HEILIGE HELDEN ZU DEN SPIELARTEN EINER METAPHER UND IHRER MUSIKALISCHEN ARTIKULATION IN DEN HISTORIAE DES MITTELALTERS ROMAN HANKELN Norges Teknisk-Naturvitenskapelige Universitet Trondheim / Technisch-Naturwissenschaftliche Universität Norwegens Trondheim Izvleček: Zgodnjekrščanski pisci so v srednjeveških latinskih liturgičnih besedilih (vključno z besedili koralov) na metaforičen način uporabljali tudi jezik vojne in junaštva, s katerim so opisovali značaj in vedenje svetnikov, zlasti mučencev. Pričujoča razprava preučuje različne pojavnosti junaške metafore v besedilni in glasbeni predstavitvi svetnikov v srednjeveških svetniških oficijih oz. historijah (historiae). V ta namen analizira pet primerov iz historij v čast sv. Fides iz Agena (Akvitanija, 11. stoletje), sv. Osvaldu iz Northumbrije (Anglija, 11. stoletje) in sv. Karlu Velikemu (Aachen, 12. stoletje). Pokaže nam, kako temo "junaštva " izražajo analogije med besedilnimi in glasbenimi strukturami. Ključne besede: koral, svetniški kult, junaštvo, glasba in besedilo Abstract: It is significant for medieval Latin liturgical texts (includingplainchant texts) that early Christian authors adopted the language of war and heroism in a metaphorical sense to describe the character and behavior of the saints, and especially of martyrs. This paper investigates the various modes of this heroic metaphor in the textual and musical representation of saints in medieval saints' offices, the historiae, by analyzingfive examples taken from the historiae in honor of St. Fides of Agen (Aquitaine, eleventh c.), St. Oswald of Northumbria (England, eleventh c.), and St. Charlemagne (Aachen, twelfth c.). It shows how the topic of "heroism" is articulated through analogies between textual and musical structures. Keywords: plainchant, cult of saints, heroism, music and text Helden und Heilige haben vieles gemeinsam. Als Ausnahmeindividuen erreichen sie das Optimum des menschlich Erreichbaren. Sie sind Beweise dafür, daß es Einzelnen möglich ist, an einem idealen Werthorizont teilzuhaben und werden so zu Leitbildern ihrer Gesellschaften. Wiederholt ist deshalb in der Forschung auf Analogien und Kontinuitäten zwischen beiden hingewiesen worden.1 Zugleich können Helden und Heilige aber auch als Repräsentanten entgegengesetzter Weltsichten angesehen werden. Die Helden und Heldinnen der Antike etwa sind meist Söhne und Töchter von Göttern, die ihre Lieblinge mit Kraft, Schönheit, Klugheit und 1 S. etwa Speyer, "Verehrung des Heroen," und Angenendt, Heilige und Reliquien, 21-23, sowie etwa Hammer und Seidl, "Einleitung." Macht beschenken. Aufgrund ihrer genealogischen Herkunft und privilegierten Erwählung können diese Figuren praktisch gar nicht anders, als im Diesseits Außerordentliches zu leisten. Sie siegen, unterwerfen, herrschen und werden so zu mitunter als Heroen selbst zum Gott.2 Die Heiligen, vor allem diejenigen der ersten christlichen Jarhunderte, sind im Vergleich dazu wahre Antihelden und -Heldinnen. Aus ihrer Christusnachfolge heraus stellen sie dem weltlichen Ruhm und Recht des Stärkeren die sittlichen Perspektiven der Demut, des Gewaltverzichts, der Nächstenliebe entgegen. Dafür nehmen sie das Scheitern in der Welt in Kauf: Sie werden verfolgt, gefoltert, getötet - um Christi willen. Immer bleiben sie Geschöpf, niemals werden sie selbst zum Gott.3 Das unbedingte Bekenntnis dieser Kinder, Frauen, und Männer zur Imitatio Christi wurde jedoch von frühester Zeit an als heroische Tat des Willens interpretiert. Einen frühen Beleg dafür liefert die Schrift De mortibuspersecutorum des Lactantius (f 325), Erzieher des Sohnes von Kaiser Konstantin, Crispus, am Trierer Kaiserhof.4 Lactantius schildert hier den schimpflichen Tod jener römischen Kaiser, von denen Christenverfolgungen ausgegangen waren. Adressat dieser Schrift ist ein gewisser Donatus, der in der Konfrontation mit dem römisch-heidnischen Staat standhaft geblieben war. Laktantius schreibt: (5) Neunmal nämlich verschiedenen Foltern und Martern unterworfen, hast Du [Donatus] neunmal Deinen Widersacher durch Dein glorreiches Bekenntnis besiegt, in neun Gefechten hast Du den Teufel mit seinen Helfershelfern niedergerungen, mit neun Siegen hast Du über die Welt mit ihren Schrecken triumphiert. (6) Wie angenehm war dieses Schauspiel für Gott, Dich als Sieger zu sehen, wie Du nicht schneeweiße Pferde oder riesige Elefanten, sondern ausgerechnet die Männer, die sonst selbst Triumphe feiern, an das Joch vor Deinem Wagen gespannt hast! (7) Das ist der wahre Triumph, wenn Beherrscher beherrscht werden. Besiegt worden sind sie nämlich durch Deine Heldenhaftigkeit und unter das Joch gezwungen, weil Du nun einmal den ruchlosen Befehl mißachtet und alle Werkzeuge und Schreckmittel der Tyrannenmacht durch standhaften Glauben und festen Mut überwunden hast.5 Zum Lob des christlichen Bekenners Donatus zieht Lactantius hier ausführlich Metaphorik aus den weltlich-heroischen Sphären des Krieges und Wettkampfes heran: Die Darstellung des Bekenntnisses als Gladiatorengefecht im Stadion, die Interpretation ungebrochener Standhaftigkeit als Sieg über den Teufel und die siegesgewohnten Machthaber. 2 Speyer,"Verehrung des Heroen," 52. 3 Vgl. ibid., 62-63. 4 S. zu Laktanz und seinem Werk Lactantius, De mortibus persecutorum, 10. 5 Lactantius, De mortibus persecutorum, 129-131. "(5) Novies enim tormentis cruciatibusque variis subiectus novies adversarium gloriosa confessione vicisti, novem proeliis diabolum cum satellitibus suis debellasti, novem victoriis saeculum cum suis terroribus triumphasti. (6) Quam iucundum illud spectaculum deo fuit, cum victorem te cerneret non candidos equos aut immanes elephantos, sed ipsos potissimum triumphatores currui tuo subiugantem! (7) Hic est verus triumphus, cum dominatores dominantur. Victi enim tua virtute ac subiugati sunt, quandoquidem nefanda iussione contempta omnes apparatus ac terriculas tyrannicae potestatis fide stabili et robore animi profligasti." Lactantius, De mortibus persecutorum, 128-130. Metaphorik dieser Art ist bekanntlich bereits von Paulus genutzt worden, so etwa in 2 Tim 4,7-8 "bonum certamen certavi [...]." Ebenfalls von Paulus stammen die wirkungsvollen, auch in den Offiziumsgesängen immer wieder zitierten Metaphern des geistlichen Kriegsdienstes und des Kampfs mit den geistlichen Waffen: Eph 6,11-17 "induite vos arma Dei ut possitis stare adversus insidias diaboli [...]," 2 Tim 2,3-5 "labora sicut bonus miles Christi Iesu [...]." Antik-heroische Metaphorik ist in der Folgezeit bekanntlich in großem Stil zur Darstellung und zur Feier der Passion Christi und der Heiligen genutzt worden.6 Sie durchzieht die hagiographischen Schriften, aber auch die Texte der mittelalterlichen Liturgie und prägt so auch die Gesänge des römisch-fränkischen Repertoires wie auch die ihrer hoch- und spätmittelalterlichen Nachfolgeschichten.7 Der Heiligenkult findet seinen zentralen Ausdruck in den liturgischen Feiern am Festtag der Heiligen, d. h. in der Messe, vor allem aber im Stundengebet. In der traditionellen römisch-fränkischen Schicht der Offiziumskomposition wie auch in den Historiae des Hoch- und Spätmittelalters spielen die Geschichten der Heiligen, ihre geistlichen "Leistungen," ihre "Heldentaten" in der Tat eine Hauptrolle. Im vorliegenden Beitrag möchte ich der Darstellung der Heiligen als Helden und Heldinnen des Glaubens in den Historiae nachgehen. Dabei soll es um die Frage gehen, welche Momente der heroischen Metapher sich in den Historiae textlich andeuten und wie diese musikalisch technisch artikuliert werden. Natürlich kann ich nur wenige Beispiele für einige der prominentesten thematisch relevanten Aspekte herausgreifen. Unter den verschiedenen Heiligentypen des Mittelalters konzentriere ich mich auf den Märtyrertypus, nicht zuletzt weil der Themenbereich Gewalt, Krieg und Konflikt hier wie beim weltlichen Heroen eine zentrale Rolle einnimmt. Mein Schwerpunkt liegt auf Historiae des 11. und 12. Jahrhunderts. Mehrfach zitiere ich aus dem Offizium der hl. Fides von Agen, oder Conques (aus Paris 443, Aquitanien, 11. Jh., fol. 1r-14v), außerdem aus dem englischen Offizium für den hl. Oswald (11.-12. 6 Paulus' oben zitierte "bonum certamen"-Stelle ist in die Gesänge der Paulusoffizien eingeflossen (s. R. Bonum certamen, Cid 006255; A. Bonum certamen, Cid 001743). Leicht modifiziert und auf die dritte Person bezogen, wird die Stelle auch im Offizium des Bischofs von Rouen, Audoenus zitiert: "A. Bonum namque certamen certasti, fidem seruasti, cursum consummasti; ideo reddita est tibi iusticie corona a iusto iudice preparata." Rouen, Bibliothèque municipale, ms. 252, Rouen, 13. Jh., fol. 230v. - Die Metapher der spirituellen Bewaffnung zieht etwa die folgende Antiphon des Vincentius-Offizium heran: "A. In cuius nomine spiritualia arma constanter pugnaturi excipimus minas tuas et supplitia non metuentes." Cid 003217. Vgl. auch "V. Habeo galeam salutis et gladium verbi Dei, loricam justitiae clipeumque fidei." Vers des Mercurius-R. Fidelis Christifamulus, Cid 6732. Aus dem 12. Jh. stammt folgender Text für den hl. Olav: "R. Itaque deuotissime perficiens officium euuangeliste, indutus lorica fidei et galea salutis, circui-bat ciuitates, vicos et uillas, salutarem doctrinam ubique disseminans." Oslo, Riksarkivet Lat. fragm. 1018, 7r, s. Faksimile Gjerl0w, Antiphonarium, Plate 57. 7 Eine weitere Quelle heroischer Themen und Metaphern im mittelalterlichen Choral ist natürlich die Bibel selbst, insbesondere das Alte Testament, in dem die Themen Krieg und Gewalt eine ganz zentrale Rolle spielen, nicht zuletzt in den Psalmen. Diese Thematik ist so ubiquitär in der Liturgie, dass ihre Besprechung den vorliegenden Rahmen bei weitem sprengen würde. Jh., aus Cambridge F.4.10, Peterborough, 13. Jh., fol. 258r-262r). Am Ende werde ich auch noch einen Gesang aus der Historia des 12. Jahrhunderts zur Ehre Karls des Großen untersuchen (aus Aachen 20, Aachen, 14. Jh., fol. 25r-28v).8 Exkurs: Die stilistisch unterschiedlichen musikalisch-textlichen Profile der drei Historiae sind nicht Thema dieser Studie, sollen hier aber zumindest kurz skizziert werden: Während das Fidesoffizium Prosatexte hat, das Oswaldoffizium nicht selten Hexameter einsetzt, verwendet das Karlsoffizium die modernen silbenzählenden Reimverse des 12. Jahrhunderts. In ihrer Linearität erinnnert die Melodik des Fidesoffiziums noch durchaus an die der älteren römisch-fränkischen Schicht, doch wird nicht mehr systematisch auf ältere Formeln zurückgegriffen. Eine Ausnahme bilden die Responsorienverse, die z. T. noch die alten Verstöne nutzen, bzw. sich an diese anlehnen. Skalenbildungen und gallikanische Kadenzen sind relativ häufig. Das (monastische) Fidesoffizium folgt dem Prinzip der series tonorum nur teilweise (Matutinantiphonen 1-8), die Offizien zur Ehre Oswalds (monastisch) und Karls (säkular) verwirklichen es streng. Die letzteren teilen auch eine neue tonale Disposition, wie sie für die Offiziumsproduktion nach der Mitte des 11. Jahrhunderts prägend ist (Finalis, Oberquint bzw. Oberoktav als tonale Gravitationszentren). In der Melodieführung des Oswaldoffiziums ist die Bogenführung des älteren Stils mehr und mehr einer von Skalen und Sprüngen durchzogenen Form gewichen. Die Melodieführung des Karlsoffiziums macht einen sehr unruhigen Eindruck, der auch dadurch entsteht, daß die im allgemeinen kurzen Phrasen von zahlreichen Skalen und Sprungkombinationen durchzogen sind.9 Historiae haben das Ziel, in der Figur des oder der Heiligen ein personifiziertes Ideal darzustellen und im Rahmen des Stundengebetes darüber zu meditieren. Das geschieht textlich im Wesentlichen auf zwei Arten: erstens, eher statisch, durch die rühmende Darstellung idealer Eigenschaften und zweitens, handlungsbezogen, durch die Präsentation der Heiligen in Situationen, die diese idealen Eigenschaften offenlegen. Dazu gehören nicht selten längere Verteidigungsreden, die etwa in ein Glaubensbekenntnis münden können. Eigenschaftsbezogene Präsentation: Das grundsätzliche Ziel exemplarisch-ideali-sierter Charakterisierung führt in den Heiligenoffizien zu einem hohen Grad topischer Formulierung. Je nach der sozialen Rolle, die die Heiligen im Leben spielten - Apostel, Bischof, König, Königin, Herzog, Eremit, adelige Dame oder konvertiertes Freudenmädchen - finden sich aber natürlich Abwandlungen bzw. thematische Eingliederungen dieser Topoi. Die ersten Antiphonen und Responsorien der Vigil werden in den Historiae häufig für die Charakterisierung der Heiligen genutzt. Die Heiligen sind auf der Grundlage ihres unerschütterlichen, perfekten Glaubens idealisierte Exempel der christlichen Kardinaltugenden Klugheit (prudentia), Tapferkeit 8 Zur Fides-Historia in Paris 443 s. Stäblein, Schriftbild, 150-151. Zur Oswald-Historia s. Hiley, "Office chants for St Oswald"; zur Karlshistoria Hankeln, "Schwerter und Pflugscharen" mit Literatur. 9 Zu den Begriffen "Skala" und "Sprungkombination" vgl. Hankeln, "Zur musikstilistischen Einordnung," 147-148. (fortitudo), Mäßigung (temperantia) und Gerechtigkeit (iustitia).10 Das heißt aber nicht, daß ihre "weltlichen" Qualitäten, etwa adelige Abkunft, Schönheit, körperliche Kraft ganz verschwiegen werden. Sie werden aber grundsätzlich der geistlichen Tugendhaftigkeit untergeordnet. Ein Beispiel aus dem Offizium der heiligen Fides kann demonstrieren, wie dies musikalisch gestützt wird. Fides wurde am Ende des dritten Jahrhunderts zur Zeit der diokletianischen Christenverfolgungen in Agen in Südfrankreich zur Märtyrerin. Der römische Statthalter Dacianus ließ sie wegen ihres christlichen Glaubens auf einem Rost foltern und schließlich enthaupten (Fest: 8. Oktober).11 Fides, so erfahren wir aus den Passiones, ist ein noch junges Mädchen aus vornehmer Familie, das trotz ihrer Jugend schon die Vernunft und das Verhalten des Alters zeigt. Fides äußerliche Schönheit wird von der Schönheit ihrer Gesinnung übertroffen.12 Die vierte Matutinantiphon des Offiziums, Erat enim tempore (Beispiel 1), nimmt diese idealisierenden Aussagen der Passio auf: Beispiel 1 S. Fides - Vigil, Antiphon Nr. 4, Erat enim tempore (Paris 443, fol. 2v). I _ _ _ ... „.._.. \f » ' «* ^ß m-* ' -* #• •- |1] E- rat e- nim tempore iu-uencu-la. -- - J2| sen-su tarnen senex et o- pere; [3] e-ieganti spe- -ci-e. [4| sed pul- cri-or mente. [1] Sie war nämlich jung, [2] doch im Geist und in ihren Werken ein Greis; [3] von herrlicher Schönheit, [4] doch von noch schönerer Gesinnung. Die Phrasen 3 und 4 ordnen die beiden Epitheta "eleganti specie": "sed pulcrior mente" musikalisch einander kontrastierend zu: Phrase 3 steigt auf und endet halb, mit 10 S. Wilhelm, "Heroic Virtue." 11 BHL 2928-2965. Zu den verschiedenen Versionen der Fides-Pass/o s. Poulin, "Fides." Ich beschränke mich auf die in den Acta sanctorum zugängliche Version "Passio," BHL 2930. 12 S. z. B. "Sancta igitur Fides Aginnensium civitate oriunda fuit et ex parentibus clarissimis splen-didissima proles procreata [...] Juvenis quidem tempore passionis erat aetate - sed senu et opere senex manebat -. Pulchra erat facie -, sed pulchrior fide [...]." "Passio," BHL 2930, Sp. 823D. Zäsur auf der Konfinalis a. Phrase 4 steigt dagegen ab und endet voll, mit Kadenz auf der Finalis E. Die beiden grammatischen Bestandteile der Aussage werden auf zwei melodische Halbbögen verteilt, einen aufsteigenden, tonal unabgeschlossenen, einen absteigenden, tonal abgeschlossenen. Am Beginn von Phrase 4, steht das "sed" gleichsam als Achse des Gegensatzes. Es ließe sich darüber spekulieren ob diese musikalische Disposition auch das inhaltliche Steigerungsverhältnis der beiden Epitheta widerspiegeln soll: Der irdischen, vergänglichen physischen Schönheit entspräche die aufsteigende, aber unabgeschlossene erste Halbphrase, während die Steigerung, die ideale moralische Gesinnung, die abgeschlossene zweite Halbphrase erhielte. Nur kurz noch zu den Phrasen 1 und 2: Hier stehen sich Jugend ("Erat enim tempore iuuencula") und gesteigerte Sittlichkeit des Alters ("sensu tamen senex et opere") in einem Kontrastverhältnis gegenüber, das dem der Phrasen 3 und 4 ähnelt. Phrase 2 greift Phrase 1 im melodischen Verlauf auf, bildet zu dieser aber auch einen Kontrast, weil sie auf dem höheren Konfinalisniveau verharrt. Wieder ist ungewiss, ob es hier auch darum geht, das inhaltliche theologisch-moralische Steigerungsverhältnis melodisch widerzuspiegeln. Ganz deutlich zeigt die Fides-Antiphon aber, daß die in der Disposition der grammatisch-syntaktischen Einheiten ausgedrückten semantischen Gegenüberstellungen Auswirkungen für die formale und melodische Gestaltung des Gesangs gehabt haben.13 Handlungsbezogene Präsentation: Märtyreroffizien übernehmen ihre Handlungsschemata gewöhnlich aus den Passionsberichten, die häufig von den Konflikten und Grenzsituationen der spätantiken Christenverfolgungen geprägt sind. Den Heiligen tritt oft ein in den dunkelsten Farben gezeichneter heidnischer tyrannischer Machthaber, ein Kaiser, ein römischer Richter, ein barbarischer Wikingerfürst entgegen. Dieser mächtige Gegner erwartet von den Heiligen die Abkehr vom christlichen Glauben. Nicht selten soll diese Abkehr durch eine zeichenhafte Tat in aller Öffentlichkeit bekräftigt werden, etwa ein Opfer zu Ehren der römischen Götter. Die Heiligen verweigern das in aller Deutlichkeit. Diese Weigerung nimmt nicht nur in den Passiones, sondern auch in den damit verbundenen Offizien eine zentrale Stellung ein. Die Konfrontation mit dem Tyrannen/Barbaren wird damit zu einem wichtigen, halbdramatischen Ingredienz der Heiligenoffizien, da sie oft Gelegenheit zu einer Bekenntnisrede der Heiligen gibt. Im Offizium der hl. Fides findet sich dieses Bekenntnis u. a. im sechsten Responsorium Inclita dei uirgo. Die Textdisposition folgt der traditionellen zweigeteilten Struktur des Chorteils eines Responsoriums (Beispiel 2). Der Repetendenabschnitt (Phrasen 3-6) wird von der direkten Rede der Fides eingenommen ("ab exordio [...]"). Ihr Beginn wird mit einem auffälligen musikalischen Neuanfang auf dem Spitzenniveau des Ambitus, der Konfinalis a, gekennzeichnet. Das Ende des ersten Teils (Phr. 1-2), mit seiner Einleitung zur direkten Rede, war zuvor mit einer Vollkadenz auf der Finalis D abgeschlossen worden. 13 Ähnliche Beispiele antithetischer Gegenüberstellung sind zahlreich im mittelalterlichen Choral und fordern zu einer systematischen Untersuchung ihrer musikalischen Umsetzung heraus. Beispiel 2 S. Fides - Vigil, Responsorium Nr. 6, Inclita dei uirgo (Paris 443, fol. 6r). [1] Die herrliche Jungfrau des Herrn [2] sprach zum Tyrannen mit standhaftem Geist: "[3] vom Anbeginn meiner Jugend [4] bin ich Christin [5] und dem Herrn Jesus Christus [6] diene ich in demütiger Gesinnung." V. [1] Gefragt nämlich nach ihrer Religion, [2] geschützt mit dem Banner des Kreuzes auf ihrer Stirn, [3] antwortete sie so: "vom Anbeginn [...]." Musikalische Form und Ambitusregie lenken die Aufmerksamkeit also auf den Beginn der direkten Rede in Phrase 3. Solch klare Abgrenzung der direkten Rede läßt sich in den Responsorien wiederholt beobachten. In diesem Fall legt sie besonderes Gewicht auf das persönliche Bekenntnis der Fides. Kombinationen von kleineren Melismen und Spitzenlagen im Ambitus legen musikalische Akzente auf weitere inhaltliche Momente, die die Idealität der Figur unterstreichen: ihre Standhaftigkeit, ihr Bekenntnis und ihre Demut: s. Beispiel 2, Phr. 2: "constanti animo," Phr. 4: "Christiana sum," Phr. 6 "devota mente deservio." Es gehört zu den idealen Eigenschaften der Heiligen, daß sie - das Paradies vor Augen - über die Qualen des Diesseits erhaben sind. Sie gehen ihnen sogar freudig entgegen, da sie sie als bloßen Übergang zur Ewigkeit verstehen. Der Bericht über die schließliche Hinrichtung der Heiligen bildet oft das Thema des letzten Abschnitts der Vigil. Irdische Vernichtung wird als triumphaler Sieg gefeiert.14 Der "Siegespreis" für das unerschütterliche Bekenntnis der Märtyrer ist das ewige Leben im Himmel. Ausgedrückt wird dies mit dem Bild der Märtyrerkrone. In einer Antiphon zu Ehren des hl. Dionysius heißt es: "Heute ist der hochheilige Tag des seligen Dionysius, an dem er triumphierend seinen Wettkampf beendet und es verdient hat die Krone des Siegs aus der Hand Gottes entgegenzunehmen."15 Das Bild der Siegerkrönung findet sich etwa bei Paulus.16 In der Apocalypse tragen die Märtyrer goldene Kronen (Apc 4,4). Eine Antiphon zum Innocentes-Fest formuliert im Apocalypsestil: "Der Herr hat jene mit den Kronen der Gerechtigkeit gekrönt, die gestorben sind für den Herrn und dem Lamm [Gottes] gefolgt sind."17 Eine Antiphon für das Commune Martyrum zitiert Psalm 20: "Herr, du hast auf sein Haupt eine Krone aus Edelstein gesetzt."18 Vor diesem Hintergrund bietet das erste Responsorium der Fidesvigil, Beatissime virginis Fidis, eine interessante Variante (Beispiel 3). Das Responsorium spielt auf ein Wunder der Fides-Legendenüberlieferung an: Ein junger Gefährte der Fides, Caprasius, beobachtet das Martyrium von einem nahen Berg aus und betet um himmlischen Beistand "ut ei coelestem ostenderet virtutem."19 Daraufhin sieht er, wie eine weiße Taube vom Himmel herniedersteigt und eine von Edelsteinen und himmlischen Perlen glitzernde Krone, die den Glanz der Sonne überstrahlt, auf das Haupt der Märtyrerin setzt.20 Im Repetendum (Phrasen 4-6) werden Wettkampf, Krönung und die Ehrung durch Gott als musikalischer Zusammenhang gefaßt. Das geschieht vor allem mit Hilfe der 14 Das Martyrium wird in der Fides-Historia als Beweis ihrer Mannhaftigkeit "virilitas" verstanden. S. z. B. die Antiphon zur Sext: "A. O Fides beata, o uirgo clarissima, nostrum omnium uota fac supplicans diuino conspectu placabilia, que femineo sexu postposito militasti uiriliter; Xpisto ideoque in ipso pugne certamine columba ferentem stemate preueniris dignissima." Paris 443, fol. 10r. 15 "Adest namque beati Dionisii sacratissima dies, in qua triumphans agonem expleuit, et coronam victorie accipere meruit de manu domini." S. Text und Melodie bei Goudesenne, Office romano-franc, 23. 16 Im Kontext der eingangs zitierten Stelle 2 Tim 4,7-8 "bonum certamen certavi [...]" findet sich auch der Verweis auf die Krone der Gerechtigkeit "iustitiae corona" als Lohn für den "Kampf" des Lebens in der Christusnachfolge. 17 "Coronavit eos Dominus coronas iustitiae quia passi sunt pro Domino et sequuntur Agnum." Cid 001933. 18 "Posuisti Domine super caput ejus coronam de lapide pretioso." Cid 004344. 19 "Passio," BHL 2930, Sp. 824B. 20 "[...] vidit de nubibus columbam, ut nivem candidam descendere, et coronam interlucentibus gemmis, supra solis splendorem rutilantem coelestibus margaritis refulgentem, super caput Virginis ponere [...]." "Passio," BHL 2930, Sp. 824B. tonalen Disposition und des internen Phrasenverlaufs. Ausgangspunkt ist Phrase 4. Sie benennt die "Leistung" der Fides, den Wettkampf "certaminis cursu," der fast beendet ist "necdum completo."21 Phrase 5 ist der vorweggenommenen Siegerehrung der Fides gewidmet, ihrer Krönung mit der Märtyrerkrone nicht erst im Himmel, sondern schon auf Erden. Die "corona"-Melodie geht von a-c aus, also vom Konfinalisniveau und nimmt anfangs Spitzenlage im Ambitus ein. "Corona" durchquert melismatisch rasch den ganzen Ambitus - eine zusätzliche Akzentuierung. Beispiel 3 S. Fides - Vigil, Responsorium Nr. 1, Beatissime virginis Fidis (Paris 443, fol. 4r). V > «*«' » ^ --- [1] Be-a- tis-si-me vir-gi-nis Fi- dis u fk mmm. A^u - . ---—+ *> * m— »— '» m *m [2] na-ta-lis di- em sollempniter recur-ren- tem. • -«*«— [3] deua-hs- si- me ex-ci- pi- a- mus. [5] cho* - ro- na ce- Ii- tus in- mis-sa [6J a de-o me-ru-it ho- no- ra- ri. Wir begehen demütigst[3] den Festtag [des Martyriums][2] der seligsten Jungfrau Fides,[1] der sich feierlich jährt.[2] Sie hat es verdient,[6] noch bevor sie den Lauf ihres Wettkampfs beendet hat,[4] mit einer auf himmlische Weise gesandten Krone[5] von Gott geehrt zu werden.[6] In Phrase 6 findet sich der Aussagekern des Responsorium-Textes und zwar im zentralen Verb der Ehrung "honorari," das ein längeres Melisma im mittleren Ambitusbereich erhält. Zugleich nimmt die Phrase die zuvor aufgebaute musikalische Dynamik zurück. Die Hauptzäsuren der Phrasen 4 und 5 vermeiden es, die Finalis E zu berühren, das geschieht 21 Die Melodie berührt über "completo" die Finalis E, doch gehören "completo" und das nachfolgende "cursu" grammatisch zusammen. Die Finaliskadenz hat wohl eher die Funktion einer Halbzäsur, ähnlich wie nach "recurrentem" in der zweiten Phrase, wo ich ein Komma annehme. erst jetzt. Im Gegensatz zu den Phrasen 4 und 5 hat Phrase 6 zudem einen ausgeglichenen bogenförmigen Verlauf. Die Phrase verbindet dadurch die formale Funktion eines musikalischen Abschlusses mit einer inhaltlich gestischen: die Ehrung durch Gott erscheint fast zurückgenommen als Einlösung am Ende. Der Akzent liegt damit auf dem Glanz der anzitipierten göttlichen Ehrung, der Krönung in der Höhepunktphrase 5. Soweit zum eher traditionellen Märtyrertypus und einigen seiner Gesänge. Nun zu einigen späteren Entwicklungen. Im 11.-12. Jh. entstand das englische Offizium zur Ehre des hl. Oswald von Northumbrien.22 Oswald wird hier als besonders freigebiger, milder König gezeichnet, der nicht nur den irischen Bischof Aidan mit der Mission seines Volkes beauftragt, sondern dessen Predigten auch noch höchstpersönlich in die Volkssprache übersetzt.23 Während eines Festes läßt der König eine Silberschale zerteilen und an die Armen austeilen, worauf der Bischof die freigebige Rechte des Königs preist.24 Neben diese Darstellung monarchischen sozialen und kirchenpolitischen Engagements tritt im Oswaldoffizium aber noch ein zweiter Themenbereich, der Oswald inmitten von veritablen Schlachten zeigt. Im ersten Responsorium der Vigil siegt der König, ein zweiter Konstantin, unter dem Zeichen des Kreuzes gegen wilde Barbarenhorden.25 Als die Historia später das Ende des Königs in der Schlacht auf dem Maserfelth besingt, steht sein Tod für das Vaterland ebenso im Vordergrund wie Oswalds Freigebigkeit, d. h. Sorge für das Volk.26 Beispiel 4 zeigt das letzte Responsorium der Oswald-Historia O regem et martyrum Oswaldum, eine Apotheose des Schlachtentods für Gott und Volk. Der Text des Responsoriums ist insofern bemerkenswert, als die traditionelle Metapher des persönlichen Bekenntniskampfes des Märtyrers hier zur Bezeichnung einer wirklichen Schlacht herangezogen wird (Phrase 4, "pugnavit contra acies inimici"), wobei die geistliche Bedeutung durchaus noch mitschwingt: Gesungen wird ja nicht "Heerschar der Feinde," "acies inimicorum," sondern "Heerschar des Feindes," "acies inimici," was als "Heerschar des (alten) Feinds," also des Teufels verstanden werden kann. Realpolitische Militäraktion und religiöse Metaphorik gehen hier offenbar ineinander über. Hinzu kommt, daß die aus den Märtyreroffizien geläufigen Militärmetaphern, das Banner des Glaubens (Phr. 3: "vexillo [...] fidei"), die Märtyrerkrone (Phr. 6: "corona martyria") nicht nur auf das persönliche triumphale "Martyrium" des Oswald bezogen 22 Zur Datierung s. Hiley, "Music of prose offices," 30, bzw. Hiley, "Office chants for St Oswald," 255. 23 Vgl. "R. Pontificem sanctum sumpsit sibi rex Aydanum. Doctor Aydanus rex interpres fit honorus. V. Dulce fuit regem pro nate uidere loquentem." Oswald, fünftes Matutinresponsorium in Cambridge 10, fol. 260r. 24 Die Episode findet sich bereits bei Beda 1969, cap. VI, 230-231. Auf diese Passagen spielen die beiden ersten Laudesantiphonen an: "Rex Osuualdus clarus regali munificentia, 'fer,' inquit, 'discum Christo clamanti in pauperis forma,' " und " 'Viuat,' Aydanus inquit, 'tua rex dextera et semper maneat incorrupta.' " Cambridge 10, fol. 261v. 25 "Rex sacer Oswaldus sevas acies feriturus / *Spem crucis erexit et in hoc signo superavit. V. Ut Constantinus de celo vincere doctus." Cambridge 10, fol. 259r. 26 "Rex anime fortis cadit hostia martyrialis / cesus pro patria Cesa est et prodiga dextra. [...]." Cambridge 10, fol. 260v. Beispiel 4 S. Oswald - Vigil, Responsorium Nr. 12, O regem (Cambridge 10, fol. 261r-v). [11 O regem et mar- ty-rem Os- -waldum, É [2] sul- Ii- mis me-ri- ti. [3] qui ho- di-e, ve- xil-lo ar-ma- lus 11- de-i. [4] pug-tia-vit contra a- ci- es in- i- mi- ci [6a] *co-ro- -nam susce- -pit V.pj In-ter martyres re\ et mar-tyr [2] tri-utnpho sttlli- ma- -tas no- -bi- Ii. * Coronam [,..j R. [1] O König und Märtyrer Oswald, [2] vornehmen Verdienstes, [3] der heute, bewaffnet mit dem Banner des Glaubens [4] gegen die Heerschar des Feindes gekämpft hat; [5] und das mit Blut bespritzte Heer des Herrn [6] hat die Märtyrerkrone empfangen. V. [1] Unter den Märtyrern, [2] die im noblen Triumph erhoben [sind], [1] König und Märtyrer [...]. werden, sondern auch auf den Tod seiner Soldaten. Das Reponsorium endet in den Phrasen 5 und 6 j a mit der Aussage: " [5] und das blutbespritzte Heer des Herrn [6] erhielt die Krone des Martyriums." Der Vers lenkt dann freilich die Aufmerksamkeit auf den König zurück; zu singen ist nämlich: "V. [1] Unter den Märtyrern König und Märtyrer [2] erhöht zum vornehmen Triumph"; Repetendum: "erhielt [er = Oswald] die Krone des Martyriums." Wie im oben beschriebenen Fides-Responsorium liegt der musikalische Akzent in Beispiel 4 auf dem Repetendum, den Phrasen 6a-6b. Der Abschnitt steigert die ohnehin starke Melismatik des Gesangs noch einmal und entfaltet den vollständigen Ambitus in einer zweitgeteilten Phrase. Der folgende Vers ist durch seine Melismatik nicht minder musikalisch intensiv gestaltet. Sprungkombinationen prägen das Eingangsmelisma über "Inter." Es lenkt die Aufmerksamkeit auf Oswald als Märtyrer unter Märtyrern, den König als "primus inter pares." Am Ende meines Beitrags noch zu einer jüngeren, thematisch etwas anders gelagerten Historia, derjenigen zur Ehre Karls des Großen.27 Die Historia entstand in den siebziger Jahren des 12. Jahrhunderts, wohl im Zusammenhang mit der Heiligsprechung Karls, die am 29. Dezember 1165 unter Teilnahme des Kaisers, Friedrich Barbarossa, in Aachen vorgenommen wurde.28 Da Karl nicht gewaltsam gestorben war, wurde er offiziell nicht als Märtyrer, sondern als Bekenner verehrt, was die Historia aber nicht daran hindert, ihn mit den Titeln sämtlicher Heiligentypen zu ehren, unter anderen auch denen des Märtyrers und nicht zuletzt des Apostels. Wenn die Historia Karls politisch-religiöse Tätigkeit in den Vordergrund rückt, geschieht dies nicht zuletzt mit Verweis auf seine Militäraktionen in Sachsen und Nordspanien, die als apostolisches Missionswirken gefeiert werden. Beispiel 5 zeigt das dritte Responsorium Secularis potentie. Es spricht im Stil der Märtyreroffizien von Heil und Ruhm als jenseitige Belohnung für die diesseitigen Leistungen des Heiligen. Diese Leistungen bestehen aber nicht, wie früher einmal, in der Weltaufgabe im Martyrium im Konflikt mit dem heidnischen Staat, sondern in explizit diesseitiger Wirksamkeit, die staatlichen Interessen dient: der militärisch gestützten Durchsetzung von machtpolitisch gestützter Ordnung, hier "Recht und Gesetz" genannt ("legis et iusticie"). Das traditionelle Bild des heldenhaften Märtyrers wird hier, unter Zuhilfenahme von Märtyrermetaphorik wenn auch nicht ganz auf den Kopf gestellt, so doch wesentlich dem Zweck der religiösen Legitimation der Monarchie untergeordnet. Enger lassen sich Heiligenimage und Adelsheld wohl kaum miteinander verschränken. Der Text stellt die beiden Seiten, diesseitige christlich-herrscherliche Heldentat einerseits, himmlischen Lohn andererseits, in ein inhaltliches Abhängigkeitverhältnis. Die musikalische Struktur übernimmt dieses Verhältnis durch ein Konfinalis-Finalis-Gefälle. Die erste Hälfte des Chorteils schildert die weltliche Seite, den bewaffneten Kampf für das Recht. In Phrase 4 endet diese Hälfte über "stadio" offen auf der Konfinalis h. Das folgende Repetendum schildert den Lohn des Heils und schließt den Bogen mit der Finalis, gleichsam als Abschluß des Prozesses. In der ersten Hälfte erreicht die Melodie ihren ersten Ambitushöhepunkt, wenn vom 27 Zum Offizium s. Hankeln, "Schwerter und Pflugscharen," 98-99 mit Literatur. 28 S. ibid., 98. Beispiel 5 S. Carolus magnus - Vigil, Responsorium Nr. 3, Secularis potencie (Aachen 20, fol. 26v). * • -« [1] Secu-la- ris po-ten- -ti- e [2] cesar fietus gladi- o V * [3] sic !e- gis et ius-ti-ci-e [4] cucurrit in sta-di-o I • • m m* [5] *ut sa- !u-tis et glori-e [61 poti-rct lir bra- -ui- o. V, [1] A-go- ni- -zans ui- ri- li- ter. U-Wm—-------------—---, -a-i ■V * \ t------m---r — -^ « J J [2j cunc-ra gessit ti-de-1 i- ter. * Ut sa- lu-tis Gestützt auf das Schwert[2] weltlicher Macht,[1] sprintete[4] der Kaiser[2] im Stadion[4] für Gesetz und Gerechtigkeit,[3] auf daß er sich[5] des Siegerpreises[6] des Heils und des Ruhms[5] bemächtige.[6] V. [1] Indem er heldenhaft kämpfte, [2] führte er alles getreulich aus. Kampf für Recht und Gesetz gesungen wird, Phrase 3 "sic legis et IUSTICIE cucurrit in stadio" Den zweiten Ambitushöhepunkt finden wir in Phrase 6 am Ende des Repetendums mit seiner Aussicht auf den himmlischen Lohn "potiretur BRAuio." Die Stelle macht durch das lange Schlußmelisma zusätzlich auf sich aufmerksam: himmlischer Lohn wird musikalisch also etwas stärker akzentuiert als weltliche Taten, was ja dem inhaltlichen Verhältnis von Voraussetzung und Erfüllung entspricht. Der Vers wendet die traditionelle Märtyrermetaphorik mit den topischen Ausdrücken "agonizans" und "viriliter" wörtlich auf die politische Wirksamkeit des Kaisers an. Auch hier wird das inhaltliche konsekutive Verhältnis - männlich-heldenhafter Kampf führt zu Erfolg - durch ein Konfinalis-Finalis-Gefälle musikalisch umgesetzt. Mein Beitrag ging von Gesangstexten und ihren inhaltlichen Aspekten aus. Wenn er damit die übliche musikologische Herangehensweise quasi gegen den Strich bürstete, so geschah dies, um einmal mehr die Frage der Sprachhaftigkeit des mittelalterlichen Chorals, seine Rolle als Bedeutungsträger aufzuwerfen. Dieses Problem kann, obwohl es seit dem Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Choral immer wieder einmal aufgegriffen wurde, heute längst nicht als umfassend beantwortet betrachtet werden.29 Das gilt vor allem für den weiten Bereich der Heiligenoffizien. Die verstärkten Forschungen der letzten Dezennien, an denen der verehrte Jubilar Professor Snoj keinen geringen Anteil hatte, haben Einblicke in die ungeheure Breite dieser Produktion, die sich über fast acht Jahrhunderte erstreckt und ihre musikstilistische Vielfalt ermöglicht. Von einer Übersicht darüber, ob und wie sich mit diesen stilistischen Veränderungen auch das Wort-Ton-Verhältnis gewandelt hat, sind wir jedoch noch weit entfernt. Die oben diskutierten Beispiele lassen erkennen, daß an der inhaltlichen Artikulation mit musikalischen Mitteln in erster Linie Kontraste im Bereich der Tonalität, der Melodieführung und des Text-Musikverhältnisses beteiligt sind. Logische Verhältnisse, inhaltliche Korrespondenzen, aber auch Sprecherwechsel werden durch den Melodieverlauf und die Form der Zäsurenbildung gestützt (offene / geschlossene Kadenzen). Exponierte Lagen, rasche Durchquerung großer Ambitus-Segmente, längere Skalen und/oder Sprungkombinationen, auffällige melismatische (oder auffällig syllabische) Passagen können thematisch zentrale Aussagen und Begriffe durch ihre Dynamik von der Umgebung absetzen. Textsegmente können auch durch ihre Positionierung ganz am Beginn, ganz am Ende, oder auch am Beginn eines wiederholten Abschnitts exponiert werden. Wir können nicht wissen, wie die musikalischen Kontrastbeziehungen und Verdichtungen, von denen hier berichtet wurde, von den Sängern des 11./12. Jahrhunderts empfunden und aufgeführt worden sind. Was der musikalische Verlauf aber offenbar dezidiert mitträgt und verstärkt, ist die Logik und Struktur der Darstellung an sich, immanente Abhängigkeiten, Gegensätze und Steigerungsverhältnisse. Insofern liegen diese Beispiele auf einer Linie mit den Ergebnissen jener Untersuchungen, die von Jonsson/Treitler, Rankin und Björkvall/Haug auf den Gebieten des Meßpropriums und auch der Versoffizien unternommen worden sind.30 Sie unterstrichen die Rolle, die die musikalische Struktur auch als Gliederungselement und Bedeutungsträger in Korrelation zu Syntax, Grammatik und Versform des Textes übernehmen kann. So trägt die Musik dieser historiae dazu bei, die mit dem "heldenhaften" Verhalten der hier dargestellten Figuren verknüpften Inhalte in der größtmöglichen sprachlich-musikalischen Plastizität und Dichte zu artikulieren. Quellen Aachen 20 = Aachen, Dombibliothek G 20. Antiphonar, Aachener Dom, 14. Jh. 29 S. Wagner, Einführung, 284-285; Johner, Wort und Ton; Stevens, Words and music, Kap. 8, 268-307. Die jüngste Auseinandersetzung, Hughes, Versified office, gibt eine Reihe interessanter Beispiele für die Interaktion von Musik und Text insbes. in Kap. 6, 155-229. 30 Jonsson und Treitler, "Medieval music"; Rankin, "Carolingian music"; Björkvall und Haug, "Performing Latin verse" und "Text und Musik." Cambridge 10 = Cambridge, Magdalene College, F.4.10. Antiphonar, Peterborough Abbey, 14.-15. Jh. Oswald-Historia: fol. 258r-262r. Paris 443 = Paris, Bibliothèque Nationale de France, n.a.l. 443. Miscellaneum, Aquitanien, 11. Jh. Fides-Historiae (dies natalis, translatio): fol. 1r-14v. Bibliographie Angenendt, Arnold. Heilige und Reliquien: Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. München: C. H. Beck, 1994; 2. Aufl. Hamburg: Nikol, 2007. Beda. Ecclesiastical History of the English people. Herausgegeben von Bertram Colgrave und Roger A. B. Mynors. Oxford: Clarendon Press, 1969. BHL = Bibliotheca hagiographica latina antiquae et mediae aetatis. 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Ti primeri so vzeti iz historij v čast sv. Fides iz Agena (Akvitanija, 11. stoletje), sv. Osvaldu iz Northumbrije (Anglija, 11. stoletje) in Karlu Velikemu (Aachen, 12. stoletje). Med klasičnimi junaki in krščanskimi srednjeveškimi svetniki je veliko vzporednic. V času svojega življenja oboji dosegajo izjemne uspehe in njihove skupnosti se jih spominjajo kot idealnih figur, s katerimi se lahko identificirajo. Razlike med obema skupinama se pojavljajo zaradi diametralno nasprotujočih si religioznih pogledov na svet, na katerih sta utemeljeni: klasični junaki so uspešni v svetu in včasih dosežejo celo božanski status. Svetniki pa se po drugi strani svetu odrekajo zaradi upanja na večno življenje in zato sprejemajo ponižanje, trpljenje in uničenje na zemlji. Njihova značilnost je ponižnost; sami nikoli ne postanejo bogovi. Kljub temu je značilno, da so zgodnjekrščanski pisci za srednjeveška latinska litur-gična besedila (vključno z besedili koralov) uporabljali jezik vojne in junaštva v metaforičnem smislu, da bi tako opisali značaj in vedenje svetnikov, zlasti mučencev. (Junaštvo, nasilje in vojna so pomembne teme Stare zaveze, pa tudi Psalterja, ki je služil kot temelj srednjeveške liturgije.) Razprava na podlagi petih primerov iz zgoraj omenjenih oficijev predstavlja različne primere izraza te metafore. Primeri kažejo, da se glasba historij na različnih nivojih vključuje v predstavitev pomena besedila, in sicer tako, da zrcali sintaktično/gramatikalno strukturo besedila in včasih vpeljuje melodične poudarke. Analogije med besedilno in glasbeno strukturo kažejo, da t. i. junaška tematika uporablja iste tradicionalne tehnike, kakršne najdemo pri drugih vsebinah.