Alexander von Humlwldt's Reise in die AeMnoctial-Gegenden des neuen Continents. In deutscher Bearbeitung von Hermann Hanff. Nach der Anordnung und unter Mitwirkung dcs Verfassers. Einzige von ?!. v. Humboldt ancrkanntc Ausgabe ln dlUtschcr Spracht. Vierter Band. Stuttgart. I. G. C o t t a ' sch e r Verlag. 1862. «uchdluckeiti ler I. G. Votta'sch«n Buchhandlung in Stuttgart unb Augsduig. Siebzehntes Kapitel. Gebirge zwischen den Thälern von Aragna und den Llanos von Caracas. — Villa de Cura. — Parapara. — Llanos oder Steppen. — Calabozo. Die Bergkette, welche den See von Tacarigua oder Valencia im Süden begrenzt, bildet gleichsam das nördliche Ufer des großen Beckens der Llanos oder Savanen von Caracas. Aus den Thälern von Aragua kommt man in die Savanen über die Verge von Guigue und Tucutunemo. Aus einer bevölkerten, durch Anbau geschmückten Landschaft gelangt man in eine weite Einöde. An Felsen und schattige Thäler gewöhnt, sieht der Reisende mit Befremden diese baumlosen Savanen vor sich, diese unermeßlichen Ebenen, die gegen den Horizont aufzusteigen scheinen. Ehe ich die Llanos oder die Region der Weiden schildere, beschreibe ich kürzlich unsern Weg von Nueva Valencia durch Villa dc Cura und San Juan zum kleinen, am Eingang der Steppen gelegenen Dorfe Ortiz. Am 6. März, vor Sonnenaufgang, verließen wir die Thäler von Aragua. Wir zogen durch eine gut angebaute Ebene, längs dem südwestlichen Gestade des Sees von Valencia, über einen Boden, von dem sich Humboldt. Rcls«, IV. 1 die Gewässer des Sees zurückgezogen. Die Fruchtbarkeit des mit Calebassen,. Wassermelonen und Bananen bedeckten Landes setzte uns in Erstaunen. Den Aufgang der Sonne verkündete der ferne Lärm der Brüllaffen. Vor einer Vaumgrupfte, mitten in der Ebene zwischen den ehemaligen Eilanden Don Pedro und Negra, gewahrten wir zahlreiche Banden der schon oben beschriebenen ßimi» ursinn, (^i-gFuaw), die wie in Procession äußerst langsam von Baum zu Baum zogen. Hintcr einem männlichen Thier kamen viele weibliche, deren mehrere ihre Jungen auf den Schultern trugen. Die Brüllaffen, welche in verschiedenen Strichen Amerikas in großen Gesellschaften lebcn, sind vl'c/fach befchll'ebe/?. I/l dn Lebe/lsweise kommen sie alle überein, es sind aber nicht überall dieselben Arten. Wahrhaft erstaunlich ist die Einförmigkeit in den Bewegungen dieser Affen. So oft die Zweige benachbarter Bäume nicht zusammenreichcn, hängt sich das Männchen an der Spitze des Trupps mit dcm zum Fassen bestimmten schwieligen Theil seines Schwanzes auf, läßt den Körper frei schweben und schwingt denselben hin und hcr, bis es den nächsten Ast packen kann. Der ganze Zug macht sofort an derselben Stelle dieselbe Bewegung. Ulloa und viele gut unterrichtete Reisende behaupten, die Marimondas, ^ Ara-guaten und andere Affen mit Wickelschwänzen bilden eine Art Kette, wenn sie von einem Flußufer zum andern gelangen wollen; lch brauche kaum zu bemerken, daß eine solche Behauptung sehr weit geht. Wir haben in fünf Jahren Gelegenheit gehabt, Tausende dieser Thiere zu beobachten, und eben 1 Simia Belzebuth, 3 deßhalb glaubten wir nicht an Geschichten, die vielleicht nur von Europäern erfunden sind, wenn auch die Indianer in dcn Missionen sie nachsagen, als ob es Ueberlieferungen ihrer Väter wären. Auch der roheste Mensch findet einen Genuß darin, durch Berichte von den Wundern seines Landes den Fremden in Erstaunen zu setzen. Er will selbst gesehen haben, was nach seiner Vorstellung Andere gesehen haben könnten. Jeder Wilde ist ein Jäger, und die Geschichten der Jäger werden desto phantastischer, je höher die Thiere, von deren Listen sie zu erzählen wissen, in geistiger Beziehung wirklich stehen. Dieß ist die Quelle der Mährchen, welche in beiden Hemisphären vom Fuchs und vom Affen, vom Raben und vom Condor der Anden im Schwange gehen. Die Araguaten sollen, wenn sie von indianischen Jägern verfolgt werden, zuweilen ihre Jungen im Stiche lassen, um sich auf der Flucht zu erleichtern. Man will gesehen haben, wie Affenmütter das Junge von der Schulter rissen und es vom Baum warfen. Ich glaube aber, man hat hier eine rein zufällige Bewegung für eine absichtliche genommen. Die Indianer sehen gewisse Asfengeschlechter mit Adneigung oder mit Vorliebe an; den Viuditas, den Titis, überhaupt allen kleinen Sagoins sind sie gewogen, während die Araguaten wegen ihrcs trübseligen Aeußern und ihres einförmigen Gebrülls gehaßt und dazu verleumdet werden. Wenn ich darüber nachdachte, durch welche Ursachen die Fortpflanzung des Schalls durch die Luft zur Nachtzeit befördert werden mag, schien es mw nicht unwichtig, genau zu bestimmen, in welchem Abstand, namentlich bei nasser, stürmischer Witterung, das Geheu! eines Trupps H Araguaten zu vernehmen ist. Ich glaube gefunden zu haben, daß man es noch in 800 Toisen Entfernung hört. Die Assen mit ihren vier Händen können keine Streifzüge in die Llanos machen, und mitten auf den weiten, mit Gras bewachsenen Ebenen unterscheidet man leicht eine vereinzelte Baumgruppe, die von Brüllaffen bewohnt ist und von welcher der Schall herkommt. Wenn man nun auf diese Vaumgrupfte zugeht oder sich davon entfernt, fo mißt man das Maximum des Abstandes, in dem das Geheul noch vernehmbar ist. Diese Abstände schienen mir einigemale bei Nacht um ein Drittheil größer, namentlich bei bedecktem Himmel und sehr warmem, feuchtem Wetter. Die Indianer versichern, wenn die Araguaten den Wald mit ihrem Geheul erfüllen, so haben sie immer einen Vorsänger. Die Bemerkung ist nicht unrichtig. Man hört meistens, lange fort, eine einzelne stärkere Stimme, worauf eine andere von verschiedenem Tonfall sie ablöst. Denselben Nachahmungstrieb bemerken wir zuweilcn auch bei uns bei den Fröschen, und fast bei allen Thieren, die in Gesellschaft leben und sich hören lassen. Noch mehr, die Missionäre versichern, wenn bei den Araguaten ein Weibchen im Begriffe sei zu werfen, so unterbreche der Chor sein Geheul, bis das Junge zur Welt gekommen fei. Ob etwas Wahres hieran ist, habe ich nicht selbst ausmachen können, ganz grundlos scheint es aber allerdings nicht zu sein. Ich habe beobachtet, daß das Geheul einige Minuten aufhört, so oft ein imgewöhnlichsr Vorfall, zum Beispiel das Aechzen eines verwundeten Araguate, die Aufmerksamkeit des Trupps in Anspruch nimmt. Unsere Führer versicherten uns allen Ernstes, 5 ein bewährtes Heilmittel gegen kurzen Athem sei, aus der knöchernen Trommel am Zungenbein des Araguate zu trinken. „Da dieses Thier eine so außerordentlich starke Stimme hat, so muß dem Wasser, das man in seinen Kehlkopf gießt, nothwendig die Kraft zukommen, Krankheiten der Lungen zu heilen." Dieß ist Volksphysik, die nicht selten an die der Alten erinnert. Wir übernachteten im Torfe Guigue, dessen Brcit.e ich durch Beobachtungen des Canopus gleich 10" 4' 11" fand. Dieses Dorf auf trefflich angebautem Boden liegt nur tausend Toisen vom See Tacarigua. Wir wohnten bei einem alten Sergeanten, aus Murcia gebürtig, einem höchst originellen Mann. Um uns zu beweisen, daß er bei den Jesuiten erzogen worden, sagte er uns die Geschichte, von der Erschaffung der Welt lateinisch her. Er kannte die Namen August, Tiber und Diocletian. Bei der angenehme:: Nachtkühle in einem Bananengehege beschäftigte er sich lebhaft mit Allem, was am Hof der römischen Kaiser vorgefallen war. Er bat uns dringend um Mittel gegen die Gicht, die ihn grausam plagte. „Ich weiß wol,I," sagte er, „daß ein Zambo aus Valencia, ein gewaltiger „Curioso," mich heilen kann; aber der Zambo macht auf eine Behandlung Anspruch, die einem Menschen von seiner Farbe nicht gebührt, und so bleibe ich lieber, wie ich bin." Von Guigue an führt der Weg aufwärts zur Bergkette, welche im Süden des Sees gegen Guacimo und la Palma hinstreicht. Von einem Plateau herab, das 320 Toisen hoch liegt, sahen wir zum letztenmale die Thäler von Aragua. Der 6 Gneiß kaul zu Tage: er zeigte dieselbe Streichung der Schichten denselben Fall nach Nordwest. Quarzadern im Gneis; sind goldhaltig : eine benachbarte Schlucht heißt daher Quebrada del Oro. Seltsamerweise begegnet man auf jedem Schritt dem vornehmen Namen „Goldschlucht" in einem Lande, wo ein einziges Kupferbergwerk in, Betrieb ist. Wir legten fünf Meilen bis zum Dorfc Maria Magdalena zurück, und weitere zwei zur Villa de Cura. Es war Sonntag. Im Dorfe Maria Magdalena waren die Anwohner vor der Kirche versammelt. Man wollte unsere Maulthiertreiber zwingen anzuhalten und die Messe zu hören. Wir ergaben uns darein: aber nach langem Wortwechsel setzten die Maulthiertreiber ihren Weg fort. Ich bemerke hier, daß dicß das einzigemal war, wo wir einen Streit solcher Art bekamen. Man macht sich in Europa ganz falsche Begriffe von der Unduldsamkeit und selbst vom Glaubenseifer der spanischen Colonisten. San Luis de Cura, oder, wie es gemeiniglich heißt, Villa de Cura liegt in einem sehr dürren Thale, das von Nordwest nach Südost streicht und nach meinen barometrischen Beobachtungen eine Meereshöhe von 266 Toisen hat. Außer einigen Fruchtbäumen hat das Land fast gar keinen Pflanzenwuchs. Das Plateau ist desto dürrer, da mehrere Gewässer — ein ziemlich seltener Fall im Urgebirge — sich auf Spalten im Boden verlieren. Der Rio de las Minas, nordwärts von Villa dc Cura, verschwind'et im Gestein, kommt wieder zu Tage und wird noch einmal unterirdisch, ohne den See von Valencia zu erreichen, auf den er zuläuft. Cura gleicht vielmehr einem Dorfe als einer Stadt. Die Bevölkerung beträgt nicht mehr 7 als 4000 Seelen, aber wir fanden daselbst mehrere Leute von bedeutender geistiger Bildung. Wir wohnten bei einer Familie, welche nach der Revolution von Caracas i. I. 1797 von der Negierung verfolgt worden war. Einer der Söhne war nach langer Gefangenschaft nach der Havana gebracht worden, wo er in einem festen Schlosse saß. Wie freute sich die Mutter, als sie hörte, daß wir auf dem Rückweg vom Orinoco nach der Havana kommen würden! Sie übergab mir fünf Piaster, „all ihr Erspartes." Gern hätte ich sie ihr zurückgegeben, aber wie hätte ich mich nicht scheuen sollen, ihr Zartgefühl zu verletzen, einer Mutter wehe zu thun, die in den Cnt-bchnmgeu, die sie sich auferlegt, sich glücklich fühlt! Die ganze Gesellschaft der Stadt fand sich Abends zusammen, um in einem Guckkasten die Ansichten der großen europäischen Städte zu bewundern. Wir bekamen die Tuilerien zu sehen uud das Standbild des großen Kurfürsten in Berlin. Cs ist ein eigenes Gefühl, seine Vaterstadt, zweitausend Meilen von ihr entfernt, in einem Guckkasten zu erblicken. Ein Apotheker, der durch den unseligen Hang zu bergmännischen Unternehmungen heruntergekommen war, begleitete uns zum Serro de Chacao, der an goldhaltigen Kiesen sehr reich ist. Der Weg läuft immer am südlichen Abhang der Küstencordillere hinab, in welcher die Ebcne von Aragua ein Längenthal bilden. Die Nacht des II. brachten wir zum Theil im Dorfe San Juan zu, bekannt wegen feiner warmen Quellen und der fonderbaren Gestalt zweier benachbarter Berge, der sogenannten Morrcs de San Juan. Diese Kuppen bilden steile Gipfel, die sich auf einer Felsmauer von sehr breiter 8 Basis erheben. Die Mauer fällt steil ab und gleicht der Teufelsmauer, die um einen Strich dcs Harzgebirges herläuft. Diese Kuppen sieht man sehr weit in den Llanos, sie machen starken Eindruck auf die Einbildungskraft der Bewohner der Ebenen, die an gar keine Unebenheit ,des Bodens gewöhnt sind, und so kommt es, daß ihre Höhe im Lande gewaltig überschätzt wird. Sie sollten, wie man uns gesagt, mitten in den Steppen liegen, während sie sich am nördlichen Saume derselben befinden, weit jenseits einer Hügelkette, die la Galera heißt. Nach Winkeln, die im Abstand von zwei Seemeilen genommen worden, erheben sich die Kuppen nicht mehr als 156 Toisen über dem Dorf San Juan und 350 über dem Meer. Die warmen Quellen entspringen am Fuß der Kuppen, die aus Uebergangskalkstein bestehen; sie sind mit Schwefelwasserstoff geschwängert, wie die Wasser von Mariara, und bilden einen kleinen Teich oder eine Lagune, in ler ich den Thermometer nur auf 31^ 3^ steigen sah. In der Nacht vom 9. zum 10. März fand ich durch sehr befriedigende Sternbeobachtungen die Breite von Villa de Cura 10« 2' 47". Die spanischen Officiere, welche im Jahr 1755 bei der Grenzexpedition mit astronomischen Instrumenten an den Orinoco gekommen sind, können zu Cura nicht beobachtet haben, denn die Karte von Caulin und die von Cruz Olmedilla setzen diese Stadt einen Viertelsgrad zu weit südwärts. Villa de Cura ist im Lande berühmt wegen eines wunderthätigen Marienbildes, das Nuestra Sennora de los Valen-cianos genannnt wird. Dieses Bild, das um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts von einem Indianer in einer Schlucht 9 gefunden wurde, gab Anlaß zu einem Rechtshandel zwischen dcn Städten Cura und San Sebastiano de los Reyes. Die Geistlichen der letzteren Stadt behaupteten, die h. Jungfrau sey zuerst in ihrem Sprengel erschienen. Der Bischof von Caracas, dem langen ärgerlichen Streite ein Ende zu machen, lieh das Bild in das bischöfliche Archiv schaffen und behielt es daselbst dreißig Jahre unter Siegel; es wurde den Einwohnern von Cura erst i. I. 1802 zurückgegeben. Dcpons gibt umständliche Nachricht von diesem seltsamen Handel. Nachdem wir im kleinen Fluß St. Juan auf einem Bette von basaltischem Grünstein, in frischem, tlarem Wasser gebadet, setzten wir um zwei Uhr in dcr Nacht unsern Weg über Ortiz und Parapara nach Mesa de Paja fort. Die Llanos waren damals durch Raubgesindel unsicher, weßhalb sich mehrere Reifende an uns anschlössen, so daß wir eine Art Caravane bildeten. Sechs bis sieben Stunden lang ging es fortwährend abwärts; wir kamen am Cerro de Flores vorbei, wo die Straße zum großen Dorfe San Jose de Tisnao abgeht. An den Höfen Luque und Iuncalito vorüber gelangt man in die Gründe, die wegen des schlechten Wegs und der blauen Farbe dcr Schiefer Malpasso und Piedras Azules heißen. Wir standen hier auf dem alten Gestade des großen Beckens der Steppen, auf einem geologisch interessanten Boden. Der südliche Abhang der Küstencordillere ist ziemlich steil, da die Steppen nach meinen barometrischen Messungen tausend Fuß tiefer liegen als der Boden des Beckens von Aragua. Vom weiten Plateau von Villa de Cura kamen wir herab an das Ufer des Rio Tucutunemo, der sich ins Serpentingestein 10 ein von Ost nach West streichendes Längen thal gegraben hat, unqefäbr im Niveau von la Victoria. Von da führte uns ein Querthal über die Dörfer Parapara und Ortiz in die Llanos. Dieses Thal streicht im Ganzen von Nord nach Süd und verengt sich an mehreren Stellen. Becken mit vöNig wag-rechtem Boden stehen durch schmale, abschüssige Schluchten mit einander in Verbindung. Es waren dieß einst ohne Zweifel kleine Scen, und durch Aufstauung der Gewässer oder durch eine noch gewaltsamere Katastrophe sind die Dämme zwischen den Wasserbecken durchbrochen worden. Diese Erscheinung kommt gleichzeitig in beiden Continenten vor, überall wo Längcnthälcr Pässe über die Anden, die Alpen, die Pyrenäen bilden. i Wahrscheinlich rührt die ruinenhafte Gestalt der Kuppen von San Juan und San Sebastiano von den gewaltigen Schwemmungen her, die beim Ausbruch der Gewässer gegen die Llanos erfolgten. Bei der Mesa de Paja, unter dem 9. Grad der Breite, betraten wir das Becken der Llanos. Die Sonne stand beinahe im Zenith: der Boden zeigte überall, wo er von Vegetation entblößt war, eine Temperatur von 48—50". In der Höhe, in der wir uns auf unsern Maulthieren befanden, war kein Lufthauch zu spüren: aber in dieser scheinbaren Ruhe erhoben sich fortwährend kleine Staubwirbel in Folge der Luftströmungen, die dicht am Boden durch die Temperaturunterschiede zwischen dem nackten Sand und den mit Gras bewachsenen Flecken hervorgebracht werden. Diese „Sandwinde" » Ich erinnere die Reisenden an den Weg vom Ursernthal zum Gotthardihospiz und von da n,ich Airolo. 11 steigern die erstickende Hitze der Luft. Jedes Quarzkorn, weil es wärmer ist als die umgebende Luft, strahlt ringsum Wärme aus, und es hält fchwer die Lufttemperatur zu beobachten, ohne daß Sandtheilchen gegen die Kugel des Thermometers getrieben werden. Die Ebenen ringsum schienen zum Himmel anzusteigen, und die weite unermeßliche Einöde stellte sich unsern Blicken als eine mit Tang und Meeralgen bedeckte See dar. Da die Dunstmassen in der Luft ungleich vertheilt waren, und die Temperaturabnahme in den überein andergelagerten Luftschichten keine gleichförmige ist, so zeigte sich der Horizont in gewissen Richtungen hell und ,charf begrenzt, in andern wellenförmig auf- und abgebogen und wie gestreift. Erde und Himmel schmolzen dort in einander. Durch den trockenen Nebel und die Dunstschichten gewahrte man in der Ferne Stämme von Palmbäumen. Ihrer grünenden Wipfel beraubt, erschienen diese Stämme wie Schiffsmasten, die am Horizont auftauchen. Der einförmige Anblick dieser Steppen hat etwas Großartiges, aber auch etwas Trauriges und Niederschlagendes. Es ist als ob die ganze Natur erstarrt wäre; kaum daß hin und wieder der Schatten einer kleinen Wolke, die durchs Zenith eilend die nahende Regenzeit verkündet, auf die Savane fällt. Der erste Anblick der Llanos überrascht vielleicht nicht weniger als der der Andestette. Alle Gebirgslünder,.. welches auch die absolute Höhe ihrer höchsten Gipfel seyn mag, haben eine gemeinsame Physiognomie: aber nur schwer gewöhnt man sich an den Anblick der Llanos von Venezuela und Casanare, der Pampas von Buenos Anres und Chaco, die beständig, zwanzig, 12 dreißig Tagereisen lang, ein Bild der Meeresfläche bieten. Ich kannte die Ebenen oder Llanos der spanischen Mancha und die Heiden (ei-ioew), die sich von den Grenzen Iütlands durch Lüneburg und Westphalen bis nach Belgien hinein erstrecken. Letztere sind wahre Steppen, von denen der Mensch seit Jahrhunderten nur kleine Strecken kulturfähig zu machen im Stande war: aber die Ebenen im Westen und Norden von Europa geben nur ein schwaches Bild von den unermeßlichen Llanos in Südamerika. Im Südosten unseres Continents, in Ungarn zwischen der Donau und der Theiß, in Rußland zwischen dem Dnieper, dem Don und der Wolga treten die ausgedehnten Weideländer auf, die durch langen Aufenthalt der Wasser geebnet scheinen und ringsum den Horizont begrenzen. Wo ich die ungarischen Ebenen bereist habe, an den Grenzen Deutschlands zwischen Preßburg und Oedenburg, beschäftigen sie die Einbildungskraft des Reisenden durch das fortwährende Spiel der Luftspiegelung: aber ihre weiteste Erstreckung ist ostwärts zwischen Czegled, Debreczin und Tittel. Es ist ein grünes Meer mit zwei Ausgängen, dem einen bei Gran und Weitzen, dem andern zwischen Belgrad und Widdin. Man glaubte die verschiedenen Welttheile zu charakterisiren, indem man sagte, Europa habe Heiden, Asien Steppen, Afrika Wüsten, Amerika Savanen; aber man stellt damit Gegensätze auf, die weder in der Natur der Sache, noch im Geiste der Sprachen gegründet sind. Die asiatischen Steppen sind keineswegs überall mit Salzpflanzen bedeckt; in den Sa-vanen von Venezuela kommen neben den Gräsern kleine krautartige Mimofen, Schotengewächse und andere Dicotyledonen 13 vor. Die Ebenen der Songarei, die zwischen Don und Wolga, die ungarischen Puszten sind wahre Savanen, Weideländer mit reichem Graswuchs, während auf den Savanen oft- und westwärts von den Rocky-Mouutains und von Neu-Mexico Che-nopodien mit einem Gehalt von kohlensaurem und salzsaurem Natrum vorkommen. Asien hat ächte pflanzenlose Wüsten, in Arabien, in der Gobi, in Persien. Seit man die Wüsten im Innern Afrika's, was man so lange unter dem allgemeinen Namen Sahara begriffen, näher kennen gelernt hat, weiß man, daß es im Osten dieses Continents, wie in Arabien, Savanen und Weideländer gibt, die von nackten, dürren Landstrichen umgeben sind. Letztere, mit losem Gestein bedeckte, ganz pflanzenlose Wüsten, fehlen nun aber der neuen Welt fast ganz. Ich habe dergleichen nur im niedern Strich von Peru, zwischen Amotape und Coquimbo, am Gestade der Südsee gesehen. Die Spanier nennen sie nicht Llanos, sondern äeLiei-tos von Sechura und Atacamez. Diese Einöde ist nicht breit, aber 440 Meilen lang. Die Gebirgsart kommt überall durch den Flugsand zu Tag. Es fällt niemals ein Tropfen Regen, und wie in der Sahara nördlich von Tombuctu findet sich in der peruanischen Wüste bei Huaura eine reiche Steinsalzgrube. Ueberall sonst in der neuen Welt gibt es öde, weil unbewohnte Flächen, aber keine eigentlichen Wüsten. Dieselben Erscheinungen wiederholen sich in den entlegensten Landstrichen, und statt diese weilen baumlosen Ebenen nach den Pflanzen zu unterscheiden, die auf ihnen vorkommen, unterscheidet man wohl am einfachsten zwifchen Wüsten und Steppen oder Savanen, zwischen nackten Landstrichen ohne Spur 14 von Pflanzenwüchs und Landstrichen, die mit Gräsern oder kleinen Gewäckscn ans der Classe der Dicotyledonen bedeckt sind. In manchen Werken heißen die amerikanischen Savanen, namentlich die der gemäßigten Zone, Wiesen (Prairien): aber diese Bezeichnung paßt, wie mir dünkt, schlecht auf Weiden, die oft sehr dürr, wenn auch mit 4 bis 5 Fuß hohen Kräutern bedeckt sind. Die amerikanischen Llanos oder Pampas sind wahre Steppen. Sie sind in der Regenzeit schön begrünt, aber in der trockensten Jahreszeit bekommen sie das Ansehen von Wüsten. Das Kraut zerfällt zu Staub, der Boden berstet, das Krokodil und die großen Schlangen liegen begraben im ausgedörrten Schlamm, bis die ersten Regengüsse im Frühjahr sie aus der langen Erstarrung wecken. Diese Erscheinungen kommen auf dürren Landstrichen von 50—60 Quadratmeilen überall vor, wo keine Gewässer durch die Sarane strömen i denn am Ufer der Bäche und der kleinen Stücke stehenden Wassers stößt der Reisende von Zeit zu Zeit selbst in der dürrsten Jahreszeit auf Gebüsche der Mauritia, einer Palmenart, deren fächerförmige Blätter beständig glänzend grün sind. Die asiatischen Steppen liegen alle außerhalb der Wendekreise und bilden sehr hohe Plateaus. Auch Amerika hat auf dem Rücken der Gebirge von Mexico, Peru und Quito Ea-vanen von bedeutender Ausdehnung, aber feine ausgedehntesten Sk'ppen, die Llanos von Cumana, Caracas und Meta, cr-heben sich nur fehr wenig über dem Meeresspiegel und fallen alle in die Aequinoctialzone. Diese Umstände erheilen ihnen einen eigenthümlichen Charakter. Die Scen ohne Abfluß, die 15 kleinen Flußsystcme, die sich im Sand verlieren oder durch die Gebirgsart durchseigen, wie sie den Steppen im östlichen Asien und den persischen Wüsten eigen sind, kommen hier nicht vor. Die amerikanischen Llanos fallen gegen Ost und Süd und ihre strömenden Gewässer laufen in den Orinoco. Nach dem Lauf dieser Flüsse hatte ich früher geglaubt, daß die Ebenen Plateaus bilden müßten, die mindestens 100 bis 150 Toisen über dem Meer gelegen wären. Ich dachte mir, auch die Wüsten im inneren Afrika müßten beträchtlich hoch liegen und stufenweise von den Küsten bis ins Innere des großen Continents über einander aufsteigen. Bis jetzt ist noch kein Barometer in die Sahara gekommen. Was aber die amerikanischen Llanos betrifft, so zeigen die Narometerhöhen, die ich zu Calabozo, zu Villa del Pao und an der Mündung des Meta beobachtet, daß sie nicht mehr als 40 bis 50 Toisen über dem Meeresspiegel licgcn. Die Flüsse haben einen sehr schwachen, oft kaum merklichen Fall. Eo kommt es, daß beim geringsten Wind, und wenn der Orinoco anschwillt, die Flüsse, die in ihn fallen, rückwärts gedrängt werden. Im Rio Arauca bemerkt man häufig diese Strömung nach oben. Die Indianer glauben einen ganzen Tag lang abwärts zu schissen, während sie von der Mündung gegen die Quellen fahren. Zwischen den abwärtsströmendcn und den aufwürtsströmenden Gewässern bleibt eine bedeutende Wassermasse still stehen, in der sick durch Gleichgewichtsstörung Wirbel bilden, die den Fahrzeugen gefährlich werden. Der eigenthümlichste Zug der Savanen oder Sieppen Südamerikas ist die völlige Abwesenheit aller Cchöhungcn, die 16 vollkommen wagerechte Lage 5es ganzen Bodens. Die spanischen Eroberer, die zuerst von Coro her an die Ufer des Afture vordrangen, haben sie daher auch weder Wüsten, noch Savanen, noch Prairien genannt, sondern Ebenen, los llanos. Auf dreißig Quadratmeilen zeigt der Boden oft keine fußhohe Unebenheit. Diese Aehnlichkeit mit der Meeresfläche drängt sich der Einbildungskraft besonders da auf, wo die Ebenen gar keine Palmen tragen, und wo man von den Bergen an der Küste und vom Orinoco so weit weg ist, daß man dieselben nicht sieht, wie in der Mesa de Pavones. Dort könnte man sich versucht fühlen, mit einem Reflexionsinstrument Sonnenhöhen aufzunehmen, wenn nicht der Land-Horizont, in Folge des wechselnden Spiels der Refraktionen, beständig in Nebel gehüllt wäre. Diese Ebenheit des Bodens ist noch vollständiger unter dem Meridian von Calabvzo als gegen Ost zwischen Cari, Villa del Pao und Nueva Barcelona; aber sie herrscht ohne Unterbrechung von den Mündungen des Orinoco bis zur Villa de Araure und Ospinos, auf einem Parallel von 160 Meilen, und von San Carlos bis zu den Savanen am Caaueta auf einem Meridian von ZOO Meilen. Sie vor Allem ist charakteristisch für den neuen Continent, so wie für die asiatischen Steppen zwischen dem Dnieper und der Wolga, zwischen dem Irtisch und dem Obi. Dagegen zeigen die Wüsten im inneren Afrika, in Arabien, Syrien und Persien, die Cobi und die Casna viele Bodenunebenheiten, Hügel-reihen, wasserlose Schluchten und festes Gestein, das aus dem Sand hervorragt. Trotz der scheinbaren Gleichförmigkeit ihrer Fläche finden 17 sich indessen in den Llanos zweierlei Unebenheiten, die dem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen. Die erste Art nennt man daneos; es sind wahre Bänke, Untiefen im Steppenbecken, zerbrochene Schichten von festem Sandstein oder Kalkstein, die vier bis 5 Fuß höher liegen als die übrige Ebene. Diese Bänke sind zuweilen drei bis vier Meilen lang: sie sind vollkommen eben und wagerecht und man bemerkt ihr Vorhandenseyn überhaupt nur dann, wenn man ihre Ränder vor sich hat. Die zweite Unebenheit läßt sich nur durch geodätische oder barometrische Messungen oder am Lauf der Flusse erkennen; sie heißt Mesa. Es sind dieß kleine Plateaus, oder vielmehr convere Erhöhungen, die unmerklich zu einigen Toisen Höhe ansteigen. Dergleichen sind ostwärts in der Provinz Cumana, im Norden von Villa de la Merced und Candelaria, die Mesas Amana, Guanipa und Ionoro, die von Südwest nach Nordost streichen und trotz ihrer unbedeutenden Höhe die Wasser zwischen dem Orinoco und der Nordküste von Terra firma scheiden. Nur die sanfte Wölbung der Savane bildet die Wasserscheide: hier sind die äivorti», aquarum, l wie in Polen, wo fern von den Karpathen die Wasserscheide zwischen dem baltischen und dem schwarzen Meere in der Ebene selbst liegt. Die Geographen setzen da, wo eine Wasserscheide ist, immer Bergzüge voraus, und so sieht man denn auch auf den Karten dergleichen um die Quellen des Rio Neveri, dcs Unare, des Guarapiche und des Pao eingezeichnet. Dieß erinnert an die mongolischen Priester, die nach einem alten abergläubischen ' l.iviu5. !>. 38. e. 73. Humbclbt, Relsc, I V. 2 18 Brauch an allen Stellen, wo die Wasser nach entgegengesetzten Seiten fließen, Obos oder kleine Steinhaufen errichten. Das ewige Einerlei der Llanos, die große Seltenheit von bewohnten Plätzen, die Beschwerden der Reise unter einem glühenden Himmel und bei stauberfüllter Luft, die Aussicht auf den Horizont, der beständig vor einem zurückzuweichen scheint, die vereinzelten Palmstämme, deren einer aussieht wie der andere, und die man gar nicht erreichen zu können meint, weil man sie mit andern Stämmen verwechselt, die nach einander am Gesichtskreis auftauchen — all dieß zusammen macht, daß einem die Steppen noch weit größer vorkommen, als sie wirklich sind. Die Pflanzer am Südabhang des Küstengebirges sehen die Steppen grenzenlos, gleich einem grünen Ocean gegen Süd sich ausdehnen. Sie wissen, daß man vom Delta des Orinoco bis in die Provinz Varinas und von dort über die Flüsse Meta, Guaviare und Caguan, Anfangs von Ost nach West, sodann von Nordost nach Nordwest, 380 Meilen weit in den Steppen fortziehen kann, bis über den Aequator hinaus an den Fuß der Anden von Pasto. Sie kennen nach den Berichten der Reisenden die Pampas von Buenos Ayrcs, die gleichfalls mit feinem Gras bewachsene, baumlose Llanos sind und von verwilderten Rindern und Pferden wimmeln. Sie sind, nach Anleitung unserer meisten Karten von Amerika, der Meinung, der Continent habe nur Eine Bergkette, die der Anden, die von Süd nach Nord läuft, und nach einem unbestimmten systematischen Begriff lassen sie alle Ebenen vom Orinoco und vom Apure an bis zum Rio de la Plata und der Magellan'schen Meerenge untereinander zusammenhängen. 19 Ich entwerfe im Folgenden ein möglichst klares und gedrängtes Bild vom allgemeinen Bau eines Festlandes, dessen Endpunkte, unter so verschiedenen Klimaten sie auch liegen, in mehreren Zügen mit einander übereinkommen. Um den Umriß und die Grenzen der Ebenen richtig aufzufassen, mich man die Bergketten kennen, welche den Uferrand derselben bilden. Von der Küstencordillerc, deren höchster Gipfel die Silla bei Caracas ist, und die durch den Paramo de las NosaZ mit dem Nevado von Merida und den Anden von Neu-Grenada zusammenhängt, haben wir bereits gesprochen. Eine zweite Bergkette, oder vielmehr ein minder hoher, aber weit breitenr Bergstock läuft zwischen dem 3. und ?. Parallelkreise von den Mündungen des Guaviare und Meta zu den Quellen des Orinoco, Marony und Esquibo, gegen das holländische und französische Guyana zu. Ich nenne diese Kette die Cord illere der Pari me oder der großen Fälle des Orinoco; man kann sie 250 Meilen weit verfolgen, es ist aber nicht sowohl eine Kette, als ein Haufen granitischer Berge, zwischen denen kleine Ebenen, liegen und die nicht überall Reihen bilden. Der Bergstock der Parime verschmälcrt sick bedeutend zwischen den Quellen des Orinoco und den Bergen von Demerary zu den Sierras von Quimiropaca und Pacaraimo, welche die Wasserscheide bilden zwischen dem Carony und dem Rio Parime oder Rio de Aguas blancas. Dieß ist der Schauplatz der Unternehmungen, um den Dorado aufzusuchen und die große Stadt Manoa, das Tombuctu der neuen Welt. Die Cordillerc der Parime hängt mit den Anden von Ncu-Grenada nicht zusammen; sie sind durch einen 80 Meilen breiten Zwischenraum getrennt. Dächte man 20 sich, dieselbe sey hier durch eine große Erdumwälzung zerstört worden, was übrigens gar nicht wahrscheinlich ist, so müßte man annehmen, sie sey einst von den Anden zwischen Santa Fe de Bogota und Pamplona abgegangen. Diese Bemerkung mag dazu dienen, die geographische Lage dieser Cordillere, die bis jetzt schr wenig bekannt geworden, dem Leser besser einzuprägen. — Eine dritte Bergkette verbindet unter dem 16. und 18. Grad südlicher Breite (über Santa Cruz de la Sierra, die Serranias von Aguapehy und die vielberufenen Campos dos Parecis) die peruanischen Anden mit den Gebirgen Brasiliens. Dieß ist die Cordillere von Chiquitos, die in der Capitania von Minas Geraes breiter wird und die Wasserscheide zwischen dem Amazonenstrom und dem La Plata bildet, nicht nur im innern Lande, im Meridian von Villa Boa, sondern bis wenige Meilen von der Küste, zwischen Riv Janeiro und Bahia. Diese drei Querketten oder vielmehr diese drei Bergstöcke, welche innerhalb der Grenzen der heißen Zone von West nach Ost streichen, sind durch völlig ebene Landstriche getrennt, die Ebenen von Caracas oder am untern Orinoco, die Ebenen des Amazonenstroms und des Rio Negro, die Ebenen von Buenos Ayres oder des La Plata. Ich brauche nicht den Ausdruck Thäler, weil der untere Orinoco und der Amazonenstrom keineswegs in einem Thale fließen, sondern nur in einer weiten Ebene eine kleine Rinne bilden. Die beiden Becken an den beiden Enden Südamerikas sind Savanen oder Steppen, baumlose Weiden: das mittlere Becken, in welches das ganze Jahr die tropischen Regen fallen, ist fast ' 21 durchgängig ein ungeheurer Wald, in dem es keinen andern Pfad gibt als die Flüsse. Wegen des kräftigen Pflanzenwuchses, der den Voden überzieht, fällt hier die Ebenheit desselben weniger auf, und nur die Beckcn von Caracas und La Plata nennt man Ebenen. In der Sprache der Colonisten heißen die drei eben beschriebenen Becken: die Llanos von Varinas und Caracas, die Bosques oder Selvas (Wälder) des Amazonenstromes, und die Pampas von Buenos Ayres. Der Wald bedeckt nicht nur größtentheils die Ebenen des Amazvnen-stroms von der Cordillere von Chiquitos bis zu der der Parime, er überzieht auch diese beiden Bergketten, welche selten die Höhe der Pyrenäen erreichen. Deßhalb sind die weiten Ebenen des Amazonenstromes, des Madeira und Rio Negro nicht so scharf begrenzt wie die Llanos von Caracas und die Pampas von Buenos Ayres. Da die Waldregion Ebenen und Gebirge zugleich begreift, so erstreckt sie sich vom 18° südlicher bis zum 7 und 8" nördlicher Breite, und umfaßt gegen 130,000 Quadratmeilen. Dieser Wald des südlichen Amerika, denn im Grunde ist es nur Einer, ist sechsmal größer als Frankreich; die Europäer kennen ihn nur an den Ufern einiger Flüsse, die ihn durchströmen, und er hat Lichtungen, deren Umfang mit dem des Forstes im Verhältniß steht. Wir werden bald an sumpfigen Savanen zwischen dem obern Orinoco, dem Conorichite und Cassiauiare, unter dem 3. und 4. Grad der Breite, vorüberkommen. Unter demselben Parallel-kreise liegen andere Lichtungen oder 8nvan«s limpw» < zwischen ' Offene baumlost Savanen. limpia« <<« aldoles. 22 den Quellen des Mao und des Rio de Aguas blancas, südlich von der Sierra Pacaraima. Diese letzteren Savanen sind von Caraiben und nomadischen Macusis bewohnt: sie ziehen sich bis nahe an die Grenzen des holländischen und französischen Guyana fort. Wir haben die geologischen Verhältnisse von Südamerika geschildert: heben wir jetzt die Hauptzüge heraus. Den Westküsten entlang läuft eine ungeheure Gebirgsmauer, reich an edlen Metallen überall, wo das vulkanische Feuer sich nicht durch den ewigen Schnee Bahn gebrochen: dieß ist die Cor-dillere der Anden. Gipfel von Trappporphyr steigen hier zu mehr als 3300 Toisen Höhe auf, und die mittlere Höhe der Kette beträgt 1850 Toisen. Sie streicht in der Richtung eines Meridians fort und schickt in jeder Halbkugel unter dem 10. Grad nördlicher und unter dem 16. und 18. Grad südlicher Breite einen Seitenzweig ab. Der erstere dieser Zweige, die Küstencordillere von Caracas, ist minder breit und bildet eine eigentliche Kette. Der zweite, die Cordillere von Chiquitos und an den Quellen des Guapore, ist sehr reich an Gold und breitet sich ostwärts, in Brasilien, zu weiten Plateaus mit gemäßigtem Klima aus. Zwischen diesen beiden, mit den Anden zusammenhängenden Querketten liegt vom 3. zum 7. Grad nördlicher Breite eine abgesonderte Gruppe granitischer Berge, die gleichfalls parallel mit dem Aequator, jedoch nicht über den 71. Grad der Länge fortstreicht, dort gegen Westen rasch abbricht und mit den Anden von Neu-Grenada nicht zusammenhängt. Diese drei Querketten haben keine thätigen Vulkane: wir wissen aber nicht, ob auch die südlichste, gleich den beiden 23 andern, keinen Trachyt oder Trappporphyr hat. Keiner ihrer Gipfel erreicht die Grenze des ewigen Schnees, und die mittlere Höhe der Cordillere der Parime und der Küstencordillere von Caracas beträgt nicht ganz 600 Toisen, wobei übrigens manche Gipfel sich doch 1400 Toisen über das Meer erheben. Zwifchen den drei Querketten liegen Ebenen, die fämmtlich gegen West geschlossen, gegen Ost und Südost offen sind. Bedenkt man ihre so unbedeutende Höhe über dem Meer, so fühlt man sich «ersucht, sie als Golfe zu betrachten, die in der Richtung des Rotationsstroms fortstteichen. Wenn in Folge einer ungewöhnlichen Anziehung die Gewässer des atlantischen Meers an der Mündung des Orinoco um fünfzig Toisen, an der Mündung des Amazonenstroms um zweihundert Toisen stiegen, so würde die Fluth mehr als die Hälfte von Süd« amerika bedecken. Der Ostabhang oder de» Fuß der Anden, der jetzt sechshundert Meilen von den Küsten Brasiliens ablicgt, wäre ein von der See bespültes Ufer. Diese Betrachtung gründet sich auf eine barometrische Messung in der Provinz Iaen de Bracamoros, wo der Amazonensttom aus den Cordilleren herauskommt. Ich habe gefunden, daß dort der ungeheure Strom bei mittlerem Wasserstand nur 194 Toisen über dem gegenwärtigen Spiegel des antlantischen Meeres liegt. Und diese in der Mitte gelegenen waldbedeckten Ebenen liegen noch fünfmal höher als die grasbewachsenen Pampas von Buenos Ayres und die Llanos von Caracas und am Meta. Diese Llanos, welche das Becken des untern Orinoco bilden und die wir zweimal im selben Jahr, in den Monaten März und Juli, durchzogen haben, hängen zusammen mit dem Becken 24 des Amazonenstroms und des Rio Negro, das einerseits durch die Cordillere von Chiquitos, andererseits durch die Gebirge der Parime begrenzt ist. Dieser Zusammenhang vermittelt sich durch die Lücke zwischen den letzteren und den Anden von Neu-Grenada. Der Boden in seinem Anblick erinnert hier, nur daß der Maaßstab ein weit größerer ist, an die lombar-dischen Ebenen, die sich auch nur 50 bis 60 Toisen über das Meer erheben und einmal von der Brenta nach Turin von Ost nach West, dann von Turin nach Com von Nord nach Süd streichen. Wenn andere geologische Thatsachen uns berechtigten, die drei großen Ebenen am untern Orinoco, am Amazonenstrom und am Rio de la Plata als alte Seebecken zu betrachten, so ließen sich die Ebenen am Rio Vichada und am Meta als ein Kanal ansehen, durch den die Wasser des oberen Sees, dcs auf den Ebenen des Amazonenstroms, in das tiefere Becken, in die Llanos von Caracas, durchgebrochen wären und dabei die Cordillere der Parime von der der Anden getrennt hätten. Dieser Kanal ist eine Art Land-Meerenge (^troit tLriestre). Der durchaus ebene Boden zwischen dem Guaviare, dem Meta und Apure zeigt keine Spur von gewaltsamem Einbruch der Gewässer; aber am Rand der Cordillere der Parime, zwischen dem 4. und 7. Grad der Breite, hat sich der Orinoco, der von feiner Quelle bis zur Einmündung des Guaviare westwärts fließt, auf feinem Lauf von Süd nach Nord durch das Gestein einen Weg gebrochen. Alle großen Katarakte liegen, wie wir bald sehen werden, auf dieser Strecke. Aber mit der Einmündung des Apure, dort, wo im so niedrig gelegenen Lande der Abhang gegen Nord mit dem Gegenhang nach Südost 25 zusammentrifft, das heißt mit der Böschung der Ebenen, die unmerllich gegen die Gebirge von Caracas ansteigen, macht der Fluß wieder eine Biegung und strömt sofort ostwärts. Ich glaubte den Leser schon hier auf diese sonderbaren Windungen des Orinoco aufmerksam machen zu müssen, weil er mit seinem Lauf. als zwei Becken zumal angehörend, selbst auf den mangelhaftesten Karten gewissermaßen die Richtung des Theils der Ebenen bezeichnet, der zwischen die Anden von Neu-Grenada und den westlichen Saum der Gebirge der Parime cingeschoben ist. Die Llanos oder Steppen am untern Orinoco und am Meta führen, gleich den afrikanischen Wüsten in ihren verschiedenen Strichen verschiedene Namen. Von den Boccas del Dragon an folgen von Ost nach West auf einander: die Lla-nos von Cumana, von Barcelona und von Caracas oder Venezuela. Wo die Steppen vom 8. Vreitegrad an, zwischen dem 70. und 73. Grad der Länge, sich nach Süd und Süd-Süd-West wenden, kommen von Nord nach Süd die Llanos von Varinas, Casanare, Meta, Guaviare, Caguan und Caqueta. In den Ebenen von Varinas kommen einige nicht sehr bedeutende Denkmäler vor, die auf ein nicht mehr vorhandenes Volk deuten. Man findet zwischen Mijagual und dem Cano de la Hacha wahre Grabhügel, dort zu Lande Zerrillos äe log Inäios genannt. Es sind kegelförmige Erhöhungen, aus Erde von Menschenhand aufgeführt, und sie bergen ohne Zweifel menschliche Gebeine, wie die Grabhügel in den asiatischen Steppen. Ferner beim Hato de la Calzada, zwischen Varinas und Caragua, sieht man eine hübsche Straße, fünf Meilen 26 lang, vor der Eroberung, in sehr alter Zeit von den Eingeborenen angelegt. Es ist ein Erddamm, fünfzehn Fuß hoch, der über eine häusig überschwemmte Ebene führt. Hatten sich etwa civilisirtere Völker von den Gebirgen von Trurillo und Merida über die Ebenen am Rio Apure verbreitet? Die heutigen Indianer zwischen diesem Fluh und dem Meta sind viel zu versunken, um an die Errichtung von Kunststraßen oder Grabhügeln zu denken. Ich habe den Flächenraum dieser Llanos von der Caqueta bis zum Apure und vom Apure zum Delta des Orinoco auf 17,000 Quadratmeilen (20 auf den Grad) berechnet. Der von Nord nach Süd sich erstreckende Theil ist beinahe doppelt so groß als der von Ost nach West zwischen dem untern Orinoco und der Küstencordillere von Caracas streichende. Die Pampas nord- und nordwestwärts von Buenos Ayres, zwischen dieser Stadt und Cordova, Iujuy und Tucuman, sind ungefähr eben so groß als die Llanos: aber die Pampas setzen sich noch 18 Grad weiter nach Süden fort, und sie erstrecken sich über einen so weiten Landstrich, daß am einen Saume Palmen wachsen, während der andere, cben so niedrig gelegene und ebene, mit ewigem Eis bedeckt ist. Die amerikanischen Llanos sind da, wo sie parallel mit dem Aequator streichen, viermal schmäler als die große afrikanische Wüste. Dieser Umstand ist von großer Bedeutung in einem Landstrich, wo die Richtung der Winde beständig von Ost nach West geht. Je weiter Ebenen in dieser Richtung sich erstrecken, desto heißer ist ihr Klima. Das große afrikanische Sandmeer hängt über Yemen mit Gedrosia und Beludschistan bis ans 27 rechte Ufer des Indus zusammen; und in Folge der Winde, die über die ostwärts gelegenen Wüsten weggegangen sind, ist das Becken des rothen Meers, in der Mitte von Ebenen, welche auf allen Punkten Wärme strahlen, eine der heißesten Gegenden des Erdballs. Der unglückliche Capitän Tuckey berichtet, daß der hundertthcilige Thermometer sich dort fast immer bei Nacht auf 34«, bei Tag auf 40 bis 44« hält. Wie wir bald sehen werden, haben wir selbst im westlichsten Theil der Steppen von Caracas die Temperatur der Luft, im Schatten und vom Boden entfernt, selten über 37« gefunden. An diese physikalischen Betrachtungen über die Steppen der neuen Welt knüpfen sich andere, höhere, solche, die sich auf die Geschichte unserer Gattung beziehen. Das große afrikanische Sandmeer, die wasserlosen Wüsten sind nur von Caravanen besucht, die bis zu 50 Tagen brauchen, sie zu durchziehen. Die Sahara trennt die Völker von Negerbildung von den Stämmen der Araber und Berbern und ist nur in den Oasen bewohnt. Weiden hat sie nur im östlichen Striche, wo als Wirkung der Passatwinde die Sandschicht weniger dick ist, so daß die Quellen zu Tage brechen können. Die Steppen Amerikas sind nicht so breit, nicht so glühend heiß, sie werden von herrlichen Strömen befruchtet und sind so dem Verkehr der Völker weit weniger hinderlich. Die Llanos trennen die Küstencordillere von Caracas und die Anden von Neu-Grenada von der Waldregion, von jener Hyläa ^ Des Orinoco, die schon bei der Entdeckung Amerikas von Völkern bewohnt war, welche auf einer weit tieferen Stufe der Cultur standen, als die ' 'l^a/y. Herodot. Melpomene. 28 Bewohner der Küsten und vor allen des Gebirgslands der Cordillcren. Indessen waren die Steppen einst so wenig eine Schutzmauer der Cultur, als sie gegenwärtig für die in den Wäldern lebenden Horden eine Schutzmauer der Freiheit sind. Sie haben die Völker am untern Orinoco nicht abgehalten, die kleinen Flüsse hinaufzufahren und nach Nord und West Einfalle ins Land zu machen. Hätte es die mannigfaltige Verbreitung der Thiergeschlcchter über die Erde mit sich gebracht, daß das Hirtenleben in der neuen Welt bestehen konnte; hätten vor der Ankunft der Spanier auf den Llanos und Pampas so zahlreiche Heerden uon Rindern und Pferden geweidet wie jetzt, so wäre Columbus das Menschengeschlecht hier in ganz anderer Verfassung entgegengetreten. Hirtenvölker, die von Milch und Käse leben, wahre Nomaden hätten diese weiten, mit einander zusammenhängenden Ebenen durchzogen. In der trockenen Jahreszeit und selbst zur Zeit der Ueberschwemmungen hätten sie den Besitz der Weiden einander streitig gemacht, sie hätten einander unterjocht, und vereint durch das gemeinsame Band der Sitten, der Sprache und der Gottesverehrung, sich zu der Stufe von Halbcultur erhoben, die uns bei den Völkern mongolischen und tartarischen Stammes überraschend entgegentritt. Dann hätte Amerika, gleich dem mittleren Asien, seine Eroberer gehabt, welche aus den Ebenen zum Plateau der Cordilleren hinauf stiegen, dem umherschweifenden Leben entsagten, die cultivirten Völker von Peru und Neu-Grenada unteljochten, den Thron der Incas und des Zaaue l umstürzten ' Der Zaaue war da« weltliche Oberhaupt vo» Cundinamarea. Er theilte die oberste Gewalt mit dem Hohenpriester (Lama) von Iraca. 29 und an die Stelle des Despotismus, wie er aus der Theokratie fließt, den Despotismus setzten, wie ihn das patriarchalische Regiment der Hirtenvölker mit sich bringt. Die Menschheit der neuen Welt hat diese großen moralischen und politischen Wechsel nicht durchgemacht, und zwar weil die Steppen, obgleich fruchtbarer als die asiatischen, ohne Heerden waren, weil teines der Thiere, die reichliche Milch geben, den Ebenen Südamerikas eigenthümlich ist, und weil in der Entwicklung amerikanischer Cultur das Mittelglied zwischen Iägervölkern und ackerbauenden Völkern fehlte. Die hier mitgetheilten allgemeinen Bemerkungen über die Ebenen des neuen Continents und ihre Eigenthümlichkeiten gegenüber den Wüsten Afrikas und den fruchtbaren Steppen Asiens sckienen mir geeignet, den Bericht einer Reise durch so einförmige Landstriche anziehender zu machen. Jetzt aber mag mich der Leser auf unserem Wege von den vulkanischen Bergen von Parapara und dem nördlichen Saum der Llanos zu den Ufern des Apure in der Provinz Varinas begleiten. Nachdem wir zwei Nächte zu Pferde gewesen und vergeblich unter Gebüsch von Murichipalmen Schutz gegen die Sonnen-gluth gesucht hatten, kamen wir vor Nacht zum kleinen Hofe ,, Der ungewohnte Lärm vom Stampfen der Rosse Mibt^die^ Fische aus dem Schlamm hervor und reizt sie zum Angriff Die schwärzlicht und gelb gefärbten, großen Wasserschlangen gleichenden Aale schwimmen auf der Wasserfläche hin und drangen sich unter den Bauch der Pferde und Maulthiere. Der Kampf-zwischen so gan; verschieden organisirten Thieren gibt das ma^ lerischste Bild. Die Indianer mit Harpunen und langen, dünneni ' Wörtlich: mit Pferden dir Fische einschlafen» und betäube». *V Oil 4-i/f J, ,,'. ■ . . . ' ■ .„ . , , 52 Rohrstäben stellen sich in dichter Reihe um den Teich: einige besteigen die Bäume, deren Zweige sich wagerecht über die Wasserfläche breiten. Durch ihr wildes Geschrei und mit ihren langen Rohren scheuchen sie die Pferde zurück, wenn sie sich aufs Ufer flüchten wollen. Die Aale, betäubt vom Lärm, vertheidigen sich durch wiederholte Schläge ihrer elektrischen Batterien. Lange scheint es, als solle ihnen der Sieg verbleiben. Mehrere Pferde erliegen den unsichtbaren Streichen, von denen die wesentlichsten Organe allerwärts getroffen werden; betäubt von den starken, unaufhörlichen Schlägen, sinken sie unter. Andere, schnaubend, mit gesträubter Mähne, wilde Angst im starren Auge, raffen sich wieder auf und suchen dem um sie tobenden Ungewitter zu entkommen- sie werden von den Indiern ins Wasser zurückgetrieben. Einige aber entgehen der regen Wachsamkeit der Fischer; sie gewinnen das Ufer, straucheln aber bei jedem Schritt und werfen sich in den Sand, zum Tod erschöpft, mit von dcn elektrischen Schlägen der Gymnoten erstarrten Gliedern. , Ehe fünf Minuten vergingen, waren zwei Pferde ertrunken. Der fünf Fuß lange Aal drängt sich dem Pferd an den Bauch und gibt ihm nach der ganzen Länge seines elektrischen Organs einen Schlag; das Herz, die Eingeweide und der plexus eoeiiacuL der Abdominalnerven werden dadurch zumal betroffen. Derselbe Fisch wirkt so begreiflicherweise weit stärker auf ein Pferd als auf den Menfchen, wenn dieser ihn nur mit einer Extremität berührt. Die Pferde werden ohne Zweifel nicht todtgeschlagen, sondern nur betäubt; sie ertrinken, weil sie sich nicht aufraffen können, so lange der Kampf zwischen den andem Pferden und den Gymnoten fortdauert. 53 Wir meinten nicht anders, als alle Thiere, die man zu dieser Fischerei gebraucht, müßten nach einander zu Grunde gehen. Aber allmählich nimmt die Hitze des ungleichen Kampfes ab und die erschöpften Gymnoten zerstreuen sich. Sie bedürfen jetzt langer Ruhe i und reichlicher Nahrung, um den erlittenen Verlust an galvanischer Kraft wieder zu ersehen. Maulthiere und Pferde verriethen weniger Angst, ihre Mähne sträubte sich nicht mehr, ihr Auge blickte ruhiger. Die Gymnoten kamen scheu ans Ufer des Teichs geschwommen, und hier sieng man sie mit kleinen, an langen Stricken befestigten Harpunen. Wen» die Stricke recht trocken sind, so fühlen die Indianer beim Herausziehen des Fisches an die Luft leine Schläge. In wenigen Minuten hatten wir fünf große Aale, die meisten nur leicht verletzt. Auf dieselbe Weise wurden Abends noch andere gefangen. Die Gewässer, in denen sich die Zitteraale gewöhnlich aushalten, haben eine Temperatur von 26—27". Ihre elektrische Kraft soll in kälterem Wasser abnehmen, und es ist, wie bereits ein berühmter Physiker bemerkt hat, übeihaupt merkwürdig, daß die Thiere mit elektrischen Organen, deren Wirkungen dem Menschen fühlbar werden, nicht in der Luft leben, sondern in einer die Elektricität leitenden Flüssigkeit. Der Gymnotus ist der größte elektrische Fisch; ich habe welche gemessen, die fünf Fuß und fünf Fuß drei Zoll lang warcn; die Indianer wollten noch größere gesehen haben. Ein drei Fuß zehn Zoll langer ' Die Indianer versichern, wenn mai: Pferde zwei Tage hilXer einander iu einer Lache laufen lasse, in dei es sehr viele Gymnote» gibt, gehe am zweiten Tag fei» Pferd mehr zu Grunde. 54 Fisch wog zehn Pfund. Der Querdurchmesser des Körpers (die kahnförmig verlängerte Afterflosse abgerechnet) betrug drei Zoll fünf Linien. Die Gymnotcn aus dem Cerro de Vera sind hübsch olivengrün. Der Untertheil des Kopfes ist röthlich gelb. Zwei Reihen kleiner gelber Flecken laufen symmetrisch über den Nucken von, Kopf bis zum Schwanzende. Jeder FIcck umschließt einen Ausführungskanal: die Haut des Thieres ist auch beständig mit einem Schleim bedeckt, der, wie Volta gezeigt hat, die Elektricität 20—30mal besser leitet als reines Wasser. Es ist überhaupt merkwürdig, daß teiner der elektrischen Fische, die bis jetzt in verschiedenen Welttheilen entdeckt worden, mit Schuppen bedeckt ist. Ten ersten Schlägen eines sehr großen, stark gereizten Gym-notus würde man sich nicht ohne Gefahr aussetzen. Bekommt man zufällig einen Schlag, bevor der Fisch verwundet oder durch lange Verfolgung erschöpft ist, so sind Schmerz und Betäubung so heftig, daß man Nch von der Art der Empfindung gar keine Rechenschaft geben kann. Ich erinnere mich nicht, je durch die Entladung einer großen Leidner Flasche eine so furchtbare Erschütterung erlitten zu haben wie die, als ich unvorsichtigcr-weise beide Füße auf einen Gymnotus setzte, der eben aus dem Wasser gezogen worden war. Ich empfand den ganzen Tag heftigen Schmerz in den Knien und fast in allen Gelenken. Will man den ziemlich auffallenden Unterschied zwischen der Wirkung der Volta'schen Säule und der elektrischen Fische genau beobachten, so muß man diese berühren, wenn sie sehr erschöpft sind. Die Zitterrochen und die Zitteraale verursachen dann ein Sehnenhüpfen vom Glied an, das die elektrischen Organe 55 berührt, bis zum Ellbogen. Man glaubt bei jedem Schlag innerlich eine Schwingung zu empfinden, die zwei, drei Secunden anhält und der eine schmerzhafte Betäubung folgt. In der ausdrucksvollen Sprache der Tamanacos heißt daher der Tem-blador Arimna, das heißt, „de/ die Bewegung raubt." Die Empfindung bei schwachen Schlägen des Gymnotus schien mir große Aehnlichteit zu haben mit dem schmerzlichen Zucken, das ich fühlte, wenn auf den wunden Stellen, die ich auf meinem Nucken durch spanische Fliegen hervorgebracht, zwei heterogene Metalle sich berührten, l Dieser Unterschied zwischen der Empfindung, welche der Schlag des elektrischen Fisches, und der, welche eine Säule oder schwach geladene Leidner Flasche hervorbringt, ist allen Beobachtern ausgefallen; derselbe widerspricht indessen keineswegs der Annahme, daß die Elektricität und die galvanische Wirkung der Fische dem Wesen nach eins sind. Die Elektricität kann beidemal dieselbe scyn, sie mag sich aber verschieden äußern in Folge dcs Baus der elektrischen Organe, der Intensität des elektrischen Fluidums, der Schnelligkeit des Stroms oder einer eigenthümlichen Wirkungsweise. In holländisch Guyana, zum Beispiel zu Demcrary, galten früher die Zitteraale als ein Heilmittel gegen Lähmungen. Zur Zeit, wo die europäischen Aerzte von der Anwendung der Elektricität Großes erwarteten, gab ein Wundarzt in Essequibo, Namens Van der Lott, in Holland eine Abhandlung über die Heilkräfte des Zitteraals heraus. Solche „elektrische Curen" kommen bei den Wilden Amerika's wie bei den Griechen vor. ' Humboldts Versuche über die gereizte Muskelfaser. Vol. I. p. 323—32!). 56 Scribonius Largus, Galcnus und Dioscorides berichten uns, daß dcr Zitterrochen Kopfweh, Migräne und Gicht heile. In den spanischen Colonien, die ich durchreist, habe ich von dieser Heilmethode nichts gehört; aber soviel ist gewiß, daß Bonpland und ich, nachdem wir vier Stunden lang an Gymnoten ei« perimentirt, bis zum andern Tag Muskelschwäche, Schmerz in den Gelenken, allgemeine Uebligkeit empfanden, eine Folge der heftigen Reizung des Nervensystems. Während die Gymnoten für die europäischen Naturforscher Gegenstände der Vorliebe und des lebhaftesten Interesses sind, werden sie von den Eingebornen gefürchtet und gehaßt. Ihr MMelfleisch schmeckt allerdings nicht übel, aber der Körper besteht zum größten Theil aus dem elektrischen Organ, und dieses ist schmierig und von unangenehmem Geschmack; man sondert es daher auch sorgfältig vom Uebrigcn ab. Zudcm fchreibt man es vorzüglich den Gymnoten zu, daß die Fische in den Sümpfen und Teichen der Llanos so selten sind. Sie todten ihrer viel mehr, als sie verzehren, und die Indianer erzählten uns, wenn man in sehr starken Nctzen junge Krokodile und Zitteraale zugleich fange, so sey an letzteren nie eine Verletzung zu bemerken, weil sie die jungen Krokodile lahmen, bevor diese ihnen etwas anhaben können. Alle Bewohner des Wassers fliehen die Gemeinschaft der Zitteraale. Eidechsen, Schildkröten und Frösche suchen Sümpfe auf, wo sie vor jenen sicher sind. Bei Uritucu mußte man einer Straße eine andere Richtung geben, weil die Zitteraale sich in einem Fluß fo vermehrt hatten, daß sie alle Jahre eine Menge Maulthiere, die belastet durch den Fluß wateten, umbrachten. 57 Am 24. März verließen wir die Stadt Calabozo, sehr befriedigt von unserem Aufenlhalt und unsern Versuchen über einen so wichtigen physiologischen Gegenstand. Ich hatte über-dieß gute Sternbeobachtungen machen können und zu meiner Ucberraschung gefunden, daß die Angaben der Karten auch hier um einen Viertelsgrad in der Breite unrichtig sind. Vor mir hatte Niemand an diesem Ort beobachtet, und wie denn die Geographen gewöhnlich die Distanzen von der Küste dem Bin-uenlcmde zu zu groß annehmen, so hatten sie auch hier alle Punkte zu weit nach Süden gerückt. Auf dem Wege durch den südlichen Strich der Llanos fanden wir den Boden staubiger, pflanzenloser, durch die lange Dürre zerrissener. Die Palmen verschwanden nach und nach ganz. Der Thermometer stand von 11 Uhr bis zu Sonnenuntergang auf 34—35". Je ruhiger die Luft in 8—10 Fuß Höhe schien, desto dichter wurden wir von den Staubwirbeln eingehüllt, welche von den kleinen, am Boden hinstreichenden Luftströmungen erzeugt werden. Gegen 4 Uhr Abends fanden wir in der Savane ein junges indianisches Mädchen. Sie lag auf dem Rücken, war ganz nackt und schien nicht über 12—13 Jahre alt. Sie war von Ermüdung und Durst erschöpft, Augen, Nase, Mund voll Staub, der Athem röchelnd; sie konnte uns leine Antwort geben. Neben ihr lag ein umgeworfener Krug, halb voll Sand. Zum Glück hatten wir ein Maulthier bei uns, das Wasser trug. Wir brachten das Mädchen zu sich indem wir ihr das Gesicht wufchen und ihr einige Tropfen Wein aufdrangen. Sie war Anfangs erschrocken über dic vielcn Leute um sie her, aber sie beruhigte sich nach und nach und 58 sprach mit unsern Führern. Sie meinte, dem Stand der Sonne nach müsse sie mehrere Stunden betäubt dagelegen haben. Sie «war nicht dazu zu bringen, eines unserer Lastthiere zu besteigen. Sie wollte nicht nach Uritucu zurück; sie hatte in einem Hofe in der Nähe gedient und war von ihre? Herrschaft verstoßen worden, weil sie in Folge einer langen Krankheit nicht mehr so viel leisten konnte als zuvor. Unsere Drohungen und Bitten fruchteten nichts: für Leiden unempfindlich, wie ihre ganze Race, in die Gegenwart versunken ohne Bangen vor künftiger Gefahr, beharrte sie auf ihrem Entschluß, in eine der indianischen Missionen um die Stadt Calabozo her zu gehen. Wir schütteten den Sand aus ihrem Krug und füllten ihn mit Wasser. Nock elie wir wieder zu Pferde waren, setzte sie ihren Weg in der Steppe fort. Bald entzog sie eine Staubwolke unsern Blicken. In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in dem zahlreiche, auffallend wilde Krokodile hausen. Man warnte uns, unsere Hunde niHt am Flusse saufen zu lassen, weil es gar nicht selten vorkomme, daß die Krokodile im Uritucu aus dem Wasser gehen und die Hunde aufs Ufer verfolgen. Solche Keckheit fällt desto mehr auf, da fechs Meilen von da, im Rio Tisnao, die Krokodile ziemlich schüchtern und unschädlich sind. Die Sitten der Thiere einer und derselben Art zeigen Abweichungen nach örtlichen Einflüssen, die sehr schwer aufzuklären sind. Man zeigte uns eine Hütte oder vielmehr eine Art Schuppen, wo unser Wirth in Calabozo, Don Miguel Cousin, einen höchst merkwürdigen Auftritt erlebt hatte. Er schlief mit einem Freunde auf einer mit Leder überzogenen Bank, da wird er früh Morgens durch heftige Stöße und einen 59 furchtbaren Lärm aufgeschreckt. Erdschollen werden in die Hütte geschleudert. Nicht lange, so kommt ein junges 2—3 Fuß langes Krokodil unter der Schlafstätte hervor, fährt auf einen Hund los, der auf der Thürschwelle lag, verfehlt ihn im ungestümen Lauf, eilt dem Ufer zu und entkommt in den Fluß. Man untersuchte den Boden unter der Barbacoa oder Lagerstätte, und da war denn der Hergang des seltsamen Abenteuers bald klar. Man fand die Erde weit hinab aufgewühlt: es war vertrockneter Schlamm, in dem das Krokodil im Sommerschlaf gelegen hatte, in welchen Zustand manche Individuen dieser Thierart während der dürren Jahreszeit in den Llanos verfallen. Der Lärm von Menschen und Pferden, vielleicht auch der Geruch des Hundes hatten es aufgeweckt. Nie Hütte lag an einem Teich und stand einen Theil des Jahres unter Wasser; so war das Krokodil ohne Zweifel, als die Savane überschwemmt wurde, durch dasselbe Loch hineingekommen, durch das es Don Miguel herauskommen sah. Häufig finden die Indianer ungeheure Voa's, von ihnen Uji oder Wasserschlangen genannt, im selben Zustand der Erstarrung. Man muß sie, sagt man, reizen oder mit Wasser begießen, um sie zu erwecken. Man tödtet die Voa's und hängt sie in einen Bach, um durch die Iäulniß die sehnigten Theile der Rückenmuskeln zu gewinnen, aus denen man in Calabozo vortreffliche Guitarrensaiten macht, die weit besser sind als die aus den Därmen der Brüllaffen. Wir sehen somit, daß in den Llanos Trockenheit und Hitze auf Thiere und Gewächse gleich dem Frost wirken. Außerhalb der Tropen werfen die Bäume in sehr trockener Luft ihre Blätter ab. Die Reptilien, besonders Krokodile und Voa's, verlassen 60 vermöge ihres trägen Natureis die Lachen, wo sie beim Aus-tretcn der Flüsse Wasser gefunden haben, nicht leicht wieder. Je mehr nun diese Wasserftücke eintrocknen, desto tiefer graben sich die Thiere in den Schlamm ein, der Feuchtigkeit nach, die bei ihnen Haut und Decken schmiegsam erhält. In diesem Zustand der Ruhe kommt die Erstarrung über sie: sie werden wohl dabei von der äußern Luft nicht ganz abgesperrt, und so gering auch der Zutritt derselben seyn mag, er reicht hin, den Athmungsprozeß bei einer Eidechse zu unterhalten, die ausnehmend große Lungensäcke hat, die keine Muskelbewegungen vornimmt und bei der fast alle Lebensverrichtungen stocken. Die Temperatur des veitrockneten, dem Sonnenstrahl ausgesetzten Schlammes beträgt im Mittel wahrscheinlich mehr als 40 ". Als es im nördlichen Egypten, wo im kühlsten Monat die Temperatur nicht unter 13^,4 sinkt, noch Krokodile gab, wurden diese häusig von der Kälte betäubt. Sie waren einem Winterschlaf unterworfen, gleich unsern Fröschen, Salamandern, Uferschwalben und Murmelthieren. Wenn die Erstarrung im Winter bei Thieren mit warmem Blut, wie bei solchen mit kaltem vorkommt, so kann man sich eben nicht wundern, daß in beiden Klassen auch Fälle von Sommerschlaf vorkommen. Gleich den Krokodilen in Südamerika liegen die Tenrecs oder Igel auf Madagascar mitten in der heißen Zone drei Monate des Jahres in Erstarrung. Am 25. März kamen wir über den ebensten Strich der Steppen von Caracas, dieMesadePavones. Die Corypha-und Murichcpalme fehlen hier ganz. Soweit das Auge reicht, gewahrt man keinen Gegenstand, der auch nur fünfzehn Zoll 61 hoch wäre. Die Luft war 'rein und der Himmel tief blau, aber den Horizont säumte ein blasser, gelblicher Schein, der ohne Zweifel von der Menge des in der Luft schwebenden Sandes herrührte. Wir trafen große Heerden, und bei ihnen Schaaren schwarzer Vögel mit olivenfarbigem Glanz von der Gattung Ootopka^», die dem Vieh nachgehen. Wir sahen sie häusig den Kühen auf dem Rücken sitzen und Vremsen und andere Insekten suchen. Gleich mehreren Vögeln dieser Einöde scheuen sie so wenig vor dem Menschen, daß Kinder sie oft mit der Hand fangen. In den Thälern von Aragua, wo sie sehr häusig sind, setzten sie sich am hellen Tag auf unsere Hänge-matten, während wir darin lagen. Zwischen Calabozo, Uritucu und der Mesa de Pavones kann man überall, wo der Boden von Menschenhand wenige Fuß tief aufgegraben ist, die geologischen Verhältnisse der Llanos beobachten. Ein rother Sandstein' (altes Conglomerat) streicht über mehrere tausend Quadratmeilen weg. Wil fanden ihn später wieder in den weiten Ebenen des Amazonenstroms, am östlichen Saum der Provinz Iaen de Bracamoros. Diese ungeheure Verbreitung des rothen Sandsteins auf den tiefgelegenen Landstrichen ostwärts von den Anden ist eine der auffallendsten geologischen Erscheinungen, die ich unter den Tropen beobachtet. Nachdem wir in den öden Savanen der Mesa de Pavones lange ohne die Spur eines Pfades umhergeirrt, sahen wir zu unserer freudigen Ueberraschung einen einsamen Hof vor uns, den Hsto cis s,Ita 6i-noi», der von Gärten und kleinen Teichen ' Rothe« Tobtliegexd»«, ober ältester Flöhsandstein der Freiberger Schule. 62 mit klarem Wasser umgeben ist. Hecken von Azedarac liefen um Gruppen von Icaquesbäumen, die voll Früchten hingen. Eine Strecke weiter übernachteten wir beim kleinen Dorfe San Geronymo del Guayaval, das Missionäre vom Kapuzinerorden gegründet haben. Es liegt am Ufer des Rio Guarico, der in den Avure fällt. Ich besuchte den Geistlichen, der in der Kirche wohnen mußte, weil noch kein Priesterhaus gebaut war. Der junge Mann nahm uns aufs zuvorkommendste auf nnd gab uns über Alles die verlangte Auskunft. Sein Dorf, oder, um den officiellen Ausdruck der Mönche zu gebrauchen, seine Mission, war nicht leicht zu regieren. Der Stifter, der keinen Anstand genommen, auf seine Rechnung eine Pulperia zu errichten, das heißt sogar in der Kirche Bananen und Guarapo zu verkaufen, war auch bei Aufnahme der Crlonisten nicht ekel gewesen. Viele Landstreicher aus den Llanos hatten sich in Guayaval niedergelassen, weil die Einwohner einer Mission dem weltlichen Arm entrückt sind. Hier wie in Neu-Holland kann man erst in der zweiten oder dritten Generation auf gute Colonisten rechnen. Wir setzten über den Rio Guarico und übernachteten in den Savanen südlich vom Guayaval. Ungeheure Fledermäuse, wahrscheinlich von der Sippe der Phyllostomen, flatterten, wie gewöhnlich , einen guten Theil der Nacht über unsern Hängematten. Man meint jeden Augenblick, sie wollen sich einem ins Gesicht einkrallen. Am frühen Morgen setzten wir unsern Weg über tiefe, häusig unter Wasser stehende Landstriche fort. In der Regenzeit kann man zwischen dem Guarico und dem Apure im Kahn fahren, wie auf einem See. Es begleitete uns ein 63 Mann, der alle Höfe (Hatos) in dcn Llaons besucht hatte, um Pferde zu kaufen. Er hatte für tausend Pferde 2200 Piaster gegeben, l Man bezahlt natürlich desto weniger, je bedeutender der Kauf ist. Am 27. März langten wir in der Villa de San Fernando, dem Hauptort der Missionen der Kapuziner in der Provinz Varinas, an. Damit waren wir am Zicl unserer Reise über die Eben:n, denn die drei Monate April, Mai und Juni brachten wir auf den Strömen zu. l In den Llanos von Calabozo und am Guayaval kostet ein jungei Stier von zwei bis drei Iahreu einen Piaster. Ist er verschnitten ti» sehr heißen Ländern eine ziemlich gefährliche Operation), so ist er 5 bis 6 Piaster werth. Eine an der Sonne getrocknete Ochsenhaut gilt 2'/, Silberrealen (l Peso — 8 Realen); ein Hnhn 2 Realen; ein Schaf, in Varquesimeto und Trurillo, denn ostwärts von diese» Städten gibt es keine, 3 Realen. Da diese Preise sich nothwendig verändern werden, je mehr die Bevölkerung in den spanischen Colo-nien zunimmt, so schien es mir nicht unwichtig, hier Angaben niederzulegen, die künftig bei nationalölonomische» Untersuchungen als An-haltspunkle dienen können. Achtzehntes Kapitel. San Fernando de Afture. — Verschliiigungen und Gabeltheilungen der Flüsse Apure und Arauca. — Fahrt auf dem Nio Apure. Vis in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts waren die großen Flüsse Apure, Payara, Arauca und Meta in Europa kaum dem Namen nach bekannt, ja weniger als in den vorhergehenden Jahrhunderten, als der tapfere Felipe de Urre und die Eroberer von Tocuyo durch die Llanos zogen, um jenseits des Apure die große Stadt des Dorado und das reiche Land Omaguas, das Tombuctu des neuen Continents, aufzusuchen. So kühne Züge waren nur in voller Kriegsrüstung auszuführen. Auch wurden die Waffen, die nur die neuen Ansiedler schützen sollten, beständig wider die unglücklichen Eingebornen gekehrt. Als diesen Zeiten der Gewaltthätigkeit und der allgemeinen Noth friedlichere Zeiten folgten, machten sich zwei mächtige indianische Volksstämme, die Cabres und die Caraiben vom Orinoco, zu Herren des Landes, welches die Conquistadoren jetzt nicht mehr verheerten. Von nun an war es nur noch armen Mönchen gestattet, südlich von den Steppen den Fuß zu sehen. Jenseits des Uritucu begann für die spanischen Ansiedler eine neue Welt, und die Nachkommen der 65 unerschrockenen Krieger, die von Per» bis zu den Küsten von Neu-Grenada und an den Amazonenstrom alles Land erobert hatten, kannten nicht die Wege, die von Coro an den Rio Meta füliren. Das Küstenland von Venezuela blieb isolirt, und mit den langsamen Eroberungen der Missionäre von der Gesellschaft Jesu wollte es nur längs der Ufer des Orinoco glücken. Diese Väter waren bereits bis über die Katarakten von Atures und Maypures hinausgedrungen, als die andalusischen Kapuziner von der Küste und den Thälern von Aragua aus kaum die Ebenen von Calabozo erreicht hatten. Aus den verschiedenen Ordensregeln läßt sich ein solcher Contrast nicht wohl erklären: vielmehr ist der Charakter des Landes ein Hauptmoment, ob die Missionen raschere oder langsamere Fortschritte machen. Mitkn im Lande, in Gebirgen oder auf Steppen, überall, wo sie nicht am selben Flusse fortgehen, dringen sie nur langsam vor. Man sollte es kaum glauben, daß die Stadt San Fernando am Apure, die in gerader Linie nur fünfzig Meilen von dem am frühesten bevölkerten Küstenstrich von Caracas liegt, erst im Jahre 1789 gegründet worden ist. Man zeigte uns ein Pergament voll hübscher Malereien, die Stiftungsurkunde der kleinen Stadt. Dieselbe war auf Ansuchen der Mönche aus Madrid gekommen, als man noch nichts sah als ein paar Rohrhütten um ein großes, mitten im Flecken aufgerichtetes Kreuz. Da die Missionäre und die weltlichen obersten Behörden gleiches Interesse haben, in Europa ihre Bemühungen für Förderung der Cultur und der Bevölkerung in den Provinzen über dem Meer in übertriebenem Lichte erscheinen zu lassen, so kommt es oft vor, daß Stadt und Torfnamen lange vor Humboldt, Rtlse. IV. 5 66 der wirklichen Gründung in der Liste der neuen Eroberungen aufgeführt werden. Wir werden an den Ufern des Orinoco und des Cassiauiare dergleichen Ortschaften nennen, die längst projektirt waren, aber nie anderswo standen als auf den in Nom und Madrid gestochenen Mifsionskarten. San Fernando, an einem großen schiffbaren Strome, nahe bei der Einmündung eines andern, der die ganze Provinz Parinas durchzieht, ist für den Handel ungemein günstig gelegen. Alle Produkte diefer Provinz, Häute, Cacao, Vaum-wolle, der Indigo von Mijagual, der ausgezeichnet gut ist, gehen über diese Stadt nach den Mündungen des Orinoco. In der Regenzeit kommen große Fahrzeuge von Angostura nach San Francisco herauf, sowie auf dem Nio Santo Do-mingo nach Torunos, dem Hafen der Stadt Varinas. Um diese Zeit treten die Flüsse aus und zwischen dem Apure, dem Capanaparo und Sinaruco bildet sich dann ein wahres Labyrinth von Verzweigungen, das über eine Fläche Landes von 400 Quadratmeilen reicht. Hier ist der Punkt, wo der Orinoco, nicht wegen naher Berge, sondern durch das Gefalle der Gegenhänge seinen Lauf ändert und sofort, statt wie bisher die Richtung eines Meridians zu verfolgen, ostwärts fließt. Betrachtet man die Erdoberfläche als einen vielseitigen Körper mit verschieden geneigten Flächen, fo springt schon bei einem Blick auf die Karteu in die Augen, daß zwischen San Fernando am Apure, Caycara und der Mündung des Meta drei Gehänge, die gegen Nord, West und Süd ansteigen, sich durchschneiden, wodurch eine bedeutende Bodensenkung entstehen muhte. In diesen, Becken steht in der Regenzeit das Wasser 67 12—14 Fuß hoch auf den Grasfluren, so daß sie einem mächtigen See gleichen. Die Dörfer und Höfe, die gleichsam auf Untiefen dieses Sees liegen, stehen laum I—3 Fuß über dem Wasser. Alles erinnert hier an die Ueberschwemmung in Nnter-agypten und an die Laguna de Xarajes, die früher bei den Geographen so vielberufen war, obgleich sie nur ein paar Monate im Jahr besteht. Das Austreten der Flüsse Apure, Meta und Orinoco ist ebenso an eine bestimmte Zeit gebunden. In der Regenzeit gehen die Pferde, welche in der Sauane wild leben, zu Hunderten zu Grunde, weil sie die Plateaus oder die gewölbten Erhöhungen in den Llanos nicht erreichen konnten. Man sieht die Stuten, hinter ihnen ihre Füllen, einen Theil des Tags herumschwimmen und die Gläser abweiden, die nur mit den Spitzen über das Wasser reichen. Sie werden dabei von Krokodilen angefallen, und man sieht nicht selten Pferde, die an den Schenkeln Spuren von den Zähnen dieser fleischfressenden Reptilien aufzuweisen haben. Die Nase von Pferden, Maulihicren und Kühen ziehen zahllose Geier herbei. Die Zamuros ' sind die Ibis oder vielmehr Percnopterus des Landes. Sie haben ganz den Haditus des „Huh>,s der Pharaonen" und leisten den Bewohnern der Llanos dieselben Dienste, wie der Vultur rsi-onopterus drn Egyptern. Ulberdcnkt man die Wirkungen dieser Überschwemmungen, so kann man nicht umhin, dabei zu verweilen, wie wunderbar biegsam die Organisatwn der Thiere ist, die der Mensch seiner Herrschaft unterworfen hat. In Grönland frißt der Hund die 1 Vultur aura. 68 Abfälle beim Fischfang, und gibt es keine Fische, so nährt er sich von Seegras. Der Elel und das Pferd, die aus den kalten, dürren Ebenen Hochasiens stammen, begleiten den Menschen in die neue Welt, treten hier in den wilden Zustand zurück und fristen im heißen tropischen Klima ihr Leben unter Unruhe und Beschwerden. Jetzt von übermäßiger Dürre und darauf von übermäßiger Nässe geplagt, suchen sie bald, um ihren Durst zu löschen, eine Lache auf dem kahlen, staubigten Vodm, bald siüchten sie sich vor den Wassern der austretendcn Flüsse, vor einem Feinde, der sie von allen Seiten umzingelt. Den Tag über werden Pferde, Maulthiere und Rinder von Bremsen und Moskitos gepeinigt, und bei Nacht von ungeheuren Fledermäusen angefallen, die sich in ihren Rücken einkrallen und ihnen desto schlimmere Wunden beibringen, da alsbald Milben und andere bösartige Insekten in Menge hineinkommen. Zur Zeit der großen Dürre benagen die Maulthiere sogar den ganz mit Stacheln besetzten Mclocactus, l um zum erfrischenden Saft und so gleichsam zu ciner vegetabilischen Wasserquelle zu gelangen. Während der großen Ueberschwem-mungen leben dieselben Thiere wahrhaft amphibisch, in Gesellschaft von Krokodilen, Wasserschlangen und Seekühen. Und dennoch erhält sich, nach den unabänderlichen Gesetzen der Natur, ihre Stammart im Kampf mit den Elementen, mitten unter zahllosen Plagen und Gefahren. Fällt das Wasser wieder, kehren ' Gan, besonder« geschickt wissen die Gsel sich die Feuchtigkeit im Innern de» <ü»ctu8 melnc»clu8 zu Nutze zu nnichen. Eie stoßrn die Stacheln mit den Füßen ab, und man sieht welche in Folge dieses Verfahrens hinken. 69 die FMe in ihre Betten zurück, so überzieht sich die Savane mit zartem, angenehm duftendem Gras, und im Herzen dcs heißen Landstrichs scheinen die Thiere des alten Europas und Hcchafiens in ihr Heimachland verseht zu seyn und sich dcs neuen Frühlingsgrüns zu freuen Wahrend des hohen Wasserstandes gehen die Bewohner dieser Länder, um die starke Strömung und die gefährlichen Baumstämme, die sie treibt, zu vermeiden, in ihren Canoes >nicht in den Fluhbetten hinauf, fondern fahren über die Grasfturcn. Will man von San Fernando nach den Dorfern San Juan de Payara, San Raphael de Atamaica oder San Francisco de Capanaparo, wendet man sich gerade nach Süd, als führe man auf einem einzigen 20 Meilen breiten Strome. Die Flüsse Guarico, Apure, Capullare und Arauca bilden da, wo sie sich in den Orinoco ergießen, 160 Meilen uon der Küste uon Guyana, eine Art Vinnendelta, dergleichen die Hydrographie in der alten Welt wenige aufzuweiscn hat. Nach der Höhe des Quecksilbers im Barometer hat der Apure von San Fernando bis zur See nur ein Gefalle von 34 Toisen. Dieser Fall ist so unbedeutend als der von der Einmündung dcs Osageflusses und des Missouri in den Mississippi bis zur Barre desselben. Die Savanen in Nieder-Louisiana erinnern überhaupt in allen Stücken an die Savanen am untern Orinoco. Wir hielten uns drei Tage in der kleinen Stadt San Francisco auf. Wir wohnten beim Missionär, einem sehr wohlhabenden Kapuziner. Wir waren vom Bischof von Caracas an ihn empfohlen und er bewies uns die größle Aufmerksamkeit und Gefälligkeit. Man hatte Uferbauten unternommen, 70 damit der Fluß den Boden, auf dem die Stadt liegt, nicht unlerwühlen könnte, und er zog mich deßhalb zu Rath. Turch den Einfluß der Portuguesa in den Apure wird dieser nach Südqst gedrängt, und statt dem Fluß freieren Lauf zu verschaffen, hatte man Dämme und Teiche gebaut, um ihn einzuengen. Es war leicht vorauszusagen, daß, wenn die Flüsse stark austraten, diese Wehren um so schneller weggeschwemmt werden mußten, da man das Erdreich zu den Wasserbauten hinter dem Damme genommen und so das Ufer geschwächt hatte. San Fernando ist berüchtigt wegen der unmäßigen Hitze, die hier den grüßten Theil des Jahres herrscht, und bevor ich von unserer langen Fahrt auf den Strömen berichte, führe ich hier einige Beobachtungen an, welche für die Meteorologie der Tropenländer nicht ohne Werth seyn mögen. Wir begaben uns mit Thermometern auf das mit weißem Sand bedeckte Gestade am Apure. Um 2 Uhr Nachmittags zeigte der Sand überall, wo er der Sonne ausgesetzt war, 52",5. ^ In acht-zelm Zoll Höhe über dem Sand stand der Thermometer auf 42", in sechs Fuß Höhe auf 38", 7. Die Lufttemperatur im Schatten eines Ceibabaums war 36",2. Diese Beobachtungen wurden bei völlig stiller Luft gemacht. Sobald der Wind zu wehcn anfing, stieg die Temperatur der Luft um 3 Grad, und doch befanden wir uns in keinem „Sandwind." Es waren vielmehr Luftschichten, die mit einem stark erhitzten Boden in Berührung gewesen, oder durch welche „Sandhosen" durchgegangen waren. Dieser westliche Strich der Llanos ist der ' ' 42° Reaumur. 71 heißeste, weil ihm die Luft zugeführt wird, welche bereits über die ganze dürre Steppe weggegangen ist. Denselben Unterschied hat man zwischen den östlichen und westlichen Strichen der afrikanischen Wüsten da bemerkt, wo die Passate wehen. — In der Regenzeit nimmt die Hitze in den Llanos bedeutend zu, besonders im Juli, wenn der Himmel bedeckt ist und die strahlende Wärme gegen den Erdboden zurückwirft. In dieser Zeit hört der Seewind ganz auf, und nach Pozo's guten ther-mometrischen Beobachtungen steigt der Thermometer im Schalten auf 39—39",5, ^ und zwar noch über 15 Fuß vom Noden. Je näher wir den Flüssen Portugueza, Apure und Apurito kamen, desto kühler wurde die Luft, in Folge der Verdunstung so ansehnlicher Wassermassen. Dieß ist besonders bei Sonnenaufgang fühlbar; den Tag über werfen die mit weißem Sand bedeckten Flußufer die Sonnenstrahlen auf unerträgliche Weise zurück, mehr als der gelbbraune Thonboden um Calabozo und Tisnao. Am 28. März bei Sonnenaufgang brfand ich mich am Ufer, um die Breite des Apure zu messen. Sie beträgt 206 Toisen. Es donnerte von allen Seiten; es war dieß das erste Gewitter und der erste Negen der Jahreszeit. Der Fluß schlug beim Ostwind starke Wellen, aber bald wurde die Luft wieder still, und alsbald singen große Cetaccen aus der Familie der Spritzsische, ganz ähnlich den Delphinen unserer Meere, an sich in langen Neihen an der Wasserfläche zu tummeln. Die Krokodile, langsam und träge, schienen die Nähe dieser f 31°2—3l°.S Reaumur. 72 lärmenden, in ihren Bewegungen ungestümen Thiere zu scheuen, wir sahen sie untertauchen, wenn die Spritzsische ihnen nahe kamen. Daß Cetaceen so weit von der Küste vorkommen, ist sehr auffallend. Die Spanier in den Missionen nennen sie, wie die Seedelphine, Toninas; ihr indianischer Name ist Ori-nucu a. Sie sind 3—4 Fuß lang und zeigen, wenn sie den Rücken krümmen und mit dem Schwanz auf die untern Wafscr-schichten schlagen, ein Stück des Rückens und der Rückenfloße. Ich konnte keines Stücks habhaft werden, so oft ich auch Indianer aufforderte, mit Pfeilen auf sie zu schießen. Pater Gili versichert, die Guamos essen das Fleisch derselben. Gehören diese Cetaceen den großen Strömen Südamerikas eigenthümlich an, wie der Lamantin (die Seekuh), der nach Cuviers anatomischen Untersuchungen gleichfalls ein Süß wassersäuge-thier ist, oder soll mau annehmen, daß sic aus der See gegen die Strömung so weit heraufkommen, wie in den asiatischen Flüssen der V^IpinnüptkruL Leiu^a zuweilen thut? Was mir letztere Vermuthung unwahrscheinlich macht, ist der Umstand, daß wir im Rio Atabapo, oberhalb der großen Fälle des Orinoco, Toninas angetroffen haben. Sollten sie von der Mündung des Amazonenstroms her durch die Verbindungen desselben mit dem Rio Negro, Cassiauiare und Orinoco bis in das Herz von Südamerika gekommen seyn? Man trifft sie dort in allen Jahreszeiten an und teine Spur scheint anzudeuten, daß sie zu bestimmten Zeiten wandern wie die Lachse. Während es bereits rings um uns donnerte, zeigten sich am Himmel nur einzelne Wolken, die langsam, und zwar in entgegengesetzter Richtung dem Zenith zuzogen. Delucs Hygro- 73 meter stand auf 53°, der Thermometer auf 23",7,- der Elektrometer mit rauchendem Docht zeigte keine Spur von Elektricität. Während das Gewitter sich zusammenzog, wurde die Farbe des Himmels zuerst dunkelblau und dann grau. Die Dunstbläschen ^wurden sichtbar und der Thermometer sticg um 3 Grad, wie fast immer unter den Tropen bei bedecktem Himmel, weil dieser die strahlende Wärme des Bodens zurückwirft. Jetzt goß der Regen in Strömen nieder. Wir waren hinlänglich an das Klima gewöhnt, um von einem tropischen Regen k?inen Nachtheil fürchten zu dürfen; so blieben wir denn am Ufer, um den Gang des Elektrometers genau zu beobachten. Ich hielt ihn 6 Fuß über dem Boden 20 Minuten lang in der Hand und sah die Fliedermarkkügelchen meist nur wenige Secunden vor dcm Blitz auseinander gehen, und zwar 4 Linien. Die elektrische Ladung blieb sich mehrere Minuten lang gleich' wir hatten Zeit, mittelst einer Siegellactstangc die Art der Elektricität zu untersuchen, und so sah ich hier, wie später oft auf dem Rücken der Anden während eines Gewitters, daß die Luft-elettncitüt zuerst positiv war, dann Null und endlich negativ wurde. Dieser Wechsel zwischen Kosiliv und Negativ (zwischen Glas- und Harzelektricilät) wiederholte sich öfters. Indessen zeigte der Elektrometer ein wenig vor dem Blitz immer nur Null oder positive Elektricität, niemals negative. Gegen das Ende des Gewitters wurde dcr Westwind sehr heftig. Die Wolken zerstreuten sich und der Thermometer siel auf A2", in Folge der Verdunstung am Boden und der freieren Wärmestrahlung gegen den Himmel. Ich bin hier näher auf Einzelnes über elektrische Spannung 74 der Luft eingegangen, weil die Reisenden sich meist darauf beschränken, den Eindruck zu beschreiben, den ein tropisches Gewitter auf einen neu angekommenen Europäer macht. In einem Land, wo das Jahr in zwei große Hälften zerfällt, in die trockene und in die nasse Jahreszeit, oder, wie die Indianer in ihrer ausdrucksvollen Sprache sagen, in Sonnen zeit und in Regenzeit, ist cs von großem Interesse, den Verlauf der meteorologischen Erscheinungen beim Uebergang von einer Jahreszeit zur andern zu verfolgen. Bereits seit dem 18. und 19. Februar hatten w'r in den Thälern von Aragua mit Einbruch der Nacht Wolken aufziehen sehen. Mit Anfang März wurde die Anhäufung sichtbarer Dunstbläschen und damit die Anzeichen von Luftelektricität von Tag zu Tag stärker. Wir sahen gegen Süd wetterleuchten und der Voltasche Elektrometer zeigte bei Sonnenuntergang fortwährend Glasclcktricität. Mit Einbruch der Nacht wichen die Fiiedermarkkügelchen, die sich den Tag über nicht gerührt, 3—4 Linien auseinander, dreimal weiter, als ich in Europa mit demselben Instrument bei heiterem Wetter in der Regel beobachtet. Vom 26. Mai an schien nun aber das eleklrische Gleichgewicht in der Luft völlig gestört. Stundenlang war die Elektricität Null, wurdo dann sehr stark — 4 bis 5 Linien — und bald darauf war sie wieder unmerklich. Delucs Hygrometer zeigte fortwährend große Trockenheit an, 33—35", und dennoch schien die Luft nicht mehr dieselbe. Während dieses beständigen Schwankens der Luftelektricität singen die kahlen Bäume bereits an frische Blätter zu treiben, als hätten sie ei» Vorgefühl vom nahenden Frühling. 75 Der Witterungswechsel, den wir hier beschrieben, bezieht sich nicht etwa auf ein einzelnes Jahr. In der Aequinoctial-zone folgen alle Erscheinungen in wunderbarer Einförmigkeit auf einander, wei! die lebendigen Kräfte der Natur sich nach leicht erkennbaren Gesetzen beschränken und im Gleichgewicht halten. Im Vinnenlande, ostwärts von den Cordilleren von Merida und Neu-Grenada, in den Llanos von Venezuela und am Rio Meta, zwischen dem 4. und 10. Vreitcgrad, aller Orten, wo es vom Mai bis Oktober beständig regnet und demnach die Zeit der größten Hitze, die im Juli und August eintritt, in die Regenzeit fällt, nehmen die atmosphärischen Erscheinungen folgenden Verlauf. Unvergleichlich ist die Reinheit der Luft vom December bis in den Februar. Der Himmel ist beständig wolkenlos, und zieht je Gewölk auf, so ist das ein Phänomen, das die ganze Einwohnerschaft beschäftigt. Der Wind bläst stark aus Ost und Ost-Nord-Ost. Da er beständig Luft von der gleichen Temperatur herführt, so können die Dünste nicht durch Abkühlung sichtbar werden. Gegen Ende Februar und zu Anfang März ist das Blau des Himmels nicht mehr so dunkel, der Hygrometer zeigt allmählig stärkere Feuchtigkeit an, die Sterne sind zuweilen von einer feinen Dunstschicht umschleicrt, ihr Licht ist nicht mebr planetarisch ruhig, man sieht sie hin und wieder bis zu 20 Grad über dcm Horizont flimmern. Um diese Zeit wird der Wind schwächer, unregelmäßiger, und es tritt öfter als zuvor völlige Windstille ein. In Eüd-Süd-Ost ziehen Wolken auf. Sie erscheinen wie ferne Gebirge mit sehr scharfen Umrissen. Von Zeit zu Zeit lösen sie sich vom 76 Horizont ab und laufen,übcr das Himmelsgewölbe mit einer Schnelligkeit, die mit dem schwachen Wind in den untern Luftschichten außer Verhältniß steht. Zu Ende März wird das südliche Stück des Himmels von kleinen, leuchtenden elektrischen Entladungen durchzuckt, vhosvhonschen Aufleuchtungen, die immer nur von Einer Dunstmasse auszugehen scheinen. Von nun an dreht sich der Wind von Zeit zu Zeit und auf mehrere Stunden nach West und Südwest. Es ist dieß ein sicheres Zeichen, daß die Regenzeit bevorsteht, die am Orinoco gegen Ende April eintritt. Der Himmel fängt an sich zu beziehen, das Blau verschwindet und macht einem gleichförmigen Grau Platz. Zugleich nimmt die Luftwärme stetig zu, und nicht lange, so sind nicht mehr Wolken am Himmel, sondern verdichtete Wasserdünste hüllen ihn vollkommen ein. Lange vor Sonnenaufgang erheben die Brüllaffen ihr klägliches Geschrei. Die Luftelektricität, die während der großen Dürre vom De-ccmber bis März bei Tag fast beständig gleich 1,7—2 Linien am Voltaschen Elektrometer war, fängt mit dem März an äußerst veränderlich zu werden. Ganze Tage lang ist sie Null, und dann weichen wieder die Fliedermarkkügelchen ein paar Stunden lang 3—4 Linien auseinander. Die Luftelektricität, die in der heißen wie in der gemäßigten Zone in der Regel Glaselektricität ist, schlägt auf 8—10 Minuten in Harzelcktri-cität um. Die Regenzeit ist die Zeit der Gewitter, und doch erscheint als Ergebniß meiner zahlreichen dreijährigen Beobachtungen, daß gerade in dieser Gewitterzeit die elektrische Spannung in den tiefen Luftregionen geringer ist. Sind die Gewitter die Folge dieser ungleichen Ladung der über einander 77 gelagerten Luftschichten? Was hindert die Elektricität in einer Luft, die fchon feit März feuchter geworden, auf den Boden herabzukommen? Um diefe Zeit scheint die Elektricität nicht durch die ganze Luft verbreitet, sondern auf der äußern HüNe, auf der Oberfläche der Wolken angehäuft zu seyn. Daß sich das elektrische Fluidum an die Oberfläche der Wolke zieht, ist, nach Gay-Lufsac, eben eine Folge der Wolkenbildung. In den Ebenen steigt das Gewitter zwei Stunden nach dem Durch' gang der Sonne durch den Meridian auf, also kurze Zeit nach dem Eintritt des täglichen Wärmcmarimums unter den Tropen. Im Binnenlands hört man bei Nacht oder Morgens äußerst selten donnern: nächtliche Gewitter kommen nur in gewissen Flußthälern vor, die ein eigenthümliches Klima haben. Auf welchen Ursachen beruht es nun, daß das Gleichgewicht in der elektrischen Spannung der Luft gestört wird, daß sich die Dünste fortwährend zu Wasser verdichten, daß der Wind aufhört, daß die Regenzeit eintritt und so lange anhält? Ich bezweifle, daß die Elektricität bei Bildung der Dunstbläschen mitwirkt; durch diese Bildung wird vielmehr nur die elektrische Spannung gesteigert und modificirt. Nördlich und südlich vom Aequator kommen die Gewitter oder die großen Entladungen in der gemäßigten und in der äquinoctialen Zone um dieselbe Zeit vor. Besteht ein Moment, das durch das große Luftmeer aus jener Zone gegen die Tropen her wirkt? Wie läßt sich denken, daß in letzterem Himmelsstrich, wo die Sonne sich immer so hoch über den Horizont erhebt, der Durchgang des Gestirns durch das Zenith bedeutenden Einfluß auf die Vorgänge in der Luft haben sollte? Nach meiner Ansicht ist die 7» Ursache, welche unter den Tropen das Eintreten des Regens bedingt, keine örtliche, und das scheinbar so verwickelte Problem würde sich wohl unschwer lösen, wenn wir mit den obern Luftströmungen besser bekannt wärcn. Wir können nur beobachten, was in den untern Luftschichten vorgeht. Ueber 2000 Toisen Meereshöhe sind die Anden fast unbewohnt, und in dieser Höhe äußern die Nähe des Vodens und die Gebirgsmassen, welche die Untiefen im Luftocean sind, bedeutenden Einfluß auf die umgebende Luft. Was man auf der Hochebene am Antisana beobachtet, ist etwas Anderes, als was man wahrnähme, wenn man in derselben Höhe in einem Luftballon über den Llanos oder über der Meeresfiache schwebte. Wie wir gesehen haben, füllt in der nördlichen Aequinoc-tialzone der Anfang der Negenniederschlüge und Gewitter zusammen mit dem Durchgang der Sonne durch das Zenith des Orts, mit dem Aufhören der See- oder Nordostwinde, mit dem häufigen Eintreten von Windstillen und Vend aval es, das heißt heftigen Südost' und Südwestwinden bei bedecktem Himmel. Vergegenwärtigt man sich die allgemeinen Gesetze des Gleichgewichts, denen die GaZmassen, aus denen unsere Atmosphäre besteht, gehorchen, so ist, nach meiner Ansicht, in den Momenten, daß der Strom, der vom gleichnamigen Pol herbläst, unterbrochen wird, daß die Luft in der heißen Zone sich nicht mehr erneuert, und daß fortwährend ein feuchter Strom aufwärts geht, einfach die Ursache zu suchen, warum jene Erscheinungen zusammenfallen. So lange nördlich vom Acquator der Seewind aus Nordost mit voller Kraft bläst, laßt er die Luft über den tropischen Ländern und Meeren sich 79 nicht mit Wasserdunft sättigen. Die heiße, trockene Luft dieser Erdstriche steigt aufwärts und fließt d°n Polen zu ab, während untere, trockenere und kältere Luft herbeiführende Polarströmungen jeden Augenblick die aufsteigenden Luftfäulen ersetzen. Bei diesem unaufhörlichen Spiel zweier entgegengesetzten Luftströmungen kann sich die Feuchtigkeit in der Aequatorialzone nicht anhäufen, sondern wird kalten und gemäßigten Regionen zugeführt. Während dieser Zeit der Nordostwinde, wo sich die Sonne in den südlichcn Zeichen befindet, bleibt der Himmcl in der nördlichen Aequatorialzone beständig heitet. Die Dunstbläschen verdichten sich nicht, weil die beständig erneuerte Luft weit vom Sättigungspunkt entfernt ist. Iemehr die Sonne nach ihren, Eintritt in die nördlichen Zeichen gegen das Zenith herausrückt, desto mehr legt sich der Nordostwind und hört nach und nach ganz auf. Der Temperaturunterschied Zwischen den Tropen und der nördlichen gemäßigten Zone ist jetzt der kleinst-mögliche. Es ist Sommer am Nordpol, und während die mittlere Wintertemperatur unter dem 42.-52. Grad der Vieite um 20—26 Grad niedriger ist als die Temperatur unter dem Aequator, beträgt der Unterschied im Sommer kaum 4—6 Grad. Steht nun die Sonne im Zenith und hört der Nordostwind auf, so treten die Ursachen, welche Feuchtigkeit erzeugen und sie in der nördlichen Aequinoctialzone anhäufen, zumal in vermehrts Wirksamkeit. Die Luftsäule über dieser Zone sättigt sich mit Wasserdampf, weil sie nicht mehr durch den Polarstrom erneuert wird. In dieser gesättigten und durch die vereinten Wirkungen der Strahlung und der Allsdehnung beim Aufsteigen erkalteten Luft bilden sich Wolken. Im Maaß als diese 80 Luft sich verdünnt, nimmt ihre Wäremecapacität zu. Mit der Bildung und Zusammenballung dcr Dunstbläschen häuft sich die Elektricität in den obern Luftregionen an. Den Tag über schlagen sich die Dünste fortwährend nieder; bei Nacht hört dieß meist auf, häusig sogar schon nach Sonnenuntergang. Die Regengüsse sind regelmäßig am stärksten und von elektrischen Entladungen begleitet, kurze Zeit nachdem das Maximum der Tagestemperatur eingetreten ist. Dieser Stand der Dinge dauert an, bis die Sonne in die südlichen Zeichen tritt. Jetzt beginnt in- der nördlichen gemäßigten Zone die kalte Witterung. Von nun an tritt die Luftströmung vom Nordpol her wieder ein, weil dcr Unterschied zwischen den Wärmegraden im tropischen und im gemäßigten Erdstrich mit jedem Tage bedeutender wird. Der Nordostwind bläst stark, die Luft unter den Tropen wird erneuert und kann den Sättigungspunkt nicht mehr erreichen. Daher hört es auf zu regnen, die Dunstbläschen lösen sich auf, d?r Himmel wird wieder rein und blau. Von elektrischen Entladungen ist nichts mehr zu hören, ohne Zweifel weil die Elektricität in den hohen Luftregionen jetzt keine Haufen von Dunstbläschen, fast bäite ich gesagt, keine Wolkenhüllen mehr antrifft, auf denen sich das Fluidum anhäufen könnte. ': Wir haben das Aufhören des Nordostwinds als die Hauptursache der tropischen Regen betrachtet. Diese Regen dauern in jeder Halbkugel nur so lange, als die Sonne die der Halbkugel gleichnamige Abweichung hat. Es muß hier aber noch bemerkt werden, daß, wenn der Noidost aufhört, nicht immer Windstille eintritt, sondern die Ruhe der Luft häufig, besonders längs den Westküsten von Amerika, durch Vendavales, d. h. 81 Südwest- und Südostwinde unterbrochen wird. Diese Erscheinung scheint darauf hinzuweisen, daß die feuchten Luftsäulen, die im nördlichen äquatorialen Erdstrich aufsteigen, zuweilen dem Südpol zuströmen. In der That hat in den Ländern der heißen Zone nördlich und südlich vom Aequator in ihrem Sommer, wenn die Sonne durch ihr Zenith geht, der Unterschied zwischen ihrer Temperatur und der am un gleichnami-g e n Pol sein Maximum erreicht. Die südliche gemäßigte Zone hat jctzt Winter, während es nördlich vom Aequator regnet und die mittlere Temperatur um 5—6 Grad höher ist als in der trockenen Jahreszeit, wo die Sonne am tiefsten steht. Daß der Regen fortdauert, während dic Vendavales wehen, beweist, daß die Luftströmungen vom entfernteren Pol her in der nördlichen Aequitorialzone nicht die Wirkung äußern wie die vom benachbarten Pole her, weil die Südpolarströmung weit feuchter ist. Die Luft, welche diese Strömung herbeiführt, kommt aus einer fast ganz mit Wasser bedeckten Halbkugel; sie geht, bevor sie zum achten Grad nördlicher Breite gelangt, über die ganze südliche Aequinoctialzone weg, ist folglich nicht so trocken, nicht so kalt als der Nordpolarstrom oder der Nordostwind, und somit auch weniger geeignet, als Gegenstrom aufzutreten und die Luft unter den Tropen zk erneuern. Wenn die Vendavales an manchen Küsten, z. V. an denen von Guatimala, als heftige Winde auftreten, so rührt dieß ohne Zweifel daher, daß sie nicht Folge eines allmähligen, regelmüßigen Abflusses der tropischen Luft gegen den Südpol sind, sondern mit Windstillen abwechseln, von elektrischen Entladungen begleitet sind und ihr Charakter als wahre Stoßwinde Humboldt, illlistn. IV. 6 82 darauf hinweist, daß im Luftmeer eine Rückstauung, eine rasche, vorübergehende Störung des Gleichgewichts stattgefunden hat. Wir haben hier eine der wichtigsten meteorologischen Erscheinungen unter den Tropen aus einem allgemeinen Gesichtspunkt betrachtet. Wie die Grenzen der Passatwinde keine mit dem Aequator parallelen Kreise bilden, so äußert sich auch die Wirkung der Polarluftströmungcn unter verschiedenen Meridianen verschieden. In derselben Halbkugel haben nicht selten die Gebirgsketten und das Küstenland entgegengesetzte Jahreszeiten. Wir werden in der Folge Gelegenheit haben, mehrere Anomalien der Art zu erwähnen; will man aber zur Erkenntniß der Naturgesetze gelangen, so muß man, bevor man sich nach den Ursachen lokaler Erscheinungen umsieht, den mittleren Zustand der Atmosphäre und die beständige Norm ihrer Veränderungen kennen. Das Aussehen des Himmels, der Gang der Elektricität und der Regenguß am 28. März verkündeten den Beginn der Regenzeit; man rieth uns indessen, von San Fernando am Afture noch über San Francisco de Capanaparo, über den Rio Sinaruco und den Hato San Antonio nach dem kürzlich am Ufer des Meta gegründeten Dorfe der Otomaken zu gehen und uns auf dem Orinoco etwas oberhalb Canchana einzuschiffen. Dicser Landweg führt durch einen ungesunden, von Fiebern heimgesuchten Strich. Ein alter Pächter, Don Francisco Sanchez, bot sich uns gefällig als Führer an. Seine Tracht war ein sprechendes Bild der großen Sitteneinfalt in diesen entlegenen Ländern. Er hatte ein Vermögen von mehr als hunderttausend 83 Piastern, und doch stieg er mit nackten Füßen, an die mächtige silberne Sporen geschnallt waren, zu Pferde. Wir wußten aber aus mehrwöchentlicher Erfahrung, wie traurig einförmig die Vegetation auf den Llanos ist, und schlugen daher lieber den längeren Weg auf dem Rio Apure nach dem Orinoco ein. Wir wählten dazu eine, der schr breiten Piroguen, welche die Spanier Lanchas nennen; zur Bemannung, waren ein Steuermann (kl patron) und vier Indianer hinreichend. Am Hintertheil wurde in wenigen Stunden eine mit Coryphablättern gedeckte Hütte hergerichtet. Sie war so geräumig, daß Tisch und Bänke Platz darin fanden. Letztere bestanden aus über Nahmen von Brasilholz straff gespannten und angenagelten Ochsenhäuten. Ich führe diese kleinen Umstände an, um zu zeigen, wie gut wir es auf dem Apure hatten, gegenüber dem Leben auf dem Orinoco in den fchmalen elenden Canoes. Wir nahmen in die Pirogue Lebensmittel auf einen Monat ein. In San Fernando ^ gibt es Hühner, Eier, Bananen, Maniocmehl und Cacao im Ueberfluß. Der gute Pater Kapuziner gab uns Xereswein, Orangen und Tamarinden zu kühlender Limonade. Es war vorauszusehen, daß ein Dach aus Palmblättern sich im breite» Fluhbett, wo man fast immer den senkrechten Sonnenstrahlen ausgesetzt ist, sehr stark erhitzen mußte. Die Indianer rechneten weniger auf die Lebensmittel, die wir angeschafft, als auf ihre Angeln und Nctze. Wir nahmen auch einige Schießgewehre l Wir bezahlte,! uou Sa» Fer»ando de Apure bis Carichana am Orinoco (acht Tagereisen) IN Piaster für die Laucha, und außerdem dem Steuermann eine» halben Piaster oder vier Realen und jedem der indianischen Ruderer zwei Nealc» Taglohn. 84 mit die wir bis zu den Katarakten ziemlich verbreitet fanden, während weiter nach Süden die Missionäre wegen der übermäßigen Feuchtigkeit der Luft keine Feuerwaffen mehr führen können. Im Rio Apure gibt es fchr viele Fische, Seekühe und Schildkröten, deren Eier allerdings nährend, alier keine sehr angenehme Speise sind. Die Ufer sind mit unzähligen Vögel-schaaren bevölkert. Die ersprießlichsten für uns waren der Pauri und die Guacharaca, die man den Truthahn und den Fafan des Landes nennen könnte. Il,r Fleisch kam mir härter und nicht fo weiß vor als das unserer htthnerartigen Vögel in Europa, weil sie ihre Muskeln ungleich stärker brauchen. Neben dem Mundvorrath, dem Geräthe zum Fischfang und den Waffen vergaß man nicht ein paar Fässer Branntwein zum Tauschhandel mit den Indianern am Orinoco einzunehmen. Wir fuhren von San Fernando am 30. März, um vier Uhr Abends, bei sehr starker Hitze ab: der Thermometer stand im Schatten auf 34", obgleich der Wind stark aus Südost blies. Wegen dieses widrigen Windes konnten wir keine Segel aufziehen. Auf der ganzen Fahrt auf dem Apure, dem Orinoco und Rio Negro begleitete uns der Schwager des Statt-balters der Provinz Varinas, Don Nicolas Sotto, der erst kürzlich von Cadix angekommen war und einen Ausflug nach San Fernando gemacht hatte. Um Länder kennen zu lernen, die ein würdiges Ziel für die Wißbegierde des Europäers sind, entschloß er sich, mit uns vier und siebzig Tage auf einem engen, von Moskitos wimmelnden Canoe zuzubringen. Sein geistreiches, liebenswürdiges Wesen und seine muntere Laune haben uns ost die Veschwerden einer zuweilen nicht gefahrlosen «5 Fahrt vergessen helfen. Wir fuhren am Einfluß des Apurito vorbei und an der Insel dieses Namens hin, die vom Apure und drm Guarico gebildet wird. Diese Insel ist im Grunde nichts als ein ganz niedriger Landstrich, der von zwei großen Flüssen eingefaßt wird, die sich in geringer Entfernung von einander in den Orinoco ergießen, nachdem sie bereits unterhalb San Fernando durch eine erste Gabelung des Apure sich vereinigt haben. Die Isla del Apurito ist 23 Meilen lang und 2—3 Meilen breit. Sie wird durch den Cano de la Tigrera und den Cano del Manati in drei Stücke getheilt, wovon die beiden äußersten Isla de Vlanco und Isla de las Garzilas heißen. Ich mache hier diese umständlichen Angaben, weil alle bis jetzt erschienenen Karten den Lauf und die Verzweigungen der Gewässer zwischen dem Guarico und dem Meta aufs sonderbarste entstellen. Unterhalb des Apurito ist das rechte Ufer des Apure etwas besser angebaut als das linke, wo einige Hütten der Yaruros-Indianer aus Nohr und Palmvlattstirlen stehen. Sie leben von Jagd und Fischfang und sind besonders geübt im Erlegen der Jaguars, daher die unter dem Namen Tigerfelle bekannten Välge vorzüglich durch sie in die spanischen Dörfer kommen. Ein Theil dieser Indianer ist getauft, besucht abcr niemals eine christliche Kirche. Man betrachtet sie als Wilde, weil sie unabhängig bleiben wollen. Andere Stämme der Yaruros leben unter der Zucht der Missionäre im Dorfe Achaguas, südlich vom Rio Payara. Die Leute dieser Nation, die ich am Orinoco zu sehen Gelegenheit gehabt, haben einige Züge von der fälschlich so genannten tartarischen Bildung, die manchen Zweigen der mongolischen Nace zukommt. Ihr Vlict 86 ist ernst, das Auge stark in die Länge gezogen, die Jochbeine hervorragend, die Nase aber der ganzen Länge nach vorspringend. Sie sind größer, brauner und nicht so untersetzt wie die Chaymas. Die Missionäre rühmen die geistigen Anlagen der Mn'uros, ^ früher eine mächtige, zahlreiche Nation an den Ufern dcs Orinoco waren, besonders in der Gegend von Caycara, oberhalb des Einflusses des Guarico. Wir brachten die Nacht in Diamante zu, einer kleinen Zuckerpflanzung, der Insel dieses Namens gegenüber. Auf meiner ganzen Reise von San Fernando nach San Carlos am Nio Negro und von dort nach der Stadt Angostura war ich bemüht, Tag für Tag, sey es im Canoe, sey es im Nachtlager, aufzuschreiben, was mir Vemerkenswerthes vorgekommen. Durch den starken Negen und die ungeheure Menge Moskitos, von denen die Luft am Orinoco und Cassiauiare wimmelt, hat diese Arbeit nothwendig Lücken bekommen, die ich aber wenige Tage darauf ergänzt habe. Die folgenden Seiten sind ein Auszug aus diesem Tagebuch. Was im Angesicht der geschilderten Gegenstände niedergeschrieben ist, hat ein Gepräge von Wahrhaftigkeit (ich möchte sagen von Individualität), das auch den unbedeutendsten Dingen einen gewissen Reiz gibt. Um unnöthige Wiederholungen zu vermeiden, habe ich hin und wicder in das Tagebuch eingetragen, was über die beschriebenen Ge-gcustände später zu meiner Kenntniß gelangt ist. Je gewaltiger und großartiger die Natur in den von ungeheuren Strömen durchzogenen Wäldern erscheint, desto strenger muß man bei den Naturfchilderungen an der Einfachheit festhalten, die das vornehmste, oft das einzige Verdienst eines ersten Entwurfes ist. 87 Am 31. März. Der widrige Wind nöthigte uns, bis Mittag am Ufer zu bleiben. Wir sahen die Zuckerfelder zum Theil durch einen Brand zerstört, der sich aus einem nahen Wald bis Hieher fortgepflanzt hatte. Me wandernden Indianer zünden überall, wo sie Nachtlager gehalten, den Wald an, und in der dürren Jahreszeit würden ganze Provinzen von diesen Bränden verheert, wenn nicht das ausnehmend 'arte Holz die Bäume vor der gänzlichen Zerstörung schützte. Wir fanden Stämme dts Mahagonibaums (Oakobk) und von Desmanthus, die kaum zwei Zoll tief verkohlt waren. Vom Diamante an betritt man ein Gebiet, das nur von Tigern, Krokodilen und Chiguire, einer großen Art von Linnss Gattung Cavia, bewohnt ist. Hier sahen wir dichtgedrängte Vogelschwärme sich vom Himmel abheben, wie eine schwärzlichte Wolke, deren Umrisse sich jeden Augenblick verändern. Der Fluh wird allmählig breiter. Tas eine Ufer ist meist dürr und sandigt, in Folge der Ueberschwemmungen: das andere ist höher und mit hochstämmigen Bäumen bewachsen. Hin und wieder ist der Fluß zu beiden Seiten bewalder und bildet einen geraden, 150 Toisen bn'iten Canal. Die Stellung der Bäume ist sehr merkwürdig. Vorne sieht man Büsche von Sau so (llel-mnLja liaswusisaiitl), die gleichsam eine vier Schuh hohe Hecke bilden, und es ist, als wäre diese künstlich beschnitten. Hinter dieser Hecke kommt ein Gehölz von Cedrela, Arasilhol; und Gayac. Die Palmen sind ziemlich selten; man sieht nur hie und da einen Stamm der Corozo- und der stachligten Pirituvalme. Die großen Vierfüßer dieses Landstrichs, die Tiger, Tapire und Pecarischweine, haben Durchgänge in die eben 88 beschriebene Sausohecke gebrochen, durch die sie zum trinken an den Strom gehen. Da sie sich nicht viel daraus machen, wenn ein Canoe herbeikommt, hat man den Genuß, sie langsam am User hinstreichen zu sehen, bis sie durch eine der schmalen Lücken im Gebüsch im Walde verschwinden. Ich gestehe, diese Auftritte, so oft sie vorkamen, behielten immer großen Reiz für mich. Die Lust, die man empfindet, beruht nicht allein auf dem Interesse des Naturforschers, sondern daneben auf einer Empfindung, die allen im Schooße der Cultur aufgewachsenen Menschen gemein ist. Man sieht sich einer neuen Welt, einer wilden, ungezähmten Natur gegenüber. Bald zeigt sich am Gestade der Jaguar, der schöne amerikanische Panther; bald wandelt der Hocco (Oinx aleotor) mit schwarzem Gesieder und dem Federbusch langsam an der Uferhecke hin. Thiere der verschiedensten Classen lösen einander ab. ^Ns 001110 in ?! ?nrM8o" (es ist wie im Paradies), sagte unser Steuermann, ein alter Indianer aus den Missionen. Und wirklich, Alles erinnert hier an den Urzustand der Welt, dessen Unschuld und Glück uralte ehrwürdige Ueberlieferungen allen Völkern vor Augen stellen: beobachtet man aber das gegenseitige Verhalten der Thiere genau, so zeigt es sich, daß sie einander fürchten und meiden. Das goldene Zeitalter ist vorbei, und in diesem Paradies der amerikanischen Wälder, wie all« Orten, hat lange traurige Erfahrung alle Geschöpfe gelehrt, daß Sanftmuth und Stärke selten beisammen sind. Wo das Gestade eine bedeutende Breite hat, bleibt die Reihe von Sausobüschen weiter vom Strome weg. Auf diefem Zwi-fchengebiet sieht man Krokodile, oft ihrer acht und zehn, auf 89 dem Sande liegen. Regungslos, die Kinnladen unter rechtem Winkel aufgesperrt, ruhen sie neben einander, ohne irgend ein Zeichen von Zuneigung, wie man sie sonst bei gesellig lebenden Thieren bemerkt. Der Trupp geht auseinander, sobald er vom Ufer aufbricht, und doch besteht er wahrscheinlich nur aus Einem männlichen und vielen weiblichen Thieren; denn, wie schon Dcscourtils, der die Krokodile auf St. Domingo so fleißig beobachtet, vor mir bemerkt hat, die Männchen sind ziemlich selten, weil sie in der Brunst mit einander kämpfen und sich ums Leben bringen. Diese gewaltigen Reptilien sind so zahlreich, daß auf dem ganzen Stromlauf fast jeden Augenblick ihrer fünf oder sechs zu sehen waren, und doch sing der Apure erst kaum merklich an zu steigen und Hunderte von Krokodilen lagcu also noch im Schlamme der Savanen begraben. Gegen vier Uhr Abends hielten wir an, um ein todtes Krokodil zu messen, das der Strom ans Ufer geworfen. Es war nur 16 Fuß 8 Zoll lang: einige Tage später fand Bonpland ein anderes (männliches), das 22 Fuß 3 Zoll maß. Unter allen Zonen, in Amerika wie in Egypten, erreicht das Thier dieselbe Größe: auch ist die Art, die im Apure, im Orinoco und im Magdalenenstrom so häufig vorkommt, l kein Cayman oder Alligator, sondern ein wahres Krokodil mit an den äußern Rändern gezähnten Füßen, dem Niltrokodil sehr ähnlich. Bedenkt man, daß das männliche Thier erst mit zehn Jahren mannbar wird und daß es dann 8 Fuß lang ist, so läßt sich annehmen, daß das von Bonpland gemessene Thier wenigstens 28 Jahre alt ' E« ist dieß der ^i-ue der Tamanale«, der ^munn der May-puren, Cuvilis ^soc«6i!u5 aeulus.. 90 war. Die Indian« sagten mis, in San Fernando vergehe nicht leicht ein Jahr, wo nicht zwei, drei erwachsene Menschen, namentlich Weiber beim Wasserschöpfen am Fluß, von diesen fleischfressenden Eidechsen zerrissen würden. Man erzählte uns die Geschichte eines jungen Mädchens aus Uritucu, das sich durch seltene Uncrschrockenheit und Geistesgegenwart aus dem Rachen eines Krokodils gerettet. Sobald sie sich gepackt fühlte, griff sie nach den Augen des Thiers lind stieß ihre Finger mit solcher Gewalt hinein, daß das Krokodil vor Schmerz sie fahren ließ, nachdem es ihr den linken Vorderarm abgerissen. Trotz des ungeheuern Vlutverlusts gelangte die Indianerin, mit der übrig gebliebenen Hand schwimmend, glücklich ans Ufer. In diesen Einöden, wo der Mensch in beständigem Kampfe mit der Natur liegt, unterhält man sich täglich von den Kunstgriffen, um einem Tiger, einer Boa oder ^ra^t«, Venaäo, einem Krokodil zu entgehen' jeder rüstet sich gleichsam auf die bevorstehende Gefahr. „Ich wußte," sagte das junge Mädchen in Uritlicu gelassen, „daß der Cayman abläßt, wenn man ihm die Finger in die Augen drückt." Lange nach meiner Rückkehr nach Europa erfuhr ich, daß die Neger im inneren Afrika dasselbe Mittel kennen und anwenden. Wer erinnert sich nicht mit lebhafter Theilnahme, wie Isaaco, der Führer des unglücklichen Mungo-Park, zweimal von einem Krokodil (bei Bulinkombu) gepackt wurde, und zweimal aus dem Rachen des Ungeheuers entkam, weil es ihm gelang, demselben unter dem Wasser die Finger in beide Augen zu drücken! Der Afrikaner Isaaco und die junge Amerikanerin dankten ilne Rettung derselben Geistesgegenwart, demselben Gedankengang. 91 Das Krokodil ini Apure bewegt sich sehr rasch und gewandt, wenn es angreift, schleppt sich dagegen, wenn es nicht durch Zorn oder Hunger aufgeregt ist, so langsam hin wie ein Salamander. Läuft das Thier, so hört man ein trockenes Geräusch, das von der Reibung seiner Hautftlatten gegen einander herzurühren scheint. Bei dieser Bewegung krümmt es den Rücken »lnd erscheint hochbcinigter als in der Ruhe. Oft hörten wir am Ufer dieses Rauschen der Platten ganz in der Nähe - es ist aber nicht wahr, was die Indianer behaupten, daß die alten Krokodile, gleich dem Echuppenthier, „ihre Schuppen und ihre ganze Rüstung sollen aufrichten können." Die Thiere bewegen sich allerdings meistens gerade aus, oder vielmehr wie ein Pfcil, der von Strecke zu Strecke seine Richtung änderte; aber trotz der kleinen Anhängsel von falschen Nippen, welche die Halswirbel verbinden und die seitliche Bewegung zu beschränken scheinen, wenden die Krokodile ganz gut, wenn sie wollen. Ich habe oft Junge sich in den Schwanz beißen sehen: Andere haben dasselbe bei erwachsenen Krokodilen beobachtet. Wenn ihre Bewegung fast immer geradlinigt erscheint, so rührt dieß daher, daß dieselbe, wie bei unsern kleinen Eidechsen, stoßweise erfolgt. Die Krokodile schwimmen vortrefflich und überwinden leicht die stärkste Strömung. Es schien mir indessen, als ob sie, wenn sie flußabwärts schwimmen, nicht wohl rasch umwenden könnten. Eines Tags wurde ein großer Hund, der uns auf der Rcise von Caracas an den Rio Negro begleitete, im Fluß von einem ungeheuern Krokodil verfolgt: es war fchon ganz nahe an ihm und der Hund entging seinem Feinde nur dadurch, daß er uniwandte und auf einmal gegen den Strom schwamm. Das 92 Krokodil führte nun dieselbe Bewegung aus, aber weit langsamer als der Hund, und dieser erreichte glücklich das Ufer. Die Krokodile im Apure finden reichliche Nahrung an den Ehiguire (lüavia Oap^bni-a, Wasserschwein), die in Nudeln von 50—60 Stücken an den Flußufern leben. Diese unglücklichen Thiere, von der Größe unserer Schweine, besitzen keinerlei Waffe, sich zu wehren; sie schwimmen etwas besser, als sie laufen; aber auf dem Wasser werden sie eine Beute der Krokodile und am Lande werden sie von den Tigern gefressen. Man begreift kaum, wie sie bei den Nachstellungen zweier gewaltigen Feinde so zahlreich seyn können: sie vermehren sich aber so rasch, wie die Cobayes, oder Meerschweinchen, die aus Brasilien zu uns gekommen sind. Unterhalb der Einmündung des Cano de la Tigrera, in einer Bucht, Vuelta 6e1 ^oval genannt, legten wir an, um die Schnelligkeit der Strömung an der Oberfläche zu messen; sie betrug nur 3^ Fuß in der Secunde, was 2,56 Fuß mittlere Geschwindigkeit ergiebt. ^ Die Varometerhöhen ergaben, unter Berücksichtigung der kleinen stündlichen Abweichungen, ein Gefalle von kaum 17 Zoll auf die Seemeile (zu 950 Toisen). Die Geschwindigkeit ist das Produkt zweier Momente, des Falls des Bodens und des Steigens des Wassers im obern Stromgebiet. Auch hier sahen wir uns von Chiguire umgeben, die beim Schwimmen wie die Hunde Kopf und Hals aus dem Wasser ' Um die Geschwindigkeit eines Strom« an der Oberfläche zn ermitteln, maß ich meist am Ufer eine Standlinie von 25N Fuß ab und bemerkte mit dem Chronometer die Zeit, die ein frei im Strom schwimmender Körper brauchte, um dieselbe Strecke zurückzulegen. 93 strecken. Auf dem Strand gegenüber sahen wir zu unserer Ueberraschung ein mächtiges Krokodil mitten unter diesen Nagethieren regungslos daliegen und schlafen. Es erwachte, als wir mit unserer Pirogue naher kamen, und ging langsam dem Wasser zu, ohnc daß die Chiguire unruhig wurden. Unsere Indianer sahen den Grund dieser Gleichgültigkeit in der Dummheit des Thiers; wahrscheinlich aber wissen die Chiguire aus langer Erfahrung, daß das Krokodil dcs Apure und Orinoco auf dem Lande nicht angreift, der Gegenstand, den es packen will, müßte ihm denn im Augenblick, wo es sich ins Wasser wirft, in den Weg kommen. Beim I ova! wird der Charakter dcr Landschaft großartig wild. Hier sahen wir den größten Tiger, der uns je vorgekommen. Selbst die Indianer erstauntcn über seine ungeheure Länge; er war größer als alle indischen Tiger, die ich in Europa in Menagerien gesehen. Das Thier lag im Schatten eines großen Zamang. i Es hatte eben einen Chiguire erlegt, aber seine Beute noch nicht angebrochen; nur eine seiner Tatzen lag darauf. Die Zamuros, cine Gcierart, die wir oben mit dem Percnopterus in Unteregypten verglichen haben, hatten sich in Schaaren versammelt, um die Neste vom Mahle des Jaguars zu verzehren. Sie ergötzten uns nicht wenig durch den seltsamen Verein von Frechheit und Scheu. Sie wagten sich bis auf zwei Fuß vom Jaguar vor, aber bei dcr leisesten Vewrgung desselben wichen sie zurück. Um die Sitten dieser Thiere noch mehr in der Nähe zu beobachten, bestiegen wir das klcine Canoe, > ' Vine Miiuosenart. gH das unsere Pirogue mit sich führte. Sehr selten greift der Tiger Kähne an, indem er darnach schwimmt, und dieß kommt nur vor, wenn durch langen Hunger seine Wuth gereizt ist. Beim Geräusch unserer Nuder erhob sich das Thier langsam, um sich hinter den Sausobüschcn am Ufer zu verbergen. Den Augenblick, wo cr abzog, wollten sich die Geier zu Nutze machen, um den Chiguire zu verzehren- aber der Tiger machte, trotz der Nähe unseres Canoe, einen Satz unter sie und schleppte zornerfüllt, wie man an seinem Gang und am Schlagen seines Schwanzes sah, seine Veute in den Wald. Die Indianer bedauerten, daß sie ihre Lanzen nicht bei sich hatten, um landen und den Tiger angreifen zu können. Sie sind an diese Waffe gewöhnt, und thaten wohl, sich nicht auf unsere Gewehre zu verlassen, die in einer so ungcmein feuchten Luft häusig versagten. Im Weiterfahren flußabwärts sahen wir die große Heerde der Chiguire, die der Tiger verjagt und aus der er sich ein Stück geholt hatte. Die Thiere sahen uns ganz ruhig landen. Manche saßen da und schienen uns zu betrachten, wobei sie, wie die Kaninchen, die Oberlippe bewegten. Vor den Menschen schienen sie sich nicht zu fürchten, aber beim Anblick unseres großen Hundes ergriffen sie die Flucht. Da das Hintergestell bei ihnen höher ist als das Vordergestell, so laufen sie im kurzen Galopp, kommen aber dabei so wenig vorwärts, daß wir zwei fangen konnten. Der Chiguire, der fehr fertig schwimmt, läßt im Laufen ein leises Seufzen hören, als ob ihm das Athmen ^schwerlich würde. Er ist das größte Thier in der Familie der Nager; er setzt sich nur in der äußersten Noth zur Wehr, 95 wenn er umringt und verwundet ist. Da seine Backzähne, besonders die hinteren, ausnehmend stark und ziemlich lang sind, so kann er mit seinem Viß einem Tiger die Tatze oder einem Pferd den Fuß zerreißen. Sein Fleisch hat einen ziemlich unangenehmen Moschusgeruch: man macht indessen im Lande Schinken daraus, und dich rechtfertigt gewissermaßen den Namen Wasserschwcin, den manche alte Naturgeschichtschreiber dem Chiguire beilegen. Die geistlichen Missionäre lassen sich in den Fasten diese Schinken ohne Bedenken schmecken; in ihrem zoolo» gifchen System stehen das Gürtelthier, das Wasserschwein und der Lamantin oder die Seekuh neben den Schildkröten; ersteres, weil es mil einer harten Kruste, einer Art Schaale bedeckt ist, die beiden andern, weil sie im Wasser wie auf dcm Lande leben. An den Ufern des Santo Domingo, Apure und Arauca, in den Sümpfen und auf den überschwemmten Savanen der Llanos kommen die Chiguire in solcher Menge vor, daß die Weiden darunter leiden. Sie fressen das Kraut weg, von dem die Pferde am fettesten werden, und das Chiguirero (Kraut des Chiguire) heißt. Sie fressen auch Fische, und wir sahen mit Verwunderung, daß das Thier, wenn cö, erschreckt durch ein nahendes Canoe, untertaucht, 8—10 Minuten unter Wasser bleibt. Wir brachten die Nacht, wic immer, unter freiem Himmel zu, obgleich auf einer Pflanzung, deren Besitzer die Tigerjagd trieb. Er war fast ganz nackt und schwärzlich braun wie ein Zambo, zählte sich aber nichts destowcnigcr zum weißen Menschenschlag. Seine Frau und seine Tochter, die so nackt waren wie er, naimte er Donna Isabela und Donna Manuela. 96 Obgleich er nie vom Ufer des Apure weggekommen, nahm er den lebendigsten Antheil „an den Neuigkeiten aus Madrid, an den Kriegen, deren kein Ende abzusehen, und an all den Geschichten dort drüben (to6»8 las oosÄ8 äe allä.)." Er wußte, daß der König von Spanien bald zum Besuche „Ihrer Herrlichkeiten im Lande Caracas" herüber kommen würde, sehte aber scherzhaft hinzu: „Da die Hofleute nur Weizenbrod essen können, werden sie nie über die Stadt Valencia hinaus wollen, und wir werden sie hier nicht zu sehen bekommen." Ich halte einen Chiguire mitgebracht und wollte ihn braten lassen: aber unser Wirth versicherte uns, nu8 otro8 onvaÜSwg kllmcos, weiße Leute wie er und ich, seyen nicht dazu gemacht, von solchem „Indianerwildpret" zu genießen. Er bot uns Hirschfleisch an; er hatte Tags zuvor einen mit dem Pfeil erlegt, denn er hatte weder Pulver noch Schießgewehr. Wir glaubten nicht anders, als hinter einem Bananengehölze liege die Hütte des Gehöftes; aber dieser Mann, der sich auf seinen Adel und seine Hautfarbe so viel einbildete, hatte sich nicht die Mühe gegeben, aus Palmblättern eine Ajoupa zu errichten. Er forderte uns auf, unsere Hängematten neben den seinigen zwischen zwei Bäumen befestigen zu lassen, und versicherte uns mit selbstgefälliger Miene, wenn wir in der Regenzeit den Fluß wieder herauf kämen, würden wir ihn unter Dach (daxo leuko) finden. Wir kamen bald in den Fall, eine Philosophie zu verwünschen, die der Faulheit Vorschub leistet und den Menschen für alle Bequemlichkeiten des Lebens gleichgültig macht. Nach Mitternacht erhob sich ein furchtbarer Sturmwind, Blitze durchzuckten den Horizont, der Donner rollte 97 und wir wurden bis auf die Haut durchnäßt. Während des Ungewitters versetzte uns ein seltsamer Vorfall auf eine Weile in gute Laune. Donna Isabelas Katze hatte sich auf den Tamarmdenbaum gesetzt, unter dem wir lagerten. Sie siel in die Hängematte eines unserer Begleiter, und der Mann, zerkratzt von der Katze und aus dem tiefsten Schlafe aufgeschreckt, glaubte, ein wildes Thier aus dem Walde habe ihn angefallen. Wir liefen auf sein Geschrei hinzu und rißen ihn nur mit Mühe aus seinem Irrthum. Während es auf unsere Hängematten und unsere Instrumente, die wir ausgeschifft, in Strömen regnete, wünschte uns Don Ignacio Glück, daß wir nicht am Ufer geschlafen, sondern uns auf seinem Gute befänden, ^sutr« Fentk Klane» ? 6v trato" (unter Weißen und Leuten von Stande). Durchnäßt wie wir waren, siel es uns denn doch schwer, uns zu überzeugen, daß wir es hier so besonders gut haben, und wir hörten ziemlich widerwillig zu, wie unser Wirth ein Langes und Breites von seinem sogenannten Kriegszuge an den Nio Mela erzählte, wie tapfer er sich in einem blutigen Gefechte mit den Gliabibos gehalten, und „welche Dienste er Gott und feinem König geleistet, indem er den Eltern die Kinder (los In6ieoit08) genommen und in die Missionen vertheilt." Welch seltsamen Eindruck machte es, in dieser weiten Einöde bei einem Mann, der von europäischer Abkunft zu seyn glaubt und kein anderes Obdach kennt als den Schatten eines Baumes, alle eitle Anmaaßung, alle ererbten Vorurtheile, alle Verkehrtheiten einer alten Cultur anzutreffen! Am 1. April. Mit Sonnenaufgang verabschiedeten wir uns von Eenor Don Ignacio und von Smora Donna Isabela, Humboldt, Nclst. IV. 7 98 seiner Gemahlin. Die Luft war abgekühlt; der Thermometer, der bei Tag meist anf 30—35" stand, war auf 24" gefallen. Die Temperatur des Flusses blieb sich fast ganz gleich, sie war fortwährend 26—27". Der Strom trieb eine ungeheure Menge Baumstämme. Man sollte meinen, auf einem völlig ebenen Boden, wo das Auge nicht die geringste Erhöhung bemerkt, hätte sich der Fluß durch die Gewalt seiner Strömung einen ganz geraden Canal graben müssen. Ein Blick auf die Carte, die ich nach meinen Aufnahmen mit dem Compaß entworfen, zeigt das Gegentheil. Das abspülende Wasser findet an beiden Ufern nicht denselben Widerstand, und fast unmerkliche Vodenerhöhungen geben zu starken Krümmungen Anlaß. Unterhalb des I ovals, wo das Flußbett etwas breiter wird, bildet dasselbe wirklich einen Canal, der mit der Schnur gezogen scheint und zu beiden Seiten von sehr hohen Bäumen beschattet ist. Dieses Stuck des Flusses heißt Oaöo rieoo; ich fand dasselbe 136 Toisen breit. Wir kamen an einer niedrigen Insel vorüber, auf der Flamingos, rosenfarbige Löffelgänse, Reiher und Wasserhühner, die das mannigfaltigste Farbenspiel boten, zu Tausenden nisteten. Die Vögel waren so dicht an einander gedrängt, daß man meinte, sie könnten sich gar nicht rühren. Die Insel heißt Isis, äs ^.ves. Weiterhin fuhren wir an der Stelle vorbei, wo der Apure einen Arm (den Nio Arichuna) an den Cabullare abgibt und dadurch bedeutend an Wasser verliert. Wir hielten am rechten Ufer bei einer kleinen indianischen, vom Stamm der Guamos bewohnten Mission. Es standen erst 16 bis 18 Hütten aus Palmblattcrn; aber auf den statistischen Tabellen, welche die 99 Missionäre jährlich bei Hofe einreichen, wird diese Gruppe von Hütten als das Dorf Santa Barbara de Arichuna aufgeführt. Die Gnamos sind ein Indianerstamm, der sehr schwer seßhaft zu machen ist. Sie haben in ihren Sitten Vieles mit den Achaguas, Guajibos und Otomacos gemein, namentlich die Unrrinlichkeit, die Rachsucht und die Liebe zum wandernden Leben; aber ihre Sprachen weichen völlig von einander ab. Diese vier Stämme leben größtentheils von Fischfang und Jagd auf den häusig überschwemmten Ebenen zwischen dcm Apure, dem Meta und dem Guaviare. Das Wanderleben scheint hier durch die Beschaffenheit des Landes selbst bedingt. Wir werden bald sehen, daß man, sobald man die Berge an den Katarakten des Orinoco betritt, bei den Piraos, Macos und Maquiritares sanftere Sitten, Liebe zum Ackerbau und in den Hütten große Reinlichkeit findet. Auf dem Rücken der Gebirge, in undurchdringlichen Wäldern sieht sich der Mensch genöthigt, sich fest niederzulassen und einen kleinen Fleck Erde zu bebauen. Dazu bedarf es keiner großen Anstrengung, wogegen der Jäger in einem Lande, durch das keine andern Wege führen als die Flüsse, ein hartes, mühseliges Leben führt. Die Guamos in der Mission Santa Barbara konnten uns die Mundvorräthe, die wir gerne gehabt hätten, nicht liefern: sie bauten nur etwas Manioc. Sie schiene« indessen gastfreundlich, und als wir in ihre Hütten traten, boten sie uns getrocknete Fische und Wasser (in ihrer Sprache Cub) an. Das Wasser war in porösen Gefäßen abgekühlt. 100 Unterhalb der Vuklta 6?! lüookino roto^ an einer Stelle, wo sich der Fluß ein neues Bett gegraben hatte, übernachteten wir auf einem dürren, sehr breiten Gestade. In den dichten Wald war nicht zu kommen, und so brachten wir nur mit Noth trockenes Holz zusammen, um Feuer anmachen zu können, wobei man, wie die Indier glauben, vor dem nächtlichen Angriff des Tigers sicher ist. Unsere eigene Erfahrung scheint diesen Glaubcn zu bestätigen; dagegen versichert Azarro, zu seiner Zeit habe in Paraguay ein Tiger einen Mann von einem Feuer in der Savane weggeholt. Die Nacht war still und heiter und der Mond schien herrlich. Die Krokodile lagen am Ufer; sie hatten sich fo gelegt, daß sie das Feuer sehen konnten. Wir glauben bemerkt zu haben, daß der Glanz desselben sie herlockt, wie die Fische, die Krebse und andsre Wasserthiere. Die Indianer zeigten uns im Sand die Fährten dreier Tiger, darunter zweier ganz jungen. Ohne Zweifel hatte hier ?in Weibchen seine Jungen znm Trinken an den Fluß geführt. Da wir am Ufer «inen Baum fanden, steckten wir die Ruder in den Boden und befestigten unsere Hängematten daran. Alles blieb ziemlich ruhig bis um eilf Uhr Nachts.- da aber erhob sich im benachbarten Wald ein so furchtbarer Lärm, d^ß man beinahe kein Auge schließen konnte. Unter den vielen Stimmen wilder Thiere, die zusammen schrieen, erkannten unsere Indianer nur diejenigen, die sich auch einzeln hören ließen, namentlich die leisen Flötentöne der Sapajons, die Seufzer der Alouatos, das Brüllen des Tigers und des Cuguars, oder amerikanischen Löwen ohne Mähne, das Geschrei des Visamschweins, des Faulthiers, des Hocco, 101 des Parraqua und einiger andern hühncrartigcn Vögel. Wenn die Jaguars dem Waldmnde sich näherten, so sing unser Hund, der bis dahin fortwährend gebellt hatte, an zu heulen und suchte Schutz unter den Hängematten. Zuweilen, nachdem es lange geschwiegen, erscholl das Brüllen, der Tiger von den Bäumen herunter, und dann folgte darauf das anhaltende schrille Pfeifen der Affen, die sich wohl bei der drohenden Gefahr auf und davon machten. Ich schildere Zug für Zug diese nächtlichen Auftritte, weil wir zu Anfang unserer Fahrt auf dem Apure noch nicht daran gewöhnt waren. Monate lang, aller Orten, wo der Wald nahe an die Flußufcr rückt, halten wir sie zu erleben. Die Sorglosigkeit der Indianer macht dabei auch dem Reisenden Muth. Man redet sich mit ihnen ein, die Tiger fürchten alle das Feuer und greifen niemals einen Menschen in seiner Hängematte an. Und solche Angriffe kommen allerdings sehr selten vor und alis meinem langen Aufenthalt in Südamerika erinnere ich mich nur eines einzigen Falls, wo, den Achaguas-Inseln gegenüber, ein Llanero in feiner Hängematte zerfleischt gefunden wurde. Befragt man die Indianer, warum die Thiere des Waldcs zu gewissen Stunden einen so furchtbaren Lärm erheben, so geben sie die lustige Antwort: „Sie feiern den Vollmond." Ich glaube, die Unruhe rührt meist daher, daß im innern Walde sich irgendwo ein Kampf entsponnen hat. Die Jaguars zum Beispiel machen Jagd auf die Bisamschweine und Tapirs, die nur Schuh finden, wenn sie bcisamincnbleiben, und in ge-drünaten Nudeln fliehend das Gebüsch, das ihnen in den Wcq 102 kommt, niederreißen. Die Affen, scheu und furchtsam, erschrecken ob dieser Jagd und beantworten von den Väumen herab das Geschrei der großen Thiere. Sie wecken die gesellig lebenden Vögel auf, und nicht lange, so ist die ganze Menagerie in Aufruhr. Wir werden bald sehen, daß dieser Lärm keineswegs nur bei schönem Mondschein, sondern vorzugsweise während der Gewitter und starken Regengüsse unter den wilden Thieren ausbricht. „Der Himmel verleihe ihnen eine ruhsame Nacht, wie uns andern!" sprach der Mönch, der uns an den Rio Ncgro begleitete, wenn er, todtmüde von der Last des Tages, unser Nachtlager einrichten half. Es war allerdings seltsam, daß man mitten im einsamen Wald sollte keine Ruhe finden können. In den spanischen Herbergen fürchtet man sich vor den schrillen Tönen der Guitarren im anstoßenden Zimmer; in denen am Orinoco, das heißt auf offenem Gcstade oder unter einem einzeln stehenden Baum, besorgt mau durch Stimmen aus dem Wald^.' im Schlaf gestört zu werden. Am 2. April. Wir gingen vor Sonnenaufgang unter Segel. Der Morgen war schön und kühl, wie cs Leuten vorkommt, die an die große Hitze in diesen Ländern gewöhnt sind. Der Thermometer stand in der Luft nur auf 28", aber der trockene, weiße Sand am Gestade hatte trotz der Strahlung gegen einen wolkenlosen Himmel eine Temperatur von 36" behalten. Die Delphine (Toninas) zogen in langen Reihen durch den Fluß und das Ufer war mit sischfangenden Vögeln bedeckt. Manche machen sich das Floßholz, das den Fluß herabtreibt, zu Nutze und überraschen die Fische, die sich mitten iu der Strömung halten. Unser Canoe stieß im Laufe des Morgens 103 mehrmals an. Solche Stöße, wenn sie sehr heftig si»d, können schwache Fahrzeuge zertrümmern. Wir fuhren an den Spitzen mehrerer großer Bäume auf, die Jahre lang in schiefer Richtung ini Schlamm stecken bleiben. Diese Bäume kommen beim Hochwasser aus dem Sarare herunter und verstopfen das Flußbett dergestalt, daß die Pirogue» stromaufwärts häufig zwischen den Untiefen und überall, wo Wirbel sind, kaum durchkommen. Wir kamen an eine Stelle bei der Insel Cari-zales, wo ungeheuer dicke Courbarilstämme aus dem Wasser ragten. Sie sahen voll Vögeln, einer Art Plotus, die der Anhinga sehr nahe steht. Diese Vögel sitzen in Reihen auf, wie die Fasanen und die Parraqxas, und bleiben stundenlang, den Schnabel gen Himmel gestreckt, regungslos, was ihnen ein ungemein dummes Aussehen gibt. Von der Insel Carizales an wurde die Abnahme des Wassers im Fluß desto auffallender, da unterhalb der Gabelung bei der Looa 6e ^i-iolmna kein Arm, kein natürlicher Abzugs-canal mehr dem Apure Wasser entzieht. Der Verlust rührt allein von der Verdunstung und Einsickerung auf sandigtcn, durchnäßten Ufern her. Man kann sich vorstellen, wie viel dieß ausmacht, wenn man bedenkt, daß wir den trockenen Sand zu verschiedenen Tagesstunden 36—52, den Sand, über dem drei bis vier Zoll Wasser standen, noch 32 Grad warm fanden. Das Flußwasscr erwärmt sich dem Boden zu, soweit die Sonnenstrahlen eindringen können, ohne beim Durchgang durch die übereinander gelagerten Wasserschichten zu sehr geschwächt zu werden. Dabei reicht die Einsickel'.ing weit über das Flußbett hinaus und ist, so zu sagen, seitlich. Das Gestade, das ganz 104 trocken scheint, ist bis zur Höhe des Wasserspiegels mit Wasser getränkt. Fünfzig Toisen vom Fluß sahen wir Wasser hervorquellen, so oft die Indianer die Ruder in den Voden steckten,- dieser unten feuchte, oben trockene und dem Sonnenstrahl ausgesetzte Sand wirkt nun aber wie ein Schwamm. Er gibt jeden Augenblick durch Verdunstung vom eingesickerten Wasser ab; der sich entwickelnde Wasserdampf zieht durch die obere, stark erhitzte Sandschicht und wird sichtbar, wcnn sich am Abend die Lust abkühlt. Im Maaß, als das Gestade Wasser abgibt, zieht es aus dem Strom neues an, und man sieht leicht, daß dieses fortwährende Spiel von Verdunstung und seitlicher Einsaugung dem Fluß ungeheure Wassermassen entziehen muß, nur daß der Verlust schwer genau zu berechnen ist. Tie Zunahme dieses Verlustes wäre der Länge des Stromlaufes proportional, wenn die Flüsse von der Quelle bis zur Mündung überall gleiche Ufer hätten; da aber diese von den Anschwemmungen herrühren, und die Gewässer, je weiter von der Quelle weg, desto langsamer stießen und somit nothwendig im untern Stromlauf mehr absetzen als im obern, so werden viele Flüsse im heißen Erdstrich ihrer Mündung zu seichter. Barrow hat diese auffallende Wirkung des Sandes im östlichen Afrika an den Ufern des Orangeftusses beobachtet. Sie gab sogar bei den verschiedenen Annahmen über den Lauf des Nigers zu sehr wichtigen Errörterungen Anlaß. Bei der Vuelta de Vasilio, wo wir ans Land gingen, um Pflanzen zu sammeln, sahen wir oben auf einem Baum zwei hübsche kleine pechschwarze Affen, von der Größe des Sa», mit Wickch'chwänzen. Ihrem Gesicht und ihren Bewegungen 105 nach konnte es weder der Coatta, noch der Chamek, noch überhaupt ein Atele seyn. Sogar unsere Indianer hatten nie dergleichen gesehen. In diesen Wäldern gibt es eine Menge Sapajous, welche die Zoologen in Europa noch nicht kennen, und da die Affen, besonders die in Rudeln lebenden und darum rührigeren, zu gewissen Zeiten weit wandern, so kommt es vor, daß bei Eintritt der Regenzeit die Eingeborenen bei ihren Hütten welche ansichtig werden, die sie nie zuvor gesehen. Am selben Ufer zeigten uns unsere Führer ein Nest junger Leguans, die nur vier Zoll lang waren. Sie waren kaum von einer gemeinen Eidechse zu unterscheiden. Die Nückenstacheln, die großen aufgerichteten Schuppen, all die Anhängsel, die dem Leguan, wenn er 4 bis 5 Fuß lang ist, ein so ungeheuerliches Ansehen geben, waren kaum in Rudimenten vorhanden. Das Fleisch dieser Eidechse fanden wir in allen sehr trockenen Ländern von angenehmem Geschmack, selbst zu Zeiten, wo es uns nicht an andern Nahrungsmitteln fehlte. Es ist sehr weiß und nach dem Fleisch des Tatu oder Gürtelthiers, das hier Cachi-cams heißt, eines der besten, die man in den Hütten der Eingeborenen findet. Gegen Abend regnete es; vor dem Regen strichen die Schwalben, die vollkommen den unsrigen glichen, über die Wasserfläche hin. Wir sahen auch, wie ein Flug Papagayen von kleinen Habichten ohne Hauben verfolgt wurden. Das durchdringende Geschrei der Papagayen stach vom Pfeifen der Raubvögel seltsam ab. Wir übernachteten unter freiem Himmel am Gestade, in der Nähe der Insel Carizales. Nicht weit standen mehrere indianische Hütten auf Pflanzungen. Unser 106 Steuermann kündigte uns zum voraus an, daß wir den Ia-auar hier nicht würden brüllen hören, weil er, wenn er nicht großen Hunger hat, die Orte meidet, wo er nicht allein Herr ist. „Die Menschen machen ihn übellaunig," „los kombres Io suluään^ sagt das Volk in den Missionen, ein spaßhafter, naiver Ausdruck für eine richligte Beobachtung. Am 3. April. — Seit der Abfahrt von San Fernando ist uns kein einziges Canoe auf dem schönen Strome begegnet. Ringsum herrscht tiefe Einsamkeit. Am Mvrgen fingen unsere Indianer mit der Angel den Fisch, der hier zu Lande Caride oder Caribito heißt, weil keiner so blutgierig ist. Er fällt die Menschen beim Vaden und Schwimmen an und reißt ihnen oft ansehnliche Stücke Fleisch ab. Ist man anfangs auch nur unbedeutend verletzt, so komnit man doch nur schwer aus dcm Wasser, ohne die schlimmsten Wunden davon zu tragen. Die Indianer fürchten diese Caraibenfische ungemein, und verschiedene zeigten uns an Waden und Schenkeln vernarbte, sehr tiefe Wunden, die von diesen kleinen Thieren herrührten, die bei den Maypures Umati heißen. Sie leben auf dem Boden der Flüsse, gießt man aber ein paar Tropfen Blut iu's Wasser, so kommen sie zu Tausenden herauf. Bedenkt man, wie zahlreich diese Fische sind, von denen die gefräßigsten und blutgierigsten nur 4—5 Zoll lang werden, betrachtet man ihre dreiseitigen schneidenden, spitzen Zähne und ihr weites retractiles Maul, so wundert man sich nicht, daß die Anwohner des Apure und des Orinoco den Caribe so sehr fürchten. An Stellen, wo der Fluß ganz klar und kein Fisch zu sehen war, warfen wir kleine blutige Fleischstücke ins Wasser. In wenigen Minuten 107 war ein ganzer Schwärm von Caraibensischen da und stritt sich um den Fraß. Der Fisch hat einen kantigen, sägenförmig gekerbten Vauch, ein Merkmal, das mehreren Gattungen, den Serra-Salmen, den Myleten und den Pristigastern zukommt. Nach dem Vorhandenseyn einer zweiten fetten Rückenflosse und der Form der von den Lippen bedeckten, auseinander stehenden, in der untern Kinnlade größeren Zäbne gehört der Caribe zu den Serra-Salmen. Er hat ein viel weiter gespaltenes Maul als Cuviers Myleten. Der Körper ist am Nucken aschgrau, ins Grünliche spielend: aber Vauch, Kiemen, Brust-, Bauch- und Afterflossen sind schön orangegelb. Im Orinoco kommen drei Ar-k'u (oder Spielarten?) vor, die man nach der Größe unterscheidet. Die mittlere scheint identisch mit Marcgravs mittlerer Art des Piraya oder Piranha (8ä1mo rknmdeuL, I^inu6). Ich habe sie an Ort und Stelle gezeichnet. Der Caribito hat einen sehr angenehmen Geschmack. Weil man nirgends zu baden wagt, wo er vorkommt, ist er als eine der größten Plagen dieser Landstriche ^ ^//s.ch/.n, Hv tw- /3//ax pauxi) ist nicht so häufig als ersterer. ' Dieß ist nicht ganz die Breite der Seine am Pontroyal, den Tuilerien gegenüber. 515 scheint von der Einsickerung an den Ufern herzurühren, von der oben die Nede war. Die Geschwindigkeit der Strömung bei der Ausmündung war nur 3 Fuß in der Secunde, so daß ich die ganze Wassermasse leicht berechnen könnte, n^nn mir durch Sondirungen in kurzen Abständen alle Dimensionen des Querschnitts bekannt wären. Der Barometer, der in San Fernando, 28 Fuß über dem mittleren Wasserstand des Apure, um 9^ Uhr Morgens 335,6 Linien hoch gestanden hatte, stand an der Ausmündung des Apure in den Orinoco 337,3 Linien hoch. Rechnet man die ganze Länge des Wegs (die Krümmungen des Stroms mitgerechnet l) zu 94 Seemeilen oder 893,000 Toisen und nimmt man die kleine, wegen der stündlichen Schwankung des Barometers vorzunehmende Correction in Rechnung, so ergibt sich im Durchschnitt ein Gefalle von 13 Zoll aus die Seemeile von 950 Toisen. La Condamine und der gelehrte Major Rennel glauben, daß der Fall des Amazonenstroms und des Ganges durchschnittlich kaum 4—5 Zoll auf die Seemeile beträgt. Wir fuhren, ehe wir in den Orinoco einliefen, mehrmals auf; die Anschwemmungen sind beim Zusammenfluß der beiden Ströme ungeheuer groß. Wir mußte» uns längs des Ufers am Tau ziehen lassen. Welcher Contrast zwischen diesem Zustand des Stroms unmittelbar vor dem Beginn der Regenzeit, wo die Wirkungen der Trockenheit der Luft und der Verdunstung ihr Maximum erreicht haben, und dem Stand im Herbste, wo der Apure gleich einem Meeresarm, so weit das Auge reicht, über den Grasfluren steht! Gegen Süd sahen wir die einzeln ! Ich schätzte sie auf ein Viertheil der geraden Entfernung. «6 stehenden Hügel bei Coruato: im Osten fingen die Granitfelsen von Cilnquima, der Zuckerhut von Caycara nnd die <Ü6ri-08 6el "lirLno an über den Horizont emporzusteigen. Mit einem gewissen Gefiihl der Rührung sahen wir zum erstenmale, wor-nach wir uns so lange gesehnt, die Gewässer des Orinoco, an einem von der Meeresküste so weit entfernten Punkte. Neunzehntes Kapitel. Znsammenfluß des Npure mit dem Orinoco. — Die Gebirge von Encaramada. — Uruana. — Baraguan. — Carichana. — Der Einfluß des Meta. — Die Insel Panumana. Mit der Ausfahrt aus dem Apure sahen wir uns in ein ganz anderes Land versetzt. So weit das Auge reichte, dehnte sich eine ungeheure Wasserfläche, einem See gleich, vor uns aus. Das durchdringende Geschrei der Reiher, Flamingos und Löffelgünse, wenn sie in langen Schwärmen von einem User zum andern ziehen, erfüllte nicht mehr die Luft. Vergeblich sahen wir uns nach den Schwimmvögeln um, deren gewerbsmäßige Listen bei jeder Sippe wieder andere sind. Die ganze Natur schien weniger belebt. Kaum bemerkten wir in den Buchten der Wellen hie und da ein großes Krokodil, das mittelst seines langen Schwanzes die bewegte Wasserfläche schief durchschnitt. Der Horizont war von einem Waldgürtel begränzt, aber nirgends traten die Wälder bis ans Strombett vor. Breite, beständig der Sonnengluth ausgesetzte Ufer, lahl und dürr wie der Meeresstrand, glichen in Folge der Luftspiegelung von weitem Lachen stehenden Wassers. Diese sandigten Ufer verwischten vielmehr die Grenzen des Stromes, statt sie für das Auge festzustellen: 118 nach dem wechselnden Spiel der Strahlenbrechung rückten die Ufer bald nahe heran, bald wieder weit weg. Diese zerstreuten Landschaftszüge, dieses Gepräge von Einsamkeit und Großartigkeit kennzeichnen den Lauf des Orinoco, eines der gewaltigsten Ströme der neuen Welt. Aller Orten haben die Gewässer wie das Land ihren eigenthümlichen, individuellen Charakter. Das Bett des Orinoco ist ganz anders als die Betten dcs Meta, des Guaviare, des Nio Negro und des Amazonenstroms. Diese Unterschiede rühren nicht bloß von der Breite und der Geschwindigkeit des Stromes her: sie beruhen auf einer Gesammtheit von Verhältnissen, die an Ort und Stelle leichter aufzufassen, als genau zu beschreiben sind. So erriethe ein erfahrener Schiffer schon an der Form der Wogen, an der Farbe des Wassers, am Aussehen des Himmels und der Wolken, ob er sich im atlantischen Meer, oder im Mittelmeer, oder im tropischen Strich des großen Oceans befindet. Der Wind wehte stark aus Ost-Nord-Ost: er war uns günstig, um stromaufwärts nach der Mission Encaramada zu segeln; aber unsere Pirogue leistete dem Wogenschlag so geringen Widerstand, daß, wer gewöhnlich seekrank wurde, bei der heftigen Bewegung selbst auf dem Fluß sich sehr unbehaglich fühlte. Das Schollen rührt daher, daß die Gewässer der beiden Ströme bei der Vereinigung auf einander stoßen. Dieser Stoß ist sehr stark, aber lange nicht so gefährlich, als Pater Gumilla behauptet. Wir fuhren an der Punta Curiquima vorbei, einer einzeln stehenden Masse von quarzigem Granit, einem kleinen, aus abgerundeten Blöcken bestehenden Vorgebirge. Hier, auf 119 dem rechten Ufer des Orinoco, hatte zur Zeit der Jesuiten Pater Rotella unter den Palenques- und Viriviri-Indianern eine Mission angelegt. Bei Hochwasser waren der Verg Curiquima und das Dorf am Fuß desselben rings von Wasser umgeben. Wegen dieses großen Uebelstandes und wegen der Unzahl Moskitos und Niguas, ' von denen Missionäre und Indianer geplagt wurden, gab man den feuchten Ort auf. Jetzt ist er völlig verlassen, während gegenüber auf dem linken Ufer in den Hügeln von Corualo herumziehende Indianer hausen, die entweder aus den Missionen oder aus freien, den Mönchen nicht unterworfenen Stämmen ausgcstoßen worden sind. Die ungemeine Breite des Orinoco zwischen der Einmün-dung des Apure und dem Berge Curiquima fiel mir sehr auf; ich berechnete sie daher nach einer Standlinie, die ich am westlichen Ufer zweimal abgemessen. Das Bett des Orinoco war beim gegenwärtigen tiefen Wasserstand 1906 Toisen breit: aber in der Regenzeit, wenn der Berg Curiquima und der Hof Ca-puchino beim Hügel Pocopocori Inseln sind, mögen es 5517 Toisen werden. Zum starken Anschwellen des Orinoco trägt auch der Druck der Wasser des Apure bei, der nicht, wie andere Nebenflüsse, mit dem Obertheil des Hauptstroms einen spitzen Winkel bildet, sonder» unter einem rechten Winkel einmündet. Wir maßen an verschiedenen Punkten des Bettes die Temperatur des Wassers^ mitten im Thalweg, wo die Strömung am stärksten ist, betrug sie 28°,3, in der Nähe der Ufer 29«2. l Die Sandflöhe (pulei penetrant Linne), die sich beim Menschen und Affen unter die Nägel der Zehen einglaben und daselbst ihre Gier legen. 520 Wir fuhren zuerst gegen Südwest hinauf bis zum Gestade der Guaricotos-Indianer auf dem linken Ufer des Orinoco, und dann gegen Süd. Der Strom ist so breit, daß die Berge von Encaramada aus dem Wasser emporzusteigen scheinen, wie wenn man sie über dem Meereshorizont sähe. Sie bilden eine ununterbrochene, von Ost nach West streichende Kette, und je näher man ihnen kommt, desto malenscher wird die Landschaft. Diese Verge bestehen aus ungeheuren zerklüfteten, auf einander gethürmten Gramtblöcken. Die Theilung der Gebirgsmasse in Blöcke ist eine Folge der Verwitterung. Zum Reiz der Gegend von Encaramada trägt besonders der kräftige Pflanzenwuchs bei, der die Felswände bedeckt und nur die abgerundeten Gipfel frei läßt. Man meint, altes Gemäuer rage aus einem Walde empor. Auf dem Berg, an den sich die Mission lehnt, dem Tepupano der Tamanacos, stehen drei ungeheure Granitcylinder, von denen zwei geneigt sind, während der dritte, unten schmälere und über 80 Fuß hohe, senkrecht stehen geblieben ist. Dieser Felsen, dessen Form an die Schnarcher im Harz oder an die Orgeln von Actvp an in Mexico erinnert, war früher ein Stück des runden Berggipfels. In allen Erdstrichen hat der nicht geschichtete Granit das Eigenthümliche, daß er durch Verwitterung in prismatische, cylinorische oder säulenförmige Blöcke zerfällt. Gegenüber dem Gestade der Guaricotos kamen wir in die Nähe eines andern, ganz niedrigen, drei bis vier Toisen langen Felshaufcns. Er steht mitten in der Ebene und gleicht nicht sowohl einem Tumulus als den Granitmassen, die man in Holland und Niederdeutschland Hünenbetten nennt. Der t2t Ufersand an diesem Stück des Orinoco ist nicht mehr reiner Ouarzsand, er besteht aus Thon und Glimmerblättchen in sehr dünnen Schichten, die meist unter einen Winkel von 40—50 Grad fallen; er sieht aus wie verwitterter Glimmerschiefer. Dieser Wechsel in der geologischen Beschaffenheit der Ufer tritt schon weit oberhalb der Mündung des Apure ein; schon beim Algodonal und beim Cano de Manati singen wir in letzterem Flusse an denselben zu bemerken. Die Glimmerblättchen kom-men ohne Zweifel von den Granitbergen von Curiquima und Encaramada, denn weiter nach Nord und Ost findet man nur Quarzsand, Sandstein, festen Kalkstein und Gyps. Daß Anschwemmungen von Süd nach Nord geführt werden, kann am Orinoco nicht befremden; aber wie erklärt sich dieselbe Erscheinung im Bett des Apure, sieben Meilen westwärts von seiner Ausmündung? Beim gegenwärtigen Zustand der Dinge läuft der Apure auch beim höchsten Wasserstand des Orinoco nie so weit rückwärts, und um sich von der Erscheinung Rechenschaft zu geben, muß man annehmen, die Glimmerschichten haben sich zu einer Zeit niedergeschlagen, wo der ganze, sehr tief gelegene Landstrich zwischen Caycara, dem Algodonal und den Bergen von Encaramada ein Seebecken war. Wir verweilten einige Zeit im Hafen von Encaramada; es ist dieß eine Art Ladeplatz, wo die Schiffe zusammenkommen. Das Ufer besteht aus einem 40—50 Fuß hohen Felsen, wieder jenen aufeinander gethürmten Granitblöcken, wie sie am Schnee-berg in Franken und fast in allen Granitgebirgen in Europa vorkommen. Manche dieser abgesonderten Massen sind kugeligt; es sind aber keine Kugeln mit concentrischcn Schichten, sondern 122 nur abgerundete Blöcke, Kerne, von denen das umhüllende Gestein abqewittert ist. Der Granit ist bleigrau, oft schwarz, wie mit Manganoryd überzogen: aber diese Farbe dringt kaum l/Z Linie tief ins Gestein, das röthlich weiß, grobkörnig ist und keine Hornblende enthält. ?> Die indianischen Namen der Mission San Luis del Encaramada sind Guaja und Caraman a. ^ Es ist dieß das kleine Dorf, das im Jahr 1749 vom Iesuitenpater Gili, dem Verfasser der in Rom gedruckten ßtori» äcli Orinooo, gegründet wurde. Dieser in den Indianersftrachen sehr bewan-derle Mann lebte hier achtzehn Jahre in der Einsamkeit bis zur Vertreibung der Jesuiten. Man bekommt einen Begriff davon, wie öde diese Landstriche sind, wenn man hört, daß Pater Gili von Carichana, das 40 Meilen von Encaramada liegt, wie von einem weit entlegenen Orte spricht, und daß er nie bis zu dem ersten Katarakt des Stromes gekommen ist, an dessen Beschreibung er sich gewagt hat. ' Die Name» der Missionen in Südamerika bestehe» sämmtlich aus zwei Worten, von drnen das erste nothwendig ein Hciligenname ist (der Name des Schutzpatrons dcr Kirche), da« zweite ein indianische« (der Name des Volk«, das hier lebl, und der Gegend, wo die Mission liegt). So sagt man: 8«n Fuze äe Hla^pure», santg Oux p«mu<:eno äe lc»5 ^tui^z <>te. Diese zusammengesetzten Namen fommen aber nut in de? amtlichen Sprache vor; die Einwohner brauchen nur Einen, meist, wenn er wohlklingend ist, den indianischen. Benachbarten Orte» kommen oft dieselben Hciligennamen zu, und dadurch entsteht in der Geographie eine heillose Verwirrung. Die Namen Tan Juan. San Pedro, San Diego sind wi« auf Gerathewohl auf unsern Karten umhergestreut. 123 Im Hafen von Encaramada trafen wir Caraiben aus Pa-napana. Es war ein Cazike, der in feiner Pirogue zum berühmten Schildkröteneierfang den Fluh hinaufging. Seine Pirogue war gegen den Boden zugerundet wie ein Bongo und führte ein kleineres Canoe, Curiara genannt, mit sich. Er saß unter einer Art Zelt (loicia), das, gleich dem Segel, aus Palmblattern bestand. Sein kalter, einsylbiger Ernst, die Ehrerbietung, die die Seimgen ihm bezeugten, Alles zeigte, daß man einen großen Herrn vor sich hatte. Der Cazite trug sich übrigens ganz wie seine Indianer; alle waren nackt, mit Bogen und Pfeilen bewaffnet und mit Onoto, dem Farbestoff des Nocou, bemalt. Häuptling, Dienerschaft, Geräthe, Fahrzeug, Segel, Alles war roth angestrichen. Diese Caraiben sind Menschen von fast athletischem Wuchs; sie schienen uns weit höher gewachsen als die Indianer, die wir bisher gesehen. Ihre glatten, dichten, auf der Stirne wie bei den Chorknaben verschnittenen Haare, ihre schwarzgefärbten Augenbrauen, ihr finsterer und doch lebhafter Blick gaben ihrem Gesichtsausdruck etwas unge, mein Hartes. Wir hatten bis jetzt nur in den Cabineten in Europa ein paar Caraibenschädel von den Antillen gesehen und waren daher überrascht, daß bei diesen Indianern von reinem Blnte die Stirne weit gewölbter war, als man sie uns beschrieben. Die sehr großen, aber ekelhaft schmutzigen Weiber trugen ihre kleinen Kinder auf dem Rücken. Die Ober- und Unterschenkel der Kinder waren in gewissen Abständen mit breiten Binden aus Baumwollcnzeug eingeschnürt. Das Fleisch unter den Binden wird stark zusammengepreßt und quillt in den Zwischenräumen heraus. Die Caraiben verwenden meist t24 auf ihr Aeußeres und ihren Putz so viel Sorgfalt, als nackte und roth bemalte Menschen nur immer können. Sie legen bedeutenden Werth auf gewisse Körperformen, und eine Mutter würde gewissenloser Gleichgültigkeit gegen ihre Kinder beschuldigt, wenn sie ibnen nicht durch künstliche Mittel die Waden nach der Landessitte formte. Da keiner unsercr Indianer vom Apure caraibisch sprach, konnten wir uns beim Caziken von Panavana nicht nach den Lagerplätzen erkundigen, wo man in dieser Jahreszeit auf mehreren Inseln im Orinoco zum Sammeln der Schild« kröteneier zusammenkommt. Bei Encaramada trennt eine sehr lange Insel den Strom in zwei Arme. Wir übernachteten in einer Felsenbucht, gegenüber der Einmündung des Rio Cabullare, zu dem der Payara und der Atamaica sich vereinigen, und den manche als einen Zweig des Apure betrachten, weil er mit diesem durch den Rio Arichuna in Verbindung steht. Der Abend war schön; der Mond beschien die Spitzen der Granitfelsen. Trotz der Feuchtigkeit der Luft war die Wärme so gleichmäßig vertheilt, daß man kein Sternflimmern bemerkte, selbst nicht 4 oder 5 Grad über dem Horizont. Das Licht der Planeten war auffallend geschwächt, und liehe mich nicht die Kleinheit des scheinbaren Durchmessers Jupiters einen Irrthum in der Beobachtung fürchten, so sagte ich, wir alle glaubten hier zum erstenmal mit bloßem Auge die Scheibe Jupiters zu sehen. Gegen Mitternacht wurde der Nordostwind sehr heftig. Er führte keine Wolken herauf, aber der Himmel bezog sich mehr und mehr mit Dunst. Es traten starke Windstöße ein und machten uns für unfere Pirogue besorgt. Wir hatten den ganzen Tag über nur sehr wenige 125 Krokodile gesehen, aber lauter ungewöhnlich große, 20—24 Fuß lange. Die Indianer versicherten uns, die jungen Krokodile suchen lieber die Lachen und weniger breite und tiefe Flüsse auf; besonders in den Canos sind sie in Menge zu finden, und man könnte von ihnen sagen, was Abd-Allatif von den Nil-trotodilen sagt, „sie wimmeln wie Würmer au den seichten Strvmstellen und im Schutz der unbewohnten Inseln." Am 6. April. Wir fuhren eist gegen Süd, dann gegen Südwest weiter den Orinoco hinauf und bekamen den Südabhang der Serrania oder der Bergkette Encaramada zu Gesicht. Der dem Fluß am nächsten gelegene Strich ist nicht mehr als 140—160 Toisen hoch, aber die steilen Abhänge, die Lage mitten in einer Savane, ihre in unförmliche Prismen zerklüfteten Felsgipfel lassen die Eerrania auffallend hoch erscheine«. Ihre größte Breite beträgt nur drei Meilen; nach den Mittheilungen von Pareka-Indianern wird sie gegen Ost bedeutend breiter. Die Gipfel der Encaramada bilden den nördlichsten Zug eines Bergstocks, welcher sich am rechten Ufer des Orinoco zwischen dem 5. und 7^ Grad der Breite, vom Einfluß des Rio Zama bis zu dem des Cabullare hinzieht. Zwischen den verschiedenen Zügen dieses Bergstocks liegen kleine grasbewachsene Lbenen. Sie laufen einander nicht ganz parallel, denn die nördlichsten ziehen sich von West nach Ost, die südlichsten von Nordwest nach Südost. Aus dieser verschiedenen Richtung erklärt sich vollkommen, warum die Cordillere der Parime gegen Ost, zwischen den Quellen des Orinoco und des Rio Paruspa, breiter wird. Wenn wir einmal über die großen Katarakten von Atures und Maypures hinauf gelangt sind, werde» wir hinter 126 einander sieben Hauptketten erscheinen sehen, die Berge Encara-mada oder Sacuina, Chaviripa, Naraguan, Carichana, Uniama, C^litamini und Sipafto. Diese Uebersicht mag einen allgemeinen Begriff von der geologischen Beschaffenheit des Bodens geben. Ueberall auf dem Erdball zeigen die Gebirge, wenn sie noch so unregelmäßig gruppirt scheinen, eine Neigung zu regelmäßigen Formen. Jede Kette erscheint einem, wenn man auf dem Orinoco führt, im Querschnitt als ein einzelner Berg, aber die Isolirung ist nur scheinbar. Die Regelmäßigkeit im Streichen und dem Auseinandertreten der Ketten scheint geringer zu werden, je weiter man gegen Osten kommt. Die Berge der Encara-mada hängen mit denen des Mato zufammen, in welchen der Nio Asiveru oder Cuchivero entspringt: die Berge der Chaviripe erstrecken sich durch ihre Ausläufer, die Granitberge Corosal, Amoco und Murcielago, bis zu den Quellen des Erevato und Ventuari. Ueber diese Berge, die von sanftmüthigen, acterbauenden Indianern bewohnt sind, ließ bei der Expedition an die Grenze General Iturriaga das Hornvieh gehen, mit dem die neue Stadt San Fernando de Atobapo versorgt werden sollte. Die Einwohner der Encaraniada zeigten da den spanischen Soldaten den Weg zum Nio Manapiari, der in den Ventuari mündet. Fährt man diese beiden Flüsse hinab, so gelangt man in den Orinoco und Atobapo, ohne über die großen Kataralten zu kommen, über welche Vieh hinauszuschaffen so gut wie unmöglich wäre. Der Unternehmungsgeist, der den Castilianern zur Zeit der Entdeckung von Amerika in so vorzüglichem Grade eigen war, lebte in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts auf kurze 127 Frist noch einmal auf, als König Ferdinand VI. die wahren Grenzen seiner ungeheuren Besitzungen kennen lernen wollte, und in den Wäldern von Guyana, dem classischen Lande der Lüge und der mährchenhaften Ueberlieferungen, die Arglift der Indianer die chimärische Vorstellung von den Schätzen des Dorado, welche die Einbildungstraft der ersten Eroberer so gewaltig beschäftigt hatte, von Neuem in Umlauf brachte. In diesen Bergen der Encaramada, die, wie der meiste grobkörnige Granit, keine Gänge enthalten, fragt man sich, wo die Goldgeschiebe herkommen, welche Juan Martinez ^ und Ralegh bei den Indianern am Orinoco in so großer Menge gesehen haben wollen. Nach meinen Beobachtungen in diesem Theile von Amerika glaube ich, daß das Gold, wie das Zinn, zuweilen in kaum sichtbaren Theilchen durch die ganze Masse des Granitgesteins zerstreut ist, ohne daft man kleine verästele und in einander verschlungene Gänge anzunehmen hat. Noch nicht lange landen Indianer alls Encaramada in der Hus-bru6k ösl li^rs (Tigerschlucht) ein Goldkorn von zwei Linien Durchmesser. Es war i und und schien im Wasser gerollt. Diese Entdeckung war den Missionären noch wichtiger als den Indianern, aber sie blieb alleinstehend. Ich kann dieses erste Glied des Bergstocks der Encaramada nicht verlassen, ohne eines Umstandes zu erwähnen, der Pater Gili nicht unbekannt geblieben war und dessen man während unseres Aufenthalts in den Missionen am Orinoco häufig gegen uns erwähnte. Unter den Eingeborenen dieser Länder hat sich l Der Negltlter des Diego te Ordaz. 123 die Sage erhalten, „beim großen Wasser, als ihre Väter das Canoe besteigen mußten, um der allgemeinen Ueberschwemmung zu entgehen, haben die Wellen des Meeres die Felsen der Ei,-caramada bespült." Diese Sage kommt nicht nur bei einem einzelnen Volke, den Tamanaken vor, sie gehört zu einem Kreise geschichtlicher Ueberlieferungen, aus dem sich einzelne Vorstellungen bei den Maypures an den großen Katarakten, bei den Indianern am Rio Erevato, der sich in den Caura ergießt, und fast bei allen Stämmen am obern Orinoco finden. Fragt man die Tamanaken, wie das Menschengeschlecht diese große Katastrophe, die Wasserzeit der Mczicaner, überlebt habe, so sagen sie, „ein Mann und ein Weib haben sich auf einen hohen Berg, Namens Tamanacu, am Ufer des Asiveru, geflüchtet: da haben sie Früchte der Mauritiapalme hinter sich über ihre Köpfe geworfen, und aus den Kernen derselben seyen Männlein und Weiblein entsprossen, welche die Erde wieder bevölkert." In solch einfacher Gestalt lebt bei jetzt wilden Völkern eine Sage, welche von den Griechen mit allem Reiz der Einbildungskraft geschmückt worden ist. Ein paar Meilen von Encaramada steht mitten in der Savane ein Fels, der sogenannte Tepumereme, der gemalte Fels. Man sieht darauf Thierbilder und symbolische Zeichen, ähnlich denen, wie wir sie auf der Rückfahrt auf dem Orinoco nicht weit unterhalb Encaramada bei der Stadt Caycara gesehen. In Afrika heiße» dergleichen Felsen bei den Reisenden Fetischsteine. Ich vermeide den Ausdruck, weil die Eingeborenen am Orinoco von einem Fetischdienst nichts wissen, und weil die Bilder, die wir an nunmehr unbewohnten Orten auf Felsen gefunden, 129 Sterne, Sonnen, Tiger, Krokodile, mir keineswegs Gegenstände religiöser Verehrung vorzustellen scheinen. Zwischen dem Cassiquiare und dem Orinoco, zwischen Encaramada, Capuchino und Caycara sind diese hieroglyphischen Figuren häufig sehr hoch oben in Felswände eingehauen, wohin man nu,r mittelst sehr hoher Gerüste gelangen könnte. Fragt man nun die Eingeborenen, wie es möglich gewesen sey, die Bilder einzuhauen, so erwiedern sie lächelnd, als sprächen sie eine Thatsache aus, mit der nur ein Weißer nicht bekannt seyn kann, „zur Zeit des gr-oßen Wassers seyen ihre Väter so hoch oben im Canoe gefahren." Diese alten Sagen des Menschengeschlechts, die wir gleich Trümmern eines großen Schiffbruchs über den Erdball zerstreut finden, sind für die Geschichtsphilosophie von höchster Bedeutung. Wie gewisse Pflanzenfamilien in allen Klimaten und in den verschiedensten Meereshöhen das Gepräge des gemeinsamen Typus behalten, so haben die cosmogonischen Ueberlieferungen der Völker aller Orten denselben Charakter, eine Familienähnlichkeit, die uns in Erstaunen setzt. Im Grundgedanken hinsichtlich der Vernichtung der lebendigen Schöpfung und der Erneuerung der Natur weichen die Sagen fast gar nicht ab, aber jedes Volk gibt ihnen eine örtliche Färbung. Auf den großen Festländern, wie auf den kleinsten Inseln im stillen Meer haben sich die übrig gebliebenen Menschen immer auf den höchsten Berg in der Nähe geflüchtet, und das Ereigniß erscheint desto neuer, je roher die Völker sind und je weniger, was sie von sich selbst wissen, weit zurückreicht. Untersucht man die mericanischen Denkmale aus der Zeit vor der Entdeckung Humboldt, »lelsc, IV. 9 130 der neuen Welt genau, dringt man in die Wälder am Orinoco, sieht man, wie unbedeutend, wie vereinzelt die europäischen Niederlassungen sind und in welchen Zuständen die unabhängig gebliebenen Stämme verharren, so kann man nicht daran denken, die eben besprochene Uebereinstimmung dem Einfluß der Missionäre und des Christenthums auf die Volkssagen zuzuschreiben. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß die Völker am Orinoco durch den Umstand, daß sie Meeresprodukte hoch oben in den Gebirgen gefunden, auf die Vorstellung vom großen Wasser gekommen seyn sollten, das eine Zeit lang die Keime des organischen Lebens auf der Erde vernichtet habe. Das Land am rechten Ufer des Orinoco bis zum Cassiquiare und Rio Negro besteht aus Ur-gebirge. Ich habe dort wohl eine kleine Sandstein- oder Con-glomeratformation angetroffen, aber keinen secundären Kalkstein, leine Spur von Versteinerungen. Der frische Nordostwind brachte uns mit vollen Segeln zur Looa 66 Ia 'loltuFa. Gegen eilf Uhr Vormittags stiegen wir an einer Insel mitten im Strome aus, welche die Indianer in der Mission Uruana als ihr Eigenthum betrachten. Diese Insel ist berühmt wegen des Schildkrötenfangs, oder, wie man hier sagt, wegen der OosLoka, der Eierernte, die jährlich hier gehalten wird. Wir fanden hier viele Indianer beisammen und unter Hütten aus Palmblättern gelagert. Das Lager war über dreihundert Köpfe stark. Seit San Fernando am Apure waren wir nur an öde Gestade gewöhnt, und so siel uns das Leben, das hier herrschte, ungemein auf. Außer den Guamos und Otomacos aus Uruana, die beide für wilde, unzähmbare Stämme gelten, waren Caraiben und andere Indianer vom 131 untern Orinoco da. Jeder Stamm lagerte für sich und unterschied sich durch die Farbe, mit der die Haut bemalt war. Wir fanden in diesem lärmenden Haufen einige Weiße, namentlich „Pulfteros" oder Krämer aus Angostura, die den Fluß heraufgekommen waren, um von den Eingeborenen Echildkröteneieröl zu kaufen. Wir trafen auch den Missionär von Uruana, der aus Alcala de Henarez gebürtig war. Der Mann verwunderte sich nicht wenig, uns hier zu finden. Nachdem er unsere Instrumente bewundert, entwarf er uns eine übertriebene Schilderung von den Beschwerden, denen wir uns nothwendig aussetzten, wenn wir auf dem Orinoco bis über die Fälle hinaufgingen. Der Zweck unserer Reise schien ihm in bedeutendes Dunkel gehüllt. „Wie soll einer glauben," sagte er, „daß ihr euer Vaterland verlassen habt, um euch auf diesem Flusse von den Moskitos aufzehren zu lassen und Land zu vermessen, das euch nicht gehört?" Zum Glück hatten wir Empfehlungen vom Pater Gardian der Franciscaner-Missionen bei uns, lind der Schwager des Statthalters von Varinas, der bei uns war, machte bald den Bedenken ein Ende, die durch unsere Tracht, unsern Accent und unsere Ankunft auf diesem sandigen Eiland unter den Weißen aufgetaucht waren. Der Missionär lud uns zu seinem frugalen Mahl aus Bananen und Fischen ein und erzählte uns, er sey mit den Indianern über die „Eierernte" herübergekommen, „um jeden Morgen unter freiem Himmel die Messe zu lesen und sich das Oel für die Altarlampe zu verschaffen, besonders abcr um diese repudlioa äe luöios ? (Üa8t6l1n,n<)8 in Ordnung zu halten, in der jeder für sich allein haben wolle, was Gott allen bescheert." 132 Wir umgingen die Insel in Begleitung des Missionärs und eines Pulpero, der sich rühmte, daß er seit zehn Jahren ins Lager der Indianer und zur pesoa 66 lortu^ag komme. Man besucht dieses Stück des Orinoco, wie man bei uns die Messen von Frankfurt und Beaucaire besucht. Wir befanden uns auf einem ganz ebenen Sandstrich. Man sagte uns: „So weit das Auge an den Ufern hin reicht, liegen Schildkröten-eier unter einer Erdschicht." Der Missionär trug eine lange Stange in der Hand. Er zeigte uns, wie man mit der Stange (vain) sondirt, um zu sehen, wie weit die Eierschicht reicht, wie der Bergmann die Grenzen eines Lagers von Mergel, Raseneisenstein oder Steinkohle ermittelt. Stößt man die Vara senkrecht in den Boden, so spürt man daran, daß der Widerstand auf einmal aufhört, daß man in die Höhlung oder das lose Erdreich, in dem die Eier liegen, gedrungen ist. Wie wir sahen, ist die Schicht im Ganzen so gleichförmig verbreitet, dc>,ß die Sonde in einem Halbmesser von 10 Toisen rings um einen gegebenen Punkt sicher darauf stößt. Auch spricht man hier nur von Quadratstangen Eiern, wie wenn man ein Bodenstück, unter dem Mineralien liegen, in Loose theilte und ganz regelmäßig abbaute. Indessen bedeckt die Eierschicht bei weitem nicht die ganze Insel: sie hört überall auf, wo der Boden rasch ansteigt, weil die Schildkröte auf diese kkinen Plateaus nicht hinaufkriechen kann. Ich erzählt.' meinen Führern von den hochtrabenden Beschreibungen Pater Gumillas, wi: die Ufer des Orinoco nicht so viel Sandkörner enthalten, als der Strom Schildkröten, und wie diese Thiere die Schiffe in ihrem Lauf aufhielten, wenn Menschen und Tiger nicht alljährlich 133 so viele tödteten. „son ouento8 6? frgiies," sagte der Krämer aus Angostura leise, denn da arme Missionäre hier zu Lande die einzigen Reisenden sind, so nennt man hier „Pfaffenmährchen," was man in Europa den Reisenden überhaupt aufbürden würde. Die Indianer versicherten uns, von der Mündung des Orinoco bis zum Einfluß des Apure herauf finde man keine einzige Insel und kein einziges Gestade, wo man Schildkröteneier in Masse sammeln könnte. Die große Schildkröte, der Arrau (sprich Arra-u), meidet von Menschen bewohnte oder von Fahrzeugen besuchte Orte. Es ist ein furchtsames, scheues Thier, das den Kopf über das Wasser streckt und sich beim leisesten Geräusch versteckt. Die Uferstrecken, wo fast sämmtliche Schildkröten des Orinoco sich jährlich zusammenzufinden scheinen, liegen zwischen dem Zusammenfluß des Orinoco und des Nvure und den großen Fällen oder Raudales, das heißt zwischen Cabruta und der Mission Atures. Hier befinden sich die drei berühmten Fangplähe Encaramada oder doea ä?1 <ükdull»i-6, Cucuruparu oder doea 66 I» i'orwAk, und Pararuma, etwas unterhalb Carichana. Die Arrau ° Schildkröte geht, wie es scheint, nicht über die Fülle hinauf, und wie man uns versichert, kommen oberhalb Atures und Maypures nur Terekay-Schildkröten vor. Es ist hier der Ort, einige Worte über diese beiden Arten und ihr Verhältniß zu den verschiedenen Familien der Schildkrölen zu sagen. Wir beginnen mit der Arrau-Schildkröte, welche die Spanier in den Colonien kurzweg ^m-tu^a nennen, und deren Geschlecht für die Völker am untern Orinoco von so großer Bedeutung ist. Es ist eine große Süßwasserschildkröte, mit Schwimm- 134 fußen, sehr plattem Kopf, zwei fleischigen, sehr spitzen Anhängen unter dem Kinn, mit fünf Zehen an den Vorder- und vier an den Hinterfüßen, die unterhalb gefurcht sind. Der Schild hat 5 Platten in der Mitte, 8 seitliche und 24 Randplatten: er ist oben schwarzgrau, unten orangegelb, die Füße sind gleichfalls orangegelb und sehr lang. Zwischen den Augen ist eine sehr tiefe Furche. Die Nägel sind sehr stark und gebogen. Die Afteröffnung befindet sich am letzten Fünftheil des Schwanzes. Da-Z erwachsene Thier wiegt 40—50 Pfund. Die Eier, weit größer als Taubeneier, sind nicht so länglicht wie die Eier des Terckay. Sie haben eine Kalkschale und sollen so fest scyn, daß die Kinder der Otomaken, die starke Vallspieler sind, sie einander zuwerfen können. Käme der Arrau oberhalb der Katarakten im Strome vor, so gingen die Indianer am obern Orinoco nicht so weit nach dem Fleisch und den Eiern dieser Schildkröte; man sah aber früher ganze Volksstämme von den Flüssen Atabapo und Cassiquiare über die Raudales herabkommen, um am Fang bei Uruana Theil zu nehmen. Die Terekays sind kleiner als die Arrau. Sie haben meist nur 14 Zoll Durchmesser. Ihr Schild hat gleichviel Platten, sie sind aber etwas anders vertheilt. Ich zählte 4 im Mittelpunkt und zu jeder Seite 5 sechsseitige, am Rand I4 vierseitige, stark gebogene. Der Schild ist schwarz, ins Grüne spielend; Füße und Nägel sind wie beim Arrau. Das ganze Thier ist olivengrün, hat aber oben auf dem Kopf zwei aus roth und gelb gemischte Flecke. Auch der Hals ist gelb und hat einen stachligten Anhang. Die Terekays thun sich nicht in große Schwärme zusammen, wie die Arraus, um ihre 135 Eier mit einander auf demselben Ufer zu legen. Die Eier des Terekay haben einen angenehmen Geschmack und sind bei den Bewohnern von spanisch Guyana sehr gesucht. Sie kommen sowohl im obern Orinoco als unterhalb der Fälle vor, ferner im Apure, Uritucu, Guarico und den kleinen Flüssen, welche durch die Llanos von Caracas laufen. Nach der Bildung der Füße und des Kopfs, nach den Anhängen an Kinn und Hals und nach der Stellung der Afteröffnung scheint der Arrau und wahrscheinlich auch der Terekay eine neue Untergattung zu bilden, die von den Emyden zu trennen wäre. Durch die Anhänge und die Stellung des Afters nähern sie sich der Nin)'L nasuta Schweiggers und dem Matamata in französisch Guyana, unterscheiden sich aber von letzterem durch die Form der Schildplatten, die keine Pyramidalischen Buckel haben. Die Zeit, wo die große Arrau - Schildkröte ihre Eier legt, fällt mit dem niedrigsten Wasserstand zusammen. Da der Orinoco von der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche an zu steigen anfängt, so liegen von Anfang Januar bis zum 2t). oder 25. März die tiefsten Uferstrecken trocken. Die Arraus sammeln sich )chon im Januar in große Schwärme,- sie gehen jetzt aus dem Wasser und wärmen sich auf dem Sand in der Sonne. Die Indianer glauben, das Thier bedürfe zu seinem Wohlbefinden nothwendig starker Hitze und das Liegen in der Sonne befördere das Eierlegen. Den ganzen Februar findet man die Arraus fast den ganzen Tag auf dem Ufer. Zu Anfang März vereinigen sich die zerstreuten Haufen und schwimmen zu den wenigen Inseln, auf denen sie gewöhnlich ihre Eier legen. Wahrscheinlich kommt dieselbe Schildkröte jedes Jahr an dasselbe 136 Ufer. Um diese Zeit, wenige Tage vor dem Legen, erscheinen viele tausend Schildkröten in langen Reihen an den Ufern der Inseln Cucuruparu, Uruana und Pararuma, recken den Hals und halten den Kopf über dem Wasser, ausschauend, ob nichts , von Tigern oder Menschen zu fürchten ist. Die Indianer, denen viel daran liegt, daß die vereinigten Schwärme auch beisammen bleiben, daß sich die Schildkröten nicht zerstreuen und in aller Ruhe ihre Eier legen können, stellen längs des Ufers Wachen auf. Man bedeutet den Fahrzeugen, sich mitten im Strom zu halten und die Schildkröten nicht durch Geschrei zu verscheuchen. Die Eier werden immer bei Nacht gelegt, aber gleich von Sonnenuntergang an. Das Thier gräbt mit seinen Hinterfüßen, die sehr lang sind und krumme Klauen haben, ein drei Fuß weites und zwei Fuß tiefes Loch. Die Indianer behaupten, um den Ufersand zu befestigen, benetze die Schildkröte denselben mit ihrem Harn, und man glaubt solches am Geruch wahrzunehmen, wenn man ein frisch gegrabenes Loch oder Ei erne st, wie man hier sagt, öffnet. Der Drang der Thiere zum Eierlegen ist so stark, daß manche in die von andern gegrabenen, noch nicht wieder mit Erde ausgefüllten Löcher hinunter geben und auf die frisch gelegte Eierschicht noch eine zweite legen. Bei diesem stürmischen Durcheinander werden ungeheuer viele Eier zerbrochen. Der Missionär zeigte uns, indem er den Sand an mehreren Stellen aufgrub , daß der Verlust ein Drittheil der ganzen Ernte betragen mag. Durch das vertrocknende Gelb der zerbrochenen Eier backt der Sand noch stärker zusammen, und wir fanden Quarzsand und zerbrochene Eierschaalen in großen Klumpen zusammen- 137 gelittet. Der Thiere, welche in der Nacht am Ufer graben, sind so unermeßlich viele, daß manche der Tag überrascht, ehe sie mit dem Legen fertig werden konnten. Da treibt sie der doppelte Drang, ihre Eier loszuwerden und die gegrabenen Locker zuzudecken, damit der Tiger sie nicht sehen möge. Die Schildkröten, die sich verspätet haben, achten auf keine Gefahr, die ihnen selbst droht. Sie arbeiten unter den Augen der Indianer, die früb Morgens auf das Ufer kommen. Man nennt sie „närrische Schildkröten." Trotz ihrer ungestümen Bewegungen fängt man sie leicht mit den Händen. Die drei Indianerlager an den oben erwähnten Orten werden Ende März und in den ersten Tagen Aprils eröffnet. Tie Eierernte geht das einemal vor sich wie das andere, mit der Regelmäßigkeit, die bei Allem herrscht, was von Mönchen ausgebt. Ehe die Missionäre an den Fluß kamen, beuteten die Eingeborenen ein Produkt, das die Natur hier in so reicher Fülle bietet, in weit geringerem Maaße aus. Jeder Stamm durchwühlte das Ufer nach seiner eigenen Weise und es wurden unendlich viele Eier muthwillig zerbrochen, weil man nicht vorsichtig grub und mehr Eier fand, als man mitnehmen tonnte. Es war, als würde eine Erzgrube von ungeschickten Händen ausgebeutet. Den Jesuiten gebührt das Verdienst, daß sie die Ausbeutung geregelt haben, und die Franciskaner, welche die Jesuiten in den Missionen am Orinoco abgelöst haben, rühmen sich zwar, daß sie das Verfahren ihrer Vorgänger einhalten, gehen aber leider keineswegs mit der gehörigen Vorsicht zu Werke. Die Jesuiten gaben nicht zu, daß das ganze Ufer ausgebeutet wurde,- sie ließen ein Stück unberührt liegen, weil sie 138 besorgten, die Arrau-Schildkröten möchten, wenn nicht ausgerottet werben, doch bedeutend abnehmen. Jetzt wühlt man das ganze Ufer rüsichtslos um, und man meint auch zu bemerken, daß die Ernten von Jahr zu Jahr geringer werden. Ist das Lager aufgeschlagen, so ernennt der Missionär von Uruana seinen Stellvertreter oder den Commissar, der den Landstrich, wo die Eier liegen, nach der Zahl der Indianerstämme, die sich in die Ernte theilen, in Loose zerlegt. Es sind lauter „Indianer aus den Missionen," aber so nackt und versunken, wie die „Indianer aus den Wäldern:" man nennt sie r6ms >.'it ssarut? Tupfen und Striche ins Gesicht, und man sah dieselben noch, «I« wir schon wieder in Angostura, im Tchorhe europäischer Cultur waren. 164 sie sich unbemalt blicken ließen. Die Guayucos bestehen am Orinoco theils aus Baumrinde, theils aus Baunmollenzeug. Die Männer tragen sie breiter als die Weiber, die überhaupt (wie die Missionäre behaupten) weniger Schamgefühl haben. Schon Christoph Columbus hat eine ähnliche Bemerkung gemacht. Sollte diese Gleichgültigkeit der Weiber, dieser ihr Mangel an Scham unter Völkern, deren Sitten doch nicht sehr verdorben sind, nicht daher rühren, dah das andere Geschlecht in Südamerika durch Mißbrauch der Gewalt von Seiten der Männer so tief herabgewürdigt und zu Stlavendiensten verurtheilt ist? Ist in Europa von einem Eingeborene.« von Guyana die Rede, so stellt man sich einen Menschen vor, der an Kopf und Gürtel mit schönen Arras-, Tucan-, Tangaras- und Colibn-federn geschmückt ist. Von jeher gilt bei unsern Malern und Bildhauern solcher Putz für das charakteristische Merkmal eines Amerikaners. Zu unserer Ueberraschung sahen wir in den Missionen der Chaymas, in den Lagern von Uruana und Pa-raiuma, ja beinahe am ganzen Orinoco und Cassiquiare nirgends jene schönen Federbüsche, jene Federschürzen, wie sie die Reisenden so oft aus Cayenne und Demrrary heimbringen. Dic meisten Völkerschaften in Guyana, selbst die, deren Geisteskräfte ziemlich entwickelt sind, die Ackerbau treiben und Vaumwollen-zeug weben, sind so nackt, so arm, so schmucklos wie die Neuholländer. Vei der ungeheuren Hitze, beim starken Schweiß, der den Körper den ganzen Tag über und zum Theil auch bei Nacht bedeckt, ist jede Bekleidung unerträglich. Die Putzsacken, namentlich die Federbüsche werden nur bei Tanz und Festlichkeit 565 gebraucht. Die Federbüsche der Guaypunaves sind wegen der Auswabl der schönen Manakin- und Papagayenfedern die berühmtesten. Die Indianer bleiben nicht immer bei einem einfachen Farbenüberzug stehen; zuweilen ahmen sie mit ihrer Hcmtmalerei in der wunderlichsten Weise dcn Schnitt europäischer Kleidungsstücke nach. Wir sahen in Pararuma welcke, die sich blaue Jacken mit schwarzen Knöpfen malen ließen. Die Missionäre erzählten uns sogar, die Guaynaves am Rio Caura färben sich mit Onoto und machen sich dem Körper entlang breite Querstreifen, auf die sie silberfarbige Glimme» blältchen kleben. Von weitem sieht cs aus, als trügen die nackten Menschen mit Tressen besetzte Kleider. Wären die bemalten Völker so scharf beobachtet worden, wie die bekleideten, so wäre man zum Schlüsse gelangt, das; beim Bemalen, so gut wie bei der Bekleidung , der Brauch von großer Fruchtbarkeit der Einbildungs« traft und starkem Wechsel der Laune erzeugt wird. Das Bemalen und Tätowiren ist in beiden Welten weder auf Einen Menschenstamm, noch auf Einen Erdstrich beschränkt. Am bäusigsten kommen diese Arten von Putz bei Völkern ma-layischer u»d amerikanischer Race vor: aber zur Zeit der Römer bestand die Sitte auch bei der weißen Race im Norden von Europa. Wenn Kleidung und Tracht im griechischen Archipel und in Westasien am malerischsten sind, so sind Bemalung und Tätowirung bei dcn Insulanern der Südsee am höchsten ausgebildet. Manche bekleideten Völker bemalen sich dabei doch Hände, Nägel und Gesicht. Die Bemalung erscheint hier auf die Körperthcile beschränkt, die allein blos getragen weiden, Hsß und während die Schminke, die an den wilden Zustand dcr Menschheit erinnert, in Europa nach und nach verschwindet, meinen die Damen in manchen Städten dcr Provinz Peru ihre doch so feine und sehr weiße Haut durch Auftragen von vegetabilischen Farbstoffen, von Stärke, Eiweiß und Mehl schöner zu machen. Wenn man lange nnter Menschen gelebt hat, die mit Onolo und Chica bemal^ sind, fallen einem diese Uebcrreste alter Barbarei inmitten aller Gebräuche der gebildeten Welt nicht wenig ans. Im Lager von Pararuma hatten wir Gelegenheit, manche Thiere, die wir bis dahin nur von den europäischen Sammlungen her kannten, zum erstenmal lebend zu sehen. Die Missionäre treiben mit dergleichen kleinen Thieren Handel. Gegen Tabak, Maniharz, Chicafarbe, GallitoZ (Fclshühner). Titi-, Kapuziner- und andere an den Kiisten sehr gcslichle Aff^n tauschen sie Zeuge, Nagel, Aeite, Angeln und Stecknadeln ein. Die Produtte vom Orinoco werden den Indianern, die unter der Herrschaft der Mönche leben, zu niedrigem Preise abgekauft, und dieselben Indianer kaufen dann von den Mönchen, aber zu sehr hohen Preisen, mit dem Geld, das sie bei der Eierernte erlösen, ihr Fischergeräthe und ihre Ackerwerkzeuge. Wir kauften mehrere Thiere, die uns auf der übrigen Stromfahrt begleiteten und deren Lebensweise wir somit beobachten konnten. Ich habe diese Beobachtungen in einem andern Werke, bekannt gemacht; da ich aber einmal von denselben Gegenständen zweimal handeln muß, beschränke ich mich hier auf ganz kurze Angaben und füge Notizen bei, wie sie mir seitdem hier und da in meinen Neisetagebttchern aufstießen. Die Gallitos oder Felshühner, die man in Para- 167 ruma in niedlichen kleinen Bauern aus Palmblattstielen verkauft, sind an den Ufern des Orinoco und im ganzen Norden und Westen des tropischen Amerika weit seltener als in französisch Guyana. Man fand sie bisher nur bei der Mission Encaramada und in den Raudales oder Fällen von May-pures. Ich sage ausdrücklich in den Fällen; denn diese Vögel nisten gewöhnlich in den Höhlungen der kleinen Granitfclsen, die^ sich durch den Orinoco ziehen und so zahlreiche Wasserfälle bilden. Wir sahen sie manchmal mitten im Wasserschaum zum Vorschein kommen, ihrer Henne rufen und mit einander kämpfen, wobei sie wie unsere Hähne den doppelten beweglichen Kamm, der ihren Kopfschmuck bildet, zusammenfalten. Da die Indianer selten erwachsene Gallitos fangen und in Europa nur die Männchen geschätzt sind, die vom dritten Jahre an prächtig goldgelb werden, so muß der Käufer auf der Hut sein, um nicht statt junger Hahnen junge Hennen zu bekommen. Beide sind olivenbraun! aber der I^olil) oder junge Hahn zeichnet sich schon ganz jung durch seine Große und seine gelben Füße aus. Die Henne bleibt ihr Lebenlang dunkelfarbig, braun, und nur die Spitzen und der Untertheil der Flügel sind bei ihr gelb. Soll der erwachsene Felshahn in unsern Sammlungen die schöne Farbe seines Gefieders erhalten, so darf man dasselbe nicht dem Licht aussetzen. Die Farbe bleicht weit schneller als bei andern Gattungen spcrlingsartiger Vögel. Die jungen Hahnen haben, wie die meisten Thiere, das Gefieder der Mutter. Es wundert mich, wie ein so ausgezeichneter Beobachter wie le Vaillaut in Zweifel ziehen kann, ob die Henne wirklich immer dunkelfarbig, oliuenbraun 168 bleibt. Die Indianer bei den Raudales versicherten mich alle, niemals ein goldfarbiges Weibchen gesehen zu haben. Unter den Affen, welche die Indianer in Paramara zu Markte gebracht, fahen wir mehrere Spielarten des Sai,l der der kleinen Gruppe der Winselaffen angehört, die in den spanischen Colonien Matchi heißen, ferner Marimondas ^ oder Nlelrn mit rothem Bauch, Titis und Viuditas. Die beiden letztem Arten interessirtcn uns besonders, und wir kauften sie, um sie nach Europa zu schicken. ^ Vuffons Oui-stiti^ ist Azzaras Titi, der Titi 5 von Carthagena und Da-rien ist Büffons Pinche, und der Titi ^ vom Orinoco ist der Sanniri der französischen Zoologen, und diese Thiere dürfen nichc verwechselt werden. In den verschiedenen spanischen Co-lonien heißen Titi Affen, die drei verschiedenen Untergattungen angehören und in der Zahl der Backzähne von einander abweichen. Nach dem eben Angeführten ist die Bemerkung fast überflüssig, wie wünschenswert!) es wäre, daß man in wissenschaftlichen Werken sich der landesüblichen Namen enthielte, die durch unsere Orthographie entstellt werden, die in jeder Provinz wieder anders lauten, und so die klägliche Verwirrung in der zoologischen Nomcnclatur vermehren. 1 Simia capucina. 2 Simia Belzebuth. 3 Einen schönen Saimiri oder Titi vom Orinoco kauft man in Paramara für 8 bis 9 Piaster; der Missionär bezahlt dem Indianer, drr den Affen gefangen und gezähmt, l'/, Piaster. 4 Simia Jacchus. 5 Simia Oedipus. 6 Simia sciurea. 169 Der Titi vom Orinoco (simia 80,'ui-ea), bis jetzt schlecht abgebildet, indessen m unsern Samnllungen sehr bekannt, heißt dei dcn MaWuree-Indianern Bititeni. Er kommt südlich von den Katarakten sehr häufig vor. Er" hat ein weißes Gesicht und über Mund und Nasenspitze weg einen kleinen blauschwarzen Fleck. Die am zierlichsten gebauten und am schönsten gefärbten (der Pelz ist goldgelb) kommen von den Ufern des Cassiquiare. Die man am Guaviare fängt, sind groß und schwer zu zähmen. Kcin anderer Affe sieht im Gesicht einem Kinde fo ähnlich wie der Titi: es ist derselbe Ausdruck von Unschuld, dasselb«: schalthafie Lächeln, derselbe rasche Uebergang von Freude zu Trauer. Seine großen Augen füllen sich mit Thränen, sobald er über etwas ängstlich wird. Er ist sehr lüstern nach Insekten, besonders nach Spinnen. Das kleine Thier ist so klug, daß ein Titi, dcn wir auf unserem Canoe nach Angostura brachten, die Tafeln zu Cuuiers I'ltlilLllu elemontailti 6'I»ißton'6 iwtliwllo ganz gut unterschied. Diese Kupfer sind nicht colorirt, und doch streckte der Titi rasch die kleine Hand aus, in der Hoffnung, eine Heuschrecke oder eine Wespe z» erhäschen, so oft wir ihm die eilfte Tafel vorhielten, auf der diese Insekten abgebildet sind. Zeigte man ihm Skelette oder Köpfe von Säugethieren, blieb er völlig gleichgültig, l Setzt man mehrere dieser kleinen Affen, die im ' Ich führe bei dieser Gelegenheit a». daß ich niemals bemerkt habe. daß ei» Gemälde, auf dem Hasen und Rehe in natürlicher Große imd uortrefflich abgebildet waren, auf Jagdhunde, bei denen doch der Verstand sehr entwickelt schien, den mindesten Ginbrnck gemacht halle. Gibt es einen beglaubigte» Fall. wo ein Hund da« 170 selben Käfigt beisammen sind, dem Regen aus, nnd fällt die gewöhnliche Lufttemperatur rasch um 2—3 Grad, so schlingen sie sich den Schwanz, der übrigens kein Wickelschwanz ist, um den Hals und verschränken Arme und Beine, um sich gegenseitig zu erwärmen. Die indianischen Jäger erzählten uns, man finde in den Wäldern häufig Haufen von zehn, zwölf solcher Affen, die erbärmlich schreien, weil die auswärts Stehenden in den Knäuel hinein möchten, um Wärme und Schutz zu finden. Schießt man mit Pfeilen, die in tüuraw ä^wm-pillclo (in verdünntes Gift) getaucht sind, auf einen solchen Knäuel, so fängt man viele junge Assen auf einmal lebendig. Der junge Titi bleibt im Fallen an seiner Mutter hängen, und wird er durch den Sturz nicht verletzt, so weicht er nicht'von Schulter und Hals des todten Thiers. Die meisten, die man in den Hütten der Indianer lebend antrifft, sind auf diese Weise von den Leichen ihrer Mütter gerissen worden. Erwachsene Thiere, wenn sie auch von leichten Wunden genesen sind, gehen meist zu Grunde, ehe sie sich an den Zustand der Gefangenschaft gewöhnt haben. Die Titis sind meist zarte, furchtsame kleine Thiere. Sie sind aus den Missionen am Orinoco schwer an die Küsten von Cumana nnd Caracas zu bringen. Sobald man die Waldregion hinter sich hat und die Llanos betritt, werden sie traurig und niedergeschlagen. Der unbedeutenden Zunahme der Temperatur kann man diese Veränderung nicht zuschreiben, sie scheint vielmehr vom stärkeren Licht, von der geringeren Feuchtigkeit und von irgend Porträt seines Herrn in ganzer Figur.,erkannt hätte? Itt allen diesen Fällen wird da« Gesicht nicht vom Geruch unterstützt. 171 welcher chemischen Beschaffenheit der Luft an der Küste herzurühren. Den Saimiris oder Tills vom Orinoco, den Atelen, Ca-jous und andern schon lange in Europa bekannten Vierhändern steht in scharfem Abstich, nach Habitus und Lebensweise, der Macaval)u ^ gegenüber, den die Missionäre Viucktk oder Wittwe in Trauer nennen. Das kleine Thier hat feines glänzendes, schön schwarzes Haar. Das Gesicht hat eine weißlichte, ins Blaue spielende Larve, in der Augen, Nase u»d Mind stehen. Die Ohren haben einen umgebogenen Nand, sind klein, wohlgebildet und fast ganz nackt. Vorn am Halse hat die Wittwe einen weißen, zollbreiten Strich, der ein halbes Halsband bildet. Die Hinterfüße oder vielmehr Hände sind schwarz wie der übrige Körper, aber die Vorderhände sind außen weiß und innen glänzend schwarz. Diese weißen Abzeichen deuten nun die Missionäre als Schleier, Halstuch und Handschuhe einer Wittwe in Trauer. Die Gemüthsart dieses kleinen Affen, der sich nur beim Fressen auf den Hinterbeinen aufrichtet, verräth sich durch seine Haltung nur sehr wenig. Er sieht sanft und schüchtern aus; häufig berührt er das Fressen nicht, das man ihm bietet, selbst wenn er starken Hunger hat. Er ist nicht gerne in Gesellschaft anderer Assen: wenn er den kleinsten Sa'i'nüri ansichtig wird, läuft er davon. Sein Auge verräth große Lebhaftigkeit. Wir sahen ihn stundenlang regungslos dasitzen, ohne daß er schlief, und auf Alles, was um ihn vorging, achten. Aber die>e Schüchternheit und 1 Simia lugens. N5l Sanftmuth sind nur scheinbar. Ist die Viudita allein, sich selbst überlassen, so wird sie wüthend, sobald sie einen Vogel sieht. Sie klettert und läuft dann mit erstaunlicher Behendigkeit; sie macht einen Satz auf ihre Beute, wie die Katze, und er-witrgt, was sie erHaschen kann. Dieser sehr seltene und sehr zärtliche Affe lebt auf dem rechten Ufer des Orinoco in den Granitgebirgen hinter der Mission Santa Barbara, ferner am Guaviare, bei San Fernando de Atabapo. Die Viudita hat die ganze Reise auf dem Cassiquiare und Nio Negro mitgemacht und ist zweimal mit uns über die Katarakten gegangen. Will man die Sitten der Thiere genau beobachten, so ist es, nach meiner Meinung, sehr vortheilhaft, wenn man sie Mo» nate lang in freier Luft, nicht in Häusern, wo sie ihre natürliche Lebhaftigkeit ganz verlieren, unter den Augen bat. Die neue für uns bestimmte Pirogue wurde ncch am Abend geladen. Es war, wie alle indianischen Canoes, ein mit Axt und Feuer ausgehöhlter Baumstamm, vierzig Fuß lang und drei breit. Drei Personen konnten nicht neben einander darin sitzen. Diese Piroguen sind so beweglich, sie erfordern, weil sie so wenig Widerstand leisten, eine so gleichmäßige Verthci-lung der Last, daß man, wenn man einen Augenblick aufstehen will, den Ruderern (boZkl») zurufen muß, sich auf die entgegengesetzte Seite zu lehnen; ohne diese Vorsicht liefe das Wasser nothwendig über den geneigten Bord. Man macht sich nur schwer einen Begriff davon, wie übel man auf einem solchen elenden Fahrzeug daran ist. Der Missionär aus den Rau dales betrieb die Zurüstun-gen zur Weiterfahrt eifriger, als uns lieb war. Man besorgte 173 nicht genug Macos- und Guahibos-Indianer zur Hand zu haben, die mit dem Labyrinth von kleinen Kanälen und Wasserfallen, welche die Rauoalcs oder Katarakten bilden, bekannt wären: man legte daher die Nacht über zwei Indianer in den Cepo, das heißt, man legte sie auf den Boden und steckte ihnen die Beine durch zwei Holzstücke mit Ausschnitten, um die man eine Kette mit Vorlegeschloß legte. Am frühen Morgen weckte uns das Geschrei eines jungen Mannes, den man mit einem Eeekuhriemen unbarmherzig peitschte. Es war Zerepe, ein sehr verständiger Indianer, der uns in der Folge die besten Dienste leistete, jetzt aber nicht mit uns gehen wollte. Er war aus der Mission Atures gebürtig, sein Vater war ein Maco, seine Mutter vom Stamme der Maypurcs; er war in die Wälder (al monw) entlaufen und l,attc ein paar Jahre unter nicht unterworfenen Indianern gelabt. Dadurch hatte er sich mehrere Sprachen zu eigen gemacht und der Missionär brauchte ihn als Dolmetscher. Nur mit Mühe brackten wir es dahin, daß der junge Mann begnadigt wurde. „Ohne solche Strenge," hicsi cs, „würde es euch an Allem fehlen. Die Indianer aus den Naudalcs und vom obern Orinoco sind ein stärkerer und arbeitsamerer Menschenschlag als die am untern Orinoco. Sie wisscn wohl, daß sie in Angostura sehr gesucht sind. Ließe man sie machen, so gingen sie alle den Fluß hinunter, um ihre Produkte zu verkaufen und in voller Freiheit »nter den Weißen zu leben, und die Missionen stünden leer." Diese Gründe mögen scheinbar etwas für sich haben, richtig sind sie nicht. Will der Mensch der Vortheile des geselligen Lebens genießen, so muß er allerdings seine natürlichen Rechte, !7H seine frühere Unabhängigkeit z,im Theil zum Opfer bringen. Wird aber das Opfer, das man ihm auferlegt, nicht durch die Vortheile der Civilisation aufgewogen, so nährt der Wilde in seiner verständigen Einfalt fort und fort den Wunsch, in die Wälder zurückzukehren, in denen er geboren worden. Weil der Indianer aus den Wäldern in den meisten Missionen als ein Leibeigener behandelt wird, weil er der Früchte seiner Arbeit nicht froh wird, deßhalb veröden die christlichen Niederlassungen am Orinoco. Ein Regiment, das sich auf die Vernichtung der Freiheit der Eingeborenen gründet, tödtet die Geisteskräfte oder hemmt doch ihre Entwicklung. Wenn man sagt, der Wilde müsse wie das Kind unter strenger Zucht gehalten werden, so ist dieß ein unrichtiger Vergleich. Die Indianer am Orinoco haben in den Aeußerungen ihrer Freude, im raschen Wechsel ihrer Gemüthsbewegungen etwas Kindliches: sie sind aber keineswegs große Kinder, so wenig als die armen Bauern im östlichen Europa, die in der Barbarei des Feudalsystems sich der tiefsten Verkommenheit nicht entringen können. Zwang, als hauptsächlichstes und einziges Mittel zur Sittigung des Wilden, erscheint zudem als ein Grundsatz, der bei der Erziehung der Völker und bei der Erziehung der Jugend gleich falsch ist. Wie schwach und wie tief gesunken auch der Mensch seyn mag, keine Fähigkeit ist ganz ersterben. Die menschliche Geisteskraft ist nur dem Grad und der Entwicklung nach verschieden. Der Wilde, wie das Kind, vergleicht den gegenwärtigen Zustand nnt dem vergangenen; er bestimmt seine Handlungen nicht nach blindem Instinkt, sonder nach Rücksichten der Nützlichkeit. Unter 175 allen Umständen kann Vernunft durch Vernunft aufgeklärt werden; die Entwicklung derselben wird aber desto mehr niedergehalten, je weiter diejenigen, die sich zur Erziehung der Jugend oder zur Negierung der Völker berufen glauben, im hochmüthigen Gefühl ihrer Ueberlegenheit auf die ihnen Untergebenen herabblicken und Zwang und Gewalt brauchen, statt der sittlichen Mittel, die allein keimende Fähigkeiten entwickeln, die aufgeregten Leidenschaften sänftigen und die gesellschaftliche Ordnung befestigen können. Am 10. April. Wir konnten erst um 10 zehn Uhr Morgens unter Segel gehen. Nur schwer gewöhnten wir uns an die neue Pirogue, die uns eben ein neues Gefängniß war. Um an Breite zu gewinnen, hatte man auf dem Hintertheil des Fahrzeugs aus Baumzweigen cinc Art Gitter angebracht, das auf beiden Seiten über den Vord hmausrcichte. Leider war das Blätterdach ((>! tcilclo) darüber so niedng, daß man gebückt sitzen oder ausgestreckt liegen mußte, wo man dann nichts sah. Da man die Pirvguen durch die Strom-schnellen, ja von einem Fluß zum andern schleppen muß, und weil man dem Wind zu uiel Fläche böte, wenn man den lolclo höher machte, so kann auf den kleinen Fahrzeugen, die zum Rio Negro hinauf gehen, die Sache nicht anders eingerichtet werden. Das Dach war für vier Personen bestimmt, die auf dem Verdeck oder dem Gitter aus Baumzweigen lagen: aber die Beine reichen weit über das Gitter hinaus, und wenn es regnet, wird man zum halben Lcib durchnäßt. Dabei liegt man aui Ochsenhäutcn oder Tigerfellen und die V^umzweige danmter dnictcn /inen dnrch die dünne Decke gewaltig. Das 176 Vorderiheil des Fahrzeugs nahmen die indianischen Ruderer ein, die drei Fuß lange, löfselsörmige Pagaies führen. Sie smd ganz nackt, sitzen paarweise und rudern im Takt, den sie merkwürdig genau einhalten. Ihr Gesang ist trübselig, einlönig. Die kleinen Käfige mit unsern Vögeln und Affen, deren immer mchr wurden, je weiter wir kamen, waren theils am Toldo, theils am Vorderthei! aufgehängt. Es war unsere Neisemenagcrie. Obgleich viele der kleineu Thiere durch Zufall, meist aber am Sonnenstich zu Grunde gingen, hatten wir ihrer bci der Rückkehr vom Cassiauiare noch vierzehn. Naturaliensammler, die lebende Thiere nach Europa bringen wollen, könnten sich in Angostura und Grau Para, den beiden Hauptstädten am Orinoco und Amazonenstrom, eigens für ihren Zweck Pirognen bauen lassen, wo im ersten Drittheil zwei Reihen gegen die Sonncnglllth geschützter Käsige angebracht wären. Wenn wir unser Nachtlager aufschlugen, befanden sich die Menagerie und die Instrumente immer iu der Mitte; ringsum kamen sofort unfere Hängematten, dann die der Indianer, und zu äußerst die Feuer, die man für unentbehrlich hielt, um den Jaguar ferne zu halten. Um Sonnenaufgang stimmten unsere Affen in das Geschrei der Affen im Walde ein. Dieser Verkehr zwischen Thieren derselben Art, die einander zugethan smd, ohne sich zu sehen, von denen die einen der Freiheit genießen, nach der die andern sich sehnen, hat etwas Wehmüthiges, Rührendes. Auf der überfüllten, keiuc drei Fuß breiten Pirogue blieb für die getrockneten Pflanzen, die Koffer, einen Sextanten, den InclinationZcompaß und die meteorologischen Instrumente kein Platz als der Raum unter dem Gitter aus Zweigen, auf dem 177 wir den größten Theil des Tags ausgestreckt liegen mußten. Wollte man irgend etwas aus einem Koffer holen oder ein Instrument gebrauchen, mußte mau ans Ufer fahren und aus« steigen. Zu diesen Unbequemlichkeiten kam noch die Plage der Moskitos, die unter einem so niedrigen Dache in Schaaren hausen, und die Hitze, welche die Palmblättcr ausstrahlen, deren obere Fläche beständig der Sonnengluth ausgesetzt ist. Jeden Augenblick suchten wir uns unsere Lage erträglicher zu machen, und immer vergeblich. Während der eine sich unter ein Tuch steckte, um sich vor den Insekten zu schützen, verlangte der andere, man solle grünes Holz unter dem Toldo anzünden, um die Mücken durch den Rauch zu vertreiben. Wegen des Brennens der Augen und der Steigerung der ohnehin erstickenden Hitze war das eine Mittel so wenig anwendbar als das andere. Aber mit einem muntern Geiste, bei gegenseitiger Herzlichkeit, bei offenem Sinn und Auge für die großartige Natur dieser weiten Stromthäler fällt es den Reisenden nicht schwer, Beschwerden zu ertragen, die zur Gewohnheit werden. Wenn ich mich hier auf diese Kleinigkeiten eingelassen habe, geschah es nur, um die Schissfahrt auf dem Orinoco zu schildern und begreiflich zu machen, daß Bonvland und ich auf diesem Stück unserer Reise beim besten Willen lange nicht alle die Beobachtungen machen konnten, zu denen uns die an wissenschaftlicher Ausbeute so rciche Naturumgebung aufforderte. Unsere Indianer zeigten uns am rechten Ufer den Ort, wo früher die «ms Jahr 1733 von den Jesuiten gegründete Mission Pararuma gestanden. Eine Pocken ovitemie, die unter den Salivas-Indianern große Verheerungen anrichtete, war Humboldt, Rtlsc. IV. 12 178 der Hauptgrund, warum die Mission einging. Die wenigen Einwohner, welche die schreckliche Seuche überlebten, wurden im Dorfe Carichana aufgenommen, das wir bald besuchen werden. Hier bei Pararuma war es, wo, nach Pater Romans Aussage, gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts bei einem starken Gewitter Hagel siel. Dieß ist so ziemlich der einzige Fall, der meines Wissens in einer fast im Niveau des Meers liegenden Niederung vorgekommen; denn im Allgemeinen hagelt es unter den Tropen nur in mehr als 300 Toisen Meereshöhe, i Bildet sich der Hagel in derselben Höhe über Niederungen.und Hochebenen, so muß man annehmen, er schmelze bei seinem Durchgang durch die untersten Luftschichten (zwischen 0 und 300 Toisen), deren mittlere Temperatur 27", 5 und 24« beträgt. Ich gestehe indessen, daß es beim jetzigen Stande der Meteorologie sehr schwer zu erklären ist, warum es in Philadelphia, Rom und Montpellier in den heißesten Monaten mit einer mittleren Temperatur von 25 bis 26" hagelt, während in Cumana, Guayra und überhaupt in den Niederungen in der Nähe des Aequators die Erscheinung nicht vorkommt. In den Vereinigten Staaten und im südlichen Europa (unter dem 40—43. Grad der Breite) ist die Temperatur auf den Niederungen im Sommer ungefähr eben so hoch als unter den Tropen. Auch die Wärmeabnahme ist nach meinen Untersuchungen nur wenig verschieden. Rührt nun der Umstand, daß in der heißen Zone kein Hagel fällt, davon her, daß die Hagelkörner beim Durchgang durch die untern ' S. Vand III. Seite 33. 179 Luftschichten schmelzen, so muß man annehmen, daß die Körner im Moment der Bildung in der gemäßigten Zone größer sind als in der heißen. Wir können die Bedingungen, unter denen in unserem Klima das Wasser in einer Gewitterwolke friert, noch so wenig, daß wir nicht zu beurtheilen vermögen, ob unter dem Aequator über den Niederungen dieselben Bedingungen eintreten. Ich bezweifle, daß sich der Hagel immer in einer Luftregion bildet, deren mittlere Temperatur gleich Null ist, und die bei uns im Sommer 1500—1600 Toisen hoch liegt. Die Wolken, in denen man die Hagelkörner, bevor sie fallen, an einander schlagen hört, und die wagrecht ziehen, kamen mir immer lange nicht so hoch vor, und es erscheint begreiflich, daß in solch geringerer Höhe durch die Ausdehnung der aufsteigenden Luft, welche an Wärmecapacität zunimmt, durch Ströme kalter Luft aus einer höheren Breite, besonders aber (nach Gay-Lussac) durch die Strahlung der obern Fläche der Wolken, eine ungewöhnliche Erkältung hervorgebracht wird. Ich werde Gelegenheit haben, auf diesen Punkt zurückzukommen, wenn von den verschiedenen Formen die Rede ist, unter denen auf den Anden in 2000—2600 Toisen Meereshöhe Hagel und Graupen auftreten, und die Frage erörtert wird, ob man die Wolken, welche die Gebirge einhüllen, als eine horizontale Forlsetzung der Wolkenschicht betrachten kann, die wir in den Niederungen gerade über uns sich bilden sehen. Im Orinoco sind sehr viele Inseln und der Strom fängt jetzt an sich in mehrere Arme zu theilen, deren westlichster in den Monaten Januar und Februar trocken liegt. Der ganze Strom ist 2900—3000 Toisen breit. Der Insel Iavanavo 580 gegenüber sahen wir gegen Ost die Mündung des Cano Au-jacoa. Zwischen diesem Cano und dem Rio Paruasi oder Pa-ruati wird das Land immer stärker bewaldet. Aus einem Palmenwald nicht weit vom Orinoco steigt, ungemein malerisch, ein einzelner Fels empor, ein Granitpfeiler, ein Prisma, dessen kahle schlöffe Wände gegen zweihundert Fuß hoch sind. Den Gipfel, der über die höchsten Waldbäume emporragt, krönt eine ebene, wagrechte Felsplatte. Auf diesem Gipfel, den die Missionäre Pic oder NoFoty 6? Ooou^xa nennen, stehen wieder Bäume. Dieses großartig einfache Naturdenkmal erinnert an die cyclopischen Bauwerke. Sein scharf gezeichneter Unuiß und oben darauf die Bäume und das Buschwerk heben sich vom blauen Himmel ab, ein Wald über einem Walde. Weiterhin beim Einfluß des Paruasi wird der Orinoco wieder schmaler. Gegen Osten sahen wir einen Berg mit plattem Gipfel, der wie ein Vorgebirge herantritt. Er ist gegen 300 Fuß hoch und diente den Jesuiten als fester Platz. Sie hatten ein kleines Fort darauf angelegt, das drei Batterien enthielt und in dem beständig ein Militärposten lag. In Carichana und Atures sahen wir die Kanonen ohne Laffetten, halb im Sand begraben. Die Iesuitenschanze (oder ^ortaiWa 6s 8kn l>auoi50s in einer Inschrift, die bezeugt, daß am t3. des Monats Pachoii im zehnte» NegisnmMahr AntomnS die Tone vernommen worden. l95 Manioc und Bananen. Bedenkt man, wie schwer es ist, die Gewalt der Strömung zu überwinden und die Katarakten hinaufzufahren, und weiß man, daß die Indianer am Orinoco und Amazonenstrom auf zweimonatlichen Flußfahrten in dieser Weise ihre Muskeln anstrengen, so wundert man sich gleich 1'ehr über die Körperkraft und über die Mäßigkeit dieser Menschen. Stürkmehl- und zuckerhaltige Stoffe, zuweilen Fische und Schild-tröteneierfett ersetzen hier die Nahrung, welche die zwei ersten Thicrklassen, Eäugthicre und Vögel, Thiere mit rothem, warmem Blute, geben. Wir fanden das Flußbett auf einer Strecke von 600 Toisen voll Granitblöcken: dicß ist der sogenannte K»u6a! cls (driven. Wir liefen durch Kanäle, die nicht fünf Fuß breit waren, und manchmal stak unsere Pirogue zwischen zwei Granitblöckcn fest. Man suchte die Durchfahrten zu vermeiden, durch die sich das Wasser mit furchtbarem Getöse stürzt. Es ist keine ernstliche Gefahr vorhanden, wenn man einen guten indianischen Steuermann hat. Ist die Strömung nicht zu überwinden, so springen die Ruderer ins Wasser, binden ein Seil an die Felsspihen und ziehen die Pirogue herauf. Dicß geht sehr langsam vor sich, und wir benühtcn zuweilen die Gelegenheit und kletterten auf die Klippen, zwischen denen wir staken. Es gibt ihrer von allen Größen: sic sind abgerundet, ganz schwarz, blciglänzend und ohne alle Vegetation. Es ist ein merkwürdiger Anblich wenn man auf einem der größten Ströme der Erde gleichsam das Wasser verschwinden sieht. Ja noch weit vom Ufer sahen wir die ungeheuern Granitblöcke aus dem Boden steigen und sich an einander lehnen. In den Etromschnellen sind die Kanäle 196 zwischen den Felsen über 25 Faden tief, und sie sind um so schwerer zu finden, da das Gestein nicht selten nach unten eingezogen ist und eine Wölbung über dem Flußspiegel bildet. Im Raudal von Cariven sahen wir keine Krokodile; die Thiere scheinen das Getöse der Katarakten zu scheuen. Von Cabruta bis zum Einfluß des Rio Sinaruco, auf einer Strecke von fast zwei Breitegraden, ist das linke Ufer des Orinoco völlig unbewohnt; aber westlich vom Raudal de Cariven hat ein unternehmender Mann, Don Felix Relinchon, Iaruros-und Otomacos-Indianer in einem kleinen Dorfe zusammengebracht. Auf diesen Civilisationsversuch hatten die Mönche un: mittelbar keinen Einfluß. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß Don Felix mit den Missionären am rechten Ufer des Stroms in offener Fehde lebt. Wir werden anderswo die wichtige Frage besprechen, ob, unter den gegenwärtigen Verhältnissen in spanisch Amerika, dergleichen (ülipitanes poblalloreL und lunäaäoreZ an die Stelle der Mönche treten können, und welche der beiden Regierungsarten, die gleich launenhaft und willkürlich sind, für die armen Indianer die schlimmste ist. Um 9 Uhr langten wir an der Einmündung des Meta an, gegenüber dem Platze, wo früher die von den Jesuiten gegründete Mission Santa Teresa gestanden. Der Meta ist nach dem Guaviare der bedeutendste unter den Nebenflüssen des Orinoco. Man kann ihn der Donau vergleichen, nicht nach der Länge des Laufs, aber hinsichtlich der Wassermasse. Er ist durchschnittlich 34, oft bis zu 84 Fuß tief. Die Vereinigung beider Ströme gewährt einen äußerst großartigen Anblick. Am östlichen Ufer steigen einzelne Felsen empor, und aufeinander gethürmte 197 Granitblöcke sehen von Ferne wie verfallene Burgen aus. Breite sanoigte Ufer legen sich zwischen den Strom und den Saum der Wälder, aber mitten in diesen sieht man am Horizont auf den Berggipfeln einzelne Palmen sich vom Himmel abheben. Wir brachten zwei Stunden auf einem großen Felsen mitten im Orinoco zu, auf der ?ieäi-g, 6e paoiknoi», so genannt, weil die Piroguen, die den Fluß hinauf gehen, hier nicht selten zwei Tage brauchen, um aus dem Strudel herauszukommen, der von diesem Felsen herrührt. Es gelang mir meine Instrumente darauf aufzustellen. Nach den Sonnenhöhen, die ich aufnahm, liegt der Einfluß dcs Meta unter 70° 4' 29" der Länge. Nach dieser chronometrischen Beobachtung ist d'Anvilles Karte von Südamerika, was diesen Punkt betrifft, in der Länge fast ganz richtig, während der Fehler in dcr Breite einen ganzen Grad beträgt. Der Rio Meta durchzieht die weiten Ebenen von Casanare-er ist fast bis zum Fuß der Anden von Neu-Grcnada schiffbar und muß einmal für die Bevölkerung von Guyana und Venezuela politisch von großer Bedeutung werden. Aus dem Oollo ^i-iLw und dcr Loea äei Oi-g,Fon kann eine Flottille den Orinoco und Meta bis auf 15—20 Meilen von Santa Fe de Bogota herauffahren. Auf demselben Wege kann das Mehl aus Neu-Grenada hinunterkommen. Der Meta ist wie ein Schifffahrtskanal zwischen Ländern unter derselben Breite, die aber ihren Produtten nach so weit auseinander sind als Frankreich und der Senegal. Durch diesen Umstand wird es von Belang, daß man die Quellen des Flusses, der auf unsern Karten so schlecht gezeichnet ist, genau kennen lernt. Der Meta entsteht t98 durch die Vereinigung zweier Flüsse, die von den Paramos von Chingasa und Suma Paz herabkommcn. Ersterer ist der Rio Negro, der weiter unten den Pachaquiaro aufnimmt: der zweite ist der Rio äs 5ZU98 d1äneg8 oder Umadea. Sle vereinigen sich in der Nähe des Hafens von Marayal. Vom Passo de la Cabulla, wo man den Rio Negro verläßt, bis zur Hauptstadt Eanta Fe sind es nur 8—10 Meilen. Ich habe diese interessanten Notizen, wie ich sie aus dem Munde von Augenzeugen erhalten, in der ersten Ausgabe meiner Karte vom Rio Meta benützt. Die Reiscbeschreibung des Canonicus Don Josef Cortes Madariaga hat nicht allein meine erste Ansicht vom Laufe des Meta bestätigt, sondern mir auch schätzbares Material zur Berichtigung meiner Arbeit geliefert. Von den Dörfern Aramena und Cabullare bis zu den Dörfern Guana-valo und Santa Nosalia de Cabavuna, auf einer Strecke von 60 Meilen, sind die Ufer des Meta stärker bewohnt als die des Orinoco. Es sind dort vierzehn zum Theil stark bevölkerte christliche Niederlassungen, aber vom Einfluß des Paulo und des Casanare an, über 50 Meilen weit, machen die wilde» Guahibos den Meta unsicher. Zur Iesuitenzeit, besonders aber zur Zeit von Ituriagas Expedition im Jahr 1756 war die Schifffahrt auf dem Strom weit stärker als jetzt. Missionäre aus Einem Orden waren damals Herrn an den Ufern des Meta und des Orinoco. Die Dörfer Macuco, Zurimena, Casimena einerseits, andererseits Uruana, Encaramada, Carichana waren von den Jesuiten gegründet. Die Patres gingen damit um, vom Einfluß des Casanare in den Mcta bis zum Einfluß des Meta in den Orinoco eine t99 Ncihe von Missionen zu gründen, so daß ein schmaler Streif bebauten Landes über die weite Steppe zwischen den Wäldern von Guyana und den Anden von Neu-Grenada gelaufen wäre. Außer dem Mehl von Santa Fe gingen damals zur Zeit der „Schildkröteneierernte" das Salz von Chita, die Baumwollenzeuge von San Gil und die gedruckten Decken von Socorro den Fluß herunter. Um den Krämern, die diesen Binnenhandel trieben, einigermaßen Sicherheit zu verschaffen, machte man vom Castillo oder Fort Carichana aus von Zeit zu Zeit einen Angriff auf die Guahibos-Indianer. Da auf demselben Wege, der den Handel mit den Produkten von Neu-Grenada förderte, das geschmuggelte Gut von der Küste von Guyana ins Land ging, so setzte es der Han-dclsstand von Carthagcna de Indias bei der Regierung durch, daß der freie Handel auf dem Meta bedeutend beschränkt wurde. Derselbe Geist des Monopols schloß den Meta, den Nio Atracto und den Amazoncnstrom. Es ist doch eine wunderliche Politik von Seiten der Mutterländer, zu glauben, es sey vortheilhaft, Länder, wo die Natur Keime der Fruchtbarkeit mit vollen Händen ausgestreut, unangebaut liegen zu lassen. Daß das Land nicht bewohnt ist, haben sich nun die wilden Indianer aller Orten zu Nutze gemacht. Sie sind an die Flüsse herangerückt, sie machen Angriffe auf die Vorüberfahrendcn, sie suchen wieder-zue robern, was sie seit Jahrhunderten verloren. Um die Guahibos im Zaume zu halten, wollten die Kapuziner, welche als Leiter der Missionen am Orinoco auf die Jesuiten folgten, an der Nusmündung des Meta unter dem Namen Villa de San Carlos eine Stadt bauen. Trägheit und die Furcht vor 200 dem dreitägigen Fieber ließen cs nicht dazu kommen, und ein sauber gemaltes Wappen auf einem Pergament und ein ungeheures Kreuz am Ufer des Meta ist Alles, was von der Villa de San Carlos bestanden hat. Die Guahibos, deren Kopfzahl, wie man behauptet, einige Tausende beträgt, sind so frech geworden, daß sie, als wir nach Carichana kamen, dem Misfionär hatten ankündigen lassen, sie weiden auf Flößen kommen und ihm sein Dorf anzünden. Diese Flöße (valxss), die wir zu sehen Gelegenheit hatten, sind kaum 3 Fuß breit und 12 lang. Es fahren nur zwei bis drei Indianer darauf, aber 15 bis 16 Flöße werden mit den Stengeln von Paulinia, Dolichos und andern Rankengewachscn aneinander gebunden. Man begreift kaum, wie diese kleinen Fahrzeuge in den Strcmschnellen beisammen bleiben können. Viele aus den Dörfern am Casanare und Apure entlaufene Indianer haben sich den Guahibos angeschlossen und ihnen Geschmack am Rindfleisch und den Gebrauch des Leders beigebracht. Die Höfe Ean Vicente, Rubio und San Antonio haben durch die Einfälle der Indianer einen großen Theil ihres Hornviehs eingebüßt. Ihretwegen können auch die Reisenden, die den Meta hinaufgehen, bis zum Einfluß des Casanare die Nacht nicht am Ufer zubringen. Bei niedrigem Wasser kommt es ziemlich häufig vor, daß Krämer aus Neu-Grenada, die zuweilen noch das Lager bei Pararuma besuchen, von den Guahibos mit vergifteten Pfeilen erschossen werden. Vom Einfluß des Meta an erschien der Orinoco freier von Klippen und Felsmassen. Wir fuhren auf einer 500 Toisen breiten offenen Stromstrecte. Die Indianer ruderten fort, ohne 201 die Pirogue zu schieben und zu ziehen und uns dabei mit ihrem wilden Geschrei zu belästigen. Gegen West lagen im Vorbeifahren die Canos Uita und Cndava, und es war bereits Nacht, als wir vor dem Randal de Tabaje hielten. Die Indianer wollten es nicht mehr wagen, den Katarakt hinaufzufahren, und wir schliefen daher am Lande, an einem höchst unbequemen Ort, auf einer mehr als 16 Grad geneigten Felsplatte, in deren Spalten Schaaren von Fledermäusen stakcn. Die ganze Nacht über hörten wir den Jaguar ganz in der Nähe brüllen, und unfer großer Hund antwortete darauf mit anhaltendem Geheul. Umsonst wartete ich, ob nicht die Sterne zum Vorschein kämen i der Himmel war grauenhaft schwarz. Das dumpfe Tosen der Fälle des Orinoco stach scharf ab vom Donner, der weit weg, dem Walde zu, sich hören ließ. Am 13. April. Wir fuhren am frühen Morgen die Strom-schnellen von Tabaje hinauf, bis wohin Pater Gumilla auf seiner Fahrt gekommen war, ^ und stiegen wieder aus. Unser Begleiter, Pater Zca, wollte in der neuen, seit zwei Jahren bestehendetr Mission San Borja die Messe lesen. Wir fanden daselbst sechs von noch nicht catechisirten Guahibos bewohnte Häuser. Sie unterschieden sich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich großen schwarzen Augen verriethen mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen Missionen. Vergeblich boten wir ihnen Branntwein an: sie wollten ihn nicht einmal tosten. Die Gesichter der jungen Mädchen waren ' Uüd doch will Gumilla auf dem Guaviare gefahren seyn. Nach ihm liegt der Naudal de Tabaje unter 1 ° 4' der Breite, was um , 5° lU' zu wenig ist. 202 alle mit runden schwarzen Tupfen bemalt: dieselben nahmen sich aus wie die Schönpflasterchcn, mit denen früher die Weiber in 6'uropa die Weiße ihrer Haut zu sieben meinten. Am übrigen Körper waren die Gucchibos nicht bemalt. Mehrere hatten einen Bart; sie schienen stolz darauf, faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu verstehen, sie seyen wie wir. Sie sind meist ziemlich schlank gewachsen. Auch hier, wie bei den Salivas und Macos, siel mir wieder auf, wie wenig Aehnlichkeit die Indianer am Orinoco in der Gcsichtsbildung mit einander haben. Ihr Blick ist düster, trübselig, aber weder streng noch wild. Sie haben keinen Begriff von den christlichen Religionsgebräuchen (der Missionär von Carichaua liest in San Borja nur drei oder viermal im Jahr Messe); dennoch benahmen sie sich in der Kirche durchaus auständig. Die Indianer lieben es, sich ein Ansehen zu geben; gerne dulden sie eine Weile Zwang und Unterwürfigkeit aller Art, wenn sie nur wissen, daß man auf sie sieht. Vei der Communion machten sie einander Zeichen, daß jetzt der Priester den Kelch zum Munde führen werde. Diese Geberde ausgenommen, saßen sie da, ohne sich zu rühren, völlig theilnahmlos. Die Theilnahme, mit der wir die armen Wilden betrachtet hatten, war vielleicht Schuld daran, daß die Mission einging. Einige derselben, die lieber umherzogen als das Land bauten, beredeten die andern, wieder auf die Ebenen am Meta zu ziehen; sie sagten ihnen, die Weißen würden wieder nach San Vorja kommen und sie dann in ihren Canoes fortschleppen und in Angostura als Poitos, als Sklaven verkaufen. Die Gua« hibos warteten, bis sie hörten, daß wir vom Rio Negro über 203 den Cassiquiare zurückkamen, und als sie erfuhren, daß wir beim ersten großen Katarakt, bei Apures, angelangt seyen, liefen alle davon in die Savanen westlich vom Orinoco. Am selben Platz und unter demselben Namen hotten schon die Jesuiten eine Mission gegründet. Kein Stamm ist schwerer seßhaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben sie von faulen Fischen, Tausendfüßen und Würmern, als daß sie ein kleines Stück Land bebauen. Die andern Indianer sagen daher sprüchwörtlich: „Ein Guahibo ißt Alles auf der Erde und unter der Erde." Kommt man auf dem Orinoco weiter nach Süden, so nimmt die Hitze keineswegs zu, sondern wird im Gegentheil erträglicher. Die Lufttemperatur war bei Tag 26—27 «,5,' bei Nackt 23 "7.2 Das Wasser des Stroms behielt seine gewöhnliche Temperatur von 27^,7.3 Übn trotz der Abnahme der Hitze nahm die Plage der Moskitos erschrecklich zu. Nie hatten wir so arg gelitten als in San Vorja. Man konnte nicht sprechen oder das Gesicht entblößen, ohne Mund und Nase voll Insekten zu bekommen. Wir wunderten uns, daß wir den Thermometer nicht auf 35 oder 36 Grad stehen sahen, beim schrecklichen Hautreiz schien uns die Luft zu glühen. Wir übernachteten am Ufer bei Guaripo. Aus Furcht vor den kleinen Caraiben-sischen badeten wir nicht. Die Krokodile, die wir den Tag über gesehen, waren alle außerordentlich groß, 22—24 Fuß lang. Am 14. April. Die Plage der Zancudos veranlaßte uns, ' 20«.<8—22" Neaumur. ' 22°,2 N. 204 schon um fünf Uhr Morgens aufzubrechen. In der Luftschicht iiber dem Fluß selbst sind weniger Insekten als am Waldsaume. Zum Frühstück hielten wir 'an der Insel Guachaco, wo eine Saudsteinformation oder ein Conglomcrat unmittelbar auf dem Granit lagert. Der Sandstein enthält Quarz-, sogar Feldspathtrümmer und das Bindemittel ist verhärteter Thon. Es befinden sich darin kleine Gänge von Brauneisenerz, das in liniendickcn Schichten abblättert. Wir hatten dergleichen Blätter bereits zwischen Encaramada und dem Varaguan am Ufer gefunden, und die Missionäre hatten dieselben bald für Gold-, bald für Zinnerz gehalten. Wahrscheinlich ist diese secundäre Bildung früher ungleich weiter verbreitet gewesen. Wir fuhren an der Mündung des Rio Parueni vorüber, über welcher die Macos-Indianer wohnen, und übernachteten auf der Insel Panumana. Nicht ohne Mühe kam ich dazu, zur Bestimmung der Länge des Orts, bei dem der Fluß eine scharfe Wendung nach West macht, Höhenwinkel des Canovus zu mcfsen. Die Insel Panumana ist sehr reich an Pflanzen. Auch hier findet man wieder die kahlen Felsen, die Melastomenbüsche, die kleinen Vaumvartien, deren Gruvvirung uns schon in der Ebene bei Carichana aufgefallen war. Die Berge bei den großen Katarakten begrenzten den Horizont gegen Südost. Je weiter wir hinauf kamen, desto großartiger und malerischer wurden die Ufer des Orinoco. Zwanzigstes Kapitel. Die Mündung des Rio Anaveni. — Der Pic Uniana. — Die Mission Atures. — Der Katarakt oder Raudal Mapara. — Die Inseln Surupamana und Uirapuri. Auf seinem Lauf von Süd nach Nord streicht über den Orinocostrom eine Kette von Granitbergen. Zweimal in seinem Laufe gehemnlt, bricht er sich tosend an den Felsen, welche Staffeln und Querdämme bilden. Nichts großartiger als dieses Landschaftsbild. Weder der Fall des Tequendama bei Santa Fe de Bogota, noch die gewaltige Natursccnerie der Cordilleren vermochten den Eindruck zu verwischen, den die Stromschnellen von Atures und Mayvurcs auf mich machten, als ich sie zum erstenmale sah. Steht man so, daß man die ununterbrochene Neihe von Katarakten, die ungeheure, von den Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtete Schaum- und Dunstfläche mit Einem Blicke übersieht, so ist es, als sähe man den ganzen Strom über seinem Bette hängen. So ausgezeichnete Naturbildungen mußten schon seit Jahrhunderten bei den Bewohnern der neuen Welt Aufmerksamkeit erregen. Als Diego de Ordaz, Alfonso de Herera und der unerschrockene Nalegh in der Mündung des Orinoco vor Anker 206 gingen, wurde ihnen Kunde von den großen Katarakten ans dem Munde von Indianern, die niemals dort gewesen; sie verwechselten sie sogar mit weiter ostwärts gelegenen Fällen. Wie sehr auch in der heißen Zone die Ueppigkeit des Pflanzen-Wuchses dem Perkehr unter den Völkern hinderlich ist, Alles, was sich aus den Lauf der großen Ströme bezieht, erlangt einen Ruf, der sich in ungeheure Fernen verbreitet. Gleich Armen von Binnenmeeren durchziehen der Orinoco, Amazonenstrom und Uruguay einen mit Wäldern bedeckten Landstrich, auf dem Völker hausen, die zum Theil Menschenfresser sind. Noch ist es nicht zwei Jahrhunderte her, seit die Cultur und das sanfte Licht einer menschlicheren Religion an den Ufern dieser uralten, von der Natur gegrabenen Kanäle aufwärts ziehen; aber lange vor Einführung des Ackerbaus, ehe zwischen dcn zerstreuten, oft sich befehdenden Horden ein Tauschverkehr zu Stande kam, verbreitete sich auf tausend zufälligen Wegen die Kunde von außerordentlichen Naturerscheinungen, von Wasserfallen, vulkanischen Flammen, vom Schnee, der vor der Hitze des Sommers nicht weicht. Dreihundert Meilen von den Küsten, im Herzen von Südamerika, unter Völkern, deren Wanderungen sich in den Grenzen von drei Tagreisen halten, findet man die Kunde vom Ocean, findet man Worte zur Bezeichnung einer Masse von Salzwasscr, die sich hinbreitet, soweit das Auge reicht. Verschiedene Vorfälle, wie sie im Leben des Wilden nicht selten sind, helfen zur Verbreitung solcher Kenntnisse. In Folge der lleiyen Kriege zwischen benachbarten Horden wird ein Gefangener in ein fremdes Land geschleppt, wo er als Poito oder Mcro, das heißt als Sklave behandelt wird. Nachdem cr mchrercmale 207 verkauft und wieder im Kriege gebraucht worden, entkommt 'er und kehrt zu den Seinigen zurück. Da erzählt er denn, was er gesehen, was er andere hat erzählen hören, deren Sprache er hat lernen müssen. So kommt es, daß man, wenn man eine Rippe findet, von den großen Thieren weit im innern Lande sprechen hört; so kommt es, daß man, wenn man das Thal eines großen Flusses betritt, mit Ueberraschung sieht, wie viel die Wilden, die gar nicht auf dem Wasser fahren, von weit entlegenen Dingen zu sagen wissen. Auf den ersten Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung tritt in gewissem Grade der Gedankenaustausch früher ein als der Tausch von Erzeugnissen. Die beiden großen Katarakten des Orinoco, die eines so ausgebreiteten, uralten Nufs genicßen, entstehen dadurch, daß der Strom die Vcrge der Parime durchbricht. ^ Bei den Ein-borcnen heißen sie Mapara und Quittuna; aber die Missionäre haben dafür Atures und Maypures geseht nach den Namen der beiden Stämme, die sie in den beiden den Fällen zunächst gelegenen Dörfern zusammengebracht. An den Küsten von Caracas nennt man die zwei großen Katarakten einfach: die zwei Raudales? (Stromschnellen), was daraufhindeutet, daß man die andern Fälle, sogar die Strcmschnelle» von Ca-miscta und Carichana, gegenüber den Katarakten von Afturcs und Maypures, gar nicht der Beachtung werth findet. Letztere liegen unter dem 5. und 6. Grad nördlicher Breite, ' hundert Meilen westwärts von den Cordilleren von Neu-Grenada, im Meridian von Porto Cabello, und nur zwölf Meilen von 1 S. Vand IV. Seite <9. 2 Po,,, spanischen K^t lauäo, schnell, rapi^us. 208 einander. Es ist sehr auffallend, daß d'Anville nichts von denselben gewußt hat, da er doch auf seiner schönen großen Karte von Südamerika diö unbedeutenden Fälle von Marimara und San Vorja untcr dem Namen Stromschnellen von Carichana und Tabaje angibt. Die großen Katarakten theilen die christlichen Niederlassungen in spanisch Guyana in zwei ungleiche Hälften. Missionen am untern Orinoco heißen die zwischen dem Raudal von Atures und der Strommündung: unter den Missionen am obern Orinoco find die Dörfer zwischen dem Naudal von Maypures und den Bergen des Duida verstanden. Der Lauf dcs untern Orinoco ist, wenn man mit La Condamine die Krümmungen auf ein Drittheil der geraden Richtung schätzt, 260 Seemeilen, der des obern Orinoco, die Quellen drei Grad ostwärts vom Duida angenommen, 167 Meilen lang. Jenseits der großen Katarakten beginnt ein unbekanntes Land. Es ist ein zum Theil gcdirgigter, zum Tbcil ebener Landstrich, über den die Nebenflüsse sowohl des Amazonen-stroms als des Orinoco ziehen. Wegen des leichten Verkehrs mit dem Rio Negro und Gran Para scheint derselbe vielmehr Brasilien als den spanischen Colonien anzugehören. Keiner der Missionäre, die' vor mir den Orinoco beschrieben hab^, die Patres Gumilla, Gili und Caulin, ist über den Naudal von Mayvures hinaufgekommen. Letzterer hat allerdings eine ziemlich genaue Topographie vom obern Orinoco und vom Cassi-auiare geliefert, aber nur nach den Angaben von Militärs, die Sclanos Expedition mitgemacht. Oberhalb der großen Katarakten fanden wir längs des Orinoco auf einer Strecke von 209 hundert Meilen nur drei christliche Niederlassungen, und in denselben waren kaum sechs bis acht Weiße, das heißt Menschen europäischer Nbkunft. Es ist nicht zu verwundern, daß ein so ödes Land von jeher der classische Boden für Sagen und Wundergeschichten war. Hieher versetzten ernste Missionäre die Völker, die Ein Auge auf der Stirne, einen Hundskopf oder den Mund unter dem Magen haben: hier fanden sie Alles wieder, was die Alten von den Garamanten, den Arimasften und den Hyperboräern erzählen. Man thäte den schlichten, zuweilen ein wenig rohen Missionären Unrecht, wenn man glaubte, sie selbst haben diese übertriebenen Mähren erfunden; sie haben sie vielmehr großentheils den Indianergeschichten entnommen. In deu Missionen erzählt man gern, wie zur See, wie im Orient, wie überall, wo man sich langweilt. Ein Missionär ist schon nach Standesgebühr nicht zum Skepticismus geneigt; er prägt sich ein, was ihm die Eingeborenen so oft borgesagt, und kommt er nach Europa, in die civilisirte Welt zurück, so findet er eine Entschädigung für seine Beschwerden in der Lust, durch die Erzählung von Dingen, die er als Thatsachen aufgenomm-n, durch lebendige Schilderung des im Naum so weit Entrückte», die Leute in Verwunderung zu setzen. Ja, diese ouentos äe vin^os ? ü-ilile« werden immer unwahrscheinlicher, je weiter man von den Wäldern am Orinoco weg den Küsten zu kommt, wo die Weißen wohne». Läßt man in Cumana, Nueva Barcelona und in andern Seehäfen, die starken Verkehr mit den Missionen haben, einigen Unglauben merlen, so schließt man einem den Mund mit den wenigen Worten: „Die Patres haben es gesehen, aber weit über den großen Katarakten, mas aridg. cis las L»uää1«s." Humboldt, Reisen. IV. 14 210 Jetzt, da wir ein so selten besuchtes, von denen, die es bereist, nur zum Theil beschriebenes Land betreten, habe ich mehrere Gründe, meine Neiscbeschreibung auch ferner in der Form eines Tagebuches fortzusetzen. Der Leser unterscheidet dabei leichter, was ich selbst beobachtet, und was ich nach den Aussagen der Missionäre und Indianer berichte: er begleitet die Reisenden bei ihren täglichen Beschäftigungen; er sieht zugleich, wie wenig Zeit ihnen zu Gebot stand und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten, und wird in seinem Urtheil nachsichtiger. Am 15. April. Wir brachen von der Insel Panumana um vier Uhr Morgens auf, zwei Stunden vor Sonnenaufgang; der Himmel war großentheils bedeckt und durch dickes, über 40 Grad hoch stehendes Gewölk fuhren Blitze. Wir wunderten uns, daß wir nicht donnern hörten: kam es daher, daß das Gewitter so ausnehmend hcch ftand? Es kam uns vor, als würden in Europa die elektrischen Schimmer ohne Donner, das Wetterleuchten, wie man es mit unbestimmtem Ausdruck nennt, in der Regel weit näher am Horizont gesehen. Vcim bedeckten Himmel, der die strahlende Wärme des Bodens zurückwarf, war die Hitze erstickend; kein Lüftchen bewegte das Laub der Bäume. Wie gewöhnlich waren die Jaguars über den Flußarm zwischen uns und dem Ufer herübergekommen, und wir hörten sie ganz in unserer Nähe brüllen. Im Lauf der Nacht hatten uns di? Indianer gerathen, aus dem Bivouac in eine verlassene Hütte zu ziehen, die zu den „Conucos" der Einwohner von Apures gehört.- sie verrammelten den Eingang mit Brettern, was uns ziemlich überflüssig vorkam. Die Tiger 211 sind bei den Katarakten so häusig, daß vor zwei Jahren ein Indianer, der am Ende der Regenzeit, eben hier in den Co-nucos von Panumana, seine Hütte wieder aufsuchte, dieselbe von einem Tigerweibchen mit zwei Jungen besetzt fand. Die Thiere hatten sich seit mehreren Monaten hier aufgehalten; nur mit Mühe brachte man sie hinaus, und erst nach hartnäckigem Kampfe konnte der Eigenthümer einziehen. Die Jaguars ziehen sich gern in verlassene Bauten, und nach meiner Meinung thut der einzelne Reisende meist klüger, unter freiem Himmel zwischen zwei Feuern zu übernachten, als in unbewohnten Hütten Sckutz zu suchen. Bei der Abfahrt von der Insel Panumana sahen wir auf dem westlichen Stromufer die Lagerfeuer wilder Guahibos; der Missionär, der bei uns war, ließ einige blinde Schüsse abfeuern, um sie einzuschüchtern, sagte er, und ihnen zu zeigen, daß wir uns wehren könnten. Die Wilden hatten ohne Zweifel keine Canoes und wohl auch keine Lust, uns mitten auf dem Strom zu Leibe zu gehen. Bei Sonnenaufgang kamen wir am Einfluß des Rio Anaveni vorüber, der von den östlichen Bergen herabkommt. Jetzt sind seine Ufer verlassen,- aber zur Iesuiten-zeit hatte Paier Olmos hier Iapuin- oder Iaruro-Indianer in einem kleinen Dorfe zusammengebracht. Die Hitze am Tage war so start, daß wir lange an einem schattigen Platze hielten und mit der Leine fischten. Wir konnten die Fische, die wir gefangen, kaum alle fortbringen. Erst ganz spät langten wir unmittelbar unter dem große» Katarakt in einer Bucht an, die der untere Hafen (pue-i-ta äe kbaxo) heißt, und gingen, bei der dunkeln Nacht nicht ohne Beschwerde, auf schmalem 2»2 Fußpfad in die Mission Atures, eine Meile vom Flußufer. Man kommt dabei über eine mit großen Granitblöcken bedeckte Ebene. Das kleine Dorf San Juan Nepomuceno de los Atures wurde im Jahr 1748 vom Jesuiten Pater Francisco Gonzales angelegt. Es ist stromaufwärts die letzte vom Orden des heiligen Ignatius gegründete christliche Niederlassung. Die weiter nach Süd gelegenen Niederlassungen am Atabapo, Cassiquiare und Rio. Negro rühren von den dem Francis-kanerorden angehörenden Observanten her. Wo jetzt das Dorf Atures steht, muß früher der Orinoco geflossen seyn, und die völlig ebene Grasflur um das Dorf war ohne Zweifel ein Stück des Flußbetts. Oestlich von der Mission sah ich eine Felsreihe, die mir dc>,Z alte Flußufer zu seyn schirn. Im Lauf der Jahrhunderte wurde der Strom gegen West hinübergedrängt, weil den östlichen Bergen zu, von denen viele Wildwasser herab-tommen, die Anschwemmungen stärker sind. Der Katarakt heißl, wie oben bemerkt, Mapara, während das Dorf nach dem Volke der Atures genannt ist, das man jetzt für ausgestorben hält. Auf den Karten des siebzehnlcn Jahrhunderts finde ich: „Insel und Katarakt Athule;" dieß ist Atures nach der Aussprache der Tamanacas, die, wie fo viele Völker, die Con-sonanten l und r verwechseln. Noch bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war dieses gebirgigte Land in Europa so wenig bekannt, daß d'Anville in der ersten Ausgabe seines Südamerika beim Salto de los Atures vom Orinoco einen Arm abgehen läßt, der sich in den Amazonenstrom ergießt und der bei ihm Rio Negro heißt. 2t3 Die alten Karten, sowie Pater Gumilla in seinem Werke, setzen die Mission unter 1« 30' der Breite: der Abbs Gili gibt 3 "30" an. Nach Meridianhöhen des Canopus und des « des südlichen Kreuzes fand ich 5 "38'4" Breite und durch Uebertrag der Zeit 4 Stunden 41 Minuten 17 Secunden westliche Länge vom Pariser Meridian. Die Inclination der Magnetnadel war am 16. April 30"25; 323 Schwingungen in 10 Zeitminuten gaben das Maß der Intensität der magnetischen Kraft; in Paris sind es 245 Schwingungen. Wir fanden die kleine Mission in der kläglichsten Verfassung. Zur Zeit von Solanos Erpedition, gewöhnlich „die Grenzerfte-dition" genannt, waren noch 520 Indianer hier, und als wir über die Katarakten gingen, nur noch 47, und der Missionär versicherte uns, mit jedem Jahr werde die Abnahme stärker. Er zeigte uns, daß in 32 Monaten nur eine einzige Ehe ins Kirchenbuch eingetragen worden; zwei weitere Ehen waren von noch nicht catechisirten Indianern vor dem indianischen Govern a dor geschlossen und damit, wie wir in Europa sagen, der Civilatt vollzogen worden. Bei der Gründung der Mission waren hier Atures, Maypures, Meyeftures, Abanis und Qui-rupas unter einander; statt dieser Stämme fanden wir nur Guahibos und ein paar Familien vom Stamme der Macos. Die Atures sind fast völlig verschwunden; man kcnnt sie nur noch von ihren Gräbern in der Höhle Ataruipe her, die an die Grabstätten der Guanchen auf Teneriffa erinnern. Wir hörten an Ort und Stelle, die Atures haben mit den Quaquas und den Macos oder Piraroas dem großen Völkerstamme der Salivas angehört, wogegen die Maypures, Abanis, Parenis 214 und Guaypunaves Einer Abkunft seyen mit den Cab res oder Caveres, die wegen ihrer langen Kriege mit den Caraiben viel genannt werden. In diesem Wirrwarr kleiner Völkerschaften, die einander so schroff gegenüberstehen, wie einst die Völker in Latium, Kleinasien und Sogdiana, läßt sich das Zusammengehörige im Allgemeinsten nur an der Sprachverwandtschaft erkennen. Die Sprachen sind die einzigen Denkmäler, die aus der Urzeit auf uns gekommen sind: nur sie, nickt an den Boden gefesselt, beweglich und dauernd zugleich, sind so zu sagen durch Raum und Zeit hindurchgegangen. So zäh und über so viele Strecken verbreitet erscheinen sie aber weit weniger bei erobernden und bei civilisirten Völkern, als bei wandernden, halbwilden Stämmen, die auf der Flucht vor mächtigen Feinden in ihr tiefes Elend nichts mit sich nehmen als ihre Weiber, ihre Kinder und die Mundart ihrer Väter. Zwischen dem vierten und achten Breitengrad bildet der Orinoco nicht nur die Grenze zwischen dem großen Walde der Parime und den kahlen Eavanen am Apure, Meta und Gua-viare, er scheidet auch Horden von sehr verschiedener Lebensweise. Im Westen ziehen auf den baumlosen Ebenen die Gua« hibos, Chiricoas und Guamos herum, ekelhaft schmutzige Völker, stolz auf ihre wilde Unabhängigkeit, schwer an den Boden zu fesseln und an regelmäßige Arbeit zu gewöbnen. Die spanischen Missionäre bezeichnen sie ganz gut als Inäios anäantsZ (laufende, umherziehende Indianer). Oestlich vom Orinoco, zwischen den einander nahe liegenden Quellen des Caura, des Cataniapo und Ventuari, hausen die Macos, Salivas, Curacicanas, Parecas und Maquiritares, sanftmüthige, ruhige, Ackerbau 215 treibende, leicht der Zucht in den Missionen zu unterwerfende Völker. Der Indianer der Ebene unterscheidet sich vom Indianer der Wälder durch Sprache, wie durch Sitten und die ganze Geistesrichtung; beide haben eine an lebendigen, kecken Wendungen reiche Sprache, aber die des ersteren ist rauher, kürzer, leidenschaftlicher: beim zweiten ist sie sanfter, weitschweifiger und reicher an abgeleiteten Ausdrücken. In der Mission Ntures, wie in den meisten Missionen am Orinoco zwischen den Mündungen des Apure und des Atabapo, leben die eben erwähnten beiden Arten von Volksstämmen neben einander: man trifft daselbst Indianer aus den Wäldern und früher nomadische Indianer (In6io8 mouterog und In6ic»8 andantes oder Ilgnsros). Wir besuchten mit dem Missionär die Hütten der Macos, bei den Spaniern Piraoas genannt, und der Guahibos. In ersteren zeigt sich mehr Sinn für Ordnung, mehr Reinlichkeit und Wohlstand. Die unabhängigen Macos (wilde möchte ich sie nicht nennen) haben ihre Nochelas oder festen Wohnplätze zwei bis drei Tagereisen östlich von Atures bei den Quellen des kleinen Flusses Cataniapo. Sie sind sehr zahlreich, bauen, wie die meisten Waldindianer, keinen Mais, sondern Manioc, und leben im besten Einvernehmen mit den christlichen Indianern in der Mission. Diese Eintracht bat der Franciskaner Patcr Bernardo Zea gestiftet und durch Klugheit erhalten. Der Alcade der unterworfenen Macos verließ mit der Genehmigung des Missionärs jedes Jahr das Dorf Aturcs, um ein paar Monate auf den Pflanzungen zuzubringen, die er mitten in den Wäldern beim Dorfe der unabhängigen Macos besaß. In Folge dieses friedlichen Verkehrs hatten 216 sich vor einiger Zeit mehrere dieser Inäing mont6rc>8 in der Mission niedergelassen. Sie baten dringend um Messer, Fischangeln und farbige Glasperlen, die trotz des ausdrücklichen Verbots der Ordensleute nicht als Halsbänder, sondern zum Aufputz des Guayuco (Gürtels) dienen. Nachdem sie das Gewünschte erhalten, gingen sie in die Wälder zurück, da ihnen die Zucht in der Mission schlecht behagte. Epidemische Fieber, wie sie bei Eintritt d?r Regenzeit nicht selten heftig auftreten, trugen viel ^u der unerwarteten Ausreißer« bei. Im Jahr 1799 war die Sterblichkeit in Carichana, am Ufer des Meta und im Raudal von Aturcs sehr start. Dem Waldindianer wird dtis Leben des civilisirten Menschen zum Greuel, sobald seiner in der Mission lebenden Familie, ich will nicht sagen ein Unglück, sondern nur unerwartet irgend etwas Widriges zustößt. So sah man neubekehrte Indianer wegen herrschender großer Trockenheit für immer aus den christlichen Niederlassungen fortlaufen, als ob das Unheil ihre Pflanzungen nicht ebenfo betroffen hätte, wenn sie immer unabhängig geblieben wären. Welches sind die Ursachen der Fieber, die einen großen Theil des Jahrs hindurch in den Dörfern Atures und May-pures an den zwei großen Katarakten des Orinoco herrschen und die Gegend für den europäischen Reisenden so gefährlich machen? Die große Hitze im Verein mit der außerordentlich starten Feuchtigkeit der Luft, die schlechte Nahrung und, wenn man den Eingeborenen glaubt, giftige Tünste, die sich aus den kahlen Felsen der Raudales entwickeln. Diese Orinoco-Fieber kommen, wie es uns schien, vollkommen mit denen 217 überein, die alle Jahre in dcr Nähe des Meeres zwischen Nueva-Barcelona, Guayra und Porto Cabello auftreten und oft in adynamische Fieber ausarten. „Ich habe mein kleines Fieber (mi oaleutuntg.) erst seit acht Monaten," sagte der gute Missionär von Atures, der uns an den Rio Negro begleitete: er sprach davon wie von einem gewohnten, wohl zu ertragenden Leiden. Die Anfälle waren heftig, aber von kurzer Dauer; bald traten sie ein, wenn er in der Pirogue auf einem Gitter von Vaumzweigen lag, bald wenn er auf offenem Ufer der heißen Sonne ausgesetzt war. Diese dreitägigen Fieber sind mit bedeutender Schwächung des Muskelsystems verbunden; indessen sieht man am Orinoco arme Ordensgeistliche sich jahrelang mit diesen OnIeuwri^aL und I'eroianas schleppen; die Wirkungen sind nicht so tief greifend und gefährlich als bei kürzer dauernden Fiebern in gemäßigten Himmelsstrichen. Ich erwähnte eben, daß die Eingeborenen und sogar die Missionäre den kahlen Felsen einen nachtheiligen Einfluß auf die Salubrität der Luft zuschreiben. Dieser Glaube verdient um so mehr Beachtung, da er mit einer physikalischen Erscheinung zusammenhängt, die kürzlich in verschiedenen Landstrichen beobachtet worden und noch nicht gehörig erklärt ist. In den Katarakten und überall, wo der Orinoco zwischen den Missionen Carichai'a und Santa Barbara periodisch das Granitgestein bespült, ist dieses glatt, dunkelfarbig, wie mit Wasserblei überzogen. Die .färbende Substanz dringt nicht in den Stein ein, der ein grobkörniger Granit ist, welcher hie und da Hornblendekrystalle enthält. Der schwarze Ueberzug ist 3/^ Linien dick und findet sich vorzüglich auf den quarzigen Stellen; 218 die Feldspathkrystalle haben zuweilen äußerlich ibre röthlich weiße Farbe behalten und springen aus der schwarzen Rinde vor. Zerschlägt man das Gestein mit dem Hammer, so ist es innen unversehrt, weiß, ohne Spur von Zersetzung. Diese ungeheuren Steinmassen treten bald in viereckigten Umrissen auf, bald in der halbkugligten Gestalt, wie sie dem Granitgestein eigen ist, wenn es sich in Blöcke sondert. Sie geben der Gegend etwas eigenthümlich Düsteres, da ihre Farbe vom Wasserschaum, der sie bedeckt, und vom Pflanzcnwuchs um sie her scharf absticht. Die Indianer sagen, die Felsen seyen „von der Sonnengluth verbrannt oder verkohlt." Wir sahen sie nicht nur im Vett des Orinoco, sondern an manchen Punkten bis zu 500 Toisen vom gegenwärtigen Ufer in Höhen, bis wohin der Fluß beim höchsten Wasserstandc jetzt nicht steiqt. Was ist diese schwarzbraune Kruste, die diesen Felsen, wenn sie kugligt sind, das Ansehen von Meteorsteinen gibt? Wie hat man sich die Wirkung des Wassers bei diesem Niederschlag oder bei diesem auffallenden Farbwechsel zu denken? Vor allem ist zu bemerken, daß die Erscheinung nicht auf die Katarakten des Orinoco beschränkt ist, sondern in beiden Hemisphären vorkommt. Als ich, nach der Nüctkehr aus Mexico, im Jahr 1807 die Granite von Atures und Maypures Ro-ziörc sehen ließ, der das Nilthal, die Küste des rothen Meeres und den Berg Sinai bereist hat, so zeigte mir der gelehrte Geolog, daß das Urgebirgsgestein bei den kleinen Katarakten von Syene, gerade wie das am Orinoco, eiüe glänzende, schwarzgraue, fast bleifarbige Oberfläche hat; manche Bruchstücke sehen aus wie mit Theer überzogen. Erst neuerlich, 219 bei der unglücklichen Expedition des Cavitän Tuckey, siel dieselbe Erscheinung englischen Naturforschern an den I) ell a las (Stromschnellen und Klippen) auf, welche den Congo- oder Zairefluß verstopfen. Dr. König hat im britischen Museum neben Syenite vom Congo Granite von Atures gestellt, die einer Suite von Gebirgsarten entnommen sind, die Vonpland und ich dem Präsidenten der Londoner königlichen Gesellschaft überreicht hatten. „Diese Handstücke," sagt König, „sehen beide aus wie Meteorsteine; bei beiden Gebirgsarten, bei der vom Orinoco wie bei der afrikanischen, besteht die schwarze Rinde, nach der Analyse von Children, aus Eisen- und Mcmganoryd." Nach einigen Versuchen, die ich in Mexico in Verbindung mit del Nio gemacht, kam ich auf die Vermuthung, das Gestein von Aturcs, welches das Papier, in das es eingeschlagen ist, schwarz färbt, möchte außer dem Manganvxyd Kohle und überkohlensaurcs Eisen enthalten. Am Orinoco sind 40—50 Fuß dicke Granitmassen gleichförmig mit diesen Oiyoen überzogen, und so dünn diese Rinden erscheinen, enthalten sie doch ganz ansehnliche Mengen Eisen und Mangan, da sie über eine Quadratmeile Fläche haben. Es ist zu bemerken, daß alle diese Erscheinungen von Färbung des Gesteins bis jetzt nur in der beißen Zone beobachtet warden sind, an Flüssen, deren Tc»npcratur gewöhnlich 24 bis 28 Grad beträgt und die nicht über Sandstein oder Kalkstein, sondern über Granit, Gneiß und Hornblendegestein laufen. Der Quarz und der Feldspath enthalten kaum 5—6 Tausendtheile Eisen- und Manganoryo; dagegen im Glimmer und in 220 der Hornblende kommen diese Oxyde, besonders das Eisenoxyd, nach Klaproth und Herrmann, bis zu 15 und 20 Procent vor. Die Hornblende enthält zudem Kohle, wie auch der lydische Stein und der Kieselschiefer. Bildet sich nun diese schwarze Rinde durch eine langsame Zersetzung des Granits unter dem doppelten Einfluß der Feuchtigkeit und der Sonne der Tropen, wie soll man es erklären, daß die Oxyde sich so gleichförmig über die ganze Oberfläche des Gesteins verbreiten, daß um einen Glimmer- und Hornblendekrystall nicht mehr davon liegt als über dem Feldspath und dem milchigten Quarz? Der eisenschüssige Sandstein, der Granit, der Marmor, die aschfarbig, zuweilen braun werden, haben ein ganz anderes Aussehen. Der Glanz und die gleiche Dicke der Rinde lassen vielmehr vermuthen, daß der Stoff ein Niederschlug aus dem Wasser des Orinoco ist, das in die Spalten des Gesteins gedrungen. Geht man von dieser Voraussetzung aus, fo fragt man sich, ob jene Oxyde im Fluß nur suspendirt sind, wie der Sand und andere erdigten Substanzen, oder wirklich chemisch aufgelöst? Der ersteren Annahme widerspricht der Umstand, daß die Rinde völlig homogen ist und neben den Oxyden weder Sandkörner noch Glimmerdlättchen sich darin finden. Man muß daher annehmen, daß chemische Auflösung vorliegt, und die Vorgänge, die wir täglich in unsern Laboratorien beobachten, widersprechen dieser Voraussetzung durchaus nicht. Das Wasser großer Flüsse enthält Kohlensäure, und wäre es auch ganz rein, so könnte es doch immer in sehr großen Mengen einige Theilchen Metalloxyd oder Hydrat auflösen, wenn dieselben auch für unauflöslich gelten. Im Nilschlamm, also im 221 Niederschlug der im Fluß suspendirten Stosse, findet sich lein Mangan; er enthält aber nach Reynaults Analyse 6 Procent Eisenoxyd und seine Anfangs schwarze Farbe wild beim Trocknen und durch die Einwirkung der'Luft gelbbraun. Von diesem Schlamm kann also die schwarze Rinde an den Felsen von Syene nicht herrühren. Auf meine Bitte hat Berzelius diese Rinde untersucht; er fand darin Eisen und Mangan, wie in der auf den Graniten vom Orinoco und Congo. Der berühmte Chemiker ist der Ansicht, die Oxyde werden von den Flüssen nicht dem Boden entzogen, über den sie laufen, sie kommen ihnen vielmehr aus ihren unterirdischen Quellen zu und sie schlagen dieselben auf das Gestein nieder, wie durch Cä-mentation, in Folge eigenthümlicher Affinitäten, vielleicht durch Einwirkung des Kali im Feld'path. Nur durch einen langen Aufenthalt an dcn Katarakten des Orinoco, des Nil und des Congoflusses und durch genaue Beobachtung der Umstände, unter denen die Färbung auftritt, kann die Frage, die uns hier beschäftigt hat, ganz zur Entscheidung gebracht werden. Ist die Erscheinung von der Beschaffenheit des Gesteins unabhängig? Ich beschränke mich auf die allgemeine Bemerkung, daß weder Granilmassen, die weit vom alten Bett des Orinoco liegen, aber in der Regenzeit abwechselnd befeuchtet und von der Sonne erhitzt werden, noch der Granit, der von den bräunlichen Wassern des Rio Negro bespült wird, äußerlich den Meteorsteinen ähnlich werden. Die Indianer sagen, „die Felsen seyen nur da schwarz, wo das Wasser weiß ist." Si^ sollten vielleicht weiter sagen: „wo das Wasser eine große Ge« schwindigkeit erlangt hat und gegen das Gestein am Ufer 222 anprallt." Die Cümentation scheint zu erklären, warum die Rinde so dünn bleibt. Ob der ill den Missionen am Orinoco herrschende Glaube, daß in der Nähe des kablcn Gesteins, besonders der Felsmassen mit einer Rinde von Kohle, Eisen- und Manganoryd die Luft ungesund sey, grundlos ist, weiß ich nicht zu sagen. In der heißen Zone werden noch mehr als anderswo die krankheit-errcgenden Ursachen vom Volke willkürlich gehäuft. Man scheut sich dort im Freien zu schlafen, wenn einem der Vollmond ins Gesicht schiene; ebenso hält man es für bedenklich, sich nahe, am Flusse auf Granit zu lagern, und man erzählt viele Fälle, wo Leute nach einer auf dem schwarzen kahlen Gestein zugebrachten Nacht Morgens mit einem starken Fieberanfall erwacht sind. Wir schenkten nun zwar dieser Behauptung der Missionäre und der Eingeborenen nicht unbedingt Glauben, mieden aber doch die Iaxa8 neßr»8 und lagerten uns auf mit weißem Sand bedeckten Uferstrecken, wenn wir keine Ääume fanden, um unsere Hängematten zu befestigen. In Carichana will man das Dorf abbrechen und verlegen, nur um von den schwarzen Felsen wegzukommen, von einem Ort, wo auf einer Strecke von mehr als 10,000 Quadrat-toisen die Vodenfläche aus kahlem Granitgestein besteht. Aus ähnlichen Gründen, die den Physikern in Europa als bloße Einbildungen erscheinen müssen, versetzten die Jesuiten Olmo, Forneri und Mellis ein Dorf der Iaruros an drei verschiedene Punkte zwischen dem Naudal von Tabaje uud dem Nio Anaueni. Ich glaubte diese Dinge, ganz wie sie mir zu Ohren gekommen, anführen zu müssen, da wir so gut wie gar nicht 223 wissen, was eigentlich die Gasgeinenge sind, wodurch die Luft ungesund wird. Läßt sich annehmen, daß unter dem Einfluß starker Hitze und beständiger Feuchtigkeit dic schwarze Rinde des Gesteins auf die umgebende Luft einwirkt und Miasmen, ternäre Verbindungen von Kohlenstoff, Stickstoff und Wasserstoff erzeugt? Ich zweifle daran. Der Granit am Orinoco enthält allerdings häusig Hornblende, und praktische Bergleute wissen wohl, daß die schlimmsten Schwaden sich in Stollen bilden, die durch Syenit und Hornblendestcin getrieben werden. Aber im Freien, wo die Luft durch die kleinen Strömungen fortwährend erneuert wird, kann die Wirkung nicht dieselbe seyn wie in einer Gruben. Wahrscheinlich ist es nur deßhalb gefährlich, auf den laxas N6A-Ä8 zu fchlafen, weil das Gestein bei Nacht eine sehr hohe Temperatur behalt. Ich fand dieselbe bei Tag 48", während die Luft im Schatten 29",? warm war; bei Nacht zeigte der Thermometer, an das Gestein gelegt, 36", die Luft nur 36". Wenn die Wärmeauhäufung in den Gesteinsmassen zum Stillstand gekommen ist, so haben diese Massen zu denselben Stunden immer wieder ungefähr dieselbe Temperatur. Den Uebcr-schuf; von Wärme, den sie bei Tag bekommen, verlieren sie in der Nacht durch die Strahlung, deren Stärke von der Beschaffenheit der Oberfläche des strahlenden Körpers, von der Anordnung seiner Molecule im Innern, besonders aber von der Reinheit des Himmels abhängt, das heißt davon, ob die Luft durchsichtig uud wolkenlos ist. Wo der Unterschied in der Abweichung der Sonne nur gering ist, geht von ihr jeden Tag fast die gleiche Wärmemenge aus und das Gestein ist 224 am Ende des Sommers nicht wärmer als zu Anfang desselben. Es kann ein gewisses Maximum nicht überschreiten, weil sich weder der Zustand seiner Oberfläche, noch seine Dichtigkeit, noch seine Wärmecapacität verändert hat. Steigt man am Ufer des Orinoco be! Nacht ans der Hängematte und betritt den Felsboden mit bloßen Füßen, so ist die Wärme, die man empfindet, sehr auffallend. Wenn ick dic Thermometerkugel an das nackte Gestein legte, fand ich fast immer, daß die lg,-XK8 nEßrag bei Tag wärmer sind als der röthlich weiße Granit weitab vom Ufer, daß aber letzterer sich bei Nacht nicht so schnell abkühlt als jener. Begreiflich geben Massen mit einem schwarzen Ueberzug den Wärmestoff rascher wieder ab als solche, in denen viele silberfarbige Glimmerblätter stecken. Geht man in Carichana, Atures oder Maypures zwischen ein und drei Uhr Nachmittags unter diesen hoch aufgethürmten Felsblöcken ohne alle Dammerde, so erstickt man beinahe, als stände man vor der Mündung eines Schmelzofens. Der Wind (wenn man ihn je in diesen bewaldeten Ländern spürt) bringt statt Kühlung nur noch heißere Luft herbei, da er über Steinschichten und aufgethürmte Granitkugeln weggegangen ist. Durch diese Steigerung der Hitze wird das Klima noch ungesunder, als es ohnehin ist. Unter den Ursachen der Entvölkerung der Raudales habe ich die Blattern nicht genannt, die in andern Strichen von Amerika so schreckliche Verheerungen anrichten, daß die Eingeborenen, von Entsetzen ergriffen, ihre Hütten anzünden, ihre -Kinder umbringen und alle Gemeinschaft fliehcn. Am obern Orinoco weiß man von dieser Geißel so gut wie nichts, und 225 käme sie je dahin, so ist zu hoffen, daß ihr die Kuhpockenimpfung , deren Segen man auf den Küsten von Terra Firma täglich empfindet, alsbald Schranken setzte. Die Ursachen der Entvölkerung in den christlichen Niederlassungen sind der Widerwillen der Indianer gegen die Zucht in den Missionen, das ungesunde, zugleich heiße und feuchte Klima, die schlechte Nahrung, die Verwahrlosung der Kinder, wenn sie krank sind, und die schändliche Sitte der Mütter, giftige Kräuter zu gebrauchen, damit sie nicht schwanger werden. Bei den barbarischen Völkern in Guyana, wie bei den halb civilisirten Bewohnern der Südseeinseln gibt es viele junge Weiber, die nicht Mütter werden wollen. Bekommen sie Kinder, so sind dieselben nicht allein den Gefahren des Lebens in der Wildniß, sondern noch manchen andern ausgesetzt, die aus dem abgeschmacktesten Aberglauben herfließen. Sind es Zwillinge, so verlangen verkehrte Begriffe von Anstand und Familienehre, daß man eines der Kinder umbringe. „Zwillinge in die Welt sehen, heißt sich dem allgemeinen Spott preisgeben, heißt es machen wie Ratten, Beutelchicre und das niedrigste Gethier, das viele Junge zugleich wirft." Aber noch mehr: „Zwei zugleich geborene Kinder können nicht von Einem Vater seyn." Das ist ein Lehrsatz in der Physiologie der Salivas, und unter allen Himmelsstrichen, auf allen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung sieht man, daß das Volk, hat es sich einmal einen Satz der Art zu eigen gemacht, zäher daran festhält, als die Unterrichteten, die ihn zuerst aufs Tapet gebracht. Um des Hausfriedens willen nehmen es alte Basen der Mutter oder die murs ^»paio-nei (Hebamme) auf sich, eines der Kinder auf Humboldt, Hcls«. lV, 15 22H die Seite zu schaffen. Hat der Neugeborene, wenn er auch kein Zwilling ist, irgend eine körperliche Mißbildung, so bringt ihn der Vater auf der Stelle um. Man will nur wohlge-bildetc, kräftige Kinder; denn bei den Mißbildungen hat der böse Geist Ioloquiamo die Hand im Spiel, oder der Vogel Tikitili, der Feind des Menschengeschlechts. Zuweilen haben auch bloß sehr schwächliche Kinder dasselbe Loos. Fragt ma» einen Vater, was aus einem seiner Söhne geworden sey, so thut er, als wäre er ihm durch einen natürlichen Tod entrissen worden. Er verläugnet eine That, die er für tadelnswerth, aber nicht für strafbar hält. „Das arme Mure (Kind)," heißt es, „konnte nicht mit uns Schritt halten: man hätte jeden Augenblick auf es warten müssen: man hat nichts mehr von ihm gesehen, es ist nicht dahin gekommen, wo wir geschlafen haben." Dieß ist die Unschuld und Sitteneinfalt, dieß ist das gepriesene Glück des Menschen im Urzustand! Man bringt sein Kind um, um nicht wegen Zwillingen lächerlich zu werden, um nicht langsamer wandern, um sich nicht eine kleine Entbehrung auferlegen zu müssen. Grausamkeiten der Art sind nun allerdings nicht so häufig, als man glaubt; indessen kommen sie sogar in den Missionen vor, und zwar zur Zeit, wo die Indianer aus dem Dorfe ziehen und sich auf den „Conucos" in den nahen Wäldern aufhalten. Mit Unrecht schriebe man sie der Polygamie zu, in der die nicht catechisirten Indianer leben. Bei der Vielweiberei ist allerdings das häusliche Glück und der Frieden in den Familien gefährdet, aber trotz dieses Vrauchs, der ja auch ein Gefetz des Islams ist, lieben die Morgenländer 227 ihre Kinder zärtlich. Bei den Indianern am Orinoco kommt der Vater nur nach Hause, um zu essen und sich in seine Hängematte zu legen; er liebkost weder seine kleinen Kinder, noch seine Weibe?, die da sind, ihn zu bedienen. Die väterliche Zuneigung kommt erst dann zum Vorschein, wenn der Sohn soweit herangewachsen ist, daß er an der Jagd, am Fischfang und an der Arbeit in den Pflanzungen Theil nehmen kann. Wenn nun aber auch der schändliche Nrauch, durch gewisse Tränke Kinder abzutreiben, die Zahl der Geburten vermindert, so greifen diese Tränke die Gesundheit nicht so sehr an, daß nicht die jungen Weiber in reiferen Jahren wieder Mütter werden könnten. Diese physiologisch sehr merkwürdige Erscheinung ist den Mönchen in den Missionen längst aufgefallen. Der Jesuit Gili, der fünfzehn Jahre lang die Indianer am Orinoco Beichte gehört hat und sich rühmt, i skFrsti 6elle 6onn6 marit«,t6 zu kennen, äußert sich darüber mit verwunderlicher Naivetät. „In Europa," sagt er, „fürchten sich die Eheweiber vor dem Kinderbetommen, weil sie nicht wissen, wie sie sie ernähren, kleiden, ausstatten sollen. Von all diesen Sorgen wissen die Weiber am Orinoco nichts. Sie wählen die Zeit, wo sie Mütter werden wollen, nach zwei gerade entgegengesetzten Systemen, je nachdem sie von den Mitteln, sich frisch und schön zu erhalten, diese oder jene Vorstellung haben. Die einen behaupten, und diese Meinung ist die vorherrschende, es sey besser, man fange spät an Kinder zu bekommen, um sich in den ersten Jahren der Ehe ohne Unterbrechung der Ar-bcit im Haus und Feld widmen zu können. Andere glauben. 228 im Gegentheil, es stärke die Gcsundbeit und verhelfe zu eincm glücklichen Alter, wenn man sehr jung Muttei geworden sey. Je nachdem die Indianer das eine oder das andere System haben, werden die Abtreibemittel in verschiedenen Lebensaltern gebraucht." Sieht man hier, wie selbstsüchtig der Wilde seine Berechnungen anstellt, so möchte man den civilisntcn Völkern m Europa Glück wünschen, daß Ecbolia, die dem Anschein nach der Gesundheit so wenig schaden, ihnen bis jetzt unbekannt geblieben sind. Durch die Einführung von dergleichen Tränken würde vielleicht die Sittenverdcibniß in den Städten noch gesteigert, wo ein Viertheil der Kinder nur zur Welt kommt, um von den Eltern verstoßen zu werden. Leicht möglich aber auch, daß die neuen Abtreibemittel in unserem Klima so gefährlich wären wic der Seoenbaum, die Aloe und das flüchtige Ziinmt- und Gewürznelkenöl. Der kräftige Körper des Wilden, in dem die verschiedenen organischen Systeme unabhängiger von einander sind, widersteht besser und länger übermäßigen Reizen und dem Gebrauch dem Leben feindlicher Substanzen, als die schwache Constitution des civilisirten Menschen. Ich glaubte mich in diese nicht sehr erfreulichen pathologischen Betrachtungen einlassen zu müssen, weil sie auf eine der Ursachen hinweisen, aus denen im versunkensten Zustande unseres Geschlechts, wie auf der höchsten Stufe der Cultur, die Bevölkerung kaum merkbar zunimmt. Zu den eben bezeichneten Ursachen kommen andere wesentlich verschiedene. Im Collegium für die Missionen von Piritu zu Nueva Barcelona hat man die Bemerkung gemacht, daß in den an sehr trockenen Orien gelegenen Indianerdörfern immcr 229 auffallend mehr Kinder geboren weiden als in den Dörfern an Flusiufern. Die Sitte der indianischen Weiber, mehreremal, am Tage, bei Sonnenaufgang und nach Sonnenuntcrgansi, alfo wenn die Luft am kühlsten ist, zu baden, scheint die Constitution zu schwächen. Der Pater Gardian der Franciscaner sah mit Schrecken, wie rasch die Bevölkerung in den beiden Dörfern an den Katarakten abnahm und schlug daher vor einigen Jahren dem Statthalter der Provinz in Angostura vor, die Indianer durch Neger zu ersetzen. Bekanntlich dauert die afrikanische Race in heißem und feuchtem Klima vortrefflich aus. Eine Niederlassung freier Neger am ungesunden Ufer des Caura in der Mission San Luis Guaraguaraico gedeiht ganz gut, und sie bekommen ausnehmend reicke Maisernten. Der Pater Gardian beabsichtigte, einen Theil dieser schwarzen Lolonisten an die Ka tarakte» des Orinoco zu verpflanzen, oder aber Sklaven auf den Antillen zu kaufen und sie, wie man am Caura gethan, mit Negern, die aus Esquibo entlaufen, anzusiedeln. Wahrscheinlich wäre der Plan ganz gut gelungen. Derselbe erinnerte im Kleinen an die Niederlassungen in Sierra Leone: es war Aussicht vorhanden, daß der Zustand der Schwarze» sich damit verbesserte und so das Christenthum zu seinem ursprüng, lichen Ziele, Förderung des Glücks und der Freiheit der untersten Volksklassen, wieder hingeführt würde. Ein kleines Mißverständniß vereitelte die Sache. Der Statthalter erwiderte den Mönchen: „Da man für das Leben der Neger so wenig bürgen könne, als für das der Indianer, so erscheine es mcht als gerecht, jene zur Niederlassung in den Dörfern be, den 230 Katarakten zu zwingen." Gegenwärtig bangt die Existenz dieser Mission so ziemlich an zwei Guahibo- und Maco-Familien, den einzigen, bei denen man einige Spuren von Civilisation findet und die das Leben auf eigenem Grund und Boden lieben. Sterben diese Haushaltungen aus, so laufen die andern Indianer, die der Missionszucht längst müde sind, dem Pater Zea davon, und an einem Punkt, den man als den Schlüssel des Orinoco betrachten kann, finden dann die Reisenden nichts mehr, was sie bedürfen, zumal keinen Steuermann, der die Canoes durch die Stromschnellen schafft: der Verkehr zwischen dem Fort am Nio Negro und dcr Hauptstadt Angostura wäre, wo nicht unterbrochen, doch «ngemein erschwert. Es bedarf ganz genauer Kenntniß der Oertlichkeiten, um sich in das Labyrinth von Klippen und Fclsblöckcn zu wagen, die bei Atures und Maypurcs das Strombett verstopfen. Während man unsere Pirogue auslud, betrachteten wir von allen Punkten, wo wir ans Ufer gelangen konnten, in der Nähe das ergreifende Schauspiel eines eingeengten und wie völlig in Schaum verwandelten großen Stromes. Ich versuche es, nicht unsere Empfindungen, sondern eine Oertlichkeit zu schildern, die unter den Landschaften der neuen Welt so berühmt ist. Je großartiger, majestätischer die Gegenstände sind, desto wichtiger ist es, sie in ihren kleinsten Zügen aufzufassen, die Umrisse des Gemäldes, mit dem man zur Einbildungskraft des Lesers sprechen will, fest zu zeichnen, die bezeichnenden Merkmale dcr großen, unvergänglichen Denkmäler der Natur einfach zu schildern. Von seiner Mundung bis zum Einfluß des Anaveni, auf einer Strecke von 260 Meilen, ist die Schissfahrt auf dem Orinoco durchaus ungehindert. Bei Muitaco, in einer Bucht, Nno» 6el Inliei-nc» genannt, sind Klippen und Wirbel: bei Caricbana und San Borja sind Stromschnellen (iiauäälitos); aber an allen diesen Punkten ist der Strom nie ganz gesperrt, es bleibt eine Wasserstraße, auf der die Fahrzeuge hinab- und hinauffahren können. Auf dieser ganzen Fahrt auf dem untern Orinoco wird dem Reisenden nur Eines gefährlich, die natürlichen Flöße aus Bäumen, die der Fluß entwurzelt und bei Hochwasser fort treibt. Wehe den Piroguen, die bei Nacht an solchem Gitter-werk aus Holz und Schlinggewächsen auffahren! Dasselbe ist mit Wasserpflanzen bedeckt und gleicht hier, wie auf dem Mississippi, schwimmenden Wiesen, den Chinampas ^ der mericanischen Seen. Wenn die Indianer eine feindliche Horde überfallen wollen, binden sie mehrere Canoes mit Stricken zusammen, bedecken sie mit Kräutern und Baumzwcigen und bilden so die Haufen von Bäumen nach, die der Orinoco auf feinem Thalweg abwärts treibt. Man sagt den Caraiben nach, sie seven früher in dieser Kriegslist ausgezeichnet gewesen, und gegenwärtig bedienen sich die spanischen Schmuggler in der Nähe von Angostura desselben Mittels, um die Zollaufseher hinter das Licht zu führen. Oberhalb des Rio Anaveni, zwischen den Bergen von Uniana und Sipapu, kommt man zu den Katarakten von Ma-para und Quittuna, oder, wie die Missionäre gemeiniglich sagen, ' Echwimnmidt Gärten. 232 zu den Raudales von Atures und Maypurcs. Diese beiden vom einen zum andern Ufer laufrnden Stromsperren geben im Großen ungefähr dasselbe Vild: zwischen zahllosen Inseln, Fels-dümmen, aufeinander gethürmtcn, mit Palmen bewachsenen Granitblöcken löst sich einer der größten Ströme der neuen Welt in Schaum auf. Trotz dieser Uebereinstimmung im Aussehen hat jeder der Fälle seinen eigenthümlichen Charakter. Der erste, nördliche, ist bei niedrigem Wasser leichter zu passiven: beim zweiten, dem von Mayvures, ist den Indianern die Zeit des Hochwassers lieber. Oberhalb Mayfturcs und der Einmündung des Cano Cameji ist der Orinoco wieder frei auf einer Strecke von mehr als 169 Meilen, bis in die Nähe seiner Quellen, das heißt bis zum Raudalito der Guaharibos, ostwärts vom Cano Chiauire und den hohen Bergen von Au-mariquin. Ich habe die beiden Necken des Orinoco und des Amazonen« stroms besucht, und es fiel mir ungemein auf, wie verschieden sie sich auf ihrem ungleich langen Laufe verhalten. Vcim Amazonenstrom, der gegen 980 Seemeilen (20 auf den Grad) lang ist, sind die großen Fälle ziemlich nahe bei den Quellen, im ersten Sechstheil der ganzen Länge: fünf Sechstheile seines Laufs sind vollkommen frei. Beim Orinoco sind die Fälle, weit ungünstiger für die Schifffahrt, wenn nicht in der Mitte, doch unterhalb des ersten Drittheils seiner Länge gelegen. Bei beiden Strömen werden die Fälle nicht durch die Berge, nicht durch die Stufen der über einander liegenden Plateaus, wo sie entspringen, gebildet, sondern durch andere Berge, durch andere über einander gelagerte Stufen, durch die sich die 233 Ströme nach langem friedlichen Lauf Bahn brechen müssen, wobei sie sich von Staffel zu Staffel herabstürzen. Der Amazonenftrom durchbricht keineswegs die Hauptkctte der Anden, wie man zu einer Zeit behauptete, wo man ohne Grund voraussetzte, daß überall, wo sich die Gebirge in parallels Kettcn theilen, die mittlere oder Centralkette höher seyn müsse als die andern. Dieser große Strom entspringt (und dieser Umstand ist geologisch nicht ohne Belang) ostwärts von der westlichen Kette, der einzigen, welche unter dieser Breite den Namen einer hohen Andenkette verdient. Er entsteht aus der Vereinigung der kleinen Flüsse Aguamiros und Cha-vinilw, welch letzterer aus dem See Llauricocha kommt, der in ei.nem Längenthaie zwischen der westlichen und der mittleren Kette der Anden liegt. Um diese hydrographischen Verhältnisse richtig aufzufassen, muß man sich vorstellen, daß der kolossale Gebirgsknotcn von Pasco und Huanuco sich in drei Ketten theilt. Die westlichste, höchste streicht unter dem Namen Ool-ciiüei'» r«äl äe RikVL (zwischen Huary und Caratambo, Guamachuco und Lucma, Micuipampa und Guangamarca) über die Neva« dos von Viuda, Pelagatos, Moyopata und Huaylillas, und die Paramos von Guamani und Guariuga gegen die Stadt Lora. Der mittlere Zug scheidet die Gewässer des oberen Amazonenstroms und dev Guallaga und bleibt lange nur tausend Toisen hoch; erst südlich von Huanuco steigt er in der Cordil-lere von Sasaauanca über die Schneelinie empor. Er streicht zuerst nach Nord über Huacrachuco, Chachapovas, Moyobamba und den Paramo von Pisccguanuna, dann fällt er allmahlig ab, Pcca, Copallin und der Mission San Aago am östlichen 234 Ende der Provinz Iaen de Bracamoros zu. Die dritte, östlichste Kette zieht sich am rechten Ufer des Rio Guallaga hin und läuft unter dem 7. Grad der Breite in die Niederung aus. So lange der Amazonenstrom von Süd nach Nord im Längen-lhal zwischen zwei Gebirgsziigen von ungleicher Höhe läuft (das heißt von den Höfen Quivilla und Guancaybamba, wo man auf hölzernen Vrückm über den Fluß geht, bis zum Einfluß des Rio Chinchive), ist die Fahrt im Canoe weder durch Felfen noch durch sonst etwas gehemmt. Die Fälle fangen erst da an, wo der Amazonenstrom sich gegen Ost' wendet und durch die mittlere Andenkette hindurchgeht, die gegen Norden bedeutend breiter wird. Er stößt auf die ersten Felsen von rothem Sandstein oder altem Conglomerat zwischen Tambillo und dem Pongo Rentema, wo ich Breite, Tiefe und Geschwindigkeit des Wassers gemessen habe; cr tritt aus dem rothen Sandstein ostwärts von der vielberufenen Stromenge Manseriche beim Pongo Tayuchuc, wo die Hügel sich nur noch 40—60 Toisen über den Flußspiegel erheben. Den östlichen Zug, der an den Pampas von Sacramento hinlauft, erreicht der Fluß nicht. Von den Hügel von Tayuchuc bis Gran Para, auf einer Strecke von mehr als 750 französischen Meilen, ist die Ecbifffahrt ganz frei. Aus dieser raschen Uebersicht ergibt sich, daß der Maranon, Hütte er nicht das Bergland zwischen San Yago und Tomependa, das zur Centralkette der Anden gehört, zu durchziehen, schiffbar wäre von seinem Ausfluß ins Meer bis Pumpo bei Piscobamba in der Provinz Conchucos, 43 Meilen von seiner Quelle. Wir haben gesehen, daß sich beim Orinoco wie beim 235 Amazonenstrom die großen Fälle nicht in der Nähe des Ursprungs befinden. Nack einem ruhigen Lauf von mehr als 160 Meilen vom kleinen Naudal der Guaharioos, ostwärts von Esmeraloa dis zu den Bergen von Sipapu, und nachdem er sich durch die Flüsse Iao, Ventuari, Atabapo und Guaviare verstärkt, biegt der Orinoco aus seiner bisherigen Richtung von Ost nach West rasch in die von Süd nach Nord um und stößt auf dem Lauf über die „Land-Meerenge" i in den Niederungen am Meta auf die Ausläufer der Cordillere der Parime. Und dadurch entstehen nun Fälle, die weit stärker sind und der Schissfahrt ungleich mehr Eintrag thun als alle Pongos im obern Maranon, weil sie, wie wir oben auseinandergesetzt, der Mündung des Flusses verhältnihmäßig näher liegen. Ich habe mich in diese geographischen Details eingelassen, um am Beispiel der größten Ströme der neuen Welt zu zeigen: 1) daß sich nicht absolut cine gewisse Toisenzahl, eine gewisse Meereshöhe angeben läßt, über welcher die Flüsse noch nicht schiffbar sind: 2) daß die Stromschnellen keineswegs immer, wie in manchen Handbüchern der allgemeinen Topographie behauptet wird, nur am Abhang der ersten Vergschwellen, bei den ersten Höhenzügen vorkommen, über welche die Gewässer in der Nähe ihrer Quellen zu laufen haben. Nur der nördliche der großen Katarakten des Orinoco hat hohe Berge zu beiden Seiten. Das linke Stromufer ist meist niedriger, gehört aber zu einem Landstrich, der westwärts von ' Diese Landenge, von der schon öfter« die Nede war. wild von den Kordilleren der Andcn'von Neil-Grenadci und «on der Cordillere der P.irime gebildet. S. Vand IV. Seite 24. 23k Atures gegen den Pic Uniana ansteigt, einen gegen 3000 Fuß hohen Vergkegcl auf einer steil abfallenden Felsmauer. Dadurch, daß er frei aus der Ebene aufsteigt, nimmt sich diefer Pic noch großartiger und majestätischer aus. In der Nä!,e der Mission, auf dem Landstrich am Katarakt nimmt die Landschaft bei jedem Schritt einen andern Charakter an. Auf engem Raume findet man hier die rauhsten, finstersten Naturgebilde neben freiem Feld, bebauten, lachenden Fluren. In der äußern Natur wie in unserem Innern ist der Gegensatz der Eindrücke, das Nebeneinander des Großartigen, Drohenden, und des Sanften, Friedlichen eine reiche Quelle unferer Empfindungen und Genüsse. Ich nehme hier einige zerstreute Züge einer Schilderung auf, die ich kurz nach meiner Rückkehr nach Europa in einem andern Buche entworfen. ' Die mit zarten Kräutern und Gräsern bewachsenen Savancn von Atures sind wahre Prärien, ähnlich unsern europäischen Wiesen; sie werden nie vom Flusse überschwemmt und scheinen nur der Menschenhand zu harren, die sie umbricht. Trotz ihrer bedeutenden Ausdehnung sind sie nicht so eintönig wie unsere Ebenen. Sie laufen um Felsgruppen, um übereinander gethürmte Granitblöcke her. Dicht am Rande dieser Ebenen, dieser offenen Fluren stößt man auf Schluchten, in die kaum ein Strahl der untergehenden Sonne dringt, auf Gründe, wo einem auf dem feuchten, mit Arum, Heliconia und Lianen dicht bewachsenen Vodeu bei jedem Schritte die wilde Ueppigkeit der Natur entgegentritt. Ucberall ^ » Msichteu der Natur. 2. Auflage, 182L. Vd. l. S. <8l; 3. Auf» läge, Bd. I. S. 243. 237 kommen, dem Voden gleich, die ganz kahlen Granitplatten zu Tage, wie ich sie bei Carichana beschrieben, und wie ich sie in der alten Welt nirgends so ausnehmend breit gesehen habe wie im Orinocothal. Da wo Quellen aus dem Schooße dieses Gesteins vorbrcchen, haben sich Verrucarien, P'orcn und Flechten an den verwitterten Granit geheftet und Dammerdc erzeugt. Kleine Euphorbien, Pcperomien und andere Saftpflanzen sind den kryplogamischcn Gewächsen gefolgt, und jeht bildet immergrünes Strauchwerk, Nherien, Melastomeu mit Purpmrothen Blüthen, grüne Eilande inmitten der öden steinigten Ebene. Man kommt immer wieder darauf zurück: die Bodenbildung, die über die Savanen zerstreuten Boskette aus kleinen Bäumen mit leoewrtigen, glänzenden Blattern, die kleinen Bäche, die sich ein Bett im Fels graben und sich bald über fruchtbares ebenes Land, bald über kahle Granitbänke schlangeln, Alles erinnert einen hier an die reizendsten, malerischsten Parthien unserer Parkanlagen und Pflanzungen. Man meint mitten in der wilden Landschaft menschlicher Kunst und Spuren von Cultur zu begegnen. Mer nicht nur durch die Vodenbildung zunächst bei der Mission Alurcs erhält die Gegend eine so auffallende Physiognomie: die hohen Berge, welche ringsum den Horizont begrenzen, tragen durch ihre Form und die Art ihres Pflanzenwuchses das Ihrige dazu bei. Diese Berge erheben sich meist nur 7—600 Fuß über die umgebenden Ebenen. Ihre Gipfel sind abgerundet, wie in den meisten Grcmitgebirgcn, und mit einem dichten Walde von Laurineen bedeckt. Gruppen von Palmen («1 (^uouriw), deren gleich Federbüschen gekräuselte 238 Vlätter unter eincm Winkel von 70 Grad majestätisch emporsteigen, stehen mitten unter Bäumen mit wagerechten Nesten; ihre nackten Stämme schießen gleich hundert bis hundertzwanzig Fuß hohen Säulen in die Luft hinauf und heben sich vom blauen Himmel ab, „ein Wald über dem Walde." Wenn der Mond den Bergen von Uniana zu unterging und die röthliche Scheibe des Planeten sich hinter das gefiederte Laub der Palmen versteckte und dann wieder im Luftstrich zwischen beiden Wäldern zum Vorschein kam, so glaubte ich mich auf Augenblicke in die Einsiedelei des Alten versetzt, die Vernardin de Saint Pierre als eine der herrlichsten Gegenden auf der Insel Nourbon schildert und fühlte so recht, wie sehr die Gewächse nach Wuchs und Gruppirung in beiden Welten einander gleichen. Mit der Beschreibung eines kleinen Erdwinkels auf einer Insel im indischen Ocean hat der unnachahmliche Verfasser von Paul und Virgin« vom gewaltigen Vild der tropischen Landschaft eine Skizze entworfen. Er wußte die Natur zu schildern, nicht weil er sie als Forscher kannte, sondern weil er für all ihre harmonischen Verhältnisse in Gestaltung, Farbe und innern Kräften ein tiefes Gefühl besaß. Oestlich von Aturcs, neben jenen abgerundeten Vergen, auf denen zwei Wälder von Laurineen und Palmen über einander stehen, erHeden sich andere Berge von ganz verschiedenem Aussehen. Ihr Kamm ist mit gezackten Felsen besetzt, die wie Pfeiler übcr die Bäume und das Gebüsch emporragen. Diese Bildung kommt allen Granitplateaus zu, im Harz, im böhmischen Erzgebirge, in Galizien, an der Grenze beider Castilien: sie wiederholt sich überall, wo in unbedeutender Meereshöhe 239 (400—600 Toisen) ein Granit neuerer Formation zu Taae kommt. Die in Abständen sich erhebenden Felsen bestehen entweder aus aufgethürmten Blöcken oder sind in regelmäßige, wagerechte Bänke getheilt. Auf die ganz nahe am Orinoco stellen sich die Flamingos, die Soldados^ und andere fisch-fangende Vögel, und nehmen sich dann aus wie Menschen, die Wache stehen. Dieß ist zuweilen so täuschend, daß, wie mehrere Augenzeugen erzählen, die Einwohner von Angostura eines Tages kurz nach der Gründung dcr Stadt in die größte ' Bestürzung geriethen, als sich auf einmal auf einem Berge gegen Süd Reiher, Soldados und Garzas blicken ließen. Sje glaubten sich von einem Ueberfall der Inäio8 monterog (der wilden Indianer) bedroht, und obgleich einige Leute, die mit dieser Täuschung bekannt waren, die Sache aufklärten, beiuhigte sich das Volk nicht eher ganz, als bis die Vögel in die Luft stiegen und ihre Wanderung der Mündung des Orinoco zu fortsetzten. Die schöne Vegetation der Berge ist, wo nur auf dem Felsboden Dammerde liegt, auch über die Ebenen verbreitet. Meistens sieht man zwischen dieser schwarzen, mit Pflanzenfasern gemischlen Damnurde und dem Granitgestein eine Schichte weißen Sandes. Der Missionär versicherte uns, in der Nähe der Wasserfalle sey das Grün beständig frisch, in Folge des vielen Wasserdampfes, der aus dem auf einer Strecke von 3000—4000 Toiscn in Strudel und Wasserfülle zerschlagenen Strom aufsteigt. ' Eine große Reihsvart. 246 Kaum batte man i» Ntures ein paarmal donnern hören, und bereits zeigte die Vegetation aller Orten die kräftige Fülle und den Farbenglanz, wie man sie auf den Küsten erst zu Ende der Regenzeit findet. Die alten Bäume hingen voll prächtiger Orchideen, gelber Vannisterien, Vignonien mit blauen Blüthen, Pepcromia, Arum, Potbos. Auf einem einzigen Baumstamm waren mannigfaltigere Pflanzengebilde beisammen, als in unserem Klima auf einem ansehnlichen Landstrich. Rebcn diesen den beißen Klimaten eigenen Echmarotzergcwachsen saben wir hier mitten in der heißen Zone und fast im Niveau des Meeres zu unserer Ueberraschung Moose, die vollkommen den europäischen glichen. Veim großen Katarakt von Atures pflückten wir die schöne Grimmia-Art mit Fontinalis-Vlättern, welche die Botaniker so sehr beschäftigt hat: sie hängt an den Aesten der höchsten Väume. Unter den Phanerogamcn herrschen in den bewaldeten Strichen Mimosen, Iicus und Laurineen vor. Dieß ist um so charakteristischer, als nach Vrowns neuerlicher Beobachtung auf dem gegenüber liegenden Continent, im tro-pischen Afrika, die Laurineen fast ganz zu fehlen scheinen. Gewächse, welche Feuchtigkeit lieben, schmücken die Ufer am Wasserfall. Man findet hier in den Niederungen Büsche von Heliconia und andern Scitamineen mit breiten glänzenden Blättern, Bambusrohre, die drci Palmenarten Murichi, Ia-gua und Vadgiai, deren jede besondere Gruppen bildet. Die Murichipalme oder die Mauritia mit schuvpigter Frucht ist die berühmte Sagopalme der Guaraons-Indianer; sie ist ein wirkliches geselliges Gewächs. Sie hat handförmige Blätter und wächst nicht unter den Palmen mit gefiederten und 241 gekräuselten Blättern, dem Iagua, der eine Art Cocospalme zu seyn scheint, und dem Badgiai oder Cucurito. den man neben die schöne Gattung Orsodox» stellen kann. Der Cucurito, bei den Fällen von Aturcs und Manpurcs die häufigste Palme, ist durch seinen Habitus ausgezeichnet. Seine Blätter oder vielmehr Wedel stehen auf einem 80—100 Fuß hohen Stamm fast senkrecht, und Mar im jugendlichen Zustand wie in der vollen Entwicklung: nur die Spitzen sind umgebogen. Es sind wahre Federblische vom zartesten, frischesten Grün. Der Cucurito, der Seje, dessen Frucht der Aprikose gleicht, die Oreoäox» i-eßi» odcr kalin», real von der Insel Cuba und das lüerox^Inn der hohen Anden sind im Wuchs die großartigsten Palmen der neuen Welt. Je näher man der gemäßigten Zone kommt, desto mehr nehmen die Gewächse dieser Familie an Größe und Schönheit ab. Welch ein Unterschied zwischen den eben erwähnten Arten und der orientalischen Dattel» Palme, die bei den europäischen Landschaftsmalern leider der Typus der Palmenfamilie geworden ist! Es ist nicht zu verwundern, daß, wer nur das nördliche Afrika, Sicilien oder Murcia bereist Hal, nicht begreifen tann, daß unter allen großen Naumgestallen die Gestalt der Palme die großartigste und schönste seyn soll. Unzureichende Analo-gieen sind Schuld, daß sich der Europäer keine richtige Vorstellung vom Charakter der heißen Zone macht. Jedermann weiß zum Beispiel, baß die Conttaste des Baumlaubs, besonders aber die große Menge von Gewächsen mit gefiederten Blättern ein Hauptschmuck dieser Zone sind. Die Csche, der Vogelbeeibaum, die Inga, die Achazie der Vereinigten Staaten, Humboldt. Rcist. lV. 16 2O die Gleditsia, die Tamarinde, die Mimosen, die Desmanthus haben alle gefiederte Blätter mit mehr oder weniger großen, dünnen, lederartigen und glänzenden Blättchen. Vermag nun aber deßhalb eine Gruppe von Eschen, Vogelbeerbäumen oder Sumachbäumen uns einen Begriff vom malerischen Effekt zu geben, den das Laubdach der Tamarinden und Mimosen macht, wenn das Himmelsblau zwischen ihren kleinen, dünnen zartgefiederten Blättern durchbricht? Diese Betrachtungen sind wichtiger, als sie auf den ersten Blick scheinen. Die Gestalten der Gewächse bestimmen die Physiognomie der Natur, und diese Physiognomie wirkt zurück auf die geistige Stimmung der Völker. Jeder Pflanzentypus zerfällt in Arten, die im allgemeinen Charakter mit einander übereinkommen, aber sich dadurch unterscheiden, daß dieselben Organe verschiedentlich entwickelt sind. Die Palmen, die Scitamincen, die Malvaceen, die Bäume mit gefiederten Blättern sind nicht alle malerisch gleich schön, und meist, im Pflanzenreich wie im Thierreich, gehören die schönsten Arten eines jeden Typus dem tropischen Erdstrich an. Die Protaceen, Croton, Agaven und die große Sippe der Cactus, die ausschließlich nur in der neuen Welt vorkommt, verschwinden allmühlig, wenn man auf dem Orinoco über die Mündungen des Apure und des Meta hinaufkommt. Indesjen ist vielmehr die Beschattung und die Feuchtigkeit, als die Entfernung von den Küsten daran Schuld, wenn die Cactus nicht weiter nach Süden gehen. Wir haben östlich von den Anden, in der Provinz Bracamoros, dem obern Amazonenstrom zu, ganze Cactuswälder, mit Croton dazwischen, große dürre Landstriche bedecken sehen. Die Baumfarn scheinen an den Fällen 243 des Orinoco ganz zu fehlen, wir fanden keine Art vor San Fernando de Atabapo, das heißt vor dem Einftuh des Guaviare in den Orinoco. Wir haben die Umgegend von Atures betrachtet, und ich habe jetzt noch von den Stromschnellen selbst zu sprechen, die an einer Stelle des Thales liegen, wo das tief eingcschnittene Flußbett fast unzugängliche Ufer hat. Nur an sehr wenigen Punkten konnten wir in den Orinoco gelangen, um zwischen zwei Wasserfällen, in Buchten, wo das Wasser langsam kreist, zu baden. Auch wer sich in den Alpe», in den Pyrenäen, selbst in den Cordillercn aufgehalten hat, so vie/b?rufcn wcaen der Zerrissenheit des Hodens und der Spuren von Fc-rstöl-ung, denen man bei jedem Schritte begegnet, vermöchte nach einer bloßen Beschreibung sich vom Zustand des Strombetts hier nur schwer eine Vorstellung zu machen. Auf einer Strecke von mehr als fünf Seemeilen laufen unzählige Felsdämme quer darüber weg, eben so viele natürliche Wehre, eben so viele Schwellen, ähnlich denen im Dnieper, welche bei den Alten Phragmoi hießen. Der Raum zwischen den Felsdä«nmen im Orinoco ist mit Inseln von verschiedener Größe gefüllt; manche sind hügligt, in verschiedene runde Erhöhungen getheilt und 200 — 300 Toisen lang. andere klein und niedrig, w,e bloße Klippen. Diese Inseln zerfallen den Fluß in zahlreiche reißende Betten, in denen das Wasser sich kochend an den Felsen bricht: alle sind mit Iagua- und Cucuritopalmen mit federbuschförmigcm Laub bewachsen, ein Palmcndicticht nullen auf der schäumenden Wasserfläche. Tie Indianer, welche d,e leeren Piroguen durch die Naudales schaffen, haben für jede 244 Staffel, für jeden Felsen einen eigenen Namen. Von Süden her kommt man zuerst zum 8»1to 6?1 ?inpnoo, zum Sprung des Tucans: zwischen den Inseln Avaguri und Iavariveni ist der Raudal de Iavariveni: hier verweilten wir auf unserer Rückkehr vom Rio Negro mehrere Stunden mitten in den Stromschnellen, um unser Canoe zu erwarten. Der Strom scheint zu einem großen Theil trocken zu liegen. Granitblöcke sind auf einander gehäuft, wie in den Moränen, welche die Gletscher in der Schweiz vor sich her schieben. Ueberall stürzt sich der Fluh in die Höhlen hinab, und in einer dieser Höhlen hörten wir das Wasser zugleich über unsern Köpfen und unter unsern Füßen rauschen. Der Orinoco ist wie in eine Menge Arme oder Sturzbäche getheilt, deren jeder sich durch die Felsen Vahn zu brechen sucht. Man muß nur staunen, wie wenig Wasser man im Flußbett sieht, über die Menge Wasserstürze, die sich unter dem Boden verlieren, über den Donner der Wasser, die sich schäumend an den Felsen brechen. Cuncta fremunt undis; ac multo murmure montis Spumen8, invictis canescit fluctibus amnis.* Ist man über den Raudal Iavariveni weg (ich nenne hier nur die wichtigsten der Fülle), so kommt man zum Raudal Cllnucari, der durch eine Felsbank zwischen den Inseln Suruvamana und Uirapuri gebildet wird. Sind- die Dämme oder natürlichen Wehre nur zwei, drei Fuß hoch, so wagen es die Indianer im Canoe hinabzufahren. Fluß aufwärts ' Lucan. Pharsal. X. <32. MS schwimmen sie voraus, bringen nach vielen vergeblichen Versuchen ein Seil um eine der Felsspitzen über dem Damm und ziehen das Fahrzeug am Seil auf die Höhe des Raudals. Wahrend dieser mühseligen Arbeit füllt sich das Fahrzeug häufig mit Wasser: anderemale zerschellt es an den Felsen, und die Indianer, mit zerschlagenem, blutendem Körper, reißen sich mit Noth aus dem Strudel und schwimmen an die nächste Insel. Sind die Felsstaffeln oder Schwellen sehr hoch und versperren sie den Stlom ganz, so schafft man die leichten Fahrzeuge ans Land, schiebt Baumäste als Walzen darunter und schleppt sie bis an den Punkt, wo der Fluß. wieder schiffbar wird. ^ Bei Hochwasser ist solches selten nöthig. Spricht man von den Wasserfällen des Orinoco, so denkt man von selbst an die Art und Weise, wie man in alter Zeit über die Katarakten des Nil herunterfuhr, wovon uns Seneca 2 eine Beschreibung hinterlassen hat, die poetisch, aber schwerlich richtig ist. Ich führe nur eine Stelle an, die vollkommen vergegenwärtigt, was man in Atures, Maypures und in einigen Pongos des Ama-zonenstroms alle Tage sieht. „Je zwei miteinander besteigen kleine Nachen, und einer lenkt das Schiff, der andere fchöpft es aus. Sodann, nachdem sie unter dem reißenden Toben des Nil und den sich begegnenden Wellen tüchtig herumgeschaukelt worden sind, halten sie sich endlich an die seichtesten Kanüle, durch die sie den Engpässen der Felsen entgehen, und mit ' ^s«>5lran6a II, ?ic<>ßug. Von diesem Wort 2r28ll»l, auf dem Boden ziehen, lommt del spanische Ausdruck: ^i-ilslriKlel-o, Tlageplah, I'dl'lÄße. - >»t. l)u«e«l. I.. IV. c. 2. 246 der ganzen Strömung niederstürzend, lenken sie den schießenden Nachen." In den hydrographischen Beschreibungen der Länder werden meistens unter den unbestimmten Benennungen: ^68itc>8, Okoi-ros, konßos, <1ai68; (Ün,t8rnot65, (ÜL3e»668, Okütes, liapicisL; Wasserfälle, Wasserstürze, Stromschncllen," stürmische Bewegungen der Wasser zusammengeworfen, die durch sehr verschiedene Bodenbildungen hervorgebracht werden. Zuweilen stürzt sich ein ganzer Fluß aus bedeutender Höhe in Einem Falle herunter, wodurch die Sckiff-fahrt völlig unterbrochen Md. Dahin gehört der prächtige Fall des Rio Tequendama, den ich in meinen Vues 6e» Onr-tjMres abgebildet habe; dahin die Fälle des Niagara und der Rheinfall, die nicbt sowohl durch ibre Höhe als durch die Wasscrmasse bedeutend sind. Anderemale liegen niedrige Steindämme in weiten Abständen hinter einander und bilden getrennte Wasserfalle: dahin gehören die Cachoeiras des Rio Negro und des Rio de la Madeira, die Saltos des Rio Cauca und die meisten Pongos im obern Nmazonenstrom zwischen dem Einfluß des Chinchipe und dcm Dorfe San Borja. Der höchste und gefährlichste dieser Pongos, den man auf Flößen herunter fährt, der bei Mayasi, ist übrigens nur drei Fuß hoch. Noch anderemale liegen kleine Steindämme so nahe an einander, daß sie auf mehrere Meilen Erstreckung cine ununterbrochene Reihe von Fällen und Strudeln, (ükorros und liemolindL, bilden, und dieß nennt man eigentlich linudgles, Lt>piät:8, Stromschncllcn. Dabin gehören die Vellalas, die Etromschnellen des Zaire- oder Congoflusses, mit denen 247 uns Cavitän Tuckey kürzlich bekannt gemacht hat; die Stromschnellen des Orangeflusses in Afrika oberhalb Pella, und die vier Meilen langen Fülle des Missouri da, wo der Fluß aus den Rocky Mountains hervorbricht. Hieher gehören nun auch die Fälle von Atures und Maypures, die einzigen, die, im tropischen Erdstrich der neuen Welt gelegen, mit einer herrlichen Palmenvegetation geschmückt sind. Zu allen Jahreszeiten gewähren sie den Anblick eigentlicher Wasserfalle und hemmen die Schifffahrt auf dem Orinoco in sehr bedeutendem Grade während die Stromschnellen des Ohio und in Oberegvpten zur Zeit der Hochgewässer kaum sichtbar sind. Ein vereinzelter Wasserfall, wie der Niagara oder der Fall bei Term, gibt ein herrliches Bild, aber nur Eines,' er wird nur anders, wenn der Zuschauer seinen Standpunkt verändert; Stromschncllen dagegen, namentlich wenn sie zu beiden Seiten mit großen Bäumen besetzt sind, machen eine Landschaft meilenweit schön. Zuweilen rührt die stürmische Bewegung des Wassers nur daher, daß die Strombetten sehr eingeengt sind. Dahin gehört die Angostura de Carare im Magdalenenfluß, ein Engpaß, der dem Verkehr zwischen Santa Fe de Bogota und der Küste von Carthagena Eintrag thut,-dahin gehört der Pongo von Manseriche im obern Amazonen-ftrom, den La Cvndamine für weit gefährlicher gehalten hat, als er in Wahrheit ist, und den der Pfarrer von San Borja hinauf muß, so oft er im Dorfe San Dago eine Amtsverrichtung hat. Der Orinoco, der Rio Negro und fast alle Nebenflüsse des Amazonenstromes oder Maranon haben Fälle oder Strom« schnellen entweder in der Nähe ihres Ursprungs durch Borge laufen, oder weil sie auf der mittleren Strecke ihres Laufs 248 auf andere Verge stoßen. Wenn, wie oben bemerkt, die Wasser des Amazonenstroms vom Ponqo von Manseriche bis zu seiner Mündung, mehr als 750 Meilen weil, nirgends heftig aufgeregt sind, so verdankt er diesen ungemein großen Vortheil dem Umstand, daß er immer die gleiche Richtung einhält. Er stießt von Ost nach West über eine weite Ebene, die gleichsam ein Längenthal zwischen der Bergkette der Parime und dem großen brasilianischen Gebirgsstock bildet. Zu meiner Ueberrasch ung ersah ich aus unmittelbarer Messung, daß die Stromschnellen des Orinoco, deren Donner man über eine Meile weit hört, und die durch die mannigfaltige Vercheilung von Wasser, Palmbäumen und Felsen so ausnehmend malerisch sind, in ihrer ganzen Länge schwerlich mehr als 26 Fuß senkrechte Höhe haben. Bei näherer Ueberlegung zeigt es sich, daß dieß für Stromschnellen viel ist, während es für einen einzelnen Wasserfall schr wenig wäre. Vei den Yellalas im Congofluß, in der Einschnürung seines Bettes zwischen Banza Noki und Vanza Inga, ist der Höhenunterschied zwischen den obern und den untern Staffeln weit bedeutender; Barrow bemerkt aber, daß sich hier unter den vielen Stromschnellen ein Fall findet, der allein 30 Fuß hoch ist. Andererseits haben die vielberufenen Pongos im Amazonenstrom, wo die Bergfahrt so gefährlich ist, die Fälle von Rentama, Escurrebragas und Mayasi, auch nur ein Paar Fuß senkrechte Höhe. Wer sich mit Wasserbauten abgibt, weiß, welche Wirkung in einem grvßen Flusse eine Schwellung von 18—20 Zoll hat. Das Toben des Wassers und die Wirbel werden überall keineswegs allein von der Höhe der einzelnen Fälle bedingt, sondern 249 vielmehr davon, wie nahe die Fälle hinter einander liegen, ferner vom Neigungswinkel der Felsendämme, von den sogenannten Igmks 66 rMexion, die in einander stoßen und über einander weggehen, von der Gestalt der Inseln und Klippen, von der Richtung der Gegenströmungen, von den Krümmungen und engcn Stellen in den Kanälen, durch die das Wasser von einer Staffel zur andern sich Vahn bricht. Von zwei gleich breiten Flüssen kann der eine Fälle haben, die nicht so hoch sind als die des andern, und doch weit gefährlicher und tobender. Meine obige Angabe über die senkrechte Höhe der Naudales des Orinoco lautet nicht gnnz bestimmt, und ich habe damit auch nur eine Grenzzahl gegeben. Ich brachte den Barometer auf die kleine Ebene bei der Mission Aturcs und den Katarakten, ich konnte aber keine conftantcn Unterschiede beobachten. Bekanntlich wud die darometnsche Messung sehr schwierig, wenn es sich von ganz unbedeutenden Höhenunterschieden handelt. Turch kleine Unregelmäßigkeiten in der stündlichen Schwankung (Unregelmäßigkeiten, die sich mehr auf das Maaß der Schwankung als auf den Zeitpunkt beziehen) wird das Ergebniß zweifelhaft, wenn man nicht an jedem der beiden Standpunkte ein Barometer hat, und wenn man Unterschiede im Luftdruck von einer halben Linie auffassen soll. Wahrscheinlich wird die Wasscrmasse des Stromes durch die Kataralten geringer, nicht allein weil durch das Zerschlagendes Wassers in Tropfen die Verdunstung gesteigert wird, sondern auch, und hauptsächlich, weil viel Wasser in unterirdische Höhlungen veismkl. Dieser Verlust ist übrigens nicht sehr auffallend, wenn man die Wasscrmasse da, wo sie in die Raudales 250 eintritt, mit der vergleicht, welche beim Einfluß des Rio Ana-veni davon wegzieht. Durch eine solche Verglcichung hat man gefunden, daß unter den Delladas oder Raudales des Congo-flusses unterirdische Höhlungen liegen müssen. Im Pongo von Mansericbe, der vielmehr eine Stromenge als ein Wasscrfall heißen sollte, verschwindet auf eine noch nichtgehörig ermittelte Weise das Wasser des obern Amazonenstroms zum Theil mit all seinem Treibholz. Sitzt man am Ufer des Orinoco und betrachtet die Fels« dämme, an denen sich der Strom donnernd bricht, so fragt man sich, ob die Fälle im Lauf der Jahrhunderte nach Gestaltung und Höhe sich verändern werden. Ich bin nicht sehr geneigt, dem Stoß des Wassers gegen Gianitblöcke und dem Zerfressen kieselhaltigen Gesteins solche Wirkungen zuzuschreiben. Die nach unten sich verengenden Locher, die Trichter, wie man sie in den Röudales und bei so vielen Wasserfällen in Europa antrifft, entstehen nur durch die Reibung des Sandes und das Rollen der Quarzgeschiebe. Wir haben solche Geschiebe gesehen, welche die Strömung am Boden der Trichter beständig hcrumwirbelt und diese dadurch nach allen Durchmessern erweitert. Die Pongos des Amazonenstroms sind leicht zerstörlich, da die Fclsdümme nicht aus Granit bestehen, sondern aus Conglomerat, aus rothem, grobkörnigem Sandstein. Der Pongo von Nentama stürzte vor 80 Jahren theilweise ein, und da sich das Wasser hinter eincm neu gebildeten Damm staute, so lag das Flußbett ein paar Stunden trocken, zur großen Verwunderung der Einwohner dcs Dorfes Puyaya, sieben Meilen unter dem eingestürzten Pongr. Die Indianer in Atures versichern (und diese Aussage 251 widerspricht der Ansicht des Paters Caulin), die Felsen im Raudal haben immcr dasselbe Ausseben, aber die einzelnen Strömungen, in die der große Strom zerschlagen wird, ändern beim Durchgang durch die aufgehäuften Granitblöcke ihre Richtung und werfen bald mehr, bald weniger Wasser gegen das eine oder das andere Ufer. Die Ursachen dieses Wechsels können den Katarakten sehr ferne liegen: denn in den Flüssen, die auf der Erdoberfläche Leben verbreiten, wie die Adern in den organischen Körpern, pflanzen sich alle Bewegungen weithin fort. Schwingungen, die Anfangs ganz lokal scheinen, wirken auf die ganze flüssige Masse im Stamm und den vielen Verzweigungen desselben. Ich weiß wohl, daß, vergleicht man den heutigen Zustand der Stromschnellen bei Svene, deren einzelne Staffeln kaum sechs Zoll hoch sind, ^ mit den großartigen Beschreibungen der Alten, man leickt geneigt ist, im Nilbett die Wirkungen der Auswaschungen, überhaupt die gewaltigen Einflüsse des strömenden Wassers zu erblicken, ans denen.man in der Geologie lange die Bildung der Thäler und die Zerrissenheit des Bodens in den Cordilleren befriedigend erklären zu können meinte. Diese Ansicht wird durch dcn Augenschein keineswegs unterstützt. Wir stellen nicht in Abrede, daß die Ströme, überhaupt fließende Wasser, wo sie in zerreibliches Gestein, in secundäre Gebirgs-formationen einschneiden, bedeutende Wirkungen ausüben. Aber ' Der Ehellal zwischen Philä und Syene hat zehn Staffel», die zusammen einen 5 bis ? Fuß hoben Fall bilden, je nach dem tiefen oder hohen Wasserstand de« Nil. Der Fall ist 30N Toisen lang. 232 die Granitfelsen bei Elepbaniine haben wahrscheinlich seit Taufenden von Jahren an absoluter Höhe so wenig abgenommen, als der Gipfel des Montblanc und des Canigou. Hat man die großen Naturscenerien in verschiedenen Klimate» selbst gesehen, so sieht man sich zu der Anschauung gedrängt, daß jene tiefen Spalten, jene hoch aufgerichteten Schichten, jene zerstreuten Blöcke, all die Spuren einer allgemeinen Umwälzung Wirtungen außergewöhnlicher Ursachen sind, die mit denen, welche im gegenwärtigen Zustand der Ruhe und des Friedens an der Erdoberfläche thätig sind, nichts gemein haben. Was das Wasser durch Auswaschung vom Granit wegführt, was die feuchte Luft am harten, nicht verwitterten Gestein zerstört, entzieht sich unsern Sinnen fast ganz, und ich kann nicht glauben , daß, wie manche Geologen annehmen, die Gipfel der Alpen und der Pyrenäen niedriger werden, weil die Gcfchicbe sich in den Gründen am Fuße der Gebirge aufhäufen. Im Nil wie im Orinoco können die Stromschnellen einen geringeren Fall bekommen, ohne daß die Fclsdämme merkbar anders werden. Die relative Höhe der Fälle kann durch die Anschwemmungen, die sich unterhalb der Stromschnellen bilden, abnehmen. Wenn auch diese Betrachtungen einiges Licht über die anziehende Erscheinung der Katarakten verbreiten, so sind damit die übertriebenen Beschreibungen der Stromschnellen bei Svene, welche von den Alten ^ auf uns gekommen, allerdings nicht l Auszunchme» ift Etrabo, dessen Beschreibung eben so einfach al« genau erscheint. Nach ihm hätte seit dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Schnelligkeit de« Waffeisturzes abgenommen und seine Richtung sich verändert. Damals ging man dcu Chrllal 253 begreiflich zu machen. Sollten sie aber nicht vielleicht auf diesen untern Wasserfall übertragen haben, was sie vom Hörensagen von dcn obern Fällen des Flusses in Nubien und Dongola wußten, die zahlreicher und gefährlicher sind? ^ Syene lag an der Grenze des römischen Reichs, 2 fast an der Grenze der bekannten Welt, und im Naume, wie in den Schöpfungen des menschlichen Geistes fangen die phantastischen Vorstellungen an, wo die klaren Begriffe aufhören. Die Einwohner von Atures und Mayftures werden, was auch die Missionäre in ihren Schriften sagen mögen, vom Tosen der großen Katarakte so wenig taub als die Catadupen am Nil. Hört man das Getöse auf der Ebene bei der Mission, eine starke Meile weit, so glaubt man in der Nähe einer felsig ten Meeresküste mit starker Braudung zu seyn. Es ist bei Nacht dreimal stärker als bei Tag und gibt dem einsamen Ort unaussprechlichen Reiz. Woher mag wohl diese Verstärkung des Schalls in einer Einöde rühren, wo sonst nichts das Schweigen der Natur zu unterbrechen scheint? Die Geschwindigkeit der Fortpflanzung des Schalls nimmt mit der Abnahme der Temperatur nicht zu, sondern vielmehr ab. Der Schall wird schwächer, wenn ein der Richtung desselben entgegengesetzter Wind weht, auf beiden Seiten hinauf, gegenwärtig ist mir auf Einer Seite eine Wasserstraße: der Katarakt ist also eher schwerer befahrbar geworden. ' Hatten wohl die Alten eine dunkle Kunde vou den großen Katarakten des östlichen oder blauen Nil zwischen Fazuclo und Alata, die über 200 Fuß hoch sind? ' süllustril imperil ,mn8 /9,nouäc)3 l^6 rm zu Muthe seyn, als hätte er die Oiltä dolents betreten, als ständen an den Felswänden beim Baraguan die merkwürdigen Verse aus dem dritten Buch der Hölle geschrieben: Noi sem venuti al luogo, ovYfho detto Che tu vedrai le genti dolorose.1 Die tiefen Luftschichten vom Boden bis zu 15—20 Fuß Höhe sind mit giftigen Insekten wie mit einem dichten Dunste angefüllt. Stellt man sich an einen dunkeln Ort, z. B. in die Höhlen, die in den Katarakten durch die aufgechürmten Granitblöcke gebildet werden, und blickt man gegen die von der Sonne beleuchtete Oeffnung, so sieht man Wolken von 1 Inferno. C. ill. 16. 272 Moskitos, die mehr oder weniger dicht werden, je nachdem die Thierchen bei ihren langsamen nnd taktmäßigen Bewegungen sich zusammen- oder auseinanderziehen. In der Mission San Borja hat man schon mehr von den Moskitos zu leiden als in Canchana; aber in den Naudales, in Ntures, besonders aber in Mayvures erreicht die Plage so zu sagen ihr Maximum. Ich zweifle, daß es ein Land auf Erden gibt, wo der Mensch grausamere Qualen zu erdulden hat als hier in der Regenzeit. Kommt man über den fünften Vrcitegrad hinauf, wird man etwas weniger zerstochen, aber am obern Orinoco sind die Sliche schmerzlicher, weil bei der Hitze und der völligen Windstille die Luft glühender ist und die Haut, wo sie dieselbe be« rührt, mehr reizt. „Wie gut muß im Mond wohnen seyn!" sagte ein Saliva-Indianer zu Pater Gumilla. „Er ist so schön und hell, daß es dort gewiß keine Moskitos gibt." Diese Worte, die dem Kindesaltcr eines Volkes angeboren, sind sehr merkwürdig. Ueberall ist der Trabant der Erde für den wilden Amerikaner der Wohnplah der Seligen, das Land des Ueberflusses. Der Eskimo, für den eine Planke, ein Baumstamm, den die Strömung an eine Pflanzenlose Küste geworfen, ein Schatz ist, sieht im Monde waldbedeckte Ebenen; der Indianer in den Wäldern am Orinoco sieht darin kable Savancn, deren Bewohner nie von Moskitos gestochen werden. Weiterhin gegen Süd, wo das System der braungelben Gewässer beginnt, gemeinhin schwarze Wasser, a^uas U6FI-N8 genannt, an den Ufern des Atabapo, Temi, Tua-mini und des Rio Negro genossen wir cmcr Nuhe, ich hätte 273 bald gesagt eines Glücks, wie wir es gar nicht erwartet hatten. Dicse Flüsse laufen, wie der Orinoco, durch dichte Wälder' aber die Schnaken wie die Krokodile halten sich von den „schwarzen Wassern" ferne. Kommen vielleicht die Larven und Nymphen der Tipulä und Schnaken, die man als eigentliche Wasserthiere detrackten kann, in diesen Gewässern, die ein wenig kühler sind als die weißen und sich chemisch anders verhalten, nicht so gut fort? Einige kleine Flüsse, dcren Wasser entweder dunkel« blau oder braungelb ist, der Toparo, Matavem und Zama machen eine Ausnahme von der sonst ziemlich allgemeinen Regel, daß es über „schwarzem Wasser" kcine Moskitos gibt. An jenen drei Flüssen wimmelt es davon, und selbst die Indianer machten uns auf die räthselkafte Erscheinung aufmerksam und liehen lins über deren Ursachen nachdenken. Beim Herabfahren auf dem Rio Negro athmeten wir frei in den Dörfern Maroa, Davipe und San Carlos an der brasilianischen Grenze; allein diese Erleichterung unserer Lage war von kurzer Dauer und unsere Leiden begannen von neuem, sobald wir in den Cassi-quiare kamen. In Esmeralda, am östlichen Ende« des obern Orinoco, wo die den Spaniern bekannte Welt ein Ende hat, sind die Moskitowolkcn fast so dick wie bei den großen Katarakten. In Mandavaca fanden wir einen alten Missionär, der mit jammervoller Miene gegen uns äußerte: er habe seine zwanzig Moskitojahre auf dem Rücken ()"« wnzo mis veuto anas 6e mobility«). Er forderte uns auf, seine Beine genau zu betrachten, damit wir eines Tags „por alln^ (über dem Meer) daron zu sagen wüßten, was die armen Missionare in den Wäldern am Cassiquiare auszustehen haben. Da jeder Humboldt, «clsl. IV. 18 274 Stich einen kleinen schwarzbraunen Punkt zurückläßt, waren seine Beine dergestalt gefleckt, daß man vor Flecken geronnenen Blutes kaum die weiße Haut sah. Auf dem Cassiquiare, der weißes Wasser hat, wimmelt es von Mücken aus der Gattung Limuüum, aber die Zancudos, der Gattung Oulex angehörig, sind desto seltener- man sieht fast keine, während auf den Flüssen mit schwarzem Wasser meist einige Zancudos, aber ieine Moskitos vorkommen. Wir haben schon oben bemerkt, daß wenn bei den kleinen Revolutionen im Schooße des Ordens der Observanten der Pater Gardian sich an einem Laienbruder rächen will, er ihn nach Esmeralda schickt; er wird damit verbannt, oder, wie der muntere Ausdruck der Ordensleute lautet, zu den Moskitos verurtheilt. Ich habe hier nach meinen eigenen Beobachtungen gezeigt, daß in diesem Labyrinth weißer und schwarzer Wasser die geographische Vertheilung der giftigen Insekten eine sehr ungleichförmige ist. Es wäre zu wünschen, daß ein tüchtiger Entomolog an Ort und Stelle die specifischen Unterschiede dieser bösartigen Insekten, die trotz ihrer Kleinheit in der heißen Zone eine bedeutende Rolle im Haushalt der Natur spielen, beobachten könnte. Sehr merkwürdig schien uns der Umstand, der auch allen Missionären wohl bekannt ist, daß die verschiedenen Arten nicht untereinander fliegen, und daß man zu verschiedenen Tagesstunden immer wieder von andern Arten gestochen wird. So oft die Scene wechselt, und ehe, nach dem naiven Ausdruck der Missionäre, andere Insekten „auf die Wache ziehen," hat man ein paar Minuten, oft eine Viertel« stunde Ruhe. Nach dem Abzug der einen Insekten sind die 275 Nachfolger nicht sogleich in gleicher Menge zur Stelle. Von sechs ein halb Uhr Morgens bis fünf Uhr Abends wimmelt die Lust von Moskitos, die nicht, wie in manchen Reisebeschreibungen zu lesen ist, unsern Schnaken,' sondern vielmehr einer kleinen Mücke gleichen. Es sind dieß Arten der Gattung Zimulium aus der Familie der Nemoceren nach Latreillcs System. Ihr Stich hinterläßt einen kleinen braunrothen Punkt, weil da, wo der Rüssel die Haut durchbohrt hat, Vlut ausgetreten und geronnen ist. Eine Stunde vor Sonnenuntergang werden die Moskitos vpn einer kleinen Schnakenart abgelöst, ^timpi-auei-os 2 genannt, weil sie sich auch bei Sonnenaufgang zeigen i sie bleiben kaum anderthalb Stunden und verschwinden zwischen sechs und sieben Uhr Abends, oder, wie man hier sagt, nach dem Angel us (» la oi-ntion). Nach einigen Minuten Ruhe fühlt man die Stiche der Zancudos, einer andern Schnatcnart (Oulex) mit sehr langen Füßen. Der Zancudo, dessen Rüssel eine stechende Saugröhre enthält, verursacht die heftigsten Schmerzen und die Geschwulst, die dem Stiche folgt, hält mehrere Wochen an: sein Sumsen gleicht dem unserer europäischen Schnaken, nur ist es stärker und anhaltender. Die Indianer wollen Zancudos und Temvranervs „am Gesang" unterscheiden können,- letztere sind wahre Dämme rungsin selten, während die Zancudos ' 5ulol pipiens. Dieser Unterschied zwischen klozquilo (kleine Mücke, simuliu.n) ,md X»n6o (Schnall, (ulex) besteht in allen spanischen Colonien. Das Wort Xuncuä« bedeutet „Langfuß," qui tiene lu5 2«n<:ll5 lui^"». u , Die früh auf sind," lrmpruuu. 276 meist Nachtinfekten sind und mit Sonnenaufgang verschwinden. Auf der Reise von Carthagena nach Santa Fe de Bogota machten wir die Beobachtung, daß zwischen Momvor und Honda im Thal des großen M.igdalcnenflusses die Zancudos zwischen acht Uhr Abends und Mitternacht die Luft verfinstern, gegen Mitternacht abnehmen, sich drei, vier Stunden lang verkriechen und endlich gegen vier Uhr Morgens in Menge und voll Heißhunger wieder erscheinen. Welches ist die Ursache dieses Wechsels von Bewegung und Nuhe? Werden die Thiere vom langen Fliegen müde? Am Orinoco sieht man bei Tciq sehr selten wahre Schnaken, während man auf dem Magda-lenenstrom Tag und Nacht von ihnen gestochen wird, nur nicht von Mittag bis zwei Uhr. Ohne Zweifel sind die Zancudos beider Flüsse verschiedene Arten; werden etwa die zusammengesetzten Augen der einen Art vom starken Sonnenlicht mehr angegriffen als die der andern? Wir haben gesehen, daß die tropischen Insekten in den Zeitpunkten ihres Auftretens und Verschwindens überall einen gewissen T^pus befolgen. In derselben Jahreszeit und unter derselben Breite erhält die Luft zu bestimmten, nie wechselnden Stunden immer wieder eine andere Bevölkerung: und in einem Erdstrich, wo der Barometer zu einer Uhr wird, ^ wo Alles mit so bewundernswürdiger Regelmäßigkeit auf einander folgt, könnte man beinahe am Sumsen der Insekten und an den Stichen, die je nach der Art des Giftes, das jedes Insekt in ' Durch die ausnehmende Regelmäßigkeit im stündlichen Wechsel des Luftdrucks. 277 der Wunde zurückläßt, wieder anders schmerzen, Tag und Nacht mit verbundenen Augen errathen, welche Zeit es ist Zur Zeit, da die Thier- und Pflanzcngeographie noch keine Wissenschaft war, warf man häusig verwandte Arten aus verschiedenen Himmelsstrichen zusammen. In Japan, auf dem Rücken der Anden und an der Magellanschen Meerenge glaubte man die Fichten und die Ranunkeln, die Hirsche, Nalten und Schnaken des nördlichen Europa wieder zu finden. Hochverdiente, berühmte Naturforscher glaubten, der Marin-gouin der heißen Zone sey die Schnake unserer Sümpfe, nur kräftiger, gefräßiger, schädlicher in Folge des heißen Klimas; dieß ist aber ein großer Irrthum. Ich habe die Zancudos, von denen man am ärgsten gequält wird, an Ort m:d Stelle sorgfältig untersucht und beschrieben. Im Magdalenenfluß und im Guayaquil gibt es allein fünf ganz verschiedene Arten. Die Culer arten in Südamerika sind meist geflügelt, Bruststück und Füße sind blau, geringelt, mit metallisch glänzenden Flecken und daher schillernd. Hier, wie in Europa, sind die Männchen, die sich durch ihre gefiederten Fühlhörner auszeichnen, sehr selten; man wird fast immer nur von Weibchen gestochen. Aus dem großen Uebergewicht dieses Geschlechts erklärt sich die ungeheure Vermehrung der Art, da jedes Weibchen mehrere hlindert Eier legt. Fährt man einen der großen amerikanischen Ströme hinauf, so bemerkt man, daß sich ans dem Auftreten einer neuen Culerart schließen läßt, daß bald wieder ein Nebenfluß hereinkommt. Ich führe ein Beispiel dieser merkwürdigen Erscheinung an. Dcu Oulsx Iin6ätu8, dessen Heimath der Ecmo Tamalameque ist, trifft man im Thal des Magdalencn- 278 stroms nur bis auf eine Meile nördlich vom Zusammenfluß der beiden Gewässer an: derselbe geht den großen Strom hinauf, aber nicht hinab: in ahnlicher Weise verkündigt in einem Hauptgang das Auftreten einer neuen Substanz in der Gang-masse dem Bergmann die Nähe eines secundüren Ganges, der sich mit jenem verbindet. ' Fassen wir die hier mitgetheilten Beobachtungen zusammen, so sehen wir, daß unter den Tropen die Moskitos und Marin-gouins am Abhang der Cordilleren ^ nicht in die gemäßigte Region hinaufgehen, wo die mittlere Temperatur weniger als 19—20 Grad beträgt; 2 daß sie mit wenigen Ausnahmen die schwarzen Gewässer und trockene, baumlose Landstriche mcidcn. Am obern Orinoco finden sie sich weit massenhafter als am untern, weil dort der Strom an seinen Ufern dicht bewaldet ist und kein weiter kahler Uferstrich zwischen dem Fluß und dem Waldsaum liegt. Mit dem Seichterwerden der Gewässer und der Ausrodung der Wälder nehmen die Moskitos auf dem neuen Continent ab; aber alle diese Momente sind in ihren Wirkungen so langsam als die Fortschritte des Anbaus. Die Städte Angostura, Nueva Barcelona und Mom-pox, wo schlechte Polizei auf den Straßen, den Plätzen und ' Der europäische dulex pii,i«n8 meidet d5« Gebirgsland nicht, wie die Culeiarten der heißen Zone Amerikas. Giesecke wurde in Disco in Grönland unter dem ?N. Vreitcgrad von Schnaken geplagt. In Lappland kommt die Schnake im Sommer in 3N0—.'n vom Bären, der mit seiner Tatze die Fliegen auf der Stirne seines schlafenden Herrn todtschlägt. Bei Maypures sahen wir junge Indianer im Kreise sitzen und mit am Feuer getrockneter Baumrinde einander grausam den Rücken zerreiben. Mit einer Geduld, deren nur die kupferfarbige Nace fäl'ig ist, waren indianische Weiber beschäftigt, mit einem fpitzen Knochen die kleine Masse geronnenen Bluts in der Mitte jeden Stichs, die der Haut ein geflecktes Aussehen gibt/ auszustechen. Eines der barbarischsten Völker am Orinoco, die Ottomacas, kennt den Gebrauch der Uo8quit6lO8 (Fliegennetze), die aus den Fasern der Murichi-palme gewoben werden. Wir haben oben gesehen, daß die Farbigen in Higuerote an der Küste von Caracas sich zum Schlafen in den Sand graben. In den Dörfern am Mag-dalenenfiuß forderten uns die Indianer oft auf, uns mit ihnen bei der Kirche auf der plaxa ßi'kwäs auf Ochsenhäute zu legen, man hatte daselbst allcs Vieh aus der Umgegend zusammen getrieben, denn in der Nähe desselben findet der Mensch ein wenig Ruhe. Wenn die Indianer am obern Orinoco und am Cassiquiare sahen daß Vonpland wegcn der unaufhörlichen Moskitoplage seine Wanzen nicht einlegen konnte, forderten sie ihn auf, m ihre «orniw« (Oefen) zu gehen. So heißen kleine Gemächer obne Thüre und Fenster, in die man durch eine ganz mednge Oeffnung auf dem Bauche kriecht. Mittelst eines Feuers von feuchtem Strauchwerk, das viel Rauch gibt, jagt man dle Insekten hinaus und verschließt dann die Oessnung des Ofens. Daß man jetzt die Moskitos los ist, ertauft man ziemlich theuer: 282 denn bei der stockenden Luft und dem Rauch einer Copalfackel, die den Ofen beleuchtet, wird es entsetzlich heiß darin. Von-pland hat mit einem Muth und einer Geduld, die das höchste Lob verdienen, viele hundert Pflanzen in diesen Hornitos der Indianer getrocknet. Die Mühe, die sich die Eingebornen geben, um die Infektenplage zu lindern, beweist hinlänglich, daß der kupferfarbige Mensch, trotz der verschiedenen Organisation seiner Haut, für die Mückenstiche empfindlich ist, so gut wie der Weiße: aber, wir wiederholen es, beim ersteren sckeint der Schmerz nicht so stark zu seyn und der Stich hat nicht die Geschwulst zur Folge, die mehrere Wochen lang fort und fort wiederlehrt, die Reizbarkeit der Haut steigert und empfindliche Personen in den fieberhaften Zustand versetzt, der allen Ausschlagskrankheiten eigen ist. Die im tropischen Amerika geborenen Weißen und die Europäer, die sehr lange in den Missionen in der Nähe der Wälder und an dsn großen Flüssen gelebt, haben weit mehr zu leiden als die Indianer, aber unendlich weniger als frisch angekommene Europäer. Es kommt also nicht, wie manche Reisende behaupten, auf die Dicke der Haut an, ob der Stich im Augenblick, wo man ihn erhält, mehr oder weniger schmerzt, und bei den Indianern tritt nicht deßhalb weniger Geschwulst und Entzündung ein, weil ihre Haut eigenthümlich organisirt isti vielmehr hängen Grad und Dauer des Schmerzes von dcr Reizbarkeit des Nervensystems der Haut ab. Die Reizbarkeit wird gesteigert durch sehr warme Bekleidung, durch den Gebrauch geistiger Getränke, durch das Kratzen an den Stichwunden, endlich, und diese physiologische Bemerkung beruht 283 auf meiner eigenen Erfahrung, durch zu häufiges Baden. An Orten, wo man in den Fluß kann, weil keine Krokodile darin sind, machten Bonpland und ich die Erfahrung, daß das Baden, wenn man es übertreibt, zwar den Schmerz der alten Schnakenstiche linderte, aber uns für neue Stiche weit empfind» licher machte. Badet man mehr als zweimal täglich, so versetzt man die Haut in einen Zustand nervöser Reizbarkeit, von dem man sich in Europa keinen Begriff machen kann. Es ist einem, als zöge sich alle Empfindung in die Hautdecken. Da die Moskitos und die Schnaken zwei Dritttheile ihres Lebens im Wasser zubringen, so ist es nicht zu verwundern, daß in den von großen Flüssen durchzogenen Wäldern diese bösartigen Insekten, je weiter vom Ufer weg, desto seltener werden. Sie scheinen sich am liebsten an den Orten aufzuhalten, wo ihre Verwandlung vor sich gegangen ist und wo sie ihrerseits bald ihre Eier legen werden. Daher gewöhnen sich auch die wilden Indianer (Inckos monteros) um so schwerer an das Leben in den Missionen, da sie in den christlichen Niederlassungen eine Plage auszustehen haben, voi, der sie daheim im innern Lande fast nichts wissen. Man sah m Maypures, Aturcs, Esmeralda Eingeborene ni monte (m die Wälder) laufen, einzig aus Furcht vor den Moskitos, wder sind gleich Anfangs alle Missionen am Orinoco zu nahe am Flusse angelegt worden. In Esmeralda versicherten uns dte Einwohner, wenn man das Dorf auf eine der schönen Ebenen um oie hohen Berge des Duida und Maraguaca verlegte, so könnten sie freier athmen und fänden einige Ruhe. 1^ nuno äe M08M8, die Mückenwolke - so sagen d.e Mönche - 284 schwebt nur über dem Orinoco und seinen Nebenflüssen: die Wolke zertheilt sich mehr und mehr, wenn man von den Flüssen weggeht, und man machte sich eine ganz falsche Vorstellung von Guyana und Brasilien, wenn man den großen, 400 Meilen breiten Wald zwischen den Quellen der Madeira und dem untern Orinoco nach den Flußthälern beurtheilte, die dadurck hinziehen. Man sagte mir, die kleinen Insekten aus der Familie der Nemocercn wandern uon Zeit zu Zeit, wie die gesellig lebenden Affen der Gruppe der Alouaten. Man sieht an gewissen Orten mit dem Eintritt der Regenzeit Arten erscheinen, deren Stich man bis dahin nicht empfunden. Auf dem Magdalenen-fl:iß erfuhren wir, in Simiti habe man früher keine andere Culexart gekannt als den Iejen. Man hatte bei Nacht Ruhe, weil der Iejen kcin Nachtinsekt ist. Seit dem Jahr 1801 aber ist die große Schnake mit blauen Flügeln (lüulex o^auopterus) in solchen Massen erschienen, daß die armen Einwohner von Simiti nicht wissen, wie sie sich Nachtruhe verschaffen sollen. In den sumpfigten Kanälen (esteroL) auf der Insel Baru bei Carthagena lebt eine kleine weißlichle Mücke, Cafasi genannt. Sie ist mit dem bloßen Auge kaum sichtbar und verursacht doch äußerst schmerzhafte Geschwülste. Man muß die Toldos oder Vaumwollengewebe, die als Mückennctze dienen, anfeuchten, damit der Cafasi nicht zwischen den gekreuzten Fäden durchschlüpfen kann. Dieses zum Glück sonst ziemlich seltene Insekt geht im Januar auf dem Canal oder Viqu6 von Mahates bis Morales hinauf. Als wir im Mai in dieses Dorf kamen, trafen wir Mücken der Gattung ßimulium und Zancudos an, aber keine Iejen mehr. 285 Kleine Abweichungen in Nahrung und Klima scheinen bei denselben Mücken- und Schnakenartcn auf die Wirksamkeit des Giftes, das die Thiere aus ihrem schneidenden «nd am untern Ende gezahnten Saugrüssel ergießen, Einfluß zu äußern. Am Orinoco sind die lästigsten, oder, wie die Crcolen sagen, die wildesten (los ma« serooes) Insekten die an den großen Katarakten, in Esmeralda und Mandavaca. Im Magalenen-strom ist der (üulex oMnoptslUZ besonders in Mompor, Cliil-loa und Tamalameque gefürchtet. Er ist dort größer und stärker und seine Beine sind schwärzer. Man kann sich des Lächelns nicht enthalten, wenn man die Missionäre über Größe und Gefräßigkeit der Moskitos m verschiedenen Strichen desselben Flusses streiten hört. Mitten in einem Lande, wo man gar nicht weiß, was in der übrigen Welt vorgeht, ist dieß das Lieblingsthema der Unterhaltung. „Wie sehr bedaure ich Euch!" sagte beim Abschied der Missionär aus den Raudalcs zu dem am Cassiquiare. „Ihr seyd allein, wie ich, in diesem Lande, der Tiger und der Assen; Fische gibt es hier noch weniger, und heißer ist es auch; was aber meine Mücken (mig mo8058) anbelangt, so darf ich mich rühmen, daß ich mit Einer von den meinen drei von den Eurcn schlage." Diese Gefräßigkeit der Insekten an gewissen Orten, diese Vlutgier, womit sie den Menschen anfallen, ^ die ungleiche ' Diese Gefräßiglcit, diese Blutgier bei kleinen Insekten. die so»st von Pflanzeusaften in einem fast unbewohnten Lande leben, hat allerdings etwas Auffallendes. „Was fräßen die Thiere, wenn wir nicht hier rorüberkämen?" sagen oft die <5rrolen auf dem Wege durch ein Land, wo es nur mit einem Echuppenpanzer bedeckte Krokodile und behaarte Affen gibt. 286 Wirksamkeit des Giftes bei derselben Art sind sehr merkwürdige Erscheinungen: es stellen sich ihnen jedoch andere aus den Classen der großen Thiere zur Seite. In Angostura greift das Krokodil den Menschen an, während man in Nueva Barcelona im Nio Neveri mitten untere diesen fleischfressenden Reptilien ruhig badet. Die Jaguars in Maturin, Cumana-coa und auf der Landenge von Panama sind feig denen am obern Orinoco gegenüber. Die Indianer wissen recht gut, daß die Affen aus diesem und jenem Thale leicht zu zähmen sind, während Individuen derselben Alt, die man anderswo fängt, liebcr Hungers sterben, als sich in die Gefangenschaft ergeben. Das Volk in Amerika hat sich hinsichtlich der Gefundheit der Gegenden und der Krankheitserfckeinungen Systeme gebildet, ganz wie die Gelehrten in Europa, und diese Systeme widersprechen sich, gleichfalls wie bei uns, in den verschiedenen Provinzen, in die der neue Continent zerfällt, ganz und gar. Am Magdalenenfiuß findet man die vielen Moskitos lästig, aber sie gelten für sehr gesund. „Diese Thirre," sagen die Leute, „machen uns kleine Aderlässe und schützen uns in einem so furchtbar heißen Land vor dem Tabardillo, dem Scharlachfieber und andern entzündlichen Krankheiten." Am Orinoco, dessen Ufer höchst ungesund sind, schreiben die Kranken alle ihre Leiden den Moskitos zu. „Diese Insekten entstehen aus der Fäulnih und vermehren sie,- sie entzünden das Blut (vioi«,u ^ inciendou In. 53,n^i6)." Der Voltsglaube, als wirkten die Moskitos durch örtliche Blutentziehung heilsam, braucht hi^r nicht widerlegt zu werden. Sogar in Europa wissen die Bewohner sumpftgter Länder gar wohl, daß die 287 Insekten das Hautsystem reizen, und durch das Gift, das sie in die Wunden bringen, die Funktionen desselben steigern. Durch die Stiche wird der entzündliche Zustand der Hautbcdeckung nicht nur nicht velmindcrt, sondern gesteigert. Die Menge der Schnaken und Mücken deutet nur insofern auf die Ungesundheit einer Gegend hin, als Entwicklung und Vermehrung dieser Insekten von denselben Ursachen abhängen, aus dencn Miasmen entstehen. Diese lästigen Thiere lieben einen fruchtbaren, mit Pflanzen bewachsenen Boden, stehendes Wasser, eine feuchte, niemals vom Winde bewegte Luft: statt freier Gegend suchen sie den Schatten auf, das Halbdunkel, den mittleren Grad von Licht, Wätmestoff und Feuchtigkeit, der dem Spiel chemischer Affinitäten Vorschub leistet und damit die Faulniß organischer Substanzen beschleunigt. Tragen die Moskitos an sich zur Ungesundheit der Luft bei? Bedenkt man, daß bis auf 3—4 Toiscn vom Bodcn im Cubitsuß Luft häusig eine Million geflügelter Insekten l enthalten ist, die eine ätzende giftige Flüssigkeit bei sich führen; daß mehrere Culer-arten vom Kopf bis zum Ende des Bruststücks (die Füße ungerechnet) i'/z Linien lang sind; endlich daß in dem Echnaien-und Mückenschwarm, ter wie *cin Rauch die Luft erfüllt, sich eine Menge todter Insekten lxfinden, die durch den aufsteigenden Luftstrmn, oder durch ,'eitliche, durch die ungleiche Erwärmung des Bodens «zeugte Ströme fortgerissen werden, so fragt man sich, ob eine folche Anhäufung von thierischen Stoffen in der Luft nicht zur örtlichen Bildung von Miasmen Anlaß ' Vei dieser Gelegenheit sl'll nur daran erinnert werden, daß be, Cublkfuß 2.885,984 Eudiklinie» enthält. 288 aeben muß?' Ick glaube diese Substanzen wirken anders auf die Luft als Sand und Staub; man wird aber gut thun, in dieser Beziehung keine Behauptung aufzustellen. Von den vielen Räthseln, welche das Ungesundseyn der Luft uns aufgibt, hat die Chemie noch keines gelöst; sie hat uns nur so viel gelehrt, daß wir gar Vieles nicht wissen, was wir vor fünfzehn Jahren Dank den sinnreichen Träumen der alten Eu-diometrie zu wissen meinten. Nicht so ungewiß und fast durch tägliche Erfahrung bestätigt ist der Umstand, daß am Orinoco, am Cafsiauiare, am Rio Caura, überall wo die Luft sehr ungesund ist, der Stich der Moskitos die Disposition der Organe zur Aufnahme der Miasmen steigert. Wenn man Monatelang Tag und Nacht von den Inselten gepeinigt wird, so erzeugt der beständige Hautreiz fieberhafte Aufregung und schwächt, in Folge des schon so frühe erkannten Antagonismus zwischen dem gastrischen und dem Hautsystem, die Verrichtung des Magens. Man fängt an schwer zu verdauen, die Entzündung der Haut veranlaßt profuse Schweiße, den Durst kann man nicht löschen, und auf die beständig zunehmende Unruhe folgt bei Personen von schwacher Constitution eine geistige Niedergeschlagenheit, in der alle vatho-genischen Ursachen sehr heftig einwirken. Gegenwärtig sind es nicht mehr die Gefahren der Schiffsahrt in kleinen Canoes, nicht die wilden Indianer oder die Schlangen, die Krokodile oder die Jaguars, was den Spaniern die Reise auf dem Orinoco bedcnklich macht, sondern nur, wie sie naiv sich ausdrücken, n«! 8u6ar ^ las M08028" (der Schweiß und die Mücken). Es ist zu hoffen, daß der Mensch, indem er die Bodenfläche 289 ungestaltet, damit auch die Beschaffenheit der Luft allmälig umändert. Die Insekten werden sich vermindern, wenn einmal die alten Bäume im Wald verschwunden sind und man in diesen öden Ländern die ^Stromufcr mit Dörfern besetzt, die Ebenen mit Weiden und Fruchtfelvern bedeckt sicht. Wer lange in von Moskitos heimgesuchten Länden: gelebt hat, wird gleich uns die Erfahrung g'macht haben, daß es gegen die Insektenplage kein Radicalmittel gibt. Die mit Onoto, Volus oder Schildkrötenfett beschmierten Indianer klatschen sich jeden Augenblick mit der flachen Hand auf Schultern, Rücken und Beine, ungefähr wie wenn sie gar nicht bemalt wären. Es ist überhaupt zweifelhaft, ob das Bemalen Erleichterung verschafft! soviel ist aber gewiß, daß es nicht schützt. Die Europäer, die eben erst an den Orinoco, den Magdalenen-strom, den Guayaquil oder den Nio Chagrc kommen (ich nenne hier die vier Flüsse, wo die Insekten am furchtbarsten sind), bedecken sich zuerst Gesicht und Hände; bald aber fühlen sie eine unerträgliche Hitze, die Langeweile, da sie gar nichts thun tonnen, drückt sie nieder, und am Ende lassen sie Gesicht und Hände frei. Wer bei der Flus.schifffahrt auf jede Beschäftigung verzichten wollte, könnte aus Europa eine eig?ns verfertigte, sackförmige Kleidung mitbringen, in die cr sich steckte und die cr nur alle halbe Stunden aufmachte: der Sack müßte durch Fischbeinreife ausgespannt seyn, denn eine bloße Maske und Handschuhe wären nicht zu ertragen. Da wir am Boden auf Häuten oder in Hängematten lagen, hätten wir uns auf dem Orinoco der Fliegcnnetze (wlöas) nicht bedienen können. Der Toldo leistet nur dann gute Dienste, wenn er um das Lager Humboldt, Reisen. IV. 19 290 ein so gut verschlossenes Zelt bildet, daß auch nicht die kleinste Oeffnung bleibt, durch die ein Schnake schlüpfen könnte. Diese Bedingung ist aber schwer zu erfüllen, und gelingt es auch (wie zum Beispiel bei der Bergfahrt auf dem Magdalenenstrom, wo man mit einiger Bequemlichkeit reist), so muß man, u,n nicht vor Hitze zu ersticken, den Toldo verlassen und sich in freier Luft ergehen. Ein schwacher Wind, Rauch, starke Gerüche helfen an Orten, wo die Insekten sehr zahlreich und gierig sind, so gut wie nichts. Fälschlich behauptet man, die Thierchen fliehen vor dem eigenthümlichen Geruch, den das Krokodil verbreitet. In Bataillez auf dem Wege von Carthagena nach Honda wurden wir jämmerlich zerstochen, während wir ein eilf Fuß langes Krokodil zerlegten, das die Luft weit umher verpestete. Die Indianer loben sehr den Dunst von brennendem Kuhmist. Ist der Wind sehr stark und regnet es dabei, so verschwinden die Moskitos auf eine Weile: am grausamsten stechen sie, wenn ein Gewitter im Anzug ist, besonders wenn auf die elektrischen Entladungen keine Regengüsse folgen. Alles was um Kopf und Hände flattert, hilft die Insekten verscheuchen. „Je mehr ihr euch rührt, desto weniger werdet ihr gestochen," sagen die Missionäre. Der Zancudo summt lange umher, ehe er sich niedersetzt; hat er dann einmal Vertrauen gefaßt, hat er einmal angefangen, seinen Saugrüssel einzubohren und sich voll zu saugen, so kann man ihm die Flügel berühren, ohne daß er sich verscheuchen läßt. Er streckt während dessen seine beiden Hinterfüße in die Luft, und läßt man ihn ungestört sich satt saugen, so bekommt man keine Geschwulst, empfindet keinen Schmerz. Wir haben diesen Versuch 291 im Thale des Magdalenenstroms nach dem Rathe der Indianer oft an uns selbst gemacht. Man fragt sich, ob das Insekt die reizende Flüssigkeit erst im Augenblick ergießt, wo es wegfliegt, wenn man es verjagt, oder ob es die Flüssigkeit wieder auf! pumpt, wenn man es saugen läßt, soviel es will? Letztere Annahme scheint mir die wahrscheinlichere: denn hält man dem Oul«x o^«,nopt6ru8 ruhig den Handrücken hin, so ist der Schmerz anfangs sehr heftig, nimmt aber immer mehr ab, je mehr das Insekt fortsaugt, und hört ganz auf im Moment, wo es von selbst fortfliegt. Ich habe mich auch mit einer Nadel in die Haut gestochen und die Stiche mit zerdrückten Moskitos (moLHuiws maokuoääo«) gerieben, es folgte aber keine Geschwulst darauf. Die reizende Flüssigkeit der vipwra Nemooora, die nach den bisherigen chemischen Untersuchungen sich nicht wie eine Säure verhält, ist, wie bei den Ameisen und andern Hymenopteren, in eigenen Drüsen enthalten: dieselbe ist wahrscheinlich zu sehr verdünnt und damit zu schwach, wenn man die Haut mit dem ganzen zerdrückten Thiere reibt. Ich habe am Ende dieses Kapitels Alles zusammengestellt, was wir auf unsern Reisen über Erscheinungen in Erfahrung bringen konnten, die bisher von der Naturforschung auffallend vernachlässigt wurden, obgleich sie auf das Wohl der Bevölkerung, die Gesundheit der Länder und die Gründung neuer Colonien an den Strömen des tropischen Amerika von bedeutendem Einfluß sind. Ich bedarf wohl keiner Rechtfertigung, daß ich diesen Gegenstand mit einer Umständlichkeit behandelt habe, die kleinlich erscheinen tonnte, siele nicht derselbe unter einen allgemeineren physiologischen Gesichtspunkt. Unsere Ein« 292 bildungskraft wird nur vom Großen stark angeregt, und so ist es Sache der Naturphilosophie, beim Kleinen zu verweilen. Wir haben gesehen, wie geflügelte, gesellig lebende Insekten, die in ihrem Saugrüssel eine die Haut reizende Flüssigkeit bergen, große Länder fast unbewohnbar machen. Andere, gleichfalls kleine Insekten, die Termiten ((üomHen), setzen in mehreren heißen und gemäßigten Ländern des tropischen Erdstrichs der Entwicklung der Cultur schwer zu besiegende Hindernisse entgegen. Furchtbar rasch verzehren sie Papier, Pappe, Pergament: sie zerstören Archive und Bibliotheken. In ganzen Provinzen von spanisch Amerika gibt es keine geschriebene Urkunde, die hundert Jahre alt wäre. Wie soll sich die Cultur bei den Völkern entwickeln, wenn nichts Gegenwart und Vergangenheit verknüpft, wenn man die Niederlagen menschlicher Kenntnisse öfters erneuern muß, wenn die geistige Errungenschaft der Nachwelt nicht überliefert werden kann? Je weiter man gegen die Hochebene der Anden hinaufkommt, desto mehr schwindet diese Plage. Dort athmet der Mensch eine frische, reine Luft, und die Insekten stören nicht mehr Tagesarbeit und Nachtruhe. Dort kann man Urkunden in Archiven niederlegen, ohne Furcht vor gefährlichen Termiten. In 200 Toisen Meereshöhe fürchtet man die Mücken nicht mehr: die Termiten sind in 300 Toisen Höhe noch sehr häufig, aber in Mexico, Santa Fe de Bogota und Quito kommen sie selten vor. In diesen großen Hauptstädten auf dem Rücken der Cordilleren sindot man Bibliotheken und Archive, die sich durch die Theilnahme gebildeter Bewohner täglich vermehren. Zu diesen Verhältnissen, die ich hier nur flüchtig berühre, kommen andere, welche der Alpenregion 293 das moralische Uebergewicht über die niedern Regionen des heißen Erdstrichs sichern. Nimmt man nach den uralten Ueberlieferungen in beiden Welten an, in Folge der Erdumwälzungen, die der Erneuerung unseres Geschlechts vorangegangen, sey der Mensch von den Gebirgen in die Niederungen herabgestiegen, so läßt sich noch weit bestimmter annehmen, daß diese Berge, die Wiege so vieler und so verschiedener Völker, in der heißen Zone für alle Zeit der Mittelpunkt der Gesittung bleiben werden. Von? diesen fruchtbaren, gemäßigten Hochebenen, von diesen Inseln im Ocean der Luft, werden sich Aufklärung und der Segen gesellschaftlicher Einrichtungen über die unermeßlichen Wälder am Fuße der Anden verbreiten, die jetzt noch von Stämmen bewohnt sind, welche -ben die Fülle der Natur in Trägheit niedergehalten hat. NRRODMfl IN UNIUERZITETNfl KNJI2NICR 00000381004 COBISS B