Johann Gottfried Herder und die Slowenen Slowenische Schriftsteller, Dichter und Volksliedsammler haben sich – wenn überhaupt – nur peripher mit den Ideen Herders befaßt. Zwar hat Herder das Sammeln von Volksliedern bei einigen slawischen Völkern initiiert, nicht aber bei den Slowenen. Die ältesten Berichte über slowenische Volkslieder sind zufällige Notizen, denen keine volkskundliche Intention zugrunde lag. Erst am Ende des 18. und in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, also in der Zeit der Aufklärung und der romantischen Bestrebungen bei den Slowenen, erwachte auch deren Interesse an der Volkskunst, jenes für slowenische Volkslieder allerdings entstand bereits um 1775, also noch vor der Veröffentlichung von Herders Büchern und vor dem Einfluß durch die deutsche romantische Schule, und zwar als Echo auf die Lieder des Barden Michael Denis.1 Der erste slowenische Dichter, der damit begann, Texte von Volksliedern zu sammeln, war Valentin Vodnik (1758-1819). Seine Sammlung (um 1795) ist leider nicht erhalten. Auch der zweite für die slowenische Aufklärung bedeutende Dramatiker und Historiker, Anton Toma Linhart (1756-1795), zeigt sich in seinen Liedern nicht von Herder beeinflußt, sondern eher von Übersetzungen und eigenen Liedern von Johann Michael Kosmas Peter Denis. Denis (1729-1800) war Jesuit und Professor am Theresianum in Wien, von 1784 bis 1800 Bibliothekar an der Wiener Hofbibliothek; er schuf verschiedene Werke bibliographischer und bibliothekskundlicher Art, aber auch Bardendichtung in der Nachfolge von Klopstock und Ossian. Die Einflüsse von Ossian zeigen sich in den Versen und im poetischen Stil von Denis.2 Auch Pater Marko Pohlin, der Redakteur des Almanachs Pisanice kannte Denis, und es war seine Idee, im vierten Band auch Denis’ Appell zum Sammeln von Volksliedern zu veröffentlichen und zwar unter Einbeziehung der Krainer. In der Handschrift des vierten Bandes der Pisanice zitiert Pohlin aus Denis’ Ossian (1768): Sollte man nicht unter unseren slavischen Nationen, besonders aber in Böhmen, Dalmatien und Croatien oder in Krain auf eben diese Art aufbehaltene Überbleibsel des dichterischen Alterthums finden können? Auch in seiner Grammatik von 1783 findet man vergleichbare Anstöße, u. a. in seinen Ausführungen über das Lied in Reimen: Der Reimlaut [...] ist eine Übereinstimmung des Klanges in der letzten Sylbe der Verse; weswegen denn auch auf crainerisch ein Vers pessem, das ist: ein Lied heißet. Außer den Liedern giebt es wenige crainerische Verse. In der zweiten Auflage spricht er bereits über »alte Lieder«: »[...] Alle alten und neuen kraynerischen Lieder haben diesen Reimlaut.«3 Der vierte Band von Pisanice war der letzte. Aus Geldmangel konnte er aber nicht mehr gedruckt werden. Janez Anton Zupanèiè, ein Kenner von Schillers Werken und Jernej Kopitars4 Freund aus den ersten Wiener Jahren, hat schon 1806 im Laibacher Wochenblatt (Nr. 33, 34 und 37) zum Sammeln von Volksliedern eingeladen und mit Herders Worten ihre Bedeutung hervorgehoben. Unter anderen hat er zwischen 1804 und 1809 einige Artikel im 125 Johann Gottfried Herder und die Slowenen 1 France Kidriè: Zgodovina slovenskega slovstva od zaèetkov do marcne revolucije, Ljubljana 1929, S. 719. 2 Janko Kos: Primerjalna zgodovina slovenske literature, Ljubljana 2001, S. 31 f. 3 Zitiert nach Kidriè, S. 240. 4 Vgl. hierzu: Joe Pogaènik: Bartholomäus Kopitar. Leben und Werk, München 1978. Laibacher Wochenblatt veröffentlicht sowie ein »Gesuch an die Obrigkeit, Güterbesitzer, die Geistlichkeit und alle die übrigen Freunde des Vaterlands Kunde im Herzogtum Krain« mit der Bitte um Volkslieder und andere ethnographische Beiträge.5 Wann Herders Ideen tatsächlich in Slowenien Einzug hielten, ist nicht genau zu klären. Selbst Baron iga Zois (1847-1819), der große Laibacher Mäzen und Förderer slowenischer Literatur in der Zeit der Aufklärung, besaß in seiner reichen und großen Bibliothek kein Herder-Buch, obwohl er als der »reichste und in jeder Beziehung gebildetste Mann in Laibach« galt, wie ihm Kopitar in seiner Selbstbiographie rühmte.6 Auch dem schon erwähnten Dichter Valentin Vodnik, einem engen Mitarbeiter von Baron iga Zois. waren Herders Ideen noch unbekannt. Den slowenischen Aufklärern waren eher Denis’ Werke vertraut. Intensives Interesse an Herder bildete sich erst im 19. Jahrhundert und zwar im Zusammenhang mit dessen bekannter Schrift über die Slawen heraus. Ein Kenner von Herders Werken war der slowenische Slawist und Wiener Zensor Bartholomäus (Jernej) Kopitar (1780-1844). Unter Zois’ Einfluß interessierte er sich für die Zeit der Aufklärung und für Slawistik. Sein wissenschaftliches Ideal war Josef Dobrovský, und nach dessen Vorbild beschäftigte er sich mit slowenischer Grammatik. 1808 veröffentlichte er in Ljubljana eine Grammatik der slavischen Sprache in Krain, Kärnten und Steyermark (vgl. Abb. 1). Sein Werk wurde grundlegend für die Slawistik. Im selben Jahr ging er nach Wien, um dort Jura zu studieren. 1810 wurde er Zensor für slowenische, neugriechische und später auch rumänische Literatur sowie Skriptor der Hofbibliothek. Er war auch Mitarbeiter der Wiener Revialpresse und Redakteur bei der Wiener allgemeinen Literaturzeitung. Ständige Kontakte pflegte er mit führenden Philologen wie Josef Dobrovský. Jakob Grimm und Wilhelm Humboldt. Durch sie lernte er Herders Werke kennen, auch die Schriften von Friedrich Schlegel und die ethnographische Geschichte von Serbien und Bosnien von Johann Christian Engel. Wichtig wurde seine Freundschaft mit dem Serben Vuk Karadic (1787-1864), der nach Kopitars Vorbild eine serbische Grammatik und ein Wörterbuch verfaßt hat und als eigentlicher Schöpfer der modernen serbischen Schriftsprache gilt. Angeregt und unterstützt wurde seine Arbeit auf jede nur denkbare Weise durch Kopitar.7 Durch Josef Dobrovský kam Kopitar mit Herder und dessen Werk in intensivere Berührung. Kopitar kannte vermutlich bereits den Aufsatz »Slawische Völker« in der Zeitschrift Slavin (Prag 1808). Im Januar 1809 schrieb Dobrovský an Kopitar und bat ihn, ihm alte slowenische Volkslieder zu schicken. Dieser konnte ihm jedoch nur einzelne Zeilen zusenden, Distichen, die »vie« (Weisen) genannt wurden, in Reimen und zumeist mit erotischem Inhalt. Außerdem schickte er an Dobrovský viele kroatische Volkslieder.8 Auf Leben und Werk von Kopitar hatte Dobrovský weitreichenden Einfluß. Kopitar schätzte die deutsche Kultur und Wissenschaft außerordentlich, wie aus einem seiner Briefe aus dem Jahr 1813 zu entnehmen ist, wo er sich fast euphorisch äußert: »Die Deutschen sind halt Kerls in specie Wissenschaft.«9 Auf Herder direkt nahm Kopitar 126 PRIMO KURET (1935) 5 Kidriè, S. 451-452. 6 Vgl. Franz Miklosich (Hg.): B. Kopitars Kleinere Schriften 5, Wien 1857, S. 243. 7 Über Jernej Kopitar siehe:Joe Pogaènik: Jernej Kopitar (Znameniti Slovenci), Ljubljana 1977. 8 Pogaènik, S. 70. 9 Zit. nach: Walter Lukan (Hg.): »Kopitars Privatbibliothek“, in: Ders.: Bartholomäus (Jernej) Kopitar. Neue Studien und Materialien anläßlich seines 150. Todestages, Wien/Köln/ Weimar 1995, S. 275. bereits in seiner ersten kulturpolitischen Schrift Patriotische Phantasien eines Slaven Bezug, die zuerst in den Vaterländischen Blättern erschienen. Er schrieb hier: Der vorzüglichen Anlage des Slaven zum wahren Erdbürger hat bereits Herder in seinen »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« Gerechtigkeit widerfahren lassen; wir dürfen hier nur noch des herrlichen Baues seiner Sprache erwähnen, die einerseits bei ihrer artikellosen Declination und pronomlosen Conjugation ganz für die altgriechische Versmasse geschaffen scheint, anderer-seits aber, da sie mehr Vocalendungen hat als irgend eine der europäischen Ursprachen (die deutsche hat ja jetzt nur die auf e) einst allein unter allen Europäerinnen es mit den schönen italienischen Mischlingen an Singbarkeit für die Oper aufnehmen wird .10 Kopitar zitierte Herder auch in seiner Grammatik, und zwar dessen Charakteristik der Slawen. In diesem Zusammenhang schrieb Kopitar in einem Brief an Dobrovský, daß es eigentlich lohnender sei, statt (wie dies Herder getan hatte) über slawische Tugenden zu schreiben, sich eher zu bemühen, die Slawen durch Bildung auf ein mit Deutschland vergleichbares intellektuelles Niveau zu bringen.11 Insgesamt war Kopitars Schaffen wesentlich geprägt von der typisch »romantischen Trias«, das »Alte, Echte und Einheimische in Anspruch« zu nehmen, was man durchaus als »eine pragmatische Variante der Herderschen Trias des Ursprünglichen, Irrationalen und Individuellen deuten kann«, wie dies Stanislaus Hafner sehr treffend formulierte.12 Herders Aufsatz »Slawische Völker« haben der slowenische Dichter und Kaplan in Klagenfurt Urban Jarnik (1784-1844) in der Zeitschrift Carinthia (1812, No. 23) sowie der Professor für slowenische Sprache am Lizäum in Graz Janez N. Primic (1785–1823) (Grazer Zeitung Der Aufmerksame, 22. 5. 1813) veröffentlicht, letzterer mit einem zusätzlichen Herder-Kapitel über Deutsche Völker. Beide kommentierten auch die herablassende Wertung des Innsbrucker Professors Johann August Schuhes, der in seinem Buch Reisen durch Oberösterreich (Tübingen 1809) geschrieben hatte, daß die Slawen Hunde seien, »die man sclilachten muß«.13 Gleichzeitig riefen Primic und Jarnik zum Sammeln von Volksliedern auf und beriefen sich dabei auf den österreichischen Erzherzog Johann. Sowohl Urban Jarnik als auch Janez N. Primic haben Herders Auffassung vom nachgiebigen Charakter der Slawen kommentiert. Jarnik schrieb: Auch in unserm Kärnten bestättiget sich dieser treffende Zug von Herders Meisterpinsel durch den Vorwurf, den die Deutschen den hierländigen Winden zu machen pflegen: »Dass sie bei Predigten so leicht in Thränen zerfliessen«. Aber – mußte nicht eine Gerechtigkeit, Friede, und allgemeine Menschenliebe verkün-digende Religion dieser friedliebenden, gutherzigen Nation am meisten Zusagen, und ihr sehr willkommen zu seyn! Wie es schon Nestor bei der Erzählung der Bekehrung slavischer Völker mit diesen Worten darthut: »Da freuten sich die Slaven, wie sie die Grossthaten Gottes in ihrer Sprache hörten.« Der Kommentar von Primic war umfangreicher und schwärmerischer: Sollen wir ferner lange noch von den Ausländern den schimpflichen Vorwurf dulden wollen, dass nur das Fremde, das Ausländische bey uns einen hohen Wert hat, u. dass mir die Vorzüge 127 Johann Gottfried Herder und die Slowenen 10 In: Vaterländische Blätter 3.1810, S. 87-93, Zit. nach: Stanislaus Hafner: „Bartholomäus (Jernej) Kopitar in der Wiener Romantik“, in: Walter Lukan (Hg.), Kopitar, a. a. O., S. 16. 11 Vgl. Stefan Barbaric: »Herder in zaèetki slovenske romantike«, v: Slavistièna revija 1968, S. 248. 12 Vgl. Stanislaus Hafner, a.a. O., S. 25. 13 Kidriè, a. a. O., S. 478. des Inländischen, des Heimischen, u. es mag noch so gut, so vortrefflich seyn, gar nicht zu schätzen wissen? – Kann diejenige wohl vernünftige Weise von Andern Achtung gegen sich fordern, der sich selbst nicht achtet? Über Herder spricht Primic nur in Superlativen: [...] aus den historischen Schriften eines der geschätztesten u. beliebtesten deutschen Schriftsteller des wahrhaft humannen, den Wissenschaftlern u. der Menschheit leider! Zu früh entrissenen Herder. (Grazer Zeitung Der Aufinerksame) [...] sagt der humane, weltbürgerlich gesinnte Herder [...] so schildert ein Wahrheit liebender deutsche Schriftsteller die Slaven. Auch Herder, dieses erhabene Muster der wahren Humanität u. Menschenliebe unter Deutschland Schrifstellern, gehört unter die geringe Zahl jener parteylosen Priester der Wahrheit, die Niemanden auss blosse Hörensagen, ohne eigenen Untersuchung verurtheilen. Primic kannte auch Herders Briefe zur Beförderung der Humanität, die in seinem Nachlaß in der Nationalbibliothek in Ljubljana erhalten sind: Hat wohl ein Volk zumal ein uncultivirtes Volk etwas Lieberes als die Sprache seiner Väter? In ihr wohnt sein ganzer Gedankenreichtum an Tradition, Geschichte, Religion u. Grundsätzen des Lebens, sein Herz u. Seele. Einem solchen Volk seine Sprache nehmen o. herabwürdigen, hieße ihm sein einziges Eigenthum nehmen, das von Eltern auf Kindern fortgeht. Die beste Cultur eines Volkes ist nicht schnell, sie lässt sich durch eine fremde Sprache nicht erzwingen.14 Der Grazer Slawist Primic hat auf viele Ortsnamen von der Elbe bis zur Adria aufmerksam gemacht, die an die Slawen im Ostteil Deutschlands erinnern. Besonders in Brandenburg und Mecklenburg gibt es noch viele slawische Ortsnamen. Außerdem bescheinigte er den Slawen ein großes Verständnis und Talent für Musik. Hier sei auch an die Tragödie Inguo von Johann Georg Fellinger (1781-1816) erinnert, in welcher der Klagenfurter Dichter, der ebenfalls mit Urban Jarnik befreundet war, ein Thema aus der Zeit der Christianisierung der Slowenen aufgriff und darin Herders Ideen von Freiheit, Toleranz und Humanität verarbeitete. Das Werk wurde 1817 – nach dem Tod des Dichters – in Klagenfurt uraufgeführt. Die beiden Freunde Fellinger und Jarnik haben gegenseitig ihre Gedichte übersetzt. So ist Jarniks Lied Die Sternenwelten (slowenisch: Zvezdišce) von Fellinger ins Deutsche gebracht und später von Franz Schubert vertont (D 307) worden. Herders Schilderung der slawischen Volker in den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit aus Dobrovskýs Slavin (Prag 1808) veröffentlichte die Laibacher Zeitschrift Illyrisches Blatt15 und machte damit auf dessen Ausführungen aufmerksam. Darauf bezog sich auch J. A. Supan, der 14 Tage zuvor im selben Blatt einen Artikel veröffentlicht hatte: Vorzug des Krainischen vor dem Russischen und Serbischen von den Russen und Serben selbst anerkannt, erschienen in Nr. 10 dieser Zeitung vom 5. März 1831. Zu Beginn zitierte er Herder: »Eines Volkes Ruhm hängt großentheils an seiner Muttersprache: sie ist der Landesehre Fuhrwerk, über sie muß man schärfer halten, für ihre Reinheit mehr eifern, als für die Ehre der zartesten Braut.« Der Verfasser wollte nachfolgend beweisen, daß die slowenische Sprache der altchristlichslawischen näher sei als der russischen und serbischen und deshalb auch wohlklingender. Er erinnerte sich an ein Gespräch während des Laibacher Kongresses im Jahr 1821 mit einem Vertreter »der 128 PRIMO KURET (1935) 14 Barbariè, a. a. O., S. 250. 15 Illyrisches Blatt, 26. 3. 1831. 129 berühmtesten fürstlichen Geschlechter Rußlands«, der behauptet hatte, das Krainische sei eine ver-kommene slawische Mundart. In einem so heicklichen Puncte, wie Herder es oben sagte, angegriffen, erwiderte ich zwar bewegt, doch mit der einem solchen Angreifen gebührenden Ehrfurcht: Erlauben mir, Ihre Durchlaucht! Als Antwort einige Fragen zu wagen. Welche slavische Mundart ist die allerreinste? Nicht wahr, die den Cyrillischen Bibelübersetzung?« Fürst: »Kein Russe wird es bezweifeln.« Ich: »Diese Mundart lebt als Volkssprache in keinem Lande mehr. Die Frage also ist: Welche jetzt noch übliche Mundart der Slaven muß als die am wenigsten verdorbene gelten? Nicht wahr, diejenige, welche der bibelslavischen am nächsten kommt?« Fürst: »Das erkennt sich von selbst.« Ich: »Nun wie heißt die Kuh im Russischen?« F.: »Korova.« Ich: »Und wie im Bibelslavischen?« F.: »Krava.« Ich: »Im Krainischen auch krava.« Ich: »Wie heißt die Milch im Russischen?« F.: »Moloko.« Ich: »Und im Bibelslavischen?« F.: »Mleko.« Ich: »Im Krainischen auch mleko.« Die Auseinandersetzung ging so lange weiter, bis beide in der Bibel eine größere Ähnlichkeit mit der krainischen (slowenischen) als mit der russischen Sprache sahen. Wie der russische Fürst im Frühjahr 1821, so ließ Dimitar Krestiæ, serbischer Archimandrit des Fruška Gora Klosters, im Herbst 1820 dem Krainischen Gerechtigkeit widerfahren. Das Gespräch endete mit dem folgenden Satz des Archimandriten: »O, ihr glücklichen Krainer! Bei euch versteht also jeder Bauer und jede Bäuerin, was bei uns nur einige Gelehrte verstehen, nämlich wie man bei uns gelehrt seyn kann«. Und schließt: »Auch in Russland nennt man das Bibelslavische, oder was eins ist, das Krainische: hochslavisch, erhabene Sprechart, hohen Styl.« Zum Schluß erzählt der Verfasser noch eine Anekdote, welche geeignet war, jedem gebildeten Fremden Achtung für unser Krainisches einzuflößen. Dem seligen Weihbischof Ricci zu Laibach sagte in früherer Zeit der berühmte Italiener und kaiserliche Hofdichter Metastasio in einer vornehmen Gesellschaft zu Wien: »Ich höre so viel schönes von der krainischen Sprache, daß ich wünsche, ein krainisches Lied singen zu hören.« Ricci singt ihm ein Linhartisches vor. Metastasio war ganz Ohr. Als Ricci ausgesungen, sprach Metastasio: »Kein Laut ihres Liedchens hat meine Ohren beleidiget.« So erzählte es Ricci selbst dem Unterzeichnetcn.16 Kehren wir zurück zu Kopitar, der bei einigen slowenischen Philologen als »slawischer« Herder gilt, weil er sich sehr um die Ausgabe der serbischen Volkslieder von Vuk Karadiæ bemüht hat. Jarniks Züge aus den Sitten der Gailthcder (Carinthia 1813) in den Vaterländischen Blättern kommentierte er dahingehend, daß es wünschenswert sei, daß auch die Slowenen in der Steiermark und in Prekmurje ihre volkstümlichen Eigenheiten schriftlich festhielten. Außerdem wünsche er sich Volkslieder »im Herderschen Sinn«. Für Kopitar waren die Kapitel über die Slawen, ihre Friedensliebe und ihre Volkslieder besonders wichtig, d. h. jene Abschnitte, die Herder explizit im Blick auf die Slawen verfaßt hat. Der Gedanke, daß Volkskunst Charakter und Geist einer Nation ausmache, war beiden gemeinsam. Kopitar war besonders begeistert vom serbischen Volkslied, das ihn an Homer erinnerte, weniger begeistert allerdings von Ossian: Wenn man Herder’s »Stimmen der Völker« als die Blüthe der Volkspoesie ansehen darf, so weiss der Recensent nicht, ob irgend ein Volk des heutigen Europa sich in dieser Hinsicht mit den Serben messen kann. Selbst die übrigen slawischen Brüderstämme dürften ihnen hierin weit Johann Gottfried Herder und die Slowenen 16 Illyrisches Blatt, 5. 3. 1831. nachstehen, wenn sie auch ihre Volkslieder fleissiger bekannt machten, als sie bisher gethan haben.17 Von den slowenischen Intellektuellen war Kopitar zu seiner Zeit demnach am ehesten mit Herders Werken vertraut. Besonders interessant und wichtig war für ihn das Kapitel über die Slawen und deren Volkslieder. Die slowenische Literaturwissenschaft sieht in Herders Anregungen den Beginn eines Prozesses der Bildung einer nationalkulturellen Richtung verwirklicht. Wie der Literaturhistoriker Štefan Barbariè in seiner fundamentalen Abhandlung Herder und die Anfänge der slowenischen Romantik festgestellt hat, fehlt jedoch bis heute eine systematische Darstellung der Herderschen Anregungen und Einwirkungen auf die geistige Welt der Slowenen. Den slowenischen Schriftstellern im 19. Jahrhundert ging es vor allem darum, unter Bezugnahme auf die Ideen Herders ihre aktuellen Bestrebungen zu untermauern. Sie entlehnten bei Herder aber nur jene Gedanken, die ihr Bemühen, Ebenbürtigkeit und Gleichberechtigung der Slowenen und der Slawen in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht nachzuweisen, unterstützten. Ob und wie Herder zum Sammeln slowenischer Volkslieder beigetragen hat, ist eine immer noch offene Frage. Zunächst konzentrierte man sich darauf, lediglich Texte aufzuzeichnen; die Melodien waren nicht wichtig. Die erste Sammlung slowenischer Volksmelodien entstand 1819 durch eine Aktion der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Es sollte eine Sammlung »aller im Volke zirkulierenden Volks- und Kirchenlieder, alte Nationalweisen bei Hochzeiten, bei Taufen, die Melodien der Nationaltänze« sein. Das Gubernium in Krain beauftragte die Laibacher Philharmonische Gesellschaft damit, sich dieser Aufgabe anzunehmen. Das Resultat war eine Sammlung von 336 Volks- und Kirchenliedern aus allen Teilen Krains: dem Laibacher Kreis (Gorenjska – Oberkrain), Neustädtler Kreis (Dolenjska – Unterkrain) und Adelsberger Kreis (Notranjska – Innenkrain). Dieser Sammlung sind noch die Lieder aus dem Villacher Kreis (Kärnten) beigegeben: 174 slowenische und 136 deutsche Texte sowie 49 Melodien zu slowenischen Texten.18 Am 7. Jänner 1820 wurde die Sammlung an das Landespräsidium in Ljubljana gesandt und dann später nach Wien zurückgegeben, wo sie noch immer unveröffentlicht im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde liegt. Vielleicht beruht diese Initiative auf Herders Ideen. Einer der bedeutendsten Sammler war später der äußerst begabte Pole Emil Korytko (1813-1839), der 1837 wegen »subversiver Tätigkeit« in Laibach interniert worden war. In der kurzen Zeit, die ihm bis zu seinem Tod 1839 blieb, knüpfte er intensive Kontakte zu den wichtigsten Vertretern der slowenischen Literatur und Kultur, u.a. zu France Prešeren.19 Seine Arbeit wurde unter dem Titel Slovenske pesmi kranjskega naroda (Slowenische Lieder der Krainer Nation) erst nach seinem Tod veröffentlicht. Die Melodien sammelten später Stanko Vraz und Matija Majar Ziljski. Letzterer schrieb auch volkskundliche Aufsätze und gab ein Bändchen geistlicher Volkslieder mit Melodien heraus. Vraz veröffentlichte lediglich Texte (Narodne pesni ilirske, 1839). Systematisch begann man mit dem Aufzeichnen der Melodien erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 130 PRIMO KURET (1935) 17 Zitiert nach Babariè, S. 252 f. 18 Kidriè, S. 664. 19 Vgl. Sergio Bonazza: „Bartholomäus Kopitars Beziehungen zu polnischen Gelehrten“, in: Walter Lukan (Hg.), Kopitar, a. a. O., S. 97. Karel Štrekelj und Matija Murko stellten ca. 15 000 Volkslieder mit Melodien zusammen, die nur teilweise veröffentlicht sind. Der slowenische Schriftstellerjanez Trdina (1830-1905) publizierte 1849/50 Narodne pripovedke iz Bistriške doline (Volksmärchen aus dem Bistrizatal), wodurch er eine folkloristische Richtung in der slowenischen Prosa begründete. Seine Bemühungen gipfelten in seinen Bajke in povesti o Gorjancih (Mythen und Märchen vom Gebirge Gorjanci, 1882–1888) und in Verske bajke na Dolenjskem (Glaubensmythen in Unterkrain). In seinen Memoiren aus dem Jahr 1905/06 Moje ivljenje (Mein Leben) schrieb er: Mit großer Freude erinnere ich mich noch heute an Herder, der ein warmes Herz für uns Slaven hatte, was wirklich eine seltene Erscheinung in der deutschen Literatur ist. Viele schöne Gedanken und Ideen, für welche ich ihm noch heute dankbar bin, habe ich in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit gefunden.20 Der Forschung nach Herders Einfluß auf die slowenische Kultur bleiben noch viele Fragen zu beantworten. Einige der hier aufgezeigten Hinweise belegen zunächst die Bedeutung Denis’ hinsichtlich des Sammelns von Volksliedern. Erst später wurden bei den Slowenen auch Herders Ideen bekannt. Das Hauptverdienst daran hat Jernej Kopitar, aber auch die Arbeit von Urban Jarnik und Primic sollte nicht unterschätzt werden. Heute ist Herder mehr oder weniger als Vater des deutschen Begriffs »Volkslied« anerkannt, obwohl dieser schon früher existierte. Im Sinne von Rousseau galt das Volkslied als »Naturpoesie«, als »Urpoesie des nationalen Genies«. Für Herder war »die echte Kulturtradition« jene, in der sich ursprüngliche Volkskultur, menschliche Emotionen und auch historische Ereignisse widerspiegeln. Seine Initiative, Volkslieder zu sammeln, kann nicht hoch genug geschätzt werden. Er wußte, daß es ohne Melodien kein Volkslied gibt, daß zur Poesie auch die Musik gehört. Leider haben viele Sammler nur Texte niedergeschrieben, so wie anfangs auch die Slowenen. Die Ausführungen Herders über die Slawen waren umso wichtiger für die slawischen Nationen, da diese keinen eigenen Staat hatten. Hier war Herders Rezeption auch im Sinne des slowenischen Patriotismus wichtig, innerhalb der Habsburgermonarchie also eine Art Gütezeichen für nationale slowenische Rechte. Diese Ideen vermittelten den Slowenen Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein, was für die weitere Entwicklung ihrer kulturellen, politischen und nationalen Eigenschaften bei der Bildung einer eigenen Identität wichtig geworden ist. Objavljeno v: Ideen und Ideale. Johann Gottfried Herder in Ost und West. Peter Andraschke, Helmut Loos (Hg.). Freiburg, Rombach Verlag, 2002. (Rombach Wissenschaften. Reihe Litterae, 103). Str. 265–275. 131 Johann Gottfried Herder und die Slowenen 20 Janez Trdina, »Moje ivljenje«, v: Zbrano delo III, S. 509. Povzetek Johann Gottfried Herder in Slovenci Johann Gottfried Herder je pisal jezikoslovne, literarne, zgodovinske in filozofske razprave. Pripadal je razsvetljenskemu gibanju in imel velik vpliv na razvoj nemške literature, kulture in umetnosti. S svojim delom Misli k filozofiji zgodovini èloveštva je moèno vplival na literarno gibanje »viharništva«, na mladega Goetheja in romantiko. Eno glavnih njegovih del je zbirka narodnih pesmi raznih narodnosti z naslovom Glasovi narodov v pesmih. Danes je Herder znan kot oèe nemškega izraza Volkslied (ljudska pesem), èeprav je le-ta obstajal e prej. Po mnenju Rousseauja je izraz pomenil »prapesništvo naravnega genija«. Za Herderja je bilo pravo kulturno izroèilo tisto, v katerem odmevajo pristna ljudska kultura, èloveška èustva in tudi zgodovinski dogodki. Njegova pobuda k sistematiènemu zbiranju ljudskih pesmi je neprecenljiva. Herder se je med drugim zavedal, da brez napeva ni ljudske pesmi, oziroma tega, da k poeziji spada tudi glasba. al so na zaèetku tega gibanja nekateri zbiratelji zapisovali le besedila, kot je to znano tudi med Slovenci. (Edo Škulj) 132 PRIMO KURET (1935)