Ocene, zapiski, poročila Reviews, Notes, Reports SASKIA PRONK-TIETHOFF. THE GERMANIC LOANWORDS IN PROTO-SLAVIC (= Leiden Studies in Indo-European 20). Amsterdam - New York, NY: Rodopi, 2013. 316 Seiten (ISBN 978-90-420-3732-8). In dieser sehr verdienstvollen Arbeit setzt sich Saskia Pronk-Tiethoff (im Weiteren zitiert als PT) das Ziel, die germanischen Wörter, die bis zum 9. Jh. ins Slavische entlehnt worden sind, zusammenzustellen und unter verschiedenen Gesichtspunkten zu untersuchen. Sie nennt alles Slavisch bis zum 9. Jh. Urslavisch und spricht daher von germanischen Entlehnungen ins Urslavische (PT 15). Was diese Arbeit besonders auszeich -net, ist die Bemühung, fürjedes besprochene Lehnwort zu bestimmen, nach welchem der drei Stangschen Akzentparadigmen a, b und c es im Slavischen flektiert. So gerne ihr traditionell auch ausgewichen wird, wäre ohne Beantwortung dieser Frage die etymologische Darstellung eines Wortes unvollständig. Die Autorin gibt dankenswerterweise auch eine kleine Einführung in die slavische Akzentologie (PT 31-38). Bei dieser Gelegenheit seien zum in PT 35 besprochenen voja-Typ drei neuere Titel ergänzt: 1) Rainer Fecht, Neoakut in der slavischen Wortbildung: Der volja-Typ, Dettelbach 2010. 2) Meine kurze Rezension davon im Wiener Slavisti-schen Jahrbuch 57 (2011) 236-239. 3) Florian Wandls aufschlussreicher Rezensionsaufsatz in Ricerche slavistiche 10/56 (2012) 399-416. In ihrer Rückschau auf die Geschichte der Erforschung germanischen Lehnguts im Slavischen (PT 17-29) wendet sich die Autorin - vielleicht zu Recht - gegen Kiparskys Postulat einer balkangotischen Lehnschicht (PT 20-21). Immer wieder aber stellt sie - und zwar wohl zu Unrecht - auch die Existenz und sogar die Möglichkeit vorgotischer Lehnbeziehungen zwischen Slavisch und Germanisch in Abrede (passim, z. B. in PT 20, wo sie erwähnt, dass Ki-parsky für die ersten nachchristlichen Jahrhunderte mit slavisch-germanischen Kontakten in Ostpreußen rechnet). Vgl. auch PT 29: „All scholars depart from a layer of Proto-Germanic loanwords ... in Proto-Slavic", aber „the Germanic and Slavic homelands were located too far away from one another". (Zur Frage der germanischen Urheimat sei hier folgende neuere Publikation nachgetragen: Wolfram Euler und Konrad Badenheuer, Sprache und Herkunft der Germanen. Abriss des Protogermani-schen vor der Ersten Lautverschiebung, Hamburg - London 2009.) Hier sei gleich angemerkt, dass eventuelle vorgotische germanische Entlehnungen im Slavischen nicht unbedingt als urgermanische bezeichnet werden müssen. Vorgotisch-Germanisches kann ja durchaus nachurgermanisch sein. Es kann auch gemeingermanisch sein, also einem bereits uneinheitlichen, aber noch zu gemeinsamen Innovationen fähigen Germanischen angehören. In PT 51-69 werden aus der Sicht der Autorin die historischen und räumlichen Koordinaten der Kontakte zwischen Slavisch und Germanisch dargestellt und mit wertvollen Quellenzitaten belegt. In PT 69-72 werden mögliche slavische Entlehnungen im Germanischen von got. plinsjan bis ahd. karmala (zu letzterem s. auch PT 74) besprochen. In einem Exkurs über frühe Kontakte des Germanischen und Slavischen mit dem Lateinischen und Romanischen (PT 74-77) wird darauf hingewiesen, dass die aus dem Germanischen ins Slavische entlehnten Wörter — 101 — Ocene, zapiski, poročila - Reviews, Notes, Reports zu einem großen Teil vorher aus dem Lateinischen ins Germanische entlehnt worden sind (PT 75). Schon in PT 20 wird auf den über die Goten erfolgten Transfer römischer Kultur ins Slavi-sche aufmerksam gemacht. Es folgt ein Exkurs zum Temematischen (PT 76). In PT 77-167 werden 76 Lehnwörter, geordnet nach Akzentparadigmen, eingehend besprochen. Nach einer Diskussion von Wörtern, die aus verschiedenen Gründen nicht in die vorangehende Auflistung passen (PT 169-215), wird ein tabellarischer Überblick über die Etymologien nach Akzentparadigmen geboten (PT 217220). Weitere Kapitel behandeln lautgeschichtliche Einzelheiten, auch im Hinblick auf die Bestimmung derjewei-ligen Gebersprache und die Datierung der Entlehnungen (PT 221-237). Dann kommen Überlegungen zur morphologischen Einordnung der Lehnwörter ins Slavische (PT 237-246) und schließlich zu ihrer semantischen Schichtung (PT 246-255). Abgerundet wird die Arbeit mit einer sehr interessanten These zur Ratio der Verteilung der Lehnwörter auf die drei Akzentparadigmen, insbesondere zur Eingliederung eines Teils ins Akzentparadigma a (PT 257-273, v. a. 265, 271). Es folgen noch Bibliographie (PT 275-290) und Index (PT 291-316). Im Index vermisst man die „urslavischen" Ansätze, zumal diese im Text oft alleine, ohne einzelsprachliche Reflexe, angeführt werden und somit über den Index ganz und gar unauffindbar sind; und wo sie zusammen mit einzelsprachlichen Reflexen genannt sind, muss man erraten, mit welchen, um das „urslavische" Wort über den Index im Text ausfindig zu machen. So blättert man viel herum, bevor man ein Lemma eventuell findet. Der tabellarische Überblick über die Etymologien nach Akzentparadigmen (PT 217-220) ist aber schnell durchgesehen und kann so über die Mängel des Indexes einigermaßen hinweghelfen. Bei aller außer Frage stehenden wissenschaftlichen Qualität des Werks gibt es doch auch manches Inhaltliche zu beanstanden: Die Diskrepanz zwischen slav. *vitqdzb und *retqdzb mit t auf der einen Seite und germ. *w!kinga und *rakind-mit k auf der anderen, aus der die Autorin einen „change of Germanic kto PS1. *t" (PT 161) ableitet, kann nicht mit der zwischen russ.-ksl. stbl'azb und germ. *skillinga verglichen werden (s. PT 96-98, 160-162). Bei stbl'azb handelt es sich um ein ursprüngliches slavisches k, das durch die Zweite Palatalisierung zu c und im Zuge der altbulgarischen Dissimilation sc > st (wie z. B. in isceliti > isteliti, ljudbscii > ljudbstii, vgl. etwa Paul Diels, Altkirchenslavi-sche Grammatik I, Heidelberg 1932, 136-137 Anm. 5) zu t geworden ist. Das Russisch-Kirchenslavische reflektiert hier die bulgarische Lautung wie russ. strana die bulgarische Liquidametathese. Von einem „PS1. *t" (PT 161) und einem „change of Germanic k to PS1. *t" kann in stbl 'azb nicht die Rede sein. In altkr. clez ist diese altbulgarische Dissimilation naturgemäß ausgeblieben (während es kr. dennoch vitez heißt). Zumindest erwähnt und am besten auch eingearbeitet hätte Stefan Michael Newerklas Monographie „Sprachkontakte Deutsch - Tschechisch - Slowakisch. Wörterbuch der deutschen Lehnwörter im Tschechischen und Slowakischen: historische Entwicklung, Beleglage, bisherige und neue Deutungen" (Frankfurt am Main etc., 2. Auflage 2011) werden sollen. Hierin gibt es auch Kapitel zu Lehnwörtern aus - 102 --Silvia Centralis i/2014 Ocene, zapiski, poročila Reviews, Notes, Reports dem Gotischen und aus dem Westgermanischen. Vielleicht wäre dann Pronk-Tiethoffs Sammlung germanischer Lehnwörter im frühen Slavischen um so manches Beispiel reicher. Vielleicht auch um slav. *opat-b (gr. aßßa^ > lat. abbatem > rom. *abäte [vgl. ital. abate] > altbair. *appät; nhd. Abt). Obwohl dieses Wort nur entlang der Grenze zum deutschen Sprachgebiet belegt ist und solche Wörter nach Auffassung der Autorin „may result from later (post-Proto-Slavic) borrowings from German" (PT 7), ist *opat-b im Sinne der Autorin als urslavische Entlehnung einzustufen, mit a > o ist esja spätestens zu Beginn des 9. Jh. ins Sla-vische gelangt. Da kollidieren offenbar ein geographisches und ein lautchronologisches Kriterium. Das stimmlose p belegt hochdeutsche (bairische) Vermittlung des ursprünglich lateinischen Worts. Vgl. Ernst Schwarz, Zur Chronologie von asl. a > o, Archiv für slavische Philologie 41 (1927) 124-136: 127-128: „Das Kirchenwort tschech. opat 'Abt', sl. opät geht des Vokalismus und Konsonantismus wegen auf abayr. appät zurück. Es wird mit den deutschen Missionären des VIII./IX. Jahrh. (in Kärnten, Mähren, Pannonien) Eingang gefunden haben." Bei Newerkla ist dieses Wort auf S. 118 besprochen. Angebracht wäre auch ein Hinweis auf Kontakte des Slavischen mit dem Nordgermanischen und alte Entlehnungen daraus wie z. B. den Personennamen Gomol-b < anord. Gamall, der ebenfalls noch den slavischen Wandel a > o mitgemacht hat (s. Alexander Sitzmann, Nordgermanisch-ostslavische Sprachkontakte in der Kiever Rus' bis zum Tode Jaroslavs des Weisen, Wien 2003, 67, 86; zu den seit dem 8. Jh. anzunehmenden Kontakten s. op. cit. 20). Unter den Entlehnungen mit „limi- ted attestation" (vgl. PT 169) wäre slav. *sbl§dzb (mit Dritter Palatalisierung) < germ. Siling (> Ptolemaios SiXiyyai) ein besonders interessantes Beispiel gewesen (s. dazu jetzt Alexander Sitzmann - Friedrich E. Grünzweig, Die altgermanischen Ethnonyme. Ein Handbuch zu ihrer Etymologie, Wien 2008, 249-250). Eine besondere Diskussion verdient Pronk-Tiethoffs wiederholt betonte Prämisse, dass die ersten Germanen, mit denen die Slaven Kontakt haben konnten, die Goten gewesen seien. Die Urheimat der Slaven (nördlich und nordöstlich der Karpaten) und die der Germanen (Norddeutschland und Südskandinavien) seien 900 km voneinander entfernt gelegen gewesen, sodass es vor der Wanderung der Goten zum Schwarzen Meer keine Berührung zwischen Slaven und Germanen geben konnte und daher auch keine vorgotischen germanischen Lehnwörter im Urslavischen. Dieser Auffassung ist nun entgegenzuhalten, dass das Slavische und Baltische einerseits und das Germanische andererseits manche frühen Innovationen gemeinsam vollzogen haben: (1) Den Lautwandel o > a (der freilich einen weiteren Kreis zog); (2) die Einführung von Dativ- und Instrumental-Plural-Endungen mit -m-(vgl. got. wulfam, ahd. wolfum, abulg. vlbkomv, lit. vilkäms), die an die Stelle von -bh- traten; (3) die Einführung bestimmter neuer Etyma: got. püsundi = abg. tysQsti, tysgsti = apreuß. tüsimtons A PI.; got. gulp = abg. zlato = lit. zeltas 'golden' (s. Herbert Bräuer, Slavische Sprachwissenschaft I, Berlin 1961, 2324). Areallinguistische Betrachtungen (Germanisch, Baltisch und Slavisch im Zentrum vs. Indoiranisch, Keltisch, Italisch usw. an der östlichen bzw. westlichen Peripherie) legen nahe, dass es sich hier eher um Innovationen als um — 103 — Ocene, zapiski, poročila - Reviews, Notes, Reports Archaismen handelt; gemeinsame Innovationen verschiedener Sprachen setzen aber Kontakte zwischen ihnen voraus, und wenn es diese gegeben hat, konnten auch Wörter aus einer Sprache in die andere entlehnt worden sein. Es muss also mit vorgotischen germanischen Lehnwörtern im Slavischen grundsätzlich gerechnet werden, und zwar auch mit gemeingermanischen, wenn man bedenkt, dass die eben genannten slavi sch- (baltisch-)germanischen Innova-tionenja das gesamte (wenn auch nicht unbedingt noch einheitliche) Germanische miterfasst haben. Vielleicht aber hatten die Slaven auch spätere vorgotische Kontakte mit Germanen, etwa mit den Bastarnen oder Skiren im 3. Jh. v. Chr. (vgl. Ranko Matasovic, Poredbeno-povijesna gramatika hrvatskogajezika, Zagreb 2008, 49). Tatsächlich scheint man drei germanische Lehnwörter im Slavischen als vorgotisch einstufen zu müssen: (1) Slav. *bljudo 'plate, table' (vor-ursl. *bew'da > ursl. *bjaw'da) kann nicht aus dem Gotischen stammen, wie Pronk-Tiethoff behauptet (PT 77-78, 222, 234), denn got. biups, G Sg. biudis 'table' würde slav. **bljbdo ergeben und nicht *bljudo. Es muss vielmehr ein vorgotisches *beuda- entlehnt worden sein, wie es gewöhnlich als urgermanische Lautung des Wortes rekonstruiert wird. Tatsächlich kommt auch eine westgermanische Gebersprache (vgl. ahd. biet 'table, plate', ae. beod 'table, PI. dishes') lauthistorisch nicht in Frage, wie PT 78 richtig feststellt. (2) Slav. *tjudjb 'fremd' (vorursl. *tewd- mit j-Suffix 'einem [fremden] Volk gehörig'; zur Motivation vgl. sloven. ljudski 'fremd', s. PT 203) > ursl. *tjawdju. Vgl. PT 202-204. Dieses Wort kann weder gotischen (piuda 'Volk', zu eu > iu s. PT 234) noch westgermanischen (ahd. thiot; diutisg 'deutsch', nhd. deutsch, ae. peod 'Volk'; zu eu > eo > ahd. io s. PT 233) Ursprungs sein, sondern nur von einem vorgotischen *peudö- 'people' stammen, wie es gewöhnlich als urgermanische Lautung rekonstruiert wird. (3) Was slav. *selm-b (vorursl. *xel'mu > ursl. *sel'mu) betrifft, so kann es angesichts des Vokalismus tatsächlich nicht gotischen Ursprungs sein (PT 95 und 223; got. hilms), aber aus dem Westgermanischen kann es auch nicht stammen, weil die Kontakte mit diesem erst nach der Ersten Palatalisierung zustande gekommen sind. Slav. *selmi> kann nur von einem vorgotischen *helma- stammen, wie es gewöhnlich als urgermanische Lautung rekonstruiert wird. Es scheint also tatsächlich eine vorgotische germanische Lehnwortschicht im Slavischen zu geben. Zum Schluss bleibt noch zu betonen, dass dieses Werk einen wichtigen und unumgänglichen Beitrag zur historischen Erforschung des slavischen Wortschatzes darstellt. Es vereinigt die bisherigen Forschungsergebnisse in einem kompakten Band und bietet in vielen Punkten eigene Lösungen zu alten und neuen Fragen, insbesondere und mit besonderer Maßgeblichkeit zu akzentologischen. Georg Holzer Universität Wien georg.holzer@univie.ac.at - 104 --Silvia Centralis i/2014