/^ Aus dem Weichseldelta. Reiseskizzcn Louis Passargc. Aus dem jveichseidelta. Reistslizzen von Louis Passarge. Mit einer Karte. Neckn 1857. Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckcrei (R. Decker). An Hermann Podlech. ^ast Du, mem Freund, jemals die Post, die Eisenbahn, das Dampfboot versäumt? — Halb lächelnd, halb ärgerlich sehen wir den Abfahrenden nach oder hören den höhnischen Pfiff der Dampfmaschine/ wir stehn mit unserer Reisetasche da, unschlüssig was beginnen, vielleicht wohl gar belächelt von den Leuten, welche einen Abfahrenden begleiteten und nun heimkehren. Da deftoniren wir unser leichtes Gepäck bei einem Aufseher und überlassen uns dem launischen Zufalle. Unser Blick fällt in eine neue noch nicht durchwandelte Straße/ wir ergötzen uns auf einer Promenade, oder betreten einen Kirchhof, auf welchem die Todten friedlich neben dem Bahnhofe ruhen und sich von keinem Lokomotivenpfiffe stören lassen. Wir setzen uns sinnend auf eine Bank, auf der wir vor Jahren mit einem Freunde saßen, den das wüste --- VIII --- Jahr 1848 nach Amerika trieb/ wir überlassen uns wehmüthigen Erinnerungen/ vielleicht werfen wir ein Gedicht auf ein Weihes Blatt unseres Reisejournals, oder wir ergänzen das Erlebte der letzten Reiserage. Zuletzt sind die Stunden bis zum Abgänge des nächsten Eisenbahnzngcs ver-stossen/ wir raffen uns auf aus unserer Träu< merei und müssen eilen, um die Abfahrt nicht noch einmal zu versäumen / so schön war das Träumen in jenen Stunden, von denen wir anfangs nicht wußten, was mit ihnen anfangen. , Es kommt aber auch wohl vor, daß wir nicht die Eisenbahn, sondern den übervollen, unabsehbaren Lcbenszug versäumen, zu dem die Menschen in ihrem Treiben nach Stellung und Besitz hasten und jagen. Der Eine war schon lange vor der Abfahrt da und machte es sich in einer Ecke zurecht/ Manche kommen noch keuchend an, als gerade die Thüren ins Schloß geworfen werden sollen / Viele hören nur noch die Lokomotive an einem »Uebergange« pfeifen/ dann ist Alles still. . So hatte ich im letztvergangenen Jahre den Lebenszug versäumt/ eigentlich wohl nicht versäumt/ IX aber das Billet, welches ich gelöst, war nicht gehörig gestempelt/ ich wurde nicht mitgenommen. Da warf ich meine Blicke auf der Schwelle des Bahnhofes in die Weite/ Bäume nickten mir aus der Ferne zu, Wimpel, von Masten wehend, grüßten mich/ mein Groll verschwand. Auf dem Kirchhofe meiner Erinnerungen setzte ich mich nieder und ließ die Phantasie walten. Da verdichteten sich die Nebel. Aus der weiten Ferne, wo ich so lange unstät als undankbarer Sohn meiner Zcimath geschweift, fand ich mich plötzlich in ein bescheidenes und doch so wunderbares Land versetzt, in eine Oase von entzückender Schönheit, mit der ganzen herben Poesie des Nordens und der milden Gescg-netheit des Südens angethan/ ein Sitz alter Kultur und das wunderbare Mythenland der Mittelmecr-epoche, reich an Naturschätzen, die Heimath des fabelhaften, sanftschimmernden Elektros, »der des Mondes neubeginnendem Glänze gleicht«, und — was mehr als Alles sageu will — mein eigenes Heimathland. Da zeichnete ich Skizze auf Skizze in mein Tagebuch, in dem seit vielen Jahren kein Blatt mehr beschrieben war j fast wurde es voll von den Bildern, die der Griffel zu fiziren hatte. So verrauschte die Zeit bis zum nächsten Zuge. Die Einen wollten mich auch jetzt noch verhöhnen, daß ich den ersten versäumt j die Armen, sie wußten nicht, wie viel reicher ich seitdem geworden war. Inhalt. Seite I. Dirschau. Der Strom.............................................. 3 Die Brücke .............................................. 16 Werkstätten............................................... 30 II. Danzig. Positionen............................................... 41 Priuatarchitektur.......................................... 47 Oeffentliche Bauwerke..................................... 61 Kirchliche Architektur...................................... 74 Das Daxziger Vild...................................... 85 Das Kruzifir.............................................. 99 Die Speicherinsel......................................... 108 Ein Genius Loci......................................... 115 Einzelnes................................................ 124 Eine Episode aus der Geschichte Danzigs.................... 131 Ausflüge: 1. Nach Oliva...................................... 140 2. Von Oliva bis Adlershorst........................ 148 Die Weichselnuiudungcn.................................... 154 Dünenbilbung............................................. 170 — XII —- T«ite III. Die Werder. Uebersicht................................................ 181 Das Deichwesen.......................................... 191 Land und Leute: 1. Land............................................. 20! 2. ^!eutt............................................ 209 Der Kampf um die Montan« Spitze...................... 224 Von Ellimg nach Dauzia,................................. 231 IV. Marieuburg. Standpnukt .............................................. 247 Anfänge.................................................. 250 Das Öochschloß.......................................... 260 Das Mittelschloß......................................... 285 V. Anmerkungen nnd Belege.....................321 I. Dirschau. V°ssar,c, au» bem Welchscldcl!», Der Strom. -iDirschau! — Welcher Bewohner des westlichern Deutsch« lands hätte vor vielleicht nur noch wenigen Jahren etwas von Dirschan gewußt? Höchstms würde riucr oder der andere Neiscndc sich voll Schrecken jcner einsam verlebteil Tage, erinnert haben, da er bei einer Ncise in die östlichste Provinz des preußischen Staates Tage lang auf den günstigen Moment über die Weichsel zu gelangen warten musite. Einem dritten wäre es vielleicht bei-gefallen/ daß Dirschau den Knotenpunkt der Bcrlin-Köingsberger und Danzig - Brombergcr Chaussee bilde, zur.Mfte von einer polnisch redenden Bevölkerung bewohnt werde und nichts von »Merkwürdigkeiten« besitze. Ein Gclrhrter hätte sich wohl gar dahin geäußert/ daß der ursprüngliche Name Dersowc/ Trsow gelautet/ daß die Stadt durch den Pommerellenschrn Fürsten Sambor schon 120? eine Burg erhalten und etwa ein Jahrhundert später unter die Herrschaft des Deutschen Ordens gekommen/ alle würden sich aber in dem Urtheile i' — 4 — vereinigt habm/ daß cs ein ganz abscheulicher Ort sei/ den man so schnell als möglich verlassen müsse, um entweder der »Stadt der reinen Vernunft« oder dem »Venedig des Nordens« zuzueilen. So war cs früher/ und jcht? — Wir nennen Dir-schau, wenn wir von der GöHschthalbrücke, der Som-meringbahn/ den Ucbcrbrückungcn des Conway und der Mcnaistraßc reden. Es ist diesem Orte gegangen wie manchen Völkern/ von denen Niemand etwas weiß/ die mit einem Male in der Geschichte auftreten und die Welt mit dem Nufe ihrer Thaten erfüllen. Auch mancher Mensch lebt so still für sich hin/ in geräuschlosem Wirken Andere meidend/ sein eigenes Selbst entwickelnd/ Niemand kennt ihn/ vielleicht ahnt er selber nichts von seiner Bestinuming/ und plötzlich ist die Samenkapsel aufgesprungen und streut ihren Inhalt in alle Winde. Wie manchen sonst wcltucrlasscnm Ort hat nicht die Eisenbahn berühmt gemacht/ wie manches traumverlorne Thal durchirrt nicht der schrille Pfiff der Lokomotive! Ihr Bewohner schaute die neuen sonderbaren Erscheinungen erst mit demselben stupiden Erstaunen an/ wie der Eingcbornc Amerikas die ersten Schiffe der Spanier oder der alte Preuße die stahlgepanzerteil Ordensritter/ um bald an dem allgemeinen Treiben und Jagen Theil zu nehmen und dem Gewinne nachzugehen. Den ungeheuren Bauten und Zurüstungen gegenüber/ welche die Errichtung der Wcichselbrücke bei Dirschau und __ 5 __ der Nogatbrücke bei Marienburg ins Leben rief/ vermag beim ersten Anschauen selbst der Gebildete kaum etwas Anderes als ein bcgriffsloses Verwundern entgegen zu sehen. Das yorazische nil aäinirai-i mag da seine An» Wendung finden/ wo sich nns Vergleichungen/ Analogiccn darbieten/ wo nns zwar etwas Neues aber nichts Uner« Hortes entgegentritt. Bei jedem Bewohner des Weichsel-thales, jeden» Kenner der Natur dieses Stromes war aber die Vorstellung von einer Unmöglichkeit seiner Ueber-brückung eine so unnmstößliche geworden/ daß das wirkliche und sichere Gelingen des verspotteten Projektes meist nur unglanbig vernommen und das leibliche Schauen die vorgefaßte Meinung zu überwinden kaum im Stande ge< Wesen ist. Ein bloßes Staunen über die Ausführung dieses Riesenwerkes mag wohl bei den meisten der Weichsel' bewohncr der Bewunderung und dem Verständniß der genialen Schöpfung vorhergegangen sein. Woher die Vorstellung von dem Mißlingen dieses Werkes? Der Mensch im Kampfe mit der Natur und ihren vernichtenden Kräften ist von jeher der Gegenstand einer staunenden Bewunderung gewesen/ aber nur, wenn er siegreich diesen Kampf besteht. Das Unterliegen macht ihn lächerlich/ es ist wie ein Kampf mit dem Schicksal. Keinem Elemente gegenüber kann der Mensch eher auf einen Triumph rechnen / als beim Nasser. Wir verweilen in der Geschichte daher gerne bei solchen Nach- — 6 — richten, welche von einer Bändigung/ einem Iochanf-legen reißender Ströme/ bewegter Flnthcn reden, von der scythischen Isterbrücke des Darms, dem ruthen-gepeitschten Hellespont,') der Nheinbrücke Cäsars bis zn dem »Brücken« des Prinz Engenius. Aber die meisten dieser Ucbcrbrückungen dienten mir provisorischen Zwecken, sie bcbenteten nicht viel mehr, als nnserc heutigen Pontonbrücken. Von festen nnd bleibenden Brückcll großer nnd mächtiger Ströme weiß die Ge« schichte selten zn erzählen, nnd wo es geschehn, da zeigen die nnter dem Wasser hervorragenden Trümmer, das; der Strom sein Joch' bald unwillig abgeschüttelt hat. Erst die neueste Zeit hat den Versuch gemacht, auch die nnbändigstcn Ströme zu bändigen, die störrigsten zu zähmen, dem unwilligsten Nacken das Joch aufzulegen. Haben sie doch den Niagara überbrückt, den Mcnai-Hellespont überbaut, und — was mehr sagen will — wird doch in Kurzem die Lokomotive über die Weichsel' brücke brausen. Kennt ihr die Weichsel?") Wißt ihr etwas mehr, als daß sie auf den Karpathen entspringt, Krakau, Warschall und Danzig vorüberfließt und in der Ostsee mündet? Kennt ihr die Tücke dieses Stromes? Vielleicht fuhrt ihr einmal über seine Eisdecke, die so still und fest daliegt/ es ist das bleiche Gesicht, die eisige Nuhc jenes Beleidigten, der sogleich ein Wuthausbmch folgen wird. Oder ihr saht den Versandelen seichten Strom im .____ hält — und verbindet dieselben durch senkrechte Träger und gekreuzte Stäbe mit einander. Dadurch entsteht, seiner äußern Form nach, ein aufrecht stehendes Gitter, an welchem dem Laien die Träger und gekreuzten Stäbe als die Hauptsache erscheinen, während doch vorzugsweise^) diesem» gen beiden Balken die Tragfähigkeit dicscs Gitters bestimmen, in welche obm und unten die Stäbe eingesalzt sind. Dieser Gitter werden mehrere — mindestens zwei — auf den Stützpunkten, — den Strompfeilern, — vertikal neben einander gestellt und ihrerseits mit einander durch einzelne Stäbe verbunden, nm die senkrechte Stellung nicht zu verlieren. Was aber bei gewöhnlichen Holzbrücken die Vretterlage, das ist hier eine auf Eisenstäbcn, die von Gitter zu Gitter gehen, ruhende horizontale Balkenlage. Dem Leser wird cs nach dieser Darstellung nicht schwer werden, in einem solchen Gitter nichts als einen __ 23 __ idealen Balken zu sehen/ er wird auch writ davon entfernt sein zu glauben, die Träger und die gekreuzten Gitterstäbc hätten nur die obern und untern Balken — Giirtungen genannt — aus und über einander zu halten. Nur die absoluteste Festigkeit in der Verbindung durch die Gittcrstäbe bewirkt es, daß beide Balkengürtungen zu« samnicn nur einen Balken darstellen. Wäre dieses nicht der Fall/ so würde ein jeder dieser Balken, auf sich selbst angewiesen/ dem ausgeübten Drucke durchaus nicht zu widerstehen im Stande sein. Es ist auch hier nur die Einheit, die so großartige litesultate hervorbringt. Die Gittcrbrücken eignen sich wie keine andere» zur Uebcrbrückllng von großen Zwischmräumen, namentlich also von Strömen/ welchen durch Pfeiler die möglichst geringen Hindernisse entgegen gestellt werden dürfm. Bei der Weichsel muß man nur unterscheiden das eigentliche Strombett von ctwa 1200 Fuß Breite, in welchem sich der Strom, mit Ausnahme von ungewöhnlichen Anschwellungen, im Sommer zu bewegen pflegt, und das weitere Strombett, — zu welchem auch das sogenannte Vorland gehört — dessen Grenzen durch die Höhen von Dirschau und den Deich des rechten Ufers bestimmt werden. Die Breite dieses Strombettes beträgt, vom Beginne des einen Endftfeilers bis zum Ende des andern gemessen, 2668 Fuß. In diesem Naume nehmen die beiden Land« oder Uferftfeiler je 98^ Fuß ein/ zwischen ihnen befinden sich fünf Strompftilcr, von — 24 — denen Mi in dem eigentlichen Strombette zu stchen kommen. Dadurch entstehen sechs Brückenöffnungen, deren jede einzelne die überraschende Weite von 386 Fuß hat. ^) Bei der schon oben erwähnten Britaniabrücke, welche in drei Oeffmmgen über die Mcnaistraßc führt, beträgt die Weite der grösitcn Ocffmmg 447 Fuß, also 61 Fuß mehr/ dagegen hat die Kinzig-Gitterbrückc bei Offcnburg nur eine einzige Spannweite von 195 Fuß. Die Höhe der Pfeiler ist, vom untern Absah, d. h. etwa von der Hohe des niedrigsten Wasserstandes aus gerechnet, 35 Fuß/ der höchste Wasserstand bleibt noch 12 Fuß uuter der Brücke. Das Gitter selbst hat eine Höhe von beinahe 38 Fuß/ so daß in der That — wie ein Arbeiter bemerkte — der Eisenbahnzug zwischen den Gittern den Eindruck einer Maus in einer Falle machen wird. Nächst dem Gitter ist nichts interessanter als der Bau der Pfeiler. Kam es bei jenem darauf a«/ ein physisches Geseh mittelst einer mathematischen Rechnung zu verwirklichen, so mußte man bei den Pfeilern der ganzen Unbändigkeit, Launenhaftigkeit und Zcrstö'rungs-lust des allgewaltigen Stromes zu begegnen wissen. Das Gitter lies, sich nicht bloß auf dem Papiere oder als Modell darstellen/ sondern auch ausführen/ an der Unzuverlässigkeit der Pfeiler, deren Festigkeit sich absolut nicht voraussehen ließ, konnte schließlich aber doch das ganze Werk scheitern. Es ist so nicht gekommen/ dic Pfeiler — 25 — stehen groß und unerschüttcrt da, wie eilt Fels, der den Mcercswellm troizt/ und wahrlich, fic haben schlimmern Keiften Niderstand zu leistm. Die Landpfeiler sind mit vielfachen Gewölben, Kasematten, Schießscharten und ähnlichen Einrichtungen versehen, indem die Brücke nicht bloß dem Verkehre dienen, sondern zugleich einen befestigten Brückenkopf abgeben soll. Die Mittclpfciler haben fast die Gestalt eines Schiffes, d. h. sie bilden ein an der schmalen Seite abgeschrägtes und zugespitztes Oblong, wie die Pfalz im Rhein. Sie stehen ihrer Länge nach, die 81 Fuß beträgt, dem Stromlaufe entsprechend, und sind 31 Fuß breit. Die Gitter ruhen unverschicblich nur auf der Mitte des ersten, dritten und fünften Mittelpfcilcrs, während auf den übrigen Pfcilcru durch untergelegte auf gußeisernen Platten bewegliche Nollcn der Veränderlichkeit der Längen-ausdehmmg durch die Tempcraturändcruug Rechnung getragen ist. Mall rechnet anf eine mögliche Ausdehnung von 3^ 3oll für einen Naum zwischen zweien Pfeilern, also auf 21 Zoll für die ganze Brücke. Höchst interessant ist die Art und Weise, wie die Strompfeiler gebaut sind. An der Stelle, wo der Pfeiler zu stehm kommen sollte, schlug mau in der Große und Grundform desselben eine Pfahlwand, die durch Ausbaggernug uud Ein« rammen in eine möglichst große Tiefe versenkt wurde, während man den seit Jahrtausenden aufgeschwemmten — 26 — Triebsand so weit als möglich herauszuschaffen suchte. In diese mit Wasser angefüllte Grube wurde demnächst ein Pfahlrost geschlagen und darauf eine ans Cement oder hydraulischem Kalk und grobem Kiese oder Stein-und Ziegelstückcn bestehende Mischung — Voton gc« nannt — geschüttet/ welche im Wasser vollständig zu einer Stcimnasse verhärtet. Man bediente sich dabei kleinerer Korbe/ die erst in der Tieft ausgeschüttet wurden / um eine größere Gleichmäßigkeit in der Mischung zu erzielen und zu verhüten, daß die schwereren Bestand-theile rascher zu Boden sänken. Auf diesem mehrere Fuß hohen zu Stein verhärteten Fundamente schüttete man längs der Pfahlwand einen Fangdamm bis über den Wasserspiegel/ worauf das Wasser aus der Baugrube mit Leichtigkeit ausgepumpt und das Maucrwcrk der Pfeiler ausgeführt werden konnte/ zu welchem man vor» treffliche/ aufs Sorgfältigste bearbeitete Steinquadern und Formstcine verwendete/ und erstere mittelst eiserner Klam< mern und Dübel, letztere aber durch Mörtel verband. Da wo sich der eigentliche Wogcnschwall und das Eis zu brechen hatte/ wählte man die spröde Basaltlava der Eisch zur Mitte nahm man Sandstein und zur Spitze stromabwärts Granit.") In einer Entfernung von 10 Fuß") umgiebt den ganzen Pfeilerraum eine starke Pfahlwand. Nings um dieselbe ist ein mächtiges Lager von unbehauenen Feld-steinen geschüttet, welche nicht bloß den Pfeiler im All« — 27 — gemeinen gegen den Wasser- und Eisandrang schuhen, sondern insbesondere Unterwaschungcn, wodurch der Pfeiler eine Senkung erfahren könnte, verhüten sollen. Da dieser Stcinwall aufs Genaueste gemessen worden/ so ist man leicht zu erkennen im Stande, ob sich eine Veränderung zugetragen habe, und kann durch Nach' schütten von Steinen den Mangel heben. Mir wurde mitgetheilt, daß um einen dieser Strompfeilcr allein 1600Schachtruthcn^ d. s. also 23 0,400 Kubikfuß-Steine geschüttet wären. Zwischen den eisernen Gittern, deren lichte Weite 20 Fuß beträgt, wird in einer Höhe von 6 Fuß über dem unteren Nande der Gürtung das Schiencngclcist und zu dessen beiden Seiten die Bahn für gewöhnliches Fuhrwerk laufen. Für Fußgänger dient eine an der Anßen-scite der Gitter zu beiden Seiten angebrachte Gallerie von 3 Fuß Breite, ein luftiger, schwindelerregender Gang! Sicht man die Gitter von der Seite ans einiger Entfernung, so ist es schwer das Durchbrochene, Luftige/ Spihenartige des Baues zu erkennen. Anders wenn wir die Brücke selbst betreten. Die imposante Höhe der Gitter, welche über dem schnell dahinrauschenden Strome zu schweben scheinen/ der eigenthümliche, hell klingende Luftzug, der durch die Gitter streicht/ der Blick in die weiteste Ferne/ der schöpferische Gedanke, der aus dem Werke redet, gewähren einen Eindruck, der erhebend und überwältigend wirkt. Es ist die Empfindung, wie wir — 28 — sie auf dm durchbrochenen Thurmsftitzcn gothischer Dome haben. Und doch, so erhaben der Eindruck ist/ den dieses Werk in seiner Totalität hervorruft, vorzugsweise ist es doch das Detail, die geistvolle Technik, die mathematische Genauigkeit, was uns immer und immer zur Betrachtung des Eiuzclucn nöthigt und uns den allgemeinen Standpunkt der bloßen Bewunderung aufzugebm zwingt. In Betreff der Sicherheit und Solidität übertrifft der berechnete Bclastungswidcrstand denjenigen der Eon-vaybrückc um beinahe ein Dritthcil. Für diese ergab sich bei der Probcbclastung don 1313 Pfund auf den Fuft der Brückcnlängc 1^ Zoll Durchbicguug. Bei der Weichsclbrückc sollte die letztere für die weit größere Belastung von 2128 Pfund auf den Fusi der Lauge nur Zz Zoll betragen. Nach der am 20. Oktober 185)5 stattgcfundcnen Wegnahme der Stützen unter dem Oberbau der beiden mittleren Ocssmmgcn bestätigte die thatsächlich eingetretene Durchbiegung das durch die Rechnung ^) für das eigene Gewicht der Brücke voraus bestimmte Ncsnltat in glänzender Weise. Auch das Resultat der wenige Tage darauf vorgenommenen Probcbclastung von 1,923,000 Pfund oder 2323 Pfund auf den Fuß der Länge entsprach der statischen Berechnung des Bauprojektes durchaus. Die erfolgte Durchbiegung betrug ^ Zoll 4^ Linien. Nach Entfernung der Belastung hob sich das Gitter wieder um die durch jene erfolgte Senkung vollständig. — 29 — Nach ganz analogem Systeme wird auch die zweite Brücke bei Manenburg konstruirt, welche die Nogat mittelst zweier Brückenöffnungen von 312 Fuß Weite und zweier massiver Bogen von 52 Fuß Spannung an jedem Ufer überschreitet. Ein von dem Königlichen Ministerium für Handel und Gewerbe herausgegebener Atlas in 1!) Tafeln ") gewährt nicht nur eine dctaillirte Einsicht iu die technische Anordnung des Ganzen wie der einzelnen Theile des großartigen Baues/ sondern gestattet auch in verschiedenen perspektivischen Ansichten") ein antizipirtes Urtheil über den Eindruck/ welchen der Bau in seiner Vollendung auf das Auge des Beschauers hervorbringen wird. Dieser Eindruck/ welcher im höchsten Grade großartig und überraschend ausfallen mnß, wird wesentlich bestimmt durch eine Doppclreihe krenelirter Thürme, in deren Mauer» werk die Gitter eingefügt sind, welche von ihnen ungefähr um ihre eigene Höhe überragt werden. Die Thürme der Mittelpfeiler sind rund, die der Eckpfeiler vierkantig. Letztere bilden mit der sie verbindenden krenelirten Qucr-mauer die Portale, welche durch spitzbogenförmige Wöl» bungen den Zugang zu den Brücken gestatten. Bei der Weichselbrückc sind diese Portale einfach und schmucklos gehalten, überraschen aber durch die seltene Harmonie ihrer Verhältnisse/ dagegen prangen die Portale der Nogat-brücke in vollem Schmuck des gothischen Vanstyls.") Werkstätten. Wie Alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem Andern wirkt und lebt! Vöiht, Faust Wenn Wir ein Geldstück gedankenlos zwischen den Fingern rollen, fällt es uns am wenigsten ein, der Arbeiten, der Vorbereitungen zu gedenken/ welche nöthig waren, damit das Stückchen Metall diese bestimmte Go stalt annahm. Bei einem neuen Hause, das eben festlich eingeweiht wird, erinnert man sich selten der Handlanger, der von ferne herbeigeschafften Materialien, des fortgeräumten Bauschuttes. Die Gegenwart verschlingt Alles und wird wiederum von der kommenden Zeit Verschlungen. So wird auch der Reisende, der nach Jahresfrist in glänzendem Waggon über die von den Rädern geglätteten Schienen durch die luftige Halle der Wcichsclvrücke rollt, sich weder der großartigen Gedankenarbeiten in den Köpfen der kühnen Techniker, welche dieses Werk schufen, noch der Handlanger erinnern, auf deren Trink« — 31 — gefäßen wir das begeisterte: »Es blühe der Brückenbau!^ lesen, noch des Schuttes und der Stein frommte/ die uns »or die Füsse rollen, noch all der Dampfmaschinen, ^cnbahnen, Schupften und Wohngcbäude, jenes ganzen ungeheuren Apparates, welcher fast in mcilcnweiter Entfernung auf den Brückenbau als den allgemeinen Ccntral-punkt hindeutet. Auch von dem verunglückten Arbeiter wird kein trinkgcldbegicrigcr Führer mehr erzählen, der dor zwei Jahren von dem Holzgcrüste auf den dm einen Pfeiler umgebenden Stemwall herabgestürzt ist. Wie eine Sage wird einst der pflügende Ackcrsmami von der Cementfabrik, der Eisengießerei und Maschinenwerkstätte sprechen, die mit ihren weitläufigen Gebäuden jetzt viele Morgen Ackers bedecken und dann verschwunden sein werben. Und doch ist gerade das Werden das Interessante, benn es ist das Leben/ hinter dem Gewordenen, Fertigen Mt wie ein blasses Bild die Vernichtung, der Tod. Sehen wir uns deshalb, bevor die Dirschauer Brücke diesen Punkt erreicht hat, ihre Umgebung au, werfen wir einen Blick in ihr Werden. Es war im Jahre 1847, als ich zum ersten Male etwas vom dortigen Brückenbau kennen lernte/ die Post-Verbindung war damals fo mangelhaft/ daß man, von Bromberg kommend, 10 Stunden auf die korrespondi« rende Post warten mußte. Ich ging am Weichselltfcr spazieren nnd bemerkte einen alten Invaliden, der mich auf dem zum Theil schon geebneten Uferplateau — da — 32 — wo jetzt der Bahnhof steht — herumführte und mir kopfschüttelnd von dem iH Ncdc stehenden Projekte erzählte. Ihm fchien es fast eine Gottlosigkeit, über diesen Strom einen Pfad zu schlagen. Einige Jahre später fand ich bereits Alles in der vollsten Thätigkeit/ einer von den großen Pfeilern ragte schon weit alls dein Wasser hervor. Einige weitere Jahre, und die Brücke ist so gut wie voll' endet. Meinen Invaliden sah ich schon das zweite Mal nicht mehr. Die Brücke besteht aus Eisen und Maucrwcrk/ außerdem ist Holzmaterial zu den Pfahlwändcn und zn dem komplizirten Gerüste erforderlich gewesen. In Betreff des Mauerwcrkcs betrachten wir zuvörderst den Ziegelbau. Dirschau hat als Mittelpunkt großartiger Bauten eine vom Geschick selten gewährte günstige Lage. Die Situation an einem schiffbaren im nahen Meere mündenden Strome, an einer Eisenbahn, ist allein schon hoch anzuschlagen. Es kommt aber dazu, daß im Umkreise weniger Meilen fast alle diejenigen Materialien angetroffen werden, welche das Land überhaupt darbietet/ daß sämmtliche Materialien von einer vorzüglichen Bo schaffcnhcit, und — was die Hauptsache — sehr billig zn erlangen sind. Zu dem Holzgerüstc gewähren die Flöße, welche auf der Weichsel aus dem südlichern West-prcußm und ans Polen kommen, das Holz/ der Thon zu den Ziegeln wird inKnicbau^) gegraben und daselbst — 33 — auch verarbeitet/ die dadon fabrizirtcn Ziegel sind auffallend hellgelb, mitunter ins Nöthlichc spielend und von ausgezeichneter Härte. Die Provinz Preußen ist reich an vorzüglichen Mcrgellagern, welche für die dortige Agrikultur mehr bedeuten wollen/ als alle Guanoinseln. Der Werth dieses Mergels bestimmt sich ganz besonders nach seinem Kalkgchaltc. Bei Dirschau ist der letztere nun so groß/ daß der Kalkmcrgcl unmittelbar als Cement") verwendet werden darf. Um nun aber, wie beim Brennen der Kalksteine, aus dem Mcrgclkalk die Kohlen-säure zu entfernen, sind vier Oefcn konstruirt, in welchen schon seit Jahren das Feuer nicht ausgegangen ist. Man streicht zu dem Zwecke des Brenncns den Mergel in Ziegelformen von gewöhnlicher Größe (Patzen) oder auch in kleinen kubischen Formen, von denen acht auf einen gewöhnlichen Ziegel gehen, und welche den in der Nie« derung fabrizirten kleinen Käsen (Zwergen) frappant ähnlich sehen. Diese demnächst an der Luft in besou» dern Schuppen getrockneten Ziegel werden durch eine Oeffnung von oben in die, dicken Schornsteinen gleichen' den, Oefcn geschüttet und durch die Hitze chemisch verändert. Zum Mahlen dieses gebrannten Mergclkalkcs (Cementes) sind Dampfmühlen bestimmt. Soll er zum Mörtel dienen, so untermischt man denselben während des Mahlens gleich mit feinkörnigem Sande — der aus dem Wcichselbctte gegraben wird — und feuchtet ihn mit Wasser au, so daß der Maucrmörtcl aus der Passage, »u« b«m M«ichse!b,I!°, H — 34 — Maschine — die darum auch Mörtelmühle heißt — fertig herauskommt. Eiu Theil dieses Cementmehlcs bildet/ mit grobem Kicsc oder Stein« und Zicgclstückcn in einen» Cylinder durchgeschüttelt, die wunderbare, oben schon erwähnte Mischung, welche man zu den Fundamenten der Brückenpfeiler benutzt hat, und B«ton heißt. Diese Mischung hat die sonderbare Eigenschaft, in» Wasser sehr schnell zu verhärten, soll an der Luft aber allmählig verwittern.^) Sie ist also recht eigentlich zu Nasserbauten wie gemacht, und man darf wohl dreist behaupten, daß ohne die Erfindung des Betons der Bau der Weichsclbriickc noch unendlich mehr Schwierigkeiten dargeboten haben würde. Mir wurde ein Stück Bc'ton gezeigt, Welches bereits längere Zeit im Wasser lag/ aber trotz des starken Kalk-gehaltcs hatte das Wasser keine Färbung angenommen, auch war es nicht möglich/ durch Abkratzen eine Trü« bung hervorzubringen. Als ich im Jahre 1^5>s! den Brückenbau besuchte, konnte ich kaum ein Stück Beton auftrcibcn, — weil dieses Material nicht mehr gebraucht wird,- endlich fand ein Arbeiter noch ein kubisches Stück unter andern Steinen. Dasselbe hatte dort schon einige Zeit an der Luft gelegen und wir zerschlugen es ziemlich leicht. Mich erinnert diese Mischung übrigens lebhaft an die Nagclfiuhe, aus welcher die Vorgcbirgsmaucr der Alpen und namentlich der Rigi gebildet ist. Außer den Ziegeln, dem Mörtel uud B<^ton ist zu — 35 — dem Mauerwcrk vorzugsweise gebrochenes Gestein ver^ wendet worden. Wenn cm Naturforscher nach Jahren einmal Basaltlavastückchen") iu der Nähe Dirschans am Wcichselufer finden sollte/ wird er sich der Brückenpfeiler erinnern, um nicht in seinem neueste» Werte über Basalte auch die Dirschaucr zu citircn. Die zum Bau nothwendigen Blöcke kommen nach Dirschau theils bearbeitet, theils in roher Gestalt, wer« den aus den Weichsclkähnen mittelst ciucs Krahnes (Kranichs) in die Höhe gewunden und auf einer Eisenbahn zu einer Steinschneidcmühle geschafft — der einzigen übrigens, bci lvclcher man sich der Wasserkraft bedient, — um von einer Säge zerschnitten zu werden. Da diese Säge aber keine Zähne hat, so sollte man sie lieber ein Messer nennen/ auch ist es nicht blosi dieses Instrument, was den Stein zertheilt, sondern zugleich der in die Furche gestreute Sand, welcher angefeuchtet und durch die Bewegung des Messers hin und her geschoben, dessen Eindringen in deu Stem ermöglicht. Die Anfertigung der Gitter geschieht in der an der Eisenbahn nach Danzig liegenden Maschinenbauanstalt, welche mit ihrer Fülle von Gebäuden, Dampfmaschinen, Hofräume», Schuppen, Nohngcbäuden für die Arbeiter ei»c kleine Welt für sich bildet. Mir fiel weniger das sinnverwirrende Hämmern, Brausen, Stampfen, das Geschäftige der Arbeiter, die ungeheure Wirkung der Kräfte auf, als vielmehr der eine Umstand. Ich hatte — 36 — mir vorgestellt, die Gitter würden in der Fabrik voll' ständig konstrnirt und dann als Ganzes und mit einem Male aufgestellt/ — wie das bei der Britaniabrücke der Fall gewesen ist. Statt dessen fand ich die Arbeiter an einer unendlichen Fülle kleiner Stücke, Platten/ Stäbe beschäftigt, mit außerordentlicher Sorgfalt die Kanten und Flachen/ namentlich die von den Stampfen eingeschlagenen Löcher prüfend, daran feilend und rundend/ »vie man in der Münze jedes einzelne Geldstück sorgfältig wiegt und prüft. Denn erst an Ort nnd Stelle wird Stück für Stück aneinander gefugt und geschroben. In der Anstalt selber geschieht das Zusammensetzen nur der Probe halber. Auf diese Weise bietet der Transport der einzelnen Theile durchaus keine Schwierigkeit dar. Dafür bedürfte es aber der Konstruktion eines voll« ständigen Gerüstes, welches von Unten und Oben, Innen und Anßcn das Gitterwcrk umschließt/ mit seinem untern Theile in dem Strome selbst steht und sich zwischen zwei Pfeilcrräumcn hinzieht. Wem große Summen imvomrcn/ der mag sich merken, daß allein der Holzwcrth an diesem Gerüste 40/000 Thaler beträgt. Da dasselbe Gerüst immer zu je zwei Pfeilerräumcn/ d. h. zu einem Dritttheil der Brücke verwendet wird/ im Winter sein Verbleiben im Strome wegen des Eisganges auch gefährlich^) ist/ so muß das ganze Gerüst im Herbste ans Land geschafft und in jedem Sommer ein Drittheil der Brücke vollendet werden. Bis jetzt (Herbst 1856) sind __ H7 __ Mi Dnttheile überbrückt. Das lchtc Dritthcil sieht seiner Vollendung im Sommer 1857 entgegen. Dieses sind die Hauftterscheinungen, welche sich als eine bloße Vorbereitung, als ephemere, der einen Brücke dienende Institute darstellen. Bedenkt mau/ daft das ganze Ufer auf eine weite Strecke hin geebnet, mit einem Netze von Eisen schienen bedeckt, daß eine große Zahl von Gebäuden errichtet ist, welche alle verschwinden muffen, sobald das große Werk vollendet worden/ daß alle die tausend werkthätigcn Hände sich in andern Verhältnissen eine Arbeit suchen werden, wenn man ihrer nicht mehr bedarf, so fühlt man doppelt dieBcdeuwng, die Erhabenheit der grandiosen Schöpfung. Schätzen wir doch meist die Größe mehr nach den Voraussetzungen, auf welche sie sich gründet, nach den Opfern, welche sie fordert, als nach ihrem eigenen Werthe. Aber selbst ohne die ge-naucre Kenntniß dieser Voranssepungcn wird dieses Werk dic Bewunderung jedes denkenden Menschen erregen. Denn was so laut, so eindringlich ans diesen Eiscnstäbcn, diesm Pftilermaucrn spricht, das ist die allbezwingendc, sich an Alles wagende, vor nichts zu-rückschrcckcnde Mcnschc„kraft, jener Geist der »Gottlosigkeit«, den die Frommcn nicht verstehen und den auch der alte Invalide nicht bcgnff. Es ist derselbe Geist, der aus den ägyptischen Pyramiden und aus den Werken des stolzen Nom spricht, der die Simplonstraße ebnete und Amerika entdeckte. Wer diesem Geiste nicht — 38 — gewachsen ist in seiner Kleinheit/ der hat diesen Pfeilern wohl einen baldigen Sturz prophezeiht, der hat sie vcr-läumdet, daß sie den großen Durchbruch im Jahre 1855 verschuldet hätten, oder wohl gar bchanptct, diese stolzen Pfeiler senkten sich bereits nach eincr Scitc. Sie werdm dicsm Geist nie begreifen. Das Volk folgt gern solchen Vorstellungen/ es verwünscht bereits dieses Werk/ vielleicht daß nach einigen Jahrhunderten der Schiffer an dcn letzten Trummern dieser »Tcufelsbrückc« scheu vorüber fahrt. Die Anderu uennen sie spöttisch »ein bloßes mathematisches Problem, eine physikalische Vergeistigung der Materie« / auch mit diesen ist nicht zu streiten. Es sind dieselben Menschen, die den Geist in den kunstvollen Bauten der Polypen/ in den Dünenreihen nicht begreifen, die dadurch entstehen, daft sich Sandkorn auf Sandkorn häuft. Wer aber in dem Gesetze, das die Materie durch-dringt, auch einen Theil drs ewigen Geistes sieht nnd in der Erkenntniß dieser Gcsctze den Sieg dcs Mmschen-geistcs über dcn an nnd für sich trägen Stoff, der wird von diesem großen Werke einen erhabenen, nnvcrtilgbaren Eindruck mit fortnehmen, das Bewußtsein don der Ewigkeit des die Materie zwingenden Mcnschengeistcs. In diesem Sinne wird auch dieser Bau ein ewiger sein, selbst wenn nur noch die vcrwittmlden Trümmer des letzten Pfeilers aus dem Strome ragen, und das Krcnzschlagcn des scheuen Schiffers wird nur der Beweis dafür sein. II. Danzig, Positionen. 2)ie Stadt Dirschan bildet ebenso einen Brückenkopf für die Weichsel/ wie Marienburg für die Nogat. Sie bezeichnen die naturgemäßen Ucbergangspunktc für beide Ströme. EZ liegt dm scheinbar willkührlichen Städte-gründungen cin tiefes Gesetz zn Grunde, welches jener Unkundige, der sich über die Neigung der Ströme, an großen Städten vorbeizuftießen, wunderte, zu erkennen nicht im Stande sein wird. Ja wir können dreist be-Häupten, daß an der Stelle, wo wir cine Stadt vor> finden, sich eine solche nothwendig bilden mußte. Denn Städte sind die Krystallisationsftunkte eines Landes. Wie sich die Bedeutung eines Platzes aber erst recht offenbart, wenn sich die in ihm konzentrirten Interessen eines Landes nach Außen hin richten, so werde,: auch diejenigen Krystallisationspunkte die bedeutendsten sein, in welchen sich dieser Zug ausspricht. Es sind die See« und Flußhandclsstädte. Wir finden deshalb da, wo große Ströme im Meere münden, stets einen Handels- — 42 — plat; angelegt/ denn die Flußader bietet ganz von selbst einen leicht und billig zu benutzenden Handclsweg dar/ auf welchem die Landcsproduktc dem Meere und fremden Bändern zugeführt werden. Dergleichen Städte bilden sich aber nicht nothwendig unmittelbar an der Mündung des Stromes. Dcnu Handelsstädte sind nicht bloß Krystallisationspunkte für den Verkehr, welcher längs des Stromes die See und überseeische Länder sucht/ sie sind meist zugleich der Mittelpunkt für das Binnenland/ welches sie repräsentircn/ und den Landtransport. Außer dem Verkehr/ der Zufuhr iu der Länge des Stromes giebt es auch Handclswegc/ welche denselben überschreiten. Der Punkt/ wo sich diese Wasser- und Laudstraßcn naturgemäß schneiden/ ist offenbar der für die Anlage eines Stapelplatzes/ einer Handelsstadt geeignetste. Wir sehen deshalb/ das, fast alle großen Handelsstädte in einiger Entfernung don dem Meere an einem großen Strome/ oder — was dasselbe ist — an einem Mcercsbuscn liegen/ wie z. B. Petersburg/ Niga/ Königsberg/ Danzig/ Stettin/ Hamburg/ Bremen/ Amsterdam/ Antwerpen/ Noucn/ London/ Bordeaux u. s. w. Alle diese Städte sind zugleich Binnen- uud Scehandcls-städte. Weil aber die unmittelbare Nähe der See immer einen großen Neiz zur Gründung eines reinen Seehandcls-Etablissements darbieten wird/ so finden wir bei den meisten der genannten Handelsstädte noch am eigentlichen Ausflüsse des Stromes/ an welchem sie liegen/ oder da — 43 — wo der enge Meerbusen/ das Haff sich öffnen, kleinere nur dem Sechandel ausschließlich gewidmete Städte, welche man deshalb auch Hafenstädte nennt. So ist Mau der Hafcnplatz für Königsberg und Elbing, Neufahrwasser für Danzig, Swinemünde für Stettin, Curhafcn für Hamburg n. s. w. Wo der Verkehr fast ausschließlich der Län-genrichtnng des Stromes folgt, wie beim Nil, kommt es wohl vor, daß die Hafenstadt außergewöhnlich groß ist und als sclbstständiger Handelsplah auftritt. Selten hat eine Stadt eine in handelspolitischer Hinsicht naturgemäßere Lage als Danzig. Von Dir-schau wendet sich die Weichsel ein wenig nordöstlich, behält diesen Lauf bis zum Danziger Haupte bei, schickt "ne Hälfte östlich ins frische Hass und fließt znr andem Hälfte westlich. Da wo sie sich den die Stadt Danzig beherrschenden Höhen nähert, wendet sie sich plötzlich nach Norden und ergießt sich ins Meer."') Danzig liegt nun genan zwischen diesem Neichselarme nnd den genannten Lohen. Am nördlichen Fuße derselben breitet sich eine weite Ebene bis zur See ans, auf der sich neben dem Höhcnzuge ganz naturgemäß die Straße von Pommern hinzieht. Diese Verkchrsstraße trifft bei Danzig anf die Weichsel/ sie braucht dieselbe in ihrer Richtung nach Elbing zu aber nicht zu überschreiten, sie kann viel' mehr dem Strome in dessen östlichem Laufe bis ins frische Haff, bis nach Elbing folgen. Es ist die uralte Wasserstraße, welche den Landweg ersetzt, und wahrscheinlich — 44 — schon vom Bischof Adalbert bci seiner Fahrt nach Preußen eingeschlagen worden ist. Der Punkt bei Danzig muß also unter allen Umständen den Berührungspunkt für die Wasser- und Landstraße bilden. Ganz ähnlich ist das Verhältniß bei Elbing. Diese Stadt liegt eigentlich an der Nogat/ in demselben Sinne/ in welchem wir auch Alezandricn als Nilstadt bezeichnen. In dem jetzigen'2) Mündungssystcm der Nogat/ also mitten in ber Niederung, konnte sie darum nicht gc^ gründet werden/ weil sich sonst die Interessen der be< nachbarten »Höhe« der Krystallisation entzogen haben würden. Wir finden daher Elbing — das uralte Truso — zwar in der Flußebcnc des Elbmgstromeß, aber doch da gegründet, wo sich Höhe und Niederung die Hand reichen. Danzig folgt nicht nur demselben Gesetzt/ hier tritt außer Höhe und Niederung noch die dritte charakteristische Bildung des Weichseldelta's/ die Sanddünenbildung der Nehrung hinzu/ um die Bedeutung der Position noch zu unterstützen. Nichts scheint willkührlichcr als die Gründung von Dirschau und der Marienburg und deren Bestimmung als Brückenköpfe/ und doch ist die Lage auch dieser Städte nur eine nothwendige Conseauenz der Ufcrbc« schaffenheit der Weichsel und Nogat. Dirschau liegt nämlich gerade da/ wo die linke Ufcrhöhe der Weichsel zum letzten Male an den Strom tritt und demnächst weiter im Norden das Danziger Werder beginnt. Ma< — 45 — rienbnrg aber bezeichnet dm Punkt, wo die/ die Elbinger Niederung in einem Bogen umschließenden Höhen die No-gat berühren. Das Zusammentreffen von Höhe und Niederung bestimmt auch hier die Nothwendigkeit der Stromübcrgängc an diesen beiden Punkten. Gleich hinter Dirschau verläßt die Eisenbahn die Höhe des linken Wrichselufcrs, auf der sie sich von Brom-berg her gehalten/ senkt sich in die Niederung, welche hier den Namen des Danzigcr Werders führt, durchschneidet demnächst einzelne Ausläufer der links sich er-streckenden Höhe und hält sich ungefähr in der Mitte zwischen dieser und der Niederung bis Danzia. Von Praust (aus Probstci entstanden) ab gewinnt die Fahrt einen ungemeinen Nciz dnrch die zur Linken aufsteigenden Höhen/ bedeckt mit Buschwerk, Feldern, Villen, Kirchen. Ort drängt sich an Ort. Anf St. Albrecht folgt Scharfen-ort, Guteherbcrge, Nobel (aus Konstantinoftel gebildet), Drei - Schweinsköpfe (von dem Wappen der Patrizier-Familie Ferbcr hergenommen) und sodann Ohra/ Stadtgebiet, Hovpcnbruch, Altschottland. Ueber die ganze Gegend, die vorzugsweise dem Gartenbau dient, ist der Zauber der Wohlhabenheit, Behäbigkeit und Schönheit ausgegosscn. Links von der Eisenbahn zieht sich die alte Poststraße hin mit ihrer Doppelreihe lombardischcr Pap-fteln/ und die durch einen Damm nach der Niederung hin begrenzte Rabanne, deren Namen Gelehrte alles Ernstes vom Eridanus dcr Alten ableiten, die später — 46 — Danzig nut Trmkwaffer versieht und bedeutende Mühlen« werke treibt. Gestattet es der Platz im Eisenbahnwagen/ so werft man einen Blick anf die imposante Höhe des Bischofs-bergcs mit seinen großartigen Festungswerken und Ka« fernen und auf die in der Ebene sich breit hinlagernde Stadt, aus der die Marienkirche mit ihrem Thurmkolossc sich nicht mitten aus einer Stadt/ sondern aus einer »Ebene zu erheben scheint.« Prwatarchitektur. Blick' ich yüvcnif, hither, hmübev, Nllunvcrmldcrt ist css „noersthrt. Vllihe, Faust. Schilling erzählt, ihm habe es bei seinem ersten Ein« trittc in Danzig geschienen, als seien die Häuser von Glas. In der That ist der Eindruck, den wir in den Straßen Danzigs empfangen, ein so wunderlicher, so ganz und gar außergewöhnlicher, daß wir Mühe haben, uns der Ursachen bewußt zu werden, welche so eigenthümliche Empfindmlgcn hervorrufen. Beim ersten Blicke scheint nämlich nichts Außergewöhnliches diesen Eindruck zu rechtfertigen/ die Gebäude enthalten nichts, was wir zerstreut nicht schon anderswo gesehen/ die vorherrschende Enge der Straßen, der Mangel vieler großer Plähe, die Gleichförmigkeit der Architektur, das Fehlen des Trottoirs, ein nicht sehr ebenes Pflaster, sind unstreitig Momente, die einzeln genommen keinen erquicklichen Eindruck machen können/ und dennoch fühlt sich der Fremde wie in einem nicht zu banuenden Zauber — 48 — befangen. Es ist dasselbe Gefühl stiller Seligkeit/ das mich überkam, als einst an einem Mondscheinabcnd in Nürnberg vor der SebalduZkirche beim Rauschen des kunstvollen Brunnens aus einem geöffneten Fenster die Klänge eines Schubcrtschcn Liedes zu mir herüberwehten. Was ist der Grund dieser seltenen Empfindung? — Es ist die Harmonie. Gebt uns die Schönheit des vollendetsten Kunstwerkes, aber stellt es dahin, wohin es nicht gehört, und wir fühlen die Schönheit nicht, denn wir sehen die Disharmonie/ oder schlagt zwei Töne an, die ein jeder für sich silberhell klingen, zusammen aber keine akustische Uebereinstimmung ihrer Schwingungen haben, und wir hören nur den Mißklang. Aber wo fern von aller Ncgcl« und Nücksichtslosigkeit sich der Geist der Ordnung, Einheit und Harmonie aussprichr, wo — wie in diesen wundervollen Häuserreihen — die Seele einer glänzenden Epoche, noch unberührt von dem modernen Flitter und der modernen Gleichmacherei aus den Facadcn, die noch nicht todten Larven, sondern lebenden Gesichtern gleichen, blickt, — da giebt es noch eine Erhebung, ein stilles inniges Gefühl, denn wir athmen die Luft, durch welche der harmonische Drciklang der Schönheit zittert. Haben wir uns von dem ersten entzückenden Eindrucke befreit, so suchen wir uns mit Necht der Gründe bewußt zu werden, welche diese Harmonie bedingen. — 49 — Nach dein Aufschwünge des Geistes folgt nothwendig die Analyse/ und wcnn wir eine Blume genugsam bewundert haben, greifen wir nach der Loupe. Die Architektur Danzigs steht nicht vereinzelt da. Wer Königsberg und Elbing kennt/ oder Hamburg, oder eine der andern norddeutschen Städte, hat diese hochgegicbelten Häuser mit hellen Spiegelscheiben, die Treppen und Bäume davor bereits alle gesehn. Was abrr in andern Städten hievon nur iu einzelnen Straßen oder gar nur an einzelnen Häusern auftritt, das ist iu Danzig die herrschende Ncgel. Das Mittelalter, die Zeit der Hansa, in welcher diese Architektur die ersten Impulse empfing, hatte keine Ahnung von der Ausdehnung unserer heutigen Städte. Die Gemeinsamkeit des Lebens, die Gefahr don Außen, der Gegensatz von Stadt und Land zogen die Grenzen um die Stadt so enge als möglich. Wie damals noch kein »Westcnd« bestand, so gab es auch keine Villen vor den unsichern Thoren, noch weniger Gärten innerhalb der Mauern des eng umschlossenen Stadtraums. Der Grund und Boden war den Bürgern kärglich zugemessen. Nur die öffentlichen Gebäude blickten mit breiten Fronten nach den enge gewundenen Straßen/ dem Privatmanne war selten eine Fronte von mehr als drei dicht neben einander gestellten Fenstern gestattet. Daher stehen die Danziger Häuser alle mit der schmalen Längcnseitc nach der Straße zu und dehnen sich ganz unvcrhältnißmäßig P»ss»l«t, ou« dem Weichsllbtlla, 4 — 50 — nach hinten aus. Oft geht die schmale Hinterfronte bis zu der parallel laufenden Hintergasse/ oder es befindet sich zwischen dem Vorder- und dem Hintergebäude ein kleiner Hof, auf dem ein Seitengebäude die beiden Haupt-theile verbindet. War aber der Grund und Boden aufs Aeußerstc beschrankt/ man baute in den freieu Luftraum. Daher sind die Danziger Häuser alle so hoch und so thurm« und latcrncnartig luftig. Es entstand nur die Fragt/ wie man in diese hohen/ tiefen, dunkeln Gebäude Licht schaffen mochte. Dieses konnte nur durch sehr hohe und ganz eng neben einander gestellte Fenster bewirkt werden, wodurch die Facaden eben dieses Glasartige, Durch' brochcne, Glänzende erhalten. Was aber diesen Eindruck ganz besonders verstärkt, das ist die Feinheit des Glases selber, welches spiegelnd und krystallklar die schönste»! Nesiexc hervorbringt. Ein grünes düstres Glas, wie es vielfach in andern Städten bcmcht wird, selbst das gewöhnliche weiße Fensterglas, wird in Danzig kaum irgendwo angetroffen. Der Neftex wird noch dadurch ver« stärkt, daß die großen Scheiben ganz ungebräuchlich sind und dafür nur kleinere etwa ein Viertel so große vorkommen / denn offenbar bringen mehrere und kleinere Flächen Vielfachcrc Reflexe hervor als eine einzige große. Ganz besonders lebhaft wird der Sftiegelglanz aber dadurch, daß die Scheiben nicht als eine vollständig ebene Platte behandelt werden, sondern geschliffen eine Biegung erhalten, — 51 — die bald kondcx, bald konkav ist. Die erstere Form sam< melt/ die zweite zerstreut die darauf fallenden Spiegel« bildcr, und es ist zweifelhaft, welche Art des Einsetzens frappanter wirkt. Durch diese Behandlung des Fensterglases erhalten die Gebäude in der That ein so glänzen« des krystallnes Ausschn/ daß man mit Schilling geneigt ist anzunehmen, sie seien überhaupt von Glas. Außerdem lassen diese Scheiben keinen indiskreten Blick in das Innere der Gebäude zu. Eine zweite Eigenthümlichkeit der Häuser ist ihre abgesonderte Stellung. Reisende, die in London gewesen, erzählen uns von der festuugsartigcn Abgeschlossenheit der dortigen Wohnhäuser, deren Trennung von der Straße dnrch einen Graben und cm Gitter, woher die Engländer zu ihrem stolzen: m^ Iiuu^e i» in^ e3.8t1o schon rein äußerlich gekommen sind. Gerade so ist es in Danzig. Der Mangel aller Bürgcrsteige fällt dem Fremden hier ganz besonders auf. Die Straße ist für die Oessentlichkcit bestimmt/ sie wird an beiden Seiten von einem Graben begrenzt, der in den meisten tcineswegcs an einen modernen Ninnstem erinnert. Was demnächst folgt, ist nicht der tolerante, indifferente Pfad des Bürgen steigcs, dieser trottoirsüchtigcPhilistcrstcig, an welchem — nach dem preußischen Landrcchte — die Hauseigcnthümer nur das Nutzungs» (nicht Eigenthums-) 3iccht haben, son' dern das absolute abgeschlossene Privatcigenthum. Man geht daher in Danzig stets in der Mitte der Straße, 4. — 52 — gerade so wie es früher auch in Königsberg war/ und wmn in Berlin ein solcher trottoirftüchtigcr in der Mitte der Straße fest einherschrcitender Danzigcr hieran sofort erkannt und ausgelacht wird/ so kann man den Berlinern billig antworten: Kommt nach Danzig und versucht ihr es/ auf — dem Trottoir zu gehen! Den Naum/ der sonst zu den Bürgersteigm verwendet wird/ nimmt eine Platte/ cm sogenannter »Beischlag« ein, der/ meistens mit Stcinflicscn belegt/ vor der ganzen Fronte des Hauses hinläuft. Gegen den Graben hin ist derselbe durch eine niedrige Mauer von bchanencn Steinen (Wangclsteinen) in zierlicher Form begrenzt/ an der bei vielen Häusern sich kunstvolle Relief-darstellungen befinden. In der Mitte dieser Mauer ist ein Raum zum Durchgange offen gelassen/ von wo aus eine breite Steinplatte über den Graben nach der Straße gelegt, gleichsam eine Zugbrücke bildet. Das Geländer dieser Brücke besteht aus dicken/ oft verzierten eisernen Stangen mit großen Mcssingkugeln/ die oben an den Wangclstcinen befestigt sind und am Eingänge von der Straße auf mächtigen Steinen in Form von Kugeln/ Eicheln ic. ruhen. Diese Geländer sind es ganz besonders/ die den Eharaktcr der Beischläge bedingen. Aus den mächtigen/ oft einige Fuß im Durchmesser haltenden Steinkugeln spricht eiu stolzes: m^ 1wn8o is m^ c^M?; es liegt in ihnen etwas/ was an tausendpfündige Mörser erinnert. — 53 — Selbst wo die Beischläge und Brücken entfernt oder vielleicht nie ausgeführt worden sind, stecken vor vielen Häusern diese deutlich redenden Steinkugeln im Steinpflaster und dienen als Schutzwehr gegen die dahinter befindlichen Gräben. Es giebt wenige Straßen/ in denen nicht wenigstens vor einigen dieser Beischläge Linden standen. Dieser edle Baum wird in Danzig viel zu sehr geachtet, als daß der Magistrat, wie in vielen andern Städten, deren Entfernung verlangte, oder daß man den stolzen Wuchs mit Säge und Schecre verstümmelte. Er beschattet nicht nur die Beischläge und macht den Aufenthalt daselbst zu einem höchst angenehmen, er gewährt auch der"gauzen Straße eine Zierde, wie sie wenige Städte haben: Denn diesen Lindcnbäumen fehlt durchaus alles Gestutzte, Negelmäsiigc, Meeartige/ es sind nichts als einzelne Bäume, welche ihr Haus, vor dem sie stehen, schmücken wollen. Die Dachsftilzcn der Ganser — vergegenwärtigen wir uns, daß dieselben mit der Giebelfronte nach der Straße zu stehen! — streben meist in zierlichen Formen arabcsken-artig in die Höhe. Gewöhnlich sind sie von einer Fahne oder einer Figur, einer Büste oder auch von Thier« und Fruchtgestalten eingenommen, und der größeren Haltbar« keit wegen am First des Daches mit einer eisernen Stange befestigt. Das Dach selbst fällt zu den beiden Nachbar, seitcn ab und ergießt den Ncgcn in Ninncn, die ihren Abfluß nach der Straße zu haben. Da wo die Bei« ^__ 5^. __ schlage beginnen/ läuft die Ninne auf der — meist ziemlich hohen — gemeinschaftlichen Zwischenmauer, welche die Beischläge der Nachbaren trennt, nnd speit den Inhalt ans cincm Drachenköpfe in den Graben. Das Zusammentreffen der Nachbardächer bleibt nicht frei von mancherlei Kollisionen. Die schadhafte Dachrinne des Einen kann zugleich dem Andern schaden/ oft ist die Dachrinne gar gemeinschaftlich nnd der Streit betrifft die Verpflichtung zur Reparatnr. Eine ganz eigenthümliche Erscheinung ist es/ wenn im Frühjahre der Scknee zu schmelzen.begännt. Ist er ans den Zwischcnräumen der Dächer'nicht schon im Winter entfernt worden/ so ist nnn die höchste Zeit dazu/ er sickert sonst schmelzend leicht durch Dach und Fach. Dann wird der Schnec von der sehr bcdentcndm Höhe in dic Mitte der Straße geworfen, und obwohl cin Wächter nntcn die Vorübergehenden warnt, so ist einem solchen wasscrgetränkten Schnee doch nicht im-mer auszuweichen. Bilden dic Privathänscr Danzigs in ihrer äichern Erscheinung den vollsten Gegensah gegen unsere modernen/ tasernenartigen / leblosen Facadcn, so enthält ihre innere Einrichtung des Abweichenden noch viel mehr. Auch sie crinncrt uns an England. Während nämlich heutzutage Alles darauf ankommt, Zimmerrcihen neben einander zu erlangen, giebt es in Danzig kein Neben-, sondern nur ein Ueber einander. Dieses folgt ganz einfach ans der schmalen und hohen Beschaffenheit der __ 55 __ Häuser. Dafür wird aber, wie in England/ jedes Haus meist nur von einer Familie bewohnt (wenigstens in den reichern Stadtvierteln), wodurch allein eine trauliche Abgeschlossenheit, ein behagliches »komo« ermöglicht wird. Wie wohlthuend wirkt gleich der erste Eintritt! In den Berliner kascrncnartigcn Phalanstörcs befindet man sich plötzlich, man weiß nicht wie, in einem engen, völlig kahlen Hausflur, aus dem rings verschiedene Thüren zu einzelnen ganzen Wohnungen führen/ es überkömmt den suchenden Fremden dort ein Gefühl tödtlichcn Verlassen« seins. Wie ganz anders wirkt hier die hohe/ luftige/ oft mit Bildern und Statuen geschmückte Halle, die den durch das we^e Portal tretenden» Fremden empfängt. °Sie vertritt ganz die Stelle des griechischen Atriums, jenes heiter-gesellige!» Versammlungsortes der Bewohner/ die hohe Decke ersetzt den herein blickenden Himmel und große Topfpflanzen den Schatten der südlichen Bäume. Eine breite Treppe, oft kunstvoll geschnitzt, führt zu Gallericn und in die obern Gemächer, von denen das größte und prächtigste, das nach der Straße zu belcgene/ die ganze Breite des Gebäudes einnimmt, durch die drei hohen Fenster das volle Licht empfängt und ein köstliches «parionr« abgiebt. Nach hinten zu befindet sich im Erdgeschosse meist die Küche, der ganze Wirthschafts-Apparat, oft auch nur ein weites hohes Gemach oder das Comptoir. In den höhcrn Stockwerken liegen die Schlaf-, linder- und Fremdenzimmer. — 56 — Es darf nicht verschwiegen werden, daß die Nütz-lichkcitsrücksicht diese schöne Harmonie vielfach gestört hat. Wir finden in die Halle oft einzelne Zimmer, mitunter zwei über einander hincingebaut, wie man in manchen Kirchen das vollständige Modell einer kleineren antrifft. Sehr oft ist ein Theil des Beischlages oder wohl gar dieser ganze Naum bis zur Fcnsterhöhe der ersten Etage mit einem bndenartigen Ausbau überbaut, in denen sich kleinere Kanflädcn befinden. In vielen Häusern ist die große Halle der ganzen Höhe nach in zwei ungleiche Theile getheilt, von denen der größere eine Kaufhalle, der kleinere aber den Eingang zu der Treppe der obern Stockwerke bildet. Es darf nicht überraschen, wenn sich die moderne Barbarei auch dieser Architektur bemächtigt.' War es ja doch im Werke die Beischläge — sobald sich etwa eine Erneuerung derselben als nothwendig herausstellen würde, — ganz zu beseitigen, damit sie einem Trottoir Platz machte», bis endlich das Gutachten des verstorbenen Schinkcl sie rettete. Es sind immer dieselben Barbaren, die einen der schönsten Theile des Ma-rienburger Schlosses vernichtet haben und diese Danziger Beischläge opfern wollten. Ich habe mich vielleicht länger als billig bei der Architektur der Privathäuscr Danzigs aufgehalten/ ich würde es nicht gethan haben, wenn mir nicht diese Architektur mit einem Schlage den Charakter der Danzigcr erklärt hätte. Sie sollen stolz sein, diese Patrizier, ab< __ 57 __ geschloffen, ein Geist kaufmännischen Kastenwesens soll in diesen Hallen wohnen / denen das moderne Kulturleben, das encyklopädische Viclwissen ein »Weh euch!« zuruft. Hier giebt es kein fruchtbares Litcratcn-, kein Kunst« mäccnatenthmn/ das sich im Spiegel seiner Eitelkeit wohl« gefällig betrachtet. Woher diese Abgeschlossenheit/ dieses Nichteinstimmcn in Phrasen/ dieses stolze Sich-in-die-toga» hüllen? — Woher anders entspringt es als aus dem Geiste/ welcher auch diese Architektur hervorrief? Man gehe an der reichen Facade des '.'Englischen Hauses"/ — um von all den öffentlichen Gebäuden, den Schöpfungen großartigen Gemcinsinnes zu schweigen, — vorüber/ man durchschreite im Mondscheine die grandiose Speichcr-insel/ man merke was aus dcn dunkeln Luken, diesen hohlen Augen blickt/ man lese am Thore der Langgasse jenes mahnende: «nuenicii^ re8prMioko ^arvae LresLunt,, oder an Privathäuscrn in goldenen Lettern geschrieben die Namen der Horaticr/ Brutnsse, des The» nüstokles/ Fabrizius und Camillus/ man trete mit «nn-heiligen« Sohlen jene Grabsteine in der Marienkirche/ die der Stifter »sich und seinen Erben« meißeln ließ/ aus denen die Jahrhunderte reden/ und man wundere sich über dcn stolzen Geist dieser Patrizier/ deren Ahnherreil aus Hunderten von Bildern mit ihren »raths-hcrrlichen« Gesichtern auf ihre Enkel blicken und zu thatkräftiger Gesinnung anfeuern. Als Platen einst in Venedig von einem Markt-Antiquar ein Buch kaufen — 58 — wollte und den Preis zu hoch fand/ erhielt er die stolze AnWort: »Aber, Signor, es ist aus der Zeit des St. Markus (d. h. der Republik)!« Wie in Venedig lebt auch hier noch das Bewußtsein der einstigen Größe nicht bloß unter den früheren Herrschern/ sondern auch im Volke. Und obwohl Danzig sich unter der Herrschaft des preußischen Königshauscs wohl fühlt/ so ist es doch nichts weiter als das Gefühl der Sicherheit nach dem Veraubtscin. Dieser nnrnhig bewegte Geist städtischer Freiheit/ der die italischen Republiken des Mittelaltcrs auszeichnet/ dem eben so natürlich das Verderben folgt/ als er eine stahlhartc Unbcugsamkcit den Gemüthern einstößt/ das Unstätige/ das halb polnische Element/ welches die Empörung nicht um eines höhcrn Zweckes/ sondern um des Krawalles willen liebt/ die fremdartige Vcr< cinigung von Phlegma und Leichtsinn/ die in der Vermischung von Deutsch- und Sladcnthum ihre Erklärung findet/ dieser sonderbare Geist geht durch die ganze Geschichte Danzigs, und es ist interessant/ daß wir einen Ausdruck dieser Unbändigkcit noch in der allcrncustcn Zeit erlebt haben. Man mnß nnr nicht die Geschichte eines Volkes/ einer Stadt ignoriren/ wenn man ihren gegenwärtigen Charakter begreifen will. Wie in Italien die Banditen (in der eigentlichsten Bedeutung) sich aus den verbannten politischen Parteien bildeten, wie das ganze Räuberwcsen dort wesentlich mit der Bedcntung des politischen Lebens zusammeichängt und mit diesem — 5<1 — — in einem freilich umgekehrten — Verhältniß steht, so ist auch die ganze Nohheit/ Brutalität, Verwilderung der Danziger niedern Volksklasse nichts als die, eines großartigen Zieles entbehrende, Unbändigkeit, Storrig-tcit, Energie der früheren Generationen. Jene gcfürch-teten »Bowlen^, die nicht schwer mit einem -> Bowie-mcsscr"' eine Antwort ertheilen, die zum Theil das Con< tingcnt für das Strafhaus liefern, der Schrecken aller Dandy's und Hausfrauen, erinnern frappant an ihre Vorgänger in den Bcwegnngm der Rcformationsiahre, an jmcs konfliktreiche Verhältniß des Volkes zum Rathe, zur Geistlichkeit/ an ienc Scenen, wie sie uns Nosen-fcldcr in feinem vortrefflichen/ die Befreiung des refor-mawrischm Predigers Pankratius .Klein") durch das Volk darstellenden Bilde vorgeführt hat. Dieses »durch die Masse imponircn«, diese »bewaffneten Demonstrationen« haben die Danzigcr fchon vor Jahrhunderten vortrefflich verstanden/ und was das Sonderbarste ist, bis heute — nicht vergessen. Der auf dem Nathhausc versammelte, vor den Massen draußen zitternde Nath/ das ist ein stets wiederkehrender Refrain in der innern Geschichte Danzigs.") Freilich ist dieser Nath aus solcbm Konflikten, wenn auch nicht immer als Sieger, so dock ohnc wesentliche Schwächung seiner Macht hervorgegangen, weil stine innige Verwachsung mit dem Volksleben, seine Berücksichtigung der Volksintereffen ihm eine ähnliche Stellung wie dem venetianischcn Rathe verschaffen mußte. — 60 — Wollen wir diesen alten Geschlechtern zürnen/ daß sie an ikrcn Erinnerungen hangen, daß sie/ mit konservativem Geiste den Neuerungen entgegen/ dem ganzen geistigen Strome des literarischcn Cliquenwesens sich verschließen? Nir sahn su viel Aristokratisch-Englisches in ihren Wvh° nungcn/ wollen wir ihnen verdenken/ daß sie auch den Hleisi der Engländer nnd deren Erwerbsgeist haben? Und wenn wir es anders wünschen/ ist die Erkenntniß von der Naturwüchsigkeit/ der Nothwendigkeit dieser Zustände nicht genügend, um ihnen wenigstens im weitesten Sinuc unsere Achtung nicht zu versagen? GesftntUche Bauwerke. Doch höher stets, zu immer höhern Höhen, Schwang sich das schaffende Gcuic. Schiller, die Künstler. Es giebt gewisse Längenthälcr in dm Alpen, von denen Kohl sagt/ man müsse wissen, wo und wie hoch man sich befinde/ auch wenn man mit verbundenen Augen hingekommen wäre. Ebenso könnte mau mit verbuudcuen Augen in gewisse fremde Städte geführt werden und wüßte doch, in welche Zeit die Blüthe derselben gefallen und wie ihre Verfassung beschaffen gewesen. Man nehme Königsstädte. NaZ dieselben charakte« risirt sind breite Straßen/ Schlösser, Paläste/ Kirchen und der Mangel aller Individualität in der Privat-architektnr. In Städten aber, die dereinst der Schau-Plcch der Volkshcrrschaft gewesen, da giebt es außer einem ausgebildeten Typus ill der Bauart der Privat-häuscr und außer Kirchen eine gewisse Art von Gebäu« dm, die man aus Hunderten ähnlicher Bauwerke heraus erkennen kann/ Gebäude/ die einen stets ausgeprägten — 62 — Charakter haben/ weil sie nicht aus einem wandelbaren ästhetischen Gesetze entstanden/ niemals der Mode unter-worsen gewesen sind/ sondern weil sie der Repräsentant des Volkscharakters selbst sind, der sie erdachte, schuf und schmückte. In Königspalästen kann bei ihrer Erbauung die willkührlichstc Hand walten, denn sie dienen einem individuellen Willen, dem Bedürfnisse eines Herrschers. Sie werden aus diesem Grunde aber bald an Charakterlosigkeit leiden, bald sich in Vizarrcrien verlieren. Kirchen bezeichnen die Manifestirnng eines religiösen das Jahr« hundert beherrschenden Gedankens. Sie können bei aller Mannigfaltigkeit einer gewisse» Uebereinstimmung nicht ermangeln. Bauwerke aber, die ein Volk aus mnerm schöpferischen Dränge schuf, die einem öffentlichen Bedürfnisse genügen und zugleich das Gemeinwesen derherr» lichen sollten, wahre Krystallisationen des Volksgcistes, bei denen die Zweckmäßigkeit Schönheit und die Schönheit Ziel und Mittel zugleich ist, — solche Bauwerke giebt es nur in Städten, wo der Gcmcingcist waltete und die Gesammtheit herrschte. Es wäre nicht zutreffend, dabei auf Athen und Nom zurückzugehn, weil im Alterthum der Markt das Nath-haus war. Man vergleiche dagegen Venedig und Flo» rcnz mit Turin und Neapel, die belgischen Städte mit Paris, Nürnberg mit München, Danzig mit Berlin, um die schlagendsten Gegensätze neben einander zu haben. — 63 — Eben so klar ist es/ daß sich unter einer eigentlichen Pricsterherrschaft — wie in Nom und Köln — der Kirchcubau am mächtigsten entwickeln mußte. Nie aber in einer Monarchie der Palast des Hcrr< schcrs, so bildet in einer Nepublik das Nathhaus den in< tcllektuellcn und meist auch Physischen Mittelpunkt des Gemeinwesens. In ihm wird sich daher auch die cigent-liche Blüthe des Volksgeistcs konzentrircn. Dcnn was wir heutzutage kaum noch dem Namen nach kennen, was nn höchsten Sinne im Alterthum und in einem hohen noch im Mittclalter lebendig war, die Unterordnung der Privatintcrcfsen unter die öffentlichen/ das selbst räumliche Zurücktreten des Privatbesitzes vor dem öffentlichen (welches das römische Recht bei Bauwerken bis auf die Zahl der FHc festsetzte, während ein wüster Budcnkram noch hmte.manche Dome umgicbt), das spricht aus all deu düstern, charaktervollen Nathhäuscrn/ welche der Zufall vor barbarischer Zerstörung bewahrt hat. Diese zu errichten, zu schmücken, wurden keine Opfer gescheut/ denn das Bauwerk verherrlichte die Stadt, deren Bewohner, und oft war es eine Sache des Wettstreites zwischen zweien Städten, wer das herrlichste Gemeinde« haus auszuweisen habe. Prächtige Gemälde schmücken noch heute die Decken uud Wände der Nathssäle. Paolo Veronese malte im Dogenpalast dic trimnvhirende Ve> nezia selber/ und wenn ich im Danziger Arthushoft auf dem Gemälde von Möller, das jüngste Gericht darstellend/ — 64 — das üftftig schöne Weib ansah/ welches im Mttelvunkte des bunten Durcheinander hingegossen ruht/ mit der Krone und der über ihr Haupt gedeckten Kristallglocke/ ein Weib/ das »Nubenssche Fülle mit Naphaclischcr Feinheit« vereinigt/ dann ist es mir nicht eingefallen/ den auf der Leinwand befindlichen Etiquetten zu glauben / welche dieses Weib munäu» (Wcltlust) nennen nnd die andern Fignrcn mit den lateinischen Namen verschiedener Tugenden und Laster bezeichnen/ — ich habe vielmehr diese schöne Gestalt für nichts anderes als eine Personifizirung des großen Danzig selber gehalten, das in Mitten seiner Untergebenen in doller Glorie und Pracht daliegt, gleich jener Venezia »mit prahlenden Wangen/ wie sie der große Paolo gemalt hat." Ein unbeschreiblicher Geist von Hoheit liegt in den Facaden des Danzigcr Nathhcmscs. Nach mejner Ansicht feiert die Danzigcr Architektur hier ihren höchsten Triumph. Diese kaum unterbrochenen Wandflächcn (namentlich oon der Seite der Langgassc)/ der gänzliche Mangel alles Details/ alles bloß Ornamentalen, die nicht große Zahl höchst einfach konstruirter Fenster/ diefts Alles — sollte man meinen — müßte den Ausdruck des Monotonen, Starren hervorbringen/ und doch ist Alles Leben/ Mannigfaltigkeit/ Harmonie! Wir wissen kaum zu sagen, worin die großartige Wirkung liegt/ wir fühlen nur, wir stehen unter dem Einflnsse der Schönheit. Es ist auch hier die wunderbare Harmonic in allen Verhält- — 65 — nissen, das Organische/ nach Oben Weisende und doch Begrenzte, was unsere Bewunderung erregt. Und wollt ihr wissen, was es ganz besonders ist? Es ist der kühn-schlanke Thurm. ^ Wer je in Florenz war, der hat seine Blicke von dem Thurme des Gemeindehauses nicht abwenden könne», von dem Stahr sagt, das; er einer "" den Hut gesteckten Feder gleiche. Nicht so keck, aber wunderbar harmonisch strebt dieser Thurm in die Höhe. Wie der Halm in die Höhe schießt und knoten an Knoten "nsctzt, um endlich mit einem Male und ohne alle Vorbereitung eine strahlende, luftschwankendc Nisfte zu treiben, so ragt dieser Thür»» »bcr den Massenkörper des Vauwerkcs hinauf, unmittelbar an desscu äußere Kante sich anschließend, kühn, eckig, mit glatten Flächen. Plötzlich brechen die Flächen und Kanten ab,- aus einem Absatz ohne alle Vermittelung schießt die Nispc in den Aether, von einer Zartheit, Durchbrochcuheit, Mannigfaltig- und Wunderlichkeit der Form, daß sich gar nichts Aehnliches damit dergleichen läßt, am wenigsten eine gothische Thurm« spitze. Eine solche endigt höchstens in einer Dopftellilien« spitze oder hat Pflanzcngcstalten alls ihren Nippen als ornamentale Zugabc. Hier bildet aber das Blumcnhafte, Ornamentale, duftige die Grundlage, den Inhalt des Baues selber. Wenn nun dazu noch vor jeder vollen Stunde ein wunderliches Glockenspiel aus so ferner Höhe eine Musik erklingen läßt, so kann matt sich des Gedankens nicht erwehren, daß diese Thurmblume selber klinge u»d singe. ^) — 66 — Dazu rauschen die immerfließendm HZasser des kunst-vollen Brunnens/^) welcher vor dem Nathhause und dem Arthushoft erbaut ist und die Scenerie mit einem neuen Reize schmückt. Denn was Quellen für die Landschaft, das sind fließende Brunnen für die Städte. Es sind die Stimmen der schweigenden architektonischen Massen/ in ihnen lebt die »gefrorene Musik« wieder auf. Nächst dem Nathhause pflegt der Arthushof - die Börse der Kaufmannschaft — als bedeutend hervorgehoben zu werden. Ich kann diesem Urtheil nicht beipflichten. Schon die halb triviale/ halb zwitterhaft italienisch-gothische Facade halt mit ihrem matten Grau keinen Vergleich mit der düstern Erhabenheit des dicht dabei stehenden uud zum Vergleiche auffordernden Nath-hauses aus. Das Innere mit seinen schlanken Granit' faulen und einem sehr schön konstruirten Gewölbe ist offenbar dem Konventsremtcr in der Maricnburg nachgebildet/ ohne ihn freilich zu erreichen. Die Wände sind mit Gemälden/ Schildereicn/ Figuren/ Reliefs förmlich überladen/ und doch ist — mit Ausnahme des Möller-schen jüngsten Gerichts und weniger anderer — kein wahres Kunstwerk darunter. Das verwirrte Auge schweift von Gegenstand zu Gegenstand und erschrickt bei so viel Häßlichkeit und Unnatur. Die aus Gemälden hervorragenden Statuen und Hirschgeweihe sind der Ausdruck ästhetischer Verirrung — 67 — und vollster Geschmacklosigkeit. Wir empfangen den wüsten Eindruck eines historischen Raritätcnkabinets ohne Kunst-werth. Aber warum sollten wir denn auch überall uach Kunst-gegcnständen spähen und die Verletzung ästhetischer Gesetze rügen! Vergegenwärtigen wir uns lieber einmal ein lustiges Znsammensein der Großhändler/ jener lustigen "Junker«, die im fünf- und sechszehnten Jahrhundert diese Halle mit fröhlichem Lärmen füllten, auf deu Nuf der »Bierglockc" hier zusammen kamen und von dem Bier tranken, das in mächtigen Humpen aus dem unter dieser Halle befindlichen »NatlMllcr« hinausgeschafft wurde. Klingt es nicht wie der dröhnende Tritt des großen Christoph, wenn wir lesen: »In dem 1481 Iore do auamcn lvier uf König Arthushof, to drinkcn den irsteu Sondag in dem Advent/ do wort in St. Reinhvldns Bank czu Voite (Vogt) gekoren Austcn Tiergart und Hans Schenk czu seinem Stattholdcr/ czu seinem Schreiber worden erkoren Klaus Drageheim und Baltzer Greibe sein Gesell.« Die Gesellschaft, welche sich hier vereinigte, theilte sich nämlich in sechs Korporationen, die man wegm der ihnen angewiesenen bestimmten Sitze die sechs Bänke zu nennen pflegte, und zwar: Reinholds- (nach einem der vier Haimouskinder), Christophs, (oder Lübcckische), Heilige, drei Königs-, Marien- (oder Marienburgsche), Holläu« 5" — 68 — bische und Schisser-Bank. Jede hatte einen alljährlich gewählten dirigirmden Ausschuß/ zu welchem ein Vogt und Schreiber nebst deren Stellvertretern gehörten.'") Ueber der Christophsbank sieht man noch die Statue des großen Christoph wie er das Christuskind durch deu Strom trägt, und über der Marienbant ein Bild, die Belagerung der Maricnburg darstcllcud. Bisweilen nahmen auch Frauen an diesen Zusammenkünften, die dann durch Tanz verschont wurden, Theil. Oftmals traten Hofpfeifer oder Seiltänzer (Tumcler — Kokelcr) vor der Versammlung auf, etwa zum ^Weihnachts-« oder »Paschenhof«. Von einem solchen »Künstler« erzählt Kaspar Wcinrcich' Item im selben Winter vor Fastelobendt sftilte ein Tumler zu Dantzte anf dem Konig Artus hoffe im sollen Harnisch bei ObcntB Zeiten/ vor dem Ratstul sprang er den Mordsprung bey Lichte von einer Tafelen vnd hatte 2 Degen auf seiner Kclen. Ein Holaudcr/ der im zusach/ der bcschweimte (fiel in Ohnmacht). Das Hauptfcst wurde zur Fastnachtszeit begangen, an welchem vor dem Hofe Stechspicle und Turniere statt' fanden, wobei »nach der Tafelrunde^ geritten ward. Es müssen überhaupt lustige Herren gewesen sein, diese »edlen nnd ehrenvesthen« Junker. Nach anstrengender Hirschjagd in den damals sehr dichten, wildreichen Waldungen der Nehrung, — woher auch alle die Hirschgeweihe — 69 — rühren, die hier als Trophäen aufgestellt wurden, — ging es nicht selten an ein tapferes Trinken. Da mnß ihnen gewiß mehr als einmal die volle Glückseligkeit zn Theil geworden sein/ sonst würde nicht deren Statne auf der Dachspitze des Arthushofcs aufgestellt worden sein, von wo sie noch heute, vielfach begehrt und wohl selten erreicht, herabblickt. Auch der große prächtige Kachelofen mit seiner Fülle von Köpfen weiß ein Stückchen von dem spaßhaften Sinn dieser alten Herren zu erzählen. Der heutige rothröckigc Führer mag ihn dir, lieber Leser, erklären. Sollte man glauben, selbst in die Kirche hin trugen die »Nathsherrcn« ihren Sinn für Geselligkeit. Der Kanzel gegenüber, wo jetzt in der Marienkirche die hell' und vielscheibigc heizbare Loge steht, da befand sich innerhalb eines Gitters das Nathsgcstühle und dahinter unmittelbar ein Gemach zum Zurückziehen. E8 hieß, dort würde in schleunigen Fällen sofort über dem Wohle der Stadt gewacht. Aber träne Einer dem Frieden! Wie schade, daß dieses biderbe, lcbensheitrc, aber darum auch so thatkräftige Iunkerthum dahin ist! Nur ihre Namen, ihre wunderlichen Wappen und »Marken« erblicken wir wohl noch auf den Grabsteinen der Marienkirche und schreiten gedankenlos darüber hinweg. Von viel größerer architektonischer Bedeutung als der Arthushof ist der mit dem »Hohen Thore« vcrbuu« — 70 — dene Stockthurm und das zwischen dem Kohlenmarkte und der Wollwcbergafse gelegene Zeughaus. Der erstere hat mich mit seinen geschwärzten Mauern, seinem eigenthümlichen schwarzen/ mit Thürmchcn gezierten Dache lebhaft an die Thürme erinnert/ welche an der steinernen Brücke zu Prag stehn. Es liegt in ihm etwas so vollständig Trotziges, eine Zuversicht, wie sie die alten Helden bewiesen, wenn sie von der Maner herab das feindliche Heer zur Stellung eines Einzelkämpfcrs anffor-dertcn. Die Sachverständigen stehen solchen Erscheinungen wie diesem Thurme rathlos gegenüber. Das paßt weder in den Kram von gothischem noch von byzantinischem Vaustyl/ das ist nicht floreutimsch und gehört auch nicht der Renaissance an / was ist es denn für ein Styl? Es ist eben die Verkörperung des Geistes einer Periode, der, durchaus schöpferisch und an keine Reftr0' duktiou denkend, sich seinen eigenthümlichen Vaustyl selber schuf. Eine Zeit, die eines solchen schöpferischen Dranges entbehrt, weil ihr Charakter die Charakter losig« keit ist, kann immer und ewig nur nachahmen, reftrodu-zircn/ eine Musterkarte von Vaustyle» hinstellen, — wie sie uns München darbietet/ — sich in Geistlosig-keiten herumtummcln, aber einen Styl hat sie nicht. Dieser Stockthurm aber, wie trotzig, kühn und charaktervoll ragt er nicht in die Höhe! Nur eine niedrige Spitzbogenpfortc gestattet den Durchgang/ denn die Gefährlichkeit jener Zeiten forderte Mauern und __ ?1 __ Schutzwehren und ließ nur die nothwendigste Durch< brechung derselben zu. Fast mangelt es in den ersten Stockwerken an allen Fensteröffnungen/ gerade wie in vielen Raubburgen die runden Wartethürme dm Ein< gang nur in einer vom Boden weit entfernten, auf einer Leiter zu erreichenden Höhe haben. Erst weiter nach Oben giebt es Fenster neben einander, über denen der eigenthümliche nach Innen gedrückte Bogen (der umgekehrt gothische) nun gar interessant ist. Wie die Fensterscheiben bald nach Auften, bald nach Innen gebogen werden, so in Danzig die Mauerbogen der Fenster. Dadurch er« hält dieser Thurm etwas halb Chinesisch > Japanisches/ welches nun vollends den ganzen Schematismus der Bauverständigcn über den Haufen wirft. Es liegt eben etwas Ureignes in diesem wundervollen Ball, und wenn ich ihn mit einem Worte charakterisiren soll, so möchte ich ihn »hussitisch« nennen. Und wunderbarer Weise klingt dieser Name uns aus der Geschichte Dauzigs wirklich entgegen. Denn im Jahre 1431 belagerte ein im Solde Iagjello's don Polen stehender 5000 Mann starker Heerhaufe der Hussiteu zusammen mit einem polnischen Heere die Stadt Danzig, welche damals noch unter der Herrschaft des deutschen Ordens stand, und plünderte/ da die Belagerung nach einigen Tagen aufgehoben werden musitc, Pommerellen. ^) Die äußerst kunstvolle Facade des Zeughauses, der Ioftpengasse'") gegenüber, bildet einen eigenthümlichen — 72 — Gegensatz gegen die schmucklosen Wandftächen des Rath-Hauses. Trotz aller Erhabenheit kaun sich dieser Styl nicht mehr zu der Grüße der vorhergehenden Iahrhuu-dcrte, in welchem das Nachhaus, der Stockthurm und die Marienkirche entstanden/ erheben. Das Zeughaus wurde in den ersten Jahren des 17tcn Jahrhunderts erbaut, da schon längst Aller Augen nach dem neu erwachten Kunstlcbcn in Italien gerichtet waren. Einer der Leiter dieses Baues/ der Nathsherr Speymann von der Sftcye/ ließ wenige Jahre später sein noch jetzt auf dem Langen Markte befindliches Hans mit einer in Italien gearbeiteten knnstvollcn Facade schmücken. Das Langgassischc Thor — 1612 erbaut^) — ist schon vollständig italienisch und der Arthnshof schwebt genau in der Mitte zwischen italienischem und gothischem Vaustyl. Das Schmücken der Facadm mit Statuen, die Anbringung des ganzen ornamentalen Apparates, der nicht mehr einem nothwendigen Kunstgebot folgt, sondern der Laune den freicsten Spielraum gestattet: das Hereinbrechen des sich im Unpraktische» und Gc-schmacklosm verlierenden Expcrimcntircns bezeichnet den Beginn dieser Epoche auch hier. Und dennoch ist die mit steinernen und reich vergoldeten Verzierungen gc-schmückte Facade noch immer von einer bcwnnderns-werthen Harmonie/ noch ist die Ornamentik nicht zu einem bloßen Flitter herabgesunken/ noch fühlen wir den organischen Zusammenhang. Die ursprüngliche Größe der — 73 — vorhergegangenen Periode spricht mit beredten Worten auch aus diesen bewnndcrnswcrthen Fronten mit ihren Giebelspitzen und achteckigen Scitcnthürmcn. Wir stehen ihnen gegenüber wie den Ruinen des römischen Forums, während uuscrc Gedanken still vergleichend zum athenischen Parthenon schweifen. Haben wir unser Auge geuugsam an der Harmonie dieser Bauwerke geweidet, auch einen Blick auf die bc-deutende Architektur der dem Stockthnrmc gegenüber liegenden "Hauptwachc^ geworfen/ welche einst der aus Patriziern uud reichen.Kaufleuten bestehenden St. Georgs-Brüderschaft als Casino diente, dann treten wir gern durch das »Hohe Thor« auf die Brücke, welche den Fcstungsgrabm überspannt, und überschauen staunend ein sich lang dor uns hindchncndcs Panorama von entzückender Schönheit. Es sind die Danzig beherrschenden/ befestigten Höhen des Bischofs- und Hagclsbcrges/ an deren Fuße sich ein buschverstccktcs Hä'uscrgcwimmcl hin« zieht,- es ist der Blick über die in der Ferne sich verlierenden Höhcn der Vorstadt Ohra, der gclleude Pfiff der ''länderverbindmdcn« Lokomotive, was unsere Sinne erfreut, unsern Geist erhebt. Nur wie der Schatten jener Wolke überkommt uns die flüchtige Erinnerung au das uuheilvollc.^riegsgcwitter, welches sich schou oft auf diesen grünen Höhen entladen und Tod und Verderben in diesen stillen Frieden gescudct hat. Kirchliche Architektur. Schmallpfeilei lieb' ich, strebend, grenzenlos / Spitzbdgiger Zenith crhebt den Geist. Söthc, Faust. Ich Weiß, was es heißt »Kirchen besehen«/ ich kenne den Schauer, der den Reisenden überkommt/ wenn er, in einer Stadt angelangt, seinen Bädekcr oder Förster aufschlägt und auf die Rubrik »Kirchen« trifft. Ich werde daher kurz sein. Es giebt wenige Städte, in welchen die kirchliche Architektur — im Ganzen betrachtet — eine so auf. fallende Uebereinstimmung fände als in Dauzig. Es findet sich hier — architektonisch — kein Gegensatz zwi» schen katholischen und protestantischen Kirchen, zwischen alterthümlichen und modernen. Dem gcrmamschen Bau-styl steht kein romanischer gegenüber, dem Rokokostyl kein Iesuitenstyl zur Seite/ hier herrscht ausschließlich und un« eingeschränkt der sogenannte gothische Bausthl. Der Grund hierfür ist wohl einmal in der Abgc« schlossenheit Danzigß, der großeu Zahl seiner Kirchen, — 75 — die keine Vermehrung in neuerer Zeit forderte/ seinem Plötzlichen, fast allgemeinen Uebcrgangc zur Reformation und darin zu finden, daß den Jesuiten, welche nach Been« digung derselben durch die Vorführung glänzender Bau< werke sonst zu blenden suchten, der Auftnthalt in Danzig beharrlich verweigert wurde, obwohl sie sich wiederholend lich als »Beichtväter« der Nonnen im Kloster der hei« ligen Brigitta festzusehen suchten. Wir wollen deshalb auch nur die Marienkirche, die Hauptkirche Danzigs und dessen Stolz betrachten. Uns wird überdies die Fülle von Erinnerungen, Denkmälern, Reliquien in Erstaunen setzen und einen weiten Blick in die frühern Zustände Danzigs verschaffen. Die Danziger lieben es, mit einigem Stolze zu er» zählen, daß die Marienkirche an Größe die fünfte in der Christenheit sei. Obwohl die Wahrheit dieser Bchaup« tung sehr problematisch scheint,^) erkennen wir gerne an, daß der erste Eindruck, den wir durch ihr Acusieres und Inneres erfahren, ein durchaus imposanter ist. Schon von Ferne gesehn überragt sie die Häuser' und Thurm« massen mit erdrückender Gewalt. Selbst der schlanke und kühne NathhauZthurm schrumpft kümmerlich zusammen, wenn wir den Marienthurm besteigen, und unter ihren Genossen steht sie mindestens da wie der Sirius unter den andern Sternen des Januar-Nachthimmels. Schon die vollkommen glatten, nur von Fenstern unterbrochenen Außenwandftächen/ die jede Ornamentik und selbst die __ 76 ___ sonst doch überall auftretenden Strebepfeiler entbehren, das rothbraune Kolorit des Zicgclmaucrwcrks, »jene unbestimmte Farbe der Vergangenheit, welche an alten Gebäuden nur Jahrhunderte zu bereiten im Stande sind«,^) bringen eine großartige Masscnwirkung her« vor, die mich an die Frauenkirche in München erinnerte. Dieser Mangel alles rein Zusätzlichen bildet dm schlagendsten Gegensatz zu andern gothischen Kirchen, namentlich dem Kölner Dome, bei welchem die äußern Wand-siächcn vollkommen versteckt/ überladen, erdrückt werden durch das komplizirte System der Strebepfeiler und Bogen, deren Existenz dort uicht einmal absolut uoth« wendig erscheint, da die Seitenschiffe dem Hauptschiffe an Höhe nicht gleichkommen und dasselbe daher gleichsam stützen. Bei der Dcmzigcr Marienkirche überspannt dagegen das Gewölbcsystem das Haupt- und die Seitenschiffe in vollkommen gleicher Höhe, wodurch die Außen-wandflächen eine so bedeutende Ausdehnung erlangen, zugleich aber sich die Nothwendigkeit von Strebepfeilern um so driuglichcr darstellt. Dieselben sind denn auch in der That vorhanden, nur freilich nicht ^ wie gewöhnlich — an der Außenseite der Ringmauer, sondern an deren innerer Seite. Indem diese innern Strebepfeiler aber bis zur vollen Höhe des Gewölbes fortgeführt, das letztere selbst tragen, auch die Form der Pfeiler annehmen, wird zwischen ihucn eine die ganze Kirche umgebende Neihe von Kapellen gebildet, welche in ihrer Total- — 77 — erschemnng einem zweiten Seitenschisse gleichen und beim ersten Blick durchaus so erscheinen. Es ist daher auch wohl hic und da zu lesen, daß die Marienkirche fünf. «fig sei.") Die Monotonie der äußern Wandflächcn wird we» sentlich durch eine an die Zinnen des Maricnburger Schlosses erinnernde Krenelirnng gehoben. Professor Schultz in Danzig, dem wir die herrlichen Abbildungen der Marienburg und Danzigs verdanken, ist der Ansicht, daß auch der — nicht vollendete — Thurm der Marienkirche, dieser .konstruktiou analog, habe Zinnen erhalten sollen und nie auf eine Spitze berechnet gewesen sei. Wiewohl ich zweifle, ob dieses wirklich jemals im Plane der Erbauer gelegen, und glaube, daß hier wie bei den meisten gothischen Thürmen Zeit und Mittel den Ausbau gehindert haben/ so bin ich doch der Ansicht/ daß eine Spitze für diesen Thurm eine ästhetische Unmöglichkeit, eine vollkommne Verkennung seiner organischen Verjüngung und der Natur des Ziegelbaues enthält? und es wäre denkbar, daß die Vollenduug des Thurmes gerade wegen dieses empfundenen Widerspruches zwischen Plan und Ausführung unterblieben ist. Im Innern der Marienkirche steigen die schlanken achteckigen Pfeiler überraschend kühn in die Höhe/ das Gewölbe aber, welches sie tragen, entspricht ihnen nicht. War mein Auge zu sehr voll den Bogen des Kölnischen oder Mailänder Domes verwöhnt, oder stand vor meinen — 78 — Blicken das Alles in den Schatten stellende, Spring-» quellartige des Deckengewölbes im Marienburger Kon» ventsrcmter, — auf mich machten diese kurz und schwer aufsteigenden Gcwölbebogen den Eindruck des Gedrückt-Schwerfälligen, des gehemmten Aufschwunges, des Er-lahmcns der Begeisterung, des nicht erhörten Gebetes. Der Architrao, der die Säulen eines griechischen Tempels belastet, weist zur Erde/ die byzantinische Rundbogenlime kehrt nach befriedigter Erhebung ruhig in sich zurück/ der gothisch-parabolische Spitzbogen aber verliert sich in ungemessenen Weiten. Sein Wesen, die innerste Bedingung seines Seins ist also das Nichtzurück-kehren. Deutet aber der Spitzbogen durch das leiseste Gebrochensein, durch den Mangel freiester Entfaltung einen von Oben ansgesprochenen Druck, eine Hemmung unbedingtesten Aufschwunges an, so hebt er die Grundbedingung seines eigenen Wesens auf. Es ist nicht mehr die stolz sich im Winde wiegende, es ist die geknickte Aehrc. Der Totaleindruck des Innern wird ganz besonders auch durch die Fülle unorganischen Details geschwächt, welches diese weiten Räume erfüllt. Alle die Gestühle, Kapellen, Bilder, Schnitzwerke, Fahnen, Uhren, Kruzifixe, Gitter, Taufbecken, Kronleuchter, von denen einzelne Gegenstände ein hohes Interesse in An-spruch nehmen/ der ganze Sitzapftarat, den der protestantische Gottesdienst mit sich bringt, — verwirren und — 79 — heben dic einfache Majestät dieser Hallen anf. Denn da die Pfeiler/ die Gewölbe einer organischen Ornamentik durchaus ermangeln, kann jede willtuhrliche Zu. gäbe den Eindruck der weiten erhabenen Räume nnr stören. Mit der bleichen monotonen Färbung bildet das ganze Bunt- und Flitterwerk, welches nur bis zu einer gewissen erreichbaren Hohe geht, den unausgeglichensten Gegensatz. Ist doch die Grundbedingung der protestantischen Kirchen nothwendig das Fehlen alles Details. Wie dieser Gottesdienst sich der Vermittelung durch Heilige, der Symbole entäußert hat, so darf er auch nur an der Wirkung rein architektonischer Verhältnisse sein Genüge finden. Jede Abweichung Hiedon ist eine Annäherung zur verlassenen Kunstsinnlichkeit des Katholizismus. Dieses auch in der Marienkirche wie in so vielen andern ezistirende Detail kann aber nur den Total-Eindruck modifiziren/ an und für sich werden wir den Jahrhunderten Dank wissen, welche uns einen so reichen Schatz dargeboten und aufbewahrt haben. Was in dem grauenvollen Durcheinander der Kriegsstürme uns unrettbar verloren gegangen sein würde, das ist zu unserer Bewunderung erhalten worden, weil eine protestantische Kirche es in ihren Schutz nahm. In Betreff der aus der Masse hier aufgehäufter Kunstschätze und Curiositäten hervorzuhebenden Einzeln-hciten kann auf die vortreffliche Topographie Danzigs — 80 — von Löschin verwiesen werden.^) Ist es ja doch von Jeher so gewesen/ daß wir über dem Detail uns verlieren und die Gesetze übersehen, welche auch diesem ganzen Mikrokosmos zu Grunde liegen. Dem großen Publikum werden die Düringer'sche Uhr/ die vertrocknete Hand/ das in Stein verwandelte Brod/ -^ diese »Handwerksburschen - Wahrzeichen«, — ein größeres Interesse abgewinnen als das Jüngste Gericht/ das Kruzifix und der Hochaltar mit seinen wundervollen Holz« schnitzereien. Und wie Wenige werden über den stummen Grabstein von Martin Opitz/ der hier im Jahre 1639 an der Pest starb/ schreiten und es wissen. Geht es mir in diesem Augenblicke doch kaum anders. Denn erst da ich diese Worte schreibe/ fällt mir ein/ daß heute gerade sein Todestag ist. '^) Für ein paar Silbergroschen erkanft man sich in der »Heiligengeistgasse« die Erlaubniß zur Besteigung des Thurmes der Marienkirche — schlechtweg »Pfarrthurm <-genannt. Man schiebt uns durch die Pforte an der nördlichen Seite des Thurmes in eineil finstern Naum/ verschließt die Thüre und überläßt unserm Instinkte den Weg zu finden/ denn zu sehe» ist er nicht. Wir erklettern eine enge Wendeltreppe/ welche in der Grundmauer des Thurmes in die Höhe führt/ halten uns/ wie es bei Schiffs-tajüten zu sein Pflegt/ an einem Tau fest/ und gelangen allmählig auf hölzernen Treppen von Stockwerk zu Stock werk. Kein Führer überwacht uns / keine Inschrift weist uns znrecht/ keine warnt uus, ^) man konnte sich sogar ohne polizeiliche Erlaubniß ans den Mm auf das Straßen-Pflaster stürzen. Wir wundern nns über ein großes Tretrad/ bis wir cinsehn, daß dasselbe die Glocken in Bewegung scht. Mächtige Balkenlagen und Ständer bilden demnächst den Glockenstuhl, in welchem die ganz respektabeln Größen hängen/ die »Gratia Dei« mit einem Gewicht von 121^ Centner, 1153 gegossen/ die Glocke Osanna, Dominikalis/ Ferialis, Sibylla und Landglockc (oder lange Glocke). Die »Osanna« wird bei Fcuersbrünsten angeschlagen. Die Zahl ihrer Schläge deutet den Stadttheil an, in welchem das Feuer ausge» brochcn ist/ nämlich: zwei in den innern Vorstädten, drei anf Langgartcn und Niedcrstadt/ vier auf der Vor-, fünf auf der Alt- und sechs auf der Nechtstadt. Endlich stehen wir an einer verriegelten Thüre/ der Thurmwächter öffnet und wir treten hinaus. Wo Berge eine Stadt beherrschen, ist es/ um einen Ueberblick zu gewinnen, am natürlichsten sie zu besteigen. In Danzig bilden daher auch der Bischofs' und Hagclsberg die geeignetsten Punkte zur Aufnahme eines Panorama's. Die Schwierigkeit des Zutritts wegen ihrer Eigenschaft als Theile, der Befestigungen macht es aber wünschenswcrther von der Höhe des Ma-ricnthurmes sich die ersehnte Uebersicht zu verschaffen. Man befindet sich auf demselben ungefähr ill der Höhe Poffcilgt, OW dem Weichslldilt». 6 — 82 — ^ der genannten Berge und hat überdies den Vortheil, diese Ictztern im Panorama selbst vor sich zu sehen. Nichts erleichtert aber die Erkenntnis; der Bodcn-beschaffenheit einer Gegend/ der ^agc einer Stadt mehr als dergleichen Besteigungen. Sie verschaffen/ was alle Karten und selbst ein längerer Auftnthalt in der Gegend hervorzubringen nicht vermögen, einen Total-Eiudruck und zugleich eiue nicht mehr einzubüßende Oricntirung. Jeder Fremde, der eine gute ^>mge hat/ der suche deshalb in einer fremden Stadt zuvörderst den höchsten Thurm zu besteigen. Die Aussicht von dem Pfarrthurme in Danzig gehört zu den entzückendsten. Haben wir die Lage der Stadt am Fuße des Bischofs- und Hagelsberges, östlich von der Weichsel begrenzt und von der Mottlau durch-flössen / zu erkennen uns bemüht, dann schweift unser Blick über die nicht zu ermessenden Flächen des Danzigcr und großen Werders/ bis zu den Thürmen voll Dirschau und Maricnburg/ ja bis dahin, wo wie ein blaues Nebelland die Elbingcr Höhen dämmern. Die ganze Ebene ein Garten für die Kultur/ von Gräben/ Kanälen durchzogen, bietet mit ihren Dörfern und Höfen ein Bild trunkener Fruchtbarkeit dar. Im Westen aber zieht sich vom Hagelsbcrge ab das Amphitheater jener lieblichen Hügclhöhen hin, an deren Fuße ^angflchr, Pelonken, Oliva und Zoppot liegen/ bis dahin/ wo das Ufer in — 83 — seiner »Adlershorst« genannten höchsten Erhebnng steil in das Meer abfällt. »Und nun lasit hervor unZ treten, Schaun das grenzenlose Meer!« Wer ans dem Binnenlande kommt und es hier zum ersten Male erschallt, hingclagcrt am Strande ,'wie cm Ungeheuer«, der wird nicht wissen / was er mit diesem unerhörten Anblick machen soll/ ihm wird zu Muthe werden wie uns/ wenn wir zum crstcn Male die Alpen ^ cm andres Ungeheuer — erblicken nnd uns an die wic unter einem Drllckc leidende Stirn fassen. Denn ob Alpen oder Meer, beide sind uns ein Slimbol des Unfaßbaren, der Unendlichkeit, deren sich unsrer beim Schauen cine Ahnung bemächtigt. Hat unsere Seelc den erhabenen Eindruck zu bewältigen gesucht, dann steigen wir wieder in die dunkle Thurmtiefc hinab. Uud wic wir früher uns aus der architettonischen Enge zu dem freundlichen Panorama vor dem Hohen Thore flüchteten lind sich unser Geist bei diesem Anblick erweiterte, so steigen wir von dieser Höhe mit ihrem Blick auf die Meereslmendlichleit iu die kleine Stube des Thurmwärters, eines ^ lustigen Schusters«,— nicht größer als eine kleine Kajüte, — und geben uns dem Zauber der Enge hin. Auch Humboldt, wenn er in seinem Kosmos genugsam von Stcrneuweiten/ Milch-strasicn und Nebelflecken gehandelt hat, führt uns gerne zu den Infusorien des Biliner Schiefers, von deren 6* — 84 — Kalkpanzern Billionen auf einen Kubikzoll gehn. Denn dieser sonderbare Kontrast liegt nun einmal im Mcnschcn-geiste neben einander, das Schauen der Unendlichkeit und der Beschränkung/ der Blick in ein Teleskop und in ein Mikroskop/ Weite und Enge, Fern« und Heimweh. Erst diese beiden Empfindungen gemischt geben mit dem Grundton den harmonischen Dreiklang. Wo die in die Weite hiuaußstrcbendc Quinte fehlt/ hören wir nur das weichliche Gewimmer philiströsen oder beschränkten Daseins/ und wo die Terze nicht mildernd mitklingt/ schauern wir vor der herzlosen tzerbigkcit grenzenlosen Strebens. Das Nansiger Bild. (auch Vildn haben ihie Geschichte.) H or uz, av» poetle»,. Danzig ist nicht reich an bedeutenden Bildern. Dafür besitzt es aber in seinem »Jüngsten Gerichte" ein Werk ersten Ranges/ gleich ausgezeichnet durch seine Schönheit, seine Schicksale und durch — den Streit über den Meister, der es gemalt hat. Das Danzigcr Bild ist der Stolz, die Freude/ das Palladium dieser schönen und reichen Stadt. Sie führen den Fremden vor ihre herrliche »Tafel« und weiden sich an seinem Entzücken. Ihre erste Frage ist: »Hast Du schon das Jüngste Gericht gesehn?" Aber auch in die Fremde ist der Nuf dieses Werkes gedrungen. Wie in Nom den Pabst, so muß der heimkehrende Reisende dieses Bild geschaut haben. Das Danzigcr Jüngste Gericht, gegenwärtig auf einem Altar der Dorotheen-Kapelle in der Marienkirche aufgestellt, besteht, wie viele der ältern Altarbilder/ aus einem Mittelbildc und zweien Seitenflügeln, welche über — 86 — das erstere gelegt werdet können. Denn das Hohe darf nicht immer profanen Blicken ausgesetzt scin. Nur an besonders heiligen Festtagen mag früher die Herrlichkeit dieser Tafeln entfaltet worden still/ zur staunenden Be« wunderung des herbeiströmenden Volkes. Es mußte sich daher nothwendig etwas Geheimnisivolles an dieses Bild hängen/ das in seiner Vollendung Alles übertraf, was bis dahin gesehn worden, welches die reichste Fülle wechselnder Empfindungen darstellte und Himmel und Hölle öffnete, um ihre Mysterien dem scheuen Blicke zu ent< hüllen. Anffallend wäre es gewesen, wenn der Wunderglaube/ die Abenteuerlichkeit sich nicht dieses Gegenstandes bemächtigt hätte. Durch eine Verkettung sonderbarer Umstände aus der Fremde nach Danzig gekommen, mußte dieses Bild die Phantasie zu Erfindnngen anregen, die wahren Ereignisse zurücktreten, die Geschichte seiner Erwerbung vergessen lassen. Da hieß es denu bald, das Bild sei für den Pabst bestimmt gewesen, mit dem Schiffe, auf den, es nach Nom habe gebracht werden sollen, von einem Seeräuber erbeutet und diesem, der es für den Sultan bestimmt gehabt, wieder von einem Danziger Schiffer abgenommen/ bald, daß es, dem Palladium gleich, vom Himmel gefallen, von einem Schiffer auf dem Mere schwimmend gefunden und aufgefischt worden sei. Dieser Sage liegen wahre, wenngleich entstellte Thatsachen zu Grunde. Es ist das Verdienst des geistvollen Historikers Hirsch, durch — 87 — eine Reihe scharfsinniger Kombinationen die Geschichte des Danziger Bildes von ihrer volksthümlichen Sagenhülle entkleidet zu haben. Schon in seiner Geschichte der Marienkirche hatte dieser Forscher anf eine Stelle in der Chronik des Schoppen Melmann hingewiesen, welcher berichtet: »1473 do nam Pauel Benekc ein Schipper von einem Holländer eine Gallcyde, darin die Tafel die anf St. Gwrgcns-Altar steht in der Pfarr« kirche mit großem Gnte befunden ward.« Spätere Entdeckungen, deren Resultate derselbe Verfasser in einer Beilage zu der Danzigcr Chronik Kaspar Wcinreichs (herausgegeben oon Hirsch und Vosiberg Berlin 1855) zusammenstellt, gewähren einen noch tieferer« Einblick in die Verhältnisse, unter welchen dieses Bild erbeutet worden und nach Danzig gekommen, AIs nämlich während des hanseatisch-englischen Krieges (1469 bis 147A) Danzig mit deu übrigen Städ< ten des Hansebundes zur See die Engländer bekämpfte, wurden nach damaliger Sitte auch Kaper — »Aus-licger« — ausgerüstet.^) Einer davon, der »Peter von Danzig«, ein ursprünglich französisches Kauffahrteischiff von bedeutender Größe, eine sogenannte Karavclle (Krawel, Krauet), von dem Neiurcich erzählt: Itcm anno (14)62 nach Pfingsten kwam das große Krasscl (oon Lebarn) zu Dacht in die Neide (Nhedc) mit Saltz geladen. Da schlug im der Tonner die Mast entzwey/ — — 88 — und welches später wegen der zu seiner Ausbesserung aufgenommenen und nicht zurückgezahlten Gelder in Danzig zurückgeblieben war, ging mit einer starken Bemannung von Söldnern (Nuters) unter der Führung von Bernt Pawest in die See. Später übernahm Paul Bcneke das Kommando, und dieser kühne Sccmanu ist cs, welchem Danzig die Erwerbung des Jüngsten Gerichtes verdankt. Während derselbe nämlich vor Seeland kreuzte, liefen zwei Schisse, von denen das größere, die Galcyde (Galeere) St. Thomas, mit reichen Gütern für florcntinische Kaufleute beladen, unter der Flagge des Herzogs von Burgund segelte, aus dem Hafen von Sluys. Beneke verfolgte dieselben bis in die englischen Gewässer und nahm die Galeyde nach hartnäckigem Kampfe. Dieses geschah am Dienstage nach Ostern )47^. Eine reiche Beute im Werthe von etwa 480,000 Thalern fiel den Siegern zu und wurde in Stade, wo man dieselbe barg, theils unter die Mannschaft, theils unter die drei Dan-ziger Nhcder, welche schon früher den »Peter« gekauft hatten, vertheilt. Zu dieser Beute gehörte auch das Jüngste Gericht. Denn wir lesen in einer ^ Bemerkung Stcnzel Bornstets zu Wcinreichs Chronik: Auff dieser Galeide ist die Tassel gewesen, welche auf St. Georgcnß Junkern Altar gesetzet ist, ein schön aldes kunstreiches Molwerk vom jüngsten Tage. Wir können zwar noch weiter bis ins Einzelne den Streit verfolgen, der sich später zwischen den Hanse-» — 89 — städtcn/ dem Herzoge von Burgund und dem Ge< schäftsträger der ftorentinischen Kaufleute Thomas Por< tmari wegen einer Entschädigung entspann/ wir hören selbst verwundert/ daß der Pabst sich durch einen Legaten für die Beraubten verwandte/ ja daß sogar vielleicht die Brüder Giuliano und Lorenzo dei Medici diejenigen sind, für welche das Bild ursprünglich bestimmt gewesen/ aber wir forschen vergebens nach den weitern Schicksalen des lch-tern bis zu seiner Ankunft in Danzig. Auf St. Georgs Altar wurde dieses Bild aber wahrscheinlich deshalb aufgestellt/ weil die drei Eigenthümer des Peter von Danzig der St. Georgs «Brüderschaft angehörten. Hier befand sich das Gemälde bis zum Jahre 1807. Im Jahre 1718 war es von einem Danziger Maler Christoph Kray sehr mangelhaft restaurirt wor« den/ ein Schicksal/ das leider manchen bedeutenden Bilder»/ z. B. den Raphaelischcn FreZkeik'in der Farmsina zu Theil geworden/ ohne daß diese Restaurationen durch spätere/ wie bei dem Danziger Bilde/ wieder gut gemacht worden wären. Denn durch die von Professor Bock 1815 und in neuester Zeit (1851) von Heller vorgenommene Restauration ist die ursprüngliche ^ Schönheit glücklich wiederhergestellt, worden.'^) Als die Franzosen 1807 Danzig eroberten/ gehörte es zu ihren ersten Geschäften/ das Bild nach Paris zu bringen. Dort erhielt es seinen Plcch im Kaiserlichen Museum und kam dann nach Beendigung der Ireihcits- — 90 — kriege 1815 wieder nach Deutschland zurück. In Berlin scheiterten alle Bemühungen, das Bild für das damals beabsichtigte National-Museum zu gewinnen, au dem großartigen Gcmcinsüm der Danziger/") So erhielt die Stadt ihr Bild zurück.") Dieses ist die Geschichte dieses Wunderdollen Bildes. Die Angabe späterer Chronisten, daß dasselbe ursprünglich für Italien bestimmt gewesen sei, gewinnt an Glaubwürdigkeit durch die Wappen, welche den beiden auf der Rückseite befindlichen Donatoren beigefügt worden und einer ftorentinischen Familie angehören sollen.") Für die Maler hielt man früher allgemein die Gebrüder van Eyt/ und es ist nicht zu leugnen, daß dieses Bild mit den von ihnen gemalten Gmter Tafeln im Berliner Museum eine frappante Achnlichkeit hat, ^') nur daß es dieselben an innerer Bedeutung weit hinter sich läßt. Andere halten Hugo van der Goes, Albert Ouwater, Bernhard von Orlay, Michael Coxis, Johann Mastaert und namentlich Halls Mcmling") für den Maler. Keinem der Entdecker des Meisters fehlt es an scharfsinnigen Beweisen für seine Behauptung. Ucbcrlassen wir ^aien denselben den unfruchtbaren Streit und wenden wir uns zur Betrachtung dieses Jüngsten Gerichtes. Christus, mit einem rothen Mantel bekleidet, sitzt in ernster Mchterstrenge auf einem glänzenden Regenbogen, seine Füße ruheu anf einer goldenen Kugel, in der sich __ 91 __ die nächsten Gegenstände spiegeln. Es ist diejenige Stel-lung, in welcher die Kirche Christus "triumphircnd^ nennt. Ueber ihm schweben vier Engel mit den Marter-Werkzeugen, nntcr ihm drei andere dic Posannen blasend. Zu beiden Seiten von Christi Hanpt sehen wir die Symbole der Gnade und Gerechtigkeit, den Lilienstcngcl und das Schwert/ weiter sitzen die zwölf Apostel, neben ihnen knieen rechts Johannes der Täufer und links Maria als Mrbitter. Auf den Ruf der Posaunen haben sich die Gräber geöffnet, die Todten steigen heranf nnd harren des Gerichtes. Der Erzengel Michael steht in ihrer Mitte, erhaben, in einen strahlenden Panzer nnd Pnrpnrmantel gekleidet. Seine Hand hält eine Waage nnd einen Kren-zesstab.") In dem Mittelbilde ist mm der Moment fiz-irt/ wie zwei Auferstandene auf der Waage gewogen nnd der eine von ihnen zu leicht befunden wird. Diese beiden Figuren bilden einen ergreifenden.Contrast, der sich auch in den übrigen bereits abgeurtcltcn Seligen oder Verdammten, des Gerichtes mit Hoffnung oder Furcht Harrenden aussftricht. Der in der linken Schale (vom Zuschauer aus gerechnet) befindliche Selige knieet dankend und betend, während der Verdammte wie eine leblose Masse über die Schale geworfen daliegt, ohne Negung/ ohne Zucken, wie zerschmettert oon dem furcht« baren Gericht. Dicht hinter Michael streiten ein Engel und ein Teufel um den Besih einer Seele. Die Seligen — 92 — steigen, schweben links zu den sich ihnen öffnenden lichten Höhen. Ein Verdammter/ der in den Himmel zu schleichen versucht, wird von einem Dämon mit einem Haken gefaßt und zurückgezogen. Die Darstellungen auf den Flügelbildern hängen mit dem Mittelbildc unmittelbar zusammen und bilden dessen Fortsetzung. Die Trennung in drei Bilder ist daher nur ganz äußerlich. Sie gehören zu einander, wie die einzelnen Theile einer auf Leinwand geklebten zum Zusammenlegen eingerichteten Landkarte. Auf dem linken Flügel ist nun ein auf Wolken ruhen« der Tcmftel in gothischem Baustyle dargestellt/ demantene Stufen führen hcrab bis zu grünen blumigen Matten, auf welchen die Seligen nahen, die Stufen hinansteigen und auf der zweiten (von unten gerechnet) von Petrus liebevoll empfangen werden. Ausgezeichnet ist hier ein vom Rücken gesehener Jüngling, der erstaunt zusieht, wie Petrus cinen ältlichen Mann, gleich einem alten Bekannten, bei der Hand faßt, und das Bildniß dieses Alten selber. Die Seligen steigen empor und verlieren sich im Tempel. Auf der letzten Stufe empfangen die bis dahin nackten Gestalten Gewänder. Bildwerte von halb erhabener Arbeit schmücken die Facade und den Plafond der hochgewölbtcn Eintrittßhalle. Ueber derselben in einem Giebelfeld? ist anf gleiche Weise die Schöpfung der Eva dargestellt/ im Innern des Plafonds Cherubim und Seraphim/ unter dem Bogen desselben, — 93 — inwendig auf einem Pfeiler, Christus als König auf einein Throne sitzend, zu seinen Füßen das Lamm, rings um ihn die Embleme dcr vier Evangelisten. Auf zwei großen thurmähnlichen Pfeilern/ zu beiden Seiten der Halle, sind zehn Statnen theils fitzender, theils kmccnder Könige und heiligen Ordensstifter angebracht, über ihnen erheben sich zierlich geschnitzte Baldachine, genau wie man es an den herrlichsten alten Kirchen sieht. Alles dieses scheint mit solcher täuschenden Wahrheit in Stein gehauen und ist von so vollendeter Ausführung, daß man sogar das Geädcr des Holzwerkes an dcr offen ste° hcnden Thüre, die Beschläge derselben, ja sogar die einzelnen Nägel erblickt. ^) Hinter der dieses Prachtge« bäude krönenden Balustrade stehn singende, musizircndc, jubilirendc, Blumen strmcnde Engel in reichen Meßgewändern,- etwas tiefer auf zweien die Pfeiler umgebenden Balkönen auf jedem drei kleine wundcrliebliche und schön beschwingte Engel, ebenfalls in Meßgewändern, welche von Gold und Juwelen strahlen/ drei von ihnen singen aus einem Buche, drei andere spielen die Harfe, die Zither und die Geige. "') Anderes erblicken wir auf der rechten Seite des Hauptbildcs. "Die unaussprechlichste Angst, Schmerz, an Wahnsinn grenzende Verzweiflung spricht zur Linken Michaels aus den unseligen, auf das Mannichfaltigste gruftpirtcn, zum Theil dicht zusammen gedrängten Gestalten jedes Alters und Geschlechts.« Die Verdammten wer- — 94 — den von Dämonen in dic Hölle getrieben, gerissen, ge« schleppt. Auf dem rechten Flügelbilde schlägt in einer wüsten Fclsengcgcnd, über dcr hoch oben ein in die Posaune blasender Engel schwebt/ eine glühende ^ohe auf. Von dem Oualm betäubt stürzen die Unseligen dnrch einander in einem sinnverwirrenden Knäuel/ in dem das Auge mit Mühe die Individuen erkennt/ eZ ist ein Durcheinander don Körpern und Gliedmaaßen/ ein Schwebe»/ fallen/ Versinken in dem über die Hänftter zusammenschlagenden Fenermcerc. Ein Einzelnes läßt sich in der gemeinsamen Qua! kaum erkennen/ es ist die Vernichtung jeder Individualität/ die absoluteste Rücksichtslosigkeit, welche den Einzelnen einer besondern Beachtung und Strafe gar nicht würdigt. Unter allen diesen Scenen ist wohl von dcr großartigsten Wirkung die folgende. Ein eben Verdammter wird von einem Dämon in der Art fortgeschleppt/ daß der^ehterc ihn an den Beinen rücklings über die Schultern genommen hat und der.stopf des Verdammten nach dcr Erde zu hängt. In seiner Todesangst hat dieser, wie es bei Ertrinkenden geschieht, das Bein eines andern Verdammten, welcher am Boden liegt, gepackt und hält dasselbe krampfhaft fest. Den Dämon kümmert es aber nicht, er trägt seine ^ast weiter. Dadurch fühlt sich dcr am Bodeu biegende mitgerissen, krallt sich mit beiden Händen schreiend in die Erde und furcht dieselbe mit den Nägeln. Das ist in der That — 95 — eine Scene/ die in der »u« km Wcichsl»«!«, 7 — 98 — Zürne uns nicht/ Schatten des großen Meisters/ wie auch immer die Menschen dich nannten / als du auf der Erde wandeltest, wem» wir nicht alle unsere Ansprüche befriedigt nennen/ wenn wir vermisse«/ was du nicht bieten konntest! Wir schauen ja auch nicht anders nach den Sonnenftecken, als daß sich unser Auge bald geblendet senke. Das Hru^ist?. Ein Gnadenbild, wie nie noch eines war. C!)llNlisso, das Nnyisir. In der Eilftausend-Jungfrauen »Kapelle befindet sich ein ans Kreuz geschlagener Christus, ein Kunstwerk don höchster Bedeutung/ von einer erschütternden Wirkung, einer Natnrwahrheit, wie kein zweites Werk dieser Art. Das Christenthum, welches sein Symbol don der Kreuzigung Christi entnommen, hat diesen Akt und was demselben vorausging und nachfolgte recht eigentlich für bildliche Darstellungen empfohlen. Die Kreuztragung mit den dabei vorkommenden Zwischcnfällm, das Anheften an das Kreuz, die Creignisse während des Leidens Christi, die Kreuzesabnahmc, das m Schmerz Versunkensem der Angehörigen bei Christi Leiche, endlich dic Grablegung, sind unzweifelhaft Momente, die durch ihre Plastik, Bewegtheit, ihre Kontraste und eine große Mannigfaltigkeit der verschiedenartigsten Empfindungen sich ganz von selbst zu künstlerischen Darstellungen eignen. 7" — 100 — Den eigentlichen und ethischen Höhepunkt und zugleich Nuhcpunkt dieser ganzen Neihe bildet das an das Kreuz Gchcftetscin und innerhalb dieser Dauer wiederum der letzte Moment des Leidens nnd Lebens Christi/ seine letzte Schmcrzensklage, welche in dem schönen Ausruf: »Mein Gott, warum hast du mich verlassen!« ihren Ausdruck gefunden hat. Es ist diese Klage darum so rührend, weil sie, dm Leidenden als Menschen und rein menschlich empfindend darstellt, in einer alles übermenschlichen Heroismus entkleideten und darum so rührenden und erschütternden Schwäche/ einer Schwäche, welcher auch jene Worte in Gcthscmane entsprangen: »Willst du, mein Gott, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!« Betrachten wir den Moment der Kreuzigung mit rein künstlerischem Auge, so müssen wir uns gestehen, daß kaum ein anderer denkbar ist, der sich plastisch so wenig zu einer Darstellung eignete, der dem Begriffe der Schönheit, jedem ästhetischen Gesetze so vollkommen widerspräche, wie dieser. Zwar die Stellung Christi zwischen den beiden Missethätern zeigt etwas von einer Pyramide/ die Geradlinigkeit aber in der ganzen Körper-stcllnng, die dadurch hervorgerufen wird, dasi die Füße übereinandcrgclcgt sind und die Arme mit dem Körper einen rechten Winkel bilden, die Bcwcgungs- und Regungslosigkeit des gesammten Körpers, welcher in der eigentlichsten Bedeutung fizirt worden, und dadurch die Peinlichste Empfindung hervorruft/ die vollständigste Un- — 101 — freiheit des Leidenden/ die ganze Situation/ welche nichts als die absolntcstc Passivität zuläßt - dieses Alles sind Momente, die — abgesehen von dem Widerlichen des Märtyrerthums -- schon einzeln genommen eine Wirkung durch Gruppirung, überhaupt eine Komposition gar nicht zulassen. Auch bcim Laokoon sind nnr drei leidende Personen vorhanden/ aber wie lebendig, wie aktiv, wie frei verhalten dieselben sich der zwingenden Nothwendigkeit gegenüber. Das Umwinden der Schlangen, der Biß derselben zwingt die Körper in die mannigfaltigsten Stellungen, zeigt deren herrlichste Formen und erweckt im Zuschauer das Bewußtsein, daß sie im nächsten Momente aus der fixirten Stellung in eine andere übergehen können. So zeigt die Laokoonsgruppe trotz der momen< tancn Rnhe ein Vclcbtsem, cine Aktivität, eine Perspektive, während die Gruppe am Kreuz dieser Momente aus rein physischen Gründen entbehren muß. Was ferner in der Laoloonsgruppc das vereinigende Glied der drei Personen abgicbt, ist nicht bloß die rein äußerliche Ver« kettung in schön geschwungenen ^ Schlangenlinien", es ist das gemeinsame Leiden von Vater und Söhnen, die in der Aktion des Erstem ausgesprochene Theilnahme für die Letzter», während die Missethäter Christus gegenüber nur in einem ethischen Gegensatze stehlt und ein durchaus unfruchtbares Moment für eine plastische Darstellung abgeben. Denn der mit bloß künstlerischem Auge empsin« dende Zuschauer, welcher von dem allerdings rührenden — 102 — Verhältniß der Verbrecher zu Christus nichts weift/ ver< mißt jeden Zusammenhang und die innere Beziehung der drei Leidenden zu einander. Hienach ist es klar, das; der Darsteller des ans Kreuz geschlagenen Christus von vornherein auf die Wirkung durch eine Handlung verzichten musi. Was ihm bleibt/ ist die Fixirung eines passiven Zustandes und innerhalb dieser so enge gezogenen Grenze die Darstellung einer Empfindung mittelst des Ausdrucks. Hicnu't ist dem Künstler eine schwierige aber hohe Aufgabe gestellt. Denn da ihm der deutlichst redende Dollmctschcr für die Empsindnng, die Handlung/ nicht zu Gebote steht/ wo« durch die Laokoonsgrnppe zu uns so beredt uud ein» dringlich spricht/ musi er den ganzen Schwerpunkt in den Ausdruck des ruhenden Körpers legen. Und dieses ist nun unserm Künstler in einer ganz wundervollen Weise gelungen. Zugleich aber hat derselbe mit großer Meisterschaft die einzige Möglichkeit einer Bewegung des Körpers/ die freie Stellung des Hauptes auf dem Halse benutzt/ um dem bloß innerlichen Ausdrucke zu Hülfe zu kommen. Vergegenwärtigen wir uns den Moment, welchen der Künstler gewählt hat. Es ist derjenige / welcher oben als der Höhepunkt der Kreuzigung hingestellt wurde/ das letzte Aushauchen in dem Nufc: »Mein Gott/ warum hast du mich verlassen! ^ Das Haupt/ bis dahin von dem physischen Leben und dem die Schrecken des Todes überwindenden Geiste aufrecht gehalten/ sinkt matt auf — 103 — die Brust/ wie in jenem schönen, so oft wiederkehrenden Bilde Homers der Mohn ? belastet vom Regenschauer des Frühlings«. Ueber das jugendlich schöne, mit einem leichten Flaum gezierte, vom dunkclschattcnden Tode über-flogenc Antlitz zuckt ein letzter Schmerz/ die Lippen sind welk und kaum zu einem Seufzer geöffnet, während in der Stirn sich in wunderbar schöner und erschütternder Naturwahrhcit noch einmal das ganze Schmerzgefühl zu« sammenzicht. Es ist das eigenthümliche, ganz entgegengesetzte und scheinbar naturwidrige Zusammenziehen der Stirnmuskeln, welches eine großartige Wirkung hervorruft/ derselbe wunderbare Ausdruck, welcher auf dcm Kopfe Laokoons und des sterbenden Alexander jenen Stempel unsäglichen und doch so erhabenen Leidens ausdrückt, welches zu sagen kein Gott giebt. Während nämlich die Stirn in ihrer obern größern Hafte beim schmerzlichen Zusammenziehen sich in Falten legt, die mit den Brauen parallel gehen, und dadurch diese in die Höhe zieht, krausen sich die Brauen selber zusammmen und bringen dadurch Falten hervor, welche sich zu den Stirnfalten in genau entgegengesetzter Richtung legen. Giebt nun diese Faltung der Stirn dem Antlitz den Ausdruck eines tief schmerzlichen Leidens, so wird derselbe noch verstärkt durch das sehr starke Hervortreten der Augen. Indem nämlich die Stirnmuskeln sich in die Höhe zusammcnziehn und die Augenbrauen sich einander nähern, werden zugleich die Lider, welche die Augen be« — 104 — decken, ganz ungewöhnlich angespannt/ der Augapfel tritt mithin hervor und giebt dcm Antlitz etwas/ was an einen Todten erinnert. Die Behandlung des Körpers ist der des Gesichts entsprechend. Die Glieder sind von vollster Weichheit und Jugendlichkeit wie beim Apollo von Belvedere/ der Brustkasten tritt/ wie es die Situation nun einmal mit sich bringt/ sehr stark hervor, während der Unterleib scharf an- und eingezogen ist. Die Naturwahrhcit entbehrt nirgends der Schönheit/ es ist als ob der Künstler seine Studien am Laokoon gemacht hätte, der bekanntlich den Unterleib gleichfalls schmerzzuckend einzieht. Bewundernd werth ist die Darstellung der Adern an der innern Seite des Unterarmes, die angespannt und blutgefüllt als ein deutlich erkennbares Netz hervortreten. Am meisten erfreut wohl an dieser Statue das von dem Künstler beobachtete Maaß. Wer nur einmal in Galleriecn die Gemälde selbst der größten Meister, welche Marterscmm behandeln/ angesehn hat/ wird von der Scheußlichkeit und Widerlichkeit der gebrauchten Mittel/ der Outrirtheit im Ausdrucke des Leidens sich abgestoßen gefühlt haben. Denn die Künstler legen bei solchen Mäl> tyrcrdarstellungcn den Schwerpunkt gar zu gern in die rein äußerlichen Schrecknisse. Eine unnatürlich große Dornenkrone, dicke Blutstropfen zeichnen zum Beispiel die sonst trefflichen Ecce-Homo's Guido Reni's aus. Hier aber ist nicht bloß der innerliche Schmerzensaus- — 105 — druck in den Grenzen der Naturwahrhcit und Schönheit gehalten/ auch dic nicht zn umgehenden Darstellungen der Wunden/ des Blutes/ der Dornenkrone sind so zart, so wenig hervortretend/ so fast nur angedeutet, das, dem Schönhcitsgcfiihl »olle Ncchmmg getragen wird. Nicht genug kann abcr die Färbung des Körpers bewundert werden/ es ist ein gelbliches Weißgrau/ welches das noch pnlsirende Leben und zugleich die Nähe des Todes andeutet/ uud in kaum merklichen Nüancirungcn die einzelnen Glieder überzieht. Ich nmß gestehn, daß ich bis dahin nicht habe begreifen können/ wie die Alten es jemals vermocht haben / ihre Marmorstatuen zn be« malen. Jetzt ist dieses Näthsrl für mich halb gelöst. Ist diese Christnsstatue / von Holz und in der Vlüthczcit eines Jahrhunderts gearbeitet/ welches sich auch in der Technik mit dem Alterthume nicht vergleichen durfte, schon ergreifend / wie ganz anders kaun nicht die Wirkung jener alten großen Werke gewesen sein/ die in der Formvollendung bis jetzt nicht erreicht worden sind / wenn die Wirkung eines diskreten Kolorits den plastischen Ansdruck unterstützte.") Fassen wir nun unsere Darstellung in einem Resultate zusammen, so finden wir: Der Künstler hat nach der höchsten Naturwahrheit gestrebt/ ohne die Gesetze der Schönheit zu verletzen/ er steht auf ganz modernem Boden / mit voller Erkenntniß des antiken Geistes/ sein Christus ist rein menschlich — 106 — aufgefaßt/ ohne die leiseste Bedeutung einer christlichen Mystik. Dieser letzte Punkt ist gar nicht genug hervor zu heben. Weil es dem Künstler nur auf die durch das Schönhcitsgesch bedingte Naturwahrheit ankam, ist sein Werk so rührend. Wir sehen keinen Gott, der den Schmerz im Bewußtsein seiner unantastbaren Göttlichkeit überwindet/ auch keinen Gottmenschcn/ dem die Erden-schranken schwinden / — es ist der reine Mensch in dem vollen Bewußtsein unsäglichen Leidens/ in seiner Trost« losigkcit/ auf dem Wege zu einer — wenn auch nur gegenwärtigen — Vernichtung/ die geknickte Mohn« blume in ihrem Verwelken. Mag auch die Seele diesen Schmerz, diesen Tod überwinden/ der schöne Leib ist hin/ diese Adern schwellen uur im letzten Todeszucken und dieses brechende Auge wird sich nicht mehr dem Lichte öffnen. Der Name unseres Küustlers ist der Nachwelt nicht erhalten. Es geht allerdings die Sage/ daß dieses Kruzifir. von Michel Angelo herrühre, allein durchaus ohue allen Grund. Michel Angclo's Werke sind von diesem zu verschieden/ als daß man auch uur eine solche Vermuthung zulassen dürfte. Ich erinucre mich aller» dings einer von ihm gearbeiteten Marmorbüste in der Kirche 8auta ^Anene luori 1s nmrn. zu Rom/ einen Christus darstellend/ welche sich durch eine diesem Künstler sonst ganz ungewöhnliche Weichheit der Formen/ ja durch — 107 — einen fast modernen Gestchtsausdruck auszeichnet, aber einen eigentlichen Parallclismus kann ich auch hier nicht entdecken. Ucbrigeus soll sich in Nom ein diesem Danzigcr ganz ähnliches Krnzifir. befinden. Ist uns der Künstler unbekannt geblieben, so hat sich dafür die poetische Sage dieses Stosses bemächtigt. Sie erzählt, daß der Meister, verzweifelnd seinem innern Ideale den entsprechenden Ausdruck zu verschaffen, einen Jünger seiner Kunst als Modell aus das Krcnz gebunden und dann wirklich daran geheftet habe, nm die Züge des Sterbenden nachzubilden. Diese Sage, die Chamisso in ciuem ergreifenden Gedichte behandelt hat, ist wohl das lautest redende Zeug' „iß für die Vollendung dieses unübertroffenen Kunstwerks. Denn die Menge greift da, wo ihr das Vcr-> ständniß abgeht, zum Wunderbaren. Bald muß Pygmalions lebensvolle Schöpfung wirklich athmen, bald Na-phael die heilige Jungfrau selber erscheinen. Dort wollen die naschenden Vogel die gemalten Kirschen anpicken, hier errichtet der Teufel eine Brücke. Das Unbegriffene ist ein Wunder und das Höchste der Kunst ein Unbe« griffcnes. Die Speicherinsel. Auf ben Stapel schüttet die Ernten der Erde d« Kaufmann. 2chiller, dir Spaziergailg, Die Bedeutung des Großhandels wird von Niemand bestritten/ seme Poesie von Wenigen erkannt. Zwar den meerdurchsegelnden Schiffen gesteht man gerne die ganze Romantik und Abenteuerlichkeit zu/ den Poesiedollen Nimbus, der seit den Fahrten der Argonauten bis Franklin hin die Stelle des dichten, unbekannte Zonen umhüllenden Nebels einnimmt. Aber den Zwecken/ welchen diese Fahrten dienten/ dem Verkehr, dem Handel/ hastet in den Augen der Meisten etwas vom Kleinlichen/ von der Waage und Elle an. Und gar Bauwerke/ welche, aller jener abenteuerlichen Poesie entkleidet, nur dem materiell« ste,l Interesse, nur der Waare dienen, solche in ihrer tiefern Bedeutung zu erfassen/ wird wohl den Meisten schwer, wenn nicht unmöglich. Wer es nicht vermag, der wird auch in der großartigen Sftcicherinsel Danzigs nichts sehn als ein großes Waarenvicrtcl, das durch ge- — 109 — wisse Werthe repräsentirt wird/ eine Zahlenreihe, bei der nur der eigene Antheil das Interesse bestimmt/ ein Feld für den Statistiker. Und doch sollte das eine Moment schon entscheidend sein. Der Handel ist der Kulturvermittler. Nicht bloß der Reichthum folgt seinen Bahnen, sondern auch die Bildung/ nicht bloß der Nebel der Ferne schwindet, wo er seine Lichter anzündet, sondern auch der Dunst des Aberglaubens. Den physischen und den intellektuellen Horizont erweitert er ins Unendliche und bringt Gesittung, Bildung und Freiheit. Nur die Beschränktheit sieht in diesem großartigen Kulturfaktor das Krämer-Hafte/ dem Weitblickenden wird die Krämcrwaage selbst zum Symbol dieser die Erde mit ihren Bahnen umschließenden Macht. Im Winter, wie monoton ist die Existenz zwischen diesen schweigenden Spcichermafsenl Einzelne getreide-beladene Fuhrwerke werden abgeladen, aus den geöffneten Luken klingt das eigenthümliche scharrende Geräusch der Schaufeln, womit die Getreidcvorräthe »umgestochen« werden/ aus manchen tönt der Gesang der Handarbeiter. Wenige Laternen erhellen Abends die weiten Straßen/ Nachtwächter lassen schon mit dem Einbrüche der Finsterniß ihre Pfeifen von Viertel- zu Viertelstunde hören. Wenn aber im Frühlinge das Eis von den Häfen und Flüssen geht, dann erwacht das Leben in diesen - 110 - schlafoersunkmen Räumen. Das erste Schiff/ eine wahre Sommerschwalbe/ wird mit Jubel begrüßt/ ein zweites, eine ganze Reihe folgt. Die einen kommen leer, laden ihren Ballast aus, in dem die Jugend nach ausländischen Steinen sucht, und nehmen Frachten in ihre unersättlichen Räume/ die andern bringen Waaren und legen an den Vohlwerken hinter einander an. Nun entwickelt sich ein ungeahntes Leben und Treiben. Last auf Last wird von den sogenannten >'Sackträgern«, die eine eigenthümliche Korporation bilden, in Säcken von den Speichern in die Schiffe, von diesen in die Speicher getragen. Im hüpfenden^) Gänsemarsch durcheilen sie die Straße. Von manchen Speichern wird das Getreide durch die Oeffmmgen auf die Straße geworfen, damit es von allem Munkligen uud Modrigen befreit und vollends gereinigt werde. Im Sonnenschein fällt der Weizen wie ein Goldregen herab. Dort zupfen Frauen den Hanf und Flachs zurecht, der sofort zu Ballen gebunden uud sortirt wird. Hier werden Steinkohlen aus- dort Holzmasscn eingeladen. Die Jugend springt auf den Vohlwcrken umher, fällt über die ausgespannten Ketten und Taue, wundert sich über den Mohren auf jcuem Dreimaster aus Boston, aber sie denkt, das müsse nun einmal Alles so sein. Und doch ist dem denkenden Menschen nichts wunderbarer als diese Erscheinung. Er liest staunend die Namen der Orte, wo« her alle diese Schiffe kommen, umspannt mit einem Blicke — Ill — die ganze Erde/ und fühlt sich als ein Theil dieses gewaltigen Makrokosmos und als ein verschwindendes Atom zugleich. Wenn der Hochsommer da ist/ dann kommen die großen, wahrhaft kolossalen Fahrzeuge der Polen, ihre mit Getreide beladenm Flöße. Nir sehen den Schiffern halb ekel/ halb lächelnd zu, wie sie aus einer hölzernen Mulde, rings herumgelagert/ essen, wie sic auf ihren »Voresser^ achten, nach dessen Beispiel, gleichsam im Rudcrtatte, die Löffel eintauchen und ein Stückchen Speck auffischen. Mehr Interesse erregt ihr origineller Tanz im Schiffe, zu dem einer von ihnen auf der sclbstgcarbeiteten Geige eine slavische melancholisch-weiche Melodie spielt. Sonst sind es schmmnge zerlumpte Gesellen, diese ,?Ms-sen« und »Dschunken«/ wir scheuen ihre Berührung als gefährlich. Nur die Knaben lassen sich mit ihnen gern in einen Handel ein und kaufen von ihnen geschnitzte Stöcke, wogegen sie metallene Knöpfe, — mit denen sie im ersten Frühlinge durch Anwerfen an die Mauern ein lebhaftes Spiel getrieben hatten, — hingeben. Man sieht, es ist der Kulturzustand von Halbwilden und Kindern. So ist das Leben zwischen diesen Speichern und auf den Ladebrücken an dem Strome. Aber es ist nicht bloß der Hinblick auf dieses Treiben, was einen Gang durch diese Straßen so interessant macht, es sind auch die Bauwerke selber, dieses Ilcbcrcinander vieler Stockwerke und Schütiungen, die Kolossalität und Mächtigkeit ihrer Mauern, was namentlich dem Binnenbcwohner ganz — 112 — wunderbar erscheint. Lächelnd lesen wir über den Thüren die Namen, welche diesen Speichern beigelegt sind/ und zu denen sich »Sonne, Mond und Sterne leidet als beklagt. — Zu dm großartigsten Schauspielen gehört wohl der Brand cims Spricherviertels. Da die meisten aus Holzfachwerk bestehn und die Materialien/ wie Hanf/ Flachs/ Oel, für Feuer sehr empfänglich sind, so verbreitet sich die Flamme oft mit rasender Schnelligkeit, ^nm Schutze gegen Feuersgefahr Pflegen deshalb Speicher anch gern auf einem abgesonderten Naume zu stehn/ eine Insel ist natürlich nuch günstiger. Oft aber bricht das Feuer auf einem solchen Naume selber ans/ wie bei dem Brande am 1. November 1813, als bei der Belagerung Danzigs durch die Preußen und Nüssen 173 Speicher mit ihrem ganzen Inhalte ein Nanb der Flammen wurden. Einen seltsamen Eindruck macht es bei einem solchen Brande die in der Nahe ankernden Schiffe fliehen zu sehen. Am furchtbarsten aber wird das entfesselte Element/ wenn es selbst seinen Gegner, das Wasser/ nicht bloß bewältigt/ sondern gleichsam als Bundesgenossen zu sich herüber zwingt. Bei dem großen Brande in Königsberg im Jahre 1811 platzten die Oelfässer und ergossen ihren Inhalt in den Pregcl, der sich bald in — 114 — cinen Feuerstrom verwandelte und das Löschen unmög« lich machte. Es ist hier/ Wie überall/ nicht das Furchtbare einer Naturkraft an sich/ es ist das Sonderbare, Neue/ Unerhörte/ wovor wir rathlos dastehen. Ein Genius Loci. Ist es dir schon vorgekommen/ daß du auf einer Wanderung in der Hcimath oder Fremde ein altes Gc< mäuer/ eine Burgruine/ eine Kirche aufsuchtest/ darinnen einen graubärtig cu/ etwas barschen Führer antrafst/ der dich über Trümmer und durch verfallene Hallen jagte/ deine gleichgültigen Fragen wortkarg beantwortete und froh schien/ wenn er sein Pensum hinter sich hatte? Und machtest du vielleicht eine Bemerkung/ bei welcher das Auge in diesem kalten Antlitze mit überraschender Wärme strahlte? Bemerktest du wie die Nedc deines Führers lebendig/ erregt/ begeistert wurde/ wie er von seiner Nuiue/ seiner Kirche sprach/ als ob es seine Geliebte/ der Inhalt seines Denkens und Strcbcns sei? Drücktet ihr euch beim Abschiede nicht die Hand? Und als du vom Thale aus noch einmal zu dem verlassenen Gebäude emporblicktest/ erschien es dir nicht belebt/ durchgeistigt, die Wohnung eines freundlichen Genius? Und wie kam es/ daß du diesen wortarmen/ sonder« baren Mann erwärmtest? — Du zeigtest, daß dich sein 8* — 116 — Gebäude, durch welches er dich führte, entzückte. Du würdest es vielleicht längst gethan haben, hättest du gewußt, daß dieser Manu sein ganzes Streben auf die Erkenntnis; desselben, alls die Durchforschung auch des letzten seiner Trümmer, auf den Schutz des vcrwittcruden und geborstenen Gemäuers gerichtet, und daß der kühnste seiner Gedanken dahin gehe, diese Hallen einst in alter Schönheit und Pracht erstehu zu lassen. Es ist eill wunderbarer Eindruck, einen solchen Menschengcist zu sehn, der sich cphcuglcich an dem Gemäuer eines Denkmals der Vergangenheit hinaufrantt. Gewohnt ziellos in die Weite zu schweifen, erscheint uns diese beschränkte/ eng umschriebene E.r.istcnz wie die idyllische Verwirklichung eines Traumes von Glück und Zufriedenheit, wie ein harmonisches In-sich-vcrsu>lkcnsc schicdencr Dörfer. Die Danziger aber verstanden nicht bloß zu siegen, sie wußten ihren Sieg auch zu benutzen. Sie segelten schnell mit einer Flottille ins Hass, nahmen 60 Elbinger Fahrzeuge, brandschatzten Nraunsberg und Frauenburg und drangen bis vor die Thore Elbmgs, gegen welches sich der ganze Haß der Großhändler richten mußte, da Bathori gleich beim Beginne des Krieges alle Danzig zugestandenen Handelsvortheile auf jene Stadt übertragen hatte. Man verbrannte nun die Blockhäuser, zündete, da cm Angriff auf die Stadt selbst mißlang, einen Theil der Speicher und Neustadt an und versenkte schließlich im Hafen eine Menge von Steinkasten und Sandsäckcn. Bald darauf kam zwischen den kämpfcndcn Parteien nun wirklich durch Vermittlung auswärtiger Mächte ein Vergleich zu Stande. Danzig erhielt alle Vorrechte zurück, seine gefangen gehaltenen Gesandten wurden entlassen, die AchtZerklärung aufgehoben. Dagegen verstand es sich zur »Abbitte«, zur Zahlung don 200,000 Gulden an den König und einer Entschädigungssumme andcn AbtIäschke. So endete der ruhmvolle Kampf, aus dem als lallt redende Zeugen noch jene Noth-Schillinge, -Groschen und »Thaler herrühren mit dem ergreifenden: vstsnäo nag ^Krists 8a1vator! (Schütz' uns Heiland Christus!) Ausflüge. Dorthin wo Schönes, Gutes nur gefällt, Zur Einsamkeit! Güthe, Faust. 1. Nach Oliva. Man. hat die Lage Danzigs vielfach mit der Venedigs verglichen. Mir scheint kein Vergleich unglücklicher. Er gchört ganz in die Kategorie derjenigen/ wonach Köln neben Nom, Salzburg neben Neapel/ Prag neben Lissabon genannt wird. Danzig hat wie jede den naturgemäßen Krystallisationspunkt einer Gegend bezeichnende Stadt eine ganz eigenthümliche Physiognomie/ womit sich die einer andern Stadt gar nicht vergleichen läßt/ gerade wie ein bedeutender Mensch nur er selber und nichts weiter ist. Nur die Umgegend von Danzig konnte — wenn es doch nun einmal geschehn soll — einen Vergleich mit dem Meerbusen von Neapel zulassen. Denn wie von Neapel aus ein Amphitheater von Bergen sich bis Sorrent und weiter bis Caftri hinzieht/ deren Fuß das Meer bespült und ein ununterbrochenes Nebenein« — 141 — ander von Städten und Villen einnimmt/ so dehnen sich gerade dom Hagelsbcrge aus die lieblichen Höhen dcs Iohannisbcrgcs/ des Strichthales und dic dem Karls-berge bei Oliva folgenden Hügel bis Mcrshorst hin/ um steil ins Meer abzufallen. Nnr freilich geht das Meer nicht bis an den Fuß dieses Amphitheaters, sondern ist von ihm durch eine weite zum Theil sandige Ebene geschieden/ welche östlich von der Weichsel durchschnitten wird / und sich einerseits in die fruchtbaren Marschen der Niederung/ andererseits in die Düncnrcihen der Nehrung verliert. Es ist dieses in malerischer Hinsicht unendlich zu bedauern. Das Meer macht den Eindruck eiuer um so grandiosem Erhabenheit/ je weiter die Fläche ist/ welche wir übersehen. Daher ist von Gebirgen der Blick auf das Meer so überwältigend. Liegt zwischen der Höhe/ auf der wir uns befinden/ und dem Meere noch eine Ebene/ die das erstere zurückdrängt./ so wird der Eindruck der Erhabenheit unendlich geschwächt. Trotzdem ist dieses Ensemble von Berg/ Ebene und Meer von einer bezaubernden Schönheit/ wie in Norddeutschland sie kein zweiter Punkt auszuweisen vermag. Wir verlassen die innere Stadt wiederum durch das Hohe Thor und gehen längs den heitern Promenaden/ über die rauschende Nadaune, am Fufte des Hagels-verges hin/ in dessen Richtung sich ein trockener Fcsiungs-graben wie ein liebliches Wiesenthal öffnet/ — so hat die Natur die Vernichtungswcrke mitihrer Schönheit gemildert. — 142 — Am sogenannten Irrgarten erstaunen wir, den Namen Napoleons nennen zu hören, dem zu Ehren diese schattigen Gänge angelegt wurden, in der Zeit als Danzig unter dem Namen einer freien Stadt »einen Waffenplatz für die französische Armee« bildete. Wir begegnen den Werken dieses ungeheuern Genies überall, wohin dasselbe einst schöpferisch gedrungen. Nom, Madrid und Danzig wissen von ihm zu erzählen, und wir gedenken in diesem »Irrgarten« auch jener öffentlichen Gärten zu Venedig, welche dieser Mann in den Lagunen schütten ließ. Auch der Hagclsberg verdankt ihm seine heutige Gestalt, und bei Neufahrwasscr hören wir verwundert, daß er den Sasper See in einen Kricgshafen umschaffen wollte. Bei dem Irrgarten stehn die berühmten, den Bcr« liner Thorwagen gleichenden »Taradays«, deren wunderlichen Namen kein Etymologe zu enträthseln vermag. Das Volk hat von ihm sogar das Verbum »taradaycn« abgeleitet, womit es ein schweres, ermüdendes Arbeiten bezeichnet. »Ich habe die ganze Woche getaradayt, nun muß ich dafür auch eine »Bairische« im Iäschkenthale trinken,« — sagte einer meiner heitern Ncisegenossen. Längs der imposanten, aus zwei Doppelreihen bestehenden Lindenalice, die bis zur Vorstadt Langfuhr, dem »Westend« Danzigs, führt, war das ein lautes Nufcn und Fragen. Nach dem ersten Woher und Wohin ging es an ein Erzählen von »der Maschine, die diese Woche gereinigt würde, weshalb es nun auch Feiertage gebe,' — 143 — dcm letzten Krawall wegen der Gesellen lassen/ dem be-> treffenden Kassircr, dcm die Bürger einer Nachbarschaft den Garaus machen win dm/ von den »Vairischcn", wo die kühlsten und die besten anzutreffen/ von den russischen Kriegsschissen und der russischen Kaiserin/ dem Kaufmann Soundso/ der den Arbeitern was zukommen lasse« u. s. w. In Langfuhr fragte ich/ wer der Besitzer des und des prächtigen Hauses sei/ es hieß: Der und der/ aber — und nun wurden die Gesichter ein wenig ernst. Bei einer andern Villa dieselbe Frage und dasselbe Aber. Da drang ich in meinen Nachbar/ der die ganze Woche »ge-taradayt" hatte/ und erfuhr nun von jener »Tragik des Reichthums«, die uns Hieronymus Lorm in den Unterhaltungen am häuslichen Hcerd bereits vorgeführt hat/ von jenen Selbstmorden/ welche reiche Kaufleute/ — die Gefahr des Verhungerns abzuwenden/ — an sich verübt haben/ und jenem jungen Manne/ dem ein reicher Besitz die Empfindung innerer Leere und Hohlheit nicht zu ersetzen vermochte. Meine Gefährten hatten den einen und den andern noch gekannt und sie begriffen den psycho« logischen Grund einer solchen That nicht. »Sehn Sie/ Herr/ als der N. seine Fabrik bauen ließ/ da kam er oft auf den Bauplatz/ und wenn er die Gebäude ansah und Sonnabends die Handwerker auszahlte/ da sagte er/ ich habe es selbst gehört: Tiburtius, ich werde doch noch verhungern/ dieser Bau wird mich arm machen! Ich überlebe es nicht!« — 144 — Und dabei stöhnte mein Gefährte ganz kläglich und tief, um zu zeigen, wie Jenen» diese Reden aus dem Innern gekommen wären. »Ja/« fiel ein Anderer ein/ — ,»und noch dazu im Graben, wo das Wasser nur bis an die Brust reicht und Alles voll Moder ist!« Ich wandte mich schaudernd ab/ glücklicherweise hielten wir im Iäschkenthale. Hinauf zu diesen sonncnbeschienencn Waldhöhcn! Ich sog in vollen Zügen den salzigen Lnftstrom ein, welcher von der See her kam. Ein rauschender Buchenwald nahm mich auf, von einzelnen Hichtcngruftven unterbrochen. Lenz-, Kronprinzen-/ Königshöhe! Wie diese Namen schon Hohes bedeuten/ so gewähren sie eine reizvolle Aussicht über die See, das Hügelland landeinwärts und die Thürme Danzigs. Oestlich erstreckt sich ein Thal von Langfuhr bis an den Fuß der Königshöhe. Darin befindet sich das Gut.Heiligenbrunn und das Gartenhaus Königsthal/ in welchem 1677 und 1717 die Könige Johann Sobieski und August 11. ihre Villeggiatur hielten. Weiter nach der Königshöhe zu liegt/ ärmlich wie überall/ von Disteln und Nesseln überwachsen — der jüdische Kirchhof mit seinen monotonen »schlafestrunkcnen« Grabsteinen/ eine »Palme neben dem einsamen Fichtenbaume im Norden. 6 Das Iäschkenthal selber liegt zwischen dem Iohannis-berge und der gegenüber befindlichen westlichen Waldhöhc. — 145' — Hübsche Gasthäuser mit großen Konzertsälen, ein reger Besuch der Danzigcr geben diesem stilleil Thale einen eigenen Neiz. Hohe Wogen schlägt aber die ^ust am Iohannisabende, dem größten Volksfeste, das vielleicht in ganz Norddeutschland gefeiert wird. In der Thal-ebene, die sich mit dem östlichen AbHange/ leise auf^ steigend, verbindet, bewegen sich auf der Nasenfläche die Menschenmassrn/ die ans Danzigern nnd fremden von Nah nnd ssern gebildet werden. Schlägt man doch die Zahl der .stopfe mitunter anf zwanzig Tausend an! Mehrere Orchester nntcrstntzen den allgemeinen ^ärm, während den Mittelpunkt dc8 (Gedränges eine mit verschiedenen Kostbarkeiten behängte Kletterstange bildet. Dennoch liegt in diesen Massen nicht die wahre, unwiderstehlich fortreißende Taumelfrcude südlicher Völker. Der Fremde geht kalt, theilnahmlos durch diese, Tausende, derselbe, der bei den römischen Oktoberfesten mitgejauchzt hat. Zuletzt verliert er sich in den ^aldhöhcn, wohin nnr von Zeit zu Zeit ein Verlorner ^uf, ein Trompctenton zu ihm herüberhallt. Hinter Laugfuhr durchschneidet der Weg nach Oliva die Ebene, welche sich zwischen den Höhen und der See hindrhnt. Mir war cs schon auf dem Iohannisberge von großein Interesse, die geologische Natur dieser Ebene und Höhen zu erkennen. Als das Meer noch ganz Nord' dentschland bedeckte, bildete» die landeinwärts sich erstreckenden Hügel offenbar einen Theil des Meeresbodens. P«ff»rg«, >>>,» ktm Weicl,s<->bill,,, 10 — 146 — Man erkennt das an ihrer Formation, ihrer Lagerung neben einander/ die frappant an ein erstarrtes bewegtes Meer erinnert. Doch giebt es in diesen Hügeln keine Län-genbildungcn/ die etwa den Wellen entsprechen/ sondern nur einzelne neben einander befindliche Kuppen. Als Norddentschland sich aus dem Meere erhob/ vielleicht in Folge derselben Kraft/ welche sich noch gegenwärtig an den Küsten Schwedens offenbart/ stoß das Meer bis zu diesem Hügelsaume zurück. Die Wellen brandeten nun gegen die Höhe und schwemmten Theile von ihnen fort. Hicdurch/ so wie ans dem/ mit der Weichsel — nach vollendeter Bildung der Werder — bis ins Meer geführten und dort zu Boden gesunkenen/ Gerölle entstand eine Anschwemmung/ eine Art von Düncnbildnng/ wie man sie noch in neuester Zeit an dem Nordstrande gleich westlich voll Zoftpot beobachten kann. Die Wellen spülten den Sand au das Ufer/ das sich mit einer Pflanzen« decke schützend versah/ und bewirkten dadurch ein immer weiteres Zurücktreten des Seestrandes. So bildete sich allmählig die ganzc weite Ebene/ welche den Naum zwischen den Hüben nud der See einnimmt. Ihr sandiger Charakter/ der an den der Nehrung erinnert (wie denn diese Ebene nur die Fortsetzung der Danziger Nehrung scheint)/ die schwache Pflanzendecke/ die ganze Formation und vor Allem ihre noch immer stattfindende Weiter« bildnng lassen kein Bedenken dagegen aufkommen/ das; sie aus dem Meere allmählig entstanden. Die Werder ver- — 147 — danken ihre Entstehung denselben Ursachen. Ihre Fruchtbarkeit, welche mit dieser Ebene einen so auffallenden Gegensah bildet, ist das Ncsnltat der — hier nicht stattfindenden — Weichsel-Ueberschwemmungen, wodurch sich eine Humusschicht bilden konnte. Geht die Weiterbildung wie bisher fort, so wird in einer gewissen Zeit (zn der aber Jahrtausende nicht hinreichen dürften) der ganze Meerbusen von Danzig bis Hcla hin cine solche Landstäche werden. In landschaftlicher Hinsicht ist der Weg/ welcher von Langfnhr über Lcgstrieß — immer am Fusic der amvhi-theatralischcn Höhe — über Pelonkcn (das on wird wie in Mohn gesprochen) führt/ der bei weitem interessantere. Die größere Erhöhung des Bodens gewährt freundliche Blicke bis zur See/ während zur Linken Gärten und Villen, denen sämmtlich etwas Düsteres, Aristokratisch«Zurückgezogenes anklebt, sich hinzieheu. Mauern und schwerfällige Thorftügel wehren dem Eintritt. Dnrch das Gitter eines Thores sah ich, wie ein Flüßchen, zn hübschen Kaskaden benutzt, aus einer Röhre in schöner Lilienform hervorsprang. Solche Fontainrn erinnern doch ganz von selbst an das graziöse Aufsteige» gothischer Gewölbe. In einem andern Gartet« sah ich eine Säule mit korinthischem Kapital, keine Last tragend, sich selbst em< ziger Zweck, und erschrak förmlich über eine solche Nider< sinnigkcit. 10' 2. Von Olida bis Adlershorst. Wo die Natur das Füllhorn ihrer Schönheit über eine ganze Gegend ausgeschüttet hat, da scheint sie doch an einer Stelle, wic sich selbst betrachtend/ länger verweilt zu haben. Es sind jene Plätze, die, mit allem Neiz der Fülle und Schönheit geschmückt, uns ein freudiges Erstaunen abzwingen, wie vorbereitet wir auch auf das Bedeutendste waren/ zu denen wir immer und immer wieder znrück-tchren/ jene Stellen, von denen wir sagen: »Da möchte ich wohnen! <> — Sie muthen uns a», wie ein fremdes Mcnschcnantlitz, das wir doch schon — und wär' es im Traum — gesehn haben wollen, wie eine Menschenbrust/ an der, wir ruhen möchten. Eine solche Stelle ist Oliva, Wohl wachsen hier nicht die grauen Oliven/ aber die sonnigen Bergeshänge, die mit Buchen bewaldeten Höhen, die Wiescnebenc des gewcrktlMgen Schwaben-thales, der sorgfältig gepflegte Schloßgarten, das historisch interessante Kloster bieten ein unübertroffenes Ensemble, ein Bild im Charakter des Thüringer oder Odcnwaldcs, im nordischen Ntahmen des Meeres. Man sollte glauben, der NokokoM des Schlosses und des Gartens stände in einem unausgeglichenen Gegensatz zu dieser halb nnbe-rührten, halb dem Menschen Psiichtig gewordenen Natur/ so ist es aber nicht. Diese.Wmstschöpfung steht durchaus harmonisch in ihrer Umgebung. Schon der Mangel — 149 — jeder absoluten Abgeschlossenheit läßt das zopfige Mo< ment gar nicht aufkunnlen. Von allen Seiten blicken die bewaldeten/ blauschattigen Brrgeshänge in die nicht bloß künstlichen, sondern wahrhaft kunstschönen Gänge/ selbst die See in ihrer Grandiosität ist für den Total« Eindruck dienstbar gemacht/ mit einem Geschick, einem tiefsten Verständnis;, wie es kaum sonst irgendwo vorkommt. Man vergegenwärtige sich folgende Perspektive. Wir stehen zwischen zwei vierzig Fuß hohen geschorenen Lindcuheckrn, denen wegen ihrer nngewöhnlichen Ko-lossalität alles kleinliche abgeht. Am Ende dieser Hecken laufen ill derselben Linie zwei niedrigere, zwischen denen sich in ganzer Breite und Länge ein Wasserbassin befindet. Da, wo diese zweite v>eckenreihs aufhört, ist ein niedriger Nasenwall angelegt, hinter dem ein Fichtenwald und die ferne tiefblaue Fläche de6 Meeres erscheinen. Die Pointe dieser wundervollen Schüpfnng ist die, daß der Wasserspiegel »lit den» Meere durch den Fichtenwald in unmittelbarer Verbindung zu stehn scheint/ daß in dein Bassin ein ganz bleiches Silberlicht reftektirt wird, während das Meer in den kräftigsten Farbcntöuen strahlt. Wir blicken wie durch ein «ausgezogenes Pcrspektiv.» Durch den Garten strömt ein mnnterer Bach, der schon oberhalb Vielsache Mühlcnwerke getrieben hat, in hübschen Kaskaden. Sonst pflegt es bei Flüssen umgekehrt zn sein/ ihre Kaskaden liegen meist oberhalb ihrer Benutzung/ der schone Vergleich zwischen dem Laufe eines ^ 150 — Baches lind dein Leben eines Menschen hinkt hier ein wenig. Auch giebt es hier zwei mit der Ocffnung einander gegenüber liegende Grotten, ein akustischer Scherz, der darin besteht/ daß man in der einen Grotte jedes in der andern noch so leise gesprochene Wort verstehen kann. In dieser lebensheitcrn Natur übergehen wir anch gern die »Sehenswürdigkeiten 60 geschlossenen Frieden die Souvcrainität Preußens »eine Thatsache wurdb, ein Resultat des geschickten Manö-vriren5 o'cs großen Chnrfürsteil zwischen den feindlichen Mächten Polen und Schweden. Dieser Hinweis mag genügen. Wir verlassen den Garten und steigen auf der „men, selbst für Wagen benutzbaren Straße durch den Wildpark den Karlsberg hinan, Was Oliva in den, Danziger Amphitheater, das ist der Karlsbcrg in Oliva. Die schönen Anlagen rühren von dcm Grafen Johann Karl von Hohenzollcr» her, der den» Berge auch seinen Namen gegeben hat. Früher hieß derselbe der Pacholkenbcrg, was von dem altftreußischen Gotte Pitollos herkommen mag, der mit Pcrkunos und Potrimftos als Personifikation von Naturkräften verehrt wurde. Man spreche diese drei Namen einmal laut aus, um den Philologen zu glauben, die das Altpreußische, so wie das noch heute im Munde des Volkes lebende Litthamschc für eine Abart der Sprache Homers halten. — 151 — Das Eigenthümliche der Aussicht vom Karlsbcrge besteht, verglichen mit der vom Iohannisbcrge, nicht bloß in der größer«, Nahe des Meeres, der Schönheit des Vordergrundes (Oliva), sondern ganz besonders darin, daß das südwärts, also landeinwärts gelegene Schwavm-odcr Frcudcnthal mit seiner reizvollen, idyllischen Phy' siognomic hereinblickt. Das Meer giebt im Norden jeder Landschaft ganz von selbst den Charakter des Heroischen (wenn auch nicht iu dem technischen Sinne). Des» halb ist auch die ganze Gegend von Danzig bis Adlershorst so vollständig nordisch und jeder idyllischen Poesie, die in südlichen Ländern gerade das Mceresgcst'a5e sucht, feindlich. Der Gebildete vermag allerdings durch Ab« straktion und in Folge des kontrastirendcn Stadtlebcns seine Badcez-istenz in Zoftpot/ Ncukuhrcn oder Kranz als eine Idylle (Bildchen) darzustellen, für welches den Nahmen ganz von selbst sein sonstiges Berufsleben ab« giebt/ aber diese Fischer, diese Küstenbewohner in ihrer prosaische»/ trocknen, crwcrbssüchtigm, branntweindufti« gen Nüchternheit — rin nothwendiges Ncsulwt der sie nmgebcnden Natur und ihrer Beschäftigung — siud für eine Idylle der undenkbarste Gegenstand. Sie könnten den Inhalt einer solchen nur in dem theokritischen Sinne bilden, wie es der ungeschlachte Polyphem thut. Aber selbst das Schwabenthal muß von seinem ccht idyllischen, fast süddeutschen Charakter viel der Industrie opfern. Denn stufenweise hinter einander liegen an dem durch den Garten von Oliva strömende» Wßcheu, das zu Teichen angestaut wird/ eine ilteihe don Eisenhämmern und Pulvermühlcn. So wird gerade in diesem friedliche»» Thale das Material zu Tod und Vcruichtung bereitet. Die Straße schwingt sich von ^oppot uach Adlers-horst zu in den schönsten Vinien bergauf nnd thalein. Die See blickt fortwährend dnrch die Thalöffnungen und klare Flüßchen — muntre Gebirgswässerlein — strömen unter der Straße ranschend fort. Ich traf auf dem Wege einen juugen Landwirth/ der von seinem Bruder aus Chile cdcu ciueu Brief erhalten hatte, mit der Aufforderung, ihm bald dorthin nachzufolgen. Der junge Mann war voller ^ebensfrcn-digtcit und (5„twürfej er hatte sich eine englische Grammatik aus Danzig geholt und wollte den andern Tag gleich mit der Erlrrnnng dieser Sprache beginnen. Wie echt deutsch uud rührend ist dieser ?!ug! Adlerßhorst zeichnet sich vor allen Danziger Höhe-punkten dadurch aus, daß es unmittelbar vom Mecres-uftr in die Höhe ragt. Auf diese Weise kaun der Blick nbcr die weiteste Mceressiächc schweifen/ die Düueu von Hela/ der dortige Leuchtthnrm zeichnen sich scharf gcgm die Bläue der See uud des Himmels ab, und selbst die Höhen hiuter Elbing, welche Kahlbcrg gegenüber anf der Südseite des Haffes liegen / treten nrbelduftig hervor. Ich wollte Anfangs nicht glauben, daß es diese Ferne — 153 — sei, was ich erblickte, bis mir der scharfe Strich der Nehrung davor alle Zweifel benahm. Hier möchte ich gern einen Jeden/ der die See zmn erstell Male schauen soll, zuvörderst hinführen/ es ist ein Eindruck von erhabener Grösie, Der Blick schweift trunken über die weite Mecresfläche/ rechts aber dchut sich ^ jetzt umgekehrt wie vom Danzigcr Maricnthurme ans gesehen - das Amphitheater der ^öhen hin, als dessen vollendeter harmonischer Echluftpuutt Danzig selber erscheint. Wer, wie ich, nach Adlershorst anf der Chaussee gegangen ist, der gehe «ach Zoppot zurück längs dem Mrcresgestadc. Das reizende Spiel der Wellen, denen mail ausweichen musi und doch sich immer wieder nähern, weil der Seesand in der Brandung fester liegt/ das neckische Spiel mit den Tangbläschen, die das nngeübte Auge für Bernsteinstückchcn ansieht/ das frisch salzige der Seeluft/ das halb monotone und doch beredte Rauschen der Wellen nbcn einen Zauber aus, den» man sich uicht zu entziehen vermag. Sechs kleine Flüßchen strömen aus dem Lande theils als kleine Bächlein, theils erst aus dem steilen Ufer als Ouellensprindc hervor nnd hemmen den Pfad/ denn an ihrem Ausflusse in die See bilden sich sonderbare Erscheinungen, die mir an jenem Morgen viel zn denkn gaben und von denen ich lieber in einem der nächsten Abschnitte reden will. Nie lveichselmiindullgen. Das Nftr ist dem Meer »«söhnt/ Vom Ufer nimmt z» rasch« Nahn Das Meer die Schiffe willig an, Gölhe, Faust. Unsere Freunde, die Süddeutschen/ besihcn »lnstreitig viele Vorzüge »or uns norddeutschen.Mstenbcwohncrn/ aber um Eines müssen sie uns ohne Widerspruch venei« den, das ist unser »Weltblick«. Mögen unsere Knaben« füfte die Ketten und das Tauwerk übersprungen haben, welches bci dem Bohlwerk des Prcgels die Schiffe an den Ufcrpfählen befestigt, oder längs der Langen Brücke zu Danzig gegangen sein, von frühester fugend auf habcn wir diesen Secungeheuern, diesen ^eviathailen nicht staunend, sondern wie sich ganz von selbst verstehenden Dingen gegenüber gestanden. Die Laute fremder Sprachen sind in unser Ohr gedrungen, als wir kaum noch unsere Muttersprache verstanden/ wunderliche Muscheln, brasilianische ssedcrblmmn, Kokosnüsse bildeten nnser Spiel« zeug. Ein neugieriger Blick in das Naturalienkabmet cines — 155 — Schiffskapitains mit einem prächtigen Tiger, den er selber in Südamerika geschossen, sonderbare '> Mähren« von fremden Ländern versehen uns schon frühe in eine phantastische Welt, in der die Robinsongestaltcn recht eigentlich zu Hause sind. Später geht ein Bruder von uns zur See/ wir singen das ewig schöne »Auf Matrosen, die Anker gelichtet! <> oder »Das Schiff streicht durch die Wellen — Mdolin)!« Es kommt ein Brief aus Hull, ails Bordeaux ans Boston. Wie der begierig verschlungen wird! — Also einen Sturm an der norwegischen Küste hat es gegeben? — Das Schiff wird in Havre ausgebessert? — »Was wird er uns mitbringen?« frage« die Kinder. Kommt er aber nach Hause, da hat er wirklich Jedem etwas mitgebracht und war es nur ein Topfchen von englischem Steingut mit einem rührenden Matrosenabschied, »tks 86KIN3,N8 farewell«, mit dem melancholischen: Remember me, If that you see! Oft kommt auch wohl ein schwarzgesiegelter Brief von dem überseeischen Konsul. Oft bleibt alle und jede Nach< richt aus. Die Zurückgebliebenen errichten in ihrem Her« zen dem Abgeschiedenen em Denkmal und wissen nicht, daß an einem schönen ssrnhlingsmorgcn "der Vetter aus Kalifornien« sie mit einem ungeahnten Neichthume überschütten wird. — 156 — Diese Vorstellungen wurden mir auf der Langen Brücke zu Danzig wieder einmal recht lebhaft. In bunten, sich an einander reihenden Läden und Buden werden alle die schönen Dinge verkauft/ die der Seemann für sein eige» nes BcdürfiH braucht und manche «zum Mitbringen«. Nicht wenige Thüren sind den Esi- und Trinkbcgierigen qcöffnet. W«1IlnAQli tnvSin, ^6i8au ta,v6rn, Skan< dinav'isches Haus steht über einigen. ^<> i«aüiuA tii« tnn6« besagt eine auderc Inschrift. Ein Barbier em» psiehlt seine in^or« nncl <:. Auf andern ist ein Täfclchen befestigt, mit den Worten: »Wills Gott nach — Elbmg — Königsberg — Thorn«. Der Schiffer ist so ganz und gar auf ein Gottvertrauen angewiesen, das; er selbst im mündlichen Gespräche sehr oft ein »Wills Gott« anschiebt. Und ist es so uicht auch am beste»? »Wv die lehten Häuser stcheu«, beginnt die Schiffs-werfte. So ein im Bau begriffenes, halb fertiges Schiffs- 157 gerippe erinnert frappant an das Skelett eines Walfisches. Mas für ein prächtiger Anbll'6 ist es aber/ wenn, nach der Vollendung des stumpfes, die Taue gekappt werden und das Schiff auf der geölten Unterlage Innab in das Nasser schießt! Als wollte es -sich in den Grund bohren <>, seutt sich sein Vordertheil/ aber nur/ um bald um so stolzer unter dem ,<>urrahrnfe» der Menschenmassen ringsum und anf dem Schisse sich zu erheben und ruhig sich im wellenerregtcn Strome zll wiegen. So sehen wir auch manchem jungen Manne mit Angst zn/ der nach Vösung aller Vande auf der glatten Bahn der Freude einer Gefahr entgegcnschicsit. Wird cr ihr entgehen/ sich geläntcrt aus der Krisis erheben? — Und während wir noch fragen / wiegt er sich schon ill stolzer Manncstraft auf dem Strome des Lebens. Eine Viertelstunde von der Stadt mundet die Mott-lan in die Weichsel. Es ist eine naturgemäße Erscheinung/ daß Städte, die großen Ströme, aber nicht ihre unmittelbare Nahe suchen. Denn große Ströme bieten meist ein nnstchcrco Ufer dar. Dagegen vereinigt ein schiffbarer Nebenfluß eines größern die Vortheile von dessen Nähe mit seiner eigenen Sicherheit. So ist es bei Wien der Fall/ so hier. Gegenwärtig freilich/ da seit dem Dnrchbruche bei Neufähr und der Coupirnng des Dan> ziger WeiäMarmes eine Strömung bis Neufahrwasser aufgehört hat, fährt man in dem ruhigsten Wasser, wie auf einem See. — 158 — Am Ufer links wnd die »Gefion« -— glorreichsten und schmählichsten Andenkens zugleich — ausgebessert. Vorüber! — Zahllose Flöße bedecken in einer weiten unglaublichen Ausdehnung die Wasserfläche. Das Holz kommt vorzugsweise, aus Polen, wird hier zum Theil in kleinere Stücke zerschnitten, in die Schiffsräume ciugeladeu und größtentheils nach England aus-geführt.") Wir halten rechts an der Festung Wcichselmünde uud setzen unser Badckontingent aus. Au einem der vergitterten Fenster erscheint ein blasses Gesicht/ vielleicht einer der dortigen politischen Gefangenen. Vorüber! Vorüber! Nun halten wir links all der Ladebrücke von Ncu-fahrwasser. Hier geht links die Fahrstraße (Nesterfahrt) in die See, seitdem der eigentliche Ausstuß der Weichsel (die Norderfahrt) total abgedämmt worden. Auch hier steigen wir noch nicht aus. Ein paar Hundert Schritte weiter und wir halten an der Ncsterftlattc, der von der See einer- und der Wester- und Norderfahrt andererseits gebildeten Insel, mit hübschen Vaumpstanzungen, einem viel besuchteu Bade und nördlich von einer interessanten Düncnreihe eingeschlossen. Nirgends brechen sich die Wellen stärker als auf diesem versandeten Ufcrgrunde, diesem Ablagcrungsftlatze des Flußgerölles. Selbst wenn sonst die See als eine tiefblaue Fläche daliegt, entstehen nnd verschwinden die — 159 — weißen Wellenhäuftter an dieser .Küste bis tief in die See hinein. Dieses nebst dem Umstände/ daß seit der Weichselabdämmnng die Mischung des See- und Flußwassers aufgehört hat/ ist auch der Grund/ weshalb die Bäder auf der Westcrplatte immer mehr in Aufnahme kommen uud das landschaftlich unendlich schönere Zoppot in den Hintergrund drängen. Vedor wir jedoch über die Natur dieser Küste uns klar zu werden suchen/ gehen wir noch zu der großen Mole/ welche sich von der Westerftlatte in nordwestlicher Nichtnng in die See erstreckt und unser Erstaunen erregt. Es ist ja nicht die reine Natur oder das bloße Menschen-Werk/ was unsere höchste Bewunderung beansprucht/ erst das Verhältniß des Menschen znr Natur/ der Zwang/ welchen er ihr gegenüber ausübt/ die Fesseln/ die er ihr anlegt/ so wie das Abwerfen dieser Fesseln nehmen unser ganzes Interesse in Anspruch. Was uns bei Hafcnbauten so auffällt/ das ist das scheinbar geringe Resultat/ verglichen mit den Tausende»/ die man »ins Wasser geworfen« hat. Ein Bauwerk auf dem Lande stellt sich uus/ wenn wir von den Fundamenten und Gewölben abstrahiren, seiner ganzen Größe nach dar. Selbst ein Brückenbau läßt sich noch mit dem rein sinnlichen Auge erkennen. Anders aber bei reinen Wasserbauten. Ich erinnere daran / daß es von einem Palaste in Venedig/ wenn der mächtige Cedern-Pfahlrost eingerammt war/ hieß/ er sei fertig. Der sinnlich — lt>a — wahrnehmbare Theil über dem Nasser bedeutete also nichts als eine beliebige Zugabe, ein Pertinenzstückcheu. Noch viel frappanter tritt dieser Grundsatz bei Hafen-banten ailf. Es giebt nnr wenige so glücklich eingerichtete See-buchten, die ohne alles Menschenwerk einen weiten, sichern und ruhigen Ankerplatz für Schisse darbiete^ die keinen Wechsel des Seegrnndes bei gehöriger Tiefe erfahren nnd zugleich die Sicherheit der ankernden Schiffe dnrch keinen Sturm gefährden lassen. Es gehört ferner zu dem Ideale eines Hafens/ daft die Einfahrt weit nnd sicher sei. Solcher natürlicher Häfen giebt es in Enropa diel< leicht nur fünf: Kiel, ^a Eftczzia, Lissabon, Eyrakns nnd Konstantinopel. Dagcgcu ist die Zahl der schlechten nnd gefährlichen Häfen nicht bloß weit überwiegend, es ist wunderbar, daß unsere größestcn Handelsstädte die schlechtesten Häfen haben. Die Einfahrt in die Hamburger Elbe ist berüchtigt/ gefährlich unter Umständen die in die Themse/ Petersburg steckt bis zum Mai im Eise/ die Bora versenkt dic ankernden Schiffe mitten im Triestiuer Hafen/ unterirdische Felsen machen den Hafen don New-Pork unsicher. Wo die Natur nicht die dollc Sicherheit gewährt, kommt der Mensch mit seine» Bauten zu Hülfe, wie in Genua, Marseille, Venedig nnd Kopenhagen/ wenn aber die Nawr gar nichts zur.» Schulze der Schifffahrt ^ 161 — gethan hat/ vielmehr das schwache Mcnschcnwcrk / die »Nußschale«/ mit einer fortwährenden Vernichtung bedroht/ da bleibt dem Menschen Alles zu thun übrig. Buchten des Meeres sind die natürlichsten Häfen/ wo sie fehlen / ersehen Flüsse dieselben ganz von selbst/ aber nur solche Flüsse/ welche bei entsprechender Tieft wenig Gefalle haben nnd wenig Sinkstoffe mit sich führen. Wo Letzteres der Fall, da bildet der Fluß mehr ein HMerniß als eine Begünstigung der Schifffahrt. Denn der schnell/ seicht und unrein strömende Fluß läßt zwar allenfalls eine Schifffahrt während seines Laufes zu, bietet aber große Schwierigkeiten an seiner Mülldung dar/ wo er die Sinkstoffe fallen läßt und das Fahrwasser versandet. '^) Dennoch fordert aber die Flußader als Handelsstraße nothwendig einen Handelsplatz gerade an der Mündung vdcr doch kurz vor derselben. Nie ist aus diesem Dilemma herauszukommen? In vielen Fällen nur in der Art/ daß der Handelsplatz in der Nähe der Flußmündung, an der Küste/ wo ein schädlicher Einfluß sich nicht mehr geltend machen kann/ errichtet und mit dem Strome selbst durch einen Kanal in Verbindung gesetzt wird. So bildet Alerandrien unzweifelhaft eine Hafenstadt für den Nilhandcl/ aber es liegt eine weite Strecke westlich von den Flußmündungen und ist mit dem Nil nur dmch den sichern Mahmudkanal verbunden. Der Nhomfluß hat ein höchst unsicheres Delta. Die im Mittelalter in demselben gegründete Stadt Aigucs mortes Vassal«!, «u« bim WnchslldlU», l 1 — 162 — ist nichts als eine interessante Mumie/ von der uns Moritz Hartmann erzählt, aber Marseille und Cette gedeihen und beide stehn mit der Nhone durch die Kanäle in Verbindung. In dieselbe Kategorie gehört Veuedig dem Po, Livorno dem Arno gegenüber. Wo aber ein solches Verhältnis; nicht stattfindet, wo die ganze Küste in weiter Entfernung versandet wird, da muß die Mündung des Stromes selbst, so gut es gehn will, dem Verkehr dienstbar gemacht werden. Dieses geschieht allerdings nur durch verschiedene, mit großen Kosten herzustellende Bauten, welche theils das Flußbette selbst — oft weit stromaufwärts — theils die Hafen« anlagen betreffen. Die erstern — die sogenannten Nc-gulirungcn — sind einfacher Art/ fic bestehen vorzugsweise in einer »Korrektion^ des Flußlaufes, einer Eindämmung, Fortschaffung von Hindernissen, Ausbaggerung ^) u. f. w. Die Anlegung eines Hafens ist kom» plizirter, schon deshalb, weil die Flußmündung die ei< gentlichcn Schlvimgkcitcn darbietet. An Stellen, wo gar kein Fluß existirt — ich erinnere an Civita vccchia, den Hafen von Rom — baut man in Form eines Hufeisens einen Stcindamm in das Meer, der sich an einer Stelle für die einfahrenden Schiffe öffnet. Bei Fluß. Mündungen genügt es, den Strom kurz vor seinem Eintritt« in das Meer zu vertiefen und zu verbreiten, um einen Hafen zu erlangen oder ein besonders seitwärts zu grabendes Bassin mit dem Strome in Verbindung zu — 163 — setzen. An der eigentlichen Mündung aber, wo die mitgeführten Sinkstoffe durch Niederfallen und den Andrang der Mcercswellen sich ansammeln/ aufhäufen/ Sandbänke bilden, kann einer vollständigen Versandung nur dadurch abgeholfen werden/ daß man die Ufer des Stromes — M ideellen Sinne ^ verlängert. Man führt an beiden Seiten Dämme auf/ welche erst in einer entsprechenden/ die gehörige Tiefe darbietenden Entfernung vom Ufer endigen. Dadurch kann allerdings das Niederfallen des Flußsandes uud die Bildung von Sandbänken nicht vermieden werden, — weshalb es einer stets erneuten Vaggcrung an dieser Stelle bedarf, — aber das ist gewonnen / daß der am Sceufer sich lagernde Sand/ welcher in seiner Beweglichkeit jedem Wellenandrange nachgicbt/ nicht in seitlicher Bewegung längs dem Ufer bis zur Flußmündung gelangt. Durch die Dämme wird er gezwungen / sich an diesen selber zu lagern. Ist nun dieser seitliche Andrang von beiden Seiten gleich stark/ so müssen diese Dämme von gleicher Bedeutung sein. Findet er aber von einer Seite stärker statt als von der andern/ so genügt es/ nur den einen derselben besonders lang und stark zu konstruiren. »Die eigentliche Mündung der Weichsel (das alte Fahrwasser oder die Norderfahrt) ist/ seitdem man durch Anlegung des Mägdegrabens bei der Montauer Spitze den größten Theil des von Polen kommenden Weichsel-Wassers in die Nogat geleitet hat/ nach und nach völlig — 164 — versandet und war zuletzt kaum noch für kleine Böte fahrbar. Schon seit dem Anfange des siebcnzehnten Jahrhunderts mußten Schiffe/ die aus der Weichsel in die See gelangen wollten, östlich oder westlich eine Durchfahrt suchen, jcnachdcm Stürme hier oder dort den Boden tiefer ausgehöhlt nnd dadurch Kanäle gebildet hatten, die man durch eingeschlagene Pfähle und daran befestigte Tonnen kenntlich machte. Unter diesen Kanälen fand man den, der zwischen dem westlichen Ufer und der seit 1634 von den Meercslvellen aufgeworfenen Sand« bank, die Platte genannt, entstanden war, am sicher» sten und nutzbarsten, weshalb man denn auch sorgfältig darauf dachte, ihn gegen Stürme und Fluthen zu schützen, und daher seit 1673 fleißig den nachsinkcnden Sand herausbaggerte und zur Erhöhung der Platte be« nutzte. Im Jahre 1698 aber, als ein unglücklicher Eisgang den Kanal mit völliger Zernichtung bedrohte, fing man an, ihn mit Bohlwerken einzufassen und durch eine Schleuse gegen die Eisschollen des Stromes zu schützen, und so entstand mm das neue Fahrwasser ^) (die Westcrfahrt), an dessen Befestigung und Sicherung in den Jahren 1716 u. fg. mit großem Kostcnaufwande gearbeitet wurde. Die alte Schlcnse brach man 1724 ab und ersetzte sie durck eine stärkere/ da aber auch diese nicht die gehörige Sicherheit gewährte, schritt man im Jahre 1802 dazu, eine neue von Bremer Steinen aufzuführen, mit welchen, — was jedoch der bald darauf — 165 — ausbrechcnde Kricg verhinderte/ — der ganze Kanal eingefaßt werden sollte. Die auf den im Jahre 1806 vollendeten Bau berechnete Summe belief sich auf 150/000 Thaler. Noch bedeutender ist die im Jahre 1824 begonnene auf die Summe von 395/050 Thaler« (1 Fuß — 135 Thaler) veranschlagte Ausmauerung der 2647 Fuß langen steinernen Ostmolc/ die zu den Niesenwerken der Baukunst gehört. Alle diese kostspieligen Bauten hattcn jedoch uur ein Hafenbassin von 4^ Morgen Flächeninhalt zu Staude bringen können, welches bei lebhafter Seefahrt die Menge der aufzunehmenden Schisse nicht zu fassen vermochte. Daher war schon im Jahre 1802 der zweifache Vor< schlag gemacht worden, entweder der Weichsel 2^ Meilen oberhalb Danzigs/ beiSchicwenhorst/ eine neue Mündung zu geben und sodann den dadurch abgeschnittenen Theil des Flusses/ der coupirt und in der Conftirung mit einer Schleuse verscheu werden sollte/ diesem Hafcnbassm, als eine bedeutende Vergrößerung desselben/ anzuschließen/ oder den Sasfter See zu cincr solchen Vergrößerung des Bassins zu benutzen. Der erstere von diesen beiden Vor« schlagen schien der ansführbarcrc zu sew/ und wurde deshalb/ nachdem die dazwischen gekommenen Kriegsjahre vorübergegangen waren / 1816 aufs Neue in Erwägung gezogen/ jedoch auch diesmal des zu bedeutenden Kostenaufwandes wegen wieder aufgegeben. Da schritt der Strom selbst zur Ausführung desselben. In der finstern — 166 — Nacht des 1. Februar 1840 durchwühlte er — was Niemand wahrnahm — die Sanddüne bei dem Nehrun-gischcn Dorfe Neufähr/ und die aufgehende Sonne be. leuchtete eine neue Wcichselmündung/ die sich bereits bis zu 80 Ruthen Breite ausgedehnt hatte. ^) Jenem längst entworfenen Plane gemäß wurde nun der abgeschnittene Theil des Flusses coupirt und mit der (Plönendorfer) Schleuse versehen/ die alte Weichselmün-dung gänzlich geschlossen/ das auf diese Weise gebildete neue Bassin von 266Z, Morgen Flächeninhalt neben der (jetzt nutzlos gewordenen) ßafenschlcuse mit dem bisherigen »neuen Fahrwasser« durch einen Kanal in Verbindung gebracht und so ein Bassin von 300 Morgen ge< bildet, in welchem durch Baggerung eine Tiefe von 16 bis 18 Fuß erhalten wird.'") Um aber den durch den Weichscldurchbruch geöffneten neuen Weg in das Land zu Kriegszeiten nicht« auch den Feinden zugänglich zu machen, ist demselben gegenüber auf dem linken Ufer des Flusses ein bedeutendes Fort angelegt worden.« '^) Da das Niveau der Weichsel bei Neufähr zur Zeit des Durchbruchs beträchtlich höher war als das der See, so mußte sich der Strom mit großer Gewalt in die letztre ergießen und das Flußbett auswühlcn. Dieses hat denn zwar die Folge gehabt/ daß die Flußufer vielfach beschädigt worden sind/ indem das Erdreich nachstürzt/ daß sich dafür aber auch das Flußbett immer weiter stromauf- — 167 — lvärts vertieft. Nach einigen Jahren wird dadurch nicht bloß die Schifffahrt sicherer geworden, sondern auch die Gefahr der Uebcrschwcmnmngcn und Dammbrüche weniger zu befürchten sein. Wie man daher auch den Durchbruch bei Ncufähr betrachte/ er erscheint uns nach allen Seiten von Einfluß nnd segensreich/ heilsam wie ein Aderlaß für den Körper eines vollblütigen Kranken. Es ist einem jeden Fremden, der nach Ncufahrwasser kommt, zu rathen, die oben erwähnte große Ostmole bis an ihr Ende entlang zu gehen. Er wird sich unter einem ähnlichen zwingenden Eindrucke befinden wie der Dir< schauer Brücke gegenüber. Auch ein solches Werk bedarf einer jahrelangen Arbeit, da man es nur schritt« und stück« weise vollenden kaun. Wie sich die Laufgräben langsam und sicher der belagerten Festung nähern, trotz alles Wi-derstrcitcns der Belagerten, so gewinnt auch ein solcher Bau dem störrischen Meere jeden Fuß breit nur unter Kämpfen, aber mit derselben Sicherheit ab. Faschinen — ein dichtes, festes Weidengeflechte — werden auf einander gehäuft, mittelst Pfähle befestigt, mit Zingel (Kies, Ballast) überschüttet, mit Steinen beschwert und schließ» lich mit einer gewaltigen Stcmlage überwölbt. Die zu obcrst liegenden, roh bearbeiteten und doch sorgfältig an einander gefügten Steine machen den Eindruck cytlopischcn Maucrwcrkcs. Und in der That/ uns erinnert dieser Niesendamm an jene Felsstückc, welche der geblendete Cyklop dem höhnenden Odysseus ius Meer nachwarf. — 168 — Ungefähr mit seinem leiztcn Drittel wendet sich der nord-nordwcst streichende Damm nach Nordwcst, um dem Nordwinde besser zu wehren. Nach Osten zu geht nach jedem Drittel ein Seitmdamm in die See, wie bei Mauern die Strebepfeiler. Die von dieser Seite andrängenden Wellen brausen und überstürzen ihn, aber sie reißen nichts fort als den Kiessand, den die frühere Wcllc in die Fugen der Steine schwemmte. An der westlichen Seite zieht sich eine doppelte Pfahlreihc mit einem Stege hin, theils um den Schissen einen Halteplatz zu gewähren, theils um als Pfad für die Menschen zu dienen, welche bei Gegenwinden die Schiffe m den Haftn ziehen. Unmittelbar neben dieser Pfahlrcihc beträgt die Tiefe des Fahrwassers bereits achtzehn Fuß. Am Ende der Mole erhebt sich ein kleiner Leucht-thurm von Eisen,' der größere befindet sich iu Neufahrwasser selbst. Auch hier ist ein alter Invalide als lainpligiitllr (Latcrmnmann) verwendet, Eine spätere Generation wird es nicht glauben, wenn sie hört, wie diese Invaliden — diese braven Kämpfer der Freiheitskriege — einst von zwei Thalern den Monat gelebt, wie sie gebettelt, wie — die Leierkasten gedreht haben. Glücklich dieser mit seinem engen Stübchcn! Seine Frau war gerade aus Ncufahrwaffer zu ihm herübergekommen und hatte ihm sein Vesperbrot gebracht. Ich setzte mich auf eine kleine grüne Bank und hörte ihn erzählen, was er von den Natten zu leiden habe, die seinen Keller nicht — 169 — rrsftektirten,- wie heiß es im Sommer, wie kalt — trotz des Heizens — im Winter sch wie die Wellen manch' mal bis zur halben Höhe des Thurmes leckten und es drinnen recht schauerlich anzuhören,' daß das veränderliche Drehfeuer des Thurmes vou Hela recht hübsch an-zuschn, »sein« Feuer aber ein festes sei. Ich gab mich dem ganzen Ncize dieses beschränkten Daseins hin und drückte ihm still die Hand. Er fragte, ob ich nicht die Lampen sehen wolle, aber ich ging zurück längs dem Vrctterpfade, auf dem man die Schisse in den Hafen zieht. DünenliUdung. Was zur Verzweiflung mich beängstigen konnte, Zwecklose Kraft unbändiger Llemcntc! Eäthc, Hmist. Die Kreidefelsen von Nügcn bestehen aus Milliarden von Panzern mikroskopischer Geschöpfe, die Korallcnbänke des indischen Ozeans aus einer Verästelung unterseeischer Polypcnstämme, jene lange Dünenkette/ welche mit geringer Unterbrechung die Küsten der Nord- und Ostsee mit einem blendend-weißen Gürtel umgiebt/ besteht aus — Sandkörnern. Es sind in dem Natur» wie in dem Menschenleben oft die kleinsten Faktoren/ welche die größesten Resultate hervorbringen/") Aber es genügt nicht, das Sein zu erkennen, wir fragen billig nach dem Werden. Zwar die Thicrchcn, deren Schalen die Kreidefelsen bildeten, sind dahin/ aber die Korallen-bänke breiten sich noch heutzutage sichtlich aus und die Dünen bilden sich vor unsern Augen. Wenn ein See« stürm die Mceresfluthcn aufwühlt, sehn wir auch im See« sande ein hastiges Jagen, ein Treiben, ein »Stiemen«, — 171 — das dem Schncewirbel im Winter gleicht/ wo gestern noch eine Höhlung/ ist morgen ein Hügel/ die Pflanze, die noch so freudig ihr kümmerliches Dasein im Sande stiftet, kann in wenigen Stunden erstickt sein von den Körnern, die jcht um ihre Blätter spielen. Woher die beweglichen/ so schwer »zum Stehen« zn bringenden Sandmassen? Bezeichnet die Dünenbildung ein Werden oder einen Zustand? So fragen wir, und die Antwort lautet: Beides zusammen. Wie tntstchn denn die Dünen? — Lieber Leser, ge< rade so fragte ich, als ich an jenem Morgen von Adlers' Horst nach Zoftpot ging und meine Gedanken zweifelnd von Sandkorn zu Sandkorn, zu ocr Sahara und den stuften des adriatischen Meeres schweiften. Da hielt mein Fuß an einem kleinen Wässerlein, welches sich see-einwärts dnrch das hohe Ufer einen Weg gegraben und nun am Strande einen kleinen Teich gebildet hatte, der mir den Pfad versperrte. Von der See war dieser Teich durch eine Sandbank getrennt, welche nur an einer Stelle einen schmalen Durchfluß gestattete. Würde gerade ein Sturm losgebrochen scin, so hätte er unzweifelhaft diese vor dem Teiche lagernde Sandbank zerstört und mit ihrem Sande den Teich ausgefüllt/ bei darauf folgendem ruhigen Wetter hätte sich aber die erste Bildung wiederholt. Du erinnerst lächelnd an die Dünen! — Lieber Leser, du hast bereits ihr Werden gesehn/ bedenke, daß ein Thau- — 172 — tropfeil im gewissen Sinne ein Bild des Ozeans ist! Du hast aber noch mehr als Dünen entstehen gesehn, du weißt auch bereits, wie unsere vasse, gebildet werden. Jeder Strom führt losgerissene Erdthcilc mit sich. Tritt er in ein ruhiges Gewässer, so müssen die Erd-theile nach dem physischen Gesetze der Schwere sich zu Boden senken. Dieses geschieht aber nicht unmittelbar da, wo dieses Wasser beginnt. Wie ein von eincm Berge hcrablanfendcr Schlitten noch weit auf der Eis' fläche des Teiches unten am Berge fortschießt, so äußert sich die Kraft, welche den Wasserstrom dem Meere zu< treibt, noch lange, wenn diese Kraft bereits aufgehört hat. Die Strömung ist also noch weit im Meere vorhanden. Mit ihr werden aber die mitgeführten Erdthcilc und der schon im Meere befindliche Sand fortgerissen, um endlich sich da niederzulassen, wo das Gewicht ihrer Schwere die treibende Kraft der Strömung aufhebt. Findet diese Ansammlung eine geraume Zeit ungestörten Fortgang, so muß sich cinc die Strommündung halb' kreisförmig umlagernde Sandbank bilden, welche nach der Mündung zu breiter und breiter anwachse« und zu« letzt mit dem festen Lande nur noch eine Masse bilden wird. Der Strom gräbt sich während dessen in seiner Alluvion ein neues Bette und seht sein schöpferisches Werk fort. Auf diese Art sind alle Stromdeltas"') entstanden. Diese Bildung wird, weil eine gewisse Nuhc und Stätigkcit ihre Grundbedingung, vorzugsweise stattfinden, — 173 — wenn der bildende Fluß in einer Bucht mündet. Ist aber diese Bucht durch die Dcltabildnng ausgefüllt und nähert sich der Strand des Deltas mehr und mehr dem hohen Meere, dann tritt eine — mich bis dahin thätig nur weniger energisch gewesene -^ Ncaktion ein. Die Meereswellcn werfen sich der Bildung einer Sandbank entgegen und zerstören sie entweder/ oder durchbrechen sie an einzelnen Stellen, oder dulden sie. Im erster» Falle wird die ganze Maffc des Sccsandes bald an das Ufer getrieben, bald auf dem Meeresgrunde in stets wechselnden Sandbänken angehäuft, bald zu neuen über das Niveau des Meeres tretenden Bildungen oer-weudet. Im zweiten Falle entsteht aus jener bogenförmigen Sandbank, indem sie von dem Meere durchbrochen wird, eine Inselkette. Im dritten Falle ist das Resultat fast immer eine Haffbildung. Ob einer von diesen drei Fällen eintritt, hängt von dem Verhältniß der Kraft des Stromes zu der des Meeres ab, namentlich von dem Grade des Ueber« wiegens der lchtcrn. Denn nur der Kampf erzeugt großartige Bildnngen. Der Pofluß führt große Massen Gerölls in das adriatische Meer, aber dieses leistet fast gar keinen Widerstand/ die Strömung geht dort von Norden nach Süden/ die mitgefühlten Theile schlagen sich regelmäßig nieder. Daher giebt es dort wohl das — 174 — wunderbare Sumftfnej; der Lagunen, aber keine Dünen. Dasselbe Verhältniß findet bei der schwedischen Küste Statt. Ist die Gewalt des Meeres aber ganz nnvcrhältniß-mäßig groß/ dann kommt es zu einer größern Sandbank« bildung im Meere wegen dieser zerstörenden Kraft überhaupt nicht. Dieses ist an vielen Theilen der Nordsecküste der Fall. Die dortigen berüchtigten Sturmfluchen bewirken, daß der Sand bis an das Ufer selbst getrieben wird, dort sich ansammelt und eine Dünenreihe hervorbringt. Eine weniger energische Kraftäußerung des Meeres duldet wenigstens einzelne Theile der über das Niveau hervor« ragenden Sandbänke, wahre Forts, die der Strom im Meere anlegt. Das sind jene Inseln, jene »Oogen«, welche wir an den Küsten Hollands, Hannovers, Schleswig-Holsteins bewundern, die sich als Forts in einem steten nicht bloß fingirten Belagerungszustände befinden, und nicht selten von den anstürmenden Meereswogm vn-mchtet werden. Ist die Gewalt der Strömung aber stärker als die Meeresaktion, kommt es zu jener bogenförmigen Sandbankbildung, dann entsteht ein See zwischen dem Meere und dem Lande, welcher, wenn er mit dem erstern in Verbindung steht und süßes Wasser enthält, ein Haff genannt wird. Diese Bildung kommt bei den Mündungen der Oder, der Weichsel und der Memcl vor. Sie ist ein Produkt der thätigen aber nicht übermäßigen — 175 — Reaktion der Ostsee. Darum ist gerade dieser Theil der norddeutschen Küste so reich an diesen interessanten Er« scheinungen. Die Weichsel hat sogar — was sonst nirgends mehr vorkommt — mit zweien Armen (der Nogat und dem ins frische Haff mündenden Arme) ein Haff gebildet, wogegen der dritte Arm (die Danziger Weichsel) es zu einer vollständigen Haffbildung nicht hat bringen können. Ich sage: nicht vollständigen, denn die Landzunge Hcla ist unzweifelhaft cm Theil jener vcrsnchtcn Bildung, jener dritten Nehrung, welche das nördlich von Wcichsel-münde gebildete Haff umschlossen haben würde, wäre sie zu Stande gekommen. Es ist denkbar, daß einst jene Helaer Landzunge sich mit der frischen Nehrung wirklich verbunden gehabt und mit ihr cm einziges von den sämmtlichen Wcichselmündungm gebildetes Haff umgrenzt hat. Vielleicht zieht sich in der Verlängerung jencr Landzunge noch eine, die einstige Fortsetzung derselben bezeichnende Sandbank hin/ indessen müßte dieses zuvörderst durch genaue Messungen ermittelt werden. Wo mm eine solche Nehrung auftritt, wie am frischen und kurischcn Haff oder eine Inselrcihe deren Stelle einnimmt, wie am Stcttincr Haff, muß nothwendigerweise diejenige Dünenbilduug, welche sonst an der Flußmündung selbst versucht sein würde, an der Nehrung stattfinden. Wir sehen deshalb auch, daß diese Nehrungen einen Gürtel der großartigsten Dünen aufzu- — 176 — weisen haben. Ja sie stellen sogar da, wo die Kultur sich nicht dieser Bildungen bcmcistert ödet ein Pflanzen- und Waldwuchs nicht den Dünencharakter aufgehoben hat, in ihrer ganzen Breite nichts als eine Dünenreihc dar. So erscheinen sie, wenn wir von den Höhen bei BraunZbrrg am Horizonte die wcißglänzeMMue der frischen Nehrung <") betrachten, welche sich scharf gegen den Himmel hin abzeichnet. Die breitere Danzigcr Nehrung dagegen — welche übrigens als solche in unserm Sinne gar nicht angcsehn werden kann — hat nur an dem nördlichen Mecrcsgestade eine imposante Dünenrcihe, weiter südlich nimmt sie den NiedcrungZcharakter des Weichscldeltas an. Keine Zerstörung wirkt vielleicht nachhaltiger und sicherer als die durch wandelnden Sand. Ein schützender Wald bedeckt die Küste bis znr Grenze des früheren Danzigcr Territoriums, wehrt dem verheerenden Sande und bietet eine reiche Quelle der Einnahme für die Kommunalkassc dar. Wo avcr diese Grenze auf-hört, da feiern Wüste und Tod ihren höchsten Triumph. Aus dem Sande ragende Stumpfe bezeichnen dic einstige Existenz eines Waldes/ die fruchtbarsten Felder und Wiesen hat der Sand verschüttet und ganze Dörfer überweht. Wie wir bei dem Bergstürze von Goldcm über die Stelle schreiten/ darunter tief ein reiches Dorf begraben liegt, so hören wir auf den Nehrungen staunend von verwehten Ortschaften reden/ wir lesen auf Karten das sonderbare: »Versandetes Dorf.<^) — 177 — Ein dichter Sandstaub erfüllt bei einem Sturme die Lust/ raschelnd und sonderbar flüsternd schlagen die Halme des spärlichen Dünenrohrcs zusammen/ die Sandkörner laufen klirrend und klingend durch einander, wodurch sich nut dem Brausen des Sturmes,, dem Nauschcn der Wogen ein fremdartigcs^Mml mischt, bei welchem wir verwundert stille stehn. An etwas mehr geschützten Abhängen fallen die Körner in Bildungen, die au den Schnee erinnern, nieder, während auf den stürm gepeitschten Fläche,: sich ein Netz von feinen Wellenlinien bildet, wie auf einem Teiche. Und lächelte uns wenigstens von einer Seite die Möglichkeit eines grünen Bandes, einer Zuflucht. Auf diesen Nehrungen, diesen »lechzenden Zuugen vou See« ungeheuern« dehnt sich ans der einen Seite die See, auf der andern das Haff hin, endlos wie eine einförmige, Qual. Unsere Pferde, obwohl von wunderbarer Geschwindigkeit und Leichtigkeit, ermüden fast in dieser menschcnvcrlassenell, pfadvcrwchten Wüste/ und wenn wir dem Inhrmann an dem feuchten Strande des Hasses wegen des dort fester liegenden Sandes zu fahren rathen, lacht er über uns, die wir nicht wissen, daß wir dort im Triebsande rettungslos versinken könnten. Die Schutzmittel gegen das weitere Vordringen der Eanddünen sind theils mechanischer Art, bestehend in Steinwällm und Strauchzäuncn, in denen sich der Sand fängt nnd so einen Schutzdünenwall bildet, theils organischer Art, indem man dnrch Düncnhafcr, — der Oassorgt, «u« l>tw Weichsl!dt die blicke zu »erschließen. Vöthc. Faust. <)ogt in seinen physiologischen Briefen vergleicht dm doppelten Kreislauf des Blutes mit einem Baume/ als dessen Stamm das Herz anzusehn, während die Wurzeln und Zweige der Verästelung der Capillargefäße entsprechen. Er hätte ein eben so treffendes Bild von dem Laufe eines Stromes entnehmen können. Aus einer Ncihe von Quellen/ Bäche»», Flüssen, aus jenen Wassern, welche wir ein Quellensystem nennen, bildet sich der Strom. Anfangs energisch und stoßweise, wie bei dem Zusammenpressen der Atrien der Bwtstrmn, stürzt er dahin, bricht er sich an Felsen, bildet er Kaskaden. Wo die Fallkraft nachläßt, wird er ruhiger, sein Lanf still majestätisch/ ein hügeliges Ufer weist ihm nicht zu durchbrechende Schranken an. Da öffnet sich ihm die weite Alluvialebcue, das Ufer tritt zurück, die Schrauken — ,82 — schwinden/ und der gebändigte Strom verschmäht es, sich in seinem Bette zn halten/ er theilt seine Wasser/ ein Arm fließt nach Osten/ der andere nach Westen. Schwillt er von Regengüssen an/ dann überschwemmt er die niedrigen Ufer/ vernichtet er die Saaten der Menschen. Und weiter theilen sich seine Arme noch ein Mal/ zuletzt lösen sie sich in ein Netz von Flußmündnngen auf/ wie jenes Capillargcfäßsystem/ die einzelnen Arme verlieren den Namm des Stromes/ weil keiner allein mehr desselben würdig ist/ nnd endlich bleibt der Name an einem seichten Flusse haften/ der mit Mühe bis zum Meere hinschleicht/ welches ihn und alle die stolzen größern Brüder aufnimmt. So ist es beim Nhein/ so ist es zum Theil auch bei der Weichsel. Bis zur Montaner Spitze/ zehn Meilen vor seiner Mündung/ hält der Strom seine Wasser zusammen, dann theilt er sie. Der Hauptarm behält seinen Namen Weichsel bei. Aber schon nach sechs Meilen theilt er sich beim Dan-ziger Hanpte von Neuem und schickt rechts einen Arm, die Elbinger Weichsel/ ins frische Haff/ während der Haufttstrom nordwestlich weiter fließt/ um sich nach eitler zweiten Gabelung bei Nmfähr mit einem Arme nach Danzig zu wenden/ mit dem andern aber unmittelbar nach dieser Theilung sich ins Meer zu ergießen. Die Nogat trennt sich bei der Montaner Spitze von der Weichsel/ strömt nordöstlich und ergießt sich — mit — 183 — der Elbinger Weichsel fast ein Mündungssystem bildend — in das frische Haff. Früher gab es allerdings nur drei Mündungen für den Strom: die der Nogat, der Elbinger Weichsel und der Danzigcr bei Münde. Schon Iornandes, der bekannte Chronist der Gothen/ spricht von den drei Mündungen des Neichselstromes. Erst der Durchbruch durch die Dünenkette bei Ncufähr in der Nacht des ersten Februar 1840 erzeugte die vierte. Thatsächlich giebt es aber auch jetzt nur drei Mündungen, da nach der Abdämmung des früheren Hauptarmes bei Plönendorf (Neufähr) nur noch ein bedingtes Strömen durch die dortige Kanalschlcuse stattfinden kann. Durch das dargestellte Gabclungssystem der Weichsel in deren unterem Laufe wird das Stromdelta (in seiner generalisirtcn Bedeutung) ganz von selbst in vier Theile getheilt. Zwei davon bilden vollkommene Inseln, die beiden andern werden nur zum Theil von Flußarmen umstossen. Das große Werder, das Marschland zwischen der Danziger Weichsel im Westen, der Elbinger Weichsel im Norden und der Nogat im Osten bildet das cigeotliche Delta. Im weitern Sinne könnte man zu demselben auch die nördlich vom Meere und südlich von der Danzigcr uud Elbinger Weichsel begrenzte Insel rechnen, im ideellen Sinne ein Delta im Delta. Man hat sich aber längst daran gewöhnt, diese Insel ^) als Secwerder^) Nehrung besonders zu benennen. — 184 — In engerer Bedeutung bezeichnet dieser Ichte Name nur diejenige Düncnreihe, welche das frische Hass von der See trennt. Das ganze Marschland zwischen der Weichsel einer- und den Höhen don Danzig und Dirschan andererseits führt den Namen des Dan zig er Werders/ der Theil endlich, welcher von der Nogat im Westen, vom frischen Haff im Norden und dem Elbingstussc und Dranscnsec im Osten begrenzt ist/ wird bald das kleine Werder/ bald Elbingcr Niederung genannt/ und besteht eigentlich aus dem kleinen Werder im engern Sinne mld der Marienburger und Elbingcr Niederung. Die Bewohner der Provinz bezeichnen im Allgemeinen daZ ganze, alle Werder umfassende Weichseldelta ,nit dem Namen der Nicd crung. Die Bewohner der Niederung reden dagegen von der Höhe als deren Gegensatz/ gerade wie in Holstein die ,"Geest« '"') den »Marschen« entgegen gesetzt wird. Sie bilden daraus selbst das Adjektivum »höhisch« und sprechen von »höhi-schem« Getreide, Holz u. s. w. Diese Werder/ deren Stammwort Wehr (Damm/ Insel/ — bremisch Vercl) noch m den Namen "Donan-/ Kaisers-, Nonnen-Werthe anftritt/") sind ein Produtt des Stromes, welcher sie dnrchsiietzt/ gleich dem Nil-und Rhone-Delta, gleich dem heutigen Holland. Kaum giebt es aber eiu Erzeugtes/ welches von seinem Erzeuger unvätcrlichcr behandelt würde/ als dieses Weichseldelta. Gleich dem Saturn/ der seine Kinder verschlingt/ zcr- — 185 — stört dicscr Strom, was cr selber einst schöpferisch ails dem Schooßc des Meeres hervorrief. Der Nil ist für sein Delta, welches er bildete, eine ewige Quelle grenzenlosen Segens/ je hoher seine Wasser schwellen, nm so Weiter reichen die, Hossnnngcn der Bewohner anf cine glückliche Ernte. Die Lehmhütten, welche die Flnth fortschwemmt/ baut der Fellah in wenigen Stnnden wie» der auf/ in den Schlamm,^) welchen cr zurückläßt, streut der Ackcrsmann ohne erdumwühlenden Psing sofort das, vielfache Frucht tragende Dnrrahkorn. Daher ist dem Nilbewohncr das segcnvollc Schwellen seines nährenden Stromes ein Resultat jenes Tropfens, der iu der heiligen Nacht vom Himmel fällt. Ein Anderes ist das Loos unseres nordische», »Niederungers.« Dieser Strom weiß von keinem Segen, sondern nnr von einer Vcr< nichtnng. Mit Angst wacht die Familie jenem Schwellen der Wasser, jenem »Fallen des Tropfens« entgegen, welcher ihre Saaten, ihr Vieh, ihr Hans, ihr Leben gefährdet. Der wüthende Eisstrom vernichtet nicht bloß, was sich ihm augenblicklich entgegenstellt, cr überschüttet ganze, Strecken mit einem verwüstenden Sande, wodurch sie für ewige feiten werthlos werden. Dort ein all' jährlich sich niederschlagender frnchtbarcr Schlamm, nach dem wir heutzutage — »wie aus Jahresringen« — das Alter des Landes, der in ihm verfuukencn Bauwerke, der Memnonssäulc berechnen, und hier eine zerstörende, in regellosen Zwischenränmcn sich wiederholende — 186 — Versaudung, in der wir die Materialien zu einer Ge» schichte der Vernichtung vorfinden. Von jcher mußte sich daher die Aufmerksamkeit der Bewohner solcher gefährdeter Deltas auf deren Sicherung richten. Vis zum Eintreffen des deutscheu Ordens in diesen Gegenden hören wir nichts von solchen/ die all» jährliche Ucbersiuthuug hemmenden Bauten. Als das ganze Preußculand im Ich« 1283 nach den heftigsten Kämpfen, welche über fünfzig Jahre gedauert hatten, unterworfen war/ da gehörte es zu dem ersten Geschäfte des Ordens/ diese vielversprechenden Marschen durch Deiche einzudämmen. Der Landmeistcr Meinhardt von Quer« fürt begann das große Werk im Jahre 1288 und vollendete dasselbe in sechs Jahren."''). Fünfundzwanzig Meilen lang erstreckten sich die schützenden Dämme/ die noch heute unsere ganze Bewunderung iu Anspruch nehmen/ neunundzwanzig Quadratmcilen waren für die Kultur gewonnen/ iu wenigen Jahren hatten die schaarcuweisc ein» wandernden Kolonisten auf diesem mit Gestrüpp, Wald und Sumpfpflanzen bedeckten Boden, wo sonst nur fünf vereinzelte Dörfer gestanden/ eine Kultur hervorgerufen, welche diesem Landstriche mit Nccht dcu Namcu eines Gartens Preußens erworben hat. ^) Der fühlende Mensch/ welcher bei dem größten Resultate nur die Opfer sieht/ die zu dcfseu Bildung nöthig waren/ zählt auch hier nur die Leiden der zum Bau gezwungenen Arbeiter, die verloren gegangenen Menschenleben und vergißt über — 187 — dem Jammer der Leidenden das Glück der spätern Gc< nerationcn. Aber wir fragen billig/ ob dieses Werk auf andere Weise damals geschaffen werden konnte, und wenn wir es verneinen, müssen wir uns auch in die un-abweisliche Nothwendigkeit finden. Diese Dämme oder Deiche, 20 bis 25 Fuß hoch, unten etwa dreimal so breit, oben — in der Krone — 15 bis 20 Fuß, und unter cincm Winkel von 45 Gra< den dossirt,") laufen auf beiden Ufern der Weichsel und Nogat, — wo nicht die natürliche Ufcrhöhe dieselben überflüssig macht, — von der Montaner Spitze bis zu den Mündungen. Sie folgen dem Lauft des Stromes in verschiedener Weise. Bald nähern sie sich ihm so vollkommen, daß der Strom bei gewöhnlichem Wasscr-stande ihren Fuß bespült, bald entfernen sie sich don ihm auf einige tausend Fuß. ^) ' ^ Dieser Raum zwischen dein Deiche und dem gewöhnlichen Strombette heißt das Vorland oder der Außendeich (das heißt das Land außerhalb des Deiches, vom Lande aus gerechnet). Wo das Strombett selbst keine bedmtcnde Breite hat, wird dieselbe durch dieses Vorland ergänzt. ^) Denn es war bei Anlegung der Deiche ganz besonders darauf zu sehen, — obwohl dieses sehr oft außcr Acht gelassen ist, — daß sich bei Anschwellungen, namentlich bei Eisgängen, der ausrci« chende Naum vorfände, um die Wasscrmasse zwischen den Deichen aufzunehmen. ^) Wo nun der Strom Bic- — 188 — gungcn macht, sucht man durch Querdämme, sogenannte Buhnen,, oder durch Legung don Faschinen cm Abspülen und Unterwaschen des Ufers oder Vorlandes zu der-hindcrn. Damit abcr die Oberstäche des letzter» beim Anstauen des Stromes nicht ausgerisscn und zerwühlt werde/ ist dasselbe ganz und gar mit Weidensträuchcrn bepflanzt. Diese Pflanzungen bestehen aus kleinen im Kreise gesteckten Ruthen — sogcuanten Nestcrpftanzungcn —, welche meist schon nach wenigen Jahren ein dichtes Gestrüpp bilden und das Material zu den Faschinen liefern. Zahlreiche Nachtigallen brüten in diesem sumpfreichen Gehege und erfüllen — namentlich bei Dirschau — den Abend mit ihren Melodiken. Auf den Deichen selbst läuft ein geländerloscr Fahrweg, der deshalb nicht ohne alle Gefahr zu benutzen ist. Nicht nur das gewöhnliche Niveau des Stromes, sondern an manchen Stellen — wie am Danzigcr Haupte - sogar der Boden des Flußbettes liegt mehrere Fuß über dem angrenzenden Lande. Schon das bloße Auge erkennt dieses verwundert, und der Beschauer begreift jetzt die Wirkung eines GrundbruchcZ/ weil sich nicht allein die angesammelte Wasscrmasse, sondern der Strom bis auf den Boden hin über die offen liegende Ebene ergießen muß. Steigt die Fluth über das Vorland , daun sickert das Wasser durch den Deich und sammelt sich in der sogenannten »Qucllung« an. Dauert — 189 — dieses lange/ so kann cm Unterminircn und Durchbrechen des Deiches eintreten. Die Gefährlichkeit und Nachhaltigkeit einer Ueber-schwemmung wird — abgesehn von der Höhe des eigentlichen Strombettes — noch dadurch vermehrt/ daß sich die Landcbcnc selber von dem Strome ab seitwärts ein wenig abdacht. So lange nämlich keine Dämme exi-stirten und die Weichsel sich frei über die anliegenden Marschen ergoß/ mußten nothwendig die nn'tgcführten Siukstossc sich eher in der Nähe des Flusses als entfernt davon niederschlagen. Dadnrch entstand aber eine Erhöhung der Ufer mit einer seitlichen Abdachung. Dieses zeigt sich ill allen Werdern und erklärt/ weshalb m der Mitte des großen, zwischen Weichsel nnd Nogat/ die Flüsse Tiege nnd Linau strömen / weil sich in ihnen die von den geneigten Ebenen abfließenden Nasser wie in einem Thalc sammeln. Im Danziger Werder nimmt die Mottlau diese Wasser auf und in der Elbingcr Niederung die Thiene und der Elbingfiuß. Wir sehen daher bei Überschwemmungen die Flnthen der Weichsel nnd Nogat sich sofort in diese Abzüge stürzen und dieselben bald versanden/ bald bis zu der außerordentlichen Tiefe der Linau auswühlen. Die Chaussee/ welche voll Marienburg nach Dirschan führt/ wurde des' halb im Jahre 1855 nicht sowohl an ihren Endpunkten als vielmehr da zerstört/ wo dieselbe die beiden Schwellten (aus bellen später die Tiege gebildet wird) überschreitet. 190 — Es kommen von dieser allgemeinen Regel allerdings auch Ausnahmen vor. Das Städtchen Neuteich sah bei dem Durchbruch des Jahres 1855 das Wasser nur bis in seine Rinnsteine dringen/ wahrend die Muth sonst überall bis zur halben Höhe der Häuser ging. Das Veichwestn. Was hilft ein tapferes heidenmäßiges Stemmen? Die mächtige Woge strömt sie wegzuschwemmen/ Mir schaudert selbst »or solchem wilden Schwall. Vöthe, Faust. Wo der Staat in neuerer Zeit großartige Entwässerungen oder Ueberrieselungen vorgenommen und sich nicht etwa eine besondere Dcichgenosscnschaft gebildet hat, da ist auch die Unterhaltung, Erneuerung und Sicherung der Deiche Sache des Staates geblieben. Der Deutsche Orden hat sich dagegen begnügt, dnrch die Eindämmung der Weichsel und Nogat ein für alle Mal den anliegenden Marschebencn einen Schutz geschaffen zu haben/ die weitere Unterhaltung der Dämme ist bald eine Sache der einzelnen Deichgenossenschaftcn geworden und in deren Händen geblieben. Wir finden daher in allen dreien Werdern (das nur uueigcntlich so genannte See-Werder — die Nehrung — lassen wir bei Seite) eben so viele Dcichkonmuncn, welche sclbststcindig und nur unter einer gewissen Aufficht des Staates ihre Angelegenheiten ordnen, die Beamten aus ihrer Mitte wählen, — 192 — kontrolliern/ und ohne alle fremde Beihülfe die vmw sachten Dammschäden wieder herstellen. Dieses uralte/ in der germanischen Gcmcindeverfassnng tiefbegrnndcte 86ikA0v«rninunt erregt unser höchstes Interesse. Alle freikülmischen Dorfschafteu eines gewissen Bezirks/ zum Beispiel des großen Werders/ stehn in einem engen/ die Deichangelegenheiten betreffenden/ Vcrbaude. Aber nur die Besitzer von Ackcrgrnndstückm/ die sogmannten Landsaffcn/ haben das Nccht/ an der Wahl der Beamten Theil zu nehmen/ wie ihnen vorzugsweise auch alle Verpflichtungen obliegen. Die Dcichkommunc wählt aus ihrer Mitte einen durch die Tüchtigkeit seines Charakters dazu berechtigten und durch seine Erfahrnngcn ausgezeichneten Gutsbesitzer zu ihrem Deichgräfcn. Ihm zur Seite stehn die Deich geschworenen, deren jcdes Ncvier^) einen wählt. Diese Deichbeamten iu ihrer Gesammtheit bilden das Deich geschworn en-Kollegium. Der Deichgräf — dessen Name mit Graue/ Grawe/ Graf/ und dem Griwc/ Kriwe der alten Preußen zusammenhängt^) — genießt nicht bloß/ weil ans der allgemeinen Wahl hervorgegangen/ das unbedingteste Vertrauen/ sein Einflnß, seine Macht reichen so weit/ daß er beliebig in allgemeinen Angelegenheiten Vcrsammlnn-grn ausschreibcu kann, wobei er den Vorsitz führt/ daß er in dringlichen Fällen allgemeine polizeiliche Verordnnn-gen treffen uud polizeilich strafen/ und verlangen kanu, — 193 — zu den Predigerwahlen zugezogen zu werden. Er unter< schreibt die ausgefertigte Bcrufungsurkunde des Geist-lichen/ welche erst durch seine Unterschrift vollkommne Gültigkeit und für den Berufenen die sichere Bürgschaft der ihm zugesicherten Einkünfte erhält. ^) In früherer Zeit hatte der Deichgräf nebst den Deichgeschworenen sogar richtcr« liches Ansehn und das Großwcrdcrer Voigtci-Gericht zu Marimbnrg mußte in Sachen/ welche das Werder be-betraftn, dieselbcll zu seinen richterlichen Sitzungen cin< laden, wo sie nicht bloß Sitz sondern auch Stimme hat« ten/ ein Verhältniß, wie es zum Theil noch heutzutage in Preußen in Bergwerkssachen stattfindet. ^) Dem Deichgeschwornen-Kollegium zur Seite stehn die Gebietsdeftutirten, von denen jedes Revier gleichfalls Einen wählt/ sie kommen mithin an Zahl den Dcichgeschworcnen gleich. Ihre Function besteht in einer Art von .Kontrolle des Deichgcschworneu - Kollegiums, indem sie Rath ertheilen, Anträge stellen und Geld be-willigen. Sie nehmen daher etwa die Stellung der Stadtverordneten zum Magistrate ein, und haben ganz besonders das Interesse der einzelnen Reviere, welche sie vertreten, wahrzunehmen, während das Deichgcschwornen-Kolleginm mehr das der Gesammtheit im Auge hat. Als technisches Mitglied ist dem Kollegium der Deichinsftcktor beigeordnet. Das dem Staate gebüh« rende Aufsichtsrccht übt der Land rath aus, welcher zugleich den Dcichgräfen und die Deichgcschwvrenen ver- V»ssnrg«, all« d«m MekMdell», 13 — 194 — eidigt. Dieselben leisten den Schwur unter freieni Himmel/ auf dem Damme ^') selbst/ gange vorhergehen und ihn begleiten. In einem jeden Deichrevierc sind gewisse Ortschaften verpflichtet, die Eiswachen zu besorgen. Dieselben haben zu dem Zwecke auf dem Damme oder iu dessen unmittelbarer Nähe Nachbuden, welche sie auf ihre Kosten erbauen und unterhalten müssen. Das Etablissement, bestehend aus einem Wohnhause und einem — znr Auf-nähme verschiedener Geräthschaften bestimmten — Eis' wachstalle, wird an einen »Nachbüdencr^, welcher für die Zeit der Eiswachen oder so lange am Damme gearbeitet wird, die Verpflichtung hat, Ausschaut und Hü-kcrei zu betreiben, vermiethct. Sobald nun der Eisgang in Aussicht steht, ent' wickelt sich auf den Dämmen und namentlich bei diesen Wachbudcn ein dem Laien fast unverständliches, sonder» bares Treiben. Auf das Geheiß des Dammgeschworncn werden Dielen, Strauchwerk, Pfähle uud -^ Dünger an den Damm gefahren. Der letztere dient dazu, aus« gerissene Stellen zu verstopfen und bedeutet dasjenige für den Damm, was blutstillende Mittel für einen verletzten — 197 — Organismus. Die entfernter gelegenen Ortschaften bringen schon jcßt Wagen mit den bei entretender Gefahr noth« wendigen Geräthschaftcn, als Tragen / Schlägern/ Spa< ten/ Sftickftfählcn, Laternen und Theertonnen / herbei. Sobald das Nasser zn steigen beginnt/ wird vorerst die halbe Mannschaft aufgeboten. Dieselbe besteht ans der Hälfte der Einsassen und alls berittenen Knechten, Wächst die Gefahr/ dann muß die ganze Mannschaft/ das heißt alle Einfassen/ all den Damm. Nun werden die Eiswachwagen bespannt/ die Mannschaften vertheilt und an ihre Posten gewiesen, die Gcräthschafteu bereit gehalten. Selbst die Eigcnkäthner (die kleinen Hausbesitzer) müssen sich zur Arbeit einstellen. Ncitende Boten umstiegen täglich zweimal den ganzen Bezirk/ bei jeder Wachbnde wird bemerkt, wie es mit dem Eisgänge, dem Nasser, wie mit dem Damme stehe. Der Deichgeschworcne selber bereist täglich mindestens einmal sein Revier und berichtet über dessen Stand dem Dcichgrä'fen/ welcher nebst seinem Schreiber — »Landbotc« genannt — dem Dcichinsftektor/ Landrath und häufig auch rinem höhcrn Regicrungs-Beamten sein »HcuHtquarticr" in Dirschaufährc hat. Wo große Gefahr eintritt/ verkündet sie Nachts eine brennende Theertonne. Trotz aller dieser Maaßregeln kommt es dennoch häufig vor/ daß/ wenn wirklich ein Durchbruch statt' findet/ die ferner belegcnen Ortschaften von dem nahenden Unglücke in langer Zeit nichts Bestimmtes erfahren. — 198 — Nur wie 6n dumpfes Gerücht, dem man nicht zu glauben wagt, verbreitet sich die Rede von einer Ueberstuthung, einer Zerstörung des Dammes. Geneigt jedem wider« sprechenden Gerüchte Glauben zu schenken, wartet der Bewohner bange der schrecklichen Gewißheit. Vielleicht überläßt er sich „ach den durchwachten Nächten dcm Schlafe, um beim Erwachen das Wasser durch die Spalten seines Fußbodens quellen zu sehen. Die Einen bringen ihre Habseligkciteu auf die Böden, leiten das Vieh auf die Schuppen und überlassen ihm den Heuvor-rath zur reichen Nahrung, lösen die Kähne von den Pfählen oder schassen dieselben aus den Schauern auf die Höfe. Die Andern troizeu kühn auf ihr hochstehendes »bruchfreies« Haus, um vielleicht iu Kurzem rutscht zu erkennen, daß diese Fluth, höher als die frühern, ihre Wohnstuben bis zur Hälfte füllen wird. Nuu arbeiten sie, bis zum Gürtel im Wasser, das Versäumte uachzu-holen. Voll Schrecken gedenken sie der möglichen Folgen dieses eiskalten Bades/ aber es ist wunderbar, wie die geistige Erregung diese physischen Einflüsse paralysirt/ vielleicht erkrankt nicht ein Einziger. Haben sie aber ihre durchnäßten Habseligkeiteu auf den Boden geschafft, da erkennen sie ihren furchtbaren Irrthum erst recht. Denn während Andere sich längst mit cincm kleinen eiserneu Kochofen uud Stemkohlm versorgten, haben sie, ans die Bruchfreiheit ihres Hauses trotzend, für jede Erwärmung zu sorgen versäumt. — 199 — So ist es an den Orten, wo dieFluthen allmahlig an« schwellen, wohl erst in einigen Tagen ihren Höhepunkt er< reichen. Ist es aber möglich/ von dem Elende einen Begriff zu geben, da, wo der Strom durch den zerrissenen Damm unmittelbar mitten in ein nahes Dorf stürzt? So war es bei den Dörfern Groß- und Klein-Montan und Klossowo im März 1855. Die hereinbrechenden Flnthen und Eisschollen rissen in Kurzem die Däuser fort und schwemmten sie der nördlichen Niederung zu. Die Men-scheu retteten sich znm Theil auf dic Dächer und Schollen, mit denen sic fortgetrieben wurden, oder auf die Banme nnd den durchbrochenen Damm, wo sie nun erst recht rettungslos verloren schienen, da sie sich in der Mitte zwischen zweien Brüchen befanden nnd der Nest des Dammes nnter ihren Füßen wich. Das Vieh ertrank fast ohne Ansnahme. Viele Menschen verloren entweder sofort in den Fluthen ihr ^eben oder erstarrten vor Frost auf den schwimmenden Scholleil, mit denen sie dem .^aff zugetrieben wurden. Jene genannten Dörfer waren bis auf wenige Ansnahmcn von der Erde vertilgt und, was mehr sagen will, ihr fruchtbarer, sonst das zwanzigste Korn tragende Boden ist eine Wüste. Wohl finden hier. Göthe's Worte eine Anwendung: Was sich sonst dem Vlick' empfohlen Mit Jahrhunderten ist hin. Viele Fuß hoch bedeckt heute der Triebsand jene go segneten Fluren/ eine große, Zahl von Hufen mit einem — '200 — Werthe von Hunderttausendeu sind der Kultur für immer entrissen. Denn das ist das Furchtbare bei diesen Ver< sandungen/ daß der Verlust ein meist unwiederbringlicher ist. Wo ein Orkan gewüthet/ erkennen wir nach wenigen Jahren kaum noch die Spuren der Zerstörung/ auf einer Brandstätte erheben sich bald stolzere Gebäude als die waren, welche das Element vernichtete/ selbst auf der Lavakruste gedeiht der Weinstock und üppiger als auf dem Felsboden / welchen der Gluthstrom bedeckte. Nur der Sand/ selber unzugänglich für deu Ackerbau/ der Feind alles Kulturlebens/ liegt über seiner Beute gleich einem Raubthiere und giebt sie nicht heraus.") Land und Leute. 1. Land. Das euch grimmig mißgehcmkelt, Wog' auf Woge schäumend wild, Seht als Garten ihr behandelt, Teht cin paradiesisch Bild, In den beiden frühern Abschnitten betrachteten wir das Weichscldelta in seinen Physischen Beziehungen zn dem Strome, der es bildete? wir sahen, dnrch welche, Maaßregeln es möglich geworden ist, den alljährlich sich wiederholenden Verheerungen, den Inundationen dieses Stromes Schranken zu setzen, wahren feindlichen Invasionen, bei denen die Dämme sich gleichsam als die Wälle einer belagerten Festung — stets blokirt, häusig bestürmt und zuweilen erobert — darstellen. Werfen wir jetzt einen Blick in das Innere dieser »Festungen«. Wenn wir von den Weichselniederungen sprechen/ so verbindet sich von selbst damit der Begriff der Gleichförmigkeit, Uebereinstimmung, Monotonie. Wer ein — 202 — Werder gesehn hat, glaubt alle zu kennen/ wer im Postwagen von Dirschan nach Marienburg, mit der Eisenbahn nach Elbing gefabren ist/ vermeint die Natur dieser Marschländer verstanden zu haben. Aber so ist es nicht. Nur wenn wir diese frnchtbaren Ebenen der sie umgrenzenden »Höhe" gegenüberstellen/ wenn wir gewisse charakteristische Erscheinungen, welche sich dort überall vorfinden/ herausheben/ erkennen wir diese Niederungen als ein übereinstimmendes, gleichförmiges Ganzes an. Be-trachten wir dagegen die einzelnen Theile derselben, vergleichen wir das große Werder mit dem kleinen, die süd> lichen höher gelegenen Landstriche mit den nördlichen/ die Mündungen der Weichsel in der See mit denen in» frischen Haff, so entdecken wir eine Fülle oon Unterschieden, die uns überraschen und uns in unserer vorgefaßten Meinung wankend machen. Man kann dreist behaupten, daß es in den Werdern Gegenden giebt, welche sich mcht ähnlicher sind als die Münchener Hochebene und dic Holstein« schen Marschen Und doch liegen jene so verschiedenen Landstriche oft nur wenige Meilen auseinander. Woher rührt der Unterschied? In einem Gebirgs- oder Hügellande müssen schon sehr bedeutende klimatische Verschiedenheiten vorwalten, damit nahe bclegenc Landstriche entgegengesetzte Erscheinungen darbieten, eine verschiedenartige Kultur bedingen. An den Gestaden des Bodcnsces wächst die Nebe und in den einige Tausend Fuß höher gelegenen Thälern Appen- — 203 — Ms nur nock cm kräftiges Alftengras. Beide Gegenden liegen räumlich ganz nahe/ klimatisch aber viele Vreiten« grade auseinander, weil die Wärme als allbclebcndcs Prinzip dort bedeutend/ hier nur geringe ist. In den Niederungen giebt es nicht weniger entgegengesetzte Erscheinungen. Der Weizenball bildet in der Agrikultur den stärksten Gegensatz zu der Wiesennutzung, Dennoch bedarf es nur einer höhcrn ^'age von wenigen Fußen, um schon Weizen säen zu können/ während das uumerb lich tiefer gelegene Wiesenterrain fm diese Art der Nutzung vollkommen unzugänglich ist, In den Gebirgen also wer< den Differenzen nur durch eine bedeutend höhere oder tit' fere Lage bedingt, in unsern Niederungen aber schon durch einen Unterschied, welcher dort vollkommen ein« flnßlos sein würde. Denn dort hängt die Kultnrfähig-keit eines Striches von den klimatischen Bedingungen ab/ hier von den statischen/ dori bedingt die Wärme das Wachsen feiner vrganisirter Pflanzen, hier die größere Trockenheit/ dort ist die Kälte das ertödtende Mo« mcnt, hier das Masser, Wir hören deshalb in dem nördlichen/ tiefer gelegn uen Theile der Werdcr oft von einem obern Werder sprechen, was nicht bloß die höhere Lage, dem Fluß laufe entsprechend, sondern zugleich die größere relative Er-habcnhcit bezeichnen soll, In diesem Sinne bilden die höhern Wcrderthcile ein »Oberland«, als Gegensatz zn der tiefer gelegenen »Niederung«. Ja cs gicbt innerhalb — 204 — dieser Bezeichnungen noch neue Unterschiede. So bildet das Terrain am Ausflüsse der Nogat und Weichsel, aus Sumpf, Land, Wasser bestehend, mit seiner amphibiew artigen Halbnatur einen scharf ausgeprägten Gegensatz gegen die Niederung des großen und kleinen Werders. »Neues Land" nennen es die Velvohner der ältern Allu» vionen und blicken daranf mit einer Art von Verachtung, wie die römischen Patrizier auf die »lujinino» il,Qvi«. Nach einigen Jahrhunderten, vielleicht auch Iahrtausen-den, wird dieses neue Land nur noch in dem Sinne neu sein, wie das heutige Neapel (Neustadt), und andere Sumpfstreckcn werden als ,? neuestes« Land das ganze Gewicht der Verachtung zu tragen haben, bis endlich die weite Muvialcbene zwischen Elbing, Pillau und Königsberg (frisches Haff genannt, gleichwie man für den Boden des ausgetrockneten Haarlemer Meeres diesen Namen beibehalten hat) viele Quadratmeilen fruchtbarsten Landes der Kultur zur Ausbeutung darbieten wird. ^) Die höher und tiefer gelegenen Theile der Werder sind für das geübte Auge an der verschiedenartigen Behandlung des Landes durch Gräben, Eindämmung, an der besondern Kultur und den, verschiedene Vegetations-stufen bezeichnenden, Pflanzen erkennbar. In den obern Theilen herrscht nicht bloß durchweg der Ackerbau vor, das Land ist auch nur selten von Kanälen und Gräben durchschnitten. Wir betrachten die monotonen, unabseh-baren Getreideflächen mit demselben dumpfen Hinbrüten — 205 — Wie die mcilenwcite Schneedecke des Winters. Einzelne Höfe sind seltener als in den eigentlichen Niederungen/ die Wohnungen treten mchr zu Dörfern zusammen/ aus deren Mitte sich das Symbol der Vereinigung, der Kirchthurm, erhebt. Anders ist es in den tiefer gelegenen Werdern. Der grössere Wasserreichthnm/ dadurch hervorgerufen, daß die Ströme nicht noch tiefern Landstrichen zufließen/ sondern in der See, dem Haff münden, deren Niveau wenig niedriger ist a!Z das anliegende Land/ der »Rückstau« aus dem Haff, welcher bei anhaltendem Seewinde den rückwärts tief ins Land drin« gendcn sogenannten »fliegenden Strom« erzeugt, — machen eine Umwallung der einzelnen Landstücke, Eindämmung aller Arme der Weichsel und Nogat, selbst eines jeden Grabens nothwendig, welcher mit den großen Gewässern in Verbindung steht. Ein Netz von Kanälen und Gräben bedeckt das ganze Land und theilt es in lauter mathematische Figuren, meist Vierecke. Die Ufer der Gräben sind mit Weidcnbäumen oft in mehreren Reihen neben einander bepflanzt,^) welche man von Zeit zu Zeit ihrer Aeste beraubt, um dieselben theils zu Faschinen, theils als Brennmaterial zu be< nutzen. Dieser sonderbare, lebensfähige und zähe Baum bestimmt die eigentliche Physiognomie dieser Gegenden. Nie in Ostpreußen die — jetzt von der Nonnenraupe verwüstete ^ Tanne, in Dänemark die Buche, auf der genuesischen Riviera di Levante der Oelbaum den land' — 206 — schaftlichen Charakter bedingen, so hier die Weide. Vieg< sam wie ihre Zweige, zäh wie ihr Bast treibt sie ihre grünlich «grauen Blätter, wo nur ein wenig Feuchtigkeit im Boden ihr eitle dürftige Nahrung verstattet. Heimisch in allen Zonen begrüßt sie uns als alter Bekannter, wir mögen unsern Fuß hinsetzen wohin immer wir wollen. In unserer Jugend haben wir beim ersten Eonnenblickcn des Frühlings ihre Schäfchen — »Palmen« — als Präservativ gegen das kalte Fieber gegessen (diese Wirkung legt das Volk ihnen bei), ihre Zweige in einem Topf mit Wasser auf den warmen Ofen gestellt, um am Palmensonntage die Schäfchen in voller Blüthe und die Blättcr-tnosftcheu sich öffnen zu schell, am ersten Ostcrfeicrtage aber mit den Ruthen Ostern »schmecken« zu lassen. ^) Später haben wir von den vollsaftigcn Zweigen die Rinde durch Klopfen gelöst, abgezogen und zu Pfeifen verwendet. Wir bohrten achtlos einen Stecken in die Erde und nach wenigen Jahren finden wir einen Baum. Die Nachtigallen brüten in den dichtvcrschlungencn Wei-dengcbüschen gerne/ an den Gräbern hangen ihre wallen« den "Haare« herab und schlagen im Winde an einander-wir gedenken der klagenden Schwestern Phaetons. Wenn der Baum seine luftige Krone zum Himmel streckt, dann kommt die Axt und ^kappt« die glatten Zweige. Aber nicht alle von ihnen »verbell dem Feuer-tode gewidmet. Die größcrn grünen bald als neue Bäume/ beschatten Gräben und Straßen und vergessen — 20? — des Mutterbaumes, um bald selber Acste zu jüngern Bäumen zu liefern und auch »gekappt« zu werden. Gleich dem Maulbcerbaum, der ueuc und neue Blätter treibt, wie oft man sie auch als Mtcr für die Seidenraupe ihm nehme/ treibt der Weidenbanm nach jeder ueuen Beraubung seiner Krone frische Zweige. Abcr bald trägt er die Narben der wiederholten Verstumm-lnng/ wo die Az-t ihn traf, entwickelt sich ein unförmlich dicker Kopf, phantastische Gestalten wachsen aus ihm heraus, Erlkönigs Töchter schauen aus den »alten grauen Neiden.« Während dessen hat sich sein Stamm nach Außen immer mehr erweitert und Innen wie ein Nöhrcu-tnochen eine Höhlung erhalten, in welcher »das Weiden-Männchen« sitzt. Endlich berstet das weiche Holz des Stammes/ erst klafft nur eine Wunde, dann giebt es einen Niß bis znr Wurzel. Nun legen sich die Seiten auseinander/ wunderliche Spaltungen erzeugen die phantastischesten Formen/ einzelne Theile des Stammes lösen sich ganz los, auf andern wachsen Gräser, selbst Bäum-chm/ das weiße Mark tritt hervor und leuchtet phos-phorcszirend im Mondschein. Da kommt der Hirte, den es im Herbste friert, zündet muthwillig in der Höhlung des Stammes trockenes Gras an, und das Mark des Baumes, die ganze schwammige innere Decke verbrennt, verkohlt. Trotzdem grüut der Baum weiter fort, vielleicht noch manches Jahr, bis er in den Ofen wandert. — 208 — Was wäre der Süden ohne seinen Oelbaum, was der Norden ohne seine Weide! Der eine aber ist ge« priesen wie kein zweiter Baum/ die ihn pflanzende Athene besiegte den mit ihr streitenden Poseidon/ seine Zweige sind das Symbol des Friedens in der Bibel und bei den Griechen. Die Weide, ein Aschenbrödel unter den Bäumen / ist verachtet/ und doch älmt sie in ihrer äußern Physiognomie dein Oelbaum / man könnte sie fast mit einander verwechseln. Vielleicht ist es eben diese Achn-lichkeit/ was ihr dieses Loos bereitet. Und noch eine sonderbare Erscheinung kommt, wie in den Oelwäldern des Südens, so auch bei diesen Weiden der Niederung vor. Das grünliche Grau der crstern, das grauliche Grün der letztcrn geben der Gegend eine Monotonie, eine Düsterkeit in der Färbung, welche selbst der blaueste Himmel nicht aufzuheben vermag. Das Auge verliert sich in dieser Wüste. Da kommt der Mensch und baut sein Haus hiuein/ im Südcu wählt er dazu den grau« lichen Kalkstein, im Norden das Holz der Fichte. Beide Materialien würden nur die Monotonie vergrößern, denn auch das graue Schieferdach und das dunkle Strohdach vermehren das Triste dieser Farbenharmonic. Da greift der Mensch zum Farbentopf und bemalt Wände, Giebel, Dachspitzen, Zäune und Thore mit einem Kolorit, wel« chcs uns alle Ncgcnbogenfarben entgegen strahlt. Grün, Gelb und Blau, vor Allem aber ein glühendes Roth blendet unser verwirrtes Auge. Entseht wenden wir — 209 — uns von dieser Geschmacklosigkeit ab/ um bald zu er« kennen, daß auch in diesem Farbenchaos eine Harmonie liege. Wo die Natur keine Farben gab/ ersetzt sie der Farbcutopf/ das fühlt der Bewohner der Nivicra di Levante gerade so wie der Nicdcrungcr. Daher finden wir dort und hier mit Necht die Häuser Don Oben bis Unten mit den grellsten Farben, oft gestreift nebeneinander, überpinselt. Der Mensch könnte sonst die Monotonie nicht ertragen. Auch der Araber liebt entschiedene Farben, strahlende Kleidungen als Gegensatz zum gelblichen Grau seiner Wüste. Nicht bloß die einzelnen Farben haben ihre komplementären Farben, auch die Farbenarmuth verlangt als nothwendigen Gegensatz den Farbenreichthum. Dieser Mannigfaltigkeit und Buntheit gegenüber von Geschmacklosigkeit zu reden, bedeutet nichts als die Verkennung eines optisch-ästhetischen Gesetzes. ^) 2. Leute. Hier ist das Wohlbehagen erblich, Die Wange heitert wie der Mund,' Ein Jeder ist an smum Platz unsterblich, Sic sind zufrieden und gesund. OöU)e> Faust. Ob die fruchtbaren Marschen im Wcichseldelta ohne Dazwischenknnft des Deutschen Ordens heutzutage von V»!s»l»t, au« Kon Ntichsllklta. 14 — 210 — Vidivaricrn, Aisthiern, Lithauern/ Wenden oder Polen bewohnt sein würden, ob die daselbst herrschende Völker« schaft die hclltige Knltnr Herdorgerufen/ das Land zu dem gemacht haben wurde/ was es ist/ — das sind Fragen / die sich füglich nicht beantworten lassen. ?lber Eines wissen wir/ daß diese Landstriche nicht geschicktere/ zäher ausdauernde/ fleißigere Kolonisten erhalten tonnten als ihnen in der That zu Theil geworden sind. Was den heutigen Holländer/ das zeichnet auch die Bewohner unseres Wcichscldcltas aus. Eines Stammes mit ihnen / aus den Marschen Fricslands/ dem Nieder« sächsischen/ oder gar aus Flamland herkommend/ kauntcn sie nicht nur die Natur des Bodens/ welchen sie kulti« Viren sollten, seine Ertragsfähigkeit, seine »Dankbarkeit«/ sie brachten auch die dort gezogenen vortrefflichen Thicrracen/ die geeignetsten Ackerinstrumcnte, welche noch heutc hier vorherrschen/^) mit sich. Vor Allem aber besaßen sie die den batavisch-nicdcrfachsischen Bauer auszeichnende Sicherheit/ Stätigkeit und Konsequenz/ — welche von so Vielen für ein bloßes Phlegma gehalten wird/ — jene Uncrschrockcnheit/ Energie und Tapferkeit/ jene Zähigkeit/ welche die holländischen Dünen zum Stehen gebracht/ Sümpfe entwässert und Meere trocken gelegt hat. »Flämische nennt man einen etwas ungeschlachten Bnrschen noch heute in der Provinz Preußen/ womit man aber zugleich die Anertennung des Gcwich« tigen und Energischen verbindet. — 211 — Die meisten der Fremden, welche diese Niederungen besuchen, sehen in dem sichern, fast eigensinnigen Beharren, dem Mangel an Rührigkeit, der zur Verzweiflung bringenden Nuhe, der festgewurzelten, eineu entschiedenen Schwerpunkt behauptenden Haltung des Niedcrungers wohl gar den Ausdruck einer trägen Beschränktheit. Es kann keinen größcrn Irrthum geben. Der Niederunger ist träge wie das Wasser mancher seiner fast unergründlichen Flüsse. Jener über Steiuc hüpfende Bach verursacht unzweifelhaft ein größeres Ge-rausch, «im- M Hochsommer trocknet er vielleicht aus. Der Niederuuger ist auch schlau/ man sieht das bei icdem Handel/ selten wird er der Hintergangene sein. Seine Behäbigkeit, die Sicherheit des Besitzes, die Leichtigkeit des Erwerbes durch den Boden nehmen ihm die Energie eines in die Weite strebenden Begehrens. Das Erworbene genügt ihm. Darum ist er aber noch nicht träge. Er bildet darin ein wunderliches Scitcnstück zum Lazzaroni an der Chiaja. Jener arbeitet nicht, weil er Alles bcM/ dieser ruht, weil er Nichts braucht. In dem einen oder dem andern Falle von Faulheit zu sprechen ist ein Irrthum. Der Niederung« ist demokratisch und konservativ zugleich. Demokratisch in den» Sinne wie es auch der Nordalncrikaner ist. Nur dem Bestzcndcu und Vorzugs« weise denMrundbesiheru gesteht er die volle Gleichberechtigung zu. Daher die Mißachtung der bloßen »Arbeit«, 14" — 212 — Welche die neuern National-Oekonomen zu einer Gottheit machen möchten, mithin der Instlcute, Lohnarbeiter und Dienstboten/ ja selbst der Handwerker. Zu Hochzeiten und Begräbnissen werden allerdings auch die Letztcrn eingeladen, auch finden dieselben sich rechtzeitig ein, jedoch nur, um — die Gaste zu bedienen/ die Dienstboten würden dazu nicht würdig genug erscheinen. — Noch bis in die neueste Zeit duldete die Sitte nicht einmal, daß der Sohn eines »Hofbesitzers« mit der Tochter eines Handwerkers tanze. Der Grundbesitz ist nicht bloß an und für sich konser« vativ, er wird es da um so mehr sein, wo er von jeher frei war. Die von ihren Gutsherren gedrückten Bauern der »Höhe« mögen allenfalls ein demokratisches Element in sich tragen, weil sie einst gelitten haben und nur so« zial von der sie zwingenden Macht befreit, ihr aber noch immer zinspstichtig sind. Anders aber die Kölmer der Niederung (von der Kulmcr Handveste, dem Gesetzkodex des Ordens, so genannt). Nach der Eroberung durch den Orden kam es darauf an, ein wüst gelegenes Land zu bevölkern,- grosse natürliche Ncize lockten nicht/ jeder Ansiedler mußte auf Urbarung von Wäldern, auf feindliche Ueberfälle u. s. w. gefaßt sein. So konnte der Orden nicht umhin, politische und soziale Vortheile als Prämie anzubieten. Dem freien deutschen Bauer aus dem damals schon dicht bevölkerten Friesland ward deshalb ein gänzlich freies in ähnlichen __ 213 __ Niederungen liegendes Besitzthum eröffnet/ mitUeberftusi an gutem Boden/ der hörige Bauer wurde durch Annahme des Kreuzes ein freier Mann und bekam ein freies oder doch nur mild abhängiges Grundstück. Ganz anders in Livland, wo der Orden von der See anfing im Gefolge des .Handels und enge verbunden mit Niga und Rcval. Hier galt der Vcrtilgungskrieg nur den frühern Herren des Landes, mchrentheils finnischer Ab« kunft/ die Hauptmasse der Nation, die friedlichen längst unterjochten Letten, schlössen sich bald an die Deutschen und Christen an. Hier wurden deshalb als Kolonisten fast nur Nitter und Städter zugelassen, auf dem Lande herrschte der große Gütcrbesitz mit leibeigenen.Bauern dor. Eigentlich deutsch find nur der Adel und dcr Vürgerstand.^) Ein vorherrschender Charakterzug unseres Niedcruw gers ist wohl die Pietät. Dcr Landesherr hat keine treuern Unterthanen. Vorzüglich ist es aber dcr Geistliche, welcher den Mittelpunkt einer warmen Verehrung bildet. Sein fir.irtcs Einkommen, namentlich das dcr protestantische Geistlichen, ist nicht groß, wird aber mehr als verdoppelt durch die zahlreichen Geschenke, welche ihm zustieße». Bald sind es zu gewissen Zeiten sich wiederholende Grschmkc wie die sogenannten Ernte« fuder, bald außergewöhnliche Gaben. Sobald sic don einem Gaste des Pfarrers hören, versorgen sie aufs Weichlichste die Küche desselben. Kein Fest kann begangen — 214 — werden/ ohne daft der Pfarrer bei demselben nicht den Ehrenplatz hätte/ kein Thier wird geschlachtet/ ohne daß ihr Seelsorger sich nicht eines übersandten Bratens erfreute. Darum ist aber der Geistliche in der That noch ein Sctlenhirt/ kein bloßer rcgistrirendcr Cidilstands-Beamter/ seine Achtung ist eben so groß wie sein Einfluß. Die Familie hängt mit außerordentlicher Hingebung uud Innigkeit an einander. Darauf deutet schon der Ausdruck »Hausgesindc» hiu/ welcher die Familie mit Ausschluß der Dienstboten bezeichnet. Aber auch weiter wird die Verwandtschaft bis zu den entferntesten Graden festgehalten und unter dem allgemeinen Begriffe von FNichtcnschaft<> zusammengefaßt. ^Wi sonn Nichte tohoop« — wir sind Nichten zusammen — ist eine häufig wiederkehrende Redensart/ welche diese entfernte nicht mehr nach Graden zu bestimmende Verwandtschaft eben so bei Frauen wie bei Männern bedeutet. Mehr noch als das innige Familienleben zcugt wohl die Naivität und Ungenirthcit im Umgänge der jungen ^rute für eine große 3iciuhcit und Unvcrdorbe»heit der Sitten. Vor Jahren schon erfuhr ich ciumal von einem PostHalter in Graubüuden etwas über die dortigen »Maiseffen^ / bei denen junge Männer und Mädchen beim Beginn des Sommers anf eine Alpe ziehen/ dort den Tag mit Spielen und Tanzen hinbringen und Abends nach Hause zurückkehren. Achnlich ist es auch hier in der nordischen Niederung. Sehr oft geben sich — 215 — die juugen Leute Gesellschaften/ bei denen nur das eine Gesetz waltet, das; keiner der Aeltern daran Theil neh« mcn dürfe. Wo aber solche gemischte Gesellschaften von ^ Alten ^ und »Jungen« stattfinden, da ziehen sich die Jungen bald in ein besonderes Zimmer, meist auf den Boden, zurück, um ungestört daselbst zu tafeln, zu scher« zen und zu tanze». Der »Kuß in Ehren« ist hier noch eme liebenswürdige Thatsache, gerade so wie ich in dem Gasthausc zur Sonne beim Nigi-Klosterli vor einigen Jahren noch die Pfänderspiele mit ihrem )> Schinken-schneiden« und »breiten Steine» in vollster Naivität spielen sah und mitspielte. Von außerordentlichem Interesse ist das Ccremoniell bei Verlobungen. Wenn das »Schinkenschneiden« zu einer >.'ernstlichen^ Neigung geführt hat, von dem Hause bes Bräutigams auch eine leise Andeutung zu dem Hause der Braut gekommen und hier nicht zurückgewiesen ist, !o sattelt an einem — uicht schöne» Morgen, sondern an einem — Diens« oder Donnerstage (womit euphemistisch glrich das ganze künftige Schicksal des Ehemanns angedeutet zu seiu scheint) der Knecht einen Hengst (auch hieriu giebt es keine Wahl). Der Herr in seinem besten Rocke besteigt dcuselbeu und reitet zu dem Hause der Braut. Dort empfängt ihn Niemand/ er selber bindet das Pferd an, tntt hinein und wird weder, wenn er sich entfernen will, zum längern Verweilen genöthigt, noch erhält er — was sonst sofort geschehn würde — — 216 — Speise und Trank. Nach kurzem Zwiegespräch empfiehlt er sich/ Niemand begleitet ihn über die Schwelle. — Acht Tage später (wiederum an einem Diens- oder Don-ncrstage — es muh nämlich ein sogenannter »Flcisch-tag« sein) reitet er nochmals vor Liebchens Haus. Nun wird er empfangen, stin Pferd in den Stall geführt und dort gefüttert/ er selber bleibt bis zum Abende und wird trefflich bewirthet. Hiemit ist er in den Schooß der Familie aufgenommen. Wenige Tage darauf findet die Verlobung Statt, zu welcher der Bräutigam jetzt mit dem schönsten Wagen / den prächtigsten Pferden, neuem Geschirr und in besten Kleidern kommt. Nun machen die Verlobten in eben diesem Wagen ihre Visiten. Vald folgt auch die Hochzeit. Noch einmal thront der Ehehcrr in aller Majestät und Schönheit, dann werden Kleider, Geschirr, Kutscher-Livree in den Schrank gehängt und der. Herr lenkt fortan — die Nossc selber. Mit mathe« matischcr Genauigkeit wickeln sich diese Ereignisse ab. Den Sonntag nach der Verlobung findet das erste Auf» gebot, drei Wochen später — wieder an einem Dicns-oder Donnerstage — die Hochzeit Statt, den Sonntag darauf aber die »Nachhochzeit«. Fleischtag, Hengst, Livree — Alles ist vorgeschrieben. Zur Hochzeit ergeht eine kurrcndcnartigc Einladung, welche der »Umbitter« in cincm Futteral von buntem Papier trägt, während bei Begräbnissen 6") dieses Futteral von schwarzer Farbe ist. Unerhört wäre es, an diesen Gebräuchen zu rütteln. — 217 — Der Unglückliche würde behandelt werden wie ein Nuch-loser, welcher bei einem Eisgänge den Damm durch' stechen wollte. Wer zweifelt noch an dem konservativen Geiste dieser Niedcrnngcr! Berüchtigt ist auch ihr Luxus. Die schwersten und kostbarsten Seidenstoffe sind hier bei Festen ganz gewöhnlich. ^) Zn einer Hochzeit wnrdm die bestellten Kuchen aus Danzig mit einem vierspännigen Wagen abgeholt und an Wein sechshundert Flaschen getrunken. ^") Ein Hofbesitzer (in neuerer Zeit neimcn sie sich gern Gutsbesitzer) hatte drei Töchter. Die älteste der-selben wurde auf ein halbes Jahr nach Danzig geschickt, um die höhere Aus« und Einbildung zu erlangen, und brachte auch — als Süudcnbock für ihre Studien — einen neuen Flügel in das ältcrliche Haus zurück. Nun verlangten die beiden jünger« Schwestern aber nach einem gleichen »Spielzeug«, und da es die Mutter wollte/ so mußte der Vater richtig noch zwei Instrumente, zu vier-hund'ert Thaler das Stück/ kaufen. Leider hatte man aber die Lokalitäten nicht genug berücksichtigt/ die beiden Flügel mußten auf den Speicher wandern und stehn so lange da bis die Töchter sich dcrhcirathen werden. In frühern Zeiten mochte es fast noch ärger sein. Ein Bauer in Nickelswalde auf der Danziger Nehrung bewirthete einst den deutschen Hochmeister mit dessen Ge-folge und bot ihnen statt der Stühle Bänke an, deren — 218 — Stützen aus Tonnen bestanden. Die Gäste waren nach beendigtem Mahle nicht wenig erstaunt/ elf davon voll« ständig nnd eine zur Hälfte mit Geld gefüllt zu sehen. Der Hochmeister schenkte dem Vancr dic fehlende Hälfte, um sagen zu können, er habe Bauern, welche eine Last Geldes besäßen. Berüchtigt wegen ihres Ucbermuthes waren die Bewohner von Grosi- und iilcin-^ichtenau, von denen erzählt wird, daß sie ums Jahr 14l10 einen trunkenen Mönch in einen Sack gesteckt und in den Rauchfang gehängt hätten, »bis er Eier legen würde«. Einen ftil' gernden Iakobsbruder, der sie wegeu ihrer Hartherzigkeit schalt, sollen sie theils aus Muthwillen, theils aus Fahrlässigkeit an einem Bratspieße verbrannt, und eineil Kesselflicker drei Tage lang in ein gefallenes Pferd ge< näht haben. Ihren Geistlichen forderten sie auf, einer San die letzte Oclnng zu gcbrn, und den Haustomthur von Neutcich nagelten sie einmal mit dem Barte an die Thüre.'") Nock andere pikante Züge von dem Uebcrmutlsc der »Werderschen« aus dem siebcnzehuten Jahrhundert erzählt Hartwich."") Ein »Schandmaul >> antwortet sei' nem Seelsorger, welcher ihn zur Buße ermähnt: 'Mein lieber Herr, ich frag den Teufel nacb der Buße.« — Wer nicht ganze »Halben« und »Stöfe« auf einmal anssaufen kann, der ist ein Schurkcnbancr, der muh hinter der Thür sitzen bleiben. — »Wir haben«/ —- — 2l9 — schreibt Herr Walther Magirus, Prediger in Wcrners-hof, — ^auch solche ungeschliffene Nültzcn in diesem großen Marjenburgischcn Werder, die der Teufel also eingenommen, daft sic lmgcschcut sagen dürfen: Wer einmal todt ist/ der wird wohl todt bleiben und nicht wieder aufersteh!!.« — Mordthaten sind an der Tagesord« nnng, gerade wie in der allernensten Ieit/ auch kommen vielfache Brandstiftungen oor, wofür die Thäter zu Tode ^geschmäuchet« werden. — Höchst charakteristisch ist folgende Anekdote. Anno 165? will ein geiziger Mann zu Vlumenstein seinen Weizen verkaufen/ und da er nicht so diel erhält als er wohl verhosst hat/ geht er auf den Söller - und crhenkt sich. Heinel erzählt/'") eine weitläufige Verwandtin habe "w Anfange dieses Jahrhunderts seine Mutter einmal um 3tath gefragt/ welches Silbcrgeräth sie sich wohl noch anschaffen könne/ da sie bereits Kaffee-/ Thee- nnd Tischgeschirr aus Silber besäße, i" Mst die Verzierungen ihrcs Wagens und der Pferdegeschirre aus diesem edlen Metalle beständen. Als die Gefragte keine Antwort zn geben wußte/ ging sie hin und bestellte sich silberne — Spucknäftfe. Die Franzosm wnßten sich im Jahre 1^06 dieser Schätze mit großein Geschick zu bemächtigen,' namentlich richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf die stark vergoldeten Wetterfahnen, welche auf den .«.^,öfen« der rei' chen Besitzer prangten. — 220 — Zum Schlüsse dieses Abschnittes mögen noch einige besondere Ausdrücke und Redensarten, welche in der Niederung gebräuchlich/ Platz finden. ") Die Asche vom Strohfeucr — man brennt nämlich vorzugsweise Stroh, Schilf und Dünger, auch wohl Torf, welcher oft in weiter Tieft, wie z. B. beim Gra» ben des Weichsel-Haff-Kanals, gefunden ist — heißt Acsel/ sie giebt eine vortreffliche Lauge. Der Küchen» junge, welcher die Strohbündclchcn einzeln ins Feuer zu werfen hat, wird Paserjunge genannt. Der erste Knecht in einem Hofe ist der Knecht — der zweite heißt Futtcrrock. ^Schiffen — zu Markte fahren, auch wenn es mit Wagen geschieht. Ursprünglich mochte dieses allerdings nur zu Wasser geschehn sein. — An das Holländische erinnern viele Ausdrücke ein trecken, — ziehen/ daher Trecktopp — Theekanne. Anch die Sitte der Frauen und Mädchen zu Markte — selbst zur Kirche — auf Schlittschuhen zu kommen, ist ganz hol« ländisch. — Kest, Kesting (wahrscheinlich von Kost) bedeutet ein Fest/ daher! Schwcmckest, Nindkest (das Fest beim Schlachten von Schweinen oder Rindern)/ Fenstcrkcst (das Fest zur Einweihung eines neuen Hauses). 'Kindclbier — Kindtaufsschmaus. Machandel — Wachholderbranntwein (holländisch Gcncver, englisch ^in)/ er wird oft mit Zucker versüßt getrunken und dann in einem Glase mit einem Stückchen zum Umrühren vor» gesetzt. Daher fordert man: »Machandel mit dem — 221 — Knüppel bräuchlich ist, von dem lateinischen oampu» herkommt, ist sehr fraglich. Vci der Mündung der Elbinger Weichsel giebt es folgende Namen von Kämpen: Steerbndm-(Störbudm), Ncukricgcrs-, Groschkcn-, Nothdurst-, — 222 — Laschten», Horn«, Heckers«, Schweinkampe. Eine heißt Abgunst. Die Kanäle zwischen diesen Kämpen heißen Rinnen (Rönnen)/ z. V. Seehunds-, Stintrinnc. — Vorflnthen, Laatcn (Lachen) werden die Abflüsse der Niederungen genannt/ so heißt die kleine Schwcnte anfangs Scclaake. -- Unter Schnecken versteht man Windmühlen zum Abmahlen, Ausschöpfen des Wassers, bei welchem dasselbe durch eine Schraube (Schnecke) her» ausgeschafft wird. Hn neuerer Zeit bcimiM manche Kommunen dazu Dampfmaschinen. Diese Windmühlen bestimmen nächst den Weiden ganz besonders den Cha» rakter der Niederung, gerade so wie in Holland. Während sonst Alles unsäglich still, monoton und leblos daliegt, kein murmelnder Vach die tiefc Ruhe unterbricht, refträsentircn diese vom Winde gedrehten Flügel das Leben, die Bewegung. Für den denkenden Menschen ist nichts interessanter, als die Uebereinstimmung der menschlichen Sitten und Einrichtungen unter den verschiedensten Himmelsstrichen, und gerade je einfachere Verhältnisse sie betreffen, um so wunderbarer ist es doch eigentlich. Nie in Rom auf der pia^u iliaiitHiiur», sich die Sabincr und Volskcr an den Sonnagm für die ganze Woche zu Feldarbeiten verdingen, so findet in Marienbnrg jeden Mittwoch und Sonnabend/ namentlich während der Erntezeit, ein »Menschenmarkt'< Statt. Alls fernen Gegenden, bis ans Masnrcn kommen dazu die polnisch redenden Arbei- __ 22I __ ter mit Weib und Kind, ihre geringen Habseligkeitcn mit sich führend/ ein Theil oon ihnen verdingt sich zu den Feld-, cin anderer zu den Eisenbahn- und Dcich-arbeiten. So fand ich auch die in der Nomagna gebräuchlichen gewöhnlichen Sftazicrwagcn ganz so eingerichtet wie dic »Kastenwagen5 in unserer Niederung/ und als ich einst am Comersee bei Varenna eine Frau mit ihrem Kinde sitzen sah/ welche zusammen aus einem Schälchcn Polenta (gekochten Maisbrei) mit kalter Milch aßen, mußte ich lächelnd jener gewöhnlichen Speise des Niederungcr Arbeiters gedenken/ der gleichfalls den gekochten Grüjzbrei wit Milch genießt. Denn mögt ihr sagen was ihr wollt/ lUcht i„ dem Außergewöhnlichen, dem Sonderbaren/ nicht in dem Großen, nein in der Uebereinstimmung/ in dem Parallelismns, in dem was sich von selbst versteht/ woran >vir täglich vorübergehen, liegt das Tiefste verborgen. Wir müssen nur das Auge dafür haben. Der Kamps um die Montauer spitze. ^ üüil uft schon wiederholt sich's! Wkd sich immerfort * In^l Ew'ge wiedcvhlllcn .., . Out hi, Faust. Ich habe einen alten Onkel, einen etwas eigcnsinni» gen Gutsbesitzer, der grenzt mit seincr Wiese an die eines andern, eben so eigensinnigen Besitzers. Die Grenze bildet don Alters her ein munteres Mühlenflüßchen, wel< ches sich ins frische Haff ergießt. Mit einem Male --es war gerade im März in der Schnecschmelzc — fiel es diesem Flüßchm ein, sich einen Weg durch das Territorium meines Onkels zu bahnen. Der half ein wenig mit dem Spaten, nach, in Folge dessen das alte Flußbett versandete, und freute sich über den Alleinbesitz des ^ Wßchens, welches viel Sand mit sich führte und in wenigen Jahren eine prächtige Alluvion schuf. Nun regte sich aber der Neid und Aerger bei dem Nachbar, dem diese Alluvion verloren ging/ er reinigte das Grenzfluß« bett und lenkte die Wasser in die alte Bahn. Mein Onkel zog nun aber ein Dämmchcn gegen dieses ältere ^. 225 __ Vett/ — Jener räumte es fort,- — cs entwickelte sich ein Prozeß, der bis zum Obcrtribunal ging, — was die Leute »an dm König gehn« nennen/ mein Onkel verlor in letzter Instanz, nachdem er in zweiter ge-Wonnen, mnßte über hundert Thaler^Aosteu bezahlen — weit der Streitgegenstand, obwohl nnr wenige, Silber-groschcn werth, anf mehrere hnndcrt Thaler ange« gcbetl war — und hat den Aerger obendrein, zu sehn/ wie die Wiese des Nachbars sich von Jahr zn Jahr M-^ grWrt. .- ^^ ^ »Was dieser Streit mit dem Kampfe um die Mon-taucr Spitze zu thun hat?« Er ist seine Parodie. In der Geschichte der Weichsel stellt die Nogat jene Schmarotzerpflanze dar, jenen Epheu, der einen kräftigen Baum umrankt, überwuchert', tödtet. Bis zur Mitte des scchszchutcu Jahrhunderts bil» dete die Weichsel, was sie von^eher gewesen, den Haupt« ström, der sich belm Danzigcr Haupte in die bekannten bcidm Arme theilte. Bei der Montaner Spitze sonderte sich nur ein kkincr Thewder Wasser, verglichen mildem Hauptftussc, eh, Mmtzc>Arm von.vler Ruthen Breite und vier Fuß.Tich - die Nogat — ab, um Marien« bürg vorbeizufließen und theils kurz vor Elbing in dem Elbingftuft, thrils geradezu iu dem frischen Haff zu mim« den.n) Die Danziger hatten noch dazu im Jahre 1506 heimlich und zur Nachtzeit die Montaner Spitze durch. — 226 — stechen lassen und daher Ueberstuß au Wassers) Sec< schiffe gingen weit stromaufwärts. Aber die Marienburger und Elbinger beneideten jene um ihren Ncichthum. Sie wußten es bei dcm polnischen Hofe auch dahin zu bringen/ daß ihnen die Durchstechung einer Insel (Kamfte) / welche den stärkern Abfluß der Wasser in die Nogat hinderte/ zugestanden wurde. Danzig vrotestirte sofort/ worauf der König verfügte/ daß erst eine Kommission an Ort und Stelle eine Untersuchung anstellen / bis dahin aber die Durchstcchung ruhen solle. Trotz dieses Befehles nahm der Kulmer Woywod Kostka die Arbeit vor. Durch Weib» liche Dienstboten — woher der Kanal auch der Mägdegraben heißt — ließ er die Kämpe durchstechen und leitete so einen größern Theil der Wasser in die Nogat. In wenigen Jahren verminderte sich das Fahrwasser in der Weichsel um die Hälfte. Dieses geschah im Jahre 1554,^) genau einhundert Jahre nach dcm Abfalle DanzigZ vom Orden, unter dessen Herrschaft es seine Blüthe gehabt hatte und nunmehr verlieren sollte. Denn die polnischen Großen, von Neid gegen die mächtige Hansestadt erfüllt, wollten deren Macht durch Hebung Elbings auf jede Weise untergraben. »Es erweiterte sich der Mägdegraben durch die Ge-> walt des Stromes immer mehr. Seine Breite war von vier bis auf sechszehn Ruthen, seine Tiefe von vier bis auf vierzehn Fuß gewachsen / und fast die ganze Wassermenge des Flusses ging durch diesen Graben in die No- __, 2^? _- gat. Das Danzigcr Fahrwasser hatte schon vier Ellen von seiner Tiefe verloren und schien allmä'hlig ganz zu versanden. Darum wurde 1581 schr ernstlich von dem Nathe auf die Zuschüttung des Grabens gedrungen. Aber drei Jahre lang mußte man diese Bcschwcrdcfüh-rung wiederholen, ehe es dahin kam, daß eine Kommission ernannt wurde, die das Uebel an Ort und Stelle untersuchen und sodann ein Gutachten einreichen sollte. Dieses Gutachten ging darauf hinaus, daß der Graben zwar bleiben könne, aber auf seine anfängliche Breite zurück' gebracht werden müsse und daß die Danziger durch ein den Strom abstoßendes Vollwerk oder »Haupt«, zu dessen Errichtung Elbing die Hälfte des Kostenbetrages zahlen sollte, sich den größcrn Theil der Wassermasse zuführen möchten. Beide Städte waren mit dieser Entscheidung nicht zufrieden, und da alles Protcstiren nicht fruchtete, sah sich Danzig endlich genöthigt, jenes Haupt schlagen zu lassen, drang aber lange vergebens auf die Zahlung des Beitrages, den Elbing zu geben hatte. «N) Indessen wollten auch diese Maaßregeln wenig be« deuten. Die Hauptmasse des Stromes stoß nach wie vor in die Nogat. Die Dämme derselben waren aber auf einen großen Wasserdruck nicht eingerichtet. Als dieselben nun im Jahre 1611 dem Andränge wichen und die Elbmgcr Niederung überschwemmt wurde, erhoben nicht bloß Elbing, sondern auch mehrere der davon betroffenen 15 * — 228 — Städte laute Klage. ^) Königliche Kommissarien konsta-tirten die Schädlichkeit des Kanales und bestimmten die Größe der von den einzelnen Städten Behufs dessen Ver» cngung zu entrichtenden Summen. Da aber die kleinern Städte ihre Beihülfe verweigerten, schritten Danzig und Elbing gemcinfchaftlich zur Ausführung, verengten den Graben und schlugen der Montaner Spitze gegenüber/ auf dem rechten Ufer der Weichsel am weißen Berge ein Haupt, wodurch die Wassermassc wieder mehr in die Weichsel getrieben wurde. Auch die von links einströ-mende Borau wurde durch ein ähnliches Zaupt gezwun» gen/ in der Weichsel zu verbleiben. So entstand die Montaner Spitze mit ihrem Königspfahl."") Die Reihe zu klagen war nun an Elbing/ denn es drohte nunmehr die Nogat zu versanden. Aber auch die Weichsel blieb so versandet, daß um 1623 der Rath von Danzig verordnete/ die Schiffe sollten den eingebrachten Ballast in dem Putziger Wyk auswerfen/") Nach vielfachen Streitigkeiten/ die weder zu Gunsten des Einen noch des Andern ein bedeutendes Resultat erzielten, stellte sich am Ende des achtzehnten Iahrhun-derts, namentlich seitdem Friedrich der Große als Vo sitzcr Westftreußens die frei gebliebene Hansestadt auf alle nur denkbare Weise einengte und bcnachtheiligte/ der Vortheil ganz auf Seiten Elbings. So blieb es bis zum Jahre 1850.^) Seitdem ist durch zwei hinter einan- — 229 — der geschüttete wasserfreie Damme die Nogat vollständig abgedämmt (technisch: couftirt), unterhalb der Montaner Sftihe bei Pwkel dnrch die Halbinsel ein Kanal gegraben und dieser mittelst einer Schlense verschlossen/ wodurch der Wasscrstand in der Nogat regnlirt wrrdell kann.^) Da-durch ist aber nnnmehr Danzig so entschieden bevorzugt worden, daß Maricnburg nnd Elbing dieZeitnngen mit ihren Klagen über die vollständige Versandung der Nogat nnd den 3tnin ihres Handels füllen. Danzig dagegen, als gegenwärtiges enkant Fate, hat nicht nur den gan» zcn Wasserrcichthum in seinen Wcichselarm erhalten, es ist dnrch den Dünenbruch bei Ncufähr und die Anlegung der Plöncndorfcr Schleuse auch von allen wcchscloollcn Versandullgen seines Hafens befreit/ und — um ihm alle Vortheile zuzuwenden, — die Elbingcr Weichsel, welche sonst mit einer reichlichen Wasscrmmgc ins Haff floß, ist gegenwärtig zlvar nicht abgedämmt, aber in Folge des Dünenbruches und dcr dadurch verursachten Vertiefung des Weichsclbettcs so versandet, daß man im Sommer zuweilen trockenes Fußes durch ihr Flußbett gehen kann. So ist denn dcr Jahrhundert' alte Streit endlich zum Vortheile Danzigs entschieden und Elbing unter« legen. ^) — Ich muß an meinen Onkel denken. — Zwar hörten die Elbingcr Kanflcute mit eiuer gewissen Schadenfreude, daß dcr Kanal bci Piükel im Jahre 1855 sehr gelitten habe und sich laum werde wiederherstellen — 230 — lassen/ zwar hofften sie auf cinm neuen Wasserrcichthum der Nogat, aber Alles umsonst. Sie haben, wie der gemeine Mann von Prozessen sagt, — »verspielt«, und unter dem Erkenntnisse steht: F Von Rechts wegen. « von Elding nach Dansig. *) Das Land ist noch nicht da, Im Meere liegt es breit. GüN)t, Faust. Elbing stand in frühern Jahren mit der Danziger Weichsel durch die Elbinger Weichsel in Verbindung/ es gab keine naturgemäßere Wasserstraße zwischen dieser Stadt und Danzig. Auf ihr fuhr wahrscheinlich der See» fahrcr Wulfstan ins frische Hass/ um zu dcm Handclsorte Truso zu gelangen/^) eben denselben Weg schlug die Danziger Flotte ein, als sie im Kriege mit Stephan Bathori Elding züchtigte. Seitdem aber die Elbinger Weichsel so gut wie versandet ist, bildet die nächste Verbind ungsstraße ein Kanal, welcher oon Nothebude, ein wenig oberhalb des Danziger Hauptes über Barenhof, Platenhof, Tiegenhagen nach Grenzdorf führt und daselbst *) Es wäre nalnlssemäßer gewesen, wenn ich dm Leser von Danzig nach Elbizig gcflihrt !Mte. (58 ist deshalb nicht geschehn, weil ich selber ben Wcissenvea, nur in der umgctchltc» Nichtmig eingcschlliaM habe, und weil sonst der UclieraMg aus dcm »Flüssigen ins Starre" nicht möglich gewesen sein würde. Man gestatte also den plötzlichen Sprung nach Elbing. — 232 — im Hass mündet. Von dort geht der Wasserweg wie in alten Zeiten über das Haff zn der Mündung des Elbing-flusscs, an welchem eine Meile weiter Elbing liegt. Diese Fahrt/ die wir ^ nur umgekehrt — sogleich machen wollen, gestattet uns einen tiefen Blick in sonst don dem großen Fremdenzuge nicht berührte Gegenden. Wir gcstehn uns/ Aehnlichcs nicht erblickt/ so wunderbare Bildungen niemals geahnt zn haben. Es ist eine »nenc Welt«, welche uns hier erscheint nnd unser höchstes Interesse beansprucht. Erst seit der Mitte des Sommers 1856 befährt ein lang und schmal gebautes Damftfboot, welches von einem einzigen, hinter dem Stcnerrudcr angebrachten Nadc in Bewegung gesetzt wird, — den oben erwähnten Weichsel'Hass'Kanal. Wir befinden uns, sobald wir die Stadt verlassen haben, ganz don den Erscheinungen der eigentlichen Niederung umgeben. Dämme lanfcn neben dem Flnsse, auf welchen die Schisse ^getreidelte, das heißt von Menschen oder Pferden gezogen werden. Dahinter erstrecken sich unabsehbar die grünen, mit Wcidmbäumen eingefaßten Vierecke, nur selten don einem mit Gerste oder Hafer bestellten Stücke Acker unterbrochen/ denn hier wo die Wasser von der Nogat her abfließen, um don der Thiene nnd dem Elbing aufgenommen zu werden, hat die Niederung ganz jenen Wiescncharakter, der sie vorzugsweise zur Viehzucht geeignet macht. Ncchts aber zieht sich die malerische Hügelkette der »Höhe« hin und begleitet uns bis zum Haff. — 233 — Zahlreiche Bagger schöpfen mit durchlöcherten Eimern den Schlamm/ die nachgespülte Erde alls dcr Tiefe des Flußbettes und schütten sie in große Prahme hinein. Wir fahren an ihnen jedesmal langsam vorüber/ um die bcladenen Prahme nicht zn versenken. Es währt nicht lange/ so gewahren wir rechts zwischen der Mole und dem .Höhenzuge ein sonderbares Sumpf«, Nohr> und Binsenterrain. Es ist der sogenannte »Ost« Winkel >>/ von dem schon so viel geschrieben nnd welcher noch immer nicht trocken gelegt ist. Wenn man bedenkt/ mit welch vcrhältnißmäßig geringen Kosten/ mit welch sicherer Gewähr des Gelingens und des Nutzens diese Entwässerung auszuführen geht/ wenn man das großartige Resultat mit den Kosten vergleicht/ so begreift man nicht, weshalb noch immer mit der Ansführung dieses Projektes gezögert wird. Ich dachte, was wohl die Hol« lander zu diesem Osthass, was zu dem Sasper See bei Neufahrwasser und dem Drausensee sagen würde»/ wenn ihnen dirsc vielversprechenden Gewässer gehörten. Viele hundert Hufen des herrlichsten Marschlandes harren noch der Auferstehung aus ihrem Wassergrabe/ die Phantasie sieht in diesen öden Binsenstreckm bereits einen neuen Garten für die Kultur und erschrickt/ wenn sie gegenwärtig nichts erschaut als ein günstiges — Iagdtcrram. Nach einer Weile fahren wir in das Haff"") hin-ans und nähern uns rechts der schönen Küstenhöhe mit der ^altwasser-Heilanstalt Neimannsfcldc. Wir erkennen/ — 234 — wie die Wasser früher an diesen Ufern genagt und die Berge verändert haben / welche wie mit einem Messer durchschnitten scheinen. Wahrscheinlich leckten die Wellen des Meeres hier hinan / als die frische Nehrung noch nicht einen Damm zwischen Hass und See gesetzt hatte. Jetzt nimmt die Versandung und Versumpfung in dem Grade zu, daß wir in einem bestimmten/ durch Tonnen bezeichneten Fahrwasser, und in einem weiten Bogen nm die vielen Mündungen der Nogat zu fahren gezwnngen sind. Nordwärts erscheint die halbbcwaldetc Nehrung/ einzelne Bäume ragen wie Palmen auf. Weiter nordöstlich glänzen als weiße Wölkchen die Dünen. Nach einer langen Fahrt nähern wir uns in südwestlicher Nichtung dem Ufer, etwa in der Mitte zwischen dcm Mündungssystcm der Elbingcr Weichsel und dem der Nogat. Wasserpflanzen tauchen aus den gelblichen Wellen auf/ dann Binsen, einzeln und bald auch in grösicrn Massen. Es entwickelt sich ein ganzes Binsenfcld/ in welchem ein Fahrwasser durch Ausbaggern geschaffen ist. Allmählig mischt sich mit den Binsen Rohr und Schilf. Das zur Seite des Dampfbootcs aufrauschende Wasser scheint sich wie an einem Lande zu brechen/ die Pflanzungen werden dichter/ wir sehen zum erstenmale einen schlam» migcn Boden aus dcm Nasser auftauchen. Nun er« blicken wir weiter wirkliches mit Gras und Schilf bewachsenes »Vorland«/ es kommen die Hassdämme, welche vor dem rückstaucnden Wasser schützen/ wir fahren zwischen. — 235 — ihnen in tincm wirtlichen Kanäle. Jetzt treten Häuser auf und ihr unzertrennlicher Begleiter — die graue Weide/ dann kommen einzelne Erlen, Eschen/ es breitet sich eine Wiese vor unserem Auge aus/ bald darauf auch ein Stückchen mit Gerste bestelltes Land. All einem Hause sehn wir verwundert eine Tanne / den Stolz ihres Besitzers/ hier so fremdartig wie eine Palme auf Island. Dann kommt ein Blumengärtchen, und an der grauen .Holzwand rankt gar die Rebe und wiegt sich im Winde. Wie sonderbar dieses Nacheinander, diese Reihenfolge der Kulturstufen und Vcgctationsgruftften auf uns wirkt, ist nicht zu sagen. Von der öden Wasscrwüste werden wir in weniger als einer halben Stunde bis zu der Nebenwand geführt. — Wenn wir l,wn den Schnee' feldern der Alpen hcrabstcigcn und durch die Vegetations-stnfen der Flechten, der Nadel - und Laubbäumc zu den Matten des Thales, zu den Wallnußbämnen und dem Wcinstock gelangen/ wenn wir — wie am Comersce — den Duft der Myrthcn, des Buchsbaumcs und der Orangen trunken cinathmcn, dann gedenken wir der ent-fcrntern nördlichen Länder, in denen eine jede der durch« schrittcnen Stufen als die Negel, als Charaktcrform auftritt/ wir wissen, daß es der belebende Einsinß der Wärme/ der erstarrende der Kälte ist, was diese Ver-schiedenheiten hcrdorruft. Abcr hier im Norde»/ bei einem ebenen Lande, wo es kein Herabstcigcn giebt/ etwas Aehnliches zu erfahren, das ist uns ^neu und von dem außerordentlichsten Interesse. Wir erkennen staunend/ daft cs solche Ucbcrgangsformcn überall giebt, wo cm crtödtendes Prinzip vorwaltet. Dort war es die Kä lte und hier das Wasser. Wir fragen/ ob vielleicht auch die Wärme in ihrem Ilcbcrmaaßc und die Trocken« he it solche Resultate hervorbringen können, und gedenken nicht uur des brennenden Wüstensandes, sondern auch jener Salz steppen, in dcncn cm neues crtödtcndes Element auftritt. Die Wohnhäuser au den Ufern der »Rinnen« stehn uicht blos; auf einer Erderhöhung, sondern meist zugleich auf einem hohen Fundamente von Steinen (die von dem Strande in der Nähe des Städtchens Tvlkcmitt hierher geschafft werden) und sehen uns mit ihren hellen Spiegelscheiben wie befreundet an. Es lierrscht in ihnen ein Geist der Sauberkeit, eine Gepuhtheit wie in Holland. — Die Wirtschaftsgebäude ruhen dagegen meist auf Pfählen (Zanken), weil eine Erdschüttung unendlich kostspieliger sein würde/ nichts ist hier theurer als die Erde. Bei deu änmrn Leuten, welche Wohnhaus und Scheune oder Stall »unter einem Daches haben, steht nur das erstere auf einer Erdcrhöhung, die wirthschaftliche Hälfte aber auf Zanken."') Die Gicbel der Gebäude werden von einem System vielfach mit einander verbundener Ständer und Querric« gel gebildet, dcreu Zwischcnräumc mit Ziegeln vermauert — 237 — sind. Oft zeigt dieses Holzwerk vielgewundene Gestaltungen, welche ficb bedeutend aus der Gesammt< fläche herausheben, da das Holz stets mit einer andern Farbe getüncht wird als das Mauerwerk. Hier ist die Gelegenheit zur Anwendung kontrastirendcr Farben Meben. An der Vorderfrontc haben die Häuser meist eine sogenannte Vorlaube, eigentlich ein zweites Gebäude am Hauptgebäude darstellend, mit diesem am Dache unmittelbar verbunden und bis zur Höhe des Daches auf Pfeilern (Standern) rnhend. Bei Neichen nimmt der Naum zwischen letztern mehr die Form eines luxnriösrn Beischlags ein, bei Aermcrn dient er als eine Art von Schauer, iu welchem Holzvorräthe, Gcräthschaften oder Wagen untergebracht werde». Ueber der Hausthür mancher dieser »Höfe« bemer» kcn wir die sonderbaren Figuren der diesen Gegenden eigenthümlichen Hofmarken. ^) ^ Das Land stellt ein Mittelding zwischen Wasser und Erde dar. Bald sehn wir cin Viereck von einem Kanäle umgeben, bald cin Sumpftcrrain mit Schilf bewachsen, bald ein Wasscrbassin. Hier gilt es nicht bloß, das Land dem Wasser abzugewinnen, etwa bloß mit Kanälen zu umziehen und vor Ucbcrschwemmungen zu schützen) hier muß der Boden selber erst geschaffen werden. Wir sehen cin Stück Wasser mit einem Crdwallc umgeben, zu welchem die Erde von dem Baggerprahmen gcuommen — 238 — ist. Nun wird der Inhalt eines andern Prahmes über diesen Wall in das Wasser geschüttet, wodurch eiu Nanm kaum fußbreit gewonnen wird, und so weiter und weiter, bis endlich der ganze Platz beschüttet nud die Höhe des umgebenden Walles erreicht ist. Wohl erscheint sie uns mühsam/ diese Arbeit/ aber wir erstauuen über die nicht zu ermüdende Thätigkeit dieser Bewohner, die Zähigkeit ihres Geistes/ mit der sie das einmal Begonnene vollenden/ wir begreifen die Liebe zu diesem Boden, den sie nicht überkommen, sondern erst aus dem Wasser geschöpft haben. Wir lieben ja schon einen Baum, den wir in der Jugend pflanzten, mehr als die schönsten, welche aber eine fremde Hand pflegte/ wie viel tiefer erst muß die Liebe zu dem Boden sein, der nicht uns, sondern den wir erzeugten. Die Griechen sprechen von erdgeborenen Menschen/ hier scheu wir eine menschen-geborene Erde. Weiter in das Land hinein verliert die Niederung das ungemcine Interesse. Wir finden uns bald auf bekanntem Boden. Es beginnt der Ackerbau/ prächtige Viehheerden weiden auf den üppigen Grasplätzen/ ein erstickender Wohlstand spricht aus jedem Gegenstände. »Ei was Bildung! Ich habe die Bildung in der Tasche! « — hörte ich einen Niederungcr auf dem Dampf-bootc äußern. Und ein Anderer, mit dem ich von den Ueberschwemmungen sprach, sagte: »Lieber hier ertrinken — 239 — als auf der Höhe verhungern!« — Mir siel Göthe's Wort bei: Traue nicht dem Wasserboden, Halt auf deiner Hühe Stand. Im Uebrigen darf ich diesen beiden Neben wohl nichts weiter hinzufügen. Zum Kanalbau hat man einzelne Theile der sich Vielfach schlangelnden Tiege, spater auch der Linau^) benutzt. Bei Platcnhof passiren wir die erste, spater bei Nothebude die zweite Kanalschlcuse. Solche Schleusen sind bekanntlich überall da nothwendig, wo die Verschiedenheit des Niveau's in einem Kanäle ein bedeutendes Gefalle erzeugen würde. Die Weichsel liegt, wie schon früher erwähnt worden, höher als die Niederung/ ein mit ihr in Verbindung gebrachter Kanal würde mithin ans ihr einen anhaltenden starken Zufluß erhalten, der geeignet wäre, die Schifffahrt, namentlich die Auffahrt in die Weichsel gefährlich und wohl gar unmöglich zu machen. Um dieses zu vermeiden/ baute man in der Längenrichtung des Kanales zwei Pa« rallelmaucrn und schloß deren Enden durch Thore/ dadurch entstand ein kastenartiges Behältniß, eine sogo nannte Schleusenkammer. Kommt nun ein Schiff von der Weichsel her, so fährt es durch das geöffnete Thor in diesen Raum, in welchem das Niveau mit dem der Weichsel übereinstimmt. Das Thor wird geschlossen und das Wasser durch unterirdische, bis dahin mit Klappen — 240 — bedeckt gewesene Nöhrcn »abgelassen«. Dieses kann aber nur bis zum Niveau des tiefer gelegenen Kanales ge» schehn. Nunmehr wird das zweite Thor geöffnet und das Schiff segelt ans der Schleusenkammer in den Kanal hinaus. Kommt das Schiff aus dem tiefer» Wasscrstande des Kanals/ so fährt es in die Schleusenkammer, welche nunmehr durch andere unterirdische Röhren bis zum Niveau des höher gelegenen Stromes gefüllt wird. — Wo die Differenz zwischen dem Niveau der verschiedenen Gewässer fehr groß ist, giebt cs oft mehrere solcher Schleusen hinter einander, ein ganzes Schlcnscnsystem. Der Druck, den der höhere Wasserstand auf die Thore ansnbt, ist sehr bcdentcnd/ um so größer, jc erheblicher die Differenz zwischen der Höhe der beiden Wasserflächen ist. Die Thore sind deshalb auch in der Art konstruirt, daß zwei Flügel sich au einander legen und einen stumpfen Winkel bilden, dessen Spitze gegen die Seite des Wasserdrucks hin gerichtet ist. - An der Wcichselschleuse (bei Nothebude) findet ein solcher Wasserdruck bei normalem Zustande nur von der Seite des Stromes Statt. Bei der großen Ucberschwcmmung im Jahre 1855 aber stand das Wasser in der Niederung höher als in der Weichsel. Die auf einen solchen entgegengesetzten Druck nicht eingerichteten Thore öffneten sich daher ohne Weiteres und gestatteten einen Abfluß in die Weichsel. Damit war man auch ganz zufrieden / aber dnrch den starken Nasserstrom litt das Mauerwerk der Schleuse so bedeutend, — 24l — daß man quer durch die Kammer cine Pfahllvand ziehen mußte/ um nur den Durchfluß zu hemmeu und die Schleuse zu retten. Nie sehr auch die Weichselschleuse den ^aien erfreut/ nn Fehler entstellt sie außerordentlich. Die Schleusenkammer ist uämlich zu kurz. In Folge dessen sind die, allerdings etwas langschua'beligen, Oderkähue vor dem ^intritte in die Schleusenkammer genöthigt/ ihr sehr schwerfälliges Steuerruder auszuheben/ — wobei auch wohl einer der Schiffer ins Wasser fällt. Beim Hinausfahren müssen sie dann noch ein Mal anhalte», damit das Steuerruder durch einen Krähn in die Höhe gewunden und wieder eingesetzt werde. Was für Anstrengungen das kostet/ was für Zeit dabei verloren geht/ — das ">uß man sehn/ um von ciuem wahren Ingrimm erfüllt zu werden. Oft harrt eine ganze Reihe von Kähnen der Durchfahrt/ bei jedem die zeitraubende Manipnlation! Und doch ist Zeit Geld! Ueberhauvt zeugt die ganze Anlage des Kanales von einem seltenen praktischen Ungeschick. Die Brücke über denselben bei Neu-Münsterberg ist so enge/ dasi die — namentlich mit Strauchwerk — beladcnen Kähne darin stecken bleiben. - Um ein wenig ökonomischer zu bauen, hat man zwischen Nothebude und Platcnhof ein älteres Gewässer mit vielen Windungen benutzt/ die lehteru sind aber von der Art, daß die langgestreckten Kanallälme — 242 — bald nut ihre» SpilM auf den Strand laufen, bald mit dcm Hintertheile festsitzen/ und doch ist die Grundbedingung jedes .^auales die gerade ^iuic! Wenn er wenig stens an solchen Stellen etwas breiter wäre! ^ Auch die Schleusenkammern sind von einer auffallenden Enge. — Daran geht nun aber schwerlich etwas zu andern/ und das ist das Schlimmste. In der Umgegend bei Rothebude verlebte ich ein paar schöne Tage/ dann bestieg ich das Dampfboot und fuhr durch die Schleuse in die Weichsel. Der Nordsturm war an jenem Tage so stark/ das; wir nnr mit Mühe die nordwestliche Richtung brhanpten und das Fahrwasser innehalten konnten. Die Spitze des Dampfbootes wnrde nicht nur von den Wellen nberspritzt, sondern auch oft von dem Sturme förmlich herumgeworfen. Am Danziger Haupte vorüber, — welchen Namen zugleich das anf der Spitze gelegene Gut führt,, — fuhren wir allmählig in mehr westlicher Richtung. Eine große ^ahl von Flößen (Traftcn) mit Säcken voll Weizen beladen, lagen an dem von Stnrm und Wellen ge< peitschten linken Ufer. Das Wasser überströmte die Balkeu und spritzte bis über die Säcke."") Buden von Stroh, hübsch und zierlich erbant, dienen diesen Flößern — »Flissen«, die aus Polen und selbst tief aus Rußland kommen, als Wohnnng bei der monatlangen Fahrt. Wir haben Mühe, uns solche Existenzen vorzustclleu. ^ 243 — Nechts ragen allmählig groß und gewaltig die Dünen auf/ wir athmen die Seeluft und fühlen das Göthesche: Das freie Meer befreit den Geist. Hinter Buhnsack, das sich hinter dem Düncuwall förm< lich verkriecht, öffnet fich der Dllrchbruch von Neufähr. Die ganze See ein wcißer Gischt und Schaum. Wir sehen noch nach dem dort ankernden Kriegsschiffe, aber die Wellen fassen unser schwankes Boot, heben es wie eine Nußschale und werfen es bei der Einfahrt in die Plöncndorfer Schleuse gegen das Bohlwerk, daft m» Balken am Nadkasten bricht. Nun bleiben wir in dem ruhigen Fahrwasser der alten Weichsel, die seit dem Durchbrüche abgedämmt ist. Flöße bedecken von hier ab bis Danzig, bis Neufahrwasser, also iu der eigentlichsten Bedeutung "meilenweit« den ganzen Strom, so daß nur ein ganz schmaler Wasserweg für uns übrig bleibt. Hie und da ist ein Floß bei dem Sturme losgeworden und treibt im Strome/ wir durchbrechen sie. Bei einem neuen Versuche abrr sitzen wir fest, wie bei einer NordpolareMdition zwischen Eis« massen. Die verbindenden Bänder der Flöße werden durchgehauen, die ganze Mannschaft stemmt mit Stangen gegen die Balkenmasscn/ — Mcs vergebens/ der Etnrm treibt uns willenlos seitwärts und das Dampfboot ist nicht flott zu machen. 16 * — 244 — Mir winkte mit unwiderstehlicher Gewalt der noch über eine Meile entfernte Marienthurm/ ich machte also kurzen Prozeß, sprang über Bord auf die Flöße nnd eilte — meine Tasche im Arm — über den Strom dem Ufer zu. In einer Stunde war ich in Danzig nnd durchirrte voll unbeschreiblichen Wohlbehagens die Stra< ßen der mir so theuern, nur vor wenigen Wochen besuchten Stadt. IV. Marienburg. Standpunkt. <^ic Kolonisation Preußens durch die Drntschritter ist eines jener Ereignisse/ bei welchem wir gleich dem Vater der in Aulis geopferten Griechin — ans dem Bilde des Malers — unser Haupt verhüllen möchten. Die Geschichtschreiber, welche diese Katastrophe zum Gegenstände ihrer Darstellung gewählt haben, befinden sich in der peinlichsten Verlegenheit, ob sie das Verfahren der Ritter rechtfertigen, oder ob sie das hingeopfertr Prcußenvolk betlagen sollen/ sie schreiben die Geschichte dieses fünfzigjährigen Kampfes mit »einem heitern, einem nassen Auge.« Denfen sie an deutsche Sitte, Wissenschaft, Bildung, Religion, kurz an jenes Deutschthum, welches die modernen Slaven > Germanisiren» nennen, dann hebt sich ihre Brust, ihr Styl wird schwungooll, bilder«, zukunftsreich/ das Wort .'deutsch" häuft sich bis zur phonetischen Unschönhcit. ^n der Erinnerung an das misiachtctc Menschenthum der ,v Heiden", der »Kindcr Bclials^, wie sie ein Chronist beständig nennt, — 248 — erwacht ihr menschliches Bewußtsein/ sic gedenken »der unveräußerlichen Nechte« des zertretenen und vertilgten Volkes/ sie werden sich des sonderbaren Widerspruchs zwischen dem Verfahren des Ritterordens der heiligen Jungfrau und dem Kerne der ganzen christlichen Lehre bewußt/ aus ihrem »nassen« Auge quillt eine Thräne. Jeder Geschichtschreiber einer Kolonisation zeigt mehr oder weniger diesen Januskopf. Und mit Nccht. Es giebt Erscheinungen/ die eine Auffassung von einer Seite garnicht zulassen/ wenn sie eben nicht einseitig sein wollen. Wir thun wohl/ uns ihnen gegenüber nicht gleichgültig/ aber stumm zn verhalten, wie bei einem Hagelsturme/ welcher ein Saatfeld zerschlägt. Es ist die Macht der Thatsache/ welche die gesammte moralische Welt über den Haufen wirft. Aber es ist nicht Jedem gegeben/ in diesem Ancrtcnntniß des »Thatsächlichen« auch die Versöhnung zu finden/ dem fühlenden Menschen entringt sich ein schmerzliches »Warum«/ und dem Einen antwortet ein spottendes Echo/ der Andere tröstet sich mit dem üppigen Gedeihen der kommenden Saat/ welcher die zerschlagenen Halme zur Düngung dienen, der Dritte hebt sein Auge zu einem Jenseits der Sterne/ und der Vierte flüchtet sich in ein heiteres/ von keinem Leide getrübtes Land/ wo sich jede Dissonanz in Har> monk/ jedes Dunkel in Licht auflöst/ wo keine Frage unbeantwortet bleibt und das Weh sich zur Wehmuth verklärt/ in das große/ freie Land der — Kunst. Ohne — 249 — die Kunst wäre die Geschichte nichts als ein Faden von ungeheurer Länge, der sich von einein sausenden Rade abwickelt/ von einer erdrückende» Monotonie, ein Anein^ ander von Thatsachen, bei deren Anschauen wir vcrzwei' feln, eine Wiederholung eines und desselben Tones, der Klang eines von Sekunde zu Sekunde auf einen Stein herabfallenden Tropfens. Die Kunst schlingt hie und da einen Knoten in diesen Ariadnefaden/ während er durch unsere Hand gleitet/ fühlen wir die Knoten und wir athmen jedes Mal auf. Ein solcher Knoten ist die Marienburg. Sie ist die Antwort auf jenes Warum, die Versöhnung des Zwiespaltes, die Auflösung des vernichtenden Akkordes der verminderten Septime. In diesem Sinne bildet die Ma-rienburg ein historisches Monument wie keiu zweites. Sie ist keiu gewöhnliches Kunstwerk, welches auch anderswo hätte geschaffen werden komm,, entstanden aas dem allgemeinen, im Menschen liegenden Streben, den Zwiespalt durch die Kunst auszugleichen. Die Geschichte dieses Landes, in dessen Mittelpunkt sie gelegen ist, forderte die Existenz dieses Kunstwerks als eine Sühne, als einen Akt der Gerechtigkeit/ denn ohne die Marienburg wäre sie ein Medusenhaupt/ das uns versteinern würde. Rnfäng e. Wenn wir die großartigsten physischen Erscheinnngen bis zil ihren Elementen verfolgen, stanuen wir, ans welch winzigen Einheiten, welch nnbedentenden Anfängen sie bestehen. Die Einheit der Ielle ist es, was den Niesen-bäum bildet/ ein Pistolenschuß bringt eine Lawine zum Fallen/ die Quelle eines Ncltstromcs können wir mit der Hand verstopfen. In der moralischen Welt ist es nicht andrrs/ nnd in der Geschichte erstmmen wir vollends, wenn wir den Ursprung großer Neiche bis anf eine Einwanderung, eine brntalc Handlung, eine säugende Wölfin zurückverfolgen. Die bei der Belagerung vor Ackon 1190 znr Pflege der Kranken nnd Verwundeten gestiftete Brüderschaft träumte wohl nicht, daß sie schon nach vierzig Jahren am baltischen Strande ein Ncich stiften werde, welches znr Zrit seiner Blüthe ci»c ^Großmacht«'") repräsen-tircn und in seinen Folgen — nach menschlichen Begriffen — für die Ewigkeit gegründet seil» solle. ^) — 251 — Anfangs nichts als eine deutsche Landsmannschaft - im Gegensatze zu dem Iohanniter- und Templcrorden, die "us vorzugsweise romanischen Elementeil bestanden, — wuchs der Deutsche Orden im Kampfe mit den Sarazenen, sich dem Dienste der heiligen Jungfrau, der Pflege der Kranken und Bedürftigen, wie dem Schwerte weihend, besonders unter der Leitung des eben so Hochher-zigen und tapfern, als diplomatisch gewandten und n>cit> blickenden Hermann von Salza, des Freundes Kaisers Friedrich, zu immer größerer Macht und Fülle. Besitzungen in Europa, Schenkungen des Kaisers, nament» lich in Sizilien, gewährten ihm die erforderlichen Mittel zur Er.istenz, auch als die Krcnzzügc ihrem Wesen nach als beendigt angesehu werden tonnteil, als der Eifer da für eben so bei den Fürsten wie bei den Völkern erlahmte und der Deutsche Orden vom Kriegsschauplatze abtrat. Statt aber, wie die andern Ritterorden, sich der Ueppigkeit und einem Streben hiuzugen, welches ihren Untergang herbeiführte, oder ihrem Gelübde im Kampfe gegen Waldcnser und Ketzer Genüge zu thun, ergriff der Orden mit Freuden die Aufforderung des Bischofs Christian, sich in einen Kampf gegen die heidnischen nnd in langwierigen Kämpfen noch immer nicht bezwungenen Preußen einzulassen. Das noch zu erobernde Land wurde dem Orden in bester Form geschenkt - eine nach damaligen christlichen Begriffen durchaus zulässige Handlung — und der Kampf im Frühjahr 1231 begonnen. — 252 — Wie bei der Eroberung aller Länder, welche aus Gau-genossenschaftcn bestehen/ war es leitender Grundsatz des Deutschen Ordens/ sich durch Gründung von Burgen deu Besitz des zunächst unterworfenen Landstriches zu sichern. Wir sehen daher zuvörderst/der verbindenden Flußader des Wechselstromes entsprechend, die Burgen Thorn, Kulm, Marienwerder, Rheden, Elbing mtstchn. Später folgen Balga am frischen Haff, Kreuzbnrg, Bartenstein, Schip-penbcil, Rößel, .^eilsberg/ Braunsberg u. s. w. Es haben dabei nicht blos; die Geschichtschreiber dieses Eroberungskrieges, sondern auch militärische Schrift« steiler anerkannt/ daß der Orden mit einem bewunderns-werthen Geschick und einer Sicherheit des Blickes vorgegangen, wie es selbst dem heutigen Stande der Kriegs-Wissenschaften entspreche. Wie der römische Soldat auf dem Marsche seinen Schanzpfahl mit sich führte, wodurch an jedem beliebigen Orte die sofortige Anlegung eines Eastrums und die Sicherung einer Operationsbasis er« möglicht lvurdc/ (man vergegenwärtige sich den gallischen Feldzug Cäsars) — so belud der Orden meist ein Schiff mit den nothwendigsten Materialien zur Anlegung eines festen Platzes und sandte dasselbe mit einem Kricgshaufm die Weichsel herunter, bis zu der Stelle, welche zur Anlage eines Castells bestimmt war. Die heidnischen Preußen sahen in den meisten Fällen diesem Verfahren ruhig zu, bis sie zu ihrem Verderben die Folgen dieser Festsetzung des Feindes erkannten. Anfangs bestanden __ 253 __ diese Burgen um aus einem mit Pallisaden besetzten ^rdwalle,- allmählig wurden sie dann erweitert und ausgebaut. Mau darf daher annehmen, daß keine dieser ältern Bnrgen in der Vollendung/ in welcher sie sich später darstellten, ursprünglich angelegt worden ist. Als die Ritter im Jahre I2?ü neben dem alten, — allerdings etwas fabelhaften — Dorfe Alyem zum Echutze der Schissfahrt auf der Nogat/ — auf welchem Wege sie ihre Burgen Elbing/ Balga und Lochstä'dt in Kriegszeiten zu verproviantiren pflegten/ ^ eine Burg bauten und sie zu Ehren der heiligen Jungfrau die Marienburg nannten/ mochte es kaum von vorne herein beabsichtigt gewesen sein/ dieselbe als den Mittelpunkt der damals bereits gesicherten Herrschaft über das Bernsteinland zu errichten/ aber die Vorzüge der »Position« mußten um so schneller in die Augen fallen. Und in der That/ mag Voraussicht oder bloßer Instinkt bei der Anlage dieser Burg gewaltet habeu/ die Wahl bleibt immer bewunderungswürdig. Wir sahen schon früher bei der Position von Danzig, daß ein Ort als Krystallisationspunkt der Interessen eines Landes um so bedeutender sein / eine um so naturgemäßere Lage hadeu wird, je mehre dieser Interessen er in sich konzcntrirt. Wir sahen, wie die Nähe des Meeres/ die Ader eines großen Stromes, das Zusammentreffen von Höhe und Niederung die Position Danzigs so bedeutend macht. Mußte dieselbe aber vorzugsweise von — 254 — dem handelspolitischen Gesichtspunkte cms betrachtet und geschätzt werde»/ fiel uns der Knotenpunkt anf, welchen die sich kreuzenden Handelsstraßen gerade am Fuße des Hagclsbcrges bilden, so bedarf es bei der Maricnburg/ als dem staatlichen nnd rein politischen Mittelpunkte des Ordenslandes, eines andern Gesichtspunktes. Das Haw delsinteresse mußte hier dem administrativen und militärischen untergeordnet bleiben. Die Conzentration aller die Verwaltung des Bandes betreffenden Fäden in einem Pnntte, der leichte Ueberblick der verschiedenen Landschaften, die rasche Beförderung von Trnppenthcilcn an einen gefährdeten Ort, die Benutzung der Wasserstraße, um mit den am frischen Hass liegenden Burgen in stetem Verkehr zu bleiben, nnd andererseits die Verbindnng mit dem Mutterlande — Deutschland - znm Zwecke der Kolonisation, -^ waren Mcksichten, welchen durch die Wahl des Hauptftlahes allgemein entsprochen werden sollte. Als der Deutsche Orden nach Preußen kam, konnte er selber nicht wissen, wie weit die Grenzen des ihm geschenkten Landes, welches er erst noch erobern sollte, gingen/ am wenigsten durfte er schon jetzt den künftigen Mittelpunkt des seiner Herrschaft zu unterwerfenden Landes bestimmen. Vr begnügte sich daher nach der Erobe-ruug des Kuliner Landes, Knlm als die Ofterationsbasis, den provisorischen Mittel- und Ausgangspunkt seiner weitcrn Unternehmungen zu gründen. "'') Als ihm sfta< — 255 — ter die nördlich am rechten Wcichselufer belegeuen Land-schaften nnd bald auch der größte Theil des hentigen Ostpreußens zufiel/ mußte der Schwerpunkt seiner Herrschaft nothwendig mehr nördlich und östlich / etwa in die Gegmd von Elbing fallen. Diese Stadt würde/ wenn nicht andere gleich zu erörternde Umstände dazwischen gekommen warm, vielleicht wirtlich die dauernde Hauptstadt des Laubes geworden sein. Denn das Streben des Ordens ging ursprünglich nur dahin, die rechts von der Weichsel befindlichen Landschaften seiner Herr» schaft zu unterwerfen/ anf dem linken Meichsclufer/ selbst m den Marschländern, welche wir heute das große Wer-der nennen, in Pmnmcrellen, herrschte Herzug Swanto« Polt, nnd zwar über eine bereits christliche Bevölkerung. Hier tonutc also von einer »Schenkung« nicht die Rede sein. Anfangs unterstützte Swantoftolk den Orden in dessen Kämpfen mit Preußen j als derselbe ihm aber furchtbar zu werdeil drohte, verbaud er sich mit den Bedrohten und brachte dadurch den Orden an den Rand des Verderbens. Das schließliche Resultat aller dieser Kämpfe war indessen die Unterwerfung auch des linken Weichselufcrs und die Herrschaft des Ordens über den untern Lauf dieses Stromes, namentlich nach der Eroberung der Hauptstadt Pommcrellcus, Danzigs, im Jahre 1310. In den nächsten Jahrzehnten nach der Gründung der Maricnburg (im Jahre 1270) war die Unterwer- — 256 — fung des ganzen linken Weichselufers zwar noch nicht vollendet/ aber es hat von jeher in der Politik einer erobernden Macht gelegen/ den Sitz ihrer Herrschaft nicht in dem Mittelpunkte des bereits bezwungenen Landes/ sondern da anzulegen, wo der Blick auf die noch zu überwältigenden Landschaften gerichtet ist. In diesem Sinne einer großartigen Eroberungspolitik wurde einst auch Petersburg gegründet. Die Gründung der Marienburg und ihre Wahl als administrativer und strategischer Mittelpunkt des Preu« ßcnlandes ist ohne diese Rücksicht garnicht zu verstehn. Da wo das westprcußische Hügellaud zum letzten Male an die Nogat herantritt/ etwa zwei Meilen nach der Theilung des Weichsclftromes bei dcr Montaner Spitze, wendet sich die Nogat/ — welche schon damals ein bedeutender Strom gewesen seiu muß/ — plötzlich nach Osten/ um bald wieder in nordöstlicher Richtung weiter zu fließen. Dadnrch wird eine Art von Halbinsel gebildet. Das rechte Höhcnufer erhebt sich hier etwa 70 bis 100 Fuß und fällt/ vielfach unterwaschen und abgespült/ steil gegen den Fluß hin ab? auf dem linken Ufer dehnen sich die weiten Marschen des Werders aus/ gegen die Ueberschlvemmungrn der Nogat durch einen Erddeich geschützt. Die relativ bedeutende Höhe des rechten Nogatufers gestattet einen weiten Blick über die Fläche» bis zu den Höhen von Dirschau und Danzig einer- und denen von Elbing andererseits. Der lachende — 257 — Reichthum, die Behäbigkeit des Besitzes, die Vorstellung von der dämonischen Gewalt des Stromes/ des »Vaters« dieser Landschaften/ erfüllen die Seele des Beschauers mit einer gemischten Empfindung, welche ihn die Nomaniik deutscher Mittclgebirgslandschaften nicht vermissen lässt. Auf dem höchsten Punkte dieser Halbinsel bauten bic deutschen Nitter die Marienburg. Der Tolkcmitter Mönch Simon Grnnau/ dessen ^'geistreiche Erfindungen^ den Zorn der Historiker wachrufe»/ läßt hier schon lange dor diesem Zeitpunkte ein Kirchlcin stehen/ »in welchen: ein wnnderthätigcs Mllttcrgottesbild die nahe wohnenden Christen und Pilgrime aus feruen Ländern zur Andacht durch seine Wuudcrtraft herbeizog.« Die außerordentlich günstige Lage der Vnrg mußte sofort auffallen. Sie war von Thorn und Königsberg etwa gleich weit entfernt, stand mit beiden dnrch das Haff/ die Nogat nnd Weichsel in Verbindung nnd gestattete über Elbing/ Ehristbnrg nnd Marienwerdcr einen leichten und ungestörten Verkehr mit den innern Landschaften und den daselbst zahlreich angelegten Burgen. Dagegen eröffnete sich westwärts nicht blos physisch ein freier Blick über weite Ländcrcicn/ es bot sich auch eine großartige Per« sftcktive von künftigen Erwerbungen und Erweiterungen dar. Danzig mit seiner Wcltstelluug dämmerte am ftr« nen Horizonte nnd das Meer mit seiner Unendlichkeit stand wenigstens vor dem geistigen Auge da. paffargl, a„« dem Ntichseldelw, ^ 7 — 258 — Dennoch kann es als wahrscheinlich angenommen werden, daß die Vurg ursprünglich sich durch nichts von den ersten Anfängen der Ordensburgen unterschieden habe. Die Geschichte liebt es nicht, die ersten Momente großer Thatsachen klar und unzweifelhaft hinzustellen/ sie gleicht manchen Strömen, deren Quellen wir nicht ken< ncn, oder solchen, welche sich mit cinem Male in der Erde verlieren und nach einer Weile wieder zum Vor» schein t'ommm. So streiten sich die Geschichtsforscher und die Kunsthistoriker herum, ob die Marienburg in dem er« habenen Style, den das Hochschloß offenbart, gleich bei ihrer Gründung angelegt worden, oder ob dessen Er» bauung in eine spätere Zeit fällt, etwa in das Jahr 1280, in welchem — nach den Chronisten — die Burg aus dem Material der früher bei der Montaner Spitze befindlichen nnd abgebrochenen Pommercllenschen Vurg Zantir erweitert wurde, oder gar in eine noch spatere Zeit. Dergleichen Streitigkeiten sind selbst fur den Laien nicht ohne Nciz, mitunter von einem größcrn, als die allgemein anerkannte Nichtigkeit einer Thatsache. Während der nächsten drei Dezennien erfahren wir von den weiten! Fortschritten der Marimburg so gut wie nichts. Erst im Jahre 1!i09 beginnt sie in den Vordergrund zu treten, in jener Zeit, da der Hoch' meister Siegfried von Fcuchtwangen, in richtiger Wär' digung des veränderten Schwerpunktes der Ordensmacht, seinen Hochmeistcrsitz von Venedig nach Preußen verlegte. — 259 — Denn bis zum Jahre 1309 war das Ordensland nur durch Landmcister verwaltet worden. Seit dein Jahre 1283 galt aber die Herrschaft des Ordens für durch< aus gesichert/ der Friede herrschte in allen Gauen und begann seine Werke/ Mcinhard von Qmerfurt deichte die Werder ein. Wie jedoch jede große Idee nicht ohne Kämpft ins Leben tritt, so scheiterte der Hochmeister Gottfried von Hohenlohc, als er 1302 nach Prenßen kam, mit seinem Plane, dieses Land als bleibenden Sitz des Hochmeisters zu erwählen, an der Widersftänstigkcit der bis dahin unabhängig gewesenen Gcbictigcr. Allgemeine Spaltung des Ordens und Absetzung des Hoch« Meisters waren die folgen davon. Erst seinem Nachfolger Siegfried von Feuchtwangm gelang es, den wicdcr-aufgeuommenen Plan seines Vorgängers auszuführen. Sein Einzug iu die Marienburg erfolgte in der Zeit vom neunten bis cinundzwanzigsten September des Jahres 1309. 17' Das Hohe Schloß. Das Sftrüchwort: »Rom ist nicht an einem Tags-erbaut worden«, — gilt auch von der Maricnburg. Es giebt überhaupt nur wenige großartige Bauwerke, welche als die Verkörperung eines künstlerischen Gedankens in einem Zuge erbaut/ in ihrer Totalcrscheinung wie in ihren Detailformen einer lcitclldW Ißee ent< sprechen. Die meisten sind entweder unvollendet geblieben, oder haben sich die vielfachsten Abänderungen von dem ursprünglichen Grundplane gefallen lassen müssen, oder bestehen aus verschiedenen, oft einander sonderbar widersprechenden Theilen, ein Ncsultat des wandelbaren Geschmacks der Zeiten. Nur wo eine energische Gewalt ein Vanwcrt nicht bloß entwarf sondern auch vollendete, oder wo eine stereotype Bauweise sich keiner Geschmacksrichtung unterwarf, erstaunen wir über die Einheit ihrer Durchführung. Ein solches Land ist Acgypten, zum Theil auch Rom. Das Mittelaltcr wagte sich an die kühnsten Probleme/ riesige Dome wurden entworfen, angefangen, bis zu einer gewissen Vollendung, einem äußerlichen ?lb- — 261 — schlufsc fortgeführt/ aber die Begeisterung erlahmte. Da^ her die grofte Zahl don Kirchenrnineu aus dem Mittelalter. Bei andern kan, es iin ^allfe der Jahrhunderte zwar zu einer entschiedenen Vollendung/ aber wir erkennen dafür in diesen Bauwerken die waltende Hand verschiedener Meister, von denen ein Jeder es besser wachen wollte als sein Vorgänger. Bei einer dritten Art von Bauwerken begegnen wir überhaupt keinem einheitlichen ^ später etwa blos; modifizirte» — Plane/ sondern Wir finden die einzelnen Theile/ mehr oder weniger un» abhängig von einander/ in einem besondern Banstyl ausgeführt/ indem die Erbauung derselben nicht eine Folge des ursprünglichen Planes/ sondern des Bedürfnisses war/ welches eine Erweiterung des Banwerkes im Laufe bcr historischen Entwickelung forderte. In diese letztere Kategorie gehört die Marienburg. Während aber bei andern Bauwerken dieser Art die einzelnen Theile die wunderlichsten Gegensätze/ die Style aller Zeiten und die sonderbarsten Geschmacksverirrungen zeigen, trägt dic Marienburg durchweg den Stemprl dcs ursprünglichen Geistes/ welcher diese imposanten Hallen schuf/ jenes untilgbare Zeichen des großen Genius des Ritterordens an ihrer Stirn/ der so beredt zu uns aus den kleinsten Theilen dieses Werkes spricht und selbst über die Trümmer noch einen Hauch von Göttlichkeit breitet. Denn das ist das Wesen der ein Kunstwerk durchdringenden Idee, daß sic auch nach seiner Verstümmlung erkennbar zu uns redet — 262 — und nicht, der Seele eines lebendigen Organismus gleichend/ den todten Leib meidet, ihn der Zersetzung und Auflösung überlassend. Versuchen wir cs zuvörderst, die einzelnen Theile der Marienburg, wie sie im Laufe des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts entstanden, zu erkennen. Auch ohne Berücksichtigung der verschiedenen Baustyle und sonstigen kunsthistorischcn Momente werden wir von vorne, herein denjenigen Punkt der Burg für den ältesten halten, welcher der relativ größten Höhe des Flußufcrs entspricht. War der Zweck der Gründung ein vorzugsweise strategischer, so konnte nur ein solcher Punkt gewählt werden. Wir finden aber in der That, daß das Hochschloß ^ auch Haupthaus, rechtes Haus genannt —, welches allgemein für den ältesten Theil der Burg angcschn wird, den höchsten Punkt des Nogatufers einnimmt. Ein längliches Viereck von 192 Fuß Länge und 168 Fuß Breite, umschließt es eine» Hof, der von Norden nach Süden 102 Fuß lang und von Osten nach Ncstm 85 Fuß breit ist. Der Nord-ftügcl, welcher die Kirche enthält — tritt 69 Fuß gegen Osten vor. In dieser Form bildet das Hochschloß einen isolirten, fast kubischen Baukörper, welcher im Süden von einem Graben und der Stadt, im Westen von der Nogat, im Norden durch einen breiten — den sogenannten trockenen — Graben und durch das Mittel-schloß (früher dk Vorburg), im Osten aber durch eine — 263 — Umwallung gedeckt wird. »Die gegen das Hochschloß gerichteten Seiten des Mittelschlosses und der Stadt sind offen geblieben/ znm Zeichen/ daß das Hochschloß über jene Nebenbcfcstignngen zn verfügen hatte.«^") An Stelle des Mittelschlosscs befand sich nrsftrüng. lich die Vorburg. Als die vorhandenen Nämnlichkeiten des Hochschlosscs nnd dieser Vorburg nicht mehr aus« reichten, nnd letztere in die großartigen Flügel des Mit-telschlosses verwandelt wurde, erbaute man nördlich von dem Mittclschlosse eine zweite, die mnere — jetzige — Vorburg. Das Mittelschloß umgiebt mit dreien Flügeln, einem westlichen, nördlichen und östlichen, einen weiten, fast quadratischen Platz, welcher uur im Süden offen und von dem schon erwähnten trockenen Graben begrenzt ist. Eine Brücke führt über letztcrn von dem westlichen Flügel des Mittelschlosscs zu der nordwestlichen Ecke des Hochschlosscs. Die drei Flügel des Schlohgcbäudcs sind von ungleicher Länge/ der mittlere — nördliche — ist 265 Fuß lang, der östliche 276 Fuß und der westliche 30tt Fuß. Durch den nördlichen Flügel des Mittelschlosses führt ein Thorweg über die gemauerte Brücke dcs Schloßgra-bens zu der Vorburg. Mau versteht darunter einen fast bei allen Ordensburgen im Preußenlande vorkommenden Van, welcher theils zur Befestigung der Burg dienen sollte, theils — wie bei der Marienburg — die — 264 — Wohnungen dcr Knechte und des Gesindes, die Pferde« und VichMle, Vorrathshäuser für ^cbcnsmittcl und Kriegsmaterialien dcr mannigfachsten Art, Gebäude zum Gießen dcr Gcschnhe und zur Anfertigung dcr Stein-kugeln, und außerdem noch zwei Kirchen für die Bewohner dcr Vorburg enthielt. Sie umgab das mittlere und das hohe Schloß auf dcr West-, Nord' und Ost-scite. Der Haupttheil der Vorburg lag dor dcr Nord-scite des mittlern Schlosses und hatte eine Ausdehnung von 882 Fuß von Süden nach Norden und 588 Fnß Volt Osten nach Westen. Nings um die Vorbnrg zogcn sich äußere Vcrtheidigungsmauern undBurggräbcn, dcnm sich nach dcr Belagerung durch die Polen, im Jahre 1410, im Osten noch cm großcs fcstcs Außenwcrk — Vollwerk — anschloß. Im Vorstehenden ist versucht worden, einen — um nicht zu ermüden — möglichst kurzen Abriß des Grund-planes dcr Maricnburg zn geben. Mag auch die Zeit noch so viel an den» grandiosen Bauwerke verändert und vernichtet habe»/ im Wesentlichen ist die Gestalt des Schlosses durch die Jahrhunderte hindurch dieselbe ge° blieben/ selbst die Anßenmaucrn und Gräben der Vorburg/ welche doch am meisten gelitten hat und zum Theil sogar unkenntlich geworden ist, werden gegenwärtig rc-staurirt und in das Vcfestigungssystem gezogen, welches die Nogat-Gittcrbrückc mit einem Brückenköpfe versieht. Die nicht seltene Vorstellung ün westlichen Deutschland, — 265 — die Maricnburg bilde cine interessante Nuine nach Art des Heidelberger Schlosses, enthält einen großen Irrthum. Eher ließe sie sich - in Betreff der Erhaltung und Vollständigkeit — mit der Alhambra dergleichen. lassen wir die Vorburg bei nnserer ferneren Dar« stellung unberücksichtigt — nur der runde Thurm ill der Nordwestecke (schiebelichter oder Buttermilchsthurm genannt), mit seinen kolossalen Mauern / könnte uns ein erhöhtes Interesse abgewinnen, — so fällt uns als von gleich erhabener architektonischer Bedeutung das Hoch-schloß und das Mittelschloß in das Auge. Zeichnet sich letzteres durch größere Kühnheit und Eleganz, durch Schlankheit der Formen, Durchbrochenhcit der Wandflächen und eine gewisse behagliche Grazie aus, so imfto-nirt dafür das Hochschloß durch seine konzcntrirterc Masse, seine Schmucklosigkeit und ernste Strenge. Das Mittel-schloß hat etwas von der Wohnung eines weltlichen Fürsten. Pracht, Behaglichkeit, blendender Glanz spricht aus dcn kunstvollen Formen seiner architektonisch-luftigen Massen/ es ist das Fiirstcnthum in seinen vielfachen Beziehungen zum Genusse, der Anmuth, der Freudigkeit des Lebens, was diese hellen, schwungvollen Hallen durchgeistigt/ das Fürstenthmn in seinen didlomatischen und Privaten Beziehungen, das Fürstcnthum im Hauskleide. Das Hochschloß steht da wie ein Nittcr in seinem Ordensgewande, seiner Hauptpflichtcn, der Armuth, der Keuschheit, des Gehorsams eingedenk, wie eine Nacht — 266 — im Felde, eine Verkörperung des großen Ordensgedankens. Daher weiß es von keiner Anmuth/ Ernst und Strenge thront auf seiner Stirn. Nur wo der Dienst der heiligen Jungfrau zartere, menschlichere Ne« gungen fordert/ zeigen die kunstvollen Bogen der goldenen Pforte und der Annakapellen-Portale mit ihren lieb« lichen Ornamenten und die Hallen der Schloßkirche größere Weichheit und Milde. Das Hochschloß bildet den Sitz des Ordens in seiner ritterlichen/ staatlichen und religiösen Bedeutung. Darum wird es von vier Flügeln gchcimnißvoll geschloffen/ darum enthält es den Kaftitel-saal/ den Versammlungsort des Ordens in seiner ritterlichen Eigenschaft/ in welchem die öffentlichen Angelegenheiten verhandelt/ die neuen Brüder aufgenommen und die Hochmeister gewählt wurden/ darum schließt sich unmittelbar an seinen Maffekörfter die Schloßkirche mit der Annakaftelle darunter/ welche die Gruft der Hochmeister enthielt/ darum blickt von dem Polygonen Ehorschluffc dieser Kirche das erhabene Marienbild in furchtbarer Anmuth herab/ darum strebt hier der Schloßthurm mit schlanken Formell zur höchsten Höhe, gleich einem him« mclstürmcndcn Gedanken/ einer sicgbringcndcnStandarte/ einem ausgestreckten Niescnfinger. Wie der griechische Tempel sich von seiner Umgebung durch den Uutcrbau scheidet und dadurch seine höhere Bestimmung andeutet/ so liegt auch das Hochschloß isolirt da, von einem Graben umgeben, über den nur Zugbrücken führten. Ein Wall- — 267 — gang — Parcham, — die Bcgräbnißstätte der cutschlafe« uen Brüder/ gewährte einen Umgang/ und so ruhten/ wie. bei unsern Friedhöfcn um die Kirche/ die Gestorbenen rings um das ^ rechte Hans«/ welches auch für die Lebenden den Mittelpunkt des Wirkens und Gedeihens darstellte. Das Hochschloß ist das Kaftitol des deutschen Ordens, das Mittclschloß seiue Wohnung und zugleich die Ncsidenz des Hochmeisters. Darum ist das Hochschloß aber auch so viel älter als das Mittelschloß. Als der Einzug des Hochmeisters in die Marienburg erfolgte, und derselbe noch nichts anderes darstellte als den Ersten der Nitterbrüdcr/ deren oberstes Gesetz die Armuth war/ da mochte er sich ill dem Nordstügel des Hochschlosses/ — welcher damals wahrscheinlich allein existirtc/ ^- so gut es ging auch häuslich einrichten. Die Gemeinsamkeit des Lebens/ die Einfachheit aller Lebensbcdingungcn erforderte noch nicht so große/ stolze Näume/ wie sie uns das Mittelschlosi zeigt. Wir haben über die Gewohnheiten und Bedürfnisse des Hochmeisters, seines Hofstaates und den Haus. halt des Ordcus überhaupt aus jener Zeit nicht so ausführliche und zuverlässige Nachrichten/ wie ans dem Anfange des folgenden Jahrhunderts durch die Rech' uungsbüchcr des Ordenstreßlers und Hanskomthurs, welche Voigt so geistvoll zu interprctirm gewußt hat/ wir sind darum nur zu leicht geneigt, für ein Iahrhun-dert zulior ähnliche Voraussetzungen zu machen, unsere — 268 — einmal gewonnenen Maaßstäbe auch hier anzulegen. Erst im Aillfe und gegen die Mitte dcs vierzehnten Jahrhunderts, als der Deutsche Orden sich immer mächtiger entwickelte/ als die Mönchsritterschaft rein weltliche Zwecke verfolgte, die ? Großmacht" des Ordcnslandcs in Verbindung mit ganz Europa trat, werden mit den grb'ßcrn Anforderungen, den erhöhten Bedürfnissen anch die entsprechenden großartigen Bauwerke ausgeführt sein. Die Geschichtschreibung geht mit Nccht nicht auf frühere Geschichtschreiber, sondern auf die »Quellen ^ zurück, und wären es auch selbst unglaubwürdige »lud halb-verdorbene Urkunden. Was uns die Steine erzählen, welche eine sinnige Hand zu kunstvollen Werken zusam-mcnfügte, ignorirt sie oft, und doch giebt es keinen Gewährsmann von größerer Sicherheit. Es ist daher auch nicht den Historikern, sondern den Baukundigcn vorbehalten geblieben, das Alter der einzelnen Theile dcs Marienburger Schlosses zu bestimmen, mindestens deren relatives Alter festzustellen. Während man nämlich früher allgemein das Elide dcs dreizehnten Jahrhunderts als die Zeit der Erbauung des ganzen Hochschlosses annahm und die Vollendung des Mittelschlosses in das erste Jahrzehnt dcs vierzehnten verlegte, — wobei mall nur dcm vierten Jahrzehnt unter der Negicrung Dietrichs von Menburg wesentliche Veränderungen zugestand —, weist Ollast in seinen für die Marienburg epochemachenden »Beiträgen zur Geschichte — 269 — der Baukunst in Preußen«/"^) evident nach/ daß das Hochschloß in verschiedenen Zeiträumen/ gegen Ende des dreizehnten und am Anfange des vierzehnten / der Haupt-theil des Mittelschlosscs - das Hochmcisterschloß - aber nicht vor der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts/ wahrscheinlich erst in dessen zweiter Hälfte, unter der Regierung des großen Hochmeisters Winrich von Kniprode/ entstanden sei/ in das vierte Jahrzehnt verlegt er die Erweiterung der Schloßkirche/ den Bau der St. Anna-kavclle und des Convcntsrcmtcrs. An dem Hochschlossc ist gegenwärtig von bedeutendem Interesse nur noch der ältere Theil desselben/ der nördliche Flügel. Vermögen wir es/ von dem Wandalismus zu abstrahiren/ welcher diese großartigen Wandflächen durch eleude Sfteichcrluken verstümmelte/ im Innern die herrlichen Gewölbe des Kaftitclsaalcs einschlug/ den Kreuzgang/ welcher den Hof umgab, zerstörte/ den westlichen, südlichen und östlichen Flügel mit einem jämmerlichen Bewurf bekleidete und das ganze Bauwerk ill ein Gctrcidc-nmgazm verwandelte/ erinnern wir uns tröstend ähnlicher Verstümmelungen antiker Werke zu Nom,-'— so wird uns die Erhabenheit, Schlichtheit und Keuschheit der Anlage, der strenge/ fast herbe Geist/ welcher aus diesen Mauern spricht/ mit einer unbegrenzten Bewunderung erfüllen. Dazu paßt als vortreffliche Gruudstimmung der dunkle Farbcuton des Ziegclmanerwcrkcs/ welcher an die gewaltige Hcrbigkeit einer strengen Kirchentonart cr° — 270 — innert. Im Uebrigen enthält die Nordfacade/ mit Ausnahme eines kunstvollen sich um den ganzen Flügel hinziehenden Vogcnfricses / ^- bestehend aus »einer Neihcn-folge zierlichst prosilirter Nundbögen mit edel stylisirtem, rankendem Neinlaub und an romanische Formbildung erinnerndem Blattwerke«, — einer Neihe schräge liegender Wappenschilder und fast quadratischer Fenster mit stachen Bögen/ so wie des später noch besonders zu erwähnenden großartigen Portalbaues/ nur wenigen Schmuck. »Der schönste ist jedenfalls das ausgezeichnete Mauerwerk selber/ welches eben so technisch vollendet wie in seiner tiefen Fär° bung dcm Auge angenehm ist und sich in beiden Beziehungen bedeutend vor dcm spätern Baue der Verlange« rung der Schloßkirche auszeichnet/ was schon Büsching mit Necht hervorgehoben hat/ es ist dieses eine Erscheinung/ welche sich fast allenthalben wiederholt/ daß näm-lich das Maucrwcrk/ besonders im Ziegclbau/ je älter desto mehr auch in der Technik und damit zusammen« hängend auch in ästhetischer Beziehung sich auszeichnet. Der Verband der Ziegel findet hier wie fast durchgehend im Mittelalter nur an den Außenflächen statt/ während das Innere aus Gußwerk"") besteht. Die Ziegclschichten zeigen am Hochschlosse jedes Mal einen Wechsel von zwei Läufern und einem Strecker/ während am Mittelschlosse nur ein Laufer und ein Strecker mit einander abwechseln. — 271 — An der allein noch sichtbaren Nordscite des Schlosses ist nun der Kopf des Streckers jedes Mal dunkel glasirt und so über das ganze Maucrwcrk ein zwar höchst em«, fachcs aber doch dem Auge wohlthuendes Muster gewirkt, welches die sonst todten Wände in Form und in Farbe belebt. Wechselte, wie am spätern Maucrwerk, jedes Mal ein Laufer mit einem Strecker, so wäre der Anblick leicht zu dunkel und zu unruhig geworden, während er gegenwärtig gerade das richtige Verhältnis; inno hält."'") Das Auge kann sich an der tief uiolctbräunlicheu Farbe des Mamrwerks nicht satt sehn und der Geist des Beschauers schweift verwundert zu den schachbrettartigen Wandflächen der Dome von Genua nnd Toskana, welche hier in dem fernen Norden ein so sonderbares, nur durch das Material modifizirtes Seitenstück haben. Indeß werden wir an dieser Nordfacade noch sonderbareren Ueber« cinstimmungen mit fernen südlichen Bauwerken begegnen. Vergegenwärtigen wir uns nur noch einen Augenblick, welchen Einfluß das Material auf die Architektur der Manenburger Bauwerke ausüben mußte. Die ganze norddeutsche Ebene und namentlich auch die Provinz Preußen sind mit erratischen Blöcken bedeckt. Dieselben bestehen vorzugsweise aus einem fest« körnigen Urgestein uud eignen sich daher zu Bauten fast garnicht. Die ältesten Kirchen Preußens sind zwar häufig aus diesem Material errichtet, auch pflegt man bis auf die neueste Zeit Privat-, namentlich Wirthschaftsgedäude — 272 — davon zu erbauen/ doch widerstrebt im Allgemeinen die Härte des Gesteins, der Mangel an leicht und billig her« .zustellenden Flächen, an manchen Orten — namentlich den spätern Muvioncu ^- auch das seltene Vorkommen desselben, einer allgemeinen und weitcrn Verbreitung. Das Bauen mit ^ Hausteinen « wird stets denjenigen Ländern überlassen bleibe»/ welche an Kalk-, Schieferund Sandstembrüchcn, also an leicht zu bearbeiteuden Gesteinen/ reich sind/ alle andern werden einen Ersah in den »Formstcinen«, den allerdings etwas mürbeu aber leicht zu fabrizirendcn Ziegeln, suchen. Sind doch selbst die großartigsten Bauten Noms, wie die Thermen des Earacalla, aus Ziegeln aufgeführt. Wir dürfen deshalb nicht erstaunen, im Ordens-lande fast durchgängig den Zicgelbau vorzufinden/ noch weniger aber darf es uns wundern, eine — abgesehn von der durch dcn herrschenden Styl gebotenen — den Ziegelbau charakterisirende, auffallende Uebereinstimmung anzutreffen. Denn die Form eines Kunstwerks ist nicht blos; ein Produkt des bildenden Geistes, welcher es schasst, des Styles, welcher eine Zeit beherrscht, es ist eben so sehr oon dem Matcriale abhängig/ aus welchem es gebildet wird. Wie der Bildhauer anders für dcn Marmor, anders für den Erzgus; modelliren wird, so mus; der Baumeister die Eigenthümlichkeiten des ihm dargebotenen Materials des Hail- und Formsteins berücksichtigen. Je härter das Gestein, je grosser die einzelnen zu — 273 — dem Ban zu verwendenden Stücke, um so kühner darf sich scin Plan erheben, um so sicherer wird er die einzelnen Theile frei, dnrchbrochcn, luftig hinstellen und das Ornamentale/ Vegetative der Banformen zur Erscheinnng bringen. Der Mailänder und Kölner Dom, überhaupt jene ursprünglich nordftanzösischc und nach Adoption des orientalischen Svijchogcns »gothisch« genannte Architek' tur, haben diese vegetative Seite bis zum Ucbcrdrnß ausgebeutet. Der griechische Tcmpelbau hat sich zu dieser Verirruug niemals verstanden/ in seinen strengern Säulenordnungen vermeidet er selbst das sonst allein auftretende, schon den Verfall andeutende Akanthnsblatt. Es liegt im Wesen des Materials, daß der Ziegel« bau im Orient wie in der Lombardei, der Mark und in Preußen durchweg dieselben Erscheinungen offenbart. Der Eigenthümlichkeit dieses Materials ist eben so jedes starke Relief, wie auch jede senkrechte Theilung entschic« den unangemessen. Große Wandftächcn, von hohen und meist schmalen Fenstern dnrchbrochcn, den Ziegclrcihen entsprechende Horizontalabschüsse, der Mangel des Or» namcntalen, Vegetativen, dem Organismus des Gebäudes Widerstreitenden, das Vermeiden runder Profilirun-gen charaktcrisirt diesen Bau überall, wo er auftritt. Die dadurch nothwendig hervorgerufene Monotonie wird daher gerne durch reichere Flächenverzicrung, besonders durch verschieden gefärbtes Material, die häufige Wiederkehr und mannigfaltige Zusammenstellung eines und dcssel- p»ss»r«e, a,l« !>,m Wtichstlbtlw, 18 — 274 — ben. Verzicrnngsschemas unterbrochen. Die von glasirten Ziegeln gemusterten Mauern, die Vogcnfriesc mannig-faltiger Formbildung, welche an einigen Ordensschlösscru gleichmäßig wiederkehren und auf die Benutzung eines Formmusters schließen lassen / so wie Reihenfolgen größerer und kleinerer Bogenblenden sind eben so häufig als charakteristisch. "°) Diese Bedingungen haben die durchgängige Nachahmung des nordfrauzösischen Kathedralenstyles in Preußen unmöglich gemacht, und dielleicht zum großen Gllicke der dortigen Architektur. ,DanM verdankt die Größe, die dorische Strenge semer Bauwerke zum Theile nur dem Ziegelbau, und die Marienburg ist nun vollends aus einem andern Material erbaut uudentbar. Da wo die Grundbedingungen dieses Baues anfgegeben, wo die Fenster ans Hausteinen konstrnirt, die massiven Strebepfeiler von schlanken Gramtsäulcn nnterbrochen und ersetzt sind/ — wie am Prachtbau des Hochmeisterschloffes, — wird der feinfühlende Beschauer bereits ein Herab-steigen von der frühern Höhe bemerken, welches ihn für Verirrungen furchten läßt. Nur ausnahmsweise läßt der Ziegelban vegetativ-phantastische Formbildnngen als Grundlage des Bauwerkes zu. Wir bewunderten in Danzig mit Necht die drei Giebel der Trinitatiskirche mit ihren schlanken Fialen. Wo das Ornament fönst auftritt, will es nichts als etwas Zusätzliches bcdenten. An den eigentlichen — 275 — gothischen Domen überwuchert das ornamentale Element das Bauwerk/ es nistet sich ein wie der Ephen und der Ginster. Vei den Ziegelbautcn tritt es meist nnr neben» bei ans/ wie eine Gnirlande, welche wir friesartig an einer Wandflächc befestigen, oder wie die Umkränzung eines Fensters/ einer Thüre. Einen andern Eindruck macht weder die ^ Goldene Pforte«/ welche von dem nördlichen Flügel des Hochschlosses in die Schloßkirche führt, noch das Portal der Süd' nnd Nordscitc der Annakapcllc. Es sind geschmückte, mit Kränzen verzierte Portale, durch welche wir treten/ sie versetzen uns in eine feierliche Stimmung nnd heben uns über das Gemeine hinaus in die göttlich »reine Region der Knnst. In Betreff des Details nimmt die Goldene Pforte eine hohe künstlerische Bedeutsamkeit unter den Monumenten des Ziegelbaues cm. »Das viclgeglicdertc Portal selbst mit dem Ncliefschmuck seiner Säulenkafti-täle, den noch reichere»» Fignren und dem Laubwerke, beides von edelster Bildung,"") an den konzentrischen Leibungen des Spitzbogens/ ebenso die so edel wie reich geschmückten Nischen in der Maucrdicke, zu beiden Sei« ten des Portals, wo über Eck» und Mittelsäulchen oon trefflichster Profilirung sich phantastische Bögen verschiedenster spitzbogigcr und anderer Formbildungcn in ein« ander legen und wieder Platz gewähren, um wieder Nc-licfgruppcn einzufassen, gehören schlechthin zu dem Edelsten, was im Ziegelbau geschaffen worden ist.« Quast, dem 13* — 276 — diese Darstellung entlehnt ist, steht nicht an auszusftre« chen, daß/ was zierliche/ bis in die einzelnen Formen durchgeführte Detailbildung betrifft, ihm im gesammten deutschen Ziegelbaue nichts vorgekommen sei/ was dieser ihren Namen im edelsten Sinne des Wortes mit Recht führenden Goldenen^") Pforte gleichkäme. Dieselbe zeigt — nach dem genannten Kunstkenner — noch eine gewisse Jungfräulichkeit der Formen/ aber Alles erscheint hier in der höchst möglichen Vollkommenheit der Bildung/ so daß ein entschiedener Fortschritt gegen den sonstigen »frühgothischen« Styl des Nordftügels nicht zu verkennen ist. Auch technische Verschiedenheiten finden sich zwischen beiden. An der Pforte sind alle Profile unendlich zierlicher/ tiefer untcrarbeitct/ die Massen getheilter und viele Theile mit einer gelblichen Glasur überzogen/ welche fast durchsichtig/ keine der eleganten Formbildungen verdeckt/ ihnen gegcntheils neuen Nciz verleiht. Nicht umsonst ruft dieses Portal eine erhöhte Stimmung herdor,' wir befinden uns auf gewcihtcstem Boden. Ein wohlthuendes Träumen empfängt uns in der Schloß« kirche mit leisem Flügelschlage. In dieser Hauskaftclle der gcsammten Nitterschaft wurden die »Gezeiten« von je drei zu drei Stunden gehalten/ Tag wie Nacht. Uns überkommt ein leiser Schauer, gedenken wir jener hier betenden Brüder/ welche zugleich das Schwert und das Kreuz als Symbol erwählten/ zugleich Nitter und Mönche, während doch Eines allein schon genügt hätte/ sie furcht- — 277 — bar zu maä^n. Oder hoffte man/ der Geist werde die Physische Gewalt, das Leben den Fanatismus der Ncli« gion in Schranken halten? Sie sind dahin gegangen, aber nicht ihr Werk. Unter der Annakapellc in einem Gewölbe ruhen ihre großen Meister Dietrich von Altenburg/ Winrich von Knivrodc, Heinrich von Plauen. Wir schreiten über ihre Grabsteine mit kaum noch leserlichen Schriftzügcn. Die Gebeine der hier Begrabenen haben zwar zur Zeit der Polnischen Herrschaft denen der Jesuiten weichen müssen, (erkannten diese vielleicht das Ketzcrthum in der That-kräftiaM dieses Ordens?) - aber was thnt's? Für uns liegen diese Meister hier noch immer begraben, denn wir fühlen das Wehen ihres großen Geistes/ in das Gefühl der Vergänglichkeit selbst dieser Grüße mischt sich die freudige Gewißheit/ daß es lohnte so zu leben j daß ein solches Streben nicht umsonst war. Die Heilige Jungfrau war dicSchuhherrin des Dent-schen Ritterordens/ ihr Vor Allem gebührte ein bleibendes Monument/ und sic haben es ihr errichtet/ strahlend in herrlichem Glänze/ bleibend in unvergänglicher Schönheit. In einer tiefen Mauerblendc an dem Polygonen Chorschlussc der Schloßkirche steht das kolossale Marienbild^) hoch über dem Burggraben, dem östlichen UmHange der Burg gegenüber/ so daß es schon aus weiter Ferne gesehen werden kann. Das Bild,. welchrs mit mehr als halber Dicke aus dem Grunde der Mauer» — 278 — blende heraustritt/ stellt die Jungfrau Mcuia mit dem Ehristuskiudc auf dem linkcu Arme und eiucm Scepter in der rechten Haud dar. Die einzelnen Theile des Bil° des siud übergroß/ da dasselbe auf eine sehr weite Entfernung berechnet war/ die Höhe der Jungfrau beträgt 25 Fuß, die Größe deß sitzenden Christuskindcs tt Fuß/ das Gesicht der Iungfran vom Kinn bis zur Stirn mißt gegen 3^ Fuß / der Mund dreiviertel Fuß und in diesem Größcnverhältnisse sind auch die übrigen Theile des Bildes. Der Eindruck, den dieses aus farbigen und goldenen Glaspasten zusammengesetzte Mosaitbild auf den Beschauer macht/ ist gleich mächtig/ »sei es/ daß das auf goldenem Grunde hervortretende Bildwerk von der hellen Morgensonne beschienen doppelten Glanz zurückstrahle/ sei es/ daß Mondschein die höhere Gestalt mit sanftcrem Lichte übergieße und die kräftigeren Farben des Bildwerks in sanftere Harmonie vereinige. So außergewöhnlich/ ja einzig die Technii eines mit Mosaiken bedeckteil Bildwerkes ist/''") noch dazn eines so ungewöhnlich großen / der größten Figur vielleicht des gesauunten Mittel« alters / so trefflich ist andererseits das Werk in künstlerischer Beziehung/ das heißt gleichmäßig in Bezug auf Skulptur/ wie auch in der Färbung.«^) Dennoch ist die Empfindung, wenn wir diesem kolossalen Bilde das erstemal gegenüber treten / selten eine andere als eine gemischte/ halb staunende Bewunderung, halb Bcfremdung. Die Unbehaglichkeit/ in welche uns — 279 — sein Anschauen versetzt / ist weniger eine Folge der einzelnen Fehler der Zeichnung, wie des zu kurzen rechten Armes ^') — »die großartigen Linien des Faltenwurfs stimmen vielmehr sehr wohl mit drm Ernste/ den das Angesicht der Himmelskönigin trägt/ und dieser Ernst ist wieder sehr glücklich durch die Schönheit edelster Formbildung gemildert/ die sich gleicherweise in der ganzen Gestalt wie in der sorfältigm Anordnung der verschiedenartigen Gewänder zeigt <>, — es ist die Kolossalität der weiblichen Gestalt/ was uns immer und immer mit einem eigenthümlichen Gefühle des Widerwillens erfüllt. Soll die Kolossalität den Eindruck des Imposanten/ der Würde, der Erhabenheit hervorrufen oder verstärken, so ist sie bei der Bildung männlicher Gestalten / bei Thieren, deren Wesen das Kraftvolle, die Stärke ist, recht eigentlich angebracht. Die Natur des Weiblichen erfordert ursprünglich Anmuth. Diese kann aber über eine gewisse Grenze, über die naturgemäße Größe niemals hinaus, ohne den Ausdruck einer furchtbaren, medusenhaften Anmuth anzunehmen und eine Art von starrenden Schreckes hervorzurufen. Ich möchte wohl fragen, ob die Juno ^udovist beim ersten Anblick einen andern Eindruck macht als den einer gorgo-nischcu Anmuth. Wir müssen uns erst an diesem sonderbaren, neuen, unerhörten Anblick gewöhnen, bevor wir zu einem künstlerischen Genusse gelangen. Weil aber die Kolossalität ganz von selbst der Anmuth den Aus- — 280 — druck dcr Erhabenheit gewährt, so haben ältcrc wie neuere Künstler zu diesem Mittel gegriffen, um die großartigsten Wirkungen hervorzubringen. Wir können in dieser Beziehung die Schöpfer der Juno Ludovisi, dcr ägyptischen Sphinx, der Badaria und unseres Mosaikbildcs umnit> telbar neben einander stellen. Aber auch in archäologischer Hinsicht ist dieses Muttergottesbild ein merkwürdiges Kunstwerk. Als man nämlich das im Lauft dcr Jahrhunderte vielfach bcschä' digte Bild im Jahre 1823 durch den italienischen Künstler Gregori, dcr in der Mosaikfabrik des Papstes in Rom gearbeitet hatte, rcstanrircn lieft, fand man unter der neuern Stuckmassc einen ältern bemalten Stuckübcr« zug/ woraus man schließt, daß unter Dietrich von Alten-bürg, dem Erbauer dcr Schloßkirche, das Bild nur in dieser einfacher» Art ausgeführt unb crst zu dcr Zeit des höchsten Glanzes dcr Maricuburg, etwa unter Win-rich von Kniprodc, mit Mosaik überzogen worden sei. Unser Interesse wird aber noch mehr erhöht, wenn wir erfahren, daß es in ganz Deutschland und im ganzcn Norden aus dcr zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts überhaupt nur noch zwei ähnliche Mosaikbilder giebt, eines am Südftortal des Domes zu Marienwrrder und cin anderes in derselben Stellung am Dome St. Veit zu Prag. Alle diese Werke sind um so interessanter, als die Mosaikbildkunst gerade in jener Zeit selbst in Italien darniedcrlag. ^') — 281 — Wir können dun dcm hohen Schlosse nicht scheiden, ohne cinenBlick auf das interessante Eingaugs-Portal geworfen zu haben, welches im nordwestlichen Thurme, der zum Mittelschlosse über den trockenen Graben führenden Zugbrücke gegenüber liegt. Es ist eine hochaufstrc-bende Spitzbogennischc, die durch ihre auffallende Formbildung auf orientalische Vorbilder hindeutet. Ein schlanker Spitzbogen von 45 Fuß Höhe und 15 Fuß Breite nimmt fast die ganze nördliche Waud-ftäche dieses Thurmes bis zu dem oben erwähnten Bogenfriese ein, so dasi an dm Seiten nur Pfeiler übrig bleiben, an der Ostseite ein schmalerer, an der nordwestlichen Ecke des Schlosses ein breiterer. Der Spitzbogen hat eine breite Einfassung oon schwarzen glasirten und rothen Ziegeln nnd rnht an jedem Ende auf einem halbrunden Wandpfeiler, der gleichfalls aus schwarzen und rotheu Ziegeln besteht und dcsscn Fuß oon Granit ist. Kleine Sbitzbogcnnischcn sind oben seitwärts angebracht, eine etwas größere unten in der Mitte des östlichen Pfeilers. Am Auffallendsten ist die Ausbildung der Nische hinter dem großen Bogen/ sie wird durch eine Wand, die von dcm östlichen Pfeiler in südwestlicher Richtung nnd durch eine z.vcitc kürzere, die von dieser in nordwestlicher Nichtnng nach dem westlichen Pfeiler geht, geschlossen. In der crstcrn Wand befindet sich das eigentliche Ein« gangsthor, welches nach dem innern Schloßhofe führt, jedoch nur einen verhältnismäßig geringen Theil der — 282 — ganzen Nische einnimmt/ weshalb der übrige Raum durch verschiedene Nischen und Fensteröffnungen geschmückt ist. Die Grundform der ganzen Nische ist die eines stumpfen, jedoch beinahe rechtwinkligen Dreiecks, dessen Hypothenusc der große Portalbogcu bildet. Die Kathete, in welcher das Thor liegt, ist viel größer als die andere, in welcher sich eine Sftitzbogcublende, zugleich als Sihbank dienend, befindet. Dieser Portalbau, dein Quast eine detaillirte Beschreibung gewidmet hat, erinnert eben so durch seine allgemeine Form wie durch sein höchst interessantes Detail an ähnliche Anlagen des Orients/ Aegypten, Syrien, Mesopotamien und Indien sind damit bedeckt/ namentlich ist aber Kairo reich an ähnlichen' großartigen Portalbautcn/ wir erinnern uns, daß Bogumil Golh dort die Wurzeln der germanischen Baukunst entdecken zu müssen glaubte, und staunen im Ordenstande um so weniger über den Zusammenhang mit so fernen Ländern, als der Deutsche Orden fast unmittelbar nach seinen Kämpfen mit den Sarazenen in Syrien und Aegyptcn die Kolonisation Preußens unternahm. Wie durch die ganze arabische Baukunst das Prinzip aufstrebender Blend-bögen im Spitzbogen, in deren Nischen die Fenster in verschiedenen Geschossen und Grnppirungen sich befinden, geht, so finden wir nicht bloß am Marienburger Schlosse, sondern überhaupt an den meisten Ordensburgen dasselbe Prinzip und sogar in noch größerer Ausbildung angc- — 283 — wendet. Eine ähnliche Uebereinstimmung zeigt sich ail dm rein fortifikatorischcn Anlagen des Ordens, indem auch hier die im Orient erblickten Master auf die europäischen Besitzungen übertragen wurden. Indessen geschah dieses nach Preußen vielleicht nicht auf direktem Wege. Ouast, — dem diese ganze Dar-stcllnng entlehnt ist/ — weist überzeugend nach, dasi das svihbögige >>iuptpmtal der Kirche Della Magioue zu Palermo, welche 11!13 von dem Kaiser Heinrich VI. dem Deutschen Ritterorden als dessen erste Besitzung in Europa geschenkt wurde, vorzugsweise das Vorbild für unsern Marienburger Portalbau abgegeben habe. Sizilien stellt am Anfange des zweite» Jahrhunderts sich als Land der Vermittlung zwischen Abendland und Morgenland hin/ es bildet die natürliche Brücke zwischen christlicher und arabischer Kunst und feiert deren Verbindung in dem sizilianisch-normannischen Baustdle. Dcr Deutsche Orden musite bei seinem Aufenthalte daselbst die schon im Oriente erblickten Vorbilder mit doppelter Freudigkeit nachzubilden sich bestreben, als er in dem nordischen Preusienlandc seine Burgen erbautr und schmückte. An dem Orient nnd unmittelbar an Palermo erinnern auch die aus einzelnen quadratischen Ziegelsteinen mit Majuskelbuchstaben zusammengesetzten Inschriften/ welche beim Hochschlosse am Nordflügel und in einzelnen zerstreuten Steinen an der goldenen Pforte auftreten. »Dem Muhamedancr waren diese Inschriften gewissem — 284 — maaßen ein Ersah der Gemälde/ deren Anwendung ihm seine Religion verbot. Das ewige Fvrmspicl ^ ^. wickelnder Ornamente/ welches die Wände im Innern wie im Acusiern bedeckt/ verlangt den Gegensatz eines rein geistigen Ausdrucks.« Dergleichen ornamentale Inschriften giebt es im christlichen Europa aber nur in Sizilien und im Ordcns-lande. "") Die vorstehenden kurzen Mittheilungen sollen nnr dazu dienen, dem wunderbaren Portalbau des Hoch. schlofses eine größere Aufmerksamkeit zuzuwenden/ als wir sonst ihm zu schenken würden geneigt gewesen sein. Wer diese sonderbare Nische vielleicht uuschön genannt hätte/ kann nun mindestens nicht ohne Interesse an ihr vor-übcrgchn. Wir erkennen auch hier/ wie sich kein Ding als etwas Absolutes/ Losgelöstes/ Selbstständigcs be-Häupten kann/ erst die Verbindungen/ in denen wir es erblicken / seine Beziehungen/ Vergleichungen und Analo-giecn gewähren ihm eine Bedeutung/ die es an sich niemals beanspruchen konnte. Ein Ziegel ist nichts als ein Stück gebrannter Thon/ aber ein Ziegel aus dem Grabmale eines ägyptischen Herrschers ist uns ein historischer Denkstein. Das Mittelschloß. Wie wir bereits oben sahen / stellt das Mittclschloß dem Hochschlosse, als dem rechten Hause, dem Kapitol, dem Heiligthume des Ordens gegenüber, die Nesidenz des Hochmeisters, die Wohnung der Ordensbrüder, den gemeinschaftlichen Mittelpunkt ihrer gewöhnlichen Lebens-Verhältnisse dar. Wir finden daher in der Ordenszcit den nördlichen und den östlichen Flügel des Mittclschlosses theils von den Ordensbrüdern bewohnt, theils zu Gelassen sür die Dienerschaft oder Prachtwohmmgcn für die höhern Ordcnslxamten bestimmt, theils zu Kranken« zinmern (Firmaricn), Küchen und »Gastkannnern« eingerichtet. Es ist das ^Stillleben«? dieser Nittermönche, '"as uns in diesen seitdem vielfach zerstörten und verän-betten Theilen des Mittelschlosses mit eigenem Ncize entgegentritt/ die HcrbigM des Mönchsrittcrthums löst sich hier in behagliche Menschlichkeit auf. Wir verfolgen es hicr bis zu den gemeinschaftlichen Schlafstätten, zu den verbotenen »Heimlichkeiten«, ja bis zu den im Weichsel' thale so häufig wiederkehrenden »Danzkcn<< (Danzigern), — 286 — jenen mit dem Hauptgebäude meist durch einen verdeckten Gang verbundenen Thürmen/ welche das duon i-itiro enthielten. In architektonischer Hinsicht haben diese beiden Flügel eine große Bedeutung wohl niemals gehabt/ und was sie eingebüßt/ hat eine halb ungeschickte Nestallration nicht wiederherstellen können. Die spitzbögigcn Arkadm der Ostfacadc sind vermauert/ und.die Nordfacade erhebt sich nur in ihren beiden Giebeln/ von denen der westliche mit seinen reich gegliederten und verzierten Blenden das Ange entzückt/ zur künstlerischen Höhe des Westftügels. Dennoch erfreut immerhin auch dieser Theil des Schlosses durch die Energie seines Siylcs und die harmunischc Verbindung aller Theile/ von denen der Portalbau / mit dem Ordcnsschilde zwischen zweien Thürmen / sich besonders hervorthut. Es lag indessen in der untergeordneten Bestimmung dieser beiden Flügel/ das; sie an architektonischer Bedeutung niemals dem Hochschlosse oder dem Westftügel gleichen konnten. Der Letzlere ist es/ auf welchen wir unsere Aufmerksamkeit zuvörderst zu richten haben. Enthält das Hochschloft als politisch-religiöser Mittelpunkt des Ordens den Kapitelsaal und die Schloßkirche/ der Ost- und Nordsiügcl des Mittelschlosses aber die Woh< nungcn der Ordensbrüder/ so schließt der Westflügel den nicht politisch «religiösen Versammlungsort/ den für gemeinschaftliche Zusammenkünfte bestimmten/ der Befrie- — 28? — digung leiblicher Bedürfnisse gewidmeten Convents« remter und die Prachtwohnung des Hochmeister« sch losses in sich. Anch äußerlich theilt sich dieser Flügel in das EonvcntZgebändc nnd das Hochmcisterschloß. Das erstere zieht sich als längliches Viereck/ dun dem Nord-fiügcl ab/ — bei welchem es den oben erwähnten kunst-vollen Giebel bildet/ — bis znm Oblong des Hochmeisterschlosses/ welches sich ihm m der Nichtung oon Ostc» nach Westen vorlegt/ so das; das Conventsgebäudc sowohl im Westen als auch im Osten gegen das Hochmcistcrschloß zurücktritt. Das Convcutsgebäude enthält ein Geschoß über der Erde und zwei Kellergeschosse. In dein Erdgeschosse be« finden sich der Conventsrcmter, die Convcntskuchc/ die Knchenkammcr nnd die Stube des Kochs. Der Eingang zum Eonventsremtcr ist jcht unmittelbar vom Hofe durch eine in die sieben Fuß dicke Maner gebrochene/ niedrige Vorhalle/ welche im Hintergründe durch eine mächtige Thüre von Eichenholz geschlossen wnd. Mch hei den gothischen Domen überrascht uns meist die verhältnißmäftig geringe Hohe der Portale/ wahrscheinlich ein Ausdruck christlicher Demuth. ^) Wissen wir bereits/ welche Herrlichkeit uns erwartet/ wir fühlen unser Herz pochen / und wissen wir es nicht/ bann ist es ein Schrei/ der sich unserer Brust entringt/ wie wenn wir mit verbundenen Augen auf eine Fclshöhe geführt werden und vor uns liegt mit einem Male eine — 288 — sonnen-goldene Landschaft ausgebreitet. Schüttelt den Staub von euern Füßen/ es ist der heiligste geweihtcstc Boden/ den wir hier treten! Denn was Niemand glauben wird als wer es selber gesehn, was wir im Kölner Dom nnd im Parthenon angedeutet finden/ was wie ein Traum durch den Geist des Künstlers wehen mag/ hier steht es verkörpert vor unsern Augen, eine Wahrheit, die wir mit Händen fassen und doch im ersten Augenblicke kaum begreifen. Ist es nicht kühn, zu sagen, die Architektur aller Zeiten und aller Völker habe nichts geschaffen, nichts erdacht, was diesem Convcntsremter gleichkäme? Ist es nicht vermessen, zu sagen, hier sei jeder Zwiespalt ausgesöhnt, hirr feiere Natur und Kunst, Religion und Leben, Geist und Materie, Mensch und Gott ihre Vereinigung? — Was alle Zeiten erstrebt, wonach die Kunst in ihren höchsten Entwickelungen gerungen, was bis jetzt nur ein Mal annähernd das Griechenthum erreicht hat, die Ausgleichung des Widerspruches zwischen Ideal und Leben, Geist und Körper, Idee und Form, hier ist es zum ersten Male eine volle und ganze Wahrheit geworden. — Was ist die Kunst und was namentlich die Architektur Anderes als das symbolisirte Streben des Men-schengeistcs, den Widerspruch zwischen Erde und Himmel auszugleichen, den Himmel zu erstreben und die Erde doch nicht zu lassen, dem Geiste, diesem ewig Wandel-baren Proteus, einen Körper zu geben, Gigant zu seiu und zugleich Mensch. Die Einen bauen iu den Himmel — 289 — bis der erzürnte Gott ihre Sprache verwirrt, — denn sie vergasicn der Erde/ die Andern können nicht von dem heimathlichen Boden los/ nur die Spitze der breit fnn-damcntirtcn Pyramide weist nach Oben. Und wieder die Einen wissen nichts als kolossale Fclsblöcke auf einander zu häufen, während die Andern den Stein durchbrechen, vergeistigen und in ihren gothischen Barbarismen die Versöhnung voll Geist und Materie ganz äußerlich durchführen wollen. Der Grieche strebt in seinen Säulcn kühn zum Aether, aber fast zu maaßvoll setzt er sich selber eine Grenze dnrch den Architrav, und nur das »Adlcrdach« deutet die ssortschuug des ursprünglichen Aufschwunges an. Ich frage aber, wo giebt es etwas, was diesen Pfei< lern, diesem Gewölbe, diesem Lichte, dieser Beschränkung und Freiheit gleichkäme! Dem Eine» ist dieses Gewölbe die »Andeutung des Himmels", dem Andern »ein steinerner Palmcnwald«/ Manche sehen in den Pfeilern, dem schwungvollen Auf- und Nicdcrsteigen der Gewölberippen »des Springquells flüssige Säule«, welche nach den Sei' ten melodisch hcrabwalch auf die Andern machen diese Pfeiler den Eindruck eines Gebetes, das sich zum Him-wel ringt gleich einer lodernden Opfcrfiammc. — Ist es wcht Alles dasselbe? Sind Himmel, Wald, Spring. Plcll und Opfcrftammc nicht der Ausdruck, die Ver> sinnlichung eines und desselben Gedankens, des Strebcns, den Himmel auf die Erde hcrabzuzichn, die Erde zum Himmel zu erheben? — 290 — Sonst baute der Mensch cm Hans für seinen Gott und ein anderes für sich. Denn die stolzen Götter wollen nicht mit dem Menschen zusammen wohnen/ zögernd und mit heiligem Schauer mag er sich ihnen nähern. Aber zu Hause da fühle er sich menschlich leicht und frei/ da unter« halte er auf seinem Heerde das Feuer und stelle rings seine »Hausgötter«/ seine Laren hin. Dafür fehlt ihm dort aber auch das Erhabene/ das Große, der Himmel. Der Ordensritter konnte diesen Gegensatz nicht kennen, er hatte keinen Hcerd. Sobald er das Gelübde als Bruder abgelegt, gehörte er seinem Convente au/ sein Besitz ging auf den Orden über/ er dürfte nichts Eigenes erwerben/ nur Waffer und Brod und ein altes Kleid wurden ihm symbolisch für scine Entsagung des fröhlichen Weltlcbens dargeboten/ eine einsame Kammer/ unwirthlich und im Winter nie geheizt/ die er noch dazu oft mit einem Kameraden theilen mußte, ward ihm als Wohnung angewiesen/ ein Strohsack, ein Strohkiffen und eine leichte Decke waren sein ärmliches Nachtlager/ weder das Ge< mach noch was darin war, durfte je verschlossen sein. Der Ordensbruder war nicht nur Ritter, er war auch Mönch. Diese Vereinigung von weltlichem und religiösem Leben, Soldaten» und Pricftcrthum, Kriegslager und Kloster,. Kampf und Gebet/ Kreuz und Schwert ist es aber, was diese Remter schuf. Im Ordensritter steht jene Verbindung von Religion und Leben, Geist und Körper in einer Weise harmonisch da, wie sie die — 291 — Menschheit cin zweites Mal nicht auszuweisen hat. Darum ist aber auch die Ordensburg nichts als cin »befestigtes Kloster«, darum gehen die Kirchen in dcnOrdcnsschlössern niemals über den Charakter einer bloßen Schlvßkaftclle hinaus, und darum ist der Versammlungsort des Con-dentcs halb cin Ort der Freude und halb dcs Gebetes, halb Kirche und halb Heerd. In diesem Conventsremtcr wurden nach Art der Mönchsorden die gemeinschaftlichen Mahlzeiten gehalten. Alle Ordensbrüder, die Geistlichen wie die Laienbrüder, aßen an der gemeinsamen Conventstafel, so» bald um zwölf Uhr das dritte Tagcsgcbct, die Sexte, abgehalten warj nur für den Hochmeister, den Groß-komthnr, Treßler, Tradier und einige andere vornehme Ordensbeamte gab es cinc besondere »Gcbictigertafcl«. Die Pritstcrbrüdcr sprachen vor dem Essen die Tischgebete. Während der Speisung herrschte allgemeines Schweigen, denn es wurden von einem Ordensbruder Lcctioncn gehalten, »auf daß — wic es heißt — nicht allein die Ganmm werden gespeisct, sondern auch die Ohren hungern nach Gottes Wort.«^) »Nach ernster Andacht bei dem Gottesdienste suchte der Ordensbruder den Ort der Heiterkeit und Freude. Im Conventsrcmtcr versammelten' sich die Bruder wiederum zu freundlicher Unterhaltung, zu geselliger Mittheilung, zu Lust und Spiel, wo der Freund dem Freunde, der Bruder dem Bruder sich in Liebe bcgeg. 19" ___ 292 -— netm, wo sich das Herz dem Herzen öffnete nnd die treuen Freundschaftsbande geschlungen wurden/ deren die Geschichte von Ordensbrüdern öfters mit Ruhm zn erwähnen weis;. Hier vergaß der Bruder gerne, welchen Freuden und Vergnügungen er mit dein Ordmskleide entsagt habe/ hier ward dem Nittcrbruder die schöne Welt der treusten Freundschaft aufgcthan und die Worte des Gesetzbuches gingen ihm hier ganz in Erfüllung: »Die Minne ist die Grnndvcste des geistlichen Lebens und tröstet und stärket die/ welche darinnen arbeiten, und ist ihre Frucht und ihr Lohn. Ohne die Minne sind weder Orden noch Werke heilig. Die Minne ist ein Schatz, mit dem der Arme reich ist, der ihn hat, und der Ncichc arm, der ihn nicht hat.« Hier war dem Ordensbruder auch Spiel und lustiger Zeitvertreib erlaubt/ man ergötzte sich mit dem Schachspiele und dem Dammbrctc. An hohen Festtagen wurden wohl auch Kollazionen — fröhliche Trinkgelage — gehalten, zu denen der Hochmeister Wein und allerlei Leckcr< bissen verabfolgen ließ. ^") Liegt dieses Alles, Gebet, Minne, Freude/ nicht in diesen Hallen verkörpert vor uns? Sind sie nicht zu» gleich erust und freudig, weit und enge, erhaben und behaglich? Ist es nicht'die Minne, die hehre Freundschaft, ein göttlicher Hauch, was diese Näume durchbcbt? — Wir senken unser Auge in Demuth und wir erheben es wiederum freudig, »halb Lächeln ist's und halb Gebet,« — 293 — cm Gefühl/ wie es uns überkommt, beim ersten Grün des Mai's oder des Abends am träumenden Meere. Fast ist die Klarheit dieser Hallen zu licht und rein/ an so viel innern Glanz, so viel Freudigkeit nicht gewöhnt, schilt sich unser Auge nach einer Wolke, die es schütze, wie wir ja auch den Himmel in seiner reinen Bläue nicht ertragen und mit der Hand unser Auge bedecken. Wunderbar ist es/ wenn des Abends die Sonne ihre letzten Strahlen durch die acht gewaltigen Spitz-bogenfcnster sendet, welche die westliche Langscite durchbrechen. Die Farben der Scheiben werfen ein spielendes Muster auf die weiße Waudstäche im Osten oder auf die bunte Mosaik des Fußbodens, während die drei schlan« ten, roth-schwarzen Granitftfcilcr, welche in der Mitte des Saales in einer Neihe das Gewölbe tragen, sich scharf gegen die lichten Fenster und Wände abzeichnen. Aber noch wunderbarer ist es, wenn der Mond sein bleiches Licht durch die sechs Fenster der Ostseitc wirft und phantastische Gestalten diese Näume beleben, oder eine Fackel ihr rothes Licht über die bleichen Wände gießt. Nebe«, dem Conventsremier liegt die Conventsküche. Unter beiden ziehen sich großartige Kcllerräume in zwei Geschossen übereinander hin. Durchwandcln wir diese Hallen, dann begreifen wir erst, wie man es wagen konnte, die Gewölbe da oben so kühn und luftig schwebend zu konstruircn. Denn hier unten entdecken wir Träger mit fußbreiten Gurten, so kolossal massenhaft, — 294 — daß uns ganz voll selbst der Vergleich mit dem Atlas beifällt/ der den Himmel trägt. Namentlich ist es ein mächtiger/ gemauerter Pfeiler, der mit seinen Gurten unmittelbar auf eine Granitplatte aufseht und dieselben mit den, von den entgegengesetzten Gewölbescitcn aufsteigen' den Gurten verbindet/ was unser Staunen hervorruft. Als Kind hatte ich die Vorstellung, daß die Bäume mit ihren Wurzeln eben so tief in die Erde gingen, als sie die Aeste zum Himmel hinaufschickten. Diesen selben Glauben hat das Volk voll der Marienburg. Und in der That, wenn wir diese Gewölbe schell und hören, das; uutcr ihnen noch ein zweites liege, wir stellen uns unwillkührlich vor, daß sich die Wurzeln dieses Niesen-baumcs noch tiefer in der Erde verlieren. Denn dieses Mauerwcrk erscheint uns so organisch, daß wir uns ein plötzliches Abbrechen gar nicht denken können, sondern meinen, es müsse sich Wurzeln gleich hinabsenken und in Fasern auflösen. Ill Betreff der Technik fällt uns die Größe der zu diesem Mauerlverk verwendeten Ziegel auf/ sie erscheinen uns um so kolossaler, wenn wir uns der kleinen Ziegel erinnern, welche die Nömcr zu ihren Ballten benutzten. Südlich an das Conventsgcbäudc stößt, wie schon erwähnt worden, das Hoch meist erschloß mit der HauZkaftellc des Meisters. Wenn das Hochschloß, namentlich ill seinem nörd« lichcn Flügel, den »hohen« Styl des Maricnburgcr — 295 — Schlosses repräscntirt, das Convcntsgcbäudc aber den »schönen«, so werden wir dm Styl, in welchem das Hochmeistcrschlösi erbaut ist, als dm »glänzenden« be» zeichnen muffen. Die Idee des Ordens, der Geist der Entsagung und Demuth, welcher die Nitterbrnderschaft durchdrang, verlangte in der Architektur des Hochschlosses die vollste Erhabenheit, Würde und Strenge des Styles. Der zn gemeinschaftlichen, frei menschlichen Zusammen-künften der Ordensbrüder bestimmte Convcntsrrmtcr ließ eine Mildernng dieser ursprünglichen Strenge zu und erhebt sich darum zu der entzückenden Schönheit schwungvoller, erhaben-anmuthiger Formen. Das Hochmeistcrschloß, als die Residenz des Herrschers, tritt uns in glänzender Fülle uud blendender Pracht als die würdige Behausung des Oberhauptes eines mächtigen Staates entgegen, mit all dem Luxus, Comfort, mit der vollen Behaglichkeit ausgestattet, wie sie den Anforderungen eines sinnigen, knnstlicbenden, menschlich-frei empfindenden Fürsten zusagen mochte. Dennoch spricht auch aus diesen annmthdoll-behaglichen Hallen die ursprüngliche Idee des Ordensthumcs. Auch sie bewahren nicht bloß den kriegerischen Charakter des Nitter-, sondern auch die religiöse Strenge des Mönchs« thumes. Nir finden nur die bereits im Couvcntsrcmter zugelassene freiere Menschlichkeit hier zu noch größerer Herrschaft gelangt, ohne daß darum die ursprünglichen Elemente, welche im Hochschlosse rein verkörpert auftre- — 296 — ten/ unterdrückt worden wären. Wohl ist es ein "Genre-bild«, was sich in den Hallen des Hochmeisterschlosses unsern Blicken darbietet/ aber cZ ist ein historisches Genre/ zwar cm » Stillleben«/ aber eines in weitesten Dimensionen. Damit ist aber zugleich angedeutet/ wie diese Architektur bereits ein Heravstcigen von der einmal errungenen Höhe darstellt. Ist es doch selten einer Zcit vergönnt, den erreichten Höhepunkt länger als einen Moment zu behaupten! Gleicht diese Höhe doch sogar meist nicht einmal einer Berg kuppe/ sondern mir einer Berg-spitze/ und werden wir doch ein Herabstcigen nm so näher wähnen/ je mehr die erreichte Höhe alle bis dahin erklommenen übertraf! Wie aber ein Herabsteigen nur etwas relativ Niedriges andeutet und iu der That auf einer absolut noch sehr bcdeutcuden Höhe stattfinden kann/ so empfinden wir auch hier einen Niedergang nur, wenn wir zu der verlassenen Erhabenheit znrückblicken. Werfen wir den Vlick in die Tiefe/ uns schwindelt noch auf dieser Höhe. Schon im Aeußern deuten Huch-/ Mittel- und Hochmcisterschloß die Unterschiede ihrer Style an. Das erstere mit seinen glatten/ strengen Wandflächen versteht sich kaum zu einigen — zum Theil später wieder vermauerten — Fcnsterdurchbrcchungen/ wie wenn es sich vor unheiligcn Blicken verschließen/ ein Geheimniß bc< wahren wolle. Nur hohe/ bis zum Dache reichende Bo-genblenden mildern die Herbigkeit der kalten Monotonie/ — 297 — cin einfacher Bogcnfries umrankt die schmucklosen Mauern, welche leine Zinnen krönen/ cin grandioser Portalbau öffnet sich in einer kolossalen Nische, um sofort sich wieder zu einer niedrigen Pforte zu verengen. Nnr im Innern des gewaltigen Mauer-Vierecks gehn Fenster ans einen klinstvollen .^rcnzgang/ der bis zur Höhe des zweiten Geschosses umgiebt/ und eine »goldenePforte« führt zur Schloßkirche."") Das Conventsgebäude zeugt voll Außen gleichfalls noch vollständig schmucklose Mauerflächen. Aber eine Crenclirnng giebt ihnen oben einen frei < mnnuthigcn Abschluß und große spitzbogigc Fenster öffnen sich auf beiden Langseiten. Wir können von draußen in diese Räume schauen, sie stbrecken uns vom Eintritt nicht zurück/ sie fordern uns dazu auf. Dennoch steht die änßere Einfach-hcit in keinem Verhältniß zu der innern Schönheit. Wir erwarten höchstens eine Ueberraschung und wir finden ein Wnnder. Das .^ochmeisterschloß ist gleich bedeutend von Anßcn und von Innen. Darum ist es aber anch gerade dieser Theil des Maricnburgcr Schlosses, der dem Fremden im ersten Momente so imftonirt. Die Erhabenheit des Hochschlosses will stndirt/ die Schönheit des Convents-rcmters gesucht sein/ das Hochmeistcrschloß drängt sich uns auf. Dort schälen wir den Hiern aus einer stacheligen oder verschlossenen Hüllt/ hier liegt ein "goldener Aftfel in silberner Schale.« — 398 — Betrachten wir daher das tzochmcistcrschloß/ wie es sich uns voll Außen rcfträsentirt. Haben wir dasselbe nicht bloß von der Ecke des Hoch-schlosses/ nicht bloß seine Süd- und Ostfacade/ sondern namentlich anch jene berühmte westliche Nogatfacadc angeschaut, welche in der Architektur des Mittelalters kanm ihres Gleichen hat/ so fällt uns zuvörderst das cigen< thümliche Mißverhältniß in der Beschaffenheit des Terrains ans. Die Ostfacadc zeigt nnr ein Stockwerk/ die Süd - und Westfacadc haben drei und überdies noch ein Kellergeschoß/ die Fenster der Ostfacade entsprechen aber den Fenstern des obersten Stockwerkes an den beiden andern Facaden, ihr fehlen mithin nicht bloß die beiden andern Stockwerke/ sondern auch das Kellergeschoß. Diese Ungleichheit entsteht daher, weil das Nogatnfcr nach dem Schlosse zn ziemlich steil aufsteigt, und weil das Hochmeisterschloß nebst dem Eonventsgcbändc ge-tvissermaaftcn an den Abhang des Ufers gebaut ist. Ueberdies steigt der Hof, welchen die drei Flügel des Mittclschlosses umgeben/ von Norden nach Süden aufwärts, so daß den Fenstern des EouventZremters/ welcher im Erdgeschosse des Eonveutsgcbäudcs liegt, in der Ost> facade des Hochmeisterschlosscs keine mehr entsprechen. Es ist nicht zu lmgnen, daß der ganze westliche Flügel des Mittelschlosses einen ungleich grandiosern Eindruck machen würde, wenn er auf einer größern Höhe erbaut worden wäre. Zwar wird er gegenwärtig im — 299 — Westen (nach der Nogat) durch die Häuserreihen/ welche noch heutzutage » Vorschloß ^ heißen, verdeckt/ zwar ist der Boden durch Schutt und Trümmer so erhöht/ daß der Wcstflügel gleichsam in einer Vertiefung zu stehn scheint/ zwar dürfen wir annehmen/ das; der Anblick desselben von der Nogatscitc einst ein mehr großartiger gc-wrscn sein werde/ dennoch ist die Stellung dieses Wesj> stügels immerhin eine so ungünstige/ daß wir cs stets bedauern werden/ ihn auf keiner bcdcutenoern Höhe erbaut zu fiudcn. Uuscr Mißvergnügen wird aber gcmil-> dert/ wenn wir uns erinnern/ daß manche der großartigsten Nömerbautcn und gerade das bedeutendste — das Kolosseum — in einer vollständigen Vertiefung sieht/ ja wir sind vielleicht/ wie, bci dem Amphitheater zn Pola/ welches mit einer Seite auch an einem Bevgabhangc strht/ und daher ähnliche Verkürzungen zeigt wie das Hoch meisterst!) loß/ zu erkennen geneigt/ wie diese Abhängigkeit vom Terrain/ das sich unmittelbar an den Boden Anschlichen/ das Bauwerk nur um so enger mit demselben dndiudct, cs gewissnmaaßcn als ein kolossales Naturprodukt darstellt und in uns den Eindruck eines erd-crzcugtcn Organismns hervorruft. Beim Hochmeister-schlösse sind wir aber auch anf kunsthistorischem Wege nachzuweisen im Stande, daß dasselbe nicht mit einem Male/ sondern erst allmähllg entstanden und erst bci der Erbauung des westlichen Theiles die vorgeschobene Stellung in dem Schloßgraben erhalten habe. — 300 — Ursprünglich mochte nämlich an Stelle des West-stügcls ein einfaches Bauwerk von romanischer Form« bildung gestanden haben. Wir erkennen ein solches noch in einzelnen Theilen des Hochmeisterschlosses und nament-« lich in den Kellergeschossen/ welche sich unter demselben bis zur Mitte des Conventsremters hinziehen. Wahrscheinlich erfolgte hierauf unter Dietrich von Mcnburg — im vierten Jahrzehnt des vierzehnten Jahrhunderts — der Van des Conventsremters mit den organisch damit verbundenen gothischen Kcllcrgewölben/ und der Con-ventsküchc nebst den dazu gehörigen Räumlichkeiten/ so« wie der Hauskapelle und desjenigen Theiles des Hoch-mcistevschlosscs / welcher in dessen östlicher Hälfte lag und westwärts von der verlängerten Westmauer des Con-vcntsgebäudcs begrenzt wurde. Unter Winrich von Kniftrodc ^) ist h,M,t sftäter über dem diese Mauer be» spülenden Schlosi-Mühlengraben der westliche Theil des Hochmeisterschloffes / der eigentliche Prachtbau/ als der verkörperte Gedanke eines einzigen genialen Vaumcistcrs/ erbaut und ihm entsprechend zugleich der östliche Theil der Hochmeistcrwohnung und die Hauskaftcllc umgestaltet worden. Noch jetzt geht die Wcstmauer des Convents« gebäudes quer durch das ganze Hochmeisterschloß und scheidet den westlichen — neuern — Theil von dem östlichen. Auch in den Dächern derselben erkennen wir die ursftrüuglichc Anlage. Der östliche Theil wird nämlich von zwei Parallcldächcrn bedeckt/ welche von Süden — 301 — nach Norden (der Richtung des Convcntsgcbäudcs entsprechend) streichen, dagegen hat das den westlichen Theil bedeckende einzige Dach die Richtung von Osten nach Westen. Betrachten wir das Hochmcisterschloß selber, so fällt uns zuvörderst die lichte Durchbrochenheit der Wand-siächcn, die große Zahl von Fenstern und das Bestreben auf, die grandiose Massenhaftigkeit unter Ignorirung der Gesetze des Zicgelbaues mit einer an ^Raffinement« streifenden, sich des Gelingens belvusiten, genialen Technik aufzuheben/ den Stoss als ein williges, leicht zu handhabendes Mittel der Idee dienstbar zu machen, ihn in Formen zn zwingen, denen seine ursprünglichen Eigenschaften widerstreben. Wir finden den Geist des Bauwerkes nicht mehr in einem bestimmten, dasselbe beherrschenden Style, sondern in gewissen Stylformen ausgesprochen. Er redet zn uns hier nicht ans dem Werke als solche»«, nicht klar und vernehmlich wie ein einziger Akkord/ cr läßt sich vielmehr herab in einzelnen Tönen, einzelnen Worten uns zu sagen, was er sei. Dc-tailformen treten auf wie bei den gothischen Kathedralen im Westen. Das ursprüngliche Material genügt nicht mehr zur Ausführung aller Theile, namentlich der horizontalen Abschlüsse der Fenster. Der Haustein drängt sich vor und tritt bald da auf, wo eine größere Durchbrochenhcit der Wandftächen erzielt nnd doch nicht die Festigkeit der Mauern gefährdet werden soll, bald in Formen von — 302 — Säulen mit Bindcsteincn, um die massiven Strebepfeiler zu unterbrechen und sich an ihre Stelle zu setzen. Der am meisten charakteristische Unterschied in der Bauweise des HochmeistcrschlosscZ und dcr bis dahin be-trachteten Theile des Marienburgcr Schlosses liegt aber in dem komplizirtcn System dcr Strebepfeiler/ welche das erstere umgeben. Strebepfeiler sollen dem Schub des Daches oder Gewölbes eines Bauwerkes durch Verstärkung der Mauern, an welche sie sich lehnen/ einen grösiern Widerstand entgegensehen. Je kühner ein Gebäude, je größer der seit« liche Drnck/ um so großartigerer Widerlager wird es bedürfen. In dieser Bedeutung aufgefaßt, dienen die Strebepfeiler keinen« Kunst-, sondern nur einem Nützlich-keitszwcckc. Wir finden sie als solche auch überall, wo cin Gebäude nicht eine künstlerische Idee verkörpern, sondern nur eine gewisse praktische Bestimmung erfüllen soll. Es liegt aber im Wescn des Kunstwerkes, sich selber ohne Rücksicht auf etwaige Nebenzwecke als den sinnlich plastischen Ausdruck einer Idee hinzustellen. Wie der Krystall nur durch Assimilation gleichartiger Stoffe sich bildet, so krystallisirt dcr künstlerische Geist einer Schöpfnng auch nnr mit denjenigen Elementen, welche dem die Form des Krystalls bestimmenden Gesetze gehorchen. Jeder fremdartige Stoff muß entweder ausgeschieden oder durch chemische Umwandluug erst krystallisatwnsfähig gemacht werden. So ist es hier mit den Strebepfeilern. Als — 303 — einem Nützlichkcitsprinzifte dienend/ stehn sie der Kunst-idce fremd gegenüber/ da sie aber nicht entbehrt werden können/ so sucht die lchtcre sic sich zu assimiliren, organisch mit sich zu verbinden/ was eine bloß mechanische Zuthat war. Ich stelle mir dor/ daß bei den ägyptischen Tempel-bauten, die nach Innen geneigten Flächen der Ningmancr nichts Anderes bedeuten als das Aufnehmen dcr Strebepfeiler in die Wände selber. Wir er° blicken hier statt einzelner Strebepfeiler gleichsam eine gauze Neihe unmittelbar neben einander stehend und mit einander verbunden. Vielleicht sind die Säulen des griechischen Perivtcros/ welche den Tempel umgeben nnd das Adlerdach tragen/ namentlich die sich nach Unten bedeutend verstärkenden Säulen dorischer Ordnung — wie bei den Tempeln von Pästum — nichts als die von den Mauern losgelösten Strebepfeiler. Die beiden Thürme der gothischen Dome an deren Westseite hat man schon längst als eigentliche Strebepfeiler aufgefaßt/ an den übrigen Sriten derselben sind sie meist als Thürmchen ausgebaut/ durch Strebebogen mit einander verbunden nnd so in den Organismus des Bauwerkes aufgenommen. Am merkwürdigsten erscheint wohl die organische Verbindung dadurch herbeigeführt, daß die Strebepfeiler nicht an die Außenwandflächen, sondern an die Innenseite dcr Ningmanern angelehnt sind, wie in der Marienkirche zu Danzig. Indem sie hier die Form dcr übrigen Pfeiler — 304 — annehmen und mit einem Gewölbe überbaut sind, bilden sie fast ein besonderes Schiff und schließen sich dadurch anfs Innigste dem Ganzen an. Bei dem Hochmeisterschlosse der Marimbnrg finden wir eine dieser letztern geilall entgegengesetzte Erscheinung. Die Strebepfeiler ragen hier an der Außenseite in kolossa» lcr Masscnhaftigkcit bis über das höchste Geschoß in die Höhe/ dort brechen sie aber nicht ab/ sundern sie werden durch stäche Bogen mit einander verbunden/ bedeckt und auf diese Weise zn einem dollständig organischen Theile des Bauwerks. Die dadurch hervorgerufene Unterbrechung der sonst monotonen Wandflächcn ist eine höchst glückliche/ die gewaltigen Vertikallimen der Pfeiler geben dem Bauwerke eine Düsterkeit/ Melancholie/ die mit dessen sonstiger Heiterkeit vortrefflich kontrastirt/ die Schatten der Pfeilcrzwischenraumc bilden einen entschiedenen Gegensatz gegen die lichten Flächen der vortretenden Strebepfeiler/ wie dnnklc Gebirgsschluchten zwischen sonncnbeschicnenen Graten/ oder wie die tiefen Furchen eines gebräunten KricgcrantlHcs/ und darüber wölben sich die gewaltige»/ ein wenig gedrückten Bogen gleich den dunkelschattcndcn Brauen eines zürnenden Gottes."") Welche wunderlich-geniale Laune hieß aber den Baumeister diese großartigen Linien unterbrechen/ diese gewaltigen Pfeiler verstümmeln, ein Stück Fleisch aus diesem lebensvollen Organismus herausschneiden? — 305 — Es giebt Erscheinungen auf dem Gebiete der Kunst, vor denen wir rathlos dastchn, Erscheinungen/ die mehr als Alles beweisen, wie der Gott Bacchos nicht ohne Bc« gleitung des Satyrs denkbar ist. Dahin gehört das Ve. malen der griechischen Marmortcmftcl und zum Theil auch das ihrer Statuen/ dahin gehört unser Hochmcistcrschloß. Wo nämlich an der Wcstfronte^) desselben sich die beiden gewaltigen Eck« und die drei mittlern Strebepfeiler vor die Doppelreihe der Fenster des Prachtgcschosses legen, ist es unserm Banmcister eingefallen, mit einem Male, und zwar nur bis zur Höhe der untern Fmstcrreihe, die Eck. Pfeiler abzuschrägen und die drei mittlern ganz zu unter-brechen, an die Stelle des herausgeschnittenen Stückes aber dort eine, hier je zwei Säulen zu stellen, um die unterbrochene Verbindung wieder zu ergänzen. Und das Alles nur, um mehr Licht in den Hochmeistcrremtcr zu bringen! Hier ist also recht eigentlich die Kunstidee dem Nützlichkeitsprinzipe untergeordnet worden. Es thut nichts, bah diese Säulen selbst von außerordentlicher Eleganz und Schönheit dastehen, daß sie das Massiv des Strebepfeilers physisch wirklich ersetzen/ in die Freude über das Gelingen dieses Kunststückes, dieser genialen Virtuosität mischt sich die Empfindung des Bedauerns über das verstümmelte Kunstwerk, das ästhetische Mißbehagen, welches uns überall da überkommt, wo wir die Kunstidce cinem an« dern Zwecke geopfert sehen) uns wird zu Muthe wie beim Anblicke eines anatomisch vollendeten Schenkels, possorge, auü b«m WtichstldM. 20 — 306 — don wclchcm man in der Mitte das Fleisch ablöste und nur den Röhrenknochen stehn ließ. Man sage nicht/ daß die Helligkeit des großen Ncm« ters mehr werth sei als diese Verstümmelung. Ich meine/ diese Pfeiler hätten nicht unterbrochen werden dürfen und wenn jener Remter niemals ein anderes Licht als das eines düstern Novembertages empfangen haben sollte. Man wende auch nicht ein, daß wir ähnlichen Erschci« nungcn an der Markuskirchc in Venedig begegnen. Diese Analogie paßt ganz und gar nicht. Hier sind es nicht ein paar winzige Säulen was sich an Stelle des Massivpfeilers seht, es ist der in einzelne Säulen aufgelöste Säulen« bündel/ was sie ergänzt. Denn der Pfeiler, wie er uns in gothischen Bauwerken entgegentritt/ ist doch eigentlich nichts als ein Complex von einzelnen Säulen/ er löst sich also ganz von selbst in seine einzelnen Bestand« theile auf. An der Markuskirche treten diese mehren Säulen allerdings nicht als die Fortsetzung eines schon vorhandenen Säulcnbündels auf/ da die dortigen Pfeiler — der byzantinischen Bauweise entsprechend — ein einziges vertikales vierkantiges Massiv darstellen/ aber das Auge löst dieses Massiv doch leichter in zwölf einzelne Säulen auf (so groß ist deren Zahl meistens an der Markuskirchc) als in zwei. Dort findet das ästhetische Auge einen künstlerischen Ersatz für den unterbrochenen Pfeiler und hier nur einen mechanischen. — 307 — Von ähnlicher Kühnheit aber unendlich größerer Harmonie sind an dieser Wefifacadc die thmmartigen Zinnenkrönungen/ welche auf Konsolenbascn sich über den beiden Eckpfeilern erheben und über deren Masse« körper frei hervortreten. Wohl seht uns auch hier die sich des Gelingens bewußte Technik in Erstannen, wohl können wir uns eines virtuoscnhaftcn/ brillanten/ bcrcch« neten Eindrucks nicht erwehre»»/ aber wie wundervoll ist zugleich diese Kühnheit, diese Technik/ dieses Schweben einer gewaltigen Masse! Und um das Wohlgefallen noch zn er» höhen, verjüngt sich diese Masse nach Oben in eine mit Stuck reich verzierte Zinncnkrönung/ in welcher sie sich nicht nach Art gothischer Spitzen nebelhaft verliert, sondern fcst und scharf umgrenzt gegen den lichten Aether abschlicsit. Die Ostfacade des Hochmeistcrschlosscs ist nach ana« logcm Systeme gebant, indem auch hier an Stelle der mit eigentlichen Rundbögen überwölbten Strebepfeiler sechs schlanke achteckige Granitpfcilcr treten/ wodurch die Fronte ein außerordentlich freundliches Aussehn erhält. Da diese Granitpftiler sich aber an die Stelle der Strebe-Pfeiler auf die Höhe des ganzen Geschosses — nicht bloß eines Stückes derselben, wie bei der Westfacade — seken/ so empfinden wir hier keine Disharmonie. Nur die Binde-steine, welche nach dem zweiten Drittheile der Pfeilcrhöhe — der größcrn Sicherheit halber — die Pfeiler mit der Wand dahinter verbinden/ erinnern gar zu sehr an die mechanische Sicherung des Bauwerkes. Zwischen je zwei 20' — 308 — Pfeilern ist ein Fenster, welches in dreien Abtheilungen sieben Fächer enthält/ von denen eines die oberste/ drei aber die mittlere, und die unterste — größte — Abtheilung bilden. Nur das vierte Fenster hat in der zweiten und dritten Abtheilung bloß je zwei Fächer, das fünfte aber in der zweiten Abtheilung zwei/ in der dritten vier Fächer neben einander. Die Steinpfeiler entsprechen den Zwischcnräumen zwischen den Fenstern, mit Ausnahme des fünften/ welcher vor dem Fenster selbst steht. Diese ganze Darstellung ist nur zu dem Zwecke gc< wählt, um auf eine bei den OrdcnZbauten und anderswo häufig vorkommende Erscheinung aufmerksam zu machen, auf den Mangel an Symmetrie. Unsere Zeit, welche sich die, gerade Linie zur Schönhcitslinie erkoren, beobachtet nichts genauer als die Regelmäßigkeit, die Rechtwinklig-keit, die Symmetrie/ sie baut gerne von Grund auf nach einem mathematischen Plane. Dafür kann sie sich aber auch nicht von einer erdrückenden Langweiligkeit be« freien. Sehen wir die Bauwerke des Alterthums und des Mittelaltcrs an, so finden wir bei einer vollständigen Einheit des Grundgedankens häufig keinen cinheii> lichen Grundplan. Das Ercchthcion auf der Akro-polis ist eigentlich ein Konglomerat von einzelnen zu« sammenhängenden Gebäuden und dennoch ein harmonisches Ganzes. Theils entstanden nämlich diese Bauwerke allmählig in Folge des Bedürfnisses, theils vermied man absichtlich die vollkommenste Symmetrie, Gcradlinigkeit — 309 — und Uebereinstimmung, weil man die Monotonie der absoluten Harmonie fürchtete. Ein Ausdruck dieses Stre» bens ist eine ganze Reihe kirchlicher Bauwerke des Mittel« alters/ ganz besonders verfolgen wir diese Erscheinung an den meisten toskamschm Domen wie in Pisa, Florenz, Siena R., wo wir die gerade Linie, die Regelmäßigkeit fast systematisch vermieden und dafür die Regellosigkeit/ die Willkühr, die Laune waltm sehen. Dieser Mangel an Symmetrie fällt uns ganz besonders da auf, wo, — wie bei den schachbrettartigen Marmorvcrklcidungen, — sogar das ein Mal gewählte Muster nicht streng durch« geführt ist. Man könnte sogar behaupten, daft all die schicfgebautcn Thürme Italiens ein/ — allerdings etwas naiver, — Ausdruck jenes Strebens sind, die vollkommene Symmetrie zu vermeiden, das Gefällige an Stelle des Starr - Regelmäßigen zu setzen. Auch bei der Maricnburg stoßen wir auf eine große Zahl dieser Unregelmäßigkeiten. Manche sind durch die Nothwendigkeit geboten. So steht der obere Theil des letzten Fensters an der Südseite des großen Remters nicht symmetrisch auf dcm untern, sondern ist ein wenig nach rechts gerückt, weil — wegen der Schmalheit des Wandpfeilers — das Fenster sonst von dcm aufsteigenden Gewölbe zum Theil verdeckt werden würde. ^) M^ finden dieses Verlassen der Symmetrie aber auch da, wo es nicht nothwendig scheint, wie bei der erwähnten Ostfacadc/ der vor dcm Nordftügcl des tzochschlosscs be- — 310 — findliche/ jcht zerstörte Kreuzgang zeigte/ — wie die Frickschc Darstellung beweist/ keine Uebereinstimmung mit den dahinter liegenden Theilen/ der nordwestliche Thurm des Hochschlosses steht, obwohl er wahrscheinlich später crbant worden als der Nordflügcl, nicht in einer i^inic mit diesem/ der Hof des Mittelschlosscs bildet kein Rechteck/ sundern erweitert sich nach Süden, indem der Ostflügel sich an den Nordftügel in einem stumpfen Winkel anschließt/ endlich sind die Verzierungen mit verglasten Ziegeln nicht regelmäßig durchgeführt. Mir sehen also hier ahnliche Erscheinungen, wie bei so vielen ältern Bauwerken. Auch am Zcughausc zu Danzig »steht keine Thüre nnd kein Fenster da, wo sie in Folge der Anordnung in Facaden eigentlich stehn sollten, nnd noch bewundernswürdiger ist es, daß diese bedeutende Unregelmäßigkeit oder Abweichung so geschickt angeordnet ist, daß sie auf den ersten Blick nicht auffällt.«^) Nir dürfen hinzusetzen, daß auch in der Marienbnrg diese unsymmetrischen Erscheinungen kaum zu bemerken sind, und wo es der Fall, beleidigen sie nicht/ sie wirken auf nns gleichsam als der Ausdruck eines liebenswürdigen Humors, dessen Walten innerhalb eines sonst konsequent durchgeführten Grundplanes uns mit seiner Behaglichkeit wohlthnt. Das Prachtgcschoß des Hochmeisterschlosses hat von jeher für den großartigsten Theil der Marienburg gegolten. Was Einheit der Durchführung betrifft, kommt ihm kein anderer gleich/ auch an Glanz überstrahlt es den — 311 — Convcntsremtcr bei Weitem/ aber dessen keusche Schön« heit, milde Erhabenheit, jene göttliche Ruhe, welche selbst über den bewegtesten Gruppen antiker Bildwerke liegt/ erreicht es nicht. Der große Remter des Hochmeister' Mosses ist die bewußte Schönheit, der Convcntsremtcr die naive/ jener wirkt wie eine Nachahmung der Natnr, dieser gleich der Natur selber/ dort treten wir in einen Park, hier in einen Wald. Der große Remter verhält sich zum Convcntsremtcr wie der Apollo don Belvedere zum Ilifsus des Phidias. Wie wunderbar ist schon der Doppclhausflur mit seiner lichten Ostscite und seinen dopftelgestclltcn Pfeilern! Dennoch wird er von dem Gange, welcher in lvcstlicher Richtung zu dem großen Remter führt, noch übertrossen. Es ist eben so das erhabene Sterngcwölbe, wie das Maaßwcrk der Fenster mit den buntfarbigen Rosetten und dann wieder die lichte Pfeilcrreihc vor den Fenstern der Nordscitc, was uns mit einem unbeschreiblichen Gefühle des Wohlseins erfüllt. Wir vergessen alles Kriti-siren, alles Mäkeln/ wir treten auf die Stufe, welche an der Nordseite hinlänft, werfen einen Blick durch die Fenster und in die gewaltige Tiefe des Ziehbrunnens, neben welchem nun wieder »Meisters Handfaß« in alter Schönheit prangt, und überlassen uns jenem stillen Trän« men, welches uns im Anschauen von Kunstwerken über-schleicht und bei welchem die Stunden nngcfühlt verrau« schell. Dann treten wir zu der pfcilergeschmückten Pforte, — 312 — welche zu dem großen Nemtcr führt/ und gestehen uns, daß etwas Einfacheres mit größerer Schönheit nicht verbunden sein kann. Ja ich nehme nicht Anstand zu behaupten/ daß dieser Eingang mit den freistehenden Pfeilern und dem geraden Sturze darüber, mit seinen Stuckverzierungen,und Sitzbänken und der gewölbten Empore den schönsten Theil dieses ganzen Pracktgcschosscs darstellt. Und doch liegt unmittelbar hinter diesem Ein< gange der große Remter selber! Wir treten in denselben hinein und bleiben staunend stehen. Es ist die Kühnheit des Gewölbes/ was hier so imftonirt. Bei einer glci« chen Länge und Breite von 45 Fuß und 30^ Fuß Höhe enthält dieser Saal dennoch nur einen einzigen glatten achteckigen Granitpfcilcr, dessen Schaft aus einem Stücke besteht und bei 13 Fuß 3 Zoll Länge nur 17 Zoll Dicke hat. Man muß sich das Verhältniß dieser Dimensionen vergegenwärtigen, um von dieser Schlankheit, Freiheit und Kühnheit einen Begriff zu erhalten. ^Hier erlahmt der Pinsel/ wie viel mehr die Beschreibung!« Aus dem einfachen Kalkstcinknaufc des Pfeilers erhebt sich mit 16 Gewölberippen das erhabene Gewölbe und entfaltet sich dann langsam, um nach den vier Wänden rings zu 16 Kragsteinen wieder rhythmisch hcrabznsinkcn. Die Spannung beträgt 22 Fuß und muß durch ihre Kühnheit den Baumeister selber erschreckt haben / denn überall sind Eiscnbänder zur Verbindung der gewagtesten Stein-konstruttionen hinzugefügt. — 313 — Die Doppelreihe der zehn Fenster/ von denen je vier auf der Süd- und Nestseite/ zwei auf der Nordscite stehn, gestatten dem Lichte den frcicstcn Eintritt/ bunte Glasftnstcr mit wundervollen Stcinrosctten mildern die Energie des Lichtstrahles. In der That/ der Baumeister, welcher die Strebepfeiler draußen schwächte und unterbrach, hätte dieses des Lichtes halber niemals bedurft/ um so weniger begreifen wir die Verstümmlung. Ueber dem Kamine an der Ostwand steckt jene berühmte Stcmkugcl/ welche bei der Belagerung der Ma-rienburg durch die Polen nach der Schlacht bei Tannenberg (1410) bestimmt war, den Pfeiler des Nemters einzustürzen und die versammelten Ordensgcbietigcr unter den Trümmern des Gewölbes zu begraben. Ein Verräther bezeichnete durch seine rothe Mütze, welche er am Fenster aufhäugte, die Nichtuug? die »Donnerbüchse« stand am jenseitigen Nogatufer/ der Schuß fiel/ aber die Kngcl verfehlte den Pfeiler um wenige Zolle. »Gewiß ist/ daß der Polen-König weder den Pfeiler noch den Bau des deutschen Gewölbes kaunte. Jener hätte durch einen Schuß von Jenseits der Nogat her schwerlich umgeworfen werden können und dieses wäre auch bei dem Umstürze des Pfeilers gewiß nicht eingefallen.«"") Dieses Geschichtchen gehört zu den historischen Anekdoten, welche das Volk verewigen wird. Betrachten wir dasselbe von keinem erhabenen Standpunkte und sprechen wir ihm nicht vornehm die Berechtigung ab/ in diesen — 314 — Näumen, dieser erhabenen Kunstschöpfung erzählt zu werde». Dem künstlerisch gebildeten Geiste zwar wird diese Anekdote dm empfangenen Eindruck nicht verstärken, aber dem Volke ersetzt sie das mangelnde Kunstverständnis^ sie belebt, was ihm sonst todt bliebe. In der Nähe des Kamines an der Ost« und Nord« wand des Remters befinden sich Maucrblendcn mit Stuck eingefaßt, welche in neuerer Zeit nn't den Bildnissen der verdienstvollsten Hoch- und ^andmeistcr des Ordens geschmückt sind. ^) Wir müssen uns gestehen, daß diese Phantasie«Portraits einen etwas fremdartigen Eindruck machen. Unsere Phantasie war längst viel kühner und hatte sich diese Heldengestalten unendlich großartiger und charakteristischer vorgestellt, als sie hier vor unser Auge treten. Der sinnliche Eindruck thnt unsern Vorstellungen Zwang an, anstatt sie zu bereichern. Hoffentlich wird es bei diesem im Ganzen mißlungenen Versuche, die vernichteten OrdenZmalereicn durch moderne zu erschcn, sein Bewenden haben. In den kleinen Remter gelangte man früher von dem großen Gange aus. In neuester Zeit hat man, um eine unmittelbare Verbindung mit dem großen Remter zu schassen, dessen östliche Wand durchbrochen. Der kleine Remter steht an Länge uud Breite dem grüßen nur wenig nach, seine Höhe ist dagegen beträchtlich geringer. Dieses Verhältniß verleiht ihm aber gerade die entsprechende Behaglichkeit, welche ihn vor dem — 315 — großen Remter auszeichnet/ auch empfängt cr das volle Licht nur von der südlichen Seite durch vier große Fenster/ er läßt also cine größere Sammlung und Ruhe auf« kommen/ während die drei lichten Seiten des großen Remters zerstreuen. In dem Fußboden bemerken wir 14 mit Lochsteincn (»gelöcherten Ofcnsteincn«) und kupfernen Deckeln geschlossene Heizröhren, durch welche aus einem Ofen im obern Kellergeschosse die erwärmte Lust in den Saal strömte.^) Der große Remter hat diese Vorrichtung lucht, nur ein Kaminfcucr, ein schwacher Ersatz der Ofenheizung, erwärmte ihn. Der Pfeiler/ welcher das schöne Gewölbe trägt, — man könnte auch sageu: das Gewölbe in die ssöhc wirft, ausstrahlt, — ist dadurch merkwürdig, daß cr kciu Kopfgesimse hat, daß also die 16 Gewölberippen die unmittelbare Fortsetzung der 8 Kanten des Pfeilers uud der Flächen dazwischen bilden. In andern gothischen Bauwerken, wo der Pfeiler aus einem Complex von Säulen besteht, macht sich dieses ganz von selbst,- die Gewölberippen erscheinen hier wie die Fortsetzung der einzelnen Säulen. Wo aber der Pfeiler keinen solchen Schaft von Säulcnfasem darstellt, muß dessen Auflösung in die Gewölberippen — vhne vermittelndes Kapital — durchaus befremden und ästhetisch verlehcn. Büsching nennt diesen Pfeiler den bis zum Boden niedcrhangcndcn Schlußstein des Gewölbes/ man könnte ihn auch einen kolossalen Palmcnwedel new nen. An den Wänden endigen die Gewölberippen nicht — 316 — auf vollständig ausgebildeten Kragsteinen, — welche sonst nichts anderes darstellen, als das mit der Wand verbundene Pfcilerkapitäl, — sondern anf ssroßcn, breiten, etwas schwerfälligen Vierecken, welche Vüsching » Kragsteinfelder ^ nennt. Meisters^") Stube, das Nächstliegende östliche Gemach, welches gegenwärtig ein uur von einem Pfeiler getragenes Gewölbe hat, bestand, wie man erst nach dessen Restauration aus alten Rechnungen vom Jahre 1785 ersah, ursprünglich aus zwei Zimmern, Meisters Stube und Meisters Stübchm (^Stobcchen«). Dicht daran stößt »Meisters Gemach«, welches in wohlthuen» der Behaglichkeit nicht bloß von der Süd-, sondern auch von der Ost- (der Hof-) Seite Licht empfängt und dessen Gewölbe von zweien schlanken Pfeilern gestützt wird. Die wohnliche Einrichtung mit Tischen und Sitzen, einem Bücherschränke und Bildern an den Wänden, der Ka» min, der geschmackvolle Fußboden machen diesen Naum zu dem gemüthlichsten des ganzen Prachtschlosses. Es ist nicht zu leugnen, wir empfinden einen leisen Schauer, wenn wir uns diese gewölbten Gemächer als unsere Wohnung denken. Gewöhnt an die gedrückte Enge unserer modernen Zimmer, das trauliche Beieinander von Möbeln, die uns lieb geworden, vielleicht unseres wärmenden Ofens gedenkend, wird es uns schwer, von unsern Gewohnheiten, Anschauungen, Bedürfnissen zu abstrahi-ren und uns in die Lage des Fürsten zu versetzen, wel- — 317 — cher dicse Näume bewohnte. Für uns moderne Menschen liegt in diesen Hallen etwas von einer Klosterzelle mit ihrer mcnschcnverlasscnen Melancholie. Wir bewundern den Künstler/ welcher dem unsvrimglich herben Charakter der Zelle/ des Refectoriums / des Krcuzgangcs diese Milde nnd Freudigkeit zu geben, jene Strenge in eine so heitere Behaglichkeit aufzulösen vermochte/ aber wir möchten um Alles in der Welt unsere trauliche Enge mit dieser erkältenden Weite nicht vertauschen. Die zwischen dem »Gange« und dem Conventsremtcr gelegenen Privatgemächer des Hochmeisters: Meisters Hintcrkammcr/ Schlafkammcr/ Dienerkammcr und Bade-stube haben nichts von der Milde jener oben genannten Gemächer. Dort rcsidirtc der Hochmeister als Herrscher/ hier bewohnte er als Erster der Ordensbrüder wahrhafte Zellen/ wir fühlen uns hier wie von Kerkerwändcn umfangen und athmen erst in der kleinen/ aber zierlichen Ka< pelle auf/ welche neben Meisters Hintcrkammcr nach Osten zu liegt und/ schon vom Hofe aus gesehn/ durch ihre lichte Facade erfreut. Einst mochte sie hier/ gleich der Schloßkirche/ einen Polygonen Abschluß haben/ wenigstens ent< deckte Quast in dem Boden vor der Kapelle Maucrwcch welches darauf hindeutet/ aber auch jcht bildet sie mit ihrem stachen Abschlüsse/ den Wbogigcn Blenden und schlanken Fialen eine willkommene Scheide und einen vermittelnden Uebcrgcmg zwischen den strengen Mauerflächm des Conventsremters und der durchbrochenen Säulen- — 318 — facade des Hochmeisterschlosses. Im Innern überrascht uns die Verschiedenheit des Gewölbes/ indem die größere moderne Hälfte im Spitzbogen«, die hintere aber im Rundbogenstyl erbaut ist. Am Eingänge zu dieser Kapelle fiel der Hochmeister Werner von Orscln von Mördcrhand. Ich weiß allerdings/ daß in neuerer Zeit ein lebhafter Streit darüber geführt ist/ ob die That hier oder an der goldenen Pforte des Hochschlosscs verübt worden? ich weiß, daß von der Entscheidung dieser Frage die über das Alter des Mittelschlosses abhängig gemacht wird. Denn ist Werner von Orseln im Jahre 1330 bei dieser Kapelle ermordet/ so muß die letztere damals schon existirt haben/ es kann mithin dieser Theil des Schlosses nicht erst im folgenden Jahrzehnte oder gar erst mehrere Jahrzehnte später erbaut worden sein. Ich lasse ganz dahin gestellt/ ob nicht schon unter Werner von Orscln dieser Theil des Mittclschlosses in seiner ursprünglichen — später veränderten — Gestalt da gestanden habe/ durch welche Annahme für beide Meinungen ein Vercinigungs« Punkt gefunden ist/ ich meine/ daß/ wie die Geschichte ihr Nccht der Forschung/ so die Sage ihr Necht der Tradition '") hat. Die letztere läßt die That nun einmal hier vollführen/ und so wird diese Stelle eine geweihte bleiben / mag die Archäologie oder die Geschichtsforschung noch so überzeugend beweisen/ daß das Verbrechen hier nicht verübt worden sei. Die Forschung ist nur so weit — 319 — mächtig als sie es mit dem Verstände zu thun hat/ sie muß nothwendig unterliegen/ wo sie die Phantasie/ die Sage/ die Poesie angreift. Das Nähere dieser That ist bekannt/ Voigt hat sie in seiner Geschichte dcr Marimbnrg (S. 111 u. ftgd.) und in seiner Geschichte Preußens (Vd. IV. S. 470 u. stgd.) ziemlich übereinstimmend erzählt. Auf Gruud einer erst später aufgefundenen Urkunde gicbt er in neuester Zeit eine von beiden frühern etwas abweichende Darstellung."') Nach dieser lauerte der Ordensritter Johannes von Ncendorftf aus dem Couvente zu Memel dem Hochmeister, welcher ihm dicErfüllung unbilliger Wünsche versagt hatte, bei dessen Gange zur Vesper auf uud stieß ihm bei der Rück» kehr das Messer in die Brust. Kaspar Schütz sagt: Der Mörder habe den Meister, »als er nach gethanem Gebete aus seiner Kapellen gar einig (allein) ging, recht unter der Thüren erstochen.« Simon Grunau läßt den Mörder vou einem belleu-den Hündleiu des Meisters verfolgen. — Wie rährcud ist dieser Zug! Aber gerade dieses Hündlcin wollen die Forscher streichen. Sie nennen den Zusatz eine »Erfindung« des Chronisten und bedenken nicht/ daß er damit einen poetischen Zug in das Gemälde bringt, vor welchem die Wahrheit der Geschichte verstummen muß. Hiermit/ »geneigter« Leser, nehmen wir Abschied von der Marienburg. Ich hätte dich noch gerne in die — 320 — andern Geschosse des Zochmeisterschlosscs, bis in die tiefsten Kellcrräume, auf den Schloßthurm und zu den Festungswerken geführt/ welche die Eisenbahn durch' schneidet, aber ich fühle es wohl, es ist ein Anderes nüt leiblichem Auge schauen, ein Anderes Geschautes nach« empfinden. Auch auf Vollständigkeit mache ich keinen Anspruch. Ursprünglich freilich lag es in meinem Plane, noch eine Darstellung der ZcrÜürung und des Wiederaufbaues der Marienburg'zu geben, eine Geschichte jenes »Unsinns der Vcrwüstcr«, welcher anNaffinirthcit, Konsequenz und Naivität Alles übertrifft, was uns die Geschichte von der Zerstörung Noms und Athens berichtet/ ein Hcrostratis-mus, wie wir ihn ein zweites Mal nicht erleben werden, eine Nacht, die um so finsterer erscheint, als ihr ein lichter Morgen, ein begeistertes Zusammenwirken aller Stände des preußischen Volkes und das lichtvcrkündende Wort eines königlichen Jünglings folgt: Alles Große und Würdige erstehe wie dieser Vau!^ ) Aber dieses Alles ist längst so vollständig und form» vollendet dargestellt worden, daß ich billigerweise schweigend zurücktrete. ^) V. Anmerkungen und Belege. P»ss«rge, a»« dim Mlichstllxlt«. 21 I) Wclche Vewnnderuna, der knhne Bnickmban des Xerres bci dm Kriechen fa»d, ersieht man aus folgenden Stellen der Perser de3 Aeschylus (in der Uebcrsehmig von Donner): Um den Nacken der See Schlang sich das Joch/ schlang sich der dichtbalkigc Heerpfad. (V. 71. 72.) (Dos Volk lernte) Der völfcr^clcitcndcn Vrnckc tnui'ü. (V. It^i,) (Das Volf) schritt tH» liber jenes Joch hin, Das die Gestade vereint Beider Lcindervesten. (V. N6 —118.) Atossa. Kl'mstlich band «r gelle's Fluchen, Schluss sich durch das Meer die Vahn. Schatten des Dareios. Und gelang ihm das, verschloß er BoZpolos ge« wältig Meer? Atossa. Wohl gang's ihm und ein Dämon, scheint es, half die That vollzieh», (V. 695— U97.) Schatte,, des Dareios. Doch mcin Sohn, das nicht erlenncod, trotzt' in keckem Inssendmuth, Der des heil'gen Hellesftonto-' stolze Flnth i» Fessel zwang, Sklaveugleich zu letten wähnte, Vosporos, des Gottes Strom, Der den Pfad mnschnf deZ Meeres lind mit erza/häm. merter Vande Joch dem großen Heerzng kiihn erschloß die große Vah». (V. 718-722.) 21* — 324 — 2) Weichsel, plattdeutsch Wießel, polnisch Wisla, lateinisch Vlzwiil, bedeutet im Polnischen »hängendes Waffel", von dem star« ken Gefalle m ihrem obersten Laufe. Brandstäter, die Weichsel. Maricnwerder 1855. 3) In Betreff der Entstehung des Gruudeiscs sind die » Ge. lehrten« bis jetzt zu keiuer Uebereinstimmung gekommen. Man der» gleiche die betreffenden Schriften von Hörner, Arago, Mac Keever, Maschkc, Gay.Lussac, Adie und Weber. 4) Seit dem Jahre 1501 bestand eine Pfahlbn'icke bei Thorn, sie wurde aber beim Eisgange im März 1855 vollständig zerstört. Die Weite der 48 Joche betrug 40—58 Fuß. Der deutsche Orden baute 1340 eine 470 Fuß lange Pfahlbrückt bei Maricnburg über die Nogat und legte an beiden Enden zu ihrer Vertheidigung die üblichen Brückenköpfe mit Thürmen, Tho< re», Mauerwerl und Graben an. Sie w»rbe im Jahre 1735 zerstört. Voigt Geschichte der Marienburg. Königsberg 1824, S. 123 und 134. Wutzke, die Gewässer der Provinz Preuße». Königsberg 1829. S. 130. Eichendorf, Marienburg. Berlin 1844. S, «5. 5) EZ giebt allerdings viel bedeutendere Spannungen. Die 9 Bogen der Waterluobrücke zu Uondon haben eine Weit« von 120 Fuß. Wuhke a. a. O. S. 135. l!) Die Hängebrücken mit den bedeutendsten Spannungen sind wohl: 1. Die Kettenbrücke bei Buda-Pesth über die Donau, bei welcher di< Entfernung der Auflager von Mitte zu Mitte, das heißt die Spannung, 645 Fuß pr. beträgt. 2. Die Drahtblück« bei Wheeling übel den Osir mit einel Span» nung von 980 Fuß pr. Diese und die folgenden Anmerkungen, welche init einem L. un< terzeichnet sind, rühren von einem Freunde des Verfassers, einem Tech' niker, her, der jedoch bei dem Brückenbau selber nicht thatig ist. — 325 — 7) Man vergleiche die folgende Anmerkung. 8) Vei einem ideal gewachsene»/ auf zwei Stühe» Honzontal liegenden Balken sind neutrale, d. h, nicht tragende Fasern diejenigen, welche in der durch die Mitte desscll'en gelegten Horizontal' Ebene liegen/ alle nbrigeu Fasern tragen mit/ inir je weiter die Faser von der neutrale» Achse entfernt liegt, desto mehr tragt sie. Aus diesem Grunde n>,d weil man der Kosten und der eigenen Schwere wegen möglicbst wenig Eiscnmaterial verwexdc» will, ist man genö» thigt, hohe Gitter zn lonstrniren. Wenn also allerdings die oberen und unterm Gürtnngen verhältnißmäßia. Fuß weit/ dieses Maaß giebt viel» mehr die lichte Weite an. L. 10) Die Nasaltlava ist von Niedermendig (bei Brohl), der Granit vom Harz (Ockerthal) und aus Schlesien, der Sandstein aus Obernkircheu (bei Minden) hergeholt. Im Inncru dcr Pfeiler sind theilweise Sandsteine von der ^ortll ^Veßtsllüoa, großexthcils aber Ziegelsteine verwendet worden. L. 11) Die Pfahlwand steht allerdings von dem aufsteigenden Maucrwerk des Pfeilers zehn Fnsi ab/ der oben 31 Fuß breite Pfeiler erweitert sich aber nach „utcn zu durch 8 Vaukcts bis auf 43 Fuß, so daß die Pfahlwand von den untersten nur 3 bis 4 Fnß entfernt steht. L. 12) Sämmtliche statische Verechnnngen sind von dem Schwei» zei Schinz, der leider im Jahre 1855 verstolbeu, ausgeführt. — 326 — 13) Berlin 1355, bei Ernst und Korn, jedoch nicht in den Buchhandel gekommen. 14) Von Biermann gezeichnet, 15) Der Bau beider Brücken wird von dein Geheimen Ober» Baurath Lentze geleitet. Die Architektur an den Thürmen, Portalen u. s. w. stammt vom Geheimen Ober «Baurath Stüler. Die obigen Zahlenangabm sind größtenthcils einem Anfsake in der National »Zeitung voin 2. November 1855 und dem Tezte zu dem erwähnten Atlas tutnommen. 16) Km'ebau, eine ausgebreitete Ziegelei, etwa cinc halbe Meile von Dirschau entfernt/ ist ursprünglich für die Brücke angelegt, liesert jeht aber weit nnd breit Ziegel hin. Wenngleich Knicbau nicht hart ain Wcichscluscr gelegen ist, so hat doch der Transport und die Verladung der Ziegelsteine wenig Schwierigkeiten, da sie durch einen Tunnel leicht zur Weichsel geschafft und von da weiter verschifft werden können. Besonders sauber werden die Blendsteine, das heißt die für die äußeren Flächen der Brückenpfeiler und deven Thürme bestimmten Ziegel, bearbeitet/ auch werden ssormsteine jeglicher Art auf das Sorgfältigste gebildet. Ein schönes Beispiel kann das gegen» wärtig im Bau begriffene Empfangsgebäude, zu Dirschau ausweisen, welches sein« Ziegelsteine sämmtlich aus Knicbau erhalten hat. Es sei hierbei erwähnt, daß dieses Empfangsgcbäude, von Sitiler projektirt, im Nohbau ausgeführt, ein imposantes schönes Gebäude abgeben, nnd da es genau in der Brückenachsc angelegt ist, dem Nei-senden eine herrliche Aussicht auf die Brücke gewähren wird. Es bildet einen sogenannten Inselpcrron. Die Berliner Züge fahren nämlich auf der einen Seite, die Danziger auf der ander» »or/ die beiderseitigen Schienenstränge vereinigen sich vor der der Brücke zugekehrten, abgestumpften Spitze des Gebäudes und laufen demnächst nber die Brücke Königsberg zu. L. 17) Der Kalkstein — in der vorzüglichsten Güte als karari« scher Marmor vorhanden — eignet sich zu den Wasserbauten, Behufs Mörtelpräparation deshalb nicht, weil der gewöhnliche Kalkmörtel — 327 — unier Wasser schwer nnd „ach zu langer Zeit erhärtet. Es fthlt dem Kalkstein nämlich der Thongehalt, welcker dem Kalke die söge. nannte» hydraulischen Eigenschaften verleiht, d. h. ihn unter Wasser schnell «härtbar macht. Mergel ist nun seine» Hauptbe» standtheilen nach eine Mischung aus Kalk und Thon (außerdem Kieselerde, Eiscnoryd „. s. w.),' je nachdem diese Bestandtheile in dem richtigen Verhältnisse, im Mergel vorhanden sind oder nicht, ist d«» sell'c ohne weitere Beimischung als hydraulischer Kalk zu verwenden, oder ihm muß zuvor durch Mischung von Thon diese Eigenschaft ge> geben werde». In Dirschan hat man in der nächste» Umgebung Mergel von den richtigen Mischungsverhältnisse!! vorgefunden, in Ma-nenlmrg mußte man demselben «och etwas Thon beimischen. L. 18) Dieser in Dirschau oft gehorten Ansicht über die Eigen« schaftcn des Betons stellt des Verfassers Freund folgende wahrschcin» lich richtigere entgegen, indem er schreibt: »Daß der Böton in der Luft allmälig verwittere, darf durch» aus nicht eingeräumt werden. Der Arbeiter hat Ihnen jedenfalls etwas Anderes als ein Stück Bäton gezeigt." — In dieser Bezic» hung ist ein Irrthum uicht möglich, da der Verfasser von früher her dieses Material sehr genau kannte. — »Der hydraulische Kalt er« härtet, zu Mörtel mit Wasser eingerührt, a» der Luft ebenfalls/ er hätte ja sonst nicht zu dem ganzen über dem Nasser befindlichen Mauerwert der Brücke — wie es in der That geschehen — vcrwcn» det werden können, und doch ist ein anderer Kalk durchaus nicht ge< braucht worden. Der hydraulische Kalk erhärtet sogar an der Luft noch schneller als im Wasser/ im Ichtern soll er allerdings noch härter werden als au der l.'uft/ dcmohngeachtet darf nie behauptet werden, daß eine richtige Mörtel- oder V<'tonmischung an der Lnft verwit' tere/ das könnte nur da geschehen, wo eine zu magere (kalkarme) Mischung vorgekommen. Jedenfalls bleibt hydraulischer Kalk auch für Luftbautm besser als der gewöhnliche Kalk. Man verwendet ih» nnr deshalb nicht, weil er zu theuer ist und dcr gewöhnliche Kalt meistens genügt. Zu Gesimsen wird aber schon jetzt oft genug Cement verwendet." 19) Der in Dirschau verwendete Basaltlavastein ist nicht mit dem Basalte zu verwechseln. Dieser ist zwar sehr hart und mit — 328 — großen Vortheilen zu Chausseen «- zu verwenden, abei nicht zum Werksteinmauerwerk, da er in sechsseitige,, Säulen krystallisirt und keine Werksteine abgiebt. Werftmauern und dergleichen werden dagegen aus Basalt ge> packt. L. 20) Den Winter dun 1854 auf 1855, hat das Gerüst mit' gemacht und ist sehr wenig oder wohl gar nicht beschädigt worden. Allerdings waren damals die beiden mittelsten Oeffnungcn iu Arbeit, welche sich auf dem Anßendciche befinden und die geringste Störung erleiden. L. 21) Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß hier die Strom» Verhältnisse vor dem Jahre 1840 maaßgebend gewesen sind. 22) Früher mündete ein Arm der Nogat oberhalb der Stadt Elbing in dem Flusse gleiches Namens, wurde aber im Jahre 1783 verdammt. — Wuhke, Bemerkungen über die Gewässer der Pro< vinz Preußen. Königsberg 1829. S. 113, Toppen in den prcusii' schen Provinzialblättern für 1852, Band I. S. 188. Neumann in den Pr. Pr. Bl, flir 185,^ Vd. 1. S. 55. 23) Ueber diesen Reformator verbreitet sich die Schrift von Professor Hirsch: der Prediger Pcmkratins. Ein Beitrag znr Re< formationssstschichtc Danzigs. Danzig 1842. 24) Vom Anfange des fünfzehnten bis znm Anfange dieses Jahrhunderts zähle ich etwa vierzig mehr oder weniger bedeutsame Volkstumultc. Davun kommen allein auf den Streit mit dem demagogischen Theologen Strauch, welcher von 1673 bis 1(!83 währte, neun,— LöschiN/ Geschichte Danzigs. Danzig 1822 und 23. 2 Bde. 25) Man vergleiche folgende parallel gehende Darstellungen dieser Thnrmspihe: »Diese Spitze ist so lurnriös und anch in Proportion und Form so glücklich und schön sich auflösend aus dem prismatischen, massive» Baue bis znm goldenen Fahnenträger, daß man es wahr« lich nicht anders wünscht," Schultz, über alterthnmliche Gegenstände der bildenden Kunst in Dauzig. — 329 — »Dei vauptthurm wächst in seinen unterm Geschossen noch gothisch aus der Mitte der Hauptfacade empor und wird durch eine überaus schlanke, luftige, reich u»d ziemlich aufsteigende Spihe geschlossen. Erkennt man in ihrer feinen Aufgipfelxng noch das Zugrundeliegen des gothischen Äertikalprinziftes, so sind doch alle Einzelheiten, ja selbst die größer» Glicdertheiluügen durchaus in üppig »ci^schnörtelter 3tcnaissan« durchgefühlt, aber i» einer solchen Grazie, in so luru-riüscr ^lusbildnog, daß diese Tpihc znm Reizendsten gehört, was jener Styl an Derartigem je geschaffen hat, nnd dasz sie an maleri» schcm Nciz kaum von einer streng gothisch durchgeführten Thnrm» Pyramide übertroffcn werden dürfte," Lübkc in der Zeitschrift für Nauwcsen, 1855/ S. 52. 2t>) Ueber diesen Springbrunnen spricht Th. Hirsch in den Pr. Pr, N>. für 1852, Vd. 2. S. 1(N ff. 27) Löschin, Danzig nnd seine Umgebungen. Danzig 1853. 3. Auflage. 28) Löschin, Geschichte Dai,z!gs S. 69. 29) Es giebt in Danzig mn Gassen/ die einzige Ausnahme bildet die Nurggrabenstraße. 30) Zn vergleichen: Th. Zirsch, der Bildhauer Peter Nin< gering. Zur Geschichte des Langgassischen Thores iu Danzig. Pr. Pr, Vl. für 185,2, Bd. 1. S. 261. AI) Otte, Handbnch der kirchlichen 5innstarchäologie des dent-schen Mittelalters, ^,'npziss 1854. S. ^5. Nudulf Gen ^e, Tczt zu den Danziger Bauwerken in Zeichnungen do» Hu lins Grcth, Danzig 1856. Eine >, Beschreibmia, aller .^irchcngel'äude der Stadt Danzig" verfaßte Nanisch, ^Bürger und Maurermeister in Dan< zig,« 1695. 32) Rudolf Gen^e a. a. O. S. 1. 33) Die Strebepfeiler nach Innen gezogen haben »och folgende Kirchen in Danzig: die Dominikaner', Trinitatis« und Vrigittenkirche. Die Katharinenkirche, welche in zwei verschiedene» Vanperioden ent< — 330 — stände», hnt in ihrem dreischiffigen <5horc die Strebepfeiler nach Ansien und im Nestbau nach Innen, Das Wesentliche der Danziger kirchlichen Architektur berilht außer dem Hineinziehen der Strebepfeiler besonders in dem geradlinigen Thorschlüsse, der recht eigentlich hier zu Hanse ist. Als sehr wichtig für die äußere Erscheinung tritt die Theilung des Daches hinzu, sofern durch Anordnung gesonderter neben einander laufender Dächci für jcdcs Schiff nicht allein das unpraktische und unschöne Kolossaldach der übrigen Hallenkirchen vermieden, sondern auch für die Ausbildung der Facaden eiu für die künstlerische Durchbildung sehr ergiebiges Motiv in der dreifachen Giebelanlage gewonnen wird. Wir finde» ferner in Danzig die drei Schiffe stets gleich hoch, die Pfeiler achteckig und schmucklos, das Gewölbe dagegen von jenem schimmernden Neichthumc, welcher ihm die Bezeichnung von Netz-, Stern- und Strahlengcwölbcn verschafft hat. Lübke in der Zeitschrift für Bauwesen für 185,5, S. 48. R. Gen»';c a. a. O. S. 15. v. Quast in den Pr. Prov. Bl. fnr 1851, Bd. XI. S. 117 ff, .'i4) Man vergleiche besonders anch das vorzügliche Werk vom Professor Dr. Theodor Hirsch, die Obcrpfarrkirche von St, Ma< lien i» Danzig. I. Bd. Danzig 1843. 35) Martin Opih lebte 5 Jahre in Danzig, von 1634 bis 1639. Er starb am 20. August 1639. — Friedrich Strehlke, Martin Opitz. Leipzig 1856. 36) Wenn man das Dach des Mailänder Domes besteigt, liest man oft an den Wänden: « vwww cli oi'inlu'e, äi pisciare, <1i 8^,01 «liillro; «iete priegllti c. An eichenen Hölzern: Bal< ken 20,548 St., Planken 66,136 St,, Krummholz 357 St., Stäbe aller Art 16,530 Schock. Verschiedene Waaren, Hauptartikel waren: Iopenbicr 20,358^ Tn,, Spiritus und Branntwein 1985 Ctr., Liaueure 95 Kisten, Eisen 1282 Ctr., alt Eiscn 983 Ctr., Heringe 5821 Tn,, Singvögel 900 St., Hunde 25 St., buchene Stämme 201 St., eschene Stämme 927 St., Grünwaare W Pack, Salpeter 1192 Ctr., Steinkohlen 4327 Ctr., Zink 1886 Ctr., Waidasche 524 Tn., roher Bernstein 19 Ctr., Schmalz und Fleisch 8684 Ctr., Thierknochcn 8100 Cti., Rübül 3009 Ctr., gebrannter Kalk 1105 Ctr., Oelkuchen 23,217 Ctl., Säcke 14,975 Stück, Flachs und Hanf 787 Ctr., Bastmatten 49,784 St., Ta,g 2098 Ctr., Thran 360 Ctr., Shuddi. und — 333 — Schafwolle 346 Ctr., Flottholz 1475 Ctr., Leinöl 1470 Ctr,, Wachs 116 Ctr. Der ungefcih« Vestand am Schlüsse des Jahres betrug: Weizen 2985 Last, Noggen 5,86 Last, Gerste 93 Last, Hafer 13 Last, Erbsen 247 Last, Leinsaat 413 Last, Mb. und Naftftsaat 466 Last und Mais 186 Last. Von den 105 Segelschiffen u»d 3 Damftfbötm, mit denen die Danziger Nhedcrei das Jahr 1856 begann, gingen 9 Schiffe verlo» l«n und 2 wurden derkanft, neu gebant wnrden dagegen 1 l und gekauft 3 Segelschiffe nnd 1 Damftfboot, so daß n,n Schluss« des Jahres die Rhederei aus 101 Segelschiffen n,»d 4 Dampftiitcn b«< stand, im Ganzen von 27,91!) Normal.Lasten. Kupftlfest waren darunter 0, tupferfest und gekupfert 19. Küstenfahrer nnter 25 Nor« mal-Lasten hat Danzig 5. Unter den Nhedern sind als die bedcn. tcndstm heroorgehobeu G. Link mit 21, A. Gibsone mit 16, C. H, Bulke und G. F. Focking mit je 7, Fr. Hcyn und F. N. Völtz mit je 6, I. Pallcskc mit 5, Th. Vchrendt, Haußmann, A. Seegcr und I. G. Stürmer mit je 4 Schiffen. Ausgegangen waren von Danzig im verflossenen Jahre im Ganzen 1427 Schiffe nnd zwar 1 nach Afrika, 2 nach Amerika, 33 nach Belgien, Bremen 45, Dä< nemmk 66, England 750, Frankreich 64, Hannover 17, Holland 166, Lübeck 1, Oldenburg 18, Prcnßen 135, Nusiland 54, Schweden nnd Norwegen 72 und Spanien 2/ angekommen waren dagegen im Gan« zen 1420 Schiffe und zwar von Amerika 1, Griechenland 1, Sfta» men 1, Belgien 9, Hannover 9, Lübeck 12, Bremen 13, Hain. bürg 26, Frankreich 29, Rußland 45, Mecklenburg 48, Holland 67, Schweden und Norwegen 9l!, Dänemark 218, Preußen 358 und England 487. Den Flaggen nach gehörten lion diesen angckommc. nen Schiffen an d«r amerikanischen 1, der französischen 2, eben soviel der hanseatischen, je 10 der oldtnbnrgischen und russischen, 24 der schwedischen, je 72 der hannovcranischen nnd norwegischen, 10? der holländischen, 305 der englischen uud 585 der preußischen. (KonigZberger Hartung'sche Zeitung vom 10. Januar 1857.) 53) Man hat berechnet, daß die Weichsel bei Hochwasser und nach Eisgängen stündlich 201,456 Kubikfuß, oder beinahe 1400 Schacht, luthen (ü 144 Kul'ikfnß) Sinkstoffe dem Meere zuführe/ in 24 Stunden __ ZI4 __ beinahe 33,606 Schachtruthen, in einem Jahre — bei einer An< nahn«, daß die Weichsel nur 10 Tage in dcm gedachten Maaße mit Sinkstuffm gesättigt ist — 336,000 Schachtruthen, in IM Jahren 33,600,000. I. W. Pfeffer, die Nasserlierhältniffe der Weichsel und Nogat. Danzig 1849. 54) Die gewöhnliche Art und Weise, die Sandhaken, Sand< bänke, da, wo sie der Schissfahrt hinderlich sind, zu entfernen, ist die, daß man Faschinen» oder Stcinwerke als Buhnen baut und durch Iinlenümg des Stromes auf die Nank dieselbe forttreiben läßt. Wo es nicht gelingt, werden Vagger — meist Dampfbagger — angewendet. 55) Das alte blieb noch bis zum Jahre 1745, in welchem sich eine Sandbank vor dasselbe lagerte, brauchbar. 5,6) Ick kann mir nicht versagen, hier die interessante Dar« stellung dieses Ereignisses von Pfeffer zu geben. „Es war während des im Jahre 1810 Ende. Januar (also mv gewöhnlich früh) eingetretenen Eisganges, eine Streck« der Danziger Weichsel von etwa 5»00 Nuthcu ^'änge (die preußische Nuthe enthält 12 Fuß/ d. Verf,), von dem Durft Neufähr abwärts bis zum Sand-wege, am Ende des Groß.Plönc„dorfer Außendeichs, durch Eisschollen vollständig verstopft/ das ganze Profil der Wlichsel, vom linkscitigen Werderdeiche bis zur gegenüber liegenden Sanddüne hatte sich sowohl auf den Uferrändcrn (den Ausjendeichen) als auch im Strome mii mächtigen Eisschollen bedeckt, und diese selbst waren fast überall so hoch anfgethülmt, daß sie die >twne»Iimc des Werderdciches über« ragten. Nur eine sehr geringe Wafsermafse tonnte hier und da durch die Eishngel ihren Weg finden, In Folge dessen erhöhte sich der Wasserspiegel vor der Ttopfung auf eine erschreckende Weise, und bald durfte man dem Augenblicke entgegensehen, in welchem die Dämme des linkseitigen Ufers bei Plönendorf und Weslinken übcrfluthet und das Werder unter Wasser gesetzt sei» würde, ungeachtet die Kronen dieser Dämme auf jener Strecke 16 —18 Fuß über dein Spiegel der Ostsee lagen. Auf der rechten Seite der Stopfung wurde der Strom von der Dossirung der Ostseedamme begrenzt, welche unbenarbt war und eine Neigung von laum 45> Graden gegen den Horizont hatte. ^. 335 — Sie trat immer mehr in dm Strom hinein, i.e höher das Wnsser stieg. Hierdurch aber u»d durch die kreisförmige Bewegung des von oben herab immer neu andringenden Wassers gericth der lockere Sand der Dossirung der Dune in Vcwegnng ,md glitt allmälig in die Tiefe. Der die Krone bildende Sand der Düne rückte nach nnd bald war die an Breit« immer mehr verlierende Krone zur Höhe des Wasserspiegels vor der Eisstopfnng herabgesnnken, so daß der lockere Sand vom Wasser durchzogen werde,, konnte. Plötzlich, in der Nacht des ersten Februar, wich der mit Wasser gesättigte Sand der Düne an einer niedrigen Stelle, der Strom bekam Luft, wühlte sich immer tiefer in die beginnende Oeffuuna, und stürzt« sich eudlich der etwa 150 Muthe» entfernten Ostsee zu, ein furchtbares Unglück von dem Danziger Werder und der Stadt Danzig abwendend. — Am Morgen des ersten Februar war bereits eine Strommündung von 8b Ruthen in der Düne vorhanden. — Erst jetzt gewahrte man das groß« Ereignis;, das bis dahin selbst den Wächtern der Deiche verborgen geblieben war, in seinem Umfange. Den Abend vorher und während der Nacht war ein undurchdringlicher Nebel über die ganze Scene verbreitet gewesen, gleichsam als wenn die Natur ihre Arbeit dem Ange der Menschen hätte entziehen wollen." Pfeffer a. a. O. S. 27. 57) Pfeffer a. a. O. S. 36 ff. 58) Lösch in, Danzig und sein« Umgebungen. S. 198 ff. 59) Hacting, die Macht des Kleinen. 60) Der »Vater der Geschichte" nannte das zwischen den bei' den Nilarmen liegende Dreieck in, Hinblick auf die Gestalt des vierten Buchstabens im griechischen Alphabet, «in Delta. Später ist dies« Name generalisirt, und wir sprechen von einem Donau-, Missi» s'Ppi', Indus- und Gangesdelta, obwohl di« dortigen Flußarme zum Theil sich fächerförmig ausbreiten, zum Theil andere Figuren als Dreiecke einschließen. Gegenwärtig versteht man — nach Ritters Vorgange — unter einem Delta die von ci,,em Strome in dessm unterstem Laufe gebildete, von mehreren Flußarmen durchströmte Alluvialebenc. Es gehört also zu demselben nicht bluß das von — 336 — zweien Armen eingeschlossene, sondern auch das nur von einem Fluß. arme begrenzt« Tiefland. Die Weichsel hat ein Flußdelta nannt. Toppen a. a. O. S. 94. 65) Pfeffer a. a. O, S. 9, Witt, die Überschwemmungen der Weichsel, und Nogat-Niederungen im Jahre 1855. 66) Der Ausdruck Geest kommt in Preußen nur als Adjekti» bum »güst« vor und wird bloß von unfruchtbarem Vieh gebraucht. 67) Eine Insel im Gescrichsce heißt noch »daß heilige Werder," weil hier die heidnischen Preußen noch lange nach ihrer Bekehrung den alten Götzendienst fortsetzten. In alten Handschriften werden Maricniverdcr insula Nai-iana und die preußischen Werder msulae I^i-N8«,li6 genannt. 68) I„ der Niederung wird der nach Ueberschwemmungen zurückbleibende Schlamm Schlick genannt. ' 69) Die Dämme sind zu der jetzigen Breite und Höhe übn» gens erst allmählig geführt worden? man erkennt dieses bei einem Durchstiche an den verschiedenen Erdschichten. — Kegen die Zeit der Ausführung sind in neuerer Zeit vielfache Bedenken erhoben worden, — Toppen c>, a. O, S. 197, Pfeffer a. a. O. S. 8 u. 9. 70) Voigt, Geschichte Preußens, Bd. 4. S. 33 ff. 71) Di« seit dem Jahre 1847 verstärkten Dämme werden land' seitig so weit hinausgerückt, als die zweifache Höhe des Dammes, wasserscitia, so weit, als dessen dreifache Höhe betiä.it. Pfeffer a. a. O. S. 25. 72) Die Planlosigkeit der Anlage wird getadelt. Pfeffer a. a, O. S. 10. Neumann in den Preuß. Prov. Vl. für 1855, Bd. 8. S. 59. 73) Der mittlere Abstand der Nogatdämme beträgt 2100, der d«r Wcichseldämme 4l00 Fuß. Neumann a. a. O. S. 59. - 74) Die Manenburger und Elbingcr Einlage ist eigentlich nichts als ein solches erweitertes Vorland. 75) Im großen Werd« giebt es acht Reviere. 22' — 340 — 76) Voigt, Geschichte Preußens, M. 1. S. 15,1 ff. 77) Hartwich, Beschreibung der drei Werder. Königsberg 1722. S. 138, — Verordnung August's II. vom 22. März 1710. 78) Heinel in seinen »Erinnerungen an Marienburg" (Pr. Pl0v. Vl. siir 1849, Bd. 8.) erzählt folgenden ergötzlichen Zwischen fall. „Die Herren (Deichgräf und Deichgeschworene) fanden sich nur selten und unregelmäßig zu dm Sitznngcn cin und ihre Thätigkeit bestand mehrcnthcilÄ darin, daß sie ihr Kinn auf den vergoldeten Stockknopf stliktcn ,lnl> einschliefen. Nur cin Beispiel cingreifendcr Thätigkeit ereignete sich in meiner Kindheit. Ein Käthncr sollte einen Eid ableisten. Der Gcrichtsbeamtc (königliche Assessor) suchte ihm die Wichtigkeit dcr Handlung klar zn machen. Da erhob sich einer der Deichgcschworenm nnd fragte den Käthner -. »Weiß Er auch was ein Eidschwur ist?« — Antwort: »Nee!« — „Dann laß Ei's sich gesagt sein- Ein Eidschwnr ist ein Invament zn Gott dem Allmäch» tigcn, daß wir'6 ihm sollen glanbe». Versteht Er's nnn? Ich und dcr Herr Assessor thun cin GrosM an ihm, dasi wir ihm das er» klären," — Allgemeine Heiterkeit, setzt Heinel hinzu, war damals noch nicht Mode. 7i>) Die Beamten der Krußwerdcrcr Deichlomnnmen wcrden bei Kaldowo (Kalthof), der Vorstadt Maricndnrgs ans dcm linkeu Nogatufer, vereidigt. 80) In den Urkunden wird der Damm bald Tham, bald Tampm« genannt/ tychcn und tempinen kommt oft zusammen vor. In einem Pinulcginm geschieht der Nakeburm (Nachbarn) Erwäh° nung, in einem andern weiden 14 Hnben verliehe», frei von aller Arbeit zum Anfführc» nnd Bessern der Dämme, frei von aller Abgabe an Zins und — Kaftannen (Kapftunen). — Tiippen a. a. O. S. 1!)i1, 200. Die Entfernungen für die Arbeiten am Damme werden ineist nach „Seilen," seltener nach Ruthen bestimmt/ das Seil enthält 10 Nuthen. — Prcusi. Prov. BI. füi 1849, Bd. 3. S. 357. 81) Wo der Sand nicht gar zu hoch, etwa nur drei bis fünf — 341 - Fuß liegt, lohnt es den Acker zu rijolen, das heisst umzukehren. Man zieht einen Graben bis zu einer solchen Tieft, daß der über-fandet« ursprüngliche Voden auf einen Fuß Tiefe hervortritt, zieht dann unmittelbar „eben diesem Graben einen zweiten und wnft die herausgegrabene Erde in deu erstcrn / und so weiter fort. Auf diese Weise wird das Land wieder umgekehrt nud für den Ackerbau geeig' net gemacht. Die Kosten dieses Verfahrens betragen aber für eine Hufe oft mchr als dreitausend Thaler, Es liegt auf der Hand, daß dieses Verfahren sich nur da belohnt, wo die Kosten wenigstens etwas unter dem ursprünglichen Werth des Bodens zu stehen kom< inen. — Witt, die Ueberschwemmunam der Weichsel, und Nogat< Niederungen im Jahre ^855,. 82) Ueber die Kampenbildung an der Mündung der Nogat und Elbinger Weichsel entnehme ich dem oft erwähnten Aussatze vou Toppen über das große Werder Nachstehendes. In den Nogatgegendeu waren die Dorfer Zeier und Stube in alten Zeiten die nächsten am Haff. Die Nnicke vou Zeier, über welche die Bandstraße ging, lag „nächst am Haff/" — auf der Karte des Elbingcr Territoriums von Israel Hoppe, welche 1632 entworfen ist, ist vor derselben schon eine Reihe von Kämpen ve» zeichuct/ jetzt hat sich die Zahl dcrftlbeu noch mehr als verdoppelt, so daß jene Dörfer bereits zwei oder drei Viertel Meilen vom Haff entfernt liegen. So haben deun ziemlich ausgedehnte Langstrecken zwischen der Nogat und Elbiugcr Fahrwasser die Namen Tcrranovll und Neuterrmwdll erhalte». Daß auch die Kämpen vor der Elbin» g« Weichsel sich cist in dm historischen Zeiten etwa seit dem An» fange der Ordeushenschaft gebildet haben, ließe sich schou aus der Analogie der Nogatkampen entnehmen j doch giebt es für ihr Vor-schrcitm im vorigen und in diesem Jahrhundert auch direkte Beweise. Die Westgrenze des alten Elbinger Fischamtes, welche früher von der Nehrung bis zum Dorfe Jungfer Wassergrcnze war, wurde allmählig zur Landesgrenze, so daß nach erneuter Feststellnng derselben im Iah« 17N auf den Kämpen im Osten derselben, also ans Elbingischem Gebiete, das sogenannte Grenzdorf angelegt werden konnte/ die ganze Insel Holm bildete sich aber noch später, denn auf Karten des vow gen Jahrhunderts findet sie sich noch nicht." — 342 — Daß seit d« Versandung der Elbinger Weichsel und tier Cou< pirung der Nogat die Kämpe» sich nicht in dem Maaße wie früher vermehren und vergrößern können, liegt auf der Hand. Dagegen dürfte es nicht richtig sein, mit Toppen an ein Aufhören der Kam» ftenbildungen zu denken. Den» die Nogat führt das ganze Jahr hindurch und die lilbinger Weicksel wenigstens bei Hochwafscr eine sehr große Menge von Sinlstoffcn in das frische Haff. Außerdem ist die Landbildung nicht blos ein Ncsultat der angeschwemmten Erde, sondern zugleich eine Folge der reichen Vegetativ»/ welche sich auf d«m Grunde des Haffs bildet und dcn Beden durch die absterbenden Pflanzen allmählig erhöht. Wäre dieses nicht der Fall, wie könnten sonst jemals Teiche, die fast gar keinen Zuflusi, keinen Muvialfaltor haben, allmählig versumpfen, vertorfen oder zu kulturfahigem Lande werden? 83) Früher dursten die Landstraßen mit Weiden nich't bepflanzt werden, „weil sie durch ihren Schatten böse Wege verursachen," Hartwich, Beschreibung der drei Werder, S. 58. 84) Die Sitte, am Osterfeste Freunde mit Nuthen zu schlagen, si« zu „schmakostern," ist in Preußen nralt. Selbst der Hochmeister des Deutschen Ordens wnrde von den Mägden mit solchen Züchti» gungen bedroht. — Voigt, Stillleben des Hochmeisters des Deut« schen Ordens, in Räumers historischem Taschenbuche fül IMO, S.W5,. Uebrigens verwendet man zu, diesem Zwecke häufiger Virkenruthen. 85) Daß auch Uebertreibungen vorkommen, kann hieran nichts ändern. So nennt das Volk den Besitzer eines in der Elbinger Niederung liegenden, außergewöhnlich bunt bemalten Hofes, den »bunten Peter.« 86) Der Pflug ist der ostpreußischcn Joche (von Ziehen, Zug) sehr ähnlich, nnd wirft das Erdreich nach einer Seite. Der Haken, wilcher — wenn ich die Stellen in Voigt's Geschichte Preußens, Bd. 2. S, 241, 4l>(!, recht verstehe, — polnischen Ursprungs ist, wirft die Schollen nach beiden Seiten. Der Acker braucht deßhalb mit dem erster» nur in einer Richtung parallel gefurcht zu werden/ mit dem Haken muß man aber kreuz und queer pflügen, soll anders jeder Theil des Bodens umgekehrt werden. — 343 — 87) No scher, Kolonieen. Leipzig 1856. S. 3 ff. Voigt, Geschichte Preußens, Band 8. S. 362 ff. 88) Hochzeiten und Begräbnisse sind die größten Feste. 89) Früher suchte man durch sogenannte Kleiderordmmgen, doch meist vergeblich, dem ^urus zu steuern, Die Verordnung vom 14, Ok< tober 1684 verbietet »die hoffährtigcn und unverständigen Taffctnen, Wlaffenen 5Aeider, die Goldstückenen Mützcu, Gold- und Silberne Spitzen und Posamenten, die theuern großen Knöftftchcn, die Püscher an den Ohren und alle ähnlichen »Alamodereycn« bci 2«,) Thaler Strafe und Konfiskation. Hartwich, Vcschrcil'uug der drei Werder. S. 51 ff. 90) Iu älterer Zeit war es nicht anders. Hartwich theilt von den Werderschen Gesetzen Folgendes mit. »Die übermäßigen Unkosten, die sowohl auf Hochzeiten, Kindel» biereu, als auch ans Verlöbnissen sind angewendet worden, sollen abgeschaffet und hmführo also gehalten werden. Wenn bei der Werbung das Ia^Wort abgeholet wird, soll nur eine schlechte .Kollation gehalten werden. Zur Hochzeit sollen auf's Höchste 8 Thonueu Bier, 1 Ochse, 6 Schöpsen, 2 Kälber nebst Gänsen und Hühnern genommen werden, ilud soll solche mcht länger als 2 Tage dauern. Das Kind°Tauffen aber soll mit 2 Thunnen Bier uud 2 besetzten Tischen vullentzogeu werden. Welcher hierüber thun wird, der soll der Schloß» obrigteit zur Strafe 10 Fl. erlegen.« Artikel 46. der Wllü'ihr vom 18. September 1676. 91) Nach der Volks sage mußte» sie dafür den sogenannten »VuttermiläMhurm« in der Vordurg der Marienburg erbauen. Die. ser Thurm, — der auch der schiebclichte, schiewclichte, schcibenartige von seiner runden Gestalt heißt — hat jenen Spihuamcn Wahrschau, lich daher erhalten, daß der polnische Occonomus von Marienburg Stanislaus Kostka, im Jahre 1596 vier Baum, aus Groß. Lichte-„au, weil dieses Dorf ciuc Lieferuug von Buttcrmilch verweigert und nachher mit Hohn geleistet hatte, in diesem Thurm auf su lauge einsperren ließ, bis sie das gelieferte Faß Buttermilch selbst verzehrt hatten. — Hartwich a. a. O. S. 523. — 344 — 92) Harwich a. a. O. S. 528 ff. 93) I,< den Preuß. Prov. Bl, für 1849 Bd. 8. S. 162. 94) Ich wählt dieselben aus vielen Hunderten aus, welche ich an Ort und Stelle gesammelt habe, — Für die Danziger Mundart giebt ein reiches Verzeichnis!, Seidel in den Prenß. Prov. Nl. fnr 1852 Bd. 1. S. 2? ff. 95) Neumann in den Preuß. Prov. Bl. für 1855 Nd. 8. S. 55 ff. 96) Manche Schriftsteller sind der Ansicht/ daß die Nogat als ein selbstständiger Fluß anzufchen, der nur von der Weichsel »über' wältigt" worden. Von Maricnwerder herkommend, wo sie die ^iebe aufnimmt, vereinigt sie sich erst bei der Montaner Spike mit der Weichsel, um sich von derselben wasserreicher als zuvor sogleich wieder zu tiennen. Toppen a. a. O. S. 188. Pfeffer a. a. O. S. 15 ff. Heinel in den Pr. Pr. Vl. für 1855. Nd. 7. S. 301 ff. Neumann (a. a. O. S. 73) widerspricht dieser Ansicht: „Diese Hypothese kommt beträchtlich ins Gedränge durch den vermrge der Tradition sowohl als der Lokalität als ziemlich zweifellos betrachteten Umstand, daß die Einmundnng unserer Nogat in alter Zeit sich nicht an der jelugm Stelle, sondern weiter hinauf in der Nähe der Stadt Mewe befunden habe/ einen Umstand, der, wie es scheint, auf der von Sarnicius angeführten alten Mythe von den drei Nymphen, welche anfänglich in Eintracht mit einander gewandert, aber bei der Stadt Gniew (der polnische Name für Mewe, als Apftellaiivum Zorn, Acrger) in verderblichen Hader gerathen und nach Auflösung ihres Freundschaftöbundes einander entfremdet, nach verschiedenen Richtungen weiter gezogen seien, znm Grunde liegt. — 8tllii. barmen ä^cr-i^tin veterl« et uuv»o I'olomae, ». v. Vistula. 97) Neumann a, a. O. S. 76. — Pfeffer a. a. O. S. 17 ff. — Hartwich a. a. O. S. 32 ff. — Heinel a. a. O> S.301 ff. 98) Lüschin, Geschichte Danzigs. — 345 — 99) Lengnich, Geschichte der preußischen Cande unter SigiZ. mund III. S. 270. — Pfeffer a. a. O. S. 18. 100) Neumann a. a. O. S. 71 ff.— P feffer a. a. O. S. 19. 101) Lösch in a. a. O. Pfeffer a. a. O. S, 39/ 40, 102) Nach dm in den Jahren 1342 bis 1843 angestellten Beobachtungen führte die „„getheilte Weichsel bei 5 Fnß Wasserstand des Pegels bei Montan nahe an 29(X)U Knbikfuß Wasser in del Sekunde vorbei, wovon 18000 in die Nogat und 11000 in die Weich< sel gingen. Die Wassermasscn verhielten sich als» wie 2 : 1!sz, Bei Hochwass« dagegen und vei einem Wasserstaude von 21 Fuß 7 Zoll dcs vorgenannten Pegels ergab sich ein umgekehrtes Verhältniß/ es verhielten sich alsdann die Wassermasscn der Nogat zur Weichsel bei» nahe wie l^ 2. Die Weichsel führte also bei sehr hohem Wasser bedeutend mehr ab als die Nogat, was sich leicht dadnrch erklärt, daß bei hohem Wasserstaude die Weichsel ein größeres Inundations« Profil zwischen den Deichen darbietet als die Nogat. Pfeffer a. a. O. S. 23. 103) Die Ufer des Kanales, der eine Vierlelmeile lang ist, sind durch Faschinen-Packungen und flache Stcinböschungen, die Sohl« desselben durch fünf Nuthen breite, in angemessenen Entfernungen gelegte Einkstücke uon Faschinen gegen die Strömung geschützt. Pfeffer a. a. O. — Text zum Atlas der Dirschauer und No< gatbrücke. 104) Sehr iüteressant siir den Kampf »m die Montaner Spitz« ist eine Karte im zweiten Vnnde von Liischin's Geschichte Danzig's, welche die einzelnen Phasen dieses Streites in den Jahren 1554, 1582, 1«18, 1642, 1«7l, 1719 und 1743 übersichtlich darstellt, Mcm vergleiche auch die diesem Buche beigegebene Karte. Als Anhang gebe ich ein in der Nummer 262 — Jahrgang 1856 — d«r Komgsbergcr Hartung'schen Zeitung befindliches Gut» achten eines „Nichttechnifers," „Aus dem Marienburger Werder nnd der Niederung wurde den Kammern eine mit Uiclen Unterschriften versehene Petition eingereicht in welcher dieselben gebeten wurden, beim Ministerium zu befürwor» — 346 — ten, daß geeignete Maaßregeln getroffen wurden, um die Gegend vor Überschwemmungen zu schuhen. Das Motiv der Petition war die große Ileberschwcmmung des vergangenen Jahres,' als Grund der letzter»! wurde unter andern der Dirschauer Vrückenbau angegeben. Die Kammer ging bekanntlich über diese Petition zur Tagesordnung über, da von den betreffenden Sachverständigen nachgewiesen wurde, daß die Brücke lein Hinderniß sei. Man muß dieser Ansicht nur beipflichten/ da jedoch die Gefahr dadurch nicht beseitigt, im Gegen» theil die Frage für nnsere Weichseliüsel tro!) alledem eine wichtige bleibt, so erlauben Eie wohl einem Nichttechuikcr einige Worte darüber zu sprechen. Die Akten über diese Frage sind noch lange nicht geschlossen, die Gefahr mehrt sich von Jahr zu Jahr, es steht die Eristcnz eines fruchtbaren, bedeutenden Landstrichs in Frage, Als man die Nogat couvirtc und durch Anlage des Piäkler Kanals den Wasserstand d« Weichsel der Art regulirte, daß zwei Drittthcile des Wassers durch die Weichsel strömen und nur ein Dritt» theil in die Nogat fließen sollte, übersah man, wie uns scheint, die Eigenschaft der Sinkstoffc führenden Ströme, die Eigenschaft, bei verminderter Strömung die Sinkstoffe abzulagern/ mau übersah, daß in Folge des geminderten Wafserdrnckcs und der geringern Strömung die Nogat nothwendig versanden müsse. Es ist diese Versandung be» reits so wcit gediehen, daß nicht einmal mehr Holzflöße die Nogat passirm können. Denn dieselbe ist eine nothwendige Folge der ve» minderten Strömung und wäre nur dadurch zn heben, daß das alte Verhältniß des Stromes wieder hergestellt würde. Man übersah ferner, daß man das Ausfallsgebiet der Weichsel in der Art beschränke, daß Ucbcrftuthungm der Deiche nothwendig folgen muffen. Es giebt wohl iu der ganzen Wclt, mit Ausnahme unserer Weichsel, keinen einzigen Strom, desscu Nett, je weiter nach d«m AuZfallspunkte, desto enger wird. Wer sich davon nicht durch den Augenschein übe» zeugen kann, der nehme die dem Atlas der Dirschauer Vrücke b«i< gegebene Weichsclkartc zur Hand/ es wird derselbe unterhalb Dirschau in der Gegend d«s im Danziger Werder liegeuden Dorfes Gcmlitz, «ine beginnende, bis unterhalb Nothebude allmählig zunehmende Ver< «ngerung des Weichselbettes durch Nahernicken d«r Weichseldciche finden. Die Verengerung ist so bedeutend, daß die Entfernung von Damm zu Damm bei Nothebude kaum die Hälfte derselben Entfernung bei — 347 — Dirschau betlägt. Das Wasser stießt also in di« Röhr« «i>i«s Trich» ters und mus« bei Hochwasser nothwendig zurückstaueu, da, selbst eine bedeutend vermehrte Strömung in der Verengerung angenommen, bei andaucrüdem Zufluß von Obe,l das Wasser nothwendig nicht ver< schluckt werden kann. Daß ein solcher Rückstau wirklich stattfindet, mögen einige Zahlen beweisen. Nach den offiziellen Eiswachtraft. portm stand das Wasser am 15. Februar 1 Uhr Nachts bei Piölcl 10 Fnß 10 Zoll, bei Dirschau 15 Fuß 9 Zoll, bci Nothcbudc 10 F>lß 3 Zoll/ am 18. Februar bei Piökel 13 Fuß (! Zoll. bei Dir< schau 17 Fuß 11 Zoll, bei Nothebude 12 Fnß 7 Zoll. Das Wasser bildet also statt einer schiefen Ebene einen Voge», dessen höchste Span« nung bei Dirschau, also i,l der Mitte zwischen Pi«kcl und Rothe« bnde liegt. Ein solcher Vogen kann nur entstehen, wenn eine be« deutende Hemmung da ist. Hieraus folgt, daß das Hochwasser mit Gewalt durch den Piökler Kaual in die Nogat gedrängt wird, und Jeder lann das sehen, da das in den Kanal strömende Wasser erst bei der Mündung des Kanales vorbei »>ud dann in einem Bogen zurück in denselben strömt. Nie gewaltig dieses Einströmen in die Nogat ist und wie wenig sich der Strom an das projektirte Vcr« hältniß von ein und zwei Drittheil kehrt, mögen wieder einige Zah< leii beweisen. Am 21. Februar stand bci Dirschau Nachmittags 35 Uhr das Wasser 18 Fuß 3 Zoll, während es bei Maricnburg 20 Fuß 8 Zoll stand, Nachts 17 Fuß 11 Zoll und resp. 20 Fuß 7 Zoll. Es muß also wieder ein Abfiufthiuderniß in der Weichsel sein, welches das Wasser mit Gewalt in die Noqat drängt. NIeibt der Znfluß des Wassers stark, so haben wir die Ueberschwemmungcn,-di« Gefahr wird durch das Versanden der Nogat von Jahr zn Jahr größer. Di« Thatsache» zeigen aber auch das einzige »tettungsmittel aus der Gefahr/ es ist die Wiederherstellung des naturgemäßen Ver. haltmsses eines jeden Flusses, nämlich das Wiederherstellen eincZ brei« tern AuZfallsgebietes der Weichsel. Unsere nnmaaftgcblichc Ansicht zur Erreichung dieses Zweckes wäre folgende: j. vollständiges Verschließen der Nogat, also Coupirung des Piekler Kanals, Die Nogat ist nicht mehr schiffbar und wird es nie werden, ihre Verbindung mit der Weichsel ist deshalb überflüssig und nur äußerst gefährlich für die Werder. — 348 — 2. Anlegung eines mindesttns l Nnthm breiten mit starken Dämmen versehenen Anales, der in der Gegend von Gemlitz von der Weichsel aueer durch das Danziger Werder bis Neu» fähr in die See geführt werben müßte. Der Kanal dürfte aber nicht in unmittelbarer Verbindung mit der Weichsel stehen, sondern müßte von derselben durch einen Steindamm der Alt getrennt werde,,/ daft mil das Hochwasser und Eis durch denselben ins Meer strömen könnte. Diese Trennung ist deshalb nothwendig, weil sooft das Stromgebiet unttlhalb des Kanales versanden würde, u>ld wir dann wieder in den alten Verhältnissen wärm. Möge man das Projekt ^nich siir kühn halten, es wird und muß dahin kommen / den naturgemäßen Stand des Flusses wieder» herzustellen? wenu die dabei interessirten Gegenden in Gemeinschaft mit Fiskus die Kosten übernehmen, so werden solche nicht zu drückend werden. Die Verluste bei einer Ucberschwemmung sind drei» bis vierfach größer als die Küste» eines solchen Kanales scin würden. Alle Palliatnunittel nützen nichts, es ist in den Strom geworfenes Geldj fasse mau doch die Sache fest ins Auge, regulire die Strom« Pegel, beobachte gleichzeitig in den verschiedenen Wachtbuden den Stand des Wassers und man wird den richtigeil Punkt der Gefahr bald finden. Es ist nicht die Dirschauer Brücke, er liegt weiter unten." 105) Voigt, Geschichte Preußens Vd. 1. S. 206 ff. — N e u -mann m den Prcuß. Prov. Vl. für 1854 Nd. 6. S. 306 ff. 106) Das frische .yaff hat seinen Namen von der Natur seines Wassers. — Töppeu a, a. O. S. 83. Früher hieß dasselbe Halibo, die Ostsee aber Lhrouo. — Voigt, Geschichte Pr. Nd. I. Preuß, Preuß. Landes- und Volkskunde, S. 12, 33. 107) Auch im Chamounithale stehn die Sennhütten und Schuft-pen häusig auf solchen Pfählen. Sie sollen dieselben vor dem Eiu? bruche der Ratten schützen. 108) Unter den Jans. und Hofmarken versteht man gewisse Figuren mit der Bedeutung, daß sie einem Grundstücke (Haus, Hof, Kirche), sodann dessen beweglichem und unbeweglichem Zubehör, end- — 349 — lich auch dem zeiligen Besitzer zum gemeinsamen Wahrzeichen dienen. Aus einigen meist gnaden Linien gebM't schließen sie sich häufig an das Krcnz, an die Runen, besonders an die zusammengesetzten oder Binderunen an, gehen in neuerer Zeit wühl auch in einfach« Dar» stellungm von allerlei Gerath (Spaten, Veil, Anker u. s. w.) oder in Buchstaben über. Immer sind sie kunstlos gezogen, eingcgraben oder eingebrannt, und erinnem an die Zeichen, welche manchen In-nungen, Handelshäusern mid Fabriken oder Geschlechtern (als »an-geborene Mark") angehören, oder als persönliche Zeichen Uou Bau« meistern, Steinmetzen, Münzmeister», Künstlern, Kaufleuten, Bäcker» gebraucht werden. Sie zciqcu sich i» Bändern germanischer Zunge, namentlich in Skandinavien u»d von Flandern bis Livland hin/ meist in den Städten, aber auch aus dem ^andc, und Ichtercs besonders iu der Gegend von Danzig und Elbing. ^hrer Anwendung nach konnnen sie an Gebäuden (an dem Queer« balkeu der Hausthüre, oder des Hofthors, an dcu Oicl'eln, in den Windfahnen, den Nangelsteimn der Beischläge), aus Grabsteinen (wie uamentlich in der Marienkirche zu Danzig), Kirchcnstühlen, als Handzeichen und auf Siegeln vor/ ferner bei den Bauerhofcu deut« scheu Ursprungs im Weichscldclta, wo sie zur Bezeichnung des Hof-geräthcs, der Getreidesäcke, der Pferde, der Hcckpfosten u. s. w. dienen. Ursprünglich ist die Marke eiuc dingliche, indem sie nur an dem Hufe, dem Hause haftet und zugleich auf das Zubehör desselben übergeht. Allmählig verliert sie dicsm Charakter bci städtischen Grundstücke», — wahrschemlich wegen der häufigern Besihoeränderuu-gen, — m,o wird zu cixei blos, persönlichen des Eigcnthümcrs. In Folge dessen verändert sic zuweilen in einer und derselben Familie sogar ihre erste Form. In übertragener Bedeutung scheint sie bei Shakspcare vorzu< kvmmcn (doch hat sich ihr Gebrauch in England nicht ermitteln lassm) in den Worten: 1,«st, t!u»l a mark to t1>^«ell? (IIeui'7 VI. "l. II. ^. 4. 80. 2.) — Homey er, Die Haus- und Hofmarken, in Wolfs Zeit-schuft für deutsch« Mythologie und Sittcnkunde, Band 1 1853. — 350 — Hirsch und Voßberg in der Vcilage zu der vou ihnen heraus« gegebenen Dcmziger Chronik Caspar Weinreichs. Berlin 1855. Vlispiclshlllber gebe ich di« Abbildungen folgender Marken: I. An bcm kolossalen Cnizifir, lzcrade über dem Hochaltäre in der Marienkirche zn Danzig, die Marke des Donators Nathsherrn Lutas Ket-ting aus dem Jahre 1517: 2. Auf einigen Grabsteinen der Marienkirche: 1518 1558 Die Marienkirche selber führt die oft wiederkehrende Marke: 8. Die Marke», der einzelnen Bauelhöfe in Planst sind folgende: — 351 — 4. Nei Rothebude habe» einzelne Höfe folgend« Marken: 199) Das Voll sagt Linaa — und mit Recht,- denn Aa ist «in «rnlteS, namentlich auch in der Form Ach als Flußnamc häufig vorkommendes Wort und bedeutet ein fliesendes Nasser. Man müßte daher eigentlich auch Mottlaa, Kladaa, Voraa sprechen. Die Mott. lau schreibt Hartwich — sich der richtigen Aussprache nähernd — Moddclo. 110) Dieses bekümmert aber den Schiffer wenig. Auf dem Felde Przerapke vor Danzig werden die Säcke ihrer Länge nach auf. geschnitten und auseinander gebreitet. Die naßgcwordene, grkeimte und dadurch zu einem Pelz verbundene obere Schicht klebt an der Leinwand fest, in der Mitte aber liegt das trockene, goldgelbe Korn. 111) Schubert, Zur sechshundertjährigen Jubelfeier der Stadt Königsberg. Königsberg 1855. S. 10. 112) M -> / , 114) F. oou Quast in den Neuen Preuß. Provinzialblattern für 1851 Bd. 11. S. 16. 115) In dm genannten Blättern Band 10. u. 11. -. 352 — 116) So heißt das Maueiwerk, dessen innerer hohler Nauin mit kleinen Steinen und Mörtel ausgefüllt wird. 117) F. o. Quast a. a. O, Nd. 11. S. 22, 23. 118) Derselbe a. a. O. Vd. 10. S, L. 119) Busch iug sagt hierüber: ^Die Verzierungen stehn bcn stiffen des Kölner Doms darin so nahe, daß auch in ihnen die höchste Reinheit herrscht, das heißt, daß sie all« aus der Pflanzenwelt entlehnt sind und nur hi» u«d wieder von wunderlichen Thiergestalttn unterbrochen werden, nicht aber in das unbestimmte Feld wilikührlicher Schnörkelcien übergehen. Fast durch« weg ist über die glatte Fläche, oder über gekehlte und gerandcte Stellen das Weinblatt einfach und simiia, gelegt, oder andere große Blätter, Noscn »nd Blumen uingeben die Kragsteine, die Kopfge« simse der Säulen, und dies ist der rein liebliche Pflauzenschmucl, der die ausgezeichnetsten Werke altdeutscher Bauart ziert, der ihnen ihre höchste Würde und Schönheit giebt." Zur Charakteristik der wunderlichen Palagonianischen Darstellun« aen diene fula,cude Beschreibung: »Auf eiutm Knäufe rechts ist eine wunderlich« Fratze, ein Thier mit Menschenkopf, einem Fischleid und Pferdefüßen, und ein Mann in einem cnaanliea/ildcn Wams l'is zur Hälft« drs Velbes, dann folgt ein Fischleib nnd Schwanz, Thieifühc tragen diese Zusammen« sehung, die auf dem Kopf eine Mühe hat, deren Spitze rückwärts überhangt und in diese Spike bciszt ei» Hmidsfopf ein, der das Ende des sich klümmeüdm Fischschwanzes bildet. An dein viereckigen Thür« Pfeiler, wo der eigentliche Eingang und Thüranschlag, ist ein Thier niit Fischleib, großem Kopfe und Ochsenfüße!!. i?i»ks an der Thür» seite, dein letztbeschricbcnen gegenüber, ist ein Thier wie eine Sphinr niit Menschenkopf und Menschenarmen/ dann sieht man noch ein Schwein» und ein Fischimgchcun." Nüsching, Marienburg. Berlin 1823. Zu vergleichen Fcick, Tafel XIV. 2. 27. 120) Sie hat diese Bezeichnung von der frühern reichen Ver« gvldung. — 353 — 121) Die ausfiihilichfte Beschreibung widmet ihm Biisching in seinem genannten Werke S. 34 bis 38. Man vergleiche den Kupferstich uun Professor Schulh und in den« Frick'schen Werke Tafel VII. 122) Dieses hebt namentlich Mischina, hervor. A, a. O. S. 36. 123)' v. Quast a. a. O. Bd. XI. S. W. 124) In der Ansicht des östlichen Theiles des Schlosses von Prof. Schultz ist dieser Fehler vermieden. 125) Büsching °. a. O. S. 35. d, Quast a, a. O. Vd. XI. S. 68, 117. I2tt) Die von Nüschmg entzifferten — nicht aus Majuskel, buchstaben zusammengesetzten — Inschriften im Kapitelsaale gehn gleichfalls mit der Sitte der Araber, Sprüche des Korans auf die Wände zu schreiben, parallel. Ich gebe dieselben hier als ein Vei« spiel damaliger Poesie und Sprache. , .. Bitten wir got vns beschcern (Vlunde?) die sich turren wern Der ist nv vil groslich not Ir legen vil dir plagen tot. (Bitten wir Gott'uns zu beschewtn Freunde, die sich dürfen wehren, deren ist mm viel große Noth, ihrer liegen viel er» schlagen todt.) Demut vnd gotis vurchte vil creftlich an ym wurchte daz her dieser werlde gust versmchte sam geringe lust. (Demuth nnd Gottes.Furcht viel kräftiglich a» ihm würkte, daß er dieser Welt Freude, gleich geringer Lust, verschmähte.) 127) Otte, Handbuch der Kunstarchäologie. Leipzig 185,4. 128) Voigt in Naumer's Historischem Taschenbuche für 1830 S. 242. 129) Voigt a. n. O. S. 243 und in seiner Geschichte der Maritubmg S. 56. Pnssnr«,, ai>« dlm Wtichsilbclla, 23 — 354 — 130) Ich spreche natürlich nur von dem frühein Zustande des Schlosses vor der Periode der Zerstörung. 1cN) Dieser Hochmeister regierte von 1351 bis 1382. 132) Man vergleiche den ausgezeichneten Kupferstich von Prof. Schulh, Tafel VI. bei Vüschmg und Tafel XII. bei Fiick. 133) An d« Nord« und Südfacade ist nur der dem Eckpfeiler zunächst befindliche Strebepfeiler unterbrochen. 134) Vüsching a. a. O. S. 61. 135) Schult), Ueber alterthümliche Gegeilstände der bildenden Kunst in Danzig. 136) Voigt, Geschichte der Marienburc,. S. 277. Früh« stand neben der Kugel folgender Reim: AIs man zelet N^^c^X Jahr Dieß sag' ich euch allen fürwahr ' Der stein wart geschossen in di« want Vie sal u bleiben czu einem ewigen pfcint. So fand den Neim im Jahre 1,M) ein gewisser Falk, der an den Nand der Gcrstenbergischen Chronik, da wo diese Geschichte erzählt wild, die Worte schrieb: Ich Falk bin selbs drinnen gewesen Anno 1560 am 21 »md A Marcii durch den H»rin Iakol, Reckel Ctmm«rer die Zeit auf dem Schlos zu Margenbnrgk und hab das besehen. Voigt a. a. O. S. 277. 137) Es find folgende Meister abgebildet: Waldbot von Vasseiiheim nnd Hermann Balk von Nosen< felder/ Hermann von Salza und Meiuhard von Querfurt von Dagej Siegfried von Feuchtwange» und Lulhcr »on Braunschweig von Menzel/ Dietrich oo„ Altcubnrg und Winrich von jtnipwdt von Hermann/ lilrich von Iuiiginge» und Heinrich von Plauen von Graf. R. Philippi in den Pr. Prrd. Bl. für 1856 Bd. 9. S.385 ff. Fried land er ebendaselbst Bd. 10. S. 39 ff. 138) Die der Marienburg eigenthümlich« Heizmllichtung hab«n — 355 — beschrieben: Vü schlug a. a. O. S. 45 ff., Voigt ,'n dc» Preuß. Prov. Bl. für 1849, Nd. 8. S. 24«, Witt, Marienburg, das Haupthaus des deutschen Ordeus. Königsberg 1854. S. 26, 27. 139) Erinnert dieser Genitiv nicht an das englische »Iic:r m»iezt^'8« ? 140) Die Tradition kniipft allerdings erst an die Zeit der Restauration au/ sic war bis dahin vollständig unterbrochen. 141) Prcuß. Pro». Vl. für 1850, Baud 10. S. 103 ff. 142) Am M. Juni 1822, als der damalige Kronprinz (letzige, König) »on Preußen Schloß Maricnburg besuchte, war dort ei» Herr» liches Fest. Nach dreihundert und sechzig Jahren gab zum eisten Male ei» deutscher Fürst wieder Tafel im großen Nemter. Ein Liedsprecher trat „ach alter Sitte mit der Zithei auf. Das von ihm gesprochene i?ied war von Eichendorf gedichtet. Als die Anwe» sciideu mit froher Begeisterung „dem ritterlichen König und dem Kö< uigssuhn!" ein Lebehoch zugerufen, füllte der Kronprinz den Becher aufs Neue und rief den Versammelten zu: Alles Große liud Würdige erstehe wie dieser Bau! Büsching, Marieuburg S. 93. 143) Georg Voigt — der Sohn des henchmten tzistorikers und selb« ein geistvoller Geschichtsforscher — den ich um Angabe neuer Quellen gebeten, schreibt mir: »Es giebt absolut keine weiter» Nachrichten über die Zerstö« rung der Marieuburg, deren Geschichte sich zumal während der pol» uischcu Zeit und auch bis 1816 dem Blicke der Forschung fast ganz entzieht, Ner achtet dessen, wenn die Fugen weichen nnd wenn Nässe und barbarische Menschenhand ihr Werk im Stillen treiben. Die einzige Quelle ül'er die Vorgänge der Restauration dürften Staatsakten »nd der Schön'sche Vnefwechsel sein, der aber wie seine Memoiren noch ganz im Verborgenen ruht. Eichen» dorf war —^ wie mein Vater weift — durch Schön angeregt und benutzte die Marmil'urgcr Schloßakten, einzelne Akten der hiesigen (Königsberg«^ Negiernng und was ihm Schön aus seinem Pn< — 356 — - datbesitz an die Hand gegeben hat. Gedruckte Quellen sind durch« aus nicht vorhanden. So muß!? Du schon zufrieden sein." Freilich muß ich es sein. Dem geneigten und lernbegierige» Leser empfehle ich aber folgende Schriften, welche ich auch bei der Abfassung dieses Abschnitts zum Theil benutzt habe. Flick und Gilly, Schloß Marienburg in Preußen. 1799 und 1802. 19 Tafeln gr. Fol. Der Text von Nabe und Lcvezow. Büsching, das Schloß der deutschen Ritter zu Marienburg. Beilin 1823. Mit 7 Kupfern. Voigt, Geschichte der Marienburg. Königsberg 1824. Voigt, Geschichte Preußens. Königsberg 1827 ff. 8 Bände. Voigt, das Stillleben des Hochmeisters deZ deutschen Ordens und sein Fürstenhof, in Naumers Histor. Taschenbuche fiir 1830. Voigt, das OrdenshauZ Mariexburg. Pr. Prov. Bl. für 1849. Bd. 8. Voigt, Sendschreiben an Herrn von Quast u. Pr. Prov. Bl. für 1850. Bd. 9. Eichendorf, Wiederherstellung des Schlosses der deutschen Ritter in Marieuburg, Berlin 1844. v. Quast, zur Geschichte der Baukunst in Preußen. Preuß. Prov. Bl. für 1850. Band 10 und 11. Nitt, Marienburg, das Haupthaus des deutschen Ritter» Ordens. Königsberg 1854. Verschiedene Aufsähe in der Illustritten Zeitung, Jahr-gang 1854 u. ff./ in der Minerva, Jahrgang 1855, in der Allgemeinen Vauzeitung von Ludwig Förster, den Illu-stlirten Monatsheften von Klemm (Jahrgang 1855). Vnlin, gtbweN-iU^bel Königlichen Gchmnm Oblr.Hosbuchdruckcrei (N. Decker), TOM PIE 3tOJ?TAUE R S PI TZ E. TIN JJ SEIT^E 1JMOE B V NT G. I.iih: AU'lirr v f. K. FcIIit in »orlin. Borliii,Vm-l«lS clPcKnBi^lirhpn (lolifiiimii Ohi>r Is.-H.n<-f,.iri.cki-r.-i (M ll.-rkiTj.