2 DER BALKAN HALB INSEL. UND BEOBACHTUNGEN. HERAUSGEGEBEN VON DR. CARL PATSCH, KUSTOS AM BOSNISCH - HERCEGOVIN. LANDESMUSEUM IN SARAJEVO. - HEFT 2. ————-— AUS BOSNIENS LETZTER TÜRKENZEIT HINTERLASSENE AUFZEICHNUNGEN VON MED. UNIV. DR. JOSEF KOETSCHET. VERÖFFENTLICHT VON JUR. DR. GEORG GRASSL. MIT DR. JOSEF KOETSCHETS BILDNIS. WIEN UND LEIPZIG. A. HART LEB EN'S VERLAG. Narodna in univerzitetna knjižnica v Ljubljani 40958 1 Heft i: K. STEINMETZ, Eine Reise durch die Hochländergaue Oberalbaniens. Heft 2: J. KOETSCHET, Aus Bosniens letzter Türkenzeit Veröffentlicht von G. Grassl. Heft 3: K. STEINMETZ, Ein Vorstoß in die Nordalbanischen Alpen. AUS BOSNIENS LETZTER TÜRKENZEIT. fa ZUR KUNDE DER BALKANHALBINSEL. REISEN UND BEOBACHTUNGEN. HERAUSGEGEBEN VON DR. CARL PATSCH, KUSTOS AM BOSN.-HERCEG. LANDESMUSEUM IN SARAJEVO. HEFT 2: MED. UNIV. DR. JOSEF KOETSCHET, AUS BOSNIENS LETZTER TÜRKENZEIT. VERÖFFENTLICHT VON JUR. DR. GEORG GRASSL. MIT DR. J. KOETSCHETS BILDNIS. 40958 WIEN UND LEIPZIG. A. HARTLEBEN'S VERLAG. 1905. ALLE RECHTE VORBEHALTEN. MED. UNIV. DR. JOSEF KOETSCHET. 0 --0 00 - 00 [OJjij] [L))|(J\ J 00 L Die vorliegenden Aufzeichnungen werden der Öffentlichkeit übergeben in dem guten Glauben, daß sie bei aller subjektiven Färbung und stellenweisen Lückenhaftigkeit doch manches enthalten, was der Vergessenheit entrissen zu werden verdient, zumal da es an einer zusammenfassenden Darstellung der jüngsten Vergangenheit Bosniens und der Hercegovina von nichtoffizieller Seite gebricht. Ihr Wert liegt vornehmlich darin, daß Miterlebtes und Mitempfundenes von einem Manne geschildert wird, der wie kein zweiter die zusammenbrechende Türkenherrschaft in beiden Ländern aus unmittelbarer Nähe zu verfolgen und an den Ereignissen tätigen Anteil zu nehmen Gelegenheit hatte. Josef Koetschet entstammte einer aus den Niederlanden nach der Schweiz eingewanderten Patrizierfamilie. Geboren 1830 zu Grellingen im Kanton Bern, absolvierte er das Jesuitengymnasium in La Chapelle im Elsaß. Die französische Revolution von 1848 traf ihn in Straßburg, wo er sich eben auf einer Ferienreise befand. Obwohl Ausländer, schloß er sich der Bewegung an, bezog indes schon im Herbste desselben Jahres die Universität Bern, um sich dem Studium der Medizin zu widmen. Hier errang er bald eine Führerrolle unter der freisinnigen Studentenschaft, welche ihn mit der konservativen Kantonalregierung in Konflikt brachte und seine Übersiedlung nach Heidelbergzur Folge hatte. Von hier begab er sich auf zwei Semester nach Wien, wo insbesondere Skoda und Rokitansky eine große Anziehung auf ihn ausübten. Auch in Paris brachte er ein Jahr zu, kehrte jedoch 1853 nach Bern zurück, um dort den Grad eines Doktors der Medizin zu erwerben. Von der damals weitverbreiteten Schwärmerei für die Türkei ergriffen, ging er, dem Beispiele vieler junger Ärzte folgend, nach Konstantinopel, um ottomanische Dienste zu suchen. Gleich anfangs wurde ihm die Leitung des Garnisonsspitals in Scutari in Albanien übertragen, wo er mit Emin Pascha (Dr. Schnitzler) Bekanntschaft schloß. Auf sein Verlangen wurde er schon nach kurzer Zeit auf den Kriegsschauplatz nach dem Kaukasus versetzt und als Chefarzt den tunesischen Hilfstruppen zugeteilt. In dieser Eigenschaft lernte er den damals auf dem Gipfel seines Ruhmes stehenden Serdar Ekrem Omer Pascha kennen, der ihn bald so lieb gewann, daß er ihn nach Beendigung des Feldzuges durch volle sechs Jahre als Leibarzt und Sekretär in seinen Diensten behielt. Diesem Gönner hat Koetschet in den „Erinnerungen aus dem Leben des Serdar Ekrem Omer Pascha (Michael Lattas) Sarajevo 1885" ein Denkmal gesetzt. 1864 kam Koetschet nach Sarajevo, wo er bis zu seinem am 22. Juli 1898 erfolgten Tode verblieb. Er bekleidete hier den Posten eines Stadt- und Polizeiarztes, mit Unterbrechungen aber auch gleichzeitig die angesehene Stelle eines Wilajetsekretärs, welche ihn mit den politischen Ereignissen in einige Berührung brachte. Er blieb der vertraute Ratgeber der Generalgouverneure auch dann, wenn er letzteren Posten nicht innehatte. Wie groß der Ruf war, den Koetschet in den Balkanländern genoß, geht daraus hervor, daß nicht nur der Fürst von Montenegro ihn wiederholt für seine Dienste zu gewinnen suchte, sondern auch noch 1879 die bulgarische Regierung ihm ein glänzendes Anerbieten machte. Koetschet zog es jedoch vor, in Sarajevo zu bleiben, und schlug auch den ihm von der ottomanischen Regierung angebotenen Posten eines Generalkonsuls in Ragusa sowie die 1876 in Aussicht genommene Stelle eines ottomanischen Konsuls in Agram aus. Nach der Okkupation behielt Koetschet in ausgreifender uneigennütziger Tätigkeit die Stellung des Stadtarztes bei. Koetschet ging schon früh daran, seine Erlebnisse und Wahrnehmungen aufzuzeichnen. Die erste, unter dem unmittelbaren Eindrucke der Ereignisse entstandene zusammenfassende Niederschrift in französischer Sprache ist jedoch 1875 bei einem Brande, in welchem er beinahe seine ganze Habe einbüßte, zugrunde gegangen. Nach der Okkupation entschloß sich der Autor, seine Erinnerungen unter Zugrundelegung von Tagebuchblättern und losen Notizen abermals zu Papier zu bringen, diesmal in deutscher Sprache, in welcher ihm die von jeher angestrebte Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen nach dem Jahre 1878 am ehesten erreichbar erschien. Das 292 Folioseiten umfassende Manuskript, das sich im Besitze der Witwe des Verstorbenen, Frau Ergelie Koetschet in Sarajevo, befindet, ist vom 5. November 1890 datiert. Es behandelt die Geschicke Bosniens und der Hercegovina „vom Jahre 1863 bis zur Okkupation". Äußere Umstände haben die Teilung des Gebotenen und die Veröffentlichung des zweiten Abschnittes vor dem ersten nötig gemacht. Die Umkehrung der Reihenfolge durfte um so eher gewagt werden, als der innere Zusammenhang dadurch nicht gestört wurde. Die nachfolgenden Kapitel behandeln: , I. Den Aufstand in der Hercegovina 1875 — 1876 (S. i bis 66) und II. Die Auflösung der ottomanischen Herrschaft in Bosnien und der Hercegovina und die Okkupation 1877—1878 (S. 66 bis 109). Der Herausgeber erblickte seine Aufgabe nicht nur in der Ausgleichung der stilistischen Unebenheiten, die der mangelhaften deutschen Sprachkenntnis des Verfassers zugute gehalten werden müssen, sondern hauptsächlich darin, bei Schonung der Eigenart durch übersichtliche Anordnung des Stoffes ein möglichst anschauliches Bild von den angeführten Perioden zu geben. Für die Schilderung der Ereignisse sowie für die fallweise daran geknüpften Bemerkungen muß die Verantwortung ausschließlich Koetschet überlassen werden. Einzelne Versehen, die bei der zweiten Niederschrift aus dem Gedächtnisse unterlaufen sein mögen, wurden durch Umfrage bei noch lebenden Zeugen der vorgeführten Begebenheiten richtiggestellt. Sarajevo. G. Grassl. o o I. Der Aufstand in der Hercegovina 1875—1876. Anfangs Mai 1874 brachte uns der Draht die unerwartete Nachricht von der Ernennung des bisherigen Generalgouverneurs von Bosnien, Mehmed Akif Pascha, zum Präsidenten des Staatsrates in Stambul und dessen Ersetzung auf dem Posten des Wali1) durch den Muschir2) Ibrahim Derwisch Pascha. Heute noch erinnere ich mich der klugen Worte, welche ein Sarajevoer christlicher Kaufmann zu einigen Freunden sprach, als diese ihre Besorgnisse über die Ernennung des bekannten Christenfeindes Derwisch Pascha austauschten. „Aber Ihr einfältigen Leute," meinte er, „Ihr solltet Gott danken, daß der Sultan den glücklichen Einfall gehabt hat, uns Derwisch Pascha zu schicken. Glaubt mir, der wird zur Befreiung unseres Volkes mehr beitragen, als irgend ein anderer!" Welchen tiefen Sinn verbargen doch diese schlichten Worte! Muschir Derwisch Pascha hat in seiner langen militärischen Laufbahn nichts Rühmliches und Ersprießliches geleistet, vielmehr galt sein Erscheinen überall als Vorbote schwerer Verwicklungen. Seine einzige Leistung bestand darin, daß er sich bei den Lieferungen für das Heer, sowie durch alle möglichen Erpressungen ein großes Vermögen zu verschaffen wußte, welches ihm ermöglichte, fast bis zu seinem im Jahre 1897 erfolgten Tode in Stambul eine bedeutende Rolle zu spielen. ') Zivilgouverneur. 2) Feldmarschall. Koetschet-Grassl, Aus Bosniens letzter Türkenzeit. Man erinnere sich nur, wie er seine Aufgabe als kaiserlicher Kommissar in Ägypten beim Aufstande Arabi Paschas auffaßte. Seine Ernennung zum Wali von Bosnien verdankte er hauptsächlich dem Umstände, daß der damalige Kriegsminister Hussein Awni Pascha ihn wegen seiner fortwährenden Ränke nach der Provinz hinaus beförderte. Gleich nach der Ernennung Derwisch Paschas telegraphierte mir ein Freund aus Stambul, daß der neue Wali einen neuen Dragoman1) suche, weshalb ich sofort Schritte unternehmen möchte, um meine so lange bekleidete Stellung zu behaupten. Ich tat jedoch nichts, denn ich war aufrichtig froh, unter einem Derwisch Pascha dieses heiklen Amtes enthoben zus ein. Um so mehr staunte ich, als er mich bei seinem festlichen Empfange vor den Toren von Sarajevo freudig umarmte, mich mit Liebenswürdigkeiten überhäufte und mein Haus mit seinem Besuche beehrte. Allein er täuschte mich nicht, denn ich kannte ihn nur zu gut. Mein Interesse heischte, daß ich dem falschen, heuchlerischen Pascha soviel wie möglich aus dem Wege ging. Leider war es mir nicht möglich, mich ganz verborgen zu halten, denn er ließ mich, obwohl ich keine offizielle Stellung mehr bekleidete, bei heiklen Fragen und festlichen Anlässen häufiger zu sich rufen, als mir lieb war. Wenn ich noch im mindesten über seine Absichten im Zweifel gewesen wäre, so hätte mich seine erste Äußerung betreffs Montenegros eines Besseren belehren müssen. Vor Ankunft meines Nachfolgers unterbreitete ich ihm den letzten Notenwechsel seiner Vorgänger Mustafa Assim Pascha und Mehmed x\kif Pascha mit dem Fürsten Nikolaus, in welchem es sich um den Abschluß einer Konvention handelte, welche alle Grenzstreitigkeiten einer ad hoc in Niksic und Bilek einzusetzenden gemischten Kommission zur sofortigen Schlichtung zuwies. Er lachte verächtlich zu meinem Vortrage und meinte: „Ach was, ich habe ganz andere Mittel, um mit den Karadagh-Giaurs2) fertig zu werden!" Ich erwiderte kein ') Dolmetsch, häufig, wie in diesem Falle, auch mit Aufgaben eines politischen und diplomatischen Funktionärs betraut. 2) Karadagh, türk. Montenegro. Wort, legte die Schriften zusammen und trug sie ins Archiv. Als im Hofe des Konaks1) der kaiserliche Ferman, mit welchem der neue Wali ernannt worden war, vor dem versammelten Volke verlesen wurde, konnte es sich Derwisch Pascha nicht versagen, in einer öffentlichen Ansprache nicht nur die Gnade des Padischah, sondern sich auch seiner eigenen glänzenden Verdienste zu rühmen, um dann zum Schlüsse, wie er dies bei jeder ähnlichen Gelegenheit zu tun pflegte, Krokodilstränen zu vergießen. Aber unter den hiesigen Moslims erweckte seine Ankunft neue Hoffnungen, und der Haß gegen die Christen flammte neu auf, zumal da er sich des üblichen Höflichkeitsbesuches bei den serbischen Notablen enthielt. Ich verfolgte sorgfältig das Vorgehen Derwisch Paschas und in meinen vertraulichen Briefen an die früheren bosnischen Walis Mehmed Assim Pascha und Mustafa Assim Pascha machte ich kein Hehl aus meinen Besorgnissen betreffs der nächsten Zukunft des Landes. Im Winter 1874 bis 1875 zeigte sich das erste Symptom der bedrohlichen Lage, indem etwa zwanzig christliche Kmetenfamilien2) aus der Umgebung von Nevesinje nach Montenegro flüchteten. Derwisch Pascha verzog keine Miene darüber, und erst, als Fürst Nikolaus durch den Grafen Ignatieff bei der Pforte wegen dieses Vorfalles Vorstellungen machte und die freie Rückkehr der Flüchtlinge verlangte, antwortete der Wali dem Großwesir, daß diese Auswanderung lediglich den Wühlereien russischer und montenegrinischer Agenten zuzuschreiben sei. Die Pforte, welche jeden Konflikt mit Montenegro vermeiden wollte, befahl, daß man den zurückgekehrten Bauern volle Amnestie und allen gesetzlichen Schutz für die Zukunft gewähre. Zu jener Zeit lernte ich Osman Pascha kennen, den späteren Helden von Plevna, welcher damals in Sarajevo 1) Regierungsgebäude. 2) Kmet, in Bosnien und der Hercegovina der Grundhörige, zumeist ■christlichen, in vereinzelten Fällen auch islamitischen Glaubens, welcher dem Grundherrn (Beg oder Aga) einen aliquoten Teil ('/3, Vi oder 1/5) des Bruttoerträgnisses der bebauten Grundstücke abzuliefern verpflichtet ist. 1* Truppendivisionär und Vorsitzender des Militärrates war. Osman Pascha gewann schnell die allgemeine Achtung durch seine gerade Haltung, seine Ehrlichkeit und Gerechtigkeit. Bei der Lizitation der Armeelieferungen protestierte er offen gegen die Einflußnahme Derwisch Paschas und erklärte, daß er solche Verträge zum Nachteile des Ärars nie unterzeichnen werde. Gleichzeitig führte der brave General telegraphisch Beschwerde beim Kriegsminister gegen Derwisch Pascha und verlangte seine Abberufung, da er unter diesem nicht dienen könne. Wirklich wurde er bald darauf versetzt. Im Frühling 1875 unternahm Kaiser Franz Josef die lang erwartete und vielbesprochene Bereisung Dalmatiens. Insbesondere sah der katholische Teil der Bevölkerung der Hercegovina dem kaiserlichen Besuche an der Grenze mit großer Spannung entgegen, und auf Anregung der Franziskaner wurden in jenen Tagen nicht wenige Adressen verfaßt und; dem Kaiser übergeben. Im Auftrage des Sultans begab sich Derwisch Pascha mit einem militärischen Gefolge nach Ragusa zur Begrüßung Sr. Majestät. Allein welch ein Unterschied zwischen dieser Begrüßung und derjenigen vor sechs Jahren durch den damaligen Wali Osman Pascha in Fiume! Die politischen Verhältnisse hatten sich von Grund aus geändert. Derwisch Pascha wurde zwar als Abgesandter des Sultans mit allen ihm zukommenden Ehren empfangen, aber von der Herzlichkeit früherer Tage war nichts zu merken. Strahlend vor Freude über die ihm zuteil gewordenen äußeren Ehren und Auszeichnungen trat er über Trebinje-und Bile k den Heimweg an, prahlte überall mit seinen früheren Heldentaten auf diesen blutgetränkten Gefilden und nahm die Huldigungen der moslimischen Notablen der Hercegovina mit der offenen Ankündigung entgegen, daß er mit Allahs Willen die Karadagh-Giaurs bald wieder seinen starken Arm werde fühlen lassen. Mit solchen Aufschneidereien kehrte er nach Sarajevo zurück, ohne auch nur zu ahnen, daß in Mostar die moslimischen Gutsbesitzer mit den christlichen Kaufleuten sich zusammengetan hatten, um bei der Pforte gegen das Vorgehen der Finanzverwaltung ernste Klage zu führen. Kurze Zeit darauf kamen aus Stambul mein alter Freund Constant Effendi und der Brigadier Hussein Pascha nach Sarajevo, um als türkische Delegierte der montenegrinischen Grenzregulierungs-Kommission die seit dem Jahre 1869 unterbrochene Arbeit wieder aufzunehmen. Ich sagte den beiden, daß sie offenbar zu spät gekommen wären, und schilderte rücksichtslos die schwierige Lage, ja die Gefahr eines drohenden Aufstandes, der nur zu wahrscheinlich in den Absichten Derwisch Paschas liege. Es vergingen auch nicht zwei Tage und beide Delegierte vertrauten mir an, daß Derwisch Pascha unter allerlei Vorwänden bemüht sei, den Zusammentritt der Kommission hinauszuschieben, wenn nicht ganz zu vereiteln. Noch am nämlichen Tage sandten beide Delegierte an den Großwesir Essad Pascha einen ausführlichen Bericht über die ihnen von Derwisch Pascha in den Weg gelegten Schwierigkeiten, sowie die in Bosnien, namentlich aber in der Hercegovina unter der serbischen Landbevölkerung brodelnde Gärung, allein ohne Erfolg. Unter solchen Umständen war der denkwürdige Sommer 1875 angebrochen. In ganz Bosnien standen die Saaten sehr günstig und versprachen eine reiche Ernte. Der eben damals abberufene Finanzdirektor beklagte sich beim englischen Konsul Holmes über die Undankbarkeit der Pforte, welche ihn gerade in dem Momente absetze, da er das Provinzialbudget mit der noch nie erreichten Summe von 14 Millionen Frank abschließe. Herr Holmes begnügte sich zu erwidern, daß diese ganz außerordentliche Hinaufschraubung des Pachtschillings für den Zehent1) den produzierenden Bauernstand sehr bedrücke, da ja der Steuerpächter, um seine Rechnung zu finden, die Bauern bei der Zehenteinschätzung notgedrungen schinden müsse. Der Zehent, die hauptsächliche direkte Steuer und daher die Grundlage des Steuersystems in der Türkei, besteht in der Ablieferung des zehnten Teiles des von staatlichen Organen unter der Mitwirkung einer Ortskommission vor der Ernte, einzuschätzenden Bruttoerträgnisses jedes bebauten Grundstückes von Seite des Bebauers, ohne Rücksicht darauf, ob dieser Eigentümer, Erb- oder Zeitpächter ist. Diese Naturalsteuer wurde bis zur Okkupation fast immer an Pächter vergeben. In den Städten merkte man denn auch nicht die geringste Spur einer öffentlichen Erregung. Um so heftiger gärte es auf dem Lande. Man erzählte sich von Versammlungen der christlichen Bauern in den Gegenden von Nevesinje und Gabela1), ja bald sprach man in der Ts^harschi2) von Sarajevo auch von einer im Nordwesten Bosniens sich immer mehr ausbreitenden Gärung unter der christlichen Landbevölkerung. In den Konsularkreisen gab man sich alle erdenkliche Mühe, etwas Näheres über den Stand der Dinge zu erfahren; aber keiner der fremden Agenten suchte mehr Information bei Derwisch Pascha, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, über alle diese beunruhigenden Gerüchte zu lachen und zu spotten. Um die Mitte Juli 1875 erfuhren wir aus zuverlässiger Quelle, daß infolge von Streitigkeiten bei der Einschätzung des Zehents die christlichen Kmeten von Lukavac3) und anderen Ortschaften in der Umgebung von Nevesinje sich zusammengerottet, ihre Häuser verlassen und sich in die Tru-sina planina4) geflüchtet hätten, ferner daß die christliche Bauernbevölkerung, und zwar sowohl die katholische als auch die orthodoxe, in den Umgebungen von Gabela und Ravno5) alle Feldarbeiten eingestellt hätte und Versammlungen abhielte, so daß es nur eines Funkens bedürfe, um den allgemeinen Aufstand anzufachen. Wir vernahmen auch, daß der Mutessarif6) von Mostar einflußreiche Notable in die insurgierten Gegenden geschickt hatte, um die feiernden Landleute zur Ruhe zurückzubringen, daß aber durch diese Intervention der Grundherren die zum Teile noch unschlüssigen Demonstranten in ihrem Widerstande erst recht bestärkt wurden. Endlich entschloß sich auch Derwisch Pascha, zwei ') Unfern der dalmatinischen Grenze, nordöstlich von Metković. — Die Lage der größeren Orte wird als bekannt vorausgesetzt. 2) Handelsviertel. 3) Südöstlich von Nevesinje. 4) Gebirgszug südlich von Nevesinje. b) Nordwestlich von Gacko. 6) Kreisvorsteher. Mitglieder des Wilajetsrates, Petro T. Petraki-Petrovic und Haidar Beg Cengic, in den aufrührerischen Bezirk zu entsenden. Wenn nun auch Ersterer gewiß alle Eigenschaften für eine erfolgreiche Vermittlerrolle besaß, so mußte doch die ganze Aktion an der Person des Letzteren scheitern. Haidar Beg Cengi<5, ein Nachkomme jenes Smail Aga Cengic, von dessen Härte und Grausamkeit der hercegovinische Christenknabe schon in der Wiege seine Mutter singen und sagen hört, war ein gewalttätiger, kriegerischer Grundherr und nahe verwandt mit der Familie Basagid, welcher der Zehentpächter von Nevesinje angehörte. So war es denn nur natürlich, daß diese Friedensstifter schroff abgewiesen wurden und unver-richteter Dinge nach Sarajevo zurückkehren mußten. Daraufhin entsandte Derwisch Pascha die beiden StambulerDelegierten, den Brigadier Hussein Pascha und Constant Effendi, in den vom Aufruhr ergriffenen Bezirk, allein abermals ohne Erfolg. Allen Versicherungen von den wohlwollenden Absichten der Pforte gegenüber beriefen sich die Aufständischen auf die Vergangenheit, welche absolut keine Gewähr für eine bessere Zukunft biete. Während dieser unfruchtbaren Unterhandlungen im Lager der Aufständischen kam plötzlich wie ein Donnerschlag die Kunde, daß eine Handelskarawane aus Mostar bei Bisina nächst Nevesinje durch eine Bande bewaffneter Christen ausgeplündert und hierbei sieben moslimische Frächter erschlagen worden seien. Wer diesen ruchlosen Überfall auf ganz unschuldige Leute angestiftet hatte, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden; jedenfalls zeugte die Tat für die entschiedene Absicht der Leiter der Agitation, die Sache des Aufstandes ins Rollen zu bringen. Constant Effendi telegraphierte nach Sarajevo, daß die Würfel gefallen, weitere Unterhandlungen zwecklos seien und nur mehr die Gewalt entscheiden könne. Die Kunde von diesem empörenden Überfalle rief eine gewaltige Erregung im ganzen Lande hervor. Das Konsularkorps unternahm Schritte bei Derwisch Pascha, damit die bedrohte Ruhe der Provinz wieder hergestellt und gesichert werde. Allein der Wali, welcher wahrscheinlich von dem Aufstande eine Förderung seiner eigenen unlauteren Absichten erwartete, begnügte sich damit, den Konsuln durch seinen Dragoman die beruhigendsten Versicherungen über die Lage zu geben und zu erklären, daß es sich nur um einen vorübergehenden Rummel handle, zu dessen Schlichtung bereits die notwendigen polizeilichen Maßnahmen ergriffen seien. Gegen Ende Juli 1875 nahm die aufrührerische Bewegung in der Hercegovina sehr entschieden zu. Alle christlichen Bauern des Bezirkes Nevesinje waren bewaffnet in die Berge entflohen, auf deren Spitzen jeden Abend große Alarmfeuer brannten. Auch in Ravno und Gabela griffen die Kmeten zu den Waffen. In dieser Bedrängnis sandte der Mutessarif von Mostar abermals eine Friedenskommission nach Gabela, und zwar diesmal mit dem katholischen Bischof Fra Angjeo Kraljević an der Spitze. Daß auch diese Bemühung ohne Erfolg blieb, ist zum guten Teile gewiß dem Umstände zuzuschreiben, daß mittlerweile das Dörfchen Drešković bei Metković von Mostarer Moslims ausgeplündert und in Brand gesteckt worden war, wodurch dem Aufstande neue Nahrung zugeführt wurde. An einem Sonntag nachmittags saß ich im Garten des russischen Konsulats, wo eben die Nachricht eingelaufen war, daß auch in mehreren Bezirken des Kreises Banjaluka der Aufstand ausgebrochen sei. Es wurde auch erzählt, daß viele Hunderte von christlichen Familien über die Grenze nach Kroatien entflohen seien, um wenigstens das bedrohte Leben in Sicherheit zu bringen. Da erschien der englische Konsul Holmes und berichtete seinen versammelten Kollegen, Derwisch Pascha habe ihn soeben besucht und gebeten, daß sämtliche Konsuln ihren Botschaften in Stambul über die bedrohliche Lage in Bosnien berichten möchten, damit diese einen Druck auf die Pforte behufs Einberufung einiger bosnischer Redifbataillone ausübten. Dieser Schritt Derwisch Paschas, drei Tage nach den von seinem Dragoman abgegebenen beruhigenden Versicherungen, erschien den versammelten Konsuln so erbärmlich, daß sie alle in ein höhnisches Gelächter ausbrachen. Tags darauf erschien Derwisch Pascha beim englischen Konsul zum Tee ') Landwehrbataillone. und erzählte hier in gedrückter Stimmung, daß der Aufstand in der östlichen Hercegovina sich tatsächlich ausbreite, daß das von albanischen Söldnern besetzte Blockhaus in Trusina eingeschlossen, die Verbindung zwischen Bilek und Trebinje unterbrochen sei, endlich daß auch aus dem westlichen Teile Bosniens die schlimmsten Nachrichten bezüglich der Haltung der christlichen Bevölkerung einzulaufen begönnen. Bereits vor drei Tagen habe er beim Großwesir Essad Pascha die Einberufung der bosnischen Landwehrtruppen betrieben, aber noch keine Antwort erhalten. Ich konnte mir recht gut den schlechten Eindruck vergegenwärtigen, den diese unerwartete schlimme Wendung der Dinge in Bosnien auf den jugendlichen Großwesir machen mußte. Kannte ich ihn doch aus der Zeit, in welcher er als Divisionär in Sarajevo weilte, als einen Gegner Derwisch Paschas und als aufrichtigen Anhänger eines friedlichen Fortschrittes sowie einer ehrlichen Verständigung mit dem Fürsten von Montenegro, wodurch allein den slawischen Aspirationen ihre gegen die Türkei gerichtete Spitze genommen werden könnte. Essad Pascha hatte natürlich den drängenden Botschaftern auf Grund der Berichte Derwisch Paschas beruhigende Antworten gegeben. Und nun diese Hiobsposten und das stürmische Drängen des Wali nach Einberufung einiger bosnischer Redifbataillone zur Niederwerfung des Aufstandes! Es mußte aber rasch gehandelt werden, zumal da in der ganzen Hercegovina, abgesehen vondenwenigenschwachenBesatzungen, nur das eine in Mostar garnisonierende Bataillon zur Verfügung stand, und so entschloß sich denn Essad Pascha nach langem Zögern, zwei bosnische Redifbataillone aufzubieten. Der Brigadier Selim Pascha in Mostar war unterdessen mit drei Kompagnien und einer halben Gebirgsbatterie nach Nevesinje aufgebrochen, vermochte sich aber gegen die täglich wachsende Zahl der Aufständischen keines Erfolges zu rühmen. Den im Blockhause von Trusina eingeschlossenen Baschibosuks war es jedoch geglückt, sich nachts aus dem Staube zu machen. Aus angeworbenen Freiwilligen bestehende irreguläre Truppe, unter dem Kommando eigener irregulärer Offiziere. Mit nicht geringem Erstaunen vernahm ich, daß die Pforte auf Drängen der Diplomaten in Pera der Einsetzung einer internationalen Kommission zur Herbeiführung geregelter, friedlicher Zustände in der Hercegovina zugestimmt habe. Wenn das alte Sprichwort, daß viele Köche die Suppe versalzen, irgendwo zutrifft, so ist dies der Fall bei einer Konsularkom-mission in der Türkei. Ich brauche nur an die in der Hercegovina im Jahre 1861 zusammengetretene Kommission zu erinnern, um diese Behauptung zu rechtfertigen. Und doch waren damals sämtliche Delegierte der Türkei freundschaftlich gesinnt, was im Jahre 1875 durchaus nicht mehr zutraf. Auch unterschied sich diese Kommission sehr wesentlich von derjenigen des Jahres 1861, indem diesmal die Delegierten nicht bloß als beratende Kommissionsmitglieder unter dem Vorsitze des ottomanischen Kommissars fungierten, vielmehr jeder einzelne für sich in offizielle Beziehungen zu dem ottomanischen Kommissar trat, mit anderen Worten: Ein jeder konnte an dem verfahrenen Karren nach Belieben seine Kräfte versuchen.1) Schon zu Anfang August 1875 trafen die delegierten Konsuln in Mostar ein, und zwar Holmes für Großbritannien, Baron Lichtenberg für das Deutsche Reich, Jastrubow für Rußland, Generalkonsul Wasic für Österreich-Ungarn, Dozon für Frankreich und Durando für Italien. Baron Lichtenberg und Jastrubow waren als offene Slawenfreunde bekannt, Dozon und Durando schwärmten insgeheim für die serbischen Bestrebungen, Wasid verhielt sich unparteiisch, Holmes war der einzige Turkophile. Gleich nach ihrer Ankunft begaben sich die Konsuln korporativ nach Lukavac ins Lager der Aufständischen, allein alle Versuche einer gütlichen Vermittlung scheiterten an der Schroffheit, mit welcher die Aufständischen auf ihre mit Füßen getretenen uralten Rechte sich beriefen, ohne doch auch nur eine einzige klare Forderung formulieren zu können. Während die Konsuln von Lukavac zurückkehrten, begegneten sie einem von Selim Pascha befehligten Bataillon, ') Zu dem Folgenden vgl. das vom k. k. Kriegsarchiv herausgegebene Werk „Die Okkupation Bosniens und der Hercegovina durch k. k. Truppen im Jahre 1878", S. 16 ff. welches einen Streifzug in das Gebiet von Dabar1] unternahm. Hier stieß das Bataillon auf einen von dem Serben Dzombeta aus Stolac angeführten Haufen, mit welchem sich ein ziemlich heftiger, jedoch resultatloser Kampf entspann, denn die Aufständischen zogen sich bald in das Gebirge zurück. Unterdessen war in Mostar der ottomanische Kommissar Serwer Pascha eingezogen, mit einem ganzen Stabe junger Diplomaten aus dem Ministerium des Äußern: Türken, Griechen und Armeniern. Es wurde eine schwungvolle Proklamation in türkischer und in serbo-kroatischer Sprache im Namen des Sultans erlassen, und Serwer Pascha war naiv genug, von diesem Wisch die freiwillige Unterwerfung der Aufständischen zu erwarten. Auch der Maulheld Derwisch Pascha hatte sich nach der Hercegovina begeben, ausgerüstet mit einem geheimen Feldzugsplane, wie er seinen Kreaturen gegenüber prahlte. Allein schon nach wenigen Tagen ereilte ihn die telegraphische Nachricht von seiner Abberufung und Ersetzung durch den Muschir Ahmed Hamdi Pascha. Wie ein begossener Pudel verließ er im Morgengrauen das unglückliche Land, beladen mit dem Fluche aller braven Freunde der Türkei. Die Ernennung Ahmed Hamdi Paschas zum Zivil- und Militärgouverneur von Bosnien war ein weiterer Fehlgriff der Pforte. Ich hatte den neuen Wali schon früher kennen gelernt, da er als Divisionär in Sarajevo weilte. Grundehrlich und ein tüchtiger Soldat, aber ohne höhere Kenntnisse, war er gewiß ein guter Brigadier, jedoch der schweren Aufgabe, den Aufstand in der Hercegovina zu unterdrücken und die äußerst schwierige politische Lage zu beherrschen, war er ganz und gar nicht gewachsen. In Mostar angekommen, erklärte er auch unumwunden, daß er mit der Pazifikation des Landes nichts zu tun habe, denn diese sei ausschließlich Sache Serwer Paschas. Als seinen Stellvertreter brachte er nach Sarajevo einen gewissen Ibrahim Beg mit, einen reichen Grundbesitzer aus Seres,2) der von Bosnien und dessen Verwaltung keine blasse ') Östlich von Stolac. !) Nordöstlich von Saloniki. Ahnung hatte, jedoch ehrlich genug war, es einzugestehen und andere um Rat zu fragen. Mit Ahmed Hamdi Pascha waren auch die ersten Truppen aus Stambul über Kiek1) angekommen, so daß bis Mitte Oktober in der Hercegovina an 30 Bataillone oder ungefähr 16.000 Mann Infanterie versammelt waren. Unterdessen hatte sich der Aufstand über die ganze östliche und südliche Hercegovina ausgedehnt und blutige Kämpfe waren vorgefallen, insbesondere beim Angriffe einer Proviantkolonne zwischen Bilek und Trebinje und um das Kloster Duži2) herum. Hier hatten sich Freiheitskämpfer aus aller Herren Ländern ein Stelldichein gegeben: Serben wie Gruić aus Belgrad, Slawonier wie der ehemalige österreichische Oberleutnant Petrović aus Mitrovica, Russen wie Monte-verde, Italiener in roten Hemden und viele andere, unter denen sich bald Mićo Ljubibratić, ein gewesener Ladendiener und später Adjutant des dem Trunke ergebenen Bandenführers in der Sutorina3), Luka Vukalović, ganz besonders hervortat. Die türkischen Truppen nahmen nach blutigem Kampfe das Kloster Duži ein und brannten es nieder, während die Aufständischen nach Ragusa zu entkommen suchten. Zu gleicher Zeit flüchtete auch die ganze christliche Bevölkerung, Männer, Frauen und Kinder, mitsamt ihrer beweglichen Habe nach Slano4) und Ragusa, wo sie aufgenommen und verpflegt wurden, so daß das ganze Gebiet der Trebinjčica, von Trebinje bis nach Ravno hinauf, einer traurigen Einöde glich. Eine eigenartige Stellung nahmen anfangs die ausschließlich von Orthodoxen bewohnten Nahijen5) von Piva, Banjani6), 1) Ehemalige türkische Enklave an der Küste südlich von Metković. 2) Westsüdwestlich von Trebinje. 3) Ehemalige türkische Enklave an der Nordküste der Bocche di Cattaro. 4) Hafenort nordwestlich von Ragusa. 5) In Montenegro Verwaltungsbezirk erster Instanz. In Bosnien und der Hercegovina Teil eines solchen Verwaltungsbezirkes unter einem besonderen Amtsleiter (Expositur). ' 6) Jetzt montenegrinische Grenzbezirke. Zupci, Kruševica und Sutorina1) ein. Diese hatten lange und aus triftigen Gründen gezögert, sich dem Aufstande von Nevesinje anzuschließen. Für sie stand zuviel auf dem Spiele, denn sie hatten im Jahre 1863, ein Jahr nach der Niederwerfung Montenegros, so weitgehende Privilegien erhalten, wie sie noch selten ein Volk genossen hat. Sie verdankten diese bevorzugte Stellung dem damaligen ottomanischen Kommissar Dschewdet Effendi und dem Muschir Abdi Pascha, welche dieses an Montenegro grenzende Gebiet um jeden Preis zufriedenstellen wollten. Kein türkischer Beamter, ja kein Saptie2) durfte es betreten. Jede Nahija wählte aus ihrer Mitte ihren eigenen Ältesten, in dessen Händen die oberste Verwaltungs- und Justizgewalt vereinigt war. Auf dem Papiere standen ihm einestattliche Anzahl von Panduren3) mit einem Monatssolde von je 100 Groschen4) und einem gleichfalls gutbezahlten Chef an der Spitze zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie zur Abwehr von montenegrinischen Einfällen zur Verfügung. Da diese Soldbeträge aus dem ottomanischen Staatssäckel bezahlt wurden, so verblieb jedem Bezirke, nach Abzug der sehr niederen Steuerquote, ein jährlicher Überschuß von 6000—12.000 Gulden, welcher in Vierteljahresraten bei den Regierungskassen in Gacko, Bilek und Trebinje behoben wurde. Wie dieses leichtverdiente Geld unter die braven Grenzbewohner verteilt wurde, darum bekümmerten sich die gemütlichen Türken blutwenig. Dazu kam aber noch, daß die den Grundherren von Gacko, Bilek und Trebinje vor dem Aufstande im Jahre 1875 gehörigen Liegenschaften nunmehr von der ottomanischen Regierung als freies, unbeschränktes Eigentum der sie bearbeitenden Bauern anerkannt wurden. Es ist demnach begreiflich, daß die Grenzer, welche nicht nur fast gar keine Steuer zahlten, sondern obendrein aus Staatsmitteln eine ganz hübsche Bezahlung bekamen, ohne daß von ihnen ') Hercegovinische Gaue südöstlich von Trebinje. 2) Gendarm. 3) Söldner, welche den Sicherheitsdienst namentlich an der Grenze zu versehen hatten. 4) In der Hercegovina 1 Grosch = 20 Heller. hierfür irgend eine Gegenleistung verlangt worden wäre, s:ch anfangs neutral verhielten und erst nach Wochen in die Reihen der Aufständischen eintraten. Fürst Nikolaus von Montenegro versicherte mir später selbst, daß er der aufrührerischen Bewegung von Nevesinje anfangs ganz fremd gegenüber gestanden und erst später, nachdem die örtliche Erhebung den Charakter einer nationalen Revolution angenommen und ganz Europa in Aufruhr versetzt hatte, sich beeilt habe, die Sache zu der seinigen zu machen und den oben erwähnten autonomen Nahijen, über die er ja seit 15 Jahren nicht nur die moralische, sondern auch jede tatsächliche Autorität ausübte, aufzutragen, den um ihre Freiheit kämpfenden Brüdern aus der Hercegovina mit 3000 Mann von erprobter Tapferkeit zur Hilfe zu eilen. Wie viele Bewohner von Piva und Banjani, welche seit 1878 das Glück haben, Montenegriner zu sein, mögen wohl mit Wehmut an das goldene Zeitalter zurückdenken, in dem sie vor 60 Jahren schwelgten! Allein auch im nordwestlichen Bosnien blieben die kroatisch-serbischen Agitationskomitees nicht untätig, bis fast die gesamte christliche Landbevölkerung längs der Una von Kostajnica bis Bihać in wilder Flucht über die Grenze geströmt war. Hier wurde sie von den slawischen Brüdern zuerst enthusiastisch empfangen, dann aber nahm man ihnen ihre mitgebrachten Herden, wie auch das aus Versehen mitgeschleppte Vieh der türkischen Grundherren um einen Spottpreis ab, wobei die jüdischen Viehhändler aus Ungarn und Kroatien wacker mithalfen. Die Lage der in den Städten und auf dem Lande zurückgebliebenen wenigen Christen, Orthodoxen und Katholiken, war eine verzweifelte, denn sie waren wehrlos den Gewalttätigkeiten der Sapties und Baschibosuks preisgegeben. Die Flüchtlinge aber bildeten unter Anführung von kroatischen oder serbischen Chefs kleine Banden, welche bald hier bald dort Einfälle in Bosnien versuchten, meistens aber mit blutigen Köpfen zurückgeschlagen wurden. Auf diesem Felde versuchten sich Petar Karagjorgjević (der gegenwärtige König von Serbien), der Laibacher Miroslav Hubmayer, Golub Babić, Petar Uzelac und andere. Ich unter- lasse es, die manchmal recht zweifelhaften Heldentaten dieser Freiheitskämpfer zu beschreiben und kehre zu den Ereignissen in der Hercegovina zurück, an denen mir selbst tätigen Anteil zu nehmen vergönnt war. Muschir Ahmed Haradi Pascha war wochenlang untätig, bis er sich unter dem Drucke der Ereignisse entschloß, eine Expedition zum Entsätze der in Gorazda eingeschlossenen türkischen Truppen zu organisieren. Der Divisionär Schefket Pascha, ein echter Stambuler Salonoffizier, sollte den gefährlichen Zug anführen. Derwisch Pascha Cengid, der gerade in seinem festen Hause in Lipnik1) weilte, bot den ottomani-schen Generälen seine Mithilfe an, indem er sich anheischig machte, mit den Moslims von Gacko den Vorhut- und Vorpostendienst zu übernehmen, was aber Schefket Pascha hochmütig ablehnte. Die ungefähr 6000 Mann starke Kolonne wurde bei Muratovidi2), an derselben Stelle, wo Derwisch Beg Cengic im Jahre 1861 mit seinen Baschibosuks den Aufständischen anderthalb Tage tapfer widerstanden hatte3), von den aus allen Gauen herbeigeeilten Insurgenten zum Stehen gebracht. Es entspann sich ein fürchterlicher Kampf, der bis in die Nacht hinein dauerte und Schefket Pascha zwang, mit Zurücklassung eines Teiles des Proviantzuges und Aufopferung von zwei anatolischen Kompagnien den Rückzug nach Gacko anzutreten. Dieser erste bedeutende Sieg der Aufständischen über reguläre Truppen rief in der slawischen Welt eine über-schwängliche Freude hervor, während unsere Moslims bedenkliche Gesichter zu schneiden anfingen. Jedenfalls mußte bei der Hohen Pforte das in Ahmed Hamdi Pascha gesetzte Vertrauen infolge der Niederlage Schefket Paschas stark erschüttert worden sein, denn bald darauf brachte der Telegraph die Nachricht von der Ernennung Reuf Paschas zum Wali, welcher schon nach einigen Tagen mittels Postpferden aus Rumelien in Sarajevo eintraf. 4) Südöstlich von Gacko. 5) In Montenegro, südöstlich von Lipnik. 3) Vgl. Koetschet, Erinnerungen aus dem Leben des Serdar Ekrem Omer Pascha S. 162 f. Reuf Pascha, ein Sohn des ritterlichen Muschirs T sehe r-kes Abdi Pascha, war mir aus Scutari persönlich bekannt, wo ich ihn im Jahre 1862 antraf. Europäisch gebildet, ehrlich, ernst und doch leutselig, war er gewiß der rechte Mann für den schwierigen Posten eines Wali von Bosnien. Allein ich fürchtete, daß seine schwache Gesundheit längeren Strapazen in der Hercegovina nicht gewachsen sein werde. Da er eine Nacht in Sarajevo zubrachte, ließ er mich zu sich rufen und in dreistündigem Gespräche erörterten wir die Lage des Landes, die er für ebenso verzweifelt ansah wie ich selbst. Er teilte meine Befürchtung, daß die fortgesetzte Jagd auf die Aufständischen unfehlbar das Eingreifen Montenegros in die Aktion zur Folge haben müßte, fügte aber hinzu, daß man in Stambul leider kein richtiges Verständnis für die drohende Gefahr habe. Gleichzeitig mit der Berufung Reuf Paschas auf den Posten eines Zivil- und Militärgouverneurs von Bosnien hatte sich auch in Stambul ein Wechsel von weittragender Bedeutung vollzogen. Der Russenfreund Mahmud Pascha war aus der Vergessenheit emporgetaucht und zum Großwesir ernannt worden, während Raschid Pascha zum zweitenmale das Portefeuille des Äußern übernahm. Die Türkei, seit Jahren an einem lawinenartig anwachsenden Defizite leidend, war an der Schwelle des Staatsbankerottes angelangt; die Klassen leer, der Kredit erschöpft, dazu unerschwingliche Auslagen für die Kriegsaktion in der Hercegovina. Mahmud Pascha überlegte nicht lange und verkündete die Emission von Papiergeld, indem er gleichzeitig erklärte, den Dezember-Coupon der Staatsschuld nicht einlösen zu können. War das ein Geschimpfe gegen die Türkei in ganz Europa, besonders aber in England, wo man seit 20 Jahren die fette Kuh ausgemolken hatte und nun den Lumpen, der seine Schulden nicht bezahlen konnte, am liebsten aus Europa hinausgeworfen hätte! Reuf Pascha war nach Gacko geeilt, den Mut der armen Soldaten wieder zu heben. In Goražda nahm er das halbverhungerte Bataillon auf und zog sich, da der Winter bereits angebrochen war, mit seinen Truppen von Bilek nach Trebinje zurück, ohne von den Aufständischen auch nur im mindesten behelligt zu werden. Was die Delegierten der fremden Mächte betrifft, so saßen diese schon seit langen Wochen nur als Zuschauer der blutigen Ereignisse in Mostar und keiner dachte mehr daran, irgendeinen Vorschlag zur Wiederherstellung der Ordnung und Ruhe zu machen. Auch Serwer Pascha hielt sich in seinem Konak, umgeben von seinen jungen Diplomaten, und beglückte hie und da die Hercegovina mit seinen salbungsvollen Proklamationen, welche, wie mir ein Aufständischer später erzählte, nur den einzigen Nutzen hatten, daß sich ihr gutes Papier sehr gut zu Patronenhülsen verwenden ließ. Man kam damals auch auf die Idee, die Hercegovina in zwei Kreise zu teilen, den von Mostar und den von Gacko (mit Bilek und Trebinje), wovon der letztere unter einem christlichen Mutessarif stehen sollte. Constant Effendi wurde mit dem Grade eines Paschas zum Chef dieses neuen Kreises ernannt, ging auch mit einem Stabe junger Beamten, unter denen sich einige Christen befanden, an Ort und Stelle ab und versuchte sein Glück mit schwunghaften Proklamationen und Erlassen. Allein was vielleicht vor einem halben Jahre noch die Situation gerettet hätte, kam jetzt zu spät, denn die gesamte Bevölkerung, der die Wohltaten der neuen christlichen Verwaltung zugedacht waren, befand sich bewaffnet in Banjani oder in dem nahen Montenegro. Sehr gegen meine Erwartung und gegen meinen Wunsch sollte ich bald in die Lage kommen, persönlichen Anteil an den Ereignissen in der Hercegovina zu nehmen. Mitte Dezember 1875 wurde ich in später Nacht zu Ibrahim Beg, dem Stellvertreter des Wali, gerufen und hier erfuhr ich, daß aus dem Ministerium eine Depesche eingelaufen war, die mich einlud, auf Reuf Paschas Verlangen unverzüglich in dessen Lager mich zu begeben. Eine Depesche von Reuf Pascha selbst beauftragte Ibrahim Beg, unter allen Umständen meine Zustimmung zu erwirken, da ich in Trebinje dringend erwartet würde. Nur die eindringlichsten Vorstellungen Ibrahim Begs, sowie persönliche Rücksichten, die ich Reuf Pascha zuschulden glaubte, konnten mich bestimmen, dieser Berufung Folge zu leisten. Schweren Herzens trat ich schon am folgenden Tage Koetschet-Grassl, Aus Bosniens letzter Türkenzeit. 2 die Reise nach der Hercegovina an, überzeugt, daß mir neuerliche widrige Prüfungen bevorständen und daß ich nirgends für meine Vorschläge ein offenes Ohr finden würde. In weit höherem Maße, als ich erwartet hatte, wurde ich in die politischen Geschicke jener schweren Zeit verwickelt, so daß diese Reise nach der Hercegovina das wichtigste Jahr meiner politischen Tätigkeit in diesem Lande bezeichnet. Sarajevo, wie übrigens auch das ganze Land, zeigte damals das Gepräge der schweren Zeit. Die Beamten waren kleinmütig geworden und hatten schon lange jede Zuversicht auf die Rückkehr ruhiger Tage verloren. Die moslimische Bevölkerung der Landeshauptstadt, deren Söhne in der Hercegovina verbluteten, trug mürrische und drohende Mienen zur Schau, während die Serben kaum ihre Freude verhehlen konnten über die erfolgreiche Erhebung ihrer hercegovinischen Brüder. Auf meiner Reise nach Mostar bei kaltem Winterwetter fand ich die Straße leer; nur hie und da holte ich rumelische Truppen ein, die herabgekommen, notdürftig gekleidet und beinahe ohne Disziplin waren. In Konjiča, wo ich am zweiten Reisetage eintraf, fand ich die Christen in großer Aufregung. Zwei Kompagnien albanischer Soldaten waren am Morgen nach Mostar abgezogen und ein Nachzügler hatte ohne irgendeinen Anlaß einen katholischen Bauer hart an der Straße, in unmittelbarer Nähe des Städtchens, niedergeschossen. Ich begab mich in den Konak und forderte den Kaimekam1) auf, den Bezirksrat zu versammeln und eine Masbata (Protokoll) über den Vorfall aufzunehmen und mir einzuhändigen, damit ich bei dem kaiserlichen Kommissar Serwer Pascha auf die Erforschung und Bestrafung des Mörders dringen könne. Gleich bei meiner Ankunft in Mostar berichtete ich Serwer Pascha über die ruchlose Tat, der die Akten sofort an den Platzkommandanten Selim Pascha abtrat. Am frühen Morgen des nächsten Tages begab ich mich zu Letzterem, machte ihn darauf aufmerksam, daß die betreffende Truppenabteilung eben jetzt in Mostar einrücke und verlangte, daß der kommandierende Offizier vorgerufen und aufgefordert werde, den schuldigen Soldaten vor- ') Bezirksvorsteher. zuführen. Der Offizier suchte Ausflüchte und auch Selim Pascha bekundete nicht den geringsten Eifer in dieser Sache. Da sagte ich ihm gerade heraus, daß ich die Sache zu der meinigen mache und nicht ermangeln werde, bei Reuf Pascha meine Beschwerde vorzubringen, denn die Zeiten wären vorüber, da man solche feige Schandtaten straflos verüben durfte. Nun erst wurde ein verlumpter Soldat vorgeführt, dessen Außeres dem aus Konjica mitgebrachten Signalement entsprach. Er wurde zwar in den Kerker abgeführt, doch dürfte ihm wegen seiner Tat kaum ein Haar gekrümmt worden sein. Serwer Pascha erinnerte sich des Besuches, den ich ihm vor drei Jahren auf seinem Landsitze am Bosporus abgestattet hatte und empfing mich sehr freundlich. Wir kamen bald auf die politische Lage zu sprechen und Serwer Pascha knüpfte an den Bericht an, den ich vor zwei Jahren über den Stand der Dinge in Bosnien an die Hohe Pforte erstattet hatte. Er habe den Bericht mit großem Interesse gelesen, könne aber meiner Schlußfolgerung betreffs einer Intervention Österreich-Ungarns nicht beistimmen, denn er sei im Gegenteile überzeugt, daß das Wiener Kabinett der Türkei gegenüber ein korrektes und freundschaftliches Verhalten beobachte. Ich erwiderte, daß ich in meinem Berichte in keinerlei Weise von feindseligen Absichten Österreich-Ungarns gesprochen, sondern nur der Überzeugung Ausdruck gegeben hätte, daß unser Nachbar den steckengebliebenen türkischen Staatskarren gewiß nicht für uns aus dem Sumpfe herausziehen, sondern es vorziehen werde, selbst zu kutschieren. Serwer Pascha ging darauf nicht weiter ein, sondern entwickelte allerlei Pläne über einzuführende Reformen, mit denen er die Ruhe im Lande wieder herstellen wolle. Er war insbesonders stolz auf die Errichtung des Kreises Gacko mit einem christlichen Mutessarif an der Spitze und versprach sich einen ganz besonderen Erfolg von der in Aussicht genommenen Verleihung staatlicher Grundstücke an die christlichen Bauern, womit der administrative Rat von Mostar bereits betraut worden sei. Natürlich war dies nur eitel Geflunker und ich konnte mich nicht enthalten, dem Pascha zu antworten, daß eben dieselben Männer, denen er die Aufbesserung der Lage der christlichen Landbevölkerung überwiesen habe, die wahren Urheber der äußerst betrübenden und gefahrvollen Lage seien, in der sich das Land gegenwärtig befinde. Ich wies darauf hin, wie christliche Kmeten gerade in den letzten Jahren bei Ravno und in der Umgebung von Mostar unkultivierten Grund und Boden urbar gemacht und von der Regierung dafür Tapien (Grundbesitztitel) erhalten hatten, nichtsdestoweniger aber bei Strafe der Einkerkerung gezwungen worden sind, die urbar gemachten Grundstücke den Begs und Agas in Mostar auszuliefern. Übrigens sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt zur Durchführung von Reformen, denn das Land befinde sich im hellen Aufruhr, und es handle sich jetzt nur darum, den Brand so bald wie möglich zu löschen, was aber nach Lage der Dinge nur mit Hilfe des Fürsten von Montenegro zu erreichen sei. Allein hier stieß ich auf den Starrsinn des stolzen Osmanli und ich trachtete, so bald wie möglich von Serwer Pascha fortzukommen. Tags darauf reiste ich nach Stolac ab, wo ich mit Derwisch Pascha Cengic zusammentraf, der mit seinem Gefolge ebenfalls in das Hauptquartier Reuf Paschas abzugehen im Begriffe war. Wir mußten aber drei volle Tage die Bereitstellung eines Bataillons abwarten, unter dessen Bedeckung wir den Weg nach Bilek zurücklegen wollten. Derwisch Pascha Cengic, vom Volke Dedaga genannt, war nicht mehr der schöne, kräftige Bandenführer, als den ich ihn in den sechziger Jahren kennen gelernt hatte. Dem Branntweingenuß übermäßig ergeben, stand er am Rande des Säuferwahnsinnes, schien aber in lichten Augenblicken noch im Vollbesitze seiner geistigen Kräfte zu sein. Er teilte vollkommen meine Ansicht, daß es um die türkische Herrschaft in Bosnien sehr schlecht bestellt sei, schrieb aber diese traurige Lage nicht so sehr den auf politisch-administrativem Gebiete gehäuften Fehlern, als vielmehr der Schwäche der militärischen Führung zu. Nicht ohne Interesse hörte ich seinen rücksichtslosen Reden zu, mit denen er den ihn besuchenden Begs und Agas aus Stolac auseinandersetzte, daß die Tage der ottomanischen Herrschaft im Lande gezählt seien und die türkischen Grundherren mit ihren Knieten bald abzurechnen gezwungen sein würden. In Bilek trennte ich mich von dem mir so sympathischen Dedaga, der zwei Monate darauf in Konjica starb. Am Abend des 21. Dezember 1875 traf ich in Trebinje ein, wo ich von Reuf Pascha aufs herzlichste empfangen wurde. Er sah sehr müde aus, sein altes Lungenleiden hatte sich infolge des in tiefem Schnee unternommenen Zuges nach Goražda verschlimmert, und doch war er im Begriffe, mit 20 Bataillonen eine Expedition durch die Duga-Pässe zu führen, um die unumgänglich notwendige Verproviantierung von Nikšić zu sichern. Nach dem Abendessen besprachen wir zusammen mit Constant Pascha die Lage. Das Bild war einfach: die gesamte Bevölkerung serbischer Nationalität in dem Grenzgebiete von S utor ina bis Metković war nach Ragusa und Slano, diejenige der Bezirke Nevesinje, Gacko, Bilek, Ljubinje und zum Teile Stolac nach Montenegro geflüchtet, die Stämme von Kruševica, Zupci, Ba-njani und Piva hatten mit den Aufständischen bereits gemeinsame Sache gemacht. Unter diesen Umständen konnte unsere gesamte Militärmacht nicht viel anderes ausrichten, als allfalligen Einfällen kühner Banden entgegenzutreten. Die Aufständischen in Banjani und weiter bis an die montenegrinische Grenze aufzusuchen, war ein gefahrliches Beginnen, nicht so sehr wegen der Schwierigkeiten des Geländes, als vielmehr wegen der drohenden Gefahr einer montenegrischen Intervention. Bis zur Stunde hatten sich nur wenige Montenegriner in den Reihen der Aufständischen gezeigt, allein der Wojwode1) Peko Pavlovi ć, einer der gefürchtetsten Bandenführer, lauerte sicherlich nur auf eine günstige Gelegenheit, um mit seinen Scharen in die Hercegovina einzubrechen. Auch stand es mit unserer Militärmacht nichts weniger als glänzend; der Winter war streng, die Unterkünfte mangelhaft, der Proviant sehr mager, Geld und Kredit fehlten. Zu alledem kam, daß die öffentliche Meinung in Europa mit den Aufständischen sympathisierte. Wir In Montenegro ein Titel, welcher vom Fürsten an Führer selbstständiger Truppenabteilungen verliehen wird. In Bosnien und der Hercegovina volkstümliche Bezeichnung für Bandenführer. waren alle drei einig in dieser traurigen Auffassung unserer Lage, wie auch darüber, daß die Flüchtlinge weder durch Proklamationen noch durch direkte Verhandlungen zur Rückkehr und zur Niederlegung der Waffen zu bewegen seien. Die Anwesenheit des kaiserlichen Kommissars in Mostar wurde als ganz unnütz erkannt und wir kamen schließlich überein, daß der Friede um jeden Preis beim Fürsten von Montenegro gesucht werden müße. Der Augenblick schien noch günstig, da Montenegro die Sache der aufständischen Stammesbrüder tatsächlich noch nicht zu der seinigen gemacht hatte, der Fürst daher noch nicht gebunden war. Selbstverständlich mußten wir uns auf einen Preis für diese Intervention gefaßt machen, allein, was der Fürst auch fordern mochte, wir mußten uns fügen. So wurde denn beschlossen, einen ausführlichen Bericht über die Lage im Sinne unserer Auffassung an den Großwesir zu verfassen und gleichzeitig den Vorschlag zu machen, mit dem Fürsten Nikolaus in geeignete Verbindung zu treten. Constant Pascha sollte den Bericht persönlich nach Stambul überbringen und die Annahme unseres Vorschlages befürworten. Am 23. Dezember 1875 nahm ich Abschied von Reuf Pascha und ging mit Constant Pascha nach Ragusa, wo sich dieser einschiffte. Ich selbst sollte in Ragusa den Ausgang des Zuges nach Nikšić und die Antwort der Pforte auf unseren Vorschlag abwarten. In Rag us a gewann ich einigen Einblick in das Hauptquartier der Aufständischen, denn hier hatten sich Revolutionäre und Freiheitsschwärmer aus den verschiedensten Winkeln Europas versammelt, um den heiligen Krieg gegen den Halbmond zu predigen und zu schüren. Auf freiem Felde und in leer stehenden Magazinen lagerten in buntem Durcheinander die hercegovinischen Flüchtlinge, ihr Leben mit der ihnen von der österreichischen Regierung verabfolgten Tagesunterstützung von 7 bis 10 Kreuzern erbärmlich fristend, eine willenlose Herde in der Gewalt der fremden Agitatoren. In den Kaffeehäusern aber hatte der Wojwode Mićo Ljubibratić mit seinem internationalen Generalstabe sich breit gemacht, dem u. a. die uns bereits bekanntenMonteverde, G r u i 6, Petrovič und einige Garibaldianer angehörten, nicht zu vergessen die damals in fast allen Zeitungen so begeistert besungene holländische Abenteurerin Johanna Paulus, die sich gerne die Jeanne d'Arc des Mičo Ljubibratič nennen ließ. Gott weiß, wie sich diese Frau nach Ragusa verirrt hatte. Sie war an 35 Jahre alt, klein, mager, zeigte ganz gewöhnliche Gesichtszüge und machte in ihrem ganzen Verhalten durchaus den Eindruck eines hysterischen Weibes. Den Tag über lungerte dieser Generalstab im Kaffeehause herum, um dann abends in irgendeinem Wirtshause seine Tätigkeit fortzusetzen, die darin bestand, daß man über die zu unternehmenden Einfälle lange und erhitzte Debatten führte, Boten und Kundschafter empfing, Befehle erteilte usw. Neben diesen Maulhelden taten sich die Berichterstatter der Zeitungen besonders hervor, an ihrer Spitze der vielgenannte Amerikaner und Korrespondent der „Times", Still mann, gegen dessen Turkophobie ich im gastlichen Hause des türkischen Generalkonsuls Danisch Effendi vergebens ankämpfte. Den wirklichen Mittel- und Ausgangspunkt der ganzen Bewegung aber bildete das russische Konsulat, wo der erbitterte Türkenfeind Jonin die Fäden des Aufstandes in den Händen hielt. In den ersten Tagen des August 1875 hatten sich Ljubibratic und seine Genossen hier ihre Weisungen und wahrscheinlich auch ihre Rubel geholt. Als aber die Prahlhänse von den türkischen Soldaten über die Grenze zurückgeschlagen waren, scheint Ljubibratic fallen gelassen worden zu sein; er wurde in Cetinje sehr ungnädig empfangen und träumte nun von Triumphen, die er auf eigene Faust erringen wollte. Bei meiner Ankunft in Ragusa beherbergte das russische Konsulat den Wojwoden Peko Pavlovič. Unter den Hetzern, die anscheinend auf eigene Faust Revolution machten, fiel besonders der Russe Božidar Wesselewszky auf, welcher sich als Abgesandten und Vertrauten des Reichskanzlers Fürsten Gor-tschakoff ausgab und als diplomatischer Vertreter der Südslawen sich geberdete. Mit einem Worte, Ragusa hatte das l) Vgl. o. S. 12. Aussehen einer mit der Türkei in offenem Kriege liegenden Stadt. Mein langjähriger Freund Anton Peršić, welcher als türkischer Generalkonsul in Ragusa die ottomanischen Interessen unter widrigen Verhältnissen stets tatkräftig vertreten hatte, war im Juli 1875 eines jähen Todes gestorben und ich freute mich fast, daß ihm der Anblick dieser veränderten Physiognomie seiner Vaterstadt erspart geblieben war. Sein Nachfolger Danisch Effendi, ein sehr bewährter Beamter und seiner schwierigen Lage durchaus gewachsen, tat alles Mögliche, um dem Treiben der fremden Agitatoren Einhalt zu tun, allein alle seine Beschwerden und Proteste blieben unberücksichtigt. Reuf Pascha war von seinem Zuge nach Nikšić zurückgekehrt. Die Aufständischen hatten ihm den Durchgang durch die Duga-Pässe nicht verwehrt, und zwar auf einen Wink des Fürsten Nikolaus, wie mir dieser später selbst bestätigte. In Mostar wurde Reuf Pascha durch ein Telegramm überrascht, welches ihm seine Abberufung anzeigte. An seine Stelle trat als Armeekommandant Muschir Ahmed Muktar Pascha, während die Zivilverwaltung von Bosnien von derjenigen der Hercegovina zeitweilig getrennt wurde. Ich war ganz verblüfft von dieser unerwarteten Wendung der Dinge und beeilte mich, Reuf Pascha um meine sofortige Enthebung von jeder weiteren Dienstleistung zu bitten. Der Pascha ersuchte mich jedoch, die Ankunft des mir persönlich befreundeten und zum Wali der Hercegovina ernannten Ali Pascha in Ragusa abzuwarten, und da mir gleichzeitig auch Constant Pascha aus Stambul telegraphierte, Ali Pascha wünsche mich bei seiner bald zu erwartenden Ankunft in Kiek zu sehen, so fügte ich mich, wenn auch ungern, diesen Wünschen meiner alten Freunde. Ich zweifelte nicht mehr daran, daß der Friedensvorschlag Reuf Paschas einfach fallen gelassen oder von_ der Kriegspartei im Ministerium niedergestimmt worden sei, denn die Ernennung Muktar Paschas bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als daß die Hohe Pforte entschlossen sei, den Aufstand mit Waffengewalt niederzuschlagen und sollte daraus auch der Krieg mit Montenegro hervorgehen. Schon wenige Tage darauf war Muktar Pascha aus Candia mit einem Sonderdampfer in Kiek gelandet, während Reuf Pascha und mit ihm der überflüssige kaiserliche Kommissar Serwer Pascha mit demselben Dampfer heimwärts fuhren. Muktar Pascha war zur Übernahme des Oberkommandos nach Trebinje geeilt, wohin auch ich mich in Begleitung Danisch Effendis zu seiner Begrüßung begab. Ich hatte ihn schon im Jahre 1861 kennen gelernt, da er als Hauptmann des Generalstabes dem Gefolge des Serdar Ekrem Omer Pascha angehörte. Später wurde er Lehrer der kaiserlichen Prinzen, was zu dem falschen Gerüchte Anlaß gab, er wäre ein natürlicher Sohn des Sultans Abdul Asis. Im Jahre 1868 sah ich ihn wieder in Piva als Oberstleutnant und Kommissar bei der montenegrinischen Grenzregulierungs-Kommission. Bald darauf wurde er zum General befördert und zur Bekämpfung der aufständischen Araber nach Jemen geschickt, was ihm den Rang eines Muschirs und einen unverdient hohen militärischen Ruhm einbrachte. Nach kurzer Begrüßung teilte uns Muktar Pascha mit, daß er die um Trebinje herumlagernden Truppen Winterquartiere werde beziehen lassen, und meinte dann mit übertriebenem Selbstgefühle, die Karadagh-Giaurs hätten wohl schon von seiner Ankunft gehört. Hierauf nahm er mich zur Seite und fragte mich, wie es in Ragusa stehe und was ich über die allgemeine Lage hätte in Erfahrung bringen können. Ohne viele Umschweife teilte ich ihm mit, daß ich aus glaubwürdiger autoritativer Quelle einen im russischen Konsulate beschlossenen Plan der Aufständischen erfahren hätte, nach welchem die Straße Carina^-Trebinje unterbunden werden sollte, um die Zufuhr von Proviant zu verhindern. Ich wußte sogar, daß Peko Pavlovič bereits seit 24 Stunden mit einer kampfbereiten Schar in Šuma2) lagere, wo Lazar Sočica mit einer Abteilung aus Piva, Maksim Bačevič mit einer solchen aus Banjani und Luka Petkovič mit einer dritten aus Zupci zu ihm stoßen 1) An der dalmatinisch-hercegovinischen Grenze, nordöstlich von Ragusa. 2) Landschaft westlich der genannten Straße. sollten. Schließlich riet ich, angesichts dieser Sachlage die Garnison von Trebinje nicht allzusehr zu schwächen. Muktar Pascha hörte mich nachdenklich an und meinte dann, er werde sich die Sache noch überlegen. Auf der Rückfahrt nach Ragusa besprach ich die gewonnenen Eindrücke mit Danisch Effendi, der gleich mir von dem stolzen, mehr als selbstbewußten Auftreten Muktar Paschas wenig erbaut war. Wir beide fürchteten, er werde uns in einen verderblichen Krieg mit Montenegro verwickeln und gaben einmütig dem Wunsche Ausdruck, daß es Peko Pavlovic gelingen möge, den neuen Armeekommandanten aus der Mitte seiner Truppen herauszuschießen oder abzufangen. Diese Zusammenkunft fand Mitte Jänner 1876 an einem kalten Freitage mittags statt. Sonntag wurde uns gemeldet, daß ein Bataillon in Carina zur Fassung von Proviant angekommen sei und daß Muktar Pascha selbst bereits Tags vorher mit den Truppen über Bilek abgegangen sei. Ich begab mich sofort nach Carina, wo ich den Obersten Mustafa Beg, einen früheren Adjutanten Derwisch Paschas, antraf, dem es sehr willkommen schien, einige Tage der Erholung in Ragusa verbringen zu können. Auf meine Fragen, ob Muktar Pascha irgend welche Dispositionen zum Schutze der Straße getroffen und ob man nichts von einer Ansammlung der Aufständischen um Suma und das Kloster Duzi herum vernommen hätte, erwiderte er, daß ihm nichts von alledem bekannt sei und Muktar Pascha nur zwei Bataillone zurückgelassen habe, welche abwechselnd jeden zweiten Tag Proviant holen sollten. Ich wendete mich daraufhin an den Bataillonskommandanten Bessim Beg, einen alten Bekannten aus Sarajevo, und beschwor ihn, sobald wie möglich den Heimweg anzutreten und mit aller Umsicht zu marschieren, da er höchstwahrscheinlich mitten durch die zu beiden Seiten des Weges auflauernden Aufständischen werde hindurchziehen müssen. Noch am Abende desselben Tages erfuhr ich aus bester Quelle, daß die Ansammlung der Aufständischen bei Suma bereits vollzogen sei und an 2500 Mann in der Nähe von Duzi, kaum 11/2 Kilometer von der Straße entfernt, lagerten. Ich machte sofort Danisch Effendi, wie auch dem Obersten Mustafa Beg hiervon Mitteilung und es gelang mir, beide von der Richtigkeit meiner Information zu überzeugen. Da wir wußten, daß jeden zweiten Tag ein Proviantzug von Carina nach Trebinje abgehe, so setzten wir voraus, daß am Dienstag ein Bataillon aus Trebinje abgehen werde. Danisch Effendi schien sich zwar auf den türkischen Kundschafterdienst verlassen zu wollen; dennoch wurde beschlossen, den Kommandanten in Trebinje, Kasas Hussein Pascha, brieflich zu warnen, daß er vorläufig keinen Proviant abholen lasse. Der Brief wurde einem Arnauten übergeben, der ihn auf weiten Umwegen über das Gebirge wirklich bei Tagesanbruch in Trebinje gerade in dem Augenblicke überreichen konnte, da das Bataillon zum Abmärsche gerüstet war. Der Pascha las den Brief durch und gab dann gleichmütig den Befehl zum Abmarsch. Es war am 18. Jänner 1876. Dem nach Carina abmarschierenden Bataillon gingen zwei bosnische Kompagnien als Vorhut voran. Schon hatten diese das Blockhaus bei Duži erreicht, als das nachrückende Bataillon plötzlich von beiden Seiten der .Straße angegriffen wurde. Die Bosnier hatten den Befehl, die zu beiden Seiten der Straße bei Gluha Smokva gelegenen Hügel zu besetzen, um den Durchzug des Bataillons und später der Proviantkolonne zu decken. Die Kommandanten der beiden Kompagnien hielten sich strenge an den Befehl und besetzten beide Hügel, während in einer Entfernung von kaum Y2 Stunde ein Kampf auf der Straße wütete, welcher bald zu einem fluchtartigen Rückzüge des Bataillons nach der Trebinjčica führte. Anstatt nun im Eilschritte nach dem Fort Drijeno sich zu retten, verblieben die Bosnier in ihren Stellungen, die sie in aller Eile befestigten, und waren in weniger als einer Stunde vollkommen umzingelt. Über 56 Stunden wehrten sich die Tapferen, blos 124 Mann stark, gegen das furchtbare Feuer der 3000 Aufständischen, schlugen fünf Sturmangriffe zurück, lehnten alle Aufforderungen zur Übergabe ab und wiesen den letzten Angriff, nachdem sie ihre Munition verschossen hatten, mit blanker Waffe und Steinen zurück. Gegen Mitternacht endlich verließen an fünfzig der am Leben verbliebenen Helden, ermattet und halb verhungert, die Walstatt, und am Freitag morgens schleppten sich 24 von ihnen todesmüde nach Trebinje, während einige andere in Drijeno Zuflucht fanden. In Ragusa erfuhr man von dem bei Gluha Smokva entbrannten Kampfe in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch. Im ersten Morgengrauen begab ich mich nach Carina und von hier nach dem Fort Drijeno, wo man deutlich den Rauch aufsteigen sah und das Gewehrknattern hörte, ohne daß man sich jedoch ein genaues Bild von der Sachlage hätte machen können. In Ragusa selbst herrschte eine Aufregung, als ob der Feind vor den Toren der Stadt stünde. Die fremden Freiheitskämpfer und Zeitungsberichterstatter eilten nach dem Kampfplatze, indem sie oberhalb Ombla, mit Umgehung von Carina, die Grenze überschritten. Seit zwei Tagen wurden Proviant und Munition aus Ragusa für die Aufständischen hinaufgeschleppt, und von Zeit zu Zeit begegnete man Transporten von Verwundeten, welche im Spital in Ragusa untergebracht werden sollten. Erst Mittwoch abends erfuhren wir von einem Zeitungsberichterstatter das verzweifelte Schicksal der umzingelten Soldaten wie auch die weitere Tatsache, daß von Trebinje aus kein Versuch unternommen wurde, um den Bedrängten zu Hilfe zu kommen. Gleich auf die erste Nachricht vom Ausbruche des Kampfes telegraphierten wir an Muktar Pascha, und obgleich unser Drängen von Stunde zu Stunde stürmischer wurde, so erhielten wir doch erst in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag die wenig tröstliche Antwort des Muschirs, daß er diesen aus nicht türkischen Quellen stammenden Meldungen keinen Glauben beimessen könne, sondern von den nach Trebinje entsandten Eilboten zuverlässige Nachrichten erwarte! Unsere direkte Depesche an die Hohe Pforte, in welcher wir hierauf den Verlauf des ganzen Dramas schilderten, vermochte natürlich an der Sachlage nichts zu ändern. Freitag mittags, als das Blutbad beendet war, brachte uns eine Depesche aus Mostar die Nachricht, das Muktar Pascha mit seinen Truppen nach Trebinje zurückkehre. Sonntag, den 23. Jänner 1876, wurde die Leiche des schönen jungen Maksim Bacevic, Wojwoden von Banjani, welcher am Donnerstag- von einer der letzten türkischen Kugeln niedergestreckt worden war, nach Ombla gebracht. Maksim Baceviö war mütterlicherseits mit dem fürstlich montenegrinischen Hause Njegus verwandt und sein Tod rief in den Reihen der Aufständischen eine tiefe Trauer hervor. Der Leichenzug durch Ragusa gestaltete sich zu einer imposanten Kundgebung, an welcher der russische Konsul Jonin in voller Gala an der Spitze der Leidtragenden teilnahm. Für die 80 bosnischen Helden, welche auf dem Kampfplatze geblieben waren, gab es keine andere Ehrenbezeigung als die aufrichtige Bewunderung selbst der Feinde. Noch unter dem Eindrucke dieses Ereignisses erhielt ich die Nachricht von der erwarteten Ankunft Ali Paschas in Kiek, wohin ich mich zu seiner Begrüßung begab. In derselben Nacht lief der türkische Dampfer „Izzuddin" ein und steuerte gemütlich an dem in der Bucht ankernden österreichischungarischen Avisoschiffe vorbei, ohne das von demselben gegebene Zeichen zum Anhalten zu beachten. Ich war eben an Bord des „Izzuddin" gekommen, als ein Boot der österreichischungarischen Korvette mit einem Offizier erschien, welcher den kategorischen Befehl überbrachte, den Dampfer sofort bis zum Eingange der Bucht zurückzuführen, da keine Erlaubnis zu dessen Einfahrt aus Wien eingelangt sei. Der türkische Kapitän, welcher sich wahrscheinlich auf die Anwesenheit seiner hohen Fahrgäste, Ali Pascha, Constant Pascha und eines Adjutanten des Sultans, stützte, warf sich in die Brust und fing an, höhnisch zu opponieren. Ich beschwor Ali Pascha, sich ins Mittel zu legen, um unliebsame Folgen zu vermeiden, zumal da seit der Konvention vom Jahre 1858 für jedes türkische Schiff, welches den Hafen von Kiek anlaufen wollte,, die ausdrückliche Erlaubnis der Wiener Regierung nachgesucht werden mußte, eine Bestimmung, der sich früher auch der Serdar Ekrem Omer Pascha hatte fügen müssen. Mit Mühe vermochte ich den türkischen Kapitän zu überzeugen, daß angesichts dieser durch die Schwäche der ottomanischen Regierung herbeigeführten Rechtslage dem Befehle des österreichischen Kommandanten unbedingt gehorcht werden müsse, wenn anders nicht ein unliebsamer Konflikt daraus entstehen solle. Endlich gelang es, den erzürnten österreichisch-ungarischen Kommandanten zur Nachgiebigkeit zu bestimmen, und der Streitfall wurde, dank dem Entgegenkommen des türkischen Hafenoffiziers von Kiek, in freundschaftlicher Weise beigelegt. Ali Pascha war erst kürzlich aus Paris heimgekehrt, wo er seit zwei Jahren als Botschafter ein großes Haus geführt hatte. Er war ein feingebildeter Weltmann, mit einer Ungarin verheiratet, herzensgut, ehrlich und einsichtig genug, um zu erkennen, daß ihm in der Hercegovina eine im Grunde unlösbare Aufgabe gestellt sei. Ich sprach ihm mein Bedauern über die ihm übertragene undankbare Mission aus, wie er denn auch selbst seiner Mißstimmung über diese Berufung freien Lauf ließ. Wir unterhielten uns über die Lage und ich berichtete ausführlich über den unglückseligen Streich Muktar Paschas, der uns die letzte Möglichkeit einer Verständigung geraubt habe. Constant Pascha teilte mir mit, daß er über den Vorschlag Reuf Paschas bei der Pforte keinerlei Erkundigung einzuziehen wagte, da der Wechsel im Oberkommando jede Hoffnung auf eine friedliche Lösung ausschließe. Am Schlüsse unserer Besprechung ersuchte mich Ali Pascha nach Ce-tinje zu reisen, um dem Fürsten ein Schreiben mit der Notifizierung seiner Ernennung zum Generalgouverneur der Hercegovina zu überbringen und bei dieser Gelegenheit auch dessen Ansichten über den hercegovinischen Aufstand einzuholen. Ich erwiderte, daß meine Reise ganz unnütz sei, solange ich mit leeren Händen vor den Fürsten treten müsse. Allein es half alles nichts; ich mußte mich dem Wunsche Ali Paschas fügen und kehrte am Morgen nach Ragusa zurück, um von hier die Reise nach C et inje anzutreten. Am 30. Jänner 1876 verließ ich Cattaro, wohin mir der Fürst ein Pferd aus seinem Marstall entgegengeschickt hatte. Ich befand mich in einer sehr gedrückten Gemütsstimmung, denn ich konnte meiner Mission nicht recht froh werden. In der Tat, was hatte ich eigentlich beim Fürsten zu suchen und in welcher Eigenschaft sollte ich vor ihn treten, wenn nicht als einfacher Briefträger? Ich war weder in der Lage, Vor- schläge zu machen noch die Intervention des Fürsten zu unseren Gunsten anzurufen. In Gedanken verglich ich meine Sendung mit denen früherer Jahre. Im Jahre 1862 war ich im Namen eines starken Gebieters, des Serdar Ekrem Omer Pascha,1) zu dem Fürsten gekommen, später als Überbringer von ehrbaren Friedensbedingungen und noch vor drei Jahren hatte ich mich mit dem Fürsten vertrauensvoll über unsere gegenseitigen Beziehungen besprochen. Nun aber erschien ich gewissermaßen als ein stummer Bittsteller, denn es konnte mir unmöglich beifallen, den Fürsten etwa an die Pflicht seiner Neutralität gegenüber dem hercegovinischen Aufstande oder gar an die möglichen Folgen seiner eventuellen Teilnahme an demselben zu erinnern. Auf meinem ganzen Wege bemerkte ich eine auffallende Bewegung in dieser sonst so einsamen und verlassenen Gegend; kleine Züge bewaffneter Leute kamen mir entgegen und eine kleine Schar unbewaffneter hercegovinischer Männer, die ich schon Tags vorher auf dem Dampfer bemerkt hatte, begleitete mich nach Cetinje, offenbar Freiwillige, welche ihre Ausrüstung begehrten. Am Abend kam ich nach Cetinje, wurde jedoch erst am nächsten Tage zur Audienz beim Fürsten zugelassen. Fürst Nikolaus empfing mich, wie immer, auf das zuvorkommendste, las den Brief Ali Paschas aufmerksam durch und erging sich in einer langen Rede, in welcher er ungefähr folgendes ausführte. Jahrelang sei es sein Bestreben gewesen, der Türkei ein friedlicher Nachbar und aufrichtiger Freund zu sein. An dem Aufstande in der Hercegovina trage er keine Schuld, was wohl schon daraus hervorgehe, daß er die im vergangenen Winter aus Nevesinje nach Montenegro geflüchteten Kmeten in ihre Heimat zurückgeschickt habe. In diesem Sommer aber habe er keine Ahnung davon gehabt, daß dieselben Leute zu den Waffen greifen würden, ja Montenegro sei von dem Aufstande völlig überrascht worden. Was aber den Übertritt der hercegovinischen Flüchtlinge auf montene- ') Vgl. Koetschet, Erinnerungen aus dem Leben des Serdar Ekrem Omer Pascha S. 221 ff. grinischen Boden betreffe, so habe er sich diesem um so weniger widersetzen können, als ja auch Österreich-Ungarn der benachbarten Raja1) Zuflucht und Schutz gewährt habe. Auch daraus könne ihm kein Vorwurf gemacht werden, daß viele Montenegriner freiwillig die Reihen der Aufständischen verstärkten, denn der Sultan dürfe doch nicht erwarten, daß die Montenegriner dem Freiheitskampfe ihrer hercegovinischen Brüder gleichgültig zusehen würden oder daß gar er, der Fürst, selber für die Türkei Saptiedienste verrichten würde. Er habe den Aufstand in der Hercegovina weder angezettelt noch irgendwie gefördert, würde aber seine Fürstenpflicht verleugnen, wenn er nicht trachtete, aus der Lage Nutzen für sein Land zu ziehen. Die Frage des Fürsten, ob ich bestimmte Instruktionen mitgebracht hätte, um mit ihm betreffs des weiteren Verhaltens Montenegros zu verhandeln, mußte ich in peinlichster Verlegenheit verneinen; ich fügte jedoch hinzu, daß schon die bloße Tatsache meines Erscheinens in Cetinje die Absicht erkennen lasse, eine versöhnliche Stellungnahme des Fürsten gegenüber der Türkei zu erbitten. Noch habe er vollkommen freie Hand gegenüber dem Aufstande, fuhr der Fürst fort, und noch vor einigen Wochen habe er große Hoffnungen auf Reuf Pascha gesetzt, der ein Mann von ritterlichem Charakter sei wie sein allgemein verehrter Vater Abdi Pascha. Er habe darauf gerechnet, mit ihm eine Regelung aller schwebenden Fragen zu vereinbaren, um sowohl den Interessen des Sultans als auch seinen eigenen zu dienen. Aus diesem Grunde hätte er auch dem Wojwoden Peko Pavlovi6 den Wink erteilt, dem Zuge Reuf Paschas nach Niksi<5 keine Schwierigkeiten zu bereiten.2) Nun sei aber die Lage eine ganz andere geworden, denn er zweifle sehr, daß Muktar Pascha von den gleichen maßvollen Gesinnungen beseelt sei. Ich entgegnete hierauf, daß Muktar Pascha nur die militärischen Aktionen befehlige, Ali Pascha hingegen allein und ausschließlich mit der Leitung der politischen Angelegenheiten betraut sei und den aufrich- Kollektivbezeichnung für die christliche Bevölkerung des ottomanischen Reiches. 2) Vgl. o. S. 24. tigen Wunsch hege, die Ruhe und Ordnung in der Hercegovina wieder hergestellt zu sehen, in welcher Beziehung er auf die werktätige Mitwirkung Seiner Hoheit rechnen zu dürfen glaube. Der Fürst fragte hierauf lächelnd, ob wir denn so vollkommen überzeugt seien, daß der Aufstand ganz in seiner Hand liege, ja daß es allein in seiner Macht stehe, die Ruhe wieder herzustellen? Wenn er der Türkei einen so wichtigen Dienst erweisen solle, fuhr er, ernster werdend, fort, so könne er dies nicht umsonst tun, sondern müsse angemessene Kompensationen verlangen, um nicht mit seinem eigenen Volke in einen gefährlichen Konflikt zu geraten. Lieber wolle er kleine Konzessionen, auf friedlichem Wege erreichen, als große Erfolge mit Aufopferung von Menschenleben erkämpfen. Was er früher vom Sultan verlangt habe, das verlange er heute noch, überzeugt, daß dadurch der Würde des Großherrn kein Abbruch getan würde. Er habe vier Wünsche und diese seien: 1. Anerkennung der Souveränität des Fürsten durch die Pforte, jedoch ohne Veröffentlichung eines daraufbezüglichen feierlichen Fermans. 2. Abtretung des kleinen Hafens von Spizza, damit der Fürst bei seinen Reisen nach dem Auslande nicht gezwungen wäre, österreichischen Boden zu betreten. 3. Freie Schiffahrt Montenegros auf der ganzen Bojana unter montenegrinischer Flagge, und 4. Abtretung eines Teiles des rechten Moraca-Ufers oberhalb Podgorica, d. h. von Malo und Veliko Brdo, eventuell auch der kleinen Festung Spuz. Die Abtretung von Niksi6 beanspruche er nicht, obwohl dieses Gebiet die Türkei mehr Geld und Blut koste, als es wert sei, doch würde er dem Sultan zu aufrichtigem Danke verpflichtet sein, wenn ihm eine angemessene Entschädigung für die durch die Erhaltung der armen hercegovinischen Flüchtlinge erwachsenen Kosten bewilligt werden möchte. Wenn diese bescheidenen Forderungen angenommen würden, so könne der Fürst sich dafür verbürgen, daß binnen acht Tagen sämtliche hercegovinische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren würden, vorausgesetzt, daß eine allgemeine Amnestie verkündet und die Koetschet-Grassl, Aus Bosniens letzter Türkenzeit. 3 vor ganz Europa versprochenen Reformen auch endlich zur Tat würden. Tiefgerührt dankte ich dem Fürsten für seine edelmütigen Gesinnungen und versicherte ihn, daß ich mich beeilen würde, seine Vorschläge der Pforte zu unterbreiten. Daß es der Fürst aufrichtig meinte, unterlag für mich keinem Zweifel, denn sicherlich war er besorgt, daß im Falle einer Verschlimmerung der Lage und namentlich im Falle blutiger Verwickelungen andere Mächte daraus zu große Vorteile zu ziehen vermöchten. Nach dem Diner, an welchem die Fürstin Milena wegen Unpäßlichkeit leider nicht teilnahm, saß ich bis in die späte Nacht hinein in traulichem Gespräche mit dem Fürsten. Er fürchte sehr, so begann der Fürst seine Rede, daß die Minister in Stambul sich von dem seit Wochen angekündigten Memorandum des Grafen Andrässy würden ködern lassen. In diesem Falle aber würden seine Vorschläge wahrscheinlich höhnisch abgelehnt werden,' weil voraussichtlich nur Rußland für sie eintreten, Österreich-Ungarn jedoch sich dagegen aussprechen werde. Allein der Sultan irre gewaltig, wenn er die Beruhigung von Bosnien und der Hercegovina von der Annahme dieses Memorandums erwarte und ihn, den Fürsten, abermals leer ausgehen lasse. Die Sache liege so, daß die Türkei die Wahl habe zwischen Österreich-Ungarn und Montenegro. Sollte jedoch die Türkei sein Anerbieten ablehnen und die Sache auf die Spitze treiben, so sei er bereit, den Kampf aufzunehmen, denn er sei heute nicht mehr isoliert wie vor zehn Jahren, sondern alles, was sich zum Serbentum bekenne, stehe, begleitet von den Sympathien von ganz Europa, auf seiner Seite und harre nur eines Zeichens von ihm, um ins Feld zu ziehen. Er hoffe jedoch, daß die Türkei durch die Annahme seiner Vorschläge eine friedliche Lösung ermöglichen werde. Ich gebe diese Bruchstücke aus den Reden des Fürsten hier wieder, wie ich sie auf meinem Zimmer unter dem ersten Eindrucke niedergeschrieben und später auch an die Pforte berichtet habe. Tags darauf verabschiedete ich mich von dem Fürsten, welcher mir ein einfaches Antwortschreiben an Ali Pascha einhändigte und der Erwartung Ausdruck gab, daß ich bald mit bestimmten Instruktionen wiederkehren würde, um auf der Basis seiner Vorschläge mit ihm zu verhandeln. Sollte es jedoch anders kommen, so wolle er mir nichtsdestoweniger eine freundschaftliche Gesinnung bewahren, denn er habe nicht vergessen, daß ich mich gegenüber Montenegro stets offen und ehrlich gehalten habe, wie er auch gerne anerkenne, daß ich ein treuer Diener des Sultans sei. Mit sehr geteilten Gefühlen trat ich die Heimreise an. Die Aussicht einer friedlichen Verständigung auf der mir von dem Fürsten entworfenen Grundlage versetzte mich wohl für den Augenblick in eine gewisse freudige Erregung, die jedoch bald schweren Zweifeln wich, ob nicht doch in Stambul Einflüsse Geltung gewinnen könnten, welche diese letzten Vorschläge Montenegros zu Falle bringen würden. Auf dem Gebirgsabhange oberhalb Njegu§ begegnete ich einem Zuge von Montenegrinern, die auf einer Tragbahre einen verwundeten Krieger mühsam hinauftrugen, fast in allen Einzelheiten die Replik des ergreifenden Bildes „Der verwundete Montenegriner" von Cermak! Bald darauf stieß ich auf eine Schar Freiwilliger, die nun wohlbewaffnet nach der Hercegovina zurückkehrten, nachdem sie mit ihren Waffen in Cattaro den Dampfer bestiegen hatten und in Castelnuovo von einem russischen Agenten in Empfang genommen worden waren. Während ich in Cetinje weilte, gab es in der Hercegovina und in Ragusa wieder einen gewaltigen Rummel. Muktar Pascha war mit seinen verfügbaren Bataillonen und der Artillerie aus Trebinje ausgerückt, hatte die bei dem Vlastica-Berge unterhalb des Blockhauses Drijeno lagernden Aufständischen angegriffen und mit Hilfe der scharf eingreifenden Artillerie in die Flucht geschlagen. Selbstverständlich meldete er nach Stambul einen großen Sieg, welcher das baldige Erlöschen des Aufstandes erwarten lasse. Auch telegraphierte er, daß er nun nach Mostar zurückkehre, um hier die Unterwerfung der Anführer der Aufständischen zu erwarten. Bei meiner Ankunft in Mostar fand ich ihn siegesbewußt und aufgeblasen wie nie vorher; die Aufständischen aber dachten nicht an Unterwerfung. Dem Sieger kam es natürlich gar nicht in den Sinn, 3* mich zu fragen, was für Nachrichten ich aus Cetinje mitgebracht hätte. Ali Pascha übermittelte der Pforte auf telegraphischem Wege einen Auszug aus dem Berichte über meine Begegnung mit dem Fürsten Nikolaus und ermangelte nicht, die Friedensvorschläge des Fürsten umsomehr einer dringlichen Beratung zu empfehlen, als trotz der unbedeutenden Niederlage der Aufständischen kein Boden für eine direkte Verständigung mit diesen vorhanden sei. Gleichzeitig wurde mein ausführlicher schriftlicher Bericht über den Erfolg meiner Sendung an die Pforte abgeschickt. Aus den Zeitungen erfuhr ich, daß am 2. Februar 1876 das Memorandum des Grafen Andrässy der Pforte vorgelegt und von den Ministern in zustimmendem Sinne beantwortet worden sei. Die Gebrechen der Verwaltung in Bosnien und der Hercegovina wurden in dem Schriftstücke ausführlich, wenn auch nicht erschöpfend, besprochen, zur Wiederherstellung der Ordnung und Ruhe aber wurden insbesondere zwei „Reformen" empfohlen: X. Die Verwendung sämtlicher Einnahmen von Bosnien ausschließlich für diese Provinz, eine Forderung, welche ganz gegenstandslos war, da seit dem Jahre 1873, mit Ausnahme der Zölle, nicht ein Piaster aus Bosnien nach Stambul gewandert war und die Kosten für die Erhaltung der nichtbosnischen Truppen sowie der Militärbauten von Rumelien aufgebracht werden mußten; 2. Ausdehnung der autonomen Gemeindeverwaltung auf ganz Bosnien. Nachdem mehr als eine Woche verstrichen war, ohne daß auf die Vorschläge des Fürsten Nikolaus eine Antwort eingelaufen wäre, betrieb Ali Pascha beim Minister des Äußern die Erledigung, worauf abermals mehrere Tage vergingen, ohne den ersehnten Bescheid gebracht zu haben. Endlich kam die Antwort, welche leider alle unsere Befürchtungen rechtfertigte. Die Pforte habe sich verpflichtet, die in dem Memorandum des Grafen Andrässy enthaltenen Vorschläge zu befolgen und in diesem Sinne bereits zwei Kommissare für Bosnien und die Hercegovina ernannt, welche die Durchführung der vorgeschlagenen Reformen zu überwachen hätten. Da die europäischen Regierungen die moralische Unterstützung dieses Programmes im Interesse der Wiederherstellung geordneter Zustände in den aufständischen Provinzen zugesagt hätten, so erachte es die kaiserlich ottomanische Regierung nicht für opportun, sich mit dem Fürsten von Montenegro in Unterhandlungen einzulassen. Wie es der Fürst vorhergesagt und wie wir es selbst vermutet hatten, waren die einzig möglichen Vorschläge zur Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung von der Pforte abgelehnt worden. In der ersten Aufwallung meines Unmutes ersuchte ich Ali Pascha um meine Entlassung. Allein dieser wollte davon durchaus nichts wissen, da wir beide solidarisch aneinander gebunden seien und vielleicht bald zusammen würden abtreten können, wenn das in allen Fugen krachende Gebäude in sich selbst zusammenstürzen sollte. Gegen Ende Februar 1876 war ein merklicher Stillstand in der militärischen Aktion eingetreten. An der montenegrinischen Grenze herrschte Ruhe und nur ab und zu versuchte Peko Pavlovid einen Überfall bald auf Kiek, bald auf Ljubinje, während man in Stambul wirklich an ein allmähliches Erlöschen des Aufstandes zu glauben schien. Unterdessen brachten die europäischen Zeitungen die phantasievollen Kombinationen ihrer Korrespondenten in Ragusa über die zwischen dem Fürsten und mir gepflogenen Verhandlungen, ja es wurden sogar die Gebietsabtretungen genau angegeben, welche ich im Namen der Pforte dem Fürsten angeboten hätte! Anfangs März 1876 wurde ich nach Ragusa entsendet, um eine Zusammenkunft des Statthalters von Dalmatien, Baron Rodic, mit Ali Pascha zu vermitteln, in welcher ein gemeinsames Vorgehen gegen die Aufständischen beraten werden sollte. Auf dem Rückwege sollte ich Trebinje berühren, um in Gemeinschaft mit dem italienischen Konsul Durando eine Untersuchung über den vorWochen in Carina angeblich von türkischen Soldaten verübten Mord eines italienischen Freischärlers einzuleiten. In der Nacht vor meiner Abreise traf die Meldung ein, daß eine Bande fremder Insurgenten bei Ljubuski einen Ein- fall auf türkisches Gebiet gemacht hätte, um die dortige christliche Bevölkerung zum Anschlüsse an den Aufstand zu zwingen. In Metković erfuhr ich denn auch, daß der Wojwode Ljubibratić mit seiner Bande vor zwei Tagen bei Fort Opus1) die Narenta übersetzt und den Weg gegen Vrgorac2) drei Stunden lang durch österreichisches Gebiet genommen habe. Im Postwagen traf ich mit einem Reisenden zusammen, den ich schon früher in Ragusa als den gewesenen Offizier und Zeitungsberichterstatterjan Lukeš kennen gelernt hatte, und es unterlag für mich keinem Zweifel, daß seine Reise mit der Expedition des Ljubibratić im Zusammenhange stehe. Am nächsten Morgen sprach ich in Ragusa bei General Jovanović vor, welcher mir u. a. mitteilte, daß Baron Rodić in der Nacht vorher abgereist sei, jedoch voraussichtlich in einigen Tagen zurückkehren werde. Es war mir jedoch nicht vergönnt, den Statthalter überhaupt noch zu Gesicht zu bekommen. Tags darauf fuhr ich mit dem italienischen Konsul Du-rando, meinem guten Freunde aus den schönen alten Zeiten von Sarajevo, nach Trebinje hinauf. Die Straße war dem Verkehre wieder geöffnet und vollkommen sicher; türkische Patrouillen machten Dienst von einem Blockhause zum andern. Im Tale von Gluha Smokva war keine Spur mehr zu sehen von dem blutigen Ringen, das vor kaum fünf Wochen hier stattgefunden hatte. In Trebinje genossen wir die Gastfreundschaft Constant Paschas, der sein Möglichstes tat, um seiner undankbaren Aufgabe als christlicher Gouverneur gerecht zu werden. Was den Zwischenfall des erschossenen italienischen Freischärlers betrifft, der im italienischen Parlamente Anlaß zu heftigen Ausfällen auf die türkische Barbarei und in der Folge auch zu diplomatischen Noten gegeben hatte, so wurde im Beisein des italienischen Kommissars Durando festgestellt, daß der Freischärler von dem türkischen Posten gefangen und bei einem Fluchtversuche niedergeschossen worden war. Am 13. März 1876 kehrten wir vergnügt nach Ragusa zurück. Schon vor den Toren der Stadt erwartete uns ein ') Südwestlich von Metković. 2) Nordwestlich von Metković. Kawaß1) des türkischen Generalkonsulates, um mir eine Depesche des Generalgouverneurs Ali Pascha zu überreichen, mit welcher ich angewiesen wurde, auf Befehl des Großwesirs Mahmud Pascha behufs Berichterstattung unverzüglich nach Stambul abzureisen. Ich konnte mir diesen Auftrag absolut nicht erklären. Generalkonsul Danisch Effendi, dem ich davon Mitteilung machte, meinte, es müsse von irgendeiner Seite ein Druck auf den Großwesir versucht worden sein, um diesen zu einer Abmachung mit dem Fürsten Nikolaus umzustimmen. Meine Hoffnung war jedoch nur gering, und ich konnte mich meiner trüben Gedanken so wenig erwehren, daß ich mit General Jovanovic, der mich zu einem Abschiedsessen eingeladen hatte, mit einem vielsagenden Blicke „auf ein baldiges Wiedersehen in Sarajevo" anstieß. In Ragusa traf ich zwei Bekannte, welche soeben aus Stambul angekommen waren, den englischen Konsul Holmes und den neuen Reformkommissar für die Hercegovina, Was a Effendi. Der erstere erzählte mir, daß sich in Stambul die verschiedensten politischen Einflüsse kreuzten, so daß man niemals wissen könne, woran man eigentlich sei; er habe mit dem englischen Botschafter über mich und meine montenegrinische Mission gesprochen und den Eindruck empfangen, daß man auch auf der Botschaft eine rasche Beilegung der Wirren nur von einer direkten Verständigung der Türkei mit dem Fürsten Nikolaus erwarte; leider habe aber der englische Botschafter, der sich jedenfalls freuen werde, mich zu sehen, nicht mehr den Einfluß wie unter Ali Pascha. Was a Effendi, einen in Italien ausgebildeten katholischen Albanen, hatte ich schon im Jahre 1862 in Scutari kennen gelernt. Er war ein ausgezeichneter Beamter, sehr intelligent, hatte schon die verschiedensten Funktionen bekleidet und kam nun mit einem kleinen Stabe von Beamten nach Mostar, um die von dem Grafen Andrässy angeregten Reformen einzuführen oder vielmehr deren Einführung zu versprechen. Nachdem er später von Stufe zu Stufe gestiegen war, starb er im Jahre 1891 als Gouverneur des Libanon. ') Diener. Noch vor meiner Abreise nach Triest erfuhr ich, daß der Wojwode Mico Ljubibratic in der Nähe von Jmotski auf Befehl der österreichischen Regierung verhaftet und nach Spalato abgeführt worden sei, um. hier nach Triest eingeschifft und sodann nach dem Internierungsorte Linz gebracht zu werden. Vermutlich wurde diese Nachricht in Stambul als ein Beweis dafür aufgefaßt, daß die Türkei auf eine freundschaftliche Kooperation Österreich-Ungarns zur Bewältigung des Aufstandes rechnen dürfe. Ich meinerseits beurteilte die Sache viel kaltblütiger, denn Statthalter Baron Rodic hatte durch die Verhaftung des Freischärlers doch nur einer internationalen Pflicht Genüge getan, und überdies wäre Ljubibratic bei dem beabsichtigten Einfalle in die Gegend von Ljubuski von den Türken unfehlbar niedergemacht worden, so daß seine Festnahme doch nur ihm selbst, keineswegs aber der türkischen Regierung zugute kam. In Spalato gab die Einschiffung des Wojwoden und seiner Gefährten Anlaß zu lärmenden Kundgebungen. Auf dem Molo wogte eine unübersehbare Volksmenge, die sich in stürmischen Evviva- und 2iviorufen nicht genug tun konnte. Die Stadtmusik spielte eine Hymne und slawische Fahnen wehten dem Märtyrer der Freiheit das Lebewohl zu. Wie ein Triumphator stieg Ljubi-bratiö an Bord und dankte herablassend der demonstrierenden Menge, während seine getreue Jeanne d'Arc in hercegovi-nischen Männerkleidern einen von den Damen Spalatos gespendeten Blumenstrauß gerührt ans Herz drückte. Unter den Begleitern des Wojwoden erblickte ich meinen Reisegefährten Jan Lukes, dem ich auf die Frage nach meinem Reiseziele antwortete, daß ich nach Stambul ginge, um dem Sultan den Fall seines gefährlichen Rivalen zu melden. Dieser lächerlichen Szene wohnte auch der montenegrinische Senator und Wojwode Gjuro Matanovic bei, welcher im Auftrage des Fürsten nach Triest reiste. Längs des ganzen Meeresufers bis nach Sebenico waren morlakische Bauern aufgestellt, welche den vorbeifahrenden Dampfer mit Fahnenschwenken und Zurufen begrüßten. In Sebenico selbst erreichte der Rummel seinen Höhepunkt und in der Landeshauptstadt Zar a wurde unser Freiheitsheld von Dr. Klaić, welcher an der Spitze einer Deputation erschienen war, zum letzten Male mit einer langen bombastischen Rede begrüßt. Weiteren Kundgebungen, welche von den Kroaten in Triest vorbereitet worden waren, wurde dadurch vorgebeugt, daß noch lange vor unserer Einfahrt in den Hafen von Triest eine Dampfbarkasse mit einem Beamten an Bord uns entgegenkam, um Ljubibratić und seine Getreuen in Empfang zu nehmen und in der Richtung nach Miramare abzudampfen. Mir blieb gerade soviel Zeit, um mich an Bord des nach Stambul abgehenden Schiffes zu begeben. Es war am 18. März 1876, das Wetter sehr bedrohlich und gegen Abend erhob sich ein Sturm, wie ich ihn auf der Adria noch nicht erlebt hatte. Über diese bösen Stunden half mir die Gesellschaft des Mister Faweet, englischen Konsuls in Pera, hinweg, der dem gleichen Reiseziele zustrebte. Kaum war ich in Pera angelangt, so wurden mir die Grüße und eine Einladung des Grafen Ignatieff überbracht. Ich ging jedoch um die Mittagsstunde zunächst zu Raschid Pascha in das Ministerium des Äußern, wo ich, wie gewöhnlich, stundenlang warten mußte, bevor ich vorgelassen wurde. Der Minister empfing mich sehr freundlich, erkundigte sich nach seinem Freunde Ali Pascha, den er aufrichtig bedauerte, daß er unter den wilden Hercegovcen leben müsse, stellte noch einige allgemeine Fragen über die Lage und beschied mich auf den nächsten Tag in das Haus des Großwesirs. Vor Abend noch begab ich mich zu Ignatieff, der mich wie einen alten Freund in der herzlichsten Weise begrüßte. Bald waren wir im Gespräche über die politische Lage in Bosnien und der Hercegovina und der Graf setzte mir in gewandter Rede seine Anschauungen auseinander. Er sei über meine Unterredung mit dem Fürsten Nikolaus genau unterrichtet und im Innersten überzeugt, daß nur die Annahme von dessen Vorschlägen eine dauernde Beruhigung der Hercegovina herbeizuführen vermöchte. Mahmud Pascha hege sicherlich die gleiche Überzeugung, fühle sich aber seit seinem ersten Sturze nicht stark genug, um diese Politik zu vertreten. Die übrigen türkischen Staatsmänner aber würden diese Vorschläge schon darum bekämpfen, weil diese von ihm selbst empfohlen würden, und so sei denn wenig Aussicht vorhanden, daß der einzig gangbare Weg zur Wiederherstellung geordneter Zustände in den vom Aufstande ergriffenen Provinzen werde betreten werden. Am folgenden Tage ließ ich mich beim Großwesir anmelden, der mich jedoch nach der üblichen Bewirtung mit schwarzem Kaffee einfach an Raschid Pascha verwies. Dieser lud mich zum Abendessen ein, wo ich das zweifelhafte Vergnügen genoß, ein Dutzend junger türkischer Diplomaten ihre unreifen Ansichten über Bosnien und die Hercegovina vortragen zu hören. Daß ich nebenbei noch allen möglichen Stambuler Klatsch mit anhören mußte, machte meine Stimmung nicht behaglicher. Erst gegen 11 Uhr entfernten sich diese öden Schwätzer und Raschid Pascha hielt nur den Musteschar1) des Großwesirs, Said Bey, zurück, welcher offenbar den Auftrag hatte, meine Darlegungen dem Großwesir zu überbringen. Nachdem mir unbeschränkte Freiheit der Meinungsäußerung zugesich ert worden war, erstattete ich in französicher Sprache folgenden Bericht. Ich skizzierte zunächst die Vorgeschichte des Aufstandes, indem ich mich auf meinen Bericht vom November 1873 berief. Schonungslos geißelte ich die begangenen Fehler und wies namentlich darauf hin, daß die Türken niemals auch nur das Geringste versucht hätten, den sich immer mehr zuspitzenden Gegensatz zwischen den bosnischen Feudalherren und deren nach Freiheit strebenden christlichen Kmeten beizulegen. Als ich auf das frevelhafte Vorgehen Derwisch Paschas zu sprechen kam, unterbrach mich der Minister mit der Bemerkung, daß auch er Derwisch Pascha einen großen Teil der Schuld an dem Aufstande zusprechen müsse. Auf die Situation selbst übergehend, verglich ich sodann diese mit den traurigen Ereignissen von 1861. Damals habe Bosnien in tiefstem Frieden gelegen, während gegenwärtig außer der Hercegovina auch die Kreise Bihać und Banjaluka, ja selbst Novipazar vom Aufstande aufgewühlt seien. Auch im Jahre 1861 habe man das ') Adlatus oder erster Gehilfe des Großwesirs. Schauspiel einer unfruchtbaren europäischen Kommission genossen und desgleichen habe man damals schon versucht, mit dem Fürsten von Montenegro in Unterhandlungen zu treten, weil man wußte, daß er allein die Fäden des Aufstandes in den christlichen Grenzbezirken in Händen hatte. Wenn damals auch die Unterhandlungen mit Montenegro zu keinem Ergebnisse geführt hätten, so sei dies lediglich durch die Bockbeinigkeit und Einsichtslosigkeit der türkischen Diplomaten verschuldet worden, so daß schließlich die ultima ratio der Waffen angerufen werden mußte. Man dürfe jedoch nicht vergessen, daß damals Montenegro schwach, und die Sympathien Europas aber auf Seite der Türkei gewesen seien, die überdies in dem Serdar Ekrem Omer Pascha einen tüchtigen und erprobten Feldherrn besessen hätte. Gegenwärtig aber sympathisiere ganz Europa offen mit der slawischen Sache, Fürst Nikolaus habe seine Armee verdoppelt und vorzüglich bewaffnet, während Muktar Pascha die entscheidende Probe seines Feldherrntalentes noch schuldig geblieben sei. Die Annahme von Andrässys Memorandum werde auf den Gang der Ereignisse gar keinen Einfluß nehmen, da alle Reformversuche vergeblich seien, solange christliche Untertanen von Bosnien und der Hercegovina bewaffnet auf fremdem Boden stünden. Sollte aber die Hohe Pforte von der Annahme der Vorschläge des Grafen Andrässy eine freundschaftliche Kooperation Österreich-Ungarns zur Unterdrückung des Aufstandes erwarten, so müßte ich vor allen Illusionen warnen, denn der erwartete Erfolg werde zweifellos ausbleiben, selbst wenn der Statthalter von Dalmatien angewiesen würde, die Grenze gegen die Aufständischen auf das Strengste abzusperren. Habe doch im Jahre 1862 die Absperrung von Cattaro gegen jede Einfuhr nach Montenegro, ja selbst die offenkundige Parteinahme Österreichs für die Türkei dem Laufe der blutigen Ereignisse nicht im mindesten Einhalt getan. Gegenwärtig aber denke man in Wien anders, und wenn die Türkei unglücklicherweise in einen Krieg mit dem Fürsten Nikolaus verwickelt werden sollte, so sei sehr zu befürchten, daß Österreich-Ungarn Montenegro als kriegführende Macht anerkennen und der Türkei den Hafen von Kiek vor der Nase abschließen werde. Bei meinem letzten Besuche in Cetinje hätte ich die Überzeugung gewonnen, daß alles auf einen bevorstehenden Krieg hinarbeite, welcher ganz ungeahnte Dimensionen annehmen könnte. Serbien bereite sich schon seit Jahren vor, bei der ersten günstigen Gelegenheit über die Türkei herzufallen und in Bulgarien sei durch russische Agitation gleichfalls drohender Zündstoff angehäuft. Unter solchen Umständen könne es nicht im Interesse der Türkei liegen, sich in ein mörderisches Ringen mit Montenegro einzulassen, das vielleicht einen zweifelhaften militärischen Erfolg, ganz gewiß aber einen finanziellen Krach herbeiführten würde. Schließlich ging ich auf die von dem Fürsten Nikolaus gemachten Vorschläge1) über, von deren Annahme er seine Intervention zugunsten der Unterdrückung des Aufstandes abhängig gemacht hatte. Wenn man die dem Fürsten zu gewährenden Konzessionen einerseits, die unermeßlichen Wohltaten des Friedens für die gesamte Türkei andererseits genau abwäge, so scheine mir jedes weitere Zaudern unmöglich. Hierauf ging ich auf die einzelnen Vorschläge des Fürsten ein. Die erste Forderung, die Anerkennung der Souveränität des Fürsten, sei in den Augen aller Gebildeten nur eine rein theoretische Frage, die schon längst ihre Lösung gefunden habe, da Fürst Nikolaus, ebensowenig wie sein Vorgänger, die Suzerenität des Sultans jemals anerkannt habe und auch die Mächte den Fürsten seit Jahren schon tatsächlich als unabhängigen Souverän betrachten und behandeln. Auch verlange der Fürst keineswegs einen Ferman des Sultans, der vielleicht dessen Eigenliebe verletzen könnte, sondern gebe sich damit zufrieden, daß bei einem nächsten offiziellen Akte eine solche Redaktion gebraucht werde, welche die faktische Souveränität des Fürsten erkennen lasse. Was die Abtretung des kleinen Hafens von Spizza betreffe, so sei dieser schon im Jahre 1861 von der europäischen Kommission dem Fürsten als Preis für seine Friedenskooperation in Aussicht gestellt worden. Für die Türkei sei er mit den wenigen Häusern katholischer Bewohner ganz wertlos und auch dem Fürsten gewähre er nur einen 0 Vgl. o. S. 33. höchst problematischen Vorteil, da er vorerst durch eine äußerst kostspielige Straße mit dem Hinterland verbunden werden müßte. Einer ernsten Einwendung seitens der Türkei könne auch die dritte Forderung, welche die freie Schiffahrt auf der Bojana unter montenegrinischer Flagge verlange, nicht begegnen, da dadurch nicht das geringste ottomanische Interesse berührt werde. Eine eingehende Erwägung erheische lediglich die vierte Forderung, d. i. die Abtretung des rechten Moraca-Ufers oberhalb Podgorica, da das Kriegsministerium in die Abtretung der kleinen, aber angeblich wichtigen Festung Spuz voraussichtlich nicht werde einwilligen wollen. Demgegenüber machte ich darauf aufmerksam, daß es dem Fürsten weniger um die Festung, als vielmehr um die Weideplätze Veliko und Malo Brdo zu tun sei und daß der Fürst sich gewiß nachgiebig zeigen werde, wenn ihm als Entschädigung für die Verpflegung der auf montenegrinischem Gebiete weilenden Flüchtlinge eine angemessene Summe Geldes in Aussicht gestellt werde. Zum Schlüsse konnte ich mich nicht enthalten, meiner Überzeugung dahin Ausdruck zu geben, daß es der Türkei von allen Einsichtsvollen zweifellos als ein Akt weisester Politik angerechnet würde, wenn sie dem Fürsten die seit 1862 mehr als autonomen Gebiete von Banjani und Piva,1) ja sogar Niksi<5 abtreten würde, da alle diese Gebietsteile ohnehin nur dem Namen nach unter ottomanischer Herrschaft stünden und nicht nur dem kaiserlichen Staatssäckel zur Last fielen, sondern auch eine nie versiegende Quelle von politischen Verlegenheiten bildeten. Mein Vortrag hatte über zwei Stunden gedauert und wurde nur an wenigen Stellen von den anwesenden beiden Würdenträgern unterbrochen. Schon hatte ich mich der Hoffnung hingegeben, daß diesmal wenigstens meine Mission nicht erfolglos bleiben würde, und ich ergriff noch einmal das Wort, um den Minister zu beschwören, durch Befürwortung der Vorschläge des Fürsten Nikolaus das ottomanische Reich vor großen Erschütterungen zu bewahren, indem ich der Überzeugung Ausdruck gab, daß an dem Tage, an welchem in der Herce- l) Vgl. o. S. 12 ff. govina die Waffen niedergelegt würden, auch der Aufstand im westlichen Bosnien allen Rückhalt verlieren müßte. Allein wie ein kaltes Starzbad kam es über mich, als Raschid Pascha nach einigen verbindlichen, aber nichtssagenden Redensarten die Befürchtung aussprach, daß die Annahme der fraglichen Vorschläge voraussichtlich auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen würde. „Denn," so fuhr er fort, „wenn wir morgen die Vorschläge des Fürsten von Montenegro dem Padischah zur Annahme vorlegen, so sind wir noch am Abende unserer Amter entsetzt, denn unsere Gegner Midhat, Hussein-Awni und Derwisch warten nur auf eine Gelegenheit, um uns bei dem Großherrn einer unpatriotischen Tat zu beschuldigen und sich an unsere Stellen zu setzen." Es war 3 Uhr morgens, als ich das Haus Raschid Paschas verließ. Die neuerlich erprobte blinde Halsstarrigkeit der Türken ließ mich abermals den Entschluß fassen, dem politischen Dienste zu entsagen und procul negotiis mich mit der Rolle eines Zuschauers zu begnügen. Am nächsten Tage besuchte ich den österr.-ung. Botschafter Grafen Zichy, welcher mir nach kurzer Einleitung die Mitteilung machte, daß der Statthalter Baron Rodic beauftragt sei, in Ragusa mit Ali Pascha und den hervorragenden Führern der hercegovinischen Aufständischen Besprechungen einzuleiten, um eine Verständigung über alle strittigen Fragen anzubahnen. Ich machte meinerseits kein Hehl daraus, daß ich von diesen Besprechungen gar nichts erwarte, weil die Insurgentenführer, den aus Cetinje erhaltenen Weisungen folgend, wahrscheinlich solche Forderungen stellen würden, welche weder Baron Rodic unterstützen noch Ali Pascha annehmen könnte. Graf Zichy lauschte aufmerksam meinen Auseinandersetzungen und meinte schließlich, daß nach dem von mir entworfenen Bilde allerdings wenig Aussicht auf eine friedliche Beilegung der schwebenden Streitfragen vorhanden sei, wie denn überhaupt die nächste Zukunft in einem recht trüben Lichte erscheine. In den nächsten Tagen hatte ich Gelegenheit, den englischen Botschafter Elliot, den italienischen Botschafter Grafen Corti und den französischen Botschafter Grafen Montholon zu sprechen, welche sich sämtlich im Sinne meiner Auffassung der Lage aussprachen und ihr Bedauern ausdrückten, daß das schwache, willenlose Ministerium dem herrischen Sultan nicht reinen Wein einzuschenken sich getraue. Ich weilte schon seit nahezu zwei Wochen in Stambul und hätte gerne bereits die Heimreise angetreten, da ich einen längeren Aufenthalt in der türkischen Hauptstadt als vollkommen zwecklos erkannte. Eines Tages wartete ich wieder im Vorzimmer Raschid Paschas, als Herr Kosjek, erster Dragoman der österr.-ungar. Botschaft, eintrat und sich neben mir niederließ. Im Laufe des Gespräches, welches sich bald über die aktuelle Tagesfrage zwischen uns entspann, meinte Herr Kosjek, ich hätte eine sehr undankbare Aufgabe übernommen, da man mir nicht nur die gebührende Anerkennung vorenthalte, sondern auch meine aufrichtig gemeinten Ratschläge einer böswilligen Kritik unterziehe. Auf mein Drängen, sich doch etwas deutlicher auszusprechen, sagte er mir unverhohlen, daß ich für einen russischen Agenten gelte. Meine Bestürzung war so groß, daß sich Herr Kosjek förmlich entschuldigte, mir eine so unangenehme Mitteilung gemacht zu haben. Ich aber sprach ihm dafür meinen Dank aus, denn nun wußte ich wenigstens, auf welchem Punkte ich nach zwanzigjähriger treuer Dienstleistung angelangt war. Da ich bei Raschid Pascha nicht mehr vorgelassen werden konnte, so trat ich an den Schreibtisch und schrieb einige Zeilen an den Minister, mit welchen ich ihm Mitteilung machte von dem gegen mich ausgesprochenen Verdachte und hinzufügte, daß ich unter solchen Umständen meinen guten Ruf nur durch den Rücktritt von allen öffentlichen Geschäften wahren zu können glaube. Ein Diener übernahm es, dem Minister mein Billett zuzustecken und schon nach Verlauf einer Viertelstunde erhielt ich eine Einladung zum Abendessen bei Raschid Pascha, der ich um so lieber Folge leistete, als mir eine offene Aussprache mit dem Minister über die gegen mich erhobene Anschuldigung nur erwünscht sein konnte. Der Minister war von vollendeter Liebenswürdigkeit, suchte mich zu beruhigen und versicherte mir wiederholt, daß meine langjährige hingebende Tätigkeit in Stambul zu gut bekannt sei, als daß jene unsinnige Verleumdung auch nur den geringsten Glauben finden könnte. Er erkundigte sich danach, wer mir diese Mitteilung gemacht hätte, und sprach die Vermutung aus, daß es sich um eine Verdächtigung handle, welche von den Kreisen der Midhat-partei ausgegangen sei. Von meiner Demission wollte er absolut nichts wissen, zumal da Ali Pascha mich wenige Stunden vorher zu den Besprechungen in Ragusa zurückerbeten hatte. Die mit dem Statthalter Baron Rodi6 eingeleiteten Verhandlungen schienen nach diesem Telegramme erfolglos verlaufen zu sein. In diesem Eindrucke wurde ich bestärkt, als ich drei Tage später mit dem Musteschar des Ministeriums des Äußern, Art in Bey Dadian, den ich noch aus den Zeiten des Serdars Ekrem Omer Pascha kannte, in dessen hübschem Landhause am Bosporus zusammenkam. Mein Gastfreund tadelte scharf die Haltung der dalmatinischen Behörden, insbesondere des Statthalters Baron Rodiö, der ein doppeltes Spiel gespielt hätte, indem er die hercegovinischen Aufständischen in Ali Paschas Gegenwart zwar zur Unterwerfung aufgefordert, insgeheim aber zum Festhalten an unannehmbaren Forderungen aufgemuntert hätte. Als er mich ungläubig lächeln sah, verharrte er noch eigensinniger auf dieser vorgefaßten Meinung und meinte schließlich, ob es denn überhaupt möglich gewesen wäre, die angebotenen guten Dienste Österreichs abzulehnen. Ich beschwichtigte ihn und suchte ihm klar zu machen, daß weder die österr.-ungar. Regierung noch der Statthalter Baron Rodid, sondern lediglich die Türkei selbst an dem Scheitern der Unterhandlungen schuld sei, da man zwar die guten Dienste Österreichs-Ungarns mit Dank habe annehmen müssen, aber nicht mit Umgehung des Fürsten Nikolaus hätte annehmen sollen, der als eigentlicher Herr der Situation auch die Schlüssel zur Lösung in Händen habe. Und nun nahm ich mir kein Blatt mehr vor den Mund, schonte auch die türkischen Würdenträger nicht, deren Dünkel, Eigenliebe und Starrsinn ich geißelte, Eigenschaften, die so seltsam mit einem grenzenlosen Servilismus nach oben sich verbunden zu haben scheinen. Artin Bey, ein geborener Armenier, ließ meinem Zornesausbruche freien Lauf, ohne mich auch nur mit einem Worte zu unterbrechen. Als ich mich von ihm zu verabschieden im Begriffe war, ersuchte er mich im Auftrage des Ministers Raschid Pascha den österr.-ungar. Botschafter Grafen Zichy aufzusuchen, um das unkorrekte Verhalten des Statthalters Baron Rodic in dessen Verhandlungen mit Ali Pascha, wie es sich nach meiner eigenen Ansicht darstelle, vorzutragen. Natürlich wies ich eine solche Zumutung entschieden zurück, worauf Art in Bey sich dahin verbesserte, ich möchte dem Grafen Zichy zu verstehen geben, daß ich auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen den Eindruck gewonnen hätte, daß Baron Rodiö von seiner slawischen Umgebung zu sehr beeinflußt werde, um den wohlwollenden Intentionen des Wiener Kabinetts zu entsprechen. „Enfin, faites nous le plaisir, allez-y et vous savez ce que vous avez ä dire," sagte er schließlich in sichtlicher Verlegenheit und verabschiedete sich von mir. Ich ging nun allerdings in den nächsten Tagen zum Grafen Zichy, jedoch nur, um mich von ihm vor meiner Heimreise nach Sarajevo zu beurlauben. Von der mir übertragenen Mission, zu welcher ich mich in keiner Weise ermächtigt hielt, war nicht die Rede. Schon in den nächsten Tagen liefen schlimme Nachrichten aus der Hercegovina ein. Der in Ragusa gemachte Versuch, einen Waffenstillstand zur Verproviantierung der hungernden Stadt Nik§ic zu erwirken, war gescheitert und so mußte denn wieder der alte mörderische Waffengang durch die Duga-Pässe gemacht werden. Ich war begierig zu erfahren, ob sich die Forts daselbst, von denen man sich auf türkischer Seite soviel versprach, auch bewähren würden. Daß diesmal Montenegro die Insurgenten unterstützen werde, um den Durchzug der Proviantkolonne zu verhindern, war nicht zu bezweifeln. In Pera waren beunruhigende Gerüchte über das Scheitern der Expedition verbreitet. Indes war es Muktar Pascha mit dem Aufgebote aller verfügbaren Truppen gelungen, nach zweitägigem, blutigem Kampfe und unter schweren Verlusten den Durchzug durch die Duga-Pässe zu erzwingen und einen Teil der Tragtiere bis Niksic vorzuschieben. Wie ich später von Augenzeugen erfuhr, Koetschet-Grassl, Aus Bosniens letzter Türkenzeit. hatten die Forts nicht den geringsten Anteil an dem Gelingen des Durchzuges genommen, da der Kampf außerhalb ihres Schußbereiches geführt werden mußte. Die Berichte Muktar Paschas klagten Montenegro offen der Felonie an und schätzten die Zahl der Montenegriner, welche in den Kampf eingegriffen hatten, auf nicht weniger als 7000 Mann. Hätten aber wirklich soviele Montenegriner nebst den 4000 Insurgenten jene günstigen Stellungen innegehabt, wahrlich, der Prahler Muktar Pascha hätte Nikšić nie erreicht! Die Tatsache aber, daß Fürst Nikolaus eine immerhin stattliche Anzahl seiner Untertanen zur Unterstützung der Insurgenten nach den Pässen abziehen ließ, hatte jede Hoffnung auf eine friedliche Lösung zerstört und der Krieg mit Montenegro war nur mehr eine Frage ganz kurzer Zeit. Nach vierwöchentlichem, an Gemütsaufregungen überreichem Aufenthalte in Stambul sprach ich zum letztenmale bei Raschid Pascha vor, um mich von ihm zu verabschieden. Ich vermied es absichtlich, von meiner Mission zu sprechen, und auch der Minister erging sich nur in Erinnerungen an seinen Freund Ali Pascha. So schied ich denn von Stambul voll schwerer Sorge um das Schicksal Bosniens und der Hercegovina. Auf dem Dampfer, der mich nach Yarna bringen sollte, befand sich auch Edhem Pascha, der neu ernannte Botschafter für Berlin, mit seinen beiden Söhnen und einem großen Gefolge von Beamten. Ich verspürte nach all den Erfahrungen, die ich in Stambul gemacht hatte, nicht die mindeste Lust, mit den Türken anzubinden, zumal da mir Edhem Pascha nur dem Namen nach bekannt war. Allein es fruchtete nichts, daß ich mich abseits hielt, denn Edhem Pascha, der von meiner Anwesenheit erfahren hatte, ließ mich zu sich rufen, um mich über die Lage in Bosnien und der Hercegovina auszuholen. Handelte es sich doch um eine Angelegenheit, welcher er in Berlin voraussichtlich seine ganze staatsmännische Aufmerksamkeit widmen mußte. Ich beantwortete seine Fragen mit großer Zurückhaltung, indem ich mich auf allgemeine Redensarten beschränkte. Bald jedoch unterbrach er mich mit der Bemerkung, daß ich in Stambul eine ganz andere Sprache geführt hätte. Nun konnte ich nicht länger an mich halten und erzählte ihm den ganzen Verlauf meiner Auseinandersetzung über die Vorschläge des Fürsten Nikolaus und deren kläglichen Ausgang. Ich machte kein Hehl aus meiner Überzeugung, daß der Ausbruch offener Feindseligkeiten zwischen der Türkei und Montenegro, sowie der Anschluß von Serbien und Bulgarien an das Fürstentum täglich zu erwarten sei. Freimütig sagte ich dem Botschafter ins Gesicht, daß wir noch immer zu großes Gewicht auf schön stilisierte diplomatische Noten legten und in unserer militärischen Selbstüberhebung die Montenegriner, ja die Slawen überhaupt unterschätzten, zwei Fehler, welche um so mehr ins Gewicht fielen, als wir es allen Warnungen zum Trotze unterlassen hätten, unseren Haushalt nach europäischem Muster einzurichten. Als ich schließlich auf die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden bewaffneten Intervention Österreich-Ungarns hinwies, verstummte der bis dahin redselige Edhem Pascha und ließ mich bald allein. Als wir in Rusöuk ankamen, wurde der Botschafter vom Generalgouverneur Mehmed Assim Pascha erwartet und bald waren beide in eifrige Unterhaltung vertieft. Später gesellte auch ich mich zu ihnen, um meinen alten Freund Mehmed Assim Pascha zu begrüßen. Nach der Abfahrt des Dampfers berief mich der Botschafter in seine Kabine, um mir mit kummervoller Miene von dem mit dem Wali geführten Gespräche Mitteilung zu machen. In Tatar-Pazardzik bei Philippopel sei ein blutiger Aufstand ausgebrochen, wie denn überhaupt vom ganzen Balkan sehr ernste Nachrichten eingetroffen seien; zwar hoffe man der Bewegung Herr zu werden, doch bedeute das Auftauchen einer bulgarischen Frage in diesem Augenblicke jedenfalls eine schwere Komplikation. In Bazias trennte sich der Botschafter, aus dessen Gesicht alle anfängliche Heiterkeit geschwunden war, und ich sollte ihn nie wiedersehen. Er war berufen, als Botschafter in Berlin eine große Rolle zu spielen, kam später nach Wien und wurde schließlich zum Großwesir ernannt. In Semlin unterhielt ich mich mit meinem alten Freunde Cingria, dem österr.-ungar. Vize-Konsul in Belgrad, welcher 4* mir die Nachricht von der Wiederberufung des Ministeriums Ristid überbrachte, und in Brod war die bevorstehende Okkupation Bosniens durch Österreich - Ungarn das Tagesgespräch. Unter dem Eindrucke dieser Nachrichten setzte ich die Reise fort, um in Kiseljak1) Kunde zu erhalten von der Ermordung der Konsuln Deutschlands und Frankreichs in Saloniki, was mir als ein neuer Vorbote der dem Ottomanischen Reiche drohenden Katastrophe erschien. In Sarajevo konnte ich zwar nicht umhin, den Wali Ibrahim Pascha und den frivolen Reform-Kommissar Haidar Pascha zu besuchen, allein ich hütete mich wohl, über meine Mission in Stambul auch nur ein Wort fallen zu lassen. Ich überließ beide ihrem grenzenlosen Dünkel und der Hoffnung, daß der sieggewohnte Muktar Pascha den Aufstand bald niederschlagen werde. Da ich vernommen hatte, daß Ali Pascha abberufen worden sei, so entschloß ich mich, mit meiner Frau nach Mostar zu fahren, um von dem verehrten Freunde Abschied zu nehmen. Eine Stunde vor Mostar begegneten wir dem nach Sarajevo zurückkehrenden englischen Konsul Holmes, welcher uns mitteilte, daß Ali Paschas Versetzung rückgängig gemacht worden sei. In Stambul war mittlerweile infolge der Ereignisse von Saloniki ein Regierungswechsel eingetreten. Midhat Pascha wurde wieder Großwesir und Hussein Awni Pascha Kriegsminister; von den früheren Ministern hatte nur Raschid Pascha das Portefeuille des Äußern beibehalten. Am 30. Mai 1876 überraschte uns die Nachricht von dem Sturze des Sultans Abdul Asis und der Erhebung des hoffnungsvollen Murad auf den Thron. Dem Volke war damit ein Alp vom Herzen genommen. In Stambul und in den Provinzen faßte man neue Hoffnung und gab seiner Freude offen Ausdruck. Da kam die Kunde von dem gewaltsamen Tode des abgesetzten Sultans, bald darauf von der Ermordung der Minister und die frohe, zuversichtliche Stimmung schwand mit einem Schlage, denn in allen Provinzen des ottomanischen Reiches erblickte man in diesen wüsten Szenen nur ein Vorspiel künftiger blutiger Er- l) Nordwestlich von Sarajevo. eignisse. Mir tat besonders Raschid Pascha leid, der sonderbarerweise in seinem Sessel tot aufgefunden worden war, ohne von einer Kugel getroffen worden zu sein. Er war vor Schreck und Aufregung einem Nervenchoc erlegen. Mitte Juni 1876 nahmen die Ereignisse in Bosnien und der Hercegovina eine entscheidende Wendung. Aus Montenegro wie aus Serbien liefen Berichte über umfassende Kriegsvorbereitungen ein. Die Fürsten beider Länder warfen sich offen zu Beschützern der unterdrückten christlichen Bevölkerung von Bosnien und der Hercegovina auf und ließen durch ihre offiziösen Zeitungen erklären, daß sie moralisch gezwungen wären, mit Gut und Blut für ihre Stammes- und Glaubensbrüder einzustehen. Aus fremden, namentlich englischen Korrespondenzen erfuhren wir, daß zwar der Aufstand in Rumelien mit Hilfe der Baschi-bosuks und Tscherkessen blutig niedergeschlagen worden sei, die grausame Niedermetzelung unschuldiger Frauen und Kinder aber in ganz Europa die Erinnerung an die alten türkischen Greueltaten wieder erweckt habe. England marschierte an der Spitze der Kulturvölker, welche ihre Sympathien der unterdrückten Raja zugewendet hatten, und wenig hätte gefehlt, so wäre ein neuer Kreuzzug gepredigt worden. Allein Midhat Pascha pochte auf die militärischen Kräfte der Türkei, verspottete die öffentliche Meinung Europas, scherte sich nicht um die Kaiserzusammenkünfte in Reichstadt und Skierniewice, sondern schwur, das feige Slawenvolk zu Boden zu strecken! Inwiefern zwischen Serbien und Montenegro ein Bündnis zu einer gemeinsamen Aktion gegen die Türkei zustandekam, konnte ich nie recht erfahren. Ich hielt aber damals und ich halte noch heute an der Ansicht fest, daß ein eigentliches Schutz- und Trutzbündnis nicht abgeschlossen, sondern daß zwischen Belgrad und Cetinje nur die Vereinbarung getroffen wurde, der Türkei gleichzeitig den Krieg zu erklären, wobei es jedem Teile vorbehalten bleiben solle, nach Bedürfnis und Gutdünken selbständig militärisch zu operieren. Eine militärische Kooperation der Montenegriner und der Serben hielt ich von allem Anfange an für ausgeschlossen, und zwar nicht so sehr wegen der alten Rivalität zwischen den beiden Fürstenhäusern, als vielmehr wegen der grundverschiedenen Bedingungen, unter denen die beiden Heere in den Krieg ziehen mußten, denn Fürst Nikolaus hatte es lediglich auf die Hercegovina, Serbien dagegen auf Bosnien abgesehen. Am 25. Juni 1876 wurde in Mostar unter Muktar Paschas Vorsitz ein Kriegsrat abgehalten, dem Ali Pascha und einige moslimische Notable aus der Hercegovina beiwohnten. Während der Sitzung wurde ich ganz unerwartet gerufen, um meine Meinung über die montenegrinischen Kriegspläne abzugeben. Nur auf das Drängen des Muschirs selbst entschloß ich mich, aus meiner Zurückhaltung herauszutreten. Ich sprach die Vermutung aus, daß die aus Ragusa stammende Nachricht von einer beabsichtigten Vereinigung der montenegrinischen und serbischen Truppen von dem Fürsten Nikolaus selbst in Umlauf gesetzt worden sei, um die wirklichen Ziele des bevorstehenden montenegrinischen Angriffes zu verschleiern. Schon die Zusammenziehung der montenegrinischen Truppen bei Ubli1) zwischen Grahovo und Banjani, wo auch Fürst Nikolaus erwartet werde, beweise, daß die Montenegriner über Stolac und Nevesinje gegen Mostar vorzurücken beabsichtigten; die Vereinigung mit den serbischen Truppen aber sei schon deshalb wenig wahrscheinlich, weil ein Marsch von Ubli gegen Foča und Višegrad nur unter den größten Schwierigkeiten bewerkstelligt werden könnte und mindestens 5—6 Tage in Anspruch nehmen müßte. Unsere Aufgabe könne daher nur darin bestehen, unsere gesamten Kräfte bei Gacko zu sammeln, von wo man die ganze Hercegovina beherrschen und den Montenegrinern in die Flanke fallen könnte, da es der Fürst nie wagen würde, unseren Truppen in der Ebene von Gacko eine Schlacht anzubieten. Obgleich die anwesenden Notablen meinen Ausführungen zustimmten oder vielleicht gerade deshalb, beschloß Muktar Pascha das Gegenteil. Schon am nächsten Tage führte er 17 Bataillone über Nevesinje und von hier über das Gebirge nach Foča, um, wie er meinte, zwischen die Montenegriner und die Serben einen Keil zu treiben. In Gacko und Nevesinje wurden nur schwache Besatzungen zurückgelassen. *) Nordöstlich von Bilek. Am i. Juli 1876 erklärte Montenegro der Pforte den Krieg und am 2. Juli rückten die Serben in das ottomanische Gebiet ein. Noch an demselben Tage stieg Fürst Nikolaus von den Höhen von Ubli an der Spitze seiner 14.000 Montenegriner und Hercegovcen in der Richtung auf Korito und Cernica1) hinunter, um den Weg nach der Hochebene von Gacko einzuschlagen. Der türkische Divisionär Selim Pascha führte zwei Bataillone auf der rechten Flanke der Montenegriner über Fojnica2), um den Vorsprung nach Nevesinje zu gewinnen, während jene, den offenen und bequemen Weg durch das Dabar polje nach Stolac verschmähend, auf dem Rücken der Trusina planina gegen die Ebene von Nevesinje vorrückten. Selim Pascha operierte mit seinen zwei Bataillonen sehr geschickt, und es gelang ihm, oberhalb Zalom Han3) einer Umzingelung zu entgehen und hinter Nevesinje Aufstellung zu nehmen. Nicht wissend, was er hier eigentlich unternehmen solle, hatte er am 3. oder 4. Tage den glücklichen Einfall, den Abhang des Podvelez in das Narentatal hinabzusteigen und sich zum Schutze der bedrohten Stadt Mostar einzufinden. Hier befand sich alles in der größten Aufregung, welche sich zur Panik steigerte, als die Belagerung von Nevesinje durch die Montenegriner bekannt wurde. Ich eilte zu Ali Pascha, um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß Muktar Pascha, wenn er sofort zurückberufen würde, leicht in drei Tagen wieder in Gacko sein und den Montenegrinern, die sich zu weit vorgewagt hätten, den Rückzug abschneiden könnte, so daß es ein Leichtes wäre, die feindlichen Truppen mit Hilfe der waffenfähigen Moslims von Mostar, Stolac, Gabela, Ljubuski und Konjica von zwei Seiten zu fassen und aufzureiben. Der eiligst herbeigerufene Brigadier Ali Pascha stimmte freudig zu und sogleich ward an Muktar Pascha in Cajnica eine chiffrierte Depesche abgeschickt, um diesen Kriegsplan durchzuführen. Auch aus Stambul hatte Muktar Pascha mittlerweile den Befehl erhalten, zum Schutze von Mostar und Nevesinje *) Beide südlich von Gacko. J) Nordwestlich von Gacko. 3) Südöstlich von Nevesinje. schleunigst umzukehren, und wir erwarteten daher mit voller Zuversicht, daß er im Sinne unseres Vorschlages vorgehen würde. Wie groß war daher unsere Enttäuschung, aber auch unsere Empörung, als wir erfuhren, daß Muktar Pascha mit seinen Truppen den weiten Weg über Sarajevo, welcher in der glühenden Sommerhitze volle acht Marschtage in Anspruch nahm, eingeschlagen habe! Aus Albanien waren schlimme Nachrichten über den Beginn der Feindseligkeiten eingelaufen. Besser lauteten die Meldungen aus Bosnien. Die serbische Division Alimpic, welche Bjelina am Morgen des 2. Juli 1876 von der Drina her überfallen und zur Hälfte bereits eingenommen hatte, wurde am Abend schmählich zurückgeworfen, während Mehmed Ali Pascha im Sandschak Novipazar die über die Javor planina unter General Zach andringenden Serben aufs Haupt schlug und Osman Pascha gegen Zajecar vorrückte. Dem Fürsten Nikolaus war es offenbar darum zu tun, Nevesinje einzunehmen, bevor er sich in das Narentatal hinunterwagte. Indes mochte es zweifelhaft erscheinen, ob er es überhaupt wagen würde, einen ernstlichen Angriff auf Mostar zu unternehmen. In Nevesinje lagen nur anderthalb Bataillone unter dem Kommando des albanischen Kavalleriemajors Ismail Aga, eines ehemaligen Adjutanten des Serdar Ekrem Omer Pascha. Tapfer und verwegen wie alle Arnauten, tat er in der Stunde der Gefahr immer seine Pflicht, wenngleich er sonst durch alle Untugenden des Trunkenboldes gekennzeichnet war. Das Städtchen Nevesinje war schon im Anfange des Aufstandes durch die Insurgenten beinahe vollständig niedergebrannt worden; nur eine Gruppe steinerner Häuser, welche sich um die Moschee gruppierten, sowie ein sehr primitives, mit vier Kanonen versehenes Werk gewährten den Truppen, denen sich bewaffnete Freiwillige aus den Reihen der umwohnenden moslimischen Bevölkerung angeschlossen hatten, die Möglichkeit der Verteidigung. Fürst Nikolaus forderte gleich am Tage seiner Ankunft die Besatzung unter ehrenvollen Bedingungen zur Übergabe auf, und als diese Aufforderung zurückgewiesen wurde, versuchten die Montenegriner Neve- sin je zu stürmen, wurden aber mit blutigen Köpfen zurückgeschlagen. Ihre wenigen Gebirgskanonen vermochten keinen großen Schaden anzurichten und der Fürst setzte seine ganze Hoffnung auf zwei Positionsgeschütze, die er täglich erwartete. Die Lage in Mostar war unterdessen von Tag zu Tag schlimmer geworden. Die Garnison zählte kaum 300 Mann,, welche eben zur Bewachung der Magazine und der Spitäler ausreichten. Die Stimmung der moslimischen Bevölkerung war eine äußerst gereizte, aber nichts weniger als kriegerische, denn nicht gegen den ihre Stadt bedrohenden Erzfeind verlangten sie zu ziehen, sondern an ihren christlichen Mitbürgern von Mostar, insbesondere an den Orthodoxen, hätten sie nur zu gerne ihr Mütchen gekühlt. Diese wußten zwar ihre große Freude über das Herannahen des lange ersehnten Befreiers klug zu verbergen und hüteten sich wohl, durch irgendein unbedachtes Wort den Haß der herrschenden Moslims zu entflammen, doch konnte immerhin ein unglücklicher Zufall den drohenden Bürgerkrieg entzünden. Im Konak war vor den versammelten Notablen aller drei Glaubensbekenntnisse ein feierlicher Ferman des Sultans Murad verlesen worden, welcher angesichts der Kriegserklärung Serbiens und Montenegros alle Moslims zu den Waffen rief und die Erwartung aussprach, daß die Eintracht mit den treugesinnten christlichen Untertanen nicht gestört würde. Als nun bei dieser Gelegenheit ein moslimischer Notable vortrat, um die Erklärung abzugeben, daß seine Glaubensgenossen gerne die Eintracht mit „ihrer Raja" pflegen würden, erwiderte der alte, unansehnliche, aberkühne orientalischorthodoxe Metropolit Ignatije, die Serben seien nicht die Raja der türkischen Notablen, sondern Untertanen des Padischah! Ali Pascha, dem dieses beherzte Auftreten des Metropoliten nicht zu mißfallen schien, trat beschwichtigend dazwischen und der kleine Zwischenfall war beigelegt. Ich bot alles auf, um jeden Anlaß zu Mißhelligkeiten unter der Bevölkerung zu beseitigen. Im Vereine mit Constant Pascha — der Reformkommissar Was a Effendi hatte sich schon lange aus dem Staube gemacht — beschwor ich stündlich Ali Pascha, seine ganze Beliebtheit bei den moslimischen Notablen einzusetzen, um die türkische Stadtbevölkerung von Ausschreitungen zurückzuhalten, während wir selbst in die katholische und orthodoxe Geistlichkeit, sowie in die angeseheneren Kaufleute drangen, auf die niederen Schichten und die Jugend der christlichen Bewohnerschaft beruhigend einzuwirken, damit diese jedem Streite mit den reizbaren Moslims aus dem Wege gingen. Am vierten Tage nach der Beschießung von Nevesinje verbreitete sich in Mostar das Gerücht, daß der Feind auf der Lehne des Podvelež gegen die Stadt anrücke. Alles rannte bewaffnet trotz der sengenden Mittagsglut die steilen Anhöhen hinauf, wo seit einigen Tagen eine Ringmauer aufgeführt war, und auch der gute Ali Pascha war hinaufgestürmt. Es zeigte sich jedoch bald, daß es nur ein blinder Lärm gewesen. Im Lager des Fürsten Nikolaus bei Ubli hatte sich auch Oberstleutnant Gustav Thoemmel befunden, der Vertreter Österreich-Ungarns in Montenegro. Wahrscheinlich hat dieser im Auftrage seiner Regierung bei dem Fürsten, welcher sich die Eroberung der ganzen oder doch der östlichen Hercegovina als Ziel gesetzt haben dürfte, gegen ein Vordringen in das Narentatal ein Veto eingelegt. Tatsache ist, daß Oberstleutnant Thoemmel am 2. Juli 1876 über Grahovo nach Risano1) eilig hinunterstieg, um von hier mit vollem Dampfe nach Triest und weiter mit einem Sonderzuge nach Wien zu fahren. Hier verbrachte er nur 12 Stunden, um sodann ohne Unterbrechung die Rückreise anzutreten und nach etwa einer Woche wieder im Lager des Fürsten bei Nevesinje einzutreffen. Für mich stand es fest, daß Oberstleutnant Thoemmel die gemessene Instruktion mitgebracht habe, dem Fürsten von Montenegro zu eröffnen, daß man in Wien das Vordringen seiner Truppen bis an die Narenta nicht dulden könne.2) Dieses Machtwort Österreich-Ungarns mag dem Fürsten ') Nordwestlich von Cattaro. 2) Schon zu Beginn des Krieges hatte Thoemmel vom Grafen An-drässy die Instruktion erhalten: „Wie immer die Waffen entscheiden mögen, so muß das Wiener Kabinett sich die Rektifizierung der Resultate des Kampfes vorbehalten." Vgl. „Die Okkupation Bosniens und der Hercegovina" S. 36. Nikolaus Gelegenheit geboten haben, über feindselige Ränke und selbstsüchtige Bestrebungen des Wiener Kabinetts Klage zu führen, in Wahrheit aber muß es ihm hochwillkommen gewesen sein, denn es gab ihm die Möglichkeit, den notwendig gewordenen Rückzug vor seinen eigenen Leuten zu rechtfertigen. Zum erstenmale hatte sich ein montenegrinisches Heer in ein fremdes Land vorgewagt und eine ungewohnte Kampfweise versucht. Der Versuch war mißlungen, denn seit 10 Tagen lagerten die Montenegriner vor einer Schanze, wurden mehrere-male blutig zurückgeschlagen und begannen bereits Not zu leiden an Lebensmitteln und Munition. Zudem mußte damit gerechnet werden, daß Muktar Pascha mit seinen 17 Bataillonen zum Entsätze anrücken werde, und so blieb denn dem Fürsten Nikolaus nichts anderes übrig, als sich mit den Truppen in seine Berge zurückzuziehen und hier die alte bewährte Kampfesweise einzuhalten. Er ordnete daher den Rückzug über das Trusina-Gebirge an, der in guter Ordnung und ohne Übereilung vonstatten ging. Muktar Pascha war unterdessen mit seinen zum Hinsinken ermatteten Bataillonen in Mostar angelangt. In brennender Sonnenglut hatten die armen schweigsamen Soldaten bei mangelhafter Verproviantierung täglich über 40 km zurücklegen müssen. Der Muschir aber gebärdete sich, als wäre er von einem siegreichen Feldzuge heimgekehrt. Ich habe Muktar Pascha seither nicht mehr gesehen. Obwohl er die Hercego-vina schwer geschädigt und ein Jahr darauf den Verlust von Armenien mit der Stadt Kars mitverschuldet hatte, erwarb er sich doch den Beinamen „Gasi", d. i. der Siegreiche! Nach eintägiger Rast brach Muktar Pascha mit seinen Bataillonen und den Baschibosuks von Mostar gegen Neve-sinje auf, nachdem kurz vorher Ali Pascha von Kundschaftern die Nachricht erhalten hatte, daß die Montenegriner abgezogen seien. Die Vorhut Muktar Paschas signalisierte auf dem rechten Bi§ina-Gehänge oberhalb Blagaj1) die von Stanko Radon ic befehligte Nachhut der Montenegriner in der Stärke von etwa 2000 Mann. Geschützt durch ihre günstige Stellung ') Südöstlich von Mostar. nahmen die Montenegriner das Gefecht auf, traten aber, als sie die Uberzahl der anrückenden Türken wahrnahmen, nach ungefähr einstündigem Kampfe den Rückzug an, um sich dem Hauptheere des Fürsten Nikolaus anzuschließen und einer Umzingelung zu entgehen. Die Verluste waren auf beiden Seiten unbedeutend. Die Türken machten einen Gefangenen, einen jungen serbischen Schneider aus Mostar, welcher auf einen Wink des Muschirs niedergemacht wurde. Am Abende erhielt Ali Pascha aus dem Lager von Nevesinje ein schwungvolles Siegesbulletin, welches an den Großwesir weitertelegraphiert werden sollte. Ali Pascha beschränkte sich darauf, die Depesche Muktar Paschas ohne Kommentar nach Stambul zu leiten, nachdem er auch von militärischer Seite überzeugt worden war, daß es sich lediglich um einen unbedeutenden Kampf mit der montenegrinischen Nachhut handelte. In seinem Siegeswahne dachte Muktar Pascha daran, das ganze montenegrinische Heere zum Stehen zu bringen und marschierte zu diesem Behufe eiligst in zwei Kolonnen über das Trusina-Gebirge und das Dabar poljein der Richtung Plana-Bilek; da er aber den sich stetig zurückziehenden Feind nicht mehr einzuholen vermochte, so schlug er vor Bilek sein Lager auf. In Mostar zerbrach man sich vergebens den Kopf darüber, was wohl Muktar Pascha beginnen werde, denn uns allen erschien eine militärische Operation gegen Montenegro von Bilek aus als heller Wahnsinn. Am vierten Tag nach dem Gefechte von Bisina überbrachte der Telegraphenchef Ali Pascha eine Depesche, in welcher Muktar Pascha meldete, daß eine soeben unternommene Rekognoszierung der Stellung des Feindes infolge mißverständlicher Ausführung seiner Befehle durch die Unterbefehlshaber mißlungen sei und ihn zum Rückzüge nach Tre-binje nötige, so daß er den Schutz der Städte in der oberen Hercegovina der dort ansässigen moslimischen Bevölkerung überlassen müsse. Man sprach sofort die Vermutung aus, daß der wahnwitzige Prahler geschlagen worden sei und einen großen Teil seiner Truppen eingebüßt habe, mit dem Reste aber nach der Stadt Trebinje flüchte, um hinter deren Mauern vor allfälligen Verfolgungen Schutz zu suchen. Ali Pascha ließ den Divisionär, ferner Constant Pascha, die höheren Beamten und drei moslimische Notablen zu sich rufen, um ihnen die Hiobspost mitzuteilen. Alle sprachen die Besorgnis aus, daß die gesuchte Redaktion der Dfcpesche eine schmachvolle Niederlage verhülle. Hierauf ward nach einigem Schwanken beschlossen, vorerst bestimmte Nachrichten abzuwarten, zumal da man annehmen durfte, daß die Montenegriner den Sieg nicht ausnutzen und keinen neuerlichen Zug in das Innere der Hercegovina wagen würden. Unser Generalkonsul in Ragusa aber meldete uns schon am nächsten Morgen folgendes aufgegriffene Siegesbulletin der Montenegriner: „Großer Sieg der Montenegriner bei Vrbica,1) die türkische Armee mit Zurücklassung von mehreren Tausend Toten zersprengt, Muktar Pascha flüchtet nach Bilek, Selim Pascha und unzählige Offiziere gefallen, Osman Pascha gefangen genommen." Der ungeheuere Jubel der ganzen slawischen Welt war nur zu gerechtfertigt, denn einen ähnlichen Sieg über die Türken hatten die montenegrinischen Annalen nicht aufzuweisen. Es war kein gewöhnlicher Überfall, sondern eine regelrechte Schlacht auf offenem Felde. Ohne seinen übermüdeten Truppen eine Rast zu gönnen, hatte nämlich Muktar Pascha den auf den Anhöhen oberhalb Plana2) lagernden Feind angegriffen, u. zw. mit seiner ganzen Macht, so daß es sich keineswegs, wie er fälschlich meldete, um eine bloße Rekognoszierung handelte. In dieses schwierige, von Schluchten durchzogene Gelände sandte er eine Kolonne unter dem Divisionär Selim Pascha, eine andere unter dem unfähigen Brigadier Osman Pascha, während er selbst das Zentrum mit den Mostarer Baschibosuks befehligte. Der Kampf war äußerst erbittert; Selim Pascha und Osman Pascha verloren bald die Fühlung miteinander und wurden umzingelt; in panikartiger Flucht suchten die zersprengten türkischen Truppenteile Bilek zu gewinnen und nur der eigentümlichen, vor jeder kräftigen Offensive zurückschreckenden Kampfesweise der Montenegriner ist es zuzuschreiben, daß diese Nordöstlich von Bilek. 2) Nordnordwestlich von Bilek. Tragödie nicht mit der Einnahme von Bilek endete. Selim Pascha, welcher die Aufforderung zur Übergabe abgelehnt hatte, starb den Heldentod neben seinen verstummten Kanonen, während Osman Pascha die Waffen streckte und im Triumphe dem Fürsten Nikolaus vorgeführt wurde. Diese Niederlage, welche als diejenige bei Vuci do oder bei Vrbica im Volksmunde fortlebt, kostete uns über 2500 Gefallene, darunter an 60 Offiziere. MuktarPascha versuchte in seinenBerichten aus Trebinje die ganze Schuld an dieser furchtbaren Niederlage auf Selim und Osman Pascha überzuwälzen, von denen er behauptete, daß sie seinen klaren Befehlen zuwider gehandelt hätten. Allein in der öffentlichen Meinung war er gerichtet. Heimgekehrte Freiwillige aus Mostar waren voll des Lobes über Selim Pascha und verurteilten auf das Schärfste die Kopflosigkeit des Muschirs. Ja sogar in Stambul kritisierte man schonungslos sein unbedachtes Vorgehen, und auch Osman Pascha, der in Cetinje gefangen saß, nahm sich kein Blatt vor den Mund, sondern griff in seiner Rechtfertigungsschrift den Oberbefehlshaber schonungslos an. Nichtsdestoweniger verblieb Muktar Pascha in seinem Kommando, und wir mußten es erleben, daß er einige Tage nach dieser Niederlage den soeben aus Stambul angekommenen Divisionär Dschelaluddin Mustafa Pascha, einen gebürtigen Polen und mir aus Bagdad befreundet, wegen persönlicher Zwistigkeiten in Arrest setzen ließ, aus welchem sich dieser nur durch das Verlangen nach seiner Übersetzung zum albanischen Armeekorps befreien konnte, wo er zwei Wochen später in einem Gefechte bei Martini c fiel. Die ungeahnte, große Niederlage erzeugte unter der mosli-mischen Bevölkerung von Bosnien und der Hercegovina begreiflicherweise eine äußerst gedrückte Stimmung, zumal da auch von dem benachbarten albanischen Kriegsschauplatze schlimme Nachrichten eingetroffen waren. Hier hatte Muschir Mahmud Pascha das Unglück, daß seine Truppen gleich bei dem ersten Unternehmen, der Verproviantierung des Blockhauses Medun1) von einer unerklärlichen Panik ergriffen und zu sinnloser Flucht l) Nordöstlich von Podgorica. Das antike Medeon. hingerissen wurden, was die Abberufung des Befehlshabers zur Folge hatte. Allein auch sein Nachfolger Derwisch Pascha erntete keine Lorbeeren, und nach vierwöchentlichen vergeblichen Vorrückungsversuchen standen die türkischen Truppen noch immer um Spuz herum. Gleich nach erfolgter Kriegserklärung von seiten Montenegros hatte die österreichisch-ungarische Regierung, um ihre Neutralität zum Ausdrucke zu bringen, den Hafen von Kiek gesperrt, so daß die hier ankernde türkische Fregatte abdampfen mußte und den türkischen Operationen jede Benutzung des Meeres entzogen blieb. Die türkischen Staatsmänner machten zwar sauere Gesichter, fanden sich aber bald mit dem „ Kis-met" ab. Gegen Ende August 1876 rührte sich endlich Muktar Pascha wieder und versuchte bei Klobuk1) einen Einfall in Montenegro in der Richtung gegen Gr ah ovo, wahrscheinlich in der Absicht, zwischen die montenegrinischen Streitkräfte einen Keil einzuschieben und das Vordringen der Türken nach Danilovgrad2) zu erleichtern. Allein diese Taktik blieb ganz erfolglos. Die Montenegriner wußten nur zu gut, daß die geschwächten Truppen Muktar Paschas über Grahovo nicht vorzudringen vermöchten und lieferten nur ganz unbedeutende Gefechte. Endlich kam nach dem Falle von Aleksinac3) auf Drängen der Mächte ein Waffenstillstand mit Serbien und Montenegro zustande, der Feder der Diplomaten die weitere Arbeit überlassend. Eines Abends, da ich eben wieder bei Ali Pascha weilte, erhielt dieser vom Großwesir eine chiffrierte Depesche mit der Weisung, den Inhalt selbst zu entziffern. Ich beobachtete aus meinem Winkel heraus das wechselnde Mienenspiel Ali Paschas während dieser schwierigen Arbeit, bis ein konvulsivisches Lachen mich aufschreckte. „Das ist wahrlich zu dumm!" rief der aufgeregte Wali, indem er mir die Depesche zu lesen gab. „So weit sind wir also gekommen," fuhr er fort, *•) Östlich von Trebinje. 2) Nordöstlich von Cetinje. 3) Nördlich von Nis. „daß wir zu solchen dummen und feigen Mitteln greifen müssen? Ich fühle mich angeekelt von diesem Auftrage und schäme mich vor Europa!" Die Depesche beauftragte nämlich Ali Pascha, eine von den Notablen aller Glaubensbekenntnisse zu unterfertigende Kundgebung — Masbata — jedoch bei Vermeidung eines jeden Scheines einer behördlichen Intervention zu veranlassen, in welcher die Unterfertiger gegen die von England für Bosnien und die Hercegovina geforderte Autonomie öffentlich protestieren und erklären sollten, daß sie als treue Untertanen des Sultans jede Neuerung ablehnten und nichts anderes wünschten, als den bestehenden Zustand für alle Zeiten aufrecht zu erhalten. So widerwärtig der Befehl war, er mußte vollzogen werden. Es fand sich ein Willfähriger, welcher, angeblich aus eigener Initiative, auf der ihm vorgelegten Petition alle möglichen Unterschriften sammelte, um sie hierauf direkt an die Hohe Pforte abzusenden. Eine gleiche Komödie spielte sich in Sarajevo ab, doch gab es hier einen bezeichnenden Zwischenfall. Zu der auf Anregung des Wali von einem türkischen Notablen einberufenen Versammlung war auch der orientalisch-orthodoxe Metropolit Anthimos mit einigen serbischen Kaufleuten geladen worden. Als diese erfuhren, worum es sich handelte, erklärten sie, vorerst die Vertretung ihrer Glaubensgenossen, die orientalischorthodoxe Kirchen- und Schulgemeinde, befragen zu müssen. Am nächsten Tage aber erschienen zwei Vertreter der Gemeinde und erklärten, an dieser Aktion nicht teilnehmen zu können, da es sich um eine politische Angelegenheit handle, die Regierung aber der Vertretung des serbischen Volkes jede Einmischung in solche Angelegenheiten untersagt habe. Einige Tage nach dieser erbärmlichen Komödie trug sich in Mostar ein bedeutsames Gegenstück zu. Als Antwort auf eine serbisch-montenegrinische Proklamation, in welcher Bosnien und die Hercegovina als serbische Erblande in Anspruch genommen wurden, ließ der katholische Bischof Fr a Angjeo Kraljevič in Mostar in der Druckerei des Franziskaner-Ordens eine Kundgebung drucken, in welcher er feierlich erklärte, daß die katholische Bevölkerung für den Fall, als der Sultan das Land nicht sollte behaupten können, mit Österreich vereinigt zu werden wünsche, mit welchem sie durch alte nachbarliche Beziehungen wie durch die Gemeinsamkeit des Glaubens innig verbunden sei. Der österreichisch-ungarische Kommissar, Generalkonsul Wasic, ließ allen seinen Kollegen Exemplare dieser Kundgebung zukommen und noch an demselben Tage erhielt auch Ali Pascha davon Kenntnis. Dieser wollte anfangs energische Maßregeln gegen den Bischof ergreifen, stand jedoch auf meinen Rat davon ab und begnügte sich, die Angelegenheit dem Großwesir zu berichten. Der österreichischungarische Konsul Anton Strautz, der schon seit langem mit Wasiö auf gespanntem Fuße stand, versicherte, von der ganzen Sache nichts gewußt zu haben, und auch der Kodscha-Baschix) der Katholiken, StijepanGrabovac, verleugnete in begreiflicher Angst jede Gemeinschaft mit diesem Schritte des Bischofs und der Franziskaner. Schon nach drei Tagen ließ Strautz dem Wali die vertrauliche Mitteilung zukommen, Graf Andrässy hätte von Wasid Auskunft über den Vorfall verlangt, und tatsächlich erhielt dieser nach Verlauf von kaum einer Woche den Befehl, auf seinen Posten nach Scutari zurückzukehren. Es ist wohl möglich, ja wahrscheinlich, daß der ganze Rummel dem Wiener Kabinett etwas verfrüht erschienen ist, weshalb Wasic, von dem allgemein behauptet wurde, daß er in dieser Sache mit dem Bischof unter einer Decke gespielt, durch seine Entfernung von Mostar desavouiert werden mußte. Seit Wochen schon bat ich Ali Pascha mich doch ziehen zu lassen, da ich in Mostar ganz überflüssig sei. Allein ich ward von einem Tage zum anderen damit vertröstet, daß auch der Wali seine baldige Abberufung erwarte, zumal da die administrative Trennung der Hercegovina von Bosnien sich durchaus nicht bewährt hätte. Endlich befreite mich eine Depesche des neuernannten Wali Nasif Pascha aus Sarajevo, in welcher dieser meine unverzügliche Rückkehr nach Sarajevo zur Übernahme des Spitalsdienstes forderte, aus meiner peinvollen Lage. Anfangs November 1876 kehrte ich also nach Der von der Behörde bestellte Vertreter (Vorsteher) des von den Katholiken bewohnten Stadtviertels. Koetschet-Grass 1, Aus Bosniens letzter Türkenzeit. 5 Sarajevo zurück, nachdem ich zehn Monate lang- den trostlosen Verfall der türkischen Staatsmaschine aus nächster Nähe und in allen Einzelheiten kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hatte. Der Abschied von Ali Pascha fiel mir sehr schwer. Er war der einzige Türke, bei dem ich auf meinen langen Wanderungen im Oriente ein warmherziges europäisches Gemüt gefunden habe. II. Die Auflösung der ottomanischen Herrschaft in Bosnien und der Hercegovina und die Okkupation 1877—1878. Bei meiner Rückkehr nach Sarajevo fand ich eine überaus düstere Lage vor. Handel und Gewerbe stockten, die Ernte war schwach ausgefallen, auf allen Gesichtern malte sich Mißmut. Die Moslims, deren Söhne zum großen Teile als Soldaten vor dem Feinde standen, machten aus ihrer Unzufriedenheit gar kein Hehl, die Christen aber waren in unaufhörlicher Angst und mußten ihre wahre Stimmung den türkischen Machthabern gegenüber heuchlerisch verbergen. Der neue Wali Nasif Pascha, ein früherer Sekretär Omer Paschas, machte auf mich den denkbar ungünstigsten Eindruck. Mit einer gewandten Feder verband er die Gabe, sein Amt zu seinem eigenen Vorteile auszubeuten. Ich hatte mir bei meinem Abgange von Mostar fest vorgenommen, kein politisches Amt mehr zu übernehmen, sondern als ruhiger Zuschauer die Ereignisse an mir vorbeiziehen zu lassen, welche ich kommen sah. Aufmerksam verfolgte ich die letzten Szenen des Dramas, die sich in Stambul abspielten: Die Beschickung des türkischen Parlamentes, auf welchem der Jude Jawer Effendi Baruch • Bosnien vertreten sollte; die peinlichen Auftritte in der berüchtigten Stambuler Konferenz, in welcher die Mächte den stolzen Türken unbarmherzig das Messer an die Kehle setzten usw. Es entging mir aber auch nicht, daß Österreich-Ungarn in Bosnien und der Hercegovina eine größere Regsamkeit zu entfalten begann, welche erkennen ließ, daß Graf Andrassy die Zeit für die Durchführung seiner Pläne auf der Balkanhalbinsel für gekommen erachtete. Obwohl das Kriegsministerium in Wien seit langen Jahren über die topographischen Verhältnisse dieser Länder genau unterrichtet sein mußte, und zwar insbesondere durch die kartographischen Aufnahmen der Herren Gustav Thoemmel1) Johann Roškiewicz2) und Heinrich Daublebsky von Sterneck,3) so wurde doch im Winter 1876 der Generalstabshauptmann Milinkovic in höchst auffalliger Weise dem österr.-ungar. Generalkonsulate in Sarajevo als Vizekonsul zugeteilt. Hauptmann Milinkovic benahm sich überaus taktvoll und hütete sich wohl, den Zweck seiner Zuteilung auch nur durch ein unvorsichtiges Wort zu verraten; nichtsdestoweniger war es jedem Einsichtsvollen klar, daß es sich nur darum handeln konnte, Informationen zu sammeln, welche für eine spätere militärische Aktion von Bedeutung sein könnten. Gegen Ende April 1878 unternahm Hauptmann Milinkovic eine Reise nach Više grad, Prijepolje und Taslidže (Plevlje), und einige Tage darauf wurde ich in den Konak gerufen, wo mir der Wali Mashar Pascha und sein Ziviladlatus Constant Pascha eine vom Telegraphendirektor zur Einsicht übermittelte Depesche zeigten, in welcher Milinkovic in deutscher Sprache an die Militärkanzlei nach Wien berichtete, daß die christliche Bevölkerung von den loyalsten Gefühlen gegen Seine Majestät beseelt sei. Mashar Pascha wollte die Depesche beanständen, stand aber auf meinen Rat davon ab und begnügte sich damit, den Inhalt der Depesche, welche ich ins Französische übertrug, an die Pforte zu berichten. Der Winter 1876—1877 verging in unfruchtbaren diplomatischen Verhandlungen. Mit Serbien war ein fauler Friede geschlossen worden; dagegen brach mit Montenegro nach Ablauf *) Verfasser von „Geschichtliche, politische und topographisch-statistische Beschreibung des Vilajet Bosnien, das ist das eigentliche Bosnien, nebst Türkisch-Kroatien, der Hercegovina und Rascien." Wien 1867. A. Wenedikt. 2) Vgl. dessen „Studien über Bosnien und die Hercegovina". Leipzig und Wien 1868. F. A. Brockhaus. 3) Vgl. dessen „Geographische Verhältnisse, Kommunikationen und das Reisen in Bosnien, der Hercegovina und Nord-Montenegro. Wien 1877. W. Braumüller. des zweiten Waffenstillstandes der Krieg aufs Neue aus, ohne daß es indes zu ernsten Kämpfen gekommen wäre. Unterdessen sammelte Rußland seine Truppen am Pruth in der Gegend von Kischenew, die Türkei aber blieb in ihrer Verblendung dabei, lieber alles aufs Spiel zu setzen, als auch nur die geringste administrative Konzession zu machen. Im Februar 1877 flog die Kunde durch Europa, daß Midhat Pascha plötzlich seines Amtes entsetzt und auf einem Staatsdampfer in die Verbannung abgeführt worden sei. Es gab viele, welche nunmehr eine weise Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen der europäischen Mächte, namentlich Rußlands, erwarteten, allein die türkischen Staatsmänner hatten sich so sehr in ihre eigensinnigen Anschauungen verrannt, daß an eine vernünftige Rückkehr nicht mehr zu denken war. Der Ausbruch des Krieges war nur mehr eine Frage der Zeit. Das russische Heer stand in Kischenew unter dem Befehle des Großfürsten Nikolaus vollständig marschbereit und die Türken sammelten sich längs der Donau. Nach gegenseitiger Aufforderung und Verweigerung der Abrüstung erfolgte endlich am 24. April 1877 die Kriegserklärung von Seite Rußlands. In Bosnien war im April 1877 ein neuerlicher Wechsel in der Person des Wali eingetreten. Der unfähige und geschwätzige Nasif Pascha war durch einen homo novus, Mashar Pascha, ersetzt worden, dem als Ziviladlatus der bereits im November 1876 aus der Hercegovina heimgekehrte Constant Pascha beigegeben wurde. Mashar Pascha, der letzte bosnische Wali, stand damals in mittleren Jahren und war ein echtes Stambuler Kind, scharfsinnig und als langjähriger Beamter im Serail in der türkischen Gesetzgebung wohl bewandert. Gleich am frühen Morgen nach seiner Ankunft ließ er mich zu sich kommen, um in schlichten Worten eine persönliche Aussprache mit mir zu suchen. Er sei nur ungern nach Sarajevo gekommen, da er die Lage dieser Provinzen nur oberflächlich kenne und für deren Bevölkerung keinerlei Sympathie empfinde. Der Großwesir Edhem Pascha und insbesondere Ali Pascha hätten ihn auf mich aufmerksam gemacht und er lege besonderes Gewicht darauf, mich wieder meine frühere Stelle als Dragoman und politischer Referent einnehmen zu sehen. Meine Zustimmung vorausgesetzt, wolle er sofort an den Minister des Äußern telegraphieren, um meine Reaktivierung zu erwirken. Ich lehnte jedoch diesmal mit aller Entschiedenheit ab, erklärte mich jedoch über vieles Zureden bereit, meine Erfahrungen und Anschauungen als diejenigen eines unabhängigen Privatmannes dem Wali jederzeit zur Verfügung zu stellen. Meinem langjährigen Freunde Constant Pascha gegenüber rechtfertigte ich nachträglich diesen Entschluß. Er hörte mich schweigend an und ich gewann den Eindruck, daß er mir innerlich recht gebe und meine Befürchtungen betreffs der nächsten Zukunft dieser Provinzen teile. Aus der letzteren Erwägung heraus mag sein mir bald offenkundiges Streben entsprungen sein, sich bei allen Konfessionen eine Stellung zu sichern, welche ihn, den ersten christlichen Beamten, bei einer Änderung der Regierungsform für eine leitende Stelle geeignet erscheinen lassen konnte. Dieser edle Ehrgeiz sollte jedoch nicht befriedigt werden, denn es war Constant Pascha nicht gelungen, sich zwischen den widerstreitenden Interressen im Gleichgewichte zu erhalten. Es kann nicht meine Aufgabe sein, die Ereignisse des Krieges hier zu erzählen; sowohl der mörderische Durchzug Sulejman Paschas durch Montenegro als auch die heldenmütigen Kämpfe um Plevna gehören der Geschichte an. Als im Juli 1877 die Montenegriner die Stadt Niksic belagerten und schließlich durch Aushungerung und Abschneidung des Quellwassers zur ehrenhaften Übergabe zwangen, rührte sich auch in Sarajevo etwas wie kriegerischer Geist. Unter der persönlichen Leitung Mashar Paschas wurden die waffenfähigen Moslims der Landeshauptstadt aufgeboten und auf dem Mussalaplatzex) gemustert und formiert. An einem schönen Augusttage zogen diese Vaterlandsverteidiger aus, bis an die Stadtgrenze begleitet von einer unübersehbaren Schar von Frauen, Kindern und Müßiggängern. Ihre Begeisterung hielt jedoch nicht lange an. Schon in Mostar brachen Zwistigkeiten zwischen den Anführern und Mißhelligkeiten mit den Lokalbehörden 1) Dort, wo gegenwärtig die beiden Palais der Landesregierung stehen. wegen der Verproviantierung aus. Erst nach einigen Tagen setzte ein Teil von ihnen den Weitermarsch bis Nevesinje fort. Nach Verlauf von drei Wochen aber waren alle, teils einzeln, teils in ganz kleinen Gruppen über Berg und Tal nach Sarajevo zurückgekehrt. An demselben Tage, da die Musterung dieser Helden auf dem Mussalaplatze stattfand, ließ mich Mashar Pascha in den Konak rufen, um mir mitzuteilen, daß ich zum türkischen Konsul in Agram ernannt sei. Ich lehnte sofort und mit aller Entschiedenheit ab, nicht nur, weil ich zu wissen glaubte, daß die österr.-ungar. Regierung die Errichtung eines türkischen Konsulates in Agram nicht zugeben werde, sondern auch weil ich nach meinen vielen Erfahrungen vom politischen Dienste überhaupt nichts mehr wissen wollte. Während des ganzen Krieges bot Sarajevo ein Bild idyllischer Ruhe, obwohl der Belagerungszustand verhängt worden war. Als im Laufe des Sommers zwei junge Serben, Kosta Cukovic und Risto Damjanovic, wegen einiger unvorsichtiger Worte verhaftet und in die Kaserne abgeführt wurden, gelang es mir unschwer, den kommandierenden General Weli Pascha von der Harmlosigkeit der Sache zu überzeugen und die beiden „Märtyrer der Freiheit" ihren jammernden Familien zurückzuführen. Als der Präliminarfriede von San Stefano unterzeichnet war, begann es sich auch in den Gemütern der Bosnier zu regen. Die Zerstückelung der europäischen Türkei schien unvermeidlich geworden zu sein und die abenteuerlichsten Gerüchte über die künftige Regierungsform durchschwirrten die Luft. Die ottomanische Regierung bewahrte absolutes Stillschweigen über die Abmachungen von San Stefano, schien aber nicht im mindesten durch die Haltung Österreich-Ungarns beunruhigt zu sein. Im März 1878 telegraphierte Mashar Pascha dem damaligen Ministerpräsidenten Ahmed Wefik Pascha, daß nach allen Berichten seiner Kundschafter Österreich-Ungarn sichtlich mit Vorbereitungen zu einer militärischen Intervention in Bosnien beschäftigt sei. Nach zwei Tagen erst kam die Antwort und diese lautete seltsam genug: Man möchte ihn, den Ministerpräsidenten, künftighin mit solchen albernen Berichten verschonen. Das Frühjahr 1878 fand die ganze Türkei in einem Zustande tiefsten Elends. Bosnien war im Verhältnisse noch am wenigsten in Mitleidenschaft gezogen. Mit Ausnahme der östlichen Hercegovina und der trockenen Grenze gegen Kroatien, welche durch das Feuer des Aufstandes verheert waren, hatten die Bauern im ganzen Lande ihre Felder bestellt, und nirgends gewahrte man ein Anzeichen dafür, daß ein schweres Unheil im Anzüge war. Wenn nun aber auch das Landvolk im allgemeinen seine gewohnte apathische Ruhe bewahrte, so war die Erregung der Gemüter in den Städten, namentlich in Sarajevo, um so auffallender. Es war ein öffentliches Geheimnis, daß die Bestimmung des Friedensvertrages von San Stefano, welche Bosnien eine autonome Regierungsform in Aussicht stellte, die alten Aspirationen der bosnischen Moslims geweckt hatte, welche die ihnen seit dem Jahre 1851 allzu europäisch erscheinende ottomanische Regierung zwar ertragen mußten, ohne sich jedoch im Herzen jemals mit ihr befreunden zu können. Der unglückliche Krieg hatte das Ansehen und die Macht der türkischen Behörden vollständig untergraben. Der Generalgouverneur konnte sich nicht verhehlen, daß auch in Bosnien und der Hercegovina das ottomanische Prestige geschwunden sei, und sah sich angesichts der allgemeinen Unordnung, der Unsicherheit der Zukunft und der leeren Staatskassen gezwungen, eine Politik des Abwartens zu verfolgen. Die bosnischen Moslims hatten mit Hingebung ihr Blut geopfert zur Verteidigung des Reiches. Auf allen Schlachtfeldern hatten ihre Bataillone rühmlich gekämpft und im Frühjahre 1878 befanden sich wohl vier bosnische Bataillone in der Nähe von Stambul, während andere in Rußland gefangen waren und die Reservisten noch längs der serbischen und montenegrinischen Grenze in Waffen standen. Gerade der trostlose Zustand des Heeres, welches seit langem keinen Sold erhalten hatte, ja hie und da sogar nur äußerst mangelhaft verpflegt wurde, gab den Unzufriedenen den lange ersehnten Anlaß, offen gegen die ottomanische Regierung aufzutreten. Bevor ich jedoch in die Schilderung der folgenden Ereignisse eintrete, möchte ich, in großen Zügen wenigstens, die hauptsächlichen Personen dieses Dramas kennzeichnen. Der Wali Mashar Pascha wurde bereits früher1) kurz charakterisiert. Schon nach einjähriger Amtstätigkeit hatte sich seine Abneigung g'egen die Moslims von Sarajevo ins ungemessene gesteigert und anfangs Mai 1878, als wir einmal zufällig die gläubigen Sarajlis2) in großen Scharen aus der Kaisermoschee (Careva Džamija) nach dem Gebete herausströmen sahen, sagte er zu mir: „Wenn unsere Regierung Bosnien überhaupt soll behaupten können, so muß sie alle diese Dickköpfe, wie im Jahre 1861, ohne Gnade und Barmherzigkeit nach Anatolien verbannen, denn mit ihnen ist jeder Fortschritt und jede kulturelle Arbeit unmöglich." In der ersten Zeit war Mashar Pascha mit seinem Ziviladlatus Constant Pascha eng verbunden. Als aber die öffentliche Meinung der Christen den letzteren als den zukünftigen Chef der autonomen Provinzial-verwaltung zu bezeichnen begann, wandte er sich augenfällig gegen ihn. Es konnte ihm auch nicht entgangen sein, daß Constant Pascha sich selbst dieser Hoffnung hingab, denn er tat alles, um über seine Aspirationen keinen Zweifel übrig zu lassen. Trotz meinen Warnungen hatte er sich mit den Maßgebenden unter den Serben von Sarajevo so sehr offen verbunden, daß ihm die moslimischen Notabein bald unverhohlenen Haß entgegenbrachten. Von besonderem Einflüsse im Konak war Mustafa Beg Fadilpašič, der vor kurzem erst aus der Verbannung in Stambul zurückgekehrt war. Maßlos ehrgeizig, stellte er seine eigenen persönlichen Ziele und Vorteile über alles. Er stand an der Spitze einer weitverzweigten Koterie, welche immerdar von der Wiederherstellung der alten bosnischen Glanzzeit sprach, dabei aber stets nur ihre eigenen Vorteile und Interessen im Auge hatte. Zu den Führern jener Zeit gehörte ferner Mehmed Beg Kapetanovič-Lj ubušak, damals in seinen besten Jahren, Vgl. o. S. 68. 2) Bewohner von Sarajevo. sehr intelligent, belesen und von einer zündenden Beredsamkeit. Er war ins Parlament gewählt und später zum Beledie-Reis') bestellt worden, welche Stellung ihn jedoch wenig zu befriedigen schien. Schon im Frühjahr 1878 nämlich bewarb er sich um den Posten eines Mutessarif mit Pascharang. Der Wali erstattete tatsächlich einen darauf abzielenden Antrag an die Pforte, beeilte sich aber, diesen Antrag auf konfidentiellem Wege selbst zu bekämpfen, was der Pforte, welche Einheimische nur sehr ungern in die einflußreiche Stellung eines Untergouverneurs vorrücken ließ, den erwünschten Vorwand gab, die Ernennung nicht zu vollziehen. Diese Zurücksetzung dürfte wohl auch dazu beigetragen haben, den ehrgeizigen Mehmed Beg den Unzufriedenen in die Arme zu treiben, in deren Reihen er bald, dank seiner schlagfertigen Beredsamkeit, eine führende Rolle spielen sollte. Ein durchaus ehrlicher Charakter war Mohamed Effendi Hadschi Jamakovic, Scheich2) und Muderis,3) ein begeisterter Fanatiker, welcher an den früheren Wirren nie einen Anteil genommen hatte. Nun aber griff er mit ganzer Energie in die Bewegung ein, überzeugt, daß die ottomanische Regierung nicht mehr imstande sei, die verhaßten europäischen Giaurs abzuwehren. Das Gegenstück zu diesem selbstlosen Charakter war Haki Ismail Beg Taslidzak, ein Mann ohne jedwede Erziehung und Bildung, welcher einige Jahre im Heere gedient hatte, nach seinem Austritte aus demselben in sinnloser Verschwendung jüdischen Wucherern in die Hände geraten war und nun bei der Umstürzung aller bestehenden Ordnung seine eigene Rettung zu finden hoffte. Aus der ziemlich großen Zahl der übrigen Wortführer der Bewegung ist noch Hafis Ab- 1) Bürgermeister. 2) Vorsteher und Vorbeter einer Tekje, d. i. eines Bethauses, in welchem von dem Stifter vorgeschriebene und organisierte Andachtsübungen verrichtet werden. 3) In Bosnien und der Hercegovina Lehrer an einer Medresse, d. i. an einer Lehranstalt, an welcher Vorbeter, Religionslehrer und überhaupt Funktionäre religiöser Anstalten herangebildet werden. Sonst Lehrer im allgemeinen. dulah Effendi Kaukdzic zu nennen, Imam1) an der Gasi Husrew Beg-Moschee, ein unruhiger Fanatiker, der schon zu Osman Paschas Zeiten als wütender Christenhasser sich hervorgetan hatte und deswegen wiederholt mit dem Konak in Konflikt geraten war. Sein Einfluß erstreckte sich insbesondere auf die niederen Volksschichten, die er mit aller Macht seines dämonischen Wesens für den Aufruhr zu gewinnen wußte. Gemeinsam war allen diesen Führern eine tiefe Abneigung sowohl gegen die Osmanli wie gegen die fremden Giaurs und daraus hervorgehend der glühende Wunsch, die verschollene Herrlichkeit der rechtgläubigen bosnischen Feudalherren wieder aufzurichten. Der bekannteste unter allen Männern, welche in dieser Erhebung eine Rolle gespielt haben, ist jedoch Salih Effendi Hadschi Lojo.2) Er imponierte insbesondere gewaltig dem niederen Volke durch seine herkulische Gestalt wie durch seine donnernde Stimme. Bereits zu Anfang des Jahres 1876 war Hadschi Lojo aus Sarajevo verschwunden, um sich im Lande als ein abenteuernder Kondottiere herumzutreiben, der es insbesondere auf die christliche Landbevölkerung abgesehen hatte. Als die Klagen gegen diesen sonderbaren Räuber immer häufiger wurden, mußte sich der Wali wohl oder übel entschließen, Streifzüge zu seiner Festnahme anzuordnen; allein die an der Spitze kleiner Abteilungen entsandten Offiziere kamen jedesmal mit leeren Händen zurück, und zwar, wie mir aus guter Quelle versichert wurde, nur deshalb, weil sie aus übertriebener Ängstlichkeit dem Gefürchteten auszuweichen wußten. Hadschi Lojos Bruder Ibrahim, welcher später auf eigene Faust die Wege unsicher machte, wurde im Frühlinge 1878 in der Nähe von Travnik erschossen. Als Hadschi Lojo erfuhr, daß in Sarajevo eine geheime Verschwörung gegen die Regierung im Zuge sei, kam er anfangs Juni 1878 bei Nacht nach Sarajevo zurück. Mashar Pascha wußte zwar davon, fand aber nicht den Mut, ihn festnehmen zu lassen, da die öffentliche Desorganisation angesichts der stündlich erwarteten Entscheidung des Berliner Kongresses über das Vorbeter in einer Moschee. 2) So, nicht Loja, wie er gewöhnlich genannt wird. Schicksal Bosniens und der Hercegovina schon zu weit vorgeschritten war. Ob Hadschi Lojo von den eigentlichen Urhebern und Anstiftern der Bewegung nach Sarajevo zurückberufen worden war, habe ich nicht ergründen können. Jedenfalls aber war er ein treffliches Werkzeug zur Mobilisierung der breiten Massen, welche ihm begeistert folgten. Schon anfangs Mai 1878 hatte die Polizei in Erfahrung gebracht, daß allabendlich nach dem Gebete auf verschiedenen Punkten der Stadt Zusammenkünfte stattfinden, auf denen insbesondere dieUlema1) und Hodscha2) eine Rolle spielten. Man wußte auch, daß in erster Reihe Kaukdziö eine rastlose agitatorische Tätigkeit entwickelte. In der feiernden Tscharschi saßen die Kaufleute Kopf an Kopf beieinander, die Politik des Tages hatte alle anderen Interessen in den Hintergrund gedrängt. Man sprach davon, daß eine Monstreadresse im Zuge sei, in welcher alle Wünsche, Klagen und Beschwerden niedergelegt werden sollten. Eines Tages sprach eine Abordnung mehrerer Handwerke, namentlich der Kesselschmiede, unter Führung des Ahmed Effendi Nako bei Mehmed Beg Kapetanovi<5 vor, um die Leiden des arbeitenden Volkes vorzutragen und sich Rat zu erbitten, was angesichts der von Tag zu Tag sich verschlimmernden Lage zu tun sei. Mehmed Beg, der den Zweck des Besuches wohl kannte und mehr wußte, als er sich den Anschein gab, suchte die Leute mit nichtssagenden Redensarten abzufertigen, indem er versicherte, daß er im Interesse des arbeitenden Volkes jederzeit gern seinen ganzen Einfluß aufbieten werde. Nachdem sich die Abordnung entfernt hatte, glaubte Mehmed Beg die Sache mit einem verächtlichen Lächeln abtun zu dürfen. Ich warnte ihn aber eindringlich davor, nicht mit dem Feuer zu spielen, da ihm sonst der Brand leicht über den Kopf wachsen könnte. Daß er mit dem fana-tisierten Pöbel nichts gemein hatte, war mir bekannt, denn oft genug hatte ich mit ihm über die nächste politische Zukunft gesprochen, wobei wir uns jedesmal recht gut verstanden, wenn *) Pluralform für das arabische Alim. Die Schriftgelehrten. 2) Hodscha, jeder Glaubensfunktionär. wir auch nicht immer die Dinge beim rechten Namen zu nennen wagten. Am 2. Juni 1878 wurde die lange besprochene und erwartete Adresse, mit unzähligen Unterschriften bedeckt, dem Wali überreicht. Sie schilderte zunächst in grellen Farben die materiellen Leiden der moslimischen Bevölkerung, die große Opfer gebracht habe für die Interessen des Staates, ohne doch darum von diesem in ihren eigenen Lebensinteressen geschützt zu werden, denn die Autorität der Behörden sei durch unehrliche und bestechliche Beamte untergraben, die Verwaltung werde weder im Geiste des Scheri1) noch mit der gebotenen Rücksichtnahme auf die altherkömmlichen Gewohnheiten der Landesbewohner gehandhabt, die Leitung der militärischen Angelegenheiten Bosniens sei vernachlässigt und liege in unwürdigen Händen, die Umtriebe der Nachbarstaaten gefährdeten die Ruhe und Sicherheit des Landes u. dgl. Obschon keine Namen darin genannt waren, so wußte man doch allgemein, daß alle diese Klagen auf Constant Pascha und den Militärkommandanten Weli Pascha abzielten. Mashar Pascha nahm die Anklageschrift entgegen und berief zur Beratung derselben eine Konferenz der Notabein und der Spitzen der Behörden. Hier hielt zunächst Mehmed BegKapetanovic eine lange feurige Ansprache, welche zwar wenig besagte, aber von patriotischen Brocken strotzte und von den Anwesenden mit stürmischem Beifalle aufgenommen wurde. Dann erging man sich in uferlosen Debatten über die politische Lage des Landes, den Frieden von San Stefano, den Berliner Kongreß und andere hochpolitische Angelegenheiten, von denen in der Petition gar nicht die Rede war. Endlich wurde die Einsetzung eines 24gliedrigen Ausschusses angenommen, welcher unter dem Vorsitze seines selbstgewählten Präsidenten die vorgebrachten Klagen und Beschwerden prüfen, Vorschläge zu deren Behebung erstatten, die Tätigkeit der Militärverwaltung untersuchen, endlich aber auch in Anbetracht der drohenden Lage und einer eventuellen Wiederkehr von Feindseligkeiten die Mittel zur Verteidigung des Landes besprechen sollte. Der Ausschuß, welcher Mustafa Beg Fadil- Die Gesamtheit der im Islam begründeten Rechtssatzungen. pasid zu seinem Vorsitzenden erwählte, versammelte sich beinahe jeden Nachmittag im großen Saale des Konak, vermochte sich jedoch nicht zu bestimmten Beschlüssen aufzuraffen. Mashar Pascha hatte gehofft, daß die geheimen Pläne und Absichten der Urheber dieser Bewegung an den fruchtlosen Beratungen des Ausschusses scheitern würden, um so selbst Zeit zu gewinnen, bis das Schicksal der Provinz entschieden sein würde. Die Pforte, von allen Vorgängen genau unterrichtet, aber durch ganz andere Sorgen völlig in Anspruch genommen, beauftragte Mashar Pascha, zu lavieren, die Dinge nach Möglichkeit gehen zu lassen und ja keine gewaltsamen Gegenmaßregeln zu ergreifen. Unterdessen nahmen die Waffen-und Munitionstransporte, welche seit April 1878 begonnen hatten, immer größere Dimensionen an. Bald waren zur Aufnahme der zahlreichen Kisten keine Magazine mehr vorhanden und im Konak selbst waren über 1000 neue Winchestergewehre und eine große Menge Patronen aufgehäuft. Glaubte denn die Pforte wirklich mit Hilfe Englands den Kampf wieder aufnehmen zu können? Oder wollte sie den Bosniern Waffen zur eigenen Verteidigung gegen Österreich-Ungarn in die Hand liefern? Unter stets wachsender Erregtheit der Gemüter und zunehmender Tätigkeit der Agitation ging der Monat Juni 1878 hin. Die moslimische Bevölkerung von Sarajevo kümmerte sich im ganzen wenig um den Verlauf der diplomatischen Verhandlungen in Berlin; die Fremden aber verschlangen gierig die Zeitungen, welche zweimal in der Woche eintrafen. Einen Wendepunkt in dieser unsicheren Lage brachte der 3. Juli, welcher mir zeitlebens unvergeßlich bleiben wird. Am späten Nachmittage erschien Mehmed Beg Kapetanovic bei mir, um mir in größter Aufregung mitzuteilen, daß er soeben vom österr.-ungar. Generalkonsul Wasic erfahren habe, Graf Andrässy habe aus Berlin telegraphiert, daß der Kongreß Österreich-Ungarn die Verwaltung von Bosnien und derHercego-vina übertragen habe. Der Generalkonsul habe hinzugefügt, er sei gleichzeitig beauftragt worden, die angesehensten Notabein hiervon in Kenntnis zu setzen. Ich nahm Mehmed Beg Kapetanovid unter den Arm und eilte mit ihm zu Constant Pascha, um diesem die wichtige Nachricht zu überbringen. Leider wurde meine eindringliche Mahnung, diesen Kongreßbeschluß nicht voreilig an die große Glocke zu hängen, von niemandem beachtet. Es scheint, daß Graf Andrässy durch schön gefärbte Berichte seiner Agenten hinters Licht geführt worden ist und wirklich geglaubt hat, die Okkupationstruppen würden von dem überwiegenden Teile der Bevölkerung mit offenen Armen empfangen werden. Andernfalls hätte er wohl nicht die Nachricht von dem Mandate, welches Österreich-Ungarn auf dem Berliner Kongresse übertragen worden war, durch den Generalkonsul in Sarajevo selbst in so überstürzter Weise verlautbaren lassen. Tatsächlich genüg-ten die 24 Tage, welche vom 3. Juli bis zum Einmärsche der österr.-ungar. Truppen verstrichen, vollkommen, um einen Widerstand zu organisieren, welcher nur nach blutigen Kämpfen sollte gebrochen werden können. Ohne jenes verhängnisvolle Telegramm wären mindestens noch 10 Tage vergangen, bis die Zeitungen die Kongreßbeschlüsse in Sarajevo bekannt gemacht hätten, zumal da die ottomanischen Behörden zweifellos alles aufgeboten haben würden, um ihre vorzeitige Verlautbarung zu verhindern. Schon am nächsten Tage (4. Juli) konnte es keinem Kundigen entgehen, daß die Tscharschi um diese wichtigen politischen Neuigkeiten bereits wußte. Hatte doch der redselige Konsulatskanzlist Hrkalovic noch in der Nacht die Nachricht herumgetragen und sich an dem sprachlosen Staunen seiner Zuhörer geweidet. Am Vormittage aber begab sich Generalkonsul W asic zum Wali, um diesem offiziell den Inhalt der Depesche des Grafen Andrässy mitzuteilen. Mashar Pascha erwiderte, daß er diese Mitteilung nur als ein privates Gespräch betrachten könne, da er in so hochwichtigen politischen Angelegenheiten Instruktionen nur von seiner Regierung entgegenzunehmen habe, weshalb er den Generalkonsul auch ernstlich einladen müsse, keinen weiteren Gebrauch von dieser Depesche zumachen. Als ich am nächsten Tage (5. Juli), einem Freitage, meinen gewohnten Weg ins Wakufspital ging, fiel mir auf, daß in der Tscharschi und besonders in der Baschtscharschi nur wenige *) Zu den topographischen Angaben über Sarajevo vgl. „Walnys Plan von Sarajevo und Umgebung". Läden geöffnet waren, wie denn überhaupt nur sehr wenige Menschen in diesen Zentren des Verkehres sich bewegten, während anderwärts, vor allem in Kovači große Menschenmengen sich zu sammeln begannen. Namentlich sah man Hodscha und Ulema mit ernsten Gesichtern raschen Schrittes von Gasse zu Gasse eilen. Im Spital traf ich einige bekannte Hodscha, von denen mich einer fragte, ob es denn wahr sei, daß der Padischah Bosnien und die Hercegovina an Österreich-Ungarn abgetreten habe? Ich antwortete, der große europäische Medschlis1) in Berlin habe Österreich-Ungarn beauftragt, die Regierung dieser Länder zu übernehmen, doch sei es jedenfalls angezeigt, vorerst die Befehle aus Stambul abzuwarten. Die Hodscha erwiderten kein Wort, sondern grüßten stumm und zogen ab. Über die Absichten der moslimischen Bevölkerung konnte danach kein Zweifel bestehen. Gegen 10 Uhr wurden alle Läden in der Tscharschi geschlossen und die Christen und Juden liefen in größter Angst nach Hause, denn das Schließen der Läden in der Tscharschi bedeutet in den türkischen Ländern jedesmal eine große Demonstration, wenn nicht eine Erhebung des rechtgläubigen Volkes. Um die Mittagsstunde strömte alles zur großen Gasi Husrew Beg-Moschee; der große Hof der Moschee und alle angrenzenden Gassen waren von Andächtigen dicht gefüllt. Das Gebet verlief in größter Andacht und Ruhe, allein nach seiner Beendigung kam ein immer mehr anwachsendes Murren aus der unbeweglichen, dichtgedrängten Menge. Da wird in der Mitte des Hofes plötzlich eine grüne Fahne entrollt und von den Menschenmassen mit weit hörbarem Zuruf begrüßt. Es ist Hadschi Lojo, der hier öffentlich mit der heiligen Fahne den Aufruhr predigt. Endlich kommt Bewegung in die Massen, man schlägt die Richtung zum Konak ein, Hadschi Lojos Riesengestalt mit der wehenden grünen Fahne an der Spitze. Unterdessen hatte Mashar Pascha den Militärkommandanten Weli Pascha, die höheren Beamten und die angesehensten Notabein um sich versammelt und alle harrten der Dinge, die da kommen sollten. Der Militärkommandant, ein *) Ratsversammlung. echter türkischer Haudegen, erklärte, er sei bereit, mit seinen wenigen Truppen den sich vorbereitenden Aufstand zu unterdrücken, wobei er auf die anatolischen Soldaten und die drei vor der Kaserne1) aufgestellten Kanonen rechne, denn zu dem in der Kaserne konsignierten bosnischen Bataillone habe er kein Zutrauen. Mashar Pascha aber, der noch nicht recht wußte, woran er eigentlich war, ermahnte zur Kaltblütigkeit und wollte die Verantwortung für einen blutigen Zusammenstoß mit dem Volke nicht auf sich nehmen. Auf eigene Faust berief nun der Militärkommandant aus Travnik zwei Kompagnien albanischer Truppen, um für künftige Fälle gerüstet zu sein. Mittlerweile hatten die Sapties unter der Anführung ihrer Offiziere alle Zugänge zum Konak und zur Kaserne besetzt. Gegen i1^ Uhr rückten die lärmenden Demonstranten an. Dichtgedrängt füllten sie den Konakhof, die ganze Konakgasse und den großen freien Platz2) vor der Kaserne. Unter ihnen tat sich Hadschi Lojo durch Schreien und Gestikulieren besonders hervor. Mashar Pascha versuchte vom Balkon aus die erregte Menge zu beschwichtigen, allein umsonst. So wurden denn einige der Anführer in den Konak eingelassen, und nun begann ein endloses Unterhandeln, in dessen Verlaufe die verschiedensten Angelegenheiten, ohne jedweden inneren Zusammenhang, zur Sprache gelangten. Immer aber kam man darauf zurück, ob es wahr sei, daß der Sultan Bosnien und die Hercegovina ausgeliefert habe. Auch die Abdankung Weli Paschas wurde gefordert. Nach langem Hin- und Herreden erklärte dieser, daß er bereit sei, das Kommando über die Truppen niederzulegen und nach Stambul abzureisen, den Oberbefehl aber provisorisch dem Brigadier Ismet Pascha Uz u nid, einem gebürtigen Bosnier, zu übertragen. Die Menge nahm den Entschluß mit großer Genugtuung entgegen, zerstreute sich aber erst, als sich die Schatten der Nacht auf die Stadt herabsenkten. Am Sonntag, den 7. Juli, nach dem Mittagsgebete, begab sich Hadschi Lojo an der Spitze von etwa 1000 jungen Moslims abermals in den Konak, um in feierlicher Weise von ') Jetzt neugebaut als Franz Josefs-Kaserne. 2) Jetzt Philippovicplatz. dem Wali für alle seine früheren Bubenstücke amnestiert zu werden. Der bereits zu großem Ansehen gelangte Volkstribun stieg mit einigen seiner Getreuen stolz die Treppe hinauf, wurde im großen Saale vom Wali und dessen Ratgebern feierlich empfangen, mit schwarzem Kaffee und Zigaretten bewirtet und schließlich gebeten, ein seidenes Säckchen mit einigen Dukaten als Zeichen der Verzeihung entgegenzunehmen. Ich war zufällig bei dieser schmählichen Kapitulation anwesend und konnte mich nicht enthalten, nach dem Abgange Hadschi Lojos und aller Zeugen an Mashar Pascha heranzutreten und ihm im ernsten Tone folgendes zu sagen: „Da Du als Wali von Bosnien soeben abgedankt hast, so gebe ich Dir wie auch Constant Pascha den freundschaftlichen Rat, daß Ihr Euch Weli Pascha anschließet und morgen schon nach Stambul abreiset." Ohne eine Entgegnung abzuwarten, verließ ich schweren Herzens den Konak. Am nächsten Morgen (8. Juli) ließ mich Mashar Pascha zu sich rufen, um mir eine Depesche des Großwesirs zu zeigen, mit welcher die Ankunft des Divisionärs Hafis Pascha an der Spitze von vier Bataillonen angezeigt wurde. Die Lage sei also nicht so verzweifelt, meinte der Wali, wie ich sie mir ausgemalt hätte. Kaum aber hatte er ausgesprochen, als eine Depesche von Hafis Pascha aus Mitrovica eintraf, in welcher dieser sein baldiges Eintreffen mit einer Eskadron Kavallerie ins Aussicht stellte. Kein Wort also von den vier angekündigten Bataillonen! Mashar Pascha war betroffen; er konnte die Lage nicht fassen, denn auf dreimaliges Anfragen war noch immer keine offizielle Mitteilung über die'Beschlüsse des Berliner Kongresses eingelangt. In meiner Gegenwart und unter Zuziehung Constant Paschas, mit dem in dieser Stunde der Gefahr ein Zusammengehen wieder notwendig schien, wurde abermals eine dringende Depesche an die Pforte abgeschickt: Die Lage der Behörden sei eine höchst prekäre, denn sie befänden sich aus Mangel an verläßlichen Truppen beinahe in der Gewalt des zum Aufstande geneigten Volkes, welches die Regierung des Verrates anklage; die Pforte möchte also endlich einen bestimmten Aufschluß über das Schicksal der Provinz Koetschet-Grassl, Aus Bosniens letzter Türkenzeit. 6 geben und dem Wali für sein weiteres Verhalten ganz genaue Maßregeln vorschreiben. Erst nach 24 Stunden traf eine Antwort ein, die indes an Klarheit nahezu alles zu wünschen übrig ließ. Sie lautete: „In Beantwortung Ihrer Anfrage wird Ihnen zu wissen gegeben, daß im Auftrage Seiner Majestät des Sultans die ottomanischen Delegierten des Kongresses beauftragt sind, mit den österr.-ung. Delegierten in Verhandlung zu treten. Ihre Aufgabe besteht darin, das Volk auf schonende Weise zum Abwarten und zur Ruhe zu ermahnen." Die Pforte fand also nicht den moralischen Mut, den Bewohnern von Bosnien und der Hercegovina offen zu gestehen, daß sie durch die unerbittliche Macht der unglücklichen Verhältnisse gezwungen sei, diese Länder preiszugeben. Sie fand noch weniger den Mut, vor einem bewaffneten Widerstande gegen die Okkupationstruppen zu warnen, und sie ist darum von der Schuld nicht freizusprechen, durch ihre unklare und zweideutige Haltung die Bewegung gegen die Okkupation geschürt zu haben. Der schon früher eingesetzte Nationalausschuß nahm seine Tätigkeit wieder auf. In den Sitzungen, welche den ganzen Tag andauerten, wurde eine allgemeine Erhebung des Landes gegen den österr.-ung. Eindringling beraten. Wie ich diese Leute kannte, war sicherlich jeder einzelne ehrlich überzeugt, daß es den gut bewaffneten Landesbewohnern möglich sein müßte, die österr.-ung. Truppen mit Erfolg abzuwehren. Nur Mehmed Beg Kapetanović-Ljubušak scheint den Ernst der Lage richtig erfaßt zu haben, denn er zog sich von den Verhandlungen immer mehr zurück, während Mustafa Beg Fadilpašić sich mehr denn je in der Rolle des Vorsitzenden gefiel. In jenen Tagen hörte ich zum ersten Male das Wort „Švabo",1) womit man verächtlicherweise die Österreicher bezeichnete. Verwünschungen und Lästerungen einerseits, maßlose Überhebung anderseits waren auf der Tagesordnung. Solcher Art war die Stimmung, als Weli Pascha am 8. Juli *) Das deutsche Schwabe, womit von der slawischen Bevölkerung der westlichen Balkanhalbinsel höchstwahrscheinlich infolge der häufigen Berührung mit den schwäbischen Ansiedlern in Südungarn und Slawonien jeder Westeuropäer bezeichnet wird. Wie in der Levante der „Franke". Sarajevo verließ. Mitten durch die Tscharschi zog er hoch zu Roß und seinem höhnischen Lächeln sah man an, ein wie großes Vergnügen es ihm bereitet hätte, die Bewohner dieser Stadt in Grund und Boden zu schießen. Samstag, den 13. Juli, hielt Hafis Pascha seinen feierlichen Einzug in Sarajevo. Die Behörden, der Nationalausschuß und fast alle Notabein waren ihm bis zur Kozija ćuprija1) entgegen geritten, während die Menge auf den Höhen des Alifakovac2) seiner wartete. Hafis Pascha war mein langjähriger Freund, denn wir kannten uns noch aus dem Jahre 1861, da er in Mostar als erster den bei der dortigen Brücke brennenden Pulverturm betrat, das Feuer löschte und so die Stadt vor einer Katastrophe bewahrte.3) Er hatte eine gute Schulbildung genossen, auch einige Zeit in Frankreich studiert und in der letzten Zeit den Bau der Eisenbahnen in Rumelien beaufsichtigt. Uberall galt er als ein biederer und ehrlicher Soldat, welcher zwar strenge die Satzungen seiner Religion befolgte, in allen öffentlichen Angelegenheiten aber ziemlich liberale Anschauungen bekundete. Um dieser alten Freundschaft willen war ich ihm bis Han Bulog4) entgegengefahren. Er freute sich sehr, mich wiederzusehen und erzählte sogleich, daß eine Stunde vor seiner Abreise die bereitgestandenen vier Bataillone Gegenbefehl aus Stambul erhalten hätten, so daß er nur mit einer Schwadron Reiterei nach Sarajevo habe kommen können. In hastiger, unzusammenhängender Rede unterhielten wir uns über die bedrohliche Lage des Landes, bis wir zur Kozija ćuprija kamen, wo der offizielle Empfang stattfinden sollte. Hafis Pascha verabschiedete sich von mir und bat mich, ihn am folgenden Tage möglichst frühzeitig aufzusuchen. *) „Ziegenbrücke" über die Miljačka im Straßenzuge Sarajevo-Pale, 3 km vor Sarajevo. 2) Stadtviertel am Ostausgange von Sarajevo. 3) Vgl. Koetschet, Erinnerungen aus dem Leben des Serdar Ekrem Omer Pascha S. 151 ff. 4) Einkehrhaus an der in Anm. 1 erwähnten Straße, 8 km von Sarajevo entfernt. In jenen bewegten Tagen hatten wir das Schlafen beinahe verlernt und so kam es, daß ich schon um 41/i Uhr früh bei Hafis Pascha vorsprach, den ich bereits an seinem Arbeitstische sitzend antraf. Er erzählte mir, daß er soeben im Begriffe sei, eine längere Depesche an den Großwesir abzusenden, in welcher er meldete, daß er überall im Lande starke Gärung und den festen Willen der Bevölkerung wahrgenommen habe, der Okkupation durch die österreichisch-ungarischen Truppen mit Waffengewalt entgegenzutreten. Ich räumte ein, daß diese Stimmung in weiten Kreisen der Bevölkerung vorherrsche, machte jedoch darauf aufmerksam, daß das Verhalten der Behörden viel dazu beigetragen habe, diesen Geist der Widersetzlichkeit zu nähren, während es doch ihre Pflicht gewesen wäre, auf die Unabwendbarkeit der Okkupation hinzuweisen und vor jeder Gewaltanwendung eindringlich abzuraten, da es nur so möglich wäre, die Verwaltung dieser Länder in geregelter und dem Ansehen der Pforte würdiger Weise an Österreich-Ungarn zu übergeben. Hafis Pascha schien mir im allgemeinen recht zu geben, meinte aber dann, daß es wohl niemandem gelingen würde, die halsstarrigen Moslims von der Notwendigkeit ihrer Unterwerfung zu überzeugen. Als er im weiteren Verlaufe des Gespräches die Bemerkung machte, daß man der Türkei unmöglich zumuten könne, ihre eigenen Untertanen zu bekriegen, um sie einer fremden Macht auszuliefern, da merkte ich mit Betrübnis, daß auch Hafis Pascha weit davon entfernt war, eine friedliche und geregelte Übergabe der Verwaltung von Bosnien und der Hercegovina an Österreich-Ungarn zu wünschen. Dafür schien mir auch der Umstand zu sprechen, daß in seinem Gefolge der Mufti von Taslidže (Plevlje), Wehbi Effendi, mitgekommen war, ein zwar gelehrter, aber zugleich fanatischer Würdenträger, der von der erregten Bevölkerung Sarajevos mit lautem Jubel begrüßt worden war. Hafis Pascha gab zwar zu, daß ihm die Gegenwart des Mufti unangenehm, ja gefährlich zu werden beginne, allein der Mißgriff war einmal getan und konnte auch dadurch nicht wieder gut gemacht werden, daß der Mufti auf einen Wink Hafis Paschas bald darauf nach Hause zurückkehrte. * Jedenfalls war damit Öl in das Feuer des beginnenden Aufruhres gegossen worden. Ich verließ Hafis Pascha in trüber Stimmung und kam bis zum Schlußakte des Trauerspieles weder mit ihm noch mit Mashar Pascha in. Berührung. Was bis zum 27. Juli imKonak geschmiedet wurde, weiß ich nicht. Ich glaube jedoch aus einem an sich unbedeutenden, für orientalische Verhältnisse aber jedenfalls bezeichnenden Vorkommnisse schließen zu dürfen, daß die Unaufrichtigkeit und das gefährliche Lavieren noch immer als oberstes Staatsprinzip galten. Es war einige Tage darauf in der serbischen Schule, wo in Gegenwart Mashar Paschas, Constant Paschas und einiger höheren Beamten die Schlußprüfungen abgehalten wurden, als Salih Aga Softic und der Kaufmann Muhamed Aga Kapetanovic eintraten, um den hier versammelten Würdenträgern ein an Bismarck zu richtendes Telegramm zur Prüfung vorzulegen. Im Namen des ganzen bosnischen Volkes wurde in diesem Telegramme gegen den Beschluß des Berliner Kongresses protestiert und gedroht, daß die Landesbewohner bis zum letzten Tropfen Blutes ihr Vaterland gegen jeden Eindringling verteidigen würden. Selbstverständlich hatte man nicht versäumt, auch einige serbische Kaufleute zur Beisetzung ihrer Unterschrift zu bestimmen, welche diese nolens volens geben mußten. Dieser kindische Schritt erfolgte, wenn nicht auf Initiative der Behörden, doch offenkundig mit Gutheißung des Wali und des Kommandanten Hafis Pascha. Mit wachsender Sorge erfüllte es mich, daß die Vorbereitungen der österreichisch-ungarischen Truppen den Einmarsch noch immer verzögerten, denn jeder folgende Tag mußte unsere Lage verschlimmern. In der Nacht vom 25. zum 26. Juli kam zum letzten Male der österreichisch-ungarische Kurier aus Brod hier an. In seiner Gesellschaft befand sich der Reserveoberleutnant Musitzky, welcher in der Verkleidung eines Weinhändlers dem Generalkonsulate die Proklamation des Kaisers an das bosnische Volk überbrachte. Nachdem mir am Freitag ein Exemplar davon zugestellt worden war, sandte ich sofort Herrn Wasic die dringende Warnung, seinen Kurier sobald wie möglich, spätestens am Samstag früh und nicht wie gewöhnlich erst abends nach Brod abgehen zu lassen, da der Ausbruch der Revolution stündlich zu erwarten sei. Als ich Samstag, den 27. Juli, morgens aus dem Spital heimkehrte, fiel mir die verdächtige Physiognomie der Tscharschi auf, und bald darauf sah man einige Serben in größter Hast nach Hause eilen, um die Haustore zu schließen, während die Aloslims in hellen Scharen zu der Gasi Husrew Beg-Moschee zogen. Hadschi Lojo lief mit seiner Garde wie ein Besessener um die Moschee herum und haranguierte das angesammelte Volk, während die wahren Anstifter und Führer der Bewegung in der benachbarten Kurschumli-Medressel) Beratung hielten. Den Anlaß zu diesem Aufruhr bot ein Befehl Hafis Paschas, die auf der kleinen Bastion aufgestellten Kanonen auf die Anhöhe neben dem Pulverturme zu bringen. Es war offenkundig, daß diesmal die Sache eine ernste Wendung nehmen werde, denn aus allen Stadtteilen strömten die Moslims, gut bewaffnet, zur Moschee. Im Auftrage des Wali waren einige seiner Vertrauensmänner erschienen, um beruhigende Erklärungen zu überbringen; sie wurden jedoch abgewiesen und konnten in den Konak nur die Antwort bringen, daß das Volk nicht mehr mit schönen Worten zu ködern wäre. Hafis Pascha dachte einen Augenblick daran, der Bewegung mit Gewalt zu begegnen, sah jedoch die Unmöglichkeit eines solchen Vorgehens bald ein. In der Kaserne befanden sich höchstens l1^ Bataillone, mitsamt den Kanonieren nicht ganz 1000 Mann, deren Disziplin schon längst gelockert und deren Offiziere demoralisiert und alles Pflichtgefühles bar waren. Das etwa 600 Mann zählende bosnische Bataillon war für die Sache des Volkes bereits gewonnen und wartete nur auf den Augenblick, mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen. Endlich entschloß man sich den Zugang zum Konak durch eine Kompagnie Infanterie absperren zu lassen, während der Eingang zum Polizeigebäude von Sapties besetzt wurde. Kurz nach 1 Uhr nachmittags setzte sich die Masse gegen den Konak in Bewegung, wo ihr Soldaten mit gefälltem Bajonett den Eintritt wehrten. Die Menge staute sich, Schmähungen und ') Vgl. o. S. 73, Anm. 3. Drohungen wurden hinüber und herüber gewechselt. Hafis Pascha trat auf den Balkon, um die Menge zu beruhigen, vermochte sich aber in dem von Minute zu Minute anwachsenden Lärm nicht verständlich zu machen. Bald darauf drängen die Massen vorwärts und der Offizier, welcher einen Durchbruch befürchtet, kommandiert Feuer! Während aber die Truppen nur in die Luft schössen, fallen aus den Reihen der Insurgenten einige wohlgezielte Schüsse und der befehligende Offizier mit zwei Soldaten werden tödlich getroffen. Ähnliche Szenen spielten sich vor der Kaserne ab, deren Zugang von rumelischen Soldaten besetzt war. Im Konak verhandelten Mashar Pascha, Hafis Pascha, Constant Pascha nebst dem Mufti von Sarajevo, Mustafa Hilmi Effendi Omerovic, und einigen Vertrauensmännern mit den Abgesandten der Aufständischen, welche indes nichts weniger verlangten, als die Absetzung sämtlicher ottomanischen Beamten und die Einsetzung einer Nationalregierung. Unterdessen dauerte das Lärmen in den Straßen an, vereinzelte Schüsse fielen gegen den Konak und die aufgebotenen Truppen suchten die immer stürmischer andrängenden Massen durch einzelne, in die Luft abgegebene Salven abzuwehren. Gegen 4 Uhr nachmittags revoltierte das in der Kaserne konsignierte bosnische Bataillon und die pflichtvergessenen Soldaten stürzten mit ihrer Rüstung, Munition, wie überhaupt mit allem, was ihnen erreichbar war, aus den geöffneten Toren, um teils davonzulaufen, teils den Aufständischen sich anzuschließen. Die Behörden trachteten nur noch Zeit zu gewinnen, indem sie alle möglichen Zugeständnisse machten. Vor den Augen der Aufständischen wurde eine Depesche an die Pforte verfaßt, mit welcher dieser gemeldet wurde, daß die Behörden durch den Willen des Volkes zum Rücktritte gezwungen worden seien. Auf diese Weise kam der Abend heran und allmählich leerten sich die Plätze und Gassen der Stadt. Die drei Paschas aber und die übrigen ottomanischen Würdenträger begaben sich in die Kaserne, um hier weitere Beratungen zu pflegen. Im ganzen war der Putsch gelinde verlaufen. Auf beiden Seiten gab es nicht über zehn Verwundete; ein Offizier, zwei Soldaten und ein Aufständischer waren tot. Während dieser Vorgänge hatten die Christen ihre Häuser verschlossen, niemand von ihnen getraute sich auf die Straße. Der bekannte Franziskanermönch und kroatische Dichter Fra Grgo Martic, damals Pfarrer von Sarajevo, war in das französische Konsulat geflüchtet, wo er bis zum Einzüge der österr.-ung. Truppen verblieb. In der Nacht entlud sich ein starker Regen. Das Schießen hatte aufgehört, aber die Aufständischen hielten scharfe Wache. Gegen n Uhr nachts beschlossen die in der Kaserne eingeschlossenen Behörden, zwei Kompagnien in den oberen Stadtteil „Grad" zu schicken, um die dort befindliche Kompagnie und die Artillerie zu unterstützen; allein die Wachen der Aufständischen wehrten ihnen den Durchgang und so mußten die beiden Kompagnien unverrichteter Dinge zurückkehren. Lange nach Mitternacht faßte Hafis Pascha einen Entschluß, der mit einem vollständigen Fiasko enden sollte und mir bis zur Stunde unverständlich geblieben ist. Er verließ nämlich — ob im Einverständnisse mit Mashar Pascha, konnte ich nie erfahren — mit ungefähr 100 Reitern die Kaserne durch das hintere Tor, zog die Terezijagasse hinunter in das Kosevotal und weiter oberhalb des Stadtbezirkes Bjelave, so daß er gegen Tagesanbruch nach mühsamem Ritt unbemerkt beim Visegrader Tor anlangte. Hier gab er der beim Pulverturm aufgestellten Artillerie den Befehl, die Kanonen zu laden und gegen die Stadt zu richten. Sei es nun, daß die Artillerie den Gehorsam verweigert, sei es daß Hafis Pascha selbst den Befehl zur Beschießung zurückgezogen hat, der Pascha nahm die Soldaten mit sich und zog auf der Visegrader Straße ab, Mashar Pascha und die anderen ihrem Schicksale überlassend. Beim Einkehrhause Han na Hresi1) angelangt, sah Hafis Pascha eine starke Abteilung bewaffneter Moslims aus Mokro2) entgegenkommen. Anfangs wollte er sich den Durchbruch erzwingen, allein die Soldaten erklärten, daß sie gegen Glaubensgenossen nicht kämpfen würden. Bald darauf hörte man starke Rufe aus dem Tale, und nun wurde Hafis Pascha gewahr, daß er auch von Nordöstlich von Sarajevo. 2) Ostnordöstlich von Sarajevo. Sarajevo aus verfolgt werde. Er stieg vom Pferde und ergab sich in sein Schicksal. Die Aufständischen forderten ihn auf, mit seiner militärischen Begleitung nach Sarajevo zurückzukehren, und im Miljackatale bewegte sich der Zug zurück zur Gasi Husrew Beg-Moschee, wo nahezu die ganze Stadt versammelt war. Hafis Pascha war selbstverständlich durch seine Gefangennahme des Militärkommandos entkleidet worden. Durch Akklamation wurde nun die neue Regierung ausgerufen. Moha-med Effendi Hadschi Jamakovic und Haki Ismail Beg Taslidzak wurden zu Oberbefehlshabern der bosnischen Streitkräfte ernannt, an der Spitze der Zivilverwaltung aber sollte der zurückgebrachte Hafis Pascha verbleiben, bis der Sultan etwa einen neuen Wali ernannt und nach Sarajevo geschickt haben würde. Hafis Pascha suchte sich durch alle möglichen Ausflüchte dieser zweifelhaften Ehre zu entziehen; allein es nutzte ihm nichts, er mußte sich bequemen. Nun begab sich eine Deputation in die Kaserne, um Mashar Pascha und dessen Genossen zu erklären, daß sie im Namen des bosnischen Volkes abgesetzt seien und sich zur Abreise nach Stambul bereit halten sollten. Hadschi Lojo hatte unterdessen an der Spitze von ungefähr 100 jungen Burschen die Straßen der Stadt durchzogen. Vor dem Hause des angesehenen Serben Petro T. Petrovid,— vom Volke heute noch nur Petraki Effendi genannt — hielt der Zug und Hadschi Lojo verkündete dem am Fenster erschienenen Hausherrn den Sturz der ottomanischen Herrschaft und die Einsetzung einer Nationalregierung, welche die Serben als Brüder anzusehen wünsche. Da holte Petraki einen goldgestickten roten Pelzmantel hervor, überreichte ihn dem Liebling der Straße und unter den Rufen „mi smo bir" (wir sind eins) wurde die Verbrüderung zwischen Moslims und Serben gefeiert. Hadschi Lojo aber sah man von diesem Augenblicke an nur mehr im goldgestickten roten Pelzmantel. In der ganzen Stadt herrschte großer Jubel. Man umarmte sich auf offener Straße, als wäre Sarajevo aus einer unerträglichen Lage befreit worden. Wer von den Christen bis dahin europäische Kleidung getragen hatte, suchte sein Nationalkostüm wieder hervor, um bei den neuen Machthabern keinen Anstoß zu erregen. Die Besonnenen unter den Serben schüttelten zwar insgeheim bedenklich die Köpfe, aber die Jugend ließ es sich nicht nehmen, auf den Straßen zu demonstrieren und mit den erstaunten Moslims sich zu verbrüdern. Archimandrit Sava Kosanovic und Pop Risto Kanta-Novakovic, beide gekleidet wie Harambaschas,Pistole und Handschar im Gürtel, stellten sich an die Spitze der singenden serbischen Jugend, die sich zwar über den Sturz der ottomanischen Behörden aufrichtig freuen mochte, über die weitere Gestaltung der Dinge aber sich ganz gewiß gar keine Gedanken machte. Nach der Proklamierung der Nationalregierung beschlossen die Extremen, einige der bekannten Vertrauensmänner des Konaks, wie den Mufti Mustafa Hilmi Effendi Omeroviö, Mustafa Beg FadilpaSid und Sunullah Effendi Sokolovic, als Verräter des Volkes und Helfershelfer der ottomanischen Regierung in den Anklagezustand zu versetzen. Nur mit Mühe gelang es, die bereits Verhafteten zu befreien. Dagegen wurde der Adjutant Hafis Paschas, Hauptmann Murad Effendi, ein gebürtiger Bosnier, beschuldigt, den Soldaten den Befehl gegeben zu haben, auf das Volk zu schießen. Hafis Pascha, der ihn wohl hätte retten können, wenn er erklärt hätte, daß sein Adjutant nur die von ihm selbst ausgegangenen Befehle vollzogen hat, hüllte sich in furchtsames Schweigen und ließ es ruhig geschehen, daß Murad Effendi in Haft genommen wurde. Als dieser noch an demselben Nachmittage aus dem Gewahrsam entsprang, wurde er niedergemacht. Die Nationalregierung hatte noch am nämlichen Sonntage (28. Juli) die öffentlichen Gewalten an sich gerissen und verständigte hiervon alle Städte und Bezirke des Landes mit der Aufforderung, den österr.-ung. Truppen mit bewaffneter Hand entgegenzutreten. Da sich auch sämtliche Telegraphenlinien in den Händen der Aufständischen befanden, so war es mir nicht möglich, meiner in der Schweiz weilenden Frau von mir und unseren drei Kindern eine beruhigende Nachricht zukommen zu lassen. Am nächsten Tage (29. Juli) um 5 Uhr früh verabschiedete Anführer einer räuberischen Bande. * sich Constant Pascha vor der serbisch-orthodoxen Kirche von seinen Freunden und bestieg sodann mit dem Gendarmeriemajor Jaschar Aga und Stojan Grabovac aus Mostar den bereitstehenden Reisewagen, während ein zweiter Wagen mit seinen Effekten beladen wurde. Er hatte die Absicht, in der Cengic- Villa !) Mashar'Pascha und die anderen höheren ottomanischen Beamten zu erwarten, welche verabredeterweise über Mostar abreisen wollten. Kaum wäre die Wagen abgefahren, so kamen etwa fünfzehn Berittene aus dem großen Einkehrhause Morica han2), wo die Anführer der Bewegung ihre Sitzungen hielten, herausgestürmt und jagten auf die Cengic-Villa zu. Die Reiter, unter denen sich ein gewisser Tabak Munla Mehmed besonders hervortat, begaben sich ohne viele Umschweife in die Villa und forderten hier Constant Pascha und Grabovac auf, sich gefangen zu geben und mit ihnen sogleich nach Sarajevo zurückzukehren, widrigenfalls sie auf der Stelle niedergeschossen werden sollten. Als die beiden Wagen die Stadt wieder erreichten, scharte sich der ganze Pöbel um sie und, überschüttet von einer Flut von Schmähungen und Bedrohungen, kamen die Gefangenen vor Taschli Han!) an. Hier wurden sie aus den Wagen herausgerissen und in den Han hineingeführt, die Menge aber warf sich wie eine Horde hungriger Wölfe auf die beiden Fahrzeuge. Die Kisten wurden erbrochen und geplündert, um die zu Boden rollenden Goldstücke rauften sich die Plünderer im Staube, endlich wurden auch die Pferde ausgespannt und davongeritten. Als nichts mehr zu rauben war, kehrte sich der Pöbel gegen die gefangenen Opfer und verlangte deren Köpfe. Einige Männer, die noch einen Funken Ehre im Leibe hatten, übergaben die Gefangenen einem Bediensteten des Han, einem Arnauten namens Ibrahim Aga, welcher, unterstützt von dreien seiner Landsleute, mit den Waffen in der Hand den Pöbel abwehrte, bis Hadschi Lojo erschien und das Gesindel auseinander jagte. !) Landhaus im Miljackatale, westlich von Sarajevo. 2) Noch jetzt im Stadtviertel Saraci in der Nähe der Gasi Husrew Beg-Moschee bestehend. 3) Das größte Einkehrhaus der türkischen Zeit, noch jetzt in der Franz Josefstraße bestehend. Ich war Zeuge des nichtswürdigen Schauspieles gewesen und eilte unverzüglich zu dem englischen Konsul Edward Freeman, um ihm das Vorgefallene zu berichten. Herr Freeman setzte sich sofort mit seinem französischen und deutschen Kollegen ins Einvernehmen und noch am Nachmittage richteten die drei Konsuln eine Kollektivnote an Hafis Pascha, in welcher sie angesichts der die öffentliche Ordnung bedrohenden Vorfälle die Verantwortung für das Leben eines jeden Christen denjenigen übertrugen, welche sich die Macht angeeignet hätten. Daraufhin versammelte Hafis Pascha, dem dabei recht unangenehm zumute sein mochte, die Führer der Bewegung um sich, und es ward beschlossen, in jedes Konsulat eine aus den ziellos in der Stadt herumbummelnden rumelischen Soldaten bestehende Wache zu verlegen. Am Nachmittage verbreitete sich in der Stadt die Nachricht, die Telegraphenstation in Bosn.-Gradiska habe den dort am Morgen (29. Juli) erfolgten Übergang der österr.-ung. Truppen über die Save gemeldet. Endlich! Ob die bedingungslose Freilassung aller Verurteilten aus ihren Kerkern, welche noch an demselben Tage erfolgte, die neue Regierung belastet, vermag ich nicht mit völliger Bestimmtheit zu sagen. Es hieß zwar, die neuen Gewalthaber hätten nur die Freilassung der wegen politischer Umtriebe verhafteten Christen angeordnet, allein Tatsache ist, daß auch die wegen gemeiner Verbrechen verurteilten Personen aus den Arresten entlassen wurden. Hafis Pascha hatte angeordnet, daß die in den Straßen der Stadt herumvagierenden rumelischen Soldaten in die Kaserne einzurücken hätten. Dies gab Anlaß zu neuer Aufregung, denn sofort verbreitete sich das Gerücht, Hafis Pascha wolle sich eine Leibgarde bilden. Dann wieder hieß es, daß vier türkische Bataillone aus Mostar im Anmärsche begriffen seien, und so lösten sich beunruhigende Gerüchte verschiedenster Art von einem Tage zum andern ab. Unser Freund Constant Pascha verbrachte den Tag und die folgende Nacht in der Obhut des braven Arnauten Ibrahim Aga. Wir hätten ihm leicht zur Flucht verhelfen können, allein Petraki Effendi, welcher auch für das Essen und die übrigen Bedürfnisse der Gefangenen in liebevoller Weise sorgte, war dagegen, indem er die Gefahren einer solchen Flucht hervorhob, während in Sarajevo, nachdem die erste Wut des Pöbels verraucht, keine ernste Gefahr für das Leben der Gefangenen bestehe. Im übrigen werde er, da er von der neuen Regierung nebst einigen anderen serbischen KLaufleuten auf den nächsten Tag zu einer Beratung eingeladen sei, schon dafür Sorge tragen, daß Constant Pascha mit den übrigen ottomanischen Beamten unbehelligt abreisen könne. Am Vormittage des nächsten Tages erschien Hadschi Lojo mit seiner Garde im Taschli Han, um Constant Pascha und dessen Getährten in aller Stille nach dem Konak abzuholen, wo sich alle Notabein, moslimische und christliche, zur Verabschiedung von den ottomanischen Würdenträgern eingefunden hatten. Mashar Pascha benahm sich sehr stolz und würdevoll, indem er beim Abschiede folgende Worte sprach: „Ich scheide von diesem unglücklichen Lande mit dem stolzen Bewußtsein, meiner Pflicht gegen den Sultan jederzeit nachgekommen zu sein. Was Ihr an mir getan, trifft nicht mich, sondern die Hohe Pforte. Uns persönlich leistet Ihr einen größeren Dienst, als Ihr zu fassen vermöget, allein ich bedauere das arme Volk, welches die schweren Folgen Euerer Unbesonnenheit zu tragen haben wird." Unter dem höhnischen Gelächter des Pöbels verließ der letzte Zug der ottomanischen Beamten Sarajevo, um bis Plevlje von etwa 100 berittenen Bosniern eskortiert zu werden. Einen schmählicheren Abzug des Halbmondes aus der seit 400 Jahren beherrschten Provinz hätten die ärgsten Feinde der Türkei nicht ersinnen können. Mittwoch, den 31. Juli, begab sich Hafis Pascha mit Jamaković, Kaukdžić und Petraki Effendi zum österr.-ung. Generalkonsul Wasic, *) um diesem im Namen des Volkes seine wie aller anderen österr.-ung. Staatsangehörigen Ausweisung mitzuteilen, wobei ihm ein sicheres Geleite über Mostar bis Metković in Aussicht gestellt wurde. Wasić, der jedenfalls auf eine solche Eventualität vorbereitet war, hielt an Das Generalkonsulat befand sich am Bistrik in dem großen Eckgebäude, das später eine Zeitlang auch als Rathaus diente. die Erschienenen eine Ansprache, welche angesichts der bedrohlichen Sachlage als außerordentlich kühn bezeichnet werden muß. Er tadelte das Vorgehen der Nationalregierung aufs schärfste, stellte die gebührende Strafe für deren Untaten noch vor Ablauf von 10 Tagen in sichere Aussicht und erklärte schließlich, daß er als treuer Diener und Vertreter seines Kaisers immer und überall seine Pflicht tun werde, selbst auf die Gefahr hin, daß er als Opfer eines ruchlosen Attentates falle. Nach diesen Worten überreichte er den Anwesenden ein Exemplar der Proklamation des Kaisers Franz Josef I. an das bosnische Volk. Petraki wollte die Proklamation vorlesen, wurde aber von Jamakovic daran verhindert, welcher stürmisch erklärte, daß das bosnische Volk von dem Berliner Kongresse nichts wisse, keinen fremden Herrscher anerkennen und darum jeden Angriff im Namen Allahs zurückweisen werde. Gegen 2 Uhr nachmittags verließ Wasic mit seiner Frau, den Beamten des Generalkonsulates, darunter dem Vizekonsul Holzinger, und einigen österreichischen Familien Sarajevo, von Hafis Pascha und Hadschi Lojo bis an die Stadtgrenze begleitet.1) Die wenigen zurückgebliebenen österreichisch-ungarischen Familien wurden unter den Schutz des deutschen Konsulates gestellt. Die Nationalregierung arbeitete indessen rastlos an der Aushebung und Bewaffnung der Streiter. Es war allerdings ein wüstes Durcheinander, denn jeder schrie und handelte auf eigene Faust, bis sämtliche vorgefundenen Waffen, darunter namentlich schöne Martinigewehre, und Munitionsvorräte sowie auch das Geld aus den Regierungskassen verteilt waren. Auch die angesehensten christlichen Kaufleute Jovo Bakrac-Vasiljevic, Risto J. Besarovic, Risto Hadschi Öukovic, Gjorgjo Hadschi Damjanovic, die Brüder Dimitrije und Gligorije Jeftanovic, Petraki sowie Die ganze Gesellschaft bestand nach der Angabe des schon damals in Sarajevo ansässigen Apothekers HerrnEduard Pleyel aus96Personen, der 10 Wagen des Wagnermeisters Paul Pagen, eines Osterr.-ung. Staatsangehörigen, zur Verfügung standen. Als Bedeckung dienten von Ilidze an, wo Hadschi Lojo bei der Zeljeznicabrücke durch eine Insurgentenschar erst freie Bahn schaffen mußte, bis Metkovic sechs als durchaus verläßlich befundene Moslims. Die Fahrt dauerte über Pazarid, Konjica, Jablanica und Mostar bis Metkovic 8 Tage. Jovo und Nikola Savic gehörten dem Vollzugsausschusse an, wohl mehr der Not gehorchend als dem eigenen Triebe. Nach außen entwickelte die Nationalregierung eine besonders rege Tätigkeit, indem sie nach allen Richtungen der Windrose Befehle auf Befehle ergehen ließ, welche zur Bewaffnung des Volkes und zum Widerstande gegen die Okkupationstruppen aufriefen. In Mostar namentlich hatten die Ereignisse in Sarajevo eine tiefgehende Erregung hervorgerufen, wfelche bei dem bekannten Fanatismus der dortigen moslimischen Bevölkerung bald eine ernste Wendung nehmen sollte. Am frühen Morgen des 31. Juli rottete sich der Pöbel zusammen und zog, mittlerweile verstärkt durch ein revoltierendes bosnisches Bataillon, in wüsten Haufen gegen den Konak, um die Herausgabe des Mutessarif sowie aller Waffen- und Munitionsvorräte zu verlangen. Doch nicht lange dauerte das wüste Schreien, denn bald drangen einige verwegene Bewaffnete in den Konak ein und metzelten hier jeden nieder, der ihnen in den Weg kam: den braven und ehrlichen Mutessarif Mustafa Hulussi Pascha, dessen jungen Schwiegersohn Rifat Beg und sämtliche Diener, den Kadi Mehmed Said Effendi Ergrli, den hochgelehrten und beredten Mufti Hadschi Mustafa Effendi Karabeg und den Oberstleutnant undKajmekam Murad Beg, einen geborenen Agramer. Nur dem Brigadier der in Mostar garnisonierenden Truppen, Ali Pascha, gelang es, durch ein Hinterpförtchen zu entkommen und in das Lager zu gelangen. Die zahlreichen Sapties unter dem Kommando des Majors Mehmed Effendi Rasidovid dachten nicht entfernt daran, den Aufrührern entgegenzutreten. Ja, nicht einmal den in den Kasernen liegenden drei Bataillonen türkischer Truppen fiel es ein, das entsetzliche Blutbad zu verhindern oder doch wenigstens zu sühnen und so für die Autorität des Sultans einzutreten. Aus der Save-Ebene, der sogenannten Posavina, liefen anfangs für die Nationalregierung wenig erfreuliche Nachrichten ein. Namentlich in D. Tuzla schien keine Geneigtheit vorhanden zu sein, zu den Waffen zu greifen. Allein die Sarajli drohten und so mußten denn auch dort die ottomanischen Behörden abtreten; der Mutessarif Muheddin Pascha entfloh. In Brcka sorgte der Kaimekam Mehmed Beg Cemerlic für die Organisierung des Widerstandes und er allein trägt die Schuld an der Verwüstung der blühenden Stadt, die er nach der Einnahme durch die österreichisch-ungarischen Truppen verließ, um zuerst in Serbien und dann in Stambul ein Asyl zu suchen. Was Banjaluka betrifft, so hatten die dortigen Moslims entweder keine Zeit oder keine Lust, die ottomanischen Lokalbehörden abzusetzen, und so konnte die Stadt in aller Form den Okkupationstruppen übergeben werden. Besonders stark war der Widerstand dagegen in Bihac, wo alles zu den Waffen griff, um die alte Feste dem Halbmond zu erhalten; einer der enragiertesten Führer jener Gegend war Hussein Beg Kara-begovic. In Travnik endlich fehlte sichtlich jedwede Begeisterung für die Revolution, ja es gab solche, welche jeden bewaffneten Widerstand gegen die Okkupationstruppen widerrieten. So kam es, daß der Herzog von Württemberg die Stadt nach dem siegreichen Treffen bei Jajce ohne einen Gewehrschuß besetzen konnte. Freitag, den 2. August, sah man kleine Scharen von Freiwilligen, an ihrer Spitze den Fahnenträger, den Bimbaschi1) mit dem Paukenschläger und drei bis vier Reiter, durch Sarajevo ziehen. Gegen Mittag versammelte sich im Konakhofe auch die christliche Legion, die überwiegend aus Orthodoxen und nur sehr wenigen Katholiken bestand. Der Metropolit Anthimos hatte die Fahne gesegnet und zog nun an der Spitze der Schar bis vor die Tore der Stadt, während der serbische Lehrer Stevo Petranovid eine begeisterte Rede hielt, in welcher er die jungen Helden zum Kampfe gegen Österreich-Ungarn, den Erzfeind der Slawen, anfeuerte. Am nächsten Morgen (3. August) bemächtigte sich der zurückgebliebenen christlichen Bevölkerung ein panischer Schrecken, denn die Greueltaten von Mostar waren bekannt geworden und die österreichisch-ungarische Armee befand sich schon auf dem Marsche nach Jajce. Der Pöbel rottete sich zusammen und stieß laute Verwünschungen nicht nur gegen die serbischen Notabein, sondern auch gegen die im Konak versammelten ') Major. Führer aus, die man des Verrates an der Sache des Volkes zu beschuldigen begann. Um die Mittagsstunde war der große Hof der Gasi Husrew Beg-Moschee von einer dichten Menschenmenge besetzt, welche unter Lärm schließlich folgende Beschlüsse faßte: i. Alle Fremden (Osmanen, Arnauten, Flüchtlinge aus der Gegend von Niksic) sowie alle gewesenen ottomanischen Beamten sollen bewaffnet und ins Feld geschickt werden. 2. Die Juden, welche nach dem Scheri zum Kriegsdienste nicht zugelassen werden, sollen eine Kriegssteuer von einer Million Piaster1) zahlen. 3. Der besonders begüterte Fasli Pascha hat eine Kriegssteuer von 150.000 Piaster zu entrichten und 4. das Volk spricht dem Nationalausschusse seine Zufriedenheit und sein volles Vertrauen aus. Diese Beschlüsse wurden sofort schriftlich aufgesetzt und von einer Deputation in den Konak überbracht, wo sie von den Führern der Bewegung genehmigt wurden. Der Nationalausschuß hatte seit drei Tagen die Pforte mit Telegrammen bestürmt, um zu erfahren, wie sich diese eigentlich zu den Ereignissen stelle. Am 3. August lief endlich die Antwort des Großwesirs ein und lautete wörtlich: „Die Hohe Pforte hat die Telegramme des bosnischen Volkes erhalten und es wird diesem bekannt gegeben, daß sie im Namen des Sultans das Protokoll des Berliner Kongresses unterzeichnet hat, in welchem Österreich-Ungarn beauftragt wird, Bosnien einstweilen (muwaket) zu besetzen, daß sie sich aber über die zu ergreifenden Maßregeln im einzelnen mit Österreich-Ungarn noch nicht verständigt hat. Das bosnische Volk wird daher ermahnt, sich nicht mit den Waffen zu widersetzen, denn wenn Österreich-Ungarn das Land mit Waffengewalt sollte besetzen müssen, so werden die Bedingungen für Volk und Land ungünstiger ausfallen." Das hieß so ziemlich: Macht, was ihr wollt, werdet ihr aber geschlagen, so wasche ich meine Hände in Unschuld. Ein Schrei des Unwillens erhob sich im Saale, in welchem diese Depesche verlesen wurde, so daß Hafis Pascha gar nicht mehr zu Worte kommen konnte. Nach vielem Schreien und Schimpfen wurde von allen Anwe- !) In Bosnien 1 Piaster = 16 Heller. 7 Koetscbet-Grassl, Aus Bosniens letzter Türkenzeit. ' senden ein kurzes Protokoll unterzeichnet, in welchem erklärt wurde, daß das ganze bosnische Volk unter Waffen stehe und der Ratschläge aus Stambul nicht bedürfe. Eine wilde Begeisterung bemächtigte sich der Massen, man schwur sich gegenseitig zu, das Vaterland, insbesondere aber die Religion bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, und der Nationalausschuß wurde aufgefordert, die Verteidigung des Landes mit aller Energie und ohne jedwede Rücksicht durchzuführen. Auch der Aberglaube des Volkes wurde benutzt, um den Fanatismus zu schüren. So predigte in einer Moschee ein pfiffiger Ulema, er habe ein altes Kitab (Buch) aufgefunden, in welchem geschrieben stehe, daß der fremde Giaur zwar bis in die Nähe von Sarajevo vordringen, bei den großen Bäumen an der Ali Pascha-Brückel) aber durch das Schwert des Glaubens werde niedergemetzelt werden. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese glückliche Prophezeiung in der ganzen Stadt und bis zur letzten Stunde war sie Gegenstand des Gespräches in den Harems, ebenso wie in den Kaffeebuden. Am Sonntag, den 4. August, zogen neue Scharen von Freiwilligen zur Stadt hinaus. Die gewesenen ottomanischen Beamten und Offiziere, welche sich zumeist in den Häusern verborgen gehalten hatten, wurden nun gleichfalls aufgefordert, ins Feld zu rücken. Die meisten von ihnen machten daraufhin Spaziergänge bisKiseljak oder Busovaca2), um sich hier in die Wälder zu verlaufen und abzuwarten, bis der Sturm sich gelegt haben würde. Um die Mittagsstunde gab es am Alifakovac einen großen Auflauf. Der Mufti vonPlevlje, Wehbi Effendi, welcher, wie wir schon gehört haben,3) von Hafis Pascha zurückgeschickt worden war, kam nach dem Sturze der ottomanischen Behörden auf die Aufforderung der Aufrührer nach Sarajevo zurück. Er wurde empfangen, wie nur selten ein Gouverneur empfangen worden war. In einer feurigen Ansprache an die Menge verhieß er den sicheren Sieg über die Giaurs und umarmte den anwesenden Petraki Effendi, um zu zeigen, daß Halbmond und Bei der Ali Pascha-Moschee unfern des Palais der Landesregierung. 2) An der Straße Sarajevo-Brod, nordwestlich von Sarajevo. 3) S. o. S. 84. Kreuz zur Verteidigung des Vaterlandes sich verbunden hätten. Schade nur, daß alles bloß Heuchelei war! Schon am folgenden Tage, Montag den 5. August, liefen schlimme Nachrichten aus der Provinz ein. Der Nationalausschuß suchte ihre Verbreitung nach Möglichkeit zu verhindern, dessenungeachtet erfuhr man aber, daß Mo star (am 5. August) von General Jovanovič ohne Kampf besetzt worden sei. Die hiesigen Moslims machten nun freilich lange Gesichter, fühlten sich aber in ihrer Siegeszuversicht doch wieder gehoben, als ein Telegramm aus Maglaj einen glänzenden Sieg verkündete. Bald darauf versammelten sich die Führer zu einer letzten wichtigen Beratung im Konak und gingen dann zu ihren Heeresabteilungen ab. Der Mufti von Plevlje zog über Kladanj nach D. Tuzla; als Kriegskommissar wurde ihm der Serbe Unčo Naumovič beigegeben. Jamakovič ging mit Mustafa Beg Fadilpašič und dem Serben Risto Bujak als Kriegskommissar nach Žep če, während der Mutewelli1) Hadschi Assim Beg Mutevelič mit dem Brigadier Ismet Pascha Uzunič den Befehl über die in Konjiča sich sammelnden Truppen übernehmen sollte. Am Abend war die Nachricht eingetroffen, daß Jajce nach blutigem Kampfe gefallen sei. Man sprach von 4000 Toten, Verwundeten und Gefangenen, welche die Insurgenten nebst ihren fünf Kanonen eingebüßt hätten. Die Niederlage erschien um so empfindlicher, als sich in den Reihen der dortigen Insurgenten auch die meisten der revoltierenden bosnischen Soldaten in Uniform sowie etwa 1000 rumelische Soldaten befunden hatten. Allerdings gab es daneben auch viel Gesindel, wie die schmachvolle Ermordung und Beraubung des Obersten Faik Beg beweist. Dieser, ein junger, fähiger Mann aus Stambul, welcher sich beim Ausbruche der Revolution in Travnik befand, war auf die Aufforderung der Nationalregierung nach Jajce zur Armee gezogen, unterwegs aber von einem Haufen Sarajli, denen sein schönes Pferd und wohl auch seine Dukaten das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen, meuchlings erschossen, verstümmelt und gänzlich beraubt worden. l) Verwalter einer Stiftung, Anstalt u. dgl. für religiöse oder kulturelle Zwecke. In der Nacht vom 5. auf den 6. August war wieder ein Telegramm ausStambul eingelangt, mit welchem der Großwesir den Vertretern des bosnischen Volkes folgendes mitteilte: „Seine Majestät der Sultan, von den Ereignissen in Bosnien schmerzlich berührt, habe die Intervention der Königin von England angerufen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Gleichzeitig sei der ottomanische Botschafter in Wien angewiesen worden, die Wiener Regierung von diesem Schritte des Sultans in Kenntnis zu setzen. Hafis Pascha möge sich daher mit einer Deputation von Notabein in das Lager des Generals Philippovic begeben und die Einstellung der Operationen verlangen usw." Hafis Pascha traf sogleich Vorbereitungen zur Abreise, allein er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Hadschi Lojo schwang seinen Säbel und erklärte, daß das Volk von Bosnien sich stark genug fühle, um den Feind aus eigener Kraft aus dem Lande zu jagen. Alles, was man von ihm und seinen Gefährten erreichen konnte, war der Beschluß, dem immer näher anrückenden General Philippovic eine Abschrift dieses Telegrammes durch eine Abordnung zu überbringen. Am Samstag, den 10. August, zog Hafis Pascha an der Spitze der Deputation zur Stadt hinaus, begleitet von den Segenswünschen der christlichen Bevölkerung. Die Deputation bestand aus den angesehensten Vertretern sämtlicher Religionsbekenntnisse, aus den Moslims Hadschi Avdija Halacevic und Fehim Effendi Alikadic, den Orthodoxen Dimitrije Jeftanovic und Risto-J. Besarovi6, dem Katholiken Hadschi Livajic und dem Israeliten Salomon Effendi Isakovid. Sie traf den General Philippovic im Lager bei Zenica, mußte aber natürlich unverrichteter Dinge nach Sarajevo zurückkehren. Der General hatte sie sehr barsch abgefertigt, indem er erklärte, er kenne nur den ihm von seinem Kaiser und König gegebenen Befehl, alles andere kümmere ihn gar nicht. Im übrigen forderte er zur Niederlegung der Waffen auf und drohte mit der äußersten Strenge, falls der Widerstand fortgesetzt werden sollte.1) Unter dem Schutze von Husaren kehrte die Deputation in recht trüber Stimmung zurück. Alle sahen l) Über diesen Empfang in Zenica vgl. „Die Okkupation Bosniens, und der Hercegovina durch k. k. Truppen im Jahre 1878", S. 178 ff. wohl ein, daß die Sache eine ernste Wendung- zu nehmen drohe und versuchten bei ihrer Ankunft im Lager der Insurgenten nächst Klokoti1) schüchterne Worte im Sinne des Nachgebens zu sprechen. Allein die Insurgenten wiesen jeden Gedanken an Nachgiebigkeit als Landesverrat zurück und beschlossen, den Paß von Klokoti bis zum letzten Atemzuge ' zu halten. In Sarajevo war unterdessen die Stellung der Nationalregierung immer schwieriger geworden. Die Zuversicht der Besonnenen war nahezu gänzlich verschwunden, die Fanatiker aber wurden durch die schlimmen Nachrichten von draußen nur noch mehr angefeuert. Die letzten Aufgebote des Moslims und der Christen gingen ab, selbst Hadschi Lojo zog endlich mit seiner Garde ins Feld. Aus D. Tuzla allein waren günstige Nachrichten eingelangt. Die Division Szäpary, welche sich schon Dienstag abends der Zugänge der Stadt bemächtigt hatte, war durch den ganz unerwartet erschienenen Mufti von PI e vi je, welcher bald nach seiner Ankunft den Oberbefehl übernommen hatte, in eine äußerst bedrohliche Lage gebracht worden. Nichtsdestoweniger wollte die gedrückte Stimmung nicht weichen, denn die Erzählungen der aus dem Treffen von Jajce heimgekehrten Verwundeten und Flüchtigen machten überall einen äußerst niederschmetternden Eindruck. In der Nacht vom i o. zum 11. August war abermals ein Telegramm aus Stambul eingetroffen, welches in eindringlichen Worten die Mahnungen und Ratschläge des letzten Telegrammes wiederholte. Im Konak, wo die Depesche verlesen wurde, waren an 300 Männer versammelt, unter ihnen der alte Fasli Pascha, welcher gewissermaßen den Vorsitz an sich gerissen hatte, vielleicht in der Erwartung, daß er auf diese Weise der ihm auferlegten Kriegskontribution werde entgehen können. In dieser Versammlung wurden zum ersten Male Worte des Friedens laut, welche von den anwesenden serbischen Notabein ausgingen. Schon glaubte man, gewonnenes Spiel zu haben, als Abdaga Halacevic und Ahmed Effendi Svrzo sich erhoben und in des Propheten Namen zum Krieg gegen die Ungläubigen auf- l) An der Broder Straße zwischen Kiseljak und Busovaca. riefen. Ein dumpfes Murmeln war die Antwort und die kaum aufgetauchte Friedenshoffnung war zunichte geworden. An diesem Entschlüsse vermochte auch die inzwischen eingetroffene Nachricht von der Besetzung der Stadt Travnik nichts zu ändern. Die Bewohner dieser Stadt hatten nach Sarajevo bekannt gegeben, daß sie jede weitere Hilfe verweigerten und entschlossen seien, sich den anrückenden Truppen zu übergeben. Mit Ingrimm wurde die Nachricht aufgenommen, der noch höher anschwoll, als man erfuhr, daß vor der Ubergabe der Stadt an den Herzog von Württemberg alle in Travnik anwesenden Sarajli ausgewiesen worden waren. In Sarajevo hatte man sich so sehr in den Gedanken eines erfolgreichen Widerstandes hineingehetzt, daß man keinen Sinn mehr hatte für die deutlich sprechenden Symptome des nahenden Zusammenbruches. Die aus Jajce entkommenen ottomanischen Soldaten hungerten und bettelten in der Stadt herum, denn die Bedauernswerten waren aller Mittel entblößt und warteten mit Sehnsucht darauf, von den österreichisch-ungarischen Truppen als Gefangene abgeführt zu werden. Nicht geringes Erstaunen erregte es, als Hadschi Lojo am ii. August ganz unvermutet nach Sarajevo zurückkehrte. Man raunte sich zu, er sei überhaupt nur bis Kiseljak gekommen. Er selbst aber erklärte, zurückgekehrt zu sein, um die noch in Sarajevo zurückgebliebenen kampffähigen Männer ins Feld zu führen. Tatsächlich lief schon am nächsten Tage der Telal1) durch alle Gassen, um die kampffähigen Männer unter Androhung der Todesstrafe zu den Waffen aufzurufen. Indes war in den letzten 14 Tagen so vielerlei durch den Telal ausgerufen worden, daß beinahe niemand mehr auf ihn achtete und selbst die Drohung mit der Todesstrafe ihre Wirkung verfehlte. Am 14. August wurde bekannt, daß Hadschi Lojo einen jungen christlichen Bauer aus der Umgebung von Sarajevo ohne Grund niedergeschossen habe. Unter den Christen wurden Stimmen laut, welche die Ankunft der österreichisch- *) Von der Gemeinde bestellter, aber von den Parteien zu bezahlender öffentlicher Ausrufer. ungarischen Truppen ersehnten, damit diesem feigen Morden endlich ein Ziel gesetzt werde. Auch der Nationalausschuß vernahm diese Tat Hadschi Lojos mit gerechtem Mißmut, zumal da man der Diktatur des Schreiers herzlich satt geworden war. Der anwesende Kadi scheint ein Todesurteil gegen ihn ausgesprochen zu haben, welches sich auf die als Fahnenflucht gedeutete unbefugte Rückkehr Hadschi Lojos gestützt haben dürfte. Dieser wurde also aufgefordert, ohne Verzug vor dem Ausschusse zu erscheinen, wo zwei Gesellen gedungen waren, um auf ein vereinbartes Zeichen den Verurteilten niederzustrecken. Hadschi Lojo dürfte aber gewarnt worden sein, denn er versammelte vorerst an zwölf seiner getreuesten und entschlossensten Gefährten, in deren Mitte er, Drohworte ausstoßend, zum Konak ritt. Hier angekommen, stieg er vom Pferde und begann die Treppe hinan zu steigen, als sich plötzlich das Martinigewehr, das er krampfhaft mit der rechten Faust umschlossen hielt, entlud. Hadschi Lojo, dem das Geschoß in den linken Fuß gedrungen war, stürzte zusammen und wurde, halb ohnmächtig, von seinen Leuten aufs Pferd gesetzt und nach seiner Behausung zurückgebracht. Mit Blitzesschnelle verbreitete sich in der ganzen Stadt die Nachricht, daß Hadschi Lojo tödlich verwundet sei und alles atmete erleichtert auf und schöpfte neue Friedenshoffnungen. Während die Deputation unter Anführung Hafis Paschas beim General Philippovid vorsprach, war Mustafa Beg Fadilpasic von seinem Feldzuge nach Hause zurückgekehrt. Mit dem Oberbefehlshaber Jamakovic war er bis lepde vorgedrungen. Kaum waren sie vom Pferde gestiegen, so begann der Angriff der österreichisch-ungarischen Truppen auf die feste Stellung der Insurgenten, und während Jamakovid allein ins Feuer ging, nahm Mustafa Beg Reißaus, um mit zwei Dienern die Heimreise anzutreten. Unter solchen ungünstigen Anzeichen brach der 15. August an, auf welchen behufs Besprechung der Lage eine allgemeine Versammlung in den Konak einberufen war. Hafis Pascha hielt eine sehr ernste Rede, in welcher er auseinandersetzte, daß jeder Widerstand, rein militärisch betrachtet, heller Wahn- sinn sei, so daß nichts anderes übrig bleibe, als die Waffenstreckung vor der siegreichen österreichisch-ungarischen Armee. Die meisten der Anwesenden teilten ohne Zweifel diese Überzeugung und einzelne wagten sogar, ihre Zustimmung unverhohlen auszusprechen. Allein der Widerspruch einiger fanatischer Schreier, die nichts zu verlieren hatten, reichte aus, um die Friedenspartei in Schach zu halten und jede Beschlußfassung zu vereiteln. Namentlich der Rückzug Szäpärys nach Doboj wurde von dieser Seite zugunsten der Fortsetzung des Widerstandes ins Treffen geführt; hatte doch der Mufti von Plevlje telegraphiert, daß er die österreichisch-ungarischen Truppen vollständig geschlagen habe und die Fliehenden in die Bosna zu werfen im Begriffe stehe. Da man zu keinem Beschlüsse kommen konnte, so wurde für den Nachmittag eine neuerliche allgemeine Versammlung auf den Mussalaplatz einberufen. Es fand sich jedoch hierzu nur sehr wenig Volk ein und die Kriegspartei behauptete das Feld. Demzufolge wurden bis zum Abend Munitionszüge nach Kiseljak und Visoko abgeschickt und in der Nacht auch zwei Feldgeschütze gegen Visoko gesandt. Die Eingeweihten wußten aber, daß der linke Flügel der österreichisch-ungarischen Truppen die Bosna bereits überschritten habe und gegen Kakanj') marschiere, während Philippovid Busovaca genommen habe. Mit bangen Gefühlen sahen wir dem Freitag (16. August) entgegen, an welchem Tage die Entscheidung bei Klokoti fallen mußte. Vormittag schon wurde durch den in Kiseljak aufgestellten Telegraphen bekannt, daß der Kampf bei Klokoti begonnen habe, und gegen Mittag meldete der Beamte: „Die Unsrigen kommen in wilder Flucht; ich breche den Dienst ab." Wie wir am Abend erfuhren, hatten die österr.-ung. Truppen gegen 8 Uhr früh auf der ganzen Front längs der Straße ein mäßiges Feuer unterhalten, welches von den Insurgenten aus ihren gedeckten Stellungen unter großem Lärm heftig erwidert wurde. Um 10 Uhr beiläufig bemerkten aber letztere, daß ihre linke Flanke durch den Wald von Vitez2) von einer feindlichen ') Nordwestlich von Visoko. 2) Nordwestlich von Busovaca. Abteilung mit einer Gebirgsbatterie umgangen sei, während gleichzeitig Salven auf der rechten Flanke die drohende Einschließung ankündigten. Dies war das Zeichen zur allgemeinen Flucht. IsmailBegTaslidzak mit seinen zwei Geschützen voraus, das gesamte Aufgebot der Insurgenten in wilder Unordnung hinterdrein. Wie gut diese zu laufen wußten, geht daraus hervor, daß noch vor Sonnenuntergang die flüchtige Armee in Tlidze eingetroffen war. Auf die Nachricht von dieser schmählichen Deroute beschloß der Nationalausschuß, sich korporativ nach Ilidze zu begeben, um dort das Weitere zu beraten. Hier trafen sie den Kommandanten mit etwa 300 Mann, gemütlich seinen Nargile rauchend und Kaffee schlürfend. Die ganze folgende Nacht hindurch zogen die flüchtigen Insurgenten in Sarajevo ein, um in ihren Häusern den weiteren Gang der Ereignisse abzuwarten. Die wohlhabenden Bürger der Stadt begannen ihre Habseligkeiten zu vergraben oder sonstwo in sicherem Versteck zu bergen. Was uns am meisten Sorge machte, war nicht der Anzug der österr.-ung. Armee, die wir ja mit Sehnsucht erwarteten, sondern das zahlreiche Raubgesindel der Stadt, von dem in der Stunde der Gefahr leicht das Zeichen zur Plünderung gegeben werden konnte. Unsere Befürchtungen erwiesen sich jedoch glücklicherweise als grundlos; bis zum Einzug der k. k. Armee wurde niemandem ein Haar gekrümmt. In der Frühe des nächsten Tages (des 17. August) erfuhren wir, daß Hadschi Lojo in der Nacht mit Weib und Kind sich aus dem Staube gemacht habe. Seine Verwundung war eine sehr schwere und da es ihm an jeglicher Pflege gebrach, so hielt er sich nur mit Mühe auf seinem Pferde aufrecht. Oberhalb Gora2da verließen ihn die Kräfte, so daß er die Grenze nicht mehr erreichen konnte. Ein Offizier, der ihn nach zwei Monaten aus seinem Verstecke hervorholte, war der erste österreichische Soldat, den dieser Held zu Gesicht bekam! Am Samstag, den 17. August, fand in aller Morgenfrühe abermals eine stark besuchte Volksversammlung im Konak statt. Man wußte bereits, daß Jamakoviö bei Kakanj geschlagen worden sei und nun vergebliche Anstrengungen mache, um Visoko zu verteidigen, während General Philippoviö bereits Kiseljak besetzt habe und nach Kobila glava1) marschiere. Neun Zehntel aller Anwesenden, darunter sämtliche Mitglieder des Nationalausschusses, waren sich der Trostlosigkeit der Lage bewußt und sehnten sich nach einer friedlichen Lösung. Allein auch diesmal gelang es ein paar Schreiern, welche mit ihren Handschars in der Luft herumfuchtelten, das Zustandekommen eines Friedensbeschlusses zu vereiteln. Am Abend versammelte man sich neuerdings und nun erst wurde in Anbetracht der aussichtslosen Lage einstimmig der Beschluß gefaßt, die Hauptstadt den anrückenden Truppen friedlich zu übergeben. Am Morgen des 18. August, einem Sonntage, gewahrte ich nur fröhliche Gesichter, die Männer größtenteils ohne Waffen, und man umarmte sich auf offener Straße im Gefühle der Erlösung von dreiwöchentlicher, Leib und Seele verzehrender Angst. Allein der Jubel war auch diesmal von kurzer Dauer. Schon gegen 9 Uhr wurden zwei Kanonen in aller Eile die Stadt hinunter gegen die Gorica2) geschleppt und die begleitende Mannschaft brüstete sich, die heranziehenden Fremdlinge samt und sonders über den Haufen zu schießen. Was war denn geschehen? Der in Visoko geschlagene Jamakovic war mit dem Reste seiner Streiter soeben eingerückt und nach dem Konak geeilt, wo man ihm die die Unterwerfung der Hauptstadt enthaltende Adresse vorwies. Der vor Wut schäumende Fanatiker überschüttete den Ausschuß mit den derbsten Schmähungen, riß den Kadi am Bart und drohte, ihm den Kopf abzuschlagen. Dies hatte eine so heillose Verwirrung zur Folge, daß man Jamakovic ungehindert gewähren ließ, der denn auch alle Vorbereitungen zur Verteidigung mit dem größten Eifer betrieb. Die nächste Folge davon war, daß viele der wohlhabenden Familien auf ihre Landgüter nach Mokro oder Pale entflohen. Vergebens versuchte Hafis Pascha den aufgeregten Jamakovic zu besänftigen und ihm die Verrücktheit seines Vorhabens klar zu machen. Schließlich erklärte er, daß er sich selbst von allen öffentlichen Angelegenheiten zurückziehe und Jamakovic die ') Nordwestlich von Sarajevo. 2) Stadtviertel von Sarajevo. Verantwortung für alles Unheil überlasse, welches er durch seinen Starrsinn über die Stadt hinaufbeschwöre. Gegen Abend verließ Hafis Pascha mit zwei Dienern die Stadt und begab sich zu den Vorposten der in der Ebene von Sarajevo lagernden Armee, um sich zu General Philipp o-vi<5 führen zu lassen. Dadurch wollte er öffentlich bekunden, daß er als ottomanischer General keinen Anteil an der Revolution und an dem Widerstande gegen die österr.-ung. Truppen habe. Philippovi£ erklärte ihn jedoch nach der Einnahme von Sarajevo ohne viel Federlesens für kriegsgefangen und ließ ihn nach Brod abführen. In Wien teilte man indes diese schroffe Auffassung des Generals nicht und Hafis Pascha erhielt die Erlaubnis über Triest nach Stambul heimzukehren. Der Abend des 18. August bot ein überaus friedliches Bild, nichts deutete darauf hin, daß in wenigen Stunden in den Straßen der Stadt ein fürchterliches Morden beginnen werde. Nur den Eingeweihten war bekannt, daß Jamakovic undAhmed Effendi Nako alle streitbaren Männer der Oberstadt um sich versammelt hatten, um mit Tagesanbruch den Kampf gegen die österr.-ung. Truppen aufzunehmen. Ich lag in tiefem Schlafe, als am 19. August gegen 4 Uhr morgens meine Kinder schreiend und weinend zu mir hereinstürzten. Das Knattern von Gewehrsalven und der dumpfe Schall von Kanonenschüssen hatten sie geweckt. Ich sprang auf, öffnete das Fenster und hörte nun ganz deutlich die Gewehrsalven aus der Richtung vom Pasin brdo. Nachdem ich meine Kinder in dem Hause der befreundeten Familie Despid in Sicherheit gebracht hatte, eilte ich zu Petraki, dessen Haus durch das Dachfenster einen guten Ausblick bot. Auf dem schräg sich hinaufziehenden Bergrücken oberhalb Kosevo sah ich die ersten österr.-ung. Truppen, ungefähr zwei Bataillone, die ein gut genährtes Feuer gegen die Bakije hinüber unterhielten, während eine Batterie aus einer kleinen Vertiefung des Grlica brdo die alten Werke der Stadtmauer beschoß, wo die Insurgenten zwei Kanonen aufgestellt hatten. Gegen 7 Uhr konnte ich genau sehen, wie die Bosnier ihre Stellung in Bakije in wilder Flucht verließen, während die Österreicher langsam das Pasin brdo besetzten und über Bakije gegen die Werke vorgingen. Die Zahl der Insurgenten dürfte hier nach meiner Schätzung 550 bis 600 nicht überstiegen haben, nicht eingerechnet die Männer, welche aus ihren Häusern in den obersten Stadtvierteln ein unschuldiges Feuer gegen die Feinde unterhielten. Was in der unteren Stadt, in der Nähe des Militärspitals vorging, entzog sich meinen Blicken; aber eine Granate, die in ein meinem Beobachtungsposten gegenüber liegendes Haus einschlug, verriet, daß auch die Stadtebene von der Artillerie ins Feuer genommen war. Im Südwesten der Stadt, oberhalb des spaniolisch-jüdischen Friedhofes, standen ungefähr 400 Insurgenten, die von einer bei Kovacic aufgestellten Gebirgs-batterie heftig beschossen wurden. Nach 9 Uhr löste sich auch diese Abteilung auf, und wie ein gehetztes Wild rannten die schnellbeinigen Sarajli den Abhang hinunter, um in den oberen Stadtteilen des linken Miljackaufers ihr Heil zu suchen. Auf ihren Fersen rückte die Gebirgsbatterie vor und ich sah genau, wie die Geschütze Stellung nahmen. Der erste Schuß, welcher über unsere Köpfe hinweg gegen die gelbe Bastion gerichtet wurde, fiel in den türkischen Friedhof, der zweite traf das kleine Tor neben der Bastion, der dritte das Werk selbst. Bald wurde es nun auch hier still, die zwei Kanonen der Insurgenten verstummten und diese verbargen sich hinter den Mauern. Eine ungeheure Rauchwolke in der unteren Stadt verkündete kurz darauf, daß hier der Kampf am hartnäckigsten entbrannt sei. In der Tat war das Viertel zwischen der Ali Paschabrücke und dem Militärspital der einzige Punkt der Stadt, den die Angreifer im Sturme nehmen mußten. Die Bewohner dieser Gegend, zum größten Teile alte Sapties, Albanesen und arme Handwerker, wehrten sich mit dem Mute der Verzweiflung, denn hier war, dank der Agitation des fanatischen Jamakovic, der Glaube verbreitet, daß das Eigentum, namentlich aber die Frauen und Mädchen, von den siegreichen Giaurs alles zu fürchten hätten. Wer hat nicht von den türkischen Frauen gehört, die von der Höhe des Minaretts sowie aus dem Innern der Ali Pascha-Moschee die anrückenden Truppen aufs heftigste beschossen und lieber unter den feindlichen Kugeln fielen, als daß sie sich dem verhaßten Giaur ergeben hätten?! Der Koäevobach und die Brücke über ihn setzten der Feuersbrunst eine Schranke. Nicht lange darauf stieg eine zweite große Rauchwolke aus dem Viertel Budakovic in der oberen Stadt auf: das große Haus des Derwisch Aga Halaöeviö und etwa zehn andere kleinere Häuser wurden eingeäschert. Die Truppen rückten immer näher heran, das Feuer der Insurgenten wurde von Viertelstunde zu Viertelstunde schwächer und um 111/i Uhr sahen wir durch die große Gasse die erste Abteilung österr.-ung. Truppen langsam einziehen. Aus allen Fenstern waren zum Zeichen der Unterwerfung weiße Tücher ausgesteckt. Gegen i1/2 Uhr endlich erdröhnten von der Gorica 101 Kanonenschüsse, die Musikkapellen stimmten die Kaiserhymne an — die Hauptstadt Bosniens war am 19. August 1878 im Besitze des Doppelaars. Druck von Rudolf M. Rohrer in Brünn. J. STUDNICKA & Co SARAJEVO. Von Publikationen zur Balkankunde, welche von den Mitarbeitern dieser Sammlung in anderem Zusammenhange erschienen sind, seien notiert: V. Apfelbeck, Die Käferfauna der Balkanhalbinsel mit Berücksichtigung Kleinasiens und der Insel Kreta. I. Band: Familienreihe Caraboidea. Berlin. Verlag von R. Friedländer und Sohn. 1904. A. Baldacci, Die westliche Akrokeraunische Gebirgskette. Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Wien. 1896. R. Lechner. J. Cvijid, DasKarstphänomen. Versuch einer morphologischen Monographie. (A. Penck, Geographische Abhandlungen V, 3.) Wien. Ed. Holzel. 1893. J. Cvijii/ Morphologische und glaciale Studien aus Bosnien, der Hercegovina und Montenegro. (Abhandlungen der Geographischen Gesellschaft in Wien. II, 6 und III, 2.) Wien. R. Lechner. 1900 und 1901. J. Cvijid, Atlas der großen Seen der Balkanhalbinsel. Belgrad. 1902. J. Cvijid, Geologischer Atlas von Makedonien und Altserbien. Belgrad. 1903. G. V. Dane;., Bevölkerungsdichtigkeit der Hercegovina. (Travaux geographiques tchiques 3). Prap lbstverlag. 1903. H. Grothe, Auf türkischer Erde. Reisebilder und Studien. Berlin. Allgemeiner Verein für Deutsche Literatur. 1903. K. Hassert, Reise durch Montenegro nebst Bemerkungen über Land und Leute. Wien, Pest, Leipzig. A. Hartleben's Verlag. 1893. K. Hassert, Beiträge zur physischen Geographie von Montenegro mit besonderer Berücksichtigung des Karstes. Gotha. Justus Perthes. 1895. Th. Ippen, Novipazar und Kossovo (das alte Rascien). Wien. 1892. K. Maly, Beiträge zur Kenntnis der Flora Bosniens und der Herzegowina. Wien. K. k. zoologisch-botanische Gesellschaft. 1904. K. Oestreich, Beiträge zur Geomorphologie Makedoniens. (Abhandlungen der Geographischen Gesellschaft in Wien. IV, I.) Wien. R. Lechner. 1902. C. Patsch, Archäologisch-epigraphische Untersuchungen zur Geschichte der römischen Provinz Dahnatien. Teil I—Vi. Wien. In Kommission bei Karl Gerolds Sohn. 1896. 1897. 1899. 1900. 1901. 1905. C. Patsch, Die Lika in römischer Zeit. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften. Schriften der Balkankommission. Antiquarische Abteilung. Heft I. Wien. A. Holder. 1900. C. Patsch, Das Sandschak Berat in Albanien. Ebenda. Heft III. 1904. O. Reiser, Materialien zu einer Ornis balcanica. Herausgegeben vom bosnisch-herci-govinischen Landesmuseum in Sarajevo. II. Bulgarien einschließlich Ost-Rumeliens und der Dobrudscha. III. Griechenland. IV. Montenegro. Wien. In Kommission bei Karl Gerolds Sohn. 1894. 1896. 1905. G. Weigand, Die Sprache der Olympo-Walachen. Nebst einer Einleitung über Land und Leute. Leipzig. J. A. Barth. 1888. G. Weigand, Vlacho-Meglen. Eine ethnographisch-philologische Untersuchung. Ebenda. 1892. G. Weigand, Die Aromunen. Ethnographisch-philologisch-historische Untersuchungen. Band I. II. Ebenda. 1895, i894- G. Weigand, Die rumänischen Dialekte der Kleinen Walachei, Serbiens und Bulgariens. Ebenda. 1900. G. Weigand, Linguistischer Atlas des daco-rumänischen Sprachgebietes. Ebenda. Im Erscheinen begriffen.