447 Izvirni znanstveni članek (1.01) Bogoslovni vestnik 75 (2015) 3,447—460 UDK : 27-42-1Demmer K. Besedilo prejeto: 06/2015; sprejeto: 08/2015 Roman Globokar Lebensentscheidung als endgültige Bestimmung der eigenen Zukunft: zur Stellung der Lebensentscheidung in der Moraltheologie Klaus Demmers ZusammenfassungKlaus Demmer (1931-2014), einer der führenden Moraltheologen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, hat der einmaligen Lebensentscheidung eine enorm wichtige Bedeutung im moralischen Leben der einzelnen Person zugeschrieben. Mit der freien und bewussten Entscheidung bestimmt der Einzelne in einem gewissen Zeitabschnitt seines Lebens seine eigene Zukunft. Im folgenden Artikel wird die Analyse der Lebensentscheidung aus anthropologischer und theologischer Sicht dargestellt. Im Bewusstsein des eigenen Sterbenmüssens trifft der Einzelne die Entscheidung, seinem Leben einen einheitlichen Sinn zu geben. Zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der Verwirklichung des eigenen Lebens wählt er die Möglichkeit, in der er hofft, am meisten fruchtbar sein zu können. Theologisch gesehen, ist eine Lebensentscheidung die Antwort auf den Ruf Gottes. Obwohl eine Lebensentscheidung sich in gewissem Maße in institutionalisierten Bahnen (Ehe, Ordensleben, Priestertum) vollzieht, lässt Demmer aber die Möglichkeit einer nicht-institu-tionalisierten Lebensentscheidung zu. In Krisen vertritt Demmer zunächst stets die tutioristische Lösung. In seinen späten Schriften sieht er aber im Institut der Dispens die äußerste Maßnahme der Kirche nicht nur gegenüber Priestern und Ordensleuten, sondern auch gegenüber Ehepaaren, die an der einmal getroffenen Lebensentscheidung gescheitert sind. Am Ende des Artikels werden einige kritischen Überlegungen gegenüber der Deutung der Lebensentscheidung bei Klaus Demmer geäußert und auch auf andere mögliche Lösungen auf einige brennende Fragen in diesem Bereich hingewiesen. Schlüsselworte: Lebensentscheidung, personale Wahrheit, Ehe, Unauflösbarkeit der Ehe, Dispens Povzetek: Življenjska odločitev kot dokončna določitev svoje lastne prihodnosti: o pomenu življenjske odločitve v moralni teologiji Klausa Demmerja Eden vodilnih moralnih teologov po drugem vatikanskem koncilu, Klaus Demmer (1931-2014), je velik pomen v posameznikovem moralnem življenju pripisoval enkratni življenjski odločitvi. S svobodno in zavestno odločitvijo posameznik v nekem določenem trenutku svojega življenja dokončno začrta svojo prihodnost. V članku je predstavljena analiza življenjske odločitve z antropološkega in s teološkega vidika. V zavesti svoje lastne minljivosti se posameznik 448 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 3 odloči, da bo svojemu življenju dal enovit pomen. Med različnimi možnostmi uresničenja svojega življenja si izbere tisto, v kateri bo lahko najbolj rodoviten. Teološko gledano, je življenjska odločitev odgovor na božji klic. Večinoma je življenjska odločitev v neki meri tudi institucionalizirana (zakon, redovništvo, duhovništvo). Demmer dopušča še možnost neinstitucionalizirane življenjske odločitve. Ob morebitnem prelomu življenjske odločitev Demmer proti koncu svojega življenja predlaga tudi za razvezane in za ponovno poročene institut spregleda (dispenza), ki je v veljavi pri duhovnikih in redovnikih in s katerim jim cerkvena avtoriteta po nekem določenem času in tehtnem premisleku omogoči, da sklenejo zakrament zakona. Ob koncu članka je navedenih nekaj kritičnih točk Demmerjevega pojmovanja življenjske odločitve; nakaže še druge možne rešitve glede perečih vprašanj na tem področju. Ključne besede: življenjska odločitev, osebna resnica, zakonska zveza, nerazvezljivost zakona, spregled Abstract Life Decision as Definitive Determination of One's Own Future: On the Importance of Life Decision in the Moral Theology of Klaus Demmer Klaus Demmer (1931-2014), one of leading moral theologians after Vatican II, attributed the course of moral life of an individual to a one-time life decision. An individual conclusively defines his future through a free and conscious decision at a certain moment of his life. The article analyzes this life decision anthropologically and theologically. Aware of his own impermanence, an individual decides to give his life unified meaning and chooses among several opportunities the one that will enable him to live his life to the fullest. A life decision is theologically a response to God's call and is in most cases institutionalized to a certain degree (marriage, religious vows, priesthood), although Demmer allows for non-institutionalization of life decisions. In the case of a breach in one's life decision, Demmer, toward the end of his life, suggests granting dispensation to divorced and re-married persons, much as it had been given by Church authorities to ex-priests, monks and nuns after a certain period of time and careful consideration to enable them to receive the sacrament of marriage. The article concludes by mentioning some critical points in Demmer's understanding of life decision and suggests possible solutions to some contentious issues in this field. Key words: life decision, personal truth, marriage, indissolubility of marriage, dispensation 1. Einleitung In letzter Zeit hat vor allem im katholischen Milieu das Thema der Lebensentscheidung zunehmend Aufmerksamkeit erhalten. Im Hinblick auf die beiden Familiensynoden in den Jahren 2014 und 2015 haben sich sowohl Fachleute als auch eine weitere Öffentlichkeit der Diskussion angeschlossen. (Bahovec 2014; 2014a) In Roman Globokar - Lebensentscheidung als endgültige Bestimmung 449 diesem Artikel möchte ich den Beitrag von Klaus Demmer (1931-2014), einem der einflussreichsten Moraltheologen der Nachkonzilszeit, kritisch darstellen. Demmer hat sich mit dem Thema der Lebensentscheidung sein ganzes Leben lang beschäftigt. Auf einer Seite dürfte dies wahrscheinlich biographisch bedingt sein, weil er als Priester und Ordensmann viele Menschen bei Ihrer Lebenswahl begleiten konnte. Auf der anderen Seite stellt aber dieses Thema auch ein wichtiges Element seiner Moraltheologie dar. Wir werden sehen, dass sich gerade in der Lebensentscheidung die transzendentale und die kategoriale Ebene des Erkennens und des Wählens kreuzen. Als Ausgangspunkt meiner Überlegungen sollen zwei brennende aktuelle Fragen in diesem Bereich herausgestellt werden. Erstens, ein sehr großer Teil der heutigen Jugend trifft keine endgültige Lebensentscheidung, zumindest nicht in einer institutionellen Form. In Slowenien wurde im Jahr 2014 mehr als die Hälfte der Kinder (58 %) außerhalb der Ehe geboren. Das Verständnis von Ehe und Familie hat sich gründlich verändert (Strehovec 2012, 196-198). Was bedeutet diese Tatsache für die moraltheologische Reflexion? Eine zweite Herausforderung ist der angemessene Umgang mit Brüchen in der Lebensgeschichte vieler Menschen heute. Jede dritte Ehe in Slowenien wird geschieden. Wie soll die Kirche mit Geschiedenen und Wiederverheirateten umgehen? Es folgt die Beschreibung und Würdigung der Lebensentscheidung in den Schriften von Klaus Demmer, am Ende setzen wir uns mit den genannten Herausforderungen auseinander. 2. Lebensentscheidung in anthropologischer Sicht 2.1 Erläuterung des transzendentalen Ansatzes in der Moraltheologie Das Buch mit dem Titel Die Lebensentscheidung aus dem Jahr 1974 ist eines der ersten Bücher von Klaus Demmer. Das Thema der Lebensentscheidung dient ihm als Anknüpfungspunkt für das Vorstellen seines transzendentalen moraltheologischen Ansatzes (Bonandi 2011, 39). Es werden in diesem Zusammenhang ihn interessierende Themen, wie das Spezifikum der christlichen Ethik, die anthropologischen Implikationen des Glaubens, der moralische Kompromiss, die Geschichtlichkeit des Naturgesetzes und der moralischen Normen, die zentrale Stellung der individuellen Entscheidung, die Absolutheit und Bedingtheit der menschlichen Freiheit, das Spezifikum der moralischen Wahrheit, die Rolle der Institution für die moralische Einsicht und Entscheidungen des Einzelnen, dargestellt. Das eigentliche Thema ist daher nicht die Lebensentscheidung an sich, sondern der mit ihr verbundene Kontext, also der gesamte Rahmen der fundamentalen Moraltheologie. Demmer sieht in seiner philosophischen und theologischen Untersuchung eine tragende Unterstützung für die Sicherheit der Entscheidung. Er versucht aus den 450 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 3 grundlegenden anthropologischen Voraussetzungen die innere Grundstruktur der einmaligen und unwiderruflichen Lebensentscheidung herauszustellen. Er schreibt: »Die Lebensentscheidung ist moralische Tat ursprünglichsten Ranges. In ihr und durch sie wird die eigene Geschichte unter einen alles tragenden Sinn gestellt, der mit dem Anspruch auftritt, alle zukünftigen Einsichten und Erfahrungen deutend bewältigen zu können, da er sich selbst einem prospektiven Einsichtsakt von einmaliger Auszeichnung verdankt.« (1974, 128) Er lehnt ganz bewusst einen positivistischen Zugang zum Thema ab. Es geht ihm nicht darum, die Rechtfertigung der Unauflöslichkeit der Ehe in der aufgetragenen Norm zu suchen, sondern um zu zeigen, dass der Mensch als das Wesen, das nach dem Sinn des Lebens strebt und das sich des Todes bewusst ist, ein inneres Streben nach der definitiven Orientierung seines Lebens in sich selbst entdeckt. Demmer will weniger ein Apologet der christlichen Lehre sein, sondern sein Forschungsinteresse gilt der Frage, in wie weit es eine allgemeine vernunftmäßige Basis für die unwiderrufliche Lebensentscheidung gibt. Diese Ausrichtung entspricht der nachkonziliaren Suche neuer Wege in der moraltheologischen Reflexion. 2.2 Erste Konkretisierung der Grundentscheidung Demmer fängt mit der Ebene der menschlichen Erfahrung an und stellt fest, dass die zahlreichen Entscheidungen, die der Mensch im Laufe des Lebens trifft, nicht unver-bunden nebeneinander stehen. Sie finden sich in einem Sinnzusammenhang vor, in einer gemeinsamen Ausrichtung auf das Gute. Diese Ausrichtung wirkt auf der transzendentalen Ebene und wurde in der Moraltheologie mit dem Begriff Grundentscheidung (optiofundamentalis) bezeichnet. Die Grundentscheidung ist also keine thematische und konkrete Entscheidung, sondern die Ausrichtung der Person auf der transzendentalen Ebene, die sich aber ständig in den kategorialen Entscheidungen entäußert, bestätigt, verwirklicht und wieder konstituiert. Das konkrete Handeln des Menschen ist die Interpretation seiner Grundentscheidung. (Demmer 1990, 855-859) Auf der paradigmatischen Weise inkarniert sich die Grundentscheidung in der unwiderruflichen Lebensentscheidung, die für Demmer eine »erste Kategorialisi-erung« bzw. »Vergeschichtlichung« der transzendentalen Grundausrichtung des Willens auf das Gute ist. Demmer schreibt, dass die Grundentscheidung und die Lebensentscheidung »gleichsam die Brennpunkte einer Ellipse« (1974, 7) darstellen. Dieses Bild wiederholt sich auch in späteren Schriften (1993, 86), obwohl es meiner Meinung nach nicht ganz unproblematisch ist. Es könnte nämlich zu der Auffassung verführen, dass es um zwei verschiedene Entscheidungen auf der gleichen Ebene geht. Doch die Lebensentscheidung ist eine kategoriale Entscheidung, in der sich die transzendentale Grundausrichtung des Menschen in einem bestimmten geschichtlichen Moment verwirklicht. Es stimmt gleichwohl, dass der Lebensentscheidung, die für Demmer einmalig und deshalb unwiderruflich ist, ein besonderer Status unter allen anderen kate-gorialen Entscheidungen zugeschrieben wird. Auf der einen Seite ist die Lebensentscheidung »niemals eine punktuelle Tat, sondern ein lebenslanger Prozeß Roman Globokar - Lebensentscheidung als endgültige Bestimmung 451 schöpferischer Selbsterhellung in wachsender freiheitlicher Entschiedenheit« (1974, 257-258). Auf der anderen Seite ist aber auch ein äußerer Ausdruck dieser Entschiedenheit in einem bestimmten Augenblick des Lebens notwendig. Weil um eine geschichtliche Wahrheit in Bezug auf eine geschichtliche Person geht, stellt sich die Frage, inwieweit sich diese überhaupt definitiv erkennen und unwiderruflich festlegen lässt. Aufgrund der bisherigen Lebensgeschichte entscheidet sich der einzelne Mensch im Hinblick auf seine ganze noch ausstehende Geschichte. Vergangenheit und Zukunft verbinden sich in einem bestimmten geschichtlichen Moment. Der Lebensentscheidung ist eine Rolle der Vorentscheidung zugeschrieben, die alle nachfolgenden Entscheidungen beeinflusst. Die nachfolgenden Entscheidungen können nur dann als gelungen bezeichnet werden, wenn sie »in der logischen Konsequenz dieser Entscheidung stehen« (22). Demmer ist sich zwar bewusst, dass es bei der Lebensentscheidung um einen Schritt in eine ungewisse, dunkle Zukunft geht. »Dennoch wird dieser Schritt gewagt: im Vertrauen auf die erkannte Wahrheit des eigenen Selbst und das Maß der zuhandenen Kräfte, diese Wahrheit auch ohne Abstriche durchtragen zu können.« (1974a, 386) Trotzdem bleibt die Zukunft letztlich unverfügbar. Der Mensch fühlt sich klein und begrenzt, aber genau die Annahme dieser Grenzen ist die Voraussetzung eines realistischen Lebensentwurfes. Die letzte Grenze unserer Existenz ist aber Tod und Demmer insistiert, dass nur wer zu sterben versteht, es auch versteht zu leben und zu lieben. Den Sinn des Todes zu entdecken, ist die Voraussetzung dafür, dem Leben eine Richtung zu geben. »Wer den Tod auf sich zukommen sieht - und dies ist ein gemein-menschliches Existential -, sucht seinem Leben ein Maximum an sinnvollen Lebensmöglichkeiten abzugewinnen.« (1999, 249) Die drohende Wirklichkeit des Sterbenmüssens wird frei angenommen und dem Leben ein Sinn gegeben, der den Tod überlebt. 2.3 Personale Wahrheit Die Unwiderruflichkeit der Lebensentscheidung hat ihren Grund in der Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit des Entscheidungsträgers in seiner linearen Einsichtsund Freiheitsgeschichte. »Dieser entscheidet sich nicht für eine Wahrheit, die unabhängig von seiner konkret-geschichtlichen Existenz gilt. Vielmehr wählt er sich selbst in seiner personalen Einmaligkeit.« (1974, 11) Es geht um die Fähigkeit, sich selbst bestimmen zu können. »Aus der Vielzahl der anstehenden Handlungsmöglichkeiten wird eine als die angemessenste gewählt unter Ausschluß aller übrigen.« (21) Die notwendige Scheidung von anderen Möglichkeiten soll einer größeren Fruchtbarkeit des Lebens dienen. »Ein Verzicht darf darum niemals Ursache persönlicher Verarmung sein, vielmehr muss er schöpferisch umgewandelt werden.« (1999, 252) Das menschliche Schicksal ist nicht im Voraus prädestiniert, sondern der Mensch ist tatsächlich frei, seiner eigenen Geschichte den entscheidenden Kurs zu geben. Es gibt also keine zwingende Evidenz, die den Einzelnen zu einer bestimmten Wahl nötigen würde, sondern es geht um eine frei eingesehene Selbstbe- 452 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 3 Stimmung. Deshalb steht an der Wurzel einer solchen Entscheidung immer »nur« eine moralische Gewissheit, »die die Möglichkeit sowohl des Irrtums als auch einer anderen Lösung nicht absolut ausschließt« (1974, 37). Es handelt sich nicht um eine objektive Evidenz, sondern um »eine personale Vollzugsevidenz« (18). Diese Wahrheit wird nur progressiv erfasst und trägt immer einen Risikocharakter mit. Sie vollendet sich erst am Ende eines lebenslangen Prozesses. (2003, 106) Demmer ist überzeugt, dass jeder Mensch innerhalb seiner Lebensgeschichte zum Augenblick der Lebensentscheidung kommen muss. »Einmal müssen die notwendigen Bedingungen erfüllt sein, die eine definitive Festlegung des eigenen Lebens freigeben.« (1974, 25) Ohne bewusste Lebensentscheidung lebt nach Demmers Meinung der Mensch an sich selbst vorbei und verbleibt auf der Ebene Geschichtslosi-gkeit. »Der Schritt in das Unsichtbare und Unfassbare besitzt seinen gelebten Anhaltspunkt in der Biografíe eines jeden geistig aufmerksamen Menschen.« (2014, 50) Demmer stellt mehrmals die Einmaligkeit der Lebenswahl: »So wie die eigene geschenkhafte Existenz einmalig und unwiederholbar ist, so kann man sie auch nur einmal und unwiederholbar in eine Lebensentscheidung geschenkhaft zusammenfassen. Man bindet sich immer nur einmal!« (1974, 183) Hier stellen sich die Fragen, wie Demmer eine zweite Ehe oder den Eintritt in ein Kloster nach dem Tod des ersten Partners interpretieren würde. 3. Lebensentscheidung in theologischer Sicht 3.1 Erste Konkretisierung der Glaubensentscheidung Für den Glaubenden stellt die Glaubensentscheidung den Mittelpunkt seines Lebens und Handelns dar. Im Glauben findet er zu seiner vollen geschichtlichen Selbstidentität. Jede konkrete Entscheidung ist »Ratifizierung, Konkretisierung und Explizierung« der Glaubensentscheidung. In einer ausgezeichneten Weise gilt das für die Lebensentscheidung. Die Lebensentscheidung ist die erste Konkretisierung der grundlegenderen Glaubensentscheidung. Demmer schreibt: »Die Lebensentscheidung des Glaubenden, in der über die offene und ungewisse Zukunft des eigenen Lebens in endgültiger und unwiderruflicher Weise verfügt wird, vollzieht sich im Gegenüber zum sich offenbarenden Gott.« (1974, 128) Die Glaubensentscheidung verlangt eine Lebensentscheidung, »wenn und sofern sie sich überhaupt in die personale Einmaligkeit ihres Trägers inkarnieren will.« (129) Der Glaube entäußert die Endgültigkeit der Geschichte und fordert den Einzelnen, die volle Verantwortung für sein Leben anzunehmen. Demmer warnt vor einer zu sehr simplifizierten Deutung der göttlichen Berufung: »Gottes ,Plan' mit dem Menschen, von dem in kirchlichen Lehrdokumenten so oft die Rede ist, liegt alles andere als ablesbar vor. Er erschließt sich erst über eine denkerische Lebensleistung. Er wird als Ergebnis einer Selbstaufklärung der Vernunft des Glaubens hervorgedacht.« (2014, 190) Roman Globokar - Lebensentscheidung als endgültige Bestimmung 453 3.2 christologische Wahrheit des Menschen Demmer ist überzeugt, dass es keinen Widerspruch zwischen der Lehre von Jesus Christus und der natürlichen Wahrheit über den Menschen geben kann. Die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens ist, dass Gott sich den Menschen in Jesus Christus endgültig geoffenbart hat. Das Absolute und das Geschichtliche vereinigen sich in diesem Ereignis. Jede Entscheidung innerhalb der Geschichte trägt auf der einen Seite den Charakter der Endgültigkeit, auf der anderen Seite ist sie aber immer auch mitbestimmt durch die bleibende Offenheit und Überholbarkeit menschlicher Geschichte. Demmer betont dabei die Geschichtlichkeit der personalen Wahrheit, deshalb muss auch die Treue zur Lebensentscheidung zur dauernden Korrektur bereit sein. »Treue schließt jede Verabsolutierung eines ganz bestimmten geschichtlichen Einsichtsstandes aus; denn das würde einen philosophischen wie theologischen Positivismus implizieren, der die Strukturen von Geschichtlichkeit insgeheim überspringt.« (1974, 85) Es geht um die Treue zu einmal erkannten Möglichkeiten für die sinnvolle Verwirklichung des eigenen Lebens, die eine gewisse Elastizität dem äußeren Ausdruck der Lebensentscheidung gegenüber einschließt. Der Christ versteht seine Wahl als Antwort auf Gottes Treue, die sich in Jesus Christus endgültig geoffenbart hat. »Die Lebensgeschichte des Jesus von Nazareth liefert, unbeschadet ihrer Unvergleichlichkeit einen Interpretationsschlüssel, mit dessen Hilfe man aktive Vorsehung über die eigene Lebensgeschichte ausübt. Da stoßen Handlungsnormen in ihrer satzhaften Vorgabe an Grenzen, vielmehr ist unabtretbare Unterscheidung der Geister angemahnt.« (1999, 253) 3.3 Eschatologische verwirklichung der personalen Wahrheit Das anthropologische Bewusstsein des eigenen Todes wird innerhalb des christlichen Glaubens, innerhalb eines eschatologischen Horizonts interpretiert. Die endgültige Erfüllung des Lebens wird als eine Tat Gottes verstanden. Lebensentscheidung ist die geschichtliche Antizipation dieser eschatologischen Vollendung: »Die Wahl geschieht in ein Dunkel hinein, das erst durch das Leben mit ihr fortschreitend aufgehellt werden kann und muß. Der Glaubende lebt angesichts dieser Not aus dem Vertrauen, daß der »Erfolg« seines Lebens von einer letzten, gnadenhaften Korrektur abhängt. Erst so wird die Schwere geschichtlicher Entscheidung erträglich und lebbar.« (1974, 166) Das eschatologische Bild stellt aber keine feste Beschreibung der Erfüllung des Lebens dar, es hat aber eine Anziehungskraft in sich, die dem Einzelnen die Hoffnung für das Gelingen seines Lebens schenkt. 4. institutionalisierung der Lebensentscheidung 4.1 Ambivalenz der institutionen Demmer versteht die Institutionalisierung der Lebensentscheidung als Ausdruck der Solidarität der Gesellschaft gegenüber den Einzelnen. Institutionen schützen 454 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 3 und stärken den Einzelnen in schwierigen Situationen und helfen ihm, der Lebenswahl treu zu bleiben. »Zudem haben Institutionen die Wahrheitsvermutung auf ihrer Seite, denn in ihnen versammeln sich Einsicht und Erfahrung von Generationen.« (2003, 111) In Situationen des Zweifelns geben Institutionen dem Einzelnen einen festen Stand für seine Entscheidungen. Diese Entlastung bringt aber auch eine Spannung mit sich, nämlich jene zwischen dem eigenen personalen Entwurf und der Anpassung an die gesellschaftlich vorgegebene Form. Jede Lebensentscheidung ist auch durch einen gewissen Selbstverlust charakterisiert, was aber nicht zur Selbstentfremdung führen soll. Deshalb ist es wichtig, dass die Lebensentscheidung nicht im Sinne einer passiven Anpassung an die Institution verstanden wird. »Es bedarf vielmehr einer dauernd kritischen Mitgestaltung institutioneller Strukturen im Sinne der eigenen Lebenswahl.« (1974, 39) Institution soll im Dienst der personalen Freiheit und progressiven Entwicklung der Einzelnen sein. 4.2 Möglichkeit einer nicht-institutionalisierten Lebensentscheidung Die Wahl der Ehe oder des Ordensstandes ist bei Demmer nicht exklusiv gemeint. »Denn es ist durchaus möglich und auch sinnvoll, wenn der Einzelne eine Entscheidung als Lebenswahl versteht und setzt, die in ihrer ,objektiven' Struktur nicht unbedingt einen solchen Einsatzgrad fordert. Es liegt dann in seinem freien Ermessen, einer offensichtlichen Vorzugswahl das Gewicht einer Lebensentscheidung zu geben.« (132) Es lassen sich also auch unwiderrufliche Bindungsformen denken, denen der institutionalisierte Charakter abgeht. »So mögen Künstler, Forscher, Politiker oder Ärzte ihren erwählten Beruf als Berufung verstehen und in der Weise eines ein für alle Mal gewählten Lebenstandes ausüben.« (1999, 250) Demmer sieht aber die Deckung der Lebenswahl mit dem Beruf nicht notwendig, es kann auch innerhalb eines »frei geschaffenen Lebensstand(s)« (1974, 133) ein Nacheinander verschiedener Berufe geben. Bei der institutionalisierten Lebenswahl bekommt die private Entscheidung einen öffentlichen Wert und auch Schutz, bei der nicht-institutionalisierten Entscheidung bleibt sie in Bereich persönlicher Intimität und Beliebigkeit, deshalb sind bei ihr auch keine institutionellen Sicherungen und Sanktionen vorgesehen. Dennoch müsste ein Bruch zwangsläufig »als lebensgeschichtliches Scheitern erlebt werden« (1999, 250). Demmer warnt davor, dass mit der Privatheit auch die Unsicherheit zunimmt. »Und im Übrigen ist dem Einzelnen zuweilen unklar, welches Maß an Selbstbindung und Endgültigkeit in einer getroffenen Entscheidung steckt.« (2003, 113) 5. Umgang mit den Krisen Die personale Wahrheit ist niemals abgeschlossen, sondern sie bedarf der dauernden Neubestätigung und ist zum ständigen Nachreifen herausgefordert. Auch Roman Globokar - Lebensentscheidung als endgültige Bestimmung 455 die Momente der Krise stellen eine Gelegenheit dar, neue unvorhersehbare Erfahrungen in die endgültige Lebensentscheidung zu integrieren. 5.1 Tutioristische Lösung Im Umgang mit Krisen vertritt Demmer einen tutioristischen Weg. Die Kontinuität mit der einmal getroffenen Entscheidung hat den Vorrang (2014, 247), wobei es vor allem um die innere Kontinuität geht. Er schreibt: »Der Entscheidungsträger ist darum zunächst gehalten, die innere Kontinuität seines Lebensvollzugs wiederherzustellen, ehe er daran zu denken hat, was dazu an äußerer Kontinuität vonnöten ist.« (1974, 87) Es wird ständig der Kompromiss, die beste Handlungsmöglichkeit gesucht, die das weitere Wachstum in der personalen Wahrheit ermöglicht und anspornt. »Was möglicherweise auf der Ebene des reinen Phänomens als Bruch oder Unlogik erscheinen könnte, mag sich in Einheit mit dem expliziten Wachsen des inneren Einsichtsstandes dennoch als logische Entwicklung erweisen.« (247) Allerdings gibt es keine unbeschränkte Elastizität des äußeren Ausdrucks. Im Grenzfall, »wenn eindeutig stärkere Gründe für die Notwendigkeit einer Korrektur sprechen, darf die Aufgabe äußerer Kontinuität des Lebensvollzugs in Kauf genommen werden.« (145) Wenn es am Anfang um einen Irrtum gegangen ist, dann ist eine Korrektur notwendig. »Denn die moralischen Kräfte eines Menschen sind nicht unbegrenzt; man kann nicht andauernd mit einem Irrtum leben, wenn man nicht menschlich verarmen und versanden will.« (144) Demmer aber mahnt vor zu schneller Entscheidung. Er plädiert für Treue auch, »wenn die erste Entscheidung auf einem offensichtlichen Fehlurteil beruhte. Um wieviel mehr in solchen Situationen, in denen der Irrtum der Lebensentscheidung nicht eindeutig feststeht!« (29) Das Verbleiben in einer vielleicht zweifelhaften Wahl kann das geringere Übel gegenüber den negativen Konsequenzen einer Revision darstellen. 5.2 interpersonale Dimension Wenn Demmer über die Krisensituationen spricht - und eigentlich erst hier -, hebt er auch die interpersonale Dimension der Lebensentscheidung hervor. Es gibt Fälle, wo einer der Partner den Irrtum der ersten Entscheidung nicht anerkennt. Demmer fragt sich, »ob es nicht eine moralische Verpflichtung geben könne, im begangenen Irrtum auszuharren, und zwar um des Nächsten willen.« (30). Die Revision der Lebensentscheidung könnte den anderen moralisch zerstören. »Ja es könnte sogar noch eingehender gefragt werden, ob nicht auch in einer solchen Situation Wahrheit die Frucht einer gemeinsamen Entscheidung wird.« (30) In der Ehe lebt die Lebensentscheidung des einen im anderen. »Es kann darum keine wahre Treue zu sich selbst geben, die auf Kosten der Treue zum Nächsten ginge wie auch umgekehrt.« (89) Meiner Meinung nach kommt diese interpersonale Dimension der Lebensentscheidung in der Darstellung von Demmer zu kurz. 5.3 institutioneller Umgang mit Krisen Bei der eventuellen Revision der institutionalisierten Lebensentscheidung hat die Institution die Aufgabe, dem Einzelnen einen kritischen Filter im Sinne einer objek- 456 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 3 tiven Vorzugsregel vorzusetzen. Die Institution kann eine Revision tolerieren, sie kann ihr sogar einen Rechtschutz gewähren. »Inwieweit sie indes die rechtliche Möglichkeit einer neuen Bindung oder einer solchen Bindung, die dem Wesen der ersteren entgegensteht, gewähren kann, hängt einzig von der ihrerseits unterstellten anthropologischen Vorentscheidung ab.« (1974, 44) Wenn das Individuum die einmal getroffene, endgültige Lebensentscheidung bricht, nimmt es damit auch frei die Sanktionen der Institution an. »Diese sind nichts anderes als die öffentliche Anerkenntnis einer Wirklichkeit, zu der sich der Entscheidungsträger frei bekannt hat.« (114-115) In diesem Bereich ist nach Demmer die Rolle der Kirche, »den Glaubenden mit seiner Situation in aller gebotenen Offenheit zu konfrontieren und ihm zu zeigen, wo er in Wirklichkeit steht.« (116) Wenn wir über die Rolle der Kirche als Institution reden, dürfen wir nicht vergessen, dass sie immer auch geschichtlich bedingt ist und dass bestimmte gesellschaftliche Strukturen nicht verabsolutiert werden dürfen. Ebenso ist es auch nicht möglich, innerhalb der Geschichte das reine göttliche Recht zu entnehmen. »Eine Forderung göttlichen Rechts ist endgültig in dem Sinn, daß sie für den Zeitpunkt ihrer Formulierung den göttlichen Willen unverkürzt zur Geltung bringt.« (119) Der theologische Erkenntnisprozess ist mit der geschichtlichen Unabgeschlossenheit gekennzeichnet, deshalb fordert er auch einen institutionellen Revisionsprozess. 5.4 Möglichkeit der Dispens Im Bereich der konkreten Lösungen wird eine deutliche Verschiebung bei Demmer festgestellt. Am Anfang seiner Kariere ist er sehr skeptisch gegenüber der Dispenspraxis. Im Jahr 1974 schreibt er: »Institutionelle Strukturen zeichnen sich angesichts einer solchen Situation durch ein Entgegenkommen aus, das den Bruch im Rahmen des nur eben Möglichen zu mildern sucht. Ob dies allerdings durch eine überhastete Dispenspraxis wirksam geschieht, mag bezweifelt werden.« (214) Über die Möglichkeit der Dispens schreibt er schon 2003 folgendes: »So ist es durchaus denkbar, dass eine gewährte Dispens ein bestehendes Band auflöst. Vorausgesetzt wird, dass die Dispens gewährende Autorität über das in Frage stehende Band hoheitliche Gewalt besitzt. Das ist bei positiven Gesetzen, deren Inhalt naturrechtlich nicht festgestellt ist, der Fall.« (2003, 117) Im Folgenden entwickelt Demmer seine Gedanken über die Möglichkeit der Dispens in der Kirche auch für Eheleute (117-120). In seinem letzten Werk, das posthum 2014 erschienen ist, sieht er aber gerade in der Dispens die äußerste Maßnahme der Kirche nicht nur gegenüber Priestern und Ordensleuten, sondern auch gegenüber Ehepaaren, die an der einmal getroffenen Lebensentscheidung gescheitert sind. Er schreibt zwar ganz deutlich: »Was immer man im Blick auf scheiternde Lebensbindungen vorschlägt, es gibt keine perfekte Lösung.« (2014, 115) Aus den Worten spürt man die große Empfindlichkeit des Autors für die Gerechtigkeit und das Schicksal der einzelnen Menschen. Er schreibt diesbezüglich deutlich emotiv: »Es ist ein Ärgernis, dass Ehe, Zölibatsversprechen und Orden- Roman Globokar - Lebensentscheidung als endgültige Bestimmung 457 sgelübde ungleich behandelt werden. Denn der Bindungswille ist immer gleich. Verteilt Gott seine Gnaden unterschiedlich?« (82) Aus dem Gesichtspunkt der Moraltheologie gibt es keinen Unterschied zwischen sakramentalen und nicht sakramentalen Lebensentscheidungen. Der Grad der Unwiderruflichkeit ist derselbe. Deshalb sieht er in der Dispensgewährung bei Zölibatsversprechen und Ordensgelübden das Paradigma auch für Eheversprechen. Die Dispens ist ein Gnadenakt, eine Art der Barmherzigkeit gegenüber dem einzelnen. Die Dispens hat aber auch ihre Grenzen, denn sie darf nicht das Gemeinwohl der Kirche aus dem Auge verlieren. Damit ein öffentliches Ärgernis in der Kirche verhindert wird, müssen einer »Dispensgewährung enge Grenzen« (81) gesetzt werden. Bei der Gewährung soll sich die Kirche »einzig und allein am Evangelium mit den Extremforderungen der Bergpredigt« (82) messen. Die Grundregel lautet: »Im Zweifel für die Barmherzigkeit.« (82) Diese aufgestellte Regel darf uns nicht verleiten, zu glauben dass Demmer hier zu einer laxistischen Denkweise tendiert. Er betont, dass es nicht um einen Verwaltungsakt geht, sondern um »ein Recht auf persönlich verantwortete Epikie« (82). Der Betroffene kann in der Stille seines eigenen Gewissens mit Hilfe seiner Berater entscheiden, was wirklich und möglich ist. Er hat aber nach Demmer kein Recht auf eine sakramentale Zweitehe, doch sollte seine eventuelle Entscheidung für das Empfangen der Eucharistie respektiert werden. Etwas resignierend äußert sich Demmer zum Schluss: »Im Übrigen wird es niemals eine Lösung geben, die ohne ein Ärgernis bliebe.« (82) Demmer betont, dass die erste Verantwortung der Kirche eine sachgemäße Vorbereitung auf die Ehe ist. Das Ehekatechumenat muss mehr als eine reine Formalität sein. Ebenso ist es wichtig, dass in der kirchlichen Gemeinschaft »qualifizierte und erfahrene Ehepaare« (80) oder Gruppen einer Ehe in Krisen zur Seite stehen. Die Gemeinschaft der Kirche ist für das Gelingen der Lebensentscheidung der Mitglieder mitverantwortlich. Lehramt und Moraltheologie müssen die Pädagogik der kleinen Schritte lernen, die vor unbarmherziger Überforderung schützt. »Der hohe Anspruch des Evangeliums darf nicht verwässert werden. Denn in dieser Kompetenz liegt die Existenz von Glaube und Kirche in einer pluralisierten wie tendenziell nivellierten Öffentlichkeit begründet. Das schließt barmherzige Empathie vor Ort nicht aus. ... Der Angesprochene muss den Weg mitgehen können, theoretisch wie praktisch.« (193) Hier kommt das Gesetz der Gradualität zur Geltung. 6. Kritische Bemerkungen Klaus Demmer behandelt das Thema der Lebensentscheidung in einer sehr systematischen und gründlichen Weise. Am Ende der Darstellung möchte ich meine oben beiläufig angemerkten Kritikpunkte noch einmal schematisch zusammenführen. Das Verhältnis zwischen Grundentscheidung, Glaubensentscheidung und Lebensentscheidung ist nicht immer eindeutig. Vor allem ist der Unterschied zwi- 458 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 3 sehen transzendentaler und kategorialer Ebene nicht immer strikt berücksichtigt. Der Lebensentscheidung als einer kategorialen Entscheidung wird ein quasitranszendentaler Wert zugeschrieben. Eine stärkere geschichtliche Konnotation mit aller nichtlinearen Zerbrechlichkeit müsste m. E. mehr berücksichtigt werden. Bei der Behandlung der Lebensentscheidung beschränkt sich Demmer fast ausschließlich auf das Subjekt der Entscheidung. Der Einzelne trifft seine Lebensentscheidung. Auch wenn er über die Entscheidung für die Ehe spricht, sieht er sie zuerst als die Lebenswahl von zwei Einzelnen. Mein Eindruck ist, dass diese Sicht entweder von der eigenen Erfahrung des Ordensmannes oder aber von der transzendentalen Philosophie bedingt ist. Die personale Wahrheit ist eine sehr komplexe Wirklichkeit, die nicht in einer individualistischen Weise dargestellt werden kann. Es fehlt eine ausreichende Berücksichtigung der zwischenmenschlichen Dimension in der Analyse der Lebensentscheidung. In der Erklärung der Lebensentscheidung bei Klaus Demmer wird vor allem die rationale bzw. intellektuelle Seite des Menschen betont. Es fehlen die emotive, soziale, unbewusste Seite der Person, die oft sehr stark die konkreten Entscheidungen und auch die Lebensentscheidung beeinflussen. Die Sicht Demmers ist sehr idealistisch und m. E. zu optimistisch. Er lässt sich auf eine konkrete Kasuistik innerhalb von Krisensituationen der Lebensentscheidung nicht ein. Sehr selten werden konkrete Beispiele genannt. Und wenn schon, dann meisten in den Fußnoten. Der Leser muss sich sehr bemühen, das Geschriebene auf die konkrete Situation anzuwenden. Einige konkrete Beispiele würden sich als leserfreundlich erweisen. 7. Zwei Herausforderungen 7.1 Keine Lebensentscheidung Eine erste Herausforderung für den Moraltheologen heute ist, wie er Menschen zu einer unwiderruflichen Lebensentscheidung motivieren kann. Entscheidungen in unserer postmodernen Welt sind häufig provisorisch, veränderlich und offen. Wir leben in einer Zeit der »verflüssigten Moderne« (Z. Bauman), in der nichts als absolut und endgültig gelten kann. Diese Zeit gibt keinen Halt bei unwiderruflichen Lebensbindungen. Zygmunt Bauman hat in einem Interview folgendes gesagt: »Keine von unseren Beziehungen können wir heute als anhaltend (permanent) und fest beschreiben. Zwischenmenschliche Verhältnisse, die wir herstellen, sind brüchig; alles mit Absicht, dass sie sich baldmöglichst und je leichter aufheben können, wenn sich Gegebenheiten verändern werden. Und in der verflüssigten modernen Gesellschaft werden sie sich sicher verändern - wieder und wieder. Die Menschen schließen nicht gern die Ehe, sie leben lieber zusammen und beobachten, ob sie sich erhalten wird und warten ...« (Bauman 2006, 23). Die Zeit der Suche nach einer verbindlichen Lebensentscheidung hat sich in den letzten 30 Jahren deutlich verlängert. Viele Jugendliche haben Angst, einen definitiven Schritt Roman Globokar - Lebensentscheidung als endgültige Bestimmung 459 in die unbekannte Zukunft zu unternehmen. Bauman beobachtet: »All diese Jugendliche, die zögern, die swingen, die nicht wissen, was sie tun sollen, die mit der Entscheidung zögern ... Warum? Weil sie gesichert sein wollen. In den Überraschungen, die in der unbekannten Zukunft vorkommen können, sehen sie Unsicherheit.« (22) In dieser Situation ist es wichtig, auf die Schönheit des schöpferischen Verzichts hinzuweisen. Demmer schreibt: »Dieser führt nicht zur Verarmung, sondern zu einem dichten, gesammelten Leben. Die seelischen Kräfte werden konzentriert.« (2014, 78) Durch die bewusste Lebensentscheidung wird erst eine Person zur Persönlichkeit (79). Es ist wichtig, dass auch die Menschen, die sich nicht für die Ehe oder einen geistlichen Beruf entschieden haben, in einem gewissen Zeitpunkt eine eigene nicht-institutionelle Lebensentscheidung treffen und damit ihrem Leben einen festen Grund geben. 7.2 Unauflösbarkeit der Ehe Bei der zweiten brennenden Herausforderung, dem Umgang der Kirche mit den Gescheiterten und Wiederverheirateten möchte ich neben der Position von Dem-mer ein noch offeneres Denken von amerikanischen Moraltheologen Kenneth Himes als eine Anregung zur weiteren Reflexion darstellen. Himes geht von der Tatsache aus, dass der aktuelle Stand des Verständnisses der Unauflösbarkeit der Ehe weder ein definitives Dogma noch eine definitive Lehre ist. »Es handelt sich bestimmt um eine amtliche Lehre der Kirche und es soll als solche auch anerkannt werden, doch werden damit ein weiterer Fortschritt und Reform nicht ausgeschlossen.« (Himmes 2004, 465). Zusammen mit dem Kirchenrechtler James A. Coriden vertritt er die Position, dass es gute Gründe gibt, die Lehre über die Unauflösbarkeit der Ehe zu revidieren und Ausnahmen zuzulassen. Die Aussagen Jesu im Evangelium soll man in ihrer eschatologischen Perspektive lesen. In keinem Sinn ist hier eine Relativierung des Scheidungsverbotes gemeint. Das Reich Gottes ist angebrochen und die Nachfolger Jesu sollen die neue Wirklichkeit leben. Dennoch wird im Evangelium eine eschatologische Wahrheit dargestellt. Auch die heutige Praxis kennt Ausnahmen der Unauflösbarkeit der Ehe. Es handelt sich um das Paulinische bzw. Petrinische Privileg, die nichtsakramentale Ehe aufzulösen und eine zweite Ehe schließen zu können. Aus der Sicht der Moraltheologie ist eine solche Praxis fragwürdig. Auch bei der nichtsakramentalen Ehe geht es doch um eine endgültige Lebensentscheidung. Ist also nur die Ehe, die in der katholischen Kirche als Sakrament gefeiert wird, unauflösbar? Dann wären die meisten Ehen in der Welt auflösbar. Himes und Coriden weisen auf die Lösung in der orthodoxen Kirche hin, die eine zweite nichtsakramentale Ehe in Ausnahmefällen zulässt. Sie fragen sich, wie die Ehe ohne jede zwischenmenschliche Beziehung eine sakramentale Darstellung der Verbindung zwischen Christus und Kirche symbolisieren kann. Am Ende schla- 460 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 3 gen sie vor, dass in bestimmten Fällen auch eine zweite sakramentale Ehe möglich wäre: »Es ist auch möglich, dass die zweite Ehe in ihrer eigenen sakramentalen Symbolisierung gesehen werden kann: nicht die Standfestigkeit der Liebe Christi für die Kirche, sondern die barmherzige Vergebung eines Gottes, der uns liebt, wie der Vater des verlorenen Sohnes, ohne jeden Verdienst, der der moralischen Richtigkeit zukommt.« (Himes 2004, 498) Wenn die moraltheologische Reflexion der Lebenspraxis dienen will (Demmer 2014, 77), muss sie den Mut haben, sich auch mit den sehr komplexen Fragen auseinanderzusetzen und bei der Suche nach möglichen Lösungen den Gläubigen und allen Menschen zu helfen. Referenzen Bahovec, Igor. 2014a. Izzivi vatikanskega pripravljalnega dokumenta sinode o družini: o pogledih na družino in o dinamiki sinodalnega dela. Bogoslovni vestnik 74:449-460. ---. 2014b. Sinoda o družini in stanje v Sloveniji: rezultati slovenskega vprašalnika in nekaterih drugih raziskav. Bogoslovni vestnik 74:461-478. Bauman, Zygmunt. 2006. Več svobode imate, bolj sanjate o varnosti. Sobotna priloga Dela, 25. Februar, 22-23. Bonandi, Alberto. 2011. La teologia morale di K. Demmer: per una prima collocazione. In: Aristide Fumagalli in Vincenzo Viva, Hrsg. Pensare l'agire morale: omaggio italiano a un maestro internazionale: Klaus Demmer, 30-54. Cinisello Balsamo: San Paolo. Demmer, Klaus. 1974. Die Lebensentscheidung: ihre Moraltheologischen Grundlagen. Paderborn: Schöningh. ---. 1974a. Die unwiderrufliche Entscheidung: Überlegungen zur Theologie der Lebenswahl. Communio 16:384-398. ---. 1990. Opzione fondamentale. In: Francesco Compagnioni, Giannino Piana, Salvatore Privi-tera, Hrsg. Nuovo Dizionario della Teologia morale, 855-859. Cinisello Balsamo: San Paolo. ---. 1993. Introduzione alla teologia morale. Casale Monferrato: Piemme. ---. 1999. Fundamentale Theologie des Ethischen. Freiburg, Schweiz: Universitätsverlag. ---. 2003. Angewandte Theologie des Ethischen. Freiburg, Schweiz: Universitätsverlag. ---. 2014. Selbstaufklärung theologischer Ethik: Themen - Thesen - Perspektiven. Paderborn: Ferdinand Schöningh. Himes, Kenneth R., und James A. Coriden. 2004. The Indissolubility of Marriage: Reasons to Reconsider. Theological Studies 65:453-499. Strehovec, Tadej. 2012. Marriages and Cohabitations from Theological, Demographic and Social perspective. Bogoslovni vestnik 72:195-203.