Muzikološki zbornik Musico!ogical Annual, XX, Ljubljana 1984 UDK 781 .6(437) Haba JiM Vyslouzil ALOIS HABA HEUTE Brno 1. Genau vor zehn Jahren erschien im Prager Verlag Panton tschechisch mein Buch "Alois Hâba. Leben und Werk" (1974), dessen Manuskript ich durch traurigen Zusammenfall von Umständen gerade am Tage des Ablebens des Komponisten (Haba starb am 18. November 1973 in Prag, geboren wurde er am 21.6.1893 in Vizovice in Mähren) beendet hatte. Der Interessent vom deutschen Sprachgebiet hat die Möglichkeit, sich mit dem Inhalt des Buches in dem zieml ich umfassenden deutschen Resumé (auf S. 402-453)1 bekannt zu machen. In der Zwischenzeit bin ich auf Hâbas Werk mehrmals zurückgekommen, ausser anderem in den deutsch verfassten Betrachtungen "Alois Hâba . Mann des musikalischen und politischen Fortschritts" (Auszug davon gedrückt im Protokoll: Hanns-Eisler-Kolloquium, Akademie der Künste der DDR, Berlin 1974), "Zu Habas Auffassung der Zwölftonmusik" (vorgetragen an der Universität in Basel und in Freiburg i. Br., 1978) und "Alois Hâba und die Dodekaphonie" (gedruckt in: Schweizerische Musik-Zeitung 118/1978). Mit Hâbas Vierteltonoper auf eigenen Text "Die Mutter" (Matka) op. 35 befasse ich mich im breiteren Kontext der Mikrointervallmusik in der englischen, deutschen und französischen Textbeilage der vollständigen Schallplattenaufnähme des Werkes (Supraphon, Praha 1980). Jetz wende ich mich also von neuem an den deutschen Leser mit einer aktuellen Betrachtung über Alois Hâba, diesmal mit zeitlichem Abstand, der es erlaubt, manche Dinge ohne jene persönliche Befangenheit zu sehen, welcher sich ein Monographist, der sich mit dem Objekt seines Studiums von nächster Nähe vertraut zu machen hatte, nicht erwehren konnte. Was für ein Bild ergibt nun Alois Hâba nach zehn Jahren? 2. Alois Hâba ist gemeinsam mit Bohuslav Martinu zu denjenigen tschechischen Komponisten des gipfelnden 20. Jahrhunderts zu zählen, deren Werken man das Merkmal einer breiteren 1 Ich verweise auf diese Schrift, soweit es sich um ausführlichere biographische, musikhistorische und analytische Fakten handelt. 55 internationalen Kenntnis und Bedeutung nicht ableugnen kann. Der an Kompositionszahl ungemein fruchtbare Martinu wird natürlich bei weitem mehr gespielt und von der Hörerschaft dankbar aufgenommen. Von der Stellung Martinus in der Musik der Epoche spricht der ganz wesentliche allgemeine Umfang der Rezeption seines Werkes, den man leicht statistisch belegen könnte. Hingegen für die Bewertung Hâbas künstlerischer Bedeutsamkeit bringt der Rezeptionsfaktor keine so überzeugenden Argumente. Er ist kein Komponist der grossen Konzert- und Theatersäle, von seinen 103 numerierten Opera hat sich nur ein kleinerer Teil im Bewusstsein der Interpreten- und Publikumgemeinschaft eingebürgert. Einige (sogar auch bedeutende) Musikwerke wurden gar nicht aufgeführt, und nicht immer war es die anspruchsvolle und ungewöhnliche Interpretationsweise (ein Argument, das sich übrigens nur auf die Mikrointerval1 werke beziehen könnte), die die Aufführung verhinderte. Manchmal ging es um bloss politische Erwägungen, wie zum Beisp. im Falle der "Zwölfton-", d.h. der Halbtonoper "Die neue Erde" op. 47 (Nova zemë, 1936), die auf ein Libretto nach dem Roman des sowjetischen Schriftstellers F. Gladkow komponiert wurde. Das Werk wurde zwar unmittelbar nach der Vollendung von Vaclav Tal ich zum Einstudieren im Prager Nationaltheater aufgenommen, doch musste es schliesslich, einem behördlichen Eingriff zufolge, vom dramaturgischen Plan eingezogen werden, mit der Begründung, es möge möglicherweise bei den Vorstellungen auf der ersten Staatsbühne zu keinen unerwünschten politischen Kundgebungen kommen, wie es bei der tschechischen Uraufführung von Bergs "Wozzek" geschehen war. Ähnliche politisch motivierte Eingriffe braucht man heute nicht zu befürchten. Trotzdem ist kein einziges tschechisches Theater bisher auf die Idee gekommen, durch eine Bühnenaufführung die musikalische und szenische Lebenskraft eines Werkes zu überprüfen (es gibt nur eine Schallplattenaufnahme des Vorspiels und eine Rundfunkaufnahme einiger Probeausschnitte), dessen historische Bedeutung im Kontext der avantgardistischen Musiktheaterproduktion der Zwischenkriegszeit nicht zu bezweifeln ist. Paradoxerweise hat A. Hâba selbst durch seine fanatische Schaffenslust zum Entstehen der Vorstellung beigetragen, als ob er lediglich eine interpretatorisch schwer durchführbare und für den Hörer unverdauliche, d. h. "falsche" Mikrointervallmusik komponiere. Mit so einer vereinfachenden Auffasung darf sich natürlich ein kritischer Beurteiler nicht zufriedengeben. Ausserdem ist eine gute Hälfte von Hâbas Opera im temperierten Halbtonsystem komponiert, und ebenfalls sein theoretisches Chef d'oeuvre "Neue Harmonielehre des diatonischen, chromatischen, Viertel-, Drittel-, Sechstel- und Zwölftel-Tonsystemes" (1927, 21928) setzt sich mit verschiedenen Halbtonsystemen (dem Modal-Dur-Mol 1 -, "erweitert tonalen" und "atonalen" System) auseinander, auf denen Hâbas Auffassung der Mikrotonali tat (Mikrointervallsysteme werden als klanglich schärfer differenzierende und reicher nuancierende Modifikationen von Halbtonsystemen aufgefasst) aufgebaut ist. 3. Obzwar wir uns einerseits genötigt sehen, Hâbas Position im Lager der Halbtonkomponisten verteidigen zu müssen, sind wir anderseits keineswegs gewillt, vor der Tatsache zu weichen, dass er in erster Linie bestrebt war, auf der Basis der 56 Mikrointerval!systeme zu einem der Schöpfer der musikalischen Sprache der Epoche zu werden, und dass er diesem Ziele einen wesentlichen Teil seiner gesamten Lebensenergie gewidmet hat. Gleich in seinen frühen künstlerischen und theoretischen Vorhaben nahm die Herausbildung einer MikrointervalImusik auf modernen Kompositionsgrundlagen die erste Stelle ein. Die Idee verdankt ihre Geburt weder einem Zufall noch dem Eigenwillen ihres Urhebers, sondern sie wurde durch mehrere subjektive und objektive, autonom musikalische und musikhistorische Faktoren ins Leben gerufen. Von den subjektiven Faktoren sind Habas ausserordentliches Gehör, sein famoses musikalisches Gedächtnis und sein durch Studium moderner Werke erworbenes analytisches Vermögen, von denen ich mich bei meinen häufigen persönlichen Kontakten überzeugen konnte, besonders hervorzuheben. Dieses ungemein empfindliches musikalisches Organ vermochte auf alle objektiven Anregungen der klanglich differenzierten Sprach- und Musikerscheinungen zu reagieren und sie bewusst zu registrieren. Seine Neigung zur intensiven Tondifferenzierung kam schon in Hâbas autodidaktischen Werken zum Vorschein und machte ihn auch bald zum Bewunderer Â. Schönbergs, dessen Werk er in den Jahren 1918-20 als Korrektor des Verlags Uni versai-Edition und Besucher von Veranstaltungen des Vereins für musikalische Privataufführungen (in beide Institutionen wurde er von seinem zukünftigen Freund H. Eisler eingeführt) kennengelernt hatte. Â. Schönberg faszinierte den jungen Hâba durch seine Auffassung der Harmonie und'Tonal i tat (oder "Atonal i tat") , wie es auch aus einigen frühen Opera Hâbas (op. 2, 3 und 6) ersichtlich ist. Die Meisterung der vollständigen Zwölfton-Chromatik bedeutete den ersten wichtigen Schritt, um in die neuen, klanglich differenzierten Systeme durchzudringen. Der zweite wichtige Schritt war F. Busonis Aufforderung zur Einführung der Mikrointervalle in die zeitgenössische Kompositionstechnik (in: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, 1917) .2 A. Hâba beantwortete diese Aufforderung unverzogen, indem er sein erstes Mikrointerval!werk, das Streichquartett Nr. 2 im Vierteltonsystem op. 7 (1920) niederschrieb und seine Studien der arabischen Mikrointerval!- ( "Viertel ton-") Monodie im berühmten Stumpf- und Hornbostelsehen phonographischen Archiv in Berlin aufnahm, Studien, die seine musikalischen Eindrücke von den ersten empirischen Berührungen mit Mikrointervallen in der väterlichen Fol klorekapelle (in der Heterophonie der walachischen Sänger und Instrumental i sten) wiederbelebt haben.3 Busonis Idee erweckte auch im Lager der Halbton--Avantgardisten Interesse. Béla Bartók zum Beisp. schrieb über die Perspektive der MikrointervalImusik schon im Jahre 1920 wörtlich folgendes: "Die Zeit der Verteilung des halben Tones (vielleicht ins Unendliche?) wird jedenfalls kommen, wenn auch nicht in unseren Tagen, sondern in Jahrzehnten und Jahrhunderten. Doch wird sie ungeheure technische Schwierigkeiten, wie zum Beispiel die Neugestaltung des Baues der Tasten- und der 2 Für Haba war die Bekanntmachung mit Busonis "Ästhetik der neuen Musik" von grösserer Bedeutung als das Anhören von Klangdemonstrationen der Vierteltöne auf einem speziell adaptierten Harmonium W. von Moellendorfs, dessen öffentlichem Auftreten in Wien im Jahre 1917 er beigewohnt hat. 3 A. Hâba war ihr aktives Mitglied. Seiner ersten empirischen Begegnungen mit Mikrointervallen gedenkt er in einer Reihe von Schriften, das 57 Klappeninstrumente, zu überwinden haben, ganz abgesehen von den Intonationsschwierigkeiten für die menschliche Stimme und all jene Instrumente, bei denen die Töne zum Teil durch Fingeraufsatz fixiert werden; dieser Umstand wird das Leben des Halbtonsystems höchstwahrscheinlich mehr, als künstlerisch notwendig ist, in die Länge ziehen" .4- Trotz der vorausgesehenen Schwierigkeiten verkürzte Hâba die Perspektive der "Jahrzehnte oder Jahrhunderte" auf wenige Jahre und verwandelte das Mikrointerval1-Phantasma ins reale Faktum einer neuen Musik, und zwar gleich in einigen Richtungen, indem er a) ein theoretisches System der horizontalen und vertikalen Mikrointerval!Organisation herausbildete (Bildung von Notationszeichen und Terminologie und expressi visch--psychologisehe Begründung des Sinnes der Mikrointerval1 e im Tonsatz eingerechnet) - ab 1920*, b) instrumentale und vokale Mikrointerval!kompositionen (einschliesslich der Oper) schuf (Mikrointerval1musik komponierte Hlba sein ganzes Leben lang, sein letztes Mikrointerval1 werk ist das Streichquartett Nr. 16 im Fünfteltonsystem op. 98 aus dem J. 1967) - ab 1920; c) den Entwurf für Konstruktion und Herstellung von Tasten- (Vierteltonklaviere , Viertel- und Sechsteltonharmonium) und Klappeninstrumenten (Vierteltonklarinette und -trompete) erarbeitete und die Interpreten in die spezifische Problematik der Spiel- und Gesangtechnik einführte - ab 1924. Hâbas Stellung in dem wenig zahlreichen Lager von Anhängern der Mikrointervallmusik wird anhand folgender Vergleiche deutlich: Alle seine Vorgänger stellten entweder nur theoretische Überlegungen über die Mikrointervalle an (F. Busoni, auch W. von Moellendorf u. a.), oder befassten sich mit der Interval !komposition nur versuchsweise (R. H. Stein, Ch. Ives, S. Baglioni, G. M. Rimski-Korsakow u. a...) . B. Bartok und G. Enescu gebrauchten die Mikrointervalle nur in wenig Werken, und das nur in Form vom melodischen AIterationen.5 Systematisch hat sich mit der MikrointervalImusik neben Hâba und einigen seinen Schülern (von den bedeutenderen sind etwa S. Osterc, K. Reiner, M. Pone zu nennen) nur der Russe Ivan Wyschnegradsky befasst.6 Mit seinem Vierteltonwerk konnte er sich jedoch, wie es scheint, weder international noch daheim in Paris, wo er seit dem Jahre 1922 lebte, nicht durchsetzen.7 Er erreichte keine Veröffentlichung seiner Werke durch Druck oder auf Schal 1 platten. Bei den sporadischen Konzertaufführungen seiner Werke war er auf ein Provisorium, d. h. auf normale, um einen letzte Mal in der Autobiographie Mein Weg zur Viertel- und Sechsteltonmusik, Düsseldorf 1971, S. 12 ff. Die Mikrointervalle der ostmährisehen (auch walachischen) Folklore haben bereits L. Janâcek und seine Mitarbeiter, sowie einige zeitgenössische Ethnomusikologen beachtet. 4 Das Problem der neuen Musik, Melos I - 1920, Nr. 5. Zitiert aus dem Buche Bela Bartok, Musiksprachen. Aufsätze und Vorträge. Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1972, S. 170, Ed. B. Szabolcsi und Ch. Kaden. 5 Vgl. meine Studie L'origine, l'apparition et la fonchon du quart de ton dans l'oeuvre de George Enesco, in: Studii de musicologie, Bucuresti, IV-1968, S. 253-9. 6 Über Wyschnegradsky vgl. L. Gayden, Ivan Wyschnegradsky, M. P. Belaieff, Frankfurt 1973, J. Vyslouzil, Ivan Vysnegradskij, Rapitola za 58 Viertelton voneinander gestimmte Halbtoninstrumente, angewiesen.^ A. Hâba gelang es hingegen9 mit seinem Werk schon in der Zwischenkriegszeit in die Reihen der bedeutsamen, avantgardistische Musik fördernden Medien (Festivals ISCM, Donaueschingen, Konzerte der tschechischen Avantgardevereine und -gruppen, Verlag Universal-Edition) durchzudringen. Nach dem Jahre 1953 wurde dann von den tschechischen Verlagen Supraphon, Panton und Dilia und vom Tschechischen Musikfonds ein beträchtlicher Teil Hâbas neuer Werke sowohl gedruckt als auch auf Schallplatten herausgegeben. Durch den Verdienst hauptsächlich tschechischer Künstler ist auch das Interpretationsniveau von Hâbas Mikrointervallwerken (seine Oper Die Mutter wurde zweimal, im J. 1947 und 1964, einstudiert und aufgeführt) wesentlich gestiegen. 4. In Anbetracht der Bedeutung Hâbas von breiterer Sicht der neuen Musik kann man das Kriterium der Stilcharakteristik nicht ausser acht lassen. Der Komponist selbst hat uns diese Aufgabe zum Teil erleichtert, indem er nach kritischer Erwägung seine versuchsweise geschriebenen Mikrointerval1kompositionen in sein Oevre nicht miteingereiht hat. In einigen Fällen können wir uns auch auf die Überprüfung seiner Werke durch die Gesellschaftspraxis stützen. Die exakteste und verlässlichste Antwort gibt jedoch eine komplexe Stilanalyse, aus der folgt, dass keine grundsätzlichen stilistischen/formbildenden Unterschiede zwischen Hâbas Halbtonkompositionen und seinen Mikrointervallwerken bestehen, sondern dass sie insgesamt vielmehr Merkmale derselben künstlerischen und schöpferischen Individualität tragen. Im Unterschied zu einigen Avantgardisten beabsichtigte A. Hâba keineswegs, mit seinen Mikrointervallen eine absolut neue ("nie gehörte") Musik zu schaffen, sondern nur der Musik durch verfeinerte und gesteigerte Tondifferenzierung eine geschärfte Expressi vi tat zu verleihen. Damit muss sowohl der kritische Beurteiler als auch der Hörer rechnen. In den berühmten Totenklagen (Nänien) der Klageweiber aus dem ersten Bild der Vierteltonoper "Die Mutter" werden beispielsweise für die gesteigerte Expressi vi tat der gedrückten, "finsteren" szenischen Atmosphäre überwiegend enge "Moll-"Intervalle (tiefe kleine Sekunden)? verwendet. Das charakteristische Beispiel zeigt zugleich die Beziehung des mikrotonalen Oeuvre Hâbas zu den lebendigen Folkloreidiomen der heimatlichen Mährischen Walachei. Die expressi vi sehe (theatralische) Wirkung der Szene ist einmalig, das Beispiel sollte tatsächlich in keiner Musi kanto!ogie des 20. Jahrhunderts zapomenuttfeh hudebnich avantgard (Ivan Wysehnegradsky. Ein Kapitel aus den vergessenen Musikavantgarden), tschechisch in; (Opus Musicum I -1969, Nr. 2, S. 36-40 und G. Eberle, I. Wysehnegradsky, ein Pionier der Ultrachromatik, in: Neue Zeitschrift für Musik, CXXXV - 1974, S. 549-555. 7 Wysehnegradsky vertrat gemeinsam mit Schönbergs Schüler Max Deutsch und einem anderen Exponenten des Schönbergismus und Webernismus Rene Leibowitz im neoklassizistisch orientierten Paris der Zwischenkriegs zeit den wenig zahlreichen expressionistischen Flügel der musikalischen Avantgarde. Wysehnegradskys Expressionismus war russischer Provenienz, konkret ein Produkt des Einflusses A. Skrjabins. 8 Unter den Interpreten von Wysehnegradskys Werken ist auch P. Boulez 59 fehlen. Für eine ganz gegensätzliche Wirkung werden breitere "Dur-Mntervalle genutzt, deren "heller" Ausdruck durch mikrointerval1 massige Erhöhungen (beispielsweise Erhöhung der Dur-Terz zu einer hohen Dur-Terz) gesteigert wird.9 Eine andere Äusdrucksalternati ve stellt die Neutralisierung der charakteristischen Dur- oder Moll interval le9 der Terz und der Sexte dar9 was durch Erhöhung um einen Viertelton zur "hohen Moll-" oder "tiefen Dur-Terz oder -Sexte" (also zu neutralen Intervallen)9 erreicht wird. In heterogenen Musikgattungen (in Kompositionen mit Text oder mit einer Programmintention) lässt sich dieses wichtige Merkmal der Hâbaschen Musikpoetik auf Grund der Analyse überzeugend beweisen. Das Prinzip der Mikrointerval 1 expressivität entfaltet A. Hâba jedoch auch in musikalisch autonomen9 d.h. rein instrumentalen Werken, mögen sie für ein Soloinstrument (z. B. Fantasie op. 9a und Musik op. 9b für Violine) oder für Kammerensembles (Streichquartette Nr. 11 op. 879 Nr. 12 op. 90, Nr. 14 op. 949 Nr. 16 op. 98) geschrieben sein. 5. Trotz der Logik der musikalischen Form und der bestrebten Äusdruckseffektivität9 auf denen Habaš Mikrointerval1 poeti k aufgebaut und künstlerisch realisiert wird9 bleiben einige Grundfragen offen. Wir kommen von neuem auf die prognostischen Überlegungen Bartdks vom Jahre 1920 zurück, der schliesslich sein Verhältnis zur Mikrointervallmusik als Komponist ganz nüchtern in wenigen Stellen seines Streichquartetts Nr. 6 (1939) und etwas konsequenter in der Sonate für Violine Solo (1944), freilich auch in diesem Werke nur auf melodischer Grundlage, ausgedrückt hat. Das Problem liegt jedoch nicht allein in der Meisterung des intonationsmässig anspruchsvollen spezifischen Musikmaterials10- und in der engsten Verknüpfung der musikalischen Vorstellungen (des musikalischen Denkens) mit der Motorik des Instrumentenspiels oder mit den Schwingungen der Stimmbänder, deren Ergebnis dann die Leistung des Interpreten ist. Das Problem liegt auch im Niveau des ästhetisch-psychologischen Wahrnehmens eines Mikrointerval1 Werkes. Wir wollen nun die Frage aufwerfen, inwieweit auch der durch die moderne Halbtonmusik erzogene Hörer (denn nur um einen solchen kann es sich hier handeln) gewillt und fähig ist, die melodisch-harmonischen Mikrointerval1 idiome in den beabsichtigten ästhetischen Kategorien wahrzunehmen. Beim Transfer der semantisch--syntaktisehen Information wirkt natürlich das Musikwerk in seiner Total i tat, d. h. mit allen seinen Schichten und Bestandteilen. Nichtsdestoweniger lässt sich im voraus nicht ausschliessen , dass das Einsetzen von Mikrointerval1 en die ästhetische Wirkung einer im Sinne der musikalischen Logik exakt komponierten Ganzheit wesentlich stören kann. Vorläufig gibt es keine ausreichende Menge musikalischpsychologischer Analysen von Hörerreaktionen. Ich selbst kann mit einigen charakteristischen empirischen Beispielen aufwarten. Dabei bin ich mir bewusst, dass ich die oben gestellte Frage damit nur teilweise beantworten kann. und S. Nigg zu finden, vgl, L. Gayden, S. 23. 9 Insgesamt Hâbas Termini aus der Neuen Harmonielehre... (1927). 10 Darauf hat P. Andrasehke durch eine Frequenzanalyse von Interpretenleistungen in seiner Studie Kompositionsart und Wirkung von 60 Bei der ersten Vorstellung der Vierteltonoper "Die Mutter" auf dem Maggio musicale Fiorentino im Jahre 1964 habe ich erlebt, wie ein Teil des Opernpublikums sich gleich nach den ersten Takten der Introduktion fliehend aus dem Saal des berühmten Barocktheaters Pergola davonmachte, während bei der Aufführung desselben Werkes am folgenden Tage sich nichts dergleichen mehr wiederholte, und das Verhalten des Publikums hätte man als aufmerksam und teilnehmend bezeichnen können. Die Erfahrungen mit dem Kammermusikpublikum, das mehr gewöhnt ist, moderne Musik zu hören, sind eher positiv. Bei einem Konzert des Münchener Studios für neue Musik im Jahre 1963 hat sich das dortige musikalisch kultivierte Publikum eine Wiederholung des Streichquartetts Nr. 14 op. 94 im Vierteltonsystem erzwungen. Bei einigen Gelegenheiten konnte ich auf Kammerkonzerten in Prag (1975) und im Ausland (Jugoslawien 1982 u. a.) begeisterte Aufnahme der Viertel tonstücke op. 9a und 9b u. a. feststellenJI Positive Anklänge beim Publikum sind auch durch die positiven kompositorischen Widerspiegelungen in Werken der musikalischen Neoavantgarde zu ergänzen. Alle lassen sich natürlich nicht auf die Reflexion des Werkes von Häba zurückführen; in diesen Bereich verfallen offenbar Widerspiegelungen bei Anhängern der tschechischen und jugoslawischen Komponistenschule, die u. a. auch durch Hâbas Lehrtätigkeit und sein persönliches Beispiel dazu veranlasst wurden. Das Vorkommen von Mikrointervallen im Werke der polnischen (Lutosjawski , Penderecki) und italienischen (Nono) Neoavantgarde sind einer anderen Provenienz und fussen auf unterschiedlichen stilistischen Prämissen (auf der Timbremusik u. ä.). Einer der führenden sowjetischen Komponisten Rodion Konstantinowitsch Schtschedrin kannte höchstwahrscheinlich Hâbas "Klagelieder" nicht, trotzdem benutzte er diese Gattung des mikrointervallartigen Folklorgesangs in seiner hervorragenden Oper "Die toten Seelen" aus dem Jahre 1976 (die sonst in Halbtönen komponiert ist) und erreichte damit, ähnlich wie Haba, einen einmaligen ästhetischen und szenischen Effekt. Die Mikrointervallmusik, deren musikalischer Sinn von den Psychologen, Akustikern und Anhängern der natürlichen Grundlagen von Tonsystemen stark bezweifelt wurde, wich also von der Musikperspektive der Epoche nicht, wenn auch ihre heutige Stellung nicht den phantastischen Vorstellungen Hâbas von den zwanziger Jahren, sondern eher der nüchternen Prognose Bartoks entspricht. Der Prozess ist allerdings nicht abgeschlossen. Neue Erfahrungen von den Werken einer Reihe von Zeitgenossen zeigen, dass zum Beisp. die intonationsmässig exakte Produktion von Mikrointerval!en auf elektroakustischem Wege zu einem neuen positiven Moment werden könnte. 6. Es bleibt noch übrig, sich im Überblick auch mit der Halbtonmusik zu befassen, die in Hâbas Oeuvre eine mit der MikrointervalImusik gleichwertige, vom Gesichtspunkt des A. Hâbas Musik im Sechsteltonsystem, in: Huâba stovanshjch navodu (Music of the Slavonic Nations), Brno 1981, Ed. J. Vyslouzil -R. Pecman, hingewiesen. 11 Zu einer positiven Bewertung kommt es auf Grund eines von P. Andraschke durchgeführten Anhörungstestes. In der Anm. 10 der zitierten Studie, 61 Kompositionsstils geradezu ausschlaggebende Stellung einnimmt. Es geht uns nicht so sehr um die Zahl oder Gattungsvielfalt seiner Haibtonwerke ,12 sondern eher um die Grundprinzipien, auf denen Habas persönlicher Kompositionsstil fusst. Richtungsgemäss ist er auf zwei Gebiete orientiert: auf den Neofolklorismus und auf den Expressionismus. a) Hâbas Neofolkl orismus stützt sich auf die archaische ostmährische Metrorhythmik (die zum Teil durch Asymmetrie, zum Teil auch durch quadraturfreie Symmetrie gekennzeichnet ist) und Melodik (die zum Teil von der Modalität und von den freien rhythmischen Formen der Folkloretexte generiert ist). Durch die Bearbeitung der Folkloreidiome wurde eine Befreiung des musikalischen Denkens von der funktionalen Dur-Mol 1-Syntax der periodischen Formen herbeigeführt und Verbindung zwischen der tschechischen Musik der Zwischenkriegszeit (der späte L. Janaèek, B. Martino) und der ungarischen Musik mit B. Bartok an der Spitze, d. h. zwischen den beiden wichtigsten am Neofolkl orismus orientierten Schulen der neuen Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herstellt. b) Des Expressionismus wird vom stilistischen Gesichtspunkt her oft charakterisiert als radikales Überschreiten der musikalischen Normativen der funktionalen Dur-Mol 1-Tonal i tat und der symmetrischen Formen durch die "Atonal i tat" und durch freie (athematische), d. h. an die Thematik und die musikalische Periodizität nicht streng gebundene Formen, die durch spontan exaltierte musikalische Expression intensiv durchlebte seelische Zustände des Subjekts zum Ausdruck bringen. Wenn wir die .Stil prinz.i pien des Neofolkl orismus mit denen des Expressionismus vergleichen, kommen wir zur Einsicht, dass es keine absolut gegensätzliche Grössen sind. Dies beweist auch der persönliche Kompositionsstil Bartóks, der eine Synthese von mehreren Richtungstendenzen darstellt. Vereinigung oder gegenseitige Durchdringung beider Richtungstendenzen weist auch Hâbas Kompositionsstil auf. c) Hâbas Kompositionsstil zeichnet sich allerdings durch etliche Besonderheiten aus. Vom stilistischen Gesichtspunkt ist er "expressionistischer" als der des späten Janaèek, in der Überschreitung der klassisch-romantischen Normativen ist er jedoch bei weitem nicht so radikal und konsequent wie der Expressionismus Schönbergs und seiner Schule. Das Streben nach maximaler ausdrucksgerechter Ausnutzung der verschiedenen Tonsysteme, des Twölfton- (chromatischen), Mikrointerval 1 - (bichromatischen, trichromat!'sehen u. a.), ja auch Siebenton- (diatonischen) -Systems führt nie zur "Atonal i tat" , der A. Hâba durch das Prinzip der Tonzentral i tat (als Ersatz für die frühere Zentral i tat der harmonischen Funktionen) standzuhalten weiss. Deshalb ist es gar nicht richtig, wenn man wiederholt über den "atonalen" Charakter von Hâbas Werken spricht.13 Wirkliche (Schönbergsche) "Atonalität" kommt bei A. Hâba in der Tat episodisch vor (im Klavierstück Nr. 1 op. 6). Die kardinalen "Zwölfton-"Werke Toccata quasi una Fantasia für Klavier op. 38 (1931), Fantasie für Nonett Nr. 1 op. 40 (1931), symphonische Fantasie Der Weg des Lebens op. 46 (1933) und die Oper "Die neue Erde" sind infolge der Anwendung S. 238, schreibt er: "Trotz des klanglich Neuen erscheint aas Stück (Streichquartett Nr. 11 im Sechsteltonsystem op. 87, Anmerk. J.V.) aber insgesamt klar und bei aller Kompliziertheit (und deswegen Anstrengung des Hörens) durchschaubar und wirkt eher natürlich als 62 der Tonzetralität durchaus nicht als "atonal" aufzufassen. "Atonal" sind nicht einmal Hâbas dodekaphonische und punktualistische Werke seiner letzten Schaffensperiode, in denen es hie und da zu einer interessanten Durchdringung der Modalität in eine zwölftonartig strukturierte Serie kommt (Andante cantabile des Streichquartetts Nr. 13 op. 92, 1963). Ihre Besonderheiten hat auch Hâbas Athematik. Als formbildendes Prinzip stellt sie eine Art musikalische Prosa14 dar, wo es im Unterschied zu Schönberg, zu Wiederholung von metro-rhythmischen Formen kommt und dadurch auch der Aufbau einer grösseren Kompositionseinheit ermöglicht wird.1^ zum Beisp. Der Weg des Lebens op. 46, Hâbas bedeutendstes Orchesterwerk, ist formgemäss eine einsätzige athematische Makrostruktur. Hâbas musikalische Prosa ist im Unterschied von der rhytmisch ungebudenen musikalischen Prosa Schönbergs instrumentaler Stücke und des Monodramas "Erwartung" op. 17 (1909) eine rhythmisierte musikalische Prosa. In ihrer Überwindung des Krisenmomentes der postromantischen Form bedeutet sie, ebenso wie die Einführung des Prinzips der Tonzentral i tat, einen Schritt nach vorne. Durch diese Feststellungen haben wir auch schon Habas Verhältnis zu A. Schönberg gestreift. A. Haba hielt sich selbst nur zum Teil für einen Anhänger des Schönbergschen Expressionismus. Wir konnten auf Grund der Analyse seines Kompositionsstils aufzeigen, worin er sein eigener ist. 7. In diesem letzen Schlussabsatz wollen wir noch einmal kurz auf die Frage der heutigen und zukünftigen Rezeption von Hâbas musikalischem Erbe eingehen. Die Perspektiven sehen wir in zwei Richtungen: erstens ist es die fachmännische (theoretische, kompositionsgebundene) Rezeption des Oeuvre als eines stilgemäss ungemein dynamischen Vermächtnisses der klassischen Moderne unseres Zeitalters*, zweitens ist es die Interpreten- und Hörerrezeption, an die zu glauben wir angesichts der hohen Werte von Hâbas Musik auch allen Grund haben. Wir geben allerdings zu, dass der zweite Typ der Rezeption aus Gründen, die wir in der These Nr. 5 unserer Studie analysiert haben, ziemlich spezifisch ist. gekünstelt". 12 In einer kurzen Bemerkung wollen wir wenigstens die wichtigsten Gattungskreise ins Gedächtnis bringen: Klavierwerke, Kammerkompositionen (namentlich die Streichquartette und die vier Sonette), die symphonische Fantasie Der Weg des Lebens op. 46, das Konzert für Violine op. 83 und für Viola op. 86. IS Letztlich in der Studie von J. Jirânek Alois Hâba, cesktj prorok hudebniho expresionismu (Alois Haba, der tschechische Prophet des musikalischen Expressionismus). In: Muzikologicke etudy (Musikologische Etüden), Praha 1981, S. 141. 14 Als musikalische Prosa bezeichnet A. Schönberg das asymmetrische und quadraturfreie formbildende Prinzip. Vgl. seinen analytischen Essay Brahms, der Fortschrittliche, in: Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, S. Fischer 1976, Ed. Ivan Vojtëch. Der Terminus wird von der gegenwärtigen Musikologie verwendet. 15 Einen konstruktiven formbildenden Faktor stellen auch das Tempo und der Ausdruck dar, durch die die inneren Formeinheiten des musikalischen Satzes abgegrenzt sind. In Kompositionen aus den zwanziger und 63 POVZETEK Iz obseženega opusa A. Habe se je doslej utrdilo v zavesti interpretov in obèinstva le relativno malo del. To pa je razumljivo, èe vemo, da se je Hâba v prvi vrsti prizadeval, da postane s svojim sistemom mikrointervalov tvorec glasbene govorice epohe. Njegova èetrttonska dela se namreè niso mogla širše uveljaviti niti na Èeškoslovaškem niti v svetu. Vac pa je Hâbi uspelo, da si je ze med obema vojnama pridobil pozicijo v pomembnih domaèih in inozemskih medijih, ki so se zavzemali za avantgardno glasbo. Po letu 1953 so razne èeške založbe izdale znaten del Edbinih novih del bodisi kot glasbene edicije ali kot zvoène posnetke. Razen tega se je v zadnjih desetletjih ob prizadevanju èeških glasbenih umetnikov bistveno poveèala reprodukcija mojstrovih del. Vsekakor pa je treba poudariti, da naèelno ne obstajajo med njegovimi mikrotonskimi in poltonskimi kompozicijami - le-te zavzemajo kar dobro polovico celotnega opusa - nikakršne stilne razlike s saj kažejo ene in druge peèat iste ustvarjalne osebnosti. S prefinjeno in stopnjevano tonsko diferenciacijo je Hâba hotel doseèi le zaostritev ekspresivnosti. Seveda pa se z uporabo mikrointervalov pojavi specifièna problematiènost, ki ni le v obvladanju zahtevnega glasbenega gradiva, ampak tudi v percepciji mikrointervalske kompozicije. Gre torej za vprašanje, koliko je poslušalec, ki je vajen samo moderne poltonske glasbe, pripravljen in sposoben dojemati melodiène in harmonske svojstvenosti takšne kompozicij e. Seveda doslej še ni bilo narejenih dovolj muzikalno psiholoških analiz reagiranja poslušalcev v tej smeri, da bi lahko na to vprašanje doloèneje odgovorili. Èeprav se ime skladatelja Habe pojavlja najveèkrat v zvezi s èetrttonsko glasbo, ne smemo pozabiti, da zavzema v njegovem opusu poltonska glasba enakovredno in stilno celo odloèujoèo pozicijo nasproti èetrttonski. Nasploh se Hâba stilno opira na neofolklorizem in ekspresionizem. Njegov neofolklorizem izhaja iz arhaiène metroritmike in melodike moravske ljudske glasbe. Sicer pa ni njegov ekspresionizem v preseganju klasièno-romantiènega normativa še zdaleè tako radikalen in dosleden kot je Schönbergov. Hâbina dela namreè z redkimi izjemami v bistvu niso atonalna, ampak temelje na principu tonskih centrov, ki nadomešèajo nekdanjo centralnost harmonskih funkcij. dreissiger Jahren strebte A Hâba nach konsequenter Athematik. In seinem Spätwerk Hess er thematische Niederkehr zu, nur selten jedoch im Sinne der klassischromantischen periodischen Formen. Das Nonett Nr. 3 op. 83 (1953) zum Beisp. ist monothematisch, doch seine innere Form ist sehr locker und verlässt nicht die Idealgestalt der freiesten Form, der Fantasie. 64