127Špela Virant: „DIE EIGENE NUANCE“ ... Špela Virant Filozofska fakulteta, Univerza v Ljubljani spela.virant@ff.uni-lj.si „DIE EIGENE NUANCE“: ZUM KONZEPT DER INDIVIDUALITÄT IN CARL STERNHEIMS STÜCKEN AUS DEM BÜRGERLICHEN HELDENLEBEN EINLEITUNG Carl Sternheim, geboren 1878 in Leipzig und gestorben 1942 in Brüssel, war einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Komödienautoren seiner Zeit. Seine Werke wurden in den deutschsprachigen Literaturgeschichten lange dem Expressionismus zugeordnet, was, wie Hermann Korte erklärt, vor allem auf seiner biographischen Nähe zu expres- sionistischen Kreisen beruht, während seine Stücke praktisch keine Merkmale der ex- pressionistischen Dramatik aufweisen, sondern eher von der Boulevardkomödie und der Komödientradition nach Molière inspiriert wurden (vgl. Korte 2009: 574). Zu seinen er- folgreichsten Stücken zählen die Komödien, die in der sogenannten „Maske-Tetralogie“ zusammengefasst und in den Zyklus mit dem Titel Aus dem bürgerlichen Heldenleben eingeordnet werden. Ein Jahrhundert nach ihrer Entstehung werden diese Stücke im Rah- men der Erinnerung und Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs und der gesellschaftlich- politischen Entwicklungen am Beginn des 20. Jahrhunderts, die zu ihm führten, wieder neu gelesen, interpretiert und aufgeführt. Auch das slowenische Publikum hatte im Jahr 2013 Gelegenheit, eine Neuinszenierung dieser Stücke zu sehen.1 Die Betrachtung die- ser Stücke und ihrer Rezeption aus der gegebenen zeitlichen Distanz ermöglicht jedoch nicht nur einen Rückblick auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, sondern auf das ganze dazwischenliegende Jahrhundert in Bezug auf die von Sternheim in seinen Werken the- matisierten Problematiken. Der vorliegende Beitrag widmet sich im Folgenden vor allem einer dieser Problematiken, die Sternheim als „eigene Nuance“ bezeichnete und die sich unter dem Begriff der Individualität zusammenfassen lässt. Der Umgang mit dem Kon- zept der Individualität im 20. Jahrhundert – wie er sich in Sternheims Stücken und ihrer Rezeption, vor allem in der 1969 veröffentlichten Studie von W. G. Sebald, zeigt – macht die wesentlichen Streitpunkte der dominanten Ideologien des vergangenen Jahrhunderts sichtbar, aber er verweist auch auf die bis heute ungelösten Probleme dieses nach wie 1 Unter dem Titel »Iz junaškega življenja meščanov« (Aus dem bürgerlichen Heldenleben) wurden die Stücke Die Hose, Der Snob und 1913 in der Übersetzung von Milan Štefe unter der Regie von Aleksandar Popovski aufgeführt. Die Premiere war am 25.9.2013 im Mestno gledališče Ljubljansko in Ljubljana. UDK 821.112.2.09-22Sternheim C. DOI: 10.4312/vestnik.9.127-138 128 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE/JOURNAL FOR FOREIGN LANGUAGES vor für die heutigen Gesellschaften zentralen Begriffs. Der vorliegende Beitrag, der sich methodologisch an rezeptionsästhetische und diskursanalytische Ansätze stützt, geht von der These aus, dass eine neue Lektüre der Stücke Sternheims die Radikalisierung der Widersprüche in den aktuellen gesellschaftlichen Diskursen über Individualität verdeut- lichen kann. DIE TEXTE DER „MASKE-TETRALOGIE“ Zu der „Maske-Tetralogie“ gehören die Stücke Die Hose, Der Snob und 1913, die zwi- schen den Jahren 1909 und 1914 entstanden und zwischen 1911 und 1915 veröffentlicht wurden, sowie das letzte Stück Das Fossil, das in den Jahren 1921/22 entstanden, 1923 uraufgeführt und 1925 in Druckform veröffentlicht wurde, das jedoch nur noch lose mit den ersten drei Stücken verbunden ist. Genau betrachtet, stimmt auch in den ersten drei Stücken die Zeitkonstruktion nicht, so dass man eher von eine Serie einzelner, abge- schlossener Stücke sprechen muss, die durch die Namen der Figuren und durch textuelle Anspielungen verbunden sind. Durch die drei Stücke wird der Aufstieg der Familie Mas- ke vom Kleinbürgertum über das Großbürgertum zum Adel gezeigt. Der Zyklus, zu dem diese Stücke gehören, trägt den Titel Aus dem bürgerlichen Heldenleben. Dieser Titel vereint Anspielungen auf das bürgerliche Trauerspiel und das Heldenepos, also auf zwei unvereinbare Gattungen. Durch dieses Paradoxon wird der satirische Ton der Stücke her- vorgehoben, die Sternheim auch als bürgerliche Lustspiele bezeichnen wollte. Die Ironie zeigt sich auch in den Namen der Figuren. Aus der berühmten bürgerlichen Heldin Luise Miller aus Schillers Kabale und Liebe (1784) ist nun in Der Hose Luise Maske gewor- den, wobei der Nachname nicht nur auf das Sich-Verstellen, den äußeren Anschein der Bürgerlichkeit und der bürgerlichen Moral verweist, sondern auch auf die Komik einer karnevalesken Figur, die zur Erheiterung des Publikums ihre Unterhosen verliert und damit wie auch durch die darauf folgenden Verwicklungen das einst stolze, aufstrebende Bürgertum der Lächerlichkeit preisgibt. Die Ironisierung des Bürgertums findet aber nicht nur durch die auf der Handlungs- ebene sich entfaltende Komik statt, sondern auch auf der Textebene, und zwar durch die Art, wie in den Text Allusionen und intertextuelle Bezüge eingeflochten sind. Die Figu- ren beziehen sich in ihren Reden gerne auf die damals berühmten und beliebten Denker wie Friedrich Nietzsche, Otto Weininger oder Sigmund Freud. Doch werden ihre Ideen eigensinnig uminterpretiert und oft durcheinander gebracht. So versuchen die Figuren ihre Belesenheit zu bezeugen, doch die Oberflächlichkeit und Verworrenheit ihrer Reden verrät nur die Scheinhaftigkeit ihrer Bildung, die zur Larve und Einbildung verkommen das Bildungsideal des Bürgertums als Komödie denunziert. 129Špela Virant: „DIE EIGENE NUANCE“ ... DIE BÜRGERLICHE IDEOLOGIE: INDIVIDUALITÄT UND NARZISSMUS Als Satire auf das Bürgertum am Beginn des 20. Jahrhunderts wurden diese Stücke auch wahrgenommen, als sie aufgeführt worden sind. Die ersten zwei vor dem Ersten Weltkrieg, während das Stück 1913 erst im Jahr 1919, nach der Aufhebung des Auffüh- rungsverbots während des Kriegs, uraufgeführt wurde. Auch mit der Uraufführung des Stücks Die Hose gab es Probleme, es wurde erst „nach anfänglichem Verbot ‘aus Grün- den der Sittlichkeit’“ (Wahrenburg 2000, 127) uraufgeführt. Dass es sich bei diesen Stücken um Sternheims satirische Abrechnung mit dem Bürgertum handelt, suggeriert auch der Kontext seiner literarischen Tätigkeit jener Periode, zu der auch die Arbeit an der Encyclopädie zum Abbruch bürgerlicher Ideologie gehört, an der er im Jahr 1917 arbeitete. Von dieser Enzyklopädie jedoch erschien ein Jahr später nur die Erste Seite (Sternheim 1966: 55). Sternheims Kritik am Bürgertum, dem er selbst zugehörig war, wurde vom Bürger- tum selbst mit Wohlwollen aufgenommen, zumindest in den Zeiten, die – paradoxer- weise – der bürgerlichen Ideologie zugetan waren. Seine Stücke wurden von Publikum, Kritik und Literaturwissenschaft gefeiert, gelobt und geschätzt – sowohl vor dem Ersten Weltkrieg wie auch danach, in der Weimarer Republik, und ebenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Adenauer Ära. Der deutsche Journalist Florian Illies, der bereits mit seinem Buch Generation Golf (2000) berühmt geworden ist, beschreibt dieses Phänomen in seinem Buch 1913. Der Sommer des Jahrhunderts (2012), das als Sachbuch die Best- sellerlisten eroberte: „In seinem Theaterstück ‘Der Snob’, an dem Carl Sternheim im Sommer 1913 arbeitet, versteckt er dutzende Anspielungen auf Walther Rathenau, den gro- ßen Aufsichtsratsvorsitzenden der AEG, Romantiker, Autor, Politiker, Denker. Und daneben eine der narzisstischsten Personen seiner Zeit. Bei der Premiere von ‘Der Snob’ sitzt Sternheims Gattin Thea dann direkt neben Rathenau und befürchtet, dass er merkt, dass er es ist, der da auf der Bühne dargestellt ist. Aber Narzissmus schützt auch. Rathenau bleibt ungerührt. Er sagt abschlie- ßend nur, er wolle das Stück noch einmal genau lesen.“ (Illies 2012: 152) Florian Illies’ Versuch, zu erklären, warum Sternheims Kritik am Kritisierten so leichthin abprallt, stützt sich auf die Psychologie des Bürgers, seinen Narzissmus, der auch Sternheims Figuren nicht fremd ist. Das, was in dem Stück kritisiert wird, schützt den Kritisierten auch vor dieser Kritik, so dass sie ungehört bleiben muss. Mehr noch, Rathenau muss sich nicht mit Narzissmus schützen. Er kann sich geschmeichelt fühlen, zum Gegenstand eines Theaterstücks geworden zu sein, was seinen Narzissmus nur näh- ren und ihn in seiner Haltung noch bestärken und bestätigen kann. Doch die Widersprü- che in der Rezeption von Sternheims Stücken, die Illies am Beginn des 21. Jahrhunderts 130 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE/JOURNAL FOR FOREIGN LANGUAGES durchschauen und über die er mit plauderhafter Leichtigkeit erzählen kann, wurde nicht immer in den vergangenen hundert Jahren so unbefangen und konfliktlos aufgenommen. DIE IDEOLOGIE DES NATIONALSOZIALISMUS: AUSLÖSCHUNG DER INDIVIDUALITÄT Dem ersten Aufführungsverbot des Stücks 1913 während des Ersten Weltkriegs folgt das zweite, das 1933 von dem NS-Regime über Sternheims Werke verhängt wird. Es waren diese zwei Epochen, die von Kriegsrecht und Diktatur geprägt wurden, die die Kritik am Bürgertum nicht integrieren konnten und sie mit Verboten bannten, obwohl sie selbst für einen gründlichen Abbruch der bürgerlichen Ideologie sorgten und sie durch ande- re Ideologien ersetzen. Der Rassismus als wesentlicher Teil der nationalsozialistischen Ideologie war unter anderem ein Grund für das Verbot der Werke Carl Sternheims, der väterlicherseits jüdische Vorfahren hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Sternheim rehabilitiert und seine Werke lite- raturhistorisch wieder aufgewertet. In den sozial-politisch bewegten späten 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, die sich von der Adenauer Ära und allem, was bürgerlich anmu- tete, absetzen wollen, wirft die Literaturwissenschaft jedoch einen kritischen Blick auf Sternheims Kritik des Bürgertums. Zu erwähnen ist hier vor allem W. G. Sebalds 1969 erschienene Studie mit dem Titel Carl Sternheim: Kritiker und Opfer der Wilhelmini- schen Ära. Diese Studie verdient besondere Beachtung, nicht weil W. G. Sebald (1944 – 2001), der sich später selbst als Schriftsteller etablierte, mit ihr in der literaturwissen- schaftlichen Forschung eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung von Sternheims Werk spielte, sondern weil seine Analysen und Interpretationen den Zeitgeist der 1960er Jahre widerspiegeln und auf die ihm innewohnenden Aporien verweisen. DIE IDEOLOGIE DER IDEOLOGIEKRITIK: FALSCHE INDIVIDUALITÄT Sebald behauptet in seiner Studie, dass Sternheim zwar das Bürgertum kritisierte, dabei jedoch selbst von einem unreflektierten Wunsch getrieben wurde, dem Wunsch nach As- similation, nach Anpassung und Anerkennung von eben diesem Bürgertum. So getrieben mache er in seinem Werk selbst die gleichen Fehler: „Aus dem Werk Carl Sternheims lie- ße sich demnach ein Sündenkatalog herleiten, mit dessen Hilfe die immanenten Fehlleis- tungen der spätbürgerlichen Philosophie und Literatur erklärt werden könnten.“ (Sebald 1969: 20) Sternheims Kritik sei, so Sebald, „im strengen Sinne ideologisch und affirma- tiv“, doch die aus einer spekulativen Analyse der unbewussten Motive des Autors gewon- nenen Behauptungen verleiten Sebald zu einem Urteil über den Text: „Die Wirklichkeit wird nicht kritisiert; sie wird in jedem einzelnen Fall neu bestätigt.“ (Sebald 1969: 16) 131Špela Virant: „DIE EIGENE NUANCE“ ... Das Problem, dass Sternheims Kritik von seinen Zeitgenossen nicht als solche wahrge- nommen wurde, liege, folgt man Sebalds Analysen, in der in den Texten formulierten Kritik selbst, da sie das Bürgertum in sich bestätigt, und nicht an der Unempfindlichkeit des narzisstischen Bürgertums. Diese, fünf Jahrzehnte nach der Uraufführung des Stücks 1913 von Sebald formu- lierte Neubewertung von Sternheims Gesamtwerk, so umstritten sie auch sein mag,2 mar- kiert eine Verschiebung in der Rezeption des Stücks. Das zentrale Thema des Stücks wird nicht mehr einfach als Kritik am Bürgertum definiert, sondern differenzierter be- trachtet. So fasst Hermann Korte in seinem 2009 in Kindlers Literatur Lexikon erschiene- nen Aufsatz zum dramatischen Werk von Sternheim die bisherige Forschung zusammen und formuliert den zeitgenössischen Forschungsstand bezüglich des Themas des Stücks folgendermaßen: „Individualismus und Selbstbehauptung sind das eigentliche Thema der ‚Maske’-Stücke Sternheims“; weiter heißt es, Sternheims Dramenzyklus Aus dem Bürgerlichen Heldenleben demonstriere „ohne wertende Perspektive den auf dem ge- schichtlichen Gipfelpunkt seiner Existenz angekommenen Bürger, der sich auf ein einzi- ges Ziel konzentriert: kompromisslos-willensstarke Selbstverwirklichung.“ (Korte 2009: 575) Doch auch bei Korte scheint Sternheims Perspektive, wenn auch nicht wertend, so doch nicht ganz unparteiisch zu sein, denn später stellt er fest, dass Sternheim nach 1915 immer mehr von der „Perspektive einer radikal-individualistischen, egomanischen Lebensbejahung“ abrückt (2009: 576). Das hieße jedoch auch, dass Sternheim die Eigen- heit des Spätbürgertums erkannt, aber nicht einfach nur objektiv oder distanziert kritisch dargestellt hat, sondern die Perspektive des kompromisslos-willensstarken, radikalen In- dividualismus in seinen frühen Komödien wenigstens zum Teil nachvollziehen konnte. Gerade in der Form des Individualismus, die Sternheim in seinen Dramen darstellt und in seinen, von Sebald analysierten Schriften zur Literatur auch verteidigt, sieht Se- bald eine Affinität zum National-Sozialismus und Faschismus. Anhand einer Analyse ausgewählter Texte zeigt er, wie Sternheims Auffassung der Individualität, der „eignen Nuance“, wie Sternheim es nennt, „sich bald genug als Vorwand zur Unterdrückung anderer“ erweist (Sebald 1969: 45). Sebald spitzt seine Kritik noch zu, indem er fest- stellt, dass die Individualität bei Sternheim gar nicht so individuell ist, sondern „immer schon vorher die ‘eigene Nuance’ einer ganzen Gruppe war. Sie hat faschistische Züge, selbst und gerade dort, wo sie von einem einzelnen als sein ureigenster Ausdruck prokla- miert wird.“ (Sebald 1969: 46) Sebald zeigt, wie das Konzept von Individualität, das von Sternheim und dem deutschen Spätbürgertum vertreten wird, zum Faschismus führt, zum Aufstieg einer Diktatur. 2 Boris Dudaš lehnt Sebalds Studie wegen der „auf wackligen Füßen stehenden psychoanalytischen Methode“ im Ganzen ab. Aus seiner kurzen Besprechung der Studie wird jedoch auch deutlich, dass sich Sebalds Sternheim-Kritik in einem germanistischen Generationskonflikt gegen etablierte Forscher richtet (Dudaš 2004: 39–40). So sollte auch Sebalds Studie im Kontext der Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre gelesen werden, als neue Methoden oder gar Paradigmenwechsel für die Literaturwissenschaft gesucht wurden, aber auch die Literatur im politischen Diskurs gegen die als bürgerlich-konservativ empfundene Literaturwissenschaft der Adenauer-Ära instrumentalisiert wurde. 132 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE/JOURNAL FOR FOREIGN LANGUAGES Sebalds Interpretation von Sternheims Texten mag nicht zutreffend sein, da sie be- stimmte Aspekte seines Werks außer Acht lässt, sie kann auch nicht die Entwicklung des Faschismus erklären, doch sie ist symptomatisch für die späten 1960er Jahre, denn sie weist auf ein damals hochaktuelles Thema hin, und zwar auf das Problem des Verhältnis- ses zwischen Individuum und Kollektiv, das vielleicht am deutlichsten in dem Stück Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade (1964) von Peter Weiss artikuliert wurde und vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs vor allem die westlichen linksorientierten Intellektuellen beschäftigte, die sich zwar für die Revolution gegen den westlichen Kapitalismus begeistern konnten, jedoch nicht bereit waren, die individuellen Freiheiten nach Vorbild der Sowjet-Gesellschaft aufzugeben. Doch während Weiss die zwei Extreme – den extremen Individualismus und den extremen revolutionären Kollek- tivismus – in de Sade und Marat gegenüberstellt, um auf die potentielle Gewalttätigkeit in der Radikalisierung sowohl des einen wie auch des anderen Konzepts hinzuweisen, versucht Sebald eine Art dialektische Entwicklung des radikalen Individualismus zum radikalen Kollektivismus zu entwerfen. Diese Dialektik geht jedoch nicht auf, denn die Diktatur, zu der die bürgerliche Individualität nach Sebald führt, hebt die Individuali- tät nicht in einer Synthese auf, sondern trachtet nach deren Auslöschung. Sie versucht also – wie in Diktaturen nicht unüblich – als erstes das auszulöschen, was ihr den Auf- stieg ermöglicht hatte. Sebald versucht dieses Problem zu lösen, indem er Sternheim das Konzept einer falschen Individualität zuschreibt, die ihrem Wesen nach immer schon kollektiv war, und deshalb zu dem falschen, faschistischen Kollektivismus führte. Sebald verbleibt mit diesem Entwurf im Kontext der Diskurse der 1960er Jahre, die zwischen Individualität und Kollektiv beziehungsweise Kommune oszillierten. POSTMODERNE PSEUDOINDIVIDUALITÄT Am Beginn des 21. Jahrhunderts, also bereits nach dem Ende des Kalten Kriegs und vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, kann Boris Dudaš aus einer ausreichenden zeitlichen Distanz die Individualitätsproblematik in Sternheims Texten unter einem an- deren Aspekt betrachten. Von einer genauen Textanalyse ausgehend macht er in seiner Darstellung der Entwicklung des Maske-Motivs darauf aufmerksam, dass die Maske, die mit der Zeit zum Teil des Individuums wird, zu einer „Pseudoindividualität“ führt. Zwar ist die Maske nach Außen gerichtet und dient der Positionierung des Einzelnen in der Gesellschaft, doch wirkt sie auch zurück auf den Träger. Vor allem aber hebt Dudaš hervor, dass sich Sternheims Verständnis der Problematik, wie es sich in den Texten manifestiert, mit der Zeit verändert hat. So ist die „eigene Nuance“ in den vor 1915 entstandenen Komödien „opportunistisch und potenzierter Ausdruck gesellschaftlicher Mechanismen“, während sie sich in den danach entstandenen Texten „in der Opposition 133Špela Virant: „DIE EIGENE NUANCE“ ... zur Gesellschaft realisiert“ (Dudaš 2004: 538). In Bezug auf das Stück 1913 stellt Dudaš fest, dass die Individualität, die „eigene Nuance“, „zum puren Durchsetzungsvermögen als Selbstzweck“ (2004: 522) verkommt. Das Maske-Motiv zeigt, in seiner äußersten Ausprägung, ein Phänomen, von dem das ganze darauf folgende Jahrhundert gezeichnet sein wird. „Die Maske hat im 20. Jahrhundert nicht nur das ‘wahre Gesicht’ für immer ersetzt, sondern sie ist zum ‘wahren Gesicht’ geworden. Weil jede Maske nach einem Muster geschaffen ist, ist die echte Individualität aus der Welt verschwunden.“ (Dudaš 2004: 507–508) In einer Anmerkung dazu ergänzt Dudaš, dass die Frage nach der Exis- tenz einer ‘echten Individualität’ dabei unbeantwortet bleibt (vgl. 2004: 508). Die Rezeptionsgeschichte sagt vielleicht mehr über die Geschichte des 20. Jahr- hunderts aus als über die Qualitäten von Sternheims Komödien, die Schwerpunkte der Rezeption lenken jedoch die Aufmerksamkeit auf zwei Aspekte von Sternheims Werk, die bis heute aktuell geblieben sind, da sie Problemkreise berühren, die ungelöst sind und potentiell Gefahren bergen, da sie die Stabilität und Kohärenz moderner Gesellschaften gefährden: erstens auf den Umgang mit Gesellschaftskritik, was durch die kurze Darstel- lung der Premiere des Stücks Der Snob von Florian Illies aktuell hervorgehoben wird, und zweitens auf den Umgang mit dem Konzept der Individualität, was durch die Studien von Sebald und Dudaš betont wurde. Doch während Sebald bei seiner Differenzierung der Individualitätskonzepte impliziert, dass es neben der „falschen“ Individualität eine richtige geben könnte, verschiebt sich die Differenzierung in der Analyse von Dudaš in den Bereich der Authentizität, wobei die Frage nach der Existenz einer „echten“, also primären und authentischen Individualität, zwar unbeantwortet bleibt, aber implizit doch ein Anzweifeln zulässt. Diese zwei Aspekte machen Sternheims Komödien auch heute noch interessant für neue Inszenierungen und Interpretationen im Theater. 1913 UND 2013: DIE VERMARKTUNG DER INDIVIDUALITÄT Als im Jahr 2013 Sternheims Stücke Die Hose, Der Snob und 1913 unter dem Titel Aus dem bürgerlichen Heldenleben im Stadttheater Ljubljana inszeniert wurden, hatten sie schon die Ideologien des 20. Jahrhunderts überstanden – sowohl die bürgerliche, die Sternheim selbst abbrechen wollte, wie auch die nationalsozialistische, die sie mit Ver- boten belegte, und die kommunistische, wie sie von Westdeutschen linken Intellektuellen in den 1960er Jahren zu retten versucht wurde –, um im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahr- hunderts vor der Folie der Ideologie des liberalen Kapitalismus wieder auf dem Prüfstein zu stehen. In einem im Programmheft abgedruckten Essay stellt Svetlana Slapšak die Frage nach der Aktualität der Stücke. Darin zieht sie Parallelen zwischen Sternheims 1913 und der Welt ein Jahrhundert später. Systematisch zählt sie gleich sechs solcher Parallelen auf. Darunter die ziemlich beängstigende Behauptung, die Welt stünde im Jahr 2013 ebenso wie im Jahr 1913 vor dem Ausbruch eines Weltkriegs (vgl. Slapšak 134 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE/JOURNAL FOR FOREIGN LANGUAGES 2014/2015: 19–20). Diese für ein Programmheft durchaus zulässig theatralische Behaup- tung soll hier nicht diskutiert werden, sie zeigt jedoch die mögliche Bandbreite der Re- aktionen auf Sternheims Stücke. Bei der Frage nach der Aktualität dieser Stücke geht es nicht um die Unterstellung, die Geschichte wiederhole sich oder die Welt habe sich in dem dazwischenliegenden Jahrhundert nicht verändert, aber auch nicht um die Überprü- fung von Sternheims prophetischer Kompetenz, die, wie Boris Dudaš in seiner Studie zu Sternheims Komödien feststellt, einer der Hauptgründe für die hohe Wertschätzung von Sternheims Werken in der Literaturgeschichtsschreibung geworden ist (vgl. Dudaš 2004: 341). Es geht vielmehr um die Frage, wie die Probleme, auf die Sternheim in seiner Zeit hingewiesen hat, heute wahrgenommen werden, ob und wie sie gelöst wurden oder ob sie sich gar noch verschärft haben. In dem erwähnten Essay, in dem Svetlana Slapšak Parallelen zwischen dem Jahr 1913 und der Gegenwart zieht, erwähnt sie zwar unter anderem den Egoismus, die Rück- sichtslosigkeit und die Gefährdung der Identität, doch das Konzept der Individualität, wie sie von Sternheim verstanden wurde und wie sie heute verstanden wird, hinterfragt sie nicht. Was von ihr bei Sternheims Texten wahrgenommen wird, ist zwar genau das, was von Boris Dudaš als das dem Stück 1913 unterliegende Individualitätskonzept identifi- ziert – also pures „Durchsetzungsvermögen als Selbstzweck“ (2004: 522) –, doch wird es in ihrem Essay nicht beim Namen genannt. Im Diskurs von heute ist es durchaus akzep- tabel, Egoismus und Rücksichtslosigkeit zu kritisieren, doch das Individualitätskonzept selbst darf nicht in Frage gestellt werden, da eine Kritik an ihm schlechte Erinnerung weckt. Es ist die Erinnerung an Diktaturen, die die Individualität auszulöschen trachteten. Als Rebellion gegen die diktierte Uniformiertheit avancierte sie zur populärsten Grund- lage und äußerem Anzeichen demokratisch verstandener moderner Gesellschaften. Die unselige historische Liaison des Individualitätskonzepts mit den Diktaturen, also seine Instrumentalisierung seitens der kleinen und großen Durchsetzungskünstler, wird mit ei- ner falschen Auffassung oder mit einer Radikalisierung erklärt, so dass es grundsätzlich als Fundament der Demokratie geltend bleiben kann. An dem Punkt, wo Kritiker der modernen Gesellschaft heute darüber klagen, dass die Individualität zur Konsumware degradiert wird, dass sie nicht frei ausdrückbar, son- dern unter Kontrolle sozialer Netzwerke steht, die jede Abweichung ahnden, war Stern- heim schon am Beginn des 20. Jahrhunderts. Es ist gerade sein Christian Maske aus dem Stück 1913, der rücksichtslose Aufsteiger, der kurz vor seinem Tod die Konsumenten von Massenwaren in Schutz nimmt vor seiner noch rücksichtsloseren Tochter Sofie, die noch billiger noch schlechtere Ware produzieren will. Sie wundert sich über seine Senti- ments, doch er bleibt zynisch: „Was hat man Besseres in Ermangelung von Gefühlen?“ (Sternheim 1963: 285) Christian Maske wandelt sich hier nicht zum Menschenfreund. Die Illusion der „eigenen Nuance“, also der Individualität, lässt sich nur noch im Kon- sumverhalten verorten und wenn die Massenwaren zu schlecht werden würden, könnte diese Illusion zusammenbrechen. Die Verteidigung des Konsums ist für ihn ein Weg 135Špela Virant: „DIE EIGENE NUANCE“ ... zum Ausdruck der „eignen Nuance“, die notwendig ist, da sie, selbst wenn sie illuso- risch ist, auch die Illusion einer freien Gesellschaft aufrecht erhält, einer Gesellschaft, die jedoch in Sternheims 1913 längst von einigen Wenigen in Richtung Krieg gelenkt wird. Christian Maske selbst ist dieser Illusion nicht verfallen, wie seine Unterscheidung zwischen Sentiment und Gefühl andeutet. Im Grunde bedeuten beide Wörter das gleiche, doch stammt Sentiment aus dem Französischen, ist also übernommen worden, kommt aus zweiter Hand. Auch das Gefühlsleben, das lange Zeit als das Ureigene des Menschen und als Kern seiner Individualität galt, wird als nicht authentisch denunziert. RADIKALISIERUNG DER WIDERSPRÜCHE Die Ambivalenz des Individualitätskonzepts, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts wahr- genommen und sehr behutsam diskutiert wird, ist seitdem nicht weniger problematisch geworden. Vielmehr lässt sie sich immer weniger verdecken oder verdrängen, aber auch immer weniger diskutieren und kritisieren. An der Rezeptionsgeschichte von Sternheims Werk lassen sich die historischen Versuche aufzeigen, durch die der Individualitätsbe- griff zu retten versucht wurde, indem Abweichungen als Radikalisierungen oder Verfäl- schungen erklärt worden sind, doch immer offensichtlicher ist die zunehmende Entlee- rung des Begriffs, der schon Sternheim auf der Spur war. Diese Entleerung ermöglicht Neudefinitionen, sie ermöglicht das Neuaufladen und Radikalisieren eines Begriffs, der vielleicht nicht zu retten ist. Die Ambivalenz ist insofern im Begriff selbst angelegt, da er in sich widersprüchlich ist. Er soll nämlich das verallgemeinern, was per definitionem das Besondere sein sollte, was einen Einzelnen von allen anderen unterscheidet. Als über- geordnete Kategorie, die alle Besonderheiten zusammenfasst, macht dieser Begriff alle besonderen Einzelnen wieder einander gleich. Die Frage, die sich dabei stellt und offen bleibt, ist nicht nur, ob die heutige Ge- sellschaft die Fähigkeit besitzt, Sternheims Kritik wahrzunehmen, sondern auch, wie die heutige Gesellschaft mit Kritik überhaupt umgehen kann. Denn eines zeigt das Beispiel Sternheims und seiner Rezeption: Ein System, das Kritik zulässt, weil es sie als eine grund- sätzliche Legitimierung seines Narzissmus integrieren und deshalb auch ignorieren kann, produziert damit gleichzeitig eine Kritik, die sich nicht integrieren lässt und die, um sich Gehör zu verschaffen, zu radikalen Formen greifen kann, die die Gestalt von Extremis- mus, Fanatismus oder Fundamentalismus einnehmen und durchaus wiederum dem sie Ausübenden die Illusion einer „eigenen Nuance“ bieten, einer Individualität also, die sich zu konstituieren versucht, indem sie sich vermeintlich außerhalb des gleichmachenden Individualitätskonzepts positioniert, der einer liberal-kapitalistischen Ideologie unterstellt wird, die Freiheit durch kontrolliertes Konsumverhalten ersetzt hat. Doch auch hier kann die Ablehnung dieser Ideologie – im Namen der Rettung einer „echten“ Individualität vor der „falschen“ – die dem Individualitätsbegriff inhärenten Widersprüche nicht auflösen. 136 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE/JOURNAL FOR FOREIGN LANGUAGES Wenn man aus dem frühen 21. Jahrhundert in Sternheims 1913 zurückblickt mit dem Wissen, was danach geschah, ist es leichter zu verstehen, was damals sich in Europa, in der Welt zusammenbraute, was danach passierte, was übersehen, miss- achtet, nicht wahrgenommen wurde, wie auch, was durch diese Missachtung an Po- sitivem vernichtet wurde. Zum Teil verwies schon Carl Sternheim darauf, noch mehr später Florian Illies in seinem Buch 1913. Doch es stellt sich immer noch die Frage, ob ein Jahrhundert später schon wirklich alles wahrgenommen wurde, was sich da- mals abzeichnete und die Zukunft von damals, also die Gegenwart von heute, prägt. Sternheims Stücke und ihre Rezeption, vor allem in Werken von W. G. Sebald und Florian Illies, machen auf zwei Aspekte moderner bzw. postmoderner Gesellschaften aufmerksam, die bereits seit dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts virulent sind. Erstens geht es dabei um die schwierigen, anscheinend unentwirrbaren Verstrickun- gen der Individualitätskonzepte (der echten, falschen oder der Pseudoindividualität) mit verschiedenen Ideologien (der bürgerlichen, der nationalsozialistischen und der kommunistischen bis hin zur Ideologie des liberalen Kapitalismus). Zweitens aber geht es um die Gesellschaftskritik, und zwar nicht nur um die Fragen des Umgangs mit ihr und ihrer Effektivität, sondern auch um die grundsätzliche Frage, ob sie ohne zeitliche Distanz überhaupt möglich ist. Die Helden, die in Sternheims Stücken dem Bürgertum kritisch gegenüber stehen und freie, kreative Individuen verkörpern, sind Intellektuelle und Künstler wie Scarron, Friedrich Stadler und Wilhelm Krey. Doch Scarron und Krey erweisen sich als Karikaturen ihrer selbst. Der Künstler als Genie ist selbst ein Produkt des Bürgertums und wird von Sternheim lächerlich gemacht. Krey widersteht den Verlockungen des bürgerlichen Wohlstands nicht und landet, karnevalistisch ver- kleidet, in den Armen seiner Frau. Die Figur Friedrich Stadlers hingegen widersteht diesen Verlockungen, verfällt jedoch einer nationalistischen Begeisterung, die – wie wir heute wissen – in ein noch größeres Übel führte. Sternheim zeigt, wie schwierig es ist, die Gesellschaft, deren Teil man ist, zu kritisieren, ohne am Kritisierten teilzuhaben und ohne noch größere Übel herbeizuführen. Rückblickend mag es leicht sein, die Feh- ler einzusehen, doch das Gefühl der Rat- und Machtlosigkeit angesichts einer Kritik an der Gegenwart mit der vorherrschenden Ideologie, wie sie Sternheims Figuren auf die Bühne bringen, lässt sich immer wieder nachvollziehen. LITERATUR DUDAŠ, Boris (2004): Vom bürgerlichen Lustspiel zur politischen Groteske. Carl Stern- heims Komödien „Aus dem bürgerlichen Heldenleben“ in ihrer werkgeschichtlichen Entwicklung. Hamburg: Dr. Kovač. ILLIES, Florian (2012): 1913. Der Sommer des Jahrhunderts. Frankfurt am Main: S. Fischer. 137Špela Virant: „DIE EIGENE NUANCE“ ... KORTE, Hermann (2009): Carl Sternheim, Komödien. In: H. L. Arnold (Hg.): Kindlers Literatur Lexikon. Stuttgart: Metzler. S. 573–578. SEBALD, Winfried Georg (1969): Carl Sternheim. Kritiker und Opfer der Wilhelmini- schen Ära. Stuttgart: Kohlhammer. SLAPŠAK, Svetlana (2013/2014): Glembajevi z Maskejevimi pred veliko vojno 2014. Gledališki list Mestnega gledališča ljubljanskega, Jahrgang 64, Nr. 1, S. 19–21. STERNHEIM, Carl (1963): Gesamtwerk. Bd. 1. Neuwied am Rhein: Luchterhand. STERNHEIM, Carl (1966): Gesamtwerk. Bd. 6. Neuwied am Rhein: Luchterhand. WAHRENBURG, Fritz (2000): Carl Sternheim. A. Allkemper/N. O. Eke (Hg.): Deut- sche Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Berlin: Erich Schmidt. POVZETEK „Lasten odtenek“: Koncept individualnosti v dramskih delih Iz junaškega življenja meščanov Carla Sternheima Prispevek, ki se opira na recepcijsko estetiko in na diskurzno analizo, se posveča konceptu indi- vidualnosti v komedijah Carla Sternheima, ki jih literarna veda združuje v cikel z naslovom Iz junaškega življenja meščanov, s posebnim poudarkom na njihovi recepciji v delih pisateljev W. G. Sebalda in Floriana Illiesa. V središču raziskave sta predvsem dva vidika, in sicer obravnava družbene kritike in koncept individualnosti, ki sta pri Sternheimu umeščena v kontekst kritike me- ščanske ideologije. Analiza recepcije pokaže, kako se je v preteklih sto letih pod vplivom različnih ideologij spreminjalo razumevanje teh dveh pojmov. Prispevek zagovarja tezo, da nova interpreta- cija Sternheimovih del lahko pokaže, kako nasprotja, ki jih vsebujeta oba pojma, vse do danes niso razrešena, temveč so se celo zaostrila. Ključne besede: nemška dramatika, komedija, Carl Sternheim, W. G. Sebald, recepcija ABSTRACT “Die eigene Nuance”: The Concept of Individuality in Carl Sternheims Plays From the Heroic Life of the Bourgeois The article, using discourse analysis and reception theory, concentrates on the concept of individu- ality in Carl Sternheims comedies known by the title of the play cycle From the Heroic Life of the Bourgeois, with special regard to their reception in the works of the German writers W. G. Sebald and Florian Illies. The focus is on two major concepts that in Sternheim’s works are set in the con- text of his critique of the bourgeois ideology. Those concepts are social criticism and individuality. 138 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE/JOURNAL FOR FOREIGN LANGUAGES The analysis of the literary reception shows the numerous changes in the understanding of these concepts that came about due to the changing ideologies during the hundred years since the plays had been written. The rereading of Sternheim’s plays shows that the inherent contradictions still remain unresolved. Key words: German drama, comedy, Carl Sternheim, W. G. Sebald, literary reception ZUSAMMENFASSUNG Der vorliegende Beitrag, der von diskursanalytischen und rezeptionsästhetischen Ansätzen aus- geht, widmet sich dem Konzept der Individualität in Carl Sternheims Komödien, die unter dem Titel Aus dem bürgerlichen Heldenleben zusammengefasst werden, unter besonderer Beachtung der Rezeption bei den Schriftstellern W. G. Sebald und Florian Illies. Im Mittelpunkt stehen vor allem der Umgang mit Gesellschaftskritik und das Individualitätskonzept, die bei Sternheim im Kontext seiner Kritik an der bürgerlichen Ideologie stehen. Die Rezeption von Sternheims Komö- dien zeigt, wie sich das Verständnis dieser Begriffe im Laufe der vergangenen hundert Jahre unter dem Einfluss verschiedener Ideologien verändert hat, wobei die den Begriffen innewohnenden Widersprüche nicht gelöst wurden, sondern, so die These, zu ihrer Radikalisierung führten, die durch eine neue Lektüre der Stücke deutlich wird. Schlüsselwörter: Deutsche Dramatik, Komödie, Carl Sternheim, W. G. Sebald, Rezeption