j/yaZj;^. AemilM» in Afrika. Vierter Theil. jr *-f In Mlscrm Verlag erscheinen: Carl Julius Weber's sämmtliche Werke. In Lieferungen von 6 Vogcn. 6 gr. — oder 24 kr. rhein. Unter den Schriftstellern Deutschlands, welche selbst trockene Materie^ mit <^M^>M^^^»«^ der Darstellung, ernsthafte AngelegenlMenv^^e^^ mit eben so geistreichem und feinew, als schlagendem, dabei gutmüthigem und von aller Partheigchässigkeit fern sich haltenden Wi^K pr bchemvLln^lnd cmc reiche Gelehrsamkeit zuMMMMDMDMte dcr Nation zu verwenden gewußt haben, steht der leider allzu frühe verblichene Weber in vorderster Reihe. Eine Menge der in verschiedenartigstem Sinne sich aus-sprechcnden Kritiker und ein zahlreiches Publikum von allen Farben und Meinungen habcn darüber hinlänglich sich ausgesprochen. Webers Werke Hd: -G^Geschichte der Mdncherei. ^,,VHnde. ^) DiltzMittevwrsen. 3 Baude. 3) Das Papstthum und, die Piipste. .'l Bände. 4) DeH^HIMHeMWDM eines in Deutschland ^Wenden Kempen. 4 Väude 5) Dcmokrytos, oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen, t»^ Gesanunelto kleine Schriften. Semilasso in Afrika (Semilassos vorletzter Weltgang, ll. Th. 'ite Abth.) Semilasso l N A f V i l a. Vierter Theil. Reife ins Innere des Königreichs Tnnis. 8ainvai») lioruml) 8 fax, 8u8». Aus dcn Papieren dcs Verstorbenen. Hiezu die Abbildung: Nnklmft beint Snuwan. Ml t Königl. Württemb. PliviIeglll m. Stuttgart. Hallbcrgcr' schc Vcrla gshandlung. 18 3 6. I n h a l t s - li c r z c i cl) tt i l's zum vierten Thcil. Ne « nter Brief. Seite 1. Ncise in das Innere von Afrika. Ein schreibender Reisender ist ein nützlicher Diener des Publikums. Eigenthümlicher Kutschersitz. Glanzvolle Suite. Das Schloß ilinminUu. Prachtvoller Aquäduct. Ruinen von Ml.i.m. GroßartM Cisternm. Einer der VI vornehmsten Ställe der Welt. Das Amphitheater. Unterirdischer Gang. Zwangsitzung in den Souterains der Akropolis. Episoden: die Pest; der Traum, und eine politisch seyn sollende Hasenjagd, die mit einem Walzer auf der Straße endet. Verg 8ain?»n; Stadt 8liuwa,i. Mildes Loos der Sklaven im Königreich Tunis. Tunesische Schweiz. Ruinen eines römischen Tempels. Merkwürdig gestalteter Felsen. Fruchtbarkeit der Gärten. Landübel: Ameisen, Fliegen und Mücken. Probates Mittel gegen den Mückenstich; ein Kammerjungfernrath. Erste Ersteigung des 8uu^v!iu. Der deutsche Mameluck. Grausames Raffinement eines O^ä auf das Vermögen eines unglücklichen Vaters. Das zwölf Jahr im Mutterleibe schlafende Kind. Zweite Besteigung des 8lu»wi,1,k wird der Eintritt in das Innere dcr VIII Moschee gestattet. Das Schwindel erregende Säulen--zählen. Der heilige Herr ^lm^t der Grüne. Die orei drohenden Zaubersäulen. Das Allcrheiligstc. Neliquiencabinet. Gefahrvolles Stufenzählen. ^ un santa »l1e8«c,. Koriian's Ntthm: Heiligkeit Nttd Schuster. Probate Medicin: Wein für den Herrn — Rum für den Diener. Nadicalc Schnupfcncur. Einziges Mittel, sich als Christ den Weg in cine Moschee zu bahnen. Gewohnheit macht Alles erträglich, selbst die Flöhe. Natürliche Trugbilder. Großes Zeltdorf. Unentbehrlichtcit des Ungeziefers in der Welt. 151 v«c!,omm. Die Ruinen des Amphitheaters. Unduldsamkeit der Eingebornen gegen christliche Besucher. Alterthümliches, ^uliiä »iäi Ilil««l!!! ^0» ^l.^el^ eine Freistätte für Verbrecher. Arabische Gewandtheit, die Fehlgehenden auf den rechten Weg zurückzuführen. Zwei grosie römische Cistcrnen in dcn Ruinen von <,!«»u^u. Melancholischer (lparaltcr dcr Gegend zwischen kci/uu,!» und,^l'llx. Gigantische Taranteln. Dreschen mit dem Triumvf-wagcn. Aufenthalt in 8sl«. Ueppige Vegetation der sandigen Landschaft zwischen 8lax und 8u8». Hcrr Guetta. Herr Vlanchenay. Der marokkanische Prinz und der Oä'i'li. Große Fischerei im Meere. Französische Zeitungen in 8lax. Englische Recension eines deutschen Buches mit einem italiänischen Titrl. Vier Unglücksfälle auf der Tour nach 8n«n. Ruinen von Ii»«oI»Ml». Genrebild bcS Nachtblvouat'S in v^ciielndilma. Die schlau im Zaum gehaltene aufrührerische Eskorte. 8ei,«blin's Trümmer. Diabolische Mahlzeit. Ruinen von Hkula. Merkwürdiger Brunnen. Ueberrcfte eines großen uralten Schlosses. Verbindlicher Empfang bei Herrn Ionquicr in NIell'ia. Christen dürfen hier zu Lande eigenthümlich kein Grundstüä besitzen. Vorzüge des llolce lnr nicnto vor dem Arbeiten. Oelbau. Mccrtaufe von zwei Kammerhcrrn durch Don Pedro. Eine reizende schwarz angestrichene Pariserin. Galgenähnlichc Schlauchpumpen. Nachzuahmende Feld - und Garten-bewässcrungsanstaltcn. Klon»8t6r. Herr Nosso. Seltsam geformte Sandsteinfclscn im Meere. 81,5.-,. Herr Manictto. Heimwehseufzcr. Vom Himmel gefallene Mauern. Deutscher Besuch aus Jerusalem. Was soll auf Erden der noch nicht erschienene Iudcn-messias ausrichten? Naive Definition cweS jeden Neligionsstreites. Ibrahim, Beförderer der Aufklärung zu Jerusalem. Thunfischerci am (^p Xedid, <^i,p i»un und in N2 krönen, in die weite und leere Ebene von Min,ä«8 hineinzogen, dicht unter uns den See, in den dcr Fcucrball dcr Sonne eben hinabsank, und vor uns in dämmernder Ferne den majestätischen RmivvNii, als Ziel der ersten Hanptabtheilung unserer Reift — da wandelte mich, trotz Krankheit und Entkräftung, ein Gefühl süßer wohlthuender Melancholie an: das menschliche Bewußtseyn einer hohem als irdischen Stellung zu den Dingen um mich her, und cincr geistigen Gesundheit, die — bis auf einen gewissen Grad wenigstens — den Körper zu besiegen fähig ist. Es war jetzt dunkle Nacht geworden. Bei brennenden Kalkdscn vorüber, zwischen deren Flam-men mehrere geschäftige schwarze Gestalten sichtbar wurden, ritten wir in die grcll weißen, crcnc-lirten Thore des Schlosses von Ilammliia, einem Landsitz des gestürzten Sapatapa, ein.'") Sehr angegriffen und von der empfindlichen Nachtkälte schauernd, eilte ich sogleich nach der mir bereiteten Schlafstube, ein hohes gewölbtes Zimmer mit einem einzigen Fenster, in dem kein Glas war, und wo der heftige Wind ungestört hmcinblics, um eine Ruhe zu suchen, die ich nicht fand; denn ein heftiges Fieber quälte mich vis zum andern Morgen. Doch war mir diese Krise zum Hcil, wenigstens schreibe ich ihr cs zu, dasi von diesem Augenblick an, ungeachtet der vielen Veschwcr- *) Das Schloß heißt eigentlich M,l,ammelUll, die Araber kürzen aber viele Wörter ab, welches noch mehr Verwirrung bci den Namen hervorbringt, welche, nach dem Ton der Aussprache, fast jeder Reisende verschieden anssicbt. lichkciten dcr Reife, meine Gesundheit sich täglich verbesserte. Es war allerlei in Tunis vergessen worden, welches durch cincn Voten geholt werden mußte, und ich sah mich deshalb genöthigt, cincn Tag hier zn verweilen. Indesscn richtete ich mich nun in dem obern Theile des Schlosses, und in des Besitzers eigenen Zimmern, besser cin, wo cs mir an nichts mehr in dieser Hinsicht schltc; glücklicherweise fand ich sie auch so reinlich und luftig gehalten, daß sich weder Flöhe noch Muskito's daselbst eingenistet hatten. Im Ucbrigcn mußte man sich freilich behelfen, da kaum die geringsten Nahrungsmittel, nicht einmal Eier aufzutrciben waren. Das Schloß ist groß und elegant, mit hübschen Zimmern und bunten Galerien versehen, und dic Aussicht von dcr Terrasse, obgleich in dem- geschilderten öden Charakter, ebenfalls nicht ohne Interesse. Die Sonne blendete aber dergestalt auf dem frischen, weißen Anstrich, daß ich cs nicht O auszuhalten vermochte, und mich zum erstenmal cincr blaucu Praservationsbrille, dic Frcmdcu hicr uicht genug zu empfehlen ist, bedienen mußte. Die wcitläuftigcu Gärten sind sehr vcrnachläßigt, doch entdeckte ich darin cm Boskett von blühenden Granaten, umgeben von colossalen Feigenbäumen, unter deren dichtem Schattendach ich es so kühl und anmuthig wie in cincr Grotte fand. Die Neger, welche diese Garten besorgen, wohnen daneben in wahren Hundcställen, kleine von rohen Steinen aufgckastctc Räume, in denen sich dic großen starken Leutc nicht einmal ausstrecken können. Zwischen diesen Hütten hatten sie Stricke gezogen, welche mit Streifen von in der Sonne getrocknetem, stcinhartcn Hammelfleisch, in langen Reihen behängen warcu, Es scheint, daß dies, mit einigen Früchten, ihre einzige Nahrung ausmacht, aber ungeachtet dieses thierischen Elends sahcu sie wohl aus, und warcu sogar voller Lustigkeit, welche bei meinem Weggehen einige ihnen gegebene Piasicr zu lautem Lachen und Jubel steigerte. Früh um fünf Uhr am andern Morgen ver> lieben wir Ilmninliia. Es war heiß, aber die Luft noch immcr durch einen kühlen Wind geliu? dc,'l. Uuscr Weg führte durch eine weite hügcliche Ebene, und bald crblicktm wir von fern einen mir noch unbekannten Thcil des prachtvollen Aqua-ducts, der, an dieser Stcllc noch großenthcils erhallen, den niedrigsten Theil der Plainc wohl eine Stnndc weit durchschneidet. Auch hier hatte ich wieder Gelegenheit, mich in meiner Meinung zu bestärken, daß diese Wasserleitung gewiß ursprünglich von den Carthagcrn herrührt, uud von den Nomcrn mir, zu irgend cincr spätern Zcit, cinc oder mehrere Hauptreparaturcu damit vorgenommen worden sind; was zugleich vollständig den Umstand erklären würde, den Herr Falbe in Betreff der Medaillen des ßoptimiu» l8ovol-u» und Ouraoalla, anführt, mit der Legende: Inlwi-AOUtia ^,iKU8wl'UlN iu ^arllmK-illom, auf deren Rückseite ^»lurto auf ciucm Löwen sitzt, der über ciue, aus dem Felsen sprudelnde Qnclle springt. 14 Dcnn diese Medaillen tonnen ebcn so gut die Reparatur, als das neue Wcrk andeuten. Ucbcrall zeichnen sich deutlich die cinge schoben en Bauten durch ganz verschiedenen Styl aus, in derselben Art, wie Sic in einem mciucr früher Ihnen mitgetheilten Briefe die Beschreibung davon schon gelesen haben werden. Besonders auffallend isi dies da, wo der Aquaduct übcr das tieft Bett Illlinio^a - o! - 'l'ainil'Ä, in zwei Vogcnrcihen über einander führt, die zusammen wohl über 80 Fuß hoch, und offenbar gmiz aus römischer Zeit sind. Von hier aus werden an bciden Enden der langen Linie die Bogen nach und uach immer niedriger, bis sich zuletzt der Wassercaual iu die uebensichcndcn Hügel verliert und unterirdisch weiter geht, wo cr an vielen Orten noch sehr deutlich zu verfolgen ist. Man muß gestehen, daß unsere heutigen Regierungen die Mittel zur Unternehmung solcher Riesenwerke kaum mehr besitzen, die um so unbegreiflicher wcrdeu, da man die Steine an vielen Orten aus bedeutender Weite herbeischaffen musitc. l2 Nur einige Canäle und Eisenbahnen in England und Amerika sind damit, hinsichtlich der Kosten, zu vergleichen, aber keineswegs hinsichtlich der Munifiecnz; denn diese Werke ersetzen das darauf gewendete Capital durch vcrhältnißmaßigc Interessen und große Belebung des Handels, während hier doch im Grunde nur, um einer Stadt, die für das Nöthige schon mit Cisierncn hinlänglich versehen war (wie auch jetzt das große Tunis nur von Regcnwasser seinen ganzen Bedarf erhält) frisches Qucllwasser zu verschaffen — ein solcher Wundcrbau durch Berge und übcr Thäler zwdlf deutsche Meilen weit geführt wurde! In einer Stunde erreichten wir die Hügel, auf dcucn, beinahe im Umfange einer deutschen Meile, die, Ruinen von Ullnna zerstrcnt liegen. Es ist auffallend, daß 8Iia^v in seiner sonst, Alterthümer betreffend, so sorgfältigen Relation vom Königreich Tunis, dieser Ruinen gar nicht gedenkt, welche doch an malerischer Schönheit nnd Menge der Ucbcrrcsie, sowohl dic von Charthago als Utica 13 übertreffe,,. Besonders gewähren die hiesigen Cisternen, welche ein regelmäßiges Viereck bilden, und fast noch ganz erhallen sind, einen großartigen Anblick. Es sind deren sechs nebeneinander, von t-ii-c» 100 Fnsi Länge, 18 Fuß Breite und 30 bis ^0 Fnß Höhe; zwei andere sind an den beiden Enden c,ner vorgebaut, wodurch das gleichseitige Viereck des Ganzen formirt wird. Alle commu-nicircn miteinander dnrch verschiedene Reihen of-sencr Bögen, so daß wir, ohne cm ciuzigsmal abzusteigen, sie nach allen Richtungen durchreiten konnten. Wir fanden sie mit mehreren hundert Stücken Vieh, Camcclen, Pferden, Kühen und Ziegen der Beduinen angefüllt, die sich rühmen können, hier einen der vornehmsten Ställc dct Welt zu besitzen, welcher überdies den Vortheil hat, eben so kühl im Sommer, als warm im Winter zu seyn. Fast wäre jedoch dieser selbe Umsiaud Schuld daran gewesen, daß wir die Cistcrncn gar nickt zu sehen bekommen hatten. Obgleich ich iu Tunis genau von ihrem Daseyn <4 unterrichtet worden war, so kannte sic jedoch keiner meiner Begleiter, und die Beduinen, welche wir als Führer an Ort nnd Stellt reqnirirt hatten, leugneten hartnäckig, etwas davon zu wissen. Endlich fiel mir ein, daß sie ohne Zweifel ihr Vieh darin versteckt haben würden, nnd sich jetzt scheuten, es vor meinen beiden Türken und den Ilainbi schcn zu lassen; ich eilte daher, sie vollständig über diesen Punct zu beruhigen, und sogleich erwiederten sie, schlau lächelnd, wie unsere eben so argwöhnischen Wenden bei ähnlichen Ge-legcnhcitcu zu thun Pflegen, daß sie jetzt erst genau verstünden, was wir wollten, und uns ohne Verzug an den verlangten Ort bringen würden. Dabei ergab sich nun, daß die bisher unsichtbar gewordenen Cisterncn ganz in unserer Nähe und unmittelbar neben ihren Hütten sich befanden, obgleich sie uns vorher, immer vergeblich suchend, eine Stunde lang der Kreuz und Quer umhergezogen hatten. Doch war dabei nichts verloren worden, denn überall fanden wir die interessante- !5 stcn Uebcrrestc großer, üdcr einander gestürzter Tempel, Brücken und anderer Gebäude. Von dcm forum steht noch eine Reihe von sieben hohen Pfeilern, mit dem untern Theile der meisten seiner Umfangsmancrn, und einigen Stufen der breiten Treppe, die hinanführte. Sehr zog mich das Amphitheater an, das anf der Spitze eines ansehnlichen Hügels, in diesem, so zu sagen, eingelassen ist, so dast die vier Eingänge durch den Berg führten. Eben, als wir, am obern Rande stehend, hinabschauten, und zu ermitteln suchten, wic viel Menschen cs wohl habc fassen können, lngte vorsichtig aus einem der erwähnten Eingänge ein wohlgenährter Rciuccke hervor, erblickte uns jetzt, stutzte, und sprang in der Verlegenheit eilig auf den Resten der zerbrochenen Stufen gegenüber hinan, um uns zn cntflichn. Hier scheuchte er cinc kleinc Eule auf, die vom Tageslicht geblendet, und irre, geführt, ihren Flug grade auf uns zu nahm, wo sie auch Herr I.... sogleich mit gcübter Hand erlegte. Mitten zwischen den Trümmern cincs andern schr großen Gebäudes zeigten uns die Vednincn eine schmale, dunklc Ocssnung im Boden, und behaupteten, dics sey der Anfang eines unter dcr Erdc fortlaufenden Ganges, dcr znm Ilninwam-Iioh vier Stunden wcit von hier, führe. I..., kroch hinein, sprang ziemlich tief hinab, und fand cin geräumiges Gewölbe; da wir aber wcdct' Laterne noch Fackeln bei uns hatten, und dle Beduinen nns nichts dergleichen liefern konnten> auch unsere Zeit zu cincr so langen Erpedilivü nicht ausgereicht haben würde, so musitcn wir die weitere Untersuchung aufgeben. Nachdem wir noch mehrere Stcinhanfen durchklettert, begaben wir uns nach dem größten nnd wohlcrhaltcnsicn Theil der Ruinen, einst die At'ropolis, die auf der höchsten Spitze dcr Gegend thront, mit einem Blick den ganzen Schauplatz übersehen läßt, und deren geräumige Souterrains uns, obgleich sie mit Schutt und trockenem Kuhdüngcr angefüllt waren, dennoch während dcr gewaltigen Mittagshitzc cin sehr °H5 willkommenes und kühles Obdach gaben. Wir, auf unsre Teppiche gelagert, die Pferde und Esel iu den tiefen Blenden angebunden, Korbe, Cantinen und Wafferkrügc zwischen die kühlen, umherliegenden Steine gestellt. Alles fand hier hinlänglichen Platz, und der unterirdische Bivouak, von wenigen Sonnenstrahlen erleuchtet, die sich durch die schmalen Risse der Decke hindurch drängten, war so romantisch, als man sich ihn nur wünschen konnte. Da nun der Mameluck uns zugleich erklärte, daß wir hier wenigstens drei Sttmdcn verweilen müßten, weil wahrend dieser Zeit die Pferde im Freien zu furchtbar von dey^ Fliegen gequält würden — und iu der That hatten wir schon vorher ganze Stellen auf den armen Thieren durch Hunderte dieses Ungeziefers überzogen gesehen, wahrend das Vlut, wie bci einem Aderlaß, an ihren Gliedern herabrann — so kamen wir auf den Einfall, uns wahrend des Frühstücks die Zeit mit Erzählen zu vertreiben. Icder sollte etwas aus seinem Leben zum Besten Semilasso in Afrika. IV. s l8 geben, und den Obersten traf das Loos, den Anfang zu machen. Ohne sich lange zu besinnen, begann er mit folgenden Worten: Ich bittc zuvörderst, das, was ich Ihnen mittheilen werde, nicht als meine eigene Geschichte, sondern als die cincs Freundes anzusehen, der mit mir zugleich in die hiesigen Dienste getreten ist. Nur der Bequemlichkeit des Erzählens wegen gestatte ich mir, in der ersten Person und in seinem Namen zu sprechen. Die Pest. Wenn sie im Verfolg der etwas ungewöhnlichen Begebenheiten, dic ich anf Ihr Verlangen wieder hervorrufe, finden sollten, daß ich mich mehr als billig zum Aberglauben hinneige, so ist es mir zu verzeihen, da ich durch manches Erlebte vom Schicksal gewissermaßen darauf hingewiesen worden bin, und, schon ehe ich geboren rvard, ein seltsamer und schwer durch die uns bekannten Einwirkungen der Natur zu erklärender 19 Umstand, vielleicht dcn Grund zu meinem eigenen Daseyn, jedenfalls aber dcn zum früheren Flor unserer Familie gab. Diese von hoher, ja königlicher Abstammung, war dennoch im Lauf der Zeiten durch mancherlei Unglücksfalle verarmt, und mcin Urgroßvater mit mehreren unversorgte» Kindern endlich in eine so bedrängte Lagc gekommen, daß er nur mit immer tieferem Kummer -mit immer ängstlicherer Vcsorgnisi cinc drohende Zukunft für sich und die Scinigcn herannahen sah, der zu entgehen er kein Mittel mehr wusite; was in jener Zeit, wo strengere Vorurtheile den Adel von so manchem Erwcrbzwcigc ausschlössen, und dcn Töchtern keine klosalliaiico gestatteten, noch weit schwieriger als heut zu Tage war. Einst, als er nach einer schlaflosen Nacht, in dcr peinigende Gedanken dieser Art ihn mehr als je aufgeregt hatten, gegen Morgen in einen unruhigen Schlummer verfallen war, schien es ihm, als werde er plötzlich durch ein heftiges Aufsiosieu stincr Thür geweckt. Er richtete sich empor, und erblickte 30 einen ehrwürdig aussehenden Mann mit langem weißen Bart, in fremdartiger, prachtvoller Kleidung, der sich langsam sciuem Bette näherte. Der Starost wollte aufspringen, doch der Fremde winkte ihm mit der Hand, über welcher an seinem halbnackten Arme ein reich mit Rubinen besetztes goldncs Armband glänzte, freundlich lächelnd zu; so, als wolle er ihm zu verstehen geben, daß er sich in seiner Rnhc nicht stören zu lassen brauche. Hierauf überreichte er ihm schweigend ein vcrgclb-tes Pergament, und bedeutete ihn mit einem ausdrucksvollen und lebhaften Zeichen, die darauf befindlichen Zeilen zu lesen. Mein Acltervatcr, obgleich höchst verwundert, schickte sich doch sogleich an, der Weisung zu folgen, und dechiffrirte mit Mühe in veralteter polnischer Sprache die Worte: «Grabe unter der großen Linde im Hofe, drei Fuß rechts von ihrem Stamme, dem rechten Schloßflügel gegenüber, nach, und alle deine Noth wird enden!" Als er, ungewiß ob er wache oder träume. wicdcr aufblickte, war dcr Fremde, wie das Per-gamcnt verschwunden. Eine unüberwindliche Neigung zum Schlaft schloß von Neuem scinc Augen, doch bcim späten Erwachen blieb das Andenken dcr Erscheinung ihm anfs deutlichste eingeprägt. In andern Verhältnissen würde er höchst wahrscheinlich das Ganze für eine bloße Tauschung des neckenden Traumgottes angesehen, und kaum ernstlich beachtet haben, jetzt hielt er es für seine Pflicht, obgleich mit wenig Hoffnung eines günstigen Erfolgs, auch selbst das Wunderbare und Unbegreifliche, da wo es ihm Rettung verspräche, nicht leichtsinnig von dcr Hand zu weisen. Er ging also, sich herzhaft über die Lächerlichkeit hinwegsetzend, die das Mißlingen eines solchen Unternehmens immer in seinem Gefolge hat, mit zwei vertrauten Dienern in dcr nächsten Nacht ans Werk. Eine einzelne Fackel erleuchtete, wie unsere sorgsam aufgezeichnete Hauschronik erzählt, düster den Hof, schien aber hell und klar anf den bezeichneten Fleck. Die Sommernacht war ungc- 82 mcin schön und rnhig, und der Duft dcr blühenden Schlosilindc erfüllte wcit umher die Luft mit süßem Wohlgernch. Nor cin leiser Zephyr säuselte gehcimnißvoll in den Blättern, und mcin Ahnherr, der, halb zweifelnd halb glaubend, von den gemischtesten Gefühlen bestürmt ward, ergriff mit klopfendem Herzen das Handwerkzcng, und warf selbst die crsic Schaufel Erde aus. Zwei Stunden lang blieb dic angestrengte Arbeit ohne Erfolg, doch in dcr dritten siicß man auf cm klciucs Gewölbe, das auf allen Seiten vermauert, keine Art von Eingang zcigtc. Nur mit großer Mühe gelang cs, dasselbe aufzubrechen — aber nie ward wohl gläubige Arbeit auf irdische Weist glänzender belohnt. Dic Reichthümer, welche man fand, überstiegen die kühnste Erwartung. Sie schicncu aus den ältesten Zeiten herzurühren, und sollen über 300,000 Ducatcn an Werth betragen haben, für damals cinc doppelt beträchtliche Summe. Dcr Schatz bestand zum Theil aus kostbarem Geschirre aller Art, vielerlei Geschmeide, unter dem ll3 wein Acltcrvater deutlich das Armband wiedererkannte, welches der gespenstische Bote der Nacht an seinem bloßen Arme trng, vorzüglich aber ans einem schweren, mit vielen rohen, nicht geschliffenen Edelsteinen besetzten Thi'onc ans gediegenem Golde, von dem auch das abgeschlagene Stück eines Fußes, beim Ansbrnch unserer Revolution, in dem Familienarchivc vorhanden war, wo man cs vom Anbeginn, zur Erinnerung der wunderbaren Begebenheit, aufbewahrt hatte. In Folge dieses glücklichen Ereiguisses umgab nun bald cin neucr, solider Wohlstand uuscr Haus; da aber zugleich mit dem erlangten Vermögen cinc außerordentliche Fruchtbarkeit sich bci der Familie cingefundcn hatte, so war durch fortwährende unpolitische Theilungen, zur Zeit meines Vaters, schon mchr als die Hälfte jener leicht errungenen Schätze wieder geschmolzen. Den fünf Kindern, die er selbst erzeugt, stand ciuc neue Theilung bevor, doch auffallenderwcise starben noch in zarter Jugend allc meine Geschwister an ver- 24 schicdcncn Kinderkrankheiten, und bei dem Tode mciucs Vaters blicb ich daher sein einziger Erbe. Auf seinem Sterbebette überreichte er mir, nachdem or alle seine Umstände klar ans einander gesetzt, und mich, der das Geld nie besonders achtete, dringend zur Sparsamkeit und Ordnung crmahnt, zuletzt noch einen versiegelten Brief, und fügte mit tiefer Rührung die Bitte hinzu, dieses Schreiben nur dann zu öffnen, wenn ich, was Gott verhüten möge, durch irgend einen Zufall einst in gleiche Bcdrangnisi, wie früher unser Ahnherr, gerathen sollte. Mit dicscu Worten und scincm Segen auf den zitternden Lippen verschied cr. Viele, zum Theil verwickelte Geschäfte, die mein Vater zurückgelassen, absorbirteu lange alle mcinc Zeit. Während ich in dieser Epoche einmal einen Haufen alter Papiere durchsah, und »och unentsn-gclte Briefe öffnete, erbrach ich in der Icrstrcnuug auch den meines Vaters, den ich unglücklicherweise in demselben Fach verwahrt hatte, und Mrdc nicht eher meinen Irrthum 25 gewahr, als bis ich die wenigen, mir ganz unverständlichen Worte gelesen hatte, dic cr enthielt. Es stand nichts weiter darin, als der biblische Spruch: Suchet, so werdet ihr finden. Unten befand sich ein kleines Siegel, anf dem ein Schlüssel von einem Blumenkranz umgeben, schön gestochen, ausgedrückt war. Ost dachte ich über die Meinung dieser Worte angestrengt nach, da ich aber durchaus keine Aufklärung ihres Bezugs auf mich ausfindig mache» konnte, lcgtc ich zuletzt das Blatt zu den übrigen meiner wichtigsten Papiere, und als mich bald nachher ein buntes Leben nach ganz andern Richtungen fortriß, entschwand der Umstand fast gänzlich meiner Erinnerung. Ich war damals jung, gesund und lebenslustig, besaß, ohne grade ein Crosus zu seyn, doch cin höchst anständiges Auskommen, und fand mich nut diesem sorgenfrei und unabhängig wie der Vogel in den Lüften, dem die ganze Erde zu Gebot zu stehen scheint. Vielleicht kann man nie glücklicher situirt seyn; nichts war übermäßig, alles 26 hinlänglich, und meine Lage cin ächtes i'usw mi-liou. Leider muß ich mir ewig vorwerfen, es nicht verstanden zu haben, mir cin so großes Gnt dauernd zn erhalten. Jugend hat nicht Tugend, sagt das Sprichwort; oft möchte man es umkehren und sagen: Jugend hat zu viel Tugend — deshalb, weil sie gläubig und zutrancnsvoll ist, die Folge noch mangelnder Erfahrung. So kam auch ich auf die gewöhnlichste und prosaischeste Weist um das Mcintge. Einen Theil borgten mir meine besten Freunde ab, ohne je an die Wiedcrbezahlnng zu denken; um cincn andern betrog man mich im Spiel; Befriedigung thörichter Eitelkeit raubte das Meiste, und die Weiber nahmen den Rest. Mit den Details der verschiedenen Begebenheiten und der hundert Avantürcn, welche dieses traurige Resultat in der Reihe verschiedener lustiger Jahre herbeiführten, will ich Sie nicht belästigen. Nur cincr in dieser Zeit gemachten Bekanntschaft, N'clchc noch zuletzt am bedeutendsten znm Nui» meines Vermögens beitrug, muß ich ausführlich 27 erwähnen. Ich war in russische Militairdienste getreten, und stand seit cinigcr Zeit in dem gast? srcicn und prächtigen Moskau in Garnison, wo ich mttcr mcincn Rcgimcntscamaradcn besonders mit zwei Brüdern Paul und Peter Vachmctiess mich inniger als mit den andern verband. Eines Tages führte mich Paul bei einer jener merkwürdigen Zigcuncrmädchcn cin, deren Grazie, Liebreiz, und unwidcrsichlichc Anziehungskraft nur die zu bcunhcilen im Staude sind, die ihres GIcichcu in Moskau gesehn, wo sie schon oft die Sohne der ersten Familien so tief in ihr Nctz verstrickten, daß sie nicht nur Geld und Gut ihrer Anbeter sich zuzueignen, sondern selbst in manchen Fallen sie zu einer legitimen Ehe zu bewegen wusitcn. Das verführerische Geschöpf, von dem hier die Rede ist, war vor einem Jahre mit einer Tänzer- und Sängcrtruppc ihrer uns noch immer so unbekannten Nation hier angekommen, hatte sich aber, als jene Leute die Stadt wieder verließen, von ihnen getrennt, nud eine einsame Wohnung bezogen, wo sie von geschmackvollen: Lurus umgeben, und ihre Gesellschaft sorgfältig wählend, cm ziemlich rath-sclhaftcs Lcbcn führte. Gleich im Anfang hatte sich das Gerücht über sie verbreitet, sie sey keine geborene Zigeunerin, sondern ein geraubtes Kind, und sonderbare Umstände sollten mit ihrer Geschichte verwebt seyn, über die sie selbst jedoch, stets ein tiefes Stillschweigen beobachtete. Demohngeachtct übertraf sie alle ihre Gefährtinnen in den Ge-schicklichkeitm ihres Handwerks, und hatte, besonders durch die bezaubernde Meisterschaft ihres Tanzes und Gesanges, schon bei ihrem ersten Erscheinen unzählige Eroberungen gemacht. Seit sie jedoch ihren früheren Beruf verlassen, war sie nnr höchst selten und schwer zu Uebung beider Talente zu vermögen gewesen, ohne deshalb für ihre Auscrwahlten im Geringsten weniger zugänglich als früher zu seyn, noch selbst die ihr bei jcdcr Gclcgenhcit dargebrachten, reichen Geschenke zu verschmähen. Man warf ihr sogar vor, diese auf allerlei Misc herbeizuführen. 29 ohne doch je cine wesentliche Dankbarkeit dafür zu gewähren. Dies ohngefähr theilte mir mein Freund mit, während wir nach ihrer, in cincr entfernten Vor--siadt liegenden, Wohnnng fuhren. Wir stiegen an einem kleinen, aber netten und reinlichen Hause ab, und nachdem uns dcr den Porticrdicnst vcr, richtende Diener eine mit bunten Matten belegte Treppe hinaufgewicsen hatte, traten wir in ein kleines Vorzimmer, wo an cincm halbrunden Gitter von vergoldetem Holz, an dem sich Ephcu und Monatsroscn emporrankten, wie in einer blühenden Lanbe ein rabenschwarzer Mohrcnknabc, in phantastischer Kleidung, tief eingeschlafen war. Assuni! rief Paul, ihu etwas unsanft aufweckend, melde uns bei deiner Herrschaft. Der Knabe fuhr erschreckt empor, warf cincn unwilligen Blick auf meinen Freund, einen langen, durchdringenden auf mich, und ging dann, ohne ein Wort zn erwiedern, leise in das entgegengesetzte Zimmer. Nach einigen Augenblicken schon 30 erschien cr wicdcr, und winkte uns, ihm zu folgen. Wir befanden uns jetzt in einem weiten Gemach, das mit wcistseidencn Draperie» behängen war, die man in Rnßland so zierlich iy allerlei Formen von Blnmen und Arabesken zu falten versieht, nnd in dem dicht zugezogene Vorhänge cin liebliches magisches Licht verbreiteten. Wir durchschritten hieranf noch cin durch verschiedne Gemälde in reichen goldenen Rahmen geschmücktes, einfach grünes Zimmer; dann öffnete der Mohr cinc hohe, mit verschiedenen kostbaren Holzsorten ansgclegte Thür, und cin orientalisches Boudoir in bunten brennenden Farben schimmernd, voller Spiegel und Ottomanen, empfing uns. Auf einer dcr letzten erblickten wir, unter «mem Baldachin, dessen Shawlvorhängc man beliebig herablassen konnte, die reizende Mmlkava, in nachläßiger Ruhe hingclagcrt. Sie war dicht in ein loses Gewand von gesticktem Moussclin gehüllt, nur ihr Kopf, mit den schönsten schwarzen Locken, 3l zeigte sich ganz frci, und eine dünne Hülle ließ ihrc wundervoll geformten Arme bis an dic Schultern sehen. Ihre Füße waren bloß, nach orientalischer Geise, doch wahrend einer, untergeschlagen, vom Gewände völlig verdeckt war, ließ sich auch vom andern nur ein kleiner Theil mit den rosigen Zehen blicken, welcher mir hübscher und Sinncrrcgcndcr, als die wohlgebildetsie Hand erschien. Zwei zierliche gestickte Pantbsselchen standen auf dcm persischen Teppich zl, den Füßcn des Ruhebetts. Als sic uns gewahr ward, legte sie ein großes Buch, das, wie ich nachher sah, herrlich colorirte indische Miniaturbilder enthielt, und dessen blausammtner Einband mit mehreren Juwelen besetzt war, langsam neben sich uiedcr, und sich halb aufrichtend begrüßte sie meinen Freund sehr vertraulich, und mich, dessen Namen cr jetzt, mich vorstellend, nannte, mit einer lieblichen Verwirrung, die ihren Eindruck auf mich nicht verfehlte. Wie gewandt wußte sie schcn bei dieser ersten Zusammenkunft meiner Eitelkeit 32 zu schmeicheln! und wic natürlich cin lebhafteres Interesse an mir als an meinem Freunde blicken zu lassen, das sich nur wic unwillkürlich und ihr unbewußt kund gab, indeß der wohl bemerkte Triumph ihrer Reize sic jeden Augenblick mehr zu beleben, und ihre Wangen mit höherer Gluth zu färben schien. Es wird Ihnen, nach dcm Gesagten, leicht erklärlich seyn, daß ich, impressionable wic ich war, schon an demselben Tagc die heftigste Leidenschaft gegen das fremde Mädchen faßte, welchc bald keine Grenzen mehr kannte, und mich cin wahres Glück darin finden ließ, die kleinsten Gunsibczeugungcn dieser Sircnc mit Gold und den crorbimntcstcu Geschenken aufzuwicgcn. Doch jc dringender ich sie bestürmte, je kälter, launiger und unegalcr ward meine Geliebte. Alle Mühe, alle Aufopferung, ja selbst alle List und Vcr-führnngskunst, in der ich mich doch keineswegs unerfahren glaubte, blieben völlig unausrcichcnd, diese Undine zu besiegen, der zwar nicht die Seele, 33 aber dafür das Herz zu fehlen schien, obgleich die vollendete Kunst, oder vicllcicht Natur ihrcr Coqucttcric mich auch daran häufig wicdcr irre warden ließ. Sengendes Fcner mußte sich mit der Kalte des Eises in unbegreiflichem Widerspruch bei der Geburt dieses Wesens vereinigt habcn — denn die glühendste Leidenschaftlichkeit, die heißesten Sinne, die jede ihrer Bewegungen verriethen, konutcn dennoch nie der unerschütterlichen Herrschaft Eintrag thuu, wclchc sic über sich sclbsi auszuübcu verstand. War es nun wirklich uic ein edleres Motiv, sondern nur gemeine Habsucht und Interesse, die sie zu einem solchen Heroismus der Selbstbeherrschung erhoben? — Ich wage bis diesen Augenblick uicht, darüber zn entscheiden. So viel ist gewiß, daß käuer unserer Wüstlinge sich je rühmen konnte, ihre volle Gunst genossen zu habcn; doch die Meisten hatten das blosie Vergnügen ihrer Gesellschaft weit thenercr als den unzweifelhaftesten Succcß bei Audcrn bezahlen müssen. Dagegen war wicdcr manche großmüthige Handlung des Madchens Semilasso in Afrika, lv. I 34 im Stillen bekannt geworden, die wenig mit ihrer übrigen Lebensart zu harmonircn schien. Sie besaß aber noch eine andere Anziehungskraft von gehcim-mßvollcrcr Art, die vielleicht am meisten dazn bei? trug, sie unwiderstehlich für meine Individualität werden zu lassen — denn ohne Zweifel war sie tief in jene dunklen Wissenschaften eingeweiht, die wir bequem als Mährchcn verwerfen, denen aber ein immer wiederkehrender, in unsrer innersten Natur begründeter Glaube, selbst gegen unsern Willen, stets das Wort redet, und von deren Eristcnz ich, für meine Person wenigstens vollkommen überzeugt worden bin, obwohl ich weder ihren Nutzen, noch ihren Umfang, noch ihre oft gehaltlosen Zwecke, so weit meine eigne Beobachtung reicht, je deutlich erkennen konnte. Auffallend war noch außerdem an ihr eine gewisse Art der Vildnug, die ganz aus der Sphäre, in der man vermnthcn mußte, daß sie sicts gelebt, herauszutreten schien; auch war ihr bewunderungswürdiger reiner und gleicher Teint (in meinen Augen ein Hauptreiz der Mäd- 35 cheu indischer Abkunft) bedeutend heller als gewöhnlich. Ihre Schönheit war tadellos, und in jedem Zuge ihr zugleich jenes gottliche Siegel aufgedrückt, das keine Kuusi darstellt, käue Feder beschreiben kann, das aber die Glücklichen, die damit begabt sind, wie mit magnetischer Kraft znm Liebling eines Jeden macht, der sie anch nur einmal erblickt hat. Sie haben, jügtc der Oberst hinzu, in Deutschland ein anderes Beispiel dieser Art gesehn, cine Sängerin, dic ich in Petersburg horte, und an die mich das reizende Zigeuncrmadchen mehr als einmal auf das lebhafteste erinnerte. Ihr Name isi ja so berühmt geworden, daß ich ihn kaum zn nennen dranche. An einem mir ewig unvergeßlichen Abend, wo ich vom wildesten Fieber der Leidenschaft überwältigt, in Liebe aufgelöst, zu ihren Füßen lag, nnd sie selbst wehmüthiger und hingebender als jemals gestimmt schien, erklärte ich mich zu jeder Bedingung ihres Besitzes bereit, bat sie. Alles was noch wein scy, als ihr Eigenthum anznsehn, und. 3tt da sie mit verneinender Gcdchrde dies abwehrte, ging ich so weit, ihr meine Hand und mcincn Namcn anzubieten. Ja, rief ich in halbem Wahnsinn aus, müßtc ich auch, wenn Du vielleicht schon dcn unterirdischen Mächten angehörst, nuftrn Ehccontract mit meinem Vlutc unterschreiben. Sie lächelte schmerzlich. «Ich bin keine Biondetta," sagte sie, „nnd die Holle hat keinen Theil an mir, doch Dn, Joseph — sollte man nicht glauben. Du seyst cbcn so mächtig, aber weniger weise, als jener berühmte Günstling der Pharaonen, dessen Namen Du trägst, oder Du hattest gar selbst," setzte sie mit einem halb satyrischcn, halb irrcn Blick hinzu, »Dein ganzes Leben lang auf einem goldenen Throne gesessen, um Dich so keck mit dem Vlutc des zum letztenmal Mensch gewordenen Vischnu verbinden zu wollen — Du meinst, ich scherze, und denkst wohl tief zu mir hcrabzusici-gcn — immerhin, doch so viel vernimm: So verachtet und klein ich Euch Allen hier erscheine, dcr Erstc Cures nichtigen Adels von gestern sieht 37 in meinem Sinn noch viel zu tics unter mil'. Doch was wißt Ihr, was weißt Du von mir!" Bei diesen Worten malte sich cin vernichtender Slolz, ja Hohn in ihren sonst so lieblichen, harmlosen Zügcn, ihre ganze Gestalt richtete sich majestätisch, ich mochte beinahe sagen, feindlich cmpor, so daß ich sie, wie cinc, mir ganz ncnc fremde Erscheinung anstarrte Doch verfiel sie, nach kurzem Sinnen, bald wicder in ihren alten, der vorigen Aufwallung so entgegengesetzten, leichten Ton schalkhaften Spottes zurück, und meine Hand rasch ergreifend, rief sie: „Gieb mir Deine Hand fürs crsie nur dazu her, um Dein Schicksal darin zu lesen; wir wollen gleich sehen, ob ich für Dich bestimmt bin." „Immer ausweichende Antworten," sagte ich misimuthig und reichte ihr die verlangte Hand hin, während mir vor Zoru uud Liebe die Thräucn gewaltsam in die Angcn drangen. Sie crrbthete bei diesem Anblick, drückte meinc Hand sauft an ihre Brust, sah mich mit einem Vlick an, der 38 mir bis in die innerste Seele drang, legte dann ihren niedlichen Finger bedeutungsvoll auf den üppigen Mund, und sich so nahe zu mir bcugmd, daß ihr Athem mciu Gesicht wie Vcilchenduft berührte, flüsterte sie mir halblaut zu: ?,Du bist ein schlechter Wcibcrkenncr und hast übcrdem den Kopf ganz und gar verloren. Glücklicherweise, daß ich ihn für uns Vcidc behalte, jetzt aber schweige und merke genau auf meine Rede, denn ich will die Vergangenheit befragen, und Dir die Zukunft vcrlündcn." ?,Scltsam," fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, „haben vergangene Jahrhunderte in Dein Lebcn hinübergespielt. Umsonst! Etwas von dcm goldncu Thron ist zwar noch vorhanden..... aber leider nur ein halbes Stuhlbein wie ich sehe. D hättet Ihr ihn thöricht nie zerbrochen! Dann crndtcten wir jetzt Rosen statt der Dornen. Dein Ahu verstand den allen König nicht. Grosies war Euch beschieocn, und mit der Blindheit des Eiqew nutzes habt Ihr cs selbst zerstört. Ha! welche Worte lese ich da: Suchet, so werdet ihr finden? — O nein, nein!" rief sie, ihre schwarzen Locken ungeduldig schüttelnd, „D n findest nicht, oder wenn es zu spät ist, denn D n wirst nimmer das Suchen vcrstchn! Icdcm sind ja dieft Worte bci der Geburt schon auf die Stirne geschrieben, aber Wenige nur sind berufen, sie znr fruchtbringenden That zu kehren! — Kommen wird wohl noch viel, aber nur, was Du nicht snchst. Armer Freund! hättest Du den Thron noch! Vald erscheint die Zcit, wo cr verherrlicht worden wäre, und wo viele andere wanken werden. Jetzt ist es zu spat. Du bleibst im Haufen übcrsehn und verborgen. Unsere Wege gehen weit auseinander; nur Kampf und wildes Gewühl umgibt Dich von nun an ..... O des Jammers! Unglückliche Vrüdcr .... musi Euer heitres Lcbcu so entsetzlich enden! Was wollt ihr aber hier, gräßliche Gestalten! Fort! mir graut vor all den schwarzen Leichen. Der Tod verfolgt Dich anf jede Weise, ein altes Schcusal wird Dlr zur unschätzbaren Gefährtin, 40 und cm und sechzig Tage lang dauert Eucr schreckliches löt,« u l6to. Ictzt erglänzt noch cm Strahl trügerischer H»ossnung'. Er raubt Dir das Letzte. Lebc wohl, noch habc ich keinen Thcil an Dir, nur viel des Deinigcn geht mit mir, nnd zu Deinem Glück ..... cs bleibt Dir nnvcrlorc»i. In Afrika's Wüsten begegnen wir uns wieder nnd dann.....vielleicht. . . < O brich nicht vorher, mein armes Herz!« Hier verhüllte sie ihr Gesicht mit beiden Händen und schlnchztc leise vor sich hin. „Ja," rief sie jetzt plötzlich mit lauter Stimme, konvulsivisch lachend und die Augen fest schließend: „Dein sicrbcndcrVatcr hatte dochRccht: Suchet.....so werdet Ihr finden, nur vcrgcßt den Schlüssel nicht! —" Mit diesen Worten, die sie mit schrillendem Tone, abgebrochen, und als rede sie im Schlafe, aussiieß, ließ sie meine Hand fallen, und sank selbst, scheinbar ohne alles Bewußtseyn, auf die Ottomane zurück. Ich hatte schou lange ihrem Treiben sprachlos vor Erstaunen zugeschaut. Nur unsre Familie kannte die Geschichte des gefundenen Schatzes, die ans vielen Gründen immer als ein heiliges Geheimniß unter uns bewahrt worden war; doch konnte sich darüber ein Gerücht verbreitet haben. Keiner aber, das wußte ich gewiß, war im Stande, eine Kunde von dem Briefe meines Vaters zu besitzen, den außer mir kein menschliches Auge gesehn, der tief nnter meinen bestvcrwabrtcsien Papieren, in meinem Privateabiner verschlossen ruhte, und an den ich selbst, scit Jahren schon, gar nicht mehr gedacht hatte. Was konnte diesem ftcmdcn Mädchen so genau das Geheimste, was mich betraf, verrathen haben? Gewiß kein uns übrigen Sterblichen zugängliches Mittel. Ihre wunderbaren Worte hatten einen solchen Eindruck auf mich gemacht, daß, ungeachtet ihrcs geringen Zusammenhangs, jedes derselben, sobald ich daran denke, mir bis heute so gegenwärtig geblieben ist, als sahe ich sic noch jetzt, glcich Eleazars Schrift, mit brennenden Buchstaben vor mir an die Wand geschrieben, und Sie werden sogleich hdren, wie 42 treu sich schon nach geringer Zeit ein Theil derselben bewährte, während die Erfüllung dcr andern vielleicht noch im Schooß dcr Zukunft ruht. Nahe genug bin ich wenigstens jetzt dem vcrhicßenen Ortc dcr Lösung, und wenn auch dcr kaltc Verstand mir in dcr entzückendsten Crcatur, dic jc mcine Angcn crblickt, nur eine gcsthick'tc Betrügerin zeigt, so lebt doch ihr Andenken noch immer unauslöschlich in meiner Brust. Doch kehren wir jetzt in ihr asiatisches Boudoir zurück, wo wir sic cben bewußtlos, gleich eincm Sinn-verzaubernden Bilde dcr cyprischen Göttin, anf ihre Ottomane hingesunken verlassen haben. Nachdem ich mich von meiner Betäubung etwas erholt, machten mächtigere nnd süßere Ge-fühlc nach nud nach wieder ihr Recht bei mir geltend. Sanft vcrsnchtc ich das holde Wesen zu erwecken, doch vergebens; da konnte ich dcr verführerischen Gelcgcnheit nicht widerstehen. Zitternd schlang ich meine Arme nm die Schlafende, meine Lippen sogen sich an dcn ihrigen immer fester und 43 fester, ihr jungfräulicher Busen schmiegte sich cla-siisch an mein pochendes Herz, alle meine Pulst bcbtcn u»,d die Welt verschwand um mich hcr in eincm Mccr von nic gefühltem Entzücken. Denn nie hatte sie mir solche Gunst freiwillig gestattet, «nd ein halb geraubter Kuß, ein Druck der Hand oder ihres kleinen Fnßes, war bis jetzt die höchste Staffel gewesen, die ich erreichen konnte. Ich hatte, mich einen Augenblick aufgerichtet, um mich noch einmal an dem Anblick ihrer schlummernden Gestalt zu berauschen, und wilde, bdst Gedanken durchzuckten mich. Da schlug sie mit einem tiefen Scnfzer langsam die Augen auf, sah mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit in die mcinigcn, drückte mich stürmisch fest an sich, erwiederte glühend meine Küsse — und dann mich mit cincmmal wieder hastig und gewaltsam von sich stoßend, rief sie stammelnd und ihre Hände demüthig auf der Brust zusammengefallen: „Nur heute nicht .... Verlaß mich jetzt. . . .Mor-gw...... wenn Du mich liebst!" Und wie 4t cine scheue Gazelle war sic mit Blitzesschnelle durch cine Seitenthür cntstohn. Ich habe sie nie wieder gesehn. — Als ich am andern Morgen auf Flügeln seliger Hoffnungen „nd beglückter Liebe zu ihr eilte, crfllhr ich zu meinem tödlichen Schreck, dast noch in spater Nacht ein Offizier von mehreren Soldaten begleitet, am Thore ihres Hanfes erschienen scy, und augenblicklich Einlasi begehrt. Nach ciuer kurzen Unterredung mit ihr, der ein übereiltes Einpacken ihres Schmuckes und der nöthigsten Sachen folgte, hatte sich der Fremde mit Hlmülava, ihrem Kammermädchen und dem Mohrenknabcu in einen schon mitgebrachten Neiscwagen gesetzt, der vou der Escorte umgeben, im raschesten Lanf dcr Pferde sogleich davon geeilt war. Da dcr grdßtc Theil ihrer übrigen Effecten und Mcubles nebst einiger Dienerschaft zurück gelassen wurde, so hofftcu wir Alle täglich auf ihre Rückkunft. Doch Woche auf Woche verstrich, und nichts von ihr, nicht die kleinste Auskunft erschien. Allen ihren zahlreichen Bekannten dauchte, gleich mir, ihre plötzliche Flucht oder gewaltsame Abführuug ein unbegreifliches Räthsel, um so mehr, da auch die alte ihr sehr zugethane Haus-wirthiu, dcr sic uur siüchng aufgetragen, iu ihrer Abwesenheit alles Nöthige zu befolgen, wozu sie ihr die nöthigen Summen zmück'gelaffeu hatte, dieselbe Unwissenheit über das Schicksal ihres Schützlings vorgab, und zugleich dabei eine Vc-sorgniß zeigte, welche allen Charakter der Wahrheit an sich trug. Um diese Zcit beganu der Krieg mit der Pforte, und dic militamscheu Pflichten zwaugeu mich bald, allcu weiteren Nachforschungen meinerseits ein schnelles Ende zu macheu. Ich folgte der Armee und übergehe abermals die mannigfachen Kriegs, abentcner dieses Feldzugs, doch darf ich Ihuen uicht vorenthalten, was sich zu auffallend au das Vorhergehende anschließt. Nachdem wir, schon bei Ul-aeiloir, das uus 15,000 Maun kostete, mehr Widerstand findend als wir erwarteten, t<; endlich die Donau passirt hattm und auflll^a^jik und ^ckumlu zu manövrirten, wurden zwci Schwa? droncn unsres Regiments von mchr als 100t) türkischen Spahis überfallen und fast gänzlich niedergemacht. Peter Bachmeticss blieb cincr der Ersten in diesem Gefechte; Paul cutschwand mir im Gedränge, und ich glaubte ihu gefangen. Nur Wenige entkamen; ich rettete mich, iudem ich durch einen angeschwollenen Vcrgstrom schwamm, wohin Keiner der Feinde mir zu folgen Lust zeigte. Zwci Tage darauf, als unsre Trnppen die Türken weiter zurückgetrieben, erhiclt ich von meinem Obersten den Auftrag, mich wieder au den Ort des dcfasircuseu Gefechts zu begeben, um die Leichen beerdigen zu lassen. Ich war abgestiegen und wahrend ich umher ging, wehmüthig manchen gefallenen Camaraden erkennend, erblickte ich mit Entsetzen hinter einem Strauche den, bei der großen Hitze schou in Verwesung übergegangenen Körper meines armen Paul's, an welchem eben drei große Geier ihr furchtbares Mahl hielten. M. Als ich sic verscheucht, fand ich alle Anzeichen, daß mein unglückseliger Freund unter den scheußlichsten Martern geendet hatte. Spitze Holzer warm ihm zwischen die Fingernägel eingestoßen, und der ganze Körper auf das schändlichste verunstaltet worden. Ich weinte wie ein Kind bei diesem Anblick und schwur dem Freuude blutige Rache, doch das erweckte ihu uichr! Dieses tragische Ereigniß erfüllte mich lange mit der ncfstcn Melancholie, und ich fand etwas seltsam Mystisches darin, daß der Tag jenes Gefechts, in dem beide Brüder umkamen, der 29. Juni, der Peter- und Paulstag, war'. Doch das Schicksal hatte mir, wo möglich, noch Gransenhaftercs beschieden. Bei der Schlacht von Kul^K^Iii im nächsten Jahre, wo ich hinlängliche Gelegenheit fand, das den Manen meines geopferten Freundes gethane Gelübde zu erfüllen, ward ich von einer türkischen Kugel eine Zeitlang wehrlos gemacht. In Folge dessen schickte man mich zurück, und quartierte 48 mich in cincm großen Dorfe Bulgariens cm, wo ich an meinen Wirthen sehr gutmüthige Lcnte, und an den zwei hübschen Töchtern des Hanfes die mitleidigsten und zartesten Krankenwärtcrinnm fand. Wir dnrftcn mit einander verkehren, dcnn die Sitten sind hier noch nicht allzu türkisch, nnd auch unsere Sprache war der Familie noch leidlich verständlich. Nur Eins war mir unangenehm in diesem Verhältniß, nämlich eine alte vertraute Sclavin, die sich in Folge langer treuer Dienste eine Art Suprematie im Hause angemaßt hatte, so daß sie sich in Alles mischte, namentlich aber mir durch ihre unwillkommene Gegenwart und Aufsicht bei allen meinen Unterhaltungen mit den beiden Mädchen höchst lastig wurde. Ein junger Offizier im Kriege ist keiu Kostverächter, selbst wenn er noch eine frühere Liebe im Herzen trägt, und mein ehemaliger Leichtsinn schien voll' ständig wiedergekehrt. Die Alte mochte wahrscheinlich glauben, daß die jüngste Tochter Fatima, welche mich türkisch lehrte, sich schon etwas zu gut mit mir zu verständigen anfinge, denn sie bewachte uns von nun an ohne Rast, gleich dem unerträglichsten Argus. Dabei konnte man sich kaum etwas Abstoßenderes als diese Person denken. Klein, hinten und vorn bucklig, mit triefenden Augen und blauen Lippen, aus denen hie und da ein einzelner gelber Zahn hervorstand, schmutzig, mürrisch und widerlich — wahrlich oft bedauerte ich, daß wir hier nicht unter Lykurg's Gesetzen lebten, nach welchen mau cm solches Ungcthüm schon bei der Geburt ersauft haben würde. Und doch — wie wird der Mensch von den Umständen beherrscht — war nach wenigen Tagen dieses verwahrloste Geschöpf mein einziger Trost. — Denn eine fürchterliche Katastrophe nahte. Als ich schon völlig von meiner Wunde genesen, eines Morgens früher als gewöhnlich aufgestanden war, um wo möglich eine Gelegenheit zu erspähn, die kleine Fatima ohne Zeugen zu sprechen, sah ich unsere Maritorne ganz verstört auf mich zukommen, «Allah, Allah!" rief sie, „die Pest ist im Otte Semilasso in Afiila. IV. 4 50 ansgcbrochen, und der Herr liegt bereits im Sterben!" Kaum hatte ich dic Schrcckensworte vernommen, als Lärm von der Straße hcraufschallte, und wie ich an das Fenster trat, cbcn die schwarze Fahne aufgezogen ward. Eine Wache stand bereits vor unserm Hause, die Niemand mehr herausließ. Ictzt begann die gräßlichste Epoche meines Lebens. Ich will Ihnen die schauderhafte Beschreibung der Qualen ersparen, deren Zeuge ich wochenlang seyn mußte. Der Vater, die Mutter, drei Söhne, wovon einer noch ein dreijähriges Kind, und dic beiden Töchter, Alle wurden ein Rand der erbarmungslosen Seuche. Fatima starb nach acht Tagen, in der ihre junge Natur vergebens kämpfte, unter herzzerreißendem Stöhnen und wilder Ficbcrrascrci in meinen Armen. Nur die alte rinkia, deren Muth, Liebe und nie ermüdende Sorgfalt für ihre Herrschaft eine Seele entfalteten, die der edelsten Hülle würdig gcwcstn wärc, blieb Mit mir allein nnter den Lebende»! zurück. Doch ohne sic, dicsc häßliche Alte, ihre stets bereite Hülfe, ihre jetzt immer gleiche Milde, und vor Allem den aufrichtenden Trost ihrer menschlichen Gegenwart, was wäre aus mir selbst geworden! Denn kcinc Sprache malt den Jammer der erlebten Scenen, und es war vielleicht nur das Uebcrmaaß aller Art des Scclenschmerzes, Schauders, Eckels und Entsetzens, was znlclzt eine wohlthatige Betäubung hervorrief, während der wir allen Leichen, wie der Tod sie nach und nach hingerafft, so gut cs ging, die Ictzte Ehre erwiesen, sie selbst wuschen und ankleideten und dann an Stricken vor die Thür hinabließen, wo sie der Pesiwagen in Empfang nahm, um sie mit hundert Gefährten in ein und dieselbe Grube abzuliefern. So blieben wir denn, ein übles Gegenstück zu Adam und Eva im Paradiese, und statt des Engels mit dem stammenden Schwcrdt durch dcn russischen Soldaten mit dem Bajonett zurückgewiesen, von der ganzen übrigen Welt abgesondert, allein in dem 52 großen Häuft zurück, jeden Tag erwartend, daß auch wir cincr dem andcrn bald denselben Dieust würden leisten müssen, dcu die übrigen Bewohner des Hauses von uns erhalten hatten. Wie ftcnte ich mich nun jeden Morgen, wenn ich mein altes Ungeheuer noch gesund nnd thätig bei der Hand fand, das Hans scheueru, die alten Sachen verbrennen oder sonst cm häusliches Geschäft mit uncrmüdcter Geduld und Ergebung verrichten sah. Unsere Mahlzeit ward uns täglich einmal an einer Stange zum Fenster hcrcingereicht, und bei dieser Gelegenheit kam uns der strengste Befehl zu, Alles, was ansicckuugsfähig im Hause sey, zu verbrennen, und auch von unsern Kleidern nur das beizubehalten, was unmittelbar nöthig wäre, unsere Blöße zu bedecken. Man kanu sich denken, welche verborgene Reize diese sparsame Kleidung jcht noch bei meiner armen Gefährtin zu Tage brachte, aber ich war zu ernst gestimmt, um dergleichen damals sonderlich zu bemerken; ich hatte nur ihr ehrliches Gemüth und meine ciguc gänz- 53 liche Verlassenheit im Auge, und Beides erweckte zuletzt cine Art eamaradschaftlicher Zärtlichkeit für das nützliche Wesen in mir, die auch in der Erinnerung lange fortdauerte, und die ich später wirklich zu bethätigen, eine erwünschte Gelegenheit fand. Bei dem ^Vuw da lo, in dem meine ganze Garderobe, meine eben aus Petersburg gekommenen gestickten Uniformen, all mein militairischer Schmuck, nebst manchen audcrn Dingen von Werth auflodern mnsitcn, befand sich auch ein Shawltuch der rärhsclhaftcn Zigcuncrpnnzcssin, und es ist mir fast unbegreiflich, dasi ich erst bei, dessen Wiederanblick mich zugleich ihrer prophetischen Vorhersagung aller der Gräuel, die so eben an mir vorübergegangen waren, erinnerte. Doch hatte sie Eins zu erwähnen vergessen, denn abgestumpft gegen alles menschliche Elend, quälte mich zuletzt die Langeweile beinahe am meisten, und so unentbehrlich mir die gute I'iokla in anderer Hinsicht erschien, so muß man doch gestehen, dasi 54 ihr fort« nicht in der Unterhaltung bestand. Die wenigen Bücher im Hause hatten verbrannt werden müssen, und ich hielt cs für eine strenge Pflicht, allen Befehlen dieser Art bei einer so allgemeinen Calamität religiöse Folge zn leisten. Nur ein kleines Gebetbuch meines Bedienten, den sein Glücksstern an dem vcrhängnißvollcn Tage aus dem Hause geführt, hatte ich mir beizubehalten gestattet. Ich wußte cs bald auswendig, und noch ist bcr Schatz meincs Gedächtnisses mit mehreren Bruchstücken daraus mcublirt, die zum Theil gar nicht ohne ihren guten Nutzen für mich geblieben sind. Von Herzen habe ich ihm aber als Schluß das Gebet beigesellt: „Lieber Herr Gott, bewahre mich vor einer zweiten Pest!" Volle zwei Monate vom letzten Todesfälle an gerechnet, waren wir genöthigt, in dem vlokirtcn Hausc zu verweilen, dann mußten wir uns nackt auszichn, die letzte Hülle ebenfalls verbrennen, und in diesem Zustande der Natur uns vor die Thür bcgcbcn, worauf schnell frische Gewänder über uns geworfen und wir in ein anderes Local gebracht wurden, in dcm man uns, nach der langen Verdammniß, endlich der menschlichen Gesellschaft wieder beigesellte. Es bleibt mir jetzt nur noch übrig, kürzlich hinzuzufügen, daß der Rest des Krieges mir günstig war, ich gewann, wie sich von selbst versieht, mehrere hohe Orden, avancirte aber auch und kehrte mit den besten Hoffnungen einer baldigen Carriere in mein Vaterland zurück. Da brach die eben so unglückliche ^als ewig denkwürdige polnische Revolution aus, ........ Vergebens hatte ich mit dem besten Theil der Nation unser letztes Herzblut für die Freiheit vergossen.") *) Ich bitte wohl zu bemerken, daß hier ein Pole spricht, da ich nicht Wunsche durch falsche Auslegungen meine eige-ucn legitimen Grundsätze in Verdacht gezogen zu sehrn. 5S Diesmal mit Wunden statt dcr Orden bedeckt, von allen Mitteln entblößt, gleich dem ärmsten Bettler, geächtet und verfolgt, ohne einen sichern Zufluchtsort, mußte ich dem Hause meiner Väter den Rücken kehren, und, nachdem ich Alles verloren, noch froh seyn, das nackte Leben zu retten. Doch edle Männer ihres biedern Vaterlandes unterstützten mich mit Wort und That, und von Empfehlung zu Empfehlung fand ich endlich hier, durch englische Verwendung, wenigstens einen tcmporai-rcn Nuhcpunct und einen anständigen Wirkungskreis. Der Himmel, dcr über Jeden wacht, wird anch mich zum Ziele führen, das mir bestimmt ist, und an frischer Selbsithatigkeit dazu soll er mich nicht mangelhaft finden; ja selbst die tröstende Hoffnung, dcr ich einmal schon gänzlich Valet gesagt, hat sich wieder bei mir eingestellt, und oft ist eö mir, als riefe mir meines guten Vaters bewegte Stimme deutlich wieder zu: Suchet, so werdet Ihr finden'. Sollte, schloß der Oberst, sich lächelnd zu mir 57 wendend, dcr Sinn dieser Worte uns je klarer werden, als es bis jetzt noch dcr Fall isi, so rechnen Sie daranf, daß Niemand früher als Sie, der mir mit so lobenswcrthcr Geduld bis hiehcr zugehört hat, die Folge dieser Geschichte, nnd ihr fehlendes Denouement, erfahren wird. Einstweilen endet sie, wie unser ganzes Daseyn — ein nngc- löstcs Räthsel! n <> Die Pflicht, den Fadcn aufzunehmen, kam nun an mich, und fand mich sehr schlecht vorbereitet. „Meine Herren," sagte ich zögernd, »wenn ich znm Erzählen aufgefordert werde, geht es mir immer wie gewissen sehr gelehrten jungen Leuten im Eramcn, die Alles wissen, ausgenommen Das, worüber sie eben befragt werden. Wie durch Zauber ist mir in diesem Augenblick die Erinnerung meines ganzen Lebenslauses entschwunden, nnd ich würde gar kein Mittel sehen mir zu helfen, wenn mir nicht glücklicherweise erst vorige Nacht das vcrwirrtesic Zcug geträumt hätte, das in dieser eben so 58 seltsamen Hdblc noch am besten an seinem Platze ftvn mag. Also hören Sic: Der Traum. Ich war zu einer «oü-öo beim Herrn Doctor von Pfeuffer in Vambcrg, beiläufig gesagt cincm schr liebenswürdigen Manne, wenn Sie nicht das Vergnügen haben sollten ihn zu kennen, eingeladen worden, und trat, trotz ciner heftigen Migräne, Schlag acht Uhr in seinen Salon; denn man lebt in Vambcrg noch nach der alten anspruchslosen Weise unserer Väter. Ich sand dcmungeachtet erst sehr wenig Gaste versammelt, der Wirth kam mir aber mit seiner gewöhnlichen Freundlichkeit entgegen und sagte vergnügt zu mir: es freut mich sehr, daß Sie kommen, denn ich besitze etwas Außerordentliches, dessen Genuß ich Ihnen lange zu verschaffen wünschte. Es ist eine Symphonie von Lord Byron, dic er in seiner letzten Krankheit in Griechenland componin hat. Ach! S9 rief ich entzückt, und zugleich von dem fürchten lichsten Hämmern im Kopfe gepeinigt, gestatten Sie mir doch, vcrehrtesier Freund, mich in der Ncbcnsillbc auf ihr Bett zu legen, und mit herabgelassenen Rouleaur und geschlossenen Augen die Musik mit anhören zu dürfen. Dies ward bald ins Werk gesetzt, und bei ungestörter Ruhe, in froher Erwartung dessen was kommen sollte, fühlte ich bald einige Linderung. Da die Pflichten des Winhs Herrn Doctor von Pfcuffer selbst abhielten, schickte er mir untcrdcß einen seiner Collegcn zu, um meinen Zustand zu untersuchen. Das Aeustcre diescs Mannes war nicht empfehlend. Er hatte einen ungeheuren Kopf wie eine Thcatcrgnome, große schielende Augen, einen unförmlich langen Leib, und ganz kurze krumme Beine wie ein Dachs. Ich bin von der neuen Schule, sagte er, und statt mir den Puls zu fühlen, zupfte er mich stark am Backenbarte und fragte dann, ob mir das Schmerzen verursache. Schmerzen eben nicht, erwiederte ich, abcr cine «tt angenehme Empfindung ist es auch nicht. In diesem Fall, versicherte cr, ist keine Gefahr; ein leichtes Pulver, das ich Ihnen schicken werde, und cin gesunder Schlaf müssen bald ciuc vollständige Heilung bewirken — und damit watschelte mein Aesculap wieder in den Saal zurück. Nachdem ich lange vergebens darüber nachgesonnen, warum die neue Schule an dem Backenbärte zupfe, statt wie die altc am Puls sich Raths zu erholen, ging von Ncncm die Thür leise auf, und wie wohl uud weh ward mir zu Mnihe,' als ich mit dcm Pulver in dcr cinen, und einem Glase Wasser in der andern Hand jenc Heldin hercin-trctcn sah, die schon seit geraumer Zeit eine zu große Nolle in meinen Traumen spielt. Sie näherte sich in der ungewissen Dämmerung auf den Fußspitzen meinem Bett, wo ich mich anstellte, als sey ich tief entschlafen. Wie sie sich aber behutsam über mich hinbückte, noch unentschlossen ob sie mich wecken solle oder nicht, umschlang ich sic unversehens (im Wachen wäre ich 6! so lühn nicht gewesen) mit beiden Armen, und raubte der Entsetzten einen süßen Knsi, während Pulver und Wasserglas pöl«-mölo auf dcn Bo-dcu stürzte. Doch Niemand horte etwas von dcm Geklirr des zerbrochenen Kelches, denn in dcmscl-bcn Augenblick erscholl dcr erste Strich der Violine, das liebliche Mädchen floh, ich drückte die Augen wieder zu, und sanft und mächtig umwobeu mich, wie mit eiucm goldenen, funkelnden Netz, die Tone eines großartigen Adagio. Es schien das Paradies in die entzückendste Melodie aufgelost zu seyn — doch bald trübte sich dieser reine Himmel, fremdartige Dissonanzen tauchten wie aus dcm Abgrund hcranf, und zuletzt drang eine Schmer-zensstimmc so herzzerreisseud hindurch, daß mir das Mark in den Veiuen gefror. Doch bald risi mich das darauf folgende wilde Allegro zu ganz verschiedenen Empfindungen fort. Lust und Schmerz schien hier auf Tod und Leben mit einander zu kämpfen, dcr Elemente Toben mischte sich hinein, das Meer rauschte im heulenden Orkan, Blitze 62 fuhren krachend nieder, alle Kräfte dcr Natnr, allc Leidenschaften der Menschen schienen entfesselt, bis zulctzt die ganze Holle so gransenerrcgcnd drcin wüthete, daß Don Juan und dcr Freischütz nur eine schwache Kindernachahmung davon sind. Ein unerwarteter jahlingcr, donnernder Schlnsi benahm mir fast den Athem, und wie betäubt blieb ich während dcr langen Pause. Doch eil» anderer, voller, aber sanfter, beruhigter Strom dcr Tbnc licß sich jetzt von Ncucm vernehmen. Gereinigt, verklärt, würdevoll und erhaben glaubte ich durch Welt und Hbllc nach dem Himmel geführt worden zu seyn. In seligem Genuß wiegte sich meine Seclc in diesem Mccr dcr edelsten Lust — da schlug die, von cincm heftigen Sturm, dcr sich erhoben, aufgcrißnc Thür zweimal dröhnend zu, und als sic wieder aufsprang, sah ich alle Lichter im Saal verlöschen, und eine dumpfe Stimme rief: Er hat vollendet! Die Traumwelt ändert schnell ihrc Decora-tioueu, wie ich, cs schwebt mir dunkel vor, schon 63 einmal irgendwo gesagt habc; aber da selbst Rossini sich häufig wiederholen soll, so darf man es mit einem armcn Autor noch weniger genau damit nchmcn. Kurz, in einem Nu schwand dic vorige Welt. Ich war ein ganz Andrer geworden, nnd lebte in einem Lande, welches dic Fackel der Revolution erleuchtete, in deren wüstes Gewirr ich, der gute Himmel weiß wie, ebenfalls mit verwickelt worden war. Ich mußte mich jetzt eben vor einem Volksaufstand rctteu, denn nachdem mich zucrst dcr Pöbel auf den Händen getragen, und mir dic Pferde ausgespannt, um mich im Triumph davon zu ziehen, hatte cr nun, da ich scincn grausamen Willen nicht erfüllen wolltc, mich selbst zum Gegenstand seiner Verfolgung gewählt, wodurch mcin Leben in die grbsttc Gefahr gebracht wurde. Ich entfloh mit genauer Noth auf cincm schnellen Pferde, konnte aber, Roß und Reiter zum Todc ermüdet, die nächste Stadt im Nachbarlandc nicht mehr cr-reichcn. Da erblickte ich, jenseits dcr Grenze, ein 64 vcrlaffencs, halb eingestürztes Hans mitten in einer verwachsenen Wildniß. Mit den letzten Kräften bahnte ich mir einen Weg bis an seine Thür, überließ mein Pferd seinem eigenen Instinct, tappte hinein nnd sank fast bewußtlos auf einen Hänfen vermoderten Strohes nieder, augenblicklich in den tiefsten Schlaf verfallend. Während diesem Nanmtc ich im Traume, daß mich mehrmals etwas eiskalt anfaffe, nnd mir etwas in's Ohr finstere. Endlich vernahm ich deutlich von einer heisern Stimme folgende Worte: Wach auf, wach auf, mein Buhle! Das arme Mädchen, das Dein Lager theilt, war einst auch schon, und weiß und roth wie Du, und eine süße Wonne galt's für Deinesgleichen, zu rnh'n au ihrer Seite — bis der verruchte Vosewicht mit Deinem Namen unmenschlich das Herz ihr brach, uud in das finstere Grab sie stieß. Wach auf! Du, der Du wenig besser bist als er, und gehorche meinen Worten ^ oder wahrlich! Du ftlbst sollst für den Sünder büßen; ja, grinste «9 es jetzt schauerlich wie im Freischützen: Du oder cr! Ich erwachte zusammcnfahrcud, wollte mir die Augen reiben, konnte aber meine rechte Hand nicht rühren, und wie ich mit der linken sie faßte, fühlte ich deutlich, daß eines Todten Knochcnfingcr die mcinigcn umklammert hatten und sie wie mit Zangen festhielten. Ein namenloses Entsetzen durchrieselte meine Glieder, da ward es plötzlich heller in der dunkeln Kammer, wie von einem falben, schwcflichcu Lichte, und neben mir im Schatten erhob sich rasselnd ein Gerippe, das, ftinc Augenhöhlen starr auf mich gerichtet, vor mir stehen blieb. Wie hinter einer Maske fuhr es dann in dumpfem Tone fort: Der Tag vcr Vergeltung ist endlich gekommen! Eile nach der Stadt, dort findest Du meinen Dir wohlbekannten Mordcr. Ein fremder Jüngling und cr werden noch heute in tödtlichcn Streit gerathen. Der Elende verläßt sich auf seine zu oft erprobte Gc-schicklichkeit, aber seine Stunde hat geschlagen, Semilasso ln Afrika. IV. 5 OS wenn gleich auf andere Weise als cr es ahnet. Beide werden Dich bitten, ihnen als Zengc zu dienen; Du nimmst es ohne Widerspruch an und wartest dann ab, was weiter geschieht. Doch darauf merke: so wie Einer von Beiden gefallen, bringst Du den Andern hi eher. Fübrsi Du dies aus, wie ich es Dir vorgeschrieben, so fürchte nichts mehr für Dich; wehe Dir aber, dreimal wehe! wenn Du meinem Befehle keine Folge leistest. Als ich meiner Sinne wieder mächtig ward, saß ich schon auf meinem Pferde, ohne selbst zu wissen, wie ich darauf gekommen war, und trabtt der Stadt zu, über deren goldene Thnrmspitzcn die Sonne heiter und freundlich emporstieg. Land> leutc gingen singend an ihre Arbeit, die Vogel zwitscherten lustig, und das überall erwachende alltägliche Leben schien das Grausen der Nacht mit sorglosem Lachen Lügen zu strafe«. Doch kaum hatte ich einige Stunden nachher meinen so richtig bezeichneten Verwandten wirklich crdlickl. «7 den ich, nach früheren positiven Nachrichten, weit von hicr glauben mußte, als mit Schaudern jeder Zweifcl iu mir schwand. Alles geschah anch genau so, wie ich es nun schon vorher wußte, und dazu trug obendrein mein Vetter die ganzc Schuld einer muthwillig durch ihn herbeigeführten Beleidigung. Der Gegenstand derselben war ein schwcrmüthig aussehender, schöner junger Manu, der mit Widerwillen in dieser unangenehmen Sache nur der Nothwendigkeit nachzugebcu schicn. Man bat um meine Begleitung, und beschloß auf der Stelle das Loos der Kugeln entscheiden zu lassen. Sobald wir in dem zum Rendezvous bestimmten, einsamen Wäldchen angekommen waren, ich die Pistolen geladen und die Schritte abgemessen hatte, ertheilte ich, der Billigkeit gemäß, dem jnngen Mann den ersten Schuß. Iu diesem Augcublick ertönte aus der nahen Dorfkirchc die Orgel zum Frühgottcsdicusi. Der fremde Jüngling ward sichtlich durch diese, wie die Mahnung cincs guten Geistes, hcrüberschaNendcn Töne erschüttert, «8 und sich zu meinem Vetter wendend, bat er ihn, dcn Kampf wenigstens so lange zu verschieben bis der Gottesdienst vorüber sey, weil cs seinem Gefühl gewaltsam widerstrebe, dem Geschäft des Mordcns obzuliegen, während Christenbrüdcr hier in der Nahe ihr Gebet an den Schöpfer richteten, um ihnen ihre Sünden zu vcrgcbcn. Mit ciner wahren Mephisiophclcs- Grimasse antwortete mein Vetter: er sey trostlos, einem so frommen und erbaulichen Wunsche nicht nachgeben zu können, aber ein, zwar ganz irdisches, doch auch ebenso nnvcr? schicbbarcs Geschäft zwinge ihn Icider zur großtcn Eile, überdies befürchte er, daß ein so ungewoh»^ lichcr und seltsamer Aufschub sie lm weniger frommen Personen leicht Vcidc in den Verdacht der ausgemachtesten Poltroucrie bringen könne, was gegen seine cigne Religion streite. „Ucbrigcns, setzte cr hohnlächclnd hinzu; ist der Vortheil ja ganz auf Ihrcr Seite. Blciben Sie Sicgcr, so haben Sie die Kirche gleich bei der Hand, um dem lieben Gott meinen Tod abzubittcn und sich vom S9 Pfaffen absolviren zu lassen; trifft S i c abcr das üble Loos, so kann ihr Leichnam noch ganz warm eingesegnet werden, und Ihre Seele, vielleicht vom Gcplcrr dcr christlichen Gemeinde gehoben, direct ans dcr Kirche gen Himmel fahren." Empört ergriff bei diesen Worten dcr Fremde seine Pistole, und mit ciucm Blick in die Wolken, dcr für seinen Gegner Vergebung zu erstehen schien, zielte er mit Festigkeit. Doch wer malt mein Erstaunen und meinen Schreck, als ich, in dcm Moment des Losdrückcns mich nach meinem Vetter umwendend, vor diesem deutlich das Gerippe dcr Nacht stehn sehe, welches ihm zwar kaum bis ans Kinn reichte, abcr dennoch die Kugel, die ihm sonst den Kopf zerschmettert haben würde, sichtbar mit dcr Hand wcgschlug, wie man eine Mücke abwehrt. Unversehrt triumphirte dcr ohne sein Wissen Geschützte. «Nun licbcr Freund,« rief er mit Rohhcit und teuflischem Lachen scincm Gegner zu, „jctzt ist es Zeit, Ihr letztes Vaterunser zu beten, nur die Bitte um das tägliche Brod können 70 Sic weglassen." Unmittelbar nach diesen Worten ficl cin Schuß — und, mitten durch das Herz getroffen, sank dcr unglückliche Jüngling, mit einem Mark und Vein zcrschncidcndcn Klagelaut, nach vorn über, sich convulswisch in seinem Blute walzend. Das Gerippe winkte mir mit aufgehobenem Finger nach dcr Gegend seiner Behausung zu und verschwand. „Komm," sagte ich zitternd, meines Versprechens eingedenk, »wir müssen schleunig fliehen, denn hier ist keine Hülse mehr." „Teufel!" rief mciu Vetter, indem er, stets bedachtig, seine Pistole frisch lud und sorgfältig in den Holflcr steckte, „das ist dcr Ersie, den ich im Fallen schreien höre, wie einen Haasen, den man durch dic Milz gcschossen hat. Schade in dcr That um das junge Blut! Das Muttersöhnchen hatte besser gethan, noch cin paar Jahre bei dcr Frau Mama zu verbleiben, ehe es sich in die böse Welt gewagt. Du hast rccht, cr ist dahin — dcr Erde, dcr ewigen Sonne giebt cr die Atomen 71 wieder, die sie zu Schmerz und Lust in ihm v^int — doch was uns betrifft, wärc es allerdings nicht weise, jetzt nach der Stadt zurückzukehren; wohin gedenkst du aw- vorlausig unsere Tour zu richten?" „Folge mir!" erwiederte ich lakonisch und schwang mich aufs Pferd ohne mich umzuschn. Mein Vetter, der in dem engen Waldwege hinter mir hcrtrabte, war ausgelassen lustig, und verfolgte mich den größten Theil des Abends über neckend mit seinen Spässen, ohne mich jedoch in seinen Ton mit einstimmen machen zu tonnen; denn ich hatte mich lieber tausend Meilen weit von hier hinwcggcwünscht'. So war die Dämmerung bereits eingetreten und die Nacht in starkem Anzüge, als wir uns dem schanderhaftcn Hause nahten, aus dessen verfallenen Fenstern oicsma! cin schwacher Lichtschimmer zu dringen schien, wenn es nicht der letzte Wicderschcin der schon untergegangenen Sonne war. »Aber welchen verzweifelten Weg führst Du mich denn, Hermann, durch Dorn und Gesträuch?" 72 sagte mciu Begleiter; „ich weiß überhaupt gar nicht, wic mir ist, aber seit wir die vermaledeite Hütte dort erblickten, fühlc ich mich so beklommen, als wenn mich dcr Alp drückte.« «Dies Haus hier,« antwortete ich mit leiser Stimme, «ist mir bekannt, last uus absteigen und in demselben cin wenig ausruhn." Ich hatte diesc Wortc kaum gesagt, als ich zu meiner Verwunderung cinc liebliche, höchst gracicuse Mädchengcstalt in dcr Thüre des jetzt dicht vor nns liegenden Hauses sichcn sah. Sic hatte einen Strohhut mit breiter Krämpc auf, der ihr Gesicht fast ganz verdeckte. Wir sprangen von den Pferden, ich von cincr Ccntncrlast befreit, cinc menschliche Bewohnerin statt des gräßlichen Nachtgcspcustcs hier zu finden. Auch mcin Vetter schien von dem willkommenen Anblick erfreut und überrascht, und eilte schnell an mir vorüber, nm das holde Kind zuerst zu begrüßen. Da hob diese langsam den Strohhut empor; doch ehe ich noch ihre Zügc unterscheiden konnte, sah ich meinen 73 Vetter, wciß wie Kreide, zurücktaumeln, und mir, fast ohnmächtig, in dic Arme sinken. Doch augenblicklich ging er von cincm Ertrem zum audern über. Er riß sich wüthend auf und schien einen halben Kopf größer geworden zu scyn. Seine Haare sträubten sich, und seine Augen funkelten in der Dämmerung wie glühende Kohlen. «Hölle und Satan!" rief er außer sich, seinen türkischen Dolch ziehend, den er immer bei sich trug; „welch ein verfluchtes Narrcnblcndwcrk ist das!" und ohne mir Zeit zu lassen, cm Wort zu erwiedern, stürzte er der jetzt leeren Thüre zu, und verschwand augenblicklich in ihrem Dunkel. Ich wollte ihm instinctmäßig nacheilen, als ein Windzug das morsche Thor krachend zuwarf, und die wohlbekannte Stimme dieser Nacht mir wieder in's Ohr raunte: »Fliehe! Nichts kann den Sünder retten!« Gleich darauf hörte ich im Innern des Hauses, zweimal nach einander, genau denselben Schrei, dcn der im Duell gefallene Jüngling ausgcstoßen hatte, und einige Secunden später ein so furchtbares 74 Geheul dcr Verzweiflung, daß ich, am ganzen Leibe bebend, kaum so viel Kraft gewann, mich auf mein Pferd zu werfen, welches schnarchend und bäumend mich nicht sobald im Sattel fühlte, als cs mich auch schon mit wilden Sätzen, wie der Sturmwind, in die Nacht hinausriß. Ich habe leider nicht erfahren, was ferner aus meinem leichtsinnigen Vetter geworden ist, denn mein Pferd stürzte in einen tiefen Abgrund, und als ich, zu meinem größten Leidwesen, eben den Hals darin gebrochen hatte, erwachte ich wirklich. »Nun, lieber I....,« fuhr ich fort, »meine Schuldigkeit ist gethan, jetzt werfe ich Ihnen den Ball zu. Macheu Sie cs besser, ich will nicht sagen, wie wir — denn dem Oberst ertheile ich im Voraus die Palme — aber wie ich, und das ist hoffentlich nicht zu viel verlangt.« „Gütiger Himmel!« rief I...., »wenn selbst wein verehrter Principal eine kleine caMtio Fb bvuovolouli«! für nöthig hielt, wie viel dringender bedarf ich cincs entschuldigenden Präambulums! Mein unbedeutendes Leben hat zwar dcs Widerwärtigen und Traurigen für mich gcnug enthalten, aber weder Tragisches noch Comischcs finde ich darin, werth Ihnen vorgeführt zu werden. Ueber-dem ist auch die Stunde unsres Aufbruchs, wie ich hier auf meiner Uhr sehe, ganz nahe; ich bitte also, wenn mich Ihre Großmuth anders nicht völlig von der Erzähkmgspflichtigkcit befreien will, sich wenigstens mit einem kurzen Doppelschwank von der Universität her zu begnügen, dem Einzigen, was mir zu Gebote sieht, und allenfalls nach Ihren beiderseitigen Traum- und Zauberstücken, als eins jener unbeachteten Nachspiele dienen kann, während denen der gtdßtc Theil des Publikums gewöhnlich schon nach Hause zu gehen pflegt, oder bereits den Nachtschlaf anticipirt." Da wir ein unverbrüchliches Stillschweigen beobachteten, begann I.... mit einem burlesken Seufzer folgendermaßen: 76 Eine ins Politische übergehende Haasenjagd, die mit einem Walzer auf der Straße endet. Unsere guten akademischen Rcchlc sind jetzt dahin. Gleich den, schon seit Jahrhunderten sterbenden Papstthum, haben auch wir lange gekämpft, doch sind wir früher unterlegen. Sehr natürlich! denn jenes bestrebte sich, die Welt zu verfinstern, und wir, die Philister aufzuklären. Sonderbar, daß auf der Wartburg, von der früher der erste zündende Blitz gegen die damalige geistige Weltherrschaft aus Luthers Studirstube fuhr, und sogar in demselben Local auch der Grund zu unsrem Verderben gelegt wurde! Nun ist Alles so ziemlich vorbei, wir leben nicht mehr, wir zappeln nur noch. Ehemals waren die Studenten Freiherren, ungezügelte, aber kräftige Jugend, jetzt sind sie nur noch Schüler, demüthig unter der Zuchtruthe ihrer Schulmeister, wie diese unter dem gestrengen Rcgierungsrath, der das Departement der Erzichnng verarbeitet. So hatte es denn auch der akademische Senat zu Halle schon im Jahre 182. dahin gebracht, daß nns, nebst so vielen andern Prärogativen, gleichfalls die um die Stadt seit undenklichen Mten iunc gehabte Freijagd verboten worden war, und selbst zwei unserer besten Jagdhunde, nntcr dem Vorwandc, anständige Bürger molcsiirt zu haben, solenniter aus Halle und seinem Wcich-bildc rclcgirt wurden. Vor der Hand fand sich jedoch bald ein Ausweg. Wir beschlossen, verschiedene kleine Jagdreviere in weiterer Entfernung privatim zu pachten, und da die ehrlichen Inhaber derselben noch nicht recht wnßtcn, wie die Studenten zu jagen pflegen, so gelang uns die Sache mit leichter Mühe und für geringes Geld. Kaum erschien mm dcr 1. September, so waren wir anch sogleich mit sämmtlichen Bekannten, die nur eine Flinte auftrcibcn konnten, oder einen Hund besaßen, dcr irgend für die Jagd tauglich war, auf unserem Revier. Alles was sich sehen ließ, ward unbarmherzig todtgeschosscu und gehetzt, so daß bereits in den ersten Tagen das erlegte Wild mit Uebcrschuß den Pachtzins trug. Wenige Wochen nachher war es aber auch schon nicht mehr möglich, weder einen Haascn, noch ein Rebhuhn aufzufinden, und noch später ließ sich selbst nicht einmal cm einsamer Vogel mehr blicken, so war die ganze Thierwclt mit Furcht vor den stets lauernden Schützen erfüllt worden. Zuletzt blieb nichts mehr übrig, als einem armen Bewohner des Dorfes, mit der Versicherung einer guten Belohnung, den Anftrag zu ertheilen, unsere Jagd einstweilen genau zu inspiciren, und so wie er nur etwas einem Wilde Aehnliches entdecke, uns sofort auf's Schleunigste Kenntniß davon zu geben. Doch es verging der October und November, ohne daß sich Kilian (so hieß unser Iagdvcrwaltcr) mit einer erfreulichen Nachricht blicken ließ. Endlich — am 15. December, eben als wir uns nach beendigten Collegien M9 zu uuscrn gewöhnlichen Ut'terhaltungcn im Kreist auf dcm Markte zusammengestellt hatten, erschien Kiliau athcmlos in unsrer Mitte, kaum noch Kraft habend, uns mit zwei Worten zuzurufen: daß seit gestern gegen Mittag cin Haasc sich auf , unserer Jagd cingcfundcn habe. 'U' Mit einem donnernden Hurrah ward dcr frcudcbnugendc Courier im Triumph auf den Rathskeller geführt, und durch dm Genuß verschiedener geistigen Getränke wieder zu Kräften gebracht, worauf er denn folgenden umsiändlichcrn Rapport abstattete: Trotz aller seiner Aufmerksamkeit bei Tage und bci Nacht, sagtc er, habe sich seit unserm letzten Abzüge von dcm Rcvicr nichts darauf blicken lassen, obgleich er au manchen Orten, nahe der Grenze, allerlei Verführerisches für Wild zur Lockspeise hingelegt. Als er aber gestern, um den frisch gefallenen Schnee zum Fährtespürcn zu benutzen, das ganze Feld durchirrt, sey zu seiner grausamen Freude in zierlichen Sprüngen cin Laugohr (dies war sein Ausdruck) wenige hundert Schritte von ihm vorbeipassirt. In hastiger Eile habe er sich augenblicklich nach Hause begeben, seine numtcre Ziege mit einem Bund Heu, etwas Stroh, grünem Kohl, und allen erdenklichen Delicatessen beladen. Dann sty er in die gcnan gemerkte Gegend, wo sich der Haasc gelagert, zurückgekehrt, und habe mit den Nahrungsmitteln weit um denselben cincu Be-schwöruugskrcis belegt, so daß es nun keinem Zweifel mehr unterliegen könne, daß, wenn wir keine Zeit verlören, das schone wohlgenährte Thier unfehlbar unsere Vente werden müsse. Doch, nach so großen Strapatzcn, sctztc cr wohlbcdächtig hinzu, batc cr sich nun auch gehorsamst das ihm zugesicherte Geschenk aus, denn cs wären keine Aussichten vorhanden, daß cr noch einmal eine so wichtige Nachricht bringen könne, und dem Arbeiter gebühre sein Lohn. Studenten besitzen gewöhnlich nicht viel — darum smd sie großmüthig. Eine allgemeine Collcctc ward sogleich eröffnet, und die, von Jedem nach Kräften gegebenen, Spenden 81 trugen unserm gewandten Sancho Pansa eine ansehnliche Erndtc ein. Froh, d. l). gründlich besoffen und die Taschen voll Münze, kehrte er damit nach seinem Dorfe zurück. Wir aber sandten nun Boten aus nach allen Wcltgcgcndcn, zu jedem unsrer Freunde und Bekannten, theilten ihnen das große Ereignist unter dem Siegel des Geheimnisses mit, nnd luden sie dringend cm, sich noch heute Abend bei Ochse (dem Wirth einer bcrühmtcn Tabagic) cinzusinden, «m dort mit Music ciuen großen Iagdplan zu entwerfen, der den vcrfchmtcn Haasen sicher in unsre Hände führe. Als wir Abends in cincm fröhlichen Cirkcl von wenigstens achtzig Studenten versammelt waren, setzte der geheime Senior der S....schcn Landsmannschaft in Ciceronianischcr Rcdc mit ungcmeincm Scharfsinn auseinander, wie er der unvorgrciflichcn Meinung sey, daß man den, zwar nnr aus einer einzelnen Person bestehenden, schwachen nnd furchtsamen, aber seines feinen Gehörs und seiner Schnelligkeit wegen dennoch Semilasso in Afrika. IV. 8 8s nicht zu verachtenden, Feind, zuerst vorsichtig wcit umkreisen, sich dann immer dichter und dichter um ihn zusammenzichn, und sich endlich dergestalt ihm nahen müsse — daß cr nut den Händen zu greifen sey. Nach einigen Für- und Gegenreden (kleine Uebungen für künftige Deputirtc) ward nach öffentlicher Abstimmung des Sprechers Vorschlag angenommen, und am andern Morgen der Vcrsammlungsplatz unterm rochen Thurme auf dem Markt zwischen 7 und 8 Uhr festgesetzt. In Halle, wo, wie gesagt, das wahre Studenten-leben sich in j^'ner Zeit schon seinem Ende nahte, konnte den Pedellen natürlich die frühe Zusammenkunft so vieler Studenten nicht anders als höchst auffallend und beunruhigend erscheinen. So lange ts noch dämmerte, bemerkten sie zwar nichts; um acht Uhr aber, als es voller Tag geworden war, gcricthcn sie in desto größere Vc? siürzung, denn nicht achtzig, nein an zweihundert Studenten hatten sich nach nnd nach versammelt, und wie! Viele trugen Flinten und warcn wie 83 Jäger vom Fach gekleidet, die Metsten prasentlrten sich jcdoch in Kanonen, au denen mächtige Sporen klirrten, bewaffnet mit großen Stocken, ganzen und abgebrochenen Rappieren, alten Schwcrdtcrn aus Rüstkammern entwendet, Säbeln, Pistolen, Tromblons n. s. w., nnd jeder ohne Ausnahme führte, entweder frei oder an einem langen Strick, irgend einen Hnnd mit sich, ja Einige, die bei Fleischern wohnten, hatten sogar die Hnndc ibrcr Wirthe zu dieser Jagd entführt. Die Pedelle, außer sich über ein so unbegreifliches Beginnen, rannten in ängstlicher Eil von einem Mitgliedc des akademischen Senats znm andern, um sich Raths zn erholen, was bei dieser, dem Anschein nach offenbar rcvolntioncllen, Unternehmung der bewaffneten Studcntenmacht zn thun sey, aber keiner der weisen Herren vermochte im ersten Schreck einen Entschluß zu fassen. Schnell ward jcdoch der ganze akademische Senat, theils halb, theils gar nicht angekleidet, bei dem Vorsitzer ohne Ceremonie im Hause zusammen- 84 gerufen, und nach cinigcn Debatten kam man endlich übcrcin, die Herren Studierenden mit Würde fragen zu lassen: Was ihr Begehr sey? Zitternd nahte der alte, wohlbekannte Obcrpcdell, Secbald, unserm bereits zum Abmarsch geordneten, bunten Haufen, und frug mit schwacher Stimme, wohin wir denn, so formidable bewaffnet, zu ziehen gedächten. Die von hundert Stimmen gcbrülltc Antwort: einen vcrnrthcilttn Langohr zu todten — entsetzte den furchtsamen Spion noch mehr, und dunkel blieb ihm der kurzcu Rede Sinn; denn Langohr konnte eben sowohl Esel als Haasc bedeuten, und mit beiden sehr leicht eine wichtige Person gemeint seyn. Da wir uns nicht weiter aufhalten ließen, eilte er schleunig zu seinen Obern zurück, und verkündigte zagend, was er vernommen. Nach einem sehr lustigen Marsch von einigen Stnndcn langten wir aus der Grenze unsres Jagdreviers an, wo uns Kilian ehrerbietig empfing. Sogleich ging's rasch ans Werk, und in der That, einige tausend Schritt vom Dorf sah die Avant- 85 garde, die ich zu commandiren die Ehre hatte, schon dcn unglücklichen Haasen ruhig an mm, Kohlstrunk gelagert, dcr ihm wahrscheinlich kurz vorher noch znr letzten Mahlzeit gedient hatte. Jetzt ward die Jagd mit vcrhängnißvollem Schweigen eröffnet, dic Schützen mitcr die übrigen gleichmäßig vertheilt, und sämmtliche Hunde an Leinen genommen. Kein Manöver wohlgeübter Infanterie konnte besser ausgeführt werden, als dieses grandiose Kesseltreiben, und die Haltung dcr Truppen war exemplarisch. Ruhig und wohlgeordnet, wie auf dcm Ercrzicrplatz, zog sich dcr anfangs weite Kreis immer enger nnd drohender zusammen, und als beinahe schon einer den Andern berührte, gad crst dcr Befehlshader das Signal zum Loslassen dcr Hunde. Wind-, Jagd-, Schafer-, Fleischcr-und Dachs-Hunde, Pudel, Pinscher, Mopse, kurz alle denkbare Raccn stürzten mit wilder Hasi auf den sein Loos stoisch einsehenden, in imposanter Todesverachtung ruhig dasitzenden Haascn. Auch wir rannten im schnellsten Laufe hinzu, doch zu 86 späl, und nur mit Mühe gelang cs Emigcn von uns, wenigstens dic Löffel und Vlnmc zu retten, denn alles Ucbrigc hatten dic hungrigen Hunde bereits verschlungen, wobei sich naturgemäß die der Fleischer besonders auszeichneten. Kilian jubelte am lautesten. „Unser Pastor hat recht," rief cr, „denn noch gestern lehrte cr uns auf der Kanzel: Viele Hunde sind des Haascn Tod...... nnd hier sieht man's deutlich." Für diese geistreiche Bemerkung ward ihm noch auf dem Schlachtfeldc die Vlumc des Erlegten als wohlverdiente Decoration ins Knopfloch gesteckt, und als Fahne eine lange Stange, an dercn Spitze sich die Löffel sehr stattlich ausnahmcn, in die Hand gegeben. So mit den Trophäen dcs Sieges geschmückt, marschirten wir vergnügt und stolz dem alten Hallc wieder zn. — Doch was bot sich hier unsern erstaunten Blicken dar! Die ganze Garnison war kricgsmäßig ausgerückt, und an dcn Thoren in Vertheidigung aufgestellt. Der Commandirendc 87 selbst aber ritt mit gezogenem Dcgcn unscrcm, eben etwas equivoque, burschikose Lieder singenden Zuge, feierlich entgegen, und fragte im Namen des akademischen Senats, und mit bedeutungsvoller Hinwcisung anf seine Truppen: wo wir gewesen, und was wir angestellt hatten? Lachend wies man auf Kilian mit der Siegesfahne, und nach kurzer Aufklärung war der Commandireudc gcschcidt genug, in die allgemeine Fröhlichkeit mit einzustimmen. Mit cincm glänzenden Ball ward am Abend dieser Spaß beschlossen, doch leider blieb des Senates Rache nicht aus, und bald darauf ward uns Armen nun auch verboten, ferner Jagden nah und fern, und wo es auch sey, wieder zu pachten. Denn man fürchtet heut zu Tage nicht mehr den wilden Jäger, der unsre Vorfahren erschreckte, aber wohl die wilde Jagd der Studenten, und besorgt vielleicht, sie mochte nicht immer nur einem einzelnen Haasen gelten. Die heutigen Abenteuer waren aber noch män beendigt. 88 Untcr mcincn intimsten Freunden auf der Universität befand si'Ä> cm, in jeder Hinsicht von der Natur reich begabter, junger Mann aus A.... Obgleich er dem freicn, allerdings zuweilen auch etwas rohcn Studcntcnleben nicht abhold war, so mußten wir doch oft seine Gesellschaft entbehren, indem er leidenschaftlich den Tanz und dic von uns verabscheuten Theegesellschaften liebte, die in Halle ohne Zweifel noch fader und gräßlicher als an irgend einem andern Orte sind. Mcin Freund ertrug aber ihre Langeweile um besserer Gründe willen. Das schone Geschlecht war, wie Jünger sagt, seine schwache Scitc; und cs isi sehr erklärlich, daß es ihm bei allen seinen körperlichen Vorzügen nicht an mancherlei Liebschaften fehlte, die bald vom Theetrinken zu andern Naschereien übergingen. Er behauptete zwar stets gegen uns, daß sie nie das Platonische überschritten. „Doch," setzte er lachend hinzu, »müßt Ihr darüber den (?0suo!iu8 5Iopo8 nachlesen, den Ihr, statt mchr zu lernen, schon wieder vergessen habt. Don würdet Ihr finden, daß Plato eigentlich Arisiot'lcs hieß, und nur wcgcu seiner breiten Schultern den Beinamen Plato erhielt. Nun seht die mcinigm an," sagte cr, indem cr wohlgefällig sich im Spiegel betrachtete — „ich schmeichle mir, so gut wie Einer, platonisch lieben zu können." Es ward indeß zuletzt doch Ernst mit einer acht sentimentalen Liede für meinen Freund, und alle scinc leichten Eroberungen verlassend, seufzte und schmachtete cr schon scit Monaten mit sehr ungewissem Glück sür Frauleiu von S...... cin Mädchen, das mit außerordentlicher Schönheit nicht allzuviel Klugheit verband, aber desto mehr Hochmuth besaß. Sic hatte früh das Uuglück gehabt, ihreu würdigeu Vater zu verlieren, und war von der Affenliebe ihrer Mutter schmählich verzogen worden. Mein Freund liebte sic dennoch mit dem Feuer blinder Leidenschaft, uud ich glaube gern, daß auch sie dcm schönen Mann nicht abgeneigt war, von dcm manches jungc Kind seiner Vertrauten mit pochendem Herzen zuflüsterte, wic 90 ich cs einmal unschuldig selbst belauschte: „Ach! mit M .... zu walzen, ist cinc wahre Göttcr-lust! —" Ungeachtet dieser anmuthigm Tanz-fertigkcit hatte er doch hausig den Verdruß zu scheu, daß seine stolze Schöne auf den Ballen die albernsten Pinsel ihm vorzog, wenn sie einen vornehmen Namen trugen, und oft hatte er sich darüber bitter bei mir beklagt. Da ihm ein Ball immer als eins der wichtig? stcn Ereignisse des Lebens erschien, so hatte er auch hcntc keinen Theil an der Jagd genommen, weil er dm ganzen Tag beschäftigt gewesen war, Musikstücke auszuwählen, Touren für den Cotillon zn arrangircn, seine Garderobe auf das Brillanteste in Stand zu scheu u. s. w. Voller, Hoffnungen und Projcctc vcrlicsi cr uns ?,iu IiiKk 8pii-il8." Was mich betrifft, so muß ich nur gestehen, dafi ich von meinem Freunde damals das gerade Gegentheil war, und weit mehr Achnlichkeit mit Friedrich Wilhelm dem Ersten, glorreichen Andenkens, hatte. Ein traulicher, ungcmrtcr Cirkcl, 9, der edle Gerstensaft, das noch edlere Kraut, unter dem Namen Tabak bckannt, gewahrten mir weit mehr Vergnügen, als der Anblick geschminkter Wangen und wcspcnahnlichcr Taillen, mit dcm wahnsinnigen Umherspringen in der Hitze, dem Schweißgeruch ci::cr gepreßten Menge, und dem unerträglichen Gedudel derselben, immer wiederkehrenden , monotonen Tanzmusik — was man Alles zusammengenommen einen Vall zn nennen pflegt. Demzufolge beehrte ich also auch del, diesmaligen keineswegs mit meiner Gegenwart, und statt mich in eine ängstliche Toilette einzuschnüren, blieb ich in der bequemsten aller Kleidungen, nämlich meinem Schlafrock, mit einem halben Dutzend muurcrer Freunde am runden Tische sitzen, wo die fröhliche Unterhaltung selten abbrach. Duelle, der Verfall der Studcntenwclt, ergötzliche Geschichten über die Fata unserer Pedanten, die zuweilen sogar in Knittelversen vorgetragen wurden. Alles mit einem Wort, was in unsern Gesichtskreis kam, mir einziger Aus- 92 nähme der verpönten Politik, die uns ancct'clte, gab den Stoss zu diesen Convcrsationcn her, dcrcn ich mich immcr mit einer Art Heimweh erinnern werde. In harmloser Eintracht war auf diese Weise Mitternacht herangekommen, als mit einem-male M...., blaß wie eine Leiche und wüthend wic ein Tiger, das elegante Ballcosiüm, u, la Uamwt, zerstört, in's Zimmer stürzte. Vor unbändigem Zorn konnte er kaum Worte finden, uns zn erzählen, daß Fräulein von S.... ihm einen schon früher zugesagten Tanz nachher, nntcr nichtigem Vorwande, abgeschlagen, und im Augenblick darauf mit dem Husarenlientcnant, Grafen X ...., davon galoppirt sey. Seine Hitze hatte ihn verleitet, den sonst sehr friedfertigen uud anständigen Offizier sogleich herauszufordern, aber nur um Rache, um raffinirte Rache an diesem hochgcborncn Fräulein von S.... war es ihm jetzt zu thun, uud fast fußfällig bat er uns, ihm mit Rath und That dabci bchülflich zu scyu. Wer konntc cincn armen Camaradcn so leiden 93 sehen, ohne vom Mitleid bewegt zu werden, nnd da die Dame ohnehin schon mehrere von uns anf ähnliche, wcnn anch nicht ganz so anffallcndc, Wcisc disgnstirt hattc, so versprachen wir, noch in dieser Nacht unsern Freund vollständig zu befriedigen. Nach kurzer Berathschlagung war unser Plan ausgcdacht, und man schritt ohne Weilen znr Ausführung. In Halle lebte in jenen Jahren ein seltsames Original, das man schlechthin mit dcr Vcncnnnng des alten Husaren bezeichnete, wcil cr in Zicthen's Regiment, zu Friedrich dcs Großen glorreicher Zcit, lange gedient hatte. Er trug noch immer seine alte zerlumpte Uniform, einen nngc-Heuren Schnurrbart, einen noch langem Zopf, und gcnosi monatlich die Belohnung verdienter Krieger, von 10 Silbcrgroschcn pünctlich ausgezahlter Pension. Der Mann hatte indesi einen so un> mäßigen Appetit, daß diese ansehnliche Summe nimmer zu seinen physischen Bedürfnissen ausreichen wollte. Derselbe hattc sich also eine Geige 94 angeschafft, mit der er sich auf der Brücke der Chaussee nach Magdeburg zu placircn pflegte, und dort sitzend, dcn Vorübergehenden dermaßen dic Ohren zerriß, daß Jeder gern das Aufhören der Musik mit einer kleinen Gabe erkaufte. Blieb Einer hartnackig, so sing er auch noch mit barbarischer Stimme alte Husarenlieder Zu singen au, und cs sind wenig Beispiele vorhanden, dafi man auch dieser letzten Reserve widerstanden hätte. Obgleich der drollige Kcrl, dcn die Studenten in ihre besondere Protection genommen hatten, im größten Elend zu lebeu schien, sand man doch nach ftinem Tode, unter der wurmstichigen Lager-siättc, au 6000 Thaler in verschiedener Münze, und da sich keine Erben meldeten, trat ohnc Zweifel der Magistrat in ihre Rechte, denn das Geld verschwand. Zu diesem alten Husaren nun, der damals noch sehr rüstig war, richteten wir unsere Schritte, weckten ihn aus dcn Armen eines süßen Schlafes, kleideten ihn grotesk an, befahlen ihm, nns zu folgen, und insiruirten ihn genau in 95 seiner Rolle. Unterdessen hatte Einer von uns das Dienstmädchen dcr Frau von S ...., dcrcn Geliebter er zufallig war, und die dcm Fräulein wegen ihres herrischen Wesens auch nicht wohl wollre, gleichfalls ohne viele Mühe in's Complott gezogen, und nachdem wir uns nur die Gesichter noch schwarz und weiß gefärbt, und sonst gehörig unkenntlich gemacht hatten, begaben wir uns auf unsern Wegelagerers Posten. Um drei Uhr war der Ball beendigt, die Nacht so dunkel als wir es wünschen konnten, und bald sahen wir die Erwartete ankommen; denn cs ist in Halle Mode, daß, trotz des fürchterlichsten Schmutzes, jede Familie, nur von dem Mädchen begleitet, das eine Laterne vortragt, sich durch Dick und Dünn por p^äo» nach Hause bcgicbt. Es war auf dcm Domplatz, wo wir bis an die Knöchel im Kothc stehend, Posto gefaßt hatten, denn ein eingetretenes Thauwtttcr, mir Regen vermischt, hatte unserm Plane vortrefflich in die Hände gearbeitet. Schon von Weitem 96 horten wir Fräulein von S.... - sich laut über Dies und Jenes, was auf dcm Vallc vorgefallen war, lustig machen, als plötzlich die Laterne des Dienstmädchens abgcrcdetermaßen verlöscht, und gleich darauf Frau vonS...., einen Schrei des Entsetzens ausstoßcnd, iu einem zusammen^ geschaufelten Haufen sehr zäher Materien stecken bleibt. Fräulein von S...... voll Zorn, äußert sich höchst empfindlich und in ganz unjuugfräulichcn Ausdrücken; doch wer mag den Schrecken der Damen malen, als sich jetzt, beim Schein einer Blendlaterne, sechs furchtbare Gestalten uahcn, und eine derselben, die dcm Fräulein als der iuooSuilo hier durchreisende Fürst von Hasinofsky vorgestellt wird, sehr höflich um die Ehre eines Tanzes bittet. Frau von S..... fiel sogleich ohnmächtig auf ihren Haufen, Catharina das Dienstmädchen entfloh, das Fräulein die stärkere Nerven als ihre Mutter hatte, wollte erst drohen, dann sich entschuldigen, doch der alte Husar stimmte die Saiten seiner Geige, und zu unserm 97 eignen Erstaunen hörten wir gleich darauf einen Walzer auf die allbclicbtc Melodic: Wir winden dir den Iungfemkranz — erschallen, und dahin flog der Fürst von Hasinofsky mit dcm gewaltsam ergriffenen Fränlein, auf dcm schwierigsten und unsaubersten Tanzboden, dcm Dome zu. Als er wieder mit ihr zurückkam, bat sich der Graf Cholcradowitsch die zweite Tour aus. Das Fräulein, mit zusammengebissenen Lippen, ergab sich trotzig in ihr Schicksal. Ictzt kam die Reihe an den Varon von Mauschclseck, und einige Thranchcn, die in den schonen Augen perlten, hatten uns fast zum Mitleid bewegt. Doch blieben wir unerbittlich, und die junge Dame mußte auch den Letzten aus der Stufenfolge des deutschen Adels, der ihr als Herr von Vcrgclter bekannt gemacht wurde, ihre schlanke Taille umspannen lassen. Jetzt schien aber ihr Stolz gebrochen, denn sie bat klaglich um Verzeihung und mit Thränen der Angst um Schonung. Wir hatten ihr eigentlich "och zugedacht, vom alten Husaren, als dcm Semilasso in Afrika. IV. 7 98 wiedergekehrten Geist des seligen Zicthcn, nach Hause geführt zu werden; unser Freund aber, der sich bis jetzt noch nicht gezeigt hatte, sondern unterdessen der ohnmächtigen Mutter die nöthige Hülfe geleistet, konnte es nicht langer aushalten. Durch die geübte Rache mochte, wie cs oft zu gehen Pflegt, die Liebe nur noch stärker geworden seyn. Er trat schüchtern hervor, ergriff der Geliebten Hand, und indem er sie ehrerbietig küßte, sagte er mit nichts weniger als heroischer Stimme: »Erlauben Sie, gnadiges Fräulein, daß ich Sie von nun an in meinen Schutz nehme, und Sie bis zu Ihrem Hausc begleite." Die Schöne athmete anf, denn der weibliche Instinct verkündete ihr hinlänglich, daß sie jetzt von Neuem die Herrschaft besitze. Wir aber fühlten cbcn so deutlich, daß unsere Rolle ausgespielt sey, und daß ein Verliebter schwer zu heilen ist. Nur Ein Mittel schlagt zuletzt sicher an: die Ehe. Ich zweifle nicht, daß mein Freund dies erfahren haben wird, denn unser wuthwilligcr Streich hatte. 99 wider alles Erwarten, wirklich diese heilsame Folge und ehe ein Monat verging, war der bürgerliche reiche M.... und das arme, bedeutend humaner gewordene, Fräulein von S. < <. < Mann und Frau »Bravo! lieber I....," rief ich, „Ende gut. Alles gut, und so schließt, Dank Ihrer Sorgfalt, unser dreifaches Impromptu noch schulgcrccht, wic jede gute Combdie, mit einer Heirath." Als wir gcgcn vier Uhr ans unsrer Höhle wieder ans Tageslicht ritten, verweilten wir noch einige Augenblicke auf dem Hügel, um unter dem Gewirr hoher Disteln und Schlingpflanzen, einen letzten Abschied von der charakteristischen Aussicht zu nehmen. Sie war ächt Afrikanisch! Eine glühende Atmosphäre, eine endlos weite, ganz gelb gebrannte, mit Ruinen besäte, von gezackten Beigen eingeschlossene Ebene, nirgends ein einziger Baum, mit alleiniger Ausnahme eines entlegenen, com- 100 pacten, aber auch uicht grün, sondern blaßgrau gefärbten Olivcnwaldcs, und über Alles endlich ein dämmernder, flimmernder Dunst gebreitet, in dem die entfernten Umrisse undeutlich verschwanden. Noch immer summten Myriaden von Fliegen um uns her, die unsre geplagten Thiere zu schnellerem Laufe antrieben, worunter sich besonders mein Maulthicr auszeichnete, dessen eiligem Paßgänge die Pferde nur im Trabe folgen konnten. Bald ward indeß die Gegend bergiger, die Luft kühler, und die ganzc Natnr nahm einen andern Charakter an. Bäume erschienen zwar immer noch nicht, aber die Erde bedeckte sich mit dichtem und frischen Immergrün, Myrthcn, blühenden Rosmarin, und vielen lustigen Vächlciu dazwischen, die hastig und plätschernd von den Bergen herabsnömten. Das Bett dieser Bäche war, statt wie bei uns mit Weiden, hier längs der Schluchten grdßtcnthcils mit Oleander eingefaßt, der jetzt im glänzendsten Flore stand. Auch ließen sich mit ihren schönen Rosakclchcn, noch mehrere andre bunte Blumen 101 sehen, du das Feuchte lieben. Gegen Abend überraschte uns, als wir ebcn aus einem gewundenen Vcrgthale hervortraten, plötzlich der Anblick des prachtvollen isluivvm,, als stehe er dicht vor nns, mit dem weißen Städtchen gleiches Namens an seinen Fuß gelagert, das ein dunkler Wald von Bäumen aller Art umschloß. Zu gleicher Zeit kam von dort her ein lang gedehnter Trupp Neger herangezogen, die man aus dem Innern zum Verkauf nach Tunis brachtc. Sie gingen ganz frei, nur von zwei Maureu cscortirt; ein Camccl trug ihre wenigen Effecten, und sie schienen alle guter Dingc zu scyn, wenigstens lachten die Meisten, besonders die Weiber, herzlich über meine Lorgnette, auf die sie spottend mit den Fingern wiesen, und bei dieser Gelegenheit die schönsten weißen Zähne sehen ließen. Ich bemerkte übrigens, weder vom männlichen, noch weiblichen Geschlecht irgend etwas Hübsches darunter. Selbst die Kinder waren haßlich, und eine grämliche Alte erschien nur fast fürchterlich. Die Sclaven werden so gut 10s und milde in Tunis behandelt, daß man sie unmöglich sehr bedauern kann, da sie cs daselbst ungleich besser haben, als Tausende unserer europäischen Tagelöhner und Dienstboten. Je näher man der Stadt kommt, je anmuthigcr entfaltet sich die großartige Verggcgend, welche man füglich die tunesische Schweiz nennen könnte. In Wahrheit glaubte ich mich eine Zeitlang in jenes malerische Land versetzt. Die steinige Straße wurde rechts und links von zwei reißenden Bcrgwässcrn eingefaßt, die sie au vielen Orten überströmten, und hinter ihnen erhob sich eine Wand von hohen Silberpappeln, Kastanien, Nnßbäumen und Rüstern, mit Dornen und blühenden Winden so eng durchwachsen, daß man nur selten durch eine Oessnung des Gebüsches das schwarze Haupt des Vcrgricsen hindurch schauen sah, der alle seine Nachbarn hoch überragt. Das volle Lanb der Feigenbäume, und hie und da ein blühender Oleander zwischen den Dornen, wurden in dies« Umgebung kaum als ausländisch bemerkt. Als sich jedoch die, 103 gleich einem Gartenweg gcschlängeltc Baumgassc öffnete, verschwand alle Heimweh erregende Täuschung schnell, wenn auch keineswegs durch einen unangenehmen Contrast; dcnn drei stolzer Palm? bäume schwankende Aesic wehten uns im Winde entgegen, seitwärts stieg am Abhang eines Hügels siufcnartig der mit Turbanen siafsirte Stadtkirchhof empor, und vor uns erblickten wir das antike Thor der alten Stadt, was noch heute dem modernen 8«mwan zu demselben Vchufc dient. Durch seinen Widdcrkops mit dem deutlich darüber zu lesenden Worte: auxiHo, zeigte es hinlänglich an, daß XouAilmia cinst dcm Jupiter Ammon geweiht war, und wahrscheinlich hat es mit stincm berühmten Berge der ganzen Provinz den Namen gegeben. Nordlich von hier begann das eigentliche Afrika der Alten, und vom Gipfel des mous 2iSuou8i8 oder ^«uKi», dem höchsten im jetzigen Königreich Tunis, übersah Agathoklcs, wie wir im vioäoru» 8ioulu8 lesen, zu gleicher Zeit das Land der Adrumctiner und der Carthagcr. Dieselbe 104 Aussicht hoffte ich nun freudig in wenigen Tagen selbst zu genießen. Ich ward von zwei Schechs der Stadt, dem alten, der wegen übler Behandlung eines gleich mir ins Innere reisenden sardinischcn Consuls, des Grafen Philippi, vom vorigen Bey abgesetzt wurde, und dem neuen, der sein Neffe ist, mit viel Defereuz und wenigstens scheinbarer Herzlichkeit aufgenommen. Man führte mich in ein recht gutes Quartier, was der Sapatapa zu bewohnen pflegt, wenn er die hiesige Gegend besucht, und wo der vorausgcsandte Mameluck mit meinem Diener bereits Alles für mich in beste Ordnung gebracht hatte. Kurz darauf tischte man uns eine Mahlzeit von wenigstens einem Dutzend Nationalschüsscln auf, die zwanzig Mann gesättigt haben würde, und durchaus sehr schmackhaft zubereitet war. Wenn die Recensenten mir nicht fortwährend vorwürfen, zu viel zu „küchcnzcttcln", so würde ich Sie hier mit einer ganzen Abhandlung über die maurische Küche erfreut haben. Die Gastro- 105 iwmcn nwgen ihren Schmerz, diese jetzt entbehren zu müssen, nnr an den obgcdachtcn Recensenten auslasscn, ich selbst muß ihncn schon nachgeben, wiewohl mit Vorbehalt gelegentlicher Ucbcrtrcttmg, wcnu dic Vcrsnchnng zu groß wird. Am andern Tage besuchte ich die Ruinen des römischen Tempels, unter dem jcnc reichen Quellen des 8auvvan entspringen, die einst, von Menschenhand gezwungen, hoch übcr dic Thäler und durch der Berge dunkle Tiefen nach Carthago strömten. Ich glaube nicht, daß es irgendwo im nördlichen Afrika etwas Rcizcndcrcs ja Ucppigcrcs geben kann — cin Wort, dcsscn ich mich lange Zeit nicht mehr bedienen konnte — als der Weg darbietet, der von der Stadt nach diesen Ruinen führt. Ein Hain von hohem Holze vermischt sich auf das Lieblichste mit ftuchtbcladcncn Obstdäumen, dunkelroth blühenden Granaten, weißem, fast betäubend duftenden Jasmin, blauen Winden, und den Massen des überall wuchernden Oleanders, aus dcsscn rostnfarbigcn Blüthen häufig schwarze 106 Cyprcffcn, wie zierliche Obelisken hervortreten. Man sieht deren von der Große mittler lombar-dischcr Pappeln, und anch die Nnßbämnc stehen an Umfang denen nnscrcr süddeutschen Gcbürgc nicht nach. Reife Kirschen, saftige Maulbeeren und Mandeln in ihrer sammtgrüncn Schale hingen übcr dem engen Wege häufig ganz mundgerecht auf uns herab, und wir gestatteten uns auch nicht selten ihren, hier Keinem verwehrten Raub. Von allen Seiten rauschten Felsbache neben und über den Weg hin, hie und da kleine Cascade« bildend, die tiefer unten mehrere Mühlen treiben. Der Schech machte uns auf eins dieser Waffer aufmerksam, das so nöthig zum ächten Färben der rothen Fez, oder 8e1io8,'s ist, die fast dem ganzen Orient zur Kopfbedeckung dienen. Es giebt zugleich das vortrefflichste Trinkwasser ab, ein Gcnusi, in dem mau sich hier ganz berauscht, da man in Tunis, wie schon erwähnt, nur matteres Cistcrnenwaffer erhalten kann. 107 Von dein Tempel, der von eigenthümlicher Van. att gewesen zu seyn scheint, und sich zweifelsohne aus dcr mittlern Kaiferzeit hcrschrcibt, stchcu nur noch die äußern Manern, die im Halbkreis einen freien und bedeutend großen Platz umgeben. Auf dcr nordwestlichen Seite war dieser, vom Tempel umschlossene Hof offen und bildete eine Terrasse, an der rechts und links zwei noch erhaltene Treppen hinabführen. Zwischen diesen befindet sich unten cm großcs Bassin, wo sich alle Quellen sammelten, welche die luftigen Bogen aufzunehmen bestimmt waren, von denen man einige Reste in dem mit Garten bedeckten Thal verfolgen kann. Rund um den Tempel sieht man an dcr inneren Seite Nischen, worin noch vor wenig Jahren einige Statuen gestanden haben sollen; auch wurden hier mehrere kleinere Antiquitätcu gefunden. Ich selbst kaufte von einem Juden drei geschnittene Steine, deren einer nur halb vollendet ist, aber alle von keiner ganz schlechten Arbeit sind, für den sehr unbedeutenden Preis von fünf Piastern. 108 Nachdem wir die Ruinen hinlänglich betrachtet hatten, versuchten wir an derselben Seite dcs Berges, der hier sehr steil und unwegsam ist, noch ctwas höher empor zu klimmen, da sich schon vom Tempel aus die Aussicht vielversprechend zu enthüllen begann. Unsere Mühe ward jedoch wenig belohnt, indem überall sich Fclsenwandc uns entgegenstellten, welche den größten Theil der Gegend ganz maskirtcn. Dazn kam ein herannahendes Gewitter mit einem höchst unangenehmen Regenschauer; denn obgleich der Regen hier selten lange andauert, so durchnäßt er doch augcublicklich, weil die Tropfen gewöhnlich in der Große von Haselnüssen fallen und, wenn die Sonne nicht gleich da ist, um sie schnell wicdcr aufzutrocknen, leicht gefährliche Vcrkältungcn verursachen. Ich ließ mich indeß nicht irre machen, und versuchte, nachdem wir hcrabgcsticgcn waren, tiefer unten die Richtung nach einem andern Theile dcs Berges zu nehmen, wo wir auch bald eine Schlucht fanden, die weit bcqncmcr und in sehr pittoresker 109 Umgebung wieder hinaufführte. Hier stand cin merkwürdiger Felsen, der ganz einem, mehrere tausend Schritt langen, ungeheuren Grabhügel glich, und in seinen Fugen, wie cm Gesiecht vou Adern, abwechselnd mit dunkelgrün - und rothblätt-rigem Strauchwerk durchzogen war. Ich äußerte zum Scherz gegen den neben mir reitenden Schech, daß dies das Grab cincs alten Riesen sey, der hier in der Hcidcnzeir gclcbt; und kaum hatte ihm der Dragomau mcinc Worte vcrdollmctscht, als cin heftiger Donncrschlag über uns hinrolltc, und zugleich cin wildes Schwein hinter dem Felsen hervorbrach, dem auf der Stelle unser zahlreiches Gefolge, noch durch eine Menge zu Fuß laufen? der Araber und jüdischer Jugend aus dem Städtchen vermehrt, unter lautem Geschrei nachjagte. Ich verfolgte iudcß mit meinem Sccrctair und dem Schech, da keine Zeit zu verlieren war — denn die Sonne sank bereits — meinen Weg uach der Höhe fort, um wo möglich noch eine Ansicht von dcr entgegengesetzten Seite dcs Landes 110 zu erlangen. Wcnig Minuten daranf erblickten wir von Neuem das dcn Jägern entflohene, und von einem erhaltenen Schuß stark schweißende Wild über unsern Weg eilen und sich in dem Dickicht der Vergpfianzcu verlieren; wir verfolgten es einige Zeit, ohne seiner jedoch habhaft werden zu können. Besser erreichten wir unsern Zweck, eine weitere Uebersicht der Gegend zu gewinnen, die zwischen schroffen Abgründen und gezackten Felsenklippen sich oben auf das herrlichste ausbreitete. Im Süden und Westen erblickten wir einen Theil des Gcbürgcs von Xn^ar und die Mecrtüstc bis Ilamniamot; nordwärts die gestern durchzogene Ebene, von sanften Hügclrcihen bc-gränzt, über die der Vleibcrg spitz hervorragte, und die theils von iu der Ferne hcrabsinkcndcn Regcnschleiern überhangen waren, theils von hellen Lichtern, die hinter dcn schwarzen Wolken hcrvor-sirahlten, mit glänzendem Goldschimmcr eingefaßt wurden; zu unsern Füßen lag im tiefen, grün bebuschtcn Grunde die Stadt, mit Hlm-äkm's Ill und Landhäusern umgeben, und von emporstrebenden Palmen südlich geschmückt. Auf dem Rückweg besichtigten wir das Inncrc mehrerer Gärten, die der hiesige Wasserrcichrhum außerordentlich frnchtbar macht, und in welchen wir zugleich einige wcrkwürdigc, brunncnartigc Cisterncn antrafen, die an 100 Fuß Tieft und gegen 30 Fuß im Durchmesser halten mochten, wahrscheinlich cin Werk der Mauren. Man bclud unsere Diener überall mit Körben voll schöner Früchte, für dic jede Vergütigung ausgcschlagcn wurdc, und so zogen wir mit Sonnenuntergang, wohlzuftiedcn mit dem vollbrachten Tagewerk, unserer Behausung wieder zu. Es ist sehr Schade, daß der Sauvviu» so weit von Tunis entfernt ist, denn hier wäre der wahre Ort für die wohlhabenden Bewohner desselben, wie für die Fremden, sich Landsitze zu schaffen, die jede Annehmlichkeit Europa's und Afrika's in sich vereinigen könnten. Schon die reine Luft, das weit tcmperirtere Clima, und der vcrschwcn? 11s dcrische Ucbcrfluß an frischem Qucllwasser, so unschätzbar in diesen Regionen, nnd hier in solcher Fülle, daß vielleicht das ganze Königreich znsam-mengenommcn nicht so viel als dic hiesige Gegend allein davon enthält, wären hinlänglich, um cs jedem andern Theile desselben vorzuziehen. Bei allcdcm fehlt cs jedoch auch hier nicht au einigen kleinen Schattenseiten. So fand ich früh meine Zuckerdose voller Ameisen, und dcr Fliegen weiß man sich in den Stuben kaum zu erwehren, wie Nachts dcr noch entsetzlicheren Mücken. Es ist gut, daß ich schon in Algier von einer Kammcrjungftr ein probates Mittel gegen den Mückenstich erhielt, was in der einfachen Anwendung von Citroncnsaft besteht, und ganz sicher ist. Gegen die Fliegen aber muß mein juuqcr Neger ankämpfen, der sie mir, auf den Teppich neben meinem Bette hingekauert, sorgfältig abwehrt. Sonst wäre es auch kaum möglich zu schreiben, oder in einer hellen Stube zu ruhn. 113 Mühsamer war mein nächster Tag, und Fortuna diesmal üblcr Laune. Gleich vom Anfang an hattc ich Mühe gehabt, dcm Schech begreiflich zu machen, daß meine Absicht sey, den höchsten Gipfel des Hauvvau zu besteigen, wogegen er fortwährend allerlei Einwendungen vorbrachte. So behauptete er unter andern, man brauche acht Stunden um da hinauf zu kommen, obgleich meine vielfache Ersahrnng im Vcrgcstcigcn mich fast mit Gewißheit annehmen ließ, daß höchstens vier bis fünf dazu hinlänglich scyn müßten (wie sich auch später bewahrte), da der 8auwan auf keinen Fall mehr als zwischen 3 bis 4000 Fusi Hohe hat, und man übcrdcm die Hälfte der Tour zu Pferde zurücklegen kann. Ich ließ vor der Hand die Sache dahin gestellt seyn, und wir machten uns um acht Uhr bei schönem Wetter auf den Weg. Rasch steigend langten wir schon um halb zehn Uhr bei einem Nlm-ädm an, wo der uns begleitende Schech erklärte, daß man sich der Pferde und Maulesel nicht länger bedienen Scmilasso in Afrika, iv. 8 114 könne. Der zurückgelegte Wcg war voll pittoresker Momcntc, und schon entfaltete sich eine unermeßliche Aussicht, dic jedoch ein dünner Ncbcl, oder vielmehr Dunst, in der Ebene, und noch mehr am Horizont, nur sehr unvollkommen zu genießen erlaubte; eine wahre Calamität, dic leider in diesem Theil von Afrika im Frühjahr und Sommer fasi taglich Statt findet. Desto klarer >md prachtvoller waren die Felsen in der Nähe, die, gleich den Wolken, allerlei Phantasicbildcr, Grcifc, Löwen, Burgen, Riesen und dergleichen, nach und nach vor uns erscheinen ließen. Ucbcrall, wo Pflanzen haften konnten, war der Kalkstein, ans dem der ganze Vcrgcompler aufgcthürmt ist, mit Strauchwerk bewachsen, wo sich viel Noth und Gelb mit allen erdenklichen Schattirungcn von Grün, dem Angc wohlgefällig vermischte. Blumen sahen wir nur wenig, oft aber eine schone, dunkelblau gefärbte Pflanze, die auch in der Ebene bis Tunis, aber uicht mehr auf der andern Seite, häufig angetroffen wird, und fast einem Corallcndaum 115 gleicht; denn sic besieht nur aus sich mannigfach durcheinander wirrenden Aestcn ohne Blätter, welche letztere durch kleine Stacheln ersetzt wcrdcn. Die Beduinen pflegen sie, mit Honig bcstrichcn, wie einen Kronleuchter an die Decke ihrer Zelte zu hangen, um die Fliegen anzuziehen, von denen sie dann auch bald ganz incrusiirt wird. In der Nähe des Hlarudut stehen mehrere alte (^roubic-rs, unter deren Schatten wir einige Stunden ausruhten. Nicht weit von hier hat der Bey eine enorme Eisgrube, gleich einer Cisicrnc mauern lassen, die abcr so unzweckmäßig angelegt ist, daß sie, ohne gebraucht werden zu können, wieder verfällt. Ich trug jctzt dem Schech nochmals auf, mir genau den höchsten Pik des Gcbürgcs anzugebeu. Er zeigte mir deu nächsten vor uus, der nichts als schroffe Fclsenmasscn darbot, und um cilf Uhr begann ich ihn, ohne der gewaltigen Hitze zu achten, mit meinem Secrctair, Musiapha und drei Führern zu cscaladircn, die Ucbrigcn baten sämmtlich, wie man in Berlin sagt, um 116 Schonung. Nach zwci Stunden hatten wir, nicht ohne heftige Anstrengung, die bei mir noch sehr dadurch vermehrt ward, daß ich in Folge meines in Carthago verstauchten Fustes fast lahm ging, den Gipfel erreicht — aber welches Vösappomwmont, und welcher Verdruß erwarteten uns hier, als wir kaum nach zwei Seiten hin eine freie Aussicht fanden, und auf dm übrigen uur vier bis fünf andere Gipfel gewahr wurden, die alle höher waren als der, auf welchen mau uns in den April geschickt hatte, und so einen undurchdringlichen Vorhang vor den größten Theil der Umgegend zogen. Wenigstens konnten wir jctzt sclbst mit Leichtigkeit den wahren Gipfel des 8amvau ausmitteln, der sich aber noch über cinc gute Stunde entfernt, und wenigstens tausend Fuß höher als die Stelle zeigte, anf der wir jctzt standen. Ich überhäufte in meinem Zorn dic Führer mit Vorwürfen, nnd war nahe daran, sic noch nachdrücklicher mit meinem Alpsiock zu züchtigen, sie entschuldigten sich aber demüthig mit 117 der bestimmten Ordre dcs Schechs, uns zusagen: dics sey der höchste Punkt dcs 8mnvm,. Mein Entschluß war bald gefaßt. Ein zackiger schmaler Fclscnkamm schien bis zu der ersehnten Zinne zu führen, und ich hatte zuerst Lust, diesem zu folgen, da aber die Beduinen einstimmig schworen, daß er Menschen unzugänglich sey, und ich mich nicht in der Verfassung bcfand, cine tour 6o lore« zu wagen, so snbmittirtc ich mich der unangenehmen Nothwendigkeit, dcn gekommenen Weg ganz prosaisch wieder hinabzusteigen, und nachher einen neucn nach dcm wahren Ziele meines Unternehmens auszusuchen. I.... bat mich jedoch um Erlaubniß, trotz der Behauptung unsrer Führer, von hier aus über den Fclsenkamm gehen zu dürfen, und begann, da ich nichts dawider hatte, sogleich diese schwierige Expedition. Eine kurze Ruhe auf der Inftigen Hohe und der Genuß einiger Orangen, was allem Trinken während der Arbeit bei Weitem vorzuziehen ist, erneuerte unterdessen meine Kräfte hinlänglich; 1l8 dennoch konnte ich wegen vermehrter Empfindlichkeit mcincs Fußes beim Vcrgabklcttcrn, dies nur sehr langsam vollführen, nnd meine Uhr zeigte schon die dritte Nachmittagssiunde, als ich wieder beim Schech ankam. Dieser, den ich hart anließ, sagte zn seiner Vertheidigung, er habe aus guter Absicht gehandelt, denn anf die Spitze, wo ich hinwolle, fty noch niemals Jemand gestiegen, und stlbsi anf die, von der ich eben hcrabkommc, nur selten Fremde, und zuletzt einige Engländer (wahrscheinlich Sir Greenville Temple mit seiner Gesellschaft), welche schr zufrieden damit gewesen wären; jedenfalls sey es aber heute viel zu spät zn einer solchen Tour, wozu mehr als ein ganzer Tag nöthig seyn würde. Ich licß ihm durch Mnsiapha erwiedern, daß, wenn er mich nicht im Augenblicke hinführe, wo ich es verlange, ich mir es als eine besondere Gnade vom Vcy ausbitten würde, ihm 500 auf die Fußsohlen geben zu lassen. Dies wirkte wie Magic, und nun fand sich sogar, daß wir noch zwei Stunden Weg's ii, 119 jcncr Richtung dm Vcrg hinanrcitcn könnten, dann aber allerdings cine höchst mühsame, nnd nicht ganz gefahrlose Ersteigung dcs letzten Felscn-kegcls, zn der die Beduinen den Weg selbst nicht recht genau zu wissen schienen, vor uns haben würden. Iu wenigen Minuten waren alle Pferde gezänmt, Wasser (denn in größerer Höhe giebt cs keine Quellen mehr) Wein und Früchte anf die Maulcscl geladen, nnd, den Schech voran — der früher, wie ich glanbtc, nur um sich die weitere Eskorte zu ersparen, gclogcn hatte — ging cs im raschesten Schritt cincm seitwärts gelegenen Gebüsche zu, das von wildem Jasmin und Jelängerjelieber mit lieblichen Wohlgcrücheu erfüllt wurde. So lauge cs Pferden physisch möglich blieb, die Fclsenstcgc zu erklettern, benutzten wir sie dazu; endlich aber mußten wir uns bequemen, in Spalten und ausgcrisscncn Schluchten unser ferneres Fortkommen, so gut cs gehen wollte, zu Fuß zu bewerkstelligen. Es war schon sieben Uhr, als wir mit unsäglicher Mühe cincn Ort 120 erreicht hatten, von dcm wir nur noch ungefähr cinc halbe Stunde zu sieigcn gehabt haben würden, um den Gipfel zu erreichen; hicr aber wurden wir bci der sich jetzt zuerst darbietenden Fernsicht (denn bisher waren nur Felsenwändc und Abgründe sichtbar gewesen) mit der größten Vctrüb? niß inne, wie sich seit unsrem Steigen der über das ganze untere Land gebreitete Nebel so verdichtet hatte, daß an gar keinen Aussichtsgcnnß oben mehr zu denken war. Alles erschien mir in einen dunkelblauen Flor gehüllt, und nur einige Seen mitten darin, verwandelte die ihrem Untergang nahe Sonne in roth schimmerndes, flüssiges Gold. Da ich nie gern etwas Unnützes thue, blos um der citleu tZwrioI« willen, es gethan zu baben, und ich mich zugleich im höchsten Grade erschöpft fühlte, so gab ich für heute das Unternehmen auf, um so mehr, als wir jetzt bei schleuniger Rückkehr hoffen durften, über die übelsten Stellen des Rückweges vor völligem Einbruch der Nacht zu kommen, und die Stadt wicdcr« 121 wenn auch spät, zu erreichen. Wäre ich dagegen eigensinnig darauf bestanden, selbst ohne Resultat meinen ersten Entschluß auszuführen, so mußten wir uns gefaßt machen, erhitzt und im Schweiß gebadet, wie wir waren, auch die kalte Nacht auf dem 8au>vmi ohne Obdach zuzubringen, eine Partie, der ich mich keineswegs auszusetzen Lust hatte. Wir waren nach dieser Entscheidung kaum einige Schritte wieder hinabgestiegen, als ein vom Gipfel des Berges mit tausendfachem Echo hcrabdonncrn-der Schuß uns anzeigte, daßI...., dessen lange Abwesenheit schon einige Vcsorgniß erregte, sein Wagstück glücklich beendigt, und damit den Ruhm errungen hatte, höchst wahrscheinlich der erste Euro, päcr zu seyn, der seit dcr Zeit der Alten diesen Punct wieder betreten hat. In einer halben Stunde kam cr bci uns an, jedoch fast im Zustande halber Vcrschmachtung, alle Kleider zerrissen, an mehreren Orten verwundet, und naß wie aus dcm Wasser gezogen. Außer dicscm Bergung^ 122 mach, war ihm aber das Glück in jeder Hinsicht weit holder als uns gewesen, denn er hatte auch, nahe genug, um sie ganz deutlich zu erkcnucu und zweimal, leider auf sie vorbei zu schießen, eine Löwin in majestätischen Sätze« über 10—15 Fuß hohe Felsen hinspringcn sehn, wic cs schien in der Verfolgung irgend eines Wildes begriffen. Grade, als wir, schon bei starker Dämmerung, von Neuem bei unserm Narädut ankamen, wurde dort die versammelte Hecrdc zur Nacht gemolken, für uns ein sehr erfreulicher Anblick! Und in der That konnten sie kaum Milch genug hergeben, um, mit dem kalte» Wasser der Quelle gemischt, unsern unersättlichen Durst zn befriedigen. In der Schweiz wird es abgerathcn, kalte Milch anf Erhitzung zu trinken, in dem hiesigen Clima scheint sie aber das Blut weit wohlthätiger als jedes andere Getränk abzukühlen, und auch leichter verdaut zu werden; wenigstens schadeten mir mehrere Kannen davon, die ich reichlich zu mir nahm, nicht im Geringsten. Die heftigen Fatigucn unsrer Tour hatten daher bei 123 unsrer Rückkunft, welche crst um zehn Uhr in dunkler Nacht Statt fand, nur ciuc uubczwingliche Schläfrigkeit zur Folgc, der wir uns denn auch Alle, die Mahlzeit verschmähend, sogleich im weichen Vett überließen, und bis acht Uhr am andern Morgen uns einer völligen Vernichtung alles Bewußtseyns erfreuten. Wenn man nachher wieder aufsieht, ist dies ebenfalls ein Genuß zn nennen, ja ich glaube sogar, daß es beim Todes-schlaf nicht anders hergehen wird. Wir rnhen vielleicht auch dort gar lange nnd tief, ehe wir von ihm wieder zu neuem Leben aufwachen. Ich für meine Person wünsche mir dann eben sowenig unruhige Tränmc, als in dieser Nacht. Es war meine Absicht gewesen, einen Tag zu rasten, und dann sogleich die neue Besteigung des Verges zu beginnen, bei der, das Interesse abgerechnet, das ich davon erwartete, sogar mein zwim ä dcr Erste, dcr mir seinen 8alam darbrachte. Er hatte sich "cbcn mir auf den Teppich nicdergckaucrt, und ewer sciucr Leute stand ihm zur Seite. Mit einem- 204 mal sehe ich diesen sich jählings auf scincn Herrn werfen, ihn fortstoßen, und dann eilig mit seinen schweren Pantoffeln etwas am Boden zertreten. Es war cin großer Scorpion, auf den sich der däiä ohne ihn zn bemerken gesetzt, nnd der ebcn im Begriff schien, ihn in das bloße Bein zn siechen. Dasselbe hätte mir widerfahren können, da meine Matratze ebenfalls nur auf dem Teppich auf ebener Erde lag, und anf demselben Wege schon mehrere grosic Käfer diese Nacht über die Wärme meines Lagers aufgesucht hatten. Dagegen blieb ich diesmal ganz von dcu horrible», Muskito's verschont, für mich das Schrecklichsie alles Ungeziefers. Es ist sehr merkwürdig, daß man jenseits Iloi-uail, bis 8fax und der dortigen Meeresküste entlang, auch fast gar keine Pfcrdcflicgcn mehr antrifft, die sich auf der andern Seite doch in so desolater Menge vorfinden. Bei dieser Gelegenheit fällt mir cin, in einem englischen Vuche: Von der Weisheit uud Güte Gottes, wie sie sich in Erschaffung der Thiere bewiesen — endlich den 203 wahren Nutzen der Fliegen, Mücken, Flöhe, Wanzen, Lause und alles dieses Geschmeißes erfahren zu haben. Die Thier-siechenden Insetten sind dazu geschaffen, nm durch ihre Beunruhigungen das Vieh zu verhindern, auf der Weide zu viel zu fressen, was ihnen sonst bedenkliche Indigestionen zuziehen kmmte; dic Menschen-quälenden Inscctcn aber, z. V. die liebenswürdigen Muskiw's u.s.w. agircn direct chirurgisch, indem sie durch einen sanften uud fast unmerklichcu Aderlaß, verbunden mit einem sehr merklichen Hautreiz, vielleicht (der Autor ist zu bescheiden, dieses dubiöse Wort zu gebrauchen) manche ernstere Krankheit dcs Systems wohlthätig in der Geburt ersticken.") Ich für *) Ein englischer Handelsreisender, der für ein großes, englisches, Farbegcschäfte betreibendes Haus, den Continent crplorirtc, schrieb ans Elberfeld: „Dieser Ort liegt in einem herrlichen Thal, und ist offenbar von der Vorsehung zu einem Türtischrotb- Garnfärbcetablissement für uns bestimmt." 206 meinen Theil denke, der liebe Gott wirds am besten wiffcn, und wage nicht den erhabenen Werken der Allmacht unscrn kleinen menschlichen Maaßsiab anzulegen. Sehen wir nicht z. V. schon beim ersten Blick ganz unwidcrsprcchlich, dasi das Grundgesetz der Erhaltung für die sämmtliche irdische Natur um nns her, der vollständigste Gegensatz des menschlichen Moralgesctzcs ist? — Denn Alles, was lebt, crisiirt nur durch die Zerstörung anderen Lebens, und erhalt sich so nur, gegenseitig geopfert, im ewigen Kreislauf. Die Bedingung des Lebens ist, so zu sagen, der ewige Mord eines andern Lebens, es sey nun animalischer, vegetabilischer, oder welcher Art es wolle. Die Natur ist gänzlich auf Egoismus gegründet, und die Gesellschaft selbst verlangt am Ende auch nur, daß der vereinzelte Egoismus sich dem allgemeinen unterordne. Denn dem größten Philan? tropcn fällt es nicht ein zu verbieten, die Ochsen zu schlachten, noch denkt cr daran, die Thier-Sclaven zu cmancipircn; wer aber Alles lieben 807 Will, muß sich zu Vctt legen und sterben, dcm, im Himmel mag cr vielleicht seine Rechnung finden, auf der Erde nicht. In dieser irdischen Republik verschiedener Interessen werden die Schmeißfliegen und Mus-kito's wohl auch ihren egoistischen Platz so gut, wie alle Uebrigcn ihretwegen behaupten wollen, und wie könnte es anders seyn! Ictzt gchc ich wieder zum Scorpion über und bemerke, daß man hier seinen Biß für sthr wenig gefährlich hält, wiewohl cr immer äußerst schmerzhaft bleibt. Man wcndct nichts dagegen an, als die Wunde sogleich und fortwährend mit Ocl zu reiben bis die Pein nachlaßt. Europäische Aerzte verordnen, sie aufschneiden und Salmiakspiritus hincinzuträufcln, nebst einem Aderlaß nach Umstanden, was ebenfalls die Heilung bewerkstelligt; doch sollen die Scorpionen in Tunis giftiger seyn als hier. Von dem Caiä und einer zahlreichen Eskorte begleitet, setzten wir unsern Weg erst um neun 208 Uhr früh weiter fort, da wir nur eine sehr kurze Tagereise bis «I v.^kumm, dem ^lnsl!,-,!» der Römer, vor uns hatten. Hicr sieht das berühmte Amphitheater, das 8li^v und der ihm nachschreibende, Noah nicht selbst gesehen haben können, wcil sie es Beide für cirkclrund ausgeben, obgleich es oval wie alle übrigen isi. Es besteht aus 64 Arkaden, und wahrscheinlich cinsi vier Säulenreihen über einander, jetzt nur noch dreien, und ist von cincm Umfang, der dem von Verona nur wenig nachgeben kann, welches doch nach dem O»Ii«Qum, so viel ich weist, das großtc bekannte isi. Man schreibt seine Gründung, nicht unwahrscheinlich, dem alteren t^m-tlia» zu, der hier zum Kaiser ausgerufen ward. Noch immer ist der größte Thcil davon erhalten, und sein Anblick in hohem Grade imposant, obgleich täglich von den Einwohnern des Orts etwas davon weggeholt wird, wie man kicht an der weißen Farbe derjenigen Steine sehen kann, deren Nachbarn frisch ausgc-brochcn sind. Dcn inwendigen Raum fanden 209 wir, wohl an 20 Fuß ticf, verschüttet, und von den Stufmsitzcn, dic hicr zweimal, durch einen freien breiten Gang, unterbrochen wurden, welcher mit einem Bogengang dahinter comnnumirtc, was drei graciöse Absätze bildete, ist kein einziger mehr übrig; ebenso wenig von den sogenannten Vomitoricn mit ihren Treppen. Nur dic Grund-lagcn der letzteren bestehen großtcntheils noch, so daß man mit einiger Mühe au verschiedenen Orten bis zum obersten Stock hinaufklettern kann. In jeder Arkade des Gebäudes befand sich eine solche Treppe. Muhammed Vcy war der Ersic, unter dessen Rcgicnmg man das bisher noch ganz intattc Gebäude zu zerstören begann. Während einer Revolte der Araber, wo diese das Amphitheater mit gutem Erfolg als Festung benutzten, wurde der obere Stock fast ganz von ihnen abgetragen, um die Steine auf die Belagerer niederzuwerfen, und als man dic Empörer bezwungen, ließ der Bey am Hauptcingang vier Bogen des Ganzen bis auf den Grnud sprengen, Semilasso in Afrika, iv. 14 210 damit man keinen ähnlichen Gebrauch mehr davon machen könne. Seitdem hat man es fortwährend zu den gebrechlichen Bauten der Umwohnenden benutzt, deren elendes Städtchen, nebst vier bis fünf Naräduts, unmittelbar am Fuße des colossalen Römcrwcrks, und größtcnthcils aus seinen Trümmern errichtet wurde. Man kann voraussehen, daß auf diese Weise in einigen Jahrhunderten von einem der stolzesten Denkmäler der altcu Welt wenig mehr übrig seyn wird. Die einstige Pracht desselben scheint der anderer Gcbändc dieser Art, deren Ucberrcstc uus noch geblieben, in nichts nachgestanden zu haben. Es ist durchgängig ans großen Quadern von gleichem Maaße, in einfachem und edlem Style aufgeführt; die Säulenreihen sind alle von dcrsclbcn Ordnung, in eitler Mischung dorischen und ägyptische« Styls, und nur in der Dimension der verschiedenen Etagen verschieden, die Capitale mit glatten Lothosblattern verziert, und ohne alle Ausführung der Fasern (wie z. B. beim HctuMus dcr connthischcu 3rd- 2N Nllng), wclchcs zu dcm großartigen Charakter dcs Ganzen ungcmcin wohl paßt. Ob der obere fehlende Stock, von dcm sich nnr so wcnig cr? halten hat, vielleicht nur eine hohe ^nioa war, oder ob cr noch von einer solchen gekrönt wurde, ist jetzt kaum mehr zu ermitteln; eben so wcnig ob das Amphitheater durch den großen Aquadutt, der von t^ra^a, hierher führte, gespeist, auch zu Nanmachiccu dicntc. In der Mitte, wo man in den Schutt cincn Trichter gegraben hat, befindet sich unten cine gemauerte Oeffnung, deren auch Shaw schon erwähnt, und supponirt, daß sie dcm Pfeiler zum Halt gedient habc, an dcm das Zeltdach bcfcstigt wurde, welches bei eintretendem Unwetter die Zuschauer vor dcm Regen schützte. Man hat aber seitdem entdeckt, dasi dicse Ocffmmg mit cincm breiten Wasscrcanal in Verbindung sieht, von dcm dic Eingcdorncn steif und fest behaupte«, cr gchc ununterbrochen fort bis 8n8a, Welches zchn französische livuos von hier entfernt ist. Vci fernerer Untersuchung der Ruinen zeigten uns die Araber, deren uns wohl übcr fünfzig unter großem Lärm begleiteten, eine Marmor-siatuc in einem Haufen Mist verborgen. Sic war etwas über Lebensgroße, ohne Kopf und Füße, der Nest aber wohl erhalten, nnd von guter Arbeit, besonders der Faltenwurf des Gewandes. Man hat hier zn verschiedenen Zeiten sehr unvollständige Nachgrabungen gemacht, und dennoch bereits viel Interessantes zu Tage gefördert. Goldene und silberne Münzen, geschnittene Steine, irdene Lampen und dergleichen, finden sich täglich, und da die ganze Ebene mit den Ruinen des alten ^riii8üru8 bedeckt ist, so mdgcn hier ohne Zweifel noch weit größere Schatze zu haben seyn, wie au so vielen andern Orten in diesem Theile von Afrika, die kaum je von einem Europäer flüchtig besehen worden sind. So sehr nun das Innere des Amphitheaters beschädigt worden ist, so auffallend vollständig und conservirt präscntirt es sich von außen, besonders von der Seite, wo man die große Bresche nicht gewahr wird. Daß 213 dcr vierte Stock fchlt, fällt nicht sehr auf, da cr überall fast gleich tief abgebrochen ist. Das Gebäude scheint nic ganz beendigt worden zu seyn, denn über dcn untersten Bögen bemerkt man auf cinigeu dcr Schlußsteine Sculpture«, während die andern noch roh und unausgearbcitet sind. Ich schätze die Länge des Ganzen an 450 Fusi, und die Breite über 3(w; ein ganz genaues Maas zu nehmen, hat wegen dcr vielen Schutthaufen einige Schwierigkeiten. Dcr Vodcu lim ol v««Iwmm ist fruchtbar, obgleich verödet, und nur zum Theil mit Feld-fruchten angebaut, oder zu Gärten benutzt. In dicscu zeigt sich aber seine Güte, wo man die grostten und saftigsten Oelbaume mit andern Fruchtsortcn sieht, während gleich daneben dcr Mangel an Cultur und Bewässerung nur ciner dürren Wüste Raum giebt. So erklärt sich dcr Contrast des frühern, blühenden Zustandes dieser Länder mit dem jetzigen, fast unglaublichen Verfall derselben, vielleicht hauptsächlich durch dic Zcr- 214 siönmg aller alten Aquaductc und Wasserbehälter, für welche die Alten eine so außerordentliche Sorgfalt hegten; denn ohne Wasser kann in diesem Clima (mit Ausnahme einiger Distrikte, von denen ich spater sprechen werde, und welche in dieser Hinsicht ein wahres Phänomen darbieten) der trockene Boden, wenn er auch noch so fruchtbar an sich wäre, in der Regel nie die Arbeit lohnen, vdcr von selbst etwas Anderes, als siachlichcs, herbes Unkraut hervorbringen. Die Mittagshitzc war so drückend, daß ich den Besuch der übrigen Alterthümer durch einige Stunden Ruhe zu untcrbrcchcu wüuschtc, und mich daher nach meinem Quartier dirigirtc. Hier sah cs indeß übel aus. Nach vielen Umständen hattc man cinc elende Kammer geräumt, verweigerte aber alles Ucbrigc. Die Schechs ließen sich gar nicht mehr schen, brachten nichts von dem Verlangten, und selbst das Wasser aus dem Brunnen, um unsre Krügc zu füllen, hatten die Diener mit Gewalt sich nehmen müssen, während s15 man ihnen znricf, für ungläubige Christen ftp ihr Wasser nicht bestimmt, und sic mit Stein-würfen fortzutreiben versuchte. Ich glaube, diese Anwandlung von Unduldsamkeit in «1 vsckomm war dnrch die vor einigen Tagen hier siattge-fuudcnc Gegenwart des guten protestantischen Missionairs ans Tunis hervorgerufen worden, der vielleicht zu eifrig einige Christen zu pressen versucht, oder dnrch den Bibelhandel Allarm verursacht haben mochte. Dic Einwohner hatten jedoch diesem nö^o^o eine ganz ncnc Wcndnng gegeben, indem sie ihm stincn Maulesel, Vibclvorrath und Gepäck auf die wohlfeilste Art abhandelten, nämlich stahlen. Es ist nicht zu längncn, daß dieser Umstand dennoch gesegnete Folgen hätte haben können, denn dic heiligen Schriften in arabischer und hebräischer Sprache waren mm doch sicher in die Hände der rcspektiven Inden und Heiden gelangt, für die sie bestimmt sind, aber abgerechnet, daß dcr Esel nebst den weltlichen Effekten auch mit dabei war, licgt auch, wie ich vermuthe, cine 216 solche Bckehnmgswcisc keineswegs im Plan der frommen Gesellschaft. Glücklicherweise gelang cs unserm Freunde, durch Androhung schwerer Rache, nebst Vcrantwortlichmachung des (?ml1, das Entwendete Alles wieder zu bekommen, doch schüttelte cr schleunig den Staub von seinen Füßen und eilte fürbaß. Wir beschlossen ebenfalls seinem Beispiel zu folgen, nach genossener Ruhe zwar noch die übrigen Ruinen zu besichtigen, dann aber zwei Stunden weiter bis ttu^a, dem alten (^ragu, zu reiten, wo sich ein KIarä,but und cin Beduincnlagcr befinden, um dort die Nacht zu bivouakircn. Während der kurzen Siesta brachte man mir allerlei Antiken zum Verkauf; cs war aber nur wenig von Werth darunter, bis auf eine sehr schöne, wohlcrhaltcnc, silberne Medaille, aus der einen Seite mit einem vortrefflich ausgedrückten Vildc Cäsar's, das ich noch nic meiner Vorstellung vou Cäsar angemcssncr und charakteristischer gesehn, auf der andern Seite den Kricgsgott darstellend, mir der Umschrift: 217 Nar» viowr. Dies war um so interessanter, da Cäsar selbst einige Tage in oi vsckomm lagerte, als cr gegen Scipio's Armee hier Kricg führte. Mit wenig Piastern erlangte ich diesen Schatz, der mir jetzt für eine große Summe nicht feil senn würde. Knrzc Zeit daranf erschienen die Schechs, denen ein zufällig angekommener Vcduincnchcf Angst vor der Strafe gemacht hatte, die sie ohnfchlbar erwartete, wenn ich mich Vcim Bey über ihr Benehmen beklagte; indcm cr ihnen erzählte, welche üble Folgen für den t^unl von 8lm>van eine gleich schlechte Behandlung des sardinischcn Consnls gehabt hatte. Sie baten nun demüthig, Schaafe, Milch und mehr als wir verlangt, emsig herbeischleppend, sie doch nicht durch unsere Abreise zn kränken. Ich verbot indeß irgend etwas anzunehmen, und verabschiedete sie mit Strenge, um sie wenigstens durch einige Vcsorgniß für ihren unfreundlichen Empfang zu bestrafen. Kaum erlaubte uns noch die Zeit, mchr als 218 cine Stunde auf die Betrachtung dcr weiteren Alterthümer zu verwenden, die aus den Resten cincr Menge Privathäuser und einiger Tempel bestehen. An einem dieser Platze fanden wir, halb von Erde bedeckt, den Rumpf eines schönen Colosscs, und mehrerer prachtvollen Säulcnschäftc aus kostbarem bunten Marmor, wovon cincr an drei Fuß im Durchmesser hielt. Alles dies könnte man für die bloßen Transportkosten wegholen, die jedoch nicht ganz gering seyn würden. Für die Statue forderten die Eingcborncn bis 8lax 500 Piaster (150 preußische Thaler) und eine dcr Säulen konnte wohl das Dreifache kosten; wer indeß dort ein Schiff zu seiner Disposition hatte, und selbst am Meere wohnte, könnte daran immer noch eine sehr votthcilhaftc Acquisition machen. Die Sonne war schon untcrgcgcangcn, als wir beim Hlaräkut des ^uiüll 8iäi Ila^uii Ijou M^sci, ankamen. Dies ist auch ein heiliger Ort, und eine Freistätte für jeden Verbrecher, 219 der ihn zu erreichen vermag. So lange er in demselben verweilt, kann ihm Niemand etwas anhaben, nur über die Grenze darf er sich nicht mehr wagen. Wir fanden einen wcißbärtigen Alten hier, der wie man nns versicherte, in Folge cincs begangenen Mordes, schon viele Jahre mit den Beduinen des Nar5l)ul8 lebte, und sich sehr gut in sein Schicksal gefunden zu haben schien. Ich war nicht wenig verwundert, beim Absteigen den IlalMii (Lieutenant des Oui<1) von «1 V^Iwnun, der ohne unser Wissen vorausgeeilt war, hier wieder zu sehn, und an der Spitze der übrigen Beduinen mit einem Handkuß von ihm empfangen zu werden. Er that Alles, um mich ln gute Laune zu versetzen, und als ich sein Pferd, cineu Silbcrschimmcl von reinerem arabischen Blut als es sonst hier gewöhnlich ist, sehr lobte, bot er ihn mir sogleich zum Geschenk an. Ich erwiederte, daß dergleichen bei uns nicht Mode scy, und wir von Geringeren Geschenke solcher Art nicht annähmen; indessen, fügte ich hinzu, 320 sollc cr unbesorgt seyn, ich verziehe gern das Geschehene, da ich sähc, daß man cs bereue, und der Vcy sollc nichts davon erfahren. Mehr konnte cr auf keinen Fall wünschen, dennoch blicb er bis zu unserer Abreise am andern Morgen, fortwährend MIX P wovon jedoch nur wenig Spuren mehr übrig sind, war noch öder nnd leerer als die gestrige. Sie wnrde nnr durch eine neue Fata morgana belebt, die uus am Horizont, wie hinter einem schmalen Wassersireifcn liegend, große entlaubte Eichenwälder vorspiegelte, ganz so, wie bei uns solche Wälder im Winter erscheinen würden. I.... schoß ein schönes, von den unsern ganz verschiedenes Rebhuhn, weit größer, mit schwarzen Streifen anf dcr Brust, und den untern Theil dcr Flügel von gleicher Farbe; anch vermehrte sich meine kleine Insectensammlung mit einem seltenen Käfer. Das wüste Land bestand gldßtcnthcils aus einer ebenen Felsenformation, die häufig frei zn Tagc kam; mehrmals zeigten 249 sich dann weite Ocssnungcn darin und Wasscr-angcfülltc Grotten in dcr Tiefe, welche mich lebhaft an das piAoon-kolo in Ouuani»i-K, dem lieben Andenken aus Irland, erinnerten. Mein Zelt war diesmal in einem Garten, unter einem großen Mandclbaumc aufgeschlagen, und ehe ich es mich versah, saß einer der Neger schon in den höchsten Acstcn und warf, wic ein Affe, die reifen Mandeln herab. Wir bekamen hier seit lange das beste Wasser, wurden aber sonst schr schlecht bewirthet, obgleich sowohl dcr Schech, als cin hier residircndcr Aga uns Mahlzeiten schickten, die aber mit ranzigem Fett, Ocl und Zucker auf eine diabolische Art zubereitet waren. Dcr erste Gegenstand, dem wir am andern Morgen unsre Aufmerksamkeit widmeten, waren die Ruinen von ^kola, nahe am Meer, welche, ebenfalls nur noch unförmliche Steinhaufen darbieten, nebst einigen Cistcrnen, die jedoch schwerlich den Römern zuzuschreiben seyn möchten. Merk- 250 würdiger sind mehrere gemauerte Brunnen daneben, welche 8 bis 10 Fuß Ticfe haben, dicht an der See liegen, und dennoch gutes süßes Wasser enthalten. Die sandige Fläche war hicr, eine geraume Strecke weit, mit Hundctttausendcn von schwammattigcn Ballen bedeckt, die das Meer nebst vielen Muscheln auswirft. Vis 8aloc:la erschien die Gegend öde. Hier aber fiorirtcn wieder dic schönsten Gärten im tiefen malenden Sande. Sie umschlossen reizend die Ucbcrrcstc eines großen befestigten Schlosses aus uralter Zeit, mit dem ein kleiner Hafen verbunden gewesen zu seyn scheint, und das man für eine Besitzung Hannibal's hält, von der er sich, nach dem Ungtückstagc von Lama, nach Syrien einschiffte. Dic Einbildungskraft folgt mit einem wehmüthigen Vergnügen dem Helden, der das Vergangene als unabwendbar, schon nicht mehr achtend, nur über neuen Planen brütet, wie er den alten Erbfeind von einer andern Seite bedrohen könne. Seine Schuld war cs wahrlich nicht, daß er auf keinem Throne 251 mehr cincn Monarchen antraf, dcr ihn zu gebrauchen fähig war. In Noäw, oder Naliaäia, ward ich von cincm französischen Kaufmann, Herrn Ionqukr, an den ich cincn Vricf vorausgeschickt, sehr verbindlich empfangen. Er und seine junge Frau, Vcidc crsi kürzlich hier angekommen, und uoch wenig eingerichtet, überließen nur mit dcr liebenswürdigsten Gastfreundschaft ihr eignes Zimmer nebst dem breiten Ehebett, und thaten Alles um mir bis zum nächsten Tage den Ausenthalt in Kleli'ia so angenehm als möglich zu machen. Dcr Ursprung dieser Stadt liegt im Dunkeln, und selbst die wcitläuftigcn Ruincu des alten Hafens und einiger befestigten Schlösser, so wie die außerordentlich hohen und weiten Cisterneu mit doppelten Bogcnrcihcn übereinander, in die man s'ch nur an Stricken herablassen kann, sind alle so mit neuern Bauten dcr Mauren und Spanier untermischt, daß es jetzt schwer auszumitteln bleibt, was davon dcr ältesten oder neuern Zeit 232 angehört. Es ist im Werk, den Hafen, dcffcn Lage für dic vorteilhafteste im ganzen Königreich angesehen wird, wieder herzustellen, und zugleich um das Dreifache zu vergrößern, was die Beschaffenheit des Terrains leicht gestattet. Man sieht daraus, welchen geringen Ranm die Schisse der Alten einnehmen mnsiten, da dies ein bedeutender Hafen war, auf den man, wie Allcs zeigt, große Sorgfalt und Kosten gewendet hattc, lmd dennoch heute die kleine unbedeutende Flotte des Bey, zu ihrer sichern Unterbringung eines dreifachen grdsicrn Rannies bedarf. Französische Ingenieurs, vom Vcy gesandt, besichtigten erst vor wenig Wochen das Locale, und ihr Rapport soll günstig ausgefallen seyn. Im Uebrigen ist HIock'a nur ein elender Ort, ganz von Ouwli's (gemischte Abkömmlinge der Mauren und Türken) bewohnt, welche von der Autorität der (^Mou abhangig sind und von Tunis aus direct regiert werden, was viele Unbequemlichkeiten mit sich führt. Wir konnten hier nicht einmal ein Pferd 353 beschlagen lassen, das cms seiner Eistn verloren hatte, und ohne Herrn Ionquicrs Güte würden wir kaum ein Unterkommen gefunden haben, da ein Oäiä, wie so eben bemerkt, nicht vorhanden ist, und die Schechs bei Anknnft unsres Mamelucken davon liefen. Auch die Umgegend der Stadt ist sehr vcrnachläßigt. Doch sollen in dem ätzten Jahre 8NM0 Olivcnbäumc hier angepflanzt Worden seyn, und Herr Ionqmer ist der Meinung, daß ein großes Capital auf diese Cultur verwandt, sich bald verdoppeln würde, weil die bedeutendsten Strecken Landes wohlfeil und mit leichter Mühe W dieser verlassenen Gegend vom Gouvernement 5" erlangen sind. Ein Christ darf zwar kein Grundstück hier eigenthümlich besitzen, die Sache ^äßt sich aber leicht durch den Schcinkauf eines Eingcborncn vermitteln, der Revers crchcilt. Doch würde man in solchem Falle nothwendig, entweder Maltesische Arbeiter in Lohn nehmen, oder andere Kolonisten hcrzichn müssen, da es hier zu sehr "n Menschen für Bearbeitung fehlt, und die, 254 welche da sind, das llolco lar m'ouw allem Gewinn vorzichn. Sic sind zufrieden nicht zu verhungern. So machen sie im December, Januar und Februar ihr Brod aus zwei Dritthcil Gerste nnd einem Drittheil gcmahlncr Olivcnkcrne, und ziehen diese fast thierische Nahrung der Mühe größerer Arbeit vor. Allerdings kann bei der noch zu geringen Sicherheit des Eigenthums, auch nie cine radiealc Besserung dieses Zustandes der Dinge erwartet werden; bei den Fremden aber, die unter dem Schutze ihrer Consuln stehen; fallt jede Vcsorgniß dieser Art gänzlich hinweg, und mau muß gestchn, daß nirgends Auslander mehr begünstigt sind. Die christlichen Kaufleute haben z. V. die Freiheit, Alles, was sie für sich angeblich brauchen, an Utcnsilien, Mcnblcs, Nahrungsmitteln und dergleichen, nebst 24 Millio-rollcs Wein (ungefähr 1600 große Kannen) jährlich frei zu importircn. Für Kaufmannswaaren zahlen sie nur drei Proccnt Zoll, während die Juden vier und ein halb und die Eingeborenen gar fünf und ein halb geben müssen, wobei noch 255 zu berücksichtigen, daß sie gewöhnlich den Werth dieser Waaren drei bis viermal geringer angeben, als er in der Wirklichkeit ist. Jeder europäische SchiMapitain hat überdies die Erlanbniß, die ganze nöthige Provision für sich und seine Equipage icdesmal gratis zu erportiren, und es ist eine bekannte Sache, daß bei zwcidcntigcn Fallen und darüber entstehenden Streitigkeiten, die Fremden, sowohl gegen das Gouvernement, als gegen einzelne Eingcbornc, fast immer Recht behalten. Unter diesen Umständen machen auch die meisten der christlichen Kaufleute, die sich hier niederlassen, uud von denen ich nach und nach eine bedeutende Anzahl persönlich kennen gelernt habe, schnell glänzende Geschäfte, und erwerben sich oft schon "ach wenig Jahren ein großes Vermögen, haupt-sächlich mit dem Ocl- ^ znm Theil anch Wollhandel. Hierzu trägt aber noch ein anderer "wstand viel bei, nämlich die schon gerügte Trägheit, der Lcichtsiun und die Sorglosigkeit b" hiesigen Bevölkerung. So wie diese halben 256 Wilden Gcld brauchen, verkauft« sie gegen baare Vorschüsse dic Erndte auf dem Vaumc, wie die noch nicht gewachsene Wolle auf den Schaafen, für ein Spottgeld; oder sie machen sich anheischig, wenn das Ocl grade im niedrigsten Preise steht, zu diesem in entfernter Zeit eine große Quantität zu liefern, wo die mit dem Handel bcsscr Vertrauten im Voraus berechnen, oder selbst herbei? führen können, daß es doppelt und dreifach aufschlagen muß. Selbst bei bloßen Darlehen werden die ungeheuern Zinsen von 5, 6, ja 10 Proccnt monatlich erpreßt, ohnc daß cin Gesetz dies verbietet; und da im Uebrigcn die Justiz hier sehr schnell ist, so hat der Darleiher, bei vorhandenen, liegenden Gründen des Debitors, nie den Verlust seines Capitals zu befürchten. Viele wurden blos durch diesen Wucher im Kleinen reich, und dadurch spater in den Stand gesetzt, sich nun anch den größeren Spekulationen znr Aussaugung der armen Bewohner dieses, an sick von der Natur so gesegneten Landes überlassen 257 zu können. Es muß höchlich gerühmt wcrdcn, daß dcr vorige 8apawM, ein Mann, dcr, obgleich nic aus dem tunesischen Reiche gekommen, große administrative Eigenschaften an den Tag legte, den beiden erwähnten Uebeln in dcr letzten Zcit dadnrch zn begegnen suchte, daß cr selbst eine Cassc in dcr Hauptstadt eröffnete, wo man zu billigeren Zinsen Geld dargeliehen erhalten konnte, und anch selbst den Käufer für die Oclcrndtcn abgab, wodurch cr in ciucr Zcit dcr Theurung den Preis dieses Artikels auf die Hälfte herabfallen machen konnte. Die Ungnade, in welche er bei dem Thronwechsel gefallen, mußte daher in jeder Hinsicht als ein wahres Unglück für das Land betrachtet wcrdcn, und es ist sehr erfreulich, baß es jetzt den Anschein nehmen will, sie sey nur temporair gewesen. Ich habe schon erwähnt, daß ^cliakir als Gesandter nach Constantinopel geschickt ward, und da man seitdem seinen Werth besser eingesehen, hofft man, cr werde bei seiner Znrückkunft bieder als dmgircndcr Minister angcstcllt wcrdcn. Bemilasso in Afrika. IV. 17 258 Nirgends hat ein Besitzer von Landcigcnthum weniger Vcwirthschaftskostcn als in diesem Reiche, denn nach dcr hier üblichen Weise besorgt dcr Pachter, dcr das rohe Land übernimmt, alle Urbarmachung, Culturkosicn und Abgabcn, wofür cr zu seiner Zeit zwei Fünftel dcr Erndtc erhält. Dic übrigen drei Fünftel bleiben dem Besitzer ohne irgend eine weitere Sorge oder Auslage. Man nimmt an, daß cm einzelner Mann hundert Oelbäumc im Jahre, dic Urbarmachnng des Bodens natürlich mit inbcgriffcn, pflanzen kaun. Nach fünf Jahren fängt dcr Baum zn tragen an, und nach zehn Jahren schon gewahrt cr vollc Erudtc. Die Olivcn werden, wic bei uns dic Weiden, nur durch Stopfer vermehrt, und können, wegen dcr Hitze und Dürrc dcs Sommers und Herbstes, füglich nur im April in dic Crdc gebracht werden. Man pflanzt sie in Reihen, nach allcn Seiten zwanzig Schritt von einander entfernt, nnd das Feld darunter wird zugleich, in ihrem Schatten, zur Bebauung mit Gcrstc 259 und andern Früchten benutzt. An schnellem Absätze hat es übrigens dcm Oelc noch nie hier gefehlt. Herr Ionquicr, der vicl gereist, und sich unter andern auch lange in den verschiedenen Staaten Südamerika's aufgehalten hat, von denen er, nämlich blos als Aufenthalt für den Fremden, eine schr lachende Beschreibung macht, theilte uns manche unterhaltende Details über diese Länder mit. Um die Trockenheit der vorgehenden Bemerkungen etwas aufzufrischen, hören Sie folgende kleine Anekdote aus Brasilien. An den drei letzten Carnavalstagen (äia» ü'iMniäa) herrscht in kio ^anmi-a die Sitte, sich gegenseitig mir soviel Wasser zu besprützcn und 3u bcgicßcn, als man nur vermag. Wer nicht baran Theil nehmen will, schließt sein Haus zu, ^cr hingegen Vergnügen daran findet, öffnet alle Thüren und Fenster; au diese letzteren postirt man nch dann um seine Ladung Flüssigkeiten auf die Vorübergehenden abzufeuern, die von ihrer Seite 2W ebenfalls ohne Ansehn der Person nud des Standes, hereinbringen, und Gleiches mit Gleichem vergelten. Dic Elegants, wie die Damen, bedienen sich dazu dünner, hohler Wachskugeln, oder kleiner zierlicher Sprühen, beide mit wohlriechenden Wassern angc-süllt; oft aber wird der Scherz auch grober, und endigt mit einer allgemeinen Taufe. Niemand war jedesmal bei diesem Feste thätiger und ausgelassener als Seine Majestät der Kaiser von I'eäro selbst, der kein offenes Hans ungcncckt ließ. Er besaß bekanntlich eine außerordentliche Leibes-siärkc, die er anch gern zur Schau trug, und während dcs letzten Carnavals seiner Regierung, gab er davon eine ergötzliche Probe, von der zufallig Herr Ionquicr Augenzeuge war. Der Kaiser hatte sich auf sein Landhaus St. Christoph begeben, um von dort eine Abcndfahrt auf dem Meere zu machen. In einer Barke, zwischen zwei seiner Kammcrherrn, die in voller Hofuniform glänzten, uachläßig stehend, näherte er sich langsam seinem Schiff unter dem lauten Vivatrufcn dcs Voltes. «61 Plötzlich sah man ihn, ohnc alle vorhergegangene Warnung, die unglücklichen Kammcrhcrrn rechts und links ergreifen, mit eiserner Faust am Kragen faffcn und den letzten der äias li'mtruäa zu Ehren, neben der Barke bis an den Hals ins Meer tauchen. Der Jubel der Menge, Zeuge eines solchen Kammcrhcrrndicnsics seyn zu dürfen, War grenzenlos, und jeder bewunderte — wahrscheinlich nur mit Ausnahme der beiden Opfer — dic Ricscnsiärke und die heitere Laune des liberalen Mouarchcn. Ich darf nicht unterlassen Ihnen zu erzählen, daß ich, grade als ich in das maurische Bad ging, in den Straßen N Ich fand bei meinem merkwürdigen Original von Wirth, anßcr cincr köstlichen Sendung europäischen Vieres und italiänischen ^loatico, die er mir übrigens nicht wohlfeil anrechnete, neue ^wrlw's des Pascha, an die Gouverneure allcr 282 Provinzen, die ich auf meiner Reise möglicherweise berühren konnte; noch verstärkt durch Ertrabcfchle des Ministers: mir Pferde, Camccle, Eskorten, Zelte, Wasserschläuche, kurz Alles, was ich nur verlangen würde, reichlich und ohne Säumen zu liefern, in jeder Hinsicht meinen geäußerten Wünschen zu entsprechen und mich mit außergewöhnlicher Rücksicht zu empfangen. Dcr holländische Generalconsnl, durch dessen Entrcmise mir die ^inrlla's zugesendet wurden, schrieb mir: er sey 63 Jahr in Tunis, aber noch nie und ohne Ausnahme habe er für einen Fremden das thun sehen, was dcr Vcy für mich thäte; und ich muß sagcn, ich selbst war von cincr so noblen und grandiosen Gastfreundschaft eben so überrascht, als ich mich Seiner Hoheit dafür dankbar und verpflichtet fühlte. Da ich nicht alle dcr mir übcrschicktcn ^mrka's gebrauchte, so wird es Sie vielleicht intcrcssircn, einen davon, den ich mir aufgehoben, hier im Original, mit dcr Ucbcrsttzung zu lesen, und Sie 283 Werden gleich sehen, wenn Sic ihn mit dem Ersten vergleichen, daß mein Anschn seitdem bei Hofe bedeutend gewachsen war. (Hierher gehört der beigefügte, genau nach dem Original abgedruckte ^,ln>l»u.) Uebevsetzung. . »Gott Lob! und möge Gott unsern Herrn Muhammed, seine Familie und Freunde segnen. Den grosimüthigcn und erhabnen, unsern Söhnen 8c>1iinan L«n IIa)aa8ci!ll, Lo^, dcn Gott leiten mogc. Amen. Dcn 14. des Monaths Mdil,, des ersten un) erhabnen, ") im Jahr 1251." Der lüäiä kam sogleich, nachdem er dcn ihn betreffenden ^mrlia erhalten, iu pmüil1ealibu8 zu mir, um mich zn bewillkommen, und mir Alles anzubieten, was in seinen Kräften stünde; bei Erwiederung seines Besuchs beschenkte er mich sogar mit einer schönen Pfeife, die ich später durch ein englisches Fernrohr erwiederte. Der Vater des <^m,'. Empfehlung der besten Gerichte mit dem Stock. Einfache Briefadresse. Eonversationscomplimcnte der Araber. Graziöses Prügeln: Trost für den Geprügelten. Der Nar^c^l. Parfümirtes Trinkwasser. Ruinen, angeblich von ^ljuae r^icle. Armuth der hiesigen Natur an edler Ausbeute. Höhlenartige Schwefelbäder, ähnlich den „8ti,ss<;" neben der Hundsgrotte bei Neapel. Arabische Manier, zur Ader zu zu lassen. Herzbrechendes Geschrei und Bildungsfähigkeit der Esel. Nachtbcsuch. Samiel in Ii-u^.-,. I.)!lltl 8e,«1o«8on, elegantes Duar. M,Immmlw von scliar. Lurus im Zelt des Oäi.-lpc>.iux ü c-uriw«. Fragment seines Lcbenslaufs. Empörende Demüthigung cwes französischen Offiziers in Algier zur Zeit ^ouis XVI. Tunesische Kleinstädte«!. Naivität eines kleinen Consulardespoten. Chemische Scheidung der Consular - Gesellschaft. Herr Esser und Madame Bauch. Das arme Krokodil. Zwei Mord- und eine Schiffbruchsgeschichte. Bekanntschaft mit Herrn Honnegger. Eine griechische und eine jüdische Hochzeit. Semilasso denkt an den Tod. Das Chamäleon am Li-^u. Schwärmerei im Traume. X Außergewöhnliches. Seite 298. Zautschauerndes Schreiben vom Arzte des Semilasso. Sein Verschwinden. Seine Verlassenschaft. Ursache des Vacatscheins. Die betrübteste Stadt. Requisition an den Herrn Assessor Seidel: das 8n8trnm zu beschaffen. Begebenheiten, welche Semilasso's unerwartetes Scheiden herbeigeführt. Herr ^.iknkia. s.0 euizinior ^-lizolii-. Calauntät von Tunis. Diner für den Consul ?i. N. Ein furchtbares Ungeheuer. Keine Rettung. Ein hitziges Fieber ergreift Semilasso. Delirium. Physische Erholung. Unterirdischer Gang zum N.im,n!lm-Ii«>f. Verschwinden im Verge. Nachschrift der ^. «. unschuldigen T. G. Klagen über Semilafso's Verlust bei den schönsten Aussichten. Die verehrten Gelben. Alles gut — Ende gut. VN Trauerceremonicn wegen des verstorbenen Scheichs. Die Kuchcnreuterschen Pistolen. Der Sächsische Königstein im Tunesischen Gebiet. Nyärali. Der chevalcrcske Iussuf vor dem Kriegsgericht zu Lone. Mangelhafte Kriegsfertigkcit der Beduinen. Herzhaft-aufrichtige kocllercko über den Muth. Aecht beduinisches Nachtlager. Wiedererlangung gestohlener Sachen. Malerische Uebcrrestc einer alten umfangreichen Stadt, belebt durch cine Caravane von mehr als 400 Cameelen. Nuinenreiche Ebene. Spuren eines uralten Alaunwerks, ^in Länlm, das größte Duar im Königreich. Schön gebautes Häuserdorf. Besuch der Trümmer von Zanlur. Quacksalber unter den Beduinen. Der Esel als pivat und «piritus rector einer lebendigen Dreschmaschine. Oaptatiu donevu-ientia« mit dem Stock. Pflege und Anstrengung der hiesigen Pferde. Seltsam gezackte Bergcolosse. Große Oü'lllen — kleine Granden. Sechzehn Jahr alter Vater eines vierjährigen Sohnes. 8icli 0in»r, der kleine Amor. Despotie der hiesigen Negierung im Kleinen. Vorzügliches Bad. Neueste Industrie im Flicken. Das ohne Ursach fast todt geprügelte Glückskind. Denkmale der Vorzeit in und um X««'. Zuvcrlö- VIII ßige Ehrlichkeit eines schlcchtbesoldeten Neapolitanische» Dieners. Fortsetzung der Rückreise nach Tunis. Gutes fünfunddreißig Jahr altes Pferd. Zahlreiche Ruinen im Thale kl^p. Bebuinenlager am Rande der alten verfallenen Stadt 8icU ^dcli-ad». Beachtenswerthc Ruinen Von iln^»,. Der Scorpion im Adlerei; ein Zaubermährchen. 1lib<>r«uli's — Gott Lob! — unbedeutende Ruinen. Endlich wieder ein europäisches vHeuiiol-. Grostartige Umgebung der Ueber-rcste von lun^a. Gothische Kirche in lezwr. Bivouaemahlzeit unter Donner und Blitz. Truppcn-lager des Erbprinzen 8iia. Drei Italiänische Ncnessaten. Freundschaftliche Elitgegcnlunft Don Grcgorio's. Dankbare Erinnerung an den cdlen Oberst von Szczepanowsky. Allgemeine Anmerkungen. Frommer Wunsch und gutgemeinte Rathschläge für einen Ncisenachfolger. N e i s e j o u r n a l. Seite 207. Audienz beim Bey von Tunis. Versprechen desselben: in seinem Lande die alten Trümmer zn erhalten. Sir Thomas Neade. Liste der Arabischen Manustriptc IX in seiner Bibliothek, «^tuln ^allrin^toii. Alter Maure von 108 Jahren. Züge der Herzenserhabenheit des verstorbenen Bey. Großer Credit des Englischen Consuls bei ihm. Conversation über Napoleon. Zweckmäßige Erziehung der, respektablen Englischen Jugend. Aufenthalt in Herrn von Nyssens Villa. Die Idylle nach der Epopöe. Herr Humbert, Verfasser der Cantate: I^e» ckapeaux iz eorne«. Fragment seines Lebenslaufs. Empörende Demüthigung eines französischen Offiziers in Algier zur Zeit Louis XVI. Tunesische Kleinstädtcrei. Naivität eines kleinen Consulardcsvoten. Chemische Scheidung der Consular-Gesellschaft. Herr Esser und Madame Bauch. Das arme Krokodil. Zwei Mord- und cine Schiffbruchsgcschichte. Bekanntschaft mit Herrn Honneggcr. Eine griechische und eine jüdische Hochzeit. Semilasso denkt an den Tod. Das Chamäleon am Lra^ll. Schwärmerei im Traume. X Außergewöhnliches. Seite A98. Hautschauerndes Schreiben vom Arzte des Semilasso. Sein Verschwinden. Seine Verlassenfchaft. Ursache des Vqratscheins. Die bctrübtestc Stadt. Requisition an den Herrn Assessor Seidel: das «ostrum zu beschaffen. Begebenheiten, welche Semilasso's unerwartetes Scheiden herbeigeführt. Herr ^,-lkakiu. 1,0 ou!8inier.fui8our. Calamität von Tunis. Diner für den Consul IV. N. Ein furchtbares Ungeheuer. Keine Rettung. Ein hitziges Fieber ergreift Semi-lafso. Delirium. Phpsische Erholung. Unterirdischer Gang zum Nammgm-liol'. Verschwinden im Berge. Nachschrift der h. «. unschuldigen T. G. Klagen über Scmilasso's Verlust bei den schönsten Aussichten. Die verehrten Gelben. Alles gut — Ende gut. Fortsetzung des Srieles an Herrn Leopold Scheler in Muskau. Da ich mich schon scit einigen Tagen unwohl fühlte, denn der Aufenthalt in den Städten und die Ruhe bcko.nmt mir einmal nicht, mochte ich nm so weniger die zweite Abtheilung meiner Reist ins Innere, in das ächte Vcduincnland, nach ^Äf8Ä) l^ll»«alin und koss) noch langer aufschieben, und machte mich daher, nachdem ich dvn allen meinen 85ax«r Freunden, von denen ich so manche Artigkeit genossen, Abschied genommen, am 1. August mit Tages Anbruch auf dcn Weg. Aus Mangel an Rastplätzen und Wasser Semilasso i>, Afrika. V. 1 2 auf der geraden Straße sah ich mich genöthigt, von Neuem über Xoi-uau zu gehen, und es war wohl ein seltsames Zusammentreffen, daß wir, gcnau an derselben Stelle, wo bei unserer Her, kunft der Wagen zerbrach, diesen abermals im Sande liegen fanden, denn weder in 8kax noch 8u8a war cs möglich gewesen ein neues Rad machen zu lassen, und die frühere Reparatur hatte nicht länger ausgehalten. Ich mußte wieder Herrn I.... mit dem Dragoman zurücklasscn, schickte einen Araber der Eseortc an den t^iä um Maulesel zum Transport der Effecten zu holen, und ritt daun mit dcn Ucbrigcn weiter. Wir schlugen diesmal eine andere, etwas weniger öde Straße als die crsie ein, die wir au mehreren Orten durch weite und tiefe Erdfalle unterbrochen fanden. Sie gaben eine gute Vorstellung von den Verheerungen eines Erdbebens, schienen aber nur durch unterirdische Quellen verursacht zu seyn, welche hier sihr häufig sind, ohne doch irgendwo zu Tage zu kommen. Wahrend wir die Abgründe 3 auf Umwegen umritten, trafen wir auf einen Trupp Gazellen, die so wenig scheu waren, dasi sic uns ganz nahe heranzukommen gestatteten. Ich liest cinc davon einige Zeit durch Mustapha verfolgen, ohne sie znm schnellen Lauf bringen zu können. Als wüßte sic, daß keine Gefahr vorhanden ware und wir sie blos zu betrachten wünschten, galoppirte sie ganz ruhig immer dicht vor meines Dieners Pferde her und rund um uns herum, bis sie auf der andern Seite sich wieder mit dem verlassenen Trupp vereinigte. Man kann nichts Gracicuscrcs schcn, als dicsc niedlichen Geschöpft in der Freiheit, welche zu tödtcn in der That als cinc Grausamkeit erscheinen Würde, wenn ihr Braten nicht allzu köstlich wäre. Doch konnte ich cs diesmal nicht übcrs Hcr-, bringen meine Pistolen zu gebrauchen, ein so bcqucmcs Ziel das harmlose Thierchcn mir auch mehrmals darbot. Erst um neun Uhr Abends erreichten wir NI d««Iicmm, und da dic Sachen nicht nachkamen. 4 cs in den dortigen Hütten abcr vor Hitze und Flöhen nicht auszuhalten ist, mußte ich, trotz meines sehr gesteigerten Uebclbcfindcns, unter cincm Oclbaumc die Nacht, blos auf einen Tcppich gelagert, zubringen. Der Thau war so stark, daß am Morgen das Wasser von meinem Mantel hcrabträufclrc. Als jedoch nach Sonnenaufgang die Packesel endlich erschienen, stellte mich die Ruhc unter dem Zelte, Ou8ci,88u in Glühwein, und Camillcnthcc, durch ununterbrochene starke Transspiratiou, während des Tages ziemlich wieder her. Die Temperatur in meinem Zcltc war zu diesem Zweck sehr günstig, denn der auf dem Tisch liegende Thermometer zeigte fortwahrend 2« Grad. Am nächsten Morgen nach dieser nöthigen Rast begaben wir uns noch in der Dämmerung in das Amphitheater, und brachten in demselben Moment, als die Sonne aufging, mit frischem Palmwcin unserem Könige zu seinem Geburtstag ein herzliches Lebehoch. So Viele, und an so unzähligen 5 Orten, an dicscm Tagc dcs cdlen Herrschers auch mit Liebe gedenken mdgen, vielleicht war es doch das erstemal, daß hier unter Afrika's wolkenlosem Himmel, in Mitte der erhabensten Uebcrresic, die, außer Acgypten, das Alterthum in diesem Welt-theile zurückgelassen hat, ein Vivat für Ihn gen Himmel stieg. Alle Araber, die uns gefolgt waren, mnßtcn in den dreimaligen Nuf mit einstimmen, und wir machten ihnen leicht begreiflich, daß wir mit dieser Ceremonie einen Wunsch für das Wohl unseres Sultans verbänden. Ein kleines Geschenk vermehrte noch ihren Eifer, und imposant hallte aus den ehrwürdigen Mauern ein mehrfaches Echo unsere Segenswünsche wieder. Die übrige Tageszeit brachte ich, trotz der ungeheuren Hitze, doch sehr leidlich unter einem dichten und noch überdies mit Matten bchangcncn Feigenbäume zu, denn im Zelte konnte ich heute nicht bleiben, weil ich im gcsnndcn Zustande 29 bis 30 Grad im Schatten ohne alle Luft weit nncrttäglichcr fand als selbst 60 unmittelbar unter s der Sonne. Dcnn dort kühlt immer mehr oder weniger cin schwacher Windzug, und selbst das allc Muskclsibern siarkcudc Licht balancirt gewissermaßen die schwächende Wirkung der Hitze. Eine besondere Unannehmlichkeit lmscrcs Bivouaks bc-stand in dcr Nähe großer Cactushcckcn, von denen wir zwar dic vortrefflichsten, eben reif gewordenen Fcigcn pflückten, die aber zugleich ihre fast giftigen haarfeinen Stacheln auf den Fittigen dcs Windes überall umhcrscndcten. Allc Augenblicke fühlte man davon kleine Stückchen in dcr Haut, die sehr schmerzhaft incommodirtcn, bis man sie auft gefunden und mit einer piucoN« opilawir« wieder herausgezogen hatte. Dic Araber, welche cin so raffmirtcs Instrument nicht kennen, bedienten sich eines andern Mittels, das ich mit Verwunderung auf das Wirksamsie anwenden sah. Mein Neger hatte gewiß cin Dutzend solcher kleinen feinen Stacheln im Arme, welche in zwei Minntcn rein herausgezogen waren, und dies Gcschäft versah cinc grüne Fliege, dic häufig auf dem Cactus 7 selbst angetroffen wird. Dcr Mann, wclchcr sic gefangen, hielt sic an dcn Flügen an dcr Stelle fest, welche schmerzte, n'üd durch das fortwährende Zappeln und Kratzen ihrer Vcinc, wclchc die Geängstete kcincn Moment still hiclt, kam dcr Stachel immer sicherer und ohne Gefahr des Abbrcchcns heraus, als mit jeder andern Methode. Hier ist eine Operation, dic vielleicht selbst Graft und Dupuytrcn unbekannt geblieben ist. Auch cin wilder Bienenstock, dcr sich in cincm dcr umstehenden Baume befand, machte uns vicl Noth. Frühstück und Mittagsmahl konnten nur, von dcn Begehrlichen haufenweise gleich Fliegen um, schwärmt, eingenommen werden. Sie waren abcr dabei doch schr gutmüthiger Natur, und einige Topft mit Süßigkeiten, die wir ihnen freiwillig überließen, und die sie bald, zu vielen Hunderten, bis an dcn Rand erfüllten, schienen als ein hin, länglicher Tribut von ihnen angesehen zu wcrdcn, um uns weiter kein Leid zuzufügen. Einc dritte ungewöhnliche Zugabc war das merkwürdige Geschrei 8 einer Heuschrecke besonderer Art, welches von demselben Laubdach hcrabtöntc, unter dem wir unsere Teppiche ausgebreitet hatten. Ich hielt es im Anfang für den Ruf eines großen Waldvogels, und es gibt wirklich wenige dieser bei uns, deren Gesang lauter wäre. Man begreift kaum, wic ein verhältnißmaßig so kleines Thier solchen anhaltenden durchdringenden Ton hervorbringen kann. So viel Mühe ich nur gab den Sanger zu fangen, so konnte ich es doch nicht bewerkstelligen; genau sah ich indeß, daß es nur eine Heuschrecke von mittler Größe war. Erst in dcr Adcndkühle stiegen wir wieder zu Roß und Esel, um die Nacht bei unserm alten Freunde, dem (H'ill der Plainc zuzubringen. Ein in dieser Jahreszeit hier seltenes Gewitter hatte den ganzen Himmel vor uns überzogen, und Vlitz auf Vlitz zerriß blendend den schwarzen Vorhang, der den Horizont verdeckte, während hinter uns der Mond noch friedlich am klaren Firmamente glänzte. Zuletzt aber umschlang auch ihn dcr 9 dunkle Mantel, und cin heftiger Regen firomtc unter dcs Donners Getöse auf uns nieder. Bei der heißen Lust erschien nns dies jedoch gar nicht als cin Ungemach, sondern im Gegentheil als eine ganz wohlthuende Erfrischung. Beim Mur^but. angekommen, sahen wir schon von weitem, beim grellen Leuchten der Blitze, unsern stattlichen Oänl, mit ungefähr zwanzig seiner Leute zu Pferde, förmlich militairiscv anfgestcllt, um uns würdig zu cmpfangcu, und jetzt rasch einschwenkend, kam der Trupp im vollen Laust durch die Nacht, wic das wildc Heer, auf uns zngesprengt. Nach Austausch vieler 8<^Iillliun und 8bnccku«,00l) Araber) meinen Gegenbesuch machte, empfing er mich in ciucm rothen Talar, auf einer Art Thron sitzend, der mit einer Löwenhaut bedeckt war. Sobald ich cmtrat, staud er anf, ergriff mich an beiden Armen, und drückte mich eben so freundlich als so kräftig ncbcn sich auf seinen brcttcrnen Thron nieder. Mit grosier Satisfaction crfuhr ich von ihm, daß mein, scincr Gemahlin ertheiltes Rc-guladctri-Rcccpt die beste Wirknng gethan habe, und meine ärztliche Kunst ward nun sogar für den Gouverneur selbst in Anspruch genommen. Diesen Krankheitsfall, welcher eine schmerzliche Operation nöthig machte, zu heilen, war jedoch, auch mit dem besten Willen, über meine Kräfte, und ich empfahl ihm daher einen französischen Chirurgus aus Tunis, an den ich mich erbot einen Brief mitzunehmen, und den Gouverneur zugleich bat, wenn etwas Dringendes vorfiele, sich nur direct an mich zu wenden. Bei dieser Gelegenheit frug cr den Mamelucken nach meiner Adresse, und da cr mit meinem europäischen Titel nicht recht fertig werden konnte, so sagte cr, die Hand auf die Brust legend, und mich höchst gutmüthig anblickend: «ich werde nnr auf den Vricf setzen »„An meinen guten fremden Freund in Tunis.«« Ucbrigcns haben diese Besuche und 31 ccrcmoniöscn Entrcbüen ihre komische Scitc. Dic Araber sind schr hoflich, und im Anfange vergehen immer fünf Minuten, bloß um sich fortwährend gegenseitig, aber in immer verschiedenen Ausdrücken zu fragen: wie man sich befunden hat, wie man sich befindet, und wie man sich befinden wird. Alle, selbst die Gemeinsten, nennen sich stets untereinander 8iäi (Herr) und sind dabei fast so artig und wortreich, wie die russischen Bauern, von denen man mir erzählt hat, daß sie auch bei jcbcm Zusammentreffe« eine Viertelstunde brauchcu, um sich, die Mütze in der Hand, geziemend zu bet'omplimcntircn. Bei alle dem ist hier sclavischc Unterwürfigkeit, auffallende Familiarität, Ecrcmomccn und Rohhcit anf eine sonderbare Weise miteinander vermischt, und dennoch geht alles dies, so heterogen es auch sey, immer mit einer merkwürdigen Würde, Anstand und Aisancc vor sich. Selbst wcun mein erster Uumd«, der einem eleganten Ra'ubcrhaupt-mann gleicht, die Leute prügelt, was ihm schr häufig arrivirt, geschieht es mit einer eigcnthüm- «2 lichen wilden Grazie, die den Geprügelten einiger, maßen trösten muß. Von koruau fing unsere Reise an etwas critischcr zu werden. Zuerst hatte die Hitze in diesen Tagen, fast einen allarmircndcn Grad erreicht, und zweitens war das Gcbürgsland, welches wir zu besuchen beabsichtigten, bei den statthabenden Unrnhcn in Vsclioriä und der Nähe der consian-linischcu Grenze nichts weniger als sicher; endlich war nur an wenig Orten auf gutes Wasser zu rechnen, und die Erfahrung hatte uns schon hinlänglich gelehrt, daß, wir mochten noch so viel davon mitnehmen, wo gutes vorhanden war, unsere zahlreiche Suite immer Mittel fand, es heimlich auszutrinkcn. Es ging auch heute nicht besser, denn als wir nur einige Stunden von Korean an den Ictztcn Brunnen frischen Quell-wassers kamen, waren schon drei bis vier große Kruge leer. Diese Brunnen gewahren den Anblick eines Lagers, denn Hccrdcn aller Thicrsortcn, mbsi ciner Menge Menschen, sind immer darum 23 versammelt, und doch dic Vcwohncr so sorglos, nicht einmal ein Dach darüber zu machen, so dasi, wegen der ungehindert bis in dic Ticfc dringenden Sonnc, selbst dic frischeste Qucllc bei so enormer Hitze bald lan werden muß. Mcin Taschcnthcrmomctcr, den ich in einer dicken Sattcltaschc die sieben Abtheilungen hat, in der mittelstcn derselben aufbewahre, zeigte heute in dicftr schattigen Lagc 35 Grad, und der Wind, welcher ziemlich stark wchtc, hatte oft die Gluth cincs Luftzuges aus dem Backofen. Auch nennt mau zwei besonders hcißc Ortc in dieser Gegend, den ciucn dic Kohle und den andern das Kohlbccken. Wir passirtcn viermal den HlorKaävI, einen Fluß, dessen Vctt zwischen 100 bis 1000 Fuß Vrcitc variirt. Demungcachtct soll er es im Winter ganz ausfüllen. Ictzt floß cr nm in mehreren einzelnen Rinnen, keine über 12 bis 15 Fnß breit, aber sehr lassend, obgleich ftin Wasser so mit Schlamm und Sand angc-gcfüllt war, daß es mchr einem gelben Brei als 34 Wasser glich, und selbst die Thiere cs nicht saufen wollten. Dennoch fandcn wir am Abend, daß die Beduinen, die an seinen Ufern wohnen, und bei denen wir die Nacht zubrachten, kein anderes zum Trinken haben. Es wird aber bei ihnen wo möglich noch widerlicher, weil sie cs in mit Harz gepichten Bockshäutcn aufbewahren, was ihm, für uns wenigstens, einen höchst cckclcrrcgcndcn Beigeschmack gab. Die Araber im Gegentheil sind so daran gewöhnt, und lieben überhaupt so sehr parfümirtcs Wasser, daß sie dasjenige keines? wcgs gut finden, welches, wie die Crystallfluch der Quelle, gar keinen Geschmack hat. An den mit Oleander bordirtcn Ufern desHIor^l^I liegen, einige Miglicn von ^rmlsa (also östlich davon, nicht südlich, wie Shaw angibt), ansehnliche Ruinen, die man für das alte ^quao i-o^m« halt. Wir fandcn dort, umgestürzt und halb im Schütte vergraben, einen großen Altar oder Postament, mit einer langen Inschrift, die meines Wissens nie bekannt gemacht worden ist. Es hätte 23 aber, um sie zu entziffern und zu copiren, einer förmlichen Aufgrabung und wehr Zeit und Mühe gebraucht, als ich darauf zu verwenden Lust hatte. Bei der flüchtigen Untersuchung konnten wir nur wenige einzelne Worte herausbringen, die keinen Sinn gaben. Die Lage dieser Stadt muß, bei besserer Cultur, sehr angenehm gewesen seyn, und die Aussicht von den Tcmpclrcstcn, auf dcncn wir standen, war selbst iu dem jetzigen desolaten Zustande des Landes durch die mannigfache Abwechselung gracicuscr Linien reizend. Eigenthümlicher ward sic für uns noch durch eine hohe Sandhose, die wir wie eine Rauchsäule durch das ganze Thal ziehen sahen, übrigens sehr zufrieden, nicht selbst in ihren Bereich gekommen zu scyn. Nahe den Ruinen entspringt cmc reichhaltige, aber etwas salzige Quelle, die in ihrer nächsten Umgebung mit ganz grünem Gras eingefaßt war, cin seltener und wohlthuender Anblick in diesen versengten Steppen. 2b Ein Naturalicnsammlcr würdc hicr und viel-leicht im ganzen Königreich Tunis nicht allzuviel Ausbeute finden, denn das Steinreich bietet gcringc Abwechselung, die Flora ist gleichfalls arm, blos reich an Stachclsiräuchcrn, die Einen« fortwährend die Klcidcr zerreißen; auch die Säugcthicrc, Vdgcl wie Insccten sind nicht zahlreich. Nur an Flöhen, Mücken, Scorpionen, Eidechsen, Taranteln und Heuschrecken fände sich cinc großc Auswahl. Die letzten umschwirrtcn uns hellte in allen Farben, cinc großc Kröte und einige Chamäleons krochen über dcn Weg, und zwei Geier schwebten über uns in den Lüften. Das war so ziemlich Alles was wir zu sehen bekamen. Von dem maurischen Flcckcn 2'luli8a ist nichts mehr übrig, und nur zwei permanente Veduincnlagcr haben seine Stelle eingenommen. In dem hohen Verge, an dessen Fuße cs lag, befinden sich berühmte und häuft's besuchte Bader. Es sind Höhlen wie die Hunds-grottc bei Neapel, nur von schwierigerem Acccß, in denen hcißc Schwcfeldünstc dampfen, dic bald 37 dcn heftigsten Schweiß erregen. Sie liegen ungefähr an der Mitte des Verges, bis wohin man zur Noth reiten kann. Die Einrichtungen zur Bequemlichkeit dcr Badenden sind burlesk; sie bestehen in weiter nichts, als einigen groben Geländern, um sich nicht geradezu dcn Hals brechen zu müssen, wenn mau in die ticfcn und dunklen Höhlen ohne Treppen hinabklcttctt; ferner in einer durch Menschenhände etwas nachgcholfcneu Grotte außerhalb, welche dazu bestimmt ist, den Badegästen als — Nachtlager zu dienen. Ich konnte dcr Versuchung nicht widerstehe«, dcn Gipfel des Verges mit I___zu erklettern, obgleich kein Weg hinaufführt. Es ward zuletzt wieder eine Partie auf allen Vieren. Dic Aussicht von dcr obersten Felsenkuppe auf den Lauf der Flüsse Hlorglui)-! und villela!,, mit dcr mcer-glcichcn Ebene von km-umi auf dcr einen, und dem wogenden Gcbürgslandc auf dcr andern Seite, »st nicht ohne Interesse, konnte jedoch, aufrichtig gestanden, die schwere Fatigue nicht lohnen, welche 28 bei dieser Hitze unvermeidlich war. AIs wir zurückkamen, fanden wir einen der Ilamki «lit einer großen Wunde an der Stirn, uud mciuc beiden Neger mit ähnlichen im Nacken. Wir glaubten, sie hatten ein Gefecht bestanden, es war aber nur ihre Mauicr zur Ader zu lassen, zu welcher Operation sie geschritten, weil sie einen Sonnenstich befürchteten. Das Blutlasscn ist überhaupt, wie auch das Vrcnncu, bei Mcnschcu uud Thieren sehr beliebt, so ungeschickt es auch bewerkstelligt wird. Den Pferden, die immer mit Brandzcichcn bedeckt sind, läßt man an der Zunge oder auf dcr Brust zu Ader, und ich habe schon einigemal bemerkt, daß dies bei Mattigkeit und Maugel an Frcßlust, oder einem Zustande, dcr dem, was wir bei den Pferden Dummheit nennen, sehr nahe kommt, augenblicklich ihr gauzes Temperament veränderte, und sie vollkommen wieder herstellte. Die hiesigen Beduinen scheinen nicht eifersüchtig, dcnu als wir gestern kaum angekommen 29 warcu, ließen sich nicht nur mehrere junge Mädchen in der Oessnung ihres Zeltes sehen, sondern auch zwei Weider von mittlerem Alter, wovon die cinc noch hübsch war, erschienen mitten unter uns, um Feuer zum Kochen anznmachen und unsere Zcltc aufschlagen zu helfen. Vcide waren an Armen, Händen und Füßen sehr künstlich tatowitt, und nur mit ciuem großen Tuche umhängen, was sich häufig auf alle mögliche Wcisc verschob. Sobald ich mich zu Bett gelegt hatte, öffnctc sich mciuc Zcltwaud, und die ciue dieser Weiber (leider nicht die hübsche) trat leise herein, und legte cinc große, verbrannte wollene Decke vor mciu Vctt, viel sprechend und gcsmulircnd, was ich nicht verstehen konnte. Ich klingelte Musiapha, und erfuhr uun, die dargebrachte Dccke sey, wahrend man mit unserm Dicust beschäftigt gewesen, durch einen Fcuerbraud, den dcr Wind darauf geworfen, so kläglich zu Schaden gekommen, und die Frau bäte jetzt um einen billigen Ersatz. Da ich müde war und schlafen wollte, schickte ich sie heute fort 30 mit dem Bedeuten, morgen früh wieder zu kommen, worauf sie auch sogleich ihre Decke zusammen? packte und sich gehorsam entfernte. Mein Zweck des Schlafs wurde indeß nicht zum besten erreicht, da man mein Zelt in die Mitte eines Eselsgcsiüts placitt hatte, und das unaufhörliche Geschrei dieser Thiere mir wenig Ruhe ließ. Doch wurden meine naturhisiorischcn Kenntnisse dadurch in so fern erweitert, als ich mich deutlich überzeugen konnte, daß keineswegs ein Esel wie der andere schreie, im Gegentheil fand ich die grdßte Abwechselung in den verschiedenen Aeußerungen ihrer Ajfcctc, eine ganze Stufenleiter zarter Nuancen, ja häufig sogar einen Ausdruck von Melancholie, tiefer Innigkeit und fast religiöser Ergebung in ihr trauriges lasttragcndcs Schicksal, darin, der mich in Erstaunen setzte. Glauben Sie mir, lieber Schcfer, wir sind ungerecht gegen die, uns doch in so mancher Hinsicht verbrüderte, animalische Natur, und versagen zn leichtsinnig den Thieren eine Seele. Nach den Tönen, die ich diese Nacht 3t vernahm, bin ich z. V. überzeugt, daß, könnten dic armen Geschöpfe, welche sie so herzbrechend aussiicßcu, anch noch sprechen nnd lesen — ihre Bildung gewiß bald reißende Fortschritte machen müßte, und vielleicht hätte dann die englische Missionsgcsellschaft mchr Sncccß bei diesen einfältigen Gemüthern, als bei irgend cincm andern Hcidcnvolke. Nur jene Schwarzen möchten ihncu noch den Rang ablanfcn, welche der heilige Angnsiinus in Aethiopien bekehrte, und dic, wic cr selbst erzählt, gewöhnlich ohne Köpfe einher zn gehen pflegten. Kaum war ich von cinem, endlich mühsam erlangten, kurzen Morgcnschlummer erwacht, als bei den ersten Strahlen der Sonne ich auch schon wieder die verbrannte Decke vor meinem Bette liegen sah; dic Frau selbst aber ließ sich nicht blicken. Dicse bescheidene Erinnerung gefiel mir so wohl, daß ich ihr nachher durch den Schcch den doppelten Wmh ihres Verlustes zustellen ließ, obgleich dieser lange verweigerte, das Geld anzunehmen. 3s Erst mit der Abendfrischc setzten wir unsere Rcise fort, durchritten den fast ganz ausgetrockneten villolali, und kamen bald in cinc mit vielen grünen Sträuchern, und sogar einigen Blumen besetzte Ebene, um dic sich die schon dunkelblau gefärbten Berge majestätisch lagerten. Seit NI vsekomm hatten wir kaum mehr cincn Baum gesehen, cs war daher dieser dünne Hain wilder Oliven, mit vielen hellgrünen Dornbüschen und einigen brcitblättrigcu hohen Staudcngewächsen, die traubenartige Früchte trugen, gemischt, schon cinc sehr angenehme Abwechselung für uns. Selbst unsere Escorte schien dics mitzucmpfmdcn, dcun cincr der Spahis von koi-uai») der, halbschwarz wic ein Negcr, mit schlohweißen Zahnen, die cr fortwährend mit cincr lächelnden Grimasse zeigte, wahren Krallen an den Handen, und dazu ganz in Roth uud Gold gekleidet, dem Teufel sehr ähnlich sah — fing durchdringcud zu singen an, und alle Ucbrigcn folgten nach und nach seinem Beispiel. Es war eine merkwürdige und ctwas 33 schauderhafte Musik, cinc Oper cigncr Art, der wir dm Titcl: Samicl in ^ruä8a, ertheilten. Je weiter wir kamen, jc angebauter ward die Ebene, man sah wieder Cactuspflanznngcn, und unser Weg ging meistens über Fcldsioppcln, dic indeß eben so voll Unkraut standen, als das übrige Terrain darum her, denn die Vestcllungsart der Bcdnincn erfordert wenig Umstände. Sie düngen ihre Felder nie, pflügen nur höchst oberflächlich, werfen dann den Saamcn darauf, das cinc Jahr Gerste, das andere Waizcn, und der salzhaltige Boden, dem man nnr zuweilen noch etwas durch das Verbrennen des Unkrauts zn Hülfe kommt, liefert trotz dieser wenigen Sorgfalt immer leidliche Erndtcn. Das Stroh wird in Schobern, und das Getraide entweder eben so, oder in KliU-wmor's (Erdgrnbcu) aufbewahrt. Wenn man diese allgemeine Fruchtbarkeit des hiesigen Vodcns jeder An sichf, der selbst wo cr lehmig ist, zwar oben zusammcngctrvcknct und Spalten zeigt, aber doch nie hart wird, sondern immer leicht für d:c Snnilasso in Afrika. V. 3 34 Bearbeitung bleibt — und dann dennoch dieses reiche Land Tag für Tag, in unabsehbaren Strecken zum größten Theil gänzlich unbenutzt und unbebaut findet, muß man darüber erstaunen, welches Reich Tunis seyn könnte, wenn cs in die Hände arbeitsamer und aufgeklärter Europäer käme. Während cs jctzi kaum zwei und eine halbe Million Einwohner zählt, würde cs ohne Zweifel sechsmal so viel ernähren konneu. Algier ist hiermit gar nicht zu vergleichen, und nie wird dort, anch die bestgcführtcstc Colonisation, ein ähnliches Resultat zu erreichen im Stande seyn. Vcim Aufgang des Mondes langten wir bei dem, heute mir wenig entfernte», Ziel der Tages? fahrt an, ein vuar, das, wie seine Bewohner, zn den elegantesten und reinlichsten seiner Art in der Barbarei gehört. Es war nicht wie gewöhn lich im Kreise, sondern in zwei Linien aufgeschlagen, die hmlersic für das Kro» des Stammes, die vordere und kürzere für die Schechs und den 35 erblichen duiilma gewesen seyn must. Viele Grundmauern verschiedener Wohnhäuser und die Spuren einiger Tempel waren deutlich zu unterscheiden, so wie die Befestigungen einer Citadelle, von der noch cin halber Thurm, und darunter im Thal einige Pfeiler, nebst einer langen Straße oder sehr breiten Mauer, denn genau war dies nicht niehr zu bestimmen, übrig sind. Weiter entfernt stand eine Art Thor, blos aus drei colossalen Steinen geformt, den Druidcndcnkmählcrn nicht unähnlich, die man in England und der Bretagne findet, dessen hiesige Bestimmung mir aber nicht recht klar war. Säulcnstückc und abgebrochene Simse lagen häufig umher, doch bemerkte ich nirgends eine Inschrift. Wir eilten auch ziemlich flüchtig darüber hin, weil unsere ganzc Aufmerksamkeit sich nach 8p«lla richtete, desscu Ucbcrrcstc Shaw Semilasso in Afrika. V. 4 50 für dic wichtigsten und inicressantesten dcr ganzen Barbarei erklärt. Ich bemerke hier ein für allemal, daß, wenn ich scltcn cincn andern modernen Autor, als den viel citirtcn Shaw, für dicsc Gegenden anführe, dies daher kommt, weil überhaupt V)cnigc darüber geschrieben, noch Wenigere sie gesehen, fast Alle aber den Doctor Shaw nur sclavisch copirt haben. Sie verließen mich also, lieber Schcfer, in dem Fclscnlabyrinth verstrickt, und werden hoffentlich meine Freude theilen, als dcr Ruf des umher-stankircndcn Namda von dcr Hohe triumphirend „Land" vcrkündctt-. Als wir dcn Platz, wo cr stand, erreichten, blieben wir Alle unwillkürlich oben halten, denn dcr sich vor uns entfaltende Anblick war prachtvoll. Zu unsern Füßen strömte eiu Fluß durch ein tiefes aber breites Fclscnbctt, seine Ufer mit dichten Wanden schwarzgrüncn Oleanders eingefaßt, dcr wie mit einem rothen Tuche bedeckt erschien. An einer lichten Stelle des Flusses, wo dieser einen weiten Bogen in das 51 Land hineiumacht, standen »md lagcn abwechselnd viclc hundert aus dcm v^koriä gekommene Cameclc, nur mit ihren Packsätteln nnd leeren Säcken bcladcn, um Getreide aus dcn nördlichen Gegenden zu holen; wenigstens eben so viele Schaafc und Ziegen waren ncbcn ihnen zur Tränke versammelt, und einige zwanzig Hirten mit ihren krummen Stäben und langen Gewändern wandelten gravitätisch unter ihnen umher. Eine schmale Ebene breitete sich hinter dcm Flusse aus, und hohe Berge schloßen dort bald die Aussicht, aber die Ebene selbst war der anziehendste Gegenstand des Gemäldes, denn hier lag das alte Hulowla, großenthcils noch so wohl erhalten, da, daß es mich auf das Lebhafteste an Pompeji erinnerte. Sobald wir die Ruinen erreichten, gewann ich bald die Ueberzeugung, daß ein Mann vom Fache, der sich einige Zeit hier aufhielte, dcn ganzen Plan der einstigen Stadt genau würde bestimmen können, da fast alle Grundmauern nebst mehreren Straßcnpflasicrn noch cnsiircn. 52 außer einer großen Anzahl mehr oder weniger erhaltener, aufrecht stehender Gebäude. Was abcr dem Ganzen ein besonders reiches Ansthn gibt, isi der Umstand, daß fast gar kein Mauerwcrk aus kleinen Steinen mit Cement oder aus gebrannten Ziegeln aufgeführt, sich vorfindet, sondern die Stadt durchgängig aus großen Quadern, hie und da durch Bolzen gehalten, aber sonst, wie es scheint, ohne alles andere Vcrbinduugsmittcl erbaut worden war. Wenigstens konnten wir jetzt von dem letztem nirgends eine Spur zwischen den Werkstücken entdecken. Am weitesten links zeigten sich zuerst südlich einige viereckige Gebäude, vielleicht Bäder, denn man bemerkte an dem einen die Reste eines breiten Wassercanals. Neben ihnen sah man die Trümmer mehrerer Wohnhauser, dann folgte ein Triumphbogen in corinthischcm Styl, reich verziert, von dessen zwei Ncbcnbogen, die Shaw anführt, keine Spur mehr zu entdecken isi, und dessen Säulen leider umgestürzt, und zerbrochen am Boden liegen. 53 Dic Inschrift, welche der Doktor in seinem Werke anführt, und die schon damals, wie cr sagt, nur theilwcise zu ermitteln war, ist jetzt fast ganz verwischt; sonderbarerweise aver finden sich die wenigen Worte, die wir noch deutlich entziffern konnten, z. V. „t^uiltztantio" und „Hlaxinliniauo," nicht in Shaws Copie. Spater fand ich noch so viel offenbare Unrichtigkeiten in seiner Relation, daß ich den guten Doctor im Verdacht habe, nur Mr proeuraUon hier gewesen zu seyn, oder wenn cr ßlpoUl», selbst sah, wenigstens, bei der damaligen Unsicherheit der Reisen in diesen Ländern, nur den flüchtigsten, und vielleicht schnell gestörten Aufenthalt hier gemacht haben kann. Ich werde später die einzelnen Vclegc zu dieser Voraussetzung beibringen. Vom Triumphbogen führt eine Straße, mit niedrigen Mauern eingefaßt, und mit großen Steinplatten (nicht schwarzen, wie Shaw anführt, sondern von dem überall hier angewandten, grau-rothlichcn Kalkstein) mitten durch die Stadt, und zwar nicht in gerader Richtung, sondern, ganz wie 34 die neuen Straßen in London, in cincr Schlangenlinie. Weiterhin geht sic zwischen zwei hoch über einander gcthürmtcn Stein- und Saulenhaufcn hindurch, die ohne Zweiftl ansehnlichen Palasien oder Tempeln angehörten, und verliert sich kurz nachher in einem Labyrinth von Grundmauern, und einer Unzahl aufrecht stehender, einzelner, schmaler Blöcke, die von Weitem täuschend den Monumcntsieincn eines dicht damit erfüllten Kirchhofs gleichen. Noch ziemlich weit rechts von hier stehen die berühmten drei zusammenhängenden Tempel. Shaw sagt, dic Triumphatorstraßc gehe in grader Linie nach dem Eingang dicscr Tempel, welches ein Augenzeuge unmöglich hätte behaupten können, da die Parallelen dcr Oessmmg des Triumphbogens und des Portals der Tempel wenigstens um 200 Schritt von einander disscriren. Vicl> mehr zweigt sich ans der Triumphsiraßc eine andere aus, die man eine Weile in der Richtung der Tempel verfolgcu kann, und die also wahrscheinlich dahin führte. Nicht mit Unrecht aber 55 nennt Shaw (besonders da er vuMg. nicht sclbst sah, von dem ich weiter untcn sprcchcn werde) dicscs edle Denkmal alter Große: die Krone römischer Ueb^rrcstc in diesem Theile von Afrika. Es befmdct sich fast genau in der Mitte dcr Stadt, hinsichtlich ihrcr Lange, doch nicht ihrcr Breite. Ein viereckiger, noch jetzt von cincr hohen Mauer durchgängig eingeschlossener Hof umgibt die drei neben einander stehenden Tempel dergestalt, daß ihre hintere Facade den größten Theil der cinen Seite des Vierecks formirt, und dcr freie umschlossene Ranm sich nur vor den Tempeln ausbreitet. Ein Portal in der Mauer, mit zwei Ncbeupforten, dient znm Eingang, und man sieht noch deutlich, daß von hier cin dreifacher und bedeckter Sänlcngang eine Stunde weit nach den Tempeln hin sich erstreckte. Auffallend ist cs aber, daß dies Haliptportal nicht in gerader Linie auf den mittclstcn Tempel stoßt, sondern blos die cine der Scitcnpfortcn, obgleich die Linie des Portals sclbst mit der Facade dcr Tempel parallel länft. 56 Der Säulcngang, von dcm nur am Anfang noch einige halb abgcbrochnc sichcn, muß also schief, oder, was wahrscheinlicher ist, mit einem rechtwinklige» Absatz, der mit andern Bauwerken des Hosts in Verbindung stand, wovon auch mehrere Spuren noch bemerkbar sind, nach dcm Porticus des mittlern Tempels zu geführt haben. Ucbrigcns scheint das Portal, wegen seiner sehr untergeordneten Architektur, ans weit späterer Zeit als die Tempel selbst zu seyn. Von der Inschrift konnte ich nichts mit irgend einiger Bestimmtheit herausbringen. Dic Zeichnung, welche Shaw von dem Ganzcu gibt, ist in vieler Hinsicht unrichtig, besonders auch in sofern, als darauf alle drei Tempel mit Pilaster« dargestellt sind, während der mittelstc durchaus Säulen, und nur dic beiden andern Pilaster haben. Ferner ist der mittclsic und größte auch, wie billig, der reichste in seinen Zicrrathcn, und gibt in der Vollendung und dcm feinen Geschmack der Arbeit der sogenannten 57 MÄi8 und Deckstcinen, deren zierliche Arbeit eben so bcwundcnmgswürdig in der Nahe, als oben an ihrem Platze erscheint, an manchen Orten bis halb an das Dach hinauf steigen. Gern hatte ich den Rest des Tages hicr zugebracht, um wenigstens von dem wesentlichsten Theile dieser merkwürdigen Todtcnstadt einige Skizzen zu nehmen, aber unsere Thiere hatten dann nichts zu fressen gehabt, und das nächste Vednincnlagcr war noch sechs Stunden weit. So mußte ich mich fügen. Was mich indessen einigermaßen tröstete, war die von meinem Mamelucken erhaltene Nachricht, daß Sir Grcnvillc Temple vor Kurzem auf seiner Reise denselben Ort mit einem Zeichner besucht habe, und daher gewiß dem Publikum einen so interessanten Gegenstand nicht vorenthalten wird. eo Rechts dcr beschriebenen Tempel stehen die vier schmächtigen Pfeiler oder Ecken eines andern ansehnlichen Gebäudes und die niedrigen Umfangsmaucrn cines schr großen und dem Anschein nach prachtvollen Palastes; weiterhin, unmittelbar auf schroffen Felsen über dem Wasser hängend, sieht man die Reste einer wcitlänftigcn Wohnung die (als Ausnahme), von kleinen Feldsteinen mit Cement ausgemauert ist, obwohl auch hier viel Säulen und andere massive Ornamente daneben liegen. Von Marmor fanden wir dagegen nirgends das kleinste Fragment. Ist etwas davon dagewesen, so hat man cs wahrscheinlich zur Verzierung dcr Moscheen und heiligen Hlaiädul's langst weggeholt. Die Lage dieser Villa über dem Wasser nnd seinem Oleandcrwald muß einst ein reizender Aufenthalt gewesen seyn. Wir stiegen von hier nach dem Fluß hinab, nnd verfolgten sein halb sandiges, halb felsiges Bett, bis an das nordwestliche Ende der Stadt, wo ein antiker Aquadutt, der zugleich als Brücke für Fußgänger diente. SI über den Strom führt; dicstr bildet nahe davor, zwischen cng zusammentretenden Felsen, einen kleinen Wasserfall, dessen Ranschcn uns in den hiesige», Einöden cin ganz fremdartiger Klang dünkte. Es wäre zn wcitlänftig, alle einzelne, sich aus dem allgemeinen Steinanger noch erhebende, minder wichtige, Bauwerke zn beschreiben, ich schließe daher mit der Erwähnung eines großen Mausoleums, welches, im Norden der Stadt, gleichsam den Pendant zn dcm Triumphbogen am südlichen Ende macht, und dabei noch so schone, gleiche Quadcrmancrn darbietet, als habe man sie erst gestern vollendet. Ehe wir abzogen, entweihte mein jagdpassionittcr Sccrctair noch grausam die heiligen Tcmpclraumc durch die Vernichtung einer ganzen dort hausenden Tanbcnfamilic; denn nachdem er Vater und Mutter erschossen, klcttcrtc er anch auf das Dach, um noch die Eier auszunchmen, was ich ihm nicht eher als beim Sonpo in t>a88a,-in vergab, wo ich die Leckerbissen mit verzehren half. 62 Die ganzc, scchs Stunden langc Plainc von hicr bis (?288ariil, dcr l^olnuia »villitaila, zeigt fortwährend cinzclnc Ruinen, und nmß außerordentlich angebaut gewesen seyn. Jetzt ist, auch dcr vorzüglichste Boden, doch nur mit grobem Riedgras bedeckt, das wir an manchen Orten abgebrannt fanden, worauf sogleich feinere, hellgrüne Gräser entstanden waren. Der manrischc Flecken Oa88ariu cnsiirt nicht mehr, gleich ^ucls» und 8pol1a, welche Shaw vor hundert Jahren noch alle als kleine Städte anführt. In dcm reizenden Thalc, am Fuße des Vseliobol Zoliainb^, ncbcn den Ruinen dcr alten Stadt, lagert aber bleibend der Vcduincnsiamm dcr k'iraseluscli in verschiedenen vuur's, deren Zelte alle mit frischen Lanbrciscrn zierlich umsteckt waren. Dcr Fluß voll) bewässert dieses Thal, auf dessen Hütungcn dcr Oleander in ungeheurer Mcngc wächst; und es bleibt innncr für uns Nordländer ein lnnmbscr Anblick, die zahlreichen Viehhecrden unter seinen Blumen weiden zu sehn. 63 Die Alterthümer von ^a^ai-in, die wir trotz eines Marsches von zwölf Stunden noch an demselben Abend besichtigten, können, mit Ausnahme der drei Tempel, fast den Vergleich mit speUa aushalten, und ihre Umgcbnng ist vielleicht noch romantischer. Sie licgm auf einem Berge senkrecht über dem Flusse, der sich hier noch viel wilder, aber ohne Vegetation an seinen Ufern, blos durch schroffe nnd wunderbar geformte Stcinmasscn windet, und dann durch Cactus-Pflanzungen sich in der Oleandercbenc ruhig weiter schlangelt; auf dcr andern Scite hat man cine der herrlichsten Aussichten in das Innere des Gcbürges nach tl^llrali zu. Auch hier findet sich ein ziemlich wohlcrhaltcncr Bogen, doch von weit einfacherer Architcttur als dcr in 8potla, welcher, wie dic Inschrift anzeigt, von Yuinws Klanliug ß'olix seiner Gcburtssiadt geweiht wurde. Weiter unten sicht man mehrere Mausoleen, von denen besonders eins bcmcrkenswcrth erscheint. Es ist in Form eines schlanken, viereckigen Thurmes 64 auf drci Etagen erbaut. Die unterste hat dcr Baumeister einfach und ernst gehalten, mit zwei niedrigen Eingangspforten; dic zweite bildet einen höchst eleganten, schon verzierten klcincn Tempel mit sechszchn corinthischcn cannclirtcn Pilasiern, und die dritte eine, nnr nach dcr vordcrn Seite offene Nische, in dcr wahrscheinlich eine Statue stand, so wie auch oben irgend noch eine Zicrrath zur Krönung des ganzen zu fehlen scheint. Die vordere Wand des untersten Stockwerks ist über und über mit einer endlosen Elegie beschrieben, die man noch recht leidlich lesen, und deren seichter Inhalt in Shaw's Vuch nachgcsehn werden kann. Eine andere Inschrift zeigt an, daß dies Monument einem Patricier, mit Namen ^.I'Iaviu«, nebst seiner Frau von ihrem Sohne gesetzt ward. Ein großer Theil dieser alten Stadt wäre gleichfalls noch deutlich zn tracircn, und auch hier sind alle Gebäude ohne Ausnahme aus Quadern errichtet. Ver-schiednc Wohnhäuser stehen noch bis an's Dach; über den Thüren des einen sieht mau zwei Vas- 65 reliefs, doch nicht von bcsondcrcr Arbeit. Die einbrechende Dunkelheit zwang uns mit Widerstreben znm endlichen Rückzng, da wir abcr am andern Tagc, unserer Müdigkeit und dcs freundlichen Ortcs wegen, hier Rasttag hielten, so besuchten wir dic Ruinen noch einmal, ohne viel Neues darin zu entdecken; doch bemerkten wir, daß fast der ganze Raum, auf dem sie sieheu, mit einem dicken Wurzclgcflecht indianischer Feigen durchzogen war, die, wie man uns erzählte, cin starker Frost tddtctc. Den Beduinen kam dieses sehr gelegen, da dic Löwen cine besondere Vorliebe für diesen Schlupfwinkel gefaßt, und sich langc Zeit gemächlich darin etablirt hatten. Ich benutzte dic mir bleibende Zeit wenigstens zur Copirung dcs beschriebenen Mausoleums und anderer Kleinigkeiten. In beiden Nächten, dic wir hicr zubrachten, sahen wir sämmtliche vuar's mit ungewöhnlich vielen Fencrn erleuchtet, dic sich längs des ganzen Berges hin erstreckten. Dies wird ebenfalls der Nemilasso in Afrika. V. 5 es erwähnten Raubthicrc wegen nöthig, welche, ob^ gleich nicht mehr so nahc campirt, dennoch häufig aus den Bergen hervorbrechen, um einen Angriff auf die Hccrdcn zu versuchen, wodurch stlbst für Menschen das Nachtrciscn in diesen Gegenden gefährlich gemacht wird. Wir befanden uns hier schon in der Nahe von Cousiantinc, und mußten von nun au vor den räubcrischcu Horden dieses, in halber Anarchie sich befindenden, Landes, dessen Grenze wir cotoyircn sollten, sehr auf unsrer Hut seyn. Die letzte Nacht faud ich nur wenig Schlaf, dcnu unglücklicherweise hatte ich während derselben, statt der ncnlicheu Esel, Wächter vor mein Zelt bekommen, die nichts zum Schweigen bringen konnte. So gravitätisch, sich gern absondernd, und schweigsam die Türken sind, so geschwätzig und untcrhaltungslustig erscheinen dagegen die Beduinen. Wo zwei zusammen sind, können sie in der Regel, gleich den Franzosen, ohne Conversation nicht mehr bestehen, und fangen sic auch, nach wiederholten Ermahnungen, diese aus 67 Respect lcisc an, so isi doch immcr in wenig Secunden das mosccinlo wieder bis zum Geschrci gediehn. Nicht eher also, als bis mcinc Wächter einschliefen, konnte ich selbst ihrem Beispiel folgen. Weil nach allen eingegangenen Erkundigungen die Antiquitäten von t^ll«» und ^'orianak nur höchst unbedeutend sind, übcrdem aber auch mcinc Begleiter, wie alles Personal meiner tunesischen Suite, täglich mehr ihre Ungeduld markirtcn, diese beschwerliche Reise enden zu sehen, und ich sclbst, aufrichtig.gcstandcu, anfing, genug davon zu haben, so beschloß ich von hier meinen Rückzug über koll nach Tunis anzutreten. Am 14. August verließen wir also diesen südlich entferntesten Punct unsrer Expedition im Innern des Reichs und wandten unserer Rosse Häupter wieder dem Norden zu. Da uns aber die Araber so viel von der Unsicherheit des einzuschlagenden Weges, und von dcu constantinischen Raubbedmncn, die jeden Augenblick Strcifzüge über die nahe Grenze machen 68 sollen, vorgeredet hatten, — so bewaffnete sich Jeder sorgfältiger wie gewöhnlich (denn der Bequemlichkeit wcgcn hatte ich z. V. meine Pistolen bisher fast immer von Mnstapha tragen lassen), und unser Zug ward am Morgen regelmäßig geordnet. Die Avantgarde formirtc der jnngc (^'i'ä der k'll-asolusoli mit einem seiner Araber, einem Ilamb» und zwei der Spahis von koruau. Vor dem Hauptcorps, nämlich den acht Mauleseln, ritt ich selbst, mein Tagcbnch, als dermalen mein Liebstes, in einer blcchcrncn Büchse am Sattel befestigt, neben mir Herr I ...., Mustapha und Iussllf, der erste Ilanilia. Die Arnergardc bestand aus dem Obersten, dem Mamelucken, meinem Dragoman und den andern beiden Spahis. Wir waren noch keine Stunde in einem ebenen Thale marschirt, das hohe Berge ziemlich eng einschlössen, als wir jenseits des leicht überall zu durchwatenden Flusses einen Trupp von vier wohlbcrittcncn und bewaffneten Beduinen sahen, dic uns offenbar beobachteten und in gleicher 69 Linie folgten, denn da wir wegen eines aufgefundenen Hastns, dm wir zu erlegen suchten, stillhielten, blicbcn sie auch in Reih uud Glied halten, und fttztcn sodann mit uns ihreu Wcg wcitcr fort. Wir hatten viel Noth mit dem Antreiben der Maulthicre, dic immcr zurückblieben und unsern Marsch ansicrordcntlich verzögerten, so daß beim Eintritt in cinc größere, im Anfang etwas ansteigende Plainc, die Avantgarde ciucn großen Vorsprung gewonnen hatte. Die vier uns zur Seite folgenden fremden Reiter waren unter-deß hinter cincm Hügel verschwunden. Plötzlich sehen wir unsere Vorhut (um zur Veränderung auch einmal deutsch zu sprechen), in voller Carriere, mit lautem, uns uuvcrsiändlichcm Ruscn auf uns zustürzen, und sich eilig hinter unserer schwachen Linie rangircn. „Die Beduinen sind vor uns," erklärte nur Musiapha, „uud greifen uns an." Der Oberst, der mit den Arabern zu kämpfen alaner ist, als wcun es ihre Felsen zu besteigen gilt, kam schon von hinten vorgcsprengt, 70 rief unsre Flüchtlinge im Arabischen zu sich heran, ich desgleichen Inssnf und den andern llamli»,) und ohne weitere Vcrathschlagnng beschlossen wir gleichzeitig dem kommenden Feind auf dcr Stelle das iiraovouiro zu spielen. Doch nnr dcr kleine Trupp, aus uns drci Christen, dem Oul'ä, Inssnf und seinem Collcgcn bestehend, setzte sich mit bereit gehaltenen Waffen zur Attakke in Galopp, die Andern blieben, wahrscheinlich zur Vertheidigung dcr Esel zurück, und kamen zum Theil erst, als alleVcsorgniß verschwunden war, mit grosiem Geschrei hinter uns drein gesprengt. Sobald wir die Höhe erreichten, sahen wir, baß wir wieder nur vier Beduinen vor uns hatten, die bei unsrer schnellen Annäherung ihre Pferde anhielten und sich nicht mehr von dcr Stelle rührten. Eben so die, welche seitwärts wicdcr sichtbar geworden waren. Ob beide Trupps in Verbindung standen, und wirklich cinc feindliche Absicht gehabt hatten, odcr nicht, ward nicht ganz klar; ihrer Versicherung nach, waren sie nnr, gleich uns, auf der 71 Reise begriffen und dahcr bewaffnet. Wir konnten hiergegen nichts einwenden, und cs blieb uns jclzr nur übrig, über 'den falschen Allarm zu lachen, der uns doch den Augenblick vorher noch als cin sehr unangenehmer Ernst erschienen war. Bei dieser Gelegenheit ficl cs mir (allerdings cin wenig spät) in Folge einer Bemerkung I....'s ein, die Waffen der saumseligen Spahis von koruan zu untersuchen, und man denke sich mein Erstaunen, als ich nicht eine einzige ihrer Flinten oder Pistolen geladen, ja in den ersten uicht einmal einen Stein eingeschraubt fand. Sclbst der so gefährlich aussehende rothe Samicl hatte uicht ans Laden gedacht, uud noch obendrein das Schloß seiner Fliutc mit einem ledernen Futteral umwunden. Ich ließ die gottlosen Heiden sämmtlich, wie sie cs verdienten, über dics unverzeihliche Benehmen an, das man unmöglich von ciucr Escorte erwarten konnte, uud zwang sie nun ihre Gewehre ohne Verzug »,nd vor meinen Augen zu laden, wo denn Jeder seinen Stein und das Ucbrigc aus 72 der Sattcltaschc, wohl eingepackt, ersi herausholte, allerlei Lügen znr Entschuldigung vorbringend. Gewiß wäre beim ersten Schuß des Feindes diese nichtswürdigc Begleitung bis auf den letzten Manu cntflohn, und hätte, uns ruhig im Stich lassend, sich nachher mit irgend einer schlaucu Erfindung ausgeredet. Wir wußten nun wenigstens ungefähr, auf wen wir uns verlassen konnten, und auf wcu nicht, und auch dies war schon eine bedeutende Beruhigung für die Zukunft. Auf der ganzen Tour des heutigen Tages hatten wir fast fortwährend einzeln zerstreute Ruinen, von mehr odcr weniger Umfang, im Auge, unter denen sich häufig wieder die zwei hohen, aufrecht stehenden Steine mit einer cbcn so großen Deckplatte, vorfanden, deren ich unter den Ucbcrrcsten von dilma bereits gedacht. Bei einigen derselben, namentlich im District von I^u8imali, schien cin mit ausgehöhlten Platten belegter Wasscrlauf hindurch gegangen zu scyn; mitunter waren auch große steinerne Becken 73 unmittelbar daneben vorhanden, und in den Scitcnstcincn befanden sich immer tiefe Zargen, oder durchgchaucnc viereckige Löcher. Doch wozu alles zusammen eigentlich gedient, konnten wir auch jetzt nicht mit Bestimmtheit ermitteln. Beide Ebenen, die wir durchritten, in denen der vork, nebst noch einem andern geringern Flusse, in weiten Krümmungen strömt, hatten den fruchtbarsten Boden, und würden sich, unbebaut wie sie großtcnthcils sind, um so mehr zu Coloniccn für unsere in der ganzen Welt umhcrwandclndcn Deutschen eignen, da hier die nahen Verge auch Holz enthalten, und das Clima schon merklich rauher wird. Sobald wir diese Berge betreten hatten, zogen wir über vier Stunden lang in einem ununterbrochenen Walde weiter, der aus feinnadcligen Kiefern, Tuja's, Rothccdcrn und cincr schönen Art Wachholdcr bestand. Der Boden war sandig, und auch die Felsen, welche mitunter lehr abenteuerliche Formen annahmen, zeigten unr einen gelblichen Sandstein. Manche Stellen 74 hatten cinc auffallende Aehnlichkeit mit unsern heimischen, dürren Kicfcrhaidcn, an solchen Orten nämlich, wo dort nur niedriges Holz sicht, denn keiner der hiesigen Bäume erreichte über zwanzig Fuß Höhe. Mitten in diesem Walde und in einer Gegend, die nicht ohnc Charakter war, trafen wir wicder auf die wcitläuftigcn Trümmer cincr Stadt, doch entdeckten wir nirgends cinc Inschrift, dic uns hätte anzeigen können, welchen Namen sie in der Vorzeit führte. Eben so wenig konnte ich für alle andern Ucbcncstc des Alterthums, die wir heute sahen, auf meinen Charten irgend einc sichere Bezeichnung finden. Wir hatten nach und nach die Vcsorgnifi cincs Angriffs ganz vergessen, und ritten eben unbefangen cinc tiefe Schlucht hinab, um hier, wo man uns cincn Bach angekündigt hatte, die Pferde zu tranken, als wir uns in demselben Augenblick von sVchM bis siebcnzig Arabern zu Pferde uniringt sahcn, die, wenn sie feindlich gesinnt gewesen, wahrscheinlich zu stark für uns geworden wären. Es war 75 aber glücklichelweise nur ein berittenes — Begrab^ ,nß, keiner der Wcißmäutcl bewaffnet, und Alle vom Stamme des Oäisl und dcm Gebiet der ^molw '"), wo wir dich- Nacht zu schlafen ge-dachten. Der Leichnam dcs jungen Schechs, dcm cs galt, war in ein rothes Tuch gewickelt, und wie ein Kalb über den Sattel seines eigenen Pftrdes gehangen. Das Pferd ging ganz frei ohne Zügel, nur rechts und links von einem Schech zu Roß begleite.c. Dies Convoy hatte auch des Tränkens wegen Halt gemacht, und wir besahen uns gegen? scitig mit vieler Neugierdc. Ich bemerkte ein kleines Pferd, das in seinem Ban vollkommen cincm Lama glich, und an seinen« gedehnten schmalen Hirschhalse einen Kopf angesetzt hatte, der gewiß nicht acht Zoll lang war. *) kmeiiü beißt ein Du»,- wo einer der größeren <^lc,<.-„ mit den Vornehmsten seines Stammes permanent sich aufhält. 7« Zwei Standen nach dieser Rencontre trafen wir am Saum des Waldes noch mehr Ruinen, wo unter alten Mauern eine vortreffliche Quelle entsprang, die uns seit dem 8ainvan zum erstenmal wieder mit kaltem und silberhellem Wasser beschenkte. Man muß so lange in vertrockneten Wüsten umhergezogen seyn, als wir, um diesen köstlichen Gcnnsi gehörig zu würdigen. Tausend Schritte weiter lag die Hmolla von 8o1mr, wo der Onkel unsres jungen tüä'id befehligte. Dies ist ein sehr reicher Mann, da der hier sorgfältiger betriebene Anbau des fruchtbaren Bodens, von dem man so viel benutzen kann, als man will, den Beduinen dieser Gegend, durch den Getreide-Handel mit dcm vsci^rid, viel Geld einbringt. Auch trafen wir allerlei ungewöhnlichen Lurus an. So hatte der Saiä z. V., was wir bisher noch nie gesehn, ein mit buntem Zeuge gefüttertes Lei nw and zelt, und als ich eintrat, ward für mich cinc Löwenhaut, für ihn ein persischer Tcppich ausgebreitet. Ich hätte gern cinc solche gekauft. 77 abcr alle Löwenhäute müssen gesetzlich dem Gouverneur der Provinz für dcn Vcy abgeliefert werden, wofür der Ucbcrbringcr cinc bestimmte Prämie erhält. Dcr ^Äici, der diesmal mehr cincm europäischen Indcn als cincm Arabcr ahnlich sah, trng unter cincm sehr feinen Iloik, oder wie man es hier nennt Ilaoi-mn, dcr über dem Kopf mit dcr Schnur aus Camcclhaar befestigt war, einen türkischen, pfirsichblüthfarbcncn Kaftan mit schwcrm silbernen Agraffen. In ein gleiches Gewand war sein kleiner Sohn von sechs Jahren gekleidet, aber ohnc lloili) wogegen cr cinc Mütze von demselben Zeuge, und auch mit Silber beschlagen, auf dem Kopse trug, was cinc um so lächerlichere Carri-catur abgab, da cr übrigens ganz nackt, ohne Hemde noch Hosen erschien, und kleine silberne Räder von drei Zoll Durchmesser in dcn langen Ohren, wie schwere silberne Ringe an dcn dünnen, schr schmutzigen Spindelbemchcn zur Schau stellte. Dcr Ouiä besaß, außer diesem Sprößling, auch noch einen ältern und hübschem Knaben, der zu 78 seinem Nachfolger bestimmt ist; ferner zwci ganz weiße Stuten, die sehr viel Blut zeigten, ohm-jedock) schön zu seyn, oder vielmehr sich schön zu prascntiren. Es ist cine besondere, schr häßliche Eigenthümlichkeit dcr hiesigen Pferde, daß sic fast nie den Schweif gut tragen. Im Gegentheil halten sie diesen, wie das ganze Hintcrthcil, gleich del» Mauleseln, immer etwas eingezogen, sobald sie in Bewegung sind, daher sie, in» vollkommenen Gegensatz zu dem ächten arabischen Pferde, meistens im Stande dcr Ruhe besser aussehn, als nuter dem Reiter. Abends waren wir Zeugen dcr sonderbaren Trauercercmomccn, die wegen des gestorbenen Schechs, dessen Leichnam wir unterwegs begegneten, sieden Tage lang fortgesetzt werden. Sic bestehen darin, daß sämmtliche Weiber des Dual-, sich abwechselnd, früh mit Sonnenaufgang und Abends bei ihrem Untergang, vor dem Zcltc des Verstorbenen stundenlang einen Tanz mit Gesang ausführctt, wahrend eine der Frauen eine dumpfe 79 Trommel dazu schlagt. Auch am Tage muß dieselbe Ceremonie ciue Zeitlang wiederholt werden, wenn eine Gesellschaft Leidtragender, dic wenigstens aus vicr Personen zusammengesetzt seyn muß, heulend und schreiend ihr Beileid zu bezeigen kommt. Solche Leidtragende erhalten dann noch überdies jedesmal eine Schüssel du8ou8»u mir Fleisch. Doch dürfen dieselben Individuen nie zum zweitenmal wiederkommen, weil sonst die Theilnahme an dem unglücklichen Schicksale des Todten leicht ins Unendliche gehen könnte. Ic mehr Trauernde, je mehr Ehre für die Familie, und je mehr <^u8cu«8u, je mehr Trauernde. <^'o8l. lout, comm« t?Iw2 N0U8. Der Eifer der Weiber war cremplarisch. Das Tempo ihrer Musik änderte oft plötzlich, und gab ihr dadurch ctwas Wildcs und Seltsames. Da außerdem Tact uud Melodie immer sehr präcis und richtig aus-gcfühn wurden, faud ich bald so viel Geschmack an diesem Concert, daß es immer zu früh für mich aufhörte. An fremdartige Musik mufi 60 man sich überhaupt immer erst ein wenig gewöhnen, ehe man sie unparteiisch beurtheilt. Den Arabern geht es cbcn so mit der unsern. Nahe durften wir den tanzenden Weibern nicht kommen, aber mit meinem Opcrnglase konnte ich sie deutlich genug betrachten, um mich zu überzeugen, daß mehrere sehr hübsche darunter waren. Ich machte hier einen Rasttag, den ich, an Migräne leidend, im Vctt zubringen mußte. Eine Verkaltung hatte mir dieses Uebel zugezogen; denn seit der schönen Sommernacht in Ulaä 8eiiäe88eii, waren die Nächte immer kälter geworden, so daß in der letzten mein Thermometer, im Zelte bei Sonnenaufgang zehn Grad, und nur fünf Stunden spater schon wieder sechsundzwanzig zeigte, eine Veränderung der Temperatur, die bei heftigem Winde, uud unter einem nichts weniger als dichten Obdach, der Gesundheit nicht zuträglich seyn kann. Während ich meinem Secretair etwas zu dictircn versuchte, kam der däül mit sämmtlichen Bewohnern 81 dcs vuar, lagcttc sich mit ihnen vor mein Zelt, und ließ sich ganz wohlbchaglich von meincn Leuten mit Pfeife, Caffcc, Zuckerwasscr mit lwur li'ormiKo, und zuletzt sogar mit sünf bis scchs Flaschen französischem Liqueur bedienen. Ein 'I'klll«!,) der stets den Rosenkranz in der Hand hielt, nm daran zu beten, machte erst viel Umstände von der verbotenen Delicatcsse zu kosten, trank aber dann, ungeachtet dcs Gelächters der Uebrigcn, von Allen am meisten, so daß er bald roth wie ein Krebs wurde, und dazu einstweilen seinen Rosenkranz unter die Vcrnus versteckte, damit Muhammed nicht sahe, was vorging. Die ganze Gesellschaft bat mich darauf, mit der Neu-gierdc kleiner Kinder, ihnen alle meine Sachen auspacken zu lassen, um sie bcschn zu können. So viel es thunlich war, willfahrte ich ihrem Wunsch, und schien sie dadurch sehr zu beglücken. Kein Läppchen ward ihnen gezeigt, das sie nicht genau untersucht und mit vielen Bemerkungen unter sich begleitet hatten, zuweilen mit Bewunderung Scmilaffo w Afrika, v. 6 82 bei sehr geringfügigen Dingen, zuweilen mit Lachen bei andern. Zwei kleine Taschcnpisiolen vom dermaligcn Kuchcnreutcr, das Geschenk ciucr liebenswürdigen Cousine, mit denen man bequem ziclen und noch auf fünfzig Schritt durch ein schwaches Vrctt schießen kann, entzückten sie am meisten, und sie ersuchten mich, cinc Probe damit zu machen, da sie sich gern von dem Effect der neuen Erfindung der Pcrcussiou durch den Augenschein überzeugen möchten. Unglücklicherweise versagte, wahrscheinlich wegen schlcchter Zündhütchen, das sonst sehr gute Pistol zweimal. Sogleich faßten die Araber die größte Geringschätzung gegen die Percussion, spotteten und lachten unter sich, und der l^äul meinte, ihre Gewehre nach der alten Art seyen doch wohl besser. Acrgcrlich darüber bat ich I...., eine kleine Flasche auf einen Stock zu stecken und zwanzig Schritt von meinem Zclt in die Höhe zu halten. Jetzt ergriff ich die audcrc Pistole, und mit einem inbrünstigen Stoßgebet zu den Pulver- und Kugclgeistcrn um 83 einen glücklichen Schuß, drückte ich mit: Samicl hilf — in meinem Bett emporgerichtet, los. Tausend Piaster wären mir nicht so lieb gewesen, als das Vergnügen, welches ich empfand, da die Flasche, in kleine Stückchen zerschmettert, herab-klirrte. Die Veränderung der Mienen bei der ganzen weißen Trnppe, welche in ihrem albernen Erstaunen einer Hccrde Mdnchc glich, war interessant zu beobachten, nnd als gleich darauf I. <.., ebenfalls mit einem Percussionsgewchr, einen Raubvogel hcrabholte, den der Pistolenschuß nicht verscheucht hatte, waren Alle nun eben so voreilig in ihrer Bewunderung, als vorher in ihrem Tadel, und sahen von nun an unsern Gewehren stets mit neidischen Blickcn nach. Vier Stunden von hier, halb auf constant«-nischcm Boden, liegt ll)lli-l,k, nach Shaw das alte ^lüämm oder ^inmaciroimM) einer der merkwürdigsten Ruincnplätze im Königreich. Ich wünschte es zu schn, der däiä wollte aber, ohne speciellen Befehl seines Vaters, des Obcr^mcl 84 und Gouverneurs der Provinz Hlosolwr, dessen Lager noch cine Tagereise von hicr entfernt ist, und an dcn ich einen ^mrak des Bey hatte, sich nicht zur Escorte verstehen, da, wie er behauptete, die Gefahr dieser Expedition zu groß sey. Auch der Mameluck sprach von zweihundert Manu, die dazu nöthig warcu, indem die Constantincr crsi vor Kurzem die dort wohnenden Grcnztribus vertrieben, und ihnen mehrere Menschen gctodtct hätten. Ich bat also dcn Obersten, mit dem Mamelucken zum <^uiä von Ne^elio,- vorauszu-gchn, ihm dcn ^uirak des Pascha zu übergeben und zugleich mein dringendes Verlangen nmzu-thcilcn, Il^lrak zu besuchen, wenn cs die Umstände irgend erlaubten. Am andern Morgen erhielt ich des Obersten Antwort, welche die Wichtigkeit der Ruinen bestätigte, und mit ihr kamen die nöthigen Vcfchlc des Ober-t^ä an seinen Sohn, für meine Escortirung zu sorgen. Statt der zweihundert Mann, die gestern nöthig seyn sollten, begnügte man sich jedoch mir nur zwanzig zu geben, die 85 aber sämmtlich wohl beritten und bewaffnet warcn, und der (^äül, obgleich er für seine Person zu Hause blieb, schickte jedoch, gleichsam als Geiseln für die Treue der Escorte, seinen eigenen vierzehnjährigen Sohn und den zwölfjährigen des ersten Schechs mit. Er gestattete mir auch eine seiner schonen Stuten zu reiten, was mir um so lieber war, da die Thiere, welche uns der Gouverneur von koruan geliefert hatte, nur wenig taugten, und einer der Maulesel sogar gestern der Hitze ganzlich erlegen war. Als wir uns zum Aufbruch bereiteten, bat mein Dragoman, ein so großes Original, daß ich mir seine Figur absichtlich für meinen nächsten Roman aufhebe, ihn doch zum Schutz meiner Sachen hier zurückzulassen, da er gar keine Lust habe, sich wegen einer alten Rninc den Hals abschneiden zu sehen. Ich erwiederte jedoch, daß wir cincn so ungemcin tapfern und auserlesen bewaffneten, alten türkischen Soldaten, wie er sey, unmöglich entbehren könnten, und ich daher 86 dem minder wesentlichen Mustapha die Hut des Zeltes bereits aufgetragen habe. „Nun wie Gott will," sagte er, die Form eines Fragezeichens annehmend, um seine lange Pfeife anzustecken, die stets an seinem Sattel hangt, und ihn über Alles beruhigen muß: «Mehr als einmal kann man ja doch nicht sterben!« So wie wir die Anhöhe nahe hinter der 8mol!a erstiegen hatten, breitete sich eine schone Berggcgcnd vor uns aus, in der sich besonders, hoch über allc andere ragend, der t^Iwt ^maU) ein ungeheurer, oben ganz abgeplatteter Felsen, von mehr als einer halben Stunde ^angc, auszeichnete. Er hat große Aehnlichteit mit demKönigstein in Sachsen, nur mit dcm Unterschied, daß er weit grosier ist, auf einem weit höheren Berge aufgethürmt steht, und von keiner andern Hohe, wie jener vom Mcnstein, dominirt wird. Wir marschirteu schnell und mit sitter Vorsicht, doch ohne irgend etwas Vedenklichem zu begegnen, und schon nach drei Stunden g" wahrten wir die, mit einer grostcn Menge Trümmer, 87 gleich ßlpolw) bedeckte, aber hier durch mehrere Hügel unterbrochene Ebcnc von Halali. Wir befanden uns auf diesem Punkte nur zwei starke Tagereisen von der Hauptstadt Consiantinc entfernt, und nnr wenige Minuten östlich der Längc von Bonc, welches ebenfalls nur zwei Tagereisen von hier liegt. Diese drei Orte: Constantinc, Vonc und Hydrah, bilden fast cin ganz gleichschenkliches Dreieck. Hinsichtlich dcr Mannigfaltigkeit und theilweise guten Erhaltung alter Denkmäler, .stcht Il^drak den früher gesehenen Orten <^i882rm uud 8z>ot1a, würdig znr Seite, und in dcr Menge übertrifft cs sie sogar. Das Meiste scheint hier aber aus spaterer Zeit zu seyn und verräth cine schon tiefer gesunkene Periode dcr Kunst. Dcr Triumphbogen von corinthischer Ordnung, dessen Inschrift mit den noch ganz gut zu lesenden Worten anfangt: „Imp. (^ao8. I^. ßwplimio 5>ov«i-o p«l'U,m<:i ^.uF./l ist fast ganz erhalten; wenigstens sichcn alle seine Säulen noch, und man hat spater, Gott weiß zu welchem Zweck, große Steine darum 88 her aufgckasict, die sic jetzt zum Thcil verstecken, aber wahrscheinlich das Meiste zu ihrer Conservation beigetragen haben. Die Arbeit an diesem Monument ist nur mittelmäßig. Unter den vielen Mausoleen verschiedener Formen, von dcncn mehrere sehr zierlich sind, befindet sich eins, welches einen kleinen Tempel mit corinthischcn Säulen, auf einem hohen einfachen Unterbau stehend, darstellt. Dies ist auf eine merkwürdige Weise erhalten, denn es fehlt durchaus nichts daran als uur einige Steine des Dachs; doch ist die lange Inschrift, die blos wenige Buchstaben noch verrathen, bis auf das einzige zusammenhangende Wort„o^iso," theils abgeblättert, theils muth-willig zerstört worden. Ein anderes, ziemlich entferntes, kleines Grabmal, wollten mich meine Begleiter durchaus nicht betrachten lassen, weil es auf constantinischcm Grund und Boden stehe. Wir würden, sagten sie, in diesem Falle aus den uahcn vullr's, deren Rauch vor uns cmporwirbcltc, sogleich angegriffen werden. Da der Gegenstand 89 von geringer Wichtigkeit war, und cinc Vravadc wir gar nicht hicr an ihrcm Platze schien, so rcnoncirtc ich daranf. Von einem großen Tempel sichcn noch mehrere Säulen scincr Propyläen nnd einige höchst kühne, aus großen Stemm ohne Cement zusammengefügte Vogcn. Ausserdem sieht man die Ucberrcsic vieler andern ansehnlichen Gebäude, so wie das Pflaster einer Straße. Das Seltenste und bei Weitem Interessanteste dieser Ruinen sind aber die mehrere tausend Fuß im Umfang haltenden hohen Mauern und ab-gcbrochncn Thürme eines viereckigen Casiells, dessen schmalere Seite sich mit einem Portal an den Fluß Il^äraii, der hicr über ein rauhes Fclscnbcttc strömt, anschließt. Man sieht auf dieser Stelle auch auf beiden Seiten des Flusses die Spuren einer befestigten Brücke. Im Innern sichcn nur noch einige Thore, einzelne Pfeiler und Vogcn aufrecht, dic über einander gestürzten enormen Haufen großer Quadersteine steigen aber bis zur Höhe von mehr als zwanzig Fnß empor. 90 und cs sind hier gcnug Materialien, um den grüßten Palast daraus zu erbauen. Fragmente marmorner Säulen erblickt man an verschiedenen Orten mitten unter diesen Haufen zerstreut. Das Ganze mag wohl bis in neuere Zeiten mehrmals theilweisc benutzt, und von Neuem wieder zerstört worden seyn. Da sich nach und nach cinc Menge zerlumpter Fußgänger, und auch einige verdächtige fremde Reiter hie und dort zwischen den Ruinen sehen ließen, trieb die Escorte, die unser Absteigen nicht gern sah, zum Rückmarsch, und schte diesen im Anfang sehr cilig fort. Erst als wir cin Gebüsch auf dem Wege passirt hatten, welches rechts und links durchMrom'llirt und auch durch mehrere Schüsse der etwanige Feind avertirt worden war, daß unsre Flinten wirklich geladen seyen, schienen die Araber völlig beruhigt. „Ui8 imlwl,, uo>v tli« poi-il'8 pasl. .. .." konnten wir jetzt wie im (^iaur ausruft«, ohne daß der Ruf sich, wie dort, zu voreilig zeigte. Um ihre Freude zu bezeugen, daß 91 Alles glücklich abgegangen sey, fing unsre Escorte jetzt ihre eignen Manövers an. Sie jagten einzeln über Stock und Stein umher, und feuerten, wcnn sie dicht au uns heran waren, ihre noch mit Kugeln geladenen Flinten so unvorsichtig ab, daß cs zu verwundern ist, wic nicht öfter ein Unglück bei solchen Gelegenheiten vorfällt. Ucbrigeus gibt cs Beispiele dieser Art, uud wie ich in 8lax zn meinem großen Leidwcscn vernahm, steht eben jetzt mein Freund Iussuf in Bone vor einem Kriegsgericht, weil er seit meiner Abreise von diesem Ort bei ähnlichen Uebungen einen seiner eigenen Spahis erschossen hat. Bei dieser Gelegenheit muß ich, nach Allem, was ich von den hiesigen Kriegen und Gefechten von verschiedenen Personen erzählen geHort, und nach Allem, was ich ftlbst von den Beduinen in Algier, Vonc und dem Königreich Tunis gesehn habe, wcinc Ueberzeugung aussprechen, daß jeder resolute Offizier mit zwanzig Pferden unserer Cavallerie, in jcdcr Lage, hundert der bcsibewaff- 92 nctsten Beduinen, wie sie jetzt beschaffen sind, ohne besondere Anstrengung die Spitze bieten kann; denn erstens kennen diese kein anderes Manöver, als on c1«lian oder <: blas; nnd crnst erscheint. Dcmungcachtct ist es ungewiß, ob l nicht mit sammt seinen rothen Backen während dem Gefecht das Hasenpanier ergreift, aber bei 2, seines mächtigen Beistandes wcgcu, ganz sicher. 1N0 daß cs sich schlagen wird, während seiner Wangcn Rothe inmitten der Gefahr selbst wiederkehrt; denn sobald 1 von der Fnrcht ergriffen wird, muß diese sogleich auf sein Handeln einwirken, bei 2 -j- a, k oder c ist cs ganz gleichgültig, ob cs Furcht empfindet oder nicht, denn dicsc wird dnrch die permanenten Hülfseigcuschaftcn neutralisirt, und ihr Einfluß auf das Handeln unwich'am gemacht. Ja, obgleich 1 -7- a, !,, e immer das »ummum porfootum bleibt, so wird doch 2 "j- a, l,, 6 zuweilen vielleicht noch Tollkühneres und Außerordentlicheres unternehmen, eben weil die nervöse Erregung bei ihm stärke? ist, besonders wo Enthusiasmus ins Spiel kommt. Das weibliche Geschlecht z. B. besitzt nic eine andere als dicsc Art Muth, und hätten unsere Sitten es nicht, sowohl von Eitelkeit als Ehrgefühl und Pflicht, in Hinsicht auf dcn Mulh, ganzlich dispcnsirt, und seine Erziehung nach diesem Princip eingerichtet, so bin ich überzeugt, daß cine Damc 2 -^ a allein, auch ohne d und <> 101 bestimmt schon dcn tapfersten Manu a„ Muth überträft, und wahrscheinlich in jedem Kampfe siegen würde, wo nur dieser und dessen Ausdauer und nicht blos körperliche Starke odcr Gcschick-lichkeit den Ausschlag gäbe. Befindet sich Nro. 1 — n, u, <-, so wird der damit Begabte manchmal brav und manchmal nicht brav seyn; ist aber 2 gleichfalls — n, li, e, so tritt jetzt erst der Nachtheil dieftr Naturdisposiliou ein, und 2 wird in dicscm Falle ohne Zweifel ein ausgemachter Poltron werden, nicht sowohl, weil er muß, wie 3, sondern weil er diesen Zustand weit bequemer und seiner Natur angemessener findet. So mehrere Manner in geringerem, und abermals das süße schöne Geschlecht im höchsten Grade. Die, in der Mehrzahl nicht abzuläugncnde Disposition zur Feigheit bei dcn Juden hat ganz denselben Grund. Wir haben ihnen so lange Menschen- und Bürgerrechte entzogen, daß die Motive der Eitelkeit und des Ehrgefühls nur schwach bei ihnen wirken konnten, und cine Pflicht 102 in Verbindung mit uns kaum mehr für sic crisiirtc. Nur Jahrhunderte einer menschlichen und vernünftigern Politik können dies wieder ändern. Das unglückliche 3 wird nur in zwei Fallen Muth zu äußern im Stande seyn, in Halbwahn-sinniger, religiöser Ertast, oder in der Verzweiflung, des höchsten Grades der Furcht selbst, wo es dann die Grenzen des Muths sogar zu übersteigen fähig ist; wie man z. B. Leute gesehen hat, die sich, aus bloßer Furcht vor der Todesgefahr, selbst entleibt haben., Das Gesagte, so wenig es ist, scheint mir doch hinlänglich den Weg zu zcigcn, um sich nun selbst alle weiteren möglichen Combinationen zu ab-strahiren, auszumittcln', welche vorzuziehen oder geringer zu schätzen sind, und endlich, wie man, was immer die Hauptsache bleibt, ein weiteres Nachdenken darüber sich practisch selbst zum Nutzen kehren mag. Sie können sich aber wohl vorstellen, lieber Freund, daß ich mich nicht mit einem solchen Gegenstände anhaltend beschäftigen konnte, ohne 103 meine eigne Dosis Muth zu analysiren zu suchen, denn wer könnte sich unterfangen Menschen sindircu zu wollen, ohne bei sich selbst zu beginnen, und immer wieder dahin zurück zu kehren! Sind Sie neugierig, über diesen Punct unterrichtet zu werden? Es ist eine kitzliche Sache, doch Sie wissen, ich habe Lust an dcr Aufrichtigkeit, und ziehe daher manchmal gern die Jalousie vor meinem innersten Kämmcrlcin auf, um gute Freunde hinein blicken zu lassen. Also hdren Sie: Das Resultat wird fast in das so beliebte ^U8w mMou treffen, welche gewisse, uns wohlbekannte Regierungen gefunden haben, ohne es zu wissen, und sich ganz vortrefflich wohl dabei befinden, indem sie es in das deutsche Wort »Mittelmäßigkeit" übersetzten. In diesem Falle befinde ich mich auch. Für's Erste muß ich mich unumwunden zu dcm weiblichen Temperament Nro. 2 bekennen, obgleich ich Nro. 1 viel lieber hätte, doch dem Schöpfer lassen sich keine Gesetze vorschreiben, und von mir selbst zu sagen, was ich eigentlich glaube. 104 aber mir doch nicht mir apodiktischer Gewißheit zu behaupten getraue, daß ich nämlich zwischen 1 und 2 in der Mitte schwebe, wäre zu eitel. Glücklicherweise besitze ich aber zu dieser mittelmäßigen 2 mein « de vollständig, wenn nicht im Aeußcrsicn, doch im starken Grade. Ich k'cnnc also die Nervcnagitanon, welche in manchen Fällen Schüchternheit, in andern Furcht genannt wird, stets aber eine und dieselbe ist, so gut wie viclc Andere, die es vielleicht nicht so aufrichtig gestehen würden; doch kann sic nic mein Herz besiegen, nud wirkt als ein bloßer Regenschauer auf eine Person, die mit cincm wasserdichten Mantel versehen ist. Das Wasser bleibt auf der Oberfläche stehen, und dringt nicht in's Innere. Ich habe schon vorher angedeutet, daß körperliches Befinden, d. h. bessere oder schlechtere Ncrvcnsiimmung, überhaupt die Dispositionen 1 und 2 mannigfaltig ändert, und sie momentan oft sogar die Plätze wechseln lassen kann. Deßhalb ist cs auch bei dcn Franzosen sprüchwdrtlich geworden, welchen N)5 vorlheilhasten Eiuflusi cm gutts Frühstück auf dm Muth habe, und wer im geringsten nervös isi, wird gestehen müssen, daß dann viel Wahres licgt. Der junge Wüstling im 6i1 Mus hatte dahcr ganz rccht, als cr zum Duell um fünf Uhr früh aufgefordert wurde, zu antworten: „daß cr um diese Zeit nicht einmal zu einem Rendezvous mit cincr Damc aufsichcn würdc, gcschwcigc dcun, um sich mir cincm Mann dcn Hals zu brcchcu;—" und darauf crsi um cilf Uhr, nachdcm cr gehörig ausgcschlafcn und gefrühstückt hatte, stincn Gegner iu dic andre Welt schickte, wo dicscr dcnnoch ohnc Zwcifcl für sich immcr noch zu früh ankam. In-dcß, wenn cs scyn muß, das vortrefflichste ab o, getrennt oder einzeln, überwindet auch die widerliche Nüchternheit, wie Alles. So hat dcnu auch meine Wenigkeit sich mit diesem aos triplox eine geraume Zeitlang ganz leidlich durch die Wclt gekampft, und ich hossc cs auch so bis zum Ende fortzusetzen, ohnc daß, in Hinsicht auf dcn Muth, wcder meine Eitelkeit, noch mein Ehrgefühl, noch 106 meine Pflicht je cinc wesentliche Einbuße erlitten hätte, noch erleiden soll. Da ich nun überdies cm halber Poet und Enthusiast bin, so ist mir sogar die Tollkühnheit in jugendlichen Jahren nicht immer fremd geblieben — dcmungcachtet ist es leicht möglich, daß ich, ohne mein a b zogen finden, ja, wo sic kcinc Furcht vor dcn Folgen hatten, möchte dicst Ungezogenheit bei solchem wildcn Volke wohl gar in Raub und Mord über-gehn. Es waren noch nicht zehn Minuten verflossen, als der l^äül mit dem Malob des Rosenkranzes und sämmtlichen Schechs wieder erschien, und mir dic entwendeten Gegenstände zurückstellen ließ; welche prompte Auffindung derselben mich noch wehr in dem Verdacht bestärkte, daß ihm oder seiner Umgebung der Diebsiahl nicht ganz unbekannt geblieben seyn mochte. Besonders verriethen mir dicß die lächelnden Mienen einer Art Spaßmachers, der dcn (^äiä immer begleitete. Fast jeder der Chefs bcsitzt lKr cincn solchen Hofnarren, die in Nachahmnng von Gebcrden und Sprechen, wie ich einigemal an mir selbst erfuhr, besonders geschickt sind, und sich nach unserer Abreise gewiß noch lange mit der Carricaturnachässung dcr fremden Rumi's dclcctircu werden. Ill» Tester fanden wir auch einzelne Indcn in den Veduincnlagern etablirt, dic allerlei Arbeiten für sie machen und allerlei Waaren an sie verschachern. Es ist wohl merkwürdig, wie man überall, wo ein Gcldverdicnst nur möglich, auch Individuen dieses aichiindusirioscn Volkes anzutreffen sicher ist. Die erwähnte Begebenheit zeigt allerdings die Beduinen von einer weniger vortheilhaften Seite, als ich sie bisher geschildert, aber man muß bedenken, daß bei allen natürlichen guten Anlagen, und sogar Tugenden, diese Menschen noch immer auf der tiefsten Stufe der Civilisation stehen und in ihrer Lebensart sich nicht allzuvicl von den Thieren des Waldes entfernen. Uebcrdics habe ich schon früher bemerkt, daß ihr Betragen immer sehr von den Eigenschaften und dem Charakter ihres Chefs abhangt, und sich nach ihm modelt. Der hiesige <^äivau an Hohe nichts nachgebe« 118 kann. Dic Aussicht war nach allen Scitcn herrlich, nnd zugleich wcuigcr afrikanisch kahl als gewöhnlich, da zwei der nahen und ansehnlichsten Hügel fast ganz mit Nadelholz bewachsen warcn. Dic alte Stadt stand theils auf dcn Anhöhen, theils im Thal, und hatlc dcn großen Vorzug, daß zwei der reichsten Quellen vortrefflichen Wassers in ihrer Mitte eutspringcu. Sie laufen noch jctzt ciuc ganze Strecke in gemauerten Ca-nalcn, bei deren Ausgang dic, welche das meiste Wasser hat, einen hübschen Fall bildet, an dem wir uns nnd unsere Thiere erlabten. Da, wo diese segcubrmgendcn Quelleu auf der Höhe zuerst ans Tageslicht kommen, sieht mau die Reste zweier Tempel, und auch im Thal besiudcn sich noch mehrere ansehnliche Ruinen großer Gebäude. Eins derselben zeigt ein schönes wohlcrhaltcnes Thor, und cin Mausoleum nicht weit davon besteht noch zur Hälfte. Wie mir der Oberst nachher sagte, bcfiudct sich iu dcn Trümmern eines andern Hanses, das den höchsten Hügcl t19 krönte, cm hcrabgcfallcncr Stein nut cincr Inschrift, dessen Daseyn uns leider entgangen isi. Doch sind fast alle Inschriften, die man hier antrifft, so verwischt, daß, abgerechnet ihre gewöhnliche Unbcdcntcndheit, ohne langes Studium selten etwas davon zu entziffern ist, und selbst cinc genaue Copie der Fragmente immcr sehr viel Zeit erfordert, die man doch in diesem Lande, wegen der dnrch die Umstände unabänderlich bedingten Art zu reisen, nicht immer erlangen kann. Wir fanden heute fast den ganzen Umfang der Ruinen auf das Lebendigste durch cinc Caravanc von drei- bis vierhundert Camcclen staffirt, dic alle mit dcm Getreide der vor uns liegenden Ebcnc beladen waren, wclchcs sie nach dcm V»«1l«i-i6 führten. Ohne Zweifel batten wir cs dm Quitten zu verdanken, daß sie hier ihren Ruheplatz aufschlugen nnd uns einen so anmuthigcn Anblick gewahrten. Die Araber nannten dksen Platz ßoi^ Andere 'Nlkla; wie abcr die Stadt ehemals gmannt wnrdc. 120 möchte jetzt schwer auszumittcln seyn. Die alten, hauptsächlich nach Ptolomaus, Pcutingcr, Strabo und Prokop, angefertigten Chanen sind wahre Phantasicbilder, nicht nnr von einander selbst gänzlich abweichend, sondern — wie man sich an Ort und Stelle, nach den Bergen und Flüssen, und nach der Lage der ganz bekannten und mit Sicherheit ausgemachten alten Städte, leicht überzeugen kann — so dccidirt unrichtig, daß sie manche Orte nm ganze Grade falsch angeben. Shaw's Charte von Tunis, immer noch die beste, wiewohl nur wenig specielle unter den modernen, fand ich bisher ziemlich richtig, aber in dem ganzen Theil, den ich von Ou^luin bis Xoss bereiste, und den er selbst nicht sah, ist sie eben so falsch als alle übrigen, und nicht mehr zu brauchen. Jedenfalls war die, jetzt 8ow genannte, Stadt eine der ansehnlichsten im U^acium, wie ihr Umfang, die außerordcutlickc Fruchtbarkeit del nahen Gegend, und die noch sichtbare Pracht ihrcl Ucbcrrcsic hinlänglich beweisen. Nach den 121 Erkundigungen, dic ich von den Eingcborneu und einem alten Mamelucken einzog, der scit beinahe fünfzig Jahren dem Bey dicut, und sehr häufig das Innere durchstrich, scheint bis jetzt seit Bruce kein europäischer Reisender in diesen Theil des Landes gekommen zu scyn, außer Sir Grcnville, dessen Werk noch nicht erschienen ist. Wenn man sich blos an die jetzige Benennung halten wollte, könnte man glauben, hier ^kala, den bekannten fcsten Platz Iugnrtha's, aufgefunden zu haben, wohin er nach der Verlornen Schlacht gegen ^» FELICI PARTIIICO MAXIMO BRITTANN I CO MAXIMO GERMAN ICO MAXIMO PONTIFICI MAXIMO ET TRIBVNATO PONTIFICI XVIII PIO CONSVL1 Till PERPETVO PROCONSVL1 OPTIMO MAXIMO.....PRINCIP I ET LVC1AE DOMINAE GAETAE LUCH AVGVSTI MATRl SENATVS ET CASTRORVM ET SPECTATVS ET PATRIAE UXORI DIVI SEVER1 AVGVSTI PII COLONIA 1VL1A ASSVRAS NVMINI HONORVM DEDIT DIVO PATRI PATRIAE. Nach dieser Inschrift unterliegt cs keinem Zweifel, daß wir hier die Ruinen von HllxwZnr» vor uns hatten, und der Bogen dem Kaiser 8«pl,imiu8 8ovoru8i seinen beiden Söhnen ^'ara- l34 eülia und (32sta, und seiner Gcmahlin zu Ehren gesetzt wurde, welches auch der Geschichte ganz conform ist. 8«i,timius 8ovorus war wahrscheinlich nnr ein Adoptivsohn des Nureu» ^ui-eliu8 und in Afrika geboren; vielleicht gab ihm N«äu-Sara selbst das Leben, wie der besonders sclavischc Ton der Inschrift fast vermuthen lassen könnte. Herr I.... fand noch einige Grabschriften auf, deren Inhalt mir jedoch zu unbedeutend schien, um ihn hier aufzuführen. Die Krone dieser Ruinen war ein großes und, nach allem Anschein, ein höchst prachtvolles Theater, dessen sämmtliche Mauern, mit den Pfeilern der Scene und mehreren Sitzen der Zuschauer, nebst dahinter befindlichen Nischen, noch, bis zu ungefähr einem Viertel ihrer Höhe, aufrecht standen. Es thut mir nur leid, daß kein besser unterrichteter Architekt oder sonstiger Alterthumstenncr in uusn'l Gesellschaft war, um das Publikum mit einer ausführlichen gelehrten Abhandlung über dicscs cbcn so schone als merkwürdige Monument z" !35 erfreuen, denn zu Herrn I....'s Bemerkungen, der dic Conditorci und das Zimmer, wo die Schauspielerinnen ihrc Toilette machten (daß es aber kcinc solche im Alterthume gegeben, leugneten wir mit poetischer Licenz) die große Frcmdcnloge, und die, wo der Stadtkommandant sich bei ctwanigcn Un-ruhcn versteckte, genau erkannt zu haben versicherte — dazu werden die alten Antiquare nur ungeduldig ihre Perücken schütteln. Von einer Inschrift zeigte sich hier nichts; ich zweifle aber keinen Augenblick, daß auf diesem jungfräulichen Platze, mehr als irgendwo, Nachgrabungen bald genauere Aufschlüsse geben und zugleich manchcu verborgenen Schatz auffinden lassen würden. Der Durchmesser des Theaters betrug oiioa 250 Fuß. In dem nahen Vcduincnlager hätte ich meine ärztlichen Kenntnisse wieder anwenden können, wenn sie ausreichten, und ich eine gehörige Menge Merkur mit mir geführt, denn ich traf hier zwei wohlgcbildctc jnnge Leute, dic fürchterlich von der heftigsten Syphilis entstellt waren, 136 eine Krankheit, dic unter diesen armen Menschen, welche ihrc schrecklichen Folgen gar nicht kennen, äußerst verheerend wirkt. Sie wenden nur dic albernsten Mittel dagegen an, deren ihrc Quacksalber machtig sind, und die meistens aus mit Buchstaben beschriebenen Papierschnitzeln, oder andern Amuletten bestehen, die sie bald auf dcn leidenden Theil legen, bald in ihre Kleider nähen. Sehr selten sind sie dazu zu bringen, cinen christlichen Arzt in Tunis um Hülfe anzusprechen, nicht aus religiösem Fanatismus, aber aus Geiz, denn von allen durchreisenden Christen oder Juden, nehmen sie blindlings jede Medicin an, und bitten sogar häufig darum. Ich gab demungcachtet dem Leidenden die Adresse meines Tuncser Arztes. Der Schech führte mich bei meiner Morgen-promenade, ohne mein deshalb an ihn gerichtetes Gesuch im Geringsten übel aufzunehmen, bcrclt-willig in ein Weibcrzelt, wo ich mit noch wehr Ncugicrde empfangen wurde, als ich selbst "w brachte. Es befanden sich cin halbes Dutzend 137 Damcn darin, von denen ich nur cin junges Mädchen als hübsch rühmen kann. Sic trug in jedem Ohre drei silberne Ringe die ^ralwlim anstiegen, und wovon die letzten, welche bis über die Schultern herabhingen wenigstens sieben bis acht Zoll im Durchmesser hatten. Auch an den Beinknocheln und unter der Wade trug sie doppelte Ringe dieser Art, die in den Ohren waren aber außerdem noch mit rohen Corallcnstückcn, Glasperlen, und allerlei dergleichen wilden Putzes behängen. Sie gestattete mir, alle, auch die unter der Wade genau zu untersuchen, ohne die mindeste Ziererei. Nachher besichtigten wir die Getreideschober, die sehr gut uud dicht aufgesetzt waren, das fruchrrcichc Melonen- und Gurkenfcld, und die Dreschtennen, wo sich eiu als pivot dienender Esel, zwei Pferde und drei Maulesel schon seit Sonnenuntergang, mit der Aceuratesse russisch cincrcrcirtcr Soldaten nach derselben Richtung im Kreise drehten. Besonders der Esel, der immer nur dcn Cirkel seiner eigenen Länge beschrieb. 138 mußte ein enorm starkes Gehirn haben, um nic schwindlich zu werden. Ein tanzender Derwisch hätte es nicht besser machen können. Es war schon ziemlich spat und gewaltig heiß geworden, als wir uns anf den Weg machten, und kurz vor den Zelten durch einen Trupp junger Männer aufgehalten wurden, von denen der eine mein Maulthicr am Zügcl ergriff, und mir einen kurzen Stock vor das Gesicht hielt. Ich war ctwas verwundert über diese seltsame Ceremonie, der uns zu Pferde begleitende Schech erklärte mir aber sogleich: es sey hier uralte Sittc (und altc Sittc erhält, in Scherz und Ernst, bei den Arabern immer Gesetzeskraft) daß, wenn cin Fremder herkäme und während seiner Anwesenheit eine Hochzeit stattfinde, man ihn auf dicft Weise anhalte, damit er sich mit cincm kleinen Geschenke für die Ncuzuvcrmählcndcn loskaufe« Die Vraut sey übrigens dieselbe, deren 9h^ und Veinringc ich früh so genau untersucht hab^ Fünf Piaster warcn hinlänglich um eine groA 139 Frcnde untcr dcn Bittenden zu erregen, und mich intcrcssirtc cs schr, die in meinem wendischen Vatcrlande so oft crcrcirt gesehene Gerechtigkeit dcs „Anbindcns" hier fast ganz auf dieselbe Wcisc wiederholt zu finden; nur daß hier der Stock eine Waffe fingirt, mit der man gewaltsam aufhält, bei uns das zartere Band eine bloße caMUa konovolontiao anzeigt. Der heutige Marsch ward nachher schr beschwerlich, theils wcgcn seiner Länge, theils weil sowohl mein Manlthier als I....'s Pferd, jedes ein Vorder-eisen verloren hatten, und nun auf dcn steinigen Vcrgwegcn dcidc stark erlahmten. Die Vcduincn reiten ihre Pferde immer unbcschlagen, daher man nur in dcn grdßcrcn Städten einen Schmidt antrifft, der ein Eisen aufschlagen kann. Gebrauchten die Araber ihre Pferde so stark und vielfach wie wir, so müßten sie ihnen auch Eisen geben, wie cs schon vicle Mauren in dcn Städten thun und die geringe Anzahl Cavallcrie im Dienst dcs Bey. Aber so viel die Vcduincn ihren Pferden zuzu, 140 muthen scheinen, wcnn man sie nur wenige Tage sicht, so sehr überzeugt man sich bald vom Gegentheil, wenn man länger mit ihnen lebt. Es scheint allerdings, daß ein Pferd für nichts gerechnet werde, welches man während des Marsches (der bei ihnen aber nur im höchsten Nothfall drei bis vier deutsche Meilen im Tage übersteigt) mehrcrcmal durch seinen Reiter gewaltsam am spornen sicht, um im schnellsten Lauf über Stock und Block militairische Uebungen zu machen, und den Kampf mit einem unsichtbaren Feind zu simuliren, wobei das arme Thier noch so rüde behandelt wird, daß es fast jcdcsmal von Sporen und Gebiß auf das stärkste blutet. Wenn man abcr dann gewahr wird, wie wenig und selten ste überhaupt reiten, wie sie gar keinen Begriff davon haben, ein Pferd anhaltend im Trabe oder lram ä« eliä,88« (es müßte denn auf einer gefährlichen Flucht seyn) mehrere Meilen weit laufen z" lassen, wie z. V. in England täglich beim bloßen Spazierreitcn, selbst Damen zu thun pflcgc« "" 141 wie also dic ganze Fatigue ihrer Pfcrdc nur in seltenen und kurzen Schnttmarschcn, nebst einigen kaum cine Minute dauernden Carricrcchangen besteht, so begreift man leicht, dast sic ihre Pferde sicss unbcschlagcn reiten können, zugleich aber auch, warum diese Thiere, dic zwar dcgencrirt sind, aber noch immer viel edles Blut erhalten haben, in ihren Händen dennoch gar keiner Ausdauer fähig sind, was sich sogleich zum völligen Gegentheil ändert, sobald sie in besseres Futter, bessere Wartung, und vor allem regelmäßige Arbeit kommen. Alle Pfcrdc, welche uns der Vcv m Tlmis, nnd später die l^ilisn lieferten, konnten unsere starken Marsche nicht aushalten. Die des Vey mußten wir sämmtlich, bis aus das einzige Herrn I------'s, welches im Anfang auch höchst elend ward, nachher aber, als es einmal an Fatignc gewöhnt war, sich sehr brav zeigte, in 8lax lassen, wo das schwächste wenige Tagc nach unsrer Ankunft starb. Eine dem Anschein nach vortreffliche Stute, die uns der 142 dortige <^M gab, ward nach der Gazcllcnjagd und zwei starken Tagcmärschcn so unglaublich matt, daß sie, als kurz vor korumi dcr sic reitende Musiapha einen Augenblick abstieg, und beim Wiederaufstehen etwas fest auf dcn Bügel trat, um sich cmporzu? schwiugm, mit allen vier Füßen zusammenbrach und umfiel. Dcmungcachtct bin ich überzeugt, daß dasselbe Thier, welches vortrefflich gebaut war, und gar keinen Fehler hatte, bei regelmäßigem Trainircn, vier deutsche Meilen ohne große An? sircngung im Galopp zurückgelegt, und einen Marsch von dreizehn Stunden im Schritt, wie jener nach Korua» war, als einen bloßen Spazier? gang betrachtet haben würde. Dcn Beweis dafür lieferten mir schon die Pferde derselben Race in Vonc, mit denen die dasigcn <^,a88<;ur8 ll'^biquo beritten sind, welche ihre Rcmontm aus Tunis bezogen, und die sich ganz unverwüstlich zeigten, obgleich auch dort die Wartung und Behandlung derselben noch nichts weniger als vollkommen war. Doch standen sie wenigstens in gutem 143 Futter, und hatten fortwährende Arbeit. Wie aber Nahrung und Wartung bei den Vcduincn beschaffen sind, übersteigt allcu Glauben. Putzen oder abreiben habe ich nie ein Pferd sehen, dcn ganzen Tag über stehen sie, an Stricken gefesselt, ganz frei und ohnc alles Obdach in dcr glühenden Sonne, oder im herabfallenden Regen, und bei Nacht dem Thau und der Kälte ausgesetzt, welche letztere im Winter in dcn Vcrggcgcndcn oft heftig genug wird. Ihr Futter besteht in elendem zerstampften Stroh, wenig Gerste, oder dcn aller-schlechtesten Weiden. Und auch dieß kann ihnen manchmal nur so sparsam gereicht werden, daß man sie unterwegs fast Alles verschlingen sieht, was sonst nur Maulesel fressen. Wir waren sclbst mchrcremale Zeugen, daß einige Pfcrdc ihren eigenen Dünger wieder fraßen, uud die Araber versicherten sehr ernsthaft, dies sey eine von ihnen sehr hoch geschätzte Eigenschaft an einem Pfcrdc, denn mit einem solchen wäre man sicher, daß es nie aus Mangel zu Grunde gehen könne! 144 lioss, das ehemalige 81002 Vouosia, ist fast auf allen alten Charten, die ich mit mir führe, statt ostlich des Vagrada, westlich davon, und um einen halben Grad der Breite falsch angegeben, woraus man beurtheilen kann, wie wcnig Verlaß darauf ist. Am Abhänge eines Verges liegend, wird cs schon m großer Ferne von dem müden 'Reisenden erblickt, che er cs erreichen kann. Man hat von hier eine fast eben so gestaltete Aussicht auf das Gebürge wie in Tunis, da sich auch hier drei seltsam gezackte Vergcolosse über alle übrigen erheben. Es sind die vslckoliol I^slicl, ^untl«» und Hlowl-K. Doch ist das sic weiter umgebende Felsen- und Gcbürgsland von Constantinc ungleich reicher und schöner in scincn Formen, und nicht mit Unrecht nennt es .4.lmllol1a „das hohe und erhabene," indem er von ihm behauptet, daß von seinen höchsten Zinnen der Araber über das Mc^ bis in das befreundete Andalusien hinein schauen könne. Unmittelbar unter koil'bmtet sich dagcgeu cine Plainc 'von drei Stunden Lange und cincr 145 halbcn Stunde Breite aus, welche so cbm wie ein Tuch, ^nd der schönste Platz zu Wettrennen ist, den ich, selbst dcn von Ncwmarkct nicht ausgenommen, jc gesehn zn habcn mich erinnere. Nirgends ward ich noch besser empfangen als hicr. Dcr Gouverneur, wclchcr, wie in k6ruu,i>, die ersten Militair- und Civil-Chargen in seiner Person vereinigt, was hicr säst zum unumschränkten Herrn macht, war ebenfalls ein Mann von hoher Statur und imposantem Acußcrn — denn dcr Vcy von Tunis scheint nur physisch große Männer zu Gouverneurs und (^uäou zu erwählen, wie dcr licbc Gott immer nur kleine spanische tirauäs macht. Er logirtc mich in seinem eigenen Palais und empfing mich an der Pforte desselben. Sein Prunkzimmcr, mit kostbaren Waffen ausgeschmückt, ward mir zum Schlafen angewiesen, und er tricb dcn Respect vor des Bcy's ^mrali so weit, daß er sich am ersten Tage in meinem Zimmer nicht einmal setzen wollte. Ungeachtet seines Alters hatte er noch einen schönen schwarzen Semilasso in Afrika, v. Ll> 14« Bart, und dazu einm sechzehnjährigen Sohn, der schon längst vcrhcirathet und ebenfalls glücklicher Vater eines vierjährigen Knaben war. Und man konnte sich nichts Hübscheres denken, als dieses Kind, das mich halb nackt besuchte, seine Pfdtchcn und Patschchcn bis an das crstc Gelenk mit-roscn- rothcm Iloililllll gefärbt. Ein breiter goldner Ring vermittelte artig bei beiden den Ucvcrgang des Iloimalt in die Hautfarbe. Dabei marschirte das kleine Ding so auswärts und gravitätisch wie cin Tanzmcistcr, und wußte sich schon auf die possir- lichstc Weise alle ail-8 eines kleinen t^äulou zu geben. Sein sechzehnjähriger Vater, der ebenfalls noch wie ein Kind aussieht, ist bereits wirklich fungircndcr Oaill, dcr als solcher Nccht spricht. Der hiesigen Sitte gemäß muß Jeder, dcr nicht von gleichem oder höherem Range ist, bei seinem Kommen dem (Ml! die Hand küssen. Wenn nun dcr Vater aufgestanden und weggegangen wa^ setzte sich das Kind stets auf seine thronartige Vank, und es war für uns cin eben so seltsamer 147 als comischcr Anblick, zu schcn, wie die nun Kommenden dcm kleinen Amor cbcn so rcspcctvoll die Hand als dcm Vater und Großvater küßten, und mit welcher unbefangenen Grandezza 8i(ii Omar (denn mit diesem Titel wird das Kind von Jedermann, selbst vom alten Gouverneur, stets benannt) diese Huldigungen aufnahm. Der Gouverneur von X<^ eommandirt ungefähr 5l),WN männliche Seelen, weibliche werden hier bekanntlich nicht siatuirt. Etwas despotisch mag das hiesige Regiment freilich seyn, wozu folgender kleine Zug ein Beleg ist. Es gibt in diesem Lande, und ich glaube in der ganzen muhammedamschcn Welt, nur öffentliche und keine Privatbädcr. Um das Bad für sich allein zu haben, muß man es also lange vorher bestellen und fünffach bezahlen. Ich fühlte mich bei meiner Ankunft eines solchen sehr bedürftig, und ließ daher gegen sechs Uhr, welches grade die Hauptbadczcit der Araber ist, mich beim Gouverneur erkundigen, welches das beste Bad sey, und ob es wohl möglich, noch heute 148 eins allein nehmen zu tonnen. Wenige Minuten darauf erhielt ich zur Antwort, das Bad sey bereit für mich, sobald ich cs beföhle. Das ganzc badcndc Publikum, in welchem Grade des Schwitzcns cs sich auch befinden mochte, hatte in dieser kurzen Zeit in Eile dic Vermisse umnehmen und auf das schleunigste das Vadchaus verlassen müssen. Ein anderes wohlthätigeres Beispiel ist dies: Trotz des verbietenden Gesetzes hat, besonders in den Städten, wo Christen wohnen, aber auch bei den Beduinen selbst, das Vranntwcintrinken sehr übcrhand genommen, und wo cs geschieht, kennt dic Unmäßigkcit dieser Mcuschcn keine Grenzen. Der Gouverneur verpönte also in dem Bezirk seiner Herrschaft ohne Weiteres dcn Verkauf auch nur eines einzigen Bechers Branntwein mit fünf-" hundert Sohlenhicbcn, und nachdem diese Strafe einigemal crcrcirt worden war, ist das nachthciligc Getränk so effcctvoll verschwunden, daß ich nur selbst in der ganzen Stadt nicht einen Tropfen Spiritus zum Brennen meiner Lampe verschaffen l49 konnte. Zu haben ist überhaupt hier fast gar mchts, und es fängt mir endlich doch an beschwerlich vorzukommen, alle gewohnten Bedürfnisse, die bei uns schon zu Nothwendigkeiten geworden sind, ganzlich entbehren zu müssen, und unter anderm auf klares Wasser mir der maurischen Küche allein reducirt zn seyn, da das Uebermaß der Milch mir zuletzt zum Eckel geworden ist. Glücklicherweise ist das Wasser wenigstens hier vortrefflich. Ich muß noch einmal auf das Bad zurückkommen , welches ich hier weit reinlicher und eleganter eingerichtet, als in Tunis, 8ta,x nnd Xoruau, fand. Ich machte dabei eine Erfahrung, die für Damen wichtig seyn kann, im Fall sie ihnen nicht schon bekannt ist. Ungeachtet ich der sengenden Sonne täglich ausgesetzt gewesen, war ich doch, zu meiner eigenen Verwunderung, sthr wenig davon gebräunt worden. Kaum hatte ich aber das Dampfund Wasserbad so schnell nach meiner Ankunft genommen, als ich mich schwarzbraun wie einen Eingebornen fand. Es ist also für einc Person, 150 der daran gelegen ist, ihren Teint zu conscrviren, in diesem Clima, wic überhaupt bei großer Hitze, sehr zu vermeiden, Dampf und Wasser an eine noch von Sonne und Luft gereizte Haut zu bringen; läßt man dagegen eine Nacht dazwischen vcrgehn, so hat es nicht die mindesten nachthciligcn Folgen mehr. Auch eine neue Industrie lernte ich hier. Meine wollene Bcrnus war durch die Dornsträucher unterwegs schmählich zerrissen worden, und da ich sie weder entbehren, noch eine neue hier bekommen konnte, so mnßte ich sie flicken lassen. Dies wurde von einem Mauren auf das Zierlichste vollführt, indem er auf jcdcs Loch, mit regelmäßiger Ucbcrnähung eines feinen Wollfadcns, ein förmliches Vlnmcndcsscin stickte. Auf diese Weise muß zuletzt ein solcher Wollmantcl immcr schöner werden und reicher ausschn, je mehr er geflickt ist; wic mir scheint, sür arme Leute ein sehr nützlicher Wink. Und da ich einmal dabei bin, gute Rathschläge zu geben, so will ich gleich auch noch etwas Nützliches für Tabakraucher hi»" I5l zufügen, was ich mcincm türkischen Dragoman abgesehen. Ich führte schon an, daß man hicr die Pfeife stcts mit einer glühenden Kohle, statt dcs unangenehmen und weit weniger wirksamen Fidibus, anzündet. Hat man aber, wie oft auf der Reise vorkommt, wcdcr cius noch das andcrc, so muß Fcucrstahl und Schwamm anshclfen. Ehe dieser den Tabak gehörig anbrennt, dauert es indeß gewöhnlich lange, was unbequem ist. Um dem ungeduldigen Raucher diesen Aufenthalt zu ersparen, stopfen die Türken die Pfeife nicht ganz voll, legen dann den brennenden Schwamm auf, und noch einmal etwas Tabak darüber. Anf dicft Weise gcräth der letztere im Angcnblick in Brand, und der Schwamm kann nicht herabfallen, i'ro-dutum 08t! Ich wollte nur einen Tag in koss zubringen, ward aber durch eine mir selbst verschriebene Medicin aus meiner Reiseapotheke so unwohl, daß ich die freundliche Vcwirthung dcs Gouverneurs fast eine Woche lang in Anspruch nehmen mußte. 152 Er schenkte mir während derselben vier prächtige Löwenhäute von Vater, Mnttcr und Kindern, die ich mir als ein angenehmes Andenken dieser Rcisc aufzuheben gedenke. Bei dieser Gelegenheit theilte er uns die eben eingelaufene Nachricht mit, daß zwei Tagc nach unserm Abmarsch von Il^ii-ak dort der Krieg zwischen den tnncser und consiau-tincr Beduinen begonnen, und bereits ein hitziges Gefecht stattgefunden habe. Ich muß wirtlich mein gutes Glück loben, das mich, obgleich ich von der Rcisepflicht oft genöthigt werde, nicht nur der Gefahr mich auszusetzen, sondern ihr selbst zuweilen entgegen zu gehen, bis jetzt vom Gewitter immer nur das Wetterleuchten sehen ließ, und wenn dcr Blitz einschlug mich schon iu saivum gebracht hatte. Dies paßt aber hier um so mehr a la loUro, als vor wenig Tagen dcr Blitz iu nawra in den Gouvcrncmcntspalast eingeschlagen hat, und da dcr Gouvcrncnr dies für ein Zeichen göttlicher Ungnade gegen ihn und seine Familie ansah, so muß sein Sohn mit dem ganzen Harem 13s jetzt täglich zum Grabe eines heiligen Narädul's in der Nähc wallfahrten, seinen Leichnam beschenken, tt!»d mehrere Stundm im Gebet daselbst zubringen. Eö ist recht königlich von ihm gedacht, daß cr dics nicht selbst thnt, sondern Andre für sich thun läßt. Dieser selige Narudnt war ein komischer Heiliger. Einsi begegnete cr einem armen Knaben, nnd schlng ihn ohne Ursach sasi todt. „Glücks? kuid!" rief cr, »grabe hier rechts nntcr dem Olivcnbaum nach!« Und danüt ging er seines Wegs. Der Knabe folgte dem Befehl und fand zweitausend Hlulmdus (Goldstücke). Von Alterthümern mag sich in kel? noch viel befinden, abcr mchr nnter als über der Erde. Ein großer Tempel mit einer einzigen cannclirten dorischen Säule von colossaler Dimension sieht nur mit einem Drittthcil ans dem Schutt hervor, und viele antike Bogen und Mauern dicncn noch jetzt elenden Häusern der Eingeborenen zum Grunde und Halt. Zchn große zusammcnhängcudc und »54 wahrscheinlich vor der Römer Zeit crbautc Cisicrncn außerhalb der Stadt, stehen noch frci und sind so wohl erhalten, daß selbst der größte Theil dcs Putzes im Innern, obgleich er an vier bis fünf Zoll dick anfgcttagcn ist, noch ganz fest anf der Maucr haftet. Das Interessanteste, was koff besitzt, sind unstreitig seine alten Bader, welche cincn fast unbegreiflichen Umfang einnehmen. Sie bestehen aus einem wahren Labyrinth gewölbter Raume, alle aus großen Werkstücken erbaut, und die Einwohner behaupten, daß sie sich auf dieselbe Weise noch über eine halbe Stunde weit unter der Erde fortersircckcn sollen, was jedoch kaum zu glauben ist. Sie sind jetzt alle mit Wasser angefüllt, welches die reichliche und vortreffliche Quelle liefert, die in einem der vordersten Gemächer entspringt, und ganz Koll mit Wasser zu allen Bedürfnissen versorgt. Wir besahen mit dem Gouverneur diese unterirdischen Gewölbe bei Fackelschein, und mußten uns halb ausziehn, um, bis an die Waden im kalten Wasser watend, den 153 Gegenstand etwas genauer zu besichtigen. Da man indcß, um weiter vorzudringen, durch ganz niedrige halb verschüttete Ocssnungcn sich drängen muß, und das eisige Bad nicht allzu angenehm war, so begnügten wir uns blos mit dem Anblick der fünf bis sechs ersten Räume, unter einem großen Andrang von Menschen, die uns alle in's Wasser nachsprangen, was den Arabern aber nicht viel Mühe machte, da sie kurze Beinkleider und die Füße nackt tragen. Sie brauchten also nur ihre Pantoffeln abzuwerfen, um völlig gerüstet zu seyn. Neben diesen Fontainen, wie jetzt das ganze Bauwerk genannt wird, steht ein Sanlcnsiück, auf dem der nicht weit davon begraben liegende, sehr heilige Hluräbut, dessen ich oben gedachte, täglich ein wenig auszuruhen pflegte, chc cr uach Hause ging. Dadurch ist dieser Stein nun a posteriori auch geheiligt worden, und jeder Verbrecher, der ihn erreichen kann, darf nicht mehr ergrissen oder weiter verfolgt werden. Er geht 156 im Gegentheil ruhig und unangefochten bis zum Hlarüliul. selbst uud erwartet dort irgend cine bessere Gelegenheit zur Flucht, oder negoeirt, wenn cr kann, seinen Pardon dnrch Geld. Da ich am Tage fast nicht ausging, sah ich meinen Hauswirth nur selten, Abends besuchte mich aber regelmäßig sein Bruder uud Sohn nebst 8iäl 0mar> um Thcc bei mir zu trinken. Der Letztere war dann gewöhnlich ganz in Goldbrokat, mit goldenen und silbernen Ketten, Spangen und Ohrringen behängen, und wie ein kleiner Sultan gekleidet. Das artige Kind ward bald unser Aller Liebling, und obgleich es von Blodig? keit gar keine Ahnung hatte, doch nie zudringlich oder lästig. Oft, wenn der kleine 8i(1i, in seinem prachtvollen Cosiüm, auf seinen untergeschlagenen Vcinchcn neben mir auf dem Sopha saß, im Harem parfümirt, weiß und roth wie anf P^', ccllain gemalt, hätte man ihn für das niedlichste Püppchcn aus der Mcisscncr Fabrik halten mbgcn, bis cr zu sprechen anfing, wo cr sich so verständig 157 und dccidirt, in seinem beschränkten Horizont, wie cm Erwachsener auszudrücken wußte. Gcwiß war dieser Knabe weit besser erzogen, als cs die mcistcn Kinder bei uns zu seyn pflegen, obgleich cr ohne Zweifel wenig gelernt hatte, und wahrscheinlich auch nichts weiter lernen wird, eben so wenig wie unsere Rittersöhne im Mittclaltcr. In Allem, was arabische Sitte verlangt, schien aber der Gouverneur glänzend für seine Angehörigen zu sorgen, und dabei kcinc Ausgabe zu scheuen. Freilich sind diese Leute überhaupt höchst sorglos für Geld und Gcldeswcrth, so habsüchtig sic sich auf dcr andern Scitc zeigen. Schon oft fiel mir dies auf, hier fand ich einen neuen merkwürdigen Beleg dazu. Der Gouverneur hatte einen hergelaufenen Neapolitaner seit sechs Monaten in seinen Dienst genommen, dem er nicht mehr als monatlich zwölf Piaster (noch nicht vier preußische Thaler) Lohn nebst freier Kost gab. Ungeachtet dieser geringen Stellung hatte dieser Mensch die Schlüssel zu allen Dingen im Hause unter sich. 158 und auch die zur Casse, die sich in der mir eingeräumten Slubc in eincr sehr großen bunten Truhe befand. Besagte Truhe war bis an den Rand mit Piastern angefüllt, und wohl zehnmal des Tages ward ich durch den Neapolitaner ge-sidrt, der herein kam, in den Haufen Geld griff, und händcwcis davon nahm um die currcntcn Ausgaben zu besorgen, ohne daß ich je bemerkt, daß er sich sonderlich mit Zählen dabei aufgehalten hätte. Ocfters vergaß cr auch den Kasten wieder zuzuschließen, was schon hinlänglich bewies, wie schlecht cr seinem Posten vorstand, da jeder meiner Dicncr sowohl, wie der dcs Hauses, sich bei meiner Abwesenheit ebenfalls aus der Truhe die Taschen hatte füllen können, ohne daß es möglich gewesen wäre, den Dicbstahl zu entdecken. Ein solcher Glaube wird wohl selten in Israel gefunden ! Am Tage mcincr Abreise gab mir der Gouverneur mit einem großeti Gefolge das Geleit bis eine halbe Stunde von der Stadt, worauf wir t59 im cbcncn Thalgrundc unsern Weg nach Tunis fortsetzten, zum Ucbcrfluß von zwei Ilamdi dcs ki^'a bis zum crstcn Nachtlager cscortirt. Einer dieser Araber ritt cinc schr gut gchcndc weiße Stute, dic das ehrwürdige Alter von fünfund-drcißig Jahren erreicht hatte und noch ein Geschenk Hammiitla 1'a8«lM's an den damaligen (Hill von l(«ss' war. Ungefähr nach zwei Stunden stießen wir auf weitläuftigc, aber wenig interessante Ruinen, mit einigen unbedeutenden Grabschriften, nebst einer noch im Gebrauch stehenden antiken Brücke über das Flüßchcn <^lmtnr do! - Oediok, wo unsere cntzäumtcn Pferde beim Tränken eine kleine Bataillc bestanden, bei der Verschiedenes von unserm morschen Pferdczeug zerriß. Fünf Miglicn hinter diesem Ort ändert sich der Charakter der bisher, zwar durch Berg- und Thallimcn mannigfaltigen und oft schönen, aber dennoch fast immer dürrcn und kahlen Gegend ganzlich. Berg und Thal waren von nun an meistens mit so reicher Vegetation bedeckt, daß 160 wir uns nicht scltcn einbilden konnten, in einen: anmuthigcn Park spazieren zu reiten. Schon bei Ersteigung dcr ersten felsigen Anhöhe, wie uns nach nnd nach dcr Wald in scinc wohlthätigen Schatten aufnahm, genossen wir den überraschendsten Anblick. Ich muß hier im Voraus bemerken, daß man sich nnter Wald in diesem Theile von Afrika immer nnr ein mehr und weniger geschlossenes Dickicht mittler Vaumc und hoher Sträucher denken muß, denn die unsern europäischen ähnlichen, hohen Eichenwälder, hören bei ^abarliH auf, und wiederholen sich weiter östlich nicht mehr. Diese niedrige Art Wald hat aber den Vortheil, daß sie sich von jedem erhöhten Punkte besser übersehen läßt, und schon in geringer Ferne dennoch denselben Effect für das Auge, wie höheres Holz, macht. Dazu ist die Schattirung sehr mannigfaltig und war es besonders in den hiesigen Bergen, wo verschiedene Ucbcrgange von Saft- und Stahlgrün dnrch eine Pinnsart prachtvoll gehoben wurdcu, deren helle Nadel» !6l sich fast dem Gilb nahen, und cinc wahre Gold-farbc haben, wie sie sonst nur zu entstehen pflegt, wenn die Sonne auf lichtgrünc Blätter scheint. Ucberhaupt ist cs uns Allcn fortwährend als räthstlhaft aufgefallen, daß in diesem brennenden Himmclstnch, und noch obendrein in den heißesten Monaten, doch alle Gebüsche und Baume, wo wir solche antrafen, auf welchem Boden sie auch stehen mochten, mit äußerst wenigen Ausnahmen, immer ein ungleich frischeres Ansehn und cinc viel saftigere Farbc hatten, als cs in unsern nördlichen Ländern, und selbst in England, während des Sommers der Fall ist. Ich habe schon sehr häufig der Oleander erwähnt, muß abcr hier noch einmal von ihnen sprechen; denn man liest zwar in jeder pittoresken Rcisc zur Genüge von silbernen Bändern, die sich durch die Thaler winden, u. s. w., abcr daß man mitten durch ein dichtes Grün aller Nuancen, cinc halbe Stunde weit ein breites roscnrothes Band verfolgen kann, ist cm Land? schastscsscct, der mir bis heute unbekannt war, Eemilasso in Afrika. V. 11 t62 und dennoch gab die Aussicht auf der genannten Stelle genau diesen Anblick. Er würde uns noch mehr erfreut haben, wenn die Luft klarer gewesen wäre, und nicht der Wind der Wüste so heiß geweht hätte, daß mein Thermometer wieder im Schatten 32 Grad anzeigte. Am Eingang des von hohen Bergen umschlossenen Thales, Kr^, genannt, an dcsscu Ende wir bei den Beduinen zu campircu beschlossen hatten, fanden wir von neuem viele Ruinen, unter denen ein schönes Grabmal besonders hervorstach/ welches von den Arabern sehr unchrcrvictig die „Varbicrbudc" genannt worden ist. Es hat folgende unbedeutende, aber auffallend schön ausgemeißelte Inschrift: D. M, S. M. CORNELIVS RVFVS PIVS VIXIT AN. IV. "F, *) *) Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß ich die Inschriftjagd etwas nachläßig betrieben habe, sobald ich 163 Wir sahen von vielen der Berge große Fcucr aufsteigen, die cincm Waldbrand glichen, und erfuhren, daß dies dcr hier in großer Anzahl hausenden Löwen wegen geschehe, um die weidenden Hccrdcn dadurch zu schützen. Allerdings habcn diese Thiere hier in den endlosen, fast undurchdringlichen Dickichten verschiedener Bergketten, und bei den vielen Hccrdcn, wclchc die wohlbebautcn Thäler nähren, zur Answahl einen sehr lockenden Aufenthalt. Wir hofften, als es Abend ward, ctwas von ihnen gewahr zu werden, doch ließ sich keiner dcr Könige des Waldes weder sehen noch hören. Das Vcduincnlagcr war am Rande einer alten Stadt aufgeschlagen, von dcr die Mauern einiger Gebäude nebst zwci Thoren zum Theil sah, daß nichts Neues oder Pikantes daraus zu entnehmen sey; dcnu iu der That, cs thut Einen, um das Papier leid, was man bei manchen Schriftstellern mit so viel ganz unnützem Zeuge dieser Art bedruckt sieht. lS4 noch aufrecht sichcn. Die Eingcborncn nennen dcn Ort 8iäi ^däi-aba, nach cincm Narudut, dessen Garten mitten darin ctablirt worden ist. In diesem Bezirk fanden wir mit grostcm Vergnügen eine große Menge heimischer Brombeeren mit dcn ersten Hagebutten, die wir hier gesehen, doch waren ihre Früchte weniger gut als die unsern. Ein schöner Feigenbaum, den sie umgaben, maß zehn Fusi im Umfange des Stammes, und die Höhe, wie Breite seiner Krone, erreichte vollständig die einer mittlern Kastanie. Mein Zelt ward nicht weit davon an cincm Hügel aufgeschlagen, und blieb gegen die Verge osscn, wo mir, sobald es dunkel ward, die Lowcnfcucr an den Bergen die schönste Illumination bereiteten. Desto unangenehmer war, was in der Nahe vorging, denn die Ilawki von Xoll maltraitirtcn die armen Beduinen mit ihrem Schech auf das Grausamste, weil er einigen üblen Willen, oder vielleicht auch Unvermögen zcigtc, Pfcrdcfutter und Bcwirthung schnell und nach Wunsch herbei- 165 zuschasscn. Es ist wahr, daß hierauf sogleich Alles erschien, aber cs bekümmerte mich doch schr, die unschuldige Ursache einer so empörenden Sccuc zu seyn, dic wir nur mit Mühc abkürzten. Ich wußte, daß ich am andern Tagc das alte Mlu^xa, antreffen würde, da aber Shaw, der Einzige, der davon spricht, cs nur mic wenig Worten abfertigt, so hatte ich keine Ahnung davon, daß ich dort einen Ort finden würde, den ich unbedingt, sowohl wegen seiner Umgebung als der Wichtigkeit seiner Alterthümer, für den schcnswcrthcstcn im Königreich erklären muß, und dessen Prachtmommmttc, selbst iu Italien, die Aufmerksamkeit jedes Reisenden auf sich ziehen würden. Schon der erste Blick darauf war im höchsten Grade überraschend, denn 'lim^a, dessen Name sich in so langer Zeit nur in vuFga veränderte, hat jene von allen günstigste Lage, amphithcatralisch auf von Felsen gekrönten Hügeln erbaut zu scyu, die rund umher von eiucr bald brcitcrn, bald engern Ebene umkränzt sind, welche 1S6 dann ihrerseits wicdcrum auf allcn Seiten von hohen Gebürgsrcihcu umschlossen ist. Die moisten derselben sind durchgängig mit Busch überzogen, und die Ebene auf das sorgfältigste, theils mit Getreidefeldern, theils mit Olwcnpflanzungcn, die hier eine besondere Dichtigkeit und Frische haben, angebaut. Die Verge auf denen vu^» sieht, sind mit einem Oclwalde größtenthcils bedeckt, der au manchen Orten so dunkel ist, daß er kaum die Sonnenstrahlen durchläßt, und aus seinem Vlaugrün ragen die imposanten Ruinen der alten Stadt auf allcn Höhen und Abhängen einzeln hervor. Es ist allerdings sehr zu bedauern, daß das moderne Dorf mitten unter diesen Ruinen aufgebaut ist, weil dadurch das Bessere viel zerstört wurde; da aber scinc Häuser glücklicherweise nur aus rohen ungcwcißtcn Mauern ohne Dach bestehen, die aus dem Material der alten Stadt selbst aufgeführt sind, nirgends von außen Fcusicr haben, und auch ihre Thüren meistens aus den überall umher liegenden großcn 167 Wertstücken geformt sind, so gehört schon ein hicr geübtes Auge dazu, um diese verfallenen Gemäuer von den Ucbcrrcstcn dcs Alterthums unterscheiden zu können, und ich selbst glaubte auf den ersten Blick, nichts als das alte ^'ku^H vor mir zu sehen. Es gibt beinahe keinen Genre von Gebäuden, von dem man hier nicht noch ein interessantes Specimen auffände, und überall in den Hausern der Bewohner bemerkt man Säulen, Vauzicrdcn und Inschriften, die mit eingemauert sind. So trug ein Grabstein, nebst einem prächtigen Säulen-fragmcnt, mit cincr Inschrift darüber, die dem Kaiser^.uwmilu8 ?ii,8 gewidmet war, cincn kleinen Kuhschuppcn, und daneben führte das noch vollständige Thor cincs großen Palastes, welches hoch über das ganze neuere Haus hinausragte, in die schmutzige und dunkle Höhle der bittersten Armuth. Unter den, an zwci Stunden im Umfang haltenden Ruinen zeichnet sich vor allen der große Tempel aus, dessen Porticus fast vollständig t6S erhalten ist. Nur die hintere Seite seines Daches war eingestürzt, und zwar crsi vor zchn Jahren, wie man uns sagte, dcr Giebel abcr ganz mwersehrt geblieben. Dicscr Tempel, im corinlhischen Styl auf das reichste und schonsic verziert, hat dic Form cincs Parallelogramms, und isi, den Porticus mit eingerechnet, ungefähr 70 Fuß lang und 30 breit. Die Säulen, welche alle aus einem Stück und von dem wohlgefälligsten Verhältniß sind, haben an 30 Fuß Höhe, und an dcr Basis 4V2 Fuß im Durchmesser. Auf dem Gicbclfcldc sieht man auf der einen Seite einen colossalen Adler w alw roliovo, die andre Hälfte der Darstellung ist leider herabgefallen, so wic sich auch die Inschrift dcr Frist fast ganzlich abgeblättert hat. Shaw gibr zwar eine Copie dieser Inschrift, sie stimmt abcr, gleich der von Zpotla, ebenfalls nicht mit den wenigen einzelnen Worten, die man noch deutlich lesen taun. 6s macht eine fast rührende Wirkung, auf dcr Spitze des Giebelfeldes, grade über dem Kopf des steinernen 169 Adlers, jctzt cm Storchnest zu sehen. Schade nur, daß seine Bewohner in dieser Zeit eben ihre Sommcrvillagictura in Europa bezogen hatten, so daß vielleicht einer meiner freundlichen Leser dort die Besitzer gravitätisch nmhcrsieigcn sah, während mir nnr das leere Nest zu betrachten blieb. Den Eingang aus dem Portions in dcn Tempel bildet ein Thor, dessen Einfassung nur aus drei Steinen besteht, und das dcmungcachtet beiuahc dieselbe Höhe als die Säulen des Porticus selbst hat. Es trägt folgende, ohnc alle Schwierigkeit zu entziffernde Inschrift: L. MARCIVS SIMPLEX ET L. MARCELLVS SIMPLEX RE-GILIANVS S. P. R Im Hintergründe stoßt cine bis an das Dach gehende breite Nische auf dieses Thor, wo wahrscheinlich früher die Statue der hier verehrten Gottheit, und später vielleicht der Hochaltar stand, als die heidnischen Tempel zum christlichen Gottesdienst verwendet wurden, ohne daß man damals 170 noch die Rohhcit hatte, sic zu zerstören, um statt ihrer geschmacklose Gcbände in Krcuzesform aufzuführen. Nachher gingen diese freilich, in dcr gothischen Architcttur, zu einer neuen unsterblichen Blüthe göttlicher Kunst über, sielen jedoch zn gleicher Zeit selbst in Italien, auch wieder einem schlechteren Geschmack anheim, wovon selbst die Petcrskirche keine Ausnahme macht, und dessen Mißgeburten noch heute in Europa die Mehrzahl aller Städte und Dörfer barbarisch verunzieren. Der hiesige Tempel, welcher wahrscheinlich dem Inpiter geweiht war, denn das erste Wort der Inschrift des Giebelfeldes schien „^ovls" zu seyn, und auch dcr Adler deutet diese Bestimmung an — verdankt seine gute Erhaltung hauptsächlich einer Naturmcrkwmdigkcit oder einem Aberglauben: daß man nämlich, wie ich schon weiter oben einmal berührte, vu^a für einen jener Orte halt, an dem alle Scorpioncn schnell sterben müssen, und wo man in dcr That nie welche antrifft. Des Schechs 5'ImI«!,, mit dem ich mich 1?l unter den Säulen auf meine Tcppiche gelagert hatte (wir mußten sie diesmal auf einen trocknen und unbenutzten Düngerhaufen, der das ganze Terrain um den Tempel bedeckte, ausbreiten, weil dort allein Schatten zu erlangen war, hatten jcdoch wohlweislich Sorge dafür getragen, vorher Matten der Beduinen unterzulegen) erzählte mir cin seltsames Mahrchen über diesen Umstand. „Ein mächtiger König und Zauberer," sagte er, „rcsidirtc in grauer Vorzeit hier, der eine wunderschöne Tochter hatte. Um diese vor dem Stich der Scorpioncn zu bewahren, von denen es damals in hiesiger Gegend wimmelte, legte er einen Zauber auf die Luft rund umher, so daß in ihr teins dieser gefährlichen Thiere mehr leben konnte. Als die schöne Prinzessin mannbar geworden, begehrte cin benachbarter Riese, der ebenfalls cin großer Schwarzkünstler war, sie zur Frau, erhielt aber, als cin häsilichcr, ungestalteter und böser Mann, eine abschläglichc Antwort. Lange brütete er deshalb Rache, ohne eine günstige Gelegenheit 17s zur Ausführung zu finden, da seine Macht der dcs guten Königs wcit nachstand. Als abcr dic Vermahlung dcr Prinzessin mir einem liebenswürdigen jungen Prinzen, dcr auf den Ruf ihrer wundervollen Rcizc aus fernen Landen am Hofe des Königs erschienen war, herannahte, gab ihm einer seiner Dämonen folgende teuflische List ein. Er verwandelte sich nämlich, auf dessen Rath, in das Weibchen eines Adlers, horstete auf cincm nahen Felsen, und legte dort zwei Eier, in deren jedem er cincn der giftigsten Scorpioncn einschloß-Er wußte, daß die Prinzessin eine ganz besondere Liebhaberei für Eier hattc, und man ihr daher stets von allen Sorten derselben lieferte, da mau sich nicht besser bei ihr insinuircn tonnte. Zufällig hattc sie noch nie cin Adlcr-Ei gekostet, und belohnte dabcr den Uebcrbringcr dieser neuen Dclicatcjsc nur dem freundlichsten Blick ihrer holden Augensterne; denn es war dieser Niemand Anderes, als ihr Bräutigam selbst, dem dcr bösc Zauberer dic vcrhängnißvollen Eier in dic Hände zu spiele« t?3 wußte. Kaum hatte ihr der Prinz dieselben, am Abend vor der angesetzten Hochzcitsfcicr überreicht, als sie auch schon, mit der Begierde ciucs jungen verzogenen Mädchens, die jeden ihrer Wünsche auf der Stelle befriedigen must, sogleich ihren Genuß begehrte. Doch sobald ihre zarten Finger die Schale nur berührten, fuhr augenblicklich der Stachel des giftigen Thieres heraus uud stach so tief das zarte Kind, daß mit dem rosigen Blute ^) ihr Leben zu gleicher Zeit cutsioh. Der gefühlvolle Prinz siarb wenige Tage darauf aus Schmerz und Verzweiflung, der trostlose Vater aber baute diesen Tempel, ließ zum ewigen Andenken an die traurige Begebenheit den Adler darauf abbilden, den man noch jetzt hier sieht, und opferte bald nachher in seinen Mauern, unter den grausamsten Martern, den vcrräthcrischeu Riesen, welchen cr durch die Legion Geister, die ihm zu Gebote ^) Scorpionftichc bluten zwnr gewöhnlich nicht, aber einem Märchenerzähler läßt sich nichts vorschreiben. 174 standen, mit leichter Mühe hatte fangen lassen. Seitdem,« schloß der Mal«!,, «ist die Sitte bei uns eingeführt worden, daß kein Bräutigam scinc Verlobte früher als am Tagc der Vermählung selbst zn schcn bekommen darf, nnd kcins unsrer Mädchen hat fortan cin ähnliches Schicksal zu befürchten, weil kein Scorpion mehr, auf eine halbe Stunde im Umkreise, den Häusern von vu^FÄ zu nahen wagt." Während dieser Erzählung hatten wir eine vortreffliche Wassermelone, so rosig, süß und würzig als die Lippen der Prinzessin selbst nur seyn konnten, vcrzchrr, und schickten uns nun zur wcitcrn Besichtigung der Stadt an, was wegen der Mcngc von Steinhaufen, verborgenen Lochern, Disteln und Stachclftigcn nicht ohne viele Beschwerde abging, besonders, da es gerade um die Mittagszeit war. Von mehreren Tcmpclrcsicn auf dcn Hohen hatte man die entzückendsten Aussichten, um aber dahin zu gelangen, mußten wir eine Schwierigkeit eigner Art überwinden. Die 175 früher hicr wohl gepflügten, lockern Stoppelfelder, aus dcncn wir zum Theil hinan und hinab ritten, waren überall von der Gewalt dcr Sonne, ost mehr als einen Fuß tief aufgerissen und dicse Spalten zogen sich wie cin Netz, übcr den ganzen Vodcn hin. Es war daher unmöglich das Hincintrctcn zu ver< meiden, so daß unscre Pferde fast eben so viel auf der Nase als auf den Beinen gingen, und wahrscheinlich nur dergleichen ruhige und an alle Arten horriblcr Wege gewohnte Thiere hicr im langsamsten Tempo fortkommen konnten. Den Wcg zu Fuß zu machen, hätte uns aber hcute zu tbdtlich ermüdet, um so mehr, da die Distance« schr weit waren. Wir fanden nach und nach die Reste eines Circus, große Cisterncn an drei verschiedenen Orten, die Trümmer eines Aquaducts, cin gut conservirtcs Thor odcr Triumphbogen, nebst den Spuren einer Menge Paläste, einer Citadelle und anderer tcmpelartiger Gebäude, zum Theil von großem Umfang, deren Bestimmung aber jetzt nicht mehr anzugeben ist. Auf dem Felsen, dcr sich über den 176 lachendsten Thcil des Thales nach Osten erhebt, steht noch fast der ganze Halbkreis mit dcn sämmtlichen Sitzen und dcn darunter befindlichen bedeckten Gangen eines sehr ansehnlichen Theaters, nebst mehreren einzelnen Sänlcn einer wcitläuftigen Reihe, die längs des schroffen Abhanges den Halbcirkel geschloffen zu haben scheint; das Ganze in einer Länge von ungefähr 150 Fuß. Von der Enstenz dieses Theaters habe ich in Tunis nie cttvas vernommen, noch irgendwo davon gelesen, obgleich es fast unglaublich scheint, daß ein Ort wie DuK^a, nur drei Tagereisen von Tunis entfernt, und wohin eine ganz practicable Strafie ohne Gefahr führt, dennoch Fremden wie Einheimischen bis jetzt so gut wie unbekannt blieb. Ich selbst ward hier das Opfer meiner Neu- oder Forschbcgierdc, dcun unvorsichtig einem indianischen Fcigcnstrauch zu nahe kommend, stach ich mir fünf bis sechs große Stacheln in dcn Arm, an deren Gift ich mehrere Tage lang anf das empfindlichste litt. Weiter nach dem Grunde hinab 177 sieht man im Schatten dcs Olivcnwaldcs mehrere Mausoleen, von dcncn ich wiederum eins als besonders wohl erhalten und in mancher Hinsicht merkwürdig hervorheben muß. Es hat ungefähr 20 Fuß im O.uarr«e und ist über 50 Fuß hoch. Die Arbeit daran ist „icht ganz vorzüglich, aber die Form ansicrordentlich graziös. Es sieht auf füuf breiten Stufen, hat eincn schweren ersten Stock mit einer Thüre auf jeder Seite, dann oben wieder drei Stufen, auf welche der zweite Stock in Tcmpclfonu gesetzt isi, den Mische cannclirtc Säulen an den vier Ecken verzieren, und zwei auf jcder Facade, welche die obere Thüren umfassen. Im Innern sind in beiden Etagen verschiedene Abtheilungen für Fannlicn-sargc, denn daß das Monument cin christliches war, beweist cinc der grösnen Seltenheiten in Afrika, nämlich das Vorhandcnseyn vier großer cingchauencr Kreuze auf den vier Würfeln, die den Aufsatz dcs zweiten Stockes bilden, und oben schräg in den Ecken placirt sind. Diesc Kreuze Semilasso in Afrika. V. 12 178 habcn genau die Form nnscrcr preußischen National-decoration, und sind vielleicht dic einzigen, welche der religiösen Zersibrungswuth der Muselmänner entgingen. Wenigstens fanden wir sonst nirgends cine Spur dieser hier gehaßten Form, und Shaw wunderte sich schon vor hundert Jahren, niemals dergleichen angetroffen zu habcn. Es scheint, dasi außer den Kreuzen uocl? andere, profanere Verzierungen das Monument krönten, die jetzt herab? gefallen sind. Zwei davon zeigen ziemlich grob angefertigte kaut» rollet», welche beide einen Triumphator oder Krieger auf seinem mit vier Rossen bcspauutcn Wagen darstellen; dcnn dcr Sonnengott darf, in Verbindung mit den Kreuzen, doch wohl nicht supponirt werden. Es that mir hier besonders leid, die Inschriften von dem wenig dauerhaften Sandstein ganzlich abgeblättert z" finden. Auf cincm dcr cnormcn Vlöckc, die zum Bau dieses Mausoleums verwendet worden sind, stand jedoch cine punischc Inschrift sehr deutlich cmgegrabcn, blieb aber für uns dennoch unleserlich. 179 da Kcincr in dieser Sprache bewandert war. Wagner hatte nicht Unrecht, dachte ich bei mir, daß cr gern Alles wissen wollte. Man konnte cs brauchen! Strafbarer aber als die Unwissenheit war cs, daß ich mir ans Trägheit auch nicht einmal die Mühe der Copic nehmen wollte. Ich muß andern Reisenden noch etwas zu thun übrig lassen, und diese mdgcn dann bei ähnlicher Hitze an sich prüfen, wie weit ihre Selbstüberwindung gehen wird. In 'luIioi-ßM, ehemals ^Nudursioumkuro, waren die Ruinen, ich hätte in meiner Müdigkeit fast gesagt: Gott Lob! unbedeutend, wogegen uus hier eine andere, sehr angenehme Ucbcrmschung zu Theil ward. Der dortige (^änl hatte nämlich einen europäischen Koch, welcher uns ein lange nicht mehr gesehenes, crccllcntcs ä^ounor a la ldnrekotto zubereitete. Doch des Weines mußten wir immer noch dabei entbehren, und mattes Wasser bis Tunis nothgcdrungcn seine Stelle ersetzen. Das Milchrcgime war mir, wie gesagt. 180 auf die Länge doch widerlich geworden, nnd der Gesundheit wegen hatte ich meine letzte Boutcillc Wein schon seit vierzehn Tagen so eingetheilt, daß ich täglich nach Tisch nur einen Eßlöffel davon in Medicinform einnahm. Die Gegend ward immer großartiger, je weiter wir kamen, und immer unabsehbarer dehnten sich die grünen Waldungen nach allen Seiten aus. In cinem dieser wilden Vcrgbczirke trauern, ganz einsam und verlassen, die mchr als irgendwo chaotisch zusammengestürzten Trümmer von 1'ui>ZÄ, sonst Mi^ib» colmna. Hinsichtlich des Wildroman« tischen werden diese Ruinen von keinen übcrtroffcn, und passen vortrefflich zu ihrer Umgebung. Außer cmcm Circus und vielen minder bedeutenden Gegenständen, bestehen sie hauptsächlich aus cincm festen Schloß mit Thürmen, dem in Il^ra ähnlich, weniger groß zwar, aber dafür weit besser erhalten, ja Einiges davon wohl gar spaterer Bauart angchörig — und cincm fthr prachtvollen Tempel, der mit wilden Oclbäumcn durchwachst", 18! jetzt cine ungeheure Masse danieder liegender Saulcnsiücke, Capitälcr, Simsgcbälke und grandioser Verzierungen jeder Art darbietet. Alles vereinigte sich, die Erhabenheit dieser Scene zu erhöhen, denn schon war die Dämmerung eingetreten, nur die Spitzen der Berge vergoldete noch die Sonne, ein scharfer Abcndwind rauschte in den niedern Wipfeln, Raubvogel von außerordentlicher Grösie flogen langsam umher, und aus dem fernen Walde glaubten wir, wie einen schwachen Donncr, das Gebrüll der Löwen zu vernehmen. Bald überraschte uns die Nacht gänzlich, und machte in dcm durch viele tiefe Abgründe coupirtcn Terrain unsern Marsch äußerst beschwerlich, und wegen der vielen Raubthierc in dieser Gegend nicht ganz gefahrlos. Eine erst kürzlich gebaute große Steindrücke fanden wir eingestürzt, uud wußten beim schwachen Licht der Sterne eine Fuhrt mühsam aufsuchen. Ersi gegen zehn Uhr erreichten wir 1>8lm-, die alle OInnm 1)i»io2 luomm, wo uns drückend heiße Stuben und un- t82 zähligc Muskito's wenig Erholung genießen ließen. Die ganze Nacht ward wegen dcr Hochzeit cincs Vornehmen stark gcfcucrt, und mir entging kein Schuß, da ich, dcn Schlaf unter den obwaltenden Umständen aufgebend, fast bis zum Morgen mit Schreiben zubrachte. VciSonnenaufgang besichtigte ich die hiesigen geringen Alterthümer, welche nur in dcn Ucbcrresien einer Brücke und cincs Stein? wehrs über dcn Üa^-ada bcsiehn, die man bei dem jetzigen niedrigen Wassersiandc besser als gewöhnlich scheu konnte, so wie in vielen eingemauerten, unbedeutenden Inschriften, welche Shaw, nach den Angaben cincs alten Paters bereits mitgetheilt hat. Dagegen frappirtc mich dcr Anblick des Orts selbst nicht wenig, dessen Charakter sich von dem dcr übrigen maurischen Städte gänzlich entfernt. Mit abschüssigen Ziegeldächern versehene Häuser, weit breitere Straßen, regelmäßige Fenster-reihen in dcn Gebäuden, sogar eine gothische Kirche mit bunten Glasroscttcn und dem Zifferblatt einer Thurmuhr — Alles versetzte nach Europa, nnd l83 nur dcr Schmutz in den ungepflasterten Gassen war maurisch. Das Räthsel ward mir bald durch dic Nachricht gelöst, daß dieses Städtchen, so wie noch einige andcrc, die wir im Verfolg dcr Rcist passirtcn, sämmtlich unter Carl dcm Fünften von dcu Spaniern erbaut worden sind. Uuscr letztes Nachtlager war in Mi8ü!) «1 »ab, einem clcudcn Flecken, wo ich das mir bereitete Quartier so außerordentlich schlecht fand, daß ich vorzog iu einem Garten, ncbcu dcr Stadt, zu bivouakircn, obgleich cm Gewitter den ganzen Himmel umzogen hatic, und schon seine Blitze herabsendend, uns mit einem derben Rcgcn bedrohte. Unter ein Paar dichten Feigenbäumen, nicht weit von einem alten Trinmphbogen, auf dem sich noch zwei grob gearbeitete Brustbilder iu Mcdaillous erhalten hatten, ward mein Zelt aufgeschlagen, und cm benachbartes Feld von Wassermelonen lieferte gleich in dcr Nahe das köstlichste Dessert für unser soupoi-, zu dem die Blitze das Licht, und der Donner die Tafelmusik tS4 besorgten. Dcr gefürchtetc Wasscrguß aber ward uns gnädiglich erspart. Obschon das Land auch hier gut angebaut und hie und da bcbuscht ist, verliert es doch, schon von ^oslur aus, immer mehr an scincr früheren Frische, wie dem romantischen Ansehn, das cs in den vorigen Tagen so reichlich entfaltete. Eine Zeitlang belebt noch dcr Vagralla mit seinen abgerissenen Ufern, die von Silberpappeln und Rüstern eingefaßt sind, die Gegend; dann breiten sich nur verbrannte Weiden und kahle Stoppcln, spärlich mir einzelnen Sträuchern bewachsen, bis an die Bcrgc hin. Einige dcr Anhöhen bottn aber auch in ihrer Dürre ein anmu,thigcs FarbcuspicI von rothem, violettem und gelben Sand dar, dem nur eine Umgebung von frischem Grün fchlrc, um sich vollgcltend zu machen. An dieser Stelle hicltcn die Ilamli! an, um mich lachend auf ein jungeS Cbamalcon aufmerksam zu machen, das pathetisch, zwischen unsern Pferden hindurch, über die Straße schritt. Es hiclt mchrcrcmal an, um sich auszu- 185 ruhen, sah uns verwundert an, nnd war so drollig nnd graziös in seiner Unbcholfenheit, dasi ich mich sehr daran ergötzte. Einer der Ilaniki wollte es fangen, aber aus Furcht, daß ihm ein Leides geschehen möchte, untersagte ich es, nnd ritt weiter. Nachher crst dachte ich daran, wie leicht ich cs die kurze Strecke bis Tunis hätte transportircn können, und mm ärgerte ich mich den ganzen Tag über, das komische Thier nicht als treuen Gefährten mitgenommen zn haben. Ein recht glückliches Zusammentreffen war cs, dasi an demselben Tage, an welchem wir nach Tunis zurückkehrten, das sogenannte ^amp, zum erstenmal von dem ncncn Erbprinzen 8iäi Ilam-luoä Üo^ commandirt, von dort ausgerückt war nnd dieselbe Strafte eingeschlagen hatte. Neben dem Lustschloß Noinu^ia sahen wir schon von weitem die Ebene mit den Zclten desselben bedeckt, da die Truppen am ersten Tage nur einen sehr kurzen Marsch gemacht hatten. Verschiedene Colonncn von 7 bis 800 Cameelen, welche allcs 186 Gepäck tragen müssen, da die ganzc Armee nur vier bespannte Fourgons dcs Commandircndcn mit sich führt, warcn auf dcn rund umhcr licgcn-den Hügeln vertheilt, und vermehrten das Pittoreske dcs sehr originellen Anblicks. Ich schickte sogleich meinen Mamelucken voraus, um dem Prinzen meinen Besuch anzumelden, dem ich hier vom ^apawpa zum erstenmal vorgestellt wurde, da es im Bardo die Etikette nicht gestattet. Er empfing uns mit der größten Freundlichkeit und schien selbst viel Interesse an der von mir zurückgelegten Reise zu nehmen, denn er frug mich über Vieles recht verständig, und hörte mit sichtlichem Vergnügen das Lob mit an, welches ich der Merkwürdigkeit und dcn mannigfaltigen Vorzügen dieses Königreichs ertheilte. Auf mcinc Vittc gab er mir einen Begleiter, um mich nach beendigter Audienz im Lager nmhcrzuführen, und lud mich zugleich ein, mich im nahen Lustschloß auszuruhen, und cine Collation daselbst einzunehmen, was ich nicht versagte. l87 Das Lager war ohne alle Vcrtheidigungs-maßregeln aufgeschlagen, die iu der That auch hicr überflüssig gewesen wären, obgleich man unsere Soldaten, wenn sie vom schwer beladen gemachten Marsche erschöpft ankommen, der Uebung wegen gewiß unnütz damit fatiguirt haben würde. Der äußerste Zeltcirkcl enthielt in weiten Distancen von einander einige siebenzig Zcltc, in deren jedem cm-cuW Mann irrcgnlaire Infanterie campirtcn, welche eine Compagnie (wenn man es so nennen will,) ausmachen, die von zwei K«IiÄU8«k commandirt wird. Zwischen zwei und zwei Zelten stand jcdcsmal ein großer, mit Teppichen behangcncr Wasserschlauch. Den zweiten Cirkel formirtc die Cavalleric, mit ihren an langen Stricklcincn angcfcssclttn Pferden längs den Zelten; den dritten die Küchen--, Schmicdc-und andere Raume dieser Art. Hierauf kam der Kreis der Mamelucken mit ihren Pferden und ihrer Suite; in der Mitte des Ganzen aber prangte das mit zwei goldenen Kugeln gekrönte t88 Zelt des jungen Bey, das in mehreren Abtheilungen äußerst bequem und elegant eingerichtet war. Die Dicnerschaftcn, nicht nur des Vcy und der Mamelucken, sondern auch dcr sämmtlichen Soldaten, betrugen fast cbcn so viel als die Trnppcn selbst, Weiber aber sah man, aufier einigen Ncgcrsclavinnen, wenige. Jedermann schien am Tage im ganzen Lager frei und ungehindert umher streichen zu können; auch uns hielt keine Schildwacht an, als wir kamen, noch wurden wir überhaupt eine solche gewahr. Von Sonnenuntergang aber ist der Ein- und Ansgang nur von einem Puncte aus gestattet, wo zugleich zwei roth, gclb und grün bemalte Zwolfpfündcr, und zwei gleich bunte äiUo Scchs-pfündcr aufgestellt sind; in dcr Nacht wird hier eine Art Hauptwachc ctablirt, gegen welche das Zelt des Commandircndcn geöffnet, und eine breite Gasse bis dahin frei gelassen ist, damit er bequem übcrfthcn kann, was vorgeht. I'm Uebrigen war es auffallend still und ruhig in diesem Lager wilder Horden, und überall schien die beste Ordnung zu herrschen. 189 Das Lustschloß Klnlilaxia fandcn wir von cincm reizenden Garten umgeben, mit schönen Alleen von Palmen und Cypreffcn, cincm schr wohl erhaltenen, großen Wasscrbassin und vcr-schiedncn Marmorfontainen dicht vor dcm Salon, wo wir uns ctablirt hatten. Wir wurdcu von drei bejahrten Italienern bedient, sämmtlich ehe? maligc Sclaven, die durch Annahme des Islams ganz vernünftigerweise sich, statt unerträglicher Qualen, cin ruhiges Alter verschafft hatten; doch alte Gewohnheit rostet eben so wenig wie alte Liebe, und im Herzen waren sie ohne Zweifel noch gute Katholiken. Als ich den Eincn frug, wo und wann cr gefangen worden sey, erwiederte er: An der Insel ?ali2», vor einigen vierzig Jahren, grade um die Zeit des ^vo Marin. Die wenigen Stunden von hier bis Tunis wurden fast zu den beschwerlichsten unserer ganzen Reise. Es hatte sich nach dcm gestrigen Gewitter, welches nicht recht zum Ausbruch gekommen war, ein so heftiger Orkan erhoben, daß die Luft rund 190 umhcr in eine Staubwolke umgewandelt wurde, und es bald völlig Nacht zu seyn schien. Ein Maulesel ward umgeworfen, und dabei mehrere Sachen beschädigt, und wir selbst hatten, mit unsern «ap,ic1wii8 übcr das Gesicht gezogen, oft Mühe, uns auf unsern Thieren zu erhalten. Nach einer Stunde liest jedoch das Unwetter gradalim nach, und loste sich in einen schwachen Regen auf. Um diese Zeit bemerkten wir, unter den nicht abbrechenden Zügen von Soldaten und llamki, die dem (lump nachzogen, zwei Reiter in europäischer Kleidung auf uns zukommen, in deren Einem ich bald meinen vortrefflichen Freund Don Grcgono erkannte, der weder Sturm noch Gewitter gescheut, um mir entgegen zu kommen, und den Pilgern aus der Wüste (da ich ihm von I'oswr aus meine Ankunft gemeldet) zugleich ein stattliches Abendfcsi bereitet hatte. Dieser liebenswürdige Mann mit seiner Familie ist eine wahre Zierde für Tunis, und ich würde nicht aufhören, wenn ich alle die freundschaftlichen Dienste und 191 zarten Attcntionen erwähnen wollte, die mir in diesem Hausc währcnd meines ganzen hiesigen Auftnthalts zu Theil wurden. Ich bcdaure lebhaft, daß meine Dankbarkeit dafür sich nur mit dieser herzlichsten Anerkennung begnügen muß, und ich keine Aussicht habe, den gütigen Tunescrn in meinem Vatcrlande Gleiches mit Gleichem ver, gelten zu können. Hier wird es auch an seinem Orte seyn, meinem immer gleich gnt gelaunten und verbindlichen Begleiter, dem Obersten von 8c2^,nlw>v8li^, die lebhafteste Erkenntlichkeit für das Vergnügen und dcu mannigfachen Nutzen zu bezeugen, welche ich seiner angcuchmcn Gesellschaft verdankte. Meine besten Wünsche ihm, und mdgeu seine ferneren Schicksale die Härte der früheren vollständig ausgleichen. Bei aller Ursache zur eigenen Zufriedenheit mischte sich doch ein Tropfen Wcrmuth in meinen Frcudcnkelch, denn ich fand nach einer so langen Abwesenheit nicht einen einzigen Brief hier vor 192 der mir Nachricht von dcn wenigen, aber desto thcurcrn Angehörigen gegeben hätte, die ich in der Hcimath zurückgelassen. Wegen der leidigen Cholera waren zwei Schisse von Marseille, dic keine netten Patente ausweisen konnten, anf der lZoleUa zurückgewiesen, und ihnen nicht einmal ihre mitgebrachten Briefe und Journale abzugeben gestattet worden. Man befand sich daher auch, in politischer Hinsicht ohne alle Neuigkeiten. Nur die Kunde der inaoliino iutdrnllio, die man gegen Louis Philipp geschleudert, wie einige unbestimmte Details über die Successc des neuen Sultans H.kll«1-Xaä«i- gegen die Franzosen bei Oran, hatten ihren Weg aus einem genuesischen Blatte hicher gefunden. Von Malta war zwar auch ein Brief an den französischen Consul angelangt, der aber so lange in Essig gelegen, daß mau bei seiner Eröffnung, statt vier beschriebener, nur vier von Tinte schwarzgefarbtc Blätter fand. Eine angenehme Ueberraschung! 193 Indcm ich nun, mein lieber, alter Jugendfreund, mich dem Ende dieses Briefes nahe, den ich Ihnen, wie Sie schcn, nicht mit Unrecht als den längsten angekündigt habe, den Sie je erhielten, und den sie ohne Zweifel als einen ächten Repräsentanten der Ungeheuer der Wüste ansehen werden, bitte ich Gott, daß cs ihnen darin von „Ruinen und Beduinen« nicht allzu viel geworden seyn mag! Wer mit Phantasie begabt isi, kann die ersteren allerdings nie ohne Erregung schcn; und die letzteren haben m i ch wenigstens auf das Lebhafteste angesprochen. Sollte ich daher meine Meinung über sic, als ro8um«, in wenig Worte fassen, so würde ich sagen: sie sind ein Volk, das mehr als wir, die angcbornc Würde des Menschen im Acnßcrcn und Bcuchmcn an sich trägt, und in allen primitiven Eigenschaften uns überflügelt, aber durch günstige Umstände auf dem ersten Grade der Civilisation stationär geblieben, auch die primitiven Naturtriebe, trotz seiner vielen liebenswürdigen Eigenschaften, roh und selbst grausam Semilasso m Afrika. V. 13 l94 ausüben wird, wo cs nicht Furcht oder Liede zurückhalten. Die cinzclncn Vclcgc hierzu geben, glaube ich, meiuc spccicllcrn S6)ildcrnngcn hinlänglich. Wcit weniger charakteristisch und weit weniger interessant erscheinen dic Mauren, obgleich sie selbst dic Beduinen tief unter sich setzen, und gering achten. Doch sie sind nicht mehr die Mauren Spaniens, sondern nur eine moralisch verkrüppelte Race, dic noch hie und da das edle Blut ihrer Abstammung, wie ihre Verwandtschaft mit den Arabern der Wüste zeigt, aber zu keinem großartigen Aufschwung, noch zu irgend cincr neuen, eignen Civilisation nichr fähig isi. Nur von Chnsicn unterjocht, konnte ihnen eine solche mittelbar, und folglich unvollständig zukommen. In Tunis bilden die Mamelucken noch eine besondere, wenig zahlreiche, aber desto mächtigere Klaffe. Sie machen den eigentlichen Adel oder die Hofanstot'ratie des Landes aus, denn alle sind um dic Person des Souverains versammelt, und werden, als in seinem speciellen Dienst siche«d. 195 und ihm angchbrig betrachtet. Man kann nicht sagcn, daß sie schlimmer sind, als irgendwo Bevorrechtete unter ähnlichen Umstanden seyn würden. Sie zeichnen sich grosienthcils durch glänzendere Bildung und feinere Sitten aus; ja cs gibt unter ihnen Hoflcute, die an Repräsentation, Schlauheit und savoii- fairo keinem Europäer etwas nachgeben. Nach Allem, was ich in der ganzen Barbarei von Land uud Menschen gesehen, kann ich nur keine schönere, bclohncndcre und reichere Wirksamkeit, also Erisicnz, denken, als die eines jungen Prinzen seyn würde, den bei dem endlichen Sturz des türkischen Reichs die europäischen Mächte, aus Mitleid nnt dicscm vcrnachläßigten Erdstrich, zum König der afrikanischen Nordküstc, von den Grenzen Marokko's bis jenseits der Cyrcnaica zu ernennen beschlossen. Seine Residenz in Bon.-, schon in ältester Zeit der Lieblingsanfenthalt der mlmidischcn Konige, aufschlagend, würde er ftin ganzes Leben glorreich dazu verwenden können. 196 dic Beduinen zu bilden, die Kabylcn zu bändigen, die Mauren zu regeln und über Alle mit starker Hand zu herrschen. Er würde dann das hohe Glück genießen, ein edles Volk täglich einem vollkommncrcn Zustande cutgcgcn zu führen, cm Land das die Natur fast ohne Ausnahme zu Allem, was den Menschen wünschcnswerth seyn kann, im Voraus geeignet hat, und das durch die Wuth und Vernachlässigung dieser Menschen allein zu neun Zchnthcilcn jetzt eine Wüste geworden ist, immer blühender und herrlicher unter seinem Scepter erstehen zu sehen, als Schöpfer dieses höchsten Segens aber, bei Mit- und Nachwelt den schonen Namen eines Wicdcrh erstell ers besser zu verdienen, als z. V. Napoleon von den armen Polen. Dennoch aber würde seine Regierung mit dem Zeitalter des Eisens, unter unumschränktem Monarchcnwillcn, beginnen müssen, und der Tod dürste den Erneuerer nicht schrecken, weder für sich, noch für Tausende und aber Tausende Anderer, die vielleicht einer großen 197 Idee zum Opfer fallen müßten. Erst sein Jubiläum könnte er nachher vielleicht im goldenen Zeitalter, unter liberaleren Institutionen, stiern. Thoren sind die, welche hier die Civilisation mit falsch verstandener Humanität und weichlicher Milde beginnen wollen. Unerbittliche, nie «lassende Strenge, volle, unparteiische Gerechtigkeit nebst moralischem und physischem Zwang zur Arbeit — dessen allein bedarf es jetzt bei diesen Völkern, um die machtigen Hebel der Furcht, der Liebe und des eignen Nutzens vollständig bei ihnen in Wirksamkeit zu setzen. Jeder andere Vcrsnch muß scheitern, denn er ist nicht auf die Welt wie sie ist, sondern nur auf eine leere und abgeschmackte Ideologic gegründet. Algier hat uns dazu bereits den ersten Commcntar geliefert. Der Himmel könnte mir keinen größeren Gefallen thun, als wenn er mich in meiner nächsten menschlichen Existenz (an die ich fest glaube) zu diesem Loose bestimmte, und mich zugleich mit den nöthigen Eigenschaften dazu Gottgnädigst ausrüstete. Bis t98 dahin begnüge ich mich mit dem freilich gcringcrcn, aber vielleicht auch weniger sorglicheren Amte des Wanderers, und mache bci dieser Gelegenheit folgende Bemerkung: Wie man nach der Mittc des Lebens immer wünscht, cs wäre dieß nur ein Probclcbcn gewesen, um uns Erfahrung zu geben, und man dürfe cs nun mit der erlangten Einsicht von Neuem ganz anders durchlaufen, um Alles zehnmal besser zu machen und weit glücklicher zu seyn als man es früher verstanden — so sollte man auch, finde ich, wenn man ein fremdes Land kennen lernen will, immer erst sechs Monate darin zur Probe reisen, ehe man die Hauptreise selbst antritt. Die meinige kann ich nur als eine solche Probctour anschn, und als den schwächsten Beitrag zu der Hauptcrpcdition eines verehrten Nach? folgcrs. ") In diesem Sinn sey es mir nun 5) Wäre cs doch unser ehemaliger Gesandte in Neapel, der vortreffliche Rumohr, der nicht nur einer 189 gestattet, zu gulcr Letzt hicr noch cinigc wohlgemeinte häusliche Rathschläge beizufügen, Gegcn-siändc betreffend, die ich selbst aus Mangel an Erfahrung, oder Nachdenken, großcnthcils versäumte. Was vor Allcm den Verstand, Kenntnisse, Talente, wie die Gesundheit betrifft, so muß diese verschiedenen Ingredienzen natürlich Jeder grade so mitbringen, wie er sie besitzt, und ist darüber deshalb hicr nichts beizubringen, außer etwa, wie die letztere am besten zu conserviren sey. Zn diesem Behufe rathe ich denn: der größten Alterthums - und Kunstkenner, wie ein vorzüglicher Zeichner, und der liebenswürdigste Schriftsteller, sondern auch (theoretisch wenigstens) der erste Koch Europa's ist, und, gelänge es ihm, die maurische Küche, gleich der deutschen zu reformiren, cr würde sich viel Srgcn verdienen. Da cr in dieser Hinsicht überdieß allen .ni natm-ol zubereiteten Dingen den Vorzug gibt, so würde cr hicr den bcstcn Spielraum für sein System finden, wo die Kmist noch so wenig verdorben hat. 200 Erstens, statt der trivialen diätetischen Regel», die für jedes Individuum doch andere seyn müßtcn, einen wirklichen lebendigen Arzt mitzunehmen, der znglcich Chirurg ist. Dieser sorgt dauu oo i^o für die uöthige Reiseapotheke, weshalb allerdings, um Naum zu ersparen, in diesem speciellen Fall ein Homöopath vorzuziehen wäre. Zweitens kann nichts wünschcnswcrthcr als ein guter Zeichner seyn, und der Ockonomic wcgcn wiederum sehr gut, wenn sich dieses Talent auch in der Person des Arztes mit einbegriffen fände. Drittens versehe man sich reichlicher als ich mit Büchern, namentlich den Werken der alten Autoren, und dcn Charten ihrer vergangenen Welt, um durch gehörige Citationen eine wohlfeile und leichte Gelehrsamkeit ohne viele Mühe an den Tag legen zu können. Das Mitnehmen vieler Menschen und Effecten ist im Grunde bei der hiesigen Art zn reisen, und dcn dabei stattfindenden Einrichtungen von keinem großen Belang; ich meine hinsichtlich 201 der Kosten und viel davon nicht bedeutend theurer als wenig. Man wird also wohl thun. Viertens zu seincm Vergnügen auch einen geschickten Jäger mitzunehmen, der zugleich im Inscctcnfangcu und Ausbreiten, Ausstopfen größerer Thiere und dergleichen die gehörige Erfahrung besitzt; und zum Nutzen, einen in Pferdcwartuug gut unterrichteten Stalldiener, der von vctmnarm Kenntnissen wenigstens das Beschlagen oder Aderlässen der Pferde verstehen muß. Für die complicirteren Cnren kann abermals der gute Doctor anshelfen. Wie wichtig ein in classischen Grundsätzen crzogner Koch sey, habe ich so cben in meiner Note schon illusirirt. Fünftens. Außer denjenigen Dingen, welche -jeder Gentleman mehr oder weniger auf Reisen mit sich führt, muß man hier noch unerläßlich folgende hinzufügen; cm Zelt oder mehrere, ein Feldbett mit Nousüyukiros, cmen Feldtisch und cliU« Stuhl; cine compactc daUorio äo cuwiuo, und alles Geschirr und Besteck, was zur Mahlzeit 20s und Frühstück nöthig ist; die gehörige Anzahl sehr solide gearbeiteter Cantincn, so groß wie sie ein Maulthier tragen kann; fünf bis sechs dichte Wasscrschläuche, die mau verschließen kann; cincn dcr bequemen englischen Apparate, um durch chemische Operation Wasser schnell gefrieren, oder wenigstens eiskalt werden zu lassen; eine kleine Filtrirmaschine; cine ansehnliche Quantität jener berühmten, hermetisch verschlossenen Provisionen aller Art aus Nantes, von denen Seefahrer schon frische Milch erst nach acht Jahren geöffnet, doch eben so gut fanden, als sey sie eben gemolken worden, welches wir als eine dcr schönsten Erfindungen unsers großen Sakulums ansehen dürfen. Ucber Weine, Liqucurc, getrocknete Früchte, Bouillon-und Limonadentafeln:c. schreibe ich nichts vor, doch zuviel wird man nie davon haben; dagegen bestehe ich ernstlich auf den Besitz einer soliden Strickleiter, nicht etwa um damit, wie Leichtsinnige glauben könnten, in cincn Harem zu steigen und nachher für die kurze Lust gespießt zu werden,— 203 sondern weil ich selbst bei Besichtigung alter Monumente hundertmal ihren Mangel auf das Schmerzlichste empfand. Sic must so lang seyn, daß sie zur Noth über einen ganzen Triumph? bogen wegrcicht, und, wahrend der Hcrr auf der einen Seite hinansicigt, der Bediente sich auf der andern als Gegengewicht aufhängen kann. Sechs tens sorge man für die bestmöglichsten und bequemsten Waffen mit allem nöthigen Zugchör, ohne sie jedoch, wie viele Reisende pflegen, so gut einzupacken, daß man sich erst eine Viertelstunde nach dem Augenblicke der Noth ihrer bedienen kann. Siebentens endlich und sehr hauptsächlich, versorge man sich in Europa (am leichtesten in Paris) mit cincr Kiste Geschenke für alle Welt, vom Regenten bis zum letzten Beduinen. Zn empfehlen sind hierzu besonders Uhren verschiedener Art, brauchbare Sachen aus Bernstein, viel un« ächten Schmuck in Gold, wie iu Steinen, doch nur Ketten, Ringe, Halsbänder und Ohrringe, mit Vermeidung der Krcuzcsform, übrigens Alles 804 möglichst bunt, spielsachcn artig und geschmacklos, was überall nicht schwer zu finden ist; schr viele Schnupftabaksdosen in größter Abwechselung — denn ich habc, glaube ich, ganz vergessen, Ihnen mitzutheilen, daß die Beduinen fast uie rauchen, aber alle, selbst die kleinen Kinder schon, leidenschaftlich schnupfen — nur dürfen diese Dosen mcht mit Gemälden geschmückt seyn (höchstens des großen Napoleons Bild ausgenommen) da solche Darstellungen nicht beliebt sind, und gegen die Vorschriften der Religion anstoßen; ferner wohlfeile seidene Damcntüchcr, Fonlards und nachgemachte Cachemirs, auch Messer, Scheercn, Corallcn und Glasperlen, nebst Rosenkränzen von allen Compositions, Perspective und Kaleidoskope, wo möglich bunt ausgelegt, kleine Spiegel und elegante Pappsachcn, Iwt, pickl«« (eine große Delicateffc für die Araber) gutes englisches Schieß-pulvcr, auch Waffen, namentlich Stockdegen und Dolche, doch nie einfach gearbeitet. Ihre innere Güte ist indifferent, wenn nur, ächt oder nnächt. 205 viel Gold, Silbcr oder Steine sich darauf befinden; Schießgewehre betreffend, ist cs besser, sic ohne, als mit Percussion zu wählcn, besonders wenn die letzten ohne Hütchen sind. Kleine Atrappen, und einiger Taschcnspielerapparat könnten auch noch empfohlen werden, um die Eingcbornen in Erstaunen und gute Lannc zu versetzen. So ausgerüstet, und mit allcm Genannten reichlich versehen, kann cin Reisender der Wüste trotzen, nnd wird (im Fall er sich gehörig vorsieht, daß ihm nicht der Hals abgeschnitten wird) überall, wo er erscheint, sich nicht nur hoch geehrt sehn, sondern durch gcncrcuse Vcrthcilung seiner Geschenke bei allen Classen die höchste Freude erregen, und cin angenehmes Andenken von sich zurücklassen. Es liegt sogar cinc Speculation in dieser Handlungsweise, da der Werth der Gegcnpräsentc der Vornehmen, an kostbaren Pfcifcn, Pfcrdcn, Maul-thicrcn und wilden Bestien, türkischen Wasscn, Löwen- und Lcopardcnhäutcn u. s. w. nach aller Wahrscheinlichkeit bei der Rückkunft die ausgc- 806 gcbcncn Bagatellen bei weitem übertreffen, und dem Reisenden außerdem die wohlthuende Genugthuung gewähren wird, dem Einzigen, was heut zu Tage noch gilt, dcr Industrie, nicht ganz fremd geblieben zu seyn. Ich glaube hiermit, lieber Scheftr, in Gründlichkeit alles erschöpft zu haben, was man von meinen Fähigkeiten erwarten kann, und jetzt, als ein treuer und höchst fleißiger Arbeiter, dcr achtzig langer Tage schwere Last und Hitze unter afrikanischer Sonne zu Pferde und Esel getragen, und außerdem noch für jeden Tag im Durchschnitt cincn scincr Briefbogen für Sie vollgeschrieben hat — bis auf Weiteres freundlich entlassen werden zu können, und füge daher nur noch die aufrichtige Versicherung herzlicher Anhänglichkeit und Hochachtung hinzu, mit welchen beiden ich stets scyn werde Ihr ergebner Freund H.S. Neise-Journal. (Fortsetzung.) Tunis, den 30. August 1635. Am Morgen nach mcincr Rückkunft machte ich dem Vcy mcine Aufwartung, um ihm dcn aufrichtigsten Dank für stinc mannigfaltige Güte und seine verbindlichen Attentioucn zu sagen. Er empfing mich privatim, nicht ganz ohne Ncugicrdc und höchst freundschaftlich. So ängstlich dic hiesige» Fürsten und ihr Hof sind, sich im Anfang nichts zu vergeben, so vertraulich und ccrcmoniclos werden sic, wenn sie sich erst überzeugt haben, daß man 208 sic wedcr bcvorthcilen, uoch ihnen mankiren will; was sic bades leider oft von den Christen erfahren mußten. Der Bcy giug hcnte im Abandon der Unterhaltung so weit, mich zu fragen, ob ich wahrend mciner Reise viel geschrieben, und alle meine Begegnissc zu Papier gebracht hätte; für Jeden, der muhammcdanischc Sitten kennt, und die frühere Gleichgültigkeit und Unwissenheit, die für dergleichen Dinge hier herrschte, eine gewiß sehr auffallende Aeußerung. Er lachte herzlich, als ich ihm sagte: Seine Hoheit wisse, daß wir Christen die üble Gewohnheit hatten, nicht ohne Wein cristiren zu können, und ihm dann meine Calamität beschrieb, dcn Rebensaft vierzehn Tage lang nnr löffelweise, als Medicin, zu nur genommen zu haben. ") *) Jeder weiß, daß dir Muhammcbcmcr jetzt dcm Wein nicht weniger Gerechtigkeit wicdcrfahrcn lassen, als wir. Der selige Bcy war für seine Gesundheit ein zu großer Liebhaber davon. Als er schon srhr krank war, 309 Zuletzt hatte ich noch dic Gcnugthunng, dcs Pascha Versprechen zu erhalten, sogleich Befehle ertheilen zu wollen, daß cs von nun an nicht mehr gestattet seyn solle, die antiken Ruinen in seinem Lande zu beschädigen, noch zu andern Zwecken zn verbrauchen. Auch erlaubte er mir, im Fall deutsche Colonisien Neigung zcigtcu, sich im Königreich Tunis anzu-sicdclu, mich deßhalb direct an ihn zu wenden, und schien nicht abgeneigt, wenn die Sachen erst so weit gediehen wären, eine Ausnahme dcs Gesetzes zu genehmigen, welches Christen jcht noch nicht erlaubr, hier Eigenthum an sich zu bringen. Ich zweifle nicht, daß weun das Geschäft zweckmäßig behandelt wird, Seine Hoheit ganz disponirt ist, dergleichen Ansiedlern eine große Strecke dcs schickte ihm einer dcr Consul« als cine Stärkung vier Flaschen Portwein, und erfuhr am andern Tage zu seinem Schrecken, baß dcr Gcnnsi desselben dem Patienten fast das Leben gekostet hätte. Seine Hoheit hatte nämlich die vier Flaschen gleich auf einmal ausgetrunkcn. Semilasso in Afrika. V. 14 3W besten Landes für eine höchst undedeutcnde Abgabe gum völligen Eigcnthume zu überlassen, und bin zugleich überzeugt, daß dann cinc solche Speculation hier wcit reichlicher als in Amerika lohnen würde. Dock kann sic nur im Großen, und mit bedeutenden Geldmitteln zum Anfang versehen, ausgeführt werden, um einen glänzenden Erfolg zu sichern. Mcirsa, den 8, September. Alle gegenwärtige Consuln, wie andere Freunde, bceifern sich, mich bei meiner Rückkehr mit Artigkeit zu überhäufen, und ich benutzte die Muße, welche mir nun für eine kleine Müßiggangspenode geschenkt war, um eine schon oft wiederholte Einladung dcs englischen Consuls, einige Tagc bei ihm auf dcm Lande zuzubringen, anzunehmen. Sir Thomas Rcadc ist ein reicher und liebenswürdiger Weltmann, seine Gemahlin das Muster einer zugleich vielseitig gebildeten englischen Hausfrau — et o'o8t doaueoup äiio — und sein Haus vortrefflich eingerichtet, was nach der langen Vcduincnkost für mich doppelten Werth hatte. --Man kann sich also leicht vorstellen, daß ich hier 212 cine sehr comfortable und vergnügte Woche zubrachte. Gleich zum Anfang hatte ich das gutc Glück, Sir Grmvillc Temple's neues Werk über die Barbarei hier vorzufinden, von dcsscn noch wohl crhaltnem Andenken häufig während meiner Reift die Aeußerungen der Beduinen Zeugniß gaben. Außer dem vseliorid, den die Jahreszeit und die dort herrschenden Unruhen für den Augenblick' inacccssibcl machtcu, habc ich fast dieselben Gegenden und Orte mit Sir Grcnvillc berührt, und nachdem ich jetzt seine Beschreibung derselben gelesen, glaube ich mit Zuversicht sagen zu kdnncn: daß wir uns oft gegenseitig bestätigen, selten widersprechen, und in mancher Hinsicht ergänzen werden. So sind z. V. mcinc, auf irgend cinc Vollständigkeit so wenig Anspruch machenden Nachrichten sehr arm an copirtcn Inschriften, und dic Sir Grcnvillc's außerordentlich reich daran. Eben so habc ich oft die Namen der vuar's und der verschiedenen Vcduinenstämme 213 anzugeben versäumt, viele Ruinen nur schr summarisch beschrieben, und mich der Citationen aus alten Autoren vielleicht zu schr enthalten — in welchen Dingen allen Sir Grcuvillc weit fleißiger, sorgfältiger und dctailirtcr erscheint. Dagcgcu isi vielleicht meine regellose, der Phantasie und dem Eindruck des Augenblicks sich gern hingebende Erzählungsart an pittoresken Schilderungen der Natur und Menschen etwas reichhaltiger. Ich will damit durchaus nicht zu verstehen geben, daß wer Sir Grenvillc gelesen, auch mich noch lesen solle, aber umgekehrt rathe ich es gcwisi einem Jeden an, damit cr gleich mir Unterricht und Vergnügen aus diesem schr verdienstlichen uud angcnehmcu Buche schöpfe. Bei dieser Gelegenheit will ich jedoch noch flüchtig erwähnen, daß Sir Grcnville hinsichtlich 8»ilku,-'s — das Wort a,88ura8 fälschlich für del, Namen der Stadt ^.88u,-a lesend ^ iu seiner Hypothese über die ehemalige Vcncummg des Orts offenbar geirrt hat. Eben so bei '1'wla, indem cr die alte Stadt 214 dicscs Namens aufgefunden zu haben glaubt, ob< gleich die Menge des besten Auellwafsers rund umher, die ihm ganz entgangen seyn muß, nach seiner cigcncn Citation des Sallusi's, unwidcr-sprcchlich das Gegentheil beweist, wie ich selbst schon im Tert berührte. Ucbrigcns bcschcidc auch ich mich gern, daß meine hingeworfene Voraussetzung: die fragliche Stadt könne ^uooa ^«i-«-bimlmm seyn, ebenfalls ungcgründct seyn wag, indem Sir Grcnvillc diese (auf mir selbst wahrscheinlichere Weist) weiter rechts entdeckt zu habe» versichert. Leider ist jedoch Alles hierüber so wenig evangelisch gewiß, und die alten Geographen selbst so incract, daß außer unbestreitbaren Inschriften, welche die Sache direct aufklären, wie z. V. cbcn bei 8autur, immer Zweifel übrig bleiben werden. Am Ende gehören dergleichen Nachforschungen auch fast mehr in das Fach der Liebhaberei, als daß sie einen sehr reellen NMn gewährten, wo nicht historische odcr geographische Räthsel aufzuklären sind. Denn dies abgerechnet. sl5 hat das Todtc »,nd Vergangene cigcmlich uur Werth und Interesse, in sofern wirkliches Leben sich darin von Neuem wicdcrspiegclt; cin Grunde satz, von dem ich, für meine Person wcnigsicnö, sicts auszugehen pflege. Um mich deutlicher auszudrücken, cin Gleichniß: die geschichtlichen Begebenheiten sind nur cin rohes Material, crsi dcr Historiker erhebt sic'zur wahren Geschichte. Dies bringt mich auf Sir Thomas Bibliothek, die so viel interessante arabische Bücher und Ma-nuscriptc enthalt, daß ich den Freunden dieser Literatur einen Gefallen zu erzeigen hoffe, wenn ich eine Lisic derselben hier beifüge, dcr ich bei (incr andern Gelegenheit einige Auszüge aus Nro. 6(1, dcm Roman dcr voiliamiua folgen zn lassen gedenke.") Die Güte und Vercinvilligkeir, ") ^iste der arabischen Manuscripts im Vositz Sir Thomas Neadc's, englischen General-consuls zn Tnnis. 1) Ein Werk iiber die Reit- und Kriegskunst. 2) Ueber dir (Mlcr dicscö und jenes Bebens. 2t« womit Sir Thomas allc Schätze dieser Art, deren er sehr mannigfaltige besitzt, den Besuchern 3) Ueber Medicin (fehlt die erste Seite), s Zwei Commcntarc über den Koran. ti) Geschichte drs Propheten (drei Theile). 7) ditto (mit fehlendem Anfang). 8) Gebetbuch. N) Arabische Grammatik. IN) Wunder der Heiligen. 11) 8eil Lllill/^I's Novellen. t2) Nac^elli Lüda's Grammatik. 13) Tractat über die Heiligen. 14) Ein persisches Manuscript. 15) Commcntar über die Begleiter Muhammeds, und über dic Schwierigkeiten des Korans, vom Jahr 916. W Die Geschichte Joseph's, des Sohnes Jakobs. 17) Unterricht in der ^ehrc der kona, oder der Kunst wahrzusagen. 18) Geschichte von Afrika, seit der Zeit der Nömer in Carthago. 217 seiner reizenden Villa Zu beliebiger Benutzung überlaßt, erhöhen noch den Wcrlh einer Gastfreiheit 19) Kali^. Die Kunst dic Dinge zu untersuchen. 20) Verschiedene Betrachtungen über dic Religion. 21) Vermischte Gegenstände und Gedichte. 22) lla^x Uiimmucla Leu ^dcl Ull^nls Geschichte der Regierung ^.li Ley's. 23) Eine Abhandlung über die Höflichkeit. 24) Die Principien aller Wissenschaften. 25) Ueber die Religion. 26) Ueber Chemie. 27) Commentar zur Ehre des Propheten. 28) Naturgeschichte. 29) Vier Theile einer allgemeinen Geschichte der Welt. 30) Ilnclsei«: Hammuöa's u. s. w. Geschichte von Tunis. 31) Tractat über Religion. 32) Ueber bürgerliche und religiöse Gesetze. 33) Ueber die arabische Sprache. 34) Ueber Religion. 35) H.dnu iilliäun's Geschichten (incomplct). 36) Ein Wörterbuch. 218 im bcsicn englischen Styl, wclchc in dicscm Thcilc der Welt nothwcndigcrwcift zu den Seltenheiten 37) Ueber die arabische Sprache. 38) 8icli llaiecl über dieselbe. 39) Ein audreö ditto. 40) Commentar über die arabische Poesie. 41) Noch ein Werk über die arabische Sprache. 42) Geschichte Aegyptcns. 43) Tractat über die muhammcdanischen Gesetze. 44) Ueber arabische Sprache. 45) Briefe im Arabischen und Türkischen. 46) Ueber Religion. 47^ 48 49 > Noch mehr Commentarien über arabische Sprache. 50 5l. 52) Von der Religion. 53) Sechzehn Theile Universalgeschichte. 54) Gebetbuch. 55) Der Koran. sl9 gerechnet werden mnß. Man kann sagen, daß er für die Fremden seiner Nation ein offenes Haus halte, weshalb man auch Alles, was bc-mcrkenswcrth unter solchen Gasten ist, sicher daselbst antrifft. Dies verschaffte mir bei meinem jetzigen Besuch die angenehme Bekanntschaft sämmtlicher Offiziere der Corvette Orestes, namentlich des jnngcn Befehlshabers derselben, Capitain Codrington, Sohn des berühmten Admirals, nnd selbst einer der liebenswürdigsten Engländer, den ich scit lange gesehen. Er focht schon in dem zarten Alter von sechzehn Jahren mit in der Schlacht von Navann und ward während derselben zweimal verwundet. Vei Erwähnung dieser Begebenheit 56) Ueber Religion. ö7) 5 Arabische Sprache. 59) Dreizehn Theile vom Noman ^ntUar. l)0) Dreiund zwanzig Theile des Romans der Del-kainmH Von AaÜ8cl»1 Idu Ilisolian. 220 erzählte cr mir, daß eine hübsche Spaniolhündin, die cr noch immer mit sich führt, und dic uns durch ihre Kunststücke sehr amüsittc, die Gefahren dieser Schlacht ebenfalls bestehen mußte, ftitdcm aber eine solche Furcht vor dem Feuer bekommen hat, daß sie jetzt bei dem ersten Kanonenschuß, der auf dem Schiffe gelöst wird, augenblicklich im tdnä äo oalo Zuflucht sucht, und nicht eher wieder zum Vorschein kommt, als bis aller Pul-vcrdampf sich verzogen hat — ein Umstand, von dem ich übrigens gern zugebe, daß cr vielleicht nur für einen so großen Liebhaber der Naivität der Thiere, wie ich bin, Interesse haben mag. Eines Tages führte mich mein ungcmein verbindlicher, gefälliger und unterrichteter Wirth zu einem alten Mauren, der das seltene Alter von 108 Jahren erreicht hat. Ich war erstaunt, einen noch wunderschönen, höchst reinlichen Greis zu finden, dessen Gesicht, aus den edelsten Zügcn geformt, kaum Runzeln zeigte, und der auf seiner Ottomane im blendend weißen türkischen Anzug sitzend, mit 23! dcm langen Silbcrbart dcn imposantesten Anblick gewahrte. Dcmungcachtct ist cr intcllcctucll völlig in dcn Zustand der Kindheit zurückgekehrt, und wird von seiner Fran, einer gcborncu Russin, förmlich wic von einer Amme gewartet. Vcmcrkcnswcrth ist es, daß cr auch kcinc andere Nahrung als Milch mchr zu sich nimmt, und nicht mehr gehen kann; denn so kehrt im rein natürlichen Wege die menschliche Organisation zuletzt völlig und regelmäßig zu ihrem Ausgang zurück. Doch sieht und hört cr noch vollkommen, aber das Einzige, was cr von dcn Gewohnheiten dcs früheren Lebens beibehalten hat, ist: zu schnupfen. Als wir kamen, gab ihm die neunjährige Tochter des Sir Thomas, Miß Margucrittc, ein reizendes Kind, die auf ihrem kleinen Pony über Stock und Block mit uns hcrgaloppirt war, die Hand und redete ihn arabisch an, worüber cr in ein herzliches Gelächter ausbrach, einige Worte mur-mclnd, die Niemand verstehen konnte. Beim Abschied grüßte cr frcnndlich und würdevoll, ein 822 Ausdruck, dcr scincr sonst fast impassible» Phy-sioguomie fortwährend blieb. Die Verhältnisse, in denen dieser Mann zu Sir Thomas sieht, sind sehr merkwürdig. Als dcr englische Consul vor acht Jahren hierher t'am, sasi Ilasoll ^uilis im Gefängniß, wegen einer bedeutenden Summe, dic cr dem jetzt verstorbenen Vcy schuldete. Man wandte sich an Sir Thomas und bat um seine Fürsprache beim Pascha. Dieser trug lange Bedenken, sich in eine Sache dieser Art zu mischen, doch endlich siegte das Mitleid, welches cr für den alten Mann empfand, und cine günstige Gelegenheit wahrnehmend, trng cr 8icli Hassan seine Bitte vor. Dcr Bey horte ihm lächelnd zu, und besaht, daß man seinen Scerctair rufen sollc, dcm cr einige Worte ins Ohr flüsterte. Nach einiger Zeit kam dieser mit einem Papier zurück, das dcr Bey untcrsiegcltc, und zu sich steckte. Hierauf fing cr von andern Gegenständen zu sprechen an, und Sir Thomas glaubte schon eine stillschweigend abschlaglichc Antwort erhalten zu 223 habcn. Im Begriff abcr sich zu beurlauben, zog der Vcy das erwähnte Papier wieder aus der Tasche, und es dcm Consul in die Hand drückend, sagtc er: „Hier ist ein kleines Andenken, lassen Sic sich den Inhalt übersetzen, wcnn Sic nach Haus kommen." Sir Thomas freudige Verwunderung war nicht gering, als er sich bei seiner Rückkehr im Besitz einer Quittung des Vcy's über 117,000 Piaster sah, die Ilasok ^uui» schuldete, begleitet von einem Befehl, dcm alten Mann außerdem noch cincn bcdcuteudcu Theil seines coufiscirtcn Eigenthums zurückzugeben; so daß ihm hierdurch nun für den Rest seiner Tage cin anständiges Auskommen gesichert blieb. Gewiß, dies war königlich gehandelt, doch tritt die Generosität des verstorbenen Bcy's vielleicht uoch glänzender bei folgender Begebenheit hervor, die mir Sir Thomas im größten Detail mittheilte. Meine gütigen Leser erinnert» sich vielleicht noch aus Iussufs Erzählungen eines sicilianischcn 224 Großen, der auf cincr Lustfahtt von den Var^ barcskcn gefangen, und mit scincr ganzen Suite zu Sclaven gemacht ward. Dics war dcr Fürst von Patcrno; dic Summe von 1,500,000 Piastern aber, dic cr für seine Freilassung verschrieben, und die das neapolitanische Gouvernement garantirt hatte, war untcr hundert Vorwandcn immer unbezahlt geblieben, und im Jahr 1825 noch nicht getilgt. Um jene Zeit erhielt, auf Ansuchen dcr neapolitanischen Regierung, Sir Thomas von seinem Hofe Befehl, alles anznwcndcn, um diese Sache zu Ende zu bringen, und wo möglich die crorbitantc Snmme des Ldstgcldcs auf einen billigeren Fuß zu rcducircn. Sir Thomas eilte sogleich, dcu neapolitanischen Consul, Don Rcnato di Martino, von der erhaltenen Instruction in Kenntniß zu setzen, von der cr suppomren mußte, daß sie ihm sehr angenehm seyn würde. Dies schien jedoch keineswegs dcr Fall, im Gegentheil versicherte dcr Neapolitaner, dasi jetzt durchaus nicht dcr Zeitpunct sey, dieses höchst litzlichc und 225 Verwickelte Geschäft zur Sprache zu bringen.. Sir Thomas begnügte sich, seine guten Dienste anzubieten, und dcm neapolitanischen Consul zu überlassen, dic ihm günstig scheinende Gelegenheit zu ergreifen. Doch füns Jahre vergingen, und ohngcachtct aller Erinncrnngcn von Seiten des englischen Consuls, ward nichts gethan. — Dies. schien irgend einen versteckten Grund zu haben, bald erfuhr Sir Thomas in der That, dasi Don Rcnaw regelmäßig alle Jahr 3l)ttl) schwere Piaster von seinem Gouvernement bezog, unter der Firma cincs Geschenks an die Minister des Pascha, um sie zum Schweigen über die schuldige Summe zu bewegen. Sir Thomas beschlosi nun allein zu handeln. Ohne dem neapolitanischen Consnl ein Wort davon zu sagen, ließ cr den Vcy um eine Privataudienz ersuchen, und als ihn der Pascha, nur von seinen Vertrautesten umgeben empfing, bat cr Seine Hoheit, auch diese noch entfernen zu wollen, und ihm ein geheimes Gespräch unter vier Angcn zu gestatten. Der Vcy gewahrte die Semilasso in Afrika, v. 15 32S Bitte sogleich, führte Sir Thomas in sein Cabinet, schloß selbst die Thüre desselben ab, und ersuchte den Consul, ganz frei zu sprechen. Nachdem dieser seinen Vortrag gemacht, und darin besonders die persönlichen Wünsche des englischen Souvcrains hervorgehoben hatte, stand der Bey, welcher mit großer Aufmerksamkeit zugehört, auf, öffnete die Thür, und befahl seinem ältesten Sohlte, ihm ein rothes Kästchen zu holen, dessen Platz er ihm in einem Geheimfach seines Schlafzimmers andeutete. Als es gebracht und der Prinz wieder entlassen worden war, zog 8iäi Hassan einen kleinen Schlüssel aus dem Busen, und ihn nebst dem Kästchen Sir Thomas reichend, sagte er: „Hierin befinden sich alle meine Schuldverschreibungen, sucht selbst die des Fürsten Patcrno heraus." Der Consul fand sie bald und überreichte sie Seiner Hoheit. «Nun,« fuhr der Bey fort, «muß ich Euch sagcu, daß ich das vollkommenste Recht zu dieser Forderung zu haben glaube. Abhandeln lasse ich mir auf keinen Fall etwas davon, denn »27 ich bin kcin Kaufmann — aber einc Gelegenheit, den Kduig von England persönlich zn verbinden, will ich nicht ungenutzt vorbeigehen lassen und so mache ich mir ein Vergnügen daraus, Eurem Monarchen mit dieser Vcrschrcibung cm freundschaftliches Geschenk zu machen." Mit diescn Worten gab cr das Papier in Sir Thomas Hände zurück, dcr kaum Worte genug finden konnte, seinen Dank für einc so großartige Handlungsweise auszudrücken. Er bat Seine Hoheit nur noch, über die ganze Transaction, wcnn es ihm gefiele, ein vollkommenes Stillschweigen zu beobachten, bis die Antwort der bttrcssendcn hohcn Mächte eingelaufen sey. Dies versprach der Bey, und hielt cs so sireng, daß weder ein Mitglied seiner Familie, noch sein Minister ein Wort von der Sache erfuhr bis im April 1831 ein eigenhändiges Dankschrcibcn des Königs aus England an den Bcy anlangte, nebst großen Belobungen für Sir Thomas, begleitet von dem neapolitanischen Commandeur-Kreuz des Ordens Franzcsko des 228 Ersten. Jetzt crsi hörte auch der Consul dieser Macht, was geschehen, nud erschien, statt erfreut, in voller Verzweiflung bei seinem College», dcnn — denn in demselben Augenblicke, und als der Bey schon seine Forderung im Geheim aufgegeben, hatte er cbcn von Neuem die jährlichen 3t)W Piaster zur Begütigung der Minister bezogen, und hielt sich in Folge dessen für einen Verlornen Mann. Es gelang Sir Thomas indeß, die Sache in Neapel beizulegen, Don Rcnato blieb und starb als neapolitanischer Consul in Tunis, und sein Bruder bekleidet, glaube ich, noch jetzt diesen Posten. Ein merkwürdiges Beispiel von Undankbarkeit ist es, daß die Familie Patcrno (in sofern sie nicht ausgcstorbcn ist) nie auf irgend eine Weise Sir Thomas ein anerkennendes Wort für einen so großen geleisteten Dienst zukommen ließ. Nicht immer waren cs blos Geldsachen, in denen der englische Consul seinen Credit zu Gunsten der Nothleidcndcn geltend macktc. Er hatte auch die Genugthuung, zwei armen jungen Leuten das 229 Leben zn rcttcn, cincm Juden und einer Maurin, die man ans verbotncm Umgang ertappt hattc. Dcr Bcy selbst konnte nur auf Umwcgcn sic dcr geschlichen Straft entziehen, auf welcher die Geistlichkeit hartnäckig bestand. Dic Frau ward nach den Xoi-kiilH's geschickt, und wit dem Juden erschien eines Morgens ein Mamclnck auf der Marsa, mit dcr Botschaft: hier sende dcr Bcy Sir Thomas das Individuum, welches ihm sein Leben verdanke, zur beliebigen Disposition. Da der Jude unter französischem Schutze stand, dcr Consul aber sich mit dem Geschäftsträger jcucr Nation damals nicht im besten Vernehmen befand, lieferte er ihn an Herrn Gai, einen hiesigen französischen Kaufmann ab, dessen Dankschrcibcn dafür ich gclcftn habc. Man sieht aus alle dem, wic traitabcl die barbarischen Mächte sind, wenn man mit ihnen umzugehen und ihr Zutrauen zu gewinnen weiß. Man kann sich denken, daß ich nicht so lange in Sir Thomas Hause zubringen konnte, ohnc 239 häufige Conversations! mit ihm übcr Napoleon zu haben. Er theilte mir sogar mehrere Actcn-siücke übcr die Verhältnisse in Helena mit, die allerdings mich von Neuem von der Nützlichkeit^, der Vorschrift überzeugten: ^ulliattii- c>t allor» par». Ich will mich jedoch hier auf diese Contro-verse nicht einlassen und nur so viel bemerken, dasi, angenommen Sir Hudson Lowe sey zu tadeln, doch sein Adjutant und Freund schwer anders handeln konnte, als er gethan, auch die vcrschiednen „HMllaviw« mehrerer Offiziere deutlich beweisen, wie sehr Omcara übertrieben, und die Sachen nach seinem Sinn und zu seinem Vortheil dargestellt har; daß endlich Napoleon, vielleicht zum Theil aus politischen Gründen, dcn Gouverneur vielfach gereizt, wird ebenfalls klar, doch isi dies keine Entschuldigung für cin amtlich ausgeführtes Ressentiment von Seiten Sir Hudson Lowe's, und die Welt wird immer finden, daß Napoleon's Ruhm durch Alles, was in Helena vorgegangen, weniger gelitten hat, als der Englands, oder vicl- 231 mehr seines damaligen Gouvernements. Privatpersonen, so weit sie blos die Befehle dcs letzteren ausführten, können billigcrwcisc dafür nicht zur Rechenschaft gczogcn werden. Unter dem, was Sir Thomas gelegentlich über Napoleon äußerte, fielen mir drei Dinge auf. Erstens, daß er bei der Obduction so fett befunden wurde, als habe man ihn, nach Sir Thomas scherzhaftem Ausdruck, regelmäßig gemästet, woraus die Engländer wenigstens den Beweis ziehen wollen, daß sie ihn keinen Mangel leiden ließen. Zweitens, daß scin Herz weit großer war, als man es bei andern Menschen zu finden pflegt. Drittens endlich, daß cr keinen Priester beim Sterben haben wollte, und man diesen erst herein zu lassen wagte, als cr schon halb besinnungslos war; was nicht ganz mit der früheren Aeußerung Napoleons harmonirt, die Matintosh in seinem Tagebuch so originell findet: ?,^o m« 33s ^liulmino ÜU l?ullo par politiyu0)" sagte damals dcr Kaiser (ich crinncrc mich nicht mehr zu wcm), «mai» au rost« ^« uo «ui« PU8 wu^ il sgit »au» roliüian." Dcn 16. September. Dcr Comfort, dcr mich umgibt, und die Un-gcnirthcit cincs angcuchmcn Landlebens lassen mich fast glauben, hier wieder im gutcn Altcngland zu seyn! Alles ist wie dort: das gesellige Frühstück, dcr muntre Spazierritt in Miß Marguerite's und Mr. Tom's, dcr lieblichen Kinder Gesellschaft; das solide Din6 mit gccistcm Champagner und vortrefflichem Clarct, dem dcr obligate Schluß mit einem Glast Madeira, welcher die Linic passirt hat, nie fehlt, die heitre Abcnduntcrhaltung beim Thcctisch, eine gewählte Bibliothek, ein mit allen englischen Bequemlichkeiten reichlich ausgestattetes Haus, und vor Allem die zuvorkommende und doch nie lästig werdende Gastfreundschaft 234 meiner liebenswürdigen Wirthe — man sieht, es fehlt an keinem nöthigen Element zum Lebensgenuß. Indcß, jedes Ding hat seine Zeit, und so freundlich ich auch noch zurückgehalten wurde, ich mußte endlich an den Abschied denken, obgleich ich die ^l)(i«Iia (Schloß des englischen Consuls) und seine ausgezeichneten Bewohner nur mit Bedauern verlassen konnte. Doch ließ mich Sir Thomas nicht ohne ein sehr wcrthvollcs Gcschcnk von sich, wie in diesem Augenblick nur er es machen kann, nämlich einen jener zierlichen Tische, aus vielfachen in den Ruinen von Carthago aus-gegrabenen Marmorstückcn zusammengesetzt. Der meinigc, welcher rund ist, zeigt als Medaillon auf schwarzem Grunde das wohlausgcführtc Bild einer punischcn Münze im Besitz des Gcucralconsuls, rund umher mit einer geschmackvollen Mosaik der kostbarsten antiken Marmorartcn verziert — gewiß ein für mich in jeder Hinsicht schr schätzbares Andenken. 235 Noch ctwas muß ich erwähnen, wcil es einen Gegenstand betrifft, der mir von allgemeiner Wichtigkeit zu scyn scheint. Was mich nämlich immer bei respectable» englischen Familien innig erfreut hat, ist die liberale, freie und naturgemäße Erziehung, die sie ihren Kindern geben, eine Erziehung, dcr ich allein die kräftigere physische Constitution, wie die größere moralische Selbst-ständigkeit zuschreibe, welche offenbar die.Engländer, besonders dcr gebildeten Classen, vor den andern Nationen des Continents auszeichnet. So sah ich auch hier cmcn nur sechsjährigen Knaben, dcr ohne den geringsten Eintrag seiner Kindlichkeit schon alle Spuren des sich frei entwickelnden Männlichen, gleich den reichen Knospen einer kerngesunden Pflanze, an sich trug. Unter andern ritt dies zarte Kind täglich mit uns ans, nur von fern und fast ihm unmcrklich mit Vorsicht beobachtet, sonst aber in seiner wahren Kühnheit sich ganz selbst überlassen. Einmal scheute sich sein Pfcrdchen, lief querfeldein und streifte, ich gestehe zu meinem 236 größten Schreck, dm Knaben an dem starken und niedrigen Ast eines Feigenbaums voll reifer Früchte ab. Wer hattc sich aber an meiner Stelle einer gerührten Frcndc erwehren können, als ich den kleinen Jungen, statt zn schreien nnd um Hülfe zu rufen, sich mühsam mit der linken Hand am Aste fest halten sah, um — während er sei» Pferd ruhig davon laufen ließ — mit der rechten sich schnell zwei der besten Feigen zn pflücken, worauf er dann erst, als sey gar nichts Besondres vorgefallen, auf den Boden hcrabsprang. Seitdem nannte ich ihn nnr den kleinen General, und sah den Vortheil der Freiheit, auch bei Kindern, ein. Ein andrer verehrter Freund, und eine andere geschätzte Familie, der ich für viel genossene Güte gleichmäßig verpflichtet bin, erwarteten mich nnr wenige tausend Schritte weiter, und am Abend, an welchem ich die ^.lxiolia verlassen, war ich in Herrn von Nysscns anmuthigcr Villa von Neuem häuslich ctablirt, mitten unter den schönen Blumen, die dem Leser schon bekannt sind. Das Hans 237 war während dcs letzten Monats zweimal durch cinen räuberischen Einbruch fremden Gesindcls in Allarm gesetzt und auf Herrn von Nyssen selbst, als er das Fenster öffnete, fast u bout pm-taut, eine Pistole abgefeuert worden; die jungen Damen hatten, wie Tauben, wenn der Geier auf sie niederstößt, zitternd sich da und dorthin geflüchtet, und zehn bis zwölf Schüsse, welche von ihren Brüdern und dem übrigen Hauspcrsonal auf die sich nur langsam rctirircnden Räuber gerichtet worden waren, verfehlten alle ihr Ziel. Die Sache machte viel Aufsehn in der Marsa, und die Meinungen waren sehr getheilt über dcn eigentlichen Zweck dcs Attentats. Einige schrieben es dcr Rache, Andere toller Liebe, die Familie selbst nur Dieben zu. Nun, die Unbekannten mögen seyn, wer sie wollen, kommen sie jetzt zum drittenmal, so wollen wir bestens helfen, sie gut zu empfangen. Hanit il Dschäsch, den 18. September. Bis jetzt herrscht dcr vollkommenste Frieden in unserm freundlichen Landhausc. Ich selbst habe das Zimmer dcr jungen Damen bezogen, in welches die Räuber von dcr nahen Terrasse zweimal einzudringen versuchten; mein einsames Nachtlicht wic das offen gelassene Fenster locken sie aber noch immer vergebens zu einer dritten Probe. Ich finde hier gewissermaßen die Idylle nach der Epopäc; es ist die wahre Repräsentation dcr beiden Länder, ich meine Hollands nach dcr von England. Alles ist hier freilich kleiner und ländlicher, aber dennoch nicht weniger vorzüglich in seiner Art. Dieselbe Bequemlichkeit, cm gleich 239 gutes Leben, dieselbe Frische und scrnpulosc ächt holländische Reinlichkeit. Hinsichtlich der Güte und Artigkeit aber, die man mir beweist, können beide Familien nicht übcrttoffcn werden, nnd wcnn ich die meines biedern Freundes dc Montcs noch hinzufüge, so darf ich wohl sagen, daß ich nicht leicht einen Aufenthalt mit gerechterem Dank erfüllt verlassen habe, als den, welchen mir abwechselnd diese drei Häuser darboten. Bei alle dem bcfiudcn wir uns noch immer in Tunis, wie auf einer im Lauf der Zeit vcr-gcsincn Insel, zu der der Wcg nicht mehr bekannt ist — dcnu die unerträgliche Quarantainc daucrt mit derselben Strenge fort, und Niemand wciß, fast schon scit einem halben Jahre, ein Wort von seinen europäischen Frcuudcn. Mein Wirth erwartet überdies mit Sehnsucht seinen zweiten Sohn und seinen Schwager von Holland, und muß nun nur wünschen, dasi sic nicht kommen, damit sie nicht unvcrrichtctcr Sache wieder zurückgeschickt werden. So kam vorigen Monat cm Franzose hcrgcsegelt, 340 um seinc Mutter zu besuchen, die er stit zwanzig Jahren nicht gesehen. Die arme Frau konnte nur von fern scincu blauen Frack erkennen, und ihm durch das Sprachrohr einen Grusi zurufen, dann musitc das Marseiller Schiff, welches ihn hergebracht, sich gczwuugencrwcise schleunig entfernen, und scgcltc nach Malta. Dort ward es ebenfalls nicht angenommen, und hierher zurückgeschickt. In Tunis abermals zurückgewiesen, blieb ihm nichts übrig, als die letzte retrograde Bewegung wieder heimwärts nach Marseille zu machen. In einem Vaudeville konnte cinc solche Reise sehr spaßhaft dargestellt werden, aber in der Wirklichkeit mag sie keine geringe Geduld? probe seyn. Der Schwager des Herrn vonNysscn, dessen ich obcn erwähnte, ist der witzige Verfasser der Eantatc, die ich im dritten Baude dieses Buchs mitgetheilt habc; und dic Geschichte dieses Mannes hat für mich etwas Merkwürdiges, weil sie cinc jcncr, im Anfang kaum beachteten Schickungen 34t enthalt, dic hernach dcn ganzen Lauf dcs Lebens, im Guten oder im Schlimmen, entscheiden. Herr Humbert, cm junger Lieutenant von wenig Vermögen und geringer Protection, war als Adjutant dcs Oberstlieutenant Franke vom holländischen Geniecorps, dcn sich der Vcy zum Bau der Golctta ausgcbctcn hatte, hiehcr gekommen. Da er einigemal seine abweichenden Meinungen gegen dcn Oberstlieutenant, vielleicht mit zu viel Warme, geäußert, ward dessen Unwille in solchem Grade erregt, daß cr erklärte, ihn nicht ferner in seiner Umgcbnng behalten, und nähme das Gouvernement hierauf kcinc Rücksicht, sogleich selbst zurückkehren zu wollen. Ilammuäa I'asolia arrangirtc dic Sache, indem cr Hcrrn Humbert, mit Genehmigung der holländischen Regierung, provisorisch in seinen eigenen Dienst nahm, und ihn zur Vermessung der Hauptstadt, wic zn ihrer Umgebung mit Mauern, und anderen kleineren Befcstigungswerkcn in der Nahe cmplovirte. Obgleich dies vor der Hand dem jungen Offizier Semilasso in Afrika. V. Iß 342 cine ganz bcqucmc Lage verschaffte, so hattc cr doch für die Zukunft, und endlich nothwendiger Rückkehr in den holländischen Dienst, immer nur die Aussicht auf eine sehr beschränkte Carriere. Nachdem er cinc geraume Zeit auf diese Wcisc hier zugebracht, führte der Zufall auf einem gekaperten Schiff deu Vencdictincrpatcr, Fclir Caroni, als Gefangenen hiehcr. Herr Humbert fand Gelegenheit ihm einige kleine Dienste zu leisten, und aus Dankbarkeit schlug der Pater, der bei Hnmbert viel Lust zum Stndium der Numismatik bemerkt hattc, vor, ihm darin taglich einige Stunden regelmäßigen Unterricht zu ertheilen. Dies geschah, und in solcher Ausdehnung, daji cr nach und nach das ganze Fcld antiquarischer Forschuugcu mit einschloß. Nach einigen Jahren übertraf der Schüler den Meister, und begann die erlangten Kcntmssc practise!) zur Sammlung von Münzen und Kunsigcgcnsiandcn anzuwenden, soweit cr sich die Mittel dazu nur verschaffen konnte. Im Laufe der Zeit ward dicsc 343 Sammlung in hohem Gradc bedeutend, und fast einzig in ihrer Art. Die holländische Regierung hörte davon, und zeigte Neigung zu ihrem Anlauf. Herr Humbert verließ den Dienst dcs Pascha, der ihn nicht weiter brachte, schiffte sich mit seinem Cabinet nach Holland ein, und machte dort cin so gutes Geschäft mit demselben, dast ihm nicht nur ein auscheuliches Vermögen daraus erwuchs, sondern cr auch cinc lebenslängliche, lucrative und höchst angenehme Anstellung von der Regierung erhielt. Für dcrcn Rechnung bringt cr jetzt, in steter Vermehrung dcr Kunsischatzc derselben begriffen, sein Leben Zwischen Italien und Holland auf die seinem Geschmack angemessenste und befriedigendste Weise, in fortwährenden Reisen zu, und hält sich selbst für cincn glücklichen Mann. Es scheint offenbar, daß ohne die Gcfangcn-nehmuttg des guten Paters, Herr Humbert sein ganzes Leben über ein armer, hart arbeitender OapUaiuo «iu Konio geblieben wäre. 2^ Als mir Herr von Nyssen diese Details mittheilte, machte er eine Schilderung jener Sclavcnzeit, die ciuc wahrc Erbitterung gegen die damalige niedrige Politik der großen cnropäischcn Mächte in jedem menschlichen Znhbrcr hervorrufen muß; denn hatten England nnd Frankreich nicht ihren Privatvvrthcil im Daseyn der Raubstaatcn gefunden, wie hätten diese so lange, vcrthcidigungs-los wie sie sind, znr Schmach Europa's ihr Wesen treiben können. Man muß aber gcstchn, daß sie nur mit grandioser Unverschämtheit ihren Vortheil zu benutzen wußten. Folgende in den Consular? acteu befindliche Auccdotc ist ein merkwürdiger Beleg dazu. Einc französische Corvette war in Algier angekommen, und das Offizicrcorps machte bald daranf einen Spaziergang in der Stadt. Die Wache eines der Forts passirend, wurden die Christen mit spottenden Redensarten von den vor dem Thore sitzenden Soldaten empfangen, und einer derselben ging so weit, durch ein höchst unanständiges Zeichen den am nächsten bei ihm vorbei- 2^5 gchcndcn Offizier gröblich zu insultircn. Dieser, in der vollen Uniform scines Souverains beleidigt, schlug dcn Türken ins Gesicht, was schnell einen allgemeinen Aufruhr veranlaßte, dcn jedoch der herbei gekommene Commandant des Forts für dcn Augenblick stillte, und dcn französischen Offizieren dic Weisung ertheilte, sich sogleich nach ihrem Schiff zurückzubegeben, bis cr dem Dcy Rapport von der Sache gemacht habe. Sobald der Dcy vernommen, daß ein Türkc von cinem Franzosen geschlagen worden, gcricth cr in den größten Zorn und licß ohne Weiteres den französischen Consul mit der Kette an einem Bein gefesselt in dcn Haftn bringen, um Rechenschaft von dem Betragen seiner Landslcutc zu geben. Der Consul suchte sich nnd diese so viel als möglich zu entschuldigen, und deutlich darznthnn, daß sie keineswegs dcr angreifende Theil gcwcstn waren — es half jedoch zu nichts, und der Dcy, ohne sich auf eine weitere Antwort einzulassen, befahl dem Consul, augenblicklich seinem Gouvernement zu melden, wie cr pcrcmptorisch als 246 Satisfaction verlange, daß der französische Offizier, welcher den Türken geschlagen, in Gegenwart einer türkischen Commission und des Gemißhandelten, auf dem französischen Schiffe selbst, fünfzig Stockschlagc nach dem Gebrauch des hiesigen Landes auf die Fnßsohlcn erhalten solle, widrigenfalls er sich als im Kriege mit Frankreich von diesem Moment an betrachten werde. Unddicscs ward vom französischen Gouvernement, nach einigen schwachen Bemühungen, die harte Sentenz abzuwenden, zugestanden. Nachdem die Exekution an dem unglücklichen Offizier vollzogen war, warf der Befehlshaber des Schiffs, der während derselben mit seinem Fernrohr in halber Agonie nach dem Mccrc geschaut, dieses dem Türken wüthend vor die Füsie, dasi es in Stücke zersprang, und schoß sich selbst, in der Verzweiflung über die erlittene Demüthigung, eine Kugel durch den Kopf. Dies geschah M Zcit des guten Ludwigs des Sechzehnten. Tunis, den 'i. October. Scit acht Tagcu bin ich hicher zurückgekehrt, wo ich von Neuem in das Joch des Stadtlebeus eingespannt, statt dcr duftenden Atmosphäre der Marsa, wicdcr die Cloakcnluft dcr Hauptstadt cinathmen muß. Dies Tunis ist, maurisch betrachtet, eine große Residenz, vom europäischen Gesichtspuuctc aber angcschn, und was diese europäische Gesellschaft selbst anbetrifft, kleinstädtisch im höchsten Grade. Lächerliche Zwisiigkeitcn und Klatschereien aller Art haben so viele Familien mit einander entzweit, daß ein Fremder nicht geringe Mühe hat, sich durch alle diese kriegführenden Mächte als Neutraler hindurch-zuwindcn, ohnc sich Einen zum Feinde zn machen. 248 weil cr dcn Andern freundlich gegrüßt, oder sich dicscs Haus verschlossen zu sehn, wcil cr cinc Einladung in dem der Antagonists angenommen hat. Was mir am auffallendsten hiebci erschien, war, daß daselbst die wenigen, hier ohnedies so isolirt und ziemlich freudenlos cristircnden fremden Consuln, in demselben Zustande dcr Pitantcrie, Bronillcric, Vencidung und Eifersucht leben, und dies oft, höchst undiplomatisch, so weit treiben, daß öffentlich aller andere als dcr rein officielle Geschäftsverkehr unter ihnen aufgehoben wird. Natürlich müssen die Schwächeren hierbei schr dcn Kürzeren ziehen, und ihre respective» Gouvernements selbst zuweilen darunter leiden. Dcmun-gcachttt schienen mir grade diese oft dcr angreifende Theil zu scyn, was dcr Ncid crklart, die Vernunft abcr nicht billigen kann. Bei uns ist dcr Titel eines Consuls von geringer Bedeutung, hier abcr, wo durch die besondern Beziehungen zu einem halb barbarischen Gouvernement, dem sie zum Theil Gcsctzc vor- 249 schreiben, die Consuln wirklich cm sehr cinsiuß-reiches diplomatisches Corps bilden, fühlen sic auch Alle lebhaft ihre Wichtigkeit, und machen recht eigentlich dic Aristokratie dcs europäischen Tunis aus. Es gibt ciuigc schr gebildete und klugc Leute darunter, natürlich auch Andere, dic beides weniger sind, ja sogar welche, bei denen man kaum begreift, wie ihr Gouvernement cinc solche Wahl treffen konnte. Individuen der letzteren Art habcn allerdings durch gelegentlich gezeigten Hochmuth und zu weit getriebene Prätensioncn (dic natürlich von ihnen grade am wenigsten zu ertragen waren) Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben. Besonders wurden mir von einem dieser kleinen Consulardcspotcn, über dessen Naivitäten cin ganzes Buch — u"u geschrieben werden könnte, die seltsamsten Geschichten erzählt. Ich würde es kaum glaubcu, wenn ich es nicht selbst gcsebcn hatte, dasi dieser Agcut seine Passe und Entscheidungen stets mit den Worten unterzeichnet: >,D«nli6 ä»u8 lo 250 was um so lächerlicher ist, da diese hochtrabende Residenz nur in cincm eben so elenden und übcl? ricchcndcn kleinen Hause besteht, als es alle übrigen in Tunis sind, nnd der Consul selbst nur für ciuc der Mächte zweiten Ranges functionirt, die hicr keineswegs den Herrn spielen können, obgleich deren Repräsentanten allerdings über die Mitglieder ihrer eigenen Nation eine fast unumschränkte Gewalt ausüben. So entscheiden sie auch in allen Rechtssachen über sie in erster und letzter Instanz. Man zeigte mir cm Erkenntniß dieser Art aus derselben erwähnten Fabrik, das eben so königlich anfing: „Xnu8«t<:. «<>«. lloorolou» ol,e." — wobei die Spaßmacher nicht unterließen zu bemerken, daß vor fünfzehn Jahren (wo der Consul ans sehr tiefer Stufe angefangen haben soll) er statt ,,dcm Schiff; jcdcr glaubt stine letzte Stunde gekommen, und Alle wollen sich nach der Ocssnung stürzen, die auf das Verdeck führt. Wir bcfindm uns in völliger Dunkelheit, denn 268 alle Lichter sind verlöscht. Unterdessen dringt das Meer mit Macht ein, und in einem Augenblick stehen wir bis an die Knicc im Wasser — ich gcstchc, daß auch ich das Versinken unseres Schisses ganz nahe glanbtc. Dennoch faßte ich mich und suchte nach der Mitte vorzudringen, was nicht ohnc viele, rechts und links ausgetheilte, Schlage bewerkstelligt werden konnte; denn diese elenden Juden und Malteser, von denen die ersten ihren Gott, die andern die Jungfrau anriefen, hatten den Kopf gänzlich verloren. Einer der Matrosen entdeckte endlich, mit mir umhcrtappcnd, den Leck, durch den das Wasser einströmte; ein großes, wollnes Kissen, das ich unter meiner Hand fand, diente uns dazu, um das Loch glücklich zn stopfen. Wir hatten aber nur einen einzigen Eimer am Vord, dessen wir uns bedienen konnten, um das Wasser auszuschöpfen, das uns sehr incommodirtc; denn wir konnten nns nicht mehr setzen, und mußten in dem niedrigen Raume gebückt uns auf unsern Füßen stehend zu erhalten suchen." 269 „Jetzt stieg ich auf das Verdeck, und konnte nun erst dic Lage völlig beurtheilen, in der wir uns befanden. Dic Nacht war rabenschwarz; der Regen, mit Hagel vermischt, fiel in Strömen; der Sturm raste — die chctivc Barke lag völlig auf einer Seite, und ihr Rand streifte das Meer. Es schien unmöglich, daß sie sich wieder erheben könne, und alles, was nicht festgebunden war, rollte mit dumpfem Ton in die Fluchen. Oft siand das Schiff in dieser schiefen Richtung fast aufrecht, und sank dann schwerfallig wieder in die Tiefe. Dann schwebten haushohe Wellen über unsern Häuptern, schon glaubten wir nns von ihncn begraben, da flog das Fahrzeug, wie von unsichtbarer Gewalt gestoßen, wieder in die Hohe, eine neue Welle trng uns fort, und warf uns einem neuen Abgrund zu." „Bisher ganz unbekannt mit den Schrecken eines Sturmes, hielt ich beim Anblick dieses Schauspiels, im Anfang jeden Augenblick für unsern letzten, doch bald gewöhnte ich mich daran. 270 und empfand zuletzt sogar cine Art wilden Vergnügens, die Gewalt jcdcs neuen Stoßes, nach dem stets vorhergehenden Krachen des Schiffs zu beurtheilen. Es kam mir vor, als wcnn ich ein Duell mit dem Meere bestünde, und dieser Gedanke belebte und erheiterte mich.«« «Der Matrose, den ich beim Auspumpen des Wassers zurückgelassen, rief jetzt herauf und verlangte abgelöst zu werden, da ihm Niemand helfen wollte. Es waren nur zwei Matrosen auf dem ganzen Fahrzeug, von denen der zweite oben mehr als zu nothig war. Sie baten daher, daß ein Passagier sie unterstützen möge, doch Niemand wollte angreifen. Da auch meine Bitten nichts fruchteten, nahm ich, um die Trägen zu stimulircn, selbst wieder den Eimer in die Hand und ging an die Arbeit — ich hatte aber mit Schuften zu thun, die fern von jenem Ehrgefühl waren, welches man immer, auch unter den gemeinsten Classen unscrcr Franzosen, zu finden sicher ist. Sie ließen mich ruhig als Pnmpc 271 agircn, und als mich die Ermattung aufzuhören zwang, fand ich Niemand meinen Platz einzunehmen. Die Geduld verlierend, applicirtc ich ihnen verschiedene Ohrfeigen und Fußtritte, ohne im Stande zu seyn, sie zu irgend einer Thätigkeit zu bewegen. Ich gcricth zuletzt in cine solche Wuth, daß ich schon im Begriff war, cincn der nichtswürdigcn Malteser ins Mecr zu werfen, als der arme Bogo (ein Freund, welcher den jungen Offizier begleitete), der fast bewegungslos an der Seekrankheit dalag, ihn an den Beinen zurückhielt, und ihn so dem Mahle der Haifische entzog.« »Vier Uhr früh. — Die Vuraskc, welche cinc Zeitlang etwas nachlassen zu wollen schien, wird von Neuem stärker, das Steuerruder dicnt zu nichts mehr, und Niemand kann sich auf den Füßen erhalten. Alle die auf dem Verdeck sind, binden sich an irgend etwas Schweres an, und bald darauf kollert ein Jude, der sich eine leere Kiste dazu gewählt hatte, mit ihr zusammen in das Meer; auch ich werde losgerissen und falle 27s in den untersten Raum, mitten unter einen Haufen betender Hebräer, noch einmal erhebt sich das Schiff wie dnrch cin Wunder, cs crsolgt cinige Ruhe, und ich gchc wieder au mcwcn Posten dcs Wajserausschöpfens. Wir haben uur noch cincn Fuß hoch davon am Bodcn. In diesem Augenblick packt uns cin ncucr Windstoß und drcht das lateinische Segel (voilo iatwo) um sich selbst, das Schiff wird plötzlich angehalten, und durch den Olwo umgedreht, so daß cs jetzt sein Vorder-theil dcm Wiudc darbietet. Der Capitaiu und sein Sohn stürzen sich auf das Segel, und cs gelingt ihnen noch, cs wieder in scinc vorige Lagc zu bringen; nach ihrer Aussagc lvarcu wir sonst ohne Rettung verloren." „Dcr Tag fing nun an zu dämmern, und erlaubte uns einigermaßen die Ordnung wieder herzustellen. Das Meer war dcmungcachtet schrecklich anzusehen, und wir flogen mit entsetzender Schnelligkeit darauf fort. Doch hörten die jäh-lingcn Stoße auf, die Gefahr schien vorübergehen 273 zu wollen, und als wir um drci Uhr Nachmittags den Haftn von Biserta erblickten, ließen uns einige täuschende Sonnenblickc bald eine vollständige Aufklärung des Wetters hoffen. Man kann denken, mit welcher Sehnsucht wir nach den Thürmen von Viserta hinschauten; neue schwarze Wolken, die am Horizont drohend heranzogen, verkündigten uns indeß nichts Gutes, uud in kurzer Zeit heulte auch der Sturm wieder mit seiner alten Wuth; dazu waren unsere zwei Matrosen so total ermattet, daß sie nicht mehr vermochten, die Befehle ihres Capitains ordentlich auszuführen, der für seine Person noch immer mit leidlicher Contcuance am Steuerruder saß.« «Um fünf Uhr befanden wir uns am Eingang des Hafens. Hier trat neue Sorge ein, denn diese Passage ist sclbst bei dem geringsten Winde schon gefährlich. Iedcr hält in der Erwartung des Kommenden den Athem au, ein tiefts Schweigen herrscht, und nie werde ich diesen kritischen und feierlichen Augenblick vergessen. Wir sollten durch Semilasso in Afrika, v. 18 274 ein tobendes Gewühl von Wcllcn dringen, die sich wie cin Gebürgc vor uus aufthürmtcn; alle Segel mußten dazu aufgespannt wcrdcn, und das unsere ist unzulänglich. Da kündigt uns ein krachender Stoß den Verlust der letzten Hoffnnng an — das Steuerruder ist zerbrochen, und ohne dem Schiff eine weitere Richtung geben zu können, bleiben wir cin Spiel der Winde. Man wirft den Anker aus, und wir rnfen mit dem Sprachrohr den Einwohnern, die den Molo zu füllen anfangen, zu, uns cin Tau zu senden. Doch die Gefahr ist so groß, daß Niemand es unternehmen will. Endlich weiß dcr französische Consul durch Nietung großer Summen drei Mauren zu bewegen, das Wagstück auszuführen. Unterdessen bricht die Nacht cin, und unsere Lage wird immer vcrzwciflungs-voller, da unser Anker zu weichen ansangt, "nd wir jetzt mit Gewißheit den Moment vor uns sehn, wo unser Schiff an den Ufcrfelsen zur Rechten zerschellen muß. Mit unsäglicher Mühe und Gefahr gelingt es zwar den drei Mauren, 375 uns zu erreichen, doch haben sie kaum Zeit sich in das Schiff zu werfen, wcil dic Planken ihres Kahns sich von einander lösen. Dcr Strick, dcn sie mitbringen, wird dem einen Matrosen zugeworfen , um ihn an unserm Kabel zu befestigen und uns so in dcn Hafen zu bugsircn — doch der Unselige, wie von einem bösen Geiste verblendet, bindet dcn Strick, statt an dcn Kabel, an das Fahrzeug selbst. Zu schwach, um dieses zu halten, reißt er nach wenig Minuten entzwei, und da dcr Kabel dcs Ankers schon abgehauen ist, treibt uns dcr Sturm angcnblicklich nach dcn Felsen. Noch hat man die Zeit, das Segcl wicdcr aufzuspannen, und gcgcn unsere Erwartung gewinnen wir ftit-wärts das hohe Meer wicdcr. So nähert man sich glücklich cmcr sandigen Ufcrstellc und hofft dort mit geringerer Gefahr das Schiff auflaufen zu lassen, da aber kein Mittel mehr vorhanden ist, dasselbe zu gouvcrnircn, so drcht cs sich, und dcm Ufcr seine lange Scitc darbietend, blcibt cs mitten iu dcn tobenden Wellen auf einer Sand? 276 bank fest. Unser Zustand war fast ohne Hoffnung, denn in wenigen Minuten mußten nun die Wogen das Schiff auseinander rcißcn. In diesem Augenblick warfen sich fünf der Reisenden in's Meer, mein armer Freund Vogo war einer von ihnen. Sie verschwanden fast augenblicklich darauf und Keiner erreichte lebend das Ufer. Noch unentschlossen, was zu thun sey, stand ich, mich fest anklammernd, auf dem Hintertheil des Schiffs, gegen das die riesengroßen Wellen sich brachen und mit solcher Gewalt über mich hinweggingen, daß ich mehrmals nahe daran war von ihnen erstickt zu werden. Endlich versuchte ich nach dem Vordcrtheil zu dringen, um eine mir sehr werth-volle Brieftasche zu mir zu stecken; doch hatte ich mit größter Anstrengung kaum einige Schritte gethan, als eine neue Welle mich ergriff, und widcrsiandlos mit sich in die Tiefe hinabriß. Da ich ein ziemlich guter Schwimmer bin, hoffte ich, sobald ich wieder empor kam, das Ufer gewinnen zu können, aber meine vom Wasser schwer 277 gewordene Uniform hindcrtc mich bald an ftcicr Bewegung, doch gelang cs mir, mich meiner Stiefel mit Hülfe dcr Sporcn zu entledigen, und allc Kräfte anspannend, sah ich mich schon dcr sandigen Küste nahe, als eine hohe widcrwogcndc Welle mich weit in das Meer zurückwarf. Dies war dcr Augenblick, wo ich mit tiefem Schmerz dieser irdischen Existenz Lebewohl sagte, ich fühlte mich zu erschöpft um länger schwimmen zu können, und Allcs, was ein letzter Instinct dcr Erhaltung möglich werden ließ, war, mich auf den Rücken zu legen, und mich durch cinc schwache Vcwcgung der Ellenbogen und dcr Vcinc noch übcr dem Wasser zu erhalten; wie im halben Traume fühlte ich, daß mir etwas auf die Brust sicl, und verlor von da an alle Besinnung." „Meine letzte Stunde war indeß noch nickt gekommen. Einer dcr am Ufer Stehenden bemerkte mich an einem augenblicklich auftauchenden Fuße, als ich von Neuem dem Ufer zugcschwcmmt wurdc, warf sich selbst zu meiner Rettung in's Mccr, und 278 nach wcnigcn Minuten begrüßte ich, schon dem Tode Verfallener, wieder das ncugcschcnktc Leben. Doch hatte ich Alles, was mein war, verloren, und noch hat mich cm hartnäckiges Fieber, als Folge der zn heftigen Vcrkältung, nicht wieder verlassen." »Sey gesegnet dcmungcachtct, du glücklicher Schissbruch, der mich in die Arme meiner süßen Helena geführt!« »1'. 8. Ich habe vergessen zu sagen, daß im Moment der höchsten Gefahr das Schiff von der Sandbank losgerissen, und ans Ufer der flachen Küste geworfen wurde, wo es wenig Minuten darauf borst, und die Wellen es einzeln verschlangen. Doch war diese kurze Frist hinlänglich, den größten Theil der sich noch auf demselben befindenden Passagiere, Weiber und Kinder, zn retten.« Tunis, den 10. October. Einc andere gehaltvolle Bekanntschaft machte ich an Herrn Honncggcr, einem deutschen Architekten, dem ich zugleich die Aufklärung einiger Zweifel bei den von mir angeführten Inschriften, wie dic kleine Chartenst'izzc verdanke, die ich, einzig zur Bequemlichkeit und Orientirung der Leser, ohne irgend eine Prätcnsion geographischer Genauigkeit, diesem Buchc beigefügt habe. Herr Honnegger, der mit eisernem Fleiß alle Kenntnisse und Talente vereinigt, die für einen Reisenden in diesen Weltgcgendcn wünschenswcrth sind, und nach einem zweijährigen Aufenthalt in Tunis, so wic mehreren bedeutenden Ercnrsioncn im Innern das Arabische sich vollkommen zu eigen 280 gemacht — hat dcu colossalen Plan gefaßt, von hier über I'omduew, durch den Mittclpunct Afrika's über dic Mondbcrgc nach dem Vorge-bürge dcr guten Hoffnung zu dringen. Bekanntlich ist cine Expedition vom Cap, schon seit einigen Monaten, in derselben, nur umgekehrten Absicht, wenn ich mich so ausdrücken darf, abgegangen. Es isi daher nicht unnwglich, daß sich beide unterwegs begegnen. Der Prospectus der bisherigen Reisen des Herrn Honncggcr wird nächstens in Deutschland bckauut gemacht werden, uud das Werk sowohl Kunstgcgeustandc, als altc und neuere Geschichte des Landes, Geographie, Naturgeschichte u. s. w. umfassen, welche Fächer alle bisher sehr wenig gründlich ausgebeutet worden sind. Vorläufig nur die interessante Notiz, daß Herr Honneggcr, seiner Versicherung nach, tief im Atlas den Steinbruch aufgefunden hat, welcher den Römern den (Flälla aittlLo lieferte, so wie den wahren Lotosbaum dcr Lotophagen, den er als groß. 881 mit dunkclgiüncn glänzenden Blättern beschreibt, und der Eigctlschaft mit den herabhängenden Acsien neue Wnrzeln zu fassen. Dic Frucht ist gurkcnfdrmig. Den 43. October. Eine griechische und eine jüdische Hochzeit, dcncn ich in diesen Tagen beiwohnte, gewährten mir ein ncncs nnd ziemlich seltsames Schauspiel. Die erstere war die des interessanten Schiffbrüchigen, voll so lächerlicher Ccrcmoniccn, dasi selbst der griechische Pfass einigemal in das allgemeine Gelächter mit einstimmte. Die Krone von Holz und Band auf dcm Kopfe dcs Chasseur? offiziers nahm sich eben so wunderbar ans, als die Ermahnung dcs Priesters, daß er seiner Frau untcrthanig seyn solle. Braut und Bräutigam mußten wahrend dcr ganzen Operation eine brennende Kerze halten, und bevor dcr Geistliche ihnen die Ringe ansteckte, drückte er diese auf 283 verschiedene Theile ihres Körpers, worauf er das Brautpaar, laut singend, zehn bis zwdlfmal um den Tisch herumführte. Zur Stärkung für diese lange Promenade hatten sie jedoch vorher Wein und Brod erhalten. Den Schluß machte cin allgemeines Gcküssc der ganzen Gesellschaft. Die jüdische Feierlichkeit bot noch Auffallenderes dar. Als wir in die Stube traten, die von Damen und Herren vollgepfropft war, welche Letzteren alle ihre Hüte auf dem Kopf behalten hatten, bemerkten wir, uns gegenüber, vor dem Fenster cincn Tisch, auf dem, mit Gold und Geschmeide behängen, cin weibliches Wesen mit zugemachten Augen, und bis an die Tischeckcn ausgebreiteten Beinen, auf einigen Kissen, so bewegungslos dasasi, daß ich sie in vollem Ernste für eine Wachsfigur hielt. Es war jedoch die Braut ii» pi-ozu-ia z,«i-8 und da cr diese gewöhnlich mit eben so wenig Tact auswählte, als dem armen Mann auch in andern Dingen beiwohnte, so wurden in der Ncgcl bei dergleichen Gelegenheiten mehr Leute beleidigt als ausgezeichnet. Das Unglück wollte nun, daß unser beklagend werther Freund ebenfalls eine Einladung zu einem 303 solchen Feste erhielt, ohne im Geringsten zu wissen, was ihm bevorstand, noch — wie wir in der That schon früher mehrere Beispiele davon gehabt haben — daß in diesem heißen Clima eine anf keine Weise auszuweichende Langeweile, wenn ihre Dauer das Maaß der Billigkeit überschreitet, und sie mit schlechten Nahrungsmitteln verbunden wird, auf sehr nervöse Naturen tödtlich einwirken kann. Schon ehe das erwähnte ominöse Mittagsmahl seinen Anfang nahm, welches füglich „Herrn Scmilasso's Henkersmahlzeit" genannt werden darf, waren die Gäste, welche außer unserm Freund und mir, aus vcrschiednen Kaufleuten und vier Consuln mit ihren rcspectiven Damen bestanden, genöthigt, übcr eine Stunde in cincr frisch mit Ocl angestrichenen Stnbe, die einen fast unerträglichen Geruch verbreitete, peinlich sitzen zu bleiben; eine sehr üble Vorbereitung zum Essen! Und als endlich der Koch fertig war, schien selbst der cs meldende Lakey (wahrscheinlich ein in Livree gesteckter ehemaliger Ladcndicuer) so ungewöhnlich 304 darüber erfreut zu scyn, daß cr im Vorsaal, vor unser Aller Augen mit glcichcn Füßcn wic ein Polichinell in dic Höhe sprang, und dann mit triumphircndcr Stentorstimme sein: „8«rviw" durch dic offene Thür in dcn Salon hcrcinschric. Scmilasso, bereits nicht wenig befremdet über dicsc ihm ganz neuen Sitten, schickte sich indeß, als der einzige Fremde in der Gesellschaft, pflichtschuldigst an, der Frau vom Haust dcn Arm zu geben, als Herr I^dakm hcrbcisprang, und ihm verlegen ankündigte, das heutige Din6 sey für dcn Consul N. N. bestimmt, der folglich auch Madame führen müsse. Scmilasso sah ihn verwundert an. »Hier ist der Arm meiner liebenswürdigen Nichte," fuhr der Diplomat eifrig fort, «heute müssen Sie sich schon damit begnügen, aber,« setzte cr mit huldreichem Lächeln hinzu, „Sie dürfen nicht glauben, daß dies mein letztes Din« ist — erlauben Sie mir im Gegentheil, Ihnen anzukündigen, dast schon das nächste Ihnen zu Ehren scyn wird, und cs versteht sich, daß 305 dann anch Nicmand als Sic Madame 2'adaliw zur Tafel geleiten wird." „Mein Gott," sagte Scmilasso, crrdthcnd, weil Aller Augen auf.ihn blickten, und mit ciner bitter-süßen Miene, dcr ich cs schon ansah, daß cr sich weit wcg wünschte, »cs ist mir ganz einerlei, wclchc Gefährtin Sic nur bestimmen, abcr ohnc Zweifel ist hier cin Irrthum vorgefallen — denn da Sie mir eben selbst ankündigten, daß Ihr Dino gar nicht für mich, sondern für cincn Andern bestimmt ist, so werde ich weder Ihre Frau, noch Ihre Nichte zu führen das Glück haben, sondern, mit Ihrer gütigen Erlaubniß, wieder nach Hause gehen." O wäre cr bci dicscm heilsamen Vorsatz geblieben, vielleicht cnsiirte cr noch! Abcr cr ließ sich gutmüthig durch viele kaudcrwälsche Entschuldigungen unsers wunderbaren Wirths bereden, und die ihm grade gegenüberstehende Ehehälfte desjenigen Consuls bei dcr Hand ergreifend, der als Held des Tages erklärt worden war, schritt Scmilasso in Afrika. V. MO 306 er, obwohl, wie ich deutlich bemerkte, voll finstrer Ahnungen, mit dem hippokratischcn Ausdruck cincs tiefen Ueberdrusses auf allcn Zügen, langsam dem Eßsaalc zu. Nachdem man, nach dieser lächerlichen Scene, noch cinc Viertelstunde gebraucht hatte, ehe dic durch Zettel bezeichneten Plätze von allcn Personen gcfnndcn und eingenommen werden konnten, begann nun, schwül und schwer, wie wenn der erstickende Wind der Wüsic weht, die lange, nerven-lähmende Geduldsprobe! Stuudcn auf Stunden vergingen in immer trostloserer Monotonie, ohne daß mein leidender Freund, weder durch Schlaf sich erholen, noch selbst, von nichtssagendem Geschwätz bald da bald dort fortwährend unterbrochen, sich eignen, lindernden Gedanken überlassen konnte. Das fnrchtbare Ungeheuer der Langeweile schien, wie ein Alp, mit schwarzen Fittigen sich auf ihn niedergelassen zu haben, und ihn mit gräßlicher Schadenfreude langsam erdrücken zn wollen. In der immer beklemmender werdenden 307 Angst glaubte cr sich einmal, obgleich unglücklicher-weist, wie cr mir nachher erzählte, ohne Hunger, aber crmuthigt durch dcn unstillbaren Appetit seiner schönen Nachbarin, die dcn Inhalt eines bcladencn Tellers nach dem andern schweigend beseitigte, ebenfalls mit Essen zu helfen; aber ein schon in starkes Fümet übergegangener Schinken und ein mir verdorbenem Ocl afsaisonirtcr Fisch, verleideten seinem zu verwohnten Gaumcn jede ähnliche Bemühung. Als cr hierauf beim Weine Zuflucht suchte, zog ihm cin angeblicher Iohannis--bcrger den Mund so schmerzlich znsammen, daß cr von nun an, kein Rettungsmittcl mehr auffindend, sich in seinem ohnehin schon überreizten und bedenklich krankhaften Zustande, einer dumpfen Verzweiflung gänzlich hingab. Ich war vielleicht der Einzige in der Gesellschaft, der als Arzt und Scelcnkenncr, die ganze Gefahr dieses vcrhängmß-vollcu Augenblicks richtig würdigte, aber leider stand schleunige Hülfe nicht in meiner Macht. Endlich — denn Alles cndct — schlug zwar mit 308 Einbruch dcr Nacht die Stunde dcr Erlösung, doch für mcincn unglücklichen Freund war cs bereits zu spat! Kaum hatte er noch Kräfte genug, um an mcincr Hand nach seiner Wohnnng zu wanken, wo er sogleich zu Vett gebracht werden mußte, und ihm in Kurzem ciu hitziges Nerven-ficbcr alles raubte, was er von Verstand besitzen mochte, welcher auch seitdem nur in höchst unbedeutenden, homöopathischen Quautitätcn wiederkehrte. In seinem Delirium hörte man nichts als abgebrochene Worte, die sich aber alle auf seine traurige Katastrophe bezogen, als: „Schauderhafte Langeweile .... Erbarmungsloser 1'adüllic) .... Abommablcr Schinken .... Hochvcrrather am Iohannisbcrg .... Mörder der Unschuld .... Hängcnswerthcr Koch .... und dergleichen Unsinn, dcr aber hinlänglich die mir schon damals incurabel erscheinende Verfassung dcr Scclc des Patienten anzeigte. Ich bemerkte im Verfolg dcr Krankheit, daß unsres Freundes rabenschwarzes Haar — dessen 309 schöne Farbe sogar in cincm ihn betreffenden Zeitungsartikel, den ein hiesiger, hebräischer Dilettant in den Marseillcr 8omazckm-o einrücken ließ, ausdrücklich gerühmt ward — binnen vier Wochen weiß geworden war, ein Umstand, der bei großem Kummer nicht selten isi. Beiläufig muß ich hier doch erwähnen, daß in jenem Artikel schon im Voraus die sonderbare Fnrcht geänßcrt wurdc: „Herr Semilasso, der in Europa für einen schlimmen Satyrikcr gelte, sey wohl mir nach Tunis gekommen, nm sich über die dortige Gesellschaft, wie früher über die englische Aristokratie, lustig zu machen. Dennoch meinte der Dilettant, daß dieser Fremde gar nicht so liberal scvn mdgc, als er glanbcn machen wolle, wie wenigstens cin hicr kürzlich vorgefallener Rangstreit desselben zn beweisen scheine." Als Deutscher mnsitc ich bei dieser Stelle herzlich lachen, denn mir fielen gleich unsres Kotzcbnc drollige Kleinstädter cin, wo der Bürgermeister auch gegen Sperling ängstlich ausruft: 310 „Gott! was wird der Minister, was die Residenz über Krähwinkel urtheilen, wenn man dort erfahrt, wie es bei uns zugeht!« Was aber den falschlich snpponirtcn Rangstreit betrifft, zu dcm gar keine Möglichkeit vorhanden war, so haben Ew. Wohlgcborcn schon des Breitesten gelesen, was einem Ununtcrnchtctcn wahrscheinlich zu dieser Voraussetzung Gelegenheit gegeben hat. Doch ich kehre zu unserm Kranken zurück. Nach einem langen Schmerzcnslagcr, worauf zwar die physischen Functioncn desselben wieder ihren normalen Gang annahmen, der Geist aber stets gestört blieb, war eines Morgens Herr Scmilasso plötzlich verschwunden. Man würde gar nicht wissen, was aus ihm geworden, wenn nicht später einige Beduinen, die in den Ruinen von IMina wohnen, ausgesagt hätten: daß am Abend des zweiten Tages, nach welchem wir in Tunis seine Abwesenheit bemerkt, cin sehr krank und verstört aussehender Mann, Freitag gegen Abend, mit einer brennenden Laterne 31! in dcr Hand, bci ihncn eingetreten, und sie in gebrochenem Arabisch gebeten, ihn nach dem Eingang cincs unterirdischen Ganges zu führen, der sich bis zum Ilammam-Iiol (ein hoher Berg zwei Stunden von Tunis) erstrecken soll; zu welchem Ende er ihncn hierauf auch noch eine Collonatc gegeben. Es sey geschehn, wie dcr Unbekannte gewollt. Sobald sie an der Ocssnung angelangt, habe dieser ein Hm ol vu^a (Chamäleon) aus dem Busen gezogen, ihm zärtlich gclicbkost, und mehrere Worte in einer unbekannten Sprache zu ihm geredet, worauf er sogleich mit seiner Laterne hinabgcsprungcn, und ohne Aufenthalt in dem dunklen Gangc weiter geeilt scy, wahrend sie außerhalb stehen geblieben. Bald nachher sctztcn sie hinzu, wäre dcr Schein des Lichts gänzlich verschwunden, und da habe es ihncn gebaucht, von fcrn ein lautes Gespräch zu hören, in welchem sic cine weibliche Stimme deutlich zu unterscheiden glaubten, als plötzlich cm donnerartigcs Gekrach Monte, und sie uicht weit davon einen Pfeiler 3l2 alten Gemäuers unter einer hochaufsicigcndcn Stanbwolke in die Erde sinken sahen. Daranf zueilend............... Nachschrift der geheimen Titular-Gcsellschaft. Hier findet sich eine schr unangenehme Lückc in dem vorliegenden Schreiben; wahrscheinlich beim Ocffncn der Briefe dnrch die (keineswegs blos tituläre) geheime Polizei dadurch veranlaßt, daß cin ungeschickter Anfänger das Endc des Schreibens abgerissen und nicht wieder herzustellen gewußt hat. Hiernach bleibt uns nun nicht nur das eigentliche Endc unsers Herrn Collcgcn, sondern selbst der Name des interessanten Arztes verborgen, 313 dem wir die obigen Nachrichten verdanken, und der ohne Zweifel schon langc vergebens anf stin wohlverdientes Honorar wartet. Daß indcß Herr Senülasso jedenfalls für das Publikum verloren ist, und nicht, wie er zu kühn sich anmaßte, seinen vorletzten, sondern wahrscheinlich nun schon seinen letzten Wcltgang zurückgelegt hat, darf leider nicht mehr bezweifelt werden. Lebte er auch noch, so konnte es doch nur, entweder mit ......... Geiste, oder auf eine so gehcimnißvolle Weise in unterirdischen Klüften, der Himmel weiß in welcher Gesellschaft, seyn, daß in beiden Fallen für die Oberwelt nichts mchr von ihm zn erwarten sieht. Unser Bund verliert durch dieses traurige Er? cigniß eine seiner gechrtcstcn Stützen, und zugleich einen seiner unermüdlichsten Mitarbeiter, der in jeder Hinsicht die schönsten Hoffnungen gab; denn ungeachtet seiner verhältuißmäßigcn Jugend war er schon in jene erhabene Classe der Weisen cinge-treten, die wir in unsrer Geheimsprache: die gelbe 314 Loge, odcr dic der ........... zu benennen pflegen — und welche unter gewissen Umständen zu den höchsten Posten im Staate qualificirt. Wir dürfen uns hier nicht klarer anssprcchcn, aber viele verehrte Gelbe im Vatcrlandc, jetzt in Amt und Würden, werden uns zu ergründen vermögen. Den Eingeweihten diene das hier beigefügte Zeichen zur fernern Nachricht und Richtschnur: 0 V 0 w + w 0 V 0 Ende des fünften Tlieils \ / • I Arabesken von Ludwig Bechstein. 8. br. 1 Thlr. 3 gr, oder 1 fl. 48 kr. rhcin. Inhalt: I. Die Elemente. — II. Aphorismen und Betrachtungen über cin Dutzend kleine Wörtlein. III. Der Traum der Nachtigall. — IV. Die Thränen. — V. Von einigen alten deutschen Sprichwörtern. — VI. Die Engel des Lebens. VIl. Philosophie und Poesie. — VIII. Naturstimmen. — IX. Der Spaziergang. — X. Die Küße. — XI. Die Blume und das Menschenleben. — XII. Cypresscnkranz auf das Grab eines Freundes. (Aus einer Rezension: Jenaer Lit. Zeit. 1632. Nr. 23l.) In allen Schöpfungen dieses Dichters thut sich ein reichbcgabtcr Geist kund, cln tiefes Gemüth und die Fülle einer Phantasie, die bald in üppiger Farbenpracht sich gefällt, bald--mit geheimen und doch immer angenehmen Schauer ins düstere Neich des Wunderbaren uns hinüberführt. Nebst allem diesem fesselt ein Reichthum an neuen Ideen, eine Gewand-hcit der Sprache und eine Leichtigkeit der Darstellung an seine Werke, und macht ihn unS so vertraut und lieb, als ob schon cin langjähriger Umgang ihn uns befreundet hätte. — Die „Arabesken" reihen sich dem Besten ihres Verfassers an. Stuttgart. Hallberger'sche Verlagshandlnng. Stuttgart. ^Hallbcrger'schc Verlagshandlung.