Toshiko Yamaguchi National University of Singapore UDK 811.113.3'366.582.3 Magnus Petursson Universität Hamburg DAS ISLÄNDISCHE HAFA-PERFEKT IN ZEITUNGSARTIKELN Zusammenfassimg In diesem Artikel werden die sprecherbezogenen Bedeutungen des Perfekts in isländischen Zeitungsartikeln untersucht. Das isländische Perfekt verbindet Ereignisse der Vergangenheit mit der Situation zur Sprechzeit, während das Präteritum die Abgeschlossenheit eines Ereignisses in der Vergangenheit angibt. Die Sprechersicht ist aber entscheidend für die Bedeutung des Perfekts. Wir behandeln hier drei sprecherbezogene Richtungen: Zukunftsorientierung, Kommentar und Emotion. Wir untersuchen auch einige Unterschiede zwischen dem englischen presens perfect und dem isländischen Perfekt und versuchen eine Erklärung hierfür zu finden. Abstract The Icelandic Aa/iz-Perfect in Newspaper Articles The paper examines the Icelandic /za/a-perfect based on data collected from current newspaper articles. It is argued that what underlines the present perfect in Icelandic is that it serves to link past events with the situation at speech time, in which the speaker is located, and this definition stands in sharp contrast to the preterit which expresses the completion of a past event. We propose that the speaker's subjectivity ('Sprechersicht in German) in a given situation decides the meaning of the present perfect. Three domains of the speaker's subjectivity (futurity, commentary, and emotiveness) are proposed, which are further divided into nine sub-domains. The paper also reexamines properties/characteristics (current relevance, definite adverbials, timeless adjectives), which have often been referred to for the account of the English present perfect, and states that the reason why the Icelandic present perfect behaves differently is to be attributed to the active participation of the speaker in the interpretation of the present perfect. l.Einleitung In der englischsprachigen Fachliteratur besteht unter Linguisten Übereinstimmung darin, dass sich das Perfekt wegen seiner relationalen Eigenschaft wesentlich vom Präteritum unterscheidet. Während das Präteritum nichts über den gegenwärtigen Zustand aussagt, verbindet das Perfekt die Vergangenheit mit dem aktuellen 59 Zustand, indem es die Relevanz von Ereignissen aus der Vergangenheit für die Sprechzeit (,current relevance' ,aktuelle Relevanz') hervorhebt (Anderson 1982: 230; Binnick 1991: 377; Bybee et al. 1994: 54-5; Comrie 1976: 52; Davidsen-Nielsen 1990: 124-30; Dowty 1979: 340; Engel and Ritz 2000: 120; Jespersen 1924: 269; McCoard 1978: 19; Palmer 1988: 36-7; Slobin 1994: 124-5). Wie das Beispiel (1 a) aus dem Englischen zeigt, werden mit dem Präteritum Fakten in der Vergangenheit angesprochen, während das Perfekt (1 b) die Bedeutung haben kann, dass diese Handlung/dieser Zustand noch andauert (Beispiele aus Jespersen 1924: 269): (1) a. He was mad. ,Er war verrückt' b. He has been mad. 'Er ist verrückt gewesen'fund ist es immer noch] Auf Grundlage der Untersuchungen von Comrie (1976) und McCawley (1971) werden vier Hauptbedeutungen des Perfekts (jjresent perfecf) im Englischen identifiziert: (1) kontinuativ, (2) experientiell, (3) resultativ und (4) Hot News (Beispiele aus McCawley 1971: 104; siehe auch Schwenter 1994, und Comrie 1976: 60): (2) I've known Max since 1960 (kontinuativ). ,Ich kenne Max seit i960' [ich kenne ihn noch]. (3) I have read Principia Mathematica five times (experientiell). ,Ich habe Principia Mathematica fünfmal gelesen'. (4) I can't come to your party - I've caught the flu (resultativ). 'Ich kann nicht zu Ihrer Party kommen. Ich habe mir die Grippe eingefangen'. (5) Bill has just arrived (Hot News, Recency). 'Bill ist gerade angekommen'. Zu einigen dieser Bedeutungen liegt eine lange Tradition in der Forschung vor. Die experientielle Bedeutung ist schon bei Zandvoort (1932) ausführlich beschrieben worden. In der Analyse der Daten (siehe 2.2.) auf der Grundlage der vier oben angegebenen Bedeutungen mussten wir feststellen, dass wir erhebliche Schwierigkeiten hatten, weil es sich herausstellte, dass die Mehrzahl der isländischen Perfekt-Formen mehr als eine Interpretation je nach Kontext haben können. An sich ist es nicht eine neue Erkenntnis, dass der Kontext einen Einfluss auf die Bedeutung des Perfekts haben kann. Schon Inoue (1979:106) hat den Begriff ,topic of discourse' von McCawley übernommen und verschiedene Beispiele im Englischen aufgezeigt, in denen der Kontext eine entscheidende Rolle für die Bedeutung des Perfekts spielt. Slobin (1994: 122) betont ebenfalls die kommunikative Absicht des Sprechers in der Verwendung des Perfekts, so dass es sich hier nicht um völlig neue Gesichtspunkte handelt. In unserer Arbeit möchten wir die Art des Kontextes, die der Sprecher unter seiner Kontrolle hat, genauer gesagt die Sprechersicht (siehe 2.3.), erläutern. In dem folgenden Beispiel (6) äußert die isländische Industrieministerin ihre Genugtuung über das Zustandekommen eines Abkommens betreffend den Bau einer Aluminiumhütte in Ostisland: (6) „ .[...]. og ég er afskaplega änaegö meö hvaö ßetta hefur gengid und ich sein.PRS sehr zufrieden wie dies haben.PRS gehen.PP 60 vel en eg hef fyrirvara meöan ekki hafa veriö teknar gut aber ich haben.PRS Vorbehalt solange nicht haben.PRS sein.PP nehmen.PP.FEM.PL endanlegar äkvaröanir". endgültig Entscheidung.NOM.PL „und ich bin sehr zufrieden damit, wie gut dies (d.h. die Verhandlungen) gegangen ist, aber ich habe Vorbehalte, solange die endgültigen Entscheidungen noch nicht getroffen worden sind". (Morgunblaädt 14. Dezember 2002; S.2) Das unterstrichene Perfekt weist auf einen Zeitpunkt in der Zukunft hin, wenn die endgültigen Entscheidungen fallen werden. Der Kontext ist hier wesentlich, um das Verhältnis zwischen der Vergangenheit und den Gegebenheiten zur Sprechzeit zu interpretieren. Der Sprecher impliziert mittels des Perfekts folgende zwei Situationen: (i) Die Entscheidung ist noch nicht gefallen; (ii) die Entscheidung wird aber in naher Zukunft fallen. Wenn das Präteritum vorn teknar,wurden getroffen' hier verwendet werden würde1, könnte die zweite Bedeutung nicht ausgedrückt werden. Es bleibt ein Diskussionsthema, ob das Perfekt eine Tempus- oder Aspektkategorie sei (Dahl 1985; Dahl 1994: 3000). Beispiel (6) zeigt, dass das Perfekt nicht nur temporal (d.h. Anteriorität ausdrückt) oder aspektual (die vier oben angegebenen Bedeutungen) ist, sondern auch den subjektiven Einsatz des Sprechers in der Situation angibt, die das Abkommen über den Bau der neuen Aluminiumhütte vorsieht. Selbstverständlich sind nicht alle Perfektformen mit der Sprechersicht verbunden. Wir geben hier unter (7) und (8) zwei Fälle an, in denen die kontinuative Bedeutung lexikalisch zustande kommt, einerseits (in 7) durch das Adverb sidan ,seit damals' und andererseits (in 8) durch die Zeitangabe um aldir Jahrhunderte lang' und das nachfolgende Verb muri halda äfram ,wird weiterhin bleiben' (= eigentlich: ,wird fortsetzen'): (7) Viö kynntumst vel og höfum haft samband siöan. Wir kennenlernen.PRT gut und haben.PRS haben.PP Verbindung seit damals. „Wir lernten uns gut kennen und haben seit damals Verbindung gehabt (= haben seit damals in Verbindung gestanden)" (Morgunblaäü BladB, 23. Juli 2000; S. 6) (8) „ßetta hefur veriö um aldir og mun halda äfram og veröa dies haben.PRS sein.PP Jahrhundertelang und werden.PRS fortsetzen und werden 1 Der Satz wäre hier ungrammatisch mit dem Präteritum, sodass diese Möglichkeit nur theoretisch wäre. Man kann aber an andere Satzstrukturen denken, in denen das Präteritum möglich wäre. Die zweite Bedeutung kann aber auf keinen Fall mit dem Präteritum ausgedrückt werden. 61 rithöfundum um ökomna tiö aö yrkisefni". Schriftsteller.DAT.PL in Zukunft als Thema.DAT „Dies ist so Jahrhunderte lang gewesen und wird weiter bleiben und für Schriftsteller in der Zukunft (auch) ein Thema bleiben". (Morgunblaäd, 12. Sept. 2000; S. 30) Das isländische Perfekt besitzt sowohl aspektuelle als auch temporale Eigenschaften, aber wir möchten hier einen dritten Faktor betonen, nämlich den subjektiven Einsatz des Sprechers, welcher in einem gegebenen Kontext aktiviert wird. Das Hauptanliegen dieser Untersuchung ist daher die Analyse des Perfekts vom Standpunkt des Sprechers aus, d.h. wie dieser sein Anliegen mittels des Perfekts zum Ausdruck bringt. 2. Analyse des hafa-Perfekts In diesem Abschnitt stellen wir Beispiele von der Verwendung des Perfekts in Zeitungsartikeln dar und zeigen, dass die Interpretation des Perfekts im Isländischen in erster Linie davon abhängt, wie das Geschehen — in der Sprechersicht — zur Sprechzeit aufgefasst wird. Im Paragraph 2.3. werden neun Bedeutungen vorgeschlagen und in 2.4. andere Besonderheiten erläutert, welche häufig zur Charakterisierung des englischen Perfekts herangezogen wurden, welche aber im Isländischen anders sind. 2.1. Das isländische Perfekt 2.1.1. Vera versus Aö/a-Perfekt Das isländische Perfekt wird durch zwei Hilfsverben gebildet, vera ,sein' und hafa ,haben'. Vera steht nur mit intransitiven Verben (9), aber hafa kann sowohl mit intransitiven (10a) als auch mit transitiven Verben (10b) stehen. In unseren Daten sind nur 27 Beispiele für das vera-Perfekt (siehe Tabelle 1), welche entweder mit Bewegungsverben Emotion verbs'; 9a) oder mit Zustandsveränderungsverben (.,change of State verbs'] 9b) stehen. Die Bedeutung des vera-Perfekts ist stets resulta-tiv in dem Sinne, dass das Perfekt sich auf die Wichtigkeit des Vorhandenseins oder Nicht-Vorhandenseins eines vorangegangenen Ereignisses für die Gegenwart bezieht oder auf den Zustand, der als Folge eines vorangegangenen Ereignisses entstanden ist2. Dagegen sind die meisten Bedeutungen des /zcz/a-Perfekts von dem subjektiven Einsatz des Sprechers abhängig. Beispiel (9a) beschreibt das Vorhandensein eines kleinen dänischen Theaters, während Beispiel (9b) den Zustand beschreibt, nachdem man tot ist: Siehe Yamaguchi und Petursson (2003) über das J^ra-Perfekt. 62 (9) a. Hingaö er svo Jaetta litla danska leikhüs komiö meö hina hierher sein.PRS so dieses kleine dänische Theater kommen.PP mit die.AKK römuöu syningu ä Englum alheimsins......... berühmt Darstellung.AKK über Engel.DAT.PL Universum.das.GEN ,„Hierher ist nun dieses kleine dänische Theater mit der berühmten Darstellung (Aufführung) über die Engel des Universums gekommen....."' (Lesbök Morgunbladsins, Menning/Listir, 3. Juni 2000; S. 19) b. „Hann er dainn og flögrar um en viö getum ekki er sein.PRS sterben.PP.MASK.SING und fliegen.PRS herum aber wir können.PRS nicht flögraö um leikhüsiö", segir Henrik. fliegen.PP herum Theater.das.AKK sagen.PRS Henrik „Er ist gestorben und fliegt herum, aber wir können nicht in dem Theater herumfliegen", sagt Henrik. (Morgunblaädt Menning/Listir, 3. Juni 2000; S. 19) Beispiel (10a) ist ein Beispiel für hafa mit einem intransitiven Verb, während (10b) Beispiel für ein transitives Verb ist: (10) a. Viöskiptin viö Island hafa brevst. Handel.der.NOM.PL mit Island haben.PRS sich.verändern.PP. „Der Handel mit Island hat sich verändert". (Morgunblaäd, BladB, Ürverinu, 7. März 2001; S. 3) b. ßessar hreyflngar hafa alls staöar naö hämarki diese Bewegungen.NOM.PL haben.PRS überall erreichen.PP Höchststand.DAT fylgis ä timum kreppu. Zustimmung.GEN in Zeit.DAT.PL Krise.GEN „Diese Bewegungen haben überall den Höchststand an Zustimmung in Krisenzeiten erreicht". (Morgunblaaäd, 6. März 2001; S. 8) 2.1.2. Einteilung des Perfekts Auf der Grundlage unserer Daten schlagen wir die folgende Einteilung des isländischen Perfekts vor: Eine subjektive und objektive Seite bilden gegenseitige Pole. Die subjektive Seite impliziert die explizite Beteiligung des Sprechers, während die objektive Seite diese nicht impliziert. Die objektive Seite enthält folgende Per- 63 fekttypen: Hot News, inferentiell, lexikalisch-grammatisch und die vera-Formen. Selbstverständlich ist der Sprecher an der Interpretation dieser Formen beteiligt, aber die Interpretation ist in dem Sinne objektiv, dass der Sprecher nur die geeignete Interpretation auswählt, welche im Inventar der Bedeutungen vorliegt. Der Einsatz des Sprechers beeinflusst daher nicht den Kern dieser Interpretationen3. Als Beispiel kann hier genannt werden, dass das Hot News-Perfekt das neulich oder soeben geschehene Ereignis in Verbindung mit anderen Ereignissen aus der Vergangenheit bringt, welche häufig im Präteritum stehen4. Inferentiell drückt die Vermutung des Sprechers im Hinblick auf ein Ereignis in der Vergangenheit aus. Diese Vermutung beruht auf Indizien, wie z.B. der nassen Straße, welche zeigt, dass es geregnet hat oder dem Gestank in der Luft, welcher vermuten lässt, dass es irgendwo gebrannt hat. Diese Indizien sind zur Sprechzeit sichtbar oder wahrnehmbar5. Das lexikalisch-grammatische Perfekt erhält seine Bedeutung durch lexikalische bzw. grammatische Formen (siehe hierzu Beispiele (7) und (8)). Wir sahen im Paragraph 2.1.1., dass das l^ra-Perfekt stets resul-tativ ist. Diese vier objektiven Interpretationen sind unabhängig von der Sprechersicht. Die Untersuchung, die wir hier präsentieren, behandelt nicht diese objektiven Bedeutungen, sondern konzentriert sich auf die sprecherbezogenen Interpretationen des Perfekts, bei denen die Sicht des Sprechers im gegebenen Kontext für die Interpretation entscheidend ist. Diagramm 1. Semantische Einteilung des isländischen Perfekts Unser Begriff von objektiv beruht auf Langäcker (1991: 370 ff.) und seiner Definition von .animacy'. Darunter versteht er inhärente Eigenschaften eines Gegenstandes bzw. eines Begriffs, die durch die Wahrnehmung des Sprechers nicht beeinflusst werden können. An sich unterliegen objektive Perfektbedeutungen nicht der persönlichen Einflussnahme durch den Sprecher, obwohl die Wahrnehmung des Sprechers verschiedene Rollen in dem Prozess spielt, in dem er zu der objektiven Bedeutung gelangt (siehe Yamaguchi/Petursson 2003). 4 Siehe Yamaguchi (im Erscheinen), die eine detaillierte Analyse des Hot Afews-Perfekts präsentiert. 5 Die inferentielle Bedeutung des Perfekts wird von Comrie (1976), Haugen (1972) und Willet (1988) erwähnt. Nach unseren Beispielen zu urteilen steht das inferentielle Perfekt häufig mit Adverbien wie z. B. vist,gewiss, sicher', eflaust ,ohne Zweifel' oder mit der modalen Bedeutung von fid ,dann'. Diese Adverbien (und andere hier nicht erwähnte) unterstreichen mehr oder weniger stark die Vermutung des Sprechers auf der Grundlage vorhandener Indizien. 64 2.2. Datenmaterial Wir haben 36 Artikel aus der Zeitung Morgunblaäd „Das Morgenblatt" aus den Jahren 2000, 2001 und 2002 untersucht und exzerpiert. Tabelle 1 gibt sowohl die Gesamtzahl der Verbformen als auch die der Perfekt-Formen an. Auffallend ist, dass das Perfekt sehr viel weniger häufig ist als das Präsens oder das Präteritum. Nach den Untersuchungen, die wir bisher durchgeführt haben, beträgt die Anzahl der PerfektFormen selten mehr als 6 bis 7% der Verbformen, die in einem Text vorkommen. Aus den 36 Artikeln haben wir schließlich acht ausgewählt, aus denen wir hier Beispiele präsentieren. Die Tabellen 1 bis 3 geben Übersicht über das Datenmaterial. Tabelle 1 Verbformen hafa vera Präsens Präteritum Plusquamperfekt Total Beispiele 316 27 1990 1893 213 4,389 Anzahl der Verbformen in 36 Zeitungsartikeln aus den Jahren 2000,2001 und 2002 Tabelle 2 AI A2 A3 A4 • A5 A6 A7 A8 Total Beispiele hafa 13 6 10 29 13 5 19 14 109 Anzahl der Beispiele von hafa-Perfekt in den acht ausgewählten Zeitungsartikeln Tabelle 3 AI A2 A3 A4 A5 A6 A7 A8 Total BV1 2 3 1 3 1 10 BV2 2 1 3 BV3 1 3 1 6 11 BV4 1 1 1 2 2 7 BV5 4 1 5 BV6 2 5 7 BV7 4 1 6 2 2 15 BV8 2 1 2 5 BV9 2 6 3 1 12 LEG 1 5 6 4 2 5 23 INF 5 3 1 1 10 Total 13 6 10 29 13 5 19 14 109 Bedeutungen der hafa-Perfekt-Formen in den acht ausgewählten Zeitungsartikeln. Die Tabelle enthält die neun sprecherbezogenen Bedeutungen sowie die inferentielle und lexikalisch-grammatische Verwendung. Abkürzungen: A = Artikel, Zeitungsartikel BV = Bedeutungsvariante INF = Inferentiell LEG = Lexikalisch-grammatisch 65 2.3. Sprechersicht Die Sprechersicht, die auch als die subjektive Erfahrung oder der subjektive Einsatz des Sprechers im gegebenen Kontext verstanden werden kann, wird in drei Kategorien unterteilt: Mittels Zukunftsorientierung bezieht der Sprecher das vergangene Ereignis auf ein Ereignis in der Zukunft, nach welchem der Sprecher strebt bzw. das er vorsieht. Kommentar beinhaltet verschiedene Meinungen oder Erklärungen des Sprechers bezüglich vergangener Ereignisse ohne Hinweise auf die Zukunft. Und unter Emotion ruft der Sprecher ein Ereignis aus der Vergangenheit in Erinnerung und sieht es mit eigenen Augen emotional gefärbt. Allen diesen drei Kategorien ist es gemeinsam, dass der Sprecher vergangene Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. 2.3.1. Zukunftsorientierung 2.3.1.1. Potenzielle Wiederholbarkeit Im Beispiel (6) sahen wir, dass das Perfekt sich auf die Zukunft bezieht. Im Beispiel (11) weist die finnische Präsidentin, Tarja Halonen, in einem Interview mit einem isländischen Journalisten daraufhin, dass sie und ihr Ehemann schon früher in Island waren und dorthin wieder in fünf Tagen hinfahren werden. Um sich auf die Zukunft zu beziehen und die Wiederholbarkeit des Ereignisses anzugeben, wird hier das Perfekt verwendet6: (11) „Eg er själf mjög änsegö aössekja Island heim nüna ich sein.PRS selbst sehr zufrieden zu besuchen Island jetzt viö höfum ekki bara veriö ßar i heimsökn, heldur einnig wir haben.PRS nicht nur sein.PP dort in Besuch sondern auch eytt peningum okkar ßar", segir Tarja Halonen [...]. ausgeben.PP Geld.DAT.PL unser dort sagen.PRS Tarja Halonen 6 Auf den ersten Blick sieht es so aus, dass das Perfekt durch das Präteritum vorum ,waren' und eyddum ,gaben aus' ersetzbar sei und dass es kaum einen Bedeutungsunterschied zu dem Perfekt gebe. Der Bedeutungsunterschied ist aber der, dass das Präteritum keinen Hinweis auf die Zukunft enthält, während das Perfekt einen solchen Hinweis enthalten kann, wie in diesem Fall. Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass das Perfekt häufig zukunftsorientiert ist, wie Beispiel (6) deutlich beweist. In der Fachliteratur erwähnt unseres Wissens Johannes Gisli Jönsson (1992: 137-38) als einziger in einer Fußnote die Zukunftsbedeutung des Perfekts. Er scheint seine Entdeckung kaum zu glauben, denn er bezeichnet das Perfekt als ,degraded' und setzt ein Fragezeichen zu seinem Beispiel. Sein Beispiel ist: ,?Eg hef bakad köku fiegar ßü kemur' (,Ich habe einen Kuchen gebacken, wenn du kommst = Ich werde einen Kuchen gebacken haben, wenn du kommst'). Dieser Satz ist aber grammatisch. Slobin (1994: 123-24) nennt auch Zukunft als eine Bedeutungsvariante , d.h. in der Bedeutung als zukünftige Folge einer Aktion in der Vergangenheit. Sein Beispiel für das Perfekt ist When I've picked the bricks up? ,Wenn ich die Ziegel genommen habe? (ibid. S. 123), von einem Kind gesprochen. Die Äußerung weist auf einen Zeitpunkt in der Zukunft, wenn das Kind Pastete bekommen wird. Hier handelt es sich nicht um potenzielle Wiederholbarkeit, sondern um etwas, das näher heranrückt, d.h. ausstehendes Resultat' (2.3.1.2.). Inoue (1979: 570) spricht ebenfalls davon, dass die Blickrichtung des Sprechers auf die Zukunft sein kann. 66 ,„Ich bin selbst sehr damit zufrieden, Island jetzt zu besuchen; wir sind nicht nur dort zu Besuch gewesen, sondern haben auch unser Geld dort ausgegeben", sagt Tarja Halonen........' (Morgunblaäd, 14. Sept. 2000;S. 40) Zwei weitere Beispiele fallen unter die gleiche Kategorie, obwohl die kontextuelle Information etwas unterschiedlich ist, da es sich nicht um die Fortsetzung der gleichen Tätigkeit handelt, sondern um die Folge einer Tätigkeit in der Vergangenheit. Im Beispiel (12) geht es darum, dass die Sekretärin/Abteilungsleiterin des Gesundheitsministeriums die Ausschreibungsunterlagen für die Rettungsflüge in Island vorbereitet hat. Das Ministerium möchte die Zahl der Piloten für diese Flüge aus Kostengründen verringern. Dagegen hat die Pilotenvereinigung Protest eingelegt, auf welchen bisher seitens des Ministeriums keine Reaktion erfolgt ist. Die Abteilungsleiterin hat durch die Vorbereitung der Ausschreibungsunterlagen die Grundlage für die weitere Entwicklung gelegt. Wie im Beispiel (12) zu sehen ist, impliziert die Verwendung des Perfekts, dass die zukünftige Entwicklung die Folge von der vergangenen Tätigkeit sein wird: (12) Dagny Brynjölfsdöttir hefor unniö aö gerö Dagny Brynjölfsdöttir haben.PRS ■ arbeiten.PP an Ausfertigung ütboösgagna fyrir hönd heilbrigäsräöuneytisins. Ausschreibungsunterlagen.GEN.PL für Hand Gesundheitsministerium.das.GEN.SING ,Dagny Brynjölfsdöttir hat an der Ausfertigung der Ausschreibungsunterlagen für das Gesundheitsministerium gearbeitet'. (Morgunblaäd, 14. Sept. 2000; S. 2) Im Beispiel (13) verwendet ein Tischler, Gunnar, der stolz auf seinen Beruf ist, das Perfekt in direkter Rede. Die Verwendung des Perfekts deutet an, dass er die Methode, die Tischler im Mittelalter verwendeten, weiterführen möchte. Beispiel (14), das im Originaltext vor Beispiel (13) steht, weist auf die Wiederholbarkeit bzw. Wiederbelebung der alten Technik hin, die Gunnar schätzt und mit neuem Leben erfüllen möchte: (13) „Eghef verid aö feta inn i ßetta far og fariö ich haben.PRS sein.PP zu stufenweise.hineingehen in diesen Prozess und gehen.PP f gegnum allt ferliö nema arkitektürinn". durch alle Stufe.AKK mit.Ausnahme Architektur.die.AKK „Ich bin dabei gewesen, in diesen Prozess Schritt für Schritt hineinzugehen und (ich bin) durch die ganzen Stufen mit Ausnahme der Architektur durchgegangen". CMorgunblaid, BladB, 23. Juli 2000; S. 2) 67 Es wäre möglich, hier das Perfekt hef veriö aö feta inn í ,bin dabei gewesen, Schritt für Schritt hineinzugehen' durch das Präteritum fetaöi inn í ,ging Schritt für Schritt hinein' oder var aöfeta inn í ,war dabei, Schritt für Schritt hineinzugehen' zu ersetzen. Dann gäbe es aber keinen Hinweis auf die Zukunft und die Verbundenheit des Tischlers mit der traditionellen Technik käme nicht zum Ausdruck. Dies ist aber hier nur eine theoretische Möglichkeit, denn Beispiel (14) gibt den Kontext an, in welchem Beispiel (13) sich natürlicherweise auf die Zukunft bezieht: (14) „Einhvern veginn smitast maöur af ßessum hugsunarhsetti". Irgendwie anstecken.PRS man von dieser Denkart.DAT „Irgendwie wird man von dieser Art zu denken (bzw. dieser Denkweise, d. h. wie Häuser im Mittelalter gebaut wurden) angesteckt". (Morgunblaädt BladB, 23. Juli 2000; S. 2) 2.3.1.2. Ausstehendes Resultat Die Zukunft wird ebenfalls ins Visier kommen, wenn die Folge eines Ereignisses noch nicht eingetreten ist, d. h. das Resultat steht noch aus (j>ending result). Im Beispiel (15) hat die isländische Pilotenvereinigung einen Brief an das Gesundheitsministerium gerichtet und um Antwort gebeten, wie Beispiele (16) und (17) zeigen. Die Pilotenvereinigung drückt ihren Unmut darüber aus, dass das Ministerium die Zahl der Piloten auf Rettungsflügen verringern möchte. Das Ministerium hat noch keine Zeit gehabt, um auf diese Frage zu reagieren, d. h. die Reaktion oder das Resultat stehen noch aus: (15) Félag islenskra atvinnuflugmanna, FÍA, hefur miklar áhyggjur Verein isländisch Berufspilot.der.GEN.PL FÍA haben.PRS große Sorge.AKK.PL af vasntanlegu fyrirkomulagi sjúkraflugs i landinu og hefur von zu.erwartende Organisation.DAT Rettungsflug.GEN in Land.das.DAT und haben.PRS sent heilbrigöisräöherra bréf vegna ßessa. senden.PP Gesundheitsminister.DAT Brief.AKK wegen dies.GEN ,Die isländische Berufspilotenvereinigung, FÍA, hat große Sorgen wegen der zu erwartenden Organisation der Rettungsflüge in dem Land (d.h. in Island) und hat einen Brief in dieser Angelegenheit an den Gesundheitsminister gerichtet'. (Morgunblaädt 14. Sept. 2000; S. 2) (16) Hafa ßeir fariö fram á svör räöherra um ästaeöur ßessa. habenJPRS sie verlangen.PP Antwort. AKK.PL Minister.GEN um GrundAKK.PL. dies.GEN ,Haben sie die Antworten des Ministers bezüglich der Gründe hierfür (d.h. die Gründe, warum die Zahl der Piloten auf Rettungsflügen verringert werden soll) verlangt'. 68 (.Morgunblaädi 14. Sept. 2000; S. 2) Wenn das Perfekt in diesem Beispiel durch das Präteritum send! ,schickte' und föru fram ä verlangten' ersetzt werden würde, gäbe es keine Verbindung zur Zukunft. Vielleicht würde die Pilotenvereinigung sogar gar keine Antwort oder Reaktion des Ministeriums erwarten. Beispiel (17), das nach Beispiel (16) vorkommt, zeigt aber, dass eine Reaktion zu erwarten ist: (17) „Viö skoöum allar athugasemdir sem berast wir untersuchen.PRS alle Bemerkungen die einreichen.PRS og ekki ütilokaö aö viö breytum ßessum kröfum und nicht ausgeschlossen dass wir verändern.PRS diese Anforderung.DAT.PL alveg eins og einhverjum öörum i ütboänu. genau wie einige andere.DAT.PL in Ausschreibung.die.DAT ßaö veröur bara aökoma i ljös", sagä Dagny. es müssen.PRS nur zu kommen in Licht sagen.PRT Dagny „,Wir untersuchen alle Bemerkungen, die eingereicht werden und es ist nicht ausgeschlossen, dass wir diese Anforderungen verändern, genau wie einige andere (Anforderungen) in der Ausschreibung. Das muss man einfach abwarten", sagte Dagny'. (Morgunblaää 14. Sept. 2000; S. 2) 2.3.2. Kommentar 2.3.2.1. Hinweis auf die Vergangenheit um die Gegenwart zu erläutern Durch Kommentar erläutert der Sprecher Umstände in der Gegenwart mit Hinweis auf die Vergangenheit. Im folgenden Beispiel (18) erwähnt die finnische Präsidentin, Tarja Halonen, Umstände aus der Vergangenheit, um die gegenwärtige enge Beziehung zwischen Finnland und Island zu würdigen. In dem Beispiel wird das Verhältnis beider Länder zuerst im Präsens ausgedrückt. Dann folgt ein Hinweis auf die Arbeit der Isländer im Europarat, die Halonen als ausgezeichnet würdigt und als bedeutenden Beitrag zu dem guten Verhältnis zwischen den beiden Ländern betrachtet. Das Perfekt könnte hier als resultativ interpretiert werden, d.h. das gute Verhältnis ist das Resultat der abgeschlossenen Arbeit, aber auch als kontinuativ, da erwartet werden kann, dass die Isländer weiterhin gute Arbeit leisten, weil sie immer noch Mitglied im Europarat sind. Ebenso ist es möglich, eine experientielle Bedeutung anzunehmen, da den Isländern gute Eigenschaften auf der Grundlage der bisherigen Arbeit zugeschrieben werden. Keine dieser Interpretationen kann aber erklären, dass die enge Beziehung der beiden Länder, die im Satz beschrieben wird, eine Annahme der Präsidentin ist. Wenn das Perfekt durch das Präteritum unnu arbeiteten' ersetzt werden würde, würde der Satz sachlich falsch werden, da die Isländer immer noch Mitglied im 69 Europarat sind und diese Tatsache verstärkt die gegenwärtige Meinung von Halo-nen. Nur durch Einbeziehung der Subjektivität des Sprechers wird es möglich, hier zu der richtigen Interpretation zu gelangen. Das Präsens drückt die gegenwärtige Situation aus, die als Ausgangspunkt der Bewertung der Vergangenheit dient: (18) Löndin eiga einnig nâiô samband â öörum vettvang, Land.das.NOM.PL haben.PRS auch enge Beziehung in anderem Bereich.DAT til dsemis i Evröpuraänu, Jßar sem islendingar zum Beispiel in Europarat.der.DAT wo Isländer.NOM.PL hafa unniö gott starf. haben.PRS arbeiten.PP gut Arbeit.AKK ,Die Länder (d.h. Finnland und Island) haben auch enge Beziehungen in anderen Bereichen, zum Beispiel im Europarat, wo die Isländer gute Arbeit geleistet haben'. (.Morgunblaàà 14. Sept. 2000; S. 40) Halonen erwähnt auch ihre Erfahrung mit zeitgenössischer Malerei in Island, um die enge Beziehung mit Island zu erläutern. Beispiel (19) ist eine Äußerung, die sie macht, nachdem sie die gute Beziehung in Politik erwähnt hatte. Aber auch im Handel und in der Kultur bestehen gute Beziehungen (20). Im Beispiel (19) erläutert sie die Grundlage dafür, dass sie die interessanten Maler und die gute Beziehung zwischen den Ländern in Verbindung miteinander bringt. Das Perfekt hafi séô,gesehen habe' kann nicht durch das Präteritum sä ,sah' oder durch das Präteritum Konjunktiv saei ,sähe' ersetzt werden. Der Satz würde dadurch ungrammatisch werden und eine Verbindung zur Gegenwart bestünde nicht: (19) .[....] Halonen og nefnir til dasmis aö hün hafi séô Halonen und erwähnen.PRS zum Beispiel dass sie haben.PRS.KONJ sehen.PP aö Island eigi marga gööa samtimamâlara. dass Island haben.PRS.KONJ viele gute zeitgenössische.Maler.AKK.PL ,Halonen (und) erwähnt, dass sie gesehen hat, dass Island viele gute zeitgenössische Maler hat'. CMorgunblaàà 14. Sept. 2000; S. 40) (20) „Pölitisk samvinna veröur i svipuöum farvegi og viöskiptin Politisch Zusammenarbeit werden:PRS in ähnlichem Fahrwasser.DAT und Handel.der.NOM.PL lika. Viöhöfum lika samabragöskyn - ßiöveiöiösildina sem okkurßykir göö..." auch wir haben.PRS auch gleich Geschmack - ihr fangt Hering.der.AKK den wir.DAT mögen.PRS 70 „,Politische Zusammenarbeit vollzieht sich in ähnlicher Weise (eigentlich: in ähnlichem Fahrwasser) und der Handel auch. Wir haben auch den gleichen Geschmack - ihr fangt den Hering, den wir mögen ..[....].."' (Morgunblaädt 14. Sept. 2000; S. 40) Beispiel (21) verlangt eine ähnliche Interpretation. Das Beispiel ist direkte Rede. Johannes Nordal erinnert sich an das Gefrierhaus, das sein Eigentum war. Die Verwendung des Perfekts erläutert, warum er den Entschluss fasste, es den jungen Arbeitern zu verschenken7. Der Satz würde ungrammatisch werden, wenn das Präteritum unnu ,arbeiteten' hier verwendet werden würde: (21) „Eigum viö ekki aö gefa sträkunum ishüsi§ sollen.PRS wir nicht zu geben Junge.der.DAT.PL Gefrierhaus.das.AKK sem büiö er aö pina i mörg är meö lägu kaupi, die fertig sein.PRS zu quälen viele Jahre lang mit niedrigem Gehalt.DAT en hafa ßo unniö vel og samviskusamlega...[...]". aber haben.PRS trotzdem arbeiten.PP gut und gewissenhaft /'Sollen wir nicht den Jungen (d.h. den jungen Arbeitern) das Gefrierhaus schenken, die viele Jahre lang mit niedrigem Gehalt gequält worden sind, aber dennoch gut und gewissenhaft gearbeitet haben (gute Arbeit geleistet haben)..[...]" (Lesbök Morgunbladsins, Menning/Listir 8. April 2000; S. 12) 2.3.2.2. Vergangenheit und Gegenwart im Kontrast In dem folgenden Beispiel kommentiert die Sprecherin (Halonen) den Kontrast zwischen zwei Ereignissen, an die sie jetzt denkt. Das Beispiel (22) weist auf einen Zustand in der Vergangenheit hin, als die Mitglieder einer politischen Partei ihre Partei nicht verlassen konnten und dies im Kontrast zu der gegenwärtigen Situation (23) steht, in der es möglich geworden ist, dass man einer politischen Partei nicht mehr lebenslang die Treue hält. Wenn das Perfekt im Beispiel (22) durch das Präteritum gat,konnte' ersetzt werden würde8, wäre die Bedeutung die, dass die Mitglieder einer Partei die Partei nicht verlassen konnten, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was gegenwärtig der Fall in Finnland ist. Die Verwendung des Perfekts zeigt aber, dass die Lage sich neuerdings verändert hat: 7 Dieses Beispiel (21) könnte als Emotion (siehe 2.3.3.) interpretiert werden, wenn Johannes sich mit den jungen Leuten der Zeit identifizieren würde. Das Beispiel enthält aber direkte Rede, eine Wiederholung seiner Äußerung, die er seinerzeit an seinen Mitbesitzer des Gefrierhauses, ßorleifur Bjarnason, richtete, als er sich von dem Gefrierhaus trennte. Da die jungen Leute noch am Leben waren, als der Satz gesprochen wurde, wird er hier nicht als Emotion interpretiert. o Es ist allerdings dann auch fraglich, ob der Satz überhaupt grammatisch wäre. Er würde auf jeden Fall etwas unnatürlich klingen. 71 (22) „Folk getur gifst og skiliö, og ßaö getur yfirgefiö Mensch können.PRS heiraten.PP und scheiden.lassen.PP und sie können.PRS verlassen.PP kirkjuna en ßaö hefur ekki getaö yfirgefiö flokkinn sinn". Kirche.die.AKK aber es haben.PRS nicht können.PP verlassen.PP Partei.die.AKK ihr ,"Die Menschen können heiraten und sich scheiden lassen; sie können die Kirche verlassen (d.h. aus der Kirche austreten), aber sie haben ihre (politische) Partei nicht verlassen können"'. (Morgunblaäd 14. Sept. 2000; S. 41) (23) „En ßaö er aö breytast". Aber dies sein.PRS zu sich.ändern ,"Aber dies ändert sich (= ist dabei sich zu ändern)"'. (Morgunblaäd, 14. Sept. 2000; S. 41) Miller (2000: 329) bemerkt, dass das englische Perfekt in You haven'tfinished it ,Du hast es nicht abgeschlossen' auf jeden Fall wegen des Vorhandenseins der Negation als etwas ,Nicht-Erreichtes' (,unattained resulf) interpretiert wird. Die Negation im Beispiel (22) trägt aber nicht dazu bei, uns über ein Resultat zu informieren, sondern eher über den Kontrast zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Es ist schwer vorstellbar, diese kontrastive Bedeutung mit den vier konventionellen Lesarten des Perfekts erklären zu können. 2.3.2.3. Bündelung der Ereignisse in Vergangenheit und Zukunft bzw. Präsens Beispiel (24) informiert uns darüber, dass Halonen Schweden und Estland früher besucht hatte, kurz nachdem sie zur Präsidentin von Finnland gewählt worden war. Der Grund, warum diese Besuche im Perfekt stehen und nicht im Präteritum, ist, dass der Sprecher (= Interviewer) diese Besuche, darunter auch den bevorstehenden Besuch in Island, als Bündel betrachtet. Sie gehören daher zusammen und sind von der Gegenwart nicht getrennt. Die Konjunktion og ,und' zeigt, dass der ins Auge gefasste Besuch in Russland auch dazu gehört. Dieser geplante Besuch steht aber im Präsens, da der Besuch noch nicht über das Planungsstadium hinaus gekommen ist und es daher nicht gesagt werden kann, wann er stattfindet. Wenn das Perfekt hefur heimsött ,hat besucht' durch das Präteritum heimsotti,besuchte' ersetzt werden würde, würden diese Reisen nicht als Bündel betrachtet werden. Das Adverb ßegar ,schon' bringt einen weiteren Beweis für die Richtigkeit dieser Interpretation, da es nicht mit dem Präteritum verwendbar ist (*Halonen heimsotti ßegar ,Halonen besuchte schon' wäre ungrammatisch), sondern verstärkt die Zusammengehörigkeit dieser Reisen als Einheit. Der nachfolgende Satz, der mit der Konjunktion eftir ad 12 ,nachdem' anfängt, steht im Präteritum, da die ,Wahl zur Präsidentin als Einzelereignis betrachtet wird. Obwohl eine experientielle Interpretation auf den ersten Blick möglich scheint, da die Ereignisse in der Zeit nach ihrer Wahl zur Präsidentin bis zum gegenwärtigen Augenblick geschehen sind, kann keine der vier ursprünglichen Bedeutungen des Perfekts erklären, warum der Sprecher diese Ereignisfolge als Bündel betrachtet9: (24) Halonen hefur ßegar hp.imsôtt basöi Svißjöö og Eistland Halonen haben.PRS schon besuchen.PP sowohl Schweden als auch Estland.AKK eftiraö hün tökviö embasttiog Rüssland er fljötlegaa dagskrâ nachdem sie übernehmen.PRT Amt und Russland sein.PRS bald auf Plan.DAT eins og iöulega hjä nyjum forseta Finnlands, wie häufig bei neuem Präsidenten.DAT Finnland.GEN ,Halonen hat schon sowohl Schweden als auch Estland besucht, nachdem sie das Amt übernahm und Russland steht bald auf dem Plan, wie es häufig bei einem neuen Präsidenten Finnlands der Fall ist'. (Morgunblaäd, 14. Sept. 2000; S. 40) 2.3.2.4. Ursache in der Vergangenheit, Wirkung in der Gegenwart Der Kommentar des Sprechers kann auch gedanklich in der Form von Ursache und Wirkung gemacht werden. Die Verwendung des Perfekts im Beispiel (25) präzisiert die Ursache, warum aus der Sicht von Halonen Finnland noch kein perfekter Wohlfahrtsstaat ist, da in der Vergangenheit Kriege und Armut zu der gegenwärtigen Lage Finnlands geführt haben, in der wir gelegentlich Armut vorfinden (27). Wie Beispiel (26) zeigt, weisen beide Perfektverwendungen im Beispiel (25) auf Tatsachen in der Vergangenheit hin, aber dies ist nicht die Situation im Finnland der Gegenwart. Der Sprecher (Halonen) beruft sich auf diese Situation in der Vergangenheit, da sie in Verbindung mit der Gegenwart stehen und so erklären, warum Finnland aus ihrer Sicht noch kein vollkommener Wohlfahrtsstaat ist. Wenn die Perfekt-Formen im Beispiel (25) durch das Präteritum (var fätaskt ,war arm' und ätti i styrjöldum,stand im Krieg; hatte kriegerische Auseinandersetzungen') ersetzt wer- 9 Wir teilen die Meinung Slobins (1994: 121-123), der von Bündel Cpackaging') spricht, und darunter ein Mittel des Sprechers versteht, um ein Ereignis, das mit dem Perfekt ausgedrückt wird und ein Ereignis in einem damit assoziierten Satz, zu einem einzigen Episoden zu machen (z.B. He's drawn a monster, [...], and it's going to come and biteyou ,Er hat ein Monster gezeichnet [...] und es wird kommen und dich beißen' (ibid., S. 122). Sein Begriff von Bündel ist jedoch etwas verschieden von unserem. Während es bei ihm um die zeitliche Reihenfolge von Ereignissen geht, die in einem Verhältnis von Ursache und Folge stehen, stehen die gebündelten Ereignisse im Isländischen nicht in einem solchen Ursachenverhältnis. Im Isländischen ist es das Vorhandensein der Ereignisse in Zukunft und Gegenwart in den Gedanken des Sprechers (in der Sprechersicht), welches die Bündelung mit Ereignissen der Vergangenheit schafft. 73 den würden, würden diese Ereignisse der Vergangenheit die Verbindung mit den gegenwärtigen Problemen Finnlands verlieren. Sie stünden damit nicht in Verbindung: (25) „Finnland hefur veriö fätaskt land, sem Finnland haben.PRS sein.PP armes Land das hefur att i styrjöldum og viö eigum ekki mikiöaf haben.PRS haben.(stehen)PP in Krieg.DAT.PL und wir haben.PRS nicht viel von hráefnum sem geta skapaö ßjoöarauö". Rohstoff.DAT.PL die können.PRS schaffen.PP Nationales.Reichtum.AKK „,Finnland ist ein armes Land gewesen, das kriegerische Auseinandersetzungen gehabt hat und wir haben nicht viele Rohstoffe, die nationales Reichtum schaffen können"'. (Morgunblaäd, 14. Sept. 2000; S. 41) (26) „ßegarfölk segir aö Jpaöse gott og blessaö aö geta wenn Mensch sagen.PRS dass es sein.PRS.KONJ gut und gesegnet zu können menntaö stülkur og ßaö muni gerast ßegar viö veröum ausbilden.PP Mädchen und es werden.PRS.KONJ geschehen wenn wir werden.PRS rik, segi eg aö viö höftun aldrei veriö svo fätaek reich sagen.PRS ich dass wir haben.PRS nie sein.PP so arm aö hafa ekki efni ä aömennta stülkur [....]" zu haben nicht leisten auszubilden Mädchen.AKK.PL ,„Wenn man sagt, dass es ausgezeichnet sei (eigentlich: gut und gesegnet), Mädchen ausbilden zu können und dass es geschehen werde, wenn wir reich werden, sage ich, dass wir nie so arm waren, dass wir uns nicht leisten konnten, Mädchen auszubilden [...]"' (Morgunblaäd 14. Sept. 2000; S. 41) (27) „En viö veröum aö leggja haröar aö okkur varöandi aber wir müssen.PRS anstrengen mehr uns.DAT betreffend dreifbyli§ eyöa skuggahliöunum J3vi wenig.besiedeltes.Gebiet.das.AKK abschaffen dunkle.Seite.die.DAT.PL weil viö viljum sjá velferöarßjoöfölagiö eins og ßaö gerist wir wollen.PRS sehen Wohlfahrtsstaat.der.AKK wie es existieren 74 bestä Noröurlöndum", segir Halonen forseti og er upptekin best in Nordische.Länder.DAT.PL sagen Halonen Präsident und sein.PRS besorgt af ßvi aö jafnretti ä öllum sviöum veröi räöandi. von it.DAT dass Gleichberechtigung in allen Bereichen.DAT.PL werden.PRS.KONJ vorherrschend ,"Wir müssen uns aber mehr anstrengen, was die wenig (spärlich) besiedelten Gebiete angeht, die dunklen Seiten abschaffen (eliminieren), weil wir den Wohlfahrtsstaat in seiner besten Form wie er in den Nordischen Ländern existiert, sehen wollen", sagt die Präsidentin Halonen und ist darum besorgt, dass in allen Bereichen Gleichberechtigung vorherrscht'. (Morgunblaäd, 14. Sept, 2000; S. 41) 2.3.2.5. Hervorrufen von Ereignissen der Vergangenheit Wenn wir Beispiel (28) betrachten, das in einem Abschnitt mit der Überschrift Ncest Guä ,Zuerst Gott' steht, könnten wir ohne Hintergrundwissen zu dem Ergebnis kommen, dass darin das Ereignis zum Ausdruck gebracht wird, dass wir jetzt Fisch haben. In der Tat werden in dem Text Episoden beschrieben, die es möglich machten, den Fischfang ans Land zu bringen. Die Verwendung des Präteritums (komum ä land ,brachten ans Land'), davon abgesehen, dass der Satz nicht mehr ganz natürlich wäre, würde diese vergangenen Ereignisse nicht evozieren. Der Sprecher ist Johannes Nordal, Vater des bekannten isländischen Professors Siguröur Nordal, der sich eines interessanten Ereignisses aus seinem Leben erinnert und die Worte des Kapitäns sinngemäß wiedergibt. In der Beschreibung unter (29) werden die Ereignisse und der Handlungsablauf kurz zusammengefasst: Worte des Kapitäns, von Johannes wiedergegeben: (28) Viöeigum, Johannes minn, nasst Guöi, ßer aö ßakka Wir haben.PRS, Johannes mein, nächst Gott.DAT dir zu danken aö viö höfum komiö i land ßessum afla. dass wir haben.PRS kommen.PP in Land dieser Fischfang.DAT ,Wir haben, mein (lieber) Johannes, zuerst Gott, dann dir zu danken, dass wir diesen Fischfang ans Land gebracht haben'. (Lesbök Morgunbladsins, Menning/Listir, 8. April 2000; S. 12) Handlungsablauf: (29) Sie ruderten das voll mit Fisch beladene Boot. Starker Gegenwind herrschte, sodass Wasser in das Boot hineinfloss, während der Matrose das Boot steuerte. Der Kapitän wollte dann den ganzen Fischfang ins Meer werfen, da er fürchtete, dass sie sinken würden. Ohne Fisch wäre das Boot leichter zu rudern. 75 Johannes schlug dann vor, dass der Kapitän das Ruder übernehmen sollte, da er besser steuern würde als der Matrose. Durch die Verwirklichung dieses Vorschlags wurde es schließlich möglich, das Boot zu retten und den Fischfang ans Land zu bringen. 2.3.2.6. Hervorrufen von Ereignissen der Gegenwart Beispiel (31) ist insofern ähnlich wie Beispiel (28, vgl. die Beschreibung in 29) gelagert, als Episoden evoziert werden, die mit einem Hauptereignis in Verbindung stehen. Was aber im Beispiel (31) anders ist, ist, dass der Sprecher (Johannes) Episoden evoziert, die mit der aktuellen Lage in Verbindung stehen. Beispiel (30) ist eine Äußerung des Journalisten, der das Interview aufnimmt und Beispiel (31) ist die Antwort von Johannes. Der Journalist darf und will prinzipiell keinen Wein während seiner Dienstzeit trinken, aber Johannes gelingt es, ihn doch dazu zu bewegen, ein halbes Glas zu trinken, vermutlich aus Höflichkeit. Die Verwendung des Perfekts ermöglicht es hier, die Absicht zu unterstreichen, das Prinzip des Journalisten zu lockern und die aktuelle Situation zu betonen. Dies wäre mit dem Präteritum ska- paöi,schuf gar nicht möglich, ganz davon abgesehen, dass der Satz mit Präteritum ungrammatisch werden würde: Äußerung des Journalisten: (30) Nu drekk jeg ekki nema helminginn, sagöi jeg, ßvi nü jetzt trinken.PRS ich nicht außer Hälfte.de.AKK sagen.PRT ich weil jetzt ßarf jeg aö fara aö sinna alvarlegum störfum. müssen.PRS ich zu gehen zu machen ernst Arbeit.DAT.PL Ekki nema helminginn. Nicht außer Hälfte.die.AKK ,Nun trinke ich nur die Hälfte, sagte ich (d.h. der Journalist), weil ich jetzt ernsthafte Arbeit machen muss. Nicht mehr als die Hälfte' (Lesbök Morgunbladsins, Menning/Listir, 8. April 2000; S. 12) Antwort von Johannes: (31) Ja, haföu ßaöalveg eins og Guö hefur skapaö ßig, ja haben.du.IMP es ganz wie Gott haben.PRS schaffen.PP dich.AKK sagöi Johannes um leiö og hann rendi ür glasinu. Sagen.PRT Johannes zur.gleichen.Zeit und er leeren.PRT aus Glas.das.DAT ,Ja, mache es genau wie Gott dich geschaffen hat, sagte Johannes und trank gleichzeitig das Glas aus (eigentlich: trank das Glas leer)'. (.Lesbök Morgunbladsins, Menning/Listir, 8. April 2000: S. 12) 16 2.3. 3. Emotionale Verbindung mit der Vergangenheit Die Verbundenheit des Sprechers mit Verhältnissen und Gegebenheiten der Vergangenheit, die nicht mehr existieren, spiegelt sich in einer emotionalen Verbindung oder geistigen Nähe wider. Beispiel (32) steht als erster Satz in einem Abschnitt mit dem Titel Dyrmeett ad sannreyna tilgätur ,Wertvoll Hypothesen nachzuprüfen', in welchem der Tischler, Gunnar, seine Bewunderung für das Können der Tischler im Mittelalter zum Ausdruck bringt. Der Satz in (33) gibt wieder, wie Gunnar das breitgefächerte Können der Tischler jener Zeit bewundert und wie ihre Art zu denken und arbeiten ihn beeinflusst. Durch die Verwendung des Perfekts ruft Gunnar diese vergangene Situation hervor. Ersetzen des Perfekts durch das Präteritum (d. h. säum ,betreute' oder Präteritum Konjunktiv saei um,betreute', teiknaä zeichnete') macht den Satz ungrammatisch: (32) Gunnar upplysir aö á miööldum hafi einn Gunnar informieren.PRS dass im Mittelalter.DAT.PL haben.PRS.KONJ ein höfuösmiöur seöum aö stjórna öllu verkinu (ß. e. smiöa Haupttischler betreuen.PP zu steuern ganze Arbeit.die.DAT d.h. bauen hüsiö bseöi trégrindina og ßiljurnar ásamt járni, Haus.das AKK sowohl Holzrahmen.der.AKIv und Täfelung.dieAKICPL zusammen.mit Eisen.DAT lömum og lásum) og aö hann hafi jafnvel teiknaö Scharniere und Schloss.DAT.PL und dass er haben.PRS.KONJ sogar zeichnen.PP hüsiö lika. Haus.das.AKK auch ,Gunnar informiert, dass ein Haupttischler im Mittelalter die ganze Arbeit betreut habe (d.h. das Bauen des Hauses, sowohl des Holzrahmens als auch der Täfelung zusammen mit dem Eisen (d.h. den Eisenteilen), Scharnieren und Schlössern) und dass er sogar das Haus auch gezeichnet (entworfen) habe'. (.Morgunblaää BladB, 23. Juli 2000; S. 2) (33) Einhvern veginn smitast maöur af ßessum hugsunarhastti. Irgendwie angesteckt.werden.PRS man von diese Denkart.DAT irgendwie wird man von dieser Denkart (d. h. dass man den gesamten Kon-struktionsprozess des Hauses im Griff haben soll) angesteckt'. (.Morgunblaää BladB, 23. Juli 2000; S. 2) Das folgende Beispiel (34) gibt einen ähnlichen Fall an. Der isländische Ministerpräsident, Daviö Oddsson, würdigt die Verdienste der beiden Verstorbenen Hallr af Sidu und ßorgeir Ljosvetningagoä, die vor Tausend Jahren sich dafür einsetzten, 77 dass das Christentum in Island als die einzige offizielle Religion angenommen wurde, ßorgeir, der die größere religiöse Gruppierung, d.h. die Heidnischen, leitete, fiel die schwierige Aufgabe zu, den Beschluss bekannt zu machen und seine Umsetzung zu empfehlen. Durch die Verwendung des Perfekts wird die Verbundenheit mit dieser vor Tausend Jahren getroffene Entscheidung verdeutlicht: (34) Vafalitiö hafa ßeir tveir raöiö ßvi aö ßorgeiri ohne.Zweifel haben.PRS sie zwei beschliessen.PP es.DAT dass ßorgeir.DAT var faliö aö leysa ür mälinu. sein.PRT beauftragen.PP zu lösen Angelegenheit.die.DAT ,Ohne Zweifel haben sie beide beschlossen, dass ßorgeir damit beauftragt wurde, die Angelegenheit zu lösen'. (Morgunblaää Blad C, Kristnih&tid, 4. Juli 2000; S. 19) 2.4. Weitere Anwendungen des Perfekts Im Vergleich zu dem englischen Perfekt, das bislang am besten untersucht worden ist, hat das isländische Perfekt mindestens drei weitere Anwendungen, die wir hier erwähnen möchten, da es sich um Verwendungen handelt, die einerseits das isländische Perfekt charakterisieren und andererseits zeigen, dass es Abweichungen von der Verwendung gibt, die für das Englische gilt. 2.4.1. Aktuelle Relevanz Aktuelle Relevanz (,current relevance') bezieht sich auf einen Zustand, der zur Sprechzeit relevant ist. Dieser Begriff ist mit gewissem Recht kritisiert worden (Klein 1992; Klein 2000; Declerck 1991), da es offensichtlich ist, dass das Präteritum auch aktuelle Relevanz ausdrücken kann wie das folgende Beispiel deutlich zeigt: (35) Why is Chris so cheerful these days? Well, he won a million in the lottery. 'Warum ist Chris so vergnügt in diesen Tagen? Na ja, er gewann eine Million im Lotto'. (Klein 1992: 531 (18a)) Bei genauerer Betrachtung stellt sich aber heraus, dass im Bezug auf den Begriff aktuelle Relevanz die Sätze mit Präteritum sich nicht so verhalten, wie die Sätze mit Perfekt. Die folgenden Beispiele (36) und (37) zeigen den Unterschied: (36) a. Hann lenti i alvarlegu slysi. Hann er ä sjükrahüsi. er landen.PRT in ernst Unfall.DAT er sein.PRS in Krankenhaus.DAT ,Er hatte einen schweren Unfall. Er ist (liegt) im Krankenhaus'. b. Hann hefur lent i alvarlegu slysi. Hann er ä sjükrahüsi. er haben.PRS landen.PP in ernst Unfall.DAT er sein.PRS in Krankenhaus.DAT ,Er hat einen schweren Unfall gehabt. Er ist (liegt) im Krankenhaus'. 78 (37) a. *Hann lenti i alvarlegu slysi. Hann ä enga fjölskyldu. er landen.PRT in ernst Unfall. DAT er haben.PRS keine Familie.AKK ,Er hatte einen schweren Unfall. Er hat keine Familie' b. Hann hefur lent i alvarlegu slysi. Hann ä enga fjölskyldu. er haben.PRS landen.PP in ernst Unfall.DAT er haben.PRS keine Familie.AKK ,Er hat einen schweren Unfall gehabt. Er hat keine Familie'. Die unvermeidbare Folge eines schweren Unfalls ist wohl, dass man ins Krankenhaus eingeliefert wird (36a), aber nicht dass man keine Familie hat (37a). Das Präteritum wird für die aktuelle Relevanz nur dann verwendet, wenn es sich um eine unvermeidbare Folge von etwas handelt, während es sich bei dem Perfekt nicht um solche unvermeidbare Folge handelt, sondern um eine Verbindung, die nur durch den Einsatz des Sprechers hergestellt werden kann. 2.4.2. Adverbiale Zeitausdrücke Im Englischen kann das Perfekt nicht zusammen mit adverbialen Zeitausdrücken stehen, die einen bestimmten Zeitpunkt ausdrücken wie z.B. yesterday ,gestern', 8th February 1950,8. Februar 1950' (McCoard 1978:17). Deshalb betonen Comrie (1985: 32) und Palmer (1988:49), dass das Perfekt nicht einen bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit ausdrückt. Im Isländischen besteht überhaupt kein Problem, dass das Perfekt einen bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit ausdrückt. In unserem Datenmaterial haben wir hierfür einige gute Beispiele wie z. B. (38): (38) „Mer finnst afskaplega änasgjulegt aö vera her en mer mir.DAT scheinen.PRS sehr erfreulich zu sein hier aber mir.DAT finnst eins og ßaö hafi veriö mun fleira fölk 1974 scheinen.PRS als ob es haben.PRS.KONJ sein.PP viel mehr Mensch.NOM.SING 1974 og aö ßvi leytinu til hafi ßaö veriö ööruvisi". und in dieser Hinsicht.die.DAT haben.PRS.KONJ es sein.PP anders ,"Es ist mir sehr angenehm, hier zu sein, aber es kommt mir so vor, als ob im Jahre 1974 viel mehr Menschen (hier) gewesen sind und dass sie (= die Lage im Jahre 1974) in dieser Hinsicht anders gewesen ist"'. (Morgunblaäd, Blad C, Kristnihätid, 4. Juli 2000; S. 14) 79 Die Kompatibilität von 1974 mit dem Perfekt wird der Tatsache zugeschrieben, dass der Sprecher mit den vergangenen Ereignissen emotional verbunden ist. Diese Anwendung des Perfekts würde unter unsere Kategorie 2.3.3. fallen10. 2.4.3. Zeitloser Zustand des Adjektivs Das englische Perfekt und das Präteritum unterscheiden sich darin, dass das Perfekt nicht in Verbindung mit Adjektiven erscheint, die zeitlosen Zustand (jimeless State') ausdrücken, wie das Adjektiv wooden ,aus Holz' im Beispiel (39) zeigt. Der Grund, warum (39 b) ungrammatisch ist, ist, dass die Tür in der Vergangenheit aus Holz war und dass sie zur Sprechzeit ebenfalls aus Holz ist. Nach Klein (1992: 541) ist das Verhalten von wooden ,aus Holz' durch die lexikalische Bedeutung des Adjektivs zu erklären. Mit anderen Worten, ein anderes Adjektiv wie open ,offen', das lexikalisch einen nicht zeitlosen Zustand ausdrückt, kann mit dem Perfekt erscheinen (40): (39) a. The door was wooden. 'Die Tür war aus Holz'. b. *The door has been wooden. *'Die Tür ist aus Holz gewesen'. (Klein 1992: 540, (35a, b)) (40) a. The door was open. 'Die Tür war offen'. b. The door has been open. 'Die Tür ist offen gewesen'. (Klein 1992: 541, (36a, b)) Im Isländischen besteht aber keine Schwierigkeit, dass das Perfekt mit einem Adjektiv erscheint, das einen zeitlosen Zustand ausdrückt. Die Sätze im Beispiel (39) würden im Isländischen lauten: 10 Liberman (1990: 265) würde möglicherweise dieses Beispiel als Hervorhebung heroischer oder bedeutender Ereignisse interpretieren. Solche Beispiele finden sich in der alten Sagaliteratur genau so wie in modernem Isländischen (siehe Yamaguchi/Petursson, in Vorbereitung, MS). Wir zitieren hier zwei Beispiele aus Liberman (1990: 266), die dies gut illustrieren, eines aus der Sagaliteratur und ein modernes Beispiel: Lykr ßar nü sefi Gisla ok er ßat alsagt, at hann hefii hinn Enden.PRS dort jetzt Leben Gisli.GEN und sein.PRS es allgemein.gesagt dass er haben.PRS der mesti hreystimaör veiit, jx> at hann vseri ekki i öllum hlutum gsefumaör. größter Held sein.PP obwohl er sein.PRT.KONJ nicht in allen Sachen Glücksmensch .Hiermit endet das Leben von Gisli, und es wird allgemein gesagt, dass er der größte Held gewesen ist, obwohl er nicht in allen Sachen ein Glücksmensch war'. (Gisla Saga Sürssonar, Islenzk Fornrit 6, 1943: 115) ßann vetur [1917] höfum viö Jönina veriö samtimis i Breiödal [....]. jenen Winter.AKK haben.PRS wir Jönina sein.PP gleichzeitig in Brei6dalur.DAT Eg man aö viö vorum lika samtimis i Reykjavik veturinn 1919-20. Ich erinnern.PRS dass wir sein.PRT auch gleichzeitig in Reykjavik winter.der.AKK 1919-20 Jenen Winter [1917] sind Jönina und ich (eigentlich: wir Jönina) gleichzeitig in Breiödalur gewesen .[..].. Ich erinnere mich, dass wir auch gleichzeitig im Winter 1919-20 in Reykjavik waren'. (Stefan Einarsson „Jönina Benediktsdöttir", Morgunblaää 21 Juni 1964; S. 20) 80 (41) a. Huröin var ür viöi. ,Die Tür war aus Holz'. Tür.die.NOM sein.PRT aus Holz.DAT b. Huröin hefur veriö ür viä. *'Die Tür ist aus Holz gewesen' Tür.die.NOM haben.PRS sein.PP aus Holz.DAT Während (41a) angibt, dass die Tür vielleicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aus Holz ist, gibt (41b) an, dass die Tür immer noch aus Holz sein kann. Dieses Verhalten des Perfekts ist ein Beweis dafür, dass im Isländischen es der Sprecher ist, welcher darüber entscheidet, was als permanente Eigenschaft oder zeitloser Zustand gilt, nicht aber die lexikalische Bedeutung eines Adjektivs. Das gleiche gilt für opinn ,offen' wie Beispiel (42) zeigt: (42) a. Huröin var opin. 'Die Tür war offen'. Tür.die.NOM sein.PRT offen b. Huröin hefur veriö opin. ,Die Tür ist offen gewesen'. Tür.die.NOM haben.PRS sein.PP offen 3. Fazit Das Hauptanliegen dieser Untersuchung war es zu zeigen, wie der Sprecher Ereignisse der Vergangenheit, die durch das Perfekt ausgedrückt werden, mit gegenwärtigen Gegebenheiten, Zuständen oder Situationen, in denen er sich befindet oder mit denen er sich geistig verbunden fühlt, in Verbindung bringt. Wir haben in unserer Untersuchung zeigen können, dass der wichtigste Faktor, der das Perfekt vom Präteritum unterscheidet, ist, dass das Perfekt relational ist, während das Präteritum einen Abschluss in der Vergangenheit zum Ausdruck bringt. Die Brücke zwischen Gegenwart und Vergangenheit wird nicht ausschließlich durch die aktuelle Relevanz von vergangenen Ereignissen zur Sprechzeit angegeben, sondern durch die Verbindung oder Erfahrung des Sprechers zur Sprechzeit mit den Ereignissen der Vergangenheit. Unsere Schlussfolgerung ist daher, dass das Perfekt im Isländischen viel damit zu tun hat, wie der Sprecher vergangene Ereignisse im gegebenen Kontext wahr nimmt. Die neun Bedeutungsvarianten, die wir entdeckt haben, fassen wir nochmals unter (43) zusammen: (43) Zukunftsorientierung (i) Potenzielle Wiederholbarkeit (ii) Ausstehendes Resultat Kommentar (iii) Hinweis auf die Vergangenheit, um die Gegenwart zu erläutern (iv) Vergangenheit und Gegenwart im Kontrast (v) Bündelung der Ereignisse in Vergangenheit und Zukunft bzw. Präsens (vi) Ursache in der Vergangenheit, Wirkung in der Gegenwart (vii) Hervorrufen von Ereignissen der Vergangenheit (viii) Hervorrufen von Ereignissen der Gegenwart Emotion (ix) Emotionale Verbindung mit der Vergangenheit 81 Das Vorhandensein dieser Bedeutungsvarianten wirft einige Fragen bezüglich der Semantik des Perfekts auf. Wenn wir uns auf Yule (1996: 3) beziehen, dann ist die sprecherbezogene Bedeutung (,speaker meaning nach Yule) ein Aspekt der Pragmatik. In unserer Untersuchung haben wir bewiesen, dass dieser Aspekt, wenigstens was das Perfekt betrifft, sehr regelhaft ist, d.h. dass das Perfekt eine der oben angegebenen Bedeutungen ausdrückt. Unsere Untersuchung hat außerdem gezeigt, dass das isländische Perfekt erstens im Hinblick auf den Begriff,aktuelle Relevanz' (,current relevance\ zweitens im Hinblick auf ,adverbiale Ausdrücke', die einen bestimmten Zeitpunkt ausdrücken, und drittens im Hinblick auf,zeitlosen Zustand des Adjektivs' sich anders verhält als das englische Perfekt. Hier möchten wir hervorheben, dass diese Unterschiede gerade das Vorhandensein des Sprechers zum Ausdruck bringen, welcher aktiv an der Interpretation des Perfekts teilnimmt. Wir sind uns darüber im Klaren, dass es noch vieles über das isländische Perfekt zu sagen gäbe, aber wir betonen, wie wir in unserer soeben erschienenen Untersuchung über das l^ra-Perfekt (Yamaguchi/Petursson 2003) gezeigt haben, dass eine genaue Untersuchung der Rolle des Sprechers hinsichtlich der Verwendung des Perfekts uns den Schlüssel zum Verstehen der Funktionen des Perfekts gibt. Wir hoffen, dass unsere Arbeit ein Zwischenergebnis darstellt, um ein genaueres Bild über das isländische Perfekt zu erhalten, und dass dieses Bild auch zu einer umfassenderen Darstellung des Perfekts in anderen Sprachen führen wird11. Bibliographie Anderson, Lloyd B. 1982. 'The "perfect" as a universal and a language-specific category'. In: Hopper, Paul J. (ed.), Tense-Aspect: Between semantics & pragmatics. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins [Containing the contributions to Symposium on tense and aspect, held at UCLA, May 1979, 3-18] Binnick, Robert I. 1991. Time and the Verb. 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A Journal of English Letters and Philology 14: 11-20. 83 Povzetek ISLANDSKI PERFEKT S POMOŽNIKOM HAFA V ČASOPISNIH ČLANKIH Prispevek je posvečen islandskemu perfektu s pomožnikom hafa na podlagi podatkov, pridobljenih iz novejših časopisnih člankov. Trdi se, da je osnovna naloga perfekta sedanjika v islandščini povezovanje preteklih dogodkov s položajem v trenutku govorjenja, v katerem se nahaja govoreči; ta definicija je v ostrem nasprotju z definicijo preterita, ki izraža zaključenost preteklega dogodka. Avtorja predlagata misel, da odloča o pomenu perfekta sedanjika stališče govorečega (nemško Sprechersicht). Omenjata tri področja, na katerih se uveljavlja stališče govorečega, namreč prihodnost, komentar in čustvenost; področja se delijo na devet podpodročij. V prispevku se preučujejo lastnosti/značilnosti, ki se pogosto omenjajo pri obravnavi angleškega perfekta sedanjika (to so relevantnost v trenutku govorjenja, prislovna določila določnega pomena, brezčasni pridevniki). Avtorja navajata, da je razlog za drugačno vedenje islandskega perfekta sedanjika v okolnosti, da govoreči tvorno sodeluje pri interpretaciji tega glagolskega časa. 84