■' ' '.*■:, m», *,£* Ac!»ke!m Monlitt »n S Ü d - A m c r l k a und dcsscu dcutlchcn Colonicn von Friedrich Verstärker. Dic Uübnfttzunss dicscö Wnlcs in fremde Kprache» wird voibchaUm. Zweiter Baud. Hermann <5ostenoble. Für den Buchbinder. Vs ist die Mnrichtung getroffen worden, daH jeder Band, wenn es wünschenswerth erscheint, durch zwei Titel nochmals getheilt, das ganze Werk somit in i» Theile gebunden werden kann. Die Verlagshandlung. Beschmutzte, oben oder an den Seiten aufsseschnittene Exemplare, udrr solche, an denen die Heftbänder verletzt sind, werden durchaus nicht zurücksseullmmen. Die Verlagshandlung. Achhehn Monate m S Ü t! - A m c r i t». Ackwkn Monate m Süd-Amerika und dessen deutschen Colonien von Friedrich Gerstäcker. Zweiter Band. (Erstcr Thrii.) Xtissjig, Hermann Coste noble. 1«63. Die Uebersetzung dieses Werkes in fremde Sprachen wird vorbehalten. IMltkvölLeicknW öes Zweiten Hnnäes: Seite Drittes Capitel. Cerro de Pasco............. 7 Viertes Kapitel. An den Quellen des Amazoneustromes ..... 38 Fünftes Kapitel. Die deutsche Colcnic cnn Pozuzu.......86 Sechstes Kapitel. Der Rückmarsch aus dem Amazonengebiet .... 156 Siebentes Kapitel. Ein Ueberblick über die jetzigen Verhältnisse Perus . 199 Achtes Kapitel. Von Callao nach Valparaiso.........229 Seite Erstes Kapitel. Valparaiso...............265 Zweites Kapitel. Von Valparaiso nach Balbivia........297 Drittes Kapitel. Valdwia und die Deutschen.........908 Viertes Kapitel. Gen Patagonien .............355 3. Oerro be Msco. Cerro de Pasco, auf der östlichen Hochebene der Cordilleren gelegen, wird wohl die höchste Stadt der Erde sein, und viel höher haben sich nirgends Menschen angesiedelt, oder könnten existi-ren, als hier, 14,500 Fuß über der Meeresfläche. Schon hier können Viele die feine scharfe Lnft nicht vertragen, und die meisten Krankheiten, die in den sonst gesunden Gegenden vorkommen, haben in. der Lunge und in den Athmnngsorganen ihren Sitz. Besonders klagt der nen hinauf Gekommene häufig über Kopfschmerzen und Uebelkciten, und jenes unangenehme Zusammenpressen der Schläfe fühlte ich selber dort, und wurde es nicht eher los, bevor ich nicht wieder tieferes Land erreichte. Desto besseren Appetit behielt ich aber, trotz aller 8 Prophezeihungen des Gegentheils, und blieb mit meinem Magen immer auf dem besten Fuße. Ganz eigenthümlich ist der Anblick von Cerro, wenn man den Gipfel des nächftgelegenen Hügels erreicht, und die ganze weite, von ein paar Lagunen begrenzte Stadt dicht unter sich zu seinen Füßen sieht. Von dort aus erkennt man nämlich Nichts weiter, als die dicht ineinander gedrängten braunrothen Ziegeldächer, mit den grauen Lehmmauern der äußeren Häuser, während links davon und durch eine blitzende Lagune von der Stadt getrennt, die regelmäßigen und sauberen Gebäude einer großen, durch Dampf getriebenen Silberwäscherei, und die wie an der Schnur gemauerten runden Behälter sichtbar werden, in denen die schon gemahlene silberhaltige Erde von Pferden zu einem dünnen Brei getreten wird. Das Ganze schließen kahle graue Bergrücken ein, an denen man hie und da die Minenarbeiter beschäftigt sieht, und Cerro liegt auf diese Weise in einem wirklichen Kessel von reichem Gestein, ja, seine Mauern sind auf dem reichsten felbst gebaut, so daß man sogar noch mitten zwischen den Häusern die Einfahrten zu früheren Schachten und Stollen finden kann. Die meisten diefer sind aber, so reich sie sein mochten, ersoffen, und man 9 hat noch nicht Geld genug auftreiben können, ordentliche Dampfwerke anzulegen, um sie vom Wasser zu befreien, und frei zu halten. Diefen Minen verdankt Cerro seine Entstehung, denn die ersten Arbeiter siedelten sich natürlich dicht bei ihren Arbeitsplätzen an, während neue Einwanderer fortwährend durch neuentdeckte reiche Schätze herbeigezogen wurden und den Platz vergrößerten. Jetzt zählt die Stadt etwa 12 — 15,000 Einwohner, und viele Häuser sind, trotzdem daß Alles, was sie beziehen, auf Maulthieren hinausgeschafft werden muß, mit jeder Art von europäischem Luxus ausgestattet. Natürlich haben sich alle Arten von Handwerkern dort ebenfalls niedergelassen, darunter auch viele Deutsche; ein deutscher Arzt ist ebenfalls dort angesiedelt, wie ein deutscher Uhrmacher und Juwelier, und das gesellige Leben in Cerro scheint, nach Allein, was ich darüber gehört und davon gesehen, ziemlich freundlicher und anregender Art zu sein. Natürlich sind aber, wie überall, die Deutschen von Cerro ebenfalls in zwei verschiedene Parteien getrennt, die sich einander nicht sehen können. Vielleicht haben sie es nur gethan, um ihren Nationalcharaktcr nicht zu verleugnen, vielleicht aus anderen Gründen. Jedenfalls fand 10 ich hier das Nämliche bestätigt, wie schon in so vielen fremden Ländern, wo ich die Deutschen auch entzweit nnd uneinig traf. Einzeln genommen sind es Alle brave, ante Menschen, aber oft nur irgend ein kleines Mißverständniß giebt Anlaß zu Häckeleien; Zwischenträger finden sich immer, die ein rasch gesprochenes nnd vielleicht gar nicht bös gemeintes Wort anf ihre Weise deuten und weiter tragen, nnd der Bruch ist unrettbar geschehen, nachdem sich natürlich beide Parteien für schmählich behandelt halten. Jeder glaubt sich im Rechte, keiner will den Schritt zu einer Versöhnung thnn, die er selber für unmöglich hält, und der Bruch wird unheilbar. Die Gegend von Cerro de Pasco erzeugt, wie schon vorher erwähnt, weiter gar Nichts, als ein dürftiges Gras und Silber. Alles Andere, von der Kartoffel/ die ihre tägliche Nahrung bildet, bis zu dem Pianino, das die Eingeborenen mit stummem Staunen betrachten, trägt das Maulthier aufseinem Packsattel in diese unwirthlichen Höhen. Nichtsdestoweniger ist der Markt von Cerro nicht allein mit alleu Früchten der gemäßigten, nein, sogar auch mit vielen der heißen Zone versehen, und neben der Banane und Ananas liegt die Orange und Limone, die Weintraube, Quitte und Feige, 11 stehen Säcke mit Bohnen und Erbsen, mit Zwiebeln und Mais, und Massen von Kartoffeln aus den nächsten Thälern. Enlst tzlich schwer ist es aber, die Hülsen fruchte auf dieser Höhe weich zu kochen. Wir machten nämlich den Versuch, einen Kessel mit großen Puffbohnen weich zu bekommen, aber vergeblich. Von Morgens acht bis Abends vicr kochte es, und Abends vier waren die Bohnen noch genau so hart, wie Morgens um acht. Gier sind eben so schwer hart zu bekommen, und müssen lange kochen. Eine eigenthümliche Speise bereiten die Eingeborenen hier, der wir Europäer aber keinen Geschmack abgewinnen können, und es sind dies gefrorene Kartoffeln, die absichtlich dem Froste ausgesetzt werden, bis sie vollkommen wäss.e-rig sind. Dann preßt man das Nasser, so gut es gehen will, heraus, wonach angeblich blos der reine mehlige Stoff zurückbleibt, und verzehrt sie dann, gekocht oder gebraten, mit großem Appetit. Diese Zubereitnngsweise klingt anfänglich ganz vernünftig, daß man nämlich nur die wässerigen Theile der Kartoffel ausfrieren läßt, und das Beste und Mehlige zurückbehält. Es ist aber eine von den unzähligen Theorieen, die in der Praris uicht Stand halten, und wenn die Leute diese 12 Kartoffeln doch essen und vortrefflich finden, so beweist das nicht etwa, daß sie wirklich vortrefflich sind, sondern daß das Volk einen ganz erbärmlichen und traurigen Geschmack hat, über den sich natürlich nicht streiten läßt. Cerro selber ist indessen nicht wie die übrigen größeren Küstenstädte gebaut, die fast alle in regelmäßigen Quadraten ausgelegt sind, sondern die Häuser wurden errichtet, wie sich eben das Bedürfniß einer neuen Wohnung herausstellte. Daher kommt es denu auch, daß die Straßen alle, durch kleine enge Qucrgäßchen verbunden, wild und toll durch einander laufen, daß kein ordentlicher Marktplatz in der Stadt selber ist, weil man erst an einen Markt dachte, als die Stadt schon in Wirklichkeit fertig war, und die Leute Lebeus-mittel brauchten, und die Stadt eigentlich so aussieht, als ob sie einmal aus Verschen aus einem Sacke heraus über den Hügel ausgeschüttet wäre, auf dem sie jetzt.steht, und dessen Eingeweide das gierige Menschenvolk schon laugst in allen Richtungen nach edlen Metallen durchwühlt hat. Die Häuser sind außerdem auch gar nicht in dem gewöhnlichen spanischen oder südamerikanischen Style gebaut, der mit seinen weiten und bequemen Hofräumcn viel zu viel Platz des werth- 13 vollen Silberbodens eingenommen hätte. Der Hofraum ist eng, beschränkt und schmutzig, denn Regen und Schnee gehören hier zu den alltäglichen Ereignissen, die Zimmer sind niedrig, aber waren mit Oefen oder Kaminen gebaut, und die Wohnungen überhaupt, wenn sie auch in Peru liegen, doch dem kalten Klima angepaßt. Glücklicher Weise wird dort in den Bergen eine ziemlich gute und brauchbare Steinkohle gefunden, ohne die Cerro in der That gar nicht bestehen könnte, denn Bäume wachsen nicht auf Leguas im Umkreise — in der That nur iu einigen tiefen Thälern unten, nud brauchbarer Rasentorf wäre in solcher Masse, wie sie hier nöthig ist, gar nicht zu erschwingen. Wie eine Insel im Weltmeere nur durch Schiffe oder Boote erreicht werden kann, so ist Cerro de Pasco nur durch Maulthiere oder Llamas zugänglich, und' denen begegnet man denn auch nicht allein auf den Wegen, sondern selbst in den engen Straßeil der Stadt zu Hunderten. Maulthiere und Esel sind auch daran gewöhnt, betreten Cerro, als ob sie darin zu Hause wären und ursprünglich dahin gehörten, und stehen auch wohl Stunden lang allein und unbeachtet an den Ecken der Straßen, ihrer Fracht oder eines Reiters harrend, 14 und ohne sich weiter an das sie umgebende Leben und Treiben zu kehren. Weit anders ist das aber mit den Llamas, die noch immer, so zahm und gutmüthig sie auch sonst sein mögen, Etwas von ihrer ursprünglich wilden Natur beibehalten haben. Wenn sie in Scharen von oft zwei bis dreihundert Stück dicht gedrängt durch die engen Straßen ziehen, werfen sie den zierlichen Kopf mit dem langen Halse bald hier, bald dort hinüber, und werden sich nie gutwillig von einem Fremden berühren oder streicheln lassen. Scheu drängen sie dann zur Seite und geben Raum, und weichen selbst einem Maulthiere, das ihre Reihen durchbricht, schüchtern so weit aus, daß sie es nicht streifen. Zum Lasttragen sind sie übrigens nicht so besonders wertyvoll, denn 80 — 100 Pfund ist das größte Gewicht, das sie tragen, und bürdet man ihnen mehr auf, so legen sie sich einfach nieder, und gehen eben nicht weiter. Müßte man sie auch wie das Maulthier füttern, so würden sie nie die Unterhaltungskosten einbringen; so aber tostet ihre Unterhaltung nicht das Mindeste, da sie mit dem dürftigsten und geringsten Fntter zu- 15 frieden sind, und jede Arbeit, die sie dabei leisten, ist Gewinn. Hier in Cerro werden sie besonders dazu benutzt, theils grünes Futter aus den wärmer gelegenen Thälern in die Stadt hinauszuschaffen, theils die Erze nach den Wäschereien zu trans-portiren. Auf dem Wege von Lima nach Cerro habe ich nicht ein einziges Mal bepackte Llamas gesehen. Etwas aber siel mir in Cerro auf und das war die Tracht der Eingeborenen und Indianer, die, mit einem spitzen Hute, ganz vortrefflich hätten für Tyroler gelten können. Sie trugen kurze dunkle Tuchjacken, kurze Tuchhosen bis zum Knie, manchmal auch über dem Knie geknöpft, wollene graue Strümpfe, die obeu bis über die Wade, unten bis an den Knöchel reichten, und nur statt der nägelbeschlagenen schweren Tyroler Verg-schnhe eine Art Sandale von ungegerbtem Leder, das über Hacken und Zehen durch einen Riemen desselben Stoffes zusammengeschnürt ist. Anch runde Filzhüte trugen Viele von ihnen, und wäre es nicht ihrer braunen Hautfarbe wegen gewesen, man hätte sie recht gut für nachgemachte Tyroler halten können. Trng doch auch die Umgebung, mit jenen zackigen Schneebergen, nicht 16 wenig dazu bei, die Täuschung zu vergrößern. So haben sich zwei Nationen, in zwei verschiedenen Welttheilen, die schwerlich etwas von einander wußten, ihren gleichen Bedürfnissen entsprechend die gleiche Tracht gewählt, und wenn diese sonngebrannten Arrieros das rothe oder hellgrüne „Regendach", den unvermeidlichen Schirm der wirklichen Tyroler, unter dem Arme gehabt hätten, wäre selbst die Hautfarbe kein Hinderniß gewesen. Diese Burschen aber verschmähen den Schirm, und wenn es ja regnet, verwandelt plötzlich ein übergeworfener Poncho den Tyroler in den Peruaner. Eine andere Verschiedenheit ist die, wie sie La-sten tragen. Der Tyroler hat seinen Bergsack oder die „Kraxen," beide mit Achselbändern; er trägt also blos mit den Schulteru und behält dadurch Kopf und Brust frei. Der Peruanische Bergbewohner dagegen trägt allein mit dem Kopfe — die einzige Kopfarbeit, die er thut, und diese allerdings eine angestrengte. Was sie zu tragen haben, knüpfen sie einfach in einen Poncho ein, und legen sich dann die beiden oberen, zusammengebundenen Eckzipfel vorn über die Stirn, daß ihnen das Gewicht unter die Schultern auf den Rücken zu liegen kommt. 17 Viel praktischer haben das die Ecuadorians, die sich Körbe zu ihren Lasten stechten, nnd dann einen breiten Streifen Baumbast so daran befestigen, daß er ihnen an beiden Seiten Achselbänder liefert und Zugleich vorn über ihre Stirn geht. So vertheilen sie das Gewicht auf Schultern nnd Kopf, und erleichtern sich dadurch jedenfalls ihre Last. Keiner dieser Leute geht aber irgend eine längere Strecke, ohne seine Coca bei sich zu haben, die dem Peruaner dasselbe zu sein scheint, was dem Indier sein Betel oder Sirih ist. Die Coca ist eine niedere Pflanze, die ein dem Theestrauche nicht unähnliches Blatt trägt. Auch der Geschmack desselben ist dem Thee gleich, und mit einem Aufguß von kochendem Wasser liefert es ebenfalls einen ganz vortrefflichen und starken, wohlschmek-kenden Thee, der mir selber sogar noch viel angenehmer und kräftiger schmeckt, als der chinesische. In dieser Art benutzen sie es aber nie, oder doch nur höchst selten, sondern sie stecken sich eine Handvoll der getrockneten Blatter in den Mund, und kauen dann nach Herzeuslust so lange darauf herum, bis eiuzig nnd allein die feinen Stiele des Blattes übriggeblieben sind. Den Geschmack noch dabei zu würzen, tragen sie einen kleinen Fr. GcrstäHcr, Achtzchn Monate in Süb-Am«ita. II. 2 ^ 18^ laughalsigen Flaschenkürbis bei sich, der mit gereinigtem Kalt gefüllt ist. An dem Stöpsel des Kürbis befindet sich ein langes Hölzchen, das nach innen reicht — wie man an den Stöpsel eines Pulverhorns oft eine lange Nadel angebracht hat. Dies Holz stoßen sie in den Kalk nnd lecken es, wenn sie den Mnnd voll Blätter haben, sauber ab. Stunden lang können sie in dieser Weise dasitzen, ihre Coca kauen, den Flaschenkürbis schütteln und das Slüpselholz ablecken, und selbst auf dem Marsche nehmen sie sehr häufig zu dieser „Erfrischung" ihre Zuflucht. Man behauptet, daß die Coca etwas sehr Belebendes nnd Stärkendes habe; sie soll Hunger und Durst vertreiben nnd den Gliedern ncne Elasticität geben — so sagen die Leute, aber ich weiß es nicht, denn ich wenigstens habe dergleichen wunderbare, Eigenschaften nicht an ihr entdeckt. In den wilden bösartigen Bergen, die ich später durchkletterte, habe ich Coca gekaut wie ein Indianer und ich bin dabei hungrig und durstig geworden und müde, daß ich kaum einen Fuß mehr vor den andern setzen konnte. Als Thee dagegen kann ich ihr meine Achtung nicht versagen, und hierzu wäre sie auch in Deutschland mit Vortheil zu verwenden, wenn Peru nur erst ein- 19 mal ordentliche Straßen hätte, daß man sie mit einigermaßen zu dem Preis in Verhältniß stehenden Kosten verschicken könnte. So aber kostet jetzt die Aroba (25 Pfd.) im Innern fünf Dollar, und in Ccrro schon wird sie mit fünfzehn Dollar die Aroba bezahlt, also zweimal so viel für Fracht, wie der ursprüngliche Werth der Waare beträgt. Allerdings wird die Coca auch an der westlichen Seite der Cordilleren gebaut nnd von dort nach Lima geschafft, sie hält aber auch da einen hohen Preis und wäre deßhalb keinesfalls ein billiger Ausfuhrartitel, wie denn überhaupt Nichts billig ist, was man in Peru zu kanfen bekommt. Cerro de Paseo ist, wie schon vorher erwähnt, seiner reichen Silberminen wegen berühmt nnd die Stadt selber steht auf den reichsteu. Zum Theil aber sind diese ausgebeutet, zum Theil uuter Wasser, so daß sie nicht eher wieder iu Angriff genommen werden ko'uuen, als bis man es der Mühe werth findet, Dampfmaschinen anzuwenden, um das Wasser auszupumpen. Was aber eine solche Dampfmaschine in Ccrro de Pasco etwa tosten mag, davon kann man sich einen ungefähren Begriff machen, wenn man bedenkt, daß jedes einzelne Stück der Maschine auf den Nucken von i)« 20 Maulthisren diese 48 Leguas geschasst werden muß, und daß keines der Thiere durchschnittlich mehr tragen kann als 280-300 Pfund. Wie viele einzelne Theile gehören aber dazn, wie viele Ladungen müssen bezahlt werden, und keine nn-ter wenigstens 20 Dollar, bis das Ganze an Ort und Stelle geschafft und aufgestellt ist. Bis jetzt befindet sich auch nur eine einzige Dampfmaschine in Cerro de Pasco, und zwar im Ve-sitz einer englischen Firma Naylor und Conroy, die dort die bedeutendste Silberwäscherei haben. Die Maschine soll aber auch ein ganz rasendes Geld gekostet haben, und der Ertrag muß ein vortrefflicher sein, um die Zinsen zu decken. Ein deutscher Schmied hat sich jetzt in Cerro niedergelassen, ein fleißiger, ordentlicher Mann, der wenigstens Kessel zusammenstellt und dadurch das Auffetzen der Maschinen bedeutend erleichtert. Sonderbar sieht es übrigens in Cerro aus, wenn man noch recht eigentlich in der Stadt, und von Häusern schon umbaut, plötzlich noch irgend einen Stollen oder Schacht in den' Berg hinein findet, um den man jetzt nur eine Schutzmauer gebaut hat. Wie aber die nächsten Minen ausgearbeitet oder selbst nur in Angriff genommen waren, begannen andere Mineurs in der nächsten 21 Umgebung die Berge zu durchforschen, und bald klang der Hammer und die Brechstange von allen benachbarten Höhen wieder. Außerordentlich viel Silber ist schon aus diesen Minen gewonnen worden, obgleich sie auf die wirklich primitivste Art bearbeitet wurden. Höchst interressant ist es dabei zu sehen, wie viel Mühe und Fleiß dazu gehört, das wirtliche Silber von dem eigentlichen Steine und den gemeineren Metallen, mit denen es verbunden ist, zu trennen. Es kommt hier hauptsächlich in Verbindung mit Blei, Eisen oder Bronze vor, nnd das Mineral wird erst durch riesige Mühlsteine zermalmt und klein gemahlen, und kommt dann in runde eingemauerte Plätze, wo man es mit Salz überstreut, um es danit durch Pferde ordentlich zusammentreten nnd vermischen zu lassen und mit dem Salz Chorsilbcr zu bilden, das sich später am Leichtesten mit dem zugesetzten Quecksilber amalgamirt. Alls diesem Zustande, und von dem Quecksilber vollkommen angezogen und aufgenommen, läßt es sich durchaus rein darstellen, denn das Quecksilber selber ist mit geringer Mühe von dem Silber zu Wunen. Zuerst wird diese Masse, die sich jetzt kneten läßt, durch Tücher gepreßt, wo sich ein großer Theil des Quecksilbers ausscheidet, 22 und dann läßt man das übrige unter einer Glocke und über Feuer verdunsten, wodurch am Wenigsten von dem Quecksilber verloren geht, und das eigentliche Silber sich vollkommen rein herstellt. Zuletzt wird es dann in große breite Barren gegossen, von denen jede ungleich 130—150 Pfund wiegt, und von denen zwei eine volle Ladung für ein Manlthier bilden. Fast alle diese Minen sind Pnvateigenthum, und so viel ich weiß, besteht in ganz Süd-Amerika noch das alt-spanische odcr mexikanische Minengesetz , das dazu gegeben wurde, den Bergbau zu begünstigen und Leute zu ermuntern, neue Minen aufzusuchen. Den Entdeckern von solchen wird dadurch jede, nur mögliche Erleichterung gewährt. Wo sie eine Mine finden, muß ihnen das Land vou dem etwaigen Eigenthümer käuflich überlassen werden, und zwar nicht zu dem Preise, den das Land durch die Mine bekommt, sondern Zu dem sonstigen Werthe — in Perus dürren Bergen also fast umsonst. Außerdem muß dem Entdecker von den benachbarten Haciende^i-Be-sitzern Holz — wenn es da ist — und Wasser, so weit es gebraucht wird — zu taxirten und mäßigen Preisen geliefert werden, und ist die Mine 23 -reich, so kann er seinen Nutzen darans ziehen, ohne fürchten zu müssen, daß seine Arbeit an kleinlichen Schwierigkeiten oder Chikanen scheitert. Zu bestimmten Zeiten nnr werden die Barren in Cerro ein geschmolzen und gehen dann in einem gemeinsamen Transport, und unter hinreichender militärischer Bedeckung nach Lima hinunter. Die Wege in diesem gesegneten Lande sind nämlich so unsicher, daß man es gar nicht wagen dürfte, einzelne Barren mit einem Arriero abzusenden. Dieser Escorte schließen sich dann nicht selten noch Reisende an, und bilden dadurch einen so Ehrfurcht gebietenden Trupp, daß das Gesindel nicht wagt, ihm ein Hinderniß in den Weg zu legen. Man hat wenigstens noch kein Beispiel, daß eine solche Escorte mit Erfolg angegriffen worden wäre. Der Silberertrag wurde in dem letzten Berichte der peruanischen Regierung, also vom Jahre 1850, angegeben zu gemünztem Silber......... 246,650 und Silberausfuhr in Barreu . . 2,103,350 zusammen........2,350,000 Der wirtliche Ertrag soll aber viel bedeutender gewesen sein, und ziemlich ansehnlich über drei 24 Millionen ausgemacht haben. Dem Publicum braucht aber nicht Alles auf die Nase gebunden zu werden; viele Soldaten kosten auch viel Geld, und die Bilance zuletzt muß doch eigentlich stimmen, wenn die Kaufleute nicht einen Heidenlärm darüber machen sollen. Eben so behauptet man, daß der wirkliche Nctto-Ertrag des Guano viel zu gering in Peru angegeben würde, und doch hat die Regierung über .15 Millionen eingestanden — ein ganz hübsches Einkommen für ein Land von nur kaum 2 Millionen Seelen, wobei noch ganz hübsche Snmmen für Salpeter und einige andere Producte einlaufen. Cerro de Pasco selber hat weiter keinen besonderen Nutzen davon. Selbst dieser Hauptweg läßt noch außerordentlich viel zu wünschen übrig, und ist weiter Nichts als ein einfacher, rauh genug angelegter Maulthierpfad, mit tausend Hindernissen, die außerordentlich leicht scholl seit Jahren hätten beseitigt werden können, wenn man nur deu kleinsten Theil des Silbers, das die armen Thiere zu Thal schleppen müssen, dazu verwenden wollte. Allerdings wird jetzt sogar davon gesprochen, eine Eisenbahn nach Cerro zu legen, und unmöglich wäre das keineswegcs, aber — es 25 Wird eben nur davon gesprochen. Eine neue Präsidentenwahl oder eine neue Revolution, wo das Militär die Zinsen von dem abtragen soll, waZ es bis dahin gekostet hat, halten die Gemüther iu steter Erwartung und Aufregung, und die Verbesserungen des inneren Landes, die allein Peru heben und ihm eine Zukunft sichern könnten, werden nur stets in den Hintergrund gedrängt. Sie waren ja anch eben nur dem Lande versprochen worden. In Cerro selber giebt es eine Menge von reicheu oder doch sehr wohlhabenden Leuten, die natürlich nnr den Minen ihr Geld verdanken. Solche Minen sind aber ein sehr unsicheres und gefährliches Geschäft, und ihr Ertrag steht nicht auf der soliden Grundlage fester Berechnung, fondern ans der höchst ungewissen jener geheimnißvollen Metalladern, die ungesehen durch das innere Mark der Berge laufen. Sie können — Niemand weiß es — noch unerschöpflichen Reichthum bergen, und mit jeder Ruthe breiler und ergiebiger werden — sie können aber auch schon in der nächsten Klafter in taubes Gestein auslaufen, und dem Minenbesitzer, der vielleicht fein ganzes Capital anf diese Hoffnung gesetzt hat, zerfließt dann sein geträumtes Glück in der eben danach ansgestreckten "Hand. 26 Es hat wirklich Achnlichkeit mit einem Hazard-spiel und ist, durch seine theilweisen Erfolge, eben so gefährlich und ansteckend wie dieses. Deßhalb finden wir aber auch nirgends einen so raschen und plötzlichen Wechsel von Reichthum zu Armuth — und manchmal, wenn auch selten, umgekehrt — wie gerade in solchen Mincnstädten, besonders wenn sie auf edle Metalle, wie Gold und Silber, ihren möglichen Erfolg gebant. Der Erfolg Einzelner reizt außerdem wieder Andere an, ihr Glück ebenfalls zu versuchen — haben sie doch die Hoffnung, mit wenigen hundert oder tausend Dollarn in ein paar Jahren ein Vermögen zusammenznschlagen. Natürlich verstehen sie aber selber Nichts vom Bergbau und müssen sich auf Andere verlassen, die sie nur durch ihre Mittel unterstützen können. Derartige Leute finden auch stets mit Leichtigkeit Männer, die eine fabelhaft reiche Mine entdeckt habm, und nur w'gen Mangel an mi paar hundert Dollarn die Schätze mnßten unbenutzt liegenlassen. Jetzt soll nun die Arbeit unvcrweilt beginnen und der Erfolg — was für Luftschlösser die Lentc in die Wolken bauen — der Erfolg ist fast immer der nämliche: das ausgelegte Capital verschwindet sicher, und hie und da werden vielleicht ein paar 27 schwache Versuche gemacht, irgend ein nutzloses Loch mehr in den harten Boden zu brechen; dann ist das gemünzte Silber ausgegeben, anderes hat sich bis dahin nicht gefunden, und die Sache ist vorüber. Trotzdem ist Cerro de Pasco eine ziemlich lebendige und auch reiche Stadt, denn das kleine Capital ist ja doch nun einmal auf der Welt, um das große vermehren zu helfen, wie der bescheidene Bach nicht den Fluß aufnimmt, sondern diesen nur vergrößern muß. So wird denn auch jährlich in Cerro eine Unmasse von Champagner, Sherry und Cognac verbraucht; in den Fondas stehen Billards, uud allen Luxus größerer Städte schleppen die «geduldigen Maulthiere auf ihren Nucken dem unersättlichen Menschenvolk in diese Vcrgwilduiß. Das betriebsamste Volk von Allen sind dabei in Cerro de Pasco die Italiener, die hier sowohl wie in Lima selber sämmtliche Ecken der Stadt in Kaffeehäuser uud Pulperieu oder Material-Waaren-Handlungen verwandelt haben. Ueberall halten sie Getränke, Gebäck, Cigarren, Confitüren und tausend andere Dinge, an die gar kein anderer Mensch denkt, feil, und ihre Wände schmücken jetzt überall theils gute, theils erbärmliche französische Lithographien der eben geschlagenen ita- 28 lienischen Schlachten. Sogar eine Menge derartiger Tapeten sieht man schon, sehr bequem gemalt mit Pulverdampf in der Mitte, einer Neihe rother Hosen links und weißer Uniformen rechts, mit Bombenkugeln über die Landschaft gestreut, als ob es ein paar Wochen Nichts weiter als eiserne, drei Fuß im Durchmesser haltende Kugeln geregnet hätte. — Es ist das ein äußerst billiger und doch sehr einträglicher Patriotismus. Cerro treibt übrigens noch einen sehr bedeutenden Handel mit dem inneren Lande, und kann wirklich als die Niederlage aller jener Hacienden und Pueblos betrachtet werden, die auf fünfzig Leguas im Umkreise am östlichen Hange der Cor-dillercn liegen. Alle, nur erdenklichen europäischen und nordamerikanischcn Waaren liegeil in seinen Lagern, und werden dcn Detailhändlern Cerros wieder von anderen Detailhändlern abgetauft, die sich sämmtlich für ungerecht vom Schicksal behandelt glauben, wenn sie nicht an jedem Artikel zwei bis drei hundert Procent verdienen können. Die schlechtesten Waaren bekommen diese Binnenstädte überhaupt zugeschickt, Ladenhüter und ausran-girte Müdeartikel, denn „für die Cordilleren ist es noch immer gut genng." Spottbillig und wahrhaft verschleudert ist das Modernste und Theuerste 29___ dagegen, was mau in Negentstrect in London findet, wenn man diese Preise betrachtet, und man muß manchmal trotzdem noch froh sein, wenn man den einen oder den andern Artikel nur überhaupt bekommen kann. Aus dem inneren Lande kommt dafür Coca und Kaffee, das neben dem Silber eigentlich die einzige Rückfracht bildet, die von Cerro dann und wann verschickt wird, nud selbst die Coca verträgt nur nach wenigen Plätzen doppelte Versendung. Die Manlthiere, die nach Lima zurückziehen, gehen auch deßhalb fast immer leer, dem Alles verzehrenden Cerro neue Beute zuzuführen. So ist dieser Ort, der früher nur mngM Miuenarbeitern Wohnung gab, und ganz allein von dem Ertrage der Bergwerke abzuhängen schien, im Laufe der Zeit ein ganz tüchtiger Handelsplatz geworden, der jetzt, wenn heute sämmtliche Bergwerke aufhörten, doch recht gut auch ohne sie bestehen könnte. Nur Straßen muß die Negierung noch bauen, Straße auf Straße nach allen Richtungen von Cerro aus, und wenn sie dann wirklich einen Schienenweg nach diesem Ccntralpunkt des inneren Handels legt, dann darf sie hoffen, daß sich ihre, an den Quellcn des Amazonenstromes gelegenen Ländereicu auch einst verwerthen können. Auf 30 diese Art aber, wie es bis jetzt betrieben, werden sie für ewige Zeiten Wildniß bleiben, und einzelne kleine Colonieen wie eben so viele vollkommen isolirte Inseln nutzlos in ihren Armen halten. No auch immer ich schon geweseil bin, so habe ich doch nur iu sehr seltenen Fällen versänmt den Begräbnißplatz zu besuchen, wo man gewohnlich irgend etwas Interessantes und Neues findet — das ganz abgerechnet, daß es einen eigenen Reiz für mich hat, Zwischen den Reihen der stillen Todten hinzuwandeln, und sich die ausgestreckten starren Glieder unter dem Nasen zu denken, wie sie dort wieder in Nichts zurückschwinden oder — einer neuen Ewigkeit entgegenschlummern. Auch in Ceno de Pasco versäumte ich es nicht, und sollte mich dort reichlich dafür belohnt finden. Ich kam gerade zur rechten Zeit, das Begräbniß eines Kindes mit anzusehen, ein, wie ich später hörte, hier sehr häusiger Fall, da.die außerordentlich feine und kalte Lnft dem zarten Kindesalter Nichts weniger als zuträglich zu sein scheint. Es sollen dort ungemein viel kleine Kinder sterben. Der Kirchhof selber ist für eine so volkreiche Stadt außerordentlich klein, und mit hohen Mauern umgeben. Schmucklos liegen auch die Todten in ihrer kalten öden Gruft, denn keine Blume kommt 31 in dieser Höhe im Freien fort, und nur dürres, hartes Gras wächst auf den niederen Hügeln. Auch die den Todten gesetzten Monumente lassen viel zu wünschen übrig. Sie mögen herzlich gut gemeint sein, daran zweifle ich nicht im Mindesten, ihre Ausführung ist aber nicht von cararischem Marmor, und nicht in italienischer Kunst, sondern weiß getünchter Lehm scheint hier so lange gekratzt und gestoßen zu sein, bis er eine oder die andere Form von Säule oder Urne angenommen hat, die im Ganzen auch nur dazu bestimmt schien, unter irgend einer Gestalt mit darauf gemalten schwarzen Kreuzen, oder punttirtm Kegelkugeln, mit zwei Knochen vorstellenden Kreuzstücken darunter, Namen und Todestag der Verstorbenen zu tragen. Mein Begleiter, der schon lange Zeit in Cerro de Pasco lebte, erzählte mir von Einigen der hier kürzlich Gestorbenen. Der Eine, den sie vorgestern hier eingegraben, war vor einiger Zeit einer der reichsten Mincnbesitzer gewesen, der seine Schätze nach Millionen Zählte. Natürlich hatte er mehr haben wollen, und war zuletzt so heruntergekommen, daß er von seinen Freunden unterhalten werden mußte.. Dicht daneben stand ein einfacher, weißer 32 Stein, das heißt ein viereckiges, von Lehm aufgebautes und weiß angestrichenes Monument mit schon abgestoßenen Ecken und noch ohneZnschrist. Uuter diesem ruhten die beiden schönsten Mädchen der Stadt: zwei Schwestern, die nur wenige Tage hinter einander gestorben, und hier gemeinsam begraben waren — und keine Blume konnte ihren öden Ruheplatz schmücken. Meine Aufmerksamkeit wurde aber jetzt einer Gruppe zugewendet, die eben den Kirchhof betrat, und ich hätte sie nicht einmal gleich gesehen, wenn nicht ein brauner Bursche sehr lebhaft dazu die Violine gespielt. Ich drehte mich nach den hier nicht recht herpasseuden Tönen um, und zwar eben noch zur rechten Zrit, den Leichenzug anzusehen. Voran ging eine Art Halbiudianer, der einen kleinen Tifch auf dem Kopfe trug, und auf dem Tische lag die Leiche eines kleinen Mädchens, vielleicht vier oder fünf Monate alt. Die Eltern waren zu arm gewesen, dem Kinde einen Sarg zu taufen, aber zu einem kleinen Seidenkleide hatte Nach werden müssen, und künstliche Blumen um die bleiche zarte Stirn, ersetzten die fehlenden natürlichen. > Neben d^m Tische, den der Träger auf dem Kopfe balaucirte, ging der Mann mit der Violine, 33 auf der er lustige Tanzweisen spielte, denn das kleine, in so zartem Alter gestorbene Kind war ja, dem Glauben der Süd-Amerikaner nach, direkt in den Himmel eingegangen, und ein Engel geworden, wo es jetzt an Gottes Thron für die Eltern beten konnte. Hinter dem Zuge folgten sechs oder acht ältere And jüngere Frauen; vergebens suchte ich aber unter einer von diesen die Mutter heraus zu erkennen. Traurig sah keine aus, und als sie das Thor eben passirt hatten, kauerten sie sich dort mit der kleinen Leiche nieder, holten die Agua ardiente-Flasche vor, und fingen an ganz lustig mitsammen zu trinken. In der entgegengesetzten Ecke des Kirchhofs waren indessen ein paar Männer beschäftigt, ein kleines Grab zu graben, und darauf warteten sie, um die Leiche dann hineinznlegen. Es dauerte ziemlich eine Stunde, bis die Leute das Grab tief genug hatten, denn sie sprachen dabei ebenfalls einer Vranntweinflasche sehr fleißig zu. Endlich waren sie fertig, und der Zug mit der lustig geigenden Violine bewegte sich dem Grabe zn. Dort setzten sie dicht neben der ausgeworfenen Gruft, die kaum breit genug war, den kleinen schmächtigen Leichnam zu halten, das Fr. Gcrstäckcr, BchtzchuMonaic in Süd Amerika. 7l, 3 34 Tischchen anf die Erde nieder, und die Todtengrä-ber wollten dem Kinde die, wahrscheinlich nur gemietheten Blumen abnehmen. Der Pathe des kleinen Leichnams aber — denn die Pathen spielen in Süd-Amerika eine große Rolle — erklärte, daß er sie bezahlen wolle, und die kleine Todte wurde jetzt, nur mit einem schmalen Kopfkissen unter dem Kopfe, in ihr enges Bettchen hineingelegt. Hier bemerkte ich Etwas, das ich mir nicht erklären konnte, das mir aber mein Begleiter verständlich machte. Dir Frauen bespritzten nämlich das leichte Seidenkleidchen des Kindes mit Oel, wodurch es natürlich eine Menge entstellender Flecken bekam. — Wehhalb? — weil in Cerro de Pasco sehr viele Kinder sterben, und die armen Leute dort die eben nicht hübsche Gewohnheit haben, solche kleine Leichen, die mit hübschen Kleidern beigesetzt sind, wieder auszugrabeu und ihres Schmuckes zu berauben. Es ist das kaum glaublich, aber es muß doch leider wahr sein. Das Grab wurde jetzt mit Erde aufgefüllt, die gauze Gesellschaft ging gleich darauf wieder znr Branntwemflasche über, und dann mit Musik 35 heim, um dort, zu Wren des „kleinen Engelchens," ein ordentliches Gelage zu beginnen. Auf dem Kirchhofe lagen außergewöhnlich viel menschliche Gebeine umher, mit denen man an solchen Stellen doch eigentlich keinen Staat macht, und sie eher aus dem Wege schafft. Ich konnte drei verschiedene Todtenköpfe und eine Masse anderer Knochen zählen, und einer der Todtenköpfe war noch außerdem oben auf ein Monument gestellt. „Ich weiß nicht, ob das derselbe Kopf ist," sagte mein Begleiter, „am letzten Aller Seelentage, wo die Katholiken alle ihre Kirchhöfe besuchen uud eine Art Fest daraus machen, war ich hierauch auf den Kirchhof gekommen und der Kopf da, oder ein anderer wie er, sah wunderlich genug aus. Irgend Jemand hatte ihm ein rothseidenes Taschentuch umgebunden und unter dem Nnterkinnbacken geknüpft, die Backenknochen waren ihm mit Ziegelfarbe roth gemalt, und zwischen den Zähnen hielt er eine kurze Thonpfeife. Es sah fürchterlich aus, die Leute aber, die vorbeigingen, lachten und amüsirten sich prächtig damit. Das Wetter, das bis jetzt trocken gewesen, zeigte sich bald drohend. Der Wind begann und 3* 36 im Nordosten thürmten sich schwere dunkle Wolken rasch auf. Es sah aus wie ein richtiger Schneesturm, von dem wir fast jeden Tag eine kleine Probe bekamen, und wir hielten es an der Zeit, auf den Heimweg zu denken. Gerade als wir vor den Kirchhuf kamen, begegnete uns ein anderer Zug, wiederum mit einer Kinderleiche. Der Zug schien aber noch fideler als der vorige, wie das verstorbene Kind auch jedesfalls reicheren Leuten gehörte, denn es lag in einem mit rothen Zeug und gelben Nägeln beschlagenen kleinen Sarge. Voraus aber gingen drei Musikanten, zwei mit Violinen und einer mit einer kleinen Harfe, wie sie in Ecuador und Peru viel gespielt werden. Die Melodie war dabei die lebendigste, und außerdem ging der Harfenspieler nicht ruhig und ehrbar vor dem Zuge her, sondern tanzte richtig zu seiner Melodie, bald nach rechts, bald nach links und bald sich im Kreise drehend. Ja, selbst der Mann, der den Sarg ebenfalls auf einem Tischchen trug, machte ,,M8« mit den Beinen und begleitete die Musik im Tacte. Hinter dem kleinen Sarge folgten etwa zwölf Frauen und Mädchen, keine Männer, die etwas 37 weiter zurück, ihre Papier-Cigarren rauchend, kamen. Das vorher gedrohte Schneegestöber begann aber jetzt in vollem Ernst, der Wind pfiff ordentlich über die kahle Höhe, und wir eilten in die Stadt hinabzukommen. 4. Un den Guelleu des Umazonenstromes. In Cerro de Pasco hatte ich einen einzigen Rasttag gemacht, und zwar am 2. Iannar 1861; mehr freilich meines Maulthiers, dem ich hier reichlich Futter kaufen konnte, als meiner felbst wegen. Am zweiten Morgens war ich aber fchon wieder reisefertig, denn auch hier hatte ich nichts Bestimmtes über die deutfche Colonie erfahren können, und mein Weg lag jetzt gen Osten in das ungeheure Quellengebiet des Amazoncnstroms hinein, in dem sich, von der übrigen Welt und ihren Beziehungen vollständig getrennt, meine deutschen Landsleute, die beilänfig gesagt etwas Gescheidteres hatten thun können, niedergelassen. Schon der Name, Pozuzu, klang fremd und abenteuerlich, und daß jener Landstrich selbst von den 39 Peruanern nicht oft begangen wurde und außer ihrem gewöhnlichen Geschäftskreise lag, bewies jenes erstaunte „Oaraindg,!" das man regelmäßig aus den Namen Pozuzu zur Antwort bekam, wenn ich diesen Platz als nächsten Bestimmungsort bezeichnete. — (^raiuba! die Leute hatten vollkommen Recht, und ich habe manchmal selber <üai-amda! gerufen, wenn ich in Snmftf und Dickicht stack, oder an steilen, dorncngespickten Hängen auf- nnd abklettern mußte. Leute übrigens, die das innere Land kannten, hatten mir schon in Lima den wohlmeinenden Rath gegeben, nicht ohne einen Negiernngspaß die Reise anzutreten, da der Wanderer sonst, dem indolenten Volke gegenüber, weiter Nichts als Aerger und Noth hat, und unendlich viel kostbare Zeit versäumen muß, die zur Weiterreise nöthigen Thiere zu bekommen. Glücklicherweise folgte ich deni Rath und fand das Alles später in vollem Maße bestätigt. Da ich nämlich mein eigenes Manlthier nicht den ganzen Neg reiten konnte, wenn ich es nicht schon auf der Hinreise todtmachen wollte, so war ich genöthigt, unterwegs auf den verschiedenen Stationen Thiere zu miethen, und ein Negierungspaß, besonders noch mit einer groß gemalten Ueberschrift und einem schwär- 40 zen Stempel, übte einen sehr wohlthätigen Zauber auf alle diese kleinen Unterbeamten aus. Ein Bursche, der sich sonst nicht gerührt, und im Schatten liegend auf die Frage nach einem frischen Maulthiere einfach und faul geantwortet hätte: „ist keins da — morgen vielleicht," sprang jetzt ordentlich, der Forderung des Fremden zu genügen, und mit einiger Grobheit gelang es mir fast überall — natürlich gegen Bezahlung der gewöhnlichen Kosten — weiter befördert zu werden. Von Cerro aus nach dem nächsten tiefer und wärmer gelegenen Pueblo mußte ich übrigens mein Maulthier noch reiten, weil ill Cerro selber die Unterhaltung eines Thieres erstlich enorm theuer ist und dann die Thiere selber sich in der feinen kalten Luft auch nicht wohl fühlen. Als der beste Platz dazu wurde mir Huariüco genannt, und als ich vom Präfecten in Cerro, der mich sehr freundlich aufnahm, meinen Paß nach dem Innern hatte, brach ich am Morgen des dritten Januar vou Cerro auf, den Quellen des Huänaco-Flusses in dessen Thal hinab zu folgen. Höchst interessant war dieser Nitt, denn der Wcg führte unmittelbar zwischen steilen und mächtigen grauen Felswänden hin, während dicht an dem kleinen raschfließenden Strome Silberwäscherei 41 neben Silberwäscherei angelegt war, um das edle Erz zu zermalmen und auszuwaschen. Dicht an Cerro de Pasco konnte nämlich solche Wäscherei auch an einer Lagune liegen, weil die das Erz zermalmenden Steine durch Dampfkraft in Bewegung gesetzt wurden. Wer aber diese nicht zu seiner Verfügung hatte, mußte sich mit der Wasserkraft begnügen, von der hier wirklich und im wahren Sinne des Wortes kein Eimer voll unbenutzt vorüberlief, ja jeder Eimer voll, noch müde von der letzten Arbeit, und über und über vom gelben Lehm beschmutzt, schon wieder in die Speichen eines neuen Nades springen mußte, den Schaft zu dreheu, der den Mühlstein trieb. Diefe Näder liegen dabei alle unterirdisch, und das Wasser fällt nicht von oben auf das Nad, oder läuft darunter hin, wie bei uns, sondern es schießt, vielen Ranm ersparend, an der einen Seite vorbei, dadurch eben so leicht die Speichen des Nadcs drehend. Auf ähnliche Weise habe ich auch im Lande, und ebenso in Ecuador, mehrere Mühlen gesehen, die alle über einem Brückcnbogeu gebaut sind, unter dem das Wasser oahinschieht nnd seitwärts das Nad mit dem aufwärtsstehenden Schafte treibt. Zahllose Llamas schleppten dazu theils das 42 Gestein herbei, theils die zermahlme Masse in große rund gemauerte und unten dicht gepflasterte Watten, durch welche fließendes Wasser geleitet war, — und hier begann das eigentliche Geschäft einer Menge kleiner, ruppig genug aussehender Ponies, die zu fuufzehn und zwanzigcn in diesen engen, kaum 18 — 20 Fuß im Durchmesser haltenden Raum getrieben, und darin viele Stunden lang herumgepeitscht wurden. Aller Anfang ist schwer I Zuerst keuchen und schnaufen sie über die noch harte bröckliche und rauhe Masse, je länger sie aber darin herumarbeiten, desto weicher wird der Boden, bis sie zuletzt in einem dünnen Brei einfach spazieren gehen. Die Umgebung sah freilich trostlos genug aus und bestand nur aus kleinen, dürftigen und schmutzigen Hütten, von denen die meisten noch ein kleines Peruanisches roth und weißes Fähnchen ausstecken hatten, zum Zeichen, daß dort auch jenes erbärmliche agua aräiEnto ausgeschenkt wurde. Dev Weg aber siel scharf zu Thal, so scharf, daß ich mich nach einigen Stunden schon in einem vcrhältnißmäßigen tropischen Klima befand, denn hier wuchsen die ersten Kartoffeln, hier begann schon etwas Futter für die Maulthiere, das auf. Eseln uud Llamas nach Cerro hin- 43 aufgeschafft wird, hier begann schon freundlich grünes Gras an den Hängen, und dicht an dem Bergbach standen wieder Sträucher und tauchten ihre überhängenden Zweige in die rasch vorbeischießende Fluth. Noch etwas weiter unten fand ich Mais und verschiedene Gartengemüse, und gegen Mittag schon öffnete sich das Thal etwas mehr, und zeigte breitere grüne Flächen, in denen ganze Scharen von Maulthieren und Rindern grasten. Der peruanische Wegebau uräsentirte sich aber auch hier mit eiserner Conseqnenz, denn wo es mit ein paar Pfunden Pulver möglich gewesen wäre, kleine hindernde FelMöcke leicht wegzuräumen, hatte mau es hartnäckig vorgezogen, die Bahn steil daran hinauf oder hinab zu führen — die armen Lastthiere mochten dann sehen, wie sie über solche Stellen hinwegkamen. Etwa um drei Uhr Nachmittags erreichte ich Huariuco, ein kleines freundliches Städtchen, dicht am Ufer des schäumenden Vergstromes gebaut, und mit grünen Feldern ringsum, ja selbst die Verghänge hie und da mit grünen Vuschstreifen geschmückt, die der Gegend etwas Freundliches gabll:. Hier also mußte ich Unterkommen für mein Maulthier suchen, das dadurch Gelegenheit 44 bekam, sich von dem siebentägigen Ritt etwa vier Wochen ordentlich auszuruhen und zu erholen-Das Futtergeld, das man gewöhnlich dafür bezahlt, ist ebenfalls mäßig und beträgt uur einen Dollar die Woche. Neberhaupt verläßt der Reifende hier, fehr zum Vortheil seiner Casse, die riesigen Preise der Westküste, die sich bis nach Cerro de Pasco erstrecken, und besonders in den Miethen von Thieren fühlbar sind. Von Lima bis Cerro de Pasco muß man für acht und vierzig Leguas sechzehn bis achtzehn, ja oft zwanzig Dollar bezahlen. Von hier ab kostet die Legua einen Neal (acht Neal der Dollar), und für einen Führer, der das gemiethete Pferd wieder zurücknimmt, hat man noch einen Medio oder halben Neal die Legua extra zu bezahlen. Ein doppelter Vortheil für den Reisenden, der hier nicht allein eitlen fest bestimmten, sondern auch billigen Preis hat. Iu Huariäco, da die ganze Stadt keine Fonda oder Pofada (im Lande Tambo genannt) besitzt, blieb ich bei dem sogenanten gudoimallür. Der. Titel eines solchen Mannes klingt sehr hoch und voll, die Spanier wie die Deutschen lieben aber volltönende Titel, uud der ^^ernaäor hat etwa dics^be Bedeutung, wie bei uns der Schulze eiues Dorfes. 45 — Mem Gobernador also war ein dicker, kleiner gemüthlicher Mann, der in seinem eigenen Hause von der Frau, einer dürren, langen, bissigen Gestalt, nur geduldet schien, und in der That bei jeder wichtigen Handlung seines Lebens erst bei ihr anfragen mnßte. Diese schien auch mit meinem Dasein gar nicht recht einverstanden, denn nach Vorzeigung meines Passes hatte sie eine lange und sehr lebhafte Unterhaltung mit dem Gatten, der durch häusiges Achselzucken sich vollkommen einverstanden mit ihr zeigte, aber zugleich auch die Unmöglichkeit darzuthnu suchte, anders zu handeln. Hätte ich meinen alten Grnndsatz befolgt, nie mit Leuteu näher zu verkehren, deren Gesicht mir beim ersten Anblick nicht gefällt, so wäre ich wahrscheinlich besser gefahren; so aber erbot sich der Mann mir, mein Maulthier die vier Wochen hindurch auf der Weide zu halten, und da ich mein Thier hier wenigstens gut aufgehoben glaubte, und von ihm auch am nächsten Morgen ein anderes bekommen mußte, mochte ich mir weiter keine vielleicht unnöthigen Umstände machen. Die Frau machtc endlich gute Miene zum bösen Spiel, denn der Negierungspaß ließ sich nicht wegleugnen, und wies mir nur zum Schlafen eine Lehmbank ihrer Vorrathskammer an, ohne ein 46 einziges Schaffell zur Unterlage, wie es sonst die ärmlichste Hütte bietet. Ich schlief aber die ganze Nacht trotzdem vortrefflich, kochte mir Morgens selber einen Becher Thee, und ritt dann auf einem schon bereit gehaltenen ziemlich lebhaften Pony den von hier weit besseren Weg nach Huänaco zu. So sehr ich aber gehofft hatte, hier unten ein breües ausgedehntes Thal zu finden, so sah ich mich doch darin immer wieder getäuscht. Bei Huari^co hatte es sich etwas geöffnet, weiter unten zog es sich wieder mehr und mehr zusammen, Nichts mehr als eine grüne Schlucht bildend, in der kurze Strecken urbar gemachten Landes lagen. — Aber wärmer wnrde das Land, höher wurdcn die Bäume, und hohe prächtige blüthenbedeckte Büsche standen überall am Wege und am Rande des Bergstroms. Auch Aloe und Cactus stiegen höher und höher, bis dic ersteren ihren baumartigen Schaft mit Blüthen bedeckt, in die blaue Luft hinaufstreckten. Eben so wurden die Stiele des schon in hübschen Feldern gepflanzten Mais stämmiger, und gegen Abend sah ich das erste Zuckerrohr. So fruchtbar diese einzelnen Stellen aber auch sein mochten, so stellte sich doch auch dadurch der Charakter des ganzen peruanischen Landes immer 47 deutlicher heraus. — Schmale, sehr schmale Thäler mit herrlicher Vegetation, und rings darum her weite endlose Vergftriche, die an den westlichen Hängen der Cordilleren nur Sand und Steine tragen, und an den östlichen höchstens dazu, dienen können, einzelnen Schafhecroen Nahrung und Weide zu geben. Das Land ist ungeheuer groß, und wahrscheinlich noch an vieleu, vielen Stellen von reichen Metallen erfüllt, aber der Ackerbau hat dort mit vieleu nud großen Schwierigkeiten zu kämpfen, die gerade da am Mühsamsten zu überwinden sind, wo der Verkehr wie Export der gezogenen Güter am Leichtesten wäre: an der Westküste. Dort aber muß das Land künstlich bewässert werden, wenn es wirklich eine Flucht tragen soll, und solche Stellen sucht sich der europäische Auswanderer selten aus, da er eine Menge von anderen Ländern findet, wo ihm die Natur das mehr erleichtert hat. Diese Nacht blieb ich in dem kleinen Städtchen Ambos, wieder bei dem Gobernaoor oder Alkal-den, — ich habe den richtigen Titel leider vergessen, — und befand mich hier schon eigentlich recht inmitten des wirklich reizenden und fruchtbaren Huarmw-Thales, das eigentlich die Korn- 48 kammer für die Umgegend auf viele, viele Leguäs weit bildet. Hier breitet sich das Thal wirklich zu einer grünen Ebene aus, das der bis dahin fchon ganz ansehnlich gewachsene Huäuaco durchströmt und bewässert. Reiche Zuckerrohrfrldcr stehen überall. Mais, Kartoffeln, Futterkräuter, Gemüse gedeihen ebenfalls vortrefflich neben einander, und dieser Strich Landes könnte mit dem reichsten der Welt wetteifern, wenn irgend ein Wetteifer überhaupt in dem ganzen Charakter der Peruaner läge. So aber arbeiten sie wirklich nur so wenig wie irgend möglich, sich ebcn am Leben und in einem Poncho zu halten, und ein Streben nach mehr nnd weiter kennen sie gar nicht, oder machen wenigstens, wenn sie es kennen, keinen Gebrauch davon. Iu jedem andern Lande der Welt wäre dort auch, wo Peru besonders Mangel an fruchtbarem Boden hat, kein Fußbreit mehr unbebaut, hier dagegen harren noch viele Aecker des Pfluges, das tausendfältig wiederzugeben, was ihrem Schooße anvertraut wurde. Von Ambos hierher sind nur fünf Leguas vollkommen ebenes Land, und der Weg größten-theils zwischen Haciendas odcr Felder nnd Gärten führend. Das war schon an und für sich 49 interessant genug, außerdem aber ritt ich auch heute Morgen ein Maulthicr, das noch nie Zügel oder Sporen gefühlt zu haben schien, sondern wahrscheinlich immer im Trupp mit irgend einem Kasten oder Sack auf dem Nn'ckcn gegangen war. Dabei beliebte es von Anfang au, so wie ich es nur mit dem Sporn berührte, rückwärts "aus Am-bos hinaus und über die Ziemlich lange Brücke zu gehen, was einer Anzahl von jungen perua-nischen Tagedieben das größte Vergnügen zu gewähren schien< Ich ließ ihm aber ruhig seinen Willen, bis wir draußen hinter Ambos eine Höhe hinauf zu reiten hatten. Dort hielt ich es scharf im Zügel, stachelte es tüchtig und unerbittlich mit den Sporen, bis wir in gestrecktem Carriöre ziemlich auf der Höhe waren, und hatte die Genugthuung, mein Maulthier, oben angelangt, völlig zahm und brauchbar zu haben. In Huänaco muhte ich den Subpräfekteu sprechen, der mir meinen vom Präfckteu ausgestellten Paß weiter zu visireu hatte. Der Sub-Präfekt von Hunnaco war aber der rcichste Mann diefer reichen Provinz, besaß eine herrliche Ha-cicnda iu einer der schönsten Lagen, etwa 1^ Leguas von der Stadt entfernt, und schieu hier ziemlich unumschränkt zu herrschen. <5r. G crstncl cr, Achtzehn Monatc in Süd°Amerila, II. 4 50 Da es ein Sonnabend war, hielt ich es nicht für unnöthig, auf feiner Hacienda, die ich pafsiren mußte, anzufragen, ob er sich vielleicht fchon heute den dringenden Negierungsgefchäften entzogen habe, in die stille Nnhe des Landlebens zurück zu flüchten. Ich hatte mich auch nicht getäuscht und wurde von dem Herrn auf das Freundlichste aufgenommen. Befonders erfreulich war mir aber die Nachricht, die ich hier auf meine Anfrage nach dem eigentlichen Weg in die deutsche Colome bekam, von dem mir in Lima gesagt worden, daß er Vieles zu wünschen übriglasse. „Der Weg?" rief der Subpräfelt, „deßhalb machen Sie sich um Gotteswillen keine Sorgen. Sie haben von hier aus einen ganz vortrefflichen Weg und können mit der größten Leichtigkeit in drei und einem halben Tage nach Ihrem Pozuzu kommen. Der Weg ist von hier aus gar Nichts." Das war ein Trost; vergebens suchte ich aber meinen Paß visirt zu bekommen. — „Ja wohl, mit dem größten Vergnügen," sagte der Subpräfekt, aber er that es nicht. Erst hatte er noch einen kleinen Gang durch den Garten zu machen, der ihm etwa anderthalb Stunden raubte, dann ^mußten wir vor allen Dingen frühstücken, und zuletzt 51 packte er eine alte unglückselige englische Wand-nhr aus, zu der er glücklicherweise keinen Schlüssel hatte, und suchte den Perpendikel in Gang zu halten. Es war indessen drei Uhr Nachmittags geworden und ich hatte mir die Hacienda, die in ihrer innern Einrichtung in der That Nichts zu wünschen übrigließ, schon nach allen Seiten betrachtet. Jetzt konnte und .wollte ich nicht länger mehr warten, aber erst auf mein ernstliches und entschiedenes Drängen, indem ich mein Maulthier sattelte, aufstieg und erklärte, ich würde im anderen Falle ohne den Paß wegreiten — was ich aber nicht gethan hätte — bekam ich denselben. Die Leute haben wirklich, Alle ohne Ausnahme, keinen Begriff von irgend einem Werth der Zeit — glückliche Sterbliche, die es jedenfalls sein müssen, denn sie können ja dann auch ihr Fliehen nicht bemerken. Von hier aus brachte mich ein kurzer Ritt durch einen wahren Fruchtgarten in die eigentliche Stadt selber, die groß und weitläufig genug angelegt ist. Schade aber um das Terrain, das sie auf dem fruchtbaren Boden unnöthigerweise einnimmt, denn der Platz mit den öden Häusern der Vorstadt sah wirklich so aus, als ob die halbe 4* 53 Stadt eben durch eine furchtbare Seuche entvölkert wäre. Jener Ausspruch eines Proletariers 1848 in Berlin siel mir ein, der da behauptete, es könne nie besser in Deutschland werden, so lange noch Jemand in der ersten Etage wohne. Der Mann hätte hier sein Paradies gefunden, denn ill Straße nach Straße, durch die ich ritt, fand ich wunderbarerweise die erste Etage leer und- verödet, und fast überall schaute die taube Luft aus deu leeren Fensterrahmen auf das Pflaster nieder. Ein paar dieser Etagen hatten Fenster, aber auch hier wohnte Niemand; Alles hielt sich parterre, und die erste Etage schien den Lüften und Fledermäusen völlig preisgegeben. Huänaco könnte eine bedeutende Stadt sein, so ist es ein breit gedrücktes Landstädtchen, das in der vollen Sonnenwärme einem Badeorte im Winter gleicht, wo Tausende von Wohnungen um ein Billiges zu vcrmiethen sind. Das Land aber zieht fast alle tropischen Pro-ducte, und vorzüglich einen ganz ausgezeichneten Kaffee, der nach Lima geschafft, und dort außerordentlich theuer bezahlt wird. Selbst iu Lima kostet das Hundert-Pfund oder Quiutal gewöhnlich bis vierzig Dollars, während man den bra- silianischen Kaffee mit Fracht und Steuer um die Hälfte billiger kaufen kaun. Die Westküste Amerikas liefert aber auch ein weit besseres Product als die Ostküste, und der Kaffee vonHunnaco sowohl, wie der Ecuadors steht dem Moccä an Güte uicht nach, und hat selbst den, diesem eigenthümlichen Geschmack, weuu auch vielleicht uicht so entschieden. Zuckerrohr gedeiht ebenfalls vortrefflich hier, aber es braucht läugere Zeit zur Neife, als in den tieser und wärmer gelegenen Distrieten, und wird uicht so stark und saftreich. Für die Coca ist es hier uicht heiß genug; denn diese verlaugt noch weit wärmeren Boden, als selbst Zuckerrohr und Kaffee. Alle diese Gegendeu bewohnt ein ganz eigenthümlicher Meufchenschlag, — keine Weißen und auch keine Indianer, sondern ein Wenig von Beiden, und oft ein Wenig von Diesem, oft voll Dem Mehr, bei denen sich der Peruaner dann mit dem Namen Cholo abfmdet. Cholo bedeutet hier das Nämliche, was im Norden von Amerika Mestize heißt, — Abkömmling von Indwner und Weißem. Des indiani-chen Blutes, wenn es auch nicht gerade von einem Kazikenstamme kommt, brauchen sich aber die Leute 53 54 wahrhaftig nicht zu schämen; denn es war jener Zeit edler, als das des spanischen Gesindels, das diese Küsten überschwemmte, und das aus wenig besserem Stoffe, als Piraten und Mordbrennern bestand. Daß sie sich dabei Christen nannten, kann die Sache nur noch verschlimmern. Huiwaco hat wenigstens den Vortheil eines ziemlich guten Hotels, an welches man in Süd-Amerika nur folgende Bedingungen stellt: Ein tapezirtes Gastzimmer mit einem, den ganzen Naum ausfüllenden Villard, und einem kleineren Tische mit ein paar Stühlen in die ein.e Ecke gedrückt, schlechte, thenre Küche, und eine Art Bett in eine Rumpelkammer gestellt, wo mau noch sehr zufrieden sein kann, wenn Einem das Ungeziefer die Nacht die Ruhe auch gönnt, für die man schwer genug bezahlen muß. Nur der Kaffee war ausgezeichnet, und das entschädigte wieder für mauches Andere. Am nächsten Morgen hatte mir der Goberna-dor (der in Abwefcnheit des Subpräfekten die Zügel der Negierung in der Hand hielt) fest zugesagt, daß ich zu früher Stunde ein Pferd haben sollte. Wer aber nicht Wort hielt, war natürlich der Gobernador, und als ich nun um halb sieben zu ihm ging, lag er noch im Bett. Wäre ich nun ein ächter Deutscher von altem Schrot und Korn 55 gewesen, so würde ich mich ganz höflich erkundigt haben, wann der Herr Gobernador geruhten aufzustehen, um dann später wieder einmal nachzufragen. Leider hatte ich mich aber zu lange in diesen südamerikanischen Ländern herumgetrieben, um nicht zu wissen, wie mau mit diesen Leuten umgehen müsse. Den Regierungspaß, nach dem die Beamten verpflichtet wurden mir uuverweilt Pferde zu schaffen, trug ich iu der Tasche, geschah das nicht, so war natürlich nur die Faulheit der eiuzelnen Beamten daran schuld. Diese Zu überwinden, gab es aber nur ein einziges Mittel: Grobheit — und ich ward grob. In zwei Minuten hatte ich den Gobernador aus seinem Bett und auf der Straße, gleich darauf wetterte ich vor der Polizei, in einem noch dazu sehr bösartigen Spanisch, die Polizeidiener ebenfalls zusammen, daß sie noch kein Thier herbeigeschafft Hütten, und brachte endlich das zeitliche Oberhaupt dieses Theils von Peru dahin, daß er selber in den Sattel stieg, und in gestrecktem Galopp die Straße hinabflog. Eine halbe Stunde spater hatte ich auch richtig eiu ziemlich gut gehendes Thier, und trabte auf dem das freundliche Thal hinab, einem anderen kleinen Städtchen Panao z u, das ich noch an diesem Abend erreichen sollte. 56 Die Gegend hier ist wunderhübsch; denn die hohen und kahlen Verge liegen zu weit im Hintergrund, um störend einzuwirken, während tausend Vlüthenbüsche den Weg umstehen, und fruchtbare grüne Felder überall dem Blicke begegnen. Außerdem befleißigen sich hier die Leute einen ganz vortrefflichen Guarapo aus dem Safte des Zuckerrohrs zu ziehen, und da er in einer Menge von kleinen Häusern am Wege um ein Billiges feilgeboten wurde, so versäumte ich nicht, häufigen Gebrauch davon zu machen. Der Guarapo hat aber nur zwei oder drei Tage seines kurzen Lebens, in denen er gut, süß und genießbar ist; seine schöne Jugend — nachher wird er alt und sauer, verbittert in seinem ganzen Dasein, und zieht sich, noch zwei Tage später, als Essig in das Innere alter steinerner Kruken und Calebassen zurück. Uebrigens feh? ich nicht ein, weßhalb nicht aus unserem Nnnkelrnbensaftc ein eben so guter Guarapo zu machen wäre, wie aus dem Safte des Zuckerrohrs, läßt sich doch ein eben so guter Zucker daraus kochen, und ich will unseren deutschen „Pflanzern" wenigstens das sehr einfache Recept angeben, nach dem sie dann selber mit Leichtigkeit einen Versuch machen können. 57 „Der Zuckersaft wird mit einem Viertel Wasser gemischt, dann gekocht und viel abgeschäumt, bis er auf die ursprüngliche Quantität des Saftes eingekocht ist. Dann läßt man ihn abkühlen und gießt ihn in ein irdenes oder hölzernes Gefäß zum Gähren. Nach drei Tagen ist er gewöhnlich gut; das erste Mal aber, wenn das Gefäß noch keine Säure angenommen hat, geht die Gährung etwas langsamer vor sich. Das Gefäß ist obe,n zugedeckt." Das tropische Klima, in dem das Zuckerrohr gedieh, ließ ich aber bald hinter mir, wie ich nur einmal erst rechts von dem Huimacostrom abbog und wieder in die Verge und die gemäßigte Zone hineinkam. Wieder einmal das Klima gewechselt, und zwar in wenigen Tagen aus der kalteu Zone Von 14,500 Fuß über der Meeresfläche durch die gemäßigte in die heiße, und jetzt wieder in die gemäßigte hinein, um auf's Neue bis an die Grenze der kalten hinauf- und zu der wirtlich heißen wieder hinabzusteigen. Der Mensch wird auch durch diesen ewigen Wechsel so confus, daß er zuletzt gar uicht mehr weiß, in welchem Lande der Erde er sich befindet. Heute muß man den Rock ausziehen, um in der Hitze marschiren zu 58 können, morgen steckt man die Hände in die Taschen und läßt sich den Schnee ins Gesicht peitschen,' ^ aber lieber Gott, unser deutsches Aprilwetter hat uns die letzten Jahre Aehnliches gebracht, ohne daß man sich deßhalb weit zu bemühen brauchte, und das war auch vielleicht die Ursache, daß ich den Wechsel so leicht und bequem ertrug. An diesem Abend hatte ich bis zu einem kleinen Städtchen, Panao, zureiten, wo mir dann dessen Gobernador ein neues Thier verschaffen sollte. Der Weg zog sich aber furchtbar in die Länge und das fruchtbare Land dahinten lassend, erreichte ich wieder schlechten Weg, Berge und — etwas Neues für mich in Peru — Bäume — die ersten wirklichen Bäume, die ich bis dahin gesehen, wenn ich die wenigen Weidenbäume am Chillon ausnehmen will. Hier begann Wald, allerdings noch etwas dürftig, und das Holz nicht übermäßig stark, aber es war doch Wald und der lange nicht gehabte Anblick that den Augen wohl. Ich dachte damals gar nicht daran, daß ich der Bäume über und über genug bekommen könnte, ehe ich mit ihnen wieder fertig wäre. Gegen Abend überholte ich einen jungen Burschen auf einem Schimmel, der ebenfalls nach 59 Panao wollte, und da sich die Sonne schon dem Abend zuneigte, frug ich ihn, wie weit wir noch bis zu dem Städtchen hätten. Wir hielten gerade auf einem Berghange, der sich tief und steil in das Thal hinabzog, und ich vermuthete, daß Panao wohl irgendwo da unten am Strome liegeu würde. Der junge Bursche deutete aber lachend gerade über das Thal hinüber und rief aus: Da drüben liegt es ja groß und breit. Und da drüben lag es wirlich,, groß und breit," denn wie ein weiter ziegelrother Fleck, von feinen dunklen Linien die Kreuz und Quer durchzogen, klebte die Stadt mit ihren ausgedehnten Straßen an dem grünen Hange. Aber was für ein Weg uoch in das tiefe Thal hinab, und an der anderen Seite wieder bis zu der Stadt hinauf. — Doch half es Nichts, ich sah jetzt wenigstens mein Ziel und gab meinem Thiere die Sporen, nicht unnöthige Zeit durch Schauen zu versäumen. Nichtsdestoweniger war es schon stockdunkel, als ich endlich die Stadt erreichte, und da ich meinen jungen Burschen auf dem Schimmel schon lange hinter mir gelassen hatte, frug ich jetzt Einen und den Anderen, denen ich noch in der Straße begegnete, nach dem Gobernador. — Lieber Himmel, was half es mir, daß ich mein bestes Spanisch versuchte, und mir 60 mit der Aussprache die größte Mühe gab, die Leute verstandeu mich alle miteinander nicht, deun wie ich zu meinem Schrecken jetzt fand, redeten sie nur die Kitchua-Sprache oder die Sprache der Inkas, nnd von der verstand ich selber kein Sterbenswort. Glücklicherweise hatte ein Mann aus einem der benachbarten Hänser meine Noth gehört, denn sehen konnten wir einander nicht. Er kam heraus und erbot sich freundlich, mich zu dem Gobernador hinzuführen, da ich denselben nicht in seinem eigenen Hause antreffeu würde. Heute sei Fest (es war der heilige drei Königstag) und da befänden sich sämmtliche Honoratioren zu einem Ball versammelt. Zu einem Ball — dazu paßte ich prächtig mit Staub und Schweiß bedeckt, nnd todtmüde und hungrig. Ich frug den Mann auch, da ich diese Nachricht bekam, nach einer Posada, um lieber vor allen Dingen Etwas zu essen und zu trinken. Er versicherte mich aber, daß wir gerade nach der Posada hinwollten, denn dort befänden sich die Gäste, uud längeres Weigern hätte Nichts geholfen. Wir hatten anch nicht weit zu gehen, denn schon um die nächste Ecke biegend, hörte ich die scharfen Töne einer Violine, .und fand mich gleich 61 darauf an der Schwelle einer so wunderlichen, wie eigenthümlichen Scene. -^ Ich wollte, ich könnte dem deutschen Leser einen recht deutlichen Begriff davon geben. Der Vallfaal bestand aus einem nicht übergroßen Zimmer, etwa zwanzig Fuß im Quadrat, und wie ich zuerst hineinfah, glaubte ich, daß es stockfinster darin sei. Bei längerem Hinschauen erkannte ich aber das Schimmern zweier Talg-lichter, die an verschiedenen Seiten angebracht waren und ein höchst dürftiges Licht verbreiteten. In diesem Duster wimmelte es aber von, dem Vermuthen nach heiteren Menschen, denn Alles sprang und hüpfte durcheinander, und die schon vorher gehörte Violine quietschte den Tact dazu. Wie schon gesagt, konnte ich, als ich das Zimmer erst betrat, nicht das Geringste sehen; ich hörte nur, wie ich Jemandem vorgestellt wnrde, und wie mir dann eine oder zwei Personen die Hand schüttelten, und fand mich plötzlich, mit einem großen Glas gg'ua ai'äiente in der Hand, auf einer sehr niederen Vauk sitzen. Den Branntwein leerte ich auf einen Zug, denn ich war wirklich erschöpft nnd bedürfte irgend einer Stärkung, oder weuigstens Aufregung. Wenn ich aber geglaubt, die Empfangsfeierlichkeit damit 62 beendet zu haben, so hatte ich mich geirrt, denn ein zweites Glas a^ua aräieuw folgte dem ersten, und diesem ein drittes, und Alle schienen sich verabredet zu haben, mich so rasch als möglich unter den Tisch zu trinken. Nach und nach erkannte ich aber meine Umgebung etwas besser, und fand jetzt, daß ich zwischen dem Gobernador und Cura oder Priester, also den Honoratioren des Ortes saß, die dem Feste beiwohnten, um seine Feier wahrscheinlich zu erhöhen. — Aber ich habe hier keine Zeit, die Schrecken dieser Nacht alle zu erzählen, nur so viel will ich noch sagen, daß ich lange Zeit umsonst versuchte Etwas zu essen zu bekommen. Man trank hier, aber man aß nicht, und endlich, als ich fest darauf bestand, brachte mir eine der Frauen einen schon jedenfalls vorher abgenagten Schafknochen, mit einem Stück trockenen Brodes. Ich verschlang die spärlichen Ueberreste, die ich noch vorfand, schärfte dem Gobernador noch ein, mein Pferd morgen um sechs Uhr bereit zu halten, und ließ mir dann einen Platz anweisen, wo ich schlafen konnte und nicht fortwährend durch neue Aufgüsse von Branntwein gestört wurde. Am nächsten Morgen mußte ich den Gobernador allerdings noch aus dem Bette holen, ehe 63 ich mein Thier bekam, denn der Mann hatte nach den Genüssen der letzten Nacht noch nicht ausge-schlafen. Ich kam aber doch Verhältniß mähig früh fort und trabte bald, an einem prächtigen und frischen Morgen, in das höher gelegene und ziemlich bergige Land hinein. Die Cordilleren, die östlich von Chile nur einen einzigen compacten Gebirgsstock bilden, liegen hier fast wie in zwei Züge gespalten. Der bedeutendste von diesen ist allerdings die eigentliche Wasserscheide, westlich von Cerro, und dort überschreitet man auch den höchsten Paß. Dennoch zieht sich hier wieder eine zweite Kette hin, die aber nicht ununterbrochen fortläuft, sondern in ihren Zwischenthälern die am Osthange jener Hauptkette entspringenden Wasser dem Amazonenstrom zufließen läßt. Den Thälern selber kann man jedoch nicht folgen, denn ihre Hänge sind an vielen Stellen Nichts weiter als steile, schroffe Felsen, die starr und eisern in den zwischen ihnen d«hinstürzenden Strom hineinreichen. Deßhalb zieht sich der Weg den höheren Kuppen zu, die leichter einen Uebergang gewähren. Der peruanische Wegebau zeigte sich aber auch hier wieder in all seiner Glorie, denn auf und ab führte der schmale Pfad, kein einziges Hinder- 64 niß durchschneidend, sondern sie alle überkletternd. Einem einzigen kleinen, aber unbequemen Felsblock oft' auszuweichen, der nüt ein paar Pfund Pulver leicht beseitigt wäre, mußte man weite Strecken gerade am Berge hinauf uud dann wieder eben so steil hinab, und es sah aus, als ob sich Nicht Menschen, sondern nur die Thiere der Wildniß diese Bahn ausgesucht und begangen hätten. Nach kurzem Nitt, denn meine nächste Station war heute nur drei Leguas, wo ich ein frisches Pferd bekommen sollte, erreichte ich endlich ein kleines ärmliches Pueblo, Chagles genannt, nno holte hier den Maiden aus dem Bette, mir rasch ein Thier zu verschaffen. Er wollte erst nicht aufstehen und behauptete, er sei sehr krauk, ich bewies ihm aber, daß er völlig gesund wäre, uud eine Stuude später fand ich mich glücklich wieder im Sattel, einen Führer an der Seite, der mich bis Mnnia, einem anderen Pueblo, bringen und mein Pferd dann wieder zurücknehmen sollte. Die Zwischenzeit, bis das frische Thier kam, benutzte ich, Etwas zu frühstücken, denn ich hatte seit dem vorigen Morgen nichts Ordentliches gegessen, und bekam hier ein herrliches Gericht frischer Puffbohnen — im Norden von Deutschland 65 .,große" oder „Saubohnen" genannt — an denen ich mich vollständig erholen konnte. Das Klima hier gehört schon ganz dem gemäßigten an, ja war eigentlich mehr kalt als warm, und das Haupterzeugniß des Bodens die Kartoffel. Mais hatten sie ebenfalls an einigen Stellen gepflanzt, und er gedieh gut, und überhaupt schien der Boden fruchtbar, so weit man es eben für ant befunden, ihn urbar zu machen. Da aber diese Menschen alle nur fehr wenig Bedürfnisse haben, und selbst die nöthigsten Arbeiten nur ungern und gezwungen thun, so versteht es sich von selber, daß sie den Pflug in keine Scholle Erde brachten, die sie nicht unumgänglich nothwendig zu ihrem Leben brauchten — alles Andere war vom Nebel. Zum Verkauf hatten sie deßhalb gar Nichts auf der Welt, wie etwas a^u^ m'äi^nts, "von dcm der Alkalde oder Tmiente uur zwei Flaschen auf Speculation von Panao bezogen. Um elf Uhr etwa ritt ich wieder von Chagles fort und bekam jetzt diesen „herrlichen Weg" zu sehen, von dem mir der Subvräfekt iu Huänaco nicht genug zu rühmeu wußte. So vortrefflich war er angelegt, daß ich von ChagleZ fort eine Legua steil bergauf und zwei Leguas wieder vollkommen steil hinab mußte. Dort kreuzte ich einen Berg-Fr. Gcr st ä ckcr, Achtzchn Monate i« Süd- Amcnta. II. 5 66 ström und stieg jetzt wieder eine Legua wie an einer Mauer hinanf, um an der andern Seite gerade so hinabzuklettern. Von da ab zog sich der Weg nochmals eine Lcgua steil zu Munia auf, und von da eben so schroff noch drei und eine halbe Legua höher auf den Gipfel der zweiten Cordillera, dem sogenannten 3IIW Tambo. Der Pfad mnhte natürlich den ganzen Tag im Zickzack bald auf-, bald abwärts sichren, und ich konnte unmöglich im Sattel bleiben, wenn ich das Thier nicht umbringen oder wenigstens zu Schanden reiten wollte. Dadurch rückte ich nur sehr langsam von der Stelle, und der Abend dämmerte schon, ehe ich nur die zweite Höhe vollständig erstiegen hatte. Den Wald ließen wir schon lange wieder zurück ; nur unten am Vergstromc stand dichtes, ziemlich üppiges Gehölz. Hier obeu waren die Verge vollkommen kahl, aber mit vortrefflicher Viehweide, wenn die Bewohner dieser Gegend nur eben hätten Vieh halten wollen. So sahen wir kaum ein halb Dutzend Kühe und ein paar Pferde nno Maulthiere, die sich ordentlich in der entsetzlichen Einsamkeit zu langweilen schienen. Ziemlich oben am Hange des Berges begegneten wir aber auch Wild, und ein Hirsch äs'te sich dort vollkommen 67 vertraut auf etwa hundert Schritt Entfernung. Jedenfalls mußte er uns auf dem offenen Boden, an dem wir mühsam und im Zickzack aufwärts klommen, fchon lange bemerkt haben; ich felber wurde aber zuerst auf ihn aufmerksam, als er den Kopf hob uud nach uns herabängte. Rafch riß ich die Büchse von der Schnlter, setzte ein Zündhütchen auf und zielte; aber, lieber Gott! durch das mühselige Steigen erschöpft und vollständig außer Athem, konnte ich das Korn keinen Moment ruhig auf einem Fleck halten, und mußte erst wieder Luft fchöpfen, ehe ich abdrücken durfte. Der Hirsch indessen, durch unser Stillstehen beunruhigt, zog langsam an dem Hange hin, und ich mußte ihn vielleicht fünfzig Schritt weiter fortlassen. Endlich schoß ich — meinem Begleiter war die Zeit schon furchtbar lang geworden — der Hirsch zeichnete, und wir konnten deutlich sehen, wie er die Kugel mitten auf dem Wanst sitzen hatte — er war waidwund geschossen, denn ich hatte beim Abdrücken noch geschwankt. Mit dem Schuß fuhr er herum uud wollte den Berg hinauf — doch das ging nicht mehr; nur zwei Sprünge machte er der Richtung zu, und stürmte und stürzte dann halb den ganzen steilen Hang wieder hinunter, an dem wir eben eine volle 5» 68 Stunde Arbeit gehabt hatten, um bis hierher zu kommen. Das war (in verwünschter Slreich, denn der Abend dunkelte bereits, nnd ich dürfte gar nicht daran denken ihm zu folgen, nnd doch Hütte ich sein kleines, ab.er hübsches Geweih gern gehabt. Um das wenigstens Zu retten, sagte ich meinem Begleiter, er solle sich das Wildpret morgen auf dem Rückwege für sich mit nach ChagleZ nehnnn, für mich aber den Kopf mit dem Geweih aufbewahren, das ich, wenn ich selber wieder zurückkäme, bei ihm abholen wolle. Das versprach er, uud bar es vielleicht auch gehalten; da ich aber später von Pozuzn aus meinen Reiseplan änderte und einen andern Weg nach Cerro einschlug, sah ich Chagles und meinen Hirschkopf nicht wieder. Durch das Alles hatten wir uns aber so aufgehalten, daß wir Mnnia an dem Abende unmöglich mehr erreichen konnten, wenn wir nicht den steilen Pfad in völliger Dunkelheit zurücklegen wollten. Von dem Rücken des Berges aus arbeiteten wir uns deßhalb nur noch in das tiefe und dunkle Thal hinab, in dem eine kleine Hacienda Cormieles lag, und blieben dort über Nacht. So tief waren wir dabei wieder gestiegen, daß 69 Wir uns auf's Neue in dcm Bereiche der Pläta? nos oder Bananen und des Zuckerrohrs befanden, und von hier aus zog sich der Weg steil und ununterbrochen vier und eine halbe Legna an die Grenze der- kalten Zone, auf den Nucken der zweiten CordiÜera hinauf. Am nächsten Morgen, etwa um nenn Uhr, erreichte ich Munia, und da von hier aus eine öde Nildniß mit keiucr menschlichen Wohnung bis zum Pozuzu vor mir lag, gedachte ich dort Pro-visioneu zu kaufen und den Marsch spätestens am andern Morgen anzutreten — und wie hatte ich mich geirrt. Munia ist'eiw kleines Städtchen, aber in reizender Lage auf einer schmalen Ebene am Verg-hauge, die wie eine Art von Terrasse ausläuft. Das Klima scheint dabei vortrefflich; ich sah ein allerdings sehr kleines Maisfeld, in dem der Mais aber außerordentlich üppig stand, eine einzige Bananenpflanze trug ebenfalls eine große, fast reife Fruchttraube, und der Platz sollte außerdem das Paradies der Kartoffel stin, und was für ein Volk lebte dort, oder vegetirtc vielmehr blos von gedörrtem Mais und Kartoffeln, ohne sich einen Deut weiter um die übrige Welt zu kümmern! Einen Alkalden gab es hier ebenfalls nicht, 70 nur einen sogenannten Inspector — einen Indianer—'der augenblicklich „draußen im Walde" war, Tablas oder Planken zu „hauen." Hier begann nämlich wieder Wald, der sich an dem vor uns liegenden Hange bis hoch hinauf in den Nebel zog — wie hoch, ließ sich nicht erkennen, da weiße Schwaden den obern Theil des Berges dicht umlagerten. Des Inspectors Frau, die einen riesigen Kröpf trug und entsetzlich häßlich war, aber die schönsten Pockennarben hatte, schickte ich augenblicklich aus, ihren Mann zu suchen, und wo möglich mit eiuem Maulthier und Führer zurückmkommen, und machte dann selber die Nunde, Provisionen ein-znkaufen. Ja — Provisionen — Nichts ^ Nichts auf der Gotteswelt war zu bekommen; die Häuser standen alle öde und leer, kein Mann war im ganzen Orte zu sehen, nur ein paar Frauen Mit Kröpfen, und nach was ich auch frug: Eier, Hühner, Fleisch, Bohlien, Brod, die Antwort lautete unfehlbar in den: ewigen ,M Im^" (ist nicht da), was den Reifenden in Südamerika wirklich zur Verzweiflung bringen kann. Nicht einmal eine Mahlzeit war Zu bekommen, ein paar abgekochte Kartoffeln ausgenommen, und ich wartete jetzt nur 71 die Ankunft des Inspectors ab, diesen auf Fou-ragiruug auszuschicken. Dieser kam endlich und versprach mir noch an dem Tage ein Pferd zn schaffen, ein Führer würde jedoch, wie er meinte, sehr schwer zu bekommen sein, denn die Leute wären alle im Walde drin, Planken zu hauen, und er wisse nicht einmal, wo sie stäken — ohne Führer konnte ich aber diesen Weg gar nicht zurücklegen, da obm auf AKo Tambo, wie ich schon gehört, eine weite Pampa lag, die von Hunderten von Pfaden durchkreuzt würde. Nicht einmal eine Himmelsrichtung, der ich folgen tonnte, waren die Leute im Stande mir anzugehen, denn sie hatten gar keinen Begriff von Nord- uttd Süd — und Lebcnsmittel? — no 1^! scrgte der Mann, und steckte sich den Mund voll Cocablä'tter. No Iia^! — ich wußte das besser; Hühner hatte ich genug gesehen und wnßte ein Mittel die zu kaufen; fchickte also meinen Inspector vor allm Dingen aus, eiu Pferd zu holen, und wenn irgend möglich, einen Führer mitzubringen, nahm bann meine Büchse und ging auf das nächste Haus zu, an dem ich Hühner fand. Natürlich weigerten sie sich dort, mir eines zu verkaufen, aber ich hatte am Pailon gelernt, mit diesen 72 Leuten umzugehen. Ruhig nahm ich einen halben. Dollar aus der Tasche und zeigte ihn der Frau, wobei ich ihr sagte, daß ich ihr das Geldstück für ein Huhn geben wolle — verweigere sie es, so schösse ich das erste beste todt und bezahlte gar Nichts dafür. Das half; sie sträubte sich noch ein Wenig, wie ich aber die Büchse hob und mich nach einer sehr schönen weißen Henne umdrehte, besann sie sich anders. Ich kaufte jetzt hier ein junges Huhn und im nächsten Hause auf dieselbe Art ein anderes, außerdem etwas Mais, um ihn zu dürren, und war so wenigstens gegen unmittelbaren Hunger gesichert. Mein Inspector kam aber au dem Abend erst spät, wohl mit einem Pferde, aber ohne Führer zurück. Er versprach freilich, am uächsteu Morgen sicher einen zu bringen — aber auch das gelang ihm nicht, wenn er sich überhaupt danach bemüht, und nicht irgendwo die Zeit in einem Busche geschlafen hatte. Ich versäumte hier noch einen zweiten Tag und mußte, wenn ich nicht noch länger müssig liegen bleiben wollte, endlich mit einem etwa zehnjährigen Jungen vorlieb nehmen, der allerdings den Weg kannte, mir aber auch sonst auf der Welt Nichts weiter nützen konnte. Drei volle Tage mußte ich außerdem, der Be- 73 schreibung dieser Leute nach, darauf rechnen, im Walde zuzubringen, denn was mir der Snbprafect von Huänaco von der Kürze und Güte dieses Weges erzählt, war Alles, um das mildeste Wort zu gebrauchen — erfunden. Lebensmittel gab es ebenfalls nicht, denn nur noch ein Huhu war ich im Stande aufzutreiben, und ich konnte mich nur auf mein gntes Glück verlassen, das mir bis dahin noch immer treulich bcigestanden. So brach ich denn am nächsten Morgen mit meinem Diminutiv-sührer sehr früh auf, und konnte mich jetzt im Bergsteigen ein Wenig üben, denn diese Zickzackhöhe hinauf hätte ich mein Pferd gleich in den ersten Stunden rninirt. Von 7 Uhr Morgens bis Nachmittags 3 Uhr stiegen wir langfam aber stets bergauf, und erreichten erst Ziemlich auf der Höhe wieder offene, von wellenförmigen Hügeln geschwellte Glasflächen, die nur hie uuo da mit kleinen Vüscheu und einzelnen Felsbrocken überstreut waren. In meinem Leben habe ich aber kein herrlicheres Pirschterrain gesehen, und da ich außerdem eine Menge Hirschfährten fand, beschloß ich, jedenfalls hier oben zu lagern und heute Abend "neu Pirschgang zu macheu. Auf der Hochebene, die den Gipfel dieser Cordilleren bildete, stand 74 ein alter Rancho, ein paar in den Boden gesteckte Pfähle, mit dem langen, binsenartigen Grase nothdürftig gedeckt. Diesen stellte ich wieder her, entzündete ein Feuer, schleppte eine Quantität trockenes Holz herzn, nnd war eben damit fertig, als ein tüchtiger Regenschauer niedergoß. Wir befanden uns mitten in der Regenzeit, glücklicherweise war ich aber bis hierher trocken durchgekommen, und durfte mich jetzt wahrlich nicht beklagen, wenn ich auch ein paar Mal wacker ausgewaschen wurde — hatte ich das Alles doch vorher gewußt. Aber auch der Regen war mir nur zum Vortheil, denn etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang klärte es sich wieder auf, und ich hatte die herrlichste Gelegenheit zum Pirschen, die ich auch wahrlich nicht versäumte. Es war ein ordentlicher, langentbehrter Genuß, mit der wackeren Büchse im Arm in diesem wnn-dervollen Terrain hinzuschreiten, nur der Jäger kann das ganz mit mir fühlen, und ich kam eigentlich viel zu früh zum Schuß. Ein geltes Thier hatte in einem der kleineren Seitenthäler gesessen, und stand eben auf, als ich mich hinter einem rauhen Felsblock auf einen der ihm nächsten Hügel Pirschte. Da ich vortrefflichen Wind hatte, konnte, es mich natürlich nicht wittern und sing an sich ___75^ zu äsen; ich durfte aber die Gelegenheit nicht vorbeilassen; denn wir mußten Lebensmittel auf unserem langen Marsche haben. Nach dem Schuß sprang es noch etwa zwanzig oder dreißig Schritt hinter den nächsten Hügel, wo ich es aber gleich darauf, als ich den abgeschossenen Lauf wieder geladen hatte, schon verendet fand. Ich nahm jetzt die beiden Keulen und den Ziemer heraus und mit zum Feuer, das Nebrige irgend einem Condor überlasseud, der zuerst am nächsten Morgen hier vorbeistreichm würde. Auf dem Rückwege hätte ich noch einen Spießer schießen können, an den ich auf etwa hundert Schritt hiuankam, aber das wäre Mord gewesen, und ich wanderte geraden Weges zum Lager zurück, wo mein kleiner Führer nicht wenig über die schnelle Jagd staunte. Jetzt hatten wir zu leben, nud wenn ich auch die Nacht auf dieser Höhe schmählich fror, brauchten wir doch nicht dabei zu hungern. Das Pferd fand hier oben gleichfalls reichliche Weide, und da wir von hier ab den ganzen Weg bcrgunter haben sollten, glaubte ich die Neise von jetzt ab rasch beenden zu köunen — aber ich kaunte die peruanischen Wege noch nicht vollständig. Aller- 76 dings ging der Weg bergab, und steil genug, was man aber hier im Lande einen Weg nennt, das würde in Enropa z. V. eine Wolfsschlncht heißen, und ich fand bald, daß mein Pferd, selbst ohne Reiter, kanm im Stande war, dieser fnrchtbar ranhen Bahn zu folgen. Ein Weg war allerdings dnrch den jetzt wieder beginnenden Baumwuchs gehanen, aber der ganze steile Hang bestand einzig und allein aus einzelnen Felsblöckcn, über die hinab die Vahn — vollkommen rücksichtslos wer dabei den Hals brach — führte. Nach einem etwa stündigen Marsch hielt ich jedoch einen Felsblock von nur 4 Fuß Höhe nicht mehr für das geringste Hinderniß, ein Pferd darüber hin zu führen, und wenn es nicht unten, wo es wieder auftreten mußte, bis an die Kniee in den Schlamm sprang, konnte man ganz zufrieden damit snn. Wo der Neg dabei nur auf eine ganz kurze Strecke eben wurde, war jedesmal ein tiefer flüssiger Schlamm, in den das arme Pferd oft bis an den Gurt einsank, und sich nur mit der furchtbarsten Anstrengung wieder herausarbeiten konnte. Das war der vortreffliche Weg, von dem der Subpräfect in Huunaeo so rühmlich gesprochen, und ich fand anch später aus, wcßhalb das geschehen war, denn die Süd-Amerikarer thun Nichts 77 ohne Grund. Es galt nämlich, der neuen deutschen Colonie am PozuZn den kürzesten Wcg nach Cerro, der für sie einzig nnd allein von Nutzen sein konnte, zu entziehen, und ihren Verkehr, auf einem gewaltigen Umwege, über Hrmnaco zu lenken und ich bekam später Beweise, wie man kein Mittel verschmäht hatte, das in's Werk zu setzen. Der Wald war hier ziemlich dicht, wo er sich aber einmal, durch eine plötzliche Felsspitze unterbrochen, lichtete, so daß man einen etwas freieren Blick gewann, zeigte sich überall ein tiefes enges Thal, in dessen zusammengepreßter Schlucht wilde Vergwasser dahinströmtcn. Hier hatte ich auch den PoZnZu erreicht, dessen gelbe, regengeschwellte Fluth ich dann nnd wann unter mir erkenuen tounte. Gegen Abend kreuzten wir gleichfalls nnige Vergströme, die noch von dem letzten Negen angeschwollen, aber doch zu passiren waren, — freilich durfte man sich nicht scheuen, nasse Füße bis zu einer ungewöhnlichen Höhe zu bekommen. Mein kleiner Führer versicherte mich, er kenne den Weg genau und wir würden die Nacht eine gute Hütte erreichen, als es aber dunkelte, fanden wir nur die Pfähle einer früheren Hütte vor, und es war jetzt nicht mehr daran zu denken, ein ordentliches Dach herzustellen. Die Nacht 78 regnete es, was nur vom Himmel herunter wollte; wir wurden durch und durch naß, und zu meinem nicht geringen Staunen hörte ich in der Morgendämmerung, ganz dicht bei uns, einen Hund bellen. Es zeigte sich jetzt, daß wir kaum hundert Schritt vor einer guten trockenen Hütte gelagert hatteu, die wir noch recht wohl hätten erreichen können. Ein Indianer war vom Poznzn gestern Abend hier herübergekommen, nach Vieh zu sehen, das hier weidete, und hatte ein vortreffliches Feuer entzündet. Dort frühstückteu wir zusammen, und setzten dann, da er ebenfalls zurückging, in seiner Begleitung unseren Weg, nnr oberflächlich abgetrocknet, fort. Da wir die steilsten Höhen hinter uns hatten, wurde der Weg hier etwas besser. Der Baumwuchs war prachtvoll, uud die überhaupt üppige Vegetation verrieth schon gegen Mittag, daß wir uns wieder den Tropen näherten. Besonders häufig staud hier eiue weiße, sehr schöne lilienartige Kelchblume, freilich geruchlos. Unser neuer Begleiter nannte sie Asafran, und es zeigte sich, daß es wirklich, wenn nicht das ächte, doch eine Art Safran sei. Die Wnrzel war hellgelb, mit Safran ähnlichem Geschmack, und der Aussage des Indianers nach wnrde auch 79 viel davon gesammelt und nach Cerro de Pasco und Huunaco versandt, wo man die Arobe (fünf und zwanzig Pfnnd) mit acht Dollars bezahlte. >- Man hätte hier eine Arobe in ganz kurzer Zeit sammeln können. Außerdem zeigte sich hier, während das Gestein bis jetzt meist Porphyr und Granit gewesen war, der hie niid da von sehr feinen Qnarzadern durchzogen wurde, häufig eiu feiner Röthcl, der zunahm, je mehr wir uns dem Poznzu näherten. Besonders bös war dieser an Abhängen zn vassi-ren, denn der Fuß glitt davon ab, als ob man auf nasse Seife getreten wäre. Der Charakter des peruanischen Landes, wie lch es bisher gefunden, hatte sich überhaupt hier ganz verändert, und glich der westlichen Küste nicht mehr im Mindesten. Das Land hier aber lag auch nnter dem Einflnsse hänsiger Negen, und glich mit seiner üppigen Vegetation schon weit eher den atlantischen Küstenländern, zu denen es ja auch, seiner geographischen Lage nach, eigentlich gehörte. Nur den Uebergang bildete es zwischen den kahlen steinigen Höhen der Cordilleren, und den fruchtbaren, aber nngesunden Niederungen des gewal-tlgen Amazonenstromes. Nur Eines begriff ich nicht recht, wo in diesen 80 engen Thälern eine ordentliche Colonie Platz haben sollte, nnd weit tonnten wir überdies nicht mehr davon entfernt sein. Oessnete sich vielleicht das Thal weiter unten? denn der Indianer zeigte mir schon den Einschnitt, in dem die Colonie liegen sollte. Wenn ich mich aber auch einmal ordentlich umschauen wollte, so tauchten wir immer gleich wieder in solche Dickichte und Schluchten ein, daß ich alles Uebrige der Zeit zur Entwickelung überlassen mußte. An dem Abende waren wir auch gar nicht mehr im Stande, die Colonie zu erreichen, aber zu dem Pozuzu kamen wir hinunter, der, wild und reißend in sein enges Vett gezwängt, über eine Menge zerstreuter Felsblöcke hinüberbrauste, die er sich selber in toller Laune in den Weg gerollt. — Wie ähnlich dem Leben manches Menschen, der sich in blinder Wuth und Leidenschaft selber die größten Hindernisse in den Weg wirft und dann, indem er darüber hinstolpert, tobt und raisonnirt. Die Nacht blieb ich bei dem Indianer — oben im Hause wareu zwei Frauen, die ebenfalls ganz anständige Kröpfe hatten — und der braune Bursche erzählte mir viel von der Colonie: wie die Leute im Anfang viel Mangel und Sorge ausgestauden, "nd sich jetzt so tüchtig herausgearbeitet hätten, 81 daß sie die besten Lebensmittel in Masse zögen. Er war auch am Mairo gewesen — 15 Leguas von hier, bis wohin man den AmaZonenstrom mit Dampfbooten befahren kann — und schilderte das Land als außerordentlich fruchtbar, aber — auch heiß und ungesund, mit sehr vielen Mosqmtos nnd luäios dravo8, das heißt: bösen und wilden Indianern, in der Mhe< Das Wort wavo hat überhaupt im Spanischen — wenigstens hier in Süd-Amerika — eine sehr ausgedehnte Bedeutung und heißt nicht allein gut und tapfer, sondern wird auch jeder recht entschieden ausgesprochenen Eigenschaft beigelegt. Ein recht ungezogenes Kind, recht zäher nichtswürdi-ger Schlamm, recht böse Dornen, die fassen und nicht so leicht wieder loslassen, sie alle sind br»-Vl>8, und für uns, die wir dem Worte doch eigentlich einen andern Sinn beilegen, kommen da oft sehr komische Zusammenstellungen heraus. Die Nacht regnete es wieder, was vom Himmel herunter wollte, gegen Morgen klärte es sich aber anf, und wenn es auch seine Schwierigkeit hatte, das Pferd an den nassenLehmwcinden hinunter zu bringen, erreichten wir Beide doch ohne Arm- und Beinbruch die untere Thalsohle. Dort konnte ich jcht Betrachtungen über die Schiffbar- Fr, GerstäHei^ Mtzchn Monate in Süd-Amcrila. ii. 6 . 82 kett des Pozuzu anstellen, an dem ich nur sehr wenig Stellen sah, wo ich es hätte selber wagen mögen, hinüber zu schwimmen. Er bildete fast eine ununterbrochene Neihe von Stromschnellen, in denen Nicht einmal das leichteste Boot oder Canoe hätte leben können. Das Thal blieb ebenfalls noch immer so eng, daß der Neg an einzelnen Stellen bis in den Rand des Flußbettes selber hineingedrängt wurde, während er an anderen wieder, wie in Verzweiflung, den schroffen Hang im Zickzack steil hinauflief. Nur an einer Stelle breitete es sich ein wenig aus, nnd dort lag auch eine kleine Farm, in der Zuckerrohr, Platanos und Papayas gezogen wurden. Wieder mußte ich mehrere sich in den Pozuzu ergießende Bergströme kreuzen, die ich, jetzt im Sattel, passirte, und das Pferd hatte Mühe, den starten Strom derselben zu stemmen. An Brücken schien man aber noch nie gedacht zu haben, und wenn ja einmal eine hinübergeworfen war, hatten sie doch immer in der nächsten Regenzeit die mächtig anschwellenden Wasser wieder mit fortgerissen. Um zehn Uhr Morgens etwa führte der Weg plötzlich gerade in das Strombett hinaus, auf cine weite Bank dort zusammengewaschener Kiesel 83 und Felsblöcke, und hier zum ersten Mal sah ich die merkwürdige Brücke des Pozuzu, von der ich schon so viel gehört, und die ich jetzt selber Passiren sollte. Auf der Kiesbank war ein hohes Gestell vou jungen Baumstämmen, Stangen und gedrehten Bastsellen errichtet, nnd von diesem aus eine einzige starke Rebe nach dem gegenüberliegenden steilen Felsufer gespannt. Sie mochte etwa so stark sein wie eines Mannes Handgelenk, jedenfalls stark genug, einen Mann zu tragen. Das Unangenehme war nur, daß sie über den ziemlich breiten Strom auch sehr weit gespannt sein mußte, wodurch sie in einem beträchtlichen Bogen hing, an dem man bei fortwährendem Schwanken erst hinab und dann wieder hinauf mußte. Daß schon ein paar Leute heruntergefallen waren, trug ebenfalls nicht dazu bei, eine Art von unangenehmem Gefühl zu beseitigen — doch hier am Ufer war ich einmal, hinüber mußte ich, und je schneller das also geschah, desto besser. Am andern Ufer konnte ich schon urbar gemachte Felder, mit Zuckerrohr und Platanos bepflanzt, erkennen; vergebens schrie und rief ich mich aber heifer, vergebens schoß ich felbst ein Paar Mal meine Büchse ab, die Colonisten auf^ 6* 84 merksam zu machen, daß Besuch kam — es hörte Niemaud, uud bis drei Uhr Nachmittags lag ich dort auf der Kiesbant, abwechselnd iu der heißen Sonue und dann wieder unter einem Gewitterschauer, bis endlich ein paar Indianer zufällig von dort kamen und auf unsere Seite wollten. Diese mußten nämlich von dort herüber eine Art Bock mitbringen, der an die Nebe gehängt wird und iu den man sich setzt, wodurch der Uebergaug bedeutend erleichtert wird. Wird dann noch von der andern Seite mit einem Seil durch Ziehen nachgeholfen, so kann man sich ans der Welt gar nichts Bequemeres wünschen. Alle diese Vorbereitungen wurden jetzt getroffen, mein Gepäck mit Zaum und Sattel in zwei Packen geschnürt und zuerst befördert, daß ich doch sehen konnte, wie ich mich ungefähr da draußen ausnchmen würde, und dann befahl ich meinen Leib meinem alten getreuen Schntzgeist, der wahrlich schon ein saures Brod bei mir gehabt hat, uud glitt in höchst unangenehmen Nnckcn auf die andere Seite hinüber. Dicht am andern Nfer machte ich dazu die eben nicht behagliche Entdeckung, daß die Nebe eigentlich zu kurz gewesen war, weßhalb man sie einfach schräg abgeschnitten und angestückt hatte Leichtsinnigerweise schien das nur durch ein paar 85 eingeschlagene Drahtstifte geschehen, wonach man das Ganze mit etwas Messingdraht verband. Dieses hatte sich aber zum Thcil aufgewickelt nnd der Stiftverband ebenfalls so weit nachgegeben, daß der Schnitt fast einen halben Zoll auseinander klaffte. Jetzt war es aber zu spät, etwas an der Sache zu ändern — noch ein Nuck, und ich war darüber, zwei mehr, und ich konnte den äußersten vorstehenden Pfahl des andern Ufers berühren, und noch ein Nuck, uud ich war sicher am andern Ufer in der lang und mühselig genug erstrebten deutschen Colonie Perus— am Pozuzu! 5. Zie deutsche Oolonie am Mzuzu. Ich muß gestehen, daß mich ein ganz angenehmes Gefühl der Sicherheit beschlich, als ich diese Ironie einer Brücke hinter mir hatte, und wieder einmal festen Grund und Boden unter den Füßen fühlte. Jetzt begriff ich auch, weßhalb mir Niemand, weder in Lima,*noch selbst in Cerro de Pasco genaue Auskunft über dies Fleckchen Erde geben konnte, denn der Weg, den ich hierher zurückgelegt, war wahrlich keine Vergnügungstour. — Und der Subprä'fekt in Huimaco, der mich so freundlich versicherte, ich würde einen ausgezeichneten Weg hierher finden — das aber hätte ich vorher wissen können, und dessen Erklärung war natürlich Nichts weiter gewesen, als eine jener liebenswürdigen peruanischen Phantasieen, die den 8? Fremden so oft und angenehm durch ihre Extra-, vaganzen überraschen. Doch ich erging mich dort am Ufer natürlich nicht in langen Betrachtungen. Pferd und Führer hatte ich selbstverständlich am andern Ufer lassen müssen, um von dort ihren Weg so gut als möglich zurückzufinden, und es galt jetzt vor allen Dingen, in die deutsche Ansiedelung einzudringen, denn bis jetzt hatte ich noch kem deutsches Nort gehört, und fand mich bitter getäuscht, als ich selbst die erste Farm erreichte, uud dort erfuhr, daß sie das Eigenthum eines Peruaners sei. Da ich aber den ganzen Tag Nichts gegessen, als früh am Morgen mein letztes Stück Wildpret, so stärkte ich mich hier erst an einer Tasse wahrhaft köstlichen Kaffees, auf dem Grund und Boden salbst gewachsen, und an den herrlichsten Bananen, die ich in meinem ganzen Leben gekostet — und ich hatte diese Frucht doch in Brasilien, Ecuador, Indien und auf den Südseeinseln in aller Vollkommenheit gefunden. Auch traf ich ein paar deutsche Jungen hier, die in die Colonie gehörten und Einer von diesen erbot sich, meine Satteltasche nnd Ponchos hinüberzntragen. Die Sonne war noch etwa eine Stunde hoch, und er, meinte, 87 wir könnten die Colonie bis dahin noch recht gut erreichen. Dorthin brachen wir jetzt auf — denn ich schlug das gastliche Anerbieten des Peruaners, bei ihm zu übernachten, aus — und kamen, nicht weit von dort entfernt, wieder ziemlich nahe an der Brücke vorbei, wo ich die verschiedenen Hütten gesehen. Hier wohnte ein Tyroler an der äußersten Grenze der Colonie, und wenn ich auch einen kleinen Umweg machen mußte ihn aufzusuchen, wlllte ich doch an seinem Hause nicht vorbeigehen. Ich hatte' es nicht zu bereuen, und es war ein wunderliches, halb wohlthuendes, halb schmerzliches Gefühl, hier, mitten unter den breiten Va-nanenblättern und Kaffeebäumen, einen ächten Tyroler, mit spitzem Hut und Joppe, in semer Sonntagstracht zu finden, der mit einem etwas verblüfftem Gesicht, aber darum nicht minder herzlich, mein „Grüß Gott" erwiederte. „Ja wo kommet denn Sie her?" rief er endlich aus, „das ist ja fast eine Ewigkeit, daß kein deutscher Landsmann bei uns gewesen ist. Waren denn Sie das, der da drüben heut den ganzen Tag geschrieen hat?" 88 89 „Das ist nicht übel, also habt Ihr hier mein Schreien gehört, und Keiner ist zur Brücke gekommen." „Ja, ich hab mer wohl gedenkt, daß es ein Deutscher sein könnt," meinte der Mann gutmüthig, „weil er halt „ „hol über" " gerufen hat." „Und geschossen hab ich wie viele Male." „Ja, schnellen haben wir's auch gehört," lachte der Tyroler, „ein paar.Mal ist's halt net losgange." Hatte der Bursche sogar das Versagen meiner abgeblitzten Zündhütchen gehört, wußte, daß ein Deutscher da drüben, sei, der herüber wollte, aber dennoch keinen Fuß gerührt, „denn mit der Wurzel (wie sie die Brücke nennen) hab ich net gern was zu schaffen," sagteer, „das ist ein verflixtes Ding von einer Brücken." Patroß, wie der Mann hieß, war wirklich ein Charakter nnd hatte, wie ich später erfuhr, hier in Peru schon ganz wunderliche und interessante, ja sogar romantische Schicksale durchgemacht, wenn er selber auch Nichts weniger als romantisch aussah. Bald nach ihrer Ankunft hier war ihm die Frau mit dem jüngsten Kinde davongelaufen, und in das weite Land hineingezogen, cr wußte selber nicht wohin. Aber das Kind zog ihn nach. 90 Er folgte und suchte umher, fand endlich die Spur und traf nach langer Irrfahrt sein treuloses Weib todt und sein Kind bei fremden Leuten, die es aber lieb gewonnen hatten und bei sich behalten wollten. Aber er mochte sich nicht wieder von ihm trennen und zog mit dem Kinde in die Colonie zurück, wo er jetzt eine Art Junggesellen-Wirthschaft führt. Einen ganz ähnlichen Fall hatte ich einst in Australien gehört, nur daß dort dem nacheilenden Bater das Kind gestorben war, und der arme Mann allein zu seinem kalten Heerde zurückkehren mußte. Von hier ab zog sich der Pfad gerade in den Wald hinein; hohe herrliche Väume, die mit tropischer Ueppigkeit die nicht zu steilen Berge bestanden. Ein paar Mal lief der fchmale Pfad allerdings auch ächt tyrolisch und etwas halsbrechend an der steilen Bank eines andern, sich in den Pozuzu ergießenden Flusses hin, weiter oben tonnte ich aber schon die offenen Felder der eigentlichen Colonie erkennen, und noch vor Sonnenuntergang hatte ich die ersten freundlichen Gebäude derselben erreicht — und doch, wie ganz anders hatte ich mir diese Colonie gedacht — auf einer wciten, prächtigen Ebene ausgebreitet, die Häuser nach 91 Art eines deutschen Dorfes, aber von Gärten umgeben, die Kirche und das Wirthshaus — die in jedem deutschen Dorfe dicht beieinander stehen — in der Mitte. Ein so geeigneter Platz mußte auch, nach meiner Meinung, für eine Co-lonie ausgesucht sein, die man sonst doch wahrlich nicht hätte, über beide Cordillerenrücken hinweg, in eine richtige Wildniß zu legen brauchen. Und wie ganz anders fand ich hier die Situation! Die Colonie lag, wie ich jetzt fand, nicht in einer weiten Ebene, wo die Colonisten genügenden Naum gefunden hätten, ihre Felder und Weideplätze nach allen Seiten auszudehnen, sondern in einem ganz engen Thale, einer sogenannten M6dra,äa oder Schlucht, wo an vielen Stellen das steile Ufer bis zum Wasserrande lief, zu dem es sich schroff hinabsenkte, und an solchen Stellen natürlich jede Niederlassung unmöglich machte. Da nur, wo die Biegung des Flusses nach der anderen Seite hinüberdrängte, ließ sie auf dieser kurze, aber immer beschränkte ebene Stellen, und auf diesen, in langer Reihe den Strom hinauf, war die hie und da durch scharfe Hügelrücken unterbrochene Colonie angelegt, und schlangelte sich auf etwa anderthalb Leguas Entfernung am Ufer hinauf. 92 Der erste Theil, der Colonie, den ich an diesem Abend erreichte, war in eine solche kleine Böschung der Berge, wenn ich sie so nennen darf, gebaut. Jeder der Colouisten hatte einen schmalen Streifen Land, mit gleich breiter Front am Flusse erhalten, auf dem er, so weit er wollte, auch zurück und in die Berge hinauf arbeiten konnte. Für jetzt aber war die Colonie noch zu jung, als daß sie schon so schwer zu bearbeitendes Land in Angriff genommen hätte. Die Colo-nisten begnügten sich vor der Hand, das flache Land urbar zu macheu, das um ihre Hütten lag, und hierin war für die wenigeu Jahre Unglaubliches geleistet. In Lima hatten mir einige Leute gesagt, die Colonisten am Pozuzu wären ein faules Volk; die Männer rauchten den ganzen Tag ihren selbstgebauten Tabak und die Frauen müßten alle Arbeit verrichten. Der erste Theil war allerdings richtig. Die Männer rauchen in der That den ganzen Tag ihren selbstgebauten Tabak — und die sechsjährigen Jungen ebenfalls — aber mit der kurzen Pfeife im Munde haben sie in den wenigen Jahren den ganzen Wald von ihrem Flachlande rein abgefegt, und den Boden in einen Fruchtgarten 93 verwandelt. Die Frauen legten dazu auch nicht die Hände in den Schooß, und wo sie nicht daheim Nlit den Kindern zu thun hatten, jäteten sie und pflanzten draußen im Felde, und man brauchte wirklich uur einen Blick anf diese Felder zu werfen, um auch zu wissen, daß deutsche Hände darin thätig gewesen. Hier nun, in dem ersten Theile der Colonie, wohnten die Tyroler. Die ganze Colonie besteht nämlich nicht allein aus Tyrolern, sondern auch aus Rheinländern, die sich aber, wenn gleich dicht aneinander grenzend, doch, jede Landsmannschaft für sich, angesiedelt haben. Ich werde aber nie den Eindruck vergessen, den mein plötzliches Erscheinen auf die eine Frau machte, deren Hütte ich betrat. Die Hunde schlugen an, als ich mit meinem Führer näher kam, und sie stand in der Thür. Ich war ihr aber schon zu nah, als daß sie Zeit zum Schauen oder Ueberlegen gehabt hätte. Mit einem „grüß Gott" trat ich jetzt auf sie zu und bot ihr die Hand, und halb ihre Hand mir entgegenstreckend, sagte sie fast erschreckt: „Ja — grüß Gott? — seid denn Ihr ein Deutscher von daheim?" und ein paar große Thränen traten ihr in die großen guten Augen. „Ach l" fuhr sie 94 nachher fort — „wir sitzen hier so weit weg in der Welt, daß ich schon gar nicht mehr geglaubt habe, noch ein anderer Deutscher könnte zu uns kommen." Es lag etwas ungemein Rührendes in den wenigen, leise gesprochenen Worten. Die Frau selber war eine junge Tyrolerinn, schlank gewachsen, mit dunklen, vollen, in Zöpfen geflochtenen Haaren. Sie wäre hübsch gewesen, wenn sie nicht ein ziemlich dicker Hals, fast wie ein Kröpf, entstellt hätte. Der Mann kam gerade vom Felde herein, ein junger flinker Tyroler-Bursch mit ein paar Spielhahnfedern am Hute — ebenfalls mit einem verdächtig dicken Halse. Welch ein herzliches „Grüß Gott" mir der eutgegenrief, und wie er mir die Hand drückte > Natürlich sollte ich gleich hinein und Kaffee trinken — die jungen Kaffeebäume standen schon als Aushängeschild, mit Früchten dicht bedeckt, um die Hütte herum — aber ich entschuldigte mich für heute, da ich noch den Mittelpunkt der Ansiedelung, die Pfarrwohnung, aufsuchen wollte, und es war indessen spät geworden. Ich sagte aber deu Leuten, daß ich einige Zeit in ihrer Colonie bleiben wolle und sie jedenfalls auf ein ander Mal zum Kaffee besuchen würde. 95 Nicht hundert Schritt davon war die nächste Hütte, der Mann war ebenfalls ein Tyroler, die Fran aber, wie ich später erfnhr, die einzige „Protestantin" in der Colonie, mit kleinen schwarzen Augen, dichten Augenbrauen und schwarzen Haaren, sprach den ächten Frankfurter Dialekt. Wieder eine Einladung zum Kaffee und dieselbe Entschuldigung — eben so im dritten Hause, wo eine andere Tyrolerfamilie mit entschieden ausgesprochenen Kröpfen wohnte. Gleich dahinter war die Wohnung des Go-bernadors, eines Peruaners, dessen Titel wichtiger klang, als die bescheidene Stellung eigentlich rechtfertigte. Wieder eine Einladung zum Kaffee ^- es war als ob mich die guten Leute in Kaffee ersäufen wollten. Für den Gobernador hatte ich einen Brief von seinem Sohne, der ihn krank verlassen und den ich unterwegs getroffen. Er freute sich sehr, gute Nachricht von ihm zu bekommen und ich mußte wenigstens ein Glas Cognac trinken. Von hier aus lief wieder ein scharfer Hügel-rücken bis dicht zum Flusse nieder, der die Ansiedelung eine kurze Strecke unterbrach. Auf der andern Seite öffnete sich dagegen eine schmale, aber etwas längere Ebene, und dort zeigte mir 96 jetzt mein Führer ein emzelnstehendes niederes Holzgebäude, das er mir als die Kirche der Colonie vorstellte. Gleich dahinter lag die Wohnung des Pfarrherrn. Die Scenerie war wundervoll. Zur Linken floß der Strom, weiße Schaumwellen über die ihm im Wege liegenden Felsen schleudernd, und steil, aber mit dichter Vegetation bewachsen, stiegen seine gegenüberliegenden Ufer bis zu den hohen, wunderlich ausgeschnittenen Kuppen.empor — Zur Rechten lag ebenfalls dichter Wald, aber auf leise ansteigenden Höhen, und der ebene Strich in der Mitte, über den das Auge frei und unbehindert schweifte, war durch deutschen Fleiß in einen Fruchtgarten verwandelt. Wohl zeigten noch, besonders rechts nach dem Walde zu, eine Masse abgestorbener Waldriesen, die ihre nackten Arme wie zornig gegen den Himmel ausstreckten, daß hier die Cultur erst begonnen, sich einen Weg zu bahnen, und keineswegs schon alle Hindernisse beseitigt habe, aber in dem tiefen und kühlen Schatten breitblätteriger Vananenstämme lagen tief versteckt die Hütten der Ansiedler, rechts und links von niederen Kafferwäloern und Jukabüschen umgeben, deren 97 dunkles Blaugrün durch die lichtm Felder hochwüchsigen Maises gehoben wurden. Und aus dm Bananen heraus scholl ein frischer herzlicher Jodler, der mir fast so vorkam, als ob ich in einem unserer beschneiten Fichten-' Wälder den Ruf eines Papageyrn gehört hätte. Bananen und Jodeln — es paßt eigentlich nicht recht zusammen, und Auge nnd Ohr müssen sich erst daran gewöhnen, solch' widersprechende Dinge zu vereinigen. Alles verrieth übrigens den vollkommen tropischen Charakter des Landes; nicht allein die warme milde Luft und der tiefblaue Himmel, sondern auch die Zahlreichen Palmcnkronen, die überall aus dem Laub der Wälder herausschauten, und gar wunderlich gegen das sie dicht umschließende Laubmeer abstachen, Znm Ueberfluß schrie auch noch ein Trupp schwarzer Affen am anderen Ufer drüben ihr melodisches Abendlied. Das Thal herab kam ein großer Schwärm von Papageyen, ihren gewöhnlichen Schlafplatz für die Nacht aufsuchend, leise flüsterte dazu der Wind in den feinen, zitternden Blättern des Zuckerrohres. Und wie still das Thal. hier, von hohen Bergen eingeschlossen, lag, wie weit ab vou der Welt, wie weit ab von daheim jene Tyroler, die sonst <5 r. GcrstäÄer, Achtzehn Monate in Süd-Am«l!a. II. 7 98 so fest an ihren Bergen hängen. Es überkam mich ordentlich ein wehmüthiges Gefühl — ein Gefühl, als ob ich selber jetzt hier bleiben müsse, und — wie diese armen Auswanderer — jede Hoffnung auf Rückkehr nach der Heimath hinter mir abgeschnitten sähe. Aber das war auch nur ein Moment; ich konnte mich heute Abend überdies uicht es sing an zu dunkeln, und ich eilte rafchen Schrittes der nicht mehr fernen Pfarrwohnung zu. Der Pfarrer, noch ein ziemlich junger Mann, empfing mich allerdings etwas erstaunt — denn die Leute hier sind nicht eben gewohnt, Fremde bei sich zu sehen — aber doch freundlich, und bald saß ich in seinem kleinen, Merdings etwas beengten, aber gemüthlichen Häuschen, in dem sich in kurzer Zeit eine ganze Menge Nachbarn sammelten. Das Gerücht, daß ein Fremder angekommen sei, hatte sich rasch genug verbreitet, und Jeder wollte etwas Neues von der Welt — von daheim hören. Aber, lieber Gott, was konnte i ch ihnen Neues bringen. Daß ich selber schon acht Monate von daheim fort war, wäre das Wenigste gewesen; keine Nachricht drang in diese Einöde, keine Zeitung, nicht einmal ein Brief war seit Jahren für 99 irgend Einen der Colonie angekommen, und Alles, was ich ihnen von da draußen hätte erzählen können, wäre ihnen neu gewesen, aber — es interessirte sie nicht, denn es betraf lauter Dinge, die sie nicht kannten. Ich brachte das Gespräch auf eine Menge von Dingen, und wollte im Anfang selber nicht glauben, was ich mit eigenen Augen sah, aber ich mußte mir zuletzt eingestehen -- daß diese Leute in ihrer eigenen Heimath nie mehr abgelegen von der übrigen Welt gelebt hatten, wie hier am Pozuzu. Ueber ihr eigenes Dorf und dessen nächste Nachbarschaft konnte ich ihnen keine Auskunft geben, kannte keinen Menschen, dessen Namen sie nur nannten — nnd von der übrigen Welt wußten sie Nichts und mehr noch — kümmerten sich nicht darum. Wie ich später fand, bestand die Bibliothek dieser Leute nur aus ein paar Gebetbüchern, Brevieren, mit vielleicht einer spanisch-deutschen Grammatik — weiter lasen sie Nichts, hatten nie etwas Weiter gelesen, und lebten jetzt hier wieder in demselben engen Kreise, den sie daheim verlasstn, und mit dem sie nur jener dünne Faden verband — der Strich, den sie über das Meer gezogen. 100 Es ist bekannt, wie viel damals in Deutschland , besonders gegen diese Auswanderung der Tyroler nach Peru, geschrieben wurde, wie man Gründe und Thatsachen hervorhob, ihnen von einem solchen Schritte abzurathen. Die Allgemeine Zeitung und andere Blätter brachten düse Artikel; ich selber hatte mit daran gearbeitet, und wir Alle hielten jene Tyroler, als sie trotzdem gingen, für ein entschlich obstinates Volk, das eben auf keine Vemnnftgründe hören wollte, und mit Palmen und Affen im Kopfe der alten Heimath rnhig den Nucken kehrte — uud wie unschuldig waren diese Leute. Die Entdeckung hattc auch für mich etwas Demüthigendes, aber die Thatsache kam klar zu Tage, daß kein einziger der ausgewanderten Tyroler und selbst der Rheinländer, auch nur einWort von unseren Ermahnungen und Warnungen gelesen hatte. Der Pfarrer sagte mir allerdings etwas zögernd, er glaube, er habe einen Artikel darüber gelesen, aber es war das jedenfalls nur eine Höflichkeit, cntwedcr gegen mich, oder gegen sich selber. Das ist der faule Fleck in unserem kutschen 101 Paterlande, daß die unteren, oder vielmehr die arbeitenden Classen fast gewaltsam davon fern gehalten werden, sich selber zn belehren, ein Uebel, das, wie ich fast fürchte, in den katholischen Theilen des Landes noch schlimmer ist, als in den Protestantischen. Das Buch, das sie in ihren Mußestunden in die Hand nehmen, ist nur ein Gebctbnch, nnd ihren Katechismus mögen sie auswendig können, aber was über die Grenze hinausreicht, die ihr Pflug durchlänft, das ist und bleibt ihnen ein verschlossenes Gebiet. Kommt dann einmal die Zeit, in der sie selber urtheilen sollen, so stehen sie rathlos da, nnd bricht ein solches Volk einmal den Damm alter Gewohnheit, der es bis jetzt noch in Schranken hält, dann wälzt es sich auch wie ein verheerender Strom durch das Land. Ich. kenne recht gut die Politik der kleinen Herren, der Rittergutsbesitzer und Pfarrherren, die sich darüber oft deutlich und ausrichtig genug gegen mich ansgcsprochen i „Es ist gar nicht gut," sagen sie, „daß der Vauer mehr weiß, als er für seine Arbeit braucht, denn er bekümmert sich nachher gleich um Dinge, die ihn gar Nichts angehen und ihn nur von seinen Geschäften abziehen." Haltet ihn aber in diesen geistigen Banden, und 102 er kann sich auch nicht um die Dinge bekümmern, die ihn angehen' und die von ihm in unserer vorgeschrittenen Zeit erwartet werden. Das sind nachher die Leute, die nur ihre Pfarrer auf den Landtag wählen, weil keiner aus ihrer Mitte tüchtig genug ist, ihre eigenen Interessen zu vertreteu; oder den Mund aufzuthun, wo es gilt, ein festes Wort zu sprechen. Das sind die Leute, die eine hohe Obrigkeit nicht als zu ihrem Schutz und Schirm, sondern als zu ihrer Plage geschaffen betrachten, die sich vor jedem Beamten bückeu, und gegen jeden Andern grob sind, und wohl noch einige Zeit in einem solchen Zustande können hingehalten werden. Ob das aber wirklich vortheilhaft ist, mögen die Herren später aus Erfahrung selber lernen. In England, in Amerika liest jeder Arbeiter in müssigen Stunden seine Zeitung; er weiß Alles, was in seinem Lande geschieht, und ist in den meisten Fällen auch im Stande, ein Urtheil darüber zu fällen. In Deutschland ist er gar nicht im Stande, einen politischen Artikel zu verstehen, und liest höchsteus die humoristischen politischen Neuigkeiten der Dorfzeitung, die ihm als Anekdoten aufgetischt werden, und die er für Nichts Weiter nimmt. 103 Man hat dabei Sorge getragen, daß ihm die harticularistischen Interessen von früh auf tüchtig eingeimpft wurden; dabei aber kann er sich natürlich nicht (und soll es ja auch gerade nicht) zu der Größe seines ganzen Vaterlandes auf-schw'mgen. Er hat eben kein Vaterland, als das Dorf, in dem er geboren wurde, und was er — aber das ist ein trauriges Kapitel, und wenn mir selber auch oft das Herz recht schwer darüber wird, sehe ich kein Mittel, es zu ändern, es zu bessern. So viel ist sicher: die guten Deutschen hier hatten Nichts, gar Nichts in der Welt von all' unseren Warnungen und Ermahnungen gelesen oder gehört, und mit den Schilderungen des fremden, freien Landes vor sich, von Steuern gedrückt, von unteren unverschämten Beamten aus der Haut geärgert, mit keiner Aussicht dabei, es in der Heimath je zu Etwas zu bringen, ja noch ohnedies fortwährend in Sorgen und Schulden, kein Wunder, daß sie ihre sonst so schöne Heimath verließen und dem, für sie fabelhaften Peru zuwanderten. Und fühlten sie sich hier glücklich? — Es war nm interessant, sie Alle einzeln zu verhören, und ich beschloß deßhalb, in den nächsten Tagen einen 104 Ausflug durch die ganze Colonie zu machen. Den nächsten Tag mußte ich freilich schon für einen Ruhetag lassen, denn ich war von dem langen Nitte und dem furchtbar beschwerlichen Marsche der letzten fünf Tage wirtlich zum Tode erschöpft. Eine andere wunderbare Thatsache füllte ich aber hier noch ebenfalls erfahren; in der ganzen deutschen Colonie war — kein Wirthshaus, und weder Branntwein noch Vier, von Wein gar nicht zu reden. Der Pfarrer selber hatte keinen Platz für mich in seinem kleinen Haufe, aber Einer der Tyrolcr, eine Art Autorität unter den Uebrigen, erbot sich freundlich, mich aufzunehmen, und in seinem Hause hatte ich zugleich erwünschte Gelegenheit, eine Mufterwirth-schaft des Pozuzu kennen zu lernen. Ein ordentlich gutes Gebäude stand eigentlich noch nirgends, denn die Colonie war zu jung, und alle diese Wohnungen hatten die Ansiedler nur in der ersten Zeit gebaut, um ein nothdürftiges Unterkommen zu haben. Mein Gastfreund, Gstier, hatte jedenfalls das beste von allen. Es war groß und geräumig, aus Holz zwar, aber stark, wenn anch dem Klima angemessen, luftig gebaut, mit einem großen Naum unten, in dem auch der ächte Tyroler Kochherd stand, einer 105 Schlafkammer daneben, und oben, neben dem Boden, eine andere Kammer für die Mädchen. Der ganze Boden war dazn gedrängt voll mit schweren trefflichen Maiskolben behängen; Bohnen und Tabak gab es ebenfalls genug, und über dem Herde schwangen zum Gebrauch im Hause zwei mächtige Fruchttrauben der Bananen mit ihren herrlichen goldgelben Schoten. Etwas getrocknetes Fleisch fehlte auch nicht; Fleisch schien aber im Ganzen rar zu sein, obgleich dafür die Hühnerzucht desto üppiger blühte. Ich esse sehr gern junge Hühner und frische Eier, aber die alten Hennen und Hähne soll der Henker holen, denn unverschämteres Gesindel giebt es nirgends, wenn sie nur je einmal Zutritt zu einem Hause gewonnen haben. So gewöhnte sich denn auch eiu alter Hahn daran, mir Morgens, noch vor Tagesgrauen, auf das Bett zu steigen und dermaßen in die Ohren zu krähen, daß ich jedesmal wild und erschreckt in die Höhe fuhr. Selbst die Hühner scharrten und gackerten um mich herum, weil sie die Hobelspähnc meines Bettes gebrauchten, ihr Morgenei hineinzulegen, bis ich endlich in Verzwchkmg aufstand. Und wie trefflich hatten sich die Leute schon Mit ihrer Kost eingerichtet und hineingefunden. 106 Daß die deutschen Colonisten, was Lebensmittel betraf, über Nichts zu klagen hatten und noch weniger Mangel litten, sah ich überhaupt. Freilich war das nicht immer so gewesen, und wenige Colonisten haben eine schwerere Zeit durchgemacht, es zu Etwas zu bringen, als diese armen Leute, und keine andere Nation der Welt hätte so ruhig und geduldig dabei ausgehalten, wie diese Deutschen. Die erste Veranlassung zu ihrer Auswanderung gab ein Deutscher, Damian von Schütz, dessen Name damals so häufig in deutschen Blättern genannt und angegriffen wnrdc. Die peruanische Regierung wünschte nämlich so rasch als möglich ihre Ländereien an den Wassern des Amazonengebietes, also an dem östlichen Hange der Cordilleren, zu colomsiren, und eine regelmäßige Verbindung durch den Amazonenstrom nut dem Atlantischen Ocean herzustellen; und die Deutschen sind in der ganzen Welt als die „besten Colonisten" bekannt; ein Compliment und Zugleich eine Grobheit, denn fremde Regierungen verstehen darunter genau dasselbe, was uusere deutschen Regierungen unter „guten Unterthanen" verstehen, i. 6. die Deutschen sind enorm fleißig, und bekümmern sich nicht im Geringsten um Politik. Die perua- 107 Nische Regierung war deßhalb auch gcru erbotig, einen Contract einzugehen, nach welchem auf ihre Kosten eine große Anzahl von Auswanderern nach Peru befördert werden sollte, und Herr von Schütz erbot sich, dieselben herüberzuliefern. Die Versprechungen der peruanischen Regierung waren auch ausgedehnt genng — und wer die Peruaner kennt, wird mir zugestehen, daß sie es an Versprechungen nie fehlen lassen. Man ist aber bei diesen Regierungen nie sicher, daß das Versprochene auch gehalten wird, besonders' wenn sich die Erfüllung einige Zeit hinausschieben kann — ja, man ist nicht einmal gewiß, ob in der Zeit die besagte Negiernng noch am Nnder ist, und nicht vielleicht schon eine zweite und dritte ihre Stelle eingenommen hat, die sich natürlich an keine der von dem vorigen Regime eingegangenen Verpflichtungen gebunden glaubt. Alle solche Contracte Mit südamcrikanischen Republiken bleiben deßhalb stets ein sehr unsicheres Ding, bei dem der ehrliche Manu vielleicht nicht immer, aber doch gewöhnlich dcn Kürzeren zieht. Damian von Schütz beging den großen Feh-ler, daß er nicht allein an den Bestand, sondern auch an die Zuverlässigkeit der peruanischen Regierung glaubte; er hätte aber wissen müssen, daß 108 der Präsident sclber, wenn er auch zn diesem das größte Vertrauen hatte, die Leitung der Geschäfte nicht in Händen hat, und gnade Gott Icdcm, der mit einem südamerikanischen Minister irgend einer Republik zu thun bekommt. Eine Hauptbedingung, die von Schütz stellte, war die, daß in jenem fernen Landstriche, bis zu der Zeit, wo er mit den Colonisten eintreffen würde, eine gute Straße hergestellt werden sollte, damit die Colonisten mit ihrem Gepäck den Ort ihrer Bestimmung leicht erreichen könnten.— Das wurde ihm natürlich bestimmt zngesagt, und er warb jetzt in Deutschland für die Colonie. AIs er endlich — ich glaube, es war im Jahre 55 odcr 56 — das erste Schiff mit Colonisten, 300 an der Zahl, unterwegs hatte, und vor ihnen in Peru eintraf, fand er noch keinen Spatenstich an dem neuen' Wege gethan. Der Präsident Castilla sagte ihm aber, daß das Geld dem Präsekten in Cerro de Pasco —bis wohin ein Manl-thierpfad bestand — angewiesen sei, und veranlaßte von Schütz, selber hmaufzugchcn und den Neg in Angriff Zu uehmen. Das geschah; in Cerro de Pasco stellte sich aber heraus, daß der Prä-fekt das ihm angewiesene Geld eigenmächtig zu anderen (angeblich militärischen) Zwecken verwen- 109 det habe. Von Schütz mußte jetzt wieder nach Lima zurück, neues Geld anzuschaffen, und damit verstrich natürlich die kostbare Zeit — die Auswanderer trafen ein, und der lange, überdies schwer herzustellende Weg war kaum begonnen. Die Auswanderer waren aber einmal da und mußten in das Innere geschafft werden, denn die Regierung hatte eine Ahnung, daß sie, wenn in Lima oder an der KM gelassen, sich bald zerstreuen, keinesfalls abetz nne Colonie im innern Lande bilden würden. Geschah das, so war das ganze Ueberfahrtsgeld nutzlos aus dem Fenster geworfen. Von da begann die schwere Zeit für die armen Colonisten: der Marsch in'Z Innere, in dem man nicht einmal einen genauen Platz wußte, auf dem sie vor der Hand untergebracht werden konnten. So nahe nur als möglich schaffte man sie zu der Stelle, wo man ihre Niederlassung wünschte, und snchte dann iher eigenen Kräfte zu benutzen, an Ort und Stelle zu gelangen, indem man sie, natürlich gegen versprochenen Lohn, zu dem Straßenbau selber verwandte. So gelangten sie endlich in etwa acht oder neun Leguas Entfernung von ihrem jetzigen Aufenthalt, wo sie, durch die Ungeschicklichkeit der Ve- 110 amten, zeitweilig an dem Abhänge eines Berges einquartiert wurden. Von dort aus sollten sie den Weg zu dem Pozuzu selber machen, und hier war es, wo sie das Allerschwerste zu durchleben hatten. Hier blieben sie fast zwei Jahr, und von hier aus begannen sie ihre erste Ansicdelung am Po-zuzn, zu dem Einzelne die nöthigen Lebensmittel auf dem Nucken hinabtrugen, und dort das Land urbar machten, so wie die verschiedenen Früchte auspflanzten, bis ihre mitgebrachten Provisionen aufgezehrt waren. Dann mußten sie wieder den langen beschwerlichen Weg zurück, um sich neue zu holen. Ein Unglück betraf sie hier ebenfalls. Eines Nachts, bei einem furchtbaren Unwetter, hatte sich der Vergstrom, der dicht an ihnen vorbeischoß, wahrscheinlich durch eingeschwemmte Baumstämme, oder Felsblöcke gedämmt. Plötzlich brach er los, und Alles mit sich fortreißend, was er erfaßte, begrub er sechs der Unglücklichen in seiner zischenden Fluth, und wusch Anderen die Hütten zusammen, daß sie Alles verloren, was sie auf der Welt besaßen, und nur mit großer Mühe nur noch das nackte Leben retteten. Eine Frau wurde durch die Fluth nach unten gespült, aber es gelang ihr eine Wurzel zu er- Ill fassen, und dort hing sie bis Tagesanbruch über dem kochenden Strudel nnd den nnter ihr hinschießenden Wassern, bis sie am nächsten Morgen von den Gefährten entdeckt und heraufgezogen wurde. Der Jammer soll herzzerreißend gewesen sein, als in der Dunkelheit der Nacht und dem Aufruhr der Elemente, bei dem Rauschen und Donnern des Wassers und dem Brechen der Bäume Frauen ihre Männer und Kinder ihre Eltern, Männer ihre Weiber und Lieben suchten. Nud hier und da, .zwischen all dem Jammer und Elend eine jubelnde Scene des Wiederfindens, die alles Andere um sich her in dem einen Moment von Glück und Seligkeit vergaß. Arme Menschen! so weit von Eurer Heimach entfernt, mit Noth und Mangel kämpfcnd, und bann noch diesen Jammer zu ertragen. Wie Mancher mag in der Zeit schwer bereut haben, daß er die Heimath je verlassen hat, und hätte der Schritt dann noch ungeschehen gemacht werden können, wenige von ihnen, vielleicht keiner wäre M dem verheißenen Peru geblieben. Aber das war zu spät; jetzt galt es auszuharren, und das Unvermeidliche eben zu ertragen. Noch später kam eine andere arme Frau, die Ill 112 dieses Unglück überlebte, auf höchst traurige und eigentlich viel schrecklichere Weise um, denn hier war es zum Thcil mit die Herzlosigkeit ihrer Gefährten, die ihren Tod herbeiführte, oder doch wenigstens beschleunigte. Ein Theil der Auswanderer war von dem zeitweiligen Aufenthaltsorte in dm Bergen nach dem Pozuzn hinuntergestiegen, um dort auf ihren begonnenen Farmm zu arbeiten. Die Lebensmittel wnrden aber anfgezehrt, und sünf oder sechs von ihnen mußten zurückkehren. Unter ihnen war eine kleine schwächliche Frau, die lange schon krank und noch nie recht stark gewesen war, deren Körper aber jetzt den Beschwerden zu erliegen drohte. Ihr Mann selber war noch am Pozuzu, und Alle riethm ihr ab, den langen beschwerlichen Weg zu unternehmen; aber sie wollte fort. Die Leute dort sagen jetzt, ihr Mann, ein Schmied seiner Profession nach, habe sie immer rauh und schlecht behandelt, und ihr Herz sei mehr gebrochen gewesen, als ihr Körper. Wie dem auch sei, ihr Mann ließ sie, schwach wie sie war, ziehen, und die Leute setzten zusammen aus. Ich bin den Weg später selber gegangen; es war ein schmaler, rauher Waldpfad, der sich für ennge Leguas weit noch in dem warmen Thale hinzieht. Dann, nachdem er einen Bergstrom kreuzt, steigt er etwa fünf Leguas steil an dem Rücken der zweiten Cordillera auf, höher und höher, bis hoch oben in der kalten Luft die unten so mächtigen Bäume Zu niederem, verkrüppeltem Buschwerk zusammenschrumpfen, und hartes Gras und eine stachelige Zwergaloe allein den Boden bedecken. Der Weg ist felbst für einen gesunden und kräftigen Menfchcn beschwerlich, denn ich weiß mich selbst nicht zu erinnern, daß ich je auf einem Marsche müder geworden wäre, als hier. Die arme Frau fühlte denn auch bald, wie ihre Kräfte nachließen, und sie konnte nicht so rasch vorwärts kommen als die Uebrigen. Drei Frauen waren noch bei ihr und zwei Männer, und eine Zeitlang trieben diese sie an, sich zusammenzunehmen, daß ste bei ihnen bleiben könne, denn sie wollten noch die Nacht ihre Hütten in den Bergen erreichen. Die Unglückliche that ihr Möglichstes, bis es zu-^tzt nicht mehr ging. Von allen ihren Gefährten hatte keiner Herz genug, bei ihr auszuharreu, und als sie fanden, baß ihnen die arme Frau zu langsam ging, riefen Fr. Gerstäcker, Achtzchn Monate in Süd°Ämerila. II, 8 114 sie ihr nur zu, bald nachzukommen, und ließes? sie allein in der öden, kalten Wildniß zurück. Die Leute erreichten spät in dcr Nacht ihre Hütten — aber die Frau folgte ihnen nicht — kam auch nicht am andern Morgen, und gegen Mittag machten sich ein paar von ihnen mit Lebensmittcln und etwas Branntwein auf, ihr entgegenzugehen und sie heim zu geleiten — sie hatten nur nöthig, sie dort zu begraben, wo sie ihre Leiche fanden. Von der Stelle, wo sie gestern allein zurückgeblieben, hatte sie sich noch aufgerafft, und war in Nacht und Dunkelheit höher und höher den steilen Berg hinauf geklettert — bis sie nichl weiter konnte. Dort war sie mitten im Wege liegen geblieben, und so fanden sie die Gefährten, mit ausgestreckten Armen auf dem Gcsichte liegend. Dort am Nege ist jetzt ihr einsames Grab; freudlos wie sie in der Welt gestunden, liegt sie in dem peruanischen Walde, der ihr Alles geboten, was er ihr versprochen — eine neue Heimath. Das schien aber das letzte Unglück zu sein, das die Colonisten betrossen hat. Von da ab besserte sich ^ ihr Zustand merklich, denn die am Pozuzu gepflanzten Früchte reiften rasch, nnd sie konnten endlich in die wärmer und bequemer gelegenen Colo- 115 lüeeu selber hinabziehen, um dort ihre Arbeit mit Ernst und Erfolg zu beginnen. Die peruanische Negierung schien damit allerdings noch immer nicht recht einverstanden, denn der Pozuzu war eigentlich gar nicht der Ort, den sie im Anfange ün Ange gehabt, da er nicht unmittelbar an einer schiffbaren Stelle der Tributarien des Amazonenstrumcs lag. Die Deutschen ließen sich aber anf keine weiteren VerHand-lungen ein, denn Jahre Waren vergangen, in denen sie ein elendes, unstates Leben geführt, und die noch überdies bei dcr Colonie ausgehalten, sehnten sich danach, endlich einmal eine feste Häuslichkeit zu bekommen. Die Kolonisten waren nämlich lange nicht wehr Alle beisammen, denn Viele derselben, besonders die jnngen unverheiratheten Leute, die burch teine Familienbande gehalten wurden, wa-^u durch die überstandenen Beschwerden abgeschreckt worden und hatten sich, irgendwo im Lande "n Unterkommen suchend, nach allen Richtungen hm zerstreut. Voll den 300 Colonisten (Männer, Frauen und Kinder gerechnet), von denen, wenn ich nicht irre, 296 gelandet und vier unterwegs gchol,ben waren, zählte die Colouie jetzt nur noch )4ö Köpfe, und Zwar etwa Zwei Drittheile Tyroler 116 und ein Drittheil Rheinländer. Viele von den weggelaufenen leben gegenwärtig in Lima, wo es ihnen ganz gnt geht, und sie scheinen sich auch weiter keine Gewissensbisse darüber zu machen, ihren Contract gebrochen zu haben. Der Staat hatte ihnen ebenfalls nicht gehalten, was er ihnen versprochen, und die Regierung mochte auch wohl einsehen, daß sie „rechtlich" Nichts gegen die Contractbrüchigen ausrichten könne. Es wurde wenigstens keinem derselben etwas in den Weg gelegt. Was nun die Colonie selbst betrifft, so liegt sie auf 10" Süder-Brcite, meiner Schätzung und der dortigen Vegetation nach zwischen Z nud 4000 Fuß über der Meeresfläche — eher vielleicht noch etwas höher als niedriger. Das Klima ist — überall von hohen bewaldeten Bergen umschlossen — ziemlich heiß, aber doch nicht zu heiß zur Arbeit. Es muh auch gesund dort sein, denn trotzdem, daß die Colonisten jetzt schon drei Jahre in dem Thale leben, ist noch keine erustliche Krankheit unter ihnen vorgekommen und kein Erwachsener gestorben. Vielleicht trägt das aber auch viel dazu bei, daß sie gar keinen Arzt in der Colonie haben. Nur kleinen Kindern scheint das Klima nicht 117 zuträglich zu sein, denn fast alle die dort geborenen sind auch, mit Ausnahme von einem oder zweien, bald wieder nach der Geburt gestorben. Doch mag das auch in zufälligen Ursachen seinen Grund haben, und müßte sich jedenfalls erst nach längerer Erfahrung bestätigen. Daß die Colonistcn übrigens keiue ärztliche Hülfe haben, ist keines Menschen Schuld als des Arztes selber, der es eben so machte wie verschiedene Handwerker: sich nämlich die Passage bezahlen ließ und dann sein Glück auf eigene Hand zu finden suchte. Was scheerten ihn die Colo-nisten, bei denen er früher einmal versprochen hatte auszuharren, was die Colonie, an der er selber kein Interesse nahm. Es giebt aber leider viele solche Menschen, die in sich selber gar keine moralische Verpflichtung tragen, und so lange vollkommen mit sich zufriedeu sind, und glauben recht gehandelt zn haben, so lange sie nicht vor Gericht gebracht und verurtheilt werden. Natürlich hat die Colonie auch keine Apotheke; nicht die geringste Medicin, und ein Peruaner — derselbe, bei dem ich zuerst einkehrte, scheint der einzige zu sein, der bis jetzt bei vorkommenden leichten Krankheiten die Leute wieder znsammen- 118 gedoktert hat. Es versteht sich von selbst, daß er Naturturen mit ihnen vornimmt. Die Luft ist, wie gesagt, über Tag und besonders bei Sonnenschein, sehr warm, die Nächte sind dafür kühl nnd angenehm, denn die mit Schnee bedeckten Cordilleren liegen zu nahe, um ihren Einfluß nicht auch auf dies Thal auszuüben. Natürlich wirken kühle Nächte in einem heißen Klima immer wohlthätig auf den Menschen, denn der Körper kann nie so erschlaffen und von Kräften kommen. Sonst ist aber auch die Lage der Colonie so unglücklich qewählt, wie nur irqend möglich, denn von Lima, der Haupt- und Seestadt des Landes, viel zu weit entfernt, ihre Producte dorthin absetzen zu können, liegen auch noch zwölf bis dreizehn Leguas auf der andern Seite zwischen ihr und den schiffbaren Wassern des Amazonenstro-mcs, selbst angenommen, daß die Binnenschifffahrt dieses Stromes von Brasilien dem peruanischen Handel freigegeben würde. Der Pozuzu selber ist nicht schiffbar und kaun nicht schiffbar gemacht werden, denn selbst bei niedrigem Wasser ist es mit Lebensgefahr verbunden, mit einem Canoe von einem Ufer zum andern überzusetzen. Wie alle diese Bergwasser der Cordilleren, besteht er aus einer Reihe von Strom- 119 schnellen und kleinen Katarakten, die, so romantisch und wild sie aussehen, und so interessant sie für den Reisenden und Maler sein mögen, (wenn er sie nicht zufällig zu passiren hat) jeden Verkehr auf ihnen unmöglich machen, und dem Handel sogar nicht selten ein vollständiges Hinderniß in den Weg legen, Für die Colonie am Poznzu besteht aber in diesem Augenblicke noch nicht einmal ein Maulthierpfad als Verkchrsstraße, ausgenommen über diesen Strom hinüber, und nach dem Thal von Huünaco, das ebenfalls alle die Prcducte des Pozuzu erzeugt, und wohin also ein Absatz derselben gar nicht möglich, oder doch keineswegs vortheilhaft ist. Nach dem etwa 12 Leguas entfernten Maire, dem Hafen des Amazonenstroms, könnte allerdings wit leichter Mühe cin Weg gebahut werden, und ist auch in der That schon begonnen; erstlich aber haben die ColoMcu noch für dicses und das nächste Jahr nicht hinlängliche Products zum Verkauf, und dann laufen auch uoch keine Dampfer bis Zu Maire hinauf, die dorthin gebrachten Waaren in Empfang zu nehmen. Ob sich das später als vortheilhaft erweisen wird, muß die Zeit lehren, Hedenfalls hätte die peruanische Regierung vorher 120 einen Contract oder Vertrag mit der brasilianischen zu machen, das Transitorecht der Ansiedler zu sichern, denn Brasilien hat es jetzt noch in der Hand, jede Colonisation an den Quellen und Tributarien des Amazonenstromes unmöglich zu machen. Allerdings besteht für den Augenblick ein solcher Vertrag, der für alle auf dem Amazonenstrom verschifften Güter eine freie Durchfuhr zugesteht, aber auf so lächerliche Weise, daß man ihn als gar nicht vorhanden betrachten kann. Dieser Vertrag lautet, wenn ich nicht irre, vom Jahre 1858 oder 1859 auf sechs Jahre — sage sechs Jahre abgeschlossen. Sechs Jahre braucht aber gerade eine Colonie, um irgend eines der des Transportes werthen Products fur den Handel zu erzeugen. Bis das also geschehen konnte, ist der ganze Vertrag abgelaufen, und die brasilianische Regierung kann dann noch immer thun, was ihr gefällt. Außerdem ist aber auch die jetzige Lage der Colonie insofern ungünstig, als sie nicht Naum genug hat, sich auszubreiten, denn das flache Land derselben ist sehr beschränkt und die ganze Colonie, wie schon gesagt, eigentlich in wenig mehr als eine Schlucht hineingelegt. Doch sind 121 die sie umschließenden Berge an den meisten Stellen nicht übermäßig steil, nnd werden sich jedenfalls zn Kaffee- und Cacaoftflanzungen eignen. Der Cacao wächst nämlich an vielen Stellen wild, und der Kaffee, von der besten Qualität, gedeiht außerordentlich. Der peruanische Kaffee ist überhaupt berühmt, wenn er bis jetzt auch noch sehr wenig erportirt wird. Man bezahlt in Lima selber den Quintal (100 Pfd.) Hulwacokaffee mit 40 Dollar, während der brasilianische zu einem viel billigeren Preise um Cap Horn gebracht werden kann. Der Pozuzukaffee aber, der erst in diesem Jahre bei den Deutschen zur Reife gekommen ist, steht dem Hmwaco in keiner Hinsicht nach, ja übertrifft ihn eher noch an Güte, und gedeiht ganz außerordentlich. Die jungen Bäume waren meist alle erst drei Jahre alt, aber mit Kaffeekirschen im wahren Sinne des Worts bedeckt, und versprachen eine außerordentlich reiche Ernte. Das Thal ist aber nicht an allen Stellen gleich weit, und den engsten und steilsten Theil haben eigentlich die Tyroler bekommen, und zwar nach ihrer eigenen Wahl — freilich waren sie unschuldig daran. Als nämlich die ersten Colo-nisten hinübergingen, sich den Platz anzusehen, 122 war noch Alles so mit dichtem Urwald bestanden, daß man eigentlich gar Nichts sehen konnte. Durch das Dickicht nach den verschiedenen Seiten hinzubringen, war eben so schwer, nnd die Leute begnügten sich damit, ein wenig links und rechts von dem schmalen indianischen Pfade, den sie vorfanden, abzuschweifen. Unterwegs nun hatten sich die Rheinländer und Tyroler, wie es scheint, nicht besonders vertragen können — damals waren es noch „Oesterreich er und Preußen," und man kam aus dem Unfrieden nicht heraus. Um hier nun, an Ort und Stelle, alle Häkeleien zu vermeiden, beschloß der Pfarrer, ein sehr vernünftiger und auch ziemlich freisinniger Mann, beide Nationalitäten so viel als möglich von einander getrennt zu halten, und dazu eignete sich dies enge Thal vollkommen. Die Kirche sollte mit der Pfarrwohnung zu diesem Zwecke so viel als möglich in die Mitte gelegt werden, und auf einer Seite von ihr die Tyroler, auf der andern die Rheinländer wohnen. Den Tyrolern wurde von den Rheinländern, die mit dieser Einthcilung außerordentlich zufrieden waren, die Wahl gelassen, und sie entschieden sich für diesen Theil, zunächst der Brücke, während die Rheinländer hinter ihnen ihre Plätze angewiesen 133 bekamen. Wie sich aber später herausstellte, öffnete sich dort das Thal beträchtlich, so daß manche der Rheinländer noch einmal so viel brauchbares und bequem zu bearbeitendes Land bekommen haben, wie ihre Nachbarn. Die Eintheilnng war aber einmal geschehen, und die Tyroler zeigten sich vernünftig genug, nicht gegen eine Wahl zu murren, die sie selber getroffen. Dies Alles selber zu sehen, führte ich am zweiten Tage meines Aufenthalts am Pozuzu meinen Plan aus, die ganze Colonie von Anfang bis zu Ende zn besuchen, und mit allen Leuten mich einzeln zu besprechen. Ich bekam dadurch am Besten und Leichtesten einen Ueberblick. Das Wetter begünstigte mich dabci ebenfalls; der Himmel war klar, der Weg trocken, und die einzige Schwierigkeit, die ich auf meinen: Zuge zu überwinden hatte — fo komisch das auch klingen mag: der Kaffee. Ich weiß nicht, wie viel Hütten und Häuser ich an dem Tage besuchte, ich weiß aber, daß ich nicht aus dreien von ihnen fortkam, ohne Kaffee getrunken zu haben, und so herzlich boten es die Leute an, so weh schien es ihnen zu thun, wenn sich der „deutsche Herr" weigerte, Etwas bei ihnen zu verzehren und ihre Gastfreundschaft zu kosten, 134 daß ich das Angebotene zuletzt nicht ausschlagen konnte und wollte. Dabei hatten sie noch außerdem keine Tassen, sondern kleine Kumpen, von der Größe eines mäßigen Waschbeckens, die ohne Erbarmen bis zum Rande gefüllt wurden. — Ich bin ein ganz vortrefflicher Kaffeetrinker und kann meine Portion vertragen; an dem Tage war es mir aber doch beinahe zu viel geworden, und ich dankte meinem Gott, als ich es Abends glücklich überstanden hatte. Die Colonisten leben dort aber gar nicht so schlecht. In den meisten Häusern war Milch und Butter. Zucker machen sie ebenfalls Alle von ihrem Zuckerrohr, einen ziemlich gereinigten braunen oder gelben Zucker, hier Chankaka genannt (der raMäura Ecuadors). Die Dukawurzel gedeiht ebenfalls wunderbar, und enthält viel mehr Nahrungsstoff, und ist viel schmackhafter als die Kartoffel. Für Kartoffeln selber scheint das Klima zu warm zu sein, obgleich sie fortkommen, und eben so kann im Thale kein Weizen gebaut werden. Die Ansiedler sprechen aber davon, auf den beuachbarten Höhen Land urbar zu machen, wo sie jedenfalls beide Feldfrüchte ganz vortrefflich ziehen können. Ihr Vrod backen sie jetzt von Maismehl, und 135 da sie Eier in Masse haben, und von dem guten Jukamehl darunter mischen, (unvermischt eignet sich das letztere nicht zum Backen) so gewinnen sie dadurch ein ganz vortreffliches Brod. Eine andere Frucht, die sie mit Vortheil bauen, ist der Neis, und zwar in trockenen Feldern. Bohnen gedeihen ebenfalls sehr gut, Zuckerrohr hat hier seine Heimath, und der Mais läßt eben so wenig Etwas Zn wünschen übrig. Der Vaumwuchs der Colonie ist außerordentlich üppig, und es stehen mächtige Bäume nicht allein in der Niederung, sondern auch an den Hängen der Berge. Viele davon haben freilich ein leicht faulendes, schwammiges Holz, das besonders rasch von den Würmern angegriffen wird. Das aber bietet wenigstens den Vortheil, daß sie in den Feldern nicht lange im Wege liegen, sondern rasch von Wurm und Wetter zerstört werden. Es giebt aber auch viele harte und feste Hölzer, die sich vortrefflich Mm Häuserbau und zu Pfosten eignen. Ein wnnderbarer Baum steht auch noch dort, den die Ansiedler, da sie keinen andern Namen dafür haben, den Giftbaum nennen. Der Baum kommt dort,sehr häufig vor, und wächst zu großer Höhe und einem gewaltigen Umfang; seine merkwürdige Eigenschaft aber — denn das Holz scheint 126 werthlos — ist der Saft, der in großer Masse, wenn angebohrt, herausquillt. Dieser Saft ist giftig; er zieht wenigstens, wo er die bloße Haut berührt, große Blasen, und überraschte einen der Colonisten auf das Unangenehmste. Die Leute hatten nämlich einen dieser Bäume umgehauen, und einer der Leute setzte sich vertrauungsvoll mit seinen Lünnen Kleideru auf den eben abgehauenen Stumpf. Die Folgen waren für ihn höchst nachtheilig, und er hatte über eine Woche daran schwer zu leiden. Dieser Banmsaft soll aber zugleich auch medicinische Kräfte besitzen, und vorzüglich ausgezeichnet gegell Zahnschinerzen Wirten. Die Leute behaupten sogar, daß ein damit gefüllter hohler Zahn vollständig auseinander bricht. Leider konnte ich nicht Zenge einer solchen Kur sein, habe mir aber ein Fläschchen davon mitgenommen, um ihn in Deutschland untersuchen zu lassen. Außerdem wächst noch dort in der Nähe die Safranwurzcl, die in Cerro de Pasco mit acht Dollar die Arobc (fünf und zwanzig Pfund) bezahlt wird, und sich gewiß imt Vortheil anpflanzen ließe. Manche andere werthvolle Pflanzen und Kräuter mag es ebenfalls geben, aber es bleibt 127 dies jedenfalls erst einer späteren Zeit vorbehalten, um diese alle kennen zu lernen und zu benutzen. Es ist dabei erstaunlich, wie rasch Alles wächst. Das Zuckerrohr giebt schon nach sechs Monaten überreichen Saft, um Chankaka und Guarapo, ein angenehmes Getränt, dauon zu machen. Der Mais liefert in drei Monaten junge Kolben zum Genuß, >uud reift vollkommen in vier. der Reis braucht sechs Monate; die Mtawurzel ist im ersten Jahre vollkommen, und selbst die Banane oder der Pisang (plawno) braucht nur zwölf Monate, aus einer kleinen schmächtigen Pflanze zu einem mächtigen Schaft emporzusteigen und ihre prachtvolle Fruchttraube zur Neife zu bringen. Eine dieser Fruchttrauben war kürzlich gewogen worden und hatte das enorme Gewicht von 4 Aro-ben und 9 Pfnnd oo^r 109 Pfund gegcben. Meine Wanderung sing ich heute von der Pfarre an, die, da die Colonie mehr Tyroler als Rheinländer hat, nicht ganz genau zwischen beiden Nationalitäten, sondern noch zwischen Ansndelun-gen der Tyroler steht. Der erste, den ich hier besuchte, war ein alter Böttcher, der mit seiner Frau und zwei Töchtern in einer kleinen, aber 128 ganz nett hergerichteten Hütte wohnte, und mehr auf seineni Geschäft als in der ,,<ü^ra" arbeitete. OligH'i'g. heißt hier nämlich eine kleine Ansiedelung, oder ein Gut, und eben so wenig als der Deutsche in Amerika für seine Ansiedelung dort je einen deutschen Namen gebrauchen würde, und stets t'annund statt ja 7^8 sagt, so nennt es der deutsche Ansiedler unerbittlich cka^ra und sagt 5>i statt ja. Hier übrigens, wie in allen den anderen „cbaßi-ak," um das Wort denn einmal beizubehalten, konnte man deutlich genug sehen, was deutscher Fleiß geleistet hatte. Gin Peruanischer Urwald an dieser Seite der Cordilleren ist kein Kinderspiel; die Väume stehen dick und mächtig; der Boden ist mit Wurzeln durchzogen, und selbst, wenn gefällt, strecken sie die starren, weitastigen Arme über ein breites Terrain von niedcrge-quetschtem Unterholz. Die Deutschen hatten aber alle diese Hindernisse mit ihren keineswegs musterhaften Werkzeugen beseitigt. Der Grund war „tlar" gemacht worden, Unterholz und Gebüsch weggeräumt und Alles regelmäßig und ordentlich gepflanzt worden, Wie es unsere Landsleute von daheim schon nicht anders gewohnt sind. Daß sie nicht Alles das in der kurzen Zeit 129 hatten allem machen können, versteht sich von selbst, dcnn zwei Hände sind bei solcher Arbeit wenig. Aber die deutschen Bauerfrauen wissen eben so gut mit zuzugreifen, und das besonders scheint den Peruanern imponirt zu haben, daß sie die Frauen bald eben so fleißig mit im Felde arbeiten sahen, wie die Männer. Die Pflanzen, als sie nur Licht, Luft und Boden bekamen, wuchsen von selber, und keine dieser Familien braucht jetzt mehr Nahrungssorgen zu fürchten, dmn einmal ihr Land in, Stand, und sie ziehen mit leichter Mühe weit mehr, als sie irgend verzehren tonnen. Die einzige wirkliche Arbeit macht ihnen jetzt nur noch das Unkraut, das in dem fruchtbaren Boden natürlich außerordentlich wuchert. Sind ihre Kaffecbänme freilich nur erst einmal ein Paar Jahr älter, so hält deren Schatten schon das Unkraut von selber nntcr, eben so wie in den Vananengärten keine Schmarotzerpflanze mehr aufkommen kann. Mais- und Reisfelder sind aber stets der Sonne zu sehr preisgegeben und in diesen wird sich die Arbeit immer gleich bleiben. Es ist indcß cin altes Sprüchwort das: wo viel Unkraut wächst, da wächst auch gute Frucht, denn Fr. GerstäH er, AchtzehnMouate in Süd-Amcrita. II. 9 130 auf dürrem, schlechtem Boden hätten sie diese Ernten nimmer erzielen können. Diese Leute nun befanden sich vollkommen wohl nnd schienen — worüber ich schon nicht mehr erstaunt war, da ich manche andere der Co-lonisten getroffen hatte — sich durchaus zufrieden auf diesem, von der Welt abgeschiedeneu Platze zu fühlen. Ja, je weiter ich zwischen die Colo-nisten hiueiukam, desto mehr und fester fand ich diefe Ansicht bestätigt. „Neun wir nur eine Straße nach Cerro de Pasco hätten," sagten sie, und es war das die einstimmige Klage von Allen — „eine Straße, daß Jemand zu uus kommen und wir Etwas verkaufen könnten — und nachher vielleicht einen Doctor (sonderbar, Niemand wünschte sich einen Advokaten), so verlangten wir es auf der gauzen Welt nicht besser." Den nämlichen Ausspruch hörte ich von allen Colouisten, und wenn ich auch in ihrer Abgeschiedenheit von der Welt nicht hätte mit ihnen tauschon mögen, muß mau doch immer berücksichtigen, welche Leute hier vou Deutschlaud versammelt waren. Von Schütz hatte in Tyrol, wie in den Nheinlanden die ärmste Klasse der Bevölkerung ausgesucht, Leute, die genöthigt gewesen waren, 131 sich ihr Brod mit schwerer Handarbeit zn verdienen, und dabei ans der Hand in den Mund lebten. Diese kannten freilich keinkanderen Bedürfnisse als eben solche, die ihren unmittelbaren Lebensunterhalt betrafen, und wo ihnen der so leicht und vollkommen wie hier geboten wurde, waren sie zufrieden. Aber ich machte auch hier noch eine andere, schon früher erwähnte Entdeckung, die mich, wenn ich aufrichtig sein soll, überraschte. Ich hatte Nämlich, nach alle den ill Deutschland über Da-nnan von Schütz erfchienenen Berichten und Anklagen nichts Anderes erwartet, als das Schlimmste über ihn bestätigt zu hören: daß er nämlich die Leute hierher nur gegen ein gewisses Kopfgeld geschafft und, nachdem dieses einkassirt, sich Nicht weiter nm sie bekümmert habe. Daß er ganz und gar kein Kopfgeld für die Auswanderer bekam, sondern nur bei dem Erfolg der Colonie dadurch bctheiligt war, daß ihm eine gewisse Strecke Land iu deren Nachbarschaft v er-spro ch c.n wurde, ersah ich erst später iu Lima aus dem Contracte selber. Hier aber, wo ich auch das Gespräch auf von Schütz brachte, versicherten mich die Leute, daß er brav und ehrlich an ihnen gehandelt, und sein Möglichstes gethan habe, ihre 132 Lage Zu erleichtern, und die Negierung anzuhalten, ihre Versprechungen zu erfüllen. Lange Zeit hatte er unterwegs mit ihnen gelebt, ihre Entbehrungen getheilt, ja selbst kein Opfer gescheut, ihnen dann nud wann, wenn die Necsierung mit ihren Lieferungen lässig war, persönlich auszu-helfeu. So war er gezwungen gewesen, da es ihm selber an Geld fehlte, seine Uhr Zu verkaufen, und selbst seinen Siegelring zu versetzen, nur um Lebensmittel für die Colonisten anzuschaffen, und Manche derselben konnten ihn nicht genug rühmen. „Ich wollte nur," sagten mir Mehrere, „er besuchte uns einmal wieder am PoznZu, daß wir ihm sagen könnten, wie dankbar wir ihm sind. Er möchte dann bei uns bleiben, so lange er nur irgend wollte. In Cerro de Pasco hörte ich ebenfalls das günstigste Urtheil über ihn; die Deutschen dort versicherten mich, er sei ein Ehrenmann und habe gethan, was in ftinen Kräften stand—und selbst mehr, da er seine eigenen pecuniären Mittel völlig dadurch erschöpfte. Die Negierung habe ihn aber schmählich im Stiche gelassen, und weder den Einwanderern noch ihm selber den zehnten Theil von dem gehalten, was sie versprochen. Der damalige Präfekt aber (der jetzt Minister ist) und 133 der Secretair der Finanzen hatten die Gelder, die von dem Präsidenten regelmäßig ausgezahlt wurden, in ihre Taschen gebracht, und der Finanz-secretair wahrscheinlich auch jene Summen unterschlagen, die als Arbeitslohn für den Wegebau den Deutschen geschickt wurden. Diese konnten wenigstens für einen Theil ihrer Arbeit die Bezahlung nie erhalten. Der Finanzsecretair mußte allerdings bald nachher seine Stelle niederlegen, da ein kleines Desi--«t von 26,000 Dollarn einiges Aufsehen machte. Seine Freunde, die mit ihm unter einer Decke staken und das nämliche Schaf schoren, ließen lhn aber nicht im Stiche, uud er hat jetzt wieder einen viel bessern Posten in Lima selber. Welche Fehler nun Damian von Schütz auch in der Wahl der Colonie und darin gemacht ha-ben mag, daß er den peruanischen Versprechungen traute, und das Schicksal von so vielen Deutschen auf die Erfüllung südamerikanischer Versprechungen setzte, man kann und darf ihm nie den Vorwurf inachen, daß er unehrlich gegen seine Landsleute gehandelt und seinen eigenen Vortheil dabei allein im Ange gehabt habe. Er selber hat auch seinen Glauben an die Legierung am Theuersten bezahlen müssen, denn 134 diese hielt ihm eben so wenig ihre Versprechungen, wie den Colonisten, und er wollte damals gerade, mit Hülfe eines Consuls, versuchen, das Ministerium zu.zwingen, ihm wenigstens die gemachten Auslagen wieder zu erstatten — mit Hülfe eines Consuls! Unter den Tyrolern fand ich übrigens auch einen jungen Mann, der, wie es deren überall giebt, eigentlich nur deßhalb unzufrieden schien, weil er über Nichts wirtlich zu klagen hatte. Er lebte allein mit seiner jungen Frau auf seinem kleinen Grundstück, das er fleißig bearbeitet hatte, und wo Alles vortrefflich stand und gedieh. Er war gerade mit seiner Fran im Felde beschäftigt, Mais abzunehmen, den er vor vier Monaten erst gepflanzt hatte, nnd prachtvolle Kolben standen dort, die er jetzt mrzuhausen hatte. „Und wie geht's hier? — wie gefällt Euch das Land?" frug ich ihn. „Oh, es geht halt nicht schlecht," meinte der Mann, „wir sind gesund nnd haben zu leben, wenn — wenn es halt nur ordentlich wachsen wollt' hier?" „Ordentlich wachsen wollt'?" das war ein neuer Einwurf, denn das schien mir bis jetzt das Allereinzige, was eben zu Gunsten dieser Colonie 135 ^ sprach, die ungeheuere Kennkraft und Fruchtbarkeit dieses Bodens, auf dem man sich kaum an eine Jahreszeit zu binden brauchte, und Jahr ein und aus nur pflanzen und ernten konnte — „aber um Gotteswillen, Ihr Leute," warf ich dem Alaune ein, „über das Wachsthum könnt Ihr Euch doch kaum beklagen. Zuckerrohr reift in sechs Monaten, Mais in vier, die Banane giebt Euch in einem Jahre ihre wundervolle Frucht, und treibt in der Zeit einen achtzehn Fuß hohen Baum oder Schaft von 12—14 Zoll im Durchmesser." „Ja, schon recht," sagte der Tyroler — „es wachst, wmu's aber bei uns in Tyrol so langsam wachsen that, so müßten wir halt Alle verhungern." Dagegen ließ sich nicht streiten, der Mann schien das aber ganz ernstlich zu meinen und selber zu glauben, und die ganze ihn umgebende "pftige Vegetation konnte ihn keines Bessern belehren. Weiter hin wohnte ein anderer Tyroler, dessen Haus ich aber nicht betrat, denn er galt als das „schwarze Schaf" in der Gemeinde. Seine Lebensgeschichte war wie die so manches Andern, der „freiwillig" nach Amerika auswandert; „d? 136 I^ft In8 count.1'^ kor Ki8 countr^ß F«0ä," das heißt: die Gemeinde, in der er lebte, schoß die Reisekosten bis zum Einschiffungshafm zusammen, um ihn nnr loszuwerden, da er ihnen dort wohl genug Sorge und Aerger gemacht haben mochte. Auch hier in der Colonie hatte der Bursche schon wieder eine Menge böser Streiche verübt, sich Veruntreuungen zu Schulden kommen lassen, und wenige Tage vorher eine Engländerin, deren Mann gerade in Cerro oe Pasco war, im Felde draußen mit einem Stocke geschlagen. Die Colonie wollte ihn jetzt lossein, und der „Gober-nador" war angegangen worden, eine Eingabe deßhalb zu machen. Von hier an kamen mehrere Stellen, wo man Viertelstunden weit durch den Wald gehen mußte, ehe man wieder Colonisten antraf, und die Colonie der Rheinländer war dadurch etwas weiter auseinander gezogen. Dafür weitete sich aber auch hier das Thal so viel mehr, und ich fand bald, daß meine rheinischen Landslcute keineswegs an Flnß den Tyrolern nachstanden. Ihre kleinen Ansiedelungen waren wacker bearbeitet, viele Accker Land klar gemacht, und die Ernten standen überall vortrefflich. Nur ein Mann schien hinter den Uebrigen. 137 zurückgeblieben zu sein. Er hatte erst sehr wenig Land urbar gemacht, auffallend weniger als alle Uebrigen, und zog deßhalb auch keinen solcheu Neberfluß an Lebensmitteln wie die Uebrigen. Er trug aber keine Schuld dabei, denn er hatte schon einen kränklichen Körper mit herübergebracht, und war die ganze Zeit über leidend gewesen, so daß er eben nur das Nothwendigste arbeiten konnte. Ich war in der letzten Ansiedelung angekommen, bei Leuten, die eine Anzahl erwachsener Söhne hatten, und deßhalb auch im Stande gewesen waren, ihr kleines Gut von alleu Seiten zugleich in Angriff zu nehmen. Sie hatten das Meiste Land urbar gemacht, weite Anpflanzungen von Mais, Neis, Tabak, Zucker, Kaffee und Vana-nen, und befanden sich vollkommen wohl und behaglich in ihren neuen Verhältnissen. In Dentschland waren es arme Leute gewe-seu, die, wie sie mir selber sagten, aus Schulden und Sorgen nicht herausgekommen, und täglich Mehr das Wenige schwinden sahen, was sie noch als Eigenthum betrachten konnten. Hier dagegen fanden sie, daß sich ihre Aussichten von Tage zu Tage besserten; ihre Lage war vollkommen sorgenfrei, und ihre Kinder gingen einer freundlichen uud gesicherten Zukunft entgegen. ^,38 Der ärmere und kränkliche Nachbar, der etwas vom Wege abwohnte, kam zu ihnen, während ich dort war. Sein Bericht über sich selber klang wahrhaft rührend. „Ich bin krank und elend," sagte er, „und es ist möglich, daß ich nur noch kurze Zeit zu leben habe; wenn ich aber wüßte, daß ich morgen schon sterben müßte, würde ich ruhig und zufrieden aus der Welt gehen, denn ich weiß jetzt, daß meine Kinder nach meinem Tode — nicht zu betteln brauchen, wie das in Deutschland der Fall gewesen wäre. Auf meiner kleinen cliagra ist noch nicht viel gethan, aber doch schon genug, uns Alle am Leben zu erhalten, und wenn sie nachher nur Halbwege fleißig sind, können sie leicht etwas Ordentliches daraus machen." Es war das gerade kein Compliment für Deutschland, aber charakteristisch genug für die gegenwärtigen Verhältnisse der dentschcn Colonisten. Körperlich wohl befanden sich die Leute fast Alle, Eins ausgenommen, das dem Fremden um so mehr und schneller auffallen mnßte, da es sich unmöglich verstecken ließ: sie hatten nämlich fast Alle, mit nur sehr wenigen Ausnahmen, ganz anständige Kröpfe. Bei den Tyrolern war mir das nicht so auf- 139 gefallen, denn ich wußte, daß besonders in Steyer-mark der Kröpf daheim ist, und glaubte natürlich, die Leute hätten sich dieses, etwas überflüssige Anhängsel nnt herübergebracht. Als ich aber die Grenze der Rheinländer — ein kleiner, klarer Vergbach — überschritt, fand ich hier das Nämliche, und zwar hatten alle diese den Kröpf erst bekommen, feit sie sich an dem Pozuzu niedergelassen, viele von ihnen sogar erst im letzten Jahre. Einige wollten anch nicht einmal eingestehm, daß es ein wirklicher Kröpf sei, nnd meinten nur: „sie könnten ihren Hemdekragen nicht mehr zuknöpfen." Der Kröpf war aber da und ließ sich nicht wegleugnen, nnd die Ursache ließ sich eben nnr in dem Nasser vermuthen, das sie tranken. Selbst an den Kindern zeigten sich bereits die Spuren dicker Hälse, bei manchen ganz entschieden ausgesprochen, und vollkommen frei davon war fast kein einziger Erwachsener. Wie man sich aber mit der Zeit an Alles gewöhnt, so schien der Kröpf auch den Colomsten nicht die geringste Unbequemlichkeit zu verursachen, besonders da sich Keiner vor dem Andern Zu gennen hatte; sie klagten wenigstens nicht darüber. Schon früher habe ich erwähnt, daß ich fast bei allen Ansiedlern Milch und Butter fand. Die 140 Kühe dazu verdanken sie aber nicht der Sorge der Negierung, sondern der Freigebigkeit eines deutschen Landsmannes, Nenner mit Namen — wenn ich nicht irre, ein Hamburger, der schon lange in Lima lebt und sich dort ein Vermögen erworben hat. Auf die uneigennützigste und edelste Weise nahm er sich der deutschen Colonisten an, und nicht allein mit Worten, sondern mit der That, indem er ihnen das Beste gab, was ihnen in jener Zeit ein Mensch hätte geben können: Milch für ihre Frauen und Kinder. Er setzte ein Capital aus, mit dem jede Familie oder vielmehr jeder Ansiedler eine Kuh, ein paar Schweine nnd ein paar Ziegen bekommen sollte. Größere Familien bekamen sogar zwei Kühe, nnd so gründete er den ersten Viehstand in der Colonie und sicherte sich die Dankbarkeit aller dieser armen Lente, denen er damit eine ganz unbeschreibliche Wohlthat erwies. Allerdings hatte es noch bedeutende Schwierigkeiten, das geschenkte Vieh, das in Hu^naco angekauft wurde, über den Pozuzu zu schaffen, obgleich das bei niedrigstem Wasscrstande geschah. Ein Canoe mit 25 kleinen Schweinen wurde auch gegen die Felsen geschleudert nnd zerbrach, so daß sich die 141 darin rudernden Indianer nur mit genauer Noth retten konnten. Alles Andere aber kam glücklich hinüber und die Kühe und Schweine schienen sich vortrefflich zu befinden. Nur mit der Schweinezucht sah es nicht be-sunders aus, denn sonderbarer Weise wollten die jungen Ferkel nicht recht gedeihen und starben rasch wieder weg. Nur wenige blieben am Leben, den einmal gewonnenen Stamm fortzupflanzen, während sich die schon ausgewachsen hcrüberge-schaffteu vollkommen wohl zu befinden schienen. Ganz verunglückt war die Zucht der Ziegen in diesem warmen Thale. Die meisten starben bald nach ihrer Ankunft, oder wnrden so hinfäl-^g, daß sie ohne Weiteres geschlachtet werden mußten. Das Klima sagte ihnen nicht im Geringsten zu, und in die dicht bewaldeten Berge konnten sie ebenfalls nicht hinauf, deun dort würden sie sich wohler befunden haben. Es ist das ein großer Nachtheil für die Co-lonie, daß sie keinen Weidegrund für ihr Vieh hat. Selbst die wenigen Kühe müssen eingesperrt gehalten und gefüttert werden, uud die Ansiedler sprechen davon, oben auf den nächsten Gebirgsrücken den Versuch zu machen uud Laud frci zu arbeiten, das danu nachher vielleicht recht guten 142 Weidegrund für wenige Stücke geben könnte. Das Alles ist freilich mit vieler Mühe und Schwierigkeit verbunden.—Aber auch hier unten im Stalle gedeihen die Kühe vortrefflich, da genug Mais und anderes treffliches Futter für sie vorhanden ist, und für das Ücbrige wird auch mit der Zeit Rath werden. In dem letzten Hanse fand ich übrigens, was in den anderen Ansiedelungen fehlte, Fleisch genug, denn die jungen Leute gingcn hier fleißig auf die Jagd, und hatten noch wilde Schweine und eine große Art Wald- oder Nebhuhn häufig genug in ihrer Nachbarschaft, um die Jagd zu lohnen. Auch der Tapir hält sich hier auf, und drückt seine Fährten manchmal dem weichen Boden ein. Die Indianer nennen ihn „die große Bestie" und sein Fleisch soll ausgezeichnet wohlschmeckend sein. Da er aber gewöhnlich nur Nachts seine tiefversteckten Schlupfwinkel verläßt, so kommt er dem Jäger nur höchst selten und zufällig zu Gesicht. Vor einiger Zeit wurde einmal in der Nähe des Pozuzu ein Junges gefangen und als Merkwürdigkeit nach Cerro de Pasco, 14,500 Fuß über der Mcercsflä'che, geschafft. Natürlich tonnte es 143 ^ die dortige feine und kalte Lnft nicht vertragen, und starb gleich den nächsten Tag. Wie ich schon früher erwähnt habe, so liegt die Kirche, ein kleines, sehr einfaches hölzernes Gebäude, ziemlich im Mittelpunkte der Colonie, um keinem der Colonisten den Kirchweg Zu weit zu machen. Der „Pfarrer" ist ein Tyroler, und, so weit i ch Gelegenheit hatte, ihn kennen zu lernen, ein für die Colonie vortrefflich passender und sehr vernünftiger Mann, der auch bei seiner kleinen Gemeinde sehr beliebt zu sein scheint. Ganz ohne Häkelei kann aber auch selbst am Pozuzu eine deutsche Colonie nicht bestehen; die bis jetzt vorgekommenen Mißverständnisse beschränkten sich aber immer nur auf Kleinigkeiten, und waren durch das verständige Betragen des Pfarrers rasch beseitigt worden. Rheinländer und Tyroler hatten sich hier auch — nicht mehr in so gezwungen enger Berührung mit einander, wie au Bord des Schiffes — näher nnd besser kennen lernen, und vntrugeu sich jetzt prächtig mit einander. Gab es deßhalb eine Zänkerei, so war es nur unter den eigenen Nationalitäten, nie gegen einander. Ucbrigens hatten sie auch ihre weltliche Obrigkeit, etwaige Mißhelligkeiten zu schlichten. AIs oberste weltliche Behörde am Pozuzn galt 144 allerdings der Gobernador, ein verunglückter Mi-nenspeculant, der von seinen Frennden diesen Posten mit 50 Dollar monatlichem Gehalte bekommen hatte, und dafür Wenig oder gar Nichts that. Die Deutschen nämlich haben für sich selber zwei sogenannte „Bürgermeister" gewählt, die Rheinländer einen und die Tyroler einen anderen, die bei schwierigen Fällen Zusammentreten und mit dem Pfarrer eine Art von Drei-Gericht bilden, und dies System hat sich bis jetzt vortrefflich bewährt und als ausreichend gezeigt. Schädlicher für sie war die Ernennung des Gobernaoors, von Regiernngswegen, zum „Direktor der Wege," wozu er einzig und allein gemacht wurde, um noch weitere 50 Dollar Gehalt beanspruchen ^n können, ohne daß er das Geringste von irgend einem Negebaue verstand, oder sich auch die kleinste Mühe deßhalb gegeben hätte. Er sagte mir selber einmal, daß er nirgends hinginge, wohin er nicht reiten könne, was so viel hieß, als daß er sein Haus nicht verließ, denn es gab am Poznzu weder Pferde, noch Maulthiere und Esel. Natürlich waren diese 50 Dollar, welche die Negierung zum Nutzen der Colonie ansgab, geradezu aus dem Fenster geworfen. Alle Klagen der Colonisten, die ich auf mei- 145 ner Wanderung hörte, waren aber nie gegen die Central-Negierung oder den Präsidenten gerichtet, sondern stets gegen die unteren Beamten. Die Leute wußten, daß Geld genug für ihre Colonie bewilligt sei, aber mit Necht beschwerten, sie sich darüber, daß die unteren Beamten, ohne Controle Massen, eben thnn konnten, was sie wollten, und keine von ihren Klagen zu dem Präsidenten selber gelangte. Die Ursache war auch klar genug, denn den Ministern konnte Nichts ungelegener kommen, als derartige Dinge, in welche sie selber vielleicht verwickelt waren, oder die doch andere ähnliche aufrühren konnten, zur Sprache zu bringen, nnd das Bequemste blieb für sie immer, sie einfach todt zu schweigen. So war z. V. den Leuten versprochen worden, ihr Gepäck, als sie sich endlich am Po-zuzu niederließen, gut und sicher an Ort und Stelle himmterzuschaffeu. Das geschah auch, iuoeß wie alles Andere, ohne die geringste Aufsicht der Legierung, so daß jenes peruanische Gesindel, in dessen Nähe die armen deutschen Auswanderer gewohnt hatten, von deren Gütern plünderten, was sie irgend konnten, sobald die Eigenthümer nur den Nucken kehrten. Solcher Art war einem der Kolonisten sein ganzes Eigenthum in 15 Koffern Nr. Gcr s, ä c, er. AsiNchu Monate m Tüb-Ämerila, II. K) 146 und Kasten gestohlen worden, ohne daß er bis jetzt das Geringste wiederbekommen hätte. Was den Colonisten mit ihrem Wegebau besonders zum Schaden gereichte, war, daß die meisten der unteren Beamten in dem fruchtbaren Hunnacothale theils selber Besitzungen, theils intime Freunde hatten, für die es zu einer Lebensfrage wurde, wenn die Colonie wuchs und gedieh, und selbstständig mit der zunächst gelegenen größeren Stadt Cerro de Pasco in direkte Verbindung trat. So oft deßhalb auch ein solcher Weg in Angriff genommen wurde (und er war schon in drei verschiedenen Stellen begonnen), so ost vereitelten ihn die Intriguen der Hwmaco-Hacienden-Besitzer. Einmal wurden die Arbeiter sogar durch Militär fortbeordert, und bis jetzt hatten sie erreicht, was sie wollten, daß nämlich der einzig passirbare Weg — und Gott weiß es, der war schlecht genug — vom Pozuzu aus über Hu^naco, und noch dazu etwa zwanzig Leguas aus der Richtung, nach Cerro de Pasco führte. Alle Waaren nun, welche die Colonisten nothwendig brauchten, mußten sie, statt in Cerro de Pasco, in Huimaco kaufen, während sie die Huä-naco-Kaufleute erst selber von Cerro holten. Natürlich hatten sie doppelte Preise dafür zu zahlen, 14? und ihre eigenen Producte waren in Huänaco fast werthlos, da dies Thal genau das Nämliche erzeugte, wie der Pozuzu. Daß der Präsident vou diesen Verhältnissen Nichts wusite, glaubten Alle, und ich versprach den Colonisten, nach Lima zurückgekehrt, den Präsidenten selber aufzusuchen, und ihm ehrlich und unumwunden den Stand der Dinge auseinander zu setzen. Es war dies das einzige Mittel, um eine Abhülfe sür alle diese Uebelstäude zu finden, denn der Präsident hatte die deutsche Colonic begünstigt, und es dem Staate viel Geld kosten lassen, sie herüber zu bekommen. Es konnte ihm also jetzt nicht gleichgültig sein, daß sie, so behandelt, eiufach vegetirte, und dem Staate Peru eben so wenig Nutzen brachte, als ob sie oben im Monde läge. In der ganzen Colonie war, aus dieser Ursache, auch wirklich nicht ein einziger Dollar baar Geld, das ausgeuommen, was der Gobernador und der Pfarrer als Gehalt beziehen. Der Geistliche ist nämlich vom Staate besoldet und bekommt fünfzig Dollar festen monatlichen Gehalt, den er, da er nicht selber im Felde arbeitet, auch ziemlich wieder für Arbeitslohn verausgabt. Dort allein können die Ansiedler dann und waun ein paar iu* ^48^ Dollar Geld verdienen, wenn sie eben auf kurze Zeit bei ihrem Pfarrer iu Tagelohn gehen, und das geschieht denn auch, wenn sie einmal nothwendig Geld gebrauchen. Mit den Colomsten waren eigentlich zwei Geistliche über See gekommen; der eine von ihneu hatte es aber für vortheilhafter gehalten, auf eigene Hand zu leben und Privat-Messen zu lesen, wobei er mehr Geld zu verdienen glaubte. Jedenfalls ist der Eine für die Colonie vollkommen genügend, und auch jetzt schon im Staude, der peruanischen Nachbarschaft beizustchen, da er sich die spanische Sprache rasch augeeignet hat, uud sie ziemlich fließend spricht uud schreibt. Der Geistliche hier iu diesem abgelegenen Thale ist aber auch für die beuachbarten Indianer eine große Hülfe, da sie. Alle der katholischen Kirche angehören, und besonders an den Formen derselben hängen. Einen Theil ihres alten Glaubens tragen alle diese Stämme auf den neuen über, und es gehört ein gewisser Tact des Geistlichen dazu, mit ihneu zu verkehren. So lassen sie außerordentlich gern Messen für Verstorbene lesen, oder einfache Gebete für sie sprechen, bei denen aber der Name des Verstorbenen stcts laut und deutlich genannt werden muß. Uud selbst 149 das genügt ihnen nock nicht, denn nm ja kein Mißversländmß möglich zu machen, halten sie es für unumgänglich nöthig, daß irgend ein Theil des Verstorbenen bei dem Gebete gegenwärtig sei. Manchmal begnügen sie sich mit einein Kleidungsstücke, das er getragen, für weit wirtsamer halten sie aber das Gebet, wenn ein Körpertheil der Leiche dabei gegenwärtig ist, und kurz vorher, ehe ich an den Pozuzu kam, hatte einer der benachbarten Indianer den Geistliche» angesprochen, für einen verstorbenen Verwandten eine Messe zn lesen, und ihm zu diesem Zwecke den Schädel des Todten, in ein Tltch gebunden, mitgebracht. So bildete die Colonie hier, mit Allem fast erzeugend, was sie selber brauchte, eine kleine abgeschlossene Welt für sich, denn selbst Kleider und Schuhe konnten sich die Leute selber schaffen, wenn sie nur erst einmal die nöthigsten Feldarbeiten hinter sich hatten; die Baumwolle gedieh vortrefflich und jedenfalls war Gerbstoff genug in den Wäldern, auch ihre Häute zu gerben und Schuhe daraus zu bereiten. Eine Menge Hülfsmittel, die ihnen zu Gebote standen, kannten sie nur noch gar nicht, und mußten erst, von Tyrol »ach den 150 Tropen verpflanzt, lernen, welche Reichthümer die Natur ihnen hier zur Verfügung stellte. So hatten sie bis jetzt die wildwachsenden Cacaobä'ume, ohne sie zu kennen, abgehauen, und der Gobernador, der etwas mehr, aber doch nicht genug davon wußte, eine Anpflanzung von jungen Stämmen auf freiem Felde und mitten in der Sonne gemacht. Natürlich waren die Pflanzen alle eingegangen, und er hatte jeden weiteren Versuch eingestellt, weil er das Klima dem Cacao nicht für zuträglich hielt. Ich konnte ihnen darüber genaue Auskunft geben, da ich den Cacao-bau ja in seiner Vollkommenheit in Ecuador kennen gelernt, und die neuen Versuche, welche die Ansiedler jetzt mit dieser lohnenden Nutzpflanze machen wollen, werden gewiß günstig ausfallen. Außerdem liefert die Schale der Cacaofrüchte einen vortrefflichen Gerbstoff, den die Colonisten sehr gut werden verwerthen können. Auch der Tabak gedeiht vortrefflich am Pozu-zu, leider haben die Leute aber mit sehr schlechtem Samen angefangen, Tabaksamen, den die Tyroler aus ihrer eigenen Heimath mitgebracht hatten, und der nur eiuen sehr leichten und mittelmäßigen Tabak liefert. Mit guten Havanasamen bin ich überzeugt, daß sie ein recht gutes und kräfti- 151 ges Blatt ziehen könnten, wenn es auch dem Nestindischen nie gleichkommen wird. Sonderbar, daß in Süd-Amerika kein guter und aromatischer Tabak gezogen werden kann, denn selbst der beste von Neu-Granada und Ecuador — Ambale-Ma und Esmeraldas, hält nicht einmal einen Vergleich mit dem Domingo aus, und ist, wenn auch wohlschmeckend, doch zu leicht und ohne Gehalt. Die Coca gedeiht dagegen am Pozuzu vortrefflich, jene eigenthümliche Pflanze, die das Haupt-existenzmittel des peruanischen Indianers und Eingeborenen bildet, und wird einmal später einen der bedeutendsten Ausfuhrartikel des Pozuzu bilden. Ein Vortheil für die Colonisten ist es jedenfalls, daß kein Wirthshaus existirt. Jede Familie hat dagegen ihr kleines Stück Feld mit Zuckerrohr bepflanzt, aus dessen Saft sie ihren Zucker für den Kaffee kochen, und ihren guai-^o brauen. Ist aber erst einmal ein direkter Weg nach Cerro de Pasco eröffnet, und können die Leute erst ihre Producte für baares Geld verkaufen, dann wird auch ein Wirthshaus nicht fehlen, um ihneu das baare Geld, oder doch einen Theil desselben, wieder abzunehmen. Unter so vielen Tyrolern hatte ich natürlich 152 geglaubt ein paar tüchtige Citherspieler zu finden, und mich eigentlich schon darauf gefreut. Wie ich hörte, waren auch ein paar mit herübergekommen; aber die jungen Leute hatten meist Alle die Colonie verlassen, als sie sich gerade in Trübsal befand, und die Verheiratheten, wie das nun einmal fo in der Welt geht, spielten keine Cither mehr. Ein einziges solches altes Instrument war übriggeblieben und hing, mit noch vier oder fünf Saiten bespannt, bei Gstier im Rauch, „um die feuchte Luft davon abzuhalten." Sie war vollkommen schwarz geräuchert und heiser, und weigerte sich hartnäckig, irgend eine Stimmung wieder anzunehmen. Ich blieb über eine Woche in der Colonie und machte mehrere kleine Abstecher nach den verschiedenen ,M^.^. die Leute nahmen mich aber überall und immer gleich freundlich auf, und ich hätte ihnen keinen größern Gefallen thun können, als recht viel bei ihnen zu verzehren und über Nacht zu bleiben. Fast Alle erzählten mir dabei ihre Lebensgeschichten, und so einfach diese waren, so rührend waren sie oft. Bei Allen dasselbe alte Lied - Arbeit und Schulden, aus denen sie sich nicht herausfinden konnten, und die sie sich Jahr nach Jahr mehr über 153^ den Kopf zusammenwachsen sahen. Was half es, daß sie dagegen ankämpften; Alles, was sie thnn konnten, war, sich über Wasser zu halten, nnd die Strömung nahm sie dabei weiter und weiter mit. „Da sind wir denn ausgewandert," lautete der stete Refrain; „wir wußten, schlechter konnt's einmal nicht werden, und wenn wir hier auch gerade keine Schätze sammeln, haben wir doch zu leben." Nnsere deutschen Regierungen klagen immer über die Auswanderung und betrachten die Auswanderer selber gewöhnlich als unzufriedene, böswillige Leute, die das segensreiche Regiment, unter dem sie leben, nicht anerkennen wollen. Sie hätten sollen die einfache Erzählung dieser armen Leute hören, die Niemanden anklagten und nur mit schwerem Herzen ihre Heimath verlassen hatten; aber sie konnten nicht mehr jene stets wachsenden Steuern und Taxen erschwingen, und Mußten zuletzt ihren lieben Bergen den Nucken kehren. Am Leichtesten wurde es ihnen noch, sich von ihren Negierungen zu trennen. Was nun eiumal hier aus ihnen werden sollte, wußten sie selber noch nicht recht. Die Kinder wuchsen außerdem fast ein wenig zu frei auf, 154 denn eine eigentliche Schule hatten sie gar nicht, und der Pfarrer unterrichtete die Kinder nnr zu unregelmäßigen Zeiten in dem Nothwendigsten, was sie brauchten. Allerdings war ein wirklicher Lehrer in der Colonie, der aus der Nheingegend mit herübergekommen war, und den die Rheinländer jetzt zum Bürgermeister gewühlt hatten. Er mochte des Schnlamtes aber wohl schon — was ich ihm auch eigentlich nicht verdenken kann — in Deutschland überdrüssig geworden sein, und schien nicht gesonnen, hier in Peru wieder mit der nämlichen Quälerei anzufangen. Die Kinder lernten aber arbeiten, und nebenbei ein wenig Schreiben, Lesen und Rechnen, und das Uebrige fand sich von selber. Während sie heranwuchsen, wuchsen auch die Felder um sie her, und ihre Eltern, während sie den Wohlstand der heraufschießenden Jugend sicherten, sahen selber mit Ruhe einem sorgenfreien Alter entgegen. Sie konnten ihre Kräfte auf keine bessere Zinsen legen. Es that mir ordentlich leid, wie ich von den guten Leuten wieder Abschied nahm. Es hatte mich viele Mühe und viel Geld gekostet, sie in ihrer Abgeschiedenheit aufzusuchen, ich hatte einen schweren Rückweg vor mir, um Lima wieder zu 155 erreichen, aber ich bereute die darauf verwandte Zeit dennoch nicht, denn ich glaube, daß meine Anwesenheit ihnen in mancher Hinsicht genützt hat, und daß sie mir ein freundliches Andenken bewahren werden. 6. Zer Wckmaisch aus dem Ainazonengebiet. Den Colonisten am Pozuzu hatte ich versprochen, für ihre Interessen, hinsichtlich des nenen Wegbaues, einzustehen. Um das aber auch wirksam thun zu können, war es unumgänglich nöthig, das für den Weg bestimmte Terrain selber zu sehen. Dann erst konnte mein Bericht bei dem Präsidenten auch Berücksichtigung verdienen. In dieser Richtung war ich aber nicht einmal im Stande, ein Packthier mitzunehmen (wie sich später zeigte, hätte mir kaum ein Hund diese Bahn folgen können), sondern ich mußte meinen Sattel und unsere Provisionen von bezahlten Trägern schleppen lassen. Glücklicherweise bekam ich aber einen Indianer, Leon Carthagena, zum Führer, und das war, wie mir alle Colonisten sagten, 157 der einzige Mann in der ganzen Umgegend, der jene Berge genau kannte — und was dazu gehörte, fand ich später selber. Daß ich dabei wieder bösartige Strapazen durchzumachen hatte, wußt' ich voraus, denn es war mir schon zu viel von diesem, erstbegonnencn Wege erzählt worden. Ich machte mir aber weiß, daß sich das nicht ändern lasse, und brach am 21. Januar mit eimm Führer und zwei Lastträgern, die meine Sachen und Provisionen tragen mußten, nach dem nächsten, fünf Tagereisen entfernten Städtchen Huancabamba auf. Alle Co-lonisten hatten mir auf's Freundlichste Provisionen für den Weg angeboten, und ich hätte genug bekommen können, ein halbes Jahr davon in den Bergen zn leben, natürlich nahm ich aber nur das Nothwendigste, und selbst dies auf die kürzeste Zeit berechnet, denn nach Allem, was man mir über diesen neuen Weg erzählt, sollte es nicht geringe Schwierigkeit haben, nur mit einem kleineu Pack durch dessen Dornen und Gestrüpp zu kommen. Zum Führer hatte ich glücklicherweise einen Mann, der jede Schlucht dieser wilden Verge kannte. So viel hatte er sich aber doch schon den Sitten der weißen Race angepaßt, daß er — 158 nicht Wort hielt. Er versprach mir nämlich, schon den Abend vorher an dem bestimmten Sammelplatze zu sein, um mit Tagesgrauen den Marsch antreten zu können, kam aber erst am nächsten Nachmittag. Trotzdem wanderten wir noch aus, die Neise wenigstens zu beginnen, und lagerten die Nacht etwa eine Legua von der Colouie entfernt, an dem ersten Vergstrome, den wir erreichten — zugleich auch dem einzigen, den wir bis Huan-cabamba zu passiren hatten. Hier war Alles dichter Wald, und zwar fast ausschließlich Laubholz, mit verhältnihmäßig nur sehr wenigen Palmen. Selbst vom Fluß ab zog sich aber der Weg auf der scharfen Kante eines abzweigenden Hügelrückens steil, sogar das Zickzack verschmähend, hinauf, und dadurch ließen wir denn auch bald die tropische Natur hinter uns und gelangten wieder in ein gemäßigtes Klima, mit einer ganz ungemäßigt kalten Nacht. Auf dieser scharfen Bergkante konnte sich außerdem auch keine Quelle halten, und wir waren genöthigt, an dem Abend das Wasser zu benutzen, das, einer braunen Pfütze gleich, in einer Vertiefung des Bodens aus Gefälligkeit stehen geblieben war. Leon Carthagena Phantasirte dabei sehr viel 159 von Wild, von Hirschen, Truthühnern, Bären nnd Taftiren (hier „das große Beest" genannt), ja ließ sogar ein paar Mal ahnen, daß wir möglicher Weise einen Tiger, ganz sicher aber einen Kuguar oder Löwen in unserm Wege finden würden. — Es war Alles nicht wahr; der Wald — eine Wildniß, die nur selten eines Menschen Fuß betritt — schien wie ausgestorben, und nicht einmal einen Affen sahen wir den ganzen ersten Tag — nachher hätten sie überdies in der Kälte nicht mehr leben können. Allerdings kreuzte ich den ersten Abend, wo ich noch einen kleinen Pirschgang machte, die Fährte eines Tapirs, der hier ziemlich hoch in die Berge geklettert war, bekam den alten Burschen aber natürlich nicht zu sehen, und mußte leer und ohne Beute zu unserm Lager zurüÄsteigen. Später fand ich auch noch einmal die Spur eines Bären, aber nicht das leiseste Zeichen eines Kuguar oder Jaguar. Desto reichlicher trafen wir nuten dicht am Pozuzu noch die Stellen, wo die Seynos, die es hier wie in Ecuador giebt, den Grund aufge-brochen hatten, die Seynos selber aber waren nicht zu Hause, und wir durften uns auch nicht ihretwegen in der ungewissen Hoffnung hier aufhalten, einem Rudel etwa zu begegnen. Meine 160 Reise war ja überhaupt kein Iagdzug und, mit einem nützlicheren Zweck im Ange, mochte ich meine Zeit nicht unnöthig verschwenden. Mir war früher gesagt worden, ich würde die Reise vom Pozuzn nach Hnancabamba in drei Tagen machen können, darin sollte ich mich aber getäuscht sehen, denn das stellte sich bald als unmöglich heraus. Ueberhaupt bestand hier gar kein eigentlicher Weg,' sondern nnr ein schmaler, oft kaum erkennbarer Pfad, den man früher einmal mit dem Messer ausgehauen und über den die Büsche schon lange wieder zusammengewachsen waren. Nicht einmal eine Axt schien hier thätig gewesen; wo ein Baum umgestürzt lag, mußte man entweder darüber hinwegsteigen oder darnnter hinkriechen, nnd an vielen Stellen bildete dicht geflochtenes und mit Moos vollkommen ausgefülltes Wurzelwerk den alleinigen Boden, anf dem man hinschritt. Das war das unangenehmste Marschiren, denn man konnte nie deutlich erkcnnen, wohin man trat; der Bergstock glitt fortwährend an den glatten Wurzeln ab und fuhr wie in das Bodenlose hinein, und rntschte man einmal mit dem Fnße, so konnte man sich auch fest darauf verlassen, daß man im nächsten Augenblicke mit dem Beine m irgend einem Loche ^161 stak, während man darüber auf einer Wurzel ritt. Natürlich regnete es die ganze Zeit, und wenn es auch einmal ein pactt Stunden aufhörte, blieb sich das vollkommen gleich, denn durch die nassen Busche mußte man sich überall drängen, und bekam das, was sie sich an schweren Tropfen aufgehoben, redlich überliefert. Der ganze Weg war überhaupt nur eine Bahn, die sich Indianer und Eingeborene gesucht hatten, um von dem PoZuzu aus Huaneabamba zu erreichen. Dabei folgten sie dem Bergrücken, wie der sie führte, und erkletterten jede nur erreichbare Spitze, um von dort aus wieder einen freieren Ueberblick zu bekommen und die Richtung nicht zu verlieren. Dorthin mußte mau ihnen überall nachklettern, und das einzige Interessante blieb dabei, den regelmäßigen Wechsel der Vegetation zu bewundern, während man mit einer Unbefan-heit durch die verschiedeneu Klimate fortwährend auf- und abstieg, die wirklich rührend schien. Unten im Lande der dichte bösartige Wald mit seinen über den Pfad geworfenen Stämmen, aber doch wenigstens mit festem Boden. In diesem Walde kam man dann noch in einer bestimmten Höhe, durch die man bald hinauf-, bald hinab-stleg, in einen Streifen breiten Rohrgrases, eine F l. Gcrstäcler, Achtzehn Monate in Eüd-Umeiika. II, 11 162 Art hohes Schilf mit weichem, dickem Stiel. Darüber kam lichterer Wald mit vielem Wurzelwerk, und in diesem, nur etwas höher, begann das nichtswürdigste, zähste und längste Nohr das Unterholz zu füllen. Wie unzerreißbare harte Stricke legte es sich überall quer über den Weg, oder hing von oben wie Schlingen herunter, in denen man sich den Hut, manchmal auch den Kopf fing. Alle zehn Schritte weit, während man ununterbrochen beschäftigt war, es aus dem Wege zu biegen, blieb man aber sicher mit Arm oder Bein oder Gewehr darin hängen, und es war völlig genügend, selbst den geduldigsten Menschen zur Verzweiflung zu bringen. — Wo dies Rohr aufhörte, wurde der Boden schon kälter und die Vegetation mchr verkümmert. Niederes knorriges Knüppelholz stand hier mit verwachsenem, immergrünem Gebüsch, und die höchsten Bergrücken, Cuchillos oder Messer genannt, waren ganz offen, nur mit langem Gras oder einer andern vegetabilischen Malice bedeckt. Diese bestand in einer Art von Aloe, die den Voden an manchen Stellen dicht bedeckte und ihre kleinen, feinen, dunkelbraunen Stacheln wie bröckliche Nadelspitzen in Fuß und Hand des Wanderers bohrte. Gnade Gott, wenn man einmal auf dem oft glatten 163 Boden ausglitt und sich mit der Hand irgendwo stützen oder halten wollte, man konnte sich dann sicher daranf verlassen, daß diese wie gespickt von den feinen Nadeln war. So ging es die ganze Strecke bergauf und bergab, durch alle Streifen dieser wechselnden Vegetation hinauf und hinunter, und die Nächte lagen wir regelmäßig auf irgend einer kalten Höhe unter einem höchst mittelmäßigen Grasdach, entweder im flnthendcn Negcn, oder schneidend kalten Winde, und froren, daß die Zähne klapperten. Doch ich will den Leser nicht mit den Einzelnheiten dieses traurigen Marsches ermüden, auf dem ich naß, und fast mit zerfetzten Kleidern, sonst aber vollkommen gesund, Huancabamba endlich am fünften Tage erreichte. Auf dem^gan-zen Wege stand kein Haus, obgleich wir eintge. reizende, wenn auch kleine Thäler kreuzten, in benen sich recht gut eine Plantage hätte anlegen lassen, und erst in den letzten Lcguas kamen wir auf besseren Weg, wo man nämlich begonnen hatte, diesen ordentlich und bequem anzulegen. Huancabamba gehört dabei schon wieder der warmen Zone an, und ist ein reizendes breites Thal, in dem eine Unmasse von Producte:: gezogen werden könnte. Selbst jetzt liegen dort mehrere 11" 164 Hacienden, in denen Zuckerrohr und Platanos gezogen werden. Im Verhältniß wird aber doch noch wenig genng gebaut, und die Leute begnügen sich eben damit, fast nur das zu ziehen, was sie zum eigenen Leben brauchen. Beständen freilich gute Wege, wäre der Verkehr ein leichterer und sicherer, so würden auch hier mehr Anstrengungen gemacht werden, denn einem sicheren Gewinne widersteht selbst die Faulheit des Südamerikaners nicht. No aber Alles auf Maulthieren mühselig transportirt werden muß und die Wege oft so schlecht sind, daß die Maulthiere unterwegs stürzen, ist neben dem Gewinn das Ri-sico zn groß, und dem sind sie nicht gewachsen. Von Hnaneabamba ans konnte ich aber jetzt doch wenigstens wieder in den Sattel, wenn ich mich auch die beiden ersten Leguas mit einem Esel begnügen und daneben herlaufen mußte. Drei Leguas von dort aber erreichte ich ein kleines Städtchen — wenn ein Platz mit fünf Häusern so genannt werden kann — das Lukanow hieß, und von wo ich ein Maulthier bekommen sollte. Von hier aus hatte ich zwölf Leguas weit keine menfchliche Wohnung und mußte dort übernachten. — Vis Lukanow war auch das Thal ziemlich weit, und einzelne Haciendcn lagen dort 165^ entlang. Huancabamba selber besteht eigentlich nur aus Haciendm, die zerstreut über einen ziemlichen Flächenraum liegen, und herrliche Weiden besonders wassert der Huancabambastrom. Von Lukanow ans aber wird das Thal wieder ganz eng, die schroffen, jedoch dicht bewaldeten Uferhänge ragen steil in den schäumenden Bergstrom nieder, nnd an einzelnen Stellen stürzen kleine Wasserfälle von dem äußersten Gipfel der Seitenwände so jäh nieder, daß sie nur an wenigen Plätzen die Wand selber berühren. Dicht am Flusse, über den oberhalb Huanca-bambas eine schmale Brücke führt, länft der Weg hin, seiner Fluth aufwärts folgend, bis er seine aus dem Schnee der Cordilleren sprudelnde Quelle erreicht, und ein einsamer Nitt war das, durch den wilden Wald, durch den der Bergstrom schäumte, UNd die einzigen lebenden Wesen, die ich traf, waren unten noch im wärmeren Thale einzelne Schwärme von Papageyen, während weiter oben w der kälteren Lnft auch diese verschwanden. Stunde nach Stunde ritt ich so einsam und ohne Führer fort, und spähte dabei vergebens umher, M dieser öden Wildniß doch wenigstens irgend emer Jagdbeute zu begegnen — umsonst, es war Alles wie ausgestorben, und ein einzelner Condor, 166 der hoch über mir den Cordilleren zustrich, schien ebenfalls nach Beute ausgewcseu zu sein und die Sache in Verzweiflung aufgegeben zu haben. Je höher ich stieg, je niederer wurde aber die Holzung; schon näherte ich mich wieder der kalten Zone, mit ihren gelben glatten Grasflächen und kalten Negen und Winden, und um Mittag etwa erreichte ich das vollkommen offene Land, wie zugleich eiu hochgelegenes langes Thal, das ein-geschlossen in zwei kahlen Hügelketten lag. Auch der Bcrgstrom war jetzt so klein geworden, daß man ihn überall hätte mit Leichtigkeit kreuzen können. Leise nur murmelte er durch die trostlose Oede hm und schien ordentlich ungeduldig dem tieferen Thale zuzudrängen, wo er wußte, daß er mehr tolle und wilde Spielkameraden bekam, nnd mit ihnen in lustigen Sätzen über die Felsen fliegen konnte. Um zwölf Uhr ließ ich mein Thier ein Wenig rasten und frühstückte selber etwas, denn ich hatte in Lnkanow auf ähnliche Weise ein Huhn gekauft/ wie in Munia, und gleich abkochen lassen; dann ritt ich wieder weiter und hatte wenigstens die Abwechselung meines Weges, daß ein feiner kalter Regen fiel. Und was für eine furchtbare öde Wild-nih lag hier um mich her — kein Baum mehr, 167 kein Strauch, nur starres durcheinander geworfenes Grauitgestein mit gelben, halb abgestorbenen Grasflächen um mich her, neben mir den rieselnden Bach und über mir den grauen bleiernen Himmel l Ein paar Raubvögel waren dazu meine einzigen Gefährten, die irgend einer verirrten Maus vielleicht nachspähten, oder auch selber nur aus Verfehen in diese Einöde gekommen waren. Wie kalt der Regen mir dabei entgcgenschlug l Ich wickelte mich fest in meinen Poncho, es dem Maulthier überlassend, sich den festesten und besten Pfad auszusuchen, denn da der Verghang keinen bedeutenden Fall mehr hatte, sammelte sich hier oben das Wasser und bildete eine Unzahl jener gefährlichen Stellen, die anf der Oberfläche hart und sicher ausscheu, wo aber das Maultljicr plötzlich bis an den Bauch versinkt, und oft kaum sein eigenes Gewicht wieder in die Höhe bringen kann. Stunde nach Stunde verging so, Meile nach Meile legte ich zurück, und fand mich plötzlich in einem Felskessel, an dem der Weg steil emporzuführen schien. Rechts thürmten sich außerdem hohe Schneegebirge auf, aus deueu die Luft eiskalt herüberstrich, und als ich unter diesen hin-zog, donnerte gerade eine Lawine in eine der Schluchten nieder. Ich hörte den furchtbar Prasseluden Laut, 168 der die Felsen erdröhnen machte, und sah die Lawine selber, wie sie oben einen steilen Hang niederschoß nnd dann hinter aufragenden Bergspitzen verschwand oder zerstiebte. So hoch aber lagen diese Berge noch über mir, daß mir das Ganze nicht grüßer schien, als wir daheim gewohnt sind, die Schneemassen bei Thauwetter von steilen Dächern niederschießen zu sehen. Wo ich mich übrigens befand, war ich außer aller Gefahr, denn so weit herüber hätten sie nie ihre stürzenden Massen senden können. An dem Fuße dieser schneegedeckten Höhen, wie fast überall an solchen Stellen in den Cordille-ren, lag eine grüne Lagune, die das Schneewasser der Kuppen sammelte und in den Huancabamba hineinleitete. Hinter ihr zog sich der Pfad über den eigentlichen Nucken der Cordilleren hin, und daß ich dabei bedeutend höher stieg, merkte ich schon an dem schneidenden Schneegestöber, in das sich hier der kalte Negen verwandelte. An manchen Stellen deckte sogar nocy alter Schnee den Boden und füllte die Schluchten aus, in die er hineingeweht worden, ohne daß ihn die Sonne je wieder erreichen konnte. Die Luft war außerdem sehr fein und scharf, und mein Thier, das ich kaum am Zügel nachziehen konnte, keuchte und 169 schnaufte, und wollte kaum von der Stelle. Endlich erreichte ich die Höhe, ohne selbst nur durch irgend eine Ausficht belohnt zu werden, denn die Wolken lagen dicht um mich her, und verdeckten Mir selbst die allernächsten Hänge. Wo der Weg die äußerste Spitze erreichte, steht, wie bei allen solchen Stellen in Peru, ein einfaches hölzernes, oft nur aus zwei Stücken zusammengebundenes Kreuz, und diese Sitte hat mir immer sehr gefallen. Es kam mir stets vor wie ein verkörpertes, aus voller Brust heraufgeholtes „Gott sei Dank!" das da oben in der freien Luft steht, und weit leuchtet es dem Reisenden schon oft entgegen. Der schlichte Südamerikaner — der „civilisirte" reitet natürlich gleichgültig vorbei — zieht auch jedesmal seinen Hut vor diesem einfachen Zeichen unferer Religion, und mmmclt auch wohl ein kurzes Gebet, und wie deutlich beweist dies, daß, um den Sinn des Wanderers auf kurze Zeit einer andern Welt Zuznlenken, eben nnr solch ein einfaches, schmuckloses Symbol nöthig ist, und das Auge des Wanderers nicht, wie in Europa, bei jedem Schritt nnd Tritt durch Carricaturen beleidigt wird, die, gemalt oder in Holz geschnitzt, unsern Heiland vorstellen sollen. Was ihnen an Wahrheit der Form abgeht, sucht dabei der Kunst- 170 ler durch aufgestochenes Blut zu ersetzen, und wo er vielleicht bezweckt, das Mitleid zu erregen, erregt er nur Ekel und Widerwillen. — Ich dachte an jene sogenannten „frommen" Bilder, als ich das einfache hölzerne Kreuz hier oben auf der Kuppe dieser Cordillere stehen sah, konnte mich aber weder bei dem Gedanken, noch bei dem Kreuze lange aufhalten, denn die Zeit verging, und ich vermuthete noch eine weite Strecke Weges vor mir, ehe ich, aus Schnee und Eis hinaus, wieder warmes uud cultivates Land erreichen konnte. Beim Hinunter r e i t e u von der Cordillere — denn als ich die steilste Stelle hinter mir hatte, war ich wieder aufgestiegen — hätte mir aber leicht ein böfer Spaß geschehen können, denn die Schnalle an dem Schwanzriemen meines Sattels hatte sich, ohne daß ich es bemerkt, gelöst, und gerade an einem recht unangenehmen Platze, wo mein Maulthier plötzlich stehen blieb und eine steile Wand von vielleicht 00—80 Fuß Höhe niedersah, glitt der Sattel nach vorn, und ich behielt eben nur Zeit, mich an der Seite hinunterzuwerfen. Sonst sind diese Berge aber lauge nicht so bös zn pas-siren, wie die Cordilleren Chiles; sie sind beschwerlicher, aber haben sehr wenige wirklich ge- 171 fährliche Stellen, noch dazn, da hier der Schnee nie so überhandnehmen kann. Den eigentlichen Rücken der Cordillcre bildete eine schroffe, bröcklige Felsmasse, auf der nur hie und da selbst dürftiges Gras wuchs; dann, von einer langen Lagune der andern Seite ab, flachte sich das Thal wieder etwas aus und ein kleiner Bergstrom begann hier nach Westen zu strömen. Er that aber nur so, als ob er dem Stillen Ocean zuwollte, denn weiter unten mußte er wohl gegen die compakten Massen der Haupt-Cordillere anprallen, die ihn wieder zurückwarfen, dem Amazonenstrom zu. Und wilder und wüster wurde nun die Bahn, der ich zu folgen hatte; der Schnee verwandelte sich wieder in einen scharfen, peitschenden Negen, der mir die Glieder erstarren machte, und mit der weiten, trostlosen Oede, die mich umgab, hätte man mit größter Leichtigkeit verzweifeln können. Endlich, es mochte vier Uhr Nachmittags sein, entdeckte ich eine menschliche Gestalt, etwas seitab vom Wege, in einem bunten Poncho und mit einem schwarzen Hunde hinter sich. Als ich näher kam, erkannte ich, daß es ein Indianer sei, und rief ihn an, um zu erfragen, wie weit ich noch bis zu den nächsten Häufcrn hätte. Kaum hörte der 172 Bursche aber meine Stimme, als er auch scheu herumfuhr und nach ein paar Sätzen wie in den Boden hinein verschwand. Der Lump kam auch nicht wieder zmn Vorschein und mnßte sich mit seinem Hunde hinter dem einen oder andern Felsen versteckt haben. Ich weiß mich kaum zu erinnern, daß ich je, körperlich wie geistig, einen elenderen Tag verlebt habe, und ich war fast gleichgültig dagegen geworden, als ich gegen Abend endlich die Vegetation sich bessern nnd sogar über dem jetzt grötzer gewordenen Strom, an der andern Seite desselben, Kartoffelfelder sah. Aber keine menschliche Wohnimg zeigte sich noch, und als ich mit Sonnenuntergang endlich das erste Haus erreichte, schien es ein so wüster Aufenthalt, wie die Scenerie selbst, die es umgab. Ich beschloß auch, Ueber noch weiter, bis zu dem nächsten Pueblo Wat-schong zu reiten, wo ich jedenfalls mehr Bequemlichkeiten erwarten durfte — ich hätte eben so gut die Nacht hier bleiben können. Die Leute hier fagten mir allerdings, es fei nur noch eitle Legua, aber sie rechnen hier die Legua zu 100 Quadras, was 30,000 Fuß, also ein Fünftel mehr als cine deutsche Meile macht, während die eigentliche Legua nicht einmal voll 173 drei Viertel einer solchen hält. Ich ritt auch Stunde nach Stunde bergauf und bergab an dem schäumenden Bergstrom so dicht hin, daß dessen Fluthen über den Weg spritzten, und dann wieder hoch über ihm einem schmalen Pfade folgend, daß er unter mir aussah wie ein blitzendes weißes Band. Mein armes Thier war zuletzt so todtmüde geworden, daß ich abstieg und cs führte, und ein Paar sehr schmale schwankende Brücken, die wir zu passiren hatten, zwangen mich fast, bei ihnen liegen zu bleiben, denn mein Maulthier scheute sich Anfangs, darüber hinzuschreiten. — Und weiter, immer weiter führte der Weg. Es mußte schon zehn Uhr sein, denn der Mond ging auf, und da sich der Pfad ein paar Mal getheilt hatte, konnte ich jetzt kaum anders glauben, als daß ich den rechten verfehlt und einen falschen betreten hätte. Unter solchen Umständen war es jedenfalls das Beste, die Nacht zu bleiben, wo ich mich eben befand. Nur um vorher noch einen letzten Verfuch zu machen, ob ich nicht vielleicht doch in der Nähe einer Wohnung sei, in der ich wenigstens vor dem Negen geschützt blieb, schoß ich den einen Lauf meiner Büchse ab — erschrak aber auch fast über den plötzlichen Erfolg, denn dicht neben mir schlug ein Hund an. Ich befand mich 174 unmittelbar an Watschong und hatte wenige Mi-lvuten später ein ordentliches Haus erreicht, in dem ich zu übernachten beschloß. Allerdings schlief Alles, und die Leute im Innern schienen auf mein Anklopfen wenig zu achten; dagegen gab es aber ein Mittel. Dicht vor dem einen Fenster feuerte ich meinen andern Lauf ab und bearbeitete dann die Thür dermaßen mit meinem Kolben, daß ich in kurzer Zeit die ganzen Inwohner entsetzt und im tiefsten Negligee um mich versammelt sah. Ich war auch nicht blöde genug, diesen Moment unbenutzt vorüber zu lassen. Einen der Leute schickte ich augenblicklich ab, den Alkalden aus dem Bette zu holeu, ein Anderer mußte mein Maulthier übernehmen, es in einen Portrero zu bringen, und einen Dritten hielt ich fest, mir einen Platz zu zeigen, wo ich Etwas zu essen kaufen könne, denn ich war nicht allein fast erstarrt von Nässe und Kälte, soudern auch fast verhungert. Der Bursche, den ich mir ausgesucht, wollte allerdings Schwierigkeiten machen und meinte, es sei schon fast Mitternacht, und da wäre Nichts mehr in Watschong zu kaufen — aber vergebens, ich wußte das besser, und eine Viertelstunde später hatte ich richtig wenigstens eine Flasche k^ua. aiäiLMu und eine Quantität 175 hartes Brod erbeutet, mit dem ich mich diese Nacht begnügen mußte. Vei dem Alkalden fand ich dann ein Nachtquartier, nahm ihm das Versprechen ab, mir früh am andern Morgen ein frisches Thier zu verschaffen, und verbrachte die Nacht elend genug in meinen nassen Kleidern und auf ciu paar dürftigen Schaffelleu. Diesen ganzen Tag war ich ohne Führer geritten, für den nächsten Morgen aber bedung ich mir einen solchen aus, denn wie ich hörte, führte der Weg über die offenen Punas nach Cerro de Pasco, und war bei den vielen Beipfadeu leicht zu verfehlen. Zehn Leguas bis Cerro — aber ich kannte schon diese entsetzlichen, endlosen Leguas, wo man an eiuer stundenlang reiten konnte, und wcg-müde durch die weite traurige Oede verfolgte ich den ganzeu Tag meiue Bahn, die Nacht, noch anderthalb Leguas von der Minenstadt entfernt, in einer Schafhütte zu verbringen. Diese Punas dehnen sich auf ganz ungeheure Strecken in den Cordilleren aus und sind weittr Nichts als mächtige Hochebenen, die aber zu kalt liegen, irgend eine Vegetation zu gestatten. Nur ein ziemlich dürftiges Gras wächst dort, denn alles Andere würde den häusigen Nachtfrösten erliegen, die hier 176 das ganze Jahr herrschen, und weder Sommer noch Winter anerkennen. Für Weiden eignen sie sich aber vortrefflich, und Schaf wie Llama scheint sich sehr wohl auf ihnen zu befinden. — Ganze Heerden von Llamas trafen wir auch hier an, und ich hatte meine Freude an den schönen, schlanken und zierlichen Thieren, die der todten Landschaft doch einen etwas lebendigeren AnsdruÄ gaben. Schafe weideten ebenfalls hier zu Tausenden, und ihre Weiden sind, der natürlichen Formation dieser Gebirge nach, sehr bequem durch einzelne Seitenthäler abgetheilt, von denen jedes sein frisches Wasser und gewöhnlich auch eineLa-guue hat. Diese Punas sehen auch gar nicht so aus, als ob man sich in den Cordilleren eines Tropcn-landes befände, denn mit dem steten Nebel, der daranf lagert, bleibt selbst von einem der Hügelrücken aus die Fernsicht auf die benachbarten Schneekuppeu stets verdeckt, und da sich der Weg ziemlich eben darin fortzieht, kann man sich des Gefühls kaum erwehren, daß man in irgend einem nordischen, verwünscht kalten Lande und auf einer Haide sei, die eben so gut Lünneburg wie Peru heißen könne. Hier oben, hoch hineingebaut in die kalten, 177 öden Punas, ohne irgend eine bestimmte Jahreszeit, ohne Sommer, ohne eigentlichen Winter, ohne Vegetation, ohne Baum, ohne Strauch, nur von den starren grauen Felsen überragt, zu denen die Schncekuftven in grimmer Majestät niederstarrten, fand ich die Ruinen einer alten Indianerstadt, deren Inwohner nur allein von Jagd und Viehzucht mnßten gelebt haben. Deutlich waren noch die Mauern ihrer früheren Hütten zu erkennen — rund gebaut, wie sie die Schäfer noch jetzt hier aufstellen, deutlich noch die Mauern, die den ganzen Platz umgeben, und vielleicht auch gegen die Anfälle anderer Stämme geschützt hatten, denn der Mensch kann nun einmal nicht friedlich neben dem Mensche n wohnen. Rechts hatte die alte Plaza gelegen, mit einem größern Gebäude für den Inka, oder auch vielleicht für den Tempel, und westlich, außerhalb der Stadt-Mauer, hatte ein weiter, runder, ebenfalls abgeschlossener Nanm gelegen, in dem sie vielleicht ihre Spiele hielten oder ihre Feste feierten. Sehr znm Erstaunen meines Führers, der,sich wahrscheinlich gar nicht denken konnte, was ich an den dürftigen Ueberrestcn vergangener Heiden so zu bewundern fand, hielt ich eine lange Weile an der Stelle, und ritt dann langsam dnrch diese Fr. Gersläckcr, Achtzchn Monate in Süb-Nm«lla. II. 12 178 alten Wohnplätze der Todten, bis mich der kalte Wind endlich weiter trieb. Sonderbar^abcr, daß sich Menschen auf solcher unwirthlichen Höhe ansiedeln, daß sie einen solchen Platz zu ihrer Heimath wählen sollten, wo sie in den warmen Thälern doch eben so viel Weide für ihr Vieh und ein viel milderes Klima fanden — oder war auch hier das Klima in früheren Jahrhunderten wärmer gewesen, als wir eine solche Veränderung in Europa nachweisen können; hatten sich vielleicht die Nerge selber höher und höher in die kalte Luft hineingehoben? Es sind das Räthsel in der noch immer schaffenden und immer thätigen Natur, die der Mensch- eben nicht im Stande ist zu lösen, und über die er sich höchstens den Kopf zerbrechen kann. Die Lagunen könnten der Landschaft etwas Freundlicheres geben, wenn sie eben im Stande wären, Anderes widerzuspiegeln als grauen Himmel und grauen, rauhen Fels. Nicht einmal Flugoder Nasserwild belebt sie, denn ein paar Vleß-enten ausgenommen, sah ich nie Etwas auf ihrer Fläche schwimmen. Es giebt dort oben in den Bergen eine große, weiß und schwarze, wilde Gans, aber sie geht sonderbarer Weise nie auf das Wasser, sondern hält sich stets an den höheren Berghängen 179 auf, wo sie sich wahrscheinlich das junge und feinste Gras zu ihrer Nahruug ausfucht. Der sonderbare, trompeteuartige Ton, den sie zu Zeiten, besonders Morgens und Abends, ausstößt, tönt dann von allen Seiten, und im Anfange konnte ich gar nicht herausbekommen, wo er eigentlich herrühre, bis ich die weißen Punkte an den Wänden entdeckte. Auch ein mövenartiger Vogel kommt an einzelnen Lagnncn, aber nicht häufig vor. Sonst fand ich weder die Fährte eines Hirsches, noch die Spur eines einzigen wilden Thieres auf diesen Höhen, Reinekcn ausgenomnun, der an dem Rande der Lagunen gern auf- und abzuschnüren schien, vielleicht eine der armen Bleßenten zu belauern, die ebenfalls am Ufer ihrer Nahrnng nachgehen. Mit einbrechender Dnnkelheit sahen wir wieder Mehrere Schäferhütten beisammenliegen und hielten darauf zu, um in einer von ihnen die Nacht, so gut das eben anging, zu verbringen. Mein Führer schritt neben mir hcr, und ich warf zu-sällig eiumal den Blick nach dem, rechts neben uns hinlaufeudcn Hang hinauf, als ich dort einen Fuchs bemerkte, der mit der größten Nuhe den Hang herunter und gerade auf uns zugeschlendert kam. Er mußte dabei ganz in Gedanken sein, 180 denn er sah uns nicht einmal, obgleich wir kaum mehr als zwanzig Schritte von ihm entfernt waren, und uns doch auf der vollkommen freien Puna fortbewegten. Mein Führer hatte den Fuchs ebenfalls nicht bemerkt, denn ich mußte ihn ein paar Mal leise anrufen, ehe er stehen blieb und auffah. So wie ich mein Thier aber anhielt, wurde Neineke stutzig, hob rasch den Kopf, äugte scharf herüber und drehte sich dann langsam ab, den Weg, dcu er gekommen, zurückzugehen. Er schien aber dabei keineswegs in Eile uud glich auf's Haar einem Menschen, der auf einem Spaziergange ganz unerwartet Jemandem begegnet, dessen Gesellschaft ihm nicht gefällt, und der langsam umdreht, einen andern Weg einzuschlagen. Nasch war ich indessen auZ dem Sattel ge-sprungeu, denn ich wußte nicht, wie mein Maulthier das Feuern vertragen würde. Vergebens suchte ich aber in allen Taschen nach einem Zündhütchen; das einzige, das sich fand, hatte sich mit irgend einer Krume vollkommen ausgefüllt, und Reineke ging indeß ruhig seiner Wege — es war zum Verzweifeln. Mein Begleiter indessen, der wohl merkte, woran es fehlte, rief plötzlich, nicht sehr laut, aber doch deutlich genug, daß es der Fuchs hören konnte: „Tom!" Neineke blieb auch 131 richtig stehen — ob er nun selber Tom hieß, oder sich nur für den Namen interessirte — äugte herum und schien sich die Sache eine Weile zu überlegen, die Gesellschaft gefiel ihm aber noch immer nicht und er setzte seinen Weg wieder fort. „Tom!" rief mein Führer noch einmal, und er hielt noch einmal, aber selbst diese Gefälligkeit half mir Nichts, denn ich fand durchaus kein Zündhütchen nnd gab den Fuchs auf. Diefer hatte auch in der That lange genug auf mich gewartet und wäre wenige Minuten später außer Schußweite gewesen. Da mußte er plötzlich irgend ein Mauseloch oder sonst einen interessanten Gegenstand ganz in seiner Nähe entdecken, denn er drehte sich plötzlich, ohne weiter die geringste Notiz von uns zu nehmen, rechts ab nnd verschwand hinter einer niedern Erderhöhung an jener Stelle. Jetzt sprang ich an meine Sattcitasche, wo ich die Schachtel mit Zündhütchen stecken hatte, fand diese und wollte jetzt versuchen, mich an den Erdrand, der indeß kaum achtzig Schritte entfernt war, anzupirschen. Sobald aber mein Führer sah, daß ich schußfertig war, rief er einfach wieder- „Tom!" und wahrhaftig, der Fnchs trat im nächsten Augenblick so gehorsam auf den Nand des kleinen Erdwalls, als ob er auf den 182 Ruf dressirt wäre. Armer Neineke! Es war dein letzter Spaziergang gewesen, denn die Kugel traf ihn mitten auf den Stich und schlug ihm das Rückgrat entzwei. Niemand war übrigens mehr erfreut über den Schuß, als mein Führer, der den Fuchs augenblicklich holt/? und mich um das Fell bat. Es war fehr hübsch grau und roth gemischt, der Fuchs aber kleiner als die unsrigen, sonst diesen aber vollkommen ähnlich. Bis wir jltzt die Hütten erreichten, war es völlig dunkel geworden, trotzdem wurden wir aber ganz freundlich von ein paar Frauen, welche die erste bewohnten, aufgenommen, und sie bereiteten uns nach den besten Kräften eine recht gute Suppe von Kartoffeln und Schaffleisch, ihre gewöhnliche und alltägliche Kost. Diese Hütten sind übrigens dem rauhen Klima jener Punas vollkommen angemessen, denn sie sind ringsum fest verschlossen, mit einem so schmalen und niedern Eingang, daß ich kaum meinen Sattel hiudurchzwängen konnte und seitwärts folgen mußte. Ein recht dicker alter Herr wäre auch rettungslos ausgeschlossen, und könnte sich höchstens die Nacht, indem er den Eingang verstopfte, die Füße wärmm. Das einzige Unangenehme in diesen Hütten ist der Rauch, der das ganze Innere 183 des spitzen und dicken Vinsendaches vollkommen ausfüllt und bis ctwa vier Fuß über dem Boden in dichter, die Augen beißender Schicht lagert. Man ist deßhalb auch kaum im Stande, aufrecht darin zu stehcn, und die Bewohner kauern in diesen Höhlen, die sie Nachts mit ihrer Hühnern und Hundeu theilen, stets auf den Boden nieder. Mitten in der Nacht weckte mick mein Führer, um mit dem vollen Mondschein unsern Weg fortzusetzen und Cerro de Pasco früh am Morgen zu errreichen. Dem Monde nach war es etwa drei Uhr Morgens, uud bald darauf schritten wir durch die stille öde Wildniß unsere einsame Bahn entlang. Es war ein prachtvoller Morgen, oder eher eine prachtvolle Nacht; kein Luftzug ging, kein Negen oder Schnee fiel, nnd da ich in der war-wen Hütte meine, den Tag über vollkommen durchnäßten Kleider wirder ordentlich getrocknet hatte, tonnte ich den Marsch doch wenigstens etwas behaglicher fortsetzen. Um sieben Uhr Morgens erreichten wir denn auch endlich den letzten Felsenrücken, zu dessen Füßen das cng zusammengedrängte Cerro so freundlich liegt, wie eine Stadt in einem kahlen Felsentessel liegen kann. Die dicht darangeschmiegte Lagune giebt ihm aber etwas Lebendiges, was 184 noch durch zahlreiche LIamaheerden vermehrt wurde, die in die Stadt zogen, theils um Futter hineinzubringen, theils um von dort aus an ihre tägliche Arbeit geschickt zu werden. Auf dem Fels-rncken spazierten ein paar Raubvögel umher, die sich hier oben ziemlich häufig aufhalteu, und die mich deßhalb besonders interessirten, weil sie genau so aussahen, als ob sie einen schwarzen Frack und eine weiße Weste trügen. Ich habe schon vier von ihnen auf einem großen Steine beisammensitzen sehen, als ob sie da cbcn zu einer Partie Whist zusammengekommen wären. Von Cerro aus schickte ich noch an dem nämlichen Tage einen Boten nach Huariaco ab, mein eigenes Maulthier von dort zu holen, und da ich meinem Gobernador dort nicht recht traute, erbat ich mir einen Brief von dem Subfträfectcn (der Präfect selber war abwesend), daß mir der Herr in Hnariaco keinen Streich spielen konnte. Es zeigte sich später, daß es nicht unnöthig gewesen war. Mit ein paar Worten muß ich aber des Sub-präfecten erwähnen, der in Ccrro de Pasco Nachmittags und Abends oft stundenlang an irgend einer beliebigen Hausccke in das Blaue starrend, als ein lebendiger Beweis steht, wie in diesen 185 Republiken öffentliche und einträgliche Stellen besetzt werden. Schon bei meinem letzten Besuche in Cerro war er mir aufgefallen. Ich faß in der Stube des Prä'fectcn, als ein wohlbeleibter Mann mit einem furchtbar dummen Gesicht, einem struppigen, gemeinen Echnurrbart, fchwarzeu, glatten und über die Stirn gekämmten Haaren, die Augenbrannen uud den Hut weit zurückgeschoben, in das Zinnner schweigend eintrat und hinter sich einen Stuhl herschleifte, auf dein er sich, ohne eine Silbe zu sagen, ohne einen Menschen zu grüßcu, niederließ. Er legte dabei seine flachen Hände vorn auf die Kniee und schien sich zn überlegen, zu welche:» Zweck er eigentlich geboren wäre. Eben so schweigend stand er etwa nach einer Viertelstunde wieder auf, fchleifte den Stnhl ab und verschwand spurlos von der Scene. Die in Cerro allgemein verbreitete Meinung war, daß er — einen Sparren habe, und man erzählte sich von ihm die komischsten Geschichten. So hat er einem Maulthiere, das nach einem seiner Bekannten geschlagen, 25 aufzählen und es 24 Stunden einsperren lassen. Ein auf der Straße stehendes Wasfeifaß, an dem er sich im Vorbeigehen den Rock schmutzig machte, wurde 186 ebenfalls für zweimal 24 Stunden auf die Polizei geschafft und dann dem Eigenthümer zurückgesandt, und eines Nachts, als ihm die Mäufe den Zwieback anfraßen, den er auf einem Tische in der Stube liegen hatte, warf er seine goldene Uhr nach ihnen, — Man erzählt sich noch viel mchr Tollheiten von ihm, ich führe aber nur das an, was mir fcst verbürgt wurde. — Und kann ein solcher Mann Subpräfect sein?—Und warum nicht, wenn sein Vetter Vicepräsident ist? Wenn sein Vetter nicht Vicepräsident wäre, stäke er vielleicht in einer Irrenanstalt. — Den dritten Tag erst kam mein Maulthier zurück, und zwar als ein neuer Beweis peruanischer Ehrlichkeit. Ieuer Lump von Gobernador nämlich, anstatt es in seinem Portrero zu füttern und auszuruhen, wie er es versprochen, hatte es arbeiten lassen oder geritten, denn es war mager und — das Schlimmste — der Nucken aufgerieben. Dabei verlangte der unverschämte Bursche noch mehr Futtergcld, als ich mit ihm ausgemacht. Ich schrieb ihm statt dessen einen sehr freundlichen Brief. Am nächsten Tage sattelte ich mein Maulthier sehr vorsichtig, daß ich dm Schaden nicht schlimmer machte und dem armen Thiere nicht weh- 187 that, und ritt durch die offenen Pampas der nächsten Station Ualjay zu. Dicht vorher, ehe ich den Platz erreichte, bekam ich aber ein furchtbares Beispiel peruanischer Nohhcit und Grausamkeit zu sehen, das kein Heide der Welt teuflischer hätte ausführen können, als diese Menschen, die sich Christen neuueu uud vor jedem Kreuz den Hut abziehen. In Peru ist es Sitte, daß, wenn unterwegs eiu Maulthier stürzt uud verendet, ohne daß der Eigenthümer dabei ist, der Arriero oder der, der das Thier gemiethet hat, ihm die Ohren ab- und das gebrandete Zeichen aus der Hüfte schneidet, dieses als Beweis dem Eigenthümer zurückzubringen. Dicht am Wege nun fand ich ein Maulthier, das etwa zehn oder zwölf Schritte links vom Pfade lag. Die Ohren waren ihm abgeschnitten, eben so ein viereckiges Stück Haut aus der Hüfte gelöst, auf dem das gebrandete Zeichen gestanden hatte. Jetzt arbeiteten ein paar ekelhaft zottige Schäferhunde an dem Leibe des Thieres hcrnm und hoben, als sie mich ankommen hörten, die blutigen Schnauzen gegen mich. Von Weitem hatte ich schon gesehen, daß sich die Beine des Manlthieres bewegten, aber auch zugleich die Hunde bemerkt und geglaubt, daß diese es durch ihr Zerren und Reißen bewirkten. Jetzt, wie ich 188 fast dicht hinankam, wieherte in der Ferne ein anderes Maulthicr, nnd entfetzt griff ich meinem Thiere in den Zügel, denn das arme unglückliche Geschöpf vor mir lebte und antwortete nlit kläglich winselnder Stimme dem Laut. Scheu und verdrossen, den Schweif eingekniffen, als ob die Canaillen recht gut wüßten, was sie da verübt, zogen sich die beiden Hunde von dem Opfer menschlicher Niederträchtigkeit znrück, bereit natürlich, so wie ich den Platz verlassen würde, zu ihrem Mahle zurückzukehren. Das aber mußte ich jedenfalls vorher seiner Qual entheben. Wohl hatte ich meine Büchse, ehe ich Cerro betrat, abgeschossen und gereinigt, und noch nicht wieder geladen, denn es war nicht wahrscheinlich, daß ich hier irgend ein Wild zum Schuß bekommen würde, aber ich stieg augenblicklich ab, lud den einen Lauf und machte mit einer Kugel den Leiden des unglücklichen Geschöpfes ein rasches Ende. Das Maulthier mußte jedenfalls einem Zuge Arrkros gehört haben, denen ich an diesem Tage begegnet war, und die von Oberajilio kamen. In Ualjay blieb ich die Nacht und wollte von dort einen Führer durch die fatalen Sumpfstellen haben, die auf dieser Strecke lagen, aber es war 189 nicht möglich, denn jedes männliche Wesen war in dem ganzen Orte betrunken. Nie mir gesagt wurde, feierten sie das Fest Candelaria anf eine jedenfalls sehr würdige Weise. Nachdem ich ein Paar alten Frauen eine Menge Geld hatte geben Müssen, um nur etwas Futter für mein armes Thier zu bekommen, übernachtete ich diesmal in dem Tambo, und setzte am nächsten Morgen meinen Nitt allein und ohne Führer fort. Ich muhte eben sehen, wie ich durchkam. Unterwegs fchoß ich eine von den wilden Gänsen, mehr eigentlich, um einmal ein ordentliches Exemplar in der Nähe zu sehcn, als um es zu essen, was mir auch später, trotz mehrfachen Ver-suchcn, nicht gelang. Ich fand zwei zusammen in der Puna und schoß den Gänserich, der mit ausgespannten, halb schwarzen, halb weißen Flügeln etwas über fünf Fuß maß. Auffallend kurz war der Schnabel, aber breit wie bei jcder audern Gans. Auch die Schwimmhäute fehlten nicht, obgleich ich den Vogel, wie schon früher erwähnt, nie im Wasser gesehen habe. Ich schnitt mir die besten Stücke heraus, und ließ sie mir an dem Abend in Pacamayo, am Fuß der Cordillera, erst kochen und dann braten — doch umsonst. Das Fleisch, das einen leisen Thrangeschmack hatte — nicht 190 zu viel, nur eben genug, um es unschmackhaft zu machen — ließ sich nicht kauen; es war wie Gummi elasticum, und ich mußte es zuletzt wegwerfen, was ich znm Besten eines Schäferhundes an der andern Seite der Cordillera that. — An diesem Tage fand ich in der Pnna einen sehr hübscheu, weiß und roth gestreiften Poncho, und machte es möglich, den Eigenthümer desselben, der in Ober-ajilio wohnte, zu erfragen. Znm Dank dafür wurde mir später in einem andern kleinen Städtchen, unter Oberajilio, mein Regenmantel vom Sattel gestohlen, als ich nur eben abgestiegen war, mir ein paar Cigarren zu kaufen. Ein würdiger Peruaner, der ebenfalls die dreitägige Candclaria feierte, schien ihn gebraucht zu haben. Die Cordillera passirte ich diesmal vortrefflich und bei günstigem Wetter — viel besser als mein Maulthier, dem, ziemlich auf der Höhe, etwas Blut aus dem Nüstern kam, uud das ganz entsetzlich schnaufte. Ich stieg natürlich ab und führte es, und es schien sich auch bald wieder zn erholen. — Was für ein einfamer Nitt über diese wildeu Berge, wie todt. wie öde Alles um den Wanderer, und wie viel lange, lange Tage hatte ich schon in diesen weiten, kalten nnd trostlosen Pnnas zugebracht! Ich bekam cinc ordentliche Schnsucht nach grünen 191 Büschen und Blumen, nnd schritt wacker aus, den westlichen Hang der Cordillera zn erreichen, wo ich ja wußte, daß von da an der Weg scharf und ununterbrochen in's wärmere Land führte. Auch mein Maulthier schien zu wissen, daß wir jetzt wieder besserem Futter entgegengingen, denn es ließ sich heute weit besser führen, als es je gethan, und bald hatten wir die in den Gipfel eingesenkten Lagunen erreicht, ließen den Schnee der hohen schroffen Kuppen mit seinem rauhen Luftzug hinter uns, uud mit ihnen die Quellen des Amazoncnstromes. — Aber nicht mit traurigem Herzen schied ich von ihnen, rief ihnen nur noch einen Gruß zu, den sie dem alten Atlantischen Ocean von mir bringen sollten, pflückte zum Andenken an den Platz ein paar, selbst dort oben m 16,000 Fuß Höhe wachsende Alpenblumen, und zog dann fröhlich meines Weges, Thal ab. Und kaum war ich hundert Schritt gezogen, so traf ich auch schon einen alten Bekannten von früher her: den jungen Chillon, der hier als kleine sprudelnde Quelle aus dem Felsen sprang und mir versprach, mich treulich bls nach Lima Zu geleiten. Hinter mir drein sandten die rauhen Berge freilich noch einen kalten Gruß von Hagel und Regen, aber es dauerte nicht lange; der Himmel 192 klärte sich wieder auf, und rasch näherte ich mich jetzt wenigstens der gemäßigten Zone, der kalten auf Monde hin den Nucken zu kehren. Was für ein eigenthümlich prächtiges Gefühl das ist, aus solch kalter Höhe nach so langer Zeit hinabzusteigen und nun das allmähliche Wachsen der Vegetation zu beobachten, deren Zunehmen man bei rasch sinkendem Wege fast mit jedem hundert Schritt bemerken kann. Hier wird eine kleine, lebendig gefärbte Blume fichtbar, die man lange nicht gesehen und schon fast vergessen hatte, dort ein Strauch, der sich an der vor dem Luftzüge geschützten Seite irgend eines Felsbrockens herausgedrängt. Das Gras wird dazu grüner und höher, und ganze Büschel großer gelber Sternblumen hängen plötzlich über den Weg herab. — Und immer Neues kommt dazu; einzelne kleine Vogel haben sich schon bis hier herauf gewagt und zwitschern gar so lieb ihr einfach schmucklos Lied, und zwischen ihnen freute mich besouders ein kleiner, ganz allerliebster fächsischer Vriefträgervogel, gelb mit blauen Aufschlägen, der eme ganze Weile mit mir am Wege dahinzog, als ob ich ihn eben so interessire, wie er mich. Jetzt schlangelt sich der Pfad zum Flußbett nieder, und wo die Fluth den Boden netzen konnte 193 und die tiefere Schlucht vor den rauhen Winden der Schneeberge geschützt blieb, da keimt es grün und üppig hervor, höher nnd höher, so daß schon in kurzer Zeit die Zweige der Weiden den Hut streifen nnd immer stärkere und vollere Stämme zeigen. — Und hier beginnt anch wieder der Mensch dem Boden Nahrung abzuzwingen. Die Kartoffel ist da immer die erste Frucht und fängt mit kleinen, eckigen Feldern an, wie der schmale Grund den ersten Anbau gestattete; schmale Streifen von Alfalfa, dem Futterkraut, folgen, und ganz allmählich findet man sich jetzt den spitzen Blättern des Mais gegenüber, der in der Pflanzenwelt das Verbindungsglied zwischen gemäßigter Zone und den Tropen bildet und seine Felder später mit denen des Zuckerrohrs vermischt. Jetzt hat man keine Kälte mehr zu fürchten, kein Schneegestöber mehr und keinen Hagelsturm, und das Maulthier selber trabt rascher dahin, roo es der Weg nur irgend gestattet, denn es weiß jetzt, dasi es an diesem Abend wieder endlich einmal gute und süße Nahrung findet. Ueberall trifft man hier an dem Wege die Nuinen vergangener indianischer Städte; kahle Steinmauern mit eingestürzten Dächern und Wän- 194 den, aber nicht selten durch ihren Umfang große, volkreiche Dörfer kündend, nnd diefe mußten jedenfalls fleißiger gewefen sein, als die jetzigen Bewohner, sonst hätten sie den dürren Bergen schwerlich die genügende Nahrung abzwingen können. Damals lebten Tausende in diesen Thälern, die jetzt fast wie verödet liegen, und hier kann man wirklich nicht einmal sagen, daß sie die Cultur vertilgte, einem thätigeren, frommeren Volke Naum zu geben. Die Cultur hatte Nichts mit jenem Raub und Mord zu thun, mit dem die ersten Eroberer über dies arme Laud herfielen. Es war allein die Gier nach Gold, die jenen Unglücklichen die Bibel entgegenhielt, und hinter dieser Dolch und Schwert in ihr Herzblut tauchte. Die Nacht schlief ich iu Oberajilio, wo ich die Silberescorte von Cerro de Pasco überholte. Die mächtigen Barren waren in einem der kleinen, zv diesem Zwecke besonders mit starken Eisengittern versehenen Häuser aufgeschichtet, die bestimmten Beamten hielten dabei Nacht, und vor der Thür stand eine Anzahl Militär mit seinenlrothen Hosen und schmutzigen Gesichtern zum Schutz. Man traut den wackeren Leuteu unterwegs nicht und gebraucht jede nur mögliche Vorsicht, das Silber sicher zu 195^ stellen — und zu dieser Sicherstellung wird so ziemlich das ganze Silber — auf gesetzlichem Wege natürlich ^ verwandt. Früh von dem kleinen Städtchen wieder aufbrechend, von wo der Pfad dem steil abstürzenden Bergstrom eben so steil nnd rauh folgt, kam ich nicht allein in die üppige Vegetation, die den Fluß umdrängte, hinein, sondern auch fast wieder hinaus, denn weiter nach Lima zu, wo er ganz aufhört, fällt schon sehr wenig Negen, und der Pflanzenwuchs hält sich deßhalb nur dicht zum Strom. Nur wo sich das Thal manchmal weitet, findet man freundliche und grüne Felder, die von oen kahlen nackten Höhen überragt werden. An diesem Tage sah ich eine Masse von Condoren, die um die Kuppen der Nachbarhöhen kreisten. Ich Zählte einmal acht von ihnen zusammen auf einer Stelle, aber sie blieben viel zu hoch, als daß ich ihnen mit einer Kugel hätte bcikommen können. Wild giebt es hier gar nicht; in den kahlen Bergen kann sich nichts Lebendiges halten, und es ist ein ganz eigenes, trostloses Gefühl, mit dem man diese weiten, öden Strecken überschaut, die wie gestorben und getrocknet in der Sonne dörren — Berg-Leichen. — In den Museen liegen die getrockneten Ueberreste des Volkes, das sie einst bewohnte, 13' 196^ sorgfältig als Mumien aufbewahrt, viel sorgfältiger, als man die Lebenden einst behandelte, und draußen mn sie her liegt das todte Land, die Hände auf der Brust gefaltet, und starrt den blauen, wolkenlosen Himmel mit den leeren Augenhöhlen an. Die nächste Nacht blieb ich diesmal in Magdalcua, einer größeren Estancia mit großen Räumlichkeiten und Preisen für Reisende. Ich bekam aber wenigstens ein gutes Bett und sattelte mit Tagesanbruch wieder, Lima so früh als möglich am nächsten Tage zu erreichen. Noch vor mir war die junge Dame vom Hause, ein allerliebstes Frauchen mit rabenschwarzem Haar und feurigen Augen, aufgestanden. Die Sonne war noch nicht heraus, und jenes durchsichtige Dämmerlicht füllte die Luft, das dem kommenden Tage vorhergeht. Leise rauschte der Morgenwind durch die hohen Vänme, die eine vor dem Hause heraussprudelnde Quelle überschatteten, und unter der breiten, von einer niederen Lehmmauer umgebenen Verandah stand das junge schöne Weib, das Haar aufgelöst, dessen dichte Massen sie mit einem Kamme zu theilen suchte, und neben ihr auf dem Tische stand — cin großes, blau geblümtes Nachtgeschirr, das sich als 197 ein Lavoir herausstellte, und in das die junge schöne Frau den Kamm dann und wann mit einem sinnenden Lächeln eintauchte — es war ein reizendes Bild, das ich nie vergessen werde. Nachtgeschirre spielen iiberhanpt in Süd-Amerika eiue bedeutende Nolle. Man sieht sie nicht allein da, wohin sie gehören, sondern auch oft unter Blumen halb versteckt, auf Stühlen und Tischen, an Hauseckeu und auf Dächer.«. Keine eingeborene Fran der Cholos steigt an Voro eines Dampfers, ohne ein solches Instrument in der einen Hand und ein oder zwei Kinder auf dem andern Arm zu tragen, und im Geiste sehe ich die alte würdige Mulattin auf der Plaza in Lima noch in diesem Augenblicke vor mir stehen, die, am linken Arme einen Korb, mit einem ältlichen Herrn sich unterhielt, uud mit der rechten Hand, in der sie ein solches Hansgeräth offen trug, auf das Lebhafteste dabei gestikulirte. Eine Quelle, die bei Magoalena ziemlich arm-stark aus dem Berg herausbricht und krystallhelles kaltes Wasser hat, soll trotzdem eine sehr böse und gefährliche Eigenschaft besitzen. Wie mich nämlich mehrere Aerzle versichert habcn, erzeugt Ne schr häufig eiuen bösartigen, warzigen Haut-ansschlaa über deu ganzen Körper, der mit der 198 größten Vorsicht kurirt sein will, wenn er nicht schlimme Folgen und für Jahre einen siechen Körper hinterlassen soll. Da ich übrigens nie Wasser trinke — wenn ich nicht nothgedrungen muß — so fürchtete ich mich nicht vor der Quelle und trabte ruhig vorbei, der Seeküste zu. Und heute fand ich auch wieder Etwas, was ich lange nicht gesehen — Staub, von dem ich mich bald vollkommen eingehüllt sah. Es war ein heißer, trockener Nitt in der Sonne, die tüchtig von ziemlich über Kopf niederstach; aber ich hatte mein Ziel jetzt auch bald erreicht. Die peruanischen Cordillcren mit ihren kalten öden Punas lagen hinter mir, die Bahn lag eben voraus, das Thal weitete sich mehr und mehr. Schon konnte ich die Stelle erkennen, wo sich die letzten Berge im Westen dem Ocean zu abdachten, und jetzt — Nachmittags um 3 Uhr etwa — erkannte ich die Kirchthürme von Lima, von denen ich nie geglaubt hatte, daß ich sie je mit solcher Freude begrüßen würde. 7. daß die frühere Negierung das erfüllt hätte, was sie zugesagt, aber die jetzige braucht sich nicht die geringste Unbequemlichkeit zu machen, da sie gar nicht bei der Sache betheiligt war, und alle Re-clamationen fallen in den bodenlosen Abgrund der Papierkörbe. Trotz alledem bietet das Land dem Einwanderer viele und große Vortheile, wenn er nur eben selbstständig auftreten kann und von den Eingeborenen Nichts erwarten oder erhoffen will. Er darf aber aus keine Theilnahme für sich rechnen, denn die südamerikanischen Republiken verachten nun einmal die arbeitenden Classen, die für sie nur noch immer die Stelle der freigegebenen Sclaven ersetzen. Mit Stolz sieht ein solcher guter Manu auf einen noch so tüchtigen Handwerker nieder, während er einen Ladenschwengel, der sich 213^ den ganzen Tag hinter seinem Ladentisch herumräkelt und Ellen Band abmißt, mit der größten Achtung behandelt. Aber die Sache ist, er hat den Arbeiter, und besonders den europäischen, nöthig, er kann in der That gar nicht mehr ohne ihn existiren, da er nicht allein dessen Hände, sondern auch seine Intelligenz braucht, und deßhalb muß er sie nicht allein in zdas Land lassen, sondern auch darin zu erhalten suchen, oder aller Reichthum des Bodens würde ihm von da an wenig nützen. Europäische Hände treiben, mit den Nordame-nkanern, seine Mühlen und Maschinen, legen seine Schienenwege an und halten sie im Gange, bauen seine Wasserleitungen, bearbeiten seine Bergwerke, liefern ihm alle Bequemlichkeiten, die er nun einmal zum Leben nöthig hat, bringen alle Erfindungen der alten Welt in seinen Bereich, und müssen ihm doch endlich wohl die Reberzeugung verschaffen, daß er ohne sie in seinem eigenen Lande verwünscht wenig ausrichten könnte. Kommt nun ein deutscher Arbeiter in dieses Land, und kann er sich nur im Geringsten dazu verstehen, seine ihm angeborene Schüchternheit und die verdammte Höflichkeit gegen Alles, was einen bessern Rock trägt, abzugewöhnen, wird er sich nur ein Wenig seines eigenen Werthes bewußt, 214 und hat er nur die erste Zeit überstanden, in der er Alles glaubt, was man ihm dort verspricht, dann hab' ich auch nicht den geringsten Zweifel, daß er sich sein eigenes Fortkommen gründen und es selbst in Peru weit rascher und sicherer zu Etwas bringen wird, als im alten Vaterlande. Trotz seiner dürren und unfruchtbaren Westküste ist Peru ein reiches Land, das recht gut selbst ohne den Guano bestehen und gedeihen könnte, aber freilich nicht so, wie die Arbeit dort jetzt betrieben wird. In feinen Bergen liegen noch Massen kostbarer Metalle, selbst seine kältesten Hochebenen können noch Millionen von Schafen und Llamas Nahrnng geben, und in seinen schmalen Thälern sogar, die breiten fruchtbaren Pampas des Ostens gar nicht gerechnet, hat noch eine große ackerbauende Bevölkerung Platz. Auch das Klima des ganzen Landes, feine tropischen Ebenen sowohl wie seine kalten Höhen, ist nicht ungesund, ausgenommen vielleicht sumpfige Strecken im Norden, und das flache Land au den dem Amazonenstrom Zufließenden Wassern, wo in den Pampas häufige Fieber, herrschen sollen. Die Hitze ist selbst in den sonngcbrannten Höhen Perus nicht so groß, wie man sich denken möchte, denn die riesigen Echnecberge der Cor- 215 dilleren liegen zu nahe und kühlen die Luft ab; ja, die Nächte sind gewöhnlich selbst in der heißesten Zeit frisch und kühl, so daß man recht gut eine Decke vertragen kann. Die ganze schmale Westküste wird durch die Nähe der Gebirge abgekühlt, deßhalb mochte ich es aber doch keinem Europäer rathen, in der Nähe Limas schwere Feldarbeit zu verrichten; er würde es nicht lange aushalten und einen siechen Körper davon tragen; weiter im Lande drinnen darf er sich aber jeder Arbeit uugescheut unterziehen, ohne schlimme Folgen fürchten zu müssen. Die Producte Perus siud ziemlich mannigfacher Art —Alles natürlich nur Rohproducte — aber doch noch lange nicht genügend erzeugt, um mit ihrem Export den Import zu decken — den Guano freilich nicht dabei gerechnet. Silber, Kupfer und Gold siud die wichtigsten Erze, deren Gewinnung aber noch auf die roheste Weise betneben wird. An Wolle wird jährlich für etwa wle Million Dollars verschifft, aber die meiste Wolle so weit von der Küste entfernt gezogen, daß es auf den erbärmlichen Wegen nicht möglich ist, ein an und für sich so billiges Product M trausportirm, ohne es unmäßig zu vertheuern. General Castilla beabsichtigt allerdings eine 216 Eisenbahn nach Cerro de Pasco über die 16,000 Fuß hohen Cordilleren anzulegen, und ich bin fest überzeugt, daß die Ausführung möglich ist; dann aber muß freilich anders als auf die gewöhnliche Art damit verfahren werden. So hat ein Weg, welcher von dem etwa 200 Fnß hoch gelegenen Chorrillos hinunterführt, und zwar durch ganz einfachen Lehmboden, auf einer Ausdehnung von vielleicht 000 Schritt, dem Staat über li0,000 Dollars gekostet, während er felbst mit den schweren Arbeitslöhnen in Peru mit 6000 Dollars leicht und einfach herzustellen gewesen wäre. Soll diese Eisenbahn also nicht wieder einen Vorwand für die Nnterbeamten bis zum Minister hinauf liefern, ihre eigenen Säckel auf Kosten des allgemeinen Wohles zu füllen, so muß die Ausführung eines folchen Werkes e hr l.i ch e n Händen übergeben werden, die der Präsident dann freilich wird zusammensuchen müssen. Eine Eisenbahn aber, nach Cerro geführt, würde einen fabelhaften Umschwung in dem Ervort der peruanischen Producte hervorbringen, denn alle die in der Nähe dieser Stadt liegenden tiefen und herrlichen Thäler der Osthänge fänden dann auf einmal den reichsten Markt für ihre Producte, und könnten mit Leichtigkeit das Zwan- 217 ^ Zigfache von dem ziehen, was sie jetzt liefern. Aber eine solche Bahn kostet viel Geld, besonders in Peru, und wenn sie selbst mit Hülfe der ungeheuren Guano-Einnahmen errichtet werden soll, muß der kriegerische Präsident für ein paar Jahre das Soldatenspielen sein lassen, und sich den segensreicheren Arbeiten des Friedens widmen. Er braucht dann auch nicht mehr die steten Mordversuche zu fürchten, sondern das Land wird ihn noch in späteren Jahren segnen und sein Andenken ehren. Einen wunderbar vortheilhaften Boden hat Peru eben so wie das Nachbarland Ecuador für den Kaffee, der hier in ausgezeichneter Qualität gezogen wird. Besonders ist das Huunaco-Thal. seines Kaffees wegen berühmt, den man in Lima selber gern mit 40 Dollars das hundert Pfund bezahlt, und der dem Mocca-Kassee an Güte vollkommen gleichsteht. Auch die deutsche Colonie am Pozuzu hat Kaffee gebaut. Die Bäume waren aber noch zu jung und trugen in diesem Jahre zum ersten Male Früchte, mit deuen sie im wahren Sinne des Wortes bedeckt standen. Der Kaffee am Pozuzu— denn es besteht auch dort eine altere Plautage, die schon Kaffee zieht — steht dem von Hu^naco in Nichts nach, und alle jene Thä- 218 ler der Osthänge bis an die Pampas des Mairo und'der übrigen Zuflüsse des Amazonenstromes hinab, würden durch den Bau einer Eisenbahn bis Cerro plötzlich der Seeverbindung und dem Welthandel zugänglich gemacht. Auch der Cacao ist ein Product, das einen nicht zu langen und theuren Maulthiertransport verträgt, und in vielen Theilen des Landes wächst er wild, wäre also dort mit Leichtigkeit ordentlich anzupflanzen und zu cultiviren. Darin steht aber Peru sehr im Nachtheil gegen Ecuador, daß dieses letztere, neben einem noch größern Reichthum an Producten und viel umfangreicheren Flächenraum fruchtbaren Bodens, eine Menge c'ultivirten Landes mit einer nicht unbedeutenden und fleißigen Bevölkerung besitzt, die omch das Eröffnen eines ordentliches Weges bis zur Küste dieser zugeführt wird, und für die dadnrch das in der Nähe des Hafens liegende Land einen höheren Werth erhält. Peru dagegen muß erst einen weit kostspieligeren Weg in das Innere bauen — denn die jetzt bestehenden Maulthierpfade können wahrhaftig nicht Wege genannt werden — um den verschiedenen Ländereien Menschen und Cultur zuzuführen, und sein bestes Land liegt noch immer mit seinen Producten viel be- 219 quemer für den atlantischen als für den stillen Ocean. Peru ist ebenfalls reich an vortrefflichen Hölzern, diese aber sind sämmtlich fo gelegen, daß an Export nicht gedacht werden kann. Vortheilhaft für das Land sowohl wie für den Pflanzer wäre der Anbau von Baumwolle, die in Peru vortrefflich gedeiht, und selbst an der Westküste gezogen werden könnte. Allerdings müssen die Felder künstlich bewässert werden, was in vielen der nördlich von Lima gelegenen Theilen Mit ziemlicher Leichtigkeit geschehen könnte. Aber die Baumwolle verlaugt, so wenig Schwierigkeit ihr Anbau hat, bei der Ernte uud zum Pfluckeu viele Hände, uud ist aus dem Grunde am Vortheilhaftesten mit Sclavenarbeit zn ziehen; ja, diese Thatsache bildet in jetziger Zeit das wichtigste Bollwerk der Sclavenstaaten Nord-Amerikas gegen die nördlichen Staaten, und wird am Allerfchwer-sten wider die armen Schwarzen in's Gewicht fallen. Peru hatte früher^ einen enormen Reichthum an Alluvialgold, der die Svauier damals zuerst hmüberlockte, und so vielen taufeud unglücklichen Indianern das Leben kostete. Es wird auch jetzt "och Gold dort gewaschen, und der in den jähr- 220 lichen statistischen Berichten angegebene Betrag beläuft sich auf etwa eine Million Dollars. Vor einiger Zeit tauchte auch einmal das Gerücht auf, es feien neue Goldfelder in Peru entdeckt worden und lieferten enorme Schätze, so daß der alte goldberühmte Name Perus*) selbst viele fo oft getäuschte und vorsichtig gemachte California verleitete in die peruanischen Berge „prospectiren" zu gehen. Das Land scheint aber die gehegten Erwartungen nicht befriedigt zu haben, denn sie Alle kehrten, nachdem sie sich in den öden Bergen eine Zeitlang ohne Erfolg herumgetrieben, vollkommen enttäuscht zurück. Desto reicher ist das Land an Silber, Eisen, Kupfer, Salpeter, Kohle, "deren Minen ordentlich auszuarbeiten aber erst einer späteren Zeit vorbehalten bleibt. Nur der Salpeter wird schon jetzt fleißig in Angriff genommen, und jährlich etwa für drei Millionen Dollars ausgeführt. Ein großer Uebelstand ist jetzt in Peru das schlechte Geld, das allein cursirt und die Kaufleute fast zur Verzweiflung bringt. Alles Gold, alle Dollars sind nämlich wie in den Boden hin- *) Auf den Südsee-Inselu hat sogar baS Gold überhaupt den Namen dieses Landes bekommen, und heißt Peru. 221 ein verschwunden, aus dem sie nur mit den furchtbarsten Procenten nnd einzeln wieder hervorgezaubert werden können, und die einzige Verkehrsmüuze bilden halbe Dollarstücken. Aber auch von diesen find die wenigsten Peruaner, das Meiste ist Voliviamünze, und von den peruanischen Halbdollars werden sogar die von Arequipa nicht einmal in Lima genommen. In Bolivia scheint zugleich eine recht einträgliche Industrie von falschen halben Dollars zu bestehen, die man in Masse auf den Markt wirft, und da selbst das ächte und sogenannte peruanische und bolivianische Gold zum großen Theil mit Kupfer versetzt ist, und bedeutend weniger Werth hat als ein halber Dollar Chiles, Mexicos oder Nord-Amerikas, so kann man sich denken, welche traurige Confusion darans fortwährend erwachsen muß, mit diesem werthlosen Gelde fortwährend zu verkehren, und wie schwierig und zeitraubend nur allein das Zählen, Sortiren und Verschicken ist. Kleines Geld znm Wechseln ist fast gar nicht zu bekommen, und als ich nach Lima kam, cur-snten dort statt halber Realen oder Medios und ^uartidios oder Viertelrealen einzig und allein durchschnittene Neale und Medios, und zwar nicht etwa die gleichen Hälften, sondern mit einem tüch- 222 tigen Stück aus der Mitte heraus minu^. AIs ich aber sechs oder sieben Wochen später aus dem Innern zurückkehrte, waren dicse durchschnittenen Medios und Qnartidios plötzlich außer Curs gesetzt, ohne der Bevölkerung irgend einen Ersatz dafür zu bieten. Kleine Münze mußten indeß die Leute haben, und einige der angesehensten Gasthäuser „Hütel Maury" und „American" prägten selber kupferne Medios mit ihren Namen, die gern und willig in der Stadt genommen wurden. Ich glaube, daß man damit umgeht, eine andere Münze einzuführen, aber alle diese Verbesserungen werden wahrscheinlich wieder an der nächsten Präsidentenwahl scheitern, oder wenigstens auf weitere Jahre hinausgeschoben werden, wie denn die ganze republikanische Einrichtung für dieses Volk ein wahrer Fluch geworden ist. Die Masse ist zu roh und ungebildet, mnß von einer stärkeren Hand und einem klügeren Kopfe geleitet werden, die ganze schöne Bedeutung einer wirklichen Republik fällt also schon von vorn herein über den Haufen. Da die Beamten dagegen nnr immer auf sechs Jahre gewählt werden, also nur eine sehr kurze Zeit haben, Reichthümer zu sammeln, so hat sich dadurch ein System gebildet, welches das Land zu Grunde richtet, indem es wenige Einzelne 223 nach der Reihe mit seinem Herzblute auffüttert und erhält. Was an Geld aufgebracht werden kann, geschieht, aber nur um in die Taschen gewissenloser Menschen zu wandern, und das Volk selber, welches den Namen zu seiner Negierung hcrgiebt, sieht Alles vor seinen eigenen Augen geschehen, ohne ein Wort hineinreden zu dürfen. Bei einer Monarchie träte ein ganz anderes Verhältniß ein, und zwar nicht für das Volk im Allgemeinen, für das nur eben der Name verändert würde, sondern für das Heer von Stellenjägern, die jetzt um die eine Negierung her wie beutegierige Wölfe auf der Lauer liegen, um zu warten, bis sich die eine Partei fatt gefressen hat, und sie selber an die Neihe kommen. Bei einer' Monarchie bleibt die Regierung festbestehend, der Fürst selber hat ein Interesse daran, das Land zu heben und zu verbessern, das einst sein Sohn erben soll, und der Staat wird nicht, wie jetzt nach vollendeter Präsidentenwahl, als ein erobertes Terrain betrachtet, in dem die Soldaten sechs Jahre Zeit bekommen, um zu plündern und Beute zu machen. Bolivar selber soll noch vor seinem Tode bereut haben, daß diese Staaten durch ihn frei wurden, denn er sah schon damals, wie sich Alles 224 gestaltete. Da aber war es zu spät, und die Sache muh jetzt ihren Gang gehen — zum Verderben der Republiken, die mit ihrem jetzigen Treiben, ihren ewigen Revolutionen und Corruptionen auf die Länge der Zeit nicht selbstständig bestehen können. Die in München angefertigte vortreffliche Reiterstatue Bolivar's hätte einen besseren Platz auf der Plaza gefunden, als dort, wo sie jetzt steht, auf dem nicht einmal gleichwinkeligen Constitu-tionsplatze (die frühere Plaza de la Inquisicion). Mau hat ihr aber die Stelle vor dem Haufe der Abgeordneten angewiesen, und das würde iu jedem andern Lande der Nelt eine hohe Bedeutung haben, den Abgesandten des Volkes, den Befreier ihres Vaterlandes stets vor Augen zu halten. Hier geht es an den Herren ziemlich fpurlos vorüber; sie wollen frei sein, ^ja, und viel Geld verdienen, Vaterland und Volt aber mag zum Henker gehen. Ein betriebfames Volk hätte das ganze Land schon lange in „einen Fruchtgarten verwandelt, die jetzigen Herren des Landes benutzen die Fruchtstämme aber allein zu Feuerholz, um ihren eigenen Herd zu wärmeu, und das Volk muß seine Bäume noch dazu selber abhauen und herbeischleppen. 225 Ein Hauvtprodnct Perus ist der Wein, der schon von den Spaniern hier außerordentlich gepflegt, und dessen Cultur sogar durch grausame Mittel, auf Unkosteu anderer Provinzen, beschützt wurde. So ließ die spanische Regierung damals in Ecuador alle Weinstöcke ausrotten und verbot die Cultur der Nebe dort auf das Strengste, nur damit Peru das Monopol des Weinbaues behielt. Die Weintraube, die ich in Pisco oder vielmehr in dessen Hafen fand, war eine sehr süße rothe, und eine ganz vortrefflich schmeckende Ma-lagatraube mit länglichen weißen großen Beeren. Fl. Gers!naer, AchtzehnMonatc m Hüd-Amcrtta/ 17. 15 Ackkelm Monate in Süd-Amerika und dessen deutschen Colonien von Friedrich GerMckcr. Zweiter Band, ' > (Zweiter Theil,) Hermann Clistenoble. 1863. "Don OMo nach Valparaiso. Wieder in See! — was für ein wechselndes Leben das eines Reisenden ist — das heißt eines Reisenden, der eben nicht in Wein oder Knöpfen macht. Hente hoch auf der Cordillere, fest in den Poncho eingehüllt, einem wüthenden Schneegestöber Trotz zu bieten, nnd die Zügel des Maulthieres fest in den halberstarrten Fingern — nnd wenige Tage später wieder an den heißgebrannten, sonngcdörrten Küsten des unfruchtbarsten Tropenlandes der Welt hinfahrend, von jeder europäischen Bequemlichkeit umgeben. Freilich, dieser Wechsel des Klimas hält den Körper, dieser Wechsel der Scenen den Geist frisch und kräftig, und wenn man so recht mitten in dem fremdartigen, thätigen Leben schwimmt, erträgt sich ein solches Dasein auch am Leichtesten. — 8. 230 Erträgt sich? — ich weiß mir noch recht gut die Zeit zu erinnern, daß ich mich mit allen Kräften meiner Seele danach sehnte — aber daß ich sie mir eben nur zu erinnern weiß, zeigt ja, wie sie hinter mir liegt, und daß ich die eigentliche tolle Wanderlust, die ein ächter Reisender immer haben sollte — verloren. Ich bin seit der' Zeit älter, ich bin ruhiger geworden; die fremden Länder haben außerdem jenen unbeschreiblichen Reiz der Neuheit verloren — ich finde überall Uehnliches, schon Gesehenes, und fange an, eine Menge Dinge mit Gleichgültigkeit zu betrachten, die einen noch neuen Reisenden in Entzücken versetzen würden. Früher nahm ich mir auch mehr Zeit und fuhr mit Segelschiffen dorthin, wohin sich gerade eine passende Gelegenheit bot, jetzt gehe ich mit Dampfern von Land zu Land. — Wie aber jede Blume fast ihren Honig hat, so suche ich mir den auch nach Kräften herauszuziehen, und eine Dampferfahrt gewährt neben Anderem auch den Vortheil, daß man sich von allen gehabten Strapazen ordentlich und entschieden ansruhen kann, ehe man ein neues und vielleicht wieder wildes und mühsames Leben beginnt. Mit diesem Gefühl war ich auch am 20. Februar 231 auf der Eisenbahn von Lima nach dem etwa 3 Leguas entfernten Seehafen Callao gefahren. Ich hatte Alles hinter mir, ganz Peru, und eine zehntägige Seereise auf einem ziemlich großen und bequemen Dampfer konnte mir die von dem langen Nitt und mühseligen Marsch wie zerschlagenen Glieder wieder ordentlich stärken und kraft tigen. Indessen ich mich ausruhe, köuneu wir uns aber doch ganz bequem umsehen, denn eine solche Mischung von Passagieren bietet stets manches Interessante. Der Dampfer selbst „die Lima" ist einer der größten, die deu stillen Ocean befahren, kommt aber trotzdem denen des atlantischen Oceans nicht gleich. Auch die iunere Einrichtung desselben ist, wenn auch geschmackvoll und elegant, doch lange nicht so bequem wie die des La Plata. Das einzige wirtlich Unangenehme war das Zusammenschlafen Vieler in einem großen Salon. Allerdings sind die einzelnen Betten durch Seitenwände von einander getrennt und durch Gardinen abgeschieden, aber die Seekrankheit Aller — dieses furchtbarste Seeungeheuer ^- hört man so deutlich, als ob oie Leidenden alle dicht vor dem Bette lägen, und der Mensch muß da schon einen recht guten Magen 232 und sehr gefunden Schlaf haben, wenn er das Alles ohne schlimme Folgen überdauern will. An Bord des Dampfers Nachmittags um vier Uhr etwa angekommen, fand ich fchon eine ganz hübsche Partie Passagiere daselbst. Es schien aber noch bequem für Alle, denn Nichts ist schrecklicher an Bord eines Fahrzeugs, als wenn es vollgedrängt von Passagieren ist. —Plötzlich feuerte der Dampfer einen Kanonenschuß, das Zeichen der baldigen Abfahrt — der die unglücklichsten Folgen für uns hatte. Die weite Bay fchwärmte nämlich plötzlich von kleinen und größeren Booten, von denen, die meisten leicht gekleidete Damen trngen — ganze Schwärme lieber, herziger Gesichter kamen herangeschwommen, Einzelne darunter mit verweinten Augen, die weißen Taschentücher noch dann nnd wann dagegen gedrückt, Andere, ihnen das letzte Geleit zu geben nnd bei der Gelegenheit auch selber einmal eine kleine Voot-fahrt auf Salzwasser zu machen. Das Boot eines französischen Kriegsschiffes, von dessen Capitain felbst geführt, brachte ein junges Ehepaar an Bord; der Mann Franzose, die junge Fran Peruanerin. — Das arme kleine Weibchen war noch blutjung, und hatte jetzt wahrscheinlich zum ersten Mal im Leben die Ihrigen ver- ^33^ lassen, zum ersten Mal im Leben wirklichen Schmerz empfunden, und sie weinte wirklich wie ein Kind schon im Boote, die Treppenleiter herauf und bis hinein in ihre Coje. — Aber die Glocke läutete, die Schaluppe des französischen Kriegsschiffes schoß jetzt heran, die Koffer der jungen Leute auszuladen — rasch nun die Sachen an Bord, die Räder fangen schon an zu arbeiten, die Glocke hat zum zweiten Mal getönt. — Ein Boot mit drö' oder vier peruanischen Offtcieren legt noch an und der Oberste derselben sucht augenblicklich oeu Ca-ftitaiu auf. Ein Papier wird übergeben,, das der Capitain kopfschüttelnd liest. Die Räder stehen wieder, und über die stille Bay herüber fchwimmt ein mit rothen Hosen und blauen Jacken bis zum Rand gefülltes großes, unförmliches und fast riesenhaftes Ding von einem Boot, aus dem noch zum Ueberflnß eine Masse von Bayonnetten und blanken Knöpfen herausblitzen. Eine ganze Schiffsladung peruanischer Soldaten ! — nnd die sollen wir doch nicht etwa Alle an Bord nehmen? — gewiß — den ganzen Wald aufrecht stehender, wild genug aussehender Gestalten, zu denen die an dem Boden des Fahrzeugs kauernden Frauen und Kinder recht gut das Unterholz bilden konnten. 233 234 Ein peruanischer Krieger zieht nie ohne seine Familie in den Krieg, und die Regierung weiß das auch schon, denn bei allen Transporten spielen Frauen nnd Kinder, die wieder ihrerseits Schafe und Hunde mitführen, eine sehr bedeutende Nolle. Das Boot oder die Launch, wie ein solches unförmliches Fahrzeug genannt wird, kam indessen langsam näher, und mußte dabei noch von einer kleinen Jolle bugsirt werden — und was für ein buntes tolles Gemisch von menschlichen Wesen bildete den Inhalt. — Nach einer flüchtigen Zahlung enthielt es etwa 100 Soldaten und die entsprechende Anzahl Officicre - in Peru etwa 18—20, denn auf je 40 Mann gehört ein General. Einige dreißig Frauen kletterten jetzt ebenfalls zu Tage, jede ohne Ausnahme mit einem Kinde wenigstens auf dem Nucken, manche auch noch eins oder zwei an der Hand. Was sie aber auch trugen oder schleppten, als die Launch endlich langseit lag und diese menschliche Fracht ausgeladen wurde — mit was sie überhaupt auch immer bepackt seiu mochten, ein Nachtgeschirr trug noch jede in der Hand, sei es von Porcellan oder Viech, und eine höchst komische Caravane bildeten sie, als sie nach Einschiffung der Soldaten in langer Neihe, also bepackt, folgten. 235 Die Soldaten hatten ihre Gewehre — ziemlich gut aussehende Musketen — fast alle in rothe Tuch-Futterale eingeschlagen, und die sämmtliche Mannschaft wurde jetzt auf das Vorcastle oder Vorderdeck beordert, dort überzählt zu werden. Dann überließ man die „Familien" sich selber, ihre eigene Einrichtung nach besten Kräften zu treffen. Die Officiere kamen natürlich in die Cajütö zu liegen und ein trauriger aussehendes Corps ist mir im ganzen Leben nicht vorgekommen. Der ganze Platz wimmelte aber von ihnen, und wenn auch nur anf drei Tage — denn sie gingen nach einem der südlich gelegenen peruanischen Häfen Mley — waren sie doch vollkommen genügend, das ganze Dampfboot ungemüthlich zu machen. Die Lima' hatte indessen kaum ihre lebendige Fracht an Vord, der nur noch ein verhältnißmäßig sehr kleines Zubehör an Neisesäcken und eingeschnürten Bündeln folgte, so wurde das Tau abgeworfen, die Nüder fingen an einzuschlagen, und der Koloß bewegte sich langsam durch das Wasser. Wir hatten auch iu der That keine Zeit mehr zu versäumen, denn es war indessen schon fast dunkel geworden, und die Ausfahrt aus der Bay von Callao 236 erfordert, einer weit vorstehenden und unter Wasser fortlaufenden Landzunge wegen, viele Vorsicht. Auf dieser Landzunge stand früher das alte Callao, als im Jahre 1746, wenn ich nicht irre, ein furchtbares Erdbeben diese Gegend heimsuchte. CaÜao war damals eine Festung und von Mauern umschlossen, so daß der Commandant die Thore schließen konnte. Dies geschah aus irgend einem Grunde, vielleicht nur weil sich der Altsvanier über die Furcht seiner Gefährten, oder der Indianer, die flüchten wollten, hinwegsetzte. Er mußte das aber schwer büßeu, denn entweder stieg die See, oder das Land sank. Die Meinungen darüber sind noch getheilt, nur das Resultat blieb dasselbe, denn Callao verschwand in derselben Minute vom Erdboden, und die Wellen schlugen und, wälzten darüber hin. Von allen Bewohnern der Stadt wurden nur ganz zufällig ein paar gerettet, alle Anderen kamen in dieser fürchterlichen Stunde um. Eine verfunkene Stadt — aber es kann sich an eine versunkene peruanische Stadt keine poetische Erinnerung knüpfen, denn man weiß, daß die Häuser in diesem Klima, in dem es nie regnet, alle aus Lehm bestehen, und nach ein Paar Tagen etwa war diese versunkenem Stadt also schon jedenfalls zu einem sanften Brei zu-sammeugewaschen, der weiter keine Spur hinterließ, als Schmutzstreifen am Ufersand. Das Quarterdeck der Lima wimmelte indessen von Damen und Officiercn — welcher Unterschied freilich mit unseren geschniegelten Lieutenants und diesen ruppig aussehenden Burschen — und das Boot schoß in dem vollkommen glatten Wasser der Bay lustig dahiu. Jetzt hatten wir die Landzunge, die sich bis dahin der Schwellung des Oceans entgegengestemmt, hinter nns, und die Lima, sing an sich auf den gewöhnlichen breiten Dünuugswelleu des Oceans zu heben nnd zu senken. Die Bewegung war auch eine so gemäßigte, wie sie möglicherweise nur auf See stattfinden kann, dennoch verschwanden Damen wie Ofsiciere Plötzlich durch die natürlichen Versenkungen, die ersteren vollständig aus Sicht, bis nach Tagen selbst ihre Züge aus der Erinueruug verwischt waren, die letzteren zu einem ganz entsetzlichen öffentlichen Leben uutcr Deck, bei dem sie „Jesus Christus" stöhnten und unbeschreibliche Dinge ausführten. — Ich habe in der That, bei vollkommen ruhiger See, nie ein so vollständig seekrankes Corps gesehen, wie diese armen unglücklichen Landofsiciere mit ihrer ganzen Truppe — denn 338 auf das Vorderdeck durfte man gar nicht gehen, wenn man sich nicht auf acht Tage den Appetit verderben wollte. ' Glücklicher Weise hatte ich einen gesunden Schlaf, und die Schrecknisse dieser Nacht glitten harmlos und still an mir vorüber. Am nächsten Morgen näherten wir uns einem der interessantesten Punkte der Küste, der Schatze kammer Perus, jenen kleinen, dürren und doch so wichtigen Chincha-Inseln, von denen der berühmteste Guano kommt. Eigentlich ist es das wunderlichste Einkommen, das ein Staat möglicher Weise haben kann, und das nicht das am Wenigsten Auffallende dabei, daß die unfruchtbarste Küste der Welt fernen Welttheilen Fruchtbarkeit liefern konnte. Schon von Weitem sahen wir die trockenen Höhen der Inseln von einer großen Anzahl von Masten umgeben, und nur der auf dem Nasser liegende Dunst verhinderte, daß wir sie deutlich erkennen konnten. Es bildete sich sogar eine Art von Fata Morgana, die in einer Luftspiegelung die Berge auf den Kopf stellte, und die einzelnen — wie sich später zeigte, gar nicht sehr spitzen Gipfel zu langen Thürmen in die Höhe zog. Näher gekommen, nahm die rothgraue Erde der 239 Inseln aber bald ihre natürliche Form an, und ich konnte nach und nach einige fünfzig Schiffe zahlen, die zum Theil eben ihre Ladung einnahmen, zum Theil fchon im Begriff standen, wieder auszusegeln. Eigentlich hatte ich mir den Guano bis dahin vollkommen weiß gedacht, denn die Plätze, die ich bis dahin mit geringen Ablagerungen dieses „Pro-ductes" gesehen, sahen wie beschneit aus. Die wirkliche Farbe des Guano ist aber eiue Art lichten Rothbrauns oder Braunroths, uud wie viele Jahrtausende gehörten dazu, diese mächtigen Schichten aufzuhäufeil, an deueu jetzt das rührige Menschenvolk hackt und gräbt, und schaufelt und karrt, um die Umrisse jener Insel wieder herzustellen, Wie sie vor Jahrtausenden waren von der Sonne beschienen worden. Das zu bewerkstelligen, und mit dem Guano so rasch als irgend möglich aufzuräumen, hat man sogar schon Schienenwege da oben angelegt, und der Staub des ausgeschütteten Düngers hängt wie eine leichte Wolke über den Inseln, und fällt, uoch weit draußen in See, schon stark auf die Geruchsuerven — überhaupt soll es für die Schiffe das Unangenehmste sein, was es nur an Ladung giebt. - 240 Von See aus kann man übrigens recht deutlich die eigentliche Guanodecke erkennen, die jetzt in verschiedenen Schichten abgestochen wird, und ich tarirte sie an der höchsten Stelle, nach den daran arbeitenden Menschen, auf etwa 90—1(D Fuß, das aber nur an der h ochste n Stelle, der eigentlichen Vergspitze, während sie nach rechts und links ablief. Der Gnano schlägt sich theils in staubigen Brocken, theils in großen harten Stücken los, die nur durch das auf sie pressende Gewicht so fest zusammengedrückt wurden und sich, ein paar Mal unchergeworfen, wieder lösen und bröckeln. Von oben hat man dann Leinwandschläuche angebracht, die in die unten anlegenden Boote führen, und der trockene Gnano stürzt durch diese rasch hinab, unten angelangt nur eine feine, gebliche Nolte des scharfen Staubes in die Höhe sendend. Da aber eine ganze Menge von Booten zugleich ihre Ladung haben wollen — und es soll Zeiten geben, wo Hunderte von Schissen an den Inseln liegen, so mußten auch die verschiedensten Vorkehrungen getroffen werden, sie alle zu befriedigen. So sieht man denn hie und da hohe hölzerne Werfte ausgebaut, von denen ab Schienenwege nach der schon tief ausgegrabenen Guanoschicht führen. Dort stehen die Arbeiter, den Guano 241 loszuhauen und auf große, zweiräderige Karren zu laden, die auf dem Schienenwege durch ein einzelnes Maulthier gezogen werden. Am Ende des Werftcs dann, und über dem Boot, zu dem ein Schlauch hinunterführt, angekommen, wird der Karren, der oben im Gleichgewicht ruht, in die Höhe gekippt, und die Ladung schießt ohne weitere Mühe von selber in die Tiefe. An anderen, bequemer und näher gelegenen Stellen arbeiten die Leute mit Schiebkarren, und noch andere liegen so bequem und dicht zu der Landung, daß der Guano an der einmal glatt gehauenen Wand nur eben losgestoßen zu werden braucht, und von selber hinunterrutscht. Draußen vor den Inseln nehmen indessen die, etwas vom Ufer abliegenden Schiffe ihre Ladung ein. Die Launchen oder Schaluppen führen ihnen nacheinander den Guano langseits, und der Numpf des Schiffes ist schon darauf eingerichtet, die Labung fo rasch als möglich an Bord zu bringen. Man hat nämlich dicht über der Wasserlinie eine Luhke hineingeschnitten, unter diese legen die Boote an, der Guano wird in Körbe geschaufelt und dort eingehoben und ausgeschüttet, und im Innern des Schiffes dann zu gleicher Zeit von schon be- F r. Grrstäckl' r. Achtzehn Monate eck herunter, und mußten zusehen, wie sie mit unzerbrochenen Beinen unten ankamen. Und wie traurig lag dazu der öde Ort in der brennenden Sonne, wie traurig und verloren sieht überhaupt diese ganze peruanische Küste aus, an der das ganze Jahr kein einziger Tropfen Regen fällt, und die Sonne nicht heißer auf den dürren Boden brennen kann, als ihr die Strahlen von dort zurückgeworfen werden. Ueber die Stadt hinüber, auf der eine dicke Staubtruste lag, dehnten sich die zerrissenen trockenen Berge aus, und in den einzelnen Vertiefungen tonnte man Maulthiertrupps erkennen, die müde auf ihre Ladung warteten, und gar nicht daran dachten, in dieser Gegend nach einem Grashalme zu suchen. Links von der Stadt lag eine Partie hellgelber Guano aufgeschichtct, den Fahrzeuge dort gelandet hatten, und der jetzt auf Maulthieren in das Inmre geschafft wurde. Schon die alten Dnkas hatten das gethan, und ncht gnt die vortrefflichen Eigenschaften dieses Düngnuttl,ls gekannt, wenn sie es auch natürlich nicht in solchen Masstn verwenden konnten. — Ein paar Schiffe lagcn ebenfalls dort, die theils Güter für Arequipa gcbracht, theils eine Partie Wollballen an Bord nchmen 250 wollten, die da drüben aufgeschichtet waren. Wolle bildet überhaupt einen der Hauptaussrchrartikel des Landes, die sonst im Ganzen ziemlich beschränkt sind: Wolle, Salpeter, Silber, Guano uud etwatz Gold. Alle andern Producte werden im Lande verbraucht oder doch nnr so unbedeutend ausgeführt, daß sie kaum gerechnet werden können. Mich dauerten die armen Soldatenfrauen, die jetzt mit ihrer Last auf den Schultern und mit bloßen Füßen über diese kahlen sonngebrannten Höhen hinüber mußten. Doch sie sind daran gewöhnt — ist doch ihr Loos von Ingend aus ein hartes, und Beschwerden wie Mangel gehören zu ihrem Leben wie Licht und Luft. Der Capitain des Dampfers, ein alter, prächtiger Engländer, stand neben mir, als ich ihnen nachschaute, und sagte: „^Vell 8ii-, ich fahre nun schon lange Jahre an dieser Küste, und habe Hunderte und Tauseude von diesen Leuten in meiner Zeit herüber und hinüber befördert, aber nie Noth und Aerger mit ihnen gehabt, nie einen Streit nnter ihnen selber gesehen. Sie sind immer gut gelaunt, folgsam nnd ruhig, uud folgeu ihren Oberen auf das Wort." Er hatte ganz recht; die Peruaner sind auch ein gutes, harmloses Volt, und dasselbe kann man 251 fast von allen Völkern der Westküste sagen, und woher dann diese ewigen Kriege, dieses uuunter-brochene Soldatensftielen, das nur des Landes Mark anssaugt und Leben und Eigenthnm seiner Kinder gefährdet nnd verzehrt?— Es ist die alte Geschichte in fast allen Nepnbliken der Welt, wo der Wechsel eines Präsidenten auch den System-Wechsel nnd — die Hauptsache — den Wechsel einträglicher Stellen mit sich bringt. Diese Sttl-lenjäger, dies vornehme Proletariat in Glacehandschuhen, ist der Fluch eiues jeden Landes^ denn dies hat kein Vaterland und betrachtet den Boden, den es seine Heimath nennt, nur als einen Schwamm, der so lange gedrückt werden muß, al-) er noch Gold oder Silber giebt. Ich sage gar nicht, daß dies nämliche Gesinde! in Monarchies fehlt; es blüht dort eben so üppig nnd trägt eben so giftige Früchte; aber es kann, durch den stabilen Stand der Dinge eingeschränkt, nicht so übermäßig wnchern nnd Schoß? lwge treiben, nnd wenn es anch für sich die besten Säfte des Landes in Anspruch nimmt, saugt es den Boden doch nicht so vollständig aus. Und wieder neigt sich der ^ug vom Lande ab; ein Kanonenschuß hat schou vorher das Zeichen zur Abfahrt gegeben und alle Passagiere vom Ufer 252 zurückgerufen, und wieder dampfen wir an der Küste hinauf. Die Neise selber ist hier mit einem Dampfer auch eine wirkliche Küstenfahrt, denn inan verliert die kahlen Küstenberge nie aus Sicht, ja kann fast fortwährend die Brandung des Meeres an den steilen, unwirthlichen Felsen erkennen. Ein Genuß würde das auch sein, wäre es eine freundliche Scenerie, der man so folgte; so aber streift das Auge nnr über kahles, nacktes, in Schluchten zerrissenes Steinlaud, und der ermüdete Blick ruht viel lieber auf der bewegten blauen und lebendigen See, die im Vergleich mit diesem Lande gar nicht mchr so monoton'erscheint. Unser nächstcs Znl war Arica, das man mir schon vorher als den freundlichsten Punkt der Küste geschildert hatte, in diesem Lande eine sehr billige Eigenschaft, und ich erwartete nicht viel davon. Ich hatte mich auch nicht getäuscht. Nördlich von der kleinen Stadt liegen allerdings einige Gärten, und Bäume stehen darin, aber man hegt nur die Vermuthung, daß sie grünes Laub tragen, so dicht ist dieses von einer nie abge-waschenen Staubschicht überdeckt. Die Häuser stehen dabei eben so tief und trocken in dem heißen Sande und die es umgebende Scenerie — je weniger man darüber sagt, desto besser. 25)3 Arica liegt, wie ein Blick auf die Karte zeigt, etwa auf dem 18. Grad Süder Breite uud gerade im Innern jener Bucht, die sich'nach Bolivia hineinzieht. Für dieses Land wäre es auch der natürlichste und in der That einzig mögliche Hafen, und die patriotische Partei in Bolivia sieht das recht gut ein und will den Platz, mit Güte oder Gewalt, von Peru zurück haben. Peru beruft sich dagegen auf sein altes Recht — ein sehr bequemes Wort — nach dem Bolivar selber die politische Eintheilung oder Vertheilung der beiden Republiken so gestellt hat, wie sie jetzt besteht, und der alte peruanische Präsident Castilla ist viel zu kriegerischer Natur, irgend einen Fuß breit Landes, den er einmal im Besitz hat, wieder herauszugeben. Damals hatte er außerdem den Patriotischen Präsidenten durch seinen Einfluß (versilberter Guano) beseitigt und man erwartete, daß ein, Castilla vollkommen zugethaner Mann bei der nächsten Wahl auf den Präsidentenstuhl gerufen würde. Ob der dann auch ehrlich zu 'hm hält, ist eine andere Frage, denn Treue und Glauben darf man bei keinem südamerikanischen Staatsmanne suchen. Doch das wird die Zeit lehren. In der Bucht von Arica war das Wasser voll- 254 kommen still, und da wir beinahe vier Stunden dort liegen blieben, eine Menge Fracht einzunehmen und zu löschen, so'erholten sich die meisten unserer Kranken vollkommen. Ans allen Cojen kamen, zwar noch etwas blaß und angegriffen, doch freundliche liebe Gesichter Znm Vorschein, und schüchtern wagten sie sich auch heute au die Tafel, die erste ordentliche Mahlzeit an Bord einzunehmen. Besonders haben wir eine prächtige Familie ans Valparaiso an Bord, mit einem gar so reizenden kleinen Kinde, das sich aus der Seekrankheit anch nicht so viel gemacht hat. Kinder werden überhaupt am Wenigsten davon angegriffen. Die arme kleine jnnge Frau, die der französische Capitain an Bord gebracht, zeigte sich auch auf kurze Zeit, aber bei der ersten Beweguug des Fahrzeugs flüchtete sie wieder in ihre Coje zurück, dereu Thür sich seitdem uicht wieder geöffnet hat. Und wie die Passagiere wechselten — man könnte jeden solchen Stationspunkt eigentlich in einem kleineren Maßstabe ein Menschenalter nennen, in dem eine ganze Generation ausstirbt uud durch eine neue ersetzt wird. Nur einige Greise, die den ganzen Weg aushalten, überdauern ganze Geschlechter. Als solche „Stammgäste," die ebenfalls nicht 255 an der Seekrankheit litten, da sie direkt von England herüberkamen, und ihre Schnld schon im Atlantischen Ocean abgetragen hatten, könnte ich eine Anzahl von Geistlichen betrachten, den chilenischen Erzbischof mit einigen höheren Priestern, die nach Chile Zurückkehrten; dann noch außer unseren kranken Damen einige,'schr nette Chilenen und Franzosen, In Arica bekamen wir aber noch einen etwas geheimnisvollen und nichts weniger als angenehmen Zuschnß in einer alten jugendlichen Donna, die in Sammt und Seide von Deck gefegt kam, uud einen Schwärm von räth-selhaften jungen nnd älteren Leuten hinter sich hatte. Einige ihrer Vegleiter mnßten in Zweiter Classe camvircn, die meisten aber quartierten sich M der Cajüte eiu, und die Dame selber that gleich vom ersten Augenblick an, als ob sie das ganze Schiff gekauft hätte, und uns Andere nur eigentlich noch aus einer Art von lächerlicher Gut-wüthigkeit an Bord behielte. Diese „Donna," die sich für eine Altspanierin "usgab, war äußerst elegant und modern angezogen, Kleider machen aber nicht immer Lente, denn sie war noch keine Viertelstunde an Bord, als wir Alle, die wir ein Wenig zusammenhielten, darüber einig schienen, nie auf der Welt ein fre- 256 cheres, unangenehmeres und fataleres Frauenzimmer gesehen zu haben. Sie konnte auch nur mit ihren jungen Begleitern^.verkehren, mit denen sie an Bord gekommen war, und die sie zu Zeiten wie Dienstboten behandelte — Niemand weiter gab sich mit ihr ab. An Vord faßte aber das Gerücht Wurzel, daß die ganze Gesellschaft eine, an der Küste auf und ab ziehende Schau-spielcrgesellschaft fei. Die Frau selber war jedenfalls eine antike französische Grisette, die leider nicht mehr seekrank wurde. Ueber solche Schwachheiten schien sie erhaben. In dieser Nacht passirten wir den berühmten Salpeterhafen Perus, Iquique, von wo aus jährlich für mehrere Millionen Salpeter ausgeführt wird. Die ganze Salpeterausfuhr von Pern betrug im Jahre 1859 drei Millionen 148,398 Dollars. Stilles Wetter und mondhelle Nächte — wie herrlich es sich da auf einem dieser Dampfer an der Küste fährt, während man mit einem Segelschiffe fortwährend gegen den steten Südwind ankreuzen muß. Der Himmel, der bis dahin nur dünne Nebel gezeigt, war jetzt vollkommen heiter, und die südliche Sternen Welt stand in voller Pracht — aber man kann sich auf Nichts mehr verlassen, 257 selbst nicht unter den Sternen, denn Alle Z wechselt; dürfen wir uns da beklagen, wenn es unter den sterblichen Menschen geschieht? — Man sagt, der Mensch bekommt nur einmal das Heimweh, denn wenn er nach längeren Jahren die Hei-Math wieder betritt, die er noch treu im Gedächtniß behalten, wie er sie verließ, so findet er Alles dort so verändert und fremd, daß er sich nicht Mehr in der neueu Umgebung wohl fühlen kann. Sein Auge will da nichts Neues scheu, sein Herz verlangt das Alte, und darin unbefriedigt, wird er das zweite Mal mißtrauisch gegen sich und die ganze Welt. Er fand den Kreis seiner Freunde zerstreut, viele todt, Andere verheirathet oder fortgezogen, und wenn noch dort, mit anderen Interessen und Stimmungen; fand Eisenbahnen, wo er früher seine stillen Landplätze und Gärten wußte, fand rauchende Schornsteine, wo sonst die Sonne durch flüsternde Baumschatten siel — fand Höflichkeit, wo er Herzlichkeit erwarten konnte, und wendet sich traurig von dem Hemden Treiben ab, das ihn auf allen Seiten jetzt umfäugt. Man sollte doch nun glauben, daß das unter den Sternen nicht möglich wäre, und doch ist es mir da gerade eben so gegangen. Mein Lieblings- '5r. Gcrftackrr, Nchtzcbn Monate in Süd Amcvtta, II, 17 258 stern an dem ganzen südlichen Himmel war ein Stern erster Größe, mit wunderbar herrlich rothfunkelndem Licht, die NgA Mciäa, die dicht unter dem südlichen Kreuze stand, und als ich von der letzten Neise zurückkehrte und sie am südlichen Himmel mehr und mehr versant, war es, als ob ich von einem lieben Freunde Abschied nahm, glaubte ich doch damals, daß ich den südlichen Himmel nie wiedersehen würde. — Jetzt nun, auf der ganzen Neise nach Süden, wo ich recht gut wußte, welchen neuen Beschwerden und Entbehrungen ich entgegenging, freute ich mich fast allein auf diesen Stern und auf sein liebes Licht, und jetzt? — er war fort und todt. — An seiner Stelle, die ich mir so genau gemerkt, stand freilich noch ein Diminutivstern*), kaum erkennbar unter den anderen, aber es war meine Naja M-oiila nicht mehr; sie war alt und bleich geworden, und bei der geringsten rauhen Luft, wo sie früher siegreich durch alle Nebel geblitzt, zog sie sich fröstelnd in die blauen Näume des Acthers zurück. — Und doch hatte ich sie noch lieb, nnd *) Die 5l^a plaeiäa ist in der That seit den letzten neun Ichren erst, aus einem Stern erster Größe, zu einem Stern vierter Größe zusammengeschwunden. 259 hätte weinen mögen, daß sie so alt und schwach geworden. Aber das sind tolle Phantasieen an Bord eines Dampfers, wo der Mensch mehr zu thun haben sollte, als sich um todte Sterne zu bekümmern, besonders wenn erimmer von frischen und natürlich augenblicklich seekranken Passagieren umgeben ist. Was für ein elendes Geschöpf so ein Landmensch ist, wenn er hinaus auf die See kommt, und wie erbärmlich und mitleiderregend er überall umherliegt, sich selbst und seiner Umgebung zum Ekel. Wenn ich aber auch sonst vielleicht nicht zu den Hartherzigsten gehöre, mit Seekranken kann ich einmal kein Mitleid habeu, und gehe an ihrem Jammer unberührt — aber nichtsdestoweniger äußerst vorsichtig vorüber, denn man hat da schreckliche Beispiele. Von Iquiqne aus verliehen wir die peruanische Küste, die sich etwas unverschämt hier in einem langen Streifen vor den größten Theil Boliviens legt. Bolivia verlangt auch mit Recht Ariea, den ihm geographisch nothwendig zustehendeu Hafen, für sich^ und wenn ihn Peru noch eine Weile halten kann, wird es ihn zuletzt der Nachbarrepublik überlassen, oder sein ganzes Land ewig auf Kriegsfuß halten müfsen. Das tann 17» 260 aber nur geschehen, so lange der Guano anhält, der mit seinen Millionen jährlichen Ertrags im Stande ist,^so viele Faulenzer zu füttern, die mit Musketen spazieren gehen; giebt der einmal aus, so nimmt die Sache von selber ein rasches Ende. Cobija erreichten wir bei Nacht, im hellen, wundervollen Mondenscheine, und ein Kanonenschuß weckte die schläfrigen Bewohuer der Stadt, daß sie erschreckt in Booten zu uns herausgefahren kamen. — Und was für ein eigenthümlicher Anblick das war, diese mondbeschienene, wunderliche Minenstadt, in einer öden nackten Wildniß von Sand und Stein und geborstenen oder überein-andergeschüttelteu Felsmassen. Rechts, wo ein felsiges, zerrissenes Vorgebirg in die See hinauslief, standen ein paar Schmelzöfen, die mit ihren rothglühenden Augen neugierig nach uns herüberstarrten, und links davon schmiegten sich die niederen grau-hölzernen Häuser wie scheu und ängstlich dicht zusammen und verschwammen im Hintergrund mit den gleichfarbigen Hängen des rauhen, kahlen Bodens, wo die großen einzelnen Felsblöcke yenan solche Schatten warfen, wie sie selber. Eine Anzahl Schiffe lag dabei in der stillen Bucht, Fahrzeuge, die Waaren hierhergebracht hatten, Waaren und Lebensmittel (denn dieser Boden 261 erzeugt Nichts weiter, als starre Metalle) und Kupfererz dafür als Fracht mit fortführten. — Schlafende Kolosse, die mit der Dünung der See wie träumend herüber und hinüber schaukelten, um erst, wenn sie ihren Bauch gefüllt, die Flügel wieder auszubreiten und einer anderen, freuud-licheren Umgebung zuzueilen. Eine trostlosere konnten sie überhaupt auf der ganzen Welt nicht finden. Und wieder donnert ein Kanonenschuß über das Wasser, das Zeichen der Abfahrt; die noch an dem Dampfer hängenden Boote weichen rasch zurück, die Nä'der rauschen, der Bug des großen, anscheinend schwerfälligen Fahrzeugs bewegt sich langsam vom Lande ab, und jetzt gleiteu wir wieder, die Fluth um uns her aufwühlend, an der kahlen Küste hin, dem Süden, dem kalten Süden schäumend zu. Am nächsten Morgen lag die chilenische Küste an unserer Linken, aber eben so rauh und kahl, wie sich Peru und Bolivien gezeigt, ja hier oben liegt sogar ein Landstrich, den die Bewohner dieser Gegend nne Wüste nennen, und man kann sich da etwa denken, wie das Land'aussehen muh. Weite harte Salzflächen deckn auch hier in der That den Boden, das Salz in festen 262 Schollen wie Eis gelagert, und Sand und todtes Gestein, so weit das Auge reicht. Diese Wüste Atacama trennt Bolivien von Chile, und das ist eine Grenze, wegen der die beiden Republiken wohl schwerlich je in Streit gerathen werden. Am ganzen nächsten Tage berührten wir keinen Hafen, und erst in Caldera liefen wir wieder an. — Wie schon vorher erwähnt, hatten wir auch den chilenischen Erzbischof an Bord, der hier von der Geistlichkeit empfangen wurde, und an Land fuhr, um eine große Messe zu halten. Er war in Rom gewesen und kehrte jetzt nach Chile zurück. Ein ganzer Zug von Leuten empfing ihn auch am Ufer und begleitete ihn in die Kirche. Caldera ist ebenfalls ein sehr wichtiger Minenplatz, ja einer der bedeutendsten in Chile, denn von hier aus geht eine Eisenbahn nach den berühmten Minen von Coquimbo, das im Innern liegt, und m der Nachbarschaft nicht allein Silber, sondern auch bedeutende Massen von Kupfer hat. Die Kupferminen haben sich nämlich, mit einigen Ausnahmen natürlich, im Ganzen viel einträglicher gezeigt, als die Silberminen, und scheinen überhaupt weit mehr Sicherheit zu bieten. Bei Coquimbo hat sich das ebenfalls wieder bewiesen, denn der Silberertrag ver- 263 ringerte sich dort in den letzten Jahren anfsallenb, während der des Kupfers in eben dem Mähe stieg und den ganzen Ausfall deckte. Cobija war der letzte Hafen, den wir bis dahin anliefen, und hatten wir bis jetzt, wenigstens seit wir die peruanischen Krieger an Land gesetzt, ein ziemlich gemüthliches Leben an Bord gehabt, so wurden wir nun von einem wahren Schwärme von Passagieren überfluthct. Diese schienen aber wirklich nur an Bord gekommen zu sein, um sich augenblicklich in's Bett zu legen, und in ein Nachtgeschirr hinein zu sehen, denn der Dampfer war kaum wieder in See, als in dem unteren Salon an jeder Seite eine doppelte Neihe solcher Unglücklichen lag, die traurige Gesichter schnitten. Von hier aus dauerte die Neise noch höchstens vier und zwanzig Stunden, und mit der Gewißheit erträgt man nachher schon Manches. Gegen einen scharfen Südwind mußten wir freilich ankämpfen, und die Kranken fanden einige Entschuldigung in der etwas höher gehenden See, welche die frühcreu, bei vollkommen stillem Wetter, nicht gehabt. Cobija wird als der freundlichste Punkt der nördlichen chilenischen Küste betrachtet. Cobija selber liegt allerdings, wie die anderen Städte, 264 auch nur in traurig ödem Gestein, links davon^ am Nfer hinauf, sieht man aber Bäume und angebaute Felder, und Weintrauben, Pfirsichen und Wassermelonen wurden uns wenigstens von hier aus zum Verkauf gebracht. Chile. 1. Valparaiso Valparaiso ist der erste Platz in fremden Ländern, den ich, nach langer Abwesenheit, znm'zwei-ten Male betreten habe. Aber nicht ungern wandte ich die Schritte dorthin zurück, denn die Erinnerung an jene Stadt war mir ja immer eine gar liebe und freundliche gewesen.- Außerdem hatte sich der Ort selber durch zwei furchtbare Feuersbrünste und durch ein rasches Anwachsen der Bevölkerung, wie ich schon vorher geHort, schr zu seinem Vortheile verändert und vergrößert, und es bleibt immer interessant, eine solche Veränderung zu beobachten. Wie es nun dabei mit Kindern geht, die wir fortwährend um uns haben, und deren rasches Emporwachsen wir kaum bemerken, weil eben der 266 Unterschied von einem Tage unmerklich ist, so auch mit einer Stadt, deren allmähliche Ausdehnung dem Inwohner nie so auffällig werden kann, als dem Fremden, der sie wie ich, seit elf Jahren nicht gesehen. Dennoch war ich auf solche Veränderung nicht vorbereitet. Wir hatten, wie vor erwähnt, am I. März die Höhe von Valparaiso erreicht, konnten aber die Küste, deren Brandung mit ihrem Donnern bis zu uns hcrüberdrang, noch nicht sehen, denn ein dichter, zäher Nebel lag todtenstill auf dem Wasser. Endlich, etwa um elf Uhr Morgens, wurde der blaue Himmel über uns sichtbar, bald darauf kam eine leichte Brise, nnd plötzlich riß es vor unseren Augen wie ein Schleier auseinander, und dort glänzte der hohe weiße Leuchtthurm, dort breitete sich, wie ein Amphitheater, Häusermassen über Hüusermassen, die Stadt selber um den weiten blauen Hafen aus. Nasch drehte sich jetzt der Dampfer, der Einfahrt selber entgegenhaltend, deutlicher nnd klarer wurde das freundliche, jetzt von voller Sonne beleuchtete Vild, und wenn ich auch darauf vorbereitet war, eine große Veränderung in der Stadt zu finden, hatte ich sie doch wahrlich nicht so groß enuartet. 267 Das war Valparaiso nicht mehr, eng an den Hafen geschmiegt mit seinen verrufenen Vorstädten voll kleiner, in die Schluchten geklebter Barracken. Ueber der Stadt lag eine andere, größer als die erste; den Platz, sonst ein einsamer Nitt nach dem Leuchtthurme hinaus, füllten Strahenreihen, und lint's über die Almendral hin uud weit in die Hügel hinein breiteten sich die rotheu Dächer und freundlichen weißen Straßenreihen aus. Selbst der Felsen, auf dem der Gottesacker liegt, und um dessen Fuß sich sonst, mitten in der Stadt, nur ein schmaler Pfad schlang, auf dem früher nicht selten die Brauduug hinaufspritzte, war an seinem Fuße verschwunden und von Gebäudeu verdeckt. Hätte ich nicht gewußt, daß die vor mir liegende Stadt Valparaiso sei, ich würde sie nie von selber wiedererkannt haben, wenn auch die Nämlicheu kahleu, jetzt nur mit dürftigem Grün bedeckten Hügel sie einschlössen. — Zn weiteren Betrachtungen blieb mir aber in diesem Augenblicke keine Zeit, denn der Dampfer schoß rasch in die souuige Bay, die Valparaisos Hafen bildet, zwischen alle die dort ankernden Schiffe hinein, und eine wahre Flotte von Booten (fast lauter Wallftschboote) kam zu uns heraus. Diese Boote laufen allerdings jeden dort ein- 268 kommenden Dampfer an, nm Passagiere an Land Zu setzen, und man ist von dem Augenblicke an, wo diese Bootsleute das Deck betreten, seines eigenen Koffers nicht mehr sicher. Heute hatte ihre übergroße Zahl aber noch eine ganz andere, dem Erzbischof geltende Ursache, und wer ihn nicht eben wirtlich empfangen wollte, war wenigstens neugierig, ihn zu sehen und der ersten Begrüßung beizuwohnen. Der Erzbischof galt nämlich, wie ich später erfuhr, auch in politischer Beziehung als eine hervorragende Persönlichkeit, und zwar als eine mehr hitzige als wirksame Opposition gegen die Regierung, die, der Meinung des Clerus nach, eine viel zu freisinnige Richtung zu Gunsten der Fremden und des Protestantismus nahm. Man hatte auch, als eine Art von Demonstration, einen feierlichen Empfang für ihn am Ufer bereiten wollen, der aber von den Behörden unterdrückt oder vielmehr nicht gestattet wurde. Damit mußte sich die Opposition alleidmgs zufrieden geben, aber eine Begrüßung an Bord konnte die Regierung nicht verhindern, und Boote nach Booten schwärmten zu uns heraus, dis sie eine ordentliche Promenade, wohl fünfzig Schritt breit, um den aan- 269 zen Dampfer bildeten. Ich glaube kaum, daß ein einziges am Lande zurückgeblieben war. Die geistliche, mit einem grünen Baldachin etwas phantastisch überspannte Gondel kam ebenfalls heran, in der ein gerade so wie der Erz-bischof, in Lilla-Sammet und eine Spitzen-Mautille gekleideter Priester saß und au Bord dem Erzbischof feierlich um den Hals siel. Die Seeleute lachten, aber was verstehen die von solchen Dingen. Mit meinem eigenen Gepäck beschäftigt, fand 'lch einige Schwierigkeit, aus diesem Gewirr herauszukommen, aber es gelang endlich, und als ich die Landung betrat, kam mir schon mein alter Gastfreund, Herr Fehrmann, entgegen, der mich ^n früheren Jahren so freundlich aufgenommen und mich auch jetzt wieder auf das Herzlichste in sein Haus eiulud. Kaum waren wir dort angelangt, so hörten wir Geschrei auf der Straße, und sahen eben noch, wie die mit vier Pferden bespannte Staatskutsche des Erzbischofs, von einer Schaar zerlumpter Straßenjungen jauchzend umgeben, vorbeirollte. War das die verunglückte Demonstration zu Gunsten des Erzbischofs, so hatte sie ein gar trau-5iges Ende genommen. Die Regierungspartei 270 selber hätte nichts Sinnreicheres ausdcnten können, den ihr widerspenstigen Geistlichen lächerlich zu machen. Ich weiß nicht, ob es den Erzbischof gefreut hat, in einer vierspännigen Staatscarossc, von einigen fünfzig zerlumpten Straßenjungen umtobt, durch die Straßen Valparaisos zu rollen. In Herrn Fehrmann's Hause war ich so herzlich aufgenommen, als ob ich in dem Kreise meiner eigenen Familie gewesen wäre — aber, lieber Gott, wie die Zeit fliegt: sein kleines Töchterchen, das damals sieben Jahre zählte, fand ich als ver-heirathete Frau wieder; der kleinste Bursche, der damals kaum erst laufen konnte, war in Europa in einem Handlungshause —wir werden alt mit der Zeit, und eben die Kinder sind unsere besten Zeitmesser, die uns an die Ewigkeit mahnen. — Aber Segen auf ihre lieben Häupter, denn während sie mit der einen Hand in die Zukunft deuten, trägt ihr Bild auch wieder den Spiegel unserer eigenen Jugend, und wohl dem Menschen, der selber eine Jugend hatte. Nur de.r darf wirklich trauern, dem diese Zeit ewig und unwider-bringlich gestohlen wurde. Von Lima nach Valparaiso — es giebt wohl keine zwei anderen Seestädte in ganz Süd-Amerika, ^71 die so gründlich von einander verschieden sind, Wie diese beiden. Lima trägt noch ganz den alt-spanischen Charakter einer Vinnenstadt, obgleich es jetzt durch die Eisenbahn kaum eine halbe Stunde von der See entfernt liegt, während sich Valparaiso kaum durch mehr als die Ponchos der Peons von irgend einer europäischen Hasenstadt unterscheidet. Englische und deutsche Firmen findet man in dem Geschäftstheile der Stadt fast an jeder Thür, und selbst die Häuser sind weit mehr in europäischem Geschmack nnd fast alle zweistöckig gebaut, als ob die Kordilleren nicht dicht nebenbei ihre unterirdischen Feuerstätte hätten und jeden Augenblick einmal die Stadt eben so wie Mendoza jetzt, über den Haufen schütteln könnten. Aber so ist das geschäftige Men-schnwolk, das, ähnlich den Ameisen, die ihm eben zerstörte Heimajh unverdrossen und mit frischen Kräften ausbaut — nnd selbst auf der Lava seine "eue Heimath gründet, immer nnr der Zukunft hoffend entgegenschauend, und die Vergangenheit eben als Vergangenheit betrachtet. Das ganze Leben hat sich in der Zeit in Valparaiso verändert, und der altspanische Charakter der Stadt, schon damals mehr als irgend wo anders an dieser Küste verwischt, ift so weit in. 272 den Hintergrund gedrängt, daß man ihn kanm noch in einzelnen Zügen erkennen kann. Den Poncho, die Nationaltracht, sieht man nur noch bei den unteren Classen, und wenn man einen eleganten Reiter noch zu Pferd mit einem Poncho sieht, so ist das fast jedesmal ein Fremder. Die Damen kleiden sich ganz nach dem neusten pariser Geschmack, hinter dem sie höchstens sieben bis acht Wochen — die Zeit, die der Dampfer braucht, um zu ihnen zu gelangen", zurück sind, und kein Wäschermädchen würde es wagen, sich auf der Straße ohne ein wahres Ungethüm von einer Crinoline sehen zu lassen. Den Straßen selber hat die Verbesserung am Wohlsten gethan, denn überall findet man jetzt breite schöne Trottoirs, und die Läden sind in europäischem. Geschmack mit großen kostbaren Schei-beG eingerichtet. Auffallend stark ist die Zahl der Deutschen in Valparaiso, und das Wort „Deutsches Bierhaus" findet man in Folge dessen auf einer großen Anzahl von Schilden; Deutsches Vierhaus, in dem aber nicht etwa deutsches, sondern in Valparaiso und Valdivia selber gebrautes Vier, nach südamerikanischen Verhältnissen zu einem billigen Preise ausgeschenkt wird, denn die Flasche kostet 273 nur einen Real. Und nicht allein die Deutschen trinken dort Bier, sondern selbst die Peons haben begonnen, ihrem nichtswürdigen Agua ardiente oder ihrer magenverderbenden Tschitscha in etwas zu entsagen. Besonders bei Volksfesten soll man Scharen von ihnen um gemüthliche Vierflaschen gelagert sehen, nnd das ist jedenfalls ein Fortschritt in ihrer Cultur. Deutsche Schuhmacher, deutsche Schneider, deutsche Tischler, kurz alle Handwerter sind fast von Deutschen vertreten, wenn auch die ächt deutschen Namen manchmal ein wenig komisch auf den Schilden in ihrer spanischen Umhüllung klingen. Hier und da findet man denn auch wohl Einen, der aus den Vereinigten Staaten oder von Califor-uien hierhergezogen ist, und nie versäumt, auch ein paar englische Worte, zur Erklärung seines Verufs, hinzuzufügen. ^Hui »6 compru, 010, oRr auch : Ii6i'6 ik yn^iiick spoken, was ich in früheren Zeiten so oft in den Fenstern bemerkt fand, scheint fast ganz verschwunden. , Alles hat sich civilisirt: die Droschkenkutscher, die früher ihre Pferde in Gauchomanicr an den Gurt spannten, fahren jetzt mit europäischem Geschirr; die Nachtwächter pfeifen den späten Wanderer nicht mehr, wohin er geht, durch oic Stadt, Ar. Gerstäckcr, Ächtzch» Monate in Süd«Amerila. ll, 18 274 und wie es sich in einer südamerikanischen Republik gehört, wird jetzt auch noch, selbst nach dem Tode, der gehörige Unterschied zwischen der Geld-Aristokratie und dem Proletariat gemacht. Verschwunden ist nämlich von drm die Stadt überragenden Gottesacker jene furchtbare Kuhle, die ihr nacktes Entsetzen, dicht neben prachvollen Marmorbüsten, dem blauen Himmel entgegengähnte. Die Municipalität scheint sich derselben geschämt zu haben ! es wurde mit den armen Todten doch ein wenig zu summarisch verfahren — oder diese Nachbarschaft war den reichen Todten auch vielleicht nicht angenehm. So viel ist sicher, die Kuhle ist von dem Kirchhof verschwunden und für sie ganz besonders ein anderer, weiter zurückgelegener Platz ausgesucht. Gottes acker kann man ihn freilich nicht nennen, auch nicht Kirchhof, denn es liegt keine Kirche dabei, und der Acker paßt ebenfalls nicht auf diese Art von Begräbnissen, wo in ein, etwa zwanzig Fuß tiefes Loch Leiche auf Leiche ohne Sarg gehäuft ist, bis die Gesell-schaft den ihr gestatteten Naum ausfüllt und mit einer Erdschicht bedeckt wird. Dadurch gewinnen die chilenischen Republikaner aber deu doppelten Vortheil, daß die bcsseren Classen, wenn sie die Gräber ihrer Lieben besuchen, nicht Nasen und 275 Gesundheit durch eine höchst unangenehme Ausdünstung des Proletariats beleidigt bekommen, und daß ferner die Armen am Tage des letzten Gerichts (eine große Zeitersparniß, wenn man bedenkt, daß es der letzte Tag ist) gleich sauber von ihren Besseren abgeschieden sind. Republiken! Es ist ein eigenes Ding um eine Republik, und so wunderschön der Grundgedanke ist, so ächt menschlich und rechtlich, das Recht jedes Einzelnen eben anzuerkennen und zu würdigen, so wenig ausführbar sind sie stets in nackter Wirklichkeit. So lauge die Menschen nicht auf einer, wenigstens etwas gleichen Stufe von Bildung stehen, wird sich eine wahre Republik, als ^as, was sie sein sollte, nie durchführen lassen. Eine wahre Karrikatur aber auf den Namen sind alle Republiken Süd Amerikas. Um aber wieder auf Valparaiso selber zurückzukommen — brauchen wir nur den steilen Hügel hinunterzusteigen, auf dessen Kuppe der Gottesacker liegt, und die er so vollkommen bis an den schroffen Abhang ausfüllt, daß vor einiger Zeit nnmal, nach anhaltend heftigem Regen, eine Ecke der Mauer mit einem Theil dcr Gräber abstürzte und auf die unten stehenden Häuser niederschmetterte. Es geschah dabei das etwas Ungewöhnliche, 18* 276 daß die Todten sich gewaltsam an den Lebenden vergriffen und drei derselben ohne Weiteres ebenfalls todtschlugen. — Eine entsetzliche und unheimliche Gesellschaft, die Einem solcher Art Nachts in das Haus bricht nnd sich ungebetenes Quartier macht. Früher war, wie gesagt, die See nur durch einen schmalen Fahrweg von diesem Felsen getrennt, jetzt hat sich das Alles aber mächtig verändert, denn eine breite Straße ist hier durch Ausfüllen entstanden, und eine Reihe von trefflichen Gebäuden nach dorthin ausgeführt, wo früher die Fluth schäumte. Gs wäre leichte Arbeit und ein unberechenbarer Vortheil für die Stadt gewesen, den ganzen Hügel in das Meer zu werfen, aber freilich hätte man dann den ganzen Kirchhof mit hineinwerfen müssen, und das ging nicht gut an. Ein mächtiges langes weißes Gebäude, die Douane mit den in Bond liegenden Waaren, liegt jetzt an der westlichen Seite der Stadt, höchst geschmacklos, aber wahrscheinlich sehr praktisch. Die Nomantik eines Ortes geht freilich durch solche Bauten verloren, eine Geschäftsstadt braucht aber auch keine Nomantik, und fchon der Name Valparaiso oder Thal des Paradieses ist, ohne die Uebertreibung, ein einfacher Luxus. 277 Daß ich übrigens in einer reinen Geschäfts-ftadt war, sollte ich schon dcn Tag nach meiner Ankunft erfahren, denn die größte Handelskrisis, die Valparaiso je betroffen, brach in St. Iago, der Hauptstadt des Landes, durch den -Bankerott einer Neihe verwandter Häuser los. Der Bankerott belief sich, nach den ersten Angaben, auf nahe an sechs Millionen, und stieg bis sechs Wochen später zu acht Millionen — eine riesige Summe für einen so kleinen Kreis und ein Beweis wie blühend das Geschäft Chiles ist, daß der Verlust derselben noch so ertragen wcrden tonnte. In dieser Zeit hörte man aber in Valparaiso in der That keine andere Summe nennen, als zwei Millionen, vier Millionen, sechs Millionen 500000 Doll.—600000 :c. Es ging Alles <^n D'o«, und das Gerücht, wie es bei solchen Dingen stets der Fall ist, vergrößerte natürlich noch die Thatsachen und warf dunkle Schatten auf ganz sichere ehrenvolle Namen. Wie es scheint, war der Bankerott aber dadurch zu einer solchen Höhe angewachsen, daß mehrere sehr reiche Familien für einander gut gesagt und sogenannte paaret, mit unterzeichnet hatten. Eine hielt dadurch die andere noch eine Zeitlang über Wasser, bis sich die 278 Sache eben nicht länger halten ließ, und Alles miteinander zusammenbrechen mußte. Interessante Datas ächt chilenischer Buchhaltung kamen dabei zu Tage, nach denen ein, mit einer sehr bedeutenden Summe compromittirtes Haus seine Vilance in vier Jahren nicht gezogen hatte. Andere schienen gar keine, oder sehr unvollkommene Bücher geführt zu haben, und es mußte eine Commission ernannt werden, um nur erst einmal die Bücher zu ordnen und den wahren Stand der active und i)a88iva zu erfahren. Die Bankerotte stiegen, wie gesagt, auf acht Millionen; ehe ich aber noch Valparaiso wieder Verließ, wurde das Resultat der Verathungen bekannt, und es hieß, daß der schwerste Bankerott, wenigstens der mit seinen Ziffern am Meisten in's Gewicht fallende, nur etwa 4s) Procent Verlust geben würde. Die Befürchtung war gewesen, daß sie statt 60 nicht ^5 Procent bezahlen würden. Die Familien, welche der Hauptbankerott einschloß, waren fast lauter reiche Hacicndenbesitzer von St. Iago, die in den vergangenen Jahren durch die Goldentdeckung in Kalifornien und Aus-stralien ihre Besitzungen zu einer nie geahnten Höhe hatten anwachsen sehen. Beide Länder verlangten und brauchten Massen von Producten, 279 denen Chile vor allen Ländern in der Nachbarschaft genügen konnte, und mit dem Verdienst und Gewinn stieg natürlich der Luxus zu rasender Höhe. Wahre Paläste wurden in St. Iago gebaut, drei und vier Equipagen und Massen von Reitpferden gehalten. Europa mußte sie mit seinem Luxus überschwemmen, und die Leute scheinen gehandelt zu haben, wie die Goldgräber in Cali-fornien selber, die bei einer gefundenen reichen Grnbe den Schatz für unerschöpflich hielten. Californien aber gerade, das sie im Anfange gehoben, stürzte sie wieder, denn es zeigte sich bald als ein wunderbar reiches und fruchtbares Land auch für den Ackerbauer, der seine Felder blühen und gedeihen sah. Je mehr Einwanderer dort eintrafen, desto mehr Land wurde in Angriff genommen, so daß das Unerhörte, und nie Geglaubte geschah, daß nämlich Californien Kartoffeln nach Chile ausführte. Wenn auch nicht in dem Maße, wuchs ab^r doch auch in Australien der Ackerbaus und die beiden Märkte verloren, wonach es natürlich, daß das Grundeigenthum wieder auf seinen — vielleicht unter seinen Werth zurücksinken mußte. Der Gewinn davon wurde wieder geringer — aber der übertriebene Luxus hörte deßhalb nicht 280 auf. Die Herren hätten dazu fast unbeschränkten Credit; anstatt jedoch die erheblichen Gelder auf ihre Hacienden zu verwenden, und vielleicht das durch Fleiß wieder gut zu machen, was ihnen äußere Zufälligkeiten nicht mehr zuführen wollten, verschwendeten sie nach wie vor die Summen, bis ihre ganzen Speculationen mit einem Donnerwetter über ihnen zusammenbrachen. Die Hacienden werden jetzt wahrscheinlich gröhtentheils verkauft werden, bei solchen Gelegenheiten aber oft auch um eiuen Spottpreis verschleudert, und es hieß schon in Valparaiso: „wer einen Palast billig kaufen wolle, solle nach St. Iago gehen." Mochte es vielleicht an dieser bewegten Zeit in der Handelswelt liegen, aber für europäische Neuigkeiten schienen sich die Leute außerordentlich wenig zu interessiren — wenn sie nicht eben direkt ihren Verkehr berührten. Daß Gaeta genommen, sei, brachte etwa die nämliche Aufregung hervor, als wenn wir in Deutschland hören, Spanien habe ein neues Ministerium. Man ging darüber . flüchtig hin, und beachtete es nicht weiter. Desto mehr sehnte ich mich selber nach Kunde von Europa, besonders als ich später von Valdivia nach 281 Valparaiso, zurückkehrte, und so lange Nichts von Deutschland gehört hatte. Deutsche Zeitungen fand ich, aber du lieber Gott, ich hätte sie auch eben so gut.entbehren können, denn was stand darin? — Von einem großen Gedanken deutscher Fürsten keine Rede, und nur kleinliche Häkeleien deutscher Miniatur-Ministerien, die eben alle gern regieren wollen, Auslieferung Telekis, Hessen-DarmstadterContra-Natio-nalverein, neue Versprechungen Dänemarks und alte Bärengeduld Preußens, Ordensverleihungen, Fabrikation von Geheimen nnd Commerzicn-rathen 2c. :c. :c. — Wenn die Leute nur wüßten und einschen wollten, wie furchtbar lächerlich derlei Firlefanz dem Ansland erscheint, wie viel Spaß diese Dinge dem Fremden draußen machen Und — wie weh Jedem dabei ums Herz ist, der es wirklich ehrlich mit Deutschland meint, und gern auch einmal in der Fremde Gutes darüber sprechen hörte. Deutsche Zeitungen erinnern mich natürlich an den deutschen Club in Valparaiso, der sich in den elf Jahren bedeutend vergrößert und verbessert hat. Der Club liegt in dem Geschäftstheil der Stadt, und umfaßt ein fehr geräumiges Local "üt Lesezimmern, Bibliothek, zwei Billarden und 282 Restauration. Die deutsche Fahne weht freilich nicht mehr darin, wie früher, aber die Leute hängen deßhalb nicht weniger an Deutschland, wenn sie sein idealistisches Sinnbild auch nicht mehr aufgepflanzt haben. Es ?st eine merkwürdige Thatsache, daß keine Nation in der Welt so sehr an ihrem Vaterlande hängt, wie die deutsche — und daß keine Nation der Welt so wenig Ursache dazu hat. In politischer Hinsicht sind wir aber schon leider gewöhnt, uns gar nicht als Nation zu betrachten, und wie wir daheim „Oesterreich und Deutschland" sagen, so unterscheiden die Fremden sogar Preußen und Deutschland — Etwas, was ihnen der National-verein abgewöhnen wollte, und was Hessen-Darmstadt nicht leiden will. Die Politik also zieht keinen von uns zurück, sondern die Heimath selber, denn die deutsche Politik scheint neither ior U8o nor ornainunt., nur eine Lebensplage, die Manchen abschrecken würde, nach Deutschland zurückzukehren, wenn sein Herz nicht so sehr daran hinge. Sie ist etwa wie der Rauch in einem Zimmer — eigentlich unerträglich, aber man erträgt ihn trotzdem, denn man ist ja doch in seinen eigenen vier Pfählen. Unsere deutsche Gemüthlichkeit hilft uns über Alles das 283 hinweg, und ich bin der festen Meinung, daß, wer einmal einen Christbaum daheim angezündet bekam, die Erinnerung an diese Zeit nie wieder aus seinem Herzen bannen kann. Deßhalb aber sehnen sich auch alle die Deutschen in fernen Welttheilen nach der alten Heimath zurück, und wo sie auch sein mögen, in Nord- oder Süd-Amerika, in Asien oder auf den Inseln, in Allen lebt nur der eine Wunsch, mit dem, was sie sich in der Fremde durch Fleiß und Sparsamkeit verdient, daheim ihre Tage rnhig beschließen zu können. ' In den letzten zehn Jahren ist die Auswanderung nach Chile ziemlich bedeutend gewesen; wenn aber die Einwanderer sämmtlich nach den neu in Chile angelegten Colonieen gelenkt wurden, zog die Hauptstadt, wie das stets der Fall ist, ebenfalls eine Menge an. Handwerker besonders, die daheim gewohnt waren, in großen Städten zu arbeiten, fühlen sich selten in einer neuen Colonie wohl, weil sie das Interesse uicht an dem zu bearbeitenden Boden selber nehmen. Sie säen Nichts aus, machen deßhalb auch keine Ernte, und wnm ihnen nicht gleich von Anfang an eine reiche Kundschaft zuströmt, werden sie mißvergnügt. Die Landsleute, lnit denen sie über See gekommen sind, wollen 284 ihnen ebenfalls nicht jene „amerikanischen" Preise bezahlen, auf die sie gerechnet und gehofft haben, und sie sind dann gewöhnlich die Ersten, die sich von der jungen Colonie abwenden und nicht eher ruhen, als bis sie wieder ihr großgemaltes Schild in irgend einer belebten und gepflasterten Straße aushängen sehen. In Valparaiso geht es aber fast Allen gut, wenigstens Allen, die ich gesprochen habe; überhaupt haben sie in Chile vernünftige Gesetze und volle Sicherheit des Eigenthums — mehr, als manche andere südamerikanische Republik von sich sagen kann, und verdienen sich ein schönes Geld. Der Beweis hierfür ist auch der, daß manche gemeinnützige Anstalten von den Deutschen gegründet werden. So haben sie jetzt eine Spar-cassc für Dienstboten und Handwerker errichtet, die sich eines guten Gedeihens erfreut und solches Vertrauen genießt, daß selbst schon Chilenen ihr erspartes Geld dort niederlegen.- Sie zahlt sechs Prccent Zinsen und legt in der Vank zu acht Procent die Gelder an, ihre Unkosten mit den zwei Procent Nutzen bestreitend. Auch einen Wohlthätigkeitsverein haben sie gestiftet, mit einer Casse von 15,000 Dollars/ die ^285 aber leider, durch Unvorsichtigkeit der Verwaltungsbehörde, mit in den jetzigen Monstrc-Bankerott kamen. Die zugestandenen 60 Procent, bringen allerdings einen großen Theil zurück, der" Verlust ist aber doch immer bedeutend, und wird die Leute künftig vorsichtiger machen. Der deutsche Kaufmaunsstand ist übrigens in Chile außerordentlich geachtet, die Deutschen selber sind, wenn sie die nöthigen Sprachkenntnisse haben, sehr gesucht, und man findet in sehr vielen englischen und chilenischen Handlungshäusern deutsche Buchhalter und besonders deutsche Cassirer. Der Verkehr in Valparaiso ist noch immer ein schr bedeutender, wenn Chile auch die Getreideausfuhr nach Californien und Mm Theil nach Australien verloren hat. Dafür sind seine Colo-uieen um so mehr gewachsen, und deutsche Hände haben schon manche hundert Acker chilenischen Bodens der Cultur gewonnen und werthvoll gewacht, während deutsche Colonisten alle Waaren, die sie brauchen, nothwendigerweise von Valpa-raiso, als dem Mittelpunkt und Stapelpatz des chilenischen Handels, beziehen. Die Kaufleute aller kleineren chilenischen Städte im Süden und Norden Valparaisos kommen deßhalb natürlich hierher, 286 ihre Einkäufe zu machen, wie ebenfalls hier ihre Producte abzusetzen, und ein äußerst lebhafter Verkehr findet besonders zwischen Valdivia und Valparaiso statt. Auch die Verkehrsmittel haben in den letzten zehn Iahreu außerordentliche Fortschritte gemacht. Damals existitten eigentlich noch gar keine, außer mit der Hauptstadt St. Iago, während die Verbindung mit dem fruchtbaren und holzreichen Süden dcH Landes allein auf gelegentlich dorthin abgehende Segelschiffe beschränkt blieb. Jetzt befahren regelmäßig zwei Dampfer die ganze Küste bis Concepciou und einer bis Puerto Montt, Choloe gegenüber; die Eisenbahn nach St. Iago ist begonnen uud wenigstens schon bis Guillota geführt, und nach St. Iago selber gehen täglich bequeme amerikanische Kutscheu, die den ganzen Weg in dex trockenen Jahreszeit in einem Tage oder vielmehr in 14—15 Stunden zurücklegen. Selbst mit Mendoza und Buenos Ayres besteht eine bessere Verbindung als früher, denn die Pässe über die Cordilleren sind erweitert und sicherer gemacht, und vor der Zerstörung Mendo-zas durch das furchtbare Erdbeben des ^0. März lief allmonatlich ein bequemer Omnibus von dieser 287 Stadt bis Nosario am La Plata, von wo man sich zu kurzer Fahrt stromab nach Buenos Ayres einschiffte. Diese Verbindung ist jetzt wahrscheinlich für kurze Zeit unterbrochen, wird aber rasch wiederhergestellt werden. Dies Alles znsammen mußte natürlich Valparaiso rasch heben, und mit den bedeutenden Feuern, welche die Stadt zu zwei verschiedenen Zeiten heimsuchten, stieg sie wie ein Phönix aus der Asche empor. Damit stieg aber auch natürlich der Luxus, und kostbarere Möbeln und Tapeten nut allem Zubehör findet man nicht in europäischen Palästen, wie in den Häusern des Handelsstandes und der höheren Beamten hier. Daß die Damen dem guten Beispiele folgten, versteht sich von selbst — segne ihre lieben Augen, aber sie sind auch hier, wie bei uns daheim, der festen Meinung, daß zu einem einzigen Kleide so viel Sammet und Seide und Spitzen gehören, wie vollkommen ausreichen würden, einen Salon mit Tapeten und Gardinen zu versehen. Mit dem guten europäischen Beispiel vor Augen, kann man es ihnen aber auch gar nicht verdenken. Die Feuer hatten übrlgens auch die Folge, "aß eine Menge von Spritzencompagnien gebildet wurden, die sich, in einer so von verschiedenen 288 Nationalitäten gemischten Stadt, auch in verschiedene Nationalitäten theilte, von denen jede ihre eigene Spritzencomp'agnie bildet. Louis Napoleon hätte das selber nicht besser arrangiren können. So haben die Deutschcu, die Chilenen, die Franzosen, dic Engländer und Altspanier ihre eigmen Spritzen, Compagnieen, Sammelplätze und Uniformen. Nur die Nord-Amerikaner fehlen noch, die nicht zahlreich genug in Valparaiso vertreten scheinen. Da es Ehrensache geworden ist, zu diesen Com-paguieen zu gehören, werden die Spritzen auch trefflich bedient und in Stand gehalten, und es müßte schon ein tüchtiges Feuer sein, das jetzt diesen vereinten Kräften Trotz bieten wollte. Das chilenische Militär ist fast ganz nach französischem Geschmack eingerichtet, in mancher Hinsicht zum großen Vortheil desselben, in anderer aber auch wieder zum Nachtheil, denn Frankreich lieferte bis jetzt für die chilenische Armee eine Masse alter ausrangirter Gewehre und wurde all sein altes werthloses Uniformtuch los. Aber auch darin soll, wie ich gehört habe, eine Aenderung zum Besseren eintreten. Das chilenische Militär hatte übrigens vor kurzer Zeit Gelegenheit, seine Kräfte zu versuchen, 289 oder doch wenigstens in's Feld gegen die wilden Araukaner zu rücken, obgleich das Resultat des jetzt gerade beendigten Feldzuges ein eben nicht besonderes genannt werden kann. Die Indianer nämlich hatten an den Grenzen marodirt und Vieh gestohlen, wie auch, wie behauptet wird, einige Häuser geplündert. Sie waren überhaupt übermüthig geworden, da ihnen die chilenische Regierung, um nur Frieden mit ihnen zu halten, regelmäßig einen jährlichen Tribut zahlte, Chile war den Tribut möglicherweise schon lange überdrüssig geworden, hatte aber auch nicht selber einen Bruch hervorrufen wollen. Die einzelnen Räubereien der Arautaner gaben ihm dagegen eine passende und vielleicht erwünschte Gelegenheit, los und ledig davon zu kommen. Die Häuptlinge wollten keinen verlangten Ersatz leisten, und die chilenische Armee rückte mit Pomp in's Feld. Alle diese wilden Stämme haben jedoch eine, der europäischen vollkommen entgegengesetzte Kriegführung, denn sie lassen sich auf keine entscheidende Feldschlacht ein, so lange wenigstens, als sie eine solche vermeiden können. Auch hier hielten sie den Chilenen nur wenig Stand, lieferten ihnen einige kleine Scharmützel, und zogen sich Fr. Gcrstäaer, Achlzchn Vlonatc in Eiid^Imcriw. II. 19 290 dann mit ihren Familien, und was sie in der Elle sonst mit fortnehmen konnten, in die Cor-dilleren zurück, wohin ihnen die Soldaten natürlich nicht folgen durften. Eine Züchtigung wäre ihnen nun allerdings ganz dienlich gewesen, und war ihnen auch schon dadurch geworden, daß sie vor den regulären Truppen hatten flüchten und ihr Eigenthum im Stiche lassen müssen. Die Arau-kaner nämlich, unähnlich ihren weit wilderen nomadischen Stammgenosscn an dem Osthange der Cordilleren, haben gut cultivirte Farmen und feste Wohnungen. Die chilenische Armee, nachdem sie den Feind zur Flncht gezwungen, handelte aber genau so, wie die Araukaner gehandelt haben würden, wenn sie Sieger geblieben wären. Sie verbrannte die verlassenen Wohnplätze und trieb, ich weiß uicht mehr genau wie viel Tausend Stück Vieh mit sich fort, und in die eigentlichen chilenischen Grenzen zurück. Ob sie daran king (es war wenigstens nicht christlich, wenn überhaupt ein Krieg christlich genannt werden kann) gehandelt haben, weiß ich nicht recht, und der Erfolg wird es lehren. Es bleibt aber immer ein gefährliches Experiment, 291 mit den Indianern in ihrer eigenen Kriegführung zu beginnen, und diese dadurch nnr zn veranlassen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Daß sie die Häuser verbrannt haben, war eben so unklug, denu verleiten sie diese Art Menschen zu ihrem Nomadenleben zurückzukehren, so sind sie fast gezwungen, vom Naube zu leben. Die Verführung dazu wäre jedenfalls zu lockend — und in dem Falle könnte Chile weiter Nichts thuu, als ein stehendes Lager an der Grenze zu halten, um nur wenigstens in seinem eigenen Lande sicher zu sein, und seine eigenen Unterthanen zu beschützen. Die Araukaner sind ein kriegerischer, männlicher Stamm, aber lange nicht mehr das, was sie früher waren, denn die Cultur hat nicht ver-sehlt, ihren tödtlichen und verderbenden Einflnß auch auf sie zu erstrecken. Ein Beweis schon, daß s>e nicht mehr den früheren Einfluß haben, ist der, daß die füdlichen Stämme in diesem Conflict nicht, "en mindesten Antheil nahmen, und während des Kriegs fortwährend in freundlichen Beziehnngen zu den benachbarten Weißen blieben. Die Pen-chuenchen an der anderen Seite der Cordilleren standen ihnen eben so wenig bei, und auf sich selber angewiesen, werden sie sich in der Zeit doch nicht gegen die Chilenen halten können, die das wun- 19* 292 dervolle Araukanien gern schon jetzt in Besitz nähmen. Araukanien ist in der That der fruchtbarste und schönste Landstrich Chiles. Im Osten von den Cordilleren begrenzt, die mehrere gute und bequeme Pässe nach den Pampas hinüber haben, im Westen gegen das Meer durch eine Reihe niederer Küstenberge beschützt, füllen weite fruchtbare Pampas das ganze Innere, und mit dem milden Klima dieser Zone gäbe es kaum ein besseres Land in der Welt für Colonisation. Chile kennt auch glücklicherweise nicht jene ungewissen Zustände der übrigen Republiken, denn die letzte Revolution, meist durch den Clerus hervorgerufen, war au sich unbedeutend und wurde rasch genug unterdrückt. Das einzige Hinderniß, was ihm noch entgegensteht, ist die schwere und kostspielige Verbindung mit Europa, da nur auswandernde Capitalisten die Neise über Panama mit dem Dampfer machen können, während die Fahrt um Cap Horn ebenfalls theuer, theuerer wenigstens als die nach Nord-Amerika, und sehr beschwerlich ist. Nicht umsonst sucht deßhalb die chilenische Regierung einen passenden Landweg über die Cordilleren aufzufinden, der auch schon lange erforscht 293^ und begonnen wäre, wenn sie die Sache nicht immer ungeschickt angefangen hätten. Verschiedene Expeditionen sind schon dahin ausgegangen, aber sie scheiterten alle an der Ungeschicklichkeit der Unternehmer, die der Regierung blos die bewilligten Geldmittel ablockten, und dann die ganze Sache aus einem oder dem anderen Grunde aufgaben. ^ ' Jedermann weiß, daß bequeme Pässe existiren, einer Eisenbahn zwischen Chile und dem atlantischen Meere liegen lange nicht die Hindernisse im Wege, die Amerika mit seinen weitgedehnten Steppen und rauhen Felsgebirgen zu überwinden haben wird, und eiue solche Verbindung müßte ein Segen für beide Länder, für La Plata sowohl als Chile werden, aber trotzdem ist wenig Hoffnung vorhanden, daß diese beiden Regierungen je die Mittel auftreiben werden, eine solche in Angriff zu nehmen, wenn nicht fremde Kräfte die Sache aufgreifen. Alle indianischen Fehden sielen daun von selber weg, alle jene Millionen Acker fruchtbaren Landes, die jetzt fast nnbenutzt liegen, würden der Cultur gewonnen, und die europäifche Auswanderung hätte ein treffliches Ziel auf einem neuen noch jungfräulichen Boden. 294 Das sind Alles freilich noch weite Aussichten, aber die Zeit schreitet vorwärts, und die letzten zwanzig Jahre haben uns in Europa thatsächlich gelehrt, daß Unmöglichkeiten eigentlich gar nicht mehr existiren, die nächsten zwanzig können auch diese, jetzt scheinbare Unmöglichkeit überwunden haben. Für jetzt wenigstens schlägt der deutsche Handel mehr und mehr Wurzel in Chile, und jene kleinherzigen deutschen Negierungen, die der Auswanderung stets mit allen Kräften entgegenarbeiten, weil sie besonders so und so viel taxenzahlende gehorsame Unterthanen dadurch verlieren, würden anders darüber urtheilen, wenn sie sähen, wie gerade durch die deutschen Auswanderer deutsche Producte in fremden Welttheilen eingeführt werden und dort Anerkennung und Verbreitung finden. Alle jene Millionen, die jetzt den Export unserer Fabrikate nach fremden Welttheilen bilden, würden auf winzige Summen beschränkt sein, wenn wir nicht auch deutsche Auswanderer an jenen Orten hätten, wohin wir sie absetzen. In dem eigenen Vortheile Deutschlands läge es deßhalb, die Auswanderung, zu unterstützen, nicht sie zu verhindern oder zu erschweren. Die 295 einzige Unterstützung aber, die ihr bis jetzt von deutschen Regierungen zu Theil wurde, ist die, daß sie lästigen Verbrechern, die sie nicht füttern mochten, oder vor deren Freilassung sie sich fürchteten, einen Paß und Reisegeld nach irgend einem andern Welttheile gaben, durch das Bekanntwerden solcher Thatsachen natürlich den ehrlichen deutschen Namen im Auslande, so viel das möglicherweise in ihren Kräften stand, untergrabend. Daß die ehren werthen Dentschen im Auslande deßhalb nicht sehr vortheilhaft über unsere Regierungen sprechen, kann man ihnen wahrlich nicht verdenken. Doch in Valparaiso litt es mich nicht lange, denn mein Ziel lag weiter. Schon seit Jahren hatte Patagonien selber einen gar eigenthümlichen Reiz anf mich ausgeübt, und die Gefahren, die den Reisenden dort erwarten sollten, tonnten mich eher reizen als abschrecken. Jedenfalls lag schon oarin ein eigener Zanber, jene wilden Indianerhorden einmal in ihrer eigenen Heimath zu besuchen; ich wußte außerdem, wie man mit derlei Burschen umgehen muß, und daß sie selten so schlimm sind, wie sie im Voraus gemacht werden. Jedenfalls war das ein weit lohnenderer Weg, als um Cap Horn, und da ich in Valparaiso sei- 296 ber nicht viel Genaues über jenen Strich erfahren konnte, beschloß ich vor allen Dingen, einmal nach Valdivia zn gehen, um dort genane Erkundigungen einzuziehen, und, wenn irgend möglich, die Tour frisch zu wagen. Außerdem lernte ich ja dabei auch die deutsche Colonie Valdivia kennen, und konnte deßhalb gar keinen Umweg machen. 2. Ion Valparaiso nach Mldivm. Die Fahrt selber bot wenig oder gar nichts Neues: ein Zusammendrängen von Passagieren für die nächste Station von der Hauptstadt des Landes, eine Masse elender seekranker Menschen, Jedem im Wege und sich selber am Meisten, Gepäck und Fracht überall an Deck weggestreut und aufgehäuft, und die gewöhnliche Reihe von Mahlzeiten, die sämmtliche Aufwärter der Cajüte fast ununterbrochen thätig halten, die Tische zu decken, abzuräumen und wieder frisch zu ordnen. Glücklicherweise war der erste Hafen Talcahua-"o (für die drei Leguas entfernte Stadt Concep-"on) nicht so gar weit entfernt, nnd dort wnrden Wn einen großen Theil der Passagiere und Fracht los, versäumten aber freilich dort auch viele Zeit, 298 die ich nicht besser anwenden konnte, als an Land Zu gehen. Zuerst ankerten wir in derselben herrlichen Bay, in der Talcahnano liegt, diesem gegenüber vor einem anderen kleinen Orte Tom<5, und hier schon zeigten sich die ersten Spuren unserer nach Chile ausgewanderten Deutschen, die selbst in der Stadt den größten Theil der Kaufläden inne hatten, und im Lande selber Wein und Getreide bauen. Concepcion mit seiner Umgegend ist überhaupt seines Weinbaues wegen bekannt, und verdiente deßhalb berühmt zu werden, denn es liefert ein ganz ausgezeichnetes Product, das zu kosten ich treffliche Gelegenheit schon in Tom6 fand. Im Anfange schlenderten wir — ich hatte noch ein paar Landsleute an Vord des Steamers getroffen—nur durch die Straßen der regelmäßig ausgelegten Stadt, über die ein kleiner, noch nicht ganz abgetragener und in der Mitte liegender Hügel einen freundlichen Ueberblick gewährte. Eine Eigenthümlichkeit sind hier die mit Ochsen bespannten Karren, welche die Producte des Landes zu Markte bringen, und mich lebhast an Java erinnerten. Wie die Karreu der Eingeborenen dort hatten sie zwei, aus Holz massiv ausgehauene, 299^ aber ziemlich niedere Näder, die durch ein schauerliches Quietschen schon Stunden weit hörbar sind, und die ganze Stadt mit ihrem kreischenden Laute erfüllen. Ich weiß nur nicht, ob die Treiber, die, mit zugespitzten Vambusstecken ihre Ochsen regierend nebenher gehen, eben so entzückt von dieser Musik sind, wie die Karrenführer in Java, die noch kleine Glöckchen an ihren Fuhrwerken zur Begleitung anbringen. Die meisten dieser Karren führten Weizen in die verschiedenen IZoäyFaä oder Waarenlager des Hafens. — Gewisse Kaufleute stellen ihnen dort für die abgelieferte Frncht eine Quittung oder einen Schuldschein aus, der nach der Hand wieber in der Stadt oder selbst in Conception als baar Geld cursirt — weun natürlich der Name des Ausstellers als „gut" bekannt war. Viele Karren brachten aber auch Wein, uud zwar in Gefäße eingefüllt, die für mich so neu als interessant waren. Schon in Mendoza hatte ich wohl, und später auch in Chile, gesehen, daß ber Wein in Ziegeufelle gefüllt und auf Maulthieren verschickt wurde/ Die Quantität des gezogenen Weines scheint aber für so kleine Behälter hier zn groß, uud mau hatte ganze Ochsen->elle genommen, die einen solchen Karren Volltom- 300 men ausfüllten. Kopf und Füße waren von diesen Fellen natürlich abgeschnitten, alle Oeffnun-gen dann fest zugenäht oder verbunden, und die gefüllte, auf dem Rücken liegende Haut schwappte beim Fahren so sonderbar hin und her, und bewegte derart die abgeschnittenen Beinstümpfe, daß es ordentlich aussah, als ob der verstümmelte Körper noch lebe und aufzustehen suche. An der Plaza trafen wir auch einen Wein-Verkäufer. Er hatte ein solches Fell vor sich liegen, das an dem rechten Hinterbein angezapft war. Ein Kuhhorn lag dabei, und ein großes hölzernes Gefäß fchien als Maß für den Engros-Verkauf zu dienen. Da ich den Wein zu kosten Wünschte, trat ich zu dem Fell und bat um „ein Horn voll", das für drei Cent verkauft wurde — es mochte ein reichliches halbes Seidel und vielleicht mehr halten. Der Verkäufer löste auch geschwind den Riemen, der das Hinterbein seines Wein-Ochsen schloß, setzte sich diesem dann ohne Weiteres auf den Bauch und trieb durch sein Gewicht, mit Hülfe der ausströmenden Luft, den Wein durch das Bein in die Höhe und in das Horn. Der Wein war ein leichter, sehr angenehm schmeckender Nothwein, der außerordentliche Aehn- 301 lichkeit mit gutem Bordeaux hatte uud recht gut für dieseu getrunken werden konute. Die Plaza selber — ein nicht großer Platz und von Marktgebäudeu rings umgeben — bot eine reiche Auswahl von Gemüsen: Kartoffeln. Kohl, Oimiot68 (süße Kartoffeln), Zwiebeln, wie von Früchten: Weintrauben. Aepfel, Birnen, Pfirsiche. Besonders die Weintrauben waren vortrefflich und außerordentlich billig. Der Wein selber wird hier nach der Ar ob a verkaust, und die Aroba ist eigentlich ein Gewicht von 25 Pfund, das aber nach dem Maß berechnet wird, wie man ja bei uns auch an einigen Stellen, besonders in Sachsen, den Branntwein Nach Pfunden und halben Pfunden verkauft. Zwei Aroben sind genau 17 Gallonen, die Gallone zu fünf Flaschen gerechnet, und der Wein in der Ochsenhaut sollte 2 Dollar die Aroba kosten. Die Flasche dieses Weines würde sich also, selbst wenn man ihn in größerer Quantität nicht billiger bekäme, auf nicht ganz fünf Cent oder etwa zwei Silbergroschen stellen. In einem der Kaufläden bekam ich aber selbst ben guten Wein zu kosten, eine Malaga-Art, der auch eine außerordentliche Aehnlichkeit mit einer Gattung des süßen Ungar-Ausbruch hat. Ich 302 stelle ihn jenem auch völlig gleich. Dieser war allerdings theurer, aber doch auch wieder billig im Vergleich zu feiner Güte, denn die Aroba von ziemlich 40 Flaschen stellte sich hier auf 8 Dollar, also etwa 8 Silbergroschcn die Flasche, während wir den schlechten Sherry-Wein an Bord mit 10 Neal oder 1 Thaler 20 Silbergroschen bezahlen mnßten. Tom6 gegenüber liegt der Hafen Conceptions, Talcahuano, und dort hinüber hielten wir jetzt, in etwa einer Stunde Zeit eine kleine Flotte von Wallfischfahrern erreichend, die hier vor Anker lagen, und diesen Platz gewöhnlich aufsuchen, um Erfrischungen ein- oder nöthige Reparaturen vorzunehmen. Talcahuano hat aber in dieser Hinsicht keinen besonders gnten Ruf, denn wie behauptet wird, sollen hier viel gefällige Leute wohnen, die gewissenlosen Cavitainen eine kleine Havarie außerordentlich erleichtern und die Sache zur beiderseitigen Zufriedenheit arrangiren. Uebrigens ist Talcahuano, so freundlich es liegt, ein durchaus verdorbenes Nest, das wenigstens zn neun Zehntheilen aus liederlichen Häusern besteht. Die Wallfischfänger bringen hierher allerdings viel Geld, aber wehe dem Ort, wo sich der Abschaum aller Seefahrer, das niedrigste Matro- 303 sengesindel, das sich an Bord solcher Wallftsch-fänger sammelt, eoncentrirt. Von Taleahuauo mußten wir noch einmal nach Tom« hinüber, den Nest der dort bestimmten Fracht zu löschen, und fuhren dann auf Lota, ebenfalls an der chilenischen Küste, zu, an dieser Stelle Kohlen einzunehmen. In Lota sind bedeutende Kohlenminen und, der Billigkeit des Feuerungsmaterials wegen, auch große'Schmelzwerke angelegt, in denen Kupfererze ausgeschmolzen werden. Außerordentlich geschickt eingerichtet ist die Art und Weift, in der Kohlen an Bord der verschiedenen, dort ladenden Schiffe und Fahrzeuge gebracht werden. Ein langer Werft, nahe am Land von Holz und weiter draußen in tieferem Wasser ^on Eisen anfgestcllt, trägt eine Eisenbahn, die blrekt in das nächste, dicht am Ufer liegende Steinkohlenbergwerk hineinführt. Die daranf fahrenden Wagen sind klein, oben weit, nach unten etwas schräg zulaufend und mit einer, den ganzen Boden einnehmenden Klappe verschlossen. Am äußersten Ende der Bahn nun läuft der einzeln vorgeschobene Wagen, bis zu den rund aufgebogenen Schienen hinaus auf eine Art Waage, die, ähnlich wie bei der sogenannten russischen Schau- 304 kel, zwischen zwei großen Hebeln hängt. Das zu ladende Schiff oder Dampfboot liegt jetzt ziemlich dicht an dem Werft an, einer der Wagen wird ausgeschoben und befestigt, die Waage in der er steht, hebt sich los und wird an den beiden Hebeln nach außen und tief gehoben, und ein an der Seite stehender Arbeiter schlägt nun den Niegel los, der den Boden schließt, und schüttet in demselben Moment den ganzen Inhalt auf das Deck des darunterliegenden Fahrzeugs aus. Natürlich geht das Laden dadurch außerordentlich schnell, und die Leute werden wenig oder gor nicht dabei angestrengt. Oben auf der Höhe liegt das Städtchen Lota, meist aus den niederen schwarzen Hütten der Bergleute bestehend, und mit einigem Acker- und Weinbau. Die Gegend um Lota ist aber nicht unfreund-lich, und hier beginnen eigentlich die ersten Zeichen wiederaufkeimender Vegetation, in niederen, lorbeerartigen und immergrünen Bäumen. Von hier aus, und auch theilweise schon von Talca-huano, werden die Küstenberge grün; häusige Regen halten den Boden frisch, und das öde dürre Land, das bis dahin dem Seefahrer trostlos zur Seite lag, hat er endlich dahinten gelassen. In ^ota sielen mir eine Masse von halbver- 305 witterten Muscheln anf, die man dort benutzte, Kalk daraus zu verfertigen. Die Muscheln liegen in ungleichen Schichten etwa zwei dis drei Fuß unter der Oberfläche, und solche 3tr^ia sollen sich sogar auf hohen Gebirgen finden. Ich erinnere mich, in Capitain Fitzray's Buche über diese Insel gelesen zu haben, daß er die Thatsache ebenfalls bemerkt und hinzufetzt: „Ich freute mich um so mehr über diesen Anblick (die Muscheln ziemlich hoch über der Oberfläche der See gefunden zu haben), als ich darin einen sichern Beweis sah, daß die Sündfluth allgemein gewesen." Als ob in der kurzen Zeit, die jene „Sündfluth" dauerte, wenn wir denn den historischen Theil der Bibel Alle auf's Wort glauben müssen, sich solche Schichten von Muscheln augehäuft haben könnten! Diese Muschellagen sind übrigens auherordent-Nch verbreitet, und am Pailon in Ecuador haben Wir, etwa achtzehn Fuß über der See, ähnliche, etwa Fuß dicke Schichten gefunden, die aber ausschließlich aus Austcrschalen bestunden. Von Lota aus fährt der Dampfer in einem Striche nach Valdivia, wir bekamen den Abend über einen tüchtigen Süder gegen uns, der uns Hut-wenig Fortgang machen ließ. Morgens sechs Fr. Gerstäacr, Achtzehn Mo,i; 325 Juli 15"/,,; August!^«; September 11; October 8; November 11)^; December 7^<,. Die Regenmenge des ganzen Jahres überstieg nur in drei Jahren drei Meter, und zwar in den Jahren 1854, 57 und 60. Im Jahre 1857 betrug sie 3,216- Das trockenste Jahr war 1859 mit 2,533- Dabei hat es freilich Monate gegeben, wie z. B. der Juni im Jahre 1856, wo in einem einzigen Monat 834 Millimeter Wasser fielen. Der April nur, in dem ich das Glück hatte, Valdivia zu besuchen, machte natürlich eine Ausnahme von jeder Regel, denn schon bis zum W. war die Mittel-Regenmenge des April überschritten, und bis zum 26. die größte Wasser-Menge, die dieser Monat je auf die Erde nieder-gegossen — und noch immer regnete es weiter. Nichtsdestoweniger scheint das Klima gesund, und es erkranken und sterben im Ganzen nicht "ehr Leute, als in den gesündesten Theilen Deutschlands ebenfalls. Valdivia war, schon ehe die Colonie dorthin verlegt wurde, seiner prachtvollen Waldungen wegen berühmt, aus denen werthvollc Hölzer nicht allein nach Valparaiso, sondern auch nach Callao und den übrigen chilenischen und peruanischen 326 HäflN geführt wurden. Hölzer bilden auch noch bis auf den heutigen Tag eine sehr bedeutende Ausfuhr der Colo nie, besonders die werthvolle Alerce, eine Cedernart, die sich ganz vorzüglich zu Schindeln und Verschalungen eignet, da sie Sonnenhitze nnd Regen vortrefflich aushält und sich leicht und schön bearbeiten läßt. Auch harte Hölzer hat diese Provinz, wie die südlicher gelegenen und Chiloe, im Ueberflusse, und sie bilden einen sehr bedeutenden Handelsartikel. Seit aber die deutsche Colonie dort gegründet wurde, sindMch noch andere Artikel auf den Markt gekommen. Es werden jetzt jährlich ziemlich für 30,000 Dollars Käse ausgeschifft, Weizen und Mehl ebenfalls, gegerbte Häute und ganz vorzüglich ValdiviaMer, das mit Nech.t einen guten Namen in ganz Chile bekommen hat. Agua ardiente wird ebenfalls sehr viel gebrannt und verschifft, und vor den Kriegen mit den Arankanern bestand durch deren Territorium ein lebhafter Handelsverkehr in Rindern und Pferden mit den nördlichen Provinzen, der aber jetzt natürlich unterbrochen wurde. Die Indianer sind freilich durch die chilenischen Truppen in die Cordilleren getrieben, da diese aber das Land 327 nicht behaupten konnten, und sich in ihre Grenzen zurückzogen, dnrfte es natürlich kein Viehhändler mehr wagen, seinem friedlichen Verkehr nachzugehen^ denn die Indianer hätten sich rasch mit dessen Eigenthum für die erlittenen Verluste entschädigt. Es leben auch in der Provinz Valdivia eine Menge Indianer, und zwar Zweigstämme der Araukaner, von denen die Colonisten aber Nichts zu fürchten haben. Im Gegentheil stehen dieselben mit den Indianern auf einem sehr freundschaftlichen Fuße, und diese verkehren sehr gern mit den Deutschen, die sich stets freundlich gegen sie gezeigt haben. Diese Indianer sind auch ein ganz friedliches Volk, das gar keine Waffen führt und in festen Wohnplätzen lebt. Angeblich sind sie zu der christlichen Religion übergetreten, von der sie aber wenig Gebrauch zu machen scheinen. Sie bebauen ihre wenigen Felder, auf dcuen sie Kartoffeln, Mais und Bohnen pflanzen und im Herbste ihre Tschitscha pressen und trinken. Branntwein tauschen sie ebenfalls gegen Pferde oder Kühe ein (ein Faß von 16 Gallonen hat gewöhnlich den Werth eines Pferdes), und weiter kennen sie wenig Bedürfnisse. Es ist ein faules, schmutziges 328 Volk, das alle die edlen Eigenschaften des eigentlichen Indianers verloren nnd dagegen viel von den Lastern der weißen Race eingetauscht hat; aber sie sind auch nicht gefährlich, wenigstens so lange nicht, als man sie in Frieden läßt. Die Chilenen gönnen ihnen deßhalb gern ihre Lebensweise. In der Colonie selber herrschte übrigens, gerade als ich dort war, nicht geringe Aufregung, da sich das Gerücht von aufgefundenen, ziemlich reichen Goldminen zu bestätigen schien, und die gerade eingetretene Regenzeit eine genaue Erforschung der betreffenden Stellen für jetzt unmöglich machte. Gold war dort, denn nicht allein wußte man, daß schon die Spanier in früheren Jahren Gold von Valdivia ausgeführt, sondern die Stellen waren sogar wieder aufgefunden, wo sie gegraben und gewaschen hatten, und ein Deutscher, der lange Zeit in den californischen Minen gearbeitet, brachte schon recht wackere Proben des edlen Metalls zum Vorschein. Das Terrain im Innern gleicht auch wirklich dem californischcn Boden, wo sich eben im Norden reiche Minen gefunden; aber mehr noch als das spricht das ausgewaschene Gold dafür, das ich selber in Valdivia gesehen habe. Es ist grob- 329 körnig mit Stücken von zwei, drei, vier und fünf Dollars werth, meist in Bohnenform, und man kann, ohne sich extravaganten Hoffnungen hinzugeben, recht ant behanpten, daß mehr dort ist, wo das herkam, und daß die Arbeit lohnen wird. Der Deutsche hat sogar ein Stück von ziemlich 50 Dollars Werth gefunden, und dadurch natürlich die Erwartungen der übrigen Goldsucher außerordentlich gesteigert. Er blieb auch in der Arbeit, und bereitete eine größere Strecke seines Terrains vor, um, wenn die Negen nachlassen, die ordentliche Wäscherei gleich in Angriff nehmen zu können. Mr jetzt aber ließ sich, wie gesagt, kein weiteres Ergebniß herausstellen, denn die täglich fast niederströmenden Regengüsse machen nicht allein das Arbeiten sehr schwierig, sondern füllen auch alle Väche und Ströme dermaßen an, daß man die Waschplätze nie genügend frei von Wasser bekommen kann. Ich selber zweifle in der That nicht daran, daß sich die Valdivia-Minen lohnen werden, und em größeres Glück konnte sich die junge Colonie nicht wünschen, da es in diesem Augenblicke nur an Menschen fehlt, etwas Ordentliches Zu leisten. Gold ist dazu ein tüchtiger Magnet, und erweifen sich die neu in Angriff genommenen Minen reich, 330 so kann Valdivia auf eine rasch zuströmende Bevölkerung sicher rechnen. Sie mögen sich aber so reich zeigen wie sie wollen, so bleibe ich immer bci meiner alten Meinung, daß mit Vortheil für sich selber, nur Handarbeiter und Tagelöhner die Minen bearbeiten können. Wer irgend ein anderes vortheil-haftes Geschäft oder Gewerbe hat, wer auf andere Weise sein Brod verdienen kann, soll mn Gotteswillen nicht nach Gold graben. Er wird sonst einen großen Theil seiner Zeit nutzlos vergeuden und endlich doch immer zu seinem alten Gewerbe zurückkehren. Der Ackerbauer, der Handwerker, der Kaufmann findet reiche und lohnende Beschäftigung in der Nähe der Minen; alle Preise steigen, und ein lebhafter Verkehr beschäftigt und lohnt Taufende von Menschen, ohne daß gerade Alle Spitzhacke und Schaufel in die Hand nehmen, um ihren Tagelohn gleich an Ort und Stelle aus der Erde zu graben. Der Tagelöhner und Handarbeiter dagegen kann auf der Welt nichts Besseres thun, als in die Minen zu gehen. Wo irgend Gold ist, findet er immer wenigstens so viel, daß er seine Tagesarbeit bezahlt bekommt, und darauf ist er ja angewiesen; er hat aber auch die Hoffnung, 331 daß er einmal eine reiche Stelle trifft, und Alles, was er dann mehr findet, ist rein gewonnen. Die sogenannte „gebildete" Classe, junge Kaufleute, Advokaten 2c. ?c., die sich gewöhnlich von Goldgenichten blenden lassen, ein wollenes Hemde anziehen nnd mit dem Werkzeuge auf der Schulter anmarschiren, um geschwind reich zu werden, sollen dagegen viel lieber dieser Arbeit fern bleiben, denn sie wevden nie Etwas damit bezwecken. Goldwäschen ist kein Kinderspiel, sondern die härteste Arbeit, die es auf der Welt giebt, und ihre Arme und Hände sind nicht dafür gemacht — ihr guter Wille ist dazu nicht ausreichend. Auch hier in Valdivia kamen zwei junge Kaufleute von Valparaiso an, ihr Glück in den neu entdeckten Minen zu versuchen; sie waren aber vernünftig genug, die Sache schon vor dem Be-Mn wieder aufzugeben. Nur einen Tag wanderten sie hinauf in die Minen, um sich einen Ratz auszusuchen, und sahen dort zu, wie der Deutsche in Wasser und Schlamm grub und arbeitete. Das war ihnen genügend, und sie kehrten völlig befriedigt nach Valdivia zurück. Für jetzt steht einer richtigen Einwanderung von Goldwäschern noch ein altes Mincngesetz im Wege, das die Miner nicht etwa beschränkt, son- 332 dern im Gegentheil die Einzelnen zu sehr begünstigt; ein Gesetz, das eigentlich gar nicht für Goldwäscherei gegeben wurde, sondern sich nur auf solche Erze und Metalle bezog, die mit Schachten und Stollen mühsam herausgegrabeu wurden. Dieses Gesetz sichert Jedem, der eine neue Mine entdeckt, eine gewiße Strecke Land, nach Quadras gemessen, zu, auf dem er seine Arbeiten in Angriff nehmen kann, und wo er von Niemandem weiter belästigt werden darf. Für Silber-, Kupferoder Steinkohleuminen war das auch ein ganz wohlthätiges Gesetz, denn diese bedürfen ein solches Terrain, wenn sie mit irgend einer Aussicht auf Erfolg und Nutzen bearbeitet werden sollen. Gestattet man aber jedem einzelnen Goldwäscher einen solchen Raum an der Oberfläche, so beschränkt man zu Gunsten Einzelner die Arbeiterzähl dermaßen, daß ein bedeutender Goldgewinn für das Land nie zu erwarten steht. Für die Arbeiter selber hat dies Gesetz seine Schattenseiten, da es mit großen Umständen verknüpft ist, einen solchen „claim" oder Arbeitsplatz zu bekommen. Erweist sich der Grund, auf dem sie sind, als reich und arbeitenswerth, dann freilich haben sie eine lange Zeit vor sich, in der sie ungestört und mit Erfolg waschen können; ist aber 333 das Gegentheil der Fall, so finden sie in der, vielleicht durch lauter solche lvcite „claim»," aufgenommenen Nachbarschaft gar keine Stelle, auf . der sie nach reicherem Boden suchen können, und finden sie endlich einen andern Platz, zu dem sie Zntrauen haben, so müsjen sie erst wieder nach der Hauptstadt des Distrikts, um darüber die nöthigen Papiere aufzunehmen. / Das wird sich jedoch jedenfalls mit der Zeit /ändern, und ist gegenwärtig weiter Nichts als ein Mit den Gesetzen getriebener Mißbrauch. Gold scheint übrigens durch das ganze Land zerstreut zu sein, und als ich später in Maule (Constitucion) südlich von Valparaiso war, kamen ebenfalls deutsche Goldgräber von Californien, die dortigen Minen zu untersuchen, und fanden, wie sie sagten, hinreichend Gold, die Arbeit zu Dohnen. Sie wollten gerade zum zweiten Male m die Minen gehen, als ich Maule verließ. Nas Valdivia nun einmal werden wird, wenn reiche Minen in seiner Nachbarschaft liegen, kann Man noch nicht recht sagen; für jetzt ist es aber em kleines freundliches Landstadtchen, still und gemüthlich, mit einer fleißigen Bevölkerung, deren Haupterwerb der Ackerbau ist. Eine Menge tüchtiger deutscher Ackerbauer 334 haben das Land in Angriff genommen, und wenn sich der Boden anch nicht so überreich gezeigt hat, wie manche Gegend der Tropen, so liefert er doch recht gnte Ernten, nnd verlangt nicht so viel, oder wenigstens nicht nuhr Albeit, als in Deutschland auch. Das Land ist dazu billig, Lebensmittel sind es ebenfalls, und wer nur mit einem kleinen Capital herauskommt, und außerdem Fleiß und Sparsamkeit mitbringt, darf sicher darauf rechneu, sein Fortkommen hier zu gründen. Solche, die eine „Stelle" suchen, möchten sich freilich 'hier getäuscht sehen; anch der Arbeitslohn ist nicht hoch, und sogenannte statistische Berichte von anderen Colonieen möchten günstigere Zahlen liefern. Es giebt aber nichts Trügerisches auf der Welt, als eben diese statistischeu Berichte über Arbeitslöhne, und wehe dem, der sich durch sie täuschen läßt. Meiner Meinung nach bleibt es sich vollkommen gleich, ob ein Mann einen Dollar oder einen halben Dollar für seine Arbeit erhält, denn forfcht man der Sache etwas näher nach, so verdient der Eine nicht mehr dabei als der Andere. No der Arbeitslohn hoch ist, sind es anch alle Bedürfnisse des Arbeiters in gleichem Grade, und am Ende der Woche haben Beide gewöhnlich das Nämliche 335 verdient. Außerdem nennen solche Angaben nur den Arbeitslohn der wirklichen Arbeitstage, und man kann aus ihnen nie abnehmen, ob bei solchen Preisen auch immer Arbeit zu haben sei, und wie viele Tage in der Woche die Arbeiter vielleicht feiern müssen. Am Vortheilhaftesten stellen sich jedoch immer Solche in einer neuen Colonie, die gleich, oder wenigstens sobald als möglich, auf eigene Hand ihr kleines Grundstück in Angriff nehmen, Land urbar machen und bebauen, und ihre eigene Hei-Math gründen. Das sind stets die Grundstntzen nner Colonie, und während sie dieselbe heben helfen, ernten sie zugleich jeden Nutzen mit, der ihr zufließt. Das ganze Chile ist aber ein für den Ackerbau und Neinbau geschaffenes Land, das jedenfalls eine bedeutende Zukunft vor sich hat, wenn auch jetzt noch die besten Provinzen in den Händen der Araukaner sind. Je mchr aber die Bevölkerung im Süden wächst, während die Negie-lUllg zugleich neue Colonisten nach Concepcion und dessen Umgegend dirigirt, desto mehr werden die Indianer in sich selbst zusammengedrängt, und die. Zeit ist nicht mehr so fern, wo sie der nach- 336 drückenden Cultur weichen müssen. Ihr Schicksal über den ganzen Erdboden. Was nun die Deutschen in Valdivia selber betrifft, so sind sie ein gar verschiedenes Völkchen von den Deutschen in Nord-Amerika, die, dort angekommen, schon eine Menge „ amerikanisirte Landslente" trafen, und ihre Sitten und Gewohnheiten ebenfalls gegen das eintauschten, was sie dafür fanden — natürlich selten zu ihrem Vortheile. Die Deutschen hier ähneln deßhalb auch so sehr den Deutschen in Süd-Australien, well sie, wie diese, direkt von Deutschland in ihre neue Heimath gebracht wurden und, von lauter Fremden umgeben, ihr eigenes urthümliches Leben treu bewahrten. Sie gründeten sich hier gewissermaßen ein kleines neues Deutschland, dem sich weit eher die Chilenen anpassen, als daß sie von deren Sitten viel angenommen hätten. Nie habe ich hier gefunden, was mich in Amerika so oft empört, daß nämlich zwei Deutsche zusammen auf das Schauerlichste englisch radebrechten, als ob sie sich Beide einander glauben machen wollten, daß sie Amerikaner wären. Das 8i für ja hat sich allerdings auch hier bei ihnen eingebürgert, aber es kommt ihnen eben unbewußt, 33^ Und sie sind deßhalb so gute Deutsche geblieben, wie sie je es waren, während sie nach allen Seiten hin Propaganda für ihre Sprache machen. Die jungen gebildeten Chilenen, besonders die jungen Damen, lernen sehr häufig deutsch, und cine Anzahl junger Indianermädchen, die in den verschiedenen Familien als Dienstboten aufgenommen wurden, überraschen deu Fremden nicht selten durch die Treue, mit der sie sich selber den Dialekt ihrer Lehrerinnen angeeignet haben. Ich erinnere mich auch einmal einen Neger m Nord-Amerika getroffen zu haben, der ganz prächtig schwäbisch sprach. Das ganz besondere Verdienst indeß, was die Deutschen hier so wacker zusammengehalten hat und zusammenholt, liegt — man mag dagegen sagen, was man will — hauptsächlich in dem Mten Viere, das die Familie Anwandtcr auf ^r sogenannten Insel — Valdivia gerade gegenüber — braut. Man findet hier zu einem mäßigen gleise einfaches, Lager- und Bockbier, das letztere wirklich ausgezeichnet, und die Deutschen wissen bas zu würdigen, denn sie verbrauchen ganz anständige Quantitäten. Nebcn ihrem deutschen Verein besteht dann auch noch ein Schützenverein, der eine Anzahl Büchsenschützcn alle Montage in dem Fr. GcrstäÄcr, Achtzchn Monate in Süd-Ameiilll. II. 22 368 sogenannten Schießhause versammelt, und weil sich bei allen diesen Gelegenheiten auch alle Stände mischen, so festigt sich dadurch immer mehr ein freundschaftliches und geselliges Verhältniß unter ihnen. Nur mit Neuigkeiten von Deutschland sind sie etwas spärlich versehen, da, einer höchst ungerechten Einrichtung des chilenischen PostWesens nach, die politischen — also die täglich erscheinenden—Zeitungen, obgleich sie in Packeten mit den Monats- nnd Wochenschriften kommen, ein kaum zu erschwingendes Porto zn zahlen haben. Ein Ueberblick der verschiedenen Zeitungspreise stellt das am Leichtesten heraus: Augsburger Zeitung 65 Dollar, Auswanderer-Zeitung 10 Flieg. Blätter 12 Hamb. Bors. 70 Dorfbarbier 9 Grenzboten 18-5)0 Illustr. Zeitung 20 Kladderadatsch 11 Kölnische Zeitung 65 Morgenblatt 16-50 Museum 20 Natioualzeitung 65 339 Weserzeitung 65 Dollar, Land und Meer 20 „ New-Yorker Staatsztg. 12 „ Es wird nämlich von jeder einzelnen Nummer das Porto gerechnet, und ein Verein, wie der deutsche in Valdivia, der auf nur sehr geringe Beiträge augewiesen ist und sich davon erhalten muß, kann uatürlich keine solchen Capitalien in Zeitungen stecken, wie der deutsche Verein iu Valparaiso, wo jedes Mitglied statt 3 Dollar 30 Dollar zahlt. Indem deutschen Vereine werden deßhalb jetzt uur die New-3)orker Staatszeitnng gehalten, die wöchentlich erscheint und ziemlich gute Artikel über europäische Verhältnisse bringt, danu die Leipziger Illustrirte und die fliegenden Blätter. Außerdem wird noch von einem oder zwei deutschen Kaufleuten die Weserzeitung gehalten. Allerdings findet man in Valdivia Deutsche aus aller Herren Länder, vorzugsweise aber aus Kurhessen, die glücklichsten Auswanderer, weil sie Uie das Heimweh bekommen. Draußen in der Fremde fällt aber der Unterschied, der leider in der eigenen Heimath so entschieden gemacht wird Und die Stämme auseinander hält, vollkommen weg, der nämlich, ob Einer ein Preuße oder ein Bayer, > 22' 340 ein Hesse oder ein Oesterrcicher ist. Sie sind Alle Deutsche, und wenn Jemand den Andern fragt/ aus welcher Gegend er sei, so geschieht das nur deßhalb, nm einen Ort wieder einmal nennen zu hören, der daheim im Vaterlande liegt, und den man vielleicht selber kennt. Früher soll, wie mir gesagt wurde, ein noch weit geselligeres Leben unter den Deutschen geherrscht, und der deutsche Verein sich oft in einen Gallsaal verwandelt haben. Dein hat nun allerdings das große Feuer ein Ende gemacht, wo Viele sehr bedeutende Verluste erlitten, und sich Alle mchr oder weniger einschränken mußten. Ein geselliges Leben herrscht aber trotzdem noch unter ihnen, und während sie am Tage ihrer Arbeit oder ihren verschiedenen Geschäften nachgehen, versammelt sie der Abend entweder beim Bier, oder in kleinen geschiedenen Lese- und Whistkränzchen. Von dem letzteren profttirte ich selber, und die kurze Zcit, die ich in Valdivia verlebte, verflog mir nur viel zu schnell unter den guten Menschen. > Aber auch das Nützliche oder Nöthige ist nicht versäumt worden und, besonders unter der Anregung und Leitung des älteren Herrn Anwand-ter, eine recht wackere Schule in's Leben gerufen, 341 UM die deutsche Jugend nicht verwahrlost aufwachsen zu lassen. Eine Schwierigkeit war dabei zu überwinden, denn die katholische Geistlichkeit sah nicht mit günstigen Augen das in Chile entstehende frische und protestantische Element. Die Dentschen waren aber vernünftig genug, alle Glaubensstreitigt'eiten von vornherein zu vermeiden, um den Katholiken nicht den geringsten Naum zu einer Klage zu geben. Der Religionsuntcricht 'wurde deßhalb einzig und allein auf Moral und biblische Geschichte beschränkt, und dabei allen Eltern freige-stellt, ihre Kinder an demselben Theil nehmen zu lassen oder sie davon zurückzuhalten. Trotzdem lief von fanatischen Geistlichen eine Beschwerde bei den: Erzbischof in St. Iago ein, der diesen „Uebclstand" abgeschasst haben wollte. Es kam darauf eine Anfrage von der Negierung, und die Deutsche?! gaben ihr nicht allein den Wahren Sachverhalt, sondern erboten sich sogar, einem katholischen Geistlichen den Neligwnsnnter-rlcht in ihrer Schule zu gestatten. Es lebte ein Kutscher Mönch in Valdivia, der sich dem hätte unterziehen können. Die chilenische Regierung wuß sich aber dnrch die erhaltene Auskunst vollkommen befriedigt gefühlt haben, denn es blieb 342 beim Altm und die Schule wurde nicht weiter gestört. Ein Uebelstand herrscht freilich in Valdivia, und zwar zu Ungunsten der Protestanten, da sie keine protestantische Kirche haben nnd die chilenischen Gesetze anßerdem keine gemischte Heirathen zwischen Katholiken und Protestanten gestatten. Der protestantische Theil muß deßhalb zur katholischen Kirche übertreten. Allerdings ist hier ein Ausweg geboteu, die Civilehe, die sehr summarisch betrieben wird und wo das junge Ehepaar sich nur bei dem Geistlichen meldet, um als verehlicht in das betreffende Buch eingetragen zu werden. Der Geistliche fragt sie dann, ob sie sich mit einander verheirathen wollen, und antwortet auf ihre Bejahung ein sehr gemüthliches „dnmw" oder uiu^ du0iw, und die Sache ist abgemacht. Vei Erbschaftsangelegenheiten stellen sich aber später, wenn solche vor Gericht kommen sollten, böse Schwierigkeiten in den W?g, da die aus solchen gemischten Ehen entsprossenen Kinder nicht als legitim betrachtet werden. — Und dann auch haben die Frauen eigenthümlicher Weise stets eine gewisse Abneigung gegen eine Civilehe, die ihnen nicht feierlich und umständlich genug ist. Einen anderen Haken hat, in Ermangelung eines protestantischen Geistlichen, die Taufe. Den chilenischen Gesetzen nach genügt es allerdings vollkommen, wenn die Kinder nur bei dem Geistlichen angemeldet und in das Kirchenbuch eingetragen werden. Den Müttern genügt das aber nicht; sie betrachten die Taufe uicht blos als eine kirchliche Form, der die Confirmation erst später die eigentliche Weihe und Bestätigung giebt, sondern als einen Theil unserer Religion selber, und wollen die Kinder unter allen Umständen getauft haben, selbst, wenn es nicht anders geschehen kann, mit katholischen Formen. Ich kenne die häkeligen Kirchengesetze viel zu wenig, um zu wissen, ob die katholische Taufe eines neugeborenen Kindes das Kind auch jedenfalls zum Katholiken macht. So viel aber ist gewiß, daß es die Geistlichkeit in Chile so betrachtet, und mit innerer Freude jährlich so und so viel protestantisch verlorene Seelen in Sicherheit bringt. Ein protestantischer Geistlicher in Valdivia könnte vielen von diesen Uebelständen abhelfen; die Sache scheitert aber theils au dem Geldpunkte, theils daran, daß die Deutschen in Chile, wie sie behaupten, nirgends in Deutschland die Nekannt-sKaft eines protestantischen Geistlichen gemacht 344 hätten, den sie hier heraus haben möchten. Jetzt herrsche zwischen den verschiedenen Neligionspar-teien vollkommener Friede; käme aber ein orthodoxer Geistlicher herans, so wäre Zehn gegen Eins zu wetten, daß sich die beiden Parteien augenblicklich in den Haaren lägen, und einmal begonnen, wäre des Haders dann kein Ende. Alle diese Gründe dagegen fielen schon in den einen zusammen, daß kein Geld da ist, ihn zu bezahlen. Die Einzigen, die wirtlich einen protestantischen Geistlichen in der Colonie wünschen, sind die Frauen, und nur vielleicht ein sehr geringer Theil der männlichen Bevölkerung. Die Anderen aber sagen: wer das Bedürfniß fühlt, einen protestantischen Geistlichen hier zu haben, mag auch dafür bezahlen — wir steuern Nichts bei, und damit ist dem Faß der Boden ausgetreten. Sie wissen dabei recht gut, daß sie von Deutschland aus in dieser Sache Unterstützung bekommen könnten. Das preußische Cousistorinm hat, wenn ich nicht irre, einen Fond zu diesem Zweck, und der Gustav-Adolph'Verein würde ebenfalls beisteuern. An solche Hülfe knüpfen sich aber eine Menge von Bedingungen, die von den deutscheu Colomstcn mit Necht gefürchtet werden. Darin haben sie ganz recht: bekommen sie einen von ^45 den richtigen orthodoxen Geistlichen heraus, so ist der Krieg mit dem Katholicismus augenblicklich erklärt, denn diese Herren halten eine Menge von Dingen leider für ihre Pflicht, über die andere vernünftige Menschen den Kopf schütteln. Außerdem könnten sie einen solchen Geistlichen, wenn er ihnen von drüben gesandt wird und ihnen nicht gefällt, nicht wieder ohne große Schwierigkeiten und Umstände loswerden, und der paar hundert Thaler wegen ist es deßhalb allerdings besser, sich nicht muthwillig in solche Gefahr zn begeben. Der Katholicismus ist indessen, während die Protestanten ziemlich gleichgültig ihre Kinder katholisch taufen lassen, um so thätiger. In der südlicher gelegenen deutschen Colonie Puerto Montt arbeiten die Jesuiten aus Leibeskräften und schicken sogar deutsche Mädchen in das Kloster nach St. Iago, um sie dort zu dem Lehreramt in der Colonie vorbereiten zu lassen. Das hilft ihnen aber Alles Nichts, sobald die Auswanderung nach Süd-Chile einen frischen Aufschwung nimmt, denn mit kräftigen und neuen Elementen von daheim können sie den Iesniten leicht die Stange halten. Freilich verliert das Vaterland aber auch in gleichem Maße wackere Kräfte, denn die Mucker 345 346 und ähnliches Gelichter wandern leider nicht aus. Sie fühlen sich bis jetzt noch zu wohl in unserem lieben Deutschland. Ein komischer Fall kam vor kurzer Zeit vor, wo sich ein Israelit wollte taufen lassen, um ein chilenisches Mädchen heirathen zu können. Der katholische Pfarrer war auch dazu bereit, aber — er hatte seine sehr großen Bedenken, ob er aus dem Israeliten gleich und direkt einen Katholiken machen könne, und ob derselbe nicht erst vorher protestantisch getauft werden müsse. Es gelang erst später, ihn, mit vieler Ueberredung, zu einer solchen „Parforcekur" zu bewegen. Daß den Deutschen in Valdivia aber noch die alte Heimath in den Gliedern steckt, davon sin-den sich eine Menge Beweise, und der deutsche Humor hat manche alte Anklänge von daheim bewahrt. So ist anf einem der dortigen Häuser eine Wetterfahne, mit Schulze und Müller zum Auswchen, in Blech geschnitten, und zwischen Valdivia und dem Hafen lanfen zwei sogenannte Huucti68 (Lichter, oder kleine offene Fahrzeuge), von denen der eine den Namen Ednard, der andere den von Kunignnden führt. Eduard und Ku-nigunde kamen Beide stromab, als ich das letzte Mal in Corral war. 347 Auch der Todtengräber (zugleich der Vrun-nengräber für die Stadt) ist nicht ohne Humor, und es werden eine Menge ziemlich gute Anekdoten von ihm erzählt. So soll er nach jedem Todesfall an des betreffenden Arztes Fenster klopfen und sich „schön bedanken/' und als neulich ein neuer Arzt nach Valdivia kam, verlangte der satirische Bursche Zulage vum Magistrat. Die spanische Sprache ist für den Dentschen, wenn er Vorkenntnisse im Lateinischen oder selbst im Französischeil hat, nicht so schwer zu lernen. Desto schwieriger aber snr alle Solche, die keine derartigen Vorkenntnisse haben. EZ kommt ihnen keine einzige Vokabel aus irgend einer bekannten Sprache dabei zu Hülfe, sie müßten sie denn künstlich herzuleiten snchen, wie jene alte biedere Schwäbin. „Das klingt im Spanischen gerade wie bei uns," sagte sie, als sie erfuhr, daß vanilla eine „junge Kuh" hieß — „bei uns daheim nennen sie's auch a Knhala." Die Stadt selber kann sich eigentlich architektonischer Schönheiten nicht rühmen, man müßte denn die hölzerne Säule ausnehmen, die anf der Plaza steht und wie ein einsam und riesenhaft aufgeschossener Spargel aussieht. Die Gebäude 348 sind alle von Holz, so aufgebaut, wie es Jeder seiner eigenen Bequemlichkeit nach für angemessen fand, nicht zwei einander gleich, weder üvHöhe, noch in Breite. Auch die Kirche ist ein hohes und geräumiges, aber unendlich einfaches Gebäude, eine ganz neue hölzerne Nnine mit verwitterten Vretern und zerbrochenen Fensterscheiben, dem der letzte Sturm auch die letzte Schönheit und Symmetrie genommen hat. Früher zeigte ihre Front nämlich zwci hohe viereckige Thürme, ebenfalls von leichter Schachtelarbeit; der letzte heftige Wind brach aber den einen dicht über der Wurzel ab, und warf den ganzen Thurm, wie er war, auf den Platz himmter — glücklicherweise ohne weiter Etwas, als sich selber, zu beschädigen. Eine Neparatnr ist seitdem nicht daran vorgenommen worden, denn man fürchtet sieh wahrscheinlich mit den alten morschen Bretern anzufangen. Einige Quadras von der Plaza entfernt steht ein altes Kloster, das aber weit eher einer zeitgrauen verwitterten Scheune gleicht. Das eigentliche Prachtgebäude der Stadt ist das neue Hotel Chile, oder Hotel Springmüller, wie es auch genannt wird, mit aufgebautem Stock, breiter Front und rosafarbenem Anstrich, natür- 349 lich Alles von Holz und im Innern mit' dünnen, kaum etwas mehr als imaginären Wänden. Fast alle Häuser in Valdivia, wenigstens alle, in denen Deutsche wohnen, haben übrigens eiserne Oefen, eine sehr wohlthätige Einrichtung, denn wenn cs auch unr selten wirklich kalt wird, ist gerade das naßkalte Wetter des chilenischen Winters für den Körper das empfindlichste, und ein guter Ofen hilft da besser als zehn Kamine. Die Stadt liegt unmittelbar an dem breiten und wirklich schönen Valdivia-Strome, der ihr gerade gegenüber eine breite und länge Insel,bildet. Diese Insel ist durchaus von Deutschen bewohnt, und zwar Zumeist von den ältesten Ansiedlern dieses Distriktes, der Familie An-wandter, Kindermann und Herrn Schilke, welcher Letzterer hier eine großartige und ganz vortreffliche Gerberei eingerichtet hat. Das gegerbte Leder bildet eine nicht unbedeutende Ziffer in dem Exporte Valdivias. Ein sehr freundliches und. großes HauZ mit Valkou hat Herr Karl Anwandter dort drüben gebaut, mit einem sehr hübschen Garten und park-ähnlichcn Anlagen in dem benachbarten und geschonten Holze, und die Felder sind in bestem Stande gehalten, während die dort ebenfalls ge- 350 legene Brauerei ihr treffliches Gebräu über ganz Chile sendet. Die Insel ist jedenfalls der wichtigste Punkt von ganz Valdivia. Valdivia, als die Hauptstadt des Distriktes, ist der Sitz eines Intendanten oder Gouverneurs. Eben so liegt hier Militär, aber man sieht, wie sicher sich die Regierung in ihren Verhältnissen zu den benachbarten Indianern fühlt, denn die wenigen Mann, die hier stationirt sind, könnten keinem Angriffe, selbst des kleinsten Stammes, begegnen. Der Chilene hält aber viel auf Musik, und mit so vielen Deutschen rnnd umher hat sich das chilenische Musikchor auch eine Menge deutsche Melodiken angeeignet, die dann gewöhnlich mit großem Wohlbehagen von der deutschen Bevölkerung aufgenommen werden. Eines aber scheint sie besonders gepackt zu haben, nn-d — ich wollte, ich wäre dabei gewesen, als das chilenische Mnsik-chor eines Abends die Nachbarschaft mit dem Iä-czerchor aus dem Freischütz überraschte. Die Deutschen standen gerade vor ihrem Ver-einslocal, und den alten treuen Klängen konnten sie nicht widerstehen. Im Nu sielen Alle ein, nnd in einem wahren Jubel, der ans allen Häusern 351 neue Mitsänger lockte, zogen sie mit dem Musikchor durch die ganze Stadt. Unsere deutschen Negierungen haben sich von den Auswanderern vollkommen losgesagt. Der preußische Gesandte in Chile hat offen erklärt, daß er mit wirklichen Auswanderern, das heißt mit solchen, die nicht fortwährend ihren Paß in" Deutschland erneuern lassen, gar Nichts zn thnn habe, nnd ihre Nechte nicht vertreten könne (Herr, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun). Die deutschen Answanderer aber haben sich nicht von Deutschland losgesagt. Wenn auch ihre Negierungen den Paß ihrer Freundschaft und Huld nicht erneuern, ihr Herz Mngt doch an der alten Heimath, an den alten Liedern, an den alten Erinnerungen, und ihre einzige Hoffnung uud Sehnsucht ist, wieder einmal, wenn sie sich Etwas gespart, in die alte liebe Heimath zurückkehren zu können. Während ich in Valdivia war, konnte ich auch Zenge einer Mnnicipalitätswahl sein, bei dor sich, zu meiner Freude, die Deutschen lebhaft betheiligten. Sie hatten ihre Versammlungen und standen in ihrer Wahl, mit wenigen Ausnahmen, fest zusammen, so daß sie der Seite, auf die sie sich neigten, den Sieg verschafften. 352 Die Oppositionspartei ließ zwar alle Minen springen, und Peons und Landleute wurden, wie das m den südamerikanischen Republiken Sitte ist, für die Wahl gekauft und in Masse in die Stadt gebracht — aber ohne Erfolg. Ein Deutscher frug einst einen der Leute auf dem Lande — mehr im Scherz, als wirklich die Sache selber glaubend, wie viel er für ftine Stimme bekäme, und der Mann antwortete ganz ruhig: die Zeiten seien jetzt schlecht. Früher hätten sie manchmal bis zu einer halben Unze bekommen, jetzt wären die Preise aber nicht selten bis auf vier Real hinabgedrückt — und das war ein Republikaner. Valdivia ist jetzt nicht mehr, wie früher Colonie, sondern die Negierung begünstigt mehr das weiter südlich und der Insel Chiloe gegenüber gelegene Puerto Montt, wo eine große und blühende Colonie gegründet ist. Leider war ich nicht im Stande, dieselbe zn besuchen, was ich aber darüber hörte, sprach zu ihren Gunsten, wenn auch das Klima etwas kälter und uufreundlicher sein soll wie in Valdivia selber. Der Hauptexport von dort sind Alercehölzer, die in Massen nach Valparaiso und Callao in Peru verschifft werden, doch wird auch viel Ge- 3tz3 treide dort gezogen, und die Deutschen sollen sich wohl befinden. Schon früher hatte eine deutsche Firma von Valparaiso eine Dampfsägemühle in Puerto Montt errichtet — nnd die Regierung bewilligt solchen Dampfsägemühlen besondere Vortheile in ihren Wäldern. I^tzt kürzlich ist noch eine zweite durch einen Amerikaner und Irländer in Angriff genommen, und Alles zeigt, daß sich die Colonie mehr und mehr heben wird. So viel ist sicher, daß Chile ein vortreffliches Land für Ackerbau und Viehzucht ist, und der Wein ebenfalls, der in der Nähe von Concepeion gebaut wird, hält die Probe mit allen anderen südamerikanischen Weinen aus« Ja, der weiße Malaga übertrifft, meinem Geschmack uach, noch den berühmten Eliasweiu von Peru an Feuer und Wohlgeschmack. Die Regierung thut ebenfalls ihr Möglichstes, deutsche Einwanderer zu unterstützen, und macht dabei, sehr vernünftiger Weise, keinen Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten. Die Geistlichkeit arbeitet freilich aus allen Kräften dagegen an, aber ohne Erfolg, und stärken sich erst cinmal die protestantischen Elemente durch größere Einwanderung, so werden auch manche Fr. GelstäÄcr. Achtzehn Monate in Süd-Nmeiita. II. 23 354 Uebelstände von selber schwinden, die jetzt noch eine natürliche Folge der Umstände sind. So viel ist sicher, die Deutschen in Valdivia befinden sich alle wohl -^- wenige natürlich ausgenommen, die eben keinen Trieb znr Arbeit haben, und deren giebt es ja in allen Ländern. Die Handwerker verdienen hübsches Geld, nnd überarbeiten sich dabei doch nicht, oenn ich habe noch keinen Ort in der Welt gefunden, wo der blaue Montag, gewissenhafter gehalten würde. Die Landbauer haben ebenfalls reichlich zu leben und immer noch einen Theil ihrer Ernten zu verkaufen, nnd stellt sich noch außerdem der Goldgewinn der neuerdings in Angriff genommenen Minen günstig, so braucht man gerade kein Prophet zu sein, um der Colonie Valdivia eine recht erfreuliche Zukunft vorherzusagen. 4 chen ^atagonien. I. In die Berge. Während ich mich übrigens in Valdivia umsah, verlor ich mein Ziel, von hier aus Patagonien Zu durchstreifen, nicht einen Moment aus den Augen. Allerdmgs gaben sich auch hier Viele die Mühe, mir die dort drohenden Gefahren recht schwarz zu schildern, Andere aber fprachen viel vernünftiger über die Sache, und ich war fest entschlossen, den Versnch zu wagen, wenn ich nnr eben einen Dolmetscher finden konnte. Das schien aber weit größere Schwierigkeiten zu haben, als ich je erwartete. Es hatte Niemand Lust, den Ritt mit mir zu wagen, und ohne Dolmetscher hätte ich sclber, wenn ich die tolle Fahrt "uch unternehmen wollte, wenig oder gar keinen Nutzen davon gehabt. 23* 356 Ein Chilene lebte allerdings in Valdivia, der früher ein sogenannter Capilano de AmigoZ gewesen und viel mit den Indianern verkehrt hatte, auch deren Sprache vollkommen gut verstand. Dieser erklärte mir aber rund weg: es sei jetzt die Tschitschazeit (oder die Zeit des Apfelweins), und in der möchte er die Indianer nicht um alles Gold der Welt heimsuchen, weil sie dann alle betrunken und wild und übermüthig wären. Nur wenige Tage blieben mir auch in Valdivia, denn fand ich wirklich keinen Führer, so mnßte ich mit dem nämlichen Dampfer zurück, um meinen Weg über Mendoza zu nehmen, da diese Neise einen Monat später, der beginnenden Schneestürme wegen, wenn nicht unmöglich, doch sehr beschwerlich durchzuführen war. Buenos Ayres drängte es mich außerdem so rasch als irgend möglich auf einem oder dem andern Wege zu erreichen, denn alle meine Briefe von daheim lagen seit acht Monaten in jener Stadt. Am 20., Morgens, fuhr ich deßhalb, mit traurigem Herzen meinen Plan aufgebend, von Valdivia ab, um den etwa zwei Stunden Fahrt von dieser Stadt gelegenen Hafen' von Corral zu erreichen und dort wieder an Bord des Dampfers nach Valparaiso zu gehen. Nur wenige Minuten 357 War es auch noch vor Abfahrt des Dampfers, als ein Boot von Valdivia herankam, in dem Professor von Bocck, von dem ich dort oben Abschied genommen, faß und mir znrief, er habe einen Führer für mich gefnnden. Den Burschen, eine Art Halbiudianer, hatte er gleich mitgebracht, viel Zeit blieb auch nicht zum Ueberlegen, uud in kaum zehu Minuten hatte ich mit dem Chilenen contrahirt, mich nach Carmen, an der Mündung des Nio Negro —bis nach Buenos Ayres wollte er unter keiner Bedingung mit — zu begleiteu. Nasch Packte ich jeht noch meinen Koffer aus, das Nothwendigste für den Nitt heraus zn suchen, nahm Büchse nnd Cither mit von Bord und ruderte, währeud der Steamer aus der Bay hinausdampfte, nach Valdivia zurück. Das Gauze war natürlich so rasch gegangen, daß ich gar keine Zeit zum Ueberlegcn behalten hatte, und fast wie, in einem Traume sah ich die wunderschönen Ufer des Valdivia-Stromes an mir vorübergleiten. Vor mir lag auf's Neue das wilde beben der Pampas, vor mir lagen wicder jene wilden Indianerhorden, deren Erscheinen gerade Mein alter Correo in den Pampas damals so sehr gefürchtet und die ich jetzt in ihrer eigenen Hei-wath anffucheu wollte. Und was hatte ich nicht 358 außerdem zu thun und zu besorgen: Pferde zu kaufen und Sattelzeug, Geschenke für die Indianer und Lebensmittel, und was ging mir Alles dabei im Kopfe herum! Mein künftiger Führer beurlaubte sich indessen, sobald wir wieder in Val-divia angekommen waren. Er mußte vor dieser Reise noch einmal nach Hause reiten; am 24. versprach er aber sicher znrück zu sein, wonach wir dann gleich aufbrechen konnten. Zu der Neise hatte ich drei Pferde nöthig: eines für mein nicht eben übermäßig schweres Gepäck, und zwei, um sie abwechselnd zu reiten. Pferde sind auch in Valdivia, besonders mit Anfang Winters, nicht theuer, und ich bekam drei recht gute Pferde für 78 Dollars. Dann ging ich daran, die nöthigen Geschenke einzukaufen, als: Glasperlen, Tücher, Maultrommeln, Spiegel, Indigo, Tabak :c. — lauter Dinge, von denen man schon vorher wußte, daß man mit ihnen „einem längst gefühlten Bedürfnisse der Indianer" begegnete. Die Deutschen in Valdivia unterstützten mich dabei auf das Freundlichste, wie sie denn auch, den regsten Antheil an meiner Neise nahmen. Am 24. kam mein Bursche aber noch nicht. Diese Leute haben keinen Begriff von Zeit und ihrem Werth. Ein Tag ist für sie wie der andere, 359 und der morgende sieht ja genau so aus wie der heutige. Keiner von ihnen weiß sein eigenes Alter, weiß, welches Jähr, Monat, Datum oder Tag wir haben; sie kümmern sich auch nicht darnm, nicht einmal um die Stunde, denn Abends wird es dunkel und morgen früh genau wieder so hell, wie heute. Am 25. traf er endlich ein, und dadurch hatten wir schon einen werthvollcn Tag versäumt, denn der wachsende Mond hatte herrliches Wetter gebracht, und dem schon eingetretenen Winter war, wie mir alle sagten, nicht zu trauen. Am 25. besorgte ich deßhalb noch Alles, was ich zu besorgen hatte, nnd brauchte am 26. bis 2 Uhr Nachmittags, meinen lässigen Führer, der ewigen Abschied von seiner Frau nahm, flott zu bekommen. Von einigen Freunden, dem Professor von Voeck und Herrn Becker begleitet, ritt ich an dem Tage noch sieben Leguas bis Calle-Calle; dort übernachteten wir, und früh am anderen Morgen brach ich allein mit meinem Führer auf, um die noch fernen Berge so bald als möglich zu erreichen. Nnser Weg hatte von Valdivia ab, mit Ausnahme einiger zum Fluß niederlaufenden Hügelketten, durch ziemlich niedriges, von zahlreichen 360 Bächen durchschnittenes Terrain geführt, in dem eine Menge gut bearbeiteter Chagras oder Farmen lagen. Besonders trat hier der Valdivia eigens zugehörende Apfelbaum in den Vordergrund, und Aepfel wuchsen und reiften, wohin auch nur immer das Auge fiel. Nahe an Valdivia wohnten noch viele Deutsche; weiterhin zeigten sich chilenische Hütten; aber man brauchte wahrhaftig nicht zu fragen, welcher Nation die am Wege stehende Wohnung angehöre, denn der erste Blick verrieth das schon deutlich genug. Die Chilenen, welche nicht selten schon ein Vierteljahrhundert diese Plätze inne haben, leben noch immer in elenden, erbärmlichen Nanchos, die Erde ihr Fnßboden, die Wand aus zusammengeschobenen, rohgespaltenen Klötzen hergestellt, das Dach so nothdürftig aufgelegt, daß man im Innern, wenn es einmal tüchtig regnet, immer noch draußen ist. Die Deutschen dagegen, von denen erst Wenige sechs oder acht Jahre im Lande ansässig sind, haben feste, gutgebaute und saubergedeckte Breterhäuser, Glasfenster, gelegte Dielen und gute Umzäunungen. Auch ihre Felder sind m gutem Stande, und daß sie sich dabei wohl befinden, beweisen schon die Vorräthe, die sie von allen Lebensmitteln im Hause haben. 361 Der Chilene hat auch eben so wenig wic der Peruaner oder Eeuadorianer den rechten Sinn für Ordnung, Reinlichkeit oder gemüthliche Häuslichkeit, und der gewöhnliche Chilene unterscheidet sich wirklich nur dadurch von dem Indianer, daß er, wenn irgend möglich, noch schmutziger ist und sich für einen Cavallero hält; sonst ist er ziemlich eben so braun und scheint auch eben so wenig Bedürfnisse zu haben. Am nächsten Tage war der Himmel trübe; die Gegend lag in Nebel gehüllt; ich hatte dazu von meinen letzten Freunden Abschied genommen, hatte wieder einmal ein langes, ödes Stück Erdball vor mir, durch das ich einsam meine Bahn verfolgen wollte — kein Wunder denn, daß mir nicht so recht froh und leicht um's Herz war, und ich unwillkürlich meinen wackeren Rappen schärfer austraben ließ, der Gedanken ledig Zu werden. Ich liebe die Dämmerstunden, aber sie dürfen nicht Tage lang dauern, fönst drücken sie das Herz. Der heutige Tag brachte uns aber auch in ein anderes Terrain, denn wir folgten hier einem ziemlich breiten Fluh aufwärts, den wir fünf- oder sechsmal kreuzen mußten. Unseren unbeschlagenen Pferden wurde es sauer, über die großen, runden Kiesel wegzuschreiten. Die Strömung war außer- 362 dem, obgleich es eine ganze Woche nicht geregnet hatte, bei ziemlich tiefem Wasser sehr stark. Zwischen den Biegungen des Flusses zogen sich Wald-nnd Hügelstreifen hin, wie einzelne, ziemlich öde Pampas, deren dürftiger Weidegrund nicht eben den besten Boden verrieth. An anderen Stellen trafen wir aber anch wieder fruchtbare Ebenen und vereinzelte Farmen, jedes Mal von einem Walde von Apfelbäumen umgeben. Reisenden begegneten wir sehr spärlich, höchstens einmal hier und da einem Guasso, der von seiner Chagra aus in die Stadt ritt, oder einem einzelnen Indianer, der, seine langen, schwarzen Haare weit auswehend, vorübersprengte, um Pferde zu suchen oder Vieh zusammenzutreiben. Auch Wild war nirgends zu sehen, denn es giebt kaum ein Land in der Welt, das so arm an jagdbarem Wild wäre, wie der Süden von Chile — den Norden von Chile vielleicht ausgenommen. Selbst nur wenig Vögel sah ich im Walde, und zum Theil mag das der Herbst entschuldigen, wenn es hier auch keinen eigentlichen Winter mit Schnee und Eis giebt. Nur hier und da siel das Auge auf ein paar staarähnliche Vögel oder auf ein vereinsamtes Exemplar jener Kibitzart, die ich schon in den Pampas von Buenos Apres gefunden und 363^ die mich dort so manchmal durch ihr fatales und zudringliches Geschrei geärgert, wenn ich einen Hirsch oder anderes Wild anpirschen wollte. Sie sind hier auch eben so wenig scheu, als dort, und umkreisen den Reiter oft ganze Strecken weit. Nur einmal sah ich ein paar große, graue Sumpfvögel mit schnepsenartigem, vorn gebogenem Schnabel, die aber ebenfalls ruhig dicht neben den vor-beitrabendcu Pferden sitzen blieben. Es ist für mich etwas Trauriges und Oedes, so ein wildleerer Wald, und ich könnte mich nie wohl nnd glücklich darin, fühlen. Mein Führer ärgerte mich indessen, indem er jeden uns Begegnenden anhielt und lange Besprechungen mit ihm pflegen wollte. Er gab vor, er erkundige sich nur nach dem Stand der Diuge der „oti-li, dauäa," wie Patagonien auf dieser Seite der Cordilleren genannt wird. Ich machte dem aber bald ein Ende, denn wir kamen dabei nicht von der Stelle. Wir erreichten auch in der That nicht das Nachtquartier, das ich mir gesteckt, sondern mnßten bei einem alten, sauertöpfischen Chilenen übernachten, der uns draußen vor dem Hause schlafen ließ und nicht das Geringste zum Imbiß anbot. Zur Ehre der Chilenen muß ich aber hinzufügen, daß solche Ungastlichkeit keines- 364 Wegs in ihrem Charakter liegt und dieser Bursche auch deßhalb in der ganzen Gegend berüchtigt war. Ganz sein Gegensatz war auch ein Lands-mann von ihm, dessen Haus wir am andern Abend erreichten und dem ich einen Brief von seinem Bruder in Valdivia mitbrachte. Wenn ich sein eigener Bruder gewesen wäre, den Don Fernando Acharan in zehn Jahren nicht gesehen, so hätte er mich nicht herzlicher aufnehmen können, nnd ich brachte ihn kaum zum Niedersitzen, so flog er herum und besann sich nur immer noch auf etwas Anderes, was er herbeibringen könne. Er ruhte auch nicht, bis ich ihm versprach, den nächsten Tag, gerade den Charfreitag, bei ihm auszuruhen, was ich endlich, wenn auch nicht gern, zugestand, weil mein Führer ebenfalls sein Gewissen vorschützte, das ihm verbiete, an diesem Tage zu reisen. Dergleichen Burschen denken nur bei passenden Gelegenheiten an ihr Gewissen, denn bei Don Fernando fand er reichlich und gutes Essen und vortreffliche Tschitscha (den also genannten Apfelwein dieser Gegenden). Uebrigens war das Wetter auch noch vortrefflich und der Himmel vollkommen wolkenrein, 365 so daß mit dem Aufenthalte eines Tages Nichts verloren schien. Unfern von Don Fernando's Wohnung, etwa eine Stunde Weges, lag die erste Lagune, Ranco genannt, und wir ritten bei dem wundervollsten Sonnenschein hinüber. Der ganze Weg lag durch dichten Wald mit herrlichem BaumwuchZ, und nnr an einigen Stellen hatten wir die bitterböse Kila zu Passiren, die an manchen Stellen, besonders auf feuchtem Voom, den Wald zu einer fast undurchdringlichen Wildniß zusammenschlingt. Diese Kila ist ein Nohr, dem amerikanischen Cane nicht unähnlich, fast wie eine dünne Bambusart, aber nicht hohl, sondern mit einem festen und harten weißen Mark gefüllt. Ihre Dicke ist verschieden, doch scheinen die Halme nicht stärker als etwa anderthalb Zoll im Durchmesser zu werden, während sich zahllose bindfadenähnliche Pflan-zenscho'hlinge hindurchwindeu und mit ihren fast unzerreißbaren Trieben den Wanderer zur Verzweiflung bringen. Der Weg nach der Lagune war allerdings von diesen Hindernissen befreit, und bald lohnte uns den kurzen Ritt das herrlichste landschaftliche Bild, an dem mein Auge seit langer, langer Zeit gehangen. 366 Vor uns, ein blitzender, blauer weitgedehnter See, lag, im vollen Sonnenlicht, die wundervolle Ranco-Lagune, aus deren zitternder Fluth sich zahlreiche, grün bewaldete Inseln erhoben. Den Hintergrund bildeten dazu die, hier ebenfalls bis in die Gipfel bewaldeten Cordilleren, und voll-blühende Myrthen-Vüsche neigten sich an beiden Seiten von dem Punkte, wo wir hielten, zu dem sandigen, sauber gewaschene:: Strande nieder, an dem herauf gerade ein paar branne Indianer angesprengt kamen. Dort drüben, vom klarsten Sonnenlicht beschienen, lag auch der Pah, den ich überschreiten mußte, und dahinter die weite Pampas mit ihren Rudeln von Guanacos, Hirschm und Straußen und wilden Hordm kriegerischer Indianer, so daß mir das Herz ordentlich sehnsüchtig schlug und ich die Zeit nicht erwarten konnte, in der ich zuerst in das neue tolle Leben eintauchen mochte. Gegen Abend ritten wir erst wieder zurück, und ich behielt noch Zeit genug, Don Fernando's „cda^i'g," ein wenig genauer in Augenschein zu nehmen. — Der Haupt-Ertrag dieser Landwirth-schaften, die hier im Innern liegen, ist Vieh-und Pferdezucht uuo Käse-Fabrikation. Eine bedeutende Quantität von Käsen, die in Form und 367 Geschmack viel Aehnlichkeit mit dem amerikanischen ^68t6i'n r686rv6 c1i«68e haben, wird hier angefertigt und auf Maulthicren nach Valdivia geschafft, um von dort wieder nach dem Norden verschifft zu werden. Der Käse bildet auch in der That einen Haupt-Ausfuhr-Artikel der ganzen Provinz Valdivia. Außerdem wird noch Weizen und Gerste gebaut, und Tschitscha aus den in Unmasse wachsenden Aepfeln gewonnen. Und woher kommen überhaupt diese Aepfel-bäumc, die nicht allem in Chile überall im Walde zerstreut gefunden worden, sondern auch bis weit nach Patagomen hinreichen. Die Ansiedler glauben, daß sie zuerst von den Spaniern herübergebracht wurden, die ja auch manche andere Früchte, wie z. B. Getreide und Wein, nach Peru getrageu haben. Die Verbreitung des Apfelbaums in diesen Landstrichen ist mir aber dafür zu bedeutend, und ich glaube fast, daß der Apfel dem Lande schon eigenthümlich war, als es die Spanier zuerst fanden. Und weßhalb auch nicht? — Chile ist außerdem sehr arm an wilden Früchten, von denen doch jedes Land einige hat, und wie sich die Brombeere fast in allen Ländern der Erde wild findet, konnte hier eben so gnt der Apfel heimisch sein. Es bleibt wenigstens unwahrschein- 368 lich, daß er so häufig in dem wilden Patagonien steht, das von den Spaniern nur sehr selten, und dann immer in bewaffneten Scharen kämpfend durchzogen wurde. Die Aevfclbäume, so manche Frucht ich auch von ihnen gepflüät, haben mich aber, doch auch oft schwer geärgert, denn wo sie am Wege stehen, fassen sie mit ihren hart-tnorrigeu zähen Aesten überall den Reiter, der alle nur erdenklichen Kunststücke nöthig hat, ihrem Griffe auszuweichen und zu entgehen. Viele Deutsche in der Nähe von Valdivia haben ihre Felder ganz nach alter deutscher Sitte urbar gemacht, und mit wahrhaft eisernem Fleiß auch die letzten Baumstümpfe ausgerodet, ehe sie daran dachten, den Pflug einzusetzen. Hier, mehr im Lande drin, macht es sich der Chilene bequemer und behandelt sein frisch urbar gemachtes Land ähnlich wie die Amerikaner, indem er die großen Bäume einriegelt und dadurch tödtet, und es der Zeit überläßt, sie gelegentlich umzuwerfen. Wo die Bäume nicht zu dicht stehen, ist es auch, meiner Meinung nach, das ganz richtige Princip, denn es wird dadurch viel Arbeit gespart, und durch die stürzenden Bäume lange nicht so viel verdorben, als eben der Arbeiterlohn tostet, sie 369 von vorn herein ans dem Wege zu schaffen. Sind sie später abgestorben und dürr, so verbrennen sie so viel rascher, und es kann dann leicht damit aufgeräumt werden. Die Pferdezucht ist hier nicht unbedeutend, und die Thiere finden überall, theils in den natürlichen Pampas, theils in sogenannten Quema-dos, wo der Wald abgebrannt, wurde, vortreffliche Weiden, Zahlreiche Stellen habe ich auch' sowohl in der unmittelbaren Nähe Valdivias, als weiter im Walde drin, gefunden, die in früheren Zeiten jedenfalls einmal urbar gemacht waren, und jetzt nur so viel üppigeren Aufwuchs junger Bäume zeigen. Der gänzliche Mangel alter, verwitterter Stämme verräth diese am Besten, und sie umgeben nicht selten so dicht einen ausgedehnten Weidegrund, daß der hindurchgchauene Pfad nur abgesperrt zu werden branch:, um die Thiere vollkommen und sicher einzuschließen. Durch das Dickicht können sie dort an keiner Stelle brechen. Mein Bursche feierte indessen den Charfreitag, indem er ruhig im Schatten und auf dem Nucken im Freien laa, seinen Gedanken Audienz gab, Meinen Tabak dazn rauchte und Don Fernando's Tfchitscha trank. Fleisch wollte er aber doch nicht essen, das der gastfreie Chilene für mich allem Fr. Gerstäcker, AchtzchnMonate in Süd-Amenta. II, 24 370 hatte bereiten lassen, denn er meinte schmunzelnd, ich sei ja doch nnn einmal kein Christiano, und könnte wenigstens von meinen Sünden einen nützlichen Gebrauch machen nnd mich zu der vor mir liegenden Neise stärken. Am nächsten Morgen hatte er aber mit Tagesanbruch Kaffee bereitet; die Pferde wurden aus dem Portrero heraufgebracht, unser Packthier geladen, und er begleitete uns noch ein weites Stück in den Wald hinein, nns das Geleit zu geben. AIs er, etwa um 12 Uhr, Abschied von uns nahm, vermißte ich mein Teleskop, das ich in seiner Wohnung richtig vergessen hatte. Sen-nor Acharan wußte aber recht gut, wie nothwendig ich das Teleskop in den Pampas brauchen würde, und ohne ein Wort weiter zu sagen, warf er sein Pferd herum, galoppirte den ganzen langen Weg zurück, uud fandte, daheim angekommen, ohne Weiteres dm Mayordomo mit dem Vergessenen hinter uns her. Wir selber hielten keinen Augenblick an, sondern verfolgten unsern Weg um die Ranco-Lagnne, jetzt eine Strecke selbst in der Lagune hin, wo das Wasser, wohl eine halbe Stunde weit, den Pferden bis unter den Bauch ging, jetzt häßliche Hänge, durch Kila, Myrtenbüsche und Fuchsien hinauf- und 371 hinabkletternd, kreuzten den Lif6n, einen tiefen Bergstrom mit reißendem Wasser, erreichten wieder ebenes Land, passirten mehrere Indianer-Hütten, und hielten endlich, etwa 5 Uhr Nachmittags, auf einem vortrefflichen Weideplatze für die Pferde, wo ein Halb-Indiancr seinen kleinen Rancho aufgeschlagen hatte, um sich dicht daneben eine größere und etwas bequemere Hütte zu bauen und das Land urbar zu machen. Noch hatten wir aber den, durch den schlechten Weg warm gewordenen Thieren die Sättel nicht abgenommen, als auf keuchendem Rappen der Mayordomo neben uns hielt und mir das vergessene Teleskop brachte. Der Mann war den Weg, zu dem wir den ganzen Tag gebraucht, in drei und einer halben Stunde herübergcjagt, und sein armes Thier hatte meine Vergeßlichkeit büßen müssen. Er schien übrigens nicht das Geringste darin zu finden, und ritt noch an dem nämlichen Abend zu der nächsten Indianer-Hütte zurück, die am Wege lag, um am nächsten Morgen wieder heimzukehren. Der Abend war wundervoll, aber — der Wind drehte sich nach Norden; mein Führer machte ein sehr bedenkliches Gesicht und sah häufig nach den Wolken hinauf, die sich höher und höher thürm- 24* 372 ten, und ich selber traute dem Wetter ebenfalls nicht. Außerdem war es die erste Nacht, die wir im Freien campiren mußten, denn unter dem kleinen Dache lag der Halb-Inoianer mit seiner Familie und seinen Hunden, und es war kein Naum mehr für uns darunter. Ich stellte also, so weit das anging, ein nothdürftiges Lager für mich her, indem ich meine dickste Satteldecke an den nächsten Büschen befestigte, wickelte mich in meine Ponchos und schlief, mit dem Kopfe auf dem Sattel, wie schon so manche Nacht vorher, ruhig ein. Der Nordwind hatte aber nicht umsonst gedroht. Um neun Uhr etwa fielen die ersten Tropfen, dann setzte es ein Wenig aus, und um zwölf Uhr etwa goß es, was vom Himmel herunterwollte. Hür uns gab es aber freilich keinen andern Nath, als auszuharren und still zu liegen, denn man macht das Uebel fönst nur noch viel ärger. Als sich das Wetter am nächsten Morgen wieder aufklärte, war ich vollkommen zufrieden, rang meine Decke aus, packte mit meinem Führer unser Thier, sattelte auf und ritt eben weiter. Ich war etwas feucht geworden, und das muß man sich im Walde draußen gefallen lassen; wußte ich doch auch nock von Ecuador und Peru her kaum, wie einem recht trockenen Menschen zu Muthe war. 373 Von hier bog unser Weg wieder durch weite prächtige Ebenen, hier und da von kleinen Farmen oder Chagras besiedelt, und wir ließen unsere Thiere deßhalb auch besser austraben. Der Himmel gefiel mir freilich noch immer nicht, denn wenn sich auch der Wind nach Westen gedreht hatte, zogen sich doch lange lichte Wolkenstreifen von Nord nach Süd, und^ich kannte aus Erfahruug, was die bedeuten. Heute sollten wir übrigens einen der »schlimm-sten Ströme unseres Weges kreuzen, den sogenannten Pilian Leufu oder Teufcls-Fluß, der, wie der Hase, unseres alten Magister Martin, „seinen Namen mit Necht führt." Leufu ist der Peuguenchen-Name für Fluß überhaupt, Pilian oder Kilian ist der Teufel oder der schwarze Jäger — jedenfalls eine Verwechselung aus dem Freischütz. Der Pilian spielt bei ihnen überhaupt eine nicht unbedeutende Nolle nnd hat seinen Hauptsitz in dem Krater des Villa-Nica-Vulkans, den auch deßhalb kein Fremder vor der Ernte besteigen darf, weil ,,tk« FentlouMn w black" darüber böse werden könnte. Ist die Ernte aber erst einmal eingebracht, so schadet das weniger. Etwa vier Uhr Nachmittags erreichten wir diesen berüchtigten Strom, der so reißend ist, daß 374 schon selbst mancher Indianer feinen Tod darin gefunden hat, wenn er ihn, angeschwollen, kreuzen wollte, und der Pilian darin ist so leicht beleidigt, daß er bei dem geringsten Regen seine Fluthen donnernd und schäumend zu Thal wirft. Das Gefährliche in diesem Strome sind aber erstlich die großen Steine und Felsblöcke, die ihn füllen, und die er sich felber herabgewälzt hat, und dann sein kalkartiges weißes und undurchsichtiges Wasser, unter dem der Reiter die darunter verborgenen Hindernisse gar nicht fehen tann, sondern sein Thier, auf gut Glück, gerade hindurch lenken muß. Nur die am Schlimmsten kochenden und sprudelnden Stelleu kann er vermeiden. Ist er aber hoch, und verliert das Pferd den Fußhalt, so kann es in dem rauhen Gestein selten wieder Boden finden; es wird eben mit fortgerissen, nnd geht gar nicht etwa so selten mit dem Reiter verloren. Die weihe Farbe des Wassers erklären sich die dortigen Indianer sehr leicht und einfach; sie sagen ganz ruhig: das komme von dem Schnee der Cordilleren her, und mein alter Kazike Kajuante sah mich sehr erstaunt an, als ich ihn frug, weß-halb die anderen Flüsse kein weißes Wasser hätten. Der Pilian Leufu war schon etwas, nach dem 375 letzten Regen angeschwollen, wenigstens im Steigen, aber wir kreuzten ihn noch ziemlich gut, denn die längere Trockenheit vorher hatte ihn ziemlich heruntergebracht. Gleich dahinter mußten wir dann noch durch einen anderen, fast eben so reißenden Strom, den Witchi Leufu, der aber klares Nasser hat, sich gleich darauf mit dem Pilian Leufu vereinigt und mit ihm zusammen in die östlichste Lagune Mai Hue mündet. Nach einem halbstündigen Nitt erreichten wir dann die letzten Hütten Chiles, die Wohnung des Kaziken Kajuante, wo wir zu übernachten beschlossen, um am nächsten Morgen in die Cordillercn selber aufzubrechen. In anderthalb Tagen tonnten wir sie über- _ steigen, dann hatten wir noch, nach einem halbtägigen Nitt, einen anderen bösen Fluß an der östlichen Seite, der bei trockenem Wetter aber ebenfalls keine Schwierigkeiten bot, und jedenfalls konnte ich in zwei bis zwei und einem halben Tage alle in der Regenzeit unpafsirbaren Flüsse hinter mir haben. II. Die Hütte des Kazifen. Die Hütte zeigte eben nicht viel Versprechendes und keineswegs den Luxus an besonderer Bequemlichkeit, den man eigentlich in einer Ka- 376 zikenwohnung hätte vermuthen sollen. Die Wände dieses Palastes bestanden aus roh behauenen und schräg aufgestellten Planken, mit einem Binsendach und weder Thür noch Fenster, denn als Eingang dienten eben ein paar der zurückgeschobenen Planken, die AbendH oder vielmehr Nachts wieder vorgehoben wurden, um den Hunden den allzu freien Eingang zu verwehren oder doch wenigstens zu erschweren — denn hinein kamen sie doch. Der alte Kazike Kajuante war übrigens nicht zu Hause, nur zwei kleine Burschen in braunen Ponchos von vielleicht zwei und drei Jahren (der ältere war der Enkel und der jüngere der Sohn) ritten draußen Steckenpferd und warfen Vindfa-den-Lassos nach den Hühnern und Hunden, welche letztere uns mit einem wahren Heidenlärm empfingen. Wo ist der Kazike? Tomandol lautete die Antwort, die ich aber damals noch nicht verstand, wenn sie mir auch bald nachher klar genug werden sollte. — To-mando ^ im Begriff zu nehmen — aber was? Tschitscha! — Aha, dachte ich, er wird aus-geritten sein, sich ein Faß Apfelwein zu kaufen, um einen Morgentrunk im Hause zu haben. Noch immor aber hielten wir, der indianischen Etiquette 377 gemäß, vor der Hütte auf den Pferden, denn man antichambrirt hier nur im Sattel. Mein Führer schien indessen einem zu uns herausgekommenen jungen Burschen unsere ganze Lebensgeschichte auf das Ausführlichste in der Sprache dieser Nothhäute zu erzählen. Dieser verschwand dann wieder in der Hütte, und wir — blieben sitzen. Der Himmel hatte sich aber, schon ehe wir die Hütte erreichten, wieder ganz umwölkt, mein Com-Paß sagte mir, daß der Wind aufs Neue voll nach Norden herumgegangen sei, und es dauerte nicht lange, so schlugen die großen, schweren Tropfen auf uns nieder — und wir blieben sitzen. Damit war mir aber nicht gedient; ich sprang aus dem Sattel, warf einen meiner Ponchos darüber und führte mein Pferd unter den nächsten, noch dicht belaubten Apfelbaum, hing dann den andern Poncho um und setzte mich auf einen umgestürzten Trog, die Entwickelung dieser etwas lästigen Etiquette abzuwarten. Dicht neben der Wohnung des Kaziken stand noch eine kleine, erbärmliche Hütte, in der zwei chilenische Familien wohnten. Die eine von den Frauen, die trotz der Nähe aller Flüsse und La- Z78 gunen Waschwasser jedenfalls nur dem Namen nach kannte, kam zu uns heraus und brachte mir eine Schüssel Kartoffeln in der Schale, wofür sie sich etwas Achi (rothen spanischen Pfeffer) ausbat und sich zugleich theilnehmend erkundigte, ob ich auch mit Tabak versehen sei. Ich gab ihr Etwas von Bei-dem, denn umsonst darf mail unter diesen Kindern der Natur Nichts erwarten. Während ich aber noch die Kartoffeln im Regen verzehrte, denn ich hatte den ganzen Tag noch keinen Bissen gegessen — kam der Bursche aus dem Hause Zurück, und mein Führer erklärte mir jetzt, daß wir eintreten könnten: die Wohnung stände zu unserer Verfügung. Das war wenigstens Etwas. Wir sattelten rasch ab, daß Ladung und Reitzeug in's Trockene kamen; mein Führer nahm mit Hülfe des Burschen die indessen vollständig abgekühlten Thiere in den nächsten Cerco oder Weideplatz, und ich selber betrat aus dem jetzt nicderfluthendcn Ne-gen heraus das Haus, das ich — wie ich damals freilich glücklicherweise nicht ahnte — Wochen lang bewohnen sollte. Der innere Raum mochte ungefähr zwanzig Fuß Tiefe und fünfundzwanzig Fuß Breite haben. In dee Mitte war ein großes Feuer angeschürt, ^379 das seine Funken zu dem mit schwarz glänzendem Ruß überzogenen Kilaboden hinaufsandte. An der rechten Seite waren einige rohe, mit Fellen gedeckte Bettgestelle aufgeschlagen, links standen ein paar trockene Ochsenfclle mit, wie ich später fand, Weizen gefüllt, und verschiedene kleine Schichten von Schaffellen verriethen die Stätten, wo Abends an der Erde die verschiedenen Betten aufgeschlagen wurden. Im ganzen Hause herum hingen dazu an befestigten und grau geräucherten Stecken Sättel, Zäume, Lassos und Neberhosen von roh gegerbter Haut. Selbst ein Fischnetz war in der einen Ecke untergebracht, und das Ganze glich auf ein Haar einer schmutzigen Rumpelkammer, in der seit Jahren nicht aufgeräumt worden. Die lebenden Bewohner der Hütte, das heißt die sichtbaren, nahmen aber bald meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch, und ich fand, daß die jetzt anwesende kazikliche Familie aus der alten Dame des Hauses bestand — einem so schmutzigen Geschöpf, wie ich es je gesehen —, dann aus zwei ganz kleinen Kindern, die sich in der Asche herumwälzten, zwei größeren Mädchen von vielleicht sieben bis acht Jahren, der Kronprinzeß, die etwa achtzehn zählen mochte und dick und fett 380 war, einer jungen Frau mit zwei anderen Kindern, einem Manne, der in der Ecke auf dem V ette lag und krank schien, drei Chilenen, die an der linken Seite des Feuers saßen, und außerdem aus zehn Hunden, fünf Katzen, drei Enten, einer Truthenne mit sieben Jungen und sieben oder acht Hühnern. Die Katzen lagen in der warmen Asche, die Hunde visitnten theils die Kochtöpfe, theils unser Gepäck, die Hühner waren, nach ihrer Art, überall, und nur die Enten schienen zeitweilig geduldet zu sein; denn wenn einer der Hnnde — was fortwährend vorsiel — Hiebe bekam, gingen sie jedesmal in ordentlicher Neihe schnatternd zur Thür hinaus ^- kamen aber auch ebcu so geschwind wieder herein. An Gesellschaft fehlte es also nicht; die Hütte war aber nach stillschweigender Ucbercinkunft so abgetheilt worden, daß die Familie und überhaupt alle später hinzukommeuden Indianer auf der rechten Seite des Hauses blieben, während die Chilenen, welche sich dort ebenfalls als Gäste befanden, die linke occupirten. Auf dieser hielten wir uns deßhalb ebenfalls, schichteten unser Gepäck, so eng es ging, zusammen, hingen Sättel und Zäume außer dem Bereich 381 der Hunde und Ratten, und kauerten uns dann zum Feuer nieder, wo ein paar junge Mädchen uns schon ein paar Sitze durch niedere, mit Schaffellen belegte Bänke hergerichtet hatten. Draußen peitschte indessen der Negen auf's Dach, es war dazu dunkel geworden und der Platz hier im Innern so ungemüthlich, wie er möglicherweise sein konnte. Aber was half's? Ich war ja auch darauf vorbereitet, ein wildes und rauhes Leben zu führen, und daß es hier beginnen müfse, hatte ich vorher gewußt. Glücklicherweise lag trockenes Holz genug im Hause, mit dem wir nichts weniger als sparsam umgingen. Dann stopfte ich mir meine Pfeife (Cigarren sind zu fein für einen solchen Platz), lehnte mich an einen der Strebebalken und blies den blauen Rauch resignirt in den andern Qualm hinein. Mir gegenüber saßen die weiblichen Bewohner der Hütte, die Frau des Kaziken (denn diese Indianer gehören wenigstens dem Namen nach dem Christenthum an, und sebst die Kaziken haben nur Eine Frau), die älteste Tochter, die Schwägerin derselben und drei junge Dinger, reifende Backfische. Die drei erwachsenen Damen waren dabei vollkommen gleich gekleidet, und besonders 382 siel mir ein Perlenschmuck auf, den sie um die Stirn wie ein Diadem trugen. Es war ein schmales, etwa zwei Zoll breites Band, auswendig mit Perlen in einander liegenden Dreiecken gestickt, von denen immer das mitteiste aus weißen Perlen bestand. Bei der ungewissen Beleuchtung sah es denn anch in dcr That so aus, als ob sie alle schmale Kronen trügen, und ich glaubte damals, daß dies vielleicht eine Auszeichnung der Kaziken-Frauen sei, eine Art von Kopf-Orden, den die Männer verdient oder nicht verdient hätten, und der in einem der europäischen Cultur vorausgeeilten Zustande auch auf das schöne Geschlecht überginge — eine Sache, Zu der wir es iu Deutsch-laud auch noch einmal bringen werden. Später sah ich, daß ich mich darin geirrt, denn jedes alte Weib in der ganzen Nachbarschaft trug den nämlichen oder einen ganz ähnlichen Schmuck, der ihnen übrigens in den schwarzen Haaren gar nicht schlecht stand. Die Kaziken-Tochter war ein recht hübsches Mädchen, vielleicht ein klein Wenig zu fett, aber mit einem runden, gemüthlichen Gesicht, das recht gut einem deutschen derben Bauernmädchen hätte gehören können. Sie trug dazn um den Hals eine wahre Unzahl von Perlschnüren, die wenig- 363 stens vier oder fünf Pfund wiegen mußten; schon ein werthvoller Schmuck, wenn man berechnet, daß das Pfund in Valdivia einen Dollar kostet. Die Tracht der Frauen ist einfach, praktifch, kleidsam und züchtig. Sie tragen eine Art Nock von blauem Tuch, der bis auf die Knöchel hinabgeht und über die rechte Schulter hinüber, aber dicht unter dem linken Arme hindurch geht. Er bedeckt dadurch vollkommen die Brust, läßt aber deu linken Arm frei und nackt, da sie dessen ungehinderte Vewegmig zu ihrer Spindel brauchen. Ueber diesen Nock tragen sie dann noch eine Art Schultertuch, fast wie die Mädchen der Südsee, aber ebenfalls von dem dunkeln, blauwollenen Stoffe, das ihre Arme vollständig bedeckt und sie warm hält. Die Haare hält das Stirnband zusammen, doch stechten sie dieselben auch noch in zwei bis unter die Schulterblätter reichende Zöpfe, die aber unten stets offen sind. Natürlich gehen sie barfuß. Die Männer gehen eben so einfach gekleidet. Sie haben dunkelblaue, eng anliegende Hosen, ein Tuch um die Hüften, wie der Pareu der Südsee oder der Sarong Javas, und den Poncho. Um die langen, schwarzen und straffen Haare binden sie ein dunkles, schmuckloses Band' die Füße sind 384 nackt, und steigen sie zu Pferde, so schnallen sie die Sporen eben an den nackten Fuß. Merkwürdigerweise ist die Hautfarbe aller dieser Indianer, nur mit Ausnahme Einzelner, die aber wahrscheinlich weiter vom Südeu stammen, außerordentlich hell. Sie sind kaum um einen Schatten dunkler, als die Chilenen, und nur die Gefichtsform trägt ganz den Typus des nordame-rikanischen Indianers. Ich habe Indianer hier gesehen, die neben einem richtigen sonnverbrannten deutschen Bauer hätten für weiß gelten können. Heute Abeud blieb mir aber nicht mehr Zeit zu weiteren Betrachtungen, denn ein wilder Schrei, der plötzlich von außen in unsere stille Hütte tönte, störte Alle auf. „Der Kazike!" sagte der eine der Chilenen, und die Frauen schürten das Feuer heller und breiteten ein paar Felle und einen Poncho darüber an der anderen Seite aus. Draußen in der stockfinstern Nacht klapperten die Hufe eines Pferdes, wieder der Schrei, der aus gar keiner menschlichen Kehle Zu kommen schien, dazu das laute Gebell oder vielmehr Geheul der Hunde, und während das einfache Bret umfiel, welches zum Theil die Thür bildete und draußen 385 in den Schlamm patschte, füllte die breite, kräftige Gestalt des alten Kaziten den Eingang. Dort blieb er etwa eine halbe Minute stehen und stierte mit seinen glanzlosen, trunkenen Augen rund um das Fener herum. Uns Fremde schien er aber doch dabei bemerkt zu haben, denn er raffte sich plötzlich zusammen, that ein paar feste Schritte vorwärts, erreichte einen ihm rasch hingeschobenen Sitz und starrte dann wohl eine Vier-telstnnde lang, ohne ein Wort zu sprechen, die beiden Hände auf die nassen Kniee gestützt, finster in die vor ihm aufzüngelnde Flamme. Seine Frau bug sich jetzt zu ihm nieder und meldete ihm wahrscheinlich officiell unsere Anwesenheit, ohne daß er jedoch auch nur durch ein Zeichen verrieth, er höre, was sie ihm sage. Endlich stammelte er einige Worte, und ich wurde bedeutet, daß ich vortreten solle. Der Kazike wolle mich begrüßen. Natürlich folgte ich ohne Weiteres dem Befehle und blieb vor dem alten Indianer stehen, der mich einen Moment von Kopf bis zu Füßen betrachtete. ,A1onMu?" fragte er dann mit etwas schwerer Zunge. — „8i" !-, Menu!" Die Deutschen sind bei den Indianern nicht ungern gesehen, und er reichte mir seine nasse Hand (der Jr. Gc r st ä «er, Achtzchn Monate in Süd-Amcnt'a. li„ N 386 ganze Mann troff noch von dem draußen nieder-fluchenden Negen), die ich ihm derb schüttelte. Augenscheinlich wollte er noch irgend Etwas sagen, aber es mochte wohl nicht recht gehen; er fühlte vielleicht, daß er sich möglicherweise eine Blöße geben könne, und brach die Audienz kurz ab. Er zog seine Hand zurück, winkte mir huldvoll und nicht ohne Würde, daß ich mich entfernen könne, und stierte wieder schweigend vor sich nieder. Das dauerte aber nur ganz kurze Zeit; denn mit unglaublicher Geschwindigkeit hatte die Familie einen Poncho vor das schon hergerichtete Lager gespannt, der ihn, von unserer Seite aus, jedem neugierigen Blicke entzog; der Kazike machte blos eine halbe Wendung rechts und schien dann sanft und selig eingeschlafen, denn er rührte und regte sich nicht weiter. Uns blieb ebenfalls Nichts weiter übrig, als-unser Lager zu suchen; denn das Feuer brannte nieder, durch die überall klaffenden Spalten der Hütte zog der kältende Wind, und nach sechs, sieben Pfeifen schmeckte mir selbst der Tabak nicht mehr. Die Chilenen hatten sich überdies schon ihr „Bett" hergerichtet, und ich that jetzt dasselbe, nahm ein paar Schaffelle des Paäsattels als Pfühl, breitete eme Satteldecke darüber, nahm 387 die andere und meine beiden Ponchos zur Zudecke, schob den Sattel unter den Kopf und hielt, alter Erfahrung gemäß, meinen Ueberzieher bereit, ihn nöthigenfalls über das Gesicht zu decken — und wie hatte ich ihn nöthig! Der Platz war durch die vielen Gäste, In-wohner und Hunde der Hütte sehr beschränkt, und da die Chilenen, eben so wie die Nord-Amerikaner, die liebenswürdige Angewohnheit haben, den Matz, wo sie sitzen, durch Spucken immer in eine ekle Pfütze zu verwandeln, so hatte ich mir die entfernteste Ecke ausgesucht, mein Lager dort aufzuschlagen. Mit den Eigenthümlichkeiten der Hütte aber noch nicht bekannt, war ich unglücklicherweise unter eine innere Dachtraufe gekommen, die ihre schweren Tropfen unerbittlich auf meinen Kopf niedersandte. In der Stockdunkelheit ließ sich indeß das Lager für diese Nacht nicht mehr verändern, ich mußte aushalten, zog mir also meinen Ueberrock über den Kopf, den Regen aufzufangen, schloß die Augen, und wäre augenblicklich, meiner Gewohnheit nach, eingeschlafen, hätte mich nicht noch einer der Chilenen, ein sogenannter Oapiwlw 6« KNNA08, die gewissermaßen als Spione zwischcn den Indianern leben, durch sein Geschwätz wach gehalten. Er erzählte von 25* 388 seinen unzähligen Löwenjagden, sprach unaufhör-lich von seiner Geistesgegenwart nnd Behendigkeit, und redete noch immer allein fort, als die Anderen schon sämmtlich um ihn her schnarchten. Auch ich schlief endlich ein und hörte nur noch in einem Halden Traume, wie er etwa den siebenundzwanzigsten Löwen auf einen Baum jagte und dann, ich weiß nicht mehr, was, that. Und was für ein Negen in diefer Nacht! Ein paar Mal wachte ich auf und hörte den Wind draußen heulen uud toben, hörte die Wasser des nicht einmal nahen Flusses rauschen und fühlte das ganze Elend meiner Lage in dem Privatgusse, den ich auf mein hartes Bett bekam. Hielt der Regen an, grübelte ich weiter, so war es fast unmöglich, daß wir den nächsten Tag reiten konnten; und noch einen ganzen Tag in dieser Hütte verbringen? Ich glaubte wahrhaftig schon, ich müßte verzweifeln — ich wußte damals noch gar nicht, was ein Mensch aushalten kann -— wenn er muß. Am nächsten Morgen war ich mit Tagesanbruch auf, und noch immer goß es; der Wind hatte sich aber mehr nach Westen gedreht, die Wolken fingen an, sich zu theilen, und es sah aus, als ob es sich den Tag über aufklaren könne. 389 Mein Führer nahm die Sache kaltblütiger; er blieb ruhig unter feinen Decken liegen, und als ich ihn endlich wach rüttelte und ihm sagte, daß wir aufbrechen wollten, sobald es mit Negen nachließe, erklärte er mir sehr ruhig und entschieden, daß heute gar kein Gedanke daran sei, indem die Flüsse viel zu sehr angeschwollen wären, und jedenfalls erst wieder ein Wenig ablaufen müßten. Ich glaubte ihm nicht, denn er war ein nichtsnutzig fauler Gesell, dem Nichts erwünschter kam, als ein sogenannter Ruhetag. Die Chilenen aber, die ich darum befragte, und welche die Umgegend genan kannten, bestätigten seine Worte vollkommen. Der Fluß, den ich an dieser Seite der Cordilleren von hier ab sieben Mal aufwärts kreuzen mußte, sei fast so schlimm wie der Piliau Leufn, ein wahrer Teufel, wenn angeschwollen, mit einer reißenden Strömung, und dazu voll mächtiger Felsblöcke, zwischen denen hin an ein Schwimmen gar nicht zu denken sei. Zum Uebcrfluß erzählten sie mir auch noch ein paar Mordgeschichten von verschiedenen Indianern, die den Uebergang hatten erzwingen wollen und dabei verunglückt seien, nnd riethen mir dann, meine Zeit ruhig abzuwarten, denn erzwingen ließe sich einmal die Sache nicht. Ueberdies befände ich 390 mich ja hier noch unter Christiauos und sei gut aufgehoben; was wollte ich also mehr? Sie selber hatten ebenfalls heute, in das flache Land zurück, aufbrechen wollen, und konnten eben so wenig.fort wie ich, denn der Pilian Leufu tobte, daß man es hier im Hause hören konnte. Der ließ weder Pferd noch Menfchen durch, wenn er einmal seine tolle Laune hatte. ^ Schöne Aussichten! ich zündete mir in Verzweiflung wieder meine Pfeife an und setzte mich zum Feuer nieder, an dem mein dickes Indianer-Mädchen emsig beschäftigt war, Kartoffeln zu braten und cinen Topf zum Sieden zu bringen. Mein alter Kazike hatte indessen noch ruhig fortgeschnarcht, um den gestrigen Rausch ganz auszuschlafen; durch unser Sprechen war er aber ebenfalls munter gewordm, richtete sich auf, schüttelte sich die langen schwarzen Haare aus der Stirn, sah einmal nach dem Wetter und ließ sich dann am Feuer nieder, an dem er eine Weile schweigend saß. Endlich redete er meinen Führer in seiner Sprache an, und daß sich die Unterhaltung auf mich bezog, hörte ich aus dem oft vorkommenden Wort ^loman. Alle diese wilden Stämme, sei es in Amerika, Asien, Australien oder Afrika, sind nämlich in sehr erklärlicher Weise genöthigt gewesen, eine Unzahl von Fremdwörtern in ihre Sprachen aufzunehmen, da sie eine Masse Dinge kennen lernten, für die sie selber nicht einmal einen Namen hatten, und deren Benennung sie deßhalb auch beibehielten, wie sie ihnen gebracht wurde. Uns Deutschen ist es mit vielen Sachen nicht besser gegangen, wie z. B. mit den Wörtern Thee, Ananas, Tabak, Orang-Utang!c. ?c. Die Nation, die den Eingeborenen eines fremden Landes zuerst das Neue brachte, überlieferte ihm auch zugleich das Wort dafür, wie wir es am Deutlichsten im ostindischen Archipel sehen, wo die Fremdwörter getheilt portugiesische«, spanischcu, holländischen und selbst englischen Ursprungs sind. Diese Indianer aber, die bis jetzt fast nur mit den Abkömmlingen der spanischen Race in Berührung kamen, haben deßhalb auch nur spanische Fremdwörter aufgenommen, die ihrer eigenen Sprache jetzt vollkommcn einverleibt sind. Mein Führer, der ruhig zuhörte, bis er geendet hatte, wandte sich dann an mich und übersetzte mir, der Kazike sage: das Wetter sei viel zu schlecht, als daß ich jetzt Weiterreisen könne. Ich solle aber nur ruhig bei ihm bleiben, er würde 392 mich gern im Hause behalten, und mir dann, Wanu die Flüsse gefallen wären, auch noch einen Brief an den nächsten Kaziken der Otra-Vanda mitgeben, der mir dort ebenfalls freundliche Aufnahme sichere. Heute aber, da wir nichts Brsseres zu thun hätten, wollten wir einmal hinüber reiten und ein paar gute Freunde von ihm besuchen, die ganz vortrefflichen Tschitscha hätten. Jetzt mußte ich mich auch noch bedanken, daß ich längere Zeit iu einem schauerlichen Loche zubringen durfte, und der Alte mich nicht im Negen hinaus vor die Thür setzte. Er meiute es aber doch gut uud bot mir ja Alles, was er selber hatte, zur Mitnutzuießung an, wußte aber auch sehr wohl dabei, daß das nicht so ganz nmsonft geschehen würde, wenn er auch uicht das Geringste selber dafür forderte. Mein Führer gab mir übrigens einen vollkommen deutlichen Wink, dah jetzt die passende Zeit gekommen sei, ein paar kleine Geschenke anzubringen, und, als ich an meinen Ledersack ging, das Betreffende heraus zu uehmen, setzte sich der Kazika Kajuante iu Positur, um den „Tribut" würdevoll zu empfangen. Uebrigens schienen seine Ansprüche nicht hoch gespannt. Ich gab ihm etwas Indigo, den ich schon vorher in kleine, etwa Zwei Loth haltende 393 Tuten gebracht hatte, ferner etwas Tabak, den er mit besonderem Vergnügen betrachtete, dann noch ein Huntes Tuch, der Tochter einige Glasperlen, und der alten Madame Kazike eine Schecre, und hatte mir damit die Herzen sämmtlicher Inwohner gewonnen. Außerdem entzückte ich den Kaziken auch noch durch eine Maultrommel, und sein Ent-schlnß stand jetzt fest, daß ich mit ihm hinüberreiten solle, Tschitscha zn trinken. Indessen wurde das Frühstück servirt. Das einzige Hausgeräth der Hütte bestand in einem hölzernen Kasten, der die wenigen Habseligkcitcn der Familie in sich schloß und dabei zugleich als Tisch oder Stuhl diente, wie es die Umstände gerade erforderten. Auf diesem Kasten wurde servirt, das heißt ich aß, als ausgezeichneter Fremder, mit den Kazikcn aus einem Troge, den uns die Tochter auf dem Kasten setzte. Man erwartete natürlich von jedem Gaste, daß er seinen eigenen Löffel und sein eigenes Messer mitbringen würde — Gabeln fielen natürlich nicht vor — und da ich mir Beides herbeigeholt, begannen wir, Jeder auf seiner Hälfte, den Angriff anf ein nicht unschmackhaftes Gericht von klein geschnittenen Kartoffeln und Fleischstücken. Gebratene Kartoffeln vertraten die Stelle des Brodes. Der Alte war 394 auch unendlich liebenswürdig; obgleich er sich heute Morgens noch nicht — und gestern wahrscheinlich ebenso wenig — gewaschen hatte, griff er doch von Zeit zu Zeit mit den Fingern in den Trog, suchte ein recht gutes Stück heraus und schob es mir dann auf meine Seite. Natürlich mußte ich es essen, und manche andere kleine Annehmlichkeiten der Nmgebung dienten ebenfalls nicht dazu, die Mahlzeit so recht appetitlich zu machen. Aber was half's! Ich biß die Zähne auf einander — war es doch nur auf kurze Zeit — verschluckte meine Bissen und stand endlich gesättigt von unserem Kasten-Tisch auf. Was aber noch in der Schüssel blieb, nahm der Alte einzeln mit den Fingern heraus und überreichte es, als ein Zeichen besonderer väterlicher Zuneigung, seinen verschiedenen Kindern, die dem bald ein Ende machten. Sämmtliche zehn Hunde standcn während des Dejeuners mit offenen Mäulern um den Kasten, und bekamen vorn von dem Alten Sehnen und Knochm, die er selber nicht beißen konnte, und hinten von den Kindern permanente Hiebe, an die sie sich aber nicht im Mindesten kehrten. Noch lagerten mit uns in der Hütte auf der indianifchen Seite ein paar arme Indianer, weitläufige, arme Verwandte des Kaziken, die in der 395 Arbeitszeit für ihn arbeiteten,'im Winter mit ihm faulenzten, und das ganze Jahr von ihm gefüttert wurden. Diefe, wie die Chilenen, hatten ihre Tröge mit der nämlichm Kost und ebenfalls immer zu Zweien vor sich auf die Erde gesetzt bekommen und gaben die geleerten dann mit einem unausweichlichen Oios 1o pa^a (Gott bezahl' es) zurück. 1)10 8 1« pkM brauchte ich aber nicht zu sagen, dennoch wußte recht gut, daß ich die Zeche noch auf Erden selber zu berichtigen hätte. III. Trmando. Die Verwandten des KaZiken hatten sich nach dem Frühstücke entfernt, um die Pferde herbei zu holen, und diese standen denn auch bald darauf angebunden.vor der Hütte, da mein alter Kajuante nicht gern die schöne Zeit versäumen wollte. Ich selber konnte auch heute Nichts vornehmen, und wer wußte, ob ich jemals wieder im Leben ein ordentliches^Ttschitschafest der Indianer zu sehen bekam I Jedenfalls war cs den kurzen Ritt werth, und der Alte versicherte mir feierlich, wir wären gewiß in einer Stunde wieder Zurück. Er habe selber grstern ein wenig zu viel getrunken und wolle heute solid leben. Der Himmel hatte sich indessen dicht umzo- 396 gen, und es fing schon wieder, zu meinem Schrecken, an zu regnen. Ich bekam aber ein bran-nes Pferd des Kaziken, ohne Sattel, vorgeführt, das statt des Zaumes ein in den Unterkiefer geknüpftes Band trug. Minen eigenen Sattel mochte ich nicht gern auflegen, um ihn tro-ckeu zu halten, und saß danu bald mit unserer kleinen Cavalcade zn Pferdc. Der Kazit'e voran, ich dicht hinter ihm, die Anderen in langer Neihe dem schmalen Pfade folgend, sprengten wir in voller Flucht auf dem bloßen Nucken der Thiere Berg auf und ab, der Tschitscha-Hütte zn, die ich mir eigentlich viel näher gedacht hatte. Der Ne-gen schien ebenfalls darauf gewartet zu haben, bis er uns unterwegs wußte, und brach dann mit vollem Wetter los. Aber durch Busch und Dorn und kleine, angeschwollene Bäche ging's vorwärts, bis wir endlich offeneres Land erreichten und neben einander dahin jagen konnten. ' Niederes Vnschwerk mit einzelnen Baumgruppen stand hier auf weichem, üppigem Grasboden, und noch weiter hinkamen wir plötzlich in Sicht der reizenden Mayhue-Lagune, die ihre grünen Flutheu schon von den Armen der Cordillereil umschlossen sieht. Von der Landschaft ließ sich in dem grauen Unwetter sreiUch nicht vie'l, nlcnncu, denn wie 397 durch em Vindsadengittcr schien die ganze Welt verschleiert. Unser alter breitschulteriger Kazike dachte aber auch jetzt gar nicht daran, sich bei landschaftlichen Scenen aufzuhaltcu. Dort vor uns/ gar nicht weit von dem Ufer des Sees entfernt, lag die Hütte, aus der wir schon den dicken trüben Quäln: hervorwirbeln sahen, nnd mit einem Inbelgeschrei stieß er seinem erschreckten Thiere die Sporen dermaßen in die Flanken, daß es mit einem einzigen Satze vomVoden emporschnellte. Vorwärts ging es in voller Flucht, den letzten Hügel hinauf, und wenige Secunden später hielten wir, sechs Reiter, in einer Linie anf unseren dampfenden Thieren gerade vor dem niederen Eingänge der Hütte, aus der heraus uns ein wüster Lärm und warmer ungesunder Dunst entgegenquoll. Im Innern der Hütte aber waren die heranklappernden Hufe auch nicht unbeachtet geblieben. Ein paar Köpfe fuhren zuerst heraus — schmutzige gelbbraune Gesichter mit verwilderten Haaren und Augen, nnd dann schien sich der kleine Raum zu leeren, denn zehn, zwölf Menschen — sie konnte kaum viel mehr halten — kamen heraus, um uns jauchzend Zn begrüßen. Auch keinen trockenen Willkommen brachten sie uns in dem nassen Wetter, 398 denn Jeder von ihnen hielt wenigstens ein altes schmutziges Kuhhorn in den Fingern, das mit einer trüben, grünlich gelben Flüssigkeit gefüllt war und zuerst, vielleicht in einer Art Etiquette, dem Kaziken geboten wurde. Drei, vier halbtrunkene Burschen umdrängten aber indessen mein Pferd und bettelten mich, eines der schauerlichsten Exemplare von einem Chilenen zum Dolmetscher, um Tabak an. Glücklicherweise hatte ich schon früher andere Chilenen kennen gelernt, denn wäre ich ihnen hier zuerst begegnet, so würde ich einen tranrigen Begriff von ihnen bekommen haben. An den Grenzen der Civilisation treibt sich aber in allen noch halbwilden Ländern die Hefe dcr Bevölkerung herum, das, was sie den Indianern durch List oder Diebstahl ablocken können, für alle Laster der Civilisation einzutauschen. In Schmutz, Trunkenheit und Fluchen übertreffen sie abcr noch immer den rothen Sohn der Steppen, der nicht im Stande ist, ihnen alle jene rohen, ekelerregenden Wörter so rasch und unaufhörlich nachzulallen^— oder sich vielleicht auch deren schämt. Mir war der Gesell gleich vom ersten Augenblick an verhaßt; trotzdem aber, und obgleich ich mir außerdem lieber eine passendere Stelle aus- 399 gesucht hätte, meinen mitgebrachten Tabak zu vertheilen, als in dem fluchenden Negen, kam ich doch nicht los, ohne wenigstens Etwas herzugeben. Die Indianer begnügten sich dabei dankbar mit dem kleinsten Stück, das eben Zu einer Papier-Cigarre ausreichte; der Chilene wollte immer noch mehr, und erst als er fand, daß er wirklich nicht mehr bekam, reichte er mir fein Tschitscha-Horn mit dem Labsal dar. Das verweigerte ich allerdings, ein paar Indianer kamen aber ebenfalls gutmüthig mit ihren Hörnern auf mich Zu, und diesen mußte ich endlich „Bescheid trinken" — eine auch bei ihnen gebräuch-liche Sitte. Vrrrrrrl es war ein schauderhaftes Getränk, kalt, säuerlich, matt, und doch eine Menge faulen Fusel enthaltend, der dem Trinkenden nur zu leicht zu Kopfe steigt. Und dazu das schmutzige, ekelhafte Gefäß von diefen Gestalten und diesen Fingern dargereicht, aber: Ein Reisender ist so gewohnt, AuS Artigkeit sürlicb zu nehmen, und ich war artig. Zur Belohnung ^vurde uns dann aber auch gestattet, abzusteigen, und den rohen Zügel meines Pferdes über den nächste Zaun werfend, betrat ich jetzt zum ersten Mal ein ächt indianisches Gelage, das in seiner Art vielleicht einzig in der Welt dasteht. Tschitscha, der gegohrene Saft armer, mißhandelter, geschlagener, getretener, gequetschter Aepfel, die es sich vielleicht nie im Leben ahnen ließen, welch ein etles, widerliches Gift sie unter ihrer rothbackigen Schale trügen. Tschitscha! der Name schon allein verfolgt mich dnrch ganz Süd-Amerika, von Ecuador nieder, durch Peru, bis hier tief nach dem Südeu von Chile herunter. Ob aus Zuckerrohr, Mais oder Aepfeln gebraut, der Trinkende nennt es Tschitscha und schwelgt in dem Genuß. Aber immer noch zehntansendmal lieber diese Tschitscha aus Aepfeln (Mansanen, sagen die Deutschen in Valdivia), als aus Mais, wo die ganze Nachbarschaft erst den Mais kaut und dann wieder in den dazn bestimmten Topf spuckt, damit er schneller in Gährung übergehe. Der Leser mag mir die schlichte Beschreibung verzeihen, wenn ich es aber habe trinken müssen, wird ihm das Leseu weiter keinen Schaden thun. Die Mais'Tschitscha, die ebenfalls in ganz Süd-Amerika getrunken wird und das Gute hat, daß sie zu jeder Zeit fabricirt werden kann, während die Aepfel nur ihre gewisse Zeit einhalten, hat 401 einige Aehnlichkeit mit der Cavawurzel der Südsee-Inseln, die bekanntlich auch erst gelaut wird. Bei dieser Tschitscha geht es mir übrigens immer, wie bei manchen anderen dem Laien unbegreiflichen Dingen — ich begreife nämlich nicht, wie die Leute zuerst auf etwas Derartiges gekommen sind, und wenn sie darauf kamen, daß sie es nicht augenblicklich wieder aus dem Fenster warfen. Aber diesen Leuten scheint es ein wahrer Genuß, nur betrunken zu werden — durch welches Mittel, bleibt sich vollkommen gleich —, und irgend eine Flüssigkeit, die diesen Zustand nicht hervorbringen kann, verachten sie so weit, daß sie sich nicht einmal damit waschen mögen. Und wie sah es im Innern dieser Hütte aus! Ich hatte im Anfang geglaubt, daß uns aus dem kleinen Naume, der sie beherbergte, sämmtliche Insassen entgegengekommen wären, mich dabei aber vollständig geirrt. Der enge, dunstige Raum war noch gepreßt voll Menschen, und wie wir sechs neu Hinzngekommenen mit den Hinausgcgangenen noch alle Platz finden sollten, begriff ich nicht recht — und doch wurde es möglich gemacht. Der innere Nanm war aber auch durch kein Hausgeräth odcr Möbel, welchen Namen es immer führen mochte, beschränkt; ein einziges gro- 402 ßes Faß ausgenommen, das in der einen Ecke aufrecht stand und in der Mitte etwa angebohrt war. Die trübe, hellgrüne Tschitscha quoll hier ununterbrochen in einem Strahl, etwa von der Stärke meines kleinen Fingers, heraus, und wenn sich die Oeffnung einmal durch ein Stück halbfauler Apfelschale oder sonst Etwas verstopfte, so brauchte die Hebe dieses Platzes nur mit dem Finger das Hinderniß wegzustoßen oder hinein-zublasen, und der Quell floß auf's Neue. So rasch die Tschitscha ausströmte, so rasch wurde sie von den Umsitzenden getrunken, und ich überzählte flüchtig fünfzehn Frauen, die an der einen Seite der Hütte faßen — bunte Reihe schien nicht statthaft —, und siebenzehn Indianer, ohne unseren neuen Zuschuß von sechs Mann—, die Kinder und Hunde, welche sich dazwischen herumtrieben, natürlich nicht mit gerechnet. Jeder dcr Insassen hielt dabei eines jener ungewaschenen Trinkgefäße, ein Kuhhorn, in der Hand, und manche der ältesten und ausgezeichnetsten Trinker hatten deren sogar zwei als eine Art Wechselwagen, damit sie nicht so viel Zeit durch das Wiederfüllenlassen verlören. Wie mir der Eine sagte, hatten sie etwa erst vor einer Stunde angefangen (denn gestern waren zwei eben solche große Fässer geleert wor- 403 den) und waren deßhalb noch frisch bei Kräften. In meinem Leben habe ich aber nicht ein solches Trinken — Saufen sollte man eigentlich sagen — gesehen, und ich begreife wahrlich nicht, wo die Leute nur die Masse des Getränkes lassen konnten. Es war aber in der That, wenn Einer von ihnen das Horn ansetzte, als ob der Stoff in einen Schlauch, nicht in eine menfchliche Kehle geschüttet würde, und trotz der noch frühen Tageszeit war schon die Hälfte der Anwesenden angetrunken. In der Mitte der Hütte war ein kleines Feuer angezündet, das aber weit mehr Qualm als Wärme verbreitete, und doch diente der stinkende Rauch wesentlich dazu, die mit anderen faulen Dünsten verpestete Atmosphäre zu reinigen. Dicht am Feuer lagen auch ein paar andere Stücke Holz, die zum Sitzen dienten und, als Landes-Luxus, mit Schaffellen überdeckt waren. Eines von diesen wurde mir, wie ich Anfangs glaubte, aus Höflichkeit zum Sitz angewiesen. Ich fand aber bald, daß sie mich nur hatten in die Mitte haben wollen, um mir sicherer und schneller den mitgebrachten Tabak abzunehmen. Von allen Seiten streckten sich bald die Hände gegen mich aus, und wenn ich auch gewissermaßen darauf vorbereitet gewesen, 26* 404 denn ich kenne schon derlei Burschen, mußte ich doch mit der größten Oekonomie zu Werke gehen, um Allen etwas zu verabreichen. Mein schmieriger Chilene Matthias war wieder Allen voran, bekam aber Nichts mehr, und schickte dann seine vollständig betrunkene Frau zu mir, um mir noch wenigstens Etwas abzujagen. Die sogenannte Friedenspfeife der nordamerikanischen Indianer kennen sie hier im Süden nicht, denn die Sage fehlt ihnen, die den daraus geblasenen Rauch heiligt, den jene als eine direkte Gabe des großen Geistes ansehen. Das Rauchen ist deßhalb bei ihnen auch keine Ceremonie, sondern einer ihrer Genüsse, und sie theilen sich brüderlich darein. Wenn einer von ihnen, zwischen den keineswegs appetitlichen Lippen, eine Papier-Cigarre halb ausgesogen und vollkommen durchnäßt hat, reicht er sie freundlich dem Nachbar, der daran ruhig weiter lutscht. Matthias, der Unverschämteste von Allen, glaubte das Nämliche auch mit meiner kurzen Pfeife thun zu können. So wie ich mir dieselbe in Brand gebracht, kam er und wollte ein paar Züge daraus thun, „uni zn probiren, wie sie schmecke." Auch mehrere der Indianer zeigten ein gleiches Gelüste; ich war aber nicht gesonnen, mich dem zu fügen, und 405 schlug es ihnen Allen kurz ab. Die Pfeife wenigstens wollte ich für mich behalten. Wunderliche Gruppen lagerten um mich her, und ich habe mir nie mehr gewünscht, zeichneu zu können, als au diesem Morgen. Am Ruhigsten hielten sich jedenfalls die Frauen, eiu paar chilenische Weiber abgerechnet, die auch in ihrer zerlumpten, schmutzigen und doch bunten Kleidung keineswegs zu ihrem Vortheile gegen die in dunkelblaues Tuch gekleideten Indianerinnen abstachen. Die Indianerinnen hatten ebenfalls alle ihr Haar gekämmt, und das diademartige Band darum geschlungen, den chilenischen Frauen dagegen flatterte es wirr um die Kopfe, und daß sie sich ein paar Mal mit beiden Händen darin kratzten, konnte die Frisur, wenn auch nicht verderben, doch eben so wenig verbessern. Mein alter Kazike hatte indessen ebenfalls einen Platz gefunden, aber nicht am Feuer, wo er hätte aufrecht sitzen müssen, sondern au der einen Wand, gegen die er sich bequem anlehnen konnte. Schaffelle waren überall dort ausgebreitet, und Alles kauerte oder lag um uns her, rauchte meinen Tabak und trank die Tschitscha, die als ein unerschöpflicher Qucll dem Fasse entströmte. — Aber kein unfreundliches oder rauhes 406 Wvrt wurde laut, kein Fluchen, kein Zanken, wie es unter gleichen Verhältnissen bei civilisirten Nationen wahrlich nicht ausgeblieben wäre. Alles schien sich auf das Beste mit einander zu vertragen, und mein alter Kazike war die Gemüthlichkeit selber. Es that Eimm ordentlich weh, zu sehen, mit welchem Wohlbehagen er das schauerliche Gesöff, ein Horn nach dem andern, in sich hineingoß, und das einzige Wunderbare an der Sache war, daß, während das Faß leer, er nicht voll wurde. Trotzdem, daß ich ihm jetzt zwei volle Stunden zugesehen, blieb er sich immer gleich, und schien einem Pilian Leufu voll Tschitscha die breite eherne Stirn zu bieten. So interessant es mir aber im Anfange gewesen war, dieses Leben und Treiben mit anzusehen, so bekam ich doch bald genug davon. Es ist wahr, ich selber wurde wenig oder gar nicht von den Leuten belästigt, und nachdem ich ein paar Mal mit ihnen getrunken und mich weigerte, mehr an Bord Zu nehmen, nöthigten sie mich auch dazu nicht mehr. Als ich meinen Ka-ziken aber jetzt daraus aufmerksam machte, daß die „halbe Stunde" wohl ungefähr verflossen sei und wir nach Hause zurückkehren möchten („nach Hause," du großer Gott!), meinte er freundlich 407 schmunzelnd, ich solle mich nur noch ein klein Wenig hinsetzen, er ginge gleich mit, und wolle nur noch ein einziges Horn Tschitscha trinken. Noch während er mit mir sprach, trank er zwei, und stand dann auf, um ein Wenig an die frische Luft zu gehen. Es hatte indessen glücklicherweise mit Regnen aufgehört, und ein Theil der Indianer folgte ihm ihm hinaus, wo sie sich in einen Kreis mit dem Bauch in das nasse Gras legten und den Rauch vor sich in die Erde bliesen. Einer der Leute trug dazu einen Trog um den Kreis herum, woraus er ein Horn nach dem andern füllte, damit die Gäste hier nicht austrockneten. Mein Führer, der sich lange Zeit unter den Penchuenchen herumgetrieben, lag mitten zwischen ihnen und sang ihnen Lieder der Otra Banda mit einer eigenthümlich heulenden Stimme vor, in denen der Refrain immer kurz abgebrochen und fast gesprochen wurde. Er war so betrunken wie Einer von ihnen. Und welches wunderbare Land umgab diese rohe, zechende Schaar, welche freundliche Landschaft dehnte sich rings umher aus, iu der diese Hütte mit ihrem wüsten Gelage eigentlich nur einen häßlichen Fleck bildete! 408 Vor uns breitete sich die schon in die dicht bewaldeten Cordilleren hineingepreßte Mayhue Lagune aus, ein stiller Inlandsee, zu dem weite, parkähnliche, mit Grasflächen und Baumgruppen abwechselnde Hänge sanft niederliefen. Links nur stiegen steile, felsige Hänge jach von dem See aus empor, ein Umreiten desselben an dieser Seite unmöglich machend, da schroffe und tiefe Schluchten die Ufer auseinanderrissen. Der graue Wolkenschleier, welcher heute den ganzen Tag den Himmel bedeckte, war jetzt getheilt, und die Sonne warf ihre Streiflichter hier auf ein Stück saftig grünen Rasens, dort auf einen Wald düsterer Laubholzbäume oder grauer, aufgethürmter Felsmassen, und ließ die Fluth des Sees in ihrem Lichte funkeln. Und wie wenig von all' diesem herrlichen Lande war cultivirt! Nur hier, wo wir standen, hatten die Indianer ein paar kleine Mais-, Weizen- und Bohnenftlder angelegt und ein paar Aecker Kartoffeln gezogen. Gegenüber an dem andern Ufer zeigte sich ein ähnlicher dürftiger Fleck. Alles Andere war Wildniß, nur einigen wenigen Kühen und Pferden Weide gebend, und doch könnte des Menschen Hand diese ganze Gegend in em kleines Paradies verwandeln. 409 In anderen Ländern that es mir freilich immer weh, wenn ich sah, wie der schöne Urwald gelichtet nnd das arme, scheue Wild getödtet nnd vertrieben wurde. Es war mir eher ein Gefühl, als ob die Menschen mit Axt und Pflug die Gegend verdürben, anstatt sie zu verbessern, und ich weiß mich noch recht gut der Zeit zu erinnern, wo ich, draußen im Walde lebend, manchmal einen leisen Fluch murmelte, wenn ich plötzlich mitten in der Wildniß auf eine Fenz traf. Hier aber ist in dieser Hinsicht leider gar Nichts zu verderben, denn wuuderbarerweise sind diese Wälder vollkommen wildleer, so daß an irgend eine Jagd gar nicht zu denken ist. Auf dem See halten sich allerdings zu Zeiten viele wilde Enten auf, nnd an den Ufern trifft man manchmal einen jagdbaren schnepfenartigen Sumpfvogel, der aber so zahm ist, daß er dem Reiter kaum eben genug ausweicht, ihm Naum zu geben, und deßhalb alfo nicht das geringste Interesse bietet, ihn zu erlegen. Ich wenigstens habe es nie über mich gewinnen können, eines dieser Thiere auf ein paar Schritte Entfernung im Sitzen niederzuschießen. In den Wäldern giebt es allerdings ein sehr zierliches nnd allerliebstes Zwergreh, das aber nm an wenigen Stellen ewzew vorkommt und 410 in diesen Dickichten unmöglich zu pirschen ist. Man könnte Monate lang in Kila und Dornen herumkriechen, ehe man nur eines in Sicht bekäme, von Schießen dabei gar nicht zureden. Nur oben in den Cordilleren sollen sich an einigen Stellen verwilderte und herrenlose Schweine aufhalten — keine ursprünglich wilden — aber dorthin zu kommen, verhinderte uns eben jetzt noch der angeschwollene Strom. Alle diese Wälder, die uns hier umgaben, tonnte man deßhalb für vollkommen wildleer rechnen, und auf dem weiten Wege Hieher hatte ich in dem weichen Boden auch nicht eine einzige Fährte gefunden, nicht einmal die eines sogenannten Löwen, von denen jener Capitano de Amigos so viel zu erzählen wußte. Dieser Löwe ist natürlich nur der Puma Süd-Amerikas, eine große Pantherart, und besonders, wo er sich aufhält, für die Pferde gefährlich, deren Füllen er niederreißt. An große Pferde wagt er sich selten, Rindvieh, selbst Kälber, greift er nie an, und den Menschen scheut er, denn es ist noch kein Bei-fpiel bekannt, daß er einen Menschen angegriffen hat. Da dieser Puma aber nur des Nachts auf Beute ausgeht und sich höchst selten einmal an trüben Tagen vor Dunkelwerden sehen läßt, so 411 bleibt ein Pirschgang auf dieses Raubwild ebenfalls hoffnungslos, und es kann nur manchmal mit einer Meute Hunde aus seinem Lager und auf einen Baum gejagt werden. Ich gab mir später Mühe, die Indianer einmal zu einer solchen Jagd zu veranlassen, denn Hunde hatten sie genug; so lange aber noch e.in Tropfen Tschitscha in irgend einem benachbarten Faß blieb, waren sie nicht fortzubringen, und mein alter Kazike versicherte mir, daß die Tschitscha-zeit wenigstens noch zwei Monate dauern würde — wonach dann der Branntwein und die Mais-tschitscha beginnt, bis das Frühjahr die Leute wieder zu ihrer geringen Feldarbeit ruft. An Aepfeln zu dieser Tschitscha fehlte es auch wahrlich nicht, denn wo man stand, wohin man ging, wuchsen Aepfelbäume in Hülle und in Fülle, viele davon mit Früchten in unglaublichen Massen bedeckt. Nur wenig wirklich gute Aepfel findet man aber; die meisten sind, wenn auch saftig, doch von einem matten, kaum säuerlichen Geschmack. Dennoch habe ich auch einige recht gute Bäume angetroffen, die freilich immer keinen Vergleich mit unseren guten Sorten aushielten. Stunde nach Stunde trieb ich mich jetzt um die Hütte herum, bei einzelnen Regenschauern wie- 412 der in das Innere flüchtend, und in den Zwischenpausen das Freie suchend; vergebens waren aber meine fortgesetzten Bemühungen, den alten Kaziken zum Aufbruch zu bewegen. Er sagte nie Nein, verlangte aber immer noch die kurze Frist, ein, einziges Horn zu trinken, und trank dazu so viel einzelne Hörner, daß er, die Masse in ein Gefäß gegossen, recht gut darin hätte ertrinken können. So wurde es mit der Zeit wirklich Abend, die Sonne neigte sich wenigstens schon stark dem Horizont zu, und da ich nicht gesonnen war, in diesem schauerlichen Aufenthalte, der Schrecken genug am Tage bot, die Nacht abzuwarten, ging ich endlich zu meinem Pferde, sprang auf dessen nassen Nucken, und trat den Heimweg allein an. Bald darauf schloß sich mir noch der Capitano de Amigos an, der ebenfalls seine volle Ladung hatte und ausschlasen wollte, während mein Führer noch ruhig im Grase auf dem Bauche lag und seine Lieder heulte. Als der Kazike sah, daß ich Ernst machte, suchte er mich zurückzuhalten, und versicherte mir, daß er jetzt wirklich sein allerletztes Horn tränke; ich kannte meinen alten Burschen aber zu gut, gab meinem etwas magern Thiere die Hacken und galoppirte unter einem jetzt wieder nieder- 413 fluchenden Schauer der Hütte des Alten zu, wo ich, wenn auch all den Schmutz wie hier, doch wenigstens ruhige, nüchterne Menschen fand. Unterwegs fiel mir ein, daß heute Sonntag und der erste Osterfeiertag sei, den ich auf diese Art recht würdig und so elend, wie je in meinem Leben, verbracht und gefeiert hatte. IV. Familienleben. Unter den Trinkern in der Tschitschahütte hatte ich auch eine für mich sehr interessante Persönlichkeit gefunden, und zwar einen jungen Chilenen, der eigentlich auf der andern Seite der Cordilleren mit einem der, dortigen Penchuenchen-Häuptlinge lebte nnd nur auf Besuch herübergekommen war, nn Paar Tage in der Nähe seiner Herzallerliebsten zu verweilen. Von drüben hatten die Cordilleren, an deren westlichem Fuße sie lebte, wahrscheinlich so lange verführerisch zu ihm herübergewinkt, bis er der Versuchung nicht länger widerstehen konnte und zu ihr geeilt war. Er stand gewissermaßen in Diensten eines dortigen Kaziken, dem er als Dolmetscher oder Secretär diente, und hatte, wie er mir sagte, nur acht Tage Urlaub bekommen. Seine Zeit war aber jetzt ebenfalls abgelaufen und er mußte wieder zurück, so- 414 bald der Fluß fiel. Nir konnten dann die Reise, wenigstens bis zu seinem Häuptlinge, gemeinschaftlich machen. Das war mir nun allerdings sehr erwünscht, denn ich bekam dadurch zugleich eine Einführung bei den ersten Stämmen, die in so fern die unbequemsten sein konnten, da sie ebenfalls viele Aepfel-bäume, hatten und jetzt ihre Tfchitscha tranken, so gut wie ihre Brüder an der Westseite der Cor-dilleren. Mein neuer Bekannter war Chilene und auf dem Grundstücke des nämlichen Don Fernando Acharan erzogen, der mich so gastfrei aufgenommen, und mir auch einen Brief für diesen selben Dolmetscher mitgegeben hatte. Heute war aber mit ihm weiter Nichts zu besprechen, denn er versicherte mir, er habe jetzt zwei Tage Tschitscha getrunken und wisse kaum noch, auf welcher Seite der Cordilleren er sich eigentlich befände. Morgen früh sei er aber jedenfalls nüchtern und wolle dann hinüber zu des Kazikm Hütte kommen, das Weitere mit mir zu bereden. — Heute wurde natürlich fortgetrunken, denn einmal „Tomando" konnte man den Genuß des edlen Getränkes nicht gut unterbrechen. Mein alter Kazike kam auch an dem nämli- 415 chen Abend richtig gar nicht nach Hause; er war keinesfalls mit seinem wirklich letzten Hörne fertig geworden. Den nächsten Morgen hatte ich gntes, wenigstens trockenes Wetter erhofft, denn der April begann ja eben erst — wir hatten heute den zweiten — und da giebt es, wie mir Alle sagten, gewöhnlich noch recht gute, trockene und warme Tage. Da der Erdboden jetzt noch den Regen einsaugte, sielen auch die Flüsse rasch wieder, und am nächsten Tage hätte ich dann jedenfalls darauf rechnen können, meinen Weitermarsch anzutreten. Aber, du lieber Gott, diese Hoffnung sollte ich bald zerstört sehen, denn wenn es auch die Nacht über nur in einzelnen Schauern regnete, setzte es mit Tagesanbruch wieder dermaßen ein, als ob es ganze Wolken voll auf die überströmende Erde schütten wolle, und es goß den ganzen Tag, daß man keinen Fuß vor die Hütte setzen konnte. Mein neuer Bekannter hielt übrigens Wort. Er kam, heute vollkommen nüchtern, herüber, setzte sich zu mir und meinte kopfschüttelnd: das Wetter sähe verzweifelt schlecht ans, denn die Flüsse stiegen immer mehr, und wenn es heute den ganzen Tag so fortregnete, brauchten wir wenigstens zwei Tage gutes Wetter, ehe wir den Uebergana, 416 wagen dürften. Erstlich hätten wir den einen, sehr bösen Strom auf dieser Seitk siebenmal zu kreuzen und dann sei auf der andern Seite, etwa eine halbe Tagereise abwärts, noch ein weit schlimmerer, über den wir ebenfalls hinüber müßten, ehe wir wieder Menschen und Schutz gegen den etwa einfallenden Regen fänden, denn dort drüben in den Pampas fänden wir auch nicht einmal ein Stück Holz zu einer Zeltstange, um ein Schutzdach davon herzustellen. Schöne Aussichten! Mir war das Herz zum Brechen schwer, und ich verbrachte diesen zweiten Osterfeiertag noch — wenn möglich — elender, als den ersten, allein nnd trostlos auf die alten Felle hingestreckt. „Paciencia", sagte mein alter Kazike mit schwerer Zunge, als er etwa um zehn Uhr Morgens heimgekehrt WM und mich nm ein Stück Tabak gebeten hatte, „Paciencia, hier sitzen wir trocken, oben aber in den Cordilleren haben die Menschen Nichts zu essen, und die Pferde ver-hickgern, wenn die Reisenden nachher zwischen Zwei Flüssen und Felswänden sitzen und weder vor- noch rückwärts können." „Hier ist's besser," wiederholte auch mein wackerer Führer, der ebenfalls wieder nüchtern war nnd nicht mehr seine Penchuenchen-Lieder heulte — 417 „hier haben wir genug zu essen und sind unter guten Christen; wenn die Flüsse fallen, reiten wir." Sie hatten gut reden, denn was der Verlust an Zeit ist, fühlen und begreifen diese Menschen ja nie. Mich aber zog es in die freien, wilden Pampas hinüber, mich drängte es, Buenos Apres wieder zu erreichen, wo alle meine Briefe aus der Heimath lagen. Von Mitte Juli vorigen Jahres waren die letzten Nachrichten, die ich von meinen Lieben bekommen, und jetzt schrieben wir April, ja, vor Mittte Mai konnte ich nicht dorten sein. Das ist eine lange Zeit, Nichts, gar Nichts von Frau und Kindern zu hören, und wenn mir das Herz an dem Tage recht, recht schwer wurde, wer könnte es mir verdenken? Unerbittlich aber strömte der Regen vom Himmel nieder. Der kleine Quell, welcher dicht an der Hütte vorüberströmte und von dem wir unser Trinkwasser holen mußten, hatte sich in einen gelben reißenden Nach verwandelt, und in der Hütte selber sammelten sich überall vom durchschlagenden Regenwassor Pfützen, in denen die Kinder mit Füßen und Händen hernmvatschten. Selbst die Enten verließen uns gar nicht mehr und schienen sich hier drinnen eben so wohl und in ihrem Elemente zu fühlen, als draußen. Drau- Ir. Ocistäck>,'r, '.'lchtzchnMoiwlc in SüdMmcnta. II. 27 418 ßen und drinnen, es war ja doch nur eben Ein Begriff, denn einen thatsächlichen Unterschied gab es kaum noch mehr. Unglücklicherweise hatte ich dazu in der Eile, als ich von Bord des Schiffes meine Sachen für die Reise abgeholt, auch meinen Nim^toiä writer mit allem Schreibzeuge vergessen. Bücher führte ich, auf einen solchen Aufent^lt gar nicht vorbereitet, ebenfalls nicht mit, so daß ich mich in keiner Weise beschäftigen konnte und einzig und allein meinen trüben Gedanken und TräumM überlassen blieb. Und wie schwarz lag an dem Tage mein ganzes Leben vor mir, wie nebelhaft groß malte meine Phantasie sich alle die Beschwerden und Gefahren, denen ich noch entgegenging — und endlos schien mir die Zeit, in der ich die Heimath einmal wiedersehen sollte. Noch jetzt überläuft mir ein ganz eigenes, eisiges Gefühl das Herz, wenn ich an jenen furchtbaren Tag zurückdenke. Aber ein Glück, daß der Geist des Menfchen genug Elasticität besitzt, sich auch, wenn am Schwersten niedergebeugt, trotzdem wieder aufzurichten. Solche trübe Stunden können und dürfen nicht lange dauern, oder sie würden uns zuletzt zur Verzweiflung treiben. Schon am nächsten Tage hatte ich mich deßhalb auch wieder 419 wacker genug so weit an die Oberfläche gekämpft, geduldig in dem Unvermeidlichen auszuharren und das Beste eben aus dem herauszusuchen, was mich umgab. Jede Sache hat ihre Lichtseite, auch die dunkelste; sie hat wenigstens einen Punkt, auf dem sie weniger dunkel ist, und ich beschloß, mich in Ermangelung eines Besseren mit meiner Umgebung nach Kräften zu amüsiren, indem ich mir als stiller Beobachter ihr Familienleben vorspielen ließ. Was half es, in mich zuschauen; da drinnen war es für den Augenblick Nacht und Finsterniß, also nicht das Mindeste zu suchen, während hier draußen und dicht um mich her ein harmloses, mir noch vollkommen fremdes Volt seine ihm gegebenen Tage in voller Seelenruhe ablebte und sich den Henker um Vergangenheit oder Zukunft kümmerte. Der Eine Tag nur war es, der sie interessirte, und wenn sie an dem genug zu essen und zu trinken hatten, so interessirte sie selbst der Eine Tag nicht einmal mehr, und sie genossen, ohne weiter zu denken, geschwind, was sie eben hatten. Nie habe ich die Sorglosigkeit weiter getrieben gesehen, als bei diesem Volke, das seMe alten Götter mit der größten Bereitwilligkeit abgegeben 27" 420 hatte, ohne sich dafür mit neuen zu belästigen. Die Furcht vor dem Pilian, der droben in den Bergen sichtbar und hörbar kochte und donnerte, war ihnen vielleicht manchmal unbequem gewesen. Den waren sie glücklich los; die weißen Priester, welche Alles besser wußten, als sie, hatten ihnen gesagt, der Pilian sei gar nicht da, und wenn er'da wäre, hätte er keine Macht mehr über sie, sobald sie nur getauft wären. Getauft waren sie also, und da sie die Bekanntschaft des neuen Teufels noch nicht gemacht und in keiner Weise von ihm belästigt wurden, hatte eine Furcht vor ihm natürlich gar nicht aufkommen können. Wie sollten sich auch Menschen darum kümmern, was in einem späteren Leben aus ihnen würde, die nicht einmal auf den ihnen zunächst liegenden andern Tag denken, und mit einer Seelenruhe verbrachten sie die Zeit, die dem an ein rastloses schassendes Leben gewöhnten Europäer um so räthselhaftcr erscheint, da er sich selber in einen solchen Zustand gar nicht einmal hineindenken kann. Was ihr Christenthum betrifft, so sind sie, wie gesagt, getauft, und lassen ihre Kinder, wenn sich im Sommer die Gelegenheit bietet, ebenfalls taufen, denn der Geistliche wohnt weit entfernt, und im Winter unterbrechen selbst dorthin die Flüsse jede Verbindung. Sonst aber scheinen sie auch nicht einmal die kleinste Form ihres neuen Glaubens zu beachten, und selbst der Sonntag tonnte bei einem Volke keinen Werth gewinnen, das alle Tage Sonntag hat. Diese Sorglosigkeit meiner neuen Freunde erstreckte sich aber nicht allein auf die Religion, sondern auch auf alles Andere. So lange sie Etwas zu essen hatten, aßen sie, und wenn Alles verzehrt war, blieben doch noch immer draußen im Feld einige Kartoffeln übrig, die hereingeholt werden konnten — oder sie aßen auch Aepfel, die überall an den Bäumen wuchsen. Dadurch banden sie sich aber auch an gar keine bestimmte Stunde für ihre Mahlzeiten, und ich habe Zeiten gesehen, wo die Frauen den ganzen Tag vom Morgen bis Abend kochten, und andere, wo sie dem Feuer gar nicht nahe kamen — wie es sich eben traf. In der Nachbarschaft war es ja schon durch meinen Besuch in der Tschitscha-Hütte bekannt geworden, daß ich dasei und natürlich auch eine Menge kostbarer Dinge mitgebracht habe, von denen Jeder Etwas gebrauchen konnte. Um das zu erreichen, griffen sie zu einem schr einfachen, und ihnen wohlbekannten Mittel. Von allen 422 Seiten bekam ich nämlich schon am nächsten Tage Geschenke, von denen mir die Leute sagten, daß sie mir dieselben „nur aus Freundschaft" brächten und Nichts dafür verlangten. Dann setzten sie sich ruhig in die Ecke des Hauses, und blieben dort so lange sitzen, bis ich ihnen ein Gegengeschenk machte: Ein Taschentuch, ein Dütchen Anjil oder Indigo, eine Maultrommel oder etwas Tabak. Sie waren stets mit dem zufrieden, was sie bekamen, aber — gab ich ihnen Indigo und hatten sie es fortgesteckt, so frugen sie regelmäßig, ob ich nicht Taschentücher habe: gab ich ihnen ein Taschentuch, so hatten sie noch etwas Tabak nöthig, das sie im schlimmsten Falle zu kaufen wünschten, ohne einen Ccntabo in der Tasche, ja, ohne selbst eine Tasche zu haben. Die Geschenke, die sie dabei brachten, bestanden nur in Lebensmitteln, einem Huhn, einigen gekochten oder jungen rohen Maiskolben, ein paar Eiern oder etwas Derartigem, das dann natürlich gleich von der ganzen Familie in Beschlag genommen wurde und gewöhnlich schon vollkommen aufgezehrt war, ehe der sogenannte „Geber^ nur das Haus verlassen hatte. Zu welcher Stunde diese Sachen kameu, blieb sich vollständig gleich. Es traf sich ein paar Mal, daß ein Huhn und ein 423 paar Eier gebracht wurden, als wir eben unser Frühstück verzehrt, und in Zeit von einer halben Stunde dampfte dann ein zweites Frühstück auf dem alten Kasten, m das mein wackerer Kajuante einhieb, als ob er drei Tage danach gehungert hätte. Daß. diese Leute mit einem solchen Leben gesund bleiben, ja, überhaupt existiren können, ist an sich schon ein Räthsel und wirft alle Gesetze der Diätetik über den Haufen. Nenn sie trinken, essen sie dabei fast gar Nichts, oder Morgens nur ein paar Bissen zum Frühstück, wonach der Magen den Tag über mit jenem sauren Stoff angeschwellt bleibt. Trinken sie aber nicht, so sind sie auch im Stande, den ganzen Tag ohne Aufhören zu essen, und ihre Bäuche schwellen dabei auf das Widerlichste in die Höhe. Außerdem fortwährend in der Nässe, Nachts nicht selten auf dem feuchten Boden schlafend, in der steten Zugluft ihrer Hütten aufgewachsen und groß gezogen, mit dünner, luftiger, selten trockener Kleidung behängen und stets barfuß, kennen sie fast keine Krankheiten und haben wirklich darin mit dem Thiere des Waldes die größte Aehnlichkeit, das sie auch an geistigen Fähigkeiten nur wenig übertreffen. , Dennoch halten felbst diese Körper nicht Alles 424 aus, ich sollte davon selber bald einige Beispiele sehen. Da ich nämlich ein Fremder und Aleman War, müßte ich natürlich auch ein Doctor sein, und ich bekam gleich am nächsten Tage einige Patienten. Der Erste war der Sohn des Kaziken selbst, der noch immer in der Ecke der Hütte auf seinem Bette lag. Er hatte durch das übermäßige Tschitscha-und Branntweintriuken nach einer solchen Nacht einen Blutsturz bekommen und war dadurch natürlich etwas ängstlich geworden. Sein Puls ging aber vollkommen regelmäßig und er klagte nur über Hitze im Kopfe. Allerdings hatte ich einige Medicinen zu meinem eigenen Gebrauche bei mir, falls mir in solchen, weit von jeder Civilisation und Hülfe entlegenen Gegenden einmal Etwas zustoßen sollte, aber es versteht sich, daß das nur einfache Mittelsein konnten, mit denenich selber umzugehen vermochte. Mein Arzneitäschchen trägt auf solchen Reisen deßhalb stets etwas Chinin, Opium, Brechweinstein, Ipecacuanha, wie ein Abführungs-mitte! und für äußere Verletzungen Bleiessig-Extract, Höllenstein und etwas Pflaster mit Charpie, wie auch ein Fläschchen Kreosot für Zahnschmerzen. Glücklicherweise bin ich aber bis jetzt nur in hiichft seltenen Fällen genöthigt gewesen, für mich 425 selber Gebrauch davon zu machen, während ich manchem Andern schon damit geholfen habe. Auf Blutstürze und derartige Fatalitäten war ich aber freilich nicht (fo wenig wie einer unserer europäischen Aerzte) eingerichtet, ich verordnete dem jungen Manne deßhalb nur ein einfaches Abführungsmittel und warnte ihn vor einer Wiederholung folcher Gelage. Er durfte weder Branntwein, noch Tfchitfcha mehr trinken und seine eigene Bärennatur half ihm dann schon über das Andere fort. Er versprach natürlich Alles; noch ehe ich aber jene Gegend verließ, hatte er schon wieder begonnen, und als ich ihm deßhalb Vorstellungen machte, lachte er und meinte, meine Medicin hätte ihn vollkommen hergestellt; er sei jetzt fo gesund wie vorher. Hiernach brachte mir der Chilene Matthias seine Tochter, ein junges, sehr hübsches Mädchen von etwa siebzehn Jahren, die an oft wiederholtem heftigem Nasenbluten litt. Auch hier konnte ich aus meinem beschränkten Arzneivorrath nur ein Abführungsmittel verordnen. Ich gab ihr also sechs rein vegetabilische Pillen und sagte ihr, drei davon am nächsten Morgen nüchtern zu nehmen, und die anderen drei aufzuheben, falls sich das 426 Nasenbluten doch wieder einstellen sollte, um die Dosis nachher zu wiederholen. Der Alte stand daneben, nnd ich fragte ihn, ob er auch genau verstanden hätte, was ich gesagt. „Ja wohl," nickte er, „sie soll am nächsten Morgen nüchtern drei in jedes Nasenloch stecken." Das wäre eine Kur gewesen, und ich mußte gerade heraus lachen; das Mädchen aber — der Alte war von gestern her noch nicht einmal ganz nüchtern — versicherte mir, sie habe verstanden, wie ich es meine, und auch diese Kur scheint gelungen zu sein. Ein anderer Chilme hatte Zahnschmerzen, in der nächsten Hütte ein kleines Mädchen das kalte Fieber, ein Dritter, wahrscheinlich von dem Uebermaß verzehrter unreifer Aepfel, Kolik, und ich half aus, so gut ich eben konnte. Dann brachten mir die Leute, zum Dank für die ärztliche Kur, ein Huhn oder ein paar Eier, und blieben dann nachher ebenfalls sitzen, bis ich ihnen ein Gegengeschenk machte. T)aß sie etwas hergeben könnten, ohne etwas Thatsächliches dafür zurück zu erhalten, fiel ihnen gar nicht ein. Höchst komisch war ein kleiner Junge, der ein Geschwür an einem entlegenen Theile seines Körpers hatte, und den seine Mutter brachte, damit 427 ich ihn besichtigen sollte. Das Geschwür war reif und ich wollte es für ihn öffnen, kaum sah er aber, daß ich das Messer aus der Tasche nahm, als er wie ein Blitz in die Höhe sprang und im nächsten Moment auch im Walde verschwunden war. Kein Nufen, Winken oder Lachen half, er drehte nicht einmal den Kopf um, und wo er mir auch von da ab begegnete, tauchte er wie ein Schatten in das nächste Dickicht ein. Auch am 3. April goß es, was vom Himmel herunterwollte; ich hatte mich aber jetzt in das Unvermeidliche schon gefügt. „Gegen Gott können wir nicht ankämpfen," meinte mein Führer, so fromm als phlegmatisch, während er sich auf fein zusammengerolltes Bett setzte und eine Papier-Cigarre wickelte, und er hatte vollkommen recht. Böse Indianerstämme konnten vielleicht meine Reise gefährlich machen, aber es waren immer nur Menschen, denen sich entweder ausweichen ließ, oder die man sich mit Gewalt vom Leibe halten konnte. Gegen die Elemente aber war nicht anzukämpfen, die Flüsse waren zu breit, um Bäume als Brücken darüber zu werfen, zu tief, sie Zu durchwaten, zu reißend und von Felsblöcken gefüllt, sie zu durchschwimmen, und es hieß 428 eben geduldig auszuharren, bis sich das Hinderniß von selbst beseitigte. In diesem geduldigen Ausharren bekam ich aber auch freilich genügend Zeit, dem Kochwesen der indianischen ^amen zuzuschauen, und das war eine Sache, die ich lieber hätte sollen bleiben lassen, denn wenn einem Europäer dabei der Appetit verging, war es eben keiu Wunder. Die ganze Familie hatte den Schnupfen und kein einziges Schnupftuch, und wenn ich auch' Anfangs in meiner Unschuld glaubte, dem abhelfen zu können, und eine Quantität an sie vertheilte, sah ich doch bald, daß ich mich darin geirrt. Sie banden sich dieselben um die Köpfe und um den Hals, ja, aber die Mitte, wo sie am Nöthigsten gewesen wären, blieb unbeachtet. Alles wurde dabei mit den Fingern angefaßt, zerrissen, zerdrückt und umgerührt, und so wenig Ekel Einer vor dem Anderen zu haben schien, so wenig setzten sie auch bei dem Fremden voraus. Die Alte besonders war in dieser Hinsicht ein wahres Scheusal, und wenn ich auch jetzt noch mit Grauen an jene furchtbaren Einzelheiten zu-rückdeuke, dürfte ich doch nie wagen, Alles das, was ich dort gesehen uud — gegessen, zu beschreiben. Ich bezwäng aber meinen Ekel, so gut es ging, 429 nicht selten manche List gebrauchend, dem Aller-schlimmstcn zu entgehen oder wenigstens auszuweichen. Manchmal war aber auch das nur durch offenen Widerstand möglich. So habe ich denn Alles mitgegessen, was sie hatten, nur zwei Dinge nicht, zu denen ich mich nicht zwingen konnte. Das eine von diesen war eine Mahlzeit, die ihnen die meiste Zubereitung und Mühe kostete, und bestand in Weizen und Sau- oder Puffbohnen. Diese letzteren esse ich nun außerordentlich gern, und wenn die trockenen harten Bohnen einfach in Wasser abgekocht, und in einem Troge servirt wurden, war es ein wahres Fest für mich. Die allzuhartcn konnte ich einfach den Hunden, Katzen, Hühnern oder Enten geben, die bei keiner Mahlzeit fehlten, und die weich gekochten waren genügend, mich zn sättigen — mehr verlangt man ja unter solchen Umständen nicht, und darf nicht mehr verlangen, wenn man sich eben in solche Kreise hineinwagt. Aber sie wußten solche Mahlzeit zu verfeinern. An solchen Tagen — und zwei Mal mußte ich sie in jener Hütte erleben — wurde der, vorher gequollene Weizen in eine jener hölzernen stachen und runden Tröge gethan, und dann trat die ganze Familie abwechselnd mit den Füßen 430 hinein, den Weizen von den Schalen durch Treten zu befreien. Keines von^ ihnen wusch sich dazu vorher die Füße. In allem Schmutz und Unrath der Hütte liefen sie herum, traten sich die Sohlen dann ein Wenig ab, wie wir uns an schmutzigen Tagen die Stiefel vor den Häusern an einem eisernen Abtreter in Etwas säubern, und arbeiteten auf solche Art Stunden lang in der Gottesgabe umher. Indessen brodelten zwei tüchtige Kessel mit Saubohnen am Feuer, die aber nicht vollkommen gar gekocht, sondern noch hart abgenommen wurden. Um diese setzte sich dann die ganze Familie her, selbst die kleinsten Kinder mit den furchtbarsten Gesichtern, bissen die Bohnen mit den Zähnen auf, um sie zu schälen, verzehrten dann, was ihnen schmeckte, und warfen oder spuckten das Uebrige in einen gemeinsamen Topf, wo es dann später mit dem ausgetretenen Weizen zu einem dünnen Gemüse gekocht wurde. Das war ich nicht im Stande mitzuessen, und setzte mir an solchen Tagen, wenn diese Zu-' bereitung vor sich ging, meinen eigenen Kochtopf mit Reis und getrocknetem Fleisch — sogenanntem Charque — an das Feuer, meine eigene Mahlzeit daran zu halten. Sie nahmen mir das auch 431 nicht übel, ja, wie der alte Kazike seinen Trog mit Weizen und Bohnen ganz allein ausgegessen hatte, und ich ihn fragte, ob er noch ein paar Bissen mit mir frühstücken wollte, setzte er sich, vollkommen bereit dazu, wieder mit mir an die Schüssel, und ich konnte keinen Löffel voll an ihm gewinnen. Mit derselben Bereitwilligkeit und Fähigkeit hätte er auch zum dritten und vierten Male gefrühstückt. Die andere Mahlzeit war anderer, aber nicht weniger ekelhafter Art. Am vierten Tage nämlich, wo der Negen endlich aufhörte und die Sonne bei einem leichten Westwinde durch die Wolken brach, beschloß der alte Kazike, einen Hammel zu schlachten, um mir, wie er meinte, ein Stück frisches Fleisch zu verehren. Einer der Indianer ritt hinaus und kam bald darauf mit einem jungen, fetten Schöps zurück, dem die vier Beine fest zusammengebunden waren. Das arme Thier wurde dann so, fest gebunden, mit dem Kopfe an den nächsten Apfelbaum aufgehangen, und Einer der jungen Leute, der indessen sein langes Messer gewetzt hatte, ging daran, das arme Thier nicht etwa abzustechen, sondern ihm das Fell um Gurgel und Halsader her zu öffnen und in einem Lappen abzulösen. 432 Die Alte hatte indessen ein Stück Steinsalz fein geklopft und mit fein gepulvertem rothem Pfeffer reichlich gemengt. Diese Mischung trug sie jetzt hinaus, und während der Indianer dem zuckenden Hammel die Halsader halb durchschnitt, stopfte sie den gesalzenen Pfeffer- dort hinein und hielt die Kehle des gequälten Thieres zu. Im Innern aber quoll und gurgelte das Blut, sich mit dem Salze und Achi vermischend, und als das ihrer Meinung nach hinlänglich geschehen war, hob der Indianer den Hammel an der Seite in die Höhe und ließ das jetzt freigegebene Blut in eine hölzerne Schüssel laufen. Ist dies also gewürzte Blut zu einem eklen Gelse geronnen, so wird es in Stücke geschnitten und gilt dann für den größten Leckerbissen, den die Indianer kennen. Mir drehte sich der Magen um, wenn, ich es nur ansah. Natürlich essen sie Alles von einem geschlachteten Stücke, das Fell ausgenommen, nnd meine Alte war noch besonders appetitlich, wenn sie die einzelnen Stücke Fleisch an das Feuer steckte. Sie leckte nämlich vorher mit innigem Wohlbehagen von jcdem einzelnen das frische Blut ab, und ihre Augen bekamen dabei ordentlich einen grünen, funkelnden Schein. Ich habe in der That 433 nie ein menschliches Wesen einem Panther ähnlicher gesehen, wie dieses alte, scheußliche Weib, WMN sie das Blut leckte — nur mit der Ausnahme, daß sich der Panther stets glatt und reinlich hält und sich nach dem Essen jedes Mal wieder sauber putzt. v V. Familienleben. (Fortsetzung.) Die Mahlzeiten in dieser interessanten Familie waren dabei so unregelmäßig, wie die Zeit ihres Schlafengehens, denn manchmal lagen um sieben Uhr schon Alle auf dem Ohr, und der Capitano de Amigos erzählte allein seine Heldengeschichten der stillen Nacht, und zu anderer Zeit saßen sie wieder, ohne auch nur an Schlaf zu denken, bis an ein und zwei Uhr Morgens um das Feuer, mit einander fröhlich plappernd. Man bekam dann noch oft um elf oder Mölf Uhr ganz plötzlich und unerwartet ein halbes Dutzend gebratene Kartoffeln auf das Schaffell gelegt, auf dem man eben saß, oder auch einen Privattrog mit trockenen Bohnen vorgesetzt. Jedenfalls aber kaute die ganze Familie bis Zum Schlafengehen Aevfel, und der alte, ausnahmsweise vielleicht einmal nüchterne Kazike ließ sich seine Aepfel dann vorher von einem der kleinen Mädchen an einem Pfahl Fr. Oerstäcke r, Achtzehn Monatc iiiSüd-Nmcnk.i. II. 38 der Hütte oder auf einem der Herdsteine weich klopfen, wonach er sich einbildete, sie seien mürbe und reif. Nie aber habe ich einen Zank oder auch nur ein unfreundliches Wort zwischen ihnen gehört, nie einen jener häßlichen Flüche und Ausrufungen, an denen die spanische Sprache, mit der englischen rivalisirend, so unendlich reich ist. Die dortigen Chilenen aber, natürlich zu der niedrigsten Schicht der ganzen Nace gehörend, streuten damit desto reichlicher umher, und deren Unterhaltung war oft wirklich Ekel erregend. Ich bin wahrhaftig nicht prüde und kann einen Puff vertragen, aber hier bekam ich es doch satt und glaubte mich manchmal wieder in die australischen Schäferhütten zwischen die„01äm Costenoble in Leipzig erschienen ferner folgende neue Werke: Gerstllckcr, Friedrich, Die Regulatoren iuAr tansas. 3 Bde. (Aus dem Waldleben Amerika's. Erste Abtheilung.) 4. Aufl. 2. Stcreot.-Ausgabe. 1'/, Thlr. Gerftäckcr, Friedrich, Die Flußpirateu des Missifsippi. 3 Bde. (Aus dem Waldleben Amerika's. Zweite Abtheilung.) 4. Aufl. 2. Stereot.-Ausgabe. i"/g Thlr. Gerstäcker, Friedrich, Der Kunstreiter. Eu.e Erzählung. 3 Bde. 8. broch. 3 Thlr. 15 Ngr. Gerstäcker, Friedrich, Gold! Em Californlfches Lebensbild aus dem Jahre 1849. 3 Bde. 8. broch. 4 Thlr. Gerstäcker, Friedrich, Die beiden Sträflinge. Australischer Roman. 3 Bde. 8. broch. 3^ Thlr. Gerstllckcr, Friedrich, Unter dem Aeqnator Javanisches Sittenbild. 3 Bde. 8. broch. 4^4 Thlr. Gerstiickcr, Friedrich, Das alte Haus. Erzählung. 8. broch. 1^ Thlr. Gerstäcker, Friedrich, Nach Amerika! Ein Volksbuch. Illustrirt von Theod. Hosemann und Karl Reinhardt. 6 Bde. 8. broch. 6 Thlr. 12 Ngr. Gerstiickcr, Friedrich, Tahiti. Roman aus der Südfee. Zweite Auflage. 4 Ade. 8. broch. 6 Thlr. Gerstäcker, Friedrich, Der,kleine Goldgräber in Californien. Eine Erzählung für dte Jugend. Vat 6 colorirten Bildern. 8. In Buntdruck-Umschlag gebunden. 1'^ Thlr. Gerstäcker, Friedrich, Der erste Christbaum. Ein Märchen mit 6 color. Bildern. 8. In Buntdruck-Umschlag gebnnden. 1 Thlr. Gerstäcker, Friedrich, Der kleine Wallfisch-fang er. Erzählung für die Jugend. Mit einem Titelkuftfer. 8. In Buntdruck-Umschlag gebunden. 1'/, Thlr. Vibra, Ernst Freiherr von, Aus Chili, Peru und Brasilien. 3 Bde. 8 broch. 3 Thlr. 22 V^ Ngr. Brachvogel, A. E., Aus dem Mitlelalter. 2 Bde. 8. broch. 2^ Thlr. Möllhausen, BaldMN, Der Flüchtling. Erzäh lung. 4 Vde. 8. broch. 5^ Thlr. Sternbcrg, A. von, Peter Paul Rubens. Äio' graphischer Noman. 8. broch. 1^4 Thlr. Wallfahrt durch's Leben vom Bafeler Frieden bis zur Gegenwar t. Von einem Sechsund -sechs zig er. 9 Vde. 8. broch. 10^ Thlr. Wird gleiches Auffehen erregen wie Varnhagen's Tagcbiichc r. Berlepsch, H. A<, Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Mit 16 Illustrationen und einem Titelbilde in Tondruck, nach Originalzeichnungen von Emil Rittmeyer. Lex.-8. Pracht-Ausgabe. Ein starker Band. Eleg. broch. 3 Thlr. 26 Ngr. 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Zweite Auflage der Novellen. 8. 2 Bde. broch. ^'/2 Thlr. Vurton und Spelt's Reifen in Arabien und Ost-Afrika. Nach den neuesten Entdeckungen bearbeitet von Dr. Karl Audree. Mit 8 Toubildern und sehr zahlreichen eingedruckten Holzschnitten. Nebst einer Karte von Afrika. 2 Bde. broch. 6 Thlr. Ebcrtn, Dr. F., Die Sterne nnd die Erde. Gedanken über Raum, Zeit und En'igkcit. Nach der «>. Auflage der cngl. Ueberfetzuug des Werkes: „Die Gestirne nnd die Weltgeschichte." In'ö Deutsche zurück übersetzt von W. von Voigtü-Nhetz. 8. broch. K» Ngr. Erncsti, öoltisc, Geld und Talent. Roman. 3 Bde. «. broch. 4 Thlr. Gcrstactcr, Friedrich, Daö alte Hans. Erzählung. «. br^ä,. l'., Tl'lr. Gerstilckcr, Friedrich, Nach Amerika! Ein Volksbuch. Illnstnrt von Tbeod. Hosemann und Karl Nein« baidt. «. 6 Bde. broch. 6 Tblr. 12 Ngr. Gerstiickcr, Friedrich, Die Ncgnlatoren in Arkansas. An« dem Waldleben Amenta's. Erste Abtheilung. 3 Bde. Stereos-Ausgabe. ». bvoch. I'/^ Thlr. Gerstäckcr, Friedrich, Die Flnsj Piraten des Mississippi, Ans dem Waldlebcn Amerika's. Zweite Abtbei-lnng. 3 Bde. Stereot.-Ausgabe. «. broch. 1'/,^ Thlr. Gerstäcker, Friedrich, Die beiden