1733 Heft 1. Kremsier, am 15. März 1913. »Staroslovan.« Zweck und Ziel der Gründung. In einer unruhigen, waffendröhnenden Zeit, hervorgerufen durch die strebsamen Slavenstämme auf dem Balkan, die um ihre kulturelle und wirtschaftliche Zukunftssicherung zur Selbsthilfe geschritten sind, Auch wir treten hier in einen Kampf deF Selbsthilfe, jedoch nicht mit Blut und Eisen, sondern mit den Waffen des Geistes, um den Widerstreit der Meinungen zu nivellieren und der Erkenntnis jener aus dem inneren, naturgesetzlichen Werden hervorgegangenen weltgeschichtlichen Tatsachen eine Auferstehung zu erkämpfen, die sich aus eigener Kraft nicht zur universellen Geltung emporzunngen vermag. Das Kampfobjekt ist hier die Frage: sind die Slaven Stamm-bewohner in Europa oder nur Einwanderer, d. h. wie soll man sich die schwere Menge slavisch-sprachlicher Belege in Europa aus dem Altertume erklären, wenn die Slaven erst im 5. Oahrhunderte n. Chr. dahin eingewandert wären ? — Und mag auch die Antwort darauf im Prinzipe sowie an der Hand der Geschichte und Logik naheliegen, so ist sie trotzdem und dadurch schwierig geworden, dass man geschickt die offene Beantwortung derselben unmöglich macht und der lauten Wahrheit das Gehör versagt. Die Berufswissenschaft dilettiert leider viel zu viel mit ungeprüften Traditionen; das selbständige, systematische Nachdenken bildet selten mehr die Grundlage für den Aufbau streng wissenschaftlicher Führungsaufgaben, daher es kommt, dass ein voreingenommenes, schulmechanisch foriwirkendes Urteil oft und umso tollkühner verteidigt wird, je haltloser sich dasselbe gestaltet, nur um sich das Umlernen zu ersparen. reifte die Idee zur Gründung der Zeitschrift und Bibliothek „Staroslovan“ (- „Altslave“). Muzejsko druätvo-Ptu) Die Irrlichter dieser geistigen Desorientierung entwickeln sich aber organisch aus Bequemlichkeits-Konstruktionen, um sich auch das Selbstdenken, Selbstforschen und Selbstschaffen zu erleichtern, wie auch das Selbstverteidigen der eigenen Thesen zu ersparen. Man gründet einfach „Schulen“ und beruft sich bequem als Anhänger derselben auf diese oder jene Autorität, welche der „Schule“ vorsteht oder ihr die Lichtquelle leiht. So kommt es dann, dass heute innerhalb derselben Wissenschaft durchaus entgegengesetzte Ansichten fortbestehen können, ohne dass man sich gegenseitig um einander kümmert, ja ohne sich selbst um die eigene tiefere Begründung zu bemühen. Die Stärke der Partei ersetzt zugleich die Stärke der Gründe, und man rechnet dort gar niGht weiter mit einer wissenschaftlichen Beweisführung oder Aufklärungsnotwendigkeit, wo nur auf das Urteil derer Wert gelegt wird, welche, durch die Übereinstimmung in den Hauptpunkten unter sich verbunden, mit der instinktiven Kraft des Gemeingeistes einander nach aussen vertreten. Hiemit ist aber bereits die strenge Objektivität des Wissens und die Freiheit der Forschung automatisch kartelliert und irrt der Führer, so irrt die „Schule“; der gläubige Schüler wird dabei zum Statisten des Lehrers und zur stillen, dekorativen Zähleinheit, die damit schon organisationsgemäss zur dauernden Sterilität verurteilt und in der freien Selbsttätigkeit lahmgelegt erscheint. Und doch gibt es keine Kunst, die schwieriger ist und strenger den Einsatz der Individualität erfordert, als jene der freien Forschung und der unbeeinflussten Erkenntnis durch Selbstübung, denn die Gabe des unabhängigen Beobachtens ist eine äusserst seltene. Mancher übersieht die Hälfte aus Unachtsamkeit oder vorgefasstem Schulurteile; ein anderer gibt mehr als er sieht, weil er es mit dem, was er sehen will, verwechselt; ein dritter sieht die Teile des Ganzen, aber er wirft Dinge zusammen, die getrennt werden müssen usw. Bei der vorangestellten Hauptfrage, die nur dahin beantwortet werden kann, daß die Slaveti Stammbewohner in Europa sind, handelt es sich aber durchaus um keinen krankhaften Ehrgeiz oder eine papierene Priorität, sondern darum, hiefür positive, überzeugende Beweise zu erbringen, und diese ernste Aufgabe hat sich unsere Gründung gestellt, wenn es auch bekannt ist, dass sie mit dieser apodiktischen Behauptung durchaus nichts völlig Neues bringt. Dass die Slaven als europäische Urbewohner anzusehen sind, sprachen nämlich schon viele namhafte Forscher und Gelehrte aus, und ausser den Slaven M. v. Kalina, Johann Kollar, Alois Sembera, Dr. H. Wan-kel, P. Karl Sicha, H. Schulz, Alfons Müllner, Bretislav Jelinek, Dr. P. T. Die bisherigen Publikationen des »Staroslovan« zeigen bereits klar den Weg an, den wir gehen; überdies haben wir unsere Zukunftspläne im großen offen dar-gelcgt, woraus zu ersehen ist, welche immense Arbeit uns in der Hebung und Verbreitung der Wahrheit über die Sprache, Geschichte und Kultur der Altslaven noch bevorsteht; überdies treffen aus Leserkreisen täglich neue Wünsche und Anregungen ein. Da wir aber keine Reklame machen wollen, so ist es naheliegend, daß sich auch die Mitglieder langsam sammeln; wir sind daher angewiesen an unsere Freunde und bisherigen Mitglieder mit der Bitte heranzutreten, unsere Revue in ihrem Bekanntenkreise zur Sprache zu bringen. Es wäre schon ein bedeutender Erfolg, wenn jedes Mitglied noch wenigstens ein weiteres erwirbt, denn eine einfache Berechnung zeigt und wurde damit auch schon bei der Gründung kalkuliert, daß wir bei 1000 Abonnenten bereits in der Lage sind, alle Werke der Bibliothek »Staroslovan« den Mitgliedern als Gratisbeilage zur Revue zu bieten, trotzdem gerade unsere wissenschaftlichen Arbeiten, die doch auf eine völlig neue FoT-jschungsbasis gestellt sind* vieWocli erhöhte Kosten der Quellenbescliaf£ung ver- Ursachen, sowie eine intensive Anwendung der Illustration, wodurch doch die Beweisführung am reellsten gestützt wird, erforden. Wer sonach voll und ganz unseres Sinnes ist, möge es sich zur persönlichen Ehrenpflicht machen, uns neue Mitglieder und Freunde zuzuführen, denn der wahre, edle und wirklich fruchtbringende Bildungszweck unserer didaktischen Bestrebungen wird erst erreicht, wenn unsere Publikationen in die weitesten Kreise dringen, und wird die Mühe dieser kleinen Werbungsarbeit schon automatisch entlohnt, da zugleich mit dem Wachsen derAuflageauchdasGebotene reichhaltiger und dabei billiger wird, vielleicht sogar die Vierteljahrsschrift mit der Zeit zu einer Monatsschrift umgestaltet werden könnte, nachdemdaswissenschaftliche Material hiezu erstaunlich wächst. Wir dürfen daher wohl allseits mit einer wohlwollenden Beachtung unserer im Interesse der guten Sache vorgebrachten Bitte rechnen, und stellen über Wunsch Ansichtsexemplare, Prospekte und Erlagscheine zur Verfügung, eventuell senden wir solche an mitgeteilte seriöse Adressen direkte zu. Im vorhinein dankt ergebenst für die Mühewaltung »Staroslovan«. H. Sloväk, Kremsier. P. T Im Laufe des Sommers soll das im 1. Hefte des »Staroslovan« angekündigte und als Band 11 der Bibliothek »Staroslovan« erscheinende Werk: iUIIOVIE. MUSIS »MMEll» (circa 15 Druckbogen, Lexikonformat, mit zahlreichen Illustrationen) ausgegeben werden. « i ‘ i • < Die natürliche und systematische Durcharbeitung der Genesis der Ortsnamen stellt nun, als Frucht des festen Wollens, auch hier nur wirkliche Dinge zu sehen, unsere ganze geschichtliche Wissenschaft auf eine völlig neue Plattform, denn darüber, daß unsere Sprache zugleich unsere Urgeschichte ist, wird wohl täglich gesprochen, nicht aber davon, daß die Grundelemente der topischen Namen zugleich die sprechenden Zeugen jener urgeschicht-lichen Ära sind. Das Werk selbst zerfällt in zwei Hauptabschnitte, u. zw.: I. Informativer Teil: Entstehung und Gebrauch der Ortsnamen im allgemeinen. — Grenzbenennungen. — Benennungen für Schutzpunkte, — Sonstige topische Namen. — Funktions- und Hoheitsnamen. — Bildung von Theogonien. — Münz- und Kleiderbenennungen. — Sprachgenetische Entwicklung der Ortsnamen. — Ein- • fluß der Erdgeschichte auf die Toponomie. — Die Toponomie als Hilfswissenschaft der Kultur- und Völkergeschichte. — Praktischer Wert der Toponomie. II, Lexikalischer Teil, — Darin werden aber nicht etwa die Hunderttausende von konkreten Ortsnamen alphabetisch angeführt, sondern nur deren Grund- oder Wurzelwörter. Doch können die eigentlichen Ortsnamen mit ihrer erweiterten Form schon auf dieser Basis leicht gedeutet und demnach auch in bezug auf ihre Richtigkeit in der Natur überprüft werden, denn die Urgeschichte jeder benannten Lokalität ist nahezu ausnahmslos im Grund- oder Wurzelworte enthalten. Preis: für die Mitglieder des »Staroslovan« 3 K 20 h (inkl. Porto); für die Nichtmitglieder 6 K. — Anmeldungen werden bis 1 ä n g s t e n s 15. J u 1 i erbeten, um die Höhe der Auflage baldigst feststellen zu können. Kremsier im Juni 1913. »Staroslovan«. EL SloviTk, Kremslei“. 3. Woldrich u. a. auch viele Deutsche von bestem Klange in der Wissenschaft, wie: August Schlözer (1771), Dav. Popp (1820), August Wersebe (1826), Heinrich Schulz (1826), 3. H. Müller (1840), 6. A. Stenzei (1853), Viktor 3acobi (1856), 3. Landau (1852) u. a. Es ist doch für niemand ein Geheimnis, dass die Slaven trotz 3ahrhunderte, wahrscheinlich aber 3ahrtausende währender Drangsale, Kriegsgräuel, gegenseitiger Verfolgungen, Assimilierungen, falscher Statistik und ausgiebigen Renegatentums heute doch noch immer das weitaus zahlreichste Volk in Europa sind; sie müssen daher schon einst und bisher konstant derart zahlreich gewesen sein, dass aus dem mächtigen Populationsreservoire alle Nachbarvölker ständig schöpfen konnten, ohne dass deshalb die Slaven nummerisch jemals zur Minorität geworden wären, denn sie hätten sich aus einer inferioren Situation unter diesen dekadenten Prämissen überhaupt nie zu einer Majorität emporgearbeitet. Die Wissenschaft hat aber einmal ihre sonderbaren Maximen: weiss sie einen Knoten nicht zu lösen, so durchhaut sie ihn; weiss sie sich gelegentlich eine sprachliche, kulturelle oder ethnographische Veränderung nicht auszulegen, so konstruiert sie eine Völkerwanderung smythe; man führt kurzweg einen Völkerwechsel ein und fragt weiter nicht nach, ob dieses Zauberstück überhaupt praktisch durchführbar sei, und wie man es anstellt, um einen Domizilwechsel von Millionen von Menschen in der Wirklichkeit zu lösen; ja, man legt sich nicht einmal die naheliegendste Frage vor, wieso es denkbar ist, dass z. B. dieselben topischen Namen des Altertums, trotz der Unterbrechung der Tradition, intakt geblieben sind und woher man sie trotzdem wusste. Es handelt sich daher hier durchaus nicht um einzelne inferiore Irrtümer, die jederzeit möglich und zugleich verzeihlich sind, sondern um zusammenhängende, methodisch falsche wissenschaftliche Bestrebungen, die mit vornehm tuender Nebensächlichkeit Quellen ignorieren, Denkmäler willkürlich deuten, Unerwiesenes und Unerweisliches täuschend als Tatsache hinstellen, Unmögliches durch ein Zauberwort möglich machen und so alle jene irreleiten, welche die Untersuchung nicht selbst führen können, jene aber, die dies unternehmen, hingegen nicht zu Worte kommen lassen, unbekümmert darum, dass sich neue geistige Strömungen wohl drosseln, aber nicht erdrosseln lassen. Die Wurzeln solcher Vorkommnisse liegen zum Teile auch in menschlichen Schwächen, denn zum Ausrufen einer unangenehmen Erkenntnis genügt nicht die persönliche Überzeugung allein, sondern l* hiezu gehört auch ein eiserner Wille und stählerner Charakter, der für seine offene Überzeugung nötigenfalls auch die schwersten Opfer bringt. So manche klare Wahrheit muss aber beim Mangel solcher Voraussetzungen lange im dunkeln Winkel stehen, weil man öffentliche Rücksichten auf Kompromittierte und auf persönliche Eitelkeiten nimmt, es daher auch vorzieht, eine morsche Festung lieber von selbst zusammenfallen zu lassen, als sie unter Opfern anzugreifen. — So ist z. B. die Völkerwanderungstheorie heute doch gewiss nicht mehr haltbar, aber sie wird doch weitergehalten, damit der durch Jahrhunderte bewirkte Aufbau vieler innig zusammenhängender Wissenszweige auf einer falschen Basis nicht über Nacht zur Makulatur werde; es müssen daher allerlei Verlegenheitsmittel und Mittelchen herbeigeholt werden, um die gähnenden Risse zu vergipsen. Wie kann man z. B. einen Stein mit Runeninschrift, der seit der Vesuv-Katastrophe im CJahre 79 n. Chr. in Pompeji verschüttet lag und jetzt ausgegraben wurde, trotz des slavischen Textes als slavisch erklären, wenn die Slaven erst 400 Jahre später in Mitteleuropa einwanderten und in Italien überhaupt nie wohnten? — Es bliebe da nichts übrig, als die Völkerwanderung für einen geschichtlichen Missgriff zu erklären und zu löschen! Nein, da sagt man, es war dies irgendein sprachlich ähnliches, aber näher nicht bekanntes Volk von rätselhafter Herkunft und unbekanntem Ende. — Ibrahim ihn Jakub, ein spanischer Reisender um das Jahr 960 n. Chr., erzählt, dass beide Ufer Italiens bis zum Syrischen Meere Slaven bewohnen. Die Gelehrtenwelt schüttelt diesen Beleg ab mit der Weisung, dieser Mann war ein Phantast. — In einer Provinz Süditaliens gibt es noch heute einige Dörfer, die eine Art Kroatisch sprechen; die Wissenschaft sagt dazu, es seien vor 400 Jahren Dalmatiner dahin ausgewandert; sie schlossen sich ganz ab und erhielten sich auf diese Art ihre Sprache. — Und wenn dies alles noch nicht halten will, so macht man kurzen Prozess und erklärt jenen Stein für gefälscht und unterschoben, und mit diesem Momente steht das Streitobjekt auf dem Index. Die Entwicklungsgeschichte menschlicher Erkenntnisse zeigt daher, dass immer zuerst der Starrsinn gelehrter Zöpfe sowie die Denkfaulheit der Massen niedergerungen werden müssen, ehe die Wahrheit einen Sieg verzeichnen kann, daher auch die ersten Apostel immer Märtyrer und Promethyden waren. Es muss da erst in die träge Masse eine Gährung, eine Art geistiger Revolution, getragen werden; der hitzige Paroxismus, welcher der langen Unempfindlichkeit und Gedankenruhe folgt, muss nun bis zur heilsamen Krisis austoben; und erst jetzt findet die geistige Macht, die prak- tisch-theoretische Überlegenheit ein williges Ohr für die Anhörung der falschen Schulsätze und die anschliessende Berichtigung verjährter Irrtümer; so lange dieser Weg nicht betreten wird, sind die Stärksten des Geistes nicht imstande, den toten Trägheitspunkt zu überwinden oder die Versinterung von der Wahrheit zu entfernen. Allerdings lässt es sich auch nicht ableugnen, dass wir bereits in ein Zeitalter von krassestem Industrialismus hineingedrängi sind. Wir sehen es doch mit an, wie das Geistesleben langsam aber stetig verfällt; die reine Forschung und Beobachtung, der wissenschaftliche Positivismus, ja, die Wissenschaft selbst wird erstickt infolge des unbezähmbaren Dranges nach praktischen Applikationen; sie sinkt immer mehr zur gewöhnlichen Marktware herab und ändert die Preise je nach Nachfrage und Angebot. Die Vorbilder der Erziehung verschwinden immer mehr unter der politischen Verrohung und der fortschreitenden Dekadenz aller Ideale, daher alles sich im Sumpfe des ethischen Nichts zu verlieren droht. Sonderbarerweise ist es aber gerade die Berufswissenschaft, die sich dabei umso scheuer zurückzieht, je höher die Wogen der Zeit gehen, je ungestümer sich die Anforderungen des modernen öffentlichen Lebens vordrängen und je lauter und unabweislicher die Tagesfragen die allgemeine Aufmerksamkeit absorbieren. Statt den Weg zum Volke zu suchen, mit demselben im innigen, belehrenden Kontakte zu stehen, wird jedoch unter der Annahme, man werde unverstanden bleiben, derselbe gleich gar nicht betreten. Was Wunder, wenn grosse, Bildungszwecken zugedachte, oft von edeldenkenden Männern hochdotierte Institute, die für die allgemeine Aufklärung Grosses leisten könnten und sollten, völlig unbekannt und steril dastehen, weil sie sich damit begnügen, innerhalb der Grenzen einer selbsteingeengten Umhegung ihre Geistesprodukte ohne jedes Zinserträgnis zu thesaurieren. Die Gründung des „Staroslovan" verfolgt aber gerade das Gegenteil von dem, was man unter wissenschaftlicher oder gar nationaler Exklusivität zu verstehen pflegt: sie will geradezu jene Geistesbrücken schlagen, die unbedingt da sein müssen, wenn man je die primitivsten Ursprungsfragen ernstlich beantworten will. Ihre Publikationen sollen umgekehrt möglichst jedermann zugänglich und in der Hauptsache verständlich sein; sie sollen den weitesten Kreisen Belehrung und Aufklärung bringen und zugleich Anregung zur allgemeinen Mittätigkeit und zum universellen Gedankenaustausche bieten. Wir unterschätzen daher selbst eine scheinbar nichtige Bemerkung oder Berichtigung in keiner Weise, wohl wissend, dass ein ganz unauffälliger Wink oder Hinweis mitunter eine wirksame Handhabe für erfolgreiche Forschungsresultate bedeuten kann, denn erst viele Menschen wissen viel. — Wir wollen daher sowohl mit den Gelehrtengesellschaften einerseits, wie mit den breitesten Bildungsschichten des Volkes andererseits in steter, inniger Fühlung bleiben, und, unentwegt und unbekümmert um Sympathie oder Hass, nur zum Besten der guten Sache arbeiten. Wenn wir hiemit zugleich so manche Barriere niederwerfen, die zwischen der Berufswissenschaft und dem Volkswissen künstlich und unbedacht aufgerichtet wurde, so vergessen wir durchaus nicht als Ersatz hiefür neue, solide Brücken zu bauen, denn nicht zerstören, sondern auf bauen ist unsere ehrlich gemeinte Devise! — Unser Plan ist daher auch kein Gährungsprodukt eines krankhaften Ehrgeizes und ebensowenig eine verhüllte Popularitätshascherei; wir haben in keiner Richtung die Hände gebunden, brauchen daher gegen niemand unverdiente Rücksichten zu üben und stehen auch unter keinem „Schul“-Kuratel, können daher am richtigen Platze auch mit dem richtigen, freien Worte auftreten. Ergeben sich jedoch gelegentlich Meinungsverschiedenheiten, so werden diese angehörl, überprüft und das Fehlerhafte nötigenfalls berichtigt. Wir können auch offenen Widerspruch in einer so rein wissenschaftlichen Angelegenheit ohne leidenschaftliche Regung oder persönliche Empfindlichkeiten ruhig ertragen, denn nicht jener, in dessen Diamantenschmucke man etliche falsche Steine entdeckt, wird dabei nervös und unsicher, sondern nur derjenige, dessen ganze Barschaft aus Similisteinen besteht. ¡Jede sachliche Anregung, jeder wissenschaftliche Beitrag, die etwas Überzeugendes bringen, sind uns willkommen, unbekümmert darum, ob sie eine vorausgehende Meinung bestärken oder entwerten, denn das Bessere ist ewig der Feind des Guten! ln dieser Weise wollen wir durch vorsichtiges Vorwärtstasten Erfahrung um Erfahrung, Beweis um Beweis sammeln, sie in unserem Organe veröffentlichen und später, nach erfolgter Abklärung, dieses in synthetischer Weise aufgelaufene Material noch nötigenfalls zu einem Sammelwerke vereinigen, sowie zugleich auch fertige Werke ausgeben, sofern deren Materie eine reife Übersicht oder sichtbare Reife bietet. Die völlige Unkenntnis der altslavischen Vergangenheit deutscherseits, die mindestens ein ¿Jahrtausend intensiver sprachlicher wie kultureller Relationen mit den Slaven heute kurzweg ignoriert und fast ausnahmslos nur den willkommeneren, d. i. negativen Schilderer oder Kriliker anhört, führte zugleich zu dem Entschlüsse, diese Publikation in deutscher Sprache zu veröffentlichen, denn erst dadurch ist es unseren Nachbarn möglich, die lautere Wahrheit über die sla-vische Vergangenheit zu erfahren. Nebstbei war dabei auch die Rücksicht auf die einzelnen slavischen Sprachgruppen entscheidend, denn hiemit ist in Ermangelung einer gemeinsamen diplomatischen Sprache niemand bevorzugt und niemandem vorgegriffen; hingegen bleibt es jeder Nation frei, für ihre Sprachsphäre eine analoge wissenschaftliche Zentrale zu gründen und alles jene in ihre Sprache zu übernehmen, was ihr von dem Gebotenen gut und nutzbringend dünkt. Möge diese neue Gründung bei allen unseren Zeitgenossen und Brüdern jene Begeisterung und Arbeitsfreude zur Erforschung und Erkenntnis der grossen, bereits vielfach entstellten oder gar schon unkenntlich gewordenen slavischen Vergangenheit auslösen, die ihr von einer kleinen Gemeinde von Mentoren in ihrem schöpferischen Wahrheitsdrange hiemit auf den Weg gegeben wird; möge diese durch den Zeitgeist selbst aktuell gewordene grosszügige Organisation und zugleich Revision alles menschengeschichtlichen Wissens über die Slaven endlich der Wahrheit zum Siege verhelfen! Die Gründer der Zeitschrift und Bibliothek „STRROSLOVRN". M. Žunkovič: Topische Namen der altslavischen Sprach- wurzel »čer«. Die Original-Ortsnamen oder topischen Benennungen überhaupt gehören, mit verhältnismässig sehr geringen Ausnahmen, schon dem grauen Alter an, und sind zugleich noch die letzten lebenden und sprechenden Zeugen jener Bewohner, die einst das praktische Bedürfnis hatten sie mit ihren verfügbaren Sprachmitteln bestimmten Lokalitäten beizulegen. Diese Namen bieten daher zugleich die Urgeschichte eines jeden Ortes, denn sie erzählen die ersten Schicksale desselben, und finden wir, sofern wir die reelle Etymologie des Namens beachten und in der Natur nachprüfen, in den meisten Fällen noch heute die Bestätigung für deren Richtigkeit. Allerdings darf man bei derlei Nachforschungen nicht gleich zu Beginn den ausschweifendsten Wünschen und Autosuggestionen unterliegen, denn es ist kaum irgendwo in der Wissenschaft unbewusst so leicht eine falsche Fährte zu betreten, wie hier, weil schon der äussere Eindruck der Sprache selbst gleich zum erstbesten Irrlichte führen kann. Die Literatur über die Entstehung und Bildung von topischen Namen ist zwar bereits eine unabsehbare, da sich an jedermann gelegentlich die Frage drängt, was der Name dieses oder jenes ihn interessierenden Ortes bedeuten mag, aber diese Literatur ist zugleich auch fast in allen Teilen nahezu wertlos, weil man weniger darnach forschte, was der Name eigentlich besagt oder worauf er hinweist, sondern lediglich, was er heute zu bedeuten scheint. Es gibt daher kaum ein Forschungsgebiet, welchem konsequent und durch alle Zeiten so irrige Antizipationen zugrunde gelegt worden wären, wie gerade der Toponomie. In keiner anderen Wissenschaft ist aber auch die nüchterne Beobachtung, Erfahrung und Vergleichung so notwendig, wie hier, denn nur diese befruchtende Wechselwirkung, tatsächlich wirkliche Dinge sehen und erklären zu wollen, und sich weiter von den durch ¿Jahrhunderte erstarrten Irrtümern bewusst fernzuhalten, führt erst zu einer natürlichen Klärung und zur Überzeugung, dass auch hier durchwegs einfache, ja sogar sehr eng gezogene Kausalitäts-Gesetze mitgewirkt haben. Der Prozess, dass durch Jahrhunderte unbestrittene Dogmen plötzlich einer erneuten oder schärferen Kritik nicht mehr standhalten können, befindet sich in der Wissenschaft in steter Aktion, weil die geistige Entwicklung aus den fortschreitenden Erkenntnissen immer neue Stufen baut, daher die Duldung kritisch unhaltbarer Anschauungen unter allen Umständen eine logische wie moralische Schwäche bedeutet. Leider kommt es aber sogar alltäglich vor, dass man einen erkannten Fehler aus persönlichen wie öffentlichen Rücksichten nicht bekennen will oder bekannt werden lässt, daher sodann der unfruchtbare Irrtum ein gleich langes Leben hat wie die fruchtbare Wahrheit! Jener Wissenschaft, die kein originelles oder systematisches Nachdenken kennt oder pflegt, muss aber die grosse Gegenkraft des höchsten Forschungsernstes und handgreiflicher Überzeugung entgegengesetzt werden, denn gerade die Ouerschranken an der äusser-sten Grenze der Wissenschaft, wo die Spannung zwischen der Tradition, Vermutung und Tatsache am straffsten wird, können nur durch frisch erwachte, elementare Kräfte des Geistes niedergerungen werden, denn die Gelehrsamkeit und das Wissen sind bekanntlich keine unbedingt sich denkende Begriffe. Wie bekannt, ist aber das Einfachste zu erkennen zumeist das Schwierigste; und so war es auch hier, denn die Genesis der Ortsnamenbildung erkannte und beachtete niemand, obschon wenigstens 95% der Ortsnamen nach ein und demselben Gesetze gebildet sind, welches lautet: der Hauptteil aller topischen Namen bezeichnet sprachlich Grenzpunkte, Grenzlinien oder Sicherungsvorsorgen an solchen. Die Begründung dieses Fundamentalsatzes ist äusserst einfach: mein Nachbar ist ein jeder, der unmittelbar an meinen Besitz grenzt; aber diesem gegenüber bin auch ich Nachbar, weil ich jenseits seines Besitzes wohne. Es gibt daher auf der ganzen Erdoberfläche nur Gebiete mit Grenzcharakter und nur Bewohner im Grenzverhältnisse. Nun gilt aber schon in der primitiven Geschlechtsgenossenschaft alles, was durch das gemeinsame Blutband, also die gleiche Abstammung verbunden ist, als Freund, und als sozialer Grundsatz: jeder, der nicht zur Genossenschaft gehört, ist ein Fremder, und jeder Fremde ist ein Feind; und gegen diesen schliesst man sich nach aussen ab, je nach der Zahl und Qualität des Gegners durch Gräben, Zäune, Wälle, Schanzen, Mauern, Burgen, Forts, Festungen. — So entwickelte sich die Ethik, die bei allen wilden Stämmen noch heute fortbesieht: jeder Fremde wird vernichtet; jeder Mord eines Fremden ist eine Ruhmestat, daher die Moral auf diesem Prinzipe völlig ethnisch bedingt ist. Nicht wesentlich anders ist es bei den Kulturvölkern: schon jeder, der eine andere Sprache spricht, ist ein Fremder, und gewissermassen Feind; diesen im Kriege niederzuschlagen, gilt noch immer als eine Ruhmestat; die Moral ist daher hier im Prinzipe dieselbe, nur ist sie schon sichtbarer auf die sprachlichen Gegensätze aufgebaut. Dieses instinktive Bestreben einer äusseren Abgeschlossenheit hatte nun zur Folge, dass man die Grenze genau kennzeichnete, sie gegenseitig respektierte, und um dies zu gewährleisten, zugleich beobachtete, befestigte und gegebenenfalls verteidigte. — So kommt es nun, dass alles, was mit der Grenze in irgendeinem organischen Zusammenhänge steht, auch sprachlich derselben Wurzel angehört, wie: die Grenzbezeichnung, die Sicherungsvorsorgen daselbst, der Funktionsname des Grenzverteidigers, wie oft auch die Münze, die als Grenzabgabe gilt. — Zur praktischen Erklärung dieses überraschend einfachen Prin-zipes der toponomischen Begriffsbildung sei nachstehend die, namentlich für die Slaven interessante ursprachliche Wurzel „čer“ näher besprochen. Aus verschiedenen, der Bedeutung nach organisch verwandten Begriffen geht hervor, dass „čer" ursprünglich eine Abschliessung, Umgrenzung oder Absperrung bezeichnete, denn im Slovenischen bedeutet „črta" die Grundlinie, „crt“ die Raingrenze zwischen zwei Äckern, aber zugleich auch Feindschaft; „črtalo" Pflugmesser, das die Grenze für die Pflugschar vorzeichnet; böhm. „čert" Feind, Teufel; slov. „cerkev" = Kirche, eigentlich Ringmauer; lat. „certo“ = kämpfen, „certamen" = Kampf; griech. „kirkos“ = Ring, Kreis; lat. „circus, circulus" = Kreis, Ringmauer; böhm. „cerklir" Nachtwächter; span, „cerda“ = Häuptling, Grenzwachkommandant; „čertak, čardak" bei den Südslaven Grenzwachhaus; „serdar" (richtiger „čerdar") am Balkan und bei allen mittelasiatischen Völkern Häuptling, Befehlshaber ; „čerkes, čerkas" = Grenzwächter, (jirenzsicherungskommandant; „Serežaner" = früher kroatische Grenzgendarmerie; „5ergeant“ Feldwebel; lat. „sera" Absperrung, Türriegel; arab. „seriba“ Einfrie- düng; span, „cerra“, portug. „serra“ Pass, Gebirgsrücken, da auf diesem meist die Grenze läuft u. a. m. In Indien heissen „čorti" die verstorbenen Heiligen, die einstigen Schirmer; bei den Römern „dii certi“ = Schutzgötter. Eine Weiterbildung bei gleicher Bedeutung ist in dem Begriffe „črn", d. i. das Schwarze, Dunkle, Unbekannte, enthalten ; im Polnischen versteht man unter „czern“ noch immer jene bewaffneten Bauern, also Irregulären, die nötigenfalls die Kazaken zu verstärken hatten ; im Slovenischen heisst der Landsturm "črna vojska", da er nur die heimischen Grenzen verteidigt; im Russischen bedeutet „čornij" noch Grenze, denn „čornaja dan“ ist die Grenzsicherungssteuer, die Abgabe für die Landesverteidigung usw. — Dass aber „čer, čern (črn), čeri (črt)" wirklich mit der Grenze in direkter Relation stehen, ersieht man am besten aus der Lage der Lokalitäten, welche einen Namen dieser Wurzel, führen. Man vergleiche z. B. den Namen „Cerchov“ ; so heisst ein Grenzberg zwischen Böhmen und Bayern ; „Cerné hory" bilden gleichfalls die Grenze zwischen Böhmen und Bayern, heissen aber auch „Semihradska“ (= Grenzbefestigungen) ; „Czervorogrod“ heisst eine allseits vom Dnjestr umflossene Burg und war einst Site der ruthenischen Knesen ; „Tschirn" und „Tschirnhausen“ bilden die Grenze zwischen Böhmen und Sachsen. Der Fluss „Cerna" (colonia Zernensium) in Rumänien wird schon von Herodot erwähnt und verstand man schon damals die ursprach-liche Etymologie nicht mehr, kannte aber gut die rezente slavische Bedeutung, da die Römer den Namen in „Aqua nigra“ übersetzten. Der „Crnbog“ der nordischen Wenden, ist daher kein Gott des bösen Prinzips, sondern bedeutet eben : Grenzbeschützer, Schirmherr, denn schliesslich ist auch „Schirm" aus „čer" bezw. „čir", welch letztere Form ebenso oft vorkommt, hervorgegangen. Die mit „črn, crny" zusammengesetzten Ortsnamen, wie: Črnec (oft als Zsörnetz, Tscher-netz u. ä. geschrieben), Černovice, Cerna hora, Cerny kämen, Cerny val, Cerno morje u. ä. liegen alle an Grenzpunkten, Grenzlinien, oder lagen doch einst an solchen. — Besonders erwähnenswert sind aber noch die ungemein zahlreichen Namen, wie : Cerlüv kämen, Certûv mlÿn, Cerlûv val, Certova zed’, Certova bräna, Certova bräzda, Certova skäla, Certovo üdoli u. ä., die alle in den verschiedensten Sprachen in: Teufelsstein, Teufelsmühle, Teufelswall, Teufelsmauer, Teufelstor, Teufelsfurche, Teufelfels, Teufelstal übersetzt wurden und bot die Volksphantasie dazu noch die entsprechende Aufklärung, indem sie solche Punkte in irgendeiner Weise mit dem Teufel in Zusammenhang brachte. Tatsächlich sind aber dies nur Grenzpunkte oder doch Vorsorgen für die Grenzverteidigung daselbst. Nachstehend folgen zwei bildliche Darstellungen von solchen Teufelssteinen (Certüv kämen). Der erstere bildet die Reviergrenzen der Herrschaften Prilep und Holleschau (Mähren), und da man knapp „Certüv kämet.“ bei l’rilep in Mähren (4 60 m hoch). daneben den modernen Grenzstein eingesetzt hat, überzeugt dies jedermann, dass hier tatsächlich die Grenze führt; man weiss auch, dass sie genau über den Felskopf gehl, aber daran, dass dies auch ein Grenzstein u. zw. ein weit imponierenderer ist, dachte niemand. Nahe daneben befindet sich noch ein solcher „Teufelsstein“, ebenfalls in der Grenzlinie. Ein zweiter „Certüv“, auch „Buchlov kämen“ genannt, bildet die Grenze der Gemeinden Althütten und Brestek; er ist an 12 m hoch und besonders massiv. An dieser Stelle kann auch die Frage, wie solche Felskolosse hergeschafft wurden, ihre Beantwortung finden. Die Antwort ist sehr einfach: die Erde wurde so weit abgegraben, bis der Felskern entsprechend hervortrat. So sind z. B. im Bezirke Holleschau (Mähren) drei „Hrady“, die der Verfasser kennt und wiederholt angesehen hat, „Certüv“ auch ,,Buchlov kamen“ bei Althütten in Mähren. weiche dadurch sturmsicherer gemacht wurden, dass man sie an drei Seiten steil abgrub, so dass sie die Form eines steilspitzen Kegels aufweisen; auf der Spitze befinden sich auch noch überall Mauer-resle. Man sieht bei näherer Suche auch die Stellen, wo das abgegrabene Material liegt; in einem Falle („Hrad“ Kridlo) wurde dieses zugleich zu einem Walle verwendet. Wie weit sich nun die Ortsnamen mit der Wurzel „cer" zeitlich und räumlich ausdehnen, ist heute noch schwer zu sagen, da hiezu noch vielseitige Nachforschungen nötig sind.*) Überdies müssen verschiedene Schreibweisen berücksichtigt werden, denn wir kennen topische Namen, wie: Ceret, Ceri (etruskische Stadt), Cerignola, Cer-taldo, Certosa, Cervera, Cervi, Mons Gervin (Grenzberg zwischen Piemont und der Schweiz), Cervanj planina (römisch „cerauni montes“, Herzegowina) u. ä., aber auch ebensoviele, die mit dem „S“ im Anlaute geschrieben sind, wie: Servia (Serbien; vermutlich dadurch gebildet, weil das zyrillische C als S ausgesprochen wird), Serena, Seres, Seret, Seriana, Serica, Servola u. a. — Eine empfindliche Störung in die reelle Forschung nach der topischen Etymologie brachten leider die fortgesetzten Anpassungen der vorhandenen Originalnamen an die Eigenart einer anderen Sprache, namentlich aber die gewissenlose, oft geradezu läppische Sucht solche unbedingt zu ändern, zu verballhornen, zu verstümmeln oder gar zu übersetzen, ohne vorerst die Bedeutung selbst zu kennen. Dieses führte naturgemäss dazu, dass der historisch begründete Originalname nun eine Menge Varianten und Parallelformen erhielt, was nicht nur das Studium und die allgemeine Orientierung erschwert, dann in den Verkehr bei der Post, Bahn und sonstigen Ämtern eine Menge Konfusionen bringt, ohne dass dabei jemand einen Nutzen hätte, und überdies oft noch den wahren Namen solcherart verschleiert oder unkenntlich macht, dass er daraufhin etymologisch überhaupt nicht mehr erkannt werden kann. — Es ist doch gewiss ein Stumpfsinn, z. B. aus „Balvan“ ( grosser Grenzstein) ein „Fallbaum“ zu machen, oder aus „Hranice“ ein „Kranzberg“, aus „Hranicar“ ein „Rantscher“, aus „Slip“ oder „Zdib“ ein „Diebstein“, aus „Strazno“ ( = Waphberg) ein „Strassenberg“, aus „Vidov“ ein „Viehdorf“ usw., denn keine moderne Sprache ist heute mehr in der unbeholfenen Verfassung, dass sie welchen Ortsnamen immer mit ihren verfügbaren Lauten und Zeichen nicht nahezu gleichklingend wiedergeben könnte. Sehr am Platze wäre es daher, wenn die offizielle Wissenschaft energisch gegen solche Barbareien arbeiten würde, wenn schon kleinliche politische Schwächen auf eine solche infantille Errungenschaft nicht von selbst verzichten wollen, denn damit schadet sich gerade die Wissenschaft selbst am empfindlichsten, nachdem der Originalname doch in verschiedener Hinsicht einen orientierenden wie auch praktischen Wert hat. *) Im verwichenen Jahre hat der Verfasser in der böhmischen Jagdzeitung „Haj“ eine öifentliche Anfrage gestellt, nachzuforschen, wo überall sich »Certüv kamen, Certova skäla« u. ä. vorfinden. Es liefen nun zahlreiche interessante Berichte von verschiedensten Gegenden ein, die alle die gegebene Etymologie bestätigten. Sollte einmal eine ausführliche Monographie über dieses Thema geschrieben werden, so könnten darin alle diese Daten verwertet werden. Die Kenntnis der Etymologie eines wichtigen Terrainpunktes kann z. B. dem Soldaten im Kriege taktisch sehr gelegen kommen, denn wer vor sich eine Höhe, namens „Straža" ( = Wachpunkt) und eine zweite namens „Brana" ( = Verteidigungspunkt) hat, kann bestimmt annehmen, dass erstere eine günstige Beobachtungsstelle bietet, die sich aber vielleicht für die Verteidigung nicht eignet; dafür ist aber offenkundig die zweite Höhe für die Defensive gut, hingegen voraussichtlich für die Beobachtung minder günstig, denn sonst hätte sie in seinem kriegerischen Natursinne der Urslave nicht so genau unterschieden. Der grössere Effekt der Naturtaktik im Vergleiche zur papierenen rührt daher zum Teile davon, dass z. B. der Bulgare, Crnogorze, Albanese schon aus der Benennung einer Höhe zugleich deren taktischen Wert oder Unwert sprachinstinktiv erkennt, und darnach seine Massnahmen einrichtet; derjenige aber, der diesen sprachgeistigen Vorteil nicht kennt, muss oft erst an Ort und Stelle konstatieren, dass ein zuvor etwa mit schweren Opfern erkämpfter Punkt für seine Zwecke sogar nachteilig ist, was der kundige Gegner umso sicherer wieder zu seinem Vorteile ausnützt. — Haben sonach die Naturvölker ihren für die Sicherung und Verteidigung gewählten Plätzen durchwegs je nach der Qualität des taktischen Wertes das sprachliche Stigma aufgedrückt, weshalb sollen nun die Kulturvölker schwerfälliger sein und nicht dasjenige auch für sich verwerten, was den Einheimischen zweckdienlich ist, sobald man einmal mühsam hinter deren offene Geheimnisse gekommen ist. Das Unkenntlichmachen der Original-Ortsnamen deutet sonach klar dahin, dass der Namens-änderer eigentlich sein eigener Feind ist. Ähnliche Vorteile geniesst gelegentlich auch der Tourist. Liest er auf der Karte den Namen „Lokva“ im unbewohnten, wasserarmen Gebiete (Karst), so kann er sicher sein, dass er dort bei quälendem Durste ein an den Tag tretendes Grundwasser finden werde, das hygienisch zumeist nicht einwandfrei, aber in der Not doch willkommen ist. Überdies sind solche Kenntnisse auch bei Grenzstreitigkeiten nicht unbeachtet zu lassen, denn man kann als sicher annehmen, dass alle jene Punkte, die einst die wirkliche Grenze bildeten, auch gewiss entsprechende sprachtechnische Namen tragen. Besonders willkommen muss aber die toponomische Etymologie dem Archäologen sein. — Findet er z. B. auf einem Punkte, der sprachlich einen Wach-, Verteidigungs- oder Kampfplatz kennzeichnet, laisächlich Waffen oder sonstige einschlägige Kulturresiduen, so kann er überzeugt sein, dass höchstwahrscheinlich diese nur von jenem herrühren können, der jene Stelle zum genannten Zwecke benützte, daher auch dementsprechend benannte. — Bei den häufigen Flurnamen, wie z. B. „u mrtvych, u groblju, u zabiteho“ (bei den Toten, bei den Oräbern, beim Erschlagenen), „Trügelberg“ (slov. „trugla" = Sarg, Mulde, böhm. „truchlivy“ = der Trauernde), „Totenläger“ u. dgl. kann man auch- beim Mangel aller äusseren Kennzeichen mit unfehlbarer Sicherheit annehmen, dass dort tatsächlich einstens jemand beerdigt wurde, und bringen Nachgrabungen, — wenn es sich nicht etwa schon um Raubgräber handelt, — immer zugleich den Beweis dafür. Der topische Name ist es also, der dem Archäologen sagt, wo er seinen Spaten mit Erfolg einsetzen könne; er sagt ihm aber damit auch zugleich, von welchem Volke der tiefgelegenste, also älteste Kulturschichtenfund herrührt, denn dieser kann nur jenem Volke entstammen, das auch der Lokalität jenen. Namen gegeben hat, welcher mit den Funden in direkter sprachlicher Relation steht. Die Toponomie hat daher einen ungeheuren Wert für die Aufdeckung der slavischen Vergangenheit, denn nahezu alle Namen finden im slavischen Sprachschätze ihre Urform und Urbedeutung wieder, bilden daher auch den weitaus grössten Teil des Beweismateriales für die Erforschung des altslavischen Kulturlebens. Die höhere Achtung für Originalnamen kann aber erst dann platzgreifen, wenn einmal eine ausführliche und populäre Anleitung vorhanden und eine systematische Basis hiefür geschaffen sein wird, wie man die Ortsnamen zu nehmen, zu überprüfen und zu deuten hat; und auch in dieser Richtung soll baldigst Wandel geschaffen werden.*) M. Zunkovic: Slavische Glossen in der »Lex Salica«. Das alte in barbarischem Latein kodifizierte Strafgesetzbuch der salischen Franken, „Lex Salica“ genannt, stammt einer Erzählung zufolge, die selbst schon aus der Zeit von 486—4% n. Chr. datiert, noch aus der heidnischen Zeit der Franken. Überdies weiss man, dass die Könige Childebert und Clotar (i. 0. 511 und 558) noch *) Es besteht Aussicht, daß ein in diesem Sinne verfaßtes »Etymologisches Ortsnamenlexikon« schon in wenigen Monaten von der Bibliothek »Staroslovan« ausgegeben wird. etliche Änderungen und Zusätze (Capitularien) verfügten. Die lateinische Sprache mag damals vielleicht auch die innere Gerichtssprache gewesen sein, aber der Richter mußte trotzdem, wie heute, im Parteienverkehre die Volkssprache sprechen. Zu diesem Behüte enthält das Gesetzbuch die sogenannten Malbergschen Glossen, d. i. die volksgebräuchlichenSonderbegriffefürdie verschiedenen Straffälle. Die Gelehrten streiten nun noch heute darüber, welcher Sprache diese Glossen angehören, und schreiben sie teils der keltischen, teils der deutsch-fränkischen Sprache zu; tatsächlich sind sie aber slavisch. Als typisches Beispiel sei hier „krevbeba“ erwähnt, ein Ausdruck, den bisher niemand enträtselte, obschon man weiß, daß er „Mordverheimlichung" bedeutet. Im Capitulare II, Pkt 5 heißt es: „De crevbeba. — Wer einen freien Mann, sei es im Walde, sei es an einem sonstigen Orte tötet und ihn, um dies zu verheimlichen, verbrennt, zahlt 600 Soldi; wer eine Frauensperson gleichen Ranges tötet und die Leiche verbrennt, zahlt 1800 Soldi als Sühne.“ — Nun ist aber „crevbeba“ weder deutsch noch keltisch oder altfränkisch nach den heute gangbaren Ansichten der Sprachforscher, und wäre die reelle Etymologie nicht unschwer herauszufinden gewesen, wenn man nicht fortgesetzt und geradezu bewußt dem Slavischen auswei-chen sowie nebstbei auch logisch denken würde, denn auch die geschichtliche Ethnographie darf dabei nicht als Beweis ausgeschaltet werden. — Der Begriff „krev“ ( Blut) ist jedem Slaven bekannt; „bebiti“ kennt wohl nur mehr der Slovene in der Originalbedeutung: übertölpeln, jemandem ein Blendwerk vormachen (böhm. „blbec“ Tölpel); der Ausdruck „crevbeba“ sagt daher im Slavischen genau dasselbe in einem treffenden Schlagworte, was das uralte Gesetz ansonst beschreibend darlegt. Wendete man aber damals reinslavische Rechtsbegriffe an, so müssen in jenem Gebiete auch Slaven gewohnt haben, und dieses ist auch toponomisch wie urkundlich nachweisbar. Im Saale-Gebiete war doch die „Windische Mark“ (als Grenz-“ land) und der „Hassengau“ (d. i. „chasa“ Gau, Bezirk, der eine Abteilung Soldaten stellt), ist am Balkan noch immer im Gebrauche, und deutet eine Stelle in der Königinhofer Handschrift auf die gleiche Organisation in Böhmen. An der Saale sind auch Namen von Orten zu finden, die absolut keinen Zweifel zulassen, daß sie nur slavisch sein können, wie: Borove, Borlitzken, Zcörnitz, Delic, Horken, llava, Krikovo, Lezkove, Lobic, Lunove, Mezoburium (Mezibor, Merseburg), Trebitz, Wese (ves) u. v. a. — In ethnographischer Hinsicht weiß man doch auch, daß hier tatsächlich Slaven, meist „Sorben“ genannt, saßen, weil dies alte 2 Muzejsko drustvo-PtuJ Chronisten erzählen und die verschiedenen Urkunden oft von „regione Slavorum“ daselbst sprechen. — Etwa um die Mitte des VI. Jahr-hundertes n. Chr. saß nach Paulus Diaconus („De gestis Longobar-dorum“) die große Masse der Slaven noch jenseits der Elbe; um das Jahr 561 rechnete man das ganze, später sorbische Land, zu Thüringen. Ma hat allerdings auch hier eine kleine Völkerwanderung konstruiert und gesagt: die Deutschen haben die Odergegenden verlassen (?) und da seien die Slaven nachgedrungen; wir finden daher letztere schon zu Ende des VI. Jahrhundertes an der Elbe seßhaft. Zu gleicher Zeit seien die Sorben bis an die Saale vorgedrungen, denn letztere wird schon von Einhard (Vita Caroli Magni) als Grenze zwischen den Thüringern und Sorben erwähnt. Die slavischen Glossen in der Lex Salica machen aber alle diese Wanderungs - Kombinationen zunichte, denn sie sagen automatisch, daß es schon mindestens um das Jahr 400 n. Chr. slavische Bewohner in Unterfranken gab, die nicht nur kodifizierte Strafgesetze kannten, sondern auch eine ganz bedeutende Kultur gehabt haben mußten, da sie mindestens zweierlei Münzen besaßen („soldi“ und „dinari“). Ob dies eine Unkultur bedeutet, wenn man fast alle Verbrechen mit Geld sühnen kann, wie man vielleicht behauptet, muß wohl stark an-gezweifelt werden, denn dieses gilt doch auch noch heute bei Personen höheren Ranges zum großen Teile, und wir wollen doch nicht in einer Zeit der Unkultur leben! Wir sind also durch die slavischen Glossen der Lex Salica um einen unabweisbaren Beleg für das Altslaventum bereichert, denn wir sehen daraus, wie das Märchen von der Völkerwanderung immer mehr verblaßt, sowie daß alle Belege gegen die Einwanderung der Slaven doch nicht vernichtet oder unkenntlich gemacht werden konnten. In der „Lex Salica“ sind aber noch mindestens weitere hundert ähnliche rechtsterminologische Begriffe enthalten; überdies werden darin Ausdrücke angeführt, die namentlich dem Böhmen und Slovenen geläufig sind und überall auch dieselbe Bedeutung haben, wie z. B. „dructe“ (==druh, drug, Genosse), „hallus“ ( = haluz, Gestrüpp), „kletis“ (= kiel, Keller), „schodo“ (= skoda, Schaden), „sonnis“ (=zona, Angst), „voronio“ (= vran, vranec, Rapp, schwarzes Pferd). — Es würde sich daher empfehlen, wenn sich ein sprachlich gebildeter Jurist dem eingehenden Studium dieser alten Gesetzesquelle und der ziemlich bedeutenden Literatur über dieselbe unterziehen würde, was auf alle vorhandenen Originalhandschriften auszudehnen wäre, da die Glossen in der Tradition wie Transskription möglicherweise auch schon bedenklich entstellt erscheinen. Für jeden Fall zeig! dies, daß die Altslaven an Rechtsdetermi-nationen weil reicher waren, als man annimmt, und ist es klar, daß gerade in diesen die reellsten Beweise für die Erkenntnis des wirklichen rechtssozialen Lebens erhalten sind. Der Impuls zu weiteren Forschungen in dieser Richtung ist hiemit gegeben; das Resultat kann schon mit Rücksicht auf die wenigen hier gebotenen Beispiele unmöglich ein negatives sein. Slavische Geschichtsquellen. Vorbemerkung. Die Verfassung einer pragmatischen Urgeschichte der Slaven ist heute im Prinzipe unmöglich, weil sich da immer die Völkerwanderungsmythe in die Quere legt, wodurch alle älteren Existenzbeweise der Slaven in Schatten gestellt erscheinen; überdies sind viele Quellen unbekannt, viele unbeachtet, viele unkritisch behandelt. Um nun einen sicheren Boden für die Verfassung eines solchen Geschichtswerkes vorzubereiten sowie auch zugleich ein Vorinteresse hiefür in weitere Kreise zu tragen, was über die Urzeit der Slaven bereits geschrieben wurde, sollen hier fortschreitend die vornehmsten Quellen angeführt und die wichtigsten Textstellen dabei wörtlich wiedergegeben werden, um die Originalität tunlichst zu wahren; überdies sind Werke dieser Art meist selten, daher auch für den Einzelnen schwer erreichbar. Mit der Veröffentlichung wird hier von der jüngsten Zeit begonnen und von da systematisch in der Wahl so vorgegangen, um an dem Ariadnefaden nach rückwärts tastend, reell festzustellen, im wieweit die ältesten Quellen an uns richtig gekommen sind, wann sie entstellt wurden oder wo sie unterbrochen sind. Die Redaktion. I. L. A. Gebhardis Vorrede zur »Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten«.*) Erläutert von Dr. A. Kovačič. In den Jahrbüchern der Welt findet sich keine Völkerschaft, welche so sehr die Aufmerksamkeit der Weltweisen an sich zieht, als diejenige, die man bald die wendische, bald die slavische Nation nennt. Denn diese bewohnt oder beherrscht jetzt die Hälfte von Europa und Asien, und schon im 17. Jahrhunderte gab der Regent eines Teiles derselben, Feodor, Großfürst der Russen, nicht durch ein fürchterliches Heer, sondern durch einige hundert Abenteurer seinem Reiche eine solche Ausdehnung, daß es weit größer ward, als irgendeine der ältesten Monarchien, die von unseren Vorfahren Herrschaften der ganzen Welt genannt, und deren zahlreiche Eroberer fast als übernatürliche Menschen bewundert zu werden pflegten. Die Urheber dieser furchtbaren Nation machten keine Entwürfe zur Errichtung großer Staaten, sodern dachten nur auf Zerstörung blühender Staaten, oder auf Befriedigung ihrer Leidenschaften, vernichteten gewöhnlich durch Eigenwillen und fehlerhafte Regimentsverfassungan die Vorteile, die sich ihnen ungesucht darboten, und gelangten dennoch zur der beträchtlichen Größe, die bei ihren Nachkommen noch immer im Wachsen begriffen ist. Die Nachrichten, die von dieser Nation vorhanden sind, fangen mit ihrer Kindheit an und werden nicht nur für den Geschichtsschreiber der Nation, sondern für jeden, der sich über Entstehung menschlicher Größe durch Tathandlungen belehren will, so wichtig, daß man schon lange hätte auf eine vollständige allgemeine Geschichte aller Wenden denken müssen, die aber bis jetzt noch immer fehlt. Unter einer vollständigen Geschichte muß man sich hier eine solche, auf Wahrheit gegründete Erzählung von Talhandlungen vorstellen, die nicht bloß einen oder den anderen Siamm der Wenden allein betrifft, sondern welche. vielmehr zeigt, wie die wendischen *) Halle 1790. — Diese »Vorrede« wird hier wörtlich wiedergegeben, um zu zeigen, welche Ansichten man vor etwa 125 Jahren in der Wissenschaft noch über die Slaven hatte, wie sich da Wahres und Märchenhaftes, Logisches und Unkritisches bunt durcheinander drängt und inwieweit sich die Ansichten seither zu Ungunsten der Slaven ohne sichtbaren Grund geändert haben, wobei noch aus gelegentlichen Bemerkungen in dem Hauptinhalte hervorgeht, daß Gebhardi durchaus kein Freund der Slaven war. Aber gerade seine Natürlichkeit und der Umstand, daß er fast alle Chronisten, welche in den europäischen Sprachen über die Slaven schrieben, als seine Quellen anführt, machen uns seine Darstellungen doppelt willkommen. — Bei der Wiedergabe wurde nur die Rechtschreibung sowie bisweilen eine veraltete Redeweise modernisiert. — Alle mit Sternchen versehenen Anmerkungen stammen vom Kommentator. Leute, die bei dem Anfänge der .christlichen Zeitrechnung als herrenlose Hausväter aus dem Acker und in den Wäldern ruhig ihren notdürftigen Unterhalt zusammensuchten, aus Jägern Freibeuter, dann eine kriegerische Nation, endlich Eroberer und zuletzt Stifter mannigfaltiger Staatssysteme geworden sind. Eine Erzählung, welche das Auszeichnende der Sitten und Brundsätze aller Wenden, und die Ökonomie, das Steigen und Fallen aller einzelnen wendischen Staaten auf das genaueste schildert. Eine solche Beschichte fehlt noch, obgleich einige Ausarbeitungen vorhanden sind, die den Titel allgemeiner slavfscher Jahrbücher führen. Zu diesen letzteren sollen gehören: M. JacobJacobaei viva Gentis Slavicae Delineatio, Leutichoviae 1642; Papaneck, Historia Gentis Sla-vorum und Witbii Antiquitates Gentis Henetae, von welchen Schriften ich keine gesehen habe. Dem Titel nach müßte auch Vandalia Alberti Krantz, Coloniae impressa 1519, und des Maltheserabtes Mauro Orbini {eines Ragusaners) Werk, mit der Aufschrift: il Regno degli Slavi, Pe-saro 1601, die allgemeine slavische Beschichte vortragen. Allein jene schränkt sich, sowie mehrere Chronicae Slavorum des Mittelalters, nur auf das holsteinische, mecklenburgische, pommersche und polnische Reich, dieses aber bloß auf Dalmatien und Kroatien ein. Schurz-fleischii Res Slavicae 1670 (in seinen Operibus historicis politicis, Bero-lini 1699, 4. p. 458—470) enthalten nur allgemeine Bemerkungen über Ursprung, Wachstum und Verfassung der ältesten Wenden und stehen den weit vollkommeneren 31 Anmerkungen hinter Mascous 11. Bande seiner „Beschichte der Teutschen“, S. 205, weit nach. Im Hermanno Slavico brevi delineatione adumbrato a G. H. Ayrero, Gottingae 1768 sind bloß Meinungen verschiedener Belehrten über Wenden, wendische Stämme und wendische Sitten vorgetragen, und Josephi Sim. Assermanni Kalendaria Ecclesiae universae enthalten kurze Annalen der Sarmaten und Slaven überhaupt (T. I. P. 11. Romae 1755, *t), der teutschen und illyrischen slavischen kleineren Stämme (T. 11), der Mähren und Bulgaren (T. III), und der Russen, Böhmen, Kroaten, Servier und Polen (T. IV). Des Herrn Justizrat Sercken „Versuch in der ältesten Beschichte der Slaven, besonders in Teutschland, aus den besten gleichzeitigen Schriftstellern verfasset“ (Leipzig 1771) erläutert nur die ältesten Begebenheiten der Slaven, und verbreitet sich insbesonders über die Beschichte der östlichen Wenden. In Johann Christophori de Jordan zweien Bänden „De Originibus Slavicis“ (Vindobona 1745) ist nur einem künftigen wendischen Seschichtsschreiber durch Mitteilung und Zusammenstellung vieler Materialien vorgearbeitet worden, obgleich im I. Bande ein Versuch gemacht ist, die ältesten wendischen Volksgeschichten aus diesen Quellen, u. zw. in Beziehung auf Böhmen und Mähren, wahrhaft vorzutragen. Noch nutzbarer hat in dieser Hinsicht Herr Reichsarchivarius Stritter für den Geschichtsschreiber durch sein bekanntes Werk gesorgt, dessen 1774 zu St. Petersburg abgedruckter und hierher gehöriger II. Band diesen Titel hat: Memoriae Populorum olim ad Danubium, Pontum euxinum, Paludem Maeotidem, Caucasum, Mare Caspium, et inde magis ad Septentriones incolentium e Scriptoribus Historiae Byzantinae erutae et diges-iae; Tomas II. Slavica, Servica, Chrovatica, Zachlumica, Terbunica, Paga-nica, Dioclerea, Moravica, Bosnica, Bulgarica, Valachica, Russica, Polo-nica, Lithuanica, Prussica, Samotica, Permica et Boemica complectens; denn in selbigem ist nicht nur alles, was sich in den griechischen Schriftstellern findet, chronologisch geordnet, durch Anmerkungen geprüft und kurz erläutert, sondern es gibt auch in einer Einleitung von Namen, von den verschiedenen Stämmen, Sitzen und Wanderungen, von den vornehmsten Begebenheiten, von den Regenten und berühmten Männern eine kurze und sehr brauchbare Nachricht. Bei der Abfassung einer wendischen allgemeinen Geschichte zeigen sich viele Hindernisse, die dieses Geschäft außerordentlich erschweren, und zum Teil aus dem Mangel glaubwürdiger alter Urkunden, zum Teil aber aus den stets abwechselnden sehr großen Revolutionen, welchen diese Nation und jeder ihrer Stämme stets unterworfen gewesen ist, herrühren. Die wendische oder slavische Sprache war zwar ehedem durch halb Europa und einen großen Teil von Asien verbreitet, und wenn man dem Latomus, einem mecklenburgischen Chronikenschreiber, der 1610 seine Arbeit vollendete, glauben will (de Westphalen Monum. inedita rerum Cimbricamm T. IV. p. 9) so ward sie einstens sogar in Afrika bei dem ägyptischen Heere gebraucht. (Rumelinus ad aurearn Bullam, Tubingae 1702, p. 840). Auch verlangte Kaiser Karl IV. (Aurea Bulla C. 30), daß jeder Kurfürst die wendische Sprache fertig reden solle, in der Absicht, selbige zu einer herrschenden Sprache zu machen. Aber dennoch ist diese Sprache im teutschen Reiche, Böhmen, Mähren, Kassuben, Lausnitz und Kärnten ausgenommen, zeitig unterdrückt und vertilgt worden, und zugleich sind auch alle alten wendischen Urkunden, falls dergleichen jemals vorhanden gewesen waren, verschwunden. Die Wenden gebrauchten zwar römische Schrift, allein nur in den wenigen Gegenden, in welchen sie an Dänen und Schweden grenzten, und auch nur bloß zu Inschriften auf Götzenbildern. (?) Bücher und Bücherschriften waren ihnen zwar nicht unbekannt, wurr den jedoch nicht geachtet, und selbst nach der Zeit, da Cyrillus und Methodius ein den vielen Tönen der wendischen 5prache angemessenes neues Alphabet ersonnen hatten, gebrauchte man diese Schreibkunst lange nicht zur Aufbewahrung der Geschichte, sondern zu Gesängen und Kirchen Schriften, denn die ältesten Nationalschriftsteller, nämlich Christannus in Böhmen und Nestor in Rußland, schrieben erst im XI. Jahrhunderte (Allgem. Welthist., XXXI. T., S. 255) und ersterer bediente sich der lateinischen Sprache. Ein anderes Mittel, berühmter Männer Andenken lebhaft zu erhalten, nämlich das der Volkslieder, war zwar von einigen Wenden zur Befriedigung ihrer Ruhmesbegierde verwendet worden, allein abgesehen davon, daß die meisten Volkslieder vergessen sind, so können selbige überhaupt keine zuverlässige, vollständige und zusammenhängende Geschichte veranlassen, weil ein Lied in jedem Munde Abänderungen erleidet, vorsätzlich mit Erdichtungen ausgefüllt und gewöhnlich erst lange nach der Zeit, da die besungene Tat geschah, aufgesetzt worden ist. Einige Geschichtsschreiber der Polen, Böhmen und Kroaten, welche von diesen Liedern günstiger dachten und aus selbigen den ersten Teil ihrer Jahrbücher verfertigten, bestätigen diese Bemerkung, denn da ihre Erzählungen weder unter sich, noch mit der dokumentierten Geschichte der Nachbarn übereinstimmen, so verrät sich ihre und der alten Volkslieder Unzuverlässigkeit. Verschiedenen dieser Autoren lag auch die Wahrheit so wenig am Herzen, daß sie die Lücken, die die Lieder ließen, mit Erdichtungen ausfüllten, welche sie aber bei dem Mangel an hinreichender synchronistischer Weltkenntnis so ungeschickt einrichteten, daß eine geringe Prüfung sie aufdeckte. Diese Erdichtungen wurden vornehmlich nach dem Jahre ¡500 in die Chroniken aufgenommen, anfangs unter dem Scheine unbezweifelter und aus verlorenen Chroniken abgeschriebener Tatsachen, später aber als solche Mutmaßungen, die durch eine Reihe von verwandten wahren Begebenheiten eine an die Wahrheit nahe angrenzende Wahrscheinlichkeit erhalten hätten. Aus Chroniken dieser Art kann ein Geschichtsschreiber, der nur das melden will, was sich beweisen läßt, für ältere Zeiten kein Material entlehnen, und bleibt ihm daher kein anderes Hilfsmittel bei seiner Arbeit übrig, als daß er seine Zuflucht zu fremden Schriftstellern nimmt. Diese sind Griechen, Italiener und Teutsche, überhaupt aber Leute, die nur die auswärtigen Taten der Wenden sicher aufzeichnen konnten, die die innere Verfassung der Staaten nicht hinlänglich kannten, die sich um soviel weniger von einer schädlichen Parteilichkeit lossagen konnten, da die unbegrenzte Mord- und Verheerungswut der Wenden sie gegen diese Völkerschaft erbittert hatte, und die außerdem, wenn sie, wie es bei den meisten der Fall war, christliche Geistliche waren, die Wenden als hartnäckige Verehrer der Götzen verabscheuten. Der allgemeine Geisi der wendischen Nation stimmte auf unbegrenzte Freiheit und Patriarchalverfassung, und nur die mächtigeren Waffen einiger Nachbarn nötigten die unabhängigen Jäger und Ackersleute, sich einem Oberhaupte zu unterwerfen, um unter dessen Anführung sich ihrer Feinde zu erwehren. Ihr Krieg brachte sie bald in fruchtbare und reichkultivierte Staaten, und gewöhnte sie an das Beutemachen, Verwüsten und Niedermetzeln. Ihr Raub bot ihnen Bequemlichkeiten und Vergnügungen, die sie vor dem nicht gekannt hatten und wenn derselbe aufgezehrt oder verbraucht war, so trat bei ihnen die Sehnsucht nach diesen Bedürfnissen bis zu einer solchen Stärke ein, daß sie alles wagten, um diese wieder zu erlangen. Und so entstanden daher mannigfaltige Streifzüge gegen Teutsche, Italiener oder Griechen unter der Anführung vieler Heerführer oder gewählter Woiwoden. Einige dieser Woiwoden sammelten Schätze und Macht genug, um nach Beendigung des Zuges ihre Macht zu behaupten. Andere im Gegenteil traten bald mit einander in Verbindung und erhielten sich durch vereinte Kraft bei ihrer Würde, bald aber stellten sie sich neben einander oder wanderten auch mit ihren Anhängern in entvölkerte Gegenden, gaben ihrer Partei neue Namen, und stifteten neue Staaten, über welchen sie nicht als Vorgesetzte, sondern als Monarchen oder wenigstens als Aristokraten herrschten; öfters aber fand auch der Besitzer eines Hains oder Tempels durch Aberglauben oder verübte Scheinwunder Gelegenheit, sich zum Oberherrn verschiedener kleiner Monarchen aufzuwerfen. Die Monarchen und Aristokraten versuchten ihre Gewalt auf ihre Kinder zu vererben, allein gewöhnlich behaupteten die Völkerschaften, die ihnen gehorchten, das Recht, ihr Oberhaupt zu wählen, verstießen auch öfters ihren Fürsten und gesellten sich zu einem anderen Woiwoden, der entweder mehr Kriegsglück hatte oder auch Beredsamkeit genug besaß, um die äußerst leichtsinnigen wendischen geringeren Leute für sich einzunehmen. In jenen Staaten, in welchen die Regenten das Erbfolgerecht ihres Stammes gründeten, verteilte der regierende Vater sein Reich unter seine Söhne, und bestimmte einen derselben zum Ältesten oder Oberfürsten, mit der Macht, seine Brüder als Statthaller zu behandeln, und ihre Landschaften gegen andere auszutauschen. Diese Einrichtung veranlaßle stete Geschlechiskriege und unaufhörliche Errichtungen neuer und Zerteilungen alter Staaten, und überhaupt eine Verwirrung, die in Verbindung mit jenen Begebenheiten das Geschäft, die allgemeine Geschichte der Wenden in bequeme Perioden zu zerteilen, und diejenigen Staaten auszusondern, welche regierend gewesen sind, und gewisse einzelne berühmte Völkerschaften zu Untertanen gehabt haben, ungemein erschwert. Zuerst erscheint die slavische Nation unter dem Namen der Wenden als eine solche Völkerschaft, die nur durch eine gemeinschaftliche Sprache zusammengehalten wurde, und bloß auf Lebensunterhalt, nicht aber auf Ruhm und Beute dachte. Bei den bekannten Wanderungen der Teutschen und Nordleute nach den Provinzen des griechischen Reiches, sahen und empfanden diese, wie es scheint, zuvor genügsamen und harmlosen Leute, was die Macht der Waffen bewerkstelligen könne, lernten Bequemlichkeiten kennen, von welchen sie zuvor nichts wußten, und versuchten selbst das Kriegsglück. Durch diese Veranlassung entstanden daher die Stämme, von welchen zwei, die auswanderten, sich Slaven und Anten nannten, die zurückbleibenden aber den alten Stammnamen beibehielten, obgleich viele schon damals getrennte kleine Völkerschaften ihre besonderen Namen hatten. Man findet von dieser Revolution folgende Nachricht des Dornandes, welcher im VI. Oahrhunderte lebte (de rebus Geticis, in Muratori Scr. rer. Italic. T. II. p. 194: ab ortu Vistulae fluminis — Vinidarum natio populosa consedit. Quorum nomina, licet nunc per varias familias et loca mutenlur, principaliter tarnen Sclavini et Antes nominan-tur); und Procopius hat davon in sein Werk „de bello Gothico“ (ibid. p. 313) folgende Stelle eingerückt, in welcher er den Namen Wende durch die griechische Übersetzung unkenntlich macht: nomen etiam quondam Sclavenis Antisque unum erat; utrosque enim appellavit Sporos antiquitas, ob id ut opinor quia „sporaden“, hoc est, sparsim et rare positis tabernaculis regionem obtinent, quo fit, ut rnagnum occupent spa-tium. Auch führen diejenigen Völkerschaften, die in Dalmatien und lllyrien Slaven genannt wurden, in den fränkischen Annalen den Namen der Winidorum, und Helmoldus, der unter den Wagirer-Wenden wohnte und alle die Völker genau kannte, deren Beherrscher sich in lateinischen Urkunden den Titel Reges, Duces et Principes Slavotum beilegten, meldet in der von ihm am Ende des XII. CJahrhundertes verfaßten Chronica Slavorum, daß alle teutschen Slaven noch den Namen Winithi oder Winuli führten, obgleich die Polen, Russen, Böhmen, welche Fredegarius im Vll. Dahrhunderte noch „Sclavos cogno-mento Vinidos“ hieß, Kärntner und Sorben, und andere, die vom sla-vischen Hauptstamme herkamen, ihn verworfen, und den besonderen Stammnamen vorgezogen hätten. Es liegt demnach in dem Widerspruche, den einige slavische Schriftsteller gegen den Satz, daß der wahre alte allgemeine Stammname aller slavischen Völker der Name Wende sei, in ihren Schriften äußern (Anzeigen aus sämtlichen k. k. Erbländern, Wien 1773, 111. Jahrg. S. 164 u. f.), nur ein Mißverständnis, welches gehoben wird, sobald man zugibt, daß die ungarischen Slovaken, welche doch von den dortigen Teutschen windische Leute genannt werden, nicht unmittelbar von den nördlichen Wenden, sondern von den griechischen Slaven herkommen. Die Beschuldigung, daß bei den Deutschen wendisch und betrügerisch gleichbedeutende Wörter wären, bestätigt sich nicht durch den Sprachgebrauch, und wenn auch dieser schlimme Nebenbegriff wirklich vorhanden wäre, so würde er doch der weit anstößigeren Nebenbedeutung des Wortes „Slav" und „Sclav" so sehr im entehrenden Werte nachstehen, daß auch in dieser Hinsicht jener Name diesem vorgezogen werden muß.*) Man ist noch nicht einstimmig, wie viele Völkerschaften zu den Wenden gerechnet werden müssen. Herr Haquet (v. Born, Abhandl. einer Privatgesellschaft in Böhmen, II. Bd. S. 242) versichert, daß die Kirgisen und Kroaten der Sprache nach Stammvetter sind. Vermöge des III. Teiles der Orydographia Carniolica oder „Physikalischen Erdbeschreibung des Herzogtums Krain, Istrien und zum Teil der benachbarten Länder“ (Vorrede) findet man slavische Wörter nicht nur in helvetischen Dialekten, sondern auch in den östlichen sibirischen Sprachen und selbst auf den neuentdeckten Freundschafts-Inseln. Allein diese können durch Rußland in selbige gebracht sein, oder von Wurzelwörtern der alten verlorenen Hauptsprache herstammen, von welchen andere Nationen ihre gleichlautenden Wörter abgeleitet haben.**) Herr P. Dobner a S. Catharina (ad Hajek a Liboczan Annales Bohe-morum Part. II. Praef. d. 3) zählt zu den Slavinen die Circassier auf die unerhebliche Angabe des Henselii in Synopsi universalis Philologiae et Harmonica Linguarum totius Orbis, und weil einige cirkassische Wörter und Namen sich aus dem Slavischen einigermaßen erklären lassen; dann die Kosaken, ferner die Chasaren, weil S. Cyrillus (Vita S. Cyrilli in Actis Sand, ad d. 9. Martii) bei ihnen slavisch reden lernte, und die Avaren, weil Kaiser Konstantin diese einmal im 29. Kapitel de Administr. Imp. Slaven nennt. Allein diese Nationen, die Kosaken, welche eigentlich Russen sind, ausgenommen, bekamen die angezogenen Wörter durch die Slaven an der Donau, über welche sie herrschten, und daß die Circassen so wenig als andere Nationen am Caucasus slavisch reden oder verstehen, bezeugt Bayer und von Peysonel. Da Nestor, der älteste russische Geschichtsschreiber, selbst in Rußland verschiedene Völker von den wendischen Stämmen absondert, nämlich die Trisnen, Kriwiczen, Radimiczen, Wa-ticzen und Sewerier, so darf man wohl die Wenden östlicher *) Der Name »Wende« ist indessen etymologisch geklärt worden, denn »ven, vin«^ bedeutet: Grenze, »Wende« sonach: Grenzbewohner, Nachbar. *•) Die richtige, großzügige Ansicht des Verfassers von einer einstigen Gemeinsprache muß besonders hevorgehoben werden. nichl weiter, als etwa die eigentlichen russischen Grenzen sich erstrecken, suchen. Nach den verschiedenen Dialekten teilt Herr D. Anton in den Ersten Linien eines Versuches über der alten Slaven Ursprung, Sitten, Gebräuche, Meinungen und Kenntnisse, S. 12, 17, die Wenden überhaupt in Slowen und Slawen ein, und versteht unter ersterem Namen die Polen, Serben, Kassuben und Zilleyer*), welche in ihrer Sprache keinen Conjunctivum haben, unter dem Namen der Slawen aber die Russen, Böhmen und Krainer. Außerdem zertrennt er in der Vorrede das Hauptvolk in Halb-Slaven, unter welchen er die Preußen, Wlachen, Letten und Lithauer versteht, und in Slaven oder 1. Russen, 2. Polen, 3. Tschechen oder Böhmen und Mähren, k. Dalmatier, 5. Chrowaten, 6. Slowaken, 7. Kassuben, 8. Kassuben der Lauenburgischen Gegend, 9. Krainer, 10. Illyrier, 11. Lüchower im Lüneburgischen, 12. Serwier, 13. Lausitzer um Bautzen, deren Dialekt in 5chriften gebraucht wird, \k. Oberlausitzer um Löbau, 15. Niederlausitzer, 16. Altrussen, in deren Sprache die russischen Kirchenbücher verfaßt sind, 17. Slavonier, 18. Wlachen, und 19. Slesier, welch letztere vierfach sind, weil sie vier abweichende Mundarten, außer der allgemeinen Volkssprache, in den Gegenden von Kreuzburg, Rosenberg, Teschen und Pleß haben, ln de Jordan Originibus Slavicis P. IV. p. 108—128. findet man eine Zerteilung der ganzen Nation in Kroaten, Glagoliten, Ungrische Slaven, Böhmen, Russen, Polen, Kärnter und Dalmatier, und P. /. p. 72 werden die südlichsten Slaven nach den verschiedenen Dialekten abgesondert in Kroaten zwischen der Donau, Sau und Mur, in den Gespanschaften Warazdin, Zagora und Zagrab, in Winden in Kärnten bis Klagenfurt, Cilli und bis Windischgrätz, in Karnier in Krain, Cilli und Friaul, in Dalmatier am Adriatischen Meere, und in Slavonier zwischen der Drau, Sau und Donau. Allein die ungrisch-slavische Sprache, welche böhmisch ist, zeigt, daß die Ungrischen Slovaken zu den Böhmen gehören, und unter Glagolitisch versteht man keinen Dialekt, sondern eine besondere Art von Schriftzügen, in welchen die kroatische Bibelübersetzung zu Papier gebracht ist. ln der Walachei glaubt man alle Slaven unter drei Hauptbenennungen bringen zu müssen, (Herr Sulzer, Geschichte des transalpinischen Daciens 11. B. S. 125) nämlich unter die der Lesi (Polen), die der Moskali und Russi (Russen), und die der Sirbi (Serbier, Kroaten, Bosniaken, Raizen, Slavonier und Bulgaren), ln dem neuen russischen großen Sprachwerke, welches den Titel hat: Linguarum lotius Orbis Vocabulario comparativa Augustissimae Cura collecia, Sed. I., Pars I, Petropoli 1786 (Allgem. deutsche Bibliothek 78. B. 2 St. p. 323) sind 12 verschiedene slavische Dialekte festgesetzt und die Wörter angegeben: po slavanski, slaveno-wengerski (ungarisch-sla-visch), ilirjiski, bogemski, serbski, vendski, sorabski, polabski (eigentlich lüneburgisch-wendisch, denn das polabingisch-wendische ist zu früh vertilgt und nicht bekannt geworden), kasubski, polski, malo-rossijski und susdalski. Bei der 1548 zu Wittenberg gedruckten slo-venskischen Bibelübersetzung nahm man Rücksicht auf Leute, die sechs verschiedene Mundarten redeten, und gab in einem Register die vom Krainischen abweichenden Wörter „po slovenski“ oder „bezjaski, hervatski, dalmatinski“ und „istrianski“ oder „kraski" an. (Thumman, Untersuchungen über die alte Geschichte einiger Nordischen Völker p. 219). Herr Hofrat Schlözer bringt die wendischen Hauptstämme (Allgemeine Welthistorie XXXI. T. S. 331) vermöge der Sprachverschiedenheit unter sechs Abteilungen, nämlich: 1. die russische, deren Sprache mit griechischen, tatarischen, asiatischen, deutschen, holländischen und französischen Wörtern vermischt ist; 2. die polnische, unter welche auch der Sprachgleichheit wegen Lithauen, Polnisch-Preußen, das Wasserpolnische im preußischen Lithauen, das Kassubische und einige Gegenden Schlesiens gehören; 3. die böhmische mit Einbegriff von Mähren, eines Teiles von Schlesien und des Slovakischen in Ungarn; k. die sorbische in der Neumark, Ober- und Niederlausitz und im Kotbusser Kreise; 5. die polabingische, aller zwischen der Oder, Elbe und Elmenau vorhandenen Wenden; 6. die windische, der österreichischen, steiermärkischen, kärntischen und krainischen Wenden; 7. die kroatische, deren Sprache aber vielleicht nur eine Varietät der windischen ist; 8. die bosnische, deren Sprache auch die Servier, Dalmaten, Illyrier und italienischen Slaven der dalmatischen Seeküste sprechen, und 9. die bulgarische. Von dieser Klassifikation weicht Herr Hofrat Gatterer ab, welcher in der „Einleitung in die synchronistische Universalhistorie“, Göttingen 1771, p. 127 für die vornehmsten Mundarten der heutigen slavischen Sprachen erklärt, 1. das Russische in Rußland und polnisch Reußen; 2. das Polnische in Polen, in Preußen, in Schlesien jenseits der Oder, und in Litauen, wo es die Sprache der vornehmeren Leute ist; 3. das Böhmische in Böhmen, in Mähren und im größten Teile von Ungarn, in welchem es slovakisch genannt wird; k. das Bulg arische der bulgarischen Bauern und der Raizen oder Rascier in Servien; 5. das II ly rische oder Kroatisch- Dalmatische, welches in Kroatien, im eigentlichen Bosnischen und in Servien Abänderungen erleidet, und 6. das Wendische, welches verteilt werden muß in das südliche, welches in Österreich, Krain, der windischen Mark, Steiermark, Istrien und hin und wieder in Kärnten gesprochen wird, und in das nördliche der Lausitzer, Meißen, Brandenburger, Pommern, Mecklenburger, Lauenburger und Lüneburger, welches aber, außer in der Lausitz, dem Kotbusser Kreise, Kassuben und Lüchow im Lüneburgischen, erloschen ist. Diese so sehr abweichenden Volksverteilungen, und der Umstand, daß öfters einerlei Sprache in sehr weit von einander getrennten Ländern, und zwar nur von einem Teile der Einwohner geredet wird, machen es unmöglich, nach dem Maßstabe, den die Dialekte darbieten, die wendische Geschichte in bequeme Abschnitte zu zerteilen. Man muß daher ein anderes Hilfsmittel zu dieser Arbeit aufsuchen, indem man nachforscht, ob nicht unter den verschiedenen wendischen Nationen eine selbstgewählte Absonderung oder auch Verbindung in bestimmten Staaten ehedem vorhanden gewesen ist? Man könnte die wendischen oder slavischen Völkerschaften nach ihren Oberherren abteilen, und avarische, griechische und fränkische Untertanen und freigebliebene Wenden in besonderen Büchern beschreiben; allein auch diese Ordnung hat Unbequemlichkeiten, die zu groß sind, um sie in einer Geschichte, die überall Deutlichkeit enthalten muß, zum Grunde zu legen; abgesehen davon, daß diese Einteilung sich nur dann würde gebrauchen lassen, wenn, was jedoch nicht geschah, alle wendischen alten Staaten aufgehoben wären. Der Herr Hofrat Schl öz er entwirft nach der Richtschnur der Oberherrschaften (Allgemeine Welthistorie XXXI. T. 5. 223) einen bequemeren Plan und teilt die Wenden ein: 1. in Russen (Russen, Novogoroder und Kosaken); 2. in Polen (Polen und Schlesier); 3. in Böhmen (Böhmen, Mähren und Lausitzer); 4. in Teutsche oder eigentliche Wenden, und zwar südliche (Österreicher, Krainer, Kärnter, Steiermärker, Friauler) und nördliche (Obolriten mit Inbegriff der Polaben, Wagrier und Linonen, Vilzen in Pommern und Pommerellen, Ukern in Brandenburg und Sorben in Obersachsen); 5. 111 y r e r (Dalmatier, Slavonier, Kroaten, Bosnier, Serbier und Ragusaner); 6. in Ungarn und 7. in Türken (Bulgaren, Walachen u ld Moldauer). Aber auch diese Abteilungsweise ist mit Schwierigkeiten verbunden, die mich abhalten, sie bei meiner Ausarbeitung zugrunde zu legen. — Einige ältere und neuere Schriftsteller wendischer Begebenheiten haben verschiedene willkürliche Einleitungen gemacht, die sich teils auf die Lage, teils auf die Regenten beziehen. Der Name Slavo- nien oder Sclavinien, der ein Reich der Wenden bezeichnet, gibt selbst Veranlassung zu solchen Abteilungen; denn man findet wenigstens acht verschiedene Staaten, die „Sclavinien“ heißen, nämlich einen, der das serbische Dalmatien bei Ragusa begriff, einen im VI. Jahrhunderte in der Wallachei und Moldau, einen in Kärnten und einen seit dem Jahre 803 zwischen der Drau und Sau, der bis jetzt allein die Benennung Slavonien behalten hat. Dann hieß auch in der griechischen kaiserlichen Hofsprache ganz Dalmatien, (s. meine Hun-garische Geschichte III. T., S. A09) und am fränkisch - kaiserlichen Hofe, Krain, Kärnten, die windische Mark ein Teil von Österreich und Slavonien (im 8. Jahrhunderte) Slavinia und endlich war ein anderes oder das kleine Slavanien, der Staat von 18 wendischen Völkerschaften in Brandenburg, Mecklenburg, Lauenburg, Holstein und Verpommern, und wiederum ein anderes Slavien das pommersche Gebiet jenseits der Oder nebst Kassuben (Chron. Gotwicense P. II. p. 775). - Adam v. Bremen (Hist. Eccles. L. II. c. 10, 24) teilt die Winulos, Wenden oder Slaven 1. in Slaven der hamburgischen Diözese (Wagrier, Obodriten, Polabingen, Lingonen Warnaher, Chizziner, Circipaner, Tholosanter, Rhetarier); 2. in Slaven zwischen der Elbe und Oder (Hevelder, Doxaner, Liubuzzer, Wiliner, Stoderener); 3. in Slaven an der Elbe (Böhmen und Soraben). — Helmold, ein slav. Schriftsteller des 12. Jahrhundertes, erweitert diese Einteilung (Chron. Slavor. L. I. Cap. 1.) und belegt die größtenteils hier übergangenen Wenden mit dem Namen der östlichen Slaven, die übrigen aber mit dem Namen der Wenden im genaueren Verstände in folgenden Worten: „Slavi orientales ad littus australe, Ruzi, Poloni, Pruzi, Bojemi, Morahi sivi Carinthi, Sorabi: quodsi adjeceris Ungariam in partem Slavoniae, ut quidam volunt, quia nee habitu nee linqua discrepat, eo usque Slavicae linguae succrescit ut pene careat aesiimatione. — Provincia eorum Slavorum, qui Winithi sive Winuli appellantur: Pomerani, Sorabi, Wilzi, Herali vel Heveldi, Lcubuzi, Wilini, Stoderani et multi alii Liguones, War-navi, Obotriti, Polabi, Wagiri, Vemere, Pani sive Rugiani. — Auch zertrennt er die letzteren an einem anderen Orte (L. I. c. 16.) in die Slaven der östlichen und westlichen Provinz, ohne die Grenzen dieser beiden Provinzen genauer zu bestimmen, scheint aber unter der westlichen Provinz, weil er selbige dem Herzog Bernhard von Sachsen zueignet, die in Herzog Heinrichs von Sachsen Urkunden angegebene Transalbina Slavia (dipl. 1154, de Westphalen M. ined. r. Cimbr. T. III. p. 1998.) zu verstehen, welche die Bischoftümer Ratzeburg, Lübeck und Schwerin begriff. Der unbekannte Verfasser der im dreizehnten Jahrhunderte aufgesetzten Chronik der Slaven (Lindenbrogii Script, rer. Germ. p. 189.) behält Helmolds Völkernamen bei, gedenk! aber eines größeren Sclaviens gegen Dalmalien zu, und eines kleineren zwischen Sachsen, Böhmen und der Ostsee. Otto von Kirch-berg teilte 1378 (de Westphalen Mon. inedit. rer. Cimbr. T. IV. p. 595.) das ganze Wendland in Ost- und Westerwende, zählte zu den letzteren alle jene Völker, die Helmold Winither nennt, und sagt von den übrigen: 6en Osten wohnt der Wende Heer, Russen, Polen, Prussen, Böhmen, Sorabia, Kernthen, Merhern, Ungirn, ein Land heißit Slevenye. — Hier nimmt der Ostirwende Land Uzrichtunge ein Ende. Dieser Begriff vom östlichen Slavien war aber demjenigen, den man von diesem Lande in den älteren Zeiten in der fränkischen Reichskanzlei sich machte, nicht völlig gemäß; denn die Annales Laures-hamenses melden vom Kaiser Ludwig (ad An. 822) omnium Orientalium Slavorum, hoc est Abotritorum, Soraborum, Wilsorum, Behemanorum, Maruanorum, Predeceniorum, et in Pannonia residentium Avarum, lega-tiones — excepit, und zählen also auch viele westliche Slaven des v. Kirchberg zu den Ostslaven. Übrigens wurden innerhalb der nächsten hundert Jahre nach Kaiser Ludwigs Tode alle Slaven jenseits der Elbe, mit Einschluß der Böhmen, zum Herzogtume Sachsen, die übrigen aber in Krain, Kärnten, Österreich, Slavonien und Friaul zum Herzogtume Bayern gelegt, und nach dieser Abteilung auf den teut-schen Reichstagen als zwei abgesonderte Nationen behandelt. ln neueren Zeiten gab Johann Simonius eine besondere Einteilung der helmoldischen Wenden an (Vandalia 1598 in de Westphalen M. i. r. T. I. p. 1543), die aber keinen Beifall gefunden hat, und redete von einer vierfachen Slavo- Vandalia, nämlich einer nördlichen für Rügen, Fernern und Wismar; einer östlichen für Pommern, Kissin, Lebus, Tolenz, das Land an der Pene, und Neu-Brandenburg; einer südlichen für die Heveller, Brizaner, Prignitzer, Wilinen und Stoderanen; und einer westlichen für die Warner, Obotriten, Polaben und Wagrier. Herr P. Dobner bringl alle Slaven und Wenden unter drei Ordnungen, nämlich 1. unter die Klasse der Klein-Slavania, worin gehören die Wagrier, Polaben, Abodriten nebst den Brizanern, Smeldingern, Warnabern und Kissinern, die Circipaner, die Rugier, die Tolenzer, die Rhedarier, die Wilzen, nebst den Doxanern, Hevellen und Stoderanen, die Leubusier und Pomoranen; 2. unter die Klasse der Pola- chen und 3. unter die Klasse der Gross-Sclavanien, welche begreift die Lusizer, die Zlesaner (Schlesier), Gross-Serbien (Meissen und Lausitz), Gross-Chrobacia oder Böhmen und das Königreich Mähren. Herr Hofrat Gatterer, welcher in seiner „Einleitung in die synchronistische Universalhistorie", Göttingen 1771, den ersten Entwurf einer vollständigen wendischen Geschichte geliefert hat, handelt die ältere wendische oder slavische Geschichte nach fünf Perioden ab, nämlich der Sarmatischen, die bis zum CJahre 332, der Gotischen, die bis zum Jahre 376, der Hunnischen, die bis zum Jahre 453, der Gepidisch-Bulgarischen, die bis zum Jahre 552, und der Avarischen, die bis zum Jahre 827 fortläuft; dann aber teilt er die besondere Geschichte der teutschen Slaven 1. in die der südlichen Slaven, die aus der avarischen unter die fränkische Hoheit durch Karl des Grossen Waffen kamen; 2. in die der nordischen Slaven oder der Obo-triten, Wilzen, Böhmen, Linonen, Sorben, Siusler, Moraven, Heveller, Redarier und Polen; und 3. in die der Wenden an der Ostsee, und beschreibt in abgesonderten Abschnitten die Schicksale der Reiche Gross-Mähren, Polen, Russland, Böhmen und Ungarn ausführlicher. Herr Hofrat Schlözer („Allgemeine Welthistorie" 31. T. S. 220) bestimmt, ausser der allgemeinen wendischen Geschichte, die aus den byzantinischen Schriftstellern geschöpft wird, vierundzwanzig besondere Geschichten einzelner Staaten, als Teile einer ganz vollständigen Nationalgeschichte. Diese besonderen Geschichten sind: die Geschichte der Russen, Novogoroder, Kosaken, Polen, Schlesier, Böhmen, Mähren, Lausitzer, Obodriten, Wilzen oder Pomeraner, Ukrer, Sorben, Kärn-ter, Krainer, Steiermärker, Friauler, Dalmatier, Slavonier, Kroaten, Bosnier, Serbier, Ragusaner, der ungarischen Slaven und der Bulgaren. Bei den Angaben der verschiedenen wendischen Stämme, welche besondere Staaten ausgemacht haben, tritt die Frage ein: zu welcher Zeit man einen Staat für erloschen halten müsse? Diese beantworte ich mir auf folgende Weise. Ein Staat stirbt, wenn er seine ganze Verfassung ändert; desgleichen wenn die Nation, die ihn errichtet hat, einen fremden Herrn erhält, und so sehr unterdrückt wird, dass sie ihre Unterscheidungszeichen, nämlich Sprache, Gesetze, Sitten und in gewisser Beziehung auch die Religion verliert. Ist die Beantwortung begründet, so hört in der wendischen Geschichte die Historie des Rügenischen, Pommerischen, Lausitzischen und eines jeden anderen ähnlichen Staates mit dem Zeitpunkte auf, da selbige in eine Provinz anderer mächtigerer Staaten verwandelt wurde. Aber die böhmische und die mecklenburgische Geschichte dauert noch fort, weil der Landesherr aus allem wendischen Geschlechte abstammt und die Staatsverfassung fortgesetzt hat, obgleich diese, besonders in Mecklenburg, völlig nach teutscher Form abgeändert und umgebildet ist. Sind mehrere kleine freie Staaten einmal unter ein einiges Haupt zusam-mengeirelen, so machen ihre Geschichten Teile der Geschichte des neuen Reiches aus, und daher muss die Geschichte der Circipaner, der Wagrier und der übrigen 18 nördlichen Nationen in der Geschichte des obotritischen oder wendischen Reiches abgehandelt werden. Trennen sich Stämme vom Aauptzweige, ohne ein besonderes Reich zu bilden, so werden ihre Begebenheiten zu der Geschichte des Hauptzweiges gelegt, und gehören also die Taten der Lausitzer und Dale-mincier in die Geschichte der Sorben. Sind die Nationalen mit fremden Völkerschaften so sehr vermischt, dass es schwer zu bestimmen ist, welche Nation die meisten Bestandteile zu dem neuen Körper hergegeben hat, so kann der Staat nicht zu einer der Nationen gerechnet werden, und findet daher z. B. die wallachische, die moldauische, die preussische und gewissermassen auch die lithauische Geschichte in der wendischen Geschichte keinen Platz. Die Kolonien der Wenden in solchen Staaten, in welchen sie gleich Untertanen aufgenommen sind, kommen in der wendischen Geschichte in keinen Betracht, sowie sie überhaupt nicht viel Stoff zu einer besonderen Geschichte liefern können. Kolonien dieser Art findet man im magde-burgischen, sächsischen, brandenburgischen und lüneburgischen Lande am linken Ufer der Elbe, in Fulda, im Hochsfifte Würzburg, in Hohenlohe, in der Pfalz am Rhein, in Italien und in Griechenland. Nach obigen Regeln ordne ich die wendische Geschichte unter diese Rubriken: I. Geschichte der Slaven und Wenden bis zur Zerteilung in völlig abgesonderte Staaten. II. Geschichte des Reiches der Wenden im nördlichen Teutschlande. III. Geschichte des Reiches Rügen. IV. Geschichte des Pommerischen Reiches. V. Geschichte der Sorben. VI. Geschichte des Reiches Böhmen. VII. Geschichte des Reiches Mähren. VIII. Geschichte von Schlesien. IX. Geschichte von Polen. X. Geschichte der Russen. XI. Geschichte des Reiches Servien. XII. Geschichte von Bosnien. XIII. Geschichte des nördlichen kroatischen Reiches. XIV. Geschichte des westlichen kroatischen Reiches. Ehe ich mich zu diesen Geschichten wende, wird es nötig sein die verschiedenen Meinungen der Schriftsteller über den Ursprung 3 der Wenden anzuführen, u. zw. in dieser „Vorrede", weil deren Bekanntmachung, die in gewisser Hinsicht nicht verabsäumt werden darf, an einem jeden anderen Orte den Faden der Erzählung zer-reisst, und Unbequemlichkeiten veranlasst. Vermöge der mannigfaltigen Angaben, die öfters bloss durch willkürliche Erdichtungen, öfters aber durch Wahrscheinlichkeiten, Tonähnlichkeiten, Besitz eines eigenen Landes und anderer zufälliger Umstände entstanden sind, sollen die Wenden und Slaven folgende Stammväter haben: 1. Japhet, Noahs Sohn. Dieser zeugte die Stammväter der Waräger, Schweden, Normänner, Engländer, Franzosen, Teutschen (Njemci), Wenden (Venedici) und anderer Völkerschaften durch seine Kinder. Bei der Sprachverwirrung, die 'diese betraf, teilte Gott alle Völker in 72 Sprachgenossen, und auf diese Weise entstand die sla-vische Sprache und Nation. Doch hiessen die Slovenen zuerst Norici, kamen nach langer Zeit an die Donau in Ungarn und Bulgarien, und gingen ferner bis an die Weichsel. Hier zerteilten sie sich unter dem Namen der Ljachen in Poljanen, Lutitscher, Mazovssanen, Pomorjanen (Polen und Pommern), Drewitschen, Novogoroder und Sjeverer, und zugleich mit den Slovenen enstanden die Moravinen, Cechen, Serben und Chorutanen, das ist Mähren, Böhmen, Kroaten, Serbier und Kärn-ler. Dieses ist die Hypothese des ältesten slavischen Geschichtsschreibers, nämlich des Kiewer Mönchs Nestor. (Siehe des heiligen Nestors und der Fortsetzer desselben älteste Jahrbücher der russischen Geschichte, übersetzt von CJ. B. Scherer, Leipzig 1774, S. 40, 41. Herr Hofrat Gatterer, Einleitung in die synchronistische Universalhistorie, S. 981.) Japhets Sohn, Javan oder Janus, zeugte Helisa, den Vater aller jener Slaven, die nach Dalmatien zogen. (Mari. Cromerus de Origine Polonorum, Ed. 3. 1568. L. I. c. 2.) Von einem anderen Sohne Japhets entsprang Aeneas, der trojanische Held, dessen Ururenkel Alanus sich mit seinen vier Söhnen nach Europa wendete. Der älteste Sohn dieses Alanus hiess Vandalus, gab seinen Namen der Weichsel und dem polnischen Lande, und verteilte seine Eroberungen unter seine vielen Söhne, die die mannigfaltigen wendischen Staaten stifteten. (Cromerus I. c.) Nach der Sprachveränderung zu Babel bekamen die Wenden den Namen Sclavoni oder Wortreiche (von Slowo das Wort), weil sie gesprächig waren, und rückten durch Kleinasien über Byzanz in die Bulgarei, stifteten die illyrischen Staaten, und wanderten darauf nach Böhmen und Polen. (Aen. Sylvius de Bohemorum Origine ac Gestis Historia, Basil. 1575. p. 4.) daphets Enkel, Riphal, hinferliess eine Nachkommenschaft, die sich an den riphäischen Gebirgen ansiedelte, und von diesen stammen die Slaven ab. (Schurzfleisch res Slavicae.) 2. Die Armenier. Die Slaven haben besondere Namen für solche Tiere, die in Europa nicht gefunden werden, wie z. B. den Elephanten, das Kameel, den Affen usw. Sie müssen also aus einem Lande hergekommen sein, wo sich diese Tiere befinden oder aus Südasien. Die Lieblingsendigung der Wörter bei den Armeniern „mat", gleicht den slavischen Endigungen „ak“ und „at" (z. B. Slovak und Chravat). Man findet unter den slavischen Wörtern manche, die mit den gleichlautenden armenischen Wörtern gleiche Bedeutung haben, und zwar mehrere, als in der griechischen, lateinischen und germanischen Sprache, in welchen auch armenische Wörter angetroffen werden. Es gab nie Völker, die die Namen Sarmat, Skyte und Kelte sich selbst beilegten, wohl aber unter den von den Nachbarn also benannten Völkern zwei Nationen, die sich Serben und dazygen nannten. Wahrscheinlich enstanden von den Persiern die Armenier, und von einer Kolonie der Armenier, die frühzeitig über den Kaukasus bis an die Wolga und an den Don sich ausbreitete, die angebliche sarmatische Nation, oder der Stamm der ältesten Serben an der Wolga, am Azowschen und Schwarzen Meere. Später begab sich ein anderer Haufen Armenier nach Kappadokien, und aus selbigem entsprangen erst die Thrazier, von diesen aber die Hellenen (Griechen) und Germaner. Von den Serben gingen ab die Budinen, Roxolanen, Udinen und Amazonen, aber die übrigen zerteilten sich in die neuen Serben und in die dazygen. Die alten Serben, welche von Plinius und Ptolemäus an der Wolga gefunden wurden, verschwanden nachher und sind vielleicht zu den neuen Serben gegangen oder auch von den Schriftstellern mit den Skythen vermischt worden. Die neuen Serben bevölkerten Polen, Böhmen und andere westliche Länder, und müssen sich Sporen genannt haben. Von ihnen kamen die Anten, Wenden oder Slaven (ruhmwürdige), von den dazygen aber, welche vorzüglich Sarmaten bei den Griechen hiessen, die Sloven, denn da „jazik“ in allen slavischen Dialekten die Zunge, und „slovo“ das Wort ande.utet, so ist es gewiss, dass die Volksnamen „Slovo“ und „dazik" einerlei sind.*) (Erste Linien eines Versuches über der alten Slaven Ursprung, ausgearbeitet von Karl G. Anton, Leipzig 1783.) — 3. Die Hebräer. Von diesen leitet, einiger Sprachähnlich-keiten wegen, Frencelius Lib. I. et 11. de Ordinibus Linguae Sorabicae *) Diese Etymologie ist ebensowenig begründet, wie -jazik- oder -slovo« als grundlegender Begriff für einen ethnographischen Namen. (1693, 1696) die Wenden ab. Die ältesten Russen (s. Nestor) behaupteten, dass der Apostel Paulus und Andronicus, ein Dünger Christi, slavisch geredet haben. 4. Die Heniochen in Colchis (Mingrelien und Guriel). Diese hält Pastorius (Orig. Sarmat. p. 25.) für Stammvettern der Heneter (gegen das Zeugnis vom Gegenteile in Strabo und Ptolemäus Erdbeschreibungen) und zugleich für Urheber der Slaven. 5. Die Bürger der colchischen Stadt Pola. Diese verbreiteten sich unter dem Namen der Polen, und ein Stamm nannte sich vom Sclavinis Rumenensi Slaven. (Gundlingiana XI. Stück p. 56.) 6. Die Lazi oder heutigen Lescier und die Zichi in Colchis und Dagestan. (Abels sächsische Altertümer p. 326, parerga histórica p. 547). Man erklärte diese Völker für uralte Wenden, wegen der Ähnlichkeit des Namens, die zwischen ihnen und den Lechen (Polen) und Cechen (Böhmen) eintritt. Auch die Avaren, Circassen und Chazaren, die später aus der Kobardei auswanderten, sind vom Herrn Prof. Dobner (Com. ad Hagecium P. II. praef. d. 3. und Cromerus de Orig. Polonor. L. I. C. 1.) wegen der Sprachähnlichkeit, die sich bei den Kobardinern und Slaven finden soll, von den zuverlässigsten Reisebeschreibern aber geleugnet wird, als Stammvettern der Slaven betrachtet worden. 7. Die Stammväter der Kirgisen (Abhandlungen einer Privatgesellschaft in Böhmen 11. B. S. 242) wegen Sprachähnlichkeit, die aber zufällig entstanden sein muss, da die Kirgisen zu den Mongolen oder Tataren gehören. 8. Die Phrygier, von welchen der Argonaul Fenisius oder Polyphemus die jetzige slavische Schrift erfunden, und zu den Gelen gebracht haben soll. (Grubissich Disquifitio in Origines et Historiam Alphabethi Sclavo-Glagoliiani, Venet 1766. p. 51. 43.56.) 9. Die Veneti oderHeneti in Paphlagonien, welche, vermöge des Herodotus, aus lllyrien nach Asien gingen, vermöge des Ho me rus aber schon vorher in Phrygien ansässig waren, nach Trojens Eroberung eine Kolonie unter dem Anführer Antenor in das Adriatische Meer sandten, und den venetianischen Staat bevölkerten. (Severini Commentatio histórica de veteribus Incolis hungariae Cis-Danu-bianae, Sopronii 1767. Cap. 7. de Slavis et Chrobatis p. 86.) Diese Veneter hatten zwar die Sitten, aber nicht die Sprache der Gallier, wie Polibius B. II. Cap. 17. meldet. Vielmehr müssen sie slavisch geredet haben, weil der Fluss, der slavisch Dwina heisst, von den Griechen Parthenius genannt ward, welche Benennung die Übersetzung von Dwina ist. (Severini l. c. p. 59.) Eben diese Griechen nannten die Venetos auch Enetos, oder die ruhmwürdigen, vom Worte „ainos“, das Lob, woraus erhellt, dass der Name Wende eine blosse Übersetzung des wahren Volksnamens Slawni (die Löblichen)*) ist. (Hr. P. Dobner /. c. P. Lp. 117. de Jordan Orig. Slav. p. 706. Chytraei Vandalia p. 3. Crugeri Orig. Lufat. Fascic. I. p. 144.) — Goropius Becanus gibt an, dass von den Venetianern eine Kolonie nach Gallien, von den gallischen Venetern eine zweite Kolonie nach Wensyssel in Jütland, und aus diesem Lande eine dritte an die deutsche Ostseeküste gesandt, und die letztere die Nation der Wenden und Slaven geworden sei; allein Hr. P. Dobner hält es für wahrscheinlicher, dass die venetischen Kolonien nach Venedig, Gallien und Wendland zu gleicher Zeit aus Asien in ihre Länder gewandert sind. Für alles bürgt bloss die Gleichheit der Namen. Aber verschiedene historische Bemerkungen, die Thunmann (Untersuch, über die alte Geschichte einiger nordischen Völker p. 141.) angeführt hat, widerstreben demselben. 10. Die ältesten Stammväter der Lateiner. Herr l’Evesque (Effai für les rapports de ia Langue des Slaves avec celle des anciens Habitans de Latium) findet in der slavischen Sprache viele lateinische Wörter, und vermutet, weil diese fast alle einsilbig, und von der Art jener Benennungen sind, die sich erst alsdann bei einer Nation zeigen, wenn sie den Stand der Wildheit verlässt und sich aufzuklären pflegt, dass die alten Lateiner die Grundtöne ihrer Sprache den Wenden schuldig sind, oder dass die Stammväter der Lateiner und der Slaven sich in den ältesten Zeiten, ehe noch die Trojaner und Veneter von den Slaven ausgingen, und vielleich nicht lange nach der Menschen Zerstreuung von einander getrennt haben müssen. Den Einwurf, dass die Slaven einige Jahrhunderte hindurch unter Lateinern lebten, sich unter ihnen völlig umbildeten, und daher manches ihnen fehlende Wort in ihre Sprache werden aufgenommen haben, glaubt Herr l’Evesque durch die Bemerkung aufzuheben, dass die slavischen und lateinischen Sprachen in Betracht ihrer ferneren Bildungen weit von einander abweichen. 11. Die Pannonier. Weil einige alte pannonische Namen aus der slavischen Sprache sich einigermassen deuten lassen, halten verschiedene Gelehrte (Severini Commentatio historia de veteribus incolis Hungariae Cis-Danubianae a Morava Amne ad Tibiscum porrectae, Sopronii 1767, p. 59. Ejusd. Pannonia, Lips. 1771. p. 65.) die Pannonier und ihre Stammväter, die Thracier, für die ältesten Slaven. Einer der ältesten polnischen Geschichtsschreiber Boguphalus (de Sommersberg Silesiacarum rerum Script. T. II. p. 19.) erdichtet •) Diese Etymologie ist falsch. folgende Stammgeschichte der Wenden. Slavus, ein Abkömmling des assyrischen Monarchen Nimrod, vom Jan, Japhets Enkel, von dem alle Slaven herstammen, hatte einen Sohn, der sich in Illyrien nieder-liess, sich nur den Herrn oder Pan hiess, Pannonien bevölkerte, und drei Söhne, Lech, Rus und Czech zeugte. Diese wurden die Stifter der polnischen, russischen und böhmischen Völkerschaften zur Zeit des Königs Ahasverus. Nimrod hatte schon einige slavische Stämme als Knechte behandelt, daher ihr Land von den Gallieren Servia genannt wurde, obgleich es nach dem ersten Könige, Sarban, Sorbien hiess. Schon die Königin des Morgenlandes zu Saba oder an der Sau verteilte ihre europäischen Länder unter ihre Söhne, daher eines dieser Reiche Dalmatien oder Dala macz (dabat mater) genannt ist. Der Namen eines anderen Reiches, Rama, kam vom Feldgeschrei Ram! (Vulnera) so wie der Name Polen vom Polo artico und Grenzschlosse Polan; Cassubien von Huba (eine Falte), weil die Einwohner weite Kleider mit vielen Falten trugen; Drewnane oder Halczste (Holstein), worin Lübeck, Hamburg und Bremen liegt, von dicken Wäldern und dem Trava-Fluss; Kärnten, dessen Einwohner Czernchane heissen, von Akanita (Canalia) und Wtrane (Hungern) vom Flusse Wlra bei Premi-slav. Die Wtrane kamen mit dem Hunnenkönige Atilla nach Pannonien, nannten sich a Hinis, Hungaren, erhielten aber, da viele Slaven sich zu ihnen gesellten, den Namen Wandalen.*) — Der Römer Gra-chus, d. i. Crak, ein lechischer Wojwode, hatte lange zuvor Crakow erbaut, und eine seiner Deszendenten, die Königin Wanda, verschaffte der Weichsel, weil sie in selbiger ertrank, den Namen Wanda, und den daran wohnenden Slaven den Namen der Wandalen. Lestko, ein König der Lechiten in Polen, tötete den römischen Triumvir Crassus, und besiegte den Julius Caesar. Caesar erhielt nachher seine Freundschaft und gab ihm seine Schwester Julia zur Gemahlin, welche in ihrem Landesteile das Schloss Julius oder Lebus, und Julia oder Wolin erbaute. — Ihr Gemahl besass ganz Westfalen, Sachsen, Bayern und Thüringen, und verteilte diese Länder unter zwanzig uneheliche Söhne. Dadurch wird die slavische Macht geschwächt, allein einer seiner Nachfolger, Semovit, ein Sohn Piasts, hob sie wieder empor und eroberte Cassuben, Pommern, Ungern, Sorabien, Rama, Drowina, Szgorzetcia (Brandenburg) und alle Länder an den Flüssen Albea, Odra, Pyana, Doloza, Wtra, Beknicza, Warna, Hawla, Sprowa, Hyla, Suda, Mecza und Trawna nebst den Schlössern Magdeburg, Dalen-burg, Lüneburg, Bardewik, Lübeck, Wismar, Ratibor, Gylow, Rostock Bela, Swanowo, Ostrow, Thoszin, Marlow, Bolck, Trzebosszow, Wlogosch, Kaszam und Walmieg oder Julin. *) Alle diese etymologischen Exkurse sind wissenschaftlich wertlos. Diese Erzählung verdien! bemerk! zu werden, weil sie zeig!, zu welchem Unsinn die auf blosse Elymologie und Wörlerableilung gegründelen Mulmassungen leiten können; denn dass hier eine Menge chronologischer und hislorischer Schnilzer aufeinander ge-fürmt sind, ist keine Folge der Ungeschicklichkei! des Verfassers, sondern des Mangels der hislorischen Hilfsmiilel und Verarbeitungen, der im XIII. ¡Jahrhunderte eintrat. Neuere Geschichtsschreiber, die diese besassen und benutzten, verfuhren vorsichtiger, und leisteten eben das, was er geleistet hatte, oder gaben ihrem Leser eine mögliche für eine wahre Geschichte. 12. Die Illyrier (Orbini, Regno degli Slavi p. 173) sind in die Reihe der slavischen Stammväter gesetzt, einmal vermöge einer missdeuteten Stelle eines Aufsatzes des hl. Hieronymus, den einige (de Jordan T. I. P. I. p. 73) irrig für einen geborenen Slaven halten (Hofrat Gatterer, Allgemeine hist. Bibliothek, X. B. p. 56) und zweitens aus etymologischen Gründen, welche Thunmann (Untersuchungen über die alte Geschichte einiger nordischer Völker p. U7 u. f.) und de Peyssonel (Diss. sur /’ Origine de la lanque Slavonne pretendue Illirique) vernichtet haben. 13. Die Dalmatier des I. Dahrhunderles n. Chr. (Reise in Dalmatien des Abbate Alb. Fortis I. 7. p. 65) waren die ersten Slaven vermöge einer Tonähnlichkeit der wenigen uns bekannten dalmatischen Personen- und Ortsnamen mit slavischen Wörtern, die aber schon Mart. Cromerus (de Origine Polonorum L. /. Cap. 4) für ein unstatthaftes Beweisstück erklärt hat. Thunmann ¿jibt (p. 138) den angeführten alten dalmatischen Namen keltische Deutungen und Herr Salegius (de Statu Eccles. Pannonicae Quinque-Eccles. L. I. p. 185 u. 206) leitet die slavonische, sarmatische, dalmatische, japodische, mösische und teutsche Sprache insgesamt von der gallischen oder altkeltischen Sprache ab. 14. Die Scythen (Hartknoch, Altes und neues Preussen, p. 39). Nach demjenigen, was der Hofrat Heyne von den Scythen oder Sko-lothen ausfindig gemacht hat (Allgemeine Weltgeschichte nach dem Plane W. Guthrie und F. Gray, III. T., p. 1025 und 1041) ist es nicht unwahrscheinlich, dass aus den skolothischen Völkern, die durch die Cimmerier Zuerst vom Borysthenes nach dem Norden getrieben wurden, dieiFennischen Nationen, und von den späteren skolothischen Kolonien, die bereits 513 Clahre v. Chr. Polen, Russland, die krimsche Tartarei und Ungarn bis an die Donau besassen, die Wenden abstammen. Die skolothische Monarchie an der Donau wurde im Clahre 430 v. Chr. durch den macedonischen König Philipp vertilgt, und viel- leicht entstanden aus den Trümmern dieses Reiches bald hernach viele kleine Freistaaten, deren einer der Mutterstaat aller wendischen Völker gewesen sein kann, weil die in den Geschichtsbüchern erhaltenen scythischen Namen sich nur aus der wendischen oder sla-vischen Sprache einigermassen deuten lassen (p. 1043 und 1062). 15. Die Roxolanen. Dieser, zu den Scythen gerechneten asiatischen Völkerschaft, eignete ein pragischer Professor, Johann Mathias a Sudetis, die Ehre der Stiftung der böhmischen Nation zu, sowohl in einer Schrift, der er den Titel gab: Bojemorum nationem non ex Slavis, ut Aeneae Sylvio et Joanni Dubravio videtur, sed ex Russin seu Roxalania originem trahere verius esse dejendemus 1614, als auch in den Subcesivis 1615. Seine Amtsgenossen, die es nicht zugeben wollten, dass ihre Vorfahren ungesittete Scythen und Barbaren gewesen sein sollten, widersetzten sich seinen Äusserungen mit grosser Heftigkeit, und einer derselben, Troilus, schrieb gegen sie eine Anti-Roxalaniam 1616. (Jordan, de Orig. Slavicis T. 1. p. 696.) Vermöge der besten Nachrichten, die wir von den Roxolanen haben, gehörte dieses Volk mit den Alanen zu einer alten asiatischen Nation, welche Siracen oder Saracenen hiess, kam im I. Jahrhunderte an die Donau aus der Tartarei, und hatte, wie es scheint, sich im VII. Jahrhunderte bis nach Kurland verirrt, konnte also nicht wohl wendischen Ursprunges sein. 16. Die Finnländer. (Graf Bonde Försök at igenfinna den Finska Nationens och Sprakels härkomst, in Kongl. Svenska Witter-hets Academie Handlingar 1755, I. T., S. 78. Möller korta Beskrif-ning öfver Est och Liefland, Westeräs 1756.) 17. Die Stavanen des Ptolemäus, die am oberen Don nicht weit von der Oka, und im VI. Jahrhunderte in einem Teile von Russland gewohnt haben sollen (Jo. T/wnmanni Diss. de Stavanis Ptolemaei T. IV. Act. Jablonovianorum), und von einigen Gelehrten für die Schalauer in Preussen gehalten werden. 18. Eine unbekannte Nation, deren Stämme die Avaren, Bulgaren, Pazzinaciten und Chrobaten waren. (Hr. de Peyssonel Observât. hist, et géographiques C. I. p. 15.) 19. Die Bulgaren an der Wolga und am caspischen Meere, (Hr. Hofr. Gatterer allgemeine historische Bibliothek X. Band p. 56, 64.) werden für Slaven gehalten, weil die heutigen Bulgaren slavisch reden, v. Jordan (I. c. P. I. p. 90. P. IV. n. 721.) behauptet, dass von den ältesten Slaven, die die Wolga-Ufer besessen hätten, die Anten, die Bulgaren und die Slavinen ausgegangen wären. Von den Anten sei schon im III. Jahrhunderte das Ufer der Alufa in Besitz genommen, im VI. Jahrhunderte aber Bosnien, Servien und Slavonien durch drei abgesonderte Heere, und später auch vieles von Dalmatien und Kroatien erobert worden. Die Bulgaren hätten sich von den Anten getrennt, und sich mit einem Teile von Servien begnügt. Die Slavinen hätten unter dem Namen Sarmatae limigantes im Jahr 334 sich in den Gegenden an dem Marosch, an der Teis, und an der Donau aufgehalten, wären zum Teil im Jahre 358 nach Krain und Kroatien versetzt, zum Teil aber hätten sie im Jahre 374 unter Czech und Lechs Anführung Böhmen und Polen in Besitz genommen. Diejenigen von ihnen, die im Lande zurückgeblieben wären, hätten sich, da i. J. 424 Pannonien von den Hunnen verlassen worden, zum Teil nach Kroatien und an die Drau begeben, endlich aber insgesamt, weil die von den Bulgaren im Jahre 434 vertriebenen Slavinen ihnen das Land entrissen, sich nach Pannonien gewendet, und das slavisch-mährische Reich gestiftet. Bei dieser Geschichte wird vieles als erwiesen vorausgesetzt, was nicht einmal eine Wahrscheinlichkeit vor sich hat. 20. Die Sarmater. Von den Sarmatern waiss man zuverlässig folgendes. Schon im VI. Jahrhunderte vor Chr. war ein grosses Volk dieses Namens am Don und an dem Meere von Azur vorhanden, welches innerhalb der nächsten vier Jahrhunderte bis zum Dneeper westlich vorrückta, zu Christi Zeit im nördlichen Teile von Polen mit den Teutschen zusammengrenzte, also schon damals das Land besass, welches nach der Zerstörung des skolothischen Reiches im Jahre 340 v. Chr. öde geworden war. In diesem vermischte es sich mit den alten Einwohnern so sehr, dass einige römische Geographen irre wurden, und verschiedene darin wohnende Nationen, die eigentümliche Namen hatten, bald für Sarmater, bald für besondere Völker, und bald für Teutsche ausgaben. Nach und nach zerteilte sich das sarmatische Volk in so viele kleine Stämme, dass der alte Hauptname verschwand, und daraufhin war das sarmatische National-Merkzeichen nicht mehr der Name, sondern eine gewisse Trägheit vermöge deren die Sarmaten keine Häuser bauten, niemals zu Fuss wanderten, sondern stets auf Wagen oder Pferden sassen, sich äus-serst schmutzig hielten und sich in lange Kleidern einhüllten. (Taci-tus de Moribus German. Cap. ult.) Am längsten bewahrten den sar-matischen Namen die Jazygen; ein Stamm, der aus der nogayschen Tartarei nördlich dem azowischen Meere kurz vor Christi Geburt nach Europa kam und sich zwischen Dacien und Pannonien festsetzte. Dieser Stamm hinterliess Blutsfreunde desselben Namens in seiner Heimat, und erhielt von den Römern den Beinamen der um- herstreifenden Jazygen (Jazygae Metanastae). Ein Haufe desselben ward von den Gothen im Jahre 332 angegriffen, besiegte diese zwar, wurde aber bei der Rückkehr in sein Land im Jahre 33k von seinen Knechten, welche er zur Verteidigung des Landes bewaffnet hatte (Jazyges Limigantes Picenses et Amicenses), zurückgetrieben und nahm seine Zuflucht teils zu den Viktofalen (Sarmatae Arcaragantes), teils zu dem Kaiser Konstantin, der ihn unter sein Heer aufnahm, auch zur Errichtung neuer Kolonien in Thracien, Scythien, Macédonien und Italien gebrauchte. (Schluss folgt.) M. Zunkovic: Die Raffelstettner Zollordnung. Die Nachrichten und Belege über die Existenz der Slaven im Altertume sowie noch zu Beginn des Mittelalters sind recht spärlich, weil der ethnographische Begriff „Slave“ damals noch nicht die heutige sprachlich konzise Determination im grossen Stile in sich vereinigte ; es sind daher auch nur wenig Fälle aus ältester Zeit bekannt, in welchen schon das sprachlich-ethnographische Kriterium konkret ausgesprochen wäre. Eine der wichtigsten Urkunden dieser Art ist aber die sogenannte „Raffelstettner Zollordnung“, deren Verfassung in die Jahre 903—9DS n. Chr. verlegt werden muss, obwohl sie eigentlich handelspolitische Bestimmungen enthält, die schon für die Zeit vor dem Jahre 876 Geltung hatten. Die Ostmark oder die sogenannte bayerische Grenzmark (terminus regni Bojariorum in oriente) ist bekanntlich von Karl d. Gr. nach der Zertrümmerung des avarischen Reiches gegründet worden, in welch letzterem der vorwiegende Teil aus slavischen Untertanen bestand, die das Gebiet des alten Pannonien, Norikum sowie, wenigstens zum Teile, jenes des heutigen Bayern inne hatten. Aber unter der Frankenherrschaft machte sich die Gegenströmung der deutschen Kolonisation bemerkbar, welche sich in Bayern mit Hilfe des intensiven Aufdrängens der deutschen Sprache und der christlichen Religion geltend machte, und welchem Drucke das Slaventum umso fühlbarer nachgeben musste, als es auch weder im mährischen noch in dem eben sich bildenden böhmischen Reiche eine wirksame Stütze fand. Allerdings wurde der deutschen Vorwärtsbewegung durch den magyarischen Überfall und deren verheerende Züge in der Folge eine starke Schranke entgegengesetzt, unter deren Wucht der slavisch-mährische Staat und für eine Zeit lang selbst die Ostmark aus der Geschichte verschwand. Unsere Urkunde scheint nun am Vorabende eines der unglücklichsten Ereignisse für Deutschland und die nordösterreichischen Slavenländer entstanden zu sein, denn an der Abfassung haben noch Personen teilgenommen, die bei dem Zusammenbruche des grossmährischen Reiches (um 905) und der schweren Niederlage der Deutschen i. 3. 907 durch die anstürmenden tatarischen Horden noch lebten. Sie kann daher einerseits nicht vor dem 3ahre 903 verfasst worden sein, da der darin erwähnte Bischof Burckardt von Passau diese Würde erst seit dem genannten 3ahre bekleidete, hingegen führte 6raf Aribo nur bis zum 3. 90S den Titel eines Grafen der Ostmark; überdies ist der beteiligte Erzbischof Thietmar von Salzburg schon i. 3. 907 gestorben. Der unmittelbare Anlass zur Verfassung dieser „Zollordnung“ war folgender. — Die Bevölkerung Bayerns, dann alle Interessenten, welche zur Ostmark (oriens, orientalis plaga, marchia orientalis, partes orientales) Beziehungen hatten, klagten allgemein über die ungerechten Zölle und Abgaben. Dies drang nun auch zum König Ludwig das Kind (900-911), welcher diese Beschwerden berechtigt fand und anordnete, dass der Markgraf Aribo unter Beiziehung der Ortsbehörden und erfahrener Leute das Zoll- und Abgabenwesen gerecht regele. Dies geschah auf einem in das Städtchen Raffelstetten im Traungau einberufenen Landtage, wo in Anwesenheit der interessierten kirchlichen Würdenträger und der sonst angesehensten Männer die Stellen für die Zollabgabe und die Höhe des Zolles genau bestimmt wurden. Von der Zollordnungs-Urkunde werden aber nachstehend nur jene Punkte angeführt, die für die Slaven ein besonderes geschichtliches oder kulturelles Interesse haben. Punkt 3. Wenn ein freier die normierten Marktplätze umgeht ohne zu zahlen oder ohne eine Meldung zu machen, so wird er, wenn es entdeckt oder bewiesen wird, bestraf! u. zw. wird ihm sein Schiff mit allen Waren eingezogen. Ist es aber ein Knecht, so wird er ausserdem noch so lange in Haft gehalten, bis sein Herr sich meldet und ihn auslöst. Punkt 4. Die Bayern und Slaven, die zum Königreiche gehören, haben das Recht der freien Einfuhr in die Ostmark und dürfen dort überall alle Lebensmittel, auch Dienstboten, Pferde und Ochsen abgabenfrei erkaufen. Im Falle, dass sie aber die obgenannten Handelsplätze (d. i. Rossdorf und Linz) passieren, müssen sie in der Mitte des Wasserweges fahren, ohne etwas zu kaufen oder zu verkaufen; § 3. Si autem über homo aiiqu's ipsutn legittimum mercatum transient nichil ibi solvens vel loquens, et inde probatus fuerit: tollatur ab eo et navis et sub-stantia. Si autem servus alienius hoc perpetraverit: constringatur ibidem, donec dominus eius veniens dampnum persolvat et postea ei exire l.'ceat wenn sie aber den Marktplatz besuchen wollen, um am Handel teilzunehmen, dann sind sie verpflichtet den festgestellten Zoll zu zahlen, worauf sie dann kaufen dürfen, was ihnen beliebt. Punkt 6. Was die Slaven anbelrifft, die aus Rugi oder aus Böhmen des Handels wegen kommen, so haben sie das Recht, überall an den Ufern der Donau, auch in der Rötel und in der Riedmarch zu handeln, aber sie sind verpflichtet, Zoll zu zahlen. Wenn sie Wachs einführen, so haben sie von jeder Last zwei Mass Wachs im Preise von je einem Scoti und von der Traglast eines Menschen — eine Mass im selben Werte zu zahlen. Wenn sie aber Dienstboten und Pferde einführen, so haben sie von einer Magd eine Tremisse zu entrichten, von einem Hengste ebensoviel, von einem Knechte eine Saiga und ebensoviel von einer Stute. — Die Bayern und die Slaven desselben Reiches haben das Recht abgabenfrei zu kaufen und zu verkaufen. Punkt 8. Wenn jemand nach Mähren in Handelsangelegenheiten geht, so hat er bei der Abreise dahin einen Solidus zu entrichten für ein Schiff; bei der Rückkehr hat er nichts zu zahlen. Punkt 9. Kaufleute von Beruf, d. i. die Duden und sonstigen Händler aus Bayern oder sonstigen Orten haben für die Dienstboten und sonstigen Dinge die entsprechende Abgabe zu zahlen, wie es in früheren Zeiten üblich war. Aus alledem ist zweifellos zu ersehen, dass im IX. Dahrhunderte in Bayern die Slaven noch genau dieselben Rechte hatten wie die s 4. Si autem Bawari vel Sclavi ist us patrie ipsam regionem intraverint ad ernenda victualia cum manicipiis vel cavallis vel bobus vel ceteris supellec-tibus suis: ubicunque voluerint in ipsa regione sine theloneo emant que necessaria sunt. Si autem locum mercati ipsius transire voluerint, per media plateam tran-seant sine ulla constrictione, et in alliis locis ipsius regionis emant sine theloneo que potuerint. Si eis in ipso mercato magis conplaceat mercari, donent prescrip-tum theloneum et emant quecunque voluerint et quanto melius potuerint. § 6. Sclavi vero, qui de Rugia vel de Boemanis mercandi causa exeunt, ibucunque iuxta ripam Danubii vel ubicunque in Rotalariis vel in Reodariis loca mercandi obtinuerint,-. de sogma una de cera duas massiolas, quarum uterque scoti unum valent; de onere unius hominis massiola una eiusdem precii. «Si vero man-cipia vel cavallos vendere voluerint, de una ancilla tremisam 1, de cavallo rnascu-lino similiter; de servo saigam I, similis de equa. — Bawari vel Sclavi istius patrie ibi ementes vel vendentes nichil solvere cogantur. § 8. Si autem transire voluerint ad mercatum Marahorum, iuxta estimati-onem mercationis tune temporis exsolent solidum unum de navi et licenter tran-seat; revertendo autem nichil cogantur. § 9. Legittimi mercatores, undecunque venerint de ista patria vel de alliis patriis, justum theloneum solvant tarn de manicipiis quam de alliis rebus, sicut semper in prioribus temporibus regum fuit. Deutschen, sie müssen sonach damals noch ein maßgebendes Konti-genf der Landesbevölkerung gebildet haben. Besonders notwendig ist hier die Aufklärung der Begriffe „servus“ und „mancipium“. Überall liest man diese als „Sklave“ erklärt und folgert daraus sofort, dass in jener Zeit in Bayern, der Ostmark, Böhmen, Mähren usw. noch ein regelrechter Sklavenhandel betrieben wurde. Wie jedoch die Textstellen selbst sowie deren Zusammenhang erweisen, handelt es sich aber hier nur um Bedienstete, denn es wird doch von der Magd und vom Knecht gesprochen, und das „mancipium“ ist doch nichts weiter als der Lohnvertrag mit Dienstboten, die durch ein Angeld („ara“ bei den Slovenen wie auch im Spätlateinischen „arrha“ genannt) zu einer Denstleistung für eine bestimmte Zeit, zum mindesten aber auf ein Oahr, verpflichtet wurden. Dass man aber für die Dienstboten, die sich in ein anderes Land verdingten, eine Steuer an der Landesgrenze aussetzle, ist sehr naheliegend, denn man wollte bei der einstigen Leutenot nicht leichterdings Arbeitskräfte verlieren, was man auch daraus ersieht, dass hingegen die Bayern, wenn sie Dienstboten in die Ostmark brachten, keine Steuer zahlten, um den Import von Arbeitskräften zu fördern. Bei diesem Anlasse kann auch der Zweifel, wo das Gebiet „Rugi“ lag, erledigt werden. Die Geschichte erzählt allerlei Phantastereien über dieses Volk. Die Rugier wohnten angeblich zuerst auf Rügen, zogen dann gegen Süden, und fielen dabei unter das Hunnenjoch ; sie lebten dann an der mittleren Donau und im Norikum; von dort vertrieben, verloren sie sich zum Schlüsse gänzlich unter den Herulern, Longobarden und Byzantinern. Nun die Tatsache ist aber eine wesentlich andere. Es gab „Rugi“ an den verschiedensten Punkten, wie es ja auch Kroaten, Serben, Wenden u. a. in den diver-girendst gelegenen Gegenden gibt, ohne dass sie deshalb je demselben Volksslamme im modernen Sinne angehört hätten. Nachdem aber diese Zollordnung am linken Donauufer ausdrücklich von Böhmen, dem böhmischen Wald (Sumava) und Mähren spricht, dürfte das „Rugiland“ am rechten Donauufer, also im einstigen Norikum, vermutlich westlich des Traungaues gelegen sein, ein Beweis, dass Sla-ven damals auch im Raume von Ober- und Niederösterreich wohnten, was ja auch durch andere Quellen bestätigt erscheint. Übrigens ist der alte Name „Husruke" noch im heutigen „Hausruck“-Gebirge (Oberösterreich) erhalten.*) * Paulus Diakonus ist der einzige Chronist, der von einem mährischen »Rugiland« spricht; wie aber da «mährisch» aufzufassen ist, wäre erst zu erforschen, da «marchia, marca u. ä. auch Grenze im allgemeinen bedeuten kann.. Allen Ernstes hat man auch behauptet, dass hiemit die Handelsbeziehungen Russlands mit Bayern wie der Ostmark unter Einbeziehung der Donau als Handelsweg erwiesen seien, namentlich weil man die Fürstin Olga von Russland (f 969) als „regina Rugorum" bezeich-nete. Dies ist unbedingt abzuweisen, denn, wie schon erwähnt, wiederholen sich ethnographische Namen ganz unbeeinflusst von einander; überdies handelt es sich hier fast ausschliesslich um den Salzhandel, und da haben die Russen, abgesehen von der geographischen Desorientierung über ihre Handelswege, weit nähere Bezugsquellen für diesen Artikel als etwa Oberösterreich, Salzburg oder Bayern, Aus alledem geht hervor, dass die Raffelstettner Zollordnung wohl nur die Interessen des lokalen Handels in der Ostmark vertrat, hingegen besitzt sie textlich in kulturgeschichtlicher wie ethnographischer Hinsicht für die altslavische Kulturgeschichte einen hervorragenden Oueltenwert. M. Zunkovic: Die Azbuka in der Edda. Die nordische „5ämundar Edda", die übrigens mit dem 4. Teile der indischen „Veda“, genannt „Atharvaveda“, auch einen inhaltlich nicht ganz abzuleugnenden Zusammenhang aufweist, ist von hervorragender Bedeutung für die sprachliche Ursprungsfrage der Runenschrift. Aus dem Abschnitte „Runatals thättr Odhins“, d. i. „Wodans Runenkunde“, wo es offenkundig ist, dass die „Edda“, richtiger „Veda“ {= Wissen, nicht „Grossmutter“ oder „Poetik“, wie man das Wort ansonst deutet) einst tatsächlich ein Lehrbuch war, geht der didaktisch-pädagogische Zweck derselben in jeder Hinsicht zweifellos hervor. Jene „germanische“ Edda bringt aber sonderbarerweise dem Schüler Lodfafner kein lateinisches, griechisches oder germanisches Alphabet, sondern das altslavische (glagolitische), d. i. die „Azbuka“ in Form eines Runennamengedichtes bei, denn die einzelnen Runen werden in der altslavischen Reihenfolge angeführt und die Buchstabennamen selbst sind, wie sie in den Strophen umschrieben werden, identisch mit den altslavischen. Die Reihenfolge ist allerdings vom 7. Buchstaben an unterbrochen, weil das Edda-Alphabet erst 18, das glagolitische aber schon 40 Lautzeichen kennt. Dieses Alphabet muss aber schon zu einer Zeit in die germanische Edda gelangt sein, als die Azbuka noch nicht mehr als 18 Lautzeichen hatte, denn im X. Jahrhunderte hatte sie schon 43 Zeichen. Allerdings kann man nicht wissen, ob dem Übernehmer nicht schon die 18 Buchstaben für seine Zwecke genügten, denn nach dem, wie wir heute die ältesten Handschriften inbezug auf ihr Alter taxieren, besteht darin keine Konsequenz, da z. B. die Grünberger Handschrift (Prag), die man in die Zeit des VI.—IX. Jahrhundertes verlegen muss, auch nur 18 Buchstaben kennt, und nicht in Runen geschrieben ist, aber die Schriftzeichen sind jenen der Bibel Ulfilas sehr ähnlich; diese letztere hat aber, obschon sie dem V. Jahrhunderte angehört, hingegen bereits 24 Buchstaben im Alphabete. Wahrscheinlich ist es daher, dass man seinerzeit genau so wie heute, zu gleicher Zeit verschiedene Schriftarten und Alphabete anwendete, was übrigens aus einem Briefe des Venantius Forlunatus, Bischofs von Poitier (VI. Jahrh.) hervorgeht, der einem gewissen Flavius schreibt, er möge, sofern er etwa nicht lateinisch schreiben wolle, mit „barbarischen“ Runen schreiben, worunter man einst, wie dies aus verschiedenen analogen Anwendungen hervorgeht, nur slavisch gemeint haben kann. Die jeden Laut mit seinem Gattungsnamen rätselartig umschreibenden Verse in der „Edda“ müssen einmal mnemonischen Zwecken gedient haben, und diese Schüler können nur Slaven gewesen sein, denn sonst hätte man den 5chülern unverständliche Begriffsbenennungen beibringen müssen. Und doch mussten diese originalslavischen Lautbezeichnungen beim Lese- und Schreibunterrichte unverändert gebraucht worden sein, weil sich der Schreiber oder Lehrer bei den drei letzten Runen, die mehr erotischer Richtung sind, förmlich damit entschuldigt, dass sie der Schüler ob seiner Jugend noch nicht verstehe, da er beifügt: Sind diese Lieder auch, Lodfafner, dir auf lange wohl noch unerkennbar; Jreu dich, erfährst du sie, nutz es, vernahmst du sie! Dass es sich aber hier wirklich um einen Lernbehelf handelte, ersieht man aus dem Schlussverse: Heil ihm, der es lehrt, Heil ihm, der es lernt, Das Heil, all ihr Hörer, Nehmt euch zu Nutz! Die einzelnen Memorierstrophen lauten (nach H. v. Wolzogen): 1. Hiljreich zu helfen verheißt dir das Eine In Streit und in Jammer und jeglicher Not. Erklärung: „a", benannt „az“ - Gott. 2. Ein Anderes lernt ich, das Leute gebrauchen, Die Ärzte zu werden wünschen. Erklärung: „b“, benannt „buki“ = Buch. 3. Ein Drittes kenn’ ich, das kommt mir zu gut Als Eessel für meine Feinde; Dem Widerstreite verstumpf ich das Schwert, Ihm hilft keine Wehr und keine Waffe. Erklärung: „v“ (und „u"), benannt „vedi“ Wissen, die überzeugende rhetorische Kraft. 4. Ein Viertes noch weiß ich, wenn man mir wirft Die Arm und die Beine in Bande; Alsbald ich es singe, sobald kann ich fort, Vom Fuße fällt mir die Fessel, Der Haft von den Händen herab. Erklärung: „g“, benannt „glagol" ^Gesang. 5. „Ein Fünftes erfuhr ich: wenn fröhlichen Flugs Ein Geschoß auf die Scharen daherfliegt, Wie stark es auch zuckt, ich zwing es zu stehn, Ergreif ich es blos mit dem Blicke.“ Erklärung: „d“, benannt „dobro“ = tapfer, mutig. 6'. „Ein Sechstes ist mein, wenn ein Mann mich sehrt Mit wilden Baumes Wurzel; Nicht mich versehet, den Mann verzehrt, Das Verderben, mit dem er mir drohte“. Erklärung: „e, je“, benannt „jet“ = Gift. Es ist hier nicht das einfache „e“ sondern „je“ genommen, da sonst im glagolitischen Alphabete eigene Zeichen hiefür sind. 7. Ein Siebentes brauch ich, seh ich den Brand hoch um der Menschen Behausung; wie breit es auch brenne, ich bring ihn zur Ruh mit zähmendem Zaubergesange. Erklärung: Im glagolitischen Alphabete folgen nun drei „z“ bezw. „ž" - Laute, die als „živete, zelo" und „zemlja“ benannt sind. Welcher Begriff hier die Lösung geben soll, ist nicht klar. 8. Ein Achtes eignet mir, Allen gewiß am Nötigsten zu benützen: wo irgend Hader bei Helden erwächst, da weiß ich ihn schnell zu schlichten. Erklärung: hier müssfe der Laut „i“, im Alphabete als „ize“ und „izica" benannt, folgen. Hierin scheint das Wort „doch" enthalten zu sein („izes, igo"); es passt für die ersten zwei Zeilen; für die zwei restlichen aber nur im figürlichen Sinne als: bändigen. 9. Ein Neuntes versieh ich, wenn Not mir entsteht mein Schiff auf den Fluten zu schützen; da still ich den Sturm auf der steigenden See und beschwichtge den Schwall der Wogen. Erklärung: hier muß der Laut „k" folgen, im glagolitischen Alphabete „kako" (= wie?) benannt; offenkundig ist dies gleichbedeutend mit dem lateinischen „Quos ego!“, womit die Wogen gebannt wurden. 10. Ein Zehntes verwend ich, wenn durch die Luft spukende Reitrinnen sprengen; fang ich den Zauber an, fahren verwirrt sie aus Gestalt und Bestreben. Erklärung: hier folgt der Laut „1“, benannt „ljudi“ (oder „ljuti“) = Leute, Menschen oder: Böse, Furien. 11. Ein Elftes kann ich auch noch im Kampf, wenn ich den Liebling geleite; ich sings in den Schild, und er siegt in der Schlacht, zieht Heil dahin und heil wieder heim, verharrt im Heil allenthalben. Erklärung: hier folgt der Laut „m", benannt „mislite“ = erwäget, seid vorsichtig! 12. Ein Zwölftes hab ich, hängt am Baum droben einer erdrosselt; ritz ich es dann mit Runen ein, herab steigt der Mann und redet mit mir. Erklärung: hier folgt der Laut „n", benannt „nas": Etymologie unverständlich, dürfte jedoch ein Zauberwort gewesen sein. 13. Ein Dreizehntes nenn ich: netz ich den Sohn eines Edlen im ersten Bade, so komm er in Kampf, er kann nicht fallen, es schlägt kein Schwert ihn zu Boden. Erklärung: hier folgt der Lau! „o“, benannt „on". Ist in dieser Form etymologisch unverständlich; slovenisch bedeutet „ona-diti" = mit Stahl belegen; „on" muß also einst Stahl bedeutet haben. Vergl. auch das lat. „onero" = bewaffnen. 14. Ein Vierzehntes sing ich versammeltem Volk beim Nennen der göttlichen Namen, denn aller der Äsen und Alben Art kenn ich so gut wie keiner. Erklärung: hier folgt der Laut „p“, benannt „pokoj“?=Ruhe, Friede. 15. Ein Fünfzehntes zähl ich, das Volkrast, der Zwerg sang vor den Toren des Tages den Äsen zur Stärkung, den Alben zur Kraft mir selber die Stimme zu klären. Erklärung: hier folgt der Laut „r“, benannt „rci“; es dürfte dies ein Übungswort zum Aussprechen des „r“ gewesen sein; ansonst scheint es „mit Worten bezaubern, beredt sein (russ. ,rjecitj‘)" zu bedeuten; in der Königinhofer Handschrift „rci“=beteuern, versichern. 16. Ein Sechzehntes sprech ich bei spröder Maid mir Gunst und Glück zu erlangen; das wandelt und wendet mir Wunsch und Sinn der schwanenarmigen Schönen. Erklärung: hier folgt der Laut „s“, benannt „slovo“ = das gegebene Wort, das Heiratsversprechen. 17. Ein Siebzehntes hilft mir bei holder Maid, das nimmer sie leicht mich verlasse. Erklärung: hier folgt der Laut „t“, benannt „tvrdi, tvjordij hart; weist schon inhaltlich wie auch bildlich — mit Rücksicht auf die Form der Rune „t“ — auf die Mann es kr aff. 18. Das Achtzehnte werde ich ewig nie einem Weib oder Mädchen melden; das bildet der Lieder besten Beschluß, was Einer von Allen nur weiß außer der Frau, die mich ehelich umfängt oder auch Schwester mir ist. Erklärung: Dies müßte der Buchstabe „h" oder „ch“ sein, benannt „chjer, kher", da nur dieser mehr dem vollständigen alten Runenalphabete fehlt. Russisch heißt „chjeritj“ = abschließen, das Kreuz machen, fertig sein. — Die Edda war sonach einst wohl nur ein slavisches Schullesebuch und deutet unbedingt auf keine germanisch-nordische Originalität. — Die vielen krassen Unnatürlichkeiten, wie z. B. in der Schöpfungsmythe, sowie sonstige phantastisch-groteske Stellen machen überdies den begründeten Eindruck, daß jemand, der nicht mehr gründlich Slavisch verstand, slavische Volksdichtungen sowie pädagogische Behelfe unkritisch zusammenraffte und in die eigene Sprache übertrug, was später zum Verleugnen oder zum unbewußten Vergessen der sprachlichen Priorität führte. Die Edda ist aber auch sonst von hervorragendem Interesse für die slavische Sprache und Urgeschichte, denn darin finden sich zahlreiche reinslavische Begriffe, die schon deshalb leicht zu erkennen sind, weil die Übersetzung zugleich die Erklärung bietet, denn wer „Yggdrasil“ als „Schreckfuß", „Skogul“ als „Sprungfertig“, „modhi“ als „Mut“ kommentierte, muss noch so viel Slavisch verstanden haben, dass die Begriffe „ustrasil, skokal, moc“ nur so richtig zu etymologisieren sind. Begriffe wie „brisin gamen“, d. i. Bernstein, womit sich Freya schmückte, erkannte er aber z. B. schon nicht mehr, dass er slavisch ist und Ufer stein bedeute, nachdem das Mineral doch immer am U fer gefunden wird, und erkannte auch das alltägliche Wort „gamen“ nicht mehr, weil er es nicht mehr als „kamen“ geschrieben fand, d. h. er hat es unrichtig gelesen, da in der älteren Runenschrift für das „g“ wie „k“ das gleiche Zeichen gilt. Die Edda bildet daher ein sehr lohnendes Gebiet für eine Durchforschung der Provenienz und der sprachlichen Grundlage ihrer Theogonie, sowie der epischen und didaktischen Dichtungen im allgemeinen. Ein Zusammenhang mit dem Slavischen ist da unabweisbar und scheint es, dass hier so manches auf ein slavisch beschriebenes Pergamentblatt verzeichnet wurde, ehe die primäre Schrift gründlich unleserlich gemacht worden war. — M. Zunkovic: »Schwayxtix«. Ein Schulbeispiel oberflächlicher Forschungspflege. Schon im böhmischen Handschriftenstreite hatte der Verfasser Gelegenheit auf einen einfachen Lesefehler („stojiesi“ statt „s t o g e si“) im sogenannten „Vysehrad-Liede“ aufmerksam zu machen, welcher 4* durch jedermann, der den Originaltext nur einmal normal liest, hätte berichtigt werden können; und doch geschah dies durch 94 Jahre nicht, ja, im Gegenteile: weil diese Stelle als unsinnig erschien, erklärte man gleich die ganze Handschrift für gefälscht und unterschoben, worauf sie im böhmischen Landesmuseum in die nun schon berüchtigte Schublade für „Falsifikate“ versenkt wurde. Damals (1912) war nicht anzunehmen, daß sich ein ähnlicher Lapsus überhaupt noch sonst wo bieten oder wiederholen könnte, und doch ergab sich kurz darauf ein noch krasserer Fall mit gleicher Folgewirkung. Beim Studium der sogenannten „Rjetra“-Altertümer, einem Funde von eigenartigen Bronzegegenständen mit wendischen Runenschriften traf der Verfasser auf die als „Schwayxtix“ benannte Statuette und konnte sich nicht zurechtfinden, wie man je zu dieser Lesung gelangen konnte, da sich doch jeder, der das wendische Runenalphabet kennt oder dem man es nur ad hoc vorweist, leicht überzeugen kann, daß jenes Wort dort absolut nicht steht. Weil aber hier ein „sch“ gelesen wurde, also eine in älterer Zeit ganz undenkbare und unmögliche Lautkombination, wurde sofort das Todesurteil gefällt: diese Altertümer seien nicht alt, sondern Fälschungen der Neuzeit! Man möchte nun als selbstredend voraussetzen, daß bei einem so exotischen Funde und der großen Zahl verschiedenster Objekte (66) doch gewichtige Bedenken aufsteigen müßten, ob das eingravierte Wort vielleicht doch nicht anders lautet, denn daß ein so genialer Künstler, wozu gerade ein divinatorisches Wissen notwendig war, einen so läppischen Fehler gemacht hätte, erscheint rundweg ausgeschlossen, und dies umsomehr, da der „sch“-Laut bis zum XII. Jahrhunderte gänzlich unbekannt war, sowie daß weder die Runen- noch die slavischen Alphabete diese Buchstabenkombination überhaupt kennen. Diese Umstände mußten unwillkürlich jedermann stutzig machen und zur Vorsicht mahnen, denn der Fälscher konnte nur ein Slave gewesen sein, der die altwendische Sprache vorzüglich beherrschte, und der soll nicht gewußt haben, daß die slavischen Sprachen kein „sch" kennen!? Diese Altertümer wurden in der Zeit von 1687—1697 in Pril-witz (Mecklenburg) bei einer Grubenaushebung gefunden; doch erst im Jahre 1768 wurde ihnen durch das Interesse des Herzogs Carl von Mecklenburg die erste wissenschaftliche Behandlung zuteil. Die Runeninschriften wurden damals mit Hilfe der gangbarsten Alphabete (von Cluver und Arnkiel) transkribiert; da aber den Text niemand verstand und man vermutete, daß er mit Rücksicht auf die Sprache der Urbewohner daselbst slavisch sei, wurde der Oberpfarrer Leio-chleb aus Peitz, der des Böhmischen kundig war, zu Rate gezogen, und bot dieser auch eine im großen zutreffende Auslegung. Aber schon bei dieser ersten Transskription muß ein Fehler gemacht worden sein, und seither folgte jeder blind, wie die Schildaer ihrem Bürgermeister in den offenen Brunnen, derselben Lesung nach und sah hier immer, wie hypnotisiert, ein „Schwayxtix“. — Freilich kam gerade diese Lesung der Tendenz, diese altehrwürdigen Kultur beleg e tunlichst g eräuschlos wegzueska-motieren, sehr willkommen und sie wurde auch voll ausgenützt. Mögen nun auch die früheren Ausleger und die später sich einmischenden Neider dieses falsch transskribiert und gelesen haben, sie hätten es doch nicht berichtigt, da es fast durchwegs des Slavi-schen unkundige Deutsche waren; betrübend ist es aber, wenn sich viel genannte Slavisten mit der Kontrolle dieser Inschriften eingehend beschäftigen und dabei doch nicht den handgreiflichen Fehler sehen oder erkennen, und wenn ja, nicht berichtigen wollen, denn sobald man ausdrücklich von Fälschungen spricht, muß man doch auch das Vorhandensein eines Originals zugeben, und dann ist die Fälschung keine Fälschung mehr, sondern lediglich eine Vervielfältigung. Ein solcher ernster Vorwurf muß in dieser oder jener Richtung hier dem bekannten Slavisten Prof. V. Oagic gemacht werden, der als einer der letzten Gegner in dem Aufsatze „Zur slavischen Runenfrage" (Archiv f. slav. Philologie, 1881) alle seine Autorität einsetzte, um öiber die Rjelra - Altertümer ebenso autokratisch den Stab zu brechen, wie später in unglaublicher Verblendung auch über die altböhmischen Handschriften. Wir legen hier seine eigenen Bekenntnisse zur Grundlage. Im erwähnten Aufsatze erteilt er (S. 195) anderen die Lehre: „Nichts ist gefährlicher für die Erkenntnis der Wahrheit, als die urteilslose Wiederholung fremder Äußerungen", und fügt zugleich noch zu, er habe sich, um sicher zu gehen, sogar die Originale in Neu-Strelitz selbst angesehen, wobei für ihn nicht die Kunstfertigkeit des Gelbgießers, sondern die darauf angebrachten Runenschrift en?d a s Wichtigste waren. Nichtsdestoweniger ist dagic in den eben gerügten Fehler selbst gefallen, denn er findet dort auch die Aufschrift „Schwayxlix". Hat er nun diese Figur selbst gesehen und gelesen, was wir seinen Äußerungen gemäß doch nicht bestreiten dürfen, so mangelten ihm hiezu wohl die notwendigen Runenschriftkenntnisse, was auch zuzutreffen scheint, da er nur die Alphabete von Cluver, Arnkiel und Masch anführt. Nun schrieb Masch jenes von Arnkiel ab, Arnkiel von Cluver und Cluvers Alphabet ist unvollständig und dabei bedenklich falsch. Unter diesen Prämissen und der Tatsache, daß es doch sonst genug alte und ausführlichere Runenalphabete gibt, war aber Jagic noch gar nicht berechtigt, alles kurz und klein als eine Fälschung zu verrufen, den Brüdern 6rimm zugleich den „Mangel einer festen wissenschaftlichen Überzeugung“ abzusprechen, weil sie sagten, „jeder der die Rjetra-Figuren mit eigenen Augen sah, hat sich noch für ihre Echtheit entschieden“, und schließlich pathetisch zu erklären (S. 214), daß die Fälschung selbst der ältesten Stücke nicht vor das Oahr 1737 fallen kann“. Nun steht aber auf der genannten Statuette (Rückseite), wie die beigegebene Figur zeigt,*) durchaus nicht *■) Das Original ist eine Handzeichnung des Hofmalers Daniel Woge aus dem Jahre 1770, und wie er selbst beifügt > c /. ± n k K d P P ► H <1 0 4 *1 + T I e P nnn f f f V V r PP R g, k MC 5 H N'LrV Hy) 1 j J Y t t f M • J X (?) u h n p