Der Wandel des Benutzungsprofils am Beispiel des Steiermärkischen Landesarchivs Elisabeth SCHÖGGL-ERNST, Ph.D. MAS, Archivarin am Steiermärkischen Landesarchiv, Karmeliterplatz 3, A-8010 Graz, Austria, Lehrbeauftragte am Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien e-mail: elisabeth.schoeggl-ernst@stmk.gv.at The Change of User Profile in the Styrian Provincial Archives ABSTRACT Various external and internal factors influence the user profile of an archive. The acquisitions policy of an archive is a basis for the formation of particular user groups. Shifting research themes in history and related disciplines can also be included as a reason for user profiles changing in an archive. This article examines the user profiles of the Styrian Provincial Archive over the last two decades and discusses the various causes of change. Key words: access, use, user profile, Styrian Provincial Archives Il cambiamento di profilo dell'utenza nell'Archivio provinciale della Stiria SINTESI Vari fattori interni ed esterni influenzano il profilo dell'utenza di un archivio. La politica di acquisizione di un archivio e la base per la formazione di un particolare gruppo di utenti. Anche il cambiamento dei temi di ricer-ca storica e le discipline correlate possono essere inclusi fra le ragioni di un cambiamento del profilo dell'utenza in un archivio. L'articolo esamina l'utenza dell'Archivio provinciale della Stiria nelle ultime due decadi e ricerca le varie cause del cambiamento. Parole chiave: accesso, uso, profilo utente, Archivio Provinciale della Stiria Sprememba uporabniškega profila v Štajerskem deželnem arhivu ZVLEČEK Na uporabniški profil arhiva vplivajo različni zunanji in notranji dejavniki. Politika pridobivanja in prevzemanja arhivskega gradiva je osnova za oblikovanje posameznih skupin uporabnikov. Spreminjanje raziskovalnih tem v zgodovinopisju in sorodnih disciplin je prav tako^ lahko razlog za spreminjanje uporabniških profilov v arhivu. Avtorica v č anku obravnava uporabniške profile Štajerskega deželnega arhiva v zadnjih dveh desetletjih in razpravlja o različnih vzrokih za njihovo spremembo. Ključne besede: dostop, uporaba, uporabniški profil, Štajerski deželni arhiv Die Veränderung des Benutzerprofils im Steiermärkischen Landesarchiv ABSTRA^K^T Verschiedene externe und interne Faktoren beeinflussen das Benutzerprofil eines Archivs. Die Akquisitionspo-litik eines Archivs ist eine Grundlage für die Bildung von bestimmten Benutzergruppen. Die Veränderungen von Forschungsthemen in der Geschichtsschreibung und verwandten Disziplinen können auch als Grund für die Veränderung von Benutzerprofilen in einem Archiv einbezogen werden. Dieser Artikel untersucht die Benutzerprofile des Steiermärkischen Landesarchivs in den letzten zwei Jahrzehnten und diskutiert über die verschiedenen Ursachen der Veränderung. Schlüsselwörter: Zugang, Benützung, Benutzerprofil, Steiermärkisches Landesarchiv Elisabeth SCHÖGGL-ERNST: Der Wandel des Benutzungsprofils am Beispiel des Steiermärkischen Landesarchivs, 13-22 1 Einleitung Verschiedene interne und externe Faktoren beeinflussen das Benutzerprofil eines Archivs. Die Bestandsbildungspolitik eines Archivs bildet eine Grundlage für die Bildung von bestimmten Benutzergruppen. Der Wandel der Forschungsschwerpunkte in der Geschichtswissenschaft und in den verwandten Disziplinen zählt ebenfalls zu den Ursachen für Verschiebungen des Benutzungsprofils eines Archivs. Der Beitrag untersucht das Benutzungsprofil des Steiermärkischen Landesarchivs innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte und erörtert die verschiedenen Ursachen für seine Veränderungen. Archivgut ist ein wesentlicher Teil des kulturellen Erbes. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur Rechtssicherheit, unterstützt Yerwaltungsfuhrung und politisches Handeln und ist für die historische und sozialwissenschaftliche Forschung unverzichtbar. Archivgut verkörpert nicht nur ideelles, sondern auch ein beträchtliches nationales K^apital, dessen erhaltung im öffentlichen Interesse gelegen ist (erläuterungen zum Steiermärkischen^, 2013). Archivgut ist nach den Erläuterungen zum Steiermärkischen Archivgesetz sowohl für wissenschaftliche Zwecke als auch für die interessierte Allgemeinheit zugänglich zu machen. Das Steiermärkische Landesarchiv sieht seine Aufgabe in der Sicherung und im Schutz kulturellen Erbes und rechtssichernden Unterlagen im Auftrag der Öffentlichkeit. Kulturgut soll nicht nur geschützt, sondern auch zugänglich gemacht werden. Damit tritt neben den Kulturgüterschutz die Funktion des Archivs als Serviceinstitution für die Bürger des Landes. Archive haben in den letzten Jahren die Verbesserung ihrer Serviceleistungen in den Vordergrund gestellt. Der Forderung nach raschem Zugriff auf Informationen wurden Archive unter anderem durch zahlreiche Digitalisierungsmaßnahmen, der standardisierten Erschließungsarbeit sowie der Schaffung von Online-Recherchemöglichkeiten - auch in Archivverbünden - gerecht. Die mitunter als unnotwendig erachtete Serviceorientierung der Archive ist mittlerweile unumstritten. Benutzerorientierte Öffentlichkeitsarbeit wird vielmehr als "Überlebensstrategie" betrachtet (Worm 2005, pp. 1114). Für die weitere Planung der Serviceleistungen soll nun die Auswertung der Benutzerstatistik im Wesentlichen der letzten zwei Jahrzehnte Hilfestellungen leisten. Benutzungsanalysen können den Zusammenhang zwischen Erschließung und Nutzung darstellen, wobei dem Ausbau der Online-Recherchen ein besonderer Stellenwert zukommt. Eine solche statistische Untersuchung kann auch bei einer internen Reorganisation Unterstützung bieten. Verschiedene Fragestellungen sind daher von Interesse: Aus welchen wissenschaftlichen Bereichen rekrutiert sich der Benutzerkreis eines Archivs? Welcher Teil der Gesellschaft bildet die an Archivgut interessierte Allgemeinheit? Wie steuerbar ist die Benutzerfrequenz eines Archivs? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Überlieferungsbildung und Benutzerverhalten? Auf welches Archivgut wird zugegriffen? Sind Trends in der Zugriffsstatistik erkennbar? Wie wirkt sich die Online-Recherche auf die Benutzerfrequenz im Lesesaal aus? Benutzerstatistiken werden von den österreichischen Archiven geführt und vorwiegend in den Publikationsorganen, teilweise auch auf der jeweiligen Homepage veröffentlicht. Untersuchungen des Benutzerverhaltens, die auf der Auswertung statistischen Materials beruhen, liegen für österreichische Archive kaum vor (Gänser 1989, pp. 38-44). 2 Benutzerfrequenz Archive haben im Vergleich zu den klassischen Kulturinstitutionen der Museen und Bibliotheken einen viel geringeren Publikumsverkehr zu verzeichnen. Dies liegt unter anderem an den komplizierteren Strukturen von Archivgut, dessen Inhalte sich dem Archivbenutzer nicht immer ohne Vorkenntnisse erschließen. Unkundige Archivbenutzer müssen erkennen, dass die gesuchten Informationen nicht bereits aufbereitet zugänglich sind und erst durch geduldiges Lesen der Quellen ermittelt werden können. Andererseits bremsen Archivsperren den uneingeschränkten Zugang zu Informationen. Der Bekanntheitsgrad der Archive liegt weit unter dem der anderen genannten Institutionen. So kamen in den 1990er Jahren auf 6000 Museumsbesucher 1000 Bibliotheksleser, aber nur 1 Archivbenutzer (Hoche^linger 2007/2008, pp. 83-119). Die für das Steiermärkische Landesarchiv vorliegenden Benutzerstatistiken wurden nicht durchgehend nach den gleichen Vorgaben erstellt, sodass nicht für jede Fragestellung, die von Interesse wäre, die entsprechenden Angaben vorhanden sind. Zudem mussten die Grundlagen der vorhandenen Elisabeth SCHÖGGL-ERNST: Der Wandel des Benutzungsprofils am Beispiel des Steiermärkischen Landesarchivs, 13-22 Statistiken genauer geprüft werden, um vergleichbare Ergebnisse darstellen zu können. Der Zugriff auf Archivgut wird heute nach definierten Archivalieneinheiten bemessen. Bestellt der Benutzer einen ganzen Archivkarton, zählt dieser als ausgehobene Einheit und nicht die Summe der darin befindlichen Hefte, Einzelakten oder Einzelstücke. Zur Vorlage bestimmte Einzelakten oder Einzelstücke, die aus unterschiedlichen Kartons herausgenommen werden, zählen ebenfalls als ausgehobene Archivalieneinheiten. Die Erhebungen dazu wurden jedoch innerhalb der Archivabteilungen unterschiedlich getätigt, weshalb die Aushebefrequenz keine absoluten Zahlen enthalten kann. Die Aushebungen für Behörden - darunter sind hauptsächlich solche für die Landesdienststellen zu verstehen - wurden in diesen Statistiken nicht berücksichtigt. Nicht der Zugriff der Behörden auf Registraturgut, das teilweise auch im Landesarchiv verwahrt wird, sondern die Benützung durch Dritte sollte den Schwerpunkt der Untersuchung bilden. Das Steiermärkische Landesarchiv zählte zwischen 1986 und 2015 durchschnittlich 4000 Archivbesuche. Darunter sind nicht die einzelnen Benutzer zu verstehen, sondern es wurden die Zutritte zum Lesesaal des Landesarchivs erhoben. Wie das Diagramm 1 zeigt, nehmen die Zahlen im Jahr 1999 eine steile Kurve nach unten. Die Übersiedlung des Landesarchivs in das neu adaptierte Archivgebäude am Karmeliterplatz und die dadurch notwendige partielle Sperre des Archivs sind die Ursachen für diesen markanten Besucherschwund. Der durch den Archivbau beschränkte Zugang zum Archivgut ist aber auch ein Grund für den danach Diagramm 1: Archivbenutzungen im Steiermärkischen Landesarchiv 1986 bis 2015^ sichtbaren starken Zustrom zum Archiv. Maßgeblicher für den Besucheranstieg in den Jahren 2001 und 2002 waren Projektarbeiten, hier vor allem die Forschungen der Historikerkommission über Vermögensentzug während des Zweiten Weltkrieges. Ein Vergleich der durchschnittlichen Archivbenützung pro Jahr mit anderen österreichischen Landesarchiven zeigt eine ähnliche Frequenz. So verzeichnete das Oberösterreichische Landesarchiv 2015 2644 Besuche bei etwas mehr als die Hälfte des Bestandsumfanges des Steiermärkischen Landesarchivs (Jahresbericht 2015, 2015). Von den Archivbesuchern stammten in den letzten 15 Jahren zwischen 5,5% und 6,2% aus dem Ausland, wobei die größte Gruppe aus dem angrenzenden Slowenien kam, was aufgrund der langen gemeinsamen Geschichte verständlich ist. An zweiter Stelle folgten Forscher aus Deutschland. In den 1980er Jahren lag der Ausländeranteil noch bei knapp einem Drittel der Gesamtzahl an Benutzern. Bürger aus dem ehemaligen Jugoslawien frequentierten das Archiv damals noch wesentlich stärker als heute. Die Forschungsschwerpunkte der Benutzer lagen in den 1980er Jahren bei landesgeschichtlichen Themen, Haus- und Familienforscher nahmen den zweiten Platz ein, gefolgt von der Gruppe der Rechtstitelsuchenden. Die Zahl der sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Forscher lag damals noch 1. Für die Auswertung des statistischen Materials danke ich Frau Mag. Christina Gollob sehr herzlich. 15 Elisabeth SCHÖGGL-ERNST: Der Wandel des Benutzungsprofils am Beispiel des Steiermärkischen Landesarchivs, 13-22 weit höher als jene der Zeithistoriker. Weitaus mehr Kunsthistoriker und Volkskundler forschten im Archiv als Rechtshistoriker (Gänser 1898, p. 43). Ab den 1990er Jahren strömten vermehrt Zeithistoriker in den Lesesaal. Entsprechend den Forschungsschwerpunkten an den Universitäten sank die Zahl der Verwaltungs-, Sozial- und Wirtschaftshistoriker. Dafür interessierten sich zunehmend Rechtshistoriker und Architekten für Archivgut. Die Rechtstitelsuchenden waren jene mit dem stärksten Zuwachs. Der Zugriff auf älteres Archivgut sank mit der Lesefertigkeit der Studierenden. Was Jens Blecher für das Universitätsarchiv Leipzig feststellte, dass mit dem Wegfall des Faches Historische Hilfswissenschaften an der Universität die Lesefertigkeit und das Verständnis für Dokumente des Mittelalters und der Neuzeit schwanden und zeithistorische Unterlagen wegen ihrer leichteren Lesbarkeit stärker nachgefragt wurden, gilt auch für die Steiermark. Die Hinwendung zu zeitgeschichtlichen Themen und die Abkeh r von landesgeschichtlichen Forschungen veränderten die Benutzerstruktur des Archivs. Rechtstitelsuchende nehmen nun den ersten Platz ein, gefolgt von Genealogen und Hausforschern (Blecher 2013, pp. 34-36). Ein Rückgang von Archivbenutzern im Lesesaal ist derzeit nicht ablesbar, auch nicht durch das zunehmende Angebot in der Online-Recherche. Wohl aber zeigt sich eine Verschiebung der Benutzergruppen. 3 Nutzung von Archivgut 3.1 Einsichtnahme im Lesesaal An ausgehobenen Archivalieneinheiten zählte man im Steiermärkischen Landesarchiv jährlich rund 15.000 bis 20.000 für den Zeitraum der Jahre 2000 bis 2015. Oberösterreich verzeichnete im Vergleich dazu im Vorjahr 4280 bestellte Archivalien. Das Kärntner Landesarchiv vermerkte für das Jahr 2015 6601 Archivalienaushebungen bei etwa einem Drittel des Gesamtbestandes des Steiermär-kischen Landesarchivs2. Die Untersuchung der ausgehobenen Archivalieneinheiten zeigt den verstärkten Zugriff auf Gerichtsarchivalien noch wesentlich deutlicher als dies aus den Benützungsthemen erschlossen werden kann. Das Steiermärkische Landesarchiv umfasst derzeit sechs Bereiche oder Archivabteilungen: Bereich 1 besteht in der staatlichen Verwaltung, Bereich 2 umfasst die Dokumente der Justiz-, Finanz-und Exekutivbehörden, Bereich 3 ist für die Archive der Landesverwaltung zuständig, Bereich 4 bezeichnet die Körperschafts- und Privatarchive, Bereich 5 die Sammlungen und Bereich 6 die staatliche Wirtschaft und die Schulverwaltung. Allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2016 wurden im Bereich 2 3244 Archivalieneinheiten ausgehoben. Weit abgeschlagen dazu liegen die Bereiche 4 mit 926 Aushebungen, der Bereich 3 mit 779, der Bereich 6 mit 698 Einheiten und schließlich der Bereich 1 mit 555 Aushebungen. Insgesamt zeigte sich der Jänner als besonders stark frequentiert. Diagramm 2: Ausgehobene Archivalieneinheiten nach Bereichen 2016 2. Mein herzlicher Dank gilt Mag. Thomas Zeloth für die Übermittlung des statistischen Materials des Kärntner Landesarchivs. Elisabeth SCHÖGGL-ERNST: Der Wandel des Benutzungsprofils am Beispiel des Steiermärkischen Landesarchivs, 13-22 Die gleichen Tendenzen sind in anderen Archiven evident: Das Kärntner Landesarchiv verzeichnet ebenfalls die höchste Aushebezahl bei Archivalien von Gerichtsbehörden. Peter Worm beschreibt für das Staatsarchiv Münster eine ähnliche Entwicklung (Worm 2005, 32, 36-39). Die Gründe dafür liegen in der Bestandsbildungspolitik dieser Archive. Mit der Übernahme der Grundbücher wuchs die Zahl der Rechtstitelsuchenden, aber auch jene der Hausforscher rasch an. Das Steiermärki-sche Landesarchiv hat in den Jahren 1999 bis 2001 sämtliche steirischen Grundbücher, die infolge des Grundbuchanlegungsgesetzes von 1871 von den Bezirksgerichten angelegt und bis zur Umstellung auf das digitale Grundbuch in den 1980er Jahren geführt worden waren, sowie die dazugehörige Urkundensammlung bis zum Jahr 1920 übernommen. Zusätzlich zu den Grundbüchern wurde die jüngste Reihe der steirischen Landtafel inklusive der gesamten Urkundensammlung, die bis 1990 reicht, dem Landesarchiv übergeben. Mit diesem Zuwachs erhöhte sich die Zahl der Rechtstitelsuchenden sprunghaft (Schöggl-Ernst 2004, pp. 257-264). Wie das Kärntner Beispiel zeigt, steigt der Benutzerstrom mit der Übernahme jüngerer Jahrgänge von Grundbuchsurkunden noch stärker an. Die Grundbücher stehen nun auch im Fokus der Hausforscher. Diagramm 3: Archivalienbenutzung im Kärntner Landesarchiv nach Archivaliengruppen Doch die Grundbücher sind nicht allein verantwortlich für diesen Zuwachs an Aushebungen aus Gerichtsbeständen. Auch die Zahl der Genealogen, die die Verlassenschafts- und Pflegschaftsakten für ihre Forschungen benötigen, hat sich vermehrt, insbesondere durch genealogische Unternehmen, die ihre Recherchen erwerbsmäßig durchführen. Angehende Juristen wenden sich zunehmend rechtshistorischen Themen zu und führen ihre Recherchen auf der Grundlage von Gerichtsakten durch. In den letzten Jahren wurden vorwiegend einzelne Deliktsgruppen einer näheren Untersuchung unterzogen. Auch für Zeithistoriker bilden Strafakten ein weites Betätigungsfeld. Der verstärkte Fokus auf diese Themenbereiche erklärt ebenfalls den Anstieg der Aushebungen im Justizbereich. 4 Strategische Überlegungen Die statistischen Erhebungen dienen einerseits als Grundlage für das Aufzeigen dieser Entwicklungen, andererseits aber auch als Argumentationshilfen für organisatorische Konsequenzen. Die Archive der Landesdienststellen verzeichneten 2015 mit den Entlehnungen für die Verwaltung und den Aushebungen für die Benutzung im Lesesaal 10.154 Aushebungen. Die Archive der Bundesbehörden im Land kamen 2015 auf 6782 Aushebungen allein für die Benutzung durch Dritte. Als Ar- Elisabeth SCHÖGGL-ERNST: Der Wandel des Benutzungsprofils am Beispiel des Steiermärkischen Landesarchivs, 13-22 chiv des Landes und als Registratur für einige wenige Landesdienststellen ist nicht nur der Bestandsu-mfang, sondern auch der Arbeitsaufwand für diesen Bereich naturgemäß am stärksten. Dicht darauf folgen die bundesstaatlichen Behörden im Land. Deren Bestandsgröße beträgt insgesamt ein Drittel des Gesamtumfangs. Die Zahlen bestätigen den hohen Arbeitsanfall auch in diesem Bereich. Als Folge dessen muss für den entsprechenden Personaleinsatz gesorgt werden. Dieses darf keinen Personalreduktionen zum Opfer fallen, andernfalls könnte das Arbeitspensum nicht getätigt werden. Der verstärkte Zugriff auf Archivgut des Bereiches 2 zog nicht nur organisatorische, sondern auch strategische Maßnahmen nach sich. Zeitnah nach der Übernahme der Grundbücher begannen die Erschließungsarbeiten, die mit Hilfe von Praktikanten durchgeführt wurden, um die Menge von 19.542 Bänden rasch und einfacher zugänglich zu machen. Die hohe Frequenz bei Strafakten bedingte ebenfalls eine verstärkte Erschießung dieser Aktengruppe. Eine Personalreduktion muss daher in diesem Bereich vermieden werden. Mit Ausnahme Vorarlbergs haben sich die österreichischen Bundesländer entschlossen, Archivgut der Bundesdienststellen in den Ländern zu übernehmen, obwohl das Österreichische Staatsarchiv für Bundesschriftgut allein zuständig wäre. Die Fülle von Archivmaterial der Bundesdienststellen, das in den Ländern anfällt, hätte allerdings die Kapazitäten des Staatsarchivs gesprengt. Die Bürgernähe und die Bedeutung der Quellen für die einzelnen Bundesländer sind wichtige Motive für diese Übernahmen durch die Landesarchive. Den Archivaren der Landesarchive war und ist es stets ein Anliegen, diese wichtigen Dokumente nicht dem Verfall preis zu geben, sondern diese zu erhalten. Die Archivgesetzgebung hat diesen Umstand auch festgehalten. Diese Bestandsbildungspolitik der Landesarchive, die bereits nach dem Ende der Monarchie eingeschlagen wurde, brachte einen enormen Bestandszuwachs sowie besonders in den letzten beiden Jahrzehnten einen verstärkten Manipulations- und Erschließungsaufwand. Eine Arbeitsgruppe, die vor rund zwei Jahren vom Verband der Österreichischen Archivarinnen und Archivare gegründet wurde, beschäftigte sich allein mit Justizarchiven, versucht die Kooperation mit der Bundesverwaltung, die bisher in einem eher einseitigen Entgegenkommen der Landesarchive bestand, zu verbessern. 5 Schriftliche Auskünfte und Beratungstätigkeit Mit zunehmender digitaler Vernetzung der Bevölkerung stieg die Zahl der schriftlichen Anfragen stetig an. Erteilte das Steiermärkische Landesarchiv im Jahr 2000 noch 824 wissenschaftliche Auskünfte in schriftlicher Form, so wurden 2015 bereits 3904 Anfragen erledigt, das bedeutet eine Zunahme von 474% {Brunner 2001, p. 46)! Eine Frage per Email stellt man heute mit wesentlich weniger Hürden als dies in Zeiten der brieflichen Anfrage getätigt wurde. Man erspart sich den Postweg und damit auch wesentlich Zeit. Wir bemerken, dass die Anfragen zunehmend in knapperer Form, überhaupt formlos und oft ohne ganze Satzbildung gestellt werden. Dieses rasche Anfragen per Email bewirkt zudem, dass eine größere Anzahl von Absendern immer weniger Literaturrecherchen zum Themenfeld im Vorfeld tätigt, sondern einfach darauf los fragt. Diese Entwicklung zeigt sich auch in der wissenschaftlichen Beratung, die im Landesarchiv von den Archivaren entweder face-to-face oder telefonisch erteilt wird. Die Konsequenz daraus ist ein steigender Betreuungsaufwand für die Archivare. 2015 fielen 6500 Beratungsfälle an. Die Leistungszeiterfassung der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Landesarchivs weist rund 55 Prozent für die wissenschaftliche Beratungstätigkeit aus. Diese Zahlen dokumentieren einen hohen Aufwand des Archivs für Serviceleistungen. Gleichzeitig müssen wir jedoch eine Personalreduktion hinnehmen. Hatte das Archiv 2001 noch 73 Arbeitskräfte im Einsatz, so hat sich deren Zahl 2016 auf 59 verringert, was einer Reduktion um mehr als 20 Prozent entspricht. Im selben Zeitraum wurde die Zahl der wissenschaftlichen Archivare von acht auf fünf verknappt. Gleichzeitig wurden die Serviceleistungen erhöht. Dass dieser Trend nur begrenzt fortgesetzt werden kann, ist anhand der Zahlen leicht ablesbar. Der verstärkte Einsatz des wissenschaftlichen Personals in der Beratungstätigkeit bedingt eine Verringerung der Erschließungsarbeit. Diese ist aber unabdingbar, will man die Serviceleistungen - vor allem im Onlinebereich - erhöhen. Wiederum dienen Statistiken zu Strategiegesprächen in Personalangelegenheiten. Elisabeth SCHÖGGL-ERNST: Der Wandel des Benutzungsprofils am Beispiel des Steiermärkischen Landesarchivs, 13-22 6 Online-Recherchen Die meisten Archive stehen vor denselben beschriebenen Problemen der schwindenden Ressourcen bei gesteigertem Leistungsdruck. Einen gewissen Ausweg schaffen Digitalisierungsstrategien und Online-Recherchemöglichkeiten. Die Mappenblätter zum Franziszeischen Kataster dienen seit Jahrzehnten als beliebte Grundlage für die Forschung und Bebilderung. Um einen rascheren Zugriff zu diesen Archivalien zu gewährleisten und diese gleichzeitig vor übermäßiger Benützung zu schonen, entschloss sich das Landesarchiv bereits zu Beginn dieses Jahrtausends zur Digitalisierung dieses Bestandes. An die Digitalisierung der Mappenblätter schloss jene der wichtigsten Teile der Protokolle zum Franziszeischen Kataster an. Beides wurde online recherchierbar gemacht, um den Forschern den Weg in den Lesesaal zu ersparen. Die Aushebungen in diesem Teilbereich sind seitdem rückgängig bei gleich bleibendem Umfang von Anträgen auf Reprografien aus diesem Bestand. Diagramm 4: Aushebungen im Teilbereich Kataster/Finanz Als weitere häufig benutzte Bestände sind die Ansichtskartensammlung, die Ortsbildersammlung oder die Plakatsammlung zu nennen, die digital verfügbar sind. Bei Anfragen nach diesen Quellen kann das Archiv auf die Onlinerecherche verweisen und überlässt die Recherche, die das Archivpersonal zuvor selbst tätigen musste, dem Benutzer. Die Verbesserung des Benutzerservices durch Online-Recherchemöglichkeiten kann im Umkehrschluss jedoch nicht das Ziel einer Personalreduktion haben. Vielmehr muss besser qualifiziertes Personal zum Einsatz kommen, das die Erschließungsarbeiten vorantreibt. Detaillierte Online-Recherchen in einem Archiv, das über 60.000 Laufmeter Archivalien verwahrt, sind illusorisch. Von vielen großen Beständen können nur Bestandsbeschreibungen und bestenfalls teilweise Einzelerschließungen im Internet verfügbar gemacht werden. Eine umfassende Digitalisierung bewegt sich jenseits aller Ressourcen. Daher erkennen wir noch keine Reduktion der Emailflut, keinen allgemeinen Rückgang der Aushebungen und auch keine nennenswerten Steigerungen von qualifizierten Anfragen, wie dies am Beispiel des Universitätsarchivs Leipzig dargestellt werden konnte (Blecher 2013, pp. 67-69). Der Weg in den Lesesaal des Archivs wird den Benutzern für umfassendere Forschungen deshalb in der Regel nicht erspart bleiben. Unsere Statistiken werden aber zukünftig die Online-User, die sich als stark wachsende Gruppe präsentieren, gemeinsam mit den Lesesaalbenutzern auflisten. Elisabeth SCHÖGGL-ERNST: Der Wandel des Benutzungsprofils am Beispiel des Steiermärkischen Landesarchivs, 13-22 7 Sind Benutzerwünsche steuerbar? Werden online verfügbar gemachte Bestände medial und über Facebook verbreitet, steigt die Anfrage nach diesen Beständen, vor allem nach Reproduktionen daraus, da die meisten Bilddaten nicht downloadbar sind. Ein gewisser "Hype" auf diese Bestände legt sich nach kurzer Zeit. Was allerdings online recherchierbar ist, wird auch stärker genutzt. Denn die junge Generation von Forschern und Interessierten sucht zuerst den Weg über das Internet und erst in zweiter Linie jenen in den Lesesaal. Was also im Internet auffindbar ist, wird erforscht. Damit ist eine Lenkung eines bestimmten Benutzerkreises auf Bestände möglich. Neue Benutzergruppen entdecken ihr Interesse an Informationen aus dem Archiv (Plassmann 2013, pp. 10-14; Blecher 2013, p. 68). Werden besonders häufig gefragte Bestände digitalisiert und online gestellt, steigert dies die Zugriffsfrequenz enorm. Dies können wir bei den online verfügbaren Pfarrmatriken deutlich erkennen. Im Diözesanarchiv Graz-Seckau stellten die Pfarrmatriken die am häufigsten genutzte Quelle dar. Seitdem diese online verfügbar sind, senkte sich einerseits die Anzahl der Benutzer im Lesesaal dramatisch, andererseits stieg die Zahl der Online-Benutzer enorm an3. Diagramm 5: Benutzerentwicklung im Archiv der Diözese Graz-Seckau Ähnliche Erfahrungen haben die Landesarchive von Tirol und Vorarlberg mit der Online-Verfügbarkeit der Pfarrmatriken gemacht. Im Tiroler Landesarchiv beträgt der tägliche Zugriff auf die Matriken etwa 60.000 bis 70.000 Klicks, womit das Tiroler Landesarchiv auf dieselbe Anzahl von Zugriffen kommt wie die gesamte Homepage des Landes Tirol. Die gleichen Tendenzen werden aus dem Vorarlberger Landesarchiv berichtet, das ebenfalls die Pfarrmatriken auf seiner Homepage online recherchierbar gemacht hat (ProtokollderEDY-Expertentagung, 2016). Das Österreichische Staatsarchiv hat das Projekt „MAPIRE" mitentwickelt. Dabei handelt es sich um digitalisierte Kartenwerke, die online zur Verfügung gestellt werden. Diese erfreuen sich unter den Archivnutzern wachsender Beliebtheit. Das Projekt reduziert den personellen Andrang im Benutzersaal. Diese Beispiele sind besonders gelungene Projekte der benutzerfreundlichen Servicesteigerungen von Archiven, da die Dokumente auch analog bereits stark nachgefragt waren. Sie verkürzen nicht nur die Forschungszeit, sondern verändern auch das Benützungsprofil dieser Archive oder Archivabteilungen. Die Digitalisierung und Online-Präsentation von häufig beforschtem Archivgut steht daher schon seit Jahren im Mittelpunkt der Archive. Die frei werdenden Personalressourcen können zu an- 3. Für die statistischen Informationen aus dem Diözesanarchiv Graz-Seckau bin ich Dr. Norbert Allmer zu Dank verpflichtet. Elisabeth SCHÖGGL-ERNST: Der Wandel des Benutzungsprofils am Beispiel des Steiermärkischen Landesarchivs, 13-22 deren Aufgaben herangezogen werden. Der virtuelle Benutzer übertrifft den im Lesesaal Recherchierenden hier bereits bei weitem. 8 Schlusssatz Das Steiermärkische Landesarchiv verzeichnete in den letzten 15 Jahren jährlich rund 4000 Archivbesuche. Die Zugriffsstatistiken lassen erkennen, dass die Bestandsbildungspolitik der letzten Jahrzehnte einen maßgeblichen Anteil an der Verschiebung der Benutzergruppen hatte. Aber auch die Veränderung von Forschungsschwerpunkten führte die Benutzer an neues oder anderes Quellenmaterial heran. Lag der Schwerpunkt in den 1980er Jahren noch in der landesgeschichtlichen Forschung, verschob sich dieser hin zu zeit- und rechtsgeschichtlichen Themen. Insgesamt nehmen durch die Übernahme vieler Gerichtsbestände die Rechtstitelsuchenden nun den ersten Platz in der Benutzerfrequenz ein. Die Auswertung von statistischem Material zur Benutzerfrequenz eines Archivs kann dieses bei Personalverhandlungen und Reorganisationen unterstützen. Die Eröffnung der Online-Recherchemöglichkeiten bewirkt selbstverständlich eine Reduktion der Aushebungen dieser Bestände für den Lesesaal. Werden große und besonders nachgefragte Bestandsteile im Netz verfügbar gemacht, führt dies zu gravierenden Veränderungen der Benutzerstruktur im Lesesaal. Bestände, die online verfügbar sind, werden wegen ihrer einfacheren Zugänglichkeit beforscht. Mit der Auswahl der recherchierbaren Bestände können wir daher die Benutzung auch ein wenig steuern. In jedem Fall wird das Landesarchiv diesen Weg der Serviceleistungen im Rahmen der vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen weiter verfolgen. Literatur- und Quellenverzeichnis Blecher, Jens (2013). Von der Benutzerstatistik zur Benutzersteuerung am Beispiel des Universitätsarchivs Leipzig. In: Archivalische Zeitschrift 93 (2013), pp. 33-69. Brunner, Walter (2001). Tätigkeitsbericht. In: Mitteilungen des Steiermärkischen Landesarchivs 50/51 (2001), pp. 15-75. Erläuterungen zum Steiermärkischen Archivgesetz vom 16. April 2013. LGBl., Stück 19, Nr. 59, ausgegeben am 12.Juni 2013. Gänser, Gerald (1989). Das Benutzerprofil. In: scrinium 41 (1989), pp. 38-44. Hochedlinger, Michael (2007/2008). „Verdrossen und einsam"? Der Archivar im Spannungsfeld zwischen historischer Wissenschaft und „Benutzerservice". In: scrinium 61/62 (2007/2008), pp. 83-119. Jahresbericht 2015 (2015). Zugänglich auf http://www.landesarchiv-ooe.at/xchg/SID-E9B86172-A9015488/ hs.xsl/90_DEU_HTML.htm (Zugang am 9.5.2016). Plassmann, Max (2013). Lesesaal abschaffen oder erweitern? Perspektiven der Nutzung im digitalen Zeitalter. In: Marcus Stumpf/Katharina Thimann (Hgg.), "Im (virtuellen) Lesesaal ist für Sie ein Platz reserviert... "Archivbenutzung heute - Perspektiven für morgen. Beiträge des 21. Fortbildungsseminars der Bundeskonferenz der Kommunalarchive (Münster 2013), pp. 9-19. Protokoll der EDV-Expertentagung c^r österreichischen Landesarchive und c^s österreichischen Staatsarchivs vom 8. und 9. März 2016. Riegler, Josef (2004). Tätigkeitsbericht. In: Mitteilungen des Steiermärkischen Landesarchivs 52/53 (2004), pp. 7-55. 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The evaluation of archival user statistics can be of assistance in personnel negotiations and reorganization. Online search options of course caused a reduction in the movement of archival items to the reading room. Thus when highly sought after items are available online, this leads to significant changes in the reading room user groups. Sources which are easily available online are researched. It is through the selection of placing items online, that an archive can to some degree steer the use of archival resources. In any case, the Styrian Provincial Archives will offer this service within the financial and personnel resources allocated. Typology: 1.02 Review Article Submitting date: 29.01.2016 Acceptance date: 20.02.2016