öiid'Nnsslmld und die Türkischen Donauländcr von L. Oliphant. Neue Ausgnvc. Leipzig, 1867. Verlag ron E. 3cnf'g lZuchhandlung. Md'Russland mid die Türkischen Donauländer in NeisoschildormtssM von t. Miphant, Shirley Aoolts, Patrick O'öricn und Mnngton W. Smyth. Neue Ausgabe. Leipzig, 18^.7. ylllll^ l>o» O. Zcnfs Si, chhand lung. Vorbemerkung. 353er einen Sta.1t nur ans den Kriegsthaten seiner Heere, oder aus den Resultaten, welche die lAcschictlichkeit seiner Divlo« waten erzielt hat, kennen lernen wollte, würde eine sehr ungenügende Idee von seinem Wcscn nnd den in ihm thätigen «nd schlummernden Kräften erlangen. Hierzu ist eS nöthig, noch andere Pnnkte ins Auge zu fassen, vor Allem al'cr den Cuvilisa-tiouszustand des Volkes, seinen Charakter und die Richtungen, nach welchen sich seine Thätigfeit äußert. Von dem Wunsche aus« gegangen, diese Factoren der Weltgeschichte in ein helleres Licht zu stellen, haben wir in dem vorliegenden Buche das Beste ver« einigt, was in der letzten Zeit von Besuchern der ans unserem Titcl genannten Länder über dieselbe» geschrieben worden ist. Mr. Oliphant, dessen Ncise bereits die vierte Auflage erlebt hat, besuchte Rußland im Jahre 1852, reiste über Petersburg und Moskau, und sodann die Wolga hinab, worauf er sich über die Steppt nach den Ufern des asow'schen Meeres begab, von welchem Punkte an wir seinen Bericht hicr wiedergeben. Mr. Shirley Brooks, ans dessen Neisewerkcn wir den jetzt besonders in« teressircuden Abschnitt über Odessa mittheilen, war der „Com» wissioner", welchen das Morning Chronicle nach Südrußlaud VI Vorbemerkung. sendete, um die dortigen Arbciterverhältnisse zu studiren, während Mr. Patrick O'Brien von einem anderen großen Journal als Berichterstatter in die Donaufürstcnthümer geschickt wurde. Mr. Warington Smyth, dem wir aus seiner Wanderung, soweit diese die europäische Türkei berührt, folgen, hielt sich ein Jahr in verschiedenen Gegenden des türkischen Reiches auf, nahm Tracht, Sitten und Sprache der Landcsbcwohner an, und fand auf diese Weise eine bessere Gelegenheit, sich mit denselben bekannt-zumachcn, als die meisten Reisenden, welche von ihren abendländischen Gewohnheiten und Bequemlichkeiten nicht abzulassen vermögen. Die Neiscn dieser vier Männer umfassen also den größten Theil des gegenwärtigen Kriegstheaters im Suden Europa's, und da sie sämmtlich scharf beobachtet, lebhaft aufgefaßt und das Wahrgenommene unparteiisch wiedergegeben haben, so hoffen wir, daß dcr Lcscr mittels derselben ein treues Bild von Land und Leuten in Südrußland und den türkischen Donau-landcrn erhalten werde. In einer späteren Sammlung gedenken wir ans ähnliche Weise das Kriegstheater in Asien vorzuführen. Inhalt. i. Die Krim. Von L. Oliphant ........ 1 II. Odessa nnd die Süd-Russischen Kornkammern. Vmi Shir- ley Brooks............95 III. Die Donanfnrstenthümer im Herbst und Winter 1853. Von Patrick O'Brien........167 VI. Reise dnrch Albanien, Vnlgarien und Serbien. Von W a- rington W. Smyth.........213 Die Krim. Von il. «Dliphant. Schwarze« M cx)i^8 i^m!l!i<»i> 'lVnl^i" besitzen. Endlich erblickte das gelangweilte Auge das asow'sche Meer, wir mußten nns aber noch einen martervolleu Aufenthalt auf einer Poststation gefallen lassen. trotzdem daß das Ziel unserer Ncise vor nusern Blicken lag. Als wir gegen Mitternacht in Taganrog einfuhren, konnte ich kaum glauben, daß wir den Ort nnsrcr Bestimmung erreicht bätten; es schien so unnatiklich, Betten zn verlangen anstatt Pferde nnd eine höfliche bejahende Antwort zn erhalten, anstatt einer unfreundlichen Abweisung — Anstalt zu machen, uns in die besagten Betten zu legen und sie zu unserem nicht gc« ringen Erstaunen sogar mit Betttücher» versehen zu finden. Nur wer, wie wir. sechs Wochen lang einen solchen LuMgcnuß hat entbehren müssen, weiß den wohlthuenden Einfluß desselben zu würdigen, nnd trotzdem daß ich die ganze Nacht hindurch noch im Wagen herum geworfen zn werde» glaubte, erwachte ich erst am folgenden Tage gegen Mittag, bedeutend 1' 4 Die Stadt Taganrog. 1^1. Kap. erfrischt und gestärkt, nachdem es mir in meinem Traume eben gelungen war, einen Iemtschik zu erwürgen. Taganrog ist eine saubere, wohlgebaute Stadt von sebr solidem Aussehen. Viele derHäuser sind schön und der ganze Ort hat etwas Neues und Frisches, was das Auge ciues gutgelaunten Reisenden angenehm berührt. Das Meer sah. obschon es seicht und schlammig ist. von den Schlaf« zimmerfensttrn blau aus und die lange Steppenlinie, über welche unsere Neise uns geführt und welche die gegenüberliegende Küste einer weiten Bucht bildet, nahm sich jcht, wo wir nichts mehr damit zu thun zu haben hofften, wie ein ganz reizender Hintergrund aus. Del interessanteste Theil der Stadt ist der Gostinuoi Dwor, der in Form eines Vierecks gebaut ist. Unter seinen Kolonnade» sieht man See» fahrer aller Länder am mittelländischen Meere im bunten Gemisch mit Armeniern, Tataren und Kosaken, während in den gedrängt vollen Kaufläden eine ungeheure Menge verschiedener Waaren zum Verkauf ausgestellt ist. Jeder andere Theil der Stadt ist natürlich todt und langweilig und die boben, weißen Häuser, von welchen die glühenden Sonncnstrablcn abprallen, machen die Straßen während des Tages so unerträglich heiß. daß Niemand darin geht, der nicht muß. Es sind indessen auch schattige Gärte» da, wo das Musikcorps des Nachmittags spielt, sowie schöne mit Gras bewachsene Wälle, welche daS Meer und die kleinern Schiffe überragen und einen angenehmen Ruhe« pnnkt darbieten. Von hier aus ist bei hellei Witterung die alte tür« tische Festung Asow deutlich sichtbar. In frühern Zeiten waren dies die Vorposten Nußlands und der Türlei; daher die umfassenden Festuugs, werke Taganrogs. welche jetzt, da sie nicht mehr nöthig sind. immer schneller ihrem Verfall entgegengehen. Es knüpfen sich au Taganrog nur wenige historische Erinnerungen von einigem Interesse. Peter der Große gründete es im Jahre 1706, wahrscheinlich blos zu kriegerischen Zwecken, sah aber doch auchvorber. daß es in commercieller Beziehung einige Bedeutung erlangen würde und wid« mete daher dieser von ihn, geschaffenen Stadt mehr als gewöhnliche Sorg« fält und Aufmerksamkeit. Sein Aufenthalt hier ist dnrch eine von ihm selbst gepflanzte Eiche verewigt worden. Hier starb auch der Kaiser Alexan» der. Das Haus, in welchem dieses Ereigiuß stattfand, bietet, abgesehen 1» Kap.) Producte der Umgcgmd. 5 hiervon, weiter kein Interesse dar, wiewohl kein Reisender demselben einen Vesuch abzustatten verfehlt. Die Umgegend von Taganrog ist außerordentlich fruchtbar und es laßt sich nicht bezweifeln, daß die nabe Steppe dem Wachsthum von Waldbäumen günstig ist. Im Winter stockt der Verkehr natürlich, weil. außer durch Schlitten, weder zur Sec noch zu Land eine Communication möglich ist. Die Passage über die Meerenge nach Asow auf dem Eise ist daun vollkommen ausführbar. Die Bevölkerung von Taganrog belauft sick auf ungefähr 22,000 Einwohner. Die Handelsartikel sind hauptsächlich Caviar, Lcder, Talg, Getreide, Wolle. Eisen und andere sibirische Producte, welche den Don beradkommen. Große Quantitäten Störe werden in dem asow'schen Meere gefangen. welches schon zur Zeit der griechischen Colomen wegen dieses Fisches berühmt war. Talg und Leder werden wahrscheinlich in dem Exporthandel Tagan-logs stets sehr wichtige Artikel bleiben; die Wolle aber scheint auf dem europäischen Markte keinen so sicheren Stand zu baben. Ungefähr der dritte Theil der Wolle, welche rou Nußland ausgeführt wird, kommt nach England, die steigende Gunst aber, mit welcher man dort die australische Wolle betrachtet, hat auf die wollMtendcu Provinzen Rußlands schon einige Wirkuug geäußert. Die Quantität der von Rußland nach England alisgeführten Wolle hat seit dem Iabre 1845. wo dieser Handel seine höchste Blüthe erreicht hatte, fortwährend abgenommen, und trotz der Bemühungen der Schäfereibesitzer, mit Australien zu concurriren, hat diese Colonie allmalig das Löwmtheil des Handels mit England an sich gerissen, während die Geneigtheit, welche Australien in der letzteuZcit kundgegeben, seinen Verkehr auck auf den Continent auszudehnen, Nußland bereits einigermaßen beunruhigt. In der That scheinen die letzten Erfahrungen, welche man in Bezug auf die Schafzucht in diesen Provinzen gemacht hat. kein anderes Resultat als den Verfall des Wollhandels erwarten zu lassen. Vor einigen Jahren wurden große Heerden Merinos in die Steppen eingeführt und man hoffte Anfangs, daß sie, trotz der Nauhheit deS Kli' mas, fortkommen wmdcu. Vielleicht ware dies auch geschehen, wenn man wit mehr Sorgfalt zu Werke gegangen wäre; die russische Energie und /. 6 ' Die russische Wolle. »Kap. Ausdauer aber sind nicht im Stande gewesen, dm Wirkungen dcr gewaltigen Tchneestünne des Winters und der Dürre des Sommers vor« zubcligeu. sodaß die Merinos ziemlich schnell wieder verschwinden. Im Jahre 1849 herrschte eine nngehenre Sterblichkeit und aus gänzlichem Mangel an richtiger Aufsicht nnd Leitung Seitens der Besitzer lind in Folge der Nachlässigkeit und Trägheit der Schäfer wurden Tausende die« ser werthvolle» Thien geopfert. Weun die Merinos nicht während des Winters gehörig unter Dach nnd Fach gebracht und gut gefüttert werden, so ist es abgeschmackt zu glauben, daß man sic auf den Steppell Rußlands fortbringen könne, denn die Thatsache scheint so ziemlich festzustehen, daß man. um schöne Wolle zu haben, auch cm schönes Klima haben musi. Jene abgehärteten Heerdcn, dic einen russischen Winter anshalten kön-ueu, geben eine Wolle, welche nicht die Ausfuhr verlohnt. In Taurieu und dem Lande dcr douischcn Kosaken sind die Heer-den zahlreicher als in irgend einem anderen Theile dcs Reiches, werden aber verhältnißmäßig ebenso schlecht gepflegt, weil man keinen anderen Zwcck hat als die Quantität der Schafe zu vermehren, nicht aber, die Wüte der Wolle zu crholicn, die deshalb, sowie die Hecrde zahlreicher wird. immer mehr verliert. Hierzu kommt noch, daß die Wolle, weil sie schlechter gereinigt und nock schlechter gepackt ist. aus dem Londoner Markte kaum dalb so theuer bezahlt wird wie die deutsche. Das Dampfschiff geht monatliä, zweimal von Taganrog nach Odessa, zu welcher Reise es zehn Tage braucht. Ein flüchtiger Blick auf die Land« karte lehrt, dasi ill jedem andern Lande diese Ueberfahrt noch nicht drei dauern würde. In Folge des wiederholten Aufenthalts, den wir während des letz« teren Theils unserer Neise ans den Poststationen erfahren, verfehlten wir das Dampfschiff um zwei Tage. Da wir uns vorgenommen hatten, die Krim zu bereisen, so fanden wir, daß uns zur Ausführung dieses Vorhabens drei Wege offen standen — entweder eine lange öandreise nach Simpheropol. eine Alissicht, die nach Dem. was wir soeben erst durchgemacht . ganz besonders unangenehm war, — oder ein Aufenthalt in Tagaurog bis zum Abgang des nächsten Dampfschiffes, also ein Ausschuh von zwöls'Tagen während einer anßerordentlich heißen und uninteressanten Zeit, — oder endlich eine Ueberfahrt in einem Kaussahrer nach Kertsch, 1. Kap.) Versandung des Hafens. 7 wenn wir nämlich daS Muck hätten, einen ausfindig zu machen, welcher im Begriff stände, unter Segel zn gehen. Wir wählten die letzte Alternative und machten dem seefahrenden Pnblicnm unsere Wünsche bekannt. Unterdessen wnrde es uns durch die Güte und Gastfreundschaft des englischen (ionsuls weniger schwer, als wir geglaubt hatten, unsere Zeit au« genehm in einer Stadt zuzubringen, die an nnd für sich auch nicht ein« mal einen beschränkten Grad von Neuheit und Amüsement darzubieten vermag. Trotzdem daß der Handel und die Bevölkerung von Taganrog gegenwärtig im Steigen begriffen sind, glaube ich doch nicht, daß sein Gcdcibcn ein nachhaltiges ist. Der Hafen ist einer der unbequemsten in Europa, und nach nnd nach so seicht geworden, daß die Schiffe genöthigt sind, in einer Entfernung von zwei bis drei geographischen Meilen vor Anlcr zu gehen. Es läßt sich nicht bezweifeln, daß der Hafen binnen Kurzem vollständig versandet sein wird. Noch im Jahre 1?Ai lief, nach Professor Pallas, hier eine sctnvere Fregatte vom Stapel, während jetzt kaum iiich-terschiffe fortkommen können. Gerade als ob die Natur mcbt schon genug tbäte, um Taganrog als Hafen zu rniniren, trägt fast jedes Schiff, welches ankommt, etwas zu demselben Zwecke bei. Die russische Regierung hat nämlich das Auswerfen des Ballastes, womit der größte Theil der Schiffe, die alljährlich hierherkommen, beladen sind, streng verboten, und die Zollbeamten sind beauftragt, darauf zu sehen, daß diesem Bcfeble nacbgckommen werde, zu welchem Ende der Tiefgang eines jeden Schiffes in Kcrtsch gemessen und mit dem, welchen eö bei seiner Ankunft in Taganrog hat, verglichen wird. Natürlich hat die Negierung durch diese Bestimmung den Zollbeamten eine neue Einnahmequelle eröffnet, ohuc auch nur im mindesten den beabsichtigten Zweck zu erreichen. Ein Geschenk in Kcrtsch. im Verhältniß zu der Quantität des auszuwerfenden Ballastes hat die augenblickliche Wirkung, das Schiff zu erleichtern, sodaß. nachdem es am Eingänge des Hafens von Taganrog eine Ladung Steine über Bord geworfen, sein Tiefgang geuau mit dem in Kcrtsch genommenen Maße übereinstimmt, und auf diese Weise, die Kosten, welche das Löschen des Ballastes verursachen würde auf die mäßige Summe redncirt werden, die zur Bestechung der Beamten nothwendig gewesen ist. Die Folge dieses Systems ist, daß ft Die Häfen des asow'schen Meeres. ft. Kap. die Zerstörung des Hafens mit der Zunahme des Handels und der com-mercielleu Wichtigkeit der Stadt gleichen Schritt hält. bis diese znlcht eine solche Höhe des Wcdeihens erreichen wird, daß kein Schiff mehr zu ihr gelangen kann. Es sind aber auch noch andere Gründe vorhanden, weshalb Taganrog, mir den Gipfelpunkt seines Wohlstandes erreicht zu haben scheint. Der neue Hafen von Berdianski droht ein sehr furchtbarer Nebenbuhler zu werden, weil er in Bezug auf das Einnebmen und Löschen der Ladung Vortheile darbietet, wie sie kein anderer Hafen im asow'schen Meere besitzt. Er liegt an der Mündung der Berda und es können Schiffe von beträchtlichem Tonnengehalte dicht am Ufer liegen. Marianopol ist ebenfalls eine bedeutende griechische Colonie und obschon sie als Haftn kcine großen Vor» züge besitzt, so ist doch die Bevölkerung eine unermüdlich thätige. Ueber» Haupt ist eben dem Handels- und Unternehmungsgeist der Griechen jene wachsende Bedeutung zuzuschreiben, welche der (Vetreidehandel der südlichen Provinzen Rußlands in der letzten Zeit gewonnen hat. Vor vier Jahren ward zu (VlMk, an der östlichen Küste des asow'schen Meeres, ein neuer Hafen angelegt, dessen Existenz indessen für Taganrog kein Grund zu Befürchtungen ist, denn die Negierung scheint als passenden Platz für diese Stadt die einzige Bai gewählt zu haben, welche noch rascher versandet als selbst die von Taganrog. Zweites Kapitel. Das afow'sche Meer. — Ieni Kale. - Kertsch. — Karassu Basar. Wir hatten ganze Bände von Galignam's Messenger, die nns die Güte des englischen Consuls verschasst, mit wahrem Heißhunger verschlungen — alle Kanflädcn des Gostinnoi Dwor durchstöbert — uns auf den Gassen von der Sonne rösten lassen und auf den Wällen wieder abgekühlt — dem Gouverneur, Fürst Lieven, in seiner Sommerwohnung einen Besuch abgestattet — alle Lnxusgenüsse des schlecht bewirthschafteten Hotels erschöpft, welches immer unwohnlicher zu werden schien, so 2. Kap.! Abfahrt nach Kertsch. 9 wie die Erinnerung an die Civilisation wieder in uns aufzuleben begann — und ehe zwei Tage um waren, hatten wir Taganrog herzlich satt. Unter solchen Umständen war es für uns eine willkommene Neuigkeit, zu hören, daß der Capitän einer preußischen Brigg ausfindig gemacht worden sei. welcher erbötig wäre. uns mit nach Kertsch zu nehmen, wenn wir zum sofortigen Aufbrucbe fertig seien. Wir gingen freudig auf alle seine Bedingungen ein, trotz der Unmöglichfeit, unsere Angelegenheiten binnen so kurzer Zeit zu ordnen, während wir dadurch genöthigt wurden, mit Gewalt in die Näume der Wäscherin einzudringen, nasse Wäsche wegzunehmen und einzupacken und unsern Steppenwagen im Stiche zu lassen. Wir hatten vergebens versucht, für dieses treue Fuhrwerk einen Käufer zu finden; in Taganrog schien aber alle Welt Wagen zu verkaufen zu haben und natürlich wollte Niemand den unsern kaufen. Wir rechneten daher den Anschaffungspreis mit in die Postausgaben ein und fanden, daß trotzdem die Reise von der Wolga hierher nicht übertrieben kostspielig gewesen war. Wir waren in der That froh, einen Wagen gekauft zu haben, der überhaupt bis ans Ende der Neisc gelangte und hatten keinen Grund, uns darüber zu beklagen, daß wir ihn da stehen lassen mußten, wo wir ihn nicht mehr brauchten, statt auf der unwirthlichm Steppe. In Kurzem waren wir bereit, einen kleinen tauben Deutschen nach dem Hafen zu begleiten und nach einer dreistündigen Segelfahrt erreichten wir die Brigg, deren Capitän er sich nanute, und welche uns. wenn Wind und Wetter es gestatteten, binnen einer Woche nach Kcrtsch bringen sollte. Wir begannen demgemäß uns in einem Loche einzurichten, welches sich unter eimr Leiter befand und von einem sehr unangenehmen Geruch erfüllt war. Dieses Gemach enthielt eine außerordentlich schmierige, alte Lagerstätte, einen sehr wackeligen Tisch, einen Kalender, eine Orange und ein Weinglas voll Oel um damit während der Nacht die einzige Kajüte dieses schmutzigen Fahrzeugs zu beleuchten. das, wie der „Capitän" uns mittheilte, indem er zugleich mit unverkennbarem Stolze seine Blicke über diese brillante Einrichtung schweifen licß, die „Vertha" bieß, in Königsberg gebaut war, zweihundertundftinfzig Tonnen Gehalt hatte und mit Wolle nach Cork beladen war. So lange als die Concurrenz in dem ausländischen Speditionsbandel sich auf solche schauerliche Waschfässer wie die Bertha, die von solchen behutsamen alten Gesellen wie unser wür» 10 Das asow'sche Mccr. s2, Kap. diger Freund und Capitän Krepleiu coiumandirt werden, beschränkt, bralicheu die englischen Schiffseigenthümer keine von den Befürchtungen zu hegen, welche im Voraus dnrch die Abänderung der Navigationsgesetze angeregt worden sind, und ebenso wenig haben sie Grund, die niedrigere» Frachtsätze zu fürchten, die in einigen Fällen gefordert werden — obschou so viel ich erfahren konnte, was die Vertha betraf, keine Herabsetzung erfolgt war. Aus irgend einem Grunde, den ich aber unmöglich errathen konnte, gingen wir wenige Stunden nachdem wir die Nhedc verlassen, vor Anker. Die Nacht war herrlich; der volle Mond zeigte uns den Weg. der nichts weniger als schwierig war, und der Wind war so günstig wie wir ihn nur wünschen konnten Indessen, wir waren all Verzögerungen zu sehr gewöhnt, als daß wir durch eine so unwichtige im mindesten hätten berührt werden können und ich vergaß bald wo ich lag, nämlich auf dem schmutzigen Fußboden der Kajüte, die möglicherweise noch während so und so vieler Nächte mein Ruhebett zu sein bestimmt war. Vier Tage lang zwängten wir durch die dicke erbsensuppenartige Substanz, aus welcher das Wasser zu bestehen scheint, pflügten uns buchstäblich durch Schaum hin und kamen dabei über jede mögliche Schat-tirung von Grün nud (Helb — denn dem asow'schen Meer kann mau nicht nachsagen, daß es jemals blau sei. Es ist still und trag, hat nirgends mehr als zwemndvicrzig Fuß Tiefe, und die Alten wußten seine wahren Eigenschaften besser zu würdigen als wir, denn sie nannten es einen Sumpf. Dann und wann blieben wir in Folge des leichten veränder« lichen Windes, der es sich zum Vergnügen zu machen schien, uns zu äffen, in diesem angenehmen Tümpel beinahe stecken, und wir hatten zur Entschädigung für diese einförmige Existenz nichts als wolkenlose Tage und mondhelle Nächte. Es war nicht Platz genug da, um auf dem Deck spazieren gehen zu können, welches von einigen Schweinen und der Schiffsmannschaft in Beschlag genommen wurde. Die Leute wohnten in einer Hütte, die einstweilen zu ihrer Beherbergung auf dem Deck aufgeschlagen war; die Schweine liefen umher wo sie Luft hatten und pflegten sich die nach un« serer Cajüte hinabführende Treppe mit einem eigensinnigen Kater streitig zu machen, welcher diese beneidenswerthe Zufluchtsstätte als seinen beson- 2- Kap.j Schiffscrlebmssc. 11 deren Wohnsitz betrachtete. Mit Wilhelm, dem ssajiilenjungen. schien er ein besonderes Abkommen getroffen haben, in dessen Folge ihm gestattet war, sich einige Augenblicke allein an der Tafel zn laben, ehe uns ge« meldet ward, daß aufgetragen sei, denn wir fanden ihn gewöhnlich mit der Sance beschäftigt, ehe wir noch selbst davon zu losten bekamen. Mit Ausnahme dieser gewiß nicht zu billigenden Bevorzugung von Seiten Wilhelms und der Nachlässigkeit, mit welcher er eines Nachts über meinem Vctt die Oellampe umwarf, hatten wir keinen (Vnind, uns über das Benehmen dieses schlichten Menschenkindes zu beschweren, welches einen unverständlichen dentschen Bauerndialekt sprach und. wennbs nickt uns aufwartete, sich fortwährend mit den Schweinen zu thun machte. Den ersten Tag vertrieben wir nns die Zeit damit, daß wir unsere nasse Wäsche ans dem Takclwerk trockneten, wobei wir zwei Taschentücher und eine Socke einbüßten, die unvorsichtigerwcise zu tief aufgehangen worden waren, und von den Schweinen gefressen wurden. Den nächsten Tag versuchten wir vergebens, einige der Fische, von welchen es in dem schlammigen Wasser wimmelt, zu verlocken, ihr verführerisches Element zu verlassen; aber sie ließen sich durch unsere plumpen Versuche nicht irremachen, denn es war kein ordentliches Angelzeug an Bord. Nachdem wir ans diese Weise alle Hilfsquellen erschöpft batten, blieb uns weiter nichts übrig, als uns auf die Wollsäcke zu strecken, dem Rauche uu-sercr Cigarren zuzusehen und die Wahrscheinlichkeit zn berechnen, womit ein Funke uns. Kreplein. Wilhelm, die Schweine und Alles verzeh« ren könnte. Wir waren meistentheils von einheimischen Fahrzeugen umringt, in deren Gesellschaft wir langsam dahinglitten, während dann und wann die weißen Segel trag gegen die schlanken Masten eines englischen Kauf-fahrers anschlugen, wahrscheinlich des einzigen Schiffes der ganzen Gruppe, welches über diese Verzögerung wirklich unwillig war. Für einen Russen ist die Zeit keiu Gegenstand, und der Dampfer braucht vier Tage zu der Neise nach Kertsch, einer Entfernung von sechSunddrcisng geographischen Meilen, indem er in Marianopol, Bcrdianski lind lHhe'lsk anlegt und an jedem dieser Orte einen Tag liegen' bleibt — ohne einen besondern Grund, wenigstens so viel ich von Denen erfahren konnte, welche so unglücklich gewesen waren, diese Fahrt mitzumachen. 12 Der Zollbeamte. . ^2. Kap. AIs ich, nachdem ich meine vierte Nacbt in der engen Cajüte zugebracht hatte, aufs Deck kam, wares mir nicht unlieb, zli sehen, daß wir in der Meerenge mitten in einer ungebcuren Masse von Fahrzeugen vor Anker gegangen waren, und noch mehr freute ich mich, zu hören, daß das Boot bereit sei, uns an's Land zu bringen. Wir verließen die plump gebaute Bertha ohne Bedauern und nahmen blos eine dankbare Erinnerung an den harten Schiffszwieback und den vortrefflichen Caviar mit, welche Haupt« sächlich unsere Beköstigung ausmachten. Brot war ein an Bord dieses patriarchalischen Fahrzeuges unbekannter Luxusartikel. Die Sonne ging eben hinter dem niedrigen Lande auf, welches die asiatische Küste des Cimmerischen Bosporus bildet, und hob die Lichter und Schatten der al> ten türkischen Festung Ieni Kale hervor, deren verfallene Mauern die steilen Klippen überragen. die auf das noch verfallenere Dorf an ihrem Fuße herabhängen. Hier, dicht vor den Augen eines durch sein Aussehen keineswegs Zutrauen erweckenden Zollbeamten im Gewand eines russischen Soldaten, landeten wir und machten uns auf die Feuerprobe gefaßt, die. obschon wir bloö aus einer russischen Stadt in die andere kamen, unvermeidlich schien. Es ward unS sofort besohlen, ims und unser Gepäck unter eine alte Mauer zu deponircn und dort zu warten, bis der Chef des Zollhauses vom Schlaf aufstände, da er unter keiner Bedingung gestört werden dürfe. Da es jetzt erst sechs Uhr war und die russischen Beamten in Bezug auf die pünktliche Besorgung ihrer Geschäfte nicht sebr gewissenhaft sind, so nabmen wir uns die Freiheit, dem Soldaten, trotz seiner grimmigen gegeu-theiligen Befehle, ungehorsam zu werden und gingen nach dem Hause des vornehmen Mannes, dessen Schlummer mit solcher Pietät geschirmt ward. Auf unser Anpochen erschien ein langer Mann an der Tbür, welcher mit ängstlicher Miene und auf den Fußspitzen gehend, durch heftige (Neberden zu erkennen gab, daß wir uns ruhig verhalten sollten. Es war klar, daß sein Herr ein grimmiges Menschenkind sein mußte, denn als wir dem Diener den Wunsch ins Ohr flüsterten, daß er ihn sofort wecken möge. prallte er über die Verwegenheit, die ihn zu einem so tollkühnen Unternehmen verleiten wollte, entsetzt zurück. Als wir sabcn. daß unsere Bitten nichts fluchteten und daß der Mann grob wurde, donnerte ich plötzlich mit meinem Stocke auf eine Weise an, die einem Londoner Lakaien Ehre ge> 2. Kap.I Jem Kale. 13 macht haben würde, worauf die Miene des Dieners plötzlich eiucn freund« licheien Ausdruck annahm und er etwas sagte, was so viel ich verstehen konnte, bedeutete, für einen Rubel wolle er seineu Herrn wecken. Dies war jedoch nicht nöthig, denn binnen wenigen Augenblicken erschien ein Mann von ungemein sanften Aussehen in einem Schlafrocke. Ei warf einen wohlwollenden Blick zuerst ans unsere Paffe und dann ans unser Gepäck und deutete uns an, daß die (icrmwnie vorüber sci, ohne dabei das mindeste Misfallen oder den Wunsch nach einem Geschenk zu verrathen. Natur» lich waren der unverschämte Soldat, welcher darauf bestand, daß wir unter der Mauer warten sollten. und der Diener, welcher sich geweigert hatte, scincn Herrn zu wecken, ohne dafür bezahlt zu werden, uach solchen Diensten sehr dringend in ihren Bitten um Wodki. Ieui Kale siebt wie eine verfallene Stadt an der Küste des todten Meeres. Die Mauern der Festung und die steilen Klippen und die verfallenen Häuser und das glatte Meer hatten alle so ziemlich denselben todten Anstrich. Die bunten Trachten jedoch, welche wir bemerkten, als wir die schmale, orientalisch aussehende Straße hinaufschlcndertcn. brachten einige Abwechselung in daS allgemeine düstere Ansehen des Platzes, während sie uns noch wirksamer nach Asien versetzten. Die weiten um den Knöchel herum zusammengezogenen Beinkleider, die offenen Leibchen und daS fliegende Haar der Frauen — Alles bildete einen angenehmen Gegensatz zu den Nocken der Russinnen mit ihren hohen Taillen; wahrend die türkischen Pantoffeln und gestickten Jacken der Männer mit chrer dunkeln Hautfarbe harmonirten und sogleich die asiatische Abstammung verriethen. Die Bevölkerung besteht gänzlich aus Griechen und Tatarcu. Die Umgegend hat eine ziemliche Menge Alterthümer und Ueberbleibsel d«r alten griechischen Colouien aufzuweisen. während nicht weit davon einige berühmte Schlammquellen sind, die wir jedoch nicht besuchten. Es erschien nun eine Art Omnibus, ohne Zitze und halb mit Stroh gefüllt, an welche ein Paar Maulthiere gespannt waren, die recht be-qutm hätten hineingesetzt werden können. Indessen wir vertrauten ihrer Fähigkeit, obschon sie der Aufgabe nicht gewachsen zu sein schienen, und begannen die steile Anhöhe hiuaufzurumpeln. die uns aus der Stadt hin-wegführte. Von dem Gipfel dieser Anhöhe war die Aussicht aufKertsch 14 Kertsch. ^'. Kap. und die große Bai, i>l welcher es liesst, sehr schön; die gebrochenen Um, risse der gegenüberliegenden Hügel ragten weit über die Meerenge herüber, wäbrend die Häuser der Stadt die steile Seite des Mithridatesberges hinauf über einander emporsteigen. Das Mauze erinnerte mich an NeHel, womit es auch jedenfalls eine bescheidene Aehnlichkeit hat. Von Ieni Kale bis Kertsch beträgt die Entfernung ungefähr vier Stunden. Das Land ist noch stepvenartig, wellenförmig und mit Graö bewachsen, wäbrcnd die zahlreichen, darüber zerstreuten Grabhügel in« tcressante Gegenstände für künftige Forschnugen zu sein versprachen. Das Hotel, in welchem wir unser Quartier ausschlugen, bildete eins von einer schönen Reihe von Häusern, welche dem Kai gegenüber steht und giebt der Stadt von der See aus einen imposanteren Anstrich als sie eigentlich verdient. Kertsch ist fast die eiuzige Stadt in Rußland, welche ganz aus Stein erbaut ist. und die Häuser sehen schön uud massiv aus. Wir schienen das Land der hölzernen Hütte» und grünen Dächer sowohl als der rothbärtigen Männer in Schafspelzen verlassen zu baben uud waren froh, uns in, einem Lande zu sehen, wo Wohnungen und Menschen mit der milderen Temperatur harmonirtcn, die wir jetzt empfanden. Kcrtsch war zu einer türkischen Stadt von geriuger Vedeutuug zusammengeschrumpft als es im Jahre 1774 von der Pforte an Nußland abgetreten wurde. Die alte Hauptstadt des Bosporus war indessen bestimmt, bald einen gewissen Grad ihrer frühern Oröße wieder zu erlangen, obschon auf Kosten jeuer italienischen Kolonien, welche in der letzteren Zeit den ganzen Haudel der Halbiusel an sich gerissen hatten und die noch bis auf deu heutigen Tag Denkmäler des commercicllcn Uuternehmungs. geifteö sind. welcher sie in's Dasein rief. AuS irgend einem, dem gewöhnlichen gesunden Menschenverstände unbegreiflichen, russischen Grunde ward das Handelsgericht von Thco-dosia, einer an einem tiefen, geräumigen Hasen, welcher niemals zufriert, vortheilhaft gelegenen Stadt an den Strand dieser Meerenge verlegt, welche vier Monate des Jahres verschlossen und wo der Ankergrund ge» fährlich und das Wasser seicht ist. Hier muß jedes Schiff bleiben und vier Tage Quarantaine halten. Die größeren warten, bis ihre Ladungen in Achterschiffen von Taganrog oder Nostof ankommen, währeud die- 2- Kap.) Transithandel. 15 jenigen, welche weniger Tiefgang haben. weiter gehen und ihre Ladung in Taganrog einnehmen. Nach ibrcr Rückkehr wird es nothwendig, die Hälfte ibrer Ladungen bei Jem Kale in Lichterschissc zn bringen und die seichte Straße hinunter nach Kcrtfch zu fahren, um wieder umzliladen —> eil, Verfahren, welches den habgierigen griechischen Lichterschissern, die sich am erstern Orte aufhalten. etne reichliche Vrntr bringt. Alles dies mag fürKertsch sehr einträglich fein, aber für dasPubli-c»tm ist es außerordentlich kostspielig. Nehmen wir zum Beispiel an. das Product sei sibirisches Eisen, welches den Don herunter nach Nostof gekommen ist. fo wird es in Lichterschiffe gebracht und zwölf Meilen weit nach Taganrog geschafft, wo es gelandet wird; kommt mm das rechte Schiff an und ankert drei Meilen von der Küste, so muß es abermals mittelst der Achterschiffe au Bord gebracht werden. Zwei Tage nachdem das Schiff auf diese kostspielige Weise in Taganrog beladen worden. er< reicht es wahrscheinlich Ieni Kale, wo die schon beschriebene Procedur stattfindet, sodaß die Ladung fünfmal unigeschifft werden muß, ehe man sagen kann. daß sie wirklich die russische Küste verlassen habe. Daß der Handel hier rasch im Zunehmen begriffen ist. geht aus der Thatsache hervor, daß im Jahre 1851 nicht weniger als eintausend Schisse die Meerenge von Kertsch passirten. Die Unparteilichkeit verlangt hier zu erwähnen, daß die Hasenzölle und Ausgaben beim Passiren der Meerenge geringfügig sind nnd hauptsächlich in Oeschcukcn an die Zubal-ternbeamten bestehen, unglücklicherweise hat die Natur zur Versvernmg des Gingangs zum asow'schcn Meere mehr beigetragen, als die Regierung jemals zn bewirken hätte hoffen können. Wahrend unseres kurzen Aufenthaltes in Kcrtsch hatten wir der Freundlichkeit und Gastfreundschaft den englischen Consuls Mr. Catley viel zu verdauten, und wir besichtigten in seiner Begleitung einen der merkwürdigsten Grabhügel, welche dis jcht geöffnet worden sind. Die steinerne Galerie, welche sechsunddreißig Schritt lang und un-gefähr zwanzig Fuß hoch ist, führt zu einem viereckigen mit einer Kup-vel überwölbten Mausoleum. Der ganze Bal>. der außerordentlich massiv war. erinnerte mich unwiderstehlich an die cyklopischen Ruinen zu Tiryns und Myccnä. In einigen dieser Grabhügel hat mau Särge gefunden und der interessante Inhalt derselben ist entweder dem Museum zu St. 16 Tatarenfuhrwerk. ft. Kap. Petersburg einverleibt worden, oder er wird in dem kleinen Theseustem-pel aufbewahrt, welcher aus dem Mithridatesberge gelegen nnd hier demselben Zwecke gewidmet ist. Als wir auf unserm Rückwege über die Steppe fuhren, war es für uns ein wehmüthiger Anblick, Tausende von Aeckern des herrlichsten Bodens, welche die ergiebigsten Getreideernten liefern würden, unangebaut liegen zu sehen, in welcher Beziehung auch nicht eher eine Aenderung ein« treten wird, als bis die Ackerbaubevölkerung Nußlands die Freiheit genießt, nach jenen Theilen dcö Reiches überzusiedeln, welche in landwirtschaftlicher Hinsicht die größten Vortheile darbieten und wo ein neuer Kern nöthig ist, um die eingeborenen Tataren zu ersetzen, die immer schneller von dem Antlitz der Erde verschwinden. Kertsch besitzt eine Bevölkerung wn 10.000 Einwohnern, welche blos ein wellig Salz nach einigen russischen Hasen ausführen. Gegenwärtig ist es von allen inneren Hilfsquellen entblößt und verdankt seineu Wohlstand einer Politik, welche Theodosia ruinirt und den Handel auf dem asow'schen Meere unermeßlich erschwert und gehemmt hat. Unsere frühere Erfahrung in Bezug auf das Postwesen war hinreichend unangenehm gewesen, um uns zu bestimmen, der Post künftig so viel als möglich aus dem Wege zu gehen. Deshalb engagirten wir einen außerordentlich trag aussehenden Tataren, uns mit seinem eigenen Geschirr in zwei Tagen nach Simpheropol — eine Strecke von sechslind-zwanzig geographischen Meilen — zu bringen. Demgemäß erschien gegen Abend ein langes grünes Fuhrwerk, welches viel Aehnlichkeit mit einem Votenwagen hatte, von drei kleinen Ratten von Pserden gezogen, vor unserer Thür. Dieser Wagen war so mit Stroh angefüllt, daß es schien, als ob gar nichts weiter darin Platz haben sollte. Wir fanden indessen, daß, nachdem unser Gepäck untergebracht war, noch ein ausgezeichnet bequemes Bett für uns selbst übrig blieb, und bald lag ich gemüthlich in dem Stroh vergraben, unempfindlich gegen Flöhe und das Stoßen des Wagens, welche beiden Plagen, wie mein Reisegefährte mir am Morgen versicherte, außerordentlich gewesen waren. Wir fanden bald, daß, wie wenig versprechend auch das Aussehen unserer Mähren gewesen, dieselben nichtsdestoweniger ungemein lebhaft und feurig waren. Unser Weg führte über nichts als Steppe, die sich uur dadurch von dem Lande der doni- 2. Kap.j Der französische Hofmeister, 17 dem Lande der donischen Kosaken unterschied, dasi sie weiliger wellenförmig ist. Auf den verschiedenen Poststationen trafen wir entweder einen rauben Kosaken oder einen tragen Tatarn. manchmal aber auch gar feinen Postmeister, in welchem Falle dann anch kein Thee zu babeu war. Zu unserer Bestürzung fanden wir, daß dies letztere der Fall in einem Dorfe war. welches äußerlich große Dinge zu versprechen schien, nachdem wir eben funszebn Meilen in wenig mcbr als zwanzig Stunden zurückgelegt hatten, und zn fühlen begauncn, daß wir einer tüchtigen Mahlzeit bedurften. Das Haus. welches der Beherbergung und Bewirthung von Mann und Thier gewidmet sein sollte, bestand aus nur zwei Zimmern und war in ein Magazin für Mais verwandelt, zn dessen sicherer Ver> wahrung die Thüren und Fenster sorgfältig verrammelt waren. Der Tatar fübrte klüglich seine Lebensmittel und sein Pferdefnttcr bei sich. Er hatte eine ungeheure Wassermelone und ein großes Stück Brot gefrühstückt und vrrzehrte jetzt ein ganz gleiches Gericht als Mittagbrot. Nach der (Trsalmmg, die wir in ^ezug auf diese Frucht gemacht hatten, war es uns ordentlich entsetzlich, ibm bei dicscm Schmause zuzusehen. Zum Glück bemerkten wir ein Hans von ziemlich respectablem Aus» sehen, drangen kühn in dasselbe ci>, und wurdeu sehr freundlich von dem Besitzer willkommen geheißen. welcher augenscheinlich der Gutsherr des Ortes war, aber nicht zu errathen vermochte, was wir wollten, bis endlich ein kleiner spitznasiger alter Franzose erschien und uutcr vielen Komplimenten die Nolle eines Dolmetschers übernahm. Seine Befähigung zu diesem Amte documentirte sich sehr bald, denn unser Wirth verschwand und kurz darauf erschien eine dampfende Theemaschine nebst einer Flasche vortrefflichen Krimcr Weins und einigen köstlichen Früchten, die uns in Verbindung mit unseren eigenen Vorrathen eine sebr gute Mahlzeit gewährten, während der kleiue Franzose uns mit der Erzäblung einer Neise unterhielt, die er mit Talleyrand (wahrscheinlich als dessen Kammerdiener) nach (iugland gemacht und uns mit unaufhörlichen Fragen über die Aus« sichten Ludwig Napoleon's und den gegenwärtigen gnstand von Paris peinigte, welches er seit dreißig Jahren nicht gesehen hatte. Der arme alte Mann war mit allem, was sonst in der Welt vorging, vollständig unbekannt und wußte höchstens, was er in der kleinen Zeitung von Odessa schwarzes Mecr. 2 18 Eisenbahnproject. s2. Kap, las. Seine gegenwärtige Stellung war die eines Hauslehrers bci den Söhnen unseres Wirthes. Dieser würdige Mann kam bald darauf in Begleitung zweier etwas uugederdiger Knaben zurück — wir hatten schon bemerkt, daß seine Mattin durch eine Ritze in der Thür sich die unge. wohnten Gäste ansah — und begann die Conversation mit der abrupten Frage, ob man die englischen Eisenbahnactien von einer Privatgesellschaft vder von der Krone kaufe. Hierauf entstand eine Discussion in Bezug auf unsere Art und Weist dergleichen Angelegenheiten zu behandeln, welche Discussion aber etwas verworren war. weil unser Dolmetscher oft Ermahnungen und Verweise au seine Schüler mit der Beschreibung vermischte, die er uus von einer projectirten Eiscnbahnlmic von Moskau nach Theo. dosia gab und welche ungefähr so lautete: — „Monsieur sagt zur Antwort auf Ihre Frage — warum machst Du fortwährend die Tlmr auf und zu, Iwan? — daß der Hauptartikel Salz ist, zu dessen Transport aus der Krim in das innere Nußland diese Linie benutzt werden würde -Du bist wohl Portier geworden? — aber Fürst Woronzoff hat sich ent» schieden dagegen erklärt. Er behauptet. eine solche Linie würde Kertsch ruinireu. was eine weit wichtigere Rücksicht ist. als daS Wohl des ganzen Landes — kichere nicht so. Alexis, ich habe durchaus nichts Lächerliches gesagt — und es ist daher keine Aussicht vorbanden, daß dieses Eiscnbahnpioject von der Negierung mit günstigen Augen werde betrach. tet werden." Unser Wirth war bei diesem Plane augenscheinlich sehr iutcrcssirt. ßr besaß große Saliwerke in der Nähe und die Linie mußte nothwendig durch einen großen Theil seines Besitzthums gehen. Die Gründe, welche er zur Unterstützung seiner Meinung aufstellte, daß diese Linie besser sei. als die von Moskau uach Odessa, welche, wie ich gelesen habe, später beschlossen worden ist. schienen mir sehr einleuchtend zu sein. Der handgreiflichste Vorzug, welchen Theodosia vor allen andern russischen Hafen, mit einziger Ausnahme von Sebastopol — welches blos Marinezwecken gewidmet ist — besitzt, ist der, welchen ich schon früher augcoentet habe. nämlich daß er das ganze Jahr hindurch nicht zufriert. Mitten in dem Garten Rußlands gelegen, besitzt es Ncize, welche jedem andern Hafen des Königreichs versagt sind und sein früherer Wohlstand als Mittelpunkt des Handels auf dem schwarzen Meere beweist hinlänglich, daß es gegen» 2. Kap.) Kameelwagen. - Tmppen. 19 wärtig ein passender Endpunkt einer so wicktigen E,senbahn sein würde. Die Weine und Früchte der Südlüste würden anf diese Weise in das Innere gelangen, nnd außer ibnen auch alle jene europaische Import» artikel, welcbe nothwendig sind. nm das ^ebeu in einem so barbarischen und rauben Lande erträglich zu machen. Wir reisten über weite mit wildem Tbumian bewachsene Strecken und schalten auf die Flachheit der Landschaft, die Einsamkeit des Weges und die unerträglich beiße Witterung, als wir nndcutlich unter Staubwolken eine kolossale Erscheinung langsam und majestätisch auf uns zukommen sabcn. Außer Stand, uns einen Begriff von den Ungeheuern der Steppe zu macken, denen wir liier begegnen zn sollen schienen, freuten wir uns, plötzlich die uugeschlachteu Gestalten zweier Kameele zu erkennen, die einen ungeheuren bedeckten Wagen von Flechlwcrk zogen, worin eine Oruppe Tataren saß. Wir batten eben nur Zeit, dic seltsame Erschei» nnng zu bemerken, welche dieses neue Transportmitte! darbot, als wir auch schon, in unsere beiderseitigen Staubsänlen gelmlit, vorüber und einer des anderen Blicken ebenso schnell entschwunden als erschienen waren. Es war eine nm so frappantere Begegnung, weil sie gänzlich unerwartet kam, und harmonntc so vollst.iudig mit der ganzen Umgebung, daß das Oe> fühl der Einsamkeit, welches ich schon früher empfunden, durch diese stumme Begegnung mit den Wanderern der Wüste noch um das Iehn» fache erhöht worden zu sein schien. Wir fuhren durch ganze Heerden Trappen. die sich durch unsere Annäbernng nicbt im Mindesten stören ließen, sondern blos ein wenig aus dem Wege gingen. wie zabme Tanben, und in dem spärlichen trocke» nen Gras hernmstolzirten, als ob sie es für einc große Unverschämtheit von uns hielten. sie in dem ruhigen Bcsche ibres Gebietes zu stören. Spater fand ich, daß gebratene Trappen ein sehr gewöhnliches Gericht in den Hotels der Krim sind nnd überzeugte mich von ihrem Wohlge» , schmack. Bis jetzt hatten die einzigen Ungleichheiten, die ich anf der ebenen Flüebe der Tteppe bemerkte. aus Hänfen von Wassermelonen bestanden. Nur wer läugere Sttppenrmcn gemacht bat. kann sich einen Begriff von unsern Empfindungen machen, als wir endlich die sckönen unregelmäßigen Umrisse der fernen Berge sich hell gegen den rothen Abendhimmcl abheben 2' 20 Armenischer Leichenzug. 12. Kap. sahen, denn wir begrüßte» sie als Aussicht nicht blos anf eine Vcrände-ruuss unserer gegenwärtigen Neiscmethode, sondern auch auf eine wirklich schöne Landschaft, die unseres Besuches harrte.' Ungefähr halb drei Uhr Morgens ward ich durch eincn heftigen Stoß anfgewcckt und fand, das, wir mit nnsercm langen unlenksamen Wagen in den schmalen krummen Oasscn cincr jatarlschcn Stadt nm zwei Ecken auf einmal zu biegen versucht hatten, welcher Versuch ganz natür, lich mislnngen war. Indessen war ich dem Prellsteine dankbar, der mich aus einem olmehin nicht schr ruhigen Schlummer zu gebührender Würdigung einer jener Scenen erweckt hatte, welche dann und wann die Ein» töiügkett einer Reise untcrberchen und den müden Reisenden für die Stra-patzcn und Unaunehmlichkcitt!'. vieler Tage vollständig entschädigen. Die gewundenen Straßen, in welchen wir uns festgefahren hatten und die hier und da durch den matten Schein d«S untergehenden Mondes erleuchtet wurden, waren da, wo die sonderbaren alten Häuser so nahe einander gegenüber standen, daß sic sich fast berührten, stockfinster. Die breiten Verandas, welche nach jeder Richtung hin dunkle Schatten warfen. schienen ebenso stumm zu sein, als ob die leeren Hallen unter ihrArche>i ron Simpherovol unter der üppigen Vegetation halb begraben zu sein schienen. Zur Linken ragte der imposante Gipfel des Tschatir Dagh in einer Höhe von fünftausend Fuß empor, als ob er gar nicht zu der angrenzenden niedrigen Gebirgskette gehöre. Seine Gestalt erinnerte mick an den Tafel« berg auf dem Cap der guten Hoffnung. 22 Das altc Akmetschtt. >3. Kap Die erheiternden Wirkungen dieses herrlichen Anblicks zeigten sich bald nicht blos au uns. sondern auch an dem Tatarn und den Pferden. Die letzteren, welche das l5nde dcr Reise spürten, benutzten einen sanften Abhang uud setzten sich noch einmal in (Valop — der Tatar gab durch lautes Geschrei stillen Beifall zu erkenuen — und wir schüttelten lins ans dem Ttanbc und Stroh, als wir durch lange Alleen schlanker Pappeln iu das Thal hiuabrollteu und mit unaussprechlicher Freude unser letztes Experiment im Steppenreisen beendeten. Drilles Kapitel. Simpheropol. - Besteiglma des Tschatir Dagh. — Tropfsteinhöhlen. Als die Krim im Jahre 1781 au Rußland abgetreten ward. hielt mau die malerische alte Hauptstadt Baktschi Zerai für unwürdig, die Hauptstadt der uencn Provinz zu bleiben uud gründete daher eine stattliche moderne Etadt auf der (tbcue des Ealghir. der man einen imposau» teu altgriechischen Namen gab uud sie in echt russischem Geschmack erbaute, d. h. mit sehr breiten Htraßen, und sehr weißen hohen Häusern mit sehr grünem Anstrich. Wenn die Bevölkerung blos aus Nüssen bestände, so würde das Iunerc der Stadt, ebenso wie Kasau oder Saratow. weit entfernt sein, die Erwartungen zu rechtfertigen, we!,be ihr Aussehen in der Ferne zu erregen geeignet ist; zum Glück für Simpheropol aber war es einst Akmctschet oder „die weisic Moschee" uud die Bewohner von Atmet, schet verweilen noch iu der Nähe der Stadt ihrer Väter und verleihen der kalten Eintönigkeit der neuen Hauptstadt eiuen interessanten Allstrich, den sie allsieldem gänzlich entbehren würde. Früher die zweite Ztadt in der Krim und die Residenz des Kalga Sultan oder Vice-Khans war Almetschct eine Stadt von großer Bedeutung, und mit Palasten. Moscheen und öffentlichen Bädern geschmückt. Jetzt hat sie die orientalische Pracht früherer Zeilen mit dem Flittertand der moökowitischeu Barbarei vertauscht. 3. Kap.) Simpheropol. 2Z Ungefähr fünftausend Tataren bewohnen ausschließlich ein Viertel der Stadt und dorthin lenkten wir unsere Schritte unter der Führung eines intelligenten deutschen Ubrmachers. welcher während unseres Ver-weilens in Simpheropol mit großer Gefälligkeit das Amt eines Cicerone versah und sein Geschäft vernachlässigte, um das Vergnügen zu haben, mit dem vornehmen Freunden umherzuparadircn. Die von den Tataren bewohnten Straßen bestehen gänzlich aus kahlen Mauern und würden deshalb die langweiligsten Oertlichkeiten sein, die man sich denken kaun. wenn nicht die Leute wären, welche dieselben durchwandeln. Die Häuser sind blos ein Stock hoch und jedes in einem besondern Hofraum eingeschloffen. Die Pergamentenster, welche die Aussicht auf dieseu Hof haben, sind so tief augebracht, daß sie von der Straße aus gar nicht zu sehen sind; die unglücklichen Frauenzimmer ge-nießen daher nicht den gewöhnlich?« Zeitvertreib orientalischer Damen, und es schauen keine schwarzen Augen aus den vergitterten Fenstern auf den Vorübergehenden. Die Tatarcnfraueu von Akmctschet verlieren indeß durch ihre Abgeschlossenheit nicht viel. Die Straßen besitzen nichts von dem Leben und Treiben einer Stadt wie z. B. Kairo. Die Kaufläden sind nicht zahlreich, liegen weit auseinander, sind sehr klein und ärmlich, und werden von häßlichen unverschlcierten Frauen besorgt. Die Schön» heitcn wandeln, bis an die Augen mit dem weißen Heridschi bedeckt, umher, der Men nach nuten bis auf das Knie hinabreicht. Ohne den bunten Nock welcher darunter hcrvorstattert und die weiten Beinkleider, die über die niedlichen gelben Stiefelchen herabfallen, würden sie gerade aussehen, wie wandelnde weiße Leinwandbündel. Die Männer tragen zuweilen den Turban und das wallende Gewand des echten Orientalen, ihre Trachten aber sind, obschon malerisch, doch so verschieden, daß sie sich fast gar nicht beschreiben lassen. Wir wurden der Wanderung durch dieses Labyrinth schmaler unabänderlich zwischen hohen kahlen Mauern liegender Gäßchen bald überdrüssig und veränderten den Schauplatz, indem wir plötzlich auf die belebte Promenade herauskamen, wo das Musikchor in kühlen herrlichen Gärten der vergnügungssüchtigen Welt vorspielte, welche sich gern hier versammelt und fern von der Hitze und dem Staube der Stadt au den Ufern des Salghir spaziert. Der gegenwärtige Gouverneur Pestel, ein 24 Straßenverkehr, s^. Kap. Vrudcr des unglücklichen Componisten, steht, wie ich höre, bei dem K>uscr in hoher Gunst. Sein Haus bat ein schönes, massives Ansehen. Nahe vor der Stadt liegt eine große Caserne, wovon aber mir das Hospital in fortwährendem Gebrauche ist; das übrige Gebäude wird nur dann und wann von Truppen bewohnt. welche nach dem Kaukasus mcnsckiren oder von dorther kommen. Es giebt nicht weniger als zwei Hotels in Simpheropol nnd in dem, in welchem wir waren, gab man sogar Jeden» von uns ein Betttuch, natürlich aber keine Gcräthsebaften zum Waschen. Unsere Fenster batten die Aussicht auf die Hauptstraße nnd waren immer interessante Bcobachlungspostcn. Zuweilen raffelte der schwerfällige Wagen eines Edelmanns mit einer uugcbeuren Masse Gepäck und mit Lebens» mittcln auf einen Monat versehen in die Stadt, weil die Familie in Begriff stand, nach St. Petersburg zurückzukehren, um dort den Winter zu verleben, nachdem sie den Sommer auf ihrem Landsitze in der Krim zugebracht; oder ein bescheidenes Fuhrwerk, ähnlich dem unseren, rumpelte vorüber, vollgepfropft mit armenischen Kaufleuten, deren Beine znm Theil zwischen den Vorhängen berausragtcu, während der Umstand, daß sie Armeniern angehorten, durch den Nohlgeruch des türkischeu Tabaks verrathen wurde, der sich wahrend ihrcö Vorübersahrcns über die Strafte verbreitete; oder eine Reihe von Kameelkarrcn mit Strob, gefüllt, bewegte sich die Straße entlaug und hielt dann und wann einige Augenblicke an. während die Treiber mit Fvennden sprackcn, wo dann allemal sämmtliche Kameele sich niederlegten. Selbst die längste Erfahrung schien nicht hinreichend zn sein, ihnen zu lehren, daß es lamn der Mühe verlohne, dies zu thun, da sie doch bald wieder aufstehen mußten, was ihnen stets grosie Mühe kostete. Da ich bis jcht blos die iiameclc nnd Dromedare noch östlicherer Länder kennen gelernt datte, so war mir das Aussehen dieses bactrischcn Kamceles etwas ganz Neues. Die zwei Hocker sind gewobn-lich so lang, daß sie nicht aufrecht stehen können, sondern sich umbiegen und oft zu beiden Seiten des Rückens herabhängen. Der Hals und die Beine sind mit langem dicken Haar bedeckt, aus welchen die Tataren-srauen einen Stoff rwn sebr weichem wolligen Gewebe fabriciren. Im anffalleuden Gegensatze zu diesen eigenthümlichen Karren rollen fortwährend naseweise Droschken umher. Obschon so leicht und klein, sind doch hier alle öffentliche Droschken mit zwei Pferden, gewöhnlich sehr gu- 3. Kap.1 Die Messc. 35 ten, bespannt, während die Sonnenhitze es nothwendig macht, sie größten-theils mit Kappen zu versehen, sodaß das abscheuliche kleine Fuhrwerk von Et. Petersburg sich in Simpherrpol ganz respektabel ausnimmt. Dicht neben unserm Hotel stand eine ziemlich schöne jüdische Synagoge, in welcher fortwährend Schule gchalten zu werden schien. Simpheropol zahlt ungefähr 14.U00 Einwohner, von welchen ein verhällnißmäsiig großer Theil der ebengenannten Ncligionsgescllsebast angehört. Zum Glück ward die alljährliche Messe, die in der ersten Woche des Octobers stattfindet, wahrend der Zeit nnscres Aufenthaltes abgehalten, wo dann der Reisende die beste Nelegenbeit hat. die größte Mannigfaltigkeit der Trachten und die charakteristischsten Erscheinungen der Krim beisammen zu sehen. Um einen richtigen Maßstab zu haben. muß man die Messe von Nischnei Nowogorod eher gesellen haben, als die von Simpheropol, welche letztere wir unendlich frappanter fanden, vielleicht weil wir vollständig überrascht wurden, als wir. nicht im Mindesten darauf vorbereitet, zufällig eines Nachmittags den Marktplatz betraten. Es ist ein seltener Fall. das, zwei an Sitten uud Gebräuchen so weit verschiedene Menscbenraeen, die einer so verschiedenen Abstammung angehöre», auf so handgreifliche Weise mit einander in alltägliche Berührung kommen, wie in der krimischen Ta» tarei, und diese Mischung ist um so interessanter, weil es unwahrscheinlich ist, daß dieser gegenwärtige unnatürliche Zustand noch lange fortdauern werde. Ein ungeheurer viereckiger Platz von mehreren Ackern (Vröße ent» l'iclt eine bunte Masse Buden. Kameele. Karren, Droschken. Ochsen nnd malerische Mrnpven. Hier siebt man den rothbärtigen russischen Muschik in großen Stieseln und Schafpelz im eifrigen Gesvräch mit einem buntge-lleidcten Tatarn , der soeben über die Steppe galopirt ist und auf seinem Pferde sitzt, als ob er mit demselben verwachsen ware. Kr trägt eine große, weiße Pelzmütze nnd eine wtbgestreiftc gestickte Jacke, welche dicht am Körper anschließt, mit weiten offenen Aermeln,.während seine weiten dunkelblauen Beinkleider mit einer hellfarbigen Eckärpe umgürtet sind. ans deren Falte« der massive Griff seines Dolches heransragt und seine be-pantosselten Füße in schwerfälligen Steigbügeln am Ende langer Riemen stecken. Sein Pferd ist ein kräftiges, kleines Thier, welcbes unendlich mehr Scharssinn als Schönheit besitzt. Weiter unter der Menge und durch sei- 26 Die Messe. 13. Kap. nen grünen Turban allsgezeichnet, wandelt das Gewand ilgend eines frommen Hadschi. der nicht das mindeste Aergerniß an zwei m einer Droschke sitzenden jungen Damen zu nehmen scheint, die nicht nnr keinen Feridschi, sondern sogar keine Hüte und nur die kokette kleine Haube der Pariser (Vrisette tragen. Wir möchten ihnen jedoch amathen, sich einiger« maßen die verschleierten Frauen auf der andern Seite der Straße zum Muster zu nehmen, welche nicht einmal die gefärbten Spitzen ihrer Fingernägel dem profanen Blick der Männer preisgeben zu wollen scheinen. In den schmalen, von Karren und Zelten gebildeten Gassen, feilschen Griechen in einem nicht weniger bunten, obschon etwas anderem Costüm, als sie gewöhnlich in ihrem Vaterlandc tragen, mit russischenIuden in langen, schwarzen Barten und langen, schwarzen, bis auf die Knöchel herabrei-chenden Nocken. Es möchte schwierig sein, zu wetten, wer bei einem sol« chen Handel das beste Geschäft inacht. Grimmig altssehende Nogajer und Kosaken machen Einkäufe bei armenischen oder deutschen Handelsleuten. Dann giebt es auch noch große Buden, gleich Zigeunerhütten in vergrö, ßertem Maßstabe, die aber in keinem Zusammenhange mit den zerlumpten Vertretern dieses Wanderstammes stehen, welche auf dieser Messe umher« schwärmen, sondern Vorräthe von den delikatesten Früchten und ungeheure Haufen Apukosen, Weintraube», Pfirsiche, Aepfel undPfiaumen enthalten, von welchen allen man für ein paar Pfennige soviel bekommt, daß man es kaum hinwegtragen kann. Abgesehen von diesen Bude» sind auch uoch schwere Karren da, mit Wänden von Flechiwerk und uugesclmncrten ccki« gen Nädcrn, die unaufhörlich jenes mistöncnde Gcknarr hören lassen, welches Denen bekannt ist, die jemals ein bengalisches Ochsensuhrwerk ge> hört haben, Hoch das ganze Schauspiel überragend und durch die bunten Gestalten, die sie umringen, nicht im Mindesten beirrt, sieht man Hun» derte von Kamcelen in allen möglichen Posituren, welche mit echt oricnta» lischei philosophischer Ruhe wiederlauen und unbedingt den kleinen zerlumpten Tatarenknabcn gehorchen, die sie gänzlich unter ihrem Commando zu babcn scheinen, wiewohl sie ihnen kaum bis an die Knie reichen. Reihen von Kaufbuden umschließen ringsum dieses bunte Gewirr und enthalten Sättel. Messer, Peitschen, Pantoffeln, Tabakstaschen und Maro-quinstiefein, Alles von tatarische Fabrikation, und außerdem noch alle mög« 3. Kap. I Das Salghir-Thal. 27 lickcn Aiten europäischer Artikel. ES gereichte uns zur Befriedigung, als wir lins in unsern karrirten Iagdröcken mit Perlmutterkuöpfen durch die geschäftige Menge bewegten, zu fühlen, daß auch wir die bunten Trachten der Messe zu Simpheropol um eine ueue vermehrten. Timpheropol's Eäionheit liegt jedoch nicht in der Mannigfaltigkeit der Völlerracen, welche es bewohnen. Obschon es, wenn man von Kcrtsch bcr'ommt, iu cincr Ebene zu liegen scheint, so liegt doch ein großer Theil der 2tadt an dem steilen Rande der Ztevve. von wo man eine prachtvolle Auösicht aus die unmittelbar darunter liegende Landschaft hat. und am Fuße zweihundert Fuß hoher Felsen stießt der schmale Salghir, welcher den Namen eines Flusses sührt, und hat er auch wegen seiner Größe nicht das Necht ans diese Benennung, so verdient er sie doch wegen des reizenden Thales, welches er iu seinem nordwärtsgehenden Laufe gebildet hat. Obst' nnd Blumengärten, die alle Arten Frnchtbäume und schone Reihen hoher, stattlicher Pappeln enthalten, umsäumen feine Ufer. bis die immer höher und waldiger werdellden Hügel einen Bergrücken bilden, der mit dem Tschatir Dagh, einem stattlichen Hintcrgrnnde, zusammenhängt, drr dieses reizende Gemälde würdig einschließt. Die genauere Velauntschast mit den Einzelheiten dieses Anblicks war überdies feines» wcgs geeignet, dm Eindruck, ten er zuerst auf uns gemacht hatte, zu schwa» chen oder zu vermindern. Wir beschlossen, das herrliche Netter, wovon wir begünstigt wurden, zn benutzen nnd den Tschatir Dagh, den Zeltberg der Tataren. Trapezns der Griechen uud Palata Gora der Russen, zu besteigen. Da Verge in Rußland Seltenheiten sind, so wurden eine Menge Voranstalten nöthig, ehe wir diese Expedition antreten konnten. Nachdem wir nnser Gepäck in einen Karren nach einer'Poststation auf dcr Ttraßc nachAluschta vorausgeschickt, mietheten wir einen Tatar» und drei Pferde, sagten in Begleitung eines wackern Deutschen, welcher als Dolmetscher agirte. Simphero» pol an einem herrlichen Nachmittage Lebewohl. und ritten im schatten der Alleen, die wir schon oben bewundert, das Thal hwauf. sehten häufig über den Strom und kamen fortwährend an irgend einem reizenden llcineu Winkel vorbei, den ein malerisches kleines Haus zu seinem Standpunkte gewählt hatte, und den wir nach unseren langen Neiscn durch die Steppe, die von Häusern, Gärten, Flüssen oder Bäumen so gänzlich entblößt ist, 28 Tatarisches Wirthshaus. ^3, Kap. nur um so höher würdigten. Wir kamen zwischen Märten und zwischen Tabak-, Ma!s°, Flachs- und Hirsefeldcrn hindurch, uud nachdem wir etwa vier Stunden lang die Heerstraße nach Aluschta verfolgt batten, bogen wir bei Sultan Mahmud ab und erreichten, nachdem wir ein paar Stun« den querfeldein geritten warcu, nicht lange uach Einbruch der Dunkelheit das tatarische Dorf Bujuk Iankoi, wo wir zu übernachten beschlossen hatten, eke wn uns an die Besteigung des Berges selbst machten. Nachdem wir vor einer sebr niedrigen Veranda abgestiegen waren, krochen wir durch ein Loch von ungefähr drei Fuß im Quadrat in eine Art Hütte nnd sahen uns, sobald wir durcl, ein kleines Zimmer und ein zweites Loch vassirt hatten, in einem etwas geräumigeren Gcmack, dessen Fußboden mit dickem weißen Filz belegt war. Ungefähr seäis Zoll hoch über dem Fußboden zog sieb eine Art Divan um das ganze Zimmer, über welchem eine Menge schön gestickter Tücher hingen, die als Taschen, oder Handtücher dienten. Ich kaufte ein sebr schönes dieser Tücher, mit einer eingestickten arabischen Inschrift, und zal'ltc dafür einen Rubel. Auf einem Sims au dem auderen Ende waren Gold« und Silberstoffe aufge-häuft, während im etwas unharmonischen Gegensatz zu so schönen Sa< chcn auf den massiven Valken. welche das Dach stützten, irdene tt^fäße aufgestellt waren, die so tief standen, daß die Personen des Haushalts sie bequem herablaugeu konnten, aber davon uuuntcrricbtete Fremdlinge in tNefabr schwebten, fortwährend mit dm Hüten dagegen anzurennen. Vou den Sparren herab hingen ciue Menge Vüudel wilden Thymians, die aber keineswegs ibmu Zwecke, den alllsdurchdringenden starken Kuob' lauchgernch zu übertäuben, entsprachen. Wir freuten uus über den behaglichen Anstrich, den dieses ganze Etablissement hatte, —nichts konnte sauberer aussehen , als die weißen Wände und der weiche Filz. — eine Eigenthümlichkeit, welche der letztere besaß, sollte uus jedoch die Erfahrung noä» lehren. Ciu sehr kleines Fenster mit einem hölzernen Witter, welches bis auf dcu Fußboden bcrabreiclite, befand sich einer großen altmodischen Art von Herd gegenüber, auf welckem ein ganzer Ochs hätte gebraten werden können, und der das einförmige Aussehen unseres Qua» tiers vollständig machte. Anstatt des Thees wurde» uns kleine Filigran-taffen mit dickem Kaff« von unserem Wirthe vorgesetzt. dessen Frau zu alt und zu häßlich war, als daß sie nöthig gehabt hätte, ihr Gesicht zu 3. Kap.) Der Tschatir Dagh, 29 verbüllen. Sie häufte uns eine Menge Matratzen und Pfühle auf den Divan und bald lagen wir im Zimmer berum üppig auf die weiche» Kissen gestreckt, ohue uns weiter um ihren Knoblauchduft zu kümmern. Wollte der Himmel, daß dieser unsere einzige Plage gewesen wäre, aber leider hatten die Flöhe offenbar uur gewartet, bis wir uns in ihrer Macht befanden und wanderten jetzt zu Tausenden aus dem Filz auf unsere armen Leiber. Ich ahnte, als tch der alten Tatarin die einladenden Betten zurichten sah, nicht, daß ich mich die ganze lange Nacht schlaflos auf denselben herumwerfe»! würde. Zum gangsmethode, die mich an ein sebr unangenehmes (5zpcrimcnt dieser Art erinnerte, welches ich einmal beim Hinabsteigen in eine ägyptische Mumien« gruft durchgemacht hatte. Endlich sahen wir uns im Staude, aufrecht zu stehen und uns umznschen. Wir erblickten ein geräumiges Gemach von ungefähr vierzig Fuß Höhe, dessen Decke von einigen ungeheuern Tropfstein, säuleu getragen zu werden schien. Die größte dieser Säulen hielt wenig« stens fünfzig Fuß im Umkreise und wenn die trotte mit solchen Fackeln beleuchtet worden wäre, wie man sie in Adelsbcrg auwendet. anstatt mit drei Talglichtern, so zweifle ich nickt, daß das mannigfache Farbenspiel einen interessanten Effekt gemacht haben wurde. Ich folgte einem Licht« schimmcr durch eine schmale Oeffnung in eine zweite Kammer, weiter aber wollte mich Niemand begleiten und mcin Reisegefährte war zu unwohl, um mir überhaupt in die Grotte folgen zu können. Montandon erzählte jedoch, ein Franzose, Namens Oudinet. sei eine halbe Tagereise in diese Grotte vorgedrungen, ohne das l5nde derselben zu erreichen. Die unzahligen Schädel und Knochen. welche in allen Richtungen umhergestreut liegen, erzählen eine traurige Geschichte. Eine Schar Genucsm war nam. lich während ihrer Kriege mit den Tataren im dreizehnten Jahrhundert durch in denOeffnungen der Grotte augezündete Feuer hier erstickt worden. Wir waren froh. als wir wieder in die freie Lust hinauskamen und machten nns, obschon von Schweiß und Schmutz triefend auf den Weg nach Kisil Kuba, einer zweiten nicht weit entfernten Grotte. Der Eingang zu dieser war prachtvoll, und nachdem wir allmälig etwa hundert Schritte hinabgestiegen waren, gewaun die Höhle eine Breite von drei« ßig bis vierzig Schritt, während ihre Höhe nicht weniger als sechzig Fuß betragen konnte. Die Tropfsteinsaulen waren jedoch hier verhältnißmäßig dürftig, obschon hier und da schön von Farbe. Diese Orotte ist indessen niemals vollständig erforscht worden, denn ein Bach. bis zu welchen wir "5. 32 , Unbequeme Thalfahrt. ft. Kap. nicht gelangten, wird zn tief, als daß der ganze Umfang der Höhle sich ermitteln ließe. Wir ritten abwechselnd oder führten unsere Rosse noch ein paar Stunden lang über dasselbe Plateau vou Kalksteinfelsen, bis unser Führer nnö vorschlug, einen kurzen Seitenweg nach der Hauptstraße einzuschlagen, welche wir ungefäbr funzebnhundcrt Fuß hinter uns sich durch den Wald schlangeln sahen. Vald darauf wunderten wir uus, ihu plötzlich mit zweien der Pferde verschwinden zu seheu. wunderten uns aber nicht mehr, als wir über den Nand eines Abgrundes hinabschauteu und die Felsen sahen, über welche er hinunterzuklettern beabsichtigt hatte. Der Tatar schien über seine rasche Tlialfabrt etwas erstaunt zu sein und drehte sich in der Absicht, wieder heraufzukommen, herum; da wir jedoch sahen, daß dies unmöglich war, so schrieen wir ihm zu, daß er versuchen solle, weiter zu gehen. Dies jedoch wollte er nicht und blieb daher wie angewurzelt sieden. Es schien allerdings Wahnsinn zu sein, ihm auf diesem Wege nach« folgen zu wollen, da die Pferde aber eben keinen großen Werth hatten, so rutschten wir dem Tatar» nach und es nahm mm Jeder Besitz von sei-uem Pferde, indem wir es ihm überließen, mit dem seinen zu macheu, was er wolle. Es war den Pferden unmöglich, unter dem losen Gestein, mit welchem der ganze Bergabhang bestreut war, festen Fuß zu fasseu. sodaß sie mehrmals ausglitten und einen nicht unerheblichen Fall thaten. Die Hauptscbwierigkeit war, zn vermeiden, daß sic über uns hinweg' stürzten, während wir sie hinter uns herzogen, nachdem wir es unmöglich gefunden hatten, sie zu bewegen, uns voranzugehen, Wenn daher sowohl Noß als Mann viele Mm weit rutschten, ohne festen Fuß fassen zu können, so war die Schnelligkeit des cistern allemal die größte uud ich fand es deshalb zuweileu nothwendig, den Zügel fahren zu lassen, so schnell als möglich auf die Seite zu klettern und mein Pferd an mir vorübergleiten zu lassen, in der Hoffnung, daß es schon durch irgcud etwas aufgehalten werden würde. Da das Pferd allmalig immer tiefer iu die Masse des Gerölls hineingerieth. so konnte es natürlich auch nicht weiter, und das arme Thier blieb dann vor Fnrcht an allen Gliedern zitternd stehen, bis ich langsam nachkommen konnte und cs durch Ziehen und Schlagen zur weitern Fortsetzung des Weges zwang. z< Kap-1 Tauchan Rafar. ZI Endlich, und nachdem wir bis auf killige Ritze und Quetschungen keinerlei Verletzung erlitten hatten, erreichten wir unten die Haselbüsche und ich war wieder im Stande, meinen unbequemen tatarischen Sattel zu besteigen, welcher seiner Form nach die genaueste Aehnlicbkeit mit einem iu der Mitte fest zusammengebundenen Federkiffen hatte. Die auf d"iese Weise gebildete Vertiefung gewährte einen Sitz, der keineswegs geeig« net war, meinen schmerzenden Gliedern Nuhe zu gewähren. So hinkten wir mndc und abgetrieben bis nack dem kleinen Dorfe Tauchan Basar und beschlossen in einer romantischen Hütte im Walde zu übernachten, über welche die Klippen den Tschatir Dagh dräuend herabhingen. Hier leichten nns die würdigen tatarischen Bewohner vortrefflichen Iurgut oder saure Milch. w>1H>c mit einem hinreichenden Zucker^isatz ein sehr erfrischendes Getränk ist. Ein balbes Dutzend gesottene Eier und ei» Stück tatarischer Kuchen vervollständigten unsern einfachen Küchenzettel. Wir fanden an unserm deutschen Freund Nichter einen unschätzbaren Bundesgenossen und überredeten ihn. uns auf unsern projectilten Ausflügen im Innern dc^ Landes zu begleiten. Wenn er nicht rauchte, so dolmetschte er oder machte sich sonst auf eine Weise nützlich, und da sein Gepäck aus weiter nichts als einem großen Mantel bestand, so konnte er uns unmöglich in dieser Beziehung lästig werden. Somit trat er ganz gelassen, nachdem ich ihm ei» Hemd geliehen hatte, eine Reise an, deren Dauer eine völlig unbestimmte war. Wir hatten in Simpheropol eine Podoroschna nach Ialta genommen und beschlossen, in Posttelcgen zu reisen. Demgemäß waren wir mit Tagesanbruch am folgenden Morgen in einem dieser patriarchalischen Fuhrwerke unterwegs. Gerade wie der gewöhnliche Karren, dessen sich die Bauern bedienen, hatte es weder Federn, noch Sitze, noch Dach, noch irgend eine andere Art von Schutz gegen das Wetter; aber eö war sehr fest gebaut und ganz vortrefflich für eine schöne Landschaft geeignet, so lange die Unebenheit der Straße nicht die Aufmerksamkeit zerstreut. Wir begannen, unmittelbar nachdem wir das PostHaus verlassen, eine steile AnlMe im Zickzack hinaufzufahren. Die Straße schlangelte sich durch Buchen und Eichenwälder, welche die Gebirgswände dicht bekleiden und bis in die Spalten der Felsen hinaufklettern. Dann und wann kamen Schwarze« Meer. I 34 Der Paß von Aluschta. s3. Kap. wir an eine Oessnung. die uns eine weite Aussicht nach Norden gewährte und schaueten auf das romantische Thal des Hangar hinab, welches wir, Dank den kräftigen Anstrengungen der drei raschen Pferde lind dem ener« gischen Geschrei unseres Fuhrmanns, immer schneller unter uns ließen. Der Gipfelpunkt dieses Gebirgspasses liegt zweitauscndachthundert ssuß über der Fläche des schwarzen Meeres, welches hier mit einem Male sichtbar wild. Die Wellen schienen sich an den verfallenen Mauern von Aluschta zu brechen, während das Thal. in wclchem das Dorf liegt, sich in üpvigcr Lieblichkeit vor unsern Füßen ausbreitete. Ein Obelisk. welcher m der Nähe dieses Punktes errichtet worden ist. bezeichnet den Ruheplatz des Kaiseis Alexander zur Zeit seines letzten Besuches in der Krim im Jahre 1824. Wir begannen unsern Hinab' weg mit der größten Schnelligkeit. Der Trab ging bald in Galop über und da der Karren mn die scharfen steilen Vckcn mehr hüpfte als rollte, so war es keine kleine Schwierigkeit, unsere Sitze zu behaupten. Der malerische Dimirdschi mit seinen ungeheuren. grotesk über einander ge-thürmten Klippen ragte links über uns empor — ein würdiges vl5-^-vi8 de« Tjchatir Dagb. Nach einer Stunde hatten wir den Fuß des Berges erreicht und glitten gleich den Gebirgsstro'men, die neben uns vorübergerauscht waren, nach unserer stürmischen und gefährlichen Herabfahrt rubiqer zwischen Cypressenheclen nnd durch lange Pappelalleen, welche in der Morgensonne unermeßlich lange Schatten warfen, weiter, und an mit leckeren Früchten beladcnen Obstgärten und Weinbergen vorbei. Wir waren kaum ordent« lich zu Athem gekommen, als wir auch schon an der Thür deS PostHauses zu Aluschta hielten. 4. Kap.) Das Tatarcndorf Aluschta ^5 Viertes Kapitel. Aluschta. — Schloß Marsanda. — Iatta. - Alupka. — Der Weinbau in der Krim. Die einzigen nock übrigen Spuren der altertbümlichen Würde von Aluschta sind drei malerische Tbürme und eine steinerne Mauer von zwölf Fuß Höhe und sieben Fuß Stärke, die einen Tbeil der Citadelle bildeten, welche Kaiser Justinian um das Iabr 764 erbauen ließ, um das Land gegen die Oothcn und Hunnen zu vertheidigen. Diese Tbürme scheinen aus den flachen Dächern der Tatarenhütten emporzusteigen und erzeugen «inen ganz eigenthümlichen Effect. Diese Stadt. das Mustan Wrmiou des Mittelalters, besaß einst eine bedeutende Bevölkerung und war der Sitz eines Bischofs. Unter der türkischen Herrschaft sank sie zu dem Zustande eines blosen tatarischen Dorfes herab. Dies ist cs noch bis auf den heutigen Tag und die mas» siven Mauern der alten Festung umschließen eine Sammlung gebrechlicher Hütten, deren sonderbare rohe Bauart einen seltsamen Contrast mit den massiven Bauwerken einer cioilisirten Nation bietet, welche viele Jahr» Hunderte früher ezistirte. Die Tataren legen — und hierin unterschei. den sie sich wesentlich von anderen Leuten — ihre Dorfer lieber an dem steilen AbHange eines Berges an. anstatt auf jenen ebenen Flächen, die gewöhnlich als gut? Bauvlä'he betrachtet werden. Indem man im Ver« hältniß zu der erforderlichen Nröße einen Naum in dem Berg ausgräbt, wird dadurch dem Architekten die Mühe erspart, eine Hinterwand zu bauen, wahrend er die Winkel an den Seiten einfach mit Lehm ausfüllt. Das Dach, welches dadurch gleichsam aus dem Berge hervorspringt, ist voll< kommen flach und mit Erde bedeckt. Es ragt über die Vordermauer hinaus uud bildet, durch Stützen getragen, eine Art Veranda. Wenn der Reisende unter einer dieser Hütten vorüberkommt, so ist daher daS Dach gar nicht sichtbar, während sie. wenn er sich oberhalb derselben be. findet, aussahen wie kleine Trockenplätze für Getreide oder Kaffee. wenn nicht der Ranch, der aus den kegelförmigen Schornsteinen aufsteigt, etwas Anderes verriethe. Diese Schornsteine dienen nicht blos als Oeffnungen 3' Iß Post und Karavanserai. s4. Kap. für den Rauck, sondern auch als ein Mittel zur mündlichen Unterredung mit den Bewohnern des Hauses. In einer finstern Nacht kann ein Net» tel sich leicht verirren und stracks über eins dieser Dächer hinwegreitend an der Vordertbür auf eine Weise zum Vorschein kommen, welche zu plötzlich wäre. um mit dem guten Tone recht vereinbar zu sein. Die Cultur des Weinstocks hat in dem Aluschtathale iveit raschere Fortschritte gemacht, als iu fast jedem anderen Theile der Krim. Der Boden ist fruchtbar und wird von zwei GebirgSströmen bewässert, welche das Thal theilen und den Reizen seiner üvviqen Vegetation noch höhere Wirkung verleihen. Abgesehen von den umfangreichen Weinbergen wird in dieser Gegend auch sehr viel Tabak gebaut. Eine Anzahl netter russischer Häuser ist auf den vcrschiedencu Besitzungen im Entstehen begriffen, und eine hübsche Kirche ist eben auf einer Stelle erbaut worden, wo sie sich sehr gut ansnimmt. Wir trafen in dem Posthausc mehrere Reisende, welche hilflos auf Pferde warteteu. Zwei Herren direct von Moskau und mit Podoroschnen von der dringendsten Art versehen und welche seit vierund« zwanzig Stunden hier Weintrauben gegessen, geraucht und geschlafen hat' ten, sagten uns, daß wir wahrscheinlich im günstigsten Falle erst den nächstfolgenden Tag Pferde erhalten würden. Sie hatten den Postmeister weit freigebiger bestochen, als irgend einer der übrigen unter diesem elenden Dach versammelten Unglücklichen. und waren augenscheinlich bereit, auch uns zu überbieten. Statt uns daher iu einen nutzlosen Wettstreit eiuzulaffen, uliterhielten wir uns über das bewundernswürdige System, unter welchem wir sammt und sonders litleu und welches wie ich gern zugab, in seiner Wirkung das jedes andern Landes weit übertraf. Während wir uns auf diese Weise die Zeit zu vertreiben suchten, kam der Postmeister mit der Meldung herein, daß ein deutscher Colonist, der mit einer Wagenladung Kartoffeln sich auf dem Wege nach Ialta befand, sich erboten habe, seine Ladung gegen die beiden Engländer zu vertauschen. Wir machten uns sofort auf die Beine, um mit diesem Manne zu unterhandeln und trafen ihn phlegmatisch rauchend in eiuer Ärt Karavanserai in Gesellschaft einer Anzahl von Armeniern nnd Tataren. Es war dies ein großes weitläufiges Gebäude von orientalischem Aussehen. An dem einen Ende wurden in einem theilweise verdeckten Verschlage Tschi» buks und Kaffee gereicht. Pferde, Ochsen und Büffel waren im Hofe 4. Kap.) Russischer Nationalzug. 97 umher an die sonderbar construirten Fuhrwerfe gebunden, zu welchen sie geborten, und Landwirthe und Kaufleute vieler verschiedener Nationen wa« ren hier versammelt; wahrscheinlich befanden sie sich auf dem Rückwege von der Messe. Endlich überredeten wir den Deutschen, uns für sechs Rubel nach Ialta. eine Strecke von sieben Meilen, mitzunehmen und machten uns eben zum Aufbruche fertig, als der Postmeister für die Pferde, die wir außerdem später bekommen haben würden. Bezahlung verlangte, Einer unse» rer russischen Freunde erklärte dies für eine scbr billige Forderung. während wir das Neckt derselben entrüstet bestritten, Als dieses echte Exemplar eines Regierungsbeamten fand, daß wir unerbittlich waren, berief er sich an unsere Großmut!) und hoffte, daß wir. weun wir nicht auf seine gesetz» mäßige Forderung eiugingen, ihm wenigstens ein Geschenk dafür bewil» ligen würden, daß er den Deutschen ausfindig gemacht, sodaß er in der That von uns erwartete, eine Sum m e als den Preis der Pferde, welche er sich geweigert, uns zu geben, bezahlt, und eine zweite Summe geschenkt zu erhalten, weil.wir im Stande waren, auch ohne nachbarten Thälern. In Folge der energischen Bemühungen des Fürsten Woron^off und trotz der Schwierigkeiten, welche Unternehmungen dieser Art stets begleiten, sind in der Cultur des Weinstockes wunderbare Fort»' schritte gemacht woiden. Innerhalb der letzten zehn Jahre jedoch zeigen die statistischen Nachrichten eine sehr geringt Zunahme der Quantität des ans der Krim ezportirtcn Weines. Dies hat seinen Gn,nd wahrscheinlich in der Schwierigkeit. einen Markt für Weine von untergeordneter Qualität zu sindcn, welcher die krnnischen Weine unzweifelhaft angehören, trotz der hochtrabenden Namen, welche man ihnen beigelegt hat. Der Mangel an Straßen über die Steppe macht es unmöglich, den Wein weit in das Innere zu führen, obschon üb zuweilen in St. Petersburg krimischen Wein gekostet habe. während so lange als die Weine des griechischen Archipels fast zollfrei in die Häfen des schwarzen Meeres eingeführt werden dürfen, die Concurrenz in diesem Artikel eine ganz hoffnungslose bleiben muß. Der gegenwärtige Werth des alljährlich verkauften Weins beläuft sich anf ssmfhunderttausend Rubel oder ungefähr zweimal so viel als der der Weinberge im Lande der donischen Kosaken. Mnttes Kapitel. Paß von Jemen und Baidar. — Balaclava. Wir kamen rasch vorwärts auf der vortrefflichen neuen Straße, welche jetzt Ialta und Sebastopol verbindet, zur großen Bequemlichkeit der Besitzer, durch deren Grundstücke sie führt und deren schöne Equipagen wir dann und wann in der Richtung nach Sebastopol dahineilen sahen, wo der Kaiser stündlich erwartet wurde. Fürst Noronzoff war eben von Tiflis, dem gegenwärtigen Sitze seines Gouvernements, in Alupka ange» kommen, um Se. kaiserlichen Majestät bei der Musterung der Armee und Flotte zu begleiten. Die Straße stieg allmälig zu einer Höhe von ziem» 5. Kap.I Die Felsen von Jemen. 43 lich zweitausend Fuß über der Meeresflache und ward mit jedem Augen, blicke interessanter. Nachdem sie die malerischen Tatarendörftl Simeis und Kikineis verlassen, schlangelt sie sich nm den Fuß von Felsen, die gegen fünfzehnhundert Fuß hoch und ebenso steil sind als die, von welchen wir auf dem Gipfel des Tschatir Dagh herabgeschaut hatten. Jede Bie» aung zeigte uns immer staunenswerthere Felscnmassen, bis wir endlich die Felsen von Jemen erreichten, wo die Straße das Ansehen eines in den blauten Kalkstein gehauenen schmaleil Simses hat. Hier hatten wir alle Spuren jener üppigen Vegetation, unter welcher wir bis jetzt geschwelgt, hinter uns gelassen. Die sich weit ausbreitenden Tannen konnten nicht mehr versuchen, die Vergabhangc zu bekleiden. Oben ragten thuruchohe Spitzen empor und unten lagen ungchcnre Fclscnstncke, die von der Hohe herabgestürzt waren, über dem Geröll umhergestreut, welches die unebene Küste bedeckt, die in felsigen Vorgebirgen weit in die Brandung hineinragt. Ueberall wo sich ein geschützter Wiukel darbietet, kleben wagehalsige Tataren ihre Hütten an und leben in eingebildeter Sicherheit, bis irgend eine wankende Felsenklippe krachend herabdonnert und ganze Dörfer zerschmettert. Beweise von dergleichen snrchtbarm Katastrophen sind an der Stelle zu sehen, wo einst die Dürfer Limän und Kutschuk Koi standen. Im letzteren Falle, wo zwei Mühlen und acht Häuser zertrümmert wurden, bemerkten die Einwohner Anzeichen eines bevorstehenden Sturzes an dem allmDgen Einsinken des Bodens, welches sie aufforderte, ihre Wohnungen zu verlassen, ehe das Unglück hereinbräche. Man darf sich nicht wun« dern, daß die Alten die Nordküste des schwarzen Meeres sehr ungastlich fanden und daß Strabo es als 7^i«^ii« ««< c!^i,,/, x«< ««?«,)'lAv^t/)i^ schildert. In letzterer Beziehung hatten wir keinen Grund. uns zu beklagen. Das Wetter war reizend; die zackigen Spitzen der Klippen zeichneten sich scharf und rein gegen den blauen Himmel ab; zahlreiche weiße Segel waren auf der ruhigen Fläche des Meeres umhergestrcut und als wir in unserem unabhängigen Fuhrwerk an dem romantischen Bergabhauge hin< rasselten, umwölkte keine Sorge unsern geistigen Horizont und nichts störte den stillen Genuß, mit welchem wir in dieser Küstenlandschast 44 Dcr Paß von Baidar, s5. Kap. schwelgten, die ebenso wenig durck die Großartigkeit des Cornice als durch die sanfteren Schönheiten von Amalfi übertroffcn wird. Ungefähr drei und eine halbe Meile von Alupka kamen wir dnrch einen vierzig bis fünfzig Schritt langen in den Felsen gehauenen Mang; dann betraten wir, nachdem wir scharf von der Seeküste abgebogen, den Wald, und begannen die zickzackförmigc Ersteigung des Paffes von Bai' dar, anf dessen Höhe cin massiver Thorweg von Granit erbaut worden ist, von wo man eine umfassende Aussicht auf die ganze Küsteulime ge< nießt. Der Paß von Baidar ist ein Werk der neuesten Zeit. Die alte Straße, die blos zn Pferde passirt werden konnte, folgte der Küste noch eine Strecke weiter und führte über das Gebirg mittelst der Merdven oder Teufelstreppe, deren Stufen in den Felsen gchanen oder durch Baumstämme gestützt warm. Dieser Weg zieht sich auf einer Strecke von achthundert Schritt zwischen ungeheuern überhängenden Felsmassen hindurch und besteht aus vierzig fast parallelen Zickzacken, von deueu jedes nur wenige Schritte lang ist. ES ist dicö der romantischste aber auch mühsamste Weg, um nach dem Thale von Baidar zu gelangen. welches sich jetzt vor uns ausbreitete, als wir unter einem Negcn von fallenden Blättern durch den Wald galopirtcn. Es war uns nach so vielem Imposan» ten und Erhabenen eine ordentliche Erleichterung wieder zu dem Malerischen herabsteigen zu können und unscr Nachtquartier gcmütblich in einem friedlichen Thale liegen zu sehen. nm welches die waldigen Hügel in sanftcn Abhängen zurücktraten und einen auffälligen Gegensatz zu Allem bildeten, was wir soeben verlassen hatten. Wir kehlten bei einem Tataren ein und schwelgt«» in einem mit weißen Tevpickcn belegten Zimmer, weläies die größte Aehnlichkeit mit einem ungclieuren Bett hatte, an dessen Fuße sich ein Feuerheerd befand. Man schasste uns einen kleinen, runden, ungefähr sechs Zoll hohen Tisch herbei — ein Beweis von Civilisation, der ganz mit der mäßigen Forderung von drci Mbcln übereiustimmte, welche unser Wirth am folgenden Morgen an uns machte. Er schien jedoch mit dem einen, welchen er erhielt, sich vollkommen zu begnügen, und seine übertriebene Forderung hatte il'ren Grund vielleicht mehr in Unwissenheit und in dem Wnnsche, anfder vortheilhafteu Seite zu irren, als indem angeborenenErvicssungs-gelüst, welches wir anfänglich darin zu erkennen glaubten. Die Tataren 5. Kap.) Die Küstentataren. 45 der Südtüste bieten eine ganz verschiedene Erscheinung von denen dar, unter welken wir auf den Steppen »ach der Nordseite der Gebirge gereist waren. Hier ist der mongolische Gesichtsschnitt ganz verschwunden. Es giebt hier keine hohen Backenknochen, leine breiten Augen und keine flachen Nasen, welche die Answanderung aus den Wüsten der Tatarci und Thibet's verrathen; im Gegentheile verkünden die regelmäßigen Züge und der weiße Teint den Verkehr mit dem Westen, während Worte wie Tas (Tasse), Camara (Zimmer), Mangia (Essen) erkennen lassen, mit welchem europäischen Volke diese Asiaten sich so sehr vermischt haben, daß sie vieler von den unterscheidenden Merkmalen ihrer ursprünglichen Abstammung verlustig gegangen sind. Die Tataren der nördlichen Ebenen sind ein Hirtenvolk und führen ein thätiges Leben, dessen Beschäftigungen einigermaßen mit den Noma« densitten ihrer Väter übereinstimmen. Sie sind einfach und gastfrei, ob« schon von rauhem Aeußeren. Die Tataren der Küste dagegen sind außerordentlich trag und haben keinen Anlaß zur Thätigkeit, weil sie es unno-thig finden, mehr zu thun, als den Ueberftuß zu ernten, den der frucht, bare Boden und daS milde Klima erzeugt. Durch das genuesische Blut, welches iu ihren Adern fließt, haben sie die Schlauheit des Italieners geerbt, während sie gleichzeitig eine gewisse Politur und Artigkeit in ihtem Wesen besitzen, die man an dem russischen Bauer oder dem wilden No» jaier vergebens suchen würde. So kam es, daß in Bujnk Iankoi, wo alle unsere Bedürft mit rauher Gutmüthigkeit befriedigt worden waren, unser Wirth sich anfangs aufs Bestimmteste weigerte, irgend ein Geschenk dafür anzunehmen. In Baidar dagegen wurden wir mit Aufmerksamkeiten und Artigkeiten überhäuft, wofür man uus aber auch eine Zeche machte, die einem englischen Hotelwirth zur Ehre gereicht haben würde. Unsere Straße führte, nachdem wir den Wald passirt und das Thal Baidar verlassen hatten, durch eine felsige, mitBuschwerk bedeckte Gegend, die einige Aehnlichkeit mit vielen gleichartigen Partien in den schottischen Hochlanden hat. Die Landschaft bot. obschon sie eine augenehme Abwechselung gewährte, keinen besonders auffällig interessanten Wegenstand dar. bis wir plötzlich eine große Brigg zu Gesicht bekamen, die, wie uns auf den ersten Blick schien, in einem malerischen See vor Anker lag. Ich konnte kaum glauben, daß diese ruhige, auf allen Seiten von steilen Ber« 46 Der Hafm Balaclava. s5. Kap. gen umgebene Bucht, ein Theil desselben Meeres sei. welches gestern vor un« ausgebreitet lag, das wir so rasa) verlassen batten, nnd von welchem jetzt kein Theil sichtbar war. als die Laibe vor uns. Der Hafen von Balaclava — ein Name. der von „della cki^ve" abgeleitet ist. oder es wenigstens sein sollte — ist vollständig vom Land eingeschlossen und war ehemals ein so beliebter Schlupfwinkel für See» läuber, daß man es nöthig fand, die Mündung des Hafens mit einer Kette zu versperren. Jedes Schiff, wie groß es auch sein möge. kann. wenn es einmal den gefährlichen Eingang hinter sich hat, den wildesten Sturm auf diesen stillen Flnthen sicher abwarten, und ist von der Seeseite vollständig durch das hervorspringende Vorgebirge gedeckt, worauf das alle genuesische Fort steht, welches sowohl den Hafen, als auch den Eingang zu demselben beherrscht. Da, wo die alte griechische Colonie Klimatum einst gestanden haben soll, steht jetzt die neugriechische Colonie Balaclava, ein reizender kleiner Ort, dicht am Wasser und von der Festung über ibr geschützt. Dieser Ort besteht aus netten, weißen, von Pappeln beschatteten Häusern, mit einer Bevölkerung von Arnauten — ein Name. den diese lNnechen von den Tataren erhielten, als sie als Soldaten des russischen Reiches Theil an dem Kriege nahmen, welcher zu der Eroberung der Krim führte. Zur Belohnung für die von ihnen geleisteten Dienste erlaubte ihnen die Kaiserin Katharina II., sich in dem alten genuesischen Hafen Cimbalo oder Balaclava anzusiedeln, wo sie noch ihre alte Religion, ihre Sitten und ihre Sprache bewahrt haben, und bei dem Zolldienste angestellt sind — eine Beschäftigung. zu welcher sie ihr früheres Seeräuberleben ganz be> sonders geschickt macht. Sie genießen viele Vorrechte nnd werden nur vier Monate jährlich zum activen Dienste berufen. Viele von ihnen sind Kanfleute uud besitzen Waarenlager in anderen Städten der Krim. Balaclava selbst besitzt gar keine merkantilischeBedeutung, und dies hat seinen Grund wahrscheinlich größtentheils in den Verheerungen, welche der Wurm anrichtet, der in diesen Gewässern lebt, und von welchem die Rümpfe der eine Zeitlang hier liegenden Schiffe bald zernagt werden. Als wir uns Sebastopol näherten, war die große Neugier, die ich schon lange empfunden, einen Ort zu sehen, von welchem die Russen nnr mit einer Art geheimnißvoller Scheu sprechen, nicht ganz frei von einiger 5. Kap.) Ansicht von Sevastopol. , 47 Besorgniß. und als wir bei einer plötzlichen Biegung dcr Straße einen ausgedehnten Ueberblick über die westlichen Küsten der Krim erlangten, sahen wir zu unserer Ueberraschung, daß der hervorragendste Zug in der Landschaft Sebastopol mit seinen hoben, weißen Häuser» und dräuenden Batterien und grünen Kuppeln selbst war. Weit landeinwärts und lange nachdem die Häuser schon aufgehört batten, waren die schlanken Masten der Schisse noch über den niedrigen Hügeln sichtbar; ihre zum Trocknen aufgespannten Segel hingen schlaff herab, und als wir noch näher kamen, sahen wir die großen Rümpfe der Linienschiffe gleichsam mitten in den Straßen der Stadt schwimmen. Meine <5iwarlungen, die ich von Scba» stopol gehegt, sollten augenscheinlich nicht getäuscht werden, von welcher Art auch meine Hoffnung in Bezug auf unser Hineinkommen sein mochte. Es schien indessen in dieser Beziehung kein Grund zn großen Vcfnrchtun« gen Vorhanden zu sein. Unsere Kleider waren durch die langen Steppen» reisen in einen schlimmeren Zustand versetzt worden, als die Richter's und des Fuhrmanns. Eine dicke Kruste von grauem Staub machte alle kleineren Verschiedenheiten des Kostüms unsichtbar, und als wir halb unter Heubündeln verborgen, uns mit über die Aligen herabgezogenen Hüten, wie um uns gegen die Sonne zu schützen, zurücklehnten, schmeichelten wir uns. gerade so auszusehen, wie Megmatische deutsche Bauern aus einer benachbarten Colonie. Unser Mitschuldiger rauchte unerschütterlich und unaufhörlich; sein Freund beschäftigte sich mit den Pferden, und so fuhren wir, ohne uns nach den wachsamen Schildwachen umzusehen, sorglos in die Stadt ein und aßen eine halbe Stunde später unsere Beefsteaks in dem Hause eines würdigen Deutschen, der sich freute, uns empfangen zu können, nachdem wir die prüfenden Blicke ganzer Regimenter gewissenhaf« tcr Soldaten ausgehalten hatten. 48 Die Stadt Sebastopol. s6. Kap. Sechstes Kapitel. Sebastopol. — Die Flotte dcs schwarzen Meers und dcr Krieg km Kaukasus. Das zurückhaltende Wesen, welches uns als gesetzwidrigen Gästen in Sebastopol oblag, stimmte mit dem geheimnißvollen und mistrauischen Anstrich überein, den hier Alles trägt. Das argwöhnische Auge eines jeden Officiers oder Beamten, an welchem ich vorüberkam, erkältete mir das Blut in den Adern, welches auf den grenzenlosen Steppen oder an den wilden Bergesabhängen so lange an freie Cirkulation gewöhnt worden war. Ich hatte noch nicht zehn Schritte die Hauptstraße hinab gethan, als mein schuldiges Gewissen geschreckt und auch das letzte Atom Romantik aus meiner Phantasie hinwcggeschcuchtward, indem eine Schild« wache dicht neben mir plötzlich das Gewehr vor dem Gouverneur prasen« tirte, welcher zufällig vorüberging. Hier versetzte mich kein harmloser, verfallener, ans schwindelnder Klippe klebender alter Thnrm im Geiste in die Zeit der Größe Italiens zurück. Keine verschleierten Frauen nnd feine gesetzten Kameele trugen meine herumschweifcnde Phantasie nach dem üppigen Orient. Die einzig« Abwechselung in der Aussicht war die von der Mündung eines Scchsunddreißigpfünders in die eines Viernndscchzig-pfüuders. Ich sülilte mich fortwährend von dem peinlichen Bewußtsein bedrückt, daß mein Aussehen den Engländer verriethe und fürchtete, daß die an den Ecken der Straßen stehenden Soldatengruppen ein Complot zu unserer Festnahme schmiedeten. Wir wandelten nicht blos bildlich, son-dern auch buchstäblich in einem Pulvermagazin, welches jeden Augenblick in die Luft stiegen konnte. Die Einwohnerzahl von Sebastopol beläuft sich mit Einschluß dcs Militairs und der Marine auf vierzigtausend. Die Stadt ist in der That weiter nichts, als eine ungeheure Garnison und sieht imposant ans, weil so viele von den Häusern Kasernen oder Gouvernementsgebäude sind. Indessen fiel mir auch das massive Aussehen vieler Privathäuser auf, und die Hauptstraße war wirklich schöner als irgend cine, die ich seit der Abreise von Moskau gesehen hatte, während sie ihre außerordentliche Sau- 6. Kap-1 Der Haftn. 49 berkeit zahlreichen Trupps Militairstrafgefangencr verdankte, die fortwährend beschäftigt sind, sie zu kehren. Neue Häuser stiegen in allen Richtungen empor, an Ncgierungsbauten würd? ebenfalls noch rüstig gearbeitet, und Sebaftopol berechtigt zu der Erwartung, daß es unter den russischen Städten noch einen hohen Rang einnehmen werde. Der prächtige Meeres» arm, an welchem es liegt, ist der Millionen würdig, die darauf verwendet worden sind, um es zu einem angemessenen Aufbewahrungsorte für die russische Flotte zu machen. Als ich auf der schönen Treppe stand, welche nach dem Wafferrande hinabführt, zählte ich dreizehn Linienschiffe, die in dein Haupthaftn vor Anker lagen. Das neueste davou, ein stattlicher Dreidecker, lag innerhalb Pistolcnschußweile vom Kai. Die durchschnittliche Breite dieser Bucht beträgt tausend Schritt; zwei Arme zweigen sich davon ab, indem sie die Stadt in südlicher Richtung durchschneiden und Dampfer und kleinere Fahrzeuge tragen, außer einer langen Neihe von Rümpfen, die man in Magazine oder Gesängnißschiffe verwandelt bat. Der schwere Dienst, der so viele der schönsten Schiffe der russischen Flotte in diesen Zustand versetzt, besteht darin, daß sie acht oder zehn Jahre lang im stillen Schooßc des Hafens liegen. Nach Verlauf dieser Zeit gehell ihre Balken, die aus niemals ordentlich ausgetrocknetem Fich. ten' oder Tannenholz bestehen, in vollkommene Fäulniß über. Die Ul» fache davon liegt hauptsächlich indem dem Holze schon inwohnenden Keime der Verwesung und gcwissmnasmi auch den Verheerungen eines Wurms, welcher sich in den schlammigen Fluchen des Tschernoi Netka vorfindet, eines Flusses, welcher, nachdem er das Thal von Inkerman durchschnit» ten, in den obern Theil des Haupthafens fällt. Man sagt, daß dieses schädliche Insekt - welches in Salzwasser ebenso verderblich ist, wie im süßen — der russischen Regierung viele Tausende koste nnd eins der größten Hindernisse für die Bildung einer wirksamen Flotte auf dem schwarzen Meere sei. Es ist indeß schwierig, einzusehen, warum dies so sein müsse, sobald die Schiffe gehörig gekupfcrt sind, und eine genauere Bekanntschaft mit dem wirklichen Zustande der Dinge legt die Vermuthung nahe, daß die Angrisse der bei der Flotte angestellten Beamten für die Kasse der Regierung wat furchtbarer sind. als die Angriffe dieses Wurms, 'oer als ein Schwarz^ Wc«. 4 50 Russisches Schiffsbausystem. 16. Kap. bequemer Sündenbock vorgeschoben wird, wenn der gegenwärtige faule Zustand der Fiotte auf dem schwarzen Meere sich nicht auf andere Weise erklären läßt. Zur Widerlegung dieser Ansicht verweist man uns viel» leicht auf den besseren Znstand der Oststeflotte; dieser aber hat seinen Grund wahrscheinlich mehr in der Nahe des Hauptqualtieres, als in der Abwesenheit des Wurmes in jenen nordischen Meeren. Der Lohn der Matrosen ist so gering — ungefähr sechzehn Rubel jährlich — daß es ganz natürlich ist, wenn sie diesen kärglichen Sold durch jedes in ihren Kräften stehende Mittel zu vermehren suchen. Die Folge davon ist, daß von den Mitgliedern der Marinedirection an bis zu den Jungen, die aus dem Werft den Blasebalg der Schmiede ziehen, jeder die Beute theilt, die durch ein künstlich ansgesonnmeS Plünderungssystem erlangt wird, welches man ungefähr auf folgende Weise in Ausführung bringt: — Wenn eine gewisse Quantität gutgetrockneten Eichenholzes verlaugt wird, so erlaßt die Negierung Anfforderungm zur Lieferung des erforderlichen Bedarfs. Eine Anzahl Lieferanten reichen ihre Gebote bei einer zu diesem Zwecke ernannten Commission ein, die sich hinsichtlich der Wahl des Lieferanten nicht von der Höhe seines Gebotes, sondern durch die Höhe der Bestechung, die er bietet, bestimmen läßt. Das glückliche Individuum wählt nun sofort Uuterliefcrauten nach ungefähr demselben Systeme. Nachdem mit diesen ein Abkommen aus Lieferung des Bauholzes für die Hälfte des ursprünglichen Gebotes getroffen worden, setzt der Unterlieferant dieses Spiel weiter fort, uud vielleicht das achte Glied in dieser contrahirendcn Kette ist der Mann. welcher zu einem fast abgeschmackt niedrigen Preise die Lieferung des Holzes wirklich besorgt. Seine Agenten in den Centralpnwinzcn flößen demgemäß eine Quantität grüne Tannen nnd Fichten den Dnieper und Bug nach Niko» lajew hinnnter. wo sie endlich in die Hände des ersten Lieferanten gelan« gen, nachdem Jeder die Differenz zwischen seinem Contract »nd dem seines Nebenmannes in die Tasche gesteckt hat. Wenn das Holz endlich der zm Besichtigung ernannten Commission vorgelegt wird, reicht eine anderweite Bestechung hin, es trocken zu machen und die Ncgieruug ist. nachdem sie den Preis gutgetrocknetm Eichenholzes bezahlt hat, erstaunt, daß das daraus crbaule Kriegsschiff von hundertundzwanzig Kanonen nach simfIahren schon nicht mehr zu gebrauchen ist. 6. Kap.1 Dic Liefcrungscontracte. 5)1 Die reiche Crnte, welche für Die abfallt, welche den Bau und die Ausrnstnng des Ecbisses zu besorgen baden, wird mit ebenso leichter Mühe erlangt, und die Arboitl-r ans dem Werft trieben einen so umfassen' den Handel mit für Rechnung der ilteaurung eingekauften Tchiffsbestand-theilen, daß es Kauffahrteischiffen lange Zeit untersagt war. in diesen Haftn einzulaufen. Ich wnndcrtc mich. nachdem mir diese interessante Schildcrnng russische! Schlauheit gemacht worden war. nicht mehr. als ick erfuhr, daß sich von der imposanten vor uns liegenden Flotte nur zwei Sckisse wirklich in dem Zustande befanden, eine Reise um das Cap unternehmen zu können. Wenn mau daher bei Schätzung der Stärke der russischen Flotte die Schiffe in Abuia, bringt, die für alle praktischen Zwecke seeuntüchtig sind. so zeigt sich. daß die Flotte des schwarzen Meeres, dieser stehende Popanz der unglücklichen Pforte, zu einer Streitmacht zusammeuschwin-det. die blos im Verhältniß zn ihrem beschränkten Wirkungskreise und zu dem Feinde steht. mit welkem sie es in der Abwesenheit irgend einer andern europäischen Macht zu thun haben würde. Es ist kein Grund vorhanden, um auzunel'men. daß die Flotte eine Ausnahme von der Negel bilde: daß alle großen Nationalinstitnte Rußlands künstlich sind. Der Kaiser und die Armee dürfen nicht in diesem Lichte betrachtet werden, ob-schon die letztere ohne Zweifel die erste Gelegenheit benutzen wird, ihren Nuf wiederzugewinnen, der durch ihre häufigen Niederlagen im Kaukasus und das lächerliche Misgcschick einer der Divisionen gelitten bat, die auö Mangel an einem gehörig organisirten Commissariat zu« letzt gar nicht im Stande war. an dem letzten ungarischen Feldzuge theil» zunehmen. Während unseres Aufenthalts in Sevastopol herrschte die größte Aufregung; bedeutende Volksmassen waren aus allen Theilen des südli« chen RuMud herbeigelockt worden, um den Kaiser zu empfangen; die Marnison hatte ihre Kasernen getüncht und czemrte mit lobcnswerther Ausdauer, während die ganze Mannschaft deS Wcrfts schon seit Monaten beschäftigt war, die Schiffe in den präsentirbaren Zustand zu versetzen, welchen sie jetzt zeigten. Es scheint, daß nur eine kleine Anzahl Leute sich am Vord eines jeden Schiffes befindet, so lanc,e dasselbe im Hafen liegt, während der 4' 52 Flottenrevue. ^6. Kap. größere Theil der Mannschaft am Lande beschäftigt wird — ein System, welches nicht sehr geeignet ist, die Leute in der liebung zn erhalten. Da man glaubte, es werde ein Echisssmanöver nuter der persönlichen Aufsicht des Kaisers veranstaltet werden, so waren nicht wenig Exercitien nötbig, um den Werftstaub abzureiben, für welchen seine kaiserliche Majestät ei» besonders scharfes Auge besitzt. Es läßt sich aber kaum erwarten, daß Leute, deren Erfahrung im Seewesen sich niemals über den Bosporus Hinalis erstreckt bat, ebenso gnte Seeleute sein wer< den, als solche, welche fast jedes Jahr ihres Lebens einmal das Cap Horn umschifft haben. Die in einer solchen Pflanzschule. wie sie unsere Handelsmarine darbietet, gebildeten Seeleute müssen nothwendig ein ganz anderer Menschenschlag sein als die, welche auf dem Werft von Seba» stopol geschult werden. Mau will boshasterweise behaupten, daß bei den wenigen Gelegenheiten, wo dic russische Flotte im schwarzen Meere einen Sturm auszuhalten gehabt hat, der größere Theil der Ofsiciere und Mannschaften jedesmal seekrank gewesen sti. Gewiß ist, daß sie zuweilen nicht im Staude gewesen sind, zu fa< gen, wo sie sich beim Kreuzen aus ihrem umfangreichen Terrain befanden nnd man erzählt sich schmähsüchtigcrweise allgemein, daß der Admiral einmal zwischen Sebastopol und Odeffa so gänzlich die Richtung verloren hatte, daß sein Lieutenant, welcher ein Dorf an der Küste bemerkte, den Vorschlag machte, ans Land zu gehcu und sich nach dein Wege zu er» kundigen. Ich bedanerte, daß ich nicht in Sebastopol bleiben und die Nevue über die Flotte mit ansehcn tonnte, welche die Anwesenheit des Kaisers selbst noch interessanter gemacht haben würde. Da jedoch die Gefahr des Vntdecktwerdens durch die vermehrte Blosstcllung, welche dieses Schauspiel zur Folge gehabt hätte, bedeutend erhöbt worden wäre, so hielten wir es gerathen. beizeiten den Rückzug anzutreteu und entflohen zu Nichtcr's großem Aerqer am Tage vorher, ehe das große Ereiguiß stattfinden sollte, sodaß er sich genöthigt sah. sich im (Nciste die Knnd« gebungen der Loyalität auszumalen. womit seine kaiserliche Majestät auf jeden Fall bewillkommnet wurde. Der Kaiser begleitete, wie wir spater hörten, die Flotte nicht auf ihrer kurzen Kreuzfahrt anßerhalb des Hafens , sondern sprach sich sehr unzufrieden über ihre Leistungen aus. 6 Kapi Festungswerke von Erbastopol. 53 Nichts kann furchtbarer sein. als der Anblick Sebastopols von der Seeseite. Bei einer späteren Gelegenheit besuchten wires in einem Dampf« boote und fanden, daß wir an einem Punkte von nicht weniger als zwölf-hundert Geschützen beherrscht wurden. Zum Glück für eine feindliche Flotte horten wir später, daß diese Geschütze nicht abgefeuert werden könnten, ohne daß die morschen Vattericn zusammenbrächen, in welchen sie liegen, und die so schlecht geballt sind. daß sie aussehen, als ob sie auf Contractlieferuug errichtet waren. Vier von den Forts besteben aus drei Vatterieuetagen, Natürlich konnten wir blos einen sehr flüchtigen Uebcrblick von diesen berühmten Festungswerken gewinnen und ich kann daher nicht für die Wahrheit der Behauptung einstehen, daß die Näume, worin die lKeschiitze sich befinden, so eng nnd schlecht gelüftet seien, daß die Artilleristen unvermeidlich ersticken müßten, wenn sie ihre Geschütze abfeuerten. Oine Thatfache jedoch war nicht zu bezweifeln, nämlich daß wie gut die Zugänge nach Sebastopol zur See auch befestigt sein mögen, doch kein Hinderniß im Wege steht, wenige Meilen südlich von der Stadt eine beliebige Anzahl Truppen in einer der sccbs bequemen Buch» ten. mit welchen die Küste bis zum Cap Cherson versehen ist, ans Land zu setzen. Von hier aus könnten sie — vorausgesetzt daß sie stark genug wären, die Truppenmacht, die ihnen im offenen Felde entgegen» gestellt würde, ;u werfen — die Hauptstraße Hinabmarschiren, die Stadt und Festung schleifen und die Flotte verbrennen. Trotz der der Zahl nacb sehr starken Tinppenmacht, welche im süd. lichen Rußland steht, ist doch die Concentration der Armee auf irgend einen Punkt von der größten Schwierigkeit begleitet, so lange nicht ssiseu-bahnen das Land durchschneiden und die Wasscreommunicatioueu ver. bessert siud. Gegenwärtig bietet, mit Ausnahme von vier Monaten des Jahres. schon daS Klima fast unübersteigliche Hindernisse für die Bewegungen bedeutender Meuschcnmassen. Die Straßen sind im Frühling und Herbst für Fußgänger nicht ;u Passiren, und im Winter sind Truppenmarsche durch die ödni Steppen geradezu unmöglich. Außer den natürlichen Hindernissen aber, welche die Beschaffenheit des Landes, der Mangel an Straßen und die Strenge des Klimas entgegenstellen, werden alle militairischen Operationen auch nocb durch dasselbe großartige Be« 54 Speculationm in der Armee. ^6. Kap. stech'Mgssystem gelähmt, welches in dem Mannedepartement mit so vielem lßrfolge betrieben wird. In der That wäre es auch höchst unbillig, wenn nur der eine Dienst-zwcig den Gewinn ziehen sollte, der aus dieser Quelle hervorgeht. Die Mittheilungen, die mir über den Krieg im Kaukasus von Personen gemacht worden sind, welche aus eigener Anschauung sprachen, übertreffen Alles waS ich in dieser Beziehung für möglich gehalten hatte. Die furchtbare Sterblichkeit unter den dort verwendeten Truppen belauft sich jährlich auf ziemlich zwanzigtauscud Manu. Von diesen fallt der größere Theil Krankheiten n»d (5ntbchrnngen zum Opfer, welche letzteren ihren Grund in der Habgier der commandirendcu Officicre haben. die mit dem Commissariat eiuen so ausgedehnten Handel treiben, daß sie bald eiu bedeutendes Vermögen erwerben. Da sie bei ihren Geschäften mit den Lieferanten der Hecresbedürfuiffc keiner Coutrole unterworfen sind, so wird ihr Spcculationsgeist durch nichts gehemmt, und der Gewinn, den der Oberst eines Regiments jährlich außer seinem Solde in die Tasche steckt, wird auf achtzehn - bis zwanzigtansend Thaler geschätzt. Es ist kaum möglich, auf einen Blick die volle Wirkung eines die Kriegführung so lähmenden Verfahrens zu ermessen, oder sich sofort von der Thatsache zu überzeugen, daß die russische Armee, die der Zahl nach die jeder andern europäischen Macht so weit übertrifft nnd aus anscbeiuend unerschöpflichen Quellen rckrutirt wird. sich im Gruude genommen in einem sehr unwirk. samen Zustande befindet und keineswegs die übertriebene Meinungverdient, welche das britische Publicmu sich von derselben gemacht zu haben sckeint. Die Ebene von Krasnoje Eclo oder Wosinesensk uuter dem blendenden Glänze einer großen Parade in Gegenwart des Kaisers ist nicht der Platz, wo man sich einen richtigen begriff von der russischen Armee bilden kann. Das kaiserliche Spielwerk sieht in dem abgelegenen Kosakenwacht-hause, wo ich kaum im Stande gewesen bin, in dem zerlumpten und er« bärmlicheu Wesen, welches ich hier vor mir sah, den Soldaten zn erken» nen, oder anf ciucm beschwerlichen Marsche, oder in Gegenwart eines unerschrockenen Feindes ganz anders aus. Wir brauchen blos zu bedenken, daß die gegenwärtige Stellung Rußlands im Kaulasus trotz der ungeheuren Mittel, die auf diesen end« losen Krieg verwendet worden sind, seit den letzten zweinndzwanzig Iah- 6. Kap.I Summarische Bestrafung. 55 «n ganz dieselbe geblieben ist, um zu bemerken, daß das glänzende AuS-fehen des russischen Soldaten ans der Parade keinen Maßstab für seine Tüchtigkeit anf dem Schlachtfelde abgicbt, während von der groben Bestechlichkeit nnd schlechten Leitung, welche diesen Feldzug charaktcrisirt. lein überzeugenderer Beweis gewünscht werden lann, als die Thatsacke, daß eine Streitmacht von zwcibundcrttauscnd Mann von der kleineren, aber tapfern Schar, welche für ihre schneegekrönten Gebirge und ihre Freiheit kämpft, so lange im Schach gehalten worden ist. Eine sehr schöne Aussicht genießt man von dem Hügelrücken, anf welchem das Haus des Gouverneurs steht. Anf der einen Seite ziehen sich die Straßen parallel hinab bis an den Ncmd des Wassers; anf der andern dehnen sie sich in die alte Stadt hinunter, die früher unter dem Namen Achtiar bekannt war. (5s liegt weiter nichts Interessantes in dieser Ansammlung schmutziger Gassen, d^ von dei schmutzigen anrüchigen Bevölkerung bewohnt sind, welcher eine große Mllitair- oder Seestation allemal zum Sammclpnnktc dient. Als wir nicht lange nachher nach Scbastopol zurückkamen, hörten wir. daß der Kaiser dem nulitamscheu Theile der Einwohner ein Anden» keu hinterlassen hatte, welches darauf berechnet war, einen tiefen Eindruck zu hinterlassen. Kaum hatte er nämlich seinen fliegenden Besuch beendet und der Rauch des Dampfers, anf welchem er nach Odessa zurückkehrte, hing noch am Horizont, als schon mit halblautem Flüstern ein Soldat dem ander» anvertraute, daß ihre Reihen einen Zuwachs erhalten hätten, und als wir wieder in Sebastopol eintrafen, sagte man, daß der vormalige Gouverneur in dem verhangmßvollcn weißen ssostüm mit den übrigen Strafgefangenen beschäftigt sei. die Straßen zu fegen, durch welche er noch vierzehn Tage vorher mit all dem Pomp, der seiner hohen Stellung gebührte, dahingerollt war. Keine langwierige <5niuina!llntcrsuchn!ig hatte ihn in den Znstand verseht, in welchem er jetzt vor den Einwohnern seines vormaligen Gouvernements erschien. Der Machtspruch war er> gangen und alls dem G^i^alcommandantcn ward der Sträfling, welcher die Straße lehrte. Ich war sehr neugierig zu erfahren, welches Verbrechen einer so harten Züchtigung würdig erachtet worden sei, aber es wnr« den so widersprechende Gerüchte darüber verbreitet, daß man daraus deutlich sah. tS wisse Niemand etwaö rechtes darüber, mid wahrscheinlich wurde 56 Inkerman. l6. Kap. eS Niemandem schwerer als dem Bestraften selbst, das besondere Vergehen zu ermitteln, wegen dessen er in Ungnade gefallen war. Die allge, meine Meinung schien die zu sein, daß der Unglückliche in seiner fernen Provinz sich in den Schlaf der Sicherheit gelullt und weil er sich in die» sem entlegenen Winkel des Reiches unbemerkt glaubte, versäumt hatte, bci der Entgegennahme der Bestechungen und anderen Geschenke jene gewohnte Vorsicht zu üben, welche die erste und nothwendigste Eigenschaft eines hochgestellten Mannes in Rnßland ist. und ohne die er niemals Beförderung in der Armee erwarten oder mit Erfolg die Stellung eineö Gouverneurs bekleiden kann. Zugleich sind die Ausgaben, welche e<» Gouverneur zu bestreitcn hat, in der Ncgel so bedeutend, daß er mit Schüchternheit oder Gewissenhaftigkeit in der Negel'nicht sehr weit kommt. Ich glaube es ist der Marquis von Enstine, welcher sagt, daß mit halben Maßregeln beim Plündern hier nichts ausgerichtet ist. Wenn ein Beamter sich während der Zeit, wo er seine Stelle bekleidet, nicht hinlänglich bereichert hat, um auch die Nichter bestechen zu können, welche ihn wegen seiner Unredlichkeiten vcrurtheilen sollen, so beschließt er seine Tage ganz gewiß in Sibirien, sodasi wmn er die Betrügerei nicht in großartigem Maßstabe betrieben hat, ihm kaum eine Entschädigung für jeme Mühe und Angst übrig bleibt. Wabrscheinlich hatte General - darauf gerechnet. vor den gewöhnlichen Gerichtshof gestellt zu werden und war daher auf die entschiedenen Maßregeln ftines kaiserlichen Herrn ganz Mvorbereitcl. Uns wieder auf unsere Heubündel schcnd, rumpelten wir fort von Sebastopol, an den berühmten Docks vorüber, die unter der geschickten Lci» ümg des Oberst Upton mit ungeheuern Kasten cibaut worden sind. und kamen bald darauf in das liebliche Thal von Inkerman hinab, von welchem aus jene Docks durch einen zwei und eine balbe Meile langen Kanal mit Waffer versehen werden, Der Tunnel in Inkerman, durch welchen dieser Kanal führt, ist gegen vierhundert Schritt lang. Die Hügel/welche die. ses Thal einschließen, liefm, den Quaderstein, von dem die Stadt und die Docks von Eebastopol erbaut sind, und die Steinbrüche sind so vortheil-liaft gelegen, daß die Steine auf der ganzen Strecke zu Wasser transports werden können. Dic Merkwürdigkeiten Inkerman'S—der „Stadt dn Grot« ten" — fmd indessen mehr in den Ueberresten zu suchen, die noch hier vor» 6. Kap.) Die Höhlenstadt, 57 Handen sind und von entschwundenen Völkern erzählen, als in diesen Vau° werken, welche die Ausdauer und das Genie der Neuzeit docnmentiren. Die steilen Klippen, zwischen welchen der Tschernoi Netka stießt, sind über und über mit Zellen und Kapellen bedeckt. Der Ursprung dieser merk-würdigen Vrotten ist ungewiß; man glaubt aber, sie seien während der Herrschaft der Kaiser in den mittlern oder spätern Jahrhunderten von den Mönchen ausgehöhlt worden. Als dieAriancr, welche den Chcrsonesns bewohnten, von der damals vorherrschenden griechischen Kirche verfolgt wur» den, flüchteten sich die Mitglieder dieser Secte in jene sondnbaren Wohnun' gen, deren hohe, unzugängliche Lage sie in gewissem lNrade sicher maä'te. Die größte Kapelle, welche alle charakteristischen Kennzeichen der by. zantmischen Architektur darbietet, ist ungefähr vierundzwanzig Fuß lang und zwölf Fnß breit. In vielen dieser Zellen hat man Sarkophage, die gewöhnlich aber ganz leer waren, gefimdm; die Zellen stehen oft unter einander in Verbindung und man gelangt zu ihnen auf in den Fclsex gehauenen Treppen. Anf derselben Klippe und aus einer viel frühern Zeit herrührend als die Mrotten. stehen die verfallenen Mauern einer alten Festung. Qb diesel» bm die Uebencste dcs Ctenuö der Alten, welches von Diophantrs, dem Feldherrn deS Mithridates, zur Befestigung des herallischcn Walls erbaut ward. oder deö Thcodori der kriechen, oder irgend einer genuesischen Festung sind — dies ist bis jctzt nock eine schr offene Frage. Die Aussicht von der Heerstraße nach Baktschi Eerai in das Thal von Inkerman mit seinen durchlöcherten Felsen und seiner verfallenen Fe-ftnng. ist ebenso merkwürdig als scl'öu. Eine malerische alte Brücke im Vordergründe wölbt sich über den tragen Fluß, der sich durch die üppigste Vegetation dahin schlangelt. Die Ebenen von Baidar schienen mir weder mit diesem Thale. noch mit dem Thal von Valbeck, in welches wir kurz darauf hiuabkamen und dessen Reichthum alles überstieg, was wir bis jetzt gesehen, einen Vergleich aushalten zu können. Die Straße folgt eine Zeit lang dem Laufe des Val. beck, der von sich weit ausbreitenden Bäumen überschattet wird und durch Gärten stießt, deren Productc so mannigfaltig sind, daß die Aufzählung derselben eine ebenso ermüdende als hoffnungslose Aufgabe sein würde. 58 Kameelhccrden. 16. Kap. Wir begegneten einer großen Anzahl mit loyalen Unterthanen gefüllter Wagen, die nach Sewastopol eilten; viele davon waren Freunde Richter's. Sie schienen über die Gesellschaft, in der er sich befand und über die Richtung, in welcher er reiste, so entsetzt zu sein, daß sie seinen Gruß zu erwiedern vergaßen. Kaum waren wir au seinen Freunden vor« über als wir einigen von den unseren begegneten. Eine lange Reihe Te« legen, von russischen MuschilS in Bärten und Schafspelzen gelenkt, kam laugsam durch das Thal. und als wir fanden, daß sie mit Waaren von der Messe in Nischnei beladen waren, betrachteten wir diese vertrauten Gestalten als alte Vckannte, wiewohl wir es unter den obwaltenden Um» ständen nicht für räthlich hielten, die Bekanntschaft zu erneuen. Sie nehmen als Rückladung gewöhnlich gedörrte Früchte und krimischen Wein. Bei dem großen und malerischen Dorfe Dewonkoi verließen wir das Thal und kamen bald darauf an der Wohnung eines tatarischen Edelmannes vorbei, der wegen seines großen Neichthnms berühmt war. Seine Reichthümer schienen etwas patriarchalischer Art zu sein, denn eine unge» hcure Hcerde Kameele, welche über einen großen Flachenraum zerstreut war. wurde eben von den Hirten zusammengetrieben. Es war ein inter» essanter Anblick am stillen Abend diesen unzicrlichen Geschöpfe» zuzusehen, wie sie über die weiten Grasslächen stelzten, untermischt mit Schafheerden, die sich durch ihre kurze, krause Wolle von blaugraucr Farbe von denen aller andern Länder unterscheiden. Die Race, welche diese Wolle erzeugt, wird in der Krim sebr geschäht uud nur in gewissen Gegenden dieser Provinz gezüchtet. Große Quantitäten Lammfelle, „Echumsli" genannt, werden alljährlich nach Polen und den benachbarten Ländern ausgeführt. An Ort und Stelle kosten sie drei bis fünf Thaler das Stück. Es war. als wir in das enge Thal tamen, in welchem die alte ta« tarische Hauptstadt Baktschi Serai liegt, so finster, daß es uns viel Mühe kostete, den verfallenen Thorweg zu finden, den wir nothwendig passiren mußten, wenn wir in die Hauptstraße gelangen wollten; dann rumpelten wir über das holprige Pflaster unendlich lange zwischen niedrigen, verlassen aussehenden Wohnungen hin. Endlich stiegen Nichter und der Fuhrmanu, der sich vergebens nach dem Lichtschimmer umgesehen, welcher in einer tatarischen Stadt das einzige Wahrzeichen einer öffentlichen Herberge ist, ab, um Erkundigungen einzuziehe» und ließen uns auf der 6. Kap.1 Ankunft in Battschi Serai. 59 schmalen, stillen Straße stehen. Hier warteten wir, bis meine Phantasie, dnrch die Aufregung des Tages ermüdet, die schlafende Stadt mit den verschleierten Geistern tatarischer Frauen bevölkerte, welche ich in den schwarzen Gäßchen, die sich rechts und links von unserm Standpunkte öffneten, in Gcselllfchast einiger Mönche hernmwandeln zu sehen glaubte, deren (Vebeine in den trotten von Inkcnnan bleichten. Ein plötzlicher Stoß des Wagens erweckte mich zum Bewußtsein der Unschicklichkeit, deren meine Phantasie sich schuldig gemacht und ich sand, daß unsere Späher zurückgekehrt waren, und zwar dnrch einen so schwachen Hoffnungsstrahl erheitert, daft derselbe ohne Zweifel dem Lichtstrahl angemessen war. dem er seine Entstehung verdankte. Indessen, als wir in den Hofraum einfuhren, sahen wir uns in einem unbestreitbaren Khan. Derselbe war mit allen nnr erdenklichen Arten von Fuhr. werken angefüllt, während eine Anzahl kleiner Thüren auf eine niedrige hölzerne Galerie führte, die ringsherum lief und uuter welcher eine Anzahl Pferde ihre Stalle hatte. Die Zimmer standen im Verhältniß zu der Größe der Thüren und wir erhielten das noch am besten ausgestattete Gemach, in welchem nur eben Naum für drei schmierige Pritschen war. Da wir seit unserer Abreise aus Sevastopol nichts genossen hatten und jetzt fanden, daß in dem Khan keine Lcbensnnttel zu haben waren, so mtternahmen wir in der unbestimmten aber verzweifelten Hoffnung, etwas zu essen aufzutreibcn, eine (Spedition in die Stadt. Alle unsere Bemühungen, Bäcker nnd Fleischer herauszupochen, schlugen aber fehl; wir erhielten hinter den verschlossenen Laden hervor nur schimpfende Antwor-ten und waren daher genöthigt, nach unserm Khan zurückzukehren und ein aus dickem Kaffee und schwärzerem und saurerem Brode als gewöhn« lich bestehendes Souper zu uns zu nehmen. Nach einigen tröstenden Tschibuks streckten wir uus auf die hölzernen Lagerstätten und wurden durch die leisen eintönigen Worte eines alten Mollahs eingelullt, der in dem anstoßenden Gastzimmer eine Geschichte erzählte, die, nach den keine Miene verändernden Gesichtern seiner Zuhörer zu urtheilen, ganz geeignet war, auch auf diese eine ähnliche Wirkung hervorzubringen. 60 Baktschi Serai. ^. Kap. Siebentes Kapitel. Battschi Sevai. — Der Palast der Khane. — Tschafat Kaie. — Kara'ttm. — Das Kloster Uspenskoi. Der Uebergang von Sevastopol, der Stadt der Casernen und Werfte, nach Vaktschi Serai, dem „Serail der Garten/' war ebenso angenehm als plötzlich. Hier in einem abgeschlossenen, von der Welt dnrch die phantastischen Felscngebirge, die es umringen, geschiedenen Thale, liegt die alte Hauptstadt der krimischen Tatarei im Schoße der üppigsten Vegetation. Diese überragend zieht sich ein Wald von schlanken Minarets und schwankenden Pappeln weit das schmale Thal hinauf und bildet die einzigen Anzeichen, welche die Existenz der tiefer verborgenen Wohnungen vermuthen lassen. Die Bevölkerung ist gerade noch dieselbe wie sie von jeher gewesen; es find keine sichtbaren Spuren von der großen Veränderung vorhanden, welche in dem Zustande des Tataren vorgegangen ist — nichts verräth die Macht, welcher er jetzt Treue und Gehorsam schuldet. Der Halb' mond und das Kreuz concurriren hier nicht mit einander; ehrwürdige Moscheen werden nicht durch grüne mit Sternen besäete Dome auf die Seite gedrängt; der Nuf des Muezzim wird nicht durch das Dröhnen unharmonischer Glocken übertäubt; keine rücksichtslose Droschke droht den Fußganger ohne Weiteres über den Haufen zu rennen; kein taumelnder Muschik belästigt ihn mit seinen trunkenen Liebkosungen; kein zudringlicher Handelsmann schreit von der Thür seines Kaufladens laut hinter iluu her. Stände nM der Kosak im Thorwege des Palastes der Khane Schildwacht, so könnte man glauben, dicsc verödeten Hallen seien noch von dem bcturbantön Gefolge früherer Jahre erfüllt und der leere Harem noch von dunkeläugigen Houris bewohnt. Es warangenehm, sich nach der barbarischenNohheit des nordischen Despotismus von einem wenn auch niedrigen Grad orientalischer Civilisation umgeben zu sehen; aber wie schwierig war es, die Thatsache für möglich zu halten, daß der würdevolle Tatar, der uns mit „Sabani chair" begrüßte, ein Mitunierthan des zwcrghasten Lappländers ist und daß nicht 7. Kap.) Buntc Bevölkerung. 61 sechs Meilen weit von hier ihr gemeinsamer Herrscher, von seinen nws« kritischen Unterthanen umringt, die Existenz dieser Stadt gar »icht zu kennen schien, der frühern Hanptstadt eines Reiches, vor dessen Fürsten einst seine Almen erzitterten. Ein Wort zu der Armee, welche cr jetzt musterte, konnte den Geschicken Europas eine andere Wendnng gebe»; aber die Einwohner von Baktschi Tcrai waren gegen ihren Kaiser ebenso stolz gleichgiltig, wie er gegen sie und kümmerten sich mn die Geschicke Eniopas nicht im mindesten. Die am Abend vorker so schweigsame Hauptstraße war jetzt voll Leben und Thätigkeit. Sie ist beinahe eine halbe Stunde lang und so schmal, daß kaum zwei Karren an einander vorüber können. Zum Glück ist dies ein Fall, der sich nicht oft ereignet und die geschäftige Menge, welche sich in dieser Straße bewegt und die säst gänzlich aus Tataren, Karmtcn, Juden und Zigeunern besteht, wird durch das Erscheinen eines Näderfnhrwcrks überbanpt außerordentlich wenig incommodirt. Als wir uns nnter diese dnnte Menschenmasse mischten, war nnsere Aufmerksamkeit zwischen der Mainngfaltigkeit der Physiognomien und Trachten, die wir hier sahen, und der wunderbaren Menge der in den offe. ncn Läden zum Verkauf ausgestellten Waaren getheilt. Diese Laden haben vorn keine Mauer und werden deS Nachts mittelst hölzerner Läden geschlossen, die dann während des Tages eine Art Ladentisch bilden. Auf diesem sitzt der Verkäufer mit untergeschlagenen Beinen, eifrig mit der Fabrikation des Artikels beschäftigt, dcn er verkauft, und läßt sich nur dnrch den Eintritt eines Kunden von seiner Arbeit abwendig machen. AuS der Art und Weise, wie diese Laden neben einander geordnet waren, schloß ich, daß dieMitglieder einer jcdeu Zunft in für sie bestimmten Abtheilungen beisammen saßen. To kamen wir, als wir unser» Khan verließen und die Hauptstraße nach dem Palast hinaufgingen, zu» nächst an einem Bazar vorüber, in welchem Schafpelz »Mützen sabiicirt wurden. Hier braucht der Käufer, wenn er keine Mütze nach seinem Geschmack fertig vorfindet, blos ein Fell auszuwählen und sich über den Preis zn einigen und erhält dann den Artikel ehe noch eine Stuude um ist. Die eigenthümlichsten sind die von dem schon erwähnten Schumski oder Lammfell mit der kurzen. krausen Wolle von blaugrauer Farbe gefertigten. Nach den Mützenfabrikanten kommen die Lederarbeiter, um« 62 Tatarisches Speisehaus. l?. Kap. ringt von hoben Stößen von Sätteln, rmbgestickten Gürteln, Tabakstaschen und abgeschmackt allssehenden Peitschen, mit einem breiten stachen Stück Leder am Ende des Riemens und einem Messer, welches in dem Griff verborgen ist. Gegenüber sitzen Pantoffelmacher und Schneider, während die Messerschmiede ein sebr umfangreiches Gebiet einnehmen und wegen der vortrefflichen tatarischen Messer berühmt sind, die sie fabriciren. Es ist sehr interessant, die Verfertigung des Gegenstandes, den man zu kaufen wünscht, mit ansehen zu können und ich zweifle nicht, daß es auch eine sehr einträgliche Methode ist, wenn man dem Publicum gestattet, einen Blick in das innere Getriebe eines Handwerks zu werfen. Eo war es uns zum Beispiel unmöglich, einen Mann eine Mütze macheu zu sehen und sie dann, als sie fertig war. nicht zu kaufen. Wir gingen so lange von einer Abtheilung dieser freundlichen Geschäftsleute zur andern herum, daß es schon spät am Tage war, ehe ich mich zu fragen begann, ob wir denn niemals in eine Abtheilung kamen, wo Lebensmittel verkauft würden. Bis jetzt hatten wir, seitdem wir Se-bastopol verlassen, blos unsere Augen tractirt. wahrend Richter sich einzig und allein von seiner Pfeife ernährt hatte. Als er jetzt vorschlug, ein Speisehaus aufzusuchen, waren wir sofort damit einverstanden und wurden bald durch Hammelfleischdüfte nach einem großen Eckhaus gelockt, aus welchem eine wohlriechende Dampfwolke aufstieg. Hier stand eine Anzahl von Leuten auf freier Straße und Alle langten in ungeheure hervorragende Suppenkessel hinein, aus welchen fie viereckige Stücken fetten Fleisches hervorholten, die sie unter der Menge auf- und abgehend mit großem Appetit verzehrten. Da uns diese ul l'l^o« - Methode des Di-nirens nicht recht zusagte und wir auch fürchteten, über den Haufen gerannt zu werden, während wir uns iu ein interessantes Stück vertieften, so waren wir froh. als wir bemerkten, daß es nicht nöthig war, in einer Suvptnküche zu Baktschi Serai erst ein Einlaßbillet zu präsentiren. Wir traten daher ein und setzten uns auf eine schmale Bank, hinter ein sehr schmieriges Brett, welches die Festtafel vorstellte. Da wir von der Straße aus ganz gut gesehen werde» konuten, so saßen wir den sich hier herumtreibenden Bummlern für die Nengier. mit der sie uns betrachteten, sehr bequem und wir erbauten uns wechselseitig, indem wir einander angafften. 7. Kap.) Improvisirte Mahlzeit. ti^; Unsere Aufmerksamkeit wendete sich indessen sehr bald dem Oberkoch zu. welcher uns in der einen Hand einen gekochten Hammelskopf brachte, wahrend er mit der andern die durch seine Finger sickernde Brühe auf einem Laib schwarzen Brotes aufzufangen suchte. Er legte beides vor uns auf den saubersten Tbcil des Brettes, den wir ausfindig machen könn» ten und war offenbar der Meinung, daß nun für alle unsere Bedürfnisse gesorgt sei. Wir begannen sofort mit unsern Federmessern an dem Tchafkopf herumzuschnitzen. von welchem vorher alles entfernt worden zu sein schien bis auf die Augen, nud mit Hilfe einiger Kibabs — viereckiger an ein Nohr gereihter Stücke fetten Fleisches — gelang es nns, eine Mahlzeit zu halten, die nnS für die noch übrige Zeit des Tages satt machte. Ueberhanvt würde es in Baktschi Serai nicht gut möglich sein, zu verhungern, denn die Haufen herrlicher Früchte, von welchen die Straße mehrere hundert Schritt weit eingefaßt ist, würden stets ein reichliches, wenn auch etwas ungesundes Mahl liefern. Weintranben, Feigen, lNranat« äpfel, Pfirsichen, Nectarmen nnd Aprikosen laden den Vorübergehenden bei jedem Schritte znr Erfrischung ein, während, ihm gleichsam seine Un> klughcit sanft verweisend, unzählige Quellen des reinsten Wassers an« der Bergwand hervorsprudeln und der durstigen Seele Einladnngen ent» gegcnimmueln, denen man nur schwer widerstehen kann. Aus einer dieser Quellen, welche zehn Rohren hat, fallen die fun> kelnden Ströme auf Marmorplatten. Gin fortwährendes Nieseln rauscht auf allen Seiten, sowie die klaren kleinen Bäche von dem Schmutz der Stadt hinwegzueilen scheinen, nin sich so schnell als möglich in den Flu« then des Dschnrnl Su zu verlieren, an dessen Ufern Baktschi Terai liegt. Wir machten unö der Lcckcrhastigkeit schuldig, nach unserm uuge» nügenden Mahl eine etwas kräftigere Erfrischung zu suchen als uns diese hellen Fontänen gewährt haben würden, und wir hätten verdient, von dem seltsamen (Vebräu halb vergiftet zu werden, welches man uns in dem „Busa"«Keller, in den wir uns begaben, vorsetzte. Hier lagerten Fasser mit diesem Getränk, das aus gegohrencm Hirftsamen gewonnen und von den Tataren sehr hoch geschätzt wird, in einem niedrigen Zimmer, wo uns diese Flüssigkeit in irdenen Krugen gereicht ward. Ihre außerordent« liche Herbheit aber machte sie zu einem nichts weniger als angenehmen Getränk. 64 Kara'ltinnm. 17. Kap. Wir hatten nun die ganze Länge der Hanvtstraße durchschnitten und erreichten einen kleinen Platz, auf deffcu rechter Seite der weitberühmte Palast der Kbane stand. Meine Aufmerkfamfcit ward jedoch noch unmittelbarer durch eine Anzahl Frauen angezogen, welche hier versammelt waren lind die mit einem Blick die verschiedenen Menschenracen überschauen ließen, welche man gewöhnlich in Baktfchi Scrai antrifft. Es ist für die tatarischen Damen ganz gewiß eine große Wohlthat, daß ihre Neligion cS ihnen zur Pflicht mackt, öffentlich nnr verschleiert zu er« scheinen, denn ich zweifle nicht, daß sie von den liebenswürdigen Jüdinnen, deren anmuthige Tracht in der Gruppe, die wir hier sahen, einen sehr günstigen Gegensatz zu der ihrer schwerfälligen Genossinnen bildete, gänzlich verdunkelt werden würden. Diese karcütischen Mädchen hadcn durchaus nichts Israelitisches — die griechische Nase und die feurigen Nüstern, die knrze stolze Oberlippe und der feingeschnittene Mund scheinen fast ihren hebräischen Ursprung zu verleugnen. während die großen, tiefliegenden Augen keines weißen Feridschi bedürfen, um ihrem Glanz eine erhöhte Wirkung zu geben. Sie ftebcn unter einem alten Bogengang beisammen und kntisiren lachend die Fremden, eine Beschäftigung, welche nicht den Beifall ihres Herrn und Meisters finden würde, welcher ebenso wie seine übrigen Glaubensgenossen an den Vorurthcilen der wahren Glänbigen festhält und den weiblichen Theil seines Haushalts eifersüchtig hütet. Nicht weit von ihnen treiben sich einige abenteuerlich costümirte Zigeunerinnen mit wirrem Haar unruhig umher; sie haben ihre Felsenhöhlen verlassen um ihrer allgemein anerkannten Beschäftigung des Bettclns und Stehlen« nachzugehen. Mir schien e.s, als gäbe es in Baktschi Serai weiter keine Nüssen als die Soldaten, welche den Palast bewachten. Ich hörte später, daß es durch ein kaiserliches Ukas den Russen untersagt ist, sich '" dem Thale anzusiedeln — ein sehr ungewöhnliches Beispiel von Großmuth und Rücksicht von Seiten der Regierung. Wir bedauerten fast. nachdem wir den eommandirenden Officier gesprochen, daß wir unsern Aufenthalt nicht in den Zimmern genommen hatten, welche zur Beherbergung von Fremden in dem Palaste eingerichtet sind; indessen erachteten wir es kaum der Mühe werth, jetzt noch un- 7. Kap.1 Dcr Palast der Khane. 65 sere einmal gewäblte Wobmmg selbst gegen königliche Gcniacker zu vertauschen und begnügten uns daher, nnt^r derFübrung eines geschwätzigen alten Soldaten den früher» Wohnsitz der Khane in Augenschein zn nehmen. Nachdem wit den Graben überschritten hatten, kamen wir durch einen massiven gemalten Thorweg mit vorspringenden Dachtraufen und ich war nicht weniger erstaunt als erfreut über die eigenthümliche Neihe von Gc> bänden, welche hier auf allen Seiten meinem Auge begegneten, Auf der rechten Seite eines großen mit Gras bewachsenen Hofes steht der un-regelmaßtge, nnznsammcnhangende Palast, mit bunten Mauern und schön verzierten Spalieren, a^i welchen sich Weinstöcke emporranken und kleinen Gitterfenstern, welche die Aussicht ans duftige Mrten gewähren, während alles dies durch einen achteckigen hölzernen Thnrm mit einem chinesisch aufsehenden Dack überragt wird. Links steht eine Anzahl zweistöckiger Gebäude mit von verzierten Säulen getragenen Balkönen, und nicht weit davon ein Mausoleum nnd eine Moschee mit zwei hohen Minareten — dem Wahrzeichen der Herrscherwürde. Ein schöner, von Weiden beschatteter Springbrunnen steht dem kleinen Eingänge gegenüber nnd hinter demselben ist der Hof durch die Mauern eines Fruchtgartens geschlossen, der auf einer von Terrassen durchschnittenen Anhöhe liegt. Wir schienen in der Arena eines Amphitheaters zn sein, dessen Sitze die stachen Dächer der gleichsam in Reiben an den Bergwänden befestigten Tatarenhänser vorstellten. Längs der S-iten dieser Verge waren häufig Grotten zu sehen, die viel Achnlichkeit mit den Löchern eines Tanbenschlags hatten. Nichts kaun gleichförmiger sein als der Anblick der Stadt von dem Hofe des Palastes aus, wäbrcnd riesige Felsen von grotesker Form mitten in der Luft schweben und Alles zu vernichten drohen, was von der Hauptstadt dieses einst so machtigen Reiches noch übrig ist. Das eiserne Thor am Eingänge des Palastes trägt die Inschrift: „Der Herr dieses Thores, welcher diese Provinz erobert hat. ist der hoch erhabene Hadschi Giri Kban, Sohn des Mingli Giri Khan. Möge Gott der Herr dem Mingli Giri Khan. ebenso wie seinem Vater und seiner Mutter da« höchste Glück verleihen." Als wir in die Hauptvorhalle traten, bemerkten wir den berühre tcu Thränenbrunuen, der unter den Nnfsen durch Nikolaus Puschkin's TchwarzcS Meci. 5 66 Das Innere des Palastes. >7. Kap. Gedicht verewigt worden ist. Diese Halle fübrt durch Bogengänge in die Gälten des Serails und aus derselben steigen dunkle Treppen empor und enden in schmalen Wangen, welche wieder zu glänzend verzierten, geräumigen Galerien fübren. Durch die letzteren wandernd, verlieren wir uns endlich in ein La« byrinth von kleinen Gemächern, die sich kaum von einander unterscheiden und durch Thüröffnungen mit einander verbunden sind, in welchen schwere Seidcnvorhänge hin- und herwehcn. Wir gleiten geräuschlos über die weichen türkischen Teppiche hinweg, als ob wir das Gemach des To» des beträten. Vs lag etwas Angemessenes in dem geheimnisvollen Schweigen, welches alle unsere Bewegungen charakterisirte, während wir von einem so frischen und substantiellen Luxus umgeben waren, daß es schien, als ob seine Besitzer nur eben erst ans der feenhaften Umgebung, die sie um sich heraufbeschworen hatten, auf immer entschwunden wären. Hier gab es breite karmoisinrothe Divans, sorgfältig über den vergitter» ten Fenstern dravirte reich gestickte Vorhänge und Tapeten von kostbarem, herrlich gearbeitetem Atlas, welche die Wände verdecken oder sonderbarer Weise von halbrunden Vorsprüngen über den Kaminen herabhängen — ein eitler Glanz, dem man nicht erlaubt hat, mit seinen ursprünglichen Besitzern zugleich zu erbleichen und zu verschwinden, sondern in all seiner bunten Farbenpracht beibehielt, wie um das Andenken Derer zu verspotten, deren verweichlichten Geschmacksrichtungen er einst dienst« bar war. Die moskowitischen Eouveraine haben es indeß nicht verschmäht, in dem frühern Wohnsitze der Khane einen vorübergehenden Aufenthalt zu nehmen und der Führer glaubt natürlich, der interessanteste Gegenstand in dem Palaste sei das Bett, in welchem die Kaiserin Katharina ge» schlafen hat. Wir trieben ihn schnell weiter nach dem Zimmer der Maria Potocki, an welches sich romantischere Erinnerungen knüpfen. Hier wohnte die verblendete Grasin zehn Jahre lang in der Hoffnung, eine Vereinbarung zwischen ihrem Gewissen und ihrer Leidenschaft für den Khan durch ein religiösen Uebungen gewidmetes Leben zu Vtande zu bringen, während sie sich zugleich dazu verstand in dem Palaste des Un» glänbigen unumschränkt zu herrschen. Die zu ihrem Gebrauche bestimmt gewesenen Gegenstände sind auf das Luxuriöseste eingerichtet und ein ho« 7. Kap.) Kapelle dcr Marir Potocki. 67 her Saal mit auf Marmorplatten herabplatschernden Fontainen tragt ihren Namen. Dicht daran stößt eine katholische Kapelle, welche von dem verliebten Khan ausdrücklich zn ihrem Gebranche erbaut worden war. Diese Khane müssen überhaupt etwas laxe Muhamedaner gewesen sein. Viele der Zimmer sind mit Abbildnngen von Vögeln, vierfüßigm Thieren und Schlangen in allen nur erdenklichen grotesken Formen angefüllt, wahrend, wie um diese offene Uebertretung des Korans wieder gut zn machen, eine Menge Sprüche aus diesem heiligen Buche an den Wänden angeschrieben stehen. Ems dcr eigenthümlichsten Gemächer in diesem eigenthümlichen Palaste ist cm großer Glaspavillon. von einem Divan nmgeben >md auf die unorthodozeste Weise decorirt, worin eine Fontaine in einem Porphyrbassin spielt. Aus diesem Pavillon gelangt man in einen Blumengarten, an dessen anderem Gnde sich ein von einem herrlichen alten Weinstock überschattetes marmornes Bad befindet, welches durch die umsichtige Galanterie Potcmkm's für die Kaiserin Katharina angelegt und durch Cascaden von dem Brunnen von Salsabil gespeist ward. Der Günstling lebte umschlossen von herrlichen Gärten in dem jetzt verödeten Harem während seine kaiserliche Gebieterin in dem Palaste verweilte, zu welchem man aus dem Harem durch eine Neihc Pavillons und Verandas gelangt. In Verbindung damit steht der acht« eckige Thurm und die Meinungen sind darüber getheilt, ob die Khane ihn znr Wohnung ihrer Frauen oder ihrer Falken bestimmt hatten. Da er gerade aussieht wie ein großer hölzerner Käsig, so ist seine Construction weiter nicht geeignet, hierüber Licht zn verbreiten. Zwischen den Gittern hindurch genießt man eine sehr schöne panoramische Aussicht auf die Stadt und den Palast. Wir schritten — nm uns in christlicher Ausdrucksweise zu bewegen — auf der königlichen Treppe in die königliche Moschee und besichtigten den königlichen Betstuhl, hinter dessen Gitter hervor die tanzenden Derwische und religiösen Ceremonien der Kirche ungesehen beobachtet werden konnten. Diese Moschee ist ein geräumiges Gebäude und über der Hauptthür, der Straße gegenüber, befindet sich folgende charakteristische Inschrift: „Wer ist Hadschi Sclim? Der berühmteste aller Khane, der Liebling Gottes. Möge Gott der Herr ihn zum Lohn für die Errichtung 6ss Mausoleum der Khane. s7. Kap. dieser Moschee mit allen Segnungen überschütten. Selim Giri Khan ist in seinem Dasein mit dem Rosenbaum zu vergleichen. Sein Soh» ist eine Rose. Jeder ist nach der Reihe mit den Ehren des Serails gekrönt worden. Der Nosenbaum hat von neuem geblüht; seine einzige frische Rose ist der Löwe des Padischah der Krim - Sehlamet Giri Khan. Gott hat meinen Wunsch in dieser Inschrift erfüllt. Nur Gott dem Herrn allein ist von Sehlamet Giri Khan diese Moschee errichtet worden." Da wir mm dm frühern Wohnsitz der Khane gesehen, so wünschten wir auch ihren gegenwärtigen Ruheplatz zu besuchen. Indem wir es'daher den Springbrunnen überließen, in schweigenden Hallen zu spielen und zu plätschern, und den Divans, unbewohnte Zimmer zu schmücken, und den Bäumen, in verlassenen Gärten zu blühen und sie mit ihrem Wohl-gerueb zu erfüllen, traten wir in die gewölbten Grüfte, in welchen die berühmtesten Khane rnhen. Hier hielt ein alter ehrwürdiger Hadschi zitternd das düster flackernde Licht empor um uns in den Stand zu setzen, die beturbanten Grabsteine ordentlich zu überschauen. Als wir wieder hinausgingen, wandelten wir dnrch den Begräbnißplatz, wo Wemstöcke sich über die zerbröckelnden Ruinen ranken, die von entschwundener Größe erzählen, und Alles schien denselben Weg zu wandeln, den die Bewohner dieser steinernen verzierten Grabmäler bereits zurückgelegt hatten. Da mein Freund von einem Nückfall des Wolgasiebcrs heimgesucht wurde, so blieben wir einige Tage in Baktschi Serai. Ich konnte mich über diesen Aufschub nur freuen, wi? sehr ich anch die Ursache desselben und die Unbequemlichkeiten unseres Quartiers für einen Kranken be« dauerte. Obschon es jetzt ziemlich spät im Jahre war, so war doch die Hitze uoch außerordentlich nnd die fürchterlichen Flicgenschwärme, welche sich an Mohamedanem mehr zu laben scheinen als an den Bckennern irgend eines andern Glaubens, machten die Ruhe bei Tage fast geradezu unmöglich. Unsere Lebensweise hatte sich jedoch wunderbarlich gebessert. Nach der ersten Erfahrung, die wir in Bezug ans die tatarische Küche gemacht, beschlossen wir. eine ucue Verfahnmgsweise zu versuchen. Demgemäß statteten wir erst einen Bestich bei dem Fleischer ab und kauften das Stück Fleisch, welches seiner Empfehlung nach das beste in seinem Laden war. Dann begaben wir nns zu dem Bäcker, wo wir, nachdem wir alle Arten 7. Kap-1 Lcben im Khan. ßg feinen tatarischen Gebäcks versucht, endlich eine Gattung fanden, die uns erträglich schmeckte. Von hier besuchten wir den Gcmüscmarkt, welcher gnt versehen war. Ich bemerkte große Quantitäten VringalS und an» dere Tropenerzeuguissc. Wir begnügten nnö jedoch mit einigen Kartoffeln und kehrten schwerbeladen nach der Garküche zurück, wo wir un« sere Einkäufe den, Koch übergaben, der nicht im Stande zn sein schien zu errathen, was damit werden sollte. Er versprach indessen, nnscrn Weisungen blindlings zu folgen und einen Versuch mit dem Braten des Hammelfleisches zu machen, und am Abend, als wir von unserer Nund« schau nach Hanse zurückkamen, holten wir unsere Mahlzeit, die uns in einer großen blechernen Schüssel präftntirt wurde, durchzogen, unseren dampfenden Hammelbraten mit den Kartoffeln hoch emporbaltend, im Triumph die Hauptstraße der Stadt nnd fanden als wir unsern Khan erreichten, daß wir allen Grund hatten uns zu dem von nns eingeschlagenen Ver» fahren Glück zu wünschen. Da unser kleines Gemach an das allgemeine Kasseezimmer stieß, so brauchten wir blos die Thür zu öffueu um Augenzeugen der für nns ncucn Auftritte zu sein. welche sich hier gewöhnlich darboten. Hier saßen eine Anzahl malerischer alter Tataren mit untergeschlagenen Bei« nen in kleinen hölzernen Käfigen, rauchten unaufhörlich Tschibuks oder Narghiles und tranken ihren dicken Kaffee aus Tassen, welcke viel Aehn» lichkeit mit großen messingenen Fingcrhütcn hatten. Sie sprachen nur selten miteinander, sondern qualmten auf ihren mit Teppichen belegten Divans unerschütterlich daranf los lind ich gesellte mich oft zu ihnen. Es liegt in allen orientalischen Gewohnheiten ein angenehmes, träumerisches Etwas, welches unmerklich seinen Einfluß auf den Fremde» äußert. Ich sab, mich jedoch getäuscht, als icb. fand. daß das wonnig ermattende türkische Bad von den Tataren in eine Ncihe weit weniger angenehmer Abwaschungen verwandelt worden ist. Gleichzeitig zog ich eS aber doch der etwas extravaganten Vcrfahrnngswcise der Russen vor, denn statt der Blrkenrciser, welche dicse auf sehr energische Weise anwen-den um eine gesunde Hitze der Haut — ein Resultat, welches sehr bald erreicht wird — zu erzielen, bedient man sich hier wollener Handschube. nnd ein Bünde« Baumwolle in Seifenschaum getaucht verrichtet das Werk der Nciniguug statt jenes gewaltsamen hydropathischcn Verfahrens — 70 Das Thal Iosaphat. ^7. Kap. jener abwechselnden Gimer siedenden nnd eiskalten Wassers, welche ein russisches Bad für den Nenling zu einer schrecklichen Muthprobe machen. In so weit ist die VerfahruugSweise in einem tatarischen Bade ganz a 1a lur^uo; in der Mitte des tanrischen Tchwitzzimmers aber befindet sich kein tiefer Wassertümpel, dessen Temperatur in fortwährendem Steigen begriffen ist nnd in welchem der Badende sich auf unbestimmte Zeit in halbgesottenem Znstande hernmtnmmelt. Hier dagegen streckt er sich nackt ans eine unerträglich heiße Mannorplatte, anf welcher er umhelgewülzt nnd gescheuert und begossen wird. In der That liegt der Unterschied zwischen einem türkischen und einem tatarischen Bad bloö darin, daß man ill dem einen gesotten und in dem andern gebraten wird. Das Sieden ist mir indessen viel lieber, besonders wenn das Frottiren nnd dann der Kaffee darauf folgt, was bei den Tataren nicht immer nothwendige Zugaben sind. Eines Tages schlenderten wir das Thal hinauf, in welchem Baltschi Serai fast versteckt liegt, und indem wir die schmale Schlucht verließen, in welcher es endet, lind die nnr von Zigeunern bewohnte Grotten enthält, traten wir plötzlich ans dem tiefen Schatten steiler Felsenwände auf einen dunkeln, geheimnißvollen Platz hinaus, der mit majestätischen Ei» chen und Buchen dicht bewachsen war. Ein geschlängelter Pfad verlor sich in die düsteren Tiefen dieses Platzes, und bald wanderten wir durch ein Labyrinth von Grabsteinen, welche die Form von Sarkophagen hatten, uud mit hebräischen Inschriften versehen wareu. Dies war das Thal Iosaphat — seit Jahrhunderten der Begräbnißplatz der kärntischen Juden, welche immer noch gern ihre Gebeine neben die ihrer Väter legen, sodaß die schlafenden Bewohner des Thales Iosaphat die Zahl der Kara'üen in irgend einer Stadt der Krim weit übertreffen. Beinahe eine halbe Stunde lang folgten wir dem schmalen Pfad, stets von diesen rübrenden Denkmalen eines Volks umgeben, das, in wcl. chem Theil der Welt es umhergestrcnt sein mag, immer noch die tiefste Verehrung für einen Ort bewahrt, der durch solche Erinnerungen geheiligt ist. Der Hain endet Plötzlich in der Nähe eines furchtbaren Ab-grnndes, von dessen schwindelndem Rande mail eine prachtvolle Aus' ficht genießt. 7. Kap.I Tschusut Kale. 71 In einer Entfernung von etwa einer Meile steigt der kegelförmige Felsen Tcpckerman schroff aus dem unebenen Lande empor; seine dräncn-den Wände sind von unzähligen gehcimnißvollen Grotten lind Gemächern durchlöchert. Jenseits bildet der Tschatir Dag mit dem hohen Teegcbirge, von welchem er einen Theil ausmacht, den Hintergrund der reichen und wechselvollen Landschaft. Der Reihe von Kalkfelsen, aufweichen wir standen, folgend, erreichten wir einen Punkt, wo die Aussicht auf die gegenüberliegende Seite noch imposanter ist. Auf der rechten Seite krönt die verfallene alte Fe-stnng Tschusut Kale die nächste Höhe, wahrend das dem überhangenden Felsen gegenüber erbaute Mönchskloster Uspenskoi aussah, als ob es eher von den Einwohnern deS steinigen Petra ausgehöhlt wäre, wie vonMön» chen der griechischen Kirche. Hier lag auch, in enge Grenzen zusammen« gedrängt, die alte tatarische Hauptstadt, fast verdeckt durch die Gärten, welche das Thal mit einem Mantel vom herrlichsten Grün bekleiden. Tiefer hinab dachen sich die Abgründe zu sanften Abhängen ab und die Kultur verbreitet sich üb« eine große Strecke des Landes, durch welches der Dschuruk Su sich dahin schläugelt, bis er in das den westlichen Horizont begrenzende schwarze Meer fällt. Als die Tatarenlhane Tschufut Kale nut dem reizenden Thale nn-> ten vertauschten. ward diese sonderbare Festung wieder ausschließlich der Wohnsitz der karMschen Juden, welche seit undenklichen Zeiten hier ge< wohnt hatten, nnd die ganz natürlich durch die stärksten Gefühle der Ehr« erbietung und Liebe daran gefesselt werden. da es nicht blos die Wiege ihrer Sccte, sondern auch der Felsen gewesen ist, auf welchem sie in Zeiten der Verfolgung stets ein sicheres Asyl gefunden haben. Da wir hörten. daß die Bevölkerung eine gänzlich jüdische sei, so erwarteten wir, Tschufut Kale von malerischen Gruppen schön gekleideter Männer und reizender Jungfrauen erfüllt zu sebeu; aber wir kamen durch das Thor und durch die Straßen, welchen der Felsen, auf dem sie erbaut sind, zugleich als Pflaster dient, und zu unserm Erstaunen war leine Seele zu sehen. Einige Hnnde fuhren auf unS zu und nöthigten uns. den übrigen Theil der Stadt mit Steinen bewaffnet zu durchwandern. Sie schien vollkommen leer zu sein, denn nicht blos die Straßen waren verödet, sondern wir konnten auch an den Thüren, an welchen wir anpochten, 72 Die Synagoge. 17. Kap. keine Antwort erbalten. sodaß ich schon zu vermuthen begann. daß der letzte ^inwobuer fmzlick Jemanden anfgetriebcn haben müsse, der ihn in dem Thale Iosarbat begaben babe, als eine heisere Stimme etwas durch eine Spalte in eiimnFexskrladcn murmelte m»d gleich darauf ein hinfällt» ger, stockblinder alter Manu, welcher dcio fragliche Ii^dividuum hätte sein löuuet!. an einem Stocke heraushumvcltc ui^d sick erbot, uus nach der Ey» nagoge zu fübren. Auf unsenn Wege dal'in begegneten wir einer form lichen Volksmenge, die aus noch zwei alten Männern und einem Knaben bestand, welche sich uns ebenfalls anschlössen. Mit diescn traten wir in ein Mausoleum, welches das Grabmal einer tatarischen Prinzessin enthält, die von einem Edelmann verführt und nach riner genuesischen Festung gebracht worden war. Ibre traurige Geschichte bildete den Gegenstand der langcn Iusckrift welche den Grabstein bedeckte. Dci ebcwürdige Nabbi, der uns jetzt nach der Synagoge zu fühlen schien, war die l'öcl'ste geistliche Autorität der kärntischen Kirche uud es war seltsam, auf dieser einer Neligionsseete zu finden, deren Mitglieder über Nußland. Polen und Aegyptcu zerstreut sind. Die Synagoge war ein einfaches, schlichtes Gebäude, welches sich für mein uneingeweihtes Äuge in keiner Hinsicht von einem gewöbnlichen jüdischen Betbause unterschied. Wir betrachteten einige prachtvoll gebnn« dene Abschriften des Alt?,, Testaments. Nur die Büchcr Mosis sind gedruckt und werden in den Schulen gelesen- Die Kara'iten behaupten, das Me Testament in seiner echtesten Lesart zu besitzen. Die Ableitung ihres Namens ist, wie mir Richter mittheilte, in den Worten liara und it« zn suchen, die im Arabischen schwarzer Hund bedeuten - eine nicl't unwabrscheinliche Bezeichnung dieses vou den Mo--hamedancrn verachteten Volkes. Eine allgemeiner angenommene und wahrscheinlich richtigere Ableitung aber scheint die von dem Worte K^ra, heilige Schrift — weil sie einfach an dem Buchstaben der Schrift festhalten, ohne die Autorität des Talmud oder die Auslegungen dcr Rabbis anzu-erkennen. Die Talmudisten beschuldigen die Karaite» dagegen, daß sie die Irrlebren der Sadducäer theilen. Da diese Veschuldigung von einer so feindseligen Seite ausgeht, so hat sie kein Recht, großes Gewicht zu be^ auspruchen. Es ist indessen nicht zu bezweifeln, baß die beiden Sectcn i„ 7. Kap.) Die Karattcn. 7g vielen wesentlichen Punkten sich von einander unterscheiden, wie zum Beispiel hinsichtlich der verschiedenen Verwandtschaftsgrade. in welchen das Heirathen verboten ist, ganz besonders aber in der vollständigen Anerkennung der Polygamie. Den Nabbinisten zufolge schreibt sich dieses Schisma aus verhältnißmäßig neuerer Zeit her; die Karaten selbst jedoch bchanv-ten, ihre Trennung von dem Hanvtstamme habt schon vor ihrer Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft stattgefunden. Wie alle Juden ver» wenden sie außerordentliche Sorgfalt aufdic Erziehung ihrer Kinder, welche öffentlich in den Synagogen unterrichtet werde». In Polen wohnen ungefähr fünftausend KaraVten, welche den alten Rabbi von Tschufut Kale als ihr geistliches Oberhaupt anerkennen. Man sagt, sie seien ursprünglich aus der Krim eingewandert. Indessen ist es nicht der Unterschied in Bezug aus Lehrsätze oder bürgerliche Disciplin, woran der Fremde sofort den Karcnten von dem Tal-mudisten unterscheiden kann, sondern vielmehr der seltsame Contrast, der sich unabänderlich in dem Leben und in den Charakteren der Mitglieder dieser einander entgegengesetzten Secten kundgiebt. Der karcü'tische Kauf. mann steht überall in einem so hohen Nnfe der Redlichkeit. daß in der ganzen Krim sein Wort soviel gilt. als ein schriftliches Versprechen. Wie seltsam, daß Zweige eines und desselben Baumes so ungleiche Flüchte tra< gen. wie sie sich in diesen Gegensätzen der Redlichkeit und Unredlichkeit kundgeben, die in beiden Fällen zur sprüchwörtlichcn Charakteristik ge< worden sind. Der Grund der ehrenwerthen Auszeichnung, welche dieKa« ra'ttcn ans diese Weise erlangt haben, liegt jedenfalls in ihrem grundsätzlich strengen Festhalten an dem Buchstaben des Alten Testaments allein, und in der Verwerfung tcner Traditionen und rabbinischen Auslegungen, welchen ihre Glaubensgenossen den Vorrang vor der Autorität der von Gott eingegebenen Schriften eingeräumt haben. Es ist dies ein Schluß, welcher, wie handgreiflich er auch sein mag. doch vielleicht nicht überflüssig ist. da es Menschen giebt, die in der Jetztzeit, in einem aufgeklärten Lande und in einer christlichen Kirche eine gleiche Ansicht wie die Talmudisten zu hegen scheinen, und ein ziemlich gleiches Verfahren befolgen. Da fast alle Kara'ltcn Handel oder Gewerbe treiben und da sie bei allen ihren Geschäften die gewissenhafteste Redlichkeit beobachten, so hat sich daraus die natürliche Folge ergeben, daß sie eine wohlhabende und 74 Eine jüdische Festung. l?. Kap. blühende Gemeinde sind; während, als ob zu Gunsten dieses Theils des interessanten Volkes, dessen unglückliches Schicksal sich auf so wunderbare Weise «füllt hat, eine Ausnahme gemacht worden wäre, wahrscheinlich die einzige ausschließlich jüdische Niederlassung, welche noch ezistirt, die Festling Tschusut Kaie ist — ein Asyl, welches Gott nur Denen vorbe« halten zu haben scheint, die ihn rein und lauter uud nach der Weise ihrer Väter anbeten. Die Bevölkerung vonTschufut Kale ist indessen zn einem sehr kleinen Nest zusammengeschmolzen, seitdem der Handel lebhafter geworden ist und für die Ansiedelung an bequemeren Punkten, als auf dem Wipfel einer der höchsten Felsenklippen der Krim, vermehrte Begünstigungen gewährt worden find. Die Einwohner des Seehafens Eupatoria bestehen htuiptsächl'ch aus Karcüten, von welchen jetzt nahe au zweitausend dort wohnen — einige davon sind sehr reiche Kaufleute. Ich wundere mich nicht mehr, daß die Straßen so still und daß im Thale Iosaphat so viele Grabsteine zu sehen waren, als ich erfuhr, daß alle in der Krim zerstreuten frommen Karcüten, wenn zunehmende Kränklichkeit und Schwäche ihnen ihre nahe bevorstehende Auflösung verkünden, hierhergebracht werden, um zu sterben. Es lag etwas Rührendes in dem Tribut, den man auf diese Weise dem Orte darbringt, an den sich so viele theure Erinnerungen knüpfen, und ich konnte mich nicht überwinden, diese Mitglieder einer eigenthümlichen Neligionösecte, welche ihre Gebeine neben denen ihrer Väter in dem lieblichen ThaleIosaphat ruhen zu lassen wi'm< schen, einer widerlichen Sentimentalität zn beschuldigen. Es giebt nur zwei Eingänge zu dieser Festung und die massiven Thore werden jede Nacht verschlossen. Wir stiegen eine hohe in den Felsen gehauene Treppe nach dcm köstlichen Brunnen hinunter, welcher die Einwohner mit Wasser versorgt und dessen Lage, am Fuße eines Thales und tief nnter den Wällen, die uneinnehmbare Position des Forts in Kriegszciten gänzlich werthlos machen würde. All diesem Brunnen steht gewöhnlich ein Mann, welcher die Wasscischläuchc füllt, die von Eseln zu ihren Herren hinaufgetragen werden, während wahrscheinlich der Absender sowohl als der Empfänger beide zn alt sind, um diese klugen Thiere alls den zahlreichen Expeditionen zu begleiten, die nichtsdestoweniger für das Wohlbefinden der Einwohner so wesentlich sind. 7< Kap-1 Das Kloster Uspenskoi. 75 Der linken Seite des Hohlweges folgend erreichten wir das Kloster Uspenskoi oder zur Himmelfahrt Maria. wo Galerien an der Seite einer steilen Bergwand, unter den furchtbaren Felsen hängen, in welche die Gemächer, ebenso wie die Treppe, Vermittelst deren man zu ihnen gelangt, eingehauen sind. Gegenwärtig sind blos zehn Zimmer und eine kleine Kirche ausgehauen; das Werk ist aber im Fortgange begriffen und die beschränkte Anzahl Mönche, welche jetzt die Brüderschaft ausmacht, wird wahrscheinlich vermehrt werden, sobald die Räumlichkeiten ebenfalls an Zahl zugenommen haben. Dieses Kloster soll seine erste Entstehung der Zeit zu verdanken haben, wo die griechische Kirche von den Mohamedanern verfolgt nnd ihren Mitgliedern nicht erlaubt ward, ihren Gottesdienst in Häusern zu halten. An einigen Stellen sind die Fenster bloße Löcher, während bei andern die Front aus massivem Mauerwerk besteht. Eine hölzerne Veranda vor der Kirche überragt die massiven Glocken. Im Monat August jeden Jahres wird dieser Platz von gegen zwanzigtanscnd Wallfahrern besucht. Er ist auch in der That merkwür» dig und harmonirt mit der seltsamen Natnrnmgebung, worin er liegt, so-daß die Mouche eine gewisse Anerkennung für den Eifer verdienen, womit sie benn'ldt sind. die Meize eines Platzes zu vermehren, der schon soviel Anziehendes besitzt, nnd dies ist wahrscheinlich der einzige Nutzen, den ihre Gegenwart dem Pnblicnm bringen wird. Wir bestiegen die steilen Felsenklippen oberhalb der Stadt, um noch einen letzten Blick auf das Serail der Gärten zu werfen, ehe wir ihm Lebewohl sagten, nnd als die Strahlen der untergehenden Sonne den ganzen Himmel färbten nnd den Palast der Khane mit warmer Gluth übergössen, wurden wir dadurch an den kurzen und dennoch, so lange er dauerte, blendenden Glanz dieser Herrscher erinnert, von welchem jetzt nichts mehr übrig ist, als die liebliche Landschaft vor uns — denn der Glanz der Khane selbst war hinabgesunken anf ewig! 76 Die verlassene Festung. 18. Kap. Achtes Kapitel. Mangup Kale. — Das Windcap. — Paß von Ocscmbasch. l?s war kciue leichte Sache. von Baktschi Serai wieder fortzukom» men. Wir hatten mit einigen Tataren Unterhandlungen wegen der Pferde angeknüpft, die wir brauchten, um über das Gebirge nach Ialta zn gelangen. Als echte Orientalen wollten sie von ihrer Forderung durchaus nichts nachlassen, und erst, nachdem eine heilsame Concurrenz in Gang gebracht war, verständigten wir nns mit einem Mann, welcher uns einige Gaule von kräftigem ^lusseben zeigte und zeitig genug sich m dem Khan einzufinden versprach, um uns in den Stand zu setzen, das iu Aussicht stehende lange Tagewerk fertig zu bringen. Da wir nach Ialta zurückreisten, so glaubten wir nun, die Dienste Nichter'S für die Zukunft entbehren zu können, und er reiste daher nach Simpheropol ab, als wir aus der Stadt hinwegrittcn und den Weg nach Mangup einschlugen. Wir hatten von Glück zu sagen. daß uns der Zu-fall einen so nützlichen Begleiter zngeführt hatte; er war gutmüthig und grundehrlich, obschon rnssischcr Unterthan. Da er aus den Ostseepro» vinzen stammte. so zeichnete er sich durch kciue der sonstigen deutschen Nationaleigcntl'ümlichfeiten ans, mitAusnabmc der, dasi er aufdeiNeise niemals die Kleider wechselte, ein Umstand, welcher, während er mich mit der Trennung aussöhnte, dennoch, wie die Gerechtigkeit zu sagen verlangt, in seiuem Fall fast unvermeidlich war. Es war ciu schöner Morgen, als wir znm letzten Male die Haupt« straße binabtrabten, auf unbequemen Sätteln, hinter welchen unsere Taschen festgeschnallt waren. Unser Weg lag östlich von dem, auf welchem wir von Sevastopol hergekommen waren und nach wenigen Stunden kamen wir wieder in das einsame Tbal von Balbeck, gerade da, wo eS zwischcn den Bergen heraustritt. Dein Bett des Flusses folgend, wanden wir nns durch fruchtbare Garten zwischen hohen Felsenwänden hin, bis wir deu Flnß des stattlichen Berges erreichten, welcher die Niederung begrenzt. Als wir nacli deu verfallenen Mauern hinaufblicktcn, welche diesen Berg krönen, bemerkten wir, daß dies die berühmte Festung Man- 8. Kap-1 Mangup Kale. 77 gup Kale war. In dcm wmautiscken kleixell Dorse Karolez fanden wir einen herrlichen kalten Brunnen, an welchem wir uns erfrischten, ehe wir die steile Hohe zu ersteigen begannen. Wir fanden es unmöglich, die knrzen Seitenwege hinaufzureiten, die wir einschlugen, und bald kletter« ten wir Alle, die langen Umwege verschmähend und nur nach den Herr» lichen alten Ruinen oben trachtend, den steilen Berg hinauf. Als wir die Wälle erreichten. konnten wir nicht sogleich eine Ocffmmg finden, lim in die Festung hincinzngelangen. Endlich stürmten wir eine Bresche. wo die ungeheuren Steine, welche die massiven Mannn gebildet batten. auf einander gebanst waren, und sahen uns auf allen Seiten von Verfall nnd Verwüstung nmringt. Die Ungewißheit, welche ül'er der Geschichte dieser Ucberblcibsel früherer Größe schwebt, trägt viel dazu bei, ihnen ein ganz cigenthnm» liches geheimnißvolles Interesse zu verleihen. Tie sind in so ausgcdehn» tem Umfange über die Fläche des Felsens gestreut, daß sie an der Oroße und Wichtigkeit, durch welche einst die Stadt ausgezeichnet war. die die« sen Bergesgipfel krönte, keinen Zweifel lassen. Sie tragen die Spuren fast aller Völker, welche die Krim bewohnt haben, find sozusagen von dem innersten Wesen der Alterthümlichkeit durchdrungen und werden von den Tataren mit der tiefsten Verehrung betrachtet. Und sie verdienen dies auch, denn sie sind ihre eigenen (Geschichtschreiber, und ein Bericht über ihre früheren Herren lind die Wechselfällc. welche diese stcine erfah. ren haben, seitdem sie zuerst aus dem massiven Felsen gehauen wurden, kann vielleicht in künftiger Zeit ans ihnen durch einen Alteilhumsforscher heraus gelesen w?rdcn, welcher es zu seiner Lebensausgabe gemacht hat, sich mit unergründlichen beschichten vertraut zu machen. Die Anton» täten sind jedoch im vorliegende!' Falle sehr uneinig. Der Name wird nämlich sehr häusig auch Man gut ausgesprochen. Die letzte Silbe, welche Gothen bedeutet, kann zu der Vermuttning führen, daß er von den Herren dieses Fürsteuthumö abstamme, dessen Hauptstadt dieser Ort einst war. Die tVothen wurden im vierte,, Jahrhundert von den Hunnen aus den Niederungen vertrieben und sichren noch fort, im unabhan« gtgen Zustande zu leben, indem sie sich in ihren Vesten gegen die Angrisse dieser Barbaren vertheidigten, welche sich der Neihc nach in den Besitz deS übrigen Theils der taurischen Halbinsel setzten. Nach andern Auto» 78 Seine Geschichte, ß. Kap. ritäten blieb Viangup die Hauptstadt des gothischen Fürstenthums. bis es im sechzehnten Jahrhundert von den Türke» erobert ward, während noch andere meinen, daß es nach der Eroberung der Krim durch die Cha-saren eine griechische Festung ward und dles blieb, bis es gleichzeitig mit den griechischen Colonien an der Küste in die Hände der Genuesen fiel. Dies ist wahrscheinlich die richtige Ansicht, da der größere Theil der Ruine» griechische sind. Professor Pallas nennt Mangup „eine alte genuesische Stadt, welche der letzte Zufluchtsort der Ligurier gewesen zu sein scheint, nachdem sie von der Küste vertrieben worden waren". Aber dennoch können die Kapelle. welche hier in den Felsen eingehauen ist, und die Heiligenbilder, welche, wie er behauptet, an den Mauern angemalt sind. wiewohl ich nichts davon gesehen habe. ebenso gut Spuren von den christlichen Gothen als von den Gcnucscn sein; indessen ist es außerordentlich unwahrscheinlich, daß dies der Fall sei. Im Jahre 1745 ward Mangup von einer türkischen Besatzung genommen und zwanzig Jahre lang behauptet, woraus es in den Besitz des Khane der Krim überging. Es war seit vielen Jahren fast ausschließ» lich von karaüischen Juden bewohnt gewesen. Diese schmolzen allmälig zusammen, bis sie vor etwa sechzig Jahren ganz verschwanden und nichts zurückließen. als die Tlümmer ihrer Synagoge und einen großen Ve-gläbnißplatz mit Grabmälern, ähnlich denen, unter welchen wir in dem Thale Iosaphat umhergewaudert waren. Von den massiven Gedändcn. welche einst diese berühmte Stadt schmückten, ist außer den Grundmauern sehr wenig mehr übrig. (5s war eine schwierige Aufgabe, den Weg in dem Labyrinth von Ruinen zu finden, welche mn uns hergestreut waren. Das hohe Kaltsteinvorgebirg, auf welchem die Festung steht, ist ungefähr «ine halbe Stunde lang und zehn Minuten breit. Auf drei Seiten ist sie von furchtbaren Abgründen umgeben, während die, von welcher sie allein zugänglich ist. durch feste Thürme vertheidigt wird, die in Zwischcnränmen auf der massiven Mauer stehen, durch welche wir eingedrungen waren. In rechten Winkeln damit und das schmale Vorgebirg durchschneidend, stehen die Ruinen einer zweiten Mauer, und das vollkommenste jetzt noch cxistirende Gebäude ist ein hineingebautes, zwei Stockwerke hohes, und mit Schicßschartm fül Kltiugewehlfeucr versehenes viereckiges Fort. Nachdem wir eine andere 8. Hap.1 Das Winbcap. 79 Oeffmmg passirt waren, erreichten wir den östl>6)stcn Punkt und entdeck, ten jetzt erst. daß die ganze Länge des obern Randes des Plateaus eine Menge kleiner in den massiven Felsen gehauener Löcher enthielt, zu wel» chen man durch Treppen von der oberen Flache gelangte. Als wir an dem hervorragendsten Pnnkte des Vorgebirges. das Windcap genannt, in eins dieser lNemächer hinabgestiegen waren, näherte ich mich zitternd der Oeffnuug, welche früher als Fenster gedient hatte, jetzt aber bis auf gleiche Ebene mit dem Fußboden weggebrochen war, nnd schaute von der schwindelnden Höhe herab auf wilde Schluchten, friedliche Thäler und wellenförmige Ebenen. Endlich bemerkte ich den Hafen von Tebastopol mit kleinen schwarzen Punkten auf seiner Fläche, welche die Veränderung andeuteten, die in der Bestimmung dieses seltsamen Landes eingetreten war. wo eine uneinnehmbare Festung dnrch eine „unüberwindliche" Ar« mada verdrängt worden ist und wo die Mauern und Thürme der genue» sischen Veste den dreifach übereinander liegenden Batterien eines russischen Arsenals Platz gemacht baben. Viele der Gemächer, welche ich jetzt besichtigte, haben funfzelm bis zwanzig Quadratfuß Flächengchalt und stehen durch Treppen mit einander in Verbindung; diese Besichtigung aber verlangte Nerven, die etwas starker find. als Menschen, welche Häuser anstatt Adlernester bewohnen, sie gewöhnlich besitzen und die in die steilen Klippen cingehaucnen Stufen waren malerischer anzusehen, als angenebm zu besteigen. Wer diese sonderbaren Zellen bewohnt haben mag. läßt sich schwer sagen, wahr« scheinlich aber wurden sie bewohnt, ehc die Stadt oben aus dem Felsen erbaut wai. Wenn die Ruinen von Mangup Kaie auch kein anderes Verdienst besäßen, so dienen sie wenigstens als Verlockung, die Höhen zu besteigen, auf denen sie liegen, welche Müde schon dnrch die Aussicht allein reichlich vergolten wird. Aber wenn wir auch den Schönheiten der entfernten Landschaft niemals einen romantischen Vordergrund beigesellen — wenn wir uns in den geheimnißvollen trotten verbergen und durch die zackige» Felsenspalten wie aus einem Gefängnißfcnster heraussehen — oder. unS in einem alten Thurme bergend, die Ruinen der Synagoge in die Ecke des Gemäldes bringen gekonnt hätten, so fühlten wir doch. daß diese an und für sich den größten Reiz der Ausficht bildeten, zu welcher sie uns 80 Das Küstengebirge. s8. Kap. verlockt hatte» und konnten daher um bedauern, daß wir genöthigt waren, fo bald einen Platz zu verlassen, der so reich mit allem ausgestattet war, was den Reisenden für die Beschwerlichkeiten entschädigen kann, die er in dem Lande zu ertragen hat, welchem dieser Ort zu so reichem Schmucke dient. Wir machten den Hinunterweg auf einer andern Straße und kamen durch einen alten gewölbten Thorweg, der einst den Haupteingang zu der Citadelle bildete. Ich war nun im Stande, mir einen richtigeren Begriff von der Gestaltung dieses Tlieils der Krim zu machen, als ich bis jetzt gehabt hatte. Eine steile Kette von Kalksteingebirgen streckt sich ziemlich genau von Osten nach Westen parallel mit dem Küstengebirge hin und auf dem Rande der furchtbaren Klippen hängen die Festungen Tschufut Kale und Mangup Kale. Das ganze zwischen diesen Bergketten liegende Land, durch welches unsere Straße jetzt führte, wird von lieblichen Thälern durchschnitten und von hellen Gebirgsstromen bewässert; die User derselben sind sorgfaltig angebaut und häufige Laubhaine verrathen die Nähe der Dörfer, welche sie verhüllen. Dieser Landstrich ist blos von Tataren bewohnt, die an ihren Hochlandschluchten mit jener Hartnäckig« keit zu hängen scheinen, welche allen Gebirgsbewohnern eigen zu sein pflegt. Sie sind ein rauhes, gastfreundliches Volk, ganz verschieden von seinen Brüdern in der Vbcue. Obschon die Sonne noch sehr heiß schien, ward unser schmaler Weg doch größtentheils vor dem Strahl derselben durch die Zweige stattlicher Bäume geschützt, welche oben zusammenstießen und einen bedeckten Gang bildeten. Dann und wann bogen wir um einen Bergabhang und traten in ein nencs Thal. welches stets bezaubernder war, als das vorherige. Da nnser Weg durch das üppige Laubwerk und die übrige Vegetation oft gehemmt ward, so wählten wir das felsige Flußbett und marschirten bis an die Knöchel in dem hellen funkelnden Wasser, während die Berge, von welchen dieses hcrabfloß, immer deutlicher und deutlicher wurden, sowie wir uns ihrem Fuße näherten. Diese jetzt so bequemen und harmlosen Bäche werden im Winter furchtbar reißende Ströme. Wir kamen nickt oft in die Dörfer hinein. oft aber schloffen sich uns einige Neitcr aus Ncugicr an und ritten mit unserm Führer voraus, um ihn ohne Zweifel über diese ungewohnten Mäste zu befragen. Keinem 8. Kap.) Ochscnbeschlag. " 81 Tataren fällt es ein. zu Fuße aus einem Dorfe nach dem andern zu gehen, sondern, wenn er seinem Nachbar einen Besuch abstatten will. so reitet er wie ein echter Landcdelmann zu ihm hinüber. Hat er auch kein so gutes Pferd wie ein Landedclmann, so hat er wenigstens eine Landschaft, um welche dieser ihn beneiden würde, und kann sich unterwegs die Zeit mit Betrachtung der Naturschönheiten vertreiben, wenn er es versteht, dieses Vergnügen zu genießen. Dem mit einem Negienmgsbefehle ver» sehenen Reisenden sind die Tataren in jedem Dorfe, wo er ihn vorzeigt, verbunden, Pferde zu stellen. Es sind dies oft ziemlich dürstig ausse» bende Thiere, aber dabei sind sie rührig und sicher anf den Füßen und eignen sich ganz bewundernswürdig für die Fclsenpässe, welche sie durchwandern müssen. Ueberhaupt verdienen sie alle Anerkennung für die Art und Weise, auf welche sie sich an eine Bergwand festzuklammern scheinen, denn sie sind mit einer flachen Gisenplatte beschlagen, die am Strahle ein Loch hat und in steinigen Wüsten allerdings dem Hufe einigen Schutz gewähren mag. aus dem glatten Felsen aber das Thier sehr oft zum Ausgleiten bringe» muß. Nicht zufrieden, ihre Pferde auf diese Weise zu beschlagen. versah» ren die Tataren mit ihren Ochsen auf dieselbe Weise. Ich sah diese Procedur in Baktschi Serai und konnte Anfangs nicht begreifen, was eigentlich vorging. Das Thier lag anf dem Rücken und wurde in dieser Lage festgehalten, indem ein Mann ihm auf dem Kopfe saß. Die vier zusammengebundenen Beine ragten gerade in die Höhe, und der Schmied hämmerte darauf los, während er durch seine bequeme Stellung in den Stand gesetzt ward, um so geschickter zu operiren. p's lag in dem gan» zen Auftritte etwas außerordentlich Lächerliches, obschon, nach dem dumpfen Stöhnen zu nrtheilen, welches unter dem auf dem Kopf des Thieres sitzendenden Gehilfen hervordrang, für den armen Stier die Sache durchaus nicht zum Lachen war. Gswar ein wehmüthiger Gedanke, daß die Einwohner dieser lieblichen Thäler allmälig unter dem verderblichen Einflüsse verschwinden, welchen Nußland über seine mMenutischen Unterthanen auszuüben scheint. Iu den letzten Jahren haben sich die Tataren immer rascher vermindert und zählen jetzt etwa noch 100.000 Seelen oder kaum die Hälfte der ganzen Vevölkenmg der Krim. Ihre ssnergie scheint mit ihrer Anzahl zugleich Schwarze« M«r. (j 82 Zukunft der krimischen Tatarel. sg. Kap. abzunehmen. Ganze Landstriche, die einer hohen Cultur fähig wären und fiüher reiche Ernten erzeugten, liegen jetzt wüste; ihre Manufacture« kommen immer mehr herab, ihr Reichthum an Grundbesitz wird vermin» dert, ihre vornehmen Familien sterben aus, ihre Armen werden von russischen Steuereinnehmern ausgesogen und durch unredliche Unterbeamte um das Ihrige gebracht. Es wird nicht lange dauern, bis die Hütten mit ihren platten Da« chern, die jetzt unter der üppigen Vegetation prachtvoller Obstbänme versteckt stehen, in Staub zerfallen sind, und mit ihnen die letzten Uebelbleib« sel jener Nation, welche einst eine wichtige Stellung unter den europäischen Mächten einnahm. Wird der einzige mohamedanische Staat, der noch im Westen existirt, dasselbe Schicksal haben, wie das Neich der krimischen Tatarei? Es war spät am Nachmittag, als wir in dem romantischen am Fuße des Gebirgs gelegenen Dorfe Ocsembasch einritten, und unser Führer behauptete, daß es nach dem Tagewerk, welches wir bereits zurückgelegt, unmöglich sei, noch über den Paß nach Ialta zu kommen. Obschon aber das Dorf sehr sauber und solid aussah, so hatten wir uns doch in unserem Nachtquartier eine weitere Annäherung an die Civilisation versprochen, als dieses Dorf darbieten konnte. Da wir überdies ein Zusammentressen mit tatarischen Flöhen mehr fürchteten, als die Gefahren des Passes von Oesembasch in einer finstern Nacht, so hielten wir unsern Führer bei seinem früher gegebenen Worte und ritten weiter, den steilen Hohlweg hinauf, trotz der Gegenvorstellungen der Dorfbewohner, die sich so profitabel aussehende Gäste nicht gern entgehen lassen wollten. Wir folgten dem Wasserbett, bis es zn schroff und steil ward und schlugen dann einen mehr geschlängelten Pfad ein; selbst dieser aber war häufig so jäh, daß es räthlich wurde, abzusteigen. Unser Führer ward durch die Gesellschaft eines alten Tataren getröstet, welcher unsere Escorte benutzte, um zu einer so späten Stunde seine Neise ebenfalls fortzusetzen. Der Paß von dem Thale Oesembasch nach Ialta ist unzweifelhaft der schönste in der Krim. Die Aussichten über das Land, nach Baktschi Serai zu, werden nur durch das erhabene Panorama übertreffen, welches sich dem Ange darbietet, sobald man den Gipfel erreicht hat. Hier ist man, nach welcher Richtung man sich auch wenden mag, von imposanten s. Kap.I Der Paß von Oesembasch. 83 Bergspißen und Klippen umringt, unter welchen dunkle Tannenwälder den Ncrgtshang bedecken, bis da wo die Temperatur milder wird, auf der Südseite der Weinbau der Küste folgt, in deren Mitte die kleine Stadt Ialta steht und ihre weißen Häuser in dem glatten Meere spiegelt, welches hier eine reizende Bucht bildet. Nach Norden zu schienen die fruchtbaren Thäler, welche wir durchreist, von der übrigen Welt durch hohe Kalkstein» mauern abgeschlossen zn sein, auf welchen unzugängliche Festungen stehen um den Zugang zu diesem Zauberlande zu bewachen. Jenseits dieser seltsamen Bergfette dehnte sich die ferne Steppe gleich einem Meer von anderer Farbe iu die unendliche Ferne hinaus, bis sic mit dem Nebel ver> schwammen, welcher den Horizont umdüsterte. Es war ein Gemälde, in welchem sich viele verschiedene Elemente zu verschmelzen schienen. Das prachtvolle Bauholz, welches auf einem dieser Gebirge bis zu einer Höhe von dreitausend Fuß stand, versetzte mich im Geiste wieder zurück in die Landschaften der Wendekreise; die bunten Herbstfarbcn aber zerstreuten bald die Täuschung, mit der ich hier ein immergrünes Dschungel zn sehen glaubte. Der dunkle Tannenwald, welcher sich um Ms ausstreckte, hätte die Abhänge eines norwegischen Thales schützen können und die kalten grauen Klippen über uns standen im Einklang mit diesem schroffen Aw blick; aber es war kein norwegischer Sonnenuntergang, den wir hier sahen — es war ein italienischer! Und italienisch waren auch diese sanften AbHange, die sich mit ihren Weinpflanzungen bis an die Küsten des Meeres hinabzogen, welches ebenso blau war. wie der Himmel darüber. Das Dunkel der Fichten - und Tannenwälder. durch welche unser abwärts gehender Pfad uns führte, ging bald in die Schatten des Abends über und endlich wurde es so finster, daß wir uns genöthigt sahen, unsere Pferde vorsichtig die steilen Schluchten hinabzuführen und uns dabei nach dem Zuruf des Führers zu richten, den wir nicht mehr sehen konnten. Wir hatten herzliches Mitleid mit unsern armen Thieren, als wir mit einander in den Hofraum des Gasthauses zu Ialta schlichen. Sie hatten unS dreizehn Stunden laug getragen, ohne zu rasten oder ^twas zu genießen, und ich zweifle nicht, daß sie nach ihrem harten Tagewerk in dem Stalle des Tataren eine bessere Verpflegung fanden, als wir tn dem Hotel d'Obessa. 6' 84 Ialta. s9. Kap. Neuntes Kapitel. Ialta. — Seereise. — Der Krieg im Kaukasus. - Gupatoria. — Ankunft in Odessa. Ialta ist ein anmaßender kleiner Ort; trotz seiner schönen Lage aber scheinen die Einwohner, nach dem Baustyl zu urtheilen, welcher uutci ihnen vorherrscht, »licht geneigt zu sein, in Uebereinstimmung mit der reizenden Natur, von welcher sie umgeben sind, zu bauen. Ucbcrdies besitzt diese Stadt alle Attribute des Philisterthums, und dies ist anfangs für den Fremden ziemlich interessant, weil er dadurch Gelegenheit bekommt, das nisslsche Philisteithum mit dem seines eigenen Vaterlandes zu vergleichen und außerdem eben in dieser Uebertreibung eine Civilisation liegt, welche nach der Heimat schmeckt. Wir sahen hier einen Versuch zu eiuer Badcmaschine. die aber nicht aussah, als ob sie jemals im Gebrauch gewesen wäre; auf jeden Fall hielten wir es für eine Beeinträchtigung der Rechte der abgelegenen Bucht, deren Sckonhciteu wir gelegentlich betrachten konnten, wabrcnd wir dann umherschwammen. Es werden hier eine Menge kleiner Pferde gehalten, deren beharrliche Eigenthümer den Fremden auf allen Tritten lind Tchrit-ten folgen und ihnen dabei verlockende Schilderungen von Aluvka und Orianda machen. Des Abends treiben sich einige Offkicre auf dem Kai herum, und ist der Dampfer zufallig in die Bai eingelaufen, so reiten die Passagiere in Abtheilungen umher und gaffen Alles an wie Ueberlandreisende in Kairo. Es giebt hier auch eine Menge Obsiläden, deren Vonä'the auf sehr vcrfül'verische Weise aufgeschichtet sind. Eiue einzige Ettaße von grellschimmeruden weißen Häusern, in welcher das größte Gebäude, das Hotel, steht, — einige Verkaussläden und Negie-rungsgebäude laugs der Seeküste erbaut, und eine sehr vbantastische Kirche, die malerisch auf einer Anhohe liegt, bilden gegenwärtig die Stadt Ialta. Indessen scheint sie doch bestimmt zu sein, bald ein fashionabler Badeort für die Einwohner von Sebastovol und Odessa zu werden. Ucbcrall werden Gerüste aufgeschlagen und die Erbauung auderwcitcr grell» schimmernder weißer Hauser hat ihren Fortgang. 9. Kap.I Das oroß.' Hotel. 85 Die Ansprüche, welcke das Hotel macht, sind sir die wachsende Wichtigkeit des Ortes sehr charakteristisch. Es ist überhaupt lein schlech» tes Musterbild der russischen Hotels im Allgemeinen. Bei seiuer Ankunft schreitet der Reisende durch einen Thorweg und eine Treppe hinauf, in der Hoffnung, Jemanden zu seben. In dieser Hoffnung siebt er sich eine Zeitlang getäuscht uud ist anch noch nickts gebessert, wenn er endlich einen schlampig aussehenden Diener bemerkt und entrüstet auf sein untmstebcn« des Gepäck zeigt. Die Antwort ist außerordentlich höflich nnd giebt die innigste Theilnahme von Seiten des Sprechenden zu erkennen, der zugleich zu versieben giebt, daß er der Fürst Galitzin ist? W giebt in Nuß» land gegen dreibundert Fürsten GaliM.) Unter tausend Gntschuloiguu» gen entfliehend, öffnet der Reisende wieder eine Anzahl Thüren, geht noch mehrere Treppen auf und ab und sieht wieder einen Mann mit einer Cigarre im Munde. Eutscl'loffcn einen übnlichen Irrthum nicht wieder zu begehen, redet er ihn ehrerbietig auf Französisch oder Deutsch, oder wenn ihm genug Russisch zu Gebote steht, in dieser Sprache an nnd giebt den Wunsch zu erkennen, den Herrn des Hotels oder einen Diener ausfindig zu machen. Der Herr hört ihn au, und geht dann anscheinend beleidigt von dannen. Indessen hört man ihn bald darauf die langen Gänge hin-abschreien und es ergiebt sich. daß es Niemand anders gewesen ist, als der Wirth selbst. Nun beginnt das Suchen nach Zimmern, welches mit der Einräumung eines kleinen Gemachs obnc Fußteppich mit scbr schnulzigen Dielen endet. welches ein hartes Eopha, eine noch bärtcre Pritsche — die den stolzen Namen eines Bettes fübrt — einen Tisch und einen Etuhl umfaßt! Vrhält man dies Alles für circa einen Thaler pro Tag. so kommt man noch billig weg. Nach einigem Hin- lind Herstreiten wer< den noch ein Waschbecken uud ein Wasserkrug drein gegeben und als Extraluxus ein Betttuch über die harte Matratze auf der Pritsche gebrei. tet. wiewohl es augenscheinlich schon gehörig in Gebrauch gewesen ist. Milch lind Butter waren in dem großen Hotel zu Ialta ganz unbekannte Luxusgenüsse und Eier nur zu einem ungeheuern Preise zu erhalten, während Gemüse ganz unerhörte Zuspeisen bei dem Diner waren. Um den Diener zu rufen, hat man kein anderes Mittel, als durch die Gänge zu wandeln und „Tschelawiek" zu schreien. Natürlich befindet sich der„Tsche-lawiek" allemal in einem andern Theile des Hauses, wenn er gebraucht 86 Russische Reisemethode. 1.9. Kap. wird, was. wenn man erwägt, daß es nur ein einziges solches Exemplar giebt, gar nicht zn verwundern ist. Wenn der Neisende klug ist. so cnltivirt er die Bekanntschaft des Fürsten Oalihin. ber es nicht im Mindesten ü!>el nimmt, daß man ihn für einen Diener angesehen hat, sondern nnr eifrigst bedacht ist, den Credit der russischen Hotels und den Charakter seines Vaterlandes in Bezug aus Civilisation im Allgemeinen anftechtzuerhalten. Vr sagt. die Ausländer fänden die Beherbergung schlecht, wcil sie nicht reisen wie er. In der Ab« sicht, seinem noch im Dunkeln tappenden englischen Freunde seine Erfah, rung zn Gute kommen zu lassen, führt er ihn in das kleine Zimmer, welches von Mn^Hmo la I'nlieo8L«" und fünf Kindern bewohnt wird. Die durchlauchtige Frau ist jedoch kaum sichtbar unter den Stößen von Bett» zeug. welche sie umgeben und dic eine Anzahl Diener eben beschäftigt ist, auszupacken. Der Koch wühlt unter den Proviantsäcken herum, welche den Gang versperren; die Kinder sammeln sich um ihren Samowar, und es ist daher vollkommen klar. daß unser Freund, dcr Fürst, weiter nichts braucht als ein Dach, und da das Hotel nicht leck ist, so ist er natürlich mit der Bequemlichkeit, welche es ihm gewährt, vollkommen zufrieden. Wer in Nusiland und ganz besonders in der Krim reist, muß sich darauf gefaßt machen, nicht blos auf Bequemlichkeiten zn verzichten, son» dern anch die Preise zu bezablen. die in Hotels ersten Ranges gewöhnlich sind. Es ist fast zu bedauern, daß der sehr beschränttc Grad von Civilisation, mit welchem der Reisende in dcr Krim gequält wird, jemals in diese fernen Winkel Europas eingedrungen ist. Unendlich lieber war mir die ruhige Gastfreundschaft einer Tatarenhüttc. wo wir von einem natur» wüchsigen Volke bewirthet wurden und ein orientalisches Leben führten. Die Krim befindet sich in einem sehr unerfreulichen Zustande: sie erwacht eben zu dem Bewußtsein ihrer Schönheit und folglich ihrer Fähigkeit, die wenigen Fremden auszubeuten. die sie alljährlich besuchen. Wahrscheinlich wird der Tag kommen, wo der Oesembasch im Sommer ebenso oft bestiegen-wird, als der Mrimscl, und wo das Tatarendorf an seinem Fuße sich in ein zweites Lanterbrun» verwandelt. Velbst jetzt schon gehen zwei oder drei Mal monatlich Dampfschiffe von Taganrog oder Nedut Kale im Kaukasus nach Odessa und legen in den verschiedenen Häfen zu Kertsch, V. Kap.I Cap «Zhersonesus. 87 Theodosia und Ialta an. Gs war eines Abends spät. als wir unser un» bchaglicheS Schlafzimmer mit einem gcdrällgt vollen Talon aus einem deser Dampfschiffe vertauschten, und nachdem wir uns hier, sobald wir neu gegeben habe, die Rachel zu engagiren. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich ein weit erheiternderes Ge« rücht verbreitete, und die Leute freuten sich, zu erfahren, daß der Verstor, bene der Schwager des Gouverneurs von Odessa war. Natürlich konnte daher keine Rede davon sein, die unglückliche Witwe in Quarantine zu setzen, und so war es auch. Der Victnalienlieferaut des Etablissements war nicht im Stande, dem mächtigen Einflüsse die Spitze zu bieten, welcher ihm jetzt gegenüber trat. Die Medizinalbeamten fanden in Gcmaßheit der Instruction, die sie wahrscheinlich erhalten, ehe sie das Ufer verließen, daß die Krankheit nicht ansteckend sei, und wer Lust hatte, sah sich auf diese Weise in den Stand gesetzt, noch denselben Abend das Theater mit seiner Gegenwart zu beehren und sich an dem Kunstinstitut zu ergötzen, zu dessen Erhaltung wir so nahe daran gewesen waren, auf indirecte Weise beitra« gen müssen. Odessa und Die südrussischen Kornkammern von Shirley Brooks. Odessa und dic südrussischm Kornkammern. Odessa ist eine neue Stadt. Die Türken hatten ehemals hier eine Festung, welche Kodsäia Bey hieß und die ihnen von Katharina II., der Gemahlin Peter's Hl, und Freundin des Don Juan, abgenommen wurde. Ihre Majestät geruhte den Ort ^.l> 6o55U8 zu nenne», aber er hat seitdem seinen mebr italienischen Klang angenommen. Ich branche nicht zu bemerken, daß die Stadt am schwarzen Meere steht, aber ich darf wohl bemerken, daß sie so an einer Bucht liegt, daß man beim Hinansblicken auf das Meer nach Norden schaut und Konstantinopel hinter sich hat, ein Umstand, womit die 3a»dcharte dem Beschauer nicht bekanntmachen würde. Die Stadt liegt gut und ihr Anssehen ist vom Meere aus emdruck-errcgend: die steilen Felsen, anf denen sie steht, sind mit weißen Gebän-den von bedeutender Größe und von thcilweise classischem Charakter gekrönt. Das bedeutendste unter diesen ist.das Haus des Fürsten Woron-zoff, welches sich durch eine vom Gebäude gesondert stehende Säulen-gruppe auszeichnet und eine das Äuge sofort anziehende Zierde der Stadt bildet. Das Zweite, was Einem sodann auffällt, ist eine riesige Treppe von beinahe zweihundert Stufen, die ans der Mitte der Stadt gerade nach dem Strande hinabführt. Sie ist vor einigen Jahren von dem Fürsten erbaut worden. Eine elegante Statue des Herzogs von Richelieu — eines französischen Emigranten, der ei» exemplarischer Gouverneur von Odessa wnrde, sich die Verschönerung des Ortes angelegen sein ließ und in ehrenvoller Armuth starb — steht am obern Ende der Treppe, wird aber, wenn man sie von unten betrachtet, durch die ungeheuern Verhält, nisse derselben erdrückt und hätte kolossal sein oder anderswo aufgestellt werden sollen. Odessa ist von großer Ausdehnung. Seine Straßen sind Schwarze« Meer. 7 98 Der Weizenhandel. breit, und wenn auch viele darunter steil und alle gepflasterten ungenügend gepflastert sind. so machen sie doch im Allgemeinen einen guten Eindruck. Es besitzt ein Museum und eine öffentliche Bibliothek, sowie «in Opern-Hans und ein Nationaltheater. Der Zustand der Straßen ist das Erste, was einem Engländer unangenehm auffällt. Der Staub ist so reichlich vorhanden, daß das leiseste Lüftchen Einen mit einem weißen Puder bedeckt, als ob man einer Mühle einen Besuch abgestattet hätte, und die Wolken sind mitunter so dicht, daß man kaum die gegenüberliegenden Häuser unterscheiden kann. Wenn es regnet, so wird die Sacke noch schlimmer, und der in Odessa Weilende gerätb bis über die Knöchel in Schlamm. Es kommt hier eine Zeitung heraus, das Journal d'Odcssa; aber sie ist unter aller Kritik. Die Eensur verhindert die Aufnahme von wirklichen Belehrungen, und ihre kritischen Artikel sind die seichtesten französischen Oberflächlichkeiten. Die Gcschaftssprache ist hier größtcn-theils das Italienische; aber man hört bei einer Wanderung durch den Hafen oder das Zollhalls fast sämmtliche Zungen unter dem Himmel. Die Namen der Straßen sind sämmtlich in russischer Sprache mit einer italienischen Uebersetzung darunter angeschrieben. Aber Odessa als «ine große, langweilige Stadt, und Odessa als ge» schäftigcr Hafenplatz, wo sick die Flaggen aller Nationen über die doppelte Gruppe der in Quarantaiue liegenden und der freien Schiffe erheben, sind zwei sehr verschiedene Orte. Odessa ist der große Brennpunkt, in welchem sich die Resultate der landwirtschaftlichen Industrie des südlichen Nuß« land concentrireu. Der Weizen, der Hauptvertrcter dieser Industrie, wird aus sehr weiten Entfernungen hierher gebracht um auf die Schiffe verladen zu werden, welche über das schwarze Meer herbeigekommen sind um ihn aufzunehmen. Er wird aus einem ungeheuern sslächcnraume hier vereinigt, und man wendet sowohl den Wasser« wie den Landtransport an, um ihn nach dem Hafen von Odessa zu schaffen. England, Frank' reich. Spanien, Dänemark. Sardinien, Neapel, Schweden, Ticilien und die Türkei senden je nach ihren Bedürfnissen Schiffe hcrdei um den so angehäuften Weizen zn holen. Der Ort selbst steht in fast gar keiner wirklichen Beziehung zum Ackerbau. Die außerhalb der öden Steppen« flacke liegende Stadt besitzt einige Bodenfleckchen, auf denen man zuweilen etwas der Fruchtbarkeit Nahekommendes wahrnehmen kann. Der Fuß „Ein Abzugsrohr." 99 des Reisenden hat aber kaum die weit bmgcdelmtcn erbärmlich gepflasterten Straßen verlassen nm fick landeinwärts zn begeben. als er sich anch in der Steppe befindet. Vom Meere bis znr nördlichen Grenze der Steppe, welche die Küsten des schwarzen Meeres umgiebt, von den Mündungen des Dniester bis zn denen des Don liegt eine Strecke von wech-selnder aber im Dnrchschnitt etwa zwanzig deutsche Meilen betragender Breite. Man sagt. daß die meisten Theile dieser Steppe bei mäßig guter Bearbeitung für den Anbau des Weizens geeignet seien; aber es fehlt an Waffer, und Bäume mangeln gänzlich. Vom Februar bis zum Mai ist der Oraswuchs ein höchst üppiger; aber in dem letzteren Monate beginnt der Nasen welk zu werden, und im Sommer ist der Boden so gänzlich von allem Grün entblößt, daß er das Bild einer trockenen Sandbank am Vteeresstrandc darbietet. Da demnach dieser Wüstcngürtel für jetzt den Landbau bis auf eine weite Strecke von Odessa unmöglich macht, so folgt daraus, daß diese isolirte, hübsche und wichtige Stadt nur ein Mundstück — ein ungeheures Abzugsrohr — ist. durch welches fortwährend das goldene Getreide eines halben Kaiserreiches strömt. Man wird das Verhältniß, in welchem die verschiedenen Classen in Odessa zu einander stehen, am besten begreifen, wenn man den Maßstab von Bequemlichkeiten, ans wclchm die socialen Rangstufen des Ortes An« sMuch macheu, zu ermessen weiß. Das Wohnhaus ist natürlicherweise der gewöhnlichste und nützlichste Prüfstein der relativen Lagen. Die höchste Classe der Wohnungen. welche Odessa darbietet, ist der Palast der Adeligen- Die niedrigste ist eine. die ich zwar mit großer Sorgfalt und auf verschiedenen Punkten in Augenschein genommen habe, welche ich aber kaum mit einem andern Namen zu bezeichnen vermöchte, als das ..Faß" der Fruchtverkäuferiu. Die erstere würde jeder europäischen Hauptstadt Ehre machen — d'e Bewohner der zweiten sind keine Trog' lodytcn - aber das ist anch Alles. Zwischen diesen beiden Extremen liegt jede mögliche Art der Wohnung, und die Verschiedenartigfeiten sind meiner Ansicht uack bedeutender und die einzelnen Typen zahlreicher als in irgend einer anderen großen Stadt, mit welcher ich bekannt bin. Das allmülige Herabsinken von dem GMm der Ueppigkeit bis zu dem Extrem der 'Armuth wird nicht durch die breiien Lücken bezeichnet, welche bei uns 7' 100 Das Straßenpsiaster. eine blaffe von der anderen trennen, sondern die Wohnungen scheinen all« mälig etwas weniger bequem zu werden und dann wieder etwas schlechter und dann noch schlechter und so fort, bis mau auf einem ummterbrochenen Wege aus dem Palast in das vorerwähnte Diogeneshaus verseht ist. Natürlich ist für Alles ein Grund vorhanden, und im vorliegenden Falle findet sich der Grund in der merkwürdigen Vcrschiedcnartigkeit der Be-völkcrnng, welche fast alle Nationen auf Erden vertritt, und daher ihre häuslichen Bequemlichkeiten mit ihren seltsam verschiedenen Bedürfnissen und Oebrauchcu in Einklang gebracht hat. Die äußerst geräumige Stadt ist mit großer Regelmäßigkeit ange< legt, und die Straßen sind so breit, daß die sanitätspolizeilichen Reformatoren künftiger Zeiten nur wenig Grund zu klagen haben werden, wenn dergleichen unheilstifterischc Lente jemals in Nnßland Eingang finden sollten. Die Straßen sind der Natur des Bodens zufolge häufig steil und der erbärmliche Zustand des Pflasters erhöht die Unbehaglichkeit der Fußgänger. Das beste Pflaster befindet sich da, wo man kleine unbehauene Steine dicht nebeneinander gelegt bat, da dies bei nassem Wetter einen sicheren Haltpunkt für den Fnß bildet. Auf audereu Punkten läuft eine schmale Reibe von Steinplatten die Mitte des Trottoirs (wenn man das Wort auf diese Weise anwenden darf), hinab, während der Raum zur Rechten und linken derselben ungevflastert geblieben ist. Jenseit des Trottoirs uud zwischen ihm und dem Fahrwege befinden sick die Cloakkn von Odessa — aus Ziegeln erbaute Kanäle von etwa zwei Fuß Tiefe, welche oben offen sind und mit denen die Häuser durch ähnliche aber klei« nere Kanäle in Verbindung stehen, die über den Fußweg hinweg gehen; aber für gewöhnlich mit einem Brette bedeckt sind. Da diese größeren Kauale um die Straßenecken biegen, wird es oftmals notbweudig. über sie zu schen. was dem von solchen Localitäten gemeiniglich berührten Or» gan zu einem fortwährenden Abscheu gereicht, während das Auge eben» falls beständig anf eine ekelhafte uud widerliche Weise berübrt wird. Der Fahrweg ist an den meisten Stellen außerordentlich holperig uno wer in einem der gewöhnlichen Stadtfuhnvelke fährt, die wie toll einherrasen, was vou einem sichern Orte aus ganz angenehm zu sehen ist, hat häufig Ursache, die Straße zu verwünschen, über welche er dahinrollt. So steht es mit Pflaster und Cloaken. Veleuchtung. 1^1 Die Beleuchtung dieser großen Stadt ist der übrigen Einrichtungen würdig. Der Wohnsitz von 100.000 Menschen, der mehr als cin Dutzend Palaste zählt, hat kein Gas. Es ist blos eine Reihe von Oel-laternen vorhanden, welche dazu dienen, die Straßenecken zu bezeichnen und hier und da den Fußgänger vor dem Sturz in eine offene Schleuße zu bewahren, aber diese Beleuchtung ist höchst erdärmlich und unzuläng' lich. Allerdings hat man eine gewisse Entschuldigung für den Mangel des Pflasters; der Stein. den man in dieser Gegend findet, ist zu weich, und Aspbalt kann wegen der abwechselnden außerordentlichen Hitze und Kälte nicht in Anwendung gebracht werden, während der echte Pflaster» stein nicht näher als in Trieft zu haben ist. Für ^'eute, welche Eutschul« dignngen gelten lassen, mag dies ausreichen'. ein rücksichtsloser Euglän« der würde sagen: „Nun gut, so holt die Steine von Trieft," aber das ist hier nicht gebräuchlich. Für den Mangel an (Aas ist gar keiu Grund vorhanden, ausgenommen der. welcher stets jedem Fortschritt m Nlißland fcmdllch entgegentritt. Die aus Bigotterie oder Eigennutz hervorgehende Scheu gegen alle Nmerungcn ist der Sache stets' in den Weg getreten, wenn man sich bemüht hat, eine Gasdereitnngsanstalt zu errichten, sodaß die Einwohner von Odessa sich immer noch allnächtlich die Schienbeine zerstoßen und in ihre schmutzigen Schleußen fallen. weil es ihnen an einem Gegenstände fehlt, den jetzt fast kein anständiges englisches Dorf mehr entbehrt. Eine noch zu erwähnende Eigenthümlichkeit der Straßen von Odessa ist der Staub. Ich sehe mich vielleicht dem Verdachte aus, daß ich mich hier bei einem sehr trivialen Gegenstände aufhalte-, wer dies aber glaubt, der gehe nur nach Odessa und spaziere in seinem sä'warzen Sonntagsanzuge drei Straßen hinunter, und er wird dann sehen, ob ich von einer Kleinigkeit gesprochen habe. Der Stanb liegt hier wie eine allgemeine Decke in einer Höhe von zwei bis drei Zoll. Der leiseste Lusthauch lagt ihn in Wolken über die Ttadt und bei dem leichtesten Tritt wirbelt er in dichten Säulen empor. Wenn ich daher sage. daß Hunderte in voNei Eile jagender Wagen — daS Deichselpferd in einem raschen Trabe und das Handpferd in prahlerischem, kurzem Galop — unaufhörlich hin und her rasseln und daß die Seeluft ebenso unauflwrlich durch die Straßen wehet, so ist die Behauptung, daß Odessa in einer Staubwolke lebt, durch« 102 Der Staub. aus keine bildliche Redensart. Ich habe mich zuweilen erdreistet, eine Klage laut werden zu lassen, wenn ich um eine Ecke bog und mich plötz' lich geblendet und über und über mit einem feinen weißen Pulver bedeckt sah, welches außerordentlich schwer wieder von den Kleidern herunterzu. bringen ist. aber meine Odessaer Freunde lachten und sagten: „Warten Sie nur erst einen richtigen Staubtag ab. das ist noch nichts." Und ich glaube es gern, wenn man mir versichert, daß die Häuser auf der andern Seite der Straße oft stundenlang nicht zu sehen sind. Wasserkarien giebt es nicht und wie ich gehört habe, ist man der Meinung, daß das Wasser das Uebel noch verschlimmere, weil es den Staub in einen entsetzlichen Koth verwandelt, der dann in Folge des Zustandes des Pflasters fast gar nicht zu passnen ist. Dies sind die Annehmlichkeiten der Morgen - und Abendpromenade in Odeffu. Aus der Gleichgiltigkeit der Einwobner gegen Dinge, die wir für sehr weseutlich halteu. darf man indessen nicht schließen, daß in dieser Stadt kein Leben sei. Im Gegcutbcile, Jeder rührt sich. Ueberall wird gebaut, und zwar nach großartigem Maßstabe. Mehrere stattliche Pa« laste — die nenen Gebäude verdienen diesen Namen wegen ihrer Größe und ihres Styles — steigen rasck empor. Der weiche Stein, von welchem ich scholl gesprochen ^ und der gewöhnlich mit einem kleinen Beile wie Holz behaucn und geformt wird, au lcr Lust aber mit der Zeit eine bedeutende Härte erlangt — erleichtert die Arbeit des Bauens sehr wesentlich. Kleine Berge dieses Steines in rohem Zustande sieht man in verschiedenen Winkeln der Stadt, wo zahlreiche Steinmetzen emsig be» schäftigt sind, ihn in die von dem Baumeister geforderten Blocke zu ver. wandeln. Von den neuen Gebäuden größerer Art sind einige zu Wohnsitzen für Mitglieder der Aristokratie bestimmt — andere sind das Eigenthum reicher Kaufleute uud werden entweder im Ganzen oder. prachtvoll ein« gerichtet, etagenweise vermiethet. Eiu sehr stattliches Gebäude, welches ich vom Hofraum an bis unter das Dach genall besichtigte, ist das Ei» genthum eines hier wohnenden englischen Kaufmanns und wird nach sei« uer Vollendung eins der prachtigsten Häuser der Stadt sein. Die Trep- Die Paläste. 103 pen sind von Marmor und die Wände der größeren Gemächer ebenfalls von schönem weißen Marmor, der, wenn er polirr ist, einen brillanten Effect machen muß. Die Bildbauerarbeit an den Decken ist sehr ge^ schnackvoll und die Mahagonythürcn — die tner jede vier» bis fünftinn-dert Thaler losten, machen die Pracht der Salons vollständig. Ich er» wähne diese Details blos um zu zeigen, auf welche kostspielige Weise hier gebaut wird, denn das Hans, von welchem ick soeben sprach, ist keines» wegs ein außerordentliches Exemplar der Odeffacr Architektur, welche in anderen Häusern, die ich gleichfalls besucht habe. sich noch zu weit höheren Extravaganzen versteigt. Wenden wir uns nun zum Gegensatze. In einer Abtheilung des ungeheuren Marktplatzes, welcher hier der Bazar heißt nnd in welchem alle nur erdenklichen Gegenstände für die häusliche Consnmtion zn haben sind, befindet sich. einem Begräbnißplatz gegenüber, ein weiter Raum. wo die Obst- nnd Gemüsehändler sich größtentheils versammeln. Die Obstzeit war beinahe vorüber, sodaß das Schauspiel natürlich weit weniger glänzend war. als während der Sommermonate. Hier aber sieht man die bei den Geheimnissen der Küche zur Verwendung kommenden Artikel in Massen, wie mail sic anderwärts nicht so leicht zn Gesicht bekommt. (5iue Kette kleiner Tomatcnberge zieht sich funkelnd und glänzend auf der einen Seite des Marktes hin, während sich hinter ihnen ein Gebirge von Melonen in mannshohen Haufen aufthürmt. nm deren Fuß sich demüthig und bescheiden cinc Menge gclbbäuchiger Kürbisse herumwälzt. Aepfel von jeder Sorte, ungeheuer groß und von fahler Farbe, oder kleiner und roth wie Sonnenuntergang. liegen in Tausenden nmher und erfüllen die Lust mit ihrem Aroma, Was die Millionen von Zwiebeln, getrockneten Bohnen, in mächtigen Schnuren aufgehangenen Pilzen, saftigen nnd kräftig schmeckenden Birnen, ungeheuer großen und vor» trefflichen purpurnen Pflaumen nud hundert andere vegetabilische Delicatessen betrifft, so ist es schwer zu begreifen, auf welche Weise diese ungeheuren Äorräthe, und noch schwerer zu welchem Zwecke sie zusammengebracht worden sind. Keine Bevölkerung, nicht einmal cine aus lauter, mit dem Befeble sich genügsam zu zeigen, losgelassenen Schulknaben bestehende wäre im Stande, in diese unermeßlichen Vorrathe ein wahrnehmbares Loch zn machen. 104 Das Faß. Die Personen aber. welche darüber verfugen, besitzen keine Aehn-lichkcit mit ihren reichen Schätzen. Der Bauer ist hm ein Wesen von erbärmlichem Aussehen — schmutzig schlecht gekleidet und hungrig. Sem zottiger Bart, seine ungeheuern über die Hosen gehenden Stieseln, seine zerlumpte blaue Jacke und rauche Mütze verratbcn Entbehrungen allcr Art, Aber man gebe ihm seine kurze, schwarze Pfeife nnd Branntwein genug, um sich erst toll und dann dumm trinken zu können, und ec wird sich nicht über sein Schicksal beklagen. Der weibliche Theil dieser Volks-classe läßt sich ans noch leichtere Weise zufriedenstellen. Die Fässerwoh-mmgen, von welchen ich schon oben sprach, gehören zu den Eigenthümlichkeiten dieses Monstermarktcs nnd sind von Frauen bewohnt. Entwurf, Grundriß und andere architektonische Vorbereitungen werden hier mit einem einzigen Handgriff abgemacht. Eine große, schwarze Tonne, die einige Aehnlichkcit mit einem Zuckerfaß hat. wird umgelegt, und das Haus isi erbaut. Eine Quantität Heu wird hineingebracht und das Hans ist möblilt. Die Dame seht sich hinein auf das Heu und das Haus ist be« wohnt. Vor dem Eingänge des Hauses streut sie die Zwiebeln. Tomaten, oder was sie sonst zu verkaufen haben mag, umher, und während der Ge-schäftsstundeu sitzt sie in der Toune, raucht ihre Pfeife, plaudert mit ihren Kunden uud betet. Wenn das Geschäft geschlossen ist, sieht sie sich um. von welcher Seite der Wind herkommt, dreht das geschlossene Ende ihrer Tonne nach dieser Seite hin und kriecht dann hinein. um in Ruhe und Flieden zu schlummern. Manche dieser Frauen aber sind ehrgeizig und legen sich aufs Bauen. Allerdings verlangen sie kciue marmorneu Treppen uud Mahagouythürcn; wohl aber nehmen sie zwei Fässer, welche in einer Entfernung von drei oder vier Fuß einander mit den Ocffnuua.cn gegenüber gelegt werden, worauf sie sodauu über deu Zwischmraum mit Einschluß der Fässer selbst ein wasserdichtes Stück Segeltuch breiten. Die schöne Bewohuerin — und zwei oder drei, die ich sah, waren, obschon nicht geradezu schön, doch außerordentlich hübsch — hat dann zwei Zim, um uud einen Hausflur. Es ist dies indessen ein ^uxus. welchem die ältere Classe dieser Obsthändlerinnen nicht huldigt, sondern vielmehr der Meinung ist, daß man der Sitte seiner Vorfahren treu bleiben müsse. In mehreren der Vorstädte habe ich auch die Wohnungen der Arbeiter besucht. Diese Wohnungen haben einige erfreuliche Eigenthümlich« Die Arbeiterwohnung. 105 ketten. Gewöhnlich bestehen sie aus einem kleinen Hause mit einem ein« zigen Zimmer, in welchem die ganze Familie wohnt und worin alle Hans--lichen Verrichtungen vor sich gehen. Obschon aber der Ranm so beschränkt ist. so habe ich doch in vielen dieser Hütten ein Streben nach Reinlichkeit oder auf alle Fälle ein Meiden grober Unrcmlichkeit bemerkt, welches hier zu Lande keineswegs allgemein üblich ist, Die Ausstattung des Zimmers, — ich nehme hier eins. welches ich selbst besichtigte, als Muster, und die meisten andern sind demselben in der Hauptsache ähnlich — ist außeror» dcntlich einfach. Der Hanptgegcnstand darin ist das Bett — ein großes, dauerhaftes Bauwerk, worauf, wie man mir mittheilte, der russische Ar« better großen Stolz setzt. Vs war in gutem Zustande und obschon ihm die Farbe und Politur fehlte, welche hundertjähriger Gebrauch in der Stammhüttc des englischen Bauers diesem Holzmöbcl geben, so verrieth es doch Sauberkeit und Sorgfalt. Was die Masse der darauf gehäuften Matratzen und Kissen betraf, so war diese ebenfalls eine Eigenthümlich, feit, aber eine nationale. Meiner Ansicht nach schie» wenigstens vier Mal soviel davon vorhanden zu seiu, als wünschcnswerth war; man darf aber nicht vergessen, daß diese Häuser nur sehr leicht g> baut sind und der Win« ter in Odessa außerordentlich streng ist. Der übrige Theil des Zimmers ward vou einem kleinen Tische, zwei oder drei Schemeln und einem Stuhle eingenommen, dessen Brüche durch dünnc eiserne Bänder wieder verbunden waren. Außer einem außerordentlich kleinen Säuglinge mit einem weißen Gesicht, aber großen funkelnden schwarzen Augen, welcher behaglich in dem großen Schafpelz seines Vaters wie in einem warmen Neste lag, und einigen Kochgeräthschaften gab es nichts weiter zu bemerken, als höchstens noch ein elend colorirtcs Heiligenbild und eil, noch schlechteres Holz» schmttportrait des Kaisers — die beiden Hauptgcgcustäude der Verehrung eines Nüssen — welche die Wände zierten. Die Wohnungen der besseren Klasse — die indessen weder der Aristokratie der Geburt, noch der nachäffenden Aristokratie des Bureaus an< gehören — sind sehr bequem. Viele davon befinden sich in Häusern von einem Hofraume umgeben, dessen Thore des Nachts verschlossen weiden. Der Eingang giebt keinen Begriff von der Bequemlichkeit des Innern, denn den Zugang zu der Thür bildet gewöhnlich eine eben nicht besondere, aber geradezu unbequeme Treppe. an deren oberstem Ende sich vielleicht 106 Das Kaufmannshaus. eine Veranda befindet. Es ist jedoch etwas werth, in einiger Höhe über dem Hofe zn wohnen, in welchem vielleicht ein Tümpel siebenden Wassers und ganz gewiß ein Hausen Küchenabgang aus den verschiedenen Haushaltungen sich befindet, auf welchem ein Nudel Hunde umherliegt, oder sich mit einander herumbcißt. Es ist gut, wenn man an solchen Orten so wenig als möglich sieht und riecht. Ist man aber einmal in dem Hause, so sieht man, daß Alles ordentlich und sauber ist. Der Mangel an Kaminen und Teppichen, mit Ausnahme vielleicht eines kleinen in der Mitte des besten Zimmers, ist das Einzige, woran man merkt, daß man nicht in England ist — abgesehen vielleicht davon, daß einige der an den Wan» den hängenden, gewöhnlich französischen, Kupferstiche nicht von der Art sind, wie sie ein kluger englischer Gatte und Vater zur Zierde seiner Woh» nnng wählen würde. In andern Beziehuugen jedoch ist wenig vorhanden, was das Halls des Kaufmannes in Odessa von dem seines Conmrrenten in London unterschiede. Die Kaufläden jedoch unterscheiden sich wesentlich von denen, welche man in den französischen und englischen größeren Städten sieht. Die Fenster sind alle klein und man sieht nichts daran zur Schau ausgestellt. Alles was darin zu sehen ist, muß inwendig gesucht werden. Aus diesem Grunde und aus dem Mangel an Gas bieten die Kauflädeu zu Odessa besonders des Nachts einen düstern und fast tranrigen Anblick dar. Es sind gute Kaufläden da, aber man muß sie suchen. Die Laden jedoch, welche die Kundschaft der ärmeren Volksclassen anzulocken suchen, hängen, wie Thomas Moore sagt, Lichter aus, indem sie Schilder aller Art scheu lassen. Diese malerischen Einladungen besitzen nicht den künstlerischen Werth der Aushangeschilder in Wien. wo man häufig ein wirklich gutes Gemälde als Anzeichen des Gewerbes hängen sieht, aber dennoch besitzen sie kecke Umrisse und ein in das Auge fallendes Colorit, welches dem Zwecke gauz glit entspricht. Die beliebteste Darstellung ist eine sich vom Himmel herabstreckende Hand. welche ein Füllhorn hält. Aus diesem ergießt sich, wie direct von der Vorsehung über den Handelsmann ausgeschüttet, ein Strom von allen den Waaren, welche der Gegenstand seines Handels sind. Am häufigsten glaube ich dieses Zeichen bei den Schnhmachern gesehen zu haben, wo ich bemerkte, daß aus einem ganz kleinen Füllhorn, welches anscheinend nicht im Stande ist, mehr als ein einziges Paar Schuhe zu Aushängeschilder. 1Y7 fasse» — desto größer ist freilich das Wunder — alle Arten Fußbekleidungen herausvurzeln — der majestätische Reitstiefel, der zarte weiße Pantoffel, der die richtige Mitte ballende Halbstiesel. der aristokratische Tanzschuh, der blaufarbige Zeugsticfcl und sogar rosenrotbe Kinderschuhe mit kleinen Schnällckcn, Der Sckul'inacher ist aber nicht der Einige, welcher auf die wissen Flächenranm dismembrirt werde, weshalb man die Sache so einrichten müsse, daß der Grundbesitz m nicht zu kleine Parzellen zerfalle. Das System der Vewirthschaftuug mit Leibeigenen wird daher, es mag nnn gut oder schleckt sein, stets im großen Maßstabe durchgeführt. Ob« schon es nicht leicht ist, iu dieser Beziehung eine bestimmte Norm anzu^ geben, läßt sich doch so viel sagen, daß der Besitz von „einhundert Teelen" — dies ist der regelmäßige uud autorisirte Ausdruck — der geringste ist, welcher eincm Manne Ansvrnch auf den Titel eines Grundbesitzers giebt, während der Besitz von „zweitausend Seelen" auf sehr umfangreiche Oüter schließen läßt. Diese Leute wohnen in Hütten von ziemlich gleichmäßiger Form, wiewohl sie sich je nach den Mitteln und Gewohnheiten deS Bewohners in Bezug auf iunere Bequemlichkeit von einander unterscheiden. Es muß jedem Leibeigenen so viel Land angewiesen werden, als zu seiner eigenen Ernährung und der seiner Familie nöthig ist. Der Herr hat das alleinige Recht, die Größe dieses Grundstückes zu bestimmen, nud früher besaß er uud übte ancb oft das Neckt, zu jeder beliebigen Zeit hieriu eine Aenderung vorzunehmen, doch ist dieses Necht einigermaßen beschränkt worden, wie wir später sehen werden. Früher mußte der russische Leibeigene so lange arbeiten, als sein Herr es verlangte, hierin ist jedoch eine Besserung eingetreten und die Arbeitszeit vou dem Gesetz auf ungefähr drei Tage, in manchen Provin« zen auch nur anf zwci, festgesetzt worden. An diesen Tagen arbeitet der Leibeigene für seineu Herrn, die übrige Zeit verwendet er auf die Bestellung seines eigenen Feldes. Die Ackerbaugeräthschaften, mit welchen der Leibeigene seine Feldarbeiten, nicht blos auf dem ihm selbst angewiesenen Lande, sondern auch — und dies ist wohl zu beachten — auf dem Grundstück femes Herrn verrichtet, sind Eigenthum des Leibeigenen, aber ein Eigenthum von ganz besonderer Art. Wenn er seine Arbeit nicht ordentlich ausführt, oder Zahlungen, die er übernommen hat, nicht lciftet, wo dann dem Herrn daS Recht zusteht, ihn aus seiner Hütte zu stoßen und ihm Alles zu uehmen. waS er auf der Wclt sein nennt, so muß doch zu Gunsten seiner Ackerbaugeräthschaften eine Ausnahme stattfinden — eine Bestimmung, welche bei einer ackerbautreibenden Bevölkerung von großer Ackergeräthe. 1I1 Vedeutling ist. Unter gewissen Umständen ist anch in England, ebenso wie in andern Landern, das „Handwerkszmg" gegen dergleichen Angriffe geschützt, aber es ist sonderbar zu sehen, daß inmitten einer Tclaverei wie der rnssischen eine ahnliche Ausnahme statuirt ist. Dieselbe wird. wie man mir versicherte, sehr streng beobachtet, nnd das Werkzeug ist „für den Herrn unantastbar." Gs darf indessen bierbei nicht unbemerkt bleiben, daß, da der Ackerbau mit den Instrumenten betrieben wird, welche dem unwissenden, armen Leibeigenen gehören, wenig Aussicht vorbanden ist, daß irgend eine der durch die moderne Wissenschaft aufgefundenen Verbesserungen des Feld» und Garteubaues den Weg nach Rußland finden werde. Der Leibeigene selbst würde — ebenso wie der irische Bauer thut — es als eine Art Frevel betraä'ten, in Bezug auf einen Pflug oder eine Mistgabel vom Klauben seiner Väter abzufaNeu. Ich weiß aber nicht, ob. wenn der Grundbesitzer für die Gerätbschafteu zu sorgen hätte, der Unterschied sehr groß sein würde. Der Gutsherr besitzt, obschon aus andern Gründen, dieselbe Anbänglichkeit an das alte Herkommen wie der Leibeigene. Der Leibeigene bleibt aus purer Unwissenheit was sein Vater und Großvater waren, lind macht es wie diese es machten; der Gutsherr aber widersetzt sich jedem Fortschritt, weil er entschlossen ist. keinen Capitalaufwand auf seinem Grundstück zu machen, der sich nur einigermaßen vermeiden läßt. So ist mir bekannt, daß ein sehr reicher Gutsbesitzer — der wenigstens 100,000 Thaler jährliche Einkünfte hat — dem man kürzlich rieth ein gewisses Ackerbaugerätb. welcl'es man anderwärts fast auf jedem Bauerngute antrifft, für seine Oekouomie anzuschaffen, antwortete: ,Mon viou! bedenken Sie doch die Kosten! Sie verlangen, daß , von allcn Eontracten, Hypotheken, Verkäufen und andern Formalitäten, und man sagte mir, daß russische Eigenthumsansprüche sich aus Büchern, die der Einsicht des Publienms offenstehen, vollständig ermitteln lassen. Der Pacht eines Gutes lautet ans drei, sechs oder neun Jahre; drei ist jedoch die gewöhnliche Zeit. Nach Verlauf derselben hat der Pächter den srüber beschriebenen Vewirthschaftungskreislauf durchgemacht und wird im Staude sein. sich zu entscheiden, ob er um eine Verlängerung des Pachtes nachsuchen soll, da er nuu Gelegenheit gehabt hat, sich mit dem Grundstück vollständig vertraut zu machen. Der Leibeigene findet ge» wohnlich in dem neuen lucuin l<:n(n>8 einen durchaus nicht zufrieden« stellende» Ersatz für den ursprünglichen Herrn, der anf dem Gute besser bekannt ist und sich natürlich für das Wohlbefinden seiner Bauern mehr mtercssirt. Der Pächter dagegen hat nur eiucu Zweck im ?luge, nämlich den, während seines Pachtes so viel Gewinn als möglich herans' znschlagen, nnd welche Erlaffe auch in Bezug auf die dem Gutsherrn schuldigen Leistungen von diesem zmvcilcn gemacht werden, so stehen dergleichen von dem Pächter uur sehr selten zu erwarten. Es ezistirt aber auch noch ein anderer Herr, der durchaus nicht Übergängen werden darf und dieser ist die Krone, Ich spreche hier aber nicht von dieser Autorität in ihrer Eigenschaft den sogenannten Kronleib» eigene» gegenüber, da deren Lage besonders besprochen werden wird, fondern ich meine die Krone in ihrer Eigenschaft als Besitzer confisciiter Güter. Es ist nicht nöthig, hier anf die Umstände hinzudeuten. welche dic Empörungen veranlaßten, bei welchen so viele polnische Edelleute eine so hervorragende Nolle spielten. Es reickc bin, zu erwähnen, daß sich unter diesen Männern einige der reichsten und geartetsten Gutsbesitzer Nußlands befanden. Nachdem die Empörung unterdrückt war, wurden ,die Besi^nngen der dabei bethciligt Gewesenen, sowohl in Städten als auf dem Lande, confident. Hier in Odessa ward eins der schönsten Gebäude der Stadt — welche« sofort ins Auge fällt und den Fremden auf die Vermuthuug bringt, es sei ein Mnseum oder eine öffentliche Bibll» thek — als Magach, und VorrathshauS von einem dieser Edelleute erbaut, die Regierung hat es aber zu militairischen Zwecken eingerichtet. Soldatencolonlen. 13? Das prachtvolle Wohnhaus desselben Edelmannes ist ebenfalls in ein Negienmgsbureau verwandelt worden. In dem Lande erfolgten die Confiscationen nach großartigem Maßstabe. Es ist schwierig, zu sa« gen, wer sich über diese Eigenthumsentziehungen beklagen kann — die Insurgenten hatten, wie Oberst Talbot im Waverlcy von den Hoch. ländcrn von 1745 sagt, das Spiel mit offenen Augen begonnen. „Sie würfelten um Leben und Tod, Grafenkronen oder Sarge und konnten nicht Ausprnch auf Rückerstattung des Einsatzes machen, als das Glück des Spieles sich gegen sie erklärte." Die Bevölkerung der confiscirtcn Güter aber kam bei dieser Veränderung nicht gut weg. Die Regierung, welcher daran lag, diese Ländcreien nicht unangebant liegen zu lassen, suchte die Güter durch eigene Commissare zu bewirthschaften, welche an die Stelle des ausgerotteten Adels traten. Das Ergebniß war vorauszusehen und zeigte sich sehr bald. Das Veamtensystem lastete zunächst ans den Leibeigenen, die dadurch fürchterlich bedrückt nnd ausgesogcn wurden — die Erpressungen waren entsetzlich und dennoch hatte die Krone wenig Nutzen davon. Der Bauer, der auf diese Weise mit einer Menschemlasse i,. Berührung kam. welche kein Interesse an ihm oder dem Gute hatte, sondern deren einziges Trachten Selbstbereichcrung war. sah sich nach allen Seiten hin gehemmt und würde wahrscheinlich noch etwas länger gelitten haben, wenn man nicht gefunden hätte, dasi er vergebens litt. Da cs aber klar war, daß die Kroneinküuste gestohlen wurden und daß die Güter noch etwas schlimmeres werden könnten als blos uneinträglich, so beschloß man das System zu wechseln. Die Veamtcn machten der Sol« dateska Platz. Die Negiernng errichtete auf ihren Gütern eine Art Mili« tancolonie. Man kann dies kaum einen Rückschritt nennen, denn obschon die Güter, glaube ich, nicht mehr des Gewinns wegen bewirthschaftet werden, sondern blos zur Ernährung des darauf angewiesenen Theils der Armee, so soll doch die Verwaltuug jetzt weit besser und humaner sein als unter der habsüchtigen Herrschaft der Commissarc. Die Entfernung so vieler Bewohner dieser Güter von den allgemeinen landwirthschaftlichen Beschäftigungen hat aber eine unleugbar nachthciligc Wirkung auf den Getreidehandel geäußert. Die Transportlosten sind dadurch vermehrt worden, was, in Verbindung mit den Wirknngcn der neuerlichen furcht' baren Sterblichkeit unter dem Zngvieh, einen Gegenstand der reiflichsten 138 Güterverwaltung durch Leibeigene. Erwägung abgiebt, wenn es sich darum handelt, die indirecten Hindernisse für die Vermehrung der Zufuhr in's Auge zu fassen. Es giebt auch noch eine andmveite Methode, die Güter zu bewirthschaften, welche ich nicht übergehen will, obschon sie gegenwärtig nur noch selten vorkommt. Zuweilen geschieht es, daß ein (Hutsherr, entweder weil er mit der Landwirthschast kein Glück hat, oder an derselben keinen Geschmack findet, oder weil seine Anwesenheit anderwärts nöthig ist. seine Leibeigenen zusammenruft und ihnen vorschlägt, das Gut unter einander selbst zu bewirtschaften. Da er natürlich die Ertragsfähigkeit des GnteS kennt, so macht er einen so guten Handel als möglich und die Gemeinde nimmt, nachdem sie sich verbindlich gemacht hat. ih,n die nach Ucbereinkunft festgestellte Entschädigung zu zahlen, das Gut selbst ill die Hände. Es geschieht dies natürlich blos in administrativer Beziehung und ohne Ueber» nähme der sonstigen Autorität des Gutsherrn, die 'nicht auf einen Leib» eigenen übergehen kann. Und ans diese Weise wird das Gut bewirth» schaftet — die Rimessen gehen nach St. Petersburg oder Paris, oder wo der Besitzer sich sonst aushalten mag, und die Leibeigenen vertheilen den übrigbleibenden Gewinn unter sick. Dieses System wird, wie man mir mittheilte, nicht sehr oft in An« Wendung gebracht, obschon ich glaube. daß es sich ziemlich gut bewährt hat. Ein Grund, weshalb dieses System nicht in höherm Grade in Anwendung kommt, ist in der Politik des Staates zu suchen. welche der Abwesenheit der Gutsbesitzer nicht hold ist und ihnen die Erlaubniß zum Reisen oder zum Wohnen im Auslande nur sehr ungern ertheilt. Da Niemand Rußland verlassen kann. ohne sich im Besitz der dazu erforderlichen Papiere zu befinden, so ist es leicht, in dieser Beziehung Hemmnisse eintreten zu lassen. Es sind mir Fälle bekannt, in welchen sehr vor-» nehme Personen, die bei der Regierung keineswegs in Ungunst standen, seit Jahren um die Erlaubniß zu einer Reise nach England und Frank« reich nachgesucht haben, ohne die erbetene Ermächtigung zu erhalten. Die Abweisung ihres Gesuchs erfolgte natürlich stets in den boflichstm Aus» drücken und nicht selten auf Gründe hin. gegcn die man unmöglich ankämpfen konnte; der Zwang aber. er möge nun Höftich oder rauh sein, bleibt immer derselbe. Einem Grundbesitzer kann unmöglich viel daran Landsitze. 139 liegen, sein Mut einfach um deswillen zu verlassen, nm in einem andern Theile des Reiches zu wobncn. Der Wohnsitz des Landeigenthümcrs in diesen Provinzen hat nicht viel Aehnlichlcit mit dem ('luücuu Frankreichs oder dem Landsitze Eng, lands. Trotzdem aber ist er ein Wohnsitz, in welchem Behaglichkeit zn finden ist, worauf man sich in Nußland ganz gut versteht, denn man findet fast in jeder Wohnung, die man betritt (neben vielen Abgeschmackt» beiten), gewisse Einrichtungen, die uns noch fehlen und die zum häuslichen (5omfort ungemeiu beitragen. Dcr russische Ofen durchwärmt das ganze Haus und die russischen Doppelfenster halten Wind und Zugluft ab. In den Distritten, von welchen ich hier spreche. ist das Haus in der Ncgel sehr umfangreich, besteht aber selten aus mehr als einen« Stockwerke. Dem ursprünglichen Gebäude fügt dann jeder spätere Vcsitzer zn, was er für nothwendig hält, und die architektonische Unregelmäßigkeit des Gebäudes ist von geringer Bedeutung wo es keine kritischen Augen giebt. Das Haus ist von einem großen Garten umgeben; dieser aber ist nicht eine Sammlung von glatten, Billardtafeln ähnlichen Grasplätzen, oder von glänzendem Kies funkelnden Gängen, sondern wird hauptsächlich als Äüchcn-garten benutzt. Dcr Dienst des Hauses wird von leibeigenen Dienern verrichtet, welche gewöhnlich sehr zahlreich und deren Functioneu sehr ge-theil» sind — ein System, welches, so weit ich es in Thätigkeit gesel,en habe, nicht von den gewöhnlichen Vortheilen der Theilung der Arbeit be» gleitet ist, sondern mehr Achnlichkeit mit der spanischen Praxis der Ver. vielfaltigung der Aemter hat. in deren Folge einmal — wie die Geschichte erzählt — ein Monarch beinahe geröstet wurde, weil Niemand in der Nähe war. dessen Amt ihm einzuschreiten gestattete. Das Tystem der häuslichen Ockonomie ändert sich indessen je nach dem Herrn nnd noch mehr nach der Herrin, denn während ich in einigen Häusern, die ich be» sucht habe, fand, daß dcr Gehorsam der Diener, obschon uic verweigert, doch auf eine sehr unfreundliche Weise geleistet ward und daß in anderen jeder Diener die Arbeit des andern zu verrichten schien, bade ich die leibeigenen anch die Hausarbeit so heiter, geräuschlos und pünktlich vcrrich» ten sehen, wie wir es in England zu erwarten pflegen. Diese Haus-Leib« eigenen erlangen, weil sie mit ihren Herren in fortwährende Berührung kommen, bessere Manieren als die Classe außer dem Hause — hanfig 440 Haus-Leibeigene. geben sie sich, wie man zu saften pflegt, „Mühe mit sich selbst" und erhalten nach langen und guten Diensten oft ihre Freiheit zum Geschenk. Sie sind im Ganzen genommen gerade nicht durch Ehrlichkeit ausgezeichnet, doch habe ich einzelne derselben in dieser Hinsicht schr loben hören, und sie entwickeln bei freundlicher Behandlung eine Heiterfeit lind Herzlichkeit, welche einen sehr wohlthuenden Gindruck macht. Unter einander selbst sind sie sehr munter und lustig uud die geringste Kleinigkeit reicht hin um in den Zimmern der Leibeigenen einen lauten Ausbruch von Fröhlichkeit zu veranlassen — cm Geräusch, welche« anfangs den an die Ordnung und Nuhe des Hauses gewöhnten Fremden überrascht, wovon abcr die Herren des Hauses keine Notiz nehmen oder wenigstens kein Interesse an der Ursache verrathen. Die Manieren der Diener sind anscheinend in Gegenwart ihrer Herren weit weniger gezwungen als bei uns; ich will damit nicht sagen, dasi ein Mangel an Respect wahrzunehmen sei. aber der Ton ist ein weit vertraulicherer. Wenn ein Leibeigener, oder ganz besonders eine Leibeigene etwas besser zn wissen glaubt, als die Person, welche Instrnctioncn ertheilt, so habe ich niemals gesehen, daß der oder die Leibeigene im Mindesten zögert, die Sache zu bcstreiteu. Die unverkennbare Anhänglichkeit der Haus-Leibeigenen, sowohl der männlichen als der weiblichen, an die Kinder der Familien, ist ein schr erfreuliches Zeichen. In einer Familie, welche ich das Vergnügen hatte, zu besuchen, bemerkte ich. daß eine der Wärterinnen. welche ein Kind des Hanses zu bedienen hatte, in einem so hohen Grade von Narben entstellt war, dasi sie einen fast abstoßenden Anblick gewahrte. Ich bekenne mich einigermaßen zu den Ansichten des Fräuleius von Cardoville. wenigstens waS die äußere Erscheinung der Personen betrifft, welche sich in der Umge« bung von Kindern befinden, und hatte wahrscheinlich das fragliche sehr häßliche Mädchen wiederholt angesehen, denn die Herrin dcs Hauses sagte lachend: „Ich fürchte, unsere arme Thekla gesällt Ihnen nicht, Mr. Vrooks?" „Offen gesprochen müßte Ihre Dienerin innere Vorzüge besitzen, wenn sie Einem gefallen sollte." „Die besitzt sie auch," sagte die Dame mit Warme. „und ich freue mich, Gelegenheit zu haben, Ihnen dies zu sagen. Vor vier Jahren war Haus-Leibeigene. 141 sie ein so hübsches Mädchen, wie man es unter unseren Bauern nur sehen kann. In unserem Landdausc kam eines Nachts Feuer aus und es brannte ein bedeutender Theil davon nieder, doch kam Niemand dabei ums Leben, und die Person, welche am meisten Ursache hatte, dieses Unglück zu beklage», war ebcu Thekla, Wir standen Alle da und sahen den Flammen zu, als es Thekla Plötzlich einfiel, daß das Kind hier, damals noch ein Säugling, in dem brennenden Hause zurückgeblieben sei. Tie stieß eiuen wilden Schrei aus, der uns mehr erschreckte als es das Feuer gethau, und sprang durch ein Fcuster. dessen Holzwerk bereits brannte, in das Haus. Sich durch den Nauch Vahn brechend, gelang es ihr. in eills der Schlafzimmer zu dringen, wo ste betäubt und bewußlos zusammensank. Mit großer Mühe ward sie wieder herausgebracht, und erst, nachdem eiuc andere Seite des Zimmers, in welches sie gedrungen, eingestürzt war, sah man sie neben einem Vett, mit dem Deckbett des Kindes in der Hand liegen. Wahrscheinlich hatte sie dieses in ihrer Verzweiflung aufgerafft und war dann niedergestürzt. Sie war fürchterlich verbrannt und man zweifelte an ihrem Aufkommen, endlich aber ward sie wiederhergestellt, obschou, wie Sie sehen, mit gänzlichem Verlust ihrer Schönheit. Sie selbst erzählte, daß sie sich nach uns Allen umsah, das Kind vermißte — es war, ohne daß sie etwas davon wußte, in ein Nachbarhaus gebracht worden — und von diesem Augenblick au die Bcsiu» uung verlor." Ich fragte nicht, ob Thekla noch Leibeigene sei, der Charakter der Dame aber bei der sie war lind der ihres Gatten bürgen mir dafür, das, das treue Mädchen sich genau in der Stellung befand, welche für sie die beste war und die sie verdient hatte. Der letzte Punkt, auf welchen ich hier hiudeuten will, ist die Ve-zeichuung der Grenzen der Landgüter. Diese Abgrenzungen würden den geübtesten Geodäten verwirre», „Wir haben keine Hecken, über welche die Jäger hinwegsetzen können," sagte einer meiner Nachrichtgeber, den ich schon citirt habe und welcher, beiläufig gesagt, zu glauben schien, daß wir in England allmalig auch einige kleine landwirthschaftliche Fortschritte machen, als ich ihm sagte, daß viele englische Landwirthc anfangen, den Zaun oder die Hecke als ein Ding zu betrachten, welches abgeschasst'werden müsse. Ebenso wenig haben die Nüssen steinerne Mauern wie die, 142 Bezeichnung der Gutsgrenzen. über welche die irländischen Pferde den Rand berührend, himvcgklettcrn wie Katzen. Es wäre für einen Fremden schwer zn sagen, daß die Güter überhaupt von einander geschicdcn seien. Eine Beschreibung aber, die mir ein Augenzeuge gcfälligerweise von Dem lieferte, was er selbst gesehen hat, wird am besten erklären, wie in dieser Beziehung zu Werke gegangen wird. „Ich ward." erzählteer, „eingeladen, einige Tage bei den drei Söhnen eines verstorbnen freundes zuzubringen, dessen großes Landgut zwischen die jungen Herren getheilt werden sollte, und diese Theilungsfeier' lichkeit war eben das. was man mir zeigen wollte. Man entwickelte dabei einen bedeutenden Grad von Gastfreundschaft nicht blos gegen die Aristokratie, sondern auch gegen das gemeine Volk. Mehrere Tage lang batten wir alle Arten von Festlichkeiten und Jeder, der kam, ward bewirthet und beherbergt. Die Leibeigenen wurden sehr betrunken und sehr laut, und wenn ihre Vorgesetzten es ebenso machten. so bitte ich den Grnnd davon in dem mcnschenfrenndlicken Wnnsche zu suchen, ihre Untergebenen nickt durch Entwickelung eines zu bohen Grades von Vollkommenheit zu ent-muthigen. Eines Morgens ward ich durch lautes Schreien und Trom» meln aus dem Schlafe geweckt, und als ich hiuaussah. erblickte ich einen bunten Zug, der sich mit Fahnen und unter dem Schalle der Musik >,m das Haus bewegte. Ich kleidete mich an und entdeckte bald, daß das große Ereigniß, die Theilung des Mutes, wirklich vor sich gehen sollte. Wir bracken aus, die meisten der Herren zu Pferde, und ich glaube, es waren auch einige Wagen dabei, die Dienerschaft jedoch war zu Fuße. Wir hatteu mehrere Veamtc bei uus imd außerdem Landvoigte, Geometer und andere dergleichen Herren. Gs dauerte nicht lange, so kamen wir au eine Art langen Erdwalles, den ich kaum bemerkt haben würde, der aber wie sich zeigte, die Grenze dcr einen Seite des Gutes bildete, und die Ur« kundsversonen sprachen mit einander und erkannten nach gewissen Zeichen und Vergleichungen die Grenze als riclttig an. Ich hatte kaum bemerkt, daß eine große Anzahl der Vaueru lange dünne Stäbe in den Händen trug — in diesem Allgenblicke aber wurden alle diese Stäbe wie auf Kommando geschwungen »nid die Träger stürzten alle nach dem Damme, wahrend zugleich jeder einen Schlag nach etwas zu führen schien. Ich horte ein verzweifeltes Geschrei welches von lautem Gelächter über- Bezeichnung der Gutsstrenzen. 143 täubt wlllde, und als ich unter die Menge hineinritt, sah ich einen Knaben von zwölf bis vierzehn Iabren, der von dem Damme herunterznkom-men suchte und, obschon nnter lautem Gelächter, dennoch so tüchtig durchgewalkt wurde, wie ein junger Mensch von diesem Alter es nur wünschen kann. Alle schlugen nach ibm nnd er war so umzingelt, daß es ihm unmöglich war. zu entkommen, mn so weniger, als er durch seine Kleider daran verhindert wurde, die nach Schülermanier ein wenig in Unordnung gebracht worden waren. damit die Züchtigung desto wirksamer den Ort treffen möchte, für welchen sie danvtsäcklich bestimmt war. Nachdem der arme Bursche einen tüchtigen Denkzettel an diesen Ort erhalten hatte, liesi man ihn los und er lief laut heulend davon. Da ich Aufklärung über diese sonderbare Procedur zu haben wünschte, so wendete ich mich an einen der Vanern, welcher an der Operation sehr lebhaften Antheil genommen hatte, und er sagte: .Kr wird noch seinem Onkel erzählen, daß dies die südliche Grenze des Grundstückes ist. Ich kenne sie gut und werde sie niemals vergessen, denn ich bin Gott sei Dank. vor fünfzig Jahren selbst an dieser Stelle tüchtig durchgeprügelt worden." Und diese angenehme Ceremonie, die Grenzen emzuprügclu. ward — natürlich mit immer neuen Scklachtopfern — während dieses Morgenritts an einer Menge verschiedener Punkte wiederholt. Nund um das Gut herum fanden wir Crddämme. und an jedem derselben ward irgend ein Knabe, der unerfahren genug war, um sich haschen zu lassen. einer spartanischen Züchtigung, wiewohl nicht nnter spartanischem Schweigen, unterworfen. Da. wo neue Grenzen errichtet werden mußten — zu we!« chem Zwecke schon vorher das Nöthige besorgt worden — waren frische Crdwälle aufgeworfen, und wieder andere Knaben hatten die Ehre, zuerst aus denselben durchkarbatscht zu werden. Cine größere Prügelei war nichi wieder erlebt worden, seitdem die siebzig jungen Herren der West-minsterschnle alle an einem und demselben Morgen ausgepeitscht wurden. Dann kehrten wir alle nach dem Herruhause zurück und die Lustbarkeiten der vorherigen Abende wiederholten sich in womöglich noch höherem Grade, sodaß Alle sich dem lautesten Jubel hingaben, nur vielleicht mit Ausnahme der ausgcprügelten jungen Herren, die nicht einmal den Trost hatten, sich niedersetzen und lhr Schicksal beweinen zu können." 144 Die „Inventur". Ich habe gesagt, daß dei Leibeigene Anspruch auf so viel Land hat, als zur Ernährung für ihn uud stine Familie hinreicht. Dieses Zuge« standniß ist natürlich ie nach dem Vedarfe verschieden. in der Regel aber sehr reichlich und giebt in gewissem Grade einen Maßstab für den Um« fang dieser Landgüter überhaupt. Die durchschnittliche Quantität dcs dem Leibeigenen angewiesenen Flächenraums ist eine sogenannte Deffätiue oder beinahe drei Äcker. Duscs Gnmdstück bebaut der Leibeigene nach seiner Art und Weise, während der Zeit, wo er nicht für seinen Herrn arbeitet. Unter den früheren Einrichtungen war der dauernde Besitz dieses Grundstücks durch den Leibeigenen sehr ungewiß, denn der Gutsherr hatte und übte auch oft das Necht, ihn nach Willkür zu versetzen, uud zwar zu Zeiten, wo eine solche Versehung für den davon Betroffenen die verderblichsten Folgen nach sich ziehen mußte. Dies ist aber in der letzten Zeit auch dem willkürlichsten Herrn durch das Gesetz bedeutend cr< schwert worden. Seit vielen Jahren ist es Wunsch der Negierung gewesen. Schritte zu thun. um die Lage des Leibeigenen zu verbessern und ihn von dem Gutsherrn etwas unabhängiger zu machcui Selbst eiu Emancipations» plan fand eine Zeitlang an der höchsten Stelle günstige Beachtung, ob-schon er später wieder beiseite gelegt wurde. Eine Maßregel aber, welche einige gute Früchte zu tragen versprach, ward wirklich vor einigen Jahren eingeführt und würde, wenn uicht Ursachen von ganz besonderer Art vor« Handen wären, in diesem Augenblicke iu allgemeiner Wirksamkeit sein. Es war dicS eine RegienmgSmasucgcl, die nnter dem Namen der „In« ventur" bekannt ist. Die Bestimmung derselben, die sich aus dieser Benennung schwerlich errathen läßt, war die, das gegenseitige Verhältniß zwischen Gutsherren nnd Leibeigenen in Bezug auf Eigenthum und andere Einzelheiten festzustellen, Das allgemeine Princip dieser Maßregel ward als sehr gerecht betrachtet und die Maßregel selbst von vielen dcr Grundstücksbesitzer gebilligt. Um den Leibeigenen in den Stand zu setzen, von deu Bestimmungen dieses Gesetzes Gebrauch zu machen, wurde befohlen, daß iu jedem Districte, auf welchen es sich bezog, drei Exemplare der Inventur zur öffentlichen Einsicht bereit gehalten werden sollten — — eins in der Kirche, eins in dem Hause des Priesters, und eins in dcm Gerichtshause — eine Anordnung, welche anscheinend den Zweck hatte, Die „Inventur". ^45 dem Leibeigenen Kenntniß von seinen Rechten zn verschaffen. Es traten aber verschiedene Umstände ein, welche die Wirkung dieser Maßregel vereitelten. Nicht der unwichtigste vielleicht, obschon ein sehr prosaischer, war der bedeutende Umfang dieses Gesetzes. So schla» der Leibeigene auch in allen Dingen ist, welche sein eigenes Interesse betreffen, so ist doch eine mit allerhand juristischen Ausdrücken gespickte Papier-maffe eine furchtbare Schranke zwischen ihm und seinem Gegner. Und obschon ohne Zweifel die Niederlegung eines Exemplars des Gesetzes in die Hände des Priesters — der. da er derselben Religion angehört wie seiile Beichtkinder, ihr Führer, Nathgeber und Freund sein und ihnen bei ihrem etwaigen Widerstände gegen ketzerische Herren zur Teite stehen sollte — in der Absicht geschah, um den Bauern einen Vortheil zu sichern, so ist dies doch nicht die Folge gewesen. Die Priester — in der Regel arme, schmutzige und schlaue Menschen — haben, wie es scheint, gewöhnlich mehr das Interesse des reichen katholischen Gutsherrn im Auge be ^ halten, als das des armen griechischen Leibeigenen. Unter solchen Um» ständen kann man sich leicht denken, in welchen Abgrund von Irrthum und Verwirrung ein schlauer Priester durch die Auslegung eines Gesetzes ein ganzes Dorf unwissender und hilfloser Halbwilder stürzen kann. Das Gesetz ist in hohem Grade umgangen oder vernachlässigt worden, und gegenwärtig scheint kein Mittel mehr vorhanden zu sein. es kräftiger durchzuführen , selbst wenn die Regierung geneigt wäre, sich noch ferner in dieser Beziehung einzumischen. Indessen hat es doch eine wohlthätige Wirkung in Bezug auf zwei wichtige Punkte gehabt. Zuerst nämlich ist dadurch eine gewisse Art von Ansässigkeitsrecht geschaffen worden — das heißt, es verhindert, daß der Leibeigene zu irgend einer beliebigen Zeit, so wie es seinem Herrn gerade einfällt, seiner Häuslichkeit entrissen werde. Zweitens hat es auch dazu beigetragen, die Zeiten fest zu bestimmen, zu welchen der Gutsherr die Arbeiten des Leibeigenen verlangen kann. Das alte System gewährte iu dieser Beziehung dem Leibeigenen gar keinen Schutz und gestattete dem Gutsherrn die Tage zu wählen, die ihm gut-dünkten oder an welchen die Witterung es ihm vortheilhaft erscheinen ließ, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Leibeigenen oder die kleine Ernte, auf die er in Bezug auf seine Existenz angewiesen ist. Hinsichtlich dieser Schwanz^ Meer, ^0 146 Lebensweise des Leibeigenen. beiden Punkte, die von unleugbar großer Wichtigkeit find. hat die „Inventur" allerdings einen beilsamen Einftllß ausgeübt. Der Leibeigene, der sich hinsichtlich seiner Subsistenzmiltel anf seine Feldarbeit angewiesen siebt, ist in dcr Regel ein Geschöpf, welches, außer denen, die es nüt seinen Händen errciäien kann, nur wenig Bedürfnisse hat. Er ißt nnr wenig Fleisch — eine Thatsache, die ich schon in Vezug auf den in den Städten wobncnden leibeigenen angedeutet habe und die in einem Lande, wo der Preis des Fleisches so niedrig ist, besondere Be» achtung verdient. Vegetabilien verschiedener Art sind seine hauptsächliche Kost. In den meisten Hütten finden wir den Topf am Feuer — jene nahrhafte und vortreffliche Mche. welche, wenn die englischen Guts« Herren ihren Bauern lehren woNten. dieselbe anzunehmen, für diese letzteren sich als eine wahre Segnung erweisen würde, denn nichts kann schmal hafter oder ökonomischer sein, als das Kockeu im Topfe und nichts vcr> schwenderischer oder einförmiger. als die unter den niederen Volksclassen Englands (wenn sie Fleisch haben können) übliche Kocherei. Der immerwährende Topf am Fener, der stcts fertig und doch in dem katholischsten Geiste stets bereit ist. jeden animalischen oder vegetabilischen Zuwachs aufzunehmen, den das gute Glück ihm zuführt — stets von eiucm Aroma duftend, welches anf Nahrhaftigkeit und Wohlgeschmack schließen läßt, während er dem Esser stets die besten und kräftigsten Theile der darin enthaltenen Speise bewahrt — ist ein wohlthuender Gegensatz zu dem englischen Verfahren, aus dem bestmöglichen Material so wenig als möglich hcrans-zubekommen. Von Weizen weiß der Leibeigene, trotzdem daß er in einer Welt von Weizen lebt, weiter nichts, als daß er ein kostbarer Handelsartikel ist. Er seihst gemcßt Roggenbrot. welches gewöhnlich so schwarz, nnd schwer ist, als man sick nur denken kann, obscho» es von diesem Brote verschiedene Qualitäten giebt und ich solche gesehen habe. die wohl einmal der Veränderung wegen auf einem englischen Frühstückötische er. scheinen könnten. Die Lieblingsspeise des Leibeigenen aber ist eine Art Grütze, dick und fest. ans Buchweizen gefertigt und keineswegs unau» genehm schmeckend — besonders wenn sie, wie es zuweilen vorkommt, mit andern Vegetabilien gewürzt ist. wo man dann den Geschmack davon meh» rere Tage behält. Auch Hirse wird von den Bauern viel genossen. Ein» gemachte Gurken — nicht die ungeheuern grünen Stangen, womit der Lebensweise des Leibeigenen. 147 soupirende Londoner das Alpdrücken herausfordert, sondern kleine harte und sehr bittere Dinger von wenigen Zoll Länge — gehören ebenfalls zu den Hauvtnalmmgsmitteln. ebenso wie Mübcn. die er in ungeheuern Massen consumirt. Der Speck ist ebenfalls ein wichtiger Artikel in seinem Haushalte — er wird beim Kochen ziemlich reichlich verwendet, ebenso wie zu anderen Zwecken, zu welchen wir unö vielleicht lieber der Butter bedienen würden. Das Getränk des Leibeigenen ist Waffer, ausgenommen wenn er Wodki bekommen kann. womit er sich nicht allmälig aufzuregen, son« dern so rascb als möglich zu betäuben suckt — ein Sclave Mokamm, der sich mit einem Sprunge in die brennenden Fluthen der Vergessenheit stürzt. Das Haus dcs Leibeigenen ist in Podolien gewöhnlich aus Fach-Werk und Lebm gebaut und elend gedeckt; anderwärts aber ist es je nach den Hilfsquellen des Distriktes entweder von Stein oder von Holz. Der letzteren Substanz bedient man sieb, wenn das tNut sich in der Nabe eines dcr ungeheuern Wälder befindet, welche den Leibeigene» mit Baumaterialien uud seinen Herrn mit delicaten Trüffeln versehen. Dcr Fußboden des Hauses ist von Thon und ein Schornstein führt den Rauch des Ofens hinweg, der das einzige Zimmer erwärmt, in welchen, die Familie während der fürchterlichen Wmteruächte beisammensteckt. Abgesehen von dem außerordentlichen Schmutze giebt es hier weiter nichts was Erwähnung verdiente. Ich habe indessen in Irland noch weit schmutzigere Hohlen gcsebcn. als bis jetzt inNnsiland, und in dem erstem Lande mehr Spuren von Abgeneigtheit von Seiten des Vauers gefunden, sich die gewöhnlichsten Bequemlichkeiten zu verschaffen. Obsckon, wie ich schon früber einmal gesagt, „ein Stich zur rechten Zeit" keineswegs das gewohnte Mittel der Nnsscn ist. so klettert er doch, wenn das Dach seiner Hütte einmal ein Loch bekommt, zuweilen hinauf und reparirt den Schaden, während der Irländer unter dem Loch binwegrückt. damit der Negen nicht geradezu auf ihn fällt, oder, wenn er von ungewöhnlich thätigem Charakter ist, das Loch mit irgend einem Haushaltungsgegenstande verstopft, welcher nicht gerade gebraucht wird. Die Bauern der beiden Lander find sich indessen in mehr Punkten ähnlich, als es vielleicht der Mühe verlohnt, hier aufzuzählen. Was den moralischen Zustand des Leibeigenen betrifft, so fürchte ich, daß mein Bericht hierüber von sehr unerfreulicher Art sein muß. Die 10* 148 Sein moralischer Charakter. Ursachen davon werden sich dem Leser bereits dargestellt haben. Ohne alle weltlichen Kenntnisse und. was die religiöse Bildung betrifft, auf einen so verworfenen und unwürdigen Priestcrstand angewiesen, wie nur je einer die Unwissenheit im Aberglauben unterrichtete, ist es dem russischen Leibeigenen auf dem Lande kaum möglich, zu irgend einer Hoffnung zu berechtigen. Er bctrinkt sich so oft er kann und würde fortwährend stehlen, wenn er Gelegenheit dazu hätte. Was aus ihm werden kann, wenn seine Natur zur Empörung entflammt wird, habcn Vo> gange gelehrt, dcreN'Zeitge' nosscn wir selbst gewesen sind. Die bessere Seite seines Charakters zeigt ihn geduldig und fleißig, und weit «ntfernt von Murrfinn oder Wildheit; dabei hat er eine Art religiösen Glaubens an seinen Kaiser, welchen die Leibeigenen nicht ohne Erfolg als ihren wirklichen und wahren Freund zu betrachten gelehrt wordeu sind. Was die Charalteiistik des Leibeigenen in den Verhältnissen der beiden Geschlechter zn einander betrifft, so kann ich nicht viel Lobenswerthes darüber sagen. Das Band der Ehe ist ein ziemlich lockeres, der Leibeigene aber schließt nicht selten auf anderem Wege ein inniges Verhältniß, dessen Störung er auf jede ihm zu Gebote stehende Weise ahndet. Dennoch sagt man, daß auch dergleicheu Verhältnisse nicht von langer Dauer seien. Um mir in dieser Beziehung nähere Auf-schlüffe zu verschaffen, habe ich an einzelne Angehörige dieser Classe eine Menge Fragen gestellt, welche von empfindlicheren Leuten wohl als etwas zudringlich betrachtet worden wären, aber so viel ich bemerkte, hier keinerlei Anstoß fanden. Gin großer hübscber Leibeigener oou etwa sünfunddreisiig Iahreu, dessen voller Bart seinem breiten gutmüthigen Gesicht einen sehr malerischen Ausdruck gab. gestand mir ohne Zögern zu. daß er, was Liebes' Handel betreffe, in der ganzen Umgegend ausgezeichnetes Glück mache, nnd als er zufällig seine Fran erwähnte, gab mir mein Begleiter zu verstehen, daß diese natürlich von seiner Handlungsweise nichts wifse. Auf ferneres Befragen machte er uns jedoch mit völlig unbefangener Miene bemerklich, daß es seiner Frau vollkommen frei siehe, zu thun was sie wolle, so lange nicht seine persönliche Bequemlichkeit darunter leide. Ein einziger Blick aber in das Innere der Hütte eines Leibeigenen wird sofort Aufschluß über deu niedrigen Stand der Moral in dieser Bezieh ling geben. In dem einzigen Zimmer befindet sich der Familienaltar, der Ofen. Auf. an uud um diesen liegen die langen Nächte hindurch Vater, Mutter, Brüder, Scme Vrstmerung, 149 Schwestern, Verwandte von jedem Alter, ohne dcn geringsten Unterschied. Die verbeiratheten Paare, die heiratsfähigen Mädchen, Kinder, heran« wachsende junge Männer, alle drängen ficb dem einzigen Schutze zu, den sie gegen die furchtbare Kälte finden. Diese Lebensweise, in welcher man in England schon längst eine der früchtbarsten Quellen der Tittenvcrdcrb. niß erkannt hat. ist in Mußland bei der großen Maffe des Volles allge» mein herrschende Gewohnheit In dem Falle, wo der Leibeigene gänzlich unfähig wird, sich selbst zu ernähren oder wenn man ihn zum Soldaten cnishcbt und er feine Familie verlassen muß, hat der Gutsherr für die auf diese Weise hilflos gewordenen Individuen zu sorgen. Die Art und Weise, auf wclcbc dies geschieht, ist verschieden, daS gewöhnlichste Verfahren aber besteht darin, dasi der Gutsherr eine gewisse Anzahl der übrigen Leibeigenen zusammenruft und die verarmten Individuen ihrer Obhut übergießt, wosür er ilmen eine beliebige Entschädigung bewilligt. Auf diese Weise ist der Leibeigene, was Verarmung oder hobes Alter betrifft, nickt ganz obne Hoffnung; man hat mir aber gesagt, ein Leibeigener könne von so wenig leben — das heißt existiren, und seine Geduld sei so ausdauernd, daß die armen Menschen, wenn sie nicht geradezu durck Vmmglückung oder Krankheit umkommen, mit Hilfe dieses höchst geringfügigen freiwilligen Beistandes ihr Leben noch lange fristen Ich muß hier erwähnen, daß die Besteuerung der Leibeigenen Nuß» lands in einer Kopfsteuer besteht, die von jedem männlichen Individuum einer Familie erhoben wird. Die Steuer wird in erster Instanz durch den damit beauftragten Beamten von dem Leibeigenen selbst erhoben; im Fall er aber gänzlich unfähig ist. sie zu bezahlen, wird der Gutsherr der Regierung dafür verantwortlich. Daß in diesem Augenblicke die Rückstände dieser Abgabe eine bedeutende Höhe erreicht haben, ist eine bekannte Sache und diese Thatfache wird auch ganz unumwunden in einem Blatte zugestanden, dtffen Druck gestattet worden nnd welches mir soeben zu Händen gekommen ist. Der Verfasser (dessen Abhandlung den Spalten des Negiernngsjournals von St. Petersburg einverleibt worden ist) sagt: „Les arerages considerables il'impuls de la classc agricolc scr-vent dc preuve que sa situation ne rcpond point :\ ses besoins." Lange zuvor aber, ehe der Herr angegangen wird, die Steuern zu bezah- 150 „Todte Seelen." — Obrok. len, welche seine Leibeigenen nicht entrichten können, wild von allen möglichen Mitteln Gebrauch gemacht, den Betrag den unglücklichen Arbeitern selbst abzupressen. Eins der härtesten dieser Mittel — welches, wie man mir erzahlt, dem armen Baner wirklich zuweilen die kleinen Ersparnisse abnöthigt, die er für sein Mer zurückgelegt bat — ist das, das Feuer im Ofen seiner Hütte auszulöschen nnd den Schornstein so zu verbauen, daß das Feuer nicht wieder angezündet werden kann, ohne die Bewohner des Hauses durch den Rauch zu ersticken. Welche Qual diese Beraubung der Wärme für eine solche unglückliche Familie in dem unbarmherzigen Klima Nußlands ist, brauche ich nicht erst zu sagen; verfehlt aber dieses Zwangsmittel seine Wirkung. so ist die Hoffnung, die rückständige Abgabe einzutreiben, in der That zu Ende. Es kommen noch mancherlei andere Härten bei der Art und Weise vor, ans welche die Kopfsteuer er' hoben wird. To ist sie zum Beispiel einer Revision unterworfen, die aber allemal eist nach Ablauf mehrerer Jahre vorgenommen wird. Die Steuer wird nach der Anzahl männlicher Individuen auferlegt, die sich zur Zeit der Erhebung in der Familie des Leibeigenen befinden. Werden im nächsten Jahre Zweidrittcl oder Dreiviertel davon durch die Cholera hinroeggcrafft, wie dies in Tausenden von Familien schon der Fall ge' wesen ist, so kann dasGesch oder vielmehr der Steuereinnehmer von dieser Thatsache keine Kenntniß nehmen, und der Leibeigene muß für die verstorbenen Söhne oder Brüder ebenso die Steuer fortzahlen, als ob sie noch lebten, bis die nächste Revision ihn von dieser ungerechten Ueberlastung befreit. Ich habe schon früher die Lage des Leibeigenen geschildert, welcher von seinem Herrn die Erlaubniß zum Reisen erhält und ihm für diese Freiheit eine nach Ucbcmnklinft festgestellte Zahlung leistet. In gleicher Weise findet oft ein Abkommen zwischen dem ackerbautreibenden Leibeigenen und seinem Herrn statt, welches mit jenem viel Aehnliches hat. Der Leibeigene wünscht vielleicht seine ganze Zeit für sich selbst zu haben, weil er das Grundstück, welches er bewohnt, hinreichend ergiebig findet, um darauf alle seine Mühe zu verwenden. Vielleicht auch wünscht er auf einem andern Gute in Arbeit zu treten, nachdem ihm in dieser Beziehung von einem benachbarten Gutsbesitzer ein Anerbieten gemacht worden ist. In diesem Falle handelt er mit seinem Herrn um zeitweilige Ablösung der Arbeit, die er ihm zu leisteu verbunden ist und einigt sich mit ihm Lage der Kronbauern. 151 über eine gewisse dafür zu zahlende Summe, welche der Obrol heißt. Dieses Arrangement ist ein gar nickt seltenes, kann aber natürlich nur, wenigstens hauptsächlich, auf volkreichen Gütern vorkommen, wo der Guts« Herr der Dienste einiger seiner Vasallen zu cutrathen vermag. Natürlich wird man mm zu wissen wünschen, wie sich die Lage des Kronleibeigencn im Vergleich zu der des Leibeigenen gestaltet, der einer Privatperson angehört, Auf den ersten Blick sollte man vermuthen, dasi der Kronleibeigene, der unmittelbar dem Vater seines Volkes gehört und hinsichtlich dessen der Gewinn für den Besitzer ein untergeordneter oder wenigstens nicht der einzige Zweck ist, besser daran sei, als das Indi« viduum, durch dessen Arbeit ein habsüchtiger Herr sich zu bereichern sucht. Dies würde in der That auch der Fall sein, wenn in Nußland überhaupt etwas in Uebereinstimmung mit den Gesetzen der Ehrlichkeit gethan werden könnte. Befänden sich die Kronleibeigencn in der Lage, in welcher sie der Kaiser zu sehen wünscht, so würden sie sich über wenig mehr zu beklagen haben, als höchstens den Mangel au Freiheit. Unglücklicherweise aber drängt sich die Bureaukratie zwischen diese Leute und das menschcuftenudliche Wohlwollen ihres Herrn und versetzt sie durch ihre schamlose, unbarmherzige Tyrannei in eine schlimmere Stellung als ihre Genossen. Sie sind allen Erpressungen und Schurkereien der Beamten ausgesetzt und je näher sie dcr Quelle der lAelechtigkeit zu sein scheinen, desto unmöglicher ist eS ihnen, ibrer Wohlthaten theilhaftig zu wcrdcn. Die Administration, welche mit diesen Leuten zu thun hat, ist vielleicht ebenso verabscheut, als irgmd eine in Nußland. Der beste Beweis, daß der nominelle Schutz der Krone nicht einmal so viel taugt, als die zwei« felhafte Sicherheit, welche der Egoismus bei dem Schutze seines Eigenthums gewahrt, liegt in der Thatsache daß dic Anzahl der Kronleibeige» nen dem Eeusus zufolge sich fortwährend vermindert, wahrend die der Leibeigenen auf Privatgütern im Wachsen begriffen ist. Die Kronleib-eigenen werden auf dieselbe Weise besteuert, wie die Privatleibeigenen, die Strenge aber, mit welcher die Steuer von den Beamten eingetrieben wird, soll noch weit größer sein, als die, welche man den Privatleibeigenen gegenüber entwickelt. Die durch ihre Habgier schlau gemachten Beamten sind fortwährend darauf bedacht, daß dcr unglückliche Bauer seiner Besteuerung nicht entgehe, und wir brauchen nicht erst zu sagen, daß da, wo 152 Der Leibeigene auf kleinen Gütern. ein Privatgntsherr ein Interesse daran haben würde. Nachsicht zu zeigen, und einem Mm und nützlichen Leibeigenen in Schuh zu ncbmen, der Ve> amte natürlich nichts dcr Art empfindet. Die allgemeine Ansicht scheint die zu sein, daß die Lage des Kronlcibcigcnen in Folge der vielfachen Ve> drängnissc, denen er durch den Umstand ausgesetzt wird, daß er es nicht mit einem interessirten Eigenthümer, sondern mit habgierigen Beamten zu thun hat, weit weniger bencidenswerth ist, als die des ackerbautreibenden Vauers. der einem Privatherrn angehört. In ihrer übrigen Lage oder Beschäftigung waltet wenig oder gar kein Unterschied ob, und die Schilderung, welche ich von der Häuslichkeit und den Sitten des Privatleibeigenen gegeben habe, gilt auch von dem Leibeigenen der Krone. Bis jetzt haben wir blos von dem Leibeigenen gesprochen, wo er mit einer Masse von Individuen zusammenlebt, die sich in denselben Umstäu« den befinden, wie er selbst. Was den ackerbautreibenden Leibeigenen be« tnsst. so muß er auch in der Negel so betrachtet werden, da das kleinste russische Landgnt, welches überhaupt der Bewirthschaftung verlobnt. einer großen Anzahl Hände bedarf. Es muß jedoch hierbei bemerkt werden, daß es Bescher einer scbr geringen Anzahl von Leibeigenen giebt, und ob« schon diese Herren größtentheils in Städten wohnen, so ist dies doch nicht überall der FaN. In dem Falle, wo die Zahl sehr klein ist, wird die Lage des Leibeigenen verbältnißmäßig schlechter, so wie er sich unmittel' barer unter dem Ange seines Herrn bewegt, wälmnd dieser Herr einer Classe angehört, die in ihrer Habsucht weniger Scham kennt, als man unter den größeren Gutsbesitzern gewöhnlich findet. Der Himmel stehe dem armen Leibeigenen bei, dessen Herr sich in dürftigen Umständen be» findet und nicht viel Vasallen hat, unter welche er seine Aufmerksamkeit vertheilen kann! Die kleinliche und fortwährende Tyrannei, die in diesen Fällen ausgeübt wird, soll weit Dimmer sein. als die, welche eine der beiden Classen zu ertragen hat, deren Lage wir vorhin unserer Erwägung unterzogen. Ich habe von dem Leibeigenen als von einem Wesen ohne Erziehung gesprochen und mich dieses Ausdrucks fleißig bedient, obschon derselbe einigermaßen zu modisicircn ist. Der Leibeigene ist, buchstäblich geuom« men. nicht ohne einen gewissen Unterricht, welcher auch in der That selbst unter den unvorteilhaften Umständen des Bauers seinen Nutzen hat. Die Schulunterricht. 153 Negierung hat in den ländlichen Districten ausdrücklich zum Wohle des Leibeigenen eine Menge Schulen errichtet und in diesen Schulen. welche auf militärischem Fuße eingerichtet sind, lehrt man dem Bauer die russische Sprache lesen und schreiben. Etwas Nechnenkunst wird ihm ebenfalls bei» gebracht und nm dem Unterrichtöcnrsns auf dem Papiere ein hübsches Anst» hen zugeben, wird mich eine Art Geschichte, nämlich russische, nachdem zu diesem Zwecke eingeführten Bnche vorgetragen. Insoweit daher der Mensch in einem solchen Lande dnrcb die eben crwäbnten Kenntnisse etwas profitircn kann, hat der Leibeigene allerdings Grund, der Negierung dankbar zu sein. Aber dieses Lesen und Schreiben, diese Anfangsgrnnde der Nechnenkunst und die sogenannte Geschichte sind anch buchstäblich Alles, was der Unter, richt des Baners umfaßt. Von wirklicher Cultur, selbst der niedrigsten Art, ist an ihm keine Spur zu finden. Er steht da wie ein Soldat, nm sich die Leciion einprägen zu lassen, aber weiter nichts. Von moralischer Bildung, selbst der niedrigsten Art, ist keine Nede. nnd es läßt sich natürlich nicht erwarten. daß man ihm einen Unterricht geben werde, von wel« chem sich voraussehen läßt, er könne in ihm den Gedanken erwecken, daß von dem Menschen eigentlich noch etwas mehr verlangt wird, als schwere Arbeit nnd Treue gegen seinen Monarchen. Man könnte sagen, daß er, wenn er einmal lesen kaun, dadurch in den Stand gesetzt sei, sich selbst moralische nnd materielle Belehrung zu verschaffen — ein Argument, welches in einem andern Lande, z. B. in Frankreich oder England — ganz richtig wäre. In Nußland aber hat man für den Mann, dem man blos Nnssisch lesen gelehrt hat, sehr wenig gethan. Die Neligionsbücher, deren sich seine Kirche bedient, sind slavonisch geschrieben und er liest sie folglich ebenso wie ein ungebildeter Katholik das Lateinische liest — das heißt, die Worte gehen über seine Lippen, aber er denkt sich nichts dabei. Andere Bücher, die er in seine Hände bekommen könnte, hat er nicht. Es erscheinen in der einzigen Sprache, die er versteht, keine Werke, die Werth für ihn hätten und wenn es anch welche gäbe, so könnte er sie doch nicht erlangen. Factisch ist er von den Quellen der Erkenntniß ebenso ausge» schlössen, als ob er gar nicht unterrichtet worden wäre, und daß dies leine bloße Vermuthung ist. sieht man an der rohen Unwissenheit vieler dieser Leute, die gleichwohl jedes russische Buch, welches man ihnen in die Hände giebt, mit Leichtigkeit lesen. Der Mangel an moralischem Gefühl. 154 Schulunterricht. welches doch durch die einfachste und bescheidenste Erziehlmgsform geweckt werden könnte, liegt zu peinlich am Tage, als daß man darauf aufmerksam zu machen brauchte; die Vcrdcrbniß der Sitten hält damit gleichen Schritt, in dem Scheinunterlichtc aber, der in den Schulen gewährt wird, von welchen ich spreche, findet die Negierung eine Entschuldigung dafür, daß sie nichts VessercS thut und — was für sie noch weit wichtiger ist — eiue Rechtfertigung für die prahlende Behauptung Europa gegenüber , daß der russische Bauer eiu Manu von Erziehung sei. Es ist sehr wüuschenswelth, daß man dieses System gründlich kennen lerne, ehe man eine Hypothese auf die Thatsache gründet, daß es in Nußland sehr viel Schulen giebt. Es wäre mehr als unklug aus den Namenlisten dieser Schulen schließen zu wollen, daß die Masse der Bevölkerung, unter welcher mau sie errichtet hat, dadurch nur um einen Zoll dem Zustande näher gebracht worden sei, welcher ihre Herrscher veranlassen könnte, ihnen gewisse Vorrechte zuzugestehen. Im Gegmthcilc g>ebt es vielleicht keine größere Gefahr für die Eivilisation, als den Versuch, diele Menschen zu einer Demonstration in Bezug auf ihre bürgerlichen Rechte aufzuregen. Del Russe wurde erstens blindlings glauben, was man ibm vorsagte und sein Leben für die neuaugenommene Idee mit wilder Energie in die Schanze schlagen; bei dem ersten Hemmuiß, welches ihm in den Weg träte, würde seine ungeschulte und ungezügelte Natur ezplodiren, und wir haben bereits die Ergebnisse davon in Thaten gesehen, die fast zn entsetzlich sind, um niedergeschrieben zu werden. Ncin, der Bauer hat wenig Grund, für die Erziehung dankbar zu sein, welche mau ihm giebt — der hauptsächliche Nutzen davon ist der, daß er dadurch in den Stand gesetzt wird, besser auf seineu Vortheil zu schell, wenn eine Differenz in Geldangelegenheiten zwischen ihm und seinem Vorsetzten entsteht, und daß sein Nationalcharakter , wie derselbe nun eben ist. durch den historischen Cnrsus, den er durchmacht, ebenso wie seine Anhänglichkeit au die Sitten u»d Gebrauche seines Vaterlandes befestigt wird. Die Geschichte Nußlands nämlich, welche man ihm mitgetheilt hat, ist nach dem sichersten Princip geschrieben, welches möglich ist, denn es wird darin bewiesen, daß das Land, worin er lebt, von der edelsten, weisesten, religiösesten und civilisirtesten Nation der Welt bewohnt wird und zwar der einzigen, welche eine wirklich von der göttlichen Vorsehung gutgeheißene Regierung besitzt. Bessarabien. 155 Diejenige Provinz, von welcher ich nun zunächst sprechen will, ist Vessarabien. Dieser District unterscheidet sich in Men wichtigen Beziehungen von den fruchtbaren Getreideprovinzen, welche wir bereits erwähnt haben. Zeine Geschichte ist nicht die ihrige. Er ist die Frncht verhältnißmäßig neuerer, über den Nachbar errungener Erfolge. Bessarabien. früher ein Theil der Moldau, wcnd im Jahre 1812 von der Türkei sinnlich an Nußland abgetreten — eine ssessiou. die den ganzen östlich vom Pruth gelegenen Theil der Moldau iu sich schloß. Vs wäre ungerecht, diesen Grenzstrom seiner Würde zu berauben, da ich aber anf meinem Wege uachOdessa diese wichtige Grenzlinie gesehen habe. so sehe ich mich genö« thigt, zu bekennen, daß ein „Bach" eine Bezeichnung wäre welche mit dem Ergebniß meiner eigenen Beobachtuug besser übereinstimmen würde. Bessarabiens imposantere Grenzströmc sind die Donau und der Dniestr, zwischen welchen es liegt. Auf diese Weise erworbeu. war Vessarabien, wie man faud, nicht von einer ähnlichen Volksclasse bewohnt, wie die. welche, wie wir gesehen dabeu, die ackerbautreibende Bevölkerung der großen Gctreidcprovinzeu ausmacht. Es war kciue untergeordnete Nation von Leibeigenen da. welche man an den ihnen angewiesenen Voden hätte fesseln könueu. Gine Menge der damaligen Bewohner scheint geflüchtet zu sein. Gewiß ist aber nur Das, daß der nenerworbene District keineswegs in solchem Umfange bevölkert war, dasi er seinen neuen Herren sofort hätte Gewinn bringen können, und es ward daher nothwendig, jeden Zufluß an Arbeit und Productionskraft entweder auf dirccte, oder auf indirecte Weise zu befördern. Die Regierung erachtete es deshalb für angemessen, fast Ie^ dem. der dazu Lust hatte, zu gestatten, sich in Bcssarabien anzusiedeln, ohne weiter darnach zu fragen, wo er her wäre und ob er sein eigener Herr sei oder einem Andern gehöre, und oft erhielt er ein Stück Land an< gewiesen uud setzte sich in der Provinz fest. Man hat mir mitgetheilt, daß diese Lockung eine Menge Leibeigener ans anderen Theilen des russischen Reiches hierhergczogcn habe. Die Folge davoy war. daß Äcssarabicn bevölkert wurde, obschon keineswegs vollständig, uud die Bevölkerung ist. wie mau sich leicht denken kann, von sehr gemischter Art. Wollte oder könnte man die Stammbäume verfolgen, so würde man finden, daß die- 156 Vessarabien, selbe Vertreter fast aller Nationalitäten des Reiches umfaßt. Bessarabien ist keine der großen Gctrcidcprovinzen Nußlands. Der Beruf seiner Be-wohuer ist hauptsächlich die Schaf- uud Rindvichzucht. Allerdings wird hier ein sehr umfangreicher Maisbau betrieben, der Ertrag desselben aber größtentheils zur einheimischen Eonsumtion verwendet. Nur wenig davon findet den Weg ans den Markt nach Odessa, ausgenommen wenn in Zci» ten der Theuerung ungewöhnlich hohe Preise dafür erlaugt werden können. In Bezug auf Getreide braucht daher diese Provinz nicht mit in den allgemeinen Anschlag aufgenommen zu werden. Ihre Triften siud fruchtbar uud umfangreich und die Aiehhecrdcn werden aus weiten C'nt» fernungen her auf die Weide getrieben. Große Güter in Bessarabien befinden sich in den Händen von Personen, die hohe Ehrenposten im russischen Reiche bekleiden. So hat z. B. Graf Nesselrode hier ein schönes Landgut, welches vielleicht sunfzigtauscnd Dcssätinen umfaßt,, und noch andere Edelleute, deren Namen in Europa wohl bekannt sind. gehören zur Zahl der bcssarabischen Grundeigenthümer. Ein großer Theil der Pclehrung, die ich in Beziehung auf diese Provinz erlangt habe, ist mir durch die Güte eiues dieser Gutsbesitzer gewährt wordeu, welcher Gelegenheit gehabt hat, den Zustand seines eigenen Districts mit dem anderer Länder zu vergleichen und dessen Ansichten deshalb einen Grad von Beachtung verdienen, den man jedem Andern, der nicht dieselbe Gelegenheit. Beobachtungen anzustellen, gehabt hat, versagen müßte. Ich kann den Hauptinhalt dessen, was er mir sagte, nicht besser wiedergeben als mit seinen eigenen Worten: „Die Prüfung, welcher Tie die ackerbauenden District« Nußlands zu unterwerfen wünschen, setzt ein System voraus. Sie möchten es als etwas Ausgemachtes annehmen, daß der russische Landwirth zu Werke geht wie ein Geschäftsmann, und wie es sein College in England oder Schottland thnn würde, indem er seinen ganzen Opcratiousplan sorgfäl« tig überlegt, Buch und Rechnung führt, um zu jeder Zeit den Ertrag der verschiedenen Jahrgange vergleichen zu können und bereit ist. die Aenderungen einzuführen oder die neuen Combinationen vorzunehmen, die feine Bücher und der Zustand seines Gutes ihm an die Hand geben, Der russische Landwirth dagegen weiß von allem diesem uichts. Er bat kein System, wenn man nicht das eins nennen will, welches in dem blin- Bessarabien. 157 den Vertrauen auf die Weisheit Derer besteht, die ihm vorangegangen sind. Der russische Landwirth befindet sich in der That mehr i» einem an Barbarei grenzenden Zustande, als die Mehrzahl seiner Mituutertha-nen — natürlich meine ich hier den Barbarismus in einem gewissen Sinne, nämlich den Zustand, welcher hinter den Fortschritten der Civili< satiou und Wissenschaft zurückgeblieben ist. Was die gewöhnlichen tabellarischen Uebersichten über den Betrieb des Ackerbaues betrifft, wie man sie in England keunt, so weiß der Nüsse davon uichts. Auf den meisten Gütern werden wohl einige plumpe Register in der Form von Rechnungen gefühlt; was aber das System betrifft, welches den englischen oder schottischen Landwirt!) Bücher führen lehrt wie der. Kaufmann sie zu führen pflegt und das ihn nach Ablauf seiner Pachtzeit in den Stand setzt, seine Bilanz zu ziehen, so ist dies den Ideen, welche der Nüsse von Nütz« lichleit oder praktischer Ausführbarkeit hat. völlig fremd. Ich bediene mich eines sehr gewöhnlichen Ausdrucks wenn ich sage, daß der Russe sich „forthilft" wie er kaun, obschon das Wie ihm ebenso unklar ist. als jedem Andelu. „Wenn Sie mich daher auffordern. Ihnen zu sagen, welche Be-" griffe unsere Landwirthe vom Capital, von dem Werthe der Arbeit und von sicheren oder unsicheren Anlagen haben, so vermag ich nicht, Ihnen zu antworten, und ich bin überzeugt, daß unser Landwirth selbst in noch größere Verlegenheit kommen würde als ich. wenn er über diese Frage Auskunft geben sollte. Wenn Sie in ganz Nußland nach der wirklichen Höhe des Ertrags der Bodeuerzeugnissc in den verschiedenen Distrikte» fragen. so werde» Sie die widersprechendsten und oft abgeschmackteste» Antworten erhalten. So wird mau Ihnen z B. in Bezug aus Aussaat und Ernte des Getreides sagen, daß man das „zehnte" Korn ernte — «ine Aufschneiderei, welche das Ohr Kuropas schon manchmal in Erstau» Neu versetzt hat, die aber, wie ich bestimmt weiß, baarer Unsinn ist. Ein anderer Landwirth, an den Sie sich wenden, sagt Ihnen vielleicht, das „zweite" Korn sei der durchschnittliche Ertrag, was wieder eine ungeheure Unterschätzung ist, ausgenommen in einem sehr schlechten Jahre. Wenn man mir die Frage vorlegte, so würde ich, obschon nicht mit Gewißheit, antworten, daß ungefähr das „sechste" Korn, alle Getrcidesorteu in einan» der gerechnet, der richtige Durchschnitt für gewöhnliche Jahre sei. Ich 168 Vcssarabien. , glaube indessen nicht, daß iu diesem Augenblick in Rußland Materialien vorbanden sind, wMe es dem Wißbegierigen möglich machten, den Total, betrag der Ernte zn berechnen, derm Erzeugnisse jetzt vor unsern Augen auf dem Wege nach den Schiffen befindlich sind. „Was Bessarabien betrifft, wobei ich unmittelbarer iuteressirt bin. so scheint dieses, obschon es kein großes Kornland ist. demselben Mangel an System zu huldigen, welcher die Getreideprovinzen charakterisirt. Ich glanbe nicht, daß selbst der allmächtige Befehl des Kaisers ein wirklich zuverlässiges Register hervorrufen könnte, welches würdig wäre, einen Platz in der landwirtbschaftlichen Statistik einzunehmen, obschon in einem solchen Falle natürlich eine Zusammenstellung gemackt werden wülde, die den Zwecken der Behörden entsprächt. Ich könnte Ihnen sagen, was ans meinem eignen Oute geschieht, aber Sie dürfen nickt glauben, daß meine Nachbarn rechts oder links, sich dies znr Richtschnur nehmen, oder die Mehrzahl der Angaben, die ich Ihnen machen könnte, bestätigen würden. Nach Dem, waö ich Ihnen mittbeilen könnte, dürften Sie immer noch nicht mit Znverlassigkeit das Vorhandensein eines Systems behaupten. Indessen will ich doch einige Punkte erwähnen, in Bezug auf welche keine Verschiedenheit der Angaben besteht oder bestehen kann. „Sie wollen wissen, was wir für Abgaben zu entrichten haben. Wohlan, wir haben keine Abgaben. Das klingt sebr schön, nicht wahr? Nein, wir haben keine Abgaben, ausgenommen eine kleine Localstcncr. welche zur Instandhaltung der Straßen bestimmt ist — ein eben nicht großer Aufwand, denn Sie wissen, daß wir iu dieser Beziehung nicht sehr ängstlich sind. Indessen giebt es noch eine andere Zahlung, welche vielleicht als eine Abgabe betrachtet werden kann, wie wohl es dem Bewohner freisteht, ob er sie bezablcn will oder nicht. Es ist dies die Summe, welche wir der Negierung für die Freiheit von Einqnartiruug bezahlen, wie dies in den freien Districten Rußlands oft geschieht. Im Zusammenhange hiermit steht ein Punkt, welcher Erwähnung verdient, weil dadurch das weise und sorgfälltige System veranschaulicht wird, welches man hier zu Lande verfolgt. Der Beitrag für die Quartirungsfreiheit wird nach dem Werthe des bewohnten Eigenthums berechnet. Um zu zeigen, wie der Negieruug begegnet wird, braucht man blos zu sagen, daß, während zum Zwecke der Negulirung dieses Aequivalents das Eigenthum zn einem wahr- Brssarabien. 159 haft lächerlich, niedrigen Werlhe angeschlagen wird. der Eontrahent, wel« cher der Negierung Sicherheit sir die gebührende Erfüllung feines Eon« tractes zli gebe,, hat und zu diesem Zwecke entweder eigenes Bcsitzthum überweist, oder. was noch gebräuchlicher ist. die Caution gegen durchschnittlich vier Proccnt Zinsen von Anderen bestellen läßt, es so einzu« lichten weiß. daß dieses Eigenthum ans wenigstens das Dreifache seines Werthes tazirt wird. Es giebt keine bestimmte Regel für solche Schätzungen , ausgenommen die, welche gewisse Veamte anzunehmen für gut be« funden haben; für das ziemlich große Haus, in welchem ich hier in der Nähe von Odessa wohne (und welches seinem Umfauge nach einem der besten Landhäuser in der Umgegend von London gleichkommt), werden für die Quartinmgsfreiheit ungefäbr dreißig Thaler jährlich bezahlt. „Diese Zahlnng ist, wie ich schon gesagt habe. nicht nöthig und unter der niedern Volksclasse auch nicht gebräuchlich. Die Regierung behandelt den freien Vaucr hier. als ob er ein besiegter Feind wäre und — vkc vicUk! Der arme Ackerbauer wird durch Aufbüidung dieser Last ruinirt. gegen welche der Leibeigene geschützt ist; denn ich brauche kaum zu sagen, daß es uicht im Interesse des Gutsherrn liegen kann, wenn sein Sclave dadurch, daß er für den Soldaten sorgen muß, an den Vettelstab kommt. Uebrigens würde die Auflage, wenn man fest an dem Gesetz hielte, nicht so außerordentlich drückend sein, wenn sie schon auf alle Fälle nicht gering ist. Nach dem Gesetz ist der Bauer dem Soldaten weiter nichts zu liefern verbuuden als Herberge, Feuer und Salz. Eigentlich aber lebt der Soldat ganz von dem unglücklichen Bauer. Was Beschwerden in dieser Beziehung bei einer Nation betrifft, wo die Armee als das „Eine was noth ist," betrachtet und ans jede mögliche Weise begünstigt wird, so kaun davon nicht die Nede für einen Mann sein. der kaum die Mittel zum Leben hat. geschweige denn um die Beamten zu bc« stechen, in deren Händen die Administration des Gesetzes ruht. Ich beschuldige die Militärbehörden durchaus nicht des Wunsches, Bedrückun» gen zu üben; im Gegentheile nehme ich keinen Anstand zu sagen, daß die einzige Stelle, wo mau in Nußland mit einiger Aussicht ans Erfolg die Kundgebung des Wunsches, gerecht und menschlich zu sein, suchen kann, die höheren Grade in der russischen Armee sind; aber freilich läßt sich nicht erwarten, daß sie unter obwaltenden Umständen geneigt sein sollten, 160 Bessarablen. irgend welche Vortheile zuzugesteben oder den Ansprüchen des Soldaten eine Beschränkung aufzlilegen. Es ist einfach eine notorische Thatsache, daß der Bauer, bei welchem der Soldat cmquartirt ist, diesen ernährt. Die Kosten für die bedeutenden Militairmaffcu in dem District, von wel< chem ich eben spreche, werden aus diese Weise der Classe aufgebürdet, die am wenigsten im Stande ist, sie zu tragen; doch muß hierbei erwähnt werden, daß die Regierung durch DaS, was dem Bauer zur Ungebühr abverlangt wird, keineswegs etwas erspart. Der Negierung selbst wild der Betrag für den Unterhalt des Soldaten in Anrechnung gebracht, und so ermüdend auch für dcn Erforscher des russischen Lebens die beständig« Wiederholung dieses Themas sein muß. so darf ich dennoch nicht uner, wähnt lassen, daß Wucher und Bestechung hier abermals ein Feld finden, auf welchem sie von Zeit zu Zeit eine reiche Ernte halten. „Ich wende mich nun zu unsern Pn'ductcn. Sie wiffen wahrschein« lich bereits, daß die Frage, welche in den letzte» Jahren die Denkenden unserer Landwirthe beschäftigt hat, die Zucht der Merinoschafe gewesen ist. Das Problem, welches hierbei gelöst werden muß, besteht darin: ob der Aufwand und das Risico bei der Zucht dieser Thiere durch den Er« trag wieder aufgewogen werde. Man hat das Experiment in kleinem uud in großem Maßstabe gemacht, und es wird gegenwärtig noch fortge» seht, obschon einige Gutsbesitzer daran verzweifeln und es aufgegeben ha» ben. Es giebt Grundeigenthümer, welche bis zu 50.000, ja selbst 90,000 Stück Schafe besitzen. Einige dieser Thiere sind so werthvoll, daß unter einer ausgewählten Heerde, die vor einiger Zeit für einen Edel» mann gekauft ward und blos aus Schafen von der reinsten Nace bestand, ein außerordentllch schöner und kräftiger Zuchtstär mit circa zweihundert» fünfzig Thalern bezahlt wurde — natürlich ist dies eine seltene Ausnahme. Der größere Theil dieser Schafe ist eine Misch lingsracc und giebt söge» nannte Mestizwolle, welche der in den australischen Lolonien erzeugten an die Seite gesetzt werden kaun. Der Fabrikant hat die Wahl zwischen der „langstapeligen," welche natürlich, was die Quantität betrifft, den ersten Platz behauptet, und der ..fetnstapeligen", deren Vorzug in ihrer Qualität beruht. Da ich nicht selbst dergleichen Schafe züchte, so ist mir auch die Unruhe erspart worden, von welcher die Lösung des Problems in Bezug auf den Gewinn nothwendig begleitet ist; da ich aber eine Menge großer Blssarablcn. 1t)1 und kleiner Schafzüchter kenne lind oft (Äelegenbeit gehabt habe, den (Hang ihrer Experimente vom ersten Anlauf der Thiere an bis auf den heutigen Tag zu beobachten, so besitze icl, eme bcssere Kenntniß dieser Frage im'Allgemeine», als sie vielleicht ein einzelner Schafereibesitzer haben kann. Es giebt unter ihnen kaum zwei. welche ihre Schafe ganz aus eine und dieselbe Weise behandeln, al'cr ich finde, daß ein Unfall oder eine Krankheit, die sich in dem einen Jahre ereignet, viele dieser iieute von einem Verfahren abwendig macht, welches, wie sie im vorlicrgegan« gencn behaupteten, nur das einzig rationelle scin könne, nnd man darf daraus mit blecht schließen, daß sie oft nach übereilt gcsasitcn Ansichten zu Werke gegaugen sind. Ein Resultat aber giebt es, zu welchem, wie mir scheint, alle diese Experimente endlich früher oder spater führen wer-» den, obschou es viele Jahre dauern kann, ehe Diejenigen, die sich so enthusiastisch der Schafzucht gewidmet baben, bekenuen, daß sie sich nicht für Nußland eignet. Unser Klima stcbt dein (Acwinne im Wege. Unsere Merinos gedeihen, lind die Wolle ist vortrefflich und wird auf jedem Markte, wo man Wolle kennt, preiswürdig befunden. Die große Anzahl von Monaten aber, wahrend welcher eö unmöglich ist, die Schafe auf die Weide zu treiben und in deueu man sich mit der Ttallfütteruug behelfen muß, wird uus stets verhindern, eine erfolgreiche Concurrenz mit Denen zu behaupten, welche im Stande sind. mit allen Vortheilen unserer Zucht ein Klima zn verbinden, welches, im Allgemeinen ge« sprocheu, die Schafe iu den Stand setzt, des künstlichen Schutzes zu entbehren, nnd um wieder auf etwas zurückzukommen, wovon ich schon gesprochen, sowie die Nüssen bessere nnd genauere Vuchführer werden, in demselben (Ärade müssen sie auch bemerkeu, was Viele von ihue» schon eingesehen haben, nämlich, daß die Bedingungen des Erfolgs in der Merinozucht unserm Lande abgehen. Ich erwarte indessen nicht, daß man so bald schon allgemein zu dieser Einsicht gelangen werde". „Was das Rindvieh betrifft, so ist die Zucht dieser Thierclasse im Allgemeinen blos den gewöhnlichen Gefahren eines Mewerbcs unterworfen, auf welches mau sich bei unS so ziemlich versteht. Die furchtbaren Verheerungen der letzten Seuche aber, durch welche, wie man berechnet hat, wenigstens eine Million Stuck Vieh weggerafft worden ist. müssen als ein Unglück betrachtet werden, welches, wie wir zu hoffen berechtigt sind, viel» Schwarz«» M«r. 11 162 Lcbensmittelpreise. leicht nie wiederkehrt. Es hat die Wirkung gehabt, daß sich die Preise dadurch gesteigert haben, besonders die der Zugochsen und der Kühe. Ihre Fragen hinsichtlich der Preise kann ich mit wenigstens durchschnittlichen Angaben beantworten, die Sie. wenn Sie sich naher erkundigen wollen, ziemlich allgemein bestätigt finden werden. Der Preis eines Stiers, wie man ihn zum Zicheu verwendet, beträgt wäbrend der Zeiten, wo keine derartige Epidemie herrscht, achtzehn bis dreißig Silberrnbcl und ein Stier, der schon au das Ziehen gewöhnt ist, wird, wenn man ihn mit seinem gewöhnlichen Kameraden zusammen kauft, mit noch ein paar Rubeln theurer bezahlt. Der Preis einer Milchkuh beträgt vierzig bis sechzig Rubel und ein Kalb von sechs bis sieben Monaten wird mit fünfzehn Rubeln l'czablt. lim jedoch den wirklichen Werth dieser Thiere zu ermitteln, ist es nothwendig, den wirklichen Werth ihres Futters und ihres Ertrags zu wisscu. Die folgenden Angaben zeigen die ungefähren Durch» schnittsprcisc der genannten Artikel im südlichen Nußland. Heu kostet die Ladung — das heißt so viel als zwei Ochsen ziehen können — uu< gefähr sechs Silbcrrubel, doch sind auch Theurungsperioden vorgekommen, wo es bis auf zwauzig Nudel gestiegeu ist. Stroh, sechzig Oebund audert-halb Rubel. Große Quantitäten Stroh werden auch blos als Feuerungs' material gekauft, zu welchttn Zwecke es hauptsächlich verwendet wird. Der Preis der Milch beträgt ungefähr dreizehn Kopeken Silber per Quart." Gs scheiut mir angemessen, hier die Preise einer Menge anderer Artikel beizufügen, die ebenfalls zu den landwirthschaftlichen Producten zu rcchuen sind. Ich habe mir viele Mühe gegeben, diese Angaben durch wiederholte Fragen zu berichtigeil und dieselbcu sind daher zuverlässig. Natürlich gelten sie von den gewöhnlichen Marktpreisen im südliche,, Nußland. Rindfleisch kostet drei Silberkopeken das Pfund. Hammelfleisch ungefähr ebenso viel. Kalbfleisch sechs Silberlopekcu. Brot sechs Sil-bcikopckcn der Laib. Bestes weißes Weizenbrot zwanzig Silbcrkopeken. Frische Butter dreiundzwanzig Eilberkopeken. Gesalzene Butter sieben Silbcrrubel per Pud oder vierzig Pfund. Cier das Stück einen Kopek. Von Käse wird so wenig gefertigt, daß man ihn kaum zu den gewöhn» lichen landwirthschaftlichcn Prodncten rechnen kaun. Was das Federvieh betrifft, so finde ick, daß ein nngemästeter Truthahn einen Silberrubel und ein paar Hühner vierzig Silberkopcken zu kosten pflegen. In Bezng auf das Heizungsmaterial wird das Holz nach der Cubikllafter verkauft; Cherson. 16g Wild aber so schlecht gelegt, daß sich nur schwer sagen laßt. wie viel eigentlich daraufgeht; eine solche nominelle Klafter kostet lmgefähr drei. undzwanzig Nudel, u»d Holzkohlen ciileu Eilberrnbcl per Tschetwect. In fernerer Beziehung auf das Brot will ich zur Belehrung Derer, welche vielleicht das Brot des russischen Bauern mit dem unseres Arbeiters zu vergleichen wünschen, hinzufügen, daß das Roggenbrot auf ungefähr acht Pfennige das Pfnnd und grobes Weizcnbrot zu demselben Preise angeschlagen werden kann Der durchschnittliche Lohn eines gntcu Arbeiters beträgt fünfundzwanzig bis dreißig Silberkopcken täglich und steigt in der Nahe von Städten oft bis auf vierzig. Von den Provinzen, welche ich ursprünglich als die russischen bietstheile am schwarzen M^ere nannte, haben wir nun die Zustände der wichtigsten ms Auge gefaßt, wenigstens derjenigen, welche an der Erzeugung des landwirthschaftlichen Reichthums Nußlands einen bedeutenden Antheil haben. Es sind indrssen mehrere umstände in Bezug auf die noch übrigen betreffenden Gebietsthcilc vorhanden, welche es wünschens-werth machen, auf jeden derselben nach der Neihe zurückzukommen. Chersou ist eine der Provinzen, die gänzlich aus Stcppenland bestehen, und wo die Hinderniffe für den Getreidebau sich deshalb zu groß erwiesen haben, als daß dieser die Hauptbeschäftigung der Einwohner sein konnte. Es wird in Cherson nnr wenig Getreide gebaut nnd dieses we» nige gewährt nur selten, vielleicht alle sieben oder acht Jahre einmal, eine genügende Ernte. Zu andern Inten sehen sich die Einwohner genöthigt, mit den Nachtheilen ibrer Lage zn kämpfen und durch Nothbehelfe aller Art, die dem bedrängten Landwirth zu Gebote stehen, mit Einschluß von Zahlungen in na,mra, ihre ssortezislenz zu ermöglichen, obschou die Unsicherheit ihrer Stellung dieselbe oft zu einer sehr unglücklichen macht. In einer Schrift, welche unter der Aufsicht der russischen Ncgiernng abgefaßt worden ist, finde ich, daß die Meinung, welche man in Nußland selbst von dem Steppenboden hegt, der Wahrscheinlichkeit, daß derselbe jemals mit Vortheil angebaut werden könne. ungünstig ist. Allerdings finden wir in gewissen Theilen des Südens ein anderes Eultursystem, dieses aber ist sicherlich nicht wissenschaftlicher, als das bereits beschriebene. Die ungeheuren und verhältnißmäßig unverwerthcten Ebenen dieses Theils des Landes setzen den Landwirth in dcn Stand, ein Verfahren einzuschla. 11' 164 Chersow. gen. welches man ili keinem andern Lande für ausführbar hallen würde oder könnte. Es bestebt dieses darin, einen gewissen Tbeil des Bandes zu besäen, davon zu ernten, was er herzugeben im Stande ist. und dann an-ftatt sich weitere Mühe damit zu machen. cs liegen zn lassen und ander» wärts zu säen. Dieser Gebrauch läßt sich allerdings dadurch rechtfertigen, daß von dem Steppenboden, sobald cr cin einziges Mal benutzt worden ist, selten oder nie eine gute (5rnte erlangt wird. Dieser Theil des Reiches aber ist, obschon arm an (Äetveide, doch reich an Rindvieh, welches um eiuer Fabrikation willen gezüchtet wird, die man in Chcrson in großartigem Maßstabe betreibt; es ist dies die Talgfabrikation. Die drei Gouvernements Elatemwslaw, Tscheruomori und Woronesch sind die Hauptplätzc dieser Fabrikation. Die (Vesckichte des Talgs ist in der Kürze diese: Wenn die Thiere gut gemästet sind — das heißt gegen den Herbst — werden sie geschlachtet nnd die erste Schmelzuug findet statt, deren Ergebniß ein sehr schöner Talg ist, welcher indessen auf dem Markte uicht jo gesucht wird. als wenn er in einer ve» falschtereu Form auftritt. Der durch diesen ersten Proceß gewonueul Talg wird in große Stücken von zwanzig Pud jedes zerschnitte!,. Dann nmwickelt man ihn mit Decken uud.bringt ihn. sobald das Wetter kalt genug ist. auf Schlitten, denn er verträgt den Transport per Axe, wie er hier zu Lande gebräuchlich ist, uicht. Auf diese Weise wird er uach Biel-gorod gesendet, welches im Gouvernement Kursk liegt. Hier wird der Talg abermals geschmolzen und die „Kniffe des Handels" nehmen hier ihren Anfang. (5r wird in Fässer gebracht und der Preis beträgt jetzt ungefähr elf Rubel per Pud. Von hier aus wird er nach den verschiedenen Märkten versendet. Das nördliche Rnßland ist der Hanptsitz dieses Handels, doch heißt es, daß mall sich gegenwärtig viele Mühe gebe, ihn uach Taganrog zu verlege». Von welcher Art die beim Talghandel vor» kommenden Verfälschunzen siud, ist nicht unsere Aufgabe hier zu erörtern, doch wäre es wohl zu wünschen, wenn dieses Unwesen einmal eine scharfe Beleuchtung erführe, Die Stadt Cherson. welche man die Hauptstadt von Reu>Nußland genannt hat, ward von Katharina der Zweiten am nördlichen Ufer des Duiepr erbauet. Die Umgegend dieser Stadt hat den dauerudsteu Anspruch auf die Aufmerksamkeit der Welt, weil sie die Ueberr.ste des Eng/ landers John Howard birgt, welcher hier seinem philanthropischen Cn- Taurien. 165 thllsiasmus im Jahre 1790 zum Opfer fiel. Einige Nüssen, mit welchen ich darüber sprach, erwähnte,,, daß sein Monument in Cherson von Einem aus ihrem Volke errichtet worden sei und bemerkten, England habe sich um sein Andenken weiter nicht bekümmert. Tic waren sehr überrascht, als sie hörten, daß wir ihm auf alle Fälle eine Statue in dcr St. Pauls« kirche errichtet hatten - eine Ehre, wclcbe sie um so höher zu würdigen wußten, als ich ihnen mittheilte, daß dieses Gebäude hauptsächlich den Mim» menten der ausgezeichnetsten Mitglieder der Land- undSeearmee gewidmet ist. Die zweite Provinz, auf welche ich kurz hindeuten will — mehr jedoch um die Liste zu vervollständigen, als weil ich in diescm Falle Er-gebrrlsse meiner persönlichen Forschungen darzubieten hätte — ist Tan» rien oder die Krim. Sie gehört ebenfalls nicht zn den ackerbautreibenden Districten, denn die Beschaffenheit des Stevvenbodcns macht es ihr nn» möglich, einen Platz unter denselben einzunehmen. DaS Land selbst hat eine Ncihe Herren von verschiedenen Nationen gehabt. Im fünfzehnten Jahrhundert wurden die Oenucsen durch die Tataren daraus vertrieben, und die letzteren behaupteten es unter dcr Oberheit dcr Türken bis zum Jahre 1774. Im Iabre 1783 nahmen die Russen Besitz davon und cS ward ihnen kurz darauf in aller Form abgetreten. Der obere Theil der Krim ist flach und verhältnißmäftig nnfrnchtbar. in den südlichen Oebirgen aber gewinnt das Land ein anderes und freundlicheres Ansehen. Hier wird der Boden fruchtbar und dieser Umstand, in Verbindung mit der schö» nen Gebirslandschaft, hat viele hochgestellte Personen bewogen, jenen Theil der Krim zum Sommeraufenthalte zu wablen. Einer der prachtvollsten dieser Wohnsitze ist von dem Fürsten Woronzoss in Alupka erbaut worden, und obschon Pflichten noch höherer Art als die. welche ein Edel« mann auf seinen eigenen Gütern zu erfüllen hat. die Abwesenheit des berühmten Besitzers nothwendig machen, wclcker gewöhnlich fern von hier viceköniglichen Hof bait, so wird docb jeder Meisende, besonders jeder Engländer, welcher das Gebäude in Augenschein zu nehmen wünscht, mit der größte» Artigkeit und Aufmerksamkeit aufgenommen. Die ernsteren Pflichten einer Forschung, welche mir nur wellig Zeit zu Vergnügungö-besuchen gestattete, machten es mir unmöglich, die Zahl von Tagen anfzu« wenden, welche eine Neisc naä, diesem Theile des Landes erfordert haben würde. Nach den Schilderungen aber, die mir ein in Odessa wohnender Engländer machte, welcher Gelegenheit gehabt hat. die herrlichen Terrassen 166 Asow. und stattlichen Zimmer des Schlosses zu bewundern und die kunstvolle Eleganz desselben genau in Augenschein zu nehmen, kann ich mir bedauern, daß es mir nicht möglich war, dieses Muster russischer Pracht zu sehen, welches, wie hier bemerkt werden muß, durch das architektonische Talent eines Engländers ins Leben gerufen worden ist. Die Krim erzeugt vor» zügliche Früchte verschiedener Art, vorzüglich Wallnüsse, und eö kommt nicht selten vor, daß eine ganze Familie sich von dem Verlauf der Früchte von zweien oder dreien der Wallmißbäume ernährt, welche in dem fiucht< bareren Theile der Hall'insel wachsen. Dic itrim besitzt aber auch noch andere und wichtigere Vorzüge in ihren Hafen und der Verbindung, in welcher dieselben mit der Eermacbt lind den Absichten Nußlands stehen. Obschon Asow streng genommen nicht zu den an das schwarze Meer grenzenden Bezirken gehört, so sind doch einige Worte über diesen Theil des russischen Neiä'es hicr vielleicht nicht am unrechten Orte. Das asow'sche Meer hat in Bezug auf die Temperatur mit großen Nebelstän» den zu kämpfen und ist vom Eise nicht viel freier, alS die nördlichen Oe, Wässer Nußlands. Wäre dies anders und die Schiffahrt auf dl'M Don eine bessere, so würde dieses Meer ein unschätzbarer Sammelplatz für fremde nnd Aufbewahrungsort für einheimische Product« werden. Die plötzlich eintretenden Fröste aber, welche das Wasser monatelang sperren und die sich fortwährend verändernden Hemmungen, welche der Don anschwemmt, bieten einem ununterbrochenen Verkehr im asow'schen Meer fast mmbeisteigliche Hindernisse dar. Die russische Regierung, die wahr» scheiulich diese Thatsachm btsser kennt, als Mancher, der sich über die sogenannte Prohibitivpolitik in Bezug auf die Zulassung von Ausländern in dkses Meer tadelnd ausgesprochen hat, ist bemüht gewesen, dasselbe weniger zu einem Mittelpunkt des Verkehrs als zu einer Ueblmgsschule für Seeleute zu machen, und obschon es fraglich erftbeinen darf, inwieweit der wichtigere Theil des Seemannsdienstes in dem asow'schen Meere gelernt werden kann, so ist es doch vielleicht nicht unwünschcnswerth, den Zwecken, welchen dieses wohlbewachte Meer von seinen Herrschern gewidmet wird, einige Aufmerksamkeit zu schenken. Der Don soll jetzt zu Ver< kehrszwecken noch weniger verwendbar sein. als er es zur Zeit Peter's des Kroßen war, obschon der Geist dieses Monarchen sich noch in dem asow'» schcn Meere zu regen scheint. Die Donaufürstenthümcr im Herbst und Winter 185^ von Patrick C)' B v i e n. Die Vonlmturstenthilmer. Im vergangenen September verließ ich Konstantinopel mit dem österreichischen Dampfer I^ornnnäo primo, um mich nach der Mündnng der Donau zu begeben. Der Nordwind wehte heftig den Bosporus herab und die Wellen brachen sich schäumend über der Serailspitze. Auf dem Wege von Tophane nach dem Dampfschiff füllte sich das Kai?, m welches ich gestiegen war, mehr als einmal beinahe mit Wasser und es gelang mir nur nach bedeutenden Anstrengungen an Nord zn gelangen. Erst spat am Nachmittag erreichten wir die Bucht von Bnjukdere, wo wir einige Minuten anhielten, um die Depeschen des österreichischen Inter-mmtius an Bord zn nehmen. Von dem Punkte, wo wir uns befanden, konnten wir die ägyptische Oscadre vor dem Sultansthale vor Anker liegen und auf den Höhen darüber die grünen Zelte der Soldaten Abbas Pascha's erblicken. Von der Mitte der Bucht von Bujufdere zog sich die türkische Flotte in einer krummen Linie bis zum Gingang des schwarzen Meeres hin. Die nette Fregatte dicht neben uns, womit die Linie begann, war die vomCapitänSlade befehligte. Es war der erste Tag des Knrbau Beiram und die türkischen nnd ägyptischen Schisse waren mit bunten Flaggen aufgeplcht. Wir fuhren dicht an dem Mahmndie. einem der größten Schiffe der Welt vorüber, welches hundertundzwanzig Kanonen führt und die Flagge des Kapudan Pascba, des türkischen Obemdmirals trägt. M konnte nichts Kriegerisches nnd stattlicher Aussehendes geben, als die Flotte des Sultans, und es ist zu erwarten, daß die Schisse im Kampfe gut geführt nnd von den Ofsicieren wie von den Gemeinen tapfer vertheidigt werden winden. Vom Sultansthale auf der asiatischen, und von Therapia auf der europäischen Seite an, waren in Zwisckenräumcn 170 Geldkurs. starke Batterien bis zum Eingang des schwarzen Meeres angelegt worden. Innerhalb der Meerenge sind die Kanonen mcist dicht am Naude des Wassers aufgepflanzt, aber an der Mündung dcö Bosporus stehen die Batterien höher. Nachdem wir mehrere Stunden lang im schwarzen Meere gegen den Nordwind und den heftigen Wellenschlag angekämpft hatten, mußten wir umkehren, und für die Nacht vor Bujuldere Anker werfen. Gegen Morgen legte sich der Wind ein wenig und wir brachen daher von Neuem auf, erreichten am Abend desselben Tages den kleinen Hafen Burgas und warfen etwa zwölf Stunden darauf vor Varna Anker. Beide Häfen sind offene Nheden. die nicht den geringsten Schutz gegen den Nordostwind gewähren. Wir landeten an beiden Orten bedeutende baare Geldsummen, welche konstantiuopolitauischc Kaufleute au ihre dor« tigen Agenten gesendet hatten, um hauptsächlich Getreide und Häute zu kaufen, was sowohl in Burgas wie in Vavua die Haupthandelsartikel sind. Im Innern der Türkei müssen alle Käufe mit Melallgeld gemacht werden, da sich die Eigenthümer der Waaren hartnäckig weigern, die Kaimes, das in der Hauptstadt uinlaufeudc Papiergeld, anzunehmen. Der Werth des Goldes und Silbers ist in der letzten Zeit in Koustautinovel bedeutend gestiegen. Das zu hundert Piastern ansgegcbene Goldstück ist jetzt huudertnndfunfzehn werth und das Silbcrstück vou zwanzig Piastern hat einen Werth von zweiundzwanzig erlaugt. Das Gesetz er» laubt jedoch keinem Türken, die Schwankungen des Wcchsekourses zu be-mcheu, und wenn er das Gold' oder Silbergcld des Landes für mehr als den Werth, zu welchem es ursprünglich ausgegeben worden ist, anbietet, jetzt er sich einer summarischen Bestrafung aus. Wir fanden in der Um« gegend von Varna ein Lager vou 10,000 Maun; die ssestnngswcrke sahen achtunggebietend aus. aber die Geschütze schienen nicht besonders tüchtig bemannt zu sein, denn während wir im Hafen lagen, salutirtm drei Kriegsschisse, dem Anscheine nach Aegyptcr, welche sich vor demselben unter Segel befanden, im Vorüberfahren und die Salutschüsse wurden erst nach vollen drei Viertelstunden, als sich die Schiffe vielleicht außer Hörweite befanden, erwiedert. Die Mchrzal der Einwohner besteht aus Christen. die seit der Ankunft der Araber Abbas Pascha's in ihrer Nähe. in beständiger Furcht um ihr Leben und Eigenthum zu schweben schienen. Die Donaumüudung. 171 Am Morgen nach unserer Abfahrt von Varna famen wir etwa eine halbe Stunde von der Donaumünduug vor Anker. Da auf der Barre nur sechs Fuß Wasser waren, konnten wir nicht näher kommen. Die schlammige Wasserfläche vor uns war mit Schiffstrümmern übersät; 'der Anblick hatte etwas furchtbar Trostloses. Wo das Wasser seicht war. schauten die schwarzen Schiffsrumpfe über die gelbe Flulh heraus wie halbbedcckte Leichen uud an andern Stellen sah man sich nur die Mäste des gesunkenen Schisses ans dem Wasser erheben, wie die ausgestreckten Arme eines Ertrinkenden, Am Ufer lag der mächtige Rumpf eines ge< strandeten Schiffes von holländischer Bauart, welcher in der Sonne ver» moderte, und dicht bei uns bemühten sich einige Mäuncr in Booten, die Ladung eines erst am Tage vorher untergegangenen Schisses heraus zu fischen. Innerhalb der Barre wartete ein anderes Dampfschiff nm uns die Donau hinaufzubringen. Wir sichren in einer Barke hinüber. wMe, da der Wind günstig war, die Segel aufgesetzt hatte und überdies von sechs Männern gerudert und von einem andern sechsruderigen Boote mit ebenfalls aufgespannten Segeln ins Tchlevptan genommen wurde. Nach etwa einer Stunde erreichten wir das uns auf der Donau erwartende Dampfschiff, frühstückten an Bord und gingen ans Land, um uns die Stadt Sulina anzusehen. Sulina gehört zu Nußland. Es besteht aus einer doppelten Reihe einstöckiger hölzerner Häuser, welche sich am Flußnfcr hinziehen und hinter denen ein öder Sumpf liegt. Die meisten Häuser sind auf Pfählen in Pfützen von fauligem, aus dem benachbarten Sumpfe hereinsickernden Wasser erbaut. In den Sommermonaten wird der Ort von Fiebern heimgesucht und im Winter macht ihn die Kälte beinahe unbewohnbar. Loot» sen, Fischer, Schenkwirthe und Lichterschisser nebst einigen russischen Soldaten uud ein paar griechischen Priestern bilden die ganze Bevölkerung. Ich zählte mehr als zweihundert im Flusse vor Anker liegende Schiffe von verschiedenen Größen. Einige befanden sich seit drei Monaten dort weil sie nicht über die Barre kommeil konnten. Fast jeder Versnch in Tee zu gehen hatte sich seit dem Anfang des Monats Juni verderblich erwiesen, und alle Bemühungen, tineu Kanal durch die Barre zu grabeu, scheinen aufgegeben worden zu sein. Vin russisches Baggcrschiss lag müßig in der Mündung des Flusses, und nach der Schlammkruste, womit es über« 172 Dir Donau Mündung. zogen war, und seinem sonstigen vernachlässigten nnd schmutzigen Ausseben zn urtheilen, mußte es seit lauger Zeit unbenutzt gewesen sein. Dicht bei dem Baggerschiff lag ein russisches Kanonenboot. Die einzige Person auf dem Verdeck desselben war ein langer Eccsoldat in einem schmutzfarbigen Ueberrocke, welcher über Bord lehnte und Strohhalme iu das Wasser fallen ließ. Nach dem Frieden von Adrianopel sollte die St. Gcorgenin-sel, auf welcher Sulina erbaut ist. ebenso wie die übrigen Donaumseln, unbewohnt sein. Die Russen haben jedoch auf der südöstlichen Spitze der Lctiinsel eine Quarantainestaiion erbaut und furz darauf das Städtchen Sulina, als dessen Herren sie sich einnisteten, errichtet. Auf der entgegen» gesetzten Spitze der St. Georgcninsel. an der Einfahrt des Kanals, haben die Nüssen ebenfalls eine Quarantaiucstation eingerichtet. Der übrige Theil der Insel ist ein unfruchtbarer Sumpf. Selbst von andercu Ursachen abgesehen, wüldc die Seichtigkeit des Waffers auf der Barre au der Douaumüudnng, welche seit dem Juni geherrscht hat, hinlänglich gewesen sein, um den Handel von Äraila und Galaez ins Stocken zu bringen, lind doch scheint es mir, daß bei etwas gutem Willen von allen Seiteu nichts lcicbtcr sein würde, als einen vierzehn bis sechszehn Fuß tiefen Weg durch die Narre offen zu erhalten. Man wird aus der starken Austrmguug die das Nudern von dem Dampfer nach Tulina nöthig gemacht hatte, ersehen, daß die Strömung sehr stark gewesen sein muß; sie betrug wenigstens fünf Knoten in der Stuude. sss würde daher weiter nichts nöthig sein, als den Sand. woraus die Barre besteht, aufzurechen, worauf ihn die Kraft der Strömung selbst fortschaffen müßte. Ei» mit Ncchen, statt mit Gimen, versehenes Baggerschiff würde dies leicbt bewerkstelligen. Das Eintreiben von Ml'leu auf der eiueu oder andern Seite würde den Kaual natürlicherweise auf die Dauer offen erhalte», aber selbst ohne diesen Auswand zu machen, könnte das Baggcrschiff. wcnu gehörig bcmcht, die Sommermonate über einen sichern Fahrweg für sogar zwölf Fusi tief im Wasser gehende Schiffe offen erhalten. Der St. Georgen Kanal, welcher zwischen der anderen Seite der Insel und dem bulgarischen Ufer des Flusses hinläuft, ließe sich ebenfalls schiffbar machen. An den seichtesten Punkten ist das Waffer zwölf Fuß tief und der Wasscrstand auf der Barre, welche an der Mündung dieses Quarantaine. 179 Kanales liegt, wechselt an den verschiedenen Pmilten zwiscben sieben und vierzehn Fuß. Vis jetzt sind indessen noch keine regelmäßigen Pcilungen angestellt und keine Baltonnen gelegt worden, weshalb lein Schiff diese Fahrt unternehmen kann. Der zwischen der Insel Leti und Beffarabien binlanfende Kilia-Kanal ist auf seiner ganzen Länge schiffbar, wild aber, da er sich in den Handen Rußlands befindet, nie von Schiffen einer an» dern Nation befahren. Etwa zwölf Stunden, nachdem wir Snlina verlassen hatten, erreich« ten wir Galacz, landeten einen Tbeil unserer Ladnng und einige Paffe« giere und fuhren darauf nach Braila. welches etwa zehn Meilen flußauf« wärtS liegt, weiter. Alle aus der Türkei in der Moldau oder Walachei ankommenden Personen müssen eine viertägige Quarantaine halten; dies ist nichts als eine Polizeimaßregel, da die europäische Türkei sich seit einigen Iabren in einem ebenso gesunden Znstande befunden dat, wie irgend ein anderes europäisches Land. Zwischen Konstantinopel und Malta besteht die Qua« rantainc gegenwärtig nur dem Namen nach, und zwischen dem ersteren Hafen und Trieft gar nicht. Die Quarantaim iu den Donaufürstenthü-mern ist eine höfliche Einkerkerung auf vier bis fünf Tage, während wes« cher die Polizei jede nothige Gelegenheit hat. um Erkundigungen nach den politischen Meinnngcn des Reisenden und der Absicht, in welcher er das Land besucht, anzustellen. Als ich in Braila auf dem Quavantainegebiet ans Land ging. fragte mich ein Polizciofficiant nach meinem Paß. Ich zeigte ihm ein Teskerek, das heißt eine Ordre von den türkischen Behörden in Konstantinopel, mich unbehindelt in die Moldau und Walacl'ei emzulaffen. Dieses schob er mit Verachtung bei Seite, Hieranf zeigte ich ihm meinen gehörig visirten englischen Paß. (Hegen dieses letztere Document erhob er keine Einwen» dung, und ich hielt jetzt in Begleitung der anderen Paffagiere, die zugleich Mit mir ans Land gekommen waren, und einer Leibgarde von walachischcn Soldaten meinen feierlichen Einzug in die Quarantaine von Braila. Es wird angenommeil, daß ein Jeder, welcher in dieser Quarantaine eingesperrt ist, sein Bett und alle übrigen, nothwendigen Hansgeräthe mitgebracht habe. Zum Glück für mich kam ein griechischer Kaufmann, welcher mit seiner Familie nach Bucharest ging, zugleich mit mir in die Quaran« 174 Polizeifragen. tame, und er war so freundlich, mir ein Bett zu leihen. Von dem Wach« ter lieh ich mir cm halbes Faß, welches ich vor der Thür gesehen batte, und verrichtete in diesem meine täglichen Waschungen. DerWächterbracbte mir den Tag über in bestimmten Zwischenräumen meine Speiseu. Da er keine Lust hatte, mehr als eine Reise ans der Küche nach der Hohle, worin ich eingemauert war. zu machen, brachte er sämmtliche Materialien für jede Mahlzeit auf einmal mit. Zur Stunde des Mittagsessens erschien er z. V. mit einer Schüssel in der einen Hand und einem irdenen Teller in der andern. In der Schussel bcsand sich Suppe und ans dem Teller gekochtes Fleisch, oder Pillau. oder beides zusammen, und an seiner Person trug er die übrigen Tbeile des Mittagessens, während er zuweilen einen kleinen Wegenstand, für den er nicht Plah genug in seinen Taschen finden konnte, zwischen seinen Zähnen hielt. Nachdem er die Schüssel und den Teller ans den Tisch gestellt hatte, zog er ein Tellerchcn, eine sehr kleine eiserne (Nabel, einen Löffel von gleichem Metall und ein rostiges Messer heraus. Ich aß langsam und mühselig die Suppe sowohl wie den Pillan und das Fleisch, oder was sonst vorbanden sein mochte, von dem gleichen Tellercl'en. Ich machte keinen Versuch, bei jedem Gericht mein Convert wechseln zu lassen, denn ich sah am ersten Tage. als ich den Wächter ersuchte, den Teller, nachdem ich meine Suppe gegessen hatte, zu reinigen, daß er sich anschickte, dies mit einem Tuche, welches er aus seiner Tasche zog. zu thun. Am Morgen nach meiner Ankunft in der Quarantaine erschien ein Polizeibeamter mit einem großeil Vuche unter dem Arm an der Thür meiner Zelle. Hinter ihm folgte ein Mann. welcher ein riesiges, hölzernes Tintenfaß trug. worin eine große Feder stak. „Wie heißen Sie?" fragte der Officier, indem er sein Buch öffnete. Ich hatte es ihm am Abend vorher gesagt; aber er schien zu denken, das? mein Name im Laufe der Nacht sich verändert hab«n könnte. So lange ich in der Qnarantaine blieb, stellte er jeden Morgen die gleiche Frage nach meinem Namen an, als ob dieser ein gesondertes Dasein habe und einem besonderen Sanitätsgesetz uutcrworftn sei. Ich gab ihm mein Alter und meinen Geburtsort an. „Sind Sie verheirathet?" fragte der Beamte. Ich antwortete verneinend. «Nun dann." sagte er, als ob dies die nothwendige Folge meiner Antwort wäre, „wie viele Hemden haben Sie?" Vraila. 175 Hierauf ging er meine sämmtlichen Garderobeartikel durch, zählte mein Geld, sah dicPapicre in meinem Schreibneccffaire an und fragte mich end° lich, warum ich »lach Bucharest gebe und wer dort meine Freunde seien. Endlich waren die vier Quarantainctage vorüber und der Wächter brachte mir die wiNkommeue Nachricht, daß ich gebeu könne wohin es mir beliebe. Zu gleicher Zeit übergab er mir die Ncchnung über dic während meiner Gefangenschaft aufgelaufenen Kosten. Für die mir auf die oben beschriebene Weise gelieferten Speisen wurden mir täglich zehn Franken berechnet, und überdies mußte ich die Miethe für mcinc Zelle lind den Lohn für meinen intelligenten Wächter zahlen. Die sogenannte Stadt Braila war. wie ich faud. eine große staubige Ebene, auf welcher hier und da Häuser verstreut lageu. Dicht am Flußufer befiudet sich eiue lauge Neihe von Läden uud Magazinen. Die letzteren waren sämmtlich mit Getreide angefüllt, und aus Maugcl an Platz zum Aufbewahren lagen außerdem noch große Getreidehaufeu auf offner Straße. Iu diesem Theile der Stadt stieß ich au allen Ecken auf Leute, welche Weizeu reinigteu, oder ihn iu freier Luft auf Haufen brach» teu, oder ibn nach kleiucn anf dem Flusse liegenden Schiffen hiuabschafften. Der Ort strömte buchstäblich vou Koru über. Es war bedauerlich, wenn man bedachte, das« ein großer Tbeil davon ans Mangel au Mitteln, um es uach anderen Märkten zu schaffen, würde verderben müssen, Die eiuzigcu Orte. wo der Neiseude in Braila ein Unterkomme» erhalten kann, sind die Khans. Derjenige, welcher am wenigsten schmutzig seiu soll. ist die Locanda Noffa, Dies ist cin viereckiges, hölzernes , diesem reizenden Hause brachte tch eine Nacht zu. Die einzigen Zurüstungen, 176 Der Sereth. , welche für mich zum Ausruhen getroffen wurden, bestanden im Hereinbringen einer Strohmatratze nnd eines Teppichs. Bei Tagesanbruch stand ich auf, füllte einen Neiscsack mit einer vollständigen neuen Kleidung au, begab mich nach einem türkischen Bade in der Nähe und kam eine Stunde darauf gesäubert und ^ufncdcu wieder aus demselben. Ich ging zu dem die Nacht Vorher von Galacz angekommenen englischen Viceconsul, frühstückte bei ihm und blieb, so lange ich mich noch in Braila aushielt, m seinem Hause. Ich habe außer der Wüste noch nie einen so von Staub erfüllten Ort gesehen, wie Braila. Man athmete, man aß uud schlief im Staube, während er das Wasser im Glase in Schlamm verwandelte nnd man ihn in dieser Form auch trank. Nach einem längeren Aufenthalte an einem solchen Orte muß das in den Ttaub-Bcißeu als ein mildes Schicksal erscheinen. Ich verließ iu einem von zwei feurigen kleinen Pferden gezogenen offenen Korbwagen ohne Hedern Vraila, nm zn Lande nach Galacz zurückzukehren. Diese Wagen sind die besten Micthfuhrwcrke in der Stadt, und die Straße war überall unt einem so dicken Staubtcppich bedeckt, daß ich die Abwesenheit der Federn nicht so sehr fühlte. — Wir kamen außerhalb der Stadt an einem russischen Lager von 2000 Manu vorüber. Nach einer schnellen Fahrt von etwa anderthalb Stuudeu erreichten wir das Ufer deS Tcreth, des Grenzflusses zwischen der Walachei nnd Moldau. Hier mußte ich den Paß, wclcheu nur die Polizei in Braila gegeben hatte, vorzeigen. Wir setzten auf einer etwa zwei Monate früher von den Nuffe» errichteten Pontonbrücke über den Fluß und als ich auf das audcre Ufer kam, mußte ich dem moldauischen Polizeiosficianten meinen Pasi von Neuem vorweisen. Der Fluß ist etwa zweihundert Fuß breit und von der gleichen Kothfarbe wie die Donau. Etwa eiue Viertelstunde, ehe wir ihn erreichten, waren wir dnrch ein Dorf gekommen, worin fünfhundert russische Soldaten im Quartier lagen. AIs wir hindurchfnhren, kamen sie eben heraus um gemustert zn werden. Sie schienen im Allgemeinen gutgebaute, soldatisch aussehende Bursche» zu sein. besonders die Tubalter-Officiere. die meist Männer von dreißig bis vierzig Jahren lind von strenger Vetercmcumienc waren. Die Uniform bestand ans einem grünen Nöckchcn mit weißen gekreideten Riemen und weißen Beinkleidern. Sie trugen Helme, welche denen der Londoner Feuerbrigade einigermaßen Russisches MiUtalr. 177 ähnelten. < Nach dem Muster der preußischen.) Die etwa vier Zoll hohe Spitze, welche sich über der Mitte des Helm«« erbebt, ist von Messing, und aus der Vorderseite befindet sich der russische Adler von gleichem Me« tall. Die Mnslctcn batten Percnssionsschl offer und die Läuft waren blank sseputzt, mit Messingriugcn versehen, und schicucn übcrbalipt nach dem Mustcr der gewöhnlichen französischen Flinte coustruirt zu sein. Sie trugen ibre Uebcrröcke in einem runden Lederfutteral auf ihren aus Knh-leder gemachten Tornistern. Ich bemerkte. daß sie nicht Knöchelschuhe wic unsere Soldaten, sondern hohe Stiefeln trugen. Spater erfuhr ich, daß die Uniform, in welche diese Manner gekleidet waren, die beinahe del ganzen russischen öinieuinfantcrie ist. Wenn der russisch? Soldat in sein Quartier zurückkehrt, so legt cr augcublicklich seinen Helm. Uuiformrock, das Riemenzeug und die Beinkleider bei Seite und bleibt in seinen Unterhosen, welche unter dem Knie bis an den Stiesel reichen. Außerdem trägt er eine flache Fouragirmütze von dunklem Tuch und einen graubraune» Ueberrock, welcher um die Mitte dcs.Leibcs zusammengenommen wird und bis auf feine Knöchel hinabgeht. In dieser Kleidung verrichtet er seinen ganzen Fatigucdieust. Ich muß leider hinzufügen, daß das glänzende, reinliche Aussehen, welches der russische Soldat auf der Parade zeigt, nur auf die Oberfläche beschraukt ist. da sich sei» Hemd, scine Unterhosen und übrigen Unterkleider gewöhnlich in eiimu schauerlichen Schmutz befinden. Auf den Höhen oberhalb Galacz stießen wir aus ei» Lager von 2500 Nusscn, und ich sah, daß auf allen die Douau überschauenden Punkten Schildwachcn ausgestellt waren. Man scheint in den russischen Lagern keine all^emeingiltigcn Nemlickkeitsvorschriften zu beobachten, denn ick bemerkte überall, daß die Lust in ihrer Nahe von pestbanchenden Gerüchen erfüllt ist. Ich halte dies für eine von den Hauptursachen der unter den russische» Truppen herrschenden Krankheiten. lNalacz erschien nach der erbärmlichen Stadt Braila sekr zu seinem Vortheil. Die Straßen sind meist von ziemlicher Breite und leidlich gut gepflastert. In der Hauptstraße befinden sich einige hübsche Läden und überall herrscht ein erfreulicher Anschein von Geschäftigkeit und Wohlstand. Das Flußnfcr entlang läuft die ganze Stadt hinab ein sehr hüb. scher, gut gebauter Kai mit bequemen Lagerhäusern und großen Speichern. Noch vor wenigen Jahren war dieser Kai nicht vorhanden und man durch. Schwarzes M«r. 12 178 Galacz. schritt diesen Theil der Stadt auf Vretteru, welche kaum vor dem Fallen in den schwarzen Schlamm und das fanlige Wasser darunter bewahrten, die mit ihre» Ausdünstungen die Atmosphäre vergifteten. Die Behörden von Galacz verdienen für die Mühe, die sie sich gegeben haben, ihre Stadt bequnn und gesund zu machen, großes 5!ob. Im Gegensatz zu Braila befindet sich hier eilt lnibsches Hotel, worm der Reisende ein be> quemes Unterkommen findet nnd der Ort bat überhaupt das Aussehen einer blühenden europäischen Stadt. Wenn die Hindernisse dcr Doliau-schissfahrt beseitigt wären. so würde sich Galacz unvermeidlich zn einem Orte von großer Wichtigkeit erheben. Die Behörden dcr Nachbarstadt Braila scheinen dageg.n ihre ganze Zeit darauf zu verwenden, sich in Zänkereien mit den Konsuln der fremden Mächte zu verwickeln. Nährend ich mich dort in der Qnarantaine befand, ging eines Tages ein Walache a>l die Donau hinab, um sein Pferd zu tränken, und Pferd und Reiter wurden von der Strömung mit fortgerissen. Der arme Manu ertrank, aber das Pferd kam wohlbehalten wieder aus Land. Ein Ionier. der am Bord eines kleinen Fahrzeuges war, in dessen Nähe sich der Unfall ereignete, bemühte sich mit Gefahr seines eigueu Lebens das des Ertrinkenden zu retten. Seine gute Absicht wurde jedoch nicht vom Erfolg ue< krönt, Als dem Gouverneur voll Braila dieses Ereigniß berichtet ward, verordnete dieses weise Individuum, daß der Ionier ins Gefängniß geworfen werden solle, weil es ihm nicht gelungen sei, den Ertrinkenden zu retten. Wer weiß wie lange der nuMcklichc Ionier so als Verbrecher in, Kerker geblieben sein würde, wenn nicht die Zache zu den Ohren des englischen Viceconsuls in Galacz gelangt wäre. der nicht nur den Ionier in Fnihcit schen ließ. sonder,, anch die Behörden zwang, ihm eine Entschädigung für die unrcchtiMig erlittene Gefangenschaft zu zahlen. Seit der Besetzung der Donaufürstenthümer durch die russischen Truppen smd die Polizciverordmmgen auf Befehl der russischcn Behörde verschärft wordcu. und in das Land kommeude Fremde, welche man im Verdacht eines gcbcimen politischen Zweckes hat, werden nicht mehr zugelassen, wahrend man Flüchtlinge, die sich cinzuschleichcn versuchen, augenblicklich festnimmt. Vor Kurzem kamen des Abends drei Männer am Thore von Galacz an. Ihre Alitworten alls die von der Polizei gestellteil Fragen erschienen nicht befriedigend und sie wurden in Verhaft ge- Donaudampfschisse. 179 ttommen. Tie sagten, daß sie Engländer seien, da aber nur einer von ibnm einen englischen Paß vorzeige» konnte. su wurde auch blos er zu dem Vieeconsul Mr. Cuningham gebracht, die übrigen dagegen bis auf Weiteres ins Gefängnis, gewotfeu. Der zu Ms. Cniüngham geführte Mann sagte, daß er Shaen heiße. Sein Paß war vom Ministerium des Auswärtigen ausgestellt, von Lord Palmerston unterzeichnet, gehörig vi« sirt, und lantete auf „Mr. Ehacn. cinen britischen Unterthan, der auf dem Continent zu reisen beabsichtige". Als ihn der Viccconsul jedoch privatim befragte, gestand er, das? er ein polnischer Flüchtling sei und die anderen beiden Manner feine Brüder wären. Mr. Cnningbam brachte ans Humanität Sbaen wohlbehalten aus dem Lande, mußte aber die anderen beiden Männer ihrem Schicksal überlassen. Die Prüder Shaen's wurden kurz darauf nach Odessa gesendet, wo einer von ihnen, welcher Ofsicier in russischen Diensten gewesen war, öffentlich erschossen wurde; das Schicksal des Andern ist jedoch unbekannt geblieben. Nachdem ich unter dem gastlichen Dache des englischen Viceconsnls einige Tage in Galacz zngebracht hatte schiffte ich mich anf einem von den Dampfern der Donaugcscllschast nach Murgewo ein. Der Salon dieser Dampfschiffe befindet sich aus dem obern Verdeck und nnten im Zwischendeck ist noch ein geräumiger Salon mit einer Hinter-cajüte fnr Damen, Der Salon auf dem oberen Verdeck des Schiffes war ein ganz angenehmes Gemach, worin man gegen die Sonne Schutz hatte, nnd durch dessen offene Fenster auf beiden Seiten die Luft unbehindert strick. Der im Zwischendeck war dagegen eine wahrhaft schauerliche Höhle. In dem obern Gemach waren die Farben heiter und festlich und vollkommen geeignet, augenebme Gedanken zu nnterbalten; aber unten war Alles grabesdnster und paßte vMommcn zn den langen sicberisäml Stunden, die man die Nacht über dort zubringen mnßte. Das Frndstück, Mittagscssen nnd der Tl,ee wurden mit etwas der Reinlichkeit und Aufmerksamkeit christlicher Länder Achnlichem servirt; aber des Nachts blieben die Passagiere sich selbst überlassen, wie die Vögel der Luft oder die Thiere des Feldes. Den Anfwärtern wäre es gleickgiltig gewesen, ob wir anf den Naaen oder nnter dem Änge znr Rüste gingen oder im Bette des Flusses schliefen. Wir wußten nur, daß entweder die rußige Höhle unten, wo wir mit Myriaden kleiner blutdürstiger Insecten ein schmales 12* 180 Czcrnoivoda. Sopha zu theilen hatte,,, oder das thalifeuchte Verdeck unser Ruheplatz sein sollte. Vor der Cajntcntl'ür befand sicb eine den Mysterien der Toilette geweihte Nische, wohin die Passagiere des Morgens einander mit wirrem Haar nnd fieberischeu Augen wie Ncbelgestaltcn folgten. Diese Nische enthielt eine Rohre, durch welche das trübe Wasser der Donan bereinftoß. und unter ihrem Etrable verrichteten wir unsere Waschungen. Ich kam von den unchristlicksten GefnUen erfüllt auft Verdeck, Icl, fürchte, daß ich gegen die Anfwärter grob wurde, denn als sie mir den Kaffee brachten, besaß er eine weit größere Aehnlichkeit mit dünnem Schlamm als mit Mokka. Sie waren vielleicht ganz gute Burschen, aber ich glaube, daß nach einer solchm Nacht selbst der Sanfteste nicht genug von dev Milch der Menschenliebe in seiner Brust vorgefunden haben würde, um seinem Kaffee Wohlgeschmack zu verleihen. Auf dem bulgarischen Ufer der Donau bemerkten wir in geringen, Zwischenräumen kleine türkische Lager und auf den bedeutenderen Anhöhen waren überall Vcdctten ausgestellt. Zuweilen sahen wir aus dein Uferwaldungen eine kleine Neitcrschaar hervorkommen, welche stehen blieb, um «ns vorüberfahren zu schcn und dann schnell wieder verschwand. Oftmals unterschieden wir im oberen Theile eines buschigeu kleinen Thales eine rohe, malerisch aussehende Hütte, in deren Nähe drei bis vier (5avalerie> Pferde angebunden und die Lanzen der Neiter in den Boden gesteckt waren. Auf dm, entgegengesetzten Ufer standen die walachischen Wächter des Kesnndheitscordons, ans Brettergerüsten vor kleinen Häusern, welche ans Pfal'len etwa sechs iW über dein Boden errichtet waren; aber nirgends konnte man russische Truppen erblicken. In Hirsowa lagen tür» fische Streitkräfte; auf den Höhen befanden sich mehrere Feldartillerie-batteriecn, in deren Nähe Pferde standen, und unter den sich in der Stadt und am Hlusi nmherbewegendeu Soldaten bemerkte ich die Fusta-nella und die blitzenden Waffen der Albanesen. Die nächste Stadt oberhalb Hirsowa ist Czernowoda. Hier befand sich ebenfalls eine starke türkische Abtheilung, welche'der in Hirsowa so ziemlich glich. Auf dein Flusse lagen mehrere Schissmühlen, aber die Kanalproject 181 Strömung ist in jener Megend nicht besonders star? und die Räder dreh' ten sich nur langsam. ?lm Ufer brachten Fischer ihre Netze in Ordnung und besserten ihre laugen Käbne aus und neben ihnen spielten ihre halbnackten Kinder. Wir sahen Weiber mit Lasten auf den Köpfen vorüber» gehen und Ackcrsleute auf den nahen Feldern arbeiten und hörten das schläfrige Platschern der Mühlräder. Mcö dies bildete einen starken Contrast mit den rnnd umher sichtbaren, drohenden Kriegsnistungeu. Dicht bei den Fischern stolzirte der wilde bis an die Zäline bewaffnete Albauese umher und hinter dem Wallgraben, in dcffen Nähe der Bauer sein Feld pflügt, lugten schwarze Geschützmündungen hervor, und die Sonne lächelte freundlich auf Me herab — auf die kleinen Kinder, welche neben ihrem Vater spielten und auf den Aruautm, deffeu Handwerk der Krieg ist — auf die Zeichen des freundlichen Landlebens und auf die drohenden Waffen des Lagers. Glwa eine Viertelstunde unterhalb Czernowoda befindet sich ein Fluß gleichen Namens. Die Strecke von der Mündung dieses Flusses bis zum schwarzen Meere beträgt nickt mehr als vierzehn Stunden. Man hatte einmal die Idee. einen Wasserweg von der Mündung dieses Flusses bis zur Stadt Kostendscki zu eröffnen.und auf diese Weise die Gefahren zu vermeideu, wclckcn die Scbifffabrt au dcr Donaumlmdung mit jedem Jahre mehr ausgesetzt wird. Vor nicht langer Zeit wurde ein Bericht über diesen Wegenstand aufgesetzt, welcher dem Publieum noch nie vorge« legt worden ist und daber auf diesen Blättern vielleicht nicht unwillkom» men sein wird. Das ganze Terrain ist Schritt sir Schritt besichtigt worden, und das Nachstehende enthält das Resultat genauer und sorgfal« tiger Beobachtung. Die Czernowoda ist ein schnellströmender Fluß, welcher im Ka» raffusee entspringt und von seiner Quelle bis zur Donau weuigsteus eine Geschwindigkeit von anderthalb Stunden in der Stunde besitzt. Das Thal, welches er durchströmt, ist aus beiden Seiten von hohem Terrain begrenzt. Ans diesen Höhen zieht sich au der östlichen Seite des Thales ein Weg bis zum brassn hin, wo er an das Ufer hcrabkommt. Dieser sogenannte Tee ist eigentlich eine Kette von Seen. welche sich etwa vier Stunden weit vou Süd Süd-Ost nach Nord-Nord-West erstreckt. In den größeren von diesen Teen ist das Wasser tief aber in den sie mit 182 Der Karassusee einander verbindenden engeren Theilen beträgt die Tiefe selten mehr als zwölf Zoll. Nach einiger Zeit verläßt die Straße das Ufer des Karassu-fee's. geht über etwas höher liegendeil Boden und senkt sich wieder nach einem Punkte binab, wo sie über den Fluß Karamurad bei Kostelli führt. Von dort an ist das Terrain wieder niedrig und nach Regengüssen nnd nach dem Sä'imlzcn des Schnees im Frül'ling wahrscheinlich bis zu dem Dorfe Vurlak ungangbar. Burlak liegt vier und eine halbe Stunde von Czernowoda und drei und eine halbe Stunde von Kustcndschi. Etwa eine Meile oberhalb Vurlak verlieren sich die Spuren des Flusses und derselbe muß hier nur von Regenwasscr genährt werden, denn zu der Zeit. wo ich ih» passsrte. war er vollkommen trocken. In der That müssen sich die ersten Quelle», wclchc den unteren Tbeil des Flusses mit Wasser versehen, im See Karassu befinden. Weiter oben ist weder eine Quelle noch eine Spur von etwas Anderem als angesammeltem Regmwasscr zu erblicken. Bei Burlak oder etwas oberhalb desselben hört das Thal auf und wird von ziemlich hohen Hügeln eingeschlossen, auf deren Gipfeln von Norden nach Süden eine große Strecke weit eine Reihenfolge von trefflichen Wcideländcreien liegt. Bei Bnrlak führt die Straße einen von den das Czernowodathal einschließenden Hügeln hinauf. Dieses Aufsteigeil dauert etwa eine Stunde lang. worauf die Straße über die Weidehügel die Richtung nach der früher bedeutenden jetzt aber gänzlich unbewohnten Stadt Dreianlar nimmt. l5in zehn Minuten langer Ritt von dieser läßt den höchsten Punkt der Straße erreichen uud von hier aus erblickt man das schwarze Meer auf der Seite, von welcher wir kamen, zum ersten Male. Es ist jetzt mittelst eines Rittes vo» vierzig Minuten zu erreichen. Ich sah mich auf dieser Anhöhe vergeblich nach etwas einer Oeffnuug Aebnlichem um, aber im Vereich meines Fernglases war keine zu erblicken. Da ich keine Iustiumcnte bei mir hatte, so konnte ich die genaue Höhe dieses Punktes über dcr Meeresflache nicht ausfindig machen aber dem Augenmaße nach scheint sie über dreihundert Fuß zu betragen. Von hier senkt sich die Straße bis in die Nähe des Sudschalsce's hinab und läuft von dort über eine andere Grashügelreihe die Küste entlang bis Kostendschi. Kostmdschi. — Die Trajanswälle. 183 Kostendschi selbst liegt aus einem in das Meer hinaus springenden Vorgebirge, dessen südliche Spitze die eine Seite der Bucht oder kleinem Rhede bildet. Die Stadt liegt seit einem besuche der Russen, die bei dir Zerstörung derselben unnöthige Strenge geübt zu haben scheinen, in Namen. Sie befindet sich etwa hlmdcrtundfunfzig Fuß über der Meeres' fläche. Der kleine, durch den, wie man sagt. von den Römern erhallten Hastndamm gebildete Hafen hat gegenwärtig mir eine Wafsertiefe von sechs bis sieben Fnß, da er mit den Trümmern des Dammes und dem von dm Ostwinden herbeigeführten Meercssande angefüllt ist. (5r kann nur znölf bis fünfzehn kleine Schisse aufnehmen Die Bucht oder Nhede würde ltidlich geschützt sein, wenn der Hafcndamm wieder hergestellt lind verlängert und das Iunerc von Sand und Trümmern gereinigt wäre. Tie könnle dann fünfzig bis sechzig Schiffe von hlindcrtlmdfnnfzig bis zweihundert Tonnen aumchmen. Der Hafendamm ließe sich leicht wiederherstellen, da sich Bruchsteine von jeder Vröße an Ort und Stelle vorfinden. Nachdem ich Kosteudschi besichtigt hatte, beschloß ich über Rassowa nach der Donau zurückzukehren um die Vortheile der beiden Linien mit« einander vergleichen zu können. Ich verließ Kostcndschi und ritt in süd« licher Richtung eine halbe Stunde weit bis an das Ende der vonNassowa bis Hievher quer durch das Land gehenden Traianswälle, wo früher die Donall in das Meer gefallen sein soll. Ich konnte kcme Spur von einem Wasserbett sehen, welche eine solche Annahme zu rechtfertigen vermöchte. Am Endpunkte der TrajanSwalle liegt eine ziemlich regclmäsügc Reihe von Hügeln, welche einigen von den Nömerlageru in Schottland ähnelt. Dieser Punkt liegt in bedeutender Höhe über der Mecresflache und die Felssnreihe ist dnrch nichts nnterbrochcn als durch kleine Schluchten, welche dem starken Frühlings- lind Herbstregen zum Abzug dienen. Von dort führt die Straße etwa zwei Stunden lang den Trajanswällen pa« rallel und ist eine fortwährende, wenn auch sauste Steigung. Hierauf gelangten wir an einen Punkt, von wo man die Aussicht auf das Ezerno« wodathal mit Burlak hat. Wir ritten etwa eine Viertelstunde lang abwärts bis zu dem kleinen Tatarcndorse Alalap, nnd von dort führte nnser Weg an dem AbHange der die südliche Grenze des lizernowodathalcs bildenden Hügel bis jenseits der Stadt Karassu hin, wo wir zwei bedeu» 184 Terrainschwierlgkeiten. tende Anhöhen überstiegen und darauf an einen kleinen sumpfigen See unterhalb Idris gelangten, an welchem wir «uscrn Weg fortsetzten, bis wir nach einem ueuuundciuhalbstüudigen angestrengten Nitte das Ufec der Donau eine halbe Stunde unter Raffowa erreichte». Der leMe Weg gewährt für eine Kanallinie keine Aussichten und bietet auch .US bloße Landstraße nichts von deu Vortheilen der Czernowodalinie. Die Hindernisse gegcn die Anlegung eines Kanals werden, wie mau aus dem Vorhergehenden ersieht, also erstens, das fortdauernde bedeutende Ansteigen von dem Douauufcr bis etwas oberhalb Burlak sein. Ich konnte dic Stärke dieses Ansteigens aus Mangel au Instrumenten nicht bestimmen, abe'- es muß bei weitem mehr betragen als sich mittelst Durchstichen selbst bei der Anwendung sehr zahlreicher Schlei'ßen übe» winden ließe. Hierzu kommt noch die der Meeresküste entlang laufende Hügelreihc, welche durch keine Oessmmg, die den Strand des schwarzen Meeres mit einem der nach derDouan führenden Thaler verbinden würde, unterbrochen wird oder zu werden scheint. Die tcht von sszeruowoda aus führende Straße ist fast überall trefflich und hätte von der österreichischen Dampfschiffsabrt -(Gesellschaft benutzt werden können, wenn sie bei ihrem Vorhaben, Kosteudschi zum l5mschiffungsorte von Passagieren und Waaren nach Konstaittinrpel zu machen, geblieben wäre. Eine Post ezistirt anf keiner von dcn obigen Linien; aber es ist nicht schwer sich Pferde und kleine bequeme Wagen für Passagiere und Waaren zu verschaffen. Kurz nachdem wir (izcrnowoda verlassen hatten, fuhren wir an der Etadt Silistria vorüber. Hier schienen die türkischen Truppen in weit größerer Anzahl zu stehen als au irgend einem von den biölm gesehenen Orten. Die Art wie die Streitkräfte vertheilt und die Geschütze postirt waren, hatte einen Anstrich von militärischer Ordnung und Wissenschaft» licher Geschicklichkeit und mau sah anf den ersten Blick, daß sich der Platz nnter den Befehlen eines intelligenten Soldaten befand. Ich erfuhr auf meine Erkundigungen, daß dies daS Hauptquartier eines im Dienste der Pforte stehenden ungarischen Generals war. , Mltag des zweiten Giurgewo und Rustschuk. 135 Tages nach unserer Abreise von Galaez sichren wir den nach (Nmrgewo führenden schlammigen Kanal hinanf. Hier befindet sich eine Insel, welche die Donau in zwei Arme tbeilt. Am linken steht die Stadt Giur» gewo und auf dem rechten Donauuftr, etwa eine halbe Stunde weiter oben, die türkische Stadt Nustschuk. O;iurgewo besitzt am Flusse hin die Ueberblcibscl einiger alten Festungswerke, aber außerdem werdm die Zn-gänge der Stadt nul durch den Scblamm, worin sie zu liegen scheint, vertheidigt. Die Stelle, wo das russische Heer im Ialn'e 1829 über die Donau ging, befindet sich ein paar stunden unterhalb deö Ortes. Die Pontons wurden in einer Nacht geräuschlos befestigt, dann durch die Kraft dcr Strömung über den Fluß getrieben, und vor Anbrnch des Ta« geö befand sich das kaiserliche Heer bereits auf der Straße nach Stam« bnl. Mlirgewo betreibt einen bedeutenden (Vetleidehandel und unterhält eiilen fortwährenden Verkehr mit der gegenüberliegenden Stadt Nustschuk. Anch besteht eine Postvelbindung mit Nustschuk und von dort zu Lande nach Konstantinopel. Dies ist die Straße, welche die Couriere der in Bucharest befindlichen auswärtigen Agenten einzuschlagen pflegen. Als wir ans Land kamcn. wurden :>ns von der Polizei die Passe abgenommen, die Zollbeamten besichtigten unser Gepäck, man legte uns eine Anzahl von Fragen nach unserm Namen, Alter, Stand, Vermögen, dem Ort, wohin wir gingen und dem, von wo wir kamen vor, und schickte uns darauf in einen Stallhof, wo sich einige Männer befanden, welche thaten, alS ob sie einen ungeheuren Wagen, der lins, wie es hieß, nach Bucharest bringen sollte, in Bereitschaft setzen woMcn. Die Entfernung von Giurgewo nach Bucharest beträgt nur etwa sechzehn Stunden und da es erst Ein Uhr Nachmittags war, hatten wir gegründete AnSsickt, zu einer leidlichen Stunde des Abends nach nnscrm Bestimmungsorte zu ge« langen. Es ist an dergleichen abgelegenen Orten nicht angenehm, spät itt der Nacht in einer fremden Stadt oder auch nur in dem Hause eines Freundes anzukommen, denn selbst die besten Frcnnde und gastlichsten Wirthe vermischen in jedem Lande ihre Bcwillkoinmmmgen mit Vcr» wünfchungen, wenn man sie ans dem ersten Schlaft weett und sie zwingt, in, Nachthemde die Honneurs ibres Hauses zu machen Ich theilte den, Jungen, welcher uns zum Postillon dienen sollte, höflich meine Ansicht über die Sache mit, und da er ein Bursche von Welt war, so gestand er 186 Der Postwagen. die Richtigfeit meiner Schlüsse sofort zu. ssr rief den Conducteur, mein Gepäck winde schnell aus das Dach des Wagens gehoben, sorgfältig festgebunden und daraus mit Wachstuch bedeckt. Der Conductnir sprang ans die Imperiale, um nachzusehen, ob Alles in Ordnung sei. Der Postillon lnalltc mit der Peitsche, und acht Stunden darauf stand ich in dem Stallhof von Giurgewo auf derselben Stelle, wo ich meine Conferenz mit dem Postillon gehalten hatte. Die Kutsche war keinen Zoll breit von dcm Puulte. wo wir sie beim Anlanden gesehen hatten, gewichen. Es war nicht die Schuld des Postillons, denn er wäre gern abgefahren, nnd der Conducteur und die Passagiere ebenfalls. Wir wurden im (Hegen< theil durch das ungereimteste aller Hindernisse an der Abreise verhindert, nämlich durch den Mangel an Pferden. Diese befanden sich die ganze Zeit über in einem entfernten Stalle und warteten auf die Ordre der Po« lizei, und diese wollte die Pferde nicht eher fortlassen, als biö sie unsere Pässe dechiffrirt hatte. Die Gabe der Znngen scheint nicht zu den Eigenschaften der walachischen Polizei zu gehören, denn es gelang ihr erst nach mnustüudigeu unablässigen Vemühungen, das gewichtige Document zu verstehen, welches die Verbündeten Großbritanniens einlud, mich unbehindert auf ihr Gebiet zuzulassen. Es war nenn Uhr Abends, als uns die Pässe zurückgestellt und dcn Pferden die Erlaubniß znm Abmarsch ertheilt wurde. Der Conduc-tenr sagte aber. daß es jetzt zu spät fei. um aufzubrechen, denn die Nacht ware dunkel und der Weg schlecht und überdies könnten nns die Kosaken an der Landstraße, die gemeiniglich sehr leichtsinnige gedankenlose Bur« schcn seien, im Finstern für eine Abtheilung heranmarschirender Türken halten und ihren Irrthum nicht eher entdecke». als bis sie uns die Keh, lcn abgeschnitten nnd unsere Koffer ausgeplündert hätten. Wir hatten daher leine andere Wahl. als bis Tagesanbruch zn bleiben, wo wir wa» reu. Unter den Passagieren befand sich eine Dame, die sehr stark getrun» ken halte, deren Beschäftigung den Nachmittag über, wenn sie nicht durch das Einnehmen von Erfrischungen in Anspruch genommen wurde, in Weinen und Schimpfen auf den Postillon bestand. Sie sagte uns, daß sie und ihr Begleiter, ein abgezehrter junger Mann in einem Kaninchen^ pelz, bereits seit zwei Tagen in dem StaNhofe auf den Abgang der Dili« genci nach Bucharest warteten. Landreisr. 1«7 Da ich welter nichts zu thun hatte, als mich meinem Schicksal zu ergeben, begab ich mich in den zu dem Etablissement gehörigen Khan, wo ich etwas zu esseu. einen behagliche» Tschibnk und eine Tasse Kaffee erhielt. Sodann legte ich mich auf ein Sopha und schlief, bis mich der Postillon rief und mir sagte, daß der Wagen zur Abfahrt fertig sei. Der Wagen war mit acht wildanssehcnden Oaulen bespannt und der Postillon ritt auf dem nächsten Deichselpferde. Wir kamen im Ver« gleich zu der Natur des Vodens schnell genng vorwärts. In der Wa» lachci giebt es keine Landstraßen im eigentlichen Sinne des Wortes. Man hat nur breite Fährten, die im Sommer mit einer tiefen Schicht von dunklem Staub bedeckt sind, und die sich bei Negenwetter oder nach dem Anfthauen in Schlannnflnsse verwandeln, durch die sich die Kntsche bis an die Achsen im Koth hinarbeiten muß. Wenn die Straße zn stark durchwühlt ist, so wählt man einen neuen Pfad ans der einen oder andern Seite derselben, welcher bald in den gleichen Znstand versinkt. Im Winter, wenn der Schnee gefroren ist, reist man dagegen sehr schnell auf Schlitten. Es war vier Uhr Morgens als wir aufbrachen, und um sieben Uhr erreichten wir den auf halbem Wege zwischen Murgewo und Bucharest liegenden Khan, wo wir frühstückten. In der Nahe des Khans lagen etwa fünfhundert Nüssen im Qua» tier. Sie hatten das stätige soldatische Alissehen, welches das Resultat einer strenge» Disciplin ist. Ich bemerkte dies fast bei allen russischen Soldaten, die ich in den Fürstenthümern gesehen habe. Die einzigen Ausnahmen davon bilden die jungen Nckrnten, welche natürlicherweise noch nicht gehörig ausgebildet sind. Ich habe bei dem russischen Soldaten, selbst außer dein Dienste, nie eine Spur von leichtem Sinn wahrgenommen. Allerdings singen alls dem Marsche mitnnter ganze Bataillone im Chor, entweder die Nationalhymne, die eine schöne feierliche Melodie ist, oder ein Volkslied, meist von kriegerischem Charakter, wobei sie kreischende Schreie und von Zeit zu Zcit ein gellendes Pfeifen einmischen. Diese letzteren Lieder sind ungemein lebhaft und anregend, und das schnelle Wir« belu der Trommel, welches die einzige Instrumentalbegleitung bildet, verstärkt ihren anfeuernden Charakter. (5s liegt für den Zuhörer etwas Erhabenes darin, auf diese Weise Tausende von Männerstimmen im Chor Gefühle der Hingebung gegen Gott und den Kaiser, oder grimmiger 18ss Bauernhäuscr. Herausforderung gegen die Feinde des Czars zn vernehmen. Aber selbst hierbei zeigt sich die Strenge der militairischm Disciplin, Auf den Gesichtern der Singenden ist feine Spur von Bewegung zu erblicken, ihr Schritt ist gemessen, ihre Gestalten sind aufrecht: sie gehorchen einem Befehle uud uicht einem innern Triebe. Die Empfindungen des Herzens scheinen eimzercirt zu seiu, uud nur die Stimme des Befehlshabers erweckt Ausdrücke der Liebe oder des Zornes, der Hiugcbuug oder der Rache. Das Land ist in dieser Gegeud uugemciu fruchtbar uud schon; es hatte im Lause der Nacht cm paar Etuudcu laug gereguet, uud Alles sah im Morgculichtc frisch und strahleud aus. Die Wohnungeu der kleinen Pächter und Bauern in der Walachei besitze» eine große Aehnlichkeit mit denen der gleichen blaffe in Irland. Die Hütten der Feldaibeiter siud aus Erde oder halbgedörrteu Backsteinen erbaut uud mit Schindeln gedeckt, während das Haus des kleinen Pächters aus dem glcichm Material besteht, aber in einem größern Maßstabe eingerichtet ist. Gewöhnlich hat man versucht, diese Wohnungen einigermaßen auszuschmücken. Sie sind alle sauber geweißt und oftmals ein Wemstock odcr eiue andere Rankenpflanze über die Thüre odcr das Fcustcr wrum gezogen. Auch der Punkt, wo ein Dorf steht, ist fast immer von Bäumen beschattet, uud wo sich kein fließendes Gewässer in der Nahe befindet, hat man gewöhnlich fünf bis sechs Brunnen, aus denen das Wasser mittelst einer Art von hölzernem Krähn gezogen wird. Au das eiue <5nde der Querstange ist der Gimer mittelst eiues Strickes befestigt, wahrend man an dem entgegengesetzten Gudc ciucu schweren Steil, bat. Mit den auf diese Weise construnten Hebeln wird das Wasser mit sehr geringer Anstrengung aus deu tiefsten Brunnen geboben. Im Gauzcu besitzcu dte Dorfcr eiu malerisches uud selbst behagliches Aussehen. Au der Thür des ithau^ befand sich ein bequemgcklcidetcr Mann m Stulpenstiefeln und einem breitkrempigen Hute. Gr saß auf einem kräftigen Pferde, und war von ciucm Diener begleitet, welcher ein eben solches Thier ritt. Beide trngcu Pistoleu in den Holftcrn und hatten hinter ihren Sätteln Mantelsäckc festgeschnallt, sss war einer von deu Factore» oder Mittelsmäuueru. welche in der Walachei zahlreich siud. Diese Mauuer stcben zwischen dem Bojaren oder großen Grundbesitzern und den Bauern. Ihr System pflegt das zu sein, daß sie mit dem Bo- Landesproducte. 1f»H jaren einen Contract eingehen, durch welchen sie sich verpflichten, ihm für einen Theil seiner Güter jährlich ein gewisse Summe unter der Bedingung zu zahlen, daß der Bojar ihnen (!g,Ne dlaneli« giebt, mit den kleinen Pächtern uud Vanern zu verfahren, wie es ihnen beliebt. Dies ist ein System, aus welchem, wie mau sich leicht denken kann, der Mittelsmann allein den hauptsächlichsten Vortheil zieht. Der Bojar büßt da-durch, daß er seine Outer auf diese Weise abtritt, einen großen Theil seiner Einkünfte ein, während der Mittelsmann, welcher nur sein eigenes Interesse im Auge hat, den unglücklichen Bauern den letzten Heller ab' drückt. So wird das Gut i» den meisten Fällen allmälig ausgesogen; der Bojar wird bald der Schuldner des Factors und d?r Gehlere schließlich der eigentliche Herr des Bcsitztbums. Fast alle diese Mittelsmänner si„d (Anecken, und einige von ihnen besitzen bedeutende Reichthümer, die sie auf diese oben erwähnte Art erworben haben. Trotz dieses fast allgemein eingeführten Mittelsmannsystems nnd der beklagenswert!) schleckten Weisen, auf welche das Land bebaut wird, ziehen doch einige von den Bojaren jahrlich mehr als 1^0,00l1 Thaler von ihren Gütern. Das Privatver-mögen des jetzt regierenden Fürsten belänst sich aus fast !80,000 Thaler des Jahres. Es giebt in Europa sicher keinen fruchtbareren Boden als den walachischen, u»d kein günstigeres Klima als das dieses Landes. (5s fließt buchstäblich von Getreide jeder Art über, und ich habe, außer in Frankreich, nie einen so guten Tischwein getrunken als hier. Der gewöhnliche weiße Wem der Walachei ist, wenn er zwei bis drei Jahre in Flaschen kommt, Mem, was die Ufer des Nheins derartiges erzeugen, vollkommen gleich. Der fette Wiesenbau gewährt zahlreichen Niud. imd Schafheerden Weide, während es in der Nähe der Wälder unzäl'Iige Tchweiusheerden giebt. Dieser Ncberftuß an Fleisch jeder Art hat die Begründung von englische» Etablissements für die Ausfuhr von Fleisch in Kalafat veranlaßt, uud die Eigenthümer dieser Etablissements finden, daß sie trotz der hohen Löhne, die sie ihren englischen Arbeitern zahlen Müssen, und der Transportkosten, ihre Waaren wohlfeiler verkaufen können, als wenn sie die Materialien zu ihrem Geschäft auf irgend einem von den Märkten Großbritanniens oder Irlands kauften. Wild« vret von fast jeder Art ist in der Walachei imUeberfluß zu finden. Wilde Truthühner trifft man aus den Steppen oder großen offenen Ebenen zu 190 Die Kosaken. Hunderten a>i. Haftn wurden nock bis vor Kurzem auf dem Markte von Bucharest das stück zu drei Groschen verkauft, und cm paar Anerhähne stehen so ziemlich im gleichen Picift. ?luch Fische giebt es in den Flüssen des Binnenlandes im Ueberfluß, und dieselben sind theilweise von höchst delikatem Geschmack. Als ich die Wohuuugcn des walachischen Landvolks mit den irischen Hütten verglich, habe ich zu erwähnen vergessen, daß die innere Einrichtung der Ersteren unvergleichlich besser ist. Weuu man in die Hütte des walachischen Bauern tritt, sieht man sich in einem kleinen Zimmer, welches zur Küche dient. Hier befindet sich ein Oftn, der in den Winter» monaten das ganze Haus heizt Es fehlt keiner Hütte an einem Ofen der einen oder anderen Alt, welcher in einem Lande, wo die Winter so kalt sind, allerdings auch ein Gegenstand von der wesentlichsten Wichtigkeit ist. Außer der Küche enthält jede Hütte noch zwei Zimmer, welche beide allgemein als Schlafgemächer benutzt werden. Die Wände sind im Innern glatt bcworfcn nnd nett geweißt uud das Ganze hat cin verhältnißmäßig hübsches Aussehen. Auf dem Wege nach Bucharest sahen wir zu beiden Seiten Lager mit kleinen Abtheilungen russischer Soldaten, und an einer Stelle kamen wir an einer Batterie schwerer Geschütze vorüber, welche in einer Linie aufgestellt und drohend die Straße hinab gegen Giurgcwo gerichtet waren. Etwa zwei Stunden von Bucharest erblickten wir zu unserer Rechten ein großes Lager und begegneten aller paar Minuten einem berittenen Kosaken, welcher dahinjagte. als ob er Depeschen zu überbringen habe. Die Lanze, welche der Kosak tvägt, ist nicht länger als die englische, hat aber kein Fäbnchen nnd außerdem besteht seine Bewaffnung aus einem schweren über den Rücken gehängten Carabiucr, einem Pistol im Gürtel und einem langen Säbel. Seine Uniform ist ein blauer, bis an den Hals zugeknöpfter Nock nebst weiten Beinkleidern von der gleichen Farbe. Er trägt einen hohen Waä'stuchczako von abgestumpfter Kegelform, welcher von einem unter dem Kinn befestigt.» Riemen auf seinem Kopse festgehal' ten wird. Das Pferd des Kosaken ist gewöhnlich ein mageres Thier von etwa vierzehn nnd ein halb Hände Höhe. Sein Zügel ist eine einfache Trense ohne Seitenstangen, und sein Sattel von sehr primitiver <5on-struction. Wenn der Kosak trabt oder galoppirt, so beugt er sich im Bucharest. 191 Sattel vorwärts, wobei er den oberen Tdeil seines Körpers vollkommen gerade hält — eine Haltung, von der man denken sollte, daß sie das Gegentheil von einer behaglichen wäre. Dessenungeachtet sitzt er aber auf seinem Pferde außerordentlich fest. (Hegen zwei Uhr Nachmittags erblickten wir Bucharest. Obgleich wir unS bereits in der Nähe des l. October befanden, war es doch ein heiterer, sonnenheller Tag und ebenso warm wie es im Juli in London zn sein pflegt. Aus einiger Entfernung geseben. erscheint Bucharest als eine sehr hübsche Stadt. Gs enthält gegen dreihundert Kirchen, von denen jede zwei oder noch mehr hohe Thürme hat. Auch die meisten offend lichen Gebäude sind mit Thürmchen oder Kuppeln gekrönt Alle diese Thürme, Thürmchcn und Kuppeln sind mit Blech gedeckt. Uebev dcn unteren Gebäuden hing ein dünner, gazeartigcr Dunst, welcher ihre Umrisse weicher maä'tc, und über dieser sich hin nnd her bewegenden Wolke erhoben sich die tausend .Nuppeln und Thürme lind glitzerten im Sonnen» schein mit einem fast blendenden Glänze. Sie krollten die Stadl wie ein silbernes Diadem. Bucharest bedeckt fast ebenso viel Boden wie ?ßaiis, aber ein Drittel des Raumes wird voll Gärten in Anspruch genommen , sodaß man das schimmernde grnne Lanb der Bäume hier lind da über die Dunstwolke hervorragen sah. was die reizende Wirkling des ganzen Schauspiels erhöhte. Meine (Erwartungen wurden beim Betreten der Stadt nicht so sehr getänscht. wie ich gedacht hatte. Nachdem wir das Thor hinter uus gelassen, wo ich kaum zu sagen branchc. daß ich meinen Paß vorzeigen und die dreihundert Fragen des russischen Pollzei^ katcchismus beantworten mußte, fuhren wir durch eine lange Vorstadt, worin Gärten mit einstöckigen Hänsern abwechselten, bis wir eine breite, gut gebante Straße erreichteil welche einige schöne Häuser enthielt. Dieser Theil der Stadt wird von den reicheren spanischen Juden bewohnt. Hierauf rollten wir durch drei bis vier geschäftig belebte Straßen mit hübschen Läden auf beiden Seiten weiter, bis wir die Posterpedition erreichten. Ueber die Bucharcster Hotels kaim ich nur wenig sagen, da ich, so lange mein Aufenthalt in jener Stadt währte, das Glück hatte, die Gast' sreundschast des englischen Geschäftsträgers und Generalconsnls Mr. Colquhoun zu genießen. Ich habe Grund, das Hotel de France für 192 Bucharest. das beste zu halten. Ich weiß, daß der Besitzer dieses Hotels und seine Frau ungemein höflich und gefällig sind. Die Kosten eines guten Zim' mers mit frühstück und Mittagessen bclaufcu sich hier auf etwa vier Thaler des Tages, und dies ist der allgemeine Ausatz der Bucharester Hotels. Die Lebcnsmittcl allein kosten uur wenig, aber die Miethen smd hoch. Mail kauu kein leidliches Schlafzimmer haben, wenn man nicht des Tages wenigstens einen Krouthaler zahlt. Die Häuser sind in Bucharest, außer iu den Hauptstraße», nur selten mehr als zwei Stockwerke hoch. Die Stadt ist früher häufig von Erdbeben heimgesucht worden. was der Grund war, weshalb mau die Wohnhäuser so niedrig machte. Au den meisten ueuerbauten Häusern sind eine Menge von Zierratheu iu Gestalt von Gipiftieseu, Pilastcru und buntbemalten oder vergoldeten Valcous augebracht. In Frankreich oder England würde mau diesen Geschmack vielleicht für schlecht halten; aber nach den baufälligen Konaks der Türkei war der Eindruck ciu sebr angenehmer. Einige von den kleinen Privatbäusern iu den weniger besuchten Straßen mit ihren aus kleinen viereckigen Holzstücken gebildeten, überragende» Dächern , ihren alterthümlicheu Vorhallen und ihrer Umgebung von Väu-men, sind sehr malerijch. Der Palast der Hospodare ist eiu anspruchsloses zweistöckiges Gebäude in der Hauptstraße mit eiuem großen Hofe. Gegenwärtig ist er unbewohnt, und der regierende Fürst hatte bereits seit dem Aufauge der gegenwärtigen Krisis bis zu seiner Verbannung in einem unweit der Stadt gelegenen Kloster residirt. Das Opernhaus in Bucharest ist ciues der hübscheste» uud bequemsten Theater, welche mail in irgend ciucr europäischen Stadt finden kann. Es kaun sieben bis achthundert Personen aufnehmen. Gegenwärtig be» findet sich hier eiue ganz anständige italienische Gesellschaft. Ich ging neulichst Abends hin. um Verdi's „Louise Müller" zu hören. Die Aufführung war sehr gut uud dcr Anblick des Theaters wahrhaft glänzend. Das Haus war zum Brechen voll, die Damen in den Logen trugen die uene» sten Pariser Moden, uud ich sah, daß die Schönheit, wegen welcher sie so berühmt siud, keine Fabel war. Im Parterre befaudeu sich fast uur russische Officiere. In einer großeu Loge zur Linken der Vühne war Fürst Gortschakoss in Gesellschaft des ehemaligen russischen Gcueralcon« suls in Bucharest, ttotzebue, des Sohnes des berühmten, aber unglück- Bucharest. 193 lichen Schriftstellers des gleichen Namens. Zur Rechten der Loge des HospodarS befanden sick, Mr. lvolqubouu nud Mr. Poulade, der englische und der französische Gencralcousul beisammen. Der Letztere war von seiner Gattin, einer Enkelin des ehemaligen Hospodars, Fürsten Ohika, begleitet. Außerhalb Bucharest liegt ei» öffentlicher Spaziergang. Vr ist etwa eine halbe Stunde laug und von Bäumen eingefaßt. Jeden Nachmittag drängen sich hier die scbönen (Equipagen der Bojaren und der Geschäftsträger der fremden Mächte. Gegenwärtig wird er dxrch die Anwesenheit der russischen Generale lind ihrer Stäbe noch mehr belebt. Am Eingang der Promenade stebt ein vor Kurzem zu Ohren des Kaisers Nikolaus errichteter Triumphbogen und amende das uuausgebaute Schloß des letzten Hospodars. Auf beiden Seiten des Fahrwegs liegt der öffent, lichc Garten, für seine Größe einer der hübschesten in (Suropa, tl'r ist parkartig angelegt und die Kiesgänge schlangeln sich zwischen dichtem Laubwerk und bunten Blumenbeeten hindurch. Hier und da sprudeln iu der Mitte grüner Plätzchen Springbrunnen ihren Wassersckaum in die Luft. und außerdem befindet sich ein kleiner See darin. an deffen Uftr eine malerische Grotte angelegt ist. )n der Mitte eines großen Nasen-Platzes stel't ein Pavillon, worin an Festtagen ein Militärmusikchor spielt. Diese Gartenanlageu sind von dem letzten Hospodar. Fürsten Bibesko, entworfen und ausgeführt worden. Auch die Promenade ist hauptsächlich sciu Wcrk. Vor einigeil Tagcu ging ich zu einer Revue, welche Fürst Gortscka» loss über eincu Theil der russischen Armee bei einem etwa zwei lind eine halbc Stunde von Bucharest befindlichen Lager hielt. Die nncrmeßlicben Ebenen der Walachei sind für derartige Schaustellungen sowohl wie für die ernsteren Operationen des wirklichen Krieges trefflich geeiguet. Die Bewegungen dcr Truppen wurdcu durch keine Mauer, keine Hecke uud kaum durch einen Baum gehemmt. (5s mochten etwa 18.000 Mann aufgestellt sein. Zuerst formirtcu sie ciuc Linie mit der Artillerie auf der äußersten Linken, und nebeu il,r die aus Lanciers uud Husaren bestellenden Cavalerie. worauf die Infanterie lam. Die Letztere löste sich sodann Schw,ivzes Mccr. ^H 194 Heerschau. in eine offene Colonne auf und marschirte compagnienweise an dem General vorüber. Das Defiliren geschab unter Hurrahruf der Soldaten, und die leickteil Truppen liefen ebenfalls unter Hurrahgeschrci etwa zweihundert Schritte weit im Sturmschritt vorüber. Die Cavalerie defilirte schwadronenweise uud ebenfalls mit Hllrrahruf sobald sie dem Oberbefehlshaber gegenüber anfam, und eine llblanenabtbcllung, die eine Strecke weit zurückgeblieben war, jagte wild scbrciend im salopp vorüber. Auä)dieAr-tillerie ging im vollen Galopp vorbei. Zuletzt formirte sich jedes Infanterieregiment zu einer dichten Colonne mit der Cavaleric und Artillerie im Hintertreffen. Eswarcn im Ganzcn prächtige Truppen und sic machten die verschiedenen Bewegungen mit Bewunderung erregender Präcision durch. Der Effect der großen, dichtbeisammenstehenden Infanteriewaffe, aus deren Helmen die Sonne glitzerte, war ein sehr hübscher. Sie sah aus der Ferne wie ein Flammensee alls. Nachdem die Heerschau vorüber war, marschnten die Truppen unter Absingung der Nationalhymne oder irgend eines ssricgölicdcs nach ihren respective»! Quartieren. Fürst Gort-schakoss ist über sechzig Jahre alt. aber von fester, gerader Haltung und überhaupt dem Aussäen eines alten Soldaten. Von den Generalen unter seinen Befehlen scheint kein Einziger weniger als fünfzig Jahre zu zählen, und dieselben haben alle das gleiche strenge, kriegerische Aeußcrc. Neben einer Husarenschwadron ritt ein junger Offieier auf einem feurigen arabischen Pferde. Er trug das Tscherkessencostum mit reich ciselirtcn silbernen Cartouchen auf der Brust seines Nockes. Dies scheint mir die hübscheste Uniform zu sein, welche ich bis jetzt noch im russischen Heere gesehen habe. Kurz uach meiner Ankunft in Bucharest machte ich mit Mr. Colqu' houn einen Vesnch bei dem französischen Glueralconsul, welcher damals in einem hübschen Schlosse wohnte, das der verwitweten Fürstin Ohika gehört und etwa eine Stünde von der Stadt entfernt liegt. O,mz in der Nahe dieses Schlosses befindet sich ein See, über den die Nüssen am Tage vor unserem Besuche eine Pontonbrücke geworfen hatten. Au den Ufern dcs See's war ein großes, russisches Lager vou 5000 Maun gewesen, aber kurz vor unserer Ankunft waren die Zelte abgebrochen worden und das ganze ssorps über die Pontonbrücke nach Südosten abmarschirt. Um diese Zeit begannen die sämmtlichen russischen Streitlrafte in Bewegung Militairküchcn. 195 gesetzt zu werden. Die Lager im Innern wurden allmälig abgebrochen und die Hauptmasse der Armee bewegte sich der Donau zu. an deren Ufer sie in dem Moment, wo ich dies schreibe, echelonniit find und das Vorrücken der Türken erwarten. Am Ufer des Tee'S waren noch etwa l50 Mann zurückgeblieben. Ein Theil von ihnen beschäftigte sich mit Kochen. Ihre Feldkessel waren in zwei einen halben Fuß auseinander liegenden Ncihen von je zwanzig Kesseln aufgestellt. AIs wir uns ihnen näherten, simmctten die Kessel bereits munter; die Köche erlaubten nns gegen ein Geschenk von ein vast Zwanzigern den Inhalt einiger von den Kesseln zu kosten, und wir fanden den (Geschmack ausgezeichnet. Sie enthielten fleisch, Reis und Gemüse, wozu die Köche beim Herumgehen Pfeffer. Salz und ähnliche Gewürze, die sie für nöthig hielten, fügten. Die Nüssen aller Staude lieben de» Thee. Das zur Bereitung desselben nöthige Wasser wird in einer Art von Urne gekocht, die man Samowar nennt. Durch die Mitte dieser Urne geht eine am unteren Ende mit einem Nost versehene Nöhre. In diese Nohre werden einige glühende Kohlen geworfen, welche die durch die ver« gitterte Oeffmmg ziehende Luft im Brand erhält, und die hierdurch erzeugte Hitze bringt bald das die Nöhrc umgebende Wasser zum Kochen. Während wir der Bereitung der Speisen zusahen, kam ein Soldat mit einem kleinen messingenen Samowar herbei, in dessen Nöhre er einige Kohlen aus dem Feuer warf und um dieselben in stärkere Glulh zu ver-scheu. zog er einen von seinen Stiefeln anö, den er äußerst schlau in einen Blasebalg verwandelte. Er setzte die Oessnnng des Stiesels auf die Mündung der Nöhre. drückte ihn fest an und pumpte mit der Sohle, welche er in seiner anderen Hand hielt, auf und nieder. Die Operation war vom glücklichsteu Erfolg begleitet uud der Samowar begann in Kurzem munter zu singen. Einige Minuten vorher batten wir im Westen eine dunkle Staubwolke erblickt. durch welche die Helme und Vajonncte eines Infanterie-bataMons blitzten. Es erreichte bald, von seinem Gepäcktrain gefolgt, die Gegend, in welcdcr wir standen, sobald die Soldaten Halt gemacht hatten, stellten sie ihre Waffen zusammen nnd hingen ihre Helme und ihr Niemzeug daran. Hierauf zogen sie ihre Umsormröckc uud Beinkleider aus und bekleideten sich mit ihren Uebcrröcken nnd ibren Fouragirmützen. 13' 196 Volkszahl. Unterdessen wcn das Gepäck abgeladen worden und man hatte die Zelte reihenweise anf den Boden gelegt. Hierauf gingen die Leute ans Werk, die Leinwand erhob sich wie eine Wolke vom Boden. die Pflöcke wurde» eingeschlagen. die Stricke befestigt, und weniger als eine halbe Stunde nach ihrer Ankunft schlenderte» die Ofsiciere in ihren Quartieren umher, waren die Posten ausgestellt und befand sich die Lagerroutine im Wange als ob sick alle schon seit Monaten dort befänden. Fast samintliche Sol-dateu gingen an deu Tee hiuab und badeten sich. und als wir etwa eine Stunde darauf in der Schloßallee spazieren gingen, hörten wir sie zum Essen rufen. Das Wort Bucharest bedeutet Stadt der Freude. Ein walachisches Sprichwort sagt, dasi Derjenige, wclch'i von dem Naffer der Dimbowitza getrunken habe, ihre Ufer nur mit Schmerz wieder verlasse. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es möglich ist. dasi ein Mensch an einem fortwährend den Einfällen der Russen ausgesetzten Orte ein angenehmes Leben zu führen vermöge. Neun a» dem Tprichworte über das Waffer der Dimbowitza etwas Wabres ist, so muffen sowohl die Nüssen wie die Türken viel davon getrunken haben. Bei den Debatten über die jetzt zwischen Nußland und der Türkei schwebende Frage scheint kein Mensch an die uuglücklichm ^ürstenlhümer zu denken. Gleichviel welcher Theil gewinnt, sic werden sicher die Verlierenden sein. Gegenwärtig liegt ibneu ein fremdes Heer auf dem Halse, welchem sie gratis Quartier geben und das sie so ziemlich zu dem gleichen Preise füttern müssen, nnd wenn dieses Heer zum Rückzug gezwungen und durch die Türken ersetzt werde» sollte, so wird die Verändernng schwerlich eine Verbesserung sein. Die Türken betrachten die Moldauer und Walachen als Giaurs und würden wahrscheinlich nichts dagegen haben, sie als Najahs zu besteuern, während Nußlaud bei der Besetzung ihres Gebietes thut, als betrachte es sie als Vasallen des Sultans, und sie dabei in seinen eisernen Händen zerdrückt, als ob sie seine Leibeigenen wären. Die Bevölkerung der Walachei beträgt weniger als drei Millionen, aber das Land vermag die fünffache Anzahl zu nähren. Sein Boden ist einer von den frnchtbarstcn der Welt. Der Ueberfluß feines Ertrags bildet einen Theil der Untcrhaltsmittel von Tausenden der Bewohner des britischen Reiches; abcr sciue Hilfsquellen sind noch lange, lange nicht Bewässerung. — Mineralreichthum. 197 entwickelt. Der Handel des Landes ist Fremden überlassen, der Ackerbau wird vernachlässigt, und die höheren Künste und Gewerbe sind unbekannt. Die Walachei wird von sechs in den Karpathen entspringenden Flüssen durchschnitten. Diese Flüsse könnten mit verhältnißmäßig geringe,, Kosten für Flöfte schiffbar gemacht werden. Das Gebirg, welchem sie entquellen, ist bis zn seinen Gipfeln mit herrlichen Wäldern bedeckt. Am Fuße der Verge stehen Eichen, nach ihrer Mitte zu Buchen, und über diesen Tannen und Fichten von außerordentlicher Höhe und Stärke. Dieser ganze Holz» reichthum liegt völlig nutzlos da und vom Sturme umgeworfene Bäume und Aeste verfaulen bei dem Maugel an Transportmitteln auf der Stelle, Wo sie gestürzt sind. In den moldauischen Theilen der Karpathen ist dies jedoch weniger der Fall. Der Terethfluß, welcher die beiden Fürsten-thümer scheidet, ist größer und tiefer als die durch die Walachei strömenden Flüsse, uud seine Gewässer sind während der guten Jahreszeit daher auch mit ungeheuern Flösien vou hauptsächlich Eichen und Fichten, welche sich beide zum Bau und Nemasten von Schissen eignen, bedeckt. In den Karpathen sind Adern von Mold, Silber, Quecksilber, Eisen, Kupfer, Schwefel und Kohlen aufgefunden, aber nie bearbeitet worden. Als sich die Nüssen im Jahre 18 l 1 im Besitz des Landes befanden . macbten sie den Versuch einige dieser Minen zu bearbeiten, aber kurz darauf wurde der Friede proclamirt das russische Heer zog sich zurück und die Bergwerke verfielen. Die Walachen trageil keine Schuld an diesem Zustande der Dinge. El gehört zu den bcklagenswertden Folgen der schlechten Negierungöweise des Landes. Man wird schwerlich erwarten können, daß ein Hospodav welcher erwählt worden ist um sieben Jahre zu regieren, und der nach Ablauf von dreien fliehen muß, der seine Stelle mit dem zweiiährigen Betrag seiner Einkünfte von der Pforte gekauft und Rußland für dessen Unterstützung seine ganze wirkliche Ncgierungsgewalt abgetreten hat, viel für die Entwickelung der Hilfsquellen seines Landes thun könne. Es ist Mode geworden, mit Verachtung von den Moldauern und Walachen zu sprechen, ihre Einrichtungen zu bespötteln und sie als in Immoralität Ausschweifungen und Unwissenheit versunken, darzustellen. Die lautesten Schreier in diesem Chor von Verleumdungen sind ein unzufriedener Theil ihrer eigenen Landsleute. Es giebt nur wcmge Dinge, welche die ehr« 198 Nationalcharaktcr. geizigen Pläne Nußlands besser befördern würden, als ein derartiges Ge» schrei. Sobald Europa einmal auf den lNlauben gebracht ist, daß diese Fürstenthümcr uncivilisivte. von lasterhaften Halbbarbaren bewohnte Landstriche sticn, wird es das Verbrechen ihrer Wegnahme über dem Gedanken an das Out? verzeihen, welches anf diese Weift der Sache der Civilisation und Tugend wiederfahren könne. Was die Bewohner der Moldau und Walachei betrifft, so kam« es kaum «in gelehrigeres, arbeitsameres und ebrlicheres Volk geben. Öffentliche LärmmachereiBetrnnkencr ist etwas Unbekanntes, und ein dnrch einen Walachen ausgeführter Nanb kommt keineswegs häufig vor. Selbst die Zigeuner, welche hier einen verhältnißmäßig großen Tbcil der Bevölkerung bilden, sind nicht dem Diebstahl ergeben, wahrend dieses Laster dem merkwürdigen Volke in anderen Ländern angeboren zu sein scheint. Was die oberen blassen betrifft, so habe ich nnter ihnen Männer angetroffen, welche ebenso gebildet und talentvoll waren wie irgend Einer vom gleichen Range in England oder Frankreich In ihrem Vaterlande steht ihnen jedoch keine öffentliche Laufbahn offen. Es giebt hier keinen Antrieb für einen ehrenhaften Ebrgeiz, keine Beschäftigung für den Verstand. Die Regierung ist ein schmachvolles Vasallcntlmm unter einem anderen Namen, und die Staatöinstitntionen sind nnr eine Nachäfsimg von Unabhängigkeit. Das Amt eines Hospodars wird, statt eine Auszeichnung zn sein, welche die Nation dem verdienstvollsten Bürger gewährt, gemeiniglich von Demjenigen erlangt, der am besten im Stande gewesen ist, sich den russi« schen Bel'örden angenehm zu machen nnd der im Anstheilen von Bestechungen an die Pfortenbcamten den meisten Takt bewiesen hat. Seit dem Jahre 1829 ist die Macht der Pforte jedoch indessen in den Donanfürstcnthümern nnr noch ein Name gewesen. Der Czar ist seit jener Periode unter dem bescheidenen Titel eines Proteetorö (lo laclo der Sonvcrain dieser Länder. Ohne sein Gutheißen kann leine einzige Anstellung vom Hospodaren bis zum Dorfvorsteber gemacht werden. Die russischen Ocneralconsulu haben die Finanzen unter ihrer Leitung gehabt und der Director der Qnarautaine. welche eine Polizcianstalt bildet, ist ein Nüsse. Nußland duldet die Leibeigenschaft und hat den Bojaren ge» wisse lchnshcrrliche Vorrechte über ihre Unterthanen gestattet; aber sie selbst sind ihrerseits nur die Sclaven Nußlands. Russisches Gouvernement. 199 Als die Nüsse» im vergangenen Juli über den Prnth gingen, be« fahlen sie dem Hospodar der Walachei, Fürsten Stlrbei, der Pforte die Zahlung seines Tributs z» verweigern; und er gehorchte; er war in Allem, was sie wünschten, ihr gehorsamer Diener. Nenlichst befahlen sie ihm. das Standrecht zn proclamirm, und er that es, und alle seine Minister unterzeichneten das Document. Als sie ihn nicht mchr brauchten, befahlen sie ihm, zu gehen. Er bettelte um die Erlaubniß, dableiben zu dürfen, aber der russische General war unerbittlich und er verlies! daher Bucharest, um sich nach Giurgewo zu begeben, von wo er mit dem öster» rcichischen Dampfschiff die Donau hinauf nach Wien gehen wollte. Als er aber in Oiurgewo ankam. weigerte sich der Capitain des ö sterrcichi» schen Dampfers, ihn am Bord zu nehmen, und er sah sich genöthigt nach Bucharest zurückzukehren. Hier am Tlwre seiner Hauptstadt wurde er von der Volizei angehalten, die ihm den Eintritt verwei» gerte, und er mußte einen Umweg außerhalb der Stadt machen, um auf die Straße nach Hermannstadt zu gelangen, wohin er den Befehl erhielt, sich zu begeben. Iu Hermannstadt wurde er von den österreichischen Behörden festgehalten, bis auö Wien die Erlaubniß für den verbannten Hospodar der Walachei, stille Ncise nach dieser Stadt fortzusetzen, anlangte. Nachdem Stirbci fort war, berief Fürst Vortschakoff die Mitglieder des walachischen Ministeriums vor sick und hielt folgende Nede an sie: „Meine Herren, Sie bleiben mtt der Verwaltung des Landes beauftragt, aber meine Stellung verseht Sie natürlicherweise unter meine Lei« tung. Ich empfehle Ihnen die kaiserliche Armee au. Ich habe mich über die Art, wie die Soldaten behandelt werden, nicht zu beklagen; aber ich nehme Ihre ganze Fürsorge für sie iu Anspruch. Sie dürfen au nichts Mangel leiden, und Sie müssen ihreu Bedürfnissen zuvorkommen. Seien Sie eifrig iu der (Erfüllung Ihrer Pflichten. Herr von Kaltschinski wird zum Vermittler zwischen Ihnen und mir dienen. „Sie stehen unter einer militärischen Regierung, suchen Sie sich so zu bcuehmcu. daß Sie die Strenge derselben nicht zu fühlcu erhalten. „Verbieten Sie Ihren Beamten streng, sich irgendwie mit Politik zu beschäftigen. „Jeder, der mit der Türkei den geringsten Verkehr unterhält, wird innerhalb vierundzwanzig Stunden gehangen werden. Ich sage dies 20l) Russisches Gouvernement. für Jeden vom lNroßbano au bis zum geringsten Percalabo herab. Ich weiß, daß es unter Ihucu Bojaren giebt, die geschrieben haben, um Fürst oder Postelnik zu werden; aber beachten Sie, daß man eher gehangen wird als man die Hosrodar - oder Postelnikstelle erhält." Dies ist der väterliche Ton, in welckem die Agenten des Czarö zn den Ministern des christlichen Volkes dieses Landes sprechen; bei dem Verkehr mit den nntcren blaffen kann man sich vorstellen, daß sie etwas Stärkeres als bloße Worte anwenden. Die Humanität verlangt, daß die europäischen Großmächte etwas zur Verbesserung dcr Lage dieser Fürstenthümer thun. Unter dem gegen» wärtigen System sind sie auf deu geringsten Vorwand hin den Einfällen eines russische,» Heeres ausgesetzt, und werden außerdem noch gezwungen, die Koste» der Occupation zu tragen, und die fremden Truppen so lange sie im Lande bleiben, fast gänzlich zu uuterhaltcn. In dem gcgenwärti' gen Streite zwischen Rußland und der Pforte stud die Moldauer und Walacheu ohne den entferntesten Anschein von Gerechtigkeit zu den ersten Opfern gemacht worden. Il'r Handel ist ruinirt. der Vewerbfleiß des Landes gelähmt, der Bauer wird von» ?lndau seiner Felder hinweg geschleppt, um das Gepäck eines fremden Heeres zn transportiren, sein Haus wird von den Soldaten einer andern Nation besetzt und sein ge> ringer Nahrungsmittelvorrath von ihnen aufgezehrt. Die Pächter können ihre Grundherren nicht bezahlen, denn die Product? ihres Bodens faulen iu de» Hafenstädten der Donau aus Mangel an Transportmitteln im Freien. Das Heu und andere Bodcmrzeugnisse, welche in Bucharest und anderen Städten des Furstenthums zu Markte gebracht werden, muß dcr Landwirtb zu einem von dcr russischen stommissanatsvenvaltung festgestellten Preise verkaufen, einem Preise, der zur Zeit des Ueberflusses im vergangenen Juni eingeführt worden war, und der weniger als die Hälfte von Dem beträgt, was die Productc zur gegenwärtigen Zeit einbringen sollten. (5s liegt klar am Tage, daß die Fürsteuthümer trotz der ungeheuern Hilfsquellen, womit sie die Natur beschenkt hat, dem Verderben verfallen müssen, wenn der gegenwärtige Zustand dcr Dinge noch längere Dauer behält. Hospodare mit einem auf die verderbte Weise, welche ich beschrieben habe, von Nußland und der Türkei ernannten Divan sind offenbar keine Ausgleichungsvorschlag. 201 für diese Länder geeignete Regierung, Man möge den Intriguen, dnrch welche diese Fürsten crnannt und wieder abgesetzt werden, ein Ende machen. Die beiden Fürstenihümer. die eine Bevölkerung von zwanzig Millionen Seelen ernähren tonnten, mögen zu unabhängigen Mächten erhoben werden. Man möge nntcr den deutschen Fürstenhäusern oder selbst unter den Mitgliedern der kaiserlichen Familie von Rußland oder Oesterreich einen Herrscher für sie wählen. Auf diese Weise wird eine gehörige Dy< nastie gebildet und den erbärmlichen Intriguen. welche das Anseben des Fürsten untergraben, und zu seinem Sturze führen — Intriguen, durch welche die Bojaren in ihrer Eifersucht auf das Hanpt des Ttaaks und ihrem Wunsche, an seine Stelle zn treten, der Hoffnung, ihren Ohrgeiz ^,u befriedigen das Wohl deö Landes aufopfern, ein Ende gemacht werden. Das Veispiel eines gut organisntcn Hofes mit einem tugendhaften und fähigen Fürsten an der Spitze, würde mehr zur Ausrotluua, der noch vor-bandenen Ueberblcibsel des verderbten orientalischen Wesens beitragen, und znr Ersetzung desselben durch Gefühle der Ehre, der Vaterlandsliebe nnd der Wahrhaftigkeit beitragen. als alle Tadelsworte der Presse und alle Vorstellungen der fremden Mächte. Wenn die Nnverletzlichleit der neuen Nation ebenso garantirt würde, wie die Griechenlands, so wäre dann auch der Pruth niebt mehr eine zu schwache Schranke gegen das Eindringen Rußlands, und die einfache Grenzlinie nicht mehr ein nutzloses Hinderniß für die Uebergriffe Oesterreichs. Der Friede würde end» lich nach langen Jahrhunderten der Stürme und Intriguen diese unglücklichen Länder wieder heimsuchen. Die Moldau nnd Walachei könnten dann in Wirklichkeit die Kornkammern von Europa werden nnd unter einer unabhängigen Negierung alle die Vortheile einer vorschreitcnden Civilisation genicsien. welche den beiden Ländern durch ihre beklagend werthe Lage bisher versagt geblieben sind. Man kann von Männern, welche in Wirklichkeit lein Vaterland haben, d. b, wo die Masse des Volkes, zu dem sie gehören, nicht durch billige, sociale Kesetze verknüpft wird, feinen Patriotismus erwarten, und ebenso wenig kann man hoffen, daß die höheren moralischen lind intellcetuellen Eigenschaften einer Nation sich unter einer Negierung entwickeln werden, welche zu verderbt ist. um dergleichen Eigenschaften zu schätzen oder sie zu befördern. 202 Reise nach Giurgewo. Gegen das Ende des Octobers brach ich eines Abends um zehn Uhr von Bucharest auf. um mich nach Giurgewo zu begeben. Ich saß in eiuem leichten, offenen vierspännigen Wagen. Im Iunern desselben befand sich nur für «ine Person Platz und mein Diener saß auf eiuer Bank vor mir. Es war eine rauhe, frostige Nacht; aber ich hatte mich gut ill Pelze gehüllt, und lag der Lange nach auf dem Boden des Wagens, denn ich hatte den Sitz wegnehmen lassen, mit einer dicken Schicht Heu unter mir lind einem Depeschcnbeutcl unter meinem Kopfe. Ich vertrieb mir die Zeit mit dem Betrachten der Sterne, die feierlich ernst am hellen Himmel über mir standen, und versetzte mich durch das Rauchen einiger trefflichen Cigarren, die mir ein vorsorglicher Freund beim Abschiede verehrt hatte, in eine angenehme Stimmung. Das Rauchen des Schibuk's, mit welchem ich in diesen Ländern stets reise, war unmöglich, denn es würde bei unserem Galopp über den unebenen Boden nicht angegangen sein, ihn gleichmäßig an die Lippen zu halten. Etwa fünf Stunden von Bucharest wurde unser eiliger Lauf durch zwei russische Schildwachen mit aufgepflanzten Bajonneten unterbrochen. Der entsetzte Postillon brachte seine Pferde augenblicklich zum Stehen, die Soldaten erfaßten dieselben an den Köpfen und führten uns von der Straße hinweg mitten in ein Lager. Hier wurden wir von einem Ofsicier ausgefragt, der wahrschci»' lich unsere Harmlosigkeit an unserm Ansschen erkannte und uns, nachdem sich unsere Pässe als in Ordnung befindlich erwiesen hatten, die Erlaubniß zur Weiterreise ertheilte. Troh der Größe des Lagers herrschte in demselben die tiefste Stille, und wir würden sicherlich daran vorüber gefahren sein. ohne zu wissen, daß wir nns in der Nahe so bedeutender Etmtkräfte befanden, wenn uns nicht die Wachen auf der Landstraße an-gchalten hatten. Die Waffen der Soldaten waren vor den Zelten zusammengestellt und an den aufgesteckten Bajonnetcn hingen die Helme und das Lederzeng zum Gebrauch bereit. Es brannte nur ein einziges Wachtfeuer und dieses war in einiger Entfernung vom Lager augezimdct. An demselben standen achtzig bis neunzig Mann in ihren langen Ueberröckcn wortlos und unbeweglich wie Statuen. In dem flackernden Feuerscheine sahen sie düster und gespenstisch auö und die unter ihnen herrschende Stille war so tief und ihre Haltung so regungslos, daß sie mit einem gespenstischen Gefecht bei Mokan. 203 Hcxenspuk beschäftigt zu sein schienen. Sobald wir aus dem Lager wa» ren, jagten wir schneller als je dahin. Aller zwei Meilen erhielten wir srische Pferde und ein dem Tschansch oder Stallburschen gereichtctes kleines Geschenk verschaffte uus die besten von seinen Gäulen. Kurz vor Tagesanbruch kamen wir in Ginrgewo an. Die Depeschen, welche ich bei mir hatte, sollten über die Donau nach Nnstschuk zu Eaid Pascha geschickt werden, welcher d sel, auf welcher sie Batterien errichteten und setzten sodann nach der Qua-rantaiuespitzc hinüber. Hier führten sie einen Graben von dem Argis nach der Douau, wclä'cr die Quarantaiue lind das alte Fort einschloß. Außerdem errichteten sie noch eine maskute Batterie von neun Geschützen. Die Nüssen gestatteten den Türken ihre Operationen unbelästigt auszuführen und ich bemerke, daß dies bis jetzt fortwährend die Taktik Fürst Gortschakoff's und seiuer Generale gewesen ist. Seine Idee sckeint die zu sein, die türkischen Truppen so viel wie möglich auf einen Punkt zu conccntriren. um sie sodann mit einem Schlage zu vernichten. Weuu dies der Plan des Fürsten ist. so hat er übrigens den Muth und die Kriegskunst seiner Gegner zu genug angeschlagen. Als sich etwa 10.000 Türken um die Quarautcnue von Oltcnitza coneentrirt hatten, wurde eine Abtheilung russischer Cavalcrie zum Nc-cognosciren vorgeschickt. Der Zweck dieser Vcwcgung war offenbar der. die Türken aus ihren Vcrschanzungen zn locken, und natürlich genug gelang er den aufgeregten Truppen des Sultans gegenüber. Iu Folge dcS von den Türken auf die ssavalcrie eröffneten Feuers wich diese zurück, und die Ersteren, die sie für in die Flucht geschlagen hielten, warfen Planken über den Graben, sehten hinüber und drangen in die offne Gegend vor. Hieraus rückte die Hauptmacht der Nüssen, von dem Feuer der auf den hinter ihr befindlichen Anhöhen gedeckt, heran. Als die ruf« Schlacht bei Oltmitza. 209 We Infanterie bis in eine geringe Entfernung von den Türken gekommen war, formilte sie eine Linie und griff an. Die Türken stellten sis' ihr mnthig entgegen. und es lam zu einem einige Minuten dauernden Handgemenge. Der russische Iufantmesoldat ist im Allgemeinen ein größerer und muskulöserer Mann als der Türke, nnd in einem Kampfe, welchen Knochen und Muskeln entscheiden muffen, wenn der Muth uud die Geschicklichkeit der dämpfenden einander auch gleich sind. befanden sich die Nüssen natürlicherweise im Vortheil. Die Türken wichen, zogen sich in ihre Werke zurück, und wurden hitzig von ihren Geauern verfolgt. Die Nüssen strömten massenhaft heran, da sie den Sieg für errungen hielten, und kletterten über den durch die Türken vom Argis nach der Donau gezogenen lArabm. als plrtzlicb die <Äesckütze von Turtukai, die Batterien auf der Insel nnd die in ihrer Nähe ankernden sieben Kanonenboote ein furchtbares Feuer von Vollkugcln und bomben eröffneten, während die maskirtc Batterie bei der Quarautame einen Kartätschenhagel entsendete. Oeneral Danuenberg sagte spater. daß er seit Vorodino kein so gut unterhaltenes Fcucr gesehen liabe. und ein anderer von den Ge« neralen sagte zu einem meiner Freunde, daß ihm seit der Belagerung von Warschan keine für die Zeit ihrer Daner so vernichtende Kanonade vorgekommen wäre. Die Nüssen wurden von diesem unmvaiteten Empfange völlig gelähmt. Sie waren einige Momente wie betäubt, es wurde kein Befehl gegeben, und die Leute standen unter dem Feuer ihrer Oegner still. Zum Glück für die Nüssen dauerte diese Vmvirrung nur einen Augenblick. Der Befehl zum Rückzug wurde ertheilt. und die Truppen wichen in guter Ordnung aus dem Bereich der türkischen Geschütze, An jenem Tage wurden 1005 Mann auf russischer Seite kampfunfähig gemacht, und von zehn ins Hospital Gesendeten sind seitdem im Durchschnitt acht gestorben. Die Türken hatten in ihren Werten ein Corps von etwa achthundert mit der Minie »Büchse bewaffneten Scharfschützen, deren ein» zigc Pflicht die war. die russischen Ofsiciere niederzuschießen, sobald sie in Schußweite kamen. Dies erklärt die Menge volt getödteteu und ver» wundctcn Ofsicieren. Im Laufe der Nacht zerstörten die Türken ihre Wtrle. gingen über die Donau nach Turtukai zurück und nahmen sowohl ihre lodten wie ihre Verwuudeten mit. 2W Gefechte bei Mown. Nach dem Treffen bei Oltemtza fanden noch einige unwichtige Plänkeleien zwischen den Türken anf Mokan und den in Oinrgewo stehenden russischen Truppen statt. Einmal braä'ten die Nüssen während der Nackt einige Feldstücke nach dcm Mokan gegenüberliegenden Uftr hinab, eröffneten, als sich am Morgen der Nebel verzog, eine scharfe Kanonade gegen die Türken. setzten darauf über und vertrieben sie von der Insel. Nach« dem dic Nuffen dic unbedeutenden Werke, welche sie anf Mokan fanden, zerstört hatten, kehlten sie nach Giurgewo zurück nnd die Türken besetzten am folgenden Tage die Insel von Neuem, Diese Insel ist für keine Pattei von der geringsten Wichtigkeit nnd es ist daher glcichgiltig, wer sie im gegenwärtigen Augenblicke besetzt bält Eine Laudung dlr Türlen in Giurgewo würde fast unmöglich sein. da das Ufer dort sehr hoch ist, während sich weiter nnten sowohl, wie Höberoben, eine flache offene (Hegend befindet. Die ursprüngliche Absicht, in welcher der türkische General Mokan besetzen ließ. war angenschctnlich die, eine Diversion zu machen, während er Truppen nach Oltcnitza hinüber sendete. Zu Anfang deS November besetzten die Türken außer del Insel Mokau noch zwei wichtigere Pnnkte auf dem linken Donauufer. Zu jener Zeit bestand das russische Heer in den Fürstenthümern aus nicht viel mehr als 50,000 Kampffähigen. Wenn Omer Pascha von diesen drei Punkten aus eine gleichzeitige Bewegung gemacht Hütte, so würde es ihm möglich geworden sein, in Bucharest sein Hauptquartier zu nehmen. Vermuthlich glaubte Fürst Wortschakoff daß der türkische Genera! den bei Oltenitza erlangten Erfolg benutzen und nach der Hauptstadt der Walachei, welche wenig über einen Tagemarsch entfernt war, vorrücken würde, denn der russische Oberbefehlshaber verließ unmittelbar, nachdem er die Nachricht von der Schlacht bei Oltenitza erhalten hatte, zum ersten Male mit seinem ganze!' Ttabe stiu Quartier in Bucharest, stieß in Budesti zu General Daunenberg und concentrirte mit fast unglaublicher Schnelligkeit 40.000 Mann uud 90Kanonen um dieses Dorf. Er sen« dete ein paar Bataillone in der Richtung von Murgewo ab, unternahm aber keine Beweguug nach Kalafat zu, denn er wußte, daß sich Ismail Pascha nicht in der Lage befand, offensive Operationen unternehmen zu können. Kein Hecr der Welt würde vor den beschützen von Turtukai Gortschakosss Knegsplan. > 211 Stand zu halten vermocht haben, und dieTürken hatten daher mit Sicher-herhcit in Olteuitza, wo dic Quarantaine allein schon für eine bedeutende Anzahl von Leuten treffliche Quartiere bot, bleiben und bequem und mit Muße Hütten von hinlänglicher Festigkeit erbauen können, »m dein Ungemach des bevorstehenden Winters Trotz zu bieten. Der Winter batte nämlich noch nicht begonnen und in der Walachei machte sich überhaupt bis zum 29. November noch kein Frost fühlbar. Vis zu jenem Tage waren die Nächte allerdings kalt, aber die Tage im Allgemeinen heiter und sonnig. Es war daher ungereimt, zu sagen, daß die Unwirthlich» kcit des Wetters Omcr Pascha veranlasst babe, seine Leute von Oltemtza zurückzuziehen. Ich war Zeuge von dem Erstauneu, womit die Russen fanden, daß die Türken in der Nacht ihre Werke bei Oltcnitza gesprengt und sich über den Fluß nach Turtukai zurückgezogen hatten. Fürst Gortschakoff, der vielleicht in der Idee, am Morgen nach seiner Ankunft in Vudcsti ein kleines Gefecht zu seben. herbeigeeilt war, ritt nach Ölte» nitza binab. befahl seinem Stäbe, sich zurückzuziehen, besichtigte allein die zerstörten Werke auf der Quarantaincsvche und galovpirte darauf ohne Zweifel in Bezug auf die Ueberfällc von seinen moslemitischcn Gegnern vollkommen beruhigt, nach seinem behaglichen Quartier in der walachischcn Hauptstadt zurück. Der russische Oberbefehlshaber betrach» tete augenscheinlich den Feldzug als bis zum Frühling beendigt, wenn sich nicht etwa eine Aussicht darbieten sollte, einen Handstreich gegen Kalafat zu unternehmen. Die Nüssen sahen mit Befriedigung, daß die Türkcu in starker Anzahl nach Kalafat herüberkamen und hofften daher, daß sie sich allmälig über die kleine Walachei ausbreiteu n'ürdcn. Es scheint beim Ausbruch des Krieges ciucr von den Hauptzwecken Fürst Gortschakosss gewesen zu seiu. die Türkcu zur Besetzung dieses Theils der Fürsteuthümer zu veranlassen. In dieser Absicht zog er seine Truppen alls der kleineu Walachei und lies nur sehr geringe Streitkräfte in der Nähe von Krajowa zurück. Wenn er die Türken an der Vesitznahmc von Kalafat verhindern wollte, so hätte er sie leicht einzeln beim Landen niederhauen lassen können, denn sie kamen in Kalmen herüber, oder er hätte sie augreisen können, ehe sie ihre Bcfestigungöarbeiteu anfingen. Dies war jedoch nickt sein Plan. Ei hoffte augenscheinlich mit dem Feldzuge kurze Arbeit zu machen, und über die Türken herzusallcu, nachdem 14' 212 Gortschakosss Kriegsplan. sie sich <>l genügender Anzahl ans dem linken Donamifer versammelt haben würden, damit der Flnßübergang im nächsten Frühling mit gerin, ger Mühe erfolgen könne. Ich vermag ans Allem, was ich gesehen habe, nichts Anderes zu schließen, als daß dies Mst Oortschakoss's Plan ist; ob er Erfolg haben wird oder nicht, ist natürlicherweise eine andere Frage. Kurz nach der Schlacht bei Olteiüha begannen die Winterfeste in Bucharest, von wo ich eines Nachmittags im vergangenen December mitten in einem heftigen Schneegestöber nach Wien abreiste. Reise durch Albanien, Bulgarien und Serbien von waringt on w. Smytl). Erstes Kapitel. Kawak. — Türkische Truppen. ^ Samsun. Nach mancherlei Fährlichkciten waren wir endlich in der Nähe des schwarzen Meeres angekommen. Den letzten Theil der Neise, von Arganeh Maden im Taurus, hatte ich in Begleitung eines dort beim Bergwesen angestellten wackern Oesterreichers gemacht. Beinahe wäre mir aber diese Ge-» sellschaft theuer zu stehen gekommen, denn der Pascha, in dessen Bezirk das Bergwerk lag, worin Jener eine stelle bekleidete, hatte ihm aus Furcht, daß seiner Reise nach Konstantinopel die Absicht zu Grunde liege, die Misbläuchc aufzudecken, welche sich der türkische Machthaber hatte zu Schulden kommen laffen, anfangs den nöthigen Paß verweigert, und uns sodann unterwegs zu wiederholten Malen Hinterhalte gelegt, denen wir nur durch Glück und Dreistigkeit entgangen waren. Jetzt ritte» wir mdeß guten Muthes durch die sich herrlich vor uns ausbreitende Gebirgslandschaft dahin, schade daß von den wallenden Getreidefeldern, welche bei uns das Land mit goldenem Segen schmücken, hier nichts zu sehen war. Viele Theile von Kleinasien sind allerdings, selbst wenn sie früher einmal zur Landwirthschaft sich eigneten, jetzt nicht mehr dazu tauglich, seitdem durch die Vernichtung der Wälder eine größere Trockenheit des Klimas herbeigeführt worden ist. Nur auf kleinen Parzellen, welche bewässert werden können, läßt sich gegenwartig noch etwas thun, obschon das Uebel durch längere Zeit fortgesetzte, geschickte Behandlung des Bodens einigermaßen beseitigt werden tonnte. Dies ist aber nicht der Fall mit dem nördlichen Theile dieses Landes, dem Gürtel, welcher sich parallel mit den Küsten des Meeres von Marmora lind des schwarzen Meeres hinzieht. Diese viele Meilen breite Region wird oft durch die Ncgeugüsse erfrischt, welche 216 Kawak. — Türkische Truppen. aus jenen Gewässern aufsteigen und zeigt demzufolge mit den schönsten Wäldern gekrönte Hügel, grüne Thäler und Abhänge von Wiesenland, die einen Ucberfluß an Sachen und Flüssen hal'en nnd wo Alles Fülle und Glück verheißt, wenn das Volk mehr Gewcrbftciß besäße und besser regiert wäre. Als wir uns Kawak, unserer Station für diese Nacht, näherten, hörten wir, daß eine starke Truppen »Abtheilung einmarschiren würde, welche den nächsten Tag Samsun zu erreichen beabsichtigte. Das Dorf war sehr arm und das PostHaus eine so elende Hütte, daß ich es vorzog, unter freiem Himmel zu übernachten, anstatt mich diesem kümmerliche» Obdache anzuvertrauen. In der That empfand ich auch in der freien Luft ein ungewöhnlich angenehmes Gefühl, welches ick mir anfangs nicht erklären konnte. Als ick jedoch anfblickte, sah ich, was die Ursache war. Der Himmel war mit dicken schwarzen Wolken bedeckt, was mich an ssu< ropa und die Heimat erinnerte. In der ganzen Zeit seit der stürmischen Witterung im Vordern Libanon, also wäbrcnd ungefähr drei Monaten, hatte ich, mit Ausnabme von zwei oder drei kleinen Seeftnrmcn, keinen umwölkten Himmel gesehen nnd jetzt, wo grüne Felder und waldige Berge sich dazu gesellten, war der Anblick ein ungemein erfrischender. Die Soldaten — ein Theil eines Nizam - Regimentes — in ihren blauen Jacken und weißen Hosen waren schon angekommen nnd es war, um die nöthigen Pferde zu erlangen, nothwendig, daß wir nicht blos dem Postmeister gegenüber eine etwas bestimmte Sprache führten, sondern auch, daß wir beizeiten aufbrachen. Wir erhoben uns daher um drei Uhr Morgens von unserem bescheidenen Lager und saßen auf. während die seltsamen abenteuerlichen Signalhörner durch das Dorf hallten. Die Straße führte uns mitten in herrliche Wälder hinein, die größ-tentheils aus Eichen, verschiedenen Gattungen Tannen nnd Buchen bestanden, welche letzteren in so prachtvollen geraden Stämmen emporragten, daß mein Begleiter, der sie mit dem Auge des Kenners betrachtete, erklärte, er habe selbst in seinem vielgerühmtcn Tyrol nicht ihres Gleichen gesehen. Die Straße war, wie gewöhnlich, sehr holperig und wird längs eines langen und steilen Abhanges mit hier und da vorkommenden weichen Stellen aus nach russischer Manier neben einander gelegten Baumstämmen gebildet, die eine weder für Mann noch Thiere angenehme plumpe Treppe bilden. Sicherheit der Straßen. 217 Nach zwei Stunden erreichten wir ein grünes abgeschlossenes Thal, wo sich unter einigen angebauten Stellen die Ruinen eines großen alten Khans erheben. der fast nur noch ans einem Portal lind einem sehr umfangreichen finsteren gewölbten Gemach besteht, welches jetzt als Getreide-Magazin benutzt wird. Der Khandschi bewohnt eine Höhle innerhalb des ersten Thorwegs und ist im Stande, den Reisenden Kaffee, Brot und Eier zu verabreichen. Kann, waren wir mit unserer kurzen Mahlzeit fertig, als Hörnerklang, mit lauten, Rufen gemischt, durch die Wälder hallte und bald darauf mit Sack nnd Pack beladen das zerlumpte Regiment von fünfhundert Mann anrückte. So wie die Soldaten nach einau« der in einzelnen Trupps bcrankamen, wurden sie auf der Wiese aufgestellt nnd die Offitiere gesellten sich dann zu uns in dem Portal, um zum Frühstück eine Tasse Kaffee zu genicsien, während die Mannschaften größten-theils ohne irgendwelche Erfrischung blieben, sich aber ganz genügsam mit ihrer Pfeife in das Gras setzten, um eine Stunde zu ruhen. Wir ritten durch dichte Wälder ohne einer Seele zu begegnen. Auf Befragen erfuhr ich, daß Räuber fast etwas ganz Unerhörtes sind und die Sicherheit dcö Districts giebt das bcste Zeugniß für den moralischen Charakter der Einwohner, die größtentheils Türken sind schlichte arbeitsame Ackerbauer mit einer sehr geringen Beimischung von Griechen oder Turkomannen. Die Beschaffenheit diescs durch unendliche Wälder verdunkelten und dünnbevölkerten Gcbirgslandes ist ganz zu einem Schlupf» Winkel für Banditen geeignet, wo sie den ohnmächtigen Ortsbehörden jahrelang Trotz bieten könnten und iu dem zwischen Samsnn und dem Innern im Gange befindlichen lebhaften Handel einen guten Absatz für ihre Beute finden würdcu. Vergleichen wir nur einen Augenblick lang diese Verhält, niffe mit denen eines ähnlichen Landstriches in Italien oder Griechenland, so müssen wir nothgedrungen bekennen, daß auf alle Fälle wenigstens in einer Hinsicht der Charakter der Osmanli vor dem unserer südlichen Christen den Vorzug behauptet Nachdem wir mehrere Meilen zurückgelegt, ritten wir eine Bergwand entlang, die längs eines breiten geschlängelten Thales eine umfangreiche Aussicht darbot. Gegen Norden und scheinbar hoch in der Luft schien eine horizontale Linie eine Schicht dunkleren Blaues von einer hellblaueren zn trennen und endlich sah ich und rief mit fast eben so viel Begeisterung 218 Das schwarze Meer. wie Kenophon's Griechen ein wenig weiter östlich ihr „Thala ssa! Thalassa!" denn das schwarze Meer lag vor uns! Die Küste, welcher wir uns näherten, hatte eine auffällige Gestaltung und bildete eine Bncht zwischen zwei weitvorspringendcu Flachland» spitzen, den Deltas — östlich dcs Icschil Irma? nnd westlich des KM Irmak, Misse, welche dem Umrisse dcr Misten nach den, Meere augenscheinlich einige Meilen Terrain abgenommen haben. Die Gcbirgswände im Vordergründe zeigten kleine zerstreute blühende Malfelder lind legten den Ocdankcn nahe, daß einem gewerbflcißigcn Volke sich hier eine vortheilhafte Gelegenheit zum Verkehr bieten würde, wenn man den guten Boden dieser Hänge und Thäler nutzbar machte und die davon gewonnenen Producte in dem uahcn Hafen von Eamsun verschiffte. In den Niederungen gedeiht die Olive fast von selbst, und dennoch hat man noch keinen Versuch gemacht, sie in grösiercm Maßstabe anzubauen. Mehrere Karren luden hier Bauholz zum Transport nach der Küste und als wir uns einem in Bewegung befindlichen Zuge von zwanzig sol» chcn langsam von Ochsen gezogen Wagen bis auf etwa eine Viertelstunde genähert hatten, erstaunten wir nicht wenig, musikalische Tone zu hören, welche alle Artcu Instrumente nackznahmcn schienen. Die Phantasie beschwor sogar verschiedene Melodien herauf, welche gespielt würden, und Visionen von Strauß und Lanner zogen durch mein Hirn. Als wir uns aber den plumpen Näderfchcibcn und ihren uugcschmiertcn Axen näherten, horten wii so ohrenzerreißende und dennoch mannigfaltige Melodien, daß ich nicht recht wusite. was ich thun — ob ich Halt machen uud über die komische Wirkung herzlich lachen, oder ob ich die Ohren verstopfen und verzweifelt vorbclgaloppiren sollt»! Ehe wir nach Samsun hineinkamen, wurden wir wieder nach unseren Gesundheitslegitimationcn gefragt; da aber Einer von uns einen unleserlichen Paß vorzeigte, während die Andern keck weiter in die Ttra-sien hineinritten, so entgingen wir weiteren Belästigungen nnd wurden nur noch durch häufige Fragen: „Was giebts Neues in Mossul?" gepeinigt, weil unsere weißen kurdischen Mäntel die Vermuthung an die Hand gaben, dasi wir aus jener Gegend kämen. Sam sun liegt sehr angenehm an dem sanft ansteigenden Strande einer Vai, die bis auf die Nordwinde gut geschützt ist. Die rings herum Samsun. 219 liegenden niedrigeren Hügel sind größtcntbeils mit Gärten bedeckt und im Hintergründe stehen die waldigen Gebirge, dnrch welche mehrere kleine Flüsse ihren Lauf nach dem Meere nehmen. Gs ist dies der wichtigste Platz an der Küste des schwarzen Meeres zwischen Konstantiuopel lind Trebisond. obschon seine äußere Erscheinung nicht sehr gewinnend ist und die Häuser armselig und die Kbans klein sind. Das Bureau für die österreichischen Dampfer stößt an den besten dieser KhanS, der auch sau» berer gehalten ist, als man es sonst im Innern des Landes anzutreffen pflegt. Dieselbe Straße besitzt auch noch zwei oder drei Kaffeehäuser in halb europaischem Style, um welche gewöhnlich einige Franken herumlungern. Im Alterthum lag Samsuu. damals Amisus, einige hundert Schritt weiter westlich auf einem felsigen Vorgebirg. welches eine von Natur sehr feste Position bildet, und obschou es eine wichtige Station gewesen zu sein scheint, weil es zwischen den Mundungen zweier großen Flüsse, des Halys «Kissil Irmak), und des Iris (Ieschil Irmak) liegt, so ist doch nichts mehr davon zu sehen, als einige unbedeutende Bruchstücke von Steinmanern, weil man wahrscheinlich das übrige Material fortgeschafft hat, um es zum Ban der modernen Stadt zu verwenden. Zwischen der alten und der neuen Stelle liegt ein Sumpf, die Quelle bösartiger Fieber, welche jedoch sehr uachgclaffcu haben, seitdem die Einwohner ihn durch Trockenlegung uud Allbau unschädlich zu machen gesucht haben Unser Konsul, Mr. Stevens, dessen Gastfreundschaft und übrigen guten Eigenschaften längs dieser ganzen Straße bis nach Tocat bekannt sind. hat östlich von der Stadt auf einer Anhöhe, welche gegen die Malaria schützt, ein Haus gebaut. Durch den hohen Flaggenstock angezogen, fand ich den Weq dahin und sah mich mit Braun bald völlig heimisch in einer Woh« nung. die. ausgenommen was die Abhaltung derMoölitoschwärme betraf, ihren Zweck in den meisten Dingen erfüllte. Das türkische Schloß Samsuu ist zu zwei verschiedenen Epochen erbaut, denn der untere Thcil besteht aus großen gutbehaucncn Steinen, während der obere, von weit schlechterer Arbeit, erst später hinzugefügt worden ist. Dieses Gebäude aber würde mit Hilfe einer Straudbatterie von etwa sechs Geschützen weiter nach Osten der Stadt im Falle eines Augriffs dennoch einen sehr uilgcnügeudcu Schutz gewährt haben. (5s 220 Samsun. ist klar. daß man sich in früheren Iabrblmderten einige Mühe gegeben hatte, einen Schutz bier sir die Schiffe zu schaffen, die außerdem den Nord' nnd Nordweststürmen ausgesetzt seiu würden. Von der Spitze des Vorgebirges an lassen sich noch Ueberblcibscl eines Steindammes verfolgen, auf welchem die alte Stadt lag und dessen Blöcke von ungewöhnlich großem Umfange sind. Mit einiger Ueberraschung sahen wir bald nach unserer Anknnft das Nizam-Negiment. auf dessen unmilitänschcs Aussehen — denn viele der Soldaten warrn Pnrschen von ziemlich plumpem und unreifem Aus-sehen — wir mit einem gewissen Grade von Verachtung herabgeschaut hatten. Diese Leute waren den ganzen Tag in der brennenden Sonnen-hitze marschirt. ohne ein weiteres Frühstück, als eine Pfeift Tabak, und formirten sich jetzt in Reihe und Glied und marschirten frisch und mun» ter in die Stadt ein. Würden wohl unsere besser in die Augen fallenden europäischen Truppen zu so etwas im Stande gewesen sein? Mein Begleiter tonnte, so abgeneigt er auch war, an den Türken und türfischen l?inricbtnngen etwas Gutes zu sehen, doch nicht umhin, die Ausdauer und Enthaltsamkeit dieser Soldaten zu bewundern. Zweites Kapitel. Das schwarze Meer. - Türkische Paffagiere und englische Capitainc. — Sinopc. — Konstantmopcl bei Nacht. - Türkische Ncchtschaffmhcit. - Ocsterrcichisches Dampfboot. — Mangelhafte Dampfteffel. - Beantragte Reisegefährten, — Salonlca. Es herrschte ein ziemliches Leben und Treiben in der kleinen Stadt Samsun. als die mit einander concurrirenden Dampfer, der türkische und der österreichische, beide von englischen l>apitainm commandirt. gleichzeitig die Anker lichteten. Die Truppen schifften sich in dem erstern ein, wäh« rend wir das kaiserliche Dampfboot wäblten. und ich suchte mir einen Platz auf dem Deck, in der Absicht, die Reise nach türkischer Art zn machen. Die seemännisch biedere Freundlichkeit des Capital« F — verlockte Smope. 221 mich jedoch, einen sehr großen Theil der Zeit m der Cajüte mit Conversation und einer sehr guten kleinen Bibliothek von Neisewerken zuzubringen. Capitain F— befand sich schon seit mehreren Jahren auf dieser Station lind legte gern Zeugniß von der guten Gesinnung und Fügsam» keit seiner Passagiere im Allgemeinen ab, wobei er erklärte, daß ibm fünfhundert Türken weniger Belästigung machten, als zwanzig Irläudcr. Auf einer seiner ersten Reisen wäre er jedoch beinahe übel angekommen. Es brach nämlich etwas an der Maschine nnd die Deckpassagiere wurden darüber vou einem panischen Schrecken ergriffen. Sie standen dicht gedrängt beisammen und eilten in Masse nack dem Steuerrade, wo er stand, und hatten die Absicht, dm vermeinten Urheber der Gefahr über Bord zu werfen. Sich in dieser verzweifelten Lage an den Flaggenstock anhaltend, bedeutete er durch seinen Steuermann die Leute, er brauche blos ein Wort zu sprechen, und dic Maschinen würden sofort das siedende Waffer auf sie auöspeien. Augenblicklich war Alles ruhig, die Leute kehrten auf ihrc Plätze zurück und er war nun im Stande, ihnen die Ursache des Auftnthalts auseinanderzusehen. Die Theorie dieser Heißwasserspritze ward so zweckentsprechend gefunden, daß die meisten Capitaine ihren Passagieren zu verstehen gaben, sie seien mit einem ähnlichen Apparat versehen. Nach fünf oder sechs Stunden hatten wir die Niederung an der Mündung des KW Irmak passirt nnd gingen kurze Zeit auf der Höhe von Sinope vor Anker, um Kohlen einzunehmen. Diese alte griechische Stadt liegt am nordwestlichen Ende einer schönen Bai auf einer Halbinsel, welche, indem sie sanft ans dem spinalen sandigen Isthmus aufsteigt, eine bedeutende Höhe erreicht und gegen das Meer zu ciue kecke Klippen-reihe bildet. Die hohen Mauern und Thürme, Vcrtheidigungswerke ans der alten Zeit, stehen anßer Verhältniß zu den unbedeutenden Gebäuden und dem zusammengeschmolzenen Umfange der modernen Stadt, und Alks sah so friedlich und so unvorbereitet auf einen Angriff auö. daß man sich nicht über die furchtbare Verheerung wuudcru kann, die der mit so gro-her Uebermacht ausgeführte Uebersall anrichtete, welcher diesem Orte in der iüugstvergangenen Zeit eine so tragische Bedeutung verliehen hat. Das Wetter war so freundlich, als es auf dem schwarzen Mere jemals sein kann, und die Küsten von Paphlagonien mit ihren waldge- 222 Cirkassierinnen. krönten Höben und steilen Felsen sahen sehr einladend ans. Wie sehr aber wird die Romantik des Neiscns durch die schnell fördernde Dampfkraft beeinträchtigt! Zu „Olim's Zeiten" hatten Iason und seine Argonantc» während ihrer Neisc von Konstantinopel nach Samsnn fünfzig Abenteuer zu bestehen, und erfuhren eine hinreichende Menge von Gefahrcu zu Land uud Gefahren zu Waffer, wahrend für uns diese Küsten eine bloße undeutliche Liuie bildeten, au welcher wir im Laufe von ein paar Tagen vor-überkamcu, »hue aus der gewöhnlichen Tagesordnung von Frühstück, Mittagsmahl, Thee und Schlaf herauszukommen. Mau denke sich, daß die cirkassischcn Schönheiten für so und so viel pro Kopf mit Dampf transportirt werden, wie eine Viehheerdc! Und dennoch werden die Damen des Kaukasus schon seit einigen Jahren auf diese Weise in die Harems von Konstantinopel befördert. Man nennt sie alle Cirkassicriunen; wegen der Schwierigkeit aber, womit in Folge der russischen Vlokaden das Eindringen in dastand verbunden ist, stnd die meisten dieser Sclavinnen weniger edlen Volksstämmen entnommen — eine Thatsache, durch welche sich wahrscheinlich der Mangel an Reizen erklärt, welcher bei der Mehrzahl wahrzunehmen ist. Unser Capitain versicherte mir, daß von mehr als tausend Mädchen und Frauen, die er nach der Hauptstadt gebracht, nur sehr wenige Anspruch auf Schönheit gehabt hätten, und die meisten davon halb verhungert und mit Schmutz bedeckt gewesen seien. Es war am zweiten Tage schon finster, ehe wir den Eingang zum Bosporus erreickten, und obschon die Leuchtthürme von so geringem Umfange sind, daß man sie sehr leicht für ein Licht am Fenster eines Hauses halten könnte, oder umgekehrt, fuhren wir doch die Meerenge hinab und gingen gegen Mitternacht in dem Hafen von Konstantinopel vor Anker. Der Mond gab hinreichend Licht, um das Auge in den Stand zn setzen, die runden Umrisse der Hügel und die kühnen Formen der Kuppeln und Minarets zu erkennen. Mitten in der Nacht giebt es hier kein grell leuch, tendes Gas und kein Wagengerassel, welches, wie in andern europäischen Hauptstädten, die Ruhe der Umgebung störte. Alles war still und selbst auf dem Spiegel des goldenen Horns, welcher am Tage ein Chaos von Lärmen uud Leben ist. herrschte uuverbrüchliches Schweigen. Das schla« sende Stambul ist ein nicht weniger reizendes Bild, als das wachende. Konstantinopel. 223 Mit Tagesanbruch begannen die Unterhandlungen mit der Quarantine, nach deren Beendung wir in ungefähr einer Stunde Erlaubniß cr-bieltcn, ans Land zn gehen, obschon mehrere von uns keine (Vesundheits-scheine hatten. Abermals Anomalien! Wenn wir zufällig von Erzerum gekommen wären, wo die Pest, wie man sagte, eben grassirte, odne in Trebisond anzulegen, so hätten wir die Krankheit stracks nach der Haupt-stadt bringen können. Mein zweiter Aufenthalt in Konstantinopel gewährte nnr wenig Kenntniß von dem Charakter der Osmanli. Die Franken wohnen in ihrer Vorstadt Pcra von dem eigentlichen Stambul zu streng geschieden, als daß ein Fremder mehr als die äußeren Formen des Lebens unlcr der orientalischen Bevölkerung sehen könnte. Hierzu kommt, daß in den letzten dreißig Jahren Veränderungen eingeführt worden sind, welche die Sitten der türkischen Einwohner bedeutend modifieirt und nicht bloS ihre Tracht, sondern auch ihre Institutionen in vielen hervorspringenden Punkten abgeschliffen und dem europäischen Typus ähnlich gemacht haben Diese Reformen aber nnd die Einführung eines neuen Volkserziebuugssystcms sind von so vielen Autoren, freundlichen und feindlichen, flüchtigen oder gründlichen, bereits beschrieben worden, daß meine Leser mich entschuldigen werden, wenn ich mich enthalte, dieses vielfach begangene Terrain gleich» falls zn betreten. Nur einen einzigen kleinen Zng türkischer Rechtlichkeit will ich hier mittheilen, weil derselbe vor meinen eigenen Augen stattfand, Ein Frennd, welcher mit nur die Vazars durchwandelte, wünschte von einem türkischen Handelsmann ein gesticktes Taschentuch zn kaufen. Er fragte nach dem Preise. ^ „ Fünfundsiebzig Piaster." hieß es. „ Nein," sagte mein Freund, welcher wohl wnßtc, daß es unter allen Handelsleuten, welcher Religion sie auch angehören mögen, Brauch ist. erst mehr zu verlangen, als der Artikel werth ist, „das ist zuviel, siebzig will ich geben ;" und da der Händler zustimmend zu nicken schien, so zählte mein Freund das (seid auf. Wie groß aber war unser Erstaunen, als der bärtige Osmaoli mit ern« ster Miene zwanzig Piaster zurückschob und bemerkte: „Dies ist mehr als der eigentliche Preis; es ist hier immer Gebranch, bei einer Sache bis auf den wahren Werth herabzuhandeln und da fünfzig Piaster mein wahrer Preis sind. so gehören diese zwanzig Ench." — In der That, so 224 Konstantinopcl. manche unserer sich so nennenden Christen könnten sich diesen Anhänger des Korans zum Muster nehmen. Einen meiner Tage brachte ich sehr angenehm in dem reizenden Dorfe Kandilli am Bosporus bei den Herren Layard lind öongwortb zu, welche hier während der heißen Witterung eine Art Villeggiatur hielten. Hier sprachen wir über einige der ersten Zeichnungen von den Monumenten in der Umgegend von Moff»l, und in der Begeisterung Layard's verrieth sich jene Energie und Ausdauer, welcher wlr die Erhaltung semer reichen Vrute assyrischer Schatze verdanke». Da ich nun den Plan zu meiner Rückkehr in die Christenheit zn entwerfen hatte, so nahm ich mir vor, zur See uach Talonica zu gehen, von da den nur wenig bekannten Landstrich des nördlichen Makedoniens und das Grenzland von Albanien. Serbien und Bulgarien zn bereisen, nnd auf diesem Wege nach Nclgrad zu gelangen. Ich entließ meinen bulgarischen Diener, reducirte mein Gepäck auf den kleinsten Umfang und ging am Abend des 27. August unter einer Anzahl Arnauten und anderer Soldaten, welche nach längerer Dienstzeit nach Hause zurückkebrten, an Bord des österreichische» nach Salonica bestimmten Dampfschiffes. Die untergehende Sonne vergoldete die Kuppeln und Minarets der Santa Sofia, als wir nm die Seragliospitze herumbogcn und beleuchtete prachtvoll und deutlich das Meer von Häusern, Mauern, Städten. Gär-ten und Moscheen zwischen dieser Spitze und den berüchtigten Sieben Thürmen. Von dieser Seite aber nimmt sich Konstantinopcl nichtvortdei!» haft aus; das Meer von Marmora bildet im Vordergründe eine zu breite Fläche und die Neigung der Küsten zu beiden Seiten ist zu schwach, um den malerischen Effect zu heben. Jeder, der bei seinem ersten Besuche einen guten Eindruck von der Stadt zu erhalten wünscht, möge sich ihr vom Bosporus her nähern. Die Nacht brach bald herein uud eS ging ihr ein Unfall voran, welcher beinahe große Verwirrung verursacht hätte. Die Dampfkessel auf der eiuen Seite des Schiffes liefen aus, sodaß es sich sofort mit der andern Seite einige Fuß abwärts neigte und in dieser Lage verharrte. Viele der Paffagiere begannen zu glauben, cs sei nun mit ihnen Mathai am letzten, bis man ihnen begreiflich machte, daß, wenn sie sich alle zusammen auf die höhere Seite stellten, der Schaden bald wieder gutgemacht werden Der Athos. 225 würde. Der Dampfer war aber, selbst als er wieder gerichtet ward, ein erbärmlich kleines und langsames Boot, lind dcr Capitain derselbe überkluge italienische Schiffer, mit welchem ich voriges Jahr nach Konstantinopel gesegelt war. Mit Tagesanbruch kamen wir in die Dardanellen, legten, wie ge» wohnlich, auf der Höhe der Stadt eine Viertelstunde bei und näherten uns dann bald der schönen Aussicht auf die Inseln Imbros und Tamo« thrake. Lemnos, woran wir sebr nahe vorbeikamen, ist niedrig und keineswegs durch seine Schönheit anzichend, während die kahlen Felsen, welche einen großen Theil der Oberfläche bilden, cS sehr erklärlich machen, daß Vulkan nicht obne sich zu beschädigen ans dem Himmel auf diese Insel Herabsie!. Als die Sonn« zu sinken begann, traten die kecken Umrisse des Berges Athos vor unS, des Nonlo ^unw der neuern Zeit — wie es scheint, wie Wcu5 a nan wconäo so genannt, wenn man den Nachrichten glauben darf, welche die Bewohner seiner zahlreichen Mönchsklöster — trotz der Verbannung jeder weiblichen Form, sowohl menschlicher als thierischer — als keineswegs durch ihr tugendhaftes Leben ausgezeichnet schildern. Die Orientalen nnd ganz besonders die Türken. vom wandernden Derwisch an bis zu Obersten. Majoren und kleinen Gouverneuren, haben auf Seereisen die Gewohnheit, ihre Plätze auf dem Deck zu nehmen, denn es ist dies mit ihrer allgemeinen Lebensweise, die sich soviel als möglich unter freiem Himmel bewegt, so übereinstimmend, daß sie sich hier, auf ihrem Tcppich sitzend, weit heimischer fühlen, als hinter den Breitwänden einer Kajüte. Unter den mannigfachen Gruppen, welche sich demzufolge auf unserem Deck durcheinander drängten, hatte ich mehrere Bekanntschaf« ten gemacht, die in Bezug ans den Ort meiner Bestimmung große Neu« gier verriethen. Zwei davon, welche die Uniform der Nizam»l5avalerie trugen schlugen vor, daß wir zusammenreiscn sollten, da ihre Heimat ebenfalls ill der Richtung nach Serbien liege, und da ihr Benehmen mir gefiel, so stimmte ich sogleich bei, und freute mich. daß ich nnn nicht genöthigt war, allein ein Land zu durchreisen, in welchem mehrere mir unbekannte Sprachen geredet wurden. Die ersten Gegenstände, welche am nächsten Morgen bei einem Prachtvollen Sonnenaufgange meinem Auge begegneten, waren die Zwil' Schwarze« Me«, ^h 226 Anblick von Salonica. lingsfelsenformen des Ossa und des Olympus und das Thal von Tempe, welches zwischen ihnen sich gegen das Meer öffnete — alles in den Strahlen einer Tonne glühend, welcbc. wiewohl erst wenige Grad über dem Horizont stehend. schon bedeutende Wärme verbreitete. Die Arnauten wälzten sich ans ihren schaflcderuen Capoten und die Türken aus ihren zica.cn> härenen Mänteln, und alle stellten sich anf das Vordercastell und sahen nach Salonica, welches, auf einem aus dem Meere aufsteigenden Hügcl siebend, hell in der Tonne glänzte, obgleich es noch über zwei geographische Meilen weit entfernt war. Der Kawidsckih, ein alter Türke, der eine als ein kleines Kaffeehaus eingerichtete Kajüte anf dem Deck hatte, war emsig beschäftigt, Findschi ans mit Kaffee zu füllen und Nargilcs für Diejenigen zu stopfen, die an Nord ein kleines Frühstück einzunehmen gedachten. Es war sew'am, dicst gntcn Leute sich bitterlich darüber beklagen zu hören, daß eine Tassc K^ffcc einen halben Piaster oder gegen acht Pfennige kostete — ein Preis, den man ganz unerhört fand, ob-schon man zugab, daß man selten so guten und so starken Kaffee bekäme. Meine Reisegefährten hatten, einige als Officiere, die meisten aber als Gemeine in verschiedenen Corps gedient nnd wenngleich äußerlich zu> weilen etwas rauh, zeichneten sie sich doch im Ganzen durch ein anständi» ges uud freundliches Benehmen aus, wie man es unter Nationen, die iu der Achtuilg Europa's ciucn weit höheren Platz ciuuchmeu. uur selten trifft. Die Vorschrift, daS, waS wir nicht wollen, das uns die Leute thun sollen, ihnen auch nicht zu thun, wird von den Türken nicht als eine bloße Redensart betrachtet, sondern auch im praktischen Leben befolgt. Der Reifste vcrscknnaht es nicht, sich mit dem Aermsteu zu unterhalten; beim Gedränge weicht der starke junge Mann dem alten oder auch Frauen und Kindern bereitwillig ans; die Söhne zeigen eine an Ehrfurcht grenzende Achtung gegen ihre Eltern, und der Fremde, der mitten unter sie hineiugeräth, erfährt jcne Aufmerksamkeiten, welche beweisen, daß das Volk eben in diesem wohlwollenden Sinn nud Benehmen eines der angenehmsten Elemente der wahren Civilisation besitzt. Endlich, nachdem wir lange au der stachen sumpfigen Küste hiugcsegelt waren, welche die östliche Seite des Meerbusens von Salonica bildet, gingen wir vor Anker. Zwei arme Arnauten, die sich au Bord geschmuggelt hatten, ohne einen Heller in der Tasche zu haben. wurden Dle Juden von Salonlca. 227 mit Beschlag belegt; es folgte ein Schleien und Andrängen von Seiten der Landungsboote und es dauerte nicht lauge, so schwammen wir alle in einer kleinen Flotte nach dem Landungsplatze. Achtes Kapitel. Die Juden von Salonika. — Alterthümer. — Der Khan barbier. — Das Neibcrschloß. — Edelmüthigc Dorfbewohner. — Costura. — Gin Balkan. ...... Mftiqes Brot. — Politisches Gespräch mit einem Arnautcn. -^ Stadt Istik; alte Kirche und Brücke. — Tschausch Kiöy; der christliche Khan erhält den Vorzug. — 2Xr Giaur. — Unwillkommene Nachrichten. — Türkische Landwirthschaft. — Wie bulgarische Bauern ihren Herrn empfangen. — Vrania und das Thal der Morawa. Ich ward in Salonica durch zwei Männer ans Land gerudert, von welchen einer, obschon in türkischer Tracht, cincm Juden zu ähnlich sah, als daß man sich in ihm hätte irren können; das erste (^emplar, welches lch von einem Juden als Bootsmann gesehen batte! Als wir landeten, wurden wir von zudringlichen, lärmenden Lastträgern in Turbanen und rothen Schuhen umringt, die ebenfalls lauter Juden waren. Wir befreiten uus aus ihren Klanen und kamen bis an das Zollhaus; die Vi. Statoren und untergeordneten Beamten waren wieder Juden, und uns dicht mit fortwährendem (Aeplavvcr uniringend, gal'm sie mir cinc Menge Mnke und Rathschläge und öffneten oder schlössen meinen Mantelsack, blos um ein Bakschisch oder Trinkgeld zu erpressen. In den Kaufläden sah ich abermals Juden in Turbanen; Ixden bauten ein Haus und der Barbier, welcher die Thür unseres Haltplatzes, des Tasch Khan, besetzt hielt, war auch eins der Kinder Israel. Es liegt nicht in der gewöhnlichen Natur der Dinge, daß der He, bräer den Handel mit alten Kleidern und mit Gold- und Silbersachm aufgeben sollte, um gewöhnliche Handarbeit zu verrichten; in Salomca aber war ein ganz besonderer (Arund dazu vorhanden. Vor ein paar hundert Jahren entstand nämlich ein großer Nellgionsstreit unter den 15' 228 Das alte Thessalonica. Juden, wclcke hier seit vielen Iahreu einen große» Theil der Bevölkerung ausgemacht hatten lind die Minderzahl gedachte sich für ibrc Niederlage dadurch zu rächen, daß sie den mohamcdcmischen Glauben annahm. Ibrcu Zweck erreichten sie indessen nur theilweise, denn sie sind mcht im Stande gewesen, sich nur einigermaßen mit den Türken zu amalgamiren und werden von Denen, zu deren Religion sie übergetreten sind, durchaus nicht mit günstigen Augen betrautet. Sie kleiden sich ebenso wie die Osmcmlis. sind aber durch Gcsichtsbilduug und Aussprache sofort zu cr-lcnnen und wohnen in einem besonderen Stadtviertel, welches einen besondern Namen trägt, der sie von Türken und Juden sofort unterscheidet. Obschon Saloniea einige 40.0W Einwohner zählt, von welchen ziemlich die Halste aus Nachkommen Abraham's besteht, so ist die moderne Stadt doch nicht groß genug. um den Naum zwischen den umfangreichen alten Mauern auszufüllen. Die Häuser sind auf diese Weise mit großen Gärten verbunden und die höhergclegcncu Weinberge gewähren eine herrliche Aussicht auf den Golf und die classischen Gebirge an der westlichen Küste. Zahlreiche Ueberbleibsel des alten Thessalouica sind den Verheerun« gen der Zeit und der Barbaren entgangen, welche nacheinander die herrlichen Gefilde Macedoniens überschwemmten und, obschon sehr verstümmelt, bieten sie dennoch einen starken Gegensatz zu dem niedrigen, aber oft malerischem Charakter der modernen Architektur. Eine Moschee (Dschami) von Ziegelsteinen und kreisrunder Form scheint ein römischer Temvel von ähnlicher Art wie das Pantheon gewesen zu sein. Einer der Thüren gegenüber unter freiem Himmel steht eine Kauzcl von weißem Marmor, welche, wie jeder Einwohner fest glaubt, dieselbe ist, vou welcher der Apostel Paulus den Thessaloniem predigte; die schlechte Ausführung der Basreliefs und Ornamente aber, welche die äußere Wand bedecken, läßt auf ein weit geringeres Alter schließen. Die Mohamcdaner schei--ne» hier sehr liberal zu seiu, denn während ich das Aeußere emer andern Moschee iu Augenschein nahm. lnd mich der Imam (Priester) selbst in das Innere ein. welches mit seinem Schiff und Kreuzgängen früher eine griechische Kirche gewesen zu sein schien. Wahrscheinlich hat sie durch die Entfernung ihrer trivialen Bilder und Vergoldungen nicht viel ver» Die Schippetars. 239 lorcn, obschon die moderne grelle Nachahmung von Stcinarbeit an den Mauern ebenfalls sehr geschmacklos ist. Andere merkwürdige llcberblcibfcl sind ein die Straße durchkreuzender Triumphbogen, der mit vielen beschädigten Reliefs von Schlachten bedeckt, aber ohne Inschrift ist, nnd cm Theil eines Tempels mit einer Reihe großer, gut aufgeführter Statuen welche das Hauptgebälke tragen. Selbst für die, welche die meisten großen Städte der Türkei besucht haben. bietet Salonica in Bezug anf die Zprachcn und Trachten seiner Bewohner vieles Neue. Die Griechen kommen hiei häufig als Kauft leute und Gastwirthe vor; die Bulgaren in ihrem Anzüge von grobem weißem Tuch und schafledernen Mützen als Bauern; und endlich als Herumtreiber, unregelmäßige Truppen u. s. w. jene uncultivirte Nation, die wir in Vnropa Mancsen nennen, obschon sie in der Türkei nur als Arnauten und unter einander selbst als Schippetars bekannt ist. Der Malerische Effect jeder Scene wird bedeutend erhöht durch den charakteristischen Fustan oder weißen kurzen Kittel, den diese Arnauten tragen, ihre blankgeputzten Beinschienen welche an die ^«»'M«^ >/^«,«< des Alterthums erinnern und ihre laugen über die Schultern gehängten Musketen. Die Sprachen dieser drei Nationen bort man so allgemein, daß die türkische ein allgemeines Medium für die verschiedenen VolWämme unter einander wird, eine Art diplomatischer und Geschäftssprache, wie das Lateinische so lange in Ungarn war. Indem ich meine bestimmten Ncisegenofsen, Mahmud Beg und Veykir Aga mit noch einigen andern Svahis, welche auf verschiedenen Wegen nach ihrer Heimat zurückkehrten, in dem Khan zurückließ, stattete ich einen Besuch bei unserm Consul ab und hörte vollständiger, als ich auf anderem Wege zn erfahren im Stande gewesen, den Bericht über eine Insurrection, welche kürzlich unter den Arnauten in der Nähe von Uskiub, einer Stadt, die nicht weit von meinem vorgezcicl'netcn Wege lag, aus-gebrochen war. Der Pascha hatte, wie es sich ergab, Zwangsmaßrcgeln au< gewendet, um Rekruten für den Niz.im oder die regulaire Armee auszugeben. „Wcim der Sultan Soldaten braucht", sagten sie, „so wollen wir nicht 6000. sondern 60,000 schicken, aber sie sollen sich kleiden und kämpfen, wie sie wollen, und nicht in diesem verächtlichen Nizam Puppeu aus sich machen lassen." Der Pascha, der etwas zu voreilig Gewalt au- 230 Das Kaffeehaus. wendete, ward in seine Festung zurückgeworfen und sah binnen drei Ta« gen die Höhen um sick bcrum mit 30,000 Bewaffneten bedeckt. Aus dieser schwierigen Lage befreite ihn nur die Ankunft eines Paschas von Konstantinopel. welcbcr scine Leute besser kannte und so geschickt unterhandelte, daß die besäwichtigtcn Anlauten ruhig nach Hause zurücklehr« ten. „Sie haben," sagte der Consul zu mir. „zu ihrer Neise gerade die passendste Zeit gewählt; es wird auf diesen AuSbrnch eine Zeit der Ruhe folgen und die unrul'igcn Burschen werden wenigstens wahrend des Win» tcrs sich still zu Hause verhalten." Am nächsten Morgen erhoben wir. die Spahis und ich, uns von unsern in dem Korridor deS KhanS ausgebreiteten Mänteln, dcnn es war kein Zimmer leer, und erwarteten Stunde nach Stunde die Ankunft eines treulosen Kiradschih oder Pferdeverleihers, welcher uns versprochen hatte, gleich nach Sonnenanfgang mit uns aufzubrechen. Mittlerweile trat ich in das Kaffeezimmer, welches sich in dem Gin-gange unserer Herberge befand uud wurde hier von mehreren auf derbrei» ten Bank sitzenden, wieder in die weiten Falten eines türkischen Gewan» des gehüllten, etwas verdächtig aussehenden, obschon gutmüthigen Arnau» ten begrüßt, welche in dem Dampfboot mit uns angekommen waren. Der Kawihdschih war, wie dies in der Türkei gebräuchlich ist, zugleich Barbier und trug als Zeichen seines Handwerks vorn an seinem Gürtel einen schwarzen Lcdcrriemen, auf welchem er, indem er ihn an dem losen Ende hielt, dann und wann sein Nasirmesser zu schärfen pflegte. Er operirte eben an einem Osmanli'Osficicrc hcrnm. Mit der größten Saubeikcit und Glätte. obschon er mir warmes Wasser ohne ein Atom Seife gebrauchte, entfernte er die ganze Scheuerbürste Haar vom Tcha» del, wickelte dann die lange Scheitellocke zusammen, schte das eng anlie< gcnde Läppchen darauf, klatschte in die Hände und zeigte dadurch au, daß er bereit sei, einen anderwciten Kunden zu bedienen. Ich ersuchte ihn, mir eiu wenig das Haar zu verschneiden, worauf er seine Scheele ergriff und sich ans Werk machte und zwar auf so ruhige Weise, daß ich, nach« dem er fünf Minntcn lang geschnippelt hatte und ich nichts fallen sah daraus dm Schluß zog. daß er mich sehr oberflächlich stutze. Als er aber endlich das Zeichen gab, daß er fertig sei und ich den Kopf schüttelte, fiel auf einmal die ganze Cmte herunter und ich saß fast ebenso Grabhügel. 231 kahl da, wle mein Nachbar, welcher mit dem Nassrmeffcr behandelt wor« den war. Hierauf begann er die vereinzelten Haare meines Bartes aus« zujäten, fuhr mir mit der Scheere in die Nase und schien so eifrig darauf bedacht zu sein, in mir ein vollständiges Musterbild seiner Geschicklichkeit zu liefern, daß mir die Zeit lang ward und ich unter dem Vorwande. daß ich unsere Pferde kommen höre, die Nargile, aus der ich „getrunken," weglegte und mich entfernte. Nachdem wir noch einige Stunden gewartet, trafen wir ein Abkommen mit einem ändern Kiradschih, einem Arnauten. der uns für achtzig Piaster pro Mann (ungefähr fünf Thaler für dreißig Meilen, zu deren Zurücklegung wir eine ganze Woche brauchten) Pferde bis zur Stadt Vrania gab; wahrend ich noch etwas extra bezahlte, um den Gebrauch meines Diarbckir-Tattcls behalten zu können, warfen die Soldaten ihre Neisesäcke nnd Tcppichc über den Samar oder Packsattel und stiegen dann auf. So ritten wir, gefolgt von einem zweiten Arnauten, der den andern zu Fuße begleitete, durch die schmalen Gaffen, passtrten die sich langweilende Wache am Thore, und waren mit einem Male im Freien. Eine kurze Strecke weit führte unser Weg zwischen fruchtbaren Garten hin, und war mit hohem Röhricht eingefaßt, welches die sumpfige Beschaffenheit des Bodens und seine darausfolgende Schädlichkeit für die Gesundheit verräth. Wir kamen auch an cmigcu kleinen Khans vorüber, wo Brot, Wein und Früchte zum Verkauf ausgestellt waren und wo wir für wenige Pfennige einige prachtvolle Melonen erhielten, und endlich gelangten wir auf eine vernachlässigte grasige Ebcue hinaus, die vou einigen kleinen Bächen durchschnitten und gegen Norden und Westen von fernen Gebirgen eingeschlossen war. Hier und da erinnert ein spitzer Grabhügel von der Art, wie sie ill Maccdonien und Numelien sehr häufig vorkommt, an die alten Bewohner dieser Lander. Die Türken nennen einen solchen Hügel Tepeh, ohne einen Unterschied zwischen dem natürlichen und künstlichen zu machen, und haben keinen Begriff von ihrem Ursprünge oder Zweck, ausgenommen den Glauben, daß Schätze darunter vergraben seien. Während dieses ganzen Nachmittags sahen wir nur sehr wenige Parzellen angebauten Landes — blos genug, um einen auffallenden Ge< gensatz zu dcr allgemeinen Vernachlässigung zu bilden, und nachdem wir 232 ' Nvrct Hissar. einen See von nngefabr einer lialben Stunde Länge passirt, kamen wir nach sechs und einer balbcn Stunde in dem Dorfe an. welches Avret Hissar, odei das „Frauenschloß" heißt nnd zwar nach den Ruinen eines schloßähnlichen auf einer kleinen Anhöhe stehenden Ocbändes, welches der Sage nach von Frauen, obschon ich nicht erfahren tonnte, ob von einem Detachement Amazonen oder den Harcmsclavinnen eines alten Paschas erbaut worden ist. Das Bulgarische gewann hier den Vorrang als Landessprache und ich trat daher in dm Hintergrund, während mcine Begleiter (obschon der Koran seinen Anhängern verbietet, die Sprache der Ungläubigen zu ler, nen) es Beide sehr geläufig sprachen. Wir fanden schon mehrere Reisende in dem Khan angelangt nnd die ganze Gesellschaft schlief, nachdem sic ihre Decken auf dem Boden vor der Thür ausgebreitet hatte, ruhig und fest,,bis fie eine Stunde vor Sonnenaufgang durch den Hahnenruf geweckt ward. Hier scheint mit dem l^chsenwagen Kleinasiens schon eiue Verbesserung vorgegangen zu sein. denn wir finden jetzt einen plumpen Karren aus einem rechtwinkeligen Kasten, der auf vier Blockrädern ruht, anstatt eines aus einem bloßen Brette anf zwei Nadern bestehenden. Ueberdies werden die Achsen auch geschmiert und dadurch jene ohrenzerreißende Mnsik beseitigt, von welcher ich oben gesprochen habe. Der Feldbau ist aber noch nicht weit vorgerückt; der größere Theil des schönen Landes liegt wüste, und zwar hauptsächlich aus einer sehr beklagenswer» then Ursache, nämlich dem Mangel an Sicherheit gegcn Muber. Zwei Stunden von Avret Hissar kamen wir an eine Senkung der Ebene, welche sich mehrere Stunden lang nach Ostnordost und Westsüdwest hinzieht nnd ungefähr zwei Meilen breit ist. Das westliche Ende wird durch einen Sce gebildet; da aber, wo wir darüber ritten, standen prachtvoll? Ernten Mais oder, wie die Türken ibn nennen, ägyptisches Korn. Zu beiden Ecite» des Thales steht ein kleiner isolirter Khan, und obschon wir an dem nördlicheren Halt machten, so fanden wir cs doch räthlich, wieder aufzubrechen, weil eine bedeutende Anzadl (50 oder 00) Tinten aukam, die auf dem Wege war. zu dem Nizam zu stoßen. Sie waren sehr verschieden gekleidet und Einige trugen sogar die Arnautentracht, was in Städten an der albancfischen Oienze nicht ungewöhnlich ist. Einige waren traurig lind stumm; andere dagegen so geräuschvoll heiter. Ausgestorbene Dörfer. 2.^3 daß ein großer Theil ihrer Munterkeit seinen Mrund offenbar in dem Be» streben hatte, die innere Schwcrmnth zn übertäuben oder auch von Getränken herrührte, welche dem echten Muselmann verboten sind. Mahmud Vcg, ein kluger Manu, führte uns wieder zum Thore lnnaus, iudem er bemerkte, daß, obschon diese in ihrer Ontwickclnng begriffenen Helden gegenwärtig ziemlich artig wären, doch Niemand wiffen könnte, was sie in einer halben Stunde beginnen würden. und wenn ein Streit entstehen sollte, wir Drei gegen eine solche Ucbermasse wahrscheinlich weder Ehre noch Gewinn davon tragen dürsten. Wir begannen jetzt niedrige Hügel l'inanfzmeitcn, — die erste Stufe der Bergkette, welche als die Fortsetzung des Hämus oder Balkan-gebirges und des Nhodove oder Despoto Dagh beschrieben wird. Ein breiter, dicht mit Rohr bewachsener Sumpf war voll von Wasserhühnern, die weniger wild waren, als bei uns. während zahlreiche Sänlokrötm auf den nahen Wiesen herumkrochen. Sobald wir ein von riesigen Platanen beschattetes und mit Weinbergen geschmücktes Thal betreten hatten, machten wir Halt an einer Quelle, welche ans einer Wölbnng von Maucrwerk üppig hervorsprudelte. Einige Bauern des Ortes, nett in weite, weiße Hosen, rothe Westen und weiße Tnrbane gekleidet, sammelten sich rings nmher, und während einige wieder fortgingen, um uns frische Früchte zu pflücken, erkundigten sich die übrigen nach Neuigkeiten aus Ttambul und fuhren fort, für unsere Waffen und Kleider große Bewunderung an den Tag zn legen. Als wir endlich einen großcn Korb ihrer vortrefflichen Trauben hatten verschwinden lassen, wiesen sie hartnäckig jede Entschädig gung. die wir ihnen dafür boten, zurück, und wünschten nur, daß sie jeden Tag das Vergnügen haben konnten, Reisende zn bewirthen! Diese guten Lcnte waren Mohamedancr. und eine schlichte kleine Moschee ragte über ihr bescheidenes Dorf empor; dennoch aber scheint es, daß wie in Klein« asien, so auch hier eine Verkettung von Umständen die Zabl dieses Volks allmälig vermindert, denn wir kamen von Zeit zu Zeit an mehreren ans« gestorbenen Dörfern vorüber, von welchen nichts mehr übrig war, als die modernden bcturbanten Grabsteine und die dnnklcii Trauercvpreffen, die noch ihren Platz behaupteten, lauge nachdem die schlccbtgebanten Woh« nungen der Lebenden in Staub zerfallen waren. Die Trockenheit des Klimas, die man in Asien als eine der Ursachen anführt, kann hier nicht 234 Tabaksbau. geltend gemacht werden, denn in Macedomm wird jedcs Thal von einem murmelnden Bache durchrieselt und die Morgcn funkeln von erfrischendem Thau. In der europäischen Türlei müssen wir die schlechte Negierung und die Vlclweü'erci als die beiden Hauptqucllen des Uebels erkennen, welches durch seine moralische und physische Wirkung die Zahl der Oö-manlis von Jahr zu Jahr vermindert. Nachdem wir eine Entfernung von fünf Stunden zurückgelegt hatten, erreicbten wir das Dorf Tschinalu, welches seines vortrefflichen Tabaks wegen bekannt und dessen Zucht und Verkauf die ausschließliche Erwerbsquelle der Einwohner ist. Die Gartenplätze anf beiden Seiten des kleinen Baches sind wohl bewässert, die Pflanzen sind in regelmäßiger Ordnung gesteckt, und es war auch nicht daS kleinste Unkraut oder sonst etwas zu sehen, was einen Mangel an Sorgfalt verrathen hätte. Die Hügel sind ringsum mit Strauchwerk bedeckt, das Übrige anscheinend mit Eichenwaldungen, obschon große Bäume selten sind, und nnr hier und da fanden wir in einem Thale schöne Maisernten. Wir erreichten eine wildere Region, verfolgten einen Paß zwischen Felsen vou Mlimmcrschiefcr, setzten übcr einige Bache und erstiegen dann eine Hochebene, die sich in leidlichem Cnltnrzustande befand, und gegen Norden und Westen von waldigen Hügeln eingeschlossen war. Eine grosie Karawane, von mit Wollsäcken beladcuen Pferden und Maulthicren begegnete uns auf ihrem Wege nach Salonica, und die Treiber gaben uns einen guten Bericht über den (moralischen) Zustand der Straßen. Wir übernachteten in dem ganz bulgarischen Dorfe Costura, wel« chcö sich von den mohamedamschm. die wir während des Tages passirt hatten, hauptsächlich dadurch unterschied, daß es schmutziger war, die Frauen unverschkiert gingen und zahlreiche Schweinefamilien zu sehen waren. Der Wirth eines der größten Häuser erklärte sich unaufgefor-dert bereit, uns zu beherbergen und wir zogen deshalb unsere Pferde in seinen Stall, breiteten unsere Kilims, oder kleinen Tcppiche, auf die sauberen Matten, die er in einer Art Veranda für uns hinlegte und machten unS dann übcr einen Pilaff und Eierkuchen her, den er und sein Wcib für uns bereitet hatten. Unsere Gesellschaft ward noch durch einen stattlichen Tütkcn in Turban und weitem mit Pelz besetztem Mantel, vermehrt, welcher der Führer eines zweispännigen Fuhrwerks war, einer Ein Balkan. 235 Art Meuageriewagen, in welchem ci eben drn Harem eines Pascha's, der auf eine andere Station versetzt worden war, transportirt hatte. So groß, meinte er, seien, Maschallah! die Fortschritte der neuern Zeit, daß Jemand, der eine Neise machte, jcht. anstatt ein vierfüßigcs Thier zu besteigen, ganz bequem wie in einem Kiosk sitzen könne, — das Stoßen und Rumpeln abgerechnet. — Wie schade, daß die Damen nicht mehr in seinem Kasten waren, denn es wäre eine Pflicht der Menschen» liebe gewesen, uns nach ihrer Fahrt auf einer der abscheulichsten Straßen in einem Fuhrwerk, an welchem von Fcdcru leine Spur war, nach ihrem Befinden zu erkundigen. Ich fürchte sehr, daß der arme Mann manches Pfund Fett zu beklagen hatte, um welches das Gewicht seiner Schönen vermindert worden war. 1. September. — Es schien, als ob wir heute von unsern Schußwaffen Gebrauch machen sollten, denn meine Reisegefährten untersuchten die ihren sehr sorgfältig. Mciue Erwartungen wurden uoch höher gesteigert, als ich hörte, daß wir im Begriff stünden, einen Balkan zu über» schreiten; indessen bemerkte ich bald, daß diese hochtrabende Benennung hier bloS einen Hügclrücken, welcher die Gewässer theilt oder einen Ge« birgspaß bezeichnet, ohne daß eine großartige oder romantische Umgebung die nothwendige Folge davon ware. Die Landschaft, welche wir diesen Morgen durchritten, war angenehm, ohne wildromantisch zu sein. Abhänge mit schönem grünen Gras führten nach der Tieft des Thales und dahinter standen mit schönen Bäumen, größtcntheils Eichen, bedeckte Berge. Einige weidende Kamcclc gaben der Landschaft, die man außerdem für einen gutangelegten englischen Park nach großem Maßstabe hätte halten können, einen orientalischen Anstrich und es fehlte nicht an einer Menge von Bächen, welche das Grün frisch und lebendig erhielten. Nach drei oder vier Stunden gelangten wir iu ein türkisches Dorf der geringsten Art, wo wir. nachdem wir den Platz, welcher die kleine Moschee umgab, erreicht, uns unter dem plumpen Poriicus derselben am Fuße eines hölzernen Minarcts niedersetzten und nach den verschiedenen Hütten schickten, um zu sehen, ob wir etwas zu essen bekommen könnten. Lange war dies vergebens, denn viele der Dorfbewohner waren draußen auf den Feldern bei der Arbeit, andere hatten nichts zu geben und wir schätzten uns endlich sehr glücklich, als einer sich erbot, uns etwas 236 Das giftige Brot. Brot zu backen und ein Vicrgericht zu kochen. Während dieses Aufent» Halts verschaffte sich Mahmud Beg einen Ibrik oder Nrug Wasser und verrichtete in der Vorhalle seme Gebete uud Abwaschungen, während Vcykir Aga nicht genug beklagen konute, daß es in dem Dorfe keinen christlichen Khandschi gab, wo er Branntwein bekommen lounte! Als wir mit tüchtigem Morgenappetite die von dem Türken bereitete Mahlzeit, zu welcher wir auck die Arnautcn mit einluden, verzehrt und ihm für das Ganze zwei oder drei Piaster bezahlt hatten, ritten wir wcitcr und pasfir» teu, indem wir durch mehrere äbnliche Waldlandschaften kamen, fast ohne es zu wissen, dieses erste Probestück von einem Balkan. Unser zerlumpter Arnaut. der zu Fuße einhcrtrabcn mußte, ein gutmüthiger Bursche, der zu arm war, um seinen Gürtel mit einer auderu Waffe schmücken zu können, als einer einzigen Pistole mit einem zerbrochenen Schlöffe, machte sich allein anf eiucn kurzen querfeldein suhlenden Nebenweg. Er war noch nicht lange fort, so machte cö mir Spaß, das sonderbare Nicken und Hin« und Herwanken meines älteren Reiscgesähl-ten zu beobachten, der auf seinem Samar eingeschlafen war und bald darauf bemerkte ich, daß unser aruautischer Kiradschi ebenfalls von den Armen des schläfrigen Gottes umfangen vorantrabte. Während ich aber noch so lnnsah, fühlte ich. wie eine plötzliche Muth mein Antlitz übergoß, meine Augen schloffen sich und ich ward der äußern Welt mir unbewußt, ausgenommen wenn ein ganz besonders harter Tritt mciues Gauls mich einen Augenblick bewog, aufzublicken, wo ich daun sah, da.si der Aga demselben Einssuffe unterlegen war. So bewegten wir uns ein paar Stunden weit langsam und feierlich wie ein Leicheuzug dahin — eine vortreffliche Zielscheibe für angebende strasmirä'uber — bis endliä, ein sich erbebender frischer Wind uns wieder ermunterte und mit den Augen meiner Freunde auch zugleich ibre Zuugeu entfesselte. „Der D sch'ena-bet, Sohn eines Diebes, hat uns vergiftet und verdiente, daß man ihm dafür ein wenig die Fußsoblcn kitzele. Mögen die Ueberrcstc seines Vaters verbrannt werden! l5s kann sein, dasi er es nicht mit Absicht gethan hat, ganz gewiß aber hat er schlechten Weizen zu seinem Brote genom» men." Wir konnten uus des Schlases immer noch nicht recht erwehren und als wir an einen stcbcu Stunden von dem Punkte, wo wir am Mor» Die Artillcrie dcs Sultans. 237 gen aufgebrochen waren, entfernten Khan kamen, entschlossen wir »ms sehr gern, bicr den übrigcn Theil des Tages zu verweilen. Als wir an dem stalt des Fensters dienenden Loche saßen, knüpfte ein vorübergehender Arnaut ein Gespräch an, und die vor kurzer Zeit stattgchmdenen Unrnhm kamen dabei mit aufs Tapet. Mem Gefährte Mahmud sprach zum Frieden und da er ein gereifter Man« war, so nahm er das Nccht in Anspruch, für einen Kenner zu gelten; unser Freund im Fnstan abcr wollte, obschon cr bei jenen Vorfällen nicht zugegen gewesen war, nicht zugeben, daß seine Landsleute Unrecht gehabt hätten und gab uns zu verstehen, daß, wcnn den Uebelständen nicht auf geeignete Weise abgeholfen werde, die Unruhen noch nicht aufboren würden. „Aber lieber Freund," sagte der Veg. „Ibrwißt nicht, was Ihr thut; würdet Ihr wohl gegen den Padischah fechten wollen? Selbst wenn Ihr dies anch wolltet, so wäre dicö doch Wahnsiuu. Habt Ihr wobl eine Idee von der Artillerie des Sultans? Nein. Ihr habt keinen Begriff davon, ebensowenig als einer von Euern Leuten, aber wir, die wir direct von Stambul kommen uud das ungeheure Arsenal dort geschcn haben, können Euch sagen, daß der Padischah, wenn er Euch sonst für Euer» Ungehorsam züchtigen wollte, Artillerie genug hat, um alle Eure Verge von hier an bis zu dem Königreiche der Deutschen so glatt nieder» zuschmcttern, wie meine stäche Hand." Und mit diesen Worten hielt der Sprecher, indem, er seinen Tschibuk fallen ließ, die eine Hand in hoiizou-talcr Richtung und strich mit der andern darüber hinweg, mit der Miene eiues Mannes, der ein unwidcrleglickcs Wort gesprochen hat. Ich ve» mochte es über mich. zu schweigen und hörte rauchend zu. „Es ist wahr," entgegnclv der zerlumpte Arnaut, „der Padischah ist groß uud fern sei cö von unsern Grdanken. etwas gegen seine Autorität zu thun, aber" — und seine Aufrcguug war so groß. daß ihm die Thränen in die Augen traten — der Sultan Abdul Medschid kann nicht wissen, was wir von Denen zu leiden haben, die als unsere Gouverneure hierhergeschickt werden, uud so gut wir auch gcgeu deu Padischah gesinnt sind. den Allah erhalten möge, und obschon wir wissen, daß seine Artillerie gewaltig ist, so würden wir doch zuweilen in Versuchung gerathen, uns von chm loszusagen, wenn wir nicht fürchteten, daß wir dann einem der Giaurkönige anheim 238 Die Arnauten. fallen würden." Der arme Arnaut stützte, nachdem er dies gesagt, das Gesicht auf die Hände und schien in wehmüthiges Sinnen zu versinken. Gern hatte ich ihn über die gefürchtete Strenge unserer Giaur-regierungen aufgeklärt, konnte aber doch vor meinen muselmäuuischen Begleitern nicht wohl davon anfangen und begann daher einen Bleistift zu spitzen. Der Arnant blickte auf, seine patriotischen Thränen waren verschwunden und seine Blicke waren auf das Messer geheftet, ein kleines damascener Fabrikat, welches ich in Konstantinopel gekauft hatte. „Das ist eine schöne Klinge," sagte er, «ich wollte Ihr verkauftet sie mir." Ich bemerkte, daß ich es mir zu meinem eigenen Gebrauch gekauft hatte. „Wollt Ihr mir es auch nicht schenken?" Ich machte ihm vorstellig, dasi ich eS auf der Ncisc nicht gut entbehren könnte und als er es mir mit zitternder Hand wieder hinreichte, flüsterte mir Bcykir ?lga zu:„Dic dritte Alternative ist, daß er es stehlen wird; steckt es daher in die sicherste Tasche, die Ihr habt." Ich ließ es demgemäß sofort in die tiefe Tasche meiner Ielel oder türkischen Weste gleiten. Unser griechischer Wirth, welcher auch einen kleinen Handel mit Nägeln, Hufeisen. Seilerwaren uud dergleichen Bedürfnissen trieb, theilte mir mit. daß es in diesem District viele Arnauten giebt, welche als Knechte und Tagelöhner arbeiten und ein stilles arbeitsames Leben führen. Der Lohn eines solchen Mannes beträgt ungefähr zwei Thaler monatlich, so daß diese Leute eben nicht in glänzenden Verhältnissen leben. Als wir das fruchtbare Hochlandthal verließen, kamen wir durch einige kleinere Schluchten, die oft mit Mais angebaut waten. Später kamen wir über niedrigere, mit Weinbergen gekrönte Hügel und hatten nun eine freie Aussicht nach Norden über eine weite Fläche wellenförmigen Landes, welches kahl und unfruchtbar zu sein scheint und an vielen Stellen mit nackter Mergelerde bedeckt ist, deren verschiedene Farben einen selt-samcn aber gerade nicht sehr anziehenden Eindruck machten. In dcr Ferne erhob sich eine Kette blauer Gebirge, welche hinter Uskiub begann und sich nordöstlich und südwestlich vom Kara Dagh oder schwarzem Berge erstreckte — eine unter den Türken sehr gewöhnliche Benennung, die at er hier aus dem Grunde besonders bcmerkenswerth war, weil sie Ruinen von Saras. 239 den Anfang des A r n a u t Luk oder des Landes der gefürchteten Schip, petars bezeichnet. Von den angebauten Hügeln nach der fraglichen Ebene binabreitend, erreichten wir die Ufer eines ziemlich bedeutenden westwärts strömenden Flnsses und gelangten bald in einen malerischen Bog as oder Engpaß unter ungeheuren Porphyrfelsen. wo das terrassenförmige griechische Dorf Saras, hinter welchem auf einer höhergelegencn Vergspitze ein verfallenes Schloß steht, einen höchst romantischen Anblick gewährt. Fünf Minuten jenseits dieses kleinen Dorfes, wo namentlich das Schneidergewerbe zu blühen scheint, ritten wir durch das trockene sandige Nett eines Flusses und kamen nach Istib, einer Stadt, die fünf Moscheen mit Minarets und eine Bevölkerung von sechs bis achttausend Seelen, aus Türke», lÄrie« cheu, Bulgaren und einigen Walachcn bestehend, zählt. Nir logirten, wie gewöhnlich, im Khan, denn da Mahmud Beg einige Freunde zu besuchen hatte, so wollten wir heute nicht weiter. Es waren schon mehrere Meisende vor uns angekommen und während ich durch die Dämpfe ciues Gerichtes angezogen ward, welches aus Hammelfleisch und spanischem Pfeffer besteht und fortwährend an dcm nach der Straße zu geöffneten Buffet gebraten wurde, sehte sich Beylir Aga neben eine Flasche Raki und sagte, er werde sich damit die übrige Zeit des Tages ganz gut vertreiben, und als ich gefrühstückt hatte und ausging, um zu sehen, was zu sehe» war, verrieth er keinen Wunsch, sich von der Stelle zu rühren. Die Ruinen des hoch über der Stadt liegenden Schlosses find so verfallen, daß sic wenig Interesse darbieten, denn es sind nur noch ein« zelne ?beile von Mauern und Thürmen übrig, oline vollständige Thore oder Fenster, welche Aufschluß über den Styl geben könnten, in welchem es erbaut worden sein mag. Das Material ist größtentheils Sandstein, obschon der Berg selbst aus Porpbyr besteht. Weiter unten am AbHange steht ein interessantes kleines lHcl'äude von Ziegel« und Mauersteinen, welches früher eine griechische Kirche war, jetzt ab« eine Moschee ist. Sie ist in Form eines Kreuzes erbaut und über der Mitte erhebt sich eine achteckige Laterne mit runden Fenstern — ein im Orient ziemlich ungewöhnlicher Baustyl. Die alte Kathedrale zu Prisren in Albanien, jetzt ebenfalls eine Moschee, soll, obschon größer, von ganz ähnlicher Bauart sein. 240 Feurige Speisen. Von hier nahm ich meinen Weg nach dem Flusse, welcher in der Nähe dieser Stadt stießt, ohne sie jedoch zn berühren, nud über welchen eine so schöne und solid gebaute Brücke führt, daß ihre Errichtung wal,r-scheinlich einer längst entschwundenen Periode angehört. Eic besteht, obschon der Flnß während des Sommers eine geringe Breite hat, ans sieben Bogen, nnd in jedem der Pfeiler befindet sich, zwei odcr drei Fnß hoch über dem Waffelspiegel, ein kleiner Bogcn, derAehulichleit mit einem Thorweg oder einer Nische hat. Als ich nach dem Khan zurückkam, befand sich Bcykir Aga noch anf seinem Posten, obschon sein Gesicht röther war und seine Hand starler zitterte als vorher. Ich that alles Mögliche, um wegzukommen, mußte aber doch einige Findschians Naki trinken, denn er schien zn glauben, ich könne unmöglich wirklich ein Christ sein, wenn ich keinen Geschmack an Spirituosen fände. Um dem Getränke noch mehr Nciz zu geben, pflegt man hier in Weinessig geweichten Pfeffer dazu zu essen — nicht etwa milden ungarischen, sondern echten Cayennepfeffer, sodaß in Folge dieses festen und jenes flüssigen Feners die Bedingungen einer Selbstent' zündung hier mehr als in irgend einem andern Falle gegeben waren. Was den Aga betraf, so saß er gerade der Straße gegenüber nnd gab sich seinem Genusse so ungescheut hin, daß Mahmud bei seiner Rückkehr Aergerniß daran nahm und ihn bat, wenn alle Vorstellungen ihm die Augen über sein eigenes Wohl nicht öffneten, wenigstens das Uebel nicht dadurch größer zn machen, daß er ein schlechtes Beispiel gebe und den Muselmann in den Augen eines jeden vorübergehenden Giaurs herabsetze. 3. September. — Als wir unsere Taschen wieder mit einem Vor« rath von dem guten Tabak dieses Districts — dem einzigen Proviant, der für wesentlich gehalten ward — versehen nnd Mahmud Beg von sei« nen Freunden einen gleichgiltig stoischen Gruß crbaltcu hatte, ritten wir über die Brücke, setzten unsern Weg über ein kahles, wellenförmiges Land fort und sahen den ganzen Morgen nur wenige angebaute Stellen um einige kleine Dörfer her. Als wir uns der Gebirgsregio» näherten, ward die Witterung käl. ter. und als wir ein schmales mit Strauchwerk bewachsenes Thal betreten hatten, welches nordwärts bergan führte, wurden wir von einem Orkan Benehmen gegen die Najahß. 241 ereilt, welcher Alles vor sich her wirbelte, lins mit Staub bedeckte und uns denselben wie den Samum in Mund und Nase hineintrieb. Ein paar Stunden darauf folgten heftige Regengüsse, welche uns in Mpssiguren verwandelten. Während das Unwetter am tollsten tobte, erreichten wir einen kleinen ganz allein liegenden Khan, und da wir ihn verschlossen fanden, so pochten wir tüchtig an. um Mnlaß zu erhalten, wiewohl vergebens. Als wir aber Anstalt machten, das Thor aufzusprengen, ward es plötzlich von dem griechischen Khandschi aufgeriegelt, der dem Zorne mei-ucr Begleiter nur mit Mübe durch die bei seinem Seelenheil betheuerte Versicherung entging, daß er fest geschlafen und deshalb nichts gehört habe. Der Wind legte sich bald wieder, da der Negcn aber nicht so bald nachlassen zu wollen schien, so setzten wir unsere Neise weiter fort und mein kurdischer Mantel that mir gute Dienste. Die Hügel, über welche wir ritten, waren alle öde, obschon weder hoch noch felsig, bis wir, ungefähr sechs Stunden von Istib, bei Weinbergen anlangten, welche zu dem Dorfe Tschausch Kiöy gehörten. Die Wolken begannen gerade als die Sonne unterging, zu verschwinden und wir wurdeu nach miscrm langen nassen Nitt wenigstens tbeilweise trocken, wahrend Mahmud, hocherfreut, der Heimat nun so nahe znsein, mit ungewöhnlicher Begeisterung sein LieblingSliedchen saug, welches ervondenSpahiövonAnadoli gelernt und welches die Ncvue des Nizam bei Karputzum Gegenstand hatte — eins der wenigen orientalischen Lieder, deren Melodie auf den Europaer «ine» wohlgefälligen ßindruck macht. AlS wir eudlich in das Dorf kamen, ward eine kurze Discussion gehalten, ob wir den Musliman Khan oder den Giaur Khau — den vou einem wahren Gläubigen oder den vou einem khristcn gehalten Gasthof — mit unserer Gegenwart beehren sollten, und zu meiner nicht geringen Ueberraschnng gab man dem lctztern den Vorzug, denu meine Freunde sagten, sie kennten ihn als einen guten und zuverlässigen Mann. Ich muß ihnen iudeffen überhaupt die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu bemerken, daß ich an ihnen keine Spur vou jenem übermüthigen uud feindseligen Venchmeu gegen die Najahs, oder christlichen Unterthanen, sah. welches den Türken so oft Schuld gegebeu wird, uud welches allcrdiugs in der Theorie eine ihrer Pflichten als echte Anhänger des Schw,nzis Me«. Iß 242 Das Wort „Giaur". Propheten ist. Sie ließen sich mit dem bulgarischen Bauer ganz in das« selbe vertrauliche Gespräch ein, wie mit dem Osmanli, erkundigten sich nach dem Zustande seines Barekct. oder „Erntesegens" und beschenkten ihn nut einer Pfeife guten Tabaks. Allerdings nannten sie ihn stets lAiau r -, da aber dieses Wort ein allgemein gebräuchliches ist. so liegt nichts Beleidigendes darin und es wird blos gebraucht, um Die zn be« zeichnen, welche nicht Mohamcdancr sind, da diese alle natürlich als Men» schen betrachtet werden, welche. Giner wie der Andere, im Finstern tappen. Das eiste Mal, wo ich Bulgarisch sprechen hörte, fragte ich, was das für eine Sprache sei, und erhielt zur Antwort: „Die Oianrsprache"; dies war aber natürlich die Antwort eines europäischen Türken, der kanm mit anderen Ungläubigen etwas zu tlmn hat, als mit den bnlgarischm Bauern. Das Wort Giaur wird übrigens im Orient verschieden aus' gesprochen. Zuweilen hörte ich das G scharf aussprcchen, zuweilen wie ch, an andern Orten wie j und zuweilen fast wie dsch. Der Khandschi bereitete uns die gtwötmliche Abendmahlzeit, aus einer Omelette und Htassee bestehend, die auf unter seiner Vorhalle aus« gebreiteten Matten angetragen ward. Wir brachten hier eine sehr kalte Nacht zu, denn wir schliefen ill unsern noch von dem Naännittagsregen naffen Kleidern. In dem grünen Thaie außerhalb des Dorfes folgten wir eine Zeit lang dem Lause eines hellen Baches und kamen an zablreichen Heerdcn Schweine vorbei welche, weil sie von ungewöhnlich lcbbafterNacc waren, selbst die Aufmerksamkeit meiner anti porcinischen Reisegefährten auf sich zogen und durch die lustigen Capriolen, die sie mit ihren unsauberen Körpern machten, zu häufigem Gelächter Anlaß gaben. Als wir um eine scharfe (5cke bogen, begegneten wir plötzlich einem Zuge vo» einigen zwanzig Reisenden zu Pferde, die bis an die Zähne mit (iarabii.m,, Pistolen und Säbeln bewaffnet waren. Etwas über. rascht durch diesen Anblick, fragten wir nach der Ursache und borten — allerdings nicht zu unserer Beruhigung — die Arnauten wären wieder in Bewegung lind es sei nicht gerathen, anders als in zahlreichen Gesellschaften zu reisen. Da wir jetzt aber nur noch ungefähr eine Tagereise bis Vrania hatten, so hofften wir diese Stadt zu erreichen, ehe etwas Ernsthaftes vorfiel. . Das TschWik. 243 Unser Morgenritt fübrte durch einen Engpaß und über mit eichenem Gebüsch bedeckte Hügel, und nach einigen Stunden überließen wir uns der Leitung des Beg, denn wir kamen jetzt in die Nähe eines ihm zugehörigen Tschiftlik oder Landgutes, wo wir, seiner Aufforderung gemäß, eine Weile ausruhen wollten. Als wir ans dem schmalen Wege hintereinander her ritten, begegneten wir einem langen Zug Kaufleute, größtenthcils Wriecken. die alle woblbewaff„et waren und die unwillkommene Nachricht wiederholten, welche wir von den ersten Reisenden gebort kalten, mit dem Znsatz, daß die Arnantcn gegen Vrama im Anrucken begriffen wären. Ich machte aus Höflichkeit einigen dieser Leute Platz, indem ich mein Pferd auf die Seite lenkte — eine Schwäche, die mir von meinen Türken verwiesen ward. „Reitet nur immer gerad ans/' sagten sie, „als ob Ibr Niemanden vor Euch sälict, denn obschon eS recht und angemessen ist. Höflichkeit zu zeigen, so kennt Ilir doch unsere Giaurs nicht; sowohl die Griechen als auch die Bulgaren, besonders die letztem, sind in ihrem Umgänge ganz gnt, solange man sie in der gehörigen Entfernung hält; aber es ist mit ihnen nicht wie mit den Franken; wenn man ihnen einen Knopf giebt, so wollen sie den gangen Nock baben und wer sich zu ihnen zn weit herabläßt, wird ganz gewiß Ursache haben, es zu bereuen." Endlich, nach sieben Stunden, erreichten wir die Grenze des Tschift» lif. Dasselbe lag in einem schönen Tl'al« und die Straße war zu beiden Seiten mit Hanf eingefaßt, der hier in einer Höhe von zehn, zwölf und vierzehn Fuß wuchs, sodaß Mann und Roß vollständig darin verschwanden. «Sehet", sagte der Beg, der seine Frcude nicht zu verbergen ver« mochte, „das ist mciu, und dieses Maisfeld ist mein, und da drüben liegen die Hütten meiner Vauern." Währmd er noch so sprach, kam ein Bul» gar von rauhem Aussehen in schaflederner Mütze und Jacke mit einem Beile auf der Schulter auf uns zu, sah uns einige Secunden lang an, um sich zu vergewissern, daß er sich nicht tänsche und machte dann, indem er mit einem Freudenrufe vollends herbeieilte, eine tiefe Verbeugung, wiederholte seine Begrüßungen auf bulgarisch und Türlisch, kam dicht zu dem Beg heran, küßte ihm Kniee und Hände und drückte die letzteren wie-derwlt aus seinen eigenen kahlen Kopf und auf sein Herz, wällend sein Mund so beschäftigt war, zu lachen, zu grüßen und Zu iüsscn, daß er kanm ein verständliches Wort sprechen konnte. 16' 244 Bulgarische Begrüßung. - Mahmud Beg, der gute Mann, versuchte den stoischen Gleichmuth zu bewahren, welcher unter den Türken zum gnten Ton gehört, aber ich sah eine Thräne in scinem Auge glänzen nnd"die (Aluth der Freude aus seiiler Wange leuchten, und seine Stimme ward immer milder, indem er sich nach einem und dem andern seiner Vasallen und allen ihren Familien-angelegenbcitcn erkundigte. Selbst als Fremdling kannte ich diesem Auftritte uicht obnc Tbeil-nahme beiwohnen, und als wir eine kleine Anhöhe hinaufrittm und sich noch mehrere dieser schlichten Lentc zu uns gesellten, welche alle dieselbe Freude an den Tag legten, da fühlte ich, daß auch meine Augen schwach geworden waren und mein Herz erwärmte sich immer mebr gegen Mahmud, denn es war klar, daß er ein guter und freundlicher Herr Derer war. welche das Schicksal nnter seinen Befel,! gestellt hatte. Als wir an dem kleinen zn dem Laudgute gehörigen Wohnhaus« abstiegen, wurden wir von mehr als einem Dutzend Dorfbewohner umringt, welche alle dieselbe Ceremonie durchmachten, die ich von dem ersten gesehen und obschon die tiefe Verbeugung, womit sie l'egann, ein z» knechtisches Ansehen hatte, fo legte doch die Art und Weise, anf welche sie herbei» gerannt kameil, idre Freude, ibre geschorenen Köpfe — denn ebenso wie die Türken lassen sie blos eine einzige Locke wachsen — verneigten und die Hand des Beg abwechselnd aus ihre Matzen und ihre Herzen drückten, nicht blos Ehrerbietung, sondern auch Liebe an den Tag. Auch die Frauen, die alle unverschleiert gingen, waren sehr lant in ihren Begrüßungen und Glückwünschen und machten sich sogleich ans Werk, die beiden Zimmer des Kiosk zu säubern und uns ein gutes Abendbrot zu bereiten. Für uns war die erste Aufgabe die, unter einem unaufhörlichen Kreuzfeuer von Fragen und Antworten zwei oder drei Tschibuks zu rauchen', danu führte mich Mahmud die Anhöbe hinauf, um sich au dem Anblicke seiuer ftuchtbcladeueu Weinberge zu ergötzen, während der Aga eö vorzog, ruhig sitzen zu bleiben und sich an ihrem Product iu Oestalt einer Flasche Branntwein zu ergötzen, welche die Bauern ibm verschasst hatten. Es kam mir sonderbar vor. den größern Tl'eil eines türkischen Land< gutes zu Weinbergen verwendet zu sehen, aber ich erfuhr, daß da, wo der Boden und die Lage günstig sind, dies eine der einträglichsten Culturme« thoden ist. Der Osmanli behält von den Trauben nicht mehr, als für Türkischer Weinbau. 245 den Gebrauch seiner Familie nöthig ist und verkanft den Nest an Specu» lauten, größtentheils Griechen, welche Wcin und Spiritus für den Con» sum der christlichen Vevolkcnmg fabrienen, die in der europäischen Türkei eine so überwiegende Mehrzahl bildet und sich durch die Tugend der Mäßigkeit eben nicht auszeichnet. Als wir uns nicht länger an dem (Acflügtl laben konnten, welches zur Feier unserer Ankunft geschlachtet worden war, setzten wir uns auf Matten vor das Haus um ein loderndes Feuer, denn es war nun finster geworden, rauchten einen Tschibuk oder rosteten abwechselnd einen Mais» kolbcn und sahen der Ankunft eines der Bauern entgegen, welchen man von Vrania zurückerwartete. Wir hatten etwas Kaffee mitgebracht und Mahmud ließ alle seine Leute in einem Kreise um die flammenden Reisigbündel niedersitzen und die Findschians machten dicNunde, während unser Wirth seine schlichten Zuhörer durch seiue Erzählung von den Wundern Arabestans in Staunen und Verwuuderung setzte. Wo war hier der Ucbermuth des Bedrückers gegen die Bedrückten oder die Verachtung des Muselmanns gegen den Giaur? Ein Fremder, der plötzlich in diesen Kreis getreten wäre, würde ihn nicht anders als einen Fanülienzirkel be« trachtet haben. Endlich gegen Mitternacht kam der erwartete Bote, und Klagen u»d bange Ahnungen begleiteten seine Ankunft. Er war, sagte er, nicht im Stande gewesen, in die Stadt hincinzugelangen; hinter jcdem Baum und jedem Felsen der Umgebung stand ein Arncmte mit seiner langen Mnskete, under hatte blos in in dem nächsten Dorfe gehört, daß amMor' gen ein Tressen stattgefunden habe, in welchem mehrere Türken gefallen seien. Auch der Pascha wäre in seinem Serail eingeschlossen und die Empörer erwarteten nur noch Verstärkungen, um einen Angriff zu machen. So unerfreulich dies alles auch klang, hofften meine Kameraden doch, unter dem Schutze der Dmilelheit in die Stadt Hineinzugelangen; unser Kiradschi aber weigerte sich entschieden, sich sofort auf die Weiterreise zu machen, indem er erklärte, das; er seine Landsleute am besten kenne und sich höchstens dazu verstehen würde, mit Anbruch der Morgen» dämmcrung unser Muck zu versuchen. Um zwei Uhr Morgens bestiegen wir daher unsere Pferde, und nachdem uns einer der Dorfbewohner eine Strecke lang mit einer Fackel be« 246 Kriegerische Derwische. gleitet hatte, begannen wn über Anhöhen zu reiten, wo der Weg schr un« deutlich war, wäbrcnd siä) die Morgenluft mit unerwarteter Schärfe fühlbar mackte. Nach ein paar Stnudeu sahen wir ein, das, wir uns entschieden verirrt hatten und mußten absteigen und eine Stunde lang uns durch Gestrüpp und Buschwerk einen steilen Abhang hinunter durchschlagen, wo die armeu Pferde laum ftsten Fuß zu fassen vermochten. Als der Tag dämmette, sabm wir ein scköncs Hügel« und Wald, land vor uns liegen und jenseits desselben das breite Thal der Morawiha, in welchem Vrania liegt, mit Gebirgen dahinter, die uns als der Sitz zahlreicher Arnautendörfer bezeichnet wurden nnd gegen Nordwesten an die größere Masse des Kara Dag h anstoßen. Bald nachher begannen wir an einer Stelle bergabwärts zn reiten, wo die Stadt sichtbar war und malerisch an dem Eingänge eines Passes in die (Äcbirgc lag, welche auf der nördlichen Seite steil emporsteigen. Eben als wir uns an dieser Aussicht weideten, vernahmen wir einige Schüsse und ich fand es räth-licher, einen Umweg einzuschlagen, um der Stadt nnd den Verwickelungen, an denen nur gerade nichts gelegen sein konnte, aus dem Wege zu gehen. Indessen war es klar, daß nach den »mS gemachten Mittheilungen alle Straßen gesperrt waren nnd ein einzelner Reiter am allerwenigsten Aus» sicht hatte durchzukommen; überdies konnte ich mich auch nicht gut von meinen Gefährten treuneu, weil die Pferde alle einem und demselben Herrn gehörten. Kurz wir zogen rubig weiter, um es darauf ankommen zu lassen, nttcn durch einige seichte Tümpel, aus deren Wasser dann und wann Salz bereitet wird. erschreckten die Einwohner eiues kleiucu Dorfes, die au nichts dachten, als an Arnauten. und gerade als wir die ersten der ungebetenen Gäste sahen, welche auf den Feldern umhergaloppirten und ihre Pistolen abfeuerten, um sich in der Uebung zn erhalten, machten wir einige huudert Schritt von der Stadt an einem kleinen Derwischkloster Halt. Die Bewohner dieses Hauses in ihren säiorustemförmigen Mützen imd mit ihren laugen Locken hatten sich ein noch abenteuerlicheres Ansehen gegeben und ungeheure Pistolen in ihre Mttel gesteckt, und da ihren Be» richten nach, die Sachen noch nicht soweit gediehen waren, daß wir uns von dem Eiutritte in die Stadt abhalten zu lassen brauchten, so setzte sich unsere Cavalcade wieder iu Bewegung. Ilrnautische Rebellen. 247 viertes Kapitel. Belagerungszustand. — Die Arnautcn. — Ursache der Empörung. — Mahmud Beg's Gastfreundschaft; sein Haus. — Glückwünschungsbesuche.— Die Wunder Svrlcns. — Ein Aueflug in dcn Straßen. — Geographische Ltctionm. — Tägliche Beschäftigungen. — Türkische Küche. — Confcrenz mit arnautischen Häuptlingen. — Zerstörung der christlichen Kirche. — Ein Picknick. - Heiße Bäder. — Abschied. Es lag etwas sehr Drückendes in dem Anblick Vrania's, als wir durch die Gaffen der Vorstadt litten; jede Thür, jeder Kaufladen, jedes Fenstci war geschloffen, und anstatt daß neugierige Augen uach uns ge> lugt hätten, schielte uns dann und wann die Mündung eines Musketen« laufes an. Einige der Straßen waren gänzlich verlassen, andere dagegen wit Gruppen schmutziger Arnauten angefüllt. .Höchst malerisch sahen diese Arnauten aus — sie könnte» wüldige Sujets für einen Salvator Nosa abgeben. — il're Fustans aber waren seit vielleicht einem Jahre nicht gewechselt worden, das „schneeweiße Kamihs und der zottige Capot" batten augenscheinlich schon manchen Bivouak bei schönem und schlechtem Wetter mitgemacht und die sonst von Purpur und (Hold blitzenden Bein« schienen waren beschmutzt und schwarz geworden, oder durch eineUmwickt' lung von grobem. wollenem Zeug ersetzt. Jeder hielt seine lange mit Messing beschlagene Muskete in der Hand, während scin Gürtel mit zwei ungeheuern Pistolen und einem Handschar oder Mtagan belastet war. Schöne Gesichter sah man unter ihnen, aber nur wenige von deu clasfi« scheren Zügen der Griechen; ihre Augen waren klein und durchbohrend, ihre Gesichter mager, ihr Gliederbau kräftig, gedrungen und Ausdauer und Kraft verrathend, und ihr nur in seltenen Fällen schwarzes Haupt-und Narthaar war dem Wind und Wetter preisgegeben. Mit Ausnahme des Fnstans und der Kamaschcn war ihre übrige Tracht die gewöhnliche türkische; die meisten aber hatten auch noch auf ganz besondere Weise ein weißes Tuch um den Kopf gebunden, welches einen kleinen Turban bil< dete und zu beiden Seiten über die Ohren herabfiel. Der Ausdruck ibrer Mienen und ihrer Haltung hatten etwas Mgen-thümliches, welches sich von dem freundlichen Stolze des Türken ebenso 248 Ankunft m Vrama. unterschied, wie von der listigen Geschmeidigkeit des Griechen, und sofort einen bestimmt gesonderten VoltMamm ttkennen ließ. der nicht weniger kühn und unternehmend ist, als srine albanesischen Halbbrüder auf der Eeite der joniPen Inseln, dabei ^er weit wilder und bigotter, weil er eine der stärksten Mützen de^ Islam zu sein vorgicbk Wir ritten schüchtern wie die Mäuse unter den versammelten Ban« den weiter und wurden dann und wann von finigen der Neugierigeren befragt. „Wo kommt Ihr h«», Landsleute?" hieß es zuweilen, worauf N'ir dann antworteten: „Aus Arabcstan." — „O. danu könnt Ibr mir wohl etwas von meinem Verwandten Achmcd von Prioren erzählen?" fragte ein Änderer. - „Allerdings," cntgegnete einer meiner Gefährten, «sein Ncgiment llegt in ^atakia." — „Und vielleicht auch von Mustapha Soundso?" sagte ein Anderer zu mir. — Ich sagte, daß ich ihn allerdings kenne und daß er wahrscheinlich noch in Latakia sei und ich über» legte bei mir selbst, ob dieser Mustapha Tonndso nicht vielleicht derselbe Schurke sei, mit welchem ich beinahe ein Dncll zu bestehen gebabt hatte, a!s ich in der Nabe jener syriscbeu Etadt wegen meines europäischen Hutes beleidigt ward. Indessen, nach eiucm kurven Gespräch wünschten sie uns als Reisenden glückliche Ankunft in unserer Heimat und wir ritten ungehindert weiter. Es fiel lins aber doch ein Stein vom Herzen, als wir den neutralen Boden der St^dt, der bis jcht noä? von k.iner Partei beseht war, nnter uus batten und nun ähnl'ch equipirtt' Gruppen Türleu erspähten, die sich auf ein Trcffcn gefaßt zu machm schienen. Mehrere unter ihnen erkannten Mahmud Ve^ mit großem Vergnügen und eiucr davon rannte, nachdem er in seine ^cbuhe geftihren — dcnn er hatte barfuß auf einem Zaun gesessen -> mit einer bei einem OSmanli sehr ungewöhnlichen Schnelligkeit fort, um Mal'mud's Anknnft z» veittindeu. Nach wenigen Minuten gelangten wir all ein anspruchsloses Thor. dnrch welches wir in einen Hof einritten. Hier gaben wir unsere Pferde ab, breiteten zeitweilig eincn Teppich ans und M.ibmud setzte sich wirklich nieder und rauchte eine Pfeife nut uns, cbc er seine Frau nnd Kinder be. suchte, denn wie es schien, verlangte es die NiKtte. ihnen erst Zeit zn lassen, sich anf seinen Empfang vorzubereiten. (5'i„ Sobu von il,m, ein hübscher Knabe von zwölf Jahren, fam zu ihm heraus und ward von Familimverhältniß. 249 seinem Vater — weil es in Gegenwart von Fremden geschah — auf so kalte Weise begrüßt, daß ich eine Zeillang dachte, eö müsse cm dienender Bursche sein. Als ei aber jedoch wirklich in seinen Harem ging, schien seine erste Sorge die zu sein. die steife Unifonu des Nizam ahznwerfen und die Tracht anznlegen, wcleklc mit den Titten nnd d^mitlima des Landes besser übereinstimmt, denn Mahmnd kam in einem geschmackvollen schwarzver» brämten Anzüge von grauen» Tuch, über welchen ein mit Pelz besetzter und mit goldenen Treffen verzierter «armoisiuroth« Kaftan geworfen war, wie« der zum Vorschein und diese Umkleidnng war von der Art, daß dadnrch seine ganze ^lscheinuug um hundert Procent gnvanu. Er entschuldigte sich, daß er uns verlassen müsse, weil der Pascha ihn nach dem Serai habe einladen lassen, um sich mit ihm über die beste Art und Weise der Abwendung der Gefahr zu besprechen, welche der Stadt drohte, doch würde er zu unserer Unterhaltung einen Freuud zurücklassen. Während er daber fort war. erfreuten wir uns dcr Gesellschaft eines Verwandten der Familie, eines fleincn O^manli mit weißem Gesicht, der. als cr sah. daß es vergebens sei, eine martialische Wirkung von seinem oft ^liebkosten, aber dünnen Schnurbarte zu erwarten, diesen Mangel dadurch aufzuwiegen suchte, daß cr seinen Turban desto größer und seinen breiten Gürtel zum Behälter einer solchen Maffe von Pistolen, Messern, ^adstockeu und anderen Kriegsgeräthschaften machte, daß der Anblick des kleineu Mannes, welcher dahinter gcsticulirte, bedeutend beeinträchtigt ward. Er erzählte uns. daß die Ninauten schon seit einiger Zeit mit dem Gouverneur uuzufrieden gewesen seien. weil er mancherlei (lrvresjuugcu verübt und das, am Tage vor uuserer Anknnft ein zufälliger Zwist, welcher in den Bärten ui dcr Nabe der Stadt vorgefallen. znr Vermehrung der türkischen Streitmacht auf der einen und der arnautischen auf der andern Seite gefnbrt babe. Das End? davon war, daß, nachdem sechzehn der crstern in dem Handgemenge getödtet oder verwundet worden waren, die letztem in großer Au^ahl aus dem Gebirge hervorbrachen und mm entschlossen waren, ehe sie wieder aus einander gingen, ihre Stärle entweder dem Pascha allein oder ihm und der Stadt zusammen zu zeigen. Mahmud Beg kam mit derselbe» Geschichte zurück uud da man stündlich einen Angriff erwartete und das einsäe Geschütz in dem Serai, welches den Zugang zum Thore bestrich, gerade auf das Hans gerichtet 250 Uneigennützige Gastlichkeit. war. in welchem wir uns befanden, so hielt man es für räthlich, eine an« dere Wohnung weiter unten in der Stadt zu beziehen. Während des ganzen Nachmittags wurden Maulthiere, Pferde und Träger in Nequi» sition gesetzt, um den Harnn mit Einschluß der Frauen und Kinder und dem nicht sehr bedeutenden Vorrath a» Haus- und Küchengerät!), der zur Führung eincs mittleren türkischen Haushalts nöthig ist, fortzuschaffen. Wie aber sollte ich mittlerweile weiterkommen? Ich erkundigte mich nach Pferden und Führern, aber Niemand hatte Lnst, die Stadt zu ver» lassen. Beylir ?lga. dessen Heimat, Lescowatz, an meinem Wege lag, wollte ebenfalls gern weiter, aber gab es auf. Mahmud nahm mich bei« seite: „Lieber Freund," sagte er, „macht keinen Versuch, jetzt Cure Neise fortzusetzen; Gefabr umgiebt uns jetzt, wenn es aber Gottes Wille ist. so wird sie bald vorn berge lie n. Wir haben viele Meilen mit einander zurück» gelegt und ich habe neue Dinge gelernt. Christen ans Euren Ländern im Westen brauchen nicht — wie die meisten nnserer Gianrs— Trunken-bolde, Betrüger oder Lügner zusein. Ich bin überzeugt, daß es nicht das ist, wie wir uns selbst nennen, was uns die Gnade Gottes sichert, dessen Name gelobt fei! Wir mögen sagen, wir seien Moslemin oder Christen, so sind es doch nnserc Handlungen allein, die uns Allah an« genehm machen können. Kommt daher mit in mein Haus; Ihr sollt mein Sohn sein, so lange es Euch gefällt zu bleiben, und kein Leid soll Euch widerfahren, so lange ich und die Meinigeu sicher sind." Meine Antwort war böä'stwalns^cinlich weder angemessen, noch wohl gesetzt; auf alle Fälle bildeten wir nun eine Art Familicneirkel, und meine Dankbarkeit für die Gastfreundschaft, die mir hier ein Fremdling envies, war ebenso groß, als meine Freude, daß sich mir eine so gute Gelegenheit darbot, mich mit dem haulichen Leben dieses etwas räthsel-haften Volkes genauer bekanntzumachm. Das Haus, welckes wir jcht bezogen, war, obschon es unsern alten Begriffen von orientalischer Pracht nicht sehr entsprach, eine ziemlich treue Probe der Wohusitze der Spahis oder Landcdelleute dieses Theils der europäischen Türkei. Von der schmalen Straße, an deren entgegengesetzter Seite ein munterer Bach von dem Verge herabfloß, traten wir durch ein großes hölzernes Thor, welches in einer plumpen Steinmauer von ungefähr zehn Fuß Höhe angebracht war, und sahen uns dann in Das Empfangszimmer. 251 einem großen geschlossenen Hofe, welcher die erste Abtheilung des Ganten ausmachte. Links zog sich eine Neihe Ställe und Schuppen hin und rechts führte ein kleiner gepflasterter Weg, der einige Zoll über den Kies des Hofes hervorragte, nach dem Konak oder Gastzimmer, welches auS zwei Gemächern im Parterre bestand und an ein langes Brettcrhaus stieß, welches zur zeitweiligen AufnatM der fremden Pferde bestimmt war. Den größern Tbeil des Hofes bildete ein Garten, der mit Pfahl« werk nmschloffen und mit einem hölzernen, einige Fuß sich über den Po« den erhebenden Kioöt' versehen war. Die Trauben, welche gleich Festons von dem Spalier herunterhingen. waren von vorzüglicher Beschaffenheit, der Garten selbst aber glich einem verworrenen Dickicht. Der zweite Theil des Hauses, der Harem, oder das Privatgcmach der Familie, ist natürlich sür Fremde unzugänglich, denn er wird ungefähr ebenso be» trachtet, wie'das Boudoir der Damen in» westlichen Europa, und steht »nr den Verwandten der Familie, einigen intimen Freunden und dem Hodscka, oder Lehrer der Kinder, offen. Den Zugang dazu bildete ein hölzernes Thor in der Mauer, welcbe den Harem von dem Konak trennte und er bestand aus mchrern Zimmern zu ebener Vrde mit einem niedrigen überhängenden Dache; hierzn gehörte noch ein zweiter Garten. Das Hauptzimmer des Konak war im Vergleich mit ähnlichen Ge< mächem in Europa ein eben nicht besonderer Aufenthaltsort. Drei kleine Fenster, ungefähr einen Fuß hoch über dem Fußboden, hatten einmal dnrch geöltes Papier das Licht eingelassen, ließen jetzt aber die Lnft frei durch» streichen, weil die Hälfte der Fensterscheiben in Fetzen herabhing; auswendig war ein Laden angebracht, der, obschon schlecht befestigt, doch des Nachts sehr nützlich war, indem er den kalten Wind abhielt. Innerhalb bcr Thür war ungefähr eine Quadratclle Namn von dem natürlichen Erd» boden als ein PronaoS gelassen, um darauf Stiefel nnd Schuhe nie« herzusetzen, und der übrige Tbeil des Zimmers bestand ans einem etwa sechs Zoll hohen, mit einem abgenutzten Teppiche bedeckten, gedielten Fuß» boden. Anf der einen Seite befand sich eine Reihe hölzerner Nagel, an welchen Zäume, Pistolcnhalfter und dergleichen dingen. Weiterhin stand tin Schrank mit einem Vorlegeschlosse, in welchem mein Eigenthum alle-Wal verwahrt ward, wenn ich einen Spazicrgang machte. Bei diesen Gelegenheiten ward mir der Schlüssel stets mit cmer gewissen Feierlichkeit 252 Morgenbesuchc. überreicht, wobei mein Wirth bemerkte, es geschehe, wie er hoffe, nicht um zu verhindern, daß meine Sachen gcstobleu würden, sondern damit man nicht darin herumwühle. Außer allem diesem waren noch zwei polsterähnliche Kissen für die Gäste da, um sich daran zn lehneu, während man auf dem Fußboden saß, und dies war das ganze Meublement unseres Zimmers. Ich saß nun in einer Reihe mit meinen beiden Freunden an der Mauer und sah dem beginn einer langweiligen Reihenfolge von Glückwüu-sämngsbesuchcn von den Bürgern von Vrania mit Einschluß der Geistlichkeit, Spahis, Handelsleute u. s. w>, bei ihrem in hohem Ansehen stehenden Mitbürger zu. Die Begrüßung war allemal erkältend höflich und die Beschreibung eines einzigen solchen Besuches gilt für alle, da nur wenige Ausnahmen von der allgemeinen Regel stattfanden. Sobald als der Besucher an der Thür erschien, sprang Mahmud Beg vom Boden auf, während der Eintretende am Eingänge seine Schuhe auszog, und antwortete: „^leikuin 8olnm" auf den ihm zuerst entgegen» gebrachten Gruß: ,,^I:un Unikum". Der Wirth und sein Bekannter umarmten einander sodann, nach echt theatralischer Weise, indem sie ihre Köpfe erst über die eine und dann über die andere Schulter des vis-u-vi« neigten und wahrend dieser ganzen Zeit den freundlichsten Ausdruck des Gesichts bewahrten. Gleichzeitig mit der Umarmung fragte der Hausherr in kaltem förmlichen Tone: ,,^o!i M)ai'5UlM8, Kc>limi3 o^i-mi? — Wie befindet Ibr (5'uck? Ist (f»re («csnndl'eit gut?" worauf in dem. selben eercmoniöseu Tone und mit einer sanften Neigung des Kopfes geantwortet ward; „8ekukkün , ,^i, cllll-nnäullkli! — Ich danke Euch, gut, Gott sei Dank!" Beide Personen setzten sich nun uud der Gast ward von der ganzen Gesellschaft, Eincm nach dem Andern, durch cine Be» wegmig der Hand nach dem Herzen und den Lippen und dem Compliment: .Muten Morgen — 8udnll ^l I.-ür <.l!lk!" oder ..lU^wlwlli — Willkommen!" begrüßt, woranf er verbunden war, eine ähnliche «Acberde zu macheu und zu sagen; „^kiwlunu« liair ululi — möge Euer Ende ein glückliches sein!" Nun wurden Alle etwas unbefangener, die Pfeifen wurden frisch gestopft nnd glübcnde Stücken Kohle mit der uettcn kleinen Feuerzange behutsam darauf gelegt, ein paar Tassen heißer bitterer Kaffee auf einem Morgenbcsuche. 55!!! Messingenen Präsentirtcllcr hereingebracht, lind somit warcn dieEmpfangs-ttremonien zn Ende. Ein erheblicher Unterschied wurde nur dann bemerkbar, wenn Jemand kam, der viel vornehmer oder viel geringer war als mein Wirth. War das Erstere der Fall, so sprang er mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit ain, fuhr in seine Ueberschuhe uud ging vor die Thür hinaus, dem Besuche entgegen. Dabei machte er keine Miene, ihn zu umarmen, so lange nicht der Andere damit angefangen hatte, und wenn sie mit einander in das Zimmer traten. überließ er ihm seinen eigenen Platz ill der Ecke nnd blieb aus den Knien licgcu, bis sein Gast ihn aufforderte, Platz zn neb-men. Trat ein (Hermgeier ein, so erhob sich der Wirth nicht allemal, sondern wiederholte oft nur die Begrüßungen und forderte den Gast auf, sich zu setzen „ottii-, olur," Diese Aufforderung führte erst blos zu einer knienden Positur, wobei die Hände auf den Knien ruhten und erst wann tt fernerweit aufgefordert ward; „i-^-u ulur" — sich bequem zu sehen, ging er aus seiner natürlichen Basis vor Anker und kreuzte die Beine nach der echten Weise des Orientalen. Diese „bequeme" Stellung ist für den steifen Gnropäer in der Regel eine sehr unbequeme und qualvolle, und dennoch glaube ich. daß die meisten von Denen, welche sie nur einige Wochen versucht haben und deren Glicdmaßm noch einige Biegsamkeit besitzen, bestätigen werden, daß keine andere Weise des SitzenS auf Stuhl. Sofa oder Schemel so gut wie das i^lüU olunnuli geeignet ist. die Glieder ruhen zu lassen, wenu sie durch Anstrengung ermüdet oder durch die Hitze ermattet sind. Sobald als die Gäste sich in dem Zimmer umgesehen hatten und die beiden Fremden bemerkten, fragten sie gewöhnlich den Beg lant, wer tvir wären, und wenn man ihnen sagte, der Soldat sei ein Spahi von Lescowah uud ich ein Engländer, der mit ihnen von Stambul helgereist sei, pflegten sie mich sehr scharf anzusehen, wiederholten aber ihren Gruß an Beide. Hierauf folgte eine Besichtigung und Bewunderung meiner Pistolen und eiue Lobrede auf meine Wenigkeit durch den Beg, in wel» cher er besonders hervorhob, daß ich die wundervollsten Zeichnungen wachen könnte, daß ich ihm zu sageu wüsite, woraus die Steine bestünden, daß ich keine Furcht vor den Arnaute» gezeigt u. s. w., sodaß ich, 254 Rüstungen zur Vertheidigung. obschon anfangs als ein lViaur mit ziemlichem Mistrauen betrachtet, doch von unseren (Aasten mit großer Höflichkeit behandelt ward. Das Gespräch drehte sich größtentheils um Syrien, von wo dic Spabis eben zurückkehrten, und Mahmud wußte viel von den Wundern Arabistans zu erzählen. Als man ihu fragte, was ihm in diesen fremden Ländern am meisten aufgefallen sei? antwortete er. die außerordentlichste Thatsache sei vielleicht die, daß viele Frauen dort, sogar arabische und muselmännische Frauen, niemals Hosen trügen — eine Mittheilung, welche viele „Maschallahs!" und Ausbrüche fast ungläubigen Gelächters hervorrief, obschon er ihnen wiederholt versicherte, daß dies buchstäblich wahr sei. Em alter Mann, der eiucs Tages ebenfalls kam. hatte blos drei Fragen zu thun: -— erstens, ob unser Wirth in Damascus gewesen sei? zweitens, ob die Leute dort noch rechtgläubige Muselmänner seien? und drittens, ob es dort noch viele Heilige (evlia) gäbe? ANe diese Fragen wurden zur großen Genugthuung des eifrigen Fragers mit Ja beantwortet. Das die meiste Aufmerksamkeit in Anspruch uehmendc Thema aber war der gegenwärtige Stand der Angelegenheiten in und um Vrania, und alle halbe Stunden hörten wir eine neue Geschichte, welche geeignet war, uns in der größten Spannung zu erhalten. Mehrmals kam die Meldung, daß der Feind Verstärkungen erhalten oder daß ein Treffen begonnen habe, oder daß ein allgemeiner Angriff erfolgen solle, und der Beg hielt demzufolge sein Thor verriegelt und ließ für Jeden von uns eine Mus» kete und eine Anzahl scharfer Patronen herbeibringen. Zwei oder drei der am ersten Tage verwundeten Türken waren gestorben, und die Nachricht davon ward von ilnen Bekannten jedesmal mit der ruhigsten Miene, einem Zug aus dem Tschibnk und der Vemerkung: „kiLluol" — .das Schicksal will es so!" hingenommen, als ob kein Grund zu Trauer oder Klage vorhanden sei — „Das Voll dcr Moslemin Verräth nicht oft, was es im Stillen denkt Und weiß geschickt feilt Sinnen zu verbergen, Nur nicht den unzähmbaren Stolz." So vergingen drei Tage, und endlich benutzte ich, weil ich es überdrüssig ward, nichts Entscheidendes zu sehen oder zu hören, die erste sich Rüstungen zur Vertheidigung. 355 wir darbietende Gelegenheit, aus dem Hause zu schlüpfen, und machte mit Mustapba, dem ältesten Sohne des Beg. einem schönen Jüngling von sechzehn Jahren, einen Epaziergang die benachbarte Straße hinauf nach dem Serai. Alles war geschlossen, mit Ausnahme des Ladens eines Waffenschmiedes, welcher beschäftigt war, Pistolen zu rcpariren, während ein halbes Dutzend Türken, jeder mit einer Muskete in der Hand, müßig um ihn herumstanden und mit ihm plauderten. Auf der ganzen übrigen Straße war keine Seele zu scden, bis wir auf dem kleinen freien Platze ankamen, dessen eine Seite durch das Stadthalls des Pascha's gebildet wird. Hier waren alle auf die Straße gehenden Fenster mit Brettern vcr-barrikadirt, während aus jedem derselben ein langer blanker Flinteulauf hervorragte und dann und wann die dahinterstehenden Turbanträger ans den Schicßluken hcrvorlugten. An dem <5>ide her geschlossenen Bazars befand sich eine kleine Melonenbude, deren Laden von dem Eigenthümer aufgemacht worden war nnd wo demzufolge drei oder vier bewaffnete Bummler beisammenstanden. Wir kauften eine ausgezeichnet schöne die« ser Früchte für ungefähr sechzehn Pfennige, setzten uns auf eine Bauk unter das vorspringende Dach und hatten eben unser Messer in die Melone hineingestoßen, als einige Schüsse knallten und mehrere Flüchtlinge aus dem untern Theile der Stadt eiligst die Straße heraufgerannt kamen. Nasch schloß sich die Fallthür der Mclonenbude und Jeder suckle so rasch als möglich unter Dach und Fach zu kommen, während wir, um nicht die Letzten zu sein, so schnell davonliefen, als unsere weiten Hosen es gestat» teten, bis wir das Thor unseres Hauses erreichten, wo wir stehen blieben, um Athem zu schöpfen. Wir hörten indessen nichts weiter, schlichen vor» sichtig wieder znrück und sahen, daß die Luft rein war. Der Melonen-Mann steckte die Nase erst durch eine Spalte heraus, und machte, als er sah, daß nichts zu fürchten stand, seine Bude wieler auf, worauf sich bald wieder eine Gruppe um ihn sammelte und wir dann ohne Unterbrechung unsere Melone und den darauf folgenden Tschibuk genießen konnten. Trotz der fortwährend einlaufenden Nachrichten über den K owka oder Kampf versuchte ich vergebens, die specielle Ursache der Empörung zu erfahreu. denn, wie dies bei jeder Frage, welche die geringste Ueber, legung verlangt, in der Türkei der Fall zu sein pflegt, war die Ant» 256 Grund des Aufstands. wort allemal „liim di!!r — wer weiß es?" oder „^lluli dilii- — Gott weiß es". Damit mußte ich mich begnügen. Aus verschiedenen Ge-sprächen aber nahm ich ab, daß das verderbliche System, nach welchen, die Rsgienmgsamter beseht werden, wie gewöhnlich, die Ursache der Rebellion war. Der Pascha hatte mit der gcwohntm Rücksichtslosigkeit gegen AlleS, außer seiner Tasche, von den benachbarten Anmutend örfern Abgaben erpreßt, bis sie zn dem Entschlüsse kamen, es nicht länger zu dulden, nnd da dieses Volk politische Unruhen stets zugleich als Gelegenheit benutzt, sich durch Plünderung zn bereichern, so machten sich die Türken fertig, ihre Stadt zu vertheidigen. Die Christen, sowohl Griechen als Bulgaren, die erstern größtentheils Zöllner (und wahrscheinlich auch Sünder), nnd die letztem der Mehrzahl nach Banern, hegten die wohl« begründete Furcht, daß sie,'auf welche Weise anch die Sache endete, sicherlich dabei am schlechtesten wegkommen würden, weil sie die Beute waren, die sich mit der geringsten Schwierigkeit und Verantwortlichkeit erlangen ließ. Auch dauerte es nicht lange, so sah ich, wie sehr diese Leute Ursache haben, die Zchwäcbe der Executivgewalt zu betlagen, welche die friedlichen Unterthanen allen Folgen hausiger nnd gewaltsamer Empörungen preisgiebt. Bis zum dritten Tage nach dem Ansbrnch der Erneute waren die Arnanten in einer Anzahl von elfhnndert bis zwölshundert Mann beisammen, lauter schöne dienstfähige Leute, wohingegen die bewaffneten Bürger der Stadt sich auf höchstens dreihundert bis vierhundert beliefm, sodaß sie ohne fremden Beistand kaum hoffen konnten, etwas auszurichten. Die zwei nächsten mit regulairen Truppen besetzten Garnisonen, Nisch und Uskiub, waren so weit entfernt, daß eine Depesche kaum Zeit gehabt hätte, hinzugelangen, auch wenn sie nicht von den Arnanten aufgefangen worden wäre. Einmal hatte der Pascha sich bemüht, die Sache sriMich beiznlegen; da aber seine Feinde mit lauter Stimme geschrien hatten: „Nieder mit dem Pascha! Wir wollen ihn nicht!" so hatte er sich Yassiv verhalten, um zu sehen, was vielleicht die nächsten Tage bringen würden. Um in die Langweile dieser einförmigen Tage einige Abwechselung zu bringen, wollen wir uns ein wenig ill der Familie und dem Haushalt meines zum Mittelstande der Türke>l gehörenden Wirthes umsehen. Mahmud Beg zeigte sich unausgesetzt freundlich lind gastfrei, und seine liebens« Dic Familie des Beg. 257 würdigen Kinder vertrieben mir manche Stunde. Sein ältester Sohn, MnstapbaBeg. hatte alle Anlagen zn einem tüchtigen Jäger und verwendete den größten Theil seiner Zeit ans die Dressnr eines Fallen; der Mite, Mchcmed Beg, war ein schöner und sehr intelligenter Knabe von zwölf Jahren und sehr begierig, etwas von dem nnr wenig bekannten InFlil, mLmlckt:!, zu erfahren. Anf ihn folgten vier Mädchen — das älteste ungefähr elf Jahr alt. denen es erlaubt war, zn uns in den Konak zn kommen lind hier zn spielen. Sie amüsirtcn mich sehr durch ihre Ein-fachbeit und ihr weich acceutuirtes Türkisch, wenn sie in ihren weiten Hosen und kleinen mit Woldschnürc» beschien Jäckchen hier oder in dem schattigen Kiosk saßen. Die älteste, Vembi, ergriff mich oft bei der Hand, heftete ihre großen schwarzen Angen anf mich und sragte mich allerhand nach der großen Welt anßnbalb Vrania, welche sie wahrscheinlich nur durch Hörensagen kennen zn lernen bestimmt war. Ich schenkte ihr ein venetianisches tMsperlenbalSband, welches ich glücklicherweise bei mir hatte und welches nnter den B^vobnernoeö Harems keine geringe Frende an-lichtete, und die drei Weiber dcö Beg nahmen, obschon sie in dem Kouak niemals erschienen, zn verschiedenen Zeiten Gelegenheit mich anzureden, um ihre sehr verzeihliche Nengier zu befriedigen. Das fortwährende Kommen und Gehen von Besuchen machte alle ernste lecture unmöglich. Eines Tages aber begann ich doch. zur großen Hreude meiner Freunde eine. wenn auch ziemlich plumpe, wissenschaftliche 'Veistnng. Sie hatten mich oft über geographische Gegenstände befragt und um ihnen in dieser Bezichnng einen gewissen Begriff beizubringen, benutzte ich die Rückseite eines großen Empfehlungsbriefes, den ich bei mir hatte — denn Papier war rar — und zeichnete eine Karte von Europa, indem ich die Länder mit Wasserfarben colonrte und ihre Namen uMM Hauptstädte mit türkischen Buchstaben hincinschrieb. AIs ich damit fertig war. war Mahmnd dcr Erste, der mein Werk besichtigte; ob» schcü er sich aber darüber frente, wie ein Kind über buute Farben, so kam .dochdadnrch die traurige Thatsache, welche er mir sorgfältig verhehlt hatte, Än den Tag. daß er. der Eavalerieofficier, nicht lesen konnte! Ganz anders war die Frcnde des Hodscha oder Hauslehrers; er machte die ganze Karte durch, las sämmtliche Namen von Anfang bis Ende und erhielt. wie er nur versicherte, dadurch zum ersten Male einen deutlichen Scherzes Mcci. z? 258 Tägliches Lebcn. Vrgriff von dem Unterschiede zwischen Malta lind England, denn cl'cn so wie viele andere Orientalen hatte er, weil er borte, daß unsere Schiffe zwischen den türkischen Hafen nnd Malta führen, geglaubt. Malta sei die Hauptstadt des Inglis-Landes. Der würdige Hauslehrer studirte die Karte nochmals durch und redete dann zn den lim stehenden. wobei cr unverkennbar von zwei Oefüblcn beseelt war— dem ebrcnwerthen Stolze, seine eigenen Kenntnisse znr Schau zu stellen und der Freude, einen Mit« gelehrten kennen gelernt zn haben! Die besten (Geographen m «po aber waren Mehcmed und Bembi, denn als sie sahen, wo Vrania. Salonil, Stambul und Velgrad lagen, machtcn sie sofort eingebildete Neiscn anf dcm Papiere, und schon nach wenigen Tagen zeigte sich der angcborne Scharfsinn dieser Kinder dnrch die Fortschritte, die sie in einem für sie so neuen Gegenstände gemacht hatten. Die bedeutende Höbe Vranias über der Meeresoberfläche verrieth sich mir dnrch die Kalte der Morgen und Abende in dieser noch nicht weit vorgerückten Jahreszeit. Sckon zu ziemlich früher Stunde erhoben sich gewöhnlich die Schläfer von der Diele, wo Pciikir Aga lind ich mich immer hinzustrecken pflegten und wo sich oftMustaphaBeg uud einige Ve-kannte scmeS Vaters zu lins gesellten. Da wir uns nnr halb ausgekleidet niederlegten, so war »nsere Toilette sehr bald zu <5nde, und währßub wir unö draußen vor der Thür in dem Ibrik voll Wasser und mit der Seife wuschen, welche uns eiu Dieucr brachte, wurden wir von den ersten Slrahlen der ausgehenden Sonne begrünt; aber selbst eine Stunde da» nach war es noch so lalt, daß ich mich gern in meinen Mantel ein. wickelte, ehe ich die Pfeife anzündete, womit das Tagewerk begann. Nun aber kam eine schwere Prüfling; - das Fasten dauerte von dieser Stunde an während des ganzen mit Nichtsthun hingebrachten Morgens bis um elf oder zwölf Uhr, wo unser kuseliluk MÄncisekat^i oder Morgenmahl aufgetragen ward. Zuweilen röstete ich mit den Knaben gemeinschaftlich Maiskolben an dem ewig brennenden, dem Kaffee geweih» ten Feuer und sah mich auf diese Weise in den Stand gesetzt, die Wie, verkehr der Mahlzeiten mit größerer Resignation zu erwarten. Dieser Schritt war um so nothwendiger, weil der in spirituöser Beziehung ziem« lich freigcisterische Aga sich gleich von unserer ersten Ankunft an auf der Mahlzeiten. 269 einen Seite des eben erwähnten Fcners mit einer Flasche Raki in einem Schranke dicht neben ihm undeincin vor ibmstehenden Findschian »der Kaffeebecher etablirt hatte, den er dann und wann füllte und leerte und sich außerdem mit Pfeffer erquickte. Vor den Augen der muselmännischen Gäste ward die Flasche sorgfältig verborgen, da die Türken aber nach dem. Was sie von den Griechen und Slaven sehen, der Meinung sind . daß ein wütender Durst nach starken Getränken von dem christlichen Glanbens-bekenntniß unzertrennlich sc'l, so ließ micb der Aga. so oft ich kam und ging, nicht eher wieder los, als bis ich ihm tüchtig Bescheid gethan hatte. Wenn endlich der Kuschluk in dem gcl'cimnißvollcn Innern des Harem bereitet war, erhielten wir Kunde von diesem Greignisi durch den Eintritt eines Dieners mit einem Stoße gestickter Servietten, von welchen er Jedem von uns eine über die Schulter warf. Sodann kam er mit einem metallenen Waschbecken aus seiner linken stachen Hand nach der Neihe zn Jedem von uns und goß Wasser aus seinem Ibrik, während wir uns die Hände wuschen. Nach diesen Präliminarien ward ein kleiner Schemel von nngefäln achtzehn Zoll Höhe bereingeschobcn. um welchen wir uns in solcher Entfernung lagerten, daß wir Alle, wenn der rnndc messingene Präsentirteller mit den Speisen darangesetzt war, mit den Händen be» AUwHis in die Mitte des Kreises reichen konnten. Die innerhalb weniger Tage vor unseren Äugen aufgetragene Menge Gerichte würde das Orstannen Derer erregt haben, welche auf ib-reu Waudenmgen durch die Türkei von Station zu Station kaum etwas Anderes zu sehen bekommen haben, als klkad, Brot und Käse, oder ein Eiergericht. Mehr als dies ist selten in den Dorskhans oder auch in den Städten gleich fertig zu finden, besonders wenn man unter der eiligen Führung eines Tataren reist, welcher, nachdem er sich für eine gewisse Summe verbindlich gemacht, die Reisenden eine bestimmte Strecke mit zn escortiren, es in seinem Interesse findet, seine Sorge für ihre Gc, sundheit dadurch zu beweisen, daß er ihnen blos die einfachsten Gerichte vorseht. Unser Tisch in Mahmud Bcg's Hause war stets mit mehreren ver« schiedenen Gerichten besetzt, und obgleich ich oft. mit ihrer Zusammen» setzung und ihrem Geschmack ganz unbekannt, von einem nach dem andern 17' 260 Gerichte. schmauste, so hatte ich doch niemals Ursache, das Wagstück zu bereuen, denn die unsichtbaren Künstlerinnen des Harems erfüllten ihre Aufgabe stets anf die bewundernswürdigste Weise. Die Suppe, luclwi-wl, war gewöhnlich von Reis. und in der Negel stark mit Paprika oder rothem Pfeffer gewürzt, außer welchen wir sie auch zuweilen mit der stets willkommenen Vault oder geronnenen Milch bekamen. Hammelfleisch war bei den Fleischgerichten die Hauptsache lind das bralwnrstal'llliche Fabrikat. iil!im», liidad genannt, stand dem des ersten Kibabschi in Stambul nicht nach. Geflügel ward oft in Ragouts und gedämpften Brühen aufgetragen, eine ZlmchtnnaMcthode. welche es für die spätern Operationen der Tafel geschickt machte. da auf derselben weder Messer noch Gabel zn finden war. Gleich einem Wilden n1l gcnailnt, welche man fertigt, indem man einen Rosenkranz von Wallunssen in dick eingelochten Traubcnsaft taucht. K^-äais, ein anderweites sehr häufiges Gericht, bestebt ans einer Masse dünner Streifen von Teig, ungefähr wie Maccaroni, die in Butter gesotten nnd mit Honig besprengt sind - ein für die unbcwaffncten Finger des civilisirten Menschen sehr schwierig zu fassender Gegenstand. Wenn Alles fortgeräumt und nnscre Hände mit Seife und Wasser gebührend gereinigt waren, ging es sogleich wieder über Pfeife» nnd Kaffee her und so vergingen mit einer Reihenfolge von Besuchen die Etnndcn bis zur Abendmahlzeit, u^l^ckam m^ml^lüail«!, welche ebenso reich« lich war, wie das Mittagsmahl. Da dieses gegen Sonnenuntergang aufgetragen ward. so bildete es einen angenehmen Beschluß des Tages nnd ließ nur zu einem einzigen Tschibnk Zeit, ehe die Stunde zum Schlafen» gehen dawar, wo dann ein paar Kopfkissen und Decken zum Gebrauche der Gäste alls dem Harem herbcigebracht wurden, und nnser Wirth nnd seine Söhne sich in das Innere ihrer Gemächer zurückzogen. Endlich eines Morgens war mein Wirth im Stande, mir mitzu» tbeilen, daß die Sache mit den Arnanten böchst wahrscheinlich anf gütlichem Wege würde beigelegt werden, denn sie hatten erklärt, sie bätten es blos auf den Pascha abgesehen, und wenn sie Abbilfe der Uebelstände erlangten, so würden sie die Stadt verlassen. Zu diesem Zwecke ward vorgeschlagen, daß einige dcrAnsührer sich mit einigen der einflußreichsten Bürger in Mahmud Beg's Hause besprechen sollten, und im Lanfe des Vormittags wohnte ich der Conferenz bei. Die Insurgenten wurden durch drei schöne, riesig gebantc Männer vertreten, deren gedrungene Glieder, kecke und doch ruhige Gesichter und lebhafte Allgen sie als gute Musterbilder des Schippetar-Volkes erscheinen ließen. Sie stellten ihre langen Mnsketen vor der Thür des Konaks hin, traten mit Pistolen und Uatagan im Gürtel ein, nnd grüßten uns Mit der größten Artigkeit, wiewohl nicht obne einen gewissen Grad von Selbstgefühl. Hierauf begann bei den gewöhnlichen Ingredienzien eines orientalischen Concils — Kaffee und Pfeifen — eine eifrige Besprechung in ihrer eigenen Sprache, welche mehrere der Türken verstanden. Die 262 Conferenz mit Arnautrnhäuptlingen. Redenden sprachen mit vieler Wärme und cutwickelten viel natürliche Beredsamkeit, obschon sie aber vft in Aufregung geriethen, wenn sie sich über das ihnen widerfahrene Unrecht beklagten, so erhoben sic ihre Stimmen doch nie zu dem Geschwätz nnd Geschrei der Araber oder Kriechen. Die Debatte dauerte lange, ward abcr von beiden Enten mit dem größten An-stande geführt und endete mit der Uebcreinkunft, daß die Empörer sich unter der Bedingung zurückziehen wollten, daß der Pascha einen Brief an den Padischah schreibe, um ihnen Befreiung von dcr ungerechten Abgabe auszuwirken. Sollte er seine Rolle nicht ehrlich spielen, setzten sie hinzu, so würden sie nach der Stadt zurückkehren und dann — „sein Leben oder das ihrige!" „^Ikemä'ullali!" sagte mein zeitweiliger Vater sehr erfreut, so» bald die ranhen Gebirgsbewohner sein Thor wieder hinter sich hatten, „^Kennl'uN-üi! Gott sei Dank! In^cl^ülilU, dir «ol,^ M! So Gott will, wird nichts passiren!" und die ganze Gesellschaft gerieth mit einem Male in eine viel heiterere Stimmung. Nach einigcn Stunden entsendete Beykir Aga einen Boten nach Lcscowatz oder Lescosta, wie es die Türken gewöhnlich aufsprachen, um einige von seinen Pferden herüber» zuholen, und Mabmud Bcg entwarf, da unn zu erwarten stand, daß die Arnanten sich zerstreuen würden, den Plan zn einer Lustpartie, um uns nach unserer einwöchenllichen Gefangenschaft zn erholen. Gleichzeitig schlug er vor, daß ich mittlerweile mit seinem ältesten Sohne nnd seinem Haus-mcister oder Subaschi. welcher die Schipvetarsprache sehr gnt redete, einen Spaziergang machen und die Von den Christen dieses Districts gebaute neue Kirche besuchen sollte, ein Gebäude, welches beinahe fertig war nnd eine bedeutende Summe Geldes kostete, wozu der Pascha einen sehr freigebigen Beitrag gewahrt hatte. Der junge Mustapha Beg, der Tubaschi und ich, steckten unsere Pistolen in die Gürtel, nahmen Jeder cincn Tschibuk in die Hand. und schlenderten durch die öden schmalen Oäßchen oes untern Theils der Stadt. Ueber die niedrigen Dächer der nahegelegenen Hauser wurden mir neue Manern von hellfarbigem Stein, die nocb von dem Gerüst umgeben waren, als die Kirche nnd als ein Gegenstand bezeichnet, der einem gnten Muselmann anstößig sein muffe, weil sie alle benachbarten mohamedauischen Bethauser überrage. Ich schaute daran hinauf, denn es ist gegenwärtig Zerstörung der Kirche. 263 eine seltene Erscheinung, irgend ein Gebäude von Bedeutung sich in Städten erheben zu sehen, die durch das elegante aber oft schon verfallende Minaret geheiligt sind, und während ich hinschaute, schien das Gebäude zu wanken. Ich rieb mir die Augen, es wankte wieder; einen Augenblick darauf wich das Gerüst uud der ganze obere Theil' des Gebäudes stürzte krachend in einer emporwirbclndcn Staubwolke nieder, während sich durch das Krachen und Splittern des Holzes, und das Poltern nnd Drohnen der schweren Steine ein wildes Geschrei von menschlichen Stimmen ver« nehmen ließ. Wir glaubten nicht anders. als daß ein schwerer Unfall geschehen sei, liefen schnell weiter und kamen durch ein Thor auf den Platz her» aus. auf welchem die Kirche stand. Welch ein Schauspiel erwartete uns hier! Anstatt der verstümmelten oder erschrockenen Arbeiter, die wir zu sehen erwartet, war ein Hanfe von dreihundert Arnauten innerhalb des schmalen Nanmcs versammelt. Einige rannten mit Nüststangen, deren sie sich als Mauerbrecher bedienten, unverdrossen gegen die Pfeiler an, auf welchen der Oberban hauptsächlich ruhte; andere zogen, während daS Mauer- und Holzwerk herabstürzte, die Nägel und Klammern heraus, so« wie die Bleiklumpeu, um Kugeln daraus zu gießen, oder förderten mit Spitzhacken und Schmiedehämmern das Werk der Zerstörung. Einige, die fanler oder stolzer waren, begleiteten, von einem Kreise wildblickcnder Zuhörer umringt, ibren eigenen monotonen Gesang auf der klirrenden Tambura, oder machten philosophische Bemerkungen über den Fortgang des Aufruhrs. Es war ein höchst eigenthümlicher Anblick für uns, die wir gerade in diesem kritischen Augenblicke dazukamen; mit eincm Worte, ein An» blick, für den ein Maler seine Ohren hingegeben hätte, obschon er ohne den gehörigen Takt sehr leicht nicht blos die Ohren, sondern auch den ganzen Kopf hätte einbüßen können. Die malerisch gekleideten Gestalten, die scharfmarkirtcn Gesichter und die funkelnden Waffen dieser Söhne des Gebirgs, — die schwankende Ruine, deren Höhe sich immer mehr vcr< minderte — alles dieS brachte cine so frappante Wirkung hervor, daß ich wie angewurzelt dastand, bis Einige ans dem Haufen herbeikamen und uns in schlechtem Türkisch begrüßten. . 264 Fanatischer Frevel. Ein wenig Wiffen ist cm gefährlich Ding", besonders zuweilen in Bezug auf Sprachen; Einer, der von einer Sprache wenig weiß, kann durch einen Andern, der sebr wenig mebr weisi, kickt betrogen weiden und auf diese Weise passnte ich ganz gnt für einen Tinten. Etwas guter Uenidschi, der Inhalt meines Tabaksbeutels, den ich ihncu höflich an' bot und den sie mit vieler Winde annahmen, machte sie zutraulich und unbefangen, sodasi sie es vorzogen, mit dem Subaschi in der ibnen geläu-sigercn Schippctarsprache zu reden. Unsere Freunde waren zufällig eine Gesellschaft von etwas verdächtigem Aussehen, und als ich meine Angcu von ihren rauben Gesichtern auf das Werk wendete, mit welchem sie beschäftigt waren und überlegte, wie lange die armen Bulgaren ihre sauer verdienten Piaster gespart und wie sehnlick sie darauf gehofft hatten, die Religion ihrer Väter dnrch eiuen würdigen Tempel zu ebreu, da gcricth mein Blut in Wallung, eine Horde wilder Fauatifer zu sehen. die in ihrer rohen Stärke über die Schwäche der Giaurs triumpbirten, in einer Stunde die Hoffmiug vou Jahren vernichteten und mit bigotter Wuth das Zeugniß mühsamer und frommer Sparsamkeit vernichteten. Welche Gedanken aber auch iu mir aufstiegen, so untersagte mir die Klugheit jeden Ansbruch von Don Quixoterie uud nach einer halben Stunde waren Mustapba und ich froh, unvelästigt davonzukommen, indem wir den Subaschi im Gespräch mit den Anmuten zurückließen. Die Nachricht vou dem stattgehabten Auftritte war iu dem Konal schon eingetroffen, ehe wir dorthin zurückkamen und Alle, die während des Abends uns besuchten, machten ihre Bemerkungen darüber. Die Tür» ken bedauerten Einer wie der Andere, was geschehen war, erklärten aber, daß sie bei der grosien Minderheit ibrer Zahl nicht im Stande gewesen seien, es zu verhindern. Mahmud wünschte, daß er tau» send Nizam oder regulaire Truppen hätte, dann wolle er dafürstehen, daß die Arnaute» es sich nicht wieder sollten einfallen lassen, uach Vrania zu kommen. Das Unglück war jedoch ciumal geschehen und was ich sah, war noch nicht Alles. Die Tumultuauteu hatten unter irgend einem geringfügigen Vorwand zwei oder drei Christen misbandelt und mehrere Kaufläden in den Vorstädten aufgebrochen und geplündert. Ein Picknick. 265 Aus allem diesem, in Verbindung mit den Bemerkungen, die ich borte, ging klar bervor. daß. obftbon. wie es bäusig gescbiebt, ibr Zwist mit den Türken begann, dock allmälig ein gewisses Gefübl der Klugheit sich geltend gemacht hatte. Die Arnauten, weläie wohl wußten, daß Plünderung oder Mishandlung von Gläubigen früder oder später an ihnen beimgesml't werden würde, warfen sick auf die Bulgaren und Grie» cl'en als einen geeigneten Gegenstand, an welchem sie ibreWuth auflassen konnten und sahen voraus, daß die Beute, welche sie während des Auf» rubrs anö den Häusern der lÄiaurö raubten, kein (Gegenstand ernster Nr« wägung für die boberen Bebördcu sein würde. Den nächsten Morgen beizeiten wnrden umfangreiche Anstalten zu unserm Picknick getroffen. Metirere Pferde wurden berbeigebracht, ein lebhafter Knabe von zwölf oder vierzehn Jahren, ein Freund Mehemed's. kam um sich uns anzuschließen, nnd gewisse Product?der Haremküchc wurden in eine Kdrisch oder Satteltasche gerackt. Ab<5 wo waren die Sbawls und kleinen Packete. wo waren die Paravberualicn der lachenden Schö« ncn, an welche ein Europäer bei eiuer solchen Partie unwillkürlich denkt? „Die Mancr, die schändliche Mauer," trennte uns von den Bewohnerin» neu des Harems und wir nulßtm zuseben. wie das arme männliche Me° scl'Iecht allein zurechtkam. Mabmud Bog konute uns nicht Oesellsckaft leisten, weil ihn der Pascha zu einer Conferenz wegen des widerwärtigen Briefes eingeladen batte; wir Ncbrigcn aber brachen gegen sieben UhrMor» gens anf. Mustapha mit einem ^ieblingsfalken auf der Haust, und Alle, ob« schon nur zum Verguügen ausziehend, mit einem tüchtigen Waffenvorrath versehen. Nachdem wir den Fluß Morawa passirt, ritten wir ein paar Stun» den weit in seinem augebauten Thale in nordöstlicher Richtung hin. bogen dann in ein Nebenthal rechts ein, ergötzten uns au eiucm wilden (Ha» lovp über dic Wiesen und machten an einer Octreidemschlc Halt. welche Mustavha gehörte. Neben einem plätschernden Wafferrade, welches horizontal stand, wie die, welche man oft in Italien sieht, erquickten wir uns an einem kühlen Tschibuk uud bciftem Kaffee und ritten dann wieder weiter, bis das Thal schmäler ward und die dünn mit Ocstrauch bedeckten Berge von Granitfelsen starrten. Der Bach, der höber hinauf so llyftall, hell war, rann hier trübe in Folge der Operation einer Gruppe Vulga- 266 Heiße Quellen. renweiber, die mit ihrem einzigen weißen Gewand bis an das Knie auf« geschürzt, beschäftigt waren, Hanf- und Flachsbündel zurechtzulegen, welche eingeweicht werden mußten, ehe sie auf die Breche kamen. Niä't weit davon kamen wir an den Ort, welcher wegen feiner heißen Quellen den Namen Vania fnhrj. (Hin schlichtes mit einer Kuppel über» wölbtcs Gebäude enthält Bäder, in welche das Wasser dureb Röhren von seinem Ausgangspunkte aus dem Felsen geleitet wird, dabei ader viel von seiner Hitze verliert. Mehrere Fieberpatienten waren bemüht, den Feind aus ihrem Körper hcrauszusicden und wir warteten, bis sie fort waren, um das einzige brauchbare Badebeckcn für uns reinigen zu lassen, denn das andere war voll von stehendem Waffer und Melonenschalen und anderem vegetabilischen Abfall, sodaß unter einem und demselben Dache ebenso schnell als das eine Bad das Fieber heilen, das andere es erzeu« gen konnte. Mr Alk tanchten in den schönen heißen Wafferstrmn. indcm wir ihn mehr als Donckc denn als gewöhnliches Bad benutzten, nnd spater öffneten wir. halb angekleidet und aus der Galerie sitzend, indem wir fortwährend neue Vadende eintreten sahen, unseren Proviantsack. Der wichtigste Theil seines Inhalts war. wie wir fanden, eineFlcischpastete von umfangreichen Dimensionen, die außer in Großbritannien wohl kaum irgendwo in der Christenheit ihres Gleichen gefunden hätte. Ucberdics verzehrten wir Jeder eiue Melone und warfen die Schalen derselben plätschernd in dcn großen Tümpel, um zu der Anhäufung von Ficberstoffm für künftige Besucher das Unsrige ebenfalls beizutragen. Die Pfeifen wurden natürlich bald in Gang gesetzt nndVcykirAga hatte nicht versäumt, eine Quarlflasche Branntwein mitzubringen, welcher er so rüstig zusprack, daß er, als wir uns zum Wiederaufbruch anschickten, von verschiedenen sonderbaren Grillen befangen ward und die Kugel aus seinem Gewchr zog. um eine Ladung Schrot dafür einzubringen, in der Absicht auf dem Heimwege nach Vögeln zu schießen. Wir Andern hielten uns vor sich tigcrweise soweit als möglich von ihm entfernt und zum Glück zeigte sich seinem Blicke nicht eher etwas, als bis wir in die Näde von Vrama gekommen waren, wo er einen kleinen Vogel alls einem Wallnnß-baume erspähte. (5r that einen frischen Zug aus der Flasche, um semen Blick zu schärfen, stieg ab und ging in einem solchen Zickzack auf den Erfolglose Jagd. 207 Baum zu, daß wir zuweilen gar nicht wussten, wo er eigentlich hi>l wolle. Der Vogel war auf seiner Hut und büpste von Zweig zu Zweig und um den ganzen Baum berum, sodaß, wenngleich nur wenige Schritte entfernt, unser Jäger vergebens darnach zielte. „Jetzt, o Aga, ist cr oben — im« ten; ziele einmal fest und sicher, wie ein Berg," — „Sieh, Freund, dort ist der Feind — taumele nicht so. dann ist der Sieg gewiß Dcin." — Diese unter lautem Gelächter anogestoßcnen Epotttedcn der jungen Burschen bewogen den Aga, seine Bemühungen nocb eine Viertelstunde lang fortzusetzen, worauf er endlich den Rückzug antrat, sich wieder mit einem Schluck Nali tröstete, und wir Alle nach Hause galoppirten. Und dennoch war dies eine großartige und ganz außergewöhnliche Belustigung gewesen! Die armen Osmanlis! wie langweilig streichen unter dem gegenwärtigen Regime ihre Stunden dahin! Geistige Beschäftigung haben sie in dcn stillen Friedcnszeiten wenig oder gar nicht, denn all Unterricht fehlt es fast gänzlich; körperliche Bewegung wird selten nnteinommen, ausgenommen von Denen, die sich dadurch ihren Lebensunterhalt erwerben, und die Freuden der Gesellschaft si»d unbekannt, weil es ihren Frauen nicht gestattet ist. daran theilzunchmen. Allerdings schlagt ein Fremder, der an einen andern Zustand der Dinge gewohnt ist, die Einförmigkeit des türkischen Bebens vielleicht zu boch an und kann von dcn Freuden der eigentlichen Häuslichkeit oder des Harems wenig wissen. Dennoch aber sah ich von allen den Personen, die mich umgaben, genug, uin den Schluß zu ziehen, daß der Mangel au allgemeiner Bildung die Reize der Bewohnerinnen des Harems als fortwährender Gesellschafterinnen sehr beeinträchtigen muß. Mit der übrigen Gesellschaft empfand ich oft die drückendste Langeweile während eines ganzen Tages, dessen (5'intönig' keit durch nichts unterbrochen ward, als die Morgen- und Abendmahlzeit, Pfeifen, Kaffee und Besuche, die zu keiner Conversation führten. Und dennoch besteht ans solchen Tagen der größte Theil der Zeit, welche die besseren Stände in den Provinzialstadten verleben. Wären wir wahrend meines Aufenthalts in Vrania zweier Themata der Untcrbaltnng — der Rückkehr alls Syrien und der Insurrection — beraubt gewesen, so glaube ich, es würden den ganzen Tag über kaum ein Dutzend Wortc gesprochen worden sein. Der erstere Stoff war ein nützliches Mittel, verschiedene geographische Fragen zur Sprache zu bringen, 268 Abreise von Vrania. deren gänzliche Unwissenheit mich anfangs sehr überraschte, wenn ich die große Anzahl der gewöhnlich mit den Moscheen verbundenen rneärosss oder hohen Schulen erwog. Bald abcr ül'cr^eugte ich mich, daß diese Quellen, so dürftig sie auck sind, nur wenigen Personen zu (Ante kommen, außer Denen, welche das Monopol der Erkenntniß und Wissenschaft besitzen. Diese sind die Ule m a s oder Professoren der Theologie und In» rispruden;, welche ebenso wie die meisten andern ausschließlich geistlichen Regierungsbehörden die' Laien am hartnackigsten in der Intoleranz und Unwissenheit fcstbalten, weil sie darin das beste Vorbengnngsmittel gegen die Beschränkung ihrer Macht erkennen. Die rücksichtsvolle Aufmerksamkeit, die feinen Sitten und die gutmüthige Treuherzigkeit der Türken waren das, was meine Achtung erweckte und mick mit ihren Mängeln Mitleid empfinden ließ. Ich stand nun im begriff, sie zu verlassen, denn Vcykir Aga's zwei Verwandte wa» rcn von Lescowatz mit seineu Pferden, darunter eins für mich, angekommen, und so sehr ich mich anck über die Absicht freute, meine Heimreise weiter fortsetzen zu können, so that es mir doch wirklich leid, von einer Familie Abschied nehmen zu müssen, die mich, den für sie stockfremden und ziemlich räthselbaften Menschen, so gastfreundlich beherbergt batte. Mab« mud Beg umarmte mich nach seiner theatralischen Weise, den Uebrigen drückte ich die Hand, und wir ritten fort unter vielen Wünschen, daß Allah mich glücklich in mein Vaterland zurückführen möge. wahrend man Bcvkir Aga einschärfte, von seinem Wohnorte aus das für meine Weiterreise Nöthige bestens zu besorgen. Straße nach Lescowatz. 269 Fünftes Kapitel. Ober-Mösien. — Plündernde Arnauttn. — Ein Kampf mit Hunden. — Ankunft in Lec>cowatz. — Gäste niederen NaugeS. — Verlrgenhcit elnes Mollah. — Excursion untrr dm Christen. — Neigung zum Brannlwein-trinkm. — Griechische Kaufleute. — Türklsche Rcchnichkcit und izrie-chische Schurkerei. — Kurwinarad. — Nissa. — Gin vielgereister muscl-männischer Kaufmann. — Zigeuner. Die gewöhnliche Straße nach Lescowatz schlangelt sich in dem brei-ten Thale der Morawa oder Morawitza hin. wir wählten aber die km< zere Straße über die nördlich von Vrania gelegenen Berge. Diese steile Bergkette, das Centrum und der Kern von Ober-Mösien, würde eine fast unübersteigliche Schranke bilden, wenn nicht eine ungeheure Schlucht hmdurchführte, durch welche ein heller Strom einem größeren Flusse schäumend entgegenstürzt und längs dessen Ufern ein ranher Pfad nach jenen unwirthlichercn Regionen hinaufgeführt worden ist. Mit der frohen Stimmung von Gefangenen, die aus dem Kerler entlassen werden, begannen wir die Ersteigung und schauten auf die Gärten hinab, deren Neinstöckc und Maulbccrbäumc eine herbstliche Fär-bung annabmen. AIs wir neben den funkelnden Wasserfällen hinritten, mischten Granit ° und Schiefe» klippen ihre Farbe mit dem hellen Grün des üppigen Strauchwerks nnd in einer Höhe von mchrern hundert Fnß über der Stadt, wo die Straße buchstäblich eine iu den Felsen gehauene Treppe war, wurden alle Elemente einer hochromantischen Landschaft durch die Nuinm einer Veste vervollständigt, die ein steiles Vorgebilg krönte und sich gegen den fernen gebirgigen Hintergrund malerisch abbob. Wir brauchten drei oder vier Stunden. ehe wir den Gipfel erreich« ten und in kurzer Entfernung auf der andern Seite machten wir Halt an der Hütte eines bulgarischen Bauern, der sogleich mit seinem Weibe her» ausgeeilt kam und uns Decken brachte, damit wir uns niedersetzen könn» ten lind ein Giergericht bereitete. Nach einiger Zeit kam ein Trupp ?lr» nautcn aus demselben Wege von Vrania an uns vorüber, und als wir fie fragten, womit der Esel, den sie vor sich hintrieben, beladen wäre, mttworteten sie lächelnd, als ob es ein ganz vortrefflicher Scherz wäre: 27N Gebirgslandschaft. „?Iu>8oIiIiÄ!" (Bcutc.) Ihr Feldzug war zu Ende und si? kehrten nun ruhig in ihre Heimat in der Nähe von Voutschiteru und Pristina zurück, Städten, welche zu dem von den Türken ^inau>lul< genannten Lande gehören, obschon sie von den Geographen nicht mit zu Albanien gerech» net werden. Dic knrzröckigen Freibeuter suchten weder mit uns in Streit zu kommeu, noch uns zu meiden, sondern würden, glaube ich. ihre La« dung von geraubten Gegenständen mit eben so unbefangener Vefriediguug vorgezeigt haben, wie ein Jäger den Inhalt seiner Jagdtasche. Ms wir auf dem hoberu Tbeilc dcS Bergrückens standen, ward ich auf die Ebene von Kossowo aufmerksam gemacht, die durch einige der wichtigsten Siege der Oömanlis historisch denkwürdig geworden ist. Der crstc ereignete sich im Jahre 1389, wo die serbische Macht unter Lazar gebrochen, dieser Fürst erschlagen und Snltan Murad I. von einem ve>> zweifelten christlichen Soldaten meuchlings ermordet ward. Der zweite erfolgte im Jahre 1484, bei welcher Gelegenheit die ungarische Armee sammt ihren deutschen uud polnischen Hilfstruvpen durch Murad II. mit großem Blutvergießen Vollständig geschlagen wnrde. Neben einem Bache hin ritten wir durck ein waldiges Hochland« thal nach dem einsamen Hause eines Spaln. eines hochgewachsenen, martialischen Türken, welcher sciuc Bulgaren bei dem Aufsehen ciuiger Maisfeime beaufsichtigte. Das Mittagsmahl, welches er uns anbot, lehnten wir ab, genossen aber die gewöhnlichen Erfrischungen in einem hölzernen Kiosk, nach welchem eine plumpe Leiter hinaufführte. In einem kleinen Dorfe weiter unten speisten wir iu dem Hause eines bulgarischen Bauern von der bessern Classe und abgeseben von einem kleinen Mangel an Reinlichkeit muß ich gcstebeu, daß ich noch in keinem Laudc ein wobnlichercs Vauernhaus gesehen hatte. Man breitete uns vor einem Holzfeuer eine Decke hin und das ganze Hauspersonal beeilte sich mit freundlicher Hast unsere Bedürfnisse zu befriedigen uud sendete uns die besten Segens« wünsche nach, als wir wieder aufbrachen. Einen herrlichen Nitt hatten wir diesen Nachmittag, als wir so den Windungen eines Baches zwischen Hügeln folgten, die mit schönen Buchen und Eichenwäldern bedeckt waren, wie man sie in den wildromantischeren Theilen Ungarns sieht. Viele Stunden lang aber sahen wir blos zwei oder drei Häuser und die Isolirung derselben von der Arnautcnbivouac. 271 Welt ward durch dm grimmigen Onfall bestätigt, den mehrcre wilde molossische Hunde w der Nähe eines solchen Hauses auf uns machten. Vevkir Aga war der Letzte von nns. imd als einer der Hlindc Miene machte, nach Art der Wölfe dem Pferde auf den Nücken zu springen, drückte er seine beiden Pistolen auf den Feind ab. den er allerdings fehlte, aber doch in die Flucht schlug. (5s war schon finster und wir fnhren von mm an eine Zeitlang fort, wieder zn laden und zu fcumi, theils nm fernere Zudringlichkeiten zurückzuweisen, theils um dem weithinhallenden Echo zn lauschen. Endlich nach der gewohnlichen Strafe, im Dunkeln auf oriental,« schen Straßen zu reisen, wobei wir vom richtigen Wege abkamen und uns über Stock und Stein mühsam weiterhaspelten, wurden wir aus unserer Schläsrigkcit plötzlich aufgerüttelt, indem wir in einen Hof einbogen, wo ein großes Feuer brannte nnd eine Gruppe Arnauten beim grellen Scheine desselben ihre Pfeifen rauchte. Sie waren Freunde, wie es sich zeigte, und da der Subaschi dieses Gutes meine Begleiter kannte, so hieß er nns beim Feuer willkommen und erfrischte nns mit einer uugchcnern Menge Wassermelonen. Es ging das Gerücht, daß die Anmuten in öescowatz einen Besuch abzustatten beabsichtigten, nnd da wir es nicht für räthlich hielten, so weit von einer Stadt zu übernachten, so beschlossen wir noch zwei Stunden weiterzureiten. Ich mnß meinen Begleitern die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß Keiner von ihnen, ebensowenig wie von meinen fni, heren Frenndcn, die mindeste Furcht verrictb. Die einzige Ausnahme war ein armer Spahi, noch obendrein ein Hadschi, der während der letzten drei Tage mit nuö in Vrania eingesperrt war und sich sehr fürchtete, feine Reise nach Kinstcndil idem alten Iustlniana) fortzusetzen, obschon dieser Ort in der am wenigsten gefährlichen Richtung lag. Die Satteltaschen wurden wieder über den Rücken der Pferde geworfen, und wir hatten einen ermüdenden Nitt nnd stolperten lind pur« zelten, bis wir das Landgut deö Aga erreichten. Die Bewohner des Hanfes wurden schnell aus dem Schlafe gepocht, Einer umarmte den Andern und wir begaben nns in den großen Stall, wo ein Frendenfener auf dem Boden angezündet ward und Alle anfingen zu rauchen und lange Geschichten zu erzählen, als ob es noch früh am Abend wäre. Einer der Andern, der eben so müde war als ich, schlüpfte mit mir 272 Manieren der Vesuchcr. hinaus, und wir warfen lins mit unsern Mänteln auf etwas Ttioh und schliefen ganz köstlich. Aber Rührigkeit war einmal die Parole. Die Sonne war kaum aufgegangen, als der Ruf: „lim! dm!" (Aufgesessen! Aufgesessen!) erscholl; ungefähr ein Dutzend Pferde standen fertig gesattelt im Hofe und Alle machten sich fertig zu einem pomphaften Cin^ngc in Lescosta. Die bulgarische Familie, die auf diesem Landgutc wobntc nnd die ganze Nacht mit dem Aga am Fener gcseffen hatte, gab uns mit den besten Segenswünschen eine Strcclc weit das Geleite. Wir befanden uns jetzt in der Mitte einer breiten fruchtbaren Ebene, dem Thale der bulgarischen Morawa, und die Berge, welche uns gestern durch ihre dräuenden Gipfel einschlössen waren jetzt sich tief am Ho, rizont hinziehende, kaum erkcunbare Linien. Alles schien friedlich und glücklich zusein und unsere lustige Cavalcade ritt unter heiterem Plaudern und Lachen dahin, gewöhnlich im Schritt, dann nnd wann aber auch in wildem Galopp unter lautem Geschrei und Abfeuern der Pistolen. Nach ungefähr einer halben Stunde crspähete Beykir Aga eini Oesiencichcrn im Jahre 1737 erobert, als sie in Folge eines plötzlichen Einfalles bis Ueliub, Icnibasar uud Pristina vorrückten nnd, nachdem sie die Serbicr zur (5mpönmg gereizt battm, dicsclben im Stiebe ließen. In dein Khan waren eine Menge Kaufleute und andere Reisende und ein bedeutender Vetteln gab der Stadt eine weit größere Lebhaftigkeit, als ich bis jcht fern von der Hauptstraße gcschcn. Ich ward bald als ein Mann bekannt, dcr rbm von Arania lam. uud demzufolge, wo ich mich auf dem Bazar scbeu ließ. von der Neugier der Handelsleute gepeinigt, welche durchaus wissen wollt.n, waö wirklich vorgefallen sei. In einem Lande, wo leine Zeitung, ja nicht einmal ein Postschaffner die. wißbegierigen Gcmütber mit Neuigkeiten mästet, wird die Anklmft eines Reisenden znr Zeit öffentlicher Auflcgimg mit großer Svaimmig erwartet, und ich mußte meine Geschichte immer und immer wieder vor einer bnnten Menge von Znl'örern wicderbolcn, die vorher ans cinem Umwege eine» entstellten bericht gehölt hatten, welcher Besorgnift um ihre eigene Stadt sowohl als um Lescowatz erregt hatte. Ein liberaler Türke. 2/9 Unter mehreren Kaufläden zog einer, der ganz besonders uett ge» ordnet und in welchem allerhand Luxusartikel von Stambnl verführerisch zur Schau gestellt waren, meine Aufmerksamkeit aus sich. Der Eigenthümer war ein schöner junger Manu, elegant und geschmackvoll nach der guten alten Weise gelleidet, mit einem Kaschemushawl um die Taille nnd einem bunten ostindischen Taschentuch um die Htirn, Als ich mich in Bezug auf einige kleine Einkauft mit ihm in ein Gespräch einließ, fand ich in ihm ein gutes Muster der liberalen Gesinnung, welche eine Folge des Umganges mit der großen Welt ist. Er machte häufig die Neise nach Konstantinopel und rühmte sich auf der ganzen Straße dahin eine Kette von Freunden zu haben, in deren Häusern er dahcim sei. Dabei sehte er hinzu, da er es uubehaglich gefunden habe, m eine einsame Wohnung zurückzukehren, so habe er sich nicht längst ein Weib genommen, „und was für ein hübsches Mädchen!" sagte er. Anf diese Weise ward mir mit einem Male ein wunderbarer Fortschritt klar, denn die alttürkische abgeschlossene Kaste würde eS für eine Schande gehalten haben, ein Weib zu erwähnen, hauptsächlich vor einem Fremden nnd einem Franken! Ohne aber Rücksicht ans den geringen Umfang meiner Einkaufe zu neh» men, ließ er Kaffee, Packwerk und Tschibuk bringen, dcclamirte mir Gedichte und ward so mittheilsam, daß ich glaubte, er hatte mich. wenn ich länger hätte bleiben können, zn seinem Familientisch eingeladen. Ein in Nisch etablkter italienischer Arzt fand sich, als er hörte, daß ein Europäer da wäre, in dem Khan ein, vorgeblich blos um des Vergnügens willen, mich zu sprechen, in der That aber, fürchte lch, nur um mich zum Ankaufe eines ansgcsucht schönen Widdiner Messers und einiger alten Münzen zu bereden, und dennoch freute ich mich. die Wahrheit zu gestchen, so sehr, den Klang seiner Sprache wieder zn hören nnd fühlte mich so erleichtert, als ich meiner Zunge wieder einmal freien Lanf lassen konnte, daß ich ihn herzlich willkommen hieß. Meine Griechen gaben bei seinem Weggänge ihre Verwunderung über die Art nnd Weise zu erkennen, aufweiche wir mit einander geschwatzt hatten, denn da sie selbst keine Freunde der Wahrheit waren, so hatten sie geargwohnt, daß ich nur die angenommene Rolle eines Christen spiele. Mehr als einmal hatten sie in ihren Zweifeln mich gefragt, wie es käme, dasi ich ein Freund der Türken wäre und ihre Sprache redete, und sich versiecktelweise erknn« 280 Zigeuner. digt, ob wir in England unsern Gottesdienst in Kirchen oder Moscheen verrichten. Am Westende von Nisch befand sieb, im Gegensatz zu dem gewöhnlich aristokratischen Anstrich diescs Stadttheiles, eine Gruppe verräucherter elender Hänser, von Zigeunern bewohnt, welche, ebenso wie in Sieben» bürgen, sich hier in der Nähe eines Ortes niedergelassen haben, wo sie fortwährend Gelegenheit zur Ausübung ibres Handwerkes als Kesselflicker. Ziegelstreicher und Musikanten finden. Als ich sie sah, war es mir, als ob ich wieder ein Glied der Kette gefaßt hätte, welche mich au Europa fesselte, und ich vertheilte vor Freuden einige Piaster unter die kleinen zerlumpten schwarzäugigen Vnben. An dem kleinen Flusse Dragowatz erreichten wir die Grenze des halb unablMgigen Staates Serbien. Ein gutmüthiger Türke versah in einem kleinen Khan das Amt alS Zollmmehmer und wenige Schritte weiter wurden wir an dem quer über die Straße gehenden serbischen Schlage ausschalten. Einige vierzig andere Reisende standen hier schon beisammen und um eine abermalige Quarantine durchzumachen, wurden wir alle zusammen von zwei Schildwachen zwei Stunden weit nach der Stadt Alezinitza escortirt. Sechstes Kapitel. Serbien. — Die Kostnmanza. — Bureaukratie. — Bivouak im Walde. — Kruschwatz. — Der Protopope. — Griechische Hinterlist. — Fürst Milosch. - Belgrad. Die durch Serbien führende Heerstraße ist seit Iahreu von den Courieren des westlichen Europa's überftogm, von manchem eiligen Neistnden befahren und nnter andern Skizzenzeichnern von dem kräftigen Pinsel des Verfassers von Go then gemalt worden; aber trch dieser Hilfsmittel und Ranke's Geschichte wissen wir nur wenig von den Hilfsquellen eines Grenz» landcs von großer Bedeutung und noch weniger von dem Geiste und den Dle Kostumanza. 281 Hoffnungen eines wackern Volkes, welches tapfer seme Quass°Unabhän' gigleit errungen hat und auf seltsame Weise zwischen dem festgeregelten System europäischer Staaten und der Unordnung seiner orientalischen Nachbarn hin uud her schwankt. Nicht sobald hatten wir den Mrcnzschlag hinter uns, als wir in ein neues Klima zu kommen schienen; das ganze Thal war mit üppigen Ernten geschmückt, die Straße sorgfältig gebaut; wir überschritten die Bäche, an» statt hindurchzureiten mittelst bequemer hölzerner Brücken, und Alles ver» rieth (Vewerbfleiß und Behaglichkeit — das Ergebniß der öffentlichen Nnhe und Sicherheit und der von dem verbannten Fürsten Milosch getros. fenen Masiregeln. Zuweilen kamen wir durch von den Feldern mittelst Zäunen ge« trennte Theile des Waldes nnd stießen hier auf zahlreiche Hcerdcn Schweine, das Hauptprodnct Serbiens, weshalb dieses Fürstcnthum »inter den Türken den unsaubern Namen des clanui8 ineml^«-!, oder des „Schweinelandes" erhalten hat. Steile graue Kalksteingebirge stiegen zu unserer Nechlcn empor m»d erinnerten an die des Vanats, von welchen sie allerdings auch die natürliche Fortsetzung sind. Wir bildeten eine so bunte Gruppe wie die Pilgrime von ssantcr» bury — Kauflente mit ihren korpulenten Sattcltaschen, cm würdevoller grünbeturbanter Mollah, einige arnantische Kiradschis mit ihrer gewöhn« lichen übertriebenen Wüffenrüstung, eine Gruppe bulgarischer Fußgänger, die nach Serbien gingen, um einige Wochen an Häuscrbauten zu arbeiten — und — als Andeutung von der Nähe der Christenheit — die serbt» schen Schildwachcn in bunter orientalischer Tracht mit einer prosaischen deutschen Tuchmütze aus dem Kopfe. In der Kostnmanza — anderwärts Contumaz genannt — wurden wir alle auf einen eingehegten Nasenplah geführt, wo wir unsere >e8k«i-o!!5 an eine Schaar von Schreibern abgeben mußten, die hier versammelt waren und nach einem schlechten österreichischen Vinster verfuhren. Das Ver« guügen, welches ich bei dem Einkitte in ein christlich regiertes Land zu fmdcn gehofft, ward insofern herabgcstimmt, als ich es nöthig fand, einem dieser Schreiber seine Unverschämtheit in ziemlich scharfen Ausdrücken zu verweisen, lind da dieser Verweis in türkischer Sprache erfolgte, so veran» laßte er ein komisches Gemisch von Aerwurnng uud Ueberraschung. 282 Serbische Quarantine. Da wir einen Tag Quavantaine halten mußten, so wurden wir aufgefordert, in dem äußern Hofe unsere Gewehre abzufeuern und für mich, der ich immer darauf gerechnet, daß bei einem etwaigen Zusammentreffen mit einem Feinde, diesem der Schuß versagen werde, war es eine eben nicht beruhigende Thatsache, daß von einigen sechzig Musketen und Pistolen nnr ein einziges, das (Eigenthum eines Maultiertreibers, von der Pfanne brannte. Ich blieb mit meinen Reisegefährten zusammen, anstatt mich der Gesellschaft in einem großen Zimmer anzuschließen, um Puße auf curo< paische Weise zu thun und für diesen Luxus auf europäische Weise bezah. len zu müssen. Giner der beiden Wächter bediente uns und holte die von uns gewünschten Lebcusmittel aus dem nahen Dorfe, und da der jüngere meiner Griechen ein ziemlich gnter Koch war, so sahen wir bald ein sehr reichliches Abendbrot vor uns. Der nächste Tag war Tonnt^g und wir durften noch nicht heraus; doch vertrieben uus die bulgarischen Vaucrn. unsere Begleiter, wahrend eines großen Tbcils des Tages die Zeit durch ihre Tanze. Sie hatten ei>l paar Frauen und einen Dudelsack mitgebracht uud tanzten mehrere Stnnden lang mit unvermindertem ^ifer. Am Montage ward ,.^!,^m ü luuil Waaren gelocht oder gebacken wurden und wo die Vorkehrungen zum Schlafe» blos in einer hölzernen Pritsche bestanden, die des Nachts durch 284 Ein serbischer Geistlicher. einen Laden von der Straße getrennt wurde. Zufällig ward ich mit dem Protopopeu Panlowitsch bekannt, dessen Sohn, welcher in Schemnitz sindirte. ich in Ungarn kennen gelernt hatte. Mit einem einnehmenden und würdevollen Aeußeru, welches sehr an die Manieren der Tücken erinnerte, verband dieser Mann eine Sprachen« und Literaturkenntniß und eine moralische Trefflichkeit, die, wenn sie nnter der Priestcrschaft der griechischen Kirche weiter verbreitet wären, den Charakter dieses noch sehr rohen Volkes bedeutend heben würden. Seitdem ich Belgrad von dem ungarischen User aus besucht, hatte eine Revolution die Familie Milosch gestürzt und den gegenwärtig regierenden Fürstc» emporgebracht, und am ersten Tage meines Ausenthalts in Kruschewatz fand ein allgemeines Freudenfest wegen der ßrlaffuug einer Amnestie zu Gunsten politischer Verbrecher statt. Am Abend wurden Freudenschüsse abgefeuert lind die Häuser illuminirt. Eiu gastfreundlicher Serbe, der eine hübsche Frau hatte, empfing mich auf die jovialste Weise und ich nahm Theil andemKolo, einem Nationalrundtauz, der, mit Gesängen begleitet, stundenlang mit dem größten Eifer fortgesetzt ward. Kruschcwcch liegt der Grenze so nahe, daß Grcnzsireitigfeiteu gar nicht selten vorkommen und Viehdicbstählc durch Arnauten und Eerbier ebenso an der Tagesordnung sind, wie in der alten Zeit a» unserer schottischen Grenze. Die Naufereicu, welche bei sollen Gelegenheiten oft vorfallen, nähren fortwährend eine feindselige Gesinnung, an wel» cher die heutigen Türken nur wenig Schuld sind, wie sehr sie auch in den langen und blutigen Kriegen vor Milosch's Zeiten dazu Anlaß gegeben haben mögen. Der Handel des Landes macht mit der vermehrten Sicherbeit entschiedene Fortschritte und ich speiste in dem sehr wohnlich eingerichteten Hause eines albanesischcn Ansiedlers aus Delvino, welcher ein Beispiel von Dem war, was Fleiß und Rührigkeit unter solchen Umständen zu leisten vermögen. Wäre ich mit der serbischen Sprache vertraut gewesen, so hätte ich manche mehr oder weniger wahrhafte Geschichte über die Thaten uud Aussprüche der alten Helden und Despoten dieses Landes hören können, denn ein großer Theil der Unterhaltung bestand oft in einer langen Declamation von Gedichten, deren Kraftstcllcn allen Anwesenden wohlbekannt zu sein schienen. Nationalcharakter. 385 Nordwärts weiter reisend mußten wir durch die serbische Morawa reiten, welche, vom Regen angeschwollen, unsere Pferde fast mit fortriß und dann ritten wir wieder querfeldein, um bei Iaaodin wieder auf die Hauptstraße zu kommen. Meine Griechen thaten mittlerweile alle« Mögliche, um anßer der Summe, die ich ihneu zu zahlen bewilligt hatte, noch Nutzen von mir zu ziehen. Einmal war es mein Mantel und ein andermal meine Pistolen, oder andere Waffen, was sie begehrten. Zn-erst schlugen sie vor, ich sollte ihnen den gewünschten Gegenstand als Andenken an eine Reise mit einem christlichen Glaubensgenossen zum Ge» schenk machen, und dann wollten sie einen freundschaftlichen Tausch zu demselben Zwecke bewirken, wobei der von ihrer Seite angebotene Ar« tikel ungefähr den zehnten Theil des Werthes des meinigeu hatte. M war dies zn ungereimt, als daß man sich darüber hätte ärgern können, wenn aber diese Vorschläge während eines lange» nassen Rittes gemacht wurden, oder auf einer schwierigen Straße, wo die Pferde durch verfaulte Valken in einen Sumpf hineinbrachen, ward ich zuweilen mit meinen Führern so unzufrieden, daß ich ihnen nichts Gutes wünschte und mich nach meinen alten, stets wahrhcitliebenden und ehrenwerthen musel-männischcu Freunden sehnte. Abgesehen von der Einführung der einem Engländer verhaßten Formalitäten, welche auf das Patronat Nußlands und Oesterreichs gefolgt sind, haben die Serben noch mit anderen Uebelständen zu kämpfen, die einen Übeln Gegensatz zn den Zuständen der rein türkischen Provinzen bilden. Zu diesen gehört vor allen Dingen der Mangel an Reinlichkeit, vorzüglich in den KhanS, und die Vernachlässigung des Anstandes, auf welchen die Osmanlis so große Aufmerksamkeit verwenden. Man wird sich entsinnen, daß seit dem Unabhängigkeitskriege, anßer in den Festungen, keine Türken mehr in Serbien wohnen dürfen, sodaß fern von diesen Städten kaum noch eine Spur von diesem einst herrschenden Volke auzu« treffen ist. Ungeachtet des wilden Zustandes des Landes aber kann der Reisende in vollkommener Sicherheit in demselben umherschweifen. Zu Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts gab es nirgends mehr Straßenräuber als hier; sobald aber Milosch Obrenowitsch seine strenge Herrschaft grün« dete, ward jedes Dorf für die in einem gewissen Umkreise begangeneu 256 Fürst Milosch. Mordthaten eder Dicbstähle verantwortlich gemalt, daß eS das Intereffc Aller wnrde. diesen Unordnungen zu stenern. Ein Augenzeuge cr^äblte mir, daß er den Fürsten selbst auf einen gefangenen Mörder losstmM und ihm eigenhändig habe den Kopf abhauen sehen, und wie abstoßend für unsere Begriffe aucli viele seiner frül'crcn Ncgienmgsbandlungcn fti„ mögen, so war ibre Wirkung doch bei einem unkultivirtcn Volke, welches für (Äewalttbaten noch eine gewisse Bewunderung hegte, sehr heilsam. Die Neise nabm jejzt n»r noch wenige Tage in Anspruch, llnend» liche Wälder auf den Pergen. einige Weideplätze auf den Anhöben und nngehenre MaiSfelder in den Ebenen waren die Hanptgcgeustande der Landschaft, nnd mit hoher Freude sah ich endlich die Ebenen sich offne» und die stolze Donau sich majestätisch an der alterthnmlichen Festung Se« mendria vorüberwälzen. In Belgrad, der letzten isolirten Festung der OSmanen, ange« kommen, dauerte es nicht lange, bis ick, über die Tau sehte und mich zu Semlin der wohlwoll.nden Oastfrenndscliaft unseres lÄencraleonsuls und einiger österreichischer Veamten, und des erquickenden Einflusses emerge' bildeten, geistesverwandte» Gesellschaft erfreute. Druck vl!» Fl. Nio« i„ l^pz!,,. Besonders empsehlenswcrthe Werte theils siir die Mycnd, — theils für Grmachftnc. Vnlllgllllil G, Smf's Buchhandlung lnTeisijig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. Ländergeschichte. I>r. A. Geitzler's Ttteltgcschichte der alten - mittleren — neueren — und neuesten Zcit. In biographischer Form. :? Vände. Neue elegante Ausgabe. 1805. 2 Thaler. Dasselbe Wert in :i elegante Halbfrzbändc gebunden 2 Thlr. 2l» Ngr. Geschichte von Belgien. Von Hcndrik ^' onscicncc. Mit Stahl- stich: Leopold I. Elegante Ausgabe. 1W5. l Thaler. Geschichte Dänemarks bis aus die neueste Ielt. Von F. A. Al lcn. ^iit dcm Portrait ^bristian'ö lV, nach K. v. 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Geschichte Italiens. And dcm Englischen dcS R. H. Wright son. Mit dcm Portrait Pills IX. Mi',. 1 Thaler. Aus dem sseldlasser in der Krim. Briefe des Timeßcorrespon- dcntcl, W. Russell. Deutsch bearbeitet von Iul. Scybt. Neue sehr elegante Ausgabe. 1805. 1 Thaler. Geschichte der Kalifen. Vom Tode Mohamcd's bis zum Einfall in Spanien. Von Washington I r vi n a.. Ncuc sehr elegante Allsgabc. 180.',. 1 Thaler. Garibaldi's Feldzug in beiden Sicilien. Vcricht eines Augenzeugen, Von Cap. Forbes. Deutsch von I. Scybt. Ncue elegante Ausgabe. 1805. V« Thaler. Das Türkische Reich in historisch-statistischen Schilder«na.en von Molbech, Chcsncy und Michclscn. 1805. 1 Thaler. Biographie Attila und seine Nachfolger. Von A med^'c Thlerry. Deutsch von l)r. Ed. Burckhardt. Neue sehr elegante Ausgabe in 2 Bänden. 1800. 1 Thaler l(> Ngr. Geschichte Karl's des Großen. Von Ioh. ssr. Schrd der. Mit dem Portrait Karl'ö dcö Großen nach Albrecht Durcr. 3t cue sehr elegante Ausgabe. 1807,. 1 Thaler. Geschichte Kaiser Maximilian's». Von Karl Haltaus. Mit dcm Portrait Maximilian's nach Albrecht DNrcr. Neue elegante Ausgabe. 1805. 1 Thaler. Johann Hutz und das <5oneil zu rim>'c. Mit dcm Portrait Pctcr's nachA. Carniccro. Neue schr elegante Ausgahc. 18l^>. 1 Thaler. Geschichte Franz Tforza's und der italienischen ^ondottieri. Von Nr. Hr. Steger. Mit dcm Portrait Sforza's. Neue schr elegante Ausgabe. 1805). 1 Thaler. Leben Lorenzo de' Medici genannt der Prächtige. Von Will. Noscoc, Dcutsch von ^rdr. Spiclhagcn. Mit dem Portrait Lorenzo's. Ncuc schr clcgante Ausgabe. 1805». V, Thaler. Geschichte Peter's des Großen, Von Eduard Pelz sTrcumund Wclp). Mit dcm Portrait Pctcr's nach Lc Noy. Ätcuc elegante Ausgabe. I8s,5. i Thaler. Geschichte des .Baisers Nikolaus I. Vom Wrafcn de Beaumont-^assy. Mit dem Portrait Nikolaus', gestochen von Wcgcr. Ätcue sehr eicganrc Auögabe. l8<»f'>. l Thaler. Der falsche Demetrius. Von Prosper M<5ri ml». 1 Thaler. Das Leben Mohamed's. Von Washington Irving. Mit dcm Titelbild Mohamcd's. Elegante Ausgabe. I8M. 1 Thaler. Die Venründer der französischen Staatseinheit. — Der Abt Suger. — Ludwig der Heilige. — Ludwig XI. — Heinrich lV. — Richelieu. — Mazarin. — Vom Grafen L. dc Carnc!. Deutsch von I. Scybt. Neue elegante Ausgabe. 18«li. 1 Thaler. Länder- und Völkerkunde. Drei Reisen um die Welt. Von James Cook. Neu bearbeitet von ssr. Steg er. Neue elegante Ausgabe. I8l'>5. 1 Thaler. Eine Weltumseaelnnn mit der schwedischen Kricgsfrcgattc „Eugenic." Von N. I. Andersson. Deutsch von Kannegießer. Vlcuc elegante Allsgabe. 18l!5. 1 Thaler. Die Krim und Odessa. Reise-Erinnerungen von Prof. Dr. Karl Koch. Neue elegante Ausgabe. !8<',li. 1 Thaler. Tiid-Nutzland und die Donauländer. Von 3 Oliv hant, Shirley Brooks. Patrik O'Vricn und W. Smyth. Neue elegante Ausgabe. 1800. 1 Thaler. Neise-Erinnerungen aus Sibirien von Prof. Dr Christoph Hanstcen. Deutsch von D>-. H. Sebald. Neue elegante Ailsgabc. 180N. 1 Thaler. Die Kaukasischen Länder und Armenien. Von Cu rzon, Koch, Macintosh. Spencer und Wilbraham. Neue elegante Ausgabe. 18l>5. l Thaler. Wanderungen durch die Mongolei nach Thibet von Huc und Gäbet. Deutsch ! von Karl Andrcc. 1800. 1 Thaler. Wanderungen durch das chinesische Neich von H uc und Gab et. In deutscher Bearbeitung von K, Andrec. >800. 1 Thaler. Mungo Part's Reisen in Afrika von der Westküste zum Niger. Ncu bearbeitet v. Dr. ssr. Steg er, Elegante Ausgabe. 1800. 1 Thlr. Die afrikanische Wüste und das Land der Schwarzen am obern Nil. Vom Grafen d'Escayrac dc Lauture. Neue elegante Ausgabe. 1800. 1 Thaler. 4 Länder- und Völkerkunde. Siidasritlt und Madagaskar geschildert durch die neuen Eut- dcclunOrciscndcn namentlich Livingstone und Ellis. Neue elegante Allsgabe. 18s>',. l Thaler. Weft^lfrita. Seine Geschichte, seine Zustände und seine Aussichten. Von I. Brighton Wilson. Elegante AuSgabc. !W5,, l Thaler. Tie Ostsee und ihre Küstenländer. Geographisch, naturwisscn- schaftlich und historisch, geschildert von A< von Etzcl. Neue elegante Ausgabe. l8s,.">. l Thaler 10 Mr. Reisen im Nordpolmeere von ss. Elisha Kent Kane. Ucbers. von I, Seybt. Neue elegante Ausgabe. 18«,5,. 1 Thaler. Manderunnen durch Teras und im mexikanischen Grcn^lande. Aus dem (Englischen des ss. ^. O l mftcd. Elegante Ausgabe, l^iti. I Thlr. Buenos-Ayres und die Argentinischen Staaten. Nach den neuesten Duellen, Herausgegeben von .^arl Andrcc. Neue elegante Ausgabe. 1^»<». I Thaler. <5entral-A»nerita sHonduras, Sau Salvador und die MMitoküftc.) Von Squic r. Deutscl) bemusgegeben von K a r l Andre e. Neue clcgautc Allsgabc. l^<»,',. 1 Thaler. Wanderungen durch Australien Von Oberstlieutenant (5harles Mundy. Deutsch bearbeitet von Friedrich Gcrstäckcr. Ncuc elegante Ausgabe. 1^><>. l Thaler. Iwci Nciscn in Peru. Gegenwärtiger Aufschwung und Zukunft dieses Landes nach den neuesten ssntdeclungcn geschildert von Clemens N. Mark ham. itt<:.'». Preis i Thaler. 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Das Nibelungenlied und die altgcrmanische Volkssagc mit Anmerkungen und ausführlicher Inhaltsangabc. Neue elegante Ausgabe. 18l n in Leipzig,