse der osterreichischen Staatsbahnen ungiin- stig beeinflussender Umstand liegt in ihrer Besteuerung. So sehr es gerecht- fertigt ist, den durch Staatsbahnen vermit- telten Verkehr hin- sichtlich seiner offent- lichen Abgabenpflicht [Fahrkarten- und Frachtbriefstempel etc.] gleich jenem der Privatbahnen zu behandeln, muss es doch theoretisch ge- nommen als Ano- malie erscheinen, das dem Staate aus dem Betriebe seiner Eisen- bahnen zufliessende Einkommen, wiewohl es dem Staate ohne- dies zurGanzegehort, einer Besteuerung zu unterziehen. Die Ano- malie wird dadurch besonders auffallig, dass andere staatliche Erwerbszweige oder Regalitaten unbe- stritten steuerfrei sind. Wenn nun auch das Gesetz vom 19. Marž 1887, R.-G.-Bl. Nr. 33, mit welchem die Erwerb- und Einkommensteuerpflicht der Staatseisen- bahnen eingefuhrt worden ist [§ 1: »Die im Eigenthum des Staates befindlichen Eisenbahnen sind der Erwerb- und Ein- kommensteuer zu unterziehen«], sein Zu- standekommen dem an sich gewiss wohl- begriindeten Widerstande der autonomen Korper verdankt, welche durch den Fort- gang der Verstaatlichungsaction mit Ein- zum Nachtheile herbeieefiihrt, die bussen an ihrem Einkommen aus den Zuschlagen zu den directen Steuern der vormaligen Privatbahnen bedroht waren, so scheint die dadurch geschaffene Rechts- lage doch iiber den gerechtfertigten Schutz des Fortgenusses der erwahnten Zuschlage merklich hinauszugehen. Es wird namlich auf dem betretenen Wege nicht nur im Staatsbudget eine empfindliche Verschie- bung zu Gunsten des Steuer-Etats und des Staatsbahn - Etats mindestens x /o des Be- triebs- Ueberschusses der Staatsbahnen be- tragt, sondern auch der Staat bezuglich seines Eisenbahn- Einkommens den au¬ tonomen Korpern ab- gabenpflichtig ge- macht — ein Ver- haltnis, welches nur bei obwaltender ho- her Einsicht und Bil- ligkeit auf Seite der autonomen V ertre- tungskorper als fiir den Staat ertraglich bezeichnet werden kann. Um zu einem Ueberblick der Wir- kungen der vorhin be- sprochenen, die Ge- barunss - Era:ebnisse der Staatsbahnen un- giinstig beeinflussen- den Momente — der den Ertrag belasten- den Capitalsauslagen und der Besteuerung - zu gelangen, sind die einschlagigen Jahresziffern in der nachfolgenden, den Verwaltungsberichten der k. k. Staats¬ bahnen entnommenen Zusammenstellung der finanziellen Ergebnisse der Staats¬ bahnen und fiir Rechnung des Staates be- triebenen Bahnen fiir diejahre 1881- 1896 — Tabelle VI — in derWeise ersichtlich gemacht, dass die unter Repartition der im Jahre 1887 vorgeschriebenen Steuernach- trage pro 1881 —1887 auf jedes der ein- zelnen Jahre entfallende Leistung an Steuern sammt Zuschlagen und Gebuhren Oesterreichs Eisenbabnen und die Staatswirthschaft. 2 9 bei den Betriebs-Ausgaben [Golonne 3] in Klammer beigesetzt, die auf andere Conti gehorigen, im Budget als Ausgaben des Eisenbahn-Etats behandelten Aus¬ gaben und Lasten aber in Colonne 5—7, dann summarisch [Colonne 8] dem Be- triebs-Ueberschusse zur Seite gestellt sind. Die in der Tabelle gegebenen Zahlen sind durchwegs mit Berucksichtigung der weggelassenen Stellen abgerundet, wodurch sich die in einzelnen Summen und Differenzen bemerkbare Abweichung um eine Einheit der letzten Decimal- stelle [= 1000 fl.] erklart. Tabelle VI. Finanzielle Ergebnisse der Staatsbahnen und fur Rechnung des Staates betriebenen Bahnen [incl. Bodensee-Dampfschifffahrt] in Millionen fl. o. W. E r 1 a u t e r u 11 g e n. Zu Colonne 2: 1882—83 abzuglich der Einnahmen der Vorarlberger Eisenbahn. 1884—85 abzuglich der Einnahmen der Vorarlberger Eisenbahn, der Erzh. Albrecht-Bahn, der Miihrischen Grenzbahn und der Duxer Bahnen. 1889 zuziiglich der Einnahmen der Ungarischen Westbahn und der Ersten ungarisch- galizischen Eisenbahn. 1893 zuziiglich der Einnahmen der Bodensee-Dampfschifffahrt. 1894 zuziiglich der Einnahmen der Bodensee-Dampfschifffahrt, der verstaatlichten Linien der osterr. Localeisenbahn-Gesellschaft im Staatsbetriebe und der ver- staatlichten Localbahnen im Privatbetriebe [Časlau-Zawratetz, Oaslau-Močowitz, KOnigshan-Schatzlar], der Linie Czernowitz-Nowosielitza und des Betriebs- Ueberschusses der BOhmischen Westbahn pro 1894. 3 ° Dr. H. Ritter v. Wittek. 1895 zuziiglich derEinnahmen pro 1895 der Bohmischen Westbahn und der Mahrisch- schlesischen Centralbahn, der Bodensee-Dampfschifffahrt und der verstaatlichten Localbahnen im Privatbetriebe, jedoch abziiglich des Betriebs-Ueberschusses 1894 der Bohmischen Westbahn. 1896 zuziiglich des Antheils des Staatseisenbahn-Betriebes an den Einnahmen des Eisenbahnministeriums, ferner zuziiglich der Einnahmen der Bodensee-Dampf¬ schifffahrt, dann jener der verstaatlichten Localbahnen im Privatbetriebe [Časlau- Zawratetz und Konigshan-Schatzlar]. Zb Colonne 3: Beziiglich der Ausgaben gelten ebenfalls die vorstehenden Bemerkungen, ausser- dem sind in den Jahren 1881 — 1887 die im Verwaltungs-Berichte pro 1887, Seite 147, aus- gewiesenen Steuernachtrage einbezogen. Zu Colonne 5• Die pro 1881 —1886 ausgewiesenen Pachtzinse betreffen die Strecke Braunau- */, Innbriicke [1885 und 1886 einschliesslich des Agio]; ab 1887 treten die Annuitaten fiir die Erwerbung von Sechstel-Antheilen an der Wiener Verbindungsbahn hinzu, ab 1889 rveiters die Rentenbetrage an die Ungarische Westbahn und die Erste ungarisch-galizische Eisenbahn; ab 1891 die Verzinsung und Tilgung des Investitions-Anlehens der Ungarischen Westbahn vom Jahre 1890; ab 1892 die Rente der Duxer Bahnen; ab 1895 die Rente an die Lemberg-Czernovvitzer Eisenbahn. Zu Colonne 6: Hier ist das Erfordernis fiir die Verzinsung und Amortisation des Creditanstalt- Anlehens der Kaiserin Elisabeth-Bahn eingestellt. Im Jahre 1895 Zuwachs durch die Zinsen des 4 °/ 0 igen Prior.-Anlehens von urspriinglich 10 Millionen der Eisenbahn Lemberg-Czernorvitz- Suczawa ab II. Semester 1895, welcher im Jahre 1896 in den Etat der Staatsschuld iiber- stellt wurde. Zu Colonne 7: Enthalt die Extraordinarial-Ausgaben abziiglich der Extraordinarial-Einnahmen, inclusive des Mtinzverlustes, bezw. Miinzgewinnes; ab 1893 zuziiglich der Ergebnisse der Bodensee-Dampfschifffahrt. Die vorstehende Zusammenstellung lasst, abgesehen von der sofort zu be- sprecbenden Steuerleistung, den budgetar ungiinstigen Einfluss ersehen, den die Bestreitung der Extraordinarial-Auslagen [Col. 7] zu Lasten der laufenden Gebarung auf die Hohe des Netto-Erfolges im Eisenbahn-Etat ausgeiibt hat. Nachdem ein gewisser Theil jener iiber die eigent- lichen Betriebskosten binausgehenden Erneuerungs-Auslagen, wie Oberbau-Aus- wechslung-, Fahrparks-Erneuerung u. dgl., welche zugleich eine Verbesserung des Be- standes in sich schliessen, regelmassig aus dem Ordinarium bestritten wurde, darf bei voller Anerkennung der Richtigkeit des Grundsatzes, dass bei einer grossen Eisenbahnverwaltung gewisse ausseror- dentliche Ausgaben eine jahrlich wieder- kehrende standige Ausgabspost bilden, doch das Extraordinarium der Staats- bahnen im Grossen und Ganzen als eine Summe von Ausgabsposten betrachtet werden, welche den Charakter von Inve- stitionen an sich tragen. Von dieser Auf- fassung ausgehend, stellte die Entnahme dieser Capitalsbetrage aus dem Betriebs- Ueberschusse der Staatsbahnen gleichsam eine innerhalb des Staatsbudgets von einem Etat fiir den andern geleistete Geld- beschaffungs-Operation dar, \velche dem entlehnenden Etat — der Staatsschuld —• zunachst keine Zinsen kostete, den darlei- henden Etat — die Staatsbahnen —- aber in eine grossere budgetare Passivitat ver- setzte, als sie durch die Ergebnisse der Betriebs-Gebarung bedingt war. Um dem- nach den finanziellen Gesammteffect des Staatsbahn - Betriebes theoretisch richtig darzustellen, sind die aus demselben re- sultirenden Eingange zu ermitteln, wie selbe sich ergeben hatten, wenn die Ver- rechnung der Investitions-Auslagen nach eisenbahnfachlichen Grundsatzen derart erfolgt ware, dass die dem Betriebs-Ueber- schusse entnommenen Capitalsbetrage und Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatsivirthschaft. 31 Capitalslasten dem etatmassigen Netto- Erfolge zugerechnet, der Betriebs-Ueber- schuss hiedurch auf seine volle Hohe er- ganzt und der Gesammtsumme der aus dem Staatsbetriebe resultirenden Bedeckung die jeweilig wirkenden gesammten Capi¬ talslasten des Staatsbetriebsnetzes als Er- fordernis gegeniibergestellt wiirden. Dabei ist der Investitions-Aufwand als Capitals- anlage ivahrend des Jahres, in \velchem derselbe erwachsen ist, dem durchscbnitt- lichen Bedarfe ent- sprechend, mit der halben Jahresverzin- sung in Rechnung zu stellen und mitjah- resschluss dem An- lage-Capitale zuzu- rechnen. Ferner ist auch die Steuerlei- stung zu beriicksich- tigen. Dieselbe stellt j en en Theil des er- zielten Bestriebs- Ueberschusses dar, welcher zur Zablung der offentlichen Ab- gaben verwendet wurde. Da es sich hi er nicht um eine Vergleichung des finanziellen Effectes der Verstaatlichung, bei dem die Steuern als gleichbleibende Last ausser Betracht bleiben miissten, son- dern um die ab- solute Ziffer des dem Staate aus den von ihm betriebenen Bahnen zufliessenden Gesammt-Einkom- mens handelt, wird die Zurechnung der Steuerleistung zu dem Netto-Betriebs- Ertrage theoretisch kaum anzufechten sein. Eine geivisse Ungenauigkeit spielt dabei allerdings insofern mit, als die statistisch ausgewiesenen Steuersummen auch die nichtararischen Zuschlage in sich begreifen. In der nachstehenden Tabelle VII ist versucht, eine theoretische Darstellung des finanziellen Gesammterfolges des Staatsbetriebes in den Jahren 1881 bis Abb. 5 1896 nach den soeben besprochenen Ge- sichtspunkten zu geben. Als Zinsfuss fiir jenen Theil der Capitalslasten, beziig- lich dessen ziffermassig bestimmte Daten fehlen,*) also insbesondere beziiglich der nachtraglichen Investitionen \vurde, ent- sprechend dem vom Abg. S z c z e pa¬ no ws ki 1894 in den Budget-Berichten befolgten und seither in den amtlichen Berechnungen eingehaltenen Vorgange der Durchschnittssatz von 4 1 / 4 Percent angenommen. Zu der Annahme eines einheitlichen Durch- schnittszinsfusses nothigt der Umstand, dass die Ermitt- lung der vvirklichen Lasten, die dem Staate infolge der Beschaffung der ein- zelnen Capitalsquo- ten fiir den Eisen- bahnbau, die ersten Erwerbungen von Privatbahnen und die Nachtrags-Inve- stitionen erwachsen sind, unubersteig- lichen Schwierigkei- ten begegnet. Die- selben ergeben sich aus der in dieser Zeit cumulativen Be¬ schaffung der erst- genannten Jahres- erfordernisse mit den Geb arungs - D efi citen des Staatsbudgets, \vobei die Ausgabe von Renten-Obliga- tionen zu den verschiedensten Emissions- cursen erfolgte.**) Beziiglich der Abweichungen der letzten Decimale bei einzelnen Zahlen der folgenden Tabelle gilt das zu Ta¬ belle VI Bemerkte. *) Ueber die eigentliche Staatseisenbahn- Schuld werden alljahrlich in den Staatsvor- anschlagen fiir den Etat der Staatsschuld detaillirte Nachweisungen gegeben. Vergl. fiir 1898, S. 18 a. a. O. **) Vergl. E d e r, »Eisenbahnpolitik Oester¬ reichs«, S. 94. 32 Dr. H. Ritter v. Wittek. Tabelle VII. Theoretischer finanzieller Gesammterfolg des Staatsbetriebes in Millionen fl. o. W. Erlauterungen. Col. 2 u. 3. Entsprechen der Col. 9 und 8 der Tabelle VI. Col. 4. Identisch mit den in Col. 3 der Tabelle VI unter Klammer eingesetzten Ziffern. Col. 6. Summe der Col. 5 und 6 der Tabelle VI. Col. 7. Die Anlagekosten, von welchen bei Ermangelung ziffermassig bestimmter Annuitaten die 4 1 / 4 °/ 0 igen Zinsen berechnet wurden, sind pro 1881 bis inclusive 1891 einer Denkschrift iiber die Gebarung 1881 —1891 entnommen, Rucksichtlich der Jahre 1882—1891 erscheinen diese Daten im Venvaltungs-Berichte 1892, Seite 198, publicirt. Die gleichen Daten ab 1892 sind denbetreffenden Verwaltungs-Berichten entnommen. Pro 1887—1896 sind die Anlagekosten der Wiener Verbindungsbahn in Abschlag gebracht, weil die zu zahlende Annuitat in der Rubrik 5 der Tabelle VI [Pachtzinse] aufgenommen wurde. Ab 1889 sind die Anlagekosten der Ungar. Westbahn und der Ersten ungar.-galizischen Eisenbahn und ab 1892 jene der Duxer Bahnen ausgeschieden worden, weil deren Renten unter Rubrik 5 der Tabelle VI [Pachtzinse] ausgewiesen sind. Ab 1893 treten die Anlagekosten der Bodensee-Dampfschifffahrt dazu; in den Jahren 1895 und 1896 sind aus dem vorer- wahnten Grunde die Anlagekosten der Lemberg-Czernowitz-Jassy-Bahn ausgeschieden. Col. 8. Die 2 1 / 8 °/ 0 igen Zinsen wurden von den eigentlichenlnvestitions-Auslagen gerechnet und sind die Daten ftir das Jahr 1881 dem Verwaltungs-Bericht 1881, Seite 14, jenefiir 1882 bis inclusive 1891 dem Verwaltungs-Berichte 1892, Seite 196 — 197, und die flir die folgenden Jahre den beziiglichen Verwaltungs-Berichten, u. zw.: der »Zusammenstellung der Kosten ftir den Bau, die Ervverbung und die nachtraglichen Investitionen der Staatseisenbahnen« entnommen. Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 33 trame** 1 **! ■ ■ Die vorstehende Zusammenstellung zeigt, dass das theoretische Gebarungs- Deficit des Staatsbetriebes in den Jahren 1881 bis 1896 keineswegs jene Hohe erreicht hat, wie sie aus ,den hieriiber auf Grund der jeweiligen Budgetziffern angestellten Berechnungen [s. unten] ge- folgert wird. Bei dem Ansteigen der jahrlichen Zuschussleistung, welche durch- schnittlich 13-626 Mili. fl. und im Jahre 1892 als Maximum 20-370 Mili. fl. be- tragen hat, seither jedoch auf 15-271 Mili. fl. [1896] zu- riickgegangen ist, darf iiberdies die successive Ausdeh- nung des Staatsbe- triebsnetzes von 987 km bis auf 9180 km, [Ende i896],mithin nahezu das Zehn- fache nicht ausser Acht gelassen wer- den. Die factischen Gebarungsziffern geben mit Bertick- sichtigung der Steu- erleistung und der Capitalslasten ge- gentiber jenen der vorstehenden Ta- belleVII ein minder gunstiges Bild, wie dies vermoge der hier mitspielenden Investi- tions-Auslagenbei der durch- schnittlichgeringenErtrags- fahigkeit des Staatsbetriebs- netzes und den durch die Tarif-Herabsetzungen be- dingten Ertragsschwankungen kaum iiber- raschen kann. Werden namlich aus Tabelle VII die Jahressummen des budgetaren Netto- Erfolges im Eisenbahn-Etat [Col. 2], welcher bereits um die in diesem Etat verrechneten Pachtzinse, Renten und Ver- tragszahlungen fiir Verzinsung und Amor- tisation sowie um die Capitalsbetrage der Investitionen gekiirzt ist, und der Steuern sammt Zuschlagen und Ge- biihren [Col. 4] den im Etat der Staats- Geschichte der Eisenbahnen. II. s M* fSf schuld verrechneten Capitalslasten exclu- sive Verzinsung der Investitionen des Gegenstandsjahres [Col. 7] gegeniiber- gestellt, so ergibt die Differenz das factische Gebarungs-Deficit des Staats¬ betriebes, d. i. den Zuschuss, der aus allgemeinen Staatsmitteln in den einzelnen Jahren geleistet werden musste. Diese den factischen finanziellen Erfolg des Staatsbetriebes darstellende Ermittlung, welche amSchlusse in Tab. VIII folgt, bringt nachstehen- de Ergebnisse: Die Ziffer des factischen Geba- rungs-Abganges erreicht gleichjener des theoretischen Deficits im Jahre 1892 — in\velchem die Tarif-Herab¬ setzungen zur vol- len Wirkung ge- langten — ihr Ma- ximum, und zwar mit 26-6 Mili. fl. Durchschnittli ch ergibt sicb fiir die Jahresreihe i88ibis 1896 ein factischer Jahresabgang von 17-364 Mill.fl.,wel- cher die theoreti¬ sche Durchschnitts- ziffer von 13-626 Mili. fl. um den in der Haupt- sache auf Investitionen ver- \vendeten Extraordinarial- Ausgabenbetrag von durch- schnittlich 3-7 Mili. fl. uber- steigt. So empfindlich es nun auch fiir den Staatshaushalt ist, dass der Staatseisen- bahn-Betrieb als wichtigster Theil der staatlichen Eisenbahn-Gebarung zur vollen Capitalsverzinsung Zuschiisse erfordert, welche trotz der naturgemassen Brutto- Ertragszunahme durch die steigende Ten- denz der Betriebsausgaben und das An- wachsen des Anlage-Capitals-Contos be- dingt sind, so kann dabei doch — wie schon friiher erwahnt — nicht iibersehen werden, dass es gerade der Staatsbetrieb 34 Dr. H. Ritter v. Wittek. ist, bei welchem die fiir die ertrags- schwachen, aberstaatsnothwendigen Bahn- linien unvermeidlichen finanziellen Opfer zu Tage treten. Die Vortheile, welche auch diese Linien indirect dem Staate bringen, mtissen eben in die andere Wagschale gelegt werden. Nach derMethode, die seit einigen Jah- ren zur Berechnung des Staatszuschusses Ta belic VIII. Factischer finanzieller Erfolg des Staats- betriebes 1881 — 1896. in den Erlauterungen zum Staatsvoran- schlage der Staatseisenbahn-Verwaltung angewendet wird und wobei die Steuer- leistung nicht beriicksichtigt ist, ergibt sich die Hohe des Staatszuschusses und bei weiterer Bedachtnahme auf die neben demselben im Extraordinarium bestrittenen Investitionen jene des Gebarungs-Ab- gangs mit folgenden Summen: Tabelle IX. Praliminirte Staatszuschiisse zum Staats- bahnbetriebe in Millionen fl. 6. W. V. Staatsaufwand fiir Eisenbahn-Neubau. Zur vollstandigen Uebersicht des Um- fanges, in welchem in Oesterreich seit der N eu-Ordnung der staatsrechtlichenVerhalt- nisse derMonarchie der Ausbaudes Eisen- bahnnetzes durch directe Verwendung von Staatsmitteln zum Zwecke des Baues neuer Eisenbahnlinien gefordert wurde, ist es nothwendig, auf das letzte Decennium der Vorherrschaft des Garantie-Systems zu- riickzugreifen. Durch das Versagen der pri¬ vaten Bauthatigkeit auf diesem Gebiete in- folge der i873er Krise war die Staatsver- waltung bemUssigt, selbst einzugreifen und den Bau der als erforderlich erkannten Eisenbahnen theils auf Staatskosten auszu- fiihren, theils durch Bauvorschiisse [meist gegen Refundirung in Actien] an die be- durftigen Bahngesellschaften -zu unter- stiitzen. Die anfangs nur suppletorisch ge- dachte Wiederaufnahme des Staatseisen- bahnbaues ent\vickelte sich in der folgenden Zeit unter dem Einflusse der dem Staats- bahnsystem giinstigen Stromung zu einer standigen Einrichtung fiir den Neubau der grossen erganzenden Hauptbahnlinien, wo- gegen die Betheiligung des Staates an der Capitalsbeschaffung fiir den Bau neuer Privatbahnen — eine vordem, namentlich zu Ende der Sechziger-Jahre in grossem Umfange angewendeteUnterstutzungsform Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 35 — zumeist und in neuerer Zeit ausschliess- lich dem Zwecke der Forderung des Local- bahnwesens dient. Den seit 1873 wieder- aufgenommenen Staatseisenbahnbau anlangend ist hier nicht der Ort, in eine nabere Darstellung seines Entwicklungs- ganges oder seiner hervorragenden tech- nischen Leistungen einzugehen. DerStaats- haushalt indess ist durch die Jahr fur Jahr im Budget als Ausgaben eingestellten Erfordernisse fiir Staatseisenbahnbauten, welche — wie bereits im Abschnitt III erwahnt ist — nur anfangs aus dem 80 Millionenanlehen und sodann standig aus laufenden Bud- getmitteln bestritten wurden und nach demWiederauftreten des Gebarungs-Defi- cits dieses letztere er- hohten, namhaft in Anspruch genommen worden. Gleichwohl kann hierin, da es sich um einen emi- nent productiven In- vestitions-Aufwand handelt, ein dauern- der staatsvvirthschaft- licherNachtheilkaum erblickt \verden. Die durch die i873er Krise in ihrem Le- bensnerv getroffene Eisenbahnbau-Indu- strie hat es als Wohl- that empfunden und durch Erhaltung ihrer Steuerkraft ver- giitet, dass der Staat die vier von den Concessions-Bewerbern im Stiche ge- lassenen Linien Rakonitz-Protivin, Tar- n6w-Leluchow, Divacca-Pola und Spalato- Siverich auszubauen ubernahm. Die ersten Localbahnen, eine neue Type vereinfachter Bahnanlagen, haben sich durch den volks- wirthschaftlichen Nutzen des mit ihrem Baue auf Staatskosten inaugurirten Fort- schritts reichlich gelohnt. Mit dem Staats- baue der als internationale Anschlusslinie wichtigen Bahnstrecke Tarvis-Pontafel be- ginnen die grossen Aufgaben und Leistun¬ gen der zweiten Glanzepoche dieses Dienst- zweiges,aufdessen technischeOrganisation Sectionschef von N o r d 1 i n g massgeben- den Einfluss geiibt hat, \vie auch die ersten Bauten unter ihm durch den damaligen General-Inspector, spateren Sectionschef Mathias Ritter von Pischof geleitet wurden. Zunachst folgt der 1880 be- gonnene und 1884 vollendete Bau der Arlberg-Bahn, deren legislative Sicher- stelluno- dem damaligen Handelsminister Freiherrn von Korb-Weidenheim [Abb. 7] ein bleibendes Gedachtnis sichert, an dem auch SectionschefFreiherr von Pusswaldals Regierungsvertreter bei der parlamentari- schen Behandlung derVorlage Antheil hat. An dieses ruhrn- volle W erk der oster- reichischen Bautech- nik, dessen Vollen- dung der hochbegab- te Leiter seiner Aus- fiihrung, Oberbau- rath Julius L o 11, lei- der nicht erleben solite, reihen sich in rascher Folge der Staatsbau der galizi- schen Transversal- bahn sammt Abzwei- gungen, der Beskid- Bahn,der LinienHer- pelje-Triest,Siverich- Knin und der bohmi- schen Transversal- bahn. Seit 1890 sind mehrere grossere, zunachst gesammt- staatlichen Zwecken dienende Linien in Galizien, darunter die schwierige Kar- pathenbahn Stanislau-Woronienka und eine grossere Zahl von Nebenbahnen zu¬ meist in Schlesien im Wege des Staats- baues zur Ausfiihrung gelangt. Die nachfolgenden Tabellen bringen die in den Jahren 1873—1896 fiir die einzelnen Staatsbau-Linien verwendeten Betrage, dann die Aufwendungen zur Unterstiitzung des Baues von Privatbahnen durch Be- theiligung des Staates an der Capitals- beschaffung, gleichfalls jahrweise nach Linien getrennt, zur Darstellung. 3 * Abb. 7. 36 Tabelle X. Staats-Aufvvand fiir Staats- [Die Gegenposten — iiberschussige Eingange an Landes- Eisenbahnbauten 1873—1896. und Interessenten-Beitragen — sin d fett gedruckt. Tabelle X. 37 Tabeli e XI. Staatsaufivand clurch Betheiligung des Staates [Die Ruckzahlungen 39 am Baue von Privatbahnen 1873—1896. sind fett gedruckt.] Icibelle XI. 40 Dr. H. Ritter v. Wittek. Die letzte Tabelle [XII] zeigt summa- risch den fiir die beiden bezeichneten Zwecke erwachsenen Staatsaufwand in den einzelnen Jahren der Gegenstands-Periode. Tabelle XII. Staatsaufwand fiir Eisenbahn-Neubau. [Die Mehr-Riickzahlungen sind als Gegen- posten fett gedruckt.] Wie die vorstehende Tabelle XII zeigt, hat der Jahresaufwand fiir den Staats- eisenbahnbau nach einer gleich anfangs [1874—1876] bemerkbaren Steigerung auf rund 22*4 Mili. fi. seinen bisherigen Cul- minationspunkt mit 23-4. und 32D Mili. fl. in den Jahren 1883 und 1884 erreicht, in welchen die hohen Erfordernisse fiir die Arlberg- und die galizische Transversal- bahn zusammentrafen. Die spateren Jahre weisen namhaftgeringereZiffern auf. Seit 1892 — dem Tiefpunkte mit n Mili. fl. - ist eine vomehmlich durch die Bahn- bauten in Galizien bedingte Steigerung des Jahresaufwandes -vvahrnehmbar, der zwischen 5 und 6 Mili. fl. schwankt. Die Staatsbetheiligung am Privatbahn- baue ist von anfangs hohen Jahresziffern [1876 : io'5 Mili. fl., veranlasst durch die Pilsen-Priesener Eisenbahn und die osterreichischen Siidwesfbahnen, denen der Staat Bauvorschiisse gegen Ueber- nahme von Titeln gewahrte] auf gering- fiigige Betrage herabgesunken. Die Sum- men des Gesammtaufwandes seit 1873 fiir Staatseisenbahnbau mit I99'4 Mili. fl. und fiir Staats-Betheiligung am Privat- bahnbaue mit 32 - i Mili. fl., zusammen 231'5 Mili. fl., haben fiir die staatliche Eisenbahn-Gebarung eigentlich nur histo- rischen Werth, da einerseits die Bau-Auf- wandssummen successive dem Anlage- Capitale der Staatsbahnen zuwachsen und dort mit ihrer Verzinsung als Erhohunp' der Jahreslast wirken, andererseits mehrere der durch Capitals - Betheiligung unter- stutzten Bahnen seither vom Staate er- worben \vorden sind, wobei die nicht riick- gezahlten Vorschilsse in den Ankaufspreis eingerechnet wurden, mithin wieder einen Theil des Anlage-Capitals der Staats¬ bahnen bilden. Dahin gehort auch der aus Budgetmitteln bestrittene Betrag von 3 - oii Mili. fl., den der Staat fiir die Erwerbung der Dniester und Braunau- Strasswalchener Bahn in den Jahren 1876 — 1883 verausgabt hat. VI. Die Steuerleistung und sonstige offentliche Leistungen der Eisenbahnen. Wie in der am Eingange des II. Ab- schnitts gegebenen Gliederung der Be- ziehungen, in denen die Eisenbahnen auf die Staatswirthschaft einrvirken, naher ausgefiihrt wurde, steht der directen Ein- wirkung der Eisenbahn-Gebarung auf den Eisenbahn-Etat des Staatshaushalts jene auf die anderen Etats und vornehmlich auf die eigentlich fiscalischen zur Seite, indem die Eisenbahnen selbst ein wich- tiges Steuerobject bilden, uberdies von dem Eisenbahn-Verkehre in Form ver- schiedener Gebuhren Abgaben erhoben rverden, endlich die Eisenbahnen fiir Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 41 offentliche Zwecke Leistungen vollziehen, \velche vermoge ihres Mehr\verthes ge- geniiber dem hiefur geleisteten Entgelte einen finanziellen Vortheil fiir den Staats- haushalt zumeist in Form von Kosten- Ersparnissen darstellen. Es ware nun allerdings von hohem Interesse, die genauen Ziffern zu kennen, mit welchen die Eisenbahnen seit ihrem Bestande aus den bezeichneten Titeln zu den allgemeinen Staatslasten beigetragen haben. Es stehen dieser Ermittlung aber mannigfache Schwierigkeiten im Wege. Pur einige der hier in Betracht kom- menden Leistungen fehlen statistische Nachweise; die einschlagigen Ausgabs- posten sind nach dem Contirungs-Schema mit anderen, nicht zu den eigentlichen Betriebskosten gehorigen Auslagen ver- mischt. In den Rechenschaftsberichten der Eisenbahnen werden die eigentlichen Staatssteuern nicht besonders, sondern zusammen mit den infolge des geltenden Besteuerungssystems als Zuschlage zu den directen Staatssteuern zugleich mit diesen letzteren zur Einhebung gelangenden Abgaben fiir die autonomen Korper [Lander, Bezirke, Gemeinden] cumulativ ausgewiesen. Was daher die hier an erster Stelle zu besprechende Steuerleistung der Eisenbahnen anlangt, so eriibrigt nur und wird fiir den angestrebten Zweck wohl genugen rnussen, auf Grand der fiir die einzelnen Jahre ausgewiesenen Gesammtsummen annaherungsweise An- haltspunkte fiir die Hohe der Ziffern zu geben, um die es sich bei der Steuerleistung der Eisenbahnen — diese im allgemeinsten Sinne, also einschliesslich der Gebiihren und der neben den rein staatlichen auch fiir autonome Zwecke geleisteten Abgaben verstanden — handelt, tvobei die unter- laufene Ungenauigkeit dadurch vielleicht etwas gemildert erscheinen kann, dass der Autonomie in Oesterreich zum Theil auch die Vollziehung staatlicher Functionen obliegt, wodurch der Staatshaushalt um den entsprechenden Aufwand entlastet wird. Fiir das Jahr 1880 — knapp vor dem Uebergange zum Staatsbetriebe — gibt die folgende, der officiellen Statistik entnommene Nach\veisung die von den Eisenbahnen geleisteten Steuern sammt Zuschlagen mit folgenden Ziffern an: Tabelle XIII. J ) I11 diesen Ziffern ist die Steuerleistung fiir die ungarischen Linien inbegriffen. Eine besondere Nachweisung fiir die Ssterreichi- schen Linien ist in der officiellen Eisenbahn- statistik nicht enthalten, nachdem die Trennung der Betriebsrechnung der Osterreichischen und ungarischen Linien bei der Staatseisenbahn- Gesellschaft erst mit dem Jahre 1883 erfolgt ist; beziiglich der Siidbahn, bei welcher die Trennung der Betriebsrechnung erst im Jahre 1889 durchgefuhrt wurde, ist jedoch zu be- merken, dass dieselbe fiir ihr ungarisches Netz im Jahre 1880 noch die Steuerfreiheit genoss. 42 Dr. H. Ritter v. Wittek. Wenn in dieser Nachweisung vor Allem die Geringfiigigkeit der Ziffer auf- fallt, mit der die Staatsbahnen und der Staatsbetrieb an der gesammten Eisen- bahn-Steuerleistung pro 1880 betheiligt sind, so erklart sich dies einerseits aus dem damals noch geringen Umfange des Staatsbahnnetzes [955 km], dessen Be- steuerung erst mit einem spateren Gesetze [1887] eingefuhrt wurde, und des Staats- betriebes, welch’ letzterer nur die Kron- prinz Rudolf-Bahn seit 1. Januar 1880 und die Erzherzog Albrechtbahn seit 1. August 1880 umfasste, anderseits aus der geringen Ertragsfahigkeit der einzelnen, in verschie- denen Landern zerstreuten Staatslinien. Die Steuerleistung der Privatbahnen weist dagegen schon fiir dasjahr 1880 sehr ansehnliche Betrage auf, die bei der Kaiser Ferdinands-Nordbahn iiber 2*2 Mili. fl., bei der Siidbahn iiber 1-9 Mili. fl. und bei der Staatseisenbahn-Gesellschaft [incl. der un- garischen Linien] iiber 2‘5 Mili. fl. ausma- chen, bei der Carl Ludwig-Bahn 07 Mili. fl. iibersteigen und diese Ziffer bei der Kai- serin Elisabeth-Bahn nahezu erreichen. Im Ganzen haben alle Eisenbahnen zu- sammen pro 1880 iiber 97 Mili. fl. an Steu- ern und Zuschlagen geleistet. Die Netto-Ga- rantie-Vorschussleistung des Staates an die Eisenbahnen ist fiir das gleiche Jahr mit 17'925 Mili. fl. ausgewiesen. Werden diese beiden Ziffern einander gegeniibergestellt, wofiir sich vom Standpunkte der Staats- wirthschaft betrachtet, im Ganzen Argu¬ mente anfiihren lassen, so gestaltet sich der Saldo der Staatsgebarung beziiglich des Eisenbahnwesens um etwa die Halfte besser, indem der Nettozuschuss aus Staatsmitteln fiir den Eisenbahnbetrieb auf 8-625 Mili. fl. herabsinkt. Die successive Zunahme der jahrlichen Steuerleistung ist aus der nach- stehenden Tabelle ersichtlich, in welcher die Steuer-Eingange von den Staats- und Privatbahnen nebst dem Stempel- und Gebiihren-Aequivalent fiir die einzelnen Jahre 1880 —1895 nach der amtlichen j Statistik zusammengestellt sind : Tabelle XIV. Eingange an Steuern sammt Zuschlagen, dann an Stempeln und Gebiihren von den Eisenbahnen in den Jahren 1880—1895. Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 43 Wie die vorstehende Tabelle zeigt, haben die osterreichischen Eisenbahnen an Steuern und Gebuhren in den Jahren 1880—1895 eine von 10 successive auf beinahe 17 Millionen fl. steigende Tahressumme geleistet, welche mit Aus- nahme der hier nicht ausgeschiedenen Zuschlage an autonome Korper dem Staate zugeflossen ist. Fiir die ganze Periode betragt die Steuer- [und Gebuhren-] leistung der Eisenbahnen nahezu 209 Mil¬ lionen fl., eineimposanteZiffer, welche bei- spielsweise die Netto - Garantieleistung des Staates in dem gleichen Zeit- raum [abziiglich der Rtickzahlungen rund 107 Mili. fl.] weit iibersteigt. Die Ver- theilung der angefuhrten jahrlichen Steuer - summe auf die einzelnen Steuergattungen ist fiir das Jahr 1895 aus der nachstehen- den Zusammenstellung ersichtlich: Tabelle XV. Zergliederung der von den Eisenbahnen im Jahre 1895 entrichteten Steuern sammt Zuschlagen, dann Stempeln und Gebuhren. Die einzelnen Schlussziffern dieser Tabelle verdienen es wohl beachtet zu werden. Abgesehen von dem Staatsbahn- netze, dessen Leistung 3'7 Mili. fl. uber¬ steigt, stellen die grossen Privatbahnen — die Sudbahn mit fast 3'5 Mili. fl., die Kaiser Ferdinands-Nordbahn mit liber 2‘8 Mili. fl., die Staatseisenbahn-Gesell- schaft mit tiber 2'3 Mili. fl., die Buschte- hrader Bahn mit liber n Mili. fl., die Aussig-Teplitzer Bahn und die osterr. Nordwestbahn mit je liber 0'8 Mili. fl. 44 Dr. H. Ritter v. Wittek. — stattlicbe Steuerobjecte dar. Diese Ziffern sind wohl ein schlagender Beweis dafiir, wie sehr der Staat im Allgemeinen auch an der finanziellen Prosperitat der Privatbahnen interessirt ist. Mit den vorstehend angefiihrten eigenen Leistungen ist aber die fiscalische Frucht- barkeit der Eisenbahnen keineswegs erschopft. Neben den offentlichen Abgaben, welche die Eisenbahnen selbst zu entrichten haben, schaffen sie namlich dem Fiscus in dem durch sie vermittelten Personen- und Giiterverkelire ein wichtiges und durch Vermittlung der Bahnver- waltungen, welche die Einhebung zu- gleich mit den Bahngebiihren besorgen, ausserst bequem beniitzbares Besteu- e r u n g s o b j e c t. Die Heranziehung des Eisenbahn-Verkehres zur Leistung offent- licher Abgab en erfolgt in Oesterreich bisher nur in der Form der Gebiihren-Einhebung von den Personen-Fahrkarten [Billet- stempel], dann von den Frachtbriefen und Aufnahmescheinen [Frachtbriefstempel, Aufnahmescheingebiihr]. Wiewohl diese Abgabe beiweitem nicht jene Hohe er- reicht, die in anderen Landern durch die sogenannte Transportsteuer erzielt wird *), handelt es sich dabei doch um ein ganz ansehnliches Einkommen, welches dem Staate durch Vermittlung und in- folge der Eisenbahnen zufliesst. Als An- haltspunkt konnen die Ziffern des Jahres 1895 dienen, welche in der nachstehenden Tabelle zusammengestellt sind. *) Vgl. Sonnenschein, die Eisen- bahn-Transportsteuer und ilire Stellung im Staatshaushalte. Berlin, Springer 1897. Ihre Einfiihrung in Oesterreich ist durch den neuestens als Regierungsvorlage einge- brachten Gesetzentwurf in den Vordergrund der wirthschaftspolitischen ErOrterungen ge- treten. Tabelle XVI. Zusammenstellung der von den osterr. Eisenbahnen fiir das Jahr 1895 ent- richteten Gebiihren fiir Fahr- und Frachtkarten. Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 45 Die Jahressumme dieser Staatsein- nahme, welche von dem die Eisenbahnen beniitzenden Publicum [Reisende und Frachtgeber] eingehoben wird, beziffert sich sonach auf etwa 2 - 75 Millionen fl. Dass diese Ziffer nicht zu niedrig er- mittelt ist, ergibt sich aus einer anderen uns vorliegenden Berechnung, wonach der Personen-Fahrkartenstempel allein einschliesslich der Schifffahrt, fur welche rund 100.000 fl. in Abzug kommen, in den Jahren: 1893 1894 1895 1,323.614 fl. 1,667.463 fl. 1,737-297 A- eingebracht hatte, \vozu dann noch die Frachtbrief- und Aufnahmescheinstempel, mit rund 2,000.000 fl. zuzurechnen waren. Man wird daher nicht fehlgehen, wenn man die Transport-Abgabe der oster- reichischen Eisenbahnen nach dem jetzigen Stande des Verkehrs mit uber 3 Millionen fl. jahrlich ansetzt. Zuziiglich der vorhin mit 167 Millionen fl. ausgewiesenen eigenen Steuerleistung der Eisenbahnen ergibt sich der jetzige directe fiscalische Jahres- Ertrag der Eisenbahnen an Steuern und Gebiihren mit rund 20 Millionen fl. Hierin sind nicht inbegriffen die von den Eisen- bahn-Titres eingehobenen Coupon-Stem- pelgebiihren, die beispielsweise im Jahre 1895 bei der Staatsbahn-Gesellschaft rund 125.000 fl. und bei der Stidbahn 105.443 fl. ausmachten. Im Anschlusse an diese dem Staats- haushalte bedeutende Einnahmen zufiih- renden Abgaben sind noch jene geld- werthen Leistungen hervorzuheben, welche — wie am Eingange des II. Ab- schnittes ausgefuhrt ist — von den Eisenbahnen unentgeltlich oder zu er- massigten Preisen fur verschiedene staat- liche Dienstzweige besorgt werden. Eine genaue Bewerthung der hiedurch dem Staate im Etat dieser Dienstzweige erwachsenden, materielle Vortheile dar- stellenden Ersparnisse ist nach dem heu- tigen Stande der zu Gebote štehenden Auf- zeichnungen fiir Oesterreich nicht zu geben. Eingehende und beaclitenswerthe Nach- weisungen iiber den Gegenstand enthalt dagegen die amtliche Statistik Frankreichs. In der von dem franzosischen Mi- nisterium der offentlichen Bauten her- ausgegebenen Eisenbahn-Statistik*) sind die vorerwahnten Ersparnisse, an die Eisenbahn-Steuern [I. Transportsteuer von Reisenden und Eilgut, Aufnahmsschein- und Frachtbriefstempel, II. laufende Stem- pel, Gebiihren von Actien undObligationen, Uebertragungs-Gebiihren von solchen Ti- tres, Einkommensteuer und 4°/ 0 ige Taxe vomVerlosungsgewinn, III. Gebaudesteuer, Patentgebiihren, Zolleinnahmen fiir zu Eisenbahnzvvecken bezogene Brenn- und Rohstoffe] angereiht, nach folgenden Gruppen zusammengestellt: IV. Ersparnisse zufolge der Bestim- mungen des Bedingnisheftes : 1. Postver- waltung. 2.Telegraphenverwaltung. 3. Be- forderung von Militar-Personen und solchen der Marine. 4. Unentgeltliche Beforde- rung der Finanzorgane im Dienste der indirecten Steuern und der Zollorgane. V. Ersparnisse gegeniiber den nor¬ malen Tarifen auf Grund frei\villiger Ver- einbarungen mit dem Staate: Kriegs- materialtransporte. Die Bewerthung auf Grund bestimmter, nach statistischen Leistungs-Einheiten aufgestellter Rechnungsschlussel ergibt beispielsweise fiir das Jahr 1894 beziig- lich sammtlicher franzosischer Bahnen [ 35 - 97 1 kni] nachstehende Betrage: pr .km im Ganzen Bahn- Ersparnisse der lange Frcs. Frcs. Postvervvaltung [IV, 1] 37,573-92 1 1045 Telegraphen- verwaltung . [IV, 2] 4,099.774 114 Beim Transport von Militar- Personen . . [IV, 3] 21,928.888 609 Finanz- und Zollorganen . [IV, 4] 1,672.733 46 Zusammen . . . [IV, 1-4] 65,275.316 1814 Kriegsmaterial- transport. . . [V] 1,186.431 33 Totalsumme . . 66,461.747 1847 Nach einer der amtlichen Bewerthung beigedruckten Schatzung der Gesell- schaften, die auf einem friiheren Formular *) Statistique des chemins de fer franfais au 31. dčcembre 1894. Documents divers. Premižre partie: France, interet general. Pariš, Impr. nationale 1896, pag. 274, 275. 46 Dr. H. Ritter v. Wittek. beruht, wird die Totalsumme der Erspar- nisse noch wesentlich hoher, namlich auf Frcs. 136,331.058 oder per km auf Frcs. 3790 beziffert. Die Leistungen der osterreichischen Eisenbahnen fur die Postanstalt be- ruhen im letzten Grande auf dem schon im § 68 der Eisenbahn-Betriebsordnung vom 16. November 1851, R.-G.-Bl. Nr. 1 ex 1852, den concessionirten Pri vat - Eisenbahn-Unternehmungen gegeniiber gemachten und im § 10 lit. f des Eisen- bahn-Concessionsgesetzes vom 14. Sep¬ tember 1854, R.-G.-Bl. Nr. 238, erneuerten Vorbehalte der Verpflichtung zur unent- geltlichen Postbeforderung wie auch auf der Fortbildung, welche dieser allgemeine Vorbehalt in den Bestimmungen der einzelnen Concessions-Urkunden erfahren hat. Insgemein ist hiernach den Privat- bahnen die unentgeltliche Beforderung der im Dienste fahrenden Postbediensteten, der Briefpost- und der Postambulanzwagen auferlegt, wogegen den Bahnen fur die zur Mitnahme der Postfrachten beizu- stellenden »Beiwagen« eine massige, annaherungsweise den Selbstkosten der Beforderung entsprechende Vergiitung nach festen Einheitssatzen geleistet wird. Den Localbahnen sind durch die neuere Specialgesetzgebung in Bezug auf die Postbeforderung facultativ Erleich- terungen zugestanden, die Kleinbahnen [Tertiarbahnen] von allen unentgeltlichen Leistungen in obiger Hinsicht enthoben. [Art. II und XVIII des Gesetzes iiber Bahnen niederer Ordnung vom 31. De¬ cember 1894, R.-G.-Bl. Nr. 2 ex 1895.] Fur die Postbeforderung auf den Staatsbahnen und fur Rechnung des Staates betriebenen Bahnen sind mit Verordnung des k. k. Handelsministeriums vom 20. Marž 1883 eigene Normativ-Be- stimmungen erlassen worden, wonach vom 1. Januar 1883 ab fur die Beforderung der Post mittels ararischer Ambulanz- vvagen sowie mittels der Bahn gehorigen Wagen, dann fur die Briefpostvermittlung durch Bahnorgane, von Seite der Post- verwaltung eine Entschadigung mit 50 Per- cent der jahrlich sich ergebenden Kosten per Achskilometer des gesammten Staats- betriebsnetzes nach Massgabe der durch- laufenen Postrvagen-Achskilometer ge¬ leistet wird. Diese Entschadigung variirte seit 1883 zvvischen r65 und i'9i kr. per Postwagen-Achskilometer. Fiir das Jahr 1895 hat die Post an die Staatsbahnverwaltung aus obigem Titel eine Vergiitung von 796.139 fl. bezahlt. Stellt man die bahnseitige Leistung fiir den Posttransport nur mit den Selbst¬ kosten in Rechnung, was offenbar zn niedrig gegriffen ist, so bewerthet sich das durch die Beniitzung der Staatsbahnen zu ermassigtem Preise der Postanstalt erwachsene jahrliche Ersparnis auf rund 800.000 flt. Beziiglich der Privatbahnen ist die Schatzung des gleichartigen fisca- lischen Vortheils durch die Verschiedenheit der concessionsmassigen Verpflichtungen erschwert. Eine approximative Verglei- chung der von den grossen Hauptbahnen bezogenen Vergiitungen [1895 : 580.000 fl. mit den Selbstkosten der geleisteten Post- wagen-Achskilometer fiihrt zu dem Ergeb- nisse, dass letztere durchschnittlich mit nur 62'7 Percent zur Vergiitung gelangen. Auf die Gesammtsumme der von den osterreichischen Privatbahnen gefahrenen Postwagen - Achskilometer angevvendet, wurde sich das Ersparnis der Post bei den Privatbahnen mindestens auf etwa 420.000 fl. jahrlich bewerthen lassen. Im Ganzen ist das jahrliche Ersparnis des Staates bei der Postbeforderung demnach auf mindestens 1,200.000 fl. zu schatzen. Die sonstigen Leistungen der Eisenbah¬ nen fiir die Postanstalt, als unentgeltliche Beforderung der Postorgane, Mitvvirkung des Bahnpersonals beim Postdienste, Bei- stellung von Amtsraumen, Instandhaltung der ararischen Postambulanzwagen etc., entziehen sich einer ziffermassigen Bewer- thung. Ebenso sind die Leistungen fur die Staats - Telegraph enanstalt, welche theoretisch in der Pflicht zur unentgelt¬ lichen Ueberlassung der Saulen des Bahntelegraphen zur Anbringung von Staatstelegraphen-Leitungen und in deren Obsorge sowie in der Beforderung des Staatstelegraplien-Materials zu wesentlich ermassigtenTarifsatzen bestehen, einerseits kaum zu beziffern, anderseits finanziell nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Von grosserer finanzieller Tragweite sind dagegen die Leistungen der Bahnen in Bezug auf den Milita r- Transport. Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 47 Die Differenz zwischen den fiir die Befor- derung von Militarpersonen und Militar- giitern nach dem Militar-Tarife eingeho- benen ermassigten Beforderungsgebiihren und jenen des normalen Civil-Personen- und Gutertarifs stellt das Ersparnis dar, welches der Staat infolge der einschlagigen freien oder concessionsmassigen Verein- barungen erzielt. Nach einer schatzungs- weisen Berechnung kann dieses Ersparnis bei den k. k. Staatsbahnen und vom Staate betriebenen Privatbahnen fiir das Jahr 1895 in folgender Weise beziffert werden: Differenz bei den im Dienste fl. 5. W. reisenden Militarpersonen . 681.150 Differenz bei den ausser Dienst reisenden Militarpersonen . 355-740 beim Reisegepack .... 138.867 bei den Militargiitern . . . 397.366 zusammen . . 1,573.123 Nachdem die durchschnittliche Be- triebslange der bezeichneten Bahnen im Jahre 1895 rund 8900 km betragen hat, entspricht obige Zififer einer kilometri- schen Differenz von i76 - 8 fl. Nach dem Verhaltnis der Kilometerzahl der selbst- standig betriebenen Privatbahnen [7361] ergibt sich fiir dieselben die Jahressumme von 1,301.425 fl. Diese Ziffer ist offenbar viel zu niedrig gegriffen, da die normalen Civil-Tarife der Privatbahnen zumeist weit holier sind als jene der Staatsbahnen. Es wird deshalb fiir alle Bahnen zusammen das dem Staate aus diesem Titel zu gute kommende Jahresersparnis mit dem Betrage von 3 Millionen fl. nicht zu lioch angenommen sein. Post- und Militar-Transport allein geben somit eine jahrliche Ersparnis- summe, die allermindestens 4—5 Mili. fl. betragt. VII. Gesammt-Bilanz der staatlichen Eisenbahn-Gebarung'. In den vorausgehenden Abschnitten wurde versucht, die finanziellen Wirkun- o-en, welche die Eisenbahnen auf den Staatshaushalt vermoge der Garantie, des Staatsbaues und Staatsbetriebes und der fiscalischen Leistungen ausiiben, im Ein- zelnen moglichst iibersichtlich darzustellen. Es eriibrigt daher noch, diese Darstellung durch die Uebersicht des Gesammteffectes zu erganzen, den die gleichzeitige Bethati- gung dieser Einzelwirkungen zur Folge hat. Hierbei ist von den Schlussergebnissen auszugehen, welche im Abschnitte IV beziiglich des finanziellen Erfolges des Staatsbetriebes als des wichtigsten Zweiges der staatlichen Eisenbahn-Gebarung er- mittelt vrarden. Da es sich jedoch bei dieser Darstellung nicht um eine theore- tische Beurtheilung der Ergebnisse des Staatsbetriebes, sondernumdie wirklichen Gebarungsziffern handelt, wie sie in der Gegenstands-Periode den Staatshaushalt factisch beeinflusst haben, ist nicht die Schlusscolonne der Tabelle VII, sondern es sind jene der in T abelleVIII enthaltenen fac- tischen Gebarungs-Abgange als der wirk- lichen Zuschtlsse auf den Staatseisenbahn- Betrieb zum Ausgangspunkte zu nehmen. i Dabei sind, wie hier zu erinhern ist, die dem Staate erwachsenen Lasten infolge der fiir den Staatseisenbahnbau verwen- deten Betrage durch jahrweise Zurech- nung der 4‘/4 percentigen Zinsen derselben zu den Capitalslasten [Tabelle VIII, Col. 3] bei derErmittlung der Gebarungs-Abgange beriicksichtigt. An diese Zuschiisse reihen sich sodann die Netto-Ergebnisse der Staatsgarantie-Gebarung, wobei — abwei- chend von der im Abschnitt III behufs reiner Ermittlung der Garantie-Vorschuss- Verhaltnisse befolgten Methode — nebst den bei der Netto-Garantie-Leistung in Abzug gebrachten Vorschuss- auch die Zinsen-Riickzahlungen zu berucksichtigen sind sowie die als Subvention bezahlten Annuitaten. Der hieraus resultirenden Gesammtlast sind die Eingange aus den Eisenbahnen, soweit sie jahrweise ziffer- massig bekannt sind, wie Antheile am Reingewinn und Steuerleistung der Pri¬ vatbahnen, gegenuberzustellen, woraus sich sodann die Gesammt-Bilanz der staatlichen Eisenbahn-Gebarung exclusive Bau ergibt. 48 Dr. H. Ritter v. Wittek. Tabelle XVII. Gesammt-Bilanz der Staatslasten und Eingange aus den Eisenbahnen [excl. Bau] 1882—1896 in Millionen fl. Die Riickzahlungen von Garantie-Vorschiissen und Zinsen sind als Activposten fett gedruckt. Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 49 Die Zalilenreihen dieser Tabelle geben zu mancherlei Betrachtungen Anlass. Neben dem constant in ansehnlicher Hohe auftretenden Gebarungs-Deficit des Staats- betriebes, dessen Hohe indess, wie bereits im IV. Abschnitt erwahnt, zum grossen ' 1 'heile durch die Einbeziehung des In- vestitions-Aufwandes in die ausserordent- lichen Ausgaben bedingt war und durch die seit 1897 geanderte Budgetirungs- methode sich fortan \vesentlich vermin- dert *), fallt sofort die stetige Besserung der Garantie-Gebarung in’s Auge, welche im Jahre 1885, infolge der Riickzahlung der Garantieschuld der mahrisch-schlesi- schen Nordbahn, mit fast 6 Mili. fl. und 1895 mit nahezu 2 Mili. fl. activ war. Die Erklarung liegt in dem successiven Uebergang der dauernd passiven Garantie- Bahnen in den Eigenbetrieb fiir Rechnung des Staates und in der giinstigen Entvvick- lung der selbststandig gebliebenen garan- tirten Untemehmungen. Die Gesammt- lasten des Staates fiir Eisenbahnzwecke haben hiernach seit 1882, von voruber- gehenden Schwankungen abgesehen, keine Verminderung erfahren und beziffern sich am Schlusse der Periode mit rund 24 Millionen fl. Trotzdem ist — wie das Sinken des Passiv-Saldos der Gesammt-Bilanz seit 1892 von 20 auf 9 Mili. fl., trotz der vielen neu hinzugekommenen schwachen Linien zeigt — die finanzielle Besserung der Gesammtgebarung unverkennbar. Die anlasslich der Neu-Concessionirung der Kaiser Ferdinands-Nordbahn bedungene Betheiligung des Staates an dem Rein- gewinn dieses ertragreichen Unternehmens — ein Vorgang, der spaterhin bei der Neu-Ordnung der Capitalsverhaltnisse der Aussig-Teplitzer Bahn Nachabmung fand und bei der Sudbahn neuestens infolge der schiedsgerichtlichen Entscheidung iiber den Kaufschillingsstreit wieder auf- gelebt ist — hat dem Staate seither Jahr *) Im Budget pro 1897 sind fiir ausser- ordentliche Ausgaben beim Staatseisenbahn- Betriebe und der Bodensee-Dampfschifffahrt 8,012.98011. [gegen 11,672.76011. undincl. Staats- eisenbahnbau nebst Betheiligung am Privat- bahnbau 18,485.410 fl. imVorjahre] eingestellt und 18,063.910 fl. im Erfordernisse aes In- vestitions-Praliminars fiir Eisenbahnzivecke bewilligt. fur Jahr namhafte Eingange verschafft, welche zuziiglich der bei den Ein- nahmen des Staatsbetriebes verrechneten und daher in Col. 8 ausgeschiedenen Zah- lungen der Aussig-Teplitzer Bahn in denjahren 1894—1896 von 17 auf fast 3 Millionen fl. gestiegen sind. Diese Z11- fliisse, welche den Werth einer umsichtigen finanziellenEisenbahnpolitik auch unter der Vorherrschaft des Staatsbetriebes ausser Zweifel stellen, haben im Vereine mit der trotz der Verstaatlichung fast constant steigenden Steuerleistunp" der Privat- bahnen zu dem Schlussergebnisse gefiihrt, dass die Gesammtbilanz der staatlichen Ei- senbahn-Gebarung der Jahre 1893—96 mit massigen Passiv-Saldoziffern abschliesst. Denn eine Unterbilanz von durchschnitt- lich 8'4 Millionen fl. kann bei einem im Ganzen, Staats- und Privatbahnen zusammengenommen, rund 17.000 km [Ende 1896] umfassenden Bahnnetze, ivelches so viele ertragsschwache Linien in sich begreift, gewiss nicht als eine unverhaltnismassige bezeichnet werden. Diesem Passivum stehen ubrigens die im Abschnitte VI besprochenen Erspar- nisse gegeniiber, welche die verschiedenen Staatsdienstzweige infolge der unentgelt- lichen oder zu ermassigten Preisen statt- flndenden Leistungen der Eisenbahnen geniessen. Jene bei der Postbeforderung und dem Militartransport ali ein bewerthen sich auf 4—5 Millionen fl. jahrlich. Es iviirde hiernach also, die iibrigen Leistun¬ gen dieser Art ungerechnet, der bilanz- massige Netto-Zuschuss des Staates fiir das Eisenbahnwesen mit Ausschluss des Linien-Neubaues, fur welchen in denjahren 1893 — 96 rund je 6 Millionen fl. aufgewen- det wurden, nicht hoher als auf et\va 3—4 Millionen fl. jahrlich zu schatzen sein. Mit dieser Zuschussleistung schliesst, da die indirecten Vortheile, welche die Eisenbahnen in Bezug auf die Hebung der Steuerkraft dem Staatsschatzegebracht haben, nicht ziffermassig nachweisbar sind, die Gebarungsbilanz des Staates in Bezug auf die Eisenbahnen mit 1896 ab. Die ganze Entwicklung imZusammen- hange betrachtet, kann wohl behauptet werden, dass die Eisenbahnen in Oester- reich sich fiir die Staatswirthschaft und den Staatshaushalt trotz der grossen Opfer, 4 Geschichte der Eisenbahnen. II. 50 Dr. H. Ritter v. Wittek. welche ihre Entwicklung zeitweilig den Staatsfinanzen auferlegte, doch anderseits als eine dem Staatsschatze ansehnliche Zufliisse und mannigfache Vortheile brin- gende Institution bewahrt haben. 'Wenn daher der Ausbau des osterreichischen Eisenbahnnetzes in den letzten 50 Jahren und der heutige Stand des heimischen i Eisenbabnwesens geeignet ist, mit patrio- tischem Stolze zu erfiillen, so bieten die staatswirthschaftlichen und finanziellen Ergebnisse dieser Entwicklung wabrlicli keinen Grand, sich dieses Gefiihl durch pessimistische Beurtheilung des materi- ellen Werthes des Geschaffenen ver- kiimmern zu lassen. VIII. Der Eisenbahn-Etat in der Gegenwart. Die im vorigen Abscbnitte an der Jahres-Reihe 1882 —1896 verfolgte Ein- wirkung der Eisenbahnen auf die Ge- staltung des Staatshaushaltes ist, inso- weit es sich um das Budget handelt, mit dem Jahre 1896 in doppelter Hin- sicht zu einem Abscblusse gelangt. Durch die in den Beginn dieses Jahres fallende Errichtung des Eisenbahnministeriums, welches nunmehr mit einem eigenen Etat — Nummer XII — [Capitel 28 der Staats- ausgaben, 34 der Staatseinnahmen] be- dacbt ist, erscheint das Eisenbahnrvesen als selbststandiger Verwaltungszweig in den Rahmen des Staatsvoranschlages eingegliedert. Anderseits ist das Finanz- gesetz fiir das Jahr 1896 das letzte vor der schon oben besprochenen, in das orga- nische Gefiige unseres Budgets tief ein- greifenden und namentlich fiir das Eisen- bahnwesen bedeutungsvollen Ausschei- dung der Investitions-Auslagen, welche bisher mit den laufenden Staatsausgaben vermischt waren und vom Jahre 1897 an in einem II. Theile des Staatsvoran¬ schlages zur Darstellung gelangen. Im Staatsvoranschlage fiir 1896, woselbst diese Trennung noch nicht stattgefun- den hat und die Staatsausgaben mit 664,569.573 fl., die Staatseinnahmen mit 666,006.190 fl. festgesetzt sind, nimmt das Eisenbahnministerium fiir die Zwecke seines Ressorts inclusive Bodensee-Schiff- fahrt im Ganzen [Capitel 28, Titel 1 —7] 93,722.360 fl. in Anspruch, wovon auf aus- serordentliche Ausgaben 18,485.4iofl.[dar- unter fiir Staatseisenbahnbau 6,094.000 fl. fiir Betheiligung an derCapitalsbeschaffung zum Baue von Privatbahnen 680.970 fl.] und auf ordentliche Bahnbetriebsauslagen exclusive Localbahnbetrieb [Titel 7, § 1, lit. a] 63,207.184 fl. entfallen. Dem Ressortaufwande, welchem der Voll- standigkeit halber noch die im Budget- Capitel 34, Titel 3 [XVII. Subventionen und Dotationen B an Verkehrsanstalten] eingestellten 4°/ 0 ige n Vorschiisse an ga- rantirte Bahnen mit 1,407.900 fl. zuzu- rechnen sind, so dass die Eisenbahn- Ausgaben im Ganzen 95,130.260 fl. aus- machen, stehen als Bedeckung die im Capitel 34, Titel I—6 praliminirten Staats¬ einnahmen des Eisenbahnministeriums mit 108,445.860 fl. gegeniiber. Darunter sind begriffen der Staatsantheil an dem Reinge\vinne der Kaiser Ferdinands-Nord- bahn mit 1,300.000 fl. und einschliesslich desselben ausserordentliche Einnahmen 9,197.710 fl. sowie ordentliche Trans- port-Einnahmen 94,851.500 fl. Zuziiglich der bei den Subventionen fiir Verkehrs¬ anstalten praliminirten Zinsen-Einnahme von 4700 fl. erreicht der Staats-Ein- nahmen-Etat des Eisenbahnwesens die Gesammtsumme von 108,450.560 fl. Das Eisenbahmvesen participirt also an den Staatsausgaben mit y, = 14%, an den Staatseinnahmen mit V 6 = x6°/ 0 des gesammten Staatshaushaltes und er¬ scheint im Budget pro 1896 als ein mit dem Betrage von 13,320.300 fl. activer Dienstzvveig — letzteres allerdings nur Dank dem Umstande, dass die grossen Capitalslasten fiir den Bau und die Er- werbung der Staatsbahnen mit Ausnahme der beim Staatseisenbahn-Betriebe [Ca¬ pitel 28, Titel 7, § 1 lit. c] praliminirten vertragsmassigen Zahlungen fiir Ver- Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 51 zinsung und Amortisation per 8,224.400 fl. nicht im Eisenbahn-Etat eingestellt sind, sondern in jenem der Staatsschuld ihre Wirkung aussern. Wird hingegen das gesammte Er- fordernis fiir die Bestreitung der Lasten des in den Staatsbahnen investirten An- lagecapitals einschliesslich der Verzinsung des durch Ausgabe von Staatsrenten- titeln beschafften oder aus den Cassen- bestanden bestrittenen Aufwandes fiir den Staatseisenbahnbau und fiir nachtragliche Investitionen dem Betriebsiiberschusse der Staatsbahnen entgegengehalten, so zeigt sich, dass letzterer das Lasten-Erforder- nis nicht erreicht, vielmehr hinter dem- selben um einen namhaften Differenz- betrag zurtickbleibt. Diese Differenz stellt den Zuschuss dar, welchen der Staat auf den Staatsbahnbetrieb zu leisten hat. In den Erlauterungen zum Staatsvoran- schlage der Staatseisenbahn-Verwaltung fiir das Jahr 1896 *) ist die Hohe des Staats- zuschusses in folgender Art berechnet: Vertragsmassige Zahlungen ftir Verzin¬ sung und Amortisation: a) im Etat der Staatsbahn- fl. verwaltung.8,092.080 b) im Etat der Staatsschuld 33,235.891 c) Annuitat fiir 4 / c der Wie- ner Verbindungsbahn . 132.320 zusammen 41,460.291 Aufwand fiir Staatsbahnbau und Nachtrags - Investitionen [inclusive jener fiir 1896 mit 6,628.479 fl.] zusammen 284,443.219 fl. zum Zins- fusse von 4V4 °/o • • ■ ■ 12,088.837 Gesammmterfordernis . . . 53,549.128 Hievon ab Betriebsiiberschuss im Ordinarium.32,548.720 Praliminirter Staatszuschuss fiir 1896.21,000.408 Uerselbe erhoht sich bei Einbeziehung des praliminirten Netto-Erfordernisses im Extraordinarium in die laufenden Aus- gaben auf 27,071.700 fl. Das Anlagecapital sammtlicher im Staatsbetriebe stehenden Bahnen [excl. Lo- *) XI. urspriinglich Handelsministerium Heft 2, sodann geandert in XII. Eisenbahn- Ministerium S. 195 ff. calbahnen] ist fiir 1896auf 1175,782.5501!.*) berechnet und die Verzinsung desselben durch den Betriebsiiberschuss mit 277 °/ 0 . Infolge der mit dem Finanzgesetze fiir das Jahr 1897 beziiglich der Inve- stitions-Gebarung eingefiihrten Budget- Reform bietet der Staatsvoranschlag die- ses Jahres, soweit er das Eisenbahn- wesen betrifft, ein etwas verandertes Bild. Die Staatsausgaben mit 689,081.170 fl. und die Staatseinnahmen mit 690,030.996 fl. zeigen gegeniiber dem Vorjahre eine mas- sige Steigerung. Die gleiche aufsteigende Bewegung tritt bei dem Einnahmen-Etat des Eisenbahnministeriums [Capitel 34, Titel 4 des Staatsvoranschlages] zu Tage, welcher einschliesslich der ausseror- dentlichen Einnahmen per 4,846.480 fl. [darunter 1,300.000 fl. als Reingewinn- Antheil von der Kaiser Ferdinands- Nordbahn] und der ordentlichen Transport- Einnahmen des Staatsbahnbetriebes per 98,851.500 fl. die Gesammt-Bedeckungs- ziffer von 113,806.260 fl. aufweist, die sich durch die im Subventions-Etat prali¬ minirten Eisenbahn-Garantie-Riickzahlun- gen von 155.300 fl. auf 113,961.560 fl. erhoht. Der Eisenbahn - Ausgaben - Etat beim Eisenbahnministerium in der dem Vorjahre nahezu gleichen Ziffer von 93,801.410 fl. [darunter 8,456.910 fl. ausserordentliche Ausgaben, 67,093.090 fl. ordentliche Bahnbetriebsauslagen incl. Localbahnbetrieb, 8,203.010 fl. vertrags¬ massige Zinsen- und Amortisations- zahlungen] ist um jene Investitions-Aus- lagen im Betrage von 18,063.910 fl. [hie¬ von ftir Staatseisenbahnbau 5>74i-76o fl., fiir Betheiligung an der Capitals- beschaffung zum Bau von Privatbahnen 5,268.000 fl., fiir Betriebs-Investitionen 7,054.150 fl.] verringert, welche im Er- fordernisse des Investitions-Praliminares [Beilage II zu Artikel IX des Finanz- gesetzes] fiir das Eisenbahnministerium eingestellt sind. Wird jedoch zum Zwecke der Vergleichung mit dem Vorjahre dieser Betrag gleichwie jener der Ga- rantie - Vorschusszahlungen fiir Eisen- *) Laut »Bericht iiber die Ergebnisse der k. k. Staatseisenbahn-Vervvaltung fiir das Jahr 1896«, S. 132, nur 1.139,887.884 fl. 4 * 52 Dr. H. Kitter v. Wittek. bahnen im Etat XVII »Subventionen und Dotationen« per 1,654.500 fl. den oben ausgewiesenen Ausgaben zuge- rechnet, so erreichen die Staatsausgaben fiir Eisenbabnzwecke den Gesammtbetrag von 1x3,519.820 fl., d. i. l5'8°/ 0 oder fast 1 / 7 der sammtlichen Staatsausgaben incl. Investitionen, vvogegen den in der Bedeckung des Staatsvoranschlages [Bei- lage I zum Finanzgesetze] ausgewiesenen Eisenbahn-Einnahmen jene des Investi- tions-Praliminares mit 4,782.820 fl. zu- zurechnen sind, so dass im Ganzen die Bedeckungssumme von 1x8,744.380 fl., d. i. 17% oder mehr als 1 / e der ge- sammten Staatseinnahmen incl. Investi- tions - Bedeckung aus dem Eisenbahn- \vesen resultirt. Nach der neuen Gruppirung des Budgets dagegen, in welcher die Inve¬ stitionen von der laufenden Gebarung getrennt eingestellt sind, stehen in letzterer den Eisenbahn-Einnahmen [incl. Garantie- Riickzahlungen] mit . 113,961.560 fl. Ausgaben aus gleichem Titel [incl. Garantie- Vorschtisse] mit . . . 95,455.910 ■> gegentiber, so dass der Eisenbahn-Etat mit dem_ Betrage von .... 18,505.650 fl. activ erscheint. Der Staatszuschuss fiir den Staats- eisenbahn-Betrieb stellt sich nach der Berechnung in den Erlauterungen zum Staatsvoranschlage der Staatseisenbalm- Verwaltung fiir dasJahr 1897*), in \vel- chem die Betriebslange mit durchschnitt- lich 9443 km angenommen ist und mit Jabresschluss auf rund 9800 km steigen diirfte, in folgender Schlussziffer dar: Vertragsmassige Zahlungen fiir Ver- zinsung und Amortisation: n) im Etat der Staatsbahn- fl. Verwaltung.8,203.010 b) im Etat der Staatsschuld 32,837.560 zusammen 41,040.570 Aufvvand fiir Staatsbahn-Bau und nachtragliche Investitionen [inclusive j en er fiir 1897 mit 5,444.057 fl.] zusammen 308,291.864 fl. zu 4 V 4 °/o 13,102.404 *) XII. Eisenbahnministerium S. 202 ff. Transport 13,102.404 Annuitaten fiir Fahrparksver- mehrung.1,484.840 Gesammt-Erfordernis . . .55,627.814 ab Ueberschuss im Ordinarium [nach Zurechnung der im obi- gen Erfordernisse bereits be- riicksichtigten vertragsmassi- gen Zahlungen fiir Verzinsung und Amortisation] . . . .31,795.170 Praliminirter Staatszuschuss fiir 1897*) . .' . . . .23,832.644 Das Anlagecapital fiir sammtliche im Staatsbetriebe stehenden Bahnen, ex- clusive der Bodensee-Dampfschiffahrt und der fiir fremde Rechnung betriebenen Localbahnen, ist abziiglich der durch Ver- losungen oder Convertirungen in Abfall kommenden Betrage mit 1.161,265.228 fl. ermittelt. Die Verzinsung durch den Betriebs-Ueberschuss stellt sich auf 274 °/o- Zur Vervollstandigung des Gesammt- bildes mogen hier noch die fiir den Gegen- stand charakteristischen Ziffern aus dem kiirzlich im Abgeordnetenhause einge- brachten Staatsvoranschlage fiir das Jahr 1898 beigefiigt \verden, demjahre, in wel- chem das Staatsbetriebs-Netz die Langen- ausdehnung von 10.000 km uberschreiten wird. Die gesammten Staatseinnahmen sind mit 719,900.282 fl., die gesammten Staatsausgaben mit 715,920.827 fl. ver- anschlagt, so dass ein Ueberschuss von 3,979-455 fl- sich ergibt. Das Investitions-Praliminar zeigt im Erforder- nis 29,179.780 fl., in der Bedeckung 1,524.050 fl. Die Eisenbahn-Einnahmen [einschliesslich der Garantie - Riickzah- lungen mit 104.300 fl., des Gewinn- Antheils bei der Kaiser Ferdinands-Nord- bahn mit 1,600.000 fl. und der Kauf- schillings-Restzahlung der Siidbahn mit 1,846.100 fl.] sind auf 120,780.200 fl. beziffert. Das Ausgaben-Erfordernis ist einschliesslich der Garantievorschusse im Betrage von 1,963.000 fl. mit 98,488.500 fl. veranschlagt. Der hiernach resultirende Ueberschuss von 22,291.700 fl. iibersteigt *) Bei Behandlung des praliminirten Netto-Erfordernisses im Extraordinarium als laufende Ausgabe des Jahres 1897 wiirde der Staatszuschuss sich erhOhen auf 27,035 720 fl. Oesterreiehs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 53 jenen des laufenden Jahres [18,505.650 fl.] um 3,786.050 fi. Im Investitions-Prali- minare fiir 1898 sind zu Eisenbahnzwecken | Staatseisenbahn-Bau 6,808.000 fl., Be- theiligung an der Capitalsbeschaffung zum Baue von Privatbahnen 1,652.000 fl., Betriebs-Investitionen 11,033.000 fl.] zu- sammen 19,493.000 fl. [1897:18,063.9101!.] als Erfordernis und aus gleichem Titel 1,424.050 fl. [1897: 4,782.820 fl.] als Be- deckung eingestellt. Der Staatszuschuss zum Staatseisen- bahn-Betriebe ist in den Erlauterungen*) mit nachstehender Berechnung entvvickelt: V ertragsmassige Zahlungen fiir Verzinsung und Amortisation: a) im Etat der Staatsbahn- fl. verwaltung.8,204.100 b) im Etat der Staatsschuld 32,986.580 Aufwand fiir Staatseisenbahn- bau und Nachtrags-Investi- tionen [exclusive Investitions- Praliminar 1897 u. 1898] zu- sammen 311,749.253 fl. zu 4V4%. 13,249-343 Investitionsaufvvand 1897 und 1898 17,852.800 fl. zu 3’8°/ 0 678.407 Gesammt-Erfordernis . . . 55,118.430 Praliminirter Betriebs-Ueber- schuss.33,876.300 Staatszuschuss fiir 1898**) . 21,242.130 Der Anlagewerth der im Staats- betriebe stehenden Bahnen ist nach gleichem Vorgange wie im Vorjahre mit 1.181.518.043 fl. ermittelt***) und die Verzinsung desselben durch den Betriebs- iiberschuss auf 2^87°/ 0 berechnet. Auf Grund der vorstehenden Prali- minar-Ansatze ergibt sich folgende Ent- vvicklungsreihe: *) Erlauterungen zum Staatsvoranschlage und Investitionspraliminare fiir das Jahr 1898 XII. Eisenbahn-Ministerium, S. 185 ff. **) Bei Einbeziehung der Investitionen in die laufenden Ausgaben wiirde sich der Staatszuschuss erhOhen auf 25,222.510 fl. ***) Fur 1898 veranschlagtes Anlage- Capital 1.208,728.710 fl., hievon ab getilgte Betrage 27,210.667 fl. bleibt Anlagewerth 1181.518.043 fl. 1896*) 1897 1898 Staatszuschuss zum Mili. fl. o. W. Staatsbahnbetriebe 27^0 23’8 21'2 Verzinsung des A11- lagewerthes °/ 0 . . 277 274 2^87 Ueberschuss im Eisen- bahn- und Subven- tions-Etat . . . 13-3 187 227 Es ware voreilig, Schliisse aus diesen Anschlagsziffern ziehen zu wollen, deren Erfolg erst beziiglich des Betriebs-Ueber- schusses und der Capitalsverzinsung fiir das Jahr 1896 bekannt ist. Immerhin tritt die giinstige Wirkunef der neuen Budgetirungs-Methode fiir den Eisenbahn- Etat durch Entlastung desselben von den in das Investitions-Praliminar iiberstellten Extraordinarial-Ausgaben klar zu Tage. Auch die Ziffer des Staatszuschusses ist von dem niedrigen Zinsfusse des I11- vestitions-Aufwandes giinstig beeinflusst. Ihre noch immer ansehnliche Hohe — in den letzten 3 Jahren mit durchschnitt- lich 24 Millionen fl. veranschlagt — sowie die Perspective einer weiteren Steigerung der staatsfinanziellen Zu- schiisse fiir Eisenbahnzwecke infolge der mit dem Jahre 1898 im Etat der Staats¬ schuld hinzutretenden Beitragsleistung fiir die Wiener Verkehrsanlagen**) miissten zu den ernstesten Betrachtungen Anlass geben, ware das Eisenbahnwesen nicht zugleich ein im hochsten Grade produc- tiver Factor im Staatshaushalte. In dieser Hinsicht darf hier an die im VI. und VII. Abschnitte enthaltenen Ausfiihrungen und ziffermassigen Daten iiber die Steuern und sonstigen offentlichen Leistungen der Eisenbahnen erinnert werden, deren Jahreswerth schon fiir 1896 mit 24 — 25 Millionen fl. geschatzt wurde. Diese Leistungen stellen, den Staatshaushalt im Ganzen betrachtet, ein den Staats- zuschiissen fiir Eisenbahnzwecke nahezu gleichwerthiges Aequivalent dar, welches mit der Entwicklung des Verkehres und der Steuergesetzgebung in fortwahrender Zunahme begriffen ist. Ein Beispiel *) Erfolg: Betriebsiiberschuss 34-4 Mil¬ lionen fl., daher Staatszuschuss bei sonstigem Zutreffen des Praliminars um rund 0-5 Mil- lonen fl. geringer. Capitalsverzinsung 302°/ 0 . [Vgl. Geschaftsbericht S. 132 und 179] **) Fiir 1898 mit 1,978.128 fl. veranschlagt. 54 Dr. H. Ritter v. Wittek. hieftir bietet die Steuersumme der Staats- bahnen, die nach dem Staats - Voran- schlag fiir 1898 mit rund 5 Millionen fl. sich gegen das laufende Jahr um fast 500.000 fl. [=ii°/ 0 ] erhoht. Hiernach erscheint die Behauptung wohl nicbt als eine allzu optimistische, dass die Eisen- bahn-Gebarung des Staates, Alles in Allem genommen, sich allmahlig dem Punkte nahert, in dem das Eisenbahmvesen be- ginnt, nicht blos der budgetaren Form nach, sondern in Wirklichkeit ein activer Dienstzweig zu werden. Das Ziel, reine Gebarungs-Ueberschiisse aus dem Eisen- bahnwesen fiir die allgemeinen Staats- bediirfnisse heranzuziehen, ist ein so hohes und angesichts der auf allen Gebieten. namentlich auch bei den nicht unmittel- bar productiven Dienstzweigen rapid steigenden Anforderungen an den Staats- schatz ein so actuelles, dass seine Er- reichung als eine der nachsten und wich- tigsten Aufgaben der staatlichen Eisen- bahn- und Finanzpolitik bezeichnet werden muss. * * * Retrospective Betrachtungen, sofern sie iiber das Gebiet der Thatsachen hinausfiihren und auf jenes der Hypothese iibergreifen, sind ziemlich nutzlos. Und doch drangt sich jedem, der die wech- selnden Entwicklungsphasen der Bezie- hungen zwischen den Eisenbahnen und der Staatsvvirthschaft in den letzten fiinfzig Jahren riickschauend iiberblickt, die Frage auf, ob diese Beziehungen sich nicht ge- deihlicher hatten gestalten lassen. Die starken Schatten, die das Bild der finanziellen Eimvirkungen der Eisen¬ bahnen auf den Staatshaushalt voriiber- gehend triiben, fordern fast zu dieser Frage heraus. Dabei liegt es nahe, im Vergleiche mit den gtinstigen staats- finanziellen Ergebnissen des Eisenbahn- wesens, die andervvarts als Friichte einer durch lange Zeit consequent festgehaltenen Richtung staatlicher V erkehrspol itik heran- gereift sind, den in Oesterreich rvieder- holt eingetretenen Wechsel der eisenbahn- politischen Systeme als veranlassende Ursache fiir die minder gtinstigen finan¬ ziellen Resultate verantwortlich zu machen. Es muss im Sinne dieser Auffassung zugegeben werden, dass die ungestorte Aufrechthaltung des Staatsbahnsystems der Fiinfziger-Jahre, falls sie staatsfinanziell durchfiihrbar gewesen ware, dem Staats- schatze namhafte Capitalsverluste erspart und die natiirliche Ertragssteigerung der alten Staatsbahnlinien zugefiihrt hatte. Die Erweiterung des Netzes aber, die das da- mals mit den Privatgesellscbaften herein- gekommene fremde Capital, wenn auch unter driickenden Bedingungen iibernahm, hatte mit den Mitteln des Staates, dessen Finanzlage wahrend der Sechziger-Jahre durch hohe Gebarungsdeflcite und eine Zinsenreduction der Staatsschuld ge- kennzeichnet ist, nie bewirkt werden konnen. Nicht minder gewiss ist es, dass das Garantie-System, wenn man rechtzeitig vermocht hatte, dasselbe unter Vermei- dung seiner Ausvvtichse auf entwicklungs- fahige Privatbahnen einzuschranken, frtiher oder spater zu finanziell befriedigenden Ergebnissen geftihrt haben wiirde. An rvohlgemeinten und sachkundigen Bemii- hungen, den Privatbetrieb als alleinige Betriebsform aufrechtzuhalten, hat es in der Mitte der Siebziger-Jahre nicht ge- fehlt. Aber sie konnten die dem Privat- bahnsystem anhaftende Lučke beztiglich der ertraglosen Linien nicht ausfiillen, deren Bau und Betrieb aus hoheren staat¬ lichen Rucksichten geboten, nothwendig dem Staate zufallen musste. Mit dieser ganz unvermeidliehen Be- thatigung des Staates im Eisenbahn- wesen ware unter allen Umstanden fiir die aus socialpolitischen Unterlagen er- wachsene machtige Stromung zu Gunsten des Staatsbetriebes der Angriffspunkt ge- geben gervesen, um die Alleinherrschaft des Privatbahnsystems aus den Angeln zu heben. Die aus diesem Umschwung hervor- gegangene osterreichische Eisenbahn-Ver- staatlichung reicbt mit ihren jungsten Entvvicklungsphasen so tiet in die Gegen- wart herein, dass eine zusammenfassende Besprechung des Gegenstandes an dieser Stelle aus naheliegenden Grtinden unter- bleiben muss. Sorveit indess diese nach Ursprung und Endziel vorzugsweise staatswirthschaft- Oesterreichs Eisenbahnen und die Staatswirthschaft. 55 liche Action in ihrem anfangs verzogerten Beginne heute wohl schon als der Ge- schichte angehorig betrachtet werden kann, darf daran erinnert werden, dass das principielle V erstaatlichungsgesetz vom 14. December 1877 zeitlich mit der ansteigenden Curve der sogenannten »Coupon-Processe« zusammenfallt, die in den nachstfolgenden Jahren fast auf der ganzen Linie der osterreichischen Eisen- bahn - Prioritatsobligationen entbrannten. Eine lahmende Unsicherheit iiber das Mass der mit den Prioritatsschulden zu ubernehmenden Lasten war die unmittel- bare Folge dieser den Eisenbahnverkehr storenden Calamitat. Unter diesen Um- standen begegnete die erste unserer grossen Verstaatlichungen — jene der Kai- serin Elisabeth-Bahn Ende 1880 — den erheblichsten Schwierigkeiten. Dieselben konnten nur mittels einer kunstlichen Spaltung des' Erwerbungsgeschaftes um- gangen werden, indem der Staat zunachst bloss den Betrieb fiir eigene Rechnung iibernahm, das Eigenthum an der Bahn aber, sowie die Erfiillung der Schuldver- bindlichkeiten gegeniiber den Prioritats- glaubigern unverandert der Gesellschaft beliess. Erst dann, als dem Coupon- streite durch den in Deutscbland den osterreichischen Bahnen gewahrten vol- kerrechtlichen Schutz gegenWaggon- und Guthaben-Pfandung der Nahrboden ent- zogen war und ein weiteres Auskunfts- mittel in der Convertirung der streitig ge- wordenen Anlehen gefunden wurde, war vom staatsfinanziellen Standpunkte die Succession des Staates in das Schuld- verhaltnis und damit eine glatte Erwer- bung der Bahnen ermoglicht. Dies fiihrt O sofort auf die Frage, ob der eingetretene Aufschub in dem Vollzuge der Verstaat- lichung die Bedingungen derselben fiir den Staat erschvvert hat. Man ware ver- sucht, diese Frage auf Grund der hohen Capitalslasten zu bejahen, welche — wie unsere Tabellen zeigen — schon die ersten osterreichischen Eisenbahn -Ver¬ staatlichungen begleiteten. Auch pflegt ja gemeinhin jedes Hinausschieben der Er- werbung einer in aufsteigender Entwick- lung begriffenen Bahn den bleibenden Verlust des inzwischen erzielten Ertrags- Zuwachses fiir den Erwerber zu bedeuten. Bei den ersten wie bei den meisten spiiter verstaatlichten osterreichischen Eisen¬ bahnen lag die Sache aber anders. Sie wurden nicht auf Grund der Ertragnisse, sondern nach dem concessionsmassig als Minimal-Einlosungsrente geltenden garan- tirten Reinertragnisse erworben. Ob sie in der zweiten Halfte der Siebziger-Jahre, zur Zeit des Tiefstandes des gesellschaft- lichen Credits, billiger erhaltlich gewesen waren, bleibt schon deshalb zweifelhaft, weil auch der Staatscredit damals unter hohen Gebarungsabgangen zu leiden hatte. Immerhin lasst wohl schon dieser nur an die aussersten Umrisse der Ent- wicklung anknupfende Etickblick, mit dem wir unsere Erorterung abschliessen, klar erkennen, dass die eisenbahn- finanziellen Ergebnisse nicht isolirt, sondern nur im Zusammenhange mit der ganzen Finanz- und Wirthschafts- geschichte richtig erfasst und gerecht beurtheilt werden konnen. Wenn irgend- wo, gilt hier der alte Satz: »Toiit com- prendre, c’est tout pardonner«. vr/mirm J J&uboG* CzeRNOV^TI v.isAmuu. VERGLEICHENDE UEBERSICHT des Standes der Eisenbahnen der Monarchie im Jahre 1848 und der Gegenvvart. m" Stand im Jahre 1848. —————. Stand in der Gegenvvart. .Nach PROCHASK.Vs Eisenbahnkarte v. Oesterreich-llngarn fiir i8q8 , 67. Autl, KARL PROCHASKA, TESCHEN. ■ * Unsere Eisenbahnen in der V olkswi rthschaft. Von Alfred Ritter von Lindheim, Mitglied des Staats-Eisenbahnrathes, Landtags-Abgeordneter etc. N ICHT viel mehr als 70 Jahre sind vergangen, seitdem eine Eisen- bahn, wie sie ungefahr unseren heutigen Vorstellungen entspricht, dem offentlichen Verkehre iibergeben wurde, aber in ungeahnter Weise und jedes Bei- spiel weit hinter sich lassend, hat das neue Verkehrsmittel die gesammte Welt erobert und einen so massgebenden Einfluss auf allen Gebieten der Cultur und des Verkeh- res gewonnen, dass eine erschopfende Darstellung dieser Einflussnahme nahezu unmoglich ist. Viel leichter vermag der Forscher die Consequenzen grosser historischer Ereig- nisse zu schildern, die Folgen darzustellen, welche denkwiirdige Kriege und Revolutio- nen auf die menschliche Entwicklung her- vorbrachten. Man kann ergriinden, welche Folgen beispielsweise die franzosische Revolution nach sich zog. Sie brach Vor- rechte und Privilegien, sie stellte die bisher streng gesonderten Kasten auf ein gleiches Niveau, sie zeitigte einen Zustand, in welchem Rechte und Pflicn- ten des Staatsbiirgers untereinander ab- gewogen und ein moglichst gleiches Recht fiir alle Burger des Staates aufge- stellt wurde. Das sind Ereignisse, welche in einer Studie nach ihren Consequenzen moglichst erschopfend geschildert werden konnen. Man kann die Folgen der Refor- mation klar erkennen und den Einfluss richtig darstellen, den sie auf die poli- tische Entwicklung des Mittelalters und der Neuzeit nahm. Die Grenzlinien sind sichtbar fiir die Wirkungen der evangelisch - christlichen Kirche auf die Politik der Staaten, und noch zu Lebzeiten Martin Luther’s wusste man durch sein Vorgehen gegen den Bildersturm, dass der Entwicklungsgang, den die evange- lische Kirche nehmen wiirde, nicht die politische Revolution bedeute, sondern dass sich ihre Bahnen im ruhigen Geleise der alten christlichen Kirche bewegen werden. Die Wirkung solcher Ereignisse schildert die Geschichte, sie sind erkenn- bar fiir den Forscher, sie sind entweder schon abgeschlossen oder die Folgen sind fiir den menschlichen Geist bereits wahr- nehmbar. Viel schwieriger ist es, eine Analyse vorzunehmen iiber die Wirkungen einer Ertindung von der epochalen Bedeutung der Eisenbahn. Die grossen Erfindungen der Neuzeit, und vor Allem die Dienst- barmachung des Dampfes und der Elek- tricitat greifen so sehr in alle Gebiete des Lebens ein, dass das Studium dieser Wirkungen bis in ihre letzten Conse- quenzen ein unglaublich schwieriges ist. Namentlich sind es die Eisen- bahnen, die in wahrhaft stiirmischer Weise die Welt erobert haben und iiber deren Wirkung, namentlich in Bezug auf die Volkswirthschaft, ein ab- schliessendes Urtheil fallen zu \vollen immerdar nur ein schwacher Versuch bleiben wird. Die Schwierigkeit einer solchen Darstellung wurde an anderer Stelle von massgebender Seite bereits 6o A. Ritter v. Lindheim. richtig gewiirdigt. Sehr treffend hat Dr. Ritter v. Wittek*) darauf hingewiesen, dass man, um die einzelnen Beziehungen der Eisenbahnen zu erfassen, sich diese ,,Gradmesser der gesammten wirthschaft- lichen Entwicklung“ aus dieser Entwick- lung wegdenken milsste, wollte man ein vergleichbares Bild finden, wie sich un- sere Volkswirthschaft ohne Eisenbahn ge- staltet haben wtirde. Die Culturvolker des Alterthums, deren Bedeutung nach keiner Richtung hin verkleinert werden soli, haben sich im grossen Ganzen in ihren Forschungen darauf beschrankt, das Thatsachliche fest- zustellen, und \vie gross auch das Ver- dienst dieser Volker sein mag, sie machten es sich in erster Linie zur Aufgabe, die Natur und ihr Wesen in tiefster Tiefe zu er¬ fassen, sie brachten es in den schonen Ktinsten zu hoher Vollendung, sie ver- standen es, interessante Systeme der Phi- losophie zu begriinden und weiter zu bilden; die Naturkrafte aber dem menschlichen Geiste unterthan zu machen, ist ihnen nicht gelungen. Wohl lasst es sich nicht leugnen, dass auch bei den Alten der Mathematik viel Aufmerk- samkeit zugewendet wurde, aber vviederum war es mehr eine abseits des Lebens lie- gende Forschung, welche diese Wissen- schaft forderte, die Astronomie. Und weisen auch die Riesenbauten in Syrien, die Bau\verke Aegyptens, Griechenlands und Roms darauf hin, dass man die Bewe- gung schwerer und grosser Massen mit einer gewissen Leichtigkeit bewaltigte, deuten ferner die kunstvollen Strassen- und Briickenbauten und die ganz ausser- gewohnlich schwierigen und grossen Kirchenbauten darauf hin, dass man auch auf mechanische Hilfsmittel zur Losung dieser Aufgabe bedacht gewesen sein musste, so kommt hiebei in Betracht, dass die Arbeitskraft des Menschen damals eine sehr billige gewesen, das Unter- thanigkeitsverhaltnis zur Verwohlfeilung beitrug und religioser Enthusiasmus oft und leicht das Fehlende ersetzte. Nach alledem kann man wohl sagen, dass der Gebrauch der einfachsten Maschinen, *) Vgl. Bd. II., Dr. H. v. Wittek: »Oesterreichs Eisenbahnen und die Staats- wirthschaft.« S. 3 11. ff. wie Hebel, Schraube, Welle und Rad, ziemlich das Einzige ist, was uns aus den mechanischen Hilfsmitteln der Alten iibrig’ geblieben ist. Unserem Jahrhundert war es vorbehalten, hierin vollkommen Wandel zu schaffen, die Nutzbarmachung der Na¬ turkrafte, die Erscbliessung dieser Jahr- tausende hindurch unbeniitzten Quellen hat erst unsere Zeit bewirkt; eine neue und ungeahnte Aera bradi damit an und das ganze lebende Geschlecht steht wahr- scheinlich erst an der Wiege derselben. Die Nutzbarmachung der Dampfkraft, namentlich fiir die Fortbewegung von Menschen und Gtitern, ist unbestritten die allerwesentlichste Erfindung unserer Zeit. Welcher bewegenden Kraft kiinftige Geschlechter sich bedienen werden, ist hiebei einerlei, die Motoren der Zukunft werden immer die Fortsetzung der Aus- niitzung des mit den Wasserdampfen zu- erst gelosten grossen Princips sein, »die Naturkrafte zum Zugsdienste willkurlich nach Raum und Zeit unter das Joch zu beugen, das vom Alterthum herab bis zu uns mit der einzigen tiberdies beschrankten Ausnahme des Windes und des fallenden Wassers nur das Thier oder vereinzelt der Mensch trug«. Als die Locomotive ihren Siegeslauf begann, waren die Verhaltnisse auf dem Continente keineswegs darnach, einer neuen Erfindung eine giinstige Aufnahme zu sichern, dass es aber den Eisenbahnen gelang selbst unter den widrigsten wirth- schaftlichen Verhaltnissen sich verhalt- nismassig rasch Durchbruch zu verschaf- fen, ist ein treffender Beweis fiir die Macht ihrer Wirkungen. Oesterreich war nach den napoleo- nischen Kriegen ganz besonders isolirt, sowohl in politischer als auch in commer- zieller und industrieller Hinsicht. An seinen Grenzen unterlagen nicht nur die Producte der Industrie einem grossen Schutzzoll, sondern eine strenge Censur liielt auch noch in den Dreissiger- und Vier- ziger-Jahren jede Entfaltung der Literatur von den Grenzen Oesterreichs ferne. Aller- dings, lasst es sich nicht leugnen, dass unter der Regierung des Kaisers Franz mancher bemerkenswerthe Fortschritt ge- rade auf dem Gebiete des Verkehrswesens Unsere Eisenbahnen in der Volkswirthschaft. 6l geschah. Der Bau der Ampezzanerstrasse, des Franzenscanals zur Verbindung der Theiss mit der Donau, der Strasse iiber das Stilfser Joch, die Einrichtung der sechs Hauptcommerzialstrassen von Wien nach Triest, Salzburg, Prag, Krakau und Žara, die Einfuhrung der Eihvagen, Cou- rierwagen, Separatwagen und Extrafahr- posten sind immerhin bemerkenswerthe Bethatigungen einer auch in dieser Rich- tung hin sorgfaltigen und umsichtigen Regierung. Die Bedeutung des Verkehrs- wesens, insbesondere der zu seiner Ent- wicklung nothwendigen Freiziigigkeit des Individuums war nicht voli erkannt. Denn selbst zur Reise mit einem Post- wagen musste man sich schon tagelang vor der Abfahrt einen Vormerkschein und einen Reisepass losen, den man dem Conducteur einzuhandigen hatte.*) So zei- gen Polizeivorschriften, die noch in den Kinderjahren unserer Eisenbahnen in Geltung standen, eine so engherzige Auf- fassung, dass uns manche derselben heute mit gerechtem Staunen erfiillen. Eine Amtsinstruction aus jener Zeit, die von den Rechten der offentlichen Polizei han- delt, besagt unter Anderem in Bezug auf den Fremdenverkehr: »Dem Staate liegt daran, dass die innere Ruhe und Sicherheit durch sich einschleichende gefahrliche Leute nicht gestort \verde. jeder Ortsvorsteher muss daher zu erfahren suchen, was far Fremde sich von Zeit zu Zeit in seinem Districte aufhalten; widrigen Falls ist er ausser Stande, auf selbe die pflichtmassige Obsicht zu tragen, und wenn Bedenkliche darunter sind, sie zu entdecken. Um dieses zu bewirken, muss jeder Imvohner, bei welchem jemand auf kurze oderlangere Zeit in Afterbestand tritt, ernstgemessenst angehalten werden, die einkehrende Partei alsogleich nach ihrem wahren Namen, Stand, Geschaft bei dem Ortsvorsteher zu melden. Dieser hat iiber den ange- zeigten Fremden ein formliches Protokoli zu fiihren, um auf allmahliches Verlangen von hoheren Orten, Auskunft ertheilen zu konnen. Es muss aber nicht dabei bewenden, was der Bestandgeber eines *) Vgl. Bd. I., H. Strach, »Einleitung.« S. 85 ff. Fremden von demselben anzeigt, sondern es sind die Passe oder andere Ausweise einzusehen, um zu bemerken, ob selbe mit der Angabe ubereinstimmen. Nebst- dem muss auf solche Fremde, bei denen das geringste Verdachtige auffallt, mit Aufmerksamkeit gesehen, und jede erheb- lichere Entdeckung, zumal gegen wirkliche Auslander, mittels der Kreishauptleute an den Landeschef, oder in sehr dringenden und besonderen Fallen unmittelbar an letzteren in geheim berichtet werden, um diesfalls die Belehrung, wie sich be- nommen werden soli, einzuholen. Es gibt eine Gattung von Leuten, die man Emissarien nennt, wovon einige Aus- kundschafter oder falsche Werber von anderen Machten sind, und andere, welche die Unterthanen von der wahren Religion ab und auf Irrwege in geheim zu ver- leiten suchen; andere, sowohl In- und Auslander, die in der Stille sich mit Schreibereien abzugeben pflegen, von welchen nicht bekannt ist, wer sie eigent- lich seien, oder was fiir eine Arbeit sie eigentlich haben mogen, von denen sich auf keine Ursache muthmassen lasst, warum sie sich im Orte aufhalten. Wieder andere geben sich damit ab, dass sie den Unterthansklagen nachgriibeln, sich zu Verfassung der Beschwerdeschriften aufdringen, den Unverstandigen Geld ab- locken, und ganz widerordentlich die Hof- und Landerstellen mit unstatthaften Dingen behelligen. Mtinz- und offentliche Papier-Verfalscher gehoren in die Classe vorgedachter Menschen, welche alle die genaueste Aufmerksamkeit umsomehr ver- dienen, als dieselben fur mehr oder weni- ger staatsgefahrliche Leute anzusehen sind. Die Beobachtung dieser Gattung Menschen fordert besondere Industrie und Behutsamkeit. «*) Der Briefpostverkehr fond nicht taglich, sondern beispielsweise nach Czernowitz blos Sonntag, Montag und Freitag statt, wahrend ein Packwagen nach Innsbruck nur einmal in der Woche abging, eine Briefpostverbindung mit Mailand fand nur jeden Montag und Donnerstag statt. *) Vgl. Krem er, Praktische Darstellung der in Oesterreich unter der Enns fur das Unterthansfach bestehenden Gesetze. Wien, 1824. 62 A. Ritter v. Lindheim. Es war, wie gesagt, vor Allem der Bau von Strassen, auf welchen die oster- reichische Regierung schon friihzeitig grosse Sorgfalt verwendete, und dies war umso anerkennenswerther, da sich diesen Bauten grosse technische Schwierigkeitea entgegenstellten. Durch den Bau der Eisenbahnen hat der Strassenbau einen machtigen Ansporn erhalten, und schon darin liegt eine wichtige volkswirthschaftliche Bedeutung derselben, — da sie den Anschluss eines reich entwickelten Strassennetzes geradezu bedingen. Die Wechselwirkung zwischen der Eisenstrasse und dem gewohnlichen Landwege brachte aber noch den wich- tigen Vortheil der Verwohlfeilung der Transportkosten. Namentlich die Massen- transporte haben eine oft liber ioo°/ 0 betragende Ermassigung der Transport- spesen durch die Eisenbahn erfahren. Diese Ersparnisse, deren ziffermassige Berechnung wenigstens annaherungsweise wiederholt versucht wurde, belaufen sich jahrlich aufvieleMillionen Gulden. Man hat auch versucht, den volkswirthschaftlichen Nutzcoefficienten der Eisenbahnen fest- zustellen, d. h. jene Zahl zu finden, mit der man die Roheinnahmen der Eisenbahn multipliciren muss, um deren volkstvirth- schaftliche Nutzleistung zu erhalten. Die Berechnung ergab, dass im Allgemeinen flir ent\vickeltere Bahnen 2 als Coefficient angenommen werden kann. Auf Oester- reichs Bahnen angewendet, wiirde der solcherart berechnete volkswirthschaft- liche Nutzen pro 1897 die enorme Summe von 810 Millionen Gulden darstellen. Freycinet berechnete sogar, dass man die gesammte Bruttoeinnahme einer Bahn mindestens vierfach nehmen mlisste, um deren \virklichen, d. h. directen und in- directen Vortheil in einer Ziffer zusammen- zufassen. Jenen volkswirthschaftlichen Nutzen aber ziffermassig zu berechnen, den uns die Eisenbahnen durch Ersparnis an Zeit bieten, kann nur auf dem Wege vager Schatzungen versucht werden, doch liegen auch hier Zahlen vor, die, weil sie den volkswirthschaftlichen Nutzen der Eisen¬ bahnen wenigstens andeuten, Ervvahnung finden sollen. Ein franzosischer Schrift- steller berechnete unter Zugrundelegung der Annahme, dass die Stunde eines fran- zosischen Biirgers 5 Pence werth sei, die jahrlich durch die erhohte Gesclrvvindig- keit der Eisenbahnen erlangte Ersparnis auf 8 Mili. Pfd. Sterling. Ein deutscher Gelehrter berechnete, dass die Reisenden in Deutschland bis zum Jahre 1878 eine Zeitersparnis im Werthe von 955 Mili. Mark erlangt haben. Die Wirkung der Transport-Verbes- serung der Eisenbahnen auf das ge¬ sammte Wirthschaftsleben lasst sich jedoch. keineswegs in Ziffern ausdriicken. Den gesammten Einfluss der Eisenbahnen, der sich keineswegs ausschliesslich in Vor- theilen kundgibt, zu ermessen, wird die schwere Aufgabe einer umfangreichen Culturgeschichte unseres Jahrhunderts bilden. In dem engen Rahmen dieser Abhandlung miissen wir uns begniigen, nur jene Gebiete der Volkswirthschaft hervorzuheben, in welchen die specifischen Wirkungen der Eisenbahnen, die allge- mein wohl in allen Landern sich wesentlich gleich bleiben, in unserem Vaterlande besonders kraftig hervortreten oder wo sie die Verhaltnisse vollstandig umge- staltet haben. Es wtirde auch zu weit flihren, wollten wir bei jedem einzelnen \vichtigen Zweige volkswirthschaftlicher Betriebsamkeit den wohlthatigen Einfluss der Eisenbahnen im Allgemeinen oder gar ziffermassig dar¬ stellen. Wir miissen uns auch darauf be- schranken, jene Gebiete hervorzuheben, in \velchen die Wirkungen der Eisen¬ bahnen unverkennbar gross, ja geradezu lapidar hervortreten. Diese Aiisrvahl ist schon deshalb bedingt, weil es kein Ge- biet der Volkswirthschaft gibt, auf dem nicht in irgend welcher Weise sich der Einfluss der Eisenbahnen geltend machen \viirde. Steht ja doch unser gesammtes Leben und unsere allgemeine culturelle Entwicklung noch heute unter diesem machtigen Einflusse. *) Es diirfte bei- spielsweise wenige Gewerbe geben, die schon bei der Schaffung und Herstellung der Eisenbahnen nicht irgendwie bethei- ligt sein wiirden. Aber gewiss gibt es *) Vgl. Bd. II., Dr. Friedrich Reichs- freiherr zuWeichs-Glon, »Einwirkung der Eisenbahnen auf Volksleben und culturelle Entwicklung«. Unsere Eisenbahnen in der Volkswirthschaft. kein einziges, das nicht Vortheile aus diesem grossartigen Verkehrsmittel er- langen wurde. Gerade Oesterreich hat unter der Ein- wirkung der Eisenbahnen seinen wirth- schaftlichen Charakter vollstandig andern miissen. Oesterreich ist durch s e i n e Eisenbahnen aus einem Ackerbau treibenden Staate ein Industrie- staat geworden. In die Epoche der ersten Eisenbahnen fallt die Erkenntnis, dass ein Staats- gebilde in Europa nicht den Charakter einer Insel tragen konne. Der machtige, weltbezwingende und weltbeherrschende Gedanke, welcher der Eisenbahn zugrunde liegt, ist der Gedanke der Frei- zugigkeit fiir diePerson und des moglichst raschen, bequemen und billigen Gilteraustausches. Auf diesen beiden Grundlagen beruht fiir ein Land die Moglichkeit, die Schatze der Natur zu heben und zu ver\verthen, welche sein Boden birgt, und nie wird eine Industrie moglich sein, solange diese Vorbedingungen fur dieselbe nicht ge- schaffen sind. Oesterreich iiber ist hin- sichtlich seiner natiirlichen Keichthiimer eines der gesegnetsten Lander und es war daher eine unbedingte Consequenz. dass diese Reichthiimer durch erleichterten Ver- kehr zurhoheren Geltung kommen mussten. Die verkehrschaffende und preisregulirende Wirkung der Eisen¬ bahnen kam in Oesterreich besonders machtig zur Geltung. Vornehmlich die Landwirthschaft hat durch die Wohl- feilheit und Schnelligkeit der Transporte sowie durch die Moglichkeit der Ver- frachtung von Giitern, deren Versandt friiher gar nicht oder nur im beschrankten Umfange stattfinden konnte, gewonnen. Wir verweisen in dieser Richtung beispiels- weise auf die Bedeutung der Viehtrans- porte aus Galizien nach Niederoster- reich sowie iiberhaupt auf die durch die Eisenbahnen ermoglichte Massenbeforde- rung der leicht verderblichen Nahrungs- mittel, wie: Milch, frisches Fleisch u. v. A. nach den Hauptstadten, wodurch die Bedeutung der Bahnen fiir die Approvisionirung der Grossstadt noch besonders hervortritt. 63 Dadurch, dass ein Kronland leicht in die Lage versetzt wird, Bedurfnisse eines anderen zu decken, sind die Wechsel- beziehungen der einzelnen Lander unter- einander vvenigstens in \virthschaftlicher Beziehung etwas inniger geworden. Die Regulirung der Frachtpreise, deren Fest- stellung friiher mehr der willkiirlichen Vereinbarung Einzelner anheim gegeben war, hat auch eine grossere Stabilitat der Handelswerthe geschaffen; die nivel- lirende Wirkung der Eisenbahnen ist durch den Umstand bedingt, dass sie den schnellen Transport von Giitern zu j enem Markte gestatten, wo erhohte Nachfrage einen besseren Absatz ver- biirgt. Fiir Oesterreich war insbeson- dere der Umstand von hoher Bedeu¬ tung, dass seine Rohproduction ein machtiger Factor der Weltwirthschaft wurde, und die Umlaufsfahigkeit vieler Rohproducte, insbesondere aber auch jener, die durch die Eisenbahnen erst transportfahig \vurden, deren Werth stei- gerte. Der osterreichische Landwirth, der friiher beziiglich des Absatzes seiner Bodenproducte mehr auf den Localmarkt angewiesen erschien, braucht bei der Wahl der anzubauenden Feldfriichte auf denselben keine Riicksicht zu neh- men, er kann vielmehr anpassend an die Natur des Bodens und der klimatischen Verhaltnisse dasjenige anbauen, \vas er auf dem Weltmarkte besser zu venverthen in der Lage ist. Und hier kommt beim Mitbewerbe mit dem Auslande unserer Landwirthschaft die giinstige Boden- beschaffenheit zu gute. Infolge dieser Verhaltnisse wurde der Werth von Grund und Boden auf dem flachen Lande vervielfacht. Die \virth- schaftliche Besserung unserer Agricultur fallt genau mit der Regierungszeit unseres Kaisers zusammen. Der Agri- culturstaat Oesterreich war im Jahre 1848 selbst auf dem Gebiete der Landwirth- schaft keineswegs in erfreulichen Ver- haltnissen. Die Grossgrundbesitzer be- dienten sich in der Bewirthschaftung ihres Bodens der Frohnen. Der Bauer konnte nicht frei iiber seine Arbeitskraft verfiigen, das Capital zur besseren Bewirth- schaftung des Bodens fehlte, dieZwischen- zolllinie trennte den ertragreichen Osten 64 A. Ritter v. Lindheim. von dem consumirenden Westen. Die niedrigen Getreidepreise der letztvergan- genen Jahrzehnte liessen die Landwirth- schaft kaum noch lohnend erscheinen. Mit der Aufhebung des Patrimonial- wesens und des Robots trat die Landwirth- schaft in die Reihe der freien Beschafti- gungen. Die Eisenbahn eroffnete den Bodenproducten neue Absatzgebiete. Die Vertrage mit den fremden Regierungen erleichterten den Verkehr und Oesterreichs Landwirthschaft vermochte sich immer kraftiger zu entfalten; mit der politischen Neugestaltung Oesterreichs ging demnach auch seine wirthschaftliche Umgestaltung Hand in Hand. Auf dem speciellen Gebiete des Forst- w e s e n s ist der mžichtige Einfluss des Eisenbahmvesens nicht zu verkennen. Abgesehen von der erhohten Transport- fahigkeit der Forstproducte hat der schon durch den Bau von Eisenbahnen bedingte erhohte Bedarf an Holz einen wohlthatigen Einfluss auf die Forstwirth- schaft ausgeiibt. Andererseits haben aber auch die Eisenbahnen durch den erhohten Consum viel zur Devastirung unserer Walder beigetragen. Der Consum von Eisenbahnschwellen, von zubereiteten Bau-, Mobel- und Schiffs- holzern ist ein ungemessen grosser und hat in einer ausserordentlichen Weise zugenommen, seitdem die Eisenbahnen eine billige Verftihrung dieser Holzer im Inlande und nach dem Auslande ermog- lichen. Man war friiher bei Verwerthung und Beforderung dieser Artikel meisten- theils nur auf die wenigen schiffbaren Strome angewiesen, welche schon wegen der klimatischenVerhaltnisseein unsicheres und unverlassliches Transportmittel dar- stellen. Heute ist es beispielsweise mog- lich, aus den fernsten Gegenden Galiziens Holz auf die verschiedenen Seeplatze zu schaffen und so sind grosse Schatze, welche Jahrhunderte hindurch brach lagen, nur durch die Eisenbahn zu nutzbringender Verwerthung gebracht worden und er¬ hohten so das Volksvermogen in ganz ausserordentlicher Weise. So eingreifend auch auf allen Gebie- ten der Volkswirthschaft die Wirkung der Eisenbahnen zu Tage tritt, so diirfte es kaum ein Gebiet derselben geben, wo dieser Einfluss einen tiefergreifenden Auf- schwung herbeigefiihrt hatte, als auf dem Gebiete des Montanwesens. Erst durch die Eisenbahnen hat das Montanwesen Oesterreichs eine erhohte Bedeutung in der Volkswirthschaft des Reiches iiber- haupt erlangt. Die aus den altesten Zeiten herriihrenden gesetzlichen Bestimmungen hatten bis zum Jahre 1854 jeden Auf- schwung auf diesem Gebiete gehindert. Hier hat der eherne Coloss griindlich Wandel geschaffen. Wir miissten zu allgemein bekannte Thatsachen wieder- holen, wenn wir auf die durch die Eisen¬ bahnen gesteigerte Kohlenproduction, auf die Verwerthung der Braunkohle, des Cokes hinweisen wollten. Nur wenige Ziffern sollen diesen Auf- schwung, insbesondere wahrend der Re- gierungszeit unseres erlauchten Monarchen illustriren. Noch im Jahre 1830 wurden in Oester- reich im Ganzen nur 3'8 Millionen Centner Kohle gefordert. Im Jahre 1848 betrug die Forderung der Kohle kaum 16 Millionen Metercentner, wahrend sich dieselbe schon im Jahre 1886 auf 193 Millionen Meter¬ centner, also auf das mehr als Zwolffache gehoben hat. — Im Jahre 1895 aber stieg die Production auf 97 Millionen Meter¬ centner Steinkohle und 183 Millionen Metercentner Braunkohle. Im Jahre 1896 hat das Ostrauer Kohlenrevier allein tiber 47-5 Millionen Metercentner gefordert.*) Die Kohle aber ist das Um und Auf jeder industriellen Bewegung; Licht, Warme und Dampf sind von ihr abhangig und es wtirde diese eine Thatsache schon ge- niigen, um die eminente Wirkung der Eisenbahnen auf unsere volkswirthschaft- liche Entwicklung darzulegen. Nicht in dem Umstande allein, dass so viele Millionen bisher todt und brach gelegener Werthe neu erschlossen wur- den, nein, darin, dass die Bentitzung bil- ligerer Betriebskrafte der neu envachen- den Industrie durch die Eisenbahnen zur Verfiigung gestellt wurden, liegt deren grosse volkswirthschaftliche Bedeutung. Vgl. Bd. I., H Strach, »Die erstenPrivat- bahnen«, S. 192, wo dieFortschritte derKolilen- production dieses Reviers seit 1782 nachge- | vviesen werden. Unsere Eisenbahnen in der Volksrvirthschaft. 65 Die Industrie ist auf diese Betriebs- krafte angewiesen und es muss her- vorgehoben werden, dass die Kohle fiir Oesterreich noch eine ganz besondere Bedeutung hat. Die osterreichische In¬ dustrie war friiher in erster Linie auf die ausgiebige Beniltzung der Wasserkrafte angewiesen, die scheinbar billig, aber doppelt unzuverlassig sind. Was wir im vergangenen Jahrhundert und bis zum Beginne der erhohten Kohlenproduction an Industrie besassen, beniitzte diese Wasserkraft. Es haben Volkswirthschaftslehrer in ihren Unter- suchungen iiber die Zrveckmassigkeit und die Entwicklung der einzelnen Betriebs- statten darauf hingerviesen, \vie oft das Vorhandensein selbst einer nur massigen Wasserkraft das Inslebentreten ganz un- zrveckmassiger Betriebsstatten zur Folge hatte. Mitten in den Alpenlandern, entfernt von allen Strassen und Verkehrswegen, ohne den Kern einer intelligenten und bildungsfahig-en Arbeiterschaft entstanden friiher grosse, mit reichen Mitteln ausge- stattete Industrieen, die den Keim des Untergangs in sich trugen und dem- selben verfallen mussten, sobald eine ge- anderte Zollpolitik oder auch nur eine geanderte staatsrechtliche Politik zur Gel- tung gelangte. Was wir heute noch an solchen be- dauernswerthen Unternehmungen besitzen, ist die Erbschaft jener Zeit, und wenn heute die Unterstutzung der massgeben- den Korperschaften fUr Lander, die solche Industriezweige besitzen, angegangen wird und im Interesse einer verarmten Bevolkerung auch mit Recht angegangen werden muss, so liegen die Ursachen hauptsachlich darin, dass dort die Vor- bedingungen fiir die Griindung einer In¬ dustrie zu jener Zeit unzureichend waren. Das eben war und bildet auch heute die grosse volkswirthschaftliche Aufgabe der Eisenbahnen, dass sie sich mit der Kohlenindustrie auf das Innigste ver- banden und dass es dadurch m o g- lich geworden ist, solche Pro- ductionsstatten fiir die Industrie aufzufinden und zu verwerthen, welche in aller und jeder Rich- tung ihren Vorbedinguugen ent- sprachen und so das Ge d eih en der Industrie sicherten. Ein weiteres Bergproduct, das in Oesterreichs Volksrvirthschaft eine bedeu- tende Rolle spielt, ist das Eisen. Dass die Entrvicklung der Eisen- industrie mit den Eisenbahnen zusammen- hangt, versteht sich von selbst. Dergrosste Consument fiir das Eisen wie fiir die Kohle ist ja die Bahn selbst, es ist das einzige Metali, welches fiir das Geleise und fiir die Fahrbetriebsmittel brauchbar erscheint. Dieses Metali musste daher in der gesammten Welt zu einer ungeahnten Bedeutung gelangen. Jahrtausende sind vortibergegangen, ohne dass es zu jener Wichtigkeit gelangen konnte, und selbst in jener Epoche, die seinen Namen tragt, \var die Verwerthung quantitativ ja kaum der Rede werth. Man muss billig zu- gestehen, dass erst die Eisenbahnen dazu fiihrten, den Werth des Eisens hoher zu schatzen. Man ging daran, ihm seine Fehler zu nehmen und es durch Ver- besserung Zwecken dienstbar zu machen, die es sonst nie hatte erfiillen konnen. Das war besonders fiir Oesterreich von geradezu unschatzbarem Werth, denn Oesterreich besitzt neben qualitativ fast unerreicht vorziiglichen Eisenerzen auch grosse Erzmassen, die nutzlich, billig und zweckmassig niemals zur Ver- werthung hatten gebracht werden konnen, wenn es nicht gelungen ware, die- selben durch neuerfundene Methoden verarbeitungsfahig und nutzbringend zu machen. In dieser Beziehung hat die Eisenindustrie in Oesterreich durch die Anwendung des Thomas-Verfahrens unc} durch eine Reihe der sinnreichsten Raf- finirungsprocesse ganz ausserordentliche Erfolge erreicht und die Entrvicklung der Eisenindustrie soli in dieser Hinsicht ganz besonders betont werden. Wennessichum Darlegungdes Nutzens der Eisenbahnen und um ihren Einfluss auf die Eisenindustrie handelt, so darf man sich nicht allein mit einigen statistischen Ziffern begntigen, rvonach z. B. die Roh- eisenjiroduction im Jahre 1848 sich auf 1,293.000 Metercentner, im Jahre 1886 auf 4,853.000 Metercentner, im Jahre 1895 aber auf circa 7i8oo.ooo Metercentner bezitferte. Man soli auch nicht allein den Geschichte der Eisenbahnen. II. 5 66 A. Ritter v. Lindheim. Preis in Vergleich ziehen, der im Jahre 1848 fiir 1 Metercentner Eisenbahnschiene 25 fl. betrug und heute, wo dieselbe aus Stahl erzeugt, pro Metercentner auf 10 fl. zu stehen kommt; volks\virthschaftlich ist es vvichtig, festzustellen, dass die Eisen- bahnen den Erfolg hatten, den Gebrauch des Eisens in ausgedehntestem Masse einzufubren auch dort, wo dies friiher ganz unthunlich erschien. Bei solchen Untersuchungen soli der Volkswirth seine Sonde anlegen und darf sich nicht begniigen, nur einige todte Ziffern zu nennen, die der Statistiker ihm an die Hand gibt. Wenn colossale, friiher fast ganz unbeniitzte Erzmassen in Bohmen nunmehr fiir die Production eines vorziiglichen Roheisens verwendet vverden konnen, oder wenn es moglich ist, die vortrefflichen Erze Steiermarks mit schle- sischer Kohle im Herzen Niederosterreichs zu verwerthen, so verdient diese Thatsache die Aufmerksamkeit jedes wirthschaftlich denkenden Kopfes. Hier haben Talent und Fleiss grosse volkswirthschaftliche Auf- gaben erfiillt, den Reichthum des Landes erhoht, der Bevolkerung Brot und Arbeit verscbafft und wir haben auch in dieser Richtung hin den Eisenbahnen dankbar zu sein. Unermesslich aber erscheint die a 11- gemeine Einwirkung der Eisenbahnen auf die Ausgestaltung unseres H a n d e 1 s und unserer Industrie, zweier volks- \virthschaftlicher Factoren von hochster Bedeutung, die zum Eisenbahnwesen heute in innigsten Wechselbeziehungen, ja im absoluten Abhangigkeitsverhaltnis stehen. Die Eisenbahnen haben nicht nur neue Handelsbeziehungen ermoglicht, sie haben nicht nur die Industrie gefordert, sie haben ganze Industriezweige auch neu geschaffen. Dieser Satz ist durch Thatsachen reich bekraftigt. Nicht allein die Wagen- bauanstalten und Locomotivfabriken, die Schienenwalzwerke stehen in der Reihe jener Industrieeri, die der Eisenbahn ihr Entstehen zu danken haben, eine Menge von Werkstatten, welche die zahllosen Bedarfsartikel zu decken haben, die zur Ausriistung und zum Betrieb der Bahnen erforderlich sind, erganzen diese Reihe. Die Handelsbeziehungen Oesterreichs wurden durch seine Eisenbahnen mehrfach umgestaltet. Sie haben die schon gefahrdet gewesene Steliung Oesterreichs im Welt- handel wieder gefestigt*) und durch ihren Einfluss auf Export und Import un- mittelbar intensiv eingevvirkt. Inwieweit die Verkehrsverhaltnisse durch die Wirkungen der Eisenbahnen eine Steigerung erfahren, sollen wenige Ziffern zeigen, die den Aufschwung wahrend der Regierungszeit unseres Monarchen nachweisen. Im Jahre 1848 umfasste der gesammte Giiterverkehr unserer Monarchie i'5 Mili. Tonnen, im Jahre 1897 ist derselbe mit 146 Millionen Tonnen nacbgewiesen. Etwa 3 Millionen Reisende hatte der Personenverkehr des Jahres 1848 umfasst, die Statistik des Jahres 1897 gibt diese Zabl mit 197 Millionen an. Als treffliche Illustration fiir die Ent- wicklung unseres Verkehrswesens dient die Thatsache, dass die Zahl der Briefe in den letzten 50 Jahren von 20'8 Mil¬ lionen auf 580 Millionen stieg. Welcher Umsatz in dem National- vermogen durch die Eisenbahnen geschaf¬ fen wurde, lehrt die Ziffer des heute in unserem Eisenbahnwesen investirten Ca- pitals, das rund mit 4.100,000.000 fl. an- genommen wird [gegen 90,000.000 fl. im Jahre 1848].**) 405,000.000 fl. betragen die Einnahmen der Eisenbahnen unserer Monarchie im vergangenen Jahre [1897] und 215,000.000 fl. hat die Erhaltung und der Betrieb derselben erfordert. Summen, deren Bedeutung in der Volkswirthschaft unseres Reiches nicht erst betont werden muss. ***) Wie weit sich der Einfluss der Eisenbahnen auf einzelne Gebiete oster- reichischer Industrieen besonders be- merkbar machte, soli an der Hand un- widerlegbarer Thatsachen nachgewiesen werden. *) Vgl. Bd. II. Dr. A. Peez »Die Stel- lung unserer Eisenbahnen im Welthandel«. **) Vgl. die Entvvicklung des Osterr.- ungar. Verkehrswesens von .1848—1898 in G. Freitag’s Verkehrskarte von Oesterreich- Ungarn, Wien. ***)Ueber die Leistungender Eisenbahnen Cisleithaniens, vgl. Seite 79 u. ff. Unsere Eisenbahnen in der Volkswirthschaft. 6 7 Hier sind es besonders die oster- reichische Zucker- und die Mahl- industrie, die den Eisenbahnen viel zu verdanken haben. Die seit 1809 entstandene Riiben- zucker-Erzeugung fand erst 1830 Ein- gang in die Monarchie, und zwar zuerst in Bohmen durch die adeligen Gross- grundbesitzer. Im Jahre 1840 waren 113 Runkelriibenzucker - Fabriken ent- standen, von denen aber mehrere kleine, mit unzweckmassigem Betriebe wieder eingingen, wahrend seit dem Jahre 1848 die Errichtung grossartiger Etablissements dieser Art bedeutende Fortschritte machte. Im Jahre 1857 bestanden in Oesterreich 108 Zuckerfabriken, die 7 * 1 2 3 4 5 6 7 8 j . 2 Millionen Centner Rtiben zu 450.000 Centner Zucker und 2 30.000 Centner Melasse verarbeiteten. Die Menge der verarbeiteten Rube betrug im Jahre 1895 iiber 76 Millionen Meter- centner. Es muss hiebei bemerkt werden, dass der Einfluss der Eisenbahnen auf die Zuckerindustrie und zugleich auf die Landvvirthschaft auch darum ein so grosser sein musste, weil es nunmehr moglich war, dass eine Zuckerfabrik auch entfernter angebaute Riibenquanti- taten bezog, und weil namentlich die Ausfuhrbewegung eine so uberraschend grosse Entwicklung genommen hat. Die osterreichische Zuckerindustrie, deren Situation zum grossen Theil durch gute Productions-Bedingungen gefordert wird, ist besonders auf die Ausfuhr angewiesen und es ist selbstverstand- lich, dass dieselbe ohne Eisenbahnen niemals einen solchen Entwicklungsgang hatte nehmen konnen. Erwahnt soli hiebei noch werden, dass im Jahre 1895 1854 Dampfkessel und 3135 Dampf- maschinen mit circa 60.000 Pferdekraften und iiber 70.000 Arbeiter von der Zuckerindustrie beschaftiget wurden, und dass nahezu 97 Procent der gesammten Zucker-Erzeugung auf die Kronlander Bohmen und Mahren fiel. Der Boden dieser Lander ist ganz besonders fiir diese Industrie geeignet. Der Zu- sammenhang der Industrie mit der Landwirthschaft findet sich nirgends so innig, wie auf diesem Gebiete in Oester¬ reich. Der Jubilaums-Festschrift der Kaiser Ferdinands-Nordbahn*) ist zu entnehmen, dass die Anzahl der an ihren Betriebs- strecken errichteten Zuckerfabriken bis zum Jahre 1880 um 550°/ 0 zunahm, ein enormer Percentsatz, der so recht ins Licht stellt, welchen Einfluss diese Eisen- bahn ausiibte, die hierin fiir ganz Oester¬ reich charakteristisch ist. Aber um die be- sondere volkswirthschaftliche Bedeu- tung dieser Thatsache voli zu erfassen, muss noch weiter hervorgehoben \ver- den, dass der Ausfuhrhandel des ganzen Landes dadurch betrachtlich gehoben und ein wesentlicher Factor fiir die Activitat der Handelsbilanz geschaffen wurde.**) Dass beispielsweise auch die Mahl- Industrie durch die Eisenbahnen in Oesterreich wesentlich gefordert wurde, liegt auf der Hand. Die Lohnmullerei ist ein langst iiberwundener Standpunkt, der Bezug billiger Rohmateriale \vird mass- gebend fiir die Concurrenzfahigkeit der Betriebe. Es soli nicht verkannt werden, dass die grosse Verbesserung des Commu- nicationswesens auch der Concurrenz des Auslandes zur Verfiigung steht und dass mehr wie jede andere Industrie auch der osterreichischen Miillerei triibe Erfahrun- gen nicht erspart blieben. Indessen muss gerade hier erwahntwerden, dass den oster¬ reichischen Eisenbahnen eben im Dienste *) »Die ersten 50 Jahre der Kaiser Fer- dinands-Nordbahn«, 1836—1886, Verlag der Nordbahn. **) Die Entwicklung der Grossindustrie an den Nordbahnlinien in den ersten 40 Jahren ihres Bestandes beleuchtet a. a. O. nachste- hende besonders bemerkensvverthe Zusammen- stellung: Die Summe der Fabriken wuchs von 384, die bereits bei ErOffnung der Bahn bestan¬ den, bis zum Jahre 1880 auf 983, also um rund 156 °/ 0 . Das percentuelle Anwachsen der ein- zelnen Industriezweige erfolgte im folgenden Verhaltnisse: 1. Bergwerks-Producte.833 °/ 0 2. Maschinen, Werkzeuge, Transport- mittel.55° °/ 0 3. Metalle und Metallwaaren ... 90 °/ 0 4. Minerale [NichtmetalleJ und Arbeiten aus denselben.344 °/o 5. Chemische Producte.435 % 6. Nahrungs- und Genussmittel . , 181 °/ 0 7. Textilindustrie.83 % 8. Producte aus anderen organ. Stoffen 222 °/„ 5 * 68 A. Ritter v. Lindheim. dieser Industrie eine besonders wichtige Rolle zugefallen ist. Es ist vorher erwahnt vvorden, dass fur industrielle Betriebe die Wasserkraft immer ein unzuverlassiger Factor ist, bei dan zahllosen noch auf Wasserkrafte angewiesenenMiihlen macht sich dies besonders bemerkbar. Es ist erstaunlich, wie sehr durch das Ver- schwinden und Ausroden der grossen Walder unsere Wasserkrafte abgenom- men haben und ganz betrachtlichen Schwankungen ausgesetzt sind. Traurig stimmt es den Volkswirth, der dieGebirgs- lander Oesterreichs durchschreite't, sieht er hart an die Wildbache angebaut, kaum ftir den Fussgeher erreichbar, eine Dorfmiihle, ausgestattet mit den arm- seligsten mechanischen Einrichtungen, der jeder kleine Frost die ohnedies armliche Wasserkraft raubt. — Und diese Miihlen sollen doch in gewisser Beziehung die Concurrenz gegen die grossen Darnpf- miihlen bestehen, die, unmittelbar mit den Eisenbahnen verbunden, mit ausgezeich- neten neuen Maschinen arbeiten und schon durch die grosse Menge der Erzeugung billige Gestehungskosten erlangen. Die Eisenbahnen erleichtern aber nicht nur die Amvendung besserer Motoren, sie ermoglichen auch die Versorgung einer weiter abliegenden Kundschaft mit besonders begehrten Qualitatsmarken. So haben die Eisenbahnen, wiewohl sie im Grossen und Ganzen den grosseren Betrieben selbstverstandlich mehr zu Diensten stehen, als den kleineren, na- mentlich in Verbindung mit einer weisen und wohlwollenden Tarifpolitik, anderer- seits auch den Erfolg gehabt, dass kleinere Betriebe sich erhalten konnten, wahrend ge- rade aus der letzten Zeit manche Beispiele lehren, dass grosse Betriebe, die zum Theil auf gewagte Speculationen angewiesen sind, im Concurrenzkampfe unterlagen. Einen besonders grossen Einfluss haben die Eisenbahnen auf die oster- reichische Brauerei geiibt. Hier kann man in der That sagen, dass die Ent- wicklung einer Brauindustrie, wie Oester- reich sie besitzt, unmoglich gewesen ware, wenn ihr nicht eine billige und sichere Communication zur Verfiigung gestanden ware. Dies ist gliicklicher- weise der Fali gewesen und die Eisen¬ bahnen haben dazu beigetragen, um namentlich den Export der osterreichi- schen Biere auf das Kraftigste zu unter- stiitzen. Wenn auch nicht allen Anfor- derungen entsprechend, so sind doch die Tarife im Grossen und Ganzen ziemlich wohlwollend gestellt. Ueberdies wurden fiir Zwecke dieser Industrie trefflich geeig- nete Transportmittel construirt. Wenn der Ruf der osterreichischen Biere ein wohlbegriindeter ist und sie sowohl in Europa als in iiberseeischen Landern geschatzt und begehrt sind, so ist das mit ein Werk der Eisenbahnen und der mit ihnen in Verbanden zusammen- wirkenden Dampfschifffahrts-Gesellschaf- ten. Wenn man heute in Alexandrien oder Smyrna oder wo immer im Aus- lande nach Wiener oder bohmischen Bieren verlangt und wenn dieses Be- gehren die Production unserer Brauereien verdoppelt und verdreifacht hat, wenn dadurch der Landwirthschaft, namentlich aber der Viehzucht, bedeutend gedient ist, so ist dies ein Erfolg der Eisenbahnen und ein neues und gewiss nicht unwesent- liches Moment fiir ihre volkswirthschaft- liche Bedeutung. Gerade diese Industrie erzeugt ein Genussmittel, welches nur durch einen raschen und sicheren Trans¬ port in fernen Gegenden zum Absatze gebracht werden kann, und es ist fast so, als wenn in dem Aufschwunge der Brau¬ industrie dem Lande ein kleiner Ersatz gegeben werden solite fur die Verwii- stungen, welche die Phylloxera in unseren gesegneten Weinbergen angerichtet hat und noch immer anrichtet. Es ist aber auch von volkswirthschaftlicher Bedeutung tiberhaupt, dass der Geschmack der Be- volkerung sich einem gesunden Getranke zuwendet. Der Branntweingenuss ist all- seitig als ein grosses Ungluck betrachtet worden, stellt den Menschen auf die niederste Stufe, lasst ihn seine Wiirde vergessen und es ist als ein Gliick zu betrachten, wenn das Bier hier erfolgreich in Concurrenz tritt. Gute und billige Biere preiswtirdig zu transportiren, ist daher eine wirthschaftlich befriedigende und daher besonders wiinschenswerthe Leistung. Und so liesse sich eine Industrie nach der andern, ein Gewerbe nach dem andern anfiihren und iiberall konnte der Volks- Unsere Eisenbahnen in der Volkswirthschaft. 69 wirth den greifbaren Nutzen nachweisen, den unsere Eisenbahnen auf den ver- schiedenartigsten Gebieten hervorgebracht haben und noch taglich schaffen. Der volkswirthschaftliche Nutzen der Eisenbahnen steht im geraden Verhalt- nisse zur Dichtigkeit ihres Netzes und nicht leicht findet sich ein untriiglicheres Kennzeichen fiir die wirthschaftlicheWohl- fahrt eines Landes als die Dichte seiner S chienenverzweigungen. In den weiteren Maschen der Haupt- linien miissen die reich entwickelten Localbahnen als die eigentlichen Begriin- der eines regeren Verkehres auftreten und dieses Saugadersystem des Verkehres ist es vorziiglich, auf dessen hohe volkswirth- schaftliche Bedeutung ebenfalls Riick- sicht genommen werden muss. Vieles ist in unserem Vaterlande fiir die Ausge- staltung dieser Bahnen bereits gesche- hen, so Manches bleibt aber noch auf diesem Gebiete zn schaffen iibrig. Freu- dig muss es jeder Volkswirth begriissen, wenn eine klugeStaatsverwaltung die rich- tigen Mittel anzuwenden trachtet, diese wichtigen Factoren volkswirthschaftlichen Aufschwunges zu fordern und zu schaffen. Man muss, um gerecht zu sein, darauf hinweisen, dass die Landwirthschaft, na- mentlich aber die unter schwierigen Ver- haltnissen arbeitende Landwirthschaft in den Alpenlandern noch nicht den ge- horigen Vortheil von den Eisenbahnen hatte. Diese Lander seufzen unter den er- hohten Arbeitslohnen, unter den Folgen, den die Concentration der Industrie fiir einzelne Gegenden gebracht, doch darf man allerdings nicht vergessen, dass die ganz wesentliche Verbesserung im Ab- satz landwirthschaftlicher Producte einen nicht unbedeutenden Ersatz fiir diese Uebelstande bietet. Die Vermehrung der Eisenbahnen, die Verbesserung localer Eisenbahnnetze, das Eindringen der Schiene in die entternteste Ortschaft und den entlegensten Weiler sind fiir diese verlassenen Gegenden das einzige Mittel zur Verbesserung ihrer wirthschaftlichen Verhaltnisse. Auf die speciellen giinstigen Wirkun- gen der Localbahnen Oesterreichs einzu- gehen, hiesse Eulen nach Athen tragen. Ihre nationalokonomische Bedeutung ist vollerkannt, und wenn in der Ausgestal- tung unseres Kleinbahnwesens noch manche Wiinsche bis heute offen blieben, so sind es wahrlich andere Ursachen als die Verkennung der \virthschaftlichen Be¬ deutung, die hier Schuld tragen. Immerhin kann der osterreichische Volksvvirth mit gerechter Befriedigung auf das blicken, was bisher auf dem Gebiete des Local- bahnwesens im Interesse einer gesunden Staats- und Volkswirthschaft in Oester- reich geschaffen wurde.*) Die 3507‘74 km Localbahnen Oester¬ reichs [Stand im Jahre 1895] haben kraftig zur Verkehrsentwicklung des Reiches bei- getragen. Ueber die gesammte Verkehrsentwick- lung auf den Eisenbahnen Oesterreichs geben uns die von der k. k. statistischen Centralcommission veroffentlichten Ziffern Aufschluss. Im Jahre 1895 wurden auf den Eisen¬ bahnen [excl. Dampftramways] innerhalb der im Reichsrathe vertretenen Konigreiche und Lander befordert: Personen . . 106,442.545 Giiter.... 93,878.720 t Auf den Hauptbahnen im osterreichi- schen Staatseisenbahnbetriebe wurden im Jahre 1896 allein iiber 27 Millionen Ton- nen Waaren befordert, darunter haupt- sachlich Frachtgiiter: **) Localbahnen«. **) Wie sich die verschiedenen Fracht- giiter auf sammtlichen osterreichischen Eisenbahnen percentuell vertheilen, ei'scheint auf Seite 79 angegeben. 70 A. Ritter v. Lindheim. Filr die volkswirthschaftliche Be¬ deutung der Eisenbahnen Oesterreichs gibt aber die auf den Eisenbahnen trans- portirte Giitermenge keineswegs allein einen Anhaltspunkt, man muss vielmehr in Betracht ziehen, dass die Eisenbahn nicht nur auf die Schaffung, Enveiterung und Bliithe einzelner Industriezweige massgebenden Einfluss nahm, *) sondem man muss den ungeheuern Einfluss wenig- stens andeuten, den sie auf das B a u- und Ingenieurwesen im Allgemeinen ausubte. und wie sie dort wahrhaft stiir- mische Impulse zu einer Reihe der wich- tigsten Institutionen gab. Werke, wie der Ausbau des Triester Hafens, die Donauregulirung, der Bau der Wie- ner Stadtbahn, die Wienregulirung, die Wasserversorgung von Wien \varen kaum je zustande gekommen, wenn die Institution, wie die Eisenbahn sie darstellt, diesen gigantischen Zwecken nicht zu Gebote gestanden ware. Hier zeigt es sich am allerdeutlichsten, dass die Eisenbahn und das durch die Eisen¬ bahn geloste Problem die treue Dienerin jener grossen schopferischen Gedanken ist und dass jener charakteristische Un- terschied zwischen den Werken des Alter- thums und denen aus dem Zeitalter der Eisenbahnen der ist, den M. von Weber mit nachstehenden Worten so richtig gekennzeichnet hat: »Die Mechanik hatte seit Archimedes wenig Fortschritte gemacht, aber das Ansehen aller Disciplinen der Technik, die mit der Bau- und Kriegskunst in Be- ziehung standen, war in raschem Steigen begriffen, denn mit den vorhandenen primitiven Mitteln wurden Wunder ge- than, welche die Welt erftillten. Die "VVolbung der Peterskuppel, Brunellescbi’s Arbeiten zu Florenz, der Transport des *) Wir verweisen in dieser Hinsicht auf den Einfluss, den beispielsweise die Nord- bahn, als erster bedeutender Consument, auf die Gewinnung des galizischen »Naphthas« nahm und so eigentlich eine Osterreichische Petroleumindustrie begriinden half. Dem ehemaligen Materialverwalter dieser Anstalt Anton Prokesch gebiihrt das Verdienst, den \Verth des galizischen Naphthas schon im Jahre 1853 richtig beurtheilt zu haben. Erst im Jahre 1862 kam das amerikanische Petroleum nach Oesterreich. Obelisken Caligula’s durch Fontana, die Verschiebung des 80' hohen Thurmes von Magione zu Bologna, die Gradrichtung des gesunkenen Glockenthurmes zu Cento durch Hodi und Feravante, hatten die Welt geblendet, \vahrend die bescheideneren | Ingenieurarbeiten der Canalisirungen und Flussregulirungen und Bewasserungen sichtlich Wohlstand verbreiteten.« Die Eisenbahnen haben nicht allein einen auf die Entwicklung unserer In¬ dustrie und auf die grossartigen Schopfun- gen der Ingenieurkunst hohen Ein¬ fluss genommen, sie waren es auch zu- nachst, welche auf die praktische An- wendung elektrotechnischer Einrich- tungen hinvvirkten und so die erste Anregung zur Entwicklung einer Arbeits- sphare gaben, welche sich ztvar heute noch selbst in einer gahrenden Jugend- periode befindet, deren grosse Bedeutung aber heute auch nicht annahernd fest- gestellt werden kann. Bekanntlich zahlt Oesterreich zu den- jenigen Staaten, welche der Erfindung der Telegraphie zuerst erhohte Aufmerk- samkeit schenkten. Der bekannte Fachmann J. Kareis hat in einer trefflichen Darstellung mit Recht hervorgehoben, dass die Anwendung der Elektricitat auf das Eisenbahnwesen sowohl fiir den Nachrichtendienst als auch fiir andereZwecke von der hochstenWich- tigkeit war und dass die Wechselwirkung fiir beide Verkehrszweige von grosster Bedeutung sei. Auch hebt er hervor, dass es ganz besonders osterreichische Firmen und osterreichische Gelehrte waren, welche hier die wichtigsten Dienste leisteten, so dass es ganze Bande fiillen wiirde, diese Leistungen, welche in der ganzen Welt bekannt sind, gebiihrend zu tviirdigen. Die Signalisirung mannigfacher Verkehrs- momente auf Eisenbahnen kann wirksam nur auf elektrischem Wege bevvirkt werden und so hat auch die Elektrotechnik der Entwicklung der Eisenbahn die wichtig- sten Dienste geleistet, andererseits aber auch die Eisenbahn die Entwicklung der Elektrotechnik hervorragend gefttrdert. Inwieweit die Zukunft die Zuhilfe- nahme elektrischer Betriebskraft fiir unsere Eisenbahnen noch bedingen wird, miissen \vir einer, vielleicht nicht ganz fernen Zeit Unsere Eisenbahnen in der Volkswirthschaft. 71 iiberlassen. Schon heute sind in Amerika, in Deutschland und auch bereits in unserem engeren Vaterlande eine Reihe kleinerer Bahnlinien, namentlich in Stadtegebieten ziim elektrischen Betriebe iibergegangen, und vielleicht wird in absehbarer Zeit auch an die grossen Eisenbahnen die Frage des elektrischen Betriebes herantreten. Auf die Wechselwirkung zwischen Eisenbahn und Elektrotechnik ist hoher Werth zu legen, und wer den Einfluss erkennt, den die Eisenbahnen auf die Ent- wicklung der Volkswirthschaft nehmen, dem muss das veranderte Bild vor Augen treten, welches in Jahrzehnten durch Elek- tricitat und Eisenbahnen zur Wirklichkeit werden wird. Erst durch die Eisenbahn ist die Welt iiberhaupt, daher auch Oesterreich sich seiner wirthschaftlichen Kraft bewusst ge- worden. Nicht allein in dem bereits Errun- genen, nicht in grosserer Schnelligkeit und Billigkeit des Transports sieht es den Aufsch\vung, mit Feuereifer betritt es das Gebiet jener Forschung, welche wir Elek¬ trotechnik nennen. Ungeahnt sind noch die Krafte der Natur, die sich unsda erschliessen sollen, jeder Tag bringt eine neue \vichtige Erfindung, deutet einen neuen Weg zu weiteren Erfolgen an. Es wiirde auch zu weit fiihren, ali die wirthschaftlichen Consequenzen zu er- ortern, die die Elektricitat und Eisenbahn gemeinsam herbeifuhrten oder noch her- beifiihren werden. Fiir unsere Aufgabe moge der Nach- weis geniigen, dass die Entwicklung der Elektrotechnik in einer innigen Verbin- dung mit dem Eisenbahnwesen stand und steht, und dass dies sich nicht nur auf die Telegraphie und auf den Motor be- zieht, sondern dass alle Gebiete, die Beleuchtung, die Fernsprechung, die Kraftubertragung im Zusammenhang mit dem Eisenbahnwesen sich befinden. Wir erkenneu bereits den Werth der Schatze, welche da noch zuheben sind, und wir vergessen nicht, dass es die bsterrei- chischen Eisenbahnen waren, welche hiezu die erste Anregung gaben und zugleich es auch ermoglichten, jenes Gebiet mit Erfolg zu bebauen. Fast noch wichtiger und eingreifender in das Leben des Volkes als die Bewegung der Giiter auf den Eisenbahnen ist die durch sie bewerkstelligte Beforderung der Personen. Die Schnelligkeit und Pracision, mit der dieselbe geschieht, die Billigkeit des Fahrpreises, der hier nicht allein in Betracht kommt, sondern die da- durch bewirkte Ersparung an Zeit und Reisekosten tiberhaupt, schafften einen grossen Wandel im Leben der Volker so- wie im Leben jeder einzelnen Familie. Man hatte auch, als die ersten Eisenbahnen ent- standen, weit mehr an die Personen- als an die Frachten-Beforderune: gedacbt. Der Personen-Beforderung war ja auch in gewisser Richtung von Seite der Staaten eine rege Sorgsamkeit zugewendet wor- den, und \vieder waren es die Erblande des Kaiserstaates, Tirol und Steiermark, wo die Anfange der so bedeutungsvoll gewordenen Thurn und Taxis’schen Post sich entwickelten. Aber so bemerkenswerth, so be- herzigenswerth die Fortschritte sind, welche die Entwicklung der Post bis zum Beginne unseres Jahrhunderts ge- macht haben, die Eisenbahnen mussten sie doch weit in den Schatten stellen, und es liegt gerade in der grossen, fast ohne Uebergang vermittelten Erfindung, dass sie die Gegnerschaft nicht etwa der kleinlichen, zaghaften Gemtither, sondern die Gegnerschaft der grbssten Geister der Nation anstachelte. Sagte doch der erste Verkehrsbeamte des preussischen Staates, General-Post- meister von Nagler, als ihm der Entwurf der Bahn nach Potsdam vorgelegt wurde: »Dummes Zeug, ich lasse taglich diverse sechssitzige Posten nach Potsdam gehen und es sitztNiemand darinnen, nun wollen dieLeute gar eine Eisenbahn dahin bauen ; wenn sie ihr Geld absolut los werden wollen, so mogen sie es doch lieber gleich zumFenster hinauswerfen, ehe sie es zu so unsinnigen Unternehmungen bergeben.«*) Und Thiers, der beriihmte Staatsmann, eiferte in den Dreissiger-Jahren vviederbolt in offentlichen Reden gegen die Balin wie folgt: »Wie sollen denn die Eisenbahnen die Concurrenz gegen Messagerien be- stehen — wenn man mir die Gewissheit *) Vgl. Bd. I., P.F. Kupka, »Allg. Vor- geschichte«, S. 50. 72 A. Ritter v. Lindheim. bieten konnte, dass man in Frankreich jahrlich 5 Meilen Eiseubahnen bauen wird, so wiirde ich mich sehr gliicklich schatzen, und schliesslich, weil eineEisenbahn fahrt, \vird auch kein Reisender mehr als bisher fahren.« Der Bau der Eisenbahn \vurde als eine Tagesmode, als ein Luxusartikel betracbtet, und es ist bezeichnend, wenn einer der ersten Manner der Wissenscbaft in allem Ernst den einzigen Nutzen der Bahn darin fand, dass bei den Ausgrabun- gen bisweilen wichtige antike Funde ge- macht werden konnen. Wer wird, wenn man sich solche Zu- stande, die kaum 60 Jahre hinter uns liegen, vergegenwartigt, nicht an den volks\virtbschaftlichen Nutzen der Eisen- bahnen glauben, welche den ganzen Welt- ball umspannen und deren Entvvicklung einem einzig dastehenden Siegeslaufe gleicht. Nirgends wie hier haben die Fortschritte der Technik so grossartige Dienste geleistet; die Alpenbahn, die Tunnelbauten, die Anwendung des Zahn- rades und des Seiles machten es moglich, auch die Gebirgslander mit in den Kreis der allgemeinen Bewegung zu ziehen, und wiederum war es Oesterreich, welches mit seinen vielgestaltigen Bodenverha.lt- nissen auch hier an die Spitze des Fort- schrittes trat. Die Errichtung der Bahn liber den Semmering, den Brenner und den Arlberg bilden iiberaus wichtige Momente in der Eisenbahnbau-Geschichte, und \vill man den Einfluss der Eisenbahn auf die Volks- \virthschaft ermessen, so muss man an erster Stelle der Energie alles Lob zollen, welche der osterreichische Techniker oft zuerst in ganz Europa zur Bewaltigung schwieriger Probleme aufbot. Wir legen auf dieses Moment einen grossen Werth, denn hier liegen die Be- rtihrungspunkte der Volkswirthschaft mit der Wissenschaft und namentlich mit den technischen Wissenschaften. Man kann sagen, dass es Griinde der Politik waren, warum man die Schienen liber die Hohen des Semmering fiihrte, da vielleicht eine Verbindung im Thale billiger herzustellen gewesen ware, aber die osterreichische Volkswirthschaft weiss den Ingenieuren Dank, die hier im Beginn des Eisenbahn- baues Probleme zur Losung brachten, die, wenn sie damals ungelost geblieben, wahrscheinlich Jahrzehnte lang ein Hin- dernis ftir die industrielle und culturelle Entwicklung gebildet hatten. Die Eisenbahn allein hat uns klar gemacht, dass wir mit unserem Streben und unserer Arbeit nicht an die enge Scholle gebunden sind. Die Krafte der Menschen miissen sich erganzen, und ebenso wie geographische und klimati- sche Verhaltnisse auf dem Erdballe nicht die gleichen sind, so sind auch die Ta¬ lente und Krafte der Menschen nicht immer dieselben. Sie erganzen sich, schmiegen sich den vorhandenen Grundlagen an, und wir sehen mit grosser Befriedigung an manchem Orte die nutzliche Ver- werthung der menschlichen Kraft, die viel¬ leicht anderwarts vollkommen brach lie¬ gen wlirde. Die erhohte Goncurrenz aui dem Arbeitsmarkte, nicht nur auf dem manuellen, sondern auf dem geistigen Arbeitsgebiete, ist ebenfalls ein Erfolg der Eisenbahn, sowie diese selbst ihreEntwick- lung dieser Concurrenz zuschreiben darf, denn nie wurden die grossen und machtigen Eisenbahnen des Jahrhunderts ohne diese Goncurrenz zustande gekommen sein. An der Neige des Jahrhunderts ange- langt, ziemt es sich wohl zu untersuchen, welcher Stand den eigentlich grossten Vor- theil aus den Erfindungen und Fortschritten desselben eroberte. Nach unserem Dafiir- halten ist es der Arbeiterstand. Seit der franzosischen Revolution ist der- selbe zum Be\vusstsein seiner Kraft ge- langt, aber diese Errungenschaft allein, wenn sie auch fur die politische Stellung eine sehr werthvolle \var, verschaffte den arbeitendenStanden noch nicht den mate- riellen Erfolg. Dieser trat erst ein, als die wachsende Industrie zur Herrschaft kam und trotz der Concurrenz, welche die Maschine auf der einen Seite der Hand- arbeit bot, nahm die Industrie doch eine solche Unmasse von Menschenkraften in Anspruch, dass hierdurch von vornherein erhohter Verdienst geboten und dem Ar¬ beiterstand auch gewahrt wurde. Im Allgemeinen haben sich, trotzdem ja die Eisenbahnen ganz wesentlich dazu beitragen, fremde billige Arbeitskrafte, so namentlich aus Italien auf den Arbeits- Unsere Eisenbahnen in der Volkswirthschaft. 73 markt zu bringen, dennoch die Lohn- bedingungen der arbeitenden Bevolkerung im ganzen Reiche wesentlich verbessert. Es ist allerdings richtig, dass auch die Einkunfte der gelehrten Stande, des Militars u. v. a. nicht unwesentlich gestie- gen sind, dagegen muss darauf liinge- wiesenwerden, dass durch dieErhohungdes Bildungsniveaus iiberhaupt die Concurrenz in den gebildeten Standen sich geradezu ins Unermessliche gesteigert hat. Heute trachtet fast in jeder Familie, auch in der armsten, mindestens ein Mitglied hohere Studien durchzumachen, um eine hohere sociale Steliung zu erringen. Was niitzen da die Gehaltserhohungen, wenn nur ein Bruchtheil der Befahigten sie zu erringen verrnag und Bewerber jahrelang auf eine bezahlte Stellung warten miissen. Der fleissige Arbeiter allein, und nur von einem solchen kann die Rede sein, hat von den grossen friedlichen Umwal- zungen des 19. Jahrhunderts den grossten Vortheil gezogen und fragt man, wer ihm dazu verholfen, so waren es wieder die Eisenbahnen, denn sie ermoglichten den Aufschwung der Industrie und Land- wirthschaft, direct aber erhohten sie eine gesunde Freiziigigkeit, und sie sind es, die dem Arbeiter j eden Augenblick das Mittel bieten, den Arbeitsmarkt aufzu- suchen und seine Kraft dort zu ver- werthen, wo es ihm am lohnendsten er- scheint. Schon der Umstand, dass in Oester- reich uber 90°/ 0 der fahrenden Personen die niedrigste Wagenclasse beniitzen, und weil man annehmen kann, dass der iiber- wiegend grosse Theil dieser Reisenden aus Arbeitern oder wenigstens im weiteren Sinne aus den dieser Kategorie angehoren- den Personen besteht, beweist in welch um- fassender Weise die Eisenbahn von der ar- meren Bevolkerung in Anspruch genommen wird. Es wird hierbei von grossem Nutzen sein, sich die beztigliche Stellung desFahr- preises durch einige aus dem Leben ge- griffene Beispiele zu vergegenwartigen.*) Demgemass moge angenommen wer- den, es handle sich um vier Reisende von verschiedenen Lebensanspriichen und verschiedenem Einkommen, die eine Reise von Wien nach Prag und zuriick machen und sich drei Tage in Prag aufhalten. Der eine befinde sich in beschrankten Verhaltnissen und dtirfe nicht mehr als 1 ih, der andere besser gestellte 5 fh, der dritte in guten Verhaltnissen lebende 10 fl., und der vierte 20 fl. taglich ausgeben. Es ergibt sich dann ungefahr folgende Rechnung, bei welcher die Auslagen wahrend der Fahrt auf dem Hin- und Rtickwege zusammen mit der Halfte der angenommenen Tagesausgabe [beim vierten Reisenden jedoch hochstens mit 5 fl.] eingestellt -vverden. *) Nach Rank. Tabelle I. 74 A. Ritter v. Lindheim. Tabelle II. Das Verhaltnis zwischen Fahrpreis und Gesammtausgabe schwankt also in den vorgefuhrten Fallen beim i. Reisenden zwischen 29 und 80°/ 0 » 2. » » 7 » 4 i°/o '» 3 - » » 4 » 27 °/ 0 » 4. » » 2 » 17% Der Arbeiter beniitzt oft auch die Eisen- bahn zu den ermassigsten Bedingungen, wenn er taglich zur Arbeit fahrt, wobei die Nebenkosten selbstverstandlich nicht in Betracht kommen, hat also demnach verhaltnismassig den grossten Vortheil, ihmistjedochdie Eisenbahn nur Z\veck filr Verbesserung des Be- rufes, selten oder fast nie Ver- gniigungszweck. Alles, was die Fisenbahnen gekostet haben und kosten, im Bau sowie zum grossten Theile im Betriebe, kommt in o # / erster Linie Millionen Arbeitern zugute, welche jahraus jahrein darin beschaftigt sind. Berechnet man den durch die Eisen- bahnen verursachten grossen Aufschwung der Industrie, so kann man sagen, das s der Arbeiter den Lowenantheil an den wirthschaftlichen Vortheilen der Eisenbahn erlangte. Thatsachlich ergaben die eingehendsten Untersuchungen eine vvesentliche Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes. Die Arbeitszeit des gewerblichen Arbeiters ging von 12 auf hochstens 10 Stunden, in sehr vielen Fallen auf 8 Stunden zuriick; im Durch- schnitte ist der Lohn eines mannlichen Arbeiters seit 25 Jahren von 50 kr. auf mindestens 1 fl. gestiegen, des v^eiblichen von 30 auf 60 kr. Das sind Minimal- satze. Jedermann weiss, dass die Arbeiter in grossen Stadten iiber 1 fl. 50 kr. per Tag verdienen, Bevorzugtere auch 2 bis 3 fl. und noch mehr. Nun kommen aber im Durchschnitt 75 % der Bevolkerung auf ein Durchschnitts-Einkommen bis zu 600fl., und erwagt man, dass mindestens der- selbe Percentsatz die III. Eisenbahnclasse beniitzt, so kann man wohl behaupten, dass diese beiden Ziffern sich decken und dass drei Viertheile der Vortheile der Eisenbahnen iiberhaupt der arbeiten- den Bevolkerung zugute kommen. Es betragen nach langjahrigen Er- fahrungssatzen die Ausgaben filr Nah- rung, Kleidung, Wohnung, Feuer und Licht eines Arbeiterbaushaltes 90% der Einnahmen und circa 80% bei einer wobl- habenden Familie. Nahrung, Kleidung, Wohnung, Feuer und Licht werden aber im Preise von der Eisenbahn ungemein beeinflusst. Sie hat dazu beigetragen, dass ganze Arbeiterviertel in der Nahe grosser Industrieen angelegt wurden, weil der Fabrikant es ftir nothivendig hielt, sich gute und constante Arbeitskrafte zu sichern. Die Lebensbedingung dieser Niederlas- sungen ist eine gute und billige Befor- derung und ohne diese -vviirden sie kaum entstanden sein. Unsere Eisenbahnen in der Volkswirthschaft. 75 Die billige Versorgung mit Lebens- mitteln und Bekleidungsstoffen, ebenso die Beschaffung billiger Kohle und Holzes ist mit denrvvohlfeilen Transport verkniipft und so sehen wir, dass es gerade der Arbeiter- stand ist, der fast alle seine Bediirfnisse verwohlfeilt sieht durch die Eisenbahn. Wir halten es fiir werthvoll, diese Satze hier auszusprechen, denn die Volkswirth- schaft ist aufs Engste verkniipft mit einer gesunden Socialpolitik, und bei einer Schilderung des volksvvirthschaft- lichen VVerthes der Eisenbahnen durfte diese Betrachtung nicht unterbleiben. Einer der fes te sten Pfeiler unserer W i r t h s c h a f t ist ja e i n b e- friedigter Arbeiterstand. * „ * Es ist unzweifelhaft, dass auch die Zunahme der Bevolkerung in Oesterreich mit der Entwicklung der Eisenbahnen in einem gewissen Zusammenhang steht. *) Oesterreich hatte im Jahre 1818 13,380.000 Einwohner, im Jahre 1895 24,668.000 Ein- wohner. Wahrend im Jahre 1818 45 Men- schen auf I D km kamen, war die Be¬ volkerung im Jahre 1890 auf 80, mithin um 35 Eimvohner per D km gestiegen. Aus der Berufsstatistik geht nun \vieder hervor, dass die grosse Zunahme der Bevolkerung aus gewerblichen und industriellen Kreisen bestand. Die rasche Vermehrung der Bevol¬ kerung macht sich naturgemass durch das Anwachsen der grossen Stadte geltend und es lasst sich nicht leugnen, dass hiezu eben- falls die Eisenbahnen beigetragen haben. Es ist natiirlich, dass der erleichterte Verkehr, der billigere Fahrpreis, die Sicherheit des Transportes einen Anreiz zum Reisen gaben. Wie viele Menschen gab es friiher in Oesterreich, welche die Stadt Wien nicht einmal kannten, wie viele Menschen gab es in Bohmen, die niemals in Prag waren, wie viele Gebirgs- bewohner Tirols werden heute noch vor- handen sein, welche ihre Hauptstadt Innsbruck noch niemals mit eigenem Auge erblickt haben? *) Vgl. Bd. II. Dr. Reichsfreiherr zu W eich s-Gl o n, »Einwirkung der Eisenbah¬ nen auf Volksleben und culturelle Entwick- lung«, S. 87 u. If. DerLandbewohner weiss, dass er heute viele Bediirfnisse billiger und leichter in der Grossstadt befriedigen kann. Tausende von Menschen finden dort leichteren und besseren Verdienst, die wachsende Menge der Zustromenden erzeugt neue Bediirf- nisse, die Grossstadt \virkt wie ein Magnet, und zieht immer weitere und weitere Kreise an sich. Prof. Dr. Mischler in Prag hat sich viel mit dieser Frage beschaftigt und in einer Studie iiber die Entstehung von Reichthtimern ist er zu der Schlussfolge- rung gelangt, dass die rapide Ver- grosserung der Grossstadte wesentlich zur Erhohung des Volksreichthums bei- tragt. Die Beispiele in Oesterreich sind vielleicht nicht gar so flagrant, wie in Amerika, wo in wenigen Jahren Millionen- stadte aus einfachen Dorfern entstanden sind und zwolfstockhohe Hauser aus dem Boden wuchsen, aber die Entstehung von Reichthiimern durch das Amvacbsen der Stadte ist doch auch in Oesterreich keine Seltenheit, und derselbe Gelehrte hat dies in einer sehr lehrreichen Studie iiber das Anwachsen der Stadt Prag bewiesen. So hat sich daselbst die Bevolkerung der Vor- stadte seit 1850 von 6000 auf ungefahr 126.000, jene der umliegenden Dorfer in circa 40 Jahren um 170.000 Menschen ver- rnehrt. Es betrug die Anzahl der Hauser in 1848 1857 1869 1880 1890 Karolinenthal 174 218 249 310 381 Smichow . . 200 237 302 503 697 KglAVeinberge [ _ 77 343 716 Žižkow . . io 5 13 y 277 728 Zusammen . 443 560 765 1533 2522 Die Vermehrung der Hauser seit 1848 [von 443 auf 2522 und in der Zeit vom Jahre 1869 bis 1890, also in 21 Jahren auf das Dreifache und seit 50 Jahren auf das Sechsfache] ist eine enorme und es erscheint naturgemass, dass die Werthsteigerung von Grand und Boden, so\vie die Schatfung der neuen Werthe in den Hausern selbst den Volksreich- thum auf eine ganz aussergewohnliche Weise. erhohen mtissen. Das Stichjahr 1850 ist ausdriicklich angefiihrt, weil es mit dem Ausbau der Eisenbahn [Prag- 76 A. Ritter v. Lindheim. Dresden] zusammenhangt, gerade wie das Jahr 1869 mit einer zvveiten sehr wich- tigen Aufschwungsepoche der Eisenbah- nen in Oesterreich in Zusammenhang zu brin gen ist. Sowie dies Beispiel von Prag sehr lehrreich ist, so liessen sich unsere Grund- satze anch auf Lemberg und Graz und namentlich auf Wien anwenden. Aber wir haben die Residenz absichtlich nicht als Beispiel angefiihrt und fiihren auch London und Pariš sowie Berlin absicht¬ lich nicht an, \veil die Entwicklung einer Reichshauptstadt auch noch von ganz anderen Factoren abhangt, die fern ab- liegen von dem Thema, welches wir behandeln. Lehrreicher ist in dieser Richtung hin die Entwicklung jener ' Stadte Deutschlands, welche, wie Hanno- | ver, Kassel, Frankfurt a. M., Hauptstadte und Sitze einer Centralregierung waren, \vahrend sie seit dem Jahre 1871 in Bezug auf ihre Ausdehnung und Macht- stellunsr ledig-lich auf die nattirliche Ent- wicklung des Verkehres angewiesen waren. Heute sind z. B. Hannover und. Kassel aus Residenzen grosse Industriecentren geworden, ihre Einwohnerzahl sowie die Zalil ihrer Hauser und der Werth von Grand und Boden sind oft auf das Dop- pelte gestiegen und niemand wird leugnen konnen, dass die Eisenbahnen diesen Zuvvachs und diese Wohlhabenheit ver- mittelt haben. In Oesterreich selbst finden wir zahl- reiche Orte, die erst durch die Eisenbahn eine Bedeutung erlangt haben. Was ist aus den friiher kaum gekannten Ortschaf- ten Gansemdorf-, Lundenburg, Prerau, \vas ist aus Floridsdorf, Ostrau, Oderberg durch die Nordbahn geworden? Und so lassen sich an jeder Bahnstrecke Orte aufweisen, die ihre Entwicklung fast aus- schliesslich dem Schienenweg zu danken haben, an den sie gekniipft wurden. Es lasst sich nun allerdings dartiber streiten, ob das rasche Anwachsen der grossen Stadte auch ein volkswirth- schaftli cher Vortheil ist. Wo grosser Reichthum vorhanden ist, tritt die dicht daneben wohnende Armuth besonders er- schreckend hervor, das Verbrechen, der Leichtsinn folgen immer der grossen An- sammlung der Menschen und wo solche auf einem Punkte stattfinden, macht sich oft eine schadliche Leere an anderen Punkten des Reiches geltend. Indessen besitzen die Eisenbahnen die gute Eigenschaft, wie sie auch die Presse besitzt, sie heilen die Wunden, welche sie schlagen, und so fuhrt die- selbe Eisenbahn, welche vom flachen Lande zur Hauptstadt geht, auch wie- der bis in die fernsten Schluchten der Gebirge, sie vertheilt sich in alle Ge- genden der Monarchie und es gibt in ganz Oesterreich nur wenige Ortschaften, die seit 50 Jahren nicht ebenfalls we- sentlich in ihrer Bevolkerungszahl zu- nommen haben, vielleicht keinen Ort, wo nicht der Werth von Grand und Boden um mindestens 25 Percent ge¬ stiegen ist. Zahllose Industrieen, denen die Arbeitskraft in den Hauptstadten zu theuer ist, wandern von dort aus in die Provinzen und Stadte, wie Reichen- berg, Gablonz, Bi el it z, Jagern- dorf, Lundenburg, St. Polten; Industrieplatze, \vie Berndorf, Kladno, Warnsdorf, Witkowitz beweisen, dass es hier wiederum die Eisenbahnen sind, welche allem es ermoglicht haben, dass der Wohlstand nicht allein in den grossen Stadten der Monarchie, sondern auch an den entferntesten Orten seinen Sitz aufschlagt und dass iiberall die Eisen¬ bahnen es gewesen sind, die in dieser Richtung hin der Volkswirthschaft des gesammten Landes hervorragende Dienste geleistet haben. Man muss eben, will man die Frage der volkswirthschaftlichen Bedeutung unserer Bahnen richtig beurtheilen, die- selbe von einem hoheren und allgemeinen Standpunkte beurtheilen, und man wird dann zur Ueberzeugung kommen, dass die Eisenbahnen in erster Linie es waren, ■vvelche es ermoglichten, dass die Schatze unserer Erde den Menschen in hoherem Grade und in gleichmassiger Weise zutheil werden. Sie haben es mitbevvirkt, dass das Nationalvermogen ein grosseres gewor- den ist, dass auch der Minderbemittelte in der Lage ist, sich ein besseres und menschenwurdiges Dasein zu schaffen und dass trotz aller Klagen Handel und Verkehr miteinander wetteifern, die schrof- fen Abstande zu verkleinern, welche Unsere Eisenbahnen in der Volkswirthschaft. 77 noch vor 50 Jahren nicht nur in geistiger, sondern auch in materieller Ricbtung die Schichten der osterreichischen Ge- sellschaft von einander trennten. * * * Ein schwerer Vorwurf aber wird stets den Eisenbahnen gemacht. Die auf den- selben vorkommenden Unfalle werden in der scharfsten Weise kritisirt und be- sprochen und daran wird haufig die Be- hauptung gekniipft, die Gefahr des Rei- sens sei durch den Eisenbahnverkehr iiberhaupt wesentlich vergrossert worden, und noch immer herrscht in gevvissen Bevolkerungskreisen eine gewisse Abnei- gung gegen die Beniitzung der Eisen- bahn. Der ervvahnte Vonvurf ist gewiss nach allen Richtungen hin unbegriindet, denn die Zunahme des Personentranspor- tes ist ja eine so riesige, dass diese Behauptung sich von selbst widerlegt. Wenn einzelne Personen, man nennt z. B. den beriihmten Componisten Rossi, eine solche Abneigung empfanden, so bilden sie eben Ausnahmen und Sonderlinge gibt es ja uberall. Dass Unfalle auf Eisenbahnen lebhafter besprochen werden wie andere Unfalle, namentlich solche, die mit anderenVehikeln sich ereignen, ist ja selbstverstandlich. Es ist gevvohnlich die Grosse des Un- pfliicks und des durch letzteres erzeugten fc> o Jammers, was in der ganzen Welt Auf- sehen erregt. Ein noch so bedeutender Unfall erregt nicht viel Furcht, wenn kein Menschenleben zu beklagen ist, wenn aber bei einem Eisenbahnungltick Hun- derte Menschenleben zu Grande gehen, so erregt es auf der ganzen Welt eben- soviel Furcht und Mitleid wie der Ring- theaterbrand in Wien oder die vorjahrige Brandkatastrophe in Pariš. Ueberdies sind die Eisenbahnen weit mehr wie andere Verkehrsmittel unter die offent- liche Controlle gestellt, eigene Behorden nach eigenen Gesetzen tiben ihre Ueber- wachung und wenn ein Ungltick auf einer Eisenbahn sich ereignet, so spricht davon nicht nur der Ort, welcher der Schau- platz dieses Ungliickes war, sondern alle Orte an der grossen Verkehrslinie, mit welcher dieser Ort in Verbindung steht. Die Presse thut ein Uebriges und so kommt es, dass iiber ein Eisenbahnungluck naturgemass viel mehr gesprochen wird, als iiber j eden anderen Unfall. Wir entsetzen uns mit Recht, wenn solche Unfalle in ziemlich rascher Auf- einanderfolge vorkommen und vergessen doch, dass alle diese Unfalle, so traurig sie auch sind, im Percentualverhaltnis zu dem enorm gesteigerten Eisenbahnverkehr eigentlich doch minimal sind. Fiir die Zeit, welche vor den Eisen¬ bahnen liegt, sind \vir bezuglich der Statistik, betreffend Unfalle auf Strassen und Wegen, auf sehr unsichere Daten angewiesen. Chroniken, Polizeiregister, alte Postbiicher sind so ziemlich die einzigen Quellen, die uns zu Gebote stehen, doch sind auch diese schon ge- niigend, um mit Sicherheit zu erkennen, dass die Ungliicksfalle der Reisenden in friiheren Jahrhunderten wesentlich zahl- reicher waren, als auf unseren Eisen¬ bahnen. Nach den Angaben der k. k. statistischen Central-Commission betrug im Jahre 1895 die Zahl der Bahnun- falle 1578. Es wurden 13 Reisende getodtet und 177 verletzt. Dagegen wur- den im gleichen Zeitraume 80 Bahn- : bedienstete getodtet und 1104 verletzt. Auf »dritte Personen« entfallen 70 Todesfalle und 134 Verletzungen. Auf 1 Million Reisende entfallen im Ganzen i'79 Ver¬ letzungen. Zieht man dagegen jene Un- gliicksfalle in Betracht, welche im Rayon der Stadt Wien wahrend der Jahre 1891 —1895 durch Fuhrwerke verschuldet wurden, so erfahren wir, dass im Jahre 1891: 1427, 1892: 1617, 1893: 1743, 1894: 1769, 1895: 2467 Unfalle con- statirt \vurden, wovon circa 200—250 schwere oder todtliche Verwundungen betrafen. Es wurden mithin in Wien allein eine erheblich grossere Anzahl Personen durch gewohnliche Fuhrwerke getodtet oder todtlich verletzt, als in der osterreichischen Monarchie durch die Eisenbahnen. Eine Thatsache, die sicher eine hohe Beachtung verdient. Wenn man nun erwagt, dass die Sicherheit des Reisens ebenfalls einen giinstigen Einfluss auf die Entvvicklung der volkswirthschaftlichen Verhaltnisse eines Landes ausiibt, und feststellt, dass die Eisenbahnen das Reisen nicht nur 78 A. Ritter v. Lindheim. nicht unsicher, sondern im Gegentheil bedeutend sicherer gemacht haben, so wird man auch in dieser Richtung hin den volks\virtschaftlichen Werth unserer Eisenbahnen hoher anzuschlagen haben, umso mehr als die Unfallsstatistik fur unsere Eisenbahnen im Vergleich zu anderen Landern eine giinstige Ver- haltnisziffer nachweist. * * * Es wird auch sehr oft behauptet, dass die Eisenbahnen, weil sie sich mit ganzer Kraft in den Dienst der Kriegs- verwaltung stellen, und durch diese Mit- hilfe die Kriegsfiihrung erleichtern, Zu- stande unterstutzen, welche die volks- wirthschaftliche Entwicklung eines Landes nicht fordern, sondern storen. Es ist selbstverstandlich, dass die Eisenbahnen als die wichtigsten Verkehrs- factoren sich nicht ausschliessen konnen, in den Dienst zu treten, wenn es sich darum handelt, die Interessen des Vater- landes zu vertheidigen. Was war aber nach den bisherigen Erfahrungen der Erfolg dieser Dienstleistung ? Die Eisenbahnen ermoglichten, grosse Truppenkorper in rascher Zeit auf weite Entfernung zu befordern, sie kiirzten so die Beschwerden der Kriegfiihrenden wesentlich ab, sie erleichterten und ver- besserten die Verproviantirung, sie ge- statteten, die Verwundeten rasch in gute Spitalspflege zu bringen und sie stellten sich mit allen Mitteln und Kraften in den Dienst der Humanitat. Der Hauptvortheil aber, den sie gewahrten, war die grosse Abkilrzung des modernen Krieges.*) Wir brauchen nur auf die Geschichte des 3ojahrigen und des 7jahrigen Krie¬ ges hinzmveisen, ja wir diirfen nur an die Freiheitskriege vom Jahre 1813 bis 1815 erinnern, um die Leiden zu vergegen- wartigen, durch welche damals ein Krieg die Wirthschaft eines Landes auf viele Jahrzehnte hinaus vernichtete, wahrend unsere modernen Kriege wohl grosse Opfer an Menschen und Geld fordern, *) Vgl. hieruber Band II, »Unsere Eisen¬ bahnen im Kriege«, sowie Dr. Reichsfreiherr zu Weichs-Glon »Einwirkung der Eisen¬ bahnen auf Volksleben und cult. Entrvick- lung.« S. 92. aber doch noch lange nicht so grosse Verheerungen anrichten wie die friiheren Jahre lang dauernden Kriege. In dieser Richtung hat namentlich der Krieg des Jahres 1870 ein denkwurdiges Beispiel ge- zeitigt, denn in drei Tagen war die Mobil- machung der gesammten deutschen Armee vollendet und wenigeTage nach derKriegs- erklarung fanden die ersten Gefechte an der franzosischen Grenze statt. An denselben waren nicht nur Truppen aus den Rhein- provinzen, sondern aus den entferntesten Provinzen Preussens betheiligt, wahrend noch im Krimkriege die russische Armee viele Monate lang zu ihrer Aufstellung brauchte und die Entwicklung der krieg- fiihrenden Theile eine ausserordentlich grosse Zeit beanspruchte, ehe der erste Schuss fiel. Wer denkt nicht an den napoleonischen Feldzug im Jahre 1812 in Russland, an alle die Grausamkeiten und Unbilden des KI imaš, der elenden Verproviantirung, der mangelhaften Be- quartirung, ja wer erinnert sich nicht an die unsaglichen Strapazen, denen selbst unsere Truppen in der letzten Halfte dieses Jahrhunderts rvahrend des Krimkrieges und wahrend der italienischen und unga- rischen Feldziige ausgesetzt waren? Die Eisenbahnen haben auch hier der Volkswirthschaft wesentliche Dienste ge- leistet: sie kiirzen die Kriege ab, sie schaffen rasch wieder geordnete Zu- stande, in denen Handel und Industrie neu aufbliihen konnen, sie schonen und er- halten durch bessere Versorgung das Menschenmaterial, sie iiben heilsamen Einfluss durch rasche Dislocation auf die Gesundheit der Truppenkorper und s o kommt e s, dass durch die Eisen¬ bahnen selbsteines der grossten Uebel a 11 er Zeiten gemildert wird — der Krieg. >!< ^ * In dem Augenblicke, wo diese Blatter unter die Presse gehen sollen, sind wir noch in die gluckliche Lage versetzt, die officielle Statistik des Eisenbahn-Ministeriums bis zum Schlusse des Jahres 1896 bentitzen zu konnen und nach diesen Daten das Bild zu erganzen, welches die Bedeutung unserer Eisenbahnen in volkswirthschaft- licher Beziehung darlegen soli. Unsere Eisenbahnen in der Volkswirthschaft. 79 Das dem offentlichen Verkehre die- nende Netz sammtlicher auf osterreichi- schem Staatsgebiete befindlichen mit Dampf und sonstigen mecbanischen Motoren betriebenen Eisenbahnen hatte am 31. December 1896 eine Lange von 16, 805376 km erreicht. Hievon standen 9,024475 km oder 53‘7°/o i m Betriebe der k. k. Staatseisenbabn-Ver- waltung. Das fiir sammtliche k. k. Staatsbahnen und fiir die vom Staate fiir eigene Rech- nung betriebenen Privatbahnen bis Ende 1896 aufgebrachte Anlage-Capital be- zifferte sich mit I; 163,890.600 fl. Das Anlage-Capital der Bahnen im Privatbe- triebe [einschliesslich der vom Staate auf Rechnune; der Eigenthiimer betriebenen Localbahnen] betragt 1.6x6,611.297 fi. Was den Eisenbahnverkehr betrifft, so betrug die Anzahl der im Gegenstands- jahre auf sammtlichen Eisenbahnen be¬ forderten Personen ic>5'2 Millionen, wo- von 43 - i Millionen auf die Eisenbahnen im Staatsbetriebe und 62‘I Millionen auf die- jenigen im Privatbetriebe entfallen. Auf den Kilometer Betriebslange berechnet, stellt sich die durchschnittliche Anzahl der beforderten Personen auf 6425. Von der Gesammtzahl der beforderten Per¬ sonen entfallen auf die erste Classe i'03 °/ 0 » » zweite » 7'92% » » dritte » 88'05 0 /o und auf die vierte Classe [nur bestehend bei der Eisenbahn Lemberg-Belzec und der Kaschau - Oderberger Bahn] o - 22°/o und auf Militarpersonen 278°/ 0 . Die Beforderungsstrecke fiir eine Per- son, d. i. die auf jede Fahrkarte durch- schnittlich entfallende Wegstrecke, betrug bei den Eisenbahnen im Staatsbetriebe 40'83 km , bei den Bahnen im Privatbe¬ triebe 35 km und fiir alle Eisenbahnen im Durchschnitte 37'39 km. Auf sammtlichen Eisenbahnen wurden rund 100 Millionen Tonnen befordert. An dieser Menge waren die im Staatsbetriebe befindlichen Bahnen mit 3 2 ‘3 Millionen Tonnen und die Privatbahnen mit 677 Millionen Tonnen betheiligt. An derGesammtmenge der auf sammt¬ lichen Eisenbahnen beforderten Verkehrs- gegenstande participiren: Kohlen mit 43'6°/,,, Steine, Erden, Kalk etc. mit 8°/ 0> Bau- und Nutzholz mit 7'4°/o, Getreide mit 6°/ 0 , Riiben mit 3'9°/o, Eisen und Eisenwaaren mit 3 ' 8 °l 0 , Erze und Mine- ralien mit 2’7°/o- Der Antheil der grossten Privatbahnen an der Giiterbeforderung sammtlicher Eisenbahnen stellt sich, wie folgt: Kaiser Ferdinands-Nordbahn . . i4'i°/o Oesterr. - ungar. Staatseisenbahn- Gesellschaft.10 °/ 0 Aussig-Teplitzer Bahn .... 9‘8 0 / 0 Oesterr. Nordwestbahn .... 7'5°/u Siidbahn ........ 6 - 8°/o Buschtčhrader Eisenbahn . . . 6 - 6°/ 0 Die Gesammtausgaben der Eisenbah¬ nen betrugen i53’9 Millionen fl. [hievon entfielen 684 Millionen auf die Bahnen im Staatsbetriebe]. Der Betriebs-Coeffi- cient fiir jede einzelne Bahn, d. i. das percentuelle Verhaltnis der eigentlichen Betriebsausgaben zu den Betriebsein- nahmen, stellt sich fiir die wichtigsten Eisenbahnen, wie folgt: Aussig-Teplitzer Eisenbahn . . 34‘3°/ 0 B8hm. Nordbahn.39’1% Buschtžhrader Eisenbahn . . . 32’O°/ 0 Kaiser Ferdinands - Nordbahn [Hauptbahnen].44'4°/ 0 Kaschau - Oderberger Eisenbahn [osterr. Linien].4°'9°/o Oesterr. Nordwestbahn [Ergan- zungsnetz].41*8 °/ 0 Oesterr. Nord\vestbahn [garantirte Linien].45‘6°/o Oesterr. - ungar. Staatseisenbahn- Gesellschaft.4i'9°/o Sudbahn [osterr. Linien] . . . 4i'8°/ 0 Siidnorddeutsche V erbindungs - bahn.62'9°/ 0 K. k. Staatsbahnen und vom Staate auf eigene Rechnung betrie- bene fremde Hauptbahnen . 57'8°/ 0 Die Anzahl der bei sammtlichen Eisen¬ bahnen Angestellten [Beamten, Unter- beamten, Diener, weiblichen Bediensteten] betrug 73.394; Arbeiter im Taglohne waren im Jahresdurchschnitte 82.718 be- schaftigt. Die fur das Personal ausbe- zahlten Besoldungen, Lohne und sonstigen Beziige beliefen sich auf 837 Millionen fl. An Wohlfahrtseinrichtungen fiir das Personal bestanden je 23 Pensions- und 8o A. Ritter v. Lindheim. Krankencassen, sowie ausserdem 35 son- stige Humanitatscassen, welche einen Vermogensstand von 57'3 Millionen fl. aufweisen. D er verfiigbare Jahresertrag sammt- licher osterreichischer Eisenbahnen wird pro 1895 in Aufstellungen der k. k. statistischen Centralcommission mit mehr als I34'3 Millionen fl. angegeben. * * H* Gross, fast uberwaltigend sind die vorangefiihrten Ziffern; sie geben ein Bild von der Machtstellung, welche das Eisen- bahnwesen in Oesterreich errungen, und welchen massgebenden Einfluss das- selbe auf unser gesammtes Culturleben hat nehmen miissen. Und da die eigent- liche Entwicklung des Osterreichischen Eisenbahnwesens in die Regierungs- periode unseres geliebten Monarchen fallt, so kann man mit Recht behaup- ten, dass unter dem Walten seiner ge- segneten Regierung, und von derselben nach allen Richtungen hin gefordert und gehoben, die Eisenbahnen Oester- reichs aus den kleinsten Anfan- gen sich in die s en 50 J ah r en zu einem machtigen Factor nicht nur in der C uit ur des Reiches, so n d er n auch in der Wirthschaft desStaates und desVolkes heran- bildeten. Namentlich war die Einfluss- nahme auf die Volkswirthschaft eine un- gemein grosse, und bis in den intimsten Kreis der Familie hat der Eisenbahnver- kehr seine AVirkungen erstreckt, die Er- haltung der Familie erleichtert und ver- bessert, in den Haushalt der Gemeinde eingegriffen und sie zu hoheren Aufgaben befahigt, das Vermogen des Volkes ver- grossert und gehoben, verborgene Schatze an das Licht des Tages gebracht und ver- vverthet, die vorhandenen Krafte gesam- melt und vermehrt, das Volk zum Wett- bewerb mit anderen Nationen befahigt. Ein Werk unserer Eisenbahnen ist es, wenn Oesterreich aus einem Agricultur- staat ein machtiger Industriestaat wurde, wenn Jahrhunderte lang nutzlos vorhan- dene Urproducte lohnend verwerthet, Arbeitskrafte billig befordert werden konnten. Aber auch der Ackerbau hatte keines- wegs auf die Hilfe der Eisenbahnen zu verzichten; ihr Ausbau und ihre Ver- dichtung ist der sehnlichste Wunsch der ackerbautreibenden Bevolkerung im schweren Concurrenzkampf. Im Gefolge der Eisenbahnen entstanden die machtigsten Bauwerke. Mit Hilfe der Eisenbahnen entwickeln sich die Centren der Monar- chie, werden die Hafen des Reiches dem Verkehr dienstbar gemacht. AmSchlusse unserer Arbeit angelangt, wollen wir die besonders hervortretenden Wirkungen des osterreichischen Eisen- bahnwesens auf dem Gebiete der Volks- wirthschaft nunmehr im Folgenden noch kurz zusammenfassen: Oesterreich ist durch seine Eisen¬ bahnen aus einem ackerbautreibenden Staate ein Industrie -Staat gevrorden; sie haben H a n d e 1 und G e w e r b e der Mon- archie in gtmstigster Weise beeinflusst. Die Eisenbahnen blieben trotzdem eines der wichtigsten Forderungsmittel der osterreichischen Agricultur, welche nur dann der iiberwaltigenden Goncurrenz des Auslandes wird Stand halten konnen, wenn das Tarifwesen sich den vorhandenen Bedurfnissen anpasst, und wenn das vor- handene Netz insbesondere durch Klein- b a h n e n noch weiter erganzt und ver- dichtet wird. Indem die Eisenbahnen auf die erhohte Inanspruchnahme eines hochwichtigen Naturproductes, des »Holzes«, ein- wirkten, haben sie die osterreichische F o r s t wi rt hs ch aft zu hoherer vvirth- schaftlicher Bedeutung gebracht. Oesterreichs Montanwesen dankt den Eisenbahnen einen machtigen Auf- schwung. Unsere Eisenbahnen verbanden sich rechtzeitig mit der K oh len-Industrie, wodurch es ermbglicht wurde, fiir die in- dustrielle Production in Oesterreich Be- triebsstatten d o r t anzulegen wo a 11 e Vorbedingungen fiir das Gedeihen einer Industrie vorhanden waren; sie ermog- lichten es der fiir Oesterreich so wichtigen E i s e n - Industrie, unsere vortrefflichen qualitativ fast unerreichbaren Eisenerze bei billigem Brennmateriale lohnend zu verhiitten, andererseits grosse Massen minderwerthiger, aber sehr leicht ge- Unsere Eisenbahnen in der Volkswirthschaft. winnbarer Eisenerze nutzbringend zu ver- werthen. Der Aufschwung unserer Zucker- Industrie und der dadurch erwachsene ungemessene Vortheil insbesondere filr die schlesische, bohmische und mahrische Agricultur ist zum grossten Theile ein Erfolg der osterreichischen Eisenbahnen. Unsere Eisenbahnen gewahren insbe¬ sondere der Mahi - und Brauindustrie wesentliche Vortheile; in Bezug auf die letztere dienten sie den Ruf des oster- reichiscl^en Bieres im Auslande dauernd zu begriinden. Sie haben zur Ausbildung der Inge- nieurkunst machtig beigetragen und den Ruhm osterreichischer Techniker begriindet. Die Entwicklung der oster¬ reichischen Eisenbahnen stand und steht noch immer in einern unmittelbaren Zu- sammenhange mit der epochalen An- wendung der Elektricitat. Die osterreichischen Eisenbahnen unterstiitzten in wohlthuender Weise die Principien der Freiztigigkeit, ohne dabei dem Anhanglichkeitsgefiihle an die vater- landische Scholle Eintrag zu thun. Die angemessene Inanspruchnahme der menschlichen Kraft und Geschicklich- keit bei gleichmassiger Erweiterung des Arbeitsmarktes ermoglichte es mit Hilfe der Eisenbahnen, dass der A r b e i t e r- stand in den letzten 50 Jahren unseres Jahrhunderts in materieller Richtung, allen anderen Staaten voraus — grosse Vortheile erlangte. — Die Eisenbahnen erhohten das Nationalvermogen. Sie ver- schafften auch dem Minderbemittelten ein besseres und bequemeres Dasein. Die Eisenbahnen erhohten zwei- fellos unsere Wehrkraft und verstarkten deren Wirkungen. Sie gestatten gleich- zeitig die grosstmoglichste Abkurzung der Kri ege, die weitaus bessere und humanere Transportirung und Verpfle- gung der Truppen sowie der Kranken und Verwundeten. Die osterreichischen Eisenbahnen erfiillen also auch auf diese Art eine Arbeit der allgemeinen Wohl- fahrt. Geschichte der Eisenbahnen II. 6 Einwirkung der Eisenbahnen auf Volksleben und culturelle Entwicklun Von Dr. Reichsfreiherr zu Weichs-Glon. Eimvirkung der Eisenbahnen auf Volksleben und culturelle Entwicklung. O B es in der Welt besser oder schlechter geworden sei seit der Zeit, da der Grossvater die Grossmutter nahm, ist eine Frage, die immer und immer \vieder das einfache Gemiith, wie den Denker, den Philosophen, wie den Historiker beschaftigt. Es ist nicht besser, es ist nicht schlechter, es ist einfach anders ge- \vorden ! Alle menschliche Entwicklung geht noth\vendig in Extremen und Aeusser- lichkeiten vor sich, so dass die Besserung nach der einen Seite fast immer eine Ver- schlechterung nach der anderen Seite enthalt. Darum ist es nicht leicht, in allen Fallen mit Sicherheit zu entscheiden, ob die Entwicklung einer Periode in civili- satorischem Sinne vor sich ging oder nicht. Ganz zweifellos hat jedoch mit der Dampfmaschine und mit der Locomotive eine neue Epoche in der culturellen Ent- wicklung der Menschheit im Allgem einen, und auch in unseremVaterlande begonnen. Nur halt es schwer, die grossartigen Wirkungen und bedeutenden Verande- rungen, welche durch die modernen Ver- kehrsmittel hervorgerufen \vurden, auch immer im Einzelnen festzustellen. Denn diese Wirkungen erfolgen vielfach in engstem Zusammenhange und stehen in unlosbaren Beziehungen mit einer ganzen Reihe anderer Erscheinungen des so viel- j gestaltigen gesellschaftlichen Lebens. Sie j kommen als specifische Wirkungen des I Verkehrsrvesens nur selten rein zum Aus- drucke; sie werden durch Neb en wirkungen und Gegenbewegungen zum Theile abge- lenkt und abgeschwacht, zum Theile auch ganz aufgehoben. Wir durfen auch nicht ubersehen, dass durch alle technischen Uimvalzungen, die der Welt fast ein ganz neues Antlitz verliehen haben, die Stetigkeit des Ent- wicklungsprocesses, den unser Geschlecht zu durchlaufen hat, keineswegs unter- brochen ist. Die scheinbar so machtigen Veranderungen, welche die jiingste Zeit unserer Cultur eingepragt hat, betreffen doch zumeist nur die Oberflache. Der Hauptkern unserer Natur und Cultur ist z\veifellos das Ergebnis der Eimvirkung fruherer Jahrhunderte. Um nun jene specifischen Wirkungen des modernen Verkehrswesens im Allge- meinen, und der Eisenbahnen im Be- sonderen zu erkennen, muss nach der Isolirmethode vorgegangen werden, d. h. es muss zu erforschen gesucht werden, wie die Eisenbahnen wirken konnten, und wie sie ohne das Walten von Kraften, ohne den Einfluss von Institutionen wirken wiirden, welche diese Wirkungen that- sachlich beeintrachtigen oder gar nicht in Erscheinung treten lassen. Auch sind wir fin-de-siecle-Menschen mit den verfeinerten Gewohnheiten und gesteigerten Anspruchen einer Uebercultur haufig gar nicht in der Lage, den Ein¬ fluss, den die Eisenbahnen auf alle Seiten und Beziehungen unseres Daseins nehmen, 86 Dr. Reichsfreiherr zu Weichs-Glon. zu tiberblicken, und aus der Fiille der uns umgebenden Erscheinungen, des uns Gebotenen und des von uns als etwas Selbstverstandliches Empfangenen heraus- zulosen. Denn die Erinnerung derW enigsten unter uns reicht zuriick bis zur eisenbahn- losen Zeit. Wir iverden uns gar nicht mehr bevvusst, dass es anders sein konnte, als es eben ist; wir tlbersehen, was und \vie viel wir entbehren mtissten, wenn es keine Eisenbahnen gabe. Um den Unterschied von Sonst und Jetzt in seiner ganzen Bedeutung zu be- greifen und vor Augen zu haben, miissen wir uns nur die friiheren Verkehrsverhalt- nisse gegenwartig halten. Wie bewegten sich zur »guten alten« Zeit, zur Zeit der Post- und Landkutschen sowie der Last- karren mit 6 bis io vorgespannten Pferden das Leben und der Verkehr in engen, gemessenen Grenzen, bis es der modernen Technik gelang, die Fesseln plotzlich zu sprengen, die auf aller grossartigen Be- wegung bis dahin gelastet hatten. Am bedeutendsten und am sichtbarsten ist der ungeheuere, sich an die Wirkungen der heutigen Verkehrsmittel anknilpfende Umschwung der Gegenvvart im wirth- schaftlichen Leben des Volkes gewesen; dieser Umschwung hat auch von tief- gehender Einwirkung auf das gesammte gesellschaftliche Leben, auf den Complex der individuellen und socialen Bediirfnisse sein miissen. Die Eisenbahnen in Verbindung mit der Schifffahrt beziehen immer neue Theile der Erde in den Bereich des Giiteraus- tausches ein, und ervveitern bestandig, auch innerhalb der Culturlander selbst, das Absatzgebiet. Die Erzeugnisse ferner fremder Lander, die friiher nur den Wohl- habenden erreichbar waren, wie z. B. Thee, Kaffe, Gewiirze u. v. a. m. sind jetzt zum Theile unentbehrliche Nahrungs- und Genussmittel des Volkes und Gegen- stande des Massenverbrauches geworden. Seefische werden in das Inland befordert, im Winter erhalten wir frische Gemiise, Friichte undBlumen aus sonnigenStrichen; unsere eigenen vorziiglichen Biere und Weine und zahlreiche andere Giiter, die \vir erzeugen, \vurden durch die Eisen¬ bahnen in ganzEuropa, in der gesammten Culturwelt heimisch gemacht. Der Ver- sandt von Vieh und Fleisch, von Eiern, Fetten, Kasen, Milch u. a. m. nimmt von Jahr zu Jahr grosseren Umfang an. Man ist hinsichtlich der Ernahrung nicht mehr an die Erzeugnisse eines kleinen Gebietes gebunden; die Eisenbahnen lassen es als moglich erscheinen, die Wahl nach dem besten und billigsten Erzeugungsorte vor- zunehmen. *) Auch die Ermassigung der Preise von Kleidungsstucken ist theilweise auf die verbilligte Zufuhr von Rohstoffen aus oft weit entfernten Erzeugungsstatten zuriick- zufiihren. Wesentlich sind die Wirkungen hin¬ sichtlich der Verbesserung von Wohnungs- und anderen Bauten, infolge Verwendung soliden Materiales auch in solchen Gegen- den, die ferne vom Gewinnungsorte liegen, so Bautheile von Eisen an Hausern und Briicken, die Eisen- und Thonrohren fiir Wasserleitungen und Canale, die Steine zum Pflastern der Strassen u. a. Die Kohlen, mit denen wir heizen, das Petro¬ leum in der Lampe sind alles Dinge, die selbst dem Aermsten unentbehrlich ge- worden sind, und deren allgemeine Ver- breitung wir den Eisenbahnen verdanken. Eine ungeheuere Sumrnie von Ver- besserungen des menschlichen Daseins, von Erleichterung in Befriedigung der wichtigsten Bediirfnisse, von Erhohung und Eriveiteruna: der Geniisse vermapf durch die Eisenbahnen herbeigefuhrt zu werden, und ist durch die im Allgemeinen zu beobachtende Erhohung des standard of life zweifellos auch in unserer Heimat herbeigefuhrt worden. Erst durch die Eisenbahnen ist es moglich geworden, Bedarf und Ueberfluss an Nahrungsmitteln selbst auf die grossten Entfernungen hin mit Leichtigkeit auszu- gleichen, wahrend friiher Mangel und Ueberfluss haufig fast nebeneinander wohnten und rein ortlich festgelegt waren, so dass bei ungleichem Ernteausfall in verschiedenen Landstrichen an der einen Stelle empfindlicher Nothstand herrschte, wahrend gleichzeitig an der anderen die Ueberfulle der Friichte \vegen mangelnden Absatzes zugrunde ging. *) Vgl. Bd. II., Lindheim, »Unsere Eisen¬ bahnen in der Volkswirthschaft«, S. 63 u. ff. Einwirkung der Eisenbahnen auf das Volksleben. 87 Hand in Hand mit diesem Ausgleiche an Bedarfs- und Vorrathsmengen, der ftir Oesterreich mit seinen, so grosse Unter- schiede aufweisenden klimatischen und Productionsverhaltnissen im Hochgebirge, slidlich und nordlich der Alpen sowie im Osten und Westen der Monarchie von besonderer Bedeutung war, wirken die Eisenbahnen an sich auch auf einen Aus- gleich in den Guterpreisen, indem an Štelle der ortlichen, grosse Unterschiede und Schwankungen aufweisenden Preise fiir eine immer wachsende Zahl von Giitern Weltmarktpreise treten, was aller- dings wieder in anderer Hinsicht Nach- theile im Gefolge hat. Die gesammte Guter-Erzeugung eines Landes erfahrt durch die Eisenbahnen in zahlreichen Fallen nach Menge, Art und Gute eine ungeheuere Steigerung, unter deren Einfluss sich auch die Grossindustrie heranbildet. Der ganze Charakter des gewerblichen Lebens wird ein anderer, ein lebendigerer und intensiverer. Gehen wir von den rein wirthschaft- lichen Folgen, von den Einwirkungen auf unsere Nahrungs-, Kleidungs- und Wohnungs-Bediirfnisse und Verhaltnisse zu jenen liber, die schon auf andere Gebiete des gesellschaftlichen Lebens iibergreifen,. so steht da in erster Linie die Erscbeinung einer geanderten Ver- theilung der Bevolkerung, der »Zug vom Lande«, Es ist dies jener Theil der inneren Wanderungen einer Bevolkerung, welcher seine Beivegung innerhalb eines Staates vom Lande nach den Stadten nimmt, und auch in Oesterreich, \venn- gleich noch in geringerem Masse als in industriell fortgeschritteneren Landern, zu beobachten ist. Haufig, \venn auch mit Unrecht, werden die Eisenbahnen als Hauptursache undErreger dieser in mehr- facher Beziehung bedenklichen Berveglich- keit bezeichnet. In Wahrheit ist dagegen die Hauptursache jener Wanderungen das Streben, bessere Lebens- und Erwerbs- bedingungen zu erreichen; wo dieses W andermotiv fehlt, werden auch die Eisenbahnen Niemand zur Ab- oder Aus- wanderung veranlassen. Auch musste sich die Bevolkerung schon mit den Standorten und der Entwicklung der Industrie unter allen Umstanden allerwarts verschieben und neu gruppiren. Fraglos bleibt es jedoch, dass die Eisenbahnen ganz wesent- lich auf Erleichterung dieser Massen- wanderung und, wenn auch nur mittelbar, sogar zur Steigerung derselben beigetragen haben. Sie beseitigen das Moment der Ent- fernung immer mehr aus der wirthschaft- lichen Calculation, und leisten dem Zuge nach Vereinigung machtigen Vorschub. Die Berveglichkeit der Massen ist ge- sellschaftlich, wirthschaftlich und politisch hochst bedeutsam. Neue Ortschaften ent- stehen, andere verfallen. Die Stžidte wachsen, hauptsachlich die Grossstadte, deren Bildung und Erhaltung ohne Eisen¬ bahnen ganz undenkbar ware, dielndustrie- und Handelsstadte. Welche Bewegung die Bevolkerung Oesterreichs [Cisleithaniensj in derZeit von 1843 bis 1890, also unter der Wirksamkeit der Eisenbahnen, durchgemacht hat, ist aus nachstehender Zusammenstellung zu entnehmen.*) *) Rauchberg: »Die Bevolkerung Oester¬ reichs«. 88 Dr. Reichsfreiherr zu Weichs-Glon. Von je iooo Einwohnern des gegen- wartigen Staatsgebietes entfielen: Die Landstadt bewahrt nur noch jene Bedeutung, die ihr eigene Production und die Function als Markt fiir ihre landlichen Kreise verleihen; sie verliert aber die Rolle,. welche sie frtiher spielte. . Ueberblicken wir den gesammten Complex der wirthschaftlichen, geistigen und socialen Factoren, welche zusammen die moderne Entwicklung ausmachen, so kann es nicht wundernehmen, wenn der Wanderzug, vornehmlich getragen von den Eisenbahnen, die selbst weit mehr eine Folge, als eine Ursache dieser Ent- wicklung sind, vom Dorfe zur Stadt, von der Kleinstadt zur Mittelstadt, von dort zur Grossstadt gerichtet ist, wenn das Anwachsen der Wohnplatze in den Gross- stadten desto rascher erfolgt, ibr Rekru- tirungsgebiet sich desto rascher erweitert, je grosser sie selbst sind, und je dichter das Netz der Eisenbahnen wird. Es er- scheint bei Erwagung dieser Factoren erklarlich, dass die Beschleunigung und die Wucht der Bewegung stetig, nicht nur im directen, sondern vielleicht sogar im potenzirten Verhžiltnisse zu ihrer Masse zunimmt, dass die Nebenwirkungen ins Ungemessene wachsen, und man verwirrt von der Grosse und Machtigkeit dieses Vorganges kaum das Ende auszudenken wagt. Und jeder neue Ring, der sich um den alten Kem einer Stadt ansetzt, jedes neue Element, das sie in sich aufnimmt, wird zum Anlasse weiterer Entwicklung. Dass diese Entwicklung ein Vortheil fiir die Menschheit ist, dass sie zur Maximisation des Wohlseins und zur Minimisation des Uebels, sowohl fiir das einzelne Individuum wie fiir die Gesammt- heit hinfiihrt, muss \vohl ernstlich be- zweifelt werden. Die nothwendige Folg:e des dichten Zusammenlebens ist die Ver- flachung des Individualismus, die Be- schrankung seiner Producte, der person- lichen Freiheit und des Eigenthums. Wir sehen dies klar am Leben in der Gross¬ stadt, in der Kleinstadt, im Dorfe. Die stadtische Bevolkerung bekommt mit ihren Interessen, ihren Anschau- ungen, Gewohnheiten und Fehlern eine ganz andere Bedeutung als friiher. Das war theilweise erst moglich, nachdem die Gesetzgebung eine andere gevvorden \var. Aber unsere ganze Gesetzgebung mit ihren urspriinglichen Zielen der Frei- ziigigkeit, der Ge\verbefreiheit und des Freihandels ist ja selbst zum grossten Theile wieder nur ein Ergebnis der ge- iinderten Verkehrsmittel. Hier haben die Eisenbahnen auch in der Hinsicht einge- gritfen, dass das Recht der Freiziigigkeit erst durch sie praktischen Werth erhielt. Dem an die Scholle gefesselt gewesenen Arbeiter ist durch die Eisenbahnen, wenigstens ideell, allerdings nicht immer in der Wirklichkeit, die Moglichkeit ge- boten, andere Statten aufzusuchen, wo er seine Arbeitskraft besser zu verwerthen hofft. Wir konnen dies an den Ziigen der italienischen, bohmischen, slovakischen und polnischen Arbeiter \vahrnehmen. So waren in Oesterreich von je iooo orts- an\vesenden Personen in ihrer Aufenthalts- Gemeinde heimatsberechtigt: 1869 787, 1880 697 und 1889 639. Die alte Ordnung der gewerblichen Verfassung ist vornehm¬ lich auch hiedurch durchbrochen worden, und der Arbeitsmarkt wurde in ahnlicher Weise wie der Giltermarkt ervveitert. Nicht unerwahnt darf jedoch hier die besondere Bedeutung bleiben, welche die Eisenbahnen noch in anderer, der Con- centration einigermassen wieder entgegen- laufender Richtung ftir die modernen Milliouenstadte besitzen. Die Bedeutunp- o fiir die grossen Bevolkerungscentren kommt den Eisenbahnen eben zu, nicht allein im Hinblicke auf die Versor- gung mit den nothwendigen Mitteln des taglichen Bedarfs, die oft aus einem viele hundert Kilometer weiten Gebiete zusammengezogen werden miissen, und mit grosser Punktlichkeit und Regel- massigkeit an Ort und Stelle zu sein haben, sondern insbesondere auch, weil die Eisenbahnen das durchaus gesunde Streben in der grossstadtischen Ent- wicklung untersttitzen und dessen Ver- wirklichung tiberhaupt erst ermoglichen, Einwirkung der Eisenbahnen auf das Volksleben. 89 die Arbeits- von der Wohnstatte zu trennen, und letztere heraus aus den engen Gassen und der verunreinigten Atmosphare, dem betaubenden Larm, der Gebundenheit und dem Gedrange in die Aussenbezirke, an die Grenzen des Land- gebietes zu verlegen. Derart konnen selbst die armen Classen der Bevolkerung nicht unwesentlich verbesserter Lebens- bedingungen theilhaftig werden. Und wie leicht wird auch sonst dem Anreiz zum Reisen, den die Eisenbahnen bieten, Folge gegeben. Man reist heute mit geringeren Kosten durch einen halben Erdtheil, wie friiher eine Strecke von wenigen Meilen. Man reist zwar in der uberwiegenden Zahl der Falle geschafts- halber, aber auch um des Vergntigens willen. Der wachsende Besuch der Bader, Sommerfrischen und Luftcurorte, die Ur- laube der Beamten aller Categorien, die friiher nur in Krankheitsfallen ertheilt wurden und jetzt fast standige Einrichtun- gen geworden sind, der von Jahr zu Jahr zunehmende Strom von Touristen, die sich im Gebirge, u. zw. in wachsendem Masse in den osterreichischen Alpen- landern Kraftigung holen, die Volks-, Lieder-, Schiitzen- u. a. Feste, die Aus- stellungen u. dgl. m., sie alle sind mittel- bar oder unmittelbar Wirkungen der Eisen¬ bahnen, oder \verden doch allein durch diese ermoglicht; sie alle sind Beweise fiir die Reiselust des modernen Menschen, fiir dessen tiefe Sehnsucht nach Loslos- barkeit vom Boden sowie Be\veise fiir die Leichtigkeit, diese Reiselust zubefriedigen. Damit sind jedoch die Wirkungen der Eisenbahnen in den angedeuteten Beziehungen keineswegs erschopft. Die Eisenbahnen, \vie die modernen Verkehrsmittel Uberhaupt, haben das Be- streben, alle vorhandenen Productions- quellen und Arbeitskrafte in Thatigkeit zu setzen, um Werthe zu erzeugen und in Umlauf zu bringen. Sie sind die Achse, um die sich der ganze Gtiteraustausch der Gesellschaft und der Circulations- process des Capitals dreht. Im Svsteme unserer Wirthschaft ringen sie nicht allein der Erde im Wege der Urproduction ge- radezu die Lebensbedingungen kiinftiger Generationen verschwenderisch ab, sie haben zweifellos auch das Streben, die | Entlohnung der Arbeit und den Werth der Urproducte moglichst herabzudrucken. Die Verschvvendung in Ailem ist unleue- bar auch ein Grundzug unseres wirth- schaftlichen und sogar unseres gesell- schaftlichen Lebens, den die Eisenbahnen hervorzurufen geholfen haben. Alles lebt in Uebertreibung der Bedurfnisse ohne wahre Befriedigung. Die Lust nach Orts- veranderung, wohl zweifellos auch eine Quelle fiir Fliichtigkeit in der Pflicht- erfullung, ist bei vielen theilweise zur krankhaften Sucht ausgeartet und greift verwirrend in das tagliche Leben der Gesellschaft ein. So haben die Eisenbahnen wohl einer- seits einen ausserordentlichen Fortschritt in den culturellen Beziehungen der Menschen geschaffen, — einen Fort¬ schritt, der fiir die civilisatorische Ent- wicklung der Menschheit nothwendig war — aber andererseits die Quellen aller IVerthe, die Urproduction und die Arbeit im Allgemeinen und vielfach doch in eine nachtheilige Stellung zu dem An- theile an den Lebensbedingungen versetzt, und dazu beigetragen, das \virthschaft- liche Leben uberhaupt auf die Schneide drohender Catastrophen zu stellen. Jedes Culturmittel ist eben immer auch andererseits zugleich ein Hemmnis der Cultur. So bereitet der Telegraph vielleicht ebensoviel Missverstandnisse und Verlegenheiten als er Vortheile gewahrt, Durch die Erfindung Gutenbergs ist die Literatur wohl verallgemeinert, aber kaurn verbessert worden. Selbst die alleraltesten Erfindungen des Pfliiges, des Schiffes, des Wagens, sind in gewisser Hinsicht hochst fragwiirdig; sie sind auch Werk- zeuge der Unterjochung, der Ausbeutung gewesen, mehr vielleicht als der Freiheit und des Gliicks. Jede neue Erfindung macht die Menschen noch abhangiger. Jede Verbesserung auf der einen Seite ver- schlechtert anderwarts etwas. Seit der Erfindung der Papierfabrikation gibt es kaum gutes Papier mehr, seit dem Auf- schwung derChemie keine haltbare Farbe, keinen Glauben an die Echtheit desWeines; Gas und Elektricitat verderben uns Lungen und Augen u. s. f. Die Factoren, die das offentliche Leben beherrschen, waren vorderZeit der Eisen- go Dr. Reichsfreiherr zu Weichs-Glon. bahnen ganzlich andere. Das Vereinsleben, die offentliche Meinung, die heute etwas ganz Neues geworden ist, standen friiber unter vollkommen anderen Lebensbedin- gungen. Wie langsam und trage flogen die Nachrichten, \vie war personlicher Austausch erschwert! Erst durch die Eisenbahnen, diesen bereitwilligen, billigen und zuverlassigen Tragern der Correspon- denz, konnte die Post zu ihrer bewunderns- werthen Organisation und ihren gross- artigen Leistungen gelangen. Erst durch die Eisenbahnen konnte die Presse ihren auf das gesammte Volksleben so mass- gebenden Einfluss ausiiben, ihre heu- tige Macht und Bedeutung gewinnen. Die Eisenbahnen haben die Presse zum Secundenzeiger der Weltgeschichte ge- macht; sie haben es auch zum guten Theile bewirkt, dass die Presse nicht die sechste, sondern vielleicht die ersteGross- macht geworden ist. Versammlungen von Berufsgenossen- schaften und Interessengemeinschaften ganzer Lander und Reiche, wissenschaft- liche, wirthschaftliche und politische Con- gresse und »Tage« u. dgl. waren fruher einfach unmoglich. Heute lasst sich die Fiille der Vereinsfreudigen und Congress- bedtirftigen kaum erschopfen. Zum grossen Theile mit der Eisenbahn hangt auch der Umschrvung in unserer ganzen Bildung und geistigen Atmosphare zusammen. Mit dem Reisen ist unleugbar eine bedeutende Bereicherung durch neue Wahrnehmungen und Begriffe, Anschau- ungen und Erfahrungen an Menschen und Dingen, eine wesentliche Erweiterung des geistigen Gesichtsfeldes, und eine Fiille von Anregung und geistiger Arbeit verbunden, selbst da, wo die Absicht gar nicht darauf gerichtet war. Die Eisenbahn ist eine »neue, grossartige Volksschule« [Knies]. Die Natunvissenschaften sind, vor- nehmlich auch durch das hiiufige Reisen, zum Lieblingsstudium der Zeit geworden. Die Geographie und Reiseliteratur haben die philosophische und historische theil- weise verdrangt. Alle Vorstellungen, \vel- che den Kopf und das Herz der Menge erftillen, haben damit eine andere Richtung genommen. Die Kenntnisse vermehrten, die Vorstellungen klarten sich. Wir sind liber die elementaren Schranken unseres Daseins, der Zeit und des Raumes, in einer Weise Herr geworden, wie kein anderes Geschlecht je zuvor. Wir erleben und sehen das Hundert- und Mehrfache von dem, was unsere Grossvater gesehen haben, die auf ihren Ferienreisen den heimatlichen Kirchthurm selten aus dem Blicke verloren, wahrend heute schon jeder Mittelschiiler in den Feri en in die Alpen oder in sonst entfernte Gegenden reist. Vorurtheile fallen, heimische Mangel machen sich durch den Vergleich mit Fremdem fiihlbar; das als besser Erkannte oder besser Geglaubte wird nachgeahmt und ubernommen. Die Engherzigkeit schwindet, der Blick wird freier. Manche phantastische Irrthiimer, aber auch gar viele Ideale sind wir mit Hilfe der Eisen¬ bahnen losgeworden. Daneben gewinnt auch der Wille. Wir handeln entschlosse- ner, wie wir intensiver leben, geniessen und arbeiten. Die Tugend der Pracision ist vielleicht am meisten gestiegen und ausgebildet worden. Die. Eisenbahnen, die wie grosse Nationaluhren rvirken, verlangen genaue Einhaltung der Zeit, und zwingen Alle, die sich ihrer bedienen, sich nach der bei ihnen geltenden strikten Ordnung zu richten. Sie erziehen hie- durch zweifellos in hervorragender Weise zu Piinktlichkeit und Schatzung des Zeit- werthes, zum raschen Entschliessen sowie zum Vorgehen und Handeln ohne alle Umstandlichkeit; Eigenschaften, die sich dann auf das Handeln im Leben iiber- haupt tibertragen. Nicht unerwahnt darf hier die Einflussnahme bleiben, welche die Eisenbahnen auf die fiir das ganze Volksleben bedeutsamen Bestrebungen hinsichtlich Einfiihrung einer einheitlichen Zeit genommen haben. Bereits eine grosse Zahl von Stadten und Orten hat die fiir Oesterreichs Eisenbahnen mass- gebende mitteleuropaische Zeit [d. i. die Zeit des Meridians 22 1 l 2 ° ostlich von Greenwich] angenommen. Mit jener fruher angedeuteten Wir- kung der Eisenbahnen steht wohl auch in Verbindung, dass man die Jugend heute mehr fiirs Geschaft und weniger wie fruher fiir das Leben und um der Bildung selbst willen erzieht. Andrerseits wird die durch die Eisenbahnen bervirkte Leichtigkeit der Ortsveranderung und die Einwirkung der Eisenbahnen auf das Volksleben. 9 1 damit geboteneMoglichkeit, Vorstellungen und Kenntnisse gewissermassen im Fluge zu erlangen und zu enveitern, leicht zur Oberflachlichkeit der Beobachtung ver- fiihren, die vielfach an Gehalt und Ernst verliert, was sie an Ausdehnung ge- winnt. Die Folgen davon sind Friih- reife unserer Jugend, Voreiligkeit des Urtheils, Viel- und Halbwissen, Mangel an Innerlichkeit und tieferem Empfinden, Nervositat und Blasirtheit. So lasst sich auch die Eisenbahn dem Leben selbst vergleichen: Je flacher f desto schneller die Fahrt. Schnell muss Alles vorvvarts gehen! »Keine Minute verlieren!« ist die Losung, und das gefltigelte Rad, das Sinnbild der Eisenbahn, ist so recht auch zum Wahr- zeichen unserer Zeit geworden. Kopf- schuttelnd wiirden unsere Grossvater, die in steifer Gravitat noch die gepuderte Perriicke, Zopf und Haarbeutel trugen, am Wege stehen bleiben, wenn sie das Bild der heutigen Welt sahen —• — Mit der Loslosung von der Scholle, der ivachsenden Be\veglichkeit, geht die Anhanglichkeit an die Heimat, und die Werthschatzung heimischer Einrichtungen verloren. Wo die Locomotive hindringt, dort schwinden alte Gebrauche und Sitten, die dem Zusammenleben in Gemeinde und Familie vielfach Halt gaben. Die Sesshaftigkeit, die seit jeher als die Muttep vieler vvichtiger wirthschaftlicher und biir- gerlicher Tugenden galt, wird geringer. Die Eisenbahnen bevvirken einen fort- schreitenden und raschen Ausgleich zwi- schen Stadt und Land; die Herrschaft der ivechselnden Mode verdrangt die alt- gewohnten eigenartigen Trachten und Hausgerathe, an denen gerade wir in Oesterreich eine so reiche und bunte Fiille besassen. Den stadtischen Brauchen, Sitten und Kleidern wird allenthalben der Weg geebnet. Aber auch die Demokratisirung der Gesellschaft wird zweifellos, u. zw. mittel- bar und unmittelbar, durch die Eisenbah¬ nen gefordert. Einerseits schon durch den Eisenbahnbetrieb selbst. Alle, ob hoch oder nieder, ob reich oder arm, miissen sich der Ordnung des Betrie- bes fiigen. Wer den festgestellten Preis zahlt, kann die betreffende Wagenclasse beniitzen, und hat Anrecht auf die gleiche Behandlung. Das hauhge Nebeneinander- treten verschiedener Stande auf der Eisen¬ bahn ist gewiss auch geeignet, die Unter- schiede derselben theihveise zu verwischen und insbesondere in den Vorstellungen der unteren Volksclassen allmahlich auf- zuheben. Diese Veranderung starkt dann den Anspruch auf Gleichberechtigung auch auf anderen Gebieten und fordert eine Beivegung, die zu den bezeichnend- sten unserer Zeit gehort. Andrerseits sind es die Eisenbahnen, auf die sich die Ent- wicklung der Grossindustrie vornehmlich stiitzt, und die dadurch mittelbar auf die Entstehung der grossen Arbeitermassen wirken, deren Heranziehung und Con- centrirunfr moadich rnachen. Die Ai'beiter kommen zum Bewusstsein ihrer Macht, die Leichtigkeit der Ortsveranderung und Nachrichtenvermittlung erleichtert auch ihre Organisation sowie die Verfolgung gemeinsamer Ziele und Interessen. Dies und die Beschleunigung des Gedanken- austausches uberhaupt begiinstigen das allenthalben zur Geltung kommende Streben nach Vergesellschaftung und fiihren zu einer gesteigerten Theilnahme des ganzenVolkes am politischen Leben, das heute schneller und kraftvoller sich ilussert. Die fortwahren.de Vermehrung der Beriihrungspunkte zwischen den ein- zelnen Individuen muss nothwendigerweise bewirken, dass der Collectivismus immer intensiver in Erscheinung tritt, immer mehr zunimmt an Geltung, Vertiefung und Ausbreitung. Gerade in dieser Hinsicht zeigt sich vielleicht am deutlichsten der hervor- ragend sociale Charakter der Eisenbahnen, die im Dienste des Strebens nach gesel 1- schaftlicher Hervorbringung, Vervielfalti- gung, Verbreitung und Beniitzung aller geistigen Verkehrsmittel stehen und zusammen mit diesen die realen Bander gesellschaftlicher Verkorperung in Raum und Zeit bilden. Dem stehen auf der anderen Seite die Macht und Gewalt gegenuber, welche durch die Eisenbahnen in die Hand der Ver\valtung des Staates und der Polizei gelegt sind. Die Krafte des Staates konnen nun in ganz anderer Weise concentrirt und von Einer Stelle aus geleitet werden. 92 Dr. Reichsfreiherr zu \Veichs-Glon. Die Eisenbahnen stellen sich daher auch als ein politisches und administratives Machtmittel ersten Kanges dar. Indem sie an sich auch auf Erhohung des Be- wusstseins nationaler und staatlicher Zu- sammengehorigkeit \virken, die einzelnen Glieder des Volkes einander nahern, bilden sie ein festes Band fiir die staat- liche Organisation. Schon zur Zeit, da die Eisenbahnen noch in der Wiege lagen, besang ein Dichter [Becker 1838] die Eisenbahnactien als »Wechsel, ausgestellt auf Deutschlands Einheit« und die Schie- nen als »Hochzeitsbander und Trauungs- ringe«. Wo diese Wirkung nicht in Er- scheinung tritt, wie gerade zeitweise in unserem Vaterlande, da wird sie eben durch starkere Gegenbewegungen ver- htillt oder uberwunden. Aber schliess- lich kann der nachhaltige Einfluss der Eisenbahnen auch in dieser Hinsicht nicht verloren gehen. Eine besondere Kraftigung erfahrt die Staatsgewalt nattirlich dort, wo der Staat den Betrieb der Eisenbahnen ftihrt, und damit ein ganzes Heer von treuen Die- nern gewinnt, die sich in Erfullung schvve- rer Pflichten vor allen anderen ausge- zeichnet und bewahrt haben. Und diese Zahl isf nicht geringe; nach der Volks- zahlung von 1890 beschaftigt der Eisen- bahnbetrieb in Oesterreich rund 100.000 und ernahrt bei 330.000 Personen. Aber auch die Regelung des Eisenbahnbetriebes durch den Staat, die Erstellung der Fahr- ordnungen und Tarife mit ihrem weit- gehenden Einflusse auf Bestehen und Entwicklung aller Wirthschaftszweige bildet eine der Voraussetzungen, um die Leitung der gesammten Volkswirthschaft in die Hande der hiezu berufenen staat- lichen Gewalt zu legen. So stellen sich die Eisenbahnen als ein wesentlicher Bestandtheil des Volks- vermogens in dessen weitestem Sinne dar, als ein wichtiges Glied jenes weitver- zweigten Apparates fiir den organisch- leiblichen Unterhalt, fiir die personliche Einzelthatigkeit und fiir die reale Ver- kniipfung aller Personen zur unendlich verzweigten Gemeinschaft geschaftlichen Zusammenwirkens und geistiger Mitthei- lung. Die Eisenbahnen sind dasvornehmste Organ jenes grossartigen Apparates des ausseren Wirkens und des inneren Verbandes fiir die Volksgemeinschaft. Und wie im einzelnen Staate, so wirken die Eisenbahnen aucli in ganzen Staatenwelten in tief einschneidender Weise. Man wird nicht fehlgehen mit der Behauptung, dass an dem Bestreben zur Bildung von Grossstaaten und Staaten- biinden die Eisenbahnen nicht unwesent- lichen Antheil haben, indem gerade durch sie jene Gleichartigkeit der wirthschaft- lichen und gesellschaftlichen Interessen weiter Gebiete erzeugt wird, welche der Bildung von Kleinstaaten entgegensteht. Jene Interessen verlangen moglichste Gleichartigkeit in Gesetzgebung und Ver- waltung und den Schutz einer starken Macht gegen innere und aussere Feinde. Aber auch in den friedlichen Beziehungen der Staaten untereinander treten deutlich die Einfliisse der Eisenbahnen zuTage, die den Verkehr von Volk zu Volk ver- mitteln, die Interessen verkniipfen, die gegenseitige Kenntnis vermehren, zum bes- seren Verstandnisse und zur gerechteren Beurtheilung der beiderseitigen Eigenarten beitragen, so als wahre Friedenstrager wirken, und als Hauptstiitzen einer Frie- denspolitik dienen, \vie solche Oesterreich unter seinem weisen Herrscher mit so grossem Erfolge und zum Segen seiner Volker, \vie der ganzen Culturwelt, verfolgt. Wenn es dagegen gilt, das Vaterland in schwerer Stunde der Gefahr zu ver- theidigen, fiir den Thron zu kampfen und die Integritat der eigenen Volks- wirthschaft zu schiitzen, da spielen die Eisenbahnen auch wieder eine erste Rolle. Auf dem Gebiete des Kriegs- wesens haben sie grossartige Wirkungen nach sich gezogen, und die Wehrhaftig- keit der Volker in ungeheuerem Masse gesteigert. Der wirthschaftliche wie der sittliche Einfluss grosser Kriege ist ins- besondere durch die Eisenbahnen ein ganz anderer geworden. Die Wichtig- keit der Eisenbahnen in dieser Hinsicht liegt nicht allein darin, dass, \vie an anderer Stelle dargethan wird, *) den unge- heueren imFelde stehenden Heeresmassen Proviant und Munition, der erforderliche *) Vgl. Bd. II., »Unsere Eisenbahnen im Kriege«. Einwirkung der Eisenbahnen auf das Volksleben. 93 Ersatz an Mannschaft, Pferden, Waffen und sonst Nothwendigem zugefiihrt wird, und die Kranken und Verwundeten in Lazarethe oder die Gefangenen in die Heimat zuriickbefordert werden. Durch ihre ausserordentliche Bedeutung ftir die Mobilmachung, als Mittel zur Durch- fiihrung von Aufmarsch und Angriff, zur Vereinigung der Macht an bedrohten Punk- ten des Kriegsschauplatzes und zu Be- wegungen hinter der Front ermoglichen sie einerseits auch eine beispielloseSchlag- fertigkeit der modernen Armeen und stellen eine strategische Waffe von ge- waltiger Kraft dar, andrerseits jedoch be- wirken sie eine wesentliche Verkiirzung der Kriege. Wenn es wahr ist, dass der culturfeindliche verwildernde Einfluss der Kriege sich hauptsachlich bei langerer Dauer derselben zeigt, so liegt in der Abktirzung der Kriege einer der grossten Fortschritte menschlicher Cultur. Und wenn frliher die Gegenden, in denen der Krieg gehaust hatte, auf Jabre hinaus verarmten, so sind es heute \vieder die Eisenbahnen, die, dem Speere des Achilles gleich, die Wunden, die sie schlagen halfen, in Kurze auch wieder heilen. Noch sei der Forderung gedacht, welche die Wissenschaften als solche durch die Eisenbahnen erfahren haben. Zunachst die Elektrotechnik, Telegraphie, und neuestens das Telephon, durch die Bestrebungen, diese in immer ausgedehn- terem Masse in den Dienst des Eisen- bahnwesens zu stellen. Zweifellos wird die Zukunft in dieser Beziehung noch grosse Aufgaben zur Losung bringen, deren Anfange wir in den bereits heute elektrisch betriebenen Bahnen sehen. Sammtliche Ingenieunvissenschaften, die Messkunst und Mechanik, die Statik und Dynamik, sind durch den Eisenbahn- bau in ktirzester Zeit in ganz ausser- ordentlicher Weise gehoben worden. Wir sehen die bisherigen Ergebnisse dieser Wissenschaften theihveise umgesetzt in den Locomotiven, Waggons, Maschinen und Werkzeugen aller Art, in den Briicken, Viaducten, Tunnels, Aquaducten, in Sicher- heits- und Signalvorrichtungen u. a. m. Die Metallurgie ist durch die Eisenbahnen, den Hauptconsumenten von Eisen, Stahl, Kupfer und Bronzen, in ein ganz neues Stadium getreten. Auch ftir Geographie und Geologie, Ethnologie und Geschichte haben die Eisenbahnen manchen grossen Gewinn gebracht. Der Rechtswissenschaft wurde durch die Eisenbahnen und deren mannigfache Beziehungen zu Staat, Ge- sellschaft und Einzelnen ein ungeheueres und ganzlich neues Feld eroffnet. Infolge der geanderten Verkehrsverhaltnisse muss- ten ganze Gruppen positiven Rechtes neu geschaffen werden. Das private, offent- liche und Volkerrecht erfuhren durch den Einfluss der Eisenbahnen weit- gehende Umgestaltung und Erganzung. Ja, es wird tiberhaupt kein Wissensz\veig zu nennen sein, der nicht an diesem Gewinne theilgenommen hat. Denn die Eisen¬ bahnen vermitteln nicht nur den so wich- tigen Austausch von Nachrichten, den personlichen Verkehr und Biicherversandt, sie ermoglichen den Besuch der Brenn- punkte des geistigen Lebens und erleich- tern die Beschaffung des wissenschaft- lichen Arbeitsmateriales. Einerseits wird das letztere aus der ganzen Welt in die Stube des Gelehrten zusammengezogen, andrerseits eilt der Forscher hinaus an die Statten des Geschehens. So haben sich auch Methoden und Hilfsmittel der Wissenschaften verandert, erweitert, ver- scharft und dementsprechend sind die staunenswerthen Ergebnisse auf allen Ge- bieten des Forschens und Wissens. Durch Vermittlung der Eisenbahnen ist die geistige Arbeit unserer Zeit viel weniger wie friiher blos eine Summe logischer Einzelthatigkeiten und isolirt betriebener Ktinste ohne Zusammenhang, sondern Eine grosse historische Gesammt- leistung geworden. Sie ist durch die Eisenbahnen Collectivarbeit geworden, ein grosses arbeitstheiliges System beson- derer praktischer und theoretischer Er- kenntnisacte auf Grund ununterbrochener Tradition und nunmehr ermoglichter Com- munication der einzelnen Vorstellungen. Der Einfluss, den die Eisenbahnen auf Kunst und Kunstschaffen genommen haben, lasst sich zwar nicht in gleicher Weise unmittelbar naclrvveisen und er- kennen; aber zweifellos hat auch hier ihr Einfluss gewirkt, indem sie einerseits zahlreichen Kiinstlern und Kunstfreunden die Moglichkeit gewahren, die Statten 94 Dr. Reichsfreiherr zu Weiohs-Glon. antiker Kunstdenkmale, die Sammlungen und Ausstellungen von Kunstschatzen alter und neuer Meister, die Theater und Auffuhrungen von Tonvverken zu be- suchen. Was friiher nur ganz besonders Auserwahlten vergonnt war, ist heute — ideell — fast Jedem zuganglich gemacht. Die Eisenbahnen wirken in diesem Sinne auf Popularisirung der Kunst; d. h. sie •wiirden an sich wohl ein Mittel bilden, um das gesammte Kunstschaffen gewisser- massen unter die Controle des ganzen Volkes zu stellen. Den Eisenbahnen einen unmittelbaren Einfluss auf die Rich- tung und Ideale der modernen Kunst zu- zuschreiben, ware vielleicht zu weitgehend. Es kann jedoch kaum geleugnet werden, dass die Eisenbahnen infolge ihrer weit- reichenden Beziehungen und tiefein- schneidenden Wirkungen auf allen Ge- bieten des socialen Lebens, der physischen Arbeit und des geistigen Schaffens nicht unwesentlich zu dem Vordringen des Materialismus auf ethischem Gebiete bei- getragen und derart auch in dieser Hin- sicht auf die Entwicklung der Kunst mit- gewirkt haben. Die Ursachen dieses Processes sind jedoch zu ver\vickelt, um den besonderen Antheil der Eisenbahnen daran bestimmen zu konnen. Wohl hangt ja auch sonst ein grosser Theil der ernsten Bedenken, die man gegen unsere Zeit und die gegenwartige Entwicklung der menschlichen Gesell- schaft und ihrer Cultur im Allgemeinen in berechtigter Weise erheben kann, mittelbar oder unmittelbar mit den Eisen¬ bahnen zusammen. Aber vielleicht, ja gewiss sind die vielfach schvveren Uebel- stande nicht nothwendig und nicht dauernd mit unseren modernen Einrichtungen ver- bunden. Vielleicht lassen sie sich durch anderweitige, entgegemvirkende Organi- sationen, durch geliiuterte Sitten und An- schauungen beseitigen; vielleicht ist ein \vesentlicher Theil dieser Uebelstande nur eine Uebergangserscheinung und mit einer bestimmten und zu iiberwindenden Entwicklungsphase verkniipft. Aber vor- derhand bestehen sie — und sie bestehen auch bei uns, das ist nicht zu leugnen. Andrerseits ist aber auch nicht zu ver- kennen, dass wir auf der Bahn des Fort- schrittes und der Culturentwicklung gerade und vornehmlich durch die Eisen¬ bahnen ganz ungeheuer rasch vorange- komrnen sind, wenn sich dieser Fortschritt auch nicht auf allen Lebensgebieten gleiclrmassig vollzogen hat, ja, dass wir in der Technik, und insbesondere in der Technik des Verkehrs viel schneller vor- warts gekommen sind, als in unseren sittlichen Anschauungen und gesellschaft- lichen Einrichtungen. Aber man muss sich auch bewusst bleiben, dass sich die grossen Fortschritte der Menschheit immer nur in heissen, oft bis zur theilweisen Ver- nichtung fiihrenden Kampfen und in Ein- seitigkeit vollziehen, und dass es nicht einem Zeitalter vergonnt sein kann, auch alle die Frtichte zu ernten, zu denen es selbst die Saat gelegt hat. Wir nennen unser Zeitalter stolz ein prometheisches. Seien wir darum auch eingedenk der Worte, welche die erhabene Gottin des Lichtes Prometheus zurief: »Gross beginnt ihr Titanen! Aber leiten zu dem ewig Wahren, ewig Schonen, ist der Gotter Werk; die lasst gewahren!« So diirfen auch wir in Zuversicht hoffen, dass eine Zeit kommen wird, in der die Eisenbahnen als das uneinge- schrankt -vvirken werden, was sie ihrem eigentlichsten Wesen und dem ihnen innewohnenden Streben nach sind: Als eine der vornehmsten Waffen und Werk- zeuge filr die Civilisation und fiir die Cultur der Menschheit! — Dabei bleibe uns jedoch stets bewusst, dass wir nicht glucklicher und nicht besser werden durch die Cultur, dass diese ja gar nicht dazu da ist, unser Leben glucklicher zu ge- stalten, unsere Moral zu verbessern, uns pflichtgemasser, tuchtiger, gesiinder zu machen. — Die Cultur ist nichts als ein grossartiges Kampfmittel des Geistes gegen die Natur und gegen Mitbewerber. Von diesem Gesichtspunkte aus miissen auch die Eisenbahnen angesehen werden. Die Stellun pr o unserer Eisenbahnen im Welthandel. Von Dr. Alexander Peez. D IE alten Griechen pfiegten das Land ihrer Heimat mit einem Platanen- blatte zu vergleichen. Das Bild ist zutreffend. Denn wie das genannte Blatt im Ganzen eine langliche Rundung be- sitzt, wie aber sein Rand mannigfach ge- brochen ist und einzelne Zacken und Spitzen weit herausragen, dazwischen Lticken und Einbuchtungen tief in den Blattkorper eindringen — ebenso stellt sich die griechische Halbinsel unseren Blicken dar. Allein wir konnen noch einen Schritt weiter trehen. Griechenland ist namlich der Form nach ein Europa im Klemen, und das Gleichnis vom Platanenblatte lasst auch auf den europaischen Welt- theil seine Anwendung zu. Nur ist dabei zu beachten, dass Griechenland seine Spitze gegen Siiden, Europa aber gegen Westen kehrt. Dann aber ist die Aehnlichkeit nicht abzuweisen. Beide Lander sind Halbinseln und zeigen eine stark ausgezackte, durch weite Buchten eingerissene Ktistenentwicklung. [Vgl. Abb. 8, 9, io.] Fasst man nun unseren W elttheil etwas genauer ins Auge, so gervahren \vir Folgendes: Auf drei Seiten vom Meere umspiilt, ist Europa eine Halbinsel, und zwar eine in die Atlantis hineinragende, im Siiden vom Mittellandischen Meere, im Norden von der Nordsee und OstseeflankirteHalb¬ insel Asiens. Im Gegensatze zur massigen Gestalt Asiens, Afrikas und theilweise I. | auch Amerikas, erscheint Europa auf- | gelockert und durch Buchten gespalten, gleichsam ein Štern von Inseln und Halbinseln. Unser Welttheil zeigt einen mittleren j Kern, der von Ost nach West an Umfang [ abnimmt, und an diesen Mittelstamm setzen sich dann rechts und links als Glieder Inseln und Halbinseln an. Den Stamm bilden das denUebergang zu Asien ausmachende Russland, dann folgen als eigentliche Mittellander Oester- | reich-Ungarn und das Deutsche Reich sowie weiter Frankreich. An diesen mittleren Leib setzen sich rechts an: Grossbritannien, Danemark, Skandinavien, links aber Spanien, Italien und die Balkanlander. Diese Gestaltung des Welttheiles musste machtigen Einfluss iiben auf die Entwicklung der Volker, auf die Zeit- folge und Dichte ihrer Cultur, auf die Entfaltung von Schifffahrt, Handel, Gewerbe und Industrie sowie auf die Stellung der einzelnen Lander im Welt- handel. Der Charakter Europa’s als eines Sternes von Halbinseln von grosser Kiistenlange, offnete dem Handel sichere, vrohlzugangliche Buchten und verviel- faltigte dadurch Anlage und Gelegenheit zur Entwicklung von Handel und Verkehr in einer Zeit, wo Jahrtausende hindurch der Seehandel fast die einzige Form des Grosshandels \var und jedenfalls in Allem und Jedem an Bedeutung den Landhandel 7 Geschichte der Eisenbahnen. II. 9 8 Dr. Alexander Peez. iibertraf, der so oft von Feinden beun- ruhigt ward, am zahen Boden haftete und nur von schwachen Menschen- oder Thier- kraften besorgt werden konnte. Demgemass Hessen sich Verkehr und Cultur am liebsten in Gegenden mit grosser Kiistenlange nieder. Also auf Inseln und Halbinseln. Das zeigt sich im Laufe der Geschichte an den Ktisten des Mittelmeeres: im alten Phonikien, in Jonien, Griechenland, Italien, der Provence; spater auch am Atlantischen Ocean: in Flandern, den Hansestadten, Holland und Grossbritannien. Mit Entstehung der E i s e n b a h n e n hat sich dieser uralte Grundsatz der Geschichte einigermassen gežindert. Erst durch die Eisenbahnen erweitert sich die Verkehrsfahigkeit, die sonst nur an See- gestaden oder schiffbaren Fliissen haf¬ tete, iiber weite Landergebiete; diese werden gleichsam mit eisernen Ebenen durchzogen, ihren Erzeugnissen wachsen Fltigel, jede Kraft gelangt zur Verwer- thung, ein Austausch wird moglich und gewinnbringend, es bilden sich Erspar- nisse, die Production steigt, die Cultur verdichtet sich, die Lander werden zu einer gewissen verkehrspolitischen Ein- heit verbunden und suchen ihre richtige Stellung im Welthandel zu erstreiten. Auch fiir die Lander mit starker Kiisten-Entwicklung haben die Eisenbah¬ nen selbstverstandlich hohe Wichtigkeit. Aber noch viel grosser ist deren Bedeu- tung fiir Binnenlander, wie Oester- reich-Ungarn. In beiden Fallen ist die Wirkung der Bahnen etwas verschieden. Zwei Bei- spiele werden es zeigen, indem wir Gross¬ britannien, welches ioo°/ 0 Kiistengrenze hat, mit Oesterreich-Ungarn vergleichen, welches nur 22°/ 0 Kiistenlange und auch diese meist in abgelegener Gegend besitzt. England, ganz Kiistenland, wird durch die Eisenbahnen zu einem einzigen, von Nerven, Blutadem und Muskeln des Ver- kehrs dicht durchzogenen Organismus gemacht und dadurch in sich noch scharfer zusammengefasst, als es dies schon durch seine Eigenschaft als Insel gewesen ist. Der Einfluss des Meeres und seiner Hafen wird durch die Bahnen noch mehr als bisher in das Innere des Landes getragen. Der ganze Eisenbahn- verkehr Englands ist Inlandsverkehr. Es gibt keine Eisenbahnanschliisse, oder, richtiger gesagt, Englands Hafen sind die Eisenbahnanschliisse, und es bilden [fiir kleine Entfernungen] Trajecte, fiir grossere Entfernungen aber Schiffe, die in alle Welt hinausgehen, die Fort- setzung seiner Eisenbahnen. Ein Durch- zugsverkehr besteht nicht, wenn man nicht etwa das Umladen von Fremdivaaren in den Hafen als solchen bezeichnen will. Dagegen ist die reich fliessende Quelle fiir das Gedeihen der englischen Eisen¬ bahnen die ungeheure englische Industrie, welche, insoweit ihre Werkstatten nicht an der See liegen, von den Bahnen colos- sale Giitermengen aufnimmt, und in ver- arbeitetem Zustande wieder abgibt. Daher ist denn auch die štete Concurrenzirung der Bahnen durch die wohlfeile See- fracht [abgesehen von Fluss und Canal] fiir die Rentabilitat der Bahnen minder gefahrlich, als in Landern von geringer Industrie, wo der Durchzugsverkehr und iiberhaupt der Verkehr auf langer Linie eine grosse Rolle spielt. Die Fiihlung mit der A.ussemvelt sucht England nicht durch seine Bahnen, sondern durch seine Schiffe. Der grosse Austausch zvvischen Landwirthschaft und Industrie, auf wel- chem alle schaffende Arbeit beruht, voll- zieht sich in England nicht mehr durch inneren Verkehr, sondern durch "VVelt- verkehr. Seine Ackerfluren liegen in den Vereinigten Staaten, .in Indien oder Argentinien, seine Walder griinen am Lorenzostrom oder am Orinoco, seine Viehhofe stehen in Australien oder am La' Plata, und die Bezahlung dieser land- wirthschaftlichen Erzeugnisse erfolgt durch Artikel der englischen Industrie oder als Verzinsung von Capitalien, welche von der Industrie geschaffen wurden. Bei diesem unermesslichen Verkehre spielen die Eisenbahnen nur die Rolle der Zubrin- ger, oder — und auch dieser Ausdruck \vare gerechtfertigt — das Inselland Eng¬ land ist der grosse, dicht mit Geleisen belegte Bahnhof, wo Schiffsztige aus aller Welt iiber See eintreffen und von wo sie, mit Erzeugnissen der englischen Indu¬ strie beladen, auslaufen. England ist Die Stellung unserer Eisenbahnen im Welthandel. 99 daher eine Welt fiir sich. Es hat das iibrige Europa kaum nothig, ja seine Interessen bewegen sich oft in einem gewissen Gegensatze zu den Interessen Europas. Ganz anders in Oesterreich-Ungarn. Die Monarchie bildet das geographische Gegenspiel zu England. Dort eine Insel, bei uns das binnenlandischeste Binnen- land. Dort umspiilt das Meer die ganze Grenze, hier nur 1 / 5 derselben. Dort rechnend, hier, mitten unter Genossen, und zvvar concurrirenden Genossen, die Stellung der Bahnen oft gebunden, ihre Tarifpolitik schwierig, die Leitungen stets gemahnt, dass sie bei aller Selbstandig- keit, doch einen Theil Europa’s durch- ziehen, und zvvar einen Theil des euro- paischen Mittelstammes, nicht aber eine seiner Inseln und Halbinseln. Die Parallele liesse sich noch vveiter durchfiihren, aber sie vviirde dann Gebiete liegt die Hauptstadt unmittel- bar an der See, hier zvvischen Hauptstadt und dem wich- tigsten Seehafen des Reiches eine grosse Entfernung. Dort eine alte, consolidirte riesen- hafte Industrie, gelehnt an Kohlenfelder und See, also an die Quellen der Kraft und des leichtesten Trans- portes; hier dagegen erst die Anfange der Industrie und vielfach, da vom Aus- lande herein verpflanzt, excentrisch an den Grenzen und durchweg weit von der See, vielfach auch vveit von den Kohlen entfernt. Dort der Uebergang vom binnenlandischen Austausch zvvi¬ schen Landvvirthschaft und Industrie zum Weltverkehr bereits vollzogen und mit allen seinen Folgen durchgedrungen, hier der Uebergang erst angedeutet und daher die Riicksichtnahme auf das bestehende, gemischte Verhaltnis nothvvendig. Dort, auf der Insel, die Bahnen frei und nur mit den Interessen des eigenen Landes beriihren, die hier ferne blei- ben miissen. Das Gesagte jedoch mag genugen, um darzuthun, dass durch die Eisenbahnen die Eigenschaft der Monarchie als eines Binnenlandes w e s e n t- lich verbessert und erst durch die Eisenbahnen die Moglichkeit einer Theilnahme der Monarchie am Welthandel in grosserem Stile geschaffen vv u r d e. II. Zu dem Gleichnisse des Flatanen- blattes zuriickkehrend, zeigt sich uns Oesterreich-Ungarn als ein Land der Mitte, den Siidosten dieser Mitte des Blattes bildend, und gleichzeitig ein Land, vvelches, liber der grossen Bucht des Adriatischen Meeres aufgebaut, zwei IOO Dr. Alexander Peez. Zacken des Blattes, namlich die Balkan- halbinsel und die Apenninische Halbinsel verbindet. Oesterreich-Ungarn ist so sehr Land der Mitte, dass seine Hauptstadt von der See entfernter ist, als die jedes anderen europaischen Landes. Diese wichtige Thatsache wird durch nachstehendes Bild deutlicher: London, St. Petersburg und Constan- tinopel besitzen den grossen Vorzug einer Lage unmittelbar an der See. Dann folgen Rom, Berlin, Pariš, zuletzt kommen Madrid und Wien, zwei Binnenstadte, die ungefahr gleichweit von dem Meere entfernt liegen. Durch die Eisenbahnen ist nun aller- dings dieser Fehler der geographischen Lage verbessert, aber darum noch lange nicht aufgehoben. Legt man die durchschnittliche Ge- schwindigkeit eines Postzuges zu Grunde, so braucht der Guterverkehr, um von der Plauptstadt zur See zu gelangen: London, St. Petersburg, Der Charakter Wiens als Binnenstadt tritt in dieser Vergleichung scbarf hervor. Der nachste Hafen, Triest, ist dreimal so \veit, als Stettin von Berlin und Havre von Pariš. Berechnet man lediglich auf Grund- lage der Entfernungen die Frachtpreise, so ergibt sich, dass die durchschnittlichen Transportkosten nach oder von dem nachsten Seehafen in folgendem Verhalt- nisse stehen: Beispielsweise bei Getreide fiir Pariš und Berlin pro Metercentner etwa 30 Kreuzer 6. W., fiir Wien je- doch 90 Kreuzer; pro Metercentner Stab- a) London b) St. Petersburg c) Constantinopel d) Rom e) Berlin f) Pariš | Madrid ^\Wien vom Meere. eisen fiir Pariš und Berlin 34 Kreuzer, fiir Wien 102; bei Manufacten fiir Pariš und Berlin 50, fiir Wien 146 Kreu¬ zer o. W. Die weite Entfernung Wiens von der See erschwert demnach den Verkehr, zumal den Ausfuhrverkehr, sehr bedeu- tend. Noch grosser sind vielleicht die moralischen und politischen Nachtheile. Es weht in Wien zu wenig Salzwasser- luft. Da, wo die See fluthet, da ist der Handel zu Hause, da weiss man dessen Werth und Bedeutung zu wiirdigen. Ein Blick in die offentlichen Blatter einer See- und Hafenstadt zeigt, welche Stellung die wirthschaftlichen Interessen in der offentlichen Meinung einnehmen. Von da dringen sie in die leitenden Kreise, und Gesetzgebung und Venvaltung lernen mit ihnen zu rechnen, sie als unentbehrliche Grundlage des Volkswohlstandes, der Staatswirthschaft und des Gedeihens des Reiches zu betrachten, woraus selbst- verstandlich auch dem Verkehre die beste Forderung erwachst. III. Wenn in dieser Hinsicht die binnen- liindische Lage der Hauptstadte Wien und Pest, sowie der ganzen Monarchie nicht giinstig zu nennen ist, so bringt a) b) c) Entfernung der europaischen Hauptstadte Die Stellung unserer Eisenbahnen im Welthandel. IOI doch aucli \vieder dieselbe Lage dem Eisenbahnverkehre manche Vortheile. Je weniger Seekiiste, je weniger schiffbare Fliisse und Canale, um so wichtiger und dankbarer die Rolle der Eisenbahnen! Ein wohlausgebildetes Eisenbahnnetz verwandelt bis zu einem gewissen Punkte das Binnenland in ein Kiistenland. Gleich- wie die Eisenbahn den Industriellen, der fur den Weltverkehr arbeitet, von der Nothwendigkeit der Anlage seiner Fabrik an der See- oder Wasserstrasse unabhangig macht, so ist es umgekehrt, die Industrie, die, wenn von den Eisenbahnen entsprechend unterstiitzt, das Binnenland von der Herrschaft der Kiistenlander frei macht. Indem sie starke und regelmassige binnenlandische Verbrauchscentren ins Leben ruft, schafft sie einen binnenlandischen Massen- verkehr, den einst nur die Kiisten, nur einige wenige begtinstigte Flussthaler kannten. Die Kohle, der Masse nach der grosste Verbrauchsartikel der Industrie, schafft die bestrentirenden Bahnen. Der Kohle folgt das Eisen. Wo Kohle und Eisen, da ist auch die Maschinen-Industrie, die chemische Industrie, die Zucker-Industrie nicht ferne. Ein Waggon fertiger Eisen - waaren, die der Bahn iibergeben werden, setzt schon io Waggons Roh- und Hilfs- stoffe voraus, die zur Erzeugung noth- wendig waren; wird dieser Waggon fertiger Eisenwaaren nicht im Inlande verbraucht, sondern exportirt, so tritt noch das Porto zur Grenze hinzu, und es bleibt dann noch Raum fiir einen zweiten Waggon zur Deckung der Lučke im inlandischen Verbrauche. Daher der Erfahrungssatz: wo die Industrie ihre Standorte ge w ah lt hat, da gedeihen die Eisenbahnen. Durch die Industrie werden die schwe- ren Rohstoffe des Binnenlandes in leicht- beschwingte Fabrikate umgestaltet, die, in weniger voluminoser Form grosseren Werth bergend, dem Exporte zustreben. Bei einem Culturstaate ist es nicht die Ausfuhr von Rohstoffen, sondern die Ausfuhr von Fabrikaten, womit der active Antheil ara Weltmarkte errungen wird. IV. Wie steht es nun mit unserem Export- verkehre in Fabrikaten? Die Antwort findet man in nachfolgender Tabelle:*) Darnach steht Grossbritannien mit 29-5 Percent aller dem Welthandel iibergebenen Fabrikaten an der Spitze, woraus sich die verhaltnismassig gute Verzinsung der eng- lischen Eisenbahnen erklart, obwohl sie keine Tonne Durchzugsverkehr haben. Dann folgen das Deutsche Reich mit 17'8, Frankreich mit 13-2 und die Ver- einigten Staaten mit 7'5 Percent. Man sieht aber auch aus dieser Zusammen- stellung, wie emsige, gut verwaltete kleinere Staaten — die Schweiz, Nieder- lande, Belgien — per Kopf hohere Werthe schaffen, als selbst die grossen Industrie- staaten. Was Oesterreich-Ungarn betrifft, so betragt sein Antheil am Gesammt- export 4’6 Percent, die Erzeugung per Kopf 6‘3 Goldgulden. Ausfuhr von Fa¬ brikaten und Rohstoffen [Getreide] halten sich in Oesterreich-Ungarn einstweilen noch das Gleichgewicht. Doch liegt die vvirthschaftliche Zukunft in der Ausfuhr der Fabrikate. *) G. Raunig, Mittheilungen des »In- dustriellen Club« vom n. October 1895. Dr. Alexander Peez. f02 V. Nachdem im Vorausgegangenen die iiberragende Bedeutung der Industrie fiir den inneren Verkehr der Eisenbahnen fest- gestellt wurde, wenden wir uns nun einem zweiten wichtigenNahrelemente derBahnen zu: dem Durchzugsverkehre. Wenn im Mandel im Allgemeinen die Ktisten und folglich die Halbinseln Eu- ropas im Vortheile sind, so treten da- gegen im Durchzugsverkehre der Eisen- bahnen die mitteleuropaischen Binnen- lander in den Vordergrund. Dies gilt zunachst fiir den Handel der europaischen Bander unter sich. Wenn das mittlere Russland Weizen nach der Schweiz schickt, bedient es sich in der Regel der osterreichischen und deutschen Bahnen. Wenn die Balkanhalbinsel Bor- stenvieh nach den Niederlanden sendet, so fiihrt der Transit durch Oesterreich- Ungarn und Deutschland. Die nach Siid- deutschland bestimmten Weine Spaniens werden zu Lande sich der franzosischen Bahnen bedienen. Kohlen und Eisenbahn- schienen Belgiens suchen auffranzosischen oder deutschen Bahnen die Schweiz und Italien auf. Italien und Skandinavien sind klimatisch genug verschieden veranlagt, um einen Austausch ihrer*Erzeugnisse zu begriinden; wenn Italien seine Siidfruchte nach Skandinavien oder Skandinavien seine geraucherten Fische nach Italien schickt, so fallen ihre Waaren als Durchzugsgut den Eisenbahnen Deutschlands und Oester- reichs zu. In vielen Fallen wird die Seelinie Concurrenz machen. Je nach Lage, Natur des Artikels, ConjuncturderFracht [dieSee- fracht unterliegt viel grosseren Schwan- kungen] wird bald die Landfracht, bald die Seefracht besser conveniren, die Land¬ fracht aber wird jedenfalls sich der mittel¬ europaischen Bahnen bedienen miissen. Auf beifolgender Karte [vgl. Karte Abb. ii.] sind die wichtigsten Handels- linien Europas verzeichnet. Wirft man einen Blick auf diese Handelsrouten, so wird man finden, dass sie sich im mittleren Europa kreuzen. Dies ist der Grund, \varum die drei Mittel- lander Europas — Russland kommt noch nicht in Betracht — warum Frankreich, Oesterreich-Ungarn und das Deutsche Reich einen betrachtlichen Durchfuhr- Verkehr haben. Wenn im Ganzen die Kiisten und insbesondere die Halbinseln Europas fiir den Handel sich als be- giinstigt erwiesen haben, so finden wir dagegen eine gewisse Schadloshaltung im Landhandel, im Durchzugsverkehre der Eisenbahnen, wo die M itte Europ a s, die wir im Friiheren als den Leib Europas bezeicbneten, entschieden in den Vorder¬ grund tritt. Hier die Ziffern : Durchfuhr durch: Frankreich [1892] 4'85 Mili. MCtr. Oesterreich-Ungarn [1895] 5 '37 * » Deutschland [1894] 24'53 » » Hier zeigt sich das Deutsche Reich mit einer Durchfuhr von liber 24 Millionen Metercentner als das eigentliche Land der Mitte, wo die meisten Verkehrsvvege sich kreuzen. Demgemass besitzt das Deutsche Reich die meisten Eisenbahn- Anschliisse [76] und ist in der Lage eine Tarifpolitik zu tiben, die durch ihre, aus Verstaatlichung entsprungene Einheit, in grossen Ziigen zu arbeiten vermag. Prtift man kurz, worin die Durchfuhren von Frankreich, Oesterreich-Ungarn und Deutschland bestehen, so zeigt sich, dass in der franzosischen Durchfuhr die Schweiz und England die Hauptrolle spie- len. Die Schweiz als Ursprungsland [Prove- nienz] liefert dem Werthe nach etwa 45 °/ 0 derEintrittswaaren zur Durchfuhr, wahrend England als Bestimmungsland mit 28°/ 0 der abgehenden Durchfuhrswaaren voran- steht. Mit andern Worten: Die Schweiz be¬ dient sich Frankreiclis als ihres Spediteurs, sie empfangt das Gros der iiberseeischen Roh- und Hilfsstoffe liber Marseille und Havre und iibergibt diesen Hafen ihre Fertigwaaren. Dies gilt, obschon seit Eroffnung der Gotthardbahn Genua mit dem Hafen von Marseille in Bezug auf Vermittlung des Schweizer Verkehrs zu wetteifern sucht. Ausser diesen Schweizer Waaren neh- men noch Belgiens Kohle und Eisen fiir Italien, nach Spanien bestimmte deutsche Fabrikate, italienische Friichte und Blu- men fiir England, ihren Weg durch Frankreich. Der Werth dieser Durch¬ fuhr von 4’85 Millionen Metercentnern Die Stellung unserer Eisenbahnen im Welthandel. 103 betragt iiber eine Milliarde Francs oder 400 Millionen Gulden Gold. Das Deutsche Reich verfrachtet auf seinen Eisenbahnen I772’9 Millionen Metercentner, worunter eine Durchfuhr von Landgrenze zu Landgrenze von 2 4‘53 Millionen Metercentner. Die Haupt- rolle spielen dabei Eisenerz, Steinkohle Diese Durchfuhrgiiter rollen in langer Linie durcli Deutschland und bilden des- halb ein werthvolles Frachtgut fiir seine Bahnen. Was Oesterreich-Ungarn be- trifft, so liefen im Jahre 1894 auf seinen Bahnen 1182 Millionen Metercentner, die Durchfuhr jedoch durch Oesterreich- y Ni6'člvruijjšforog o c 1 a s s e n, durch Militar-Personen [N. V.-BI. x. St.] sowie jene iiber die Creditirung der Bahnaus- lagen i m M 0- bilisirungsfalle [N. V.-BI. 6. St.] verlautbart. Im Monate Juli gelangte die Instruction fiir die Zerstorung der Eisenbahnen und Telegraphen durch die Pionnierziige der Cavallerie- Regimenter zur Ausgabe. Im gleichen Monate erschien eine Neubearbeitung der Vorschrift fiir den Militar-Transport auf Eisen¬ bahnen [zweite und dritte Auflage]. An wesentlichen Abanderungen gegen- iiber der Auflage vom Jahre 1870 be- merken wir darin: Fiir die Ausarbeitung der Kriegsfahr- ordnungen werden nicht mehr drei, sondern — analog wie in der Vorschrift vom Jahre 1862 — blos zwei Alternativen nor- mirt, namlich ganzliche Aufhebung oder theilweise Beschrankung des gewohnlichen Verkehres, begreiflicherweise eine we- sentliche Verein- fachung. Der Fassungs- raum der Giiter- wagen fiir Mann- schaft erscheint nicht mehr nach Bahnen specifi- cirt, sondern mit 28 bis 40 Mann pr. Wagen ange- geben, wobei fiir den beilaufigen Galcul mit 36 Mann pro Wagen zu rechnen ist. »Fiir aussergewohnliche Ver- haltnisse« wird ein neuer Functionar —• der Chefdes Feld-Eisenbahnwesens — nor- mirt, welcher anfangs als Prases der Cen- tralleitung ein Organ des Reich s-Kriegs- Abb. 24. Verladung von Fuhrwerken nach Eisenbahn- Transport-Vorschrift vom Jahre 1870. 15 ° Vom Eisenbahnbureau des k. u. k. Generalstabes. Ministeriums, spater ein Organ des Arniee- Ober- [Armee-] Commandos ist; eine in dem Streben nach einheitlicher Leitung der Eisenbahn-Angelegenheiten auf dem Kriegsschauplatze begriindete Massregel. Prases der Central-Leitung ist ein General oder Stabsofficier des General¬ stabes [Chef des Feld-Eisenbahnwesens oder dessen Stellvertreter]. Der Generalstabs-Officier bei den Linien-Commissionen wird als »Linien- Commandant« bezeichnet. In den Haupt - Kranken - Abschub- stationen werden die Etappen-Commis- sionen durch Militar-Aerzte verstarkt und fungiren dann erstere gleichzeitig als »Kranken-Transports-Commission en«. einander [vom i. Marž 1878], zur gegen- seitigen Aushilfe mitWagen, Locomotiven und Personale. [Abb. 27 stellt die in dieser Vorschrift angeordnete Verladungs- weise der Feldgeschiitze dar.] Die Occupations-Ereignisse des Jahres 1878 brachten abermals eine ausgiebige militarische Inanspruchnahme der Eisenbahnen mit sich. Am 13. Juli wurde der Berliner Ver- trag abgeschlossen, zufolge dessen Artikel XIV Oesterreich-Ungarn das Mandat er- hielt, die Provinzen Bosnien und Plerze- gowina zu besetzen und zu verwalten; die Heeresleitung hatte aber schon vor- her ihre Vorbereitungen getroffen. Abb. 25. Ambulanz-Wagen der Sanitats-Ziige des souveranen Malteser-Ritter-Ordens. Den General- und Militar-Commanden wird auch im Kriege eine Instradirungs- befugnis eingeraumt, u. zw. fiir Transporte innerhalb des eigenen, oder fiir kleinere Transporte aus dem eigenen in einen fremden Bereich. Fiir den Transport von Schwerkranken ist durch die »Sanitatsziige«, dann even- tuell noch durch »Krankenziige« vorge- sehen, letztere mit der bisherigen Ein- richtung [Tragbetten zum Steli en]. Unter den Beilagen befindet sich das Uebereinkommen mit den Bahnen vom 15. Mai 1872, betreff der Einrichtung der Kastenwagen fiir den Mannschafts- und Pferde-Transport, ferner ein neues Uebereinkommen der Bahnen mit dem Reichs - Kriegs - Ministerium und unter- Derselben war es klar, dass operirende Armeekorper jenseits der Save vorwiegend auf den Nachschub aus dem Innern an- e r ewiesen sein wtirden, deshalb wurde auch der Ausgestaltung der Communi- cationen ein Hauptaugenmerk zugewendet. Die seit Jahren militarischerseits ange- strebte Fiihrung von Bahnverbindungen zu den Save-Uebergangspunkten Alt- Gradisca, Brod und Šamac wurde erneuert angeregt. Der energischen Einwirkung des Reichs-Kriegs-Ministeriums gelangeszvvar die Inangriffnahme des Baues der Eisen- bahnlinie von Dalja iiber Vukovar nach Brod mit einem Zweige [Schotterbahn] von Vrpolje nach Samac, unter Mitwir- kung militarischer Krafte zu erzielen, doch erfolgte dieselbe erstEnde August, wahrend Unsere Eisenbahnen im Kriege. 151 Essegg, jenes der 7. Infanterie-Truppen- Division [17.700 Mann, 3180 Pferde] vom 10. bis 14. Juli aus dem Kiistenlande und Krain auf der Linie Triest-Laibach- Steinbriick-Agram nach Sissek, endlich der grosste Theil der Reserven und An- stalten des 13. Corps vom 10. bis 18. Juli auf beiden genannten Linien. Die Er- ganzungen fiir die 20. Infanterie-Truppen- Division waren scbon zwischen dem 28. Juni und dem 3. Juli per Bahn nach Vukovar und Essegg, jene fiir die 18. In- fanterie-Truppen-Division in derselben Zeit nach Triest abgegangen. Bei der 6. und 7. Infanterie-Truppen Division konnte der Eisenbahn-Trans- der Uebergang der k. k. Truppen iiber die Save schon am 29. Juli stattgefunden hatte. Behufs einheitlicher Durchfiihrung des Eisenbahn- und Dampfschifftransportes nach dem Aufmarschraume an der Save und in Dalmatien wurde in Wien die »Central-Leitung« unter Oberst Hilleprand des Generalstabs-Corps aufgestellt. Fiir Essegg, Sissek, Barcs und Steinbriick vvaren Eisenbahn-Etappen-Commissionen activirt worden. Die Massentransporte, welche sich stets ohne Storung des gewohnlichen Verkehres abspielten, theilen sich — ge- mass der successiven Aufstellungen — in drei Perioden: Abb. 26. Zugs-Commandanten- und Aerzte-Wagen der Sanitats-Ziige des souveranen Malteser-Ritter-Ordens. Erste Periode. In der Zeit bis 5 - Juli wurden, um fiir alle Eventualitaten bereit zu sein, das 13. Corps mit der 6., 7. und 20., dann die 18. Infanterie-Truppen-Division — letztere speciell fiir die Herzegowina — mobilisirt, von welchen das Gros der 20. Infanterie-Truppen-Division in Croa- tien-Slavonien, jenes der 18. Infanterie- Truppen-Division in Dalmatien bereits dislocirt waren. Der Eisenbahn-Transport begann am 10. Juli. Befordert wurden: das Gros der 6. Infanterie-Truppen-Division [16.600 Mann, 2050 Pferde] vom 13. bis 18. Juli aus Steiermark und Kamthen auf der Linie Graz-Pragerhof-Gross-Kanizsa nach port schon am 4. Mobilisirungstage be- ginnen. Zweite Periode. Als sich bald nach dem Einmarsche gezeigt hatte, \velcher Widerstand zu be- waltigen war, sah man sich genothigt, die Occupations - Truppen bedeutend zu verstarken; es wurden daher in der Zeit vom 5. bis 19. August die an der Grenze stehende 36. und I., dann die 4. Infanterie- Truppen-Division, endlich die 20. Infan- terie-Brigade, letztere fiir die Herzegowina, mobilisirt, weiters die 25. Infanterie- Brigade zum Ersatz fiir die zum Ein¬ marsche bestimmte 36. und 1. Truppen- Division an die Grenze verlegt. Von den genannten Heereskorpern wurden per Bahn 152 Vom Eisenbahnbureau des k. u. k. Generalstabes. befordert: die 4. Infanterie-Truppen- I Division aus Mahren nach Essegg und j Vukovar vom 22. bis 30. August [8. bis 16. Mob.-Tag], dann die 25. Infanterie- Brigade aus Ungarn an die Save. Dritte Periode. Der Verlauf der Occupation in den ersten Wochen August liess die Noth- wendigkeit einer imposanten Machtentfal- tung erkennen; daher wurden auf Aller- hochstes Befehlsscbreiben vom 19. August die Commanden des 3., 4. und 5. Ar- mee-Corps, die 13., 14., 31. und 33. In- fanterie-Truppen-Division und die 14. Ca- vallerie-Brigade mobilisirt und das II. Ar- mee-Commando aufgestellt. Als erster Mobilisirungstag war der 21. August angegeben. Der Massentransport fand wie folgt statt: 13. und 31. Infanterie-Truppen-Di- vision aus Budapest und West-Ungarn auf den Linien der Staatsbahn - Gesellschaft, dann der Alfold-Fiumaner Balin, endlich mittels der Schiffe der Donau-Dampf- schifffabrts-Gesellschaft vom 28. August bis 4. September [8. bis 15. Mob.-Tag], nach Essegg und Vukovar; 14. Infanterie - Truppen - Division vom 28. August bis 7. September [8. bis 18. Mob.-Tag] aus Oedenburg [28. Inft.- Brig.] iiber Zakany, Agram, Karlstadt nach Touin und aus Pressburg nach Sissek; 33. Infanterie-Truppen-Division vom 29. August bis 4. September [9. bis 15. Mob.-Tag] aus Komorn, Gran und Raab mittels Bahn und Dampfschiff nach Essegg und Vukovar. Die dem Armee- und dem Armee- General-Commando unterstehenden Kor- per wurden in der ersten Decade des September theils mit Bahn, theils zu Wasser befordert. Das Transports-Quan- tum betrug demnach vvahrend dieser Pe¬ riode rund 68.500 Mann und 10.700 Pferde. Beim II. Armee-Commando wurde die Feld - Eisenbahn - Transportsleitung aufgestellt und Oberstlieutenant Anton Ritter von Pitreich des Generalstabs- Corps zumVorstande derselben bestimmt. Grossere T ransp ortsb ewegungen ! ergaben sich bei der Reduction der Truppen im Occupations-Gebiete: die 4., 14., 31., 33., dann die 20. Infanterie- Truppen-Division mit Ausschluss der 39. Infanterie-Brigade, die 14. Cavallerie- Brigade, endlich einzelne Korper und die meisten Erganzungen vvurden von Mitte October bis Mitte November in das Innere der Monarchie ruckdirigirt. Bei der Occupation spielten Babn- herstellungen eine hervorragende Rolle. Der Bau einer s c hm als p uri gen Schleppbahn von Brod tiber Dervent, D oboj und Maglai nach Zenica wurde einer Privat-Unterneh- mung iibertragen und Mitte September in Angriff genommen. Ungtinstige Ver- haltnisse verzogerten den Bau und machten die Mitvvirkung von Militarkraften erfor- derlich. Die Eroffnung konnte nicht — wie praliminirt — 3 Monate nach Beginn, sondern erst Anfangs Juni 1879 statt- finden. Mit der Herstellung einer Strassen- und Eisenbahn brucke tiber die Save bei Brod wurde An¬ fangs October 1878 begonnen; im No¬ vember und December trat wegen Hoch- wasser eine vollstandige Einstellung der Arbeiten ein. Im Juli 1879 wurde die Brucke zugleich mit der im September 1878 begonnenen, 3 km langen, normal- spurigen Broder Verbindungsbahn, dem Verkehre tibergeben. Der Bau der Bahnstrecke Dalja- Brod wurde mit aller Anstrengung be- trieben, machte aber ebenfalls nur lang- same Fortschritte, und wurde erst An¬ fangs Marž 1879 vollendet. Bei diesem Bahnbau waren die Feld - Eisenbahn - Abtheilungen Nr. 1, 2, 3, 6 und n ver- wendet. Die 102 km lange, normalspurige, seit 1875 aufgelassene Bahn Ban javka¬ li oberi in, welche bei der Occupation im deroutesten Zustande vorgefunden worden war, wurde unter militarischer Bauleitung durch neun Feld-Eisenbahn- Abtheilungen [Nr. 4, 5, 7, 8, 9, 10, 12, 13 und 15] im September 1878 in An¬ griff genommen. Die Strecke bis Prjedor wurde — ausschliesslich durch militari- sche Krafte —- schon bis 1. December des Occupationsjahres, die restliche Strecke Unsere Eisenbahnen im Kriege. 153 bis 6. Marž 1879 in Stand gesetzt und der Betrieb durch die Feld-Eisenbahn- Abtheilungen aufgenommen. Die Eroff- nung der Anschlussstrecke Doberlin- Sissek fand erst am 10. April 1882 statt. Fiir den Transport der Kranken und Verwundeten in das Innere der Monarchie waren die Eisenbahn-Sanitats- ziige Nr. 1 und 2 vom 27. Juli bis 2. De¬ cember, jene Nr. 3 und 4 vom 16. Sep¬ tember bis 10. Februar activirt; des- gleichen richtete der souverane Malteser- Ritter-Orden im Laufe des Monats Juli Die beschrankte Action zur Be- kampfung des Aufstandes im Siiden der Monarchie 1881/82 hatte keine besonders erwahnenswerthe Beniitzung der Eisen- bahnen fiir militarische Z\vecke im Gefolge. Im Jahre 1883 [Allerhochste Ent- schliessung vom 8. Juli] wurde das Eisenbahn - und Telegraphen-Re- giment — im Frieden mit 2 Bataillonen zu 4 Gompagnien — errichtet. Im gleichen Jahre [N. V.-BI. 61. Stiick] wurdenfiir die Creditirung der Balin- Abb. 27. Verladung der Feld-Geschiitze nach Eisenbahn-Transport-Vorschrift vom Jahre 1878. z\vei Eisenbahn-Sanitatsziige [A und B] fiir je ioo Kranke ein, welche bis Ende October in Verrvendungblieben. — Erstere standen im Durchschnitte 138 Tage in Verwendung und beforderten zusammen auf 65 Fahrten 1776 Vervvundete und 4621 Kranke; die letzteren wahrend 90 Tagen auf 33 Fahrten 1199 Ver- wundete und 2059 Kranke. Mit den, den Sanitats-, beziehungsweise Malteser- Ziigen angeschlossenen Personenwagen \vurden weiters 1084, beziehungsweise 590, mit Krankenziigen 8876 Kranke und Verwundete transportirt. — Im Jahre 1880 erschien die zweite Auflage des »Normale fiir Eisenbahn - Sanitatsziige«. auslagen im Mobilisirungsfalle neue, einheitliche Bestimmungen an Stelle derjenigen vom Jahre 1878 verlautbart. Die letzte Ausgabe dieser Bestimmungen erfolgte im Jahre 1891. [N. V.-BI. 27. Stiick.] Im Jahre 1886 wurde eine Vor- schrift fiir die zu Eisenbahnp ro- jects-Commissionen als V ertreter des Reichs-Kriegs-Ministeriums bestimm- ten Ofliciere, an Stelle der analogen 1879 im Verordnungswege erlassenen Instruc- tion, ausgegeben. Im Jahre 1887 gelangten neue orga- nische Bestimmungen fiir das Eisen¬ bahn- und Telegraphen-Regi¬ ment zur Ausgabe, welche 1892 durch neuere Bestimmungen ersetzt wurden. 154 Vom Eisenbahnbureau des k. u. k. Generalstabes. In Jedermanns Erinnerung steht die hohe politische Spannung, welche im Winter 1887/88 die Eventualitat eines Krieges mit unserem machtigen nor- dischen Nachbar nahe riickte. Dieses Ereignis traf den Staat auch auf dem Gebiete der Eisenbahnen nicht unvorbe- reitet. In fiirsorglicher Voraussicht hatte die Heeresverwaltung die Verbesserung auch unserer Verbindungen nach und in Galizien in’s Auge gefasst, und ihre Bemiihungen waren nicht ohne Erfolg geblieben. Es waren vollendet worden: Diese Thatigkeit wurde nach dem Jahre 1888 fortgesetzt, und so gelangten wahrend der darauf folgenden Periode in gleicher Beriicksichtigung der volkswirth- schaftlichen wie der militarischen Bedtirf- nisse zur Vollendung: 1889 das zweite Geleise in der Strecke Oderberg-Oswi§cim, 1890 die Linie Jasto-Rzesz6w, 1891 das zweite Geleise auf der Linie Krakau-Lemberg, 1 893 jenes in der Strecke Gran-Waitzen, Abb. 28. Militar-Zug. [Original-Aufnahme von A. Huber.] 1874 die Linie Miskolcz-Przemyšl, 1876 jene Kaschau-Eperies-Tarnow, 1884 die Linien Oswi§cim-Podg6rze-Kra- kau und Pressburg-Sillein-Krakau, dann die galizische Transversalbahn, 1885 das zweite Geleise der Linie Wien- Pressburg-Budapest [mit Ausnahme der Strecke Gran-Waitzen], 1887 die Linie Munkacs-Stryj und das zweite Geleise in der Strecke Neu- Sandec-Strdze, 1888 die Stadtebahn Hullein - Teschen- Kalwarya, sowie das zweite Geleise auf der Linie Budapest-Miskolcz- Przemyšl und auf jener Oswiecim- Podg6rze-Plaszow. 1895 die Karpathenbahn Mannaros-Szi- get-Stanislau, endlich 1896 das zweite Geleise in der Strecke Lemberg-Zloczow. Auch manche andere Vorsorge sehen wir in dieser Zeit reifen: Mit 1. April 1889 wurden die »Eisen- bahnlinien-Commandanten« auch fiir den Frieden normirt und zu diesem Zwecke dem 1, bis 14. Corps-Commando Officiere dauernd zugewieseni — Der 1. Januar i8go brachte die Auf- stellung eines 3-Bataillons des Eisenbahn- und Telegraphen-Regimentes. Unsere Eisenbahnen im Kriege. 155 1892 gelangte die 4. Auflage der Vorschrift fiir de n Milit ar-Tran s- port auf Eisenbahnen zur Ausgabe, welche folgende wesentliche Verschieden- heiten gegen die Auflage vom Jahre 1878 [2. und 3. Auflage] zeigt: Die Unterschiede zwischen der Bahn- beniitzung im Frieden und im Kriege Unter den im Kriegsfalle aufzustellen- den Militar-Eisenbahn-Behorden finden wir statt der Linien-, beziehungsweise Etappen-Commissionen, die Eisenbahn- linien-, beziehungsweise Bahnhof-Com- manden, ubrigens ohne wesentliche Aenderung in der Zusammensetzung und im Wirkungskreise. Abb. 29. Einwaggonirung von Festungs-Geschiitz. [Original-Aufnahme von J. Pabst.] werden — unter Vermeidung der friiheren Umschreibung: »bei aussergewohnlichen Verhaltnissen« — direct ausgesprochen. Die Einflussnahme der Militarbehbr- den auf die Eisenbahnen im Frieden wird als in der Durchftihrung von Militar- Transporten und in der Vorbereitung der Ausniitzung im Kriege bestehend, pracisirt. Die Verpflichtung der Bahnen zur gegen- seitigen Aushilfsleistung behufs Durch¬ ftihrung von Militar-Transporten wird auch fiir den Frieden ausgesprochen. Die Fahrgeschwindigkeit der Militar- ziige erscheint von »19 bis 23« auf »20 bis 30 km«, in der Stunde — einschliess- lich der kleinen, bis 5 Minuten wahren- den Aufenthalte erhoht. Die Kriegs-Fahrordnungen sind nur fiir einen Fali, namlich fiir jenen der ganz- lichen Aufhebung des Civilverkehres, auszuarbeiten und in reservirtester Weise zu behandeln. Bei denselben verkehren die Ztige in gleich schneller Fahrt, u. zw. einzelne davon regelmassig als »Post- 156 Vom Eisenbahnbureau des k. u. k. Generalstabes. und Transenen-«, die anderen nach Be- darf als »Militarziige«. Ein Theil der Ziige wird als »Facultativziige« fiir un- vorhergesehene Bedarfsfalle und Regie- zwecke reservirt. Die auf militarische Ausniitzung der Bahnen bezughabenden Angelegenheiten sind geheim zu halten. Die neue Einrichtung der Wagen fiir den Mannschaftstransport erscheint durch die Anbringung von Thtirvorlegern, so- wie von Gewehrrechen und Gepacks- leisten verbessert. vereinfacht; an Stelle der friiher aus Friihstiick-, Mittag- und Abendessen be- stehenden und fiir die kalte und warme Jahreszeit verschieden bemessenen Ver- kostigung tritt die Eisenbahn-Mittagskost mit einer — binnen 24 Stunden minde- stens einmaligen — »Zubusse«, bestehend aus sch\varzem Kaffee u. dgl., wahrend aus dem Relutum fiir dasFriihstuck und Abend¬ essen kalte Esswaaren einziilcaufen sind. Fiir die Schulung im Ein- und Aus- waggoniren werden eigene Uebungen vorgeschrieben. [Vgl. Abb. 28 bis 31.]. Abb. 30. Einwaggonirte Militar-Pferde. [Original-Aufnahme von J. Pabst.] Zur Auswaggonirung von Pferden, Geschiitzen und Fuhrwerken auf offener Strecke sind den Militar-Ziigen nach Bedarf transportable Rampen mitzu- geben. Der Beniitzung der Eisenbahnen fiir Etappenzwecke im Kriege wird ein eige- nes Capitel gewidmet. Als neue Instradirungs-Behorde im Frieden erscheint das Reichs-Kriegs- Ministerium, u. zw. fiir grossere Trans¬ porte, welche drei oder mehr Territorial- bezirke zu bertihren haben. Das Formular fiir Marschplane ist abgeandert und durch eine graphische Skizze vervollstandigt. Die Bestimmungen ftir die Kriegsver- pflegung in natura erscheinen wesentlich Fiir den Transport von Kriegsgefan- genen sind specielle Bestimmungen auf- genommen. Fiir die baulichen Anlagen der Eisen- bahn-Verkostigungs- und Trankanstalten und fiir den Betrieb der Verkostigungsan- stalten wurden hingegen die nothigen » An- leitungen« im folgenden Jahre ausgegeben. Eine besondere Thatigkeit auf militarischem Gebiete sehen wir die Bahnen in letzter Zeit anlasslich der grossen Herbst-Manover ent- wickeln, um die auf dem Manoverplatze vereinten Truppen thunlichst rasch in ihre Garnisonsorte zuriickzubefordern. So wurden beispielsweise nach den Manovern im Waldviertel 1891 bei Einhaltung des Unsere Eisenbahnen im Kriege, 157 ungemein lebhaften Civil - Personenver- kehres 58.880 Mann, 1112 Pferde und 200 Fuhrwerke binnen 36 Stunden aus den Stationen Gopfritz, Schwarzenau, Vitis und Purbach-Schrems der eingeleisigen Staatsbahnlinien [Wien]-Absdorf-Gmiind und der Station Sigmundsherberg der eben- falls eingeleisigen Localbahn Sigmunds- herberg-Horn-Hadersdorf abtransportirt. Nach den grossen Armee-Manovern bei Giins gelangten, bei Einhaltung des vollen Personen- und nur theilvveiser Einschrankung des Frachtenverkehres, zum Abtransporte: a) 817 Officiere, 23.676 Mann, 1298 Pferde und 45 Fuhrwerke binnen 21 terhaza und Kapuvar der Raab-Oeden- burg-Ebenfurther Eisenbahn in der Rich¬ tung gegen Pressburg. Im Ganzen 3740 Officiere, 89.521 Mann, 5451 Pferde, 548 Fuhrwerke aus 13 Stationen von durchaus eingeleisigen Linien in durchschnittlich 30 Stunden. Audi diese Friedens-Transporte sind Leistungen, welche angesichts der bei denselben zu beobachtenden, im Kriege ganz entfallenden Riicksichten, gewiss volle Beachtung verdienen. Ueberblickt man — am Schlusse dieser Blatter angelangt — die Entwick- Abb. 31. Eimvaggonirung- von Infanterie. [Original-Aufnahme von J. Pabst.] Stunden aus den Stationen Resdmitz, Kis-Uniom, Vep und Porp&c der k. ung. Staatseisenbahnen in der Richtung gegen Graz und Stuhlweissenburg; b) 954 Officiere, 21.779 Mann, 893 Pferde und 119 Fuhrvverke innerhalb 26 Stunden aus den Stationen Oedenburg, Zinkendorf und Schtitzen der Sudbahn in der Richtung gegen Wien; c) 1166 Officiere, 23.600 Mann, 1829 Pferde und 240 Fuhrvverke binnen 37 Stunden aus den Stationen Buck, Acsad und Steinamanger der Sildbahn in der Richtung gegen Agram, endlich d) 803 Officiere, 20.466 Mann, 1431 Pferde und 144 Fuhrvverke innerhalb 27 Stunden aus den Stationen Pinnye, Esz- lung unseres Militar-Eisenbahmvesens, so kann man in derselben drei deutlich aus- gesprochene Phasen constatiren. Die Periode bis gegen das Ende der Fiinf- zigerjahre kann als jene der theoretischen Speculationen bezeichnet vverden. In der zvveiten Periode, vvelche bis zum Jahre 1866 reicht, entvvickeln die massgebenden Factoren — durch die Erfahrungen des Jahres 1859 veranlasst —• eine intensive und fruchtbringende organisatorische Tha- tigkeit, um das vorhandene Bahnnetz Kriegszvvecken dienstbar zu machen. Die Erfolge dieser Bemiihungen treten in der geordneten Durchfuhrung der Massen- transporte im Jahre 1866 zu Tage. Spdter, und besonders nach Beginn der Vom Eisenbahnbureau des k. u. k. Generalstabes. 158 Siebzigerjahre, sehen wir die grosse Be- deutung der Eisenbahnen fiir die mili- tarische Machtstellung des Staates zum vollen Bewusstsein aller Kreise gelangen, und findet dies darin seinen Ausdruck, dass nicht nur die Vorsorgen fiir die Ausniitzung der Schienenwege erweitert und vertieft werden, sondern auch die Erganzung des Bahnnetzes im strategi- schen Sinne ernstlich in Angriff ge- nommen wird, wodurch die dritte Periode charakterisirt erscheint. Je weiter nun in der Neuzeit die Ver- vollkommnung des Militar - Eisenbahn- wesens schreitet, desto mehr festigt sich die Erkenntnis, dass die Eisenbahnen ein strategisches Mittel erste:r Ordnung bilden, welches im Kriege berufen ist, eine aus- schlaggebende Rolle zu spielen. Dieses Bewusstsein hat traditionell unsere Eisen- bahnkreisedurchdrungenund zuraussersten Anspannung aller Krafte angespornt, wenn es galt, an der Vertbeidigung des geliebten Vaterlandes mitzuwirken. Moge das gleiche stolze Gefiihl auch in Hin- kunft das Heer der Eisenbahnmanner erfullen und zur treuesten aufopfernden Hingabe an seine militarischen Aufgaben des Friedens und des Krieges im Dienste unseres erhabenen Monarchen begeistern. Unsere Eisenbahnen im Kriege. 159 Abb. 32. Feldbahnbau. Zweck, Griindung und VVirksamkeit des k. u. k. Eisenbahn- und Telegraphen-Regimentes. Die ungeahnt rasche Entwicklung der Eisenbahnen in allen civilisirten Landern derWelt musste auch einen entscheidenden Einfluss auf die Kriegfuhrung ausuben. Das Jahrhundert ist noch nieht zur Neige, seit die Heere Napoleon I. Monate lang unter Strapazen und Miihen aller Art marschiren mussten, bevor sie mit dem Feinde in Fiihlung traten, und heute eilen zehnfache Mengen von Streitkraften auf dem Schienenwege dem fernen Ziele in wenigen Tagen entgegen. Wie ganz anders musste sich hiedurch der Opera- tionsplan gestalten, wie wesentlich. wird er durch das Bahnnetz des eigenen Landes beeinflusst; liegt doch in der vollkommensten Ausniitzung dieses wich- tigsten Verkehrsmittels das erste Moment fiir ein gltickliches Gelingen der eigenen Unternehmung. Mit dem Bervusstsein des eminenten Einflusses der Bahnen auf die moderne Kriegfuhrung musste sich von selbst das Bediirfnis herausstellen, eigene Truppen zu besitzen, welche sowohl entsprechend geschult, als auch gertistet seien, um eines- theils dem Feinde das wichtige Hilfs- mittel der Bahnen so nachhaltig als moglich zu zerstoren, anderntheils vom Feinde zerstorte Linien so rasch als moglich wieder in Stand zu setzen, wenn nothig auch Verbindungslinien ehestens zu erbauen, sovvie den Verkehr auf derlei feldmassigen Bahnen einzuleiten und zu ftihren. Wenngleich im engeren Sinne nur eine Hilfstruppe, so ist dieselbe doch ein wesentlicher Factor fiir das Gelingen der Operationen eines modernen Heeres. Denn, fallt die moglichst rasche Concen- trirung eines Millionenheeres den bereits j bestehenden Bahnen zu, so obliegt dieser Hilfstruppe die nicht minder \vichtige Aufgabe, die štete Verbindung der sieg- reich vordringenden Armee mit dem Bahnnetze der Heimat, und den Nach- ) schub ali’ der Tausende von Giitern, | welche die Armee zu ihrem taglichen Bedarfe nothig hat, durch VViederher- stellung und Inbetriebsetzung zerstorter Linien, Herstellung einzelner Vollbahn- strecken, Bau fltichtiger Feldbahnen etc. zu besorgen. Dass heutzutage die Aufgabe der Eisenbahn-Truppen keine leichte ist, und ein unausgesetztes Studium und Ueben seitens aller Organe derselben erheischt, \vill selbe den stetig rvachsenden An- forderungen entsprechen, wird insbeson- ders dem Fachmanne klar sein, wenn er i6o Vom Eisenbahnbureau des k. u. k. Generalstabes. in Betracht zieht, dass nur aus dem voll- kommenen Beherrschen des ganzen Eisen- bahnwesens und vornehmlich der auf den Bau bezughabenden Erfabrungen die Moglichkeit eines raschen und sicheren Bahnbaues gewonnen werden kann. Zum Probiren und Studiren lasst eben die heutige Kriegfiihrung keine Zeit mehr. Wie aber das gesammte Eisenbahn- wesen erst in neuerer Zeit mit Riesen- schritten der heutigen Vollendung ent- gegeneilte, so \varen auch in allen europaischen Staaten die fur den Eisen- bahnbau eigens geschulten militarischen Krafte bis in die letzten Decennien ganzlich unzulangliche. Erst die Erfabrungen der letzten Kriege haben auch in dieser Richtung Klarheit geschaffen und die unbedingte Nothwendigkeit moglichst starker und geschulter Eisenbahntruppen dargethan. In Oesterreich-Ungarn waren es vor- erstnur die bereits bestandenen technischen Truppen, welche angewiesen wurden, einzelne Abtbeilungen mit dem Wesen des Eisenbahnbaues und Dienstes vertraut zu machen. Diese Anfange datiren vom Jahre 1868; doch erst die Einfuhrung der allgemeinen Wehrpflicht in Oesterreich im Jahre 1869 machte die Aufstellung eigener Abtheilungen fur den Bahnbau — der Feld-Eisenbahn-Abtheilungen — mdglich, deren factische Creirung im Jahre 1870 durchgefuhrt wurde. Diese Feld-Eisenbahn-Abtheilungen, welche aus einem Militar-Detachement und einem, bereits im Frieden nominativ bestimmten und sichergestellten Civil- Detachement bestanden, waren vorerst nur fiir den Kriegsfall designirt, wahrend im Frieden nur einzelne technische Officiere, welche fiir Posten bei diesen Abtheilungen ausersehen waren, durch Commandirungen bei Bahnbauten, beim executiven Bahndienst etc. eine geeignete Specialbildung erhalten sollten. Im Jahre 1873 wurden die Militar- Detachements der Feldeisenbahn - Ab¬ theilungen Nr. I, II, III, IV und V that- sachlich aufgestellt, und es kamendieselben vielseitig auch bei Friedens-Bahnbauten in Verwendung, so z. B. beim Baue der Bahnstrecken Braunau-Strasswalchen, der Salzburg-Tirolerbahn, der Linie Chotzen- Braunau, der Istrianerbahn, der Linie Temesvar-Orsova, der Budapester Ver- bindungsbahn, der Salzkammergutbahn u. s. w. Gelegentlich der theilweisen Mobili- sirung anlasslich der Occupation von Bosnien im Jahre 1878 wurden die Militar- Detachements sammtlicher 15 systemisir- ten Feld-Eisenbahn-Abtheilungen mit Ausnahme jener Nr. XIV nach und nach aufgestellt. Die ressourcenarmen Lander Bosnien und Herzegowina mit ihrem ganzlichen Mangel an Bahnverbindungen mit dem Hinterlande, mit ihren schlech- ten, oft unpassirbaren Strassen und Wegen erforderten die angestrengteste Thatig- keit aller in Verwendung gestandenen technischen Krafte, wobei die Feld- Eisenbahn-Abtheilungen infolge der eigen- thiimlichen Verhaltnisse auch in sonstigen Zweigen des technischen Dienstes vielfach verwendet wurden. An eigentlichen Eisenbahnarbeiten fiihrten dieselben aus: 1. die Linie Dalja - Brod,^ welche inclusive des Fliigels Vrpolje - Šamac in einer Lange von ca. 110 km von den Feld-Eisenbahn-Abtheilungen Nr. I, II, III, VI und XI im Vereine mit einer Civil- unternehmung ausgefiihrt wurde; 2. die Wiederherstellung der circa 100 km langen, normalspurigen Bahn von Banjaluka bis Doberlin, welche seinerzeit unter der turkischen Regierung von dem bekannten Bauunternehmer Baron Hirsch gebaut worden war und zu Beginn der Occupation ganzlich verlassen und ver- wahrlost, theilweise zerstort vorgefunden wurde, so zwar, dass diese Bahn beinahe neu hergestellt werden musste. Diese schwierige Arbeit fiel den Feld-Eisenbahn- Abtheilungen Nr. IV, V, VII, VIII, IX, X, XII, XIII und XV zu. Nachdem es mit dem Aufgebote aller Krafte gelungen \var, in kiirzester Zeit Strecke und Fahrbetriebs- mittel wieder in brauchbaren Zustand zu setzen, iibernahmen die genannten Feld-Eisenbahn-Abtheilungen auch deren Betrieb. In diese Zeit der Thatigkeit der Feld- O Eisenbahn-Abtheilungen fallt auch der Bau der Schmalspurbahn von Brod nach Zenica [Bosnabahn], \velche vom Reichs- Unsere Eisenbahnen im Kriege 161 Kriegs-Ministerium der Bauunternehmung Hiigel und Sager unter Leitung und Be- aufsichtigung einer Militar - Bauleitung ubertragen wurde und welche bis zu dem Momente ihrer Abtretung an die bosnisch- herzegowinische Landesregierung im Jahre 1895 unter der Leitung des Reichs- Kriegs-Ministeriums stand und sich in dieser Zeit von einer, ursprtinglich nur dem Nachschube dienenden Schleppbahn Regiment zu 2 Bataillonen a 4 Com- pagnien errichtet werden solite. Nach Beendigung der betreffenden Detailver- handlungen erhielten die hienach aus- gearbeiteten organischen Bestimmungen am 8. Juli 1883 die Allerhochste Sanction und kann somit dieser Tag als der eigent- liche Geburtstag des Eisenbahn- undTele- graphen-Regimentes betrachtet \verden. Das erste Bataillon sowie der Regiments- stab wurden in Korneuburg —•' \velches seither die Hei- math des Regimentes geblie- ben ist — das zweite Batail¬ lon in Banjaluka aufgestellt, und Letzterem der Betrieb der Militarbahn Banjaluka- Doberlin ubertragen. Zum Inspector derTruppe wurde der Chef des General- stabes bestimmt. Anlage eines feldmassigen Bahnhofes. zu einer Muster - Schmal- spurbahn ersten Ranges em- porgearbeitet hat. Legung des Oberbaues. Abb. 33. Feldmassiger Babnbau. Das standige Wetteifern der Grossmachte, ihre Wehr- krafte nach den Siegen der deutschen Armee im Jahre 1870/71 weiter auszubilden und zu consolidiren, liess auch in unserem Vaterlande die Heeresverwaltung nicht ruhen und nicht rasten, in diesem Sinne vorwarts zu schreiten. Den beziiglichen, auf Reorganisation abzielen- den Arbeiten verdankt auch das heutige Eisenbahn- und Telegraphen-Regiment sein Entstehen. Am 2. September 1882 wurde ein Organisations-Entivurf fur dieses neu zu errichtende Regiment Sr. Majestat unter- breitet, wonach aus den bestanderine Feld-Eisenbahn-Abtheilungen ein eigenes Die technische Ausrustung des Regi¬ mentes, welche grosse Summen erforderte, konnte nur successive durcbgefiihrt werden. Die vielseitigen und schwierigen Ar¬ beiten, welche dem jungen Regimente einestheils durch die Errichtung eines fiir die technischen Uebungen geeigneten Platzes, anderntheils durch die Schulung der Mannschaft in einen ganz eigen- artigen Dienst sowie durch die Bearbeitung Geschichte der Eisenbahnen. II. II / IČ2 V r om Eisenbahnbureau des k. u. k. Generalstabes. vorlaufig nur provisorischer Instructionen im Anfange envuchsen, erforderten die ganze Thatkraft des aus den verschie- densten Abtheilungen zusammengestellten Officierscorps. Trotzdem ersehienen in kurzer Zeit die Verhaltnisse gefestigt und war ein wohldurchdachtes, festes Fundament fiir die gedeihliche Fortent- wicklung des Regimentes geschaffen. Noch im Jahre 1883 ging das erste Arbeits-Detachement des Regimentes zu einem Civilbahnbaue ab. Die Bauleitung der Localbahn Bisenz - Gaya hatte an das Reichs-Kriegs-Ministerium die Bitte um Commandirung einiger Leute des Re¬ gimentes zur Aufstellung eiserner Briicken und zum Legen von Oberbau gerichtet. Mit dieser Commandirung war der Anfang zu einer Reihe, spater noch naher zu erorternder Vervvendungen einzelner Detachements des Regimentes bei fac- tischen Bahnbauten gemacht. Diese Com- mandirungen konnen durch den bleiben- den Charakter, durch welchen sich die hiebei auszufiihrenden Arbeiten von den analogen Uebungen auf dem Uebungs- platze wesentlich unterscheiden, als eine sehr erspriessliche Schulung von Offi- cieren und Mannschaft angesehen wer- den, welche namentlich den Eisenbahn- Officier in die Lage versetzen, reiche Erfahrungen zu sammeln, aus denen er im Ernstfalle jeweilig das beste und vor Allem das schnellste Mittel zur Losung der an ihn gestellten Aufgabe rvahlen kann. Namentlich in der Uebung des Tra- cirens von Bahnlinien erschien es vortheil- haft, einen moglichsten Wechsel des Terrains und der Verhaltnisse anzustreben, um dem Officier die Moglichkeit zu bieten, sich den freieren Blick, die rascheste und zugleich genaueste Arbeit eines voli- o o endeten Traceurs anzueignen. Es wurde denn auch jede sich bietende Gelegenheit \vahrgenommen, um diesen rvichtigen Zweig der technischen Aus- bildung entsprechend zu iiben. Zu diesern Zrvecke ordnete die Heeresverrvaltung sowohl jahrlich grossere Uebungstraci- rungen an, welche stets bis zur vollstiin- digen Fertigstellung eines Vorprojectes durchgefuhrt wurden, sowie auch Traci- rungen von in Aussicht genommenen Localbahnen durchgefuhrt vvurden, wie z. B. bereits im Jahre 1885 die Tracirung einer Localbahn von Korneuburg nach Ernstbrunn. Auch im Telegraphenbaue rvurden schon im Jahre 1884 grossere Uebungen vorgenommen, indem eine Feld-Tele- graphenleitung von Korneuburg iiber Hainfeld nach Pressbaum in der Zeit vom 16. bis 28. Juni durchgefuhrt wurde. Die Haupttibungen des Regimentes bildeten vom Anfange an nebst der schon errvahnten Vornahme von Tracirungen: der Bau normalspuriger Bahnen, von Stationsanlagen sammt dem fiir den Betrieb unbedingt nothigen Zugehor, der Bau von Eisenbahn-Briickenprovisorien iiber trockene und nasse Hindernisse, der halb- permanente wie auch feldmassige Tele- graphenbauJAbb. 35], sorvie das Spreng- rvesen in allen seinen Details, an welche Hauptanforderungen stets die rein mili- tarischen Exercitien und Uebungen analog der Infanterie angereiht werden mussten. Fiir die ebenfalls wichtige Ausbildung eines Theiles der Mannschaft im executiven Verkehrsdienste, inclusive des Zugforde- rungs- und Werkstattendienstes hatte das 2. Bataillon auf der Militarbahn Banjaluka-Doberlin zu sorgen. Da jedoch der Verkehr auf dieser.Bahn zufolge der localen Verhaltnisse im Anfange ein ganz minimaler und- zu geringer war, um namentlich die Ausbildung einer ge- niigenden Anzahl von Locomotivfuhrern zu ermoglichen, so wurden im Einver- nehmen mit dem k. k. Handelsministerium vomj ahre 1884 angefangen stets acht Mann des Regimentes auf die Dauer von sechs Monaten bei verschiedenen Bahnen zu diesern Zrvecke in Zutheilung gegeben, wo diese Lehrlinge auch die staatsgilti- gen Priifungen abzulegen hatten. Das 2. Bataillon, welches, wie bereits erwahnt, in Banjaluka aufgestellt worden war, hatte den gesammten Dienst auf der Militarbahn zu versehen, wobei die Officiere, unbeschadet ihres militarischen Compagnie-Dienstes, sowohl die Bahn- erhaltung, als den Zugforderungs- und den Stationsdienst zu versehen hatten, rvahrend die Mannschaft theils zum Zug- forderungsdienste, theils zur Strecken- bervachung und als Oberbaupartieen, so¬ rvie in den Werkstatten verrvendet rvurde. Abb. 34. Ban von Holzprovisorien. 164 Vom Eisenbahnbureau des k. u. k. Generalstabes. Sowohl die hiedurch bedingte, zer- streute Bequartirung, als auch die Art des Dienstes machte die nicht ausser Acht zu lassende, rein militarische Ausbildung der Mannschaft sehr schwierig. Dieser Umstand sowie der bereits beriihrte, durch die localen Verhaltnisse bedingte minimale Verkehr auf der Militarbahn ver- anlassten das Reichs-Kriegs-Ministerium, im Marž 1885 das 2. Bataillons-Commando mit 2 Compagnien von der Militarbahn abzuziehen und ebenfalls nach Korneuburg zu verlegen. Nachdem Verhandlungen mit den betreffenden beiderseitigen Ministerien wegen Uebergabe der Militarbahn an die Staatsbahnen zu keinem Resultate ftihrten, musste der Betrieb dieser Bahn auch weiter von militarischen Kraften gefiihrt werden, und \vurden hiefiir die in Bosnien verbliebenen 2 Compagnien bestimmt und einem militarischen Com- mandanten, als Director der Bahn, unter- stellt; diese Compagnien wurden zeitvveise gewechselt. Da mittlerweile beim Regi¬ mente rastlos gearbeitet wurde, um die Compagnien fiir ihren eigentlichen Zweck, den feldmassigen Eisenbahnbau, auszu- bilden, welchen Uebungen die in Bosnien verwendeten Compagnien naturgemass entzogen waren, anderntheils der Verkehr noch nicht derart gestiegen war, um durch eine griindliche Ausbildung der Compagnien im executiven Bahndienste auf der Militarbahn eirie Entschadigung hiefiir zu finden, zog das Reichs-Kriegs- Ministerium im Juni 1888 noch eine Compagnie [4.] von der Militarbahn ab und ordnete an, dass die noch verbleibende [5-] Compagnie Civilarbeitskrafte heran- ziehe und fiir den executiven Bahndienst schule. Mit vieler Muhe und mancher vergeblicher Probe \vurden die geeignetsten Elemente aus der Bevolkerung zum Dienste als Aufsichtspersonal, fiir den Strecken- dienst und auch zum Zugforderungsdienst ausgebildet, und hiebei nach kurzer Zeit so uberraschend gute Resultate erzielt, dass schon im October 1888 die letzte Compagnie aus dem Occupationsgebiete einriicken konnte. Die Militarbahn verblieb auch weiter- hin dem Reichs-Kriegs-Ministerium unter- stellt und unter militarischer Direction; die Organe der Zugforderung, die Strecken- ingenieure, Maschinenfiihrer und ein Stamm von Werkstattenarbeitern wurden noch weiterhin vom Regimente beigestellt, die ubrigen Stellen jedoch mit Civilpersonen besetzt, wobei mehrere ausgediente Unter- officiere zuUnterbeamten ernannt wurden. Nach und nach wurde der Stamm an activen Officieren und Mannschaft immer mehr reducirt, bis schliesslich nur der Director und der Zugforderungs- und Werkstattenchef, sowie ein kleines De- tachement Arbeiter dem Regimente ent- nommen wurden. Hingegen wird jahrlich eineCompagnie des Eisenbahn- und Telegraphen-Regi- mentes an die Militarbahn commandirt, um den alten Oberbau successive gegen neuen Stahlschienen - Oberbau umzu- wechseln, wobei gleichzeitig die grobsten Fehler des Unterbaues corrigirt werden. Ebenso wurden nach und nach neue moderne Plochbauten aufgeftihrt, die Objecte ausgewechselt, ausser dem 3 km von der Stadt Banjaluka entfernten Bahn- hofe ein neuer Bahnhof im Weichbilde der Stadt angelegt, Werkstatten gebaut, so dass die k. k. Militarbahn trotz ihrer noch manches zu wunschen ilbrig lassen- den Frequenz sich heute in Beziehung auf ihre modeme Ausgestaltung den Bahnen des Inlandes anzureihen vermag. Kehren wir aber zurtick zu dem eigentlichen Entwicklungsgange des Re- gimentes selbst. ■ Dank der Forderung, welche die Inter- essen des Regimentes stets durch die hohen und hochsten Vorgesetzten fanden, dank dem unermudlichen Eifer und dem Streben der Commandanten und Officiere, die Verhaltnisse so rasch als moglich zu consolidiren und vorvvarts zu schreiten in der kriegsmassigen Ausbildung einer allen Anforderungen entsprechenden Eisenbahntruppe — konnte das junge Regiment schon in der ktirzesten Zeit mit Stolz auf eine Reihe von einschnei- denden Verbesserungen und Erfolgen blicken. Es \viirde zu weit fiihren und den engen Rahmen dieses Capitels zu sehr ilber- schreiten, wollte man in Einzelheiten alle die Versuche, die Uebungen und Stu- dien anfiihren, welche fiir den Entvvick- Unsere Eisenbahnen im Kriege. 165 lungsgang des Regimentes von Wichtig- keit waren, und es sollen im folgenden nur jene einschneidenden Aenderungen kurz ervvahnt werden, welche nicht nur von besonderer Bedeutung fiir die Ge- schichte des Regimentes selbst, sondern auch von Interesse fiir den Eisenbahn- techniker im Allgemeinen sein diirften. In erster Linie strebten. naturgemass die Uebungen des Regimentes auf die Erzielung einer moglichst grossen Leistung im Baue feldmassiger, norrnal- spuriger Eisenbahnen hin. In dieser Im Sommer 1886 hatte das junge Regiment zum erstenmale das Gliick, vor Sr. Majestat auch in technischer Beziehung Proben von den bisherigen Leistungen ablegen zu diirfen. Bei dieser Allerhochsten Inspicirung wurde neben rein militarischen Exercitien das feld- massige Legen einer circa 1 km langen Oberbaustrecke, der Bau mehrerer hol- zerner Eisenbahnprovisorien sowie der Bau und Betrieb einer Feldtelegraphen- Linie vorgenommen. . Das huldvolle Lob des Allerhochsten Kriegsherrn gab Zeugnis von den Fortschritten des Regimentes und war ein machtiger Ansporn, auf dem betretenen Pfade vor- warts zu schreiten. Im Jahre 1886 wurde Abb. 35. Feldtelegraphenbau. Beziehung wurden nicht nur auf dem Uebungs- platze unermiidlich die verschiedensten Versuche durchgefiibrt, welche in erster Linie in dem prak- tischesten Ineinandergrei- fen der verschiedenen Ar- beitspartieen und Functio- nen gipfelten, sondern es wurde auch jede Gelegen- heit bentitzt, um auch ausserhalb des Uebungsplatzes Officiere und Mannschaft beirn Baue von Bahnen zu verwenden und hiedurch weiter praktisch zu schulen. So ging beispielsweise im November 1886 ein Detachement unter Gommando eines Officiers zum Baue der von der Firma Soenderop & Comp. concessio- nirten Zahnradbahn auf den Gaisberg bei Salzburg ab, welches, mit den un- gunstigsten Witterungsverhaltnišsen kam- pfend, nicht nur die Fertigstellung des Oberbaues bewirkte, sondern auch im ersten Halbjahre des Bestehens dieser Bahn theihveise den Betrieb besorgte. auch eine einschneidende Aenderung in der Organisation insoferne angebahnt, als durch Errichtung eines eigenen Offi- ciers-Telegraphencurses eine grossere Abtrennung des reinen Eisenbahndienstes von dem Telegraphendienste [welche Dienstesobliegenheiten bisher vollkommen vereint waren], angebahnt wurde. In rein technischer Beziehung brachte das Jahr 1887 einen bedeutenden Fort- schritt in der kriegsmassigen Ausbildung und Ausriistung. Die Erkenntnis der grossen Schrvierigkeit, \velche die Ueber- bruckung grosserer Hindernisse mittelst Flolzconstructionen dem raschen Fort- schritte eines feldmassigen Bahnbaues i66 Vom Eisenbahnbureau des k. u. k. Generalstabes. ■ entgegenstellen, veranlassten die Heeres- verwaltung, zerlegbare, moglichst einfache eiserne Kriegsbriicken zu beschaffen. Die Wahl fiel vorerst auf die von dem be- kannten franzosischen Eisenconstructeur Eiffel construirte Kriegsbriicke. Parallel- versuche, \velche in dieser Richtung in der Eisenconstructions-Werkstatte der Firma Schlick in Budapest zwischen diesem Systeme und jenem des ungarischen In- genieurs Feketehaza durchgeftihrt wur- den, fielen zu Gunsten des ersteren aus und es sah sich demgemass die Heeres- verwaltung veranlasst, vorerst eine »Eiffel- briicke« zu weiteren Versuchszwecken anzuschaffen. [Vgl. Abb. 36.] Diese Brucke, ein Paralleltrager, kann bis zu einer Spannweite von 30 m ein- gebaut werden, und setzt sich aus ein- zelnen Elementen zusammen, welche mit Ausnahme der Endelemente congruent sind und je 3 m Lange besitzen. Die einzelnen Theile der Briicken werden durch Schrauben miteinander verbun- den. Die, durch die hohen Patent- gebiihren bedingten, bedeutenden Kosten dieses Systems sowie der Umstand, dass die Construction einem zu geringen Sicherheitscoefficienten entsprach, ver¬ anlassten die Heeresvervvaltung, den da- maligen Lehrer der Mechanik und des Briickenbaues am hOheren Geniecurse, Hauptmann Bock, zu beauftragen, sich ebenfalls mit dem Studium einer zerleg- baren eisernen Kriegsbriicke zu befassen. Als Resultat dieser Studien wurde eine, aus verschiedenen Elementen zusammen- gesetzte Brucke in der Eisenconstructions- Werkstatte der Firma Gridl in Wien er- zeugt, welche, abweichend von dem Sy- steme Eiffel, die Lage der Fahrbahn variabel, als Bahn unten, oben und in der Mitte gestattet. [Vgl. Abb. 37.] Gleichzeitig trat der, als Constructeur vielfach verdiente k. u. k. Pionnier-Haupt- mann Herbert mit seiner vollkommen originellen, eisernen zerlegbaren Strassen- brucke hervor, welche, unwesentlich mo- dificirt, als Geriist- und Montirungsbriicke sehr gut entsprach. [Vgl. Abb. 38.] Die bereits erwahnten Nachtheile der Eiffelbriicke veranlassten den die Briicken- bauabtheilung der Firma Schlick leiten- den Oberingenieur K o h n, sich ebenfalls in der Construction zerlegbarer, eiserner Kriegsbriicken zu versuchen. Die von demselben construirte Brucke lehnt sich im Allgemeinen dem Principe Eiffel an, und entsprach, sorvohl was Festigkeit, als auch leichte Montirung, Handlichkeit der einzelnen Elemente anbelangt, vorziiglich, und \vurde daher nach vielfach en einschlagigen Versuchen fiir die Ausriistung der Eisenbahn-Com- pagnien normirt. Die Beigabe eines Lancierschnabels ermoglicht deren Einbau ohne Monti- rungsboden. Die Abbildungen Nr. 40 und 39 zeigen diese Brucke wahrend des Baues und im fertigen Zustande.*) Gleichzeitig mit den im Vorherge- henden naher besprochenen Versuchen wurde im Jahre 1887 auch mit der Er- probung fliichtiger Feldbahnen begonnen. Das Bewusstsein der unge- heuren Schwierigkeiten, welche sich in einem Zukunftskriege der Verpflegung eines modernen Heeres entgegenstellen werden, die Unmoglichkeit, dem Vor- marsche einer Armee mit dem Baue einer normalspurigen, \venngleich noch so feldmassig erbauten Vollbahn auf dem Schritt folgen zu konnen, ver¬ anlassten die Heeresverwaltung tiber An- regung des Chefs des Generalstabes, ihr Augenmerk auf leicht transportable, rasch herzustellende Schienenwege zu lenken, welche geeignet waren, bei denk- bar grosster Schnelligkeit des Vorbaues eine geniigende Leistungsfahigkeit zu ergeben. In dieser Hinsicht schienen schmal- spurige Pferdebahnen die geeignetesten. Nur durch den Umstand, dass durch den Entfall von Maschinen verhaltnismassig nur geringe Achsdriicke zu gevviirtigen sind, ist es moglich, ein System zu wahlen, \velches sich bei entsprechender Biegsamkeit sowohl in der Horizontal-, als auch Verticalrichtung allen Terrain- formationen anschliesst und dadurch einen langvvierigen, Zeit und Arbeits- krafte absorbirenden Unterbau ent- behren kann. *) Die in diesem Abschnitte enthaltenen Abbildungen sind sammtlich nach photogr. Original-Aufnahmen von A. Hub er m Wien 1 hergestellt. Unsere Eisenbahnen im Kriege. 167 Diese Feldbahnen reprasentiren somit, weil dieselben soweit als moglich auf militarisch minder wichtige Communica- tionen einfach aufgelegt werden, im gewissen Sinne die eiserne Špur der Strassen. Die Versuche mit den verschiedensten Systemen soleh er Feldbahnen wurden beim Eisenbahn- und Telegraphen-Regi- lich der durchgeflihrten Versuche ergeben, dass die Anschmiegungsfahigkeit dersel- 00 o ben an das Terrain, namentlich in ver- ticaler Richtung noch nicht den gestellten Anforderungen entspreche. Es wurden deshalb in der Folge mit verschiedenen Systemen sogenannter Wald- und Industriebahnen Versuche durchgefiihrt, deren Endresultat zu Gun- Abb. 36. Eiffelbriicke. mente, welches ausschliesslich fiir deren Bau in Aussicht genommen wurde, vor- erst mit einem gewohnlichen schmal- spurigen Querschwellen-Oberbau durch- gefuhrt. Die einzelnen Felder, bestehend aus 4'2 m langen Schienen leichten Pro- hls, waren vollkommen zusammengesetzt, d. h. an den holzernen Querschwellen mittels Hakenschrauben befestigt,, und \vurden durch einfache Laschenverbindung mit einander verbunden. Die Spurweite wurde aus praktischen Griinden mit 70 cm gewahlt. Sowohl die Lange der Geleiserahmen, als die immerhin starre Langsverbindung dieses 'Systemes haben jedoch gelegent- sten des Systems Dollberg ausfiel, \vel- ches damals fiir Oesterreich-Ungarn von der Prager Maschinenbau-Actien-Gesell- schaft [vorm. Ruston & Co.]' patentirt war. Nach jahrelangen Versuchen und Ver- besserungen, namentlich in Beziehung auf Construction der Wagen, Weichen etc., entwickelte sich nach diesem Systeme das heute normirte Feldbahnsystem. Die Feldbahn-Elemente bestehen aus Jochen, welche dem Principe nach aus einem i - 5 m langen Geleisepaar zusam¬ mengesetzt werden, welches an einem Ende auf einer Holzschwelle mittels Hakenschrauben montirt ist, am anderen i68 Vom Eisenbalmbureau des k. u. k. Generalstabes. Abb. 37. Bockbriicke. Ende mit einer eisernen Spurstange in seiner Spurweite von 70 cm erhalten wird. [Vgl. Kopfleiste Abb. 32.] An der Aussenseite der Schienen sind, u. zw. am Schwellenende, Štifte, am ent- gegengesetzten Ende Haken angenietet. Durch Einheben der Haken unter die Štifte eines schon liegenden Joches, wird eine genligend feste Langsverbindung erzielt. Dank dem hiedurch entstehenden Spielraume in der Langsverbindung, schmiegt sich diese Feldbahn allen Ter- rainformationen wie eine Kette an, erfor- dert somit verhaltnismassig nur eine geringfiigige Planirung des Terrains. Durch Hinzugabe verschiedener Nebenbe- standtheile, als Bogenstiicke, Weichen etc., wurde dieses System in jeder Beziehung ausgestaltet. Der Wagenpark besteht aus sogenann- ten Doppelwagen, d. h. jeder Wagen setzt ,sich aus z\vei Unterwagen zusam- men, welche mit einer grossen Plattform durch einfache Reihbolzen verbunden sind. Die Rader sind Rillenrader. Die Wagen werden durch ein Paar seitwarts, inittels eigener Einspannketten ange- spannter Pferde vorwarts gebracht. Diese Feldbahn, als erstes Nach- schubmittel betrachtet, befriedigt sovvohl was die Schnelligkeit des Baues als auch die Leistungsfahigkeit der fertigen Bahn anbelangt, vollstandig die in dieser Hin- sicht gestellten Anforderungen. Gleichzeitig mit den eingehenden Versuchen mit den obervvahnten kriegs- technischen Ausrustungen wurden unermiidlich die verschiedensten Uebungen im normalen Bau von Bahnen, Holzprovisorien, Sprengversuche u. s. w. durchgefiihrt.' Versuche mit einem transportablen elektrischen Beleuchtungswagen, flihr- ten zur Anschaffung eines solchen von der Firma Križik in Prag gelieferten Wagens, mit welchem seit- her fast jahrlich bei ver- schiedenen Bahnverwal- tungen gelegentlich der Ein- und Auswaggonirun- gen zu den grossen Manovern auch ausserhalb des Standortes des Regimentes Proben unternommen wurden. Auch in betriebstechnischer Beziehung wurde im Jahre 1888 ein sehr gunstiger Modus der Ausbildung von Officieren und Mannschaft eingefilhrt. Wie schon erwahnt, war die damalige Frequenz aut der Militarbahn' Banj aluka-Doberlin, nicht geeignet, eine genligend intensive Aus¬ bildung fiir das Regiment in dieser Hin- sicht zu gewahrleisten. Dem freundlichen Entgegenkommen der damaligen k. k. General - Direction der osterreichischen Staatsbahnen war es zu danken, dass das Reichs-Kriegs-Ministerium liber Antrag des Ghefs des Generalstabes einen Ver- trag zur Fiihrung des Betriebes auf der, unter Leitung der k. k. General-Direction stehenden Localbahn St. Polten-Tulln abschloss, zu welcher Linie spater noch die Abzweigung Herzogenburg - Krems hinzukam. Zufolge dieser Abmachungen hat ein Detachement des Eisenbahn- und Telegraphen - Regimentes mit Ausnahme des Stations- und Cassendienstes, den ge- sammten Verkehr einschliesslich der Bahn- erhaltung auf diesen frequenten Linien unter Aufsicht der k. k. Staatsbahnen zu besorgen. Die Starke des Detachements betragt zwei Officiere, von welchen der rangsaltere gleichzeitig der militarische Commandant des Detachements ist, und 88 Manner. Um eine moglichst grosse Zahl von, im Verkebrsdienste ausgebil- deten Personen zu erhalten, anderntheils Unsere Eisenbahnen im Kriege. 169 die Mannschaft nicht zu lange von den iibrigen Verrichtungen, vor Allem dem rein militarischen Dienste zu entzieheu, verfiigte das Reichs - Kriegs - Ministerium einen eigenen Ablosungsmodus derart, dass stets der Ablosende durch eine ge- wisse Zeit von seinem Vorganger in die speciellen Obliegenheiten eingefuhrt werde. Ebenso werden alljahrlich zwei Offi- ciere auf die Dauer von sechs Monaten, und alle zwei Jahre ein Officier auf zwei Jahre zur Erlernung des Betriebs- dienstes, beziehungsweise des Werk- statten- und Zug- forderungsdien- stes den k. k. Staatsbahnen zu- getheilt, nach wel- chemT ermine die- selben die offent- lichen Priifungen, analog den Bahn- beamten abzule- gen haben. Dank dem ausserordent- lichen Entgegen- kommen, welches die instruirenden Bahnorgane die- sen Officieren ge- geniiber stets an den Tag legten, ist das Resultat dieser verhaltnis- massig kurzen Lehrzeit ein aus- serordentlich giin- stiges gewesen. Auch die Commandirungen von Ab- theilungen und Detachements zu aus- wartigen Verrichtungen, mehrten sich jahrlich. In Folgendem sollen die wich- tigsten dieser Verwendungen von Theilen des Regimentes angefiihrt werden: Im Jahre 1885 betheiligte sich ein Detache- ment an dem Bahnbaue der Dampftram- way von Wien nach Floridsdorf; 1886 bis 1887 an dem Baue des zweiten Geleises der Carl-Ludwigbahn, 1887 an der Tracirung der Zahnradbahn von Vordernberg nach Eisenerz, 1887 und 1888 an der Tracirung einer Schleppbahn auf dem Gubaczer Hotter bei Budapest. Im Jahre 1889 wurde die selbststandige Tracirung einer circa 100 km langen Voll- bahnlinie von Przeworsk nach Rozwadow mit Variante von Jaroslau, 1889' der Bau einer Waldbahn in Kis-Tapolczan durcjr- gefiihrt, 1889 und 1890 betheiligte sich ein Detachement an der Tracirung der Linie Schrambach-Neuberg, im Jahre 1889 wurde ausserdem der vollstandige Bau einer circa 3 km langen Schleppbahn zum Eisenwerke Ivomorau bewerkstelligt. 1890 wirkte ein Detachement beim Baue der Localbahn Laibach-Stein mit, 1891 wurde selbststandig der Bau eines Brems- berges und einer Teleplionleitung in Weissenbach a. d. Triesting durchgefiihrt; 1891 ausserdem an der Detailtracirung einer Schleppbahn bei Blansko, der Linie Halicz-Tarnopol und der Linie Koros- mezo-Stanislau mitgewirkt. Im selben Jahre wurde durch eine Compagnie der Bahnhof in Banjaluka mit der 3 km entfern- ten Stadt Banjaluka durch ein Geleise verbunden und der Stadtbahnhof ange- legt. Im Jahre 1892 fiihrte ein Detache¬ ment iAber Ersuchen der k. k. General- Inspection selbststandig die Tracirung der Linie Bischoflack-Gorz aus. Ausser diesen zahlreichen Verwen- dungen von Theilen des Regimentes Abb. 38. Herbertbriicke. 170 Vom Eisenbahnbureau des k. u k. Generalstabes. 3. Bataillons keinen Raum boten, hing die Frage iiber die Dislocirung dieses Bataillons von dem Verhalten der Stadt- gemeinde Korneuburg gegeniiber dem Neubau einer weiteren entsprechend grossen Kaserne ab. Dank dem Ent- gegenkommen der Stadtgemeinde, wurde auch diese Frage zu Gunsten des Regi- mentes gelost und von der Stadt eine, den weitestgehenden und modernsten Anspriicben geniigende Kaserne mit einem eigenen Stabsgebaude erbaut. Von diesem Momente an hatte das Regiment eigentlich erst seine eigene Scholle. Wahrend des Baues der neuen Kaserne wurde das zweite Bataillon proviso- risch nach Kloster- neuburg verlegt, von wo es nach Fertigstellung des Baues 1892 wieder nach Korneuburg zuriickkehrte. Mit der Aufstel- lung eines 3. Ba¬ taillons und Verei- nigung des ganzen Regimentes musste naturgemass auch eine Vergrosserung des Uebungsplatzes Hand in Hand ge- wurden sowohl in diesen als den fol- genden Jahren noch viele Detachements zum Zwecke rein militarischer Recognos- cirungen, Tracirungen und Bauten ver- wendet, deren detaillirte Anfiihnmg hier zu vveit fiihren wiirde. Es sei an dieser Stelle nur der Schleppbahnen Erwahnung gethan, welche von der Station Felixdorf an der Stidbahn sowohl zu der Pulver- fabrik nachst Blumau, als auch, abzwei- gend von dieser Hauptlinie zu den ein- zelnen zerstreut auf dem sogenannten »Steinfelde« liegenden Objecten fiihren, und fast ausschliesslich mit Kraften des Reedmentes tracirt und ausgefiihrt wur- O o Abb. 39. Kohnbriicke. den. So kurz diese Linie auch ist, so wichtig ist sie fiir den Betrieb der am Steinfelde liegenden militarischen Ob- jecte und so complicirt gestaltet sich auch ein regelmassiger Betrieb auf dem vielfach verastelten Schienennetze. Aus letzterem Grunde wird demnach auch darangegangen, eine eigene Betriebs- leitung tur diese Bahn vom Regimente aufzustelleri. In rein militarischer und organisato- rischer Beziehung, brachte das Jahr 1890 eineri wichtigen Wendepunkt in der Ge- schichte des jungen Regimentes. Von der Bedeutung und vielfachen Verwendung des Regimentes uberzeugt, wurde in diesem Jahre ein drittes Bataillon aus den im gleichen Jahre aufgelosten vier Reserve-Genie-Compagnien aufgestellt. Da die bestehenden zwei Kasernen Korneuburgs fiir die Unterbringung des hen. Durch den Bau grosserer Werkstatten mit Gattersage und Dampfbetrieb, durch die Herstellung eines kleinen Heizhauses, ferner durch die Errichtung von Baracken fiir die Unterbringung des im Laufe der Jahre sich immer mehr ansammelnden Uebungsmateriales — entstand eine form- liche Ansiedlung auf dem Platze, wo noch vor Kurzem Felder waren. Ein eigener, permanent angelegter Bahnhof, welcher sich mit seinen verschieden- artigsten Oberbauconstructionen wie eine Geschichte des Eisenbahnbaues der jiing- sten Jahre ansieht, befindet sich an und zwischen den erwahnten Hochbau-Objec- ten und ist mit dem Bahnhofe der Nord- westbahn durch ein Geleise in Verbin- dung gebracht. Von diesem Uebungsbahnhofe aus beginnt alljahrlich, wenn der Schnee geschmolzen und die ersten Friihlings- Abb. 40. Kohnbriicke. 172 Vom Eisenbahnbureau des k. u. k. Generalstabes. Sturme das Donauthal durchbrausen, ein geschaftiges Treiben von Friih bis Abend. Heute, wetteifernd mit der Infanterie im strammen Exerciren, morgen Oberbau- legen bis an die Donau und weit hinauf langs dem Ufer, dann wieder der Bau holzerner und eiserner Eisenbahnbrticken tiber die vielen Arme der Donau, welche die Au durchzieben, oder iiber die kiinst- lichen Hindernisse, welche in das Terrain eingebaut w.urden, ein Netz von Telegra- phen- und Telephon-Linien — ali dies im bunten und doch streng geregelten Durcheinander, das sich da taglich auf dem Raume zwischen Donau und Nord- \vestbahn abspielt. Den Schluss der jahrlichen Sommer- tibungen bildet eine grossere feldmassige Uebung, welche, zumeist zusammen- hangend, alle Zweige der Ausbildung umfasst, und unter vollkommen feld- massigen Annahmen durchgefuhrt wird. Die Vielseitigkeit dieser Uebungen wird \vohl am besten durch die Wieder- gabe eines Uebungsprogrammes fiir die Zeit der Sommeriibungen illustrirt, wie z. B. durch das nachstehende, fiir das Jahr 1895 ausgegebene Programm. Unsere Eisenbahnen im Kriege. 173 Es braucht nicht erlautert zu werden, dass fiir die im Vorhergehenden kurz skizzirten Verrichtungen des Regimentes, welche fast das gesammte Gebiet des Eisenbahmvesens umfassen, eine griind- liche theoretische Schulung sowie eine štete Weiter-bildung von unbedingterNoth- \vendigkeit sind. Dieser technischen Vorbildung ist sowohl fiir die Officiere als auch fiir die Mannschaft der Winter gewidmet. Nach beendeter Recrutenausbildung, welche ganz analog wie bei der Infanterie so dass sie in Stand gesetzt werden, kleinere techniscbe Arbeiten auch selbst- standig ausžufuhren, bei grosseren Ver¬ richtungen einzelne Arbeitspartieen zu leiten und zu iibervvachen. Die Mann- schaftsschulen miissen, da das Regiment sich aus allen Theilen der Monarchie erganzt, auch in der Muttersprache der Leute abgehalten werden. An diese, bei jeder Compagnie selbst- standig aufgestellten Schulen schliessen sich Specialschulen fiir den Bau und Betrieb der Telegraphen- und Telephon- Abb. 41. Betriebszimmer des k. u. k. Eisenbahn- und Telegraphen-Regimentes. durchgefiihrt wird, offnen sich die ver- schiedenen Schulen des Regimentes, \velche beziiglich der Schulung des Mannes je nach den geistigen Fahigkeiten und Vorkenntnissen in Mannschafts- und Unter- officiers-Bildungsschulen zerfallen. W ahrend in den ersteren — abgesehen von den, jedem Soldaten zu wissen nothigen reglementarischen Kenntnissen die speciellen technischen Verrich¬ tungen des Regimentes nur in jenem Umfange beigebracht werden, welche den Mann zu einer verwendbaren technischen Hilfskraftbefahigt, werden in der Chargen- schule die fahigsten Leute zu Unter- officieren und Partiefiihrern ausgebildet, linien, fiir den Verkehrsdienst, eine spe- cielle Zimmermannsschule u. s. w. Bei allen diesen Schulen gilt als erster pada- gogischer Grundsatz eine moglichst aus- gedehnte Anwendung des Anschauungs- Unterrichtes, zu welchem Zwecke das Regiment sich im Laufe der Jahre eine sehr reichhaltige Modellsammlung aus eigenen Mitteln und zumeist mit eigenen Kraften sowie ein nach dem Muster der Kaiser Ferdinands-Nordbahn eingerich- tetes Betriebszimmer [vgl. Abb. 41], ein Telegraphenzimmer u. s. w. einrichtete. Die Einjahrig-Frehvilligenschule zer- fallt in zwei Gruppen, u. zw. in eine fiir den reinen Eisenbahndienst und in 174 Vom Eisenbahnbureau des k u. k. Generalstabes. eine fiir den Telegraphendienst, wobei die rein militarischen Gegenstande, deren Kenntnis allen Officieren der Reserve gleichmassig zu eigen sein miissen, ge- meinschaftlich vorgetragen werden. Wie auf diese Weise Alles aufgeboten wird, um die Wintermonate moglichst fiir die Schulung der Mannschaft aus- zuniitzen, so wird auch fiir das Officiers- corps nebst Fecht-, Schiess- und Reit- iibungen jahrlich aucH eine Reihe von Specialcursen errichtet, wahrend in allwo- chentlichen Vortragen specielle, theils rein technische, theils militarische Fragen er- ortert werden. Einzelne Officiere wer- den auch an die technische Hochschule nach Wien entsendet, um sich wahrend einer zweijahrigen Dauer dieser Com- mandirung in bestimmten Fachern noch intensiver ausbilden zu konnen. Nach dem allgemein giltigen Grundsatze »Reisen bildet«^ der wohl am zutreffendsten auf jeden Techniker seine Anwendung findet, werden jahrlich Officiere auf 4—5 Wo- chen ins Ausland entsendet, um hervor- ragende technische Unternehmungen zu studiren, und wird iiberdies jede Gelegen- heitbeniitzt, um interessante Bauten des In- landes, vor Allem die stets den Stempel der Feldmassigkeit an sich tragenden Wie- derherstellungen zerstorter Bahnstrecken zu besichtigen und zu studiren. Auf diese Weise schreitet das Regi¬ ment unverdrossen auf den eingeschlage- nen Bahnen vorwarts, von der Hoffnung beseelt, dass dasselbe, sei es im Frieden, sei es im Kriege, jene huldvollsten Worte der Anerkennung seitens Seiner Majestat abermals zu verdienen \visse, die ihm zu seinem Gliicke und zu seinem Stolze bei den Allerhochsten Inspicirungen bisher zutheil geworden. Trači rung Von Karl Werner, Ober-Inspector der k. k. General-Inspection der osterreichischen Eisenbahnen. IE die Entwicklungs-Geschichte der Eisenbahn-Technik iiber- haupt, so steht auch die Tra- cirung in ihren einzelnen Stadien in eng- ster Wechselbeziehung mit der je\veiligen Wabl der Tractionsmittel und mit den auf diesem Gebiete erzielten successiven Fortschritten. Wenn wirjene elementaren Anfange, wo einzelne Vehikel mittels menschlicher oder animalischer Krafte bewegt, und zur leichteren Uebervvindung der rollenden Reibung die rauhe nachgiebige Boden- oberflache mit Brettern, Pfosten oder Bohlen belegt und solcherart kiirzere oder langere Wegstrecken fiir specielle Privat- zwecke geebnet wurden, iibergehen, und unsere Beobachtung erstmitjenem Augen- blicke beginnen, wo unter Vorsteckung eines allgemeineren Zieles die regel- massige Nutzbarmachung ausgedehnter Wegstrecken fiir den offentlichen Verkehr angestrebt wurde, so diirfen wir den Be- ginn der Eisenbahn-Geschichte Oester- reichs mit dem Jahre 1824 ansetzen, um welche Zeit durch Seine Majestat Kaiser Franz I. dem Professor Anton Ritter von Gerstner ein Privilegium zum Bau einer Holz- und Eisenbahn ertheilt wurde, welche die directe Verbindung der Donau mit der Moldau bezweckte. Wie schon die Be- zeichnung »Holz- und Eisenbahn« deut- lich sagt, solite dieser Verkehrsweg nach Art der in Bergwerken gebrauchlichen Forderbahnen aus holzernen, mit Eisen- schienen belegten Langschwellen gebildet werden; die Fahrbetriebsmittel sollten von Pferden bewegt werden.*) Dieses auf eine Zeitdauer von 50 Jahren lautende Privilegium concedirte zunachst den Bau und Betrieb einer von Mauthausen bis Budweis reichenden Linie und hatte ausser dem Transport von Personen und Sachen aller Art auch die leichtere Verfrachtung der Salinenpro- ducte aus dem Salzkammergut gegen Norden hin im Auge. Den technischen Bedingungen dieser Urkunde zufolge sollten bei Erbauung der Bahn und den hiebei wahrzunehmenden bffentlichen Riicksichten, die allgemeinen Normen des Strassenbaues zur Richtschnur genommen werden. Als Spurweite war das Mass von 3 »/, Schuh [1 • 1 m], als grosste Steigung 1:100 und als kleinster Bogenradius der von 100 Klaftern [ 189*6 m\ in Aussicht genommen, wobei die Absicht massgebend war, den Pferdebetrieb spater durch den Locomotivbetrieb zu ersetzen. Trotz der anspruchslosen und schlich- ten Form, in der dieser erste Reprasen- tant der Eisenbahnen auf dem Continent uns entgegentritt, verdient derselbe gleich- ■wohl in Bezug auf die Tracenfiihrung unsere volle Aufmerksamkeit. Mit der Meeres - Cote von 257 m an der Donau beginnend, hatte die Linie die *) Vgl. Bd. I, 1. Tbeil, H. Strach, Ge- schichte der Eisenbahnen in Oesterreich- Ungarn von den ersten Anfangen bis zum Jahre 1867, S. 91 u. ff. Geschichte der Eisenbahnen. II. 12 i 7 8 Karl Werner. Wasserscheide zwischen dem Schwarzen Meere und der Nordsee, beziehungsweise zwischen Donau und Moldau zu liber- steigen. Nachdem die zwischen den slid- ostlichen Auslaufern des B 5 hmerwald- Gebirges und dem Weinsberger Walde sich darbietende Einsattlung bei Kersch- baum eine Meeres-C6te von 675 m aufweist und das nordliche Endziel bei Budvveis in einer Meereshohe von 390 m liegt, musste die Linie von ihrem Anfangspunkte aus zuerst die Hoben- differenz von 418 m ersteigen und hierauf wieder bis Budweis 285 m tief herabsinken. Zur Entwicklung der Trače mit den oben genannten Steigungs- verhaltnissen boten auf der Siidseite der Kerschbaumer Einsattlung die mannigfach gewundenen Seitenthaler und Mulden der Aist, auf der Nordseite die wellenformig gegliederten Gelande des Malschfluss- gebietes eine iiberaus reiche Auswahl. Mit der im Jahre 1828 erfolgten Voll- endung des Baues der Nordstrecke Bud- \veis-Kerschbaum \var im urspriinglichen Prosramm insoferne eine Aenderung ein- getreten, als die sudliche Fortsetzung nicht mehr gegen Mauthausen, sondern direct gegen Urfahr hin erfolgen solite, um eine bequemere Verbindung mit der mittlerweile intendirten Pferdebahnlinie Linz - Wels - Lambach - Gmunden zu ge- winnen. Der sudliche Tracentheil folgte demnach, nicht mehr dem Gebiete der Aist, sondern entwickelte sich von Kersch- baum abwart^ liber Lest langs der Gusen und liber Gallneukirchen, Treffling und St. Magdalena bis Urfahr, wobei das Gefallsverhaltnis bis Lest auf 1 : 90, der Bogenradius auf 30 Klafter [56*9 m], zwischen Lest und' Biirstenbach sogar bis auf 1 : 46, respective auf 20 Klafter [37‘9 m] verscharft werden musste; hie- mit war auch die Hoffnung auf seiner- zeitige Einflihrung des Locomotivbetrie- bes geschwunden. Die ursprtinglich flir ein Pferd berechnete Nutzlast von 45 Cent- nern musste streckemveise auf die Halfte reducirt werden. Auf Grund des im Jahre 1832 an die Handlungshauser Geymiiller, Rothschild und Stametz ertheilten Privilegiums wurde die Linie von Linz liber Wels und Lam¬ bach nach Gmunden unter ahnlichen Anlageverhaltnissen gebaut. Die Lange der Linie Urfahr-Budweis war 67.940 Klafter [i28 p 847 km], jene der Linie Linz- Gmunden 35.820 Klafter [67'932 km]. Bekanntlich wurde diese »Erste oster- reichische Eisenbahn« auf Grund der der Kaiserin Elisabeth-Bahn im Jahre 1857 er¬ theilten Concession successive in eine Locomotivbahn umgestaltet. Die Strecke Bud\veis-Kerschbaum bestand noch bis zum 1. April 1870 als Pferdebahn. Den weiteren Fortschritt der Eisen- bahn-Technik konnen wir nicht mehr auf dem Gebiete der Pferdebahnen verfolgen, wir miissen uns zuriickwenden zu den Anfangen des Locomotivbaues, denn mit dem allmahlichen Bekanntwerden und mit der Vervollkommnung dieses Tractions- mittels vollzog sich im gesammten Ver- kehrswesen eine totale Umwalzung. Wie schon frliher erwahnt, datirt der Gebrauch eisenbeschlagener Holzschienen, auf welchen sich die bei Bergbauten ver- \vendeten Vehikel bewegten, in die friihe- sten Zeitperioden zuriick und lief auch der schon im Jahre 1814 von Stephenson construirte erste Dampfwagen auf einer ahnlich gebildeten Fahrbahn. Der eigent- liche Beginn des Locomotivbaues und somit auch der Beginn der modernen Eisenbahn-Technik kann jedoch erst mit dem Jahre 1829 angesetzt \verden, um welche Zeit Georg Stephenson mit seiner nach dem Rohren-System gebauten Loco- motive »Rocket« auf der Liverpool-Man- chester Bahn einen so ungeahnten Er- folg erzielte. Aber nicht etwa nur flir die englische, sondern ganz speciell auch fur die oster- reichische Entwicklungs - Geschichte der Eisenbahnen hat dieser Zeitpunkt als Markstein zu gelten, denn j en en ersten Erfolgen, welche in England gefeiert vvurden, war mit durchdringendem Blicke und scharfem Verstandnisse Schritt flir Schritt ein osterreichischer Denker und Gelehrter gefolgt: der seit dem Jahre 1819 A11 das Wiener Polytechnicum flir die Lehrkanzel der Mineralogie und Waarenkunde berufene Professor Franz Xaver Riepl. Schon damals, also im Jahre 1829, erfasste Riepl angesichts der in England erzielten Erfolge die machtige Idee, zu- 179 Tracirung. nachst das Ostrau-KarwinerKohlenbecken durch eine Locomotiv-Eisenbahnmit Wien zu verbinden, und diese Linie dann bis zu den Salzwerken Bochnias zu verlan- gern. Um seine, fiir die damalige Zeit gewiss grossartig kuhne Idee zu con- cretiren, unternahm Riepl im Jahre 1830 eine Studienreise nach England und war seit jener Zeit unablassig bemiiht, die Vor- theile des neuen Communications-Mittels seinem Vaterlande nutzbar zu machen. Aber erst nach sechs Jahren unermud- lichen Studiums und nach Uebervvaltigting zahlloser Schwierigkeiten war es ihm im Ver eine mit thatkraftigen Mannern gegonnt, seine dem Zeitgeiste weit vor- auseilende Idee auf Grundlage des im Jahre 1836 erflossenen Nordbahn-Privi- legiums, \velches die Erbauung und den Betrieb der Linie Wien-Bochnia mit Nebenlinien nach Briinn, Olmiitz, Troppau,. Bielitz-Biala und zu den Salzwerken Dwory, Wieliczka und Bochnia concedirte, verwirklichen zu konnen. Wie es nicht anders sein konnte, vvurde zunachst eine Versuchslinie [Floridsdorf- Wagram] hergestellt, um alle jene Erfahrungen zu sammeln, welche fiir den \veiteren Ausbau grundlegend sein sollten. Nach dem damaligen Stande des Locomotivbaues und nach der primitiven Construction des Oberbaues, der gleich jenen der Bergwerksbahnen aus eisen- beschlagenen holzernen Langschwellen bestand, musste auch die Bahntrace die denkbar einfachste sein: die mbglichst gerade, horizontale Linie. Dass die Aussteckung einer geraden Linie dem Ingenieur keine besonderen geodatischen Aufgaben zu losen gibt, ist insolange selbstverstandlich, als auch das Terrain, uber welches die Trače fiihrt, eine so giinstige Gestaltung aufvveist, wie dies bei den von den ersten Bahn- linien durchzogenen Gebieten eben der Fali war. Die Aufgaben der damaligen Tracirungsarbeiten iiberschritten demnach kaum die Sphare eines Feldgeometers. Dabei konnte auch mit den einfachsten Messrequisiten und Instrumenten das Aus- langen gefunden werden. Im Uebrigen hatte derTracirungs-Ingenieur sein Augen- merk allenfalls auf die richtige Wahl der Uebersetzungsstelle eines Flusses, einer Strasse oder dergleichen zu richten. Diese elementaren Verhaltnisse hatten insolange ihre volle Berechtigung, als das Gestange des Oberbaues in seiner primitiven Constructionsrveise einen ver- lasslichen Widerstand gegen seitliche Ver- schiebung nicht zu leisten vermochte und angesichts der geringen Fahrgeschwindig- keit der Bahnzuge auch nicht zu leisten hatte. Nur nothgedrungen \vurden Kriim- mungen angewendet, dabei aber der Curven-Radius von ioooKlaftern [18967/2] als Minimum des Zulassigen angesehen. Unter steter Nutzanwendung der auf der ersten Versuchsstrecke gewonnenen Erfahrungen wurde stiickweise an die Weiterfiihrung der Nordbahirlinien ge- schritten. Im Allgemeinen bietet bereits das erste Stadium der Entvvicklung des Locomotiv- Eisenbahnbaues in Oesterreich auch vom speciellen Standpunkte der Tracirung mannigfaches Interesse. Die Manner, welche die neue Aufgabe erhielten, die Trače fiir die Nordbahn aufzusuchen und das bezugliche Project zu verfassen, hatten ihre Befahigung bereits bei der Ausmittlung und dem Baue schwieriger Gebirgsstrassen erprobt. Sie sollten den Bahnkorper vorbereiten fiir den aus England gelieferten Tractions- Apparat, bei welchem die Locomotive mit einem Adhasionsgewichte von kaum 6 t Achsdruck die erforderliche Leistungs- fahigkeit nur bei sehr schwach geneigten Tračen [wie die ersten englischen Bahnen aufwiesen] ermoglichte. Die zunachst zum Baue gelangenden Theilstrecken Wien-Briinn und Lunden- burg-Prerau wurden daher mit sehr giinstigen Neigungs- und Richtungs- verhaltnissen projectirt und ausgefuhrt. Die Maximalsteigung war bis zu 1 / soo [3'333°/oo] nur ^ schwierigen Terrain- verhaltnissen in Anwendung gebracht, und die gerade Richtung nur sehr selten durch Bahnkrtimmungen mit sehr grossen Radien unterbrochen. Der kleinste Radius von 759 m wurde nur einmal an der Ueber¬ setzungsstelle der March bei Napagedl angewendet. Wahrend der ersten Zeit des Betriebes der Strecke Wien-Briinn, zur Zeit als die 12 ’ i8o Karl Werner. Theilstrecke Prerau-Oderberg noch in Vorbereitung sich befand, war man zur Bewaltigung des Verkehrs genothigt ge- wesen, Locomotiven grosserer Leistungs- fahigkeit mit einem Achsdrucke von 12 t und eine starkere Geleise-Construction zu beschaffen. Die dadurch erzielte grossere Leistungs- fahigkeit der Betriebsanlage ermoglichte fiir die Weiterfiihrung der Linie von Prerau gegen Oderberg, insbesondere be- hufs Ersteigung der europaischen Wasser- scheide bei Mahrisch-Weisskirchen an den Gehangen des rechten Ufers der Bečva die Amvendung starkerer Neigungen und haufiger Kriimmungen. Mit der Steigerung des Neigungs- verhaltnisses blieb man trotz der erheb- lichen Bauschwierigkeiten, welche die Theilstrecke zwischen Prerau undZauchtel darbot, in bescheidenen Grenzen — man iiberschritt nicht die Maximalsteigung von V240 [ 4 ' I 7 %o]" Selbst in dem weiteren Zuge der Bahn bis Ošwi§cim hielt man an den fiir die ersten Theilstrecken auf- gestellten Grundsatzen fest. Erst in der Strecke von Osvviecim bis Trzebinia, welche von staatswegen gebaut, und bei der Strecke von Trzebinia nach Krakau, welche in dem ebemaligen Krakauer Gebiete von der Oberschlesischen Bahn- gesellsdiaft hergestellt wurde, steigern sich die Neigungsverhaltnisse auf 5% 0 , beziehungsweise 6'66°/ 0 o> und der kleinste Plalbmesser verringert sich auf 660 m. Das bei derProjectverfassung der Kaiser Ferdinands-Nordbahn festgehaltene Prin¬ cip, moglichst giinstige Neigungs- und Kriimmungsverhaltnisse zu erzielen, hat sich bei diesem Unternehmen vortreff- lich beivahrt, und dessen hohe Leistungs- fahigkeit und Prosperitat begriindet. Bekanntlich \var die Linie von Wien bis Briinn im Jahre 1839 bereits dem offentlichen Verkehr iibergeben. Ermuntert durch die giinstigen Erfolge, welche die Nordbahn-Gesellschaft auf ihren Linien erzielte, trat die Unter- nehmung der Wien-Gloggnitzer Bahn ins Leben und wurden im Jahre 1841 nacheinander die Strecken Baden-Wiener- Neustadt, Modling-Baden, Wien-Modling, Wiener-Neustadt-Neunkirchen, und im Jahre 1842 die Strecke. Neunkirchen- Gloggnitz dem offentlichen Verkehre iiber- geben. Hiebei kamen in den Einzel- strecken Wien-Baden, Baden - Wiener- Neustadt und Wiener-Neustadt-Gloggnitz correspondirend die Maximalsteigungen von 2 - 5, 3 - 5 und 77 °/ 00 , beziehungsweise die Minimal-Radien von i 896'5, 265’5 und 796'5 m in Anwendung. Der Zug dieser Linie bewegt sich bekannt¬ lich von Wien ab zunachst am West- rande des Wiener Beckens, tritt bei Solenau in die Ebene des Steinfeldes und erreicht, sich allmahlich dem linken Ufer der Schwarza nahernd, mit sanfter Ansteigung Gloggnitz. Auch die Entwicklung dieser Linie bietet relativ noch \venig Interessantes fiir den tracirenden Ingenieur; an dem Ideale der geraden Linie wurde auch zu j en er Zeit, wo der sclrvvankende Holz-Oberbau schon langst von der eisernen breitbasigen Schiene verdranpf war, selbst mit Aufopferung bauocono- mischer Vortheile noch immer festge- halten, und als ein markantes Zeichen j en er Zeit sehen wir noch heute am Nordportale des Gumpoldskirchner Tun- nels in goldenen Lettern den Wahlspruch leuchten: RECTA SEQUI. Indessen war der unternehmende Geist des zum Baue der vorerwahnten Wien- Gloggnitzer Bahn berufenen Mathias Schonererdem nachsten Ziele dieser Bahn- linieweit vorausgeeilt,durch die fiir jeneZeit staunenswerthe Idee der Fortsetzungslinie liber den Semmering. Schon im Jahre 1839 hatte Schonerer generelle Studien fiir eine Bahnlinie begonnen, welche von der Station Gloggnitz aus, nach Ueber- setzung des Schwarzaflusses mit der Steigung von 1:28 an den nordlichen Lehnen des Raachberges, des Jager- brandes und des Sonnwendsteines sich erhebend, die Hohe des Semmering er- reichen und mit Anlage eines circa 1900 m langen Plaupttunnels durch den Riicken des Gebirgspasses in das Froschnitzthal oberhalb Spital gelangen solite. Den Ansporn, so steile Anlage- verhaltnisse zu wagen, gab ihm die nach seiner Riickkehr von der Studien- reise aus Amerika probeweise ausgefiihrte Rampe am Siidbahnhofe in Wien, wo- selbst die Moglichkeit erwiesen wurde, Tracirung. 181 derartige Steigungen mit Adhasions- maschinen zu befahren. Der Gedanke, die norischen Alpen mittels einer Eisenbahnlinie zu iiber- queren, erlangte jedoch erst eine con- crete Gestalt durch die im Jahre 1841 erflossene a. h. Resolution, wonach die Fortsetzung der Linie Wien-Gloggnitz nach Siiden bis an das Adriatische Meer durch den Staat selbst erfolgen solite. An der Spitze der technischen Rath- geber bei diesem grossartigen Unter- nehmen stand der k. k. Ministerialrath Karl Ritter von Ghega, welcher schon bei Erbauung der ersten Nordbahnlinien seinen schopferischen Geist bekundet hatte. Wenn wir den bisher gekennzeich- neten Fortschritt in der Geschichte des osterreichischen Eisenbahnvvesens iiber- blicken, so miissen wir trotz Anerkennung des machtigen Unternehmungsgeistes, welcher die bis zu diesem Zeitpunkte erstellten Bahnlinien ins Leben rief, doch billigerweise bekennen, dass diesem Unternehmungsgeiste ein leicht begreif- licher Empirismus zur Seite ging, der umso gerechtfertigter erschien, als die dem Eisenbahn-Techniker bis dahin ge- stellten Aufgaben ein ganz successives Fortschreiten erlaubten. So lag denn auch die von der Nordbahn-Unternehmung er- baute, in Wien mit der Hohen-Cote von 160 m liber dem Meeresspiegel be- ginnende Linie nach Krakau, welche hinter Weisskirchen mit der Meereshohe von 286 m ihren Culminationspunkt erreichte, vollkommen im Bereiche der Leistungsfahigkeit der damals bekannten Tractionsmittel; desgleichen auch die Linie Wien-Gloggnitz. Mit dem Vor- dringen der letzteren aus dem Flach- lande in die enge Gebirgsfalte des Schwarzaflusses war jedoch der bis dahin stetige und allmahliche Entwicklungsgang der Eisenbahn-Technik mit einem Male zu einer rapiden Steigerung gedrangt. Gleichwie der Wanderer, der aus der Neustadter Ebene in das Reichenauer Thal bei Gloggnitz eintritt, die Fortsetzung seines Weges plotzlich von majestatischen Bergriesen rings umstellt sieht, ebenso thiirmten sich dem Techniker, welcher die Frage der Ueberschienung jenes zwi- schen dem Reichenauer und dem Mtirz- thale gelagerten Gebirgsmassives zu losen hatte, ringsum Schwierigkeiten aller Art entgegen. Die verwickelten topogra- phischenund geologischenVerhaltnisse des zu iibersteigenden Gebirgsstockes, die infolgedessen zu beivaltigenden Colossal- bauten, die mit den damaligen Tractions- mitteln, selbst bei Verzichtleistung auf jede Nutzlast kaum zu bewaltigende Er- steigung der zwischen Gloggnitz- und dem Semmering - Passe bestehenden Hohendifferenz von circa 500 m auf eine relativ so geringe Lange und unter so ungiinstigeri klimatischen Bedingungen — alle diese Momente bedurften des eingehendsten Studiums und der inten- sivsten Anstrengung aller geistigen und korperlichen Krafte, solite der gestellten Riesenaufgabe eine gliickliche Losung werden. Nicht nur die Summe der genannten Schvvierigkeiten an und fiir sich, sondern in erster Reihe die epochale Bedeutung jenes Stadiums in der Entwicklungs- Geschichte der gesammten Eisenbahn- Technik, woOesterreich auf diesem Gebiete alle anderen Lander weit tiberholte, lasst es mehrfach gerechtfertigt erscheinen, die Spuren jener ernsten Geistesarbeit naher zu verfolgen. Naturgemass waren die ersten Vor- arbeiten zu diesem grossenWerke zunachst auf das Studium des zu tiberschreiten- den Terrains gerichtet, und mussten sich dieselben bei der Vielprestaltig-keit des zwischen dem Schwarzaflusse und dem Mtirzthale sich erhebenden Gebirgs- reliefs auf ein sehr ausgedehntes Gebiet erstrecken, zumal dem damaligen Tech¬ niker noch kein so verlassliches Karten- materiale zu Gebote stand als heutigen Tages. Besonders die generellen Erhebun- gen und Terrainstudien durften sich an- fangs in nicht allzuengen Grenzen be- wegen. Hiebei musste jedoch der eigent- liche Zweck der gestellten Aufgaben stets im Auge behalten, und wie dies bei jeder schvvierigen Bahntracirung und Projectirung der Fali ist, die Losung einer ganzen Reihe von Fragen allge- meiner Natur mindestens in den Haupt- umrissen vorbereitet werden. i 82 Karl Werner. Der \veitreichende Zweck der inten- dirten Linie liess liber den Charakter der Bahnanlage, liber die von ihr verlangte Leistungsfahigkeit sowie auch dartiber keinen Zweifel iibrig, dass die Bahn zweigeleisig anzulegen sei; Erhebungen und Ervvagungen commerzieller Art liber die zu gewartigenden und zu bewaltigen- den Massentransporte hatten die Grundlage fiir die Wahl der Tractionsmittel sowie fiir die Beurtheilung der Anzahl der tag- lichen' Zlige zu bilden; hiernach waren die baulichen Anlageverhaltnisse der kiinftigen Bahn, ihre Steigungsverhalt- nisse, das Mass des kleinsten Krummungs- halbmessers der Bogen, die Lange der einzelnen Bahnziige, die Lange der Sta- tionsplatze und Ausweichstellen zu be- urtheilen; die gegenseitige Entfernung der letzteren von einander war nach der Anzahl und Geschwindigkeit, respective nach dem Zeitintervall der verkehrenden Ziige zu bemessen; die gleichen Grund- lagen dienten bei Ermittlung des Speise- wasser-Bedarfes fiir die Locomotiven oder sonstigen Motoren, woraus die Entfer¬ nung der Wasserstationen, der Wasser- beschaffungs-Anlagen, der Kohlen-Depots, der Locomotivremisen, Drehscheibenan- lagen sowie die tibrigen allgemeinen Bediirfnisse der einzelnen Zweige des Eisenbahndienstes, der Hochbauten und Betriebseinrichtungen abzuleiten waren. Die Detailfragen liber die meisten der letzterwahnten Anlagen gehdren aller- dings erst der eigentlichen Bauausfiihrung an, jedoch musste mit Riicksicht auf den organischen Zusammenhang aller ange- fiihrten Momente, die allgemeine Dispo- sition derselbenschonimersten Projectsent- wurfe enthalten sein, solite der klinftige Bahnbetrieb den gestellten Anforderungen nach jeder Richtung entsprechen kbnnen. Wenn dem heutigen Projectanten und Traceur zur einheitlichen Beurtheilung und gegenseitigen Abwagung aller aufge- zahlten Momente an den bereits aus- gefuhrten Bahnlinien eine reiche Summe von Erfahrungen zu Gebote steht, so waren die damaligen Bahn-Ingenieure auf ihr eigenes Intellect und auf ihre Er- findungsgabe allein angewiesen. Ueber das wichtigste der oben erwahn- ten Momente, iiber das zu wahlende Tractionsmittel, waren zu j en er Zeit die Ansichten der massgebenden Techniker sehr verschieden. Trotz der uberraschen- den Resultate, welche Stephenson auf dem Gebiete des Locomotivbaues bereits er- zielt hatte, standen der Bewaltigung grosser Steigungen doch noch mannig- fache Schwierigkeiten entgegen, nament- lich da, wo es sich um grosse Massen¬ transporte'liandelte; fiir diesen letzteren Zweck waren in Frankreich, England, Belgien, Deutschland und Amerika zu- meist schiefe Ebenen mit Seilbetrieb, d. i. also mit stabilen Motoren in An- wendung. Wenn der Locomotive schon bei ihrem ersten Erscheinen die atmospha- rischen Bahnen verschiedener Systeme als Rivalen gegenliberstanden, so er- blickten nunmehr auch die Vertreter der Seilebenen einen Widerpartner in der Locomotive, sobald deren vervollkomm- nete Constructionsweise der Hoffnung Raum gab, auch starkere Steigungsver- haltnisse zu bewaltigen. Dem zivischen den Vertretern der verschiedenen Trac¬ tionsmittel rege gewordenen Wettkampfe hatte Ghega schon gelegentlich einer in den Jahren 1836 und 1837 nach Deutsch¬ land, Belgien, Frankreich und England unternommenen Studienreise seine Auf- merksamkeit zugewendet, und war an der Hand der gewonnenen Erfahrungen, ins- besondere aber auf der untriiglichen Basis mathematischer Forschung schon damals zur Ueberzeugung gelangt, dass die Ent- wicklungsfahigkeit der Lovomotive geeig- net sei, diesem Tractionsmittel auf dem Gebiete des Eisenbahn-Betriebes die sou- verane Alleinherrschaft zu sichern. Aber nicht nur aus den angefiihrten Grlinden allein blieb Ghega ein entschiedener Ver- fechter der Locomotive; seinem fein- fiihligen praktischen Sinne widerstrebte es, bei Uebersteigung des Semmering die Seilebene, also ein heterogenes Be- triebsmittel als Zwischenglied in die grosse, sonst durchwegs fiir Locomotiv- betrieb bestimmte Verkehrsader einzu- schalten. Unbeirrt von dem inzwischen an- dauernden Wettkampfe zwischen Seil¬ ebenen und Locomotiven wurden schon im Jahre 1842 die Terrainstudien unter der Cynosur des kiinftigen ausschliess- Tracirung. 183 lichen Locomotiv-Betriebes begonnen und derart fortgesetzt, dass alle Moglichkeiten derTracenfiihrung in griindlicheErwagung gezogen werden konnten. Wenn wir den rein geodatischen Theil der Tracirung etwas naher betrachten, so sehen wir, dass angesichts der com- plicirten Terrain-Configuration mit der bis zu j enem Zeitpunkte gebrauchlichen Metbode der Feldarbeiten nicht mebr das Auslangen gefunden werden konnte. Bei den bis dahin erbauten Bahnlinien geschah die Ausmittlung der Bahntrace gewohn- lich in der Art, dass unmittelbar auf dem Terrain selbst, zuerst versuchsweise, eine den gegebenen Neigungsverhaltnissen entsprechende Linie mittels Auspflockung markirt, die gegenseitige Entfernung und Hohendifferenz der bezeichneten Punkte mittels directer Messung und durch Nivellement bestimmt, und mit Hilfe von Querprofilen, welche meist serikrecht zur Hauptrichtung standen, die Configuration der Bodenoberflache charakterisirt wurde. Nach Uebertragung aller dieser Daten auf die mit den sonst noch erforderlichen Details ausgestatteten Situationsplane, konnte dann die Bahnlinie mit ihren Kunstbauten und sonstigen Anlagen pro- jectirt, und diese letzteren -vvieder durch Einmessen auf das Terrain ubertragen werden. Bei der hiebei in Betracht kommenden, relativ gunstigen Bodengestaltung, \velche einerseits einBetreten der Trače gestattete, andererseits infolge des geringen Hohen- unterschiedes zwischen Anfangs- und Endpunkt bei entsprechender Zwischen- lange ein relativ sanftes Steigungsver- haltnis der directen Verbindungslinie zu- liess, war die Losung der gestellten Auf- gabe in der Regel eine ziemlich leichte. Wie scanz anders gestalteten sich die Verhaltnisse bei der Ueberquerung der norischen Alpen auf dem Semmering ! Die Hohendifferenz zvvischen der Štation Gloggnitz und dem Semmering-Passe be- tragt 540« bei einerPIorizontal-Entfernung dieser beiden Punkte von kaum 11.000 m. Es hatte demnach die directe Verbindungs¬ linie ein Steigungsverhaltnis von 1 : 20 oder 5O °/ 00 ergeben; bei Anwendung eines um circa 80 m tiefer gelegenen Scheiteltunnels hatte sich dieses Verhaltnis nur bis auf I : 24 reducirt, selbst ohne Riicksichtnahme auf die nothigenZwischen- horizontalen fiir Stationen. Es rnusste daher ausser der Tunnelirung auch noch eine ausgiebige Langenentwicklung ein- treten, zu rvelcher die tief eingeschnittenen Falten des Reichenauer Thales, der Adlitz- und Gostritz-Graben, des Aue- und Siin- baches allerdings ein sehr mannigfaltiges, Abb. 42. Kleines Nivellir-Instrument. aber, wie das classische Bild der Wein- zettehvand zeigt, mitunter auch sehr schwierig zu besteigendes Gelande dar- boten. Infolgedessen mussten an Stelle der directen Langen- und Iiohenmessungen sehr haufig trigonometrische und optische Distanzmessungen treten, womit gleich- zeitig auch der Anstoss zur hoheren Ausbildung und Vervollkommnung der geodatischen Hilfsmittel gegeben war; Abb. 43. Stampfer’sches Nivellir- und Hohenmess- Instrument. das weltbekannte und bis auf den heutigen Tag noch immer in hohen Ehren stehende Stampfer’scheNivellir-Hbhen-und Langen- mess-Instrument [vgl. Abb. 43 und 44] ist eine jener Zeit entsprungene specifisch osterreichische Errungenschaft auf dem Gebiete technischer Kunst und Wissen- schaft. Ausgeriistet mit allen der damaligen Technik zu Gebote gestandenen Hilfs- mitteln wurden unter reger Betheiligung aller namhaften Fachgenossen nach- 184 Karl Werner. einander die zum Zwecke tauglich er- scheinenden Bahnlinien in Erwagung gezogen und insbesondere folgende Va¬ rianten studirt [Siehe Abb. 246 auf Seite 262 des I. Bandes]: 1. Die schon im Vorhergehenden all- gemein erwahnte, seinerzeit schon von Schonerer geplante Linie von der Sta- tion Gloggnitz ausgehend und mit dem Steigungsverhaltnisse von 1:28 an den Nordhangen des Raachberges und Jager - brandes liber Mariaschutz bis zum Cul- minationspunkte von 904 m sich er- hebend, worauf dieselbe mittels eines circa 1900 m langen Tunnels die Sem- meringhohe unterfahren und derart in das Froschnitzthal gelangen solite. Deren Lange zwischen Gloggnitz und Miirz- zuschlag betrug 25'6 km. 2. Eine Linie, ausgehend von der Station Neunkirchen der Wien-Glogg- nitzer Bahn, unter Annahme einer Maxi- malsteigung von 1:50; nach Ueber- setzung des Schwarzaflusses solite sich diese Trače liber Dunkelstein, Landschach, Grafenbach und Kranichberg bewegen und von dort nach einer vollen Wen- dung aus dem Stinbachthale zuriick- kehren und, ungefahr der Richtung der Linie I folgend, den Semnaeringsattel mit einem circa 1520 m langen und in der Meereshohe von 907 m culmi- nirenden Tunnel durchsetzen. Deren Lange zwischen Neunkirchen und Miirzzuschlag hatte 46'3 km betragen. 3. Eine Linie, ausgehend von der Station Gloggnitz und nach Ueber- setzung auf das rechte Schwarza-Ufer mit einer durchschnittlichen Steigung von 1 : 50 liber Payerbach und Reichenau gegen die Prein sich erhebend, das Gschaid mittels eines circa 5000 m langen, in der Plohen-Cote von 860 m culminirenden Tunnels durchbrechen und zunachst in der Thalrinne des Raxen- baches bis Kapellen, von dort weiter am linken Ufer der Miirz bis Miirzzuschlag fiihrend; dieselbe hatte eine Lange von 3 2 - 3 km erhalten. 4. Eine Linie, vvelche von der Station Gloggnitz aus zunachst ungefahr der- selben Richtung wie die vorhergehende, jedoch mit einer Ansteigung von 1:40 bis Prein folgen, hier aber, nach links abschwenkend, die Kamp- [oder Konigs-] Alpe mittels eines circa 5600 m langen, in der Hohen-Cdte von 825 m culminirenden und bei Spital ausmiindenden Tunnels durchbrechen und unmittelbar in das Froschnitzthal und langs desselben nach Miirzzuschlag fiihren solite; die Lange derselben hatte 25'5 km betragen. 5. Eine Linie, welche von der Station Gloefgnitz ausgehend, langs des Silber- berges mit 1:50 ansteigend am linken Schwarza-Ufer bis Reichenau fiihren, dort in einer das Thal uberbriickenden vollen Wendung auf das linke Schwarza- Ufer iibergehen und, gegen Payerbach zurlickkehrend liber Eichberg, Klamm, Weinzettelwand, das Falkensteinloch und die Adlitzgraben ausfahrend, sodann an den Hangen des Karntnerkogels sich gegen den Semmering wenden und diesen mittels eines 1379 m lan- gen Tunnels in einer Meereshohe von 907 m unterfahren solite. Diese im weiteren Zuge dem Froschnitzthale bis Miirzzuschlag folgende Linie hatte zivischen der letztgenannten Station und Gloggnitz eine Lange von 59 km erhalten. 6. Eine Linie, welche gleich der vor¬ hergehenden, jedoch mit 1 :4 welche sowohl wegen ihrer Steigungsverhaltnisse und ihrer ge- sicherten Lage im Grauwackengebiete, als auch in bau- und betriebstechnischer Hinsicht die meisten Chancen vereinigte, Abb. 44, Latte zum Nivelliren und Hohenmessen. zur Ausfiihrung ausersehen, und die Aus- arbeitung des Detailprojectes hieftir ein- geleitet. Um ein thunlichst inniges An- schmiegen der Bahnlinie an die sehr coupirte Bodengestaltung zu ermoglichen, wurde fiir den Kriimmungsradius der Bogen das Mass von i8g'6 m [iooKlaftern] als Minimum gewahlt. Angesichts der enormen baulichen Schwierigkeiten und der damit verbun- denen Kosten waren die schon seit dem i86 Karl Werner. Jahre 1844 von Seite der Widersacher Ghega’s bei der Regierung erhobenen Vorstellungen gegen ein so kiihnes Unter- nehmen immer lauter geworden, und wurde das Gelingen dieses als waghalsig bezeichnetenExperimentes selbst von nam- haften Fachgenossen entschieden in Abrede gestellt. Der Mangel einer Locomotive, welche auf so steilen und langen Rampen eine entsprechende Nutzlast mit hin- reichender Geschrvindigkeit zu befordern im Stande \vare, — die Gefahren und Hindernisse, welche dem Bahnbetriebe in solcher, allen klimatischen Unbilden aus- gesetzen Hohenlage unter allen Umstanden drohen miissten, — die unabsehbaren Folgen, welche jeder Unfall, namentlich bei der Thalfahrt, nach sich ziehen wiirde, — die Schwierigkeit, wenn nicht Un- moglichkeit, in so ungiinstigem Terrain einen baulich richtigen und soliden Bahn- korper zu erstellen, — die fiir den Bau und Betrieb erforderlichen Unsummen, — alle diese Bedenken bildeten ebensoviele Angriffspunkte im Kampfe gegen den unerschiitterlich auf seiner Idee beharren- den Meister. Die Bedrangnisse, unter welchen derselbe stand, erhielten ein hochbedeutsames Relief durch die sich um jene Zeit vorbereitenden politiscben und finanziellen Krišen, welche nur den einen Vortheil mit sich brachten, dass Ghega Zeit fand, die von seinen Gegnern selbst in offentlichen Blattern erhobenen Anfeindungen und Verdachtigungen in allen Punkten sachlich zu widerlegen und seine Studien nach jeder Richtung hin zu vertiefen. Um die Kostensumme thunlichst zu reduciren, fasste er den Entschluss, die Linie 6, das ist also mit dem Steigungs- verhaltnisse von I : 40, zur Ausfiihrung zu bringen. Obwohl dieselbe noch immer 15 Tunnels mit einer Gesammtlange von 4530 m und ebensoviele Viaducte bis zu einer Hohe von 45'8 m und einer Ge¬ sammtlange von 1465 m erforderte, rvurde dieselbe endlich im Jahre 1847 seitens der Regierungs-Commission genehmigt. Damit war der Kampf - gegen alle Widersacher siegreich beendet; die poli- tischen Ereignisse des kommenden Jahres drangten zur sofortigen Inangriffnahme des Baues. Es bedarf nur noch eines Ruckblickes auf die Frage, ob und inwieweit jene Voraussetzungen in Erfiillung gingen, welche Ghega in Bezug auf die Leistung der erst zu schaffenden Tractionsmittel seiner Tracenfiihrung zugrunde gelegt hatte. Zur Erlangung von Locomotiven, \velche zur Bewaltigung der auf der Semmering-Bahn zu fiihrenden Ziige ge- geeignet waren, hatte Ghega eine offent- liche Preisausschreibung vorbereitet, worin die Constructions-Bedingungen festge- setzt waren, dass der Raddruck von 6'88 t nicht uberschritten und eine Bruttolast von 2500 Centnern [138 t ] auf der Steigung von 1 : 46 mit einer Geschwindigkeit von i '5 osterreichischen Meilen [11-4 km] pro Stunde befor- dert werden soli.*) Die Preisausschrei¬ bung erlangte im Mai des Jahres 1850 die Approbation Seiner Majestat Kaiser Franz Joseph I. Im October 1851 wurde mit der Er- probung der gelieferten Concurrenz-Loco- motiven und jener der zwei Locomotiven »Save« und »Quarnero«, welche auf der mittlerweile fertig gestellten siidlichen Staatsbahnlinie in Verwendung standen, begonnen, und als Probestrecke der zu jener Zeit bereits vollendete Theil der Bergrampe Payerbach-Breitenstein ge- wahlt, woselbst die Steigung von I : 40 und der Bogenradius von i89'6 m haufig zur Anwendung gelangt waren. Aus diesen, mit grosser Umsicht und Ge- nauigkeit vorgenommenen Probefahrten gingen die Locomotiven »Bavaria«, »Neu- stadt« und »Seraing« als preisgekront hervor. — Allerdings hafteten diesen Locomotiv-Typen noch mancherlei con- structive Mangel an, jedoch boten die angestellten Versuche gleichzeitig auch den nothigen Fingerzeig, \vie diese Man¬ gel zu beheben seien. Eine neuerlich aus- geschriebene Concurrenz fiihrte schliess- lich zu der unter dem Namen der En- gerth’schen Locomotive allgemein bekann- ten Type, mit welcher im Jahre 1854 der Verkehr der Linie Gloggnitz-Miirz- zuschlag eroffnet wurde. *) Vgl. Bd. I, 1. Theil, H. Strach, Die ersten Staatsbahnen, Seite 273 u. ff. Tracirung. 187 Mit clieser Errungenschaft war auch der letzte Zweifel liber das Gelingen des erossen Meisterwerkes eesclrvvunden und bat die Praxis die Richtigkeit der von Ghega mit wahrhaft prophetischem Geiste entvvickelten Grundgedanken auf das Glanzendste bestatigt. Es ware Vermessenheit, an den Einzel- heiten dieses stolzen grandiosen Colossal- baues mit dem Massstabe der heutigen Technik kleinliche Kritik liben zu wollen. Mit dem Regierungsantritte Seiner Majestat Kaiser Franz Joseph I. begonnen, reprasentirt der Semmeringbau in der Entwicklungs-Geschichte der Eisenbahnen eine so ge\valtige Stufe des Fortschrittes, dass er vermoge seiner technischen Voll- endung und Soliditat auch in unserer, vom Geiste der technischen Errungen- schaften getragenen Zeitperiode noch Be- wunderung und Nachahmung verdient: ein erhabenes, unvergangliches Wahr- zeichen osterreichischer Baukunst. Wahrend der, die Tracirung und den Bau der Semmering-Bahn umfassenden Zeitperiode waren auch die Arbeiten fiir die Fortsetzung der Staatsbahnlinien gegen Siiden in Angriff genommen und machtig gefordert worden. Flir die nachste Fortsetzungslinie Miirzzuschlag- Graz liess das natiirliche Thalgefalle langs des Murzflusses bis Bruck a. M. sowie auch jenes langs der Mur von Bruck bis Graz vortheilhafte Steigungs- verhaltnisse zu; auch die Configuration des Thalbodens war der Bahnanlage gunstig bis gegen Krieglach, von wo ab die naher an den Flusslauf heran- tretenden Bergrippen einen strecken- \veisen, bis gegen Peggau reichenden Lehnenbau bedingten. Beachtenswerth er- scheint die Linienfiihrung langs der soge- nannten Badelwand [vgl. Abb. 45], durch die dort ausgefuhrte,flussseitsoffene,363»z lange Galerie, auf deren Gewolbsdecke die durch den Bahnkorper verdrangte Reichsstrasse fiihrt. Der weitere Verlauf der Trače durch die Ebene liber Graz bis Ehrenhausen, ebenso die Durch- brechung der Windischen Biiheln mittels *) Vgl. Bd. 1 , 1. Theil, S. 243, Abb. 228 u. 229. zweier kleiner Tunnele und die Fort- flihrung der Linie liber Marburg durch die Ebene von Kranichsfeld und Prager- hof bis Windisch-Feistritz bietet vom Gesichtspunkte der Tracirung kein be- sonderes Interesse. Die ostlichen Aus- laufer des Pachergebirges liberquerend, tritt die Linie in das Gebiet des Sann- flusses liber und folgt letzterem von Cilli bis Steinbriick abwarts, von dort aber dem Saveflusse aufwarts zum grossten Theile als Lehnenbau durch die an grotesken Formen reicben Gelande liber Abb. 45. Profil der Badel\vand. Hrastnigg, Sagor und Sava, bei Salloch in das Gebiet des Laibacher Moores eintretend. Die geheimnisvollen und auch bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz erforschten Verhaltnisse dieses Moores, seine unterirdischen Zu- und Abfllisse, sein triigerischer Untergrund und das ihn umgebende unwirthliche Karstgebiet stellten dem tracirenden In- genieur eine ganze Reihe wicbtiger Fragen entgegen. Dem fllichtigen Beobachter mag wohl scheinen, als sei die directe Durch- querung des Moores, wie er sie that- sachlich ausgeflihrt sieht, eiriem leicht- fertigen Entschlusse entsprungen. Dem entgegen spricht jedoch die Thatsache, dass die Frage der Umgehung des Moores Gegenstand umfassender und wiederholter Studien war, und dass bei der Ausmitt- 188 Karl Werner. lung der Strecke Laibach-Franzdorf- Loitsch verschiedene Varianten . in Er- wagung gezogen wurden. Nach einer dieser Varianten hatte die Bahnlinie das Moor an dessen siidlichen und siiddst- lichen Randern, also iiber Pianzbiihel, Braundorf, Tomischel und Seedorf um- fahren sollen; diese Variante hatte jedoch, ohne die Beriihrung des Moores ganzlich vermeiden zu konnen, eine Verlangerung der Linie um circa 19 km ergeben. Eine zweite Variante tendirte die Umgehung des Moores an dessen Nordgrenze, also liber Bresowitz, Log und Podlipa mit einer Entwicklung an den Hangen des Zaplana-Berges oberhalb Altlaibach gegen Unter-Loitsch hin. Diese letztere Variante wurde wegen der damit verbundenen Bauschwierigkeiten und angesichts der Unhaltbarkeit der zu passirenden Berg- lehnen fallen gelassen. Erst nach lang- jahrigen vielseitigen Studien und Er- \vagungen entschloss man sich, als der Uebel kleinstes, die Durchquerung des Moores zu wahlen. Die hieran sich an- schliessende Ansteigung der Linie gegen Franzdorf erforderte die Uebersetzung des dortigen Seitenthales mittels eines grossen Viaductes, der in seiner ausseren Erscheinung sofort den Baustil des Sem¬ mering verrath.*) Thatsachlich steht auch die Ersteigung des Karstplateaus iiber Loitsch und Adelsberg sovvie die Weiter- fiihrung der Linie iiber Nabresina bis Triest mit der Geschichte des Semmering- baues in mehrfachem innigem Zusammen- hange; erst nach der Errungenschaft der EngertlTschen Tenderlocomotive und nur mit dem Vorsatze auf Einfiihrung besonderer Wasserwagen, konnte eine derartige Tracenfiihrung und Bahnanlage mit Aussicht auf eine geregelte Betriebs- fiihrung unternommen werden. Mit dem Eindringen in die vegetations- und wasserlose Karstregion steigerten sich die Schwierigkeiten der Linienfiihrung. Die verworrenen, von unzahligen Dolinen- bildungen und Schluchten zerrissenen Felsenlabyrinthe dieses, im Winter von der Bora und gefahrlichen Schneestiirmen heimgesuchten, im Sommer vom Sonnen- . *) Vgl. Bd. I, 1. Theil, Abb. 272 u. 273, S. 288 u. ff. brande versengten Hochplateaus, nicht minder der Abstieg an den aus gebrachen Taselloschichten gebildeten Lehnen zwi- schen Grignano und Triest angesichts des Meeres, erschwerten dem traciren- den Ingenieur die Ermittlung der rich- tigen Linie in hohem Masse. Die wich- tigste und schwierigste der zu losenden Fragen blieb jedoch die einer ausreichen- den Wasserbeschaffung. Die Anlage einer Wasserleitung von Ober-Lesece nach Divača war nur ein partieller Behelf; erst durch die Anlage der Auresina- Wasserleitung, \vodurch die Wasser, welche am Fusse des Berges bei Santa Croce und bei dem Berge Auresina oder Nabresina emporsteigen, fiir Zwecke der Bahn nutzbar gemacht werden konnten, fand diese hochivichtige Ange- legenheit ihre endgiltige LOsung. So war denn endlich das Ziel der siidlichen Staatsbahnen, das Handels- emporium Triest, erreicht und ging der Schieneniveg, welcher das LIerz der Monarchie mit dem Meere verbinden solite, im Jahre 1857 seiner Vollendung entgegen. Von unserer Excursion im Siiden wenden wir uns nun wieder der mittler- weile im Norden der Monarchie erzielten Fortschritte in der Entivicklung der Bahn- tracen zu. Ankniipfend an den von der Nord- bahn-Gesellschaft bis Olmiitz ausgebauten und im Jahre 1841 dem offentlichen Verkehr iibergebenen Schieneniveg, \vurde durch den Staat die Fortsetzung der Bahnlinie in der Richtung gegen Nord- westen hin iiber Bohmisch-Triibau nach Prag unternommen. Mit der Meeres-C6te von 214 m bei Olmiitz beginnend, folgt diese Linie zunachst dem Laufe der March, sodann jenem der Sazawa aufwarts, erreicht in der zvvischen der Mahrischen Hohe und den Sudeten gelegenen Einsattlung bei Landskron die Wasserscheide zivischen Donau und Elbe im Culminationspunkte von 413 m iiber dem Meere, worauf die Trače bis Kolin [197 m iiber dem Meere] sich senkt, um, nach Ueberschreitung der Terraimvelle bei Bomisch-Brod [262 m iiber dem Meere], sich noch weiter sen- kend, die Hauptstadt Bohmens zu er- lSftO J500 Inn ! Etsch J Rheirvlnn ; * - t- «5. 2' ICLVlCs j&aas /Ced &m\ca\Aaaxa\/ jD,c^hyo-v. ^AJDmhxdrt\\Jwd /ItnA/4MUq&C/ , r ^A/; ■E—” A \ 3 ■.^ . r i r\-~nf /W 7\ jr J -J- T 7 "' T=f= 7 \3- ur j Schvarzc H 5ML / x -F— - Moldau A N- Donau -/—"V 1000 . Moliau ■VU' tlL^en/ t 'i tiiii u vivi.-' n .d c n. 'id^tJvn&n/. ■H TV 'KZ 60 40 20 600 500 200 100 100 200 40 1 60 »0 & ^ i« £ Berai n £ ger 60 i Mnn f % A.'« V , M' 7*13 San j ; Dn/e ^^zascJLcviJ— (p/itdasvu*vq^. / 0 /uA£u>^/ JL>v _ (Sucd^*dvit/. _ ^Kaam^vm*vj/ . a rasss ifi-ad**/. iuv.iKiu-.-i-.i=i 1/3) ail+t/. -”§- tdvus-£i+ijilcu^0/ l/B.aJlvw2W. o^VkU^4t. / to/ulliciv' .1&. ^D/U^jd4S4l4LlcivM^-1/l>. l^eoto«*'. ^f\x!.iAvjJioX&aS\M. i _^_.._ cVo.aivtt/. ...-a... 1/iad»K/ 'TS^eO-C&aivtl/. 1-1 , , ! ! dCtO^Lni/- (Sdet^C-t^V- lT2> . ___o____ ^iČo-zvv/ - 6 J!zs-C3£-yu! t/- VhaJi*\s. A i 20 to 60 60 600 700 60 M 20 40 800 Jnjester Prut' t Sereth I SuczaHva Prutb. ; Sf reth 6„dlX«, _ROD ,.MQ .-200 _m 900 40 1 60 80 20 1000 1100 Kilometer Abb. 46. Tracirung. reichen. Im Weiterzuge, zunachst der Moldau und von Melnik ab der Elbe folgend, dringt die Linie in die Region der mit Bergproducten gesegneten Gegen- den Nordbohmens und gewinnt langs des zwischen dem Erzgebirge und der Lausitzer Hohe von der Natur gegebenen Elbedurchbruches den Anschluss gegen Sachsen hin. Die Vorbereitung des Baues der siidlichen Staatsbahnlinie Wien-Triest stellte die osterreichischen Ingenieure vor die grosse Aufgabe, in schwierigem Terrain und unter wechselnden Betriebs- verhaltnissen Bahntracen aufzusuchen und Projecte zn studiren. Unter der tiichtigen Leitung hervor- ragender Fachleute bildete sich sohin die Tracirung und Project verfassung von Bahnen zu einer selbstandigen tech- nischen Wissenschaft aus. Ein literarisches Denkmal des hohen Grades der Ausbildung, welche dieser junge Wissenszweig damals in Oester- reich schon erreicht hatte, bietet die ausserst bemerkenswerthe Publication, be- titelt: »Systematische Anleitung zum Traciren der Eisenbahnen« vom k. k. Ober-Ingenieur Eduard H e i d e r [nach- maligem technischem Director der Arsenal- bauten des osterreichischen Lloyd], welche in erster Auflage bereits im Jahre 1856 erschienen ist. Dieses Buch behandelt den Gegen- stand tiberhaupt das erste Mal. Die darin niedergelegten Grundsatze und be- schriebenen Verfahrungsarten sind bei der Verfassung der Projecte fiir die k. k. Staatsbahnen ausgebildet und er- probt worden, sie sind also direct aus der Erfahrung geschopft und haben heute noch volle Geltung und Anwendung, unbeschadet jener Modificationen, welche durch die seither erreichte Vervoll- kommnung der Instrumente bedingt er- scheinen. Der gleichen Zeitperiode verdankt auch das seither jedem Eisenbahn-Inge- nieur zum unentbehrlichen Vademecum gewordene Werkchen »Die Strassen-und Eisenbahn-Curve«, verfasst von dem da- maligen Ingenieur der Sud-norddeutschen Verbindungsbahn Moriz Morawitz, sein Entstehen. 189 Angesichts der hohen technischen Schule, \velche die siidlichen Staatsbahn- linien und namentlich der Semmeringbau herangebildet hatte, erscheinen die Fort- schritte im Aufsuchen neuer Bahntracen in der nun folgenden Periode weniger intensiv als extensiv, indem die Interessen des Handels, der Industrie und des gegenseitigen Verkehres die neuen Er- rungenschaften ihrem Zwecke nutzbar zu machen suchten. So erwarb die Erste osterreichische Eisenbahn-Gesell- schaft noch im Jahre 1855 die Be- willigung, ihre Linie Linz-Budweis mit kleinen, entsprechend gebauten Loco- motiven zu betreiben. Zwar hatte im selben Jahre die Buschtčhrader Eisen- bahn-Gesellschaft noch eine Concession erworben fiir eine mit Pferden zu be- treibende Holz- und Eisenbahn, welche von Wejhybka in das Buschtčhrader Kohlenrevier fiihren solite, jedoch wurde diese letzte Regung des Pferdebahn-Be- triebes durch den lebhaften Aufschwung, welchen die Einftihrung des Locomotiv- betriebes allenthalben mit sich brachte, gar bald iiberfliigelt. Durch das im Jahre 1855 mit der k. k. priv. Staatseisenbahn- Gesellschaft abgeschlossene Ueberein- kommen, wonach mit dem Ausbau der von Wien nach Siidosten fiihrenden Linie gleichzeitig auch eine Verbindung mit den nordlichen Staatsbahnen erfolgen und diese in den Betrieb der Staatseisen- bahn - Gesellschaft iiberzugehen hatten, sowie durch die im selben Jahre der Graz-Koflacher Eisenbahn und Bergbau- Gesellschaft ertheilte Concession zur Erschliessung der Voitsberger, Lanko- witzer und Koflacher Kohlenreviere mit- tels einer von Graz nach Koflach und von Lieboch nach Wies zu fiihrenden Eisenbahn nebst Zweiglinien, wurde die Entwicklung der Eisenbahn-Privatunter- nehmungen inaugurirt. In diese und die nachstfolgende Zeitperiode fallen die Herstellung und Eroffnung der Linien Briinn-Rossitz, Linz-Lambach-Gmunden, Oderberg - Dzieditz - Bielitz, Schonbrunn- Troppau, Krakau - Dembica, Dzieditz- Ošwiecim und Trzebinia so\vie das Entstehen der Aussig-Tepli tzer Bahn, die Erweiterung der Siidbahn-Concession fiir die Kaiser Franz-Josef-Orientbahn und Karl Werner. igo die Concessionirung der Kaiserin Elisabeth- Bahn, welch letztere auf die Verbindung der Metropole mit den westlichen Provinzen des Reiches sowie auf den Anschluss an die bayerischen Bahnen bei Salzburg abzielte. Die Tracenfuhrung dieser letz- teren Linie verdient, namentlich in ihrem ersten Theile von Wien ab, einige Be- achtung. Auf den ersten Blick mochte es scheinen, als ob die directe Verbindungs- linie zwischen Wien und Linz durch die oro- und hydrographischen Verhaltnisse unzweifelhaft gegeben sei, und dass die Linie am giinstigstendurchdas regelmassig ansteigende Donauthal zu fuhren ware. Bei naherem Eingehen zeigt sich jedoch, dass zwar die Uferenge bei Nussdorf und Kahlenbergerdorf sowie das Tullnerfeld der Bahnfilhrung keine nennenswerthen Schwierigkeiten bereite, dagegen die Fort- setzung durch die Wachau durchaus keine p-unstige ware. Es war daher schon in der Concessions-Urkunde vom Jahre 1856 die Bestimmung enthalten, dass die Trače liber St. Polten zu fuhren sei. Fiir die Entwicklung dieser Linie bot das "VVien- thal mit seinen sanften Gelanden bis Rekawinkel bei einerMaximal-Ansteigung von IO'5°/ 00 giinstige Verhaltnisse dar; auf der Westseite des mit einem Scheitel- tunnel von 307 m Lange durchbrochenen Wienervvaldes musste "bei Einhaltung des Maximalgefalles von io°/ 0 o angesichts des tief eingeschnittenen Eichgrabens und des coupirten Terrains eine kunstvollere Linien-Entwicklung, welche ausser der Ueberbrtickung dieses Grabens auch noch die Anlage eines zweiten, 247 m langen Tunnels bedingte, gesucht \verden. Die Weiterfiihrung der Linie machte die Ueberbruckung der rechten Nebenflusse der Donau, das ist der Laben, Traisen, Ybbs, Enns und Traun, sowie die Ueber- schreitung der relativ niedrigen, zvvischen den genannten Fliissen gelegenen tertiaren Wasserscheiden nothwendig. Die Zeit- punkte fiir die Eroffnung der einzelnen Theilstrecken waren folgende: Linz- Lambach 1855, Wien-Linz 1858, Lam- bach - Frankenmarkt - Salzburg - Reichs- grenze 1860. Mit dem Jahre 1858 trat die Siidbahn- Gesellschaft in den Vordergrund der Unternehmungen durch die Uebernahme des Betriebes der Linie Wien-Triest sammt Nebenlinien und der Tiroler Bahnen sowie durch den Ankauf des Projectes der Karntner-Bahn und der Brenner-Bahn. Mit dieser letzteren ist ein neuer bedeutender Fortschritt auf dem Gebiete der Alpenbahnen zu ver- zeichnen. Nachdem die Strecken Inns- bruck-Kufstein und Bozen-Trient-Ala im Jahre 1858, respective 1859 zur Er- offnung gelangt waren, eriibrigte noch das Zivischenglied Innsbruck-Brenner- Bozen, um die siid-nordliche Durchzugs- linie durch das Land Tirol zu schliessen. Bei Betrachtung der topographischen Ver- haltnisse des zwischen Innsbruck und Božen gelegenen Alpenstockes fallt sofort das tief eingefurchte Thal des Eisack im Suden und ebenso das Flussgebiet der Sili auf der Nordseite des Brennerpasses in die Augen. Diese von der Natur gebildete Rinne entspricht auch dem Zuge der schon von altersher bekannten Brennerstrasse. Bei Verpleichunp der O o relativen HOhenlagen von Božen, Fran- zensfeste, Sterzing, Gossensass, Brenner- hohe, Matrei und Innsbruck mit den diese Orte trennenden Horizontal-Entfernungen ergibt sich, dass die Schivierigkeiten der Tracenfuhrung in der Strecke Gossensass- Innsbruck gelegen sind. Zwischen Inns¬ bruck mit derHohen-Cote von 583 m iiber dem Meere und dem Brennerpasse mit 1371 m Hohe liegt eine Horizontaldistanz von 32.000 m [vgl. Abb. 46], woraus fiir dieBahnnivellette eine Durchschnitts-Stei- gung von 25°/ 00 resultirt; der Hohendiffe- renz zwischen Brenner [1371 w] und Gossensass [1064 m\ entspricht jedoch in der directen Verbindungslinie von nur 8000 m Lange ein Durchschpittsgefalle von 38°/ 00 . Diese Durchschnitts-Neigungen sind jedoch ohne Riicksichtnahme auf die nothigen Zwischenhorizontalen fiir Sta- tionsanlagen ermittelt; die zur Gewinnung der letzteren noch erforderlich vverdenden Mehrlangen konnten auf der Nordseite rela¬ tiv leicht eingebracht werden; dagegen war auf dem Siidhange eine sehr weit reichende Langenentwicklung nothig, um das Ver- haltnis von 38°/ 00 auf das seit dem Semmeringbau durch die Praxis sanctio- nirte Maximalmass von 25 °/ 00 zu reduciren. Zu dem bei Gebirgsiibergangen sonst ge- Abb. 47. Gossensass- fBrenner-Bahn.] Tracirung. I 9 I wohnlich gebrauchten Auskunftsmittel, den Culminationspunkt durch Tunnelirung des Scheitels herabzudriicken, konnte beim Brenner angesichts der flachen Gestaltung des Sattels nicht gegriffen werden. Schon eine Tieferlegung; der Nivellette um nur 100 m hatte eine Tunnellange von 10 km ergeben. So musste denn der Sattel in seiner ganzen Hohe iiberschient werden. Die Folge dessen war auf der Nord- seite eine Entwicklung der Trače im Schmirnthale bei St. Jodok mit einem Wendetunnel und die Riickkehr der Linie an der Lehne des Walserthales gegen die heutige Station Gries. Auf der Siidseite wurde die Linie iiber Schelleberg an die Siidlehne unterhalb der Rothspitze in der Richtung gegen das Pflerschthal gefiihrt, und mittels eines vollen Kehrtunnels an dieselbe Lehne zuriickge\vendet, so dass dieser Theil der Linie das vollendete Bild einer an dersel- ben Lehne entwickelten Kehrschleife bietet [vgl. Abb. 47 und 48]. Auf diese Weise ist die Bahnlange Innsbruck-Brenner auf 36 km, die Lange Brenner-Gossensass auf 16 km kunstlich ausgestreckt. Die durch Kunstbauten aller Art interessante Bahnlinie fiihrt zum grossten Theile im Chloritschiefer-Gebirge, nachst Matrei jedoch auf eine Strecke im Dachstein- kalk; desgleichen liegt der Wendetunnel der Siidseite in einer Kalkzone. Von Gossensass abwarts fiihrt die Bahn iiber Sterzing und Freienfeld auf nahezu flachem Terrain; zwischen Grasstein und Franzens- feste fiihrt die Trače durch Granit. Unter¬ halb Brixen tritt die Linie in die zwischen machtigen Porphyrgebilden tief einge- furchte Eisack-Schlucht, aus der sie erst bei Božen in das offene Etschland tritt. Durch die infolge der Terraingestal- tung zur Nothvvendigkeit gewordene Ueberschienung des Brennersattels ohne Anwendung eines Scheiteltunnels kommt der Brenner-Babn ein besonderer typi- scher Charakter unter den iibrigen Gebirgsbahnen zu. Ihr Culminations¬ punkt liegt in einer Meereshobe [1371 m\, welche weder durch die bisher in Oesterreich erbauten Alpeniibergange auf dem Semmering [898 m), Arlberg [1311 m ] und Prebichl [1205 m], noch durch die Zukunftslinien der Tauern- bahn [1225 m], des Predil [903 7«] oder des Loibl [813 m ] iibertroffen wird. [Vgl. Abb. 46 und 58.] In dem folgenden Zeitraume, bis zu der im Jahre 1867 erfolgten Eroffnung der Brenner-Bahn, begegnen wir in der Tracen-Entvvicklung neuer Bahnlinien, wozu insbesondere die Erzherzog Carl Ludwig - Bahn [Krakau - Przemyšl und Wieliczka-Niepolomice], die Bohmische Westbahn [Prag-Pilsen], die Lemberg- Czernovvitzer Bahn, die Turnau-Kraluper Bahn, die Kaiser Franz Josef-Bahn [Wien-Eger und Gmtind-Prag], die Boh¬ mische Nordbahn, die Kaschau-Oderberger Bahn und die Kronprinz Rudolf-Bahn ge- horen, abermals einem grossen, jedoch mehr vom speculativen und commerziellen Interesse getragenen Fortschritte. Dem Zeitgeiste jener Periode Rech- nung tragend, hatte sich die Regie- rung entschlossen, die Tracirung und Projectirung, namentlich aber die Kosten- praliminarien jener Bahnen, welche den Genuss irgend einer finanziellen Staats- beihilfe in Anspruch nahmen, eingehend zu ilberprlifen, und aus jener Zeit datirt die Creirung eines besonderen Tracirungs- Bureaus bei der k. k. General-Inspection der osterreichischen Eisenbahnen. Unter den oben aufgezahlten Linien verdient die Kronprinz Rudolf-Bahn wegen ihrer Durchquerung des Alpengebietes vom Standpunkte der Tracirung eine besondere Beachtung. Von der Station St. Valentin abzweigend, fiihrt uns die¬ selbe langs der Enns aufwarts iiber Steyr, Klein-Reifling und Hieflau, an den theils aus Schuttablagerungen, theils aus Conglomeratbanken gebildeten Steil- ufern voriiber, welche mitunter, so ins¬ besondere bei Gross-Reifling und Hieflau, sehr umfangreiche Fluss- und Lehnen- bauten nothwendig machten. Von Hief¬ lau aufvvarts tritt die Bahn in das wegen seiner grossartigen Naturschonheiten all- bekannte »Gesause«, durch die von steilen Felswanden eingeengte Schlucht in vielfachen kiinstlichen Kriimmungen ihren Weg suchend, bald dem schaumen- den Ennsflusse, bald der steilen Fels- lehne den nothigen Raum abzwingend. Dem Ennsthale iiber Admont noch bis Selzthal folgend, wendet sich die 192 Karl Werner. Trače von dort aus in das Paltenthal iiber Rottenmann gegen die Wasser- scheide bei Wald und fallt dann gegen St. Michael an die Mur ab, der sie bis Unzmarkt aufwarts folgt, auf diese Weise die ostlichen Auslaufer der Tauern- kette umfahrend. Mit dem Aufstieg iiber Scheifling bis zur Wasserscheide bei St. Lamprecht verlasst sie das Murthal und fiihrt zunachst langs des Olsabaches, sodann entlang der Gurk und weiter iiber Glandorf, St. Veit und Ossiach nach Villach. dort weiter bis Abfaltersbach hin gestaltete sich jedoch infolge der von den Berg¬ li angen herab bis in das Flussbett vor- geschobenen massenhaften Schuttablage- rungen die Bahnanlage als schivieriger Lehnenbau. Unter vielfacher Amvendung des Minimalradius von 284 m und der Maximalsteigung von 25°/ 0 erreicht die Linie den Sattel bei Toblach in einer Meereshohe von 1211 m. Noch grossere Schivierigkeiten als der Aufstieg, bot der Abstieg langs der Rienz iiber Nieder- dorf, Welsberg und Olang bis Bruneck. Abb. 48. Kehrschleife der Brenner-Bahn im Pflerschthale. Die Fortsetzung der Kronprinz Rudolf- Bahn gegen Siiden erfolgte stiickweise durch die im Jahre 1868 erflossene Concessionirung der Linie Tarvis-Laibach und im Jahre 1869 durch die Goncessio- nirung der Zwischenstrecke Villach- Tarvis. Vor das Jahr 1869 fallen noch die technischen Vorarbeiten ftir die zur Aus- gestaltung des Stidbahnnetzes hochst wichtige Fortsetzung der Karntnerlinie von Villach durch das Pusterthal bis zum Anschlusse an die Siidtirolerlinie bei Franzensfeste. Von Villach aus dem Laufe des Draufiusses aufvvarts folgend, begegnet die Linienfiihrung bis Lienz keinen besonderen Schivierigkeiten und konnte mit der Maximalsteigung von 5°/ 00 das Auslangen gefunden werden. Von Colossale, aus den beiderseitigen Hoch- gebirgsziigen stammende, durch Wild- bache dem Hauptthale zugefiihrte Schutt- ablagerungen, deren katastrophenreicher Umgestaltungs-Process noch heute fort- dauert, bilden fast ausschliesslich den Typus der unteren Thalgelande, aul welchen die Bahn mit ihren mannigfachen, mitunter im grossartigen Stile angelegten Kunstbauten hinfiihrt. Vom Lamprechts- berger Tunnel gegen Bruneck hin ist die Linie mit dem Gefalle von 20°/ 00 in einer weitausgreifenden, die Stadt Bruneck umkreisenden Schleife entwickelt. [Vgl. Abb. 49.] Auch in der Fortsetzung bis Franzens¬ feste ist der Lehnenbau vorherrschend, doch bewegt sich die Bahn nicht mehr ausschliesslich im Schuttgebiete, sondern Tracirung. 193 Geschichte der Eisenbahnen. II. 13 Abb. 49. Bruneck. 194 Karl Werner. ist zumeist auf dem felsigen Grund- gestelle des Gebirges fundirt. Inz\visclien nahm der jene Zeit charakterisirende Aufschwung auf allen Gebieten der finanziellen und namentlich der Eisenbahn-Griindungen seinen weite- ren Fortgang und dieser Periode ver- danken die Oesterreichische Nordvvest- bahn, die BuschtShrader Bahn, die Vorarl- berger Bahn, die Leoben-Vordernberger Bahn, die Linien Hohenstadt - Zoptau und Salzburg - Hallein, Ebensee - Ischl- Steg, die Dux-Bodenbacher Bahn, die Erste ungarisch-galizische Bahn, die Ostrau-Friedlander Bahn, die Dniester Bahn, die Pilsen-Priesener Bahn, die Mahrisch-schlesischeCentralbahn, die Un- garische Westbahn und viele z\vischen den Hauptbahnen eingeschaltete Ver- bindungs- und Nebenlinien ihr Ent- stehen. In welch rapider und bis zur Ueber- hastung reichender Weise sich die Privat- unternehmungen damaliger Zeit bei Aufstellung und Verwerthung neuer Bahnprojectezu iiberbieten suchten, ist aus nachstehender Tabelle zu entnehmen, worin die von der Regierung pro Jahr ertheilten Bewilligungen zur Vor- nahme technischer Vorarbeiten verzeichnet sind. Diese bis auf die neuere Zeit fort- gesetzte Tabelle gibt auch Aufschluss iiber die der Ueberproduction folgende Reaction sowie iiber die spiiteren Fluctua- tionen der Unternehmungslust. Ein hochst \vichtiges und im Allge- meinen sehr nothwendiges Gorrectiv der oben ervvahntenUeberhastung, mit welcher an die Verfassung und Vorlage der Traci- rungs-Operate seitens der speculirenden Privatunternehmungen geschritten wurde, lag in der vom 4. Februar 1871 datirten Handelsministerial-Verordnung, in \vel- cher nicht nur die aussere Form der zu erstattenden Projects-Vorlagen, sondern insbesondere auch der Vorgang bei der Verfassung der Projecte sowie der sach- liche Inhalt der dazu gehorigen Behelfe in fester Norm vorgeschrieben wurde. Von jener Zeit datirt auch ein allge- meiner Fortschritt in der geodatischen Methode der Terrain-Aufnahme. Der bis dahin allgemein gebrauchliche Vorgang, wonach zunachst eine dem Durchschnitts- gefalle entsprechende Entwicklungslinie in der Natur ausgemittelt und dann durch entsprechende Querprofile die Terrain- gestaltung charakterisirt wurde. lieferte jedesmalnurdas topographische Bild eines relativ schmalen Terrainstreifens. Wo es sich demnach um die Aufnahme eines ausgebreiteten Territoriums handelte, \vie dies bei complicirter Bodengestaltung und steiler geneigten Lehnen, insbeson¬ dere aber iiberall dort der Fali ist, \vo die Moglichkeit sehr verschiedener Tracen- fiihrungen [Varianten] vorliegt, erscheint die frubere Methode sehr zeitraubend und vielfach auch unzulanglich. Ueber die Schwierigkeiten, welche das directe Messen mit Kette, Štaben oder Bandera in gefahrlich zu betretendem Terrain mit sich brachte, half man sich schon in friiherer Zeit durch trigonometrische und optische Distanzmessungen verschie¬ dener Art. Eine rationellere und fiir alle Falle verwendbare, iiberdies auch viel schneller zum Ziele ftihrende Methode kam vom Jahre 1871 an in allgemeinen Aufschwung. Die verschiedenen Einzel- arbeiten, \velche diese neue Methode, von den Feldarbeiten angefangen bis zur Vollendung der planlichen Darstel- lung des Terrains umfasst, \verden mit Tracirung. J 95 Abb. 50. Universal-Instrnment. Abb. 51. Ablesbare Latte. Abb. 52 Tachymeter. dem Namen »Tachymetrie« bezeichnet. Uiese Methode der Terrainaufnahme be- ruht auf dem Principe, dass von einem seiner Hohenlage und Situirung nach bekannten Punkte aus mit Hilfe eines sogenannten Universal-Instrumentes [vgl. Abb. 50 und 52], welches durch ein mit Doppelfaden adjustirtes Fernrohr als optischer Distanzmesser und gleichzeitig zur Ablesung von Horizontal- und Verticalwinkeln verwendbar ist, jeder beliebige andere Punkt des Terrains gleichfalls seiner Hohenlage und Situi¬ rung nach fixirt werden kann, sobald auf diesen Punkt eine gleichmassig eingetheilte und bezifferte [sogenannte ablesbare] Latte [vgl. Abb. 51] postirt wird. Mittels dieses, noch durch einige Hilfsinstrumente [Rechenschieber etc., vgl. Abb. 53 — 55] unterstiitzten Ver- fahrens, lasst sich aus den zu Papier gebrachten und mit Hohen-Coten be- schriebenen Punkten in jedem be- liebigen Massstabe ein sogenannter Schichtenplan verfassen, welcher die Terrain-Configuration, je nach Be- diirfnis mit mehr oder weniger Ge- nauigkeit durch Isohypsen, das ist durch Linien gleicher Hohenlage, zur Darstellung bringt. Nachdem diese Darstellungsweise stets derart einge- richtet wird, dass die Schichtenlinien durchaus gleichen Verticalabstanden entsprechen, so konnen in solchen Planen, welche iiberdies auch alle Grenzlinien der Feld- und Waldcul- turen, alle Gebaude, Graben, Fliisse etc. enthalten, unter Zuhilfenahme von Zirkel und Massstab alle jene Messoperationen durchgefiihrt werden, welche friiher der Ingenieur mit seinen Gehilfen auf dem Terrain selber von Fali zu Fali verrichten musste. Mit Zirkel, Lineal und einer Auswahl von Curven-Schablonen lassen sich daher in solchen Schichtenplanen auch alle Va¬ rianten der neuen Bahntrace studiren, \velche irgendwie in Betracht kommen konnen, ohne dass fiir jede neue Variante abermalige Terrainaufnahmen nothig waren, wie dies bei der friiher gebrauch- lichen Aufnahmsmethode so haufig der Fali war. Die erste grosse Arbeit, welche in Oesterreich mit Anwendung dieser neuen Methode durchgefiihrt \vurde, ist die Tracirung der Arlberg-Bahn, welche iiber Auftrag des k. k. Handels- ministeriums durch die k. k. General- lnspection der osterreichischen Eisen- bahnen im Jahre 1871 begonnen \vurde. Bei Losung der gestellten Auf- gaben, Innsbruck und Bludenz mit einer directen, ausschliesslich auf osterrei- chischem Gebiete liegenden Bahnlinie zu verbinden, musste zunachst von der allgemeinen Frage ausgegangen wer- den, welche Wege bei Ueberquerung des zwischen Tirol und Vorarlberg ge- 13* 196 Karl Werner. lagerten Gebirgsstockes iiberhaupt in Betracht kommen konnen. Nach den allgemeinen topogra- phischen Verhaltnissen war sofort zu erkennen, dass die Hauptschvvierig- keiten sich zvvischen Blu- denz und Landeck hau- fen. In diesem Bereiche boten sich bei naherer Betrachtung nur zwei Hauptiibergange: entvve- der durch das Montafon- thal und nach Ueberstei- gung des Zeynes-Joches durch das Patznauner- thal, oder durch das Klosterthal iiber den Arl- berg und weiter durch das Stanzerthal. Die Ent- scheidung dieser Vorfrage bedurfte zunachst eines generellen Studiums, vvel- ches die Hohenlage der Culminationspunkte, die Lange der beiden Linien und namentlich jene der Scheiteltunnele, die zu bevvaltigenden Steigungs- verhaltnisse, ausserdem aber auch die geologi- schen, klimatischen sowie alle die allgemein bau- licben Schvvierigkeiten beeinflussenden Momente fiir beide Alternativfalle in Vergleich zu ziehen hatte. Um die zur Be- ant\vortung der ervvahn- ten Vorfragen erforder- lichen Daten zu erlangen, wurden unter Zuhilfe- nahme der besten vorhan- denen kartographischen Werke sowie durch baro- metrische Aufnahmen und Vornivellements die relativen Hohenlagen der massgebenden Punkte ermittelt; ebenso wurden die geologischen und klimatischen Verhiiltnisse durch zahl- reiche Recognoscirungen und Beobach- tungen fiir beide Alternativen eingehend studirt. Ein- hierauf basirter gegenseitiger •Vergleich gab folgende Resultate: I. Fiir den Arlberg: Lange der directen Linie zwischen Landeck und Bludenz 69 km ; Hohen¬ lage des Arlbergsattels 1780 m iiber dem Meere; Lange des Scheiteltunnels 5'5 bis I2'4 km je nach Wahl der Hohenlage der Nivellette von 1453 bis 1200 m iiber dem Meere. II. Fiir das Zeynes-Joch: Lange der directen Linie zvvischen Landeck und Bludenz 74 km ; Hohen¬ lage des tiefsten Sattels 1865 m iiber dem Meere; Lange des Scheiteltunnels im Minimum 16 km ; Hohenlage der Nivellette 1390 m iiber dem Meere. Wenn schon diese ziffermassigen Daten fiir die Wahl der Arlberglinie sprachen, so liessen die. ungiinstigen geo- loadschen und klimatischen Verhaltnisse des Zeynes-Joches sowie die durch haufige Murbriiche und Lavvinengange gefahrdeten Lehnen des Montafoner und Patznaunerthales in unserer Vorfrage keinen weiteren Zweifel mehr tibrig; bei den weiteren Studien konnte nur mehr die Arlberglinie in Betracht kommen. Die mit grosser Energie unternomme- nen tachymetrischen Terrainaufnahmen im Kloster- und Stanzerthale vvurden iiber beide Lehnen und den zvvischen- liegenden Thalgrund ausgedehnt; den- selben gingen detaillirte geologische Studien sowie eingehende Erhebungen iiber die Niederschlags- und Schnee- verhaltnisse, iiber Muren und Lawinen- gange und iiber die Ergiebigkeit der Wasserzufliisse zur Seite. Auf Grund dieses umfangreichen Materials erfolg- ten sodann die eigentlichen Tracestudien, bei \velchen fiir die offene Rampen- strecke Bludenz-Arlberg drei, fiir die Ostrampe zwei Varianten in Betracht gezogen werden mussten. Die Steigungs- verhaltnisse auf der Ostseite ervviesen sich schon durch das nattirliche Thal- gefalle relativ giinstig, so dass nur zvvischen der sonn- und schattseitigen Lehne die Wahl zu treffen war. Dagegen ervviesen sich die Gefallsverhaltnisse des Rosanathales sehr ungiinstig, vveshalb 197 Tracirung. drei ganz verschiedene Varianten studirt und in gegenseitigen Vergleich gezogen wurden, und zwar : 1. E;ne Linie an der sonnseitigen Lehne mit 33°/ 0 o Ansteigung und einer Lange von 29^3 km zwischen Bludenz und Stuben. 2. Eine um 4 km langere Linie zwischen denselben Anschlusspunkten, jedoch mit Anwendung von Kreiskehren bei einer Steigung von 29°/ 00 . 3. Eine Linie mit 29°/ 00 Ansteigung in directer Richtung, wobei jedoch die Tunnel-Nivellette um circa 200 m tiefer als bei den Linien 1 und 2, daher auch der Tunneleingang nicht bei Stuben, sondern bei Langen gedacht \var. Fiir die Trače des Scheiteltunnels wurden fiinf verschiedene Falle studirt, und zwar: a) Mit Anlage des Tunneleinganges nachst Stuben [1406 m tiber dem Meere] und des Tunnelausganges im Arlthale [1451 m iiber dem Meere] bei einer geraden Lange von 5'5 km und einer Bauzeit von elf Jahren ; b) mit Beibehaltung derselben Tunnel- Portale wie friiher, jedoch gebrochener, 6'4 km langer Trače, welche die Anlage zweier Hilfsschachte, und somit die Reducirung der Bauzeit auf sieben Jahre ermoglichen solite; Abb. 54. Theodolit. c) mit Anlage des Tunnel-Portales nachst Stuben in der Meereshohe von 1410 m und des Tunnelausganges in der Marchthalschlucht oberhalb St. Anton [1368 m tiber dem Meere] bei gebrochener, 6'8 km langer Trače, wel- che die Anlage zweier Hilfsschachte er- moglichte und fiir 7% Jahre Bauzeit berechnet \var; Abb. 55. Hohenmess-Baroineter. d) mit dem Tunneleingange bei Stu¬ ben [1410 m iiber dem Meere] und dem Ausgange in der Moccaschlucht bei St. Anton [1330 m iiber dem Meere] in gerader, 7 - 6 km langer Trače mit einem Hilfsschachte und einer Bauzeit von 8‘/2 Jahren; e) mit dem Tunneleingange bei Langen [1210 m iiber dem Meere] und dem Ausgange bei St. Jacob [1260 m iiber dem Meere], bei einem 12'4 km langen, in seiner Richtung zweimal gebrochenen Tunnel, dessen Bauzeit mit Zuhilfenahme von drei Schachten auf 8 '/ 2 Jahre veranschlagt war. Bei Berechnung der obigen Bauzeiten waren die beim Baue des Mont Cenis- Tunnels mit maschinellerKraft betriebenen Gesteinsbohrer und die beiderseits des Arlberges zu diesem Zvvecke zu Gebote stehenden Wasserkrafte als Grundlage an- genommen. Wiederholte, aus Mannern der Bau- und Betriebspraxis zusammen- gesetzte Expertisen sprachen sich im Interesse des kiinftigen, mOglichst unge- storten Bestandes und Betriebes der Bahn fiir die tiefste, somit langste Tunnelanlage aus; beztiglich der Zufahrtsrampen wurde die westliche mit 29°/ 00 , die ostliche mit 25 % 0 Maximalsteigung, und fiir den 198 Karl Werner. Minimal-Curvenradius das Mass von 250 m gewahlt. Bekanntlich gelangte bei dem im Jabre 1880 begonnenen Bau ein zwischen den Tunnel-Portalen bei St. Anton und Stuben gelegener, 10.240 m langer, in vollkommen gerader Richtung fiihrender zvveigeleisiger Tunnel zur Ausflihrung. Die bei den Zufahrtsrampen thatsachlich in Anwendung gekommenen Maximal- Neigungsverhaltnisse betragen auf der Westseite 30 °/ooi auf der Ostseite 25°/ 00 . Abb. 56. Tachygrammeter. Der Inangriffnahme des Tunnelbaues hatte noch eine besondere geodatische Arbeit voranzugehen, d. i. die Absteckung und Fixirung der Tunnelaxe. Die bei ge- ringeren Timnellžingen und unter glinsti- geren Terrainverhaltnissen sonst tibliche Methode der Tunnelaxen-Fixirung durch directe Absteckung oder mit Hilfe eines relativ kurzen Polygonzuges auf Grund einer gemessenen Basis konnte beim Arlberg nicht in Anwendung kommen; vielmehr musste angesichts der bedeuten- den Tunnellange von mehr als 10 km sowie auch in Anbetracht der ung-unstig-en Terraingestaltung des z\vischen den bei- den, in tiefen Thalfalten gelegenen Tunnel- Portalen sich erhebenden, mitunter sehr schwer gangbaren Gebirgsstockes, zur Triangulirung geschritten werden, wozu das vom k. k. militar-geographischen Institute behufs einer Landesvermessung angelegte Triangulirungsnetz eine sehr willkommene und sichere Basis darbot. Mittels vviederholter Winkelmessungen vvurden zunachst nach dem PothenoPschen Probleme die geographische Breite und Lange der beiden Tunnel-Anscblagpunkte, beziehungsweise deren Lage im Triangu- lirungsnetze durch Coordinaten festgestellt, hieraus der Richtungswinkel der Tunnel- axe sowie deren Lange berechnet. Behufs scharferer Controle dieser Arbeit wurde, von der Ostseite aus beginnend, die Richtung der Tunnelaxe liber das Gebirge hinweg bis zum Westportale und darliber hinaus verlangert, durch Ausstecken der geraden Linie liber das Gebirge hinvveg nach erzielter Coincidenz der Resultate die beiderseitigen Observatorien fixirt und mittels Reperepunkten versichert. Bei der Berechnung der Kosten und derBauzeit fiir diesen tiefliegenden Tunnel vvurden die mittlerweile beim Bau des Gotthard-Tunnels gevvonnenen giinstigen Erfahrungen zugrunde gelegt, nach \velchen sowohl mit der durch com- primirte Luft betriebenen Percussions- Bohrmaschine von Ferroux, als auch mit der seit 1877 bekannt gewordenen, durch einen Wasserdruck von 80—100 Atmo- spharen bewegten Drehbohrmaschine von Brandt ein durchschnittlicher Fortschritt des Stollenvortriebes von 3 m pro Tag erzielt \verden konnte. Als ein Fortschritt auf dem Gebiet der Tracenlegung ist die bei der Aus¬ fuhrung der Arlberg-Bahn in Anvvendung gekommene und in der Folge fiir alle Bahnanlagen zur Norm erhobene Aus- gleichung der Nivellette zu verzeichnen. Ausgehend von der Thatsache, dass die Bewegung der Fabrbetriebsmittel in den Bahnkriimmungen vvegen der vermehrten Reibung und in den Tunnelstrecken wegen der feuchten Schienenoberflache einen grosseren Widerstand erfahrt als in den geraden offenen Strecken, verfolgt die erwahnte Ausgleichung der Nivellette bekanntlich denZweck, die Schwankungen der Zugswiderstande auf Grund eines speciellen Calctils dadurch moglichst aus- zugleichen, dass die auf die Gesammt- lžinge entfallende Durchschnittssteigung in den Bogenstrecken nach dem Masse des Curvenradius und in den Tunnel- Tracirung. 199 strecken entsprechend deren Lange er- massigt, dagegen in den geraden Strecken im proportionalen Verhaltnisse vergrossert wird. Ein weiterer Fortschritt lag auch in der, den ruhigeren Gang der Fahrbetriebs- mittel bezrveckenden Anordnung parabo- lischer Uebergangs-Curven bei denBogen- Ein- und Auslaufen an Stelle der schon viel friiher gebrauchlichen Korbbogen. Derselben Zeitperiode, wie die Vor- arbeiten ftir die Arlberg - Bahn, ent- . tibte ihre verhangnisvolle Riick\virkung auch auf die Bahnunternehmungen aus. Zwar nahm der Ausbau der damals schon concessionirten und finanziell sichergestellten Bahnlinien, worunter die Salzburg-Tiroler Bahn, die Mahrisch- schlesische Centralbahn, die Wien-Potten- dorf-Wiener-Neustadter Bahn und ver- schiedene Nebenlinien grosserer Bahn-, unternehmungen zahlen, seinen unge- storten Verlauf; ftir die Creirung neuer Abb. 57. Tachygrammetrisches Bild des Reichensteins. stammt auch die Localbahn von Nuss- dorf auf den Kahlenberg, der erste Re- prasentant einer Zahnradbahn in Oester- reich. Dieselbe ist nach dem System Riggenbach, mit normaler Spurweite, einer Maximal-Steigung von ioo°/ 00 und dem Minimal-Curvenradius von 180 m angelegt. Mittlerweile dauerte der schon im Vorhergehenden erwahnte allgemeine Aufsch\vung auf dem Gebiete neuer Bahnunternehmungen noch bis gegen das Jahr 1873 an. Die um diese Zeit in allen Zweigen industrieller, \virth- schaftlicher und namentlich tinanzieller Thatigkeit eingetretene sch\vere Krisis Linien \var jedoch jede Unternehmungs- lust geschwunden, so dass sich die Re- gierung veranlasst fand, die Mittel ftir Eisenbahnbauten unter Beniitzung des offentlichen Credites zu beschaifen. — Auf Grund des im Jahre 1873 erlassenen Gesetzes wurden zunachst Special-Cre- dite ftir den Bau der Istrianer Bahn, der Tarnow-Leluchower Bahn, der Dalma- tiner Bahnen und der Linie Rakonitz- Protivin bewilligt. In den bis zum Jahre 1876 reichenden Zeitraum fallt noch die Errveiterung der Concession der Kron- prinz Rudolf-Bahn fiir die Linien Villach- Tarvis, Hieflau-Eisenerz und Salzkammer- gut-Bahn, ausserdem ftir Leobersdorf-St. 200 Karl Werner. Polten mitZweigliniennach Gutenstein und . Gaming; in dasjahr 1878 fallt dieConces- sions-Verleihung ftir die Eisenbabn Wien- Aspang. -— Dasjahr 1879 bezeichnet ein vollkommener Stillstand der Privatbestre- bungen und beschrankte sich der Zuwachs neuer Tračen auf die in Staatsregie unter- nommene Herstellung von Tarvis-Pontafel, Unterdrauburg-Wolfsberg, Miirzzuschlag- Neuberg, Kriegsdorf - Romerstadt und Ebersdorf-Wiirbenthal. Ein neues Feld der allmahlichen Ent- wicklung fanden die Privatunternehmun- gen erst wieder mit dem im Jahre 1879 erflossenen Localbahn-Gesetze, welches sowohl ftir die Concessionirung als auch ftir Anlage, Ausfiihrung und Betrieb von Localbahnen umfassende Erleichterungen gewahrte. Diesem zunachst nur ftir drei Jahre, nachher jedoch ftir eine langere Giltigkeitsdauer erstreckten Gesetze ver- dankt eine sehr grosse Anzahl theils normal-, theils schmalspuriger Local¬ bahnen in fast allen Landern der Monarchie ihr Entstehen. Inzwischen hatte der allmahliche Wiederaufschwung der Eisenindustrie das schon frtiher gefiihlte Bediirfnis, die um die Gewinnung und Verhiittung der Bergproducte des steiriscben Erzberges beflissenen Orte Eisenerz und Vordern- berg mittels eines directen Schienenweges zu verbinden, zur unabweislichen Noth- wendigkeit gesteigert. — Wohl waren zur Herstellung dieser Verbindung schon wiederholt Tracenstudien unternommen worden, die Realisirung einer Adhasions- bahn scheiterte jedoch an der Ungunst der ortlichen Verhaltnisse. Zwischen der in einer Meereshohe von 692 m gelegenen Ausgangsstation Eisenerz und der in der Meeres-Cote von 768 m gelegenen An- schlussstation Vordernberg, welche eine directe Horizontal-Entfernung von kaum 13 km trennt, erhebt sich der Prebichl- pass mit der Hohenlage von 1230 m. Die bei Anwendung des Adhasions- Systems relativ giinstigste Trače hatte ihren Aufstieg von Eisenerz aus zunachst mit einer Entwicklung in der Ramsau und im hinteren Erzbergthale, und nach Durchbrechung des Reichensteines mittels eines 4000 m langen Tunnels ihren Abstieg mit einer Entwicklung im Goss- bach- und Krumpenthal gefunden. Diese circa 26 km lange Linie hatte an die Leoben-Vordernberger Bahn bei Hafning angeschlossen und sonach ihren eigent- lichen Zweck, die Einbeziehung der Vordernberger Werke, ganzlich verfehlt, weshalb auch die Oesterreichisch-alpine Montan-Gesellschaft von dieser Aus- ftihrung abstand. Die unterdess in anderen Landern mit dem Abfschen gemischten Betriebs- systeme erzielten gunstigen Erfahrungen, welche bei gleichzeitiger Nutzbarmachung der Adhasion und der Zahnstange die Bewaltigung grosser Nutzlasten auf sehr starken Steigungen gewahrleistete, fuhrten endlich zur rationellen Losung der ge- stellten Aufgabe. Auf Grund der im Jahre 1888 er¬ flossenen Concession wurde die normal- spurige Verbindungslinie ftir gemischtes Betriebssystem hergestellt; dieselbe er¬ hebt sich von Eisenerz aus unter wieder- holter Anwendung des Steigungsverhalt- nisses von 71 °/ 00 und des Minimal- Kriimmungshalbmessers von 180 m an den Hangen der Ramsau, durchfahrt nach einer vollen Wendung im hinteren Erzbergthale den Erzberg mittels eines 1394 m langen Tunnels und nach weiterer Ansteigung im Hochgerichtsgraben den Prebichlpass mit einem 591 m langen Tunnel, worauf sie sich an der linken Lehne des Vordernberger Thales zur An- schlussstation Vordernberg herabsenkt. Die Lange der Linie betragt 20 km, der Culminationspunkt im Prebichl-Tunnel liegt in der Meeres-Cote von 1205 m. Zur Abwehr der dem Bahnbetriebe aus dem Lawinengebiete des Reichen¬ steines drohenden Gefahren erschien die Anlage umfassender Schutzbauten nothig, woraus sich die Nothvvendigkeit einer bis in die Hochregion reichenden Terrain- aufnahme ergab; hiebei kam ausser dem tachymetrischen auch das photo- gramrnetrische Verfahren in Anwendung. Das Wesen der gegenwartig noch im Entwicklungsstadium betindlichen Photo- grammetrie besteht- bekanntlich darili, dass von zwei oder mehreren ibrer Situirung und Hohenlage nach bekannten Punkten aus photographische Bilder des betreffenden Gebietes hergestellt werden, Tracirung. 201 aus welchen sich nach Identificirano - mar- I entwickelte. circa 77 km. larurp Tfinie, h-St. >urg- horn stein eines von inels .lnitz ab- ster- iach- rung rad-] ,inie, lats- isge- ithal d en oder cul- mels hale meh ttels iiber urch die eser' osse :war lend nzo- lirde :hen gen. itel- 3 m be- des leu- des ihen 1. irde ■hen > uu ^en. , in /are Abb. 58. Gegeniiberstellung der zwisclien Triest und Klagenfurt projectirten Balmlinien. Legende : 20 30 tr 50 90 100 no 120 130 140 150 160 180 190 200 210 220 230 Km 2C0 Karl Werner. Polten mitZvveiglinien nach Gutenstein und ,j bach- und Krumpenthal gefunden. Diese Gaming ; in das Jahr 1878fallt die Cnnoe«- I u..; 1- T ' ' sions-Ver Aspang. - vollkomm bungen ui neuer Tra nommene Unterdrau Neuberg, Ebersdorf Ein n( wicklung gen erst a erflossenei sowohl fu fur Anlagi Localbahn gewahrte. Jahre, na( Giltigkeits dankt ein normal-, bahnen i Monarchie Inzwisc Wiederaufi schon friih die Gewi: Bergprodu< beflissenen berg mittel zu verbindi wendigkeit zur Hersteli \viederholt worden, di< bahn scheil der ortliche in einer Me Ausgangsst Meeres-Coti schlussstatic directe Hor. 13 km tren pass mit d Die bei Systems re’ ihren Aufstii mit einer 1 und im hint Durchbrechi eines 4000 Abstieg 'mit Tracirung. 201 aus welchen sich nach Identificirung mar- kanter Terrainpunkte, auf ahnliche Weise wie bei der Messtischaufnahme, durch Rayoniren und Schneiden oder auf sonstigem graphischen Wege eine.mehr oder minder pracise Charakterisirung der Bodengestaltung entwickeln und in Form von Schichtenplanen darstellen lasst. Dem bisher im retrospectiven Sinne verfolgten Theile des Entwicklungsganges der osterreichischen Eisenbahnlinien reiht •sich noch die Betrachtung iiber. die der nachsten Zukunft vorbehaltenen Fragen jener Bahntracen an, welche die Ver- bindung des Seehafens von Triest mit den nordlichen und nordwest!ichen Pro- vinzen des Reiches bezwecken. Bei Betrachtung der allgemeinen geograpbi- schen Lage dieses Emporiums oster¬ reichischen Seehandels fallt sofort in die Augen, dass die directe. Schienenverbin- dung gegen Norden durch mehrere machtige Gebirgssysteme erschwert wird, deren Hauptrichtung von Ost nach West verlauft. Es sind dies zunachst die Ketten der Julischen Alpen und der Karawanken, weiter nordlich die Tauern. Die im Laufe der letzten Jahre seitens der Regierung unternommenen Tracen- studien und Projectirungsarbeiten um- fassten ein sehr vielseitiges und reich- haltiges Materiale fiir die Losung der gestellten technischen Fragen. Bei der Aufstellung der Projecte wurde an dem Grundgedanken festgehalten, dass die intendirten Bahnlinien nicht den Local- bediirfnissen der durchzogenen Lander- gebiete, sondern den Zwecken eines grossen Durchzugsverkehres zu dienen hab en werden. Fiir die Ueberquerung der Tauern \vurden zehn verschiedene Varianten studirt, welche in ihren Hauptrichtungen den Thalbildungen von Felben, Fusch, Rauris, Gastein, Gross-Arl, Flachau und Taurach am Nordhange, und j en en von Isel, Moll, Fragant, Malta und Lieser- bach am Sudhange sowie den inzwischen moglichen Combinationen entsprechen. Unter diesen zehn Varianten nehmen insbesondere zwei ein hervorragendes Interesse in Anspruch, und zwar: i. Jene fiir reines Adhasions-System mit der Maximalsteigung von 25 °/ 00 entwickelte, circa 77 km lange Linie, welche, von der Station Schwarzach-St. Veit der k. k. Staatsbahnlinie Salzburg- Worgl ausgehend, sich iiber Loibhorn durch das Gasteinerthal bis Bockstein erhebt, den Gebirgskamm mittels eines 8470 m langen, in der Meeres-Cote von 1225 m culminirenden Scheiteltunnels durchbricht und sodann iiber Malnitz und Obriach, langs dem Mollthale ab- fallend, ihren Anschluss an die Puster- thal-Bahn bei Mollbriicken [nachst Sach- senburg] findet. 2. Die mit 4O°/ 00 Maximalsteigung fiir gemischtes [Adhasions- und Zahnrad-] System projectirte, 83 km lange Linie, die, von der Station Eben der k. k. Staats¬ bahnlinie Selzthal - Bischofshofen ausge¬ hend, zunachst durch das Flachauthal bis gegen die Gasthofalpe ansteigt, den Gebirgskamm unter der Permut oder Grosswand mittels eines in 1253 m cul¬ minirenden, 8710 m langen Tunnels durchfahrt, hierauf dem Zederhausthale bis gegen Schellgaden folgt und nach Durchbrechung des Katschberges mittels eines 5050 m langen Tunnels, iiber Rennweg, Eisentratten und Gmiind durch das Lieserthal zum Anschluss an die Station Spital an der Drau fiihrt. Fiir die weitere Fortsetzung' dieser Linie gegen Siiden kommen drei grosse Alternativprojecte in Betracht, und zwar [vgl. Abb. 100]: a) Eine Linie von Tarvis ausgehend iiber den Predil und langs des Isonzo- flusses bis Gorz. Die Baulange Tarvis-Gorz wurde 99 km, die Schienenlange zwischen Tarvis und Triest 181 km betragen. Der in 790 m Hohe culminirende Scheitel- tunnel wiirde eine Lange von 355° m erhalten. b) Eine Linie von Klagenfurt be- ginnend und nach Ueberquerung des Rosenthales iiber den Loibl-Pass, Neu- marktl, Bischoflack, sodann langs des Sayrachthales aufwarts iiber die Hohen des Birnbaumer Waldes nach Divaiia. Die Baulange dieser Linien wiirde 162 km, die Schienenlange zwischen Klagenfurt und Triest 195 km betragen. Der Culminationspunkt auf dem Loibl, in dem 4680 m langen Scheiteltunnel ware 202 Karl Werner. 813 m, jener des Birnbaumer Waldes 780 m hoch gelegen. c) Eine Linie von Klagenfurt be- ginnend durch das Barenthal, nach Tunne- lirune: des Karawankenzu2;es liber Veldes und Wocheiner-Feistritz, sodann nach Durchquerung der Julischen Alpen langs des Bačathales abwarts bis St. Lucia [bei Tolmein] und weiter im Isonzothale bis Gorz. Die Baulange dieser Linie wiirde 125 km, die Schienenlange Klagenfurt- Gorz-Triest 182 km betragen. Die beiden Haupttunnele wurden zusammen eine Lange von 16.235 m reprasentiren. Der Culminationspunkt im Karawanken- Tunnel lage 602 m liber dem Meeres- niveau. ( Beziiglich der erforderlichen Baukosten \veist die Predil-Linie die niederste, die Wocheiner Linie die hochste Summe auf. Ein gegenseitiger Vergleich der all- gemeinen Neigungsverhaltnisse fiihrt bei Einrechnung der durch Gegengefalle, beziehungsweise Gegensteigungen ver- lorenen Hohen zu dem Resultate, dass in der Richtung Triest-Klagenfurt von der Wocheiner Linie 880 m , von der Predil-Linie 1080 m, von der Loibl-Lack- DivaSa-Linie 1600 m zu ersteigen, da- gegen in umgekehrter Richtung in cor- respondirender Ordnung die Hohen von 420, 650 und 1170 m zu bewaltigen sind. Fiir die zwischen den genannten drei Alternativ-Tracen, beziehungs\veise zwischen den einzelnen Tauern-Varianten zu treffende Wahl lasst sich jedoch aus den angefiihrten bau- und betriebstech- nischen Daten eine peremptorische Ent- scheidung nicht ableiten, nachdem ange- i sichts des weitausgreifenden Z\veckes dieser grossen Durchzugslinie, den nationaloconomischen, commerziellen, eisenbahnpolitischen und militarischen Interessen ein pravalirender Einfluss auf die Tracewahl eingeraumt werden muss. o. o. Professor Unter- und Oberbau. Von dipl. Ingenieur Alfred Birk, der k. k. deutschen technischen I-Iochschule in Prag, Eisenbahn-Oberingenieur a. D. A US zwei streng gesonderten Theilen baut sich der Weg der Locomo- ^ ti ve auf. Bezeichnend nejint sie der Fachmann Unterbau und Oberbau. Der Unterbau gleiclit die Hohen und Tiefen des Gelandes aus, iiberbrilckt Thaler, Fliisse und Strassen, unterfahrt Wege und Canale, durchquert Siimpfe und durchbricht das Gebirge, um eine ebene und solide Grundlage fiir den Oberbau zu schaffen, der durch sein starres Gefuge die Fahrzeuge in vorge- schriebene Bahnen zwingt und der uner- schiitterlich Stand halten soli der Wucht, mit der Locomotive und Wagen an den unscheinbaren Fesseln rtitteln. Damme und Einschnitte, Tunnels, Brucken und Durchlasse, Wegiiberfiihrun- gen und Wegekreuzungen in Schienen- hohe, Schutzbauten gegen Schnee- und Sandstiirme, gegen Lawinen und Fels- stlirze, gegen das Wasser, es mag nun im Innern der Erdkoi'per heimtiickisch an deren Bestande wuhlen oder offen seine Fluthen zerstorend gegen die Damme vvalzen — alle diese Einzelheiten des Locomotivweges umschliesst das weite Gebiet des Unterbaues, vvahrend der metallene Strang,* liber den die Rader rollen, die Schwellen, die ihn stutzen, das Schotterbett, auf dem diese ruhen, sich in den Begriff des Oberbaues fiigen. Die Aufgabe, eine Entwicklungs- geschichte des Unter- und Oberbaues zu schreiben, ist nicht leicht. Die Gebilde des Bau-Ingenieurs iiben auf den Fern- stehenden nicht jene Anziehungskraft aus, wie die von Leben durch stromten SchopfungendesLocomotiv-Constructeurs. Aber auch die Ueberfiille des Stoffes erschwert dessen Sichtung, dessen genaue Darstellung. Auf zahlreichen Wegen stiegen die Ingenieure von den Anfangen des Eisenbahnbaues zu der hohen Stufe der Ausbildung empor, auf der sie heute stehen; aber auf diesen steilen .Pfaden erreichten sie einzelne, machtig hervortretende Hohepunkte, wel- che sprungweise die allmahliche Entwick- lung kennzeichnen: es sind die kiihnen Gebirgsbahnen, deren Bau den Ruhm der osterreichischen Ingenieure begriin- dete. Die Alpen, die den schonsten natiirlichen Schmuck unseres Vaterlandes bilden, bergen zugleich jene Wunder- werke der Baukunst, die den Ruhm unserer Ingenieure verkiinden. Die Bodengestaltung unserer Mon- archie hatte dem osterreichischen Bahn- baue grosse Schwierigkeiten entgegen- gestellt. Aber gerade deren Bekampfung erweckte seine besten Krafte, und seine Erfolge machten ihn zur Schule fiir den ganzen Continent. An jene Meisterwerke des oster¬ reichischen Bahnbaues wird unsere Ge- schichte immer wieder ankniipfen miissen, um dem Leser ein thunlichst vollendetes Bild vor Augen zu fiihren. 206 Alfred Birk, Eisenbahn-Unterbau. Erdbcm. Zu jener Zeit, da in Oesterreich die ersten Schienentvege gebaut wurden, war der Erdbau bereits — in Praxis wie in Theorie — durch die hervor- ragenden Leistungen auf dem Ge- biete des Strassenbaues auf einer ver- haltnismassig hohen Stufe derEntwicklung angelangt. Und wenn auch die damalige Constructionsvveise und Bauausftihrung uns heute bescheiden erscheinen mag, so geniigte sie docb den Anforderungen, welche der Bau der ersten Bahnen an sie stellte. Aber die Unvertrautheit mit dem kiinftigen Verhalten der Bauten unter den schweren und rascher bevvegten Lasten trug ein neues Moment in den Erdbau hinein, indem sie anfangs zu besonderer, ja vielfach Ubertriebener Vor- sicht bei dem Baue der Erdkorper im Hinblick auf ihre Widerstandsfahigkeit ; Veranlassung gab. So erachtete Franz Anton Ritter von Gerstner, derSchopfer der ersten Eisenbahn Oesterreichs, die Erdprofile der Landstrassen bei den hohen Dammen der Linz-Budweiser Bahn nicht ftlr genugend, um den Senkungen der Bahn vorzubeugen, sondern baute in den Erdkorper unter jedes Geleise eine mach- tige Steinmauer ein, die auf dem gewach- senen Boden ruhte und die er bei be- sonders hohen Dammen bis zum Geleise hinaufreichen liess.*) [Abb. 59—61.] Diese | kostspielige Bauweise wurde bereits von Schonerer, der den"VVeiterbau der Linie ubernahm, verlassen, und bald bildeten sich jene Damm- und Einschnittsprofile heraus, | *) Um allzuhaufige Hinweise auf die allgemeine Geschichte der Osterreichischen | Eisenbahnen zu vermeiden, sei hier ein ftir allemal auf die »Geschichte der Eisen- bahnen in Oesterreich-Ungarn von den ersten Anfangen bis zum Jahre 1867« von Hermann Strach und aut die »Ge¬ schichte der Eisenbahnen Oester¬ reichs von 1867 bis zur Gegenwart« von Ignaz Konta im I. Bande dieses Werkes hin- gewiesen. Diese Abschnitte enthalten nebst der Baugeschichte und Tracenbeschreibung der einzelnen Bahnen auch zahlreiche Ab- bildungen der wichtigsten Bauwerke, die vielfach auch in diesem Abschnitte zur Sprache kommen. deren Formen zu den heutigen hiniiber- fiihrten. Lange Zeit erachtete man es aber noch fiir nothwendig, die Damme nur in 6" [16 cm] hohen Lagen aufzu- tragen und auszugleichen und sie durch Feststossen vor ktinftigen Setzungen zu bewahren, bis die Erfahrung auch diese Massregeln als uberfliissig liber Bord warf. Die erste Locomotiv-Eisenbahn Oester¬ reichs, die Linie von Wien nach Brtinn, erforderte — da ihre Erbauer angstlich dem Vorbilde englischerBauwei.se folgten — trotz der giinstigen Gestaltung des Gelandes bemerkenswerthe Unterbau- Objecte und die bedeutende Erdbevve- gung von 4 l / 2 Millionen Cubikmetern, die in der relativ kurzen Zeit vom Jahre 1837 bis 1839 ausgefiihrt wurde. [Vgl. Abb. 62 — 64.] Zur raschen Erd- beforderung wurden schon damals Kipp- wagen, die auf Nothbahnen liefen, be- niitzt. Ungleich grossere Schtvierig- keiten bot der Bau der Nordbahn zvvischen Leipnik und Pohl in den Jahren 1845 bis 1848, wo der 2800 m lange, bis 17 m tiefe Einschnitt durch die dortige Wasserscheide in tvasser- reichem, von Sand- und Schotterschichten durchzogenem Lehmboden zu bedeutenden Rutschungen Anlass gab. Auch der Bau der Staatsbahn- linien Olmiitz-Prag, Briinn-Mahrisch- Triibau und Mtirzzuschlag-Triest stellte den Erdbau vor grosse Aufgaben. Damme von 10 bis 20 m Hohe in quellenreichem Gelande, Einschnitte von 5 bis 10 m Tiefe in thonigem Boden oder in felsigem Ge- stein, Flussverlegungen, Durchstiche von Flussarmen, hoheSttitz- und Wandmauern, Uferschutzbauten und Galerien waren hier auszufiihren und boten mannigfachen An¬ lass zu neuen Constructionen. In jener Zeit \vurden die ersten Steinbankette in scharfen Bogen, die ersten gemauerten Graben in wasserreichen Felseinschnitten zur Anvvendung gebracht. Die grossen Erdmassen verschiedener Festigkeitsgrade ftihrten zu neueren Gesichtspunkten beztig- Arbeitsauftheilung und der Verwendung der Arbeitskrafte. In der Strecke Olmiitz- Eisenbahn-Unterbau. 207 Prag waren liber 1,100.000, in jener von Miirzzuschlag nach Graz an 600.000 m 3 Felsen zu sprengen; das Plateau des Bahnhofes Steinbriick am Zusammen- fluss der San mit der Save bot besondere Schwierig- keiten, da sein Plateau theils dem Felsen abge- rungen, theils durch mach- tige Anschlittungen gewon- nen werden musste; die tief- gehende Umwandlung aller Localverhaltnisse erforderte an Abgrabung 20.000 m 3 , an Felsensprengung 200.000 m 3 , an Steinwtirfen fast 160.000 m 3 ', eine nam- hafte Felsenabsitzung no- thigte zu Abscarpirungen bis 1 o und 15 m Hohe liber denGeleisen. [Vgl. Abb. 65.] Bei der Kostenberech- nung der Erdarbeiten \vur- den zu jener Zeit die Ein- heitspreise in Riicksicht auf die neuen unbekannten Ver- haltnisse vielfach unge- wohnlich hoch angesetzt, so dass Verdienst und Bau- kosten nicht immer mit der Leistung selbst harmonirten. Erst allmahlich lernte man auch hier die richtigen Coefficienten ermitteln. Der Bau der Eisen- Abb - 59—61. balin liber d en Se m me¬ ri n g- P as s lenkte den Unterbau, wie fast alle Zweige des Bahmvesens, auf neue Pfade des Fortschrittes. Dem Stre- ben Ghega’s, den kiihnen Bau aus technischen und oconomischen Griin- den moglichst den gegebenen Formen des Gelandes anzuschmiegen, steli ten die zerrissenen und steilen Felsen, die aussergewohnliche Unruhe des Terrains, die eigenartige geologische Beschaffenheit des Gebirges die grossten Hindernisse entgegen. Indem Ghega siegreich alle Schwierigkeiten liberwand, gelang es ihm, jenen stolzen Bau zu schaffen, der sich dem Auge darbietet, als \vare er mit dem Gebirge selbst erstanden und wu/' c l/■ ■ ... t (Pst/ 1 ff//(/(_ Profile der ersten osterreichischen Eisenbahn. [Linz-Budweis.] hatte ihn nicht erst Menschenhand in das Werk der Schopfung gefiigt. Ueber Thaler und Abgrlinde spannen sich lange und hohe, meist im Bogen liegende Briicken aus Stein; die Erdkorper der Damme lehnen sich an kraftige Mortelmauern, die dem Boden zu entwachsen scheinen, Futter- und Wandmauern schlitzen die Boschungen der A11- und Einschnitte gegen Rutschung und Einsturz. Der Erdbau tritt fast ganz zurtick; auf Mauern, die ununterbrochen folgen, griindet sich der Oberbau der Bahn. Darum hat Henz die Semmering-Bahn nicht mit Unrecht eine gemauerte Bahn genannt. Die ge- sammte Tunnellange der Bahn betragt 208 Alfred Birk. 7 10 , die gesammte Viaductlange 1 / 2S der ganzen Lange. Auf jedes Meter der zweigeleisigen Bahn entfallen 15 m 3 Mortelmauerung. Bei allen Bauten wendete Ghega weitgehende, oft zu weitgehende Vor- sicht an. Wo der Oberbau auf Felsen zu ruhen kam, liess er das Gestein bis 60 cm Tiefe unter den Schwellen aussprengen und das ausgehobene Ma¬ terial wieder zutn Trockenmauerwerk als Sclrvvellenunterlage aufpacken. Den wurde hier jeder Felsvorsprung und jede Vertiefung und Kliiftung der steilen Wand zur Griindung von stutzenden Mauern verwerthet; unter den grossten Gefahren, denen nur muthige Savojarden zu trotzen \vagten, musste zunachst ein schmaler Steig fur die Arbeiter der Felswand abgerungen werden und erst dann konnte der Ausbruch der Galerien beginnen. In die Zeit des Baues der ersten Gebirgsbahn fallt auch ein anderer her- Abb. 62. Einschnittsprofil der Nordbahn. [1837.] 'JO o 10 20 H-H+H+LH-!--h Abb. 63. Daminprofil Mauerstarken gab er aus Sicherheits- riicksichten und im Hinblick auf die geringe Lagerhaftigkeit des Baumaterials ofter ein Mass, das die durch die Er- fahrung gebotenen Grenzen iiberstieg. Den schwersten Theil der Arbeiten bildete die Schaffung des Babnkorpers entlang der etwa 1200 m langen Wein- zettelwand, jenes steilen Felsens, der aus der Tiefe des Adlitzgrabens fast senk- recht bis auf die Hohe von 250 m empor- steigt. Die Bedenken, welche gegen einen Tunnel wach wurden, zwangen zu einer Umgehung der Wand,' vvodurch theilweise ein Durchbruch von Felsen, theilweise der Einbau iiberwolbter Gale¬ rien nothwendig erschien. Mit peinlicher Sorgfalt und doch mit grosser Kiihnheit -1-.V der Nordbahn. [1837.J vorragender Bau: die Durchquerung des Laibacher Moore s, jenes berlichtig- ten Sumpfes von weit iiber 400 /im 3 Ausdehnung und stellenweise unergriind- licher Tiefe. Es scbien ein allzu ktihnes Unternehmen, mitten in diese breiige Masse einen Damm zu steilen von jener bedeutenden Tragfahigkeit und grosser Soliditat, welche der Schienenweg einer Locomotive erheischt, Hier musste erst der tragfahige Untergrund fur den Damm geschaffen werden. Um den Bruch zunachst zu entwassern, vvurde in dessen hoher liegendem Theil ein Netz von Canalen angelegt, die das Wasser durch vier, die Bahnachse recht- \vinklig kreuzende Flauptcanale der Lai- bach zufiihren. Um das seitliche Aus- Eisenbahn-Unterbau. 209 Abb. 64. Profil mit Stiitzmauern. [Nordbahn, 1837.] weichen des kunftigen Dammes unter der Last zu verbindern, begrenzte man ihn durch zwei fortlaufende versenkte Wande aus Trockenmauerwerk, 57 m hoch und 47 m stark, zivischen welche das Damin- material eingebracht wurde. Diese 7 bis 10 m hohe Schiittung musste mit Riick- sicht auf kommende Setzungen um 17 bis 2 m das kiinftige Niveau iiberragen. Erst unter diesem machtigen Druck der Stein- und Erdmassen erhielt das Moor die nothige Widerstandsfahigkeit. Eine grosse Leistung technischen Konnens forderte die gegen Ende der Fiinfziger-Jahre fallende Ueberschreitung des rauhen Karstgebirges im Zuge der Bahnlinie L a i b a c h - Tr i e s t. Die tiefe Schlucbt bei Ober-Lesece bot wohl das schwierigste Hindernis. Da die ersten Fundirungs-Arbeiten fur den urspriinglich projectirten Viaduct grosse Erdbewegun- gen beftirchten Hessen, so wurde die Uebersetzung mittels eines Dammes aus- gefiihrt, der bis 45 m Hohe erreicht und dessen Anschuttung eine Erdmasse von 216.000 m 3 verschlang. Die Ausfuhrungs- bedingnisse schrieben dem Unternehmer besonders sorgfaltige Auswahl und schichtenweise Ausedeichunp- des An- schiittungsstoffes vor; da aber die Voll- endung der Arbeit drangte, so wurde hievon bald abgeseben, dagegen durch Anlage von Bermen und durch einen kraftigen Steinsatz an den Boschungen fur die Standfestigkeit des Dammes ausreichend gesorgt. Den Schutzmassregeln gegen Schneeverwehungen musste hier in der Region der steinigen kahlen Hohen des Karstes besondere Aufmerksamkeit zu- Geschichte der Eisenbahnen. II. gewendet werden, da die eisige Bora die entvvaldeten Flachen in wenigen Stunden vom Schnee entblosst, um ihn in den nattirlichen Mulden wie in den kunstlichen Ein- und Anschnitten haufen- weise abzulagern. Eingehende Beob- achtungen fiihrten zur Anwendung jener bis zu 5 m hohen schiitzenden Trockenmauern, \velche die Einschnitte Abb. 65. Querprofil der siidlichen Staatsbahnen. [1844.] aut der von Verwehungen gefahrdeten Seite begleiten und durch die 8 — 15 m langen Flugel beim Nullpunkte der Ein¬ schnitte bemerkenswerth sind. [Vgl. Abb. 66 und 67.] Das Abgehen von der bis dahin ge- pflogenen kunstlichen Dichtung des Dam¬ mes bei der Uebersetzung der Schlucht bei Ober-Lesece ist ein deutliches Zeichen von der Klarung der Anschauungen, O 210 Alfred Birk. Abb. 6 ( 3 . [Nach einer Planbeilage der Ingenieur- und Architekten-Vereins« 1873.] welche zum Schluss des sechsten Jahr- zebnts auf dem Gebiete des Eisenbahn- baues bemerkbar wird. Ein Umschwung in der Baumethode tritt ein, der vor Allem an die Namen Etzel und Press el*) [Abb. 68] gekniipft ist und *) Wilhelm Pressel, geboren 1821 in Stuttgart, studirte gegen den Willen seines Vaters in England, wurde 1845 Professor am Stuttgarter Polytechnicum, nahm als Bau-Inspector am Bau der Steigbahn bei Geisslingen und der Eisenbahn von Basel nach Bruchsal regen Antheil, leitete den Bau des Hauenstein-Tunnels auf der Schweizer Centralbahn und folgte im Jahre 1862 einem Rufe zur Sudbahn, deren massgebende Kreise vor Allem auf seine Mit- wirkung beim Baue der Brennerbahn re- flectirten. Im Jahre 1868 ilbernahm Pressel die Tracirung der tiirkischen Bahnen. Einer Einladung zum Bau des Gottbard-Tunnels [1877] konnte er, von den »Orientprojecten« vollauf in Anspruch genommen, nicht Folge leisten. Nach der Occupation Bosniens hatte ihn das osterreichische Kriegsministerium als Baudirector fiir Strassen- und Eisenbahnbau daselbst in Aussicht genommen. Pressel ist auch vielfach hervorragend literarisch thatig gewesen. Damm bei Ober-Lesece. [Karstbahn.] Zeitschrift des Oesterreichischen der die Forderun- gen der Oecono- mie: Billigkeit und Raschheit ir. des Baues, in den Vordergrund stellt. Die zweite Ge- birgsbahn, die in Oesterreich zur Ausftihrung ge- langte, die Bren- 11 e r b a h n, ver- rath schon deutlich die neue Richtung., welche darnals die Bamveise nahm )i«i, r i.ipi.i*. und die seither im- mer beharrlicher ausgebildet wurde. Die Tendenz der filr die Brenner¬ bahn gewahlten Baumethode, deren Grundsatze von Etzel aufgestellt und von Pressel nach Etzel’s Tode vertieft und vervollkommnet wurden, lag in der weitest- gehenden Vereinfachung aller Bauarbeiten bei voller Wahrung der Sicherheit und Giite der Anlage. Man war angstlich bemiiht, den Bahn- korper unter Vervvendung der in l,titujt>il>rtil'il und Antičil/. Jfit n ut Profil ABC Eisenbahn-Unterbau. 211 nachster Nahe, womoglich in den Bahneinschnit- ten sich vorfin- denden Boden- massen herzu- stellen und die Anlage von Mau- ern, Briicken und Viaducteneinzu- schranken. »Es wird auf diese Weise,« sagt Pressel in einer Mit- theilung iiber den Bau von Thalsperren an der Brennerbahn, »das System des Rohbaues und der Vereinfachung der Ausfiihrung auf die Spitze getrieben im Gegensatze zu der leider so haufig an- gewendeten Metho- de der Beniitzung der schwierigeren Form des Terrains zur Anlage impo- santer aber kostspie- liger Bauobjecte.« Der Erdbau tritt also bei der Brenner¬ bahn in reinen und gewaltigen Formen auf. Massige An- schnitte undAufdam- mungen ersetzen, be- giinstigt durch die flachere Neigung der Lehnen, die sonstub- lichen Futtermauern, wahrend die Stiitz- mauern durch Steinsatze verdrangt sind, die durch blosses Aufschlichten der Steine gebildet werden. Diese Steinsatze, die iibrigens schon in den Jahren 1861 bis 1863 auf der Montanbahn von Oravicza’ nach Steyerdorf Anwendung gefunden hatten, wurden in ihrer Construction mit grosser Sorgfalt den verschiedenen ort- lichen Verhžiltnissen angepasst und bilden eine beachtenswerthe Eigenheit dieser Bahn. Sie ermoglichten die Herstellung steilerer Dammboschungen und forderten O rO ~ N so wesentlich die Oeconomie des Baues. [Abb. 69—71.] Die Brennerbahn fiihrt, im Gegensatze zur Semmeringbahn, durch ein wasser- reiches Gebiet, ein Umstand, der fur die ganze Anlage des Unterbaues be- stimmend wurde. Wir finden Wasser- laufe aus ihrem natiirlichen Bett in neue Ufer gedrangt, als »Bachtunnel« durch Felsen geleitet oder in Aquaducten iiber die Bahn weggefiihrt. Wir begegnen aber nicht nur horizontalen Verschie- bungen der Wasserlaufe, sondern auch Correctionen der Fliisse im verticalen Sinne, bewirkt durch die Hebung der Thalsohle. [Abb. 72.] Durch neuartige Drainirungen werden die Boschungen gegen die Einwirkung der Atmosphare, namentlich des Regens, ge- schiitzt, durch grosse Entwas- serungs-Anla- gen die Ein- schnitte gegen das hoher lie- gende, reichlich Wasser fiihren- de Gelande ge- sichert. Durch Schachte und Stollen, in wel- che Drainrohren in Sand- und Kiesbettungen eingelegt sind, wird dem um- gebenden Ge- birge das Was- serentzogen und werden natiir- liche, trockene Widerlager ge- schaffen, die dem Druck des von Regen und Schnee erweich- ten Materiales widerstehen. [Abb. 73 u. 74.] Um bei den zahlreichen Flussbauten die Wasserlaufe in 212 Alfred Birk. ihren neuen Ufern festzuhalten,. bedurfte es oft gewaltiger Mittel; so wurden u. A. machtige Porphyrblocke aus dem Eisack- tbale, von o - 8bis i k gm s Massgehalt, durch starke schmiedeeiserne Ketten mit einge- gossenen Steinkloben zu Reihen von io bis 20 Stuck verbunden an jenen Stellen versenkt, die dem Wasserandrang be- sonderen Widerstand zu leisten hatten. Im Sillflusse, zrvischen Innsbruck und Matrei, wurde iiber PressePs Anregung ein grosses Stau- wehr erbaut, das die Mog- lichkeitbot,eine wilde Schlucht mit einer einfa- chen Anschiit- tung ohne An- wendung von Ufermauern zu schliessen und zugleich den Bewegungen derzunachst ge- fahrlichenThal- wand vorzubeu- gen. DerBau der Brennerbahn blieb nicht blos der vielen neuen baulichen Grundsatze we- gen, sondern auch hinsicht- licb der Bau- d u r c h f ti h- r u n g, der Ar- beits-Disposition auf Jahre hinaus fur die Gestaltung der Unterbau - Arbeiten der osterreichischen Bahnen von grund- legendem Einfluss. Beim Bau der Futter- rnauern und anderer Bauwerke in dem rutschenden Lehnenterrain gewinnt das bergmannische Verfahren mit seinen charakteristischen Zimmerungen Bedeutung und fur den Bau grosser Ein- schnitte wurde durch T h o m m e n und Preš s el in Oesterreich der sogenannte englische E in s ch ni 11 sb etrieb ein- gebiirgert. [Abb. 75.] Bei diesem wird auf der Sohle des Einschnittes ein entsprechend weiter Stollen mit einer Rollbahn angelegt und an mehrerenStellen desselbenSchachte bis zur Oberflache des Gelandes emporge- trieben; diese werden allmahlich zu Trich- tern erweitert, indem das geloste Erdreich in die im Stollen bereit gehaltenen Roll- wagen hinabfallt. Der englische Ein- schnittsbetrieb gestattet bei bedeutenden Einschnittsmassen die rascheste und bil- ligste Lbsung und Forderung der Massen und verblirgt zu¬ gleich die beste Entvvasserung des abzugra- benden Gebir- ges. Beim Bau der Brenner¬ bahn wurde der etwa 150 m lange und 20 m tiefe Lavan- einschnitt, der 95.000 ni s Masse enthielt, die iiber 200 m weit verfiihrt werden musste, mit Hilfe von drei Schachten in sechs Mona- ten, der Ein- schnitt bei Ma¬ trei mit dem halben Massen- gehalt auch in der Halfte die- ser Zeit herge- stellt. Die raschere Losung der Massen be- dingte auch die rasche Entladung der Fordergefasse. Zu diesem Zwecke wur- den hohe Schiittgeriiste aufge- stellt, welche die Aufstellung langerer Ziige und die Entleerung aller Wagen nach beiden Seiten gestatteten und im Dammkorper belassen wurden. Solche Schiittgeriiste, aus 15 bis 20 cm starken Holzstangen in Gitterform erbaut, er- reichten auf der Brennerbahn Hohen bis zu 5° m ■ Natiirlich wirkte die Be- schleunigung der Schiittungsarbeit auch Abb. 58. Wilhelm Pressel. [Nach einer Photographie von L. Angerer, Wien.] Eisenbabn-Unterbau. 213 auf die weitere Ausbildung der Con- struction der Kippwagen. Das Verfahren der Felsenspren- gung fand bei der Brennerbahn wesent- liche Forderung durch die An- wendung des elek- trischen Funkens zur Entziindung grosser, in »Pul- verkammern« un- tergebrachter Pul- vermassen. So wurden bei der Abtragung des Sprechensteines bei Sterzing im Jahre 1867 in einer einzigen Spren- gung, zu der Ma- scliinen und Pa- tronen nach dem System des k. k. Obersten Ebner beniitzt worden waren, 9’5oo m 3 Fels gebrochen, wobei sich die Kosten auf 66 kr. pro Cubikmeter und gegeniiber dem alten Verfahren um 1 / 3 billiger stellten. [Abb. 76.] Die Massnahmen, welche die Regie- rung gegen En d e der Sechziger- Jahre zur Hebung des stockenden Unter- nehmungsgeistes und zur Entwicldung des Eisenbahnbaues getroffen hatte und die in der Gevvahrung von Betriebs- garantien und in der Einraumung weit- gehender Erleichterungen beziiglich der baulichen Fragen ihren Ausdruck fanden, weckten auf dem Gebiete des Bahnbaues eine ausserst fruchtbare Thatigkeit. Den vielen Lichtseiten dieser Epoche, der die Monarchie ein grosses Netz von Linien verdankt, fehlte es auch nicht an Schattenseiten, indem der vvirthschaftliche Grundsatz: schnell und billig zu bauen,manch- mal zu einem falsch gedeu- teten Losungs- wortewurde. In der fieberhaf- ten Bauthatig- keit schrankte man zuweilen Abb. 71. Einschnittsprofil mit Verkleidungsmauer [Brennerbahn.] Abb. 69 und 70. Querprofile der Brennerbahn. Bauzeit und Baukosten ubermassig ein und erzielte auf solche Weise bei der Anlage Ersparnisse, die sich in der Be- triebsfuhrung als dauernde Lasten fuhl- bar machten. Es fehlte nicht an Stimmen, welche gegen diese trtigerische Oeco- nomie laut wurden. So beklagte der Oesterreichische Ingenieur- und Arcbi- tekten-Verein in dem Moti ven- berichte zu den von ihm aufge- stellten »Grundziigen fur eine billige Herstellung der Eisen- bahnen behufs Belebung des Eisenbahnbaues in Oesterreich [1868]« lebhaft diese Erscheinun- gen, deren letzte Ursache er in dem unvertilgbar principiellen Unterschiede zwischen Bauunter- nehmung und B a h n unternehmung erblickte. Der genannte Verein 214 Alfred Birk. trat fiir die eingeleisige Anlage der Bahnen ein, fiir eine Verminderung der Kronenbreite und erklarte es bei weiterer Erorterung dieser Frage als eine in wirth- schaftlichem Interesse liegende Nothwen- digkeit, die An¬ lage und die Constructi on der Bahnen ihrer grosseren oder geringeren Ver- kehrsbedeutung entsprechend anzupassen und beim Bau von allen weiterge- henden Forder- ungendort abzu- sehen, wo diese nicht durch die zu gewartigen- den Verkehrsbe- diirfnisse gebo- ten waren. So fiihrte der an- fangs unbestimmte Ruf nach Verbilligung des Bahnbaues zu jener Abstufung in der Anlage der Bahn, die zur system.atischen Ausbildung des Localbahnbaues Anstoss gab. Einer der Ersten, der diese Grundsatze offen ausspracb und beziiglich ihrer prak- tischen Durchfiihrung positive Vorschlage erstattete, war Ernst P o n tz en, ein Name von gutem Klange unter Oesterreichs Tecbnikern. Das Streben nach wesentlicher Be- schleunigung und Verbilligung der Bau- arbeiten drangte naturgemass auch zur Durchbildung, Vertiefung und Verfeine- rung, zur eindringlichen Ausniitzung der Abb. 72. Wasserlaiif-Correction durch Hebung der Thalsohle. [Brennerbahn.] schon beim Baue der Brennerbahn ange- wandten Verfahren fiir die Losung, die Forderung und Aufdammung der Massen, die Befestigung des blossgelegten Bodens und den Schutz des angeschiitteten Ma¬ terials. Ein glanzendes Beispiel bietet ein von P r e s s e 1 als Baudirector der Siidbahn aus- gefiihrter Ufer- schutzbau fiir einen Schienen- weg, der, durch- aus im Ueber- schwemmungs- gebiet,zumTheil in gefahrbergen- de' Lehnen ein- geschnitten oder auch an deren Fuss auf un- sicheres Vorland gelegt, zum Theil auch auf Dammen gefiihrt werden musste, die unmittelbar auf 8—10 m Tiefe in dem Strome selbst anzuschtitten waren. Bei letzterer Arbeit, fiir die nur Letten mit Sand zur Verftigung stand, verfolgte Pressel nun im Hinblick auf die kurze Dauer der Bau- zeit das System der thunlichen Beschrjin- kung der Arbeitsleistungen. Unsere Ab- bildungen [Abb. 77] zeigen die Reihen- folge der Arbeiten: die Erstellung der Pfahlreihe, die Versenkung der Faschinen, den Beginn der Damrnanschtittung hinter den einfachen, aber sicheren Schutzweh- ren, die Verkleidung des Dammkorpers an der Stromseite mit Kies und Sand, die Si- cherung der Boschung durch Faschinen Abb. 73. Entwasserungsanlage auf der Brennerbahn. [Lange nschnilt in der Bahnachse.] Eisenbahn-Unterbau. 215 bis zur Plohe des Mittelvvassers und schliesslich den vollendeten Damm, der bisher durch drei Jahrzehnte dem An- prall der Fluthen siegreich Stand ge- halten hat. In die ersten Jahre nach der Eroffnung der Brennerbahn fallt die all- gemeinere Verwendnng sachgemass ausgefiihrter Rollbahnenzum Zwecke der leichteren Bevvaltigung- o o der Erdbewegung, wie sie die Bauunternehmung Htigel und Sager als eine der ersten, zur raschen Bewaltigung der mehr als 200.000 m 3 umfassenden Einschnitts- massen auf der Wasserscheide zwischen Neumarkt und Ried-Braunau in grossem Umfange vemendete. [Abb. 78.] Eine beachtenswerthe Leistung ist die Herstellung des Voreinschnittes fur den Tunnel durch den Zižkaberg bei Prag, wo es sich darum handelte, das gewonnene Material auf dem 34 m hoher liegenden Plateau des Berges abzu- lagern und hiedurch die Arbeit zu be- schleunigen. Rži h a, dem die Bauleitung oblag, verband zu diesem Zvvecke die Ge- winnungs- und Ablagerungsstelle durch eine doppelgeleisige Drahtseil- bahn, fur deren Betrieb eine alte, ausrangirte Locomotive in Stand gesetzt wurde. In 210 Tagen gelang es, an 70.000 m 3 Erde mit den verhaltnismassig geringen Einheitskosten von 56 kr., wovon 33 kr. auf Amor- tisation der Maschinen und Ge- rathe entfielen, auf den Berg zu schaffen. ImHinblick auf dieBetriebs- anordnung, wie auch auf das System der Forderung der Erd- massen ist auch der grossen Er- \veiterungsbauten, beziehungs- weise Neubauten der W i en er BahnhOfe zu gedenken. Das Material fur den Nord\vestbabn- hof, im Ausmasse von 1 l j 2 Mil- lionen Cubikmetern, wurde mit- tels englischen Einschnittsbe- triebes der Heiligenstadter Berglehne entnommen und mit Ent-vvasserungs-Anlage aut der Brennerbahn. [Querschnitt und Einzeltheile.] Locomotivziigen auf den Verbrauchsort uberfiihrt. Die im Hochsommer 1869 begonnene sch\vierige Arbeit war in 2 J / 2 Jahren beendet. Fur die noch um- fangreichere Anschuttung, welche die Ver- grosserung des Nordbahnhofes in den Jahren 1871 und 1872 erforderte, wurde das bei dem Donaudurchstiche mittels Ex- cavatoren und Schiffsbaggern gewonnene Material beniitzt. Bei einer Forderweite von 2 km und einer mittleren Hubhohe von 9'5 m erreichte man durchschnittliche Tagesleistungen bis zu 3500 m 3 . Bei der Anschuttung der Strecke vom Wiener Staatsbahnhofe bis tiber den Donaucanal [Linie Wien-Briinn], woftir der Laaerberg Abb. 75. Englischer Einschnittsbetrieb. 216 Alfred Birk. nahezu 700.000 m 3 Material zu liefern hatte, bot die Verfiihrung des Anschtit- tungsmaterials mit Locomotiven auf Transportgeriisten, die nach dem Vorbilde aaf dem Brenner verschiittet wurden, grosse Vortheile. Der Bau der Linie Wien-Briinn der Staatseisenbahn bildet auch noch in an- dererBeziehung ein geschichtlich denkwiir- diges Moment durch die erstmalige Anwen- dung des NobeTschen Dynamits fiir die Losung harter Felsmassen. Schon im Jahre 1868 hatte Oberlieutenant Trauzl die Einfiihrung des Dynamits empfohlen; es mag seinen Anregungen zugeschrieben den oconomischen Erfolg dieser Betriebs- weise. Nachdem die fieberhafte Bauthatig- keit der ersten Siebziger-Jahre infolge der finanziellen Krisis des Jahres 1873 plotzlichen Abbruch gefunden hatte, sah sich der Staat genothigt, den Bau neuer Linien selbst in die Hand zu nehmen, um Bahnverbindungen zu schaffen, die ein dringendes Bediirfnis geworden waren. Hiedurch kamen auch Linien zur Aus- fiihrung, deren Bau mehr im allgemeinen wirthschaftlichen Interesse lag und infolge der voraussichtlich geringen Rentabilitat und grossen finanziellen Opfer selbst in Abb. 76. Sprengung des Sprechenstein. [Brenner-Bahn.] werden, dass man bei der Herstellung des Einschnittes durch den Buchenberg, dessen innerer Kern unerwartet Schichten aus Feldspath und reinem Quarz von kaum geahnter Harte aufwies, die Anwendung des Schwarzpulvers verliess und einen Versuch mit Dynamit wagte. Die zu losende Masse betrug mehr als 40.000 m 3 . Die Arbeiten wurden von A. K 6 s 1 1 i n und M. Pischof geleitet. Zur Entziindung dienten elektrische Maschinen und Ziind- schniire von dem um das Sprengwesen verdienten Civil-Ingenieur A beg g aus Bistritz in Bohmen. Das Kostenersparnis der Materiallosung stellte sich auf 45 °/ 0 im Vergleiche zu den Ersparnissen bei der alteren Sprengmethode. Die englische Betriebsweise fand in jener Zeit allgemeine Anwendung. Der 275 m lange Einschnitt der Elisabeth- Bahn bei Bitlowschitz in hartem Gneis und der 1069 m lange Einschnitt der Nordwestbahn bei Gastorf im Planer- kalk bieten hervorragende Beispiele tur gunstigeren Zeitlauften das Privatcapital nicht fiir sich gewonnen hatte. Die damals vom Staate erbauten Linien liegen zerstreut iiber das weite Gebiet der ganzen Monarchie, und so kommt es, dass der Eisenbahnbau dieser Zeit ein wechselndes Bild von Aufgaben bot, welche durch die verschiedene Bodengestaltung und die sonstigen ungleichen Verhaltnisse der einzelnen Lander verschiedene Voraus- setzungen schufen und verschiedenartige Losungen verlangten. Der Bahnbau in den Alpen und in den Beskiden, auf dem Hochplateau des Karstes und in den Ebenen Galiziens, die hiemit zusammen- hangende Verbauung der Wildbache und Correction der Flilsse, die moglichste Ausniitzung aller gegebenen Umstande zur Erzielung s o 1 i d e r und ocono- m i s c h e r Bauten fuhrten in der Bau- methode, in der Wahl der Construction und in der Durchfiihrung der Arbeiten selbst schrittweise zu weiteren Vervoll- kommnungen. Eisenbahn-Unterbau. 217 ttochvasser. iipliS! • • : mmmM ; Mittehvasser. JTu.Uwasser Abb. 77, Ausfuhrung eines Darames unter sch\vierigen Verhaltnissen [Nadi Pressel’s Anordnung.] 218 Alfred Birk Im Zuge der Istrianer Staats- bahn, die, von Divača ausgehend, das Karstgebiet auf dem Wege nach Pola tibersčhreitet, wurde der machtige, 25 m tiefe, im oberen Eocan gelegene Felsen- und Erdeinscbnitt zwischen Lupoglava und Cerovglie mittels vorgetriebener stelle weder die Richtung noch die Hohenlage des Bachbettes zu andern, dessen Breite jedoch derart trichter- formig einzuengen, dass die gesteigerte Kraft des abfliessenden Wassers wohl im Stande ist, das Geschiebe aus dem Be- reich der Brucke mit sich zu reissen, nicht aber das Bauwerk selbst zu unter- waschen. So erhielten sechs der gefahr- lichsten Wildbache je ein 30 m breites Bett, die Briicken, die sie ubersetzen, aber nur 12 m Lichtweite — eine wirthschaft- liche Massregel, die sich bisher in jeder Richtung bevvahrte. Unter den zahlreichen partiellen Fluss- regulirungen, die mit dem Bau galizischer Bahnen verbunden waren, ist jene der Kamionica und der Kamionka bei Neu- Sandec im Zuge der Tarn6w-Lelu- chower Bahn von Interesse. Durch die unmittelbar vor der Vereinigung beider Fliisse vorgenommene Correction, die einen Aufvvand von 14.000 'fl. erfor- derte, wurden die wesentlich hoheren Kosten eines weiteren Briickenfeldes er- spart, dessen Bau anderenfalls nicht zu vermeiden gewesen ware. Zu diesem Vortheile gesellte sich der eines geregelten Flusslaufes und der durch die Correction gewonnenen grossen Culturflache. Fiir den Kern der zahlreichen Buhnen konnten Flechtwerke und die massenhaft vorhan- denen Klaubsteine in billiger Weise ver- wendet vverden, wahrend Pflasterungen, Abb. 79. Uferschutzbauten [Flecht\verke] an den galizischen Bahnen. Abb. 78. Rolhvagen. [Vorkipper mit doppelter Keilbremse.] Stollen und englischen Einschnittsbetriebs abgebaut, wahrend man diese Arbeit zum Theile durch die Combination mit einem Etagenbau beschleunigte, der iomober- halb des Stollens in Angriff genommen \vorden war. Die Schwierigkeiten, die beim Bau der blos 25 km langen grossartigen Ge- birgsstrecke von Tar vi s nach Pon- tafel zu tibervvinden waren, standen mit jenen der Brennerbahn auf gleicher Hohe. Zahlreiche Stiitz- und Futtermauern langs der zu Rutschungen geneigten Lehnen geben dem ersten Theil der Balin ein besonderes Geprage, wahrend der kostspielige Leh- nenbau, zu welchem sich die Linie unterhalb der Feste Malborghet entsvickelt, durch machtige Trocken- mauern und die Ueberšetzung einer Reihe geschiebefuhrender Wildbache gekennzeichnet ist. Um diese letz- teren unschadlich zu machen, be- durfte es umfassender Schutzbauten. Beim Entvvurf der Briicken iiber die Wildbache wurde grundsatzlich daran festgehalten, an der Uebersetzungs- Eisenbahn-Unterbau. 219 Abb. 80. Seilaufzug beim Schraiedtobel. [Arlbergbahn, 122-6 km.] [Nach einer Planbeilage der »Zeitschrift des Oesterreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins« 1848.J eventuell auch Steinwiirfe die aussere \viderstandsfahige Htille der Buhne bildeten. Solche Flechtwerke [Abb. 79] wie auch Pflanzungen werden von der einheimi- schen Bevolkerung Galiziens mit beson- derer Sachkenntnis und billig ausgefuhrt; sie kommen daher beim Bau dortiger Bahnen namentlich ftir den Uferschutz- bau neben den Stein- und Faschinen- bauten vielfach in Verwendung. Die Galizische Transversal- bahn, die mit ihren Zweiglinien ein Netz von 555 km umfasst, war im Gegen- 220 Alfred Birk. satze zu ihren Vorlaufern in Galizien im westlichen und mittleren Theile des Landes auf die mehr gedeckte Lage im Gebirge venviesen und ilberschritt im Osten des Landes ein tief gefurchtes Plateau senk- recht zu dessen Furchen; sie durchquert eine grosse Zahl bedeutender Fliisse und gab daher zum Bau zahlreicher Briicken, ausgedehnter Lehnen- und Uferschutžbau- ten Veranlassung. Das eigentlich erschwe- rende Moment dieses Bahnbaues lag in dem Mangel geeigneter Baumaterialien. Das vorhandene Erdmaterial liess sich vielfach ohne Anwendung kiinstlicher Mittel nicht zu bestandsfahigen Dammen dem Bau der meisten Karpathenbahnen in Galizien, Ungarn und Siebenbiirgen verkniipft ist und das, wie Ludwig Hus s berichtet, bei der Transversalbahn trotz Allem noch in verhaltnismassig geringerem Masse auftrat. Die Sanirung der Damme erfolgte in iiblicher Weise durch Einlegen von Steinrippen oder durch Vorlage von Bermen, die der Einschnitte durch Abflachen oder Riicksetzung der Boschungen. Die umfangreichen Arbeiten — die Erdbewegung betrug 17.000 bis 19.000 m 8 fiir einen Kilometer Bahn — waren in der Zeit von kaum 1 1 / 2 Jahren beendet. Abb. 81. Anlagen zum Schutze gegen kleinere Felsen- und Gerollstiicke. [Brennerbahn.] verwenden, entsprechendes Steinmaterial musste mitunter aus \veiter Ferne herbei- geholt werden, Mauersand war hie und da schvver zu beschaffen und an Stelle des Schotters fiir das Geleise musste nicht selten Grubensand in Gebrauch treten. Zu diesen Erschwernissen kam noch die ausserst kurze Zeit, die fiir den Bau festgesetzt war. DieUmstande zwangen dazu, bei der Schiittung der Damme trotz des ungiln- stigen, thonigen Erdmaterials an der Methode mittels Schiittgeriisten festzu- halten und die Arbeit auch im Winter nach langerem Regen nicht einzustellen. Die verschiedenen Setzungen, Ausscha- lungen und Abgange, die man eben mit Riicksicht auf die Beschleunigung des Baues wohl zu envarten gehabt hatte, blieben nicht aus — ein Uebel, das mit Alle Erfahrungen, welche die Technik des Eisenbahnbaues durch vier Decennien hindurch gewonnen, alle Fortšchritte, die sie beziiglich der Construction der Bau- objecte und beziiglich der Disposition grosser Bauausfiihrungen gemacht, er- hielten in der Arlbergbahn gleich- sam verkorperten Ausdruck. Nach jahre- langen Studien und vielseitiger Erorterung der Frage, wie den Schvvierigkeiten dieser Gebirgsbalm in verlasslicher und ocono- mischer Weisebeizukommen ware, konnten endlich im Jahre 1880 Oesterreichs Inge- nieure an der Spitze einer Annee von 9000 Arbeitern das epochale Bauwerk mit Zuversicht auf vollen Erfolg in An- griff nehmen. Wahrend die Strecke auf der Ostseite zwischen Innsbruck und Landeck und auf Eisenbahn-Unterbau. 221 der Westseite zvvischen Bratz und Blu- denz als Flachland- und Thalbahn nur an einigen Stellen Schwierigkeiten bot — so dort, wo das von Felsen eingeschlos- sene Innthal dazu zwang, den Bahnkorper in das Bett des Flusses zu verlegen — gehorte die zwischenliegende Gebirgs- strecke zu den kiihnsten und schwierig- sten Bauten. Sie erinnert — schreibt Huss, strecken hier ein imposanterer, wogegen die Semmeringbahn in dieser Beziehung unerreicht bleiben muss.« Grossere concentrirte Erdbewegungen kamen nur vereinzelt vor. Auch die Zahl der grossen Felseinschnitte ist eine ver- haltnismassig geringe. Die Herstellung von Steinsatzen wurde gleichfalls wesent- lich eingeschrankt, weil das durch den Aus- Abb. 82. Lawine beim Sonnstein-Timnel. JU rifld'- Trami Sm . der als Vorstand des Bureaus fur Unter- bau bei der General-Inspection an der Aus- bildung der Unterbauten in den letzten 20 Jahren bahnbrechend thatig war — riick- sichtlich des Gelandes an die Sillthal- strecke der Brennerbahn, wahrend sich die Bauart derselben zwischen jener der Brenner- und Semmeringbahn be- wegt, indem namentlich an manchen Stellen Viaducte zur Anwendung ge- langen, wo die Brennerschule Erdwerke mit hochuberschiitteten, sogenannten Schlauchobjecten angeordnethaben wiirde. »Ohne grossartiger zu sein als die Sill- linie wird der Eindruck der Gebirgs- hub verfiigbare Steinmaterial hinter den Er- wartungen zurtickblieb und sich hieftir eine kostspielige Steinbeschaffung als nothwen- dig zeigte. Eine umso grossere Rolle wurde dagegen dem Mauervverk zugewiesen. Machtige Wandmauern, die in der Pla- numshohe bis 3 x / 2 m Starke besitzen, schtitzen das Geleise gegen angeschnittene Lehnen; Stiitzmauern und Viaducte und das diese beiden verbindende Mittelglied: die Mauer mit Sparbogen tragen das Planum liber Schluchten und steile Hange. Die Trockenmauern, die Sttitz- und Wandmauern, endlich das die Gra¬ ben sichernde Mauerwerk verursachten 222 Alfred Birk. Abb. 83. Lawinenschutzbau. [Arlbergbahn.] [Nach einer photographischen Aufnahme von Hans Pabst ] pro Kilometer schon in der Thalstrecke Kosten von iiber 1000 fl., \velcher Be- trag in der Gebirgsstrecke auf das 22fache stieg. Die Erd- und Felsbewe- gung, die in der Thalstrecke pro Kilo¬ meter 23.000 m s ausmachte, war da- gegen in der Rampenstrecke nur doppelt so gross. Die Durchfiihrung der mannigfachen Bauten auf dem Arlberg bot ein gross- artiges Bild moderner Bauweise durch das reiche Aufgebot von Hilfsmitteln fiir eine rasche und sachgemasse Arbeit und durch den bewundernswerthen Arbeits- plan, den das erfolgreiche Zusamitien- wirken und die moglichste Ausniitzung aller Krafte, die gleichzeitige Vorbereitung und Inangriffnahme der Arbeiten forderte. Schon die Vorbereitung der Erd- arbeiten, die Herstellung der Verkehrs- wege in den unwirthlichen Gegenden, die Zurichtung des Baugrundes zeigten packende Einzelheiten. Drei provisorische Briicken fiir Locomotivbetrieb mussten iiber den Inn errichtet, zahlreiche Schutt- geriiste erbaut, viele Kilometer Arbeits- geleise verlegt und fiir die Wieder- verwendung abgetragen werden. Fiir die Beischatfung von Kalk, Sand und Holz wurden besondere Seilbahnen — Bremsberge — angelegt, welchen das gewonnene und nicht weiter vervvendbare Erdmaterial, vereinzelt auch Wasser, als treibende Kraft diente. [Abb. 80.] Zur Entivasserung der Dammunterlagen ge- langten Sickerschlitze, zur Verhiitung von Rutschungen an Lehnen Schlitz- und Stollenbauten zur Ausfiihrung. Die Stiitz- und Wandmauern wurden an Stellen, die besondere Vorsicht erforderten, schritt- weise in Stiicken von 4 bis 10 Lange, oft auch nach streng bergmannischem Verfahren erbaut. Ganz ausserge wohnliche Mittel forderte die Bekampfung der Lawinensttirze. Schutzbauten gegen Felsen- und Geroll- stiicke finden sich wohl auf allen Gebirgs- bahnen. [Vgl. Abb. 81.] Der Kampf gegen Lawinen ist ungleich schivieriger; auf der Salzkammergut - Bahn war es moglich gewesen, den gefahrbrin- genden Zug der Schneemassen durch halzerne Leitwerke von der den Bahn- korper gefahrdenden Richtung abzulenken. Die von den Hiihen in das Thal — dort der Traun — abstiirzenden Massen verursachen dann hochstens Stauungen des Flusses, die wohl den Bahnkorper Eisenbahn-Unterbau. 223 gefahrden, die aber durch die Her- stellung von tiefen und breiten Gerinnen, also durch einen erleichterten Abfluss, unschadlich gemacht werden konnen. [Abb. 82.] Abb. 84. Type fiir Steinschlag-Verbauungen. [Arlbergbahn.] Auf der Arlbergbahn bedrohen aber die Schneelawinen, die an Gewalt und Furchtbarkeit ihres Gleichen suchen, fast ausnahmslos den Schienenweg selbst. Es wurden daher schon beim Bau der Bahn durch Herstellung von Lawinen-Schutz- dachern [Abb. 83] auf der Westrampe Flachen, welche der Bewegung der rollen- den Schneemassen kein Hindernis ent- gegenstellen und die man daher ver- meiden oder umstalten muss. Durch ent- sprechende Verbauung komite am besten das Anbrechen der Schneemassen auf diesen Flachen verhindert, konnten die in Bewegung kommenden Schneemassen zertheilt und die aus h oh er liegenden Stellen abrutsčhenden Massen in ibrem verderblichen Gang aufgehalten werden. Freilich waren auch hier dem kiinstlichen Eingreifen durch die Steilheit der Wande oder durch den Mangel cultivirbarer Flachen oft Grenzen gesetzt. Holzver- pfahlungen erwiesen sich fiir die Ver¬ bauung nicht als geniigend; es mussten Trockenmauern,Schneerechen undSchnee- briicken zur Anwendung kommen. [Abb. 84 und 85.] Die so geschtitzten Flachen, die sich oft bis zu Neigungen von 50° erheben, wurden durch Aufforstung dauernd ge- sichert.*) Vorwiegend finden Fichten, in hoheren Lagen geradstammige Bergkie- fern, die Larche und der Ahorn, und in Hohen von 1900 bis 2000 m auch Zirben Anwendung. Eigene Saat- und Pflanz- garten in Hohen von 1200 m liefern das geeignete Pflanzungsmaterial. Die Anlage solcher Hochgebirgsforste ist natiirlich eine schwierige und kostspielige — ein Abb. 85. Typen fiir Lawinen-Verbauungen. [Arlbergbahn.] die meist gefahrdeten Stellen zwischen KlosterleundDanofen gesichert. Wahrend des Betriebes erkannte man indessen bald die Nothwendigkeit weitergehender Mass- nahmen. Zunachst musste man darnach streben, die Bildung der Lawinen selbst zu verhindern, indem man dem Hang die zu ihrer Entstehung und ihrem An- wachsen nothigen Bedingungen entzieht, dies sind die grossen ungetheilten Hektar erfordert einen Kostenaufvvand von etwa 130 tl. Der giinstige Erfolg rechtfertigt aber die aufgewendeten Mittel. Im Jahre 1890 wurden die ersten Bauten *) In einem vortrefflichen Werke, das die k. k. Staatsbahn-Direction in Innsbruck uber die Betriebsergebnisse der Arlbergbahn in den ersten zehn Betriebsjahren verbffentlicht hat, werden diese Anlagen ausfiihrlich be- schrieben. 224 Alfred Birk. nach diesen Grundsatzen auf den Hohen des Benediktertobels im Blasegebiet, im Simastobel, Gipsbruchtobel und Laub- rechen hergestellt, und schon in den Jahren 1892 und 1893 wurden die gerade hier so gefahrlichen und gefurchteten Lawinen gebrochen und von dem Bahn- korper abgehalten. Dieser Erfolg er- muthigte zu weiterem Vorgehen. Daneben we'rden auch eifrige Studien und Er- hebungen gepflogen, um die verlasslichen Unterlagen fiir eine praktisch vervverth- bare Formel zu finden, welche es ermog- licht, jene Schneehohe, jene Temperatur | gegenzuwirken und die auftretenden Mangel zu beheben. Aber die sorg- lichen systematischen Vorkehrungen, die zum Schutze der Bahn jahraus jahrein gepflogen werden, konnen das Menschen- werk nicht vor der Zerstorungswuth ent- fesselter Elemente schiitzen. Unsere Gebirgsbahnen liefern eine fesselnde Chronik solcher Katastrophen und der hiedurch bedingten Wiederherstellungs- arbeiten, die durch den unterbrochenen und nachdrangenden Verkehr besonders ersch\vert werden und oft die hochste Anspannung aller Krafte erfordern. Einige Holzprovisorium. [Brennerbahn.] und alle andern Umstande zu bestimmen, bei denen die Ge- fahr des Abganges einer Lawine mit einiger Sicherheit voraus- gesehen werden kann. Die Lo- sung dieser Aufgaben wird einen neuen vvichtigen Sicherheits- factor in den Eisenbahn-Betrieb Abb einfiihren. In dem letzten Jahrzehnt ist im Baue der Hauptbahnen ein gewisser Stillstand eingetreten. Dieser Zeitraum gehort bereits einer neuen Epoche an, die durch das Aufbluhen des Localbahnwesens ge- kennzeichnet erscheint. Die feindlichen Naturgewalten, \velche den Bestand der B a u w e r k e unaus- gesetzt bedrohen, bringen es mit sich, dass mit dem Bau der Bahn die Bau- thatigkeit auf dieser noch nicht erschopft ist. Von den umfassenden Vorkehrungen gegen die Gefahren der Lawinenstiirze bis hinunter zur Reinigung- der unschein- baren Abzugsgraben, welche die Bettung und den Erdkorper entvvassern, zieht sich die Reihe wechselnder Aufgaben, die der Bahnerhaltung obliegen, um allen schadlichen Einfliissen rechtzeitig ent- der bemerkenswerthesten dieser Ereignisse und der durch sie ge- botenen Arbeiten mogen noch den Ueberblick tiber die heimische Thatigkeit auf dem Gebiete des Eisenbahn-Erdbaues erganzen. Rutschungen des gewachsenen oder kiinstlich aufgefiihrten Bodens sind auf osterreichischen Bahnen nicht selten. Es diirfte kaum eine grossere Bahnanlage geben, die nicht mit solchen unliebsamen Vorkommnissen mehr oder \veniger oft zu thun hat. Nicht selten wird hiebei die Herstellung eines provisorischen Bahnkorpers nothwendig; bei manchen Bahnen bestehen eigene Normalien fiir solche Bauten, um den exponirten Inge- nieuren die Moglichkeit einer raschen In- angriffnahme derselben zu bieten. [Abb. 86.] Ueber eine interessante Einschnitts- rutschung berichtet L. E. Tiefenbacher in seinem Werke: »Die Rutschungen, ihre Ursachen, Wirkungen und Behebungen«, namlich liber die Rutschungen im Ebener Einschnitt der Linz-Budweiser Bahn, die ihrer ganzen Lange nach eine auf Granit aufgelagerte Thonmasse durchzieht, also sehr ungtinstige Bodenverhaltnisse auf- Eisenbahn-Unterbau. 225 weist. Der Ebener Einschnitt, von jeher etwas unruhig, gerieth im Jahre 1877, also vier Jahre nach der Betriebs-Eroff- nung der Strecke Linz-Gaisbach, in machtige Bewegung. Ein Probeschacht, 6 m von der Bahnaclise entfernt, traf die verhangnisvolle Rutschschichte in einer Tiefe von 6 m unterder Einschnitts- sohle; ein Stollen, der von ihm aus senkrecht zur Balin, der Rutschflache folgend, vorgetrieben wurde, musste nach einem Vordringen von 26 m aufgegeben werden, weil der Wassereinbruch mit unbezwingbarer Heftigkeit erfolgte. Man teufte in der Entfernung von 45 m von der Bahnmitte einen zweiten Schacht ab, der die Rutschflache 1 '2 m liber Schwellen- Abb. 87. Rutschungs-Abbauten im Ebener Einscbnitt. Geschicbte der Eisenbahnen. IT. 15 Bahnnive.au' 226 Alfred Birk. Abb. 88. Bau des Triebitzer Tunnels [Olmiitz-Prag]. hohe durchschnitt. Von ihm aus fiihrte man nun den Entwasserungsstollen in solcher Weise, dass die Rutschflache stets gefasst blieb; gleichzeitig ent- ivasserte man das Terrain und den erst- gelegten Schacht durch mehrere Stollen. [Abb. 87.] Ein Ereignis, das seiner Zeit umso grosseres Aufsehen erregte, als die mit ihm verbundene grosse Gefahr fiir das Leben zahlreicher Reisenden und Arbeiter, nur durch die opfermuthige Pflicht- erfullung eines Bahnwachters, Namens Wenzel Reuschl, abgewandt wurde, bildete der »Bergsturz« bei Steinbriick [Wien-Triest] am 15. und 19. Januar 1877, der iiber eine halbe Million Cubikmeter Felsmaterial niedertrug. Der Bahnkorper war in einer Lange von 200 m mit Durch- fahrt und Stiitzmauer spurlos verschivun- den. Das Sannthal, dessen Soble mehrere Meter unter dem Bahngeleise lag, war auf 200 m Lange und 120 m Breite mit Sturzmassen derart erfiillt, dass sie das Bahnniveau um 7 m iiberragten, das Wasser bis zur Bahnnivellette stauten und das Flussbett oberhalb bis zur Ein- miindung in die Save vollkommen trocken legten. DieReconstructions-Arbeiten beerannen o mit der Herstellung eines Durchstiches, der den zu bedrohlicher Hohe ansteigen- den Gewassern der Sann einen Abfluss zu schaffen hatte. Die Arbeit war in wenigen Stunden vollendet. Hierauf wurde fiir die Bahn durch die Kalk- und Kiesmassen ein Einschnitt mit halbwegs giinstigen Neigungsverhaltnissen ausgehoben und be- reits vier Tage dar- nach, innerhalb wel- cher Zeit eine Erdbe- wegung von 3200 m 3 unter schwierigen Ver- haltnissen bewirkt war, fuhren die ersten Ziige iiber das provisorische Geleise, Im Herbste des Jahres 1882 wurden die Siidbahnlinien Tirols und Kamtens von einer LVasserkatastrophe heimgesucht, die durch ilire Gevvalt, wie durch ihre Ausdehnung wohl ohne Gleichen dasteht. Es war kein locales Ereignis, das sich in so trauriger Weise abspielte; die Ueberschwemmungen, die den Stidbahn- korper von Villach an iiber Franzens- feste und Božen bis Ala an vielen Stellen vollkommen zerstort hatten, zeigten sich als ein tiefgreifendes und lan ge Jahre in seinen herben Folgen nachwirkendes Ungliick fiir ganz Tirol und einen Theil Karntens. In der Strecke Ober- Drauburg-Franzensfeste wurden an 12 km Bahn vollstandig zerstort, weit iiber eine Million Cubikmeter Material ab- gebrochen, fiinf Wachterhauser, ein Auf- nahmsgebaude und 23 andere Bauwerke durch das verheerende Element ver- nichtet. Zwischen Božen und Branzoll hatte die Etsch den Danim auf 200 m Lange zerstort. Die furchtbarsten Ver- wiistungen jedoch zeigte die Strecke Atzwang-Blumau, wo die wilde Eisack den Stegerdamm, der eine Cubatur von 135.000 m s besass, in einer Lange von 570 m vollstandig weggerissen hatte. Hier war die Herstellung eines LIolz- provisoriums von 468 m Lange erforder- lich, um die Bahn wieder benutzbar zu machen; die Schaffung einer Cunette fiir die Ableitung des Flusses erforderte allein den Aushub von 12.000 m s Material. Die Arbeiten nahmen viele Monate in Anspruch und waren in ihrer raschen und trefflichen Ausfiihrung be- redte Zeugen fiir die grosse Tiichtigkeit und den hohen Pflichteifer der Bahn- erhaltungs-Ingenieure. Eisenbahn-Tunnelbau. 227 Der Tunnelbau fand schon bei den ersten Eisenbahn- bauten in Oesterreich seine Anwendung und Forderung. Im Jahre 1839 wurde namlich auf der Eisenbahn von Wien nach Gloggnitz, zwischen Gumpolds- kirchen und Baden, ein Gebirgsvorsprung, der sich hemmend der geraden Richtunar der Bahn entgegenstellte, mit einem Tunnel durchbrochen. Bei diesem Tunnel- baue, den Ingenieur Keissler leitete, \vurde das Zimmerungs-System, das man wenige Jahre vorher bei dem Baue des Oberauer Tunnels im Zuge der Leipzig-Dresde- ner Bahn befolgt hatte, in verbes- serter Weise zur Anwendung ge- bracht und hie- durch das eigent- liche osterrei- c h i s c h e Zim- m brungs- S y- stem geschaffen. Unabhangig von allen iibrigenVor- gangern, liess Keissler zunachst in der Sohle des Tunnels einen »Sohlenstollen« — auch Richtstollen ge- heissen — vortreiben und sodann im Schei- tel des Tunnels einen »Firststollen« auf- fahren, in den er sogleich Theile des kiinftigen, fiir den Vollausbruch des Tunnels zur Verhiitung von Einbriichen oder Verdriickungen erforderlichen Holz- einbaues, der sogenannten definitiven Zimmerung, einstellte. Nachdem der First¬ stollen in entsprechender Lange vorge- trieben war, begann man denselben nach beidenSeiten zuerweitern und diepolygon- artig aneinandergereihten Tragholzer einzubauen, die in ihrer Verbindung mit den sie stiitzenden Stempeln und mit den diese letzteren tragenden Gesperren das Wesen des »osterreichischen Systems« bilden. Bei dem Baue des 510 m langen Triebitzer Tunnels in Mahren [Linie Olmiitz-Prag], des zweiten Eisenbahn- Abb. 89. Bau des ICerschbacher Tunnels [siidl. Staatsbahn]. Tunnels in Oesterreich, entschied man sich nach langeren Studien fiir das »Kernb-au-System«, das zuerst bei Konigsdorf [1837] zur Anvvendung gelangt \var und die Grundlage des deutschen S y s t e m s \vurde [Abb. 88]. Dieses System ist durch das Bestreben gekennzeichnet, das Lichtraum-Profil des Tunnels thunlichst wenig aufzuschliessen; es werden daher die Arbeiten mit dem Vortreiben zweier Sohlenstollen zur Rechten und Linken der Tunnelachse eroffnet und durch die Auffahrung von Mittelstollen und eines Firststollens fortgesetzt; hiebei verbleibt in der Mitte des \ Tunnelprofils ein Erdkorper, gegen den sich die Theile der Zimmerung stiitzen und der erst entfernt wird, nachdem auch schon die Aus- mauerung des Tunnels vollendet ist. Beim Baue des Triebitzer Tun¬ nels hatte man mit gevvaltigen Ge- birgsdriicken zu kampfen. Das Ge- birge bestand aus Thon, Letten und schwimmendem Sand; die Wasserzufliisse waren sehr bedeutend und bei der geringen Hohe des Gelandes liber dem Tunnelfirste reichten alle Felsen- risse bis zu Tage. Der ganze Berg schien durch die Tunnelarbeiten in Aufruhr ver- setzt; der Kern gerieth in Beivegung, die Widerlagsmauern wurden verdriickt, die Fundamente verschoben, die Sohlen- gewolbe emporgepresst. Auch als der Bau schon vollendet war, ruhten die aufge- riittelten Massen nicht; bereits im Jahre 1847 zwang die Bewegung der Tunnel- gewolbe zu weitgehenden Reconstruc- tionen und schliesslich selbst zum Einbaue eines definitiven Holzgerustes. Wahrend der Triebitzer Tunnel im voli en Baue stand, wurden im Zuge der Osterreichischen Siidbahn zwischen Miirz- zuschlag und Laibach mehrere Tunnels, ebenfalls nach dem deutschen Systeme, 15* 228 Alfred Birk. ausgefuhrt. Man begann hier aber die . Arbeit in den Stollenraumen ermoglicht Aufschliessung des Tunnelprofils mit } wurde. [Vgl. Abb. 89.] dem Vortrieb des Firststollens, den j Bei den Tunnelbauten der nachsten man nach rechts und links unter Erhal- Jahre, namentlich bei jenen der Strecke Abb. 90. Bau des alten Pressburger Tunnels. [Nach einem Original im Privatbesitze des Ingenieurs J. Deutsch, Pressburg.] tung eines Mittelkorpers bis auf den j von Prag nach Dresden und aUcb auf der Grund der Tunnelgew 5 lbe erweiterte. ! Ungarischen Centralbahn [vgl. Abb. 90], Bemerkenswerth bei den steierischen j begann allerdings das osterreichische Tunnelbauten war die geringere Breite | System festeren Fuss zu fassen und des Mittelkorpers, durch die eine leichtere sich zu entwickeln. Mit dieser Aus- Eisenbahn-Tunnelbau. 229 SITUAT10 X S1’ LA X dei* rmg«'buii2 des Semmering liaupttuimels Abb. 91. bildung des Systems bleibt der Name M e i s s n e r’s , des Obersteigers der Bauunternehtnung Gebruder Klein, als des thatkraftigsten Forderers desselben innig verbunden. Auf den Hohen des Semmerings und wenige Jahre spater auch in den Steingebieten des Karstes gelangte das osterreichische System zur weiteren Airvvendung und Vervollkomm- nung. Bei beiden Bahnen bestanden die mannio-fachsten Verhaltnisse; es ealt nicht allein, grossen Gebirgsdruck zu iiber- winden, sondern nicht selten genug auch die Zimmerung in weichem Gebirge und gar haufig sogar im sogenannten schvvim- menden Gebirge durchzufuhren. Die hiebei auftretenden riesigen Druck- erscheinungen fuhrten die theilweise Un- zulanglichkeit des osterreichischen Systems beangstigend vor Augen; sie kennzeich- nete sich sowohl durch gervaltige Nieder- setzungen der Tunnelfirste, als auch durch bedeutende Knickuna:en der Bol- zungen im Quer- und Langsprofil des | Tunnels. Der regulare Baubetrieb ging unter solchen Verhaltnissen vollstandig verloren und die Baukosten erhohten sich ungebtihrlich. Deshalb geschah es, dass noch bei dem Baue der Semmeringbahn und des Karstuber- ffanefes einzelne Inp;enieure sich dem K ernb a u -Sy s t e m e zmvandten oder andere Zimmerungen erdachten. Die meisten Ingenieure blieben aber in Anbe- tracht der grossen sonstigen Vortheile des osterreichischen Systems diesem treu und strebten nach Abhilfe innerhalb der Grenzen der Baumethode; so wurde denn auch der 1430 m lange Haupt- tunnel der Semmeringbahn, ftir dessen Bau man durch sechs verticale und drei geneigte Schachte 18 Angriffspunkte, ausser den beiden Mtindungen, geschaffen hatte, nach dem osterreichischen Systeme ausgefuhrt. [Vgl. Abb. 91 und 92.] Jene Constructions-Methode, durch welche das eben genannte System zu dem fiir druck- reiches und schwimmendes Gebirge voli- 230 Alfred Birk. Fig. 7. Fig. 6. Fig. 5. Abb. Q2. Bau des Semmering-Haupt-Tunnels. Fig. i. Vorbruch. Fig. 2—6. Allmahliche Erweiterung zum vollen Tunnelprofil. Fig. 7. Langenschnitt nach Fig. 5 und 6. Fig. 8. Langenschnitt des Stollens, Eisenbahn-Tunnelbau. 231 kommensten sich ent- \vickelt hat, ist eine Schopfung R2iha’s*) und fusst vor Allem auf dem Bestreben der griindlichen Entwa.ss.e- rung des abzubauenden Gebirges und auf der in a 11 e n Theilen bergmannisch richtigen Zimmerung des Langs- verbandes. *) Franz Ritter von R /. i h a, geb.28. Marž 1831 zn Hainspach in Bohmen, besuchte bis 1851 die technische Hochschule zu Prag, zeichnete sich schon beim Bau derSemmering- bahn und der Karst- bahn bei der Ausftihrung schwieriger Tunnelbau- ten in solcher Weise aus, dass er 1856 zum Bau des Tunnels bei Czernitz nachst Ratibor berufen wurde. 1857 erbaute er mit Knabel mehrere Tunnels auf der Ruhr-Siegbahn. Imjahre 1860 wandte er zum ersten Mal den Ausbau von Stollen in Eisen nach seinem eigenen Entvvurfe an, und filhrte dieses System, \vesentlich ver- voilkommnet, bei den schwierigsten Tunnel- bauten der Bahn von Kreiensen nach Holz- minden, und zwar auch beim Ausbaue der Tunnels, mit grossem Erfolge durch. Er trat sodann [1866] in den braunschrveigischen Staatsdienst, tracirte und baute mehrere Linien, und verwaltete als Oberbergmeister die fiscalischen Braunkohlengruben, bis die- selben verkauft wurden. Nachdem er in Bohmen und Sachsen mehrere Bahnbauten durchgefiihrt hatte, wurde er [1874] als Ober-Ingenieur ins osterreichische Handels- ministenum und 1876 als Professor an die technische Hochschule in Wien berufen. 1883 \vurde ihm der Adel verliehen. Ržiha starb am 22. Juni 1897 an dem . Orte seines ersten technischen Wirkens — auf dem Semmering, und der Ortsfriedhof von Maria- Schutz bildet die letzte Ruhestatte des ver- dienstvollen osterreichischen Technikers. Er schrieb: »Lehrbuch der gesammten Tunnel- baukunst« [Berlin 1864—1874, 2 Bande; 2. Aufl. 1874]; »Die neue Tunnelbau-Methode in Eisen« [Berlin 1864]; »Der englische Ein- schnittsbetrieb« [Berlin 1872]; »Die Bedeutung des Hafens von Triest fiir Oesterreich« [Wien 1873, auch italienisch und englisch]; »Eisen- bahn-Unter- und Oberbau« [im officiellen Ausstellungsbericht, Wien 1876, 3 Bande], und zahlreiche fachwissenschaftliche Ab- handlungen, die in Zeitschriften verOffent- licht wurden. Abb. 93. Englisches Tunnelbau-System. Dennoch fand das osterreichische System bei den Tunnelbauten der Eisen- bahn liber den Brenner keine allge- meine Amvendung. Das Bausystem, das nordlich der Brennerhohe befolgt wurde, war das englische System, gekennzeichnet durch den Ausbruch des vollen Tunnelprofiles in kleinen Langen und durch die Stiitzung des aufgeschlossenen Raumes mit Hilfe von Langsbalken, die sich einerseits auf die vollendete Mauerung, andererseits auf ein »vor Ort« aufgestelltes Bock- geriiste stiitzen. [Vgl. Abb. 93.] Das System bewahrte sich aber nicht; den starken Seitendriicken setzten die nicht unter- sttitzten Langsbalken zu geringen Wider- stand entgegen. Man baute deshalb die Tunnels der Siidstrecke, die spater in Angriff genommen wurden, nach dem osterreichischen Systeme, Die Tumielarbeit bot ubrigens bei der Brennerbahn wegen der sproden und festen Gebirgsmassen keine besonderen Schwierigkeiten; immerhin aber findet sich manche interessante Einzelheit, die nicht unbeachtet bleiben kann. Da die Mehrzahl der Tunnels der Brennerbahn nahe der Berglehne liegen, 232 Alfred Birk. E toge Elagc, so wurde ihr Bau nicht allein von den beiden Enden, sondern auch von mitt- leren Punkten aus in Angriff genommen; zu diesem Zwecke drang man durch Seitenstollen von der Lehne aus zur Tunnelachse vor, so dass z. B. der Miihlthaler Tunnel, der mit 872 m der langste der Brennerbahn ist, gleichzeitig von 14 Punkten aus angebrochen und gegen die Bahnachse gerichteten Stollen in die Felsenmasse des Berges ein, teufte am Ende dieses Ganges einen Schacht in das Niveau des Tunnels und suchte sodann durch gabelformig auseinander gehende Stollen die Tunnelachse zu erreichen, auf solche Weise je vier An- griffsstellen gewinnend. Viele Sorgen und Kosten verur- sachte den Ingenieuren der Bau des bereits erwahnten Miihlthaler Tunnels zwischen den Stationen Patsch und Matrei. Der Tunnel, der innerhalb der steilfallenden Mittelgebirgslehne in ge- ringer Tiefe unter dem Gelande liegt und Thonschiefer von sehr wechselnder Beschaffenheit durchfahrt, war zum Theile schon vollendet, als in dem ausgemauerten Theile sich sehr starke Verdriickungen einstellten und eine machtige Quelle zu Tage trat. Ein plotzlicher Einsturz stand Abb. 94. Reconstruction des Miihlthaler Tunnels. [Brennerbahn.] mithin ziemlich schnell gefordert rverden konnte. Grossere Schwierigkeiten hatten die Ingenieure bei den beiden Tunnels im Jodocus- und im Pflerschthale zu iibervvinden, denn einerseits stiessen sie hier bei der Durchfahrung des Gebirges auf sehr festen, von Quarzadern durch- setzten Thonschiefer und andererseits zieht sich die Achse der Linie tief in den Berg hinein. Letzterer Umstand zvvang — da man ja doch mehrere An- griffspunkte gervinnen rvollte — zu ganz eigenartigen Anlagen; man drang namlich in einer Hohe von etwa 50 m tiber dem Niveau des Tunnels mit einem radial ; zu befiirchten; man fiillte daher thunlich I rasch die gefahrdeten Tunnelringe voli- standig mit Trockenmauerwerk aus und ■ liess nur einen stollenahnlichen Raum fiir den Verkehr frei; die Quelle wurde in betrachtlicher Hohe iiber dem Tunnelscheitel aufgefangen und der Sili r zugeleitet. Dann erst begann die Ver- starkung der Widerlager, zu welchem Behufe 15 Stollen in drei Etagen von der J Berglehne aus senkrecht zur Tunnelachse bis hinter das Widerlager getrieben wurden. Wahrend des Betriebes der Bahn musste dieser Tunnel neuerlich reconstruirt wer- den. [Abb. 94.] Eisenbahn-Tunnelbau. 233 Aus der Bauperiode der Brennerbahn ist auch noch der sogenannten Bach- tunnels zu gedenken, welche dazu be- rufen sin d, aus ihren alten Betten abge- lenkte Wasserbache durch die Lehnen der Thalgehange zu fiihren. Bauliche Schvvierigkeiten \varen hiebei hauptsach- lich nurbei jenem Tunnel zu iibervvinden, \velcher vor der Station Matrei die Sili durch die Felsen hindurchleitet. Hier traten namlich sehr bald Erscheinungen auf, die auf eine Auskolkung der ge- pflasterten Tunnelsohle hinwiesen. Und kower Tunnel, mit welchem diese Gebirgs- bahn die Einsattlung des Grenzkammes durchsetzt, besitzt eine sehr interessante, von dem Baudirector Rudolf R. v. Gunesch veroffentlichte Baugeschichte. Nach dem definitiven Projecte erhielt der Tunnel eine Lange von 416 m und eine Stei- gung von 25°/ 00 . Vier in den Tunnel und fiinf in die beiden Voreinschnitte abgeteufte Schachte dienten zur Eroffnung eines Sohlenstollens, von welchem aus denn auch zuerst mit 12 und spaterhin mit 14 Aufbruchen die eigentliche Tunnel- Fig. 2. Fig. 3. Abb. 95. Reconstruction des Sill-Tunnels. Fig, 1, Lageplan. Fig. 2. Trockenlegung der Sohle. Fig. 3. Reconstruirter Tunnel. thatsachlich zeigte sich nach der Ablenkung o o der Sili von den gefahrdeten Stellen das Sohlenpflaster arg zerstort. [Abb. 95.] Die Reconstructions-Arbeiten richteten sich auf die Anlage eines liegenden Quader- mauerwerks an Stelle des unregelmassigen Sohlenpflasters und auf die Beseitigung der Abstiirze am Einlaufe. Durch die Vollendung der Brenner¬ bahn hatte die Eisenbahn-Technik einen neuen glanzenden Beweis ihrer Leistungs- fahigkeit abgelegt und bewiesen, dass auch der Ueberschienung der Karpathen, der natiirlichen und geographischen Grenze z\vischen Ungarn und Galizien, kein ernst- liches technisches Hindernis mehr im Wege steht. Und so wurde schon wenige Jahre darnach die »Erste ungarisch-galizische Eisenbahn« in Angriffgenommen. DerLup- arbeit begonnen wurde. Die Erweiterung zum vollen Tunnelprofile und die Zim- merung desselben erfolgte nach dem in einigen Theilen abgeanderten englischen System. Auf der salizischen Seite srins: der Baufortschritt ziemlich normal vor sich; auf der ungarischen Seite erwuchsen aber durch die Aufblahung des weichen und drtickenden Gebirges, durch langandau- ernde Kalte, hochliegenden Schnee, Ver- wendung schlechten, stark verwitternden Materials fiir einen hohen, dem Vor- einschnitt vorgelegenen Damm, durch Rutschungen in den Einschnitten so ausserordentliche Sclrvvierigkeiten, dass die Situation schon im Jahre 1872, also einjahr nach demBaubeginne, in jeder Hinsicht sehr bedenklich wurde. Hiezu trat die geringe o o 234 Alfred Birk. Eignung des Karpathen-Sandsteines, die eine neuerliche Aenderung des Tunnel- profils und eine Verstarkung der Maue- rung nothwendig machten. Der Spatherbst desselben Jahres brachte neue Calami- taten hinzu; es trat ganz gegen alle bis- herigen Erscheinungen keine Kalte ein; bedeutende atmospharische Niederschlage brachten alle Damme und Einschnitte in Bewegung, ein namhafter Theil der Tunnelringe \vurde deformirt, die Funda- mente senkten sich, die Steine der Seiten- mauerung zerfielen in Sandkorner. Es blieb. nichts anderes tibrig, als Steine Fig. I. Abb. 96 a. Bau des Ti hartester Gattung: Granit, Trachyt, Por- phyr und Kalkstein mit Aufwand be- deutender Kosten zur Verwendung zu bringen und eine Verbreiterung der Fundamente und Widerlager durch eine Untermauerung des ganzen Ringes zu bewerkstelligen. Nach alledem erschei- nen die hohen Baukosten des im Jahre 1874 vollendeten Tunnels, die sich auf 2 j585-5oo fi. beliefen, ganz begreiflich. Der Bau des Lupkower Tunnels war noch nicht vollendet, als auf der Salz- burg-Tiroler Bahn der Bau des Tunnels bei Bischofshofen [vgl. Abb. 96 a u. 96 b] in Ano-riff genommen wurde. Dieser Bau erscheint deshalb erwahnenswerth, weil er nach dem belgischen System aus- gefuhrt wurde, das bis dahin in Oester- reich — unseres Wissens — noch keine Anwendung gefunden hatte und dem man in weiten technischen Kreisen eine gewisse Abneigung entgegenbrachte. Dieses System war gewahlt worden in richtiger und genauer Erwagung aller bezugnehmenden Verhaltnisse und in der Ueberzeugung, dass die ungiinstige Anschauung uber dasselbe nur auf einzelne baulich oder finanziell ungun- stige Ergebnisse zuruckzufiihren ist. Bei dem Bischofshofener Tunnel war das zu durchfahrende. Gebirge ein gutes und gleichformiges und die mit den Arbeiten betrauten Subunternehmer, Ge- briider S a n d i n o, hatten tiichtige, auf das j.. i- Fig. 2. iels bei Bischofshofen. belgische System eingeschulte piemon- tesische Mineure zur Verfiigung. Und so bervahrte sich dieses System, dessen Wesen in den die Baumethode bei Bischofshofen darstellenden Abbildungen fltichtig markirt erscheint, in diesem Falle sehr gut. Bald nach Vollendung des Tunnels bei Bischofshofen, dessen . Bau vom 10. August 1873 bis Mitte Juni 1875 wahrte und rund 630.000 fi. kostete, vollzog sich in nachster Nahe ein fiir die Entwicklung des Tunnelbaues nicht nur in Oesterreich, sondern tiberhaupt wichtiges Ereignis : Die erstmalige defini- tive Anwendung des Bohrmaschinen- Betriebes. Bei allen, bis gegen die Mitte des achten Decenniums in Oester¬ reich ausgefiihrten Tunnels wurden die Locher zur Aufnahme des Sprengmittels, Eisenbahn-Timnelbau. 235 Fig. 5 - Fig. 7. Abb. 96 b. Bau des Tunnels bei Bischofshofen. Fig. 6. 236 Alfred Birk. durch dessen kraftig losende Wirkung der Tunnelausbruch beschleunigt wird. von Hand aus, mittels Faustel und Bobrer in die Gesteinsmasse getrieben. Nur bei dem Baue der Tunnels im Zuge der Karstbabn [1853—1857] hatte der Bau- meister K r a n n e r versuchsweise zur Her- stellung von Sprenglochem in Kalk- gestein Drehbohrer angewandt, die man fuglich den Mascbinenbohrern zuzahlen kann. Er beivirkte namlich die Rotation durch einen Mechanismus, der, ungefahr wie bei einem Spinnrade, mit dem Fusse des Arbeiters bewegt wurde, wobei eben- falls der vorgebeugte Korper des letzteren die nothige Andriicklast bot. Fur die Lange der Zeit war ein solches Bohren ungemein ermildend; auch gestattete es nur gewisse Lagen der Locher und setzte ein sehr weicheS Bohrgestein voraus. Als man anlasslich des Baues der Salz- kammergut-Bahn sich anschickte, den am Traunsee zwischen Ebensee und Traun- kirchen steil emporsteigenden Sonnstein zu durchfahren, da zwangen unerwartet eintretende Verhaltnisse, das anfangs angewandte Systeni des Handbohrens zu verlassen und den Maschinenbetrieb einzufiihren. Angesichts der nicht un- bedeutenden Lange des Sonnstein-Tun- nels — er misst I428’36 m — sowie der barten Gesteine, vvelche zu durch- setzen waren, kam die rechtzeitige Fertig- stellung des Tunnels ernstlich in Frage. Zu jener Zeit nun hatte Alfred Brandt bei demPfaffensprung-Tunnel auf derGott- hardbahn sein Bohrmaschinen - System mit rotirendem Kernbohrer und hydrau- lischer Kraftiibertragung wohl nur vor- ubergehend, namlich bis zur Einstellung aller Arbeiten auf der Gotthardbahn, aber mit grossem Erfolge in Anwendung gebracht. [Vgl. Abb. 97.] Die Bauunter- nehmung des Sonnstein-Tunnels, Karl Freiherr von Sch\varz, entschied sich, rasch entschlossen, zur Fortsetzung der Arbeiten mit Brandt’s Maschine. Gebriider Sulzer in Winterthur lieferten die Ma- schinen und Brandt nahm die Durch- fiihrung der Einrichtung selbst in die Hand. Am II. April 1877 war die Maschinenbohrung auf dem Sonnstein in vollem Gange. Die Wirkung des Brandt’schen Bohrers nahert sich jener eines Stossbolirers wobei aber die intermittirende Stoss- kraft durch ruhige, stetig wirksame Druckkrafte ersetzt ist; der Brandfsche Bobrer zermalmt das Gestein, zerbrockelt, zersagt es. Das Andriicken und das Drehen des Bohrers, \vie ilberhaupt das Feststellen der ganzen Bohrvorrichtung wird ausschliesslich durch Wasserdruck bewirkt. Der Bohrer ist namlich an dem Kopfe einerhydraulischen Presse befestigt, die an einer »Spannsaule« durch Stell- ringe und Spannschrauben festgestellt werden kann. Das Druckwasser wird durch eine enge Rohrleitung zugefiihrt. Bei einem Betriebs-Wasserdruck von 75 Atmospharen kann bei geeigneter Dimen- sionirung aller Theile eine Schneidekraft bis zu 6000 kg pro Zahn des Bohrers erreicht werden, eine Kraft, die auch dem hartesten Granit gevvachsen ist. Bei dem Baue des Sonnstein-Tunnels hat die Maschinenbohrung in den gleichen Gesteinen gegen die Handbohrung einen circa zweimal so grossen Stollenfort- scbritt ergeben. Die Maschinenanlage fur den Betrieb der Bohrmaschinen und die Liiftung des Tunnels war auf einer Plattflache am Ufer des Sees errichtet. Eine Circularpumpe hob das Betriebs- wasser aus dem See; ein Paar direct wirkender Dampfpumpen diente zur Pres- sung des Wassers. Im Betriebe standen vier Bohrmaschinen. Die gesammte Ein¬ richtung fur den Bohrbetrieb hatte einen Kostenaufvvand von 38.700 fl. verursacht. Ein hervorragendes Bauwerk, das in der Geschichte des Tunnelbaues eine markante Stelle einnimmt, und Oester- reichs Ingenieuren, ihrem Wissen und Konnen einen bleibenden Ruhm sichert, wurde schon wenige Jahre darnach in Angritf genommen und glanzend voll- endet: d i e D u r c h b o h r u n g d e s A r 1 - b er ge s. Die Literatur iiber den Arlberg- Tunnel ist uberaus reichhaltig und gibt iiber alle Detailfragen dieses grossar- tigen Baues Aufschluss. Unsere Aufgabe kann \vohl nur darin bestehen, aus der Baugeschichte des [iiber 10 km langen] Arlberg-Tunnels jene besonderen Momente hervorzuheben, welche sich als nennens- \verthe Errungenschaften im Tunnelbaue Eisenbahn-Tunnelbau. 237 darstellen und dieses auf vaterlandischem Boden durchgefiihrte Werk zu einem bedeutsamen Merkzeichen in der Ge- schichte des Tunnelbaues erheben. Als solche Momente erscheinen einerseits die concurrirende Anwendung zweier Bohr- systeme beim Stolienausbruche, namlich des Percussions-Systems [Ferroux, Seguin und Welker] und des Drehbohr-Systems einwirkenden Umstande mit den gestei- gerten Leistungen der maschinellen Stollenbohrung gleichen Schritt zu halten. Das Percussions- oder Stossbohr- system, bei welchem der Bohrer durch comprimirte Luft in den Felsen ge- stossen wird und beim Riickgange eine drehende Bewegung erhalt, war fiir die Ost- seite des Tunnels [St. Anton] bestimmt. Die ■OCM-. Abb. 97. Bohrmaschine nach Brandfs System. [Brandt] und andererseits die Forderung der ausgebrochenen Massen aus dem Tunnel und der zur Ausmauerung noth- wendigen Materialien in denselben. [Vgl. Abb. 98]. Forderte die Parali elarbeit zweier grundverschiedener Bohrsysteme Wissen- schaft und Kenntnis der Bohrtechnik in eminenter Weise, so bewies die geniale Losung der Forderungsfrage, dass es moglich ist, durch zvveckmassige Dis- positionen in den Vollausbrucb- und Maurerarbeiten trotz mancher unariinstis: o o Kraft zum Betriebe der Motoren, die sowohl die comprimirte Luft, wie auch dieVenti- lationsluft zu erzeugen hatten, lieferte die Rosanna, aus der zwei Wasserleitungen von 100 m und 4250 m Lange zu den Maschinen fiihrten und an diese je nach Jahreszeit und Wasserreichthum der Ro¬ sanna 800 bis 1700 Pferdekrafte abgaben. Die Bohrluft wurde von sechs Com- pressoren, die Ventilationsluft von vier Gebla$ecylindern geliefert. Der gesammte Luftbedarf stellte sich auf nahezu 11.000 m 3 in der Stunde. Fiir das Anbohren der 238 Alfred Birk. Stollenbrust dienten anfangs sechs, spa- ter acht Maschinen, die jedesmal ein bis sechs Stunden in Arbeit standen. Auf der Westseite des Arlberg-Tunnels, \vo der Schienenweg aus dem Felsen heraus in das Thal der Alfenz tritt, hatteBrandt seine Maschinen [vgl. Abb. 99] installirt; die erforderliche Wasserkraft, einschliesslich jener fiir Erzeugung der Ventilation, wurde dem Niederschlags- gebiete der Alfenz entnommen; die Wasser des Zfirs- und Alfenzbaches, des Hopenland- und Sacktobels, wie auch jene des Moos- baches wurden gemeinsam herangezogen und boten gegen 800 Pferdekrafte. Zwolf Hochdruckpumpen, von drei Girard- zehn einfahrende und ebensoviele aus- fahrende Ziige zu je 75 Wagen von 129, beziehungsweise 230 t. Eine solche Ver- kehrsmenge zu bewaltigen, war auf dem Arlberge nur durch eine mit piinktlicher Genauigkeit geregelte Forderung moglich. Der vor dem Tunnel rangirte Zug wurde von zwei feuerlosen Locomotiven nach Francq’s System bis zum Ende der fer- tigen Tunnelstrecke, wo sich eine ver- legbare Station befand, befordert; von hier aus schoben besondere Schlepper, welche die vollen Bergwagen aus dem Stollen brachten, die einzelnen Wagen auf einer Rampe von 2 °/oo Steigung zu den verschiedenen Arbeitsstellen. Fig. 3. Abb. 98. Stangenforderung im Arlberg-Tunnel. Fig. I. Einzelnbeiten des Gestanges. Fig. 2. Langenprofil. Fig. 3. Tunnelstation. turbinen bewegt, deckten den Kraftbedarf der vier Brandt’schen Maschinen, die auf einer gegen die Stollenwande mit ioo Atmospharen Wasserdruck verspreizten Spannsaule befestigt waren. Im Allgemeinen glich die Installation an dieser Seite des Tunnels der Anlage auf dem Sonnstein-Tunnel; sie unterschied sich von ihr im Wesentlichen durch die Lagerung des ganzen Apparates auf Achsen und Radern, durch die kraftigere Bauart der Maschine und Spannsaule und durch die bewegliche Montirung zweier Bohrmaschinen auf einer Saule. Von grosser Wichtigkeit \var die Disposition der Forderung. Ein taglicher Tunnelfortschritt von 5'5 m, wie er beim Arlberg-Tunnel erzielt wurde, beanspruchte Mit dieser einfachen, aber gut functio- nirenden Anordnung war jedoch die Frage der Forderung auf der Ostseite des Arlberg-Tunnels noch nicht gelost. Hier war namlich bei dem Umstande, dass der Culminationspunkt des Tunnels circa 1000 m ostlich der Tunnelmitte liegt, eine gewisse Strecke, deren Lange mit dem Baufortscbritte zunahm, im Ge- falle von 15°/ 00 vorzutreiben. DerGedanke, diesen Rampenbetrieb mit Menschen oder Pferden zu bewerkstelligen, wurde sehr bald aufgegeben; auch von der Seil- oder Kettenforderung musste ab- gesehen werden, da ihre Anwendung eine tiefgehende Aenderung des ganzen Bausystems bedingt hatte. In einfacher und gelungener Weise loste schliesslich 240 Alfred Birk. Bauunternehmer Ceconi die dringend gewordene scliwierige Frage. Die von ihm vorgeschlagene Anordnung besteht in Wesenheit aus einem Gestange, das, auf Radern laufend, durch die im fertigen Tunneltheile verkehrenden rauch- und feuerlosen Locomotiven in den Stollen geschoben und dann mit den hier an- gehangten Wagen wieder heraufgeholt wird. Das Gestange wurde aus einzelnen holzernen Stangen von 7'6 m Lange, 21 cm Hohe und 12 cm Breite gebildet. Jede Stange hatte an ihren Enden zwei iiber die Stangenkopfe vortretende Flach- schienen angeschraubt, mittels welcher sie auf kleine vierradrige Wagen gelagert und derart befestigt wurde, dass eine grossere Beweglichkeit im horizontalen und vertica- len Sinne gewahrt erschien. [Vgl. Abb. 98.] ab, die zwischen den Bediirfnissen des Tunnelbetriebs und den Bedingungen eines geordneten Zugsverkehrs die vollste Uebereinstimmung zeigte. Der Arlberg-Tunnel ist mit einer Lange von 10.247^5 m der drittlangste der Alpen. Das Tunnelportal in St. Anton hat die Seehohe von I302’4, der Tunnel- ausgang in Langen jene von I2i6'84 m. [Vgl. Abb. 100 und 101.] Das Geleise steigt gegen Langen zu auf 4100 m mit 2 °/ 00 und fallt sodann mit 1 5 °/oo■ D er Tunnel ist seiner ganzen Lange nach ausge- mauert. Sein Ausbruch erfolgte nach dem englischen Systeme, jedoch mit einigen, durch die Verhaltnisse bedingten Aende- rungen, die namentlich auf der Westseite \viederholt modificirt \verden mussten, weil hier gewaltige Druckerscheinungen auftraten. Ueber die Leistungen beim Bau des Arlberg-Tunnels seien hier noch einige Daten angefiihrt, welche die grossen Fortschritte kennzeichnen mogen, welche die Tunnelbau-Wissenschaft in der Zeit vom Bau des Mont Cenis-Tunnels bis zu jenem des Arlberg-Tunnels, also in rund 25 Jahren gemacht hat. Im Sohl- stollen wurde die grosste tagliche Lei- stung auf der Westseite mit 8‘4 ?», auf der Ostseite mit 8 - 2 m erreicht. Der Durch- Abb. 101. Tunnelprofile der Arlbergbahn, Zur Beforderung eines Zuges mit Hilfe dieser starren, viele hundert Meter langen »Kupplung« auf der Steigung von i 5 %o mussten d r e i feuerlose Locomotiven mit einer gesammten Zugkraft von 5900 kg in Action treten. Der Zugver- kehr wickelte sich sodann, unterstiitzt durch eine sehr zweckmassige Anlage der in der Nahe des Culminationspunktes liegenden Tunnelstation, in einer Weise schlag dieses Stollens, der in einer Lange von 10.260 m aufgefahren wurde, er- forderte einen Arbeitsaufwand von drei Jahren, funfMonaten und vierTagen. Nach den Bestimmungen des Vertrages solite der Tunnel 180 Tage nach erfolgtem Durchschkage des Stollens vollendet und betriebsfahig sein. »Von der Grosse der hier verlangten Leistung erhalt man eine Vorstellung« — sagt Ržiha in einer Eisenbahn-Tunnelbau. 241 Studie iiber die Stang-enforderung' auf dem Arlberg-Tunnel — »wenn man beriick- sichtigt, dass die Vollendungsarbeiten beim Mont Cenis-Tunnel [12.233 m lang] beilaufig e i n Jahr, beim St. Gotthard- Tunnel [14.900 m lang] gegen zwei Jahre beanspruchten, dass sonach gegeniiber dem letzteren Alpentunnel eine Abkiirzung dieser Schlussphase des Baues auf ein Viertel der Zeit gefordert wird. Diese Anforderung erscheint noch durch den Umstand verscharft, dass ein ungeahnt rascher Stollenfortschritt stattgefunden hat, der den bei Festsetzung des obigen Termines in Aussicht genommenen weit hinter sich lasst und der demgemass ein ebenso rasches Nacheilen der Aus- bruch- und Vollendungsarbeiten zur Be- dingung machte.« Es zeugt von der trefflichen Ein- richtung aller Anlagen, von der fach- mannisch richtigen Durchfiibrung der Ar- beiten, von der gliicklichen Verwerthung aller Errungenschaften der vorhergegan- genen technischen Schopfungen auf dem Gebiete des Tunnelbaues, dass dieser kurze Termin von 180 Tagen nicht iiberschritten \vurde. Die monatliche Baugesdrvvindigkeit hatte im Arlberg-Tunnel 219 m betragen; bei dem Gotthard-Tunnel stellte sich diese Geschwindigkeit auf 149, bei dem Tunnel durch den Mont Ceniš auf rund 7o - 3 m. Welcher gewaltige Fortschritt kommt in diesen Zahlen zum Ausdrucke und welche namhafte Forderung der Tunnel- bau-Wissenschaft bedeutet also derDurch- bruch des Arlberg-Tunnels! Was seit der Vollendung der Arlberg- Bahn auf osterreichischen Eisenbahnen an Tunnelbauten bisher geschaffen wurde, tritt weit zuruck hinter den Thaten der Ingenieure, der Tunnelbaumeister in jenen Tagen. Es hat bei den Tunnelbauten der jiingeren Bahnen auch an Schwierig- keiten nicht gefehlt, es ist auch hier manch guter Griff geschehen, manch geistreicher Gedanke verwirklicht, manch prachtige Arbeit vollendet worden; doch tritt kein Moment so bedeutsam hervor, dass es in dieser Abhandlung, die ja doch nur einen fliichtigen Ueberblick iiber die allgemeine Entwicklung des Eisenbabn-Tunnelbaues bieten soli, be- sonders hervorgehoben zu werden ver- dient. Das jiingste Bau\verk aber, das der Wissenschaft des Tunnelbaues neue Forderung bietet — die Wiener Stadtbahn — ivird an anderer Stelle seine gerechte Wiirdigung finden. Geschichte der Eisenbahnen. II. 16 242 Alfred Birk. Oberbau. Auf leichten eisernen Flachschienen, von holzernen, auf Schotter gebetteten Langschwellen getragen, rollten die Wa- gen der Pferde-Eisenbahn von Budweis nach Linz und rollten auch die ersten Locomotiven Oesterreichs; denn die Kai¬ ser Ferdinands-Nordbahn war durch die Verspatung der in England bestellten Schienen darauf angewiesen worden, ihren Oberbau nach dem Muster der Pferde- batinen herzustellen: eiserne Flachschie¬ nen, mit Holzschrauben auf holzernen Langschwellen befestigt, die auf einem in parallele Graben unter den Schwellen eingebrachten Schotter- oder Steinsatz- korper lagerten. [Vgl. Abb. 102.] Diese Geleise-Construction hielt unter den Angriffen des Locomotiv-Betriebes nicht lange Stand; die Befestigung der Flachschienen auf den Langšchwellen erwies sich als nicht geniigend dauerhaft und die mittlerweile aus England ein- getroffenen Oberbau - Bestandtheile er- moglichten der Nordbahn den Ersatz dieses Geleises und den Weiterbau der Bahn nach Briinn mit einer Oberbau- Construction nach englischer Bauweise. Die Thatsache, dass die Kaiser Fer¬ dinands-Nordbahn bei ihrer ersten Ein- richtung genothigt war, ihre Fahrzeuge aus England zu beziehen, hatte zurFolge, dass die in England sowohl fiir Strassen- fuhrwerke als flir Eisenbahnen eingefuhrte Spurweite von 4' 8" engl. [= 1-435 m ] nach Oesterreich iibertragen und bei allen spater erbauten Bahnen beibehalten wurde. Das von der Nordbahn gewahlte englische Geleise war ein Querschwellen- Oberbau; die Schienen mit pilzformi- gem Querschnitte wogen 19% kg pro Meter, waren in gusseisernen, auf den Querschwellen aufgenagelten Stiihlen ge- lagert und mit Holzkeilen befestigt. [Vgl. Abb. 103—104.] Anordnung und Dimen - sionirung der Bestandtheile erwiesen sich fiir die damaligen Verhaltnisse als muster- giltig ; das Geleise bot einen ausreichenden Widerstand gegen die Wirkungen der darauf verkehrenden Locomotiven, deren starkster Achsendruck allerdings nur 6 t betrug. Auch andere Bahnen jener Zeit folg- ten dem englischen Vorbilde, so die lom- bardisch - venetianische Ferdinands-Bahn [1837], die Linie Mailand-Monza [1839], die osterreichischen Staatsbahnen Olmiitz- Prag und Miirzzuschlag-Gilli. Auf der Eisenbahn von Mailand-Monza kamen statt der Holzschwellen das erste Mal auf einer Locomotivbabn in Oesterreich Steinwiirfel zur Anwendung, auf wel- chen die gusseisernen Schienenstiible befestigt wurden. Von grosser Be- deutung fiir die Entwicklung des Ober- baues erscheint der Bau der Eisenbahn von Wien nach Gloggnitz. Auf der Theilstrecke derselben von Neustadt nach Neunkirchen finden wir liamlich [1842] eine Art Flachschiene verlegt, deren Quer- schnitt etwa in einem Drittel der Hohe eine schwache Einschniirung aufvveist. Dieses Profil ist der Vorlaufer der breit- Eisenbahn-Oberbau. 243 fiissigen Schiene in Oesterreich. Es ist wie die Verkorperung der ersten auf- flackernden, noch nicht ausgereiften Idee der letztgenannten Schiene, der wir auch thatsachlich schon im selben Jahre noch auf der Strecke Wien-Neu- ist nahezu gleichmassig hoch, der Steg kurz, der Kopf niedrig; Kopf, Steg und Fuss gehen mit sanften Curven ineinander iiber. Die Schiene war 5 m lang, hatte ein Gewicht von 26‘5 kg pro Meter und besass bei einer Entfernung der Stiitz- Fig. I. Langenschnitt. 'Fig. 3. Querschnitt. Fig. 4. Flachschiene. Abb. 102. Oberbau mit Flachschienen. [ Kaiser Ferdinands-Nordbahn, 1837.] stadt begegnen. Das ist ein Moment, das umsomehr hervorgehoben zu werden ver- dient, als wir gleichzeitig auch die Quer- schwellen, allerdings noch durch eine Langschwellen-Constructionverstarkt,also eine Art holzernen Rostes als Unterlage der Schienen bei diesem Oberbaue an- treffen. Die Gestalt dieser ersten breit- basigen Schiene Oesterreichs ist im All- gemeinen ziemlich gedrungen. Der Fuss punkte von 126 etn eine Tragfahigkeit von 3-8 t. [Vgi. Abb. 105.*)] Infolge der machtigen Zunahme des Verkehrs in dem Zeitraume von 1839 bis 1843, in dem sich das Bahnnetz *) Die Abbildungen 105, IQ 6, 117, 118 und 119 sind mit Genehmigung des Verfassers und Verlegers nach Abbildungen aus dem Werke »Geschichte des Eisenbahn-Oberbaues« von A. Haarmann angefertigt \vorden. 16* 244 Alfred Birk. Fig. 3- Querschnitt. Abb. 103. Oberbau mit Pilzschienen [Hochschienen]. [Kaiser Ferdinands-Nordbahn, 1838.] auf eine Lange von mehr als 300 km erweitert hatte, war das Bediirfnis aufge- treten, die Leistungsfahigkeit der Loco- motiven zu erhohen. Dieser Forderung liess sich nur durch eine Gewichtsver- mehrung der Locomotiven entsprechen. Und so traten nun Locomotiven in Betrieb, welche auf das Geleise einen Achsdruck von 12 t austibten. Selbstverstandlich wurden die Wir- kungen dieser neuen Fahrzeuge fiir die vor- handene Geleise-Construction verhangnis- voll. Derlngenieur S t o p s e 1, der Chronist der Nordbahn, schrieb zu jenerZeit: »Die Sicherheit und Regelmassigkeit des Ver- kehrs waren gefahrdet, die Abntitzung des Geleises und der Fahrzeuge zeigten sich in allzustarkem Masse, es sind viele Briiche an Schienen und an Chairs vor- gekommen.« Unter diesen Umstanden kam das Geleise nach englischer Bamveise eigent- lich unverdientermassen in Verruf und fand das Beispiel der Wien-Gloggnitzer Bahn umsomehr Anklang, als man mittlerweile in Deutschland bei der Leipzig-Dresdener Bahn mit einem Quer- schwellen - Oberbau, bei dem breit- f u s s i g e Schienen ohne Vermittlung von Stuhlen direct auf den Querschwellen mit Nageln befestigt waren, gute Ergebnisse erzielt hatte. Im Jahre 1846 finden wir auf oster- reichischen Bahnen die erste Amvendung der breitfiissigen Schiene in Verbindung mit Querschwellen ohne Langschwellen- untersttitzung, und zwar auf der Linie von Wien nach Bruck a. d. Leitha. Diese Bauweise ging allmahlich auf alle heimatlichen Bahnen iiber, wobei Eisenbahn-Oberbau. 245 die Versuche des preussischen Ministerial- Directors Weisshaupt, welche die Ueberlegenheit derselben in Rticksicht auf Tragfahigkeit nachwiesen, nicht ohneEin- fluss blieben. [Vgl. Abb. 106.] War nun in dieser Hinsicht eine gewisse Stabilitat fiir das System des Geleisebaues geschaffen, so gaben die damaligen Besitzverhaltnisse der oster- reichischen Eisenbahnen und der Um- stand, dass das Eisenbahnnetz aus einer grosseren Anzahl isolirter Theilstrecken sich zusammensetzte, doch mannigfalti- gen Anlass zu Veranderungen im Ein- o o zelnen. Abb. 105 Oberbau mit breitftissigen Schienen. [Wien-Gloggnitz, 1841.] Fiir jede Eisenbahn-Gesellschaft, ja fast fiir jede einzelne Theilstrecke wurden andere Verkehrsverhaltnisse vorgesehen und andere Betriebsmittel mit anderen Gewichtsverhaltnissen beschaift. An- kniipfend wurden nun theils praktische, theils theoretische, theils subjective Er- \vagungen ins Feld gefiihrt, um da und dort eine grossere oder geringere Anzahl von Stiitzen oder eine grossere oder geringere Abmessung der Geleise-Bestand- theile zu begriinden. t= ~iSic>\ ,I >-1-A av-\ -'•'••K ' :'V| J Abb. 106. Oberbau mit breitfiissigen Schienen. [Kaiser Ferdinands-Nordbahn, 1851.] Die Schiene. Im Jahre 1848 hat die breitfiissige Schiene in Oesterreich bereits die Ober- hand iiber die Pilzschiene gewonnen. An der Han d der Erfahrungen, die von Jahr zu Jahr gesammelt wurden, unter dem Einflusse der Theorie, die sich stetig vervollkommnete, und namentlich unter der bedeutsamen Einvvirkung, welche die Hiittentechnik ausiibte, erfuhr die Gestalt der Schiene zahlreiche Abanderungen. Auch das wirthschaftliche Moment trat hiebei stark hervor; die Schiene bildet ja doch den weitaus kostspieligsten Be- standtheil des Geleises und eine Erspar- nis an Gewicht verringert wesentlich die Bau- und Erneuerungskosten. Und so bildet zu Ende der Vierziger- und zu Anfang der Fiinfziger-Jahre das Bild der Schienenprofile eine sehr formenreiche Musterkarte! Der Zusammenschluss der einzelnen Linien, der Bau von Bahnstrecken iiber 246 Alfred Birk. Mit der Verstarkung des Gestanges war aber noch nicht Alles gethan. Die Schienen waren ausschliesslich aus Eisen gewalzt —• aus einem Materiale, dessen begrenzte Festigkeit bei den grossen Druckwirkungen der Fahrzeuge selbst bei starkeren Geleise-Constructionen zu auffalligen, nicht durch die regel- massige Abniitzung entstandenen Zer- storungen an der Laufflache fiihrte. Alle Berichte damaliger Zeit stimmen darin uberein, dass der Verschleiss an Schienen durch Spaltung und Trennung ganzer Theile an der Laufflache desKopfes Bei Aufdammimffea. Bei Emsctaiitten. Abb. 107. trennende Gebirgsriicken, die hiebei noth- \vendige Anwendung von grosseren Nei- gungen und scharferen Bogen, die durch letztere Verhaltnisse bedingte Erhohung des Locomotiv-Achsdruckes bis zu 14 t, drangten mehrere Bahnverwaltungen, ihre Schienen von ungenugender Tragfahig- keit durch Schienen zu ersetzen, die den neuen erhohten Anspriichen gevvachsen \varen. Auf solche Weise vollzog sich all- mahlich eine ansehnliche Vermehrung des Einheitsgewichtes der Schienen. So \varen verlegt: auf der Kaiser Ferdinands-Nordbahn im Jahre 1839 Schienen von I9'5 kg pro Meter [pilzformiges Profil], auf der Gloggnitzer Bahn im Jahre 1841 Schienen von 26 - 5 kg pro Meter [breit- fussiges Profil], auf den k. k. Staatsbahnen im Jahre 1844 Schienen von 21'2 kg pro Meter [pilzformiges Profil], auf den k. k. Staatsbahnen im Jahre 1849 Schienen von 29^6 kg pro Meter [breitfiissiges Profil], auf den k. k. Staatsbahnen im Jahre 1856 Schienen von 37‘275 kg pro Meter [breitfiissiges Profil]. Bemerkenswerth ist der Oberbau der Semmeringbahn mit Schienen von 42 - 5 kg pro Meter und mit einem wohl- gefugten Holzroste aus Lang- und Quer- schwellen. [Abb. 107.] ein ungewohnlich hoher war; die Schienen- dauer sank in einzelnen Strecken bis auf kaum vier Jahre — und dies bei einer Verkehrsdichte, die bei weitem nicht an jene unserer Tage heranreichte. Ueber diese Nothlage half nun der Gedanke hinvveg, fiir die Schienen- erzeugung anstatt des Schweisseisens das festere Stahlmateriale zu verwenden — die Eisenbahnen in Stahlbahnen zu verwandeln. In Rucksicht auf die um- standliche Herstellungsweise des Stahles im Puddelofen und die hiedurcli bedingte Kostspieligkeit desselben beschrankte man seine Verwendung zunachst auf die Her- stellung einer harteren Fahrflache. Der erste Versuch wurde von der Buschtž- hrader Bahn unternommen, die 1855 Eisenschienen mit Stahlkopf in Verwen- dung nahm. Eisenbahn-Oberbau. 247 theihveise auf der Fliigelbahn nach Briinn. Dieser Versuch gelang glanzend, denn die betreffenden Schienen sind heute, d. i. nach 33 Jahren, noch in der Bahn in vollkommen gebrauchsfahigem Zustande und weisen lediglich eine Auswechslungs- ziffer von 8% auf. Es ist daher begreif- lich, dass sich die Nordbahn-Venvaltung seinerzeit entschloss, unverzuglich zijr ausschliesslichen Verwendung solcher Schienen tiberzugehen. Die DurchfiAhrung des Entschlusses fand aber in dem hohen Preise des Materials ein leicht erklar- liches Hindernis, dessen Beseitigung jedoch schliesslich dadurch gelang, dass man das fiir Eisenmaterial construirte Schienenprofil mit dem Einheitsgewichte von 37’2 kg verliess und ein schlankeres, leichteres Profil von 31 kg entwarf. [Abb. 108.] Das Widerstandsmoment y,x und mithin auch die Tragfahigkeit dieser Stahlschienen waren bedeutend grosser, als jene der Eisenschienen, Abb. 108. Schienenprofil A der Nordbahn [eingefiihrt 1866]. ,l Pnn n; P warPn ricbticrpr ver- C,)uerschnittsflache = 39-505««=, Gervicht pro I m in Schrveiss- uenn tile IViaSSen Waren ricnilger Ver- štahi = 30-849 kg, Gewicht pro i m in Fiussstahi = 31086 theiit, die Form war eine giinstigere Triigheitsmoment t = 766-080fur cm widerstandsmoment. — und die Festig-keit des Materials eine = 120-302 fur cm n 0 Da aber die Erzeugung solcher Schienen nicht viel von jener der Eisen¬ schienen abtvich, so war das Ablosen der Stahllamelle von der Eisenschiene eine haufig auftretende Erscheinung. Man griff deshalb zu Schienen aus Puddelstahl, Schienen, die aus einzelnen Stahlplatten durch Schweissung und nachfolgende Aus- walzung erzeugt wurden. Die erste Ver\vendung und Ausbreitung derselben ging, begtinstigt durch das vor- ziiglicheRohmaterial, von Oesterreich aus, und zwar war es die Kaiser Fer- dinands-Nordbahn, welche durch den zu- folge ihres starken Verkehrs iiberaus bedeutenden Verschleiss der Eisenschie¬ nen und die dadurch hervorgerufenen hohen Bahnerbaltungskosten zunachst dazu gedrangt wurde, unter Stockert Versuche mit Schienen aus Puddelstahl in grosserem Massstabe durchzufiihren. Sie liess im Jahre 1865 eine grossere Zahl solcher Schienen nach ihrem fiir Eisenschienen im Gebrauche befind- ... c . . . .... . „ , . . , . Abb. 109. Schienenprofil B der Nordbahn [eingefuhrt 1872]. lichen Profile im Einheitsgewichte von Querschnittsflache = 44 770«« a ; Ge\vicht pro I m in Schweiss- „ _ 7 r , 1 j i , stahl = 34 960 kg; Gewicht pro i vc in Fiussstahi = 35 230 kg; 37'2 Izv pro Meter walzen und verlegte __ F 5 t v i- -m 4.1, -i • r j T -r ,i• • Tragheitsmoment T = 877 490 cm; Widerstandsmoment dieselben theihveise aut der Hauptlmie, = 136-93 fur cm. h " , 123 ; 5 ._. 248 Alfred Birk. hohere als bei dem friiheren Profile. Der Preis stellte sich bei gleicher Lange der Schienen auch gleich mit j enem der Eisenschiene, denn die Grossen der Querschnittflachen und mithin der Massen verhielten sich umgekehrt wie die Preise des Puddelstahls und des Eisens. Dieses Schienenprofil, das also eben- falls der gesteigerten Inanspruchnahme der Schienen Rechnung trug, wurde von den Eisenhiittenmannern als besonders ge- eignet fiir den Schweissungsprocess be- funden und fand Eingang bei vielen Bahnen Oesterreichs und Deutschlands; auch die franzosische Nordbahn \vahlte es als Muster fur ihre Schienenprofil- Anordnung. Unterdessen hatte sich in der Hiitten- technik ein Ereignis von weittragender Bedeutung vollzogen, indem die Erfindung Bessemer’s zur Herstellung eines homo- genen Flussstahles ihre Vervollkommnung fiir Massenerzeugung erhalten hatte. Der grosse, unschatzbare Vortheil der Stahl- schienen-Erzeugung nach dem System Bessemer’s oder auch nach jenem Martin’s besteht in der Herstellung der Schienen aus Gussblocken anstatt aus zusammen- geschweissten Packeten. Der Unterschied der beiden eben genannten Stahl-Erzeu- gungs-Processe liegt nur in der ver- schiedenartigen Reinigung und Ent- kohlung des Roheisens, das zum Stalile verarbeitet wird. Bessemer bringt das vor- her fliissig gemachte Roheisen in grosse schmiedeeiserne, mit feuerfestem Material ausgekleidete Retorten und lasst die atmospharische Luft mit bedeutender Gewalt durch die gliihende Masse hin- durchpressen. Martin mengt Roh- und Schmiedeeisen in bestimmtem Verhalt- nisse und setzt dieses Gemenge in eigenen Schmelzofen der Einwirkung von Verbrennungsgasen und der atmosphari- schen Luft aus. Das Product ist in beiden F all e n jenes Metali, das wir in Riick- sicht auf seine besondere Gewinnung als fltissiges Metali mit dem Namen Flusseisen oder Flussstahl bezeichnen. Als nun im Jahre 1865/66 auf Grund- lage des oben ervvahnten Schienenprofils die erste Lieferungs-Ausschreibung fiir den ganzen Bedarf der Kaiser Ferdinands- Nordbahn an Puddelstahl-Schienen er- folgte, \varen eben in England, und zwar auf Veranlassung einiger osterreichischer Eisenwerke Versuche iiber die Verwend- barkeit von karntnerischem und ober- ungarischem Roheisen fiir den Bessemer- Process durchgefiihrt worden; diese hatten so gute Ergebnisse geliefert, dass diese Eisemverke sofort die Lieferung von Bessemer-Stahlschienen, und zvvar zu dem gleichen Preise wie Puddelstahl- Schienen und mit fiinf-, sieben- und achtjiihriger Haftzeit offerirten. Das An- gebot wurde angenommen und wahrend zu Ende des Jahres 1867 auf der Kaiser Ferdinands-Nordbahn schon 57 km Ge- leise mit Puddelstabl- und 22 km mit Bessemer-Stahlschienen belegt waren, hatten alle anderen Bahnen Oesterreichs und Deutschlands zusammengenommen noch nicht die gleiche Lange Geleise aus Stahlschienen hergestellt. Im Jahre 1871 hatte die Kaiser Ferdinands-Nordbahn bereits 418 km Geleise mit Puddelstahl, Bessemer- und Martinstahl belegt, deren Verwendungs- ergebnisse alle Er\vartungen \veit iiber- trafen und zur rascben Einfiihrung solcher Schienen auch auf den iibrigen Bahnen nicht unvvesentlich beitrugen. Im Jahre 1872 sah die Nordbahn sich genothigt, den zunehmenden Raddriicken und Zugs- gesch\vindigkeiten durch Einfiihrung einer schvvereren Stahlschiene [Profil B] von 35’2 kg Einheitsgewicht fiir die Haupt- linien Rechnung zu tragen. [Abb. 109.] Schon im Jahre 1865 hatte der Oester- reichische Ingenieur-Verein ein Normal- schienen-Proiil ausgearbeitet, das auf die Verwendung des Stahls anstatt des Eisens Riicksichtnahm. [Abb. 110.] DerVorschlag blieb unbeach tet; jede Bahnvervvaltung stu- dirte und experimentirte an dem Scbienen- profil. Auf die verschiedenen Ergebnisse nahm die Steigung der Locomotiv-Rad- driicke, der G e s c h \v i n d i g k e i t und Belastung der Ziige grossen Einfluss. Die Anschauun- gen iiber die bei der Construction der Schienen in Betracht kommenden Fragen waren noch nicht ganz geklart; subjective Ansichten, aber auch das Bestreben der Bahnverwaltungen, selbstandige Nonna- lien zu besitzen, machten sich geltend, und so kam es, dass im Jahre 1881 auf Eisenbahn-Oberbau. 249 osterreichischen Bahnen nicht weniger als 31 verschiedene Schienenprofile vorhanden \varen, welchen Gewichte von 29’1 bis 39'8 kg pro Meter entsprachen. Bei dem Bestreben, fiir die stets zu- nehmende Vergrosserung der Locomotiv- Gewicbte und der Geschwindigkeiten ein haltbares Gestange festzulegen, und in Wiirdigung der Vortheile wirthschaft- licher Natur, welche eine einheitliche II. Ranges [Nordbahnprofil A], \vahrend ftir Localbahnen bis auf 23‘3 kg herab- gegriffen wurde. Als normale Schienen- lange war 7'5 m angenommen, nachdem man bereits in der Mitte der Sechziger- Jahre von 18' = 5'68g m Lange auf 21' = 6'636 m und spater auf jene von 24' = 7^584 m iibergegangen war. Diese Normalien fanden langere Zeit wenig Anwendung, sie sind aber heute Sčhmrpun.cXaoxt- t. •••■?. S Abb. 110. Normalprofil des Oesterreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereines [1865]. Durchbildung des Geleises fiir die Eisen- industrie und fiir die Bahngesellschaften bieten wiirde, liess das k. k. Handels- ministerium im Jahre 1883 durch eine Commission hervorragender Fachmanner Normalien fiir einen Holzquerschwellen- Oberbau, und zwar fiir Hauptbahnen I. und II. Ranges und fiir Localbahnen auf- stellen. Diese Schienenprofile erhielten die gleichen Gevvichte wie die beiden Profile A und B, welche die Kaiser Ferdinands-Nordbahn im Jahre 1866, be- ziehungsweise 1872 construirt hatte, und zvvar 35'2 kg fiir die Bahnen I. Ranges [Nordbahnprofil B] und 3i - i kg fiir jene auf dem grossen Netze der k. k. Staats- bahnen im vollen Gebrauche und werden sich, \venn an den seitherigen Grenzen des Achsdruckes der Locomotive fest- gehalten wird, wohl noch auf eine lange Periode mit Erfolg behaupten kOnnen. Wie sehr aber auch in den letzten Jahren die Anschauungen der Geleise- techniker auseinander gingen, beweist wohl die Darstellung der bei den ver- schiedenen osterreichischen Hauptbahnen im Jahre 1888 geltenden Normaltypen fiir Stahlschienen. [Vgl. Abb. maund II ib.] Die im Auslande mehrfach befiir- wortete Einfiihrung der sosenannten O o 250 Alfred Birk. Goliathschienen mit einem Einheits- gewichte von 50 kg und dariiber, kam auch in Oesterreich zur Discussion und veranlasste den Ingenieur- und Archi- tekten-Verein [1890] iiber Antrag des Regierungsrathes C, Ritter von Horn- bos tel ein Comite aus den obersten Bau- beamten der in Wien miindenden Bahnen einzusetzen, um die Frage einer etwa nothwendig werdenden Oberbau-Ver- starkung zu studiren. Diese Versammlung erhob sich in ihren eingehenden Berathungen iiber die bis dahin vielfach beobachtete einseitige Behandlung des Gegenstandes, indem sie nicht die Schiene allein, sondern auch die anderen Geleise-Bestandtheile und die gesammte Anordnung der Oberbau-Construction in der gegensei- tigen Abhangigkeit und Wirksamkeit der einzelnen Theile in ernste Betrach- tung zog.*) Die hier gewonnenen Erkenntnisse haben viel dazu beigetragen, die Er- hohung der Leistungsfahigkeit der vor- h and en e n Oberbau-Constructionen in rationeller Weise durchzufuhren, oh,ne zunachst wieder im Wege kostspieliger Versuche mit neuen Geleise-Profilen sich von dem Ziele der rvirklichen Verstar- kung des Geleises zu entfernen. Man war sich namentlich dariiber klar geworden, dass die Schiene vorzugs- weise massgebend ist fiir dieTragfahigkeit des Geleises, fiir die Sicherheit des Ver- ®) Den in diesem Comite empfangenen Anregungen verdankt die bekannte Abhand- lung A s t’s iiber Beziehungen zwischen dem Geleise und den dariiber rollenden Lasten ihre Entstehung. K. F. N. B. Oe. U. St. G. A. T. B. B. B. 1886. F. Suhi 1868 tisen 1869 FStahl 1876 F.Stahl 1889 F. St »hi hauptlinien. B runn - Bodenbach. Auss.KomDtauu.TiirniU-Bilin. Smichow-Hostiwiti. K. k. St. B, K. k. St. B. B. W. B C. L. B. 1882 F.Stahl 1883 F.Stahl Hauptbahnert I. Ranges. Hauptbahnen II.Ranges. 1881 F.Stahl 1881 F.Stahl Prag-Furth. Krafcau - Podvvoloczjjka. Abb. m a. Schienenprofile der osterreichischen Eisenbahnen [am I. Januar 1888]. Eisenbahn-Oberbau, 251 Oe. N. \V. B. E. W. A. B. N. B. S. B. 1882 F.Stahl 1881 F.Stahl 1873 F.Stahl 1887 F.Stahl Kreibiti-Warnjdorf. sammUiche linien . L. C. J. B. K. 0. B. T. U. G. B. M. S. C. B. 1877 F.Stahl Lemberg -$uciowa°. 6-is** cm O =■ 7 4 t 1= 9 0 m 1= 85cm 1873 F.Stahl 1883 F.Stahl Oderberg- tandesgrerue. Prtatryrsl-Chyrow. 1885 F.Stahl Mabr.Schle&.Centralbh Abb. lil b. Schienenprofile der osterreichischen Eisenbahnen [am i. Januar 1888]. kehres; dass dagegen flir die Steifigkeit des Oberbaues, von welcher die Oecono- mie der Geleise-Erhaltung und die An- nehmlichkeit des Fahrens abhangt, weit mehr die Bettung und die Schwelle und bei Querschwellen auch die Stiitzen- entfernung in Betracht kommen. Die Schotterbetiung, in welche das Geleise gelagert ist, der am wenigsten bestandige Factor im Oberbau-Gefiige, hat im Laufe der Zeit grossere Wandlungen durchgemacht. Bei den ersten Bahnen mit Langschwellen lagerte man — wie schon berichtet rvurde ■—■ das Geleise bei Dammen auf zwei parallele Mauerkorper, um dasselbe von den Setzungen der Dammschuttung unabhangig zu machen; anderwarts hob man — auch dessen geschah schon Er- wahnung — aus Ersparnisriicksichten unterhalb der Schienen Graben aus, welche man mit einern Schotterkorper ausfullte, der die Langschsvelle zu tra- gen hatte. Bei den weiteren Bahnbauten ver- senkte man den Schotterkorper, dessen Breite der Lange der Querschwellen ent- sprach, in den Erdkorper, so dass jener beiderseits von Erdbanketten oder auch Steinbanketten begrenzt war; letztere fanden besonders in scharfen Bogen An- wendung und sollten Verschiebungen des Geleises verhtiten. Gegenwartig wird die Schotterschichte allgemein auf das Erdplanum aufgebracht und aus Grubenschotter oder Kleinge- schlage gebildet. 252 Alfred Birk. Die Schivelle Abb. H2a. Sch\vellen-Auswecbslung' auf der Streči [Nach Momentaufnahmen von J. Schn.eemann.] Dem Schotterbette kommt bekanntlich die Bedeutung des Geleise-Fundamentes zu, das sich beim Befahren nicht wie ein starrer Korper, sondem als elastische Unterlage verhalt, \velche die Druckwir- kungen der Schwellen auf den Unterbau der Babn derart zu iibertragen hat, dass letzterer ebensowenig wie die Bettung eine Zerstorung oder Deformation er- leidet. Andererseits hat die Bettung auch die Aufgabe der Wasserableitung aus dem Geleise-Gefiige und schliesslich dient sie zur Aufholung und Unter- stopfung gesenkter Stiitzen. Diese mannigfaltigen Functionen erfiillt die Schotterbettung umso besser, je starker sie bemessen, je reiner und harter ihr Material ist. Bei den ersten Locomotiv - Bahnen war die Starke der Schotter- schichte sehr reichlich bemessen; im Laufe der Zeit wurde aber die Bedeutung derselben ge- ringer geachtet und die bei der ersten Bauherstellung geschaffene Bettungsschichte bis auf kaum O’15 m Starke herabgemindert. Erst in neuerer Zeit wird bei stark beanspruchten Bahnen die Schotterschichte bei Verwendung von Kleingeschlage wieder in grosseren Abmessungen, bis zu O'5 m und dariiber, mit Vortheil ausgefilhrt. bildet ebenfalls einen wichtigen Be- standtheil des Geleises. Oesterreichs grosser Holzreich- thum liess schon von allem Anfang an dieses Material als besonders ge- eignet ftir Schwellen erscheinen, so dass Gusseisen- und Steinunterlagen hier nur wenig in Betracht kamen. Das am meisten verwendete Holz war und ist noch heute wegen seiner Festigkeit und Dauerhaftigkeit das Eichenholz; daneben finden sich Schwellen aus Kiefern-, Tannen- und Fichtenholz und in der Neuzeit auch Larchen- und Buchenschwellen. Die Abmessungen der Schwellen waren von jeher sehr verschieden; sie wechselten nach den Anschauungen der Constructeure fast ebenso wie die Schienenprofile. Die Querschnittsform der Holz- schwellen war urspriinglich eine recht- eckige; auch halbkreisformige Schwellen vvurden verlegt; spater begann man die oberen Kanten abzufasen und gelangte zu dem heute gebrauchlichen trapez- formigen Querschnitte. Die Breiten- und Langendimensionen haben im Laufe der Zeit eine riicklaufige Bewegung gemacht — in der ersten Zeit grosse Dimensionen nach englischem Muster, dann allmahliche Abminderung dieser Abmessungen und in neuester Zeit 1. ii2b. Schwellen-Auswechslung auf der Strecke. [Nach Momentaufnahmen von j. Schneemann.] Eisenbahn-Oberbau. 253 Abb. Il2d. Schwellen-Auswechslung auf der Strecke [Nach Momentaufnahmen von J Schneemann.] strebt man nach Einfiihrung der oberen Grenzwerthe von o - 26 m Breite, o - 16 m Plohe und 27 m Lange.*) Die Entfernung der Schwellen als der Schienen- stiitzpunkte machte ebenfalls eine rucklaufende Bewegung. Bei dem alten Stuhlschienen-Geleise der Nordbahn [1837 bis 1850] lagen die Schwellen 0770 m von Mitte zu Mitte. Nach Einfiihrung star- kerer Schienenprofile glaubte man diese Entfernung auf 1 m ervveitern zu konnen, doch rieth Paul us in seinem Werke iiber den »Eisenbahn-Oberbau inseiner Durchfiihrung auf den Linien der k. k. priv. Siidbahn-Gesellschaft« [1869], bei Gebirgsbahnen mit Riicksicht auf das grčssere Gewicht der Locomo- tiven und auf deren grossere dynamische Einwirkungen auf das Geleise, den Schwellenabstand auf o‘87o m zu verringern. Bie tiefere Erkenntnis der Functionen von Schwelle und Bettung im Geleise- Geftige hat in neuererZeit die Nothwendig- keit einer noch geringeren Schwellen- entfernung — hochstens O'8oo m — vor Augen gefuhrt; die k. k. Staatsbahnen '*) Siehe W. Ast: Die Schwelle und ihr Lager. sowie die Kaiser Ferdinands-Nordbahn haben dieses Ausmass auch bereits in ihre neuen Normalien aufgenommen. Die Schwellen aus Holz unterliegen einer verhaltnismassig raschen Zerstorung mechanischer und chemischer Natur. Der mechanischen Zerstorung suchte man schon friihzeitig durch Verwendung von Unterlagsplatten entgegenzuwirken; die auf chemischem Wege hervorgerufene Zerstorung, das rasche Verfaulen der Schwellen, ist man bemuht, durch das Tranken derselben mit antiseptischen Stoffen zu verzogern. Die ersten von der Kaiser Ferdinands- Nordbahn mit grossen Opfern im Jahre 1852 vorgenommenen Ver- suche mit Eisenvitriol, Schwefel- baryum und Zinkchlorid mussten wegen ungenugender Ergebnisse im Jahre 1858 aufgegeben wer- den. Auch die in jener Zeit mit Kupfervitriol vorgenommenen Versuche blieben ohne nachhal- tigen Erfolg. Die mittlerweile in Deutsch- land mit Chlorzink und creosot- haltigem Theerol erzielten giin- stigen Ergebnisse regten zu neuen Versuchen in Oesterreich [1862] an. Diesmal blieb der Erfolg nicht aus. Zur Zeit ist mehr als ein Drittel aller Schwellen ge- trankt, wahrend vor zehn Jahren dies Verhaltnis nur ein Fiinftel Abb. H2c. Schwellen-Auswechslung auf der Strecke. [Nach Momentaufnahmen von J. Schneemann.] 254 Alfred Birk. betrug. Als Trankungsmittel dienen Zink- chlorid, Kupfervitriol und Theerol mit Creosot. Bei gut construirten Geleisen wird durch die Trankung die Dauer der Schwellen aus Eichenholz. durchschnitt- lich von 12 auf 18 Jahre, jener aus Kiefernholz von 5 auf 13 Jahre erhoht. Die Moglichkeit, dem Holzmateriale eine so grosse Lebensdauer zu verleihen, bedeutet einen grossen wirthschaftlichen Erfolg. Trotzdem erscheint aber der Gedanke, in den Geleisen, die grossen Verkehren dienen, moglichst wenig ver- gangliche Materialien zu verwenden, aus Sicherheitsrucksichten sehr begrtindet. Es ist d ah er begreiflich, dass der Ersatz der holzernen Schwelle durch die eiserne fiir solche Geleise allerwarts ernstlich angestrebt wird. In wirthschaftlicher Hinsicht liegen in Oesterreich die Verhaltnisse fur die Eisenschvvelle nicht giinstig, weil die Beschaffung holzerner Schwellen infolge eines grossen Waldreichthums sehr billig ist, dagegen jene der Eisen- schwellen sich unter dem Einflusse eines hohen S c h u t z z o 11 e s sehr kosts.pielig stellt. Daher ist auch Oesterreich ver- haltnismassig spat in die Reihe der Staaten eingetreten, deren Eisenbahn- Verwaltungen Versuche mit eisernen Schwellen unternommen haben, obwohl osterreichische Ingenieure an der Con- struction des eisernen Oberbaues sich sehr rege und im Einzelnen mit grossem Erfolge betheiligten. Im Jahre 1862 traten zwei oster¬ reichische Ingenieure, K o s 1 1 i n und B a 11 i g, mit einem Eisen-Langsehwellen- Systeme in die Oeffentlichkeit. Dasselbe fand wohl im Auslande, aber nicht in Oesterreich Anvvendung. Hier verlegte den ersten eisernen Oberbau die Siidbahn, \velche das System ihres Baudirectors 'Paulus im Jahre 1865 im Bahnhofe zu Graz auf 20 m Lange versuchsweise zur Anwendung brachte. Das System, das auf der Verwendung alter Schienen be- ruhte, verhielt sich nicht giinstig und wurde im Juli 1872 wieder entfernt. Zur Zeit der Wiener Weltausstellung [1873] wies das Schienennetz Oesterreichs noch gar keinen eisernen Oberbau auf. Die Weltausstellung scheint aber durch die Vorfuhrung einschlagiger Gon- structionen erneute Anregungen gegeben zu haben, denn schon im Jahre 1876 liegen vier verschiedene Systeme: Lazar, Hagenmeister & Wagner, Hohenegger, Battig-De Serres, auf zusammen 5 km. Von diesen Systemen haben sich bis heute die beiden letzteren — beides Lang- schwellen-Systeme — in derPraxis dauernd erhalten. Bei dem System Hohenegger’s, das auf der Nordwestbahn im Juli 1876 zum ersten Male verlegt wurde und be- friedigende Erhaltungsresultate aufweist, ruhen die Fahrschienen auf gewalzten Langtragern von trapezformigem, unten offenem Profile. [Abb. 113 und 114.] Beide sind durch starke Schrauben ver- bunden; unter den Stossen der Lang- trager liegen Quertrager von 24 m Lange und gleichem Profile mit ersteren; liberdies werden die Enden jener durch je zwei den Quertragern aufgenietete Eisenbiisfel unterstutzt-. Zur Verbinduno- o o der beiden Geleisestrange dienen ausser den Quertragern noch zwei Spurbolzen pro Schienenlange, die in nahezu gleichen Abstanden und symmetrisch zur Schienen- mitte angebracht sind. Das System, das Ober - Ingenieur Battig im Vereine mit dem damaligen Baudirector der k. k. priv. Staatseisenbahn- Gesellschaft De Serres erdacht hat und das ebenfalls im Jahre 1876 im Wiener Bahnhofe dieser Gesellschaft zum ersten Male, und zwar sofort auf eine Lange von uber 800 m verlegt wurde, zeigt eine ganz eigenartige Construction. [Abb. 115.] Die Fahrschiene wird von einer aus zwei Theilen bestehenden Tragschiene. gestiitzt, welche die lang- schwellenartige Basis der Fahrschiene abgibt und durch Unterstopfung mittels Bettungsmaterial tragfahig gemacht wird. Den Zusammenhalt der Fahrschiene und der Tragschienentheile und die Ver- bindung beider Schienenstrange zu einem einheitlich wirkenden Gestange gibt ein das ganze Geleise durchgreifender Quer- riegel, der an dem Orte, wo die Fahr¬ schiene liegt, ausgeklinkt ist und durch besondere Oeffnungen in den Tragschienen hindurchgesteckt wird. Zwischen je zwei benachbarten durchgreifenden Querriegeln, Eisenbahn-Oberbau. 255 die 2'2 m entfernt liegen, sind noch in jedem Strange drei kurze Querriegel und sechs federnde Sperrdorne, welche Fahr- und Tragschiene zusammenhalten, zur Erhohung der Innigkeit des ganzen Ge- fiiges eingeschaltet. Die eben erwabnten Systeme eisernen Oberbaues blieben in den nachsten Jahren auf Oesterreichs Eisenbahnen fast ganz vereinzelt; einige Systeme, welche auf- tauchten, gelangten entweder gar nicht oder nur versuchsweise zur Anwendung — keines vermochte sich zu behaupten. Erst das Jahr 1882 brachte in die Praxis eine neueConstruction und mit ihrzugleich einen bedeutsamen Fortschritt, indem in diesem Jahre zum ersten Male der eiserne Querschwellen-Oberbau, System Heind 1 [Abb. 116], auf mehreren Strecken der k. k. osterreichischen Staatsbahnen, der Nordbahn, der Aussig-Teplitzer und der Dux-Bodenbacher Bahn in einer Ge- sammtlange von 5-1 km gelegt wurde. Bis Ende 1897 sind in Oesterreich 80 km Geleise und 5146 Garnituren Weichen, dagegen im Auslande bereits 1270 km Geleise nach diesem Systeme ausgefiihrt worden, dessen Verwendung und allmahlicbe Erweiterung die nach- folgende Uebersicht kennzeichnet. Amvendung des eisernen Querschwellen- Oberbaues, System Heindl , in den currenten Geleisen [km]. 256 Alfred Birk. Das Geheimnis des Gelingens dieser Erfindung, die vom »Vereine Deutscher Eisenbahn - Verwaltungen« mit einem Preise ausgezeichnet wurde, liegt in der vorziiglichen Befestigung der Schienen auf den eisernen Schwellen, welche hier eine auf streng mechanischen Grundsatzen gegriindete Durchbildung erfahren bat. Fiir diese Construction erschienen dem Erfinder massgebend: Vermeidung jeder unmittelbaren Einwirkung des Schienen- Abb. 113. Eisernes Oberbausystem. [System Hohenegger, 1876.] Abb. 114. Eiserner Langschwellen-Oberbau. [System Hohenegger, 1888.] Abb. 115. Eiserner Langsch\vellen-Oberbau. [System Battig-De Serres.] fusses auf die Befestigungsmittel an der Aussenseite der Schiene sowie auf die Schwelle selbst; Herstellung einer innigen, durch kriiftigen Druck zu gewinnenden Verbindung zwischen Schienenfuss und Schwelle, und Erhaltung der Schienen- lage gegeniiber der Einwirkung der Ho- rizontalkrafte. Entsprechend diesen Principien ist zwischen Schienenfuss und Schwelle ein Unterlagskeil eingeschaltet, gegen dessen Ansatz der aussere Rand des Schienen- fusses sich lehnt; beide — Unterlagskeil wie Schienenfuss — werden mit Hilfe von Beilagen, Klemmplatten und Fuss- schrauben auf den Schwellen befestigt. Die Beilagen, die in Riicksicht auf die erforderlichen Abstufungen der Spur- Vordere Ansicltr. Baraufsiclil.i Seilen Ansichl. Abb. 116. Eiserner Quersch\vellen- Oberbau. [System Heindl, 1882.] weite in den Bogen verschiedene Langen besitzen, haben die beiden Schienen- strange in ricb tiger Enfernung von einan- der zu halten und die seitlichen Angriffe der Schiene auf die Schwellen zu iiber- tragen; zu diesem Zwecke stossen die aussen liegenden Beilagen gegen die Unterlagskeile, die innen liegenden gegen Eisenbahn-Oberbau. 257 den Schienenfuss, und finden diese wie jene mittels der in die Sclrvvellendecke versenk- ten Ansatze an den von der Schiene entfernten Stirn- flachen der Sclrvvellenschlitze ihren Halt. Die Kaiser Ferdinands- Nordbahn hat im Jahre 1883 eine Probestrecke von 2 km Geleise nach dieser Bauweise in einer stark befahrenen Linie zur Ausfiihrung ge- bracht; zu gleicher Zeit wurde aber ein Probegeleise mit Holzschwellen-Oberbau unter gleichen Verkehrsver- haltnissen verlegt. Ueber das Verhalten dieser beiden Ge¬ leise und iiber die Kosten ihrer Erhaltung wurden ge- naue Aufschreibungen ge- fiihrt, denen wir folgende Ziffern entnehmen: Ueber jedes der beiden Versuchsgeleise sind in der Zeit von 1884—-1897 155.500 Ziige mit einem Bruttogewichte von 85,000.000 t gerollt. Die Erhal- tungskosten betrugen in der I4jahrigen Periode pro Kilo¬ meter bei dem Oberbau Oberbau mit Holz- System Heindl schwellen fiir Arbeitslohn . . fl. 2489.— fl. 2420.29 fiir Materiale excl. Schienen u. Schotter » 140.71 »1458.20 fiir Schotter ...» 34.29 » 28.12 im Ganzen . fl. 2664.00 fl. 3906.61 sonach fiir 1 Jahr und I km fl. 190.30 fl. 279.04 Trotzdem das eiserne Geleise um 32°/ 0 weniger in der Erhaltung gekostet hat, befindet sich dasselbe noch in allenTheilen in voller Frische und Gebrauchsfahigkeit und ohne auffallige Abniitzuno-. O o Der Schienenstoss. Der schwache Punkt aller Geleise- Constructionen ist jene Stelle, wo die Schienen eines Stranges —■ in diesem eine Liicke bildend —• aneinander stossen. Geschichte der Eisenbahnen. II. Beim Stuhlschienen-Oberbau der ersten osterreichischen Eisenbahnen nahm ein kraftiger Schienenstuhl die beiden Schienenenden auf, wobei zwischen die Schienen und die Stuhlbacken eiserne Keile eingetrieben wurden. Als die ersten breitfiissigen Schienen zur Ein- fiihrung gelangten, lagerte man beide Schienenenden auf eine starker e Schwelle und befestigte sie da sorg- faltig mit Nageln oder Schraubennageln. Die Wien- Gloggnitzer Balin verwendete bei ihren Breitfussschienen auf Langschwellen an den Schienenenden bereits gusseiserne Unterlagsplatten, die mit Schrauben und Nageln auf die Langschwellen befestigt wurden. Der Vortheil, den solche Stoss- platten sichtlich gewahrten, liess dieselben fast allgemeine Verbreitung finden, doch er- zeugte man sie spater aus Schmiedeeisen und vervollkommnete sie durch Anbrin- gung von Randleisten, welche der Schienenfuss festhielt. In den Fiinfziger- Jahren fanden auf den osterreichischen Bahnen Unterlagsplatten mit z\vei Ran- dern, die iiber die Schienenfussenden eriffen und also ofleichsam den Stoss ver- O o 17 258 Alfred Birk. laschten, vielfach Anwendung; auch ver- ringerte man die Entfernung der Schwel- len in der Nahe des Stosses oder lagerte die Schienenstosse auf Langholzer von rund v 6 m Lange. Aber alle diese Anordnungen geniigten nicht, der mangelhaften Erhaltung der Scbienen in einer der Fahrrichtung parallelen Richtung abzuhelfen, und so gelangten die Techniker dahin, die Verbesserung der Stossconstruction durch die Anbringung von Lasclien zu ver- suchen. Abb. 119. Sch\vebender Stoss. [Kaiser Ferdinands-Nordbahn. 1870.] Die Kaiser Ferdinands-Nordbahn, im Jahre 1849 vor die Nothwendigkeit des Umba.ues ihrer Geleise gestellt, wendete die Bauweise mit Lasclien am Stosse bei ihren neuen breitfiissigen Schienen an; ihrem Beispiele folgten angesichts der giinstigen Erfolge sehr bald die tibrigen Verwaltungen. Die ersten Laschen waren nur Flachstabe, welche mit zwei oder vier Schrauben die Schienenenden in der ge- vviinschten Richtung erhielten, da die vorhandenen birnformigen Schienenpro- file ein innigeres Anschmiegen der La¬ schen unmoglich machten. [Abb. 117 und 118.] Bei den nach Einfiihrung der Laschen construirten Schienenprotilen gab man diesen eine solche Form, dass der Laschenanschluss niclit allein am Steg, sondern auch am Kopfe und am Fusse der Schienen erfolgte. In dieser Be- ziehung konnte die fiir die Semmering- bahn vorgesehene Stossverbindung mit vollanschliessenden Laschen und vier Schraubenbolzen seinerzeit als muster- giltig bezeichnet werden. [Vgl. Abb. 107.] Trotz dieser Verbesserung des Stosses durch die Laschenverbindung machte man doch die Erfahrung, dass d i e Schienenenden, welche auf die Stoss- schwelle gelagert waren, durch die dariiber rollenden Lasten wie auf einem Ambos gehammert und in kurzer Zeit schadbaft wurden. Es lag nahe, zur Schon ung der Schienen¬ enden den Ambos zu beseitigen, indem man die Schienenenden zwischen den benachbarten Schw'ellen freischwebend anordnete; wir begegnen den ersten in dieser Richtung unternommenen Schrit- ten in Oesterreich beim Baue der Carl Ludwig-Bahn im Jahre 1856. Aber erst im Jahre 1871 trat diese Bauweise aus dem Versuchsstadium, indem das k. k. Handelsministerium damals der Mahrisch- Schlesischen Centralbahn die Genehmi- gung zur Ausriistung des Oberbaues ihres ganzen Liniennetzes mit schive- benden Stossen ertheilte. Mit der Einfiihrung des schwebenden Stosses wurden die Laschen nicht allein fiir die Herstellung der Continuitat des Gestanges in der Geleiserichtung bean- sprucht, sondern sie wurden auch zum Mittragen der dartiberlaufenden Fahr- zeuge herangezogen, sie wurden Trag- laschen. Infolgedessen erhielten die Laschen ebene und genauer passende Anschlussllachen an Kopf und Fuss der Schiene, ausserdem einen Winkel- oder U-formigen Querschnitt von grosserem TragvermSgen. [Vgl. Abb. 119-] Auch diese Traglaschen erfullen ihren Zweck nur unvollkommen, da nach theil- weiser Abnutzung der Anschlussflachen, das Zusammenpassen der letzteren selbst durch Nachziehen der Schrauben un¬ moglich ist. Man hat daher auf andere Mittel zur Herstellung von neuen Stoss- verbindungen gesonnen. Von den in Oesterreich derzeit noch im Versuchs¬ stadium befindlichen Vorrichtungen nen- nen wir u. A. den Blattstoss und die Stoss- Eisenbahn-Oberbau. 259 fangschiene, bei welch letzterer — in Amvendung bei der Wiener Stadtbahn — ein entsprechend geformtes, von den Stossschwellen getragenes Schienenstiick das Rad iiber die Stossliicke leitet.*) Die Befestign ngsm ittel. Ausserordentlich mannigfaltig waren von jeher die zur Befestigung der Schiene auf ihren Unterlagen dienenden Bestand- theile. Bei den ersten Eisenbahnen war die Befestigung rnittelbar und sehr voli- Abb. 122. Krempenplatte. [System Hohenegger.] kommen, indem die Schiene in dem Chair [Stuhl] mit einem Holzkeil fest- gehalten \vurde, vvahrend ersterer auf der Schvvelle mittels Holzschrauben oder Nagel seine Befestigung fand. Bei den spater aus breitfiissigen Schie- nen hergestellten Geleisen wurde die Schiene unmittelbar mit Hakennageln auf die Schvvelle genagelt. Durch die Anwendung der Unterlagsplatten mit auf- steigenden Randern erhohte man den Widerstand dieser Befestigung und 'stei- gerte ihn noch wesentlich durch die Ver- vvendung vonTyrefonds [Schraubennageln] und durch die Verdoppelung der Anzahl der Nagelstellen. Die Vortheile der Chair- *) Vgl. Birk, der Schienenstoss [Bulle- tin de la comm. intern. du congres de chem. de fer, 1896]. befestigung — bei welcher die Befesti¬ gung der Schiene unabhangig von jener der Schvvelle erfolgt — vvurden durch diese Nagelbefestigung allerdings nicht er- reicht. Es trat sohin in Oesterreich, wo schnelle und schvvere Ziige auf stark gekriimmten Bahnen zu befordern sind, das Bediirfnis nach Vervollkommnung der Befestigungsmittel in grosserem Masse hervor, als zum Beispiel in England, und \vir finden daher bei unseren Ingenieuren die eingehendsten Bestrebungen auf Ver- besserung der Schienenbefestigung; wir Abb. 121 . Spannplatte. [System Hohenegger.] nennen in dieser Hinsicht nur Pollitzer’s Spannplatten-Befestigung, Hohenegger’s Krempenplatte, dessen Spannplatte, HeindPs Spannplatte mit der seinem eisernen Oberbau angehorenden Befesti- gungsart u. A. [Vgl. Abb. 120—123.] Weichen im d Kreuzungen. Bei den ersten Eisenbahnen Oester- reichs wurde der Uebergang aus einem Geleise in das andere durch sogenannte Schleppvveichen vermittelt, bei wel- chen ein kurzes, an seinem Ende um einen verticalen Zapfen drehbares Schie- nenstiick abvvechselnd in das Haupt- oder Nebengeleise eingestellt vverden konnte, je nachdem die Fahrt auf jenem oder auf diesem stattfinden solite. Diese il* 26 o Alfred Birk. primitive Einrichtung wurde bald durch die den Anforderungen der Sicherheit viel besser entsprechenden Zungen- weichen verdrangt, bei welchen die stellbare, gegen den Wechselanfang hin sich verjtingende Spitzschiene oder Zunge anfangs durch Bearbeitung gewohnlicher Schienen und spater behufs Erzielung grosserer Tragfahigkeit durch Hobelung besonders geformter Blockprofil-Schienen allgemein ublichen Type mit Unter- zugsblechen, auf welchen die Stock- und die Spitzschiene gemeinsam befestigt sind und welche in jungster Zeit bei der Kaiser Ferdinands-Nordbahn in zweckmas- siger Weise keilformig gestaltet werden. Zu Anfang der Sechziger-Jahre fand in Oesterreich auch die sogenannte eng- lische Weiche Eingang, welčhe den Uebergang der Fahrzeuge zwischen Schnitt nath AB. erzeugt wurde. [Vgl. Abb. 124 a und I 24 b.] Indena man spater die ursprilnglich ungleichen Zungen in gleicher Lange herstellte und dieselben unter den Kopf der Stockschiene untergreifen liess, indem man ferner die Abbiegung der Stock- schienen vermied, die Construction der Gleit- und Wurzelstiihle und insbesondere auch jene der Drehzapfen-Verbindung wesentlich vervollkommnete, gelangte man allmahlich zu der heute in Oesterreich zwei sich durchschneidenden Geleisen an einer oder an beiden Seiten des stumpfen Winkels ermoglicht. Baudirector J. Herz von Hertenried liess eine solche schon im Jahre 1863 beim Bau des Bahnhofes von Asch anlegen. Auch diese Weiche wurde in unserer Heimat wesentlich vervollkommnet und ist in dieser Hinsicht besonders der erfolg- reichen Bestrebungen FIohenegger’s bei der osterreichischen Nordwestbahn zu ge- denken. Stossverbindung mit Stossfangschiene 1 : 5 Sinfache Weiche auf eisernen Querschwellen Profil der Fahrsčhiene. 1:1 «..-58... m Profil der Stossfangschiene. 1:1. Profil des FilUstiickes. 1 : 1 . Profil der Lasche. 1:1. Schnitt A. B. 1:1. Stossverbindung mit Stossfangschiene 1 :5 Gemčbt Jer Stene prolatfenien Heter, 35'»Kg toerschnittEladie der Sdhiene, 45\cm 2 Abstand der Schwerpmkaxe ?om Sčhieneafafse, 6'o cm. TraaMtsmomeut J, auf cm 2 "bezogen, 9 Z 0 cm 4 TragfShigtatt der SčhieneM emertaispničh.- ritme des'MatBriates vonlOOOkg ^er cm 2 immab- gennfejten Znstandennd einer SchweHenentf.Tr 810”™" 92+5 kg biansprndmalrme desJ&terialeshimniabgeiuitzUZSistande 757 „ bei emerBelastungv.7000 Trg./bei S^^Abnutzung.ca 910 „ Hakennagel. 1:1. ScMusselvreite i..38.>: Befestigung der Schienen auf den Schwellen. 1:10. .1435.4. Eraefterung . - S iX a. ^ S ii Zivischenranm bei dem Schienenstosse. Fucirungsring. Gemcht 0 022 kg. 1:1. SchweUen-Querschnitt. 1: o. d- 20. Innenlasche. 1:5. ■ -13B..^.125..*.101... . 4 «.:.12.5.. + .J3 a.. St ■ .ruj .. Lange.. .d er. ..S.tassfaugs.chiene.. 550.. rom.. Keilplatten fiir die Mittelsch\vellen 1 : 1 , :9 . x 80 . m ..16... fiir die Stossscliwellen 1:1 co : .aT' stati den. Locham, a"b“ ztilochžn.und. ; difi Zeichen.Slfemzuschlageri. j 110 Eintache Weiche auf eisernen Querschwellen mit gebogenen 4*70 m langen Spitzschienen, Kreuzungswinkel 6° (1: 9'51), Radius 200 m. .21'903 .Ji®®. • <.8:20.3.*..13'.700..... o A ■ 1 M 65 x . 65-x 70. * . J0...x-..70..x -64'7x..75'.5.x 50 * . 83. *. . 95.... x .].-?5..S5 ..^. 62 ..-iO.^.S^.^.O..* 76..., : 'S S 75 S a « ;ss S J? JSi ir4f tM ^ 7JJ.*.iD *..33...*...65...,...73..#..50.. ¥ ..J8...*.50., J ..&4i&...*..i4.\8...*.5(U. 80. 'S9 :."5 L« Is? :g t g ; g g :g :e *• : Vertheilungd es Oberbaumateriales , Schienenlange 12 5 m. 1:50. $31 700 ttet? oder F;j sw , J. Eisenbahn-Oberbau. 26l In neuerer Zeit werden die Weichen vielfach auf eisernen Schwellen montirt und gilt heute die Weiche mit den HeindPschen eisernen Q u e r- schwellen als Normale der k. k. Staats- bahnen. Die Durchkreuzungen der Schienenstrange, die sogenannten Herzstucke, hat man in der ersten Zeit aus entsprechend zu- gearbeiteten Schienenstiicken und das Zwischenstiick, den sogenann¬ ten Kreuzungsschemel, haufig aus mit Eisen beschlagenem Holze hergestellt, welch letzteres eine elastische Unterlage schaffen und die Wirkung der Hohen- differenzen derSpurkranze einiger- massen mildern solite. In den Siebziger - Jahren ging man bei vielen osterreichischen Bahnen zu Kreuzungen aus Bessemerstabl tiber, bei denen Herzspitze und Kreuzungsschemel aus einem Stiicke erzeugt \varen. Gleich- zeitig fanden auch die Hart- gussherze der Firma Ganz & Co. Eingang, an deren Stelle heute all- gemein die ihnen iiber- legenen Flussstahl-Guss- herze getreten sind, welche von der Firma Skoda in Pilsen in befriedigender Qualitat geliefert werden und den Anforderungen des Verkehrs entsprechen. Ali die einzelnen Oberbautheile, die \vir im Vorstehenden ihrer allmahlichen Ausgestaltung nach fliichtig betrachtet haben, bilden in ihrer Gesammtheit das Geleise. Als glanzendes Beispiel filr die vortreffliche Durchbildung, deren sich der Bau des letzteren gegemvartig auf den osterreichischen Bahnen im Ganzen und im Einzelnen erfreut, geben \vir in einer Beilage ein Bild der in Geltung stehenden Oberbau-Type der k. k. oster¬ reichischen Staatsbahnen. Dasselbe be- darf im Hinblick auf seine grosse Deutlichkeit und Ausfuhrlichkeit keiner besonderen Erlauterung. * * •A' Oesterreich ist friihzeitig an den Bau von Bahnen herange- treten, obgleich die Bedingun- gen fiir die Schaffung solcher Schienenstrassen bei der Boden- beschaffenheit des Landes nicht giinstige waren. Der zur Ausfuhrung des Baues berufene Ingenieur sah sich daher immer und immer wieder vor neue Aufgaben ge- stellt, fiir deren Losung er — bei dem Mangel entsprechender Vorbilder — neue Mittel ersinnen und ins Werk setzen musste. In welch trefflicher Weise ihm dies gelungen ist, wie sehr er allezeit und allerorten ihnen voli und ganz gewachsen war — das diirfte unsere vor- stehende gedrangte Dar- stellung wohl klar er- weisen. Dabei bleibt es ein erfreuliches Moment, dass sein Wirken auch bei den Verwaltungen der Eisen- bahnen vielfach verstandnisvolle Unter- stiitzung und Forderung fand. Nur auf solche Weise konnte Oesterreichs Eisen- bahnnetz jene, im offentlichen Interesse nothwendige Leistungsfahigkeit und Gute erringen und erhalten, die daheim und im Auslande noch immer uneingeschrankte Anerkennung gefunden hat. Abb. 124 b. Weichenconstruction der Semmeringbahn. 1854. [Wechselstander.] Brtickenbau. Von JOSEF ZlJFFER, k. k. Baurath im Eisenbahn-Ministerium. ' D IE Brucken verleihen den Eisen- bahnen ihren malerischen Reiz. Der kiihngeschwungene Steinbo- gen, der mit seinen grauen Flachen das dunkle Griin der Walder durchbricht und festgefiigt von Fels zu Fels hiniiberleitet, das zierliche Gliederwerk, das hoch oben, von emporstrebenden Pfeilern getragen, .die weite Schlucht iiberspannt und in dessen Zweckmassigkeit und spielender Kraft sich ein eigenes zvvingendes Gesetz der Schonheit offenbart — diese stolzen Bauten versohnen uns mit dem scbrillen Pfiff der Locomotive, welcher die Natur so gewaltsam ihres Friedens beraubt. Eine zweitausendjahrige Cul tur hatte den Eisenbahnen in den wohldurchbildeten Strassenbriicken ein werthvolles Erbe iiberliefert, dessen sich die neue Technik rasch bemachtigte, und welche erstaun- lichen Fortschritte auch auf den ver- schiedensten Gebieten der Baukunst das Auftreten der Locomotive mit sich brachte, so ragen doch jene Leistungen am meisten hervor, welche auf dem Gebiete des Briickenbaues innerhalb weniger De- cennien erzielt wurden und unter denen wieder die gewaltigen Eisenbrticken am eindringlichsten die Sprache einer neuen Zeit reden. Ein fliichtiger Blick auf die Ent- •vvicklung des Briickenbaues vor der Zeit der Locomotive wird die spateren Fort¬ schritte, die speciell unserm Vaterlande zufielen, in eine desto hellere Beleuchtung riicken. Unsere altesten Meister im Bau g e- w o 1 b t e r Brucken waren die Romer, von deren Kunst die zweieinhalbtausend Jahre alte Salarobriicke iiber den Tiber mit ihren 21 m weiten Kreisbogen das schonste Zeugnis gibt. Ein Denkmal aus der ersten Zeit des Spitzbogenbaues ist uns, vermuthlich noch von den Ostgothen her, in dem Viaduct von Sp o let o erhalten geblieben. Wie die derErfahrung abgelauschten Gesetze des Gevvolbebaues in Rom von dem Priestercollegium der pontifices als Geheimwissenschaft liber - liefert \vurden, so wurden sie beim Aus- gang des Mittelalters in Westeuropa vom Orden der Briickenbruder, in deutschen Gegenden von den Bau- hiitten gepflegt, ivelche diese Kunst in grossartigen Bauten \veiter ausbil- deten. In dieser wie in der altesten Zeit sind die Steinbogen und die Pfeiler durch ausserst kraftige Abmessungen gekennzeichnet; die Aussparungen in den Briickenzwickeln zur Vermeidung der an dieser Stelle als zwecklos erkannten Materialanhaufung sind auch hier bei- behalten; neben den Kreisbogen werden jedoch die Segment- und Ellipsenbogen zur Vermeidung grosser Brtickenhohen ver- breiteter. ■— Die 520 m lange Karls- briicke in Prag gehort zu der Reihe interessantester Briickenbauten dieser Zeit. — Im 16. Jahrhundert wurden unter dem Einfiusse italienischer und deutscher Kunst neue Schonheitsmomente in den Bau der Gewolbebriicken hineingetragen. Im 18. 266 Josef Zuffer. Jahrhundert beginnt in Frankreich die exacte Wissenschaft die Bautechnik zu durchdringen; diese Zeit lehrte uns die ausserst flachen Bogensegmente, die sparsamen, den wirkenden Kraften ent- sprechenden Abmessungen der Bogen- gurten und Pfeiler und die weit gespannten Briicken. Auch neue Arten der Ausfiihrung der Geriistung und Fundirung treten auf. Der Name Perronet ist eng mit den besten Fortschritten verkntipft, und Bau- ten aus dem Schluss des vorigen Jahr- hunderts, wie die Seinebriicke bei Neuilly mit den je 39 m weiten Bogen oder die Brucke iiber die Do-ra Riparia bei Turin aus dem Anfang unseres Jahr- hunderts, mit ihrem 45 wi weiten flachen Bogen bezeichnen die hohe Stufe, welche die Baukunst der Steinbrticken vor dem Auftreten der Eisenbahn erreicht hatte. Die Holzbrticken sehen auf eine noch liingere Ahnenreihe zuriick als die Briicken aus Stein, da schon der ein- fachste Balken den Ausgangspunkt ihrer Entwicklung bildete. Die alteste feste, 1000 Fuss lange Holzbriicke iiber den Euphrat reicflt denn auch schon in die graue Vorzeit,. in die Zeit der letzten babylonischenKonigezuriick. Die Briicken- baukunst aus den Tagen Trajans, der iiber die Donau beim eisernen Thor eine gewaltige holzerne Bogenbriicke mit Steinpfeilern errichten liess, gerieth in den folgenden Jahrhunderten in vollige Vergessenheit, und durch anderthalb Jahrtausende begnugte man sich mit den einfachen Balken als Trager der Fahrbahn. Im 16. Jahrhundert ersann Palladio das kunstvolle Spreng- und H ang werk, das zwei Jahrhunderte spater namentlich in der Schvveiz, Oesterreich und Deutsch- land in bedeutenden Leistungen des Briickenbaues verwerthet wurde. Gr u b en- mann und Ritter combinirten beide Systeme und iiberspannten mit dem so ge- bildeten Hang-Sprengwerke Oeffnun- gen bis zu 119?» Weite. Der Tiroler Martin Kink brachte um das Jahr 1800 wieder den Holzbogen, der seit Trajan ver- schollen war. Funk, namentlich aber W i e b e k i n g und Pechmann bildeten diese Constructionen weiter aus und ihre Bogen-Hang- und Sprengwerke kamen am Anfang dieses Jahrhunderts bei vielen Briicken zur Verwendung, dran- gen bis nach Amerika und fanden auch bei dem Bau der Eisenbahnen Eingang. Der Gedanke, Briicken aus Eisen zu bauen, war wohl schon im 16. Jahrhundert aufgetaucht, kam aber wegen der Kost- spieligkeit der Bereitung von grossen geformten Massen nicht zur Geltung. Erst als in England, wohin die Eisen- geivinnung urspriinglich von Steiermark, Bohmen, Schlesien und dem Siegerlande iibertragen vvorden war, die Eisen- erzeugung nach Heranziehung der Kohle zum Hiittenprocess und nach Einfiihrung der Verkokung: einen machtmeren Auf- sch\vung genommen, wurde im Jahre 1779 in England die erste grossere Eisen- briicke vollendet. Das Gu s s eisen, welches bei den ersten Eisenbriicken allein zurVerfiigung stand, wurde zum Bau von Bogen beniitzt, welche die Fahrbahn trugen und deren Rippen aus Segmentstucken, spater aus grosseren Platten und dann erst, nach der Idee von Reichenbach, aus einzelnen Rohrstiicken bestanden. Polonceau be- niitzte den letzteren Constructions-Gedan- ken zu Bogenbriicken' in jener zierlichen Form, welcheunsnochinderTegetthoff- Briicke in Wien entgegentritt, wahrend die Oesterreicher Hoffmann und Maderspach als erste auf dem Con- tinent Bogenhangewerke einfiihrten. Letžtere Briicken, unter denen die 1837 vollendete 20 m weite Czern a - Brucke bei M eh a d i a die bekannteste ist, konnen als das Urbild unserer \veitverbreiteten Parabeltriiger bezeichnet werden. DasSchmiede- oderSchweisseisen, das zu Ende des 18. Jahrhunderts mit der Er- findung des Puddel- und \Valzprocesses aufgetreten war, fand wegen seiner ausge- sprochenen Zahigkeit und Dehnbarkeit im Briickenbau zur Erzeugung von Hange- seilen und Ketten fiir Hangebriicken rasch Eingang. Im Jahre 1796 war bereits in Amerika, in Oesterreich im Jahre 1821 zu Jaromšf- die erste Kettenbriicke auf- gestellt worden. So bewegte sich der Bau der Eisen- brucken wahrend der ersten Decennien in den Wegen, die ihm in den iiber- brachten Typen der Strassenbriicken vor- gezeichnet waren und wobei Stein und Brtickenbau. 267 Holz einfach durch Eisen ersetzt \vurden. Die Steingevvolbe fanden in den eisernen Bogen ihre Nachahmung, die alten Hange- briicken lebten in den eisernen Ketten- briickeri weiter, die einfachen Holzbalken fanden wieder in den gusseisernen Barren- tragern, die in den Dreissiger-Jahren in den nordlichen und westlichen Landern selbst bei weiteren Oeffnungen an- gewendet wurden, ihr Gegenbild und die vergitterten amerikanischen Holzbriicken stellen sich als Vorlaufer der eisernen Gliederbriicken dar. Aber bei Die osterreichischen Eisenbahn- briicken in Stein. Die eigenartige Traceftihrung der Eisenbahn und deren schvvere und rasch bewegte Lasten trugen in die gewolbten Briicken neue Forderungen hinein. Im flachen Lande und im Thale blieb der Gharakter der Strassenbriicken mit ihren niedern Pfeilern und den Segment- oder Korbbogen im Allgemeinen auch fiir Eisenbahnbriicken gewahrt. Aber im unebenen Terrain und in bergigen Ge- Abb. 125. Viaduct der k. k. siidlichen Staatsbahn liber die alte Triester Strasse bei Laibach. [1856.] den r.aschen theoretischen und praktischen Fortschritten der Technik, welche die Eisenbahnzeit kennzeichnen, emancipirte man sich bald von der blossen Nach- bildung der Iiolz- und Steinbauten und wies dem Bau der Eisenconstructionen jene eigene Richtung, die in den speci - fischen Eigenschaften des Eisenmaterials, vornehmlich des Schmiedeeisens selbst begriindet ist, und die ihn seiner heutigen Bltithe entgegenfiihrte. Fiir den Brtickenbau bedeutet die Zeit der Eisenbahnen eine Epoche unver- gleichlicher Entvvicklung; der hervor- ragende Antheil, den Oesterreich an dieser nahm, moge im Folgenden naher behandelt werden. genden konnte die Bahntrace nicht \vie die schmiegsame Strasse den Erhebun- gen und Vertiefungen des Gelandes folgen und musste daher oft hoch iibers Thal hinweggefiihrt werden; da wuchsen dann die Briicken zu hohen Viaducten empor, bei \velchen der halbkreisformige Bogen geniigenden Raum und daher be- liebte Aufnahme fand. Die ungewohnten grossen Lasten und die Erschiitterungen, die mit der schnellen Fahrt verbunden waren, zwangen weiter zu besonderer Vorsicht in den Abmessungen der Bogen- und Pfeilerstarken und fiihr- ten in der ersten Zeit des Bahnbaues ofters zu einer besonderen Schwerfallig- keit der gewolbten Briicken. Um die 268 Josef Zuffer. theilweisen Wirkungen einer einseitigen Belastung, die schadliche Verschiebung der »Gewolbestutzlinie« auszugleichen •*— das ist jener Lime, die den Verlauf der Resultirenden aller im Gewolbe auf- tretenden Pressungen bezeichnet — Abb. 126. Brucke liber die Eisack bei Mauls. [Brennerbahn.] wurden die Gewolbe mit einer gegen den Gewolbescheitel zu sich verlaufenden Uebermauerung oberhalb des Gewolbe- fusses versehen. Alle sonstigen Aufmauerungen liber den Gewolben wurden wie frilher auf das nothwendigste Mass beschrankt und in diesen Bruckentheilen verschieden gestaltete Hohlraume ausgespart. Die Widerlager erhielten meist volles Mauer- werk mit einem Abschluss durch soge- nannte Parallel- oder durch Wmkelfliigel, die mit der Boschung verliefen, wahrend die in England und Frankreich beliebte Weiterfiihrung des Gewolbes bis ins Terrain, als »verlorenes Widerlager« hier sielten in Verwendung kam. Die steinernen Brticken und Viaducte der ersten Bahnen, der N o r d b a h n, Staatsbahn und Wi en- Gloggnitzer Bahn waren meist Ziegelbauten mit massigen Lichtweiten, die sehr selten bis 20 m hinausgingen. Die Gesammt- lange der Viaducte war dabei oft ausser- ordentlich gross und kennzeichnet die damalige Bauweise, welclie die Vortheile einer gunstiger gefiihrten Trače mit grossen Opfern erkaufte, oft sogar theure Bauwerke dort hinstellte, wo sie nicht unbedirigt geboten waren. Zu den gross- ten Steinbauten dieser ersten Zeit gehort der 637 m lange Viaduct der Nordbahn vor Briinn,*) der 1111 m lange Viaduct- und Abb. 128. Trisana-Viaduct. [Pfeilerbau.] [Nach einer photographischen Aufnahme von J. Czichna, Innsbruck.] • Briickenbau der nordlichen Staatsbahn bei Prag,*) der liber 3 km lange Lagunen- viaduct bei Venedig,*) und der 400 m lange und 60 m hohe spitzbogig libervvolbte Desenzano-Viaduct im Zuge der lombar- dischen Eisenbahn. Fast alle Viaducte der ersten Zeit haben lange Jahre hin- durch den steten Erschiitterungen und den Angriffen der Atmospharilien erfolg- reich getrotzt. Einige bedeutende ge- wolbte Objecte der Kaiser Ferdinands- Nordbahn jedoch wurden seither ausser Verkehr gesetzt, trotz ihrer tadellosen Bauart und Widerstandsfahigkeit. — So verliess man den Viaduct bei Weiss- kirchen und jenen bei Seibersdorf aus Abb. 127 a. AValdlitobelbriicke im Bau. [ Arlbergbahn.] *) Vgl. Abb. 156, 220 und 200, Band I, 1. Theil. Bruckenbau. 269 dem Grunde, weil anlasslich des Baues des j theikveisen Verschiittung anlasslich der zweiten Geleises durch Calculation klar- : notlnvendig gewordenen Ervveiterung des gestellt wurde, dass es im Baue und ! dortigen Bahnhof-Plateaus. Betriebe oconomischer sei, die ganze Die grossartigstenSteinbrucken-Bauten Linie zweigeleisig durch Anwendung einiger Kriimmiingen umzulegen, als fur d as zweite Geleise einen eingeleisigen Viaduct an den alten anzubauen. Der Viaduct in Brunn gelangte zur erstanden unter Ghega’s Meisterhand im Zuge der ersten Gebirgsbahn beim Ueberschreiten des Semmering, Bau- ten, die, festgefiigt und unerschiitterlich der Zeit und den Elementen trotzend, Abb. 127 b. Waldlitobelbrucke. [Arlbergbahn.] [Nach einer photographischen Aufnahme von G. Wolf, Hofphotograph, Konstanz.] 270 Josef Zuffer. die Bahn oft im Bogen, oft in schwin- delnder Hohe kiihn auf Felsen gestiitzt an dem abfallenden Hang sicher vor- iiberfiihren. Auch hier bewegt sich die Spannweite der Gewolbe meist um io m herum und geht nicht iiber 20 m hinaus. Um mit diesen geringen Oeffnungen diebis 40 m tiefen und weitenSchluchten zu tiberbriicken, thiirmte Ghega den Viaduct in zwei Etagen auf und schuf so die malerischen Bil- derdesWagner- und Gamperl- Viaducts, des Via- ductes der K r a u- selklause und in der Kalten Rinne.*) Die halbkreisformige Ueberwolbung der Oeffnungen wurde hier nur im oberen Stockvverk des Viaducts festgehalten, in der unteren Etage dagegen Segmentbogen eingeschaltet. Eine Asphaltlage mit einer Sandschichte, die bei den spateren Bauten oft durch eine Lage hydraulischen Mortels ersetzt wurde, schiitzte die Ziegelgewolbe vor dem Einfluss des Wassers, das durch die Oeffnungen iiber den Pfeilern, die Ochsenaugen, ins Freie austritt. Die sonstigen gemauerten Brii¬ cken aus der Zeit der Vierziger- bis in die Sechziger- Jahre wurden aus gemischtem Ma¬ terial, aus natiir- lichem Bruchstein und Ziegel ausge- fiihrt, wobei far Pfeiler und son- stige Aufmaue- rungen bei den grosserenBriicken Haustein, bei den kleineren Briicken Bruch¬ stein Verwendung fand, wahrend die Ge- wolbe fast durchwegs aus Ziegeln bestan- den. Die Verkleidung des Bruchstein- mauerwerks und die Sockel der Gewolbe *) Vgl. Abb. 252 und 253, dann 255, 256 und 258, Band I, I. Theil. wurden meist aus Quadern gebildet. Schief- gewolbe wurden nach Thunlichkeit ver- mieden; wo dies jedoch bei grosseren Objecten unausweichlich war, wurden die Lagerfugen der Wolb.steine kunst- gerecht nach der Schraubenlinie geformt. Nflchst dem Bau der Semmeringbahn bildete der Bau der Brenner- b a h n einen Markstein in der Entcvicklung des osterreichischen Gewolbebaues, wenn er auch in der Bedeutung hinter dem erste- ren zuriickblieb. Hier war bekannt- lich unter P r e s s e 1 der Grundsatz nach moglichster Vereinfachung der Bauweise bei Wahrung der weitestgehenden Soli- ditat fiir den Bau massgebend. Man suchte daher den Bau der kostspieligen eisernen Briicken gegen den der gewolbten moglichst zuriickzustellen und das vor- handene Steinmaterial auszuniitzen. Dabei sollten meist halbkreisformige Gewolbe und nur ausnahmsweise Segmentgewolbe zur Anwendung kommen; schiefe Briicken womoglich vermieden oder deren Mauerung nach deutscher Bauweise durch Herstellung ein- zelner gegen ein- ander versetzter Gewolberinge vereinfacht \ver- den. Fiir die Ob- jecte mit Seg- mestbogen fiihrte man mit Vorliebe Parallelfliigel ein, um die Wider- lager noch stand- fester zu machen. Auf die Asphalt- und Sandabdeckung der Gewolbe wurde zur besseren Entwasse- rung noch eine Steinlage aufgebracht. Schon beim Bau der Linie von Lai- bach nach Triest [vgl. Abb. 125] und Kufstein nach Innsbruck, um die Wende des 6. Jahrzehnts, waren grossere Lichtweiten bei gewolbten Briicken, so Abb. 129. Viaduct beim Nordwestbahnliofe Iglau im Bau. [K. k. Staatsbahn Iglau-Neuhaus-Wessely.] [Nach einer photographischen Aufnahme von J. Haupt, Iglau.] Abb. 130. Ramsaubach-Viaduct im Bau. [Eisenerz-Vordernberg.] [Nach einer photographischen Aufnahme von C. Weighart, Leoben.] Briickenbau. 271 bei den Innbrucken bei Brixlegg und Innsbruck bis zu 20 und 27'3 m aus- gefiihrt worden. Die Brennerbahn ging noch weiter; die 79 m lange Eisack- Briicke bei Atzwang zeigt schon eine Spannweite von 25-4, jene bei Mauls sogar von 317 m. [Abb. 126.] Auch die Ausftihrung und Einriistung der Gewolbe dieser Zeit verdanken E t z e l’s Bedingnis- heften wesentliche Neuerungen, Beding- nissen, welche die Grundlage bildeten fur die noch zu besprechenden heute giltigen Normen. Bei den Bahnbauten der ersten Siebziger-Jahre traten die gewolbten Objecte in den Hintergrund. Einerseits waren die in j en er Zeit entstandenen Bahnen meist Thalbahnen und gaben dah er zu Kunst- bauten weniger An- lass, andererseits zog man, um den Bau moglichst zu beschleunigen, die rascher herstellba- ren Eisenbrucken vor. Erst bei den Bauten, welche die Staatsverwal- tung [k. k. Direc- tion filr Staats- Eisenbahnbauten] vom Ende der Sieb- ziger-Jahre an un- ternahm, fand der Gewolbebau wie- der weitgehende Pflege und neue Anregung. Unter diesen ist beson- ders die Heranzie- hung des billigen Abb. 132b. Pruthbriicke bei Jamna, [Stanislau-Woronienka.] Abb. 132 a. Pruthbriicke bei Jamna im Bau. [Stanislau-Woronienka.] Alle Pfeiler, ferner die Gewolbe der zahlreichen Viaducte bis zu 16 m Weite, ja bei der AIfenz-Briicke vor Langen sogar bis 20 w, \vurden auf der Arlberg- bahn aus unbearbeitetem, mehr oder weniger lagerhaftem Bruchstein [Kalk, Gneis und Glimmerschiefer] erbaut, wah- rend erst bei den 20—22 m weit gespannten halbkreisformigen Gewolben, wie bei denen desSchmidtobel- und des Brunntobel- Abb. 131. Viaduct liber den Silberhiittenbach. [K. k. Staatsbahn Ober-Cerekive-Pilgram-Tabor.] (Nach einer photographischen Aufnahme von Ig. Schachtl.] Bruchsteins, der bis dahin nur zu unterge- ordneten Bauten Anwendung gefunden hatte, fur alle Mauerwerks-Anlagen, selbst fiir Gewolbe grosserer Weite, an Stelle des bis dahin iiblichen Hausteins von Bedeutung geworden. Diese von Ludwig H u s s wesentlich geforderte Massregel kam zunachst beim Bau der Arlberg- bahn zur besonderen Geltung, deren Bergstrecke eine Reihe grossartigster Via¬ ducte und Briickenbauten umschliesst. 272 Josef Zuffer. Viaductes und bei dem sogar 41 m weiten Segmentbogen des Waldlitobel- Viaductes [Abb. I27au. I27b]nachdem Fugenschnitt bearbeitete Stiicke aus Kalk- stein, ausnahmsweise auch aus Gneis zur Verwendung kamen. Das Bruchstein- mauerwerk wurde dabei innen und aussen gleicb behandelt, nur in den Kanten und Gewolbestirnen etwas sorgfaltiger bear- j punkte der Wirthschaftlichkeit aus als angezeigt, sondern entsprach auch den žisthetischen Forderungen, da der rusti- cale Charakter dieser Bauwerke mit der Gebirgslandschaft, in die sie hineingesetzt sind und mit dem massiven Felsenhang, aus dessen gewaltigen Blocken sie aufge- thiirmt scheinen, harmonirt. Die Felsen boten hier auch das beste Fundament Abb. 133 a. Brucke bei Jaremcze. [K. k. Staatsbalin Stanislau-Woronienka.] beitet; die Gesichtsflache erhielt Vor- spriinge bis 0’4 m. Bei grosseren Pfeiler- bauten, wie bei denen des 87 m hohen Trisana- [Abb. 128] und des 54 m hohen Schmidtobel-Viaductes wurden in Abstanden von ungefahr 10» durchbindende Lagen von Quadern, bezie- hungsweise von rauh bearbeitetem Schich- tenmauerwerk eingebaut. Die Verwendung von rauh bearbeitetem Bruchsteinmauerwerk erwies sich bei diesen Bauten nicht blos vom Stand- fiir die gewaltigen Bauten, so dass selten eine ktinstliche Unterlage durch Beto- nirung geschaffen werden musste. Wie gesagt, war zum Schluss der Fiinfziger-Jahre bereits durch die muster- giltigen Bedingnishefte EtzePs eine neu- artige und gleichmassige Ausfiihrung der Gewolbe in Uebung gekommen, welche die Grundlage bildete fur die spateren, durch die Erfahrung erweiter- ten Normen, die auch heute noch Giltig- keit haben. Bruckenbau. 273 Die Geriiste werden bei Gewolben bis 5 m Spannweite auf eichene Keile ge- stellt, jene der grosseren Gevvolbe jedoch auf Sandbiichsen oder auf Schraubenvor- richtungen, um gleichmassig und ruhig ausschalen zu konnen. Nach vollende- ter Hintermauerung der Gewolbe blei- ben dieselben bei kleineren Lichtweiten | mindestens vierzehn Tage, bei grosseren vier bis sechs W ochen auf den unverriickten Lehrboden ruben, um eine vorzeitige Sen- kung der Gewolbescheitel zu verhiiten. Die Abdeckung erfolgt allgemein mit einer 5 — 9 cm starken Betonlage, welche noch einen durch eine Sand- schichte geschiitzten Ueberzug von hy- draulischem Mortel erhalt. Heute \vird bei Gevvolben grosserer Spannweite die Mauerung gleichzeitig an vier Stellen vorgenommen und an drei Stellen gleich¬ zeitig geschlossen, um sie von den Setzungen der Lehrgeriiste unabhangig zu machen. Die grosseren Leistungen im Ge- vvolbebau, zu denen die Arlbergbahn An- lass gab, erhielten in den Achtziger- Jahren in den Staatsbahnbauten der Abb. 133b. Pruthbriicke bei Jaremcze im Bau. [Erste Steinschar.] abseits von der Heerstrasse der Touristen gelegen, in stiller Abgeschiedenheit einige Wunderwerke der Baukunst birgt, die sich wiirdig an jene der beruhmten osterreichi- schen Alpenubergange anschliessen und die insbesondere durch ihre kiihn ge- wolbten Briicken den Ruhm osterreichi- scher Ingenieure verkiinden. Da die Gegend, welche die letztgenannte Balin durchzieht, gutes Steinmaterial bot und die Thalsohle gute Fundamente in geringer Tiefe verbiirgte, so konnte der vielseitig und lange erkannten Ueber- Abb. 134. Gewolbte Durchfahrt aus Stampfbeton auf dem Briinner- Nordbahnhofe. [Kaiser Ferdinands-Nordbahn.] Bohmisch - mahrischen Trans- versalbahn, der Linie Herpelje- T r i e s t, der Zahnradbahn Eisenerz- Vordernberg [vgl. Abb. 129—131] u. a. werthvolle Bereicherungen. Sie alle aber wurden von den grossartigen Bauten der Linie Stanislau - Woronienka weit uberholt, jenes unter Bischoff von Klammstein im Jahre 1893 und 1894 entstandenen Karpatheniibergangs, der, legenheit, welche soliden Steinbauten gegenuber eisernen Briicken durch ihre langere Dauer und billigere Erhaltung zukommt, beim Bau der Objecte im weitesten Masse Rechnung getragen werden. Man stattete daher diese Bahn nach den Vorschlagen von Bischoff und Ludwig H us s nach den Plan en des letzteren vorwiegend mit Stein- briicken aus, wobei die viermalige Ueber- 18 Geschichte der Eisenbahnen. II. 274 Josef Zuffer. Abb. 135. Viaduct aus Stampfbeton bei Pohrlitz. [Kaiser Ferdinands-Nordbahn.] wolbung des vdldschaumenden Pruth zu den interessantesten Bauten Gelegen- heit bot. Zahlen schon die beiden Fluss- ubergange bei W o r o c h t a, wo die weiteste Oeffnung der mehrfach gewolbten Briicke zwischen 34'6 und 40 m, der Uebergang bei Jam n a [Abb. 132 a und I32b], wo die Lichtweite 48 m betragt, zu den hervorragendsten Leistungen der Bruckenbaukunst, so werden sie noch durch die Pruthbriicke bei Jaremcze in Schatten gestellt, die mit ihrem 65 m weiten Bogen heute die weitestgespannte steinerne Eisenbahnbriicke der Welt ist. [Abb. I33a und 133b.] Auch auf der Linie Stanislau-Woro- nienka wurden ahnlich wie auf der Arlberg- bahn die Gewolbe unter 15 m in Bruch- steinmauerwerk aus plattenformigen Steinen, jene iiber 15 m aus Schichten- mauerwerk ausgefiihrt, wahrend nur bei den zwei letztgenannten Gewolben, \velcbe sehr exacte Ausfiihrungen forderten, Quadermauerwerk zur Verwendung kam. Diese Ausfuhrung erforderte auch ganz besondere Massnahmen, die schon im Auslande mit Erfolg verwendet worden \varen. Um bei dem ungeheuern Druck, den diese Gewolbe auf das Lehrgeriist ausiiben, fiir eine thunlichste Entlastung desselben vorzusorgen, wurde erst die Bildung und Schliessung eines untersten Ringes mit Steinen im Wechsel von I und i'25»rLangevorgenommen. [Abb. 133 b.] Die Quadern wurden dabei in Abstanden von 2—3 cm nebeneinander auf das Lehr- gertist gelegt, an den Gewolbestirnen und der innern Leibung Holzleisten in die einzelnen Zwischenraume geschoben, und hierauf, nachdem alle Steine des Ringes aufgebracht waren, erdfeuchter Cementmortel mittels einfacher Flacli- schienen in die Fugen gestrichen und gestampft. Nach vollstandiger Erhartung des Mortels, etwa nach zwei bis drei Wochen, wurde die erste Mauerung' des zweiten Gewolberinges mit den iiblichen Vorsichtsmassregeln in Angriff genom- men. Auf die das Gewolbe abdeckende Betonschichte wurde bei den Objecten dieser Bahn eine Lage von Asphaltfilz- platten ausgebreitet, die eine 10 cm dicke Sandschichte \veiterhin schiitzte. In der Construction der Gewolbe, in der Abmessung der Gevvolbstarken arn Scheitel und an den Kampfern musste natiirlich der Widerstandsfahigkeit der verschiedenen Materialien Rechnung ge- Bruckenbau. 2 75 tragen werden, damit diese mit volliger Sicherheit den gewaltig auftretenden Drucken zu widerstehen vermogen. Dort, \vo gewohnliches Bruchsteinmauerwerk als Gewolbematerial herangezogen wurde, liess man in den etwa 12 m weiten Objecten der Arlbergbahn die Pressung nicht iiber 8 kg auf das Quadratcentimeter hinausgehen, wahrend die Gewolbe des Schmidtobel-Viaductes mit 10 kg und jenes der Waldlitobelbriicke mit 14 kg auf 1 cm 2 Flache gepresst wer- den. Die Hau- steingewolbe der 34 - 6«^ wei- ten Pruth- briicke enthal- ten Driicke bis zu 17-6 kg, das Quadermauer- werk des 48 m \veiten Gevvol- bes der Jamna- briicke bis 25'i kg, und der 65 m weiten Ja- remczebriicke sogarbis 27 - 5 fe^ pro Quadrat- centimeter, durchaus aber Driicke, die im Verhaltnis zur Widerstands- fahigkeit des Materials in massigen, zu- lassigen Gren- zen gehalten sind. Diesen Pressungen entsprachen wieder bei den drei letzt- genannten Brticken im Scheitel des Ge- wolbes Mauerstarken von 1-3, beziehungs- weise 17, bei der Jaremczebriicke sogar 2*i ni. Die grossen Fortschritte in der Theorie der Gewolbe, der Einblick in das rvechselnde Spiel der Krafte hatte es erst ermoglicht, solche kiihne Bogen mit moglichst geringem Material aufwan d zu erbauen und sich uber die auftretenden Wirkungen vollstandig Aufschluss zu ver- schaffen. Im 18. Jahrhundert war der Ge\volbebau zum ersten Mal auf wissen- schaftliche Basis gestellt worden; aber die damalige und spatere Stutzlinien- Theorie fusste immer auf Annahmen, die erst in jiingster Zeit bei genaueren Forschungen als hinfallig erkannt worden sind. Erst indem man, was bis dahin vernachlassigt wurde, die Elasticitat des Gewolbes mit in Rechnung zog, war man zu vollstandig verlasslichen Resultaten gelangt. Die praktischen Versuche, welche zugleich iiber das Verhalten von Cement und iiber die In- anspruchnahme sowie die Lei- stungsfahigkeit des Materials in den Gewolben, insbesondere von Seite des Oesterreichi- schen Inge- nieur- und Architekten- Vereins in den letzten Jahren unternommen ivurden, bilde- ten einewesent- liche Ergan- zung der theo- retisch gefun- denen Resul- tate. Eines der wichtigsten Er- gebnisse war die Bestatigung der angedeute- ten, der Berech- nung elastischer Bogentrager zugrunde liegenden An- nahme, dass fiir die Bogenconstructionen innerhalb gewisser Grenzen ein gleiches Gesetz der Proportionalitat in Bezug auf Belastung und Formanderung existirt, wie fiir die einzelnen Materialien bis zu deren Elasticitatsgrenze; dass ferner mit der Spamrvveite der Gewolbe auch deren Widerstandsfahigkeit gegen Bruch wačhst, weshalb bei weiter gespannten Gewolben eine grosse Inanspruchnahme des Materials sich als zulassiger ervveist als bei kleinen. Diese Versuche erganzten auch die theoretischen Untersuchungen jener mo- dernsten Gewolbebauten, rvelche nicht 18* Abb. 136. Durchlass aus Stampfbeton auf dem Briinner Nordbahnhofe. 276 Josef Zuffer. aus einzelnen Wolbsteinen, sondern im Ganzen aus einer homogenen Masse, aus Beton, bestehen, oder bei welchen — in den Monier’schen Gewolben -— ein Rost aus Eisenstaben dem Beton als Gerippe dient. In dieser Bauweise be- griissen wir die jiingsten und vielver- sprechenden Errungenschaften im Gebiete des Gewolbebaues. Ein schlankes, sanft geschwungenes Moniergewol.be von weni- gen Gentimetern Starke, kennzeichnet gegenuber dem schwerfalligen Stein- gewolbe alter Zeit am besten den mach- tigen Fortschritt, den die wissenschaftlich durchgebildete Technik auf diesem Ge¬ biete errungen hat. Die M o n i e r g e w o 1 b e wurden bisher in Oesterreich nur bei einer Reihe von Strasseniiberbriickungen verwendet; briicken und andere Bauobjecte in die Eisenbahn-Praxis einzuftihren. Hiebei wurden auch in letzter Zeit Versuche mit einer neuen Constructions- art von Gewolben unternommen, bei welchen durch Einlagen von Asbest- platten in die Gewolbefugen dem Beton- korper eine erhohte Elasticitat verliehen und dadurch den schadlichen Defor- mationen begegnet wurde, welche die Temperaturanderungen und die wech- selnde Belastung in dem starren Bogen erzeugen. Die Eisenbahnbrucken in Holz. Die Eisenbahnbrucken in Holz ge- horen heute fast nur mehr der Geschichte an. Urspriinglich in ausgedehntem Masse Abb. 137. Querschnitts-Type der k. k. Staatsbahnen fiir Holzobjecte bis 1*5 vi Lichtweite. dagegen sind Stampfbeto n-G e w 6 1 b e von der Kaiser Ferdinands-Nord- bahn bei mehreren Bahnobjecten bis zu 8 m Spannweite mit Erfolg eingefiihrt \vorden. [Vgl. Abb. 134—136.] Die vorzugliche Beschaffenheit der Erzeugnisse der osterreichischen Cement- industrie im Allgemeinen und der mahri- schen Fabriken [Tlumatschau] insbeson- dere, hatte namlich die Nordbahn bereits im Jahre 1889 veranlasst,' beim Bau von Localbahnen fiir die Herstellung der kleinen, bis i‘5 m weiten Durchlasse die Verwendung von Stampfbeton zu bean- tragen, und war auch hieftir die behord- liche Genehmigung erwirkt worden. Durch die erzielten giinstigen tech- nischen und oconomischen Ergebnisse ermuthigt, liess die genannte Verwaltung spater auch grossere Bahnbriicken in dieser Bauweise zur Ausfiihrung bringen, und Baudirector A s t, unterstiitzt von Inspector P r i n z und Ober-Ingenieur v. K rali k, fand namentlich bei den umfangreichen Erweiterungsbauten des Bahnhofes Briinn ein weites Feld, die neue Bauweise mit Stampfbeton fiir Bahn- erbaut, verloren sie mit der stetig zu- nehmenden Beniitzung des Eisens zu Briickenbauten immer mehr an Bedeu- tung und da gegenwartig Holzconstruc- tionen als definitive Briicken nur bei Briicken mit Lichtweiten bis zu i - 5 m [Abb. 137], bei grosseren Spannweiten je- doch nur als Provisorien ged uldet wer- den, so sind auch die Tage der aus alter Zeit verbliebenen Holzbriicken . bereits geziihlt. Das Werden und Vergehen der Eisenbahn - Holzbriicken umspannt daher nur im Ganzen einen Zeitraum von un- gefahr 50 Jahren. Von der Entwicklung der Eisen- bahnen an blieb Holz neben Stein durch zehn Jahre im Briickenbau herrschend, bis zu Beginn der Fiinfziger-Jahre das Eisen auf den Plan trat und seine Bahn- schienentrager gleichsam als Plankler voraussendete. Auf den Linien der Nordbahn, der siidlichen und nordlichen Staatsbahnen war bis dahin uberall, wo grossere Wasserlaufe zu iibersetzen waren oder das Geleise in geringerer Hohe iiber dem Wasserspiegel oder dem Terrain gefiihrt war, der holzerne Unter- Brtickenbau. 277 bau angewendet worden. Auch noch zu Anfang der Fiinfziger-Jahre hielt man, vom Baue der Semmeringbahn abge- sehen, allgemein an diesem Princip fest; dabei war die Herstellung weitgespannter Briicken im Allgemeinen niclit beliebt, son- Pferdebahn, die im Ganzen 214 Holz- briicken von ii’4 m bis 22'8 m Spann- weite besass, die iibereinander liegenden Balken der Briickenwande durch einge- schobene Klotze, sogenannte Peutel- holzer oder Kntippel von einander ge- cirur' V Klotzelholzbriicke der Linz-Budweiser Pferdebahn. Abb. 140. Schlag\verk zur Pilotirung der ersten Nordbahn- briicken liber die Donau. [Nacb den Originalplanen.] Abb. 139. Construction der Klotzelholz- briicken von Pressel. dern es wurde die Theilung durch zahlreiche Zwischenjoche vorgezogen. Eine Aus- nahme hievon zeigte nur die sudliche Staatsbahnlinie von G r a z bis L a i b a c h mit ihren weitgespannten Holzbrticken. Neben den gezahnten und ver- d ii b e lt e n Balken als Trager der Fahr- bahn traten auch andereTragersy'steme auf. So hatte man bei der Linz-Budweiser trennt, um die Wandhohe zu vergrossern und hiedurch eine vermehrte Tragfahig- keit zu erzielen. Eisenbiigel hielten dabei die Tragbaume sammt den Klotzen um- klammert, oder es stellten Schrauben die feste Verbindung her. [Abb. 138.] Dieses specifisch osterreichischeSystem der Klotzelholzbrticken erhielt, ausser auf der genannten Pferde-Eisenbahn, 278 Josef Zuffer. bei Stassenbriicken ausgedehnte Ver- wendung. Die vmgeniigende Verbindung der Tragbalken jedocb, welche den durch die Locomotivlast hervorgerufenen starken Scheerkraften nicht widerstand, hinderte ihre weitere Verwendung fiir Eisenbahn- zwecke, und selbst die rationelle, den grosseren Verkehrslasten angepasste Durchbildung, die ihnen in den Sechzi- ger-Jahren durch P r e s s e 1 zutheil wurde, konnte ihnen nur eine voriibergehende Bedeutung sichern. [Abb. 139.] Donauarme verschiittet wurden. [Vgl. Abb. 140.] Die grosse Donaubriicke er- hielt eine Lange von 429 m, die durch holzerne Joche in 23 Oeffnungen von 18—20 m Weite getheilt war. Jede Oeff- nung wurde von drei Tragwerken iiber- spannt, die nach dem bereits genannten Wiebeking-Pechmann , schen System eines Bogenhangewerks ausgebildet waren. Die unteren, mit einer Sprengung versehenen Strecktrager bestanden aus zwei verzahnten Balken, in welche die holzernen Bogentrager Abb. 141 a. Ehemalige Kaiserwasser-Briicke der Nordbahn. [Nach den Originalplanen.] Abb. 141 b. Briickenfeld der ehemaligen Kaiserwasser-Briicke der Nordbahn [III. Geleise]. [Nach den Originalplanen.] Die erste grosse und historisch inter- essanteste Eisenbahnbriicke aus Holz war jene der Kaiser Ferdinands-Nord- bahn liber die Donau bei Wien. Anfangs beabsichtigte man den Ausgangs- punkt der Linie Wien - Brtinn nach Floridsdorf zu verlegen und durch eine Pferdebahn den Anschluss zur Fahrt nach Wien iiber die. bestehende und zu erweiternde Donau-Strassenbriicke [eine Klotzelholzbriicke] herzustellen. Nach- dem man sich aber fiir den Bau eines Bahnhofes in Wien entschieden hatte, wurde eine zweigeleisige, holzerne Brucke vom Briickenmeister Ueberlacher liber den Hauptstrom und iiber das »Kaiser- ivasser« hergestellt, wahrend die anderen versetzt waren, wahrend je funf Hange- saulen die Verbindung zwischen diesen Tragbalken herstellten. Um das Durch- fahren der Schiffe zu ermoglichen, war die Tragconstruction eines mittleren Brticken- feldes der Lange nach getheilt und nicht in Verbinduno- mit den iibrigen Traarern gebracht, so dass jeder Theil fiir sich 3*2 m hoch gehoben werden komite. Zu den grossten Holzbriicken der ersten Locomotiv-Eisenbahn zahlte auch jene liber das Kaiserwasser mit 154 m Lange und 17 m weiten Briickenoffnun- gen [Abb. 141 a und 141 b], die March- brličke auf dem Fltigel Ganserndorf- Marchegg mit einer Lange von 4-75 m mit i5’2 m weiten Oeffnungen, Briickenbau. 279 Abb. 142. Holzprovisorium der Quaibriicke der Oesterreichischen Nordwestbahn. endlich die insgesammt 673 m langen Briicken im Ueberschwemmungs-Gebiete der Thaya zwischen H o h e n a u und Lundenburg, die zum Theil auf Stein- pfeilern, zum Theil auf holzernen Jochen aufruhen. Auch die complicirteren, im Strassen- bau bewahrten Holzbriickenformen fanden im Eisenbahnbau rasch Eingang. So treffen wir in den Vierziger-Jahren auf den nordlichen Staatsbahnlinien bei C h o t z e n iiber die Adler das H a n g e- und Sprengwerk und auf den slidlichen Staatsbahnen \viederholt den H o w e- schen Trager, der Weiten von 40—70 m iiberspannt. Es war dies ein aus Amerika eingeflihrter holzerner Gittertrager, bei welchem der obere und untere Gurt durch sich kreuzende, geneigte, holzerne Streben und durch verticale Rundeisen- stabe verbunden \var. Durch Anziehen von Schraubenmuttern wurde in den eiser- nen Stangen ein Zug, in den Streben eine kiinstliche Druckspannung erzeugt. Die Brucke liber den Sulmfluss auf der Graz-Laibacher Strecke, die Draubriicke bei Marburg, die Mur- brticke bei Peggau, die Brucke iiber die Sau bei Cilli und jene liber das Lai- bacher Moor zeigten diese beliebte ameri- kanische Tragertype.*) Von der Mitte der Fiinfziger-Jahre an tritt das Holz bei den Briicken der Haupt- bahnen immer mehr zuriick. Man hatte mit den Jochbrucken, welche das Fluss- profil durch die gedrangte Stellung der Mittelstlitzen schmalern, manche unange- nehme Erfahrung gemacht und die leicht herzustellenden eisernen Neville- und Schifkornbriicken wurden als eine will- kommene Neuerung begrlisst. Auch hatte der Verein Deutscher Eisenbahn-Verwal- tungen im Jahre 1856 in seinen Grundziigen zur Gestaltung der Eisenbahnen die Holz- briicken nicht als gleichwerthig mit den Eisen- und Steinbriicken erklart und gegen ihre Verwendung zu definitiven Bahnobjecten Stellung genommen. *) Vgl. Abb. 234, Bd. I, 1. Theil. LangeJischnitt. -Ho rizontaL M veli. IS sir. Hochrvasser 4S6'/'} - SZ ~so VuRn/a. Abb. 143. Holzprovisorium der Inundationsbriicke bei Stadlau. 28 o Josef Zuffer. Erst an der Wende der Siebziger- Jahre trat wieder ein Umschwung zu Gunsten der Holzbriicken ein, als die Re- gierung, um den stockenden Unterneh- mungsgeist aufzumuntern, den Eisenbahn- Unternehmungen verschiedene Erleichte- rungen beziiglich des Baues gewahrte und deren Verwendung in einzelnen Strecken zugestand. So erhielt die Kaiser Franz Josef-Bahn, die Kronprinz Rudolf- B a h n, die Mahrisch-Schlesische Centralbahn und die Ungarische Westbahn gerade bei grosseren Spann- weiten Holzbriicken, ' deren Tragwerk aus Balken oder auch aus Hange- und Sprengwerken bestand. Der Donaustrom bei Tulln !K ) erhielt eine 40 m lange Hange- werksbriicke, die allerdings blos der Platz- halter war fiir eine gleich darnach ein- gefuhrte Eisenbriicke, wahrend die an- schliessende 64 m weite holzerne Fluth- briicke, erst in der jiingstenZeit gegen eine Eisenconstruction ausgewecliselt wurde. Die Hangewerksbriicken iiber den Kamp- fluss auf der Linie Absdorf Krems, die zahlreichen Holzbriicken in den Linien Gmiind-Eger und Gmiind-Prag mit Licht- weiten bis zu 60 m und 90 m und viele andere dieser Zeit blieben ebenfalls durch Jahre in Beniitzung; dagegen hatten die von der Staatseisenbahn-Gesell- schaft auf der Linie Wien-Stadlau [Abb. 143] und die von der Nordwest- bahn [Abb. 142] ausgefiihrten PIolz- brucken gleich von Anfang an den Cha- rakter von Provisorien, die man bald gegen eiserne Brticken austauschte. Nach diesem Zeitabschnitt verlor die Holzbriicke vollstandig an Bedeutung und konnte nur auf den Localbahnen, deren Rentabilitat und deren wirthschaft- licher Bestand iiberhaupt moglichst ge- ringe Anlagekosten zur Voraussetzung hatte, ihre Existenzberechtigung behaup- ten. Schon um die Mitte der Siebziger- Jahre war aus diesem Grande Pontzen fiir die Herstellung von Holzbriicken auf den Nebenbahnen eingetreten und dieser Gesichtspunkt war auch bei den Bauten der B u k o w i n a e r und Kolomeaer Local- und Schleppbahnen mass- gebend, welche theils den ungeheuren Holz- *) Vgl. Abb. 8, Bd. I, 2. Theil. reichthum der Karpathenwalder zu Thal bringen, theils der Petroleum-Industrie zugute kommen sollten und ohne jene Begiinstigung nicht lebensfahig gewesen waren. Ebenso erhielten die Ende der Achtziger-Jahre erbaute Linie Debi c a- Rozwadow und die bald darnach aus- gefiihrte Localbahn Laibach-Stein meist holzerne Jochbriicken mit Wider- lagern aus Stein, wie auch gegemvartig die Linie N ep o 1 o k ou tz -Wiž ni t z der Bukowinaer Landesbahnen mit PIolz- briicken ausgeriistet wird. Diese Holzconstructionen bilden oft ganz imposante Bauten. So wird der Pruth auf der Kolomeaer Localbahn mit 166m, in derStrecke Nepolokoutz- Wižnitz mit 407 m Lange, die Su- czawa auf der Localbahn Hadikfalva- Radautz mit einer Brucke von 254 m Lange, auf der Localbahn H at n a - K i rn- polung in einer Weite von 296 m iiber- schritten und die Savebriicke in der Strecke Laibach-Stein misst 162 m. Bereits in den Sechziger-Jahren be- gannen die altesten Bahnen, wie die Nord- bahn, die Stidbahn und die Staats- eisenbahn-Gesells chaft ihre Holz- briicken gegen Eisenconstructionen aus- zuvvechseln. Ihnen folgten zu Ende der Siebziger-Jahre die Kaiser Franz Josef-, die Kronprinz Rudolf- B a h n u. a., so dass heute die Holzbriicken auf den Hauptbahn-Strecken nur mehr vereinzelt angetroffen werden. Haben daher die Holzbriicken als Bahnobjecte auf Hauptlinien ihre Rolle ausser bei ganz kleinen Oeffnungen aus- gespielt, so bleibt ihnen doch fiir Eisen- bahn-Provisorien, fiir Lehr- und Mon- tirungsgeriiste bei Stein- und Eisen- briicken, ferner als Schiittgeriiste bei grossen Dammbauten und als Transport- geriiste eine wohl beschranktere, aber trotzdem doch wichtige Aufgabe zuge- wiesen. Der Riickgang in der Bedeutung der Holzbauten fiir Eisenbahnen hat nicht gehindert, der Ausbildung ihrer Constructionen entsprechende Aufmerk- samkeit zu widmen. Die Fortschritte in der Briickentheorie kommen den Holz¬ constructionen ebenso zugute, wie die praktischen Versuche, welche das Ver- Briickenbau. 281 halten des Materials sowie die Wirk- samkeit der Schrauben, Zahne und Diibel 1 in das richtige Licht stellen. Die fiir die Praxis sich ergebenden Resultate der | theoretischen und praktischen Unter- J suchungen haben auch in den behord- lichen Vorschriften ihren Ausdruck ge- funden, indem daš k. k. Handelsmini- sterium in der Verordnung vom 31. Juli 1892 Bestimmungen erliess, welche die dem Bau der ersten Kettenbriicke und einer eisernen Bogenhangewerks-Briicke fiir den Strassenverkehr den andern Landern des Continentes vorangegangen. Wenn nun auch der Kunst des Baues eisernerBriicken, diesem jiingstenSprossen der Technik, die berechtigtsten Erwartun- gen hinsichtlich deren Weiterentwicklung entgegengebracht wurden und friihzeitig das Bestreben nach Verwendung der t, Abb. 144. Schifkornbriicke. [Klabawa-Viaduct bei Chrast wahrend der Auswechslung 1892.] [Nach einer photographischen Aufnahme von F. Dworak in Pilsen.] Briickenverordnung vom Jahre 1887 hinsichtlich der praktischen Ausfuhrung der Holzbrlicken und beziiglich der zu- lassigen Inanspruchnahme des Materials erganzen. Die Briicken in Eisen. Bei dem Auftreten der ersten Eisen- bahnen hatte Oesterreicb, wie bereits angedeutet, seinen guten Antheil an dem grossen technischen Fortschritte, welche die Einfiihrung des Eisens im Briickenbau bedeutet. War es doch mit Systeme der eisernen Strassenbrticken fiir Eisenbahnzwecke hervortrat, so dauerte es doch ein Jahrzehnt, bevor man es in Oesterreicb unternahm, dem Eisen die Last der schweren Locomotiven anzuver- trauen. Damit erstand aber auf dem Gebiete des Bahn- und Briickenbaues zu Beginn der Fiinfziger-Jabre dem Steine und Holze ein anfangs wohl nur schuchterner Rivale, der jedoch bald zu ungeahnter Bedeutung gelangte. Im Jahre 1854 verzeichnen die Ausvveise der General-Inspection der osterreichischen Eisenbahnen bei einer 282 Josef Zuffer. Bahnlange von 2140 km erst 250 Tonnen Eisen fiir Briickenzwecke, d. i. pro Kilo¬ meter 125 kg , im Jahre 1860 war das auf ein Kilometer entfallende Eisen- gewicht der Brucken schon auf 2600 kg, zehn Jahre spater auf 6200 kg und im Jahre 1875 bereits auf 8800 kg gestiegen. In der ersten Zeit erschien die eiserne Bahnbriicke in den einfachsten Formen. Eine Schiene wurde zum Trager, indem sie mit der Fahrschiene auf den Fussflachen zusammengelegt und ver- nietetwurde. ZurErzielung eines grosseren Trao-vermosens aber boo; man, die untere Schiene in der Mitte durch und verband sie mit der Fahrschiene durch eiserne Zwischenstiicke zu einem Fischbauch- trager. Solche Schienenconstruc- t i o n e n, \velche manchmal fiir sich eine Brucke bildeten, auf die erst das Geleise, die Schvvellen mit den Schienen, auf- gebracht wurde, finden wir zuerst im Jahre 1847 bei einem Objecte iiber die Bezirksstrasse bei Cilli auf der Siidbahn, dann auf den Linien der O e s t e r- reichisch - Ungarischen Staats- eisenbahn und spater bis in die Sieb- ziger-Jahre allgemein verbreitet. Manche Bahnen vervrendeten auch bereits eigens gewalzte Trager, die als einfache Trag- balken zur Stiitze der Schienen des Ge- leises bis zu 5 m Weite dienten, und zu Ende der Fiinfziger-Jahre traten im Ge- folge der fortschreitenden Walztechnik neben den genannten Walztragern die ge- nieteten Blec h trager auf, welche aus Stehblecb, vier Winkeleisen, Kopf- und Fussblech bestanden und durch eiserne Querriegeln zu einer Tragconstruction verbunden wurden. Solche Blechtrager \varen durch entsprechend kraftige Dimen- sionen schon im Stande, Weiten bis zu 19 m zu iiberbriicken und sind bis heute im Allgemeinen die normale Constructions- type fiir Brucken bis zu 20 m Spanmveite geblieben. Schon in der ersten Zeit ihres Auftretens wurden die Blechtrager-Con- structionen bei etwas grosserer Weite durch Windkreuze abgestreift. Um einen widerštandsfahigen Quer- schnitt bei gering verfugbarer Construc- tionshohe [das ist die Entfernung zwi- schen dem Fusse der Fahrschiene und der Unterkante der Bruckentrager] zu erzielen, wurden die Kastentrager eingefiihrt,. bei denen zwei verticale Stehbleche und die entsprechend breiten horizontalen Kopf- und Fussbleche, durch Winkeleisen und Nieten zu einem steifen Kasten verbunden sind, Trager, die zuerst durch Stephenson beim Uebergang vom Guss- zum Walzeisen venvendet worden waren. Bis in die Sechziger-Jahre lagerte man allgemein das Geleise oberhalb der Blech- tragerconstruction und zwar derart, dass die Schiene entweder unmittelbar auf dem Trager oder durch Vermittlung elastischer Querschwellen, also die Fahrbahn »oben« aufruhte. Wo aber die grossere Licht- weite eine bedeutendere Tragerhohe bei gleichzeitig geringer Constructionshohe erforderte, \var die Lagerung der Fahrbahn »oben« ausgeschlossen und musste das Geleise zwischen die beiden Trager »ver- senkt« oder die »Fahrbahn unten« angeordnet werden. Diese Aenderungen in der Lage der Fahrbahn schufen manche constructi ve Schwierigkeiten .Hornbostel hatte sich noch in primitiver Weise auf der Kaiserin Elisabeth-Bahn damit geholfen, daSs er die Wandbleche der Trager fensterartig durchbrach, um die Querschwellen durchzustecken, denen an die Blechwande genietete Winkelstutzen als Auflager dienten. Im Allgemeinen liess aber der Mangel an geeigneten Typen nur ungern von der einfachen Anordnung oben liegender Fahrbahn abweichen. Erst Pressel fiihrte um die Mitte der Sechziger- Jahre gut durchgebildete Typen mit ver- senkter Fahrbahn bei kleineren Licht- weiten und mit unten liegender Fahr¬ bahn bei grosseren ein, wobei naturlich die Blechwande der Forderung des Licht- raumprofiles fiir die Fahrzeuge gemass, entsprechend auseinanderriicken mussten. Auf der Lemberg-Czernowitzer Balin wurden zuerst die Blechtrager- Typen noch durch die Einfuhrung der Zwillingstrager bereichert, bei denen fiir jeden Schienenstrang zwei symmetrisch gestellte, nahe aneinandergeriickte Blech¬ trager .angeordnet sind, welche die Schiene zwischen sich auf einer kurzen Quer- verbindung tragen. Bis in die Siebziger-Jahre wurden die Schienen auf den Blechbrucken derart Briickenbau. 283 Abb. 145. Elbebriicke bei Tetschen nach der Reconstructiou. [Bbhmische Nordbahn.] [Nach einer Photographie von H. Eckert, Prag.] angebracht, dass sie entweder auf den Haupttragern selbst oder auf eisernen Quertragern, die zwischen diesen ange¬ bracht waren, oder endlich auf der ge- nannten Querverbindung der Zwillings- trager mittels eisernen Keilplatten auf- rubten. Die Vortheile, welche ein elastisches Zwischenmittel bietet, fiihrten spater zur Verwendung von Holzschwellen, die entweder als Querscliwellen oder als Langschwellen die Schiene auf- nahmen. Waren mit diesen Typen auch die Constructionen gerader Blechtrager er- schopft, so blieb seither der weiteren Durchbildung der Idaupttrager, der Stoss- deckung, der Querverbindung, der An- ordnung der Auflager und der Ueber- hohung ein weites Feld eroffnet. Die complicirten Lagerstahle der alten Schie- nentrager und der alten Blechbriicken sind heute durch einfache Lagerplatten ersetzt, die in den Auflagsquadern ver- senkt werden und eine Cement-, Mortel- oder Bleiunterlage erhalten. Die Aufgabe der anfangs am Untergurt angebrachten Backen, die sich mittels Balken gegen die Widerlager stemmten, um der Con- struction im starken Gefalle einen Halt zu bieten, tibernebmen heute einfache Vorspriinge der Unterlagsplatte, die als Stemmnasen bezeichnet werden. Die Ausbildung, welche die Blech¬ trager im Laufe der Zeit erfahren haben, die Vortheile, die in der einfachen Mon- tirung und der erleichterten Erhaltung liegen, die Fortschritte der Technik, die das Walzen grosser und homogener Plat- ten ermoglichen, geben heute dieser Con- structionstype in Oesterreich wieder eine grossere Bedeutung, und lassen ihre An- wendung auch bei grossen Spannweiten angezeigt erscheinen. Hatte man sie schon vor 30 Jahren, wie gesagt, bis zu Spann- weiten von 19 m verwendet, so pflegte man sie spater wieder auf kleinere Oeff- nungen einzuschranken und in dem tiber- massigen Streben nach Materialersparnis, welche die Gitterbriicken gegeniiber den Blechbriicken zuliessen, Objecte von 12, ja sogar von 6 m Lichtweite mit ge- gitterten Tragern zu versehen. In jiing- ster Zeit jedoch, wo dieser Vorzug der Materialersparnis auch gegen die sonstigen Vortheile richtig abgewogen wird, finden die Blechbriicken auch fiir grosse Spannweiten Aufnahme. Auf der Wiener Stadtbahn sind Blechbriicken bis zu 27 m Stiitzweite zur Amvendung gekommen, eine Massregel, die gewiss Nachahmung finden \vird. Die Bedeutung, welche die Blech¬ briicken im Laufe der Zeit erlangt haben, moge die Thatsache illustriren, dass heute in Oesterreich iiber 10.000 284 Josef Zuffer. Eisenbahn-Objecte mit Blechtragern aus- gestattet sind. Bevor aber noch die einfachen, eisernen Balken, die verschiedenen gewalzten und genieteten Blechtrager zu Bahnzwecken vervvendet wurden, dachte man schon daran, an die Erfolge im Bau der eiser¬ nen Strassenbriicken anzukniipfen und die Idee der Hangewer k e, die damals als interessanteste technische Neuerung ihren Einzug in Oesterreich gehalten hatte, fiir den Eisenbahnbau auszuniitzen. Bereits im Jahre 1843 hatte Francesconi eine Hangebriicke iiber die Donau bei Floridsdorf fur die Nordbahn projectirt. Die Ausfiihrung dieses Projectes war zwar zuriickgestellt worden aber die Frage der Ver- -vvendung der Kettenbriicke fiir die Eisenbahn versch wand nicht mehr von der Bildflache. Die verschie- densten V or- schlage tauchten auf, um den bei Kettenbriicken beklagten Man- gel an Steifigkeit zu beheben, der sie ftir die sichere Fiihrung der schweren Eisenbahnziige niclit empfehlenswerth machte. Man hoffte durch Kriimmung der Fahrbahn nach unten, durch ihre Verbreiterung, durch die Versteifung mittels hohler Blechrohre, durch Verflachung der Kettenlinie sowie durch Anwendung von Spann- und Gegenketten behufs Fixirung der eigentlichen Tragkette, dem genannten Hauptmangel, der geringen Steifigkeit der Brucke, zu begegnen. Ein von Martin R iener verfasstes Project einer Eisenbahnbriicke, deren Tragketten durch Spannketten versteift \varen, welche von einer Centralverankerung im Mauenverk ausgehen sollten, gab dem osterreichischen Ministerium im Jahre 1856 Anlass, den V erein D eutscher Eisenbahn-V erwal tungen zu einem Gutachten iiber diese wichtige Angelegenbeit und die vorgelegte Con- struction anzuregen. Die Vortheile der inzwischen in Deutschland bereits mehr bekannt gewordenen Gliederbriicken liessen jedoch trotz der verbesserten Construction der Hangebriicke die Be- denken gegen dieses System nicht schwin- den und fiihrten zu einem ziemlich un- giinstigen Urtheil. Als es aber Schnirch gelang, die gesuchte Versteifung der Hangebriicke durch Ausbildung der Kette als gegliederten Trager, also durch Ver¬ steifung der Kette selbst, zu erzielen, wurde im Jahre 1860 der Wiener Donaucanal im Zuge der Wiener- Verbindungsbahn mit einer solchen Con¬ struction uberbriickt. Den vielen gerecht- fertigten Bedenken, welchen diese Bau- art begegnete [so u. a. auch bei Etzel], hat die Briicke mehr als 20 Jahre getrotzt,bissieim Jahre 1884 durch eine moderne Bogenbrticke nach Planen der Ingenieure Bat- t i g und P o d- hajsky ersetzt werden musste.*) Das interessante Experiment einer Eisenbahn - Ket- tenbriicke war somit wohl ge- lungen, aber die Unsicherheit, die das mit der Zeit immer mehr gesteigerte Schlottern und Schrvanken der Brucke und die friihzeitige Abniitzung ihrer Theile in sie hinein trug, die erhohte Last- | wirkung infolge der Nachgiebigkeit und j Beweglichkeit der Construction, lud bei den raschen Fortschritten im Bau der Gliederbriicken zukeinerWiederholungein. Unterdessen waren namlich in der Mitte der Vierziger-Jahre die ersten eisernen Gitterbriicken erstanden, \velche auch bald in Oesterreich ihren Ein- gang fanden. Die praktischen Erfahrungen mit den alten gegitterten Holzbriicken von Long, Howe und Town hatten schon einen Einblick in das Kraftespiel dieser *) Vgl. Bd. I, I. Theil, H. Strach, Ge- I schichte der Eisenbahnen Oesterreich- Ungarns von den ersten Anfangen bis 1867, j S. 306 und ff. Abb. 14^. Gitterbriicke bei Kastenreith. [Kronprinz Kudolf-Bahn.] Briickenbau 285 Trager eroffnet und die spat er en Ver- suche in England mit Blechtragern, fiihr- ten eine weitere Klarung herbei. Man hatte erkannt, dass neben den durch- biegenden K rafte n, welche die Be- lastung hervorruft und die sich in Span- nungen des obern und untern Gurts umsetzen, auch verticale, scheerende K r a f t e auftreten, die, statt von einer vollen Wand, rationeller von entsprechend ang-eordneten und ausgebildeten Gliedern ubernommen werden konnen. Der Belgier N e vi 11 e hatte einen Bruckentrager erbaut, der ein einfaches Dreiecksystem von Wandgliedern zeigte. Der Obergurt, der stets blossen Druckspan- nungen ausgesetzt ist, bestand aus Guss- eisenbarren, die von Knoten zu Knoten rei eliten, zwi- schen sich die schmiedeeiser- nen, im Quer- schnitt recht- eckigen Gitter- stabefasstenund durch schmiede- eiserne Flach- laschen zusam- men gehalten waren. Der Un- tergurt, welcher Zugspannungen zu widerstehen hat, be¬ stand in seiner Hauptsache aus schmiede- eisernen Flachschienen. Die ausserst mano-elhafte Verbinduna; der Tramertheile in den Knotenpunkten liess diesen Tragern gleich von Anfang mit Misstrauen be- gegnen. Nachdem aber die Probeversuche der Kaiser Ferdinands-Nordbahn im Jahre 1851 mit Probeobjecten von 20 m Spannrveite am Eisenbahndamm zwischen beiden Donaubriicken ein gutes Ergebnis geliefert hatte und die Con- struction sich mit Riicksicht auf die relativ geringe Menge des verwendeten Eisens auch als oconomisch erwies, so begann die Nordbahn ihre grossen hol- zernen Briicken gegen diese Tragertypen auszutauschen. Der Bečvvabrtičke bei Prerau, die filnf Oeffnungen zu 20 m Lichtweitebesass,folgtenbald43 Briicken- offnungen zwischen Napagedl und Mah- risch-Ostrau, welche mit Nevilletragern ausgestattet wurden. Bei der Verschieb- Abb. 147. Gitterbriicke iiber die Enns. [Kronprinz Rudolf-Bahn, Gesause-Eingang - .] barkeit der Glieder infolge der mangel- haften Knotenverbindung und bei der ungiinstigen Materialvertheilung konnte dieses System sich gegenuber neu auf- tretenden besseren Gonstructionen jedoch nicht lange behaupten. Nach etwa zehn Jahren stellte dieNordbahn, iiber die hinaus das System vvenig Verbreitung gefunden hatte, den Bau der Nevillebrucken ein, die zu Ende der Sechziger- und zu An¬ fang der Siebziger-Jahre vollstandig ver- schwanden, da sie durch Parallel- und Fischbauchtrager ersetzt wurden. Im Jahre 1853 war Schifkorn in Oesterreich mit einer neuen, gut durch- dachten Bruckenconstruction hervorge- treten, in welcher er den bereits ge- nannten holzernen Howe’schen Trager ganz in Eisen durehbildete. [Vgl. Abb. 144.] Die Theile, wel- che Druckbean- spruchungen ausgesetzt sind, also der Ober¬ gurt und die geneigten Stre- ben, in welch letzteren durch die verticalen Spannstangen stets kiinstlich ein Ueber- druck erzeugt \vurde, stellte er aus Guss- eisen her, wahrend er far den gezogenen Untergurt schmiedeeiserne Flachschienen, desgleichen fiir die Spannstangen Schmiede- eisen nahm. Den Obergurt setzte Schif¬ korn aus einzelnen von Knoten zu Kno¬ ten reichenden Stiicken zusammen, die mittels durchlaufender, an den End- standern angespannter Langsschienen zu- sammengehalten \vurden. Auch die Stre- ben waren aus einzelnen Stiicken zu- sammengesetzt, so dass sie bei hohen Tragern und mehrfachem Netzwerk bis aus vier Theilen bestanden, die durch z\vei schmiedeeiserne Bander fixirt waren. Die Haupttrager jeder Brucke bildeten zwei bis vier nebeneinander gestellte, mit einander verbundene und gleich construirteVVande.*) Das Schifkorn’sche Briickensystem wurde bei seinem Erscheinen geradezu *) Vgl. Abb. 378, Bd. I, 1. Theil. 286 Josef Zuffer. enthusiastisch begriisst. Man riihmte den Vortheil dieser Briicken, die im Gegen- satz zu den damals auftauchenden Gitter- briicken »keinerNieten bediirfen und bei de- nen das Holz, das Schmiede- und Gusseisen ihrer Wirkungsweise entsprechend seien«! Es fehlte nicht an Gegnern, unter denen Hornb ostel und Pressel in erster Reihe standen, welche den an dieses System gekniipften, hochgespannten Er- wartungen eine sehr kiihle sachliche Kritik gegeniiberstellten. Bot doch die Construction so viele Angriffspunkte! Die Zusammensetzung der Trager aus vielen Theilen und deren mangelhafte Verbindung, die allerdings jene der Nevilletrager hoch iiberragte, die Un- bestimmtheit, die durch die kiinstlichen Spannungen in die Wirkungsweise der Glieder hineingetragen wurde, die Ver- wendung des unverlasslichen Gusseisens und dessen Combination mit Schmiede- eisen, also die Verbindung von Mate- rialien mit ungleichen Elasticitats-Verhalt- nissen, bedeuteten ebenso viele schwache Seiten dieser neuen Tragertype. Im Jahre 1858 lieferte das Werk Z o p t a u fiir die Ueberbriickung der I s e r bei Ra k aus im Zuge der Siid-nord- deutschen Verbindungsbahn die erste Schifkornbriicke, \velche sieben Oeffnungen zu 24 m besass.*) Bald folgte die Carl Ludwig-Bahn, die B 6 h m i- sche Westbahn mit Briicken bis zu 38 m Weite, die Turnau-Kraluper B a h n, die Bohmische Nordbahn und die Lemberg-Czernowitzer Bahn mit Weiten bis zu 57 m. Eben waren noch andere Babnen im Begriff, diese Briicken einzufiihren, ja selbst Unterhandlungen mit England und Amerika waren im Zuge, um das System auch dorthin zu ver- pflanzen, als die Briickenkatastrophe bei Czernowitz, wo am 4. Marž 1868 ein 57 m \veites Briickenfeld der Pruthbriicke unter einem gemischten Zug zusammen- brach, dem Siegeslauf der Schifkornbriicke und der Verwendung von Gusseisen zu Trager-Hauptbestandtheilen von Eisen- bahnbriicken ein jahes Ende bereitete. **) An 150 Eisenbahnbriicken dieses Systems \varen in Oesterreich aufgestellt *) Vgl. Abb. 366, Bd. I, 2. Theil. **.) Vgl. Abb. 378, Bd. I, 2. Theil. worden, die nun in rascher Folge durch die inzwischen anerkannten genieteten Fachwerksbriicken ersetzt wurden, so dass heute mit Ausnahme eines einzigen Beispieles auf einer blos der Schlacken- beforderung dienenden Schleppbahn [bei Trzynietz] keine derartige Construction als Bahnbriicke mebr in Beniitzung steht. Im Jahre 1894 war die letzte Schifkorn¬ briicke im Zuge einer Eisenbahn, die E 1 b e- briicke der Bohmischen Nordbahn bei Tetschen, durch eine moderne Con¬ struction ersetzt und mit ihr die zvveite Briickentype, welcbe gemischtes Material venvendete, zu Grabe getragen worden. [Abb. 145.] Wahrend in den Fiinfziger- und Sechziger-Jahren im Norden und Osten Oesterreichs, in Bohmen, Galizien und der Bukowina nebst den Nevillebriicken, vornehmlich die Schifkornbriicken in Verwendung kamen, also gemischte Systeme, welche Gusseisen fiir gedriickte und Schmiedeeisen fiir gezogene Theile venvendeten, \vurden um die Wende des sechsten Jahrzehntes auf den sud- lichen und westlichen Linien allmahlich die genieteten schmiedeeisernen Gittertrager eingefiihrt, die in Eng¬ land und Deutschland aufgekommen und in diesen Landern schon vielfach ver- breitet waren. Den Gittertragern wurde anfanglich in Oesterreich mit grossem Misstrauen begegnet, das vornehmlich auf den ungiinstigen Erfolgen von Mo- dellversuchen beruhte, diePriissmann in Hannover mit offenbar unrichtig construir- ten Gittertragern angestellt hatte, ein Misstrauen, das insbesondere auch durch R i e n e r und S c h n i r c h, diesen eifrigsten Verfechtern der Hangebriicken und der ungenieteten Trager, genahrt wurde. Trotz dieser schwerwiegenden Gegner- schaft fanden aber gegen Ende der Fiinf- ziger-Jahre die genieteten Gitter¬ trager, und zwar als engmaschige Netz\verke auf der Staatseisenbahn durch R u p p e r t, auf der Siidbahn durch Etzel, auf der Kaiserin Elisabeth-Bahn durch Hornb ostel Eingang und wenn auch diese Trager seither, entsprechend der fortschreitenden Erkenntnis iiber die Wirkungsweise der Krafte und im Stre- ben nach moglichster Oeconomie, \vesent- Briickenbau. 287 liche Wandlungen beziiglich der Form der Gurten und beziiglich der Wandfiillungs- glieder durchmachten, so behielt doch das Princip der genieteten Gittertrager seither im Eisenbahn-Briickenbau die un- bestrittene Herrschaft. Die Erkenntnis, dass das Material in der die Gurten 'verbindenden Blechwand der vollwandigen Trager nicht ausgeniitzt wird, hatte zuerst in England und darauf in Deutschland dazu gefuhrt, die Wande durch ein dichtes Netzwerk flacher Štabe zu ersetzen. In Oesterreich traten diese Netzwerke mit schlaffen Ban¬ deru zuerst auf der Kaiserin Elisabeth- Bahn unter Pl o r n b o s t e 1 auf, wo die erfolgreich widerstehen konnten, wurden durchwee:s blos einwandig; ausgefiihrt, wahrend die von Hoffmann auf der Tiroler Staatsbahn im Jahre 1858 mit zwei Spannweiten vonje 46‘7 m erbaute Innbriicke, beiderseits je zwei durch einen Zwischenraum von etwa 60 m getrennte Tragwande erhielt. Ein schiefliegendes Gitterwerk verband dabei die corre- spondirenden, auf Druck beanspruchten Gitterstabe beider Wande. Aehnlich wurde die 32 m lange Brixenthaler Brucke mit verticalen Zwischengittern ausgefiihrt. Diese beiden Briicken er- hielten auch kastenformig ausgebildete Gurtungen. Abb. 148. Reconstruction der Dniesterbrticke bei Nizni6w. [Stanislau-Husiatyn.] Traisen, Erlauf, Ybbs, Enns und Traun mit solchen Tragern, welche iiber die einzelnen Briicken offnungen zumeist ununterbrochen fortliefen, iiberspannt wurden. ImZuge der Linien der Staatseisenbahn-Gesellschaft, und zwar auf der Strecke Olmiitz-Triibau erstanden die Sazawabriicken mit 15 bis 19 m Weite, auf der Siidbalin unter Etzel die Ueberbriickung der Miirz und San, der Mur bei Peggau mit einer 110 m langen Brucke iiber drei Oeff- nungen, und auf der Linie Marburg- Villach zwei Draubriicken nachst Gottes- thal und St. Ulrich*) mit drei Oeffnungen von 132 m Gesammtlange. Diese Netzwerke, deren flache Dia¬ gonalen nur durch ihre grosse Zahl, be- ziehungsweise durch ihre dichte An- ordnung den auftretenden Druckkraften *) Vgl. Abb. 337, Bd. I, 1. Theil. Der Constructions-Gedanke, die Gitter¬ stabe mittels angenieteter Winkeleisen zu versteifen, war zum ersten Male bei der Baynebriicke bei Drogheda in England vervverthet worden. Ruppert fiihrte diese Idee in erfolgreicherer Weise bei der G r a n - und Eipelbriicke der Staatseisenbahn durch, indem er ein Gitterwerk von etwas weitern Maschen vollig aus steif profilirtem ——formigem Eisen ausfuhrte,*) und auch auf der Kaiserin Elisabeth-Bahn er¬ baute Hornbostel Briicken mit durchwegs versteiften, hier aber T-formigen Streben, so bei den Briicken iiber die Pielach und Vockla, bei der Brucke iiber die Wien der Linie Penzing-Pletzendorf und bei der I43'8 m langen, fiinf Oeffnungen *) Vgl. Abb. 323 und 324, Bd. I, 1. Theil. 288 Josef Zuffer. uberspannenden Salzachbrucke der Strecke Salzburg-Reichsgrenze. Die Ausfiihrung der Gurtungen aus Winkeleisen und Lamellen, zum Theil auch bereits mit Stehblechen, und die Art des Anschlusses der Wandglieder an die Gurtungen zeigt bei diesen Briicken wohl Verschiedenheiten und steigende Verbesse- rungen, der Gedanke jedoch, den Gurt- querschnitt in den verschiedenen Theilen der Trager entsprechend den Spannungen zu halten, welche, wie die Berechnung iebrt, bei parallelgurtigen Tragern von den Tragerenden gegen die Mitte zu- nehmen, erschien bei den alteren Netz- werk-Constructionen noch nicht beriick- sichtigt. Die Gurtungen zeigen hier durchwegs con- stanten Quer- schnitt, also keine oconomi- sche Material- vertheilung. Einen we- sentlichen Fort- schritt fiir die Ausbildung der Gitterbriicken brachte Preš sel im Jahre 1865 in den Normalien der Sudbahn, indem er in den combinirten Gitterwerken —■ eng- maschige Netzwerke, die durch Vertical- stander versteift sind — die auf Zug be- anspruchten Diagonalen aus Flacheisen, die gedriickten aber aus Winkeleisen und Bandern zusammensetzte und ferner die aus Stehblech, Winkeleisen und Lamellen bestehenden Gurte den auftretenden Kraften entsprechend ausbildete. Auch die constructiven Details, namentlich die Anschltisse in den Knotenpunkten, zeigen Neuerungen: Zvvischen beide Stehbleche des Obergurts schaltete Pressel eine drei- eckige Eisenplatte ein, welche den Z\vi- schenraum ausfiillte und die Ankntipfung der Streben so solid als moglich gestaltete. Solche Briicken \vurden zuerst auf der Brennerbahn und der Linie Villach- Franzensfeste durch Prenninger erbaut und dies rationelle System fast bei allen bis in die neueste Zeit her- gestellten Briicken der Sudbahn fest- gehalten. Die 69 m lange D ra ub riick e bei Oberdrauburg mit ihrem sechs- fachen Netzwerk, der Festungsviaduct iiber den Eisack beiFranzensfeste, bei welchem die weiteste der 13 Oeffnun- gen mit einem 50 m langen vierfachen Gitterwerk uberspannt ist,*) die 60 m lange Rienzbrticke bei V i e n 11 gleicher Construction sind einige hervorragende Reprasentanten dieser Bauweise auf den Linien der Sudbahn. Aehnliche Gitterbriicken mit steifem Druck- und schlaffen Zugstreben kommen um die Wende des siebenten Jahrzehnts beim Bau der Kronprinz Rudolf-Bahn, [Abb. 146 u. 147] der Salzburg-Tiroler Bahn, der Nordwestbahn und der Staatseisenbahn in bunter Abvvechs- lung mitneueren Typen zur An- ivendung. Na- turlich treten da- bei mannigfache Variationen in Einzelheiten der Construction auf, so in der Ausbildung der Gurten, im Querscbnitt der Druckstreben und daher auch in den Anschliissen der Diagonalen. Eines der grossten, noch. in anderer Hinsicht zu beleuchtenden Objecte dieser Type ist der Iglawa-Via- duct der Staatseisenbahn-Gesellschaft, dessen 375'5 m langer Trager auf fiinf eisernen Zwischenpfeilern das weite Thal des lglawaflusses iiberspannt. In den Sechziger-Jahren wurden die weitmaschigen Fachwerke den engma- schigen immer mehr vorgezoeien. Die Diagonalen riickten immer weiter aus- einander und zu Ende dieses Decenniums kamen die einfach gekreuzten Gitterwande zur Aufnahme, bei welchen einfache Stabkreuze mit schlaffen Zug- und steifen Druckstreben, durch verticale Stander getrennt wurden. Diese Fachwerkstrager zeichneten sich durch besondere Steifigkeit aus und erleichter- ten durch die verticalen Stander die An- kntipfung der Querverbindungen, und zwar Abb. 149. Bogensehnentrager, Fella-Briicke. [Tarvis-Pontafel.] *) Vgl. Abb. 54 und 55 i Bd. I, 2. Theil. Briickenbau. 289 Geschichte der Eisenbahnen. II. 19 Abb. 150. Trisana-Viaduct. (Nach einem Original-Aquarell von Anton Hlavaček.] Josef Zuffer. 29O sowohl der Quertrager bei unten liegender Fahrbahn als auch der sonstigen Querver- steifungen bei Bahn »oben«. Solche Fach- werke mit gekreuzten Diagonalen und mit Verticalen erinnern in der Silhouette \vieder lebhaft an den alten FIowe’schen Trager, \venn auch weder das Material noch die Functionen der einzelnen Glieder und die Verbindung der Theile etwas mit der alten abgethanen Construction gemein haben. Die genannten constructiven Vor- theile dieses Fachwerkes und die verhaltnis- massig einfache Ausfiibrungsvveise sicherte dieser Tragertj^pe, die sich bis zu 50 m Spannvveite rationell vervvenden lasst, die weitestgehende Verbreitung auf ali en Bahn- linien bis in die neueste Zeit undbesonders auf den alten Linien \vurde sie gern an Stelle der Schiikornbrucken eingeftihrt. Die Erkenntnis, dass die Scheerkrafte, welche von den Wandfiillung:safliedern iibernommen werden, in der Nahe der Tragerenden nur in einem Sinne \virken, fiihrte dazu, dass man in dem vorge- nannten Faclnverk die auf Dr.uck be- anspruchten Diagonalen ausliess und so zu einem System gelangte, in welchem die gegen die Mitte nach abwarts fallen- : den Bander die Zugspannungen, die j verticalen Stander die Druckkrafte iiber- | nahmen. Nur fiir die mittelsten Theile, wo 1 die Scheerkrafte ihre Richtung wechseln und die Zugbander daher auch auf : Druck beansprucht werden, ordnete man Gegendiagonalen an, wenn man es nicht | vorzog, in diesem Theil statt der flachen Bander kostspieligere, steife Streben ein- ! zufiihren. .Die Vortheile, die dieses von !. M o h n i č in Deutschland zuerst construirte i einfache, u n s y m m e t r i s c h e F a c h- j werk bot undwelchein der einfachen Aus- I fiihrungsweise sowie in dem geringen ! Materialaufwand bestehen, verschafften I dieser Briickentype in Oesterreich raschen | Eingang. Im Anfang der Siebziger-Jahre i fiihrten fast alle Bahnen das einfache : Mohnie’sche Faclnverk fiir Briicken bis zu \ 40 m Lichtweite ein und bei grosseren Wei- | ten \vurde das zweifache Mohnie’sche I Fachwerk, das sich als Combination von zwei einfachen darstellt, verwendet. Leider wurde aber das einfache Mohnič’sche Faclnverk bei einzelnen kleineren Briicken nicht genug kraftig ausgefiihrt. wie dies mit Riicksicht auf die ohnehin wenig zahlreichen Tragertheile geboten gewesen ware, und die gestei- gerten Verkehrslasten sowie das ungleich- artige Material verschiedener Provenienz brachten diese Constructionen bald in Ver- ruf, bis der am 5. October 1886 erfolgteZu- sammenbruch der Brucke iiber die Brixner AachebeiHopfgarten das einfacheMohnie- sche Faclnverk als Paralleltrager ausge- bildet, endgiltig aus der Liste der in Oester¬ reich beliebten Bruckensysteme strich. Wahrend wir daher das einfache Mohnie’sche Fach\verk heute nur ganz vereinzelt antreffen, ist das doppelte Mohnič’sche Fachwerk in ausserordent- lich grossen Briicken vertreten. Die heute bereits durch Einziehen von steifen Gegen- streben verstarkte Donaubriicke der Kaiserin E 1 i s a b e t h - B a h n bei Steyregg, die in fiinf 76’3 ^wweiten Oeff- nungen den Strom iibersetzt, die Elbe- briicke der Nordwestbahn beiAus- s i g mit den drei Oeffnungen zu circa 74 m, die 797 m weite Donaucana 1 -B r ti c k e der Staatseisenbahn in Wien und die 80 m weite, ebenfalls verstarkte D r a u- briicke auf der Linie Unter-Drauburg- Wolfsberg sind einige hervorragende Beispiele dieser Constructionsweise. Das Streben nach weiterer Material- I ersparnis bei Briicken fiihrte K o s 1 1 i n j und Battig im Anfang der Siebziger- Jahre zur Aufstellung der Type der j Trapeztrager, in dessen mittleren Theil der Obergurt parallel zum unteren verlauft, an den Enden aber schrag herab- gefiihrt ist. Die Wandglieder zeigen bei kleineren Briicken das System der ein¬ fachen unsymmetrischen Faclnverke, vvahrend bei grosseren Brucken im mitt¬ leren Theile Gegendiagonalen verwendet wurden. Der Wegfall der Endstander und die Verminderung der seitlichen Wand- fiillungen bildeten hier -eine Ersparnis gegeniiber den bis dahin meist vervven- deten parallelgurtigen Tragern, die nur zum Theil durch die Nothwendigkeit, den Obergurt zu verstiirken, aufgewogen wurde. Fiir die Moldaubriicke der P r a g e r Verbindungsbahn mit fiinf Oeffnun¬ gen zu je 56'9 im Jahre 1872 erbaut, weiter fiir mehrere, bald darnach aufgestellte Briicken der Niederosterreichischen Briickenbau. 291 Slidwestb a Imen und ebenso fUr dieflinf, je 40 m weiten Stromoffnungen der D n i e- sterbrucke auf der Linie Stanislau- Husiatyn kamen Trapeztrager zur Vervvendung. Alle diese Trager wurden in den letzten Jahren durch Einfiigung von steifen Gegenstreben verstarkt. [Abb. 148.] Eine kleine Variante der Trapeztrager zeigenzwei auf der Lemberg-Czernowitzer Bahn nach R a i 11 y construirte Briicken von 19—20 m Spannweite, bei welchen dem Bau der Illbrilcke der V o r a r 1 - berger Bahn ihren Einzug hielt, be- schenkt. Wohl kann man Oesterreich als die Heimat der Eisenbriicken mit ge- krummten Gurten durch die genannten Leistungen von Hoffmann undMaders- p a c h in den Dreissiger-Jahren bezeichnen, aber als ge n i e t et e Fachwerktrager traten sie bier erst im bezeichneten Jahre auf, freilich um desto rascher und siegrei- cher durchzudringen. Unter zweitausend Abb. 151. Trisana-Viaduct [im Bau]. sich die Abschragung des Obergurts beiderseits nur liber das letzte Fach der Tragwand erstreckt. Charakteristisch ist bei diesen zwei Briicken die Ausbildung der Quertrager, welche aus einem Spreng- werke bestehen und durch Bolzen, die auf den .Untergurten der Haupttrager ihr Lager besitzen, charnierartig mit den Haupt- tragern verbunden sind. VonDeutschland aus, welches dem Bau der Gliederbriicken von j eh er grosse Aufmerksamkeit vvidmete und besonders auf Materialersparnis hinarbeitete, wurde Oesterreich mit einem neuen Systeme, den Briicken mit gekriimmtem Gurt, deren erste im Jahre 1870 bei Briickenoffnungen, die heute in Oesterreich von gegliederten Tragern iiberbriickt sind, haben v i e r h u n d e r t Felder krumm- gurtige Trager erhalten. Die Bedeutung der Gurtkriimmung liegt darin, dass es auf Grand des Ein- blickes in das Spiel der Krafte moglich ist, durch die Gestaltung des Tragers selbst gewisse Bedingungen fiir die Wirk- samkeit der Krafte und der durch sie geweckten Spannungen zu erfiillen und damit fiir die praktische und oconomische Ausfiihrung gewisse Vortheile zu erreichen. So ergab die Theorie, dass bei Tragern, von den en beide oder auch nur ein Gurt parabolisch gekriimmt ist, die Span- 19* 292 Josef Zuffer. nungen in den Gurten nahezu oder vollig constant bleiben, so dass derselbe Gurt- querschnitt und daher concentrirtere Gurt- formen angewendet werden konnen und dass ferner die Spannungen in den Wand- fiillungsgliedern wesentlich reducirt wer- den. Hiedurch ergab sich eine Material- ersparnis bis zu 20°/ 0 gegeniiber den Paralleltragern, wenn auch die Schvvierig- keiten der Erzeugung des gekriimmten Gurts, namentlich bei kleineren Briicken, den oconomischen Effect etwas ein- schrankten. Die sogenannten Bogensehnen- trager, bei welchen iiber dem geraden Untergurt ein parabolischer Obergurt auf- gebaut ist, kamen wegen der Schwierig- keiten in der Durchbildung der beider- seitigen Endans.chliisse und Anknupfung der Endquertrager nur seltener zur An- wendung. So u. A. bei einigen bis zu 20 m iveiten Objecten auf der Linie Kr i e gsd orf-Ro m ers t a d t und Tar- vis*Pontafel. [Abb. 149.] Eine ausserordentliche Bedeutung ge- wannen dagegen die sogenannten Halb- parabeltrager, bei \velchen diese schwierigen Anschliisse vermieden sind, indem der Trager beiderseits durch ver- ticale Stander abgeschnitten wird, wo- durch sich auch bei grosseren Licht- weiten und daher bei grosseren Trager- hohen die Moglichkeit ergibt, die beiden Obergurten in der ganzen Lange, zur Erzielung grosserer Steifigkeit, durch Querverbindungen zu verspannen. Diese Halbparabeltrager verbinden den Vor- theil geringerer Spannungen in den Aus- fachungen, also den Vortheil der Material- ersparnis der reinen Parabeltrager mit der leichteren Ausfiihrbarkeit der Parallel- trager. Beziiglich der Anordnung der Wand- ftillungsglieder wurde der Halbparabel- trager meist nach dem Mohnie’schen System, und zvvar bis zu 50 m als einfaches, dariiber hinaus jedoch als doppelt un- symmetrisches Fachwerk ausgefiihrt, mit schlaffen Zugbandern und steifen Verti- calen, obwohl auch friihzeitig das einfach gekreuzte symmetrische Fachwerk mit Verticalen auftrat. So war die von Har- kortimjahre 1870 gebaute Illbriicke der Vorarlberger Bahn mit 38 m Spanmveite nach dem einfach en Mohnie’schen Sy- stem, die von Hermann imjahre 1872 an Stelle der eingestiirzten P r uthb r ii c k e bei Czernowitz*) sowie fiir die D n i e- sterbriicke bei Jezupol mit vier, respective fiinf Oeffnungen zu je 5^'9 m nach dem zuletzt genannten Fachwerk ausgefiihrt und ebenso erhielt die grosse Donaubriicke der Nordbahn bei Wien, imjahre 1873 erbaut, Halbparabel- trager mit zweifachem Mohnieschem Fachwerk. Vom Ende der Siebziger-Jahre an, wo unter anderem auch fiir den Donaucanal bei N u s s d o r f eine 88'95 m weite Briicke ahnlicher Construc- tion erbaut wurde, fand dieses Trager- system eine immer allgemeinere Verbrei- tung. [Vgl. Abb. 116 und 117, Bd. I, 2. Theil.] Das Schlottern und Schcvanken der langen Zugbander bei der Befahrung der Briicken fiihrten spater dazu, auch die blos auf Zug beanspruchten Streben steif zu profiliren, um so eine grossere Starr- heit der Construction zu erzielen. Bei ein- zelnen Briicken wurden zuerst blos die sammtlichen Glieder des Mitteltheiles — wo Zug und Druck wechseln — steif ausgebildet; bei zahlreichen Gittertragern, vornehmlich auf den Linien der k. k. Staatsbahnen, finden wir aber heute Halbparabeltrager, welche mit durch- wegs steifem Fachwerk ausgestattet sind, miigen dieselben nach dem einfachen oder doppelten Mohnie’schen System oder auch als symmetrische Fachwerke mit gekreuzten Diagonalen und Verticalen ausgefiihrt sein. Diese Constructions- weise, in Verbindung mit starken, breiten Gurten und steifen Windki'euzen, verleihen den Tragwanden solcher Briicken eine, ivenn auch mit hoheren Kosten erkaufte Steifigkeit und Ruhe, welche die Briicken auch unter dem rollenden Zug nicht ins Schwanken kommen lasst. Der grosste Flalbparabeltrager, mit zweifachem Mohnie’schem Fach- werkausgeriistet, dessen sammtliche Theile — ausser den Zugdiagonalen — steife Profile erhielten, iiberbriickt, 120-mlang, die Mitteloffnung des Trisana-Via- ductes auf der Arlbergbahn. [Abb. *) Vgl. Abb. 379, Bd. r, 1. Theil. Brlickenbau. 293 150 und 151.] Die Tragwande dieses zweit- grossten Balkentragers Europas sind in der Mitte 16 m hoch. Auch die 80 m weite Con- struction iiber die Oetzthaler Aache im Zuge derLinie Innsbruck-Landeck [Abb. 152], die 100 m, beziehungsweise 89 m weiten E t s c h b rii c k e n bei Gmiin d und St. Mi- chele der Linie Božen- Ala, sind als Halbparabel- trager mit sol- chem, theil- weise steifem Fachwerk er- baut. Halbpa- rabeltrager mit vollstandig steifen F ti 1 - lungsglie- d e r n zeigen unter Anderen die 60 m weite Brucke iiber den Gruber- canal bei Laibach derLinie Laibacli- Rudolfs werth, die Pruthbriicke bei Przerwa der Lemberg - Czerno- witzer Bahn mit Oeffnungen bis zu 66'9 m Weite, die Isonzobriicke auf Monfalcone - Cervignano mit sie- ben Oeffnungen zu je 50 m Weite [Abb. 153 a und 153 b], die 54^4 m weite, zwei- massgebend, bei welchem sich die Fahr- bahn oben befindet und daher der ab- \varts gekrummte Parabeltrager iiberdies die Moglichkeit einer leichteren V ersteifung durch Querverbindungen zulasst. Diese Construction bot auch einen besonderen Vortheil als Ersatz holzerner Balken- briicken, weil sie wie diese eine geringe Auflagerhohe erfordert und auch der Ab- stand der bei- den Trag- wande sich wenig von der Geleisweite entfernt. Es konnten daher die vorhande- nenWiderlags- mauern der Holzbriicken ohne wesent- liche Umge- staltung zur Aufnahme der Eisenbriicken bentitzt werden. Dieser Grund \var fur die Nordbahn massgebend, als sie im Jahre 1873 den Fischbauchtrager bei der 27-5 m weiten Marchbrucke bei Na- pagedl einfiihrte. Ihr folgten unter An¬ deren die Staatsbahnen mit der 1879 erbauten, 20 m \veiten Brucke bei Kunau Abb. 152. Brucke iiber die Oetzthaler Aache. [Innsbruck-Landeck.] [Nach einer photographischen Aufnahme von C. A. Czichna, Innsbruck.] Abb. 153 a. Isonzo-Briicke im Bau. [Monfalcone-Cervigmano.] [Nach einer photographischen Aufnahme von Corte Sebastianutti-Benque, Triest.] geleisige beschotterte Briicke iiber die Hernalser Hauptstrasse im Zuge der Vorortelinie und ferner die 69 m weite Donaucanal-Brucke in Hei- ligenstadt der Wiener Stadtbahn. [Abb. 154.] Dieselbe Constructionsidee, welche den Bogensehnentragern zugrunde lag, war auch fiir den Fischbauchtrager auf der Linie Erbersdorf-Wiirben- thal, und im Jahre 1885 mit der 46 m weiten Gurkflussbriicke bei L a u n s- d o r f auf der Linie St. Valent in - Pon¬ ta f e 1, durchwegs Constructionen mit steifen Standern und einfach gekreuzten schlaffen Zugbandern. Auch hier fiihrte die Schwierigkeit des Zusammenschlusses der beiden Gur- 294 Josef Zuffer. Abb. 153b. Isonzo-Briicke. [Monfalcone-Csrvignano.] tungen zu einer Abkappung, so dass eine Art hangender Halbparabel- t r a g e r entstand. Viele derartige Briicken wurden mit einem einfach gekreuzten Sy- stem von Zug- utid Druckdiagonalen so- wie mit steifen Standern ausgestattet, wie beispielsweise die an Stelle der Schifkorn- brticken getretenen hangenden Halbpa- rabeltrager der Iserbriicke bei Rakaus [vgl. Abb. 366 und 367, Bd. I, 1. Theiljund in neuesterZeit die Dniesterbriicke bei Zaleszczyki. [Abb. 155.] Wieder an- dere Briicken dieser Gattung wie auf der Mahrisch-Schlesischen Cen- tralbahn wurden mit gegen die Mitte nach abwarts fallenden schlaffen Zug- bandern ausgefuhrt. Das Streben nach steifen Constructionen liess die k. k. Staatsbabnen bei zahlreichenObjecten im entgegengesetzten Sinne gestellte Druckdiagonalen anordnen. Unter die- sen ist wohl die 60 m lange Ueberbriickung der mittleren Oeffnung des Landecker Viaducts iiber den Inn f 1 us s [Abb. 156] die bedeutendste. Aesthetische Riicksich- ten fiir die Ausftihrung der Wandfiillungs- glieder dieser Trager waren auch dahin massgebend, dass man die Maschenweite vom Ende gegen die Mitte zunehmen Hess, um die Abvveichungen in den auf- einander folgenden Strebenwinkeln mog- lichst gering zu machen. So hat die letztgenannte Innbrucke im mittleren Theile bis zu 7 m weite Maschen. Auch andere Staatsbahnlinien, wie Stryj- B e s k i d [hier der Opor-Viaduct mit 5 je 40 m weiten Oeffnungen], Iglau- Wessely undPilsen-Eger sowie die Y b b s th a 1 - B ahn [Abb. 157] u. a. m. zeigen Beispiele dieser Constructionen. Mit regem Interesse wurden die raschen Fortschritte anderer Lander im Briickenbaue verfolgt und durch neue vermehrt. Der in Deutschland aufge- tretene Schwedlertrager, welcher der Forderung entsprach, dass die Diagonalen gar keine Druckspannungen erleiden, dessen Obergurt im mittleren Theile ge- rade, an den Enden aber hyperbolisch ge- kriimmt ist und der in der Ausftihrung eine Materialersparnis von 25—30°/o ofeseniiber dem Paralleltrag;er zuliess, 00 o — r 1 wurde von der Staatsbahn-Verwal- t u n g auf der Linie Spalato-Knin und Perkovic-Slivno in Weiten bis zu 38 m ausgefuhrt. Auch auf den Linien U nt er-D r aub urg-Wo lf s b er g, Tar- vis-Pontafel und OšwiQcim-Pod- gorze wurden die Schwedlertrager in ahnlichen Weiten angewendet; wegenihres unschonen Aussehens waren sie jedoch nie sonderlich beliebt und fanden aus diesem Grunde auch keine weitere Verbreitung. In der Materialersparnis und in der Form dem Schwedlertrager ahnlich, \var der von F. Pfeuffer im Jahre 1880 bei der Staatseisenbahn-Gesellschaft eingeftihrte E11 i p s e n t r a g e r, der vor Stadlau den Donauarm mit 60 m Spannweite iibersetzt und dem einige andere Briicken mit ahnlicher Lichtweite nachfolgten. [Abb. 158.] Schon im Jahre 1858 fand in Oester- reich der zuerst in Frankreich getibte Bau coirtinuirlicher Trager, so u. A. bei den grossen Briicken der Kaiserin- Eli s ab eth-B ahn und S iidb ah n. [Vgl. beispielsweise Abb. 334, Bd. I, 1. Theil.] Eingang, wo parallelgurtige Gitterbriicken iiber drei bis fiinf Oeffnungen weggefiihrt wurden. Indem die in der Tragermitte aufliegenden durchbiegenden Wirkungen der Last durch die iiber den Pfeilern erzeugten Biegungen entgegengesetzten Brilckenbau. 295 Sinnes abgeschwacht wurden, ergab sich bei solchen continuirlichen Tragern, und zwar bei Stutzweiten von mehr als 25 m, eine betrachtliche Materialersparnis gegentiber den so beliebten, frei auf- liegenden Briicken. Auch machten diese Trager ein eigenes Montirungsgertiste uberflussig, da sie vom Lande her tiber die Pfeiler eingeschoben vverden konnten, eine Montirungsweise, die spater aller- dings mit Riicksicht auf die unvermeid- liche grossere Materialanstrengung im Trager sich als wenig empfehlenswerth erwies. Die Tabelle [S. 299—302] zeigt die grosse Zahl continuirlicher parallel- gurtiger Trager, die auf unseren Bahnen in Beniitzung stehen. Mit der Erkenntnis aber, dass die schwer zu vermeidenden kleinsten Aende- rungen in der Hohenlage der Sttitzpunkte, wesentliche schadliche Nebenspannungen in dem Trager hervorrufen konnen und mit der Einfiihrung krummgurtiger Trager und der durch sie erzielten Material¬ ersparnis, verloren die continuirlichen Trager wieder an Bedeutung. Gerber in Deutschland war es indessen gelungen, in seinem Gelenk- trager die Vortheile der continuir¬ lichen Trager beziiglich der Material¬ ersparnis und der von dem Geriiste unabhangigen Montirungsweise zu ver- einigen und doch den Nachtheil jener Unbestimmtheit zu eliminiren, welche die wechselnde Hohenlage der Sttitzpunkte in die Gonstruction hineintragt. Er er- zielte dies dadurch, dass er beispielsweise bei einem tiber drei Felder reichenden Trager in der mittleren Oeffnung zwei Gelenke einschaltete, so dass der ganze Trager aus einem frei aufliegenden mittleren Tlieile und zwei seitlichen, tiber einen Stiltzpunkt hinausragenden Theilen bestand. Dieser Trager mit frei schwebenden Sttitzpunkte n bil- dete den Ausgangspunkt des Brucken- systems der A u s 1 e g e r- und Krag- brucken, welchem die imposantesten modernen Bruckenbauten der Welt ange- horen und das auch in Oesterreich in der im jahre 1889 unter Bischoff von Klammstein erbauten Moldaubrucke bei C e r v e n a, im Zuge der Linie Tabor-Pisek der B o h m is ch-Ma h ri- schen Transversal-Bahn, einen achtunggebietenden Vertreter gefunden hat. [Abb. 159 a und 159 b.] Dieses grossartige, von Ludwig H u s s projectirte und nach dessen sowie den Planen O. Meltzer’s u. A. ausgefuhrte Bauobject, rechtfertigt eine nahere Be- sprechung. Abb. 154. Donaucanal-Briicke in Heiligenstadt. 296 Josef Zuffer. Das Moldauthal besitzt an der Ueber- setzungsstelle eine Breite von 300 m und eine Tiefe von 67 m. Als wirthschaftlich vortheilhaftesteUeberbriickung erwies sich die Untertheilung der Thalweite durch die Einstellung von zwei Mittelstiitzen, welche 58 und 62 m hoch aus Stein auf- gefiihrt wurden, um der Eisenconstruction einerseits moglichst unnachgiebige Stiitz- punkte zu schaffen und andererseits von der nothwendigen, standigeii und eingehenden Ueberwachung so hoher Eisenpfeiler enthoben zu sein. Als Con- structions-Šystem fiir die Tragwande des Viadučtes war wohl urspriinglich kein continuirlicher Gelenktrager vorge- sehen; aber die grossen Schwierigkeiten des Einbaues einer Geriistung fiir die Mitteltrager. Die 10 m hohen Wande aller drei Trager zeigen das System eines Paralleltragers mit einfach symmetrischem Fach\verk, so dass das aussere Bild des ganzen Briickentrag\verkes riicht auf einen Gelenktrager schliessen lasst. Die Lager fiir den Mitteltrager befinden sich in. halberHohe der verticalen Stander, welche die Construction der beiden Arme der Auslegertrager abschliessen. Die Maschen- \veite jedes der drei Trager betragt 8'44 m. Bei dieser grossen Maschen- weite der Haupttrager waren die eisernen Langstrager, auf denen die i - 4 m unter der Oberflache des Obergurts liegende Fahrbahn ruht, sehr schwer geworden und dieser Umstand veranlasste eine Untertheilung der Fahrbahn durch Ein- sm aggff Abb. 155. Dniesterbriicke bei Zaleszcz} r ki. [Linie Lužan-Zaleszczyki.] [Nach einer photographischen Aufnahme von F. Javvorski in Lemberg.J Montirung der Eisenconstruction im Mittel- felde der Brucke, und zwar einestheils wegen der felsigen Flusssohle und andern- theils wegen der auf der Moldau lebhaft betriebenen Flossschiffahrt, drangten zu einem Tragersystem, bei dem die Her- stellung von Montirungsgeriisten ent- behrlich wird. Diesen Vortheil konnten nur Aus¬ legertrager bieten, und so wurde dieses Constructionssystem den bestehen- den osterreichischen Briickentypen ein- verleibt und die freischwebende Montirungsweise ebenfalls zum ersten Male in Oesterreich angewendet. Die Eisenconstruction fiir die drei je 80 m weiten Viaductoffnungen besteht aus drei Theilen, namlich aus den beiden 10972 m langen seitlichen, auf den Widerlagern . und den Zvviscbenpfeilern aufruhenden Consoltragern und aus dem auf letzteren lagernden 3376 m langen fuhrung von Zwischenverticalen, welche sich in den Kreuzungspunkten der ge- neigten Wandglieder auf letztere stiitzen und ebenfalls zur Aufnahme von Quer- tragern dienen. Die Materialersparnis bei dieser Constructionsweise betrug rund 80 1. Die Vergebung der 970 t schweren Eisenconstruction, \velche durchwegs, sammt den Nieten, aus basischem Martin flu s seisen besteht, erfolgte | im Marž 1889 an die Pr a ger Brucken- bauanstalt und an die P r a g e r Ma¬ st h i n e n b a u - A c t i e n g e s e 11 s c h a f t. Die Ausbildung der einzelnen Briicken- glieder war projectgemass so vorgesehen, dass dieselben in den Werkstatten der | Hauptsache nach fertig zusammengestellt werden konnten, so dass auf dem Bauplatze blos die erganzenden Arbeiten und die Verbindung der einzelnen Glieder mit einander zu besorgen war, ein Vorgang, der heute allgemein iiblich ist. Auf diese Briickenbau. 297 Abb. 156. Innthal-Viaduct bei Landeck. [Landeck-Bludenz.] [Nach einer photographischen Aufnahme von C. A. Gzichna, Innsbruck.] 298 Josef Zuffer. Weise wurde es moglich, von den 329.00O Meten, welche in der Construction stecken, 244.000 bereits in den Werkstatten ein- zuziehen; auf dem Bauplatze war demnach nur mehr der vierte Theil der gesammten Nietarbeit zu leisten. Die Zusammenstellung der Briicken- construction, welche Ingenieur Oskar M e 1 1 z e r leitete, erfolgte in den beiden mit den Tragarmen stattfinden, was durch eine Verlaschung der beiden Obergurte und durch Ansetzen von Schraubenwinden zwischen den Untergurten bewerkstelligt wurde; als Gegengewicht fiir die frei- schwebenden Theile des Mittelfeldes dienten die beiden Seitenfelder. Am 22. October 1889 erfolgte der Zusammenschluss der beiden Briicken- Abb. 157. Brucke bei Waidhofen. [Ybbsthal-Bahn.] Seitenoffnungen auf festen Geriisten [vgl. Abb. 159 a] in der tiblichen Weise, von den Z\vischenpfeilern aus aber freischvvebend, wobei ein fahrbarer Geriistkrahn das Zu- bringen, Heben, Herablassen und Ein- schwingen der oft 8 bis 14 m langen und 4 t schweren Briickenglieder besorgte. Bei der frei- schvvebenden Mon- tirung, dem schwie- rigsten und gefahr- lichsten Abschnitte der ganzen Aufstel- lungsarbeit, \vurde immer zuerst das be- treffende Untergurt- stiick vorgelegt und auf diese Weise so- wie mit Hilfe einer Spannstange, welche an dem vorderen Ende des verlegten Untergurtstuckes und am vor¬ deren Ende des letzten Obergurttheiles be- festigt war, ein fester Boden geschaffen ; auf dem Uptergurte schob man dann ein Geriist vor und bildete so eine Btihne fiir die Arbeiter. [Abb. 159 b.] Bei der Montirung des Mittelfeldes musste selbstverstandlich eine proviso- rische Verbindung dieses Bruckentheiles halften und das Werk war vollendet, das als ein dauerndes stolzes Denkmal osterreichischer Baukunst dasteht. Die specifischen Vorziige, \velche den verschiedenen bisher genannten, im Laufe der Zeit auf unseren Bahnen eingefiihrten gegliederten Tragern eigen sind, die alle infolge der verticalen Driicke, die sie wie ein gestiitzter Bal- ken auf ihr Auf lager ausiiben, zu den B a 1 - kentragern ge- zahlt werden, die wechselnden ort- lichen Verhaltnisse, oft auchblos dieVor- liebe des Constructeurs, waren bei der Wahl des jevveilig anzunehmenden Systems be- stimmend, weshalb wir heute den mannig- fachsten Typen von eisernen Balkentragern auf den osterreichischen Eisenbahnen begegnen, wie dies die folgende Tabelle \veit gespannter Balkenbrticken illustrirt. In diese Uebersicht wurden die bedeuten- deren, iiber 50 m weit gespannten Briicken mit eisernen Balkentragern aufgenommen. Briickenbau. 299 Uebersicht einiger ilber 50 m voeitgespannter Briicken mit eisernen Balken- trdgern auf osterreichischen Strecken. 300 Josef Zuffer. Brucken-bau. 301 302 Josef Zuffer. Bruckenbau. 303 Die Bogentrager, welche schon friihzeitig bei Strassenbriicken in Oester- | reich Verwendung gefunden hatten, treten erst spat und vereinzelt im Dienste der Eisenbahn auf. Sprach auch die schone schlanke Form, \velche diesem Trager eigen ist, zu ihren Gunsten, so stand ihrer Verwendungdoch vvieder derNachtheil ent- gegen, dass sie ungleich mehr Eisen- materialbeanspruchten, als diegegliederten Balkentrager, dass ferner ihr grosser, auf das Auflager ausgeiibter Seitenschub ein sehr starkes und kraftig fundirtes Wider- lager fordert. zu je 52‘5 m, wobei die drei Geleise durch je vier Trager unterstutzt werden. Dieses Constructions-System fand auch bei der Donaucana 1 -B r ii c k e der W i e n e r Verbindungsbahn, die die alte Ketten- briicke ersetzte, ferner in jiingster Zeit unter Anderem bei der 56 m breiten Ueber- setzung der H eili gen stadter-Strasse im Zuge der G ii r t e 11 i n i e der W i e n e r Stadtbahn V er wendung. Eine r e i n e B o g e n c o n s t r u c t i o n, bei \velcher die Last des die Fahrbahn tragen- den Obergurtes durch verticale Stander auf die Blechbogen tibertragen wird, tritt Abb. 150 a. Moldaubrucke bei (Servena [im Bau]. Imjahrei858 baute v. Ruppert in Ungarn die erste Bogenbrticke iiber die Theiss bei S z ege din, welche Brucke acht Oeffnungen zu je 42'3 m Weite um- fasst.*) Hier ist der kreisformig gebogene schmiedeeiserne Untergurt mit dem Ober- gurt durch Wandfiillungsglieder verbun- den, wodurch ein sogenannter Zwickel- bogentrager entstand und die doppel- geleisige Fahrbahn wird durch vier solcher Bogen unterstutzt. Auf osterreichischem Boden erbaute Etzel die erste Bogen- brucke derselben Construction bei M a r- burg, im Jahre 1865 mit drei Oeffnungen *) Vgl.-Abb. 325, Bd. I, 1. Theil. uns in den schongegliederten Objecten der Wiener Stadtbahn bei der Uebersetzung der Doblinger Hauptstrasse im Zuge der Gurtellinie, ferner der Richt- hausen- und Nussdorfer S tras s e im Zuge der Vorortelinie, bis zu Weiten von 36 - 4 m, entgegen. Im Gegensatz zu den ursprunglich gegen starre Lager gestemmten Bogen, erhalten die Fusspunkte der Bogen seit den Sechziger-Jahren Lagerstuhle mit G el en k en, wodurch eine Gentralisirung der Angriffspunkte in den Kampfern und eine Herabminderung der schadlichen Temperaturwirkungen erzielt wird. Die Vorschlage des osterreichischen Ingenieurs 3°4 Josef Zuffer. Hermann, auch im Scheitel des Bogens Gelenke anzubringen und so jedwede statische Unbestimmtheit der Construction sowie die schadliche Einwirkung von Montirungs- und Temperaturspannungen zu beseitigen, kamen \vohl bei Strassen- briicken, \vie bei- spielsweise bei der noch jetzt bestehen- denStiegerbriicke iiber den Wienfluss in Wien und bei einer Laibachfluss- brucke in L a i- bach zur Verwen- dung, fanden aber fiir Eisenbahn - Briicken \vegen der starken Senkung im Scheitel keine Aufnahme. DieUebersetzung von Fliissen und Canalen mit Schiffahrtsverkehr erfordert bei niedrig liegender Brtickenbahn be- weglich eingerichtete Tragwerke, die j geschlossen dem Bahnverkehr dienen, | dagegen in geoffnetem Zustande die | Durchfahrt derŠchiffe gestatten. InOester- | \vay-, im Jahre 1886 aber fiir den E i s e n- bahn-Verkehr der Riva-Bahn einge- richtet wurde. Ein 18 m langer Blechtrager ruht auf beiderseitigen Widerlagern und einern Zapfen, der den Trager in einen 13 m langen, den Canal iiberbriickenden Arm und einen 5 m langen Ballastarm unter- theilt. Die Schvven- kung der Brucke er- folgt durch einen ausserhalb derselben in Bewegung ge- setzten Mechanis- mus. Eine ahnliche Constructionsweise zeigt die Drehbriicke im Hafen von Pola [Abb. 163], \velche die Oliven- insel mit dem Fest- lande verbindet und j ene im Zuge der Bahn Bregenz-Lindau, welche die I4'8 m breite Zufahrt vom Bodensee zum Trockendock absperrt. [Abb. 164.] Mit der Entwicklung der eigentlichen Trag\verke der osterreichischen Bahn- Abb. 159 b. Montirung der Moldaubrucke bei Červena. Abb. 160. Donaubriicke bei Krems a. D. [Herzogenburg-Krems.] reich besitzen \vir von den verschiedenen Arten beweglicher Tragwerke nur die Drehbrticken und war die erste dieser Art die im Jahre 1857 von der k. k. Seebe- horde iiber den Canal Grande in Triest fiir Fuss- und Wagen-Verkehr bestimmte Brucke, die im Jahre 1875 fiir den Tram- briicken, die wir bisher in ihren wesent- lichsten Momenten zu kennzeichnen ver- suchten, hielt auch die Ausbildung der anderen Briickentheile, wie der Con- structionen fiir die Aufnahme der Fahr- bahn, der andenveitigen Querverbindun- gen und der Lagerung der Briicken Briickenbau. 305 gleichen Schritt. Desgleichen traten in der Fundirung der Pfeiler und in der Montirung der Brucken rationellere und oconomischere Methoden auf, wie endlich auch die geklarten Ansichten iiber die Inanspruchnahme des Materials auf die Construction zuriickwirkten und in der Verwendung des Materials selbst einen volligen Wechsel einfiihrten. Die Quertrager werden heute meist als volle Blechtrager, nur bei grosser, zur Verfiigung stehender Constructions- hohe als Gittertrager ausgefuhrt und wird namentlich bei Brucken mit Fahrbahn »unten« und geringer Tragerhohe, welche keine gegenseitige obere Verbindung der Hauptvvande gestattet, auf einen ein Temperaturwechsel von 40 0 C. auf jeder Lagerseite eine Spannung von 25 Tonnen hervorruft, so musste man mit der anfangs getibten f e s t e n Verankerung der Trager, die eine Langenausdehnung nicht zuliess, schlechte Erfahrungen machen. Aber auch bei Einftihrung von Gleitplatten, welche der Ausdehnung des Tragers nur Reibungs - Widerstand entgegen- setzen, wacbsen diese Krafte bei den genannten Tragern auf 2 t, bei 50 m langen Eisentragern sogar auf 10 — 15 A und sind daher im Stande, das Wider- lagsmauerwerk zu zerstoren, sowie schad- liche Spannungen und Verschiebungen in der Construction und in den Sttitzen Abb. 161. Viaduct iiber das Startscherthal. [Segen-Gottes-Okriško.] ausserordentlich kraftigen Zusammen- schluss der Quer- und Haupttrager Werth gelegt. Dieser Umstand, der die seitliche Steifigkeit der Wande wesentlich erhoht, wurde beziiglich seiner Tragweite in den ersten Decennien des Brtickenbaues haufig unterschatzt. Wo immer es die Hohe der Trager iiber oder unter der Fahr¬ bahn gestattet, wird durch Einbau kraf- tiger Querriegel zwischen den Wanden und durch Windkreuze den seitlichen Angriffskraften wirksam entgegengetreten. Zwischen die eisernen Quertrager werden secundare eiserne Langstrager ange- nietet, auf welche erst die holzernen Quer- schwellen ftir die Schiene zu liegen kommen. Die Langenanderung, welche die eisernen Brucken unter dem Einfluss der Temperatur erleiden und welche oft ausserordentlich grosse Krafte in dem Iržiger erzeugt, erforderte eine besondere Ausbildung der Lager. Da schon bei einer 10 m langen Eisenbahn-Construction hervorzurufen. Erst in den Siebziger- Jahren wurden bei den osterreichischen Brucken allgemein die Flachen und Gleit- lager bei grossen Brucken eliminirt, und die gleitende Reibung in eine rollende umgewandelt, indem W a 1 z e n zwischen die oberen und unteren Lagertheile ein- geschoben wurden. Hoffmann hatte bereits im Jahre 1858 auf der Innbriicke bei Bichelvvang Roli en- lager angewendet. Der Umstand, dass bei grossen und schweren Brucken die Zahl und der Durchmesser der Rollen bedeutend sind [beispielsweise benothigt eine Brucke von etwa 100 111 Weite 6 Stiick Rollen von ungefahr 20 bis 25 cm Durchmesser], die Lagerflache daher sehr gross wird und somit die Gefahr ftir eine ungleichmassige Uebertragung des Druckes auf die Rollen sehr nahe lag, fiihrte zur Einfiihrung der Halb- walzen oder Stelzen, die einen grossen Walzdurchmesser erhielten, so dass bei der Bewegung des Tragers Geschichte der Eisenbahnen. II. 20 3°6 Josef Zuffer. nur ein kleiner Theil der Walzenober- flache zur Abwickelung gelangte, die daher nur einen schmalen Korper benothigten. Indessen kehrte man aus praktischen Griin- den spater wieder zu den Rollen-. lagern zuriick. War aucb der grosse Reibungs- widerstand durch die Rollen und Stelzen beseitigt, so \var doch der Nachtheil vorhan- den, dass bei der Einsenkung gros- ser Brucken deren Stiitzpunkt infolge der starren Ver- bindung der Tra¬ per mit den langen O ^5 oberen Lagerplat- ten nach dem vor- deren Lagerende verschoben wurde, welcher Umstand die gleichmassige Druckvertheilung zen sowie auf Abb. 162. Moldaubriicke bei Mechenic, [Ceričan- Modfan-Dobfiš.] [Nach einer pbotographischen Aufnahme des Hof- uud Kammerphotographen H. Eckert, Prag.] auf Rollen und Stel- die unteren Lager- platten beeintrachtigte und nachthei- lige Inanspruchnahmen des Materials der Brucke wie der Widerlager auftreten liess. Dieser Nachtheil wurde durch die neuartigen Kipplager behoben, welche zwischen der an den Trager fest- genieteten Platte und der auf den Rollen oder Stelzen aiifliegenden Ueberlagsplatte einen eingeschalteten Zapfen zeigen, auf dessen gekrummter Oberflache der Brii- ckentrager wippen kann. Statt eines eigenen Zapfens wird in vielen Fal- len schon die auf den Rollen oder Stelzen liegende Platte entspre- chendgeformt. Die besondere Bedeu- tung, welche sol- che Gelenke fiir das Auflager von Bogenbrticken ge- \vormen haben, \vurde bereits frii- her gestreift. Heute werden nur bei Objecten bis zu 20 m Weite einfache Gleit- lager, von da bis 25 m einfache Rollenlager ohne Kipp-Vorrichtungen, und dariiber hinaus Kipp-Rollen - oder Stelzen- lager angevvendet. Das Material der Lagerstuhle besteht dabei meist aus Guss- eisen, bei den grossen Brucken aus Guss- stahl. Die Ueberbriickung tiefer und breiter Thaler liess die Pfeiler der Viaducte zu Abb. 163. Eiserne Verbindungsbahn z\vischen dem Festlande und der Oliven-Insel im Kriegshafen Pola mit Drehbriicke. Bruckenbau. 307 machtiger Hohe hinanwachsen und machte auch hier bald das Eisen eine gewisse Ueberlegenheit geltend. Dem Vortheil fast volliger Unverwtistlichkeit und ein- facber Erhaltung, der den gemauerten Pfeiler gegenilber dem eisernen aus- zeichnet, steht bei bedeutender Hohe der Nachtheil gegeniiber, dass das grosse Gewicht des Steinpfeilers ein besonders gutes Fundament, eventuell eine Funda- menterbreiterung fordert und dass hie- durch grossere Kosten verursacht werden. Bedeutenden Objecten mit hohen Stein- pfeilern begegnen wir ausser dem bereits genannten Moldau-Viaduct bei Červena Der Iglawa-Viaduct [Abb. 165] Iiberbriickt das 450 m weite Thal des Iglawa-Flusses in der Hohe von 42'7 m iiberdem Wasserspiegel mittelst eines con- tinuirlichen, liber fiinf eiserne Zwischen- pfeiler gefiihrten 5'6 m hohen Parallel- tragers. Die Construction desselben ist die eines vierfaclien Netzwerkes mit schlaffen Zug- und steifen [(_Jformigen] Druck- streben sowie steifen Verticalen, welche in jedem Knotenpunkt eingezogen sind und die als Blechwande ausgebildeten Quer- trager aufnehmen. Diese stlitzenwieder die eisernen Langstrager, auf welchen dicht aneinandergereihte, eiserne Sch\vellen M ' i Abb. 164. Eisenbahn-Drehbriicke Bregenz. [Linie Bregenz-Lindau.] u. a. noch in dem Thaya-Viaduct j bei Znaim [vgl. Abb. 46, Bd. I, 2. Theilj I der Nordwestbahn, dessen 220 m langer Paralleltrager liber drei an 40 m hohe Steinpfeiler hinweggeht, vveiter in dem 87 m hohen T r i s a na - V ia du ct im Zuge der Arlbergbahn mit 5 ° m hohen Steinpfeilern und in dem ebenfalls schon genannten Opor-Viaduct der Strecke Stryj-Beskid mit 28 m hohen Stein¬ pfeilern. Die grossen »gusseisernen Thurm- pfeiler«, die v. Nordling zuerst im Jahre 1854 auf der Orleansbahn in mustergiltiger Weise ausfiihrte, bei denen hohe gusseiseme Saulen durch schmiede- eiserne Verbindungstiicke zu einem thurm- artigen, die Brucke tragenden Aufbau vereinigt šind, erhielten im Jahre 1870 im I g 1 a w a-V i a d u c t bei Eibenschitz auf der Linie Wien-Brlinn unter v. R u p- p e r t und im Weissenbac h-V i a d u c t der LinieTarvis-Laibach von K o s 1 1 i n und B a 11 i g zwei hervorragende Vertreter. o o ruhen. In Abstanden von 62'7 m von Mitte zu Mitte stehen die fiinf eisernen, auf Mauersockeln von - 22 - 4 bis zu 2 7'4 m Hohe ruhenden Zwischenpfeiler, deren jeder ursprunglich aus fiinf gusseisernen, 0’3 m weiten und 35 mm starken Rohren zusammengesetzt war. Je vier Rohren, durch schmiedeeiserne Quertheile etagenformig mit einander verbunden, bildeten eine Pyramide, wah- rend die fiinfte Rohre als Spindel fiir die zum Revisionssteg flihrende Wendel- stiege bestimmt war. Die Lieferung und Aufstellung des Viaductes besorgten die franzosischen Eisenwerke F. Cail & Co. und von Fives-Lille; die eigentliche Briickenconstruction wurde auf dem Lande mit Hilfe von holzernen Zwischenpfeilern montirt und auf die fertigen eisernen Pfeiler geschoben. [Vgl. Abb. 6, Bd. I, 2. Theil.] Im Laufe der Jahre wurden einige feine, aber ungefahrliche Langsrisse an verschiedenen Stellen der Rohrenstander entdeckt, als deren Ursache die ziemlich hefti- 20* 308 Josef Zuffer. gen, durch die '»harte« Fahrbahn be- dingten Erschiitterungen der Eisencon- struction, vorwiegend jedoch die Ein- wirkung des Frostes angesehen \vurde, indem die z\vischen den Rohrwanden und dem festen Betonkern derselben ein- sickernde Feuchtigkeit beim Gefrieren auf die Rohrwande von innen heraus einen bedeutenden Druck ausiibte. Die Rohren wurden an den Enden der Risse arigebohrt, um dem Weiter- greifen derselben vorzubeugen, alle nur einigermassen bedenklichen Stellen durch schmiedeeiserne Ringbander gedeckt und die eisernen Querschwellen durch eichene in entsprechenden Abstanden ersetzt, um das harte Fahren zu beseitigen. Alle diese Vorsichtsmassregeln aber verhin- derten nicht, dass die beunruhigenden, wenn auch unbegriindeten Geriichte iiber die Unsicherheit des Bauwerkes, die schon lange im Publicum circulirten, immer aufs Neue auftauchten, ja durch das behordlich geforderte langsame Befahren des Viaductes neue Nahrung erhielten. Die Gesellschaft entschloss sich daher zu Ende der Achtziger-Jahre, die Pfeiler umzubauen. Ein Ersatz durch Steinpfeiler war, abgesehen von den grossen Mehr- kosten, schon aus dem Grande ausge- schlossen, weil die Fundamente der alten Pfeilersockel der bedeutenden Mehrlast der Steinpfeiler nicht gewachsen gewesen waren. Es wurden daher nach dem Projecte und unter Aufsicht des In- genieurs Franz Pfeuffer die guss- eisernen Pfeiler durch schmiede¬ eiserne ersetzt, welche ohne Behinde- rung des Zugverkehrs und ohne Zuhilfe- nahme eines Gerustes zur Aufstellung ge- langten. [Abb. 166.] Innerhalb des Raumes, den die guss- eisernen Rohrstander jedes Pfeilers be- grenzten, wuchsen die schlanken schmiede- eisernen, im Querschnitt kreuzformigen Stander der neuen Pyramidenpfeiler hinauf, im Ganzen ein ahnliches, etwas schmach- tigeres Bild wie die friiheren Thurmpfeiler bieten. Die grosse Arbeit wurde inner¬ halb sechs Monaten des Jahres 1892 beendet. Nach Beendigung der Pfeiler- montirung wurden die alten Rollenlager, deren jede Tragwand zwei auf jedem Pfeiler besass, entfernt und durch je ein Kipplager ersetzt, wodurch die Wirkung der ausseren Krafte auf die Gonstruction wie auf die Pfeiler mehr concentrirt wurde. In geistreicher Weise wurde die Wirkung der Sonnemvarme ausgeniitzt, um die ganze 373'7 m lange und 1043 t schwere Tragerconstruction ohne weitere Hilfsmittel um 6 cm gegen Briinn zu ver- schieben. Zeitlich morgens wurde namlich die Eisenconstruction gegen das Wiener Widerlager fest abgekeilt, so, dass sich die Trager nur gegen Briinn ausdehnen konnten. Am Abend wurde\vieder das Trag- werk auf dem Briinner Widerlager fixirt und konnte sich daher in der Nacht bei der Abktihlung nur gegen Briinn zu- sammenziehen. Da die damaligen Tem- peraturditferenzen zwischen Tag und Nacht nur gering waren, musste derVor- gang durch einige Tage vviederholt wer- den, bis die Eisenconstruction in der richtigen Lag;e war. Beim Weissenbach-Viaduct [vgl. Abb. 27, Bd. I, 2. Theil], dessen continuirliche Trager von 132 m Lange iiber zwei gusseiserne Rohrenpfeiler hin- weggehen, die aus je vier Rohrstandern von 18, beziehungsweise 27 m Hohe bestehen, blieben die Rohren von An- rissen wie jene des Iglawa-Viaductes bis heute verschont. Dem Umstand, dass jede Tragwand nur ein Auflager iiber jedem Pfeiler besitzt, und die gleichzeitige Hohlbelassung der Rohrstander diirfte wohl diese Ueberlegenheit gegeniiber dem Iglawa-Viaduct zuzuschreiben sein. Eine interessante Anordnung eiserner Pfeiler — die sogenannten Pen de 1 - pfeiler, die bereits bei mehreren bedeu¬ tenden Briicken in Schweden und Deutsch- land zur Aufstellung gelangt waren — er- hielt in jiingster Zeit die Ueberbriickung der Grillowitzer Strasse auf dem Bahn- hofe der Kaiser Ferdinands-Nord- bahn in Briinn. Jede Tragwand ruht hier auf einem gusseisernen Stander, die alle in eine Reihe gestellt sind. Um diese Stander vor den seitlichen Verbiegungen zu bevvahren, welche die Verschiebungen des Tragers infolge der Belastung und Temperatur-Aenderung hervorrufen wiir- den, sind am u n t e r e n und o b e r e n Ende jedes Standers Kugelgelenke einge- schaltet, die seine freie Beweglichkeit Bruckenbau. 309 Abb. 165. Jglawa-Viaduct uach Auswechslung d er Mittelpfeiler [Wien-Brunn.] [Nach einer Photographie von C. Pietzner, Briinn.] 3io Josef Zuffer. und die Einstellung in die Richtung der wirkenden Krafte ermoglichen. Der Vollstandigkeit halber sei noch erwahnt, dass ausser steinernen . und eisernen Zwischenpfeilern auch Holz- joche zur Unterstiitzung von Eisen- briicken verwendet wurden, um die Her- stellung der Objecte zu beschleunigen. Das erste solche Beispiel betrifft die Save- briicke bei Brod, die zweite Brucke mit holzernen Jochen ist die tlber den Mitterbach und kalten Gang auf der Localbahn Schwechat -M a n n e r s - dorf. [Abb. 167.] Die Griindung der P f e i 1 e r, die bei grosserer Wasserti'efe, bei tiefer Lage tragfahiger Schichten und grosser Strom- geschwindigkeit immer eines der schwie- rigsten Probleme gebildet hatte, fand erst die gliicklichste Losung, nach- dem das Eisen diesem Zwecke dienstbar gemacht worden war. Die alteren Fun- dirungsverfahren mittels Spundwanden und Fangdammen, die Pfahlgrtlndungen und die Fundirung mittels Senkkasten, wurden im Eisenbahnbau bald abgelost von den den Einfliissen des Plochwassers fast entriickten Fundirungen mittelst Luftdruck. Die erste pneumatische Fundirung in Oesterreich-Ungarn, das hierin Deutschland vorausging, warjene der Szegediner Theissbriicke unter C. von Ruppe rt im Jahre 1857, nachdem dieses Verfahren in England von Cubitt und Hughes beim Bau der M e d w a y-B r ti c k e bei Rochester erfolgreich beniitzt worden war. In Szegedin bestehen die sieben Rohrenpfeiler der doppelgeleisigen Brucke aus je zwei gusseisernen, 3 m weiten Cylin- dern, die mit Beton ausgeftillt und durch Verstrebungen aus Schmiedeeisen mitein- ander verbunden sind. Jede dieser Saulen \vurde aus i'5 m hohen, mittels Flanschen und Bolzen verbundenen Trommeln herge- stellt. Zum Niederbringen dieser Cylinder erhielten sie schmiedeeiserne Aufsatze mit Luftschleusen, durch welche verdi chtete Luft in die Rohren eintrat und das Wasser theils durch die untere Sohlenschichte, theils durch ein ■ Steigrohr verdrangte. Der innere Raum der Cylinder war zugleich durch die Schleusen ftir die Arbeiter zuganglich gemacht, die das. ausgehobene Material mittels Krahnen hinausbefor- derten. Durch Auflegen von Eisenge- wichten bis 400 Centner und bei gleich- zeitigem Aushub des Materiales im In- neren der Rohren, wurden dieselben in den Boden hinabgedruckt. Nachbeendeter Fun¬ dirung erhielten sie eineFiillungmitBeton. Die Mangel der Rohren griindung, welche vorwiegend in der grossen Zahl der zu versenkenden Rohren lagen und mit welchen die Schwierigkeiten des Ver- setzens der Schleuse behufs Aufbringung neuer Rohrtheile verbunden waren, vermied die. Caisson-Fundirung, bei welcher der zu versenkende, unten offene eiserne Caisson den vollen Umfang des kunftigen Pfeilers erhalt. Zwei oder drei Rohren mit oben befindlichen Schleusen ftihren dem Caisson die comprimirte Luft zu und vermitteln den Zugang der Arbeiter. Die eigentliche Mauerung des Pfeilers erfolgt oberhalb der Caissondecke unter dem Schutze eines Blechmantels in dem Masse, als der Cais¬ son niedersinkt. Dieses Verfahren, zuerst von dem deutscben Ingenieur Pfann- m ti 11 er in den Fiinfziger-Jahren ersonnen und von Brunel in England beim Bau der Saltash-Briicke zuerstverwendet,fand in Oesterreich in den Jahren 1868 bis 1870 beim Bau der D o na ub rti c k en nachst Wien, und zwar zuerst bei jener der Staatseisenbahn - Gesellschaft, Eingang. Waren es anfangs franzosische,. mit dieser neuartigen Bamveise vertraute Unternehmer, welche die ersten Fundi- rungsarbeiten in Oesterreich durchfiihrten, so hatte man sich doch bald von dem fremden Einfluss befreit, so dass die pneu- matischen Fundirungen in Steyregg, Mauthausen, Nussdorf, Florids- dorf, Krakau und die ausserordentlich zahlreich nachfolgenden, vori heimischen Kraftenalleinbesorgt wurden. Diepneuma- tischen Fundirungen fanden seither immer weitere Verbreitung und nicht weniger als 248 Land- und Zwischenpfeiler bei 5 5 Eisen- bahn- und Strassenbriicken wurden seit dem Jahre 1871 von der Ssterreichischen Unternehmung Klein, S c h m o 11 und Gartner mit Druckluft gegriindet, wobei die grossten Erfolge mit dem Namen Gartner, welcher in den letzten Jahren, nach Erloschen der Firma, als Unter¬ nehmer allein steht, eng verkniipft sind. ( Brtickenbau. 311 Ein uraltes, schon von den Ihdern erfundenes Fundirungsverfahren ist die in neuesterZeit bei mehreren osterreichischen Bahnbauten in Verwendung gekommene Brunnen-Fundirung, die'ohne Zu- hilfenahme verdichteter Luft vor sich geht. Eine aus FIolz oder Eisen beste- hende, entsprecbend weite, unten auf dem Brunnenkranz aufruhende Trommel erhalt eine gemauerte Ausfiitterung und wird nun in die Flusssohle versenkt, indem der innere Raum von oben ausgegraben und ausgepumpt wird. Der Brunnen vvird nach entsprechender Versenkung auf etwa 2 m Hohe mit Beton gefiillt, auf welche Betonsohle das eigentliche Mauenverk aufgefiihrt und durch Gevvolbe mit dem Mauerwerke des Nachbarbrunnens ver- bunden wird, um die entsprecbend grosse Auflage ftir den Pfeiler zu bilden. Ein solches Verfahren empfielilt sich besonders bei massiger Wassertiefe und ange- schwemmtem Boden, der den Grab- arbeiten kein grosses Fiindernis bildet, wobei einzelne Stamme, Steine oder Findlinge eventuell durch Taucher leicht beseitigt werden konnen. Diese Voraussetzungen trafen wieder- holt auf der Galizischen Trans- versal-Bahn zu, wo bei n e u n grossen Briicken die Brunnen-Fundirung mit grossem oconomischem Vortheil ange- wendet wurde. Die Fundirung erfolgte immer im Trockenen, indem eine kleine Inselschiittung bis iiber das Wasser auf- gefiihrt wurde. Dieses Verfahren erwies sich durch die Moglichkeit, auch in grossere Tiefen hinabzugehen, gegeniiber den Fangdammen als sehr vortheilhaft. In einer richtig construirten Eisen- brUcke ist jedem Gurttheil, jeder Strebe, jedem Glied eine bestimmte Function zugewiesen und die Dimensionen jedes Theiles werden entsprechend den von ihnen zu ubernehmenden Kraften fest- gestellt. Daher bedarf auch kein Bau- werk einer so rechnerischen Durch- dringung in allen Theilen wie die Eisen- construction. Die Berechnung der Briicken operirt dabei einerseits mit den ausseren, von den Lasten herriihrenden Kraften, andererseits mit deninneren Spannungen, in welche sich erstere umsetzen und mit wel- chen sie das Gleichgewicht halten miissen. Es ist nun die Aufgabe der Statik, aus den ausseren Kraften die innere Spannung in den einzelnen Constructions- theilen zu ermitteln. Seitdem es dem Franzosen Navier im Anfang dieses Jahrhunderts gelungen war, dasBiegungs- problem endgiltig zu losen, war erst die Baumechanik auf eine streng wissen- schaftliche Basis gestellt. Seither wurde der Brtickenbau durch die ausserordentlich fruchtbare Thatigkeit franzosischer, eng- lischer und deutscher Forscher zu einer umfangreichen Wissenschaft. Abb. 166. Reconstruction der Iglawa-Briicke. [Auswechslung der Gusseisenpfeiler.] Namentlich die Statik der Stabsysteme erhielt in der zweiten Halfte unseres Jahr¬ hunderts eine weitgehende Durchbildung, wobei die Bestimmung der in den Con- structionen auftretenden inneren Krafte entvveder auf rein statischem Wege oder mit Hilfe der Elasticitatsgesetze erfolgte. Zur langen Reihe stolzer Namen, die in Frankreich, England und namentlich in Deutschland mit diesen geistigen Fort- schritten enge verknfipft sind, stellte auch Oesterreich die seinen bei. Gerstner und R e b h a n n waren es in der ersten Zeit, E. Winkler, Brik, Steiner, Melan, v. Ott, v. Leber u. A. in der jiingsten, welche dentheoretischen Briickenbau durch ihre Leistungen bereicherten. Bekanntlich bedarf es zur Berechnung einer Brucke zunachst der Kenntnis jener Anstrengung, welche das Material ohne Gefahrdung ertragt und der Belastungen, 312 Josef Zuffer. \velchen die Construction untervvorfen \verden soli. Um die Rechnung zu verein- fachen und sie allgemein auf gleiche Basis zu stellen, pflegtman dabei gewohnlich statt der einzelnen, auf die Brucke einwirkenden Raddrucke eine gleichformig vertheilte Belastung anzunehmen, die mit jener beztiglich der veranlassten maximalen Beanspruchungen aquivalent ist. Beide Factoren, die Material-Inanspruchnahme sowohl als auch die Belastungsannahmen, machten ihre eigeneEntwicklung durch. Stephenson undFairbairn hattenim Jahre1847 durch den Versuch mit Briicken aus Guss- und Schmiedeeisen einiges Licht in das Verhalten des Materials hinein- getragen. In Oesterreich hatte im Jahre 1854 das Handelsministerium zum ersten Mal sein Aufsichtsrecht bezuglich der Bahnbriicken dahin geltend gemacht, dass es eine Belastung von 4130 kg ftir das laufende Meter als Basis der Briicken- berechnung festsetzte. Da aber diese Bestimmung nur fiir specielle Falle Geltung hatte und tiberdies fiir die anzunehmenden Grenzspannungen des Materials keinen Anhaltspunkt enthielt, trug sie nicht dazu bei, den Willktirlich- keiten in den verschiedentlichen An- nahmen eine Grenze zu setzen und ge- ordnete Zustande herbeizuftihren. Manche Bahnen schrankten die Inanspruchnahme des Materials womoglich ein, wogegen \vieder die Nevi 11 e- und Schifkorn- briicken Inanspruchnahmen zeigten, die bis zur Elasticit at sgrenze hinan- reichten. M a n i e 1 legte bei der S t a a t s - eisenbahn semen Berechnungen gleich- massige Belastungen von 4.000 kg fiir das laufende Meter, H o r n b o s t e 1 auf der Elisabeth-Bahn bei grossen Briicken von 4710 kg, Etzel auf der Siidbahn von 5690 kg zugrunde. Um diesen ungeordneten Zustanden ein Ende zu machen, regteRebhann schon im Jahre 1856 im O esterr ei ch i s chen Ingenieur-Verein dazu an, die in den verschiedenen Staaten bestehenden Bestim- mungen und Uebungen zu sammeln, um fiir ahnliche Vorschriften eine Grundlage zu gewinnen. Erst im Jahre 1865 hatten erneuerte Anregungen von Hornbostel den Erfolg, dass sich im Schosse des Ver- eines eine Commission bildete, die auf Grund von Studien der Regierung Antrage fiir eine Briicken-Verordnung erstattete. Der im Jahre 1869 erfolgte Briicken- einsturz bei Czernowitz drangte die Re¬ gierung zu entscheidenden Massnahmen und fiihrte zur Briicken-Verordnung vom 30. August 1870, mit \velcher den herrschenden Unbestimmtheiten endlich ein gewissesZiel gesetzt war. Die Verordnung schrieb vor, dass den Berechnungen eine gleichmassig vertheilte Last zugrunde zu legen sei, welche mit den \vachsenden Briickenlangen von 30—4 t pro laufendes Meter abgestuft war. Die zulassige In¬ anspruchnahme des Schmiedeeisens wurde fixirt, Gusseisen »solite im AUgemeinen, insbesondere in den freitragenden Con- structionen, nicht auf Zug beansprucht \verden«. Die Erprobung der Brucke solite im AUgemeinen durch Aufbringung o o o der gesetzlich bestimmten gleichmassigen Belastung erfolgen und zur Erprobung mit rollender Last waren Ziige mit zwei der schrversten Locomotiven bes^immt, die erst langsam, dann schnell die Briicke zu befahren hatten. Die Verordnung blieb etwas hinter den Vorschlagen des Ingenieur-Vereins, welcher grossere Belastungsannahmen bestimmte, zuriick. Auch hatten sich dort schon Stimmen gegen die Berech- tigung einer Belastungstabelle ausge- sprochen, deren gleichmassige Lasten in ihren Wirkungen hinter den immer wachsenden Achsdriicken zuriickblieben. Endlich zeigte die Verordnung bezuglich der Vervvendung des Gusseisens eine weit- gehende Toleranz, von welcher allerdings in der Folge kein Missbrauch gemacht wurde, da ja das gemischte System aus Guss- und Schmiedeeisen so sehr in Misscredit gekommen war. In der That wurde die Verordnung bald durch den Bau immer sclvvvererer Locomotiven und durch die wachsende Beschleunigung der Ziige tiberholt. Wenn auch einzelne Bahnen die Con- structionen auf Grund ideeller schwererer Belastungsziige rechneten und auf diese Weise den wirklichen Forderungen an- passten, so hielten sich doch andere Bahnen nur an die durch die Verordnung zugelassenen Grenzen. In den Achtziger- Jahren erkannte man denn auch die Noth- Bruckenbau. 313 wendigkeit einer Revision und Ver- scharfung der erlassenen Bestimmungen, und, gedrangt durch den Briickeneinsturz bei Hopfgarten, erschien am 15. September 1887 eine neue Bril cken-Verordnung d e s H a n d e 1 s m i n i s t e r i u m s, welche, auf exacten Forschungen beruhend und den gestiegenen Locomotiv- Gewichten Rechnung tragend, an die Berecbnung, Erprobung und Erhaltung der Brucke, ungleich strengere Forde- rungen stellte. Fiir die Berechnung der Balkentrager ist wieder eine den ein- zelnen Raddriicken in ihren Wirkungen aquivalente, gleichmassige Last vorgeschrieben, welche aber die der frii- heren Verord- nung bedeu- tend iibersteigt und entspre- chend der un- gleichen Wir- kungsvveiseder b i e g e n d e n u. s c h e e r e 11- d e n Krafte, fiir die Gurten und fiir die W andfiillungs- glieder verschieden bemessen ist. Der Berechnung anderer Brticken-Systeme, als der einfachen und continuirlichen Balken¬ trager, sind die wirklichen Raddriicke eines mit drei. Locomotiven bespannten Zuges mit dem Maximal-Achsdrucke von 13 t — bei kleinen Oeffnungen mit 14 t — zugrunde zu legen. Die Inanspruchnahme des Schweisseisens wird nach der Lange der Construction mit 7—900 kg pro I c« a reiner Querschnittsflache festgelegt. Guss- eisen darf keinen Hauptthei '1 der frei- tragenden Construction bilden und nursehr gering beansprucht werden. Auch fiir die Berechnung der anderen tragenden Theile als der eigentlichen Haupttrager, fiir die Beriicksichtigung des Winddruckes u. s. w. sind genaue Normen angegeben. Die Er¬ probung grosserer Briicken erfolgt durch- wegs durch Belastungsziige, die bei Er¬ probung mit ruhender Last bis zu drei, mit rollender Last zwei Locomotiven erhalten, vvobei die auftretenden Durchbiegungen die berechneten Senkungen nicht iiber- schreiten diirfen. Die Bahnverwaltungen werden in der Verordnung verpflichtet, periodische Untersuchungen und Erprobung en sowohl der neuen als auch der alten Briicken vorzunehmen und iiber das Ergebnis der Priifungen zu be- richten. Bei ungiinstigen Ergebnissen sind ehestens sanirende bauliche Massnahmen zu treffen, so dass im Interesse der offentlichen Sicherheit die vollstandigste Verlasslicbkeit aller Eisenbahnbriicken verbiirgt ist. Die permanenten und periodi¬ sche n Untersuchungen erschienen umsomehr geboten, als der Einsturz der Briicke bei Hopfgarten nicht wie bei j en er der Pruthbriicke auf die Mangel- haftigkeit des Constructions- Sj^stems an sich, sondern auch zum Theil auf Material- fehler zuriick- zufiihren vvar, die den bis da- hin festgehal- tenen Glauben an die Unver- \viistlichkeit eiserner Briicken zerstorten. Den mit den gestiegenen Loco- motiv-Gewichten erhohten Raddriicken, deren Vermehrung von den Interessen Oconomischerer Zugsforderung dictirt war, konnten natiirlich die unter ge- ringeren Inanspruchnahmen construirten alten Briicken nicht vollig geniigen. Es ergab sich daher die Nothwendigkeit, die bestehenden Constructionen zu ver- starken, eine Aufgabe, die durch die Forderung, den Betrieb hiebei nicht einzuschranken, bei eingeleisigen Bahn- linien ausserordentlich erschwert, oft viel Scharfsinn und ungewohnliche Arbeits- weisen verlangte und. fiir die der .ein- zuschlagende Weg in jedem einzelnen Falle, den gegebenen Verhaltnissen ent- sprechend, erst aufgesucht werden musste. Namentlich der k. k. Staatsbahn- Verwaltung, welche viele Bahnen mit diirftigen Constructionen tibernommen hatte, und der Siidbahn, die zahlreiche aus der ersten Bauperiode stammende Gitterbriicken mit Flacheisenstaben besass, Abb. 167. Briicke iiber den Mitterbach. [Schwechat-Mannersdorf.] 3M Josef Zuffer. war damit eine grosse Thatigkeit zuge- wachsen. Die Verstarkung der Construction be- stand vielfach blos im Annieten neuer Theile aus Schmiedeeisen oder Martin- flusseisen an die einzelnen Briickenglieder [vgl. Abb. 168]; dagegen musste bei den alten Gitterbriicken, die keinen kraftigen Gurt besassen, die Verstarkung durch sinn- reiche Bildung eines neuen Gurtes, durch Einziehen neuer Streben, Anbringen verti- caler Absteifungen u. s. w. erzielt werden. Alle diese Arbeiten wurden von Hang- gejiisten aus vorgenommen. Die im spannungslosen Zustand auf- genieteten Theile trugen nun blos zur Auf- nahme der durch die V e rk ehr s la s ten in der ganzen Construction erzeugten Spannungen bei, \vahrend die alten Čon- structionstheile im unbelasteten Zu¬ stand neben ihrem Eigengewicht auch das der aufgenieteten, verstarkenden Theile iibernehmen mussten. Der grosste Effect der Verstarkung \vare natiirlich nur dann erzielt worden, wenn die neuen Glieder sich vollstandig in die Wirkung- der andern getheilt hatten und daher die ganze Construction \vahrend der Zeit der Verstarkung in spannungslosen Zustand versetzt worden ware. Dashattejedoch die Erriclitung eines gesonderten Gertistes und die Einfuhrung; von Entlastung-shebeln nothig gemacht, um die Brucke von der Wirkung des Eigengevvichtes zu be- freien, ein Vorgang welcher von der Kaiser Ferdinands-Nordbahn bei der Verstarkung der 35 m langen Biala- brticke der Linie Bielitz-Savbusch beob- achtet, aber sonst wegen der grossen Kosten vermieden wurde. Die Nordbahn und die Staats- eisenbahn-Gesellschaft haben es iibrigens in sehr vielen Fallen vorge- zogen, statt der Verstarkung der Briickeh eine Auswechslung durch eine neue Con¬ struction vorzunehmen und den Vortheil einer neuen Brticke gegentiber der blossen Verstarkung mit grosseren oder geringeren Mehrkosten zu erkaufen. Zuweilen war es auch moglich, die Ver¬ starkung der Construction durch Einbau eines neuen Mittelpfeilerszuerzielen. Bei der Egerbriicke nachst Laun, im Zuge der k. k. Staatsbabnlinie Prag- Moldau und bei den Olsabrucken der Kaschau-Oderberger Bahn hin- gegen, fiigte man wieder einen neuen Mitteltrager ein und brachte den- selben mit der bestehenden Construction in solide Verbindung. Jene Theile, welche die Fahrbahn tragen, \vurden in gleicher VVeise, wie die Blechtrager, durch Aufnieten von La- mellen ete. verstarkt; war dies jedoch nur schvver moglich, vvie bei Schwellen- tragern aus Walzeisen oder aus anderen Ursachen, so brachte man das Ver- starkungsmateriale an der Untenseite der Trager in verschiedener Form an. So wurden beispielsweise die Langs- trager bei der M. o 1 d a u b r ti c k e der P r a g e r - V e r b i n d u n gs b a h n, jene unter dem befahrenen Geleise der TullnerDonaubrucke sowie bei noch anderen Objecten in Hangewerke umgestaltet. Wie energisch und zielbewusst in der Verstarkung der Briicken vorgegangen \vurde, welchen Umfang sie nahm und welche Kosten sie erforderte, moge die Thatsache beweisen, dass die k. k. Staats- bahnen bereits im Jahre 1887 233 Blechvvandconstructionen und 89 Glieder- trager verstarkt hatten und bis zu Ende des Jahres 1897 auf ihrem Netze im Ganzen 1681 Briickenoffnungen, mit einem Aufvvand von 3,200.000 fl., den neuen Forderungen angepasst \varen. Die Stid- bahn verstarkte in derselben Zeit 82 Gitter- und 648 Blechbriicken mit zu- samrnen 1336 Oeffnungen, mit einem Aufwand von 2,500.000 fl. Die Gescbichte der Eisenconstructionen, die Entwicklung der Briickentragwerke ist eng verknilpft mit dem jeweilig herrschen- den Briickenmaterial, dessen innere Eigenschaften fur die Construction be- stimmend sind. Das geringe Widerstands- vermogen des urspriinglich allein ver- wendeten Gusseisens gegen Zugkrafte ftihrte anfangs zum Bau der Bogen- briicken, welche Constructionsform die vvirksamen Eigenschaften des Gusseisens am besten ausntitzt und erst die Ein- fiihrung des zahen, Druck und Zug gleichmassig widerstehenden Schmiede- oder Schweisseisens rief andere Typen ins Leben, die nach dem volligen Riick- Briickenbau. 315 tritt des Gusseisens noch an Vielseitig- keit gewannen. Von den Neville- und Schifkorn- tragern abgesehen, die doch nur eine voriibergehende Episode im Briickenbau bedeuten, war das Scliweisseisen von der Mitte der Fiinfziger- bis zu Anfang der Neunziger-Jahre das wesentlichste Constructionsmaterial unserer Briicken. Die aus dem Schweisseisen erzeugten Rohschienen vverden zu Packeten ge- schlichtet, die sich beim Walzen zu einem festen Korper mit sehnigem Gefiige ver- einigen. VVerden diesePackete beim Wal- zen parallel gelegt, so erhalt man das Uni- vers a 1 -Eisen, vvelches in der Walz- richtung entsprechend der Faserlage eine grossere Festig¬ keit und Dehn¬ barkeit besitzt als in der Querrich- tung, vvahrend bei der kreuz- \veisen Lage der Rohschienen das B1 e c h gewonnen \vird, dessen Festigkeit und Dehnbarkeit nach beiden Richtun- gen nahezu gleich ist. Bleche wurden im Briickenbau in den friiheren Jahren fast nie gefordert, vvelche Unterlassung sich bei minder- vverthigen Schweisseisensorten oft ungiin- stig bemerkbar machte. Erst bei der Einfuhrung der krummgurtigen Systeme wurde auf die Ver\vendung von Blechen zum Anschluss der Fachwandglieder an die Gurten, grosserer Werth gelegt. Wahrend in der ersten Zeit der eisernen Briicken wegen der unzu- reichenden Leistungsfahigkeit der heimi- schen Werke auch deutsche, franzosische und belgische Hiitten zu den Lieferungen herangezogen werden mussten, wurden spater die einheimischen Eisensorten allein herrschend. Unter diesen zeichnete sich vornehmlich das steirische Eisen durch seine Zahigkeit und Dehnbarkeit bei gleichzeitiger Festigkeit aus, Vorziige, in \velchen ihm die mabrischen und schlesi- schen Sorten nahe standen. Das bohmische Eisen dagegen — wie das belgische — verrieth oft erhebliche Sprodigkeit, also geringere Zahigkeit, ein M angel,’ aut vvelchen das in neuerer Zeit zmveilen beobachtete Rissigwerden von Steh- blechen und Winkeleisen dieser Prove- nienz zuruckzufiihren ist. Auf das Verhalten des Eisens ist namlich neben der Art der Erzeugung und Verarbeitung vor Allem die Beimen- gung gewisser Bestandtheile, wie Kohlen- stoff, Mangan, Silicium, Phosphor und Schwefel von massgebendem Einfluss. Da- bei stehen die Festigkeit, d. i. der Widerstand gegen Bruch mit derZahig- keit des Materials, d. i. seiner Scbmiedbar- keit im warmen und seiner Dehnbarkeit im kalten Zustande, in einem fast gegen- satzlichen Ver- haltnis, so dass die durch gewisse Bestandtheile her- vorgerufene Stei- gerung des Einen von einer Minde- rung des Andern begleitet ist. Es war daher immereine schwie- rige Aufgabe der Hiittentechnik, zur Erzielung der grossten Widerstandsfahigkeit des Eisens beide Factoren auf einer gewissen Plohe zu halten, da die Bahnvervvaltungen in ihren, mit der Zeit immer ausgebil- deteren Bedingnisheften nach beiden Richtungen ihre Forderungen st eliten.' Etzel hatte schon im Jahre 1858 Beding- nisse fiirEisenbrucken aufgestellt, indenen er von dem Walzeisen eine Festigkeit von 2500 kg pro cm 2 , ein sehniges Ge- fiige, feinen, zackigen, glanzenden Bruch verlangte. Nagel, Nieten, Schrauben, Bolzen und Schliessen mussten eine Zugfestigkeit von 3750 kg pro cm 2 aufvveisen und beim Umbiegen unter scharfen Winkeln und beim Wiedergerade- richten keine Risse zeigen. Schrauben- und Nietlocher mussten gebohrt vverden. Die spateren Bedingnishefte der Babnen fussten auf den vorgenannten, so beispiels- \veise die der k. k. S t a a t s b a h n e n vom Jahre 1875, die unter Anderm fur das Schmiedeeisen eine Festigkeit von 3800 kg 316 Josef Zuffer. proč« 2 und bei einem Zug von 1420^ pro cm 2 noch eine vollig elastische Form- anderung forderten. Das in den Sechziger-Jahren einge- fiihrte Flusseisen, das nicht wie das Schweisseisen im teigigen, sondern in flussig geschmolzenem Zustande in Con- verteren oder in Flammofen in grosseren Mengen auf einmal erzeugt wird — be- gann friihzeitig, wenn auch noch ganz vereinzelt, in Holland als Bruckenmaterial eine Rolle zu spielen. Die hohe Festigkeit und Dehnbarkeit des Flusseisens rief auch in Oesterreich bald den Wunsch wach, das Flussmaterial im Briickenbau zu verwenden, wozu die genannten hollandischen Briicken, nament- lich die 1868 liber den L e c k bei K u ile n- burg erbaute Brucke ein Vorbild bot. Aber ein Misstrauen gegen die Verlass- lichkeit des Flusseisens hielt noch lange dessen Einfuhrung zurtick, ein Misstrauen, zu dem die ungiinstigen Ergebnisse der Versuche, die Harkort im Jahre 1876 mit Sclrvveiss- und Flusseisenbriicken an- gestellt hatte, wesentlich beitrugen. Im Jahre 1881 wurden aberzum ersten Male auf der Linie Erbersdorf-Wiir- benthal von der k. k. Staatsbahn- V erwaltung eine Reihevon Briicken in weichem Bessemerstahl, richtiger gesagt, in Bessemereisen ausgefiihrt, welche bis heute ein tadelloses Verhalten zeigen. In- dessen sprach sich doch die im Jahre 1883 vom Ministerium einberufene technische Conferenz gegen die Anwendung des Flusseisens aus, da sie dieses Material ins- besondere mit Riicksicht auf die genannten Harkort’schen Versuche und unter Hin- weis auf einen Unfall auf der Talfer- briicke der B o z en-M er ane r Balin, wo zwei entgleiste Wagen einige aus Flusseisen erzeugte Wandfiillungsglieder zerbrachen und diese sich in der Nahe der gestanzten Nietlocher briichig ervviesen — als zu wenig verlasslich erachtete. Die Fortschritte in der Hiittentechnik, vor Allem die Einfuhrung des basischen Verfahrens, das dem Flusseisen, nament- lich dem aus phosphorhaltigen Eržen stammenden, eine grossere Zahigkeit ver- leiht, ferner die ausserordentlich ein- gehenden Untersuchungen iiber das Ver¬ halten des Flussmaterials, die in Oester¬ reich in letzter Zeit gepflogen \vurden, haben die Bedenken gegen dessen Ver- \vendung im Briickenbau endgiltig be- hoben. Im O e sterrei chisch en Inge- nieur- und Architekten-Verein war namlich im Jahre 1889 ein Comite aus Fachmannern, mit Bischoff v. KI amm- stein als Obmannan der Spitze, eingesetzt worden, das auf Grund einer Expertise von Sachverstandigen, auf Grund eingehender Studien der Hiittenprocesse und der durch- gefiihrten 216 Giiteproben verschiedenen Materials, auf Grund von Belastungs- und Bruchproben verschiedener Trager, nach chemischen Untersuchungen und mathe- matischen, theoretischen Erorterungen im Jahre 1891 zu dem bedeutungsvollen Er- gebnis gelangte, dass das weiche b a- sische Marti n flusseisen zur Her- stellung von Brlickenconstructionen als v o Ilirom m en geeignet anzusehen sei, wobei jedoch fiir seine Verwendungzu- gleich die Einhaltung gewisser Festigkeits- und Dehnungsgrenzen empfohlen wurden. Das Comite erkannte ferner, dass die An- arbeitung der Trager aus Flussmaterial ebenso wie bei schweisseisernen Tragern erfolgen konne, dass selbst das — wenn auch nicht empfehlenswerthe — Stanzen der Nietlocher sich zulassig erweise, nur werde dabei eine maschinelle Nach- bohrung nothwendig. Hiemit war das weiche basische Martinflusseisen endgiltig als Brucken¬ material anerkannt, welches nun durch seine bedeutendere Festigkeit und Dehn¬ barkeit aus technischen und \virthschaft- lichen Griinden das Schweisseisen so rasch zu verdrangen anfing, dass dieses gegemvartig nur in einzelnen besten Sorten fiir die tragenden Theile im Briickenbau verwendet wird. Die g r u n d s a t z 1 i c h e n Bestimmun - gen, die das k. k. Handelsministerium im Jahre 1892 fiir die Lieferung und Auf- stellung eiserner Briicken auf Grund der Ergebnisse der erwahnten Untersuchungen erlassen hat, stellen an die Beschaffenheit und Widerstandsfahigkeit des Materials, an die Bearbeitung der Eisensorten, an die Nietung und sonstige Ausfiihrung ausserst eingehende Forderungen; insbesondere werden die verschiedensten Erprobungen Briickenbau. 317 Abb. 169. Viaduct Stranov wahrend der Auswechslung. beziiglich der Festigkeit und der Zahigkeit des Materials verlangt, um der Sicher- heit der Bauwerke im weitestgehenden Masse Geniige zu leisten. So darf sich die Bruchfestigkeit des in Theilen des Tragwerkes beniitzten basischen Martin- flusseisens in der Walzrichtung nur zwischen 3500 kg bis 4500 kg pro cm 2 bewegen, wobei die Dehnung eines Probestabes von 5 cm 2 Querschnitt bei 20 cm Markenentfernung im erstern Falle 28, im zweiten 22°/ 0 betragen muss; ftir Schweisseisen sind diese Gren- zen mit 3300 bis 3600 kg bei einer Dehnung von 20 bis i2°/ 0 festgesetzt. Um seine Zahigkeit zu ervveisen, muss das Material weiters unter den Biege- pressen die erdenklichsten Verstauchun- gen ertragen kčinnen ohne Anrisse zu zeigen; so muss ein 50 bis 80 mm breites Flacheisen aus Martinflusseisen im kalten Zustande eine Biegung um 180 0 aus- halten, wobei bei weicheren Sorten die Stabschenkel vollstandig aufeinander ge- drtickt werden, bei den harteren aber die Abbiegung ilber eine Rundung vom Durch- messer der Stabstarke erfolgt. Auch im verletzten Zustande, nach Vornahme einer Einkerbung mittels eines scharfen Meissels senkrecht auf die Walzrichtung, bis auf Rjo der Stabdicke, muss ein solcher Štab starke Abbiegungen er¬ tragen, ohne einen plbtzlichen Bruch zu zeigen. Nietlocher mtissen heute durch- wegs g e b o h r t werden. * * * An den Erfolgen, welchen der Bau eiserner Bahnbriicken in Oesterreich auf- zuweisen hat, haben die heimischen Br iick en b au-An s tal t en, die ihre Anlagen stets auf der Hohe der Zeit hielten, ihren verdienten Antheil. Wie schon ervvahnt, waren an- fangs, als die osterreichische Eisen- industrie noch nicht gemigend leistungs- fahig war, um den rasch angewach- senen Forderungen zu geniigen, die Bahnverwaltungen auf die Mithilfe aus- landischer Werke angewiesen. So waren in den Jahren 1868 bis 1874 die Eisenconstructionen mehrerer Nord- westbahn-Brticken von B e n k i s e r in Pforzheim und L ud wi g s h a f en, speciell die grosse Don a u brucke der Nordvvestbahn von Harkort auf Har- korten in Westphalen geliefert wor- den; die grosse Tullner Donau- briicke und viele andere Constructionen wurden wieder von F. C ail & Comp. und Fives Lille ausgefiihrt u. s. w. In der zweiten Halfte der Siebziger- Jahre war indessen die osterreichische Eisenindustrie derart erstarkt, dass sich der Briickenbau in unserer Monarchie auf eigene Fusse stellen konnte und seither alle Eisenbriicken inlandischer Provenienz sind. Einige der altesten Briickenbau- Anstalten sind bereits verschwunden und leben nur in ihren Werken fort; so die Maschinenfabrik Brik in Simmering, welche auf den Siid- und Staatsbahn- Linien eine rege Thatigkeit entwickelte, die Wiener Maschinenfabriks- und Waffenfabriks - Gesells chaf t, die HernalserWaggonfabrik und Eisen- constructions-Werkstatte C. von M i 1 de, welche die Hangebriicke tiber den Donaucanal durch die Bogenbriicke er- setzte, die Briickenbau-Werkstatte der Steirischen und Hiittenberger Eisen-I ndus tr i e - G es ells c h af t in Zeltweg und Klagenfurt, deren Con¬ structionen wir noch in der Thalstrecke der Arlbergbahn, beziehungsvveise auf 3iS Josef Zuffer. der Strecke Unter-Drauburg-Wolfsberg sehen, Sigi und Dolainsky in Wien und Martinsen in Biedermannsdorf. Heute zahlen wk in Oesterreich eine Reihe grosser Briickenbau-Anstalten, deren achtunggebietende Leistungen uns in allen Theilen der Monarchie entnegentreten und deren alteste mit der Entwickelung unserer Brticken enge.. verwachsen sind. Das Eisenwerk Zoptau in Mahren eroffnete seine Thatigkeit in den Vierziger- Jahren mit der Herstellung von Ketten- briicken; im Jahre 1858 ging von dort die erste Schifkornbrucke iiber die Is er bei Rakaus hervor, dernoch 163 Construc- tionen desselben Systems in kurzer Zeit folgten. Bis heute ist die Zalil der von Zoptau gelieferten Bahn- brticken auf 1436 und deren Ge- wicht auf 26.800 t angewachsen. In der Metro¬ pole der osterrei- chischen Eisen- industrie, inWit- kowitz, begann der Bau eiserner Brticken schon mit den ersten Nevilletra- gern; auch die historische Kettenbriicke iiber den Donaucanal \var hier hervorge- gangen. Die mit denbesten Hilfsmitteln aus- gestattete Werkstatte, die unter vielen der grossten Constructionen auch die Dona u- brtičke der Kaiserin Elisabeth- bahn bei Steyregg lieferte, erreicht jetzt j ahrliche Leistungen bis zu 6000 1 . Die Briickenbau- Anstalt Friedek der erzherzoglichen Industrial - Verwal- tung in Teschen ftihrte sich im Jahre 1868 mit dem Bau von Nordbahn- Briicken zwischen Stauding und Schon- brunn ein und erreichte bis zum Schlusse des Jahres 1897 eine Leistung von 1456 Bahnbriicken im Gewichte von 31.100 t. Die grosse Donaubriicke der Kai¬ ser Ferdinands-Nordbahn und die grossen Brticken der galizischen Bahnen geben nebst vielen andern ein ehrendes Zeugnis fiir die Thatigkeit der vorbenann- ten drei Briickenbau-Anstalten. In Bohmen, der zweitgrossten Heim- | statte Bsterreichischer Eisen-Industrie, ist auch der Sitz mehrerer bedeutender Brti- ckenbau-Anstalten. Die Adalbertshiitte bei Kladno, seit dem Jahre 1867 im Briickenbau thatig, ging im Jahre 1886 als Prager Briickenbau-Anstalt an die bohmisch-mahrische Maschinen- fabrik in Lieben bei Prag iiber. Sie hat bis heute 1278 Constructionen ftir Bahn¬ briicken mit einem Gewichte von 22.370 t geliefert und wechselte auch unter schwie- rigen Verhaltnissen die Schifkornbrticken des Stranover-Viaducts der Boh- mischen Nordbahn [Abb. 169 und 170] so wie des grossten K 1 a b a w a - Viaductes der Bohmischen W est- bahn bei Chrast aus. [Vgl. Abb. 144.] In Gemein- schaft mit der seit den Sech- ziger-Jahren thii- tigen Prager Maschinenbau- A c ti e n g e s e 11 - schaft vormals Ruston & Comp., stellte sie die Eisenconstruction der grossen Moldau- briicke bei Gervena bei, deren gesammte Montirung auf dem Bauplatz sie be- sorgte. Die Briickenbau-Anstalten der Briider Prašil in Lieben bei Prag und von E. Skoda in Pilsen sind als jiingste rubrige Firmen in Bohmen hinzugetreten. In Wien hat die bekannte Briickenbau- Anstalt Ig. Gridl seit dem Jahre 1870, \vo sie die ersten Briicken fiir die Franz Josef-Bahn lieferte, eine rege Thatigkeit entvvickelt; ebenso sind aus dem Eta- blissement von R. Ph. Waagner seit 1884 eine grossere Zahl Eisenbrticken hervorgegangen, und in neuerer Zeit sind noch die Firmen Albert Mil d e & Comp. und Anton Biro als Brticken- bau-Anstalten aufgetreten. Den Werk- statten der AlpinenMontan-Gesell- s c h a f t in Graz aber — der Nachfolgerin der in den Jahren 1864 bis 1884 in Betrieb gewesenen angesehenen Briicken- bau-Anstalt von Korosi & Comp. in Briickenbau. 319 Andritz bei Graz, entstammt unter An- deren der 120 m lange Halbparabel- trager des Trisana-Viaductes auf der Arlbergbahn. - * * * Wir sind am Schlusse unserer Be- trachtungen angelangt. Wenn wir auch nur mit fliichtigen Streiflicbtern, die ein- zelnen Stadien in der Entwicklung des Briickenbaues erhellen konnten, so gelanp; es doch in dem wechselvollen Bilde, das an uns voriiberzog, jene reiche, viel- seitige Thatigkeit zu erkennen, die in unserem Vaterlande auf diesem wichtigen Gebiete in verhaltnismassig kurzer Zeit entwickelt wurde. Der machtige Verkebr, der seit einigen Decennien die Volker der Erde durch die wachsenden Bahnnetze in immer steigen- dem Masse mit einander verbindet, hat nicht nur den Austausch der Gtiter, son- dern auch den der Ideen beschleunigt. Die Wissenschaft kennt keine Grenze und jeder fruchtbringende Gedanke, der in einem Lande ersteht, wird rasch in fernsten Gegenden heimisch. So ist auch der osterreichische Briickenbau an den grossen Errungenschaften erstarkt, die ihm aus englischen, franzosischen und deutschen Landen zustromten, anderer- seits zeigt uns die Geschichte unseres heimischen Briickenbaues, dass manch werthvoller Erfolg in Oesterreich ge- zeitigt wurde und Oesterreichs Techniker redlichen Antheil haben an den grossen Fortschritten, die die Kunst des Brticken- baues im Allgemeinen bisher erreicht hat. Die gewaltigen Steinbrucken unserer Gebirgsbahnen zahlen zu den kiihnsten Bauwerken dieser Art und unsere grossen Eisenbriicken, sie zahlen mit in dem Wettstreite der Errungenschaften auf diesem Gebiete. Oesterreichs Eisenbahnbrucken geben beredtes Zeugnis von der hohen Stufe, auf welcher die vaterlandische Kunst steht, die auch auf diesem Gebiete mit steigenden ErfoDen stets vorwarts strebt. o o Bahnhofsanlagen. Von Ernst Reitler, Ingenieur der Kaiser Ferdinands-Nordbahn. Bahnhofsanlagen. D IE Bahnhofe sind die Herzkammern im Organismus der Eisenbahnen. Sie geben dem Leben, das in vielverzweigten Adern kreist, den stets erneuten Impuls, von ihnen geht es aus, zu ihnen kehrt es zuriick. Fiir das grosse Publicum erschopft sich freilich der Begriff des Bahnhofes in der Vorstellung des stattlichen Auf- nahmsgebaudes, das die Reisenden gast- lich empfangt, des Perrons, von dem aus sie sich dem sichern Wagen anvertrauen, und der wenigen Geleise, auf denen die Zuge in der schiitzenden Halle kommen und gehen. Nur wenige sind auch mit den schmucklosen Maga- zinen und Rampen, den Lagerplatzen und Ladegeleisen vertraut, die sich in er- mtidender Gleichformigkeit langs weit- gedehnter Zufahrtsstrassen hinziehen, und in denen sich die tausend kleinen Quellen des Giittrverkehrs zu einem gemein- samen Bette vereinigen. \Vohl alle aber ziehen mit gleichgiltigem Blick an jenen nuchternen Baulichkeiten voriiber, die den ausfahrenden Zug oft noch eine weite Strecke begleiten, an den schwerfalligen Remisen, in welchen sich Wagen an Wagen drangt, an den russigen Heizhausern mit qualmenden Locomotiven, an den auf- ragenden Wasserthiirmen und hochge- stapelten Kohlenlagern, an Werkstatten und Dienstgebauden, an den fast unab- sehbar aneinander gereihten Geleisen, in denen die pustende Maschine in ewigem Einerlei wie planlos ganze Zugtheile vor- und riickwarts schiebt, bis endlich Signalmaste und der letzte Weichen- thurm den Blick auf die offene Strecke frei geben. Alle diese verstreuten Theile des Bahn¬ hofes, die Verkehrsanlagen, welche den eigentlichen Wechselverkehr zvvischen Bahn und Publicum inPersonen-undGiiter- bahnhofen vermitteln, die Betriebs- a n 1 a g e n, in welchen der innere Dienst- betrieb der Bahn, die Ausriistung der Locomotiven mit Wasser und Kohle, die Bereithaltung und Reparatur des ge- sammten rollenden Materials, die Auf- losung und Zusammenstellung der Zuge, die Aufsicht und Vervvaltung besorgt wird, sie alle, die in ihrer Gesammt- heit die Bahnhofsanlagen bilden, sind durch e in e n leitenden Gedanken mit einander vereint. Und von ihrer zweckmassigen Durchbildung und entsprechenden gegenseitigen Anord- nung hangt die gedeihliche Losung der vielseitigen Aufgaben des Bahn¬ hofes ab. Indem nun diese Aufgabe selbst im Laufe der Zeit mit der Art und Grosse des. Verkehrs wechselt und wachst, muss auch die Geschichte der Bahnhofe mit jener des Verkehrs parallel laufen. Es lassen sich denn auch in ihrer Entwicklung alle j ene grossen Einfliisse wiedererkennen, welche fiir das Verkehrsleben, fiir das Bahn- wesen iiberhaupt von Bedeutung wurden : der Einfluss fremdlandischer Vorbilder, die potenzirende Einwirkung eines aus- 21* 324 Ernst Reitler. gedehnten und in sich geschlossenen Netzes, der belebende Einfluss wirth- schaftlich gunstiger Epochen, die steten Fortschritte der Technik und das Streben nach immer grosserer Sicherheit und oconomischerer Gebarung. Ja, man darf behaupten, dass, — selbst wenn uns keine anderen Documente fiir die Geschicbte der osterreichischen Eisenbahnen verblieben waren als die nuchternen geometrischen Grundrisse der Bahnhofe in ihren ein- zelnen Phasen vom Anfang bis zu ihrer heutigen Ausgestaltung, — wir im Stande ware'n, aus den todten Linien allein die lebensvolle Entwicklung des Verkehrs- wesens in grossen Umrissen herauszulesen, wie wir aus dem starren Gestein die Auf- einanderfolge erdgeschichtlicher Epochen und das Aufsteigen des organischen Lebens zu erschliessen vermogen. Wie die grossen Bahnhofe, so zei- gen auch die kleineren Stationen bis hinunter zu den bescheidenen Halte- stellen eine von ahnlichen Einflussen beherrschte schrittweise Ausbildung. Oft andern sie vollig ihren Charakter und uberschreiten die fliessende Grenze, die sie von den Bahnhofen scheidet. Die wachsende Bedeutung, die sie dem benachbarten Orte verleiheri, gibt ihnen dieser reichlich zuriick. Die fortschreitende Verzweigung des Netzes erhebt sie zu wichtigen Knoten- punkten; durch die steigende Ge- schwindigkeit, durch die geanderte Be- triebseveise, durch den Wandel in der Richtung wichtiger Handelswege erfah- O o o ren sie eine durchgreifende Umwer- thung, die in ihrer baulichen Anlage zum Ausdruck kommt. I. Der Stationsbau im I. Decennium der Eisenbahnen.*) Die Stationen der ersten Eisenbahnen erzahlen von einer eigenartigen Anpassung an uberkommene Einrichtungen, die selbst die revoltirende Idee des Dampfbetriebes bei ihrem Inslebentreten durchmachte. Die alte gemachliche Betriebsfiihrung der Post, die trotz der durchgehenden Route gewissermassen von Station zu Station erfolgte, in jeder die Zahl der Beiwagen dem fallvveisen Bedarf anpassen und durch den Wechsel der Pferde frische Krafte in den Dienst stellen liess, sie war auch in die ersten Eisenbahnen mit heriiber- genommen worden und blieb durch eine Reihe von Jahren fiir die Anlage der Stationen bestimmend. In Unkennt- nis des fallweisen Bedarfes glaubte man auch hier in jeder Station die Moglichkeit bieten zu mtissen, dem Zuge Wagen anzuhangen, die Locomotive mit Wasser zu versorgen, eine Umspann- Maschine in Betrieb setzen und die schonungsbedtirftigen Fahrzeuge einer schleunigen Reparatur unterziehen zu konnen. Waren die alten Poststationen dem Bedurfnis des Pferdewechsels ent- sprechend je 15 km, die Stationen der Pferde-Eisenbahnen an 20 km von einander entfernt, so wurden jene der Dampfeisen- bahn vorwiegend mit Riicksicht auf den 1 Wasservorrath des Tenders in Abstanden von etwa 30 km angelegt. Jede dieser Stationen wurde nun aus den angefiihrten Griinden mit Baulichkeiten und Ein¬ richtungen — wenn auch in bescheidenem Umfang — fiir ali e Verkehrs- und Be- triebszweige versehen und so fiir eine Vielseitigkeit der Bestimmung ausge- stattet, die heute nur den grossen Bahn- hčfen vorbehalten ist. Dieser enge innere Zusammenhang mit den Poststationen kam im ausseren Bilde weniger zur Erscheinung. Schon beim Auftreten der Pferde.-Eisenbahn war mit den Geleisen, die das Fahrzeug in zwanglaufiger Bewegung hielten, mit dem Wechsel, der den Uebergang auf das benachbarte Geleise vermittelte, ein neuer *) In der I. und II. Periode, d. i. bis zum Jahre 1867, sind im Folgenden die Bahnhofs- anlagen b ei d e r Reicbshalften, spater nur die Osterreichischen behandelt. Die technische Entwicklung des Eisenbahnwesens Ungarns seit 1867, s. Bd. III. Bahnhofsanlagen. 325 charakteristischer Zug in die Physiognomie der Poststation hineingetragen \vorden. Den Stationen der spateren Dampfeisen- bahn gaben aber neben den Geleisen sammt Wechseln und Drehscheiberr vor- nehmlich die eigenartigen Gebaude fiir den Aufentbalt der Reisenden und fiir die Wartung der Maschine und Wagen ihr besonderes Geprage: das Empfangs- gebaude und die hol- zerne Personenhalle, die man so haufig an- traf, die »Pfeitze« mit ihren hochgestellten Bot- tichen, der Giiterschu- pfen, in welchen die Wa- gen behufs geschiitzter Entladung eingefiihrt wurden, die Werkstatten und die Remisen. Die starre Gerade, die den Geleisen der Station die Richtung gab, wurde auch zur Leitlinie fiir die ganze Anlage. Das Streben nach thunlichster Uebersichtlich- keit fiihrte dabei gerne zu symmetri- schen Anordnungen, und verleitete oft zu einer iibermassigen Gedrangtheit, die z um Theil auch in jener Einheitlichkeit der damaligen Dienstfiihrung ihren Grund hatte, welche alle Zweige des Betriebes, des Ver- kehres, der Zugforderung und der Bahnerhaltung in der Hand e in e s lei- tenden Beamten ver- einigte. Aus diesen Gesichts- punkten ergab sich in den ersten Stationen der Kaiser Ferdinands-Nord- Abb. 171. Stationsplatz Lest der Pferde-Eisenbahn. [Nach einer Original- zeichnung aus den Planeu von Mathias Schonerer.] STATION PARDUBITZ 1S45. Auch in die ganze Anordnung der Station war ein neuer Zug gekommen. Denn jene Ungezwungenheit, mit der sich noch in den ersten Pferdebahn-Stationen die Gebaude um die wenigen Geleise gruppirten, ja mit der sich zuvveilen die ganze Anlage in dem geraumigen Hofe eines Gasthauses etablirte, war unter dem strammen Regime, das den Einzug der Maschine tiberall begleitete und alles ihrem geregeltenGange unter\varf, strenger Ordnung und Gleichmassigkeit ge\vichen. bahn und der k. k. nordlichen Staats- bahn [Abb. 172 bis 174]*) die beliebte Gegeniiberstellung des Aufnahms- und des Betriebsgebaudes, wahrend Wagen- remise und Giiterschupfen dabei seitlich untergebracht waren. Variationen des- selben Principes zeigen die Stationen der Wien-Gloggnitzer Bahn, mit der auf dieser Linie ofter wiederkehrenden *) Die Geleise sind durch einfache Linien dargestellt. 326 Ernst Reitler. symmetrischen Anordnung der Remisen, wobei raumliche Beschrankung auch dasNebeneinanderstellenderGebaude, wie in Gloggnitz '[Abb. 175 und 176], nicht aus- schloss. Letzterer Bahnbof illustrirt auch die selbst in provisorischen Endstationen der ersten Zeit beliebte Einfuhrung. des Hauptgeleises in den Gliterschupfen am Ende der Station, eine Anordnung, die wohl mit gewissen Vortheilen, aber auch mit der Nothwendigkeit verkniipft war, das Magazin bei Verlangerung der Bahn- linie wieder abzutragen. Den zahlreichen Baulichkeiten stand eine diirftige Geleiseanlage gegeniiber. Die ganze Station debnte sich bei der iiblichen Zugslange von etwa 90 m nur liber 200—300 m aus. In den Nord- bahnstationen waren gewohnlich die Nebengeleise zu beiden Seiten des Haupt¬ geleises symmetrisch vertheilt, so dass die liber letzterem errichtete Halle vom Aufnahmsgebaude entfernt zu stehen kam. [Abb. 177.] Die Stationen der anderen Bahnen zeigen dagegen meistens zvvei durchgehende Plauptgeleise, in denen der Train einfuhr und die Maschine Wasser nahm, wahrend die an das Aufnahmsgebaude anschliessende Halle, ebenso Magazin und Werkstatte an eigene Nebengeleise gelegt waren. Diese Anordnung trat zuweilen mit einer Menge von Weichenverbin- dungen und Geleise-Untertheilungen auf, welche die Manipulation mit Einzel- wagen erleichtern solite, die aber manch- mal die Uebersichtlichkeit nur beein- trachtigte. Die Stationsplatze waren meist recht- eckig eingefriedet und gemauerte Ein- fahrtsthore hoben ihre Bedeutung beson- ders hervor. Zwischen diesen Stationen, die, wie erwahnt, im Mittel et.wa 30 km von ein- ander entfernt ivaren, wurden weitere Nebenstationen und Haltepunkte in Ab- standen von je 7 km mit entsprechend einfacherer Ausstattung angelegt. Die Gleichformigkeit der Forderungen, die in den einzelnen Stationen nach dem Grade ihrer Bedeutung zu befriedi- gen waren, veranlasste G h e g a, sie auf den Staatsbahnen in fiinf Typen zusam- menzufassen, von denen die erste im Bahnhof Prag vertreten \var, wahrend die anderen den Abstufungen von der vollstandig ausgestatteten Zwischenstation biszureinfachsten Haltestelle entsprachen. Auf der Wien-Gloggnitzer Bahn kam die Riicksicht auf den grossen Personen- verkehr, den die langs ihrer Strecke er- schlossenen Naturschatze erwarten Hessen, in einer grosseren Zahl von Haltepunkten und in bequemeren Einrichtungen fiir das Publicum zum Ausdruck. So wur- den in der 48 km langen Strecke Wien- Neustadt nicht vceniger als 20 Halte- stellen, also nach je 2'4 km angelegt, in welchen zwar nicht alle Zlige hielten, die aber wenigstens mit einem Ausweich- geleise,' einem kleinen Aufnahms- und Dienstgebaude und einem Brunnen fiir allfallige Wasserentnahme versehen wur- den. Die interessanteste Zwischenstation dieser Linie vvarBaden [Abb. 178], deren gedrangte aber zweckmassige Anlage auf einem Flachenstreifen von blos 220 m Lange und 30 m Breite schon im ersten Jahre ihres Bestehens eine Frequenz von 200.000 Passagieren und einen Sonntags- verkehrvon34regelmassigen und mehreren »Extratrains« bewaltigen Hess. Die Sta¬ tion war wegen des anschliessenden Via- ductes 5'7 m liber dem Terrain angelegt, so dass sich durchwegs einstockige Ge- baude ergaben. Die von Wien kommen- den Zlige hielten beirn Stationsanfang, wo die ankommenden Passagiere liber die gedehnte Rampe hinabstiegen; hier- auf zog die Maschine den Train vor, um sich mit Wasser zu versorgen und die Reisenden einsteigen zu lassen, die liber die Treppe des Aufnahmsgebaudes in die Personenhalle gelangt waren. Zwei grosse Drehscheiben und gut vertheilte Weichen- verbindungen unterstlitzten wesentlich die Beistellung der Wagen aus der Remise, einer offenen Halle, und das rasche Wechseln oder Umstellen der Maschine. Konnten die Zwischenstationen der ersten Bahnen durch ihre beschranktere Bestimmung nur einen geringen Spiel- raum fiir ihre Disposition gewabren, so sah man sich in der Anlage der An- fangs- und Endstationen vor grossere Aufgaben gestellt, die stets eine eigen- artige Losung erforderten. Bahnhofsanlagen. 327 Abb. 175. Station Gloggnitz 1842. Der erste grosse Bahnhof Oesterreichs war der Nordbahnhof in Wien. [Abb.i79u. 180.] Beiseiner Anlage galtes, am Ausgangspunkt des geplanten ausge- dehnten Netzes dennoch ganzungeklarten Bediirfnissen des kunftigen Verkehrs zu entsprechen. Die Hohenlage des Bahn- hofes war durch die Hochwasser-Ver- haltnisse mit 4 m iiber dem Terrain ge- geben, so dass das erste Geschoss seiner Gebaude mit dem Niveau des Bahnhofes zusammenfiel. Die Gebaude umschlossen von drei Seiten den rechteckigen Hof. An der Strassenseite standen das Auf- nahmso-ebaude und ein Wohnhaus fur j ~ Bedienstete, auf der anderen Langs- seite die Remisen und Werkstatten, wahrend ein quergestelltes Magazin den Babnbof an der Stirnseite abschloss. Innerhalb des so gebildeten Hofes liefen im Ganzen sechs Geleise, die »Bahnen«, von denen je zwei dem Personen- und dem Guterverkehr, zwei ftir die Ueber- stellung ■ der Fahrzeuge in die Remisen geniigen mussten. Sechsundzwanzig Dreh- scheiben und zehn Weichen stellten die Verbindung dieser Geleise untereinander her. Indem die abreisenden Passagiere STATION GLOGGNITZ 1842. proj.Ci:brwg. BR.cb wg. PERSgH| HALLE. .AUfN.GEB. 1 : 6000 . Abb. 17C. H-i STATION PR ER A U 1841. STATION BADEN 1842. ;n.GL0G0N AUFN.-GEB. 1 : 6000 . Abb. 178 Ernst Eeitler. Abb. 179. Innere Ansicht des Bahnhofes der k. k. ausschl. priv. Kaiser Ferdinands-Nordbahn zu Wien. [Nach einem Original aus dem Jahre 1838.] durch das Aufnahmsgebaude iiberTreppen auf den Perron gelangten, wahrend fiir die ankommenden eine zweite Treppe beim Magazin in den Hof hinab fiihrte, war fiir deren Trennung vor- gesehen. Auch der Fuhrwerksverkehr war durch die Anlage der Zufahrtsstrassen vorsorglich geregelt, indem die beim Magazin im Waarenhof abgefertigten Wagen oder jene, welche zum Kohlen- und Holzdepot bei der Werkstatte fuhren, langs der Strasse hinter den Remisen und Werkstatten zu dem fiir die Aus- fahrt bestimmten Thore gelangten. Das Niveau des Bahnhofes gab zu einer ver- ticalen Theilung des Magazins Anlass, durch welche die Sclrvvierigkeiten be- hoben wurden, die sich aus der zoll- amtlichen F orderung ergab, den Bahnhof wie ein Freihafen- gebiet innerhalb der Verzehrungssteuer-Grenzen zu behandeln. Im mittleren Geschoss gelangten die Wa- gen auf dem Langsgeleise zur Ent- ladung; nach Besichtigung der Waaren seitens der Zollbeamten wurden sie auf die an der Hofseite befindliche Terrasse gebracht, von \vo sie mittels Krahnen in die untenstehenden Fuhrwerke ver- laden wurden. Ein unteres und oberes Geschoss diente zu Lagerraumen. So erfiillte dieser erste grosse Bahn¬ hof in seiner Geschlossenheit und Ueber- sichtlichkeit -alle Bedingungen, um den neu geschaffenen Verkehr in geregelte Wege zu leiten. Und wenn auch die rasch wachsenden Forderungen der Zeit seine Flachenausdehnung bis heute auf das Vierzigfache ervveitertenundselbst den letzten Rest seiner ursprunglichen Einrichtung verschwinden liessen, so wurde er doch seinerzeit mit Recht als eine der grossten und besten An- lagen des Continents bewundert. Die Hohenlage des Nordbahnhofes hatte es moglich gemacht, den Ge- leisen hinter der Station ein Gefalle zu geben. Man erzielte damit den Vortheil, den Zug bei der Ausfahrt leichter in Gang zu setzen und ihn bei der Einfahrt mit grosserer Sicherheit zum Stillstand zu bringen. Diese Anordnung blieb durch mehrere Jahrzehnte im Bahnhofsbau be- NOEDBAHNHOF WIEN 1838. AUFNAHMSGEBAUDE WOH)lliAUS 1:6000 Abb. 180. Bahnhofsanlagen. 329 Abb. 181. Bahnhof Briinn 1849. liebt, bis sie durch die grosse Ausdehnung neuerer Anlagen und die Vervollkomm- nung der Locomotiven und Bremsvorrich- tungen ihre Bedeutung einbiisste. Als Ausgangspunkt einer Bahn veran- schaulichte der Nordbabnhof in Wien bei der Stellung seines Aufnahmsgebaudes eine Balinhofstype, die man beute als »Kopf- station mit einem Langsgebaude« be- zeichnen miisste. In der Anlage des Bahn- hofes Briinn [Abb. 181 und 182] erscheint der Charakter des Endpunktes der Linie noch scharfer betont, indem das Auf- nahmsgebaude dem Bahnhof quer vor- gebaut wurde. Damit war die Tj^pe einer »Kopfstation mit Kopfgebaude« gegeben. Bezeicbnend waren hier die symmetrisch angeordneten polygonalen Remisen und die freistehende Halle, welche drei mitt- lere Geleise umspannte. Das Auswechseln der Maschine, das Aussetzen und Zu- schieben der Wagen erfolgte, wie in Wien, mittels einer Drehscheibenstrasse. Die Voraussetzung, dass die Verbin- dung mit Prag liber Olmiitz geniigen werde, welche Annahme Briinn durch das Kopfgebaude zu einer Endstation stempeln liess, wurde bald durch die BAHNHOF BRUNN 1839. WERKSTATTEL MAGAZIN ^ ausschl.priv.kaiser-ferdinanos-nordi wehkstatte 1REMISE MAGAZIN BAHNHOF BRUNN 1849. Abb. 183. HEIZHAUS MAGAZI MUHlBACH 1:6000 A 330 Ernst Reitler. Abb. 184. Ansicht der Bahnhofe der ‘VVien-Gloggnitzer Bahn in Wien. BAHNHOFE DER WIEN-GLOGGNITZER BAHN IN WIEN. VVAGEN DEPOT WACENREMLSE V/ACENREMISE RESTAUPJfflON u WOHNHAUS Ereignisse widerlegt. Bereits im Jahre 1849 wurde Briinn [Abb. 183] durch den Anschluss der Staatsbahnlinie zu einer »Durchgangsstation«, was die Abtragung des jungen Empfangsgebaudes und den Ersatz durch da s seitlich gestellte Auf- nahmsgebaude beider Anschlussbahnen erforderte. Kurz nach Eroffnung des Nordbahn- hofes wurde der Bahnhof der Wien- Gloggnitzer Bahn [1842] und dar- nach jener der Raaber Bahn [1846] in Wien [Abb. 184 und 185] dem Betriebe ubergeben. Der weit ausgreifende Plan, der diesen beiden urspriinglich gemeinsamen Unternehmungen zugrunde lag, Wien mit Triest und Pest zu verbinden, kam in dieser imposanten Bahnhofsanlage durch Schonerer zum Ausdruck. Da die projectirte Verlegung des An- fangspunktes der Bahn auf das Glacis, also fast bis zum Herzen der Stadt, nicht die behordliche Genehmigung gefunden, so wurde vor der Belvedei'elinie ein grosser Platz ausgemittelt, auf welchem die beiden ganz symmetrischen Bahnhofe unter einem stumpfen Winkel zusammen- gefiihrt wurden, wobei die Lage des Wien-Gloggnitzer Bahnhofes schon dem kiinftigen Anschluss an die Linie zum Hauptzollamt entsprach. Mit den Ver- bindungsgeleisen, welche die beiden divergirenden Bahnlinien mit einander vereinigten, umschlossen die Bahnhofe einen weiten Raum, der neben einem Dienst- und Restaurationsgebaude und neben einer Wagenremise eine ausge- dehnte Locomotivwerkstatte — damals die grosste derartige Anlage Deutsch- lands — aufnahm. 800 m von den Bahn- hofen entfernt, waren die Heizhauser neben den Hauptgeleisen untergebracht. Jeder der Bahnhofe war durch ein Kopfgebaude ab- geschlossen, das zu beiden Seiten des Bahnhofsanlagen. 331 Vestibules je eine Treppe fiir die ab- reisenden und ankommenden Passagiere enthielt, welcher Theilung entsprechend die beiden Geleisepaare der Halle fiir aus- und einfahrende. Ziige bestimmt \varen. Die Reisenden stiegen indessen, \vie Ph. Volk in einer alten Beschreibung dieses Bahnhofes berichtet, in der Halle selbst weder ein noch aus, sondern die Wagentrains hielten vor der Halle, welche daher mehr zum Aufenthalt der Passagiere und zum Aufstellen der Wagen diente. Fiir den Frachtenverkehr mussten anfanglich zwei Geleise geniigen, die hinter dem Aufnahmsgebaude in Strassen- hohe lagen und mittels steiler Rampen in die hochgelegenen Hauptgeleise hinauf- fiihrten. ihrer Anlage, wie: Trennung der an¬ kommenden und abfahrenden Reisenden, Sonderung der Zufabrten fiir »Ballen und Gepack«, Einfachheit der Verbindung zwischen Zugsgeleisen undZugforderungs- Anlage entwickelt. Wenn sich auch die Anlehnung an die englischen Beispiele meist nur auf die Uebernahme solcher allgemeiner Grundsatze beschrankte, da ja jeder grossere Bahnhof eine durch die ortlichen Verhaltnisse und die Schaffens- weise des Ingenieurs bestimmte Indivi- dualitat erhielt, so waren doch auch einige Elemente selbst, wie die polygonalen Remisen in Brunn oder die Schupfen mit dem innenliegenden Geleise unmittel- bar dem englischen Vorbild entnommen. Dagegen wurden die auf den dortigen BAHNHOF PRAG 1845. Der Bahnhof fiir die nach Gloggnitz fiihrende Linie wurde im Jahre 1842 dem Betriebe iibergeben. Seine zweckmassige Anlage ermoglichte es bereits im ersten Jahre seines Bestandes an manchen Sonn- tagen 12.000 bis 16.000 Personen zu befordern, ohne dass sich hiebei ein Unfall ereignete. Alle diese ersten Stationen der osterreichischen Bahnen waren unter -dem Einfluss e n g 1 i s c h e r Vor- b i 1 d e r entstanden. Durch die Studien- reisen hervorragender Ingenieure, wie G h ega, Stopsl und Anderer, waren die fremdlandischen Erfahrungen nach Oesterreich verpflanzt worden und schon im Jahre 1838' werden in der ersten technischen Zeitschrift Forsters grosse fremde Bahnhofe in Wort und Bild vor- gefiihrt und die leitenden Grundsatze Giiterbahnhofen so beliebten Drehscheiben, die das Ueberstellen derleichten und hand- lichen Wagen wesentlich beschleunigen, hier gleich vom Beginne zu Gunsten der Weichenverbindungen auf das nothwen- digste Mass eingeschrankt. Und indem seither unsere Wagen aus wirthschaftlichen Grunden immer grbsser, aber auch schwer- falliger gebaut wurden, blieb diese Rich- tung die herrschende, unbeschadet der Bedeutung, welche die Drehscheiben in vielen spateren Bahnhofen gewannen. Unter den vielen Vortheilen hatte man aber auch einen grossen Irrthum aus 'England mitgebracht: die Unterschatzung des kunftigen Giiterverkehrs gegeniiber dem Personenverkehr, welch letzteren man in jeder Richtung fiir belangreicher hielt. Aus diesem Grande wurden auch alle Stationen der ersten Zeit mit Magazinen 332 Ernst Reitler. und Geleisen so kiimmerlich be- dacht, dass sich schon nach kurzer Zeit die Nothwen- digkeit griindlicher Abhilfe einstellte. Diese Erfah- rungen der ersten Jahre wurden bei dem Entwurf der nachsten grossen Bahnhofe schon zu Rathe gezogen: des Bahnhofes der k. k. Staatsbahn zu Prag [Abb. 186 und 187] und jenes der Un- garischen Central- bahn zu P e s t [Abb. 188]. Solite in Er- sterem die Bedeu- tune; der industrie- reichen Hauptstadt Bohmens und seine Aufgabe als Binde- glied zwisclien deni deutschen und dem osterreichi- schen Netze zum Ausdruck kommen, so hatte derBahnhof in Pest den Forderungen des bedeutendsten Handelsplatzes fiir die Producte Ungarns zu entsprechen. Beide Bahnhofe zeigen viele neue und vervvandte Ziige. In beiden ist die Tren- nung der Bahnhofs- theile fiir die beiden Verkehrszweige und fiir den Betriebs- dienst durchgefiihrt, so dass die Ausfahrt der Personen- und Giiterziige zum Theil unabhSugig von einander er- folgen konnte. Trotzdem beide Bahnhofe von An- fang an fur den Durchgangsverkehr bestimmt waren, so waren sie ■— der damals herrschen- den Vorliebe fol- gend — doch in Kopfform angelegt. Diese Anordnung hatte eeo-eniiber O o der Durchgangs- form z\var den Vor- theil, die Trennung der an kommen d en und abgehenden Passagiere zu er- leichtern, was hier zum ersten Mal mit- tels ztveier Langsgebaude, zvvischen \velchen sich die hallenilberdeckten Ge- leise befanden, durchgefiihrt war; sie hatte den weiteren Vortheil, das tiefe Eindringen des Bahnhofes in die Stadt Abb. 187. Ansicht des Bahnhofes Prag vom Jahre 1845 aus der Vogelperspective. BAHNHOF PEST 1846. 1:6000 Abb. 188. Bahnhofsanlagen. 333 zu ermoglichen, der besonders in Prag zur Geltung kam; dagegen trug sie den Nachtheil in sich, dass die durchgehenden Personenziige von der Ankunfts- auf die Abfahrtsseiteuberstellt werden, dass ferner alle durchgehenden Guterziige, die auf dem Bahnhof nicht zu manipuliren hatten, dennoch in diesen einfahren mussten. Diese Uebelstande mussten spater — be- ziiglich der Personenziige durch Einfiih- rung von Zwischenperrons, beziiglich der Giiterziige dagegen durch Herstellung von Verbindungsbogen zwischen beiden abziveigenden Linien, die eine Umgehung der Station ermoglichten— wenigstens zum Theile behoben werden Der Aufgabe und Abgabe der Giiter wurden gesonderte, geraumige Schupfen zugeiviesen, welche in Prag zu beiden Seiten der fiir die Aufstellung und Ordnung der Wagen bestimmten Maga- zinsgeleise, in Pest neben einander an- gelegt ivaren. Der Bahnhof in Pest lag inmitten unverbauter Griinde, so dass seiner spateren Erweiterung auf Seite der Ma¬ gazine kein Hindernis im Wege stand. In Prag dagegen war man mit dem Personen- und Giiterbahnhof bis' ins Innerste der Stadt, bis hinter die Stadt- mauern vorgedrungen, in welche sechs Thore fiir die Durchfahrt der Ztige ein- gebaut werden mussten; blos die Heiz- haus- und Werkstiitten-Anlage war vor den Thoren verblieben. Mit grosser Ge- schicklichkeit hatte hier G h e ga den eng bemessenen Raum innerhalb der Stadt- mauern ausgeniitzt, eine Wagenremise sogar in die bombenfest iibervvolbte Mauer verlegt und das Pleizbaus zwischen bei¬ den Ausastungen gliicklich untergebracht.. Mit dieser sorgfaltigen Ausniitzung des Raumes ivaren aber der Entvvicklungs- fahigkeit des Bahnhofes Fesseln an- gelegt \vorden, die sich lange hindurch sehr empfindlich geltend machten. II. Der Stationsbau in den Fiinfziger- und Sechziger-Jahren [bis zum Jahre 1867]. Mit der ruhig steigenden Entivicklung des Eisenbahnivesens im Laufe der Fiinf- ziger-Jahre, welche den allmahlichen Zu- sammenschluss der vereinzelten Linien zu einem grossen Netze begleitete, kam statt des unsicheren Tastens des ver- flossenen ersten Decenniums der gereif- tere Blick fiir die Bediirfnisse des Ver- kehrs und die Erkenntnis der Noth- ivendigkeit einer gesteigerten Regelung des gesammten Dienstes. Damit war aber auch der Stationsbau durch Zuweisung grosserer und deutlicher umgrenzter Auf- gaben aus den primitiven Anfangen der ersten Epoche herausgehoben. Platte man anfangs in Unkenntnis der jeweiligen Verkehrsforderungen, die Zwi- schenstationen vorsorglich mit allen Be- triebseinrichtungen ausgestattet, so zeigte sich bald eine — nur durch besondere Ereignisse unterbrochene — Gesetz- massigkeit der Verkehrsverhaltnisse, \velche diese Vielseitigkeit der Stationen uberfliissig machte. Da iiberdies im Tele- graphen ein wundertbatiges Instrument erstanden war, das die Moglichkeit schuf, den Betrieb langerer Strecken in verlasslicher Weise von einzelnen Haupt- punkten aus zu beherrschen, so ivurden die Zwischenstationen ihrer Bedeutung als Reservestellen fiir Maschinen und Wagen entkleidet und konnten ausschliesslich den Aufgaben des Personen- und Giiter- dienstes vorbehalten bleiben. Die Heiz- hauser und Werkstatten, die man bis dahin fast alle 30 km anfraf, ivur¬ den nunmehr auf neuen Ihnien bis auf 150 km und mehr auseinander ver¬ legt und mit reicheren Mitteln aus¬ gestattet. Auch auf den alten Linien \vird dieser Process bemerkbar, indem einerseits Werkstatten und Heizhauser in einzelnen Stationen vergrossert, in zahlreichen anderen ganzlich oder zum Theil ausser Beniitzung gestellt ivurden. Das Bahnnetz der Monarchie, das im Jahre 1848 etwa 1100 km umfasste, dehnte sich bis zum Schluss des nachsten De¬ cenniums auf das Vierfache aus. War schon diese Vermehrung der Bahnlinien 334 Ernst Reitler. an sich fiir die Verkehrsentvvicklung von grosster Bedeutung, so trat noch der Umstand hinzu, dass der Ausbau des Netzes den Zusammenschluss der ersten, bis dahin isolirten Bahnen be- deutete, der nunmelir ganze Lander- strecken mit einander in Verbindung brachte. Durch die Verlangerung der -Nordbahn bis an die k. k. ostliche [gali- zische] Staatsbahn, durch den Ausbau der ungarischen Linien bis nach Pest, durch den Uebergang tiber den Semmering, und durch die Wiener Verbindungs- bahn waren nun die entferntesten Theile des Reiches mit einander in Wechsel- verkehr gesetzt und durch den Anschluss in Oderberg und Bodenbachdie Wirkungs- . sphare des heimischen Bahnnetzes so- gar tiber benachbarte Lander ausgedehnt. Der hiedurch \vesentlich gesteigerte Verkehr erhohte die Leistungen der Stationen nicht blos bezuglich der Zahl der umzusetzenden Frachten und Wagen sowie der abzufertigeflden Ziige, sondern auch bezuglich der Zusammenstel- lung der Ziige selbst, infolge Ver- mehrung der Ladestellen und der Anschlusspunkte an andere Bahnen. Dies musste aber in allen wichtigeren Stationen das Bediirfnis nach einer grosseren Zahl von Geleisen fiir Ran- girzwecke wachrufen. Die Rege- lung des gesammten Dienstes, welche in der Betriebsordnung [1853] ihren ge- setzlichen Ausdruck gefunden und welcher in der General-Inspection [1856] eine Hiiterin bestellt worden war, das frische Tempo, das im ganzen Verkehr ein- setzte und sich schon in der Einschran- kung der Zugsintervalle von einer halben Stunde auf 15, 10 und 5 Minuten ver- rieth, musste auch auf die Anlage der Stationen zu Gunsten einer fr e i er.en und iibersichtlicheren Dispo- s i t i o n zuriickwirken. Durch die Fortschritte in der Ma- schinentechnik, die namentlich im Bau der ersten Gebirgslocomotive einen mach- tigen Anstoss gefunden, und durch die immer allgemeinere Verwendung der verbilligten Kohle, wurde der Transport langerer Ziige ermoglicht, welche \veit tiber das bisher iibliche Mass hinaus- gehende Geleiselangen erforderten. So drangten die Umstande dazu, den Stationsbau auf eine neue Grundlage zu stellen und die bestehenden Anlagen in diesem Sinne umzugestalten. Der neu- gegriindete Verein deutscher Eisenbahn- Verwaltuneren vvies die einzuschl agende Richtung, indem er durch Aufstellung von »Grundziigen fiir die Anlage von Bahnhofen« [1850] auch in dieses Gebiet Klarheit und Einheitlichkeit der An- schauungen hineintrug. Die Bedeutung der Hauptgeleise fiir die Fahrten der Personenzuge erscheint nunmehr in der Anlage der Stationen starker hervorgehoben. Die Lastzugs- geleise erreichen nutzbare Langen bis zu 400 m. Die Giitermagazine und Ram- pen mit ihren ungleich ausgedehnteren Lade- . und Rangirgeleisen bilden auch in Zwischenstationen in sich geschlossene Theile des Bahnhofes, die je nach Be¬ deutung der Station von denen fiir den Personendienst mehr weniger deutlich gesondert sind. Der Heizhausanlage wird womoglich ein eigener Rayon zugewiesen. Die Erfahrungen tiber das standige und rasche Anwachsen des Verkehrs lassen dabei in neuen Stationen immer fiir die Moglichkeit kunftiger Erweiterungen vor- sorgen. War es auf der einen Seite die Kaiser Ferdinands-Nordbahn, welche, ge- drangt durch die zuerst an sie heran- getretenen grosseren Verkehrs-Anforde- rungen und den Spuren ihrer e i g e n e n frtihzeitigen Erfahrungen folgend, diesen Abschnitt in der Geschichte des Stations- baues mit ihren grossen Umgestaltungen einleitete, so war es andererseits —• bei der spateren Staatseisenbahn-Gesellschaft und der Stidbahn — ein f r e m d e r Ein- scnlag in die heimische Entvvicklung, der dieser Epoche ihren Charakter gab, indem durch die Berufung von Maniel und Etzel der Schatz der besten fran- zosischen und deutschen Erfahrungen in Oesterreich eingeftihrt und hier dauernd dem allgemeinen geistigen Besitzstand einverleibt wurde. Der Umschwung in der Austheilung, also in dem Gesammtbilde der Stationen dehnte sich aber auch auf die b a u- 1 i c h e n E i n r i c h t u n g e n der Bahn- hofe selbst aus, die damals zum Theil NORDBAHNHOF WIEN 1864. B ahnhofsanlagen. 335 1; 6 6.0 o 1-11 Abb. 189a. Abb. 189 a, b und c. Wiener Nordbahnhof in den Jahren 1838, 1852 und 1864. 336 Ernst Reitler. auf eine bis heute nur um "VVeniges iiberholte Hohe gebracht wurden. Bei der Staats- und der Sudbahn finden wir die im Auslande bestbewahrten Typen fiir alle baulichen Einrichtungen bereits in »Normalien« zusammehgestellt, durch welche erst die fiir den sicheren und wirthschaftlichen Betrieb gebotene Ein- heitlichkeit und Uebereinstimmung aller Details angebahnt wurde. Um die Wende des sechsten Jahrzehnts traten die grossen schmiedeeiser- nen Reservoire auf und im Vereine mit richtig be- messenen Rohrleitungen und neuartigen Saulenkrahnen wird durch sie einefreiereVer- theilung der Wasserentnah- mestellen fiir Locomotiven ermoglicht, die bis dahin oft angstlich an die Nahe der Wasserstationen gebunden waren. Den Drehscheiben wird durch ver- besserte Construction eine grossere Ver- ■vvendung eroffnet und damitnamentlich die Einfuhrung der halbrunden Heizhauser be- giinstigt, die den Locomotiven eine un- abhangigere Ein- und Ausfahrt gestatten ; kleine^ Drehscheiben werden zum Ein- stellen und Aussetzen einzelner Wagen sehr verbreitet, zuweilen in Verbindung mit Schiebebiihnen, mit denen sich ein bis dahin ausserst selten angetroffenes Element auf den Bahnhofen einburgert, und die namentlich bei Wagenremisen als Ersatz langer Geleiseverbindungen be- liebt werden. Die Nordbahn, der die giinstige Lage friihzeitig zu kraftigem Gedeihen verhalf, hatte auch auf dem Gebiet des Stations- baues zuerst dieKinderkrankheiten zuiiber- winden. Zwischen den Jahren 1850 und 1854 sah sie sich zur Erweiterung fast aller Stationen bemiissigt. Die Heizhauser wur- den vermehrt und zweckmassiger ver- theilt, in Floridsdorf eine grosse Central- wagenwerkstatte errichtet, Magazine und Aufnahmsgebaude vergrossert, die Sta¬ tionen, in denen schon Ziige bis zu 40 Wagen kreuzten, von 200—300 m Lange auf das Doppelte gebracht; die bedeu- tendste Umgestaltung musste indessen der Wiener Bahnhof erfahren. [Vgl. Abb. 189 a, b und c.] Im Jahre 1840 war auf diesem Bahn¬ hof der Giiterverkehr aufgenommen worden und schon im nachsten Jahre erkannte man die dringende Nothwen- digkeit seiner Vergrosse- rung. Man ent- schloss sich daher, auf der Ostseite des Bahnhofes eine geson- derte Anlage fiir den Giiter- dienst zu er- bauen,diedann beim Eintritt vveiterer Be- durfnisse eine schrittweise Vergrosserung gegen die Donau zulassen wiirde. Im Jahre 1842 wurde mit dieser ersten Erweiterung einer osterreichischen Station begonnen, die erst im Jahre 1852 ganz abgeschlossen war. Inzvvischen hatte sich der Giiterumsatz des Bahnhofs von 870.000 Centner auf 5V2 Millionen er- hoht. Der alte Nordbahnhof ging aus dieser ersten Umgestaltung stark verandert hervor. Er hatte fiinf im bisherigen Stations- niveau, also auf dem Danim gelegene Ma¬ gazine und Rampen erhalten, die verschie- denen Verkehrsrichtungen bestimmt wur- den, und die sich als Langsgebaude an die facherformig vertheilten Geleisebiindel, fiir Lade- und Rangirzwecke, anschlossen. Die Geleise vvaren an ihrem stumpfen Ende durch eine Drehscheibenstrasse, die sogenannte Ringbahn, verbunden, um einzelne Wagen leichter zu riberstellen. Neben dem Aufnahmsgebaude war eine grosse Wagenremise erbaut worden, wahrend ein Eilgutmagazin die Stelle der alten Remise einnahm. In mehreren an die Dammboschung gelegten Kohlen- rutschen konnten schon iiber 8000 Centner lagern. Die Geleiselange des Bahnhofes war Abb. 190. Station Tarvis. Bahnhofsanlagen. 337 verzehnfacht worden, seine Gesammtlange von 270 auf 930 m gestiegen, die Zahl der Locomotivstande von 2 auf 21 gewachsen. Auch die Erweiterung des P e r- sonenbahnhofes war bereits im Jahre 1845 als ein Bediirfnis erkannt worden. Die schwebenden Verhandlun- gen iiber den Anschluss der Verbindungs- bahn Hessen indessen das Project erst im Jahre 1860 zur Ausfiihrung kommen. Indem durch diesen Anschluss aus der Kopfstation eineDurchgangsstation vvurde, behrte Halle iiberspannte funt Geleise, die mittels Drehscheiben unter einander und mit dem Eilgutperron verbunden ivurden, welchen das neue Ankunftsgebaude hinter die Werkstatte verdrangt hatte. Seit dem Bau des neuen Giiterbahn- hofes im Jahre 1852 war aber der Nord- bahn ein so bedeutender Verkehr zuge- wachsen, dass sich neben der Erivei- terung des Personenbahnhofes auch eine solche des Giiterbahnhofes neuer- dings als nothivendig erwies. So wurde RANN 1862. Abb. 191. KLAGENFURT 1863. t iO M 3f M 50 oO 70 80 % 1C I I i I I I I i H -i Abb. 192. in der man allerdings den Durchgangs- verkehr ftir normale Ziige nicht aufnahm, musste das alte, quergestellte Magazin seinen Platz raumen. Nun war erst der Gtiterdienst vollig vom alten Bahnhof los- gelost und die ganze urspriingliche Bahn- hofsbreite konnte fiirZwecke des Personen- dienstes in Verwendung genommen wer- den. Das alte, schlichte Aufnahmsgebaude machte einem wiirdigen, imposanten Mo- numentalbau Platz, dem ein zweites Langs- gebaude ftir die ankommenden Reisenden gegeniiber gestellt wurde. *) Die lang ent- *) Vgl. Abb. auf Tafel III, Seite 402, im Abschnitt Hochbau von H. Fischel. denn diese Anlage zivischen den Jahren 1860 und 1864 durch die Angliederung von zwei Dammen und den Anschluss facher- formig vertheilter Geleise bis an den Donau- arm ausgedehnt, dem sich der ausserste Damm bogenformig anpasste. Die Bo- schungen der Damine wurden zu Rutschen ftir Getreide, Holz, namentlich ftir Kohle ausgeniitzt, fur die damit ein Lager- raum von 80.000 Centner Fassungsgehalt geschaffen war. Die »Ringbahn« wurde verlangert, die obere und untere Zufahrts- strasse, die neben einander zu den hoch- gelegenen Magazinen, beziehungsweise zu deren Kellerhofen und den Rutschen fiihrten, weiter ausgebaut und die Heiz- Geschichte der Eisenbalinen. II. 22 338 Ernst Reitler. STATION \VIENER-NEUSTADT 1864. 0 10 ZO 40 40 50 100 Z 0 OM. Abb. ]g4a STATION CILLI 1863. hauser auf das Doppelte vermehrt. Die Geleiselange, die im Jahre 1852 gegen die erste Anlage von r8 km auf 18 km gestiegen war, erhohte sich nun auf 28, die Belagflache der Magazine war in diesen drei Etappen von 1500 m 2 auf 4900 und auf 9500 m 2 gestiegen. Wie auf dem Wiener Bahnhof mussten aber auch auf den meisten anderen Nord- bahn-Stationen im Anfange der Sechziger- Jahre neuerdings Erweiterungen vorge- nommen werden. Bei einer fast unge- anderten gesammten Betriebslange \vuchs die Zahl der Nebengeleise der Stationen vom Jahre 1858 bis 1868 von 54 auf 203 km, also auf das Vierfache, trotz- dem gleichzeitig das Doppelgeleise, das ja fiir die Stationen entlastend \virkte, von 135 auf 181 km verlangert worden war. In den mustergiltigen Typen, welche E t z e 1 beirn Bau der Kaiser Franz Josef-Orientbahn, also der unga- rischen und der croatischen, dann bei den karntnerischen Linien der Siidbahn sowie bei den Umgestaltungen der Stationen ihrer Stammlinie zur Amvendung brachte, treten die angefiihrten Vorziige der neuen Bauweise: Klarheit und Zvveckmassig- keit der gesammten Austheilung, ferner Rucksichtnahme auf kommende Ervveite- rungen besonders deutlich in Erscheinung. O ... ^5 Die Hauptgeleise sind meist unmittelbar vor das Aufnahmsgebaude gefiihrt, die Halle nur noch in den grossten Stationen beibehalten, sonst durch gedeckte Perrons oder eine Veranda ersetzt, vvie \vir sie seither allgemein verbreitet sehen. [Vgl. Abb. 190 der im Jahre 1870 er- bauten Station Tarvis.] In kleineren Stationen, vvie in Rann und Klagenfurt [vgl. Abb. 191 und 192], wurde das Giitermagazin dem Aufnahmsgebaude gegentibergestellt und dadurch der Vortheil gevvonnen, die Ge- Bahnhofsanlagen. 339 STATION LAIBACH 1849. H-H-i 1 . 663 0 Abb. 195 b. leise in der ganzen Stationslange fiir | den Giiterdienst auszuniitzen. In grosse- ren Stationen wurde die Nebenein- anderstellung des Personen- und Giiterbahnhofs beliebter, schon weil damit die Kreuzung der Zufahrtsstrasse mit dem Hauptgeleise vermieden werden konnte. Bei dieser Anordnung vvurde das Magazin 5 fter, wie in W i e n e r- Neustadt [Abb. 193], gegen das Auf- nahmsgebaude um die Breite der erfor- derlichen Magazinsgeleise zuruckgesetzt, was eine geradlinige Fiihrung der Haupt¬ geleise ermoglichte, oder beide wurden, wie in Laibach [Abb. 195 b], iir gleicher Hohe gehalten, wobei der Raum fur einige Zugsgeleise und eine grossere Geschlossenheit der Anlage gewonnen, dieser Vortheil aber mit einer un- giinstigeren Fiihrung der Hauptgeleise erkauft wurde. Hier wie in anderen Anlagen erscheint das Heizhaus immer so abseits situirt, dass es den Ueberblick iiber die Station nicht behindert und eine leichte Verbindung mit den Haupt- geleisen ermoglicht. Ausreichende Rangir- geleise und durchgehende Drehscheiben- strassen erleichtern die Zusammenstellung der Ziige. In grosseren Theilungsstationen, wie in Stuhlweissenburg [Abb. 196], ist die Trennung der einzelnen Dienst- zweige noch strenger durchgefuhrt und sind die Geleise reichlicher bemessen. Der Giiterbahnhof zeigt hier die Type, die in O fen [Abb. 197] besonders schon durchgebildet ist. Zwei Reihen von Giitermagazinen sind langs einer gemein- samen Zufahrtsstrasse angelegt, wahrend sich von aussen die Lade- und Rangir- geleise an sie anschliessen. Die Zustel- lung ganzer Zugstheile erfolgt hier iiber die Weichenverbindungen, wahrend ein- zelne Wagen iiber die Drehscheiben- strasse und mittels der Schiebebiihne uberstellt werden. Typisch ist auch die Anlage der Getreidehallen in Ofen, die nur zur vorubergehenden Lagerung der mittels Bahn aus dem Innern Ungarns kommenden und wieder nach dem Westen zu verladenden Producte dienen und daher keiner Zufahrtsstrasse bediirfen. 22* : 6 9 O O BAHNHOF STUHLWEISSEXBURG 18Č0. Bahnhofsanlagen. 341 Schwierige Terrainverhaltnisse und die grossen Kosten der Grundeinlosung zwangen in Ofen zu einer ortlichen Trennung des Giiter- und Personenbahn- hofes, welch letzterer durch die iiber- sichtliche Gesammtanordnung und die zweckmassige Lage der Eilgutrampen bemerkenswerth ist. Unter den zahlreichen Stationen, welche Mani el um die Wende der dungsbogen zwischen den beiden hier einmiindenden Linien konnte der Bahn- hof vom durchgehenden Giiterverkehr entlastet werden. Der grosse Umschwung, welcher im sechsten Jahrzehnt im Stationsbau eintrat, wird besonders deutlich, wenn man die ersten primitiven Bahnhofsanlagen ihrem Bestand aus der damaligen Zeit gegenuber- stellt. Selbst ein fltichtiger Blick auf den er- Abb. 198. Ansicht des Bahnhofes Pest aus den Sechziger-Jahren. Fiinfziger-Jahre auf den nordlichen und siidostlichen Linien der Staatseisen- b ah n - Gesellschaft zum Umbau brachte und mit verbesserten Betriebs- und Verkehrseinrichtungen versah, stand Pest in erster Linie. [Abb. 198.] Inner- halb der Jahre 1857 bis 1861 \vurden fiir diesen Bahnhof allein 1,500.000 fl. verausgabt. Sein Areal wurde mit Riick- sicht auf die kiinftigen Bediirfnisse des Guterdienstes wesentlich ausgedehni, namentlich die Heizhauser, die Werk- statten und die Geleiseanlage ervveitert; durch den bereits genannten Verbin- stenNordbahnhof undjenendesjahres 1852 und 1864 [Abb. 189], oder auf Stationen wie Cilli und Laibach vor und nach dem Umbau [Abb. 194 a, b und 195 a, b], die durch diesen nicht einmal an Aus- dehnung gewannen, die neuerbauten grossen Bahnhofe dieser Zeit wie Ofen oder die spater eingehender besprochenen Bahnhofe der k. k. sudlichen Staatsbahn in Triest aus dem Jahre 1857 [vgl. Abb. 206] und der Kaiserin Elisabeth-Bahn in Wien aus dem Jahr 1858 [Abb. 227] lehren den grossen Fortschritt, den diese Epoche ftir den Stationsbau bedeutete. 342 Ernst Reitler. Zu Ende der Sechziger-Jahre waren fast alle Stationen der grossen Bahnen, derNordbahn, derSudbahn und derStaats- eisenbahn-Gesellschaft den neuen Ver- haltnissen und ihren erhohten Forderun- gen angepasst. Aber gerade die wich- tigsten Bahnhofe in Wien, Prag und Triest waren zum Theil nocli in ihrer urspriing- lichen, zum Theil schon in wesentlich III. Der Stationsbau in Im Jahre 1867 setzte ein allgemeiner wirthschaftlicher Aufschwung ein, dessen rege Bauthatigkeit' das Bahnnetz der Monarchie innerhalb fiinf Jahren ver- doppelte, und \velcher- den Eisenbahn- Verkehr zu einer ungeahnten Hohe empor- schnellen Hess. Mit seinem Auftreten war auch eine neue Aera in der Ent- wicklung der Ssterreichischen Bahnhofe verkniipft. Auf den fiinf alten Hauptlinien, die den Mittelpunkt des Reiches radial mit der Peri¬ pherie verbanden, auf der Nord- und Carl Ludwig-Bahn, derKaiserinElisabeth-Bahn und der verzweigten Siid- und Staats- eisenbahn, die am Anfange dieser Epoche einen Verkehr von jahrlich 10,000.000 Passagieren und fast ebensoviel Tonnen Fracht aufwiesen, war \vahrend dieser fiinf Jahre die Verkehrs - Leistung auf das Doppelte gestiegen, wahrend ihre Betriebs- lange nur um 25 °/ 0 gewachsen war. Nun erst war der Charakter des Massenhaf- t e n in den Verkehr hineingetragen, und wie eine Hochfluth kam es tiber die Stationen, namentlich iiber die Bahnhofe der wirth- schaftlichen Centren, die schon friiher den Anforderungen kaum gewachsen waren. Da endlich jene Tage auch eine Reihe grosser Fragen zur Reife brachten, die — wie die Donauregulirung, der Hafen- bau in Triest, die Schleifung der Prager Festungswerke — den Umbau der Bahn¬ hofe mitbestimmten, so sehen wir in dieser Zeit fast alle grossen Bahnhofe ihre lange gehiiteten Grenzen weit zuriicksetzen und zu riesenhaften Dimensionen hinaus- wachsen: die Staatseisenbahn-Gesellschaft erbaut in Wien einen Centralbahnhof, der gleich hundert Hectare bedeckt, die Siidbahn Anlagen, die sich iiber 3 km geanderter Gestalt hinter den neuen Be- diirfnissen \veit zuriickgeblieben, wie ge- bieterisch sich auch das Verlangen nach ihrer Vergrosserung geltend gemacht hatte. Es musste erst eine Zeit kommen, die noch ungestiimer ihre Forderungen zu erheben verstand, um ihren Umbau gegen dre vielen auftretenden Hindernisse durchzusetzen. den Jahren 1867---1873. erstrecken, die Nordbahn Kohlenrutschen, die anderthalb Millionen Centner auf- nehmen, und alle Bahnhofe, die der Ausgangspunkt eines grossen Netzes sind, \verden selbst zu einem Netz von Geleisen, das bis 60 und 70 km umfasst. Die Ausgestaltung dieser Bahnhofe war aber nicht blos eine raumliche: die ganze Anlage musste eine planmassige werden, musste ein bestimmtes B e- triebsprogramm aussprechen, um bei dem lebhaften Verkehre die gebotene Sicherheit und Raschheit aller Mani- pulationen zu verbiirgen. Denn durch diese allein konnte erst jene Rege- lung- des gesammten Dienstbetriebes zur That werden, die mit der Codifici- rung des Wagenregulativs [1859], mit der Erlassung des Betriebsreglements [1863] und des Haftpflicht-Gesetzes [1869] angestrebt worden war. Dieser Betriebsplan musste in den grossen Bahnhofen auf eine noch weiter- gehende Theilung der Anlage, und zwar nach den Manipulationen der einzelnen Zvveige des Personen- und Giiterdienstes hinwirken. Auf den grossen Personen- bahnhofen, die durchwegs als Kopf- stationen ausgefuhrt \verden, wird die Post, das Eilgutmagazin und die Wagen- remise — wie auf dem Staatsbahnhof in Wien [vgl. Abb. 203] — unmittelbar neben das Aufnahmsgebaude verlegt, um ein rasches Zu- und Abstellen der Wagen bei den Personenztigen zuzulassen; durch Einfiihrung der Zungenperrons — wie auf dem dortigen Siidbahnhof — \vird die gleichzeitige Abfertigung mehrerer Zilge mit erhohter Ordnung und Sicher¬ heit ermoglicht, durch ausreichende Geleise vor der Halle erscheint fiir die Bahnhofsanlagen. 343 Abb. 199. Die Bahnhofe der Wien-Gloggnitzer Bahn in Wien in den Jabren 1845 bis 1867. Zusammenstellung der Personenziige, fiir das Reinigen der Wagen und deren Aus- stattung mit Leuchtmaterial vorgesorgt. Auch die grossen Giiterbahn- h o f e werden meistens als Kopfstationen mit stumpf endigenden Geleisen an- gelegt. Sttickgtiter und die verschie- denen Rohproducte erhalten gesonderte Bahnhofstheile zugewiesen; mit der An- lage ausgedehnter Lagerplatze und ge- deckter Lagerraume wird den auftreten- denWiinschen desPublicums entsprochen. Zahlreiche Rangir- und Ladegeleise und die Bestimmung einzelner Magazine fiir gewisse Verkehrsrichtungen sorgen. fiir einen beschleunigten Wagenumsatz, der durch die gesetzliche Feststeliung der Lieferfristen, durch die Einfuhrung der Wagenbeniitzungs-Gebiihr und durch das Streben nach Ausntitzung des rollen- den Materials als eine Forderung der Oeconomie sich geltend macht. Die Heiz- hausanlage wird meistens zwischen Per- sonen- und Giiterbahnhof, beiden gleich leicht zuganglich, angelegt. Die Anschluss- und Kreuzungsstatio- nen gewinnen durch die fortschreitende Verzweigung des Bahnnetzes eine immer erhohte Bedeutung, die sich in der Ver- grosserung der gesammten Anlage wie in der — vorerst vereinzelten — Ein- fiibrung neuer Typen ausspricht. Fiir die Sicherung des Verkehrs war durch die neue Signal-Ordnung vom Jahre 1872 die wichtigste Grundlage geschaffen; die Stations-Deckungssignale, die zu Ende der Sechziger-Jahre erst ver- einzelt aufgetreten waren, bildeten nun ein unumgangliches Zugehor jeder Linie mit lebhafterem Verkehr. Das Streben nach erhohter Sicherheit fand aber auch in der gesammten baulichen Anordnung seinen Ausdruck, und zwar in der genannten Vermehrung der Geleise selbst, in den spater zu besprechenden Keilbahnhofen, die einen gesicherten Austausch der Passagiere zwischen kreu- zenden Linien ermoglichten, in der thun- lichsten Vermeidung gegen die Spitze befahrener Weichen im Zuge der Flaupt- geleise, die bei falscher Stellung eine grosse Gefahrquelle bilden, ferner in der Einrichtung der kleinen Zwischen- stationen eingeleisiger Bahnen fiir doppel- geleisigeri Betrieb. Hiezu traten als wei- tere Garantieen fiir den Schutz des Per- sonals und des Publicums die ersten Ueber- briickungen ganzer Bahnhoftheile, um den Zugang zu abseits liegenden Werkstatten ohne Ueberschreitung der Geleise zu er- moglichen, und die Unter- oder Ueber- ftihrung belebter Zufahrtsstrassen an den Stationsenden oder in den Bahnhofen selbst an 'Stelle der bis dahin iiblichen Kreuzungen in Schienenhohe. Auch das Streben nach oconomischem Dienstbetrieb hinsichtlich der besseren Ausntitzung der Zugkraft und der Con- o o 344 Ernst Reitler, centrirung der Werkstatten erhalt in dieser Epoche ungleich starkeren Nach- druck als zuvor und beeinflusst dem- entsprechend das Gesammtbild der Stationen. Die Ziige fordern Aufstellungs- geleise von 500 bis 600 m Lange, und die Erbauung grosser Centrahverkstatten — in Floridsdorf, Simmering, Bubna, Mahr.-Ostrau u. a. — ermoglichten es zu- gleich, andere Stationen auf Kosten der bedeutungslos gewordenen kleineren Werkstatten auszudehnen. * * * Die beiden Bahnhofe vor der Bel- vederelinie in Wien hatten durch mehr als 20 Jahre fast unverandert den Wechsel zweiten Halfte der Sechziger-Jahre zum Theile ausgefiihrt und spater auf den in Abb. 200 ersichtlicben Stand er- ganzt wurde. Die beiden Hauptgeleise der Sudbahn sammt den spater hinzu- getretenen Geleisen der Verbindungs- bahn wurden rnittels Verschwenkungen um den Bahnhof herumgefiihrt. Alle Geleise des Gtiterbahnhofes sind hier auf beiden Seiten rnittels Weichenstrassen zusammengefasst, so dass die Ziige von beiden Seiten, von der Sudbahn, \vie von der Verbindungsbahn, in alle Grup- pen einfahren konnen Den Mittelpunkt der Anlage bilden zwei Reihen von Magazinen und Rampen mit einer ge- meinsamen, unter den Geleisen gefiihrten FRACHTENBAI-INHOF MATZLEINSDORF. der Zeiten uberdauert. Ilire ungestorte Symmetrie zeigte noch immer das Bild ihrer einstigen Zusammengehorigkeit und erzahlte von der gemeinsamen Ent- stehungs-Geschichte der beiden grossten Eisenbahn - Unternehmungen der Mon- archie. [Abb. 199.] Fiir den Giiterdienst der Stid- bahn in Wien hatte durch Jahre die kleine Anlage in Matzleinsdorf ge- niigen miissen, welche noch unter dem Staatsregime an Stelle der dortigen Personenhaltestelle errichtet worden war. Im Jahre 1865 hatte der Giiterumsatz in Wien bereits 300.000 t erreicht, so dass ein geordneter Verkehr nur unter grossen Schwierigkeiten und mit erheblichen Kosten aufrecht erhalten werden konnte. Man entschloss sich da- her, die Ladestelle Matzleinsdorf nach einem umfassenden Gesammtproject zu einem grossen Giiterbahnhof auszu- bauen, welcher unter Bo lz e in der Zufahrtsstrasse und aussen liegenden Verschubgeleisen. Eine dritte Geleise- gruppe bedient die Kohlenrutschen. Mehrere Drehscheibenstrassen unterstiitzen die Rangirung und die Wagenzustellung. Im Jahre 1861 war bereits neben dem P e r s o n e n b a h n h o f an Stelle des alten Heizhauses eine Remise fiir 40 Maschinen und eine grosse Werkstatte errichtet und die Wasserversorgung rnittels Donau- \vassers durchgeftihrt worden. Der eigent- liche Umbau des Personenbahnhofes, der angesichts der herannahenden Weltaus- stellung doppelt geboten war, komite erst indenjahren 1868—1873 unter Flattich erfolgen. [Abb. 202 und 203.] *) An einKopf- gebaude, das die imposante Halle und eine grosse zvveitheilige Aufgangstreppe auf- nahm, vvurden zwei Langsgebaude mit Gepacksraumen, den hochgelegenenW arte- *) Vgl. auch Abb. auf Tafel III, Seite 402, im Abschnitt Hochbau von H. Fischel. Bahnhofsanlagen. 345 salen und Bureaux angeschlossen. Fiinf von der Halle iiberspannte Geleise, deren Zahl in den Achtziger-Jahren auf sechs erhoht wurde, sind in drei Gruppen angeordnet, die von den zwei Langs- und den zwei Zungenperrons, welche von einem Stirnperron ausgehen, um- schlossen werden. Da alle Hallengeleise mit den zwei Hauptgeleisen durch doppelte Weichenstrassen in Verbindung stehen, so ist es durch eine solche Perronanlage ermoglicht, die Ziige unabhangig von einander und in kiirzesten Zeitintervallen abzufertigen. Bereits im Jahre 1873 hatte derneueBahn- hof in einer Frequenz von vier Millionen Passagieren die Feuerpro- be seinerLeis- tungsfahio-keit O o zu bestehen. Der Bahn¬ hof derStaats- eisenbahn- Gesellschaft in Wi e n war durch den Bau der Ergan- zungslinien nach Briinn und Marchegg mit einem Schlage der Mittelpunkt eines einheitlich geleiteten Netzes von 1597 km geworden und bedurfte daher der Ausgestaltung- zu einem grosseu Centralbahnhof fur Giiter- und Personenverkehr. Fiir den Umbau des Raaber Bahnhofes, der in den Jahren 1867—1870 unter C. v. Ruppert er- folgte, stellten aber die ortlichen Verhalt- nisse ganz andere Gesichtspunkte in den Vordergrund, als dies bei seinem Nacbbar von der Siidbahn kurz zuvor der Fali ge- wesen. [Vgl. Abb. 203.] Hier war es gelun- gen, neben dem alten Bahnhof eine Flache von fast 1700 m Lange und 600 m Breite zu erwerben, die keine Sffentlichen Wege beriihrte und daher fiir die Anlage des Guterbahnhofes sehr geeignet war. Die hohe Lage des alten Raaber Bahn¬ hofes, fiir welche seinerzeit blos die Riicksicht auf die Symmetrie mit dem Bahnhof derWien-GloggnitzerBahn mass- gebend gewesen war, hatte keine innere Berechtigung mehr. Denn das durch die Forderungen der Schiffahrt gegebene Niveau der Donaucanal-Briicke im Zuge der neuen Linie nach Stadlau hatte ein fiir den Betrieb sehr nachtheiliges Gefalle vom Bahnhof aus nothwendig gemacht. Sprach schon dieser Umstand fiir die Abtragung und Tieferlegung des zu er- weiternden Personenbahnhofes, so trat noch ein anderer ausschlaggebender hinzu, dass es namlich fiir die Erleich- terung des Betriebes geboten war, den Giiter- und Personenbahn- hof in gleiche Hohezu legen, was unter Bei- behaltung des alten Niveaus fiir den Giiter- bahnhof eine grosse Anschiittung, Schwierigkei- ten in der Materialbe- schaffung und zwecklose Kosten verur- sacht hatte. So wurde denn der alte Personenbahnhof unter steter Aufrecht- haltung des Betriebes abgetragen und durch einen in Strassenhohe liegenden Neubau ersetzt, der zwei Langsgebaude, eine zwei- getheilte Halle und sechs durch einen Zwischenperron in zwei Gruppen getheilte Geleise umfasst. Die fiir die Abfahrt be- stimmten drei Geleise sind hier mittels Drehscheiben fiir das Umsetzen von Wagen, die Ankunftsgeleise mittels Weichen zum Ausschieben der Zugs- maschine miteinander verbunden. Der neue Guterbahnhof erhielt eine Theilung nach den drei Hauptlinien der Bahn: der nordlichen, siidlichen und der siidostlichen, welche Theilung auch in den drei Gruppen der Magazine und Rampen, der zugehorigen Lade- und Rangirgeleise festgehalten ist. Zwischen je zvvei Magazinsstrassen sind noch Abb. 201. Krahn fiir schwere Lasten auf dem Frachtenbahnhof Matzleinsdorf. BAHNHOFANLAGE DER ST A ATSEISENB AHN-GESELLSCHAFT. 346 Ernst Reitler. B AHNHOFANLAGE DER SUDBAHN. PERSONENBAHNHOF DER SUDBAHN IN WIEN. Bahnhofsanlagen. 347 Freiladegeleise an- geordnet. Die La- gerflache betrug 144.000 7M 2 . ZuEn- de der Achtziger- Jahre wurden die Anlagennochdurch Getreideschupfen und einen Rohpro- ducten-Bahnhof fiir Kohle, Holz und Petroleum vervoll- standigt. Die grosse Enveiterung des Wiener Nordbahn- hofes im Jahre 1864, welcher durch den Donau- arm eine natiirliche Grenze gesetzt war, wurde durch den machtig angewach- senen Verkehr rasch iiber- holt. Innerhalb der nach- sten ftinf Jahre war der Giiterverkehr der Nord- bahn wieder auf das Doppelte, auf 3'6 Millionen Tonnen, gestiegen, insbe- sondere hatte der Kohlen- verkehr und insbesondere die Kohlenabgabe in Wien eine Hohe erreicht, \velche die Anlage eines ausge- dehnten Kohlenbahn- hofes dringend erforderte. Aber erst nachdem die schvvebende Frage der Do- nauregulirung bei Wien entscbieden und damit die umzulegende Trače zwi- schen Wien und Florids- dorf festgestellt war, konnte der Anschluss des kiinftigen Giiterbahnhofes an die neue Ausfahrtslinie und so seine ganze Aus- theilung bestimmt werden. [Vgl. Abb. 204.] Zwiscben denjahren 1869 und 1872 \vurde diese grossartige Enveiterung unter R. v. Stockert durchgefiihrt; fiir die Bahnhofsdamme \var eine Anschiittung von 1 '/2 Millionen Cubikmetern, die dem neuen Donau- bett entnommen rvurden, erforderlich. Die Ausbreitung der Bahnhofsflache tiber 36 Hectare bedingte unter Anderem die Einlosung eines grossen Hausercomplexes — des Fischerdorfes — das 5000 Menschen beherbergt hatte. Nach Cassirung des im 34« Ernst Reitler. Bogen gelegenen Kohlendammes konnte das Plateau, das die Magazine und Rampen trug, erweitert und die Magazins- flache durch Neubauten wieder auf das Doppelte des bisherigen Bestandes — auf 17.860 m 2 — erhoht werden. Der neue Kohlenbahnhof wurde durch die An- schiittung von vier weiteren parallelen, bis 900 m langen Dammen gewonnen, deren Boschungen vorvviegend mit Kohlenrutschen besetzt sind. Mit diesem Umbau war jenes Gesammtbild des Bahn- hofes geschaffen, welches auch der heutige Bestand zeigt, trotz mancher nicht un- wesentlicher Erganzungen, welche ihm die letzten Jahre gebracht haben. des Bahnhofes gerade an jene Stelle forderte, die zwischen Berg und Meer kaum den nothdiirftigen Raum fiir eine Communalstrasse offen liess, die sich aber durch die geschiitzte Lage der Rhede fiir die Anlage des Hafens besonders empfahl. Das Terrain fiir den ganzen Bahnhof, wie fiir die Strassen und Platze seiner Verbindung mit der Stadt mussten erst dem Meere durch bedeutende Anschiit- tungen abgerungen werden, fiir die Quai- mauern und Molos durch Versenkung grosser Beton- und Steinmassen und durch Ausbaggerung von Seeschlamm der feste Untergrund geschaffen, fiir die Gebaude Abb. 205. Ansicht des projectirten Bahnhofes und Hafens von Triest im Jahre 1857. Eine technisch wie wirthschaftlich gleich bedeutsame Umgestaltung erfuhr in diesen Jahren der Bahnhof in Triest. Die erste Eroffnung dieses Bahnhofes, im Jahre 1857, war in berechtigter Weise mit den grossten Erwartungen begrusst worden. War ja mit seinem Bau endlich die Linie geschlossen, weiche Wien und die Provinzen mit dem Adriatischen Meere verkntipften, dessen Erscbliessung fiir den osterreichischen Export befruchtend auf Industrie undHandel zuriickwirken musste! Die Central-Direction fiir die osterreichi¬ schen Staatseisenbahn-Bauten in Wien, unter deren Oberleitung der Bau dieses Bahnhofes sowie der ersten Hafenanlage erfolgte, hatte dessen Bedeutung wohl zu wiirdigen gewusst; sie war nicht vor den grossen technischen Schwierigkeiten zuriickgeschreckt, welche die Verlegung des Bahnhofes iiber zehntausend Piloten eingerammt, die Wildbache Martesin und Klutsch in weit iiberwolbten Canalen unter den Bahnhof durchgefiihrt werden, eine Reihe von offentlichen und Privat- gebauden musste abgetragen, die Marine- Akademie verlegt und dem herrschenden Wassermangel durch die grossartige Auresina-Wasserleitungbegegnet werden. Leider wurden aber dieser weisen Opferwilligkeit, welche angesichts der grossen Aufgabe auch vor grossen Kosten nicht zuriickschreckte, an e i n e r Stelle Schranken gezogen, die den dauern- den Erfolg der ganzen Anlage wesent- lich beeintrachtigten. Um die angren- zendeQuarantaine-Anstalt, das neue Laza- reth und seine ausgedehnten Baulich- keiten zu schonen, die, am Fusse eines Bergabhanges liegend, nicht umgangen Bahnhofsanlagen. 349 werden konnten, wurde die Bahn mittels eines 7 m hohen Viaductes iiber dieselben hinweggefiihrt, der die Hohenanlage des ganzen Bahnhofes mit 10 m liber dem Seespiegel bestimmte. Wie vortheilhaft auch anfangs die hiedurch gegebene etagenformige Gliederung des Aufnahms- gebaudes und der Magazine erscbien, da sie in einfachster Weise die Trennung des Freihafengebietes vom Zollgebiete gestattete, so war doch der Bahnhof gleichsam auf einen Isolirschemel ge- stellt, der Giiterverkehr zwischen Schiff und Bahn durch den grossen Hohenunter- schied wesentlich erschwert und die Aus- dehnung des Bahnhofes behindert. stieg, begann sich die Beengtheit des Bahnhofes wie des Hafens gegeniiber so grossen Anforderungen, die Erschwernis der Giitermanipulation infolge der hohen Lage der Geleise, und der Mangel an geeigneten Ladevorrichtungen, wie eine driickende Fessel fiir den Handel fiihlbar zu machen. Der Verkehr drangte liber die kiinstlich errichteten Grenzen hinaus; nachdem alle vorhandenen Platze des Bahnhofes, auch jene fiir das kiinftige Aufnahmsgebaude fiir Zwecke des Giiter- dienstes ausgeniitzt \vordfen waren, muss- ten die hohen Umfassungsmauern des Bahnhofes durchbrochen und die Geleise mittels Rampen in das untere Niveau BAHNHOF UND HAFEN VON TRIEST 1857. 1 : 10.000 Abb. 206. In der gesammten Austheilung des Bahnhofes waren die besten Grundsatze der damaligen Bauweise zur Geltung gekommen und die Dimensionen, den Erfahrungen entsprechend, reichlich be- messen. Zwei Magazine von 290 m Lange mit einem Lagerraum von iiber 31.000 m 8 , Kohlenmagazine mit einer Vorrichtung, um die Kohle aus den Bahnwagen iiber beivegliche Rutschen nnmittelbar in die Schiffe zu entladen, eine Rampe fiir IJolz und die zugehorigen Geleise bildeten einen gesonderten Giiterbahnhof, wahrend statt des gross angelegten Personenbahnhofes vorlaufig ein provisorisches Aufnahms¬ gebaude diente. [Abb. 205 und 206.] Indem sich aber der Giiterumsatz des Triester Hafens vom Jahre 1858 bis zum Jahre 1865 auf das Fiinffache erhohte und in diesem Jahre bis auf 1,000.000 t gefuhrt werden, theils um die unmittel- bare Verladung zivischen Schiff und Bahmvagen zu ermoglichen, theils um die unten aufgestellten Gtiterschupfen zu bedienen. Durch diese vom Bediirfnisse erzwun- genen provisorischen Bauten war aber die Richtung gewiesen, in welcher allein der so dringend gebotene Umbau und die Erweiterung des Bahnhofes erfolgen konnte: er musste von seiner Hohe herab in ein tieferes Niveau verlegt werden. Aber erst nachdem das Project fiir den grossen, auch gesteigerten Anforderungen entsprechenden Hafen mit drei Bassins fest- gestellt worden war, dessen Ausfuhrung die Zeit vom Jahre 1867 —1874 in An- spruch nahm, konnte der Umbau des Bahnhofes selbst im Jahre 1872 nach dem Projecte von W. Flattichin Angriff Abb. 207 350 Ernst Reitler. genommen werden. Die Quarantaine hatte inzwischen den Platz geraumt und so komite der Bahnhof in Strassenhohe sich in der Richtung gegen Wien und gegen den Hafen er\veitern.*) [Abb. 207.] Gegen das Meer zu wurden drei Magazine mit ausreichenden Geleisen, gegen Triest ein gesonderter Rohproduc- ten-Bahnhof mit Strassenlade-Ge- leisen angelegt. Hierauf erst konnte der neue Personenbahnhof, ein Kopfgebaude mit anschliessenden Langsgebauden, ausgefiihrt werden. Eine neue grosse, halbrunde Loco- motivremise und eine kleine Werk- statte wurden derart situirt, dass der Grundcomplex abgerundet, die Miramare-Strasse in schonem Zuge unmittelbar neben dem Aufnahms- Gebaude iiber die alte Bahnhofs- flache gefuhrt werden konnte, wahrend von der bestandenen Heiz- haus- und "VVerkstattenanlage nur das langgestreckte Hauptgebaude nunmehr jenseits derStrasse verblieb und zu einem Wohngebaude um- gestaltet wurde. An den alten hocbgelegenen Bahnhof erinnerte nichts mehr, als die zwei grossen Magazine, die in ihrer Hohenlage belassen und mittels steil ansteigender Geleise zuganglich . gemacht wurden. An ihren Enden wurden sie durch einen Silo als Querbau verbundeni Es war dies in Oesterreich der erste jener gross- artigen Elevatoren, die zur Aufspei- cherung des mit der Bahn zuge- fiihrten und mittels Schiffen zu expor- tirenden Getreides dienten. Das Ge- treide gelangte hier aus den Bahn- wagen in tief gelegene Trichter, aus denen es mittels der von Dampf- maschinen betriebenen Paternoster- werke gehoben und mittels Trans- portbandernundTransportschnecken in die 474, an 13 m hohen quadra- tischen Kasten [Silos] vertheilt \yurde, welche sich unmittelbar ins Schiff entleerten. Da jeder Kasten *) Ueber den Hafen und seine der jiingsten Zeit angehorigen Magazins- bauten siehe S. 364. 35i Bahnhofsanlagen. iooo Meter-Centner Getreide fasste, so war der Elevator zur Aufnahme von nahe- zu einer halben Million Centner geeignet. Leider hat die vollstandige Unterbindung des seinerzeit so lebhaften Getreideexportes den Elevator seit einer Reihe von Jahren seiner Bestimmung entzogen. [Abb. 208 zeigt noch den erst im Jahre 1880 abge- tragenenViaduct, wahrend die Ervveiterung des Bahnhofes und des Hafens bereits durchgefiihrt ist.] Auch fiir den beengten B ahnh o f der Staatseisenbahn-Gesellschaft in Prag war endlich die befreiende Stunde gekommen. Die Stadtmauern, welche den Bahnhof seit seiner ersten Anlage [vgl. Abb. 187] in der Mitte durchschnitten und die Verkehrsanlagen auf einen Raum von 230 m Lange und 140 m Breite ein- schrankten, bildeten ein uniibersteigbares Hindernis fiir seine planmassige Erweite- rung. Zwar wurde noch im Laufe der Sechziger-Jahre vor den Thoren ein Theil des Giiterbahnhofes untergebracht, die Werkstatte bedeutend vergrossert, im benachbarten Bubna der Giiter- und Zug- forderungsbahnhof zur Entlastung der Prager -Anlage erweitert. Aber erst nachdem im Jahre 1871 die Bastei ge- fallen war, konnte der Bahnhof unter De Serres jene Ausgestaltung erhalten [Abb. 209], die er noch heute fast unver- andert zeigt. Die beiden Hauptlinien von Wien und Bodenbach sind durch einen Bogen derart verbunden, dass Transito- ziige ohne Beriihrunp - des Bahnhofes durch- gehen konnen, die Einfahrtshauptgeleise der beiden Linien sowie die Ausfahrts- geleise sind neben einander gefiihrt und einerseits an einen Langs-, andererseits an den Zwischenperron gelegt. Durch den letzteren vvurden die Erschwernisse, die sich aus der Bentitzung dieses Kopf- bahnhofes fiir durchgehende Ziige er- geben, gemildert und seine Leistungs- fahigkeit erhoht. Der Giiterbahnhof er- scheint durch ausgedehnte Magazine und Geleise und durch einen tiefgelegenen Kohlenbahnhof erweitert, dessen Zu- fiihrungsgeleise unter den Hauptgeleisen gefiihrt sind. Aber durch den ersten, grundlegenden Fehler in der Anlage dieses Bahnhofes als Kopfstation und durch die rasch fortgeschrittene Verbauune: \varen o o Abb. 208. Ansicht des Bahnhofes und Hafens von Triest um die Mitte der Siebziger-Jahre. 352 Ernst Reitler. auch seiner Ervveiterung Grenzen gezogen, die eine freiere Anordnung und die raumliche Ausdehnung nachtheilig be- einflussten. Unter den grossen Bahnhofen der in dieser Periode neu erbauten Linien, bei vvelchen die Disposition frei war von jener einschrankenden Rticksicht auf das Bestehende, die bei der Umgestaltung und Erweiterung eines alten Bahnhofes immer mehr oder weniger ins Spiel tritt, ist der unter Hellwag erbaute Nord- westbahnhof in Wien besonders Wenn auch die hervorragenden Lei- stungen im Bau der grossen, planmassig angelegten Endbahnhofe den in Rede stehenden Abschnitt der Geschichte der Stationsanlagen das Geprage geben, so hielt doch auch die Thatigkeit in dem Bau und der Ervveiterung der Zwischen- und Theilungsstationen bezuglich der Vermehrung der Geleise, der Lademittel und Heizhauser mit dem machtigen Verkehrsaufschvvung gleichen Schritt. Vom Jahre 1868 bis 1873 hatte sich die Betriebslange der Nordbahn und der BAHNHOF DER STAATSEISENBAHN- GESELLSCHAFT IN PRAG. Abb. 209. !• 10.000 200 300 Mt. beachtenswerth. Das durch seine iiber- sichtliche Gliederung und seine reiche Di- mensionirung ausgezeichnete Project kam bis heute nur theilweise zur Ausfuhrung. Da die Verhandlungen iiber die Ein- bindung des Personenbahnhofes in die ge- plante Fortsetzung der Wiener Verbin- dungsbahn nicht zu einem Erfolge fiihrten, so wurde dieser als Kopfstation angelegt. Magazins- und Geleiseanlagen sind in drei Gruppen getheilt, von denen zwei dem Stilckguter- und eine dem Rohproducten- Verkehr dienen. Diebeiden, durch den gan- zen Bahnhof geradlinig gefuhrten Haupt- geleise, die Einfahrtsgeleise der genannten drei Gruppen des Lastenbahnhofes, ferner des Kohlen- und des Maschinenbahnhofes vereinigen sich an der Wurzel der ganzen Anlage in einem Signalbahnhof, der von einem hohen Signalthurm beherrscht wird. Staatseisenbahn-Gesellschaft von 1800 km auf circa 2200 km , also um 2 O °/ 0 erhoht, die Nebengeleise hatten dagegen um 60°/ 0 bis auf etwa 1000 km zugenommen, vvahrend zugleich das Doppelgeleise von 400 km auf 700 km vermehrt vvorden war. Die Nordbahn allein investirte in dieser Zeit ein Capital von etwa 15,000.000 fi., um ihre Stationen auf der Hohe der Verkehrs-Anforderungen zu erhalten. Die zahlreichen, an den Grenzen er- offneten Bahnanschliisse bedurften einer besonderen Ausbildung der Durchgangs- station fiir die Aufgaben des Grenz- v e r k e h r s. Im Idahnhofe Tetschen .der Nordwestbahn wurde diesen Forde- rungen auf Beschleunigung der Zoll- manipulation und des Zugiiberganges unter moglichster Ausnutzung des Raumes Bahnhofsanlagen. 353 durch eine gliickliche Losung entsprochen. [Abb. 210 und 211.] Der ganze Bahn- hof bildet ein flaches, gleichschenkeliges Dreieck, dessen langgedehnte Basis die zwei Gruppen der bis 900 m langen Uebergabsgeleise bilden, zwischen welchen die Transitozollmagazine liegen. Der eine der zwei kiirzeren Schenkel dient dem Ortsgiiterdienst, der andere dem Personen- verkehr. Der Bahnhof der Bobmischen Nordbahn ist hier an jenen der Nord- \vestbahn derart angeschlossen, dass eine gemeinsame Zufahrtsstrasse die beider- seitigen Magazine, wie die beiderseitigen Aufnahmsgebaude bedient, welch letztere, in ungleicher Hohe gelegen, durch einen verglasten Gang mit einander in Ver- bindung stehen. durch die ganze Station bis iiber die Endvveiche hinausgefiihrt und in das Ne- bengeleise erst zuriickgedrtickt werden mussten. Auf eingeleisigen Strecken, wo die Spitzweichen nicht ganzlich um- gangen werden konnten, \vurde im Inter- esse einer geregelten Zugseinfahrt jede Zwischenstation [vgl. Abb. 213] z\vei- geleisig angelegt, so dass die haltenden und sich bewegenden Ziige immer die linke Fahrtrichtung einhielten; und indem diese Geleise hiebei gegeneinander ver- setzt wurden, war das Befahren der Spitzweiche im Bogen vermieden und so wenigstens die Einfahrt in der Ge- raden bewirkt. Aberdie beiden genannten Massregeln, die im Jahrei 876 durch ministerielleVerord- BAHNHOF TETSCHEN DER OSTEREEICHISCHEN NORDWESTB AHN. In den mittleren und kleinen Zwischenstationen wurde in dieser Periode der beginnenden Be- schleunigung der Fahrten die Siche- rung des Zugsverkehrs insbesondere in Hinsicht auf die durchgehenden Schnell- ziige fiir die Geleiseanlage bestimmend. Bereits in den friiheren Jahren war das Bestreben aufgetreten, die gegen die Spitze befahrenen Wechsel im Zuge der Hauptgeleise mbglichst zu vermei- den. Nunmehr wurde aber diese For- derung systematisch festgehalten und in Stationen doppelgeleisiger Linien, wie St. Peter-Seitenstetten [vgl. Abb. 212] oder in dem alteren Cilli [Abb. I94b] jede Spitzvveiche grundsatzlich vermieden. Dadurch vvar die unmittel- bare Einfahrt der Ziige in ein Neben- geleise unmoglich gemacht, so dass sie nungen verbindliche Kraft erhalten hatten, bildeten doch nur eine voriibergehende Episode in der Geschichte des Stations- baues. Denn einerseits erwies sich der Vortheil fiir die Sicherheit des Betriebes, der mit dem beschwerlichen Zuriick- schieben der Ziige aus der freien Strecke in das Nebengeleise erkauft werden solite, als ein sehr fraglicher und der Weichenbogen, den nun alle Schnellziige der eingeleisigen Bahn durchfahren mussten, als sehr belastigend — anderer- seits wurden diese Massnahmen durch die Verbesserung der Weichenconstruc- tionen und durch die gesicherte Central- stellung der Weichen bald iiberboten. Wenn man daher auch noch heute die Zahl der Spitzweichen in den Haupt- geleisen moglichst einschrankt, so unter- lasst man es doch nicht, die, oft 23 Geschichte der Eisenbahnen. II. 354 Ernst Reitler. mehr als 700 m langen Nebengeleise, an beiden Enden ins Hauptgeleise ein- zubinden. Um dabei in Zwischen- stationen doppelgeleisiger Bahnen die Kreuzung eines Hauptgeleises zu ver- meiden, \verden die Nebengeleise zu bei¬ den Seiten der Hauptgeleise vertheilt. [Vgl. Abb. 214.] In Zwischenstationen eingeleisiger Bahnen wird das Haupt¬ geleise wieder wie vor Jahren an bei¬ den Stationsenden geradlinig gefuhrt. Die Gebaude werden in beiden Fallen mit Rucksicht auf fallvveise Erweiterungen moglichst auf einer Seite vereinigt. STATION ST. PETER-SEITENSTETTEN. Abb. 212. ZWISCHENSTATION II. CLASSE DER OSTERREICHISCHEN NORDWESTBAHN. Abb. 213. STATION CHYBI. o 10 20 jo m 50 100 150 20om. mi li h - h -1-1-1 Abb. 214. Bahnhofsanlagen. 355 IV. Der Stationsbau der jiingsten Zeit. Mit dem Begin ne der Achtziger- Jahre erhielt der Eisenbahn-Verkehr von Neuem eine anfangs s.anft ansteigende Tendenz, die aber bald unter der Einwir- kung eines rasch erstandenen und • ausge- dehnten Localbahnnetzes, unter dem bele- benden Einfluss tarifarischer Massnahmen und der gebesserten allgemeinen wirth- schaftlichen Lage, trotz der Ungunst zoll- politischer Verhaltnisse, in steiler Linie zu einer Hohe hinauffiihrte, die alles Friihere weit hinter sich liess. Welch un- gleich grossere Leistungwar den Stationen vom Jabre 1895 gegentiber jenen vom Jahre 1873 zugefallen, wenn auf den Bahnen der Monarchie statt der dama- ligen 44 Millionen Passagiere, nunmehr 146 Millionen, statt der 34 Millionen Tonnen 107 zum Transport gelangten, statt der 53 Millionen Zugskilometer deren 164 aufgewiesen wurden! War auch in dieser Zeit das Bahnnetz um 8o°/ 0 gewachsen, so fiel doch bei dem Umstand, als der Zuwachs meist Local- bahnen und Bahnen zweiter Ordnung betraf, der grosste Antbeil der Mehr- leistung bei diesem auf das Dreifache gestiegenen Verkehre den bestandenen Hauptlinien zu. So zeigte die Siidbahn bei fast unveranderter Betriebslange eine Zunahme des Personenverkehrs von 9 - 2 auf 19 Millionen Passagiere, des Giiterverkehrs von 4'2 auf 87 Millionen Tonnen; die Nordbahn, deren Haupt- bahnnetz durch den Bau minderwerthiger Linien um ein Viertel der Lange ver- mehrt worden war, ein Anwachsen von 3’3 Millionen Passagiere auf 10, und von 4 auf 11 Millionen Tonnen Fracht. Die belebtesten Bahnhofe er- reichten dabei eine tagliche Wagenbewe- gung von mehr als 9000 Wagen und eine Frequenz von mehreren Hundert Ziigen. Der grosse Apparat, der fiir die Bewaltigung eines so machtigen Ver- kehrs in Bewegung gesetzt werden musste und der desto rascher functioni- ren solite, je mehr er an Umfang ge- wann, musste naturgemass ungleich zahlreichere und bedeutsamere Gefahr- quellen hervortreten lassen, denen zu begegnen ' war, und musste ein desto sichereres Ineinandergreifen aller Theile erfordern, als jede Stockung in diesem Getriebe weit zuriickwirkte und sich in dem grossen Haushalt der Bahnen un¬ gleich empfindlicher fiihlbar machte. Das Streben nach weitestgehender Si- cherheit und nach moglichster Oecono- m i e ist es daher, das dem Stationsbau der jiingsten Zeit die Signatur verleiht und das namentlich zu jenen grossen modernen Knotenpunkts-Bahnhofen fiihrt, die den Hohepunkt unserer Bahnhofstechnik be- zeichnen. In denEinrichtungen fiir die centrale Weichen- und Signalstellung war dem Eisenbahn-Betrieb ein neues, wirksames Mittel an die Hand gegeben, ohne welches es kaum mogli ch gewesen ware, die Ein- und Ausfahrt der Ziige bei deren rascher Folge in noch halb- wegs iibersichtlichen Stationen mit Ver- lasslichkeit zu sichern. Von der Mitte der Siebziger-Jahre an hatten diese Einrich- tungen in schrittweiser Vervollkommnung den Aufstieg des Verkehrs begleitet. Durch die Zusammenziehung der Stell- vorrichtung mehrerer Weichen in einen Centralapparat war zunachst der Vor- theil gevvonnen worden, das Umstellen der Weicben der Moglichkeit eines Miss- griffes seitens des unter gefahrlichen Geleise-Ueberschreitungen hin- und her- eilenden Weichenwarters zu entziehen. Den gefahrbringenden Irrthiimern des Centralwarters selbst wurde spater durch die im Apparate hergestellte Abhangig- keit zwischen Weichen und Signalen vorgebeugt, indem die Signalisirung der erlaubten Einfahrt erst nach der »Verrie- gelung« der Weichenstrasse erfolgen kann, die selbst an die richtige Stellung aller zugehorigen Weichen gebunden ist. Da endlich die immer raschere Folge der Ziige noch die Gefahr einer vor- zeitigen Umstellung der Weichen sei¬ tens des Centralwarters unter dem dariiber befindlichen Zug aufkommen liess, so wurde ihm durch die Ein- fiihrung des »Fahrstrassen-Verschlusses« 23’ 356 Ernst Reitler. die Moglichkeit benommen, die Entriege- lung und Umstellung der Weichen vor- zunehmen, so lange nicht der Stations- beamte von seinem Bureau aus den Fahrstrassen-Verschluss mittels des Block- apparates elektrisch ausloste oder so lanee nicht der Zus selbst nach Passi- rung der letzten Weiche diese Auslosung mittels eines automatisch wirkenden elek- trischen Schienencontactes bewirkte. Aus dem Bediirfnis nach Sicherung der Zugseinfahrten in den Stationen her- vorgegangen, \virkte die Einfuhrung der Stelhverke selbst auf den Stationsbetrieb und auf die Geleiseanlage zurtick, indem sie ein um so klareres, der Einrichtung des Apparates entsprechendes Bild aller Zugs- bevvegungen erforderte. Jeder Fahrtrich- tung der Personenztige wird nun ein be- stimmtes Hauptgeleise zugewiesen, das — namentlich in Stationen mit leb- hafterem Verkehr ■—■ von allen Manipu- lationen moglichst unabhangig gemacht \vird. Die Zahl der Weichen in diesen Hauptgeleisen — insbesondere jene der Spitzweichen — wird auf das nothwen- digste Mass beschrankt. Um die bis dahin allgemein iiblichen Verschiebungen im Hauptgeleise zu vermeiden, bei denen ein Zugstheil liber die letzte Weiche auf die freie Strecke gezogen und seine Wagen iiber die Weichenstrasse in die einzelnen Geleise vertheilt wurden, wird nunmehr in Stationen mit bedeutenderem Rangirdienst neben dem Hauptgeleise ein gesondertes Auszugsgeleise angeordnet [vgl. Abb. 217], in welchem die Rangi- rung ohne Beruhrung des Hauptgeleises erfolgt. Bei noch umfangreicherem Rangir¬ dienst wird dieses Auszugsgeleise der- art an die Nebengeleise angeschlossen [vgl. Beilage Fig. 2], dass auch die Einfahrt der Giiterzuge in die Nebengeleise ohne Behinderung der Verschubarbeit und ohne Gefahrdung durch den verschie- benden Zug vor sich geht. In gleicher Weise wie die Auszugsgeleise werden auch Ablenkungsweichen [vgl. Abb. 248] zur Flankensicherung der auf den Hauptgeleisen verkehrenden Ziige und zur VerhUtung von Streifungen, Sandgeleise zum Auffangen entlaufener Wagen und dergleichen angeordnet. Auch die Ver- bindung weiter auseinander liegender Babnhoftheile wird durch eigene Geleise ohne Beriihrung der Hauptgeleise ver- mittelt. Den Fahrten der Locomotive ins Heizhaus, dem Zuschub reparatur- bediirftiger Wagen zu den Werkstatten, dem Verkehr zwischen den strenge getheil- ten, den verschiedenen Dienstzweigen zugevviesenen Bahnhofsbezirken werden bestimmte Geleise vorbehalten. Kreuzun- gen von Personenzugs-Hauptgeleisen im Niveau werden in neuen Stationen mit einio-ermassen lebhafterem Verkehr ebenso ra auf der freien Strecke grundsatzlich ver- mieden, jene mit Lastzugsgeleisen mog¬ lichst eingeschrankt. In Theilungs- und Kreuzungsstationen wird der Austausch der Passagiere zwischen den einzelnen Bahnlinien ohne Ueberschreitung der Geleise ermoglicht, bei dem immer wach- senden Verkehre endlich durch die Ver- legung jedes Hauptgeleises an einen ge- sonderten Perron und durch schienenfreie Verbindung der Perrons untereinander jed\vede Geleisetiberschreitung seitens des Publicums ausgeschlossen. Alle diese Mittel fiir die erhohte Sicherheit des Verkehrs waren zugleich die geeignetsten, den ganzen Betrieb zu beschleunigen. Sie allein waren aber nicht im Stande gewesen, den gewaltigen Kreislauf der Wagen stets in dem ge- botenen Fluss zu erhalten, wenn er nicht in den Districten des dichtesten Verkehrs durch die Anlage selbstandiger und leistungsfahiger R a n g i r b a h n h o f e, ferner durch den weiteren Ausbau der Guterbahnhofe, namentlich hinsichtlich der Lagerraume und Lagerhauser die kraftigste Fdrderung erhalten hatte. In den wichtigeren Kreuzungs- und Anschlussstationen, wo die Giiterziige aus mehreren Richtungen zusammentreffen, dort aufgelost und zu neuen Ziigen zu- sammengestellt werden mussen, hatte das Rangirgeschiift einen Umfang ange- nommen, dem gegentiber sich die Er- weiterung der alten Bahnhofe durch den steten Anschluss neuer Geleisegruppen als unzulanglich erwies. Die hieraus sich ergebende Ueberftillung der Stationen musste kostspielige Stockungen im ganzen Zugsverkehr hervorrufen, die sich bei lebhafterem Verkehre umso storender ftihlbar, machten. Zu Ende der Siebziger- Bahnhofsanlagen. 357 Jahre war ein osterreichischer Bahmvagen insgesammt nur etwa 33 Tage im Jahre auf der Strecke in Bewegung, die andere Zeit iiber war er durch die Lademanipulationen, Uebergabe und Uebernahme von Wagen, durch die Zollbehandlung u. s. w., insbe- sondere aber durch die langvvierigen V e r- schubarbeiten in den Stationen fest- gehalten. War es daher schon mit Riick- sicht auf die bessere Ausntitzung der Wagen ein dringendes Gebot der Wirth- schaftlichkeit durch zweckmassig ange- legte, von den Giiterbahnhofen losgeloste Rangiranlagen die Verschubarbeiten zu beschleunigen, so drangten auch die hohen, nicht zu unterschatzenden Kosten der Rangirarbeit selbst zu solchen Mass- nahmen. Erforderte doch die Ran- girung der Ziige auf den Bahnen der Monarchie im Jahre 1878 schon einen Aufwand von 5,000.000 fl., der bis zum Jahre 1895 auf 8,500.000 an- wuchs; und betragen doch allein die Wege, welche die Maschinen bei dieser scheinbaren Sysiphusarbeit in den Sta¬ tionen zuriicklegen, ein Viertel bis ein Drittel der von den Zugsmaschinen fiir den eigentlichen Transport geleisteten Nutzkilometer! Im Jahre 1870 hatte sich die Nordbahn bereits genothigt gesehen, neben dem Kohlenbahnhof in Mahr.-Ostrau einen selbstandigen Rangirbahnhof zu errichten, in welchem die von den Graben kommen- den Wagen verschiedenster Bestimmung nach Richtungen und Stationen zu Ztigen formirt wurden. Auf diesem Bahnhof wurden, wie in einzelnen ahnlichen Anlagen kleineren Umfanges, die Wagen von der sich hin- und herbewegen- den Locomotive in die einzelnen hori¬ zontal liegenden Vertheilungsgeleise ein- geschoben. Wenige Jahre spater \vurde durch die Einfuhrung der in Sachsen und England mit grossem Erfolge verwendeten Ablaufgeleise eine wesentliche Ver- besserung in diese Anlagen hineinge- tragen. Indem auf diesen Verschubbahn- hofen das Auszugsgeleise, auf welches die umzurangirende Wagenpartie zu stehen kommt, ein starkes Gefalle erhielt, rollten die einzelnen Wagen und Wagen- gruppen nach Losung der Kuppelung von selbst, infolge der Sch\vere in jenes Geleise ab, fiir welches die Weichen ge- stellt worden waren. Der Umstand, dass sich bei solchen Ablaufgeleisen die Thatig- keit der Maschine hochstens auf das ruck- weise Vorwartsschieben des Zuges um einige Wagenlangen beschranken konnte, dass also das Zeit und Kraft raubende Hin- und Herbewegen der Wagen ent- fiel, dass die Fahrzeuge mit bedeutenderer Geschwindigkeit, also ungleich rascher in die Geleise abrollten, wobei die rechtzeitige und gefahrlose Umstellung der Weichen von dem Centrahveichenthurm aus besorgt wurde, musste filr die Leistungsfahigkeit solcher Bahnhofe und fiir die Oeconomie ihres Betriebes von grosster Bedeutung werden. In der That ergaben eingehende Erhebungen, dass mit diesem Rangir- verfahren im Vergleiche zu j enem auf horizontalen Geleisen die zu leistende Arbeit in der kiirzesten Zeit, auf kleinstem Raum, auf billigste Weise und mit der geringsten Gefahr fiir Menschen und Material bevverkstelligt werden konnte und die seitherigen Erfahrungen haben diese Vorziige immer aufs Neue bestatigt. Die Aussig-Teplitzer Bahn ging damit voran, sich diese Vortheile zu Nutze zu machen, indem v. Emperger im Jahre 1876 in Aussig [Abb. 215] den ersten Abrollbalmhof Oesterreichs erbaute. Dem dortigen Bahnhof fallt — vom Per- sonenverkehr abgesehen — die Aufgabe zu, die vornehmlich aus dem bohmischen Braunkohlenrevier kommenden Wagen nach den einzelnen Verwendungsstellen des ausgedehnten Elbeumschlages und des Locodienstes in Aussig selbst, ferner nach den Stationen der anschliessenden Staats- und Nordwestbahn zu ordnen. Zu diesem Zweck \verden die einfahren- den Ziige aus den rechts der Hauptgeleise liegenden Geleisegruppen auf die Ablauf¬ geleise I, II und III iiberstellt, von wo sie gleichzeitig in die Vertheilungsgeleise abrollen. Im Jahre 1876 kam blos die Rangirgruppe I zur Ausfiihrung, die beiden anderen, entsprechend dem gestiegenen Bediirfnis, erst im Jahre 1882, nachdem durch die Regulirung der Biela fiir sie das Terrain geschaffen worden war. Die auf die Aussig-Teplitzer Bahn zuriick- kehrenden leeren Kohlen- und sonstige Giiterwagen werden in einer gesonderten 358 Ernst Reitler. Geleisegruppe gesammelt und zu Ziigen zusammengestellt. Das wesentliche Zugehor aller Ran- girbahnhofe, der Umladeperron eine zwischen zvvei Geleisen situirte schmale Biihne, auf welcher die Wagen behufs Vervollstandigung der Ladung oder behufs Ausscheidung beschadigter Fahr- zeuge umgeladen werden, ist auch hier entsprechend beigeftigt. Ein machtiger Verkehr wird auf dem Aussiger Bahnhof, auf verhaltnismassig beschranktem Raum, in Ordnung und Sicherheit abgewickelt. Die Zahl der inner- halb eines Tages den Bahnhof beriihren- den Ziige steigt bis 250, die Wagen- bewegung, d. i. die Summe der in der Stati on ein- und austretenden Wagen bis zu 9300 und die Zahl der abgerollten Wagen bis 2400. Auf der Kaiser Ferdinands-Nordbahn kam eine Abrollanlage im Jahre 1880 unter R. v. Stockert in der Station Mahr. - Ostrau-Montanbahn noch vereinzelt zur Ausfiihrung, bis A s t gelegentlich der grossen Erganzungsbauten der Nordbabn im Jahre 1889 diese rationelle Rangir- methode in grhsserem Umfang bei den Bahnhofen Prerau, Mahr.-Ostrau und Floridsdorf yerwerthete. Der Verschubbahnhof Prerau [vgl. Beilage Fig. 2] ist typisch ftir eine Reihe ahnlicher Anlagen. Neben den Hauptge- leisen — von diesen durch ein Geleise fiir Maschinenfahrten getrennt — dehnt sich der lange Zugsbahnhof, der zur Aufnahme der einfahrenden und zur Formirung der abgehenden Ziige dient; an diesen schlies- sen sich die Vertheilungsgeleise — hier in zwei Gruppen — an, in welche die Wagen aus den beiden zugehorigen Ab- laufgeleisen abrollen. Auf den Linien der k. k. Staats- bahnen finden wir bereits um die Mitte der Achtziger-Jahre die unter Bischoff v. K1 a m m s t e i n erbauten Abrollbahn- hofe Brigittenau bei Wien und Nusle- Vršovice bei Prag. Unter Stane wurde in jtingster Zeit der Bau einer ganzen Reihe grosser Abrollbahnhofe in Angriff genommen, von denen jener in Pil s en [vgl. Beilage Fig. 4] bereits in Be- trieb gesetzt wurde. In diesem Bahn¬ hof, dem Kreuzungspunkt dreier Linien, ‘ \v . Beilage vesp. Tafel zu »Bahnhofsanlagen «. BAHNHOF PILSEN. PERSONEN- UND GUTER-BAHNHOF. [NACH DEM UMBAU.] KURZUNGEN. O. G.- DIENSTGEBAUDE G.T.- GEPACKSTUNNEL L.R.- LOCOMOTIV-REMISE P. O.T-PERSONENDURCHGANGSTUNNEL P.T.- POSTTUNNEL Rr RESTAURANT U.P.-UMLADEPERRON U.ST.-UBERGANGSSTEG' W.- WARTESALE W.G.- VVOHNGEBAUDE WKST.-WERKSTATTE W.R.“ WAGEN-REMISE VV.ST.* VVASSERSTATION W.TH.*WE1CHENTHURM JrLALmAj^MAC. ^A£?Ov "tUTERPLATZ. ^^PA-/wAGA2/WC. *0hngcq pJuTTk' BAHNHOF PILSEN 1895. [VOE DEM UMBAU.] =1M- EIJ1RTh nTgcrt [OSEN j AUfNAMMS-OCB Dl CISC OCR K r j B u PilSCN -PmCSKCRa. - B6"“ »ES10AHN. OCMEinSamC OlClSC "OUlCN RAHpr PRERAU BAHNHOF BAHNHOF PRERAU i88 8. 'HWA[ifNWASr OLM UT? KRAKAU VORBAHNHOF PRERAU 1898, ABROLLGLHSI Imv Bahnhofsanlagen, 359 treffen Ziige aus sechs Fahrtrichtungen zu- sammen. Indem sich hier der Zugsbahn- hof, der die einfahrenden Giiterziige aufnimmt, oberhalb der beiden Ablauf- geleise befindet, konnen die eingelangten Ziige unmittelbar in eines derselben iiberstellt werden, ohne die Abrollarbeit des anderen zu behindern, so dass bei dieser Anordnung hintereinander liegender Geleisegruppen auch jene Zeit fiir die Verschubarbeit nutzbar gemacht ist, welche bei nebeneinander lie- Staatsbahnen den Rangirbahnhof in Brigittenau und in Penzing, der Wiener Nordbahnhof jenen in Floridsdorf, die Prager Bahnhofe jene in Nusle-Vršo vice, in Bubna und in Lieben u. a. m. Durch die seit den Achtziger-Jahren eingefiihrte elektrische Beleuchtung, die heute fast in allen grosseren Bahnhofen anzutreffen ist, wurde die Raschheit und Sicherheit aller Manipulationen, die Leistungsfahigkeit der Anlagen noch weiter erhoht. Abb. 216. Einfahrt- und Vertbeilungsgeleise auf dem Vorbahnbof Ma.br. -Ostrau. genden Gruppen, wie in den zuvor an- gefiihrten Bahnhofen, zumEinschieben der Ziige ins Ablaufgeleise erforderlich wird. Die Loslosung des Rangirdienstes vom Giiterbahnhof drangte sich vor Allem in den Theilungs- und Kreuzungs- stationen auf, in denen der Ortsverkehr im Verhaltnisse zu dem machtigen Durchgangsverkehr nur von untergeord- neter Bedeutung war. Aber auch die grossen Endbahnhofe, die mit ausgedehn- ten Geleiseanlagen fiir den lebhaften Ortsgiiterdienst versehen waren, mussten bei den steigenden Forderungen durch Vorbahnhofe, die vornehmlich Rangir- zwecken dienen, entlastet werden. So erhielt in den letzten Jahren fast jeder grosse Bahnhof seinen Vorbahnhof: die beiden Wiener Bahnhofe der k. k. Mit dem Bau gesonderter Rangir- bahnhofe, insbesondere mit Ablaufge- leisen, war also ein neuer, erfolgreicher Weg betreten, um jene unausweichlichen Hemmungen moglichst einzuschranken, welchen die Bewegung der gewaltigen Wagenmassen durch die Auflosung und Zusammenstellunor der Ziige unterworfen ist. Durch die Vergrosserung der Zwischenstationen, durch die Herstellung von Ueb erholungsgeleisen, nament- lich aber durch die wesentliche Ver- mehrung der Ausweichstellen auf eingeleisigen Strecken, wurde in gleichem Sinne auf die Verdichtung der Zugsfolge iiberhaupt und auf die Minderung jener Erschwernisse hingearbeitet, vvelche die immer zahlreicheren Personenziige fiir die ungehinderte Folge der Giiterziige BAHNHOF BRUNN [KAISER FERDINANDS-NORDBAHN]. [NACH DEM UMBAU.J 360 Ernst Reitler. bedeuten. Zu diesen baulichen Mass- nahmen, welche den inneren Dienst- betrieb betreffen, traten noch jene hinzu, welche die Beladung und Entladung der Wagen selbst, also den Wagen- urasatz im eigentlichen Wechselverkehr mit dem Publicum beschleunigten: zahlreiche und grosse Lagerhauser, die sich zu einem wichtigen Instrument des Handels ausbildeten, wurden auf allen bedeutenderen Bahnhofen errichtet, die Lagerplatze fiir Rohproducte wesent- lich erweitert, die Magazine ver- mehrt, die Lademittel vervollkommnet und die Umschlagplatze vergrossert. Durch die stets weitergreifende Ein- beziehung neuer Stati onen in diesen Umgestaltungsprocess sind die Bahn- verwaltungen zugleich bemtiht — insoweit es durch die Anlage selbst moglich ist — systematisch jene Einfliisse zurtickzu- drangen, welche die vollige Ausniitzung der Wagen beschranken, welche die einen geordneten und gesicherten Betrieb erschwerende Ueberftillung der Sta- tionen herbeifiihren und \velche beim Zusammentreffen ungunstiger Umstande Bahnhofsanlagen. 361 Abb. 218. Kohlenbahnhof der Nordbahn in Briinn. zu jener periodiscben Wagennoth Anlass geben, die von den Eisenbahnen wie vom Publicum gleich drlickend empfunden wird. Der Wiener Nordbahnhof, dessen Wagenumsatz durch den Bau des Ran- girbahnhofes in Floridsdorf \vesentlich Seschleunigt worden war, erhielt in jiingster Zeit einen \veiteren Kohlenhof angegliedert, durch den sein Fassungsge- halt auf 1 s / 4 Millionen Meter-Centner Kohle und auf 1500 Wagenladungen Holz er- hoht wurde. Die weiten Dimensionen, zu denen dieser Bahnhof damit an- gewachsen war, rechtfertigt der Verkehr, der sich innerhalb seiner Grenzen ab- spielt. An lebhaften Tagen werden hier liber 10.000 t Giiter umgesetzt, worunter die Kohle allein bis zu 7000 t ausmacht. Eine Wagenburg von liber 3000 Fuhrwerken wird taglich mobilisirt, um die abgehenden Waaren zuzustreifen und die angekommenen von den weit- gedehnten Lagerplatzen und den Maga- zinen der Bahn ihrer Vervvendung zu- zuflihren. Der im Zuge befindliche Neubau des Giiterbahnhofes Brlinn bot Gelegen- heit, die besten Erfahrungen fiir eine ungehinderte und billige Gtitermani- pulation in weitestem Umfange zu ver- werthen. Der Nordbahnhof in Brlinn \var bis in die jtingste Zeit nur un- wesentlich liber das Territorium hinaus- gewachsen, welches ihm nach seiner Er- offnung und nach Durchfiihrung der Linie nach Prag im Jahre 1849 zu- gemessen worden war. Und wenn auch in diesem engen Raume die Magazine im Laufe der Jahre auf Kosten der Werkstatte und der Heizhauser nach Moglichkeit erweitert worden' waren, der Bahnhof in Gerspitz und die »Filiale Brlinn« ihm einen Theil der Betriebs- aufgaben abgenommen hatten, so mussten šeine Verkehrsanlagen doch hinter den wesentlich gestiegenen Forderungen zu- rlickbleiben. Das Gesammtbild des Bahn- hofes Brlinn hatte sich allerdings durch die Bauten der Staatseisenbahn-Gesell- schaft wesentlich verandert, die nach dem Bau der Linie nach Wien ihre Magazine vergrossert und im Jahre 1886 den »unteren Bahnhof« zu einem grossen Aufstellungs- und Rangirbahnhof um- gestaltet hatte. Der Nordbahnhof selbst konnte aber diesen Wandlungen nur wenige Aenderungen gegenliberstellen. Erst die Rlicksicht auf erhohte Sicherung des machtie: aneewachsenen Personen- verkehrs, der auf diesem Bahnhof Reisende von den zwei Wiener Linien, 362 Ernst Reitler. von Prag, Prerau und Tischnowitz zusammen- fiihrte und der sich zum iiberwiegenden Theil auf der Nordbabn ab- spielte, gab den ent- scheidenden Anstoss zu einem volligen Umbau des Briinner Nordbahn- hofes. Zunachst wurde ein neuer, ausreichender Gliterbahnhof erbaut, um nach Cassirung des alten Raum zu gewin- nen fur die Anlage eines grossen, modernen Personenbahnhofes. Gemass dem in Abb. 217 b ersichtlichen und in Ausfuhrung befindlichen Projecte wurde der ganze Viaduct bis zur Schvvar- zavvabriicke in den neuen Lastenbabn- hof einbezogen, wodurch das Flachen- ausmass des Brtinner Nordbabnhofes auf das dreifache seines gegemvartigen Bestandes gebracht wurde. Neben den Magazin en und Rampen fiir den Stiick- giiterverkehr sind die Strassenladegeleise fur den Rohproductenverkehr angeordnet, \vahrend die Kohlenrutschen in den von der Stadt abgewandten Babnhofstheil ver- legt. sind. Durch die Hohenlage des Bahnhofes tiber dem umliegenden Terrain ist neben der Zufabrtsstrasse eine zweite hochgelegene Magazinsstrasse erforderlich geworden, durch deren Unterwolbung im Anschlusse an die Magazinskeller aus- gedehnte Lagerraume g:e\vonnen wurden. In diese Lagerraume, die unmittelbar von der Zufahrtsstrasse zuganglich sind, \verden auch die Bahnwagen theils iiber eine Rampe durch Vermittlung von Drehscheiben, tbeils direct mittels Hebe- werken eingeftihrt. Um die Verlade- arbeit bei den langgestreckten Magazinen nicht durch das Zu- und Abstellen ein- zelner Wagen unterbrechen zu mtissen, wie dies bei den allgemein ublichen gerad- linigen Ladebiihnen der Fali ist, brachte hier Ast die in Oesterreich bis dahin unbekannten zahnformigen Perrons in Anwendung, bei denen die einzelnen, fiinf bis sechs Wagen fassenden Ab- theilungen beziiglich der Verschubarbeit von einander unabhangig gemacht sind. Bahnhofsanlagen. 363 Abb. 220. Umschlagplatze- der Aussig-Teplitzer Bahn in Aussig a. d. Elbe. Der Kohlenbahnhof besteht aus strahlen- formig vertheilten Dammen mit Rutschen. [Abb. 218.] Die Geleise jedes Dammes liegen in sanftem Gefalle, um das Ran- giren der Wagen zu erleichtern, und sind an ihrem Ende durch Schiebe- biihnen far das raschere Ueberstellen entleerter Wagen verbunden. Ein ge- sondertes Auszugsgeleise, Dreh- und Laufkrahne, Aufziige in den Magazinen vervollstandigen die Ausriistung des Bahnhofes. Ein von den Bahnhofen losgeloster Zweig des Gtiterdienstes, der Umschlag an schiffbaren Fliissen, ist in den letzten zwanzig Jahren zu einem bedeut- samen wirth- schaftlichen F ac- tor erstarkt und hat immer aus- gedehntere An- lagen erfordert. Insbesondere haben die nord- bohmischen Um¬ schlagplatze parallel mit der vorschrei- tenden Reguli- rung der Elbe in diesem Zeitraum eine ausser- ordentliche Ent- Abb. 221. Dampfkrahne auf dem Umschlagplatz in Aussig a. d. Elbe. wicklung ge- nommen. Der Um- s chlagpl atz der Aussig- T eplitzer Bahn in Aus¬ sig trat bereits im Jahre 1858 in Beniitzung. W ahrend zwei Jahre spater eine Tagesleistung von 55 Wagen noch als ausser- gewohnliches Ereignis be- griisst wurde, ist sie heute auf 1400 Wagen ge¬ sti egen, der j ahr- liche Giiterumschlag — fast ausschliess- lich Kohle — auf 1,500.000 t ange- wachsen. Die Schleppbahn laufthier [vgl. Abb. 219] mit zwei Geleisen, die 33 m liber dem Normalwasser liegen, langs der auf Beton fundirten Quaimauer oder auf machtigen Steinschlichtungen, von denen aus die Kohlenvvagen in die Boote ent- laden werden. Die urspriingliche Q'uai- lange von 315 m stieg mit dem Baue des ersten Hafens im Jahre 1864 und mit j enem des zweiten, des Osthafens, im Jahre 1891 bis auf 5 km. Die Hafen sind durch Thore gegen Hochvvasser ge- schiitzt. Im Jahre 1886 wurde strom- aufwarts der 1 km lange Umschlagplatz 364 Ernst Reitler. fiir Stuckgiiter errichtet, wo auch drei Dampfkrahne thatig sind, welche, langs des wasserseitigen Krahngeleises laufend, die Umladung zwischen Schiff und Bahn- \vagen oder Magazin vermitteln. [Vgl. Abb. 219—221.] Der Umschlagplatz der Nord- vv estb ah n in L aub e [Abb. 222 und 223] dient fast ausschliesslich dem Stiickgiiter- Verkehr. Im Jahre 1872 von Hoheneg- ger projectirt, dankt er den Anstoss zu seiner Erbauung — die 1 • 2 Millionen Gulden erforderte — den im Jahre 1879 aufgestell- ten Sperrtarifen des Deutschen Reiches, \velchen Massregeln gegeniiber der oster- reichischen Industrie durch den Elbe- umschlag ein billiger, gemischter Export- weg geboten \verden konnte. Heute \veist der Umschlagplatz einen 2'3 km langen Quai auf, dessen stromaufwarts liegender Theil dem Import, der -abwarts liegende dem Export bestimmt ist. An die zwei Quaigeleise schliessen sich vier Import- und zwei Export-Magazine und eine grosse Petroleumrampe. Die weite- ren Geleise fiir Aufstellungs- und Rangir- ztvecke sind durch Weichen und durch zwei Dampf-Schiebebuhnen verbunden. Die reiche Ausstattung mit mechanischen Vorrichtungenbeschleunigt die Verladung: 14 Dampfkrahne mit 8—10 m Ausladung und 2000 t Tragkraft laufen wie in Aussig langs des wasserseitigen Krahngeleises und sind mit Trommeln zum Herbei- ziehen der Wagen versehen. Fiir die Umladung des Getreides dienen acht eiserne, trichterformige, im Boden ver- senkte Kasten, die das Getreide aus den Bahnwagen aufnehmen und aus denen es \vieder mittels z\veier fahrbarer Eleva- toren auf eine selbstthatige Wage ge- hoben und in die Schiffe. entleert wird. DieGefahren des Hochtvassers, dessen Ilochststand die Schienenhohe in Aussig um 5 m , in Laube sogar um 8 m iiber- ragt, erforderten besondere Sicherungen. Um dem Hochwasser eine geringere An- griffsflache entgegenzusetzen, bestehen die Giiterschupfen des Umschlagplatzes in Aussig aus eisernen, fest verankerten Gerippen, die mit Wellblech gedeckt und mit Holzwanden verschalt sind, welch letztere zur Zeit des Hochwassers ent- fernt werden. In Laube dagegen sind o o Bahnhofsanlagen. 365 die Schupfen aus Holz und zerlegbar eingerichtet, und werden sammt dem et\va nicht abgefertigten Inhalt, ferner sammt den beweglichen Ladekrahnen, Schiebebuhnen und Wechselstandern, kurz Allem, was nicht niet- und nagel- fest ist, bei Hoclrvvassergefabr nach Tetschen zuruckgefiihrt. Die Nothwendig- keit, diesen Riickzug so rasch wie mog- Tetschen, welche, mit entsprechenden mechanischen Hebevorrichtungen ausge- stattet, zur Aufnahme von Giitern dienen, die nicht gleich zum Umschlag kommen. Zu den Elbeumschlagplatzen in Aus- sig und Tetschen, in Rosawitz und Schonpriesen treten demnachst an der in Regulirung befindlichen Moldau die neuen Umschlagplatze in Prag, die einen Abb. 223. Umschlagplatze der Oesterreichischen Nordwestbahn in Laube a. d. Elbe. lich durchzufiihren, da zwischen dem Aviso einer drohenden Ueberfluthung und ihrem Eintritte in der Regel nur ein Zeitraum von 20 Stunden liegt, ferner die Forderung, die Manipulation bei dem gestiegenen Verkehr moglichst zu be- schleunigen, drangten in den letzten Jahren dazu, der bestandenen Zufuhrungs- linie von Tetschen eine zweite unter grossen Kosten anzufiigen. Gleichsam als Erganzung der beiden genannten Umschlagplatze dienen die ausgedehnten Lagerhauser in Aussig und weiteren Aufschwung des bohmischen Schiffahrts-Verkehrs ervvarten lassen. Die Regulirung der Donau bei Wien im Jahre 1873 gab den Anstoss zum Bau der Wiener Donau-Ufer- b a h n, die theils mittelbar, theils un- mittelbar alle in Wien einmundenden Bahnen miteinander verbindet und in deren Zuge dem Giiterumschlag eine Lande von ungefahr 8'6 km Lange ftir das Anlegen der Schiffe und aus- reichende Lagerhauser zur Verfiigung stehen. 366 Ernst Reitler. Abb. 224. Traject-Anstalt in Bregenz. [Bregenz-Hafenpartie/ [Nach einer Photographie von A. Beer, Klagenfurt.] Eine interessante Verschmelzung von Bahnhof und Hafen, von Eisenbahn- und Schiffahrtsbetrieb bietet die im Jahre 1883 eroffnete Traject-Anstalt in Bregenz [Abb. 224], in welcher die Bahn\vagen vom festen Geleise auf einen Trajectskahn iiberstellt und uber den Bodensee gefiihrt werden. Ueber 30.000 Wagen werden liier jahrlich im An- schluss an die Bahnen Badens, Wurt- tembergs und der Schrveiz mittels der Kahne uberfiihrt. Auch der erste Hafen Oesterreichs, T r i e s t, hielt, seiner Bedeutung entspre- chend, mit dem ra- schen Gange moder- nerVerkehrsentvvick- lung Schritt und die umfassenden Ergan- zungsbauten des letz- ten Decenniums stell- ten ihn in die vor- derste Reihe der con- tinentalen Seehafen. Der aus den Sieb- ziger-Jahren stam- mende neue Hafen mit seinen drei Bas- sins hatte um das Jahr 1880 sieben grosse Lagerhauser und entsprechende Manipulations-Geleise er- halten. Mit der Aufhe- bung des Freihafens, die im Jahre 1891 erfolgte, •vvurde beschlossen, das nunmehr auf circa 40 ha eingeschrankte Freigebiet mit einem Complex reich- lich bemessener Lager- hauser und Schupfen aus- zustatten und mit den voll- kommensten, modernen Lademittein zu versehen. [Abb. 207, 225 und 226.] Erst durch diese grossen Erganzungsbauten, die vorwiegend in den Jah- ren 1888—1893 ausge- fiihrt wurden, ist der Triester Hafen ganz auf die Hohe seiner Aufgabe gestellt und den grossten europaischen Seehafen ebenbiirtig geworden. Die Angliederung eines vierten Hafenbassins bei Verlegung des Petroleum- Hafens an das ausserste Ende der Bucht von Muggia vermehrte die Wasserflache der Bassins auf 20 /ta, wahrend die Lange der anlegbaren Quais im Frei- hafen auf 3620 m, die gesammte verfiig- bare Quailange auf 7600 m anstieg. Durch die Anlage eines neuen Rangir- bahnhofes, durch die Vermehrung der Abb. 225. Hydraulische Fahrkrahne auf den Molos in Triest. Bahnhofsanlagen. 367 Manipulations - Geleise und durch die Verbindung der Siidbahn und der Hafen- station mit dem Bahnhof der k. k. Staats- j bahnen in St. Andrea sind die in Triest vorhandenen Geleise auf 68 km ange- wachsen. Die Lagerhauser [Magazine] und die der voriibergehenden Einlagerung dienenden Schupfen [Hangars], insge- sammt 31 Gebaude, stellen heute dem Handel 174.000 m 2 belegbare Flache zur Verfugung, die sich nach dem be- vorstehenden Ausbaue hinter dem Bassin IV noch um 46.000 m 2 erhohen diirfte. Die Raschheit und Billigkeit der Ver- j ladung wird durch eine Reihe gross- artiger, hydraulisch betriebener Vorrich- tungen gefordert, die schon heute 52 Krahne — meist mit 1 ’/ 2 t Tragkraft — 54 Aufziige und 20 Spiliš umfassen und die in nachster Zeitum weitere 14 Krahne, 30 Aufziige und vier Spiliš vermehrt \verden sollen. [Vgl. Abb. 225 und 226.] j Wie der gewaltige, taglich wachsende Giiterverkelir der jiingsten Zeit den Stationsbau in neue, erfolgreiche Bahnen Sfedrangt batte, so fiihrte auch der mach- tig angeschvvollene Personenverkehr des letzten Decenniums, die grosse Zahl der Schnell- und Personenziige, die herr- schende, sich immer verscharfende Ten- denz nach moglichster Kiirzung der j Reisedauer und die hiedurch wesent- j lich erschwerten Aufgaben beziiglich der Sicherheit des Betriebes auch im Gebiete der Personen-Bahnhofe zu neuen Losungen. . Die meisten Kopfbahnhofe in den grosseren Stadten hatten zwar bereits in den Siebziger-Jahren einen Umfang er- halten, derbei der erhohten Leistungsfahig- keit infolge Einfuhrung der Weichen- und Signalsicherungen auch den gestiegenen Forderungen noch zu entsprechen ver- mochte; bei einigen musste indessen auch durch Erganzungsbauten, so beim Sud- bahnhof in Wien, durch Einfiigung eines weitern sechsten Hallengeleises [vgl. Abb. 202], beim dortigen schon aus dem Jahre 1858 stammenden Westbahnhof [Abb. 227] durch Angliederung eines neuen Perrons ausserhalb der Halle die ausserste Grenze der Leistungsfahigkeit wesentlich Abb. 226. Ansicht des Hafens von Triest mit den Magazinen und Hangars. 3 68 Ernst Reitler, DER WESTBAHNHOF IN WIEN. PRAGERHOF 1861. Abb. 228. Abb. 229. Bahnhof Deutschbrod der Oesterreichischen Nordwestbahn und der Siid-norddeutschen V erbindungsbahn. [Keilbahnhof.] Bahnhofsanlagen. 369 hinausgeriickt werden. Wie dehnbar diese Grenze ist, moge die Thatsache beweisen, dass es selbst bei dem bescheidenen Umfange des Wiener Westbahnhofes durch Ausniitzung aller Umstande daselbst moglich wurde, an einem Tage des stark - sten Verkehrs innerhalb 18 Stunden eine Frequenz von mehr als 100.000 Passa- gieren mit 142 abgehenden und 137 an- kommenden Ziigen zu bewaltigen. Auch auf dem Wiener Nordbahnhofe [vgl. Abb. 189] war durch die in letzten Jahren erfolgte Umlegung der Hauptgeleise, welche nun in der ganzen Lange des Bahnhofes, 1 km \veit, geradlinig gefiihrt sind, mit der besseren Uebersicht eine erhtihte Sicherheit gewonnen. STATION ALT-PAKA DER OSTERK. NORDAVESTBAHN UND SUD-NORDDEUTSGHEN VERBINDUNGSBAHN 1872. Ungleich mehr als die grossen End- bahnhofe waren indessen die alten An- sc h 1 u s s- undKreuzungsstation en hinter den Forderungen der neuen Zeit zuriickgeblieben, jene Knoten- punkts -Bahnhofe, in denen Ziige aus verschiedenen Richtungen gleichzeitig zusammentreffen und wo der rege Aus- tausch von Personen und Wagen und der Uebergang ganzer Ziige mit mog- lichster Sicherheit und grosster Beschleu- nigung vor sich gehen soli. I11 den alten Anschlussstationen, \vie in Prerau vor seiner letzten Umge- staltung [vgl. Tafel I, Fig. i], wurden die personenbefordernden Ziige aller Fahrt- richtungen vor dem Aufnahmsgebaude zusammengefiihrt, so dass das Ueber- schreiten mehrerer Geleise seitens der den | Zug \vechselnden Passagiere geboten und die gleichzeitige oder in kurzen Zeit- abstanden sich folgende Aufnahme und Abfertigung von Ziigen erschwert war. j Geschichte der Eisenbahnen. II. 1:6000 370 Ernst Reitler. HULLEIN. ZAUCHTL. GODING. STAUDING Abb. 235 Abb. 236. Bahnhofsanlagen. 371 In Kreuzungsstationen, wie in P i 1 s e n vor dem Umbau [vgl. Tafel I, Fig. 3], trat noch der nachtheilige Umstand hinzu, dass die Hauptgeleise der verschiedenen Linien sich innerhalb der Station kreuzten. Diese Nachtheile wurden mit der Einfuhrung der K e i 1 - und Inselbahnhofe und deren Com- bination mit der Kopfform zu Gunsten eines ge- sicherten und oco- nomischen Betrie- bes vermieden. Die Station Pragerhof [Abb. 228] zeigt schonim Jahre 1861 den ersten Versuch, den Austausch der Pas- sagiere zwischen den Anschluss- linien ohne Schie- neniiberschreitung zu vermitteln, indem dort der halleniiberdeckte Perron zwi- schen die Hauptgeleise der Siidbahnlinie Wien-Triest und jene des nach Ofen abzweigenden Fliigels gelegt ist. Freilich war hier noch das Aufnahmsgebaude von dem »Inselperron« durch mehrere zu tiberschreitende Geleise getrennt. In A 1 1 - P a k a [Abb. 230], wo die Siid-nord- deutsche Verbindungsbahn und die Nord- westbahn einander kreuzen, wurde das Aufnahmsgebaude und der Perron in den Zwickel der aus- einandergehenden Bahnarme verlegt, so dass Ziige bei- der Linien gleich- zeitig und unmittel- bar vor dem Perron vorfahren konnen und auf diesem der schienenfreie Wechselverkehr der Passagiere er- folgt. Die Zufahrt zu dem Aufnahms¬ gebaude findet hier von der offenen Seite des durch die Bahnarme gebilde- ten Keiles statt, welchem diese Sta- tionstype den Namen des »Keilbahn- hofes« verdankt. Auch in Deutsch- Brod, wo die vorbenannten Bahnen zusammentreffen, zeigt das Aufnahms¬ gebaude [Abb. 229] die aus der keilfor- migen Anlage des Bahnhofes sich erge- bende Querstellung. Abh. 238. Station Hadersdorf-Wcidlingau. 24* 37 - Ernst Reitler. Abb. 239. Haltestelle Gumpendorf der Wiener Stadtbahn. In Alt-Paka, wo grosse Terrain- schwierigkeiten eine freiere Disposition behinderten, erfolgte noch die Kreuzung der Hauptgeleise in der Station selbst, also im Schienenniveau. Bei den anderen Anlagen ahnlicher Art, welche Hellwag im Zuge der Nordvvestbahn im Jahre 1872 erbaute, so in Neu-Kolin, in Všetat- Pfivor, u. a. \vurde aber die Kreuzung der beiden Linien immer mittels Ueber- briickungen, also entsprechend weit ausser- halb der Station vorgenommen, und \vurden dann die von einander v o 11 i g unabhan gi- gen Haupt- gele.ise in der Station selbstparallel neben einan¬ der 1 gefiihrt. [Abb. 231.] Die parallele Lage der Hauptgeleise erleichterte deren V erbindung mittels Weichen zum Uebergang ganzer Zuge, und gestattete eine zvveckmassige Anordnung der von beiden Bahnen ge- meinsam bentitzten Baulichkeiten, \vie des Aufnahmsgebaudes, der Wagenremise und desUmladeschupfens. Der ganzeBahn- hof erhielt dadurch eine rechteckige, lang- gestreckte Form, ohne dass hiedurch das Wesentliche des Keilbahnhofes beriihrt worden ware. Die Zufahrt erfolgte auch hier von der offenen Seite des Keiles. Auf der vom Aufnahmsgebaude abgewandten Seite der Hauptgeleise wurden die gesonderten Giiterbahnhofe der beiden Anschluss- bahnen angeordnet. Wie die Keilform des Bahnhofes durch den Zusammenschluss der Geleise blos auf e in er Seite des Aufnahms¬ gebaudes und des Perrons entstand, wahrend die andere Seite fiir die Zufahrt vom Orte offen blieb, so entstand die Inselform, sobald diese Baulichkeiten durch hinzutretende Nebengeleise, wie in Hullein[Abb. 232], auf al- 1 e n Seiten von Geleisen umschlossen \vurden. Beim Bau der Stadte- bahn und der Localbahnen seitens der Nordbahn, welcher in zahl- reichen Stationen der alten Linien An- schliisse und Kreuzungen forderte, bot sich A st Gelegenheit, die Type der Insel- bahnhofe mit der Kopfform verschieden- fach zu combiniren, um die neuen An¬ lagen den wechselnden Ortlichen Ver- haltnissen und der Art des jevveiligen Anschlussverkehrs moglichst anzupassen. In dem genannten Bahnhof H ul le in erfolgt der Wechselverkehr der Reisenden BADEN 1896. 373 Bahnhofsanlagen. zwischen den Richtungen Wien-Krakau j und Kojetein-Bielitz schienenfrei durch das Aufnahmsgebaude, an welches die Hauptgeleise beider Linien unmittelbar herantreten. Der Zugang von der tief gelegenen Zufahrtsstrasse zu dem von Geleisen rings umschlossenen Insel- gebaude wird durch einen kurzen, die zwischenliegenden Geleise unterfahrenden Tunnel vermittelt. Audi in Zauchtl [Abb. 233], \vo die Localbahnen nach I Bautsch und Fulnek an die Hauptbahn anschliessen, empfahl sicn die Verwendung der Inselform durch Umlegung der Haupt¬ geleise des alten Bahnhofes und durch die Erbauung eines Inselgebaudes, zu dessen Stirnseite die Zufahrtsstrasse nach Kreuzung des Localbahn-Geleises hinfiihrt. Um hier auch einen schienenfreien Zugang vom Aufnahmsgebaude zu der in Kopf- form belassenen Einmtindung der Neu- titscheiner Localbahn zu schaffen, wurden beide durch einen Personen-Durchgangs- tunnel unter den Geleisen des Bahnhofes Zauchtl verbunden. In Troppau [Abb. 235 und 237] \vurde der gesicherte Wechsel- verkehr zvvischen den Zli gen der Nord- bahn, denen der Localbahn nachBennisch und der Staatsbahnlinie nach Jagerndorf durch den an den Hauptperron an- schliessenden Zungenperron vermittelt, nachdem die dort befindliche Heizhaus- anlage verlegt worden war. S t a u d i n g [Abb. 236],.wo ein einfacher Uebergangs- steg den Localbahnperron mit dem Hauptgebaude verbindet, G o d i n g [Abb. 234], wo fiir die jenseits der Haupt¬ geleise einmundende Localbahn nach Saitz gleichfalls ein Steg dient, wahrend das diesseits miindende Holicser Geleise gar unmittelbar auf den Vorplatz der Station gefiihrt ist, zeigen Beispiele, wie die an- gestrebte Sicherung des Personenverkehrs mit besonderer Einfachheit und Billigkeit der Anlage vereint wurde, wo dies durch den bescheidenen Verkehr der Flugelbahn gerechtfertigt war. In den Knotenpunkten mit besonders dichter Zugfolge ervvies sich aber auch die Theilung des Verkehrs nach Bahn- linien, wie sie in den bisher be- sprochenen Bahnhofstypen durchgefiihrt war, fiir die vollige Sicherung des Be- triebes und fiir den Schutz des Publicums 'v 3 :c« 0 ) CL, (U o D X) Abb. 241. Schnitt durch den Bahi.hof Modling-. [1883. | 374 Ernst Reitler. Abb. 242. Bahnhof Meidling. [Nach einer photographiscfcen Aufnabme von H. Pabst.] noch nicht als ausreichend. Fiir solche Bahnhofe ergab sich die Nothwendigkeit einer \veiteren Theilung nach F a h r t- richtungen; es erwies sich als ge- boten, jedes Hauptgeleise an eine eigene Perronkante zu legen, von \velcher aus der Zug unmittelbar be- stiegen \verden kann, ferner durch die schienenfreie Verbindung der Perrons untereinander und mit dem Aufnahms- gebaude jede Geleiseiiberschreitung aus- zuschliessen. Eine solche Trennung nach Fahrt- richtungen war in Z\vischenstationen — in denen es sich ja in vereinfachter Weise immer blos um z w e i Hauptgeleise han- delte — schon zuEndeder Siebziger-Jahre in Aufnahme gekommen. Um diese Zeit hatte die Kaiserin Elisabeth-Bahn damit begonnen, in einigen beliebten Ausflugs- stationen in der Nahe Wiens Uebergangs- stege zwischen dem Aufnahmsgebaude und dem selbstandigen Perron des jen- seitigen Hauptgeleises zu errichten, wahrend die Siidbahn bald darnach — im Jahre 1883 — in Modling den ersten Verbindungstunnel zwischen den beiden Bahnhofseiten herstellte. War in den Zwischenstationen — wie auf der Kaiser Franz Josef - Bahn — eine gesonderte Personen- und Gepackscassa auf dem jenseitigen Perron vorgesehen, so konnte Steg oder Tunnel durch einen schienen- freien Zugang zu der vom Orte ab- gewendeten Bahn- hofseite ausser- h a 1 b der Station ersetzt werden. So entstanden seit den Achtziger- Jahren auf den be- lebten Wiener Lo- calstrecken der drei genannten Bahnen jene zahlreichen doppelseitigen Sta- tionen, die uns mit ihren langgestreck- ten, vveinumrankten Veranden freund- lich begriissen, Sta- tionen, die durch die augenfallige Zweckmassigkeit ihrer Anlage, durch die ersichtliche Be- schrankung auf die nothwendigsten Ein- richtungen einen geradezu asthetischen Eindruck mrd das beruhigende Geftihl vollster Sicherheit erwecken. So sind auch die Haltestellen der Wiener Stadtbahn mit beiderseitigen Perrons und Aufnahms-Ge- bauden ausgestattet. [Vgl. Abb. 238 und 239.] Ein schones Beispiel einer derartigen Zwischenstation, die durch die zweckmas- sige Anlage einem gesicherten Massenver- kehr gewachsen ist, bietet das heutige B a- d en nach dem in jiingster Zeit unter Zelinka durchgeftihrten Umbau. [Abb. 240.] Da die Personen- und Gepackscassen fiir beide Fahrtrichtungen im ebenerdigen Vestibule des stadtseitigen Enrpfangsgebaudes ver- einigt sind, so ist der jenseitige Perron mit dem Vestibule durch einen Zugangstunnel, mit dem Vorplatz durch einen zweiten Abgangstunnel verbunden und so ist im Verein mit den Aufgangs- und Abgangs- treppen des diesseitigen Perrons eine voll- standige Trennung des ankommenden vom abreisenden Publicum beider Fahrtrich¬ tungen durchgefiihrt. In Modling, wo der Laxenburger Fliigel an die Hauptlinie der Siidbahn anschliesst, ist der jenseitige Perron insel- artig von dem nach Triest gehenden Hauptbahn-Geleise und dem Laxenburger- Geleise umschlossen. [Vgl. Abb. 241.] In Knotenpunkts - Stationen, wo aber nicht blos fiir drei Geleise — \vie in Modling — Bahnhofsanlagen. 375 sondern wo fiir vier, sechs und mehr Hauptgeleise gesonderte Perronkanten anzulegen waren, ergab sich die Noth- wendigkeit, mehrere solcher Inselperrons an einander zu reihen. Damit war die in den neueren Knotenpunkts-Bahnhofen all- gemein gevvordene Type der »Durch- gangsstation mit mehreren schienenfrei sie vveiter nordlich unterfahrenden Wiener Verbindungsbahn. Zwischen den sich kreuzenden Bahnen findet hier ein ausserst .lebhafter Wechsel von Passa- gieren, jedoch kein directer "VVagenuber- gang statt. Zwei Inselperrons, die dem starken Personenverkehr entsprechend breit dimensionirt sind, trennen die Haupt- Abb. 243. Querschnitt durch den Bahnhof Meidling. BAHNHOF MEIDLING. I ({ T 2 isi H ' u r raoi 4“ T l|! s vom rucincNSAMHKorKCTzaiKiSORlj l\li.=r ' '1 1 : 6000 . Abb. 244. PERSONENBAHNHOF ST. POLTEN. VVASSERSTAT. Abb. 245. zuganglichen Inselperrons« gegeben, die fallweise auch mit der Kopfform fiir die hier einmiindenden Anschlusslinien com- binirt wird. Die erste derartige Anlage erstand in Meidling unter Prenninger im Jahre 1887. Meidling [Abb. 242 — 244] ist einerseits eine Theilungs- station, iiber welche vom Pottendorfer Fliigel der Sildbahn ein durchgehender Zugsbetrieb auf die Hauptlinie gegen Wien unterhalten \vird, andererseits ist es Kreuzungsstation der Sudbahn mit der geleise der drei hier vereinigten Bahn- linien, wahrend ein Uebergangssteg die schienenfreie Verbindung des Langs- perrons und der beiden Mittelperrons her- stellt. Die Hauptgeleise dienen zugleich fiir die Durchfahrt der Guterziige, welche unmittelbar hinter der Station unter dem Schutze einer wohl durchgebildeten Sicherungsanlage in den Lastenbahnhof Matzleinsdorf einfahren. Nur die z\veckmassige, die Fahrten der Personenziige von einander vollig unabhangig gestaltende Anlage ermog- 376 Ernst Reitler. lichte es, dass an einzelnen Tagen in dieser Station schon bis 387 Ziige an- standslos verkehren, innerhalb einer Stunde auf der Hauptlinie der Siidbahn allein, bis 27 Ziige abgefertig-t werden konnten. Kurz darnach, im Jahre 1890, wurde unter B i s c h o f f v. K 1 a m m s t e i n der Bahnhof St. Polten [Abb. 245] in seiner heutigen Anlage eroffnet. Jedes Hauptgeleise der Linie Wien-Salzburg und des bier abzweigenden Fliigels nach Tulln sind hier von zwei Inselperrons und dem Hauptperron, die durch einen Tunnel verbunden sind, schienenfrei zu- girgeschaft in einen gesonderten, den be- reits besprochenen Vorbahnhof zu ver- legen und so auf dem Hauptbahnhof selbst Platz zu schaffen fiir einen allen Forderungen geniigenden Personen- und Maschinenbahnhof. Durch diese im Jahre 1888 unter Ast durchgefiihrten Umgestaltungen riickte der alte Prerauer Bahnhof hinsichtlich seiner Ausdehnung, seiner Austheilung und seiner Einrichtun- gen in die Reihe modernster Bahnhofe vor. Auch dieser Bahnhof [Abb. 246] zeigt die Durchg-ancrsform mit zwei durch Tunnels verbundenen Inselperrons, so dass jedes Abb. 246. Bahnhof Prerau. ganglich gemacht. Die Gtiterziige werden um den Bahnhof herumgefiihrt und fahren unmittelbar in den anschliessenden Ran- gir- und Lastenbahnhof ein. Fiir die auf der Seite des Aufnahms-Gebaudes einmiindende Linie nach Leobersdorf mit hier endigendem Zugsbetrieb em- pfahl sich die Anordnung der Kopfform, also eines stumpf endigenden Geleises langs eines vom Hauptgebaude ausgehen- den Perrons. Der Bahnhof Prerau [vgl. Tafel I, Fig. 2], der Verkehrsmittelpunkt der Nordbahn, in welchem heute taglich bis 140 Ziige und bis 4300 Wagen von Wien, Briinn, Olmiitz und Krakau zu- sammenstromen, hatte schon in den Acht- ziger-Jahren eine Aufgabe zu bewaltigen, der die alte Anlage trotz der steten Er- weiterungen nicht mehr in rationeller Weise gerecht werden konnte. Man entschloss sich daher, den gesammten Transito- Giiterdienst, also das umfangreiche Ran- Hauptgeleise der Linie Wien-Krakau und der beiden Anschlussbahnen un¬ mittelbar zuganglich sind. Ein Doppel- geleise fiir Giiterziige umgeht den Bahn¬ hof und miindet in die Einfahrtsgeleise des Vorbahnhofes. Dieser ist indessen mit dem Hauptbahnhof auch in unmittel- bare Verbindung gebracht, um die Zu- fahrt zu den Heizhausern und zur Filial- werkstatte, ferner zu dem in seiner alten Lage belassenen kleinen OrtsgLiterbahnhof zu bewerkstelligen. Die Sicherung der Fahrten besorgen drei Centralstelhverke mit elektrisch bedienten Weichen und Signalen. In Pil s en, wo sich die drei frem- den, nunmehr verstaatlichten LinienWien- Eger, Prag-Fiirth und Dux-Eisenstein der Franz Josef-Bahn, der Bohmischen West- bahn und der Pilsen-Priesener Bahn kreuzen, von denen jede daselbst einen eigenen Giiter- und Maschinenbahnhof, eine eigene Werkstattenanlage und zum Bahnhofsanlagen 377 Theil auch einen eigenen Personenbahn- hof besass, musste unter der gemeinsa- men Leitung des Staates und bei dem ansteigenden Verkehr die Verschmelzung dieser Bahnhofscomplexe zu einem ein- heitlich angelegten Gentralbahnhof im Interesse eines rationellen Betriebes zur Nothwendigkeit \verden. Der Mangel fast jedes Zusammenhanges zwischen den alten Babnhofstheilen macht es erklarlich, dass Abb. 247. Bahnhof fiihrt sind. Da es sich hier empfiehlt, die sechs den verschiedenen Richtungen zugewiesenen Einfahrts- und Durch- fahrtsgeleise fiir Giiterziige zwischen Aufnahmsgebaude und Personenzugs- Hauptgeleise zu legen, so soli der mittlere Perron als Hauptperron ausgestaltet und mit dem Restaurant und den Warte- salen versehen \verden, um diese Raume mehr in den Mittelpunkt der ganzen An- l Hutteldorf-Hacking. BAHNHOF IIUTTELDORF-HACKING. bei diesem von Stane eingeleiteten, heute noch nicht abgeschlossenen Umbau kaum mehr als eine Werkstatte in die neue Anlage hiniibergerettet werden kann, ja dass auch diese ihren Platz raumen diirfte, falls an den Bau einer grossen Centralwerkstatte geschritten werden \vird. [Vgl. Tafel I, Fig. 4] Drei Inselperrons werden hier die Fahrtrichtungen der drei sich kreu- zenden Bahnlinien trennen, welche auf der Westseite des Bahnhofes mittels Ueberbriickungen iibereinander \vegge- lage zu riicken. Zwei Personentunnels und ein Gepackstunnel sollen den schienen- freien Zugang zwischen Vorgebaude und Perron vermitteln. An die in den Per- sonenbahnhof eingeschobenen sechs Last- zugsgeleise schliesst sich der geschil- derte, bereits ausgebaute Rangirbahnhof an, neben dessen Abrollgeleisen sich der Zugsbahnhof fiir die Aufstellung aus- fahrender Ziige befindet. Die jiingsten Kreuzungs- und An- schlussbahnhofe, die nach den modernen Principien erbaut sind, H e i 1 i g e n s t a d t, 378 Ernst Reitler. Hauptzollamt und Hiitteldorf- Hacking, verdanken ihre Anlage dem unter der Leitung Bischoff’s von Klammstein stehenden Bau der Wiener Stadtbahn. Hutteldorf - Hacking [Abb. 247, 248], an der Hauptlinie Wien-Salzburg gelegen, die hier auch den Vororteziigen dient, ist einerseits eine Theilungsstation fiir die nach Purkersdorf transitirenden Ziige der Wienthal-Linie, andererseits eine Kopfstation fur deren Localztige, wie fiir jene der Wiener Ver- bindungsbahn, der nunmehrigen Stidring- linie. Die Geleise werden von vier Insel- und zwei Langsperrons bedient, die durch einen Tunnel verbunden sind. Auszugs- geleise behufs rascher Umsetzung der Ziige fiir die Riickfahrt, ausreichende Depotgeleise, Maschinen - Aufstellungs- und Ausriistungsgeleise ermoglichen es, den nier kraftig pulsirenden Verkehr in gesicherter und geordneter Weise abzu- wickeln. Der machtige Verkehrsaufschwung des letzten Decenniums hat dazu ge- fiihrt, dass wir in Oesterreich beute mitten in einer Epoche grosser Bahn- hofsbauten stehen. Das Schwergewicht dieser Thatigkeit liegt im Umbau wichti- ger Knotenpunkte, wo an Stelle alter, unzulanglicher Anlagen Personen- und Giiterbahnhofe nach den ent\vickelten, modernen Grundsatzen erstehen. Die vereinzelten hier vorgefiihrten Bauten, die uns in dieser Richtung die letzten Jahre brachten, \verden in der allernach- sten Zeit zu einer stolzen Reihe sehens- werther Bahnhofe erganzt sein. In Rei- chenberg und Karlsbad, in Bruck a. M. und in Wiener-Neustadt steht der Bau grosser Centralbahnhofe unmittelbar be- vor und auf den Linien der Staats- bahnen sehen wir ausser in Pilsen auch in Lemberg und Budweis, in Salzburg, Prag und Knittelfeld grossartige Anla¬ gen theils schon im Werden, theils in Vorbereitung fiir den baldigen Bau. Diese rege Bauthatigkeit fordert auch ungewohnliche Mittel. Die Kaiser Fer- dinands - Nordbahn hat im Decennium 1886—1896, in welcher Zeit sich der Verkehr ihres Hauptbahnnetzes mehr als verdoppelte, 14 Millionen Gulden verbaut, um ihre schon so oft ervveiterten Sta- tionen, abgesehen von allen Oberbau- Erneuerungen, durch Umgestaltungen und Eriveiterungen auf der Hohe der gestie- genen Forderungen zu halten. Und die | sechs letztgenannten Bahnhofe der k. k. Staatsbahnen allein \verden durch den Umbau einen Aufvvand von mehr als 11 Millionen Gulden beanspruchen. Diese bedeutenden Investitionen erweisen sich l jedoch nicht blos segensreich im Inter- esse einer erhohten Sicherheit, sondern sind auch das unabweisliche Gebot einer weiter ausschauenden Oeconomie. * * * Bei dem fliichtigen Rundgang durch j die Stationsanlagen der osterreichischen | Bahnen, bei welchem zugleich ein Zeit- raurn sechzigjahriger Entwicklung zu durchmessen war, musste naturgemass j Vieles und manch Wesentliches dem eilendeh Blick verborgen bleiben. Aber wenn es auch moglich gewesen ware, den Schauplatz jenes vielgestaltigen | Treibens, das sich im Innern der Bahn¬ hofe, fiir das grosse Publicum unsichtbar, gleichsam hinter den Coulissen abspielt, in seinem weiteren Umfange zu be- leuchten, die hundertfaJtigen Einrichtungen fiir die besonderen Zweige des Bahn- betriebes naher zu betrachten — so waren doch die fiihrenden Linien in dem Bilde der Stationsentwicklung hiedurch kaum beriihrt worden. Die ersten Bahnhofe der grossen Stadte mit ihrem beschrankten, aufkeimen- den Verkehr und ein grosser Endbahnhot unserer Zeit, der an einem Tage einen { Verkehr von 100.000 Menschen vermittelt und viele Tausend Tonnen Giiter in Umsatz bringt — eine alte Station mit ihren gedrangten primitiven Anlagen und ein moderner Knotenpunkts-Bahnhof, der trotz der weiten Ausdehnung nicht der Uebersichtlichkeit entbehrt — sie kenn- zeichnen die aussersten Glieder der Ent- wicklungsreihe, welche der osterreichische j Stationsbau seit seinem Beginne durch- laufen. Die sich stets erneuernden und • ver- mehrenden Bediirfnisse, die vom ersten Tag der Eisenbahnen an in den Bahn- l hofen zu befriedigen waren, hatten auch Bahnhofsanlagen. 379 auf diesem Gebiet zu einem eigenartigen Kampf ums Dasein gefuhrt, indem der wachsende Umfang der einzelnen Dienst- zweige iiber den ihnen zugewiesenen Rahmen hinausdrangte und diese sich gegenseitig das Terrain streitig machten. An der Hand der einzelnen Entwicklungs- stadien der Bahnhofe lasst sich schritt- weise der — von dem vorschreitenden Aus- bau der Stadte oft beeinflusste — Process verfolgen, \vie sich Personen- und Giiter- Dienstanlagen auf gegenseitige Kosten und auf Kosten der Heizhauser und Werkstatten erweiterten, und wie das fiir die ortlichen Verhaltnisse minder Belang- reiche an die Peripherie oderaus derStation hinausrticken musste. DieZwischenglieder dieser Stadien bilden jene Compromisse, die in der steten Stations-Erweiterung zwischen der Riicksicht auf das Bestehende und dem Streben nach Vermehrung und Verbesserung geschlossen wurden, und in denen Uebersichtlichkeit und systema- tische Gliederung nicht immer die Ober- hand gewinnen konnte. Die neueste Zeit brachte in den Bau und in die Umgestaltungen der Stationen eine bedeutsame Wendung. Der Geist exacter wissenschaftlicher For- \ \ v i schung hat auch auf diesem Gebiet seinen Einzug gehalten, indem er die Methode lehrte, mit Hilfe der Erfahrung die com- plicirten Erscheinungen des Bahnhofs- Betriebes zunachst zu entwirren, sie aut ihre einfachen Elemente zuriickzufiihren und erst fiir diese die Einrichtungen zu schaffen, die zu ihrer Befriedigung fiihren. Dadurch entstand jene besprochene \veitgehende Specialisirung, die sich ebenso in den grossten Bahnhofen durch deren Theilung nach den verschiedensten Betriebs- und Verkehrsforderungen aus- spricht, wie in j en en kleinen Stationen, die mit den vollkommensten Mitteln fiir die Erfullung einer einzigen grossen Verkehrsaufgabe. ausgestattet sind. Es liegt im Wesen einer derartigen systema- tischen Arbeitstheilung, dass die Leistungs- fahigkeit solcher moderner Anlagen un- gleich dehnbahrer sein wird gegeniiber den erhofften \veiteren Steigerungen des Verkehrs, und dass solche Anlagen daher die besten Biirgschaften bieten fiir die Erfullung der Forderungen, an \velche die Culturmission der Eisenbahnen ge- kniipft ist: Die Forderung nach Billig- keit, nach Raschheit und vor Allem nach S i c h er h e it des Betriebes. ■ ii«. Hochbau Von Hartwig Fischkl, Architekt, Ingenieur der Kaiser Ferdinands-Nordbahn. Hochbau. I. Theil. Entwicklung in Oesterreich-Ungarn bis zum Jahre 1867. Die ersten Privatbahnen. A ELTER wie jeder Gedanke an eine Ausbildung der Verkehrsmittel ist ^ das Bediirfnis der Menschen nach einem schiitzenden Obdach. Es gab den Anstoss zur Entwicklung einer profanen Baukunst, welche zuerst unter dem Ein- fluss der Denkmale religioser Kunst, dann durch die Prachtliebe der Grossen und Machtigen, und endlich durch die Be- dtirfnisse des Volkes zu selbstandiger Bedeutung heramvuchs. Die ungezahlten Probleme einer fortschreitenden Cultur- entwicklung haben ihr immer neue Auf- gaben zugefiihrt, von denen viele als endgiltig gelost und iiberwunden zu be- trachten waren, bevor das Eisenbahn- wesen entstand. Jede grosse Nation, jede grosse Epoche im Geistesleben der Volker hatte ihren formalen Ausdruck in dieser steinernen Sprache gefunden. Zu Beginn dieses Jahrhunderts war einePause von technischer und ktinstlerischer Un- fruchtbarkeit eingetreten. Eine lange Kriegszeit hatte die materiellen und productiven Krafte der europaischen Staaten erschopft, und es bedurfte eines kraftigen Impulses, um die erlahmte wirthschaftliche Thatigkeit wieder zu erwecken. Dieser Impuls erfolgte nun durch die Erfindungen und Bestrebungen im Hinblicke auf die Verbesserung und Er- leichterung des Verkehrs, welche mit der Construction des Eisenbahngeleises und der Locomotive ihrem Ziel in unerwartet rascher und vollkommener Weise nahe- geriickt wurden. Dem Bauwesen war mit einem Schlage eine Fiille neuer und grosserArbeitsgebiete erschlossen, auf welchen zwar in erster Linie der Strassen- und Briickenbau-Inge- nieur seine Thatigkeit entfalten konnte, wo aber auch dem Hochbau-Techniker grosse Aufgaben erwachsen sollten, deren Losun- gen fiir das gesammte Bauwesen bedeu- tungsvoll wurden. Wenig Raum war im Anfange dem Architekten gegonnt, kniipfte doch das junge Eisenbahnwesen unmittel- bar an den Strassenverkehr und seine Einrichtungen an, \velcher nur Bedarf an Nutzbauten, wie Postanstalten, Speditions- und Lagerhauser, Remisen, kannte. Diese der Ausstattung nach so einfachen, dem 384 Hartwig Fischel. Abb. 249. Ansicht des Nordbahnhofes in Wien. [1840.] Umfange na eh nur selten ausgedehnten Anlagen mussten zunachst die Vorbilder abgeben fiir jene Hochbauten, welche das Eisenbahnwesen ins Leben rief. Wenn auch die Riicksichtnahme auf einen ge- steigerten Personenverkehr, auf die be- sonderen Einrichtungen fiir Maschinen und Wagen eine Erweiterung des Bau- programms mit sich brachten, so waren doch die Unsicherheit des materiellen Erfolges, der Mangel an ausreichenden Erfahrungen viel zu grosse Hemmnisse fiir eine Ueberschreitung der engsten oconomischen Grenzen auf dem Gebiete des Hochbaues. So zeigen die ersten Eisenbahn- Hochbauten noch \venig Charakteristi- sches in Bezug auf Construction oder Aufbau, nur in der Art ihrer Anord- nung und Gruppirung lassen sich von Anfang an gewisse Principien erkennen, deren fortsebreitende Entwicklung auch fiir die formale Gestaltung der Hoch¬ bauten wesentliche Consequenzen mit sich fiihrte. Vergegenwartigen wir uns das Aussehen einer Eisenbahnstation der altesten Periode. In der beschreibenden Darstellung der Budvveis-Linz-Gmundener Eisenbahn schildert F. C. Weidmann im Jahre 1842 den schonen, grossenBahn- hof bei Lambach. Dieser Bahnhof, ein Areale von 6800 [24.458 m 2 \ umfassend, besteht aus folgenden Ge- bauden: 1. Das 45 0 [85'3 m] lange und 6° [11 *4 m\ breite Wirths- und Wohnhaus, solid gebaut, mit Ziegeln gedeekt. [Es enthielt Locale fiir das Wirthsgeschaft und 14 Fremdenzimmer, Kanzleilocale, Beamten\vohnungen und Stallungen fiir 48 Pferde.] 2. Ein 12 0 [22-8 m ] langes, 6° [11*4 m\ breites, mit Ziegeln gedeektes Magazin zur Aufbewahrung der Giiter und (Jnter- stellung einiger Personen\vagen. 3. Das Schmiedegebaude, nebst der Wachterwohnung, an welche ein holzerner Wagenschupfen angebaut ist. Die massiven Gebaude hatten hohe Dacher, waren glatt verputzt, die Dimen- sionirung der Stockwerke, der Fenster und Thiiren, das ganze schmucklose aber gediegene Aeussere entsprachen den guten biirgerlichen Wohngebauden Hochbau. 385 Abb. 250. Bahnhof Wagram der Nordbahn. [1839.] kleiner Stadte. »Der freie Platz vor den Gebauden«, sagt Weidmann, »ist zum Theil mit Baumen bepflanzt. Auch sind Sitze fiir Gaste angebracht, welche lieber im Freien verweilen und speisen wollen. Gegeniiber den Gebauden befindet sich auch ein recht artiges Gartchen mit niedlichen kleinen Anlagen. Der ganze Bahnhof ist mit einer Blanke umfriedet. Der Anblick des Treibens auf dem Bahn- hofe p;ewahrt ein recht bewee;tes Bild. Es ist dies einer der lebhaftesten Stationsplatze der Bahn.« Diese naive Darstellung ist ebenso charakteristisch fiir das Aussehen der Anlage wie ftir die Auffassung von ihren Zwecken. Als die Griinder der ersten Loco- motivbahn Oesterreichs — der Kaiser Ferdinands-Nordbahn — sich die Auf- gabe stellten, die Reichshauptstadt Wien mit dem verkehrsreichen Norden zu ver- binden, wurden die projectirenden Inge- nieure und Architekten rticksichtlich der Ausgestaltung der Gebaude und Betriebs- anlagen vor eine Reihe schwierig:er und wichtiger Aufgaben gestellt. Es galt hier Anlagen zu schaffen, welche den Verkehrs- bediirfnissen einer grossen Stadt anzu- passen waren, und welche dem Betriebe eines ausgedehnten, auf Erweiterung be- rechneten Unternehmens geniigen sollten. Anhaltspunkte fiir solche Anlagen gab es damals lediglich in England, wo zwei Bahnen bereits im Betriebe waren. Es \var fiir das osterreichische Unternehmen sehr forderlich, dass die Griinder des- selben die eingehendsten Studien an jenen bewahrten Mustern vornehmen Hessen. Ihre Einrichtungen entsprangen vielfach den Sitten der Bevolkerung. Besondere Beachtung war der Bequemlichkeit des reisenden Publicums geschenkt; so war es schon bei diesen ersten Anlagen mogli ch, mit Strassenfuhrwerk in die Ankunftshallen liings der Perrons ein- fahren zu konnen. Bedeckte Hallen schiitzten fast in jeder kleinen Station die Ein- und Aussteigenden; Wagen- remisen beherbergten die Personenvvagen. Die Giiterschupfen enthielten Geleise fiir die Frachtwagen. Kreuzungen im Niveau des Strassenverkehrs wurden durch Etagenanlagen sorgfaltig vermieden. Ein Bericht liber auslandische und oster¬ reichische Bahnhofe in Forster’s Bau- zeitung [1838] bringt als Resultat solcher Studien die Feststellung allgemeiner Prin- cipien, welche zumeist noch heute Giltig- keit haben. Es heisst daselbst: »Bei einem wohleingerichteten De¬ pot fiir Reisende und Waaren miissen 1. die abgehenden von den an- kommenden Passagieren streng geschieden sein. 2. Muss fiir die Unterkunft der Passagiere bis zur Abfahrt durch eigene Locale gesorgt sein, wobei der Bequemlichkeit der Controle halber die Reisenden der verschiedenen Glassen, d. i. die Inhaber der im Preise ver- schiedenen Fahrkarten, wieder von ein- ander zu trennen sind. 3. Die Passa¬ giere diirfen weder beim Kommen oder Abgehen noch so n st unter irgend einer Bedingung die Bahn kreuzen m u s s e n, wonach die Einfahrt in den Sammelplatz und die Ausgange aus demselben zu disponiren sind. 4. Fiir schwere Waarenballen, sodann fiir das schwere Gepack .der Passagiere miissen eigene Einfahrten in Raume zur damit vorzunehmenden Manipulation und Verladung vorbedacht sein, auch ist die moglichst directe Verbindung der zu versendenden Waarentransporte mit der 25 Geschichte der Eisenbahnen. II. 386 Hartwig Fischel. Abb. 251. Ansicbt der Station Baden. [1842.] Eisenbahn zu beriicksichtigen. Ist mit dem Depot oder Stationsplatz ein Maga- zinirungsort verbunden, so muss eine bequeme Communication zwischen diesem und den auf der Eisenbahn anlangenden Lastvvaggons stattfinden. 5. Fiir Re- misen zur Unterbringung der betreffen- den Personen- oder L a s t w a g e n muss vorgesorgt sein und miissen die Wagen, falls eine leichte Reparatur, z. B. Schmieren der Radbtichsen u. a. m. nothig wird, ohne alle Schwierigkeit von der Bahn dahin geschafft werden konnen. 6. Fiir wichtige Reparaturen sollen die nothigen Werkstatten, als Schmieden, Tischlereien etc. in der Nahe angebracht sein. 7. Kommen Locomotive in den Stationsplatz, so muss fiir bequeme Verbindung zvvischen ihrem Einstell- platz und der Bahn gesorgt werden, auch ist zu erwagen, dass in diesem Falle Kohlenmagazine und Was- serreservoirs in der Nahe anzuord- nen seien, damit sich der Dampfwagen mitWasser und Kohle versorgen konne, auch miissen die zur Instandhaltung von dergleichen mit allem Nothigen ver- sehenen Werkstatten sich in Bereitschaft finden. Nur dann, wenn allen diesen Bedingungen gehorig entsprochen ist, wird die Girculation der Reisenden und Giiter ohne Hemmnisse und Storungen geschehen konnen.« Aus derselben Quelle [1839] erfahren wir, dass der erste Bahnhof Wiens, die »Hauptstation der Nordbahn« [vgl. Abb. 249 sowie Abb. 164 und 165, Bd. 1, 1. Theil], einen 6897^ 0 [24.829 m 2 ] grossen, von einerS' [ 2 '5 m\ hohen, mitzwei EinfahrtenversehenenMauer abgeschlosse- nen Raum umfasste, aber innerhalb dieses regelmžissig als Rechteck gebildeten, ebe- nen, 14' [4^4 m\ iiber dem umgebenden T errain erhabenen Plateaus waren die Hoch- bauten nach ihren verschiedenen Zwecken gruppirt und durch Geleise verbunden, fiir alle einzelnen Bediirfnisse war nach der herr- schenden Ansicht in moglichst reichlicher Weise vorgesorgt. »Dieser Raum«, heisst es in der citirten Beschreibung, »ist in drei, nach den Erfordernissen des Betriebes, be- stimmte Abtheilungen gesondert, undzwar in den Raum fiir den Personenverkehr, in jenen fiir die Manipulation mit den Maschinen und endlich in jenen fiir den W a a r e n v e r k e h r. In der ersteren befindet sich dasHaupt- und Auf- nahmsgebaude fiir die Passagiere und die Wagenremise, in der zweiten die Re- mise fiir die Locomotive n, das H e i z h a u s, das K o h 1 e n magazin, die Werkstatten fiir Schmiede, Schlosser, Drechsler, Tischler, Sattler etc. und das Wohngebaude des Maschinen-Direc- tors. In dem dritten Raume endlich steht das grbsste Gebaude, welches das k. k. Zollamtslocale und das W a a r e n- magazinenthalt.« [Vgl. Abb.!79undi8o.] Hochbau. 387 besonderen Aufgang iiber eine zvveite Treppe hatten, indem sie vorher die Billets an der Casse im Erdgeschoss zunachst der Stiege nahmen. Die iibrigen Raume des Stockwerkes waren fiir das Mautheinnehmeramt und die Zollgefalls- wache bestimmt sowie fiir das Polizei- personale, welches die Passe der An- kommenden und Abgehenden zu unter- suchen hatte. Im Erdgeschosse des Ge- baudes waren gegen die Strasse zu Wohnungen fiir das Dienstpersonale und riickvvarts Keller und Raume zur Luft- heizuug. Im zweiten Stockvverke des Gebaudes waren Šale fiir Kanzleien des technisehen Personales und Wohnungen.« Wir sehen also auch im Detail bereits fiir die wichtigsten Raumbedtirfnisse des Personenverkehrs Vorsorge getroffen, ivenn dies auch vorlautig nur in beschei- denem Umfange riicksichtlich der Aus- masse und Ausstattung geschehen konnte. So vorsorglich man nun bei der Anfangsstation mit der Disponirung vor- gegangen war, so sehr war man oft auf der Strecke geneigt, mit provisorischen Anlagen der Entwicklung der Verhalt- nisse Spielraum zu geben. Die Dar- stellung der Station »Wagram« zeigt So sehen wir bei dieser ersten Wiener j Bahnhofsanlage schon alle wichtigen, fiir j denEisenbahn-Hochbau charakteristischen Gebaude-Typen vertreten, denen die wei- tere Entvvicklung nur wenige und unter- geordnete Gattungen hinzuzufiigen hatte. Nur in der Art, wie dieseTypen ausgebildet wurden, \vie sie raumlich wuchsen und formal an Ausdruck gevvannen, darin | konnen wir die eingreifende Thatigkeit des Eisenbahn-Architekten beobachten. Betrachten wir das Hauptgebaude der Nordbahn [vgl. Tafel I, Fig. II] naher, So erfahren wir aus der alten Beschreibung dariiber folgendes : »Der Zugang fiir die Reisenden lag im j Mittel des' Verwaltungshauses, welches ! folgende Raume und Bestimmungen hatte: Vom Vestibule des Erdgeschosses gingen die Personen, welche in den Wagen ersten und zweiten Ranges fahren wollten, in | das mit dem Anfange der Bahn in der | Waage liegende erste Geschoss iiber die j erste Stiege und losten die Fahrbillets i an der Casse im ersten Stack. Ein Raum daselbst diente als Saal fiir die Fahrenden in den Wagen II. Classe, ein Raum fiir die der I. Classe und ein Saal fiir die der III. Classe, welche ihren 25* Hartwig Fischel. 388 Abb. 253. Station Sagor. [Cilli-Laibach.] [Siidliche Staatsbahnen, 1849.] uns den Zustand vom Jahre 1839. Ein Hauptgebaude [vgl. Abb. 250, ferner Bd. I, i.Theil, Abb. l54undTafel I, Fig. 1 ] aus verputzten Riegelvvanden enthalt den Locomotivschupfen, die Wasser- station, den Kohlenschupfen, Kanzlei- und Warteraume, daneben sind nicht weniger als drei ebenso grosse Gast- hauser und eine Verkaufsbude errichtet, welche fiir das neugierige Publicum be- stimmt waren, das dem Anblick der in die holzerne Halle einfahrenden Ziige zu Liebe dort verweilen \vollte. Die Neuheit des Unternehmens brachte es mit sich, dass selbst eine von der Natur stiefmiitter- lich behandelte Ge- gend zu einem Ziel fiir Lustfahrten wurde, und dass soleh en Ver- haltnissen von den Bahnverwaltungen Rechnung getragen werden musste. Aber auch in Wien selbst konnte es geschehen, dass ein Hauptbahn- hof mit Riicksichtnahme auf solehe dem Eisenbahn-Verkebr nicht direct entnom- mene Bediirfnisse projectirt wurde. Die zweite, im Jahre 1840 erbaute, grosse Bahnhofsanlage vor der Belvederelinie am Ausgangspunkte der W i e n - G 1 o g g- n i t z e r und Wien-Pressburger Liniehatte die Form eines gleichschen- Abb. 254. Station Prelouč. [Briinn-Prag.] [Norclliche Staatsbahnen 1849.] keligen Dreieckes. *) »Die zwei gleichen Schenkeln stiessen nach der Stadt zu unter beinahe rechtem Winkel zusammen und ihnen entlang waren die eigentlichen Bahn- hofe fiir dieBahn nach Neustadt und Press- burg projectirt. Zwischen den beiden »co- lossalen« Personenhallen, \vovon jedoch erst die eine an dem Ausgangspunkte des Neustadter Fliigels errichtet wurde [1842], befindet sich ein schoner, freier Raum zum Vorfahren und Aufstellen von Equipagen. Die hintere Seite dieses Vorplatzes wird von der Terrasse eines grossen, drei- stockigen Gebau- desbegrenzt, dessen Flauptfront nach Wien zu gerichtet ist. Die Gesellschaft liat die herrliche Aussicht, die dieser Punkt gewahrt, zu ihrem Vortheile be- niitzt und die eben- erdigen Localitaten des ebengenannten Hauses zu einem Gasthausloc ale eingerichtet. Die oberen Etagen enthalten W o h n u n g e n fiir Beamte, dasBau- und die verschiedenen Administra- tions-Bureaux, dann einen Saal fur die Generalversammlungen.« Durch die raum- liche Entfernung von dem Centrum der *) v g’- Bd - I, 1. Theil, Abb. 179 und im Abschmtte: Bahnhofsanlagen von E. Reitler Abb. 184, 185 und 199. Hochbau. 389 Abb. 255. Station Pragerhof. [Sudbahn.J Stadt waren hier besondere Verhaltnisse gegeben, welche eine Vergrosserung des Bauprogrammes bedingten. Die Ab- trennung der Restauration, der Bureaux und Wohnungen vom Haupt- und Ern- pfangsgebaude ergab fiir dieses eine ein- fache Disponirung der Raume; dazu kam noch die Stellung des Gebaudes vor dem Ende der Geleise, welche ihm die erleich- terten Bedingungen und die Kennzeichen eines »Kopfgebaudes« [vgl. Tafel I, Fig. III sowie Bd. I, Abb. 174 und 175] gaben. Die Gleichheit der Verhaltnisse be- ziiglich der Niveaux von Bahn und Zu- j fahrtstrasse mit jenen, die beim Wiener j Nordbahnhofe massgebend waren, gestattet eine Gegenuberstellung beider Empfangs- gebaude als Typen verscbiedener S-ysteme. j Was beim Nordbahnhofe in einem | Langsgebaude parallel zu den Ge- | leisen bei geringer Gebaudetiefe an I Raumen nebeneinander gereiht war, er- scheint hier in gedrangter Anordnung und geschlossener Form vor den Kopfen der Geleise, bei schmaler Facadenbil- dung und tiefer Grundrissform. An- stossend an das geraumige Vestibule, das hier zum Hauptraum' wurde, lag im Strassengeschoss dem Eingange gegen- iiber das Cassalocale fiir die drei Classen, seitlich die Gepacksexpedition; symme- trisch lagen zwei zweiarmige Stiegen, eine als Zugang zur Personenhalle, eine als Abgans' fur die Ankommenden be- niitzt; letztere fiihrte zu einer Arkade, vor der auf der Strasse das stadtische Fuhrwerk aufgestellt 'war. Das Bahn- geschoss enthielt nur fiir die Passagiere I. und II. Classe Warteraume; die 86' 133'5 m ] breite und 370' [ii6'9 m] lange Personenhalle, vvelche sichinderGebaude- breite anschloss, solite mit ihrem Kopfper- ron und den beiden Langsperrons gleich- falls als Warteraum dienen. Es ist kem Zweifel, dass die Geschlossenheit dieser Grundrissform dem Architekten fiir die Aus- bildung der Baumasse giinstiger und gefii- giger erscheinen musste. Doch gestattete die nothwendige Rucksicht auf die Mog- lichkeit einer Weiterfiihrung der Linie iiber ihren Ursprung hinaus nur selten die An- wendung von Kopfgebauden; kam man doch in Briinn wenige Jahre nach Erbauung der ersten Bahnhofsanlage zu der Nothwen- digkeit, das als Stirngebaude ausgefiihrte Haus [vgl. Abb. 191, Bd. I, 1. Theil] 390 Hartwig Fischel. lllilillli: m. zi /K Halle. I. Station Wagram. [Nordbahn 1839.] II. Aufnahmsgebiiude Wien der Nordbahn, f 1830 1 TIT Aufnahmso-eh&ude Wien der siidlichen Staatsbahnen. [Wien-Gloggnitz 1842.] IV. Aufnahmsgebaude Olmiltz der NordbahiT [1842,] V. Vestibule. G. Gepiick. C. Cassa. W. Wartesaal. Wo. Wohnung. M. Magazin. K Kanzleier Wa. Wasserstation. R. Remise. Hochbau. 39 1 Abb. 256. Ansicht des Wiener Aufnahmsgebaudes der Kaiserin Elisabe-th-Bahn. [1859.] demoliren zu miissen, weil die Fortsetzung der Linie erfolgte. Eine Langsgebaude-Type der Wien- Gloggnitzer Balin fiihrt unsere Abbildung vom Aufnahmsgebaude Baden [Abb. 251] vor Augen. Principiell wichtig fur die spateren An- lagen war die Schaffung einer geraumigen P e r s o n e n h a 11 e in Wien, die allerdings noch mit holzernem Dachstuhle aber in freigebigem Ausmasse hergestellt war. [Vgl. Abb. 175, Bd. I, 1. Theil.] Es wurde seitdem fast keine grosse Endstation mehr ohne Personenhalle projectirt und selbst die Zwischenstationen erhielten in reich- lichem Masse sogenannte »Einsteighallen«, welche eine Eigenthiimlichkeit der altesten Stationsanlagen bilden. Von der primitiv- sten Ausbildung in reiner Holzconstrnction [vgl. Abb. 163, Bd. I, x. Theil], iviesiedie altesten Nordbahnstationen aufweisen, ging man auf die Anwendung von Stein- pfeilern mit Dachern in Holz- und Eisen- constructionen iiber. [Abb. 172, Bd. I, I. Theil.] Diese Hallen waren ein- oder mehrschiffig, je nach der Zahl der zu tiberdeckenden Geleise, und erhielten nur in grossen Stationen seitlichen Ab- schlus sdurch Fenstervvande. Nicht immer war es moglich, diese Ob- jecte unmittelbar an dieFlucht des Stations- j Gebaudes anzuschliessen, wie z. B. in Gloggnitz [vgl. Abb. 245, Bd. I, 1. Theil], sondern recht haufig bildeten die Hallen selbstandige Baulichkeiten, standen oft mitten in den Geleiseanlagen der Stationen und waren nicht immer mit den Gebauden durch Gange verbunden-, da letztere in kluger Voraussicht einer spateren Geleise- vermehrung oder aus anderen Griinden oft recht \veit von den Geleisen \vegge- riickt waren. Auch bei Magazinen war man fiir den Schutz der Wagen gegen Witterungseinfliisse besorgt, und wo man nicht direct in die Waarenmagazine ein- fuhr, wendete man seitlich angebaute Wagenhallen an; erst spater entstanden aus den Hallen Vera n den, aus den Anbauten der Magazine Vordacher. Bei gewissen Endstationen spielten die Waarenmagazine eine wichtige Rolle. So hatte Leipnik [1842] den ganzen Frachtenverkehr von Galizien und Schle- sien langere Zeit als Endstation der Nord- bahn aufzunehmen. Die Bahnhofsanlage [ war von einem dreithorigen Portal abge- schlossen. [Vgl. Abb. 190, Bd. I, I. Theil.] Empfangsgebaude und Magazin waren genau gleich gross, 38° [72 m\ lang und 4° [7'6 m} tief, einander gegeniiber ge- stellt, und schlossen fiinf Geleise derart ein, dass auf jeder Seite das zunachst- liegende Geleise von einem durch Pfeiler gestiitzten Vorbau geschiitzt war. Olmiitz hatte [1842] ahnliche Dimen- sionirung und Anordnung bei seiner altesten Bahnhofsanlage. [Vgl. Tafel I, Fig. IV, Abb. 187, Bd. I, 1. Theil.] Nur waren hier die vier Geleise zwischen Magazin und Empfangsgebaude von einem 9V2 0 m \ weiten holzernen Hallendach iiberspannt. Diese Gebaude waren, mit Riicksicht auf die nahe Festungsanlage, nur aus verputz ten Riegehvanden hergestellt, und mussten 39 2 Hartwig Fischel. lange als Provisorien ihren Dienst machen. ! Die Grundrissanordnung dieser Aufnahms- gebaude ist typisch geworden. In langge- j streckter Form, bei moglichst geringerTiefe der Tracte, enthalten sie die wichtigsten Raume neb eneinander gereiht. Das Vestibule liegt in der Mitte und enthalt dem Eingang gegeniiber die Gepacksaufgabe ! und die Cassen; seitliche Eingange fiihren zu den Wartesalen direct, oltfie Gange. Re- staurationslocalitaten wurden sogar unmit- telbar von der Strasse zuganglich gemacht. Bei kleineren Stationen fand natiirlich | eine weit compendiosere Form der Grund- selben Hause zu liegen. Dann erhalt das Gebaude ein noch weniger charakte- ristisches Aussehen, das von dem ein- fachen kleinstadtischen "VVohngebaude wenig abvveicht. [Vgl. Abb. 253 — 255 sowie Tafel II, Fig. 7, 8, 9 und 10 und Bd. I, 1. Theil, Abb. 158.] Remisen fiir Wagen sind sehr zahl- reich in den Endstationen disponirt, da man die theilvveise unbedachten Personen- wagen nicht im Freien aufstellen konnte. Remisen fiir Locomotive wurden oft ahnlich den Wagenremisen angelegt; die »Heizhauser« waren getrennt Abb. 257. Halle des \Viener Aufnahmsgebaudes der Kaiserin Elisabeth-Bahn. [1855.] risse Anvvendung; man \var noch bestrebt, verschiedenen Zwecken dienende Anla- gen in einem Gebaude zusammenzufassen. Die Wasserstation spielt dabei eine we- sentliche Rolle. Sie musste stockhoch sein, um die grossen Holzbottiche fiir { das Speisevvasser der noch kleinen Loco- motiven hoch genug zu stellen; darunter J war der Brunnen [mit einer gar oft nur ! durch die Hand bedienten Pumpe] und ein gemauerter Kessel zum Warmen des ' Wassers angeordnet. Naturgemass nahm | diese Anlage die Mitte des Gebaudes j ein, wo die Wartesale und Kanzleien durch ebenerdige Anbauten angeftigt werden konnten. Wo das erste Stock- werk ftir Wohnungen ausgenutzt wurde, kommen die Reservoire seitlich in dem- i von diesen als selbstandige kleine Ge¬ baude meist mit einer Wasserstation ver- bunden; sie hatten die Locomotive mit vor- gewarmtem Wasser und mit Kohlen zu ver- sorgen und standen daher an den Stations- enden bei der Ein- und Ausfahrt. Charak- teristisch ist die Anlage des Briinner Bahnhofes [1839]. [Abb. 157 und 159, Bd. I, 1. Theil sowie Abb. 181 und 182, Bd. II.] Vor der Einfahrt in die freistehende drei- schiffige Wagenhalle, hinter der das frei¬ stehende, quergelegte Aufnahmsgebaude sicli erhob, \vurden symmetrisch zwei pa- villonartige Remisen errichtet; eine fiir Wagen, eine fiir Locomotive. »Jede bildete ein regelmassiges Zwolfeck, von 12° [22‘8 m ] Durchmesser, ahnlich jenen der London - Birmingham - Balin [vgl. Kopf- Hochbau. 393 Fig-, i, 2 , 3, 4, 5, 6, Typen der Aufnahmsgebaude der ungarischen Linien der Siidbahn. 7, 8, Sfationsgebaude Klanim der Semmeringbahn. 9, io, Aufnahmsgebaude Hohenau der Nordbahn. II, Aufnahmsgebaude Angern der Pferdebahn I>inz-Budweis. 394 Hartwig Fischel. Abb. 258. Bahnhof Melk der Kaiserin Elisabeth-Bahn. [1859.] leiste S. 383] im Mittelpunkt mit einer ■grossen Drehscheibe, nach welcher die zvvolf Geleise radialiter zusammenliefen.« Wir haben hier die alteste Form der spater so verbreiteten polygonalen Heizhauser vor uns. Zunachst der Locomotivremise und mit ihr in Verbindung standen Werkstatten fiir die Schlosser, Drechsler etc. und in einiger Entfernung das Heiz- haus« [fiir zwei Maschinen]. Die ersten Staatsbahnbauten. Mit dem Eingreifen des Staates in die Angelegenheiten des Eisenbahnbaues erfahrt auch der Hochbau eine merkliche Forderung. Die Behandlung der Aufgaben gewinnt an Grossartigkeit und Einheit- lichkeit. Der baldnach der Brunner Anlage vom Staate errichtete Prag er Bahnhof [1844] [Abb. 252 und 211, Bd. I, 1. Theil sowie Abb. 187, Bd. II] zeigt eine weit- eehende Riicksichtnahme auf kiinftige Be- o p’ dtirfnisse, so dass er durch lange Zeit ohne vvesentliche Veranderung bestehen konnte und in seinen Hochbauten theilweise noch heute entsprechende Dienste leistet. Bei dieser Anlage sehen wir zum ersten Male, allerdings durch die Lage der Gebaude vor und hinter den Prager Festungsmauern von vornhereinbedingt,einedeutlicheTrennung des Personenbahnhofes vom Manipula- tionsbahnhofe, hier »innerer« und »ausse- rer« Bahnhof genannt. Die Thore der Festungsmauern waren in den mittleren sechs Oeffnungen fiir Wagenremisen be- stimmt; ausserdem gab es im ausseren Bahnhofe noch drei Remisen fiir Personen- wagen und eine Remise frir Locomotive; diese grosse Zahl von Raumen, welche nur zum Schutze der Personemvasjen sregen Witterungseinflusse bestimmt vvaren, ist ein charakteristischer Zug altester Bahnhofs- anlagen, welcher immer mehr verschrvin- det, je mehr die Verbesserung der Wagen- construction ihre Wetterbestandigkeit ins Auge fasst. Sammtliche Hochbauten des Prager Bahnhofes zeigen einen einheit- lichen Rundbogenstil mit einfachen Schmuckformen und ansehnlichen Ver- haltnissen. Dem A ufn ah m s gebaude mit seiner Abfahrtshalle ist ein eigenes Ausgangsgebaude mit einer An- k u n f t s halle derart gegentibergestellt, dass eine Galerie und die Untersuchungs- halle fiir die Zollbehorden den Uebergang 'vermitteln. Auch hierin also eine Trennung nach Verkehrsbedingungen. Das Haupt- gebaude ist durch Thiirme besonders betont und zeigt in seinem Grundriss eine sehr bemerkenswerthe Ausbildung derjenigen principiellen Anordnungen, \velche im Olmiitzer Aufnahmsgebaude angedeutet erscheinen. Das geraumige, in der Mitte angeordnete Vestibule schliesst sich an einen 62° [117-6 m\ langen und 14' [4-43 m\ breiten Gang, welcher in die ebenerdigen Tracte zu beiden Seiten des zweistockigen Mittelbaues iibergreift und den Zugang zu sammtlichen wichtigen Raumen vermittelt. Das Vestibule ist nur eine centrale Ervveiterung dieses Ganges, um fiir Cassen und Gepackaufgabe ge- eignete Platze zu schaffen und einer an dieser Stelle zu er\vartenden grosseren MenschenansammlungRaum zugeben. Der gesammte Flacheninhalt der Abfahrts- localitiiten betrug schon nahe an 1000 [j° [3597 m2 ]• Dieses Grundrissschema gibt eine noch heute allgemein gebrauchliche Hochbau. 395 Losung der Aufgaben eines Langsgebau- des, wie sie spaterhin unzahlige Male in den verschiedensten Dimensionen zur Aus- fiihrung gelangte. Die Linie Olmiitz-Prag hatte aber auch fiir die iibrigen Stationsgebaude massgebende Typen. Es ist begreiflich, dass man mit den haufiger werdenden Hochbauaufgaben und der naturgemassen Wiederholung ahnlicher Bedingungen darauf gefuhrt wurde, die Anordnung der Stationen sowie die Anlage der Gebaude durch bestimmte Typen zu generali- siren. Die Wien-Gloggnitzer Linie hatte drei Classen von Stationsanlagen unter- schieden. »Fiir sammtliche Staatseisen- bahnen des osterreicliischen Staates wurde die Bestimmung gegeben, dass die ver- schiedenen Stationsplatze je nach der Wichtigkeit des nachstgelege- So ist der alteste Bahnhof in Pest [1846] [Abb. 195, Bd. 1 ,1. Theil] eine Kopf- station mit grosser Hallenanlage gewesen, wahrend die iibrigen Stationen der »Ungari- schen Centralbahn« [Pest-W'aitzen, Pest- Szolnok und Marchegg-Pressburg] sich nach weit bescheideneren Typen ordnen liessen. Insbesondere dort, wo die Han- delsverhaltnisse Stapelplatze von beson- derer Wichtigkeit schufen, war auch die Bahnhofsanlage mit speciellen Vorkeh- rungen einzurichten. Eine Anlage solcher Art war der Staat sb ahnhof in Triest.*) [1857.] Hier war im Gegensatz zu den bisher be- trachteten Fallen gerade der Giitertrans- port besonders massgebend und durch die Verbindung mit einer neuen Hafen anlage erwuchsen technische Schwierigkeiten besonderer Art. Der Personenverkehr Abb. 259. Aufnahmsgebaude Salzburg der Kaiserin Elisabeth-Bahn. [1860.] n e n O r t e s in fiinf Classen einzu- theilen seien.« Die kleinste Type bestand nur aus einem Wachterhaus mit Wasser- station. Dann wuchs die Zahl der Warteraume im Gebaude, aber die Wasserstation blieb noch damit combinirt; dann \vurde die Wasserstation dem Auf¬ nahmsgebaude gegeniiber als selbstan- diger Bau errichtet und bei grosseren Typen mit Remisen und Werkstatten combinirt. Endlich erhielt das Auf¬ nahmsgebaude noch eine Personenhalle derart vorgestellt, dass der Verbindungs- gang zwischen beiden Objecten rechts und links mit Wartesalen eingeschlossen werden konnte. Die Endstation bildete als Sitz der Verwaltung eine Anlage von erhohter Wichtigkeit und entwickelter Ausbildung; hier traten am haufigsten abnormale Ver- haltnisse auf, welche eine Abweichung von generellen Typen und Anpassung an locale Bedingungen nothwendig machten. spielte ausnahmsweise eine untergeordnete Rolle, so dass das Aufnahmsgebaude bis zum Jahre 1883 auf seine definitive Gestaltung warten musste und inzwischen durch ein Provisorium ersetzt wurde. Idingegen machten die iibrigen Erforder- nisse den Bahnhof damals zur grossten Anlage der Monarchie. Infolge der noth- wendig gewordenen Uebersetzung der ueu- en Lazarethanlage mi t einem 96° langen und theilweise mit einer Art Glasveranda iiberdeckten Viaduct mussten zwei Etagen angelegt werden, von denen die obere mit der Geleiseanlage 32' [10 m] und die untere mit den Zufahrtsstrassen und Quaimauern des Hafens 9^2' [3 m} iiber dem Meeres- spiegel lag. Zusammen umfassten die beiden Plateaux eineFlache von 55.000 [J° [197.800 m 2 ] von der iiber 40.000 [j 0 [143.900 m' 2 } der See durch Anschtittung abgewonnen wurden. Die Auf- und *) Vgl. Bd. II, E. Reitler, Bahnhofs- anlagen, Abb. 205 und Bd. 1 ,1 Theil, H. S t r a c h, Die ersten Staatsbahnen, Abb. 280 und 281. 396 Hartwig Fischel. Abb. 260. Bahnhof St. Polten der Kaiserin Elisabeth-Bahn. [t85y.] dem herrschenden Geschmack jener Tage abhangig war, in welche der Beginn der »Eisenbahnzeit« fallt. Ein Bericht (iber die Miinchner Kunstausstellung desjahres 1838 in Forster’s Bauzeitung cbarakterisirt diesen Geschmack sehr gut, indem er sagt: »In der heurigen Kunstausstellung zeichnete sich zur Freude aller gebildeten Bautechniker der Architektensaal durch seine ebenso gut durchdachten, als rein- lich gezeichneten Plane, wovon die meisten zu Prachtgebauden, aus, denn fast alle trugen sichtlich das Geprage eines reinen, niichternen Bau- s t i 1 e s, in Bezug der Anordnung der Fasaden sowohl, als der Vermeidung jeder widersinnigen Construction und barocken Form. Als Heros glanzte H. Rosner, Professor an der k. k. Aka- demie der bildenden Kunste in Wien.« Dem Fiihrer durch »Alt- und Neu-Wien«, \velcher 1865 vom Oesterreichischen In- genieur- und Architekten-Verein heraus- gegeben wurde, entnehmen \vir ferner folgende Stellen iiber die Wiener Bau- j herum begann auch in Wien ein Um- schwung der Anschauungen in Bezug auf das Wesen und die Bedeutung monumentaler Bauten fuhlbar zu wer- den. Der Ruf ausgezeichneter Leistun- gen in verschiedenen Stadten Deutsch- lands, die brennende Frage iiber die Erfindung eines neuen Baustils, die erwachte Begeisterung fiir mittelalter- licheBauwerke, gefordert durch eine Reihe von kunstarchaologischen Schriften, und die Aufnahmen von alten Bamverken durch wissenschaftlich gebildete Kiinstler drangen auch bis an die Donaustadt, und es machte sich der Eindruck der deutschen Kunstbeweguns: vorerst durch eine kraftige Opposition gegen den Hof- baurath Luft.« Natiirlicherweise sehen tvir auch im Eisenbahn-Hochbau diese Verhaltnisse sich \viederspiegeln. Hatte noch der Lon- donerBahnhofderBirmingham-Bahn[siebe Kopfleiste S. 381] einen strengen dorischen Propylaen-Bau an derStelle desEinganges, so war dieser trocken antikisirende Baustil Abgabsmagazine enthielten in ihren beiden Geschossen zusammen 8600 [G 0 [30.928 w s ] Lagerflache. Es waren dies die \vichtigsten und hervorragendsten Hochbauten der ausgedehnten Anlage, welche gleich von Anfang an eine massive Durehfiihrung erfuhren. Wie man sieht, hat es auch den ersten Bahnhofsanlagen Oesterreichs nicht an Grossartigkeit ge- fehlt und haben alle neuen und wichtigen Aufgaben des Eisenbahn-Hochbaues schon die Pionniere dieses Faches zu be- schaftigen gehabt; wenn auch im Anfange allerdings nur die technische Seite der Losungen mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt wurde. Es ist naturlich, dass die architek- tonische Ausgestaltung der grosseren Hochbauten, das ist insbesondere der Aufnahms- und Empfangsgebaude von verhaltnisse zujenerZeit: »AuchNobile’s Nachfolger in Amt und Wiirden, Hofbau- rath Paul Sprenger, bewegte sich an- fangs in den ihm vorgezeichneten Bahnen und was das Bezeichnendste seiner ganzen Steliung war, er bureaukratisirte die ganze Architektur von Staatswegen. Handelte es sich um die Errichtung eines offentlichen Gebaudes, so musste der Hofbaurath nicht nur sammtliche Plane gutheissen, sondern in wichtigeren Fali en wurden Plane am Sitze der obersten Baubehorde von den dort fungirenden technischen Beamten selbst entworfen, wobei Sprenger als ein einflussreiches Mitglied dieser Staatsbehorde entweder die leitenden Ideen angab und die Stil- p;attunp; bestimmte, oder auch fremde Ideen nach seinem Geschmack modi- ficirte.« — »Um das Jahr 1840 Hochbau. 397 auch fiir den altesten Nordbahnhof, den Bahnhof der Gloggnitzer Bahn in Wien, bei entsprechend geringeren Mitteln fiir decorativen Aufwand massgebend. Nach- dem die Projectanten der Eisenbahn- Hochbauten vielfach aus dem Staatsdienste hervorgingen, ist die aussere Verwandt- scbaft in der einfachen Gestaltung der Gebaude leicht zu erklaren; es entstand hiebei eine Art officiellen Baustils, der uraso eher angewendet werden konnte, als die Programmbedingungen anfanglich an constructive Ausbildung und raum- liche Ausdehnung noch keine ungevvohn- lichen Anforderungen stellten. Bei den nordlichen Linien: der Nordbahn, der Olmiitz-Prager Linie etc. war hauptsach- lich Anton Jiing- 1 i n g als Architekt thatig. Bei den siidli- chen Staatsbahnen begegnen \vir dem Architekten Moriz L 6 h r, \velcher da- zu berufen war, durch lange Zeit auf den osterreichi- schen Eisenbahn-Hochbau Einfluss zu neh- men. [1838—1857.] Wenn er einerseits durch die Schule S t i e r’s, durch Studien- reisen in Italien, durch Antheilnahme an den Bauten Sprenger’s kiinst- lerische und praktische V orbildung erhalten hatte, so waren die in Gemeinschaft mit Ghega unternommenen, sogar bis nach Amerika ausgedehnten Informations- reisen geeignet, ihm die weitestgehende Kenntnis der bereits zu Tage geforderten Resultate des Eisenbahnwesens zu ver- schaffen und ihm einen \veiten Blick zu sichern. Dies war umso wichtiger, als Lohr in seinen leitenden Stellungen nicht blos als Architekt zu vvirken hatte, sondern auch Stations- und Betriebs- anlagen, ja sogar auch Briicken zu projectiren und auszufiihen hatte. Unter seinen ersten Mitarbeitern ist Johann S a 1 z m a n n zu ervvahnen, der mit der Ausfiihrung der ersten Rohbauten auf der Semmeringbahn [vgl. Klamm Abb. 248, Bd. I, 1. Theiletc.] einer wichtigen Aufgabe des Eisenbahn - Plochbaues zuerst die nothige Riicksicht zutheil werden Hess. Abb 261. Innsbruck [k. k. Staatsbahn, 1859]. Es \vurde sehr friih die Nothwendigkeit erkannt, der Uebervvachung und Erhal- tung der Hochbauten moglichst geringe Lasten aufzuburden, ohne dabei den guten Geschmack in Bezug auf die aussere Gestaltung zu beeintrachtigen. Dies fiihrte zur moglichsten Ausniitzung des \vetterfesten Baumaterials auch fiir decorative Zwecke, was ausserhalb Oester- reichs schon lange in Uebung war. Ja in einzelnen Grenzlandern Oester- reichs kam es vor, dass die Bahnhofs- anlagen direct durch auslandische Ein- wirkung hervorgerufen wurden. So ist im ehemaligen Krakauer Gebiete schon im Jahre 1845 durch die Krakau-Ober- schlesische Bahn eine grosse und sehr tibersichtlich dis- ponirte Bahnhofs- anlage geschaffen worden, welche auch eine Halle mit eiserner Dachcon- struction enthielt. D as Aufnahmsge- baude K r a k a u [s. Abb. 264] war nach dem Schema der Durchgangsstationen angeordnet mit einem grossen Langsgebaude fiir den offent- lichen Verkehr, das durch einen Mittelbau mit niedrigen Seitenfliigeln und hoheren Eckpavillons gegliedert erschien, welchen letzteren auf der anderen Hallenseite zwei Eckpavillons fur Betriebslocalitaten ent- sprachen. Die Architektur des einfachen Putzbaues mit flachen Blechdachern und Rundbogenoffnungen wies auf Berliner Einfliisse hin. In dieser Zeit machten sich auch noch von anderer Seite deutsche Einvvirkungen fiihlbar. Im Jahre 1847 trat der »Verein der deutschen Eisenbahn-Verwaltungen« mit Anschluss Oesterreichs zusammen und wenn die vvohlthatige Wirksamkeit dieses Vereines fiir den Hochbau auch nicht sofort sehr bedeutungsvoll wurde, so bildete doch der Austausch der Erfah- rungen und des Wissens hervorragen- der Fachleute eine Quelle der Anre- gung und Belehrung, welche in der praciseren Ausgestaltung und sorgfalti- g^ren Durchfiihrung der Bauten zum Ausdruck kam. Hartwig Fischel. 398 Einfiihrung von Normalien fiir den Hochbau. Kaiserin Elisabeth-Bahn. Von grosster unmittelbarer Bedeu- tungvvar derEinfluss Frankreichs, welcher nach Entstaatlichung einzelner Linien in Oesterreich auftrat. Mit der Griindung neuer Gesell- schaften begann eine Bewegung sich Geltung zu verschaffen, welche dadurch gefordert wurde, dass zur technischen und administrativen Leitung der Bahnen Personlichkeiten vom Auslande herange- zogen wurden, die neue Anregungen mitbrachten. Insbesondere ist hier die Thatigkeit der Staatseisenbahn-Gesell- schaft in Un- garn zu er- \vahnen. Ge¬ neral-Director J. M a n i e 1, aus Frankreich nach Wien be- rufen, verstand es, den in sei- ner Heimat sehrentwickel- ten Hochbau- Typen durch Anpassung an osterreichische Verhaltnisse Eingang zu verschaffen. Ihm verdanken wir rohbau. Der Putz blieb auf glatte Flachen beschrankt. Auch das Dach wurde durch vorspringendeGiebelundTraufconstructio- nen mit Verzierung der sichtbaren Holz- theile betont, so dass im Allgemeinen das Hervorkehren der constructiven Principien charakteristisch war. Im In- nern erhielten die Holzconstructionen durch Heranziehung von Eisen zu Ar- mirungen eine leichte und elegante Ge- staltung, welche sogar mitunter decorativ veriverthet wurde, z. B. als sichtbare Holzdecke von Wartesalen. Hiemit er- scheint durch rationelle Ausniitzung der Materialien und geschmackvolle Beniitzung constructiver Motive eine Charakterisirung des Zweckes der Gebaude mit den Anfor- derungen der Bauoconomie verbunden. Die Grundrissanla- gen zeigten ins¬ besondere bei den Aufnahms- gebaudenklare und knappe Anordnungen, welche in vie- lenFallennoch heute befriedi- gende und oft angeivendete Lbsungen Abb. 262. Bahnhof Sniatyn. [Lemberg-Czernowitzer Bahn, 1866.] die ersten grtindlichen Hochbau- Normalien. Mit ausserster Sorgfalt wur- den fiir den Bau der Linie Szegedin-Temes- var [1856 bis 1857] unter Beobachtung der ortšiiblichen Bauweise, der bei den Aus- fiihrungen sich ergebenden Erfahrungen, fiir alle nur voraussichtlichen Falle und Detailfragen mustergiltige Zeichnungen angefertigt. W. Flattich war es zuerst, dann K. Schumann im Verein mit A. Paul, welche diese Arbeiten unter ManieFs directer Beeinflussung durch- fiihrten. Der Rohbau, welcher zuerst bei der Semmeringbahn [vgl. Station Klamm, Tafel II, Fig. 7] Verwendung gefunden hatte, er- hielt nun principielle Amvendung fiir alle constructiven Theile, wie fiir Gesimse, Lisenen, Bogen und Einrahmungen von Oeffnungen, und zwar den ortlichen Ver- haltnissen entsprechend, zuerst als Ziegel- bilden. So zeigt z. B. ein Gebaude mittlerer Grosse Gross-Kikinda [1857] eine Gliederung durch Mittel- und Eckpavillons und Zwischentracte. Das Vestibule mit der Gepacksaufgabe und den Cassalocalen liegt in der Mitte. Links sind die Wartesale mit vorgeleg- tem Gang; am Ende liegt der Re- staurationssaal. Rechts sind reicblich disponirte Bureaux, am Ende die Locale fiir die Post. Auch das Streben nach hohen, luftigen und hellen Raumen findet seinen Ausdruck durch Entfernung der Zvvischendecken und Anordnung einer sichtbaren Dachconstruction in den Wartesalen, die durch Untertheilung des grossen Raumes mit Hilfe von hol- zernen Zwischenwanden entstehen. Diese Anlagen waren als Vorstudien \vichtig und gaben vielfach Anregung fiir spatere Arbeiten. Hochbau. 399 Unter den im Entstehen begriffenen ! neuen Bahnen erhielten die ungarischen, i croatischen und Karntner Linien der spate- ren Siidbahn far den Hochbau Bedeutung. [Vgl. Tafel II, Fig. i — 6.] Die Berufung EtzePs verschaffte auch hier auslandischen Einfliissen Geltung, welche sich vorerst in einer klaren Grundriss-Disposition ausser- ten, die jener der oben besprochenen siid- ungarischen Typen verwandt war. O fen erhielt auf seinem vom Giiterbahnhof vollstandig getrennten Personenbahnhofe ein stattliches Aufnahmsgebaude mit Halle. Die strenge Trennung der z\vei Liings- tracte fur Ankunft und Abfahrt, welche, symmetrisch zur Halle gelegen, die durchgehen- den Geleise ein- schliessen, sowie die tibersichtliche Vertheilung der Raume machten diese Anlage zu einem guten Ty- pus einer Endsta- tion ohne Kopf- gebaude. Kani- zsa und Stuhl- w e i s s e n b u r g zeigen gleichfalls tj^pische Anla- gen, undzwarfiir Zwischenstationen grosserer Gattung, bei denen einem stattlichen Langsgebaude eine ansehnliche Halle in Holz- und Eisen- construction vorgelegt ist. In Prager- hof \var diese Halle ganz frei gestellt. [Vgl. Abb. 255.] Im Aeusseren hat man es hier zumeist mit einfachen Putzbauten zu thun. Doch verschaffte Flattich, zur Leitung des Hochbamvesens unter Etzel berufen, dem Rohbau auch bei der Siidbahn Geltung. Schon bei der Umgestaltung der Local- strecke Wien-Voslau wurde das dort vor- handene Steinmaterial verwendet, um dem Detailformen einer antikisirenden Renais- sance, welche schon von frtiher her einge- fiihrt vvaren, eine constructiv und asthe- tisch befriedigende Durchbildung zu geben. Bei einigen ungarischen Strecken wurde das Ziegelmaterial herangezogen, um einfachere landliche Gebaude im Roh- ! bau herstellen zu konnen. [Vgl. Tafel II, I Fig. 1 und 2.] Wichtig ist bei den erwahnten Local- bahnstationen auch die principielle An- wendung von V e r a n d e n an Stelle der zur Cassirung gelangenden alten Hallen selbst bei den kleinsten An- lagen. Sie dienten als Warteraum ins- besondere wahrend der Sommermonate und waren daher mit Gittern abgeschlossen, und wurden mindestens 16' [5 '05 m ] vom nachsten Hauptgeleise entfernt an- geordnet, um die Trennung der Ein- und Aussteigenden zu ermoglichen. Dadurch unterschieden sie sich von gewohnlichen Einsteige-Per- rons. EtzePs aus- fuhrliche Publi- cation zeigt, mit welcher Griind- lichkeit bei die- sen Bauten die Durchbildung des Details er- folgte, und wel- cher Werfh nun schon auf eine einheitliche plan- massige Ausge- staltung des ITochbaues ge- legt wurde. Gleichzeitig traten an anderer Stelle Bestrebungen zur Hebung der technischen und asthe- tischen Qualitaten des Hochbaues auf, vvelche Beachtung verdienen. Beim j Baue der Kaiser in Elisabeth- Bahn [1857 —1860] wurde den Archi- tekten viel Spielraum gelassen. Einge- leitet wurden die Arbeiten noch vor seinem Uebertritt in den Staatsdienst durch L o h r, welcher nach neuerlichen Studien in Deutschland und Frankreich an ein Corps von jiingeren Kraften: Bayer, Patzelt, Thienemann, die Ausfiihrung der verschiedenen Hochbauten vertheilte, so dass ohne eigentliche Nor- malisirung jedem Einzelnen eine gewisse Freiheit gelassen war. Bei den Werk- statten, Remfsen und anderen Nutzbauten des Wiener Bahnhofes \vendete Thiene¬ mann einen sorgfaltig studirten Ziegel- rohbau an, der reichere Detailbildung, 400 Hartwig Fischel. Abb. 264. Aufnahmsgebaude Krakau. als bisher iiblich \var, zeigte, und bei dem gebrannte Formsteine zu Ziergliedern in Vervvendung traten. Auch in den Putzbau der Aufnahmsgebaude mischen sich Terra- cotta und Ziegeldetaiis, und gewisse An- klange an das Mittelalter in Zinnen und Thurmchen, Bogenfriesen und Eckrund- staben lassen den Geschmack der Zeit er- kennen. [Vgl. Abb. 256—261.] Nach- dem nun dem Localverkehr von Anfang an schon Beacbtung geschenkt wurde, finden \vir ausgedehnte Veranden, \velche mitunter vor, zumeist aber neben die Aufnahmsgebaude gestellt waren. Die grossten Objecte waren das Wiener und das Salzburger Aufnahms¬ gebaude. Das letztere erhielt durch Bayer eine gluckliche Anordnung, die durch gute Massengruppirung und ge- schickte Betonung der Mittel- und Eck- bauten aus dem ungiinstigen lang- gestreckten Baukorper eine beachtens- werthe architektonische Leistung zuWege brachte. Beim W i e n e r E m p f a n g s- gebaude musste infolge der grossen Reichhaltigkeit des Programms auf Ein- heitlichkeit der Gesammtwirkung ver- zichtet werden. Es ist dies der erste in der Reihe der grossen Wiener Bahn- hofe, welcher den gesteigerten An- forderungen einer neuen Zeit Rechnung tragt und in die Reihe der monumen¬ talen Anlagen der grossen Stadt eintritt. [Vgl. Tafel IV, Fig. 4.] Allerdings fallt er auch schon in jene Wiener Bau- epoche, welche sich die Stadtregulirung zur Aufgabe machte und der Losung grosser baulicher Probleme entgegen kam. Ein grosses Ankunfts- und ein gleiches Abfahrtsgebaude umschliessen mit einem quer vor den Kopf der Geleise gestellten Administrationsgebaude die | 27 - 5 m \veite und 164 m lange Halle, i Die Langsgebaude, in sich abgeschlossen, mit ebenerdigem Mittelbau und hoheren 1 Eckbauten sind doppeltractig angelegt, so dass Hofe entstanden, die zu Garten j verwendet \vurden. Auffallenderweise vvaren die Warteraume strassenseits an- j geordnet. Eine opulente Portalanlage i und stattliche Eingangs- und Ausgangs- vestibule schmuckten die Mittelbauten. Das Kopfgebaude ist gleichfalls fur sich | abgeschlossen, von grosserer Hohe und J mit Eckthiirmchen ausgezeichnet, um den Prospect von der Stadtseite zu heben; es entspricht der Hallenbreite. Fur diesen Bahnhof ist noch heute charakteristisch, dass das Publicum seinen Weg durch das j Vestibule direct auf den Perron nimmt, zu- Hochbau. 401 Abb. 265. Aufnahmsgebaude Lemberg. meist ohne Beriihrung der Warteraume. Beeinflusst durch die ersten mittelalter- lichen Studien und jene romantische Be- wegung, welche damit zusammenhing, sind [mehr noch wie die Hochbauten der Kaiserin Elisabeth-Bahn] einige im siid- lichen Ungarn zu Ende der Ftinfziger- Jahre entstandene Banten, die von Wiener Technikern projectirt wurden, z. B. die Bahnhofe der Theissbahn, welche bei der Siebenbiirger Bahn Nachahmung fanden. [Kaschau-Karlsburg.] Auch viele gali- zische Bahnhofe und die etwas spateren Anlagen in der Bukowina, wie der Lem- berger und der Czernowitzer Bahn- hof, schliessen sich diesen eigenthiim- lichen, heute so befremdenden Arbeiten in formaler Hinsicht an. [Vgl. Abb. 262 und 265.] In grossem Gegensatz hiezu steli en jene Empfangsgebaude, welche im nord- lichen Bohmen entstanden, als es sich zum zweiten Male ereignete, dass aus- landische Krafte direct in das hei- mische Bauwesen eingriffen. Im Jahre 1865 \vurde durch Herz von Herten- r i e d die Eisenbahn Hof-Eger erbaut. Die bei dieser Gelegenheit vom bayrischen Architekten B ti r c k 1 e i n entvvorfenen ansehnlichen Aufnahmsgebaude von Franzensbad und Asch [Abb. 263] und jenes von Eger, das Hiigel erbaut e, miissen infolge ihrer, breiten Anordnung und sorgfaltigen Ausfiihrung als sehr be- merkenswerthe Leistungen bezeichnet werden. Flache Dacher, schwache Ge- simsgliederungen und antikisirende De- tails tragen den Charakter der damals in Miinchen herrschenden Geschmacks- richtung. Solche Schtvankungen in der formalen Behandlung des Eisenbahn-Hochbaues charakterisiren namentlich jene Epoche, in der man in Oesterreich wie anderwarts nach einer energischen Hebung der Bau- thatigkeit strebte. Die Ueberwindung der alteren, »niichternen« Bauweise fiihrte zunachst noch zu den mannigfaltigsten Experimenten und Versuchen mit der Neubelebung alter Stilrichtungen, bis sich allmahlich durch eine mehr auf das Con- structive gerichtete Bethatigung jene charakteristische Bauweise entvvickelte, die dem Eisenbahn-Hochbau heute eigen- thiimlich ist. Insbesondere waren es grosse Aufnahmsgebaude in Endstationen, welchen man manchmal durch Anlehnung an altere, den Zwecken und Aufgaben des Eisenbahmvesens ganz ferne stehende Architektur-Bestrebungen einen erhohten Glanz zu geben versuchte. Dabei gelang es aber doch immer wieder, jene Wege zu finden, auf welchen man zu einem charakteristischen Ausdruck der neuen Forderungen gelangen musste. Diese besonderen Leistungen haben auch stets den nachhaltigsten Eindruck her- vorgerufen und den gtinstigsten Erfolg gehabt. Geschichte der Eisenbahnen. II. 26 Nordbahn. Stidbahn. Franz Josef-Bahn. Wiener Endbahnhofe. 402 Hartwig Fischel. Tafel III. Nordwestbahn. Staatseisenbahn-Gesellschaft. Hochbau. 403 SSS& Fortbildung in der osterreichischen Reichshalfte bis zum Jahre 1898. Die grossen Endbahnhofe in Wien und die neuen Gebirgsbahnen. Es konnte nicht fehlen, dass die zu- nehmende Entvvicklung des Verkehrs- wesens auf das iilteste osterreichische Locomotivbahn-Unternehmen seine Wir- kung ausiibte. Mebr als zwei Decennien waren seit der Erbauung des ersten Aufnahmsgebaudes in Wien verflossen und das unerwartet rasche Wachsen der Bediirfnisse hatte es mit sich gebracht, dass die Wiener Bahnhofsanlage derNord- bahn im Jahre 1864 bereits eine Flache von 56.350 [J° [202.860 m 2 ] einnahm, also mehr als achtmal so gross war, wie die Anlage von 1838. Auch auf der Strecke war das Bediirfnis nach Vergrosserung der Hochbauten vorhan- den. Die Vervvaltung der Nordbahn zog daher die wurttembergischen Archi- tekten The o d. Hoffmanu und Fr. Wilhelm zur Ausarbeitung der Plane fiir Umgestaltungen der Hochbauten heran. Die meisten grossen Stationen, wie Prerau, Oderberg, gaben zu umfassenden Arbeiten Veranlassung; hier hatte Fr. Wilhelm durch einige Zeit seinen Wir- kungskreis, den er aber bald mit einer viel langeren Thatigkeit im Hochbau- Bureau der Siidbahn vertauschen solite, wahrend Hoffmann’s Arbeiten durch lange Zeit den Nordbahnbauten das eigen- thiimliche Geprage gaben. Die ausgedehn- teste Umgestaltung, die eingreifendste Veranderung betraf das Wiener Auf- n ah m sgeb au de [Abb. Tafel III, Fig. IV, und Tafel IV, Fig. I], das von Hoffmann [1859—1865] seine jetzige Gestalt er- hielt. Die tur die Weiterentwicklung des Verkehrs so giinstige Situirung und allgemeine Anordnung dieses Bahnhofes ergab gerade fur den Architekten grosse Erschwerungen. Die geringe Tiefe des ihm gegebenen Bauplatzes, die grosse Zahl der erforderlichen, nicht unmittelbar vom Verkehr bedingten Raume fiir Ad- ministrations-, Restaurations- und andere Zwecke behinderten eine freie Disposition. Eine rege Phantasie verleitete den Archi- tektenzur Amvendungspatromanischerund maurischer Motive, vvelche einen reichen ornamentalen Schmuck begiinstigten und enge, hochschlanke Verhaltnisse im Ge- folge hatten [vgl. Abb. 266], Thiirme und Zinnen dem Streben nach einer besvegten Silhouette zur Verfiigung stellten. Dieser romantische Grundzug gibt dem Bau in vielen Hinsichten eine Sonderstellung. Seine gediegene und sorgfaltige technische Durchfiihrung zeugt aber fiir die Wandlung der allgemeinen Anschauungen iiber die Bedeutung von Bahnhofsbauten; wo sonst mit grosster Sparsamkeit jedem Schmuck aus dem Wege gegangen wurde, \var nun eine Prachtentfaltung in echtem Baumate- rial moglich, die das Staunen der Zeitge- nossen erregte. Die allgemeine Anordnung ist die einer reinen Durchgangsstation, wo- durch die Angliederung an andere Bahn- O o 26* 4°4 Hartwig Fischel. hofsanlagen sehr begiinstigt wird. Wah- rend hier die Bedingungen fiir die Entvvick- lung der Geleiseanlage gliicklicher \varen als fiir den Hochbau, trat der entgegen- gesetzte Fali ein, als die Anlagen vor der Belvederelinie in Wien einer Umgestaltung unterzogen wurden. Aus den 1869 und 1874 wurde der Umbau des alten Wiener Aufnahmsgebaudes der Glogg- nitzer Bahn vollzogen. [Vgl. Abb. 267, Tafel III, Fig. III, und Tafel IV, Fig. II.] Giinstige Bedingungen des Programms und der bestehenden Verhaltnisse ermoglichten eine klare, einfache und grossraumige Abb. 266. Stiegenhaus des Wiener Nordbahnhofes. [1867.J siidlichen Staatsbahnen, der Franz Josefs- Orientbahn und anderen Untemehmungen hatte sich die Sudbahn-Gesellschaft ge- bildet, welche beim Ausbau ihrer Linien und bei der Umgestaltung der bestehenden Hochbauten dem Architekten W. Flat- t i c h und seinem inzwischen herangezo- genen Mitarbeiter Fr. Wilhelm einen grossen Wirkungskreis gab. Zvvischen Disposition, die lange Bauzeit eine sorgfaltige und solide Durchfuhrung in gutem Steinmaterial. Bei der ersteren fiel sehr in die Wagschale, dass ein eigenes Administrations- und ein davon getrenntes Restaurationsgebaude bestanden, welche Anlagen inzwischen erweitert worden waren. Die Stellung des Gebaiides vor den Geleiseenden er- Hochbau. 405 406 Hartwig Fischel. Abb. 267. Die Halle des Wiencr Siidbahnhofes in Umbau begriffen. [1870.] gab eine. geschlossene Baumasse, die opulente Vestibule-Anlage [Abb. 268], die Anordnung breiter Štirn- und Langsperrons gestattete den Warteraumen eine unterge- ordnete Rolle zuzurveisen und so konnte hier in einfacher und gliicklicher Form eine raumlich und asthetisch befriedigende Anlage geschaffen werden, die selbst bei dem ungewobnlichen Anwachsen des Personenverkehrs nach 25jahrigem Be- stande ihren Zwecken gut entspricht. Aber auch die ruhige und vornehme architektonische Wirkung des Aufbaues ist hervorzuheben, bei welchem Flattich mit Anlehnung an Schinkel und antike Vorbilder, jene einfache Formensprache vvahlte, die so gut mit den grossen Raum- und Massendispositionen harmonirt. Wesentlich schwieriger war die Anlage des Staatsbahnhofes [Abb. Tafel III, Fig. II, und Tafel IV, Fig. III] [1867 — 1870 in Wien architektonisch befriedigend zu losen, welcher mit dem Baue der Linie Wien-Brunn und der Verbindung des mahrisch-bohmischen mit dem ungari- schen Netze der Gesellscbaft aus dem alten sogenannten »Pressburger Bahn- hof« sich entwickelte. Es war zwar auch hier durch den giinstigen Umstand, dass die Gesellschaft in der Stadt ein eigenes ansehnliches Administrationsge- baude errichten liess, ein hinderlicher Bestandtheil des Programmes eliminirt, allein die Nahe des Arsenals und die damit zusammenhangende Bedingung der Rucksichtnahme auf eine fortificato- risehe Luftlinie verbot jede anSehnliche Hohenentwicklung. Die allgemeine Dis- position bot viele Vortheile. Durch Sen- kung der hochgelegenen Geleise wurde ein sehr grosses ebenes Terrain geschaf¬ fen, auf dem fur einen ausgedehnten facherformig angeordneten Frachtenbahn- hof und den mit Langsnebauden dem Typus einer Durchgangsstation entspre- chend angeordneten neuen Personenbahn- hof Platz \var. Dieser erhielt eine sehr klare Grundrissdisposition. Hochbau. 407 Der Hochbauchef der Gesellschaft, j Architekt K. Schumann, nahm fran- zbsische Vorbilder in Verwendung und wies diesen entsprechend der Ge- packs-Auf- und -Abgabe die gebiihrende Roli e im Gebaude zu, indem er im Ab- fahrts- und Ankunftstracte grosse Ge- packshallen anordnete; sie fiigen sich der Gesammtanordnung der Raume organisch ein, welche als typisch fiir schieben und filllte die ganze Strecke von der Belvederelinie bis Meidling mit den zu ihrer Endstation gehorigen An- lagen aus. Wir sehen da einerseits die verschiedensten Hochbauaufgaben in ihrer Weiterentwicklung; die ausgedehnten Werkstatten; die Gasanstalten und Heiz- hauser, die Magazine und Schupfen, Wasserstationen, Remisen, Depots und Arbeiter-Wohnhauser. Abb. 268. Vorhalle des neuen eine Hauptstation mit Langsgebauden gelten kann. Der Aufbau bietet aller- dings keine einwandfreie Losung, nach- dem er sich nicht ungehindert entwickeln konnte. Im Zusammenhang mit dem Sudbahnhofe bildete sich eine Verkehrs- anlage von grossartigen Dimensionen und reicher Marmigfaltigkeit in der Lo¬ sung verschiedenster Aufgaben heraus. Wahrend die Staatseisenbahn sich in der Breitenrichtung entwickeln konnte, \var die Siidbahn gezwungen, in der Lan- genrichtung zu erweitern, sie musste ihren Frachtenbahnhof nach Matzleinsdorf ver- \Viener Siidbahnhofes. [1875.J Jede dieser Aufgaben war im Laufe der Jahre durch Studien und Versuche immer zweckmassiger und vollkommener gelost worden, bis sie endlich in einigen, den mo- dernen technischen Anforderungen ent- sprechenden Typen ihren Ausdruck fand, die dann als Gemeingut der Eisenbabn- Techniker allgemeine Verbreitung und Anwendung fanden. Andererseits konnen wir da beobachten, wie sich diese Hoch- bauanlagen unter sich gruppiren und innerhalb des grossen Rahmens der Ge- sammtanlage abgeschlossene Baugruppen bilden, die selbst schon fiir sich die Aus- 408 Hartwig Fischel. dehnung der grossten alten Gesammt- anlagen iibertreffen. Die Bediirfnisse des Zugsforde- rungsdienstes, des Giitertrans- portes, des Verschub- und Rangir- dienstes und endlich das C o Ioni e- system ftir W o h n g e b a u d e fuhrten zu solchen selbstandigen Theilen, die je nach den Haupterfordernissen und localen wicklung und Vervolikommnung verfolgen zu konnen. Diese Vervollkommnung wurde durch die Einfiihrung des Nor- malienwesens erleichtert, die friiher oft willkiirlichen und zufalligen Einfliissen unterliegende Behandlurig der Eisenbahn- Hochbauten \vurde systematisch geregelt. Besondere Ausbildungen blieben im Allgemeinen mehr den Endstationen vor- Abb. 269. Aufnahmsgebaude und Restaurationsgebaude Kufstein [Siidbahn]. Verhaltnissen der einzelnen End- und Zvvischenstationen, an verschiedenen Orten besonders bevorzugt und aus- gebildet wurden. Aus den raumlich be- schrankten Bahnhofen von ehedem sind so Systeme von zwecklich verschiedenen Anlagen geworden, die erst in ihrer Aneinanderreihung ein vollstandiges Bild eines modernen Bahnhofes geben. Es ist begreiflicherweise nicht moglich, hier auf die Entvvicklungsphasen dieser Special- anlagen naher einzugehen. Wir miissen unsere Aufmerksamkeit in erster Linie auf die fiir den Personenverkehr wichtigen Ge- baude beschranken, um wenigstens in die- sem schwierigsten und wichtigsten Theil des Eisenbahn-Hochbaues die stetige Ent- behalten, wahrend im Uebrigen so viel wie moglich die Venvendung vorhan- dener guter Losungen Platz griff. Die durclr das Baumaterial und andere locale Einflusse gebildeten Bedingungen ver- ursachten in erster Linie die Variationen, welche diese allgemein giltigen Typen in ihrer Weiterbildung erfuhren. Zu den hervorragendsten und einflussreichsten Arbeiten auf diesem Gebiete zahlen die Bauten der Sudbahn, \velche unter Flattich’s Leitung auf den Linien Inns- bruck-Bozen [erOffnet 1867], undVil- lach-Franzensfeste [eroffnet 1871], und andervvarts ausgefiihrt wurden. [Vgl. Abb. 269 und 272 sowie Tafel V.] Der Umstand, dass bei diesen beiden Gebirgs- Hochbau. 409 Abb. 270. Mitteltract des Nord\vestbahnhofes in Prag. [1872.] babnen Bruchsteine und Hausteine ver- schiedenartigster Beschaffenheit ver wendet werden konnten, ohne dass der Bau- oconomieNachtheile zu erwachsenbrauch- ten, und dass die Durchfiihrung der Plane und Detailzeichnungen mit grossem Ge- sehmacke und vollkommenster Sach- kenntnis erfolgte, sicbert den Hochbauten dieser Linien eine bleibende Bedeutung. DieBehandlung desZiegelrohbaues in Ver : bindung mit Haustein und des Bruchstein- rohbaues mit Haustein, dann dersichtbaren Holzconstructionen in den Dachstocken, die Combination von Holz- und Eisen- constructionen bei Veranden etc. sind bei diesen Stationsgebauden ebenso sorg- faltig als gliicklich in constructiver und formaler Hinsicht durchgefiihrt. Als charakteristische Beispiele mogen Spihal an der Drau [Ziegelrohbau], Toblach [Abb. Tafel V], Lienz [Bruch- steinrohbau] herausgegriffen werden. Durch Gruppirung stockhoher und ebenerdiger Tracte, durch Belebung des Mauerwerks mit Eckarmirungen, durch Ausbildung der Dachgiebel und Schopfe wurden die Ge- baudemassen gegliedert, \vurde die Sil- houette bewegt, so dass die freie Lage der Stationsgebaude ausgeniitzt, die Riick- sicht auf die landschaftliche Umgebung betont erscheint. Man kann behaupten, dass diese Gebaude Schule machten, dass nirgends frilher und besser der Charakter einfacher landlicher Eisenbahn- Hochbauten getroffen wurde, als in den Hochbauten der Siidbahn. Es gingen daher auch aus dem Hochbau-Bureau der Siidbahn zahlreiche Krafte hervor, welche bei anderen Unternehmungen die Studien der Sudbahn fruchtbringend vervvertheten. So wurden von dem Archi- tekten C. Schlimp [1869 bis 1872] die Hochbauten der Nordwestbahn durch- gefiibrt, bei denen allerdings auf die Verwendung von Putzbau und auf Ver- einfachung der Ausstattung Rucksicht genommen werden musste. [Vgl. Bd. J, 2. Theil, Abb. 47 und 48.] Im Bahn- hofe Prag der Nordvvestbahn -\vurde der Versuch gemacht, dem Mittelbau 4io Hartwig Fischel. durch eine Portalarchitektur im Sinne der romischen Triumphbogen besondere Geltung zu verschaffen — allerdings auf Kosten der iibrigen Bautheile, welche schmucklos blieben. [Abb. 270.] werden und blieb als vereinzelte Leistung eines aus Deutschland berufenen Archi- tekten ohne Contact mit einheimischen Traditionen. Hier wurde in der Absicht, der Halle im Mittelbau eines quer vor Abb. 271. Vestibule des Bahnhofes Tetschen. [1872.] Auch der Tetschener Bahnhof [Abb. 271] weist in seiner Aussen-Architektur antikisirende Elemente auf [Architekt F r e y] und besitzt im Innern gute Raum- wirkungen. Der Wiener Bahnhof der Nordwest- bahn [von W. Baumer 1870 bis 1873] [Abb. Tafel III, Fig. I, und Tafel VI, Fig. III] muss zu den Versuchen gerechnet die Geleiseenden gelegten und vorwiegend zu Administrationszwecken bestimmten Gebaudes einen architektonischen Aus- druck zu geben, einem schwer zu losenden baulichen Problem nahe getreten. Es ist kein Zweifel, dass gerade die raumliche Grossartigkeit der Bahnhofshalle dem Architekten das Mittel an die Hand gibt, ein Empfangsgebaude in monumentalem Hochbau. 411 Abb. 272. Mitteltract des Siidbahnhofes in Graz, Sinne zu behandeln; dann wird aber stets die Einbeziehung von Tracten, welche zu W ohn- und V er waltungsz wecken dienen sollen und naturgemass viele kleinere Raume mit bescbeidenen Axen- weiten enthalten miissen, als schwer- wiegendes Hindernis empfunden werden, wie dies in dem vorliegenden Falle er- kennbar ist. Die Grundriss-Anordnung des Wiener Nordvvestbahnhofes wurde mit Riicksicht auf eine ktinftige Erweiterung projectirt, so dass das heute bestehende Empfangsgebaude eigentlich nur die grossere Halfte des fiir die Zukunft be- recbneten Baues bildet. Der fast gleichzeitig fiir die Franz Josef-Bahn von den Prager Archi- tekten Ullmann und Barvicius entwor- fene und 1872 vollendete Bau des Auf- nahmsgebaudes in Wien [Abb. Tafel III, Fig. V, Tafel VI, Fig. II] wurde im Gegen- satze zum Nordwestbahnhofe raum- lich beschrankt angelegt und musste schon nach seiner Einverleibung in das Netz der k. k. Staatsbahnen einer Er- weiterung unterzogen werden; er gehort wie der Bahnhof der Kaiserin Elisabeth- Bahn und der Nordwestbahn in Wien zu j enem Typus von Bahnhofsanlagen mit getrennten Langsgebauden fiir An- kunft und Abfahrt, welcher sich durch ein vor die Geleiseenden gestelltes Ad- ministrationsgebaude dem Typus der eigentlicben Kopfstation mit Kopfgebau- den nahert. Das Amtsgebaude schliesst sich an die Langstracte unmittelbar an und ist ohne grosse Anspriiche als ruhige und wiirdige Baumasse mit zwei thurm- artigen Aufbauten gegliedert. Auch den stattlichen Prager Franz J o s ef-B ahnh o f haben dieselben Archi- tekten geschaffen. D as j iingste Wiener Aufnahmsgeb aude, welches am Ende einer neuen Bahn- anlage errichtet wurde, ist vorlaufig noch das 1881 eroffnete, vom Archi- tekten F. von Gruber entworfene Ge- baude der Aspang-Bahn. [Abb. Tafel IV, Fig. V, Tafel VI, Fig. V.] Es ist ein langes, eintractiges Empfangsgebaude pa- rallel zu den Geleisen mit ebenerdigem Mittelbau fiir offentliche Raume und Eckpavillons nach dem Typus der Langs- gebaude fiir Durchgangsstationen. Die entsprechend reichliche Dimensionirung der Vestibules und Warteraume und die ubersichtliche Grundrjssdisposition machen diese Anlage zu einer charakteristischen fiir die gegebenen bescheidenen Verkehrs- verhaltnisse. Es fehlt hier eine Hallenan- lage, welche durch einen langen Einsteig- perron ersetzt wird; was man in friiheren Tagen sehr geriigt hatte, findet lieute immer mehr Verbreitunp", oconomische Riicksichten einerseits und die Riicksicht auf Erweiterungsfahigkeit andererseits, machen die Hallen in Oesterreich immer seltener, wahrend die Vermehrung der Ge- 412 Hartwig Fischel. Tafcl V. Hochbauten der osterreichischen Gebirgsbahnen. Hochbau. 413 leisezahl und. der Grundsatz der Vermei- dung von Geleise-Ueberschreitungen die Einsteigperrons mit Flugdacbern immer zablreicher werden lassen. Haben die grossen Hallenbauten in Oesterreich ilberhaupt keinen frachtbaren Boden gefunden, so zeigen die jiingsten Neu- bauten nur immer mehr die Bevor- zugung bedeckter Perronanlagen in Verbindung bahnhofes [Abb. 267] fiir 36'1 m Spann- weite und beim Franz Josef- Bahnhofe [Abb. Taf. VI, Fig. II] mit 287 m Breite. — Weniger giinstig ist der Ein- druck, den die schweren, parabolischen Sicheltrager machen, welche beim Nord- westbahnhofe zur Bewaltigung derSpann- weite von 39 m angevvendet wurden; beim Nordbahnhofe hat man auf eine dreischif- fige Anlage zu- mit Personen- durchgangs- Tunnels. Es moge bei dieser Ge- legenheit ein Riickblick auf die Entvvick- lung der eiser- nen Hallenda- cher in Oester¬ reich gestattet sein, welcher die geringe Betonung und V erbreitung derselben er- kennen lassen wird. Hallenanlagen und die Ergdnzungsnetze. Die alteste eiserne Hallenconstruction Oesterreichs findet sich in Krakau, bei dem im Jahre 1845 durch die Krakau- Oberschlesische Babn errichteten Auf- nahmsgebaude; sie weicht derzeit einer neuen Anlage. Die Hallemveite von 28 m wurde in einer dreischiffigen Anordnung durch zwei Saulenreihen untertheilt. Die geradlinigen Binder zeigten ein leichtes Stab\verk in einer dem belgischen System vervvandten Anordnung. Der historischen Folge nach ist die Halle im Aufnahmsgebaude der Kaiserin Eiisabeth-Bahn in Wien zu ervvahnen [Abb. 257], welche die lichte Weite von 27‘4 m mit einem Dachstuhle nach dem System Polonceau ohne Zwischenstiitzen iiberspannt. Dieses System, welches durch die leichte und elegante Form der Binder das Auge befriedigt, wurde in Wien auch bei einigen anderen grosseren Hallen angewendet, so bei der des S(Ad- ruckgegriffen, \vodurch die 32’2 m grosse Hallenbreite wesentlich ver- ringert wurde [umcircaio«]; die Dachnei- gung ist eine verhaltnismas- sig steile, es konnte hier ein System von Gittertragern mit Bindern in der Kielbogen- form angewen- detwerden,das keine Querver- bindunpfen zur Aufhebuno' des Seiten- schubes benothigt. Dadurch wurde ein hoher und freier Hallenraum erreicht, aber der Nachtheil beengter Einsteig- geleise in den Kauf genommen. Die Staatseisenbahn - Gesellschaft war bei ihrer Wiener Halle durch die Beschrankung der Hohe mit Rucksicht auf das nahe Arsenal zu einer zweischiffigen Anordnung gezwungen. [Abb. Taf. VI, Fig. I.] So fuhrte hier die grosse Hallenbreite von 407 m zu einer Doppelanlage nach dem System Polonceau. Zu den elegantesten Hallenanlagen neuerer Zeit ist die des Triester Bahn¬ hofes der Siidbahn zu rechnen, welche gelegentlich der Umwandlung des alten provisorischen Personen- Bahnhofes in eine definitive Anlage zur Ausfuhrung kam. [1883.] Wie beim Wiener Sudbahn- hofe, haben wir es hier mit einem Kopf- gebaude und einer Kopfstation zu thun, bei welcher die Hallenanlage und das Hallendach massgebend fur den vorge- legten Baukorper wurden. Die Vesti- Abb. 273. Bohmisch-mahrische Transversalbahn. 414 Hartwig Fischel. Abb. 274. Aufnahmsgebaude der Sudbahn in Triest. [1883.] bule-Anlage in der Hallenbreite fiillt auch hier einen hervorragenden Mittel- bau aus, der in der Fa§adenbildung diese Anordnung zum Ausdruck bringt. [Vgl. Abb. 274 und 275.] Wahrend jedoch in Wien eine geradlinige Binder- form auftritt, wurde in Triest eine segmentformige Tragerconstruction mit leichten Querverbindungen als Binder- form fiir das Hallendach gewahlt, dessen Spannweite von 31 m jener der Wiener Anlage nahe kommt. [Abb. Taf. VI, Fig. IV.] Wie aus dieser Uebersicht erhellt, kann man wobl im AUgemeinen be- tonen, dass in Oesterreich den Bahnhofs- hallen nicht jene hervorragende Rolle im Bahnhofsbau zufiel, welche diese Bau- theile bei vielen Anlagen des Auslandes spielen, was iibrigens mit der relativ langsamen Verbreitung des Eisens als Baumaterial des Hochbaues in Oester¬ reich zusammenhangt. Die weitgehende Einflussnahme des Eisenconstructeurs auf die Disponirung von Hochbauprojecten gehort aber auch einer jiingeren Epoche an, als jene grossen osterreichischen Anlagen und macht sich naturgemass in neueren Arbeiten auch bei uns inimer mehr fiihlbar. Seit dem vollstandigen Sieg des gewalzten Baueisens liber das ge- gossene kann man beobachten, wie ge- wisse Aufgaben des Eisenbahn-Hoch¬ baues besonders zu Versuchen herange- zogen werden, das Eisen principiell als Constructionsmaterial zu venverthen. Die Riicksichtnahme auf freie Circulation von Menschen und Waaren drangte zur Beseitigung von Zwischenstiitzen und Zwischenmauern; die grosseren Anfor- derungen an Licht und Luft begiinstigten die Anwendung von Oberlicht-Beleuch- tungen und abnorm grossen Fenster- offnungen. Die wachsenden Raumbediirf- nisse filhrten zu ungewohnlichen Aus- massen der Vestibule. und Šale, zu grossen Spannweiten der Decken und Dacher. Endlich waren Rticksichten auf rasche Herstellung, ohne Storung bestehender Hochbau. 415 Verhaltnisse, auf Feuersicherheit und j tionsmateriale und im Zusammenhange Dauerhaftigkeit in vielen Fallen sehr mit Eisen traten hinzu, um dem Bau- von Einfluss. Constructionswesen \vichtige und um- Verbesserungen in der Ziegeltechnik, Ueberhandnahme der Anwendung des Cementes als Bindemittel sowie seine j Verwendung als selbstandiges Construc- walzende Hilfsquellen zu erschliessen, deren sich der Eisenbahn-Hochbau frtiher als viele andere Hochbaugebiete bemach- tigte. Neue charakteristisch moderne Abb. 275. Vorhalle des Siidbahnhofes in Triest. [1883.] ■ 416 Hartwig Fischel. Elemente bereicherten in formaler Hin- sicht nun auch die Ausdrucksweise, die Formensprache, welche sich immer mehr von jenen noch unbeholfenen und oft schvverfalligen Elementen und Typen ent- fernte, deren sich die alteste Epoche des Eisenbahn-Hochbaues bediente. Solche Umwalzungen gingen in Oesterreich nur nicht so rasch vor sich, wie andervvarts, \varen doch die grossten baulichen Auf- gaben bereits in einer griindlichen Weise gelost, welche fiir lange Zeit die Auf- merksamkeit der Projectanten aufkleinere und engere Gebiete vervvies. Wahrend also noch zu Ende der Sech- ziger- und. zu Beginn derSieb- ziger-Jahre in Wien allein fiinf grosseEndbahn- hofe ihre Aus- bildung fanden, brachte die nachstfolgende Zeit mehr eine Vervverthung der gewonnenen Erfahrungen bei kleineren Auf- gaben in den Provinzen. Nun machten sich auch tiberall die vvohlthatigen Folgen jener gediegenen Schulung bemerkbar, welche insbesondere in den Arbeiten der Staatsbahn und Siid- bahn gelegen war. Ihre Nachvvirkung zeigte sich in einer Reihe von Leistungen, welche liber die ganze Monarchie ver- breitet sirid und die Namen ihrer Ur- heber: Grosser, Pia n k, Grund, Dachler, Setz und Unger an die friiher genannten anreihen. Ueberall dort, \vo ganz neue Anlagen entstehen konnten, zeigt sich das Streben nach Verwerthung und Weiterbildung des bisher Erreichten deutlich. So z. B. als der Staat sich der Erganzung des Hauptnetzes an- nahm. Die Lini en Tarvis - Pontafel, I n n s b r u c k - L a n d e c k, die B o h- mische Transversalbahn bringen in verschiedener Richtung, je nach den durch ortliche Verhaltnisse gegebenen Bedingungen, dieses Weiterschreiten auf begonnenen Pfaden zum Ausdruck. Das stattliche Aufnahmsgebaude in Pontafel, die zahlreichen Zwischenstationen der Arlbergbahn [Abb. Tafel V] [Fr. Setz] verwerthen in anziehender Weise das Baumaterial des Gebirges; die ge- steigerten Verkehrsbedurfnisse driicken sich in entwickelten Grundrissanlagen aus und die etwas derbe formale Behandlung der Details entspricht den seit der Er- bauung der Pusterthallinie gestiegenen Anspriichen an Raschheit und Ein- fachheit der Durchfuhrungsarbeiten. Wahrend im Gebirge der Materialbau zur Betonung des Bruchstein-, rohbaues mit massiger Ver- wendung von Haustein gefiihrt hat, sehen wir in jenen Landern, fiir welche das Ziegelmaterial charakteristisch ist, den Ziegel- rohbau zum Principe erho- ben; wie z. B. bei der B 6 h m i- schen Trans¬ versalbahn. [Abb. 273.] In noch vveitergehender Weise fiihrte W. A s t in Mahren und Schlesien den Ziegelrohbau ein, als die Erganzungs- bauten der Nordbahn nach ihrer Con- cessions-Erneuerung in Angriff genommen wurden. [A. Dachler.] An Stelle des fast ganz eliminirten Flausteins wurde durch Anwendung verschieden getonter, d. i. gelblicherund rothlicher, lichter und dunkler Fa^adeziegeln ein belebendes Element in die Fa§adenbildung gebracht. Fiir die kleineren Gebaude blieb die Mitwirkung der sichtbaren holzernen Giebelwande und Dachvorspriinge \vesentlich. [Vgl. Mla- detzko, Tafel V.] Bei grbsseren Aufgaben, wie in Teschen [vgl. Bd. I, 2.Theil, Abb. 73], Bielitz, Ostrau, wo es sich um Aufnahms¬ gebaude von ansehnlichen Dimensionen handelte, wurde durch pavillonartige Aus- bildung einzelner Gebaudetheile und steilere Dachformen die Wirkung der sonst zu Abb. 276. Bahnliof Zauchtl. [Nordbahn.] [1891.] Hochbau. 417 Abb. 277. Umgestaltetes Aufnahmsgebaude Krakau der Nordbahn [1895.] niedrigen Baumassen gehoben und im Auf- bau eine lebhaftere Gruppirung erzielt. Die Flachen erhielten durch die Theilung mit Bandern und Lisenen aus hellen Ziegeln gegeniiber 'den glatten Mauergritn- den aus dunklerem Material die nothige Gliederung, welche bei dem Mangel star- ker Gesimsbildungen, bei der Vermeidung aller complicirten Formsteine nothig war. In Bezug auf die Grundrissbildung ware der Bahnhof Zauchtl [Abb. 276] besonders zu errvahnen, als Typus einer in Oesterreich verhaltnismassig selten ange- wendeten Anlageform. Es ist ein Insel- bahnhof, bei dem das Plauptgebaude auf zwei Langseiten von Geleiseanlagen ein- gefasst ist und auf einer Schmalseite gegen die Zufahrtsstrasse stosst. Vom Vestibule aus ist eine Tunnelanlage zu- ganglich gemacht, welche die Verbin- dung mit einer abseits liegenden End- station einer fremden Localbahn her- stellt. [Zauchtl-Neutitschein.] In der Haupt- sache nahern sich die Inselgebaude den Kopfgebauden, indem ihre Symmetrie- achse parallel zu den Geleisen gerichtet ist, wahrend jene der Langsgebaude senkrecht zu den Geleisen steht. Als rvesentlicher Bestandtheil der Anlage tritt ein um- laufender Perron hinzu, der einen Ver- kehr langs der Geleise und von einer Seite Geschichte der Eisenbahnen. II. zur anderen ermoglicht. Wenn diese Per- rons nun das Gebaude der Vor- und Warte- raume und Bureaux nicht einschliessen konnen, so tritt gewohnlich 'eine Theilung in zwei Baugruppen ein, welche eine Verbindung des Langsperrons zwischen den getrennten Gebauden ermoglicht, wie dies in Zauchtl der Fali ist. Am relativ haufigsten finden wir die Insel- bahnhofe bei den neueren Anlagen der Oesterreichischen Nord\vestbahn, wie z. B. in Deutschbrod, Neu-Kolin, Tiništ, Všetat- Privor etc. Doch haben solche Aufgaben in Oesterreich noch nicht zu so hervor- ragenden Hochbauten Veranlassung ge- geben, wie in Deutschland. Umgestaltungen und neueste Anlagen. Die grossten und haufig auch die schwierigsten Aufgaben des Eisenbahn- baues fallen in dieser jiingeren Epoche zumeist in das Gebiet von ausgedehnten Umgestaltungsarbeiten, wie solche z. B. im Aufnahmsgebaude Krakau [Abb. 277], Prerau, Lundenburgvon der Nordbahn oder von den k. k. Staatsbahnen an den Wiener Aufnahmsgebauden der Franz Josef-Bahn und Kaiserin Elisabeth-Bahn durchgefiihrt \vurden und fiir Lemberg, Prag, Pilsen 27 418 Hartwig Fischel. Hallenanlagen und Perrons: I. Staatseisenbahn-Gesellscbaft Wien. II. Franz Josef-Bahn Wien. III. Nordrvest- babn Wieu IV. Stidbahn Triest. V. Aspangbabn Wien. VI. Gross-Kikinda. VII., VIII., IX, Perrons und Tunnel von Prerau. [Kordbahn.] Hochbau. 419 etc. in Projectirung und Duchfiihrung begriffen sind. Wenn hier auch dem Architekten ftir die aussere Gestaltung grosse Fesseln auferlegt waren, wenn die Grundrisse nicht die Einheitlichkeit ganz selbstandiger Losungen aufweisen konnen, so drtickt sich wieder gerade bei solchen Arbeiten oft am deutlichsten das Wach- sen der Bedurfnisse, die Aenderung in den Anschauungen aus. Die Begriffe von Raumgrosse, die Forderungen an Luft und Licht, das Verlangen nach breiten Communicationswegen sind so gestiegen, dass ganze alte Gebaude- theile aufgebraucht werden, um einen einzigen neuen Saal zu schaffen, dass sich die neuen Conturen in weiten Entfernungen um den alten Kern legen. Manchmal werden neue Gebaude ne¬ ben die alten gestellt, wie in der Nord- bahnstation Schonbrunn, wo beide 'als ein Complex, dann ge- meinsam den neuen Zwecken zu dienen haben; und da tritt die Grosse und Hohe des mo- dernen Plauses neben den bescheide- nen Dimensionen des alten Bestandes augenfallig zu Tage, so dass dem ehemals recht wiirdigen alteren Gebaude spater eine vergrosserte Silhouette gegeben werden musste, damit es neben dem statt- lichen Neubau in Ehren bestehen kann. Bei solchen Arbeiten, die meist unter besonders schwierigen ausseren Verhalt- nissen, bei Aufrechterhaltung eines leb- haften Verkehrs, mit grosser Beschleuni- gung und nicht selten auch ohne Ruck- sicht auf die Jahreszeit durchgefiihrt werden miissen, kommen alle Hilfsmittel der modernen entwickelten Bautechnik in Betracht, wird die Leistungsfahigkeit der Projectanten wie der ausiibenden Organe auf die harteste Probe gestellt, wenn die Aufgaben auch selten zu den dankbaren gehoren. Zu den wesentlichen Grundbedingungen der Arbeiten fruherer Epochen, der moglichst hohen Dauer- haftigkeit bei weitgehender Bauoconomie tritt in unserer Zeit die Forderung grosser Raschheit der Durchfiibrung in den Vordergrund. Es ist natiirlich, dass damit die Anwendung erprobter Con- structionsmittel und einfacher Detail- bildung Hand in Hand geht. Trotzdem aber treten gleichzeitig immer neue Aufgaben an den Eisenbahn-Hochbau heran, welche Versuche mit ganz neuen Constructionen und Verfahren mit sich bringen, die Gelegenheit geben, ftir wichtige Verbesserungen Erfah- rungsmaterial zu sammeln. So waren die ausgedehnten Perronanlagen mit ih- ren Pult- und Flugdachern eine Veran- lassung, die Well- blechdacher in V erbin- dung mit ei- sernen Stiitz- constructio- nen zu ver- wenden. [Siehe Abb. TafelVI, Fig. VII und Vlil.] Die Personendurchgangs-Tunnels, welche infolge ihres Zusammenhanges mit den Aufnahmsgebauden riicksichtlich ihrer Ausbildung in der Regel auch dem Hoch¬ bau anheim fielen, brachten die Verwen- dung der Monier-Gewolbe mit sich; grosse Magazinsbauten, wie das neue Waaren- magazin der Nordbahn in Briinn [Abb. 278], begiinstigten die Anwendung des Stampfbetons in Verbindung mit Eisen- constructionen. Ebenso wurde das Holz- cementdach, die bauliche Verwendung der Theerpappe bei Wanden und Dachern, der Klinkerplatten ftir Boden und Wande, und vieler anderer neuer und neuester bautechnischer Errungenschaften vom Eisenbahn-Hochbau begunstigt, und es war derselbe fur diese Neuerungen schon dadurch von Bedeutung, dass die grosse Ausdehnung und starke Beniitzung seiner Anlagen eine geeignete Gelegenheit zur Erprobung der Gediegenheit neuer Hilfs- 27 * Abb. 278. Neues Magazin der Nordbahn in Briinn. [1897.] 420 Hartwig Fischel. mittel ergab; hiezu trat die Moglichkeit einer sorgfaltigen Ueberwachung und einheitlichen Durchfiihrung der Arbeiten, so dass nicht selten die Erfahrungen des Eisenbahn-Hochbaues massgebend wurden, wenn es sich um die monumen- tale Verwendung erprobter Constructions- Neuerungen handelte. So bildete der Eisenbahn-Hochbau ein Arbeitsfeld wich- tiger Art, das in steter Wechselwirkung mit anderen Baugebieten blieb, wenn auch gerade in Oesterreich diese Thatigkeit einen mehr stetigen und internen Gharakter trug, so lange die Gelegenheit zu neuen grosseren Leistungen fehlte. Ein Ueber- greifen in ferner liegende Gebiete der Baukunst trat indessen in Oesterreich mitunter auf. Schon zu Beginn der Siebziger-Jahre hatte der Bau von Administrations- Gebauden im Charakter stadtischer Pri- vatbauten, der Bau von Wohnhausern als Capitalsanlage fiir Pensionsfonde den An- fang gemacht; wie z. B. die hiehergehori- gen Bauten der Oesterreichisch-Ungari- 'schen Staatseisenbahn-Gesellschaft inWien und Pest. Einen weiteren Schritt unternahm die Stidbahn, als sie damit begann, an kli- matischen Curorten ihrer Strecke im Ge- birge und an der See Hotel-Anlagen zu errichten, auf welchem Gebiete sich bald auch die Kaiserin Elisabeth-Bahn betba- tigte. Diese Unternehmungen haben insbe- sondere dadurch ihre Bedeutung erhalten, dass sie im Zusammenhange mit guten Eisenbahn-Verbindungen einigen Orten zu ungeahntem Aufschwung verholfen haben, welche fiir die leidende Menschheit, ins- besondere fiir die Bewohner der Reichs- hauptstadt, seither von wohlthatigstem Einfluss waren. Damit im Zusammen- hang stand ein Aufschwung der Alpen- und See-Hotels im Allgemeinen, denen der ermuthigende Erfolg jener durch Eisenbahn - Verwaltungen geschaffenen ersten Einrichtungen zugute kam. Die immer noch wachsenden Anlagen auf dem Semmering und in Abbazia, deren Aus- fuhrung von Wilhelm geleitet, von Fr. Schiller angeregt war, die alteren von Flattich errichteten und ebenso prospe- rirenden Hotels inToblach, Landro, Schlu- derbach, die von Bischoff ins Leben gerufenen Bauten in Zeli am See und Tarvis sind in erster Linie zu nennen. Wenn diesen Leistungen auch die sorg- faltigste und aufmerksamste Durchbildung zutheil wurde, so spielen sie natur- gemass doch nur eine episodische Rolle unter den zahlreichen neueren Aufgaben des Eisenbahn-Hochbaues. Wesentlich wichtiger fiir seineZukunft und nicht minder abhangig von den modernsten Anforderungen entwickelter Verkehrsverhaltnisse sind jene Arbeiten, \velche wir als die jtingsten Leistungen des Eisenbahnbaues in Oesterreich zu begriissen haben. Die Gestaltung der Wiener Stadtbahn brachte ver- schiedene Aufgaben mit sich, welche so recht geeignet waren, neuen Impulsen Raum zu geben. Der Architekt O. Wagner, \velcher zur Losung dieser Aufgaben berufen war, hat gerade diesem Moment der Neuerungen sein Augenmerk zugewendet. Die eben ihrer Vollendung entgegengehenden Bau¬ ten [vgl. Tafel VII] bilden in ihrer kla- ren und strengen Disposition, in ihrer consequenten technischen Durchbildung mit Beniitzung und Betonung moderner Gonstructionen, in der Vermeidung ver- brauchter und von fremden Bedingungen iibernommener Formen eine drastische Illustration zu den schriftlich geausserten Principien des genannten Architekten. Er sagt in seiner »Modernen Architek- tur« einerseits, »dass der Architekt trach- ten muss, Neuformen zu bilden, oder jene Formen, welche sich am leichtesten unseren modernen Gonstructionen und Bediirfnissen fiigen, also schon so der Wahrheit am besten entsprechen, fortzubilden«. Und an anderer Stelle: ». . . zur Composition gehort ferner die kiinstlerische Oeconomie. Darunter soli ein modernen Begriffen ent- sprechendes, bis an die aussersten Grenzen reichendes Masshalten in der Anwendung und Durchbildung der uns iiberlieferten Formen verstanden sein.« Diese Dogmen rverden dadurch entsprechend erganzt, dass ihr Urheber in der »antikisirenden Horizontallinie, der tafelformigen Durch¬ bildung, der grossten Einfachheit in der Formgebung« einerseits und andererseits im »energischen Vortreten von Con- struction und Material« das Programm fiir die nachste Zukunft erblickt. Es Hochbau. 421 Tafel VIL H El LI G E N STA DT. — 1*1 1 » i 1 1 I I I n"i^ 11 1 1 II II 1115 ? MICHELBEUERN. NUSSDORFERSTR. GUMPENDORFERST. GERSTHOF. H £ [ LI G E N STA DT G E S A M M TA N IAGE iSMi u Bahnhofe der Wiener Stadtbahn. [Nach photographischen Aufnahmen von H. Pabst,] 422 Hartwig Fischel. unterliegt wohl keinem Zweifel, dass gerade der Eisenbahn-Hochbau von dem Gelingen und dem Erfolge solcher Ver- suche und Bestrebungen grossen Vortheil ziehen kann. Obwohl in massigeren Formen, so hat doch auch er jene zahlreichen Wand- lungen mitgemacht, welche die Archi- tekturbestrebungen dieses Jahrhunderts kennzeichneten, wir brauchen hier nur an die Versuche in maurischem und mittelalterlichem Stil zu erinnern, denen die Adoptirung franzosischer, italienischer und auch deutscher Renaissance gefolgt ist. Und nun eroffnen uns vvieder jene neuesten Arbeiten einen Ausblick in die Zukunft, welcher den Anschluss an jene alteren Bestrebungen erwarten lasst, die fiir die Zeit kurz vor dem Entstehen der Eisenbahnen charakteristisch waren. Aeusserlich sind es ganz ahnliche Aus- drucksmittel, welche der Schluss des Jahrhunderts seinem Beginne gegeniiber stellt. Wenn aber heute die Riickkehr zur Einfachheit mit Recht grundsatzlich gefordert wird, so unterscheidet sich diese modernste Phase von jener alteren we- sentlich durch das volle Beherrschen der grossartigen inzwischen erfolgten Fort- schritte der technischen Wissenschaften, durch das Verarbeiten und Weiterbilden der bisherigen Leistungen aller gerade durch die Eisenbahn einander so nahe gertickten Volker. Hiezu treten die grossen Veranderungen, welche die An- schauungen von Raum und Zeit im Bau- wesen erlitten haben. Solchen Verhaltnissen Rechnung zu tragen, den Ausdruck hiefiir bei unseren speciellen osterreichischen Bedin- gungen zu finden, bleibt auf dem Ge- biete des Eisenbahn-Hochbaues eine Aufgabe fiir die allernachste Zeit. Die gediegene und weitblickende Art, mit welcher die jtingsten Arbeiten dieses Faches behandelt wurden, bietet die beste Gewahr dafiir, dass der Augen- blick neuer, grosserer Anforderungen auch die Krafte zu ihrer gliicklichen Er- fullung vorfinden wird. Locomotivbau. Von Karl Golsdorf, k. k. Baurath im Eisenbahn-Ministerium. Locomotivbau. D IE grossen Umwalzungen, welche die Locomotive zu Beginn der Dreissiger-Jabre in England und Amerika auf dem Gebiete des Handels, Verkebrs und der Industrie hervorge- rufen hatte, waren auf dem Continente nicht unbeachtet geblieben. Unser Vater- land stand wohl nicht in der ersten Linie jener Staaten, welche sich des neuen Verkehrsmittels bemachtigten; die Entvviirfe aber zum Baue grosser Loco- motivbahnen, die schon 1830 von dem Professor F. X. R i e p 1 verfasst und von Freiherrn Salomon von Rothschild kraftigst gefordert wurden, iibertrafen, was die Entfernung der zu verbindenden Orte und Lander anlangt, alle bis dahin in Anregung gebrachten Projecte in Eng¬ land und Amerika. Im Auftrage des Freiherrn von Roth¬ schild studirte Riepl 1830 den Locomotiv¬ bau in England auf der Liverpool-Man- chester Bahn. Von demselbenFinanzmanne wurde im Jahre 1836 Ingenieur Bret- schneider nach Eogland geschickt, um bei Stephenson in New-Castle upon Tyne eine Locomotive anzukaufen. Freiherr von Sina, der bis zum Jahre 1836 der provisorischen Direction der Nordbahn angehorte, trat aus dieser Korperschaft aus und verfolgte selb- standig den Bau einer grossen Eisenbahn, die den Siiden unserer Monarchie mit Wien verbinden solite. Er sicherte sich die Mit- arbeiterschaft des Baufiihrers Mathias Schon ere r, der beim Baue der Linz- Budweiser Bahn viele Erfahrungen se- sammelt hatte, und veranlasste, dass der- selbe in Begleitung des Mechanikers o o Kraft 1837 nach England und Belgien und nach Amerika reiste, »um in diesen Mutterlandern der Eisenbahnen und auf dem classischen Boden des Maschinen- baues die neuesten Fortschritte und Er- fahrungen iiber Eisenbahnen und Dampf- wagen zu studiren und in Oesterreich anzuwenden«.*) Als am 4. Marž 1836 dem Wechsel- hause Rothschild eine Privilegiums- Urkunde zur Erbauung einer Eisen¬ bahn zvvischen Wien und Bochnia er- theilt wurde und Georg Freiherr von Sina am 15. Marž 1836 die Erlaubnis zu den nothigen Vorerhebungen und Terrain-Aufnahmen fiir die Wien-Raaber Eisenbahn erhielt, stand der Locomotiv¬ bau in England schon auf einer solchen Hohe der Entwicklung, dass bereits die Grundformen fiir Personen- und Giit er zu g-L o c o m o t i v e n fest- gelegt waren. Die von Stephenson im Jahre 1833 geschaffene Type »P at en te e« ist das Vorbild fiir englische und vielfach auch continentale Schnellzug-Locomotiven bis in die Siebziger-Jahre. Die nach den Planen des beriihmten Ingenieurs Daniel Gooch bei Stephenson 1837 gebaute Schnellzug-Locomotive »N o r t h *) Vgl. Bd. I, H. Strach, Die ersten Privatbahnen, S. 167. 426 Karl Golsdorf. Star« beforderte zu einer Zeit, als in Oesterreich die ersten Spatenstiche ftir die Wien-Raaber Bahn gemacht rvurden, die Personenziige auf der Great-Western- Bahn mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 90 km pro Stunde. Stephenson baute im Jahre 1834 die erste Giiterzug-Locomotive mit sechs gekuppelten Radern und Innencylindern fiir die Leicester- und Swannington- Bahn. So schwer sind die Ziige, welche diese Locomotive »Atlas« befordert, dass sich die Directoren dieser Bahn allvvochentlich iiber die Leistungen dieses Meisterwerkes berichten lassen. Weder fiir die in England bereits iiblichen Geschwindigkeiten, noch fiir die Beforderung besonders schwerer Lasten lag damals in Oesterreich schon das Bediirfnis vor. Die Angst vor den Gefahren, die das neue Verkehrsmittel in sich bergen konnte, war iiberdies so gross, dass beispielsweise bei der Nord- bahn die grosste Fahrgeschwindigkeit der Personenziige auf vier Meilen pro Stunde festgesetzt wurde. In England for- derten die bereits vorhandene Industrie und die verhaltnismassig nahe beisammen liegenden Plandelsstadte grosse Fahr- geschwindigkeiten. In Oesterreich solite die in den Anfangen vorhandene Industrie erst gehoben werden. Die mit den eng- lischen macadamisirten, ebenen Strassen keinen Vergleich zulassenden osterreichi- schen Verkehrswege gestatteten nur so kleine Geschwindigkeiten, dass Fahr- gesch\vindigkeiten von drei bis vier Meilen mit der Locomotive schon \veit iiber die Bediirfnisse reichend betrachtet wurden. Bretschneider und Schonerer wahlten daher in England und Amerika Locomotiv-Typen, die sich fiir die Befor¬ derung der Personenziige und Lastztige in gleicher Weise eigneten. Nachdem bereits am 13. und 14. No¬ vember 1837 Versuchsfahrten auf der Nordbahnstrecke zwischen Floridsdorf und Deutsch-Wagram angestellt worden waren, machte die von Stephenson ge- baute Locomotive »Austria« eine von der Regierung angeordnete Probefahrt, »zur Priifung der Maschinenfiihrer und zur Constatirung, dass die Direction die in dem Privilegium ausgesprochene Be- dingnis, »bis 4. Marž 1838 eine Meile der Bahn fertiggestellt zuhaben«, erfiillt habe. Die »Austria« war auf drei Achsen gelagert und hatte innen liegende Dampf- cylinder; die beiden vorderen Achsen waren gekuppelt. [Vgl. Bd. I; 1. Theil, Abb. 160, Seite 158.]*) Aehnliche Locomotiven waren fiir die Nordbahn auch von Taylor in Warr- ington [1839] und von Jones Tarner und Evans [1841] gebaut worden. Aus historischem Interesse wird noch heute Jones Tamer’s Maschine »Ajax« von der Nordbahn in ziemlich gut erhaltenem Zustande aufbewahrt. [Vgl. Seite 471, Tafel I, Fig. 1.] Ausser den vorervvahnten Typen er- hielt die Nordbahn eine zur Beforderung der Personenziige bestimmte Locomotive von Rennie in London [1839, vgl. Bd. I, 1. Theil, Abb. 150, Seite 148] und im Jahre 1841 vier Locomotiven von Sharp in Manchester. [Vgl. Abb. 192, Bd. I, 1. Theil, Seite 202.] Diese Locomotiven von Sharp konnen ihrer Bauart nach als die ersten Schnell- zug-Locomotiven Oesterreichs angesehen werden. Auch fiir die Wien-Gloggnitzer Bahn lieferte diese Fabrik in demselben Jahre eine grossere Anzahl von Loco¬ motiven derselben Type. Die Nordbahn hatte 'ihre ersten Loco¬ motiven aus dem Mutterlande der Eisen- bahnen bezogen, und sich hauptsachlich die Erfahrungen der Stammbahn der Welt, der Liverpool-Manchester Bahn, zu Nutze gemaCht. Der Nordbahn gebiihrt aber das Ver- dienst, die erste Locomotive in Oester¬ reich gebaut zu haben. Dieselbe wurde unter Leitung des englischen Ingenieurs Baillie, welcher die Nordbahn-Werkstatte einrichtete, nach dem Vorbilde der eng¬ lischen Locomotiven im Jahre 1840 her- gestellt; sie erhielt den Namen »Patria« und war vom Jahre 1841 bis zum Jahre 1862 in Verwendung. Mathias Schonerer hatte Gelegenheit, im Dienste der Wien-Raaber Bahn ausser den Locomotiven in England, auch die *) Unter den von Stephenson fiir die Nordbahn gebauten Locomotiven befanden sich auch zwei Stiick zweiachsige Locomo¬ tiven, vgl. Bd. I, 1. Theil, Abb. 149, S. 148. Locomotivbau. 427 Locomotiven in Amerika zu studiren. Die einfachere Bauart der letzteren, die Moglichkeit, mit denselben scharfe Krtim- mungen und selbst schlechten Oberbau leicht und sicher befahren zu konnen, ver- anlasste ihn daher, im Jahre 1838 bei Norris in Philadelphia die Locomotive »Philadelphia« anzukaufen. [Vgl. Bd. I, 1. Theil, Abb. 178, Seite 180.] Ueber diese Maschine aussert sich Freiherr von Sina in der arn 1. October 1838 abgehaltenen I. Generalversammlung der Actionare der Wien-Raaber Bahn bei Besprechung der Geschafts-Rechnun- gen, dass »von den getroffenen Vorbe- reitungen insbesondere anzufiihren sind: 1. Die Anschaffung der amerikanischen Locomotive »Philadelphia«, welche bereits mit allergnadigster Erlaubnis Sr. Majestat nachst Neu-Meidling an jenem Orte des Wiener Berges aufgestellt wurde, wo sie im nachsten Jahre zur Transportirung der Erd- und Schotterwagen wahrend des Baues in Verwendung tritt.*) Um bei der nahe bevorstehenden Ab- reise des amerikanischen Ingenieurs hin- sichtlich der guten Zusammenstellung und des Ganges dieser Maschine gesichert zu sein, ferner um andere Dampfvvagenfuhrer gehorig instruiren zu konnen, fanden \vir es zweckmassig, daselbst auch eine kurze provisorische Holzbahn errichten zulassen. Die Hauptproben dieser Maschinen haben bereits in Amerika auf der »Phil¬ adelphia- und Columbia-«Eisenbahnstatt- gefunden, und konnen erst nach Erbau- ung eines Theiles unserer Bahn wieder- holt werden. Da die Construction einfacher als die der englischen ist, so wird sie ohne Anstand in osterreichischen Fabriken nachgeahmt werden konnen und da sie ferner weniger und leichter herzustellende Reparaturen erheischt, scharfe Krtimmun- gen und grosse Steigungen zu iiberwin- den fahig ist, endlich der Rauchfang das Herausfliegen gliihender Kohlenbestand- theile besser als die englischen beseitigt, so unterliegt es keinem Zweifel, dass deren Einfiihrung ftir die osterreichischen Eisen- *) In Zusammenhang mit jenen Ereig- nissen erhielt die Brucke, welche den Ein- schnitt der Sitdbahn bei Meidling iiberspannt, den Namen »Philadelphia-Briicke«. bahnen von besonderem Nutzen sein wird. 2. Die \veitere Bestellung von zwei an- deren Locomotiven in Amerika und von elf, mit den neuesten Verbesserungen und theilweise amerikanischer Constructions- art versehenen Dampfwagen in England bei den beruhmtesten Fabrikanten, welche im Laufe der nachsten zwei Jahre eintreffen werden, und die noch glilcklichenveise um billige Preise accordirt \vurden. 3. Der Ankauf diverser amerika¬ nischer und englischer Musterexemplare von Radern, Achsen, Lagern u. s. w. zu Eisenbahnwagen, von Drehscheiben, Ausweichschienen, Wassersaulen, Krani- chen, Wagen, Werkzeugen u. s. w. 4. Die Bestellung einer Partie diver¬ ser Maschinen sammt Zugehor zur Er- richtung einer grossen Werkstatte am Wiener Haupt-Stationsplatze der Bahn, um die Dampf- und anderen Wagen sowie das iibrige Eisenbahn-Gerathe immer im guten Stande erhalten zu konnen, wodurch allein der zvveckmassige, wohlfeile und ungestorte Betrieb aus- gedehnter Eisenbahnen, vorziiglich jener mit Dampfkraft, zu erreichen ist. Der Bau dieser Werkstatte, deren Plan von einem der besten englischen Mechaniker rectificirt*) wurde, soli im Friihjahre ohne Zogerung beginnen, nach- dem ein Theil der Maschinen bereits eingetroffen ist, und der Antrag besteht, unseren Mechaniker Kraft noch im Laufe des Winters nach England zu schicken, um die noch fehlenden Maschinen zu iibernehmen, sich genaue Kenntnis liber den Betrieb aller Theile dieser Werk- stlitten zu verschaffen sowie einige prak- tisch erprobte Arbeiter dafiir anzuwerben.« Im Gegensatze zu den in den Jahren 1837 —1841 aus England eingefiihrten Locomotiven von Stephenson, Sharp, Plarvthorn, Rennie u. s. w. mit inner- halb der Rahmen liegenden Dampf- cylindern und g e kr op f ten Treibachsen, wiesen die von Norris bezogenen Loco¬ motiven aussenliegende Dampfcylinder und gerade Treibachsen auf. Die Her- stellung gekrlipfter Achsen setzte in den *) Solite heissen »entvvorfen wurde«, denn er riihrte von John Haswell her. 428 Karl Golsdorf. Werkstatten Einrichtungen voraus, liber ivelche man damals nicht verfiigte.*) Die von Freiherrn voii Sina ausgesprochene Vermuthung, dass Locomotiven ameri- kanischer Bauart in Oesterreich leichter nachgeahmt vverden konnten, als jene englischer Bauart, fand daher ihre Bestatigung. Die Locomotive »Philadel¬ phia« war das Vorbild, nach welchem die erste Locomotive in der Maschinenfabrik der Wien-Raaber Bahn 1841 hergestellt wurde; auch die erste, aus der Locomotiven- fabrik von Giinther in Wiener-Neustadt 1843 hervorgegangene Locomotive \var eine Nachbildung' dieser Locomotive von Norris. Diese beiden Fabriken konnten den grossen Bedarf an Locomotiven in den Vierziger-Jahren nicht decken, immer noch musste das Ausland herangezogen werden. Fiir die weitere Ausbildung der fiir die osterreichischen Bahn- und Verkehrs- verhaltnisse geeigneten Locomotiv-Tvpen sind aber die genannten Fabriken mass- gebend, so dass die alteste Geschichte der Locomotive in Oesterreich eigentlich die Geschichte der altesten Locomotiv- Fabriken ist. Ueber die Maschinenwerkstatte der Wien-Raaber Bahn wird in der II. General- versammlung der Actionare dieser Bahn am x. October 1839 mitgetheilt, dass bereits ein grosser Theil derselben unter Dach gebracht wurde, so dass die Auf- stellung der Maschinen demnachst er- folgen und das Ganze in Betrieb gesetzt werden kann. Schon ivahrend des Baues dieser Werkstatte wurden in derselben 300 Schotterwagen, fast ali e Schlosser- und Schmiedearbeiten fiir die Baulich- keiten ausgefiihrt und 73 Arbeiter be- schaftigt. Am 21. April 1840 wurde die »Ma- schinemverkstatte im Beisein Seiner k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erz- herzogs Johann in Thatigkeit gesetzt«. In der III. Generalversammlung der Actionare der Wien-Raaber Bahn, am 6. Marž 1841, macht Freiherr von Sina *) Selbst gewohn!iche, glatt gedrehte Transmissionswellen mussten Anfangs der Vierziger-Jahre noch aus England bezogen werden, nachdem die hiesigen Fabriken nicht die geeigneten Drehbanke besassen. die Mittheilung, diese Werkstatte dem allgemeinen Bediirfnisse zuganglich machen zu wollen, und gedenkt hiefiir ein Landesbefugnis anzusuchen. In der¬ selben Generalversammlung \vird ferner berichtet, dass bei eiriem Stande von 465 Arbeitern in dem Zeitraume von 10 Monaten, unter der Leitung des Herrn John Haswell, unter anderen Arbeiten ausgefiihrt sind: »An Locomotiven und Tendern atneri- kariischer Art: Eine Locomotive und vier Tender ganz vollendet, und die Ausfuhrung des grijssten Theiles von fiinf in Arbeit stehenden Locomotiven. An verschiedenen Maschinenbestand- theilen, Locomotiv-Cylindern und Radern, Schalenradern etc. lieferte die Giesserei seit 17. August 1840 807 Centner.« Die in diesem Berichte als fertiggestellt angefiihrte Locomotive »Wien« kam am 6. Juni 1841 in Dienst; ihre Bauart ist aus Tafel I, Fig. 2, Seite 471, ersichtlich. Bis auf kleine Unterschiede waren die anderen fiinf envahnten Locomotiven, »Hietzing«, »Schonbrunn«, »Belvedere«, »Liechtenstein« und »Altmannsdorf«, ge- nau so gebaut wie die Locomotive »Wien«; sie gelangten noch alle im Jahre 1841 zur Ablieferung. Als Schonerer einfach die Leitung John Haswell’s erwahnte, ahnte wohl Niemand, ivelche Bedeutung dieser Mann dereinst auf dem Gebiete des Locomotiv- baues erlangen werde, nicht allein in Oesterreich, sondern auf dem ganzen Continente. So mannigfach sind die von ihm entivorfenen Typen, so durchdacht die von ihm angegebenen Detailcon- structionen, und so werthvoll die von ihm ersonnenen Arbeitsprocesse, dass es eine Ehrenpflicht fiir den heutigen Tech- niker ist, dieses Mannes zu gedenken, dessen oft nicht beachtete, vielfach in Ver- gessenheit gerathene Ideen und Construc- tionen heute erst volle Wiirdigung finden. John Hasivell [Abb. 279] wurde im Jahre 1812 zu Lancefield bei Glasgow geboren. Nachdem er an der Ander- sonian University in Glasgow seine Studien beendet hatte, widmete er sich der technischen Praxis. Mit 22 Jahren ist er im Schiffsbau-Bureau in der be- riihmten Fabrik von William Fairbairn Locomotivbau. 429 & Co. thatig. Im Jahre 1837 entwarf er auf Veranlassung Schonerer’s die Plane fur die Reparatur-Werkstatte der Wien- Raaber Bahn, und \vurde 1839, an Seite des Mechanikers K raft, mit der Ausftihrung dieser Plane betraut. Als die Werkstatte fertiggestellt war, uber- nahm er selbstandig die Leitung der- selben, und fiihrte, neben Reparatur- arbeiten an rollendem Eisenbahn-Material, sofort auch den Neubau desselben ein. Die von ihm in dieser Fabrik errichtete Eisengiesserei war die erste in Wien, und die erste, welche mit Cokes arbeitete.*) Unter John Has- \vell wurden auch die ersten Schalenguss- rader in Oesterreich angefertigt. Im weiteren Ver- laufe dieser Abhand- lung werden an ge- eigneter Stelle die vielen Verbesserun- gen und Neuerungen, welche Ifasvvell ge- schaffen, Erwahnung finden. Bereits im Jahre 1842 stellte sich die Nothwendigkeit her- aus, starkere Maschi- nen fur die Wien- Gloggnitzer Bahn an- zuschaffen. Im Allge- meinen der Locomotive »Wien« ahnlich, stellten die stiirkeren Locomotiven »Weil- burg« und »Brandhof« einen grossen Fortschritt dar. Die Heizflache war von rund 33 m 2 auf rund 50 m 2 vergrossert worden; an Stelle der Treibrader von 1'264 m Durchmesser gelangten solche von i'475 m Durchmesser zur Amvendung. Die Ueberlegenheit der fur die Nord- bahn und Wien-Raaber Bahn gelieferten Locomotiven von Stephenson und Sharp in Bezug auf Ruhe des Laufes bei grosserer Geschwindigkeit, veranlassteHaswell 1842 bis 1843, Locomotiven mit innerhalb der Rahmen liegenden Dampfcylindern nach *) Zur Schonung der steiermarkischen Industrie gestattete die Regierung nicht die Verwendung von Holzkohle. dem Vorbilde der Sharp’schen Type zu bauen. Die Vollkommenheit der Einrich- tungen in der Maschinenfabrik war schon so weit gediehen, dass die Fertigstellung der gekropften Kurbelachsen keine Schwie- rigkeiten mehr bot. Von diesen Locomoti¬ ven [vgl. Tafel I, Fig. 3, Seite 471], bei denen an Stelle der amerikanischen, aus Barreneisen geschmiedeten Langsrahmen, die englischen Rahmen aus Holz, mitBlech armirt, zur Anwendung gelangten, wurden zwei Stiick — »Thalhof« und »Schottr w i e n« — fur die Wien-Gloggnitzer Bahn, und ein Stiick — »Gallileo« — fur die lombardisch-vene- tianische Ferdinands- Bahn gebaut. Die Treibrader dieser Lo¬ comotive hatten einen Durchmesser von 1738 m. Bei fast sammt- lichen bis zum Jahre 1843 in Oesterreich gebauten und vom Auslande eingefiihrten Locomotiven wurde die Umsteuerung [ Vor- oder Riickwartslauf] durch sogenannte Ga- belsteuerungen be- \virkt. Neben grosser Complication hatten diese Steuerungen den Nachtheil, dass die- selben, wenn nur ein Dampfvertheilungs- schieber angeordnet war, eine Ausntitzung der Expansivkraft des Dampfes nicht zu- liessen. Haswell war der Erste, der in Oester¬ reich die den Namen Stephenson’sche Coulissensteuerung fiihrende Umsteue¬ rung, und zwar an der im Jahre 1844 fur die Wien-Gloggnitzer Bahn gebauten Locomotive »Meidling« anwandte.*) Die Maschine »Meidling« war eigentlich keine neu gebaute Locomotive; bei ihrer Herstellung fanden die noch *) Wie in England, Belgien und Deutsch- land fehlte es auch in Oesterreich nicht an Bestrebungen, noch vor Bekanntvverden der einfachen Stephenson’schen Coulissensteue¬ rung, Steuerungen, welche eine variable 430 Karl Golsdorf. brauchbaren Reste derbald nach Eroffnung der Wien-Gloggnitzer Bahn explodirten Locomotive »Liesing« Verwendung. Die Kessel der damals in Oesterreich gebauten Locomotiven hatten keinen Dampfdom auf dem Langkessel, sondern eine kuppelartig iiberhohte Feuerbiichse, nach dem Vorbilde der »Philadel¬ phia«.* *) Diese Kuppel war nicht nur schwierig herzustellen, sie war auch, wegen der grossen unversteiften Flachen nicht geeignet, dem Dampfdrucke sicher Widerstand zu leisten. Die Explosionen der Locomotiven »Liesing« und »Schon- brunn« und spater der »Miirz« von Nor- ris, waren nur auf diese mangelhafte Construction zuriickzufiibren. Haswell ging daher schon 1843 auf die englische Form der Kessel liber, welche bei einer nur massig iiberhohten ausseren Feuer- biichse, die Anwendung e'ines besonderen »Domes« auf dem Langkessel zur Dampf- entnahme voraussetzte. Diese Dome wur- den [nach dem Vorbilde der Sharp’schen Locomotiven] mit einer aus blank gescheu- ertem Messingblech hergestellten Ver- schalung umgeben, welche, der damaligen Geschmacksrichtung Rechnung tragend, eine grosse Anzahl von Simsen, Leisten u. s. w. aufwies. Haswell liess die ersten dieser Verschalungen von einem Kupfer- schmiede in Lanzendorf anfertigen; selbst der grosse Preis von 300 fl. C.-M. pro Stiick hinderte nicht, diese nach heutigen Begriffen unschone Zierrath lange Jahre hindurch beizubehalten. Die Locomotive »Meidling« bleibt iiberdies noch dadurch bemerkenswerth, dass die Rahmen, abweichend von der amerikanischen und englischen Aus- fuhrungsweise, aus einem hochkantigen, mit Blech armirten Futtereisen bestanden. In Wiener-Neustadt und Umgebung heisst noch heute im Volksmunde die dort bestehende Locomotiv-Fabrik die »Schleife«. Urspriinglich eine Gewehr- lauf-Schleiferei, spater eine Wattefabrik, Expansion ermOglichen, zu erproben und zu studiren. Besonders die Meyer’sche Doppel- schiebersteuerung wurde vielfach ausgeliihrt, Eine der ersten von Giinther in Neustadt gelieferten Locomotiven, die »Carolinenthal«, war mit dieser Einrichtung versehen. *) Diese Kesselconstruction riihrte von Bury in England her. wurden die Raumlichkeiten dieser Anlage fiir den Bau von Locomotiven eingerich- tet, nachdem am 28. Februar 1842 zwi- schen Karl von Prevenhuber, Bevoll- machtigten des Eisenwerksbesitzers Josef Sessler im Krieglach, dann den Herren: W. Giinther, Ingenieur der Wien- Raaber Bahn, Heinrich Biihler und Fi- delius Armbruster ein Vertrag ge- schlossen worden war, in welchem Herr Sessler sich verpflichtete, dem Consortium den nothigen Material-Credit sowie einen Baarcredit von 40.000 fl. C.-M. zur Verfiigung zu stellen, wahrend die iibri- gen Gesellschafter den Ankauf eines Fabriksgebaudes, dann die Einleitung und Durchfiihrung des Baues von Loco¬ motiven ubernahmen. Die ersten sechs Locomotiven, welche in dieser Fabrik nach dem Vorbilde der »Philadelphia« 1842 —1843 gebaut wur- den, die »Sedletz«, »Florenz«, »Plass«, »Carolinenthal«, »Hohenstadt« und »Hohenmauth«, waren fiir die nordliche Staatsbahn bestimmt. [Vgl. Abb. 280 und Tafel I, Fig. 4, Seite 471.] Sie hatten ein Dienstgewicht von rund 15 t und arbeiteten mit einem Dampfdrucke von 5 1 / s Atmospharen. Locomotiven ahnlicher Construction, je- doch mit grosserem Kessel und starkerem Triebtverke wurden von Wiener-Neustadt noch 1845 fiir die nordliche Staatsbahn, und 1846/47 fiir die Nordbahn geliefert. Auch die weiteren von Norris in Philadelphia, und die zu Beginn der Vierziger-Jahre von Cockerill in Seraing und von Meyer in Miihlhausen in Oester¬ reich eingefiihrten Locomotiven [vgl. Bd. I, 1. Theil, Abb. 215, Seite 231] waren von derselben Bauart, und zeigten ahn- liche Grossenverhaltnisse. Imriickwartigen Theilejenes Gebaude- complexes, in welchem 1851 die Sigl’sche Maschinenfabrik in der Wahringer- strasse in Wien etablirt wurde, hatte Norris aus Philadelphia Mitte der Vier- ziger-Jahre den Bau von Locomotiven und Tendern begonnen, um der immer noch regen Nachfrage nach Locomotiven seines Systems billiger geniigen zu konnen. Norris, der in Amerika bis in die Sechziger-Jahre bahnbrechend auf dem Locomotivbau. 431 Gebiete des Locomotivbaues wirkte, hatte im Jahre 1842 drei kleine Loco- motiven angefertigt, welche getreue Nachbildungen der oft erwahnten »Phil¬ adelphia« im Massstabe von nur 1 :4 waren. Er suchte die Erlaubnis nach, diese Miniatur-Locomotiven den continen- talen Herrschern iiberreichen zu diirfen. Ein Exemplar gelangte in den Besitz des Kaisers Nikolaus von Russland, ein Exemplar wurde dem Konig Louis Philipp von Frankreich iiberreicht; die dritte Maschine erhielt Erzherzog Franz Karl, der Vater unseres Monarchen. In Russland mit blossem Danke, in Frankreich mit Bestellungen entlohnt, er¬ hielt Norris in Oesterreich die Erlaubnis, fiir dieHerstellung seiner Loco- motiven eine Fabrik einrich- ten zu diirfen. Aus dieser Fabrik gingeri in den Jahren 1844 bis 1846 eine Reihe von Locomotiven und Tendern hervor, deren Bauart aus Abb. 281 er- sichtlich ist. Der Verkehr auf den osterreichischen Bahnen nahm bald derart zu, dass selbst die starken, ungekuppelten Locomotiven von Hasvvell, welcbe bereits eine Treib- achs-Belastung von 12 '/ 2 t aufwiesen, nicht mehr hinreichten. Fast gleichzeitig mit Cockerill in Seraing modificirte Giin- ther 1844 die Type der »Philadelphia« derart, dass an Stelle des zweiachsigen Drehgestelles eine Laufachse angeordnet wurde, und zur Erzielung eines hoheren Adhasionsgevvichtes zwei unter sich durch Kuppelstangen verbundene Raderpaare Anvvendung fanden. Die von Neustadt in diesem Jahre nach dieser Bauart fiir die Nordbahn gelieferten Locomotiven »Koloss« und »Elephant« erregten ob ihrer Leistungs- fahigkeitallijemeines Aufsehen. [Abb. 282.] Als Haswell an den Bau starkerer Maschinen schritt, behielt er, um die Sicherheit des Laufes in den Kriimmun- gen nicht zu beeintrachtigen, das zvvei- achsige Drehgestelle der »Philadelphia« bei, nur fiigte er ein zweites Treibrader- paar ein. Die Achsanordnung dieser ebenfalls fast gleichzeitig von Cockerill geschaffenen Type erhielt sich mit Ver- besserungen in den Einzelheiten lange Zeit auf vielen osterreichischen Bahnen bei den Personenzug-Locomotiven. Die ersten zwei dieser Locomotiven, »Adlitzgraben« und »Ivaiserbrunn« fiir die Wien-Gloggnitzer Bahn, hatten Treibrader von 1-422 m Durchmesser und ein Gesammtgewicht von 22 1 j 2 t. [Vgl. Tafel II, Fig. 1, Seite 472.] Um die aus den Unregel- massigkeiten des Oberbaues sich ergeben- den Entlastun- gen undUeber- lastungen eiri- zelner Rader und Achsen unschadlich zu machen, vvandte man schon in den Vierziger-Jahren Ausgleich- hebel [Balanciers] zwischen den Trag- federn zweier Achsen an. Diese oft den Amerikanern zugeschriebene Erfindung findet sich in Amerika nachweislich erst 1845 bei den Locomotiven von Rogers. Ohne die Frage der Prioritat zu beriihren, sei bemerkt, dass bereits im Jahre 1844 die fiir die Nordbahn von Cockerill ge¬ lieferten Locomotiven mit Balanciers ver- sehen vvaren, und dass Hasvvell als der erste in Oesterreich, diese Construction bei den Locomotiven »Adlitzgraben« und »Kaiserbrunn« zur Ausfiihrung brachte. Einige Jahre hindurch reichten diese Maschinen, jedoch mit Treibradern von nur 1-264 m Durchmesser, auch fiir die Beforderung der Giiterziige aus. Fast alle der damals bestehenden Locomotiv- Fabriken des In- und Auslandes — Gunther, Kessler in Esslingen, Maffei in Mtinchen, Cockerill in Seraing u. s. w. — lieferten bis 1850 eine grosse An- zahl derartiger Locomotiven fiir die siid- lichen, siidostlichen und nordlichen Staats- bahnen sowie fiir die Kaiser Ferdinands- Abb. 280. Locomotive der nordlichen Staatsbahn. [1843 ] 432 Karl Golsdorf. Nordbahn. [Vgl. Bd. I, I. Theil, Abb. 236, Seite 252.] Bald war aber auch diese Type nicht mehr geeignet, den Anforderungen zu entsprechen. Wieder war es Has- well, der im Jahre 1846 mit der Loco- motive »Fahrafeld« fiir die Wien-Glogg- nitzer Bahn dem Bediirfnisse Rechnung trug. Die »Fahrafeld« war die erste in Oesterreich gebaute Giiterzug- Locomotive mit sechsgekuppel- ten Radern. In Bezug auf Grosse der Heizflache — rund 130 m 2 — iibertraf sie alles bisher Dagewesene.*) [Vgl. Tafel II, Fig. 2, Seite 472.] In den einzelnen Bestandtheilen ver- bessert und verstarkt, mit allen Neue- rungen der Gegenwart versehen, repra- sentirt diese Type die bis vor wenigen Jahren ausschiesslich und selbst heute noch vielfach gebaute normale Giiterzug- Locomotive osterreichischer und deutscher Bahnen. [Vgl. Tafel XVI, Fig. 3 und 4, Seite 486.] Das zweiachsige vordere Drehgestelle der »Philadelphia« hatte sich bei dem al testen, vielfach sogar ohne Laschen-Ver- bindung ausgefuhrten Oberbau der ersten Bahnen Oesterreichs vorzuglich bewahrt. Die mit dieser Anordnung der Lauf- achsen versehenen Locomotiven waren aber fiir grossere Geschwindigkeiten als 35 bis 40 km pro Stunde nicht geeignet, weil die bei der damaligen Construction der Drehgestelle bedingte Neigung der Dampfcylinder gegen die Horizontale, oder, bei horizontaler Anordnung der Cylinder, deren weite Lagerung nach vorne, einen unruhigen Gang der Ma- schine erzeugten. Dieser unruhige Lauf, falschlich dem Drehgestelle selbst zu- geschrieben, veranlasste fast alle Con- structeure Oesterreichs, bei der Auf- stellung von T^pen, welche ausschliess- lich fiir die Beforderung von Personen- ztigen bestimmt waren, das Drehgestelle zu verlassen. *) An der Locomotive »Fahrafeld« war ein Apparat angebracht, durch welchen ein Theil des aus dem Blasrohr entstrOmenden Dampfes condensirt und wieder zur Kessel- speisung verwendet werden konnte. In besserer Form wurde dieser Condensator spater von Kirchweger in Deutschland aus- gefiihrt. Stephenson hatte 1842 die sogenannte »Patentlocomotive« construirt. Die Er- fahrung hatte gezeigt, dass bei den damals ublichen Langen der Siederohre von 2*5 bis 2'8 m die Heizgase mit einer Temperatur von rund 700° dem Rauchfange entstromten. Um den Brenn- stoff besser auszuniitzen, wandte Stephen¬ son Siederohre von rund 4’2 m Lange an. Kessel mit diesen langen Siede- rohren hatten bei der Anordnung einer Achse hinter dem Feuerkasten einen sehr grossen Radstand erfordert, welchen man nach den zu dieser Zeit herrschenden Ansichten liber Curvendurchlauf nicht fiir zulassig erachtete; Stephenson verlegte daher alle Achsen unter den Langkessel. Die geringe Belastung der Endachsen, der grosse Ueberhang riickivarts und vorne, verursachten aber einen ausserst unruhigen Lauf, so dass diese Type ihrer Bestimmung als Personenzug-Loco- motive nicht entsprach, und trotz vieler guter Detailconstructionen, einen grossen Riickschritt darstellte. Dennoch fand diese Construction auf vielen Bahnen des Continentes Eingang, insbesondere in Deutschland und Frankreich. Als Haswell im Jahre 1846 fiir die stidbstlichen Staatsbahnen eine speciell fiir die Beforderung der Personenztige ge- eignete Locomotive bauen solite, acceptirte er die vorerwahnte Construction; es wurde jedoch nur ein Stiick nach dieser Bauart, die Locomotive »B e t s«, ausgefiihrt. [Vgl. Tafel II, Fig. 3, Seite 472.] DieFehler dieser Type vielleicht voraussehend, modi- ficirte er die in demselben Jahre fiir dieselbe Linie erbauten weiteren vier Stiick Per- sonenzug - Locomotiven — »Czegled«, »Abonyi«, »Piliš« und »Monor« — der- art, dass an Stelle der vor dem Feuer¬ kasten liegenden, wenig belasteten Lauf- achse eine mit der Treibachse gleich bela- stete Kuppelachse Anwendung fand. [Vgl. Tafel II, Fig. 4, Seite 472.] Die ge- kuppelten Rader hatten einen Durchmesser von i'58o m\ das Adhasionsgewicht be- trug 18 t. An Stelle der innerhalb der Rader angeordneten Rahmen, in den Sechziger-Jahren mit Aussenrahmen und Kurbeln gebaut, figurirt diese Type heute noch auf den meisten osterreichischen Bahnen als Personenzug-Locomotive. Locomotivbau. 433 Mit der Type »Fabrafeld« und den letztgenannten Locomotiven »Czegled« u. s. w., war in Oesterreich eine ganz bestimmte Richtung fiir die weitere Ent- vvicklung: der Personenzug- oder Scbnell- zug-Locomotiven und der Giiterzug-Loco- motive festgelegt worden. Die in allen Kronlandern der Monarcbie angefangenen und schon dem Verkehre iibergebenen Theilstrecken der grossen Bahnen bildeten aber noch kein geschlossenes Netz; die Verbindungsglieder — Semmering u. s. w. — harrten noch des Ausbaues. Die An- forderungen, welche der Verkehr dereinst auf den grossen zusammenhangenden erfand dieser, um die Entwicklung des Werkstattenwesens hochverdiente Mann die nach ihm benannten »Baillie’schen« Schneckenfedern, welche, mit Ausnahme von Amerika, heute in der ganzen Welt bei den Buffern und Zugvorrichtungen sammtlicher Locomotiven, Tender und Wagen Verwendung finden. *) Spiral- formig oder schraubenformig gewundene Federn waren damals wohl schon be- kannt; die Querschnittsform des gewun- denen Stahles gab aber nur geringe Durchbiegung oder Einsenkung. Die Idee Baillie’s, ein diinnes Stahlblatt so zu wickeln, dass die Kraftrichtung die Abb. 281. Locomotive von Norris in Wien. [1844.] Bahnen an Geschwindigkeit und Leistungs- fahigkeit stellen wiirde, konnte man nicht ermessen: der Locomotivbau bewegte sich daher Ende der Vierziger- und Anfang der Ftinfziger-Jahre in dem Rahmen der Bediirfnisse des Augenblickes, so dass die vielen nach den bisherigen Vorbildern in Oesterreich bis Beginn der Fiinfziger- Jahre gebauten Locomotiven kein be- sonderes Interesse bezuglich Conception, Leistung und Schnelligkeit beanspruchen. Von grosster Wichtigkeit sind aber die in dieser Zeit gemachten Verbesserungen an den einzelnen Bestandtheilen, insbesondere Stoss- und Zugvorrichtung betreffend. Der mit den ersten fiir die Nordbahn bestimmten Stephenson’schen Locomo¬ tiven nach Oesterreich gekommene eng- lische Ingenieur Baillie, ubernahm, nachdem er Ende der Dreissiger-Jahre die Nordbahn-Werkstatte in Wien ein- gerichtet hatte, die Leitung der in Pest errichteten Reparatur-Werkstatte der sud- ostlichen Staatsbabnen. Im Jahre 1846 Geschichte der Eisenbabnen. II. Hochkante des Blattes trifft, gab leichte Federn mit einer so grossen Einsenkung und Widerstandsfahigkeit, dass erst mit diesen F edern die Frage der Zug- und Stoss- vorrichtungen einer befriedigenden Losung zugeftihrt war. Haswell und Giinther vvandten dieselben zunachst als Trag- federn bei den meisten in den Jahren 1847 bis 1855 gebauten Locomotiven an. [Vgl. Abb. Tafel II, Fig. 4 und Tafel IV, Fig. 1, Seite 472 und 474.] Bei den alten englischen Postkutschen und den meisten anderen Strassenvvagen *) Die altesten Locomotiven Oesterreichs hatten zur Milderung des beim Anfahren an andere Fahrzeuge auftretenden Stosses an dem vorderen Brustbaume entweder nur einfache, mit Blech beschlagene Holz- stbckel, oder nach dem Vorbilde der im- portirten englischen Locomotiven Stoss- kissen oder Stossballen, bestehend aus einer cylindrischen, mit Rosshaar gefullten Leder- hillse, welche mit Eisenringen und einer vor¬ deren holzernen Stossplatte armirt waren. [Vgl. Tafel I, Fig. 2 und 3, Seite 471.] 2S 434 Karl GOlsdorf. war der Abstand der Aussenflache der beiden auf einer Achse sich drehenden Rader mit fiinf Fuss bemessen. Als die ersten Eisenbahnen in England gebaut wurden, richtete sich die Spurweite — Abstand der Innenseiten der Schienen- strange — nach diesen Fahrzeugen, nach- dem man mit denselben diese Bahnen be- fahren wollte und zu diesem Zwecke an der Rad-Innenseite Spurkranze anbrachte. Die Spurweite ergab sich hieraus mit 4 ' 8 'Iz “ [englisch] gleich i'435 m. Diese Schienenentfernung fand von Eng¬ land aus in Amerika Eingang und wurde, mit Ausnahme vonRussland und Baden,*) Ende der Dreissiger-Jahre von allen con- tinentalen Staaten angenommen. Die Spurweite war und blieb lange Zeit hindurch das einzige Mass, \velches die »technische Einheit« aller Bahnen reprasentirte. Mit dieser Einheit war aber ein internationaler Durchgangs-Verkehr, selbst ein Verkehr auf den einzelnen Bahnen eines Landes nicht moglich, nach- dem wegen Verschiedenheit der Stoss- und Zugvorrichtungen die Fahrbetriebsmittel der einzelnen Bahnverwaltungen nicht unter einander gekuppelt werden konnten. Nachdem im Jahre 1846 die preussi- schen Bahnverwaltungen zur Ausarbeitung gemeinschaftlicher Bestimmungen sich vereinigt und den Beschluss gefasst hatten, ihren Verband auf alle conces- sionirten deutschen Eisenbahn - Vervval- tungen auszudehnen, traten im Jahre 1847 die Kaiser Ferdinands-Nordbahn und die Wien-Gloggnitzer Bahn dieser Vereini- gung bei, Vierzig dieser Vereinigung an- gehorige Bahnverwaltungen beschlossen in der Ende 1847 in Hamburg tagenden Versammlung, fiir ihren Verband den Namen »Verein Deutscher Eisenbahn- Verwaltungen« anzunehmen. Die von diesem Vereine**) in der *) Die im Grossherzogthum Baden mit einer Spurvveite von I'6oo m angelegten Staatsbahnen wurden bald mit grossen Kosten auf die normaleSpur von P435?Mumgebaut. **) Der Verein deutscher Eisenbahn-Ver- waltungen, urspriinglich nur den Interessen eines Staates dienend, umfasst heute nahezu alle Bahnen des Continents. Die von ihm aufgestellten Normen tiber den Bau sammtlicher Fahrbetriebsmittel, welche von Zeit zu Zeit, den Fortschritten ent- ersten Technikerversammlung im Jahre 1850 aufgestellten Normen tiber einheit- lichen Bau der Fahrbetriebsmittel ent- hielten — zunachst nur fiir Wagen und Tender — bereits bindende Vorschriften tiber die gegenseitige Entfernung der Buffer und Hohe derselben tiber der Schienen- Oberkante, und ebenso Vorschriften tiber die Situirung der Zugvorrichtungen. In Oesterreich \var die Anordnung der Buffer so sehr verschiedeir von der aufgestellten Norm [sie standen eng beisammenj, dass in der Zeit des Ueberganges auf das ein- heitliche Mass vier Buffer, und zwar zwei enggestellte und zvvei weitgestellte, beim Neubau vieler Locomotiven Anwendung fanden. Erst 1862 waren sammtliche Fahr¬ betriebsmittel auf den Hauptlinien mit regelrecht gestellten Buffern versehen. »Recta sequi.« In Stein gegraben ist dieser Wahrspruch der alten osterreichi- schen Eisenbahnbauer auf dem Portale des im Jahre 1841 bei Gumpoldskirchen durch den Katzbichel getriebenen Tunnels zu lesen. »Geradeaus« war der Grund- satz dieser Pionniere; keine verlorenen Gefalle, keine unnothigen ortlichen Stei- gungen und Vermeidung von scharfen Kriimmungen, welche den Betrieb er- schweren und vertheuern konnten! Un- begreiflich erscheint dem modernen Bau- Ingenieur diese Traceftihrung; aberbegreif- lich und nothwendig war sie nach dem Stande der damaligen Locomotiv-Technik. Doch kaum ein Jahrzehnt war ver- flossen, da stand die Locomotive so leistungsfahig und vollkommen da, dass sprechend, neu aufgelegt, revidirt und er- weitert werden, enthalten Vorschriften tiber die einheitliche Anordnung von Zug- und Stossvorrichtungen, tiber die einheitliche An¬ ordnung und Form der Anschluss-Stticke [Kuppelungenl, der durchgebendenLuftdruck- und Luftsaugebremsen und der Dampf- heizungen, liber Ueberlegbriicken zwischen den Personenvvagen u. s. w., so dass erst die Thatigkeit dieses Vereines den internationalen Verkehr ermoglichte. Die, alle Gebiete der Technik umfassende Geistesarbeit, welche zu diesem Erfolge fiihrte, stempelt den Verein zu einem Centralpunkte der Wissenschaft; sein alle continentalen Staaten beriihrender Einfluss macht ihn auch zu einem politischen Factor ersten Ranges, so dass wohl kaum ein anderer Verein der Welt ihm an Ansehen und Bedeutung gleichkommt. Locomotivbau. 435 Ghega, der Erbauer der Semmering- | bahn, alle Einwendungen Berufener und Unberufener niederkampfend, die Eignung der Locomotive fiir Steigungen von I : 40 und Kriimmungen von 190 m behaupten und beweisen konnte. *) Gegen die Verfechter des Seilbetriebes, gegen die Anhanger der atmospharischen Eisenbahnen, selbst gegen das Votum des Oesterreichischen Ingenieur - Vereines setzte Ghega es durch, dass die Ausschrei- bung eines hohen Preises fiir die den Anfor- derungen des Semmerings am besten ent- sprechende Locomotive, hohen Ortes Beach- tung fand und auch angeordnet wurde.**) Das im Monate Marž 1850 veroffent- lichte Programm fiir die Construction einer druck 125 Centner [7 t\, und beschrankte die grosste Hohe der Maschine mit 15' [4'740 m ] und die grosste Breite mit 9' [2^844 m]. Ausser der Vorschreibung der nothigen Armaturstiicke des Kessels war noch die Bestimmung aufgenommen, dass die Bremseinrichtungen ein Anhalten der allein, mit einer Geschwindigkeit von vier Meilen [etwa 30 km] fahrenden Loco¬ motive auf 80 Klafter [etwa 152 m] er- moglichen sollten. Iveinerlei sonstige Vor- schriften hinderten die Entfaltung des technischen Erfindungsgeistes. Ende Juli 1851 waren in Payerbach vier Locomotiven zur Preisbewerbung eingelangt: die »Bavaria« von Maffei in Miinchen, die »Seraing« von Cockerill Abb. 282. Guterzug-Locomotive der Nordbahn. [1844.] Semmering - Locomotive war, nachdem auch das Ausland zur Preisbewerbung herangezogen werden solite, in drei Sprachen abgefasst. Als Leistung war verlangt die Beforderung eines Zuges von 2500 Wiener Centnern [140 t] mit 1 1 / 2 Meilen [n'25 km] Geschwindigkeit pro Stunde auf der Steigung von 1 : 40. Das Programm normirte als' hochsten zulassigen Dampfdruck 102 Pfund pro Quadratzoll, als grossten zulassigen Rad¬ *) Bereits im Jahre 1846 wurden die Linie Andrieux-Roanne mit Steigung I : 34V2, im Jahre 1848 die Bayerisch-Sachsische Bahn und in Wurttemberg die Bahn iiber die Rauhe Alp mit Steigungen von 1:40 und 1:45 an- standslos mit Locomotiven betrieben. **) Vgl. Bd. I, 1. Theil, H. Strach, Die ersten Staatsbahnen, Seite 273, und Bd. II, C. Werner, Tracirung. in Seraing, die »W ien er- N e ust adt«. von Giinther in Wiener-Neustadt und die »V in d ob o n a« von Haswell in Wien. [Vgl. Abb. 260 bis 263, Bd. I, I. Theil, S. 277 und 278*) und Tafel III, Fig. 1 und 2, Tafel IV, Fig. 1 und 2, S. 473 und 474.] Die Locomotive »Bavaria« war auf vier Achsen gelagert, von denen die beiden vorderen ein Drehgestelle bil- deten; der Tender hatte drei Achsen. Die Rader des Drehgestelles und die Rader des Tenders waren in gewohn- licher Weise durch Kuppelstangen ver- bunden. Von der hinter dem Feuerkasten angeordneten Treibachse der Locomotive *) Die Preis-Locomotiven trugen folgende Fabrications-Nummern: »Bavaria« 72, »Se¬ raing« 290, »Wiener-Neustadt« 73, »Vindo- bona« 186. 28 * 436 Karl GOlsdorf. wurden die Tenderachsen durch inner- j halb der Rahmen liegende Kettenrader und Kette ohne Ende angetrieben; in derselben Weise war die Kuppelung des Drehgestelles mit dervor dem Feuerkasten liegenden Kuppelachse durchgefiihrt, so dass dasGesammtgevvicht von Locomotive und Tender als Adhasionsgewicht nutzbar gemacht werden konnte. Die Locomotive »Seraing« hatte vier Achsen und vier Dampfcylinder, von denen je zwei in einem Drehgestelle gelagert waren; die Dampfcylinder waren inner- halb der Rahmen angeordnet. Der Kessel bestand eigentlich aus zwei mit den Riick- seiten aneinander stossenden Kesseln, be- sass somit zwei getrennte Feuerbiichsen, zwei Systeme von Siederohren und hatte vorne und riickwarts einen Rauchfang. Langs des Kessels waren Wasserkasten, angeordnet; ein kleiner zweiachsiger Tender diente zur Mitfiihrung der Kohle. Aehnlich gebaut in Bezug auf die Rader- und Cylinder-Anordnung war die »Wiener-Neustadt«.*) Sie hatte jedoch *) Der Entwurf dieser Maschine riihrte von dem leider im friihesten Mannesalter verstorbenen Ingenieur Frank her. einen in gevvohnlicher Weise ausgefiihrten einfachen Kessel mit sehr langen Siede¬ rohren. Die Dampfcylinder lagen ausser- halb der Rahmen. Speisewasser und Kohle waren auf der Maschine selbst untergebracht. Wenig principiell Neues bot die »Vindobona« in der Gruppirung der Achsen. Sie hatte, als sie zur Abliefe- rung gelangte, nur drei gekuppelte, in einem starren Rahmen gelagerte Achsen; eine derselben war hinter der Feuerbuchse angeordnet. Bei der Abvvage stellte es sich heraus, dass die Vorder- achse iiberlastet war; mit grosster Be- schleunigung wurde daher zwischen der ersten und zvveiten Achse noch ein Rader- paar eingeschaltet, so dass aus dieser drei- achsigen Maschine ein Achtkuppler wurde. Auch bei den anderen Preis-Locomo- tiven kamen betrachtliche Ueberscbrei- tungen des vorgeschriebenen Raddruckes vor. Um nicht alle Locomotiven zuriick- weisen zu miissen, sah sich die Com- mission veranlasst, das Wort Raddruck so auszulegen, dass darunter nur jenes Gevvicht zu verstehen sei, mit dem ein Rad durch die Federn belastet vvi-rd. Tabelle -iiber die HauJ>tabmessungen der Preis-Locomotiven. Nachdem die Mitte August 1851 vorgenommenen Leerfahrten und Brems- versuche bei keiner Maschine einen An- stand ergeben hatten, vvurden Ende des- selben Monates die Leistungsproben vor- genommen. Die »B a v ari a« beforderte auf der Steigung von 1 :40 einen Zug von 2640 Centnern mit 2-44 Meilen Ge- schvvindigkeit; die »Seraing« 2523 Cent- ner mit i'88 Meilen, und die »Wiener- Neustadt« und die »Vindobona« jede 2500 Centner mit 1 '/2 Meilen. Die »Bavaria« hatte die Programm- Forderung weitaus iiberboten; iiberdies erreichte sie ihre Leistung mit einem Brennstoff-Verbrauche, der, auf die Lei- stungseinheit bezogen, viel kleiner war, als der Verbrauch der anderen Preis- Locomotiven. Es wurde ihr daher der Locomotivbau. 437 Preis von 20.000 Ducaten zuerkannt. Die anderen Maschinen: »Wiener-Neustadt«, »Seraing« und»Vindobona« —letztere erst, nachdem einige wesentliche Aenderungen vorgenommen waren ■— wurden um IO.OOO, 9000, beziehungsweise 8000 Du¬ caten vom Staate angekauft. Jede der Preis-Locomotiven hatte die vorgescbriebene Leistung erreicht; aber schon die Probefahrten hatten gezeigt, dass keine dieser Maschinen geeignet war, als Type fiir die Semmering-Loco- motive zu dienen. Die »Bavaria«, durch ihren grossen Ivessel, die grossen Dampfcylinder und Maschine, welche nur z\vei gekuppelte Achsen besitzt; sie ware fiir die Anfor- derungen des Semmering nicht mehr geeignet gewesen. Nach fruchtlosen Versuchen, die Kette zu verstarken, \vurde die »Bavaria« demo- lirt. Ihr bester Bestandtheil, der Kessel, \vurde in der Grazer Betriebswerkstatte der siidlichen Staatsbahnen als stationarer Kessel aufgestellt. Mitte der Sechziger- Jahre, als schon der grosste Theil der Werkzeugmaschinen in die neue Haupt- werkstatte Marburg iibertragen war, lieferte dieser Kessel, dessen Rost und Heizflache, nach dem heutigen Stande der Abb. 283. EDgerth-Locomotive der sudlichen Staatsbahn. [1854.] den grossen Kolbenhub,*) befahigt eine ausserordentliche Zugkraft auszuiiben, konnte diese Zugkraft nicht in dauernder, storungsloser Weise auf die Kader iiber- tragen, nachdem die Kette selbst mit der grossten Sorgfalt nicht in gutem Zustand erhalten werden konnte. Als nach Beendigung der eigentlichen Probe¬ fahrten weitere Versuchsfahrten gemacht wurden, um die Haltbarkeit der Kette zu erproben, waren vier geschulte Ar- beiter unter Leitung eines Ober-Ingenieurs nicht im Stande, trotz gewissenhafter Untersuchung, Messung und Reparatur der Kette nach jeder Fahrt, dieselbe lžinger als einige Tage vor Bruch und zum Bruche ftihrender Dehnung zu be- wahren. Die Weglassung der Kette hatte die Locomotive in Bezug auf Adhasion oder Zugkraft gleichwerthig gemacht mit einer •1 Seit der alten »Rocket« wurde bis heute auf dem Continente keine Locomotive gebaut, welche einen grbsseren Hub [764 mm] als die «Bavaria« besessen hatte. Technik fiir Leistungen von einem hal- ben Tausend von Pferdekraften hinrei- chend war, noch einige Zeit den Dampf fiir eine »funfzollige Wasserpumpe« ; dann wurde auch er zerschlagen. Sic transit gloria mundi. Die Locomotive »Seraing«, vvelche in Bezug auf Formvollendung und Gedie- genheit der einzelnen Bestandtheile an die modernen Constructionsweisen heran- reicbte,*) war ihrer Kesselanlage nach insoferne misslungen, als fiir die Ent- nahme von trockenem Dampf nicht geniigend vorgesehen war. Die An- ordnung grosserer Dampfdome hatte diesen Uebelstand behoben. Die Be- weglichkeit der Untergestelle bedingte Gelenke in den Dampfleitungen, -welche auf die Dauer nicht dicht zu halten waren. Durch die Lage der Dampf- cylinder innerhalb der Rahmen, war die Zuganglichkeit des Triebwerkes sehr *) Sie war eine der ersten Locomotiven mit einfachem Plattenrahmen. 438 Karl Golsdorf. erschwert. Alle diese Mangel waren zu beseitigen gewesen; das Princip der Type war lebensfahig: es feierte auch wieder seine Auferstehung im Jahre 1869 mit den Locomotiven System »Fairlie«,*) die, abgesehen von einigen Detailcon- structionen, getreue Nachbildungen der »Seraing« waren. In vielen Exemplaren \vurden diese Fairlie-Locomotiven fiir siid- und nordamerikanische Bahnen, fiir Russland, Finnland, Schweden, Norwegen und verschiedene andere Staaten gebaut. Einwandfrei in Bezug auf die Dampf- entnahme aus dem Kessel, hatte die »Wiener - Neustadt« mit der »Seraing« den Fehler gemein, dass ihre gelenkigen Dampfleitungen sch\ver in Stand zu halten ivaren. Die Construction der Untergestelle war ausserdem wenig gliick- lich durchgefiihrt, so dass die freie Beweglichkeit in den Krtimmungen nur in beschranktem Masse vorhanden war. Dem Principe nach aber nicht verfehlt, bildete die »Wiener-Neustadt« das Vor- bild, nach \velchem Ende der Sechziger- Jahre die Doppel-Locomotiven, System »Meyer«,- erbaut vurden.**) Die in neuester Zeit auf vielen franzOsischen, deutschen und scbweizerischen Bahnen construirten Locomotiven, Bauart »Mal- let«, mit vier Dampfcylindern sind ihrer Conception nach auf die »Wiener-Neu- stadt« und die »Seraing« zuriickzufiihren. Die »Wiener-Neustadt« ist noch dadurch bemerkenswerth, dass sie die erste in Oesterreich gebaute Tender- Locomotive war. Diese beiden Preis-Locomotiven wurden wegen ihrer Mangel bald beiseite ge- stellt. Nachdem sie Jahre hindurch im Hofe der Wiener Reparatur-Werkstatte der stidlichen Staatsbahn gestanden, wurden sie zerlegt, und die Kessel an Eisenhandler verkauft. Auf den letzten Platz war von den Preisrichtern Haswell’s »Vindobona« gestellt worden. Und doch war diese Locomotive diejenige, welche einige Jahre *) Die erste derselben »Little wonder« wurde fiir die schmalspurige Festiniog-Bahn in England gebaut. **) Die erste derselben war die Locomo¬ tive »L’Avenir« fiir die Luxemburgische Centralbahn. i spater mit etwas veranderter Stellung der Achsen dieType der Berg-Locomotive auf dem Continente wurde. Nicht das allein; manche ihrer Einzelheiten sind unteranderen Namen alsden Has- well’s bekannt und als grosser Fortschritt aufgegriffen worden. Die »Vindobona« war mit einer Ein- richtung versehen, welche ein Bremsen ohne Anwendung von Bremsklotzen er- moglichte. Beim Leerlaufe der Loco¬ motive wird bei Stellung der Steuerung auf die der Fahrt entgegengesetzte Rich- tung Luft angesaugt und comprimirt. Dieser Vorgang war bei der »Vindo¬ bona« als Bremse bentitzt; um die Luft nicht durch die Rauchkammer-Gase ver- unreinigt in die Cylinder gelangen zu lassen, wurde dieselbe nach Schluss des Blasrohres, durch eine besondere Klappe, welche mit der freien Atmosphare in Verbindung stand, angesaugt, und einem Ventile zugeftihrt, welches diese Luft unter regulirbarer Pressung wieder ent- \veichen Hess. In Einzelheiten verbessert, ist die spater bekannt gewordene Riggen- bacldsche Gegendampf- [Repressions-] Bremse, welche heute bei allen Zahnrad- Locomotiven und vielen Gebirgs-Loco- motiven Deutschlands Anwendung findet, nichts anderes als eine in Vergessenheit gerathene Erfindung HasvvelPs. Die »Vindobona« war die erste Loco¬ motive, bei welcher die zur Versteifung der inneren Feuerbtichsdecke angewandten Barrenanker durch Schrauben ersetzt vvaren, welche die innere Feuerbtichs- decke mit der flachen ausseren Dečke versteiften, Geringes Gewicht, leichte Zuganglichkeit und Moglichkeit, die Feuerbtichsdecke vom Kesselstein zu reinigen, bildeten die Vorztige dieser Construction, \velche spater unter dem Namen »Belpaire’sche Feuerbiichse« auf sammtlichen Bahnen Eingang fand. Durch ihren grossen festen Radstand wirkte die »Vindobona«, trotzdem die dritte Achse keine Spurkranze hatte, zerstorend auf die Krtimmungen der Bahn ein. Dieser Umstand veranlasste Haswell, nach den Probefahrten die riick- wartige Kuppelachse durch ein zwei- achsiges Drehgestell zu ersetzen, welches aber nicht wie bisher tiblich, um einen Locomotivbau. 439 zwischen den Drehgestellachsen gelager- ten Zapfen * drehbar war, sondern, mit einer Deichsel versehen, seinen Drehpunkt weit nach vorne geriickt hatte. Abge- sehen von der Riickstell-Einrichtung, ist dieses Drehgestell identisch mit dem im Jahre 1857 in Amerika patentirten »Bisell«-Gestell, das auch auf dem Con- tinente, insbesondere in der Ausfiihrung mit n ur einer Achse vielfach angevvandt wurde.*) Wahrend das neue Drehgestell an- gebaut wurde, nahm Haswell auch an dem Kessel eine wesentliche Aenderung vor. Der Dampfraum des Kessels hatte sich als zu klein erwiesen, um trockenen Bedenken veranlassende ovale Querschnitt des Kessels und das geringe Adbasions- gervicht \varen Ursache, dass sie eben- falls das Schicksal der anderen Preis- Locomotiven theilte: sie wurde demolirt. Nur der Kessel fand noch einige Jahre hindurch Vervvendung als stationarer Kessel der Betriebswerkstatte in Laibach. Die Preisrichter schlossen ihre Thatig- keit am 21. September 1851 mit der Abfassung eines Protokolls, in vvelchem die Bedingungen angefiihrt waren, denen eine fiir den Betrieb des Semmerings geeignete Locomotive entsprechen miisste. Auf Grund der bei den Probefahrten ge- sammelten Erfahrungen wurde bestimmt, Abb. 284. Engerth-Locomotive der siidlichen Staatsbahn. [1856.] Dampf zu liefern. Haswell setzte auf die Feuerbiichse und auf den Lang- kessel hinter dem Rauchfange noch zwei Dome auf, welche mit dem bestehen- den Dome durch ein \veites Rohr ver- bunden waren. Durch diese Anordnung der Dome wurde der Dampfraum \vesentlich ver- grossert, iiberdies aber noch der Vor- theil erreicht, dass der Dampf, um zum Regulator zu gelangen, nicht den Wasser- spiegel bestreichen musste; die Moglich- keit, auf diesem Wege Wasser an sich zu reissen, war ihm sornit benommen. Heute werden fast alle neueren Loco- motiven Oesterreichs mit dieser Anord¬ nung der Dome ausgefiihrt. [Vgl. Tafeln XVII bis XX, Seite 487 bis 490.] Auch nach den vorgenommenen Aenderungen erwies sich die »Vindobona« fiir den Semmering nicht geeignet. Der zu klein gewahlte Raddurchmesser, der *) Vgl. Seite 443. dass die Belastung aller Rader als Adha- sionsgevvicht nutzbar gemacht werde; die Achsen sollten ferner in Drehgestellen gelagert sein. Die Vorschriften iiber den grossten zulassigen Achsdruck und Dampf- druck u. s. w. waren dieselben, wie in dem Programme vom Marž 1850. In der Abtheilung fiir Eisenbahn- betriebs-Mechanik des k. k. Ministeriums fiir Handel und Gewerbe wurde unter Leitung des k. k. te.chnischen Rathes Freiherrn Wilhelm Engerth sofort an die Ausarbeitung eines den genannten Bedingungen entsprechenden Projectes geschritten; auf.Grund dieses Projectes lieferte die Locomotiv-Fabrik von Cocke- rill in Seraing einen Entrvurf, der, mini- steriell genehmigt, die Grundlage fiir die definitive Ausftihrung der »Engerth- Locomotive« bildete. [Vgl. Abb. 265, Bd. I, 1. Theil, Seite 280.] In dem Hauptrahmen der Locomotive waren unter dem Langkessel drei unter einander gekuppelte Achsen gelagert. Das 440 Karl Golsdorf. auf zwei Raderpaaren ruhende Tender- gestell umfasste die Feuerbiichse und war universalgelenkig vor derselben mit dem Hauptrahmen verbunden; ein Theil des Kesselgewichtes wurde durch seitlich an der Feuerbiichse angebrachte Consolen auf das Tendergestell iibertragen. Die Wasserkasten waren langs des cylindri- schen Kessels angeordnet; die Kohle war auf dem Tendergestelle untergebracht. Um der Bedingung, die Belastung sammtlicher Achsen als Adhasionsgevvicht nutzbar zu machen, zu entsprechen, war an einer der ersten Maschinen eine Zahnrad-Kuppe- lung zwischen den Achsen des Haupt- rahmens und des Tenders vorgesehen.*) Die Lieferung der ersten 26 Stiick Engerth-Locomotiven wurde an Cockerill und E. Kessler in Esslingen iibertragen, \velche gemeinsam unter Intervention Engerth’s die Detailplane entwarfen. Nur in, fiir den Fachmann beachtenswerthen Details verschieden, waren diese Ma¬ schinen in Bezug auf Kessel und Me- chanismus unter einander gleich gebaut.**) Die ersten Locomotiven dieser Type, die »K a p e 11 e'n« von Kessler und die »G r ii n s c h a c h e r« von Cockerill, wur- den im November 1853 eingeliefert und machten Ende desselben Monates mit giinstigem Erfolge ihre Probefahrten. [Vgl. Bd. I, 1. Theil, Abb. 266 und 267, Seite 281 und 282.] Auch zur Beforderung der Personenziige auf dem Semmering und fiir Giiterziige auf Flachlandbahnen bestimmt, wurde diese Type bald darauf, im Jahre 1854, mit Treibradern von 4' [i’264 m\ Durchmesser und spater mit 4'/ 4 ‘ [ 1 '343 m\ Durchmesser gebaut. [Abb. 283 und 284.] *) Nach dem genehmigten CockeriH’schen Entwurf fertigten auch Maffei, Haswell und Gtinther Plane an, welche dem k. k. Handels- ministerium vorgelegt wurden. Der Maffei- sche Plan zeigte als Kuppelung der Riider des Tendergestells mit jenen des Haupt- rahmens Kette oder Zahnrad, wahrend Giin- ther eine Riemen-Kuppelung proponirte, welche mit Leitrollen gespannt werden solite. **j Die Hauptabmessungen dieser Loco¬ motiven waren: Cylinderdurchmesser 474 mm, Kolbenhub 610 mm, Treibraddurchmesser 1068 mm, Dampfdruck 7 4 Atmospharen, Rost- flache 140 vi 1 , Totale Heizflache 150 m 1 , Dienstgewicht 56.100 kg, Adhasionsgervicht 36.000 kg. Mit innerhalb der Rahmen liegenden Dampfcylindern, zwei gekuppelten Achsen, Treibradern von i'5ampfcylinder angebracht waren, die auf unter 180° versetzte Kur¬ beln wirkten. [Vgl. Tafel VIII, Fig. 3, Seite 478.] Diese Anordnung bezweckte einen vollstandigen Ausgleich der hin- und hergehenden und der im Kreise beweg- ten Massen, ohne Anwendung von Ge- gengevvichten an den Treibradern. Noch vor Erprobung dieser Maschine auf der Strecke wurden Messungen an- gestellt iiber die Grosse der Horizontal- und Vertical-Schwankungen, welche die hin- und hergehenden Massen, beziehungs- weise die Gegengewichte der Rader *) Die »Duplex« erhielt spater den Namen Zinnwald«. Abb. 292. Giiterzug-Locomotive der Carl Ludwig-Bahn. [1859.] Locomotivbau. 449 Abb. 293. Personenzug-Locomotive der Carl Ludwig-Bahn. [1859.] hervorrufen. Die »Duplex» \vurde beim vorderen Raderpaare unterkeilt, und durch einen Krahn mit Ketten riickwarts gehoben, so dass die Treibrader die Schienen nicht beriihrten. Die so stationar gemachte Locomotive wurde mit rund 400 Radum- drehungen pro MinuteinGang gesetzt; diese, einer Ge- sch windigkeit von nahezu 160 km pro Stunde ent- sprechende Zahl der Urn- drehungen, liess nur ge- ringfiigige Schwankun- gen erkennen, wabrend die in derselben Weise auf- gehangte Locomotive »Rokitzan« [mit gewohnlicher Anordnung der Cy- linder und Gegengewichten in den Radern] schon bei einer Tourenzabl von circa 70 km Fahrgeschwindigkeit so bedenkliche Schvvankunsjen zeigte, dass die Versuche mit Rucksicht auf die Widerstands- fahigkeit der Kette abgebrochen wer- den mussten. Diese Ergebnisse fanden bei den Fahrten auf gunstigen geradli- nigen Strecken in- soferne Bestati- gung, als die »Du- plex« beiGeschwin- digkeiten liber QO km Abb. 294. Personenzug-Locomotive der Kaiser Franz Josef- C+- 1 • Orient-Bahn. [1859.] pro Munde einen L J welche auf eine Achse mit unter i8o° verstellten Kurbeln wirken, ist aber spater wieder im Auslande als neue Disposition aufgetaucht. Die im Jahre 1882 in Amerika als »SystemShaw« construirte Schnellzug-Locomotive war in Bezug auf Cylinder- und Kurbelanord- nung vollkom- men identisch mit der »Du- plex«;fernerist bei den in Frankreich im Jahre 1888 con- struirten Com- pound-Loco- motiven mit vier Dampf- cylindern —- System >Du — das Princip Stunde merkbar ruhigeren Lauf ergab, als die anderen Locomotiven derselben allge- meinen Bauart. Fiir schvvere Ziige zu schwach, und wegen des grossen Ueberhanges an beiden Enden doch nicht jene ruhige Gangart besitzend, welche Locomotiven mit langem Radstande eigenthumlich ist, fand diese Type in Bezug auf die Stellung der Achsen keine Nachahmung. Die Anordnung von vier Dampfcylindern, Geschichte der Eisenbahnen. II. Bousquet-De Glehn« des Massenausgleiches [auf unter 180 0 versetzten Kurbeln beruhend] dasselbe, welches schon der HaswelPschen Ma- schine aus dem Jahre 1861 zugrunde lag. Noch einmal wurde der Versuch gemacht, das Kuppelungs-Problem der En- gerth’schen Lastzug-Locomotive zu losen. Die Bahn von Reschitza nach Orawicza forderte Locomotiven, deren Zugkraft einem Ad- hasionsgewicht von mindestens 42 t ent- sprach. Mit Schie¬ nen von nur 9^2 t zulassigem Achs- druck, in Steigun- gen von 25°/ 00 und Kriimmungen von 1x4 m Radius angelegt, stellte diese Trače ahnliche Anforderungen wie der Semmering.*) Um die Tragkraft der Schienen nicht zu tiberschreiten, musste eine Maschine mit fiinf gekuppelten Achsen ausgefiihrt werden. Pius Fink, der begabte Ingenieur der Oesterreichisch- UngarischenStaatseisenbahn-Gesellschaft, dessen Name durch die nach ihm be- *) Vgl. Bd. I, I. Theil, H. S trač h, Eisenbahnen mit Zinsengarantie, Seite 384. 29 450 Karl Golsdorf. nannte Coulissensteuerung mit nur einem Excenter und durch seine saugenden In- jectoren bekannt ist [siehe Seite 451], fand eine Kuppelung zwischen den Radern des Hauptgestelles und denen des Ten- ders, welche, sich im Principe an die Gonstruction Kirchweger’s aus dem Jahre 1852 anlehnend, das Problem in theoretisch richtiger Weise durch eine iiber dem Rahmen gelagerte Blindwelle loste. [Tafel VIII, Fig, 4, Seite 478, vgl. auch Locomotive »Steyerdorf« Bd. I, 1. Theil, Abb. 328, Seite 390.] Von dieser Blindwelle, deren Antrieb durch schrag nach aufvcarts gerichtete Kuppelstangen vom Hauptmechanismus erfolgte, \vurde die Bewegung durch senkrechte Kuppel¬ stangen auf das mit Halfschen Kur- beln verseheneTen- dergestelle iiber- tragen. Vier Lo- comotiven dieser Bauart wurden in der Maschinen- fabrik der Oester- reichisch-Ungari- schen Staatseisen- bahn-Gesellschaft in den Jahren 1861 bis 1867 ausgefiihrt; die erste derselben, die »Steyerdorf«, figurirte wie die »Duplex« auf der Londoner Weltausstellung im Jahre 1862. Auch auf der Bergbahn im Banat zeigte es sich, wie auf dem Semmering und spater auf vielen anderen Bahnen, dass der damals und auch noch heute vertretene Grundsatz, die Vorrathe auf der Maschine selbst zur Vergrosserung des Adhasions- gewichtes unterzubringen, eine jeder Be- griindung entbehrende Phrase ist, wenn es sich um den Betrieb langer Bergstrecken bei weit getriebener Ausniitzung der Zug- kraft handelt; die genannten Maschinen wurden nachtraglich mit einem zur Auf- nahme von Wasser bestimmten Behvagen versehen. Im Jahre 1867 in Pariš neuer- dings ausgestellt, fand diese Type »Fink- Engerth* keine weitere Nachahmung. Es verdient hervorgehoben zu wer- den, dass die Nordbahn in dieser Pe¬ riode, in welcher fast allgemein der iiberhangende Feuerkasten fiir alle Lo- comotiv-Gattungen angenommen wurde, bei der Construction einer neuen Schnell- zug - Locomotive diesen falschen Weg nicht einschlug, sondern thunlichst den beiderseitigen Ueberhang verminderte. Die im Jahre 1862 bei Sigi in Wien gebaute Schnellzug - Locomotive [Abb. 299] war mit Aussenrahmen und Hall’schen Kurbeln versehen, hatte aber hinter der Feuerbiichse ein Laufrad an- geordnet. Diese in Bezug auf Gangart und Leistung ausgezeichnete Type wurde bis in die Siebziger-Jahre beibehalten und, im Principe gleich, auch von Strous- berg sowie spater von der Floridsdorfer Locomotiv-Fabrik im Jahre 1874 gebaut. [Abb. 300.] Ende der Siebziger-Jahre wurde, als die Ad- hasion eines Treib- raderpaares nicht mehr hinreichte, das Laufraderpaar durch eine mit den Treibradern gekup- pelte Achse er- setzt. Im Jahre 1861 hatte Sigi die GtinthePsche Lo¬ comotiv-Fabrik in Wiener-Neustadt in Pacht genommen und mit der Leitung derselben seinen ehemaligen Constructeur aus der Wiener Fabrik, Karl Schau, betraut. Die Erweiterung der Anlage in Wien und Wiener-Neustadt, ferner die neuen Einrichtungen, die auf Anregung von Haswell*) in der Maschinenfabrik der *) Schon in den Ftinfziger-Jahren hatte Haswell in der Fabrik einige Dampfhammer nach seinem Systeme aufgestellt, bei welchen im Gegensatze zu den sonst ublichen Aus- filhrungen der Kolben fest stand, wahrend der Cylinder, als Fallbar dienend, durch den Dampf gehoben wurde. Im Jahre 1862 erbaute er eine grosse Dampf-Schmiedepresse, welche einen Druck von 750.000 kg auszutiben er- laubte. Die Herstellung der Rader, Achs- lagergehause, Kreuzkopfe u. s. w. wurde durch diese Maschine wesentlich vereinfacht. Ueberdies konnten Gegenstande, deren Form frtiher die Ausfiihrung aus Gusseisen be- dingte, jetzt unter der Presse, in Gesenken, aus Schmiedeeisen hergestellt werden. Eine der interessantesten, nicht in den Rahmen des Locomotivbaues gehbrenden Arbeiten, welche Haswell in diesem Zeit- Abb. 295. Guterzug-Locomotive der Kaiser Franz Josef- Orient-Bahn, [1859.J Locomotivbau. 451 Oesterreichisch-Ungarischen Staatseisen- bahn-Gesellschaft ausgeftihrt wurden, setzten Oesterreich in den Stand, unab- hangig vom Auslande, seinen Bedarf an Locomotiven selbst zu decken, und als machtiger Concur- rent auf dem Welt- markte aufzutre- ten. Nachdem be- reits Giinther im Jahre '1855 eine Anzahl kleiner Lo¬ comotiven ftir eine oberschlesische Kohlenbahn gelie- fert hatte, wurde im Jahre 1860 die erste grosse Be- stellung vom Aus¬ lande bei der Ma- schinenfabrik der Oesterreichisch-Unga- rischen Staatseisenbahn-Gesellschaft ge- macht. Sie umfasste 85 Stiick Lastzug- Locomotiven, welche fiir die »grosse russische Eisenbahn« bestimmt waren, und beschaftigte die Fabrik bis zum Jahre 1862. Sparlich mit Auftragen fiir die eigene Bahn versehen, konnte sie auch im nachsten Jahre eine grossere Lieferung fiir die spanische Nordbahn ubernehmen. In geradezu grossartiger Weise be- Abb. 297. Giiterzug-Locomotive der __ Sudbahn. [1860.] raume ausfiihrte, war die Erneuerung des Thurmhelmes am St. Stefansdome in Wien. Die Helmstange, aus zwei Theilen von je 10 m Lange bestehend, und die schweren Eisenschliessen und Barren, welche die gothische Kreuzblume halten, wurden unter der genannten Presse ausgeschmiedet. DerFall, dasseineLocomotiv-Fabrikanden Voliendungsarbeiten von Kirchthiirmen sich be- theiligt, istubrigens nicht vereinzelt. Im Jahre 1851 wurde von der genannten Fabrik das Win- keleisen-Gerippeund das Kreuz fiir die Thurm- trieb Ende der Sechziger-Jahre Sigi in Wien und Wiener-Neustadt den Bau von Locomotiven fiir Russland und auch fiir Deutschland. Die Maschinen waren fiir die Warschau-Wiener-Bahn und fiir die Bahnen Mos- kau-Kursk,Rjashsk- Morschansk, Odessa-Baltea,Wo- ronesch - Koslow, Weichselbahn, Mecklenburgische Friedrich Franz- Bahn und andere bestimmt. Sie wur- den nach in den genannten Fabri- ken entworfenen Planen mit Hall- schen Kurbeln aus- gefiihrt. [Vgl. Abb. 301 und 302.] In dieses Jahrzehnt fallt auch die Ein- fiihrung der Dampfstrahlpumpen — Injectoren*) — an Stelle der bis dahin zur Speisung der Kessel ausschliesslich ver- vvendeten Pumpen, welche im Allgemeinen nur \vahrend des Ganges der Locomotive in Thatigkeit gesetzt werden konnten. Die Ivolben dieser Pumpen wurden vomKreuz- kopfe aus oder durch eines der Steuerungs- excenter [vgl. Tafel III, Fig. I und 2, Abb. 298. Giiterzug-Locomotive der siidlichen _ Staatsbahn. [1859.] spitze derAugustinerkircheinWienausgeftihrt und in derLocomotiv-Fabrik Wiener-Neustadt wurden im Jahre 1896 die Wetterhahne und die Ivreuze — letztere wahre Meisterwerke der Handschmiedekunst — fiir die neuerbauten Thurme der dortigen Pfarrkirche hergestellt. *) Injectoren sind Apparate, bei denen die durch Condensation eines Dampfstrahles erzeugte lebendige Kraft einem Wasserstrahle eine derartige Geschwindigkeit verleiht, dass dieser, den Kesseldruck iiberwindend, in den Kessel eintritt. Abb. 296. Personenzug-Locomotive der Sudbahn. [1861.] 29’ 452 Karl Gelsdorf. Abb. 299. Schnellzug-Locomotive der Nordbahn. [1862.] Seite473] bethatigt. Um wahrend des Still- standes der unter Dampf befindlichen Ma- schine speisen zu konnen, waren auch Pum- pen in Gebrauch, die durch eine beson- dere kleine Dampfmaschine angetrieben wurden. Diese schwerfalligen Apparate wurden bald verlassen, als es demfranzosi- schen Ingenieur H. Giffard gelungen war [auf Grund der bis zu Beginn diesesjahrhun- derts zuriick- reichenden- Versuche von Mannoury, d’Ectot, Bourdon und andere ], im Jahre 1858 den ersten brauch- baren Injector herzustellen. Nachdem die imJahre 1860 in Oesterreich angestellten Versuche mit gute Resultate schon in alle durch den Director der Wiener-Neustadter Locomotiv-Fabrik C. S c h a u. Im Jahre 1868 gelang es dem Ingenieur A. Fried- mann in Wien, dieselbe auch ftir das Speisen von warmem Wasser ge- eignet zu machen. Nach Tausenden zahlen die im Laufe der Jahre ersonnenen Arten der Injectoren ; von allen Construc- tionen hat aber Abb. 300. Schnellzug-Locomotive der Nordbahn. [1874.] Giffard’schen Injectoren ergeben hatten, wurden den nachsten zwei Jahren fast neu gebauten Locomotiven mit dieser Einrichtung versehen. Diese ersten Injectoren — die sogenannten spanischen Apparate — waren aber noch vveit davon entfernt, den Anforderungen zu ent- sprechen; ihr grosster Fehler war der, dass nur massig erwarmtes Tendervvasser angesaugt werden konnte. Wesentlich vereinfacht wurde die Erfindung Giffard’s das osterrei- chiscbe Fried- mann’sche System die grosste V er- breitung ge- funden, denn mehr als die Halfte a 11 er Locomotiven der Welt ist mit diesen Ap- paraten ver¬ sehen. Die bis da- hin andenTen- dern der Loco¬ motiven angebrachten Handbremsen erwiesen sich auf den vielen Gebirgsbahnen als nicht ausreichend. Die erste Dampf- b r e m s e an Locomotiven fiihrte Haswell — nach dem Vorbilde der sachsischen Bahnen — an der »Steyerdorf« aus.*) [Vgl. Tafel VIII., Fig. 4, Seite 478.] Die Haswell’sche Repressions-Bremse *) Aehnliche Dampfbremsen wurden noch Achtziger-Jahren an vielen Loco- in den motiven der angebracht. Nordbahn und Nordwestbahn Locomotivbau. 453 Abb. 301. Guterzug-Locomotive der Moskau-Kursk-Bahn. [1868.] war unbeachtet geblieben; grosse Ver- breitung aber fand die im Jahre 1865 von dem Director der spanischen Nord- babn L e c h a t e 1 i e r, im Vereine mit Ingenieur Ricour erdachte und ausge- fiihrte »L e c h a t e I i e r’s c h e G e g e n- d ampfbrem- se«. Die brem- sendeWirkung des Dampfes bentitzend, welche eintritt, wenn bei offe- nem Regula¬ tor die Steue- rung auf die der Fahrt ent- gegengesetzte Richtung ge- stellt wird, ver- meidet sie das Ansaugen von unreiner Luft aus der Rauchkammer da- durch, dass ein vom Fiihrer bethatigtes Ventil Dampf in die Ausstromungspartie des Cylinders einlasst, welcher dann wieder in den Kessel zuriickbefordert wird. Um die Dampfcylinder vor Erhitzung zu bewahren, wird durch ein zweites Ven¬ til gleichzeitig eine geringe Wassermenge in dieselben eingespritzt. Diese Gegen- dampfbremse war auf dem Semmering und Brenner seit dem Jahre 1867 so lange in Verwen- dung, bis sie durch die Va- cuumbremse uberholt wurde; an den meisten Locomotiven der Oesterreichisch- Ungarischen Staatseisenbahn-Gesellschaft ist die Lechatelier-Bremse noch immer angebracht und in Gebrauch. Auch Zeh hatte [schon in den Fiinf- ziger-Jahren] eine Vorrichtung ersonnen — die Zeh’sche Klappe — welche bei geschlossenem Regulator durch Einfiih- rung von Luft in die Cylinder eine Bremswirkung ergab. Bei den vorher erwahnten Westbahn-Locomotiven [Tafel VII, Fig. 3 und 4, Seite 477] ange¬ bracht, fand diese Bremsvorrichtung weiter- hin keine nennenswerthe Verbreitung. Als die Bahn liber den Brenner ge- baut wurde, gab es keinen Ziveifel tiber das geeignete Locomotiv-Sy- stem: der ein- fache Acht- kuppler mit Schlepptender war bereits eine erprobte, bewahrte Ty- pe, die inner- halb der Gren- zen des zulas- sigen Achs- druckes noch wesentlich leistungsfahiger construirt werden konnte, als dies bis- her in Oesterreich der Fali \var. Die fur den Brenner bestimmten Achtkuppler wurden nach den von der Siidbahn bei- gestellten Planen in der Maschinenfabrik der Oesterreichisch - Ungarischen Staats¬ eisenbahn-Ge¬ sellschaft im Jahre 1867 er- baut und hat- ten Aussenrah- men mit Hall- schen Kurbeln. [Tafel IX, Fig. 1, Seite 479.] Ali e bisherigen in Oesterreich hergestellten Locomotiven Leistungs- Abb. 302. Personenzug-Locomotive der Woronesch-Koslow-Bahn. [1868,] an fahigkeit und Adhasionsgeivicht tibertreffend, fand diese Type — der erste Achtkuppler mit Hall- schen Kurbeln — auch im Auslande [auf der hessischen Ludwigs-Bahn] Ein- o;ang. O o Die Oesterreichisch-Ungarische Staats¬ eisenbahn-Gesellschaft sah sich in dieser Zeit ebenfalls veranlasst, starkere Loco¬ motiven anzuschaffen. In ihrer Maschinen¬ fabrik wurden zvvei Typen entvvorfen, die 454 Karl Golsdorf. bis in die Achtziger-Jahre den Anforde- rungen entsprachen: ein Sechskuppler und ein Achtkuppler mit Innenrahmen und innen liegender Steuerung. [Vgl. Tafel IX, Fig. 2 und 3, Seite 479.] Weil die Herstellung grosser, dicker Rahmen- platten noch Schwierigkeiten bot, waren die Rahmen — ahnlich wie die Aussen- rahmen — aus zwei diinnen Blechen mit dazwischen eingenieteten Futtereisen an- gefertigt. Beide Typen erwiesen sich, wegen des Achsdruckes von nur 12 als universell verwendbare Maschinen. Der Sechskuppler wurde Ende der Siebziger- Jahre fiir einige Linien der k. k. osterreichi- schen Staats- bahnen [Ra- konitz-Proti- vin, Tarnow- Leluchow] aus- geftihrt; mit einigen unwe- sentlichenAen- derungen wur- de der Acht¬ kuppler fur die Kaiserin Elisa- beth-Bahn im Jahre 1873 von den Fabriken in Wiener-Neustadt, Florids- dorf und vonHartmann in Chemnitz gebaut. Die Siidbahn war diejenige Bahn in Oesterreich, welche die Anschauung, dass eine tiefe Lagerung des Kessels zur Erzielung eines ruhigen Laufes unbedingt nothig sei, praktisch widerlegte, als sie im Jahre 1870 die grossen, fiir den Sem¬ mering, Karst und Brenner bestimmten Achtkuppler construirte, die in Wiener- Neustadt und in der Maschinenfabrik der Oesterreichisch-Ungarischen Staatseisen- bahn-Gesellschaft gebaut wurden. [Abb. 303-] Die Nachtheile der HalLschen Kurbeln — Anbriiche der Achsen im Kurbelhalse — hatten sich schon fiihlbar gemacht; es wurde daher der Innenrahmen \vieder angenommen, der aber durch die Lage der Tragfedern iiber der Rahmenober- kante, bei dem grossen Durchmesser des Kessels, eine hohe Lage der Mitte des- selben iiber der Schienen-Oberkante be- dingte. In Bezug auf Ruhe des Ganges den Locomotiven mit tiefliegendem Kessel und Aussenrahmen ebenbiirtig, ergaben sie wegen der grossen Rostflache von 2'16 [der grossten bisher in Oester¬ reich ausgefiihrten] und der giinstigen Abmessungen von Blasrohr und Rauch- fang so bedeutende Leistungen — 210 t auf 2 5 °/ 00 Steigung —■ dass auf An- suchen der oberitalienischen Eisenbabn eine dieser Locomotiven im Jahre 1872 nach Italien abging, um Parallel- Versuchen mit den auf der Rampe bei Genua verwendeten Achtkupplern, System Beugniot, deren Anschaffung auch fiir die yollendete Mont Cenis- Bahn beabsichtigt war, unterzogen zu \verden. Die Siid- bahn-Locomo- tive ervvies sich bei diesen zwi- schen Ponte decimo und Busalla, im Beisein des Constructeurs, L. A. Gols¬ dorf [derzeit Maschinen-Di- rector dieser Bahn], vorgenommenen Probefahrten der italienischen Maschine weitaus iiber- legen, trotzdem die letztere grossere Kessel und Cylinder-Abmessungen be- sass. Das weitere Ergebnis dieser Fahr- ten \var, dass die Alta Italia [jetzt strade ferrate del Mediterraneo] 60 Strick dieser Locomotiven in Wiener-Neustadt bestellte. [Abb. 304.] Sie wichen von der Siidbahn-Maschine nur insoferne ab, als etwas grossere Rader und Cylin- der angewendet waren, weil ihre Ver- wendung auch fiir rascher fahrende Ziige in Aussicht genommen \vurde. Von der eenannten Gesellschaft auch weiterhin O gebaut, wurde noch im Jahre 1885 eine grossere Anzahl derselben bei der Ma¬ schinenfabrik der Oesterreichisch-Ungari¬ schen Staatseisenbahn - Gesellschaft be- stellt. Die hohe Lage des Kessels \vurde von Haswell fernerhin beibehalten. Be- merkenswerth in dieser Beziehung ist eine Type, die in der Maschinen- Abb. 303. Achtkuppler der Siidbahn. [1870.] Locomotivbau. 455 fabrik der Oesterreichisch-Ungarischen Staatseisenbahn - Gesellschaft im Jahre 1872 fiir die Graz-Kofiacher Bahn ge- baut wurde, und welche als Neuerung die Lage der Feuerbiichse iiber dem Rahmen, statt wie bisher zwischen den Rahmen, aufwies.*) Der Vortheil der brei- teren Feuerbiichse, welcher den Aussen- rahmen-Locomotiven eigenthiimlich war, ist dadurch auch bei Innenrahmen er- reicht worden. An diesen Maschinen kamen auch die Haswell’schen Wellblech- Feuerbiichsen zur Ausfiihrung, welche innerhalb bestimmter Grenzen der Lange die Anwendung der sonst nothigen Versteifung durch Deckenbarren oder Deckenschrau- beniiberfliissig machten.**) Diese Loco- motiven waren iiberdies mit den Haswell’- schen Balan- cierachsenver- sehen. [Tafel IX, Fig. 4, Seite 479 -] Ende der Sechziger-Jah- re waren die beiden Loco- motiv-Fabriken von G. Sigi und die Maschinenfabrik der Oesterreichisch- Ungarischen Staatseisenbahn-Gesellschaft derart mit Bestellungen iiberhauft, dass die Errichtung einer vierten grossen Fabrik sich als nothig erwies. Dem Wiener Bank- vereine in Gemeinschaft mit dem Central- Inspector der Ferdinands-Nordbahn, Lud- wig Becker, und dem Inspector der k. k. priv. Kaiserin Elisabeth - Bahn, Karl Horn boste 1 , wurde am 6. Sep¬ tember 1869 die Concession zur Errich¬ tung der »Wiener Locomotiv-Fabriks- Actien-Gesellschaft« ertheilt. Nach Bil- Abb. 304. Achtkuppler der Strade ferrate del Mediterraneo. [1873.] dung des ersten Verwaltungsrathes wurde Herr Bernhard D e m m e r mit der tech- nischen und commerziellen Leitung des neuen Unternehmens betraut. Mit dem Baue der Fabrik in Gross- Jedlersdorf bei Floridsdorf wurde im April 1870 begonnen. Im Januar 1871 begann der Betrieb, und am 10. Juli desselben Jahres erfolgte die Ablieferung der ersten Locomotive, welche fiir die Oesterreichische Nordwestbahn bestimmt war. [Tafel X, Fig. 1, Seite 480.] Im Jahre 1873 schon wurde die hundertste Locomotive" fertiggestellt. Der Locomotivbau erwies sich in diesem Zeitraume so lohnend, dass bald nach Erbau- ung der Flo- ridsdorfer Lo¬ comotiv-Fa¬ brik noch ein derartiges Un- ternehmen ge- griindet wur- de: »Die Ma¬ schinen-, Lo¬ comotiv- und Wagen-Bau- anstalt inMod- ling.« Die damals in Wien beste- *) Diese Disposition der Feuerbiichse findet in neuester Zeit auf fast allen oster- reichischen Bahnen Anwendung. **) Aehnliche Feuerbuchsen, jedoch mit Wellen in der Langsrichtung waren drei Jahre vorher vom Maschinenmeister May der schweizerischen Nordostbahn ausgefiihrt worden. hende »Industrie-, Forst- und Montan- Eisenbahn-Gesellschaft« [welche auch den Plan hegte, eine schmalspurige Giirtelbahn in Wien zu erbauen] er- richtete diese Fabrik im Jahre 1872, und betraute mit ihrer Leitung den lange Zeit bei G. Sigi in Wien als Chef-Constructeur beschaftigten Ingenieur F. X. Mannhard. Die erste Locomotive wurde im Mai 1873 geliefert. Sie war fiir die Kronprinz Rudolf - Bahn bestimmt, und hatte aussenliegende Rahmen mit Hall’schen Kurbeln. Ausser einer An- zahl von HalPschen Sechskupplern fiir dieselbe Bahn, wurden in diesem Jahre noch einige kleine Locomotiven fiir die ungarischen Bahnen zweiten Ranges, und zwei Tender-Locomotiven fiir eine Aache- ner Industriebahn fertiggestellt. Grosseres Interesse bot eine im Jahre 1874 nach dem Systeme »Grund« ge- 456 Karl Golsdorf. baute zweiachsige Locomotive, die auf Vicinalbabnen [ohne Bewachung der Wegiiberga,nge u. s. w.] verkehren solite. [Tafel X, Fig. 2, Seite 480.] Um jede Gefahr fiir Passanten oder Fuhnverk auszuschliessen, solite dem Ftihrer die Moglichkeit benommen sein, rascher als mit 10 km pro Stunde fahren zu konnen. Zu diesem Z\vecke. war ein Schwungkugel - Regulator angebracht, welcher bei Ueberscbreitung der limi- tirten Geschwindigkeit eine Bremse in Thatigkeit setzte. Damit auch bei dieser geringen Geschwindigkeit die Maschine mit grosser Umdrehungszahl arbeiten konne, wirkten die Treibstangen auf ein, die Zahl der Radumdrebungen verminderndes Vorgelege, welches durch die Tragfedern an die Laufflachen der Tragrader angepresst wurde. Diese Con- struction vergrosserte aber derart den Eigenwiderstand der Maschine, dass sie selbst auf Gefallen von 25°/ 00 [bei den Probefahrten auf dem Semmering] stehen blieb, wenn nicht Dampf gegeben \vurde ; sie fanti, daher hier keine weitere Ver- \vendung. In Amerika aber wurde das Grund’sche Vorgelege, jedoch mit Ueber- setzung auf grossere Tourenzahl, an einer unter der Bezeichnung »System Fontaine« bekannt gewordenen Schnell- zug-Locomotive im Jahre 1879 zur An- \vendung gebracht. Nachdem im Laufe des Jahres 1874 noch einige Gtiterzug-Locomotiven fiir die Istrianer Staatsbahnen abgeliefert worden waren, musste diese Fabrik, des iiberall eingetretenen schlechten Geschaftsganges halber, ihre Thatigkeit einstellen; die Zahl der in den zwei Jahren ihres Bestandes gelieferten Loco- motiven erreichte nur 32 Stiick. Das Ausstellungsjahr 1873 war auch fiir den Locomotivbau Oesterreichs von grosser Bedeutung. Der Aufschwung auf wirthschaftlichem Gebiete drangte zu Fahrgeschwindigkeiten, fiir welche die bestehenden Locomotiven mit iiberhan- gendem Feuerkasten nicht mehr geeignet \varen. Nach. den im Constructions- Bureau der Siidbahn entvvorfenen Planen wurde fiir diese Bahn in Wiener-Neustadt eine Schnellzug-Locomotive gebaut, bei welcher das amerikanische zweiachsige Drehgestelle mit centralem Mittelzapfen in richtiger Anordnung zur Ausftihrung gelangte. [Tafel X, Fig. 3, Seite 480.] I11 der Disposition der Cylinder, der Steuerung und der Aufsteckkurbeln aus den KesslePschen Locomotiven vom Jahre 1861 hervorgegangen [vgl. Abb. 296], hatte diese Maschine die Kuppelachse hinter der Feuerbiichse gelagert. Eine zweite Locomotive ganz gleicher Bauart, die Sigi in Vorrath angefertigt hatte, und welche dann die Oesterreichische Nordwestbahn ankaufte, wurde auf der Wiener Weltausstellung unter dem Namen »Rittinger« ausgestellt. Diese als »Rittinger Type« bekannt gewordene Siidbahn-Locomotive war das Vorbild fiir die Schnellzug-Maschinen, welche in der Maschinenfabrik der Oester- reichisch - Ungarischen Staatseisenbahn- Gesellschaft im Jahre 1874 fiir die Un¬ garischen Staatsbahnen gebaut wurden. [Tafel X, 'Fig. 4, Seite 480.] An diesen Locomotiven kamen zum letzten Male die Haswell’schen Balancierachsen [im Drehgestelle] zur Anwendung. Ab- weichend von der Siidbahntype war die Kuppelachse [wie in Deutschland schon lange tiblich] unter der Feuerbiichse ge¬ lagert. Die Oesterreichische Nordwestbahn modificirte die Rittinger-Type spater [1874] dadurch, dass die Dampfcy- linder eine Lage erhielten, wie sie be- reits bei den gekuppelten Crampton- Locomotiven der Staatsbahn angewendet war. [Tafel XI, Fig. 1, Seite 481.] Nach dieser Bauart wurden in der Floridsdorfer Maschinenfabrik zwei Lo¬ comotiven — »Livingstone« und »Foucault« —- ausgefiihrt. Bemerkens- werth war an ihnen die Durchfiihrung des Drehgestelles. Bis dahin erfolgte die Fiihrung desselben durch einen centralen Mittelzapfen und die Uebertragung der Last des Kessels durch zwei seitliche Gleitpfannen. Um jede einseitige Ueber- lastung der Drehgestellachsen unmoglich zu machen, war an diesen Maschinen das Kesselgewicht durch eine centrale Kugel- auflage auf das Drehgestelle tibertragen, \velche Construction eine leichte Beweg- lichkeit desselben nach jeder Richtung erlaubte. Diese Anordnung fand spater Locomotivbau. 457 im Auslande vielfach Nachahmung; unter Anderen waren die in der ge- nannten Fabrik im Jahre 1878 fiir die oberitalieniscben Eisenbahnen gebauten Schnellzug - Locomotiven mit diesem Drehgestelle ausgeftihrt. Seit dem Jahre 1882 ist eine ahnliche Disposition an allen Schnellzug - Locomotiven der Koniglich ungarischen Staatsbahnen in Vervvenduno-. O o Das Jahr 1873 hatte den Impuls zum Baue neuer Scbnellzug-Typen gegeben. Die finanziellen Ereignisse dieses Jahres liessen aber die eingeschlagene Richtung nicht verfolgen: die Bahnen vvaren be- miissigt jede Nachschaffung von Loco¬ motiven zu unterlassen. Bestellungen fiir das Ausland behiiteten unsere Loco- motiv - Fabriken vor dem ganzlichen Arbeitsstillstand. *) Ende der Sechziger-Jahre, und noch bis 1873 hatten die meisten osterreichi- schen Bahnen eine grosse Anzahl von Personenzug-Locomotiven mit uberhan- gendem Feuerkasten gebaut. [Nordbahn mit Aufsteckkurbeln, vgl. TafelXI, Fig. 2, Seite 481, Siidbahn mit Excenter- kurbeln, Franz Josef-Bahn und Kai- serin Elisabeth - Bahn mit HalPschen Kurbeln.] Nachdem aus den vorervvahnten Griinden an den Bau specieller Schnell- zug-Locomotiven nicht geschritten wer- den konnte, suchte man diese Typen durch Anbringung besonderer Kuppe- lungen zvvischen Locomotive und Ten- der fiir ruhigeren Gang und grdssere Geschwindigkeit geeigneter zu machen. Diese Nothconstructionen — die cen¬ tralen Kuppelungen — bestanden in der Anordnung einer keilformig ausge- arbeiteten Pfanne an der rilckvvartigen Maschinenbrust, in welche ein am vor- deren Tenderende angebrachter federn- der Zahn eingreifen konnte, so dass die Schlingerbewegung der Locomotive vom Tender mit aufgenommen wurde. Diese Kuppelungen, unter denen die vom damaligen Maschinenchef der Kaiser Franz Josef-Bahn, Emil Tilp, ersonnene, das *) Im Jahre 1874 waren alle osterreichi- schen Locomotiv-Fabriken mit bedeutenden Lieferungen fdr deutsche Bahnen — Hanno- versche Staatsbahnen, Bergisch-Miirkische Bahn u. a. •— beschaftigt. Problem in theoretisch richtiger Weise loste, vermitiderten thatsachlich ganz bedeutend die seitlichen Schwankungen, hatten aber, weil die freie Einstellbarkeit von Locomotive und Tender in den Kriimmungen nicht mehr vorhanden war, grosse Nachtheile im Gefolge [Ausschla- gen der Tenderachslager, ungleiche und grosse Abnutzung der LagerstummelJ.*) Die Keilpfannen wurden daher soweit abgeflacht, dass sie dem Zahne eine seitliche Bevvegung erlaubten. In dieser Form war der Schlingerbetvegung nur ein massiger Widerstand entgegengesetzt; die freie Beweglichkeit der Fahrzeuge in den Kriimmungen war nicht mehr stark behindert. Der Zweck der cen¬ tralen Kuppelung war aber dadurch ein anderer gevvorden: sie diente jetzt nur mehr als Spannvorrichtung zwi- schen Maschine und Tender, um das Zugeisen und die Kuppelungsbolzen vor heftigen Stossen zu bewahren. Bei den neuesten Locomotiven aller Ver- wendungszwecke, vvelche an sich einen ruhigen Lauf gewahren, wird eine centrale Kuppelung mit Pfanne und Zahn im Allgemeinen nicht mehr aus- gefiihrt; eine einfache horizontal lie- gende Plattfeder am vorderen Tender¬ ende, die mit kleinen Pulfern auf gerade Reibplatten an die riickvvartige Ma¬ schinenbrust presst, dient als Spannvor¬ richtung.**) Ein massig rasch fahrender Zug lasst sich mit Hilfe der Handbremsen der Wagen und des Tenders rasch und auf kurze Entfernung zum Stillstande bringen. Mehr als 1000 m kann aber der Weg betragen, den ein Zug' vom Beffinne des *) Frei von diesen Nachtheilen war die Tilp’sche Kuppelung, die durch ein beson- deres Balancier-Svstem in den Kriimmungen den mittleren Zahn auslbste. Weil dieser Zahn aber nicht immer wieder in die Falle eingriff, sondern seitlich sich anlegte, bedingte sie hntgleisungsgetahr. **) Centrale Kuppelungen mit Zahn, die durch ein seitlich im Tender angebrachtes Handrad beim Kuppeln von Maschine und Tender ausgelost werden konnten, vvaren schon 1844 an den alten Locomotiven der Wien-Gloggnitzer Bahn im Gebrauch, wurden aber bald wieder entfernt. 458 Karl Golsdorf. Bremsens bis zum Halten noch durch- lauft, wenn er bei 70 bis 80 km Ge- schwindigkeit mit denselben einfachen Mitteln gebremst wird. Die Anwendung dieser Geschvvindigkeiten im Betriebe bedingte daher -vvesentlich bessere Brem- sen, als die, welche bis dahin zu Gebote standen. Es konnten im Interesse der Sicherheit nur solche Bremsen in Betracht kommen, deren Bethatioamg- in die Hand des Fuhrers gelegt ist, und welche neben kraftigster Wirkung auch eine Regu¬ lirane- der Geschwindigkeit auf Gefall- strecken erlauben. Unter den in den Siebziger-Jabren in England bekannten Bremsen, welche diesen Bedingungen entsprachen, war die nachstehend beschriebene Vacuum- bremse von Smith die einfachste. Die Bremsklotze eines j eden Fahrzeuges stehen mit einem Bremscylinder in Ver- bindung, an welchen eine Rohrleitung anschliesst; die Rohrleitungen der ein- zelnen Wagen sind unter einander durch universalgelenkige Kuppelungen verbun- den. Auf der Locomotive befindet sich ein durch Dampf bethatigter Ejector [Luftsauger], mit welchem der Fiihrer im Bedarfsfalle in der Leitung und oberhalb der Kolben in den Brems- cylindern eine Luftleere herstellt. Nach- dem diese Bremscylinder unten offen sind, bewirkt bei eintretender Luftleere iiber den Kolben der aussere Luftdruck ein Heben derselben, so dass die Brems¬ klotze an die Rader angepresst werden. Durch eine besondere Luftklappe kann der Fiihrer \vieder Luft in die Leitung und die Cylinder einstromen lassen, wodurch bei vollstandiger Aufhebung der Luftleere das »Entbremsen«, und bei nur theihveiser Aufhebung derselben eine »Milderung« des Bremsdruckes [Regulirung der Geschwindigkeit] erzielt wird. Im Jahre 1877 machte die Siid- bahn die ersten Versuche mit der Smith’schen Vacuumbremse. Der Vor- stand der Wiener Reparatur-Werkstatte dieser Bahn, Herr John Hardy,* *) ver- *) John Hardy wurde im Jahre 1820 in Newcastle on Tyne geboren, und trat mit 16 Jahren als’ Millright (Praktikant) in die dortige Stephenson’sche Locomotiv-Fabrik besserte diese Bremse in allen ihren Einzelheiten [insbesondere Bremscylin- der, Ejector und Kuppelung] so -vvesent¬ lich, dass diese, nunmehr Hardy’sche Vacuumbremse genannte Bremse von allen osterreichischen [und vielen Aus- landbahnen] allgemein angenommen wurde. Erst in den letzten Jahren machte sich wegen der auf 80 bis 90 km gesteigerten Fahrgeschwindigkeit das Bedurfnis nach einer automatisch ■vvirkenden Bremse [Eintritt der Brem- sung bei Zugstrennung, Moglichkeit des Bremsens von jedem Wagen aus] geltend. Nachdem die k. k. osterreichischen Staatsbahnen im Jahre 1895 eingehende Versuche mit der automatischen Vacuum¬ bremse*) angestellt hatten, wurde die- selbe bei den rasch fahrenden Schnell- ziigen [Wien-Carlsbad] zur Anwendung gebracht. Auch die Nordbahn riistete in dieser Zeit einige ihrer Ziige mit dieser Bremse aus, so dass die allgemeinere Einfiihrung derselben nur mehr eine Frage der Zeit ist. Trotzdem das zvveiachsige D r e h- gestell mit mittlerem Ftihrungszapfen ein. Nach Beendigung der Lehrzeit kam er im Jahre 1846 nach Frankreich, und verblieb bis 1S60 als Oberwerkfiihrer in der Werk- statte Rouen der Chemin de fer de 1’Ouest. In diesem Jahre iibernahm er die Leitung der Wiener Reparatur-Werkstatte der Siid- bahn, welchen Posten er bis zum Jahre 1884 behielt. Ausser der Vacuumbremse construirte er auch die nach ihm be- nannte Zweiwagenbremse. Er starb im Jahre 1896. *) Die automatische Vacuumbremse wurde von den Ingenieuren der Vacuum- brake-Compagnie in England [jene Gesell- schaft, welcher J. Hardy die Verwerthung seiner Patente ilbertragen hatte] entworfen. Fur den Continent fertigt die Firma Gebriider Hardy in Wien [SOhne des verstorbenen J. Hardy], welche eine Reihe der wichtigsten Verbesserungen an dieser Bremse vorge- nommen hat, sammtliche Bestandtheile der¬ selben an. Bei dieser Bremse wird durch einen constant thatigen kleinen Ejector in der Leitung und auf beiden Seiten der Bremskolben ein Vacuum erhalten. Beim Bremsen wird durch einen Schieber Luft in die Leitung eingelassen, welche die Brems¬ kolben hebt; bei Zugstrennung [Zerreissung der Kuppelungen] tritt daher auch eine selbstthatige Bremsung der getrennten Zugs- theile ein. Locomotivbau. 459 und seitlicben Auflagen [Siidbahn] oder mit mittlerer Kugelauflage [Nordwest- bahn] sich vorziiglich bewahrte, konnte es sich nur langsam Balin brechen. Auf falscher Grundlage durchgefiihrte theoretische Abhandlungen schrieben demselben unrichtige Einstellunp; in den Kriimmungen und sonstige Nachtheile zu, welche in Wirklichkeit nicht vor- handen sind. Insbesondere war die Be- hauptung vollstiindig unbegriindet, dass das Drehgestell bei einem kleineren Radstande als die Spurweite [!] auf ge- rader Bahn der Locomotive einen schlan- gelnden Lauf ertheile. Diese, oft von Unberufenen gegen das Drehgestell gefuhrte Polemik, mehr aber die that- sachlich ungiinstigen Erfahrungen mit den alten Drehgestellen waren Ursache, dass noch einige Zeit hindurch Schnell- zug-Locomotiven mit festem Radstande oder seitlich verschiebbarer Laufachse zur Ausfiihrung gelangten. Vielfach hielt man auch die Drebgestelle auf Bahnen mit gunstigen Richtungsverhaltnissen fiir eine unnothige Gomplication, weil man drei Achsen fiir die Unterbrin- gung der den damaligen Leistungen ent- sprechenden Kessel fiir ausreichend ansah. Die fiir die Kaiserin Elisabeth-Bahn in der Maschinenfabrik der Oesterreichisch- Ungarischen Staatseisenbahn-Gesellschaft gebauten Schnellzug-Locomotiven [1878 bis 1879] waren wie die ein Jahr spater aus derselben Fabrik hervorgegangenen Nordbahn-Maschinen auf drei Achsen gelagert. [Tafel XI, Fig. 3 und 4, Seite 481.] Die Westbahn-Locomotive, mit Aussenrahmen und HalPschen Kur- beln an den Treibradern ausgefiihrt, war mit einer seitlich verschiebbaren Laufachse versehen, deren Riickstellung in die Gerade durch Keilflachen [nach dem Vorbilde der franzdsischen Or- leans-Bahn] bewirkt wurde. Diese Ma- schine hatte ferner die Haswell’sche Well- blech-Feuerbtichse, und war eine der \venigen Locomotiven, an welcher die Kaselowsky’sche Radreifenbefestigung [eingegossener Ring] zur Anwendung gelangte. Die Nordbahn-Schnellzug-Locomotive zeigte eine Achsstellung wie die friiher errvahnten gekuppelten Crampton-Loco- motiven und war mit steifer Vorderachse versehen. Trotz der Anwendung des Aussenrahmens, hatte die Nordbahn doch im Allgemeinen das HalPsche Kurbel- system nicht ausschliesslich angenommen, sondern die alten verlasslichen Aufsteck- kurbeln bei Giiterzug- und Personenzug- Locomotiven beibehalten; dieselben ge¬ langten auch bei der genannten Type zur Ausfiihrung. Abweichend von der gewohnlichen Manier war das Fiihrer- haus, zur Milderung des Drohnens, aus Holz hergestellt. Dem Baue von T e n d er - L o c o mo¬ ti v e n wurde in Oesterreich erst in den Siebziger-Jahren grossere Beachtung ge- schenkt. Eine bemerkenswerthe Type wurde fiir die eigene Bahn in der Maschinenfabrik der Oesterreichisch- Ungarischen Staatseisenbahn-Gesellschaft im Jahre 1870 ausgefiihrt. Fiir Vicinal- bahnen bestimmt, war sie eine leichte Maschine mit sechs gekuppelten Radern und innenliegenden Dampfcylindern. Die Wasserkasten waren als Sattel iiber dem Langkessel gelagert. An ihr kam zum ersten Male die friiher ervvahnte Haswell- sche Wellblech-Feuerbuchse zur Anwen- dung.*) [Vgl. Tafel XII, Fig. 1, Seite 482.] Fiir den Betrieb‘der Seitenlinien der Kronprinz Rudolf - Bahn wurden von K r a u s s in Miinchen und von der Locomotiv-Fabrik Winterthur [1872 bis 1873] eine grossere Anzahl von drei- .achsigen schweren Tender-Locomotiven mit Wasserkasten-Rahmen bezogen. Die Locomotiven der Winterthurer Lieferung waren die ersten in Oesterreich, welche die spater hier . fast allgemein an- genommene H e u s i n g e r’s c h e U m- steuerung besassen. Der in diesem Zeitraume in grosse- rem Umfange aufgenommene Bau von Locaibahnen und das Bestreben vieler grosser Bahnen, auf ihren Hauptlinien člen Betrieb durch Einfiihrung soge- nannter Secundarziige [an Stelle der *) Die Vorstudien und ersten Versuche zu dieser Construction machte Haswell 1869 an dem Kessel eines kleinen Locomobiles, welches noch heute in der genannten Fabrik in Verwendung ist. 460 Karl Golsdorf. schweren, wenig ausgeniAtzten Personen- zilge] zu verbilligen, fiihrte zur Con- struction 1 'eichter-T ender-Loco- motiven. Fiir den Betrieb von Localbahnen wurden in Wiener-Neustadt in den Jabren 1878 und 1880 zwei Tender-Locomo- tiven entworfen, welche fur die dama- ligen kleinen Staatsbahnlinien bestimmt \varen. [Abb. 305 und 306.] Die zwei- achšige kam auf der Strecke Leobersdorf- St. Polten, die dreiachsige auf der Strecke Miirzzuschlag-Neuberg in Verwendung. Bei spateren Ausfuhrungen mit vergrosser- tem Wasserkasten versehen, ist die letz- tere Type heute in mehr als hundert Exemplaren auf den vielen Localbahnen der k. k. oster- reichischen Staatsbahnen inVerwendung. Fur die Be- forderung der neueingefiihr- ten Secundar- ziige auf der Kaiserin Eli- sabeth-Bahn wurde 1880 in Wiener - Neu- stadt eine zweiachsige Tender-Locomo- tive gebaut, welche im Allgemeinen nur durch grossere Rader, Gylinder und Kessel von der Leobersdorf - St. Pbltner Type verschieden war. Eine weitere V erminderung derW agen- anzahl der Secundarziige wurde bei der Nordwestbahn und Sudbahn dadurch er- zielt, dass die im Jahre 1879 fur diese Bahnen in Floridsdorf gebauten Tender- Locomotiven, Bauart »Elbel-Golsdorf«, mit einem Gepacksraume versehen waren. Die Nordwestbahn-Maschine besass nur eine Treibachse [vgl. Tafel XII, Fig. 2, Seite 482], wahrend die Siidbahn-Aus- fiihrung [vgl. Tafel XII, Fig. 3, Seite 482] zwei gekuppelte Achsen aufvries. Loco- motiven dieser Bauart wurden in Oester- reich fur die Localbahn Hullein-Krem- sier, fur den Secundarbetrieb auf den Ungariscben Staatsbahnen und der Ka- schau - Oderberger Bahn und fiir die Raab-Oedenburger Bahn gebaut. Auch im Auslande fand diese Type Nachah- mung, und zwar auf den preussischen Staatsbahnen [Direction Konigsberg], auf den franzosischen Staatsbahnen und in Schweden. Allgemeiner verwendbar als die' zwei- achsige Tender-Locomotive erwies sich die dreiachsiare: auf den Localbahnen der 1 1 . . i Oesterreichisch-Uno;arischen Staatseisen- bahn-Gesellschaft, der Nordbahn, Nord- westbahn, Sudbahn u. s. w. wurden daher spaterhin nur mehr Sechskuppeler-Ten- der-Locomotiven ahnlicher Bauart wie die Mtirzzuschlag - Neuberger Type in den Dienst gestellt. Eine zweiachsige, ungekuppelte Tender - Loco- motive \vurde noch im Jahre i889inderMa- schinenfabrik der Oesterrei- chisch-Ungari- schen Staats- eisenbahn-Ge- sellschaft fiir den Fliigel »Modling-La- xenburg« der Sudbahn aus- gefiihrt. [Vgl. Tafel XII, Fig. 4, Seite 482 .1 Von grbsseren, fiir den Verschiebe- dienst und fiir schwere Giiterziige auf kurzen Seitenlinien construirten Tender- Locomotiven sei noch der im Jahre 1880 in vorgenannter Fabrik erbaute Acht- kuppler, als er s ter dieser Type in Oesterreich, erwahnt. [Vgl. Tafel XIIJ Fig. 1, Seite 483.] Anfang der Achtziger-Jahre wurden von Frankreich so bedeutende Locomotiv- Bestellungen in Oesterreich gemacht, dass alle Fabriken vollauf beschaftigt waren. Auch der Bedarf im Inlande war wieder so gross geworden, dass die Locomotiv- Fabrik Krauss & Co. in Miinchen im Jahre 1880 eine Filialfabrik mit Aussicht auf dauernde Beschaftigung in Linz er- richten konnte. Diese Fabrik solite hauptsachlich dem Bau kleiner Tender-Locomotiven fiir Bau- unternehmer und Localbahnen dienen. Abb. 305. Ziveiachsige Tender-Locomotive der k. k. osterreichischen Staatsbahnen. [1878.] Locomotivbau. 461 Die Riihrigkeit ihres Directors M. F a s- b e n d e r brachte es aber dahin, dass in derselben auch eine grosse Anzahl der schwersten Vollbahn-Maschinen ausge- fiihrt \vurde. Die erste hier fertiggestellte Locomotive, eine zweiachsige Tender- Locomotive [far eine Bauunternehmung], wurde am 31. December 1881 abgeliefert. Die nachste Bestellung, umfassend 46Stuck zweiachsige Tender-Locomotiven, wurde von den k. k. Staatsbahnen gemacht. Diese Maschinen [Tafel XIII, Fig. 2, Seite 483], nach demselben Programme wie die Seite 460 ervvahnten Secundarzug-Locomotiven der Kaiserin Elisabeth-Bahn erbaut, sind auf den Seitenlinien der k. k. Staats¬ bahnen in Vervvendung. Eine Specialitat dieser Fabrik ist derBau von S chmalspur- Locomoti- v e n nach dem System Klose und Helm- holtz.*) Im Jahre 1884 kam die Bahn liber den A rib er g zur Eroffnung. Die Zufahrt - Ram- pen zum Arl- berg-Tunnel baben sowohl auf der Ost- seite wie auf der Westseite eine Lange von rund 25 km und sind in nahe- zu constanter Steigung von 31 "/ 00 , be- ziehungsweise 26°/ 00 angelegt; die klein- sten Kriimmungs - Flalbmesser betragen 200.m. Die Wahl einer diesen ausser- ordentlich schwierigen Verhaltnissen ent- sprechenden Type solite von dem Ergeb- nis der Erprobung einer Reihe von Loco- motiv-Typen abhangig sein. Auf Grand einer von der damaligen k. k. Direction fiir Staatseisenbahn-Betrieb in Wien veranlassten Concurrenz-Aus- schreibung, welche die Beforderung eines Zuggewichtes von 175 t mit 12 km Geschwindigkeit auf 26 °/ 00 Steigung forderte, lieferten Wiener-Neustadt vier, Floridsdorf zwei und Krauss in Miinchen *) Naheres Bd. III, Fr. Žežula, Die Eisen- bahnen im Occupationsgebiete. fiinf Locomotiven. Die in Wiener-Neu- stadt gebaute Locomotive war ein Acht- kuppler mit Aussenrahmen und HalPschen Kurbeln; die vierte Achse war unter der Feuerbiichse gelagert.*) [Tafel XIII, Fig- 3> Seite 483.] Die Floridsdorfer Maschine besass ebenfalls vier gekup- pelte Achsen, hatte aber keinen beson- deren Tender, sondern [analog der mo- dificirten »Vindobona«] riickwarts ein zweiachsiges Deichselgestelle mit Pendel- aufhangung nach Bauart Kamper. [Tafel XIII, Fig. 4, Seite 483.] Die Lo- comotiv - Fabrik Krauss in Miinchen stellte eine Achtkuppler- Tender- Loco¬ motive bei, an welcher die yon Krauss eingefiihrten Wasserkasten-Rahmen An- wendung fan- den. [Tafel XIV, Fig. 1, Seite 484.] Bei voll- kommen be- friedigender Leistung zeig- te sich aber an denbeidenletz- teren Locomo¬ tiven derselbe Nachtheil, der auf langen Bergstrecken allen Tender-Locomotiven anhaftet. Der Inhalt der Wasserkasten war nicht hin- reichend bei der Floridsdorfer Ausfiih- rung, wahrend bei der Krauss’schen Locomotive das Adhasionsgeivicht nach Aufbrauch der Vorrathe zu sehr ver- ringert vvurde, um die Ausiibung der vollen Zugkraft mit Sicherheit zu er- moglichen. Die Wiener-Neustadter Locomotive, alsSchlepptender-Maschine, frei von diesen Uebelstanden, wies infolge des Aussen- rahmens bei den grossen Dimensionen der Dampfcylinder grossere Breitenmasse und grosseren Tiefgang der Treib- und Kuppelstangen auf, als nach der damals zu Recht bestehenden Fassung der technischen Vereinbarungen fiir die *) Diese Type wurde spater fiir die BOh- mische Westbahn in etwas kleineren Dimen¬ sionen ausgefiihrt. Abb. 306. Dreiachsige Tender-Locomotive der k. k. osterreichischen Staatsbahnen. [1880.] 462 Karl Golsdorf. Freiziigigkeit der Locomotiven zulassig war.*) Diese drei Typen blieben auf dem Arl- berge in Verwendung; weitere Nachbe- stellungen wurden aber nicht gemacht. Als Locomotive fur die Beforderung der Lastziige wurde ein Jahr spater in Floridsdorf ein Achtkuppler mit Innen- rahmen und Innensteuerung entworfen, welcher im Allgemeinen eine verstarkte Ausfiihrung des im Jahre 1882 gelie- ferten Franz Josef - Bahn - Achtkupplers darstellte. [Tafel XIV, Fig. 2, Seite 484.] Von dieser Type wurden bis heute fur die vielen Bergstrecken der k. k. oster- reichischei} Staatsbahnen mehr als drei- hundert Exemplare gebaut. Als Personen- und Schnellzug-Locomotive diente ein Sechskuppler, der sich ebenfalls nur durch grossere Abmessungen von den alteren Westbahn-Locomotiven mit HalFschen Kurbeln und Aussenrahmen unterschied. Als Ende der Si ebziger -Jahre die wirthschaftliche Krise uberwunden war, fand auch der Bau der Schnellzug- Locomotive n wieder Beachtung. Filr die Kronprinz Rudolf-Bahn, Kaiser Franz Josef-Bahn und fur die Kaiser Ferdinands- Nordbahn wurden in Wiener-Neustadt in den Jahren 1877, 1879, beziehungsvveise 1881 Schnellzug - Locomotiven gebaut, welche in der Anordnung der Rader und des Triebwerkes mit der Rittinger Type iibereinstimmten. [Tafel XIV, Fig. 3 und 4 sowie Tafel XV, Fig. 1, Seite 484 und 485.] An Stelle des Drehgestelles mit Mittel- zapfen gelangte aber das Kamper’sche Deichselgestelle zur An\vendung. Die Siidbahn behielt bei ihren im Jahre 1882 gelieferten Schnellzug-Loco- motiven [Floridsdorf], welche gegen die Ausfiihrung vom Jahre 1873 grossere *) An Stelle der bisher iiblichen Umsteue- rungs-Mechanismen mit Hebel oder Schraube, war diese Maschine mit einer vom Ober-In- genieur Ruchholz in Wiener - Neustadt entvvorfenen combinirten Hebel-Schrauben- Umsteuerung versehen. Diese Construction, welche alle bis dahin entworfenen Ein- richtungen dieser Art an Einfachheit iiber- traf, war besonders bei den k. k. oster- reichischen Staatsbahnen in Verwendung, bis sich die Ueberzeugung einstellte, dass die einfache Schrauben-Umsteuerung auch beim Verschiebe-Dienst ohne Nachtheil am Platze sei. Kessel und grosseres Adhasionsgevvicht aufwiesen, das amerikanische Drehgestelle bei; diese Locomotiven waren die e r s t e n in Oesterreich, \velche bei den technisch- polizeilichen Probefahrten, trotz deskleinen Treibrad - Durchmessers von x - 720 m , Geschwindigkeiten von 115 km pro Stunde erreichten. [Tafel XV, Fig. 2, Seite 485.] Die Einstellung vieler directer Wagen in die Schnellziige brachte deren Gewicht aber bald so in die Hohe, dass diese Type bei spateren Lieferungen mit hoherem Dampfdrucke und vergrosserter Rost- und Heizflache ausgefiihrt wurde. [Tafel XV, Fig. 3, Seite 485.] Auch bei den k. k. osterreichischen Staatsbahnen musste wegen allgemeiner Einfiihrung der schweren Schnellzug- Wagen mit Seitengang an die Aufstellung einer starkeren Schnellzug-Locomotive geschritten werden. In den Einzelheiten mit den vorerwabnten Locomotiven der Kaiser Franz Josef-Bahn nahezu ganz gleich, ge¬ langte an ihr das Drehgestelle mit Mittel- zapfen wieder zur Anwendung. [Tafel XV, Fig. 4, Seite 485.] Die erste derselben wurde im Jahre 1885 in Wiener-Neustadt gebaut; heute sind mehr als zweihundert Locomotiven dieser Type in Verwendung. Die Nordwestbahn behielt bei ihren in diesem Zeitraume gelieferten Schnell- zug-Locomotiven das Drehgestelle mit centraler Kugelauflage bei, ging aber in der Anordnung der Cylinder wieder auf die Rittinger Type liber. Die ersten Lieferungen mit Treibrad-D urchmesser von i'900 m hatten die Kuppelachse hinter dem Feuerkasten gelagert; bei den spateren Lieferungen, mit Treibradern von i - 76o m , war diese Achse unter dem Feuerkasten angeordnet. [Tafel XVI, Fig. 1, Seite 486.] Fast alle der kleineren osterreichischen Bahnen: Bohmische Nord- bahn, Kaschau - Oderberger Bahn und Buschtčhrader Bahn, Bohmische West- bahn und Aussig-Teplitzer Bahn bauten in den Achtziger-Jahren Schnellzug-Lo- comotiven nacli dem Vorbilde der Sud- bahn-Type, beziehungsweise Type der k. k. osterreichischen Staatsbahnen. Die Oesterreichisch-Ungarische Staats- eisenbahn - Gesellschaft beforderte bis zum Jahre 1882 ihre Schnell- und Per- Locomotivbau. 463 sonenziige fast ausschliesslich mit den auf Seite 440 erwahnten Engerth-Lo- comotiven. Als deren Ersatz durch eine starkere Type nothwendig war, nahm diese Gesellschaft nicht das Drehge- stelle an, sondern liess in ihrer Ma- schinenfabrik eine vierachsige Schnellzug- Locomotive nach Zeichnungen der fran- zosischen Orleans-Babn ausfiihren. Der Kessel \vich von der franzosischen Ori¬ ginal-Ausfilhrung nur insoferne ab, als er, entsprechend dem minderwerthigen Brennstoffe, mit grosserer Rostflache ver- sehen wurde.*) Die Vorderachse war seit- lich verschiebbar; ibre Riickstellung er- folgte durch Keilflachen auf dem Lager. der reconstruirten »Vindobona« mit zwei Dampfdomen, \velche durch ein Rohr verbunden waren, ausgefiihrt. An Stelle der Deckenankerschrauben an der Feuer- biichse gelangte die Gonstruction von Polonceau zur Anwendung, welche jede Verankerung dadurch uberfliissig macht, dass die innere Feuerbuchsen-Decke aus einzelnen zusammengenieteten Theilen von »U«-formigem Querschnitt besteht. [Vgl. Tafel XVI, Fig. 2, Seite 486.] Die vollkommenste Ausbildung erfuhr die Aussenrabmen-Schnellzug-Locomotive mit vier gekuppelten Radern und Auf- steckkurbeln durch die Nordbahn im Jahre 1894. Abb. 307. Schnellzug-Locomotive der Nordbahn. [1894.] Die spateren Lieferungen wurden mit grosseren Treibradern [2'120 m Durchmesser] und nach dem Vorbilde *) Noch vor Ablieferung dieser Locomo- tiven legte Hasvvell seine Stelle nieder. Stili und von der Aussenwelt abgeschlossen, ver- brachte er den Abend seines Lebens. Ein Greis von 85 Jahren, schloss er im Jahre 1897 die miiden Augen. Als er zu Grabe getragen wurde, da war ein neues Geschlecht erstanden, welches, weiter schaffend auf den von ihm vorgezeichneten Wegen, von dem Altmeister Haswell wenig mehr wusste, als den Namen. Die Schollen fielen auf seinen Sarg; doch kein Nachruf erklang dem Manne, der so viel geleistet und geschaffen hatte. Mbge das vorliegende Werk einen Theil des Dankes darstellen, den Oesterreich diesem Manne schuldet. Bei den bisher ublichen vier Achsen ware der Einbau eines grosseren Kessels nur durch Ueberschreitung des auf den Linien der Nordbahn zugelassenen Achs- druckes von 14 t moglich gewesen. Um diese Grenze einzuhalten, wurde riick- warts ein ftinfte, frei einstellbare Achse angeordnet, und damit eine Type ge¬ schaffen, welche bald darauf in Amerika unter dem Namen »Atlantic-Typ« viel- fach Nachahmung fand. Diese Maschinen, \velche im Zugverkehre Leistungen von 700—8ooPferdekraften ergeben, erreichten bei den Probefahrten Geschvvindigkeiten bis zu 125 km pro Stunde. [Abb. 307.] In den Siebziger- und Achtziger- Jahren wurden keine principi ell neuen 464 Karl Gčlsdorf. Gtiterzug-Locomotiven in Oesterreich gebaut. Der Sechskuppler mit iiberhangen- dem Feuerkasten fand nur in Bezug auf Detail-Gonstruction \veitere Ausbildung. An Stelle des Aussenrahmens und der HalFschen oder Aufsteckkurbeln ging man aber allgemein zum Innenrahmen liber. [Vgl. Tafel XVI, Fig. 3 und 4, Seite 486, Sechskuppler der k. k. osterreichischen Staatsbahn und der Siidbahn.] Nur die Staatseisenbahn-Gesellschaft baute Sechskuppler und Achtkuppler, bei denen der rtickwartige Ueberhang durch Anordnung der Kuppelachse unter der Feuerbiichse vermindert war. An allen diesen Maschinen [vgl. Tafel XVII, Fig. i, Seite 487] sind die Endachsen seitlich verschiebbar und mit der franzosischen Keilflachen-Riickstellung versehen. Bei einer Dampfspannung von Atmospharen im Kessel, war der Druck, welchen der Dampf auf einen Kolben der alten Locomotive »Wien« ausiibte, 3200 kg. Mit demselben konnte bei einer Geschwindigkeit von 12—15 km pro Stunde eine Zugkraft von rund 1000 kg und eine Leistung von 50 Pferdekraften entwickelt werden. Die Maschine hatte, ohne Tender, ein Ge- wicht von 16.800 so dass zur Leistung einer Pferdekraft rund 330 kg Maschi- nengervicht erforderlich waren. Die seit dem Jahre 1885 auf dem Arlberge verwendeten Achtkuppler er- geben bei einer Dampfspannung von 11 At¬ mospharen einen Druck von 21.600 kg auf j eden Kolben, welcher eine Zugkraft von 10.600 kg und eine Leistung von 550 Pferdekraften ermoglicht. Bei einem Eigen- gewichte von 55.000 kg entfallen 100 kg Locomotiv-Gewicht auf eine Pferdekraft. Elf Mal grosser ist die Leistung dieser neuen Locomotiven, und sie ist, auf die Krafteinheit bezogen, mit einem Drittel des Materialaufwandes erreicht worden. In den Vierziger-Jahren erreichten auf der Wien-Gloggnitzer Bahn die Kosten fiir den Brennstoff — auf heutige Ein- heiten umgerechnet — rund 35 Kreuzer pro Kilometer, wahrend dieselben j.etzt im grossen Durchschnitte nur 7 Kreuzer be- tragen, also blos den funften Theil der vor 50 Jahren vorhandenen Auslagen bilden. Blasrohr und Rauchfang, die wicbtig- sten Bestandtheile fiir die Dampferzeu- gung, waren Gegenstand der miihevoll- sten Erprobungen und Studien, bis das jetzige Verdampfungs - Vermogen der Kessel erreicht war. Nur auf Grand wissenschaftlicher Untersuchungen und Experimente konnte die Dampfvertheilung in den Cylindern so bewerkstelligt wer- den, dass die unter den ungiinstigsten Ver- haltnissen arbeitende Locomotive in Bezug auf Wirkungsgrad mit den besten, mit allen vollkommenen Pracisions - Mechanismen u. s. w. versehenen Stabilmaschinen keinen Vergleich zu scbeuen braucht. Mehr als zehn Millionen Gulden be- tragt der Werth der alljahrlich von den Locomotiven Oesterreichs verbrannten Kohlen; eine Summe, welche 7°/ 0 — io°/ 0 der Gesammtauslagen der Bahnen darstellt. Jede Neuerung, welche auf Verminderung des Brennstoff-Verbrauches hinzielt, musste daher die grosste Beachtung der Bahnen finden. Die Locomotiv-Steuerungen konnen, entsprechend der jeweilig erforderlichen Leistung, so eingestellt werden, dass die Schieber nur wahrend eines grosseren oder kleineren Theiles des Kolbenweges Dampf in die Cylinder eintreten lassen; den Rest seines Weges legt dann der Kolben unter der Wirkung der Expansiv- kraft des Dampfes zurtick, wobei der Druck desselben stetig abnimmt. Die Ausniitzung des Dampfes ist umso voll- kommener, je geringer der Druck ist, mit dem er schliesslich aus dem Cylinder durch das Blasrohr entweicht. Einer vollkommenen Ausniitzung des Dampfes stehen aber nicht nur gewisse theoretische Mangel der Coulissensteue- rungen entgegen, sondern in noch hohe- rem Grade die bei weit getriebener Ex- pansion in den Dampfcylindern auftre- tenden Temperatur-Unterschiede. Dieses thermo-dynamische Hindernis lasst sich aber grosstentheils beseitigen, wenn man die Expansion des Dampfes nicht in einem Cylinder vor sich gehen lasst, sondern auf zwei Cylinder vertheilt: Die Expansion des Dampfes wird in dem ersten Cylinder, dem Hochdruckcylinder, eingeleitet, und in dem zweiten, grosse¬ ren, dem Niederdruckcylinder, beendet. Locomotivbau. 465 Dieses Princip der doppelten D a m p f d e h n u n g ist fast so alt, wie die Locomotive selbst.*) Bei Schiffsmaschinen schon seit den Vierziger-Jahren bekannt [Woolf’sche Maschinen], kam es an Lo- comotiven in den Siebziger-Jahren durch den franzosischen Ingenieur A. Mallet zum ersten Male in brauchbarer Form zur Anwendung. Die mit einer derartigen Cylinder- anordnung ausgefiibrten Locomotiven — Compound- oder V erbun d - Loco¬ motiven genannt — benothigen aber be- sonderer Einrichtungen, um sicher »an- fahren« zu konnen. Es muss ein Bestand- theil vorhanden sein, welcher Dampf in den Niederdruckcylinder einfiihrt, wenn die Maschine aus solchen Kurbelstellungen anfahren soli, in denen der Schieber im Hochdruckcylinder die EinstrOmcanale absperrt; es muss ferner verhindert wer- den, dass dieser in den Niederdruck- cylinder eingefiihrte Dampf einen schad- lichen Gegendruck auf den Hochdruck- kolben ausiibe. Die Mallefsche Einrich- tung iiberwindet diese Schwierigkeiten dadurch, dass eine besondere Umschalt- vorrichtung die Maschine »vvahrend des Anfahrens« in eine gewohnliche Maschine verwandelt. Der Maschinen-Director W. R ay 1 der Kaiser Ferdinands -Nordbahn war der erste Techniker in Oesterreich, \velcher, die Vorziige der doppelten Dampfdehnung bei Locomotiven beachtend, Ende der Siebziger-Jahre eine der alten Personen- zug - Locomotiven, die »Nagy-Maros«, mit der Mallefschen Einricbtung versah. Auch die Oesterreichisch - Ungarische Staatseisenbahn-Gesellschaft machte bald darauf einige Versuche in dieser Rich- tung, indern eine dreicylindrige Com- pound-Locomotive nach der Bauart Webb aus England bezogen und der Umbau von einigen der alteren Sechskupplern und Achtkupplern nach Mallet ange- ordnet wurde. Um iiber die Brennstoff-Ersparnis genaue Ziffern zu erhalten, Hess die Nordbahn im Jahre 1889 in Wiener- Neustadt eine grossere Anzahl von *) Vgl. Bd. I, 1. Theil, P. F. Kupka, AUgememe Vorgeschichte. Sechskupplern bauen, von denen einige, bei sonstiger Gleichheit aller Bestand- theile, als gewohnliche Maschinen, einige als Compound-Maschinen mit der ein- facheren Anfahrvorrichtung von Lindner und [bei spateren Lieferungen] von Bor- ries ausgefiihrt waren. Der Erfolg war ein unbestreitbarer; die Compounds er- wiesen sich den einfachen Locomotiven nicht nur in Bezug auf Oeconomie, son- dern auch in Bezug auf Leistung iiber- legen. [Tafel XVII, Fig. 2, Seite 487.] Im Jahre 1892 construirte der Ver- fasser dieser Abhandlung eine Anfahr- einrichtung, welche jeden besonderen Anfahrmechanismus iiberfliissig rnacht. Durch Anivendunsr grosser Fiilluneen wird die schadliche Wirkung des Ge- gendruckes aufgehoben, und durch Anbringung von Bohrungen im Schieber- gesichte des Niederdruckcylinders wird vom Regulator Dampf in denselben ein- gefiihrt, wobei die Bethatigung dieser Oeffnungen durch den Niederdruckschie- ber erfolgt. Diese Einrichtung, welche als Plus gegeniiber den gewohnlichen Locomotiven nur eine kurze, enge Rohr- leitung bedingt, stellt an die Geschick- lichkeit des Fahrpersonales keine An- forderung; die Fiihrung der Maschine hat genau so zu erfolgen, wie die einer gewohnlichen Locomotive. Unter der Direction des Ministerial- rathes H. K a r g 1 wurde die erste Com- pound-Locomotive der k. k. Oesterreichi- schen Staatsbahnen, wie auch die spa¬ teren Locomotiven dieses Systems, im Constructionsbureau der k. k. Staats¬ bahnen vom Verfasser entvvorfen. Die erste, ein gewohnlicher Sechs- kuppler, wurde im Jahre 1893 in Wiener- Neustadt gebaut [Tafel XVII, Fig. 3, Seite 487]; wie bei der Nordbahn, konnte auch hier bei nennensiverther Vermin- derung des Brennstoffverbrauches eine e r h o h t e Leistung im Vergleich zu den sonst gleichen einfachen Maschinen nachgewiesen werden. Im darauffolgenden Jahre schon wurden von den k. k. Staatsbahnen Verbund - Schnellzug - Locomotiven be- stellt, von denen die erste aus der Locomotiv - Fabrik Floridsdorf hervor- ging. An Stelle der Aussenrahmen mit Geschichte der Eisenbahnen. II. 30 . 466 Karl Golsdorf. Kurbeln gelangte der Innenrahmen zur Anwendung; der Kessel wurde so hoch gelegt, dass die Feuerbuchse liber die Rah- men-Oberkante zu liegen kam. [Abb. 308 und Tafel XVII, Fig. 4, Seite 487.] Unter Einhaltung des auf den Hauptlinien der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen zu- lassigen Achsdruckes von 14^ t, erhielt diese unter der Bezeichnung Serie 6 bekannt gevvordene Maschine einen Kessel von 2’9 m 2 Rostflacbe und 155 m 2 Heiz- flache. Die beiden auf demselben ange- brachten Dome sind durch ein wei- tes Rohr verbunden. Bei den amtlichen Erprobungen wurden wiederholt Ge- schwindigkeiten von 125 bis 130 km pro Stunde erreicht. Im Zugsverkehre entivickeln diese Locomotiven Leistungen bis zu 800 Pferdekraften; bei einem Eigengewichte von 56.000 kg sind also nur 70 kg Locomotiv-Gewicht fiir die Leistung e in er Pferdekraft 'erforderlich. Die ungiinstigen Neigungs- und Rich- tungsverhaltnisse der osterreichischen Hauptbahnen [insbesondere der k. k. Staatsbahnen] waren ein Hindernis fiir grossere Geschwindigkeiten; erst mit den genannten Maschinen war es mog- licb, auch bei uns Schnellziige mit einer maximalen Gesch\vindigkeit von 90 km und einer commerziellen Geschwindigkeit von 65 km pro Stunde einzufiihren. Die im Jahre 1893 fiir die Kaiser Ferdinands-Nordbahn in Wiener-Neu- stadt gebauten Verbund-Guterzug-Loco- motiven, an denen auch die Anfahr- einrichtung der Locomotiven der k. k. Staatsbahnen angewendet wurde, sind dadurch bemerkenswerth, dass an ibnen bei drei gekuppelten Achsen noch ein vorderes Deichselgestelle angebracht ist.*) [Vgl. Tafel XVIII, Fig. 1, Seite 488.] Verbund -Giiterzug- Locom oti ven mit derselben Anordnung der Achsen, jedoch •) Diese Achsanordnung kam in Oester- reich zu ersten Anwendung bei den von der Locomotiv-Fabrik Krauss in Miinchen im Jabre 1884 fiir die k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen gebauten Personenzug-Loco- motiven. Im lnlande wurde dieselbe zum ersten Male an Personenzug-Locomotiven ausgefiihrt, welche die Maschinenfabrik der Oesterreichisch-UngarischenStaatseisenbahn- Gesellschaft im Jahre 1889 fiir die bulgari- schen Staatsbahnen lieferte. radia! einstellbarer Laufachse anstatt des Deichselgestelles und hoch gelegtem Kessel gingen im Jahre 1895 aus der¬ selben Fabrik fiir die k. k. Oesterreichi¬ schen Staatsbahnen hervor. [Vgl. Tafel XVIII, Fig. 2, Seite 488.] Auch die von den k. k. Staatsbahnen fiir die Wiener Stadtbahn angeschafften fiinfachsigen Tender-Locomotiven [Vgl. Tafel XVIII, Fig. 3, Seite 488], von denen die erste in der Floridsdorfer Lo¬ comotiv-Fabrik im Jahre 1895 erbaut wurde, sind als Verbund-Locomotiven aus- gefiihrt. Die an beiden Enden angebrach- ten Laufachsen sind radial einstellbar. Diese Maschinen vviegen, voli ausgeriistet, 69 t , von denen 43 t als Adhasionsgevvicht nutzbar sind. Damit diese Locomotiven auch auf den Hauptlinien Verwendung finden konnen, erhielten die Wasserkasten einen Inhalt von 8 - 3 « 8 . Die Stadtbahn-Locomotiven sind im Allgemeinen nicht dazu bestimmt, grosse Dauerleistungen zu ergeben; ihre grosste Leistung haben sie beim Anfahren zu entwickeln, weil vvegen der oft nur 800 bis 1000 m betragenden Stati ons-Ent- fernung, die Geschwindigkeit von 30 bis 35 km auch auf Steigungen schon nach Durchfahren von 300 bis 400 m erreicht sein muss. Aus diesem Grunde musste eine schwere Type angeschafft werden, welche bis zu 700 Pferdekraften bean- sprucht werden kann. Zur Verhiitung des Rauchens vvurden an der ersten Maschine dieser Serie einige Rauchverzehr-Apparate zur Erpro- bung angebracht, unter Anderem auch die [bei gleichmassiger Leistung der Maschine], eine vollkommene Rauch- verzehrung ergebende Petroleum-Feue- rung System Holden, welche von den k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen schon seit einigen Jahren auf dem Arlberge im grossen Tunnel bei allen Ziigen An- wendung findet.*) *) Das Problem der Rauchverzehrung fand in Oesterreich seit jeher die grOsste Beachtung. In den Fiinfziger-Jahren wurde vom Ingenieur W e i s s em Rauchverzehr- Apparat construirt, welcher aus einer hohlen, vor der Rohrwand der Feuerbuchse auf- gestellten Mauer aus feuerfesten Ziegeln bestand, durch vvelche Luft iiber die Brenn- stoffschichte geleitet werden konnte. Mitte Locomotivbau. 467 Viele der neueren, von den k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen betriebe- nen Localbahnen sind mit Steigungen von mehr als 25°/ 0 o a-usgefiihrt. Fiir diese Linien, und auch fiir jene, auf welchen der Verkehr eine grosse Steigerung er- fahren hatte, war die Aufstellung einer starkeren Type, als der bisher vervven- deten dreiachsigen, erforderlich. Die erste Ausfiihrung derselben erfolgte in der Locomotiv-Fabrik Krauss & Comp. in Linz. Diese Verbund-Tender-Loco- m o ti v en haben drei gekuppelte Achsen und eine vordere Radial-Achse. XVIII, Fig. 4, Seite 488.] Einige dieser Locomotiven verkehren auf der mit 50°/ 00 Steigung angelegten Localbahn von Schlackenwerth nach Joachimsthal. So lange die Schnellztige auf den Semmering, Brenner und Arlberg nicht schwerer waren als 110 bis 120 t, reichten zu deren Beforderung die alten Sechs- kuppler mit kurzem Radstande und iiber- hangenden Feuerkasten [Tafel XVI, Fig. 3 und 4, Seite 486] vollstandig aus. In den letzten Jahren sind aber diese Ziige so schwer geworden, dass die Beigabe einer Vorspannmascbine Abb. 308. Verbund-SchneJlzug-Locomotive Serie 6 der k k Staatsbahnen. [1894.] Die Steuerung weicht von der an allen vorerwahnten Locomotiven an- gewendeten Heusinger’schen Steuerung insoferne ab, als die Coulisse durch Winkel- hebel und Gegenlenker ersetzt ist. [Tafel der Sechziger-Jahre fand insbesondere auf der Siidbahn der Rauchverzehrer des fran- ziisischen Ingenieurs Thierry vielfach An- wendung. Er beruhte auf der Einfuhrung von Dampf in feinen Strahlen durch ein im Feuerungsraume an der Box-Hinterwand ge- lagertes Rohr, und Einfuhrung von Luft durch die halbgečffnete Heizthiire. Fast alle der in den letzten zehn bis fiinfzehn Jahren in Oesterreich entstandenen Rauchverzebr- Apparate sind dem Wesen nach nur Modi- ficationen der Erfindungen von Weiss und Thierrv. Ohne Anwendung dieser complicirten Einrichtungen wird schon eine wesentliche Verminderung der Rauchentwicklung [und bessere Ausniitzung des Brennstoffes] durch die von England ber bekannt gewordenen einfachen Chamotte-Gewolbe an der Rohr- wand erzielt, welche liier zuerst bei den bijh- mischen Bahnen, in den Siebziger-Jahren, An- wendung fanden. Diese Erfahrung beniitzend, nicht mehr Ausnahme, sondern Regel wurde. Die Sudbahn ging daher im Jahre 1896 auf eine in Oesterreich neue Type, den Sechskuppler mit vorderem zweiachsi- construirte der Regierungsrath im k. k. Eisen- bahn-Ministerium K. Marek im Jahre 1896 einen Apparat, welcher ausser einem langen GewOlbe in der Feuerbuchse noch eine eigen- artig durchgeftihrte Klappe an der Heizthiire zur Einfuhrung von Oberluft aufweist. Diese Einrichtung, welche selbstbeigrOssterLeistung derMaschine denRauch vollkommen verzehrt, ist so einfach, dass die Handhabung keine besondere Geschicklichkeit seitensdesHeizers erfordert. Sie ist bei vielen Locomotiven der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen ange- bracht und findet auch schon bei vielen Privat- bahnen Eingang. Theorie und Praxis ergaben, dass mit der Verzehrung des Rauches keine Brennstoff- Ersparnis erzielt werden kann; im gunstigsten Fali wird, weil jeder Rauchverzehr-Apparat eine achtsamere Behandlung des Feuers er¬ fordert, der Brennstoff-Auf\vand bei rauch- freier und rauchender Feuerungs-Anlage gleich sein. 30* 468 Karl Golsdorf. gem Drehgestelle iiber. '[Vgl. Tafel XIX, Fig. i, Seite 489.] Die ersten dieser Maschinen \vurden in der Maschinen- fabrik der Oesterreichisch - Ungarischen Staatseišenbahn-Gesellschaft gebaut;*) in der Disposition des Kessels, der Steuerung und vieler anderer Einzelheiten hat diese Locomotive grosse Aehnlichkeit mit den Verbund - Schnellzug - Locomotiven der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. EinegleicheT3'pe, jedoch mitgrosseren Radern, bestellte in der genannten Fabrik in demselben Jahre die Oesterreichische Nordwestbahn. Eine Locomotive dieser Lieferung wurde nach dem Verbund- System der k. k. Staatsbahnen ausgefiihrt. [Vgl. Tafel XIX, Fig. 2, Seite 489.] Das Drehgestell erhielt centrale Kugelauflage, mit seitlicher Verschiebbarkeit. [Auch bei dem Siidbahn-Sechskuppler wurde bei spa- teren Lieferungen. dem Drehgestelle eine seitliche Verschiebbarkeit gegeben.] Auf dem Arlberge war diese Type, welche auf giinstigen Strecken mit 70 km Geschvvindigkeit fahren kann, nicht am Platze, weil die Adhasion von drei Achsen nicht ausreichend ist fiir die Beforderung von Schnellziigen, deren Belastung in den Sommermonaten dort 200 bis 220 t er- reicht. Fiir diese Linie wurde bei den k. k. Staatsbahnen ein Verbund-Acht- kuppler mit vorderer, radial einstellbarer Laufachse ent\vorfen, welcher im Jahre 1897 in Wiener-Neustadt zur Ausfuhrung kam. Dieser Achtkuppler, mit Serie 170 bezeichnet, reprasentirt \vohl die starkste, bisher auf dem Continente ausgefiihrte Locomotive. Im regelmassigen Zug- verkehre werden mit ihr Schnellziige von 200 bis 220 t auf 26°/ 00 Steigung mit 25 bis 28 km Geschwindigkeit befordert. Diese, rund 950 Pferdekraften ent- sprechende Leistung ist doppelt so gross als die der alten Siidbahn-Achtkuppler aus dem Jahre 1870. Die Rostflache betragt 3'37 m 2 , die gesammte Heiz- flache 250 m 2 ; wahrend der, eine Stunde dauernden Fahrt von Landeck bis Langen werden 10 m 3 Wasser in Dampf ver- wandelt. [Vgl. Tafel XIX, Fig. 3, Seite 489.] *) Diese Fabrik hatte schon ein Jahr vorher fiir die orientalischen Bahnen [Ttirkei] eine ahnliche jedoch schwiiehere Type geliefert. Um den Curvendurchlauf moglichst zwanglos zu gestalten, wurde aušser der Radialachse noch eine seitliche Verschieb¬ barkeit der zweiten Kuppelachse ange- ordnet; die Fiihrung der Maschine in den Kriimmungen erfolgt daher an drei Spur- kranzen.*) An fast allen seit dem Jahre 1893 ge- bauten grossen Locomotiven fand wegen des hohen Dampfdruckes von 12 bis 13 Atmospharen und derhiemit inZusammen- hang stehenden hoheren Beanspruchung der einzelnen Theile, an Stelle von Schmiedeeisen und Gusseisen der »Stahl- guss« ausgedehnte Vervvendung.’ Rad- sterne, Kreuzkopfe, Kolben u. s. \v. werden fast nur mehr aus diesem Materiale her- gestellt, welches noch im Jahre 1893 aus dem Auslande bezogen \verden musste, heute aber von den Osterreichischen Huttemverken [Witkowitz und andere] in tadelloser Qualitat geliefert \vird. Die eingehenden Versuche, welche in der Maschinenfabrik der Oesterreichisch- Ungarischen Staatseisenbahn-Gesellschaft [seit dem Jahre 1888 unter der Leitung von A. Martinek stehend] mit dem Stahl- guss in Bezug auf Widerstandsfahigkeit und vortheilhafteste Formgebung ange- stellt wurden, ermoglichten eine weit- gehende Verminderung des Gewichtes aller aus diesem Materiale angefertigten Gegenstande. Bei der im Jahre 1897 in der ge¬ nannten Fabrik fiir die eigene Bahn ge- bauten Verbund-Schnellzug-Locomotive [vgl. Tafel XIX, Fig. 4, Seite 489] konnte . mit Beachtung der ervvahnten Versuche ein Achsdruck von 14 if eingehalten werden. Eine besondere Umschaltvor- richtung gestattet, den zwischen den Rahmen angebrachten Hochdruck-Cylin- der auszuschalten und den beiden aussen- liegenden Dampfcylindern Volldampf zu- zufiihren, so dass diese Maschine auch als einfache Zvvillingsmaschine ver- \vendet werden kann. Diese Dispo¬ sition \var schon im Jahre 1889 an einer Locomotive der franzbsischen Nord- *) Diese Anordnung \vurde getroffen auf Grund der vom Chef-Constructeur der Loco- motiv-Fabrik Krauss & Co. in Mtinchen, R. Helmholtz, aufgestellten Theorie iiber Curvendurchlauf. Locomotivbau. 469 bahn, construirt von Ed. S a u v'a g e, angewendet. Im Jahre 1898 wurden auch bei den k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen bei der \veiteren Nachschaffung der vor- erwahnten Schnellzug-Locomotiven, Serie 6, die Erfahrungen mit dem Stahlgusse dazu beniitzt, die Rostflache und den Durchmesser des Niederdruck-Cylinders bedeutend zu vergrossern, unter Ein- haltung des limitirten grossten Achs- druckes. Ferner wurde eine wesentliche Vereinfachung der Rahmenconstruction durchgefiihrt, so dass sich diese Type nunmehr \vie Fig. 1, auf Tafel XX, Seite 490, reprasentirt. In dieser Form wurde dieselbe auch fiir die osterreichische Siidbahn geliefert. An den Achtkupplern, Serie 170, der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen wurde bei der Lieferung vom Jahre 1898 in den Stahlguss-Bestandtheilen ebenfalls eineGe- wichtsverminderung vorgenommen, welche die Anbrineung der schweren automa- tischen Vacuumbremse ermoglichte. Auch diese Type fand bei der Siidbahn fiir die Beforderung der Schnellzuge auf dem Semmering Eingang. Durch die Schnellzug-Locomotiven, Serie 6, ist auf Linien, welche ortliche Steigungen von nicht mehr als lo°/ 00 aufweisen, die Beigabe von Vorspann- maschinen entbehrlich geworden, nach- dem diese Maschinen Ziige von 240 t tiber diese Steigungen fiihren konnen, und mit derselben Belastung in den giinstigeren Theilen der Strecke eine Geschivindigkeit von 80 bis 85 km pro Stunde erreichen. Auf der ehemaligen Kronprinz Rudolf-Bahn, und Gisela-Bahn wechseln aber Steigungen von 14 bis 20°/ 00 [fiir welche die Adhasion von zwei gekuppelten Achsen nicht mehr ausreicht], mit horizontalen Linien ab, so dass sich fiir diese Strecken das Bediirfnis nach einer noch kraftigeren Locomotive, als diegenannteSchnellzug-Locomotive es ist, herausstellte. Es wurde bei den k. k. Staats¬ bahnen ein Sechskuppler mit Truck- g e s t e 11 e [vorderem zvveiachsigem Dreh- gestelle] entworfen, welcher, um auch fiir Geschivindigkeiten von 80 bis 90 km geeignet zu sein, TreibrMder von r820 m Durchmesser erhielt. Im Gegensatze zu den fiir die Siidbahn und Nordvvestbahn ausgefiihrten Locomotiven mit derselben Achsanordnung, erhielt diese Maschine innerhalb der Rahmen liegende Darnpf- cylinder. [Vgl. Tafel XX, Fig. 2, Seite 490.] Der Ivessel liegt bei dieser Lo¬ comotive so hoch wie bei den Acht¬ kupplern, Serie 170. An Stelle der zwei durch ein Rohr verbundenen Dome ge- langte ein grosser Dampfsammler aut dem cylindrischen Ressel zur Anwen- dung. Das Di-ebgestelle erhielt centrale Rugelauflage mit seitlicher Verschieb- barkeit; die Riickstellung in die Ge- rade erfolgt durch eine Spiralfeder in ahnlicher Anordnung wie bei den Lauf- radern derWienerStadtbahn-Locomotiven. Bei den mit dieser Locomotive durch- geftihrten Probefahrten wurden Leistun- gen von 1200 bis 1300 Pferdekraften erreicht. % sH * Als der beriihmte englische Ingenieur Isambert Brunnel die Great-Western- Bahn erbaute, wandte er eine Spurweite von sieben Fuss an, um der weiteren Ent- wicklung der Locomotive Raum zu <>'eben. Ein heftiger Wettstreit entbrannte zwischen den Anhangern der breiten Špur und den Anhangern der normalen Špur; dieser, unter dem Namen »The Battle of the gages« bekannt gewordene Rampf der Geister, forderte mehr als irgend ein anderes Ereignis die rasche Vervollkomm- nung der Locomotive. Im Jahre 1846 bauten Bury, Curtis und Rennedy fiir die London - North - Western - Bahn eine Schnellzug-Locomotive, die »Liverpool«, welche, die Leistungen aller Breitspur- Locomotiven iiberbietend, als das »Ulti- matum« der normalen Spur\veite ange- sehen ivurde. Doch nur wenige Jahre vergingen, und auch das »Ultimatum« war iiberfliigelt. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wird die Behauptung wiederholt, dass die Loco¬ motive an der Grenze der Leistungs- fahigkeit angelangt sei; immer dann aber wird diese Behauptung aufgestellt, wenn die unbemerkt fortschreitende Verbesse- rung der Einzeltheile, die sprungweise ein- tretende Schaffung neuer leistungsfahiger Typen vorbereitend, scheinbar einen Stili- 470 Karl GSlsdorf. stand in der Entwicklung des Locomotiv- baues vermuthen lasst. Weit hinaus liber den Grenzen der jeweiligen Erkenntnis und des jeweiligen Wissens liegen aber — nur verschleiert dem Auge der Phantasie erkennbar — die Grenzen des auf dem Gebiete der Technik Erreichbaren. Nur dort liegen die Grenzen, wo der Wille sie hinstellt, und wirklich vorhanden sind sie nur in Bezug auf bestehende Objecte. Afn Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurden in Oesterreich Locomotiven ge- schaffen, welche spielend iooo Pferde- krafte entwickeln. Nicht ein Ultimatum, nicbt die Grenze der Entwicklung stellen diese Gebilde der miihevollsten, sorgen- vollsten, geistigen Arbeit dar: nur ein Fundament sind sie, welches das schei- dende Saculum dem kommenden zwan- zigsten Jahrhundert zum weiteren Auf- bau iiberliefert. Locomotivbau. 471 Tafel L*) Fig. 1. d = 355 mm 1=5H » D = 1560 » p = 6 2 / a Atm. R = 106 TO 2 H = 60 60 » G = 21.800 kg Fig. 2. d = 270 mm 1 =• 448 » D = 1264 » p = 5 1 /, Atm. R = 079 m 2 H = 33'50 » G = 16.800 kg A = 10.500 » Fig- 3- d = 333 mm 1 = 474 » D = 1738 » P = 5 1 /. Atm. R = 075 m' 1 H = 4770 » G = 15.000 kg A = 6.500 » Fig. 4. d = 321 mm 1 = 569 » D = 1528 » p = 5 l / 2 Atm. R = 0-92 m 2 H = 46-30 G = 14.700 kg A = 9.000 » *) Auf den folgenden Tafeln bedeutet: d = Cylinder-Durchmesser, 1 = Kolbenhub, D = Treibrad-Durchmesser in mm, p = Dampfdruck in Atmospharen effectiv, R — Rost- flache, H = Heizflache in m 2 , G = Gesammt-Gewicht und A = Adhasionsgewicht in kg. 472 Karl Golsdorf. Tafel II . Fig. i. d = 368 mm 1 = 579 » D = 1422 » p = 6 Atm. R = 123 m 2 H = 8r8o » G = 22.400 kg A = 15.680 » Fig. 2. d = 448 mm 1 = 579 » D = 1422 » p = 6 Atm. R = 1-39 m' 2 H = I35-90 » G 28.000 kg A = 28.000 » Fig- 3- d = 368 mm 1 = 579 » D = 1738 » p = 6 Atm. R = i-i6 m 2 H = 87-10 » G = 27.272 kg A = 10.752 » Fig. 4. d = 401 mm 1 = 579 » D = 1580 » p = 6‘/ 2 Atm. R = 1-06 «i 2 H = 9930 » G = 24.350 kg A = 16.200 » Locomotivbau. 473 bp E co t h O vO 'O « m b o - I-* 00 * * o o o O O o m o o ro ro w 1 ^ V -* Q Ph(^ k O < Tafel III. _bi) E -*- 1 O O M o (nj cb oo vO o i o O I T3~Q ffi O < 474 Karl Golsdorf. Tafel IV. > O ffi O _ p. -fc. -E> w M "-* CM V' ^ On o o o «%» * go \o or hrj ►■* 4^ M 4^» ’-*■ w CO 'O 00 CTQ > g > O ffi O i— o- O o M 4- Ji CO io io ^ G O O O "d O o O o « 4S“ <* S Cfq *> r~, (J\LD - - o oj w ijcj O'' to O • •iS8i Locomotivbau. 475 . __ 3 ? . g cfc3. __ 2002 _ 2212_*..._.. 263V._ _2015- Tafel V . Fig. i. d = 421 mm 1 = 579 » D = 1580 » p = 9 Atm. R = X'74 w 2 H = 132-40 » G = 53-900 kg A = 22.500 » JL____!_8323. _ Fig. 2. d = 461 mm 1 = 632 » D = 1159 » P = 7 J /s Atm. R = 1-20 »J 2 FI = 126-10 » G = 34-720 kg A = 34.720 » Fig- 3- d = 316 mm 1 = 421 » D = 948 » p = 6 Atm. R = 0-50 m % H = 47-60 » Fig. 4. d = 250 mm 1 = 421 » D = 948 » p = 6-7 Atm. R = 0 50 m 2 H = 30-00 » G = 11.000 kg A = 7.000 » 476 Karl Gčlsdorf. Tafel VI. Fig. I. d = 316 mm 1 = 421 » D — 790 » p = 67 Atm. R = 0-56 m* H - 51-80 » G = 18.000 kg A = 13.000 » Fig. 2. d = 395 m »ra 1 = 580 » D = 1580 » p == 6% Atm. R = 1*10 m' ž H = 103-30 » G = 30.688 kg A = 19.824 » Fig- 3- d = 405 m ni 1 = 610 » D = 1610 » p = 7 Atm. R — 1-29 m 2 H = 108-30 » G — 32.250 kg A = 21.250 » Fig. 4. d = 400 mm 1 = 632 » D = 1500 » p = 8 1 /* Atm. R = 1-65 7» 2 FI == 128-4 » G = 38.600 kg A — 25.900 » Locomotivbau. 477 .3425, Tafel VIL Fig. i. d = 460 mm 1 = 632 » D = 1180 » P = 8V2 Atm. R = r65 m 2 H = 128-40 » G == 38.600 kg A = 38.600 » Fig. 2. d = 395 mm 1 = 632 » D = 1580 » p = 9 Atm. R = 1-925 H = 129-00 » G = 35.000 kg H = 23.200 » Fig- 3- d = 420 mm 1 = 632 » D = 1580 » p = 7 Atm. R = i‘35 H = 13160 » G = 33-300 kg A = 23.000 » Fig. 4. d = 457 mm 1 '= 632 » D = 1264 » p = 7 Atm. R = 1-29 H = I38-I2 » G = 30.700 kg A = 30.700 » 478 Karl Golsdorf. Tafel VIII. Fig. i. d = 434 mm 1 = 632 » D = 1264 » p = 9 Atm. R = 170 m 2 H = 120-00 » G = 28.350 kg G = 28.350 » Fig. 2. d = 316 mm 1 = 632 » D = 1106 » p = 6 l l t Atm. R = o- 81 m 2 H = 50-59 » G = 25.950 kg A = 25.950 » Fig- 3 d = 276 mm 1 = 632 » D = 2055 » p = 7 Atm. R = 148 m 2 H = 122-6 » G = 33-370 kg A = 13.330 » Fig. 4. d = 461 mm 1 == 632 » D = 1000 » p = 7 Atm. R = 1-44 m 2 H = 121-50 » G = 42.500 kg A = 42.500 n Locomotivbau. 479 Tafel IX. Fig. i. d = 500 mm 1 = 610 » D = 1070 » p = 9 Atm. R = i - 84 m' 1 H = 18320 * G = 47-300 kg A = 47.300 » Fig. 2. d = 421 mm 1 = 632 » D = 1264 » p = 9 Atm. R = 1-90 m 2 H = I21'00 » G = 33.500 kg A = 33.500 » Fig- 3 - d = 470 mm 1 = 632 » D = 1186 » p = 9 Atm. R = 1-90 7W 2 H = 18C40 » G = 44.350 kg A = 44.350 » Fig. 4. d = 395 mm 1 = 632 » D = 1077 » p = 10 Atm. R = 2-00 m 2 H = 103-50 » G = 32.200 kg A = 32.200 » 480 Karl Golsdorf. 1874. Tafel X. Fig. 1. d = 435 mm 1 = 632 » D = 1185 » p = 8 Atm. R e= 170 m 2 H = 137-00 » G = 34.100 kg A = 34.100 » Fig. 2. d = 290 mm 1 = 425 » D = 400 » p = 9 Atm. R = 0-56 m % H = 35'87 » G = 22.000 kg A = 22.000 » Fig- 3- d = 411 nun 1 = 632 » D = 1900 » p = 10 Atm. R = 164 m 2 H = 107-60 » G = 39.500 kg A = 23.000 » Fig. 4. d = 400 mm 1 = 632 » D = 1900 » p = 10 Atm. R — 2-00 «-( 2 H = 95-50 » G = 38.050 kg A = 21.400 » Locomotivbau. 481 Tafel XI. Fig. 1. d = 410 mm 1 = 632 » D = 1900 » p = 10 Atm. R = i-8o m 2 H = nroo » G = 42.000 kg A = 24.500 » Fig. 2. d = 400 mm 1 = 632 » D = 1580 » P — 8'/2 Atm. R = 170 Mi 3 H = 125-00 » G = 36.003 kg A = 20.700 » Fig- 3 - d = 435 mm 1 = 632 » D = 1900 » p = 10 Atm. R = 2-42 m 2 H = 11270 » G = 42.000 kg A = 27.500 » Fig. 4. d = 400 mm 1 = 632 » D = 1760 ». p = 10 Atm. R = 2’00 »J 2 H = 111-70 » G = 36.000 kg A = 24.900 » Geschichte der Eisenbahnen. II. 31 4§2 Karl GOlsdorf. Tafel XII. Fig. i. d = 281 mvi 1 = 432 » D = 950 » p = 10 Atm. R = o 96 m 2 H = 55-00 » G = 27.300 kg A = 27.300 » Fig. 2. d = 225 mm 1 = 400 » D = 1015 » p = 10 Atm. R = 0 64 m * H = 42 50 » G = 20.000 kg A = n.000 » Fig. 3 - d = 250 mm 1 = 400 » D = 950 » p = 12 Atm. R = 070 »H 2 H = 34 16 » G = 23.400 kg A = 15.600 » Fig. 4. d = 260 mm 1 = 440 » D = 1200 » p = 12 Atm. R = 0 87 vi * H = 38-20 » G = 20.290 kg A = 11.990 » Looomotivbau. 483 Tafel XIII. Fig. 1. d = 450 mm 1 = 600 » D = mo » p = 9 Atm. R = 1-68 m 2 H = 126-20 » G = 50.800 kg A = 50.800 > Fig. 2. d = 280 mm 1 = 480 » D = 1100 » p = 12 Atm. R = 0-90 m 2 H = 54-7 » G = 26.000 kg A = 26.000 » Fig- 3 - d = 54° mm 1 = 610 » D = 1140 » p = II Atm. R = 2 46 JM 2 H = 163-70 > G = 53-500 kg A = 33-500 » Fig. 4. d = 550 mm D = 1100 » R — 2 50 m 3 1 =s 610 » p = II Atm. H — 1640 » G = 72.500 kg A = 53.000 » 3 i* 484 Karl Golsdorf. Tafel, XIV. Eig. I. d = 500 mm 1 = 610 » D = 1100 » p = 10 Atm. R = 2-io m 2 H = 152-9 » G = 56.500 kg A — 56.500 » Fig. 2. d = 500 mm 1 = 570 » D = 1120 » p = II Atm. R = 2 25 «i 2 H = 182 00 » G = 55-000 kg A = 55.000 » Fig- 3- d = 435 mm , 1 = 630 » D = 1710 » p = 9 Atm. R = 1 -86 m 2 H = 12400 » G = 41.500 kg A — 25 000 » Fig. 4. d = 425 mm 1 = 630 » D = 1800 « p = 10 Atm. R = 2-08 m ‘ H == 126 » G = 45000 kg A = 27.600 i > Locomotivbau. 485 Tafel XV. Fig. 1. d — 435 mm 1 = 632 » D = 2002 » p = 12 Atm. R = 2 20 m 2 H = 129 » G = 47.000 kg A = 27.600 » Fig. 2. d = 425 mm 1 = 600 » D = 1720 » p = 10^/2 Atm. R = 2-01 m 2 H = 115-50 » G = 41.447 kg A = 25.340 » Fig. 3- d = 425 mm 1 = 600 » D = 1740 » p = 12% Atm. R = 2 33 m 2 H = 131-53 » G = 47.800 kg A = 28.000 » Fig 4. d — 435 nun 1 = 630 » D = 1800 » p = 11 Atm. R = 2-06 m 1 H = 127 » G = 45-500 kg A = 27.600 » 486 Karl GOlsdorf. Tcifel XVI . Fig. 1. d = 450 mm 1 = 632 » D = 1760 » p = 12 Atm. R = 2 30 «i 2 H = 141 50 » G = 46.600 kg A = 27.600 » Fig. 2. d = 460 mm 1 = 650 » D = 2120 » p = 9 Atm. R = 2 306 ra 2 H = 131-80 » G = 48.600 kg A = 27.300 » Fig 3 d = 450 mm 1 = 632 » D = 1300 » p = II Atm. R = 1 80 «i 2 H = 132 00 » G = 42000 kg A = 42.000 » Fig. 4. d = 480 mm 1 = 610 » D = 1265 » »p = 10 Atm. R = 1 70 m 2 H = 135-10 » G = 42.000 kg A = 42.000 » Locomotivbau. 487 Tafel XVII. Fig. 1. d ,t= 450 mm 1 = 650 » D = 1460 » p = 10 Atm. R = 2-32 m 2 H = 140 20 » G = 41.600 kg 1 A = 41.600 » Fig. 2. d = 480 u. 740 mm I = 660 » D = 1440 ». p= 12 Atm. R= 2'20 j«. 2 H = I33'50 » G = 42.000 kg A = 42.000 » Fig- 3- d = 500U.740 mm 1= 632 » D = 1300’ ’ 7 » p = 12 Atm. R= r8o ni 2 H= I34’00 » G = 42.600 kg A = 42.600 » Fig. 4. d= 500 u. 740 ' 1= 680 » D = 2120 » p= 13 Atm. R= 2’go »« 2 H = 155 00 » G = 56.600 kg A = 29.000 » 488 Karl Golsdorf. Tafel XVIII. Fig. i. d = 480 u. 740 mm 1= 660 » D = 1440 » p= 12 Atm. R = 2'20 m * H = 147 50 » G = 51.000 kg A = 38.600 » Fig. 2. d= 5 20u -74 0w?M 1= 632 » D = 1300 » p= 13 Atm. R = 270 m 2 FI = 14470 » G = 53-450 kg A — 43.000 » Fig- 3- d = 520U 740 mm 1= 632 » D = 1300 » p= 13 Atm. R = 2-30 m 2 H = 144-50 » G = 69.000 kg A= 43.000 » Fig. 4. d = 370 u 570 mm 1= 570 D = 1120 » p = 13 Atm. R= 142 ml H= 82 00 » G = 39.400 kg A = 30.000 » Locomotivbau. 489 Tafel XIX. Fig. x. d = 500 mm 1 == 680 » D = 1540 » p = 13 Atm. R = 2-85 m 2 H = 184-00 » G = 60.000 kg A = 42.000 » Fig. 2. d= 52011.740«!;« 1 = 650 » D = 1650 » p= 13 Atm. R= 290 111 2 H= I 75'50 » G = 62.300 kg A = 42.000 » Fig- 3 - d = 540 u 800 mm 1= 632 » D = 1300 » p = 13 Atm. R= 3’37 H = 250 00 » G= 69.000 kg V = 57-000 » Fig. 4. d= 470 u.500 mm 1= 650 D = 2100 » p= 13 Atm. R == 2-90 ni 2 H= 165 G = 54-150 kg A = 28.000 » 490 Karl Golsdorf. 680 p= 13 Atm. H — 155 - 500 ! A = 28.800 d= 530u.8i0)M»i D = i820 mm 720 p= 14 Atm. R= 3 14 «i 2 G= 69.800 kg “ H= 207-90 » A= 43.000 Wagenbau Von JULIUS VON Ow, Ober-Inspector der osterreicliischen Staatsbahnen im k. k. Eisenbahn-Ministerium. M IT Recht kanil man den Wagen als den Keim, das Grundorgan des gesammten Eisenbahnwesens be- zeichnen, denn es musste zuerst das auf Radern bewegliche Fahrzeug, welches wir mit dem Gattungsnamen »Wag'en« bezeichnen, vorhanden sein, ehe das Be- diirfnis nach Herstellung einer Balin und Beschaffung eines Motors, zur leichteren Weiterbeforderung eben dieses Fahr- zeuges, eintreten konnte. So lange die Fiihrung der Rader im Geleise nur durch eine seitliche Weg- begrenzung bewirkt \vurde, kann fiiglich von besonderen Eisenbahnwagen nicht die Rede sein. Erst das mit einem Spur- kranz versehene Rad, welches auf der Schiene lauft, 'ist ein Constructionsdetail, 'vvelches nur dem Bahn- oder Eisenbahn- Fahrzeuge eigenthiimlich ist, und deshalb kann man nur die mit solchen Radern versehenen Wagen als Eisenbahnwagen bezeichnen. Die altesten bei Bergbauen und ahn- lichen Anlagen verwendeten Eisenbahn- wagen sind ihrem Zwecke entsprechend so einfacher Construction, dass dieselben auch im Vergleiche mit den damals be- standenen Strassenwagen als sehr unter- geordnete Erzeugnisse des Wagenbaues erscheinen mussen. Erst nachdem die Eisenbahnen nicht nur localen Industriezwecken, sondern auch dem allgemeinen Verkehr zu dienen hatten, begann der Eisenbahn-Wagenbau an Bedeutung zu gewinnen und sich zu einem Special - Industriezvveige auszu- bilden. Inwieferne nun die osterreichischen Techniker sich an dem Fortschritte im Wagenbau betheiligt haben, und in welcher Weise die allgemeinen Fort¬ schritte im Wagenbaue seitens der ositer- reichischen Bahnen zur Forderuncr und o Hebung des Eisenbahn - Verkehres zur Anwendung gebracht \vurden, soli den Gegenstand der nachstehenden Abschnitte bilden. I. Wagenuntergestelle. a) Radstand. Die Construction des Laufwerkes der Wagen steht in unmittelbarem Zusammen- hange mit den jeweiligen Anforderungen, welche an die Verkehrssicherheit und Fahrgeschwindigkeit gestellt werden. Diese Anforderungen waren zur Zeit der ersten osterreichischen Pferde-Eisenbahn noch sehr gering. Es geniigte, dass der Wagen bei massigem Fahrtempo sicher im Geleise blieb, und selbst Ent- gleisungen waren mehr unbequem als gefahrlich; die Zugkrafte waren gering, daher war weder die Zusammenstellung einer langeren Wagenreihe moglich, noch eine besondere Sorgfalt fiir die Con¬ struction der von der Zugkraft in An- spruch genommenen Bestandtheile der Wagen nothwendig. Julius von Ow. 494 Im Jahre 1828 wurden bereits nach englischem Muster Raderpaare mit auf der Achse festsitzenden Radern herge- stellt, und auch fiir die allerdings sehr einfachen Rahmen standen englische Modelle zur Verfiigung, welche fiir die Untergestelle der ersten Wagen der Linz- Budiveiser Pferdebahn beniitzt wurden. Gegeniiber der geringen verfiigbarenZug- kraft war der in den Bahnkriimmungen eintretende Widerstand, der bei einem Radstande von n m parallel gelagerten Abb. 30Q. Lenkachsen der Linz-Budweiser Pferdebahn. [1828.] Achsen, so bedeutend, dass man hierin ein wesentliches Verkehrshindernis fand und eine Venninderung dieser Wider- stande anstreben musste. Gerstner unterzog diese Frage einem eingehenden Studium, dessen Ergebnis zur Amven- dung von horizontal verstellbaren Achsen fiihrte. Man versah die beiden iiber den Achsen angebrachten Achsstbcke an vier symmetrischen Punkten mit Kloben, zwischen welche zwei gleich Jange Ver- bindungsschienen mit Charnierbevvegung diagonal eingelegt \vurden. [Abb. 309.] Diese Construction wurde fiir die Wagen der Linz-Budweiser Pferdebahn im Jahre 1828 angenommen und bis zur Auflassung dieser Bahn beibehalten, doch wurden von allem Anfang an auch dreiachsige Wagen mit verstellbaren Achsen gebaut. Im Jahre 1845 \vurde von F. Wetzlich in Wien ein Patent auf eine ahnliche Construction genommen, welche die An- wendung des gleich en Principes auch fiir Locomotivbahnen ermoglichen solite. An Stelle der einfachen Achsbocke wurden Trucks verwendet, in welchen die Achsen unter Tragfedern gelagert waren; auf diesen Trucks ruhte der Untergestell- rahmen mittels je zwei Rollen. Der Drehzapfen war an der Mitte der ausseren Riickwand der Trucks angebracht. Der Radstand betrug 2'o8 m. [Abb. 310.] Dieses System fand wohl aus dem Grunde keine weite Verbreitung, weil bei den ersten čsterreichischen Locomotivbahnen keine so scharfen Bahnkriimmungen angelegt \varen, welche bei einem Radstande von kaum mehr als 2 m verstellbare Achsen erfordert hatten. Im Jahre 1826 wurde von C. E. Kraft das Modeli eines dreiachsigen-Wagens hergestellt, nach welchem von Grili o in Pottenstein zwei Probewagen fiir die Linz-Budweiser Pferdebahn ausgefiihrt wurden. Bei diesen Wagen war die Mittelachse mit dem dariiber liegenden Achsstock nur senkrecht zur Geleisachse verschiebbar. Durch den auf dem Achs¬ stock gelagerten Rahmen wurden bei Verschiebung der Mittelachse die Achs- stocke der beiden Endachsen, beziehungs- weise letztere selbst in eine entsprechende Winkelstellung zum Geleise gebracht. [Abb. 311.] Mit diesen Wagen wurden Curven von 20 m Radius ohne Anstand durchfahren.. Von Interesse ist die nachstehend ange- fiihrte Mittheilung, welche Ed. Schmidi, von dem die Anregung zu dieser Con- struction ausging, iiber die erste Probe- fahrt mit diesen Wagen veroffentlichte: »Die erste Probefahrt im Gefalle von 1 : 300 und bei steten Curven von ioo° Radius hatte unter den un- gtinstigsten Umstanden stattgefunden; der Was:en nur durch vier Personen, also viel zu wenig belastet, ohne Deichsel und ohne Bremse, wurde je nach gevvonnener Ueberzeugung iiber dessen Dienstbarkeit von einem Pferde immer schneller und endlich im Carriere gefiihrt, als man, um ein Felsenriff hervorgelangt, plotzlich in die hochst beunruhigende Lage ver- Wagenbau. 495 setzt war, einige Klafter vor einer 7 0 hohen Brucke die Schienen auf mehrere Klafter Lange abgenommen und den Bahnwarter in der Reparatur begriffen, ansichtig zu werden. Die Mittel, den Wagen vor der Stelle der Gefahr zum Stillstand zu bringen, ja auch nur selbst dessen iibertriebenen Lauf zu massigen, fehlten; es blieb somit keine Wahl, und Pferd und Wagen mussten iiber die ge- storte Bahnstelle, es moge erfolgen was da wolle, hiniibergejagt werden. Der Wagen, in diese Stelle gelangt und die im Wege liegenden Werkzeuge und Hindernisse iibersetzend, erhielt mehrere tiichtige Stosse, aber auch schon gewiihrte der sanfte Gang auf den Geleisen der Brucke die volle Beruhigung der gliicklich iiberstandenen Gefahr. Unter diesen Um- standen mochte ich nicht auf einem vier- radrigen Wagen gewesen sein! ! Spater auf gleiche Art zu einer eben auch in Reparatur befindlichen Stelle auf einen Danim gelangt, dachte Niemand mehr an eine Gefahr und man iibersetzte sie mit vollem Gleichmuth — natiirlich die Stosse abgerechnet — ebenso gliicklich.« [Zeitschrift des Oesterreichischen Inge- nieur-Vereins, 1857.] Diese bei der Linz-Budweiser Pferde- bahn zur Ausfiihrung gelangten Con- structionen, diirften wohl die Grundlage der viele Jahrzehnte spater neu entstandenen Lenkachsen-Gonstructionen ge- \vesensein; dieselben lieferten jedoch auch denNachweis, dass esosterreichische Ingenieure waren, welche zuerst die Radialstellung der Achsen einem erfolg- reichen Studium unterzogen haben. Als imjahre 1838 als erste Locomotiv- bahn Oesterreichs die Kaiser Ferdinands- Nordbahn eroffnet wurde, deren Fahr- betriebsmittel nach englischen Normalien beschafft worden waren, gelangten zwei- achsigeWagen mit steifem Radstande von circa 2'4 m zur Anwendung, welche bei den grossen Kriimmungsradien dieser Balin kein Bediirfnis nach verstellbaren Achsen aufkommen liessen. Fiir die im Jahre 1841 eroffnete Wien- Gloggnitzer Eisenbahn sowie fiir die gleichzeitig in Bau genommenen Linien der osterreichischen Staatsbahnen wurde die Type der vierachsigen amerikanischen Wagen acceptirt. Diese Wagen hatten zeveiachsige Trucks von i 4 2—1'5 m Rad- stand, und Drehzapfen-Entfernungen von 6 4 o —6'8 m. Um eine mehr gleichmassige Unterstiitzung des Untergestelles der vier- O o I achsigen Wagen zu erzielen, \vurden in den Jahren 1851 —1854 fiir die Staats- bahnlinien vierachsige Wagen ohne Dreh- gestelle gebaut, bei welchen die beiden mittleren Achsen, so wie bei zweiachsigen Wagen parallel gefiihrt ivurden, wahrend die beiden Endachsen schrage gefiihrte Achsbiichsen erhielten, durch ivelche die Endachsen in Geleisekriimmungen in eine radiale Stellung gebracht werden. Diese 49 & Julius von Ow. von Adams construirte Achsenanordnung hat sich. bei geringen Fahrgeschwindig- keiten gut bewahrt, und sind solche Wagen heute noch im Betriebe. [Abb. 312 und 313.] Obwohl im Jahre 1841 und in den folgenden Jahren die vierachsigen Wagen in Oesterreich die be- vorzugte Wagentype waren, nach welcher die Ausrtistung der damals im Bau begriffenen Bahnen erfolgte, so konnten sich dieselben den V orzug vor den zweiachsigen Wagen fiir die Dauer doch nicht erhalten, so dass, wahrend Ietztere weiter verbessert und ausge- bildet wurden, die vier¬ achsigen Wagen all- mahlich auf den Aus- sterbe-Etat gesetzt wur- den. Nach dem Jahre Noch in den Achtziger-Jahren waren nur steif gefiihrte Achsen iiblich, fiir welche man Radstande bis 5 m > iiber- wiegend jedoch solche von 3—4 m anwendete. Als jedoch das Bediirfnis eintrat, noch langere Radstande auszu- fiihren und steif gefiihrte Achsen fiir Linien mit kleinen Bo- gen nicht mehr unbe- schrankt zulassig er- schienen, kamen die verstellbaren Achsen, \velche seinerzeit bei der Linz-Budweiser Pferdebahn iiblich wa- ren, wieder zur Geltung. Der Verein Deutscher Eisenbahn - Verwaltun- gen, unterzog in den Jahren 1884 und 1885 die Frage der Zulassig- keit verstellbarer Ach¬ sen eingehenden Be- rathungen und Erpro- bungen, deren Ergeb- Abb. 313. Personemvagcii mit Adams-Achsen. [1852.J 1854 wurden vierachsige Wagen durch etwa 40 Jahre in grosserer Anzahl nicht mehr gebaut. Es waren verschiedene Mo¬ mente, welche gleichzeitig zusammen- wirktenj um zu jenerZeit den zweiachsigen Wagen wieder den Vorrang zu sichern. Einerseits fand man es. vortheilhafter, iiber- haupt kiirzere Wagen zu bauen, anderer- seits vergrosserte man allmahlich den Rad- stand der zweiachsigen Wagen sowieauch die Starke der Achsen, wodurch man zwei- achsige Wagen erhielt, deren Radstand und Fassungsraum sich jenem der alten vier¬ achsigen Wagen naherte. Man zog es vor, in Fallen, wo langere Wagen erforderlich wurden, dreiachsige Wagen zu bauen. nis die Approbirung der zulassigen Con- structionen als »Vereins-Lenkachsen« war. Zuerst wurden die zvvanglaufigen und kraftschliissigen Lenkachsen als Vereins - Lenkachsen approbirt, die aui dem Constructionsprincipe der vorerwahn- ten Pferdebahnwagen beruhten, sodann wurden auch freie Lenkachsen fiir unge- bremsteWagen und schliesslich[i89o] auch solche fiir gebremste Wagen als zulassig erkannt. Infolge des Umstandes, dass Ietztere Construction gar keine Mehr- kosten verursacht und die Anwendung von grossen Radstanden zulasst, wurde seit dem Jahre 1890 der Bau von kraft- schliissigen Lenkachsen nahezu ganzlich 497 Wagenbau. verlassen und kamen dagegen die freien Lenkachsen in, ausgedehntem Masse zur Anwendung. Seither werden zwei- und dreiachsige Wagen bis zu 7 m Rad- stand gebaut. Obwohl durch die Amvendung von Lenkachsen grossere Radstande und mithin auch langere Wagen zulassig wurden, so ergab sich doch das Be- diirfnis, sowohl in der Lange als auch im Gevvichte der Wagen noch weiter zu gehen, und da hiefiir zwei und drei Achsen nicht mehr ausreichend waren, so wendete sich die Aufmerksamkeit der Constructeure wieder den seit mehreren baut \verden, wogegen fiir Gtiterwagen mit Ausnahme von Specialwagen nahezu ausschliesslich die zweiachsigen Typen beibehalten sind. Die neuartigen Drehgestellwagen wer- den mit Drehgestellen von durchschnittlich 2'5 m Radstand [Abb. 314], bei einer Drehzapfen-Entfernung von 12 m, einer Untergestell-Lange von 16—17 m und einemEigengewichtvon32.ooo—35.000/6,0- ausgefuhrt. Bei zweckmassiger Federung und Gevvichtsvertheilung gestatten solche Wagen einen ruhigen Gang, grosse Fahrgeschwindigkeiten und ein leichtes Durchfahren der Bahnkrtimmungen. Abb. 314. Drehgestelle eines vierachsigen Personenwagens. [1895.] Decennien wenig beachteten vierachsigen Wagen zu. Es hatten sich im Laufe der Jahre im Wagenbau so viele Neu- erungen und Verbesserungen ergeben, dass die neuen vierachsigen Wagen mit den in den Vierziger-Jahren ublichen Typen kaum mehr als das Princip der Dreh- gestelle gemeinsam haben. Die in Oester- reich seit dem Jahre 1894 wieder in grosserer Anzahl gebauten vierachsigen Wagen sind so ziemlich nach dem Muster der Wagen der Internationalen Schlafwagen - Gesellschaft und diese wieder nach amerikanischen Vorbildern gebaut. Nachdem das Bediirfnis nach langen schweren Wagen hauptsachlich fiir Luxus- oder Schnellzugswagen zur Geltung kommt, so sind es auch insbesonders Salon- und Personenwagen, welche in Oesterreich als vierachsige Wagen ge- b) Buffer und Zugvorrichtungen. Die Stossvorrichtungen wurden noth- wendig, sobald man mehrere Fahrzeuge mittels eines Motors fortzubewegen be- gonnen hatte. Die alteste Form der Stossvorrichtungen ist die einfache Ver- langerung der Langtrager, so dass bei der Zusammenstellung einer Wagenreihe diese stumpf zusammenstossen. Fiir Bahn- wagen etc. wird diese einfache Construc- tion heute noch angewendet und in England findet man dieselbe auch noch in neuerer Zeit bei Guterwagen von Hauptbahnen. L 3 ei den ersten Locomotivbahnen in Oesterreich bestanden bereits bei eng- lischen Fahrbetriebsmitteln elastische Buffer; die holzernen, mit Rosshaar gepol- sterten und mit Leder iiberzogenen Stoss- scheiben der Buffer waren auf Stangen be- Geschichte der Eisenbahnen. II. 32 49 8 Julius von Ow. festigt, deren Ende auf eine horizontale Blattfeder vvirkte. Diese Einrichtung fand jedoch bei den ersten Wagen der Kaiser Ferdinands-Nordbahn nur an Wagen I. und II. Classe statt, vvahrend jene III. Classe mit ungefederten gepolsterten Stossballen versehen vvaren. In den Vierziger-Jahren bestand noch nicht das Bedurfnis nach Freiziigigkeit der Wagen, man konnte sich damit be- gniigen, wenn nur die eigenen Wagen zusammenpassten. Dies kam in der ver- schiedenen Bufferanordnung der ver- schiedenen Bahnen am deutlichsten zum Ausdruck. Es gab eine belgische, eine badische und eine bayrische Buffervveite und wieder von diesen abweichend war die weite [englische] Bufferstellung der Kaiser Ferdinands-Nordbahn und die enge [amerikanische] Buffervveite der k. k. Staats- bahnen. Durch die Anschliisse der Nord- bahn und k. k. Staatsbahnen sowie durch die vvechselnden Eigenthumsverhaltnisse trat zunachst fiir diese Bahnen das Bedurfnis nach einer einheitlichen Bufferstellung zu Tage, und man entschloss sich, die enge Buffervveite zu acceptiren und reconstruirte die Wagen der Kaiser Ferdinands-Nord¬ bahn auf enge Buffervveite. [66o mtn.] Doch nicht lange konnte diese Ein- heitlichkeit bestehen. Die Versammlung der deutschen Eisenbahn-Techniker im Jahre 1850 in Berlin stellte einheitliche Normen fiir die Bufferabmessungen auf, vvelche schon friiherbei den norddeutschen Bahnen eingefuhrt vvaren; dieselben Be- stimmungen gingen in die »technischen Vereinbarungen des Vereins deutscher Eisenbahn - Vervvaltungen« liber, und brachten die so nothvvendige Ueberein- stimmung in diesen Abmessungen zu- stande. Infolgedessen mussten die oster- reichischen Bahnen das enge Buffersystem wieder verlassen, um endgiltig zu dem Vereinsnormale iiberzugehen. Man findet bei den alten Wagen mit enger Bufferstellung meistens die Anordnung getroffen, dass der Zughaken mit einer horizontal liegenden Blattfeder verbunden ist, deren Enden beiderseits sich auf die nach innen verlangerten Bufferstangen sttitzen. Die Feder vvar somit zugleich Zug- und Stossfeder, die einvvirkenden Krafte vvurden durch An- satze oder Keile in den Zug- und Stoss- stangen auf die Brust des Wagens iiber- tragen, vvelche dadurch sehr in Anspruch genommen vvurde. Infolge der Ervvei- terung der Bufferstellung vvurde diese Anordnung unbequem, weil sehr lange und schvvere Federn nothvvendig wurden. Man trennte daher die Federung dieser Bestandtheile, versah j eden Buffer mit separater Feder und ebenso die Zugvor- richtung. Nachdem sich fiir letztere Blattfedern vvenig eigneten, vvurden Volut- federn oder eine Reihe iibereinander gelegter Gummiringe angevvendet. Die Brust des Wagens entlastete man dadurch, dass die elastische Verbindung in die Zugstange gelegt vvurde, so dass durch diese die Zugkraft fortgepflanzt und auf das Wagengestelle nur die fiir die Be- vvegung des einzelnen Wagens erforder- liche Kraft iibertragen vvurde. Ein Uebel- stand hiebei vvar, dass die ganze Zugkraft durch die Federn der ersteren Wagen iibertragen vverden musste, vvodurch diese iibermassig in Anspruch genommen vvur¬ den, vvahrend diese Inanspruchnahme sich gegen das Ende des Zuges immer mehr verminderte. Eine vvesentliche Verbesserung vvurde durch den damali- gen Ober-Ingenieur der Siidbahn, Herrn F. Fischer von Rosslerstamm, im Jahre 1849 bei Wagen der Semmeringbahn ein- gefiihrt, indem derselbe' die Zugstangen- theile unter dem Wagen fest verband und die Feder zvvischen der Zugstange und dem Wagenuntergestelle einschaltete. Es bildete somit die Zugvorrichtung langs des ganzen Zuges eine Stangen- kette von constanter Lange, von vvelcher aus durch die einzelnen Federn die Zug¬ kraft auf je einen Wagen tibertragen und hiedurch die Inanspruchnahme sammt- licher Federn eine nahezu gleiche vvurde. Der Vortheil dieser durchgehenden Zugvorrichtung vvar ein so eingreifender, dass dieselbe bei allen Vereinsbahnen rasche Verbreitung fand, und heute noch nahezu ausschliesslich angevvendet vvird. Die vorziigliche Qualitat der Stahl- federn, deren Erzeugung insbesonders eine Specialitat osterreichischer Werke ist, hatte zur Folge, dass bei den oster- reichischen Bahnen vorzugsvveise Volut- federn nach der von Baillie im Jahre Wagenbau. 499 1845 construirten Schraubenform fiir Zugvorrichtungen und Buffer verwendet wurden. Die separate Federung jedes einzelnen Buffers hat bei langen Wagen den Nachtheil, dass die Differenz der Bufferpressung in Bogenstellungen sehr bedeutend wird. Um dies zu vermeiden, wird bei vierachsigen Wagen gewohnlich eine Balancier verbindung zvvischen den bei- den Buffern einer Stirnseite hergestellt. [Abb. 315 und 315 a.] Bei allen diesen Bufferanordnun- gen wird das Untergestelle des Wagens zur Uebertragung des Druckes von Wagen zu Wa- gen in Anspruch genommen. Im Jahre 1894 wur- de von dem Di- rector der Nes- selsdorfer Wag- gonfabrik, Herrn Hugo Fischer von Rossler- stamm, durch eine sinnreiche Construction die durchgehende Zugstange auch zur Uebertra¬ gung des Dru¬ ckes der Buffer Abb. 315. Abb. 315 a. Zug- und Stossvorrichtung von F. Ringhoffer. [1895.] benutzt. [Abb. 3i6und3i6a.] Die beiden, aus vierkantigen Rohren hergestellten Bufferstangen sind schrage gegen die Un- tergestellinitte gelegt und fest miteinander verbunden, so dass sie ein starres Gan- zes bilden, welches durch einen Bolzen mit der Zugstange horizontal drehbar verbunden ist. Die Theile der zwei- theiligen Zugstange sind durch eine Muffe mit Keilschlitzen verbunden, welche eine Verschiebbarkeit innerhalb bestimm- ter Grenzen gestattet. Durch drei Volut- federn, von welchen zwei als Zug- federn und eine als Stossfeder functio- niren, ist die Federung nach beiden Richtungen erzielt. In neuester Zeit wird nur eine Volutfeder verwendet, welche sowohl als Zug- wie auch als Stossfeder dient. Bei dieser Construction ist eine einseitige Bufferpressung in Kriimmungen vollkommen vermieden und hat das Wagengestelle nur die fiir seine eigene Bewegung erforderlichen Zug- und Stosskrafte aufzunehmen. Wagen dieser Type wurden im Jahre 1895 fiir die k. k. Staatsbahnen gebaut und wa- ren Ende 1896 bei verschiedenen Bahnen circa 80 Stiick diverse Wagen mit der Fischer’schen Zug- und Stossvorrichtung im Betrieb. c) Kuppelun- gen. Die Kuppe- lung der Wagen wurde in erster Zeit durch Ha- ken und einfache Ketten bewirkt, welche Anord- nung bis zu den Siebziger-Jahren vorherrschend bei Giiterwa- gen angewendet wurde, obwohl bereits in den Dreissiger-Jah- ren die Schrau- benkuppelung in England be- stand. Fiir Per- sonenvvagen vvurden auch in Oesterreich bereits bei den ersten Aus- riistungen Schraubenkuppelungen ver- wendet. Nachdem die Wagenkuppelung eine der wichtigsten Fragen fiir den Durchgangsverkehr der Wagen bildete, so vvaren seit Bestand des Vereins Deutscher Eisenbahn - Verwaltungen ge- naue bindende Vorschriften fiir dieselbe aufgestellt, und konnten Aenderungen nur durch Vereinsbeschliisse eingefiihrt wer- den. Eine der wesentlicheren Aende¬ rungen war die Einfiihrung von Sicher- heitskuppelungen als Ersatz fiir die Noth- ketten, und die Eliminirung der Ketten- kuppelungen von sammtlichen Wagen. Seit den Sechziger-Jahren befasste man sich damit, Kuppelungen zu con- struiren, welche die Gefahr des Einkup- pelns zwischen den Wagen entvveder durch 32 * 5oo Julius von Ow. automatisch vvirkende oder durch von aussen zu bedienende Vorrichtungen beseitigen sollten. Als im Jahre 1875 der Verein Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen einen Preis fiir die beste Losung dieser Aufgabe ausschrieb, entstand geradezu eine Kuppelungserfindungs-Epidemie und man konnte in allen Eisenbahn-Werk- statten projectirte, versuchte und zuriick- gelegte Kuppelungen finden. Der Preis wurde zwar dem damaligen Central- Inspector der Kaiser Ferdinands-Nord- bahn, Herrn L. Becker, zuerkannt, doch konnte auch diese Kuppelung in der Praxis fiir die Dauer nicht Eingang finden. Es blieb mithin so ziemlich beim Alten, und nachdem die Fachmanner sich klar dariiber wurden, dass beim Zwei- buffer-System die gestellten Bedingungen derart sind, dass eine praktische Con- struction einer automatischen Kuppelung unerreichbar ist, so nahm auch die Zahl der j Erfinder in Fachkreisen immer mehr ab. d) Rdderpaare. Die Entwicklung in der Fabrication der Wagenraderpaare steht in directem Zusammenhange mit den Fortschritten in der Eisenindustrie. Wenn auch die hsterreichischen Eisenwerke seit jeher durch die Herstellung eines vorziiglichen Materials sich auszeichneten, so blieben sie doch hinsichtlich der Grosse der Anlagen, Leistungsfahigkeit und des Marktpreises gegen die englischen und deutschen Werke zurtick, und es gab wiederholt Zeitperioden, besonders Ende der Sechziger-Jahre, in welchen ein Theil des Raderpaar-Materials aus dem Aus- lande bezogen vverden musste. Die altesten Achsen, an deren Fabri¬ cation die meisten grosseren inlandischen Eisenvverke betheiligt waren, wurden aus Schweisseisen hergestellt. Als Ende der Sechziger-Jahre die Erzeugung des Bessemerfluss-Stahles auch in Oesterreich Eingang gefunden hatte und gleichzeitig I die Leistungsfahigkeit der Werke eine Steigerung erfuhr, erreichte auch die Her¬ stellung der Achsen und Radreifen aus Schrveisseisen ihr Ende und vvurde fortab hiefiir nur Bessemerstahl, spater auch Thomasfluss-Stahl und Martinfluss- Stahl vervvendet. Tiegelguss-Stahl wird fiir Wagenachsen und Tyres nur aus- nahmsweise vervvendet und hiezu noch vielfach aus dem Auslande bezogen. Die altesten Eisenbahnrader waren aus gewohnlichem Gusseisen, als Spei¬ chenrader, in einem Sttick gegossen; in Oesterreich gelangten jedoch solche Rader nur auf den alten Pferdebahnen und fiir Bahnvvagen in Verwendung, die mit den ersten Locomotiv-Eisenbahnvva- gen importirten Rader waren bereits mit schmiedeeisernen Speichen und Radreifen versehen. Durch lange Zeit, bis Mitte der Siebziger-Jahre, \var das Speichenrad mit Kranz und Speichen aus Flacheisen und gusseiserner Nabe [Losh-Rad] das beliebteste Rad, welches auch in den meisten grossen Werken Oesterreichs erzeugt wurde; nachdem jedoch aus dem Auslande mehr und mehr Radsterne mit geschweisster Nabe eingefuhrt wur- den, so gingen auch die osterreichischen Werke auf die Erzeugung geschweisster Radsterne iiber. Wiederholt wurden Versuche gemacht, die schmiedeeisernen Speichenrader durch Scheibenrader glei- cher Qualitat zu ersetzen, und verschie- dene Erzeugungsarten angewendet, unter welchen besonders das Wickelrad von Krupp und das Walzscheibenrad von Bochum grosse Verbreitung fanden. Durch diese auslandische Concurrenz gedrangt, begannen auch die inlandischen Werke sich auf die Erzeugung von Scheibenradern aus Flusseisen zu ver- legen, und es ist ihnen gelungen, in neuester Zeit solche Radscheiben zu er- zeugen, welche allen Anforderungen entsprechen. Nebst dem eisernen Rade wurden auch Radscheiben aus Holz und Papier angefertigt. Die holzernen Rader in Nachbildung der Sprossenwagenrader [Speichenrader] wurden bereits in der ersten Zeit des Eisenbahnbetriebes ver- wendet, konnten aber fiir die Dauer den Anforderungen nicht geniigen. Besser bewahrten sich die Blockrader von Busse, welche im Jahre.1844 bei der Leipzig- Dresdener Bahn eingefuhrt wurden. I Nach mehrfachen Verbesserungen wurde Wagenbau 5°I ein sehr gutes Blockrad in England er- zeugt und auch in Deutschland aus- gefiihrt. Diese Holzrader sind sehr dauerhaft und unterliegen nicht den Vibrationen wie die eisernen Rader, weshalb sie auch gerauschloser laufen. In Oesterreich kommen dieselben nur vereinzelt bei Salonwagen vor. Von ahnlicher Construction sind die Papierrader, bei welchen nur an Stelle der Holzsegmentscheibe eine aus zahl- reichen Pappendeckelschichten bestehende Scheibe ver- wendet wird, welche bei An- wendung eines Klebestoffes un- ter sehr hohem Druck zusarn- mengepresstist. Man erzielte mit diesen Radern, \velche bei Van der Zypen in Deutz erzeugt wurden, in Deutschland gute Resultate. Als im Jahre 1885 der Ver- such gemacht wurde, diese Rader auch in Oesterreich ein- zufiihren und ein dreiachsiger Salomvagen der k. k. Staatsbahnen mit solchen Radern versehen wurde, ereignete sich der Unfall, dass eines dieser Rader wahrend der Fahrt total zerbrach, gliick- licherweise ohne weitere bose Folgen. Dieser Umstand bereitete der Anwendung von Papierradern in Oesterreich ein jahes Ende. Nebst den Radern mit aufgezogenen Radreifen sind noch die aus e i n e m Stiick erzeugten Rader zu erwahnen. Diese Rader, zu welchen auch die allerersten gegossenen Speichenrader zu zahlen sind, werden aus Gusseisen oder Guss-Stahl erzeugt. Die altesten gusseisernen Rader waren an der Laufflache zu weich und war besonders die Speichenform un- giinstig gewahlt, es konnte daher das Gusseisenrad kein besonderes Vertrauen gewinnen. Amerika, das Land des Guss- eisens, \var infolge seines vorziiglichen Materials in der Lage, die Rader mit Vortheil aus Gusseisen zu erzeugen; da- bei gewann die Erzeugung von Hartguss [Coquillenguss] in Amerika immer mehr Anwendung, wahrend dieselbe in Europa noch nahezu unbekannt war. Der Co- quillenguss eignet sich ganz besonders ftir Rader, weil diese einen zahen weichen Korper und eine harte Laufflache er- fordern. Inrich- tiger Erkennt- nis dieses Um- standes begann im Jahre 1854 Abraham Ganz in Ofen die Herstellung von Schalen- gussradern. Durch griindli- che Fachkennt- nis und Verwen- dung von vor- ziiglichem un- garischem.Holz- kohleneisen ge- lang es demsel- ben ein Rad herzustellen, welchesfestund dauerhaft war. Die vielen com- missionellen Er- probungen dieser Rader ergaben beach- tenswerthe gute Resultate; es erfolgten Probe-Bestellungen von der osterreichi- schen Staatsbahn und Stidbahn, und die Theissbahn bezog bereits im Jahre 1857 eine grosse Anzahl solcher Rader. Noch hatte das Schalengussrad manche M angel, welche eine rasche Abniitzung und viele Ersatze zur Folge liatten. Die Firma Ganz & Co. fand sich daher ver- anlasst, eingehende Studien uber die vor- kommenden Gebrechen zu machen, die schadhaften Rader genau zu untersuchen und die Ursachen der Mangel zu er- grilnden. Dies fiihrte dann auch zu mehr- fachen Verbesserungen in der Erzeugung und in der Form der Rader, welche einen entschiedenen Erfolg hatten. Im Abb. 316a. Zug- und Stossvorrichtung von H. Fischer von Rosslerstamm. [i 8 g 5 -] 502 Julius von Ow. Jahre 1869 ging das Etablissement an eine Actien-Gesellschaft iiber, welche mit den bewahrten Kraften die Vervollkomm- nung ihrer bereits einen vorziiglichen Ruf erlangten Fabrikate fortsetzte. Den Leistungen dieser Firma ist es in erster Linie zuzuschreiben, dass das Schalen- gussrad ein specifisch osterreichisches Erzeugnis wurde, und dass die bster- reichischen Bahnen von demselben reich- lichen Gebrauch machten. Bis in das letzte Decennium war es bei diesen so ziemlich allgemein iiblich, die Giiter- wagen ohne Bremse mitSchalengussradern zu versehen. Wenn auch die Firma Ganz & Co. die erste Stellung unter den Schalenguss-Fabrikanten einnimmt, so waren doch auch andere Firmen, welche ganz Vorzugliches leisteten, so Gruson in Magdeburg und das graflich Andrassy- sche Eisenvverk Demo in Ungarn, ins- besonders war letzteres stark an den Lieferungen ftir Oesterreich-Ungarn be- theiligt und verdienen dessen Leistungen umsomehr Anerkennung, als die Fabriks- anlagen nie die Ausdehnung der Ganz- schen erlangten. Obwohl bei der grossen Anzahl der im Betrieb befindlichen Schalengussrader Betriebsanstande und -Unfalle in ver- schwindender Anzahl vorkamen, so be- stand doch stets ein gewisses Misstrauen, diese Rader fiir schnell fahrende Zilge zuzulassen, weshalb sie von den Personenzligen ausgeschlossen waren. Ausserdem wagte man es nicht, diese Rader zu bremsen. Die Erhohung der Radbelastung bei Giiterwagen hatte zur Folge, dass die Verwendung der Schalen¬ gussrader in den letzten Jahren abnahm und auch fiir Giiterwagen ohne Bremse Scheibenrader mit Radreifen aus Fluss- Stahl bevorzugt wurden. Die Ausstellung in Chicago im Jahre 1893 bot den Eisenbahn-Fachmannern Gelegenheit, sich in Amerika zu iiberzeugen, dass das ge- gossene Rad dort allgemein auch unter Bremsvvagen verwendet werde, und die Firma Ganz & Co. verabsaumte nicht, die dortige Fabrications-Methode nach Oesterreich zu iibertragen. Die genannte Firma importirte erst amerikanische Rader nach Oesterreich und begann auch Rader nach Griffin - System in Leobersdorf zu erzeugen. Diese Rader gelangen unter gebremsten Erzwagen der k. k. osterreichischen Staatsbahnen probeweise zur Verwendung. Es ist zu erwarten, dass es voraussichtlich gelingen wird, das Griffinrad zum wiirdi- gen Nachfolger des Schalengussrades nicht nur in Oesterreich, sondern auch in ganz Europa zu machen. Die altere Methode, die Radreifen zu erzeugen, bestand darin, dass gerade Štabe vom Profil der Radreifen gewalzt und auf bestimmte Langen abgeschnitten, sodann zu einem Ringe gebogen und verschweisst wurden. Diese fiir Schmiedeeisen angewendete Methode wurde bereits in den Sechziger- Jahren verlassen, indem man begann, aus einem Klotz einen Ring auszuschmieden, und diesen sodann auf das Profil auszuwal- zen. Mit Beginn der Fluss-Stahl-Erzeugung Ende der Sechziger-Jahre wurde aus- schliesslich dieser oder Tiegelguss-Stahl zur Radreifen-Fabrication verwendet. Die Verbindung der Radreifen mit dem Radkranze erfolgt in erster Linie durch warm.es Aufziehen. Zur \veiteren Befestigung wurden bis zu Anfang der Siebziger-Jahre Nieten oder Schrauben verwendet. Letzteren gab man im Rad¬ reifen eine conische Form, so dass bei dem jeweiligen Abdrehen des Rad- reifens keine Lockerung der Schrau¬ ben entstand. Zur Erzeugung der Schrau¬ ben verwendete man alte Radreifen, um ein moglichst gleichartiges Material im Radreifen und in den Schrauben zu er- halten. Durch die Schraubenbolzen oder Nieten-Bohrungen wurde der Radreifen stellenweise sehr versch\vacht und es ist daher erklarlich, dass Querrisse grosstentheils durch die Schraubenlocher erfolgten. Man trachtete diesen Mangel theilweise dadurch zu vermeiden, dass man die Schraube nicht durch den gan- zen Radreifen gehen, sondern nur ein kurzes Stiick in den Radreifen ein- dringen liess. Fiir diese Befestigung konnten keine Mutterschrauben verwendet werden und das Gewinde musste mit wenigen Gangen in den Radreifen geschnitten werden. Die Haltbarkeit solcher Schrauben bei Reifenbriichen war eine sehr zweifelhafte, umsomehr 503 Wagenbau. als die Ausfiihrung schwer zu contro- liren war. Diese verschiedenen Mangel der Schraubenbefestigung erregten Mitte der Siebziger-Jahre das Bediirfnis nach et\vas Besserem, und das Schlagwort »continuirliche Radreifen-Befestigung« be- schaftigte die Erfinder. Von den ver¬ schiedenen, zur Ausfiihrung gelangten Radreifen-Befestigungen ist die Spreng- ring - Befestigung von G 1 u c k und Curant in Oesterreich am meisten ver- breitet. e) Achslager. Einer der wichtigsten Bestandtheile des Wagens ist das Achslager und die Schmiervorrichtung, weil diese Theile im Zusammenhang mit dem Schmier- material bedeutende Ausgaben der Bahnen in Anspruch nehmen und den wesent- lichsten. Einfluss auf die Belastung der Ziige und die Leistung der Zugkraft ausiiben. Es war daher seit Bestehen der Eisenbahnen ein fortwahrendes Be- streben, einerseits gutes und billiges | Schmiermaterial herzustellen, anderer- seits entsprechende Lager hiefiir zu construiren. Lagerconstructionen und Schmiermaterial stehen daher in engem Zusammenhange und waren auch stets von localen Verhaltnissen und den Be- zugsquellen der Materialien abhangig. Mit den ersten englischen Muster- wagen kamen auch die Achslager und das Schmiermateriale derselben nach Oesterreich. Es war damals die Blooth- sche Palmol - Wagenschmiere ziemlich allgemein in Anwendung, eine Mischung von Palmol, Talg, Soda und Wasser. Der Bezug dieses Materials aus dem Auslande wurde jedoch ehestens ein- gestellt und die Erzeugung im Inlande begonnen, wobei verschiedene Zusammen- setzungen versucht wurden. Eine der gebrauchlichsten war eine Mischung von Unscblitt, Olivenol und Schweinefett, welche je nach der Jahreszeit in ver- schiedenem Mischungsverhaltnisse ver- wendet wurde. Die Starrschmiere war bis zum Jahre 1845 so ziemlich das aus- schliessliche Schmiermaterial in Oester¬ reich. Mit der Eroffnung der sudostlichen Linie der k. k. Staatsbahnen gelangte auch fliissiges Schmiermaterial, und zwar Baumol, Riibol und eine Mischung von Harzol und Baumol zur Verwendung. Doch blieb die Starrschmiere lange Zeit bevorzugt, und wurde beispielsweise der gesammte Wagenpark der urspriinglichen Ausrustung der Kronprinz Rudolf-Bahn und Kaiser Franz Josef-Bahn in den Jahren 1867—1870 mit Starrschmier- lagern geliefert, welche theilweise noch gegenwartig im Betriebe sind. Im Jahre 1861 wurden von L. Becker auf einer Linie der Oester- reichischen Staatseisenbahn-Gesellschaft die ersten Versuche mit MineralSl fiir Achsenschmierung gemacht. Nach mehreren missgllickten Experimenten ge- lang es endlich, ein brauchbares Material zu erzeugen, mit welchem im Jahre 1862 Abb. 317. Achslager der Pferdebahn Prag-Lana. [1830.] noch umfangreichere Versuche gemacht wurden, die gleichfalls ein befriedi- gendes Resultat ergaben, so dass bei dieser Bahn die Mineralol-Schmierung im Jahre 1863 allgemein eingefiihrt wurde. Die Schmierkosten wurden da- durch von 10 kr. [C.-M.] auf 6 kr. pro Zugsmeile reducirt. Die nachste oster- reichische Bahn, welche aus diesen giinstigen Erfahrungen Nutzen zog und in umsichtiger und energischer Weise ebenfalls auf die Verwendung des Mineral- ols iiberging, war die Kaiserin Elisabeth- Bahn, welche auch die Mineralol-Schmie¬ rung fiir Locomotiven einfiihrte. Ihr folgte die Kaiser Ferdinands-Nordbahn im Jahre 1864 und in rascher Folge fand die Mineralol-Schmierung immer mehr Ver- breitung, so dass im Laufe der Sieb- ziger-Jahre bereits der grosste Theil der 504 Julius von Ow. osterreichischen Wagen und der meisten deutschen Wagen mit Mineralol ge- schmiert wurde. Die in Oesterreich zuerst einge- fiihrte Mineralol-Schmierung hat einen doppelten Werth, weil nicht nur sammt- liche Bahnen wesentliche Materialerspar- nisse erzielten, sondern weil gleichzeitig die Mineralol-Industrie in Galizien da- durch einen ungeahnten Aufschwung er- zielte. Im Jahre 1872 betrug bei den osterreichischen Bahnen der Verbrauch an Mineralschmierol bereits mehr als 500.000 kg. Seit den Achtziger-Jahren ist der Verbrauch an Mineralschmierol ziemlich gleichbleibend, 1500 t. Trotzdem seit Beginn des Eisenbahn- betriebes der Construction der Achslager stets viel Sorgfalt zugewendet und die Schaffung eines idealen Lagers angestrebt wurde, konnte es nicht gelingen, Lager- typen herzustellen, welche durch beson- dere Vorziige zur alleinigen allgemeinen Verwendung gelangten; es mehrten sich vielmehr mit jeder Neuerung und mit jeder Typenanderung der Wagen auch die Anzahl der verschiedenen Lagertypen. In dem Bestreben, das beste und dconomischeste Schmiermaterial und die hiefiir geeignetsten Lagertypen zu er- mitteln, hat der Oesterreichische Ingenieur- Verein im Jahre 1868 einen Preis ftir die beste geschichtlich-statistisch kritische Darstellung der bei Eisenbabnwagen an- gewandten Schmiervorrichtungen und Schmiermittel ausgeschrieben, welcher dem vorziiglichen Werke von E. Heu- singer von Waldegg zuerkannt wurde. In diesem Werke sind 141 Lagertypen der Bahnen des Vereins Deutscher Eisenbahn-Vervvaltungen, die im Jahre 1870 bestanden, dargestellt, und diese Zahl ist noch keineswegs vollstandig, da von vielen Bahnen nur deren wichtigste Lagertypen behandelt wurden. Wenn auch das lobliche Be¬ streben des Oesterreichischen Ingenieur- Vereins, und die mit seltener Sorgfalt und Objectivitat behandelte Darstellung des um das Eisenbahnwesen so hoch- verdienten Autors Heusinger von Waldegg gewiss im hohen Grade erfolgreich und nutzbringend war, so konnte es doch damals nicht gelingen, unter dem vielen Guten das Beste herauszufinden, und es blieb die Anzahl der Lagertypen in steter Zunahme. Dass auch die oster¬ reichischen Bahnen das Ihrige zur reich- lichen Schaffung von Wagenlagertypen beigetragen haben, mag daraus ersehen werden, dass dermalen [1897] im Wagen- park der k. k. Staatsbahnen allein 64 ver- schiedene Wagenlagertypen im Betriebe sind, in welche Zahl jedoch solche mit umvesentlichen Constructions-Differenzen und bereits cassirte Typen nicht einbezogen sind. Die Ursache dieser Mannigfaltigkeit lieet zunachst in der verschiedenen Form der Achsen, in der Verschieden- artigkeit des Schmiermaterials, in der Form und Steliung der Achsgabeln und Tragfedern, \velche gewisse Formen der Lager bedingen und eine Abvveichung nur mit grossen Kosten mbglich machen, und in dem Umstande, dass die Anzahl und Dauer der Lager sehr gross ist, und mehrere Jahrzehnte erforderlich sind, um minder zweckmassige Typen im Wege des normalen Ersatzes verschwin- den zu lassen. Bei dieser Fulle von Lagertypen ist es wohl nicht moglich, die historische Entvvicklung derselben genau zu ver- folgen, und es konnen nur wesentlichere Einzelheiten hervorgehoben werden. Die Wagen der alten osterreichischen Pferdebahnen hatten zwischen den Radern situirte Achshalse und direct an den Langtragern, beziehungsweise Achs- stocken befestigte Achslager. Bei der geringen Fahrgeschwindigkeit geniigte die Herstellung der Lager aus Gusseisen ohne Lagerschale. [Abb. 317.] Die altesten Wagenlager der Loco- motivbahnen waren nicht vollkommen ge- schlossen, sondern liessenden Achsstummel auf der unteren Seite oder an der Stirnseite frei [Abb. 318], es warhiebeidie Achseder Verunreinigung durch Staub und Sand, und den Witterungseinflussen preisge- geben. Diese fur Starrschmiere einge- richteten Lager, von welchen im Jahre 1863 auf den Linien der Oesterreichischen Staatseisenbahn - Gesellschaft noch 176 Stiick vorhanden waren, mussten nach etwa fiinfzehn zuruckgelegten Meilen bereits nachgeschmiert werden. Es wurden daher gleich vom Anfang an diese Typen Wagenbau. 505 nicht mehr weiter gebaut, sondern Lager mit geschlossenen Untertheilen und Vor- richtungen, welche das Schmieren des Achsstummels von unten ermoglichten, construirt. Die auf osterreichischen Bahnen in den Jahren 1847—1854 ausgefuhrten Lager zeigen bereits wesentliche Fort- schritte, man findet bei denselben Ober- kammern fiir feste, und Unterkammern fiir flussige Schmiere, in letzteren federnde Holzschemel. Desgleichen wurden zu auch die verschiedenen Constructionen. Fiir die Schmierung von oben wurde der Hauptwerth auf entsprechend ge- formte und eingesetzte Saugdochte, auf geniigend grosse Oelkammern und auf guten Verschluss der letzteren gesehen. Solche Lager wurden zuerst im Jahre 1854 auf der Kaiser Ferdinands-Nordbahn ausgefiihrt. [Abb. 319.] Es ergab sich jedocb bald das Be- diirfnis, das abfliessende Schmiermaterial Abb. 318. Achslager der k. k. Staatsbahnen. [1844.] Abb. 31C). Achslager der Kaiser Ferdinands-Nordbahn. [1854.] dieser Zeit bereits Dichtungsscheiben von Leder und mit Composition ausgegossene Rothgusslager ausgefiihrt. Man kann annehmen, dass in diese Zeitperiode der grosste Fortschritt in der Lagerconstruction fallt. Die weiteren Verbesserungen schlossen sich so ziemlich an diese Grundformen an und waren mehr oder weniger nur eine zweckentsprechendere Ausbildung derselben. Insoferne Oelschmierung ver- wendet wurde, waren die Ansichten ge- theilt, es gab Verfechter des Princips der Schmierung nur von oben, der Schmierung nur von unten. und der beiderseitigen Schmierung, demgemass in irgend einer Weise nutzbar zu machen. Dies fiihrte dazu, dass die Unterkammern mit Wolle, Lindenspanen etc. ausgefiillt wurden, wodurch einerseits ein Ver- schleudern des Oeles verhindert, anderer- seits eine Schmierung auch von unten erreicht wurde. Diese Lagertypen, bei welchen die normale Schmierung mittels Saugdochtes von oben und eine secundare Schmierung durch das Stopfmaterial des Untertheiles erfolgt, fanden ziemlich rasche Verbreitung und bildeten Haupttypen der Kaiser Ferdinands - Nordbahn, der Carl Ludwig-Bahn, der Bohmischen Westbahn, der Kaiser Franz Josef-Bahn [Abb. 320] u. a. Das zweite Princip, das der Achsen- Julius von Ow 506 schmierung von unten, war bei den oster- reichischen Bahnen bereits seit dem Jahre 1846 in Anwendung. Auf den siidost- lichen Linien der k. k. Staatsbahnen ent- hielten die Achsbuchsen des ersten Fahr- parkes [circa 2000 Lager] im Untertheile elastische Schmierschemel, welche mit Baumwollpliisch uberzogen und mitSaug- dochten versehen waren. Nachdem die fliissige Schmierung in Oesterreich von Anfang an besondere Beachtung fand, und es in der Natur dieser Schmiermittel liegt, durch Saug- wirkung der Verwendung zugefiihrt zu Abb. 320. Oellager der Kaiser Franz Josef-Bahn. [1872.] werden, so wurden auch die Achslager mit Schmierung von unten in Oesterreich besonders gepflegt, und stammen die darin gemachten Verbesserungen grossten- theils aus Oesterreich. Eine specifisch osterreichische Lagertype ist das Paget- Lager, welches, im Jahre 1853 einge- fiihrt, rasche Verbreitung fand und eine Haupttype der Staatseisenbahn-Gesell- schaft und der Kaiserin Elisabeth-Bahn [Abb. 321] bildete. Das Paget-Lager hat gegeniiber den alteren Lagertypen eine bedeutende Oel- ersparnis ergeben, und auch spater bei der Einftihrung des Mineralschmieroles sich gut bewahrt. Verschiedene Form- und Dimensions- anderungen hatten hauptsachlich den Zweck, einen moglichst dichten Abschluss zu erzielen. Besonders reichlich waren die Vorrichtungen, welche die Achse gegen das Lagergehause abzuschliessen hatten. Es wurden Dichtungsscheiben aus Leder, Filz, Holz in verschiedener Form verwendet; eine der alteren und besseren Dichtungsscheiben ist von L. Becker construirt und besteht aus zwei Halbscheiben, welche durch einen in eine Nuth eingelegten federnden Stahl- draht zusammengezogen und an die Achse angepresst werden. Diese Scheiben werden gewohnlich aus Linden- oder Pappelholz erzeugt. Die guten Resultate dieser Dich¬ tungsscheiben, welche ftlr alle Lager- systeme ange\vendet werden, brachten besonders in den Siebziger-Jahren eine Unzahl patentirter Lagerschutzscheiben hervor, welche jedoch meist auf dem- selben Princip beruhten. Wenn beriicksichtigt wird, dass bei den osterreichischen Bahnen in den Siebziger - Jahren drei Hauptgruppen von Lagern in Verwendung waren, Starrschmierlager, Saugdochtschmierlager und Paget-Lager, und dass die Starr¬ schmierlager meist auf den Aussterbe- etat gesetzt waren, so erklart es sich, dass weitere Lagertypen aus einer Verschmelzung der vorgenannten Typen hervorgegangen sind. Es wurde gross- tentheils die Schmierung von unten beibehalten, jedoch die etwas primitive Woll- oder Spane-Ausstopfung durch federnde Schmierpolster mit Saugdochten ersetzt; dies hatte zur Folge, dass der das Paget-Lager charakterisirendedoppelte Boden wieder durchbrochen wurde, um die Saugdochte der Schmierpolster in den unteren Oelraum zu fiihren. Die Schmierbehalter im Lagerobertheil wurden nur fiir Nothschmierung angebracht. Auf diesem Principe beruhen die meisten neueren Lagertypen. [Abb. 322.] Wenn demnach auch in Oesterreich zahlreiche Lagertypen bestehen, so haben sich alle doch so ziemlich aus den vorgenannten Grundtypen entwickelt. Die vielfach entstandenen und wieder verschwundenen oder nur in massiger Anzahl vorhandenen Lager von compli- | cirter, abenteuerlicher Form, mit Schopf- scheiben,Pumpwerken, rotirendenSchmier- walzen etc., hatten ihren Ursprung grossten- theils im Auslande, und fanden in Oester¬ reich nie besonderen Anwerth. Die Construction und das Materiale der Lagerfutter hat seit Beginn des Eisen- bahn-Betriebes wenig Aenderung erfahren ; es wurde stets Rothguss und Composi- Wagenbau. 507 tion verwendet, deren Qualitat sich im Laufe der Zeit ziemlich gleich geblieben ist, ebenso zeigt sich in der Anarbeitung wenig Unterschied. Abb. 321. Paget-Lager. [1858.] f) Tragfedern. DieTragfedern waren bereitsin der Vor- eisenbahnzeit bei Kutschen verwendet und sind von diesen auf die Eisenbahnwagen iibergegangen. Bei den alten Pferdebahn- wagen findet man noch die damals bei Kutschen iibliche sichelformige Feder mit den dariiber gelegten Hangeriemen. [Vgl. Abb. 323.] Bei den Locomotivbahnen war diese Anordnung nicht mehr moglich, weil die feste Verbindung der vi er Lager mit dem Rahmen nicht nur Entgleisungen verursacht, sondern auch eine gleiche Gewichtsvertheilung auf die einzelnen Rader unmoglich gemacht hatte. Man verband daher den Kasten mit dem Rahmen und gab die elastische Zwischen- lage zwischen Lager und Rahmen. Die Zusammensetzung der Tragfedern aus einzelnen Blattern war bereits bekannt, man hatte deshalb nur nothig, der Feder die richtige Form zu geben. Auch diese war naheliegend, nachdem fiir den Stiitz- punkt das Lager und fiir die Trage- punkte die Langtrager vorhanden waren. Demgemass wurde bei den alteren Wagen die Feder mittels Ueberlegplatte und Schrauben mit dem Lager verbunden und ihre abgerundeten Enden in guss- eiserne Gleitschuhe eingelegt, welche mit den Langtragern verschraubt waren. Diese Anordnung wurde noch bis zum Jahre 1870 vielfach fiir Giiterwagen an- ge\vendet, hatte aber den Uebelstand, dass das freie Spiel der Federn durch die Reibung in den Gleitschuhen sehr beein- trachtigt ward. Man zog es daher bereits zur Zeit des Beginnes des Eisenbahn- Wagenbaues vor, bei besseren Wagen die Enden der Federn in Augen zu rollen und mittels Bolzen und Hangeeisen mit am Rahmen befestigten Consolen zu ver- binden. Bei Personenvvagen werden diese Gehange mittels Schraubenmuttern stell- bar gemacht. In den Funfziger-Jahren wurden mehrfach an Stelle der Blatt-Trag- federn, Volutfedern angewendet, indem man vier solche Federn nebeneinander auf einen Schemel stellte, welcher mit dem Lagerobertheil gelenkig verbunden war; auf den oberen Enden der Federn ruhte in einem Schuh der Langtrager; diese Construction wurde jedoch bald vvieder verlassen. Eine wesentliche Ver- besserung in der Erzeugung der Blatt- tragfedern wurde Ende der Sechziger-Jahre durch die Herstellung von geripptem Federstahl erzielt. Abb. 322. Achslager der k. k. Staatsbahnen. [1894.] g) Bremsen. Ebenso wie der Strassenwagen der Stammvater des Eisenbahnwag;ens ist, ebenso stammt auch die Eisenbahnwagen- Bremse von der Strassenwagen-Bremse ab. Sieht man von der Starke der Be- standtbeile und der durch das Wagen- gerippe bedungenen strammeren Ver¬ bindung ab, so ist bei den alteren Eisen- bahmvagen-Bremsen nicht viel Neues gegeniiber den Strassenwagen-Bremsen zu finden. Wahrend man beim Strassen- 5o8 Julius von Ow wagen mit einem Antriebe nur die Rader einer Achse bremsen kann, beniitzte man bei den Eisenbahnwagen die steife Lage der Achsen, um zwei oder drei Rader- paare gleichzeitig zu bremsen, und versah vielfach auch jedes Rad mit zwei Brems- klotzen. Die Bremse bildete alsbald den Gegenstand eines fachlichen Studiums; dazu kamen noch die zahlreichen rverth- vollen Versuche und Experimente, welche zur Ermittlung der Bremsrviderstande und Bremswirkungen gemacht wurden, so dass bereits in den Vierziger-Jahren auf theoretischen Grundlagen construirte Bremsen gebaut wurden. Eine zablreiche Menge von Erfindungen befasste sich damit, die Bremswirkung durch Ver- minderung des Reibungswiderstandes in der Spindel zu erhohen und durch Be- seitigung des todten Ganges zu beschleu- nigen, letzteres hauptsacblich dadurch, dass durch selbstthatige Sperr- oder Schaltvorrichtungen die Anzahl der Kur- belumdrehungen beim Oeffnen der Bremse beschrankt wurde. In verschiedenen Varianten rvurden auch Schrauben mit verschiedener Ganghohe angewendet, so dass fiir den Leergang die grosse Steigung, fiir das Festziehen die geringe Steigung zur Wirkung kommt. Alle diese Con- structionen hatten den Mangel, dass die Kosten der Herstellung und Instand- haltung in keinem giinstigen Verhaltnisse zum erzielten Erfolg standen. Die meisten derartigen Ausfiihrungen blieben auf die Sphare des Erfinders beschrankt und ver- schwanden mit der Zeit wieder vom Schauplatze. Nachdem durch die Achsbelastung die Grenze der bei einem Wagen zu erzielenden Bremswirkung gegeben ist, so kann eine Erhohung der Gesammt- bremswirkung eines Zuges nur durch Vermehruno- der in Wirksamkeit tretenden G I ( Bremsen erreicht werden, und dies be- dingte wieder eine Vermehrung des Bremserpersonals. Man ersann daher verschiedene Einrichtungen, durch welche die Bremsen von zwei und mehr Wagen von einem Manne bedient werden konnen. Obwohl in Oesterreich auch verschiedene derartige Zweiwagen-Bremsen construirt vvurden, so gelangten dieselben doch nicht iiber den Versuch hinaus, weil bei Per- sonenzugen, welche grosstentheils aus Coupervagen zusammengestellt rvaren, die Bremsen durch die Conducteure ge- niigend besetzt rvaren, und bei Lastziigen es kaum moglich war, zusammenpassende Wagen dauernd mitsammen laufen zu lassen. Etwas ausgedehntere Anwendung fanden solche Systeme in Deutschland, und sei hier nur die Exterbremse er- rvahnt, rvelche im Jahre 1847 in Bayern eingefiihrt wurde und auf vielen bayrischen Linien bis in die Siebziger-Jahre in Betrieb war. Bereits bei dieser Bremse wurde die Menschenkraft wenigstens theilrveise durch ein Gewicht ersetzt, da man er- kannte, dass fiir grosse und rasche Brems- wirkungen die Menschenkraft allein nicht gentigt. Es war demnach das Bestreben der Gonstructeure dahin gerichtet, andere Krafte dienstbar zu machen. Solche Krafte fanden sich in Gewichten, Federn, Friction zwischen Radern und Schienen, Wasser, Luft, Dampf, Elektricitat und indirect in der Bufferpressung. Eine der altesten Constructionen beruht auf der Verwendung starker Federn, rvelche durch irgend einen Ausschalt-Mechanismus zur Wirksamkeit gelangten. Solche Systeme rvurden in den Vierziger-Jahren von Gre amer in Amerika, in den Fiinfziger- Jahren von Newall in England ausge- fiihrt, fanden jedoch auf dem Continente rvenig Nachahmung. Das Bestreben, die Pressung der Buffer als Bremskraft aus- zuniitzen, fiihrte auch in Oesterreich zu mehreren wohldurchdachten Construc¬ tionen. So rvurde bereits im Jahre 1854 eine Bufferbremse von Ri en er in Graz ausgefiihrt und spater auf dem Semme¬ ring in Betrieb genommen, ohne jedoch einen dauernden Erfolg zu erringen. Auch mehrere ahnliche spatere Projecte konnten nicht zu allgemeinerer Aus- fiihrung gelangen. Nachdem von H eb eri ein bereits im Jahre 1855 Versuche mit Frictions- bremsen gemacht rvurden, gelangte diese Bremse in den Sechziger-Jahren in Salz¬ burg zur rveiteren Erprobung, und wurde im Laufe der Jahre mehrfachen Ver- besserungen unterzogen. Das Princip dieser Bremse besteht darin, dass eine auf der Achse festsitzende Frictionsscheibe eine zweite solche Scheibe in Drehung Wagenbau. 509 versetzt und durch diese eine Kette auf- j wickelt, welche das Anziehen des Brems- gestanges bewirkt. Je nach der Starke. der Pressune; zwischen den Frictions- scheiben nimmt die Intensitat der Brems- wirkung zu oder ab. Diese Aenderung in der Pressung erfolgt dadurch, dass das Frictionsrad, in Hangeeisen beweg- lich, mittels Hebel- oder Zugstangenvor- richtungen beliebig angepresst werden kann. Um jedoch diese Bremse von einem Wagen oder von der Locomotive aus als Gruppenbremse fiir eine Reihe vonWagen oder einen ganzen Zug ver- wenden zu konnen, wurde ahnlich wie bei der Exterbremse eine Leine iiber den Zug gelegt, welche — iiber Rollen laufend — das Gestange, mit welchem die Frictionsrolle in Verbindung war, in Bewegung setzte und so die Frictions- rollen zum Eingriff brachte. Eine ahnliche Bremse wurde Mitte der Siebziger-Jahre von L. Becker con- struirt und auf der Kaiser Ferdinands- Nordbahn an einer grosseren Anzabl von Wagen ausgefiihrt. Bei dieser Bremse wurden die Radreifen als Frictionsrollen beniitzt, die Bremswelle war parallel zu der Radachse in Hangeeisen aufgehangt und trug gegeniiber den Radreifen Fric¬ tionsrollen, iiber welche ein mit Eisen armirter Holzring gelegt war. Durch Senken der Bremswelle wurde der Holz¬ ring von dem Radreifen in Drehung ver¬ setzt, welcher die Frictionsrollen und mit diesen die Welle in Bewegung setzte. Hiedurch wurde auf letzterer eine Kette aufgewickelt, welche die Bremse anzog. Sobald die Bremse festgezogen war, blieben die Frictionsrollen stehen und der Ring drehte sich leer um dieselben. Durch Heben der Welle kam der Rad¬ reifen und der Frictionsring ausser Be- rtihrung und die Bremse loste sich von selbst. Um diese Bremse als Gruppen¬ bremse zu beniitzen, wurde unter dem Wagen eine Kette geftihrt, durch deren Spannung die Frictionswellen gehoben wurden; diese Ketten wurden von Wagen zu Wagen tiber zwei gelenkig verbundene Kuppelstangen gefiihrt, welche an den Charnierenden mit Rollen versehen \varen. Dadurch war es moglich, eine grossere Anzahl Wagen, beziehungsweise deren Bremsen mitsammen zu verbinden, ohne einen empfindlichen todten Gang in der Kette zu erlangen. Wenn auch bei guter Instandhaltung und sorgfaltigerBedienung diese Bremse sowie die Heberleinbremse recht gute Resultate ergaben, so waren dieselben doch noch weit von dem Ziele der Wiinsche entfernt, und man konnte die giinstigen Resultate gewissermassen erzwungene Erfolge nennen. Allgemeines Aufsehen in den Fach- kreisen erregten Anfangs der Siebziger- Jahre die Berichte iiber die Erfolge, welche in Amerika die Luftdruckbremse von Westinghouse erzielte. Obwohl schon im Jahre 1854 von A n dr and die Venvendung comprimirter Luft als Bremskraft angeregt wurde, so gelangte doch erst circa 1866 eine Luft¬ druckbremse von Kendall in England zur Ausfiihrung. Bei dieser Bremse wurden mehrere Luftpumpen mittels Riemen von der Wagenachse aus betrieben, welche die Luft in Reservoirs comprimirten. Durch Ventile konnte die comprimirte Luft von diesen Reservoirs in die Brems- cylinder gelassen und durch diese die Bremsgestange in Thatigkeit gesetzt werden. Durch eine langs der Wagen gefiihrte und zwischen denselben ge- kuppelte Rohrleitung waren die Brems- cylinder der einzelnen Wagen verbunden. Dieser Bremse hafteten aber so nambafte Mangel an, dass sie ebenso wie die Heberlein- und Beckerbremse nur in beschranktem Masse zur Ausfiihrung ge¬ langte, hauptsachlich jedoch wurde sie von der viel besseren Westinghousebremse verdrangt. Der grosse Vortheil, welchen diese Bremse vor der Kendalhschen und allen friiheren Bremssystemen hat, besteht darin, dass der Locomotivfuhrer dieselbe durch einen Handgriff ohne weitere Kraft- anstrengung in Thatigkeit setzen kann, dass dieselbe auch von irgend einem Wagen aus im ganzen Zuge zur Wirkung ge- bracht werden kann, und nicht nur rasch und kraftig sondern auch selbstthatig func- tionirt, wenn eine Storung in der Luftleitung eintritt. Ohne auf das Wesen, die Ein- zelheiten dieser Bremse, fiir welche eine reiche Literatur besteht, naher einzugehen, sei hier nur bemerkt, dass im Gegensatz zur Kendallbremse die gepresste Luft 5io Julius von Ow. nicht durch die Rohrleitung in die Cylinder gelangt, wenn gebremst iverden soli, sondern dass umgekehrt die in den Hilfs- behaltern enthaltene comprimirte Luft in die Cylinder ubertritt, sobald der Luft- druck in der Rohrleitung vermindert wird. Dies vvird durch Oeffnen von Hahnen oder Ventilen in der Rohrleitung bewirkt. Durch eine automatisch wirkende Dampf- Luftpumpe auf der Locomotive wird permanent die bestimmte Luftpressung in der Leitung erhalten, beziehungsweise nach Gebrauch erneuert. So ganz ein- fach ist die Sache allerdings nicht, und es sind sehr sinnreiche und complicirte Mechanismen, welche die vorenvahnte Wirkung ermoglichen; insbesondere sind die Functionsventile, durch welche der Lufteintritt in die Cylinder und Hilfs- reservoirs und gleichzeitig der Luftaustritt bewirkt wird, Bestandtheile, deren genaue Kenntnis einbesonderes Studium erfordert. Gleichzeitig mit der Luftdruckbremse wurde in England auch die Luftsauge- bremse, die Vacuumbremse, zuerst von Smith ausgefiihrt. Diese machtige Con- x currentin der Luftdruckbremse, ahnlich in der Wirkung, beruht auf dem ent- gegengesetzten Princip. Bei der Vacuum¬ bremse wird eine Luftleere in der Rohr¬ leitung und in den Cylindern hergestellt, und gelangt hiebei in letzteren der natiir- liche Luftdruck zur Wirkung. Das Vacuum wird erst erzeugt, wenn die Bremswir- kung eintreten soli. Der wesentlichste Bestandtheil derselben ist der Ejector, der Dampfluftsauger, welcher auf der Locomotive angebracht ist. Wird durch denselben Dampf gelassen, so saugt er sehr rasch die Luft aus der Rohrleitung des ganzen Zuges und aus den einzelnen V acuumcylindern. In richtiger Erkenntnis der Trag- weite, welche die Einfiihrung conti- nuirlicher Bremsen fiir den Verkehr der schnellfahrenden Ziige haben miisse, wendete sich das Interesse der Fach- manner mit grosser Lebhaftigkeit der Bremsfrage zu, dieselbe wurde in tech- nischen Zeitschriften behandelt, in Fach- vereinen besprochen, und wahrend man dariiber einig war, dass continuirliche Bremsen ein Bediirfnis seien, theilte sich das Lager in Vertreter der selbst- thatigen und nicht selbstthatigen Sy- steme; auch in den osterreichischen Fachkreisen wurde die Bremsfrage mit Lebhaftigkeit discutirt, und die Eisen- bahn-Directionen entsendeten Delegirte nach England zum Studium der neuen Systeme. Wahrend man sich in Eisen- bahnkreisen in wissenschaftlichen De- batten erging, erfasste der Chef der Siidbahnwerkstatte, J. Hardy, die Sache vom praktischen Standpunkte, er brachte die Smith’sche Bremse von England nach Oesterreich, er verbesserte die¬ selbe durch Einfiihrung der Vacuurn- cylinder mit Lederkappen, der Schlauch- kuppelungen und sonstiger Details und war Mitbegriinder und Vertreter der Vacuum Brake Company. So gelangte diese Bremse Ende der Siebziger-Jahre bei der Siidbahn zur Ausfiihrung, dort lernten sie andere Bahnverwaltungen kennen und begannen sie versuchs- weise einzufiihren. Doch auch die Ver¬ treter der Luftdruckbremsen waren nicht miissig, dieses System, das in Deutsch- land und Frankreich bereits Boden ge- fasst hatte, auch in Oesterreich einzu- fiihren. Im Jahre 1882 richtete die k. k. Direction fiir Staatseisenbahn - Betrieb zvvei gleiche Ziige mit Vacuum- und mit Westinghousebremse ein und ver- anstaltete parallele Probefahrten liber die Linien der Salzkammergut-Bahn, an welchen Vertreter sammtlicher oster- reichischer Bahnen theilnahmen. Bei diesen Fahrten ergab sich, dass auf lan- gen Gefallsstrecken die Vacuumbremse viel gleichmassiger und regelmassiger functionirte als die Westinghousebremse, und es diirfte der Erfolg dieser Fahrten geivesen sein, welcher die osterreichi¬ schen Bahnen fiir die Vacuumbremse gewann. Einmal in grosserer Menge eingefuhrt, war es fiir andere Systeme schwer, noch in eine erfolgreiche C011- currenz zu treten. Im Jahre 1885 war die Vacuumbremse bereits bei 29 ver- schiedenen Bahnen Oesterreich-Ungarns eingefuhrt und an 1204 Locomotiven, 3014 Brems\vagen und 1386 Leitungs- wagen angebracht, im Jahre 1895 er- reichte dieselbe die Zahl von 2931 Lo¬ comotiven, 8733 Bremswagen und 6259 Leitungswagen. Wagenbau. 511 Bei den k. k. osterreichischen Staats- bahnen \vurden auch Versuche mit der Carpenter-Luftdruckbremse und der Korting’schen Vacuumbremse, jedoch ohne dauernden Erfolg, gemacht. Die Streitfrage, ob automatisch oder nicht automatisch, kam jedoch nicht zur Kuhe, die bequeme Handhabung, die nicht iibermassige Empfindlichkeit gegen kleine Gebrechen und die geringen Instand- wurde, so konnte doch die einfache Hardybremse nicht mehr als den neuesten Luftdruckbremsen vollkommen gleich- werthig angesehen werden. In richtiger Erkenntnis dessen, dass die nicht auto- matischen Bremsen in der ferneren Zu- kunft doch nicht mehr entsprechen werden, wurde seitens der Vacuum Brake Company die Construction einer selbstthatigen Vacuumbremse in Angriff genommen. Abb. 323. Personemvagen der Linz-Budweiser Pferdebahn. [1828.] i iii 7 i hT . hT^ f H 4?-1- 1 haltungskosten sprachen sehr zu Gunsten der Hardy’schen Vacuumbremse, woge- gen nicht in Abrede zu stellen war, dass die selbstthatige Wirkung der Luft¬ druckbremsen und die raschere Wirkung der neueren Typen dieses Systems nicht zu unterschatzende Vortheile sind. Es wurde daher neuerdings in den Kreisen der osterreichischen Bahnvenvaltungen in Erwagung gezogen, ob die einfache Hardybremse den Anforderungen der Zukunft noch gentigen werde, oder ob man sich entschliessen miisse, auf eine automatische Bremse iiberzugehen. Wenn auch unter dem Drucke der Kostenfrage letzteres Bediirfnis noch nicht anerkannt Bereits im Jahre 1889 wurden die ersten Fahrbetriebsmittel der Bosna-Bahn mit automatischer Hardybremse ausgefiihrt, des Weiteren wurde der ganze Fahrpark dieser Bahn fiir die automatische Vacuum¬ bremse eingerichtet. Der wesentlichste Bestandtheil dieser Bremse ist der auf der Locomotive angebrachte, ausserst sinnreiche Combinations-Ejector, in wel- chem durch die einfache Bevvegung eines Drehschiebers die verschiedenen Phasen der Bremsung zur Wirkung gebracht werden konnen. Bei ungebremster Fahrt befindet sich in den Cylindern beider- seits des Kolbens Luftleere. Wird nun Luft in die Rohrleitung eingelassen oder 512 Julius von Ow. dringt dieselbe, z. B. durch Reissen eines Schlauches, ein, so entsteht sofort hinter dem Kolben Luftiiberdruck, welcher sich bis zum Atmospharendruck steigert. Der Locomotivfiihrer hat es vollkommen in seiner Hand, die Differenz des Luft- druckes vor und hinter dem Kolben, mit- hin den Bremsdruck durch die Stellung des Drehschiebers zu variiren. Die auto- matische Vacuumbremse hat mithin nicht nur die Vorztige der einfachen Vacuum¬ bremse, sondern auch jene der ubrigen automatischen Bremsen. Wenn auch nur nach Secunden gemessen, ist doch einige Zeit erforderlich, bis die entleerte Rohrleitung und die Raume in den Cy- lindern mit der durch den Drehschieber einstromenden Luft gefiillt werden. J. Hardy hat deshalb schnell wirkende Ventile construirt, welche an jedem Brems- wagen angebracht sind. Diese Ventile sind derart eingerichtet, dass durch eine momentane, also stossartig eintretende, wenn auch geringe Druckdifferenz in der Leitung eine Umstellung dieser Ven¬ tile und damit eine Verbindung des Cylinder-Untertheiles mit der freien Luft bewirkt wird, wodurch die Bremswirkung plotzlich eintritt. Wenn auch die auto- matische Vacuumbremse durch die ver- schiedenen fein construirten Bestand- theile sich hinsichtlich der Complicirtheit den Luftdruckbremsen von Westinghouse, Schleifer und Carpenter nahert, so sind da¬ mit doch auch alle jene Vorziige erkauft, vvelche den letzteren zugeschrieben werden. Im Jahre 1895 wurden auf der Lime Wien-Gmiind sehr interessante Vergleichs- versuche mit Vacuumbremsen angestellt, von welchen hier nur einige Daten angefiihrt sein mogen. Der Zug be- stand aus siebenWagen mit 27 Achsen, hatte eine Lange von 132 m , ein Gewicht von 211 t [exclusive Locomotive] und war ftir gewohnliche Vacuumbremse sowie ftir automatische Vacuumbremse mit und ohne Schnellventilen eingerichtet. Bei einer Geschwindigkeit von 72 km bei Beginn der Bremsung, gelangte der Zug zum Stillstand bei einfacher Va¬ cuumbremse in 42 Secunden, bei auto- matischer Vacuumbremse in 31 Secunden, bei letzterer mit Schnellventilen in 23 Secunden. Die entsprechend zuriickge- legten Wege, vom Beginn der Bremsung bis zum Stillstand, betrugen 580, 395, 280 m. Man sieht, dass unter gleichem Verhaltnis der Zug mit schnell wirken- den Ventilen um eine Distanz von 300 m friiher zum Stehen kam. Bei einer Ge- schwindigkeit von 86 km betrug diese Differenz bereits 400 m. Je geringer die Geschwindigkeit der Fahrt, desto geringer ist auch der Unterschied im Bremseffecte. Auf Grund dieser Resul- tate hat sich die k. k. General-Direction der Oesterreichischen Staatsbahnen ver- anlasst gesehen, zunachst den Luxuszug Wien-Carlsbad mit der automatischen schnellwirkenden Hardybremse auszu- rtisten. Noch eine \veitere sinnreiche Einrichtung hat J. Hardy getroffen, durch welche es moglich wird, die auto¬ matische Bremse auch einfach wirken zu lassen. Es ist dadurch die Moglich- keit geboten, solche Wagen nach Belie- ben mit Wagen, die nur fiir einfache Bremse eingerichtet sind, in einem Zuge zusammenzustellen. — Bis zum Jahre 1895 waren in Oesterreich bereits 122 Loco- motiven und 624 Wagen fiir die auto¬ matische Vacuumbremse eingerichtet. Die Luftdruck- und Luftsaugbremsen sind von dem Luftmotor auf der Loco¬ motive und von der geschlossenen Lei¬ tung abhangig, und deshalb nur fiir Personenziige geeignet, vvogegen deren Anwendung fiir Giiterziige uniibersteig- bare Hindernisse entgegenstehen, da es nicht moglich ist, dass sammtliche Giiter- wagen Europas fiir ein einheitliches Bremssystem eingerichtet werden. Selbst Gruppenbremsen, wie die Becker’sche, konnten nur bei einem geschlosse¬ nen Giiterzug-Verkehr, wie der Kohlen- verkehr auf der Nordbahn, einigen Werth fiir kurze Zeit finden. Es eriibrigt noch die Erwahnung der Schmid’schen Schraubenrad-Bremse, eine Nachfolgerin der Heberleinbremse, welche in Oesterreich auf der Kremsthalbahn ein- gefiihrt wurde. Obwohl dieselbe in ihrer dermaligen Ausfiihrung mit den Luft¬ druck- und Vacuumbremsen nicht con- currenzfahig ist, so ist dieselbe doch in- soferne von Interesse, als die Aufgabe, die Achsendrehung als Antrieb der Bremse zu beniitzen, sehr sinnreich ge- Wagenbau. 513 Abb. 324 b. II. Classe. Abb. 324 c. III. Classe. Geschichte der Eisenbahnen II. Abb. 324 d. IV. Classe. 33 514 Julius von Ow. lost ist. Bei dieser Bremse wird durch die Frictiomšrollen von der Achse aus eine Schraube bewegt, welche in ein Wurmrad eingreift, dieses iibertragt die Bewes;ung durch Friction zweier Reib- scheiben auf die Kettentrommel des Bremsgestanges. Die' Pressung zwischen den Reibscheiben ist beliebig stellbar, wodurch auch ein beliebiger Maximal- Bremsdruck eingestellt werden kann. Durch eine Hebelcombination ist die Einrichtung getroffen, dass bei einem bestimmten Bremsdrucke die Frictions- rollen automatisch ausgelost werden, ■svoeea-en das Schraubenrad das selbst- thatige Aufgehen der Bremse hindert. Das Losen der Bremse erfolgt durch Aufhebung der Pressung zwischen den Reibscheiben; das Einschalten der Bremse wird dadurch bewirk.t, dass mittels eines Hebels die Frictionsscheiben zum Ein- griff gebracht werden. Die Bewegung der Hebel kann entweder, wie bei der Heberleinbremse, mittels einer Leine, oder auf pneumatischem oder elektri- schem Wege erfolgen. Die Mangel aller Frictionsbremsen, Empfindlichkeit gegen Witterungseinfltisse etc., sind auch bei diesem System nicht ganzlich beseitigt. Unsere besten Bremssysteme wilrden kaum moglich. geworden sein, wenn die- selben noch mit holzernen Bremsklotzen arbeiten miissten. Die kurzen Wege, welche den Bremsklotzen gestattet wer- ,den, der momentane grosse Druck und die grosse Umdrehungs-Geschwindigkeit der Kader verlangen ein widerstands- fahigeres Materiale als Holz. Bis in die Siebziger-Jahre glaubte man, dass Holz. das einzig richtige Materiale fiir Bremsklotze sei. In dem Beschluss der Miinchner Eisenbahntech- niker - Versammlung vom Jahre 1868 heisst es unter Anderem : »Von fast allen Bahnen werden Bremsklotze von Pappel- holz empfohlen.« Als man allmahlich Versuche mit Bremsklotzen aus Schmiede- eisen, Hartguss, Stahlguss, Gusseisen machte, gelangte man schliesslich zu dem Resultate, dass hartes Gusseisen dem Zwecke vollkommen geniige und auch das billigste Materiale sei. Es werden demnacli seit circa 15 Jahren keine Wagen mit holzernen Bremsklotzen gebaut, und bei alten Wagen diese all¬ mahlich durch eiserne ersetzt. Fiir die Unterbrinomn«; des die Brem- sen bedienenden Personals, fiir die Con- ducteure und Bremser, war in der ersten Zeit des Eisenbahnbetriebes sehr \venig vorgesehen. Auf den altesten Coupe- \vagen findet man auf dem Dache ganz frei einen kleinen. Sitz, beinahe ohne Lehne, zu welchem nur einige sehr schmale und hochgestellte Fusstritte fiihren, wie solche damals bei Kutschen und Omnibussen iiblich ■waren. Es ist ein Verdienst der oster- reichischen Bahnen, dass diese frtiher und ausgiebiger fiir den Schutz der Zugs- begleiter vorgesehen hatten, als die meisten auslandischen Bahnen, insbeson- ders jene Amerikas, \vo in dieser Bezie- hung noch wenig Riicksicht geribt wird. In den seit dem Jahre 1892 bestehenden behordlichen Vorschriften liber die Bau- art der Fahrbetriebsmittel fiir oster- reichische Bahnen ist nur mehr die Aus- fiihrung von gedeckten Plateaux und mindestens von drei Seiten geschlossenen Bremserhiittchen gestattet. II. Personenwagen. Der Personenwagen der Linz-Bud- weiser Pferdebahn [Abb. 323] war eine auf ein Eisenbahnwagen-Gestelle in Federn gehangte Strassenkutsche, und auch die Wagen englischer Type schlossen sich im Kastenbau noch ganz der Bauart der damals iiblichen Strassenreisewagen an. Letztere Wa- gen, welche als ein Opfer der Eisen- bahnen seit Jahrzehnten aus dem Ver- kehre : verschwunden sind und vielleicht nur vereinzelt noch als Raritat in Re- niisen alter Palais sich finden, waren ganz achtbare Leistungen der damaligen Wagenbauer und dienten den Eisenbahn- Wagenbauem in mancher Hinsicht als Vorbild. Insbesonders war die Form, Polsterung und Tapezirung der Sitze und Lehnen, die Bauart der Seitenthiiren, die herablassbaren Fenster und Vorhange diesen Wagen entlehnt, auch die Arm- schlingen beiderseits der Coupethiiren Wagenbau. 515 Abb, 325 d. Grundriss eines Personemvagens. 33 ' Julius von Ow. findet man noch in Eisenbahnwagen, ebenso wie in der ausseren Verschalung die Kutschenform wenigstens markirt wurde. Es war also fiir die besseren Classen der Personenwagen die Grund- lage einer ziemlich soliden Ausstattung bereits vorhanden. Die erste Ausriistung der Kaiser Ferdinands-Nordbahn bestand aus 66 Personenwagen. [Abb. 324 a, b, c, d.] Die Wagen I. Classe enthielten drei Coupes mit 18 Sitzplatzen, waren wie Kutschen ausgestattet, gepolstert und mit Tuch iiberzogen und hatten Glasfenster. Die Wagen II. Classe waren bescheidener gehalten, dieselben enthielten 24 mit Leder iiberzogene Sitzplatze, jedoch keine Abtheilungs- \vande, dieselben hatten vorne und riick- warts geschlossene Štirn wande, waren auf der Seite offen und nur mit Leder- vorhangen verschliessbar. So viel An- nehmlichkeit wurde den Passagieren der Wagenbau. 517 Wagen III. Classe nicht mehr geboten. Diese Wagen hatten keine geschlossenen Stirnwande, sondern nur ein auf Saulen ruhendes Dach und seitliche Plachen; sie enthielten 32 einfache holzerne Sitze. Endlich gab es noch ungedeckte Wagen IV. Classe. Fiir dieWien-Gloggnitzer Bahn wurden im Jahre 1842 115 Personemvagen be- schafft [Abb. 325 a, b, c, d], dieselben waren vierachsige Durchgangswagen mit Plateau-Aufgangen. Die Wagen I. Classe hatten 56, die II. Classe 64, die III. Classe 72 Sitzplatze; die I. und II. Classe hatten Glasfenster,die III. Classe nur Plachen. Die Ausstattung war j en er der Wagen der Kaiser Ferdi- nands-Nord- bahn ziemlich gleich. Nachdem man bald nach Beginn des ersten Eisen- bahn-Verkehrs zur Ueberzeu- gung gelangte, dass offene oder nur theihveise geschlos- sene Wagen dem regelmassigen Verkehre nicht geniigen, so wurde der Bau soleh er Wagen nicht mehr fortgesetzt und man versah auch die Wagen II. und III. Classe mit beweglichen Fenstern. ■ Die Dimensionen der altesten Eisen- bahnwagen zeigen zwar schon eine wesentliche Vergrosserung gegenliber den Strassenwagen, waren jedoch nach unseren heutigen Anschauungen nur auf das Noth- vvendigste beschrankt. Besonders geniig- sam war man in den Hohendimensionen, \velche ein aufrechtes Stehen selbst Per- sonen mittlerer Grosse nicht mehr ge- statteten. Die durchschnittlichen Ab- messungen eines Coupžs waren im Jahre 1838: Hohe i - 6o, Breite 175, Lange i'6 m, wahrend dieselben im Jahre 1868 durchschnittlich betrugen: H 5 he 2'00, Breite 2 - 5, Lange r8 m. Es entfiel demnach fiir einen Passagier II. Classe im Jahre 1838 ein Luftraum von circa 0'56 m 3 , und im Jahre 1868 ein soleher von circa ri m 3 , mithin fand nahezu eine Verdoppelung des Rauminhaltes pro Sitzplatz statt. Der Vergleich der Skizzen [Abb. 326, 327 und 328] von Personen- wagen aus den Jahren 1838, 1868 und 1898 zeigt das Verhaltnis der Haupt- dimensionen der Personenwagen aus jenen Zeitperioden. Die Einthei- lung der Clas- sen hat sich vom Anbeginn des Eisenbahn- Betriebes bis in die Neuzeit so ziemlich gleichmassig erhalten; die vierte Wagen- classe erfreute sich jedoch in Oesterreichnie einer besonde- ren Frequenz und wurde all- mahlich ganz- lich aufgelas- sen. Auf die glei- che W agen- breite entfallen drei Sitze I. Classe, oder vier Sitze II. Classe, oder fiinf Sitze III. Classe; dieses Verhaltnis, welches bereits bei den ersten Wagen bestand und als eine allgemeine Norm angenommen ist, ent- spricht auch den iibrigen raumlichen Verhaltnissen, mit Ausnahme der Hohe des WagenS, welche durch das vorge- schriebene Maximalprofil beschrankt wird. Wahrend urspriinglich fiir jede Wageir- classe separate Wagen gebaut wurden, ergab sich spater die Nothwendigkeit, gemischte Wagen zu bauen, und insbe- sondere \varen es die Wagen I. Classe, welche wegen ungeniigender Ausniitzung seltener gebaut und mehr durch gemischte [I. und II. Classe] ersetzt wurden. Eine aus den Fiinfziger-Jahren stammende Er- hohung der Bequemlichkeit war die Abb. 329. Personenwagen mit Halb-Coupe und Schlafsitzen. [1870.] 5i8 Julius von Ow. Eintheilung von Halb-Coupes, welche sowohl fiir I. als II. Classen in Anwen- dung kamen. [Abb. 329.] Die Halb-Coupes I. Classe wurden bereits in den Fiinfziger - Jahren als Schlaf-Coupes eingerichtet, indem an der Stirnwand umklappbare Fussschemel angebracht wurden, \velche in umgelegter Stellung eine Verlangerung des hervor- gezogenen Sitzes bildeten, so dass aus Riicklehne, Sitzpolster und Schemel ein ganz bequemes Ruhebett gebildet tvurde. Kopfkissen. Eine andere Anordnung bestand darin, dass ein vollstandiges Ruhe¬ bett senkrecht gestellt in die Riickwand des Sitzes eingelassen war und in Char- nieren umgelegt werden konnte, wobei es iiber zvvei gegeniiber stehende Sitze zu liegen kam. Diese Anordnung er- fordert eine Vergrosserung des Coupes, beziehungsweise die Einschaltung eines Zwischenraumes žwischen den Coupes zur Unterbringung des Ruhebettes. Die Construction dieser verschiedenen mecha- Wahrend die Halb - Coupes I. Classe grčsstentheils mit Einrichtungen zur Um- gestaltung der Sitze in Schlafstellen ver- .sehen waren, bestanden solche bei den ■ Voll-Coupes I. Classe nur vereinzelt. Grosstentheils war die Einrichtung ge- troffen, dass durch aufklappbare Arm- lehnen dtei neben -^inander befindliche Sitze als Schlafdivnn beniitzt werden konnten; die Verschiebbarkeit der Sitz¬ polster gestattete dann noch diese Lager- statte zu verbreitern. Es wurden auch ver- schiedene Einrichtungen getrotfen, um zwei gegeniiber liegende Sitze zu einer Lagerstatte zu verbinden, besonders da- durch, dass man die Sitze auf gelenkige Fiisse stellte, welche eine Vorbevvegung und geringe Neigung der Sitze ermog- lichten; gleichzeitig war auch die Riick¬ lehne beweglich und bildete ein bequemes nischen Einrichtungen zur Umwandlung vonSitzplatzen in Schlafstellen beschaftigte besonders den Wagenbau Ende der Sech- ziger- und Anfangs der Siebziger-Jahre. Es waren derartige Einrichtungen bei den meisten in der Ausstellung im Jahre 1873 ausgestellten Wagen zu finden. Wenn es auch gelang, mit den erwahnten Einrich¬ tungen bequeme Lagerstatten herzustellen, so konnten dieselben doch noch kein Bett ersetzen., Die ersten Wagen der Wien-Glogg- nitzer Bahn boten einen grossen Fassungs- raum bei relativ geringem Eigenge- \vicht und hatten alle Vorztige, welche man damals fiir einen lebhaften Local- verkehr bei nicht zu langer Fahrdauer verlangte; man fand daher die Wahl dieser Type sebr entsprechend und es muss dieser Beurtheilung auch heute 5i9 Wagenbau. noch beigestimmt werden, wenn beriick- sichtigt wird, dass dieselbe im Grossen und Ganzen die Grundtype unserer neuesten Localzugwagen geworden ist. Es war dah er naheliegend, dass bei der Beschaffung der Fahrbetriebsmittel fiir die nordlichen Staatsbahnlinien in den Jahren 1844 — 1854 die Type der Wien- Gloggnitzer Bahn beibehalten wurde. Nachdem diese Wagen bereits fiirlangere Linien bestimmt waren, konnte man dem Publicum nicht mehr die dichtgedrangten und leichtgehaltenen Sitzplatze bieten, sondern es musste ftir mehr Raum und Bequemlichkeit vorgesehen werden. Es wurden demnach die Sitze I. und II. Classe gut gepolstert und mit hohen gepolsterten Lehnen versehen, insbesonders die Sitze I. Classe wurden mehrfach in Fauteuil- form hergestellt; auch die Sitze III. Classe wurden bequemer geformt und mit Lehnen versehen. Die Sitzreihen wurden paar- weise gegeniiber gestellt, so dass Ab- theilungen zu zwei oder vier Sitzen ge- bildet wurden. Fiir zwei gegeniiberliegende Sitze wurde eine Lange von i'3 bis i'7 m gewahrt und in der Breitenrichtung \vurden bei I. und theilweise II. Classe nur drei Sitze, bei III. Classe vier Sitze [Abb. 330] angeordnet, endlich wurden die Wagen vielfach als gemiscbte Wagen I., II., oder I., II., III., oder II., III. Classe gebaut und durch Scheidewande. in mehrere Abtheilungen getheilt. [Abb. 331.] Bei der grosseren Verzweigung der Eisen- bahnen und Verlangerung der Linien kamen jedoch die M angel dieser Wagen immer mehr zur Geltung. Sovvohl fiir das reisende Publicum, als auch fiir den Be- trieb erwiesen sich kleinere Wagen mit abgeschlossenen Coupes zweckmassiger, indem sich in denselben die Reisenden gegenseitig weniger belastigten und fiir langere Fahrten bequemer einrichten konnten; umsomehr, als damals fiir Be- heizung, gute Beleuchtung, Closets etc. noch nicht vorgesehen war. Man baute daher fiir Hauptlinien nur mehr Coupe- wagen und verwendete die amerikanischen Wagen fiir den Localverkehr, in welchem sie vorziigliche Dienste leisteten, und wo sie theihveise heute noch Verwendung finden. Mit diesen vorhandenen vierachsigen Wagen wurde der Bedarf auf den Local- strecken der Stidbahn und Staatseisen- bahn-Gesellschaft durch lange Zeit ge- deckt. Erst im Jahre 1872 ergab sich das Bediirfnis, eine Vermehrung-der aus- schliesslich fiir den Localverkehr be- stimmten Wagen vorzunehmen. Da jedoch mittlerweile der Bau zweiachsiger Wagen wesentliche Fortschritte gemacht hatte, wurden die amerikanischen Wagen nicht mehr vierachsig mit Drehgestellen oder mit Adams-Achsen, sondern etwas kiirzer und zweiachsig gebaut. Es war dies 520 Julius von Ow. die auf der Siidbahn zuerst und bald darauf auch auf der Kaiserin Elisabeth- Bahn gebaute Localzug-Type [Abb. 332], welche heute noch als solche gebaut wird und neuester Zeit auch fiir die Wiener Stadtbahn angenommen wurde. [Abb. 333.] Es ist wohl selbstverstandlich, dass hier nur die Grundziige der Type und die Gesammteintheilung in Betracht kom- men, und dass in den Details im Laufe der Zeit wesentliche Aenderungen stattge- funden haben. Wahrend die an die Wagen fiir den Localverkehr gestellten Anforderungen durch die Intercommunications-Wagen mit Mittelgang zo ziemlich befriedigt wurden, konnte es nicht so leicht gelingen, bildgte bereits vom Anbeginn des speciel- len Eisenbahnwagen-Baues eine schwere Aufgabe, deren Losung andauerndes Stu- dium und zahlreiche Versuche in An- spruch nahm. Die Type der Wagen selbst \var fiir die Einrichtung der Beheizungsanlagen von nebensachlichem Einflusse, weshalb mit dem Fortschritte in den Beheizungs- systemen die allmahliche Einfiihrung der- selben sowohl bei Coupewagen als Inter- communications - Wagen gleichmassig stattfand. Von wesentlicherer Bedeutung fiir die Bauart der Wagen war die Unterbringung von Closets in denselben. Der Umstand, dass bei dem Betriebe den viel hoher gespannten Anforderun¬ gen des Fernverkehrs ebenso rasch zu : geniigen. Die alten amerikanischen Wa- gen waren bereits ganzlich aus dem Fernverkehr eliminirt, die neueren Coupe- \vagen waren zwar viel besser, aber es gab noch genug der Wlinsche, wel- chen die Wagenconstructeure entsprechen sollten. Es war besonders die Zeitperiode Anfangs der Siebziger-Jahre, in -welcher man mit dem gewohnlichen Coupe- wagen nicht mehr zufrieden \var und noch etwas mehr verlangte, als bequeme Sitzplatze, wenn sich dieselben auch zu Schlafstellen umgestalten lassen. Beson¬ ders in zwei Hinsichten waren Verbesse- rungen nothwendig, in Herstellung einer entsprechenden Beheizung und in Anbrin- gung von bequem zuganglichen Closets. Die Waggonbeheizung, welche noch an anderer Stelleeingehend besprochemvird,*) *) Vgl. Bd. II, Beheizung und Beleuchtung der Wagen von R. Freiherrn von Gost- k o w s k i. der ersten Eisenbahnen in allen Stationen reichliche Aufenthaltszeiten vorgesehen waren, brachte es mit sich, dass der Mangel an derartigen Einrichtungen im Zuge kaum fiihlbarer war als bei irgend einem Strassenverkehrsmittel, und dass man tiberhaupt gar nicht daran dachte, derartige Anforderungen an die Eisen¬ bahnen zu stellen. So wie fiir die Beheizung, stellte sich auch das Bediirfnis nach Closets zuerst bei jenen Dienstwagen ein, welche das Personal wahrend der Stationsaufenthalte nicht verlassen darf, also bei den Post- wagen und Gepackswagen. Man findet demnach auch bereits die altesten Post- und Gepackswagen mit Aborten versehen, welche zwar einfach ausgestattet waren, aber doch fiir das Personal geniigten. Die Closets in den Gepackswagen waren auch dem Publicum zuganglich und wurden deshalb etwas besser ausge¬ stattet; manche Bahnen hatten auch je zwei Closets in den Gepackswagen. Dies Wagenbau. 521 musste fiir Jahrzehnte den Anforderungen geniigen, obwohl wahrend dieser Zeit sich derZugsverkehr wesentlich geandert hatte. Die Ziige wurden langer, die Aufenthalts- zeiten wurden kiirzer, und es vergingen mehrere Stunden von einem langeren Aufenthalte bis zum nachsten. Die Unterbringung von Closets in den Personenwagen musste unbedingt eine ungiinstigere Raumausniitzung ftir die Sitzplatze zur Folge haben, und des- halb ist es wohl erklarlich, dass die Her- stellung solcher Einrichtungen nur sehr eine Stirnthiire in eine Abtheilung ge- langt, in welcher sich recbts ein Warte- sitz, links das Closet befindet. Nachdem einmal der Anfang gemacht war, folgten rasch verschiedene Projecte und Aus- fiihrungen, so dass bereits in der Wiener Weltausstellung 1873 die meisten der ausgestellten Wagen I. und II. Classe Closets enthielten. Es wiirde zu \veit fuhren, die ver- schiedenen projectirten und ausgefuhrten Wagentypen mit Closeteinrichtungen ein- zeln zu besprechen, und sei nur so viel Abb. 333. Personemvagen der Wiener Stadtbahn.' [1897.] zogernd in Angriff genommen wurde. Bezeichnend ist, dass noch in den Sechziger-Jahren Salomvagen, bei denen \veder mit Raum noch mit Geld gespart werden musste, ohne Closets gebaut wurden. Anfangs der Siebziger-Jahre wurden die ersten Einrichtungen getroffen, welche Besserung schaffen sollten. Die • Kaiser Ferdinands-Nordbahn baute im Jahre 1869 Personenwagen, in rvelchen Closets, ahnlich wie in den Gepacks- wagen, untergebracht waren. Ebenso baute die Kaiserin Elisabeth-Bahn im Jahre 1871 eine Anzahl Wagen I. und II. Classe mit Closets; diese Wagen haben auf der einen Stirnseite ein Bremserplateau, von welchem man durch bemerkt, dass das Bestreben der Con- structeure hauptsachlich dahin gerichtet war, sammtlichen Passagieren eines Wagens das in demselben befindliche Closet zuganglich zu machen.. Dies fiihrte zu zwei Grundtypen, indem man entweder durch Verbindung der Coupžs einen Durch- gang schaffte, wodurch der Vorzug der abgeschlossenen Coupes wieder beein- trachtigt wurde, oder dass man die beiden Endcoupes durch einen Seitengang verband, von \velchem aus die Mittel- coupžs und das Closet zuganglich waren. [Abb. 334.] Letztere Anordnung hat den wesentlichen Vortheil, dass die Passagiere der einzelnen Coupčs durch den Verkehr iiber den Seitengang nicht belastigt werden und sich abschliessen konnen. 522 Julius voii Ow. Derartige Wagen ivurden bereits Ende der Sechziger-Jahre in Deutschland ge- baut und fanden spater auch auf oster- reichischen Bahnen Nachabmung. Bei der Bauart als Coupewagen mit seitlichen Eingangsthiiren war jedoch die Breite des Wa- gens auf 2620 mm beschrankt. Infolgedessen konnten die Mit- tel-Coupes nur sehr schmal ge- macht, bezie- hungsweise we- niger Sitzplatze in denselben untergebracht werden. Es war daher der erzielte Vor- theil ziemlich theuer erkauft, und dies war wohl auch theilweise die Ursache, dass solche Wagen nicht in grosser An- zahl gebaut wurden. Gleichzeitig gab jedoch die sonstige Zweckmassigkeit dieser Eintheilung den Impuls, eine Verbreiterung der Wagen dadurch anzustreben, dass man, so wie bei den alten amerikanischen Wagen, den Eingang uber Plattformen von den Stirnseiten der Wagen eroffnete, unči die seitlichen Coupčthtiren wegliess. der Coupeivagen und der amerikanischen Wagen vereint. Es wahrte jedoch mehrere Jahre bis ein solcher Wagen zur Aus- fiihrung gelangte, einerseits, weil die da- maligen Bestimmungen der technischen Vereinbarungen auch fiir Wagen ohne Seitenthiiren nur eine Breite von 2745 m gestat- --“i teten, anderer- seits, weil Wa- gen dieser Type doch nur fiir den Sommerverkehr geeignet gewe- sen waren. Erst im Jahre 1874 wurde ein Wa- gen nach dem System Heusinger fiir die hessische Lud\vigs-Bahn g-ebaut. In Oesterreich war infolge der wirth- schaftlichen Verhaltnisse die Zeitperiode von 1873 bis circa 1880 fiir den Wagen- Neubau im Allgemeinen ungunstig, da in dieser Zeit weder fiir neue Linien, noch fiir die bestandenen alteren Linien grossere Wagenbeschaffungen stattfanden und auch fiir einzelne Ersatze oder Erganzungen meistens die alteren vor- handenen Typen noch beibehalten wurden. Das erste derartige Project vvurde von Heusinger von Waldegg im Jahre 1870 entivorfen. [Abb. 335.] Nach diesem Projecte erhielt der Wagen zwei offene Plattformen mit seitlichen Aufstiegen; diese beiden Plattformen waren durch eine offene Galerie verbunden, welche nach aussen und auf den Stirnseiten, so- weit die Stiegen eingebaut sind, durch ein eisernes Gelander geschiitzt wurde. In diesem Projecte waren die Vortheile Waren bereits Anfangs der Siebziger- ■Jahre die einfachen Coup6wagen als nicht mehr zeitgemass erkannt, so war nach circa zehn Jahren die Zeit der ver- schiedenen Projecte und Experimente wieder ihrem Ende nahe, um einer ldarer vorgezeichneten Richtung zu folgen. Nach einigen Versuchen, das Coupe-System mit dem Durchgangs-System zu vereinigen, von welchen nur der im Jahre 1877 ge- baute Galeriewagen der Siidbahn und Wagenbau. 523 die etwas spater gebauten Mittelgang- Wagen der Nordbahn ervvahnt seien, wandte man sich auch in Oesterreich im Principe der HeusingePschen Type zu. Die Staatseisenbahn-Gesellschaft baute im Jahre 1880 einen Suitewagen fiir den Hofzug, in welchem dieses System voli zur Geltung kam. Nach gleicher Type, nur mit entsprechend geanderter Sitzeintheilung, wurden in den Jahren 1881 und 1882 weitere 74 Stiick Personenwagen I. und II. Classe seitens der Oesterreichisch- Ungarischen Staatseisenbahn-Gesellschaft gebaut. Noch mehr kam jedoch diese Type zur Geltung, als man sich im Jahre 1883 entschloss, dieselbe als Grundtype Langlebigkeit der Personenwagen die Intercommunications - Wagen nicht so- fort auf allen Bahnen eingeftihrt werden, aber auf Hauptlinien und fiir Schnellziige sind Intercommunications- Wagen so ziemlich allgemein in Ver- wendung. Wenn auch die Type der Intercom¬ munications - Wagen mit Seitengang gegemvartig noch als die ziveckmassigste erkannt wird, so hat dieselbe doch in den letzten 15 Jahren so manche Ver- besserung und Erganzung erfahren, und sind bei den Wagen dieser Type die neuesten Beheizungs- und Beleuchtungs- anlagen, Signal- und Bremsvorrichtungen Abb. 336. Vierachsiger. Personenwagen I /II. Classe. [1895.] der Personenvvagen der Arlbergbahn zu acceptiren. Es war von grossem Vor- theil, dass man die verschiedenen Er- fahrungen der letzten Jahre beim Bau dieser Wagen verwerthete, und dadurch eine Wagentype in den Verkehr setzte, welche sich nicht nurrasch allgemeiner Beliebtheit erfreute, sondern auch die Grundlage fiir den weiteren Personenwagenbau in Oester¬ reich bot, so dass mit deren Einfiihrung das Coup6wagen - System mit Seiten- thiiren sich in Oesterreich iiberlebt hatte, und dass ftir den Fernverkehr seit Mitte der Achtziger - Jahre nur mehr Intercommunications-Wagen gebaut wurden. In die behordlichen Bestimmungen iiber die Bauart der Fahrbetriebsmittel der osterreichischen Eisenbahnen [vom Jahre 1892] wurde bereits die Vor- schrift aufgenommen, dass Wagen fiir Hauptbahnen nur mehr nach dem Intercommunications-System gebaut wer- den diirfen. Allerdings konnen bei der etc. zu finden. Im Allgemeinen aber war man bestrebt, solche Wagen fiir grosse Schnelligkeiten zu bauen, es wurden daher die Radstande der zvveiachsigen Wagen von 4‘5 m allmahlich unter Anwendung von freien Lenkachsen auf 6 m erhoht, dann baute man dreiachsige Wagen, welche wohl fiir Flachlandbahnen auch friiher schon vielfach verwendet vvurden, und nachdem fiir den dreiachsigen Wagen, insoferne es sich um Gebirgsbahnen handelt, eigentlich die Existenzberechti- gung fehlt, so ging man noch weiter und begann vierachsige Drehgestellwagen zu bauen. [Abb. 336.] * * * Bei den neueren Personenvvagen kom- men nebst den Beheizungs- und Be- leuchtungs - Einrichtungen verschiedene Details zur Anwendung, welche, wenn auch fiir den Entwicklungsgang des Wagenbaues nicht von massgebender 524 Julius von Ow. Bedeutung, doch immerhin als Fort- schritte zu erwahnen waren. Hieher gehoren die verschiedenen Thiir- und Fensterverschliisse, die Einrichtungen von Doppelfenstern und Jalousien, die Ventilationen, die Bodenbelage und Wandverkleidungen, die Uebergange von Wagen zu Wagen mittels Briicken, flexiblen Gelandern und Faltenbalgen, nach beiden Seiten zu offnende Eingangs- thiiren und sammtliche Signaleinrichtun- gen, von welchen besonders die ver¬ schiedenen Intercommunications-Signale das Ergebnis langjahriger Studien und Versuche sind.*) *) Vgl. Bd. III, L. Kohlftirst, Signal- und Telegraphenwesen. S. 94. Wagenbau. 525 III. Luxuswagen. Die Personenwagen und deren Ein- richtungen, welche bisher besprochen vvurden, dienen dem allgemeinen Verkehr, und bieten dem Passagier nichts Ausser- gewohnliches, d. h. das in solchen Wagen Gebotene ist in den normalen Fahrpreis mit einbezogen. Es gibt jedoch noch viele Personenwagen, welche ent\veder iiber- liaupt nur fiir die Reisen einzelner Person- lichkeiten bestimmt sind, oder welche nur gegen erhohte Ge- biihren beigestellt werden, oder wel- che Einrichtungen enthalten, fur deren Beniitzung eine be- sondere Gebiihr zu entrichten ist. Alle diese Wagen kann man kurzweg als Luxuswagen be- zeichnen. Es hat von j eher Reisende gegeben, welche gerne einen hoheren Preis be- zahlen, wenn ihnen eine gesicherte und ungestorte Schlaf- stelle geboten wird, und welche sich doch nicht sofort den Luxus eines separaten Wagens gestatten. Um diesen Anspriichen gerecht zu werden, war man bestrebt, separate Schlaf-Coupes zu bauen. Bereits im Jahre 1858 hatte die Staatseisenbahn - Gesellschaft einen derartigen Wagen. [Abb. 337.] In dem- selben war ein Halb-Coupe mit vier Sitz- platzen, von diesem gelangte man durch zwei Thiiren in zwei Abtheilungen, welche in der Mitte des Wagens durch eine Langenwand getrennt waren. An dieser Scheidevvand waren beiderseits je zwei Betten tibereinander angebracht, ahnlich wie in Schiffscabinen, so dass jeder Passagier seinen Sitz und sein Bett hatte. Der Wagen enthielt vier Pltitze I. Classe mit Betten und 16 Platze II. Classe. Die Einrichtung von Schlafplatzen in den Goupewagen [vgl. S. 518] bilden ein Uebergangsstadium, einerseits war das Be- streben vorhanden fiir die Bequemlichkeit der Reisenden etwas mehr zu bieten, als einfache Sitzplatze, andererseits fehlte noch das Vertrauen in die Rentabilitat besonderer Schlafwagen, weshalb man sich scheute, fiir die Erbauung solcher namhafte Kosten aufzuwenden. Trotz- dem aber verfolgte man mit Interesse die Bauart der Wagen in Amerika. Was bei uns noch mehr oder weniger Luxus war, war dort be¬ reits Bediirfnis, in- folgedessen nahm der Bau von Schlaf- wagen in Amerika einen rapiden Auf- schwung. Bqson- ders die Schlafwa- gen, System Pull- mann, fanden in Amerika rasche Verbreitung und wurden vielfach in der deutschen F ach- literatur bespro¬ chen. Es waren demnach auch die in Deutschland und Oesterreich zuerst gebauten Schlaf- wagen, von wel- chen in der Wiener Ausstellung im Jahre 1873 fiinf verschiedene Ausfiihrun- gen zu sehen waren, diesem Systeme nachgebildet. [Vgl. Abb. 338.] Obwohl bereits mehrere Jahre friiher in Amerika vier- und sechsachsige Schlaf- wagen gebaut wurden, so findet man doch, dass die ersten osterreichischen Schlafwagen noch ziemlich die Dimen- sionen der damals iiblichen zweiachsigen Wagen beibehielten und infolgedessen fiir keine grossen Geschwindigkeiten und fiir keine besonders grosse Frequenz be- rechnet waren. Die Hauptursache liegt wohl darin, dass dieselben den damaligen Verhaltnissen gemass hauptsachlich fiir den inlandischen Verkehr, beziehungs- weise fiir den Verkehr auf den eigenen Bahnlinien bestimmt waren. Es gab nicht nur in Oesterreich, sondern auch Abb. 340. Schlafwagen, Seitengang. 526 Julius von Ow. in Deutschland, Belgien und Frankreich wenige Bahnen, welche auf ihren Linien allein eigene Schlafwagen mit Vortheil ausniitzen konnten. Dies ftihrte bereits im Jahre 1872 zur Griindung der ersten Schlaf- wagen - Gesellschaft, Georges Nagel- mackers & Co., welche sich den inter- nationalen Schlafwagen-Verkehr zur Auf- gabe stellte und ihre Wagen in den renommirtesten Fabriken bauen liess. Die ersten Wa- gen dieser Gesell- s.chaft wurden im Jahre 1873 auf der Linie Berlin- Aachen und Coln- Ostende in Be- trieb gesetzt und im t selben Jahre noch verkehrte der erste Schlaf- wagen dieser Ge¬ sellschaft auf der Linie Wien-Miin- ch en-Pariš. Im Jahre 1874 wur- den bereits fiir dieselbe mehrere Schlafwagen in der Flernalser W ag-oronfabrik sje- baut. Diese Wa- gen waren zwei- achsig und wur- denvorherrschend ftir kiirzere Linien verwendet, wah- rend fiir weitere Relationen dreiachsige und Ende der Sieb- ziger-Jahre auch vierachsige Schlafwagen in Verwendung kamen. Mit Ausnalime der altesten zwei- und dreiachsigen Schlaf- wagen sind die Wagen der Schlafwagen- Gesellschaft mit Plateau-Eingangen und Seitengang [Abb. 339 und 340], mithin nach dem System Mann gebaut. Die Schlaf-Coupes sind tlieils als Voll- Coupes mit vier Sitzen, theils als Plalb- Coupes mit zwei Sitzen gebaut'. Der internationale Verkehr der Schlafwagen blieb nicht ohne Einfluss auf den Wagenbau, nicht nur mit Be- zug auf die Wagen der Gesellschaft, sondern auch im AUgemeinen, und ins- besonders auf die Bauart der vierach- sigen Wagen. Ein fiir den Verkehr noch mehr als fiir den Wagenbau wichtiger Fortschritt war die Einfiihrung von Luxuszugen, welche hauptsachlich der Schlafrvagen - Gesell¬ schaft ihr Entstehen und ihre Verbrei- tung zu verdanken haben. Der erste derartige internationale Zug war der Orient-Expresszug, welcher im Jahre 1883 zivischen Pariš und Constantino- pel in Verkehr gesetzt wurde. Der Wagenbau war dabei inso- ferne interessirt, als mit diesen Zugen auch die Restaurations- und Kiichenwa- gen in Betideb kamen. Die Spei- sewagen sind in ihren Hauptdi- mensionen gleich den vierachsigen Schlafwagen, sie enthalten mei- stens einen Spei- sesalon mit 24 Ge- decken [Abb. 341] und einen Rauch- und Kaffeesalon mit 12 Gedecken; ausserdein noch einen Servirraum, wenn die Kiiche in einem separaten Wagen untergebracht ist; oder statt des Servirraumes die Kiiche. Die Annehmlichkeit der Speisewagen hatte zur Folge, dass solche nicht nur in den Luxusziigen, sondern bald auch in den wichtigeren Schnellzugen gefiihrt wurden; so verkehrte bereits im Jahre 1884 ein Speisewagen zwischen Wien und Berlin. Die Speisewagen machten die Herstellung von vollkommen sicheren Uebergangen von Wagen zu Wagen zum Bediirfnis. Lange Zeit musste man sich auch beim Orient-Expresszuge mit zwar sicheren, aber offenen Ueberbrtickun- gen begniVgen, erst seit wenigen Jahren gelangten die geschlossenen Faltenbalge Abb. 341. ' Speisewagen. [1896.] Wagenbau. 527 bei den Luxusz.iigen zur Anwendung. Dem Orient-Expresszuge folgte im Jahre 1894 der Ostende-Expresszug, und im Jahre 1895 der Nizza-Expresszug. Welchen Einfluss die Schlafwagen- Gesellschaft auf den Verkehr in Oester- reich hat, mag daraus ersehen wer- den, dass mit Ende des .. Jahres 1896 83 Schlafvva- gen, 43 Re- staurations- wagen und 10 Gepackswagen der Schlafwagen-Ge- sellschaft auf osterreichischen Linien ver- kehrten. Die Anforderungen an den Wagenbau im Allgemeinen wurden dadurch gestei- gert, dass auch seitens der Bahnver- waltungen eigene Luxusziige eingeleitet \vurden. So wurden fur den Luxuszug Wien-Karlsbad separate Luxuswagen ge- baut [Abb. 342], diese Wagen, welche in ihrer Hauptbauart den vierachsigen Arl- bergwagen ziem- lich gleich sind, . unterscheiden sich von densel- ben hauptsachlich durch die luxu- riosere Raumaus- theilune und Aus- stattung. [Abb. 343.] Das Gewicht eines solchen Wagens betragt 32.650 kg, es entfallt somit auf einen Sitzplatz eine todte Last von 1632 kg. Diese Luxuswa- gen sind nur 'fur Tagesztige be- stimmt, enthal- ten daher keine Schlafstelle. Eine beson- dere Gattung von Luxuswagen sind die Aussichtswa- Abb, 342. Luxuszug - -Wagen. [1895.] gen, welche fiir die, die Alpenlander durcbziehenden Bahnlinien, besonders fiir die Kronprinz Rudolf-Bahn und die Salz- burg-Tiroler Bahn in verschiedenen For- men gebaut wurden. Der damaligen Zeit, Anfang der Siebziger-Jahre, entsprechend, waren dies leichte zwei- achsige Wa- gen von der Dimensioni- rung der Coupewagen ohne Abthei- lungen mit freistehenden Fauteuils oder einem langlichen Puff in der Mitte [Abb. 344]; Fenster an Fenster, oder zur Halfte geschlossen und zur Halfte als offene Veranda gebaut [Abb. 345]; auch ganz offen mit Eisenmobel. Letztere Wagen konnten sich jedoch fiir die Dauer nicht bewahren, da die- selben gar keinen Schutz gegen Regen, Wind und Rauch boten. Nachdem der Reiz der Neuheit voriiber war und Seitenlinien Abb. 343. LuKiiszug-AVagen. war sowie Zahnradbahnen bis in die hoheren Alpenregionen fuhrten, schwand auch das Inter- esse fiir die land- schaftlichen Reize der Hauptlinien, die leichten Aus- sichtswagen wur- den auf manchen Linien durch die mehr Annehm- lichkeiten bieten- denRestaurati ons- wagen verdrangt, und finden nur noch auf Neben- linien oder bei Ziigen minderen Ranges Verwen- dung. Infolge- dessen bestehen auf Normalspur- bahnen in Oester- reich nur Aus- sichtswagen alte- rer Construction. 528 Julius von Ow. Abb. 344. Aussichts\vagen der Kronprinz Rudolf-Bahn. Wahrend Restaurations-, Schlaf- und Aussichtswagen noch immer in regel- massigem Turnus fahrplanmassig ver- kehren und jedermann zuganglich sind, sind die eigentlichen Salonwagen nur fur einzelne Personlichkeiten und nur nach Bedarf im Verkelir. Die Salonwagen der verschiedenen Zeitperioden reprasen- tiren die jeweilige Leistungsfahigkeit des Wagenbaues sowie der decorativen Gewerbe, und wiirden, de- taillirt beschrieben, alle Fort- schritte des Gesammt-Wagen baues aufvveisen, andererseits aber sind auch fur solche Wa- gen stets so viele specielle Motive massgebend, dass eine detaillirte Besprechung der Construction auch die Dar- legung des jeweiligen Baupro- grammes bedingen wtirde. Vor Allem sind es die Hofwagen, an welchen der Wagenbau sein Bestes zu bieten bestrebt war. Bereits im Jahre 1845 wurde von Heindorfer ein Hofwagen fiir die Staatsbahnen gebaut [Abb. 346], welcher, der damaligen Type der ame- rikanischen Wagen entspre- chend, vierachsig mit zwei Drehgestellen und mit Plateau- Eingangen versehen war. Aehnlich waren auch die alte- sten Hofwagen der Sudbahn und der Kaiserin Elisabeth- Bahn gebaut. Die spater ge- bauten Hofwagen waren mei- stens dreiachsig bei annahernd gleicher Grosse und Einthei- lung wie die vorervvahnten vierachsigen Wagen. In den Jahren 1857 und 1858 wurden von der Staats- bahn zwei dreiachsige und ein zweiachsiger Hofwagen ge¬ baut, Die Firma Lauenstein in Hamburg lieferte im Jahre 1863 einen dreiachsigen Hof- waofen an die Carl Ludvviec- Bahn und im Jahre 1864 einen solchen an die Kaiser Fer- dinands-Nordbahn. Fur die Kaiser Franz Josef-Bahn wur- den im Jahre 1870 drei zusammen- gehorige Hofwagen von F. Ringhoffer in Prag geliefert, es folgte dann noch der Bau mehrerer zwei- und dreiachsiger Hofwagen, unter welchen die Hofjagd- wagen der Sudbahn und der Kaiser Ferdinands-Nordbahn zu erwahnen wiiren. Alle diese alteren Hofwagen waren urspriinglich den Mangeln des damaligen Wagenbaues unterworfen, und wenn man Radsland Ei^en^evndhl 8.bsTonn» 12 jSilzplalze. Wagenbau. 529 auch bemiiht war fur Beleuchtung, Be- heizung und Toiletten mehr zu leisten als bei gewohnlichen Wagen, so war der Erfolg doch noch immer sehr bescheiden. Bei den meisten dieser Wagen wurde durch oftere Reconstructionen und Adap- tirungen das Fehlende zwar theilweise nachgeholt, so dass die Wagen im Laufe der Zeit wesentliche Aenderungen er- litten, es war jedoch nur bis zu einer gewissen Grenze mOglicb, altereWagen zu modernisiren, da man insbesondere genommen und nach gemeinschaftlicher Aufstellung eines Programmes, der Bau dieser Wagen der Firma F. Ringhoffer tibertragen. Als Bedingung wurde aufgestellt, dass dieseW agen auf allen Bahnen des Deutschen Eisenbahn-Verbandes und auch auf den nor- malspurigen Bahnen der Nachbarlander so- wohl zusammen als auch einzeln verwend- barseien; die Ausstattung solite stilgerecht, doch einfach, ruhig und ohne jede Ueber- ladung gehalten und die Ausfuhrung I i n 1878. I P-4—f C^VJ-JC 1 u.’ 5lSo3t £1 . čSauAV (P. ‘OovCttlt - Čtmftc eatfot/i - Abb. 346. Hofwagen der Staatsbahnen. [1845.] hinsichtlich des Laufvverkes bei Recon¬ structionen ziemlich beschrankt ist. Auch die Geschmacksrichtung hat sich vielfach geandert. Wahrend die alten Hofwagen in erster Linie Paradewagen und als solche mit Vergoldungen und grell- farbigen Tapezirungen reich ausgestattet waren, neigte man sich spater der Tendenz hin, den hohen Reisenden vor Allem bequeme und angenehme Wagen zu bieten und das Auge nicht durch grelle Farben und tibermassige Ver- goldung zu ermiiden. Als im Jahre 1872 in Eisenbahn- kreisen die Anregung gemacht wurde, durch Erbauung einer aus zwei Wagen bestehenden Reisewagen-Garnitur fur Ihre Majestat die Kaiserin die Huldigung der gesammten osterreichischen Eisen- bahrien zum Ausdruck zu bringen, wurde diese Anregung von sammtlichen Eisen- bahn-Verwaltungen mit Freuden auf- in jeder Hinsicht die sorgfaltigste sein. Auch der Radstand dieser dreiachsigen Wagen wurde, um den Verkehr der Wagen nicht einzuschranken, nur mit 4'43 m ausgefiihrt; im Zusammenhange damit konnte auch die Gesammtlange des Wagens nur 9 m betragen. Es muss hier bemerkt werden, dass man damals keine Lenkachsen ausfiihrte und infolge- dessen eine Vergrosserung des Rad- standes fiir scharfe Kriimmungen unzu- lassig war. Man musste daher trachten, den gebotenen geringen Raum moglichst zweckmassig; auszuniitzen und glaubte dies dadurch zu erreichen, dass der eine Wagen als Schlafwagen, der zvveite als Salonwagen gebaut wurde und beide Wagen durch eine mit Faltenbalgen geschlossene Ueberbruckung verbunden wurden. Im Jahre 1874 wurden diese Wagen vollendet, und obwohl infolge der gerin- 34 Geschichte der Eisenbahnen. II. 53 ° Julius von Ow. gen Dimensionen die Eintheilung der Appartements selbst fiir die damalige Zeit keineswegs reichhaltig genannt werden kann, so wurde den Erbauern doch die Ehre zutheil, dass diese Wagen nunmehr seit 23 Jahren fur die Reisen Ihrer Ma- jestat der Kaiserin nahezu ausschliesslich verwen- det wurden. Im Laufe dieser Zeit erlitten diese Wagen nur wenige Aen- derungen; im Jahre 1895 wurden sie fur elektrische Accumulatoren - Beleuch - tung eingerichtet. Fur Reisen Sr. Ma- > jestat des Kaisers wurden ? meistens die Hofvvagen § der Staatseisenbahn-Ge- sellschaft, der Kaiser Fer- j, dinands - Nordbahn und 3 H der Siidbahn beniitzt. So- » \vohl die Kaiser Fer- » dinands - Nordbahn, als ® auch die Staatseisenbahn, -* 1 haben mit Verwendung g versehiedener Salonwagen S complete Hofziige zu- ~ sammengestellt und die- g selben durcli Beigabe eines * Speisewagens und eines g Kiichenwagens vervoll- standigt. S Nachdem jedoch diese K Ztige aus Wagen be- standen, welche aus ver- schiedenen Zeitperioden stammten, so kam in denselben der zeitgemasse Fortschritt nicht vollstan- dig zur Geltung und die osterreichischen Bahnver- vvaltungen konnten sich nicht verhehlen, dass die Zusammenstellung dieser Hofziige nicht mehr dem entspreche, was sie ihres geliebten Kaisers wurdig erachteten. Es vvurde deshalb im Jahre 1891 der Beschluss gefasst, einen com- pleten Zug fiir Reisen Sr. Majestat des Kaisers zu erbauen, in welchem alle Fortschritte des modernen Wagenbaues zur Geltung ko mm en sollten. Nachdem durch ein aus den einzelnen osterreichi¬ schen Bahnverwaltungen gebildetes Co- mitč das Programm und die Projecte verfasst waren, iibernahm die Firma F. Ringhoffer den Bau des Kaiserzuges, welcher im Jahre 1892 vollendet und Sr. Majestat vorgefuhrt wurde. [Abb. 347 -] Der Kaiserzug besteht aus acht Wagen, von wel- chen fiinf Wagen je vier und drei Wagen je drei Achsen erhielten und in nachstehender Reihenfolge im Zuge zusammenge- stellt sind: 1. Dienst-, Gepacks- und Beleuchtungsvvagen. 2. Wagen fiir Hofbedien- stete. 3. Wagen fiir Se. Maje¬ stat den Kaiser. 4. Wagen fiir die Beglei- tung Sr. Majestat. 5. Speisewagen. 6. Kuchenwagen. 7. Wagen fiir die Beglei- tung Sr. Majestat. 8. Wagen fiir Bedienstete, Gepacksabtheilung. Nachst dem Wagen fiir den Kaiser ist der Speisewagen der bemer- kenswertheste im Zuge. [Abb. 348.] Im Speisesalon [Abb. 349] sind als Wandverklei- dung in Holzfriesen einge- rahmte, silber- und gold- bronzirte Lederfiillungen in reicher Handschnitzerei angebracht. Die Dečke ist in drei Felder getheilt, in welchen Oelgemalde in geschnitzten Nussrahmen befestigt sind. [Abk 350.] Die Wagen fiir die Begleitung Sr. Ma¬ jestat und fiir Hofbedienstete sind Seiten- gangwagen in mehr oder \veniger reicher Ausstattung. Der vierachsige Kiichenwagen ist gleichfalls als Seitengangwagen gebaut Wagenbau. 531 und enthalt eine grosse Kiiche, einen Servirraum und ein Schlafcoupe fiir den Kiichenchef und ein Closet. Der vierachsige Maschinenwagen enthalt das Conducteurcoupe, daran an- An den Maschinenraum reiht sich der Ge- packsraum und an diesen das Dienstcoupe I. Classe, welches durch einen Seitengang abgeschlossen ist, von welchem man auf den gedeckten Vorraum gelangt. o o o schliessend ein kleines Dienstcoupe; von diesem gelangt man in den Maschinen¬ raum, in welchem der Dampfkessel, die Dampfmaschine und die Dynamomaschine fiir die elektrische Beleuchtung auf- gestellt ist sowie alles Zugehor, als Schaltbrett, Wasser- und Kohlenbehalter, Verbindungen fiir die Dampfheizung etc. Durch Erbauung dieses Zuges hat die Firma F. Ringhoffer ein glanzendes Zeugnis der osterreichischen Wagenbau- Industrie geliefert, ebenso hat die Firma Bartelmus in Briinn in der Construction und Ausfiihrung der elektrischen Be- leuchtungsanlage Vorziigliches geleistet Die Arbeiten fiir die Ausschmiickung Abb. 349. Speisesalon im Speisewagen des Kaiserzuges. 34' 532 Julius von Ow. des Zuges erfolgten nach Zeichriungen der Professoren der Prager Kunst- gewerbeschule Architekt G. St ib ral und J. Kast n er, die Gemalde im Speise- salon sind von Professor F. Ženi s ek in Prasf- Fiir die Erbauuns: des Zrmes \vurde nach Moglichkeit inlandisches Material verwendet. Der complete Zug findet gewohnlich nur bei Reisen Sr. Maje¬ stat mit grossem Gefolge Vervvendung, \vogegen bei sonstigen Reisen nur nach Erfordernis einzelne Wagen beniitzt wer- IV. Secundarzug-Wagen. Durch Einfiihrung des Secundar- betriebes auf einzelnen Bahnlinien, noch mehr aber durch die Erbauung von Schmalspurbahnen, Zahnradbahnen, Draht- seilbahnen, Dampftramways und elektri- schen Bahnen hat sich ein Specialzweig des Wagenbaues gebildet. Im Allge- meinen wird fiir Wagen derartiger Bahnen ein moglichst geringes Gewicht, leichte Beweglichkeit in kleinen Bahn- Abb. 350. Mittleres Deckengemalde im Speisevvagen des Kaiserzuges. den. Fiir kurze Fahrten, besonders zu Jagden, werden von Sr. Majestat noch meistens die kleineren Wagen der Siid- bahn und Nordbahn beniitzt. Gewiss ist es von Interesse, dass Se. Majestat bis vor wenigen Jahren sich auf der Reise keines Bettes bediente, sondern sich mit einem Schlaffauteuil begniigte. Diese Fauteuils, welche unter der Be- zeichnung »Kaiser - Fauteuil« bekannt sind, bestehen aus zwei Theilen, einem Fauteuil gewohnlicher Form und einer Verlangerung desselben, welche zu- sammengestellt eine Chaiselongue bil- den. An einer Armlehne des Fauteuils ist ein Klapptischchen angebracht. Man findet demnach auch die alteren, fiir Reisen Sr. Majestat friiher vervvendeten Hofwagen nur mit Schlaffauteuils aus- geriistet. kriimmungen, zweckmassige, nicht allzu- beengte Sitzeintheilung, freie Aussicht und geschmackvolle Ausstattung verlangt; dagegen wird auf grosse Fahrgeschwin- digkeiten, auf lange Ziige und auf jene Bequemlichkeiten, welche fiir langdauernde Fahrten verlangt werden, verzichtet. Ferner kommt bei vielen dieser Bahnen die Nothwendigkeit der Beriicksichtigung des Ueberganges der Wagen auf fremde Linien uberhaupt nicht in Frage. Es ent- fallen mithin sehr viele constructive Be- schrankungenund Verpflichtungen, welche bei Normalspurbahnen nicht zu umgehen sind. Fiir Localbahnen mit normaler Spurweite, welche meistens doch an Hauptlinien anschliessen oder wenigstens in absehbarer Zeit einen Anschluss er- warten lassen, werden in neuerer Zeit nur mehr Wagen derselben Type wie Wagenbau. 533 fiir die Localstrecken der Hauptbahnen gebaut. In friiherer Zeit, als noch solche Linien vereinzelt waren und auf Ueber- gange und Anschliisse weniger Bedacht genommen wurde, war man bestrebt, fiir dieselben leichtere Wagen zu bauen. Diese Sparsamkeit fiihrte auch zum Bau der sogenannten Etagewagen. In einem Etagewagen III. Classe von II. 290 kg Eigengewicht, konnten 90 Sitz- platze III. Classe untergebracht \verden. [Abb. 351.] Obwohl bei den Etage- wagen an Gewicht pro Sitzplatz ziem- licb viel erspart wurde, zeigten dieselben doch bedeutende Uebelstande; es be- •schrankte sich daher der Bau der Etage- wagen auf die Periode Anfangs der Siebzi- ger-Jahre und wurde nicht \veiter fortge- setzt. Eine gleichfalls in dieselbe Zeit- periode fal- lende Wagen- Construction \varen die | Dampfwagen oder Omni- buswagen, bei welchen man den Motor und den Wagen in einem Fahrzeuge vereinigte. Es waren vierachsige Wagen mit zwei Drehgestellen, von welchen das eine mit vollstandigem Dampfbetriebs-Mechanis- mus versehen war. [Abb. 352.] Im Kasten ober diesem Drehgestelle war der stehende Dampfkessel nebst Zu- gehor untergebracht. Der iibrige Theil des Wagens war als Personenwagen III. Classe gebaut. Auch diese Dampf- wagen hatten keine lange Lebensdauer und werden nur mehr fiir manche Zahnradbahnen gebaut. Es wiirde zu weit fiihren, auf die Bauart' der Wagen fiir Schmalspur - Bahnen, fiir Dampf- tramways, Zahnrad- und Drahtseilbah- nen sowie Tramways und elektrische Bahnen naher einzugehen und es sei nur erwahnt, dass insbesondere auf den bos- nisch-herzegowinischen Bahnen eine Fiille von sinnreich durchdachten und sorgfal- tigst ausgefuhrten Wagen-Constructionen zu finden ist, welche den Verkehr auf diesen Schmalspur-Bahnen jenen der Nor- malspur-Bahnen ebenbiirtig machen.*) Zu den fiir Personen-Beforderung be- stimmten Wagen sind auch noch jene Wagen zu zahlen, welche die Bestimmung haben, dem miiden Erdenwanderer auch noch auf seinem letzten Wege- zur Ver- fiigung zu stehen. Es war die Erste Eisenbahnwagen-Leihgesellschaft inWien, fiir welche von der Waggonbau-Anstalt von Kasimir Lipinski in Sanok imjahre 1894 der erste osterreichische Leichen- transport-Wagen gebaut wurde. Friiher wurden fiir Leichentransporte gewohn- liche gedeckte Giiterwagen verwendet und es war dabei nicht zu vermeiden, dass durch das ganze, gewissermassen rohe Aus- sehenderWa- gen, durch die Art der Ver- ladung, durch den plumpen Schubthiirver- schluss und die, eine Be- gleitung aus- schliessende Bauart des Giiterwagens, der Bahntransport von Leichen wenig pietatvoll erscheinen musste Der erwahnte Leichen\vagen ist nach Bauart der Inter- communications-Wagen mit zwei Platt- formen hergestellt, der Kasten des Wagens enthalt zwei Abtheilungen, den Aufbah- rungsraum und ein Coupe fiir die Begleiter. Auf beiden Seiten des Wagens fiihrt eine gedeckte, seitlich otfene Galerie um den Kasten, so dass die Passage durch den Wagen, ohne Betreten der Innen- raume, moglich wird. In dem Aufbahrungs- raume, vvelcher mit grossen Fenstern versehen und entsprechend drapirt ist, ist in der Mitte ein Podium aufgestellt, welches, auf Schienen beweglich, durch eine Doppelthiire iiber die Plattform vor- gerollt werden kann. Die Verladung des Sarges erfolgt in gleicher Weise wie bei den Fourgons der Leichenbestattungs- Unternehmungen. Die ganze Ausstattung, *) Vgl. Bd. III., F. Žežula, Die Eisen- bahnen im Occupationsgebiete. 534 Julius von Ow. Form und Decorirung des Wagens ist eine ernste, wiirdevolle, dem Z\vecke entsprechende. V. Dienstwagen. Ein Mittelding zwischen den Perso- nen- und Giiterwagen sind die soge- nannten Dienstvvagen, und diese scheiden sich wieder in Conducteu r- und P o s t- \vagen. Der Conducteunvagen war von jeher ein etwas besserer Giiterwagen mit Personemvagen- Untergestelle, und hat an den allge- mein en Verbesse- rungen nur inso- ferne Theil ge- nommen, als diese auch den iibrigen in Personenziigen rollenden Wagen zu Gute kamen. Die Conducteurwagen erfreuen sich kaum seit mehr als z'wei Decennien einer Be- heizung; gar oft hatte frtiher ein- gefrorene Tinte die Eintragungen in den Stundenpassen erschwert. Die alte- sten Conducteur- \vagen hatten offene Plattformen, auf \velchen die Zugftihrer und Conducteure vervveilen mussten, um die Bremsen zu bedienen, und diese Eintheilung ist auch bei jenen Bahnen beibehalten, welche Plateaubremsen hatten ; bei anderen Bah¬ nen wurden die Bremsersitze des Con- ducteurwagens in erhčhte, mit Glas- fenstern versehene Aufbaue des Mani- pulationsraumes verlegt, so dass der ZugsfUhrer, ohne das Innere des Wagens zu verlassen, den Zug iiberblicken und die Bremse bedienen kann. In den ersten Zeiten des Eisenbahn- betriebes waren Conducteur- und Post- raume in einem Wagen vereint, wie dies auch gegenwartig noch auf vielen Seiten- Abb 352. Omnibuswagen. [1874 J linien der Fali ist. Mit dem Eisenbahn- betrieb nahm jedoch auch das Postwesen einen rapiden Aufschwung, so dass in kurzer Zeit eine Abtheilung im Con- ducteurwagen fiir Postzwecke nicht mehr gentigte, und besondere Postvvagen eingestellt werden mussten. Zudem ergab sich das Bedtirfnis, Postmanipu- lationen auch wahrend der Fahrt vorzu- nehmen. Es \vurden daher im Jahre 1849 die ambulanten Postbureaux eingefiihrt. Die Bauart der Wagen bot keine be- sonderen Schwierigkeiten, indem die fiir den Postdienst erforderliche Einrichtung, Schreibtische, Fa- cherstellagen etc. im Wagenkasten leicht unterzubringen \var. Etwas mehr Schwierigkeit bot fiir die damalige Zeit die Beheizung der Postwagen, da man doch eine ziem- lich gleichmassige Ervvarmung des Wagens bei Ver- meidung von Feu- ersgefahr verlangen musste. Es wurde daher im Jahre 1849 der bekannte Pyro- techniker Professor Meissner einge- laden, diese Frage einem eingehenden Studium zu unter- ziehen. Seitens der k. k. General - Direction der Commu- nicationen wurde demselben ein Wa- gen III. Classe auf dem Stationsplatze Hohenstadt zur Vornahme von Ver- suchen zur Verfiigung gestellt. Nach verschiedenen Probefahrten wurden im Juni 1850 amtliche Proben vorge- nommen, deren giinstiges Resultat die General-Direction veranlasste, bis zum Herbste 1850 \veitere 26 Wagen fiir die ambulante Post nach dem Meissner- schen System einzurichten und zwi- schen Wien - Bodenbach und Wien- Oderberg in Betrieb zu setzen. Diese Heizungseinrichtung wurde fiir alle Postambulanz-Wagen angenommen und Wagenbau. 535 blieb lange Zeit das vorgeschriebene Normale fiir die Postambulanz-Wagen. *) Fiir die Erfordernisse der Post ge- niigten auf den Hauptlinieri bereits in den Fiinfziger-Jahren zweiachsige Wagen nicht mehr, es wurden daher aus žwei Wagen combinirte Postambulanz-Wagen gebaut, welche mit ganz kurzer Kuppe- lung und Buffern enge verbunden und mit einer von einem Lederbalg umschlossenen Ueberbriickung versehen wurden. [Abb. 353.] Wir finden daher bei den Postwagen die ersten Faltenbalge angewendet. In neuester Zeit, bei der allgemeineren An- wendung von vierachsigen Drehgestell- wagen, werden auch die Postambulanz- Strassenbauten, Uferbauten etc. in den verschiedensten Varianten findet. Der charakteristische Unterschied zwi- schen diesen Fahrzeugen und dem eigent- lichen Eisenbahnwagen besteht in der Anwendung von Tragfedern bei letzteren, welche einerseits zum Schutze der La- dung, beziehungsvveiše des Fahrzeuges und des Oberbaues gegen harte Stosse, andererseits zur Vertheilung der Bela- stung auf die einzelnen Rader noth- vvendig wurden. In England wurden bereits im Jahre 1830 offene Giitervvagen mit Tragfedern gebaut. Diese Wagen, \velche auch als erste Giitervvagen auf den osterreichischen Bahnen eingefiihrt Abb. 353. Postambulanz-Wagen. [1858.] Wagen nach dieser Type gebaut. Die Abtheilungen fiir den Manipulationsdienst sind wie die stationaren Postamter ein- gerichtet. [Abb. 354.] VI. Giiterwagen. Urspriinglich war der offene Giiter- wagen das einzige Lastfuhrwerk auf den alteren Pferde-Eisenbahnen. [Abb. 355 -] Alle diese Wagen gehoren zu j en er Type, welche wir heute als provisorische Bau- fuhrwerke und Bahnvvagen bezeichnen, und vvelche man bei Steinbriichen, *) Vgl. auch Bd. II, R. Freiherr v.Gost- kowski, Beheizung und Beleuchtung der Wagen. wurden und unter dem Namen Lowries bekannt sind, wurden fiir eine Tragfahig- keit von 80 Ctr. ausgefuhrt, dienten fiir den Transport aller Giiter, welche, wenn nothig, mit Theerdecken zuge- deckt wurden. Im Jahre 1838 wurden solche Lowries in England mit abnehm- baren Štirn- und Seitemvanden gebaut; um mehr Raum fiir die Unterbringung der Frachtstiicke zu gewinnen, wurden von Stirnwand zu Stirnwand Firstbaume gelegt, iiber welche die beweglichen Decken gespannt wurden. Aus letzterer Construction entwickelte sich der ge- deckte Giitervvagen. Fiir den Bau der Giitervvagen vvar von jeher nur der Geschaftsstandpunkt massgebend. Man vvill in der Beschaffung rtnd in der Erhaltung moglichst billige 536 Julius von Ow. Wageh, welche dem allgemeinen oder einem speciellen Transportzwecke voll- kommen entsprecben und ungehindert in j en en Relationen, fiir welche sie be- stimmt sind, verkebren konnen. Aller- dings werden diese Bedingungen zu ver- schiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten auch verschieden aufgefasst und es ist daher oft schwer zu beurtheilen, ob eine neue Constructionstype gegen- iiber alteren Typen als ein Fortschritt zu bezeichnen ist. D er Fortschritt liegt beim Lastvvagenbau hauptsachlich in der Ma- terialverwendung und Materialbearbei- tung. Heute stehen uns Eisen- und Stahlfabricate zur Verfiigung, die vor 50 Jahren noch unbekannt waren, und in den Fabriken liefern die Maschinen Arbeiten, welche friiher eben nicht zu leisten waren. Mit dem wachsenden Verkehr nabm auch das Bediirfnis nach Wjgen fur specielle Zwecke zu. Es ist ein Zeichen des sich immer mehr ent- wickelnden Handels und Verkehrs, dass fur verschiedene Frachtgattungen heute zahlreiche Specialwagen bestehen, fiir welche Frachten man in friiheren Zeiten die Erbauung von Specialwagen nicht rationell erachtete. Der Lastvvagenpark jeder Bahn stellt sich aus den eben dort benothigten Typen zusammen, so dass eigentlich jede Bahn fiir sich eine Ent- vvicklungs-Geschichte ihrer Lastwagen aufzuweisen hat. Im Nachstehenden werden die ersten Beschaffungsjahre verschiedener Wagen- gattungen der alten nordostlichen Staats- bahnen und deren Nachfolgerin, der Staatseisenbahn-Gesellschaft, angegeben, welche Daten jedoch nur ein allgemeines Bild geben sollen, fiir welche Wagen- typen damals bereits ein Bedurfnis auf jenen Linien vorhanden war. Lowries, gedeckte Giiterwagen, Pferde- wagen 1845, Federviehwagen 1846, Langholzvvagen 1850, Kohlenwagen 1853, Borstenviehwagen 1854, Hornviehwagen, Hochbordwagen, Cokeswagen 1855, Oel- transportwagen 1858, Bierwagen 1867, Krahnwagen 1867, Wasserwagen 1869, Kesselwagen 1870. Selbstverstandlich haben diese Wagengattungen bei spate- ren Beschaffungen manche Aenderungen erlitten, so dass die modernen Wagen wesentlich anders aussehen, als die er- vvahnten altesten Typen. Mit der Zunahme der Eisenindustrie \vurde beim Bau der Lastwagen zwar das Eisen mehr vervvendet als zur Zeit der Erbauung der alteren W agen; es wurden wohl auch ganz eiserne Wagen mehrfach gebaut, im Allgemeinen blieb man jedoch bei dem gemischten System und venvendet besonders fiir Verscbalungen, Decken und Fussboden und auch fiir die Kastengerippe beinahe ausschliesslich Holz. Das Bestreben der Wagenbauer war stets darauf gerichtet, die Gtiterwagen ohne vvesentliche Erhohung des Gewichtes moglichst fest und dauerhaft zu bauen und nothwendige Reparaturen thunlichst zu erleichtern. Wahrend bei den altesten Giitervvagen, besonders Kastenvvagen, noch dieBauart mit zahlreichen Holzverbindun- gen und Verzapfungen, mehrfach en Ver- schalungen und vollstandiger Trennune des Kastens vom Untergestelle iiblich war, be- gann man spater, nachdem man dieMangel dieser Construction fiir. die Instandhaltung und Reparatur kennen gelernt hatte, die Holzverschneidungen und Verzapfungen moglichst zu vermeiden, die Kasten- saulen moglichst frei zu legen und mittels Consolen und Schrauben kraftig mit dem Untergestelle zu verbinden; ebenso wurde. die in den Sechziger- Jahren beliebte doppelte Verschalung durch eine starkere einfache innere Ver¬ schalung vortheilhaft ersetzt. Hinsichtlich der Grosse und der Tragfahigkeit der Giitervvagen ware zu ervvahnen, dass, vvenn auch in der Neuzeit etvvas grossere Wagen gebaut vverden, dies j edoch als kein wesentlicher F ortschritt im Wagenbau, sondern lediglich als eine Anforderung des Verkehrs und der Tarife zu betrachten ist. Die Tragfahig¬ keit der Wagen ist gleichfalls vielfach durch die Verkehrsanforderungen bedingt; fiir den Wagenbau sind die Grenzen durch den zulassigen Achsdruck ge- geben, und durch Verin eh rung der An- zahl der Achsen kann eine ganz be- deutende Tragfahigkeit erzielt vverden. So vvurden fiir Krupp in Essen, Gruson in Magdeburg, Skoda in Pilsen u. A. Wagenbau. 537 eigene Wagen mit 6 bis 16 Achsen und einer Tragfahigkeit bis zu 140 t gebaut. Dies sind natiirlich Ausnahmen ; gewohn- liche Giitenvagen wurden friiherer Zeit bei- nahe allgemein fiir 200 Zollcentner =10 t Tragfahigkeit gebaut. Erst seit den Achtziger-Jahren kann als iibliche Trag¬ fahigkeit I2'5 t und fiir offene Giiter- wagen 15 t angenommen werden. Eine weitere Steigerung der Tragfahigkeit findet ihre Grenze in der zulassigen Belastung der Brilcken und Bauobjecte, durch welche der Verkehr schwerer Wagen viele Beschrankungen erleidet. porte und fiir alle offen zu verladenden Sttickgiiter verwendet werden. Man baut auch Universalwagen, welche als gedeckte Giitenvagen und als Personen- wagen verwendbar sind. Die jeweilige Umgestaltung der Universahvagen ist jedoch in vielen Fallen zu umstandlich, um den vollen Werth derselben zur Geltung kommen zu lassen. Anders verhalt es sich mit mobilen Transporteinrichtungen, welche nur das Vorhandensein gewisser permanent im Wagen angebrachter Bestandtheile be- dingen. In erster Reihe sind hier die Abb. 354. Gepacksraum eines vierachsigen Postwagens. [1895 ] Es entstand nun die Aufgabe, inner- halb der gestatteten Grenzen Wagen zu bauen, welche dem Giiterverkehr am meisten entsprachen. Diese Aufgabe fiihrt zu zwei geradezu entgegengesetzten Con- structions-Bedingungen, namlich zur Con- struction von Universahvagen und von Specialwagen. Beim Bau von Universalwagen liegt die Tendenz zugrunde, den Wagen fiir mog- lichst verschiedenartige Frachtgattungen verwendbar zu machen. Solche Universal- wagen sind z. B. offene hochbordigeWagen mit abnehmbaren Bordwanden, Rungen und Drehschemeln. Diese Wagen kon- nen abwechselnd fiir Kohlentransporte, fiir Brettertransporte, fiir Langholztrans- Einrichtungen fiir Militarmannschafts- und Pferdetransporte zu nennen; die fiir diese Transporte erforderlichen, nach einem Normale vorgeschriebenen fixen Be- schlage bilden ebenso integrirende Be¬ standtheile der Giiterwagen, wie beispiels- \veise die Beschlage fiir Zollverschliisse oder die Signallaternstiitzen. Am Wagen selbst sind jedoch im Venvendungsfalle keinerlei Aenderungen oder Umgestaltun- gen vorzunehmen, und deshalb ist auch eine rasche Einrichtung der Wagen mit 'mobilen Einrichtuno;s - Gegenstanden in allen Depotstationen moglich. Nachdem alle oder doch die iiber- wiegende Mehrzahl der gedeckten Giiter- wagen fiir den Militartransport vervvend- 538 Julius von Ow. bar sein sollen, so ist es erklarlich, dass durch diese Eignung die Wagen in keiner Weise fiir ihre normale Verwendung als Giitervvagen eingeschrankt werden diirfen, und dass nicht nur neue Wagen, sondern auch alte Wagen fiir Militarzvvecke ge- eignet sein miissen. Die Transport- j einrichtungen wurden daher den iiblichen Wagenformen angepasst. Als im Jahre 1886 einheitliche Normalien fiir Militar- Transporteinrichtungen aufgestellt wur- den, ergaben sich mit Riicksicht auf diese Normalien verschiedene Bedingungen, welche beim Bau neuer Wagen bertick- Abb. 355. Grldterwagen d er Linz-Budweiser Pferde-Eisenbahn. [1828.] sichtigt werden mussten. Diese Ein¬ richtungen geniigen auch thatsachlich bei Truppentransporten, konnten jedoch nicht mehr entsprechend befunden werden, sobald es sich um die Befor- derung von Kranken und Vervvundeten handelt. Die Kriegsjahre x866 und 1870 gaben reichlich Gelegenheit, die Er- fordernisse fiir die Krankentransporte kennen zu lernen. Im Jahre 1866 bestan- den noch keine vorbereiteten Sanitats- wagen. Allerdings wurde von der Kaiser Ferdinands-Nordbahn eine grossere An- zahl Giitervvagen fiir Krankentransporte eingerichtet, indem in diesen Wagen Hangegurten und transportable Trag- betten in sehr zvveckmassiger Weise unter- gebracht wurden, aber gewisse Mangel der Giiterwagen konnten doch nicht be- seitigt werden, welche fiir den Gesunden vveniger fiihlbar, fiir den Kranken noch immer empfindlich sind.*) Auch im *) Vgl. auch Bd. II, Unsere Eisenbahnen im Kriege. S. 148 und ff. deutsch-franzosischen Kriege waren die Lazarethziige noch keineswegs dem Erfordernis entsprechend, \venn auch fiir dieselben bereits umfangreichere Vor- bereitungen getroffen waren. Auf Grnnd dieser Erfahrungen wurde in der folgenden Zeit mit lebhaftem Eifer an der Auf- stellung von Grundziigen und der Orga- nisation von Eisenbahn-Sanitatsziigen ge- arbeitet, und in der Weltausstellung vom Jahre 1873 war bereits eine zahlreiche Reihe eingerichteter Eisenbahn-Sanitats- vvagen deutscher und franzosischer Pro- venienz zu sehen, in welchen die ver- schiedenen Bestrebungen zur Forderung des humanen Werkes zum Ausdrucke kamen. Es war bald klar, dass weder der | gevvohnliche Personenwagen, noch der ge¬ vvohnliche Gtiterwagen geeignet seien, un- mittelbar als zvveckmassiger Lazarethvva- | gen vervvendet zu vverden, und dass es noth- wendig sei, fiir diese Zwecke besondere Wagen zu bauen oder durch Umbau herzustellen. Nach mehrfachen Versuchen und Berathungen in den massgebenden l militarischen und Eisenbahnkreisen ge- langte im Jahre 1877 das Normale fiir Eisenbahn-Sanitatsztige in Wirksamkeit, S in welchem die Zusammensetzung der Sanitatsziige, deren Einrichtung und alle j Functionen von der Activirung der Ziige bis zu deren Abriistung eingehend be- handelt sind. Nach diesem Normale ist die Adaptirung der Eisenbahnwagen in eine vorbereitende und eine definitive getrennt. Die Eisenbahn-Vervvaltungen sind verpflichtet, eine bestimmte Anzahl Wagen vorbereitend adaptirt in ihrem Lastwagenparke zu fiihren. [Abb. 356.] Sowohl die Bauart dieser Wagen als auch die Unterbringung der Tragbetten und das System der Beladung durch die Schubthiiren basiren auf denselben Grund- ideen, \velche bei der provisorischen Ein¬ richtung der Nordbahnwagen im Jahre 1866 und bei den im Jahre 1873 aus- gestellten deutschen Wagen zur Anvven- dung kamen, und die bei aller Riick- sicht auf die sanitaren Anforderungen doch mehr den Umbau vorhandener Giitervvagen, als den Neubau solcher Wagen im Auge behielten. Noch vor Erscheinen des Normales fiir Eisen- bahn - Sanitatsziige befasste sich der Wag;enbau. 539 souverane Malteser Ritterorden ein- gehend mit dem Studium der Sanitats- ztige und fasste den Beschluss, aus eigenen Mitteln einen Muster-Sanitatszugzubauen, auszuriisten und als Schulzug zu ver- wenden. Mit unermtidlichem Eifer wurden von Dr. Freiherrn von Mundy und dem Director der Simmeringer Waggonfabrik, Herrn H. Z i p p e r 1 i n g, die Bauart dieser Sanitatswagen, die ganze Einrichtung und i Magazinswa- gen, i Montur- und Rilstungsvva- gen, io Ambulanzwa- Abb. 356. Eisenbahn-Sanitatswagen. Obwohl auch bei der Construc- tion dieser Wa- gen auf ihre Verwendbarkeit als Giiter- wagen Rticksicht genommen war, so wurde diese doch nur insoferne zur Richtschnur genommen, als es sich um die Herstellung neuer Wagen han- delte. Die Malteservvagen [Siehe Bd. II, Abb. 25 und 26, Seite 150] sind nach Art der im Jahre 1873 ausgestellten franzosischen Wagen gebaut und beruhen auf dem Systeme der Verladung durch die Stirnthiiren und der Beleuchtung von oben. Diese Wagen besitzen dalier auf beiden Enden Plattformen mit Stiegen, in gleicher Weise wie die Intercommu- nications - Personenwagen mit offenen Plattformen. Aussen sind die Wagen mit dem Genfer Kreuz und je zwei Malteser Kreuzen gekennzeichnet. Die gesammte innere Einrichtung und Ausriistung wurde auf Grund der reichen Erfahrungen des Freiherrn von Mundy auf das Zweck- massigste angeordnet. Nachdem der Musterzug des souve- ranen Malteser Ritterordens evbaut, ausge- rustet und in dessen Domane Strakonitz remi- sirt worden war, kam im Jahre 1876 ein Ueber- einkommen des souveranen Mal- . teser Ritteror¬ dens mit den osterreichischen Bahnverwaltun- gen zustande, nach welchem letztere sich ver- pflichteten, die fur fiinf Ziige erforderlichen Wagen zu be- schaffen, diese nach dem Nor¬ male der Mu- sterwagen zu er- bauen und im Mobilisirungs- falle dem souve¬ ranen Malteser Ritterorden zur Verfiigung zu stellen. Diese als Malteserwagen bezeichnetenWagen stehen als gedeckte Giiterwagen in Verwendung. Der Malteser Schulzug leistete im bosni- schen Feldzuge hervorragende Dienste. Die neuere Richtung des Giitervvagen- Baues ist besonders durch den Bau von Specialwagen gekennzeichnet. Gewisse Specialwagen, z. B. Pferdewagen, Kleiu- viehwagen, Langholzwagen, bestanden zwar in der altesten Zeit der Eisenbahnen [siehe Seite 536], andere Typen ent- wickelten sich jedoch erst spater, nachdem 540 Julius von Ow. das Bediirfnis hiefiir eingetreten war. Ganz besonders wird der Bau von Speciahvagen durch die Einstellung von Parteivvagen in die Fahrparke der einzelnen Bahnen beglinstigt. Die Bahnverwaltungen konnen in ihren Fahrparken nur Wagen besitzen, fiir welche eine dauernde Venvendung sicher oder \venigstens wahrscheinlich ist, und entschliessen sich schwer, besondere Wagen zu bauen, deren Vervvendbarkeit nur von dem Bestande eines einzelnen Etablissements oder einer temporaren Geschafts-Conjunctur abhangig ist. Da nahezu taglich neue Specialvvagen entstehen, so vviirde es zu weit fuhren, richtung specieller Biertransport-Wagen. Es vvurden damals unter Leitung des Central -Inspectors W. Ben der zvvolf Giitervvagen fiir Biertransporte ein- gerichtet, welche Type im Allgemeinen heute noch fiir Biertransport-Wagen an- ge\vendet wird. Diese zvvolf Wagen waren in regelmassigem Turnus zwischen Wien und Pariš und ermoglichten es, dass das Bier mit einer Temperatur von -J- 5 0 in Pariš anlangte. Das Renommže, dessen sich das Schwechater Bier in Pariš er- freute, hatte es demnach nicht zum ge- ringen Theil dem inlandis.chen Wagen- bau zu verdanken. Abb. 357. Biertrans solche einzeln besprechen zu \vollen und es mogen hier nur die wichtigsten Typen ervvahnt werden. Eine wesentliche Bedeutung haben die Kiihlvvagen erlangt. Lange Zeit war es nicht moglich, in der warmen Jahres- zeit gewisse Artikel, welche in der Warme dem Verderben ausgesetzt sind, auf weite Entfernungen zu befordern; selbst bei Transporten, welche keine langere Zeit als eine Nacht erforderten, war es schwer, die erforderliche Temperatur zu erhalten. Es war daher nahezu ausgeschlossen, die Versendung von gewissen Consum- artikeln, zu welchen in erster Linie das Bier zu rechnen ist, auf \veitere Absatz- gebiete auszudehnen. Die Ausstellung in Pariš im Jahre 1867 gab den Anlass dazu, die Verfrach- tung des Bieres in Gebinden auf weite Entfernungen ernstlich anzustreben und die Firma A. Dreher vvendete sich an die Staatseisenbahn-Gesellschaft wegen Ein- >port-Wagen. [1893 ] Der damals erzielte glanzende Er- folg bewirkte, dass der Biertransport in Kiihlvvagen nicht auf die Aus- stellungs - Periode und nicht auf die Relation Wien-Pariš beschrankt blieb, sondern auch im Inlande immer mehr Beachtung fand. In Oesterreich waren es besonders bohmische Brauereien, die sich durch Vervvendung von Kiihl- wagen veranlasst fanden, ihr Absatz- gebiet vvesentlich zu ervveitern. Anfangs der Siebziger-Jahre war es noch nicht tiblich, dass sich die Parteien eigene Wagen anschafften; um nun Kiihlvvagen fiir einen regelmassigen Verkehr zur Ver- fugung zu haben, vvurden zvvischen den Parteien und Bahnvervvaltungen Ver- trage abgeschlossen, nach \velchen die Bahnvervvaltungen aus ihrem Fahrparke gedeckte Giitervvagen zur Verfugung stellten, vvelche auf Kosten der Brauerei zu Kiihlvvagen umgestaltet vvurden und der letzteren ausschliesslich zur Ver- Wagenbau. 541 fugung standen. Der rasch zuneh- mende Bedarf an . Kiihlwagen ver- ursachte den am meisten betheiligten Bahnverwaltungen einen empfindlichen Abgang an gedeckten Giiterwagen, so dass von mehreren derselben die Ver- miethung der Wagen sistirt und dafiir den Brauereien die Beschaifung eigener Wagen anheimgestellt wurde. Die Ein- stellung solcher Biervvagen in den Fahr- park der Eisenbahnen hat seither wesent- lich zugenommen, so dass bereits iiber 700 Bierwagen osterreichischer Braue¬ reien im Verkehr sind. Im Fahrparke der k. k. Staatsbahnen allein waren Ende 1896 von 36 verschiedenen Brauereien 458StuckBier- wagen einge- stellt. [VgJ Abb. 357.] Der Werth der Kiihlwa- gen kommt zwar vorherr- schend nur im Sommer zur Geltung, aber auch im Win- ter haben diese Wagen den Vortheil, dass die Ladung durch die dichten Wande gegen den Ein- fluss der ausseren Kalte viel langer geschiitzt bleibt, so dass nur bei star- kem und andauerndem Froste das Ein- frieren des Bieres in den Fassern zu befiirchten ist. Um jedoch auch diesem Mangel vorzubeugen, werden seit fiinf Jahren auch heizbare Bierwagen gebaut. Bisher haben sich die Briquetheizungen gut bewahrt, und werden wegen der Einfachheit und Billigkeit den Gasofen- heizungen vorgezogen. Nachst der Verwendung von Kiihl- vvagen fur Biertransporte gelangten solche auch fur Fleischtransporte zu besonderer Bedeutung. Die Anforderun^en, welcheanFleisch- transport-Wagen gestellt werdten, sind viel complicirter als bei den Bierwagen. Wahrend bei letzteren nur eine niedere Temperatur im Wagen verlangt wird, und diese ’ durch isolirte Wande und dichten Verschluss leicht erhalten werden kann, ist fiir den Fleischtransport nicht nur eine gleiche Abktihlung sondern auch eine gute Ventilation erforderlich, gleichzeitig soli das Fleisch auch gegen Nasse geschiitzt sein und darf auch nicht in compacter Masse geschlichtet werden. Bei Construction der Fleisch- wagen waren daher schwierige Auf- gaben zu losen, und es entstanden in- folgedessen mehrere patentirte Systeme, von welchen das System T i f f a n y und das System Mann in Oesterreich am meisten zur Ausfuhrung gelangten. [Abb. 358 .] Die complicirte Bauart macht die Fleischwagen ziemlich theuer und auch der Eisverbrauch ist bedeutend grosser als bei Bierwagen, weil durch die Luftcirculation viel mehr ver- dunstet wird. Es sind daher die Fleischwa- gen nur unter gewissen com- merziellen Be- dingungen und fiir wenige Relationen rentabel, weshalb die Zalil derselben in Oesterreich kaum 100 Stiick betragt; mehrere solche Wagen wurden bereits, infolge des verminderten Absatzes von frischem Fleisch nach Frankreich, in Bier- wagen umgestaltet. Eine wichtige Gruppe der Special- wagen bilden die Kessehvagen, auch Reservoir- oder Cisternemvagen genannt. Der alteste Cisternenwagen ist der Ten- der, welcher so ziemlich ebenso alt wie die Locomotive ist. Lange Zeit dachte man nicht daran, andere Fliissigkeiten als Wasser in Cisternemvagen zu befordern, und dies hatte seinen guten Grund. Erst nachdem die Bahnnetze sovveit entvvickelt waren, dass die Geleiseverbindungen von einer Productionsstelle unmittelbar bis zur Consumstelle fiihrten, dass die Fliissig¬ keiten in die Waggons direct eingefiillt und wieder direct von diesen abge- Abb. 358. Fleischtransport-lVagen. [System Mann.] [1885.] 542 Julius von Ow. schlaucht werden konnten, begann der W erth der Cisternenenwagen an Bedeutung zu gewinnen. Einer der altesten Cisternen- wagen diirfte ein von der Staatseisen- bahn-Gesellschaft im Jahre 1858 ge- bauter Oelwagen sein. Derselbe war ein kleiner zweiacbsiger Wagen von 3500 kg Tragfahigkeit und trug ein vierkantiges, geradwandiges Reservoir mit geschlossener Dečke und einem mit einem Deckel geschlossenen Ftillstutzen. Ein ahnlicher Wagen, jedoch fiir 8500 kg Tragfahigkeit, wurde im Jahre 1860 ge- baut. Nach ganz ahnlicher Type wurden im Jahre 1865 in Deutschland die ersten angewendet, welche durch einen ent- sprechenden Rahmenbau fixirt vverden. Specialwagenmitzweckentsprechender Einrichtung, mit Ventilations-Vorrichtung, mitunter auch heizbar, bestehen fiir den Transport von Friichten, Gemiisen, Milch, Eier, Butter, . ebenso fiir lebende Thiere, wie Pferde, Hornvieh, Borstenvieh, Ganse, Hiihner, Fische. Der Bauart der Wagen fiir den Transport lebender Thiere wurde viel Sorgfalt zugewendet, um durch ent- sprechende Tranke- und Fiitterungs-Ein- richtungen, durch geniigenden Schutz gegen Hitze und Kalte und durch ent- Abb. 359. Cisternemvagen. [1893.] Transportwagen fiir Steinkohlentheer ge- baut, welche auch bald darauf bei den Gaswerken in Oesterreich Verwendung fanden. Die vierkantige Kastenform \var zwar dem Untergestelle des Wagens ange- passt, jedoch fiir Fliissigkeiten theoretisch nicht richtig, da fiir diese der runde Quer- schnitt, Fass- und Kesselform am ge- eignetsten ist. Es wurden daher bereits im Jahre 1870 Kesselwagen mit cylin- drischen Gefassen gebaut. [Vgl. Abb. 359-] Die Kesselwagen sind Special- wagen der neuesten Zeit; in den Acht- ziger - Jahren in noch geringer Zahl vorhanden, waren Mitte 1897 in dem Fahrparke osterreichischer Bahnen circa 2500 Stiick enthalten, von welchen mindestens 2400 Stiick Eigenthum von Privaten sind. Fiir Fliissigkeiten, welche in eisernen Kesseln nicht befordert werden konnen, z. B. Salzsaure, werden Thongefasse sprechende Ventilation den Massentrans- port von Thieren nicht in Thierqualerei ausarten zu lassen. Von sonstigen Speciahvagen, \velche fiir Gutertransporte dienen, seien hier nur erwahnt die Wagen fiir Transporte von Langholz, Kohle, Eržen, leichten Ar- tikeln wie Korbwaaren etc., Holzkohle, Cokes, Kalk, Spiegel und aussergewohn- lich schrveren Objecten. Alle diese Special- wagen erforderten sorgfaltige Detailcon- structionen mit genauer Berticksichtip-una: der Verlade-Einrichtungen, und der An- forderungen, welche zum Schutze des Frachtgutes nothrvendig sind. VII. Hilfswagen. Eine besondere Gattung von Special- wagen sind jene, welche nicht direct fiir Transportzwecke dienen, sondern \Vagenbau. 543 welche eigentlich mobile Apparate oder mobile Anlagen sind. Hieher gehoren zunachst die Krahnwagen. Es sind dies Hebekrahne von circa 7000 kg Trag- fahigkeit und 5 m Ausladung, welche so ziemlich nach Bauart leichterer statio- narer Krahne gebaut und mit dem Rahmenbau des Wagenuntergestelles fest verbunden sind. Die Detailconstruction der Krahnwagen ist ebenso verschieden- artig \vie jene der stationaren Krahne. Ebenso wie der Krahn\vagen den Zweck hat, eine Hebevorrichtung in Sta- tionen oder auf sonstige Geleiseanlagen zu bringen, wo keine an- deren geeig- neten Hebe- vorrichtun- gen zur Ver- fiigung ste- hen, haben auch die auf allen Bahnen in Bereit- schaftstehen- denRettungs- oder Requi- sitenwagen [Abb. 360] den Zweck, das zur Hilfe- leistung bei Unfallen erforderliche Werkzeug und Materiale, wenigstens fiir das erste Er- fordernis ohne Zeitversaumnis an die Unfallstelle bringen zu konnen. Die Kaiser Ferdinands-Nordbahn hat nebst diesen Rettungswagen auch noch Hilfs- wagen, welche, ahnlich den Malteser- wagen gebaut, permanent eingerichtet sind und zum Transporte Verwundeter standig in Bereitschaft gehalten werden. Andere, gleichfalls fiir Bahnzwecke dienende Wagen sind die Gerustwagen, welche zur Untersuchung und Reparatur von Tunnels dienen; Gewichtswagen welche zur Tarirung von Geleisebriicken- wagen verwendet werden, und elek- trische Beleuchtungswagen. Letztere Wagen dienen dazu, um an entlegenen Stellen die fiir eine dringende Nacht- arbeit erforderliche ausgiebige Beleuch- tung rasch an Ort und Stelle etabliren zu konnen, und leisten vorziigliche Dienste bei Freimachung von Geleisen bei Erd- abrutschungen, bei Danim- und Ufer- schutzbauten, und ebenso auch bei Mili- tar-Einwaggonirung in kleinen Stationen. Zu ervvahnen waren auch die Impragni- rungswagen [Abb. 361], \velche die voll- standige Einridhtung fiir die Impragni- rung von Schwellen enthalten, und nach Erfordernis in jenen Stationen aufgestellt werden, in welchen die Schwellen zur Einlieferung gelangen. Als Hilfsfahrzeuge sind auch noch die mobilen Schneepfiiige zu zahlen, welche be- reits bei der Pferdebahn Prag-Lana in den Dreissi- ger-Jahren V erwendung fanden [Abb. 362] und spa- ter bei den Locomotiv- Bahnen als separate Fahrzeuge zur Ausfiih- rung gelang- ten.*) Fiir die Bauart der Schneepfiiige wurde meistens die Keilform angewen- det, welche in sehr verschiedenen Tj^pen zur Ausfiihrung gelangte; die Construc- teure waren bemiiht, fiir den Bau der Schneepfiiige sinnreiche Theorien zu entwickeln, nach denen die Wandungen in mehrfach geschweifter und und ge- kriimmter Form ausgefiihrt wurden [Abb. 363], aber keiner dieser Schnee¬ pfiiige entsprach den an ihn gestellten An- forderungen. Als daher circa 1880 die fixen Schneepfiiige an den Locomotiven iiblich wurden, fanden die mobilen Schneepfiiige immer weniger Verwendung und wurden theilweise cassirt und nicht mehr ersetzt. Ein in neuerer Zeit mehrfach gebauter Schneeraumer, S}’stem Marin, hat einige Aehnlichkeit mit den alten Schneepfliigen, *) Vgl. auch Bd. II, O. Kazda, Zug- fOrderung. 544 Julius von Ow. unterscheidet sich jedoch \vesentlich von jenen, indem er von der Locomotive nicht geschoben, sondern gezogen wird und nicht den Zweck hat, den Schnee durch- zubrechen, sondern den vom fhcen Scheepflug der Locomotive durchbroche- nen Schnee seitlich wegzuraumen. Ein ganz specielles Fahrzeug ist die Draisine,*) welche bereits bei den Abb. 362. Schneepflug der Pferdebahn Prag-Lana [circa 1833.] altesten Bahnbauten gebrauchlich \var, und jetzt nur in etwas verbesserter Form *) Die erste Draisine, die in Oesterreich gebaut rvurde, war jene von dem trefflichen Mechaniker J. Božek im Jahre .1826 fttr Gerstner hergestellte »Fahrmaschine«.. Vgl. Bd. I, 1. Theil, H. Strach, Pferde-Eisen- bahnen, Seite 99. gebaut \vird. Beim Bau der Draisinen wurden viele Experimente gemacht, bis man schliesslich doch ziemlich einheitlich auf den Leitstangen-Antrieb mit verti- calen Arbeitshebeln iiberging. Die jetzt am meisten gebaute Draisine ist die Plank’sche. [Abb. 364.] VIII. Wagenbau-Anstalten. Seit Beginn des Eisenbahnbetriebes war der Fahrpark der osterreichischen Eisenbahnen stets auf der Hohe des Fort- schrittes geblieben, so dass er den Ver- gleich mit dem Fahrparke der iibrigen europaischen Staaten nicht nur aushalten kann, sondern dabei noch eine hervor- ragende Stelle einnimmt. Dass Oesterreich auch im Wagenbau eine ehrenvolle Stelle einnimmt, beweist nicht nur das im In- land rollende Fahrmateriale, sondern zeigen auch die vielfachen Lieferungen von Wagen ersten Ranges an das Ausland. Der Anfang des Wagenbaues in Oesterreich lasst sich nicht genau be- stimmen, da derselbe in der ersten Zeit kein specieller Industriezvveig war und nur so nebenbei betrieben wurde. Die ersten Wagen der Linz-Bud- weiser Pferdebahn wurden nach eng- lischem Muster in Mariazell, Blansko und Horžowitz ausgefiihrt und es waren im Jahre 1827 von diesen Wagen 236Stuck vorhanden.*) Spater wurden die Wagen in *) Vgl. Bd. II, J. Spitzner, \Verkstatten- wesen, Seite 570 und 571. 545 Wagenbau. Linz in der eigenen Werkstatte der Pferde- bahn gebaut. Nachdem die ersten Wagen unserer altesten Locomotiv-Bahnen aus dem Auslande bezogen waren, wurde nach diesem Muster der Bau weiterer Wagen in den eigenen Werkstatten be- gonnen und es waren besonders die Werkstatte der Kaiser Ferdinands-Nord- bahn in Wien und die Maschinenfa- brik der Wien- Gloggnitzer Ei- senbahn, welche sich mit Wagen- bau beschaftigten. In den Vierziger- Jahren begannen mehrere Maschi- nenfabriken und Stellmachereien sich mit dem Ei- senbahn-Wagen- bau zu beschaf- tigen und bei einigen dersel- ben wurde dies der Hauptfabri- cationszweig. Un- ter diesen waren besonders H e i n- dorfer, S p i e- ring, H. D. Schmid, Schonkolla, Kraft, Mos er & Angeli zu nennen. Besonders von den drei erstge- nannten Firmen wurde ein grosser Theil der in den Vierziger- und Fiinfziger-Jahren gebauten osterreichi- schen Wagen geliefert. Von diesen Fa- briken besteht gegenwartig nur mehr die von H. D. Schmid. Im Jahre 1852 begann die Maschinenfabrik F. Ring- hoffer in Smichow den Wagenbau. In der Zeit bis Ende der Sechziger-Jahre ent- standen keine- grosseren Waggonfabri- ken, vielmehr \vurde von den Eisen- bahnen, besonders der Staatseisenbahn, ein grosser Theil ihres Wagenbedarfes in den eigenen Werkstatten hergestellt. Die Zeit des wirthschaftlichen Auf- schwunges und der Grtinderperiode be¬ gann sich auch im Wagenbau ftihlbar zu machen, es wurde eine Reihe von Waggonfabriken gegriindet und der Bau derselben in grossem Stile begonnen. So entstanden die Waggonfabriken in Bub n a, Holub- kau, Teplitz, Linz, G r a z, M o d 1 i 11 g, H e r- n a 1 s, Back in Prag, von wel- chen einige nicht einmal zur Be- triebseroffnung gelangten, keine jedoch bis auf die Neuzeit als W aggonfabrik erhalten blieb. Wahrend die aus der Griinderzeit stammenden Waggonfabriken infolge der mehr oder weniger lo- ckeren finanziel- len Verhaltnisse die der Bauperi- ode der grossen Bahnen folgende sterile Zeit des Wagenbaues nicht iiberdauern konnten, blieben die beiden alten solid fundirten W aggonfabriken in Smichow und S i m m e r i n g nicht nur aufrecht, sondern es gelang denselben auch wah- rend dieser Zeit den guten Ruf des oster- reichischen Wagenbaues im Auslande zu befestigen und zu vermehren, und wir konnen mit Recht auf diese Vertreter der osterreichischen Industrie stolz sein. Die Fabrik des Freiherrn von Ringhoffer in Smichow ist altenUrsprunges. Die Firma F. Ringhoffer wurde als Kupferschmiede im Jahre 1771 gegriindet und spater zu einer Metallwaaren-Fabrik ervveitert; im Jahre 35 Abb. 363. Schneepflug'. [1870.] Geschichte der Eisenbahnen. II. 546 Julius von Ow. 1848 erfolgte dieGriindung derMaschinen- fabrik und Kesselschmiede, im Jahre 1852 die Errichtung d er Waggon- und Tender- fabrik, im Jahre 1854 wurde die Eisen- giesserei, und im Jahre 1856 der Kupfer- hammer und das Walzwerk errichtet. Der erste Wagen verliess im Jahre 1852 die Werkstatten dieser Firma. Derselbe war ein gedeckter vierachsiger Giiterwagen ohne Bremse fiir die nordlichen Staats- bahnen. [Abb. 365.] In steter Zunahme wuchs die Leistungsfahigkeit dieser Fabrik, so dass dieselbe nicht nur unter den osterreichischen Fabriken den ersten »Maschinen- und Waggonbau- Fabriks-Actien-Gesellschaft in Simmering, vormals H. D. Schmid«, liber und \vurde im Laufe der Zeit mehr- fach erweitert. Die Nesselsdorfer Wagenbau- fabriks-Gesellschaft ist ausder von Herrn Ignaz Schustala im Jahre 1850 begriindeten Kutschenfabrik hervorgegan- gen. Urspriinglich eine einfache Wagnerei, wurde dieselbe allmahlich vergrossert und nahm bald eine hervorragende Stelle im Kutschenbauein, in welchem dieselbe gegen- \vartig eine der grossten und leistungs- Abb. 365. Erster in der Fabrik von F. Kinghofter gebauter Wagen. U& 5 2 .] Rang einnahm, sondern auch mit den grossten Jmd renommirtesten Fabriken des Auslandes erfolgreich in Concurrenz treten konnte. Die Fabrik beschaftigt durchschnitt- lich 3000 Arbeiter. Die Firma H. D. Schmid wurde im Jahre 1831 als Maschinenfabrik gegriindet und begann den Bau von Eisenbahn- wagen im Jahre 1846. Es waren offene Giiterivagen fiir die Kaiser Ferdinands- Nordbahn, welche als erste Eisenbahn- wagen diese Fabrik verliessen. Im Jahre 1850 wurde die Wiener Werkstatte auf- gelassen und die Fabrik in Simmering etablirt, wo dieselbe heute noch besteht; die ersten Wagen, welche in der neuen Fabrik gebaut wurden, \varen Personen- wagen fiir die Staatsbahn. Im Jahre 1869 ging die Fabrik ohne Unterbrechung des Betriebes in eine Actien-Gesellschaft unter der Firma fahigsten Firmen Europas ist. Mit dem Baue von Eisenbahnwagen beschaftigt sich diese Fabrik erst seit dem Jahre 1882, zu welcher Zeit Giiterwagen fiir die Stauding- Stramberger Localbahn gebaut wurden. In den ersteren Jahren wurden nur Giiterwagen und minderwerthige Per- sonenwagen gebaut. Im Jahre 1892 ging die Fabrik an eine Actien-Gesell¬ schaft iiber und wurde bedeutend ver¬ grossert. Seither liat die Fabrik in der Fabrication von Eisenbahnwagen einen raschen Fortschritt genommen. Nicht nur in der Qualitat der fabriksmassig erzeugten neuen Wagen, hat sich die Nesselsdorfer Wagenfabrik in kurzer Zeit den alteren Waggonfabriken gleichwerthig erwiesen, sondern auch durch Schaffung neuer Typen und Detailconstructionen um den Wagenbau im Allgemeinen viele Ver- dienste erworben, und sich einen guten Namen auch jenseits des Oceans errungen. Wagenbau. 547 Die Fabrik hat bis zum Jahre 1897 circa 9000 Wagen gebaut, von welchen 172 Stiickins Ausland geliefert wurden, Sie beschaftigt circa 1200 Arbeiter. DieErste g a I i z i s c h e Wa g g o n - und Maschinenbau-Actien-Gesell- schaft inSanok entstand aus der dort bestandenen Mascbinenfabrik fiirNaphtha- Industrievon Kasimir Lipihski. Dieersten Wagen wurden im Jahre 1891 gebaut. Im Jahre 1895 ging die Fabrik in eine Actien-Gesellschaft iiber, welche mit dem Bau einer neuen Fabriksanlage in San o k begann und dieselbe Mitte 1897 in Betrieb setzte. Die neue Fabrik ist fiir alle Gattungen Wagen und eine Leistung von circa 800 Wagen pro Jahr berechnet. Bisher wurden grosstentheils Giiter\vagen, seit 1896 auch Personen- und Dienstwagen gebaut. Die bisherige Erzeugung betragt circa 1500 Wagen. Die Fabrik beschaftigt durchschnitt- lich in beiden Anlagen zusammen 400 Arbeiter. Die gegemvartige Waggonfabrik in Graz steht mit der alten W a g g o n- fabrik in Graz nur insoweit in Ver- bindung, als beide Fabriken von Herrn Joh. W e i t z e r gegriindet wurden. Die alte im Jahre 1864 gegriindete Waggonfabrik lieferte die ersten Wagen an die Graz-Koflacher Eisenbahn und an die Ungarische Westbahn. Im Jahre 1872 ging diese Fabrik an die Grazer Waggon-, Maschinenbau- und Stahlwerks-Gesell- schaft iiber, welche eine grossere Anzahl Personenwagen an die Kaiser Franz Josef-Bahn und an die Dalmatiner Staatsbahn lieferte; wie bereits bemerkt, stellte diese Fabrik im Jahre 1879 den Betrieb ein. Bereits im Jahre 1873 errichtete Herr Joh. Weitzer in Graz eine neue Fabrik unter der Firma k. k. priv. Wagenfabrik Joh. Weitzer, in \velcher Equipagen und Strassenfuhrwerke aller Art angefertigt wurden; im Jahre 1879 wurde die Fabri- cation von Tramwaywagen aufgenommen und wurden solche zuerst fiir die Grazer Tramway geliefert; dieser Fabrications- zweig wurde bald eine Specialitat dieser Fabrik, und verschaffte derselben auch im Auslande einen guten Ruf und bedeutende Lieferungen nach dem Auslande. Durch ungiinstige Zollverhaltnisse wurde der beziigliche Exporthandel nahezu lahmgelegt, und es musste wieder mehr auf den Bedarf an Fahr- betriebsmitteln im Inlande das Augen- merk gerichtet werden; der Aufschwung des allgemeinen Verkehrs begiinstigte dabei die weitere Entwicklung der Fabrik, indem dieselbe nicht nur fiir die meisten osterreichischen Dampftramways Wagen lieferte, sondern sich auch besonders auf den Bau von Wagen fur schmalspurige Bahnen verlegte. Der grosste Theil des Wagenparkes der osterreichisch- ungarischen Schmalspurbahnen ist von der Grazer Wagenfabrik geliefert, und stammen viele Neuerungen und Verbesse- rungen in diesem Specialzweige aus dieser Fabrik. Im Jahre 1888 wurde der erste normalspurige Wagen gebaut und seither der Bau solcher Fahrbetriebsmittel in der Fabrik fortgesetzt. Im Jahre 1895 ging die Fabrik in eine Actien-Gesellschaft iiber unter der Firma »Grazer Wagen- und Waggon- Fabriks-Actien-Gesellschaftvor- malsj. Weitzer« und wurde bedeutend vergrossert, wodurch dieselbe auch fiir den Bau normaler Eisenbahnwa’gen in grosse- rem Umfange geeignet wurde und den- selben als Hauptfabricationszweig auf- nahm. Dagegen wurde die Fabrication von Equipagen ganzlich aufgelassen, nachdem in der Zeit von 1873 bis 1886 circa 2200 solcher Fahrzeuge gebaut worden waren. Obwohl der Bau nor¬ maler Wagen ih grosserem Umfange betrieben wird, so blieb doch die Fabri¬ cation von Fahrzeugen fiir Special- Eisenbahnen, Zahnradbahnen, Drahtseil- bahnen, elektrische Bahnen eine Speciali¬ tat, in vvelcher diese Fabrik sowohl hin- sichtlich der Construction und Ausfiihrung, als auch'der praktischen und gefalligen Formen sich des besten Rufes erfreut. Auch hinsichtlich der Herstellung von Fahrbetriebsmitteln fiir piovisorische Eisenbahnen, fiir Feldbahnen, Bauten etc. kann diese Fabrik, die in neuerer Zeit an 600 Arbeiter beschaftigt, als Special- firma gelten. Die Briinn-Konigsfelder Maschinen- fabrik von Lederer & Porges wurde im Jahre 1890 gegriindet und hat sich in 35 * . 548 Julius von Ow. i der ersten Zeit vorwiegend mit Maschinen- und Kesselfabrication befasst. Nachdem in jener Zeitperiode der Bedarf an Kessel- wagen sehr bedeutend war, so wurde anschliessend an die Fabrication der Kessel fiir Kesselwagen, auch mit dem Baue completer Kesselwagen begonnen und damit der Wagenbau in der Fabrik eingefiihrt. Derzeit ist der Bau von Cisternenwagen sowie von Bier-, Fleisch- und Weinwagen eine Hauptbeschaftigung der Wagenbau-Abtheilung. In neuerer Zeit werden in dieser Fabrik auch Dienst- \vagen und Personenwagen gebaut. Die Fabrik hat bisher circa tausend Wagen gebaut und beschaftigt durchschnittlich 500 Arbeiter. Nebst den genannten Fabriken haben auch noch andere Fabriken vereinzelte Wagen gebaut, ohne jedoch deshalb als Waggonfabriken gelten zu konnen. Ziemlich bedeutend ist die Herstellung von Wagen in den eigenen Werkstatten der verschiedenen Bahnen und werden besonders Guterwagen, seltener Personen- wagen, auch in grosseren Partieen in eigener Regie gebaut. Der Bedarf an Wagen wird seit circa zwanzig Jahren in Oesterreich nahezu vollstandig durch inlandische Erzeugung gedeckt. In frtiheren Jahren, besonders bis Anfang der Siebziger-Jahre, \vurden noch viele Wagen aus dem Auslande nach Oesterreich geliefert. * * * Wenn man den Entwicklungsgang der gesammten technischen Wissenschaft und Industrieen ins Auge fasst, so er- scheint der Wagenbau nur als ein Glied der Kette, als ein Rad im grossen Mechanismus, welches dem Gesammt- fortschritte nicht voreilen konnte und nicht zuruckbleiben durfte. Ebenso noth- wendig als die fortschrittliche Aus- bildung und Entwicklung des Wagenbaues fiir die Entwicklung des ganzen Eisen- bahnwesens war, ebenso nothwendig waren auch fiir den Wagenbau die Fortschritte in allen ubrigen Zweigen des Eisenbahn- wesens und der Gesammtindustrie. Ge- wiss muss es uns eine Befriedigung ge- wahren, dass der osterreichische Wagen- bau in seinen Leistungen jenen der ubri¬ gen Culturstaaten ebenbiirtig zur Seite steht und dass viele der Fortschritte und Verbesserungen der Thatigkeit oster- reichischerFachmanner zuverdanken sind. Wir wollen aber die Hoffnung hegen, dass unser Vaterland die ehrenvolle Stelle im Wagenbau behaupten \verde, welche es sich bisher in diesem Fachzweige der Industrie und technischen Wissenschaft errungen hat. Beheizunp- und Beleuchtung o o der Eisenbahnwagen. Von Roman Freiherrn von Gostkowski, k. k. o. 6. Professor an der technischen Hochschule in Lemberg, Generaldirections-Rath der k. k. osterreichischen Staatsbahnen a. D. I. Beleuchtung der D er . Gedanke, Eisenbahnwagen zu beleuchten, lag den Verwaltungen der Bahnen anfangs ziemlich ferne, verkehrten doch die Ziige der ersten Eisenbabnen nur bei Tage. Ja selbst, als spater NachtzOge eingefiihrt wurden, sah man nicht ilberall die Nothwendigkeit ein, die Coupes der Wagen beleuchten zu miissen. Behauptete doch noch im Jahre 1890 der Hygienist Wichert, dass das Lesen im Eisenbahnwagen. zu Nerven- und Augenkrankheiten fiihre! Der passive Widerstand der Eisen- bahn-Verwaltungen, Coupes zu beleuchten, musste erst durch ein en koniglichen Willen gebrochen werden. Konig Friedrich W i 1 h e 1 m IV. von Preussen erzwang namlich in seinem Reiche die Beleuchtung der Eisenbahnwagen durch einen Erlass, welchen er 1844 durch seinen Cabinets- minister an den damaligen Minister der Finanzen und des Innern richtete. Noch vor diesem Erlasse hatte die Leipzig-Dresdner Eisenbahn ihre -Nachtziige mit Kerzen beleuchtet, sie scheint uberhaupt die erste Bahn des europaischen Continents gewesen zu sein, vvelche die Wagenbeleuchtung einfuhrte. [1836.] Unter dem Hochdrucke des konig¬ lichen Willens verfiel man auf die Idee, die Lichtquelle ausserhalb desWagens anzubringen und die leuchtenden Strahlen derselben durch geeignet angebrachte Reflectoren in das Innere des Coupes zu leiten. Das reisende Publicum konnte je- Eisenbahmvagen. doch an dieser Art von Beleuchtung keine Befriedigung finden, namentlich dann nicht, wenn die Reflectoren, durch Rauch, Kohlenstaub oder Schnee bedeckt, ihre Dienste versagten. Es blieb also nichts tibrig, als die Wagen mit Wachskerzen zu beleuchten, welchen spater Stearinkerzen folgten. Man stellte die Kerze in eine Blechbiichse, welche an ihrem oberen Ende mit einer Klappe versehen war, die eine kleine Oeffnung ftir den Kerzendocht enthielt. Eine am Boden der Biichse angebrachte Spiralfeder driickte nach Massgabe des Abbrennens die Kerze in die Hohe. Hinausschnellen konnte die Kerze nicht, \veil der obere Deckel der Biichse sie daran hinderte; sie konnte nur in dem Masse nachriicken, in welchem sie kiirzer wurde, so dass die Flamme derselben stets in unveranderter Hohe verblieb. Die Blechbiichse — Patrone genannt — war vermittels eines Armes an der innern Seitenwand des Wagfens befestigd und erhielt ebenso einen Reflector als auch einen Glasballon. Das Verschmel- zen und Abtropfen des Stearins sowie des Wachses wahrend der Fahrt war Ursache, dass die Federn der Patronen bald schlecht oder gar nicht functionirten. Hiemit war aber das Urtheil iiber diese, ohnehin theure Art der Wagenbeleuchtung auch schon gesprochen. Die Beleuchtungskosten kamen pro Stunde und Kerze auf 2 bis 2 1 / 2 kr. zu stehen. 552 R. Freiherr von Gostkowski. Im Jahre 1789 hatte A r g a n d in Pariš den Hohldocht, vvelcher so ausserordent- lich viel zur Verbesserung des Ver- brennungsprocesses beitrug, bei Lampen eingefiihrt, and ersetzte ausserdem die damals beniitzten, iiber die Flammen ge- stiilpten Zugrbhren aus Eisenblech durch glaserne, die Flamme umgebende Cylinder. Diese, damals sogar in Versen besungene Lampe, litt jedoch an dem grossen Mangel, dass durch den Schatten, vvelchen ihr seitlich angebrachter Oelbejralter warf, ein grosser Theil des Lichtes verloren ging. Um diesen Fehler zu beseitigen, gab es nur ein Auskunftsmittel und dieses bestand darin, den Behalter in den Fuss der Lampe zu verlegen und das Oel nach Massgabe des Verbrauches kunstlich in die Hohe zu schaffen. Nach vielen misslungenen Versuchen blieb man end- lich bei jener Construction stehen, nach welcher das unten befindliche Oel durch eine, mittels eines Uhrvverkes betriebene Pumpe, welche man im Fusse der Lampe versteckt hielt, in die Hohe geschafft \vurde. Die erste solche Uhrlampe wurde durch C a r c e 1 in Pariš zu Anfang unseres Jahr- hunderts construirt und nach ihrem Er- finder G ar c e 11 amp e benannt. Ein im Innern des Lampenfusses verstecktes, von aussen aufziehbares Uhnverk versagt aber leicht. Erst 1837 gelang es Franchot, eine Regulatorlampe herzustellen, welche allen damaligen Anforderungen entsprach und Moderateurlampe genannt wurde. Zur Beleuchtung der Eisenbahmvagen konnten jedoch derlei Lampen nicht ver- \vendet werden, weil sie viel zu empfind- lich gegen Stosse waren, die doch bei einer Eisenbahnfahrt kaum vermeidlich sind. Man musste daher auf andere Con- structionen sinnen und kam nach einer stattlichen Reihe von Jahren nach vielen Versuchen endlich auf die heutige Decken- lampe. Die Glasglocke der friiheren Decken- lampe war nach unten umzukippen, so dass der Docht und durch diesen die Flamme im Coupš regulirt werden konnte. Die Glocke der neueren Deckenlampe ist nicht umlegbar, die Lampe rnuss also von aussen, vom Wagendache aus be- dient rverden, was den Vortheil hat, dass die Reisenden durch die Bedienung nicht belastigt werden, und dass das Innere des Wagens durch Tropfol nicht ver- unreinigt wird. Eine Dachlampe mit Flachdocht fasst getvohnlich 1 / 4 — 1 / 3 kg Oel, welche Menge einer Brenndauer von 24—25 Stunden entspricht. Eine Runddochtlampe fasst nicht ganz 2 / 3 kg Oel und brennt 18 Stunden lang. * * * Mit der Einfiihrung des Petroleums erhielt bekanntlich das ganze Beleuch- tungs\vesen eine vollstandige Umge- staltung. In Europa stammen die ersten Funde von Erdol aus dem Jahre 1430, woselbst am Tegernsee das Vorkommen des- selben bereits bekannt war. Erst spatere Jahrhunderte brachten Kunde von Petro- leumquellen im E 1 s a s s sovvie im Braun- schweig’schen. AllerjungstenDatums ist unsereKennt- nis des Erdols in Galizien. Wir verdanken sie Haquet, *) der im Jahre 1783 als *) Haquet war friiher Arzt in der osterreichischen Armee, dann Anatomie- Professor in Laibach, durchwanderte die Ostalpen und die Karpathen, und liess tiber die Ergebnisse seiner geologischen Forschun- gen im Jahre 1794 in Ntirnberg ein Buch erscheinen. In diesem dreibandigen Werke wird unter Anderem erzahlt, dass circa 12 km westlich von Drohobycz [durch seine Ozokeritgruben heute beruhmtj ErdOl vor- komme, welches dadurch gewonnen wird, dass die Einwohner in dem lehmigen Boden 4—6 m tiefe Gruben machen, in rvelchen kurze Zeit nach deren Fertigstellung so viel Wasser sich ansammelt, dass sie beinahe voli werden. Mit dem "VVasser kommt auch Erdol. Der Arbeiter nimmt sodann eine Art Rechen in die Hand und riihrt das Wasser solange durcheinander, bis sich das Oel zusammen- hauft, wonach es dann in kleine Lehmgruben geschopft wird. Hier lasst man es eine Zeit lang stehen, damit das Oel vom Wasser sich trenne. Ist dies geschehen, so wird das Oel abgeschopft und in Fassern verfiihrt. Die griisste Oelerzeugung Galiziens be¬ stand damals in Kwaszenica, einem Orte zwischen Lisko und Laško. In diesem Orte producirte man durchschnittlich 6900 l Erdol pro Jahr, welches Quantum, nach unserer heutigen Wahrung gezahlt, einen Werth von 634 fl. 5 kr. besass. Das getvoli- nene ErdOl war zumeist zu Wagensdimiere verarbeitet worden, die im ganzen Lande gerne gekauft wurde. Auch diente es hie und da als Arzneimittel. Beheizung und Beleuchtung. 553 Professor der Naturgeschichte nach Lemberg berufen wurde. Der Gedanke, destillirtes Erdol als Beleuchtungsmittel, d. h. dasselbe anstatt Rubol zu verwenden, ist jedoch neu. Die ersten schwankenden Versuche in dieser Richtung, Versuche, welche die Beleuchtungsindustrie angebahnt haben, stammen aus Oesterreich. In dem Orte Hubicze, in der Nahe von BorysIaw, bestand namlich im Jahre 1817 bereits eine kleine Fabrik, in welcher Rohol destillirt wurde. Das Destillat war fur Prag bestimmt, wo- selbst es zur Beleuchtung der Strassen verwendet werden solite. Kurze Zeit nach Inbetriebsetzung der kleinen Fabrik wurde jedoch die Destillation des Erdols einge- stellt, weil das Destillat wegen des Mangels an Communicationsmitteln nicht an seinen Bestimmungsort geschafft werden konnte. Erst gegen Ende 1848 erschienen in der noch heute bestehenden Apotheke des M i k o 1 a s c h in Lemberg zwei unter- nehmende Juden, Namens Schreiner und Stiermann, mit einem Fasschen einer dunkelgrunen, ins Gelbe opali- sirenden FliAssigkeit, welche von der Oberflache eines nachst Drohobycz fliessenden Baches abgeschopft worden war, mit dem Ansinnen, der Apotheker moge untersuchen, ob diese Fliissig- keit zur Beleuchtung verwendbar sei. k u k a s i e w i c z, der damalige Pro- visor dieser Apotheke, in Gemeinschaft mit seinem Collegen Z e c h, erkannten in dieser Flussigkeit sofort Erdol und schlossen aus der stark russenden Flamme desselben, dass es ein vorziigliches Be¬ leuchtungsmittel abgeben konnte, falls es gelange, ein reines Destillat desselben zu erhalten und Lampen mit entsprechen- dem Brenner zu construiren. An ein Brennen des Destillats in den damali- gen Lampen, war namlich nicht zu den- ken. Nach vielen langwierigen Versuchen gelang es L u k a s i e w i c z endlich [1852] eine Lampe zu bauen, in welcher das durch ihn bereits hell gemachte Destillat des dunklen Erdols mit einer halbwegs ruhigen Flamme brannte, ohne viel zu russen. P r o k e s c h, der damalige Material- verwalter der Kaiser Ferdinands-Nord- bahn, wurde sofort hievon verstandigt und eingeladen, das Ergebnis der Ver¬ suche zu besichtigen. Prokesch kam nach Lemberg und erkannte sofort die Vortheile, welche die Venvendung dieses Beleuchtungsmaterials der Nordbahn bringen konnte. Zum Abschlusse eines Lieferungsvertrages kam es jedoch nicht, weil sich Niemand fand, der es unternehmen wollte, die verlangte Quan- titat von 10 1 Naphtha nach Wien zu schaffen. Ein Jahr spater [1854] brachten die bereits erwahnten Unternehmer Schreiner und Stiermann auf eigene Rechnung 15 t Naphtha nach Wien, welches Quantum die Nordbahn sofort an- kaufte. Diese Bahn war sonach die erste und damals die einzige Abnehmerin des galizischen Petroleums gewesen. Dieses Petroleum wurde jedoch nur zur Beleuchtung der Bureaux, nicht aber zur Beleuchtung; der Eisenbahnwag‘en verwendet, weil es sich gezeigt hatte, dass die Naphtha-Lampe nur in windge- schiitzten Raumen, nicht aber im Luftzuge brenne und fur die geringste'Bewegung der Luft ganz ausserordentlich empfind- lich sei. Trotzdem setzte sich P e c h a r, da¬ mals Inspector der Stidbahn, in den Kopf, eine Lampe zustande zu bringen, welche als Signallicht fur Eisenbahnwag;en zu venvenden ware. Der Industrielle R. Ditmar, Inhaber einer Lampen- fabrik in Wien, ward fiir diese Frage gewonnen. Dieser setzte sein Wissen und sein Geld ein, um eine im Luftzuge nicht verloschende Petroleum - Lampe zu con¬ struiren. Dies wollte jedoch lange nicht gelingen. Ein grosser Raum der Fabrik ward zum Friedhof fiir die zahllos be- grabenen Constructionen. Endlich, nach acht langenjahren gelang es [1862] eine Lampe herzustellen, die nicht nur im Luftzuge russfrei brannte, die man sogar umsturzen und im Kreise drehen konnte, ohne dass sie verloschte! Die Lampe war da, mit ihr aber auch ein Verbot, dieselbe im Innern der Eisen- bahnwagen beniitzen zu diirfen. In Oesterreich, Deutschland und ein- zelnen anderen Staaten diirfen namlich Mi- neralole aus Sicherheitsriicksichten zur Beleuchtung der Personenwagen nicht ver- 554 R. Freiberr von Gostkowski. ivendet werden. Dagegen kommt diese Beleuchtungsart in England, Frankreich, Belgien und der Schweiz sowie jenseits des Oceans in grosser Ausdehnung vor. * * * Im Jahre 1858 hatte Thompson die Personenvvagen der Dublin-Kingston- Eisenbahn fiir Gasbeleuchtung, so gut es damals ging, eingerichtet. Die- selben trugen auf ihrem Dache holzerne Kisten, die in ihrem Innern Kautschuk- sacke bargen, welche man mit Leucht- gas vollgefiillt hatte. Auf jedem dieser Sacke lag ein Brett, welches mit Ge- wichten beschwert war, um auf diese Weise j en en Druck zu erzeugen, welcher zum guten Brennen der Flamme unerlass- lich ist. Nachahmung fand diese Art der Be- leuchtung freilich nicht. Die Unterbringung der Gasbehalter in den Wagen bot nam- lich weit mehr Schwierigkeiten, als man erivartet hatte. Ein Cubikmeter Leucht- gas reicht gerade eine Stunde fiir acht Flammen, wie sie in den Strassenlater- nen unserer Stiidte brennen. Nun dauert im Winter die Beleuch- tungszeit 16 Stunden. Man wiirde so- nach in jedem Wagen einen Behalter mit 16 m 3 Gas unterbringen miissen. Das wiirde den dritten Theil jenes Rau- mes in Anspruch nehmen, den ein ge- wohnlicher Personenwagen seinen In- sassen bietet. Ein Ingenieur der »Societe. du gaze portatif« in Pariš kam ein Jahr nach den Versuchen Thompsoni auf den Einfall, Leuchtgas zu comprimiren, wo- durch ja die Behalter \vesentlich kleiner werden konnten. Es zeigte sich aber, dass Leuchtgas sich nicht gut pres- sen lasse, indem es bereits bei drei Atmospharendruck sich zu condensiren beginne und bei zehn Atmospharen seine Leuchtkraft einbiisse. Nach vielen Versuchen kam er auf den Gedanken, Gas anzuwenden, welches nicht aus Stein- kohle, sondern aus Fett erzeugt worden ivar. Mit einem solchen Gase war da¬ mals ein Zug probeweise beleuchtet, vvelcher zwischen Strassburg und Pariš regelmassig verkehrte. Erst der Berliner Ingenieur Julius Pintsch kam [1867] auf das Ge- heimnis, aus kleineren Behaltern so viel, und zwar billiges Gas herauszu- pressen, als zur Erhellung langer Winter- nachte nftthig \var. Ja, noch mehr! Er rang seinen Behaltern so viel Licbt ab, dass es fiir zwei Nachte geniigte. Aus unbrauchbar gewordenerSchmiere, welche aus den Lagerbiichsen der Eisen- bahnwagen herausgenommen wird, gelang j es ihm, ein lichtstarkes Gas darzustellen, welches sogar auf zehn Atmospharen sich zusammendriicken liess, ohne fliissig zu werden, und dabei immer noch 3 1 / 2 Mal starker leuchtete als das gevvohnliche Kohlengas. Ein Jahr darauf [1868] waren mit diesem Gase die Ziige der damaligen Niedermarkischen Eisenbahn — freilich mit einem recht scblechten Erfolge — beleuchtet. Erst als Pintsch im Jahre 1871 eine Vorrichtung erfand, welche das com- primirte Gas auf den im Brenner erforder- lichen Druck zu reduciren gestattete, trat die Gasbeleuchtung der Eisenbahnwagen plotzlich aus dem Stadium der Versuche heraus und fand bald allgemeine Ver- breitung. England eroffnete [1876] den Reigen. Auf dem Continente begann die Gas¬ beleuchtung der Eisenbahnwagen erst im Jahre 1880. Heute wird Fettgas aus Braunkohlen- Theerol dargestellt. Mit. einem Cubik¬ meter dieses Gases kann man eine Stunde lang 40 Flammen speisen, vvahrend das gleiche Quantum gewohnlichen Stein- kohlengases nur acht Flammen von glei- cher Lichtstarke befriedigen kann. Zwischen Gasbehalter und Brenner muss selbstverstandlich ein Regulator ein- geschaltet werden, welcher bewirkt, dass trotz Abnahme des Gasdrucks im Behalter diese Flammen dennoch gleichmassig hell brennen. Auch der fiir Stosse unempfind- liche Regulator ist eine geniale Erfindung des bei'eits gedachten Berliner Ingenieurs, ebenso dieDeckenlampe, welche demneuen Leuchtstoffe angepasst werden musste. In dieser Form ist die Gasbeleuchtung der Eisenbahnivagen in Oesterreich, Deutschland, Frankreich, England und Holland eingefiihrt. Beheizung und Beleuchtung. Noch im Jahre 1815 weigerten sich die Londoner Feuerassecuranz - Com- pagnien Gebaude zu versichern, welche mit Gasbeleuchtung versehen waren, weil allgemein behauptet wurde, Gas explodire. Um diesem Vorurtheil zu begegnen, lud Clegg, der Ingenieur, welcher damals die Gasinstallation be- sorgte, die Vertreter der Feuerversiche- rungs-Gesellschaften ein, mit ihm die Gas\verke zu inspiciren und erbot sich, die Grundlosigkeit jener Annahme experi- mentell zu ervveisen. Im Augenblicke, als die Commission auf dem grossen, mit vielen Tausenden Cubikmetern ge- ftillten Gasbehalter stand, entriss Clegg einem neben ihm stehenden Arbeiter die Flacke und schlug, weit ausholend, mit dieser auf den Behalter. Eine klaffende Spalte war die Folge des wuchtigen Schlages. Mit einem Male schoss auch schon aus derselben das durch eine Fackel angeziindete Gas in einer mehrere Meter hohen Garbe Hchter- loh in die Hohe! Entsetzt wichen die Nahestehenden zuriick, beruhigten sich jedoch und staunten das eigenartige Schauspiel an. Clegg hatte drastisch bewiesen: Gas explodire nur dann, wenn es in entsprechendem Masse mit Luft gemischt werde. Im Gasometer steht das Gas unter einem Brucke, welcher es aus demselben herauszutreiben suche, einem Drucke, der also grosser ist als jener der Atmosphare. Es konne daher in das Innere des Behalters Aussenluft nicht gelangen, daher dort eine Ex- plosion nicht erfolgen. Aber dennoch wurden vielfach Brande bei Ztigen der Gasbeleuchtung zuge- scbrieben. Die Vorkommnisse in Wann- seebei Berlin [1885], in Limito nachst Mailand [1891], die Explosion auf der Berliner Stadtbahn [1894] sovvie aus Ame¬ rika gemeldete Zugbrande sprechen ja laut dafiir. Um in dieser Richtung klar zu sehen, \vurden seitens des Ministeriums der offentlichen Arbeiten in Berlin im Jahre 1887 Versuche angestellt, welche den Zweck hatten, zu entscheiden, ob das Gas der Eisenbahnwagen Ursache von Zugsbranden sein konne. Beim Unfalle nachst Wannsee wurde constatirt, dass der Gasbehalter des damals an- gefahrenen Zuges ein circa 6 cm 2 grosses Loch hatte sowie dass dieser Behalter mit 200 l Fettgas von vier Atmospharen Spannung gefiillt war. Es handelte sich also um ein Quantum von insgesammt 800 l Fettgas. Um sich die Ueberzeugung zu ver- schaffen, ob unter solchen Verhaltnissen eine Gasexplosion moglich sei, wurden zwei Behalter gleicher Grosse wie der zerstorte, mit Fettgas von demselben Drucke gefullt. Jeder von ihnen hatte eine Oeffnung so gross, wie der zer¬ storte Behalter sie aufwies. Die kiinstlich gemachten Oeffnungen wa.ren mit einer Vorrichtung verschlossen gewesen, die sich j eden Augenblick leicht offnen Hessen. i ‘5 von der so verschlossenen Oeffnung des einen dieser Behalter entfernt, wurde ein mit Hobelspanen geftillter Korb auf- gestellt und dessen Inhalt angeziindet. Als die Špane in vollem Brande standen, ■vvurde der Verschluss des Blechbehalters beseitigt, Das Resultat war, dass das aus dem Behalter ausstromende Gas sich nicht nur nicht entziindete, sondern dass es die brennenden Špane verloschte. Auch beim zweiten Versuche, bei welchem der brennende Holzkorb s / 4 m weit vom Gasbehalter stand, entziindete sich das aus demselben ausstromende Gas nicht. Der Druck desselben war hier so gross gewesen, dass der brennende Korb urn- geworfen wurde und verlosch. Das far Zwecke der Beleuchtung der Eisenbahnwagen bei den Ziigen mit- gefiihrte Gas, kann also unmoglich U r- s a c h e eines Zugbrandes werden. Die Gasbeleuchtung der Eisenbahn- wagen hat jedoch zwei Uebelstande: Die Schvvierigkeit der Befestigung der Gasbehalter am Wagen und Umstandlich- keit der Bedienung. Das Anziinden der Gasflammen vom Dache aus ist schvverfallig und bei Glatt- eis sogar gefahrlich. Die Gasb^enner werden, weil sie einen sehr engen Schlitz haben, nicht selten durch Staub und Russ verstopft, wodurch ein flackerndes und schlecht leuchtendes Licht entsteht. Wesentlich ist der NachtHeil, dass die Gasflammen nicht erst im Falle des wirklichen Bedarfes an Licht, sondern lange vor Einbruch der Dunkelheit an- 556 R. Freiherr von Gostkowski. geziindet werden miissen, weil ja die Dunkelheit den Zug nicht gerade in der Station, sondern auch wahrend der Fahrt iiberraschen kann. Aehnlich verhalt es sich beim Abstellen der Beleuchtung, welche nicht sofort nach Eintreten der Entbehrlichkeit derselben, sondern in viellen Fallen spater eintritt. Wie sehr aber sich hiedurch die Kosten der Beleuchtung vergrossern, moge daraus ersehen werden, dass bei der D o r t m u n d-E nscheder Eisenbahn, welche die Gasbeleuchtung ihrer Wagen im Jahre 1894 durch elektrische Beleuch¬ tung ersetzt hatte, eine Ersparnis von 50 0 / 5 an Brennstunden in einem jahre erzielt wurde, obwohl ihre Wagen ebensolange beleuchtet wurden, als vorher. Die Verminderung der Brennstunden ist aber dadurch erzielt worden, dass die elektrische Beleuchtung erst im Augen- blicke des Bedarfes bewerkstelligt sowie dass die Beleuchtung eines nichtbesetzten Wagens sofort nach dessen Leerwerden abgestellt werden konnte. Eine ahnliche Ersparnis fand [1894] auch bei der elek- trischen Beleuchtung der danischen Schnell- ziige statt, und wird iiberall beobachtet, wo Gas durch Elektricitat ersetzt wurde. Indes stosst die allffemeine Einflihruns der elektrischen Beleuchtung, \venn sie auch vollkommen ware, was sie bei Weitem nicht ist, auf die Schvvierigkeit, dass heute liber 85°/ 0 aller Personenwagen Deutschlands bereits fiir Gas eingerichtet sind, dass also ein Uebergang die Brach- legung eines grossen Capitals verursachen wurde. * * * Zur Zeit als der erste mit Personen besetzte Zug auf den Schienen rollte [1825], war das elektrische Licht zwar schon entdeckt ge\vesen, doch war es nur wenigen Physikern gegonnt, dasselbe zu schauen. Ja selbst ein halbes Jahr- hundert spater ward es noch als Curiosum gezeigt; so beivunderte man es beispielsweise im Jahre 1848 in der Pariser Oper. Spater kam es bei grosseren Schaustellungen, Illumina- tionen, Volksfesten, Concerten etc. zur Venvenduns:. An eine Ausbreitunef des O o elektrischen Lichtes fiir industrielle Zwecke war nicht zu denken, weil dieses Licht damals nur ivenige Minu¬ ten ohne Nachhilfe brennen konnte. Die einander gegeniibergestellten Kohlen ver- brannten namlich in der elektrischen Gluth schnell, die Distanz zwischen ihnen wuchs rasch und erreichte bald jene Grenze, welche der elektrische Strom nicht mehr uberschreiteri konnte. Das Licht loschte aus, oder es mussten aus freier Hand die Kohlen wieder ein¬ ander naher gertickt werden. Selbst die Einfuhrung von Apparaten, \velche diese Nachstellung automatisch besorgten, konnte zur Verbreitung des elektrischen Lichtes nur wenig beitragen, \veil das so erzeugte Licht viel zu theuer war. Angesichts soleh er Verhaltnisse ist es begreiflich, dass eine Erfindung, welche die Erzeup-ung des elektrischen Lichtes ohne Zuhilfenahme von galvanischen Elementen ermoglicht hatte, einen Auf- schwung des Beleuchtungsvvesens herbei- ftihren musste. Eine solehe Erfindung war aber die Dynamo-Maschine. Das mittels dieser Maschine er¬ zeugte Licht [Bogenlicht] ist aber fiir Zwecke der Beleuchtung von Eisen- bahnwagen unbrauchbar, weil es viel zu greli ist, eine Abschwachung des- selben sich aber nur schwer durchfiihren lasst. Die schwachste Intensitiit eines Bo- genlichtes wird namlich immer noch eine Lichtstarke von 30 Kerzen haben, und dies ist bedeutend mehr als zur Beleuch¬ tung eines Coupes erforderlich ist. Die epochemachende Erfindung der Dynamo - Maschine ware sonach flir Zwecke der Beleuchtung der Eisenbahn- wagen hochstvvahrscheinlich unvenver- thet geblieben, wenn ihr nicht eine ziveite, fast ebenso wichtige Erfindung zu Hilfe gekommen ware. Man kam namlich auf den Gedanken, statt die Kohlenstabe von einander zu trennen und die Elektricitat durch die zwischen- liegende Luftschichte zu treiben, um diese zum Leuchten zu bringen — die Štabe zusammen zu schieben, respective einen ungetheilten Štab durch den Strom der Dynamo-Maschine zur Weissgluth Beheizung und Beleuchtung. 557 zu erhitzen und das Licht dieser Gluth zur Beleuchtung zu verwenden. Zu diesem Zwecke schloss man den Kohlenstab [Kohlenfaden], damit derselbe nicht so schnell verbrenne, in einen luftleer ge- machten Glasballon ein: — Die Gliih- 1 a m p e war erfunden ! Die Gliihlampe liefert zwar ein siebenmal theureres Licht als die Bogen- lampe, sie hat aber den grossen Vor- theil, dass man Licht in sehr kleinen Quantitaten erzeugen, es also besser vertheilen kann, als dies bei Bogen- lampen moglich ist. Auch ist das Licht der Gliihlampen ausserst ruhig, weil die Schwankungen des \Vagens auf dasselbe keinen Einfluss haben. Mit Hinblick darauf scheint es, dass die elektrische Beleuchtung eines Eisen- bahnzuges ebenso einfach ausftihrbar sei, als eine stationare Beleuchtungsanlage. Man braucht ja nichts weiter zu thun, als langs der Schienen Drahte auszu- spannen und die Elektricitat, welche sie fiihren, durch geeignete Vorrichtungen zu den Gliihlampen der Wagen zu leiten. C a r e 11 in London hatte ein ahnliches System erdacht und im Jahre 1887 bei der elektrischen Tramway in Glasgow durchgefiihrt. Da aber bei Vollbahnen an eine Zuleitung des galvanischen Stromes, welcher in einer Centrale erzeugt wird, durch Drahte, die langs der Bahn ausgespannt sind, nicht gut zu denken ist, so kann diese Idee der Wagen- beleuchtung kaum verwirklicht werden. » Es blieb daher nichts tibrig, als auf die Locomotive eine kleine Dampf- maschine aufzusetzen, diese durch den Kesseldampf der Locomotive zu speisen und mit ihrer Hilfe die Dynamo-Ma- schine zu betreiben. Leider kann aber dann die Locomotive vom Zuge nicht abgetrennt werden, ohne dass das Licht erlischt. Um dies zu verhindern, versah man j eden der zu beleuchtenden Wagen mit einer besonderen Dynamo-Maschine und betrieb sie nicht mehr d i r e c t e durch dip Kraft des Kesseldampfes, sondern mittelbar durch jene der rollenden Rader des betreffenden Wagens. Auf diese Art brachte man es zu- stande, dass jeder einzelne Wagen einen completen Beleuchtungsapparat hatte, also von den anderen unabhangig wurde. Eine derartige Einrichtung, so vollkom- men sie auch auf den ersten Blick zu sein scheint, hat jedoch nur einen unter- geordneten Werth, weil die Ruhe des Lichtes abhangig ist von der Stetigkeit der Rotation des Inductors der Dynamo- Maschine, eine solche aber nicht vor- handen ist, \veil die Rader des VVagens bald schneller, bald langsamer rollen, da ja der Zug verschiedene Strecken verschieden schnell befahrt. Auch miissten die Lampen beim Stillstande des Zuges verloschen. Das nachstliegende Mittel, dieser Schvvierigkeit zu begegnen, \viirde die Einstellung des Dampfkessels in j eden einzelnen Wagen sein. Da es aber nicht angeht, in demselben Raume, in \vel- chem die Passagiere sich befinden, einen Feuerherd einzustellen, so verfiel man auf Dampfkessel, \velche zur Erzeugung des Dampfes keines Feuers bedtirfen. Es sind dies Behalter mit uberhitztem Wasser. Dies hatte den Vortheil, dass alle Neben- apparate entfallen, welche zum Reguliren und zur Erhaltung der Spannung dienen, dass die Beleuchtung von der Fahrge- schvvindigkeit unabhangig ist, dass die Re- paraturen der Heisswasser-Behalter ganz gering sind und dass die Bedienung ausser- ordentlich einfach wird. Es zeigte sich jedoch, dass man nicht j eden Wagen mit einer besonderen Lichtquelle versehen kann, da es nicht angeht, in jedem Wagen einen Heisswasser-Behalter zu fiihren, man ist vielmehr angevviesen, einen Behalter ftir den ganzen Zug auf- zustellen. Durch Anwendung von Accumulatoren wurde man von der Bewegung des Zuges ganz unabhangig, denn man vervvendete die Energie der ungleichmassigen Be- wegung rollender Rader nicht mehr zur Erzeugung des elektrischen Stromes, sondern zum Losen von chemischen Ver- bindungen [zum Laden der Accumulatoren]. Man sieht also, dass drei Erfindungen zusammentreten mussten, um die Beleuch- tuno; fahrender Zime durch Elektricitat zu ermoglichen. Es sind dies die Er- findung der D y n a m o - M a s c h i n e, des Gliihlichtes und des Accumulators. 558 R. Freiherr von Gostkowski. Die ersten Versuche, Eisenbahnwagen mittels Accumulatoren zu beleuchten, stammen aus England. Auf der London- Brighton-Eisenbahn verkehrte namlich bereits im Jahre 1881 ein Schlafwagen, der in dieser Weise erhellt worden war. Diese Beleuchtungsweise befriedigte je- doch nicht, da die damaligen Accumu¬ latoren praktisch noch nicht verwendbar waren. Faure nahm ja erst in jenera Jahre ein Patent auf die beruhmte Er- findung, welche den Accumulatoren den Weg vom Laboratorium in die Praxis offnete. Die erste Bahn, welche ihren Wagen- park vollstandig fiir Accumulatoren- Beleuchtung einrichten liess, war die italienische Balin Novara - Seregno- Saronno. Auf Nachahmung konnte diese Bahn nicht rechnen, da ihre Beleuchtungs- methode Manches zu wiinschen iibrig liess und keine Bahn die Kosten einer lang- wierigen Ausprobung tragen wollte. Einen Impuls, der Frage der elektri- schen Wagenbeleuchtung naher zu tre- ten, gab erst der schweizerische Bundesrath, welcher an Stelle der iiblichen Petroleum-Beleuchtung, die als gefahrlich erkannt wurde, die Einfiihrung einer andern angeordnet hatte. [1888.] Die Ju r a - S imp 1 on-Eisenbahn war die erste, welche nach Durchfuhrung umfassender Versuche im Jahre 1893 einen grossen Theil ihres Wagenparkes elektrisch einrichten liess. Dem Beispiele der Jura-Simplon-Eisen- bahn folgend, eroffnete in Oesterreich die Kaiser Ferdinands-Nordbahn mit der elektrischen LVagenbeleuchtung: den Reigen, indem sie im Jahre 1893 Ziige zwischen W i e n und K r a k a u in Verkehr setzte, welche fiir Accumu¬ latoren-Beleuchtung eingerichtet waren. Zur Beleuchtung der 20 Wagen dieser Ziige wurden durchwegs Gliihlampen mit einer Leuchtkraft von sechs Kerzen fiir eine mittlere Spannung von 23 Volts und einem Energie-Verbrauche von 2‘/ 2 Watts pro Kerze verwendet. Ein Wagen I./II. Classe hat 14, ein Wagen III. Classe 8 Lampen. Das Laden der Accumulatoren erfolgt auf dem Nordbahnhofe in Wien, woselbst 16 Ladestellen eingerichtet wurden, auf welchen je 20 Troge [40 Zellen] Platz finden. Die Dynamo-Maschine, welche den Ladestrom liefert, ist eine Neben- schlussmaschine von iiq Volts Spannung und gibt einen Strom von 140 Amperes, so dass also ihre Leistung 15-4 Kilo- watt betragt. Fiir die mit Accumula¬ toren auszuriistenden Wagen wurde ein eigenes, in der Nahe der Ladestellen ge- legenes Geleise bestimmt, auf welches die Wagen nach ihrem Eintreffen gestellt werden. Zu beiden Seiten des Aufstel- lungs-Geleises lauft eine schmalspurige Bahn von 300 mm Spunveite, auf ivelcher die Accumulatoren mit Hilfe kleiner Rollvvagen von und zu den Wag-en gefahren werden. Im ersten Betriebsjahre wurden s / 4 Mil- lionen Lampenstunden geleistet, wozu eine Ladung von 6527 Batterien zu je zwolf Zellen wahrend einer Betriebszeit von'4255 Stunden nothig war. Die hie- fiir verausgabte Ladungsarbeit betrug 34.368 Kilowattstunden, entsprechend einer Arbeit der Dampfmaschine von 52.400 Pferdekraftstunden. Die Kosten einer Gltihlampenstunde, inclusive der Kosten der Amortisation und Ver- zinsung des Anlage-Capitales, belaufen sich auf rund 1 1 j 2 Kreuzer. Durch das Beispiel der Nordbahn angeregt, haben sowohl die osterreichi- schen \vie auch die ungarischen Staats- b a h n e n sowie die Kaschau-Oder- berger Eisenbahn die Einrichtung einer grossen Anzabl von Wagen fiir Accu- mulatoren-Beleuchtung beschlossen. In j iingster Zeit [1896] hat die Alt- dam-Kolberger Eisenbahn Ver¬ suche angestellt, die Wagen nicht nur im Innern, sondern auch aussen elektrisch zu beleuchten und dies zu dem Zwecke, uAi kleine Stationen, die wahrend der Abwesenheit des Zuges wenig oder gar nicht beleuchtet sind, bei der Einfahrt des Zuges mit diesen Lampen zu er- hellen. Selbstverstandlich werden die Aussenlampen erst bei der Einfahrt des Zuges durch Druck auf einen Taster zum Leuchten gebracht. Die zuerst von dem osterreichischen Elektrotechniker Krzižik in Prag:, vor etlichen Jahren ausgesprochene Idee, 559 Beheizung und Beleuchtung. wurde also hier zum ersten Male ins Praktische ubersetzt. Die elektrische Beleuchtung der Eisen- bahnwagen hat so viele Vorziige, dass ihre Zukunft gesichert ist. Mit Riick- sicht jedoch darauf, dass die Accumula- torenfrage hoch nicht endgiltig gelost ist, kann bei dem grossen Capitale, welches in den Einrichtungen fiir Gas- beleuchtung steckt, an eine allgemeine Einfiihrung der elektrischen Beleuchtung der Eisenbahmvagen vorlaufig nicht ge- dacht werden. * * * Zu Ende des Jahres 1894 warf in Nord-Garolina ein Adept der schwarzen Kunst das bei seinen Ver- suchen abgefallene Nebenproduct in den Bach und aus dem Wasser begannen Gasblasen sturmisch zu entweichen. Dieselben liessen sich entzunden und brannten, einmal entfacbt, mit hellleuch- tender Flamme. W i 1 s o n — so hiess der Chemiker ■— wusste eben nichts von dem C a 1 c i u m - C a r b i d der alten Wel t, welches die Eigenschaft hat, mit Wasser iibergossen, ein Gas zu bilden, das mit der starkstleuchtenden Flamme brennt, welche wir bis jetzt kennen. Zu Anfang unseres Jahrhunderts hatte Davy beobachtet, dass der Rtickstand, welcher bei Gewinnung des metallischen Kaliums entsteht, mit Wasser iiber- gossen, ein iibelriechendes Gas liefere, welches mit heller Flamme brennt. Ueber dieses Gas schrieb im Jahre 1862 W 6 hi er die folgenden Worte: »Bei sehr hoher Temperatur erhalt man aus einer Legirung von Zink und Calcium in Beriihrung mit Kohle ein Kohlenstoff- Calcium [also unser Calcium-Carbid], welches die merkwilrdige Eigenschaft hat, sich mit Wasser in Kalkhydrat und Acetylengas zu zersetzen.« Bie Darstellung der Metallcarbide stiess jedoch auf die Schwierigkeit der Erzeugung hoher Temperaturen, auf deren Nothwendigkeit bereits W o hi er hingewiesen hatte. Das Verdienst, diese Schwierigkeit behoben zu haben, gebiihrt dem franzosischen Chemiker Moissan, der zielbewusst zur Elektricitat seine Zuflucht nahm. Im Jahre 1894 stellte Moissan in Pariš in der Gluth des elektrischen Feuers das Calcium-Car¬ bid dar. Bei der Erzeugung des Calcium-Car- bides bedarf es der Elektricitat nicht als solcher. Ihre Hilfe ist nur nothig, um eine so intensive Hitze zu erzeugen [3500 0 C.], wie es die chemische Reaction erfordert. Das Calcium-Carbid (Ca C 2 ) hat, wie gesagt, die Eigenschaft, mit Wasser Ace- tylengas [C 2 H 2 ] zu bilden, dessen Flamme durch die grosste Lichtfulle sich auszeichnet, "die wir kennen, obwohl sie den niedrigsten Warmegrad unter allen bisher bekannten Flammen aufweist. Wird namlich in einem Gasbrenner, welcher 140 l Gas pro Stunde con- sumirt, gewohnliches Leuchtgas ver- brannt, so erhalt man eine Flamme, welche so viel Licht gibt, als i2Stearin- kerzen. Wird dagegen in einem ent- sprechend construirten Brenner von dem- selben Consum Acetylengas verbrannt, so liefert dessen Flamme ein Licht von 240 Kerzen! Die Ueberlegenheit der Flamme des Acetylengases in Bezug auf die Leucht- kraft, gegeniiber der Flamme anderer Gase, kommt in der nachstehenden Zusammen- stellung recht drastisch zum Ausdrucke. Der Materialverbrauch fiir eine Stunde Brennens, mit der Helligkeit einer Kerze, betragt namlich bei: Leuchtgas im Schnittbrenner 11 ■ 5 Liter » » Argandbrenner ico » » in der Siemenslampe Nr. 00 . . . . 3'7 » » im Auerlichte . . 3'0 » Acetylengas.o - 8 » » in der Reginalampe o - 7 » Leider kommt Acetylengas heute noch recht theuer zu stehen. Es kostet namlich in N e u h a u s e n 1 kg Calcium-Carbid gegenwartig 24 kr. [40 Pfennige]. Da man aber zur Er¬ zeugung von einem Cubikmeter Acetvlen- gas 3 ’/ 3 kg Calcium-Carbid benothigt, so kommt ein Cubikmeter Acetylengas auf 80 kr. zu stehen. Man hat Grund zu behaupten, dass es unter 30 kr. nicht sobald sinken \verde, weil schon bei 560 R. Freiherr von Gostkowski. diesem Preise die heutigen Selbstkosten kaum gedeckt sein diirften. Trotzdem dachte man daran, Eisen r bahnwagen mit Acetylengas zu be- leuchten, weil man im Auge hatte, dass bei gleicher Gevvichtsvermehrung des Wagens, Acetylengas die Mitnahme einer weit grosseren Menge von Licht gestattet, als elektrisches Gliihlicht oder Oelgas. Der technischen Direction der schwei- zerischen Hauptbahnen und den Ver- tretern des Eisenbahn-Departements der Schweiz wurde am 24. April 1896 auf der Strecke Olt en - B ef n ein mit Acetylengas beleuchteter, vom Maschinen- Ingenieur Ktihn eingerichteter Wagen vorgefiihrt. Der gelungene Versuch ver- anlasste die Compagnie de Chemins de fer de l’Est, denselben zu wieder- holen. Das Acetylengas wurde in einem Behalter comprimirt und in einem Brenner von besonders engem Schlitze verbrannt. Indessen scheint die Aussicht auf eine glanzende Zukunft, welche die Chemiker dem Acetylengase in die Wiege legten, sich wesentlich vermindert zu haben. Nicht der Preis diirfte die Schuld daran tragen, vielmehr scheint die Furcht vor Explosionen das Acetylengas in Verruf zu bringen. Wahrend es bei einem Drucke von einer Atmosphare keine explosiven Eigen- schaften zeigt, hat das Acetylengas schon bei einem Drucke, der zwei Atmospharen um Weniges iiberschreitet, die gewohn- lichen Eigenschaften explosiver Gas- gemische. Das Acetylen bildet vorlaufig das letzte Glied in der Entwicklung des Be- leuchtungswesens. Inwieweit seine all- gemeine praktische Verwendung, ins- besondere auch fiir Eisenbahnzwecke moglich \vird, diirfte eine nahe Zukunft lehren. II. Beheizung der Eisenbahnwagen. Die nachstliegende Idee, auf die wohl Jeder verfallt, sobald er sich befragt, auf welche Weise ein Eisenbahmvagen zu beheizen sei, ist wohl die, einen eisernen Ofen zu verwenden. Freilich muss die Construction eines solchen Ofens den Verhaltnissen angepasst werden, weil ja der beengte Raum eines Eisenbahnwagens die Aufstellung grosser Oefen nicht ge¬ stattet. Ausserdem miisste auch der Ofen am Fussboden des Wagens fest ange- schraubt sein, damit er beim Anhalten, Anfahren und plotzlichen Bremsen des Zuges nicht umfalle. Man muss als o kleine, aber scharf geheizte Oefen ver- wenden, wobei stets darauf Bedacht ge- nommen werden muss, dass die Heizung so ergiebig sei, dass sie fiir jeden Wagen 1 o. oooCalorien stiindlich zu liefern verrnag. Heizungstechniker haben herausge- bracht, dass fiir diesen Zweck die soge- nannten Fiillofen am besten — oder richtiger gesagt, am wenigsten schlecht — sich eignen. Diese Oefen haben den Vorzug der Einfachheit, der guten und schnellen Heizung, wie auch den Vortheil, dass bei deren Verwendung eine ausgiebige Liiftung der Wagen herbeigefiihrt wird. Eine andere, vielfach gebrauchte Form der Wagenheizung besteht darin, dass der Ofen sich nicht im Innern, šondern ausserhalb des Wagens befindet, und die an seinen Wanden 'erwarmte Luft durch Canale in den Wagen geleitet wird. Man nennt eine solche Heizungsmethode Luft- heizung. Die altesten Versuche, eine Luftheizung zu erzielen, stammen noch aus dem Jahre 1868, um welche Zeit die Rheinische Eisenbahn kleine Oefen zwischen die Bulfer ihrer Wagen aufhangte und deren Rauchrohre durch das Innere der Wagen nach aussen fiihrte. Spater \vurden auf der Grossherzoglich Badischen Eisenbahn Versuche mit bereits verbesserter Luftheizung; aneestellt. Unter dem Wagen, moglichst nahe an einem Ende, ist ein kleiner Steinkohlen- Ofen angebracht, von welchem aus das Rauchrohr den Wagen entlang, an der entgegengesetzten Seite bis iiber die Beheizung und Beleuchtung. 561 Wagendecke hochgefiihrt ist. Ofen und Rauchrohr sind mit einem Mantel umge- ben, in welchem durch selbstthatige Klappen die Luft bei Bewegung des Zuges eintritt, hier erwarmt und von da durch Rohren und regulirbare Klappen in das Innere der Wagen gefiihrt wird [»System Allen«]. Am meisten ausgebildet erscheint das System der osterreichischen Inge- nieureThamm und Rothmiiller [1871], welches spater durch Maey und An- schiitz verbessert wurde. Dieses Heiz- system besteht aus drei von einander getrennten Theilen: aus dem Ofen, in welchem das Feuer unterhalten wird, aus der Kammer, in welcher die kalte Luft ervvarmt wird, und aus den Canalen, durch welche die ervvarmte Luft in das Innere des Wagens gelangt. Der Ofen besteht aus einer, aus eisernen Gitter- stabenzusammengefugtenTrommel,welche nahezu so lang wie der Wagen breit ist, und die, mit gliihendem Cokes ge- ftillt, unter dem Boden des Wagens derart in einen dortselbst angebrachten, der Quere des Wagens nach liegenden, holzernen Kasten geschoben wird, dass sie horizontal zu liegen kommt. Die Gluth wird durch den Luftzug, welcher wahrend der Fahrt des Zuges auftritt, erhalten, und erwarmt die Luft, welche sich zwischen dem Ofen und dem ihn umgebenden Kasten befindet. Dieser Holzkasten, welcher na- ttirlich erheblich grosser ist als die Trom- mel, bildet sonach die Kammer. Die hier erwarmte Luft findet so viele Canale als der Wagen Coupžs hat und vertheilt sich in dieselben, um so in die verschiedenen Abtheilungen zu gelangen, \voselbst sie sich mit der dort befindlichen kalten Luft mischt. DieLuftheizung System Maey-Pape, die zumeist auf Eisenbahnen in der Schweiz zu finden ist, unterscheidet sich von dem System Thamm-Rothmiiller dadurch, dass anstatt der Trommel ein verticaler, gusseiserner Fiillofen ange- wendet wird, und dass Sauger von eigen- thiimlicher Form sich an demselben be- finden. Da bei dieser Heizvorrichtung der Kamin, durch welchen die Rauch- gase entweichen, an der Stirnseite des Wagens angebracht ist, so mtissen die Wagen in den Zug stets so einrangirt werden, dass der Ofen nach vorne zu stehen kommt. Dies ist aber eine grosse Unbequemlichkeit, \velche die Heizung Thamm-Rothmiiller nicht besitzt. Auch kommt sie bei der durch Anschiitz gemachten Verbesserung nicht vor, weil bei dieser der Schornstein an der Langs- seite des Wagens angebracht ist. Endlich muss bemerkt werden, dass diese beiden Systeme eine Ventilation der Wagen unmoglich machen, weil die in das Innere der Wagen einstromende Luft viel zu warm ist, um sich flachen- weise am Boden auszubreiten, welche Ausbreitung aber eine unerlassliche Bedingung einer regelrechten Venti¬ lation ist. Auch mangelt es allen Luftheizsyste- men an geeigneten Vorrichtungen, welche den Luftzutritt reguliren wiirden, ebenso fallt der Uebelstand schwer ins Gewicht, dass die Functionirung der Apparate von Seite des Zugspersonales nicht gut uber- wacht werden kann, da auch Vorrichtun¬ gen fehlen, welche in jedem Augenblicke anzeigen wurden, ob der Verbrennungs- process regelrecht vor sich geht oder eine Nachhilfe erforderlich ist. Die Beheizung der Wagen, gleichviel ob die Oefen in deren Innerem oder ausserhalb angebracht sind, bedingt stets eine Feuersgefahr. Die Geschichte des Zugverkehrs weiss genug Falle zu verzeichnen, welche die grosse Gefahr der Ofenheizung vor Augen fuhren. Der Wunsch, dieser Ge¬ fahr zu begegnen, fiihrt zur Heizung mit Briquettes, eine Methode der Wagenbehei- zung, welche keiner Flamme bedarf, und selbst dann noch functionirt, wenn keine Luftcirculation besteht. Man hat die Briquettes [ein Gemisch von Llolzkohle und Salpeter oder chlor- saurem Kali] unter den Sitzen der Per- sonenwagen oder unter dem Fussboden in Kasten eingelegt, welcbe gegen das Coupe vollkommen abgeschlossen sind und nur nach hinten aus dem Wagen hervorragen, woselbst sie mit Oeffnungen versehen sind. Der Abschluss der Lleiz- kasten gegen die Coupes ist unerlasslich, \veil bei Verbrennung der Presskohle das giftige Kohlenoxydgas entsteht. Geschichte der Eisenbahnen. II. 36 562 R. Freiherr von Gostkowski. Die Briquettesheizung ist aber fast ebenso feuergefahrlich, wie die Ofenhei- zung, sie erzeugt verdorbene Luft, bedarf eines besonderen Brennmaterials, \velches wegen Hygroskopie gewisse Vorsichts- massregeln fiir seine Aufbewahrung be- dingt, und das umstandliche Vorberei- tungen zu seiner Verwendung erfordert. Auch diirfte die Presskohlen-Heizung im Betriebe unter allen hauptsachlich ange- wendeten Pleizungsarten die theuerste sein. Ganzlich frei von Feuersgefahr ist eine Beheizungsmethode, welche zu aller- erst auf Eisenbahnen ublich war. Es ist dies die Methode zur Beheizung der Wagen mittels Warmeflaschen. Man pflegt die Warmeflaschen ent- weder in den Boden der Wagen-Coupes zu versenken oder aber, was haufiger der Fali, einfach in die Coupes hinein zu legen, wobei ein Coupe gewohnlich mit zwei Warmeflaschen betheilt wird. Versuche, welche in der Werkstatte S taniš lau im Jahre 1882 angestellt wur- den, haben gelehrt, dass eine 70 0 C. heisse kupferne Warmeflasche bei einer Kalte von —io° C. schon nach drei Stunden auf -|-io 0 C. sicli abkiihlt. Die Warmeabgabe von 900 Calorien ver- theilt sich sonach auf drei Stunden, so dass die stiindliche Warmeproduction einer Warmeflasche im Durchschnitte 900:3 = 300 Calorien betragt, also ebenso gross ist, als die Warmeproduction'zweier Menschen. Zwei Menschen liefern nam- lich durch den Athmungsprocess bei- laufig so viel Wstrme, als eine Warme- flasche. Die Versuche, Warmeflaschen mit heissem Sand, geschmolzenem Salpeter oder mit geschmolzener essigsaurer Thon- erde [Ancellin, 1881] zu fiillen, erbrach- ten wohl eine bessere Wirkung dieser Heizmethode, die sich aber fiir unser Klima noch immer nicht als zureichend erwies. Das Vorwarmen der Warmeflaschen, seien sie nun mit Wasser oder mit anderen Stoffen gefiillt, ist stets umstand- lich. Der nachstliegende Gedanke war wohl der, alle Warmeflaschen eines Zuges durch ein Rohrensystem derart miteinander zu verbinden, dass die Fiillung derselben von einem einzigen Gefasse aus, in welches man wahrend des Zugaufenthaltes heisses Wassergiesst, erfolgen konnte. Hiedurch wiirde man das umstandliche Auswechseln der Warme- flaschen ersparen. Die Staatseisenbahn-Gesell- s c h a f t war die Erste, welche ihre Salonwagen in dieser Weise ervvarmt hatte [1869] und die Kaiserin Elisabeth- Bahn dehnte diese Beheizungsmethode auch auf die Personenwagen aus. Die Rheinische Eisenbahn ging einen Schritt weiter. Sie stellte namlich, um das Zutragen des heissen Wassers zu ersparen, in j eden zu heizenden Wagen einen besonderen, mit einer entsprechenden Feuerung versehenen Kessel ein und fiillte die Flaschen wahrehd der Fahrt des Zuges aus diesem Kessel. Die Ingenieure Weibel undBriquet kamen [1872] auf den Gedanken, das Wasser, welches zur Heizung eines Waa:ens zu dienen hat, ein fiir allemal in ein allseitig verschlossenes Rohren- system einzuschliessen. Statt aber das ganze Rohrensystem sammt seinem In- halte zu erwarmen, wurde nur die tiefste Stelle desselben durch ein Wasserbad erhitzt. Das an dieser Stelle erwarmte Wasser stieg, weil specifisch leichter, in die Hohe und verbreitete sich, im kalteren Wasser fortschreitend, insolange, bis es seine Warme verlor und, kalt geworden, durch das nachdrangende warmeWasser gezwungen wurde, wieder an dieselbe Stelle zuruckzukommen, von welcher es ausgegangen war. Auf diese Art erzielte man in einem fixen, mit Wasser vollgefullten Rohren- systeme einen bestandigen Kreislauf war- men Wassers. Dieses gut durchdachte System der Beheizung der Eisenbahmvagen war zur Zeit der Wiener Weltausstellung [1873] daselbst zu sehen, und ergaben Ver¬ suche, welche mit dieser Pleizmethode auf der Strecke B i e 1 - L a u s a n n e in den Jahren 1872 und 1873 durchgefuhrt wurden, dass zur Erhaltung der Circu- lation in einem 44-72 m langen Rohren- systeme von 5 cm Durchmesser 1 kg Cokes pro Stunde vollauf geniige. Beheizung und Beleuchtung. 563 Wegen der Unabhangigkeit dieser Beheizung-smethode von den Einrich- tungen der Bahnen eignet sie sich fiir geschlossene Ziige, welche die Gebiete vieler Bahnverwaltungen durchfahren, ganz votrziiglich, und sie wird sich vor- aussichtlich so lange behaupten, als die Heizeinrichtungen der einzelnen Bahnen unter einander differiren werden. Grossere Vortheile versprach die Be¬ heizung der Eisenbahnwagen mittels Wasserdampf. Um eine Dampf- heizung einzurichten, braucht man nichts Anderes zu thun, als den Dampf langs des ganzen Zuges durch eine an ihrem zweiten Ende offene Rohre durchzuleiten und ihn am offenen Ende frei ausstromen zu lassen. In einem soleh en Falle wird er sich wahrend seines Laufes theihveise zu Wasser condensiren, seine grosse Aggregatwarme an die Um- gebung abtreten, und nur der unver- brauchte Rest wird sammt dem Conden- sationswasser nach aussen abfliessen. Die. ersten Versuche, die Eisenbahn- wagen mit Dampf zu beheizen, reichen in das Jahr 1858 zurtick. Sam man, Ober-Maschinenmeister der Oberschlesi- schen Eisenbahn, beniitzte namlich fiir die Heizzvvecke den aus dem Abblaserohre entweichenden, also bereits verbrauchten Dampf. Diese Versuche mussten jedoch wegen Unthunlichkeit, solcheWagen auf andere Bahnen ubergehen zu lassen, damals eingestellt werden. Uebrigens hatte diese Methode der Dampfheizung den grossen Uebelstand, dass die Beheizung nur \virksam war, wenn die Maschine arbeitete. Dies macht aber die Vorwarmung der Wagen vor der Abfahrt des Zuges unmoglich, und die Heizung versagt gerade dann, wann sie am meisten erwiinscht ist, wie z. B. wenn Ziige im Schnee stecken bleiben. Einige Jahre spater wurden Versuche, Eisenbahnwagen mit Dampf zu beheizen, von der Berlin-Hamburger, Berlin- Potsdamer und der Coln-Mindener B ah n, jedoch mit der Abanderung wieder aufgenommen, dass man nicht mehr den Abdampf, sondeni den Betriebsdampf der Locomotive verwendete. Doch auch diesmal machte man schlechte Erfahrun- gen, weil die betreffenden Einrichtungen noch unvollkommen waren, was zur Folge hatte, dass die Rohren durch den manerel- haften Abfluss des Condensationswassers regelmassig einfroren. Die erste Dampfheizung, welche that- sachlich gelang, riihrt von dem damaligen Ober-Maschinenmeister, gegenwartig ge- heimen Regierungsrathe G r a e f her, welcher im Jahre 1865 eine ganz ent- sprechende Dampfheizung auf der preussi- schen Ostbahn eingerichtet hatte. Der Dampf zur Beheizung des Wagens wurde dem Ressel der Locomotive ent- nommen; da jedoch ein soleher Dampf eine fiir Zwecke der Dampfheizung weit- aus zu hohe Spannung besitzt, dessen Verwendung sonach den Rohren, nament- lich aber den aus Kautschuk angefertigten Kuppelungsschlauchen Gefahr bringen miisste, so ist es nothwendig, durch mechanische Vorrichtungen [sogenannte Drosselung] die Dampfspannung beim Uebertritte aus dem Ressel in die Heiz- korper auf ein entsprechendes Mass herabzudriicken. In der Regel drosselt man die Anfangsspannung auf drei Atmo- spharen und noch tiefer. Der relativ grosse Dampfverbrauch, welchen die Beheizung zureichend ven- tilirter Eisenbahnwagen erheischt,*) drangt den Gedanken auf, dass bei starken Ziigen die Locomotive nicht genug Dampf haben werde, um ausser dem zur Fiihrung der Ziige erforderlichen, auch noch Dampf fiir Zwecke der Beheizung der Wagen abgehen zu konnen. Ein allen Systemen der Dampfheizung anhaftender Uebelstand ist der, dass das Anheizen der Ziige eine verhaltnismassig lange Zeit erfordert. Diese Zeit betragt namlich,.je nach der Lange des Zuges und der Aussentemperatur ein bis zwei Stunden und bedarf in den Zugbilde- stationen eines besonderen Dampferzeu- gers. Wo es sich ermoglichen lasst, wendet man fiir diesen Zweck einen [gleich- zeitig anderen Zwecken dienenden] statio- naren Dampfkessel an. Ein weiterer Mangel der Dampfheizung ist die Schwierigkeit der Regulirung der Heizung von aussen. Die Regulirung ») Vgl. Bd. III, O. Ivazda, Zugfčrderung. 36* 564 R. Freiherr von Gostkowski der Heizung, \velche dadurch erfolgt, dass man das eine Mal mehr Dampf von hoherer Spannung und das andere Mal wenig Dampf von niederer Spannung in die Heizkorper eintreten lasst, hat namlich nur einen sehr unbedeutenden Effect, \veil die Warmemenge des Dampfes von hoher Spannung von der Warmemenge, welche der Dampf bei geringerer Spannung ent- halt, nur wenig verschieden ist. Diese Eigenschaft des Dampfes ist, wie Eingangs erwahnt, sehr schatzens- werth, sobald es sich um die Gleich- massigkeit der Heizung handelt, da sie bewirkt, dass die Warine am Anfange und am Ende des Zuges nahezu dieselbe ist; ftir die Warmeregulirung ist sie aber geradezu ein Hemmnis. Wtirde man den Dampf unter Druck mit Luft vermischen, so wiirde ein solches Gemisch ftir die Beheizung von Wagen ganz vorziiglich sich eignen, weil die Warme-Abgabsfahigkeit desselben fast nur von dem Gehalte an Wasserdampf abhangt und daher beliebig veranderlich gemacht werden kann. Die praktische untere Grenze eines derartigen Heizgas- gemisches wird aber die sein, dass darin nur etvvas mehr Dampf vorhanden sein muss als erforderlich ist, um das Ein- frieren der Dampfleitung zu verhindern. Indessen ist dieses Mittel der Regulirane praktisch noch nicht erprobt worden. Endlich hat die Dampfheizung den Nachtheil, dass fiir die zu beheizenden Wagen eine durcblaufende Dampfleitung erforderlich ist, welche in Verbindung mit der Locomotive oder dem Kesselwagen gebracht werden muss. Es konnen dem- nach solche Wagen nur in Ziigen geheizt werden, bei welchen die Locomotiven die nothigen Einrichtungen besitzen oder Kessehvagen vorhanden sind und die Verbindung der Dampf leitung des Wagens mit der Dampfquelle moglich ist. Der nicht hoch genug anzuschlagende Vortheil einer Dampfheizung, nicht feuergefahrlich zu sein, bringt es mit sich, dass diese Methode der Wagen- heizung trotz ali ihrer Mangel unter allen Heizungsarten am meisten verbreitet ist. Der Dampfheizung gehort allem An- scheine nach die Zukunft, weil sie die Moglichkeit bietet, die Wagen ausgiebig zu erwarmen, ohne eine gar zu grosse Sorgfalt in der Bedienung zu bean- spruchen, und weil bei ihr eine Feuers- gefahr nicht besteht. Bei einer Ent- gleisung wird namlich der Verbindungs- schlauch der Dampfheizung jwischen den einzelnen Wagen reissen, vvodurch sammtlicher Dampf, der sich in den anderen Rohren befindet, sofort ins Freie *entweicht, was in einigen Minuten ge- schehen kann. Bei Beheizung der Wagen mittels Elektricitat fallen Verbrennungs- producte nicht zur Last, \veil eben keine gebildet werden. Elektrisches Feuer braucht nicht aus unmittelbarer Nahe, wie dies beim ge- wohnlichen Feuer der Fali ist, angefacht zu \verden. Das Einschalten elektrischer Heizapparate kann also aus der Ferne erfolgen. Auch lasst sich die Form der Heizkorper dem jeweiligen Zwecke weit besser anpassen, als bei irgend einer anderen Methode der Wagenheizung, und \vas ganz besonders \vichtig ist, die Heizung lasst sich stets genau an der verlangten Stelle hervorbringen und spielend reguliren, sie wird auch durch Frost nicht beeinflusst. Diese stattliche Reihe von Vorzugen, welche die elektrische Beheizung that- sachlich auszeichnen, blendet Viele der- massen, dass sie wahnen, in dieser Methode der Beheizung der Eisenbahn- wagen das Heil gefunden zu haben. Die elektrische Beheizung von Eisenbahn- \vagen ist jedoch dermalen aus ocono- mischen Riicksichten nicht durchftihr- bar. Die Beheizung des Zuges durch Elektricitat kann namlich unter Umstanden ebensoviel Arbeit als dessen Fortbe- wegung absorbiren. Die Zukunft der elektrischen Beheizung der Eisenbahmvagen hangt davon ab, ob es gelingen wird, den Dampfverbrauch derselben jenem gleich zu machen, welcher der Dampfheizung eigen ist. Die Bedingung, von welcher der p r a k- t i s c h e Erfolg der elektrischen Beheizung von Eisenbahmvagen abhangt, ist vorlaufig u n e r f ii 11 b a r. Hiemit ist selbstverstand- lich nicht gesagt, dass eine elektrische Beheizung der Eisenbahmvagen u n d u r c h- Beheizung und Beleuchtung. 565 fiihrbar sei. Dass sie durchfuhrbar ist, daran z\veifelt kein Elektrotechniker, wie dies ja am Besten die schweizerische Zahnradbahn beweist, welche liber den Mont Seleve fiibrt. Diese Bahn ver- wendet namlich die durch die Betriebs- einschrankung verfugbar gewordene elek- trische Energie zur Heizung der Wagen. Dass die elektrische Beheizungsmethode unmoglich oconomisch sein kann, geht schon aus den vielen Umrvandlungen hervor, welche die Energie der verbren- nenden Kohle durchmachen muss,' bevor sie auf dem Urmvege der Elektricitat fiir Zwecke der Beheizung der Wagen verrverthet \vird. * Werkstattenwesen. Julius Spitzner, k. k. Baurath im Eisenbahn-Ministerium. e . B EI der ersten Eisenbahn-Unterneh¬ mung in Oesterreich, der Pferde- Eisenbahn Linz-Budweis, konnte von eigentlichen Eisenbahn-Werkstatten noch nicht die Rede sein. Die Reparatur der Wagen wurde bei der genannten Eisenbahn-Unternehmung imjahre 1827, zu welcher Zeit bereits die ersten Giiter auf eine Bahnlange von sieben Meilen verfiihrt wurden, fiir eine bestimmte Summe pro Tag und Wagen verpachtet. Dieses System der Verpachtung stammte aus England und es war der Baufiihrer der Linz-Budweiser Bahn, Franz Anton Ritter von G er s tn er, vvelcher dasselbe hieher iibertrug. Der einschlagige, hochst interessante Vertrag hatte eine Giltigkeitsdauer bis Ende Marž 1828 und gewahrt einen genauen Einblick in die damaligen Verhaltnisse hinsichtlich der Erhaltung der Fahr- betriebsmittel. Er ist in dem »Berichte an die P. T. Actionare tiber den Stand der k. k. priv. Eisenbahn-Unternehmung zwischen der Moldau und der Donau vom Baufiihrer Franz Anton Ritter von Gerstner [December 1827]« enthalten und sei hier imWortlaute wiedergegeben: V ertrag. Heute zu Ende gesetztem Jahre und Tage ist zwischen' dem Herrn Franz Anton Ritter von Gerstner im Namen der k. k. privilegirten ersten osterreichischen Eisenbahn- Unternehmung einerseits, und dem Johann Sautzek,*) geblirtig von Schwichau, Klattauer Kreises anderseits, nachstehender Vertrag hinsichlich der Unterhaltung und Reparatur sammt- licher Eisenbahnwagen unter nachfolgenden Bedingnissen geschlossen worden: I. Joseph Sautzek iibernimmt als Pachter die Unterhaltung und Reparatur sammtlicher Eisenbahnwagen, sie mogen nun zur Verfiihrung der Giiter oder auch zum Transporte der Baumaterialien dienen. II. Die Unterhaltung dieser Wagen betrifft die Aufsicht iiber dieselben und die Lieferung der nothwendigen Schmiere. Der Pachter ist verpflichtet,'eine sorgfaltige Aufsicht iiber alle bey der Eisenbahn befindlichen, und zu ihrer Befahrung geeigneten Wžigen zu pflegen; und derselbe muss stets in genauer Kenntniss des Zustandes aller dieser Wagen seyn, um wo moglich ihren Gebrechen in der gehorigen Zeit abzuhelfen, und keine Reparaturen wahrend den Trans¬ porten zu veranlassen. Die Schmiere, welche der Pachter zu den Wagen liefert, muss zweckmassig bereitet seyn, und in jener Quantitat beygestellt werden, wie es das Bediirfniss erfordert; der Pachter hat die Schmiere den Bauaufsehern einzuliefern, und die letztern versehen die Contrahenten dam.it. III. Unter der Reparatur der Eisenbahnwagen, rvelche dem Pachter weiters obliegt, sind folgende Arbeiten begriffen: *) Merkwtirdigerweise erscheint der Name des Unternehmers in dem, im genannten Berichte abgedruckten Vertrage einmal als »Johann«, ein andermal als »Joseph« Sautzek angegeben. 570 Julius Spitzner. a) Die Erganzung jener, obgleich kleinern Theile, welche den Eisenbahnwagen noch fehlen, wenn sie von den Eisenwerlien oder Lieferanten an die Unternehmung abgegeben werden; diese Theile, nahmlich: Anspannhaken, Tritteln, Verbindungsstangen der Wagen untereinander u. s. w. mtissen von dem Pachter geliefert werden. b) Weiters ist der Pachter verpflichtet, alle schadhaft oder unbrauchbar gewordenen Theile wieder zu erganzen oder zu ersetzen, diese Theile mtigen iibrigens gross oder klein, von Holz, Eisen, Stahl, Messing oder was immer fiir einem Materiale seyn. IV. Wenn die Beschadigung oder der Verlust eines oder mehrerer Theile eines Wagens aus erwiesener Nachlassigkeit des Contrahenten, vvelcher hiermit Baumaterialien oder Gtiter verftihrte, herriihrt, so ist der Pachter Joseph Sautzek zwar verbunden, die Re- p.aratur oder neue Herbeyschaffung sogleich zu bewirken; er hat jedoch das Recht, die Be- zahlung von dem nachlassigen Contrahenten zu fordern. Das Erkenntniss, ob etwas bSy dem Transporte verschuldet worden sey, hat sich der Herr Bauflihrer fiir die ganze Pachtzeit vorbehalten. V. Der Pdchter hat alle, zu seinen Arbeiten nothwendigen Materialien, nahmlich Holz, Eisen, Stahl, Messing, Kohlen, Oel, Schmiere etc. selbst anzukaufen und zuzu- fiihren; solite derselbe jedoch einige Gegenstande auf der Eisenbahn zuftihren wollen, so steht es ihm gegen Entrichtung des bestimmten Frachttarifes wie jedem andern frey; es wird ihm aber zur Pflicht gemacht, bloss gutes steyrisches Eisen zu verwenden und die Unternehmung behalt sich die Controlle hiefur vor. VI. Dem Pachter wird die unentgeldliche Beniitzung der Schmidtvverkstatten und Wagnereyen, welche die Unternehmung in Bienendorf, Wihen, und am Scheidungspunkte errichtet hat, sammt den daselbst befindlichen Wohnzimmern eingeraumt. Die vorhandenen Materialvorrathe werden dem Pachter, da sie unbedeutend sind, unentgeldlich iiberlassen, die Werkzeuge aber von Seite des Herrn Baufiihrers ordentlich iibergeben, und nach ihrem gegemvartigen Werthe abgeschatzt; der hiefur im Ganzen entfallende Betrag als a Conto Zahlung bey der Cassa vorgemerkt, und ein Theil hievon am Schlusse jeden Monathes von dem contractmassig entfallenden Lohne abgezogen; der ganze Betrag wird sonach entweder zu Ende der Pachtzeit getilgt seyn, so, dass der Unternehmung um diese Zeit nur die Schmidtvverkstatten, dem Pachter aber alle darin befindlichen VVerkzeuge und Apparate gehOren, oder aber die Unternehmung ubernimmt um diese Zeit die noch vorhandenen Ge¬ genstande nach einer neuen hiezu veranstalteteri Schatzung. Es ist dem Pachter ausdrucklich verbothen, die ihm ubergebenen Werkzeuge auszu- leihen und in den Schmidten andere, zur Eisenbahn nicht gehorige Arbeiten herzustellen. VII. Da jene Pachter, welche den Transport der Gtiter oder Baumaterialien auf der Eisenbahn ubernahmen, besonders verpflichtet wurden, alle der Reparatur bediirftige Wagen binnen 24 Stunden in die nachste Schmidte zu schaffen, so ist der im Eingange genannte Pachter Joseph Sautzek anderseits verbunden, daftir zu sorgen, dass jeder Wagen, so wie er in die Schmidte kommt binnen langstens 4 Mahi 24 Stunden dieselbe wieder vollkommen hergestellt zu verlassen im Stande sey. VIII. Der Pachter erhalt fiir die, in den vorstehenden Nummern verzeichneten Leistungen vvenn dieselben gehSrig erfiillt vvurden, monathlich einen bestimmten Betrag, welcher zu Folge der bisherigen Erfahrungen fiir die gegenwartig beygeschafften Eisenbahnwagen auf folgende Weise bemessen ist: Werkstattenwesen. 57i IX. Die Summe wird dem Pachter von Seite der Unternehmung in dem Falle am letzten jedes Monaths nach Abzug des, unter No. VI fiir die iibernommenen AVerkzeuge angefilhrten Betrages bezahlf, wenn die Wžigen durch die ganze Zeit des Monaths, welches immer zu 30 Tagen berechnet wird, fortwahrend zum Transporte von Glitern oder Bau- materialien verwendet wurden, wobey aber noch bedingt wird: a) Wenn ein oder mehrere Wagen zwey Tage hintereinander ohne Schuld des Con- trahenten Sautzek nieht bentitzt werden, erhalt derselbe dennoch die betreffende Bezahlung. b) Wenn ein Wagen 3 oder mehrere Tage hintereinander ohne Schuld des Contra- henten nicht bentitzt wird, verliert derselbe, vom dritten Tage angefangen die betreffende Bezahlung. c) Dem Pachter wird gestattet, von 10 Stuck Wagen monathlich einen wahrend vier Tagen in der Schmidte zur Reparatur zu behalten, sollten aber mehrere Wagen in die 572 Julius Spitzner. Schmidte kommen, oder daselbst aus Schuld des Pachters langer als 4 Tage ver\veilen, so verliert derselbe ftir jeden solchen Wagen und jeden Tag nicht bloss den oben Nr. Vlil bestimmten Reparatursbetrag, sondern er bezahlt ausserdem noch eine Strafe von 6 kr. C.-M. fiir jeden Tag und jeden Wagen an die Unternehmung; von dieser Strafzahlung werden bloss jene Wagen ausgenommen, ftir deren Reparatur einzelne Theile erst in den Eisenwerken ausgefertigt werden mtissen. X. Die Pachtzeit beginnt vom I. July 1827, und endigt sich mit letztem Marž 1828, wesshalb alle seit I. July bis heute von der Cassa geleisteten und hieher gehorigen Zahlungen von dem Pachter unter einem tibernommen, und die ordentliche Abrechnung hiertiber ge- macht wird. XI. Verspricht der Pachter allen Fleiss und Thatigkeit zur Erfiillung der eingegan- genen Verbindlichkeiten zu verwenden, und derselbe verpfandet sein gesammtes Vermogen hiefiir. So geschehen zu Kaplitz am 24. October 1827. Abb. 366. Die Maschinenwerkstatte der Wien-Raaber Eisenbahn in Wien. [Nach einer Handzeichnung aus dem Jahre 1845.] Der genannte Baufiihrer spricht sich in dem angefiihrten Berichte dahin aus, dass nach Ablauf dieses Pachtvertrages die Reparatur der Wagen pro Centner und Meile der verfiihrten Giiter contrahirt werden durfte. Gerstner bedauert, dass es im Lande noch so \venige Eisenwerke gebe, \velche mit derart grossen Dreh- und Bohrma- schinen versehen sind, um die Lieferung von Wagen iibernehmen zu konnen. Wenn dies der Fali ware, meint derselbe, dann konnten, ahnlich, wie bei einem grossen Theile der gew6hnlichen englischen Post- kutschen, die Wagen von einem Wagen- fabrikanten derartig ausgeliehen werden, dass dem letzteren ein bestimmter Preis fiir jede Reise gezahlt wird, ftir welchen er alle Reparaturen, die wahrend einer Reise nothig wiirden, auszuftihren hatte. Dies Verfahren wurde wahrend der Anwesenheit Gerstner’s in England im Februar 1827 bei der Stokton-Darlington- Bahn eingefiihrt, und zwar wurde den Fabrikanten, welche die Bahmvagen her- liehen und alfe Reparaturen zu bestreiten hatten, der Betrag von 1 / 3 Penny pro Tonne und Meile der mit diesen Wagen wirk- lich verfiihrten Giiter angeboten. Fiir Riickfahrten ohne Ladung erfolgte keine Vergiitung. Die Kaiser Ferdinands-Nord- bahn hatte bei ihrer Griindung im Werkstattenwesen 573 Abb. 367. \Verkstatte Linz der k. k. osterreichischen Staatsbahnen. [Schmiede.] 574 Julius Spitzner. Jahre 1836, um bald zur Herstellung der nothigen Personentransport-Wagen nach bereits bestelltem Wagengestell- muster zu schreiten und zugleich die etwa vorkommenden Maschinenrepara- turen vornehmen zu konnen, den engli- schen Mechaniker John Baillie [aus der Werkstatte von George Stephenson zu New-Castle] berufen. Ebenso nahm man, um mit den eben errvahnten Ar- beiten, welche den hiesigen Hand- vverkern ganz neu waren, den Anfang zu machen und die Arbeiter entsprechend unterrichten zu konnen, auch englische Maschirienbauer. in Dienst. In den wichtigsten Stationen der Kaiser Ferdinands - Nordbahn \vurden Werkstatten und Schmieden erbaut. Die bedeutendste Anlage warin Wien mit einer Wagenremise fur 40 Personen- wagen und einer Locomotivremise fur zwolf Maschinen. Die nachstgrossere, jene in Brtinn, war ftir elf Maschinen und ebensoviele Wagen eingerichtet. Bei dieser Werkstatte erhielt sowohl die Locomotiv- als auch Wagenremise die Form eines regelmassigen Zvvolfeckes,' ahnlich jenen bei der London-Birmingham-Bahn. Im Mittelpunkte einer j eden Remise befand sich eine entsprechend grosse Drehscheibe, nach welcher die einzelnen Reparaturge- leise in radialer Richtungzusammen liefen.*) An die Werkstatte in Briinn der Kaiser Ferdinands-Nordbahn reihte sich hinsichtlich ihrer Grosse jene in L u n d e n- burg mit sechs Locomotiv- und acht Wagenstanden. Die kleinste war jene in Ganserndorf, welche nur eine Remise fur zwei Maschinen und eine solche fur drei Wagen besass. Selbstverstandlich hatten die angefiihrten Werkstatten auch die entsprechenden Raume und Einrich- tungen ftir Schlosser, Dreher, Schmiede, Tischler etc. Zur Zeit der Erofmung des Betriebes der Kaiser Ferdinands-Nordbahn im Juli 1839 verftigte dieselbe tiber 17 Locomo- tiven und 66 Personenwagen. DerWaaren- transport war noch nicht eingeleitet und *) Es sei hier erwahnt, dass die kreis- runde Form von Locomotiv- und Wagen- schupfen, beziehungsweise Montirungen heute noch in sehr bedeutenden amerikanischen Werkstatten angetroffen wird. wurden ftir diesen 120 Lastwagen be- stimmt, .von welchen jedoch bereits 40 zur angefiihrten Zeit fertig waren. Vergleicht man den damals vor- handenen Fahrpark mit den ftir seine Er- haltung zur Verftigung gestandenen ge- deckten Reparaturstanden, so ergibt sich, dass ftir 17 Locomotiven 31 gedeckte Locomotiv-Reparaturstande, und nach Fertigstellung sammtlicher 120 Lastwa- gen, ftir diese sowie ftir die 66 Personen- wagen 62 gedeckte Reparaturstande zur Verftigung waren. Die Werkstatten \varen demnach so reichlich bemessen, dass sie fiir eine Reihe von Jahren unter Beriick- sichtigung der mit dem steten Wachsen des Verkehrs nothgedrungenen Vermeh- rung des Fahrparkes ausreichten. Die nachste Vermehrung der Werk- statten der Kaiser Ferdinands-Nordbahn fand durch Erbauung einer Wagenwerk- statte in Stockerau statt, zur Zeit des Baues der im Jahre 1841 dem Verkehre iibergebenen Fliigelbahn von Floridsdorf nach Stockerau. Diese Werkstatte be- fasste sich zumeist mit dem Neubau ge- deckter Giiterwagen und Personemvagen III. Classe. In den letzten Jahren ihres Bestandes besass dieselbe nicht viel mehr als 5 ° Arbeiter, meist Tischler, da sammtliche Beschlage der Wagen und sonstige Eisenbestandtheile im fertigen Zustande eingeliefert wurden, demnach keine weiteren erheblichen Ausarbei- tungen forderten, weshalb nur ein ge- ringer Bedarf an Schlossern und Schmie¬ den vorhanden war. Die Tischler hatten zu jener Zeit die angestrengtesten Arbei- ten zu verrichten, da ihnen keine Hilfs- maschinen zur Bearbeitung der Haupt- trager, Bruststiicke, Untergestellholzer zur Verftigung standen. Mit dem fortschreitenden Ausbau der Kaiser Ferdinands-Nordbahn wurde als- bald die Nothwendigkeit erkannt, auch an einem von Wien entfernteren Orte eine Werkstatte zu erbauen. Die Wahl des Ortes fiel auf Mahrisch-Ostrau, wo im Jahre 1847, als die Hauptbahn bis Oderberg eroffnet war, eine Werkstatte errichtet wurde. Diese erfuhr eine ganz bedeutende Ervveiterung in den daraut folgenden Jahren. Fiinf Jahre nach Er- offnung der Werkstatte in Mahrisch- W erkstatten wesen. 575 Ostrau, also bereits im Jahre 1852, wurde in Floridsdorf eine Wagen- vrerkstatte und im Jahre 1873 angrenzend an dieselbe eine Locomotiv-Werkstatte erbaut. Die genannten drei Werkstatten werden spater noch eingehendere Beriick- sichtigung finden. [Siehe Seite 582 und ff.] Wenngleich wir hier nur die eigent- lichen Werkstatten der Eisenbahnen im Auge behalteir wollen, konnen wir doch Betrieb zu erhalten und dessen Bedilrf- nisse vom Auslande ganz unabhangig zu machen, mit dem Wiener Bahnhofe eine Maschinemverkstatte in Verbindung zu bringen. Diese solite nicht nur ftir das eigene Unternehmen sammtliche Transportmittel liefern und die nothigen Theile des Oberbaues, wie Drehscheiben, Weichen etc., herstellen, sondern zu- gleich eine mechanische Werkstatte ftir die Abb. 368. Werkstatte Linz der k. k. osterreichischen Staatsbahnen. [Kesselschmiede, im Vordergrunde Seitenansičht der feststehenden bydraulischen Nietmaschine.] nicht die bekannte M as chinenfabrik der Staatseisenbahn-Gesellschaft an dieser Stelle ubergehen, da diese Maschinen- fabrik, gleichzeitig mit der Griindung der alten Wien-Raaber Eisenbahn ins Leben gerufen, die erste in ihrer Art war, wie sie bis zu j enem Zeitpunkte keine Eisen- babn Oesterreichs oder Deutschlands besass. Dieselbe war ein Unternehmen, welches zwar nicht zum Bahnbau gehorte, jedoch vom Gelde der Actionare aus- gefuhrt wurde. Die Wien-Raaber Actien- Gesellschaft hatte namlich damals den Entschluss gefasst, um einen geregelten ganze osterreichische Monarchie werden. Diese Maschinenwerkstatte [Abb. 366, und Abb. 173, Bd. I, j. Theil, Seite 174] war auf dem Gebiete des Wiener Bahnhofes erbaut, jedoch die ganze Anlage liinsicht- lich ihres Betriebes vollkommen von dem der Bahn getrennt. Schon die ersten Jahre ihres Betriebes wiesen sehr befriedigende Resultate auf, welche sich mit der Zeit immer gunstiger gestalteten. Am 21. April 1840, also schon in der Zeit des Bahn- baues, erfolgte die Betriebseroffnung dieser Werkstatte, welche aus funf grosse- ren Gebauden bestand, und zwar: 576 Julius Spitzner. i. Der eigentlichen Maschinenfabrik mit einer Locomotivmontirung fur die Aufstellung von zw 5 lf Locomotiven, einer Dreherei, Schlosserei, Modeli- und Wagen- tischlerei, Schmiede und einem Zeichen- saal. In demselben Objecte waren weiters die erforderlichen Raume vorhanden, in \velchen die zwei Dampfmaschinen mit je 12 Pferdekraften, drei Dampfkessel und ein Maschinenpump\verk standen. 3. Einem gleichen Gebaude wie das eben genannte, der Giesserei mit zwei Cupolofen, zwei Trockenofen, einem Krahne und dem nbthigen Raume fiir die Formerei. Vor der Giesserei befand sich ein Krahn mit Schlagwerk. 4. Einer Remise fiir 36 Personen- wagen neben der Kesselschmiede. 5. Einer gleich grossen Wagenremise neben der Giesserei. Abb. 369. Werkstatte Linz der k. k. osterreichischen Staatsbahnen. [Kesselschmiede und Blechbearbeitungs- "VVerkstatte, im Vordergrunde fixe hydraulische Nietmaschine.] Letzteres hatte das Wasser in ein auf dem Dachboden angebrachtes Reservoir zu heben, von wo aus der Wasserbedarf fiir die Dampfkessel und sammtliche Werkstattenraume sowie auch fiir die Wasserstation gedeckt wurde. Es sei hier hervorgehoben, dass man schon damals die wirthschaftliche Aus- niitzung desAuspuffdampfes derMaschinen fiir Heizzwecke erkannte und denselben fiir die Beheizung einzelner Raume ver- \vendete. 2. Der Kesselschmiede fiir die An- fertigung der Locomotiv- und Dampf- maschinen-Kessel. Ueberdies \vurden noch ein Hauschen fiir die Arbeitercontrole als Eingang zur Werkstatte, ferner zwei Wasserstationen mit den nothigen Loschapparaten fur Feuerloschzwecke erbaut. Fiir die Verbindung der Geleise zum Ein- und Ausbringen von Fahrbetriebs- mitteln sowie einzelner Bestandtheile in die verschiedenen genannten Raume waren sieben grosse und zehn kleineDrehscheiben vorhanden. Die verbaute Grundflache der ganzen Anlage umfasste 7700 m 2 . DieErbauung einer grosseren, zurBahn selbst gehorigen Eisenbahn-Reparatur- Werkstatte war bei der Griindung der Werkstattenwesen. 577 Geschichte der Eisenbahnen. II 37 Abb. 370. Werkstatte Linz der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. [Locomotivmontirung'.] 578 Julius Spitzner. Wien-Gloggnitzer Eisenbahn nicht in Aussicht genommen, hingegen gelangten in nachbenannten Stationen kleine Repa- ratur-Werkstatten und Remisen zur Aus- fiihrung, und zwar: Am Wiener Bahnhofe zwei Loco- motivremisen und eine Reparaturschmiede, welch letztere hauptsachlich fur kleine Reparaturen an Dampfwagen diente. In Modling eine Wagen- und Locomotivremise, und imWasserreservoir- Gebaude eine kleine Werkstatte fur die Reparaturen an Dampf- und Reisewagen. In Baden ein Locomotivschupfen und eine Schmiede; da der Locomotiv¬ schupfen auf dem Viaduct situirt war, gelangte der unterbalb dieser Remise ge- legene Raum fur eine Tischlerwerkstatte zur Bentitzung. InWiener-Neustadt eine Wagen- remise und eine Reparatur-Werkstatte fur kleinere Reparaturen an Locomotiven und Reisewagen. Dieselbe war mit vier Schmiedefeuern und einer kleinen Dreh- bank ausgestattet. Von einer eigentlichen Entwicklung des Werkstattenwesens der osterreichi- schen Eisenbahnen vor dem Jahre 1848 kann kaum die Rede sein. Von diesern Zeitpunkte an bis zum heutigen Tage, also wahrend der Regierungszeit unseres Kaisers, brachte der Ausbau und die Ver- vollkommnung der bereits vor dem Jahre 1848 eroffneten Bahnen sowie die Anlage einer grossen Anzahl neuer Eisen- bahnlinien, endlich der stets steigende Verkehr und die durch denselben bedingte ■stetige Vermehrung des Fahrparkes auch einen sehr bedeutenden Aufschwung des Werkstattenwesens mit sich. Die angefiibrten Factoren hatten naturgemass nicht nur wiederholte Er- weiterungen der bestandenen, sondern insbesondere die Erricbtung vieler neuer Werkstatten und die stetige Ausgestal- tung derselben zur Folge. Es war dem- nach erst dieser Epoche vorbehalten, in Oesterreich Eisenbahn-Werkstatten zu schaffen, welche auch vom Auslande als Musterwerkstatten anerkannt werden. Der hier zur Verftigung stehende Raum reicht nicht aus, um sammtlic.he grosseren und kleineren Reparatur-Werk- statten sowie die sogenannten Heizhaus- werkstatten naher betrachten zu konnen. Wir \vollen demnach nur einzelne grossere Werkstatten der bedeutendsten Bahnver- waltungen Oesterreichs ins Auge fassen und hinsichtlich der kleineren Reparatur- sovvie Heizhaus-Werkstatten blos an- fiihren, wo solche von den bezuglichen Bahnverwaltungen errichtet wurden. Bedeutendere Werkstattenanlagen der osterreichischen Eisenbahnen. L K. k. priv. Aussig-Teplitzer Bahn. Nach Erbauung dieser Bahn [1858] wurde eine Werkstatte in Aussig mit einem gesammten Flachenmasse von 8025 m a , einer verbauten Grundflache von 2650 m 2 , mit zwei gedeckten Loco- motiv- und acht gedeckten Wagenstanden fur die Erhaltung von vier Locomotiven und 300 Wagen eroffnet. Dieselbe war mit zwolf Arbeitsmaschinen ausgerustet und beschaftigte 75 Arbeiter. Da ins- besonders vom Jahre 1868 bis 1871 eine namhafte Vermehrung der Fahr- betriebsmittel eintrat und weitere Ver- mehrungen infolge der Anforderung des Betriebes zu gewartigen waren, wurde im Jahre 1872 ein Project fur eine neue, bedeutend grossere Werkstatte verfasst und alsbald mit dem Bau der¬ selben begonnen, so dass im August 1873 der Betrieb eroffnet werden konnte. In derselben werden nach der derzeit in Durchfiihrung begiffenen Erweiterung in gedeckten heizbaren Raumen 18 Lo¬ comotiven und 198 Wagen untergebracht werden konnen. Diese Ziffern ent- sprechen 17‘3°/ 0 , beziehungsweise 2'7°/ 0 der zur Erhaltung zugewiesenen Loco¬ motiven, beziehungsweise Wagen. Die Holzbearbeitungs-Werkstatte be- sitzt eine Spane-Absaugevorrichtung, welche die von den Holzbearbeitungs- Werkstattenwesen. 579 Maschinen erzeugten Sage- und Holz- spane sowie den Staub von den Band- und Circularsagen und Schmirgelma- schinen in eine Kammer neben dem Kesselhause bringt, von wo sie direct unter dem Dampfkessel zur Verbrennung gelangen. Die Beleuchtung uder Werkstatte, welche heute 650 Arbeiter beschaftigt, erfolgt mittels Gas und die Beheizung, Die erstere gleichzeitig mit der Tur- nau-Kraluper Eisenbahn im Jahre 1865 erbaut, besitzt ein Gesammtausmass von 8260 m 2 , von welchen 1746 m 2 verbaut sind. Dieselbe hat im Laufe der Jahre keine Erweiterung erfahren, beschaftigt durchschnittlich 90 Arbeiter und be- sorgt die Reparaturen [mit Ausnahme der Auswechslung von Kesseltheilen] an den in Prag und Ivralup stationirten Abb. 371. Werkstatte Linz der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. [Blechbearbeitungs-^Verkstatte.] mit Ausnahme der Montirungsraume, welche Ofenheizung besitzen, durch den Abdampf der ioopferdigen Betriebs- Dampfmaschine. Die alte Werkstatte steht seit Er- offnung der neuen als Heizhaus-Werk- statte in Verwendung. II. K. k. priv. Bohmische Nordbahn. Diese Eisenbahn-Gesellschaft besitzt eine Werkstatte in Kr a lup und eine Hauptwerkstatte in Boh m,-Lei p a. Locomotiven sowie an durchschnittlich 800 Wagen. DieHauptwerkstatte in Bohm.-Leipa war im Jahre 1876 von der k. k. priv. Bohmischen Nordbahn erbaut worden. Bis zu diesem Zeitpunkte erfolgte die Durchfuhrung der Hauptreparaturen an Locomotiven und namentlich das Ab- drehen der Locomotiv-, Tender- und Wagenrader auf Grund eines Ueberein- kommens mit der k. k. priv. Turnau- Kraluper Eisenbahn in der Werkstatte Kr a lup, wahrend die kleineren laufen- den Reparaturen die Heizhaus-Werk- 37* Abb. 372. Werkstatte Linz der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. [Hilfsmaschinen in der Locomotivmontirung.] 580 Julius Spitzner. W erkstat tenwesen. statten Bakov, Tetscheri und Warns- dorf ausfiihrten. Die Bohm.-Leipa’er Hauptvverkstatte umfasste im Jahre der Erbauung 12.380 m 2 [hievon 3300 m 2 verbaute] Grundflache. Die Locomotivmontirung war fiir sechs Locomotiven, die Wagenmonti- rung fiir zehn Wagen bemessen und entspricht diese Anzahl gedeckter Re- paraturstande fiir 33 °/ 0 der zur Erhal- tung zugewiesenen Locomotiven und 58x flache 16.590 m 2 , von welcher 6780 m 2 verbaut sind. In derselben konnen auf den vorhandenen zehn gedeckten Lo- comotivstanden x 5°/ 0 und in der fiir 16 Wagen bemessenen Wagenmontirung O'9°/ 0 der zur Erhaltung zugewiesenen Locomotiven, beziehungsweise Wagen untergebracht werden. Ueberdies finden 12 Wagen unter einem Flugdache fiir die Durchfiihrung kleiner, laufender Re- paraturen Platz. Die Anzahl der Arbeits- Abb. 373. Werkstatte Linz der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. [Raderdreherei.] i' 6 °l 0 der zur Erhaltung zugewiesenen Wagen. Sammtliche sechs Locomotiv- stande besassen eine gemeinsame Rader- Versenkvorrichtung. Ausgeriistet war diese Werkstatte mit 34 Arbeitsma- schinen und einer 35pferdigen, ein- cylindrigen Betriebs-Dampfmaschine. Fiir die Dampferzeugung gelangten zwei Stiick Dampfkessel System Dupuis mit Treppenrostfeuerung und zusammen 114 m 2 Heizflache mit fiinf Atmo- spharen Betriebsspannung zur Aufstellung. Der Arbeiterstand bezifferte sich mit 26 Arbeitern. Derzeit betragt die gesammte Grund- maschinen ist auf 57 gestiegen und der Arbeiterstand hat sich um 100 Mann erhoht. Die Erbauung der friiher genannten drei Heizhaus-Werkstatten in Bakov, Warns- dorf und Tetschen erfolgte im Jahre 1867. Von diesen \vurden die beiden erstge- nannten nach Fertigstellung der Haupt- werkstatte in Bolim.-Leipa, hingegen die Tetschener Heizhaus-Werkstatte nach Er¬ bauung einer solchen in Bodenbach im Jahre 1872 aufgelassen. Ausser dieser besitzt die Bohmische Nordbahn nocheine Heizhaus-Werkstatte in P r a g. 582 Julius Spitzner. III. Ausschl. priv. BuschUhrader Eisenbahn. Mit der Erbauung der Bahn [1855] fand die Errichtung einer Werkstatte in Kralup, welche erst in den Jahren 1889 und 1891 eine Erweiterung erfubr, statt. Die Hauptwerkstatte befindet sich in Komotau und hatte im Jahre der Er¬ bauung [1871] eine gesammte Grundflache von 33.937 m 2 und eine verbaute von 7666 m 3 . Sie beschaftigte 50 Arbeiter. Infolge der stufenweisen Erweiterung in den Jahren 1880, 1881, 1882, 1886, 1888 und 1889 umfasst die gesammte Grund¬ flache 35.380 m 2 , die verbaute 10.551 m 2 ; die Anzahl der Arbeiter stieg auf 260. Die Locomotivmontirung gelangte mit 15 gedeckten Standen [entsprechend 2 5'4°/o der damals und 9'4°/o der beute zur Erhaltung zugewiesenen Locomotiven] zur Ausfiihrung und erfuhr keine Ver¬ grosserung. Die Wagenmontirung hatte im Jahre der Erbauung 26 gedeckte Wagenstande [= i' 7 °/o der zur Er¬ haltung zugewiesenen Wagen], hin- gegen konnen infolge der durchge- fuhrten Ervveiterung heute 59 Wagen [= O'9°/ 0 ] in gedecktem Raume aufgestellt werden. Ausgeriistet \vurde die Werk- statte mit 46 Arbeitsmaschinen, deren Zahl auf 86 stieg, ferner mit einer 6opfer- digen eincylindrigen Dampfmaschine ; zwei Cylinderkessel mit je zwei Siedern fiir 5 At- mospharen Betriebsdruck und je 62 m 2 Heizflache, spater adaptirt auf eine ge¬ sammte Heizflache von 290 m 2 , liefern den fiir den Maschinen- und Dampf- hammerbetrieb sowie den fiir die theil- \veise Beheizung der Werkstattenraume erforderlichen Dampf. An Heizhaus-Werkstatten besitzt die Buscht6hrader Bahn eine in Prag, eine in Falkenau, erstere erbaut 1868, letztere 1891, ferner die durch die Bayrische Ostbahn in Eger j 1870] fiir Rechnung der Buschtehrader Eisenbahn erbaute Heizhaus-Werkstatte. IV. Kaiser Ferdinands-Nordbahn. Die bereits friiher erwahnte, im Jahre 1847 mit einem Arbeiterstande von 66 Mann eroffnete Werkstatte M a h r. - Ostrau wurde in den Jahren 1856, 1863, 1871, 1872, 1883, 1889 und 1896—1898 stetig erweitert. Wahrend im Jahre der Erbauung die gesammte Grundflache- 13.690 m 3 und die verbaute 2068 m 3 betrug, wird nach Vollendung der im Zuge befindlichen Vergrosserung, bei einem gesammten Flachenmasse von etwa 207.000 ?m 3 die verbaute Flache circa 26.870 m 2 betragen. Die Locomotivmontirung besass ur- spriinglich zwei, die Wagenmontirung sechzehn Stande. Demgegentiber wird die Werkstatte nach Vollendung der ge- nannten Vergrosserung iiber 33 Loco- motiv- und 134 Wagenstande in gedecktem Raume verfiigen. Bemerkenswerth ist, dass bereits die im Jahre 1872 durch- geftihrte Erweiterung der Wagenwerk- statte nach dem Shed-Dachsystem zur Ausfiihrung kam. Die Kaiser Ferdinands-Nordbahn traf keine gesonderte Eintheilung der Fahr- zeuge hinsichtlich der Zuweisung an be- stimmte Werkstatten und konnen demnach die Procentsatze nicht angegeben werden, welche den Locomotiv- und Wagen- Reparaturstanden in Bezug auf die Anzahl der zur Erhaltung zugewiesenen Fahr- betriebsmittel entsprechen wiirden. Im Jahre 1852 setzte die Kaiser Fer¬ dinands-Nordbahn, wie schon friiher an¬ gegeben, die unmittelbar vor diesem Jahre in F 1 o r i d s d o r f bei Wien neu er¬ baute W a gen werkstatte fiir Wagen- Reparaturen aller Art, dann fiir den Um- bau und auch Neubau von Wagen in Betrieb. [Vgl. Fig. I der beigegebenen Tafel.] In gedeckten heizbarenRaumen konnten 80 Wagen aufgestellt werden. Die ver¬ baute Grundflache bezifferte sich mit 9280 m 2 . Fiir den Betrieb der zu jener Zeit vorhandenen 27 Arbeitsmaschinen war eine 6opferdige Balancier-Dampf¬ maschine vorhanden. Die erste Vergrosserung, welche die Werkstiitte erfuhr, umfasste den Neubau eines eigenen Sagehauses im Jahre 1856, dessen Verlangerung und Ausdehnung aufdas heutige Ausmass in das Jahr 1868 fallt. In der Schmiede befanden sich fiir die Ausfiihrung der verschiedenen Schmiede- arbeiten noch zwei Schwanzhammer W erkstatten wesen. 583 Abb. 374. \Verkstalte Linz der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. [Lastwagenmontirung. | 584 Julius Spitzner. und eine Schmiedemaschine fur Rund- eisen, ferner 18 Schmiedefeuer. Im Jahre 1870 traten Dampfhammer an Stelle der Schwanzhammer und der Schmiedemaschine. Die Anzahl der Schmiedefeuer wurde bereits im Jahre 1858 auf 24, im Jahre 1870 auf 30 er- hoht und sind heute deren 32 vorhanden. Die Dreherei erfuhr im Jahre 1869 insoferne eine Vergrosserung, als die bis dahin in derselben untergebrachten Werk- stattenkanzleien und das Magazin in ein eigenes Gebaude verlegt wurden. In dem- selben Jahre erfolgte die erste Verlange- rung der Lackirerei und Sattlerei, jedoch erst im Jahre 1872 erhielt dieses Gebaude seine gegenwartige Grosse. Die nachste Erweiterung der Werk- statte fallt in das Jahr 1870, und zwar erfolgte eine Vermehrung von gedeckten Arbeitsraumen durch Erbauung einer offenen Ausbindehalle. Infolge der angefiihrten stetigen Er- weiterung der Wagenwerkstatte misst die gesammte Grundflache derselben heute 101.300 ?» 2 , die verbaute 26.300 m 2 und beziffert sich die Arbeiterzahl mit 720. In den zur Unterbringung von Wagen vorhandenen gedeckten, heizbaren Arbeits¬ raumen kbnneh 92, in der friiher ge- nannten, an einer Stirnseite offenen, nicht heizbaren Ausbindehalle, in welcher zwei Geleise nur fur den Radertransport etc. dienen, 88 Wagen aufgestellt werden. Fiir die Trocknung des Wagenbau- holzes besitzt diese Werkstatte eine Trockenkammer, welche ausschliesslich mit den bei der Holzbearbeitung ab- fallenden Spanen geheizt wird. Um den Trocknungsprocess nach erfolgter Lacki- rung von Wagen zu beschleunigen, sind zwei Dampf-Trockenkammern zur Auf- nahme je eines Wagens vorhanden, in \velchen das Trocknen bei einer Temperatur von 56—67° C. „vor sich geht. _ Die Anzahl der Arbeitsmaschinen stieg vom Jahre der Erbauung bis heute von 27 auf 148. Letztere werden durch eine Zwillings - Dampfmaschine mit hundert und ein Locomobil mit zwolf Pferde- starken betrieben. Zur Dampferzeugung fiir die Dampf¬ maschine der Dampfhammer sowie fur die im Sagehaus und in der Tischlerei be- findlichenDampfheiz-Anlagen sind ein Ver- ticalkessel mit 26 m 2 Heizflache und 5 2 / s Atmospharen Betriebsdruck, welcher mit dem Schweisso'fSn combinirt ist, und ein Dampfkessel mit H7’3«/ a Heizflache fiir 10 Atmospharen Betriebsdruck gebaut, vorhanden. Die urspriingličh primitive Beleuchtung wurde durch die Gasbe- leuchtung ersetzt. Die L o c o m o t i v-W er k s t a 11 e in Floridsdorf [vgl. Fig. I auf der bei- gegebenen Tafelj, welcher die Reparaturen sowie die Umstaltungen an Locomotiven und Wasserstations-Einrichtungen, dann die Erzeugung von Locomotiv- und an- deren Dampfkesseln obliegen, wurde, wie bereits friiher angefuhrt, im Jahre 1873 erbaut und schon im Jahre 1874 konnte der voli e Betrieb mit 500 Arbeitern in derselben aufgenommen werden. In dem genannten Jahre gelangten zwei grosse Tracte zur Ausfiihrung, von welchen der eine grossere die Locomotiv- und Tender- montirung, die Schlosserei und Dreherei aufnahm,wahrend der z\veite die Schmiede, Siederohr-Werkstatte, Giesserei und die Kesselschmiede enthielt. Aber schon im Jahre 1881 ergab sich infolge des durch den erhohten Betrieb bedingten grosseren Locomotivparkes die Nothwendigkeit, die Werkstatte zu ervveitern. Die gesammte Grundflache der Loco- motiv-Werkstatte betrug im Jahre der Erbauung 90.580 m 2 , eine Vergrosserung derselben fand bis heute nicht statt;- die | verbaute Grundflache bezifferte sich ur- spriinglich mit 20.800 m 2 gegen 24.600 w 2 j nach dem heutigen Ausmasse und finden derzeit 720 Arbeiter in der Werkstatte Beschaftigung. Im Jtihre 1890 ergab sich die Noth- wendigkeit, fiir die Dreherei eine grossere, und zwar 200pferdige Maschine zu be- schaffen. Um den fiir diese neue Maschine, fiir die Dampfhammer und den fiir die rveiter in Aussicht genommene Dampf- heizanlage nothigen Dampf zu erzeugen, wurde im selben Jahre zwischen der Kesselschmiede und den Tender-Aufstel- lungsgeleisen eine centrale Kesselanlage fiir die gesammte Werkstatte errichtet. Vorerst kamen drei Multitubularkessel mit je 120 m 2 Heizflache und fiir zehn I f Werkstatte Floridsdorf der Kaiser-F erdinands-N ordbahn. (1898.) Werkstatte Pardubitz der Staatseisenbahn. (1845.; Briinn MaRstab l : 4000 Werkstatte Laun der k- k. Osterr. Staatsbahnen. (1898.) Fig, V. MaRstab 1 ; 4000 Werkstatte Neu-Sandez der k. k. osterr. Staatsbahnen. (1898.) Werkstatte Bohm.-Trubau der Staatseisenbahn-Gesellschaft. (1855. Prag Briinn Fig. III. a VVerkstdllc b Heizhcuis MaRstab 1 : 4000 MaRstab 1 ; 4000 Men Hanptwerkstatte Simmering der p. 5 .-u. Staatseisenbahn-Gesellschaft. \ \ Briinn “PT Fig. IV. MaRstab 1 : 4000 Werkstatte Linz der ehemaligen Kaiserin- Elisabeth-Bahn nach Erbauung derselben (1858—1860). Fig. Via. Fig. Vil. MaRstab t * 4000 MaRstab i : 4000 T. M. Wg. Wgh. W. M. Wz. Tend ermontirung. Wohngebaude. Wagenausbindehalle. W agenmontirung. Werkzeugmacherei. Mauer- werk. Holz- bauten, Flu g- dacher, Bestand imjahre der Er¬ bauung der Werk- statte. Erweite- rung nach der Erbauung bis zum j. 1898. Werkstattenwesen. 585 Abb. 375. Werkstatte Linz der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. [Tyres-Werkstatte.] Atmospharen Betriebsdruck construirt, sodann noch zwei gleiche Kessel zur Aufstellung. Diese Kesselanlage liefert durch eine im Jahre 1895 ausgefiihrte Uampfleitung auch den erforderlichen Dampf fiir die in der Wagenwerkstatte befindlichen Dampfheizanlagen. Um die zur Hauptreparatur bestimm- ten Kessel auszuklopfen und untersuchen zu konnen, entschied man sich im Jahre 1893 zur Erbauung einer Locomotivhalle angrenzend an die genannten Tender-Auf- stellungsgeleise. Die letzte Erweiterung dieser Werk- statte erfolgte im Jahre 1895 durch die Ausfuhrung eines Anbaues an die Kessel- schmiede, in welchen vorwiegend die zur Bearbeitung von Kessel-Bestandtheilen dienenden Arbeitsmaschinen aufgestellt wurden, was die Moglichkeit und Durch- fiihrung einer Vergrosserung der Tender- montirung zur Folge hatte. Die ursprung- liche Anzahl von Arbeitsmaschinen stieg von 132 auf 198. Einzelne Arbeits¬ maschinen so\vie die Ventilatoren, fiir die Metallgiesserei und das Kesselhaus, werden auf elektromotorischem Wege an- getrieben. Ein besonderes Augenmerk lenkte die Kaiser Ferdinands-Nordbahn unter Anderem auch auf die Erprobung von Constructions-Materialien. Behufs Durchfiihrung kleinerer Repa- raturen besitzt die Kaiser Ferdinands- Nordbahn eine Filialsverkstatte in W i e n und je eine Heizhaus-Werkstatte in Lundenburg, Prerau, Krakau und Briinn [Ober-Gerspitz]. V. K. k. priv. Oesterreichische Norci- ivesthahn und Siid-norddeutsche Ver- bindungsbahn. a) K. k. priv. Oesterreichische Nordvvestbahn. Auf einer gesammten Grundflache von 52.200 m 2 errichtete diese Eisenbahn [1872] eine Hauptwerkstatte in Jedlesee 5 86 Junus Spitzner. mit einer verbauten Grundflache von 11.990 m 2 und eine solche in Nimburg [1873 und 1874] mit einer gesammten Grundflache von 71.737 m- und einer verbauten von 14.no m 2 . Bei der erstgenannten Werkstatte stieg, infolge des Baues einer neuen Kesselschmiede [1881 und 1882], einer Vergrosserung der Wagenmontirung und des Holzschupfens [1885, 1895 und 1896] sovvie einer Vergrosserung der Locomotivmontirung [1893 und 1897], das gesammte Ausmass auf 59.800 m : > jenes der verbauten Grundflache auf 18.287 m 2 und die Anzahl der Arbeiter von 89 auf 320. Im heurigen Jahre erfolgte neuerdings eine Vergrosserung der Wagenmontirung im Ausmasse von circa 1200 m 1 . Die urspriinglicbe Anzahl der gedeckten Locomotivstande betrug 11 und erhohte sich auf 22, die Anzahl der Stande fur die Unterbringung von Wagen in heiz- baren Raumen stieg von 64 auf 120. Unter Berucksichtigung der dieser Werk- statte zur Erhaltung zugewiesenen Fahr- betriebsmittel konnten unmittelbar nach der Erbauung derselben i2°/ 0 der Loco- motiven und 7'9°/o der Wagen, hingegen dermalen 20 °/ 0 der Locomotiven und 3 • 5°/ 0 der Wagen untergebracht werden. Ein 25pferdiges Locomobil trieb die Arbeitsmaschinen, 50 an der Zahl, an. Die Erweiterung der Werkstatte gegen- ilber dem urspriinglichen Bestande hatte eine Vermehrung der Arbeitsmaschinen um 27 Sttick zur Folge, und da das Locomobil fur den gesammten Betrieb nicht ausreichte, gelangte eine neue 40pferdige, eincylindrige Ventilmaschine und ein Siederohrkessel mit 54 m 2 Heiz- flache und 9 Atmospharen Betriebs- spannung zur Aufstellung. Mit dem Abdampf der neuen Dampfmaschine erfolgt die Beheizung der Locomotiv¬ montirung. Die Erweiterung der Hauptwerkstatte Nimburg umfasst den Bau einer neuen Kesselschmiede, einer Tendermontirung, einer Wagenausbindehalle, eines Flug- daches fiir Wagen sowie die Vergrosse¬ rung der Lackirerei. In der Locomotivrnontirung konnen 20 Locomotiven, in der Wagenmontirung ausschliesslich. der Ausbindehalle 60 Wagen aufgestellt werden. Infolge dieser Vergrosserung umfasst die verbaute Grundflache 17.189 m ?; die Anzahl der Arbeiter stieg von 140 [urspriinglich] auf 500. Fiir die allgemeine Beleuchtung in der Locomotivabtheilung und Holzbearbeitung stehen seit dem Jahre 1881 fiinf elektrische Bogenlampen in Verwendung. An Heizhaus-Werkstatten besitzt diese Eisenbahn eine solche in Iglau mit Liinf Locomotiv- und sechs Wagenstanden, eine in Trautenau mit zwei Locomotiv- und drei Wagenstanden und eine in T e t sc h en mit drei Locomotiv-und acht Wagenstanden. b) K. k. priv. Sud-norddeutsche Verbindungsbahn. Die Hauptiverkstatte dieser Eisenbahn mit 246 Arbeitern befiudet sich in Reichenberg, wo im Jahre 1857 eine Giesserei und eine Werkstatte erbaut wurde, die sowohl fiir den Eisenbahn- betrieb als auch fiir die Privatindustrie ar- beiteten. Bei einer gesammten Grund¬ flache von 21.560 m 2 bezifferte sich die verbaute mit 4799 m 2 . Die Locomotivmontirung hatte vier Stande, die Wagenmontirung 20, ent- sprechend io°/ 0 der zur Erhaltung zu- gewiesenen Locomotiven, beziehungs- weise 3'8°/ 0 der zur Erhaltung zuge- wiesenen Wagen. An maschineller Ein- richtung besass dieselbe unter Anderem eine eincylindrige, verticale, 30pferdige Dampfmaschine, einen Flammrohrkessel mit 25 m 2 Heizflache bei 5 Atmo¬ spharen Betriebsdruck und 30 Arbeits¬ maschinen. Im Jahre 1861 durch Brand zerstort, wurde diese Werkstatte mit geringen Aenderungen wieder aufgebaut. Im den Jahren 1875 und 1876 erfolgte eine Ab- trennung des Giessereibetriebes und der mit derselben verbundenen Appreturwerk- statte als eigenes Dnternehmen, auf den Werkstatten-Grundflachen wurden fiir die Giesserei zwei Gebaude aufgefiihrt, die mit eigenen Betriebsmitteln und Werk- statten - Einrichtungen versehen vvurden. Werkstattenwesen 587 Abb. 376. Werkstatte Linz der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. [Hilfsmasckinen in der Lastwagenmontirung.] 3 ' Julius Spitzner. Abb. 377. Werkstattenanlag , e Neu-Sandec der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. Eine wesentliche Erweiterung der Eisenbahn - Werkstatte erfuhr dieselbe [1892 —1894] durch die Erbauung einer Locomotiv- und Tendermontirung sammt Kesselscbmiede, einer Dreherei, Tischlerei, Schmiede, eines Kessel- und Maschinen- hauses, Kohlenschupfens, Portierhaus- chens sammt zugehorigen Bureaux etc. Von der fruheren Anlage blieb die alte Wagenmontirung, das Administrations- und Magazinsgebaude mit den Dienst- wohnungen in Beniitzung; aus der Dreherei wurden theils Magazine, tlieils Speiseraume fiir Arbeiter geschaffen, und die alte Locomotivmontirung als Aus- bindehalle in Verwendung genommen. Mit Riicksicht auf die eben genannte Erweiterung umfasst die gesammte Grund- flache 42.600 h« 2 , die verbaute 9113 m-, und konnen in gedeckten heizbaren Raumen 12 Locomotiven und 60 Wagen, entsprechend 14‘6° ' 0 , beziehungsweise 4’2°/ 0 der dieser Werkstatte zur Erhaltung zugewiesenen Locomotiven, beziehungs- weise Wagen aufgestellt werden. DieAnzahl der Arbeitsmaschinen stieg auf 61, fiir deren Antrieb eine 6opferdige Zwillings-Dampfmaschine vorhanden ist. Ein Siederohrkessel mit Tenbrinkfeuerung, fiir welchen ein Locomotivkessel als Re- serve vorhanden ist, liefert den Dampf fiir die gesammte Anlage, einschliesslich jenes fiir die Beheizung einzelner Arbeits- raume. Die Beleuchtung; erfolgt mittels Gas. Schliesslich sei erwahnt, dass diese Bahnverwaltung je eine ki eine Heizhaus- Werkstatte in Pardubitz undjosef- s t a d t besitzt. Die Erbauung der erst- genannten Heizhaus-Werkstatte fallt in das Jahr 1857, jene der letztgenannten in dasjahr 1870/71. VI. Priv. osterreichisch-ungarische Staatseisenbahn-Gesellschaft. Bei Constituirung der Staatseisenbahn- Gesellschaft [1855] iibernahm diese vom osterreichischen Staate die Reparatur- werkstatten der k. k. nordlichen und sudostlichen Staatsbahnen zu Prag, Bohmisch-Triibau, Pardubitz, Ne u ha ušel, Pest und Oravicza und die kleineren Werkstatten in Prešs- burg, Czegled und Szegedin. Die Werkstatte Prag wurde im Jahre 1845, Bohmisch-Triibau 1849, Pardubitz 1845, Neubausel 1850 und Oravicza 1855 vom osterreichischen Staate, hingegen die Werkstatte Pest im Jahre 1846 von der ehemaligen Ungarischen Centralbahn er- baut. Aus Figur II der beigegebenen Tafel ist der Lageplan der Werkstatte Pardubitz im Jahre der Erbauung, und aus Figur III jener der Werkstatte Bohmisch-Triibau, im Jahre 1855 zu ersehen. Auf den ungarischen Linien mussten in Ermangelung geniigend leistungsfahiger grosserer LVerkstatten auch die kleinen Werkstatten in Pressburg [erbaut 1848 von der Ungarischen Centralbahn], Cze¬ gled und Szegedin [erstere 1850, letz- tere 1854 vom Staate erbaut] zur Repa- ratur der Fahrbetriebsmittel herangezogen \verden. Infolge des unoconomischen Betriebes bei Ausfiihrung der Arbeiten in mehre- ren kleineren Werkstatten so\vie der ste- tigen Vermehrung der Fahrbetriebsmittel und endlich auch durch den Ausbau des Netzes von Szegedin bis an die Donau, sah sich die Staatseisenbahn- Gesellschaft gleich in den folgenden Jahren veranlasst, die Reparaturen in W erkstattemvesen. 589 grosseren Werkstatten zu concentriren. Zu dem Ende wurden die ubernommenen Werkstatten zu Pest und Neuhausel durch Erganzungsbauten leistungsfahiger ge- staltet, in Temesvar im Jahre 1859 eine neue grossere Werkstatte errichtet, und in der Werkstatte Pest die im Jahre 1857 abgebrannte Locomotivmontirung in grosserem Umfange wieder hergestellt. Diese Arbeiten waren Ende 1859 voll- Bruck a. d. L. und erweiterte dieselbe in den folgenden Jahren [bis 1860], weil die in Wien befindliche, von der Wien- RaaberBahn-Gesellschaft angelegte kleine Werkstatte nicht geniigte. In den Jahren 1861 bis 1866 wurde die Vervollstandigung der den Anforde- rungen nicht mehr geniigenden Werk- statten auf der nordlichen Linie durch- I gefiihrt. endet, so dass von diesem Zeitpunkte ab ausschliesslich die drei Werkstatten Neuhausel, Pest und Temesvar die Repa- raturen besorgten. Die kleinen Werk- statten zu Pressburg, Czegled, Szegedin und Oravicza konnten sonach aufgelassen, beziehungsweise in Heizhaus-Werkstatten umgewandelt werden. Fiir die Erhaltung des Fahrparkes der Wien-Raaber Bahn, welche seitens der Gesellschaft ebenfalls 1855 erworben und sodann bis Uj-Szony verlangert wurde, erbaute die Staatseisenbahn-Gesellschaft im Jahre 1857 eine neue Werkstatte in Als nun die Staatseisenbahn - Ge¬ sellschaft im Jahre 1866 die Concession fiir das Erganzungsnetz erhielt, durch dessen Linien die bisher getrennten Strecken im Norden und Siidosten ver- bunden wurden, und in Wien durch Ausgestaltung der alten Bahnhofsanlage der ehemaligen Wien-Raaber Bahn ein Centralbahnhof fiir die drei Hauptlinien Wien-Prag-Bodenbach, Wien-Budapest- Bazias und Wien-Bruck-Uj-Szony ent- stand, war es im Interesse einer moglichst oconomischen Gebarung gelegen, die Instandhaltung der in bedeutendem Masse Abb. 378. Werkstatte Neu-Sandec der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. [Schmiede-Werkstatte.] 59 ° Julius Spitzner. vermehrten Fahrbetriebsmittel nach Thun- lichkeit in Hauptwerkstatten zu concen- triren, die bisher betriebenen kleineren Werkstatten aber theils in ihrer Leistungs- fahigkeit wesentlich einzuschranken und fernerhin nur als Heizhaus-Werkstatten zu verwenden, theils ganz aufzulassen. So wurde im Jahre 1871 im Knoten- punkte Wien mit dem Bau der grossen, fiir Locomotiv- und Wagenreparatur be- stimmten Hauptwerkstatte S im m er ing, und Budapest — welch letztere im Jahre 1872 vergrossert worden war — fur die Reparatur der Fahrbetriebsmittel zur Ver- fiigung, so dass in den folgenden Jahren 1873 bis 1875 die kleineren Werkstatten in Pardubitz, Bohmisch-Triibau, Wien, Neuhausel und Temesvar restringirt und in Heizhaus-Werkstatten umgewandelt, die Werkstatte Bruck a. d. L. jedoch ganz aufgelassen werden konnte. Im Jahre 1884 \vurde ein Anbau an Abb. 379. Werkstatte Neu-Sandec der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. [Kesselschmiede.] ferner in Bubna bei Prag mit der Anlage einer speciell fiir die Giiterwagen-Reparatur bestimmten Werkstatte begonnen, beide Werkstatten 1873 vollendet und erstere mit einem Arbeiterstande von circa 400, letztere mit einem solchen von circa 320 Arbeitern eroffnet. Die Letztere, eine Erganzung der alten Werkstatte Prag, wurde mit derselben vereinigt und als Haupt werkstatte Prag-Bubna ein und derselben Leitung unterstellt. Es standen nunmehr die drei grossen Hauptwerkstatten Prag-Bubna, Simmering die Schmiede der Werkstatte Simmering behufs Vergrosserung der Eisen- und Me- tallgiesserei, die fiir den erheblich ge- steigerten Bedarf an Gussstiicken nicht mehr geniigte, geschaffen, ferner im Jahre 1888 eine Lackirerei und Sattlerei in der Werkstatte Bubna eingerichtet. Um fiir den gesteigerten Verkehr am Bahnhofe Prag Platz zu gewinnen, musste die Per- sonenwagen-Reparatur von der Werkstatte Prag nach Bubna verlegt werden. Im September 1891 brannte ein be- trachtlicher Theil der Werkstatte Bubna Werkstattenwesen. 59 1 Abb. 380. Werkstatte Neu-Sandec der k. k. Oesterreicbischen Staatsbahnen. [Blechbearbeitungs-AVerkstatte.] ab, doch wurde anlasslich des Wieder- aufbaues keine nennenswerthe Verande- rung des fruheren Bestandes vorge- nommen. Nach Verstaatlichung der in Ungarn gelegenen gesellschaftlichen Bahnstrecken, verblieben der Staatseisenbahn - Gesell- schaft nur mehr die Hauptwerkstatten Prag-Bubna und Simmering. Die vom osterreichischen Staate [1845] erbaute Werkstatte P r a g hatte im Jahre 1855 eine gesammte Grundflache von 33.100 m 2 und eine verbaute von 7500 m 2 mit 2050 m 2 Stockwerksbau, eine Locomotivmontirung fiir 21 Loco- motiven, eine Wagenmont'irung fiir 15 Wagen, 73 Arbeitsmaschinen [von einer 20pferdigen stehenden Dampfmaschine angetrieben], zwei Bouilleurkessel mit 80 m 2 . Heizflache, 5 Atmospharen Be- triebsdruck, Oelbeleuchtung, Ofenheizung und beschaftigte circa 500 Arbeiter. Infolge der bereits angefiihrten Um- staltungen, welche diese Werkstatte er- fahren hatte, und der Verlegung der Re- paratur und Lackirung der Personenwagen von Prag nach der Werkstatte Bubna [1888], beziffert sich derzeit die gesammte Grundflache der Werkstatte Pran; mit 16.000 m 2 , die verbaute mit 6820 m 2 und 1770 m 2 Stockwerksbau. Die Werkstatte besitzt gegenvvartig 30 gedeckte Locomo- tivstande und 116 Arbeitsmaschinen, die von einer liegenden 5 2 pf e rdigen Dampf¬ maschine angetrieben werden. Den fiir diese Dampfmaschine und die Dampf- hammer etc. nothigen Dampf liefern zwei liegende Robrenkessel mit zusarn- men 153 m 2 Heizflache und 8 und 10 Atmospharen Betriebsdruck. Der durchschnitlliche Arbeiterstand beziffert sich mit 280 Personen. Die Werkstatte Bubna besitzt eine Gesammtgrundflache von 78.200 m 2 und eine verbaute von 15.140 m 2 . In der Wagenmontirung dieser Werkstatte konnen 140 [3°/ 0 der zur Erhaltung zu- gewiesenen] Wagen untergebracht wer- den. Wahrend urspriinglich nur 58 Arbeits¬ maschinen und fiir den Betrieb derselben 59 2 Julius Spitzner. ein 25pferdiges Locomobil, ferner zwei liegende Rohrenkessel mit zusammen 55 m 2 Heizflache vorhanden waren, besitzt diese Werkstatte derzeit 130 Ar- beitsmaschinen, eine 5opferdige Zwillings- '■ dampfmaschine und zwei liegende Rohren¬ kessel mit 130 m 2 Heizflache. Infolge der bedeutenden Vermehrung der zur Erhaltung zugewiesenen Wagen konnen heute nur 2 ’/ 2 °/ 0 derselben in der Wagen- montirung aufgestellt werden. Der durch- schnittliche Arbeiterstand vomjahre 1873 bis heute ist von 320 auf 420 Arbeiter gestiegen. Die Hauptwerkstatte S i m m e r i n g [vgl. Fig. IV der beigegebenen Tafel], vvelche durchschnittlich 750 Arbeiter be- schaftigt, besitzt bei 71.500 m 2 ge- sammter und 31.320 m 2 verbauter Grundflache, eine Locomotivmontirungmit 50 Locomotivstanden und eine Wagen- montirung fiir 180 Wagen, das sind in Bezug auf die der Werkstatte im Jahre der Erbauung [1873] zugewiesenen Fahr- betriebsmittel40°/o,beziehungsweise6'6°/ 0 , des Locomotiv-, beziehungsweise Wagen- Reparaturstandes, hingegen unter Zu- grundelegung der dermalen zur Erhaltung zugewiesenen Fahrbetriebsmittel 23 °/ 0 , beziehungsweise 3°' 0 . Die urspriingliche Ausriistung umfasste u. A. zwei Wand- Dampfmaschinen, zwei liegende Dampf- maschinen mit zusammen 112 Pferde- starken, vi er liegende Rohrenkessel mit zusammen 306 m 2 Heizflache bei 6 At- mospharen Betriebsdruck und 167 Arbeits- maschinen. Die Anzahl der Letzteren er- hohte sich bis heute auf 271 und sind jetzt fiir deren Antrieb eine Wand-Dampf- maschine und zwei liegende Dampf- maschinen mit zusammen 145 Pferde- starken, ferner fiinf liegende Rohren¬ kessel mit zusammen 434 m 3 Heizflache bei 7 und 10 Atmospharen Betriebs¬ druck vorhanden. An Heizhaus-Werkstatten besitzt die Staatseisenbahn-Gesellschaft ausser den bereits genannten noch die folgenden: Wien, erbaut 1846 von der Wien-Raaber Bahn. Marchegg, erbaut 1848 von der Un- garischen Centralbahn. Brtinn, erbaut 1848 vom Staate. Aussig, erbaut 1851 vom Staate. Bodenbach, erbaut 1851 vom Staate sowie die von der Gesellschaft in den Siebziger-Jahren erbauten Heizhaus-Werk- stattenChotzen, Halbstadt, Bubna, Prag und Kralup und Stadlau. Die vom osterreichischen Staat [1845] in Olmiitz erbaute Werkstatte wurde im Jahre 1855, die [1850—1854] in Gran erbaute im Jahre 1859 und jene von der Staatseisenbahn - Gesellschaft [1856] in Wieselburg erbaute im Jahre 1864 aufgelassen. VII. K. k. priv. Siidbahn-Gesellschaft. Fiir die Reparatur der Fahrbetriebs¬ mittel besitzt diese Eisenbahn-GeselF schaft eine Hauptwerkstatte in W i e n, erbaut [1856 — 1858] von den ehemaligen k. k. siidlichen Staatsbahnen, eine Haupt- \verkstatte in M ar b ur g, erbaut [1863 bis 1866] von der Siidbahn - Gesell¬ schaft, je eine Werkstatte in Inns¬ bruck, erbaut [1858] von den ehemaligen k. k. siidlichen Staatsbahnen, S tuli 1 - weissenburg, erbaut [1861] von der Siidbahn - Gesellschaft und Graz [Kbf- lacher Bahnhof] erbaut [1860] von der Graz-Koflacher Bahn, ferner die Heiz- baus-Werkstatten inMiirzzuschlag und Laibach, beide erbaut von den ehe¬ maligen k. k. siidlichen Staatsbahnen, und zwar erstere im Jahre 1854, letztere im Jahre 1857, schliesslich die Heizhaus- werkstatte in Trie st, erbaut [1880] von der Siidbahn-Gesellschaft. Die alte Werk- statte Triest, erbaut [1857] von den ehe¬ maligen k. k. siidlichen Staatsbahnen, wurde im Jahre 1880 aufgelassen. Die alteste Werkstatte, namlich jene in Wien, hatte im Jahre der Erbauung 51.660 m* gesammte Grundflache, von welcher 9375 m 2 iiberdeckt waren. Das derzeitige Flachenausmass dieser Werkstatte betragt 66.260 m 2 , wovon 20.533 verbaut sind. Bei Eroffnung des Betriebes [1858] waren vorhanden: Eine Locomotivmon- tirung mit 19 Standen, eine Wagen- montirung, in welcher 22 Stiick vier- achsige Personenwagen, wie selbe die k. k. siidlichen Staatsbahnen und spater Werkstattenwesen. 593 die Siidbahn - Gesellschaft durch die Maschinenfabrik der ehemaligen Wien- Raaber Actien - Gesellschaft anfertigen liess, beziehungsweise 44 Wagen mit je 10 m Lange untergebracht werden konnten, eine Lackirer-Werkstatte, eine Schmiede, Dreherei sammt Dampfanlage und zwei Wohngebaude. Im Jahre 1864 fand die erste Erweiterung der Werk- statte durch Vergrosserung der Schmiede magazins, eine weitere Vergrosserung der Schmiede [1891] und eine solche des Kesselhauses [1895] schliessen die letzten Bauherstellungen dieser Werk- statte in sich. Es werden durchschnitt- lich 890 Arbeiter beschaftigt. Auf den vorhandenen 33 gedeckten Locomotiv- standen konnen 16°/ 0 der dieser Werk- statte*zur Erhaltung zugewiesenen Loco- motiven aufgestellt werden. Funf Dampf- Abb. 381. Werkstatte Neu-Sandec der k. k. Oesterreichischen Staatsbahnen. [Rohr- und Kupferschmiede.] und Wagenmontirung sowie Erbauung einer neuen, nicht heizbaren Wagen- remise statt, mit welcher man bis zum Jahre 1872 das Auslangen fand. In diesem Jahre schritt die Stidbahn-Gesell- schaft zu einer neuerlichen Ervveiterung der Werkstatte durch Erbauung einer neuen Locomotivmontirung mit 14 Stan- den, eines neuen Kessel- und Ma- schinenhauses und durch Vergrosserung der Dreherei. Die Errichtung einer Ross- haarsiederei [1888], eines Rohrmagazins [1891], einer Hofwagenremise, eines Idand- maschinen mit zusammen 134 Pferde- starken sind fiir den Antrieb der 168 Arbeits- maschinen und acht Dampfkessel mit zusam¬ men 276 m 3 Heizflache fiir die Erzeugung des fiir die Dampfmaschinen und Dampf- hammer nothigen Dampfes vorhanden. Die in Marburg [1866] auf einer ge- sammten Grundflache von 84.470 m % er- richtete Hauptwerkstatte besitzt 46 ge- deckte Locomotiv- und 250 gedeckte Wagen-Reparaturstande bei einer ver- bauten Grundflache von 32.746 m 2 . Sie erfuhr eine Erweiterung nur durch 38 Geschichte der Eisenbahnen. II. 594 Julius Spitzner. Erbauung von drei Holzschupfen und einer Trockenhiitte im Jahre 1873, einer neuen Wagenmontirung fiir 30 Wagen im Jahre 1875, eines Sage-Gebaudes mit einem Maschinenhaus_ im 1879 und von Objecten. Von zur Erhaltung tiven konnen werden. Fiir die theils mittels Transmissionen, theils elektro- motorisch an- getriebenen 268 Arbeitsmaschi- nen sind fiinf Dampfmaschi- nen mit zusam- men 225 Pferde- starken in Tha- tigkeit. Durchschnitt- lich beschaftigt die W erkstatte 1070 Arbeiter. Vlil. K. k. Oesterreichische Staatsbahnen. Einschliess- lich der im Staatsbetriebe befindlichen Li- nien besitzen die k.k.Oesterreichi- schen Staatsbah¬ nen nachbenannte Werkstatten, undzvvar: 1. Die Werkstatte B o d e n b a c h, er- richtet [1871] von der ehemaligen Dux- Bodenbacher Eisenbahn, mit einer ver- bauten Grundflache von 1620 jk 2 , sechs gedeckten Locomotiv- und zwolf ge- deckten Wagenstanden, erweitert bis zur Uebernahme in den Staatsbetrieb [1884] um 3120 ot 2 gedeckte Werk- stattenraume inclusive einer Wagen- montirung fiir 18 Wagen. Die Vergrosse- rung seit Uebernahme in den Staatsbetrieb betragt 670 m 2 iiberdachte Flache fiir die Aufstellung von fiinf Locomotiven oder neun Tendern. 2. Die Werkstatte G m und, errichtet [1869] von der ehemaligen Franz Josef- Bahn, mit einer verbauten Grundflache von 9000 7M 2 ,' einer Locomotivmontirung fiir 16 Locomotiven und einer Wagenmon- tirung fiir 35 Wagen; in den Staatsbetrieb iibernommen 1884, bis zu welcher Zeit, abgesehen von kleineren Objecten, nur die Dreherei erweitert und eine neue Kupferschmiede erbaut wurde. Die seit Ueber¬ nahme in den Staatsbetrieb ausgefiihrten Er- weiterungsbau- ten umfassen eine Locomotiv- und Wagen- montirung, eine Locomotiv- und Wagenlackire- rei, eine Ver- grosserung der alten Wagen- montirung,einen Speisesaal sammt Portier- haus,eine Arbei- tercontrole und ein Feuerlosch- requisiten-Džpot, so dass die ver- baute Grund¬ flache derzeit 13-77° be¬ tragt und 21 Lo¬ comotiven und 70 Wagen in heizbaren Raumen untergebracht werden konnen. 3. Die Werkstatte Knittelfeld, errichtet [1869] von der ehemaligen Kronprinz Rudolf-Bahn in einem Aus- masse von 4268 7« 2 verbauter Grund¬ flache, mit fiinf Locomotiv- und 26 Wagen- standen im heizbaren Raume. Vor Ueber¬ nahme in den Staatsbetrieb [1884] erfuhr diese Werkstatte eine Vemrosserung durch Erbauung einer Wagenmontirung fiir 14 Wagen, einer Locomotivmontirung mit sieben Standen und eines Kesselhauses. In jiingster Zeit ergab sich die Noth- wendigkeit einer bedeutenden Ervveiterung. Jahre anderweitigen kleinen den dieser Werkstatte zugewiesenen Locomo- 15 • 3 °/ 0 untergebracht Abb. 382. Motorhauschen der elektrisch betriebenen Schiebebiihne. Werkstattenwesen. 595 Mit derselben wurde durch Vergrosserung der Locomotivmontirung um acht Stande bereits begonnen und sind die Ausfiih- rungen eines Zubaues an die Locomotiv- montirung fiir zwolf Locomotiven sammt Dreherei, einer neuen Wagenmontirung fiir 64 Wagen, einer neuen Schmiede, Dreherei, eines neuen Maschinen- und Kesselhauses sammt Kohlendepot, einer neuen Kesselschmiede sammt Blech- bearbeitung und Kupferschmiede, eines Feuerl6schrequisiten-Depots, eines Bade- 4. Die Werkstatte Laun [vgl. Fig. V der beigegebenen Tafel], erbaut [1872] von -der ehemaligen k. k. Prag - Duxer Eisenbahn mit 3390 ni i uberdeckter Grundflache, fiir die Unterbringung von sechs Locomotiven und zehn Wagen in heizbaren Raumen. Bis zur Uebernahme in den Staatsbetrieb [1884] erfuhr diese Werkstatte keine nennenswerthe Ver¬ grosserung. Die namhafte Erweiterung [und zwar um 7581 m 2 verbauter Grundflache] kam Abb. 383. 'VVagenschiebebiihne mit elektrischem Antrieb. hauses sammt Speisesaal, einer Holz- trockenkammer sowie die Vermehrung der Geleise-, Drehscheiben- und Schiebe- biihnen-Anlagen und die Herstellung von Flugdachern fiir die Aufstellung von Wa- gen in das Bauprogramm aufgenommen, so dass nach einigen Jahren die Leistungs- fahigkeit dieser Werkstatte wesentlich er- hoht sein wird. Nach Fertigstellung der genannten projectirten Objecte wird die gesammte verbaute Grundflache circa 22.000 m 2 betragen und 28 Locomotiven sowie 78 Wagen werden in heizbaren Raumen Aufstellung finden konnen. Der Antrieb der Arbeitsmaschinen wird auf elektromotorischem Wege erfolgen und auch die elektrische Beleuchtung der ein- zelnen Arbeits- und Hofraume eingefiihrt. in den Jahren 1895 und 1896 zur Ausfiih- rung und konnen nun 18 Locomotiven und 45 Wagen in heizbaren Raumen aufgestellt werden. Anlasslich der bedeutenden Vermeh¬ rung der Arbeitsmaschinen, von welchen einzelne Gruppen auf elektromotorischem Wege angetrieben werden, sovvie der Ein- richtung des elektrischen Betriebes von Schiebebiihnen, eines Laufkrahnes etc. \vurde eine neue circa 8opferdige Com- pound-Betriebs-Dampfmaschine aufgestellt und die alte Dampfmaschine fiir die elek¬ trische Beleuchtung einzelner Werkstatten- Objecte belassen. 5. Die Werkstatte Lemberg, er- richtet [1862] von der ehemaligen Gali- zischen Carl Lud\vig - Balin mit einer 3 S* 59 6 Julius Spitzner. verbauten Grundflache von 9699 « 2 als Hauptwerkstatte. Dieselbe war im Jahre 1863 dermassen ausgertistet, dass sie, im Vereine mit den beiden Werk- statten in Krakau [derzeit Heizhaus- Werks.tatte] und Przemysl, sowohl die fttr den Betrieb erforderlichen Reparaturen zu leisten, als auch nach Bedurfnis neues Betriebsmateriale in eigener Regie her- zustellen, ja sogar Bestellungen fur fremde Parteien auszufiihren im Stande war. Der Schwerpunkt der Arbeiten wurde nach Leinberg verlegt und die Leistung der Werkstatte in Krakau entsprechend ver- ringert. In den mit Raderversenk-Vor- richtungen versehenen Locomotivmon- tirungen konnten 18 Locomotiven, in der Wagenmontirung 30 Wagen aufgestellt werden. In den Jahren 1872 — 1873 wurde eine nicht heizbare Wagenremise fur 64 Wagen erbaut. Da die Anzahl der Reparaturstande in der Locomotivmon- tirung nicht ausreichte, erfolgte [1878] eine Vergrosserung derselben durch An- bau eines neuen Tractes mit einer im ge- deckten Raume befindlichen neuen Schiebe- biihne. Dieser Anbau hatte eine theilweise Verfinsterung der alten Locomotivmon- tirung zur Folge und mit Riicksicht auf diesen Umstand und des Vorhandenseins der Raderversenk-Vorricbtungen konnen nur 35 Locomotiven in heizbaren Mon- tirungsraumen untergebracht werden. Die Wagenmontirung, im Jahre 1890 durch einen Brand zerstort, wurde in ihrer urspriinglichen, kinggestreckten Form wieder aufgebaut, jedoch durch zwei feuersichere Abtheilungswande in drei gleiche Raume getheilt. Behufs Ein- bringung von Wagen in den mittleren Raum besitzen die Abtheilungswande eiserne Schubthore und fur die sonstige leichte Communication kleine eiserne Thiiren. In den letzteren Jahren machte sich jedoch insbesondere der Mangel einer gut eingerichteten Kessel- und Kupfer- schmiede fiihlbar und erfolgte demnach [1897] die Erbauung dieser Objecte ein- schliesslich eines Raumes fur Blech- bearbeitung, ausgestattet mit pneumati- schen Niet- und Stemm-Maschinen, den erforderlichen Lauf- und Drehkrahnen und modernen Arbeitsmaschinen etc. Der ganze Betrieb in diesen neuen Abtheilungen erfolgt mittels elektrischer Kraftuber- tragung. Infolge der erhohten Kraftanforderuna: in der Werkstatte ergab sich die Noth- wendigkeit, drei neue Dampfkessel und eine neue [25opferdige] Dampfmaschine aufzustellen. Fiir letztere sowie fiir die nothigen Primar-Dynamomaschinen wurde ein neues Maschinenhaus gebaut. Die Primar - Dynamomaschine dient fiir die bereits angefuhrte elektriscbe Kraftiibertragung, ferner fiir den zur gleichen Zeit installirten elektrischen An- trieb der Holzbearbeitungs-Maschinen und sonstiger bisher mittels Transmission ungiinstig betriebener Arbeitsmaschinen. Die gesammte verbaute Grundflache, einschliesslich der Wagenremise, be- ziffert sich dermalen mit 17.920 m 2 . 6. Die Central-Werkstatte Linz, an¬ gel egt [1858] von der ehemaligen Kaiserin Elisabeth-Babn als Filialwerkstatte mit 7008 jm 2 verbauterGrundflache, 14 gedeck- ten Locomotiv- und 20 gedeckten Wagen- Reparaturstanden. [Vgl. Fig. VI a und Vib der beigegebenen Tafel.] Die erste Veranderung trat im Jahre 1872 ein, als die im Lageplane [vgl. Fig. Vib der beigegebenen Tafel] mit »WM I« bezeichnete Wagenmontirung fiir Locomo¬ tiv- und Tenderreparatur bestimmt, und der halbe Raum der mit » W M II« bezeich- neten als Lackirerei adaptirt \vurde. Der verbliebeneTheil der Wagenmontirung war infolgedessen zu klein und es kam [1874] eine Wagen-Reparaturwerkstatte mit Rie- gelvvanden und nicht heizbar fiir 20 Wagen zur Ausfuhrung, welche jedoch, als mit dem Umbau der Werkstatte zur Central- werkstatte begonnen wurde, demolirt werden musste. Sodann erfolgte [1876] die Verlegung der Kupferschmiede in die Schmiede, und als sich letztere hiedurch •spater als zu klein erwies, wieder [1880] die Riickverlegung der ersteren in den urspriinglichen Raum. Bald nach der Uebernahme in den Staatsbetrieb fand [1884] die Erbauung einer Locomotivmontirung mit sieben Standen statt. Zur Zeit des Umbaues dieser Werkstatte zur Central-Werkstatte waren 8623 m 2 Werkstattenwesen. 597 verbaut und 21 gedeckte Locomotiv- und 40 gedeckte Wagen-Reparaturstande vor- handen. Dieser Umbau begann [1887] mit einer nicht unbedeutenden Erdbewegung, indem ein Hiigel ganz abgetragen werden musste. An neuen Objecten wurden erbaut [vgl. Abb. 367—376], und zwar in nach- stehender Reihenfolge: Die Personen- mit32 Locomotivstanden,miteinemBureau und einem Raume fiir Eisenbearbeitungs- Maschinen, ein Kohlenmagazin hinter der Schmiede, eine Holztrockenkammer, ein Flugdach fiir Werkholz, zwei Flugdacher fiir Wagen und zwei Flugdacher als Anbau an die alten Magazine. Im alten Kesselhause gelangten vier Stiick neue Dampfkessel mit zusammen Abb. 384. Werkstatte Wien, Westbahnhof, der k. k. Oesterreichischen StaatsbahneD. [Locomotivmontirung.] wagen-Montirung sammt Lackirerei mit 114 Wagenstanden, die Blechbearbeitungs- Werkstatte, Kupferschmiede, Schmiede mit angebautem Kessel- und Maschinen- haus, ein Kohlenschupfen, das Gebaude fiir die elektrisčhe Beleuchtungsanlage des Bahnhofes Linz, die Lastwagen-Montirung mit85Standen [einschliesslich des Raumes fiir Holz- und Eisenbearbeitungs-Maschi- nen, eines Bureaus und der Spiinglerei], das Spanehaus, das Waghaus mit einer zehn- fliigeligen Locomotiv-Briickenwage, das Magazin fiir feuergefahrliche Gegenstande, das Portierhaus mit Arbeiter-Speisesaal, Ordinationszimmer und Arbeitercontrole, die mit Locomotiven befahrbare Waggon- Briickenwage, die Locomotivmontirung 440 w 2 Heizflache zur Aufstellung. Ueber drei dieser Kessel und der Wasserversor- gungs-Pumpe kamen vier Wasserreservoirs mit einem Gesammtfassungsraum von 280 m 3 , und zwar in einer Hohe von 15 m liber Schwellenliohe, zur Aufstellung. Die ehemalige Locomotivmontirung [Object K s in Fig. Via der beigege- benen Tafel] wurde zur Kesselschmiede adaptirt und mit einer feststehenden und transportablen hydraulischen Niet- anlage ausgeriistet. Diese, im Inlande an- gefertigte hydraulische Anlage enthalt einen stationaren Nieter, einen hjMrauli- schen Drehkrahn zum Heben und Senken, Vor- und Riickivartsfahren, Rechts- und Linksschwenken des zu nietenden Kessels, 598 Julius Spitzner. Abb. 385. Trockendock in Bregeuz. ferner einen be\veglichen [transportablen] Nieter, einen Drehkrahn mit Handbetrieb fiir die Manipulation mit dem transportablen Nieter, eine Presspumpe mit Dampfbetrieb zur Erzeugung des Druckwassers, einen Accumulator fiir das Druckwasser und die Druck- und Retourleitung. Im neuen Kesselhause befinden sich fiinf Stiick Dampfkessel mit je 110 m 2 Heizflache. Oberhalb der im neuen Maschinenhause aufgestellten Dampf- maschine sind drei Stiick Reservoirs mit je 5 Inhalt vorhanden. Die Lastvvagen-Montirung mit 7979 «2 2 verbauter Grundflache besitzt zwischen ein- zelnen Geleisen fiir den bequemen Ržider- transport eigene schmalspurige Geleise. Die Holzb earb eitungs-W erks tatte wurde in die Lastwagen-Montirung verlegt. Fiir die Wegschaffung aller Špane und Holz- abfalle der Holzbearbeitungs-Maschinen kam eine Exhaustor-Anlage zur Ausfiih- rung, mittels welcher die Holz- und Sage- spane etc. abgesaugt und in das neben dem KesselhausbefindlicheSpanehaus geschafft werden. Das Spanehaus hat zwei getrennte Spanekammern, um wahrend der Zeit, als die eine angeblasen wird, die andere entleeren zu konnen. Die Beheizung der Lastwagen-Mon- tirung findet mit in Gruppen geschalteten Dampfofen statt. Zur Beheizung kann sowohl directer Kesseldampf, als auch Abdampf in Verwendung kommen, und zwar nicht nur der Auspuffdampf der Betriebsmaschine, sondern auch jener der jeweilig im Betrieb befindlichen Dampf- maschine der elektrischen Beleuchtungs- anlage des Bahnhofes. Die neue Locomotivmontirung besteht aus drei Hauptraumen, namlich einem nie- drigeren, fiir die Bewegung der etwa 8 m langen Schiebebiihne und links und rechts aus je einem Raume mit 16 Locomotiv- standen. Die beiden Raume fiir die Locomotiv- stande sind behufs Unterbringung der fiir Hand- und elektrischen Antrieb vor- Werkstattenwesen. 599 gesehenen Laufkrahne, welche zum Heben der Locomotiven zu dienen haben, ent- sprecbend hoher gehalten. Ftir die Auf- stellung der ftir die Locomotivmontirung nothmen Arbeitsmaschinen ist ein emener o o Kaum vorgesehen. Der Antrieb der Arbeits- mascbinen dortselbst erfolgt elektromo- torisch. Die Beheizung der Locomotivmonti¬ rung erfolgt ahnlich wie jene der Wagen- montirungen. Grundflache, zwei Locomotiv- und sechs Wagen-Reparaturstanden im heizbaren Raume, besass zur Zeit der Uebernahme aus dem Pri vat- in den Staatsbetrieb [1884] zwei gedeckte Locomotiv-, sechs gedeckte Wagen- und einen gedeckten Lackirer- stand. Im Jahre 1886 \vurde eine Wagen- montirung [W M I in Figur VII der beigegebenen Tafel] mit 24 gedeckten Wagen-Reparaturstanden, und zwar als Fachwerksbau aufgefiihrt. Hiedurch Abb. 386. Bohrmaschine mit zehn Bohrspindeln. Die anlasslich der Erweiterung der Werkstatte Linz zu einer Central- W erkstatte neu aufgeftihrten Objecte bedecken zusammen eine Grundflache von 28.826 m 3 , die gesammte verbaute Grundflache beziffert sich ausschliesslich der als Holzbauten ausgefiihrten Kohlen- schupfen und der diversen Flugdacher mit 36.400 m 3 und einschliesslich der- selben mit 40.692 m 2 . In heizbaren Raumen konnen 39 Loco¬ motiven und 199 Wagen untergebracht werden. 7. Die Werkstatte Neu-S and e c, errichtet [1876] von der k. k. Staatsbahn Tarn6\v-Leluchow mit 1620 m 2 verbauter konnten die friiher ftir die \Vagenrepa- ratur vervvendeten Stande als Locomotiv- Reparaturstande beniitzt werden. Sodann erfolgte bis zum Jahre 1889 die Erbauung nachbenannter Objecte, und zwar: einer Locomotivmontirung mit zwolf Standen, einer Dreherei mit ein- stockigem Bureaugebaude sammt Maschi- nenhaus und Werkzeugdepot, einer Holz- bearbeitungs-\Verkstatte mit Fein- und Mo- delltischlerei, einer Schmiede, eines Kes- selhauses, einer Kupferschmiede, Metall- giesserei und Tyresschmiede, eines Feuer- loschrequisiten-Depots, Kohlenschupfens, eines Material- und Handmagazins, Werk- holzschupfens und schliesslich die Her- 6oo Julius Spitzner. stellung der zur Werkstatte gehorigen Geleise, Drehscheiben und Scbiebebiihnen sowie eines Waghauses mit zehntheiliger Locomotiv-Briickenwage. Da mit der oben angefiihrten Wagen- montirung das Auslangen nicht gefun- den werden konnte, wurde im Jahre 1891 die neue Wagenmontirung [W M II] mit 26 Reparaturstanden, acht Lackirer- standen und einem Sattlerstand gebaut. Aber auch die Locomotivmontirung er- wies sieh bald als unzureichend, so dass im gleichen Jahre an die Vergrosserung derselben um weitere zwolf Stande ge- schritten werden musste. In den letzten Jahren vvurden erbaut: Ein Object, anstossend an die Schmiede fiir das Bureau, Federnschmiede und Spanglerei und die neue Kessel- und Kupferschmiede sammt der Blecbbearbei- tungs-Werkstatte. [Vgl. Abb. 377—379-] In der Locomotivmontirung befindet sich iiber jeder Reihe von Reparaturstan¬ den je ein Laufkrahn mit je zwei Win- den, jede Winde fiir 20 t Tragfahigkeit construirt. Die Locomotiv-Schiebebiihne ist fiir 56 t Tragkraft gebaut, besitzt eine Lange von 7 m und einen Mechanis- mus, um mittels eines Drahtseiles die Ma- schinen auf. die Schiebebiihne ziehen und von derselben wieder abziehen zu konnen. Im Maschinenhause ist eine circa 4opferdige Dampfmaschine fiir den Antrieb der Transmissionen und eine Primar- Dynamomaschine fiir den elektrischen Antrieb der Arbeitsmaschinen in der Kessel- und Kupferschmiede und in der Blechbearbeitungs-Werkstatte situirt. Um jenen Theil der Transmission, welcher in die Holzbearbeitungs-Werk- statte fiihrt, abstellen zu konnen, befindet sich im Maschinenhause eine rasch aus- losbare Klauenkuppelung. Nachtraglich wurde noch eine zehn- pferdige Dampfmaschine aufgestellt. Im Kesselhause waren urspriinglich fiir die Erzeugung des nothigen Betriebs- und Heizdampfes zwei Stiick Zvveiflamm- rohrkessel mit je 50 m 2 wasserbenetzter Heizflache aufgestellt. Infolge der Er- weiterung der Wagen- und Locomotiv¬ montirung gelangte noch ein Rohren- kessel mit 100 m 2 Heizflache zur Auf- stellung. Da jedoch mit Riicksicht auf den fiir Heizzwecke erforderlichen Dampf trotz der Aufstellung des dritten Kessels das Auslangen mit denselben nicht gefunden werden konnte, erfolgte im Vorjahre eine Auswechslung der beiden 50 m 3 Kessel gegen z\vei Multitubular- kessel mit je no m 2 Heizflache. Die beiden alten Flammrobrkessel erhielten Rohrpiimpen, System Dubiau, und kamen in der Werkstatte Przemyšl zur Auf¬ stellung. Die durch den stets vvachsendenVerkehr bedingte Vermehrung der Fahrbetriebs- mittel erhohte die an die Werkstatte zu stellenden Anforderungen und machte [1895] die Erbauung einer modern einge- richteten Kesselschmiede sammt Blechbe- arbeitungs-Werkstatte und einer grosseren Kupferschmiede nothig. [Abb. 380 u. 381.] Die im Freien situirte, unversenkte Wagenschiebebiihne, welche urspriing- lich nur fiir Handbetrieb eingerichtet war, wurde Anfangs des Jahres 1896 fiir elektrischen Betrieb, und zwar sowohl fiir das Verschieben der Wagen als auch fiir das Auf- und Abziehen der¬ selben adaptirt, und wird der Strom von der Primar-Dynamomaschine im Dampfmaschinenraume der Werkstatte bezogen. Langs der circa 120 m langen Schiebebiihnen-Bahn ist in einer Hohe von 5'5 m iiber Schienenkante die Contact- leitung gespannt. Die Stromabnahme erfolgt durch ein Trolley und die Riick- leitung des Stromes durch die Schienen. Das Trolley wird von Armen, welche seit- lich an der Schiebebiihne montirt sind, getragen. [Vgl. Abb. 382 und 383.] Der Elektromotor hat eine Leistung von neun effectiven Pferdestarken bei 770 Touren pro Minute und 150 Volts Span- nung. Fiir die grosste Belastung der Schiebebiihne, das ist 20 t, betragt die Geschwindigkeit circa 1 m pro Secunde, *und leistet der Motor hiebei circa vier Pferdekrafte. Fiir das Aufziehen einer Last von circa 20 t bei einer Gesclrvvindigkeit von durchschnittlich o - 4 m pro Secunde sind circa acht bis neun Pferdekrafte erforderlich, wenn ein Raderpaar auf der schiefen Ebene lauft. W erkstattenwesen. 601 Die derzeit verbaute Grundflache be- ziffert sich mit 15.768 m 2 , und konnen 23 Locomotiven und 49 Wagen in heiz- baren Raumen untergebracht werden. Weiter besitzen die k. k. Staats- bahnen: 8. Zwei VVerkstatten in Pil sen, und zwar eine errichtet [1873] von der ehe- maligen Eisenbahn Pilsen-Priesen [Komo- tau] mit 3310 m 2 verbauter Grundflache, sechs Locomotiv- und 14 Wagen-Repa- raturstanden im heizbaren Raume, die zweite eroffnet [1862] von der ehemaligen Bohmischen VVestbahn mit 7900 m 2 ver¬ bauter Grundflache, neun Locomotiv- und 26 W agen - Reparaturstanden im heiz¬ baren Raume. Infolge Erweiterung der Wagen- montirung in erstgenannter Werkstatte konnen in derselben dermalen 39 VVagen untergebracht werden. Die wesentlich gesteigerten Verkehrsbediirfnisse in der Station Pilsen ergaben die Nothwendig- keit, den Bahnhof bedeutend zu ver- grossern. Dieser in Ausfiihrung begriffenen Vergrosserung fallt im nachsten Jahre die VVefrkstatte Pilsen der ehemaligen Eisen¬ bahn Pilsen-Priesen [Komotau] zumOpfer, so dass nur jene der Bohmischen Westbabn in Pilsen verbliebe. Mit dieser kann weder das Auslangen gefunden werden, noch ist \vegendes dortherrschenden Platzmangels eine rationelle Erweiterung derselben moglich. Man musste sich demnach ent- schliessen, eine neue VVerkstatte an ge- eigneter Stelle zu erbauen. Um sich ein beilaufiges Bild von der Grosse der pro- jectirten VVerkstatte zu vergegenwarti- gen, sei bemerkt, dass dieselbe so gross angelegt werden soli, dass gleichzeitig 54 Locomotiven und 200 Wagen in heiz¬ baren Raumen untergebracht werden konnen. Sowohl fur den Antrieb der Arbeitsmaschinen als auch der Hebe- vorrichtungen, Schiebebuhnen etc. wird die elektrische Kraftubertraarung: in Aus- sicht genommen. 9. Die Werkstatte Przemyšl, er- baut [1860] von der ehemaligen Galizi- schen Carl Ludwig-Bahn mit 3380 m 2 bedeckter Grundflache, einer Locomotiv- montirung fiir elf Maschinen, einer Wagenmontirung fiir neun [eventuell 18 sehr kurze] Wagen, ervveitert [1873 und 1874] durch Errichtung einer neuen Waeenmontirun2; fiir 60 Waa:en. Mit Ausnahme einer noch im Jahre 1897 durchgefiihrten Vergrosserung des Kessel- und Maschinenhauses erlitt diese VVerk¬ statte keine wesentliche Veranderung mehr, und betragt die dermalen verbaute Grundflache 7390 m 2 . 10. Die VVerkstatte Salzburg, er¬ offnet [1860] von der ehemaligen Kaiserin Elisabeth - Bahn mit sieben Locomotiv- und 18 VVagen-Reparatur- standen in heizbaren Raumen. Infolge der Erbauung einerneuen Locomotivmontirung Abb. 387. Mutterschneidmaschine. 602 Julius Spitzner. mit sieben Standen konnen derzeit 13 Locomotiven in heizbaren Raumen unter¬ gebracht werden. Die verbaute Grundflache misst 5980 m 2 . Da sich insbesonders die Wagenmontirung in den letzten Jahren als zu klein erweist, wird an die Erbauung einer neuen geschritten. Im Zusammen- hange damit steht die Vergrosserung der Uolzbearbeitungs-Werkstatte, der Dampf- und Betriebs-Kraftanlage durch Aufstel- lung neuer Kessel, einer neuen Dampf- maschine, eines Generators fiir elelektro- motorische Antriebe etc. Theilweise sind Abb. 388. Schraubenschneidmaschine. [System Sellers.] diese Arbeiten bereits in Ausfiihrung be- griffen, theihveise ist die Ausarbeitung der noch nothigen Detailprojecte im Zuge. ii. Die Werkstatte S tani sl au, errichtet [1866] von der ehemaligen Lemberg-Czernowitzer Eisenbahn-Gesell- schaft mit einer Locomotivmontirung fiir neun Locomotiven und einer Wagen- montirung fiir 14 Wagen, bei 4660 m 2 gesammter verbauter Grundflache, er- weitert [1874] durch Erbauung einer neuen Wagenmontirung fiir 24 Wagen. Die nach Uebernahme in den Staats- betrieb [1889] seitens der k. k. Oester- reichischen Staatsbahnen theils bereits durchgefiihrten, theils noch in Ausfiihrung begriffenen Enveiterungsbauten in dieser Werkstatte ' umfassen: Eine neue Lo- comotivmontirung mit 22 Standen sammt zugehorigen Locomotiv - Hebekrahnen und Schiebebiihnen; eine neue Wagen- montirung fiir 54 Wagen, anstossend an die im Jahre 1874 gebaute, mit Rader - Transportgeleisen und Schiebe¬ biihnen ; eine neue Dreherei, Holzbearbei- tungs-Werkstatte und Giesserei, die Ver¬ grosserung des Kesselhauses, die Er¬ bauung eines neuen Schornsteins und Kohlenmagazins, ein Gebaude fiir eine Raderversenk-Vorrichtung und ein Ar- beiter-Controlhaus sammt Warteraum und Portierhaus. Die stetige Vermehrung der Arbeitsmaschinen bedingte die Aufs.tellung einer neuen, und zwar circa 8opferdigen Betriebs-[Compound-] Dampfmaschine. Von der alten Locomotivmontirung ; rvurde ein Theil der bestandenen Dre¬ herei zugevviesen, ein Theil als Kessel- schmiede, Siederohr-Bearbeitungs-Werk- statte und Tyresschmiede adaptirt, mit den erforderlichen Krahnen ausgeriistet und den nothigen Geleiseverbindungen ; versehen. Infolge der neu hinzugekom- menen Objecte betragt die gesammte ver¬ baute Grundflache 16.180 m 2 , und konnen in heizbaren Raumen 22 Locomotiven und 06 Wagen untergebracht werden. 12. Die Werkstatte in Stryj, er¬ richtet [1873] von der ehemaligen Erz- j herzog Albrecht-Bahn mit 3281 m 2 ver- | bauter Grundflache und vier Locomotiv- und sechs Wagen-Reparaturstanden in heizbaren Raumen. Bei einer dermalen bedeckten Grundflache von 9347 m 2 konnen 16 Locomotiven und 49 Wagen in heizbaren Raumen untergebracht \verden. 13. Die Werkstatte Wien, West- bahnhot, errichtet [1858] von der ehe¬ maligen Kaiserin Elisabeth-Bahn mit 14.081 m 2 verbauter Grundflache. In der Locomotivmontirung konnten 14 Loco¬ motiven, in der Wagenmontirung und Wagenlackirerei 38 Wagen zur Auf- stellung gelangen. Da sich diese Objecte als zu klein erwiesen, wurde [1877] eine neue Loco¬ motivmontirung [Abb. 384] mit acht Reparaturstanden und eine neue Wagen- lackirerei fiir acht Wagen erbaut. Eine weitere Vergrosserung dieser Werkstatte fand bis zum Zeitpunkte der Ueber¬ nahme in den Staatsbetrieb [1882] nicht statt. Erst im Jahre 1887 erfolgte inso- ferne eine kleine Veranderung, als an das Kesselhaus ein Maschinenhaus fiir die Aufstellung einer Compound-Dampf- maschine mit circa 70 effectiven Pferde- starken und vier Dynamomaschinen zum Werkstattenwesen. 603 Z\vecke der elektrischen Beleuchtung des Bahnhofes Wien I angebaut wurde. Zur gleichen Zeit mussten die alten Werkstatten-Betriebskessel, da dieselben nicht mehr vollkommen betriebssicber waren, durch neue ersetzt werden. Die letzte Erweiterung erfuhr diese "VVerkstatte [1897] durch Erbauung einer dritten Locomotivmontirung mit neun Standen, die mit der alteren mittels einer im gedeckten Raume befindlichen neuen Locomotiv-Schiebebtihne verbunden erscheint. Diese Locomotivmontirung be- sitzt einen Laufkrahn mit 50 t Tragfahig- keit,. der wie die Schiebebiihne fiir Hand- und elektrischen Betrieb eingerichtet ist. Da einerseits die Compound-Dampf- maschine voli ausgentitzt wird und fiir die erforderliehe Erweiterung der Bahn- hofsbeleuchtung nicht ausreicbt, anderer- seits auch die Werkstatten - Betriebs- maschine fiir die gesteigerten Anfor- derungen zu schwach ist, wird nunmehr die Compound-Dampfmaschine fiir die Er- zeugung von elektrischem Strom zu Kraft- iibertragungs-Zwecken fiir die Werkstatte herangezogen, und die ganze elektrische Bahnhof-Beleuchtung von einer VViener elektrischen Centralstation aus erfolgen. Bei einer dermalen verbauten Grund- flache von 18.434 m