^/5^^M^. Studien über die innern Zustände, das Volksleben und insbesondere die ländlichen Einrichtnngen Nußlands. Von August Freiherrn von Haxthausm, Königlich Pnusilschcm Gehcimcn Hlcgknmgsrathe. UM/ Europa. Omi, oi,n<»ln 6oi»orH onlonin^i», «^ lNon cincm Ufer abqcfahren und nuch nicht ain andern gclandet!) Rußland. »i.v ) m«z»il » »»/V iioro/^,«. nP6. Dislocation bis 1848, ,— Zusammensetzung der Corps: das Garde-Corps; Grenadier > Corps; die 6 Infanterie-Corps; die Cavallcrie-Corps. Recapitulation. — Unterschied von Soll-«nd Ist-Stärke; dessen Hauptgrund: die administrativen Laster. Die Meinung Europas darüber; Zusammenwirken russischer Sitten und französischer Erziehung; Dadianoff; slavische Anlagen zu Unterschleifen; Ginwirlung französischer Erziehung. Folgen für das Reich, Der geringe Ginstuß auf die große Armee. — Der Soll-Etat: Ginstuß des Vcurlaubnngs-Systems. Soll-Etat und Ist-Stärle der Infautcrie-Vataill'oue, der Cavalle-rie-Escadrous, der Artillerie. — Resum<5: Beispiel. Krieg mit Prcußcu, — Die Reserve-Truppen. — Gesammtsumme der großen Öperations-Armec.— !i. Die regnlairen Truppen zll besondern localcn Zwecken. Allgcn>eines. Garnison-, Linicnbataillon, Veteranen- und Invaliden-Corps. Armee des Kaukasus. Recapitulation. — General-Recapitulation der regnlaircn Truppen. Benennung und Numerirung der Truppen; Numeri, rung der Infanterie-Regimenter, der Cavallerie, der Artillerie. Allgemeines...................«5/ VI Gelte Zweiter Abschnitt. Ersahwesen; Ethnographisches der Soldateska, Verpfle, gung ,c. Allgemeine Bemerkungen. Grsaiz der Ofsiciere, der Unterofficicre ,c. — Die Kantonisten. Begriff, Einrichtung, Bedeutung in humanistischer und militairischer Beziehung. Die ge« wohnliche Recrutirung. Ginstuß der Namcusverschiedenheit. Die allgemeine geringe Neigung zum Kriegsdienste. Friedlicher Character der Russen. Die Friedensliebe, Ursacke der Rccrntirnng. Gremtioncn: der Adel; sonstige Gremtioneu. Einrichtung der Ne-crutirung. Auswahl zum Nccrutcn. Verurtheilnng zum Soldaten' stände. Der Achotnik. Gremtion durch Familienverhältnisse specieller. Resultat der Aushebung. Vcrgleichung mit modernen deutschen Ansichten iibcr Recrutirnng. — Die beiden Necrutirmigs-Hälften. Schicksale der Recruten; Transport; erste Nccrutcnzeit; Veränderung i» Tracht und Lebensweise. Gute Anlagen der Nüssen -, Gin-ssusi der Religiosität: freie günstige Gemüchseigenschasten; physische Aulagen. — Vcrtheilung der Recrutcn; Dienstzeit. — Bcurlau-bnngssystem; Grundsähe'. Verhältniß der Beurlaubten ^nr Truppe. Uel/cr die militairische Effecti^'ität des Systems; sein Eiustusi auf den Gesundheitszustand; seine national-öconoinische Seite. — Dienst und Disciplin: Gleichförmigkeit; der Stock: Ercmtion von Prügeln. — Verhfirathrtc Soldaten. — Die Verpflegung; das Artell; Na-turalverpstcgung; Sold, ^nbessernngen in der reglementirten Vcr-pfiegung: 1) bei Bequartirung I'ci den Äauern', 2) Bei Cascriü-r>lng; Ii) in Militair-Colonicn; 4) Concentrirungen. Fouragc. DaS welle Ausschn der Soldaten. — Gesundheitszustand: Statistik der Krankheiten nnd Sterblichkeit. Vergleiche mit englischen Co-lonien, — Tracht, Vewasfuuug und Gquipirung', Ginschuüreu, Farben, Waffen, Pferde, Kosten. Sribstfabrikation. Oeconomie; ihre Misibräuche, Abstellung derselben; ihr Ginssuß auf die Truppe. — Stellung des Soldaten zum Ofsicier; Vereinigung von Vertraulichkeit und Subordniatiou. — Die religiösen militairischen Hebel: der Gottesdienst. — Ordens, wesen; Ehrentitel; der russische Latour d'Auvergne. — Garde-Vor-^üge.— Die Ofsicier-Chargen: ihre Bezahlung. Die Cadetienschulen. Der Bedarf an Ofsiciereii. Sonstiger Grsal;. BildnngSstufc der russischen Ofsicieic; die practischc Schule des Kriegs, der großen Uebungen. Netrait der Officierc: Ucbcrgang in andere Carrieren, uubcstimmter Urlaub. Degradation der Officicre.......293 II. Die irregulairen Truppen. Begriff und Ginlhciluug. 1) Die Ko sacken. Urspruug nnd Schreibart von „Kosack", Kosacken uud Tschlrkessen. Zulauf ;n den Ko-sacken. Die Kosacken sind kein eigentlicher Stamm. Gegenwärtige Aufnahme fremder Elemente: ihr Zusammenhang mit dem Gedeihen deS Kosackenthums. Vergleich der Aufhebung der Kosackeu - Freiheiten und der abendländischen Feudal.Freiheiten. — Die Kosactcn troh ihrer Mischung Nüssen. Die regnlairc Armee hat die irregu-laire treu gemacht. — Historischer Üeberblick über die Kosacken. Bemerkungen über die Entstehung des Kosackenlebeus. Russische Besonderheit der Kosackcn. Ihre beiden Hauptstämmc: ->. die klti»russischcn; ihre Entstehung, ihr polnisches Lchusocrhält-niß; Stephan Bathory; Saporoger und Ukrainer; Unzufriedenheit gegen Polen; Ausstände; Bogdan Chmielnicky; Vertrag vvn Zborow; VII Gelte Uebertritt zu den Russen; die slobodischen Regimenter. Neue Wirren in der Ukraine; schwankendes Benehmen der Kosacken, Friede von Radzin; Ma,cppa; Gndc der kleinrussischen Kosackenmackt, der Saporoger insbesondere; neue Kosacken - Regimenter 18ZU. — Donau - Kosacken. Recapitulation der kleinrnsssschen Kosacken. l>. die großrussischen Kosacken; Anfaule; allgemciücr Uebcr-blick; Iwan IV. und die Kosacken; Wolgaischc; Astrachanische. Muraschkln's Zug und seine Felgen. Eroberung Sibiriens. Asow'S; ihre Vcdcutung, Stcnko Rastn. Fernere Unruhen. Iaitsche Un« ruhen: Pngatsäieff. — Sonstige Abzweigung der donsckcn Linicn-Kosacken des Kaukasus. Zweck der Linie; die tscherkcsiischcu Sitten der Liincn-Kosackcn; ihre Mischung. Lan^e oder Schwert! Sibirische Kosacken. Asowsche. Garde-Kosacken. — Gegenwart der Kosacken. Kosacken-Adel; Befreiung von Steuern; Leistungen. Ginthcilnng. Dienstvcrpflichtung der einzelnen Kosacken. Eigenthümliche Stellvertretung. Regularisirung der Kosacken. — Kosacken-Arlilleric. Seitcnbild auf die Zukunft des Kosackcnthmns. Der Wille des Zaaren steht auch formell über den Kosacken, Privilegien. Kosackcn wird'S noch lange geben. — Bestand der Ko-sacken-Trnppen. Disponibilität für einen europäischen Krieg. 2) Die kosackcnartigen Formationen aus nichtrus-sischen Völkerschaften. Allgenicine Neinerkungen. Verknüpfung mit den Kosackenheereu. Uebersicht der gestellten Truppen: u, Krim-mischc Tataren; !». Tscherkcssen, Tschetschcnzen, Nogaier, Lcs-ghier ,c,; c. Vastbkiren nnb Mrtschcriäkcn; 5^, über die gegenwärtige Lage und die Verwaltung des Krongüterwcscns. Schluß-I'ttrachtuug. Ueber die ;u erwartende Organisation der zweiten Hälfte des Volks nnd Landes, nämlich dcS Adels nnd seiner Leibeignen, besonders in landwirthschaftlicher Beziehung......44V VM. Ueber das russische Gewerbewesen (von W. Kostgarlen) . 532 I. ^ckkcbr und Aukuüft in MoSkan. Klimatische Vcchältuisse. Bekannt-ftl'afcn lu Moskau. Physiognomie der „um.^ voiüo. Das jnnqc Nußlaud und seine nationalen Äessrcl'ungen. Das Wahre und Falsche dann. Das Aufkommen altntssischcr Trachten, Dic fremde En tur und die altrussische Cultur. Charakter der Niä'tunq des HjoltS „nd deS Gouvernements nach der Cultur des Westens. Reform der Staatswissenschaften im nationalen Sinn ist ciu Ae-dürfinß für Nußland. Einwirkung dc6 römischeü und deutschen Rechts auf nationalrussisäic Ncchtsmstitüte. Die Geseßgcbunq dcr Swod. gute und böse Folge» dcr Hublizirmig. Unsicherheit' des Nccht^ ,st ver.nuidcrt. allem auch viele cigeuthümliche und wohl-ihätlge Nechwssewohnheitcu sind dadurch unterdrückt und das NcchtSbewuytsem des AollS gestört, die Gntwicklum/ eines ächt natlonaleu Rechts gehemmt. Angabe des jungen qelehrteu Nuß-lands, Yie.,essen zu wirken. Patriotismus, Sympathie unter allen Slaueu Antipathie gegen die Nicmeß (Deutftl'en). Ungerechtigkeit dieser Antipathie gcgcuüber den Wenden und Polen,' und noch mehr den Nüssen. Was Rußland den Deutschen verdankt. Der schlimme Ginfluß des Französischen. Wohlthätiger Einfluß deutscher Vlldung und Wissenschaft. Einfluß dcr Deutschen in den Ostseeprovüijen auf Rußland. Äm 29. October neuen, clfo l?ten alten Stils 1843 laugten wir wicdcr am Ausgangspunkte unstrcr Ncise, in Moskau, an. Vis zum Men war trübes, regnerisches Herbstwetter gewesen, das schlug in Tula iu Frost um, in Moskau war vollkommncr Winter, uud doch waren wir erst zu Ende Octobers. Auch hielt von da dcr Winter nu-nntcrbrochcn bis zu memer Abreise aus Rußland, im April l844, an. -^ Aber die Winter sind viel angenehmer in Nußland, als in Deutschland. Es ist, so bald erst eine hm-reichende Masse Schnee gefallen, beständig schönes, helles, meist wmdstillcs Wcttcr, und bei Windstille ist selbst die strengste i Kälte von 30 — 40 Grad Ncanm. wenig empfindlich, während 6 — ? Grad Kälte, mit Sturm und Schneegestöber verbunden, wie cS in der Steppe häufig vorkömmt, Menschen und Vieh mit fast unvermeidlichem Tode bedrohet. Ich richtete mich, wie es dort Fremde gewöhnlich zu thun pflegen, in einem Kosthause hänslich ein und begann dann, nachdem mich in den ersten !4 Tagen der Anfall eines Wech-selfiebcrs, welches mich, wie dieß bei dem dortigen Klima nicht selten ist, zncrst ill der Krimm 4 Wochen früher überfallen (damals aber uach zwei Anfällen gehoben worden), abgehalten hatte, überall Vesnche zu machen und mir die nöthigen Bekanntschaften zu verschaffen, um das zu erfahren, zu sehen und zu hören, was meinen Neifezwecken förderlich sein konnte. — Es war vorzugsweise der Varon Alexander v. Mcycndorff, der sich meiner annahm, und mich überall bekannt machte und einführte. Varon v. Meyendorsf war ein Paar Jahre früher Chef einer Reisegesellschaft geweseu, die im Auftrage des FinanzministcrS Grafen Cancrin, eine Reise durch alle Theile Rußlands unternahm, um eine Einsicht in die Hülfsmittel zu gewiuncn, die die Natlir dauernd dem Gewerbefleiße darzubieten vermöchte. Die vortreffliche Rciscbcschreibung eines der Mitreisenden, dcS Professors Vlasins in Braunschweig, welche l^44 herauskam, ist einö der litcrarischen Ergebnisse dieser wichtigen, wissenschaftlichen Reise. Varon v. Meyendorff hat aus dem reichen Schatze seiner Erfahrungen und Anschauungen bisher nur Weniges, aber allerdings Vortreffliches veröffentlicht. Ich habe in Moskau die mannigfaltigsten und zum Theil sehr interessante Bekanntschaften gemacht. — Der Gcneralgou-verneur Fürst Galiziu, noch eine würdige Gestalt ans dem alten Vojarcnthum, den ich vor dem Autritt meiner Reise, im Frühjahr, kennen gelernt, war indessen gestorben. In seine Stelle war der Fürst Trnbetzkoi getreten. Ich fand bei ihm und seiner Gemalilin, einer der wohlthätigsten Damen Moskaus, die freundlichste Aufnahme, und in ihren größeren Zirkeln uud Gesellschaften so ziemlich AllcS, was in Moskau zur ersten Gesellschaft gehört. Im Kreml besuchte ich den Gouverneur desselben, den General >md Senator v. Stahl, einen tüchtigen alten Soldaten, dessen feiner Beobachtungsgabe ich Viele Belehrung verdanke. Von höheren Beamten lernte ich den Vicc-gouvcrnenr Novosilzikoff mit ganz deutscher Bildung, die Senatoren Kinsief, Wasilschikoss, mit ciucr höchst liebenswürdigen Familie, den Oberpolizcimeisttr, den Adelsmarschall Nebalzin ,c. kennen. Ich machte die Bekanntschaft der bedeutendsten Gelehrten nnd Professoren Moskaus, die fast sämmtlich ihre ablehrte Bildung auf deutschen Universitäten erhalten, des Professor Krukoff, eines Archeologcn, der Herren Echcwircff, Vo-dianski, eines tüchtigen Slavistcn, Schüler Schaffariks, Schivclsff, desgleichen Maroschkin, am armenischen Institnt, GranofSki, Pagodm, cines der ersten Geschichtsforscher, endlich dcs Professor Smgrcff für sprachliche Alterthümer, VolkSpocsic und Volksstttcn, wohl eine der bedeutendsten Auctoritätcn in Rußland. -- Am belehrendsten nnd anziehendsten aber war für mich der Umgang mit den jungend strebenden Geistern dcs russischen Adels; fast alle glühende russische Patrioten, denen meine Art Auffassung dcs russischen Volkslebens znsagte, und bei denen ich daher die gastfreicstc und wohlwollendste Aufnahme fand, die Herren Mclgunoff, Kascheleff, Saverbejef, Schadajef, Kiricff, Samarin, Kirjefski, den Dichter Chamaikoff nnd andere. Am nächsten aber traten mir Herr Aksacoff, einer der geistreichsten Männer, die ich in Nußland kennen gelernt, und der auch im übrigen Europa bekannte nnd anerkannte Dichter Pavcloff und seine liebenswürdige Gattin, die cinc Dcntschc, aber als ausgezeichnete Dichterin in zweien Sprachen, rnssisch nnd deutsch, sich mannigfach versucht hat und anerkannt ist. Ich habe die Namen angeführt, damit der Lcscr sehen möge, daß ich in Moskau vorzugsweise mit eigentlichen Nüssen Verkehr und Umgang gepflogen habe. Außer den merkwürdigen, interessanten Dr. Haas habe ich dort fast keinen Deutschen näher kennen gelernt, im Gegensatze zn meinem Aufenthalte in Petersburg, wo ich, anßer mit einigen russischen Gelehrten, fast nur mit dort wohnenden Dentschcn nähern Umgang gehabt habe. Beides lag durchaus in der Natur der Verhältnisse nnd Umstände und der Zwecke, die ich verfolgte. Ich weiß nicht, ob man cs als Lob oder Tadel aufnehmen wird, aber ich muß bekennen, daß ich keimn wesentlichen Unterschied in der Physiognomie dcr sogenannten guten Gesellschaft in Moskau mit dcr anderer großen Städte in Europa: Berlin, Wien, Paris :c. anzufinden vermochte. Wenn ich die eleganten Säle des Gcneralgouvcrncnrs am Abende einer großen Soiree oder eines Balls durchschritt, so konnte ich mich recht gnt nach Paris verseht glauben, nm so mehr, als überall fast nur französische Conversation ill mein Ohr drang, lim zuerst bei dem physischen Aeußern zn beginnen, so konnte man keineswegs einen scharf ausgeprägten Nationaltypus in den Gestalten und Physiognomien erkennen. ^<»«U commo cl,I»i5i>, sich dem Westen nähern nnd dessen Cultur nach Rußland herüber führen wollen. Es war dieß vielmehr eine inucre Nothwendigkeit, eine ^m»^ili<> »ine lzuu iwu dcS Lebens und der Existenz, ein allmä'ligcr, wenn auch mitunter 8 dunkler Trieb und Drang dcS russischen Volks selbst, dem jcne Herrscher nnr nachgaben und Gestalt verliehen. Rußland gehörte von je her zn Europa, die Nüssen sind ein europäisches Volk und zwar das mächtigste des Slavcn-stammes, des starken Drittels der europäischen Völkcrfamilie. Als daS Selbstbewußtsein und der Drang nach Einheit im russischen Volke erwacht war, erhielt es Christenthum und Ue Anfänge christlicher Cultur vom griechischen Rom, von Constan-tinopel her. ES blieb dann bis zur Mongolenherrschaft ungefähr im Cultur-Niveau mit dem übrigen slavischen und scandinavi-schcn Norden. Dann kamen aber ein Paar Jahrhunderte der Unterdrückung durch die Mongolen, wo die vorhandene Cultnr fast zerstört, ihre Keime kaum erhalten wurden. Nun erwachte aber das Volk, cs warf das frcmdc Joch ab, der Drang znr Fortbildung ward mächtig, die Mittel dazu im Innern zeigten sich aber überall als ungenügend! — Alle Vildnng ist ja traditionell, kein Volk hat sie rein aus sich, aus eigner Kraft und eignen Mitteln entwickelt, stets hat ein Volk vom andern gelernt. Wohin konnte sich nun möglicher Weift Nußland weudeu, um Cultur uud Mittel zur Fortbildung zu erlangen? Die Mongolen, Tataren, Perser, Türken konnten ihm nichts gewähren.^) Das griechische Volk, mit dem es dnrch Religionsbandc nahe verbunden war, war selbst in harte Sclaverci geschlagen, und ermangelte jeder Kraft zur Fortbildung. Es blieb daher nur das abendländische Enropa übrig, an welches sich Rußland lpcnden konnte, um Belehrung und Mittel zur Fortbildung zu erhalten. Von den nächsten Nachbarn, den Polen und Schweden, hielt eS sich fern, Nalionalautipathie und beständige Kriege bildeten Echeidungslinicn. So war es denn natürlich, daß man sich an die Völker wandte, die an der Epitzc der Cultur standen, an die Deutschen, Holländer, Engländer, Franzosen. Für Handwerke, Handel, Fabriken wurden schon im 16. Jahrh. Fremde aus jenen Ländern nach Rußland eingeladen, „Gaste", denen *) Dennoch hat es auch von ihnen in Lebensart, Kleidung, Wohnung, Gerathen manches und nicht unbedeutendes aufgenommen. Selbst von den Chinesen, ,. V. das vortreffliche Rechenbrett, i,„d vielleicht die Theemaschine, den Samovar. man große Privilegien einräumte. In jener Zeit siedelten sich die Engländer in Archangel an, Moskau erhielt eine eigne dcnischc Vorstadt (Slobode), Anderthalb Ichrhnnderle bereitete sich so Rußland allmählig zu seiner Wcltstellung vor, die Berührungen mit dem Westen waren damals nnr noch oberflächlich, von dessen Cultur drangen nnr crft die materiellen und mechanischen Künste, nicht occidentalism Gedanken und Intelligenz, ein. Da lam Peter I., er erweckte uud begründete die Politische Größe Nußlands, welches bisher ein Binnenland, durch ihn die Meere erreichte. Von der Ostsee strömte von da an die Atmosphäre der Cultur über Rußland hinein. Zuerst ward eine Armee auf europäische Weise geschaffen und organisirl, dann ein vollständiger Staatsorganismus, der jetzt bis in die tiefsten Schichten dcS Volkslebens hinein hierarchisch geordnet ist. Ich bin nie ein warmer Freuud oder gar Verehrer des modernen europäischen Vcamtenthums gewesen, ich habe es immer fast nnr für ein nothwendiges Uebel gehalten, es hat Europa zum Theil zu jener modernen Abgötterei, der des omnipotenten Staats geführt, aber, denke ich mir daS Veamtcnlhum /l , selbst im übrigen Europa völlig vernichtet, so bleibt doch offenbar dort nichts übrig als die nakte Anarchie, sich in socialistischen und kommunistischen Treiben nmhcrschaukclnd. Besitzt denn nun etwa Rußland irgend hinreichende Volkselcmcntc, aus denen sich ein gesunder Staatsorganismus, etwa dem Grnnd-sahe des ^ll'^vel-nemcnl huldigend, entwickeln ließe, wenn man an einem guten Tage daS moderne europäische Tfchinofmk-wesen und die Militairorgamsation abschaffen wollte? Wollte man etwa die Abschriften, der alten Dicnstregister nnd Ranglisten, die Födor Alerijcwitsch verbrennen ließ, ans dem Moder der Archive wieder aufsuchen, die Bojarenverfassung wieder einführen, den alten ungeordneten Heerbann wieder herstellen? Niemand wird im Ernst an solchen Unsinn denken! — Oder könnte man an die Organisation einer Ncpräscntativregicrnng im Sinne der Nevolutionairs von 1825 denken? — Uebcrall in Europa eine Modckrankhcit, ist sie für Rußland eine Toll-hausidcc, dabei im Princip wie in der Ausführung durchaus antinational: ^0___ Eine Reform der Staatswisscnschaftcn in russisch nationalem Sinne, das ist allerdings eine große Aufgabe, ein zn lösendes Problem, für die künftige russische Gclehrtenrcpublik! Vis jctzt hat noch kein russischer Staatswissmschaftslehrcr nnd Jurist sich aus den Banden der westeuropäischen Doctrinen losmachen können. Es geht ihnen eben so wie vom 15. Jahrhundert an den Franzosen und noch mehr den Deutschen, dem wieder erwachenden Stndinm des römischen Rechts gegenüber. Das römische Recht gewann nämlich von da an bei den deutschen Juristen nnd Gesetzgebern ein solch geistiges Nebergcwicht, daß alle germanischen Rcchtsinstitnte nach römischen Ncchtspriucipien angesehen und behandelt wurden. Ganz rein äußerliche Achnlichkcit reichte hin, ein durchaus germanisches Nechtsinstitut, was die Römer nie gekannt hatten, mit einem entfernt ähnlichen römischen in dieselbe Kathegoric zu weisen, zu verwechseln, zu bchaudeln! So ward der deutsche Bauer für einen römischen Colonus angesehen, die gutshcrrliche Abhängigkeit in der deutschen Leibeigenschaft nach den Grundsätzen der römischen Sclaverci behandelt, das deutsche Gesammteigcnthum, nach denen des römischen eon-äominii u. s. w., was unendliche Verwirrung und Rcchtsun-sicherheit hervorrief. Dann entsprang darans eilte despotische nivellircnde Gesetzgebung,^), welche zuletzt, die Moralität und den Rcchtssinn des Volks untergrabend, nicht wenig zur Verbreitung rcvolntionaircr Gesinnung und zu»n Ausbruch der Revolutionen selbst beigetragen hat. Wir haben in Rußland dieselbe Erscheinung vor Augen. So wenig wie bei den Germanen cnstirte bei den Russen eine ursprünglich nationale Rechtswissenschaft (.luris^rucl^nlii,). Die bei den» rohen Znstande des Volks so einfachen Verhältnisse deö socialen Lebens wurden durch uralte Gewohnheiten und Sitten und durch religiöse Vorschriften hinreichend geordnet. Als sich mehr und mehr staatliche Verhältnisse ausbildeten, die Lebens-Verhältnisse complicirter wurden, ward durch Gesetze nachgc- ') Ich crinucrc an das berüchtigte SlaatSnothrecht des NcchtSlehrcrs v. Mmedingen während der Nheiubundsperu'de, welcbcö jeden, auch dcn wiMschrlichswl Eingriff in das Pnvakecht rechtfertigen sclltc. holfcn. Diese Anfangs fast nur immer einen einzelnen Fall ms Auge fassend, oft in Form eines Urtheils, häuften sich unendlich, widersprachen sich häufig, waren oft dnnkel, ließen der Nillti'chr viel Sftielranm. Calharina !l. faßte die Idee eines allgemeinen Gesetzbuchs. Alle vorhandenen Ukascn nnd Verordnungen sollten gesammelt, crtrahirt nnd als ein Ganzes pnbli-cirt werden. Diese Niesenarbeit ward nntcr deln gegenwärtigen Kaiser zn Stande gebracht nnd beendet. Es liegt in der Natur der Dinge, das, dieses Gesetzbuch nicht ein in sich geschlossenes nnd vollendetes Rcchtss«stcm enthalten konnte. Die Promulgation des Gesetzbuchs hat jedoch unstreitig die gute Wirkung gehabt, daß sie der grenzenlosen Verwirrung in Bezug auf Anwendbarkeit und Nichtanwendbar-kcit alter Ukascn und Verordnungen ein Ende gemacht hat. Nach zwei Richtungen hin aber sind die Wirkungen dieselben gewesen, die in andern Ländern der Codification nachfolgten; erstens sind dadurch eine Menge alter Ncchtsgcbräuchc und Ncchtsgcwohnhcitcn unterdrückt worden, die doch im Nechtsbc-wußtscin des Volks lebten, und anch meist in den Gegenden oder Orten, wo sie cristirten, von entschieden gntcr Wirksamkeit waren, wenigstens die Verhaltnisse friedlich ordneten, die jetzt der Unruhe und dem Egoismus der Leidenschaften, der erwachenden Proccßsucht Preis gegeben sind.^) Dann aber ist der Swod in Ausdrücken und in einer Terminologie verfaßt, die den römischen und deutschen Rechtsverhältnissen entlehnt sind. — Nun aber sind dazu alle russische Juristen ans deutschen Universitäten oder wenigstens durch deutsche Juristen ausgebildet ') So haben z. B. iu vielen Gegenden und Orten Rußlands beson-dere Erbrechte eristirl, die ganz zu den WirthschaftSverhältuissen der Gegenden paßten. Hin und wieder ward ;. B. das Vermögen nicht getheilt, sondern der jüngste Sohn erhielt es nnd zahlte ein bestimmtes aus, woraus sich sogar ein russisches Sprichwort gebildet: «Der Jüngste bleibt ans der Wurzel." Hiernach war das ganze Landwirthschaftssystem gegründet. Seit Publication des Swod soll das alles nicht mehr gelten. Die Starostcu und untern Nichter regulirc» noch mitunter nach den alten Gewohnheiten, kommen aber Beschwerden, so wird ihr Verfahren kassirt, nud befohlen nach den Grundsätzen des Swod zu verfahren. worden, wie nahe liegt es da, daß sie alle russische socialen Verhältnisse durch die römisch-deutsche juristische Brille anschauen und in der Praris behandeln, um so mehr, als von einer rein uationalrussischcn Jurisprudenz, die ihre Ansichten corrigiren könnte, kaum ein Anfang cristirt. ^) l§s ließe sich vielleicht nicht unschwer nachweisen, daß die wichtigsten Verhältnisse des russischen Volkslebens z. B. das Erbrecht, daS Leibeigenschafts-Verhältniß :c. sowohl durch die Concipienten der Gesetzgebung mit den nationalrussischen Nechtsidecn im Widerstreit aufgefaßt und formulirt worden, als von den Richtern und Beamten den Principien dieser rein nationalrussischcn Instilulioncn widerstreitend angewendet werden. Die römische und ans ihr die deutsche Jurisprudenz enthält eine große Masse allgemeiner Gruudsätze, ein allgemeines Vernunftrecht, welches sich unmittelbar an die nvigcn Gesetze der Moral uud der Religion anschließt. Es ist das Ergebniß der tiefsten menschlichen Forschung und Erfahrung der Zeiten, ist eiw Gemeingut der Menschheit geworden, welches jede Generation der folgenyen, jedes Volk dem Nachbarvolke überliefert. Daß dieß auch für Rußland, sobald es das rechte Stadium seiner Entwicklung und der Cultur erreicht hatte, die Grundlage aller juristischen Vilduug wcrdcu mußte, versteht sich ') Karamsi», Kuscharcki, Gvcrs haben treffliche Materialien zur Kenntniß des ältern russischen Rechts gesammelt, N. v. Ncich hat über die geschichtliche Ausbildung der russischen Staats- und Rcchtlwer-fassnng (Mitau 1829) ein deutsch-gründliches Werl geschrieben. < Aber das sind mehr antiquarische Forschungen, vorbereitend, ame-! gend nnd einigermaßen richtiges Verständnis, verbreitend, aber unmittelbar practische Ginwirlungen tonnten sie nickt haben. Handbücher über einzelne Institutionen und russische Rechtsverhältnisse, aber kritisch und polemisch gegen daS Eindringen nnd Vermischen mit römischen und deutschen Nechtsideeu, fehlen, so viel ich erfahren, gänzlich. Mir liegt cin deutsches Vnch: das russische Ständerecht von Hcrm. Falti» (Mitan 1846) vor. Es enthält eigentlich nur die Paragraphen des Swod, aber einigermaßen systematisch geordnet. Schriebe Jemand clnen Kommentar hiezu, vom Standpunkte des ächt russischen, Rechts, so wäre das eine höchst verdienstliche Arbeit! - l3 von selbst. Daß ferner Rußland für Verhältnisse, die erst durch die Entwicklung dcS Staats und der Cultur dort ncu entstanden sind, und die das altrussische Volksleben also gar nicht einmal gekannt hat, ganz einfach die Nechtsidecn anderer Volker, jedoch mit localcn und nationalen Modifications, entlehnt hat, ist recht und natürlich. Dieß ist ,;, V. der Fall mit dem Völ< kerrccht, dem Sccrccht, dem Handelsrecht für den Welthandel, dem Wechsclrccht n. s. w. Dieß mochte alles von andern Vollern mit Nutzen und ohne daß der Nalionalstolz dadurch verletzt wurde, eutlehnt werden, aber ich komme denn noch einmal als auf einen Schlußsatz zurück, daß das junge Nußland durch nichts sich patriotischer in» ächten Sinne des Worts erweisen kann, als wenn es die nationale Rechtswissenschaft mit allen Kräften deS Geistes fördert nnd cultwirt, und dann durch den Einflnß und die Macht der Wissenschaft alles Fremd-Nationale möglichst ausscheidet, oder doch auf das Maaß deS Nothwendigen nnd Nützlichen zurückführt. (5s möchte auch selbst in politischer Beziehung nicht unwichtig sein, wenn russische Staatswisscnschaftslchrcr das übrige Europa über die physische und rechtliche Natur der russischen Staatsin-stitutioncn und ihre politischen Grundlagen aufklarten. Man kann in unzähligen deutschen, französischen, englischen Büchern, selbst in sogenannten gelehrten Werken lesen: das russische Reich sei eine Slntocratie, eine absolute; nicht Monarchie, sondern DcS-potie, in Form der asiatischen Despotien; es seien die russischen Bauern rcchtslosc Sclaven, wie die römischen »ervi u. s. w. nnd immer schreibt es Einer dem Andern gläubig nach. Ich habe im ersten Vande, Cap. VI. die allgemeinen Principien der Natur der Herrschaft, des Iaarthmns, der Gemmwcvcrsassung, deS VancrnwescnS:c. kurz anzudeuten versucht, aber es wäre wün-schenswerth, daß nun auch gründliche russische Gelehrte dieß wissenschaftlich und systematisch ausführten nnd naher begründeten! Wir haben schon anderswo den hohen, fast religiösen Patriotismus der Nnssen aller Stände nnd Klassen gerühmt, wir können daher auch den Patriotismus deS jungen Rnßlands nnd seine Vorliebe für das Nationale im Volksleben, und daS Stre- l4^ ben cs zu erhalten, nicht anders als loben. Auch daß man auszumerzen sucht, was vom Fremden sich eingedrungen hat, insofern cs nicht zur Fortbildung der Nation und des Staats sich als nothig erweist, ist zu billigen, allein das junge Ruß-laud überträgt die Abneigung gegen das Fremde auch auf die Persönlichkeiten der im russischen Reiche lebenden Fremden von andern Nationen, ja dieselbe artet häufig in Groll und Haß aus, und das ist weder billig uud recht, noch nützlich für Rußland! Es herrscht unstreitig eine große allgemeine Sympathie unter den verschiedenen Völkerschaften deS slavischen Volksstammcs, eine größere als unter den verschiedenen germanischen Stammen, oder den romanischen Völkern. Wenn die Vestrebuugcn des sogenannten Panslavismns mich von der einen Seite als eine jugendliche poetische Schwärmerei erscheinen, von der andern ernstern aber als eine politische Fraction der in gegenwärtigen Zeiten jede auch die edelste Aufregung durchdringenden und vergiftenden Ncvolntionspropaganda, so hat doch der letzte Hintergrund dieser Parteirichtung eine uuvcrtcnnbarc und wirkliche Realität, jene allgemeine Sympathie aller Slaven untereinander, von der kaum der polnische Adel (nicht der gemeine Pole), eine Ausnahme, Rnßland gegenüber, macht; uud noch mehr jene gemeinsame Abneigung, die an den Grenzen und bei stärkerer Bevölkeruugsmischung in entschiedene Antipathie übergeht, gegen die Niemetz, die Deutschen. Diese Abneigung ist nicht gegenseitig. Unter den Deutschen herrscht nicht die mindeste Antipathie gegen die slavischen Völker, umgekehrt hin und wieder sogar eine unverkennbare Zuneigung. Wcun deutsche Regierungen politische Ungerechtigkeiten gegen die Republik Polen verübt, so haben daran die Deutschen als solche fürwahr nie Theil genommen. Wenn schon früher, namentlich aber seit l tt48 eine allgemeine Aufhetzerei gegen Nnsiland durch Deutschland lief, so war das nur künstliches von der Demagogie angefachtes Strohfcucr in den sogenannten gebildeten Klassen, das eigentliche Volk wnßte nichts davon, in den deutschen Heeren war sogar eine entschiedene Svmvathic für Rußland vorhanden. Der von den czcchischcn Gelehrten angefangene und provozirmde. ___I^ Streit, der den Deutschen alte, vor ft Jahrhunderten begangene, mir von dcr Geschichte berichtete Sünden gegen die Slaven vorwarf, fand in der deutschen Presse scharfe Zurückweisungen, aber die angrenzenden und unter den Czcchen lebenden Deutschen hörten und begriffen kaum etwas von diesem Streite und selbst 1848, wo aller obrigkeitliche Schutz gleich Null war, und die Anarchie nahe gcnng, hat man nirgends von reellem Streit der Nationalitäten in jenen Landstrichen mit gemischter Bevölkerung gehört. Dcr blutige Streit in Posen 184« wäre schwerlich ausgebrochcn, wenn nicht mächtige religiöse Antipathien hinzugekommen. Seit alter Zeit sind dort Pole und Katholik, Dcntscher und Protestant synonyme Wörter. Ungerechte Kriege uud Unterdrückungen durch Eroberung sind stets in der Welt gewesen, sie berechtigen nur die Generation, oder die Generationen, die darnntcr gelitten, zur Antipathie und Hasi, und nur wenn die Folgen des Unrechts noch jetzt auf dcm unterdrückten Volke lasten, wie in Irland, mag die Abneigung mit einigem Rechte forldanern. Sind aber Jahrhunderte verflossen, und jedes Gefühl jenes nrallcn Unrechts in den lebenden Generationen erloschen, so darf man es nur Aufhetzerei nennen, wenn man aus diesen historischen Gründen Leidenschaft nnd Haß anfacht. Es wäre doch wohl absurd, wenn man die jetzigen Deutschen zum Hasi gegeu das jetzige Rom aufriefe, weil vor 19N0 Jahren Nom versucht hat, die Deutschen zu unterjochen; oder die jetzigen Vrctoncn und Basken, weil die Vorfahren der jetzigen Franzosen ihr Land erobert uud Frankreich mcorponrl haben! Ist eS nun etwa Weniger absurd, wenn man den Deutschen vorwirft, sie hatten vor 5 —ll Iahrhnndcrtcn die Slaven in dcr Mark Brandenburg ausgerottet und in den allslavischcn Ländern Mcklenburg, Pommern, Meissen, Schlesien5) verdrängt nnd gcrmamsirt, und ") Machten doch lM8 die Pols« cmf eine Wiederherstellung PulenS in alter Mackt nnd nach alteiuNccht Anspruch, wobei ganz Prensien, Schlesien, die Neumarl nnd Hintcrponnnern als alte polnische Lehne der ncuen volmsche» Monarchie oder Repnl'lil einverleibt 'v»ben sollten! 10 Mlf dieseS alte historische Factum ^) gegründet, den Haß aller Slaven gegen die Deutschen provocirt? Im Gegentheil die Slaven, namentlich die Wcstslavcn, haben den Deutschen unendlich viel zu danken. Die Deutschen haben ihnen das Christenthum und seine Cultur gebracht und ihnen dadurch die Ebenbürtigkeit mit den übrigen europäischen Völkern verschafft. Alle einheimische slavische Fürsten erkannten, daß, da die Slaven ursprünglich nur Bauern und Krieger oder Adel kannten, ihre Staaten nie zu politischer Consistenz gedeihen und äußere Cultur gewinnen konnten, ohne daß das dritte Element des politischen Lebens, das Etadtcwesen, der Vürgerstand, daS Handwerks- uud Gewerbewcsen, dcr Handel, hinzutrat uud sich ausbildete Sie beriefen also die Deutschen, um Städte anzulegen und bevölkerten sie mit deutschen Handwerkern, Gcwcrbslentcn, Kaufleuten^), sie beriefen ferner deutsche Colonistcn, um dem Ackerban aufzuhelfen und als Beispiel und Lehre zn dienen, sie riefen Deutsche, um die Schulanstaltcn einzurichten und zu leiten. ') Und obendrein ist nicht mal das behauptete historische Factum wahr. Gs sind dieß ja nicht eüimal altslavische, sonder» allgermauische Länder, die Slave» haben sich dort crst ausgebreitet, als tie Germanen zum Theil ausgewandert. Ein großer Theil ist jedoch gewiß damals unter slavischer Herrschaft sitzen geblieben, dic Ger-mauisinmg möchte sonst wohl nimmermehr so rasch vor sich gegangen sein, da sie ja nicht gewaltsam geschah, sondern nach Ginführung des Christenthums, welches voll Deutschland aus eindrang, durch die einheimischen slavischen Fürsten in Mcklcnburg, Pommern und Schlesien nur begünstigt wurde. Daß aber die jetzigen Mcklen-burger, Pommern, Märker ic. keine Slaven sind, möchte doch wohl unbestritten sein. ") Die Deutschen sind ganz vorzugsweise vor allen andern Völkern ein Rcchtsvolk. Sie brachten ihr Nccht mit nach Italien, Spanien, Frankreich, England, und haben es erhalten bis zum Theil in neueren Zeiten. Sie haben sich mit den unterjochten Völkern überall zu einem neuen Volke verschmolzen, und ihre Sprache verloren aber nicht ihr Recht. So haben denn die deutschen Colomsten in den slavischen Ländern überall ihr Necht mitgebracht, um danach zn leben. Deutsches, besonders Magdeburger Necht galt in allen Städten der slavischen Länder bis Kieff. Das flämische Nccht galt überall bei den Ackcrcolonistrn, Selbst die deutschen Kolonisten im Innern von Nußland leben noch jetzt nach deutschen. Neckt. !7___ Was nun endlich Nußland betrifft, so hat eS keine alte historische Unbilden an dcn Deutschen zn rächen. Seine Relationen mit dcn Deutschen sind noch nicht sehr alt. Die deutsche Eolonie, welche eine Vorstadt Moskau'S schon im Ib. Jahrh, bewohnte, scheint vorzugsweise ans Handwerkern bestanden zu haben. Von da an scheint sich die Anerkennung des Werths der deutschen Handwcrköftroduttc in Rußland hcrzuschreibcn, denn noch jetzt weiß der russische Kaufmann seine Waaren an Hand-wcrköproductcn nicht höher zn loben, als daß er versichert, es sei deutsche Arbeit d. h. gut, zuverlässig, solid. — Erst mit Peter l. und der Erwerbung der Ostsccprovinzcn beginnt aber der eigentliche nnd bedeutende Einftnß, den die Deutschen ans die Entwicklung und das politische Leben Rußlands ausgeübt haben. Peter I. suchte wie Archimcd einen Punkt außer seinem Volke, um dieses aus seinen Fugen, aus dem Sumpfe der Rohheit, zu heben, er schuf Petersburg, und begann mit einer Energie ohne Gleichen die geistige nnd politische Organisation seines Staats. Daß er hiczu im Lande selbst nicht die tauglichen Männer finden konnte, wiewohl er alle gebildeten und geschickten Leute, die nur irgend unter dcn damaligen Russen zu finden waren, heranzog, lag auf der Hand. Er holte sich also die nöthigen Kräfte, wo er sie irgend auftreibcn konnte, Franzosen, Engländer, Holländer, Deutsche :c. Daß er eine Vorliebe für Holländer und Deutsche hatte, weil sie für Erfüllung seiner Zwecke ihm als die tauglichsten erschienen, ist bekannt. Das Deutsche ward sogar damals die Hofsprachc und blieb cS bis zu Caiharina ll. Zeiten, wo es dem Französischen Platz maa)tc. Von da an drang auch französische Sitte und französische Bildung unaufhaltsam in dcn russischen gebildeten Stand ein. — Es war dieß aber das eigentliche Verderben und Unglück Rußlands! Es war die eben so frivole als oberflächliche encyclopädistische Bildung des 18. Jahrh., wo die größte Barbarei und Vcrdcrbthcit der Sitten uud des Characters durch den Schimmer äußerer Politcssc übertüncht werden konnte. Rußland wurde von da an von französischen Hofmeistern und Gonvcr-uantcn überschwemmt, die mehr sociales und politisches Gift unter die gebildeten Klassen Rußlands verbreitet haben, als 2 ,8 selbst daS Gouvernement damals scheint auch nur geahnt zu haben, welches erst sehr spät, fast zn spät, einige Vorkehrnn< gen getroffen hat. Aventnriers aller Klassen und aller Nationen überschwemmten von der Milie des ltt. Jahrh, an Rußland, mn dort ihr Glück zu suchen, und fanden sic es nicht, Land nnd Volt zu verleumden. Ganz anders verhält cö sich mit den Deut-scheu, die nach Nußland gekommen, und sich dort angesiedelt haben. Wie schon vor A Jahrhunderten waren es vorzugsweise deutsche Handwerker, die sich in allen Städten des weiten Reichs niedergelassen, Eie haben für Verbreilung äußerer Zier, der Bequemlichkeit nnd des Lebensgenusses viel beigetragen, sie sind die Lehrer der Russen in allen Handwerken geworden, nnd haben sich, bis in neueren Zeiten, den Ruhm der Ehrlichkeit und Solidität zu erwerben und zu erhalten gewußt. — Ueber die Nichtigkeit uud den großeu Nntzcn der deutschen Ackerbau-colonicn im Innern Nnßlands habe ich mich bereits im zweiten Theile des Weiteren ausgesprochen. — In den Seestädten ist der Welthandel größtcntheils in den Händen deutscher, englischer, holländischer, italienischer, ftanzösischcr Kanflcntc, da es den russischen Kaufleuten theils an Lust, theils an Bildung, vielleicht auch au Talent zu fehlen scheint, sich in Masse nnd im Großen an dem Welthandel zn bethciligcn. Die Teutschen bilden nntcr diescu Kanflcnten die überwiegende Mehrzahl. Während jene falsche und oberflächliche Bildnng dnrch dic Franzosen sich über Rnsiland verbreitet hat, verdankt dagegen Rnßlaud die Mehrzahl seiner Gelehrten der deutschen Bildung. Deutsche Gelehrte wie Pallas, Schlier, Evcrs ic. haben znerst den Impnls der Gelehrsamkeit nach Rußland gebracht. Fast alle. nationalrnssischc Gelehrte haben ihre Studien ans deutschen Vil-dnngsanstalten gemacht, und jenen Geist solider Gelehrsamkeit und treuen Fleißes in ihr Vaterland zu dessen Heil und Nutzen zurückgebracht. Die russischcu Universitäten und sämmtliche Vil-dnngsanstalten sind uach deutschcu Mustern geformt worden. Ein großer Theil der Lehrer au denselben sind noch gegenwärtig Deutsche. Wcuu ich dieß alles den Russcu, welche so offen ihre Ab-ncigung gegen die Dcntfchcn äußerten, vorhielt, so erkannten sie es als völlig richtig an, sagten aber dann, nicht gegen die DMschcn in nnd aus Deutschland selbst bestehe ihre Mueigung, sondern nur gegen die Dculschcn in Rnßland, kurz gegen die Livländer, Kurlandcr, Ehstläudcr. Diese drängten sich überall in die Militairchargen und Civilstellcn, verdrängten die Russen und verletzten sie überall durch Ucbcrmnth nnd Hochmuth. Diese Vorwürfe mögen bei einzelnen Persönlichkeiten und in einzelnen Fällen begründet sein, im Großen und Ganzen sind sie eben so „ngerccht als unbillig. Die Eroberung der Ostseeprovinzen ist das größte politische Bedürfniß gewesen, was Rnßland gehabt; erst dadurch ist cö zu einem europäischen Staat geworden. Die Erhaltung und der Flor dieser Bänder ist in commercicllcr und politischer Vc Ziehung von unermeßlicher Wichtigkeit für das russische Reich. Das groß-russische Land ist zwar das eigentliche Stammland der Monarchie, und alle andere Länder sind allmählig hinzu erworben odcr erobert, allein gegenwärtig bilden sie nun doch mal ein großes Reich, uud der Zaar von Großrusilaud ist Kaiser deS ganzen ungeheuren Reichs, und er hat die Pflicht, alle seine Unterthanen mit gleicher Gerechtigkeit und Liebe zu behandeln. Abgesehen davon, daß abgeschlossene besondere Frie-densvcrträge uud in Folge dercn anerkannte Privilegien eine besonders schonende Behandlung der Ostsceprovinzen als Gerechtigkeit erscheinen lassen, so gebietet schon Klugheit und Billigkeit, tn jedem Landstriche dasjenige vorzüglich zu Pflegen und hervorzuheben, was dem Ganzen besonders vorlheilhaft werden, was ihm die ersprießlichsten Dienste leisten kann. Nun sind aber diese Landstriche, die einzigen alten zu Westeuropa gehörigen Culturländcr, die das Reich besitzt, und da nun einmal Rußland der ganzen Natur seines Lcbcnsverhältnisses, seines Organismus, seiner geographischen Lage nach, darauf hingewiesen war, die (5ultur des Westens erwerben zu müssen, so erschien es als recht und klug, vor allem die einmal vorhandenen inländischen Kräfte vorzugsweise dazu zu verwenden, mit andern Worten die Deutschen aus den Ostsccprovinzen heranzuziehen, um die europäische staatlichen Ginrichtungen und Organisationen über 20 gan; Rußland zu verbreiten. — 5) Daß dann, wcnn dicfe Organisation ganz vollendet, und die Cultur solche Fortschritte bei den Nüssen gemacht, daß auch in allen andern, namentlich den altrussischen Landstrichen sich hinreichende Kräfte und Männer finden, die dem Bedürfnisse des Staatsdienstes nach jeder Richtung hin genügen, diese Heranziehung der Deutschen cms den Ostseeprovinzcn und ihre Verwendung im eigentlichen Ruß-land allmählig aufhören muß, versteht sich von selbst. Dic tägliche Erfahrung aber lehrt nnn, daß dies? noch keineswegs der Fall ist. Dasi gegenwärtig von den Ministern oder sonstigen leitenden höheren Beamten irgend eine Znrüäschnng eines Na-iionalrussen gegen einen Dentschcn bei gleicher Qualification geschehe, mnß ein jeder, der das jetzige Gouvernement kennt, gänzlich in Abrede stellen, eher möchte sich in solchem Falle die Schale für den Russen senken. Stets aber wird für die Etellenbeschungen gewisser Branchen des Staatsdienstes das verschiedene Naturell beider Völker maßgebend sein müssen. Stellen, welche einen gleichmäßigen, rnhigen, andauernden Fleiß nöthig machen, eine pedantische Besonnenheit, frei von jedem Leichtsinn,55) werden selbst bei gleicher Befähignng besser mit *) Einer der gründlichsten Kenner und Zugleich in» Nnßünid verdietrst« vollsten Männer, dcr Minister Graf Gancrm, pflegte ;:i sagen: Es ist eine besondere Gunst der Vorsehung gewesen, dasi. das völlig mechanisch toustittlirte Nußlaub die in staatlich politischer Bc;iehung lebensvoll und organisch constituntcn deutschen Länder an dcr Ostsee erworben hat; uur hiedurch ist es befähigt worden, einen staatlichen Organi>5mu5 allmähliq auszubilden. Die Ostseeproviuzeu haben hiefür stets als Mnstcr gedient-, alle organistrenden Einrichtungen in Nusiland, die Gouvernements und AdelsvcrfaN!g, die Stäbteverfassung ,c. stamincn dorther. Aei allen großen Fragen der Gesetzgebung, z. V. der V^uiernfrage, bilden die Ostscepr^inzen das Probclaud. Vei den geschgcbcrischcn Fraczcn über Catastcrcin-ricl'tungen, Crcditsystenie »nd Vancrregulirnngen hat man hier 5l>jähna.e Grfahrniiqen, die man ins Angc fassen kann für das übrige Rußland, um die errungenen Vortheile lind gemachten Fehler gegen einander abzuwägen, ") Vine merlwürdigc Anerkennung hievon zeigt die Verordnung Peter I,, selche uur Deulschc al»3 Nl'ctheker i>n ga»^'» nchiscl'en Reiche zuließ. 2» Deutschen beseht wcrdcn. Der Deutsche wird stet«? dcr beste Aclen-mann bleiben, dcr Russe ist viel zn flüchtig, zu lebhaft, zu genußsüchtig, um das Joch des Dienstes so ruhig und geduldig zu tragen wie der Deutsche, er gleicht darin mehr dem Franzosen. Die eigentlichen Actcnlcutc, die Faiscurs in den Ministerien und Dicastcrien werden daher wohl stets die Deutschen bleiben. — Das; der chevalercskc Adel der Ostseeprovinzen vorzüglich gern m dcr Armee dient, und dort mit anerkannter Tapferkeit, Treue und Thätigkeit, braucht kaum angeführt zn wcrdcn. Wenn dic Qstseevrovinzcn dem rnssischen Reiche die Ideen, Grundsätze und Muster zu den wichtigsten Institutionen für Nationalwohlfahrt, Nationalfortschritt, und staatliche Kräftigung Nußlands überlicftrt haben, so haben sie anch zngleich die Männer für den Staatsdienst geliefert, welche deren Einführung nnd Anpassung vorbereitet und sie demnächst consolidirt haben. In dcr Gliederung dcS russischen Volks fehlten früher gänzlich nnd fehlen noch, wenigstens in harmonischer Anzahl dcr Individuen, dic Mittelstufen dcr europäischen Societät. Es gab dort früher (nnd die Verhältnisse haben sich anch jetzt noch keineswegs hinreichend ausgeglichen) einen reichen, hochgebildeten Adel, und einen kleinen armen, meist ganz rohen, oder, waS noch schlimmer, mit etwas änßcrer Glätte übertünchten Adel.' Die Mittelklasse, cm gebildeter, selbststänriger Landadel/fehlte fast gänzlich; von einem tüchtigen, gebildeten Vürgcrlhnmc beginnen erst jetzt sich dic Keime zu entwickeln. Nicht blos für die Einführung dcr nencn Instilntioncn, auch jetzt noch für die Handhabung nnd Fortführung bedarf Rußland dcr Dcnlschcn aus den Ostseeprovinzen. — Der gebildete, höhere russische Adel qualisizirt sich leicht für die obern Stellungen im Staatsdienst, sehr schlecht für die mittlern, für die cr in dcr Rcgcl fcin Herz, keinen innern Eifer, keine ächte Amtsthätigkeit besitzt; cr sieht sie selbst nnr als Mittelstufen an, die cr baldmöglichst zn überspringen sncht, nm nur eiligst einen höheren Tichin zu erhalten. — Für dic nntcrn amtlichen Stellungen """ gar qnalifizirt er sich nie, er ist aber anch bis jetzt noch viel zu stolz, um sie nur anzunehmen. Dic Stellung cincS Isprafniks corresponds ungefähr mit dcr eines preußischen Landraths, dcr geachtetsten und segensreichsten Vcamlcnstellung, die Preußen besitzt, deren Annahme sich selbst Männer aus fürstlichem Adel niemals geschämt haben (der regierende Graf zu Etolbcrg, der Fürst Karolath waren ihrer Icit Landräthe), aus der zum großen Theil die ausgezeichnetsten höheru Staats-mäuucr und Beamten hervorgegangen. — Welch' elende, unwürdige sociale Stellung aber hat dagegen ein russischer Is-prafnik! Kein gebildeter und wohlhabender russischer Edelmann im Innern nimmt eine solche Slcllc au. Mir sagten in Moskau gebildete Gentlemen, die jedoch noch keineswegs zum vornehmsten und reichsten Adel gehörten, als die Rede von den Isftrafniks ihrer Kreise war: „wir nehmen sie nie in nnsere Gesellschaft auf, wir würden uns schämen so gemeine Kerls an unserer Tafel zu seheu!" Die untern Stellen im Innern Nusilands werden meist von Mitgliedern des armen ungebildeten kleinen Adels eingenommen, wenn sie nur ein klein wenig äußere Politur, oft bei völlig depravirtcm Character, besitzen. — Die Ostseeprovinzcn besitzen einen zahlreichen gebildeten, aber nicht reichen Adel, ein ebenfalls zahlreiches, sehr gebildetes Bür-gcrthum. Die jüngern Söhne des Adels und die strebsamen, gebildeten Bürgersöhne sucheu, wie es von jeher den Deutschen charaeteristisch eigen war, Dienste in fremden Bändern. sDie Kurländcr gingen früher in polnische, sachsische, preußische Dienste.) Gegenwärtig treten natürlich alle, und Rußland fordert sic ja dazu auf, in russischen Mililair oder Staatsdienst, nnd füllen dort überall bücken aus, die außerdem kaum zu füllen wären, da sich hiefür keine Nüssen finden, die mit so bescheidenen Ansprüchen auftreten, und der nachhaltig-soliden, nüchternen Amtsführung sich mit solcher Ausdauer und Hingebung unterziehen. Daß diese Deutschen nnn aber in Nnßland nicht ihre Nationalität und ihren Charaeter verleugucu, sich nicht russifiziren, ist eben das lobcnswürdigste und edelste an ihnen, und liegt dabei dnrchans im höheren Interesse Rußlands. Ans ihnen entspringt ja jene Mäßigkeit und Beharrlichkeit, dcr man selbst in Rußland im Allgcmciuen die gerechte Anerkennung zollt! ^-Die älteren kolossalen Vermögen des höheren russischen Adels ^23 lind fast alle im Staatsdienst und durch Geschenke und Wohl-lbatllt der Zaarc erworben, mir wenige, wic die der Slroga-noffs und Denndoffs, sind durch eignen Fleiß, durch Arbeit und Industrie begründet. Nur einige Nuriks- und Vojaren-Familicn besitzen ein alt ererbtes Vermögen. In den Ostsceprovinzcn giebt es dagegen kcinc so kolossale Vermögen; der Bürger, wenn cr reich, verdankt dieß seine»« Fleiße, der Adel verdankt eS seiner Sparsamkeit, seiner gut geführten Landwirthschaft, den altcn Vererbungen. Fast Niemand von ihm hat sein Vermögen in Rußland erworben. — W sind die leicht zu zahlen, die, wic die Lwen und die Pahlcn, der Munificcnz der Zaarc einen Theil ilM Vermögens verdanken. Mögen daher die Nüssen, die nnn einmal mit den Deutschen in dem mächtigsten Reiche der Grdc zusammen lcbcn, stets des Bibelspruchs des Psalmisien eingedenk seien: l^0<5 n, I)ONUM o ^»emlllllm lliillilm« ill Ullum! II. Der russische Adel. Gegensah ;mn westeuropäischen. Der germanische Ndel. Dessen Charactcristif. Der slavisäc Adel in Norddclitsch-land, Polen, iil ^»ßland. Sci„e Eigenschaften, Ä>o!ls- und Staatsstellung. 3tefcrlncn Peter I. in Ae^ug ailf den Adel. Die Golivernement^verfassiing Catharina II. Stellunq des Äde>5 darin. Uebertragm^ de^ größeren Theils der gangen innern Administration an ihn. Die germanischen Ostsceprovin^en dienten als Muster hiebei. Der russische Adel lein Landadel. Daher geringe Theilnahme au den ständischen Institutionen und den übertragenen administrativen Neä'tcu nnd Pflichten. Stellung des Isprasink. Neueste Oütwicklnnq im Adel ;n ciinr bessern politistben mid Vollöstellunss. Daran ;n fnüpsende bessere Gntwicklnng der Gou-vcrncmentsverfassnng. Zahl der Adel^eschlechter 17d7 und Ursprung derselben, Allgemeine Notizen ül'^r einzelne Geschlechter. 3/loskau war früher die Stadt der Knast nnd Bojaren, die Stadt dcs russischen Adels. Wcnn in dm 4 —5 Sommer-monalm der Adel mit seiner Dienerschaft Moskan verließ, um seine Dörfer nnd Landsitze zn besnchcn, dann waren ll)l),000 Menschen weniger an Einwohnern in Moskau.^) DaS ist gegenwärtig anders. Moskau ist der Mitlelplinkt des nissischen Fabrikwesens geworden. Jene 80 bis 00,000 trägen, nichts-thnenden Hoflente des Adels haben sich in eben so viele Fabrikarbeiter verwandelt, die ebenfalls, wie jene früher, nicht zn den eigentlichen und stabilen Einwohnern Moskau's gehören, keine Moskauer Bürger sind, vielmehr berechtigte Gememdeglieder bestimmter Dörfer, in denen meistens sogar ihre Familien lcbcu ') Villo Michelhausen a. a. O. p. 223, wo auch die Vcrechmlngen von Hermann, Richter, Storch ?c. ausgeführt sind. ^5___ und zn denen sie anch gewöhnlich während dcS Erndtcmonats zurückkehren. Der rnssische Adel früher auf Moskan, der fast einzigen mächtigen Stadt dcs eigentlichen Nußlands eingeschränkt, (stit Peter I. zog anch ein Theil deS Adels nach Petersburg, Anfangs halb gezwungen) hat sich nnnmehr unter einer Anzahl Gonvcruementsstädtc vertheilt. — Dennoch ist anch jetzt noch Moskan der Hauptsitz des reichern, unabhängigen russischen Adels. Während man in Petersburg fast keinen Adlichcn findet, der nicht in Hof-, Militair- oder Staatsdienste steht, ist in Moskau jetzt, wie ich glaube, die Mehrzahl nicht im Dienste, wiewohl jeder gedient hat, denn ohne im Dienst gewesen zn sein, ohne Dicnstrang, hat nun einmal in Nußland Niemand Geltung in der Gesellschaft. Dem äußern Anschein nach hat der russische Adel ungefähr dieselbe sociale, rechtliche uud gesetzliche Stellung, wie der Adel sie in den übrigen europäischen Ländern vor l7^) hatte. (5r hat dieselbe Erziehung, dieselbe (5ultur, dieselbe Lebensart, dieselben äußern Sitten, Gewohnheiten, Trachten, wie der der westeuropäischen Länder, anch der Ausdruck des äußern Characters und der Gesinnungen scheint derselbe. Allein bei tieferem Stndium und schärferer Forschnng treten doch sehr wesentliche Unterschiede, ja Gegensätze hervor, und wir glauben diese uicht anders erklären und auffassen zu können, als daß wir auf ursprüngliche Verschiedenheiten und Gegensätze der germanischen und slavischen ' Volksstämme aufmerksam machen. Der westeuropäische oder germanische Adel, (in den romanischen Ländern ist die Institution mit den Germanen eingewandert und recipirt worden) ist bei diesen ein wesentlicher und Urbestand dcs Volks, uicht etwa eine bevorzugte Klasse, ein Stand, der sich ans den übrigen Klassen dcs Volks allmählig im Laufe der Geschichte durch Usurpation der Macht oder sogenannte Verdienste emporgearbeitet hat. So weit die Geschichte hinaufreicht, erblicken wir hier den Adel als gesonderten Stand im ruhigen Besitz der Anerkennnna.cn von Seiten der übrigen Klassen des Volks. Allein schou vor aller Geschichte erkennt die Volkssage und der Mythus den Gcschlcchts-adcl an. Beide behaupten, der Uradel, d. h. die Fürsten uud ___26 Adclsgcschlcchter^) hatten einen andern Ursprung als das übrige Volk, cr stamme nnm<«clbar von den Göttern. Am schärfsten ist dies in den skandinavischen Sagen ausgedrückt, wo alle Fürstcngcschlcchter von Odin abstammen, oder Ascegcschlcchtcr sind. Häusig wurde dann auch behauptet, diese Geschlechter zeigten dnrch äußere körperliche Merkmale diesen Urspnmg an, wie das Geschlecht der Niflungcn dnrch eine im Auge sich spiegelnde Schlange. Alle aber sollten ihre Abstammung dnrch nnvergleichliche Körperkräfte und den kühnsten Heldenmnlh bekunden. Adel, Od bedeutet in der Sprache Geschlecht, also wer von bestimmter besonderer bekannter Abstammnng ist, im Gegensatz von den Renten ans dem Volke, deren Abstammung unbekannt. — Man mnsi diesen leitenden und herrschenden Glauben oder Aberglauben, diese Grundidee bei den Urgermanen ins Ange sassen nnd festhallen, nin den Charakter und die Natur des germanischen Adels ;n verstehen. — Jene von den Göltern stammenden Fürstcngeschlcchter, die Niflungen, die Amalcr, die Merovinger :c. sind längst ausgcstorben. Andere Adelsgc-schlechtcr, dcrcn Abstammnng von den Göltern nicht so notorisch, haben ihre Stelle einnehmend, die Fürstengewalt überkommen; das Christenthum hat den Nimbus der Abstammung von den alten'Göttern, selbst beim Volke, längst zerstört. Im Mittelalter hat sich ans den Resten dieseö Uradels und einer großen Zahl blos freier Geschlechter, aus den Gefolgschaften, den Dienst-und Vcnesieicnverhaltnissen der nencrc europäische Adel, der< Dienst- oder Fcudaladcl gebildet, aber jene Grundideen über dm Character und die Natur des Adels, jene Werthschätznng der unvordenklichen Abstammung, welche jeden ucugeschaffc-nen, von einem bestimmten historischen Tage sich herdatirendcn Adel, sei cr vom Monarchen erkauft, ertheilt oder selbst durch ') Wrstcngeschlechier nnd Adclsgescklechter sind ursprünglich nur hierar-bische Gradationen desselben Standes, !>>«'«!« «x vil-wl^ reges ex no!»llitl>ll: 8!,»»!l»t, sagt Tacitliö (<,'»'>-m. Vll). Pis zur ncücstcn Zeit ward der Grundsal) der Gbcul'üriigkcit alles Adcl^ ftstgchal-teu. Köin',; Hciinich IV. liaiuitc sud selbst den ersten Edelmann stincs Landes. Der Spanier nenlit sich >m Sprüchwort: lln !>><1l>I^» »'UINY l!> lo^, n>l»8 NO »l lico. ___27 unleugbare Verdienste erworben, mehr oder weniger mißachtete "der doch ^^ ^^nz ^ls scillcs bleichen anerlanntc, ist bis diesc Stunde als Standcsgcfühl dcs westeuropäischen Adels geblieben, hat die Abgeschlossenheit desselben erhalten, hat von der einen Srite das stolze Gefühl der Unabhängigkeit nnd Selbstständig-kcit befestigt, bat aber von der andern Seite auch, bei entschiedener persönlicher Gehalt- nnd Werlhlosigkcit, jenen carricatur-artigen leeren Dünkel des sogenannten Iunkcrthums erzeugt. In bcm Vorwürfe, den alle Welt dem Adel macht, er habe den Dunkel uud glaube von besserem, höhcrem Blute zn sein und abzustammen, als alle andern Menschen, klingt daher auch zugleich noch jene Tradition des Urgermancnthnms dnrch. Die Grundideen des Adclowescns und ihre in den verschiedenen, Zeilabschnitten und bei den verschiedenen Völkern sich sindende Entwicklung ist unstreitig der Mittelpunkt der innern Geschichte und dcr Volks- und Staatseutwickclnngcn von Westeuropa, an dem sich alles übrige im Staatsleben, Bürgerthmn, Bauernvcrfassnng, Eorporationswcscn :c. angelehnt, zum Theil analog damit und daraus entwickelt hat. Der Geist des Gehorsams, dcr Unterordnung, dcr Aufopferung ist das wahre sociale Band des Volks- und Etaatslcbcns'alles Gcrmanen-thums. Die antike Welt ward dagegen dnrch das Vatcrlands-gcfnhl znsammcngehallen, wo der Einzelne sich als Glied des Volks im bestimmten Lande, unter dem Schutze dcr Vaterlands-gottcr zu Gehorsam und Anfopfcruug durch Naturtrieb, Erziehung und Sitten gedrungen fühlte. Valerlandsgcfühl kcnnl die germanisch-romanische Welt eigentlich nicht, oder doch nnr als schwaches sociales Vand. Hicr hielt bis auf die modcrnc Zeit, das Fcudalitätsgcfühl Völker und Staaten zusammen. Das Vatcrlandsgcfühl hcftet sich au die Scholle, an Land, Stadt, und das sie bewohnende Volk als ein Ganzes, eine Realität; das Fcudalitätsgcfühl heftet sich "n die Pcrsou. Schon in dcr Urzeit, dcr heidnischen Zeit, dcr Germanen, ordnete sich das Volk dem Adel, dieser sich dem Smstcn unter, das Land wo man lebte kam wenig in Ve-lwcht, fast alle germanischen Völker haben stets ihr Vaterland lacht verlassen, «nd sich ein bcsscrcs Land gesucht. Utii liene 28 il)> ^utim! —^) Sie nahmen überall leicht die Sprache^) des LandeS an, wohin sie zogen, mischten slch bald mil den fremden Völkern; allein ihre persönlichen socialen Bande, ihre Rechtsverhältnisse unter einander, ihre Rechtsformcn und Volksvcr-fassnngcn brachten sie überall mit und lebten danach. Ganz anders waren die Urzustände des slavischen Volksstammes. Vei den Slaven findet man in ihrem Urzustände keinen Adel als abgesonderten Urbestandtheil oder Stand. Selbst noch Procop versichert dieß für seine Zeit, .im 6. Jahrhundert. Vei den Slaven in Norddeutschland erscheinen zwar, schon bald nach den Zeiten Karls des Großen, Fürstcngeschlechtcr, sogar in Rügen ein priesterliches Königsgeschlccht,^^) s^e,»,. anch wendischer oder slavischer Adel, allein germanische Mischungen nnd Einflüsse mögen viel zn seiner Entstehung und Geltung beigetragen haben. Traditionen von einem fremdartigen Ursprung etwa gar behauptete Abstammung von Göttern findet sich nicht. Der Adel möchte seinen Ursprung hier ans vererbten kriegerischen Eigenschaften nnd großen Landbesitz herznleiten haben. — Die Czechen haben, so viel ich. erfahren, ursprünglich keinen Adel gehabt, eben so wenig findet man bei den übrigen slavischen *) In den Ländern, wo die Germanen süb mit den antiken Völkern gemisll't nnd ;u Romanen geworden, in Iwlien, Fraukrekl', Spanien isl der antike Begriff und das Gefühl des Vaterlandes mehr cr-haltech, und irilt mehr hcrvor. Im eigentlichen Deutschland war das Gefühl eines großen Vaterlands fast gar nül't vorhanden. Das jetzt, 184K, geweckte ist Poesie, ein Gedanke, ei» Kind der modernen Cultur niid Erziehung, Kein Volk ist noch gegeuwarlig so auswan-derungssüchtig mid verläßt leichter das „Vaterland", als tas deutsche. ") Wenn hirvon die Ostsecprovin^cn eine Ausnahme l'ildcii, so erwäge man, daß die Dentsäen hierhin in einer Znt kamr», wo sich der deutsche VolfScharacter völlig ausgebildet, die Spraye schon eine hohe Eullnr und Litteratur l'esaß, wo Christeiühnm und staatliche Formen eine stcte Verbindung mit dem Vaterlandc erhicllcu, niid daß sie in jeder Enllurbczichung weit über den Vollern in dcn eroberten Landern, den Letten und Estheu, standen, ties« ihnen also uichls ;n bic-teu vermochten, um sie ;n sich herüber zn ziehen. "*) Von welchen: wahrscheiülich das noä, vorhandene Gescl'lecht der Fürsten von Putbuö abstammt. Da^ mrklenburgische Fürstenhaus ist fbeufalls ein flavisckes Fürstengeschlecht. 29 Stämmen dcr östreichischen Monarchie ursprünglich cingeborcnc Adclsgcschlcchtcr. ^tnr bci den Polcn begegnet uus, so wcit dic Geschichte hinaufreicht, cm zahlreicher nnd mächtiger Adcl. Ich habe schon vor Jahren die Combination gewagt, nnd sie ist jetzt anch von inländischen polnischen Gelehrten adoptirt worden, dasi in Polen zwei slavische Stamme übereinander sitzen, ein Volk der Eroberer und Unterjochn', nnd ein unterjochter Stamm. Wahrscheinlich sind hie Garten- nnd Ackerbautreibenden Wenden, die besten 'Ansiedler, dann ist wohl iu der Ieit der Völkerwande-l»ug ein sarmatischer nomadisirendcr Volksstamm, wahrscheinlich ebenfalls slavischen Ursprungs, die Lcchen,*) in das bebaute Land gedrungen, hat es erobert nnd die Einwohner unterjocht. 55) Ich gebe viel ans die allgemeine äußere Physiognomie dcr Völker, und da ist mir dann stets dcr wesentliche Unterschied des polnischen Adcls und dcr polnischen Bauern im Acußern nnd im Character anfgcfallcn, der sie offenbar als verschiedene Völker erscheinen läßt. Dcr polnische Adcl ist in dcr Regel dunkel von Haar nnd Angcn, von Gestalt leicht nnd gewandt. Der polnische Vaner dagegen ist blond oder röthlich, und von blanen oder granen Angen, von Gestalt plnmp nnd ungelenk. — Anch im Character ist ein entschiedener Gegensatz. Dcr polnische Bauer ist phlegmatisch, weich, fleißig, wiewohl nur den leichten Ackerban oder vielmehr den Gartenbau liebend (daher der sehr zahlreiche Stand der Gärtner, /iixroämk, in Polen nnd Schlesien), hat aber ein ungemein kräftiges nnd tiefes Hci-mathsgefnhl. „Wenn ich anch Alles verliere", sagt der Polack, „so grabe ich mir ein Loch in die Erde mcincS Dorfs, nnd will ') Lclevel (Betrachtungen über den politischen Zustand des ehemaligen Polens, Brüssel bci Mnqnard l«45) sagt ,,^.. 7: das Wort s-ln-ckcic, SchlachtM, Adlichcr, käme Von X-I^licic, «x I^clul» pra^-nitu8 her. Die Sage berichtet, dcr jüngere Bruder des Lech sei nach Böhmen gekommen, und seine Nachkommen, die Lechcn, haben dort mit den Kmcten und Vladikcu den Adcl Mldcl. In dem Gedicht: „Gericht der Libussa" heißt es: „Die Kmcten, Lechen und ^ Vladiken erhoben sich, und sprachen Recht nach dem Gesetze." > Sle winden wol Anfangs nur abhängig, abgabenpflichtig, keine Sclaven «der Leibeigne. Ein Verhältnis;, wa6 sich erst i», Mittelalter unter dem Ginflnssc beö Westens ansbildetc. 30 darin leben nnd sterben." Gan; anders der polnische Adel, leicht, flüchtig, unbeständig, arbeitsscheu, gern nmherziehend, sehr tapfer und leicht schlagfertig, bewahrt er noch immer dm Character deS freien nomadischen Neuters im alten Slythien. Den Ahnenstolz, den Stolz ans die Abstammung vo» unbekannten, im Dunkel der Vorzeit sich verlierenden Vorfahren, in der Karikatur: den Iunkcrdünkcl, hat der polnische Adel eigentlich nicht. Das ist das essentielle Kennzeichen des germanischen Adels, durchaus verschieden von dem schmeichelnden Bewußtsein eiu Abkömmling von Göthe oder Schiller, oder in Polen von einem Poniatowski oder Sobieski zu sein, d. h. von einem bestimmten nnd gekannten bcri'chmten Mann abzustammen, welches sonst wohl ein natürliches und schmeichelndes Gefühl für Jedermann ist. Wenn wir selbst bei den Polen keinen Uradel im germanischen Einne des Worts, d. h. einen abgesonderten Bestandtheil des Volks, seit Uralters, seit unvordenklicher Zeit, stolz auf besondere Abstammung von Urkönigcn nnd Fürsten oder gar Göttern anerkennen können, »so müssen wir dann in Bezug ans alle russischen Stämme die historische Vehanpwng wagen, daß sich iu der Urzeit uud selbst beim ersten Dämmern der Geschichte kein Adel, kein abgesonderter Stand vorfindet. — Schon bei den Nuthenen oder Nusniackcn, die zncrst unter litthauischer, dann polnischer Herrschaft standen, findet sich kein emgeborner Adel. Der in ihrem Lande ansässige nnd sehr zahlreiche Adel besteht aus lauter polnischen Familien mit polnischem Wesen, polnischer Sprache und Sitte, sich scharf vom gemeinen Volke scheidend. Sie sind offenbar im Mittelalter eingedrungen, haben sich ansässig nnd die Rnthenen zn ihren GntSnntcrthancn gemacht. Selbst die Schlachta in diesen Landstrichen, d. h. der Vancrnadel, Dörfer deren sämmtliche Einwohner zum Adel gehörten, sind Polen, ihrem ganzen ausieru Habitus nach, wenn sie sich anch sollten hin und wieder mitten unter, oder rund um von Ruthenen umgeben, rnthcnisirt haben. Man behanplet in dieser Beziehung auch, die Könige von Polen halten hin und wieder anch ein national-rnthcnischcs Dorf wegen kriegerischer und anderer Verdienste mit Adclsprivilegien begabt. Vci dm Großrnssen findet sich bei ihrem ersten Erscheinen in der Geschichte kcinc Spur eines cingeborncn Adcls. Man "blickt Familienhänptcr, Stammesfürsten^), kleine republikani' schc Gemeinwesen, ohne Volts- nnd staatlichen Znsammenhang unter ihrcm Alten (Starosten). So vereinzelt wurden znnächst die nördlichen von den Warägern unterjocht und tributpflichtig gemacht. Da vcrci>ngten sie sich endlich nnd vertrieben ihre Unterdrücker. „Aber," sagt der Anallst Nestor, „sie singen an die Herrschaft über einander zu suchen, und es traten die Gc< schlechter feindlich gegen einander auf, und war kein Recht nnter ihnen nud Unruhen. Und sie schickten über's Meer zu den Rnß-Warjagcrn und sprachen zu ihnen: Unser Land ist groß nnd ergiebig, ermangelt aber der Ordnnng, kommt zn mw zu herrschen und zu gebieten. — Und es wurden drei Brüder mit ihrcu Geschlechtcru ausgewählt und nahmcu mit sich alle Russen nnd kamen zu den Slaven."^) ') Siehe: Gvers ältestes Necht dcrNusseu nnss. 44, ^5, 2W. 3luck: von Hagemcistcr, im Arä'i» für wissenschaftliche Kunde von Rußland, von Grmanu. 1842. Heft I. II. ") In dieser ersten Begebenheit zur Gestaltung eines Staats im Lande der Ostslavcn liegt das Geheimniß und die Signatur dcr ganzen Geschichte Äusilands. Patriarchat-rcpublicanische Fannlienvclfaffun-Ncn und Gc,neinwescn l^uueu nicht neben einander bestehen, sie bedürfen eines Ginheitspunktes, eines Hauptes, so wie der Bienenkorb ohne Königin nicht eristiren kann. Es ist eine völlige Ner-lcmnmss des Characters der russischen Geschichte und des russischen V»lks, wenn Jemand glaube» löinitc, das wahrhaft rcpublicani-schc Nnßland kdnue ohne Autocratie cristireu. Dcniocraiic unten und Autocratic »beu bedingen sich als die beiden Pole, in denen Rußland lebt. Aber zu seinem Glück ist die Dcmccratic Nußlands Patriarchalcr Natur, und so ist dann auch die AutocraNc patriarchate? Natur. Neide zu einem Ganzen verciut, habeu ihre Grundlagen in der Volksreligion und dem Vollsinstinktc. Was wir icht in Westeuropa Democratic nennen, hat dagegen feine Grundlage» im Atheismus und der Selbstvergottcrung. Gs ist der dämonische Schemen der ächten Democratic, darum tritt sie auch gegen alle wahren Dcmocraiieu nnd NcftMicen zerstörend auf, wie wir in der Schweiz sahcn. Die Kämpfe und Convulsion«» in der Schweiz si,,d weiter uichts, als die iiefr widerwillig« Sehusncht nach der Monarchie'. Erst wird die wahre Demvcratie zerstört, aUes 32 Rurik kam mit seinen Brüdern und Gefolgschaften, das war der Anfang dcr Monarchie und des ersten Adels; denn Nnrik vertheilte das Land nnler die ihn begleitenden Warjagcr. Schon nntcr seinen nächsten Nachfolgern Oskold und Dir werden sie Bojaren, edle Krieger, genannt. Auch scheinen einzelne Nar-jager ans ihre eigne Hand sich mancher Landstriche bemächtigt zu haben. In den Verhandlungen Olegs und IgorS erschienen nämlich erlauchte Fürsten, die von den Dicustlentcn, den Bojaren, unterschieden wurden. Doch verschwinden sie bald, uud es blieb nnr der Dienstadel. Der erste Adel Nusilauds ist daher ein eingcwanderter, fremder, doch mögen anch bald slavische Stammeshäuvtliugc in die Reihen der Dienstleute oder Bojaren eingetreten sein.^) Ein Theil dieser Dicnstleute umgab beständig die Fürsten als Gefolge, man nannte sie die Freundschaft, Drnschina. Diese Druschina erschien Anfangs anf einer geringern Stnfc des Nanges als die Bojaren, es waren freie Krieger, die sich dem Fürsten auf Zeit, auf Lebenszeit, zuletzt erblich gegen Unterhalt und Verpflegung untergaben. Die Bojaren iu ältester Jew waren dagegen wol schon eingcwan-dcrtc rnsso-warjagersche Edle, denen die Fürsten Land uud Lcutc überwiesen hatten, unter bedungenen Abhangigkcits- und Dienstverhältnissen. Anfangs erschienen demnach zwei Volker, ein herrschendes die Nnsso - Warjagcr und ein beherrschtes die Slaven, die ersteren bildeten den Arel (nach und nach traten die Stammeshäuptlinge dcr Slaven uud wer sonst von diesen von den Fürsten herangezogen uud begünstigt wurde, hiuzu), die zweiten das gemeine Volk. Man erkannte dieß vorzugsweise daraus, daß wcnigstcus späterhin die Blntbustc für die ersteren sehr viel höher, als für die zweiten stand, für erstere 80 Griwnen, sür dic zweiten herab bis auf 5 Griwncn. (Früher war die Vlutbußc für Jedermann gleich, nämlich 40 Griwncn.) Den Keim und dic Grundlage des ältesten russischen Adels bildeten demnach fremde Einwanderer, dic Warjager. Er war Organische aufgelöst, alles centralist, bann kommt anarchische Despotie, und ;»?cht erlöset die Monarclue das zerknirschte, müde Volk! ') Versuch über die geschichtliche Ausbildung der russische» Staat«?, und Nechtsvtlfassun^ vou Aler, v, Neuh. p. 3«. 53^ kein national-slavisches Element, wenn anch Nationalslaven bald Antheil an der nencn Institution nahiucn, und die Russo-Warjager sich nach ein Paar Generationen völlig slavisirtcn. Keim und Grundlagen waren offenbar germanischer Natur, von den Germanen oder Scandinaven bei den Slaven eingeführt, sie haben die auffallendste Achnlichkeit mit der Entwickelung des Adels-Instituts, wie wir eS bei den Franken finden. Selbst der Name Druschina erinnert an die Antrustiones dcr Franken! In dcr Entwicklung der folgenden Gcschichtsperiode, wo vorzüglich duvch Einfluß dcr Mongolcnhcrrschaft das Großfür-stcnthum sich allmälig in das Zaarthum (die wesentlich slavi-iche Monarchie) ausbildete und umwandelte, traten auch in Vczug auf die Institutionen dcS Adels bedeutende Veränderungen und Umwandlungen ein. Der Name Drnschma^) verschwand, sie verwandelte sich zum Theil in dcn Dwor Hof, ihre Glieder in Gridni, später Dworjane Hofbeamten. Die Hofordnung ward dann wohl größtcnchcils vom Hofe von Byzanz entlehnt. Daß sich aus dem germanischen Elemente anch eine Art Fcudalwcsen entwickeln mußte, war natürlich. Es kamen die Verleihungen von Land und Einkünften gegen zu leistende Kriegsdienste in großer Masse auf. Diese Kriegcrkastc trat an die Spitze dcr allgemeinen Hecrcsfolgc, die ^übrigens selten aufgeboten wurde. Die Ent-stchuug des Titels und Ncscns des Bojareuthums ist dunkel, wahrscheinlich waren cö ursprünglich die warjagerschen Häuptlinge, dcr natürliche alte Bcirath dcr Fürsten.^) Anfangs schien der Titel erblich in bestimmten Familien hergebracht, später ertheilten die Fürsten Würde und Titel cincs Vojarcn an Persönlichkeiten, selbst an Ausländer. Diese Formen des Lehnwcselts, welche während des Vcstc- ') Der Name Druschina tcmckte M Zeit der Invasion Napoleons wieder a„f, wo dcr damals zur Laiidesverlheidigimg orgamssrten Landwehr dieser Name gegeben wurde. ") S^ott sehr ftüh hcisä es im Eingänge der Urkunden: „Mit Vei< tail, der Bojaren", allein die Fürsten waren nicht daran gebunden, v, Reuh a, <,, O. ,.«ss, 107, g 34^ hens dcr Theilfürsten große Freiheit und Unabhängigkeit, selbst Zügellosigkeit des Adels begründeten, indem er sich die Freiheit errang von einem Fürsten zum andern überzugehen, wobei er nur sein Lehn zurück gab und cin anderes erhielt, nnd wo er in Vezng auf sein Erbgut der Unterthan des einen und von seinem Lehngnt der Dienstmann des andern Fürsten sein konnte, wurden allmälig beseitigt. Sobald sich das slavische Zaarthum und die Staatseinheit entschieden ausbildete, traten die Dienst-manner immer mehr in das Verhältniß der allgemeinen llnter-thancuschaft zurück. Wahrend so das germanische Fendalwescn allmälig wieder verschwand, bildete der Adel sich in äußeren Verhältnissen mehr aus. (5s entstanden Klassen im Aoel. War auch das Boja-renthum in dieser Periode eigentlich nicht erblich, so wurde es dieß doch allmälig, wenigstens gewährte die Abstammung vom Bojaren Djeti Vojarskie (Vojarcnkindcr, Enkel) einen bestimmten Nang. — Die Knase, die Fürsten bildeten cine eigne Klasse, em Theil derselben stammte von den Thcilfürstcn, also von Rurik her,5) diese warm also Blutsverwandte der regierenden Linie, andere von andern ausgewanderten Warjagcrgeschlcchtcrn oder von fremden Fürstengeschlechtern, wie die Galizin, die Ku-rakin, die Gagarin^), hie Trubchkoi, so wie die polnischen Geschlechter der Czartorysli, der Qlelkowitsch, Ibarasz ") Nach germanischen Begriffen würde man die von Nurik abstammen« den Familien als zum vornehmsten Adel Europas gehörig ancrkeil-nen müssen. Die ältesten germanischen Königsgeschlechtrr stammten nach der Sage von den Göttern ab. Sie sind fast alle ausgestor« den, und die jchigen europäischen Fürstengeschlechter sind meist nur aus dem ältesten Adel hervorgegangen. Nlirik gehörte min aber wahrscheinlich cincm solchen nordischen, von Odin abstammenden, Königsgeschlechtc an. *") Sie führen daher alle noch das litthauische Wappen im Mi gleiche., Amt, so hatte der letztere doch den Rang vor den, erste", 3' 3ft besondere zum Kriegsdienst war früher nicht ganz nnd rein persönlich, er konnte für sich eine Anzahl ans seinen Leuten stellen (von 100 Tschctwcrt Aussaat guten Landes einen Reiter in voller Rüstung mit 2 Pferden). Unter den Romanows ward diese Dienstpflicht ganz persönlich. Jeder Adlige ward, sobald er das gesetzliche Alter (!8 Jahr) erreicht, zum Dienste angeschrieben, aber er erhielt danu auch Dicnstgütcr oder Geldeinkommen. Kranke und Greise konnten bei cincm Aufgebot cmS ihrer Verwandtschaft Stellvertreter für sich schicken, sonst mußten sie eine Anzahl gerüsteter Leute stellen oder Geld zahlen. 5) Zum Besitz von Grundstücken war der Adel damals vorzüglich, aber doch nicht ausschließlich, berechtigt. Er besaß ländliche und städtische Grundstücke, durste aber nur auf erstereu Bauern ansehen. Er war jetzt steuerfrei, Gr erhielt häufig vom Iaar Güter geschenkt, anch mitunter verkauft, welche ebenfalls steuerfrei wnrdcn. Dergleichen Dicnstgüter wurden auch den tatarischen Fürsten oder Mnrsen ertheilt, die dafür ebenfalls Kriegsdienste leisten mußten, aber dann anch dem russischen Adel zugezählt wurdcu. Auch Ausländer, die in rnssische Kriegsdienste traten, erhielten solche Dienstgütcr (die sogar eine besondere Klasse von Gütern bildeten und immer nnr wieder an Ausländer verliehen werden konnten). Ueber die Dienstgüter bildete sich ein förmliches Erbrecht aus, nur Dienstunfähige waren von diesem ausgeschlossen. Als Regel bei der ersten Anstellung galt, daß jeder um 2 Stufen tiefer feineu Dienst begann, als sein Vater stand. Hatte er Unglück, kam nicht vorwärts, oder war er trag, so mußte sein Sohn wieder 2 Stufen tiefer anfangen. War aber die Familie auf der untersten Stufe der Range angelangt, so verlor die nächste Genera-tlon den Adel nnb alle Vorrechte. Nicht Fähigkeit und Verdienst berief z. V. den Feldherrn an die Spitze bcr Armee, sondern seine genealogische Stellung. Selbst vor dein Feinde disputirten die Generäle über den Vortritt und Vefthl. ") Die Aehnlichkcit mit der germanischen Mlmsterialität, vo» denen „och die Nebcrrcste in den Abgaben der Ritterpferde ,c. bestehen, wird jedem einleuchten. 3? Auch Wittwen und Töchter hallen beschränkte Nutzungs- und Erbrechte. Dieß war in allgemeinen Umrissen die staatliche Stellung dcs russischen Adels bis zur Zeit Peter I. Vou da an trat allmälig cine bedeutende Umwandlung ein. Noch während der Minderjährigkeit Peter l. legte dessen Bruder, der Iaar Födor, den ersten Grund zur Auflösung der bisherigen AdclSvcrfafsung. Die ausgebildeten Rang- und Klassen-Verhältnisse und die darans hervorgehenden beständigen RanMcitigkeitcn und Zänkereien zerrütteten auf ganz unglaubliche Weise die Kraft des Staats. Auf Rath dcs Fürsten Wasilii Galizin versammelte der Zaar den Adel iu Moskau, schte die großen Nachtheile dieser Verhältnisse anseinandcr und die Zcrrüuuug, welche dcu Staat, das Vaterland, bedrohe. Alle scihcn es ein, uud verzichteten freiwillig auf diese bisherigen Rangnntcrschiedc. Alle Ranglisten und vorhandenen Dicnstre-gister wurden dann öffentlich in der Vcrsammlnng verbrannt. Es ward dadurch völlige Gleichheit unter dem Adel festgesetzt, und bei strengen Strafen geboten, daß jeder Adlige dort, und nntcr dem unweigerlich dienen solle, wo nud wie der Zaar nach Würdigung der verschiedenen Fähigkeiten uud Talente eS geböte. Anßcr diesen Dienst- uud Rang-Verhältnissen, welche damals eine so große Umwälzung im Innern dcs AdclsinstitutS erlitten, hatte doch außerdem im Allgcmciuen der Adel eine sehr bedeutende Stellung und große Prärogative im russischen Staate, wohl mehr auf uatürlicheu Entwicklungen und Gewohnheiten, als auf Gesetze oder gar direct ertheilte Privilegien gegründet. Er hatte einen fast ausschließlichen Anspruch auf alle Aemter, Ehren und Dieuststellm sowohl im Militair als im Civil ldcr Zaar konnte jedoch unbeschränkt in den Adel erheben uud dem Neuadligeu Stelleu verlchcu wie er wollte!). Der Adel allein konnte Landgüter mit Vaucru besctzeu, er war steuerfrei, cr war crimirt von der Todes- und Torlurstrafc :c. Man hört nun wohl häufig die Behauptung, Peter I. habe das alte Adelsinstitut Rußlands völlig zerstört, wenigstens in seinen tiefsten Grundlagen angegriffen uud völlig umgewandelt, ___38^ und statt dessen das Tschinwescn, eine Vcamtcnhicrarchie mit adligen Ncchlcn, eingeführt. — Ich kaun dem nicht beistimmen. Peter I. führte mit unerhörter Energie und Rücksichtslosigkeit und ohne Zeitverlust durch, was schou lange, schon seit Iwan dem Schrecklichen, und ganz entschieden seit dem ersten Romanow in der natürlichen und nothwendigen Entwicklung Rußlands zu einer europäischeu politischen Macht gelegen hatte. Der allgemeine Heerbann, das Anfgebot des gesannntcn Adels beim Kriege hatte schon lange nicht mehr dem Bedürfnisse genügt, in der StrclilMvcrfassnug war schon der Grund uud Uebergang zu eiuem stehenden Heere gelegt. Peter und seine Nachfolger organisirten dieß letztere nun vollständig nnd zwar ganz und rcin auf europäischen Fuß. Desgleichen organisirtcn Peters Nachfolger, insbesondere (5atharina ll. uud Alcrandcr nnd Nieolaus die civilstaatlichcn Einrichtungen ganz nach europäischen, vorzüglich deutscheu Mustern, während vorher der gauze Civilstaat gewissermaßen nur ciuc Delegatiou des Hofstaats war. Peter hob die Militair- und Hofdienstpflicht des Adels auf5), aber factisch ist hierdurch nichts geändert, der Adel hat nach wie vor allen Dieust nach jeder Ceite hin verrichtet uud übernommen. Wer nicht dieute, ward gesetzlich gewissermaßen für minderjährig angesehen nnd erklärt, wenn er auch sonst der Rechte nnd Vorzüge seines Standes nicht verlustig geht. Weuu 2 Generationen einer Familie nicht dienten, so verloren sie den Adel und seine Vorrechte. Dabei sprechen sich die öffentliche Meinnng nnd die gewohnten Anschauungen in ganz Rußland der Art aus, daß nur derjenige Geltuug in der Societät hat, der dient oder gedient hat. Als anerkanntes Factlim lann daher gelten, daß es im eigentlichen Rnßland selten einen Adligen «) Gesetzbuch (Swod) Vd. IX. 1. Buch ,,, 184. „Dem russischen Adel ist für immer und für alle nachfolgenden geschleckter die Freiheit verliehen, in den allgemeinen Staatsdienst zu treten, ohne hiezu gezwungen zu sein, es sei denn, daß eine besondere durch einen namentlichen Allerhöchsten Befehl bezeichnete Nothwendigkeit (wie z. V. 4812) solches frrdern sollte." 39 giebt oder geben wird, dcr nicht im Militair- odcr Civildienst steht odcr gestanden hat. ^ Ich kann nach dem hier Angcfi'chr-l"l daher nicht zugeben, dasi dilrch dic Gesetzgebung seit Peter l. Attisch cinc groß/ Umwandlnitg in dem politischen Character nnd der Stellung des russischen Adels eingetreten sei. Die Tschm-Einrichtungen sind eigentlich nur dic cnropäisircndm Vereinfachungen jener altern mehr orientalischen Rangverhält->usse, aber Pctcr bauctc cinc Mauer um den Hof nnd liest das Thor offen'. — (§Z jst s^c Entwicklung aus bereits vorhandenen Gruudlagcn gewesen, ganz ähnlich wie in Deutschland und namentlich 5. B. in der Mark Vrandenbmg. Hier stand der 'Adel im Lchnsvcrbande, er war zu Hof- und Kriegsdiensten verpflichtet, Im 18, Jahrhundert hoben die Regenten den Lehusncrus auf, und schenkten also dem Adel gewissermaßen dic frühern Lehngüter; hicmit hörtc ebenfalls dic direcle Pflicht, im Kriege und am Hofe zu' dienen, auf. Dennoch änderte dieß fast gar nichts iu dem Character und den persönlichen Verhältnissen des märkischen Adels. Er diente natürlich uicht mehr als Lehnsmaun, weil die Zeit keine Vasallenhcere mehr bedürfte, da sie völlig unpraktisch nud unbrauchbar geworden, aber der Adel diente nach wie vor im regelmäßigen Hcerc als Offizier, am Hofe oder in der Administration. König Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. hielten sich Tabellen, worin alle Eöhnc ihres Adels verzeichnet waren, nnd kannten schon die nöthigen Mittel und Wcge, den gestmdeu nnd kräftigen Junker mit seinem l5ten Jahre iu irgend einem Regiment? zu „placi-rcn". Es war keinem m rathen sich zu weigern, ungern gestatte Friedrich Wilhelm I. cincm gesunden, kräftigen Burschen „Federfuchser" zu werden, d. h. in den Civildicnst zu treten! Sie nannten selbst ihren Adel die Pcpinierc für den Dfficicrstand ihrer Armee! — Seit 1808 ist das audcrs, aber in Rußland besteht dieses Staatsfystem noch. Auch Peter l. ließ*) dcm Adel, wie die brandcuburgischen ') Wichelhcmseu a. a. O, i>. 241. Gs sollen damals nur wenige Erbgüter vorhanden gcwcscn sein. DaS Gestbcuk war demnach m<< geheuer, da jcht über dic Hälfte alles tultwirten Bodens in den Händen d«s Adels ist. 40 Fürsten, die bisher von demselben besessenen Dicnstgütcr zum uneingeschränkten allodialm Besitz. Ucbcrhanpt möchten die materiellen Vortheile, die der russische Adel seit seiner nencn Organisation erworben, wohl bei weitem alle Nachtheile überwogen haben, die er etwa gehabt und aufzählen könnte. Das rnssische Gesetzbuch, der Swod, giebt folgende Definition über den rnssischcn Adel. 5) Cap. I §.14.: „Der Adel ist eine Folge der Eigenschaften und Tugenden der im Altcrthnme mit Staatswürdm bekleideten Männer, die sich durch Verdienste ausgezeichnet, wodurch sie den Dienst in Verdienst umwandelnd, ihrer Nachkommenschaft den Titel „Wohlgeborcn" erworben haben. Wohlgcborcn heißen alle diejenigen, welche entweder von wohlgcbornen Vorfahren abstammen, oder denen dieser Titel von dem Monarchen verliehen worden." „§. 15. Der Adel wird eingetheilt 1) in den erblichen, 2) in den persönlichen." Diese Definition^) gM eigentlich den vollständigen Beleg zu der vorstehenden Darstellung über den Ursprung, die Natur und den Character des rnssischcn Adels. Der Kaiser verleihet die Titel: Fürst, Graf, Baron, innerhalb deS vorhandenen Adels durch besondere Urkunden. Dagegen sind eigentliche Adelsbriefe gewiß eine große Seltenheit in Nußland, da überall der Adel durch den erhaltenen Dicnst-rang im Militair oder Civil erworben wird. Als Grundlage alles Dicnstraugcs in Nußland gelten die durch ganz Gnropa ziemlich gleichen oder ähnlichen Gradationen ') Das russische Siänderechl. Eine Ucberschimg des 9. Bandes des Coder der Gesetze dcS Russischen Reichs von Herman Faltin, Milan 1846 i». 5. Zwar keine officiclle Ueberschnnss, doch hat das Auch die Eynsur passirt. ") Der Gingang dcS Manifestes vom 11. Juni 1845 stimmt hiemit überein. „Seit Alters ward in Rußland der Adel durch den Dienst erworben; doch veränderten sich die Bedingungen, unter welchen er erworben werden kennte mit den Abänderungen, welche die Ordnung des Militair- und Civitdicnstes erlitt. Der Kaiser Peter I. führte nenc Nangllasscn in, Reiche ein, nnd verlieh ihnen neue Rechte,c," Vill. Faltin i'^. 385. 4» im Officierstande. Dieser Gradationen giebt cS nun vom Fähnrich zum Feldmarschall aufsteigend vierzehn, und zwar ist die l-l tc die niedrigste. Die Rangstufen im Eivildicnst correspon-dircn hicmit. Peter I. setzte fest, daß die Erlangung des untersten Mili-wirrangcs, der eines Fähndrichs, so wie der acht ersten Rang-klasfcn dcs Eivildicnstcs die Rechte des erblichen Adels gewahren sollte. Hiedurch vermehrte sich bei dem ungcmcincn Wachsen der dem Bedürfnisse einsprechenden Zahl von Ossilicren und Veamleu, dic Iahz der Familien des erblichen Adels ganz uu-qemein. DaS Manifest vom 1l. Juni »8^5 schränkte dieß daher ein. Die Erwerbung deS Officiers- (Fähndrichs-) Ranges gewährt mmmehr nur erst den persönlichen Adel, aber die Erwerbung des Slabsofsicicrraugcs den erblichen. Im Eivilvieust gewährt die Erlangung der 14. Rangklasse (correspondircnd mit der eines Fähndrichs) nur den Rang eines persönlichen Ehrenbürgers, die der 9.-Klasse den persönlichen Adel, nnd erst die der 5. Klasse den erblichen Adel. Katharina ll. suchte dem russischen Adel corporative Gesinnungen und Tendenzen einzustoßen. Sie gab ihm politische Rechte. Eie theilte das Reich in Gonvernemcnls und gab diesen unter dem 21. April 1?«5 eine organische Verfafsnng nach deutschen Mnstcrn (größtcntbcils von den Ostsccländcrn entlehnt). Der im Gouvernement ansässige Adel bildet hicnach eine Corporation unter cinem gewählten Adclsmarschall, und so vielen Krcismarschällcn, als Kreise im Gouvernement. Alle 3 Jahre versammeln sich die Mitglieder der Corporation. Die Versammlung berathet frei, der Gouverneur darf uicmalS gegenwärtig sein. Eic hat ihr Siegel, ihr Archiv, ihr secretariat, ihre Kasse. Sie kann alS Versammlung nicht vor Gericht gestellt, nicht verhaftet werden. Sie kann Strafen über ihre Mitglieder verhängen, Verbrecher und Ehrlose ausschließen. Sie führt Geschlechlsregistcr und Adelsbüchcr. Die Corporation hat eine permanente Depntation, die mit der der Städte znr Prüfung des Anschlags und zur Repartition der ^andcsprästandcn zusammentritt. Sie prüft die AdclSbeweisc, conlrolirl und ccn- sirt die OutSherrn über dic Behandlung der Leibeignen, stellt sie eventuell, so wie notorische Verschwender, nnter Curatcl. In den Händen dcr Adelscorporation, wie sie sich in ihren verschiedenen Organen dcr Versammlungen, dcr Marschälle, der Deputationen ausbildet, liegen säst alle administrativen und polizeilichen Fnnctionen des Gouvernements. Sie wählt den größeren Theil der Administrations- wie dcr richterlichen Beamten, leitet das Necrutirungswescn, hat die Erhebung der Staatsabgaben, übt die Landespolizci, beaufsichtigt dic Magazineinrich-tllngen, übernimmt ausgeschriebene Lieferungen. Der russische Edelmann kann nur durch Uriel und Recht seines Lebens, seines Vermögens und seiner Ehre verlustig gehen. Er kann nur von scineS Gleichen gerichtet werden. ^) Das Urtheil muß vom Kaiser speciell bestätigt werden. Es kann ihn keine körperliche Strafe treffen. Der russische Edelmann ist frei von persönlichen Abgaben. Er ist frei von der Recrutcnpflichtigkeit, frei von Einquartirung. Auf seinen Gütern kann er.Fabriken und Industrieanlagen aller Art frei anlegen. In den Städten muß er in diesem Falle jedoch in die betreffenden Gilden eintreten. Er darf seine cignm Productc und Fabrikate frci verkaufen. Es gicbt in Europa kein Adelsinstitut, welches so ausgedehnte Vermögensvcrhällnissc und persönliche Privilegien und Freiheiten, so große politische Rechte für die ganze innere Rcichs-verwaltung, eine solche materielle Macht nnd Kraft besäße, als der russische Adel. Mehr als die Hälfte alles wirklich cultivirtcu Grund und Bodens gehört ihm als unbeschränktes Eigenthum. Ueber die Hälfte der Bevölkerung des eigentlichen Rußlands (über ') Ein Princip, welches durch das ganze nissische Criminalrecht lmlfi. Auch die Bulger lbnnen nur von ihres Gleichen gerichtet werden. Ob dieß Princip allrussisch ist, vielleicht noch aus dcn Narjager Zeiten hcrstammt, oder'vrn dcn Deutschen entlehnt ist, wagen wir nicht ;u entscheiden. 43 !- Millionen Seelen, also über 24 Millionen Köpft) sind nicht blos seine Unterthanen, sondern seine Leibeignen. Ueber seine persönlichen Freiheiten nnd Privilegien, so wie scinc politischen Rechte habe ich vorstehend das Nöthige gesagt. Dennoch kann man nach nnscrn enropäischen Begriffen nnd Anschauungen keineswegs behanpten, daß der russische Adel eine machtige Aristocratic bilde. Gs ist wenig esprit lw corps, kein bestimmter Character corporativer Gesinnungen nnd Tcn-dcnM, kein Znsammcnwirken auf bestimmte Pnnkte hin sichtbar. Trotz der nngehenren materiellen Macht ist der wirkliche und geistige Einftnsi ans die Denkart, die Gesittung, den Character seiner Leibeignen nnd der Masse deS Volks höchst unbedeutend. Nach oben hin, dem Gonvcrncment oder gar dem Zaar gegenüber übt er als Corps nur den Cinslnß, den das Gouvernement wünscht, hervorlockt, gewissermaßen heranszwingt. Man könnte fast behanpten, die Corporation besteht nur ans Gefälligkeit gegen die Ideen nnd Intentionen des Gouvernements, sie würden sich sogleich fast ohne Widerstreben auflösen, wenn dieses nur den leisen Wunsch ausdrückte oder es gar beföhle. Ich habe schon an andern Stellen auf dcu wesentlichen Characternnterschicd zwischen den germanisch-romanischen und den slavischen Völkern anfmcrksam gemacht. Es herrscht bei den slavischen nnd ganz insbesondere bei den russischen Volksstämmen durchaus kein corporativer Geist. Das steckt im Blut, nnd alle an- nnd eingelernte europäische Bildnng wird diesen Geist nicht in das russische Volkslebeu einbürgern, so wenig wie die herrschenden ideologischen Ncvolnlionsidccn ihn je bei den germano-romanischen Völkern völlig zerstören werden. Cr sucht sich hier nur neue Formen. Catharina II. nnd ihre Staatsmänner fühlten offenbar, wenn auch nur instinctartig, die Gefahren des bureaucratischcn Veam-tenthums, sie scheinen geahnt zu haben, wie bei der durch Peter I., zwar im Allgemeinen nach westeuropäischen Mnstern, aber schon bei weitem conseqncutcr wie dort ausgebildeten und der damaligen Zeit weit voran eilenden russischen Vcamtcnhicrar-chic, nach und nach der ursprüngliche Character der altrussischen Monarchie, des Iaarenthums, des Patriarchalismns, unterzu- ^4___ gehen drohetc, wie die ganze Regierung nothwendig in den todten formalen Veamtenabsolutismus sich nmwandeln mnßle.^) Die Gefahr erschien um so größer, als das russische Tschi-nofnikwesen (Vcamtcnthum) nicht die ethischen Grundlagen zu gewinnen wußte, die namentlich das deutsche besitzt, die Solidität in allen Arbeiten, musterhaften Fleiß, hohe technische Bildung, Genügsamkeit in ihren Lcbensvcrhältnisstn, und vor Allem Integrität des Characters und Unbestechlichkeit. Wahrend demnach Peter die Formen der alten Kriegs- und Staatsdienste zerbrach, den fastenartig gegliederten russischen Adel als solchen völlig bei Seite schob, nud ihn zwang, in die neugeschaffenen Dicnstformcn sich einzuschachteln, suchte dagegen Catharina II. den russischen Adel eben als solchen als eine Aristocratic neu zu eonstitniren und als Gegengewicht gegen den Tschinofnikabsolutismus zu constituiren. Rußland besaß null aber in den Ostsceprovinzen völlig germanisch organisirte Länder, ') Die Gefahren des BcamtknabsolutlSmuS haben wir am klarsten in Preußen lind Deutschland vor Augen. In Preußen war er bis 1849 zu solcher Ucbcnuacht gestiegen, daß trotz der nirgends durch Gesetze fingeschräüktcn Gewalt des Königs, doch eigentlich nur die Beamten herrschten, Tine dein Veamtcnthmn mißliebige Habinets-rrdrc ward stets unterwegs auf der Leiter, wo sie herabkam, aufge» fangen, und versä'wand iu den Acteufaseikeln, ohne lebendig zu wirken. Nach 1840 »nachte der König eine Anstrengung, stch aus den Banden ;n befreien, nnd snchte in den ständischen Institutionen ein Gegengewicht zu bilden. Die Revolution vom l8. Mär; 1848 zerstörte das Werk. — Das Beamtenthum zeigte sich feig nnd lläg-lich der Anarchie gegenüber. — Wir erhielten die sogenannte konstitutionelle Monarchie mit ihren Ncvräfeutativformcn. — Aber nnn sahen wir auf das Schönste die Veamtcuhierarchie sich mit dem Cou-stitutionalismus aussöhnen, sich in dessen Formen einschmicgcn, und das Bcamtenthum ist in diesem Augenblicke (185l) herrschender, mächtiger, absoluter, willkührlicher als je'. Früher halten wir doch in der Persönlichkeit unserer Könige in ;u argen Fällen einen Schuß, der jetzt bei dc>n constitntionellen Könige wegfällt. Nirgends hat sich diese Art von System zuletzt konsequenter ausgebildet als in Kurhcssen, wo durch die Constilntionsmkundc die Souverametät des Fürsten vernichtet ward, aber keineswegs eine Voikssouvcrainctät, sondern eine vollendete Veamtensuuverainetät constituirt wnrde! Die erfolgte Catastrophe hat dieß klar gemacht. 45 deren ganzer ProvinzialhauShalt trefflich geordnet war. Man hatte also die Muster zur Hand, und konnte an den Erfahrungen von Jahrhunderten alle Vorzüge und Mangel verständig abwägen und ausgleichen. — Es ist merkwürdig, daß man in Nußland in derselben Zeit die christlich germanische ständische Monarchic constrnirtc und constituirtc,^) als man im übrigen Europa sie überall untergrub und zerstörte. In Westeuropa vernichtete man allmählig alte ständische Organisationen und Corporatioucn des christlich germanischen Staats, man ließ das Königthum selbst in den modernen absoluten atheistischen Staat, der auf dem Veamtcnabsolnlismus sich gründete, aufgehen, wo dann der Ucbergang durch Revolution in sogenannte volks-souverainc Rcpnblik leicht war, fast als Consequcnz erschien! — In Deutschland hatte man in Folge der Bnndcsactc von !8l5 überall wieder Stände hergestellt oder neu geschaffen. Bei einigen Provinzialständcn z. B. in Hannover, Meklenburg :c. hat man ihnen einige ältere administrative Functioncn gelassen oder wieder beigelegt. Vci den Meisten, namentlich den allgemeinen Standen, hat man ihnen gewisse Rechte bei der Gesetzgebung, der Feststellung des Staatsbudgets eingeräumt. — Wie dieß daun fast überall die Schulen für den vulgären Liberalismus gebildet, und die Ereignisse des Jahres 1848 vorbereitet, haben wir zur Genüge gesehen! Nirgends ist aber auch nur dcr Versuch gemacht, den Ständen etwa die Administration oder innere Verwaltung im größeren Maßstabe anzuvertrauen, kurz das Bcamtenlhum einigermaßen zu controlircn und seine übermäßige Macht zu brechen. Hicfür und für dessen practische Anwendbarkeit und sogar entschiedene Brauchbarkeit sprach aber das Beispiel der deutschen Ostsceprovinzcn unter Rußlands Zepter. Man hat jedoch die dadurch practisch gegebenen Lehren nirgends benutzt. Nur Eatharina II. that dieß, und zwar zn einer Zeit, wo sie selbst und ihr Hof sich lediglich in der encyklopädischen ') Cathanua II. constituirte nicht blos den Adel, sondern auch das Vurgerthum, sie bildete Züxfte und Gilden, gnb eine Sländever-f"Mmg, brachte auch die Städte mit dem Adel w ständisch?!» Verband. leichtfertige» französischen Bilduug bewegten. Auf sic kann man den alten Spruch umgekehrt anwenden: Seht auf ihre politischen Thaten, nicht auf ihre Worte! Die lneistcil russischen Adligen sprachen sich gegen mich im Allgemeinen ungünstig über diese Institution, namentlich über ihre politische Wirksamkeit, ans, wiewohl, wie mir schien, mehr deshalb, weil sie den großen Erwartungen bisher nicht entsprach, als weil die Wirksamkeit überhaupt völlig null sei. Wir sagten schon oben, der russische Adel bilde eigentlich keine Aristocratic nach europäischen Begriffen. Znm Begriff und zur Constitnirung einer ächten nnd für das modcruc Staats-lcben wohlthätigen Adclsaristocratie gehört nämlich, unserer Ueberzeugung nach, nothwendig, daß ihre Hauptgrundlage ein zahlreicher, gebildeter und wohlhabender Landadel sei. Nur das Landleben giebt und erhalt jene Frische des Geistes, jene prac-iischc Lebcnsanschauuug, jenen Tact bei der Beurtheilung der Bedürfnisse und Lebcnsvcrhältnissc des Volks, die eine achte Aristocratic haben soll, und die wir nirgends in dem Maaße finden, wie bei der ausgezeichnetsten aller Aristocraticn, der englischen. König Jacob sagte daher: „Wenn der Adel hier in London ist, bedeutet er uichts, auf dem Lande aber ist er ein mächtiger Herr, wie cm Schiff auf dem Mccre nur eiu kleiner Pnnkt, auf einem Flusse aber ein großes Wesen ist." Der russische, der großrussische Adel ist bis jetzt kein Landadel und ist es auch wohl nie gewesen; er hat keine Burgen besessen, keine Ritter- uud Fchdczeit durchlebt. Er ist stets ein Dienstadel gewesen, hat stets an den Höfen der Großfürsten und Theilfürsten und in den Städten gelebt, und Kriegs-, Hof- und Staatsdienste geleistet. Wer von demselben auf dem Lande lebte, trieb friedlichen Ackerbau; cs waren aber dies eigentlich nur die ganz Kleinen, oder die untauglichen Leute. So war cS auch noch bis zur jüngsten Zcit. Noch gegenwärtig besitzt die Mehrzahl des großrussischen Adels keine Landsitze, wie wir sie im übrigen Europa sehen, keine Oeconomicn. Aller Gruud und Boden, der dem Adligen gehört, Acker, Niesen, Forsten, ist einer bäuerlichen Dorfgemeinde überlassen, die ihn cultivirt und dem Herrn dafür steuert. Hat der Herr auch ein 4? Landhaus und bewohnt es, so hat er doch keine Occonomie, sondern lebt inehr wie ein Rentner. Die Mehrzahl der Adligen hat Landhäuser, wohnt aber in der Stadt und besucht daS Landhaus nur anf Wochen nnd Monate, das ist altrussische Lebensart des Adels! Er sieht daher sein Gut nicht als sein Vaterhaus au, hat kein Heimathsgefuhl"), ist jeden Augenblick bereit, es zn veräußern, wenn er irgend einen Vortheil dabei sicht. Jenes starke Gefühl der Anhänglichkeit am Erbe der Väter, so »nächtig in: germanischen Adel wie im germanischen Bauern, kennt der Russe wenig, cr sicht es gleichgültig in fmn'oc Hände durch Kauf :c. übergehen. Mir erzählte in Moskau ein Herr v. S., ein geistvoller nobler Mann, cr habe cm Gut verkauft, welches seinen Namen trug nud (was sonst eine Seltenheit in Rußland ist) bereits 200 Jahre von seiner Familie besessen war. Auf meinen Vorwurf erwiederte cr: „wir kennen diese westeuropäische Anhänglichkeit an daö Vatcrcrbe nicht!" — Es herrscht hänsig ein sehr Patriarchates inniges Verhältniß zwischen Herrn und Leibeigenen, aber es löset sich durch Kauf nnd Trennung leicht, man sucht sich neue Lcib-klgene, erhält einen neuen Herrn, und das patriarchate Verhältniß knüpft sich neu an und wird rasch eben so innig! Die Grundbedingung ciucr wahren Landaristocratic ist nicht nur der Besitz, sondern die Stabilität im Besitz und Eigenthum des Grund und Bodens. Ich glanbc nun aber nicht, daß es ein größeres Land in Europa giebt, wo diese Stabilität sich weniger findet als in Großrußland. Schon die gleiche Theilung unter sämmtlichen Söhnen zersplittert den Besitz ungcmcin^), da in der Regel natmalitcr getheilt und nicht etwa die Antheile durch Geld ausgeglichen ') Wir habe» schon mal angeführt, daß im Allgemeinen der Russe eine »nächtige Vaterlandsliebe, aber selten ein starkes Heimathsgefuhl hat. ") Petcr I. wollte durch seinen UkaS vom 13. März 1713 eine sideicom-missarische Erbfolge des ältesten Sohnes beim Adel einführen. DaS widersprach aber dergestalt den Titten uud Traditionen dcö Volks, daß man die Sache wieder aufgegeben hat. Petcr II. hob deu UkaS unter dem 47. März 172-, wieder auf. Nur in einigen großen Familien ist durch besondere FamMrnstatnte eine solche festgesetzt. 48 werden, es mangelt namentlich im Innern schr an Capitalien. Allein außerdem herrscht dcr Verkauf und Verkehr beim Gruud-eigcnthnm und den daranf angesessenen Banern in einer Weise, wovon man sich kaum einen Begriff macht. Er hat besonders seit l8l2 zugenommen. Damals und von da an lernten die Russen die Comforts deS übrigen Europas durch eigne Anschauung kennen. Um sie sich zu verschaffen, mußte man viel Geld daran wenden; es kam dann auch alles in Rußland viel theurer, wie soust wo. Der Lurns ist seitdem noch unermeßlich gestiegen. Nun trat Verschuldung ein, nnd dann dcr Verkauf der Güter, meist an Parvenus. — So kann man denn behaupten, daß in Rußland selten ein großes Vermögen auf den dritten Vrbcn kommt ^). Nnr einige von den großen historischen Familien, wie die Scheremeticff, Stroganofs, Galizin, Woronzoff, Panin :c. erhalten sich im altercrbtcn Vesitz. Es wäre sehr interessant, über den Umschwung im Grund-cigenthnm und dessen Verschuldung Zahlenvcrhaltnissc zu sammeln nnd daran Betrachtungen anzuknüpfen. Sie wurden mir versprochen, ich habe sie aber bisher noch nicht erhalten, Ein Staatsrath I. soll vor Jahren eine solche Iusammcnstelluug versucht haben, sie ist aber nicht ins Pnblicum gekommen. In Ermangelung eines bessern gebe ich folgende, mir mündlich von guter Hand mitgetheilte Notizen. Die Krone erhält von allem verkauften Grnndcigenthnm ') General St, in Moskau erzählte mir, vor 50 Jahren habe in Süd-nißlaud tin Hr, v. Ghorwat gelebt, dcr reich, und allein 6lM Bauer» besessen. Vor kurzem sei nun ein Hauptmann v. Chorwat zu ihm gekommen. Ts habe sich angewiesen, daß er der Urenkel jenes reichen Hrn, v. Chorwat gewesen. Gr besaß noch 30 Vauern, die . ihn, aus den Theilungen zugefallen! Ucbngcns ist dcr Umschwung in jeder Art des Vermögens wohl in keinem Lande so groß, als in Rußland. Fast alle reichen Gewerbslcute, Kaufleute, Fabrikanten n. in Petersburg und Moskau sind es erst selbst geworden, keiner hat den Reichthum ererbt, und schon bei den Kindern verliert er sscl', geht wenigstens in andere Klassen und Stände über. Immer tauchen wieder neue Bauern und Leibeigne auf, die emporkommen und reich werden. Gin Liberaler pnr excellence würde solche sociale Zustünde als vortrefflich loben! 49 4 Proceut der Verkaufssumme als Stcmpelabgabc 5). Man könnte also dm Umschwung im Verkauf lcicht contwlircn und crmittclu. Ich sah eine Art Inlelligenzblalt des Gouverucments Moskau, ein einzelnes Blatt, worin nicht weniger als 63 Güter zum Verkauf ausgcboten waren! Die Verschuldung des Grund und Bodens ist in dcr Ncgcl mit cincr Verpfandung bei den beiden Lombards oder bei dcr Ncichsleihbank verbunden. Nun gab es nach der Revision von l5N4 in ganz Nußland 1l,M>,793 Seelen mäunlichen Ge-ichlcchts, welche leibeigen waren. Der Werth aller bcbauetcn ^rivatgruudgütcr ward auf l,!)32,l84,8!0 Rubel Silber an-gegcbcu. Auf die Seele ward durchschnittlich 00 Rubel Silber ^eihcapital bewilligt. Am I. Januar !842 waren bei den beiden Lombards versetzt 4,718,l42 Seelen. Von dcr Reichs-lcihbank waren am selben Tage auf Güter geliehen 52,003,000 Rubel Silber; es waren demnach dort versetzt circa 870,710 Seelen. Im Ganzen also 5,594,858 Seelen oder ^^. ') Auch wenn ei» Vermögen durch Testament an entferntere Verwandte fällt, erhält die Krone 4!^ Stcmpelabgabe. Die natürliche Vererbung ist stcmpclfrei, den Descendenten gegenüber kann Niemand über sein Vermögen zu Gunsten Anderer disponircn, aber bei Seiten-verwandten steht e« jedem frei, nähere zn übergehen und entferntere zu berufen; in diesem Falle mns; aber jener Stempel von 4'.'^ gezahlt werden. 2)ian konnte berechnen, in wie viel Zeit die Krone de» ... ^""' «"" Grund und Bodens als Stempelabgabe erhält. ) D,e obigen Notion wurden mir als officicll angegeben. In Storch'S Petersburg Vd. l, i>^. 271 sind die Bedingungen dcr Anleihe mitgetheilt. Nach Schnihlcr's Statistik halten 1W die Lombards und die NeichSleihbank 25'),77,M> Rubel S. auf Grundvermögen hcrgeliehen. Nach eiucr andern mir zugegangenen Notiz waren am l. Januar 18« verpfändet 4,863,257 Bauern bei den Lombards, Wie viel bei dcr Ncichsl'anf, war nicht angegeben. Die Verschuldung hätte also in einem Jahre nm 1md die Wirksamkeit zeigt, welche die der deutschen Ostseeprovinzen, nach deren Muster sie gebildet, so glänzend bewährt hat. Man kann nun aber die Mängel nnd Unbilden, die sich an so vielen Orten zeigen, meist ans folgende Pnnkte zurückführen.-1) die geringe Theilnahme des gebildeteren, wohlhabenderen uud besseren Adels an den Rechten und Pflichten des ständischen Instituts; 2) die Folge davou, daß deshalb die ständischen Rechte und namentlich die Wahlen zn den standischen Beamten in die Hände der rohen, ungebildeten, zum großen Theil eor< rumftirten Adligen gelegt sind; 3) daß die hieraus resullirendcn Wahlen dann häufig, vielleicht zumeist, auf die allerschlcchtestcn Subjecte fallen und diese zn ständischen Beamten, in deren^ Hände doch die ganze untere Administration, Polizei und Justiz gelegt siud, inacht. Die reichere, gebildetere Classe des Adels wohnt meist in Petersburg, Moskau, oder der Gouvernemeutsstadt. Er tommt oft in Jahren nicht auf seine Güter. Die Entfernungen in Nußland sind groß, die Reise ist schwierig nnd unbequem, er hat auch keine uothwendige Geschäfte auf seinen Gütern, er hat dort nichts zu beaufsichtigen, zu verwalten, er hat keine Oeconomie, keine Forsten, deren guter Zustaud und geschickte Einrichtung und Fortführung des sorgsamen, wohlthätigen Angcs eines Herrn bedürften. Ein russisches Gouvernement ist meist so groß, oft größer, als eines der deutschen Königreiche. Von jenem besseren gebildeteren Adel eristircn in, ganzen Gouverne^ 51 went vielleicht kaum 10 — 20 Familien*). Diese haben ihre ^"tcr natürlich 5 —w Meilen weit ans einander; Nachbarschaft halten, Geselligkeit ist hicbei, besonders anch der schlechten Wege halber, wenig thnnlich. Man lernt sich ans dem Lande wenig kennen, wenn man sich nicht schon in den Hanptstädtcn kennen gelernt hat. Die Adclsversammlnngcn, besonders die Wahltage, sind meist im Winter, wo jene gebildeten Familien in Petersburg und Moskan sind ^. Wer vom reichern Adel ans dein Lande im Gouvernement wohnt, hat meist dazu besondere Ursachen, oft nicht die ehrenvollsten. Dennoch sind nun eben diese, der Natur der Sache nach, die einflußreichsten Kente bei den Versammlungen und Wahlen. — Außerdem wohnt nnn wirklich im Gouvernement eine gnte Zahl des armern, meist völlig ungebildeten Adels. Das ist eine schlimme Sorte! Sie haben gar keine eigentliche oder ächte Vildnng, aber meist eine gewisse Abglattnng; sie gehen rastrt und tragen einen Frack! haben die größte Neigung zum LuruS und alles Aeußcrliche nachzumachen, was sie bei höher Stehenden und Gebildeten sehen. Da ihre rechtlichen Mittel nicht reichen, so drücken sie nach Möglichkeit ihre Leibeignen, oder snchen eine der Stellen, welche durch Wahl des Gouvcrncmcntsadcls besetzt werden. Früher Wählte jeder im Gouvernement ansässige Adelige mit, und hätte cr nur 4—5 Leibeigne besessen; da wurden dann die Stimmen der Wähler von irgend einem nnnützen, intriguantcn nnd etwas > abgefeimten Subjecte durch Geschenke und Gefälligkeiten erkauft. Dem Unwesen etwas zn steuern, hat denn das Gouvernement neuerdings dies Wahlrecht auf einen einigermaßen anständigen Besitz (ich hörte 100 Seelen odcr 1000 Dcssatimn) eingeschränkt. ") Im Gouvernement Nischni-Nowgorod, 5M ^Meilen ssrosi, «der mehr als 3 mal so groß als das Königreich Sachsen, wohnten, als lch dort war, nach der Versicherung des Gencralgouvcrneurs, kaum 5 der ssrösicrn gebildeten Edelleute mit ihren Familien auf dem Lande. *') Auf das Ausbleiben von den GoiwcrucmcniSvcrsammlungen und den Wahlen sind zwar Gcldstrafcn gesetzt. Allein was macbt sich der wohlhabende Adel daraus, 25 — 100 Nubcl S, Strafe ,u zahlen, wem, cs sich darum handelt, entweder zu Häuft zu bleiben, nicht . den Wiutcr nach Moskau gehen, oder gar von Moskau eine cigue Nnfe in di.' Gouvcrnemcntsstadt machen zu müssen! 52 Ich habe schon oben der Stellung eines Isftravniks, der wichtigsten und einflußreichsten, die es giebt, ähnlich der des prcnßischen Landraths (ursprünglich auch cm ständischer Beamter) oder eines französischen Präfecten, erwähnt. Mir sagte über diese Institution ein höchst gebildeter nobler Vdelmann in Moskau: „Wenn ein Isprafnik gewählt werden soll, so bewirbt sich ein hernntergekommener, aber etwas geriebener, etwa ein Paar Tschin (Beamten-Nangklassen) gefaßt habender Gutsbesitzer des Kreises darnm. Früher erhielt er die Stimmen der kleinen Gutsbesitzer für kleine Geschenke, jetzt wendet er sich an den oder ein Paar der Reichsten, die wirklich im Kreise leben (zuweilen, wie schon oben angeführt, ebenfalls anrüchige Personen), schmeichelt ihnen, verspricht völlige Gefügigkeit nud künftige Amtsgcfälligkcit. Die laden dann die berechtigten Wähler zu Diners, schlagen den Candidate» vor und verschaffen ihm durch ihren Einfluß die Etimmeu. Ist er nun Isprafuik geworden, so benutzt er sein Amt möglichst um sich Geld und Nutzen zu verschaffen, er weiß/daß er nach 6 Jahren (früher 3 Jahren) sein Amt verliert nnd schwerlich von Neuem gewählt wird. Seine Gönner und deren Bauern schont er, desto mehr aber plagt, chicauirt und plündert er seines Gleichen, die kleinen Besitzer und ihre Bauern, besonders die ganz kleinen, die keine Wahlberechtigung haben nnd daher in keinem Falle von ihm zu fürchten sind; er läßt z. V. Wege und Brücken bauen, bestellt die Leute vielleicht mitten in der Ernte, straft sie wenn sie nicht kommen können oder läßt sich den Aufschub bezahlen ic. Der Isprafnik, in dessen Hände so viel gelegt ist, ist der in Rußland am meisten verhaßte^) und zugleich verachtete Beamte. Kein verständiger gebildeter Gutsbesitzer würdigt ihn seines Umgangs, zieht ihn etwa zur Tafel. Der Gouverneur, wenn er im District reiset, läßt den Isprafnik seinem Wagen vorrci^ ") In einem Hefte des Journals des Ministeriums des Innern findet ssch die merkwürdige Notiz, daß man bei den n»ch heidnischen Tscheremissen im Walde ein Götzenbild aufgestellt findet, welches sie Schemi-Schouomi (ans russisch Semski-sut, d. i. das niedere Landgericht oder Isprasnik) nenne», lind dem sie als eine», boshaften Gytte Opfer bringen, damit er sie nicht ^i sehr peinige. 93 tw, als wär's ein Gcnsd'arm; läßt der Isprafnik sich bci ihm "lcldcn, so muß er stundenlang antichambriren, bci einer ctwai. gm Audienz behandelt er ihn wie einen Lump, läßt ihn stehen, Wahrend er sitzt ic. — Kurz wie es einmal gegenwärtig steht, wäre es für die innere Verwaltung Nußlands besser, wenn der Kaiser die ganze ständische Gonvcrncmentsvcrfassnng mit Adcls-vcrsammlungcn, AdclSwahlcn :c. wieder aufhöbe, so daß blos von der Regierung angestellte Beamte fungirtcn. Die Tschi-uofniks sind im Allgemeinen schlimm genug, doch nicht so de-Pravirt wie die Mehrzahl der vom Adcl gewählten Beamten! Das jetzige Cvstcm ist eine bloße Illusion und Mystification einer ständischen Verfassung!" Wir haben diese Art der Auffassung gegen unsere sonstige Weise eben so scharf und grell hier mitgetheilt, als sie uns gegeben, weil sie gerade unter den besseren, edleren und fachkundigeren Männern Nußlands sehr ^verbreitet ist und man wohl fürchten könnte, daß dnrch deren Einfluß jene ständische Gouverncmentsvcrfassting mal ganz anfgchobm oder doch in ihren wesentlichsten Bestandtheilen modificirt werden möchte. Nach unserer Ueberzeugung würden wir dieß aber für den größten Mißgriff, ja für eine wahre Ealamität ansehen! Wenn es sich gegenwärtig noch äß le^o serencl» handelte, wenn jene ständische Gouverncmcntsverfassung jetzt erst eingeführt werden sollte, so könnte das der Gegenstand einer ernsten und gründlichen Uebcrlcgung und Discussion sein. Aber diese Verfassung besteht seit nahe an 70 Jahren. Sie möchte ihrer Natur nach so unpassend, ihrer Ausführung nach so mangelhaft sein, als möglich, man frägt vor allen Dingen, was soll und was könnte man an ihre Stelle setzen? — Sie hat sich einmal eingebürgert, die Leute sind daran gewöhnt. Je roher die Volkszuständc sind, desto leichter läßt sich etwas ueucs einführen, je mehr die Cultur zunimmt, desto schwerer. Die Einführung !785 war nicht eben schwierig, ihre Abschaffung gegenwärtig desto schwerer. — Niemand wird im Ernst daran denken, einen neuen Ring in der Beamten kette einzusetzen, die Iahl der russischen Tschinofniks zu vermehren und ihre politische Macht, ihren Einfluß zu verdoppeln. Je mehr ihrer 54 sind, desto weniger sind sie zu beherrschen nnd zn controliren, desto verderblicher werden sie. Ja sie würden eben deshalb selbst der ^rone noch gefährlicher werden, sie noch tiefer um-stricken nnd am Ende gar der Revolution überliefern, wie dieß bei der dcntschcn Vcamtenhierarchie in mncsicr Icit ja der Fall war! Wir haben mehrfach nachzuweisen gesncht, daß das germanische Corporationswcsen dem rnssischen Nationalcharactcr frclnd ist und nicht entspricht, allein Nußland hat nun einmal, von seinen innern Geschicken geleitet, Jahren Oeconomien anznlegen, uud die frühern Obrockbaucrn anf Frohnden zu setzen, das bedingt daun schon von selbst persönliche Aufsicht uud Leben auf dem Lande. Aber vorzugsweise diese modernen Fabrikanlagen^-) zwingen nnd fesseln einen gro- ') Daß «in Jeder eine Zeitlang dient imd einen bestimmten Nang im Dienst (Tschin) erlange,, »»ist, ist nun einmal Sitte bei drn Russen, und auch gewiß gut. Eö ist fast wie in Norddcutschland das Uni-vcrsitätsleben, wer nicht auf der Universität gewesen, gilt nicht recht in der Gesellschaft. Wer in Rußland nicht diente und auf dem Lande stets lebte, würde völlig verbauern und gemein und liederlich werden. Wenn dagegen Jemand 5, <» bis Itt Jahre gedient hat, und mit 30 — 35 Jahren sich also auf«? Land ^»rückzieht, so hat stch der Character ausgebildet, er hat Erfahrungen nnd practischc Kenntnisse gesammelt, und kaun ein guter Landcdelmann werden. ") Auch hier zeigt sich, dasi der Adelstolz, wie wir ihn im übrigen Europa kennen, ln den Sitten und Ansichten Nußlands nicht gültig 5? s'cn Theil deS Adels, dcr früher nur in den Hauptstädten lebtc, "»f dcm Lande zu leben, nnd sich für dergleichen Geschäfte aus-U'bilren, — Lebt nun aber erst dcr größere Theil des gcbildc-tmi und wohlhabendem Adels anf dem Lande, dann wird sich ih" die Nichtigkeit der ständischen Institutionen, der Adels-Wahlen ic. schon von selbst aufdrangen. (5r wird die ansier-ordentlich wirksame Stellung z. V. des Isprafniks begreifen. DIli l'uinw) und daö Gewissensgericht übertragen. Das Landgericht besteht aus dem Isprafnik als Vorstand nnd zwei Beisitzern, vom Adel gewählt, nnd 2 bäuerlichen Besitzern, vom (Gouverneur aus Vorschlag des Isprafniks ausgewählt. Als Collegium hat das Landgericht nur allgemeine Anordnungen, die Ausgleichung nnd Vercheilnng der Lasten. Alles creculivc und nnmittelbar eingreifende Handeln steht dem Isprafnik zu, dem neuerdings wegen Größe der Kreise eine Beihülfe in den Ttanowoi Pristafs, welchen Nntcrabtheilungen des Kreises zugetheilt sind, gewährt ist. Statt die Gouverncmentsverfassnug aufzuheben, oder in ilmr Wirksamkeit zu schwächen, scheint demnach das Gouvernement, wie wir meinen, nach ganz richtiger Politik und guten Principien sie vielmehr stets mehr starken, nnd allmählig weiter ausbilden zu wollen. Dies; könnte nun wobl nach zwei Richtungen hin zweckmäßig geschehen, nämlich, durch möglichste Consolidirung des Adels, und wcnn dieß hinreichend geschehen, durch Uebertragnng einer Menge von Geschäften und Institutionen, wozn er sich qnalifieiren würde, »nd die ihm zu seinem eignen Vortheile und im eignen Inten-sse übertragen werden könnten. linier Consolidiruug des Adels verstehen wir vor allem, daß man sein Möglichstes tbut, nm in Rußland einen kräftigen tüchtigen Landadel^) ^ bilden, cine Gentry, denn eine No- *) In mcmcken nördlül'en Districten dc5 Golivrr»cmrüls Nr^aiigcl Wolossda,c. giebt cs gar lcincu Abcl, u»d da wrrdcn bcr Isprasnif nnd andere Vcamtc vm» Gouveruenient cingescht. ") Ohne rmeu sigc»t!iä'eil »nd tüchtigtn LnndM'l wild man auch nitmal»? einen stldstsunitissc» Vaucrnsta„d, dcr z» tiucr höhcrn Cultur anstrebt erhalten, ^58 zu haben, sondern um die altcn gntcit stets neu wählen, aber llnbrauchbare und Spitzbuben baldmöglichst los werden zu tonnen.) Man hat in neuern Zeiten die Rechte und Pflichten des GouverncmeRtsadelS^) noch vermehrt. Man hat ihm auch die Wahl der sehr bedeutenden Etellen der Mitglieder deS Civil-und Kriminalgerichts fürs ganze Gouvernement, der H^pothcken-bchörde (^ra8ck6ul<;g l-mnüos cl« la Nussi« pnr Io 6nlM« l!'>VIml>ss!-u, I'un? I?. viclot 1843 alles Ernstes behauptet wird, in Rußland habe in ältern Zeiten eine Art von Zweikammersystem eristirt, selbst noch nnter den Romanows, die Kammer der Bojaren, und die der Communen, nämlich Adel nebst Geistlichkeit «nd Städte. — Die Wahrheit davon ist, daß die Zaarc den Rath der Bojaren früher stets heischten (so wie jetzt des NeichSraths), ohne je daran gebunden zu sein; anch zuweilen Deputationen des Landes zusammen riefen, nm über irgend einen Gegenstand ;n be- 63 und Kricgseinrichtungcn, die NeichSgcsttzgcbnng, die Politik lc. llngcränmt worden. In ihrem Innern, in ihren eignen Angelegenheiten, hat man ihnen die größte Freiheit der Bewegung, 5>c gwsitc Selbständigkeit gestattet, man hat ihnen sogar große administrative und polizeiliche Rechte ^) eingcränmt und Pflichten anferlegt, aber Neichsstände mit Stclierbewilliqungsrechlen, Antheil an Gesetzgebung, wie die dentschen Stände sie meist hatten, hat man in Nnftland nicht eingeführt. Anch die grö-ßcrn europäischen Staaten, Spanien, Frankreich, Oestreich, Pren- rathen, chue ab^r auch hin- an den N^ith gebunden ^n sein. Die Formet ii, den Utaseu war immer: Der Zaar befiehlt und die Vojaren scheu fest ,c. Als die Kosackcu Asoff erobert hatten, berief der Zaar eine sokbe Versammlung des Landes di^ dann gefragt n'inde, ob mau Asoff behalten oder deu Türlcn zurückgeben solle. 3^ie diese Landes^ersammlung zusammengesetzt war, ist nicht recht 5» ermitteln. Als während der polnischen Usurpation der Fürst ProlMski die Deputirtc,, des Landes znsammelibencf, werden folgende Arten und Categorien derselben genamit m,d aufgeführt: l) Dic Stoluili, die H.'fleute (Stol, Thron, daher PM< hoher Stuhl, Thron, auch Altar): sie standcu im Nange niedriger, als die Bojaren. 2) Die Dwaronic. damaliqcr Name des Adels, ursprünglich auch Huflcutc, es gab deren auf dem Land- und in den Städte», die weniger angesehen waren. :i) Die Hänftllingc der Strclitzcn. 4) Die Bewohner dcr alten Städte Wladimir, Suödal. Nischui-Nowgorod. 5) Die Dargcnvi-Leute (Handelsleute), sie werden auch Hunderter ('^) acucumt, nud zerfielen nach den Gewerben in die Hunderter dcr Tuchmacher, der Sslmnede ,c. 0) Die Sloboden, es lst zweifelhaft, ob dieß damals blos Vorstädte, oder auch Flecken und Dörfer bedeutet hat. ') Der Adel mixbtc wohl ü> älteren Zeiten eine mwMcmmene Art von Pakiarchalgcrichtsbarkeit über seiuc Leute anc-gcübt haben (in den westlichen Provinzen sicher), eine Art Poli;ei-, Straft und Cri-minal-Gcrichtsbarfcit, die, so lange noch die Vancru persönlich frei ware» mid die Freizügigkeit herrschte, nicht gefährlich war; allein nach Anfhcbmig der Freijügigkeit uud Ausdehnung dcr Leibeigenschaft es wurde. Sie wurde aufgehoben, aber auf die Corporation des Adels übertragen, welche durch Wahl aus ihrer Mitte die Mitglieder des Krei^'ricbts ernennen. Man behauptet, die Krcisge-"lbte scicn iu dcr Regel verständiger und gerechter, als die hl.'-hercu Gerichte. — Der Adel hat nur das 'Strafrecht Über seine ^'ute w zu 5 Prügel. Aber wer kann das controlircn! 64 ßen hatten sich ja hievon vom 16. Jahrhundert an allmälig frei gemacht! — Die Versuche, die alten Stände, zeitgemäß modi-ficirt, wie mau es nennt, wieder herzustellen, sind bis jetzt stets dahin umgeschlagen, daß sie sich in ihren Gegensah, in moderne Repräsentativkammcrn umzuwandeln bestrebt haben. Nußland wird unzweifelhaft diesen Weg nie betreten, auch abgesehen da^ von, daß die Elemente für die sogenannten Repräsentativformen ganzlich fehlen, und beim wirklichen Volke sich schwerlich je Sympathien dafür finden werden. Dem Vorfalle uutcr der Kaiserin Anna lagen zwar nur Ideen germanischer Ständeprincipien und vielleicht einige altrussische Reaction gegen die Neuerungen Peter I. zum Grunde, aber damals zeigte sich doch klar, daß das Volk auch nicht die mindeste Lust hatte, die Macht seines Zaarcn einschränken zu lassen. Während man nun in Rußland die Stände, völlig organisch gegliedert, constituirle, und ihnen große Freiheiten, Rechte und Vorrechte verlieh, hat man aber auch auf der andern Seite nach Kräften verhindert, daß fein Stand in Nußland sich kastcnartig hat abschließen dürfen, und dieß Princip ist ächt national-russisch. Es hat von jeher geherrscht und herrscht auch noch in dieser Beziehung eine eigenthümliche Beweglichkeit, Schmiegsam-keit im russischen Nationalcharacter. In der russischen Dorfgemeinde, der vollendeten und gewiß am besten organisirtcn Rc-pnblik, kann jedes Mitglied in jedem Angenblicke, wenn cS seine Privatangelegenheiten geordnet, nach Willkür austrctcn und fortziehen, ebenso kann jeder Fremde, sobald er sich mit seinen frühern privativcn und polizeilichen Verhältnissen abgefunden, einziehen, er wird ohne große Schwierigkeit als Bruder anfgcnom-mcn, und zwar dergestalt, daß er wie jeder andere von allem Grnnd und Boden den Kopfantheil erhält! Ganz ähnlich in den Städten, sobald «nan ein Grundstück erworben. Nicht blos kann jeder freie Bauer in jedem Augenblicke in eine Stadt ziehen und Bürger werden, sondern sogar ein ganzes Dorf, wenn seine Verhältnisse vom Ackerbau sich mehr und überwiegend zum Gcwerbswcscn umgebildet haben, kann sich umschreiben (der technische Ausdruck) und in eine Stadt verwandeln lassen nach eigner Willkür. Es herrschte von jeher die vollendetste Gcwer- 85 frciheit; man ergreift ein Gewerbe, ein Handwerk, wenn man Trieb und Geschick dazu fühlt, man braucht nicht in eine Zunft 3U treten, kein Meisterstück zu produciren, man bleibt beim Handwerke, oder giebt es nach Gefallen wieder auf. Zwar giebt es Zünfte für den Handwerker und Gilden für Kaufleute und Fabrikanten mit bestimmten Rechten, selbst Vorrechten nach deutschen Mustern, aber nirgends ist die scharfe Trennung der Stande und Klassen und Gewerbe, überall sind die Uebergänge em)t Die Edelleute lassen sich ill die Gildcu einschreiben, die "auslcute erster Gilde erhalten nach 12 Jahren die Rechte pcr-M cher Edelleute, ihre Kinder können im Dienste leicht den crbkchcn Adel erhalten. Die Ehrenbürger haben viele reelle fechte des Adels, Kopfstcucrbcfrciung, Militairbefteiung, Befreiung von körperlichen Strafen ic. Wenn wir diese Beweglichkeit uud Flüssigkeit als im russischen Volkscharacter lief begründet anerkennen müssen, und daraus anch viel Lobenswerthes herzuleiten ist, so hat sie doch auch ihr Bedenkliches und selbst entschieden Nachthciligcs. Wir haben dleß an einem andern Orte in Vczug ans das Hand-werkswcsen und Handel und Wandel angeführt und angedeutet. I" Bezug auf den Adel haben wir auch oben ausgesprochen, daß wir seine größere Standes- und corporative Abgeschlossenheit für zweckmäßig und wohlthätig sowohl für ihn, als für das Ganze erachten. Es ist doch einmal Beruf des Adels im Staate, vor Allem das Princip der Ehre, der Ritterlichkeit auszusprcchen und als Lebmsbasis anzusehen. Das ist aber Völlig unmöglich, wenn er jeden Lnmp unter sich duldeu, ja in derselben Corporation mit ihm leben muß. Das Ausschließen solcher Subjecte müßte dahcr möglichst erleichtert werden, dagegen würden wir aber auch jedesmal, wenn ein Adliger eine ehrlose oder unehrenhafte Handluug sich zu schulden kommen ueße, eine draconischc Härte dcS Gesetzes, doppelte und in Mr Beziehung erhöhctc Strafen völlig gerechtfertigt finden. in. 6S___ Die Zahl der Namen dcr gegenwärtigen Adelsgeschlechter habe ich bis jetzt nicht ermitteln können. Gcschichtskenner behaupten, sie sei vor Peter I. nicht sehr groß gewesen. Professor Pogodin in Moskau theilte mir eine Art heraldischen Kalenders mit, der in Moskan in dcr Universuätsdrnckcrci bei Nowikow <787 in-8^ erschienen. Derselbe enthält 05t', Namen von damals vorhandenen Geschlechtern, und es ist dabei bemerkt, auS welchem Lande sie stammen, und wann etwa sie nach Rußland herüber gezogen sind. Ob jene 650 Namen alle damals in Rußland vorhandenen Geschlechter umfassen, und worauf sich die Notiz ihrer Hcrstammnng gründet, ist nicht angegeben. — Da wir im übrigen Europa so wenig vom russischen Adel wissen, nnd doch so oft in den Zeitungen sie nennen, hören, so will ich die Namen hier mittheilen, und bemerke nur noch, daß die von Rurik und den Theilfürstcn abstammenden Geschlechter nicht aufgeführt sind. Ich befolge bei der Aufzahlung eine andere Ordnung, da die im Vnchc befolgte ganz ohne Princip erscheint. 1) Als Warjagcrsche Geschlechter werden bezeichnet 5 Geschlechter: Aksakoff, Woronzoff, Woronzoff-Wcljaminoff, Welja-minoff, Narmozky. 2) Aus dem Fürstenthum Susdal stammt her das Geschlecht Weschcslaviowa. 3) Aus dem Kaschirscheu Lande das Geschlecht Iewsky. 4) Aus Nowgorod 7 Geschlechter: Andrejcff, Kusmin, Duroff, Nejcloff, Iewlem, Pogoschcff, Kolotilowsky. 5) Ans Smolensk 5 Geschlechter: Madjin, Sudakoff, Lu-toschiu, Zipletew, Monastyroff. 6) Aus Kyew 17 Geschlechter: Bobinm, Ncudatschm, Bos-manoss, Netschajcff, Bulgakoff, Ochotin, Deniljcff, Otschiu, Scherebzoff, Plcstchejcff, Lusin, Pjatoff, Ignatjeff, Sadykoff, Kolotkin, Scheltneff, Moskotinjeff. 7) AuS Wolhynien 4 Geschlechter: Wolynsky, Mauriuoff, Waronoi, Wolynsky. 8) Aus Mhaucn 76 Geschlechter: Alerandroff, Karssakoff, Archrow, Knaschnin, Kindircff, Arybaschcn, Kwaschnm-Samarin, Vabkin, Valawiusky, Klischkoff, Vlischnewsky, Koslow, Bolinin, Kilditschowsky, Volotimkow, Kondireff, Borissoff, Koraboff, «7 Vortschoff, Lavretzky, Borikoff, Lasarcff,^) Bnnakoss, Bnchnalow, ^sloff, Wladitschkin, Lirow, Glinsky, Fürsten Malafchcff, Demsky, Masloff, Dobrischnrsky, Matoff, Dudin, Hjakikin, Djalloff, Ncvcrschkin, Ietimjcss, Obarey, Schichoff, Okojemcff, Sainjatnin, Pawlow, Einowscff, Palisnin, Slobin, Pcmoss, Iwaschkin, Poltcw, Isnmilow, Poltinin, Indcgoroff, Polukarpoff, Issupow, Portasseff, RajcuSky, Slinnn, Nasladiu, Sumbulow, Nameikoff, Tclcnncff, Rimsky, Tusrurnoff, Karsakoff, Poslowlcw, Philiposs, Sämann, Tomin, Swinsin, Tschadajcw, Swijascw, Tschetwcrtmsky (Fürsten), Sidoroff, Tschnlkoff, Spjalschi, Echity, Stauitscheff, Iakowzcff. i)) Aus Polcn »14 Geschlechter: Aladsin, Gribjcdoff, Va-klanowsfy, Gruschetzky, Bartschikoffsky, DcmMow, Vlisnakow, Dmitrcjcw, Vorissoff, Boras; die Drutzki'schc Fürsten: VaroSdm, Dubcnsky, Vnrin, Dnrassoff, Bclöky, IcUschaninow, Echedenow, Asanoff, Wnukoff, Schclabnschky, Wodoratzky, Schiloff, Wosnitzin, Echurakowsky, Wolotzky, Eapolsky, Woronow, Sborsky, Wo-roponoff, Isvolsb), Gagin, Karbischcff, Gincwlcff, Karpoff, Golowkin, Kartschcosky, Kortschcwsky, Massojedoff, Kaschinzoff, Nelcdcnsky, Karkin, Nelidoff, Kaschkin, Rcmzoff, Klotschkoff, Osnobischnin, KobilSky, Panuircw, Koslow, Paschkoff, Kole-dinski, Pestrikoff, Korobkm, Pissarev, Korjamn, Pissarev, Iwantschin, Koschclcff, March', Skarnatch', Krajewöky, Pljuskoff, Krelschin, Polonsky, Kmschin, Poskotschin, Latschinoff, Poch-Wisncw, Lcrmanteff, Perolzkv, Lilwinoff, Pronischilschnff, Lichat-schcff, Pnstorojiloff, Logowschm, Nosouow, Lunin, Rachmanow, Ljubulschcninow, Easanow, Haljnta-Slnratoss, Ekarschcnskv, Mamouow - Skllraiow, Mamonow - Strckalow, MaschMn, Karatnchin, Mclchanow, Tinkow, Mcluchky, Tuschin, Mctschc-nincw, Ussorw, Misloslavsky, Tarsscjcw, Michailovsky, Ta-refssjew, Michailowsky, Chrnstschoff, Mcchncw, Tschaiovsky, Mijakovsky, Tschaplin, Miasny, Tschclcjeff, Schischkoff, Tschu-farovsky, Iablonsky, Schiloff, Iaknschkin, Schiskm, Ianowsly. l0) Ans Scrbicn 2 Geschlechter: Lasareff, Stauetscheff. ') Wohl ;u unterscheiden vou dem armenischen Geschlechte der Lasareff. 68 11) Von Nogai'schm Fürsten abstammend 5 Geschlechter: Vaiterskow, Schcidinow, Kntnmow, Illsupow, Urusow. 12) Von Tataren abstammend ll Geschlechter: Voskakoff, Rostoftschin, Bachmetjeff, Sonin, Bnsowlcw, Chovrin, Gotanzoff, Tschirifoff, Durilow, Iurjess, Schemailoff. 13) Ans der großen Horde abstammend 34 Geschlechter: Anitschkoff, Narbekoff, Blochin, Obinjakoff, Oprascin, Wcljaminoff, Sernoff, Orikin, Werderewsky, Petroff, Solowogo, Daschkow, Porowaty, Derschawin, Rasajcw, Dolgomo-Sabilroff, Seliwanoff, Duwcmoff, Scliwerstoff, Sernoff, Sowin, Slabin, Tcgieff, Karandcjcff, Turgeneff, Kontschejeff, Uwaroff, Korobin, Chanikoff, Krinkoff, Chitro, Scontjcff, Inschkoff. l^) Ans der goldenen Horde abstammend 3!) Geschlechter: Adawlcschew, Godmwff, Arscnjeff, Davidoff, Wislowchoff, Iclt-schin, Schocanoff, Swcrtschkoff, Sagoskin, Ewitschoff, Issupoff, Samoff, Karnyschin, Talisen, Karanloff, Toptykoff, Krcmcncökoi, Tarbejew, Mossaloff, Tcwjaschcw, Obcsjaninoff, Tcmisjascff, Ogareff, Turgcncff, Pawloff, Tnstoff, Peschkoff, Chomjakoff, Piljemoff, Chomijakoff, Iasykoff, Padolskow, Tschcrcmisinovi, Iasykoff, Brokndin, Iukowzcff, Rodimoff, Bsischeff, Iakuscheff, Saburoff. lö) Aus der klcincll Horde abstammend l Geschlecht: Bibikoff. 10) Aus der Kasyniski'schcn Horde abstammend 24 Geschlechter: Belcutoff, Kaschkaroff, Wekentjcw, Saptcw, Glcboff, Lapuchm, Dobrinsfy, Lnpardin, Durnowo, Objcdoff, Ielisaroff, Ostafjess, Iclosarawy, Pooschegin, Sarkoff, Birdjukm, Simsky, Klemcntjcff, Sorokoumoff, Kluminin, Terjajeff, Kokoschin, Tschcwkin, KolstowSky, Chobaroff. 17) Ans der Narutschahki'schen Horde abstammend, 2 Geschlechter: Maljaninoff, Plcmjanikoff. 18) Aus einer der Horden, man weiß aber nicht auS welcher, abstammend, 10 Geschlechter: Birkin, Mestschersky, (Fürsten:) Goituroff, Polivanoff, Sagrischsky, Chodijreff, Sjubawsky, Chotjanzoff, Majuschkin, Schichmatoff. 19) Aus dem Gebirgslande (Tschcrkessen) abstammend, 2 Geschlechter: Mefoff; die Fürsten Iussupoff-Tscherlasky. 69 20) Aus Grusicn stammend, 2 Geschlechter: die Fürsten Davidoff, Chochomtschcff. 21) Ms Pcrsicn stammend, 2 Geschlechter: Daudoff, Persky. 22) Aus der Krimm abstammend, 7 Geschlechter: Varan-tschcjeff, NaryMn, Knjatoff, Safonoff, Mansnross,^) Sitin, Merlin. 23) Aus Kassa abstammend, 3 Geschlechter: Goerwin, Treijakoff, Kaftyrew. 24) Aus Griechenland abstammend, !> Geschlechter: Wolo-tilin, Serbin, Gcrzoff, Strcmonchoff, Docktnroff, Tcrftigoress, Monamochoff, Nasnnovy, Trachamatoff. 25) Ans Morca abstammend, l Geschlecht: Gcrkoff. 26) Ans Maccdonien abstammend, l Geschlecht: Philosophoff. 2?) Aus der Walachei 2 Geschlechter: Aphrossimoff, Rochmanoff. 28) Von den Türken abstammend, 2 Geschlechter: Gsijew, Karapiftiroff. 29) Von Saracenen (Arabern) abstammend, l Geschlecht: Ismailoff. 30) Ans Livland abstammend, 3 Geschlechter: Tomadm, Echichcstoff, Von-Wcsin. 31) Aus Kurland abstammend, l Geschlecht: Baut. 32) Aus Preußen abstammend, 48 Geschlechter: Batujcff, Loschakoff, Vessubzoff, Ljatzky, Vesobrasoss, Morosoff, Bcflcmi-schcw, Ncmatoff, VoloriKn, Neplujcss, Wararin, Nccharoschcff, ") Nach einer andern Notl; stammen die Mansurow aus Italien. Der Sohn eines Adligen, eines Podesta, kam als Mönch nack Persien, trat als Arzt, dann als Prophet auf, fand Anhang, über;°g siegreich mit einer Armee die kaukasischen Länder, nahm den Namen Mansur (Eroberer) an, ward aber endlich vom Gcorgschen Prinzen Heraclius geschlagen nnd gefangen genommen. "Der sendete ihn nach Petersburg, wo die Kaiserin ihn gut aufnahm, er nahm eine russische Namensendung an nnd nannte sich Mansnrow, heirathete eine Fürstin aus Kasan, nnd stiftete s» die Familie Mansurow. Vnl. Geschichte de« Prin,en HcracUns. Leipzig 1793. ^0 Worobscn, Orlow, Golomstchcff, OSlanow, Gorbatoff, Pubkow, Schcrebzoff, Nomanow, Smcjew, Soltikow, Ellbat, Sokowniu, Sibiu, Supouew, Knaschnin, Tolotschanoff, Kobiliu, Trussoff, Koporeff, Fefilatjeff, Koloff, Funikoss, Kolitschcw, Chludencw, Kouovuizin, ChluSncw, Kusmiu, Korovajcv, Tschcglokoff, Kurzoff, Schciu, Klttnsow, Echcrcmetjcff, Lobnuow, Schuschcrin, Ladcgin, Schnkii, Kulosow. 33) Ans Schweden abstammend, 22 Geschlechter: Bogdanow, Naumoff, Vucharin, Nesteroff, Glebom, Novosilhoff, Dcschnm, Ostafjeff, Icuskv, Savcloff, Saitzoff, Enforoff, Sacharjcn, Sumorokoff, Sevetiloff, Crulew, Klemenljcff, Tschefttschujow, Kobjanow, Schcpeleff, Lodischensky, Zakovless. 34) Aus Dänemark abstammend, 5 Geschlechter: Besnnwff, Snasin, Nogai, Sobakin, Ewibloff. 3s») Aus Ungarn abstammend, l Geschlecht: Batnrin. 36) Aus den Kaiscrlichcu (Östreichischen) Elacitcu abstammend 19 Geschlechter: Atajcw, Pyschow, Vedow, Veuow, Vel-kin, Nichtorow, Wasillschikow, Tolsty, Gras, Tnchatschcvsky, Danilow, Fcdzow, Durny, l^hnostow, Schilowsky, Pawlow, Lebedew, Schaftow, Moltschanow. 37) Ans Denischland abstammend .°»l Geschlechter^): Ar-zibascheff, Samitzky, Vaschnakoff, Saslolbsky, Vorischtu, Pusch, Iwatscheff, Vorishoff, Islancw, Brnchatoff, Komcrsly, Brnchaty, Kologrewow, Vulgakoff, Korotnew, Vnturlin, Lewaschoff, Be-schenzoff, Lewschin, Wodoff, Miljukch', Waronhoff, Mnsnin, Puschkiu, Giuavlew, Mjallow, Grigorjcw, Noroff, Invcrlafow, Oksanoff, Protopopoff, Towarkoff, Puschkin, Turoff, Roschnow, Tissahky, Rcpjeff, Tumereff, Cavostjanoff, Chidirschikoss, Cak- ") Daß die Namen so wciug au dcu deilisclen Ursprung cnnnrrii, ist natürlich. Dic Dlutschci,, welche sich bei dcu Slaven niederließen, haben meist ihrem Name,, eine slavische Gndimg in ky cder rw ;,,-gefügt. Ich fand einen Landmann Becker, der sich in Polen Vi-kersli nannte; oft abc? lU'crschton sie ancl' ihren deutschen Namen in's slavische, z. Ä. die vcn Etei» >>' KnmiMi. Das geschieht alul, m Rußland, Tolstoi ist Ueberschung von Dick. Der bekannte Philolog Wostoloff heißt eigentlich Ostenect. ___?^ """, Chramoff, Swelschin, Tscheljadnw, Ecrgejeff, Tschulkoff, Sirotin, Tschcpotjess, Slisneff, Iachontoff, Sockmyschew. 38) Aus Frießland abstammend 1 Geschlecht: Wcnjusoff. 39) Aus Italien abstammend 0 Geschlechter: Vcsnin, Olferjew, Sasetzki, Ordini, Natschokm, Natschockin, Tischnc-Witsch. 40) Aus Venedig abstammend 2 Geschlechter: Grjasny, Dschcmin. 41) Aus Nonl abstammend 5 Geschlechter: Iclagw, Po-temkiu, Kaiskm, Sijanow, Nerihkije. 42) Aus Frankreich abstammend 4 Geschlechter*): Dere-montow, Nicoless, Divoff, Ododuroff. 43) Ans England abstammend 2 Geschlechter: Vestuscheff, Vumin. 44) Gudlich 95 Geschlechter, von denen unbekannt, woher sie stammen: Abloff, Motjakm, Alymoff, Mnratoff, Arsenoff, vlassonoff, Balakireff, Nelcdinsky, Vartcncw, Novikoff, Belcjubsk, Patrelejeff, Vcchtchff, Pcrckuschin, Bolotoff, Postoff, Bontscha-ross, Powalifchkin, Bukowschy, Projcstoff, Werorolokin, Prokoljcff, Wesselkin, Pronschizcw, Winkoff, Protossoff, WlaSjeff, Puschetschi-koss, Wolchoff, Ratoff, Wcrypajcff, Ropatoff, Golcutin, Rudm, Golossoff, Safronovsw, Gorin, Celcsnen, Dcmcntjcff, Sain-monoff, Domoschiroff, Spossitclcff, Ieljutin, Epcschncff, Schola-boff, Sulmencff, Syroff, Enchotin, Kablukoff, Suschkoff, Kas-uasschejcff, Tcpritzky, Karamgschcff, Titoss, Karatschoss, Toroka-noff, Karpoff, Trcssiu, Kobjafoff, Tutolmiil, Knsnakoff, Tirtoff, Kolupajcss, Tiutscheff, Komsin, Nkrainzoff, Kofttcss, Tamin, Kromkoff, Tunikoff, Knradsumoff, ChwostschmSky, Navikoff, Larionoff, Chriproff, Eobkoff, Tschaplyciin, Lopatin, Tschcby. scheff, Lulomwtloff, Tschcbyschcff, Lnkin, Tschelischtschcff, Swosi, Tscheljuchkin, Lykoff, Tschewin, Ljapnnoff, Tscheressoff, Marimoff, Schirkoff, Mcrülloff, Iaroslawoff, Michailoff. ') Die Schadajeffa führen clne Lilie als Mittelschild in ihrem Wappen, desgleichen die Dinvcffs, die lehteu sind entschieden französischen Ursprungs und hießen Divier. 72 Wir müssen uns über diese interessante Aufzählung der AdelSgcschlcchter aller Kritik enthalten, da nns jeder Maaßstab fehlt. Anscheinend sind Widersprüche, Widcrholnngcn u. vorhanden, die wir nicht zu lösen vermögen, so werden z. B. die Woronzow einmal als Warjagcr, das andere Mal als dcut-schcn Stammes bezeichnet, wenn nicht etwa 2 Familien desselben Namens cristircir. Wir lassen nun noch einige Notizen nnd Zusammenstellungen über die fürstlichen, gräflichen und sonstigen besonders vornehmen oder berühmten Häuser des russischen Adels folgen, wobei wir das oben angeführte Buch des Pseudonymen Grafen Almagro zum Grunde legen, und aus sonstig zugekommenen Notizen einschalten. Folgende Familien stammen von den jüngeren Nachkommen Runks, von den sogcuanuten Theilfürstcu ab. Vom heiligen Michel Fürsten vou Tschcrnigow im 12ten Grade von Rurik und im 8tcn Grade vom heiligen Wladimir abstammend, sind entsprossen die Familien der Fürsteu Odojewsky (vou der Stadt Odojcw im Gouvernement Tnla den Namen führend), Koltsow-Massalsky (von der Stadt Massalsk im Gouvernement Kaluga), Gorischakow, ElctSky (von der Stadt Elch im Gou-vcrnemeut Orel), Zweuigorodsky (von der Stadt Zwcuigorod im Gouveruemeut Moskau), Variatinsky (von dem Lande Variatina im Gouvernement Kaluga), Obolensky (von der Stadt Obolcnsk im Gouvernement Kaluga), Tnsiakin, Dolgoruky (bedeutet Laughand), Tfchcrbatow, Wolkousky, Rcpnin, die aus-gestorbeu und deren Erbe nnd Namen übergegangen ans dte Wolkonski-Rcvnine. Von den alten Theilfürsten in Iaroslaw stammen ab die Familien der Fürsten Stchetinin, Zassekin mit einer Neben-brauche Sontsew-Zassekin, Ehcchowskov, Mortkinc, Shchonsky (vom Flusse Schekschua, an dessen Ilfcr ihr Fürstcnthum lag, den Namen herleitend), Lwow, Prozorowsky (das Land Prozorowo im Gouvernement Iaroslaw), Dulow. — Vou den alten Theilfürsten in Smolensk stammen ab die Familien der Fürsten Wiasemsky (Wiazma im Gouvcrucment Smolensk), Koz-lowsky (von der Stadt Kozlow), Krapotkin, die Grafen Ta- 73 titchew und die Herren von Yeraftkin, Riloski und Tolbuzin, welche 4 Familien den Titel Knäsc oder Fürsten nicht mehr führen.— Von den alten Theil fürsten in Rostow stammen ab die Familien der Fürsten Etschepin-Nostowsky, Kas-satkin-Rostowski, Labanow-Nostowski. ^ Von den alten Theilfürstcn in Belozersk stammen ab die Familien der Fürsten Bcloßelsky von Vclozcrsk (vom Lande Vclvie-Sclo mit der Stadt Bclozersk im Gouvernement Nowgorod), Wadbolsky (vom Lande Wadbola im Gouvernement Nowgorod), Schclcsch-Pansky (vom Lande Echelespansk daselbst), llkhtomsfy (vom Flusse Ukhsma, wo ihr Land lag). Von den alten Thcil-fürsten in Starodnb im Gouvernement Wladimir stammen ab die Familien der Fürsten Gagarin, Hilkow und Romoda-uowsky - LadyjenSky. Die Familie Liapnnow, abstamniend von den Theilfürsten von Galitsch im Gouvernement Kostroma, führt den Knäscn- oder Fürstcntitcl nicht mehr. Die Familie Danielowitsch stammt von den alten Fürsten von Halitsch (Galizicn), also ebenfalls von Rurik ab. Folgende von Nurik abstammende Geschlechter sind ausgc-storben: Andomsky, Vahteiarow-Nostowsky, Vclcwsky, Vielsky, Vuinossow-Rostowsky, Vriuhaiyi-Rostowsky, Vrityi-Rostowsky, Daschkow, Dieicw, Gaghine, Gluhowsky, Oolcnin-Nostowsky, Gorbatyi-Schuisfy, Gorcnsky, Gwozdew-Rostowsfy, Hoholkow, Hworostinin, Iigemsfy, Kargolomsky, Gundorow, Iirow-Zas-sckiu, Kaschin, Katyrcw-Rostowskv, Kemsky, Korkodinow, Klub-kow-Mafsalsk,), Kubenski, Kurbsw, Kurliatcw, Ko,elsfy, Lia-lowskv, Litwinow-Massalsky, Lyfow, Molojsky, Moralsky, Mezehky, Nowossilsk«, Nozdrcwatyi, 8 Häuser Obolcnsky, Ohliabinin, Ossowitsky, Palctzky, Peninsky, Pcnkow, Pere-myschlsky, Pojarsky, Polew, Porhowöky, PujbolSkv, Priimkow-Rostowsky, Repnin, Riapolowsky, Romodanowsky, Echastunow, Sitsky, Skopin-Schuisky, Sughorsky, Susdalsky, Temkin-RostowSky, Temnosmyi, Tulupow, Turcnin, Trawin, Tro-stensky, Troickurow, Twcrsty, Velikoghaghin, Yuhotsky, Vere-zme, Iwin, Karpow-Dalmatow, Ossinin, Vsewolojskv, Zabo-lotsky. Es blühc„ demnach noch 38 Ruriksgeschlechter und 81 sind ausgestorben. 74 Außer dell von Rurik abstammenden Fürstcngeschlcchtern gicbt es in Rußland auch noch viele Geschlechter, welche von andern frühern souveraineu Fürsten abstammen. Wir haben schon oben die von dem lithauenschen Großfürstcngcschlechte der Iagellonen abstammenden Galizin, Knrakiu, Hawausky :c. genannt. In Wolhymen eristirte früher cin souvcraincs Fürstenhaus, von welchem die Fürsten Vabitschew, Druzki-Eokolmski und Putiatin abstammen, deren Fürstcuwürdc l8l)0 und 1807 in Rußland anerkannt wurde. In den transkaukasischen Ländern hat Rußland, besonders in Grusien und ill den tatarischen Ländern, die vielen dortigen sogenannten Fürstengeschlcchter als solche etwas voreilig anerkannt. Bei der Eroberung von Armenien hat man dagegen nicht einmal einen Adel anerkannt. — Unter den Ersteren sind jedoch einige berühmte Geschlechter, welche Rußland bereits bedeutende Dienste geleistet haben. So die Fürsten Orbelian, welche in Grusien fast königliche Ehren besaßen und aus China stammen sollen. Die Iizianow, welche aus Italien uach Grusien eingewandert sein sollen, die Eristaw, die Tchewtchevadze, die Gru-sinky eine Nebenlinie der Vagratiden, Dadianow, von denen eine Linie uoch in Miugrelicn Herrschi, Schcrvaschidze, deren Hauptlinie in Abhasien unter russischer Oberherrlichkeit herrscht. Folgende polnische Fürstcngeschlechter sind in Nußlaud als russische Fürsten anerkannt: die Fürsten Ezartoryski, bekanntlich von den Iagellonen abstammend, die Fürsten Czetwcrtinski, Swia-topolk, die Drlizki-Lllbezki, die Giedroyz, die Iablonowsky, die Lnbo-mirski, die Mirski, dieOginski, die Puzina, die Radziwill, die Sanguszko, die Sapicha, die Schiliski, die voll Rurik abstaimnen, (die in Rußland lebende Linie starb aus und nur eine Nebenlinie in Polen erhielt sich), die Noronezki, die Zajomzek. Die meisten von diesen Geschlechtern stammen von früher unabhängigen kleinen Herrschern in Wolhymen und Minsk ab, und Wurden von den römisch-deutschen Kaisern als Fürsteu anerkannt oder in den deutschen Fürstenstand erhoben, Neben dem Geschlechte Rurik erscheint schon fast eben so früh das mächtige Geschlecht der Großfürsten von Litthaueu, daS Geschlecht des Guedinnn, später die Iagellonen genannt, 75 welche dann auch den polnischen Königsthron erworben. Von Gucdimin stammen eine Menge Geschlechter in Rnßlaud und Polen, von denen aber anch schon viele auSgestorbcn sind. Es blühen davon noch in Rußland die Geschlechter der Fürsten Galizin, Kurakin, Hawauski, Trubetzkov, Woronchky, in Polen die Czartoryski, Olelkowitsch nnd Sanguszko. Ausgestorben sind die Geschlechter Stcheniatcw, Korehki, Ibarasz, Polubmski, Sbarajski, Wisniowiezki, Porczki, Pinski, Sluzli, Vielski, Ijcslawski, Mstislawski, Kochirski, Kowclski. Also 8 noch blühende nnd mit dem königlichen Geschlechte der Iagelloncn 15 ansgcstorbenc Linien dieses mächtigen Geschlechts. Die Erhebung in den Fürsten- nnd Grafeustaud ist erst dnrch die Annäherung der europäischen Gewohnheiten seit Peter l. in Nußland gebräuchlich geworden. Ich glaube, man möchte wohl vorher kein Beispiel finden. Noch unter Peter l. kam es in der ersten Zeit vor, daß Nüssen, z. V. Mcntschikow, vom römisch-deutschen Kaiser in den Fürstenstand erhoben wnrdcn. Spater erhob dann anch Peter I. selbst diesen Mcntschikow noch zugleich in den russischen Fürstenstan^. Es geschieht übrigens auch jetzt noch ziemlich selten. Ich führe folgende Erhebungen an, und glaube nicht, daß man viel mehr finden und aufzählen kann. (Einige solcher ernannten Fürstengeschlechter sind übrigens auch schon wieder ausgestorben z. V. die Nasumowsky, Kutu-sow, Osten-Sakcn). Die Fürsten Menlschikow, vielleicht die älteste Ernennung (1707), Capuchin mit dem kaiserlichen Hause verwandt (l?9l>), Suwarow-Italinsky (1790), Barelav de Tolly (1815), Paskiewitsch (!83l), Tschcrnischeff (1841), Woronzow (1846), sämmtlich Feldherren von europäischem Ruf. Ealtykow (1814), Kotschubcv (l5M ), Wafsiltschikow (1839), Liwcn (1826), und die beiden Armenier Argutinsky-Dolgo-ruky und Lasarcw (1800), die sich sämmtlich große Verdienste um Rußland erworben haben. Russische Grafen gab es vor Peter I. nicht. Es ist ein Stand und Titel, der nirgends in russischen Traditionen und Sitten eine Wnrzcl oder Analogie hatte. Der russische Knas stand dem europäischen Titularfürstcn ziemlich analog, für den Grafen gab es aber im russischen Staats- und Naiionallebm 76 keine gleiche gesellschaftliche Stellung, wenn man nicht die der Bojaren, welches aber doch eigentlich nur eine persönliche Würde war, dafür annehmen will, da sie wenigstens über den gewöhnlichen Edelmann standen. In dem obigen Buche des Fürsten D. Notice :c. werden 59 russische, l5 polnische und N fremde Fürstengcschlcchter als in Rußland anerkannt aufgeführt. Von den in den transkaukasischen Ländern befindlichen sind jedoch nur einige wenige aufgeführt, nnr solche, deren Mitglieder eben einen bedeutenden Rang im russischen Civil- oder Militairdienst eingenommen haben. Gräfliche Häuser zählt derselbe l»l), also weniger wie der fürstlichen. Unter diesen sind 3, welche kein russisches, sonderii cm Grafendiftlom des h. römischen Reichs, haben, Golowin 17N2, Inbow !793, Markow l7W, und ^ die ein solches und zugleich ein russisches Diplom haben. ES sind 15 Familien deutschen Ursprungs, meist aus den Ostsceprovinzen, darunter. — Wir wollen die sämmtlichen Grafenhäuscr hier angeben und aufzählen. ..^--^ 1) Schercmetew. Seit Jahrhunderten glänzen die Mitglieder dieses berühmten Hauses in der russischen Geschichte. Historische Notizen*) berichten, daß zwischen !34l und 1353 Andrcj Iwanowitsch Kob-nla aus Preußen oder Deutschland nach Rußland gezogen sei. Von ihm stammen das spätere Czarcngcschlecht der Romanow und die Schcremetcw ab, und zwar von dem einen Enkel Iwan Koschkin die erstere, von dem andern Enkel Alcrandcr Vetzzabetz die Schcrcmetew. Außerdem haben aber auch noch die Häuser Kalytschcw, Ncpluiew, Ba-darykin, Ladyghine und Konownitsync denselben Stammvater. Die Familie ist unermeßlich reich. Ich hörte, sic hätte 2N0,00N männliche Seelen Leibeigne. Schcrcmetcw hätte hienach fast so viele Leibeigne, als der Herzog von Nassau Unterthanen. Andere mir vorliegende Notizen sprechen nur von 128M0 Seelen. Schercmetcw ist bekannt wegen der großen Milde und der ') Lebensbeschreibung des Feldmarfchalls Scheremettw, von Müller, überseht von Vackmeister. Leipzig, Hartknoch 1784. 77 schützenden Sorge für seine Leibeignen, eö giebt unter denselben Viele, die Millionen im Vermögen besitzen. (5s galt früher für eine Strafe, wenn er einen seiner Leute der Leibeigenschaft entließ. Der Feldmarschall Boris Schercmetcw ward 1700 von Peter I. in den Grafenstand erhoben. 2) Golowkin 1707, vom Kaiser Joseph l. in den Grafenstand des römisch-dentschcn Reichs erhoben, 1709 in den russischen Grafcnstand. 3) Zotow 1710. 4) Aprarin 171tt und 1722. Eine alte berühmte Bo-jarcnfamilic, durch Heirathcn mit den Romanow verwandt. 5) Tolstoj 1724. Berühmte Vojareufamilie, ungemein zahlreich. 6) Vier 1726. Portugiesischer Abkunft. 7) Munich 1728, und deutscher RcichSgraf 1741. AuS dem Oldcuburgischcll hcrstammcnd. Abkömmlinge des berühmten Fcldmarschalls. 8) Ost er mann 1730. Aus Vockum iu Wcstphalcn hcrstammcnd. Abkömmlinge des berühmten Staatsmannes. Iu männlicher Linie ausgcstorbcn ist Titel, Name und Vermögen auf die Tolstoj übergegangen: Ostcrmann-Tolstoj. 9) Saltykow 1732. Alte berühmte Bojarcnfamilie. Die Mutter der Kaiserin Anna war Prascovic Saltykow. 10) Icfimofsky 1742. 11) Hendrikow 1742. Diese und die Iefimofsky stammen von 2 Schwestern voll Calharina I. ab. 12) Czcrnyschew-Kruglikow 1742. 13) Schuwalow 1746. 14) Stcinbock-Fcrmor 1758. Altes deutsches und schwedisches Geschlecht aus den Ostsccftrovinzcn. 15) Buturlin 1760. Ein altes Bojarcngeschlecht. 16) Pan in 1767. Sollen aus Lucca stammen. Die Familie hat Rußland die ausgezeichnetsten Männer geliefert. 17) Potcmkin 1775. Der berühmte Grcgoirc P. ward von Joseph 1l. zum Fürsten des heiligen römischen Reichs ernannt 1776, starb aber ohne Kinder. 78 18) Fersen 1795. Alte schwedische Familie. Genera! Fersen, der Bchcgcr Kosciuökos, ward zmn Grasen ernannt. 19) VobrinSky 1796. 20) Woronzow l?97. Schon 1744 und 1760 wurden einzelne Glieder dieser berühmten Familie Grafen des heiligen römischen Reichs. Das Hanpt der Familie, der die Armee deS Kaukasus commaudircndc General Michel W. ward 1840 in den Fürstenstand erhoben. Ein anderes Glied der Familie erbte Titel, Namen und Vermögen der ansgestorbenen Nurikfamilie Daschkow, und heißt also Woronzow-Daschkow. 21) Kuschelcw-Bezborodko 1797. Der Reichskanzler Bczborodko ward 1784 Graf des heiligen römischen Reichs, 1797 russischer Fürst, sein Bruder 1784 Graf dcs heiligen römischen Reichs nnd russischer Graf 1797. Titel, Name und Vermögen erbte sein Enkel A. Kuschclew. 22) Dmitriew-Mamonow 1797. Alte Familie, behauptet von Rurik abzustammen, wurden 1788 Graf des heiligen römischen Reichs. 23) Zawadowsky 1797. Graf des heiligen römischen Reichs 1794. 24) Burhocvdeu 1797. Alte livländischcFamilie. Preußische Grafen seit 179Z. 25) Kamen sky 1797. 20) Kah ow sky 1797. 2?) Gudo witsch 1797, die jüngere Linie erhielt erst 1809 die Grafenwürdc. 28) Mussin-Puschkin 1797. Alle Bojaren-Familie; schon 1710 wurde ein Familienglied Graf. 1780 ein anderes Graf dcs heiligen römischen Reichs. 29) Sievers 1797. Graf des heiligen römischen Reichs 1760. 30) Osteu-Sacken 1797. Alte kurländische Familie. Der Fcldmarschall und Gouverneur von Paris, ward 1832 in den Fürstcnstand erhoben, starb ohne Söhne. 31) Strogonow ältere Linie 1798. Erhielten 1761 die Grafcnwürdc des heiligen römischen Reichs. — Die Familie ist eine merkwürdige Erscheinung in der russischen Geschichte. In 79 Bezug auf ihre Entstehung kann man sie mit der Familie der deutschen Fürsten Fugger, der berühmten Augsburgcr Kaufleute des 16. Jahrhunderts, vergleichen. Der reiche Kaufmann Anita Etrogonow in Nowgorod besaß Salinen und unermeßliche Do-mainen am Ural, die damals wohl kaum dem russischen Zepter unterworfen waren (Anfangs des 16. Jahrhunderts). Sie waren in dieser Beziehung Vasallen, wenn auch sonst persönliche Unterthanen des Zciar. Eic ließen durch den verfchmtcn Kosacken-häuftlling Iermack Sibirien erobern und legten die Herrschaft darüber Ivau dem Schrecklichen zu Füßen. Ivan verzieh Icrmack und verlieh den Strogonows außerordentliche Privilegien, unbeschranktes Handelsrecht, Abgabensreihcit, späler erhielten sie anch das Recht Festungen und Ostrogs bauen, eigne Jurisdiction einrichten und Heere halten zu dürfen, wovon sie einen edlen Gebrauch machten, denn sie rüsteten auf eigne Kosten eine Armcc gegen die Polen. Die Familie besaß zusammenhangende Länderstrccken, die an Flächenraum daS Königreich Vaiern übertreffen. Ihre großen Privilegien verloren sie unter Peter I., auch mag dnrch Thciluugcn und auf sonstige Weise ein großer Theil ihres Vermögens in andere Hände übergegangen sein, doch ist durch sidcicommifsarischc Äestimmun-gen noch so viel erhalten, daß ihr Landbesitz der größte in Rußlaud sein soll. Ihr Majorat sott 3 Millionen Nnbel Rcvcnücn abwerfen, aber auch mit 15 Millionen Schulden, Abgaben und Stiftungen beschwert sein. Die Strogonow jüngerer Linie erhielten 1826 die Orafen-würde. 32) Pahlcu 1?W. Alte kurländischc Familie. 33) Kuschclcw 1799. 34) Nastoptschin 179!». Die Familie behauptet von Dschingis-khan abzustammen. 35) Orlow-Dcnissow 1799. 36) Kutaisow 1709. Aus Tscherlcssengebli'it. 3?) Wassiliew 1801. 38) Tatisch ew l801 und «826. Die Familie stammt von den Thcilfürstcn in Smolensk, also von Rurik ab, führt aber den Fürstcntitcl nicht mehr. 80 39) Praiassow 1801. Sehr alte Familie. 40) Platow 1812. Der berühmte Kosackenhetmann. 41) Venningscn 1813. Eine hannoversche Familie. 42) Lambsdorff 1817. Eine alte kurländische Familie. 43) Konownitsyn 1819. Alte berühmte Familie, die mit den Romanow und Schcremetcw denselben Stammvater hat. 44) Guriew 1819. 45) Orlow 1825. Schon fri'chcr 1762 erhielten Glieder der Familie den Grafentitcl, der berühmte Graf Gregor O. 1772 den Fürstcntitcl des heiligen römischen Reichs. 46) Pozzo di Borgo 1826. Ans Corsica. Der einzige Fall, daß ein Ausländer, der nicht russischer Unterthan war, die russische Grafcnwürde erhielt. 4?) Toll 1829. Altes livländisches Geschlecht. 5 48) Opp ermann 1829. Deutsche von Geburt. 49) Cancrin 1829. Aus Churhcssen hcrstammend. 50) Golcnistschcw-Kutuzow 1832. Altes Bojarengeschlecht. Der Fcldmarschall Michel ward 1811 Graf und 1812 Fürst mit dem Zuuamcn: Smolcnski, starb ohne Söhne. 51) Bcnckendorf 1832. Esthlandischc Familie. 52) Essen 1833. Schwedische Familie. Name und Titel sind auf die Grafen Steinbock-Fermor übergegangen. 53) Lewaschow 1833. Aus Litthauen stammend. 54) Mordwinow 1834. -- 55) Kissclew 1839. 56) Klcinmichel 1839. 5?) Bludow 1842. 58) Die Grafen G »low in auS der Krimm. Schon 1488 nach Rußland gekommen; erhielten 1702 die Grafenwürde des heiligen römischen Reichs. Sind aber nicht russische Grafen. 59) Die Grafen Iubow aus Polen stammend. Alerander Zubow ward 1793 Graf des heiligen römischen Reichs, sein Sohn Platon erhielt desgleichen den fürstlichen Titel 1796, starb aber ohne Söhne. Sind nicht russische Grafen. 81 til)) Die Grafen Markow erhielten l?W die Grafcnwnrdc dcs heiligen römischen Reichs. Sind nicht russische Grafen. Unter den russischen Fürsten findet sich kein Vorrang etwa der Art, daß die von Nnrik nnd Guedimin, also von souve-raincn Herrschern abstammenden Geschlechter höher im Nange ständen als die in den Fürstenstand erhobenen Geschlechter. Nach dem Gesetze vom 12 Januar 1682 sind alle russische Edelleute völlig gleich im Rechte. Titel und Abstammung geben keinen Vorzug. In Bezug auf die Fürsten werden sogar die alten Rnriksgeschlcchtcr gegen die neuerdings in den Fürstcnstand erhobenen in Bezug der Courtoisie zurückgesetzt. In öffentlichen Urkunden wird nur den Letzteren, den Mentschikows, Snvarow, Liwcn, Paskiewitsch, Woronzow :c. der Titel „Durchlaucht" gegeben. Außer den Fürsten- nnd Grafeugeschlechtcrn giebt es noch eine Anzahl alter Geschlechter, die im Adel selbst eine Anerkennung finden. Es sind die in der Bachatnaja-Kniga (I^vi-6 cle Velour), dem alten Heraldicregister, welches zuerst Ivan III. angelegt nnd welches zum letzten Mal N>tt2 ncn geschrieben ward, aufgeführten Geschlechter. Von den darin verzeichneten cristircn gegenwärtig noch folgende 43 Geschlechter; einige von ihnen haben die gräfliche Würde und sind bereits oben genannt. Vabarykin, Bclkin, Vobristschcw-Puschkin, Vorozdm, Vn-turlin, Dmitricw-Mamonow, Glcbow, Glcbow-Strcschncw, Golenistschew-Kutuzow, Golowin, Iercbzow, Islcnicw, Khwo-stow, Kologriwow, Koltowoky, Kolytschcw, Konownitsyn, Kutuzow, Kwachnin-Samariu, ^adyghin, Lapukhin, Laplcw, Luvandin, Miatlew, Mussin-Puschkiu, Neplnjw, Nowossiltsow, Otiaicw, Plestscheicw, Puschkin, Pustoroslcw, Sabnrow, Saltykow, Samarin, Schawrow, Scheremetew, Schischkow, Tschoglokow, Wckcnliew, Wcliaminow, Weliaminow-Woronzow, Wcliaminow-Zcrnow, NolynSki. Der Varontitel ist erst seit dem l8. Jahrhundert in Nnß-land eingewandert nnd nicht sehr geachtet. Es erhielteu ihn meist industrielle Größen, Hofbanqmcrs :c. Baron Fredericks 6 1773, Baron Vclho 1800, Baron Rall 1800, Baron Stieglitz li^2l», Varon Solowicw, cin Kaufmann, 1727, Baron Tscher-kassow 1742, Baron Mcstmachcr 1777, Baron Meller-Zakomeloky (tüchtiger General) 1789. AndcrS ist es in den Ostsceprovinzen, wo der eingesessene demschc Adel von llraltcrs her den deutschen Freiherrn- oder Barontitcl fnhrt, ' Es giebt colossale Vermögen im russischen Adel. Der Fahndrich Iakubow erwarb neuerdings dnrch die Goldwäsche das colossalste vermögen, welches vielleicht auf dem Continent,.' eristirt; man schätzte es ans mehr als 100 Millionen Thaler. Es soll nach seinem Tode mit seiner einzigen übrig gebliebenen Tochter ans einen Grafen Steinbock übergegangen sein. Die Demidoffs sind die Bergleute Rußlands. Tie sind unberechenbar reich; sie besitzen z. V. (wie ich hörte) einen ungeheuren Felsen von Malachit, von dem jedes Pnd 800 Rnbcl kostet. Ganz außerordentlich reich sind auch die Familien Galitzin, Woronzow, Woronzow-Daschkoff, Knschclcff, Sakrcffski, Pasch-fow, Vobrinsfi, Malzoff, Uwaroff, Potemkin, Panin, Paskiewitsch, Vranizti, Naoziwill (beide Polen), Lasareff (Armenier). Von den alten Fürstengcschlechtern sind viele so herabgc-kommen, daß sie Titel und Rang verloren haben. Gin junger Ofsicicr den ich sah, hieß Swenigorodsly, und stammte von den alten Fürsten von Swcnigorod ab. Ein Herr v. Rischcff fnhrte noch cin fürstliches Wappen und den Fnrstcnmantel, aber nicht mehr den Titel. Desgleichen ein Herr v. Schiwc-leff. — In der Gegend von Noroncsch finden sich in einem Dorfe einige freie Bauern, die aber auch noch selbst einige Leib-elgm besitzen. Sie arbeiten, MÜM, kleiden sich wie Bauern, und unterscheiden sich allein durch eine eigenthümliche rothe Mühe, die nach der dort herrschenden Sitte nur sie tragen dürfen. Es ist cin gänzlich herabgekommcncs Fürstenge-schlccht! Es leben in Rußland auch noch manche Abkömmlinge von früher souverawen Königsgeschlcchtern, so die Abkömmlinge der 83 Zaare von Grnsien, die Bragratiden (Vagration), und die Fürsten Mm, die dirceten Abkömmlinge von Dschingis-Khan, die den Thron der Khane der kleinen Taiarci oder Krimin besaßen. — Bei Tiflis wohnt ein dircctcr Nachkomme MahomedS. Die Fürsten Cantncmeno, die letzt in NnMnd leben, stammen von dem alten griechischen Kaiscrgeschlechte ab. I». Religiosität des russischen Volkes. Durchdringung der Elemente uon B>.'ll, Kivchc und Staat. Stellung der Gcistlichfcit, Geschichtliches. Das Patriarchat und dessen Verdienste, Nicm,. KieffZ gelehrte Schulen. Der h. Synod. Eintheiluug Rußlands in Epnr-chien, Statistik der Geistlichkeit und ihrer Schulen. Bildung der höheren und KK'strrgcistlichkeit. Ausgezeichnete Prediger. Die Heiligenbilder, ihrc Stellung zur bildenden Kunst, Die Kirchenmusik'. Abhandlung dcö Herrn v, Nadeschdiu über den russischen Kirchcngcsaug. Vaß dic Russen cm nngemein religiöses Volf sind, kann als allgemein bekannt und anerkannt vorausgesetzt werden. Dic Religiosität beruht beim eigentlichen russischen Volke vorzugsweise auf einem natnruothwcndigen, naturzwingcndcn tiefen Gefühle, sie ist etwas Ganzes und umfaßt den ganzen Menschen in seinen Gedanken, Gesinnungen, Gefühlen, sie ist die Luft, ohne die er nicht zu athmen vermag. Sein ganzes Leben bewegt sich in religiösen Gefühlen, die Naturtriebe, die Liebe uud Anhänglichkeit zu den Neltern, steigern sich zur religiösen Ehrfurcht, zum religiösen uubcdiuglcn Gehorsam, und von da an durch alle Gradationen der über ihm Stehenden hinauf, gegen alle Aiictoritäteu bis znm Zaar, der ihm wieder der Vater in höchster Potenz ist. — So wie nach aufwärts, so ist dann auch in der Breite die Liebe zn den Brüdern, den Verwandten, zuletzt allen Volksgenossen (die er auch im gemeinen Leben stets Vrüder i Vratj nennt), ein unwiderstehliches Gefühl, aber überall aus religiöser Gemeinsamkeit beruhend. Endlich ist der Boden, das Land, Russia, seinen Vorfahren, ihm, seinen Vrüderit von Gott verliehen, seine Vorfahren sind dort begra- «5 ben, cr lcbi auf dcm Vodcn, dcr religiös gcwcihct ist, und ihn einst auch dcckcn wird, dcr alle Hciligchümcr seiner Verehrung und seiner Liebe enthält. Dich znr Religiosität gesteigerte Vaterlandsliebe, für die Gott selbst eine Art Nationalität, dcr rus-sische Gott (Ruski Bog) ist, für die Land, Volk und deren Spitze, die Kirche, und der von Gott gesetzte und geheiligte Weiße Zaar, eine vollkommene, das ganze Individuum mit allen feinen Gedanken und Gefühlen umfassende Einheit geworden ist, ist die Quelle und Grundlage von dcr Einheit Rußlands nnd von seiner moralischen und physischen Kraft. Die Religion und ihre Trägerin, die Kirche, ist die wahre Macht, die geistige mysteriöse Gewalt, dcr gchcimnißvolle Gedanke, welche dieß Land und Volk zn einer unzerstörbaren Einheit zusammengeschmolzen haben, lind dieses historische Factum ist so beherrschend und gewaltig, daß selbst die Starowerzen, die sich doch von dcr Kirche getrennt haben, sich jenem Ein-heitsbandc nirgend haben entziehen fönnen und wollen; auch bei ihnen herrscht dnrchans keine Trennung vom übrigen Volke, auch bei ihnen ist die Liebe zu den übrigen russischen Brüdern nnd dem gemeinsamen Vatcrlande nnd seinen Heiligthümern von dnrchans religiöser Natur, wenn sie auch meinen, die Kirche sei vom rechten Wege abgewichen. Bei dieser großen Religiosität, Glanbenskraft, Frömmigkeit, diesem unbedingten Gehorsam gegen alle Gebote, besitzt aber dic-Mchrzahl dcr Russen nur in einem sehr geringen Grade die Erkenntniß dcr Dogmen. Er erhält wenig Unterricht darin, cr steht in dieser Beziehung ans dcr Stufe naiver Kindheit nnd Un-schnld. Nnr bei den Scctcn findet man, daß sie vielfach von dem gefährlichen Vanme der Erkenntniß gepflückt; und mit welcher Entwicklnng Vcs Scharfsinns und welcher Energie dcr Gcistcsconscqncnz, das habcn wir im lAtcn Eapitcl dcs lsten Theils nachgewiesen. Von dieser großen Einheit dcs rcligiöscn Volkslebens habcn sich mich dic höheren Stände, dic europäisch gebildete Klasse dcr Russen, keineswegs losgesagt. Man findet nntcr den Gebildeten hänfig eine große Frivolität der Gcsinnnng, besonders bei dcr ältern, französisch gebildeten, Generation wenig Religion, 86 leichtfertige Negation, selbst bis zur Atheistcrci; allein keiner sagt sich äußerlich von der Kirche los, keiner entzieht sich der Vcob-achtnng der äußern Ceremonien, keiner zeigt irgend eine Miß-achtnng oder gar Verachtung gegen die Kirche und ihre Ceremonien. Cs würde dies; einem Aufgeben des Vaterlandes und der Volksmitglicdschaft gleich kommen. Dieß ist ein sehr wesentlicher Unterschied im Gegensah zu den gebildeten Leuten anderer Völker. Durch die Kirche übt Nnßland einen ungcmcin großen geheimen politischen Einfluß auf alle slavischen.Völkerschaften, die der orientalischen Kirche angehören. Alle betrachten die russische Kirche als die Mutierkirche. Factisch und in Wahrheit steht Rußlands Kirche an der Spitze der ganzen orientalischen Christenheit. Der Patriarch in Constantinopel hat noch den Chrcnvorzug, aber sein und seines Clcrns Einfluß ist gering, das geistige, wie materielle Ucbergewicht ist auf Seilen der russischen Kirche. Man hört selbst in Rußland hänsig die Behauptung, der gemeine Russe habe nicht die mindeste Liebe und Achtung vor seiner Geistlichkeit, er habe sogar den Aberglauben, wenn er am Morgen früh zuerst einem Popen begegne, so bringe ihm das Unglück, er speie dann bei solcher Gelegenheit aus. Auf der andern Scitc sieht man stets, wenn ein Nüsse einem Popen begegnet, daß er ihm demüthig die Hand küßt. Man will daraus schließen, daß er den Popen nnr als Träger und Spender der Saeramente äußerlich ehre, aber innerlich verachte, oder gar hasse. Das ist eine der halben Wahrheiten, die stets zn falschen Schlüssen führen. Der Nnsse hat die größte religiöse Ehrfurcht vor dem Amt und der Wcihe des Geistlichen. Ist nnn der Geistliche zugleich ein würdiger Mann, ist sein Leben religiös nnd untadcl-haft, ist er gar bemüht, als Seelsorger seiner Gemeinde die Tröstungen der Religion zu bringen, überall zuzusprechen, zu unterrichten, sich der Kinder anzunehmen u. s. w,, so wird er mit unbegrenzter Liebe und Vhchircht behandelt. Wir haben das selbst bei dem Popen des Herrn v. Karnowitsch (s. V. I. Cap. VI.) gesehen. — Aber ausgezeichnete Geistliche sind aller- ' ___8? dings auf dem Lande selten. Die Mehrzahl der ältern Popen ist äußerst roh, ohne alle Bildung, unwissend, unr auf ihren Vortheil bedacht. Sie üben die Ceremonien, die Lilhurgie, spenden die Sacramente, benutzen das sogar hausig, um sich Geschenke und Vortheile zu verschaffen. Um die Ecclsorgc aber bekümmern sie sich gar nicht, Trost und Unterricht gewähren sie nicht. Daß solche Popen persönlich nicht geliebt, gelobt und geachtet werden, daß man uur ihre Würde lind Priester-Weihe in ihnen ehrt, ist durchaus natürlich. Seit 15 Jahren hat sich das aber schon mächtig geändert, die jüngere Geistlichkeit hat mehr Bildung, mehr Streben und mehr Eifer in ihrem Amte. Im Allgemeinen aber ist dann noch zu bemerken, daß die Nusscu ciuc viel größere Ehrfurcht vor dcr schwarzen oder Klostergeistlichkeit haben, als vor der verhciratheten Wcltgcist-lichkcit. Die Wcltgcistlichkeit ist iu Nußland eiu fast kastenartig abgeschlossener Stand, Es gilt für unauständig, wenn ein Pope eine andere als eine Popeutochtcr heirathcn wollte. (Bekanntlich müssen sie vor der Priesterweihe verheirathct seiu, uach der Priesterweihe dürfen sie sich uicht mehr vcrheirathcn.) Nnr Söhne von Popen können wieder Popen nud Diaconen werden, uur in Weißrußland auch Adlige. Dagegen können auS allen Ständen in die Klöster treten. Leibeigne können jedoch nur dieuende Brüder, nicht Mönchspriester werden. Gegenwärtig treten manche Adlige in die Klöster. Dmitri, Erzbischof zu Kischencff, in Vessarabien ist ein Adliger. , Es ist iu neueren Zeitcu viel für die Bildung und den Unterricht der russischen Geistlichkeit, zur Hcbuug der moralischen Kraft und zur Anregung der Gelehrsamkeit geschehen. Werfeu wir be! Erörterung dieses Puuktcs einen kurzen Blick auf die Vergangenheit. Das Christenthum kam von Con-stantinopel aus nach Nußland. Es nahm die Form und Gestalt nach dem von den beiden Heiligen Eyrillus und Methodius in Mähren constitnirten altslavonischeu Nitus an. Mittelpunkt nnd Sitz des Metropolitans war Kicff. Da kam die Ucberschwcmmung der Mongolen. Kicff ward erst von diesen, spater von Ntthcnicrn erobert. Der Mittelpunkt der weltlichen Herrschaft, so wic dcr Kirche des cigmllichcu Rusilands, zog sich nach Wladimir und spater nach Moskau hin. Während in Kieff die Anfänge und Vlüthcn einer christlichen Bildung, selbst Gelehrsamkeit, sich sehr sccgensrcich entwickelt hatten, wic wir als Beispiel unter andern am allen Chronisten Nestor aus dem Höhlenklostcr in Kieff sehen, so sank das alles bei der mongolisch-tatarischen Unterjochung nun sehr bald und tief. Allein der Keim von allem, das Christenthum, blieb. Die Tataren führten feinen Religionskrieg, sie versuchten nicht die Russen zum Mahomcthanismns zu bekehren, sie begnügten sich, auf den Kirchen über dem Kreuze den Halbmond zu setzen und zu befestigen. 5?) Eo kam es, daß die Russen grade unter Druck und Elend zum Gefühl der tiefsten Einheit kamen. Die Hierarchie hat hiebci große Verdienste, besonders von den Klöstern aus kam Hülfe und Trost ins Volk. Das, aber bei dieser practischcn Richtung nud Thätigkeit alles, was man Bildung und Gelehrsamkeit nennt, bei dcr russischen Geistlichkeit untergehen mnßte, ist erklärlich. Dcr Zustand war iu dieser Begehung, selbst nach Mschüttelung des Tata-rcnjochs, kläglich. Dabei hatten sich dnrch die Unwissenheit dcr Mönche und Priester einc Menge Fehler und falsche Lesarten in die lithurgischcn Bücher cingcschlichcn, die zu verkehrten Auslegungen nnd somit sclbst zu Trennungen führen konnten. Durch dio Theilung in die Thcilfürstenthümer hatten solche falsche Lesarten selbst geographische Bezirke und Vcgrenznngen finden fön- *) Iu gleicher Si'mbolil hat man sich, uack Abwerfimg des Tataren-jocbs, begnügt, das Kren; wieder übcr dein Halbmond auf den Kir-el,cn zu befestigen. Die Tataren warrn ei» nngcmcin tapferes, ftlbst organisch gut gegliedertes Volf, den Nuffcn früher sehr überlegen. Allein sie haben als Gröberer verfahren, wic man verfahren »Ills:, um sssbcr HU sei», lie <3r^beiM!g wieder Z!I verlieren. Statt das Thcilfmstcuwcscn ;n begünstigen nnd mit dcr Zeit aNe eingeborenen ssürsten anf die Seite ;u ssl'affcü, nnterstülzten sie die Einheit, d. h. das Gn'sifürstcnthnm, nnd schonten überall die Kirche. Hätten die Türken die griechische Hierarcl'ic gewaltsam unterdrückt, so wären die Grieän'n nnd Slaven wahrscheinlich dem Mahomctha-niömns verfallen. An der religiösen Trcnnnng geht die türtische Herrschaft zu Grunde, wie eiust die tatarische. 89 nen. In jeucm Fürstenthum war diese Lesart, in diesem jene LcSart adoptirt. Dieß ward man crst gewahr, als ganz Rußland eine politische Einheit bildete. Man suchte nnn vor allem anch die religiöse zn verstärken, man suchte den Mittelpunkt zu kräftigen, das war die Ursache der Entstehung des russischen Patriarchats. Der Patriarch von (5onstantinopel nnd die übrigen orientalischen Patriarchen willigten, wiewohl eben nicht gern, in die Constituirnng desselben. Dem Patriarchate nnd der dadurch mächtig consolidirten Hierarchie hat Rußland die Erhaltung seiner Selbstständigkcit, der polnischen Invasion gegenüber, zn verdanken. Damals war kein Iaar, cS fehlte an einem politischen Mittelpunkt, den gewährte damals aber die Kirche! Von den Klöstern z. B. Troizka-Lawra ging die Bewegung nnd deren Lcitnng ans, nnd nach blutigem Kampfe warf Rußland das polnische Joch ab. Anch dic Einheit in der Lithurgic und den Ceremonien setzte das Patriarchat durch, aber freilich auf Kosten einer anfangs unbedeutenden, bald aber mächtiger werdenden Spaltung in der Kirche, welche die Trennung der Starowcrzcn von der Kirche herbeiführte.^) ') Man hat die Trennung der Starowcrzen von der russischen Staats-lirche mit der Reformation des Protcstaniismus verglichen. Nichts kann dem Princip und den bewegenden Ursachen nach, uuwahrcr sei». Man könnte sogar das Umgekehrte mit einem gewissen Schein von Wahrheit behaupten. Der Patriarch wollte, wie Anfangs Luther, eingcschlichenc Mißbrauche abschaffen und Abänderungen im Cultus vornehme», und dem widersetzte sich das zäh-traditionelle, am Alten unwandelbar festhaltende Christenthum in den Starowcr« zeu. — Jeder unbefangene, unparteiische und mthcilsfähige Mann musi in der Sache selbst dem Patriarchen vollkommen Necht geben. Die Starowcr^en haben vollkommen Unrecht, aber dieses Nnrccht liegt über ihrem Horizont, sie haben bei ihrer geringen Bildung nicht die Einsicht, hier das Necht vom Unrecht zu scheide». Ihre ersteu Au-führer und Verführer, die schißmatischen Priester mogeu, getrieben von Gigcnuuh, Eigensinn, fanatischen Hochmuth das Schisma hervorgerufen haben, die Masse dcr Starower^cn abcr treibt ei» sehr edles, ächt christliches und katholisches Princip, sie wollen das traditionelle Ehristeuthum völlig reii, und unverändert, wie sie meinen bewahren, wie sie es von den Vorfahren ererbt haben, und es ebenso 90 Während die großrussische Kirche diese Entwicklung haite, stand die allrussische Muttcrkirchc in Kieff untcr lithauischer, später polnischer Herrschaft. Hier war noch ein kleiner Nest der vortatarischcn Bildung und Gelehrsamkeit geblieben. Hier stand man nicht dem materiellen, antichristlichen Drucke gegenüber, sondern einer überlegenen Bildung der katholischen, polnischen des Abendlandes. Hier war also geistiger Kampf, daher größere geistige Anregung. Man suchte sich die Waffen bei den Gegnern selbst. In die Kieffsche Kirche wurde demnach scholastische Philosophie und kirchenhistorische Studien aufgenommen, man nahm selbst die Form der Stndien, die Einrichtung dcr Schulen vom Occident, später besonders von den Iesuitcu an. AIs Peter I. Kieff erwarb, trat mehr Verbindung uud Einheit zwischen Kicffs und Moskaus Geistlichkeit ein. Der Hicromonach Simon Polotzki ans Kieff ward von Peter I. nach Moskan gebogen nnd gewann bedeutenden Einfluß. Er war sehr gelehrt, hatte viel Bildung und Willenskraft. Er war auch der erste, der wieder !n russischcu Kirchen predigte, was während der Tatarenzeit gänzlich außer Gebrauch gekommen. Seitdem hob sich auch, verbreiteten sich wieder, Gelehrsamkeit unter der großrussischen Geistlichkeit, iu erster Zeit natürlich nnr untcr der Klostergeistlichkcit. Nach dem Tode des letzten Patriarchen besetzte Peter l. den Pairiarchenstuhl nicht wieder, sondern übertrug die Vefugniß eines solchen, auf cin von ihm errichtetes und ernanntes geistliches Collegium, dem der Name.- heiligster Evnod, beigelegt ihren Nachkommen überliefern. — Wäre ein (^nMim umilUis vorhanden gewesen, so konnte der Kampf nicht entstellen, oder hätte doch ;n M!5 andcrn Resultaten geführt, aber in der cnelüalisäien Kirche hat auch die (Hesam»ttheit der Hierarchic me diese Stelle einnehmen, dicsc Lücke cn>sznfülleu vermocht. Sie ist nach dem herrschenden Glauben der orientalischen Völker, nur die Trägerin nnd Erhalten« des Glaubens. Eine Entscheidung steht ihr nicht zn, sondern diese nur einem öfnmcnisä'cn Coucilüim, wo;n aber auch der Occident nothwendig gehört nud berufen werden müßte, indem es sonst el'en kein ökumenisches wäre. 91 ward. In dcn Motiven, die in dem Reglement von l72ss ausgesprochen, ist offen gesagt, „man habe von einer Regierung, die dnrch ein Collegium geführt werde, nimmer so viel Lärmen und Aufruhr für das Vaterland zu besorgen, als von einem (persönlichen) Oberhaupte des geistlichen Standes entstehen könne. Denn der gemeine Mann versteht den Unterschied der geistlichen und sonvcraincn weltlichen Gewalt nicht, sondern wird durch die große Ehre und Würde, so man dein obersteu Hirten giebt, von Verwunderung dergestalt eingenommen, daß er denket ein solches Oberbaupt sei ein anderer Landesberr, in gleicher Würde mit dem Monarchen, oder auch noch größer als dcrsclbige, nnd der geistliche Stand mache eine besondere und vortrefflichere Monarchie aus. Da nun der gemeine Mann vor sich also zu raisonnircn Pfleget, waS kann nicht daraus cnt-' stehen, wenn grundlose Discnrse hcrrschsüchtiger Geistliche»: dazn kommen, und Feuer an solches Stroh legen." Man sieht, Peter l. wollte um keinen Preis die (5mhcit der Macht zersplittert oder auch nur in Frage gestellt wissen. Dic Constituinmg des h. Synods ist übrigens mit Bewilligung der russischen Geistlichkeit und Zustimmung der 4 orientalischen Patriarchen 1723 geschehen. Die Leitung und Regierung der russischen Kirche hat 3 Perioden. Zuerst stand diese Kirche in letzter Instanz unter einem answärtigen Oberhaupte, dein Patriarchen an, regierte ein. vom Zaar ernannter, aber sonst sclbstständiger, fast unabhängiger Patriarch die Kirche. In der dritten endlich, geht die essentielle Lenkung und Leitung der Kirche auf dcn Iaar über. Dennoch nennt man den Kaiser mit Unrecht das Oberhaupt der russischen Kirche in dem Sinne, wie man mit voller Bc-fngnisi den Pabst das Obcrhanpt der römisch-katholischen Kirche nennen muß. Der Kaiser übt die äußercu Functionen der Regierung der Kirche in einem noch größeren Maaße als der Pabst aus. (5r ernennt willkührlich zu jedem Kirchenamte, er hat sich nur selbst beschränkt, daß er dem Synod, den Bischöfen :c. den Vorschlag zu den Aemtern überlasse,: hat, er versetzt 92 und seht auch ab in geeigneten Fallen. — Allein der Kaiser hat sich nic das Nccht angemaßt, in eigentlich theologischen und dogmatischen Fragen die Entscheidung zn geben. Nir wollen den Fall setzen, eine neue Ketzerei tauchte ill Nnßland auf, die eiucr Entscheidung bedürfte, so würde es Niemandem uud dem Kaiser am wenigsten einfallen, darüber das Urtheil auszu-sprcchen. Dcr jeweilige Synod würde dies thun und, wäre die Frage kritisch, so würden Anfragen an die vier anderen Patriarchen des Orients ergehen, zuletzt wohl gar ein Concilium provocirt werden. Wäre das kirchliche Urtheil aber gesprochen, dann würde der Kaiser die Vollziehung desselben anordnen. — Dcr Kaiser nennt sich in officiellen Docnmcntcn niemals das Hanpt, sondern nur den Beschützer, Beschirmer dcr Kirche ^). Das ganze Neich ist in 52 Eparchien getheilt. In denselben befinden sich 34,899 Kathedral- und Pfarrkirchen uud 9ti5,4 Kapellen nnd Vethanser. An dicscn fungircn im Ganzen 3ti,7l)1 Priester, l^i,l»82 Diaconen und 04,863 Kirchendiener. Außerdem waren noch vorhanden: 1) Unter dem Ressort des Moskauer Synodal-Comptoir stehend : 78 Kathedralen und Kirchen, ? Kapellen mit ? Priestern, (i Diaconen ,md 78 Kirchendienern; 2) dem Kaiserl. Hofe angchörig: 2N Kathedralen und Kirchen mit 25, Priestern, 22 Diaconen nnd 40 Kirchendienern; ') Das russische Gesetzbuch (Swod) enthält Bd. I. über die Kirche folgende Grundsätze: Art. 40. Drr herrschende Glaube im russischen Nciäir ist der christlich-orthodor-katholische, nach dem orientalischen Bekenntnisse. Art. 41. Der Kaiser, welcher den Thron aller Russen besitzt, tantt sich ;u keinem andern als ^n den orthodoren Glauben bekennen. Art. 42. Der Kaiser als christlicher Herrscher ist der oberste Vertheidiger und Beschützer dcr Dogmen des herrschenden Glaubens nnd aller Ordnung in der heiligen Kirche. Nach Art. 35. soll die Thronbesteigung mit der Krönung «»d Salbung nach dem Ritual dcr Kirche begleitet werden. Vor Vollziehung derselben muß der Kaiser öffentlich vor dein Volke das Symbol des Glaubens aussprechcn und ablegen. 93___ 3) dem Garde- und Grenadier - Corps angehörig: 44 Kathedralen und Kirchen mit 45 Priestern, 5 Diaconen und 12 Kirchendienern; 4) der Armee und Flotte angehörig: 230 Kathedralen und Kirchen mit 302 Priestern, 19 Diaconen und 00 Kirchendienern. So dasi man im Ganzen "zählt: 35,27? Kathedralen und Kirchen, 9001 Kapellen, mit 37,140 Priestern, l5,734 Diaconen und 05,053 Kirchendienern. Im Jahre 1839 waren nur vorhanden: 33,2? l Kathedralen und Kirchen und 9429 Kapellen, mit 35,617 Priestern, 15,770 Diaconen und 03,10« Kirchendienern. Die schwarze oder Klostergeiftlichkcit besitzt 402 Mannsklöster und 118 Nonnenklöster, in welchen sich befinden 5148 Mönche mit 3900 dienenden Brüdern, 2250 Nonnen mit 5109 dienenden Schwester». Die Wcltgcistlichkcit umfaßt daher im Ganzen 117,92? Köpfe, die Klostergcistlichkcit - - - 10,52? - In Summa 134,454 Köpfe. Im Jahre 1842 waren vorhanden 439 Mannsklöstcr uud N3 Nonuentlöster. Von den ersteren erhielten bestimmte Unterstützungen vom Staate nach Classen: 28 der ersten Classe, 5? der zweiten Classe und 100 der dritten Classe. Die übrigen bestanden ohne Anerkenntniß und Unterstützung des Staats. Von den Nonnenklöstern waren 80 anerkannt uud 27 nicht vom Staate anerkannt. Vci manchen Klöstern waren Krankenhäuser, im Ganzen 34, in denen 241 Kranke ans Kosten des Klosters verpflegt wurden, desgleichen 22 Armenhäuser, in denen 200 arme uud alte Pcrsoucn Aufnahme fanden. Die meisten Klöster befinden sich ill dem Bezirke des allen Kronlandes von Grosirußland, um Moskau her gelegen, in den Gouvernements Moskan, Nowgorod, Iaroslaw, Twcr, Tschcr-nigow, Kostroma, Tambow, Orlow und dann im alten Kieff. In diesen 13 Eparchicn, also dem vierten Theil der Gcsammt-summc dcr Eparchien, finden sich 198 Manusklöster, 00 Nonnenklöster mit 2199 Mönchen und 2002 dienenden Brüdern, 94 dcnm 1255, Nonnen und 3297 dienenden Schwestern, in Summa 92'i7 Köpfe, also über die Hälfte der Gesammlsumme. In Südrußland sind wenige Klöster; auch bei den Kosacken, namentlich den Vonischen Kosackcn, finden sich nicht viel Klöster, entweder wegen der kriegerischen Sinnesart, oder weil sie gro-ßentheils Starowcr;cn sind. Ehemals waren die Klöster zum Theil nngcmein reich. Die Verwaltung ihres Vermögens stand unter Aufsicht des Patriarchen. Nach Aufhören des Patriarchats setzte Peter I. em Oeconomic-Collcgium znr Verwaltung der Klostergüter beim Senat an. Die Klöster bekamen nur nach Bedürfniß. Später riß der Synod die Verwaltung an sich. — Catharina ll con? fiscirte dann aber das Klostcrvcrmögcn znm größern Theil für die Staatscasse. Die Mönchsklöster erhalten jetzt zum Theil Unterstützung vom Gouvernement nach 3 Classen. Die Nonnenklöster anch zum kleinern Theil, die meisten cnstircn fast nur durch Almosen und dnrch Handearbcit der Nonnen. In netteren Zeiten stießen den Klöstern und Kirchen wieder manche Legate zu, so im Gouvernement MoSkau allein im Jahre 1840 gegen 100,000 N. S. Geschenke an Grund und Voden sind nur daun anzunehmen gestattet, wenn das Gouvernement Erlaubniß ertheilt. Wie das übrige Europa, verdankt auch Nußland seinen Klöstern unendlich viel. Auch hier sind sie die Träger und Verbreiter der Landeskultur gewesen. Die Klöster waren Wallfahrtsorte; das gab die Veranlassung, daß sich Märkte bildeten, daß sich Ansiedler nicht blos zum Ackerbau, sondern auch für städtische Gewerbe um sie her anbauctcn. Fast überall liegen bci den Klöstern Marktflecken, (Slobodcn). Das gab dann die Veranlassung, daß Catharina II. 200 solcher um Klöster liegenden Sloboden zn Städten erhob. Es ist bekannt, daß die Bischöfe nur ans den Mönchen hervorgehen; die Mehrzahl derselben wohnt auch in der Regel in dm Klöstern. Eigentliche Volksschulen waren wohl in früheren Zeiten in Nußland nirgends. Unter dem jetzigen Kaiser ist viel gesche- 95 hen, um sic nach und nach überall ins Leben zn rufen, namentlich in den Dörfern dcr Rcichsdomaineir und Avpanagen-guter ist vicl geschehen, worüber wir au den geeigneten Orten das Nähcrc mittheilen werden. Auf den Privatgütcrn sind Schulen nur Ausnahmen. Viele Herren sind Principienmasiig dagegen. Wenige, wie Herr v. Karuowitsch im Gouvernement Iaroslaw, haben mit Mühe und Aufopfcruug Volksschulen auf ihren Gütern mit bestem Erfolg angelegt, (siehe Vd. I. Cap. 6.) In den Klöstern allein waren früher die nothdürftigcu Er-ziehnngs- und Schulanstaltcn für die Geistlichkeit, linier dem jetzigen Kaiser sind große Anstrengungen gemacht, diese Schnl-anstaltcn zu vervielfältigen und zu heben. Im Ganzen haben hiebci die alten Icsnitcnschulen und Gymnasien und deren Einrichtungen zum Muster gedient. Diese Einrichtungen waren vermuthlich in Kicff früher adoptirt worden und haben sich von da aus auch nach Grosirnßland hiu verbreitet. Es liegen uns ofsicielle Notizen über den Bestand dcr geistlichen gelehrten Anstalten für das Jahr 184(i vor, die wir hier im Auszuge mittheilen. Wir bemerken hiebei, dasi Rußland in Bezng dcr Leitung und Aufsicht über diese Anstalten in vier Districte, den nördlichen oder Petersburger, den mittlern oder Moskauer, den westlich-südlichen oder Kicffer nnd den östlichen oder Kasaner District eingetheilt ist. Es Waren hicnach vorhanden: ss I. Bezirk von Petersburg umfaßt die Gparänen Petersburg, New« gcrod,Pskow,Twer, Mchilew, Smolensk, Olcnetz, Archangel, Pclctzk, LitewZky . .^...... II. Ve^irk von Kieff. Kieff, Ieca-lharmeSlaw, Tschernigow, Minsk, Podolsk, Kursk, Noronesch am Don, Orlcw, Pcltawa, Wolhynicn, Wal-sckau,Charkow, Kischenew, Grussen. Cherson ....... III. Bezirk von Moskau. Moskau, Iaroslaw, Räsan, Kaluga, Wladimir, Wclogda, Tula, Kostroma. IV. Bezirk von Kasan. Kasan, Simbirsk, Astrachan, Kaukanen, Tobolsk, Tomsk, Irkuhk, Kam-scbattHs Wjätka, Tambotv, Pensa, Saratow, Nischny-Nowgorod, Perm, Orenburg....... Eparcbien. ! ^l d« Academien. 1 1 1 1 414 120 114 115 Zahl der Scbüler auf d. Aca-dcmien. 47 10 14 14 Zahl der Seminare. 17,399 2943 4715 4279 Zabl der Schüler auf den Seminarien. 178 43 52 40 43 Zahl der Districts-Scbulen. 25,242 4294 7394 7K06 5948 Zabl der Schüler auf Districts-Schulcn. 190 44 40 46 Zahl der Kirchspiel-Schulen. 17,580 l 3400 6384 3566 3930 Zahl del Schüler a. d. Kirch-spielschulcu 97 Im Ganzen demnach 419 geistliche Schulcmstaltcn mit 69,635 Schülern. Unter diesen letzteren wurden auf Kosten der Krone erzogen und unterrichtet die sämmtlichen 414 Schüler auf den Academien, ferner in den Seminarien 734? Schüler, in den Districtsschulcn 7595 Schüler, in den Kirchspiel schulen 3187 Schüler. Also l«,543 Schüler auf Kosten der Krone und 42,092 auf eigene Kosten. Im Jahre 1839 war die Zahl der Acadcmien nur 3 mit 51 Lehrern, die der Seminarien 45 mit 415 Lehrern, die der Districtsschulcn 173 mit 81« Lehrern, die der Kirchspiclschulen 193 mit 3U7 Lchrcru. Die theologisch-religiöse Ausbildung und die darauf gegründete theologische Literatur hat in dem Iahrhuudert vor der Mougolcnuuterjochung eine in Vergleich mit jenem Zeitalter überhaupt bedeutende Blüthe erreicht gehabt. Es cristirt ein großer Reichthum theologischer und historischer Manuscript? aus jener Zeit, selbst zum Theil in Privathändcn. (Ich sah ein ganzes Zimmer voll Mauuscriptc in Folio der Art beim Professor Pogodin in Moskau.) Die Masse zeigt wenigstens die Gcistesbcwcgung au, über den Werth wird man aber erst zu urtheilen befähigt werden, wenn die Forschungen in und über dieselben beendet sind. Damit möchte aber wohl noch eine geraume Ieit hiugchcn! Der Mitlclpuukt dieser geistigen Regung war damals Kicff. Nach dessen Eroberuug verfiel alles in Barbarei. Doch erhielt sich in Klein- und Noth-Nußland ein Keim, der wieder vom Ende des l5. Jahrh, an auflebte, und zwar vorzugsweise durch den angeregten Kampf mit der katholisch-polnischen Theologie. — Die Kieffsche Geistlichkeit hat dadurch nicht blos geistige Anregnng erhalten, sie hat auch von den Gegnern gelernt, nicht blos in den dialcctischcn Formen, sondern auch, daß sie gezwungen war, sich mit den Wissenschaften des Ocidcnts zn beschäftigen. Zu dem Kampfe mit der katholischen Theologie kam im 16. Jahrh, auch der mit dem Protestantismus. Die Kicffsche theologische Schule jener Zeit zeichnet sich durch dialektische Gewandhcit und Scharfsinn aus, der aber oft in haarspaltende Wortklaubereien ausartet. Im moskowitischen Nußland lag in dieser Zeit alleS im lli. 7 98 tiefen Dunkel; die Geistlichkeit war froh, in der trüben Zeit des Mongolenjochcs das Christenthum selbst beim Volke kümmerlich aufrecht zu erhalten. Erst mit Errichtung des Patriarchats beginnt hier wieder einige theologische Regung, die sich aber anfangs nur auf das Practische und durchaus Nothwendige richtete, nämlich die Säuberung von eingcschlichencn Irrthümern und Mißbräuchen und Feststellung aller lithurgischcn Formen, was dann aber bekanntlich zu dem Schisma der Starowerzcn führte. Erst als Kieff von Peter I. wieder erobert ward, nahmen nun auch die theologischen Studien im eigentlichen Rußland einen Aufschwung. Aus dcr Verbindung mit Kieffs Theologen, aus den Studien die »nan null dort zu machen vermochte, entwickelte sich nun die Moskauer Schule, die aber an Geisteskraft und Gelehrsamkeit noch lange Zeit der Kieffschcn nicht gleich kam. Gegenwärtig stehen ungefähr beide Schulen im Niveau. Allein in Bezug auf ihre Stellung zum Auslande haben sie noch eine verschiedene Stellung';' die Kicffsche Schule steht in größerer Relation mit dcr polnischen Literatur und empfängt ihre Kenntnisse über das Abendland aus dieser Quelle, Während die Moskauer Schule, wenn sie sich mit dem Auslande uud seinen Theologen beschäftigt, vorzugsweise Deutschland im Auge hat. Ich lernte russische Theologen kennen, die eine genaue Kenntniß und ein klares Urtheil über die deutsche theologische Literatur zeigten, die Neandcrs und Schleicrmachcrs Schriften gründlich studirt hatten. Leider hatten sie sich mit der katholischen Theologie Deutschlands, und noch mehr dcr Frankreichs, gar nicht bekannt gemacht und beschäftigt, lind doch wäre dies um so wichtiger gewesen, da die höheren Stände Rußlands ihre Bildung zum großen Theil aus Frankreich empfangen und also nothwendig französische theologische Ideen in sich aufnehmen müssen. Außer dcr theologischen Gelehrsamkeit findet man gegenwärtig unter den Bischöfen und Mönchen auch schon viel Lebensbildung, äußere feine Sitte, ferner geistige Thätigkeit und wenigstens den Anfang cincs religiösen Eifers zur Seclsorge. 99 DieS beginnt mich schon unter der jüngeren Generation der Popen sich zn verbreiten. Vei der jüngcrn Geistlichkeit möge das Gouvernement vielmehr das Gegentheil des frühern In-differcnlismns, den zu großen Eifer, der leicht znm Fanatismus und zur Vcrfolguugssucht führen konnte, ins Ange fassen. Das Predigen in den Kirchen, oder gar an öffentlichen Orten, oder im Freien, bei Wallfahrten ?c. war in der mosko-Witischcn Kirche völlig anßcr Gebranch gekommen. Vielleicht mag es unter der Tatarcnherrschaft für bedenklich erachtet oder gar verboten gewesen scin. In der Kieffschen Kirche ist es aber immer im Gebranch geblieben. Wir haben oben erwähnt, daß der von Kieff nach Moskau berufene Hieromonach v. Pa-lahki der erste gewesen, der wieder angefangen, in Moökan zn predigen. — Gegenwärtig predigen die meisten Bischöfe nnd sonstigen höhcrcn Geistlichen. — Allgemeine Sitte oder gar Vorschrift nnd nothwendiger Bestandtheil des Gottesdienstes ist jedoch die Predigt nicht. Ja man sagte mir, der Synod fände Bedenken dabei, es in der Nillkühr eines jeden Popen zn stellen, ob er predigen wolle oder nicht; es sei diesem nnr gestattet mit besonderer Erlaubniß seines Bischofs. Man fürchte Mißbrauch, nämlich mögliche Verbreitung von hctcrodoren Lehren und Ideen. Das Ablesen gedruckter Homilien und ap-probirtcr Predigten ist gestallet. Unter den Bischöfen nnd höheren Geistlichcu findet man ansgczeichnetc Prediger mit eminenten Rednergaben. Deren Predigten sind znm Theil gedrnckt, und ein junger geistreicher Mönch in Charkow, ein Livländer von Geburt, hat uns eine gnte Anzahl von ihm ins Deutsche übersetzten Predigten mitgetheilt, die unser obiges Urtheil begründen, Die ausgezeichnetsten Nedcn sind von dem Metropoliten Philaret von Moskan, dem Bischof Nadimir von Kostroma, dem Bischof Inocenz, Mctropotitan-Vikar von Kicff. Wir lassen hier zur Probe eine ganz kurze Charfreitags-prcdigt deS Letzlern folgen, die, nnsers Bcdünkcns in Bezng auf Tiefe des Gefühls nnd edle, wahrhaft grandiose Einfachheit, wenige ihres Gleichen finden möchte. 7" l00 Predigt am Charfreitage. Der fromme Altvater Antouius sollte einst seinen Brüdern ein Wort der Belehrung sagen. — Tief durchdrungen vom Gefühle der menschlichen Schwäche sprach der Alle statt aller Belehrung nur die Worte: Brüder, lasset nnS weinen! und die Brüder fielen auf die Erde und weinten. — Ich weiß, Geliebte! daß anch ihr von mir Worte der Belehrung erwartet, aber mein Mund verstummet beim Anblicke des im Grabe ruhenden Meisters! — Und wer wird sich zu reden erdreisten, da der Herr schweiget? — Und was könnte man auch von Gott und seiner Gerechtigkeit, vom Menschen und seiner Ungerechtigkeit sagen, was Euch diese Wunden mit unvergleichlich mehr Nachdruck nicht sagten? — Wen sie nicht rühren, wird den wohl die schwache Mcnschenstimme rühren? — Auf Golgatha wurde nicht gepredigt, dort schluchzte man nur uud schlug sich an die Brust! — Und auch dieses Grab ist kein Ort der Predigt, sondern ein Ort der Neue und der Thränen! Brüder! unser Herr und Heiland liegt im Grabe, lasset uus beten und weinen! Amen! Die russische Kirche hat die Lehren von der Heiligenver-chrung und Anrufung, von deren Fürbitten mit der ganzen katholischen Kirche des occidcntalischcu und orientalischen Ritus gemein. In Bezug auf die Bilder der Heiligen und deren Verehrung schließt die griechische Kirche bekanntlich die Sculptur aus, welche die römische Kirche zuläßt. Sie hat uur gemalte Bilder, keine Bildsäulen. In beiden katholischen Kirchen war wohl der Grundsatz, daß uur die Bilder zur Verehrung der Glaubigen in den Kirchen zugelasseu wurden, von denen man glaubte, daß sie eine reale Achnlichkcit mit dem Gegenstände hatten, dcu sie vorstclleu lNl sollten, als» Portrait ähnlichkeil. Namentlich bei den Bildern der Maria nahm man an, das; es Copien des Bildes der Mutter Ehristi sein müßten, welches der Tradition nach vom Evangelisten, dem heiligen Lucas, gemalt worden. Von Christus hatte man das uralte Bild, wie das Antlitz des Herrn sich im Tnchc abgebildet hat (in der römischen Kirche das Schweißtuch der Veronica, in'der griechischen das Bild „des nicht mit Händen geschaffenen Heilandes"). Im Laufe der Zeit tauchtcu die verschiedenen Sagen nnd Legenden von Marienbildern auf, die, unmittelbar vom Himmel gekommen, irgend wo aufgefunden waren, nnd die dann ihren höheren Ursprung durch Wunder bethätigt hatten. Wenn nun die römisch-katholische Kirche eigentlich die Bildervcrehrung ebenfalls nur anf jene sogenannten wunderthätigcn Bilder eingeschränkt und sie gestattet hat, so hat sie doch auch die Ausstellung und Aufhängung von andern Bildern, die eine religiöse Bedeutung haben, die aber bloße Phantasiebilder des Genies eines Künstlers sind, in den Kirchen zu deren Verzierung und nm die religiösen Gefühle und Ideen der Glänbigcn anzuregen, zugelassen. Die orientalisch-katholische Kirche aber ist strenger geblieben und hat diese Erfindungen der Küustler iu ihren Kirchen nicht zugelassen. Rnsiland hat diesen Grundsatz in älterer Zeit oft ausgesprochen. Der Zaar A lern Michailowitsch befiehlt in einem Kreisschreibcn von 1W!>5): ^daß die ehrwürdigen Heiligenbilder GottcS, nach der Tradition der sehr heiligen und von Gott erleuchteten Väter, nach dem nnveränderlichcn Gcbranchc der heiligen orientalischen Kirche und nach der Achnlichkcit der Gegenstände nud Personen gemalt werden sollen". Allein mit der Bildung des Westens drang auch die moderne bildende Knust ein, und so findet man denn auch häusig in den russischen Kirchen Gemälde über religiöse Gegenstände meist von neueren russischen Malern gemalt nach künstlerischen Intuitionen. In der Regel hangen diese Bilder im Schiff der Kirchen an den Eeiteuwäudeu. Die Iconostasc, die Bildcrwand *) Viö. Journal für VollSaufilärung, Petersburg Januarheft <84ö. 102 vor dem Altar, für welche die aufzunehmenden Bilder streng vorgeschrieben sind, enthält in der Regel nur die alten Bilder, gemalt im altbyzantinischcn Styl nach den vorhandenen traditionellen vererbten Mustern. Allein auch hier ist die Kunst hin und wieder eingedrungen, Stellung nnd Tracht sind dann im Ganzen beibehalten, aber die Tracht ist mehr und mehr idealisiert, in die Gesichter ein Ausdruck gelegt, wie er der Phantasie dcS Malers vorschwebt. Jene starre Nuhe, jene steinerne Gemessenheit, jener ernste ausdruckslose Frieden des Himmels, wie er in den alteil Musteru sich ausspricht, hat menschlichen Gefühlsausdri'icken Platz gemacht. Daß man in den Vcthänsern der Starowerzen nur die altcn Bilder (Icone) findet, versteht sich von selbst. (5s ist einer der Vorwürfe, den sie der russischen Kirche machen, daß sie ketzerische Bilder in den Kirchen dulde. — W ist nun aber in dieser Beziehung offenbar ein Rückschlag im Anzüge. Die von uns oben bezeichnete jnngrnssische Partei tritt entschieden gegen das Eindringen der modernen Malerei in den Kirchen auf. Der Aufsatz: über die Bildmalcrei in der russischen Kirche im Januarheft dcS Journals für Volksaufklärnng von 1845>, giebt in einer edlen überzeugenden Sprache uud m« entschiedener Ucbcrlegcuhcit deS GeistcS hicvon ciuen genügenden Beweis.*) *) Wir können es uns nickt versage», am'diesem ausgezeichneten Aufsätze cine treffende Stelle aufzunehmen. „Die griechischen und sla« vomschen Vildcr, welä't mau zur Unterscheidung vcn den übrigen, mit dein eigentlichen griechischen Namen Ikone belegen kann, stellen das Gesicht dtS Mensa' gewordenen Sohnes Gottes und der Heiligen in den cinfosbrn, natürlicken, rcin historische!! Zügen, ganz nach oer Schrift lind der Ueberlieferung dar. In dci, Gesichtern kann man die Ruhe, die Geincffeuhcit nüd dc» Grnst bemerken, die der hohen geistigen Vollendung und dem inncrn Frieden der Gerechten cigcn sind, welche die selige Ruhc im Himmel erlangt haben. Das Herfoinmen der alten Kirche gestattet niä't, anf diesen Bildern heftige Seclenbewegiiügen darzustellen, llnd wie die Schrift und Ueberlieferung die Grundlagen der Theologie sind, so kann und muß man auch griechische Äilbmalcrci eine theologische nennen, wobei der Verstand, die Einbildungskraft des Künstler? strenge dem durch Auf den Märkten findet man in dcn Buden, wo die Volksbücher, die gedruckten Voltsmährchcn und Volkswitze verkauft Schrift-Ueberlieferung v erkündetcu Glauben unterworfen sind. Solche Künstler arbeiteten unter dein Ginflusi des göttlichen Glaubens, drangen, um die heiligen Bilder zu vollenden, iuS Alterthum ein, sie fasteten, beteten, beichteten lind nahmen das Abendmahl in Gr-wartung der Hülfe und des Beistandes von Dem, zu welchem sie durch den Glauben geleitet waren. Der Pinsel der fremden Schll-len malt mehr eine ideale Körpcrscköuhcit, wie die Phantasie des Künstlers sie sick ansdcnkt, und nicht selten nach einem von ihm ausgewählten unheiligtn Gegenstand, dessen Schönheit ihm gefiel. Diese Malerei ist die philosophirende, welche mehr unter dem Gin: stoß der Idealität n»d Phantasie schafft, als in Abhängigkeit von der Schrift nud Ueberlieferung, welche in ihren Bildern inehr von der Willkühr des Künstlers, dcv sie zum Vorbild genommen, überträgt, als daß sie nach den Grundsätzen der geoffenbarten Religion verführe. Darnm bemerkt man in der fremden Malerei mehr gesuchtes, besonders da, wo die menschliche, sich selbst überlassene Kraft thätig ist; sie ist reich an Schatten und Perspective«. Man neunt die ftemdcn Darstellungen ganz richtig und angemessen Ge< mälde,^) Die Darstellungen, welche die Mitte halten zwischen den Iconen und Gemälden, kann man mit dem allgemeinen Namen Bilder (ObraS) bezeichnen. Diese Gemälde sind gcgenwärlig sehr häusig, zum mindesten in den Hauptstädten, und haben ihre eifrigen Fürsprecher, namentlich an den Künstlern, welche ihre Knust gewöhnlich iu Italien gelernt haben. Dem Küustlcrgrschmack fügt sich knechtisch der Geschmack einer großen Anzahl Kunstliebhaber. Ueber den Geschmack ist nicht zu streiten, so lange er nicht gesetzlichen VesUmmungen entgegen ist. Wenn aber der Geschmack den gegebenen Grundlagen, nament, lich des Glaubens nnd der Kirche, nicht entsplicl't, so ist derselbe, wie sehr er auck menschlich, kunstgerecht nnd den Gefühlen angemessen sein mag, doch im geistigen Sinne unrichtig nnd unerlaubt. Wcnn man nun auch den Zeitgeschmack, der hohen Kunst und den Arbeiten gelehrter Künstler alle gebührende Gerechtigkeit widerfahren läßt, so mnß man doch wünschen, daß in den rechtgläubigen Kirchen diejenigen Bilder, vor denen die Gebete zum Allerhöchsten gesendet, Lichter angezündet nnd Weihranch verbrannt wird, unwandelbar solche sein mochten, die mit gehöriger Richtigkeit und Kunst (nach den Vorschriften) gemalt sind. Ihr Werth in Sachen des Gottesdienstes ist weit der fremden Phantasie vorzuziehen, welche jenen ') Kaitln«, »on «artn. Da« Wott ist jlyl Im Russischtn für Gcmälbe gldrauchl'ch. 104 werden, auch cine Menge Vogen mit Holzschnitten schwarz oder bunt, Heilige vorstellend, darunter ist auch ein ganz großer Boden Vorrang belassen muß, „ „nach dem Geiste des heiligen christliche« Alterthums, so wie durch die Vollendung in, Sinne der Schrift und der Ueberlieferung oder im Geiste der wahren Kirche nnd nach der reinen Mirknng anf das Her; und Gefühl dcS Schauenden."" Nenn späte Enkel überhaupt die Nationalität achten, dieß Glc-mcnt des Volkslebens, welches die Vorfahren und dic Nachkommen im Laufe der Jahrhunderte nud Jahrtausende durch ein unzcrreiß-licheS Vand gegenseitiger Liebe verbindet, so hat da« tadellose nationale Alterthum der Bilder allein ein volles Anrecht auf Achtung, und verpflichtet nns die würdigen Vorbilder kennen zn lernen nnd sorgsam sie vor jeder fremdartigen Vcimischnng ;u bewahren. Aber nnscre alle Nationalität, künstlerisch ausgeprägt im Character unserer Bilder, wird noch heiliger und werthvollcr, wenn man sie im Sinne des christlichen Alterthums betrachtet. In dieser Hinsicht dienen die Bilder als Denkmale der apostolischen, mit der Schrift übereinstimmenden Ueberlieferung. Wenn der Künstler eindringt in den Anfang des Christenthums, siudet er das erste und älteste christliche Musterbild in dem (nicht mit Händen geschaffenen) Bilde dcS Heilandes, sodann in den von dem Apostel und Evangelisten LncaS gemalten Bildern, Johannes dcs'Wcgweiscrs und der Apostel. Nach diesen, mit dem Beginn des Christenthums gleichzeitigen Bildern sind alle Bilder iu der rechtgläubigen orientalischen Kirche gemalt. Von da gingen sie zugleich mit dem christlichen Glauben nach Rußland über, nnd hier, in der Veste des wahren Glaubens, hatten sie sich nicht uur durch die Sorgfalt der Gläubigen erhalten, sondern sie siud anch berührt geworden durch die besondere Gnade Gottes, welche in den geoffenbarten nnd wnndcrthätigen Bildern, deren Namen sogar an frühere Ereignisse der vaterländischen Kirche erinnern, und darum für nns heilig sein müssen, sichtbar geworden ist. Die apostolische Ueberlieferung von den heiligen Bildern, welche zum Verständniß der Wahrheit des Glaubens dient, „nd selbst wieder durch das gottliche Wort erläutert wird, hat Niemand das Necht aus cigucr Weisheit zu verändern, besonders wenn er dem Herr» dienen will, im Geiste der wahren Kirche, welche in allen ihren Handlungen und Urtheilen durch die Grundlehren des Christenthums geleitet wird, soudern er muß die Ueberlieferung als eine apostolische vom Grunde des Herzens lieben und bewahren. Darum ist auch für^dic rechtgläubige Kirche derjenige der beste Künstler, welcher voll Ehrfurcht für das heilige Alterthum nur dasjenige wied«-giebt, was von dem Herrn Jesus und seinen Aposteln an ihn gelangt ist." »03 gen, auf welchem 72 Abbildungen der Muttergottes mit dem Jesuskinde befindlich. Gs sind die Abbildungen sämmtlicher von der Kirche als wnndcrthätig anerkannten Marienbilder. Ueber jedem Bildchen steht der Name desselben. Man findet da daS Bild der MnttcrgottcS von Kasan, der MuttcrgotteS von Wladimir, von Moskau, von Kieff:c. — Es sind jedoch darauf nicht blos russische Muttcrgottesbildcr, sondern auch aus allen andern christlichen Landern, unter andern auch eine Germausti (deutsche), dem Ansehen nach die Abbildung des Gnadcnbildcs von Mariahilf in Steiermark, und eine rimski (römische), wahrscheinlich die von Loretto. — Diese Holzschnitte werden, wie ich hörte, größtenthcilS in Moskan und Wladimir verfertigt und abgedruckt. Die Kunst scheint aus Deutschland herüber gekommen und erschien Anfangs der kirchlichen Censur bedenklich, denn der Patriarch Io/akim eiferte dagegen, und verbot l6?4 ausdrücklich: „Abbildungen der Heiligen auf Pavicrblättcr zu drucken und mit deutschen mit solchen Abbildungen bedruckten Blättern einen Handel zu treiben, denn viele malen solche Bilder in ungebührlicher, verderbter Weise, die Lutheraner und Calvi-nisten aber unsinnig und unrichtig nach der Aehnlichkcit mit Personen ihres Landes und ihren deutschen Kleidungen, und nicht nach den alten Originalen, welche bei den »Rechtgläubigen sich finden." Wir haben schon mal angeführt, daß es im Innern Rußlands Malcrdörfer giebt, wo seit UralterS die Heiligenbilder gemalt werden. Sämmtliche Bewohner dcS Dorfes, Männer, Frauen, Kinder treiben dann Malerei. Von jedem der anerkannten und erlaubten Bilder haben sie Schablonen, worin Mund, Nase, Augen u. ausgeschnitten sind, da füllt denn aus und malt der eine den Mund, der zweite die Nase, der dritte die Angell :c. Diese Bilder werden durch ganz Rnßland verführt, aber noch weiter durch alle orientalische nnd slavische Lander, ich fand deren bei den Kroaten in der östreichischen Militairgrenze. —, Der Ausdruck „Kauf" gilt bei der Erwerbung derselben für unanständig, man tauscht sie ein! !0ft Jeder Unbefangene, dcr Sinn für Melodie und Harmonie hat, wird frappirt sein, wenn cr selbst auch nnr rine russische Dorfkirchc während des Gottesdienstes betritt, über den impo-nirendcn und tief ergreifenden lithurgischcn Gesang der russischen Priester. Wer aber gar dcn Eangcrchor der russischen Hof-kircke geHort hat, wird cingestehen, kaum jemals etwas gleich schönes und erhabenes gehört zn haben, wie dann auch die Ca-talani einst gesagt hat, das sei nicht Mcnschcngcsang, sondern Gesang der Engel. Ich ward aber nicht wenig überrascht, als ich zu den Sta-rowerzcn kam, uud mm in ihren Kirchen und Vclhäuscrn einen monotonen nilifoncn Gesang, ganz in der Weise, wie sie im ganzen Orient hergebracht ist, in scharfen Nasentönen vorgetragen, hörte. Zwar erkannte ich in den Mos Kleinrußland und Kieff wieber an Rußland gekommen, lameu von dort eine Mcn^ Gesattgmcister nach Moslan, und brachte» die ParlcSlische Gefangmclhode dahin. Damals verloren sich auch allmählig die Auchstabennoten und kamen statt derselben die Liüicn-noten auf. Die Me!hode dcs Parleski verbreitete sich besonders in den Hauptstädten. Schon Peter l. hatte einen Hofkirchcngesangs-chor von A» Sänger». Der Hrfchor unter Elisabeth war schon berühmt. Schon bildeten sich einhmnifche russische Kapellmeister, wie Verezorsli und RatschewSki. Es sind deren vier starke Bände, jeder mit seinem besonderen eigenthümlichen Inhalte. Das erste Buch heißt Octaiichus und enthalt in sich die sonntäglichen Kirchengesänge. DaS zweite ist Festtagsgcsangbnch, worin die an den großen Festtagen üblichen Kirchcngcsängc vorhanden sind. Das dritte heißt Ir-mologion und nmfaßt eine besondere Art von Kirchengesan-gcn, die man Irmoscu nennt. Das vierte heißt Obichod, hierin sind alle Kirchcngesängc zusammengefaßt, welche täglich beim Gottesdienste gesungen werden. Im ersten Bliche sind die Gesänge theils nach dem gemeinen Notengesange, theils anch nach dem kicffschcn anangirt. Im zweiten herrscht ausschließlich nur der gemeine Notcngcsang. Im dritten sind einige Stücke nur nach dem gemeinen allein, einige aber zugleich nach dem griechischen modernen Gesänge notirt. Endlich das letzte Buch giebt Proben von allen obenerwähnten Gesangarten. Es ist nach der Kirchcnordnung festgesetzt, daß jeder, um ordinirt werden zn können, sich von dem Bischöfe als ganz geschickt nach diesen Büchern zu singen, erweisen soll. Doch ist der Notengesang im täglichen Gottesdienste nicht überall gewöhnlich. Nur in den vornehmen Klöstern halt man sich mehr oder weniger pünktlich daran. In den gemeinen Dorf- und Stadt-Pfarrkirchen abcr ist der Notcngesang nur an den großen Festlagen gebräuchlich. Die beim gemeinen Gottesdienste gewöhnlich übliche Gcsangweise ist eine besondere, die nie notirt war, die nur traditionell nach dem Gehöre gesungen wird. Auch diese nicht notirtc Gesangmanier ist nicht einförmig. Es unterscheiden sich darin zwei Hanfttmclodicnartcn, deren die eine auch dic kieffschc, die andere aber die eigentlich russische heißt. Die erste ist nichts anders, als der abgekürzte und simplicirtc kieffschc Nolcngesang. Die letzte aber hat viel Eigenthümliches. Sie klingt mehr traurig und melancholisch, wie es der russische Volksgcist im allgemeinen am Meisten ausspricht. Gewöhnlich ist die kicffsche Melodie den Sonntagen und andern kirchlichen Feierlichkeiten vorbehalten; täglich und besonders in der Fastenzeit, ist der cigcnlich russische Gesang gebräuchlich. Es ist nicht zu verkennen, daß in dicseu beiden N2 Melodienarten am meisten in der eigentlich russischen, mehr oder weniger deutliche Niederhalte der gemeinen russischen Volks-liedermclodicn häusig und vielfach sich hören lassen. Die beiden nicht notirtcn Kirchenmclodicnarten halten sich wohl gewiß dem alten Herkommen gemäß streng an der achtstimmigen Organisation. Für jede von den acht in der Kirche aufgenommenen Stimmen hat die kicffsche, ebenso wie die eigentlich russische Melodienart ein besonderes Grundmotiv, welches bei den verschiedenen Kirchcnlicderartcn verschieden modifi-cirt erscheint. Es giebt eine eigene Modification des Gruud-motivs der Stimmen für die sogenannte Stichiren, wie andere für die Irmosen, die dritte für die Troparicn, die vierte für die Prokimcncn: diese Benennungen, die alle griechisch sind, dcutcu auf verschiedene Catcgoricn der in der griechisch-russischen Kirche gebräuchlichen Kirchengesänge. Es ist hier zu bemerken, daß, nach der Kirchcuordmmg, die acht Stimmen, deren jede ihren eigenen, den sieben Tagen der Woche zugeeigneten Licdcrcyclns hat, von dem ersten Sonntage nach TrinitatiS an bis nach Septuagesima wöchentlich nach der Reihe sich auf einander folgen. Es rcsultirt hieraus eine der griechisch-russischen Kirche eigenthümliche Nitnalperiodc von acht Wochen, die Colnmne heißt. Kein Zweifel, daß der Name deS Columncn-Gesangs davon seinen Ursprung herleitet, Welcher aber jetzt nur dem gemeinen ächt, griechischen Notcngc-sangc zugeeignet, also dem Zcichcnge fange pur excellence synonymisch geworden ist. Nur ein Paar Worte von der modernen Umarbeitung des russischen Kirchcngesangs. Diese sing sich von der Zeit der Kaiserin Elisabeth an nnd hat ihre höchste Entwicklung unter Calharina II. erreicht. Ausländische, vorzüglich italienische Künstler Ecrcclli, Gallupi und Sarti, die sich damit beschäftigten, hielten sich nicht streng am Grundcharacter der russischen Kirchen- und Volksmusik. Sie gaben den freien Schwung ihrer künstlerischen Phantasie Raum. Darum ärgerten ihre Compofitioncn das fromme Ohr der achten Russen. Glücklicherweise beschäftigte sich die fremde Hand der Neuerungsstifler 113 nur mit dem eigentlich lithurgischcn Kirchengesange, welcher den allermindestcn Theil des gcsammtcn Kirchcngcsang-systems ausmacht. Unabhängig hicvon beschäftigten sich die modernen Tonkünstlcr außerdem auch vorzüglich und am Meisten mit der Prodmiruug von ganz neuen, bis dahin in der russischen Kirche nicht üblichen Gesangstücken, welche unter dem Namen der Kirchenconccrte bekannt geworden sind; diese Concerte werden gewöhnlich am Cndc der Lithurgic wahrend der Communion der Priester gesungen. Das Ucbrigc im Kirchcngesange blieb dann lange ganz und gar unberührt, so wie es nun einmal in den oben genannten Notenbüchcrn vorkommt. Es war aber nicht zn verkennen, daß diesem Notirungssystem, nach welchem diese Bücher früher cdirt wareu, sehr viel fehlte, um den mehr und mehr sich ausbildenden Nationalgeschmack zu befriedigen. Alle Gesangstücke darin sind nur für eine einzige Singstimmc, ohne allc Partitur, ja ohne regelmäßige Tact-glicdcrung arrangirt. Erst unter dein Kaiser Alcrander hat H. VorlujaiM, der treffliche und ausgezeichnete einheimische Tonkünstler, auf allerhöchsten Vcfchl den gemeinen lithurgischcn Kirchcngesang, ohne ihm den Grnndcharacter der russischen Kirchenmclodic zu rauben, mit regelmäßiger zweistimmiger Par-iitur musikalisch organisirt: diese Umarbeitung des lithnrgischcn Gesangs ist nachher zum allgemeinen Gebrauche in den russischen Kirchen vorgeschrieben und heißt gewöhnlich die Hof-lithurgie. ^) Unter dem jetzt regierenden Kaiser ist eine gleiche Umarbeitung des ganzen KirchcligcsangsystcmS vorgenommen. Sie ist nach dem Antrage und Vorschlage des ^crrn von Lwow, Directors der kaiserlichen Hofkapclle, dem Herrn Erzpricstcr Turtschaninoff anvertraut, welcher dem Geschäfte mit ») Vortujansli war nach Italien gereist und hatte in Rom dic uralte Kirchenmusik, aus den Zeiten wo beide Kirchen noch vereinigt waren, und welche zum Theil nur noch traditionell in der sirtini-schen Kapelle sich erhalten hat, stodirt. Vom ihm giebt es treffliche Composttioncn der Psalmen. Gr war Ka^llmeister der Hoflapelle und bildete diese znr höchste» Vollkommenheit aus. N4 gutem Erfolge sich unterzog. Vis jetzt (1843) hat Herr Turtschanmoff schon viele Kirchcngcsänge jeder Art unter strenger Bewahrung ihrer Originalmotivc mit dreistimmiger Partitur arrangirt. Seine Arbeiten erscheinen nach und nach im Drucke mit Billigung und Empfehlung des heiligen Synods. Aber in allgemeinen Gebrauch traten sie bis jetzt noch nicht ein.' IV. Die nisilstbe Gemeindeverfassung, Schwierigkeiten bei deren Darstellung. Der .>lir. Einheit des Bluts. Organisatil?» del Familien u»tcr dem Hanpt, mit Gütergemeinschaft. Dic erweiterte Familie, die Gemeinde unter dem Starostcn, mit Gesainmtcigrntlinm, aber Sondernntzung. Vetrachtnngen darüber. Schwierigleiten den Character eines Volks aiif^ufass.'N mid ^? i!ande>? hervorgebcnd. Die tortc und lebende Natnr mit Verwandtschaftsnamen begrüßt. Anstedelung der Russen in Gemeinden, der Tschuden dagegen in einzelnen Höfen, die Odnowl,'r;i. Freie, Pacht- und hörige, und Sklaven-Gemeinden. Volk^character der Russen. Palriarchalismns, Gleichheit, Beweg? lichlcit, S'l'en vor aller Form. Formalismus im Gouvernement. — Als Beispiel und Velag des Vorgesagten, die maische Ko-saclengemeinde. Dic germanischen und romanischen Völker haben im Großen und Ganzen eine gemeinsame Geschichte und Entwicklung gehabt, Lebcnsanschannngcn und Rechtsansichtcn sind aus denselben Elementen hervorgegangen, die religiösen Verhältnisse und das sociale Leben haben überall eine sehr homogene Ausbildung erhalten. Auf diesem Elemente, diesem gleichartigen Hintergründe, hat sich dann freilich ein unendlich mannigfaltiger Reichthum des individuellen Lebens der verschiedenen Völker und deren Unterabtljcilungcn, bis zu den einzelnen Familien und Individuen hcrab mannigfaltig nach verschiedenen Seiten hin, nach der der Abstammung, der Sprachen und Dialccte, des 116 Klimas, der Bebauung des Bodens, der Beschäftigungen, der Nahrung u. s. w. entfaltet; allein die ursprünglich gemeinsamen Grundlagen sind nicht zu verkennen, und es wird daher dem aus diesen Völkern selbst hervorgehendem Beobachter, wenn er überhaupt das Talent der Beobachtung hat, leicht, die Eigenthümlichkeiten des Lebens dcr verschiedenen Völker und Landstriche anfznfassen, um so mehr, als alle germanischen und ro^ manischen Völker ihre Sprachen so homogen ausgeprägt haben, daß sie mit ihren Worten und Redeformcn anch das Leben, die Sitten und Institutionen dcr Völkcr getren und wahrhaft darzustellen vermögen. Anders ist es, wenn wir Westeuropäer es versuchen, eine ganz fremde Nationalität, z. V. die türkische oder persische in ihrer tiefsten Eigenthümlichkeit aufzufassen und in unsern Sprachen darzustellen. Es stehen uns hiebci unsere ganze europäische Ansbildung, nnsere uns anerzogenen Begriffe und Ansichten hemmend im Wege, wir vermögen uns nicht in dieß nns ganz fremde Leben hincinzudenkcn und zu gewöhnen, unsere Sprache hat nicht die nöhigen Worte nnd Redcformen, um dasselbe in voller Wahrheit darzustellen; wir vermögen nicht es völlig objectiv anfzufassen und daher wahrhaft gerecht uud billig zu beurtheilen. Das allgemein-menschliche können wir freilich in solchen fremden Nationalitäten auffassen, das reicht aber lange nicht zur vollständigen Darstellung und Beurtheilung hin! Etwas Achnlichcs begegnet uns Germanen und Romanen schon mit den slavischen Völkern. Ein Theil dcr Slaven, namentlich die Böhmen, Polen, die Reste der Wenden ic. haben mit dem westlichen Europa dieselbe Geschichte, dieselben Religionsverhältnisse, dieselbe Entwicklung der Bildung gehabt; das Lcbcn dieser Völkcr, ihre Volks- und Rechts-Institutionen sind daher den übrigen Europäern, namentlich den Deutschen, ziemlich verständlich. Ihre Sprachen haben sich gleichmäßig mit den übrigen europäischen ausgebildet, was uamentlich in Vezng auf die Rcchtsinstitutc von großer Wichtigkeit ist, indem hiebei die slavischen Worte und Ncdefor^ men dasselbe ausdrücken, was namentlich in Deutschland darunter 117 verstanden wird, ja deutsches und römisches Recht und Rcchts-begriffe haben das ganze Volksleben so durchdrungen, daß z. B. die ländliche und bäuerliche Verfassung, so wie die Städtcvcr-fassung von der Elbe in Deutschland bis zum Dnieper an der Grenze Polens dieselbe ist. In Kicff herrschte noch vor 60 Jahren das Magdeburger Stadtrecht! Dennoch liegen auch hier im tiefsten Grunde des Volkslebens noch Elemente der Bebens- und Rechts-Verhaltnisse, bei deren Darstellung die polnischen und böhmischen Gelehrten mit ihrer Sprache riugeu, um sie sich uud der Welt klar zu machen. Weil das nationale Recht fast gar keine innere Ausbildung und staatliche Anerkennung, wie es doch bei dem Deutschen, trotz der Ucbcrmacht und dem Eindringen des römischen Rechts geschehen, gefunden hat, vielmehr fast völlig in das Procustes-Bett des beherrschenden fremden Rechts eingeschachtelt worden, so hat auch die Sprache nicht dic nöthigen ausgeprägten Worte, oder diese Worte haben die ursprüngliche Bedeutung zu sehr verloren oder modificirt, um die wahre mnationalc Bedeutung des Begriffs richtig wieder zn geben. Wir wollen als Beispiel den Begriff eines gemeinsamen Eigenthums anführen. Das römische Recht hat den Begriff des Condominismns, das deutsche den des Sannntcigcnthums, beide Ausdrücke und Worte sind aus den Nationalcigenthümlichkeiten hervorgegangen und die Begriffe ziemlich scharf ansgepragt, nnd daher juristisch leicht von einander zn unterscheiden. Die Slaven haben nun auch ein Gcsammteigcnthnm, einen Gcsammtbcsift, der einzig ans der Natur und Organisation der Familie hervorgegangen, der zu den tiefsten und vcrbrcitetsten Grundlagen des ganzen Volkslebens gehört, aber es fehlt ihnen an Worten und Nedeformcn, um das Verhältniß völlig erschöpfend zn benennen nnd darzustellen, die Sprachen haben einmal die römischen und deutschen Begriffe des ahnlichen oder analogen Verhältnisses in sich aufgenommen! Eine noch viel größere Schwierigkeit ist vorhanden, wenn wir es versuchen die Eigenthümlichkeiten der Lebens- und Rechtsverhältnisse der übrigen slavischen Völker der Russen, der Bulgaren, Serben ic. darstellen zu wollen. Diese Völker haben 118 eine vom Abcndlande durchaus verschiedene nnd getrennte Entwicklung gehabt. Die Nusscu sind eigentlich erst mit dem 18. Jahrhundert in die große europäische Vö'lkcrfamilic eingetreten, der Eintritt der übrigen verwandten Stamme bereitet sich erst jetzt vor! — Schon, daß sie der orientalischen Kirche angehören, hat sie schärfer vom Abcndlandc geschieden, als man denken sollte, da kein wesentlicher Unterschied unter den Lehren des römischen und griechischen Katholicismus besteht. Bedeutender noch hat das Joch der Tataren und Türken, auf diesen Völkern so viele Jahrhunderte lastend, sie von der europäischen Culturcntwicklung abgcschiedcu, was freilich vou der andern Seite aber auch die Eigenthümlichkeit der Organisation ihrer Lebensvcrhältnisse sehr bewahrt hat. In diese Lcbcnsverhält-nisse, namentlich in die der großen Masse des Volks, ist fast nichts Fremdes eingedrungen. Sie sind daher nach unserer modernen Anschanung der Dinge nicht sehr entwickelt, vielmehr noch in mancher Beziehung roh, massenhaft zu nennen, aber sie sinv volksmächtiger nnd naturwüchsiger, wie die der West-slaven. Die Nüssen haben seit 150 Jahren angefangen die abendländische Cultur zu adoptireu. Das ist in Bezug auf die höhere Schichte des Volks und die Regierungsformeu gelungen, in das Volk war sie aber bisher nicht im mindesten eingedruu-gen. Der Zustand der russischen Kirche und die Zähigkeit des russischen Volkslebens widerstand bisher dem ungcmcin. In neuerer Zeit zeigt sich auch hier eine bedeutende Regung, zunächst in der Kirche, nnd das sich in immer weiteren Kreisen bewegende, so sehr kräftig angeregte Gcwerbslcben, beginnt auch schon nach allen Seiten hin die Sitten, Lebcnsgcwohnheiten und Anschauungen, den Kern des individuellen Volkslebens der Russen zu zersetzen. Ob dieser Impuls aus der innern Enl-wicklnng des Volks naturgemäß hervorgegangen, ob er vom Gouvernement nur geleitet oder provocirt, ob es zum Sergen und Heil, oder zum Unglück des Volks ausschlagcn wird, sind jetzt müßige Fragen, denn die Richtung ist schon dergestalt ein fgit necompli geworden, daß keine menschliche Macht sie und ihre Wirkungen aufzuhalten vermag. Nur das ist zu wünschen, 4l9 und einer verständigen Leitung anzuempfehlen, daß man möglichst das Edle nnd Schöne in dem Volkscharactcr, den Volks-sttten und den ächten Volksinstitutioncn zu erhalten suche. Der bei weitem größere Theil der vornehmen Welt in Rußland hat eine vollständig westeuropäische Bildung erhalten. Wenn man auch nicht behaupten kann, daß dieß ihre nationale Gesinnung vernichtet hat, so ist doch die Liebe für die nationalen Sitten, die Neigung mit sorgsamer Pflege die nationalen Institutionen zn schützen und sie auS sich selbst fortzubilden nnd zn regcnerircn, in ihnen geschwächt und sehr lädirt. Ja, da die Männer dieser Bildung bis in die ncncsten Zeiten den größten Einfluß anf die von dem Gouvernement eingeschlagenen Maaßregeln ausgeübt haben und zum Theil noch ausüben, so haben sie nur zu oft die nationalen Sitten nnd Institutionen, deren tiefere Bedeutung ihnen unverständlich geworden, feindselig behandelt, oder ihnen fremde, ausländische unterzuschieben versucht. Als Beispiel von letzterem führen wir die unter Ca-tharina II. eingeführte Städteordnung mit ihren Gilden und ? Zünften an, die nach deutschem Muster copirt, sich von der Basis der russischen Gcmeindeversassnng entfernt, dem russischen Nationalcharacter im Grunde durchaus fremd, bis jetzt anch noch eine fast wesenlose, beengende Form geblieben ist. Eine Reaction gegen diese Richtung zeigt sich in neueren Zeiten. Eine Höhcrc Bildung als jene meist flache, aber glatte westeuropäische, v, i. französische Encyklopädie-Bildung, wendet sich vorzugsweise der Erforschung der nalwnalcn Eigenthümlichkeiten, Vcrsassung nnd Geschichte zu. Man bezeichnet die Männer dieser Richtung wohl als die allrussische Partei, die Russo-manen. Die Bezeichnung: Partei ist unrichtig, es ist der natürliche Ansdruck der in den höheren Schichten des Volks sich kundgebenden Entwicklung des Nationalgcfühls. Dieß zeigt sich am klarsten daraus, daß schon jetzt das Gouvernement diesem Inge folgt, nngcachtel ein großer Theil der einflußreichen Manner und der Leiter noch jener altern, fast antinationalen Bildung angehört. Diese Richwng findet ihre wissenschaftlichen Vertreter vorzugsweise in Moskau nnd einigen Universitätsstädten, und sie 120 giebt sich durch die ehrenwerthestcn Bestrebungen auf dem Felde der Erforschung russischer Geschichte und Verfassung kund. Aber auch hier ringt man, wie wir es oben bei den Polen und Böhmen angedentct, mit der Sprache und den Rcdcformen. Zwar haben westeuropäische Bildung, Ansichten, Ideen, Rechts-begriffe bis vor 150 Jahren wenig Einfluß auf Nuß land gehabt, so daß der iuucrc Kern der gauzeu Volksverfassung sich fast unberührt und sclbstständig hat entwickeln können, aber in dieser letzten Periode, wo die Vilduug wie gesagt ciue rciu ausländische war, hat namentlich die Sprache eine Masse ausländischer Ideen und Begriffe in sich aufgenommen, die Worte haben fremdartige Nebenbedeutungen erhalten. Da die gebildeten Stände sich von der Volksweise abgewendet, diese vielmehr durch die Brille des Auslandes ausahcn, so hat man auch die Volksinstitutioncn mit aualogcn nnd ähnlichen des Auslandes verwechselt, die Sprache der Gebildeten hat daher bei ihrer Auffassung uud Darstellung den Worten jene fremde Ideen und Begriffe beigelegt, uud es fehlt daher im Leben und in der Wissenschaft, wie in der Gcschäftsspra'chc, nnr zu oft an dem das ächtnationalc Verhältniß ausdrückende Wort. Es ist eine der größten Aufgabelt für die russische Wissenschaft, den Worten der Sprache, welche sich anf die innere Volksverfassnug beziehen, wieder den nrsprünglichcn, ächtnationalcn Sinn mit Ab-strcifung der durch die ausläudischen Begriffe cingcdrungcncn Nebenbedeutungen zu cvinciren. Als Beispiel, nm deutlich zu machen, was wir hier haben sagen wollen, wollen wir das russische Wort !>!>!-. anführen. In Westeuropa hat sich aus der Bedeutung des lateinischen Worts: (^ommunitus und des deutscheu: Gemeinde, cm in allen Ländern nnr dnrch geringe Nuancen sich unterscheidender Ncchtsbcgriff festgestellt, und in jeder Sprache hat das vorhandene Wort eine bestimmte Rechts- und Verfassungs-Bedcutung, die dem Gcbildcteu wie dem Ungebildeten, dem Hohen Wie dem Niedern völlig verständlich ist. Nicht so das russische Wort Uir, dieß hat eine andere Bedeutung im Gcschaftsstyl, ln der Sprache der Gesetze, in der Umgangssprache der Gebildeten, als in der Volkssprache, in der Lebens- und An- !2^ schammgswcise des Volks selbst. In der crsteru ist der Begriff identisch mit dem französischen: Commune, es ist der Complerus der zufällig an einem Ort znsammcnwohncndcn Menschen, der Polizeibezirk einer Stadt, eines Fleckens, eines Dorfes. 5) Etwas ganz anderes ist Bedcunmg und Begriff des Worts in der Anschauungsweise des Volkes. Schon die sprachliche Bedeutung des Wortes Nir deutet auf die Heiligkeit des Begriffs hin, cs heißt nämlich zugleich Gemeinde nnd Welt und nur etwa das griechische Kosmos drückt den Begriff des russischen Worts aus. ^) Wir criuucrn uns keines germanischen oder romanischen Sprichworts, worin die Gewalt, das Recht, die Heiligkeit der Gemeinde anerkannt wäre; die russische Sprache hat deren unzahlige ^^): ") Vi<1« das allgemeine russische Gesetzbuch (Swod sakcnoff) Band I. slbth, IV. Cap. 8. 8. «70, Die Kronbauern sind in Gemeinden vereinigt, z. 671. Gin großes Dorf bildet eine Gemeinde. §, K72. Kleine Dörfer bilden nach ihrer Lage entweder mit andern zusammen eine Gemeinde, oder sie werden einer größeren zugezählt auf Grundlage der allgemeinen GouvernemcutSreglement«? und des UkaS für Abgaben. F. 673. Aus mehreren Gemeinden wird die Wolost (BezirkSgemcinde) gebildet ,c. ") Wir bemerken noch, daß iVir männlichen Geschlechts und ein Stamm« wort der slavischen Sprachen ist, während ^oinmunitus, Commune, Gemeinde, wie dlintel ihre Etymologie auch sein mag, doch stets abgeleitete Worte sind, Gs scheint allen slavischen Dialccten gemeinsam, da es auch in czechischen »nd schlesischen Urkunden des <3. Jahrhunderts vorkommt. lUirilmin« heißt in der Kirchensprache der Weltliche Lnicus, im Gegensatze des Geistlichen Ncclozinsticu», in der weltlichen Sprache heißt es aber auch die persönliche ganze Gemeinde, die Gcmeindcglieder', IVikuIloi mirilmin ot miru n« prolscn ist ein Sprichwort: Kein Gemcindcglied ohne Gemeinde! — Uir bedeutet auch das heilige Oel, daher Wroi>omn8nnii der Gesalbte des Herrn oder der Zaar, wird dann aber wohl von ^rrkn abzuleiten sein. — Gudlich bedeutet i>lir auch der Friede, wird aber jetzt mit zwei i geschrieben, und soll dieß Wort aus persischer Wurzel stammen. — klir in der Vedentung von Welt lommt vor in den zusammengesetzten Wörtern Wruliitici-KoSmogonie, ^llropissuni«-Kosmographie, Weltbeftbreibung. "') Eine große Anzahl solcher Sprichworte finde» sich in den juristischen Beiträgen des Professor Peter Redkin, Moskau 1842, in einem höchst l22 Den ^lll- richtet allein Gott! Der M ist etwas Großes! Der Wr ist die wogende Welle! Des Mir Hals nnd Nacken ist breit! Wirf Alles anf den Wr, cr trägt Alles fort! Des Nir Thräne ist flüssig, doch ätzend! Der >1ir seufzt, und der Fels wird auseinandergesprengt! Der Wr seufzt unr, aber es haltt im Walde wieder! Im Walde hant man Baume nnd im Hlir stiegen die Späne! Vom Uir ein Faden wird für den Nackenden ein Hemd! Keiner, der anf der Welt ist, kann sich vom Wr lossagen! Was dcm !>Iii gehört, gehört auch dem Muttersöhnchen! Vom M festgesetzt, muß es geschehen! Wenn der ganze Nil seufzt, so kommt auch der Zeitgenosse elendiglich nm! Der klir steht für des Landes Wehr! Wenn wir schon oben andeuteten, daß es selbst dcm geborenen Russen gegenwärtig schwer wird, die richtigen Worte und Rcdcformcn zu finden, um die Vcrfassungsvcrhältnissc, die Sitten und Anschauungen des eigentlichen Volks klar nnd genügend in der jetzigen russischen Sprache, wie sie sich in den gebildeten Ständen in moderner Weise ausgebildet, darzustellen, so wird das natürlich dcm Fremden in cincr fremden Sprache noch unendlich schwieriger, ja es möchte wohl unmöglich sein dem ächten Kenner des Volkswcscus zu genügen. Die folgenden Auffassungen und Darstellungen auö dcm rnssischcn Volksleben machen daher nnr den Anspruch anf subjective Wahrheit; sic sind nicht erschöpfend und vermöge,: nicht in der fremden Sprache die feinen Nuancen nnd Tiefen der Nationalität genügend wiederzugeben. Da der Uir oder die russische Gemeinde nnsercr Ucbcr-zeuguug nach die eigentliche reale Grundlage der ganzen Volks-vcrfassung ist, so wollen wir es vcrsuchcu, sie in ihren Grund-zügcn zu zeichnen, und werden dann als ein lebendiges Bcispicl interessanten Aufsatze: Allgemeine Uebersicht der älteren, mittleren und neueren Periode deö russischen Natknallebens. !23 die Beschreibung einer einzelnen großen Gemeinde, die der ural-schen Kosacken, hinznfügen. Um die Natnr des Nir oder der russischen Gemeinde zu erkennen, mnsi man den Grundcharactcr der slavischen Nationalität im Allgemeinen nnd der russischen in's Besondere scharf in's Auge fassen. — Die slavischen Volker sind überhaupt sehr social, das russische Volk ist aber das socialste unter ihnen. Wenn 10 Russen, aber Leute aus dem cigeutlichcn Volke, an irgend einem Orte, z. B. Riga, Mitau ic. zusammentreffen, so bilden sie augenblicklich eine Association, eine gegliederte Gesellschaft, wählen sich ein Haupt ic. Nirgends tritt die Einheit des Bluts, der Familie und ihrer weiteren Entwickelung der Gemeinde so entschieden und kräftig hervor als beim russischen Volke. Familiencinheit und Gütergemeinschaft war der ursprüngliche Character deS Slaventhums, der aber bei den westslawischen Völkern nicht so rein ausgebildet und streng festgehalten ist, als bei den russischen. Die Familie aber fand ihre Einheit in dem Hanpte, in dem Vater; ohne einen Vater kann sie gar nicht cristiren, wogegen außerdem unter allen Familiengliedern völlige Gleichheit herrscht, in Folge derer sogleich Anarchie ansbrcchen würde, wäre kein gemeinsames Haupt vorhanden. — War also kein leiblicher Vatcr vorhanden, so trat der älteste Bruder oder Sohn desselben in dessen Stelle, ganz mit der Machtvollkommenheit deS Vaters, ja wenn durch irgend einen Zufall die natürliche Succession der väterlichen Gewalt unterbrochen wurde, z. B. durch Wahnsinn des Aeltestcn, durch dessen Gintritt in den Mönchstand :c., so ward von den übrigen Familiengliedern das Fa-milienhanpt, der Vatcr, gewählt, wo cS dann vielleicht den Jüngsten treffen konnte, der aber dennoch dadurch der Alte, der Vater wurde, dem man nnbcdingt gehorcht. Dieß auS Sitten und Gesinnung hervortretende Recht drückte sich in vielen Sprichwörtern ans, z. B. „Welchen Willens der Aclteste ist, der hat auch recht"; „wo das Alter dort daS Recht"; „die jüngeren Brüder müssen den ältesten als Vatcr ehren" lc. — Dieser Grundsatz galt auch bei den russischen Fürsten. Der 124 Großfürst hicß stets der Aeltcste, wenn cr auch vielleicht viel jünger war, wie die Theilfürsten, selbst wenn vielleicht ein jüngerer Bruder Großfürst wurde, nannten ihu die älteren Brüder stetS: „Aeltcster". Der Großfürst Wladimir Monomach hinterließ seinen Kindern in seinem Testamente die Regel: Den Alten ehrt wie den Vater, den Jungen wie den Bruder. — In den ans diese Weise orgauisirteu slavischen Familien hatte nnn kein Glied ein abgesondertes Vermögen, alles war vielmehr Gcsammlgnt, über welchem jcdem erwachsenen Familienglicde die freicste Disposition würde zugestanden haben, hätte er nicht selbst nntcr der unumschränkten Herrschaft Disciplin und Disposition des Vaters, des leiblichen oder selbst des gewählten, gestanden. ^) Wer aus diesem Gcsammtcigenthumc und Gc-sammtbesitze, aus dieser Familiencinhcit austrcten wollte, etwa um eine eigne, unabhängige Familie zu stiften (was jedoch der Gcsinnnng und Sitte des Volks gegenüber, stets als ein Unglück, eine ^(ckui'ni Ischwarze! Theilung angesehen würde), verlor alles Recht an dem Gcsammteigenlhume, folglich auch alles Erbrecht. Aber im Laufe der Zeit stieg die Iahl der Familienglieder, es ward unmöglich, die Einheit des gemeinsamen Hanshalts festzuhalten! — Die einzelnen Glieder mit ihren Weibern und Kindern begannen besondere Haushaltungen zu bilden. ') Die väterliche lind ältcrliche Gewalt ist noch gegenwärtig bei den südslawischen und ostslavischeu Völkern stärker imd hervortretender als bei irgend einem europäischen Volte. Vci den russischen Bauern kann nach hergebrachter Sitte der Vater über den Sohn bis zum Wstcn Jahre ganz frei verfügen, es lanu bis dahin gar nicht die Rede von irgend einer Selbstständigkcit sein, ja eö dauert noch über diese Zeit hinaus! Nur wenn der Sohn heranwachsende und zuletzt .erwachsene Kinder hat, lös't sich dicse Abhängigkeit allmölig auf. — Dagegen wird es aber auch nie vorkommen, daß der Vater den nngcrathencn Sohn, wenn er ihn auch noch so tief und vielfach beleidigt nnd erbittert hat, verflucht. Wenn er durchaus nicht mehr ihn zu bändigen vermag, so giebt cr ihn zum Soldaten ab, wozu er ein Recht hat, er sagt ihm gan; ruhig: 8'Iwßom i«!l paä Kri>5N!^ll «(cknjillu! — Mit Gott geh' unter die rothe Mühe! d. h. werde Soldat. 125 Sie baueicn abgesonderte Hänser und Gehöfte, jedoch auf dem Gcsammt-Gruud und Boden und mit Beibehaltung der Gesammtheit desselben und der Herrschaft des Familienhauptcs. Dieß ist dann die alte ursprüngliche slavische Dorfgemeinde seine Fa-milicngemcinde) unter ihrem Haupte, dem Alten (Stank, Starschi, Starschina, Etarost). Der Grund uud Boden blieb gemeinsam, er ward nicht uutcr die Haushaltungen zum Pri-vatbcsitz getheilt, vielmehr zum Ackerbau stets gemeinsam bestellt, und dann erst die Ernte unter alle Haushaltungen gleichmäßig vertheilt. So soll mau es noch gegenwärtig in manchen Gegenden Serbiens, Bosniens, Bulgariens finden. Auch in Nußland, im Innern der Wälder, findet man bei den Noskolnifs dergleichen Gemeinden, Skitt genannt. Daß ein solcher gesellschaftlicher Zustand mit der fortschreitenden Cultur, namentlich des Ackerbaues, sich nicht erhalten kann, ist klar. Im ganzen eigentlichen Rußland hat sich aber dennoch ein gesellschaftlicher Zustand, eine ländliche Verfassung daraus entwickelt, in der das Princip jenes Gesammtcigcnthums und Gesammlbcsitzes noch gegenwärtig vollständig erhalten ist. Es geschieht nämlich eine Vcrtheilung des Acker- uud Wicsc-bodens (Wald und Weide bleibt überall stets ungethcilt) unter die vorhandenen Familien der Gemeinde, jedoch stets nur zeitweise und zur Nutznießung, nicht zum Gigenthume. Ursprünglich vielleicht alle Jahre wird daun jetzt, wohl um die Kosten und großen Unbequemlichkeiten zu vermeiden, stets nach einer Reihe von Jahren der Grund und Boden mit genauer Ausgleichung der Qualität uutcr sämmtliche Ehepaare der Gemeinde gleichmäßig vertheilt. Wenn also z. B. ein Vater mit Hinterlassung von ti unmündigen Söhnen stirbt, so wird meist die Wirthschaft noch in bisheriger Art von der Wittwe fortgesetzt bis die Söhne hcirathen, dann aber theilen sie sich nicht etwa in dem vom Vater bisher benutzten Grund und Boden, sondern dieser fällt an die Gemeinde zurück, und jene 6 Söhne erhalten jeder einen ganz gleichen Antheil wie alle übrigen Gemeinde-glieder, also vielleicht zusammen das 5- bis 0 fache von dem was der Vater besessen! — Aber wenn der Vater am Leben bleibt und seine 0 Söhne heirathen, so fordert er auch für je- dm eincn gleichmäßigen Gemeindeantheil. Da seine Söhne mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt leben, so kennt man daher die Sorge einer Etablirnng des Sohnes nicht, sondern seine Vcrheirathung ist ein Glück für die Familie, die Anknnft einer Schwiegertochter, wenn sie auch nichts mitbringt, bringt einen neuen Gemeindeanthcil! Verheirathung und Unterbringung der Töchter ist demnach die geringste Sorge, die der russische Bauer zu haben braucht. Die Lebensweise, die Familicnverfasfung und die Gemeindeverfassung sind die Grundlagen jeder Volks- und Staatsver-fassuug. Zu diesen Grundlagen tritt bei den meisten, wenigstens größern Völkern, die Kriegs- oder Wehrvcrfassung hinzu. Beschaffenheit des Landes und die Richtungen des Volkscharac-ters bestimmen, ob Ackerbau oder Viehzucht den Hauptnahrungs-stand des Volkes bilden (Jagd und Fischerei bilden nur bei einem geringen Volkstheil den Hauptnahrungsstand, in der Regel haben sie nur eine adminiculirende Bedeutung). — Beim Beginn der Cultur kommen dann Handel und Gewerbe auf, welche die Verbindnngcn und den Austausch mit andern Völkern begründen, von denen Ideen und Institutionen häufig übergehen oder entlehnt werden. Endlich sind Religion und Cultus von unermeßlichem Einfluß auf alle Theile der Volksund Staatsvcrfassung. So wird dann aus allen diesen Factoren zusammengenommen, in ihrer Durchdringung und ihren Wechselwirkungen sich im Laufe der Ieit und durch die Ereignisse der Geschichte all-mälig hervorgerufen, gepflegt und herausgebildet, das ganze lebensvolle menschliche Gebilde gestalten, was wir gegenwärtig, mit dem Worte und Begriffe Volks- und Staatsverfassung bezeichnen. Auf Rußland zurückkommend, so würde es nöthig sein, um die Grundlagen von dessen Volks- und Staatsverfassung, nämlich die Familienverfassung und Gemeindcverfassung richtig zu «kennen und darzustellen, daß man das Naturell und den Cha- l27 racter, die Anlagen, die leitenden Idccu, die Sitten und Ge-wohnheiten des russischen Volks in ihrer Totalität auffaßte und darzustellen versuchte, Darstellung ciucs Volkscharactcrs ist aber eine Anfgabe, zu deren wahrhaften und umfassenden Lösung eigentlich Niemand befähigt ist. Wer vermag diese unendliche Mannigfaltigkeit in ein uniformes Bild zusammen zu fassen! — Aber Sitten und Gewohnheiten und Lebensweisen lassen sich schildern und darstellen, diese sind aber stets alls dem Volks" character hervorgegangen, und er spiegelt sich in ihnen ab, greift man nun noch einzelne prägnante Züge ans dem Volksleben auf, dann möchte es doch wohl möglich sein, ein annährcnd wahres Bild in allgemeinen und großen Zügen zur etnographi-schcn Schilderung eines Volkscharacters zn entwerfen. Ein Inländer hätte bei einer solchen Schilderung große Vortheile voraus, da er in Bezug auf Sitten, Gewohnheiten und Lebensweisen alles selbst erlebt und dnrchgcmacht hat, er das Detail und alle Beziehungen und Verbindungen unendlich viel besser und genauer kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat, als ein Fremder, Aber selbst im Microcosmos bei der einzelnen Persönlichkeit ist es ja anerkannt, daß Niemand sich selbst genan kennt nnd zu beurtheilen versteht, und so möchte denn doch auch ein Fremder, der ohne Vornrthcil nnd mit Anerkennung und Liebe eine solche Schilderung wagt, ein nicht ganz unwahres Bild aufstellen, da er dabei noch den Vortheil hat, daß er die vorhandenen Unterschiede und Aehnlichkeitcn in Bezug und Verglcichnng mit fremden Nationalitäten schärfer und besser zu erkennen vermag. Das Menschengeschlecht scheidet sich vom Anfang an in zwei Lebensrichtungen, in Ackerbauvölker und Hirtenvölker, wic es in der Bibel symbolisch in Kain und Abel angedeutet worden. Die großen Volksstämme finden wir in der Geschichte fast alle (so wic sic bekanntlich meist auch stets in blonde und braune Stämme zerfallen) nach beiden Richtungen sich theilend, ein Theil sind die Repräsentanten des Ackerbaues, haben diesen zur 128 Lcbensbafis, die Andern bestehen mit der Lcbensbasis der Viehzucht. Bei den Semiten sind die Araber die Hirten und Nomaden, die Vabylonicr, die Assyricr, die Ackerbauer. Bei den Persern sind die Iranicr das ansässige Ackcrbauvolk, die Tura-uier das Nomadenvolk! Die Mongolen sind die Nomaden, die Chinesen die Ackerbauer. Es giebt ansässige (<^lulin Lucl^r») und nomadisircudc (!Xo^m) Tataren. Bei den Germanen sind die Ingäwonen die Ansässigen, die Sucven die Wanderer. So möchte denn auch der slavische Stamm in diese 2 Richtungen zerfallen, die Ackerbautreibenden möchten die Wenden, die Po-lacken (polnische Bauern), die Südslavcn (Bulgaren, Serben, Winden) sein. Der polnische Adel war wohl ein Nomadcnvolk nnd die Großrusscn ursprünglich ein Hirtenvolk. Diese Scheidungen im Menschengeschlechte sind so stabil, daß die Ackcrbauvölker nie Nomadcnvölkcr werden, aber auch die Hirtenvölker werden in ihren Nrsitzen fast nie sich in Ackcrbau-völkcr verwandeln. Erst wenn sie in andere Länder hinüberziehen, nehmen sie den Ackerbau an, wenn nämlich dort der Ackerbau vorher schon cxistirt hat. Aber dennoch nie mit Energie und Liebe, sie werden ansässig, aber den Ackerbau selbst lassen sie meist durch Knechte, Sclaven, Weiber führen. So die Araber in Spanien, die Türken in der Türkei. Die Hirtenvölker haben große geistige Anlagen, einfachere und reinere Sitten, sie sind meist der Urreligiou treuer geblieben, blieben Monotheisten, sie erhielten die Neste der Urcultur, das geheime Wissen ic., bei sich, aber sie zeigten sich uncmpfäng-lich für die fortschreitende Verstandcscultur, vor allem aber scheint ihnen die Fähigkeit, das Christenthum und seine Cultur aufzufassen zu fchlcn, sic haben sich nur bis znm Mahomctha-nismuS zu erheben vermocht. Mir scheint es höchst wahrscheinlich, daß die Großmssen ursprünglich ein Hirtenvolk gewesen, welches sich allmälig angesiedelt und Ackerbau angenommen. Nur diese Annahme erklärt eine Menge Eigenthümlichkeiten in den Anlagen, im Character, in der Lebensweise, in den Sitten des russischen Volks. Das ganze sociale, selbst politische Leben der Nomaden- oder l29 Hirtenvölker beruht auf dcm Patriarchaten Princip. Die Familie unter ihrem Vater, dcr Stamm unter dem Stammcshaupt haben ihre naturgemäße Gliederung. Nur Noth, Gefahr, Krieg vereinigt die Stämme, und auch wird wieder der Acltcstc des ältesten Stammes in natürlicher pcmiarchaler Weise und Gliederung an die Spitze treten. Die Vereinignng löset sich meist, wenn die Ursache, die Noth, anfhört. — Oder eine neue Lehre, ein Prophet, wie Mahomclh (in neuester Ieit die Wcchabitcn!) oder der Gedanke und der Beruf zur Wcltcroberung, wie bei Dschingis-Khcm, vermag die Stämme zu begeistern, sie folgen ihm, wie durch eisernen Nalurzwang gefaßt, in Sieg und Tod! — Bei der Despotie ist die Gewalt und Macht, bei der Monar-. chie, Aristocratic, Democratic ist die Ncchtsidcc das Princip der Gliederung und Herrschaft, bei dcm Patriarchalstaat ist der Naturzwang, das Natnrgcfühl und die Sitte das Princip von Gliederung und Herrschaft. Dcr Vater, der Patriarch, herrscht, weil ihn Natur und Sitte dazu berufen, die Kinder gehorchen aus demselben Grunde, und beide unbedingt. Es cristircn nur Pflichten, keine Rechte, der Vater hat die Pflicht zu herrschen und zu sorgen für alle, die Kinder zu gehorchen. Da bei den Hirtenvölkern überhaupt kein Grundeigcnthnm eri-stirt, so fehlt das Hauptfundamcnt dcr Rcchtsidec mit allen ihren Beziehungen nnd Vcrschlingungen, denn das bewegliche Eigenthum erzeugt und verwendet nur die eiufachstcn Ncchts-bezichungcn. Diese Grundlagen und Grundprinzipien der ursprünglichen Nomadcnvolksvcrfassnug finden wir nun im Character, den Sitten, dcr ganzen Geschichte des großrussischen Volks bis zu dieser Stunde durchscheinend, wenn auch die allmälige Ansied-lung seit anderthalb Tausend Jahren, der Ackerban, das Christenthum, das europäische Monarchcnthum, die moderne Civilisation allmalig eine europäische Staatsverfassung ausgebildet haben, wie sie sich fast conform bei allen Ackcrbauvölkcrn ausgebildet hat. Das patriarchalc Regiment, die Patriarchate Gesinnung und Gliederung ist noch jetzt in den Sitten, im Leben, im Gefühl und Verstände dcr Großrnssen unverwüstlich vorhanden und ill. y l30 lebendig. So unbedingt dcr Vatcr über alle scmc Kinder herrscht und disponirt, eben so unbedingt ist denn auch die Herrschaft dcr Mntter über die Töchter. 5) Dieselbe Ehrfurcht, derselbe Gehorsam herrscht gegen die Gcmcindcobrigkeit, gegen den Starosten und die weißen Häupter der Gemeinde, vor allem aber gegen den gemeinsamen Vater, den Zaar. Der Nnssc hat nur ein und dasselbe Wort dcr Anrede für seinen wirklichen Vatcr, für den Starostcn, für seinen Herrn, für den Kaiser, und zuletzt für Gott, nämlich: Vater! Väterchen! (Uuluzenka). Eben so nennt er jeden Russen, cr mag ihm bekannt oder unbekannt sein: Bruder (Lrut)!**) ') Dieß ist selbst in den höheren Stauden, wenigstens da wo noch nltrusstsche Sitte vorherrscht, dcr Fall. So herrscht;. V. noch in MoS< kau und Petersburg die Sitte, daß nicht bloß die unvcrhci'ralheten, sondern sogar die verheirathcten Töchter jeden Abend bei dcr Mutter sind, was nalürlich die Häußlicl'kcit und das Familienleben des Mannes nicht wenig stört. Als wahrer Typ einer ächten altrussische» Vojarcndamc ward in der vorigen Generation die Fürstin G. genannt. Jeden Abend mußten ihre Töchter bis ;n ihrem Tode um sie versammelt sein. Als einst ihre Tochter, die Fürstin A., die in einer der höchsten Hofchargen stand, durch den Dienst verhindert ward, am Abend bei ihr zu erscheinen, ward sie an, Morgen mit den bittersten Borwürfen empfangen. Kein Entschuldige» half, es Hieß: „Der Mutter gehört jeder Abend der Tochter, das ist russische Witte." — Ihr Sohn, dcr als General Armeccorpö commandirt hatte, dcr Gesandter, der Generalgouvcrncnr gewesen, mußle, wenn er in Petersburg war, jeden Morgen bei ihr erscheinen. Einst hatte er selbststäüdig einige Dispositionen in ihrem Stalle vorgenommen, «in ihm schlecht scheinendes Pferd ausrangirt, ein besseres eingestellt ,c. Das Waguisi bekam ihm aber herzlich schlecht, er ward a>» andern Morgen von der Mutler mit ganj soliden Ohrfeigen re? gasirt, die er demüthig hinnahm! '*) Diese allgemeine Familiarität i» der umfassenden russischen Volksfamilie drückt sich auch in der Sprache auS. In den andern Sprachen, z. V. in dcr Deutschen, haben wir nur für die näheren Verwandtschaftsgrade: Vater, Sohn, Gnkcl, Vruder. Oheim besondere Namen und Wörter; entferntere Grade müssen wir durch Umschreibung oder Zusätze ausdrücke»! Audergeschwisterkind, Urenkel, Großvater ,c. Better ist dann auch das allgemeine Wort für weitere Verwandtschaftsgrade. Die Russen haben in ihrer Sprache bis in «3l Der gemeine Ruffe (^ll^okill) kcnnt durchaus keine scla-vischc Furcht, sondern nur die kindliche Furcht, die Ehrfurcht vor den: Zaar. Er liebt ihn mit einer hingebenden aufopfernden Zärtlichkeit. Gr wird ungern Soldat, aber ist er es einmal, so kennt er keine Tücke, keine Nachsucht über den Zwang, er dient dem Zaar mit der größten Treue und Hingebung. Bei ihm vor allen tritt in Wirkung jenes berühmte Zauberwort Rußlands: i»ri ku^n«! Es ist befohlen! — Was der Kaiser befiehlt muß geschehen, das versteht sich ganz von selbst. Dem gegenüber kennt der Russe weder Widerrede noch Widerwillen, noch Widerstand, ja er glaubt nicht einmal au eine Unmöglichkeit dcr Ausführung.^) Der Russe sagt daher auch nicht einmal bei bloßen polizeilichen Verboten: 53 ^re^ctuilo, es ist verboten, sondern: ns siri^s^n^ (oder newelcnk) es ist nicht befohlen! Die tiefe Verehrung vor dem Zaar zeigt sich auch bci allem, was man als dem Zaar angchörig betrachtet. Der Russe hat den tiefsten Respect vor dem kasiomne, dem Kronsgut, Zaarcngut.^) — ^«»lomnL stirbt nicht, verbrennt nicht im Feuer, ertrinkt nicht im Wasser, sagt ein russisches Sprichwort! ganz ferne Verwandtschaftsgrade hin besondere und bestimmte Wor» tcr und Namen. Den deutschen Ausdruck: Unser einer, Unser« eine dlüctt der Nüsse durch IVnsk-Ll»!, n<,slil>zn-8l8ll«, Unser Bruder, unsere Schwester, aus. ') Mnu hat hierüber die lM'schc Anecdote, die selbst, wenn sie nicht wahr wäre, ckaracteristisch bezeichnend den Sinn des russischen Soldaten ausdrückt. Gin alter Soldat steht mit einem Necruirn vor Warschau auf Vorposten, der Ncerilt frägt: Dn Bruder, was mcinst Du, werden wir das Nest nehmen, es scheint mir sehr fest? — Dcr Alle: Ich glaube auch nicht, es ist zu fest! — Der Necrut: Ja Bruder, wenn es nun aber der Kaiser befiehlt? — Der Alte: Ja wenn es befehlen wird, das ist was anders, dann nehmen wir es; das versteht sich ja von selbst. ") Vor einigen Jahren war ein Feldmesser, ein gcborncr Deutscher, beauftragt, eine Vermessung vorzunehmen. Die Vanern glaubten, er habe falsch lind ihnen MN Schaden gemessen, sie rotieieu sich zusammen und stürmten wüthend auf ihn ein, er war in Gefahr, todt geschlagen zu werden. Da ergreift er plötzlich das Astrolabium, setzt es sich auf den Kopf und ruft ihnen zu: Wer wagt es von 9» ,32 Man hat fast kein Beispiel, daß die Geldeinnchmer dcr Kronsabgabcn, die meist ganz allem weite Strecken über Feld, oft mit bedeutenden Summen in dcr Tasche, gehen, jemals wären angegriffen und beraubt worden. Im Norden, im Gouvernement Wologda, wo die Sitten noch besonders einfach nnd rein sind, und große Zuverlässigkeit und Redlichkeit herrscht, kommt hier der Gcldeinnehmcr in ein Dorf, so klopft er an jcdcs Fenster und ruft: li«xu! Dann bringt jeder seine Iahrcs-Kronabgabe zu ihm heraus, und wirft sie in den offen gehaltenen Vcnlel. Er zählt sie nicht nach, er weiß doch, daß er nie betrogen wird. Wird es Nacht, so geht er in das erste beste Haus, legt den Sack mit dem Gelde unter das Heiligenbild dcr Stube, sucht sich ein Nachtlager, und schläft unbekümmert, er weiß, daß er am andern Morgen alles unberührt findet! Der älteste innere Zusammenhang, das Nationalband der Vereinigung des rnssischcn Volks vo5 den Zeiten Ruriks, ist rüthsclhaft und völlig unaufgeklärt. Unmittelbar vor Rnrik erblicken wir Städte und ihre Gebiete, die aber nur lose mit einander verbuudcn, keinen gemeinsamen Mittelpunkt, keine gemeinsame Obrigkeit hatten. Ob sie diese in noch älterm Zeiten gehabt hatten, und sie etwa zerfallen, weiß man nicht, möchte cs aber fast glauben, da sie die Sehnsucht nach ihr aussprachcn. Sie sendeten nämlich zu Nurik und sprachen: Unser Land ist groß, aber cs herrscht leine Ordnnng bei uns, drum komm, euch das Ilnziomne (Zaarengut) anzurühren? — Das wirltc wie ein Zauber! Fluchend und i'nimmend lichen sie ihn unangetastet abziehen! Wcuu man einen russischen Soldaten, wenn er eben im Dienst ist, vor bevorstehenden Gefahren warnt, ft antwortet er ruhig: kg-»iomno t8cl>l>1u«'«k, ich bin ja KronSgut, der Krone angehbrig! Welch ein auSbrucks»l,'lle5, viel und ticf bedeutendes Wort! Er sagt damit: Gott walte, es ist meine Psticht! — ich stehe, die Krone verantwortet es! — Die Krone hat stets Glück, was kann mir geschehen? — Die Krone geht nicht unter, ich werde erseht! ,e. l33 herrsch' und gebiet' über uns. Dicsc berühmte Stelle im altcn Chronisten Nestor bezeichnet den politischen Volks-charactcr der Russen für alle Zeiten hiudurch. Der patriarchate Herrscher, der Zaar, erscheint als unabwcislichc Nothwendigkeit des Daseins und des Fortlebcns des Volks. — Wir finden daher anch nie ein Auflehnen, eine Empörung des Volks gegen die Regierung, gegen das Zaarcnthnm als solches, sondern nnr gegen Personen, meistens sogar aus sogenannten legitimen Gründen, für und gegen die falsche Dimitri, für Pugatschef, der sich für den vertriebenen Petcr lll. ausgab, zulcht sogar 1825 aus ähnlichem Grunde. — Das Volk war stets gehorsam gcgm jede Regierung die es beherrschte, selbst gegen die Mongolen. (5s klagt wohl, und das oft, über einzelne vermeintliche Unbilden, allein damit ist die Sache anch wohl zu Ende, ist die Klage ausgesprochen, so ist sie verhallt, und man ist wieder zufrieden. Woher die Russen, oder vielmehr der ganze große slavische Stamm, ursprünglich hcrstammen, wer wagt darüber nur eine einigermaßen wahrscheinliche Conjnnclur?*) Nachdem sie wahrscheinlich viele Jahrhunderte als Nomaden in dcn asiatischen und europäischen Steppen umher gezogen, begannen einige Abtheilungen von ihnen sich in fruchtbaren Flnßthälcrn anzusiedeln. Von dcn Völkern, die Herodot im altcn Skythicn kannte, sind wahrscheinlich ein großer Theil slavischen Stammes.55) Die eigentlichen Scythen, die ') Gin geistreicher Dichter in Moskau Ch. änsicrle gegen mick: Die Germanen und Slaven sind Brudervölker, sie g»hi?ren zur Sanscrit-familie, allein sie bilden einen Gegensatz. Die Slaven sind zunächst von den Hindu ausgegangen, die Germauen vrn dcn Persern. Die Hindu waren daS Wasservolk, die Perser das Feucrvolk. Die Slaven sind dann im ersten Dämmern der Geschichte die nemadisiren« den Türaner, der grosie Gegensatz der ansäßigen Iranier, das Pa-triarchalvclk im Gegensah des Feudalvolls. Wie das Wasservolk der Hiudn am heiligen Ganges, sind auch diese ihre Kinder, die Slaven, stets den Binnengewässern nachgegangen, haben an ihnen ihre Wohnungen aufgeschlagen, und sich nach ihnen genannt. ") Vergleiche hierüber mein 1842 erschienenes Buch: Ueber dcn Ursprung in,d die Grundlagen der Verfassung in den ehemals slavischen Ländern Deutschlands. Berlin, Krause. 18i2. l34 Konigsftylhen oder Ecolotcn natürlich uicht, aber vielleicht dic Neuern, dic Budinen und andere. Ansässig geworden sind dic Slaven wahrscheinlich Mrst in den Gegenden des Waldai und Ilmcnsecs, wo spater Nowgorod ihr Mittelpunkt wnrde, wenigstens behauptet dieß ihr ältester Chronist Nestor selbst. Von hier ans haben sie dann ihre Ansicdlungcn strahlenartig nach allen Eciten besonders längs der Flüsse hin bewirkt. 5) Das Land zwischen den Flüssen mag dann noch lange offne Weide für die nomadisircndcn Brüder (nnd auch selbst für Fremde) geblieben seien, bis auch sie zum Gestehen lamm, und sich fest ansiedelten. Wir sehen dieß in Rußland noch in jedem Augenblicke. Vor 200 Jahren war unterhalb Tula noch fast alleS Land Steppe, von Nomaden durchzogen, gegenwärtig ist fast alles angebant, nnd selbst die eigentliche noch jetzt vorhandene Steppe schrumpft immer mehr zusammen dnrch den fortschreitenden festen Anban. Wenn sich die Germanen in einsamen Gehöften über das ganze Land verbreitet, so haben sich dic Slovencn, später Russen genannt, stelö in möglichst großen Gemeinden angesiedelt, wahrscheinlich stets ein Stamm, eine ganze Horde (als gegliederte untrennbare Nomadengemcinden oder Horden zogen sie ja in der Steppe umher!) gleichzeitig an einem Fleck. Auf diesem Fleck haben sie einen Wohnort angelegt, man kann nicht sagen, eine Stadt, im wcstenropä'ischcn Sinne des Worts, denn den Gegensatz von Stadt und Dorf kcuncn die alten Russen durchaus nicht, nur den Begriff von Mnttergcmcinden nnd Tochtergemeindcn. Sie blieben nämlich stets ungctrcnnt am selben Orte zusammen sitzen, so lange der Nahrnngsstand vorhielt. Wenn aber die Umgegend den Ort nicht mehr hinreichend ernähren konnte, dann sandte cr strahlcnarlig nach allen Seilen Colonien aus, nie einzelne ') Es ist merlwültig, daß die russischen Ansiedlilnqcn schul! il! den ersten Zeile» wo ihre Geschichte ansrümmert, eine ungeheure Ausdehnung gehabt haben. Wir finden sie schon in» 19 Jahrhundert am Caucasus, an den Ufern der Wolga, am Ural, und westlich bis in Galizien. Sie mögen freilich überall nur sporadisch gewesen sein, und zwischen ihnen «„geheure Strecken, tie nur von Nomaden durchzogen worden. 135 Familien, die einsame Gehöfte gründeten, sondem stctS kleine Gemeinden, die Ortschaften, Dörfer (Dorf-Trupp) anlegten. Diese Tochlergemeinden blieben mit den Muttcrgcmeinden in enger organischer Verbindung, wurden von ihr beherrscht, nannten sie sogar Mnlter, so die uralle Mnttcr Snsdal, Mnttcr Wladimir, Mntter Nowgorod, Mutter PIcskow. Dadurch bildeten sich überall Territorien. Das ist unstreitig die Bedeutung des in allen slavischen Ländern vorkommenden historisch so räthsel-haftcn Nnödrncks und Begriffs: Land. Nir finden in den ältesten Zeiten in Pommern und Brandenburg: das Land Nau-gard, das Land Stargardt, das Land Frisack, wie wir in Rußland das Land Nowgorod, das Land Susdal, das Land Wladimir finden.^) So möchte dann wohl in ältester Zeit, nach der allmäligen Ansiedelung, ganz Rußland, mit Ausnahme der überall vorhandenen von Nomaden durchzogenen Steppen, aus lauter solchen kleinen Ländern bestanden haben, vielleicht alle, vielleicht auch nur theilweise voll Patriarchalkönigcn nnd Fürsten regiert. Ob dann auch mehrere solcher Länder vielleicht znsammcn, welche einer Völkerschaft angehörten, noch etwa einen Gesammtkönig hatten, weiß man nicht, doch erschcineu zur Zeit Hcrodots die oben bezeichneten wahrscheinlich slavischen Völkerschaften unter einheimischen Königen. Vor Nnrik scheint im nördlichen Rußland die Volks- und Mnttcrgemeinde Nowgorod die mächtigste gewesen zu sein, sie scheint nicht blos über ihre Tochtergcmcindcn, ihr Land, geherrscht zu haben, soudcrn noch über andere slavische ') Gegenwärtig ist der Ausdruck und Begriff „Laud" im öffentlichen Lrben völlig verdunkelt und verschwunden, neuere politische Einihei-lnngen haben die frühere« Grenzen dieser Länder überall durchschnitten, und es möchte sogar schwer sein, auf der Karte die Grenzlinien anzufinden und zu zeichnen. Ob sich iu den Traditionen des Volks noch Erinnerungen davon erhalten, weisi ich nicht. Im Jahre 1612 während des Kampfes mit den Polen schrieb übrigens doch „och das permschc Land, Permsfi Semla an das Nischni-Nowgorodski Scmla: Wir das Permsche Land begrüßen dich Nischm-Nowgorodsches Land, und melden Dir, das, unsere geineinsame Mutter, das Scmla Moslllwokaja in Gefahr ist ,c. 136 Territorien und benachbarte nicht slavische (finnische und lettische) Stämme. Sie hatte eine pattiarchal-repndlikanischc Verfassung. Reichthum, Handel, vielleicht cm Schimmer abendländische cin-gedrungcner Cultur scheint die Einfalt altslavischcr Gesinnung und Sitte getrübt zu haben, „eS herrschte kein Necht, keine Ordnung", wie Nestor sagt, daher die Berufung Nuriks. Die Muttergemcinde beherrschte die Tochtcrgemeindcn, das Laild, aber sie war auch dessen Schuh und Zuflucht, zu ihr flüchtete alles, wenn der Feind sich nahctc. Wenn daher auch die Familien- und Gcmcindcvcrfassung der Muttcrgcmcinde nicht wesentlich von denen der Tochtcrgcmcindcn oder Dörfer abwich, so bildete sich doch allmä'lig ein Unterschied durch die Lebensweise. Handel und Gewerbe traten mehr hervor, der Ackerbau zurück. Die Anstalten zum eignen und zum Schul) des Landes gaben dann auch allmälig cm anderes äußeres Ansehen. Der Verkehr mit der damals cnltivjrlcn Wclt brachte dann anch Nachahmung des Fremden in den äusicrcn Formen, so daß diese Muttergcmcinden das Ansehen von Städten, wie sie in Westeuropa waren, gewannen. Vor allem war es die Vurg in der Mitte, die zum gemeinsamen Schutz diente und die das stadtische Aussehen gab. Die acht russische oder vielmehr slavische Stadt besteht immer aus drei Theilen, die Burg, dcr Go rod«) mit Mauern, Thürmen und Zinnen^) in dcr Mitte, um diese herum die Barosch oder Gewcrbcstadt mit einer Umwallnng, und rund um diese her die Ackcrstadt, mcist in mehreren Ab- ') Gorod, Gord, Grod, ein Wl,'vt dcr slavischen Sprächet,, was ssch aber auch in den meisten europäisä'en Sprachen findet. Ueberall bedeutet es Ginftiediglltlg, Um^iummss, so die Stadt der Ascn, die Asgcird in dcr nordische» Mythologie, unzählige Städtenamen i» gan; Europa zerstreut, Stuttgart, Mompel^ard) Pcrizprd ,c. DaS deutsche Gar, tcn, dc>S lateinische Ilorlus ist offenbar dasselbe Wort. Selbst in Asien finden sich Städte auf solche Endung uud Vedeutung ausgehend. Tigraueö, Krnig von Armenien, ;nr Zeit des Cyrus, bauete dic Stadt Tigrauagaich (Stadt des Thranes) das jetzige Amida iu Armcnicu. Semiramis baucte Schamiru^arth :c. ") Mauern und Ziuiieu waren mcist vcn Holz, von Valfcll jusammen-gezimmert. Wem fallen hiebe» nicht die hölzernen Mauern um die Städte der Gclenen beim Hcrodct ein? l37 theilnngen gleich unsern europäischen Vorstädten. Diese Anlage ist so allgemein nnd durchgreifend, daß selbst jetzt noch Moskaus Polizeibezirkc nicht neben einander liegen, sondern „m einander her. Wenn im Anfang und im Principe kein Gegensatz in Ruß-land sichtbar ist zwischen Stadt und Land, so hat sich doch im Lanfc der Zeit allmälig ein bedeutender Unterschied ausgebildet. Die größeren Orte Nußlands, Nowgorod, Kieff, MoSlau, Ia-roslaw sind wirklich Städte in der Weise der westeuropäischen geworden. (5s hat sich ein Vürgcrthum entwickelt, zwar wesentlich verschieden von dem westeuropäischen, noch jetzt nicht mit dessen Cultur, Vürgerlcben, Bürgeranschauungen, in Sitten und socialem Leben lange nicht so geschieden vom Landvolke, aber doch mit particnlaristischer, local-patriotischcr Färbung. Dic Geschichte Nowgorods mit seinen Stadtkricgcn, Partcwngen, Empörungen giebt hievon sattsamcs Icngniß. Man muß jedoch bei Nowgorod nicht ans dem Auge verlieren, daß dessen langandauerndc Verbindungen mit den deutschen Hansestädten Ideen vom mittelalterlich deutschen Vürgerwcsen herüber gebracht haben mögen. Diese Gcschichtsfacta und Richtungen in Nowgorod haben übrigens etwas Eigenthümliches und dem russischen Volkscharactcr Fremdartiges, und wir finden es daher auch in der Geschichte der übrigen Städte entweder gar nicht oder doch mir im geringen Grade. Dieser Particularismus ist die Frucht deö Hcimathsgefühls, eines Gefühls, welches, wie ich schon früher mal gesagt, dem russischen Volkscharactcr eigentlich fremd ist. Gerade hierin aber kann man die Spuren der uralten Nomadcnnatur des Volks durchblicken scheu. Der Nomade kennt keine Anhänglichkeit an eine Heimat, an ererbtem Grund und Boden, er ist ja im Zelte der Horde geboren, er ist bald hier bald dort, benutzt hier und dort die Weide, aber er macht keinen Anspruch auf das Eigenthum irgend eines bestimmten Grund und Bodens, das ganze Land gehört ihm. Aber seine Familie, seine Hordc, scin Stamm sind die Nmgebnngen, woran sein Sinn und Herz hängt, in ihnen fühlt er seine Heimath, mag er mit ihnen hcutc hier morgen dort im Lande scin. Nur etwa wo 138 die Heiligthümer seines Volks sind, die heiligen Orte und die Gräber seiner Vorfahren, sind die einzigen localen Stellen des ' BodcnS nnd Landes, an denen sein Herz hängt. Eben so sindet man nun cmch noch jetzt bei den Russen wenig Anhänglichkeit an die Scholle, worauf er sitzt, an den Boden, den er jeweilig auf kürzere oder längere Zeit bearbeitet. - Sein wahres Leben ist ein stetes Wandern auf allen Landstra-! ßen. Er zieht mit Wagen uud Pferden in langen Zügen mit seinen Genossen wie in einer Nomadenhordc umher. Zu Hanse m seinem Dorfe sind es unr seine Familie, seine Nachbarn, die ganze Gemeinde, überhaupt die Persönlichkeiten, womit er sich innig verbunden fühlt, nicht der Grund und Bodens). Er entschließt sich gar leicht zum Auswandern mit Sack und Pack, er läßt sich mit der größten Leichtigkeit in ferne Gegenden zur Colonisation versehen, wenn es nnr im Ganzen mit der ganzen oder halben Gemeinde geschieht, wenn nur die Scinigen nnd die Nachbarn dabei sind. Das Einzige, was ihm vielleicht das Herz rührt, ist, daß er seine Dorfkirchc nicht mehr sieht und die Gräber seiner Vorfahren verläßt. Das Gefühl des Volks ist, daß das ganze Land, ganz Nußland, so weit der Stamm der Rnsscn angesessen ist, ungcthcilt dem ganzen Volke und somit auch ihm angehört, worüber dem Zaar, dem Herrn ^ der Gemeinde, nach den verschiedenen Gradationen die Disposition, ihm aber der Genuß einer Quote znstcht. ") Die gel man Wen nnd romanischen Voller haben im Gegensatz hic-vou meist cm nngcmein starkes Heimachsgefühl, hängen anßcrcrdent-lich zähe an den heimathluben Grund nnd Noden, eben so auch die Wenden „nnd polnischen Bauern." „Wenn ich alleS verloren habe, so grabe ich mir ein Loch in meinen Acker, nnd will darin leben und stcrl'cn" sagt der Polnische Vauer. 4") Dieß ist auch beiläufig gesagt das Gefühl und die tiefste Ueberzeugung der Leibeignen den Herren gegenüber. Sie sagcn: Wir Leibeignen gehören dem Herrn, aber daS Land gehört unser, das Land ist da uns zu ernähren, eS gehört dem ganzen Volke, dein Zaar, de» dem Adel nur die Nutznießung gegeben. Dieß ist auch völlig richtig. Vor Peter I. besaß fast Niemand Grund und Vodcn eigenthümlich, sondern unr lebenslänglich als Veliesiciiiin oder als Lehen vom Zaar vcrliehcu. Peter I. schenkte dem Adel die Lehngütrr, 139 Also nochmals, kein tiefes Heimathsgesühl aber ein glühender Palriotisnms ist dcm Nüssen eigen! Das Vaterland, das Land der Väter, die heilige Russia, das Brudervolk aller Russen unter dem Zaar, der gemeinsame Glaube, die uralten Heilig-lhümer nnd die Gräber der Väter, das alles bildet ein harmonisches Ganzes, ein lebensvolles geliebtes Gebilde, welches das ganze Gemüth des Russen umfängt nnd erfüllt. — In diesem Ganzen ist alles lebendig und personificirt. So wie dem Russen jeder andere Russe ein Bruder ist, im Gegensatz zn dcm Fremden, dem Nicmctz, so wie er für die entferntesten Verwandten besondere Namen und Gefühle hat, so steht ihm auch die ganze iodtc Natur des Laudcs als etwas Verwandtes gegenüber, und er giebt ihr die heiligen Namen der Verwandtschaft. Er belegt Gott, den Zaar, den Priester, jeden Alien mit dcm Vatcruamcn, nennt die Kirche seine Mnttcr, aber er spricht auch von Nußland nie anders als von der heiligen Mutter Russia. Die Hauptstadt deö Reichs ist die heilige Mutter Moskau, der mächtigste Strom die Mutter Wolga. Den Fluß Don, der im Iwansec entspringt, spricht er an: Dmmi »vverä Ivv3n8wit5,clk-Don, du Licht, du Eohn Iwans! 5) — Ja sclost die Heerstraße von Moskau nach Wladimir nennt er: I^clia muwticM» >Vuänl0Mli-8ca, Unser Mütterchen die Wladimir'sche Heer- abcr als Gaules mit den darauf sitzenden Bauern. Diese ware» demnach in gewisser Art eine »uf dem Lande ruhende Tervitut. — Hierin liegen tic grosien Schwierigkeiten der Aufhebung der Leibeigenschaft. ") Die Verehrung nnd Verwandtschaftsbencunung der Flüsse bei den Russen lönnte man auch etwa von den Hindu herleiten, wenn mcm ihre nähere Abstammung von diesen statmrt. In 8l«cm»il, ttn,n!,W» nl un Inciinn OMcjül, Vilder aus Hindostan, kommt folgende Stelle vor: „dle Hindu verehren die heiligen Slröme, früher besonders den Ganges. Dessen Verehrung hat aber neuerdings abgenommen, nach s'0 Jahren soll sie nach einer Prophe^eihung ga»; aufhören. Dagegen nimmt jetzt die Verehrung des Flusses Nerbudda stets zu. — Gist in Indien begreift man, wie ein Vclk einen Strom als ei» lebendiges Wesen betrachtet, als eine Fürstin, die alles hört, Oberaufsicht übel alles führt. Und doch hat lein Tempel sein Vildnisi, lein Priester ;ieh< ans der Täuschung Gewinn! — Man wendet sich an den 140 straßc! Selbst den Hansthieren, besonders den Pferden legt er Vcrwandtschaftsnamcn Mütterchen, Brüderchen ic. bei. — Vorzugsweise ist es MoSkan, die heilige Mutter des Vaterlandes, der Mittelpunkt aller Erinnerungen nnd der Geschichte Nußlands, an dcn das Herz dcs Russen mit eben so viel Liebe als Ehrfurcht hängt. Jeder Nnssc strebt sein Leben hindurch danach, einmal im Leben in der Muttcrstadt gewesen zn sein, einmal die Thürme der heiligen Kirchen gesehen, einmal am Grabe der Schutzheiligen Rußlands gebetet zn haben, denn die Mutter Moskau hat stets für Rußland gelitten nnd geblutet, wie denn auch daS russische Volk stctS sein Blut für Moskan geopfert 5). Strom »lit bcm »>,^I,ik) in Moskau rechnen strls hienach, nach einem neunziger Weg, nach ;weicn neunziger Wegen :c, und lassen sich hicnach befahlen. l4l Kehren wir zur russischen ländlichen Gemeinde zurück und resumirm wir, was vorhin zerstreut über die Ansiedluug und das Wesen der Gemeinden gesagt ist. Die russischen Slaven haben sich überall gcmcindeweise angesiedelt, niemals in einzelnen zerstreut liegenden Gehöften. Selbst in den nördlichen Ländern, wo sie die Tschnden schon ansässig vorfanden, haben sie sich friedlich Mischen ihnen nnd neben ihnen als Gemeinden niedergelassen und angesiedelt. Dic Tschndcn (sinnische Stämme) sind lange ungestört mitten unter ihnen sitzen geblieben, wie noch gegenwärtig manche finnische Stämme, z. V. die Syrjancn, Tscherenüfscn, Tschuwaschen, Mordwinen, bis der größere Theil, nachdem sie das russische Christenthum angenommen, völlig in den Nüssen aufgegangen ist. Von den Tschudcn stammen nun wahrscheinlich auch die einzelnen Gehöfte her, die sich zerstreut mitten zwischen den russischen Dorfgemeinden finden, denn die meisten finnischen Stämme haben sich in einzelnen zerstreuten Gehöften angesiedelt, wie wir das noch jetzt bei den Esthen, Ingcrn ic. sehen. Vielleicht sind die Pnstosche, die Wüstungen, die man überall findet und deren Namen meist der tschudischcn Sprache angehören sollen, solche verlassene oder ausgestorbene tschudische An-siedlungcn. Endlich möchten auch die noch jetzt vorhandenen einzeln liegenden Gehöfte, welche jetzt von Nüssen unter dem Namen Odnoworzi, Emhöfner, besessen werden, ursprünglich solche tschudische Ansiedlungen gewesen sein. Schon daß sie ein wirkliches Grundcigcnthum waren, während man bei den Russen nur jeweilige Nutznießung kennt, scheint darauf hinzudeuten, daß ihr Ursprung einer fremden Nationalität angehört. Auch daß ihre Inhaber einer großen Freiheit und Unabhängigkeit genossen, weshalb man sie bei der spätern Entstehung des Adels diesem zuzählte, scheint hierauf zn deuten. Die russischen Slaven haben bei ihrer stets friedlichen Ansicdlung nirgends die bereits vorhandenen Ansiedler fremder Nationen vertrieben oder vertilgt, sondern sie friedlich neben sich wohnen lassen, ohne ihnen ihr Recht „nd ihre Sitte anfzudra'ugcn. So geschieht es noch gegenwärtig, wo doch daS Nivcllircn, Gleichmachen nnd die Viel-regicrerei in der ganzen Well an der Tagesordnung ist, man 142 läßt allen 100 Völkern des russischen Reichs meist ungckräukt ihre sociale Verfassung handhaben, wie viel mehr wird dieß in ältesten Zeiten geschehen sein! — Wo die tschndischen Völker in Massen nnd auf einem Fleck zusammen wohnen, besonders wo sic in Dörfern, wenn auch sehr kleinen, angesiedelt sind, haben sie sich erhalten; allein wo sie anf einzelnen Höfen zerstreuet überall zwischen größeren russischen Gemeinden stehen, mußten sie bald ihre Sprachen und ihre Sitten verlieren und als sie allmälig das russische Christenthum annahmen, russificir-tcn sie sich vollständig. Dieser Odnoworzen-Höfc waren ehemals eine große Menge. Peter I. degradirte einc große Zahl der Ddnoworzcn zu Kron-baucrn, seitdem haben die in der Nähe von.Dörfern wohnenden ihre Häuser nnd Höfe in dic Dörfer versetzt, um für die verlorene Freiheit wenigstens mehr Schutz nnd Bequemlichkeit dcs Lebens einzutauschen. Die ersten angesiedelten slavo-russischen Gemeinden koloni-sirten, so wie die Zahl ihrer Mitglieder sich zu sehr vermehrte, strahlcnartig neue Ansiedelungen, nene Gemeinden. ^) Da- *) Die Griechen haben auch stets in ganzen Gemeinden colonisiri, und die Tochtergemeiuden blieben nock lange mit den Muttcrgemeinden in vielfacher Verbindung. Die für jede Form des LebcnS empfang, lichen und es leicht in sich aufnehincndcn »ild fortbildenden Germanen scheinen bei ihren Einwanderungen in bereits von andern Ur» vblkcrn, vielleicht Kelten und Finnen, angebauten Gc>neindcn gekommen zn sein, sie haben daher die Formen der Ansiedelung und des Anbaues adovtirt, die sie vorfanden. Wo sie den Anbau in einzelnen zerstreuet liegenden Gehöften vorfanden, wic in Norwrgeu, Wcstfthalen, Frießland, England habe« sie sich hineiügcftht und sogar den durch solche Lebensart sich von selbst ausbildenden Isoli-rungs-Charactcr angenommen. In den früher von Kelten bewohnten Theilen von Deutschland haben sie sick dagegen in die Dorfvrr-fassung der Kelten hineingefunden. AIs fie die römische Welt überwältigtcu nnd überschwemmten, haben sie sich nbcrall nach Landesart roinanlsirt imd sich in die Mnnicivawcrfasslingm cingeschnücgt. — Die Slaven scheinen sich dagegen nirgends mit den Nümern und Griechen gemischt zn haben, sondern in dci, ganz verwüsteten Strichen von Südpanonien, Serbien, Bulgarien, selbst einen Theil von Griechenland, neu in ihrer Weise angesiedelt zu haben. In !43 malS waren die Nüssen noch völlig srci, kannten keine Leibeigenschaft, die Gemeinden waren also ftci, außer dasi patriar-chale Herrschaft, Gliederung und Gchorsan« bestand. Auch mögen die Töchtergcmcinden in bestimmter Abhängigkeit von der Mnttergcmeindc gestanden haben. Selbst in spätern Zeiten, als das Zaarcnthum sich schon völlig ausgebildet hatte, hatten nicht bloß die einzelnen Gemeinden ihre gewählten Patriarchaten Obrigkeiten, ihre Starostcn nnd weißen Häupter, sondern anch dic ans Muttcrgcmeindcu und Töchtcrgcmcindm sich gebildet habenden Länder, Landschaften (Scmla). Zwar sahen die Zaare diese Landschaften als ihre Verwaltungsbezirke an und setzten ihnen häufig Woiwoden vor, doch überließen sie auch noch häufiger die ganze Verwaltung an die Stadt oder Mut-tcrgcmeinde, wie es in der Urzeit überall gewesen war. Man findet noch aus dem 10. Jahrhundert Urkunden, wo Ivan Wasilicwitsch an Städte nnd ihrc Landschaften schreibt: „Ihr seid nicht zufrieden mit Euren« Woiwoden, ich will ihn daher wegnehmen nnd Euch erlauben, Euch selbst zu regieren und zu verwalten; wenn Ihr dieß gut zu meiner und zur Zufriedenheit des Landes thut, so will ich Euch verbesseren mit Privilegien. " Wir haben nun also hier zuerst die freie slavische Gemeinde, allein alles Land war keineswegs bcbanet; ungeheure Strecken lagen wüst, wurden hin und wieder von Nomaden durchzogen, wurden also fast erst neu entdeckt. Diese gehörten dem ganzen Lande, der Nation und deren Spitze; der Iaar hatte darüber zn disponircn. In diesen ncuentdccktcn Landstrichen siedelten sich nun einzelne Vermögende, Unternehmende an, ohne Hinderniß, da Niemand widersprach. Oder die Iaarc gaben einzelnen, meist ihren Bojaren und Hofleuten, ganze Landstriche znr Bebauung und Benutzung. Beide Arten )wn Unternehmern legten Dörfer an, warben Ansiedler, die hineinzogen, Ackerbau und Viehzucht trieben und den Eigenthümern dcS Grund nnd Bodens eine Pacht gaben, wahrscheinlich einen Nalnralanthcil an Griechenland ft'llcn sic noch jetzt völlig gclvcnnt von den eigentlichen Gneclmi lrbcn. !44 dor Crndte, cine Quote des jungen Viehs ic. Das Halbbauern-odcr Pelowinikiverhältniß im Norden Nnsilands möchte hievon noch wohl ein Ueberbleibsel sein. Dicß war ein reines Pachtverhältniß, wobei die persönliche Freiheit dnrch die bestehende Freizügigkeit hinlänglich gesichert war. Doch kommen auch schon früh Contractc auf Lebensdauer, nnd auch anf erbliche Fortdauer vor. Das Vertragsvcrhältniß hieß Chalap oder Kabalah (vici. hierüber das vom Professor Pogodiu herausgegebene Journal). Aber erst als Zaar Gudnnow diese Freizügigkeit völlig an jenen, vom Volke tief beklagten Iuriewstagc anfhob, ward dieß Pachtvcrhalt-niß factisch in ein Hörigkcitsvcrhältmß verwandelt. Wie es dann durch die Ncvisionstabellcn Peter I. in die jetzige Leibeigenschaft verwandelt ward, ist im ersten Theile dieses Werkes bereits näher nachgewiesen worden. — Daß übrigens auch schon in den ältesten Zeiten jene vom Zaar mit Ländercicn begnadigten Unternehmer, Bojaren nnd Hofleutc, dieselben durch Kriegsgefangene und sonstige Sclaven haben zn ihrem Vortheil und für ihre Rechnung bebauen lassen, ist geschichtlich nachgewiesen, und was sich hicvon bis zur neuern Zeit erhalten', mag im 18. Jahrhundert den Modns und TypuS für die allmälig allgemein sich weit ausbreitende Leibeigenschaft gewährt haben. Wir haben also schon in der frühesten geschichtlichen Zeit in Nnsiland freie, Pacht- und halbhörigc und Sclaven-Gemeinden. In der historischen Zeit möchten wohl nicht mehr viele neue freie Gemeinden, etwa Töchtergemeinden, als Ausläufer von Mlittcrgemeinden, entstanden sein. Wenn die Städte noch colonisirtcn, haben sie vielmehr anch schon früh angefangen, dic Ländcreien gegen eine Naturalpacht an ncn anzulegende Dörfer ansznthucn. Die beiden andern Arten von Gemeinden, die Pacht- und Hörigkcits-Gemcinden nnd die Sclavcngemcindcn vermehrten sich aber in einem ungemeinen Maaße, so daß sie jene freien Gemeinden bald an Zahl weit überflügelten. — Das ist leicht zn begreifen, wenn man inö Auge faßt, daß Nußland in einem Maafistabc colonisirt ist, wovon man sich anderswo kaum einen Begriff macht. — Man bedenke nur eins, 145 daß vor 150 Jahren unterhalb Tula, dcr Dcsna und Ocka noch alles Steppe war, von talarischen Nomaden durchzogen, vor deren Anfall noch l?60 Moskgu erzitterte! nnd daß jeht dort viele taufende von ^Meilen angebauten und mit Dörfern übersatten Landes liegt! Diese ungeheure Colonisation von Innen heraus, ist aber feit vielen Jahrhunderten vorzugsweise und fast nur durch vom Iaar mit angewiesenem Grund nnd Boden begnadigten Unternehmern geschehen und vorgenommen. Hier aber sind stets Chalop- und Kriegsgefangene-Sclaven-Gcmeindcn gegründet worden. Werfen wir nnnmchr einen generellen Blick auf den allgemeinen Character des russischen Volks. Das Gcsammtgefühl der Nationalcinhcit, , dcr Gemeinde cinhc it nnd dcr Familicncinheit ist die Grundlage des ganzen russischen Volkslebens. Jede Individualitat des Volks geht in jeder von jenen drei Einheiten unter und anf, und mit ihm auch fast jede Art von Eigenthum, insbesondere aber das Eigenthum des Grund und Bodens. — Nirgends ächtes Eigenthnm, als bei dcr Nation selbst und ihrem Repräsentanten dem Iaar, alles übrige das Eigenthum der Gemeinden, der Familien, nur ein zugelegtes, nicht festes, und ans dein Princip selbst hervorgehendes! Stets und in jeder Beziehung des Lebens tritt der Gedanke dcr Gütergemeinschaft hervor sic «st l)'"' ^ Nrprincip des Volks, während sie bei andern Völkern, z. B. den Germanen, nur in der Stamm- und Vlutsfamilie und in der Ehe sich geltend macht. ^- Selbst die Familie ist bei den Nüssen gar nicht so im Blute abgeschlossen und fest; der Hausdiener, welcher den Knaben des Adels erzieht, llebt ihn mehr als der Vater, und ist stetS Glied dcr Familie,' führt deßhalb auch dcu eignen nationalen Namen des „Oheims".^) Niemand vermag diese tiefe Innigkeit der Verhältnisse zu ver- ") In der Volkssage ist cS stets dieser „Onkel" und die Amme, mit denen alle Fannliciicnigclsgenhcitcu berathe« werden. 14tt stehen, der nicht jenes sociale Grundclcmcnt des Volkslebens erkannt hat. Das Blut ist nnr cin Theil, lange nicht Alles, der Bauer sagt: waS bekümmere ich mich um den Stier, das Kalb ist mcin! cr liebt den Kuckuk eben so sehr, sorgt eben so für ihn, als für daS eigne Kind. Das merkwürdigste Beispiel hievon zeigen uns einige Scc-lcn, namentlich die der Skopzi (Eunuchen). Tie haben Weiber und Kinder und sorgen für sie mit einer Sorgfalt und Liebe, als ob es ihre Weiber nnd Kinder wären. Die unbeschränkteste aller Gewalten, die väterliche Gewalt, ist gar nicht auf das Blut eingeschränkt, dem Adoptivvatcr wird mit derselben Ehrfurcht gehorcht, desgleichen dem ältesten Bruder,^) dem Gcmcindcältesten, dem Starosten, dem vom Artell gewählten Gazain. Die Verwandtschaft dnrch Taufe und Kirche gilt der Blutsverwandtschaft gleich. Die Wahlbrüderschaft der Serben, die Chrestowc-bral, die Krcuzbrüdcrschaft der Nüssen,^) ist fast noch inniger und aufopfernder, als die Blutsbruderschaft. Der Iaar ist der Vater deS russischen Volks, allein woher cr stammt, ist ganz gleichgültig. Rurik und die Warjager waren erst ins Land gcrnfcn, und man gehorchte ihnen, als wären es dic angestammten Stammeshänpter. Selbst das Geschlecht ist gleichgültig. Kaiscrm Catharina II,, obgleich cin Weib, obgleich eine fremde Fürstin, fand dieselbe Ehrfurcht und Anhänglichkeit, wie die in Rußland gcborncn Fürsten; mit dem Zaarthum ward sic national! Es ist die tiefe Ehrfurcht vor der Auctorität, die auf jcdc Persönlichkeit übertragen wird, die dnrch Gottes Zulassung das Amt übernommen hat. ^ Wahrend der Ruffe die größte Ehrfurcht hat, den größten ") In der Zeit als ich ii, Rußland war ereignete sich spende Geschichte. Iwci Brüder Pcmin, aus den» Gouvernement Kaluga, hatten Streit mit einander. Der jüngere hatic offenbar Recht, dennoch ging er an einem Sonnlage, wo der Vrudcr und ihre beiderseitigen Leibeignen in der Kirche waren, hin, kniete vor den» älteren Bruder nieder nnd bat ihn um Verzeihung. ") Di« Kreuzbrüder wechseln die Kreuze, welche jeder Ruffe von der Taufe an auf der Brust trägt, und das gilt gleich einem Schwur ans Treue bis in den Tod. 14? Gehorsam übt gegen alles, was in der wirklichen oder singirtcn Familicnhierarchie über ihn steht, hat er aber auch das Gefühl der größten Gleichheit im Volke. Jeden Vater ehrt er und gehorcht ihm, jedem Vnidcr fühlt cr sich gleich. Dieß tritt besonders hervor, wenn der Mnschik, der Vaner, dem Zaar gegenüber tritt, cr weiß vor dem sind alle gleich. Er spricht zutraulich, leicht und ohne Stocken mit ihm, waS der Vornehme und Gebildete selten vermag. Dieß Gefühl der Gleichheit tritt aber vor Allein bei jeder religiösen Feierlichkeit und in der Kirche hervor. Der Bauer hat den größten Respect vor dem Tschinofnik, cr zittert vor dem General, aber in der Kirche fühlt cr sich ihm gleich, drangt sich sogar ihm vor. In einer russischen Kirche sieht man die Bauern stclS vorn zusammengedrängt, die Vornehmen hinten. In einer Kirche MoSkau'S wollte bei einer besonderen Feierlichkeit ein vornehmer Mann gern nach vorn vorrücken, sein Bedienter, ein russisch sprechender Deutscher, sagte einem vor ihm stehenden Bauer: „Siehst Du nicht den General, cr will gern vorwärls!" der antwortet aber ganz ruhig: „Bruder, wir stehen vor Gott, und da sind wir alle gleich! Es liegt eine eigne Leichtigkeit, Beweglichkeit, Flüssigkeit im russischen Nationalcharactcr. Nirgends feste Form! Der Nnsse liebt nicht die Regel, nicht eine bestimmte Lcbcnsordnung, leine fest bestimmte Stellung in seinem Leben, in seinem Gewerbe, cr verlangt für sich die höchste Ungebundcnhcit, cr will frei umherziehen dürfcu, zu Hause bleiben oder in die Fremde gehen, wie es ihm eben ansteht, cr will nicht zur Ordnung und Sparsamkeit angehalten werden, cr ist gastfrei, verschwenderisch im Essen und Trinken, hält nie seine Vorrathe zusammen, cr liebt das Wagnisi, das Spiel, die Speculation. Da ihm viel Geld durch die Hand geht, achtet cr den Kopek nicht! In seiner Familie und dem Hauswesen duldet cr nirgends feste Formen und Regeln, fein scharf abgegrenztes Verhältniß, nicht einmal zwischen Aeltern und Kindern, Vater und Sohn, zwischen Mann 10» 148 ,md Frau. Er duldet keine frcmdc Einmischung in sein Hauswesen. Nirgends scstcs, bestimmtes und dauerndes Eigenthum; heute reich morgen arm, kein Reichthum halt länger als 2 Generationen durch! Eammtbcsitz von Gemeinden, von Familien! — Ader nach oben hin will cr gar nicht frei sein, er will vielmehr beherrscht werden, cr liebt das Regiment des Hausherrn und Vaters, des Elarostcn, des Zaars, selbst mitunter deS Lcibhcrrn. Ja cr würde sich diese Unterordnung suchen, wenn er sie nicht hätte. Er haßt cs auch gar nicht einmal, wenn cr hin und wieder gedrückt wird, das weckt und stählt nur seine Geisteskräfte, um dann mit Schlauheit dem Unbequemen sich zn entziehen. Von dem was über ihn steht, verlangt cr geradezu Strenge und Entschiedenheit. — Aber von festen Gesetzen, von todten einseitigen Eonstitutionen will er nicht regiert werden, cr liebt dic menschliche Willkühr, einen persönlichen Zaar will cr, durch nichts eingeschränkt, weder durch geschriebene Gesetze noch durch Stände. Wie das Urchristen-thnm kein geschriebenes Wort, keine Constitution, kein Gesetz kannte, sondern nur christliche Uebung nnd Sitte nnd Leben, so, will cr auch im weltlichen Leben nichts anders; jcdcr Einzelne soll seine Constitution in sich selbst haben, cr weis; dann seine Stelle, seine Bestimmung wie im Bicnenstaat. Dieser Flüchtigkeit im ganzen Volksleben, diesen zn nnstätcn Richtnngcn, welche allerdings die Gefahr des zu großen Ver-fiießcns aller Verhältnisse haben, hat nun daS Gouvernement scit Pctcr l. den in seiner Art ausgebildctstcn Formalismus in allcn Regicrungsorgancn nnd Handlungen entgegengesetzt. Hier sind die Formen, Eontrolen, Gesetze, Verordnungen so mannigfach und unzählbar, daß man in ganz Europa nicht das Gleiche findet. Dem äußern Ansehen nach herrscht dadurch eine Ordnung, Gleichförmigkeit und Sicherheit, die dem Scharfsinn nichts zu wünschen iibrig läßt. Wir wollen jedoch ihrc Lobvniser nicht sein! Das Beste in den verschiedenen Organen des ganzen Gouvernements geschieht außerhalb dieser Formcu! Earl der Große reiste viel »mhcr und sah selbst, griff selbst überall persönlich anordnend und thätig ein, nnd wohin cr nicht selbst kommen konnte, dahin schickte cr vertraute und erprobte Män- 149 ncr, seine Missi, die ihm die Wahrheit berichteten und persönlich in seinem Namen anordneten, wo es Noth that. — Nach demselben Systeme verfährt Kaiser Nicolcms. Das russische Volksleben gleicht seinem Lande, es ist eine große freie Ebene, worin sich alles fröhlich nnd frei bewegt. Doch hat die Negiernng cinc Mauer darmn gcbauct' nnd einige offene Thore darin gelassen. AlleS was wir hier über den russischen Volkscharactcr und Volksgeist im Ganzen lind nbcr dessen Verkörperung in der Familie-, der Gemeinde-, der Volksverfassung gesagt haben, wird jeder Nussc, der sein Volk nnd ^and kennt und aufrichtig sein will, als wahr nnd richtig im Allgemeinen anerkennen müssen. Das; manche Richtungen nnd Züge hier zn scharf dort zu schwach angcdentet sein mögen, daß mich noch gar vieles fehlt, um ein wirklich vollständiges Charakterbild dem Gcistesangc vorzuführen, ist uicht zweifelhaft nnd wird seine Entschuldigung darin finden, daß es, so viel wir wissen, der erste Versuch ist, ans diese Grundlagen uud Grnndzügc gestützt, eine Characterzcichnung zu wagen und dasi es ein Fremder ist, der dies« gewagt hat. Die Grundlage, wie das ganzc Gebäude dieser national-russischcn Verfassung, steht zu sehr im Gegensatz mit den Principien und Ideen der modernen Cultur, die ans Westeuropa eingedrungen und unter den gebildeten Ständen herrschend sind, als daß sie nicht viele Anfechtungen und Augriffe bisher schon sollten erduldet haben und noch ferner deren ausgesetzt sein sollten. Sie haben gegen dicsc Angriffe bisher keine active Vertheidigung gefunden, abcr ihr passiver Widerstand ist zn mächtig, sie liegen zu tief und zu schwer in, ganzen Volksleben, sind zu sehr in succum t't Llm^uinein desselben vcrtirt, als daß äußere und oberflächliche Angriffe diese solide Masse auS ihren Fugen sollten hcbcn lönncn. Auch kann sich kein Russe von den mit der Muttermilch cingesogenen Richtungen dcS russischen Volkscharattcrs nnd Volkslebens ganz frei machen, dazn reicht 150 die ganze fremde westeuropäische, daher stets doch nur angelernte Bildung nicht hin. Es bleibt daher stets eine tiefe Sympathie für das ächt Volksthümlichc übrig, die den Versuch eincs tief einschneidenden Angriffs abwehrt.5) Und so wird es denn hoffentlich nie der fremden nnnationalcn Cultur gelingen, dieses Heiligthum dcS russischen Volks in seinen Grundlagen ernstlich zu bedrohen oder gar zu zerstören. Da Beispiele überall eine Gedanken- und Principien-Ent-wickllmg am leichtesten klar stellen, so wollen wir dieß hier wenigstens an einem Haupttheil, an der russischen Gemeinde-Verfassung in com^to versuchen. Wir haben gesagt und wiederholen es hier noch einmal, um es dem folgenden Beispiel nahe und erläuternd gegenüber zu stellen: Bei den Russen eristirt kein National- und Familienband ohne Centrum, ohne Einheit, ohne Haupt, ohne Vater, ohne Herrn. Der ist ihm zur Eristenz, zum Leben durchaus nothwendig, unentbehrlich. Der Russe schafft sich den Vater, wenn von Gott ihm der natürliche genommen! Selbst die freie Gemeinde wählt sich den Alten (Starostcn) und gehorcht ihm unbedingt, er ist nicht ihr Delegirter, sondern ihr Vater mit voller väterlicher Auctorität! — Dieß muß man auch ins Auge fassen, wenn man die Stellung des Iaars begreifen will. Das russische Volk gleicht am meisten einem Bienenstock, dem ist das Königthum cine Naturnothweudi gkeit, er kann gar nicht ") Es liegt mir hierüber ein merkwürdiges Beispiel iu einer deutschen Broschüre: „V^m andern Ufer, t64U" vor. Sie ist von einem Na-ticnalrlisscn und an Mazzim «ud Henvegh gerichtet, also im Gaumen mit dunkclroth radicaler poliUschcr Färbung. Nichts desto weniger ist darin dir größte Anerkennung mid Sympathie für die russische Gememdevcrfassung ausgesprochen. Er erkennt auch an, daß der Verfasser dieser Studien wirklich das belebende Princip des russischen Volks begriffen habe.— Dasi er stlbst dann aber den tiefen principiellen Gegensatz der russischen Patriarchal-demc-tratisch organischen Gemeinde, gegen dcu leblosen Schemen einer modern constniirtcn atomitisch-dcmccratischen, Gesellschaft nicht erkennt, ist Folge der angelernten Bilbmig. !9l eristiren ohne Bienenkönigin! So auch dem russischen Volke der Zaar. — Der Zaar ist in Nußland weder der Dclegirtc der Volkssouveränctät, noch der erste Diener des Staats, noch selbst der legitime Herr des Grnnd und Bodens, ja nicht einmal bloS der von Gottes Gnaden eingesetzte Herrscher, er ist zugleich die Einheit, die Spitze, der leibliche Vater des Volks, er hat kein Amt, keine Würde, sondern er hat eine Vcrwandtschaflsstcllung, er ist eben der Vater, in welchem das Volk die Blutseinheit erkenn«. DaS ist das Gefühl, das jeden gemeinen Nnssen dmchdringt wie das Gefühl seines eigenen Daseins! Darum kann der Zaar nie Unrecht thun, was er anch thut, er Hat in der Mcimmg des Volks immer Recht! Jede Beschränkung oder Einschränkung seiner Macht, selbst in wohlgesinnter Ansicht der germanischen Standeverfassung, kommt dem Nnssen wie baarer Unsinn vor. Darnm mochte Iwan IV. selbst die gransamsten Handlungen begehen, das Volk blieb ihm stets treu, liebte ihn wie zuvor und noch jetzt ist er der Liebling des Volks nnd der Held der Volkssagm und Lieder! ^) — Jene oben in den Hcmptzügen dargestellte russische Gemcindcvcrfassung ist aber in politischer Beziehung namentlich in gegenwärtiger Zeit von unermeßlichem Werthe für Rußland. Alle westeuropäischen Staaten kränkeln und sind schwach an einem Uebel, das ihnen den Untergang droht und dessen Heilung bis jetzt ein unauflösliches Räthsel ist, dcm Paupcrismns - Proletarismn s. Rußland kennt dieß Uebel nicht, die Gcmeindcverfassung bewahrt es davor. Jeder Nüsse hat eine Heimath nnd einen Gcmcindeanthcil an Grund und Boden, und selbst wenn er persönlich ihn anfgicbt oder auf irgend eine Weise verliert, so bleibt seinen Kindern doch wieder das Recht, als Gcmcindcglieder selbstständig ihren Antheil in Anspruch ;u nehmen. Gs giebt in Nusiland keinen Pöbel, sondern nur Volk und das wird bleiben, wenn nicht etwa neue antinationale Einrichtungen einen besitzlosen Pöbel! schaffen, was hoffentlich jetzt nicht mehr zu fürchten. — Das ") MS dieser Zaar Iwan torrN»ili» einst, müde der Negierung, abdvo deutsch überseht sci» soll, u»d dessen mündlichen Hrlaulcrmigci,. ") Ihre ?l»sd»ucr. ihrc Gcwandhcit ist außtrordt»Mch. — Ms der ThrDNfvlgcr dcu Ur.il hmal'suhl, sprangen i»»ner 1<»l» uud mehr 15^ ' ächte Altrußland. — Alle Kosacken müssen dienen vom 18 ten bis 20. Jahre im Lande, vom 20sten bis zum 55sten außer Landes, so oft es verlangt wird. Die donischen Kosackcn dienen in der Regel unter 9 Jahren 3 Jahre außerhalb des Landes, die Baschkirenkosackcn nur 3 Jahre unter l2 Jahren, so auch die uralschcu Kosackcn. Nach dem allgemeinen Reglement sollen sie mm uach bestimmter Ncihefolge dienen, allein in der Wirklichkeit macht sich das anders. Die natürlichen Zustände und Entwickelungen des Lebens, dulden solche herbe Papicrordnun-gcn nicht immer. — Der an dem die Neihe ist, kann z. B. nicht ohne völlige Zerrüttung seiner sämmtlichen Lcbensverhält-nisse dienen, ist aber wohl reich, sein Nachbar ist dagegen arm, ist zu Hause nicht nothwendig :c., so tritt er freiwillig für den ersten ein, der dafür seine Familie ernährt, oder ihm eine Summe Geldes zahlt. Das Gouvernement mischt sich klüglich gar nicht ein, und die Verhältnisse bilden sich alle von selbst und natürlich, und ohne Drnck. Alle Befehle gehen daher an die ganze Gemeinde, nicht an die Einzelnen., Und dieß ist die Ursache, daß keine Landesrüstung sich an Raschheit und Vollständigkeit mit der dieser Kosackcn vergleichen kann! ES mögen ungefähr 24 — 25,000 männliche Seelen sein, von denen etwa 10—12,000 zu den Dienenden vom 18ten bis 55. Jahre gehören. 1837 waren von diesen letzten mir etwa 3300 unactiv zu Hause. Der Krieg verlangte eine augenblickliche Rüstuug, eS sollten 4 Regimenter jedes zu 550 Mann, also H der ganzen noch im Lande vorhandenen kräftigen Mannschaft gestellt werden. Sie waren binnen 3 Wochen völlig beritten, bewaffnet und ausgerüstet auf dnn Platze! — Von Gemeinde zu Gemeinde lief der Befehl, sich auf dem Markt in Uralsk zu sammeln, nun ritt der Woskawoi, der Stellvertreter und Adjutant des Hctmanns unter die versammelte Menge und Knaben vom 3N Fuß hohen Vcrgnfer des Flusses m denselbett herab, unweit wieder heraus, den Verg in ein Paar Sähen hinauf und dann wieder herab. Auch auf ungcsaüelten Pferden, dcueu dic Augen verbunden warcn, schien sic sich und stürzten mit ihnen in Carriere von dem Flußuftr in den Fluß, so daß si? mit ihnen Kopf ubn ü>S Nasser purzelten. Unglück geschah uichl! — «55 rief, dcu Befehl des Kaisers über seiner Mütze hochhaltend ihnen zu: „Mnmans! ihr seid gefordert, aufzusitzen, nnd 4 Regimenter zu stellen!" Dann nahm er seine Mütze ab, nnd las ihnen den Befehl vor und sagte ihncn, wohin sie gehen nnd wo sie sich sammeln sollten. Und damit war alles Handeln von Seiten der Behörde zn Ende! — Noch auf dem Markte bildet sich bei solchen Gelegenheiten der größere Theil dcr marschfertigen Mannschaft. Gewöhnlich traten sie in Familien zusammen. Heißt es: 7 Mann oder 5 Mann sollen einen stellen, so halten sich die nächsten Verwandten zusammen, wer unter ihnen am Besten abkommen kann, oder Lust hat, geht; die übrigen zahlen ihm, cquivircn ihn, sorgen für seine Familie; ist er ein Saufer, so wird ihm das Geld nicht mit, sondern seiner Familie gegeben :c. Dcr Preis steigt und fällt nach den Verhältnissen. Wird nur eine kleine Partie ausgehoben, so erhält jeder, dcr für den Andern dienen will, viel, denn cS steuern eine Menge zn, vielleicht stellen 8 oder 10 einen Mann, und da wird es jedem leicht, 1—200Nubel zu geben. Die für die Garde in Petersburg gcfordertcu, welches natürlich nur schöne große Leute sein können (die Annahme jedeS Andern wird verworfen) uud die vcrhältmßmäßig sehr beschwerlichen Dienst haben, erhalten zuweilen 5 — 6000 Nubcl. Am Caucasus dicuen etwa 3000 Mann. Anch der Dienst im Lande auf den verschiedenen Wachtposten wird stets durch Abmachung unter ihnen selbst vcrschen; die znnächst dem Posten wohnenden nnd lebenden übernehmen den Dienst, die 'andern zahlen zu 2 — 300 Nubcl an diese. In jenem Zeitpunkte war es nun so weit gekommen, das; unter 3 Mann 2 marschircn sollten; der 3te mußte also die beiden andern stellen, also nur die aller-rcichstcn und zu Hause nothwendigsten konnten daheim bleiben und mußtcu einen bedeutenden Theil des Vermögens für die übrigen opfern! Es geht hiebei so zu, dcr Eine sagt: ich gebe 200 Nubel um nicht zu gehen, der Andere sagt ich gebe 300, der Dritte 350. Null bietcu sie sich auf bis Giner sagt, ich kann so viel nicht gcbcn, ich will gehen, dcr erhält nun von den Andern, was sie geboten, um frei zu sein. Damals mußten wie gesagt 3 Mann zwei stellen. Der 156 Preis schwankte zwischen W0 und 2000 Rubel, worin sich die beiden Marschircndcn theilten. Es brachten also damals 1100 reiche Kosackcn in ein Paar Tagen nicht weniger als 1^ Million Rubel alls! Welcher Reichthum bei einem in Sitten so einfachen Volke! — Den vierten Tag nach Ablcsnng des Befehls, war alles Volk wieder auf dem Markte von Uralsk versammelt. Jedes der 4 Regimenter hatte seine Stelle, dort waren die Officicre. Nun traten die Parteien heran, der welcher zu Hause blieb, stellte die beiden andern und nannte den Preis wofür sie einig geworden, sie geben sich die Hände, der Ofsicicr legt seine Hand daranf und der Vertrag ist geschlossen und gültig. Nun ging Alles nach Hause und in 14 Tagen waren die Regimenter völlig schlagfertig znsammen! Diese Vereinigungen kommen immer zu Slandc, denn kämen sie es nicht, so würde nach 14 Tagen das Gouvernement einschreiten und ohne weiteres jeden fassen, der eben vorhanden ist. — Und was für eiuc Truppe ist dieß! Jeder ist mit Lust uud Freude gegangen, denn es ist eigener Entschluß, und er wird bezahlt. Seine» Familie ist versorgt, er ist gnt bewaffnet nnd eqnipirt, und dem Gouvernement kostet eö keinen Heller! Man könnte sich, wie es scheint, kanm einen größeren Staatssehlcr denken, als wenn das Gouvernement hierbei nur im geringsten etwas ändern wollte! und doch haben, sagt man, einige auS Pedanterie uud Liebe zum Formalismus, diese scharfsinnige Idee gefaßt: „man könne ja auf den Arm dieser Kosacken, die Dienstabzeichcn (^lwl'lunk) für so und so viele Dienstjahre ?e. nicht anbringen!" — Die ganze Verfassung der Dörfer (Stanizi) ist durchaus militairifch. Au der Spitze eincS jeden größcrn DorftS steht ein Offkier, nnd eines jcden kleinen DorsS ein Untcrofficier, beide von der Krone ernannt, die die Polizei anstecht erhalten, die Gemeindcangclegenheitcn leiten :c. In jedem Dorfe ist eine vollständige militairischc Wache von 16—20 Mann. Zwischen den Dörfern sind alle 3 — 4 Wcrstc Wachtposten von 3 Mann. Auf einem hohen Gestell steht dort immer einer znr Wacht, während die beiden andern unten sind, essen, schlafen :c. Der Kosack erscheint stets und überall bis in die Zähne bewaffnet, nie ohne seine Flinte! — Das ganze Land ist eine Volks-, eine lg? wirlhschaftlichc, cine militairischc und politische Einheit, dcsscn Ccntralpunkt der Flecken Uralsk ist. Früher regierte hier der Attamann und sein Woskawoi (Adjutant) den ganzen Kosackcn-staat, jctzt ist ihm ein Collegium von 4 Räthen zugeordnet. Früher warm nur Eingcbornc Mamanns bis auf die beiden lchtcrn; der jetzige (Kajesnikoff) soll ein ausgezeichneter Mann sein. Die einzelnen Dörfer (Etanizen) haben keinen besondern Gcmeindchaushalt, aber die ganze Kosackengemcwdc hat einen solchen, dessen Einnahmen besonders aus den Fischfangs-Erlaub-nißschcincn, die diejenigen erkaufen, welche nicht das Recht zum Fischfang habcn (die Nichtdiencndcn), bestehen, oft 100,000 Rubel einbringen, dann ans der Salzabgabc. Das Salz zmn Haushalt haben die Kosackcn frei. Allein das zum Einsalzen der zu verkaufenden Fische ist besteuert. Das Salz kommt meist aus dem Ecc Inder. — Die Aufgaben sind für den Attamann und die Behörden, ich glaube auch für den Sold der Officiere, dic außer Landes im Kriege sind, cin Fahndrich 240 Nnbel banco. Der gcmcinc Kosack erhält im Lande und 100 Werst weit vom Ural nichts, aber weiterhin erhalt cr Sold und Nation von der Krone. — Die Wirthschaftsverhältnissc dieser Kosackcn sind höchst merkwürdig. Die Grundlage allcs Bcsitzrcchtes ist nun eben dic russische Familie, ihre Erweiterung, die Gemeinde und deren Gcsammtbcsih, so wie es oben näher ausgeführt. Es giebt hicr demnach kcincn Privatbesitz des Grund und VodcnS, sondern auf einer Strecke von 7—800 Wcrst ist unter 50,000 Menschen allcs Gemeingut! — Interessant ist in dieser Vczie-hung nun vorzugsweise die Henerndtc. Nicht blos die Einzelnen habcn keinen privativcn Vcsih, nicht einmal die Dörfer habcn ihre zugetheilte Wicscn, sondern diese sind im Gcsammt-bcsih der ganzen grosicn Kosackcngcmcinde von jeher gewesen und geblieben. Dic Hcnwcrbnng steht unter der Aufsicht des Hctmanns und seiner Gchülfcu der Woskawoi und der Eta-nizcn-Officicre. Der Hctmann bestimmt den Tag, wo die Hcuwcrbung beginnen soll, meist dcn 1. Juni. An allen Plätzen, wo bedeutende Wicsensiächen sind, ist alsdann ein Officicr als Aufseher aufgestellt. Jeder dienende (nur solche sind berechtigt) Kosack geht mm wohin er will, und sucht sich den Platz aus, vm er mähen will nud dessen Gras er sich anzueignen gedcnft. Alle sind schon die Nacht vorher auf ihrem Fleck. Mit Sonnenaufgang giebt der Officicr das Zeichen, und nun beginnt jeder sich sein Stück herauszumähen; aber er mähet an diesem Tage blos einen Kreis um sciu Stück (Obkalschivat, Ummähcn). Was innerhalb dieses Kreises liegt, wird durch das Ummähcn sein Eigenthum, er kann es dann mit Bequemlichkeit die folgenden Tage mähen und sich von seiner Familie helfen lassen. Es gehört viel Berechnung und Schlauheit dazu, daS richtige Maaß zu fiuden. Greift er mit dem Mähen zu weit auS, so kommen ihm seine Nachbaren in sein noch offenes Gehege. Allcs kommt demnach darauf an, eine möglichst weite Flache zu ummahen und den Schluß des Ringes zu finden! Er arbeitet mit der unglaublichsten Anstrengung, kaum einm Schluck Wasser trinkt er, denn mit Eonnenuiitcrgaug ist Schluß und jeder muß seinen Authcil durch das Ummahen in Besitz genommen haben! Der dienende Kosack darf allein hier mähen, Niemand der Scinigcn ihm helfen. Vor dem 1. Juni darf Niemand auch nur das geringste Plätzchen Gras mähen und zu Hause bringen, man darf nicht einmal eine Sense am Scn-scnstil aufgesetzt bei ihm finden, sonst ist er für das Jahr seines Antheils an der Hcuwcrbung verlustig. Auch der Fischfang ist genau rcgulirt, er ist auf bestimmte Zeiten festgesetzt, im Winter, im Frühjahr, im Herbste. Wer vorher es wagte einen Fisch zu fangen, ist ebenfalls für das Jahr seines Antheils verlustig. Selbst wenn der Kosack einen Stöhr vom Wasser ausgeworfen findet, würde er ihn ganz vorsichtig wieder ins Wasser werfen lind nicht nach Hause bringen! — Im Winter wird nun ebenfalls vom Hctmann ein Tag des Beginnens des Fischfanges angesetzt und an einer Stelle, etwa 8 Werst von Uralsk, der Anfang gemacht. Dort sammeln sich bereits die Nacht vorans alle dienenden Kosacken, jeder mit einem Stccheisen an einer langen Stange, einem Eisbrecher und einem Haken, um beim Herausziehen der Fische nachzuhelfen, bewehrt. Jeder hat Pferd und Wagen von einem sei- !59 ner Familienglieder geführt, hinler sich, diese dürfen aber beiill eigentlichen Fischfang sclbst durchaus nicht helfen. Alle sind am Ufer dicht gedrängt und gcrcihct aufgestellt, jeder hat sich seine Stelle ausgesucht und wartet auf das Zeichen. Niemand darf vorher das Eis betreten, er verlöre für den Tag das Recht des Fischfanges, nur der für das Jahr zum Attamann für den Fischfang Gewählte spaziert gravitätisch auf dem Eise umher. Eine Kanone steht am Ufer, der Atlamann giebt dem Kanonier ein vorher verabredetes Zeichen und dieser feuert ab! — In diesem Momente springt Alles im Nu auf das Eis, sucht sich eine Stelle, stößt mit dem Eisbrecher ein Loch hinein und mit seiner Stange nach. Der Fluß ist so reich an Fischen, daß an den geeigneten Stellen, und natürlich werben diese ausgesucht, jeder Stoß auf einen Fisch trifft. Die stachen Stellen, wo weniger Fische sind, bleiben für die Nachzügler. — Die Familie des Kosacken ist am User, trägt fort, hilft so viel sie vermag am Ufer, aber nnr der dienende Kosack darf aufs Eis, und nur er darf die obigen Instrumente führen. Das rege Leben auf dem Eise ist nngcmcin interessant, jeder ist für sich und unendlich beschäftigt, keiner hilft dem Andern, wiewohl jeder 100 Mal schreiet: „ach Brüder, Kinder, helft mir doch, ich kann nicht mehr!" Es hilft ihm natürlich Niemand. Er sclbst ist aber auch fest entschlossen Niemandem zu helfen, und wäre cS sclbst der Kreuz-Bruder. Das Eis bricht, der Mann steht und balaneirt auf den Schollen, ja oft bricht er durch, steht halb im Wasscr, oder schwimmt mit seiner Beute ans Ufer. Dort war einer einen Augenblick vom Eise gegangen, er gab seinem Nachbarn die Stange, der stößt auch beide Stangen herab, an beiden ist cm Fisch aufgespießt, er zieht sie herauf, allein sie beide zugleich aus dem Wasscr bringen, ist unmöglich; er faßt jetzt die eine Stange mit den Zahnen, zieht mit beiden Händen den einen Fisch herauf; allein die Scholle ist nun schon unsicher, er bindet sich den Gürtel ab nnd damit den gefangenen Fisch ans Bein; mm holt er den andern Fisch auch herauf. Aber jetzt bricht die Scholle völlig, da wirft er die Stange ans Land, faßt den letzten Fisch unter dem Arm und schwimmt so, den zweiten Fisch am Bein festgebunden, l«0 glücklich ans Land. — ?lm Vandc warten nun schon stets die Moskowischeu Kaufleute, nnd dcr lebendigste Handel beginnt. In dcr Regel wird gleich dort an Ort und Stelle Alles verkauft. — Der Slöhr gilt nach dcr Größe; cm großer Fisch bis 400 Rubel. So viel muß ein Kosack anch ungefähr baares Geld im Jahre dort verdienen, nm eristircn zu können. Nach dem Ansänge wird jeden Tag, 3 Wochen hindurch, eine neue Stelle den Fluß hcrabwärts, 4 — 500 Werst weit, befischt, unter derselben Aufsicht und Ordnung. — Die Fischerei im Frühjahre geschieht mit 5 — ? Arschin langen Böten (Nu> äoilill) sehr zierlich aus einem Baume gehöhlt, zuweilen mit allerhand Schuitzwcrt geziert und mit Eisen beschlagen. Anch hier steht Alles schon lange vorher am Ufer gedrängt, in guter Ordnung, dcr Kosack unmittelbar am Fluß, die Hand an seinem Kahn, an dessen anderem Ende ein gemietheter Kirgise steht. — Dcr Eignalschusi fällt, nnd im Nu ist dcr Kahn im Wasser »nd der Kosack und fein Kirgise sitzen darin! — Veim Herbstsischfang vereinigen sich stets 2 Kosacken mit 2 Böten; man sicht dann auf dem Flusse 'oft 5 bis 000 Kahne anf einer Stelle. Zwischen den beiden Boten sind 2 Netze, ein großmaschiges, dessen Maschen mehr als eine halbe Ärschinc im Quadrat haben und ein feinmaschiges dahinter. Kommt mm dcr Stöhr in das erstere, so verwickelt er sich zwischen beiden, und sitzt fest. — Dcr Fischfang im Frühjahre und im Herbste dauert jedes Mal 6 Wochen. Früher war die Versammlung aller Fischer auf dem Marktplätze zu Uralsk. Jeder saß auf seinem Schlitten und so wie dcr Signalschuß siel, jagte Alles im buntesten Gewimmel nach dem FInfsc; dcr Spektakel war aber zu toll, auch gcschah manches Unglück, was jetzt fast nie vorkommt. Im Herbst ist dann auch die Fischerei anf dem Kaspischcu Meere, so weit die Kosackenküste reicht. Sie wird mit großen Zngnctzcn beirieben und ist ganz für Jedermann frei; doch darf der Ausfluß des Urals bis auf eine gewisse Strecke ins Meer hinein, nicht befahren werden. — Hier siudcn sich auch meist nnr kleine Fische, keine Knorpelfische. Der Fischreichthum dcS Kaspischen MecrcS soll bemerkbar abnehmen, das Wasser enthält zu viel Bittersalz ?c. l6! Die Fische werden dort gleich gesalzen, der Caviar bereitet. Für ihre Bedürfnisse haben die Kosacken das Sal; frei, allein daö zum Bereiten der zu verkaufenden Fische nöthige, ist, wie gesagt, einer Abgabe unterworfen. Nach der Einnahme dieser Abgabe kann man den Werth des Umsatzes des gcsammten Fischfanges anf etwa 2 Millionen Rubel jährlich berechnen. Vom frischen Caviar wird stets eine Pvrtion durch einen Ko-sackenofsicier per Post nach Petersburg an den Kaiser geschickt: Der Xarskk.ltu» (Zaarcnbisscn). Ich möchte nochmals wiederholen, daß man nicht vorsichtig genng sein sollte, in dieser ganzen Verfassung sowohl den mi-litairischcu Theil derselben, als den der materiellen Lebensver-haltnissc dieses Volkes etwas abandern zn wollen. Wollte man regelmäßige Rcihefolge des Militairdicnstcs erzwingen, wollte man das Kaufen der Stellvertretung, das Ausgleichen :c. verbieten, man würde die größte Härte begehen, und die natürlichen Lebensvcrhältnisse des Volks völlig zerstören. Wollte man eine andere Civiladministration einführen, die Hcuschläge ein für alle Mal entweder an die Gemeinden, oder gar unter die Einzelnen vertheilen, den Fischfang pedantisch organisiren, man würde den trefflichen Gcmcingcist, ja eine im Ganzen unvergleichliche politische Institution ganzlich zerstören! Man würde Beamte haben und besolden müssen, den Mißbräuchcu, der Viclregicrcrei, den Bestechungen Thür und Thore öffnen, während jetzt nur eine leichte Leitung nöthig, völlig kostenlos, ohne Verwicklung! — Und doch leistet kein Volksstamm seiner Regierung so viel, als dieser Stamm und das Land der Uralschen Kosackcn! — Darum möchte ich hier am Schluß einen bekannten Spruch auf sie anwenden: 3int ut sunt gut non 5unU in. 1t V. Ueber den weltgeschichtlichen Beruf Rußlands und seine ethischen, physischen und politischen Kräfte und Richtungen. Providentielle Bestimmung der großen welthistorischen Volkcr. Rom. Die mittelalterlichen Staate». Die >i großen Mlkcrfamilicn Europa«, die germanische, romanische, slavische. Die verschiedene», slavischen Völkerschaften. Die C;echcu und ihre Bedeutung. Die Polen und ihre Mission und ihre Zukunft. Die Russen. Rußlands Mission zwischen Europa und Asien. Vergleichung mit Rom. Vlick auf das jetzige abendländische Europa uud wie es geworden. Das Christenthum und die germanisch-romanische Auffajsliug desselben, das Feudalprmclp, Pabstthum und Kcnscrlhum, Ällmalige Auflösung des Princips uud Umwandlung in tie Idee des absoluten Staats in ^ Richtungen ausgehend, Staat des monarchischen Despotismus, absoluter Vcamtcnstaat, Staat der Volkssouvcrainctät. Was wird die Zukunft Europas sein? — Rußland, der großrussische Stamm, Einheit und Zahl Der Patriarchale Staat. Verglcichung mit Rom, mit den Fcudalstaaten. Stellung von Christenthum und Kirche in Rußland. RusNands politische Entwicklung, seine Eroberung, seme politische Stellung nach Asien uud nach Europa. Rußland und England! — Rcsum«;, Wenn es auch dem menschlichen Geiste nicht vergönnt ist, die Wege dcr Vorsehung, die Bahn der Geschichte, mit Klarheit zu erkennen, oder gar mit mathematischer Gewißheit zu bestimmen, wie etwa dcr Astronom aus dcr schon beobachteten Bahn eines Himmelskörpers den ganzen Kreislauf desselben berechnet, so drängt ihn doch ein tiefer dunkler Trieb zu stets wiederholten Versuchen die Räthsel der Geschichte und der Zukunft zu lösen, und es scheint auch wirklich, daß wir nach Analogie und Wahrscheinlichkeit, wenn anch nur im Großen und Allgemeinen die Richtung zu berechnen und zu bestimmen vermöchten, welche ein Volk, dessen Vergangenheit und Geschichte 163 wir gründlich erforscht, und dessen Wesen und Eigenthümlichkeit wir mit Liebe aufgefaßt und erkannt, auch in der nächsten Zukunft einhalten wird. Die großen welthistorischen Völker haben offenbar jedes für sich seine besondere Mission erhalten und zum Theil schon vollführt, um die Aus- und Fortbildung des menschlichen Geschlechts zu fördern, um die Lehrerinnen anderer Völker und der Folgezeit zu werden. Jedes der Hauptvölkcr ist in dieser Beziehung meist der hervorragende Träger einer großen Idee, und der aus derselben sich entwickelnden Gcdankenreihcn. — Waren nicht die Juden die Träger der erhabenen Ideen von der Einheit Gottes und der Einheit des Menschengeschlechts, ohne welche eine wahre Fortbildung des menschlichen Geschlechts undenkbar erscheint? Stellten die großen asiatischen Monarchien nicht die Ideen vom Königthum, von der Unterordnung und dem Gehorsam practisch zuerst dar, ohne welche die Verwirklichung des menschlichen Staats unmöglich? Waren sie nicht bcrufcu, die Schranken zwischen den kleinen Völkerschaften, bei deren Isolirnng das Menschengeschlecht nothwendig, wie wir es noch jetzt bei den wilden Völkerschaften sehen, zur Thicrhcit herabsinkcn mußte, niederzureißen? — So waren die Griechen bernfen, die Trager der höchsten Blüthe der sich rein aus sich selbst entwickelnden menschlichen Cultur zu werden, bei ihnen entwickelte sich auch jene Idee und Gcdankenreihc von der republikanischen Freiheit in geordneten Municipalverfassungen. — Die Verhältnisse von Schifffahrt und Handel, die Ideen vom Verkehr unter den Völkern der Erde und dessen Repräsentation im Gelde, fanden sie nicht die erste mächtige geordnete Grundlage bei den Phöniziern und Carthagincnscrn? Was wäre die Welt ohne Rom? — Die Ideen, welche jeder Republik, welche dem ganzen Umfange deS Staats- und Privatrcchts, welche jedem geordneten socialen Zustande scheinen zum Grunde liegen zu müssen, erscheinen sie nicht zuerst verkörpert und practisch ausgebildet und dargestellt im römischen Weltreiche? — Und als das Hcidenlhum untergegangen und verfault, die ganze heidnische Cultur ein übcrtünchtes Grab geworden, war es nicht daS römische Reich in seiner Ausdehnung 11" 164 über die damals civilisirte Wcll, welches durch seine gleichmäßig geordneten socialen Zustände, durch seine Staatscinrichtungcn es wohl allein möglich machte, daß das alle Humanität znerst wahrhaft ms Leben rufende Christenthum sich nicht blos verbreiten, sondern zu cincr geschlossenen kirchlichen Einheit und Verfassung kommen konnte? — Verkümmerte es nicht überall, wohin es sich damals verbreitete, in Pcrsien, Indien:c., weil es jene günstigen staatlichen Einrichtungen nicht traf? Die sämmtlichen christlichen Ttaaten der modernen Zeit bilden eben durch das Christeulhmn und seine Cultur, dem sie ihre Bildung verdanken, ein großes Ganzes, es sind Bruder staatcn mit tausendfachen gegenseitigen Verbindungen und Beziehungen mit uud zu einander, aber insgesammt mit der allgemeinen göttlichen welthistorischen Mission, das Christenthum und seine Cnltur, als die Erlösung nnd Vollendung des Menschengeschlechts in dem Innern eines jeden Bandes wie über die ganze Erde zn verbreiten. Aber jedes Volk, jeder Staat hat in dieser Beziehung, wenn Wir dieß auch nicht genau und im Einzelnen erkennen können, seine eigne individuelle Aufgabe erhalten, deren Ausführung und Lösung ihm vom Weltgcistc aufgetragen ist. Mancher Etaat scheint auch wohl seine Aufgabe bereits gelöst zu habcu, uud ist dann in sich versunken oder in einen andern aufgegangen. Vielleicht gehört Portugal, daS im l5. und 1n diue mit der ihrigen. Sie rühmten sich ihrer Abstammung von den Grcco-Trojanern, ja sie rühmten sich durch Aencas selbst von den griechischen Göttergeschlechtern abzustammen, sie schieden sich endlich mit den Griechen von allen übrigen Völkern, den Barbaren, auS. — Die Religiosität der Nömcr erhielt sich, so lange die alten strengen Sitten aufrecht erhalten blieben, Aber als Nom im Zenith seiner Macht stand, alö die Welt erobert war, hatte mau nichts mehr von den Göttern zu begehren. — Damals bei der Zunahme der verweichlichenden Cnltur, der Philosophie, der zunehmenden Sittenlosigkcit erbleichten all-malig die alten Göttcrgestalten! Da kam die Personificirung der Wclt-Noma, des Impcram» W (^»rjstn Mr, e» «lommu NumlM« ponlilici «t Lnncl»« ocrlegwo romllnn« «ul'^^lin no li> ,I«>»ltnm «t Nöem revorenler uxkibel«? — Vulo! 184 geistlichen Scitc der Kirche cinc hierarchische Gliederung von oben herab, so daß jeder seine Ancwrität von dem unmittelbar über ihn stehenden, empfange, so müßte es auch in der weltlichen Scitc der christlichen Kirche sein. Vom Kaiser, als dem Oberhaupte der Christenheit, gehe alle weltliche Aucto-ritat ans. 5) Allein die Menschheit wie die einzelnen Menschen sind nicht fatalistisch oder dnrch Naturnothwendigkcit gebunden diese doppelte Auctorität anzuerkennen, sondern sie sollen dieß aus freiem Willen thun. Durch Erkenntniß des Christenthum, durch Eintreten in die christliche Gemeinschaft wird dieser Wille gelenkt, der freiwillige Gehorsam geweckt; man gehorcht als Christ, um Golteswillcn! Ter Gehorsam ist eine moralische Pflicht, kein Zwang. Diese freiwillige Gebundenheit ist aber nur dic erste Grundlage des Verhältnisses, bin ich mal eingetreten in die Kirche, habe ich mal die Obrigkeit anerkannt, trete ich in die Gemeinschaft der Kirche nnd der socialen weltlichen Verhältnisse, so erwerbe ich anch ein Recht ans die Güter der Kirche wie der Welt, und ans dcv Schirm und Schuh von Beiden. Dann besteht ein gegenseitiges Verhältniß, gleichsam ein Vertrag. Pflicht nnd Recht stehen sich einander gegenüber, und ich kann nicht willkührlich auslretcn nnd den Gehorsam versagen, sondern der Vertrag muß zuvor gelöset und ich entlassen sein. So lange dieß nicht geschehen, darf auch außcrc Gewalt von Seiten der Obrigkeit nicht zur Erfüllung der Pflicht mich zwingen. Nicht aber blos der nakte Mensch soll in diesem Verhältniß der freiwilligen Abhängigkeit stehen, sondern mit ihm auch alle Güter der Erde. Alles Eigemhum ist sonach stets nur ein Lehn Gottes dnrch die Hand der höchsten Obrigkeit, des Kaiserthnms, wie cinc Kette bis unten herab zu dem Geringsten im Reiche, verliehen. ') Dieß war allerdings mehr eine dogmatische Dccirin der italienisch-deutschen Kirckc und Elbulr, als baß sie practisch bedeutend auf dic Verhältnisse Europas cinssrwirkt hätte. In Frankreich, England, Spanien fand sie wenig Anerkennung, wohl abcr Zuweilen in Polen, Ungarn, Däncmark, Dic Päbste abcr spräche» fich häusig in diesem Sinne ans. !85 Abcr Pabst und Bischöfe, Kaiser, Könige und Fürsten sind keineswegs eine höhere Ordnung der Menschen, nicht eiwa unmittelbare Eöhne der Getier, wie das Heidenlhum glaubte, sondern Menschen, allen andern gleich. Jene Obrigkeiten, Pabste, Kaiser, Könige ic. sind jedoch nicht von den Menschen gesetzt und erfunden, sondern Gott hat ihnen ihr Amt als einen Dienst anf-erlegt, sie sind Diener Gottes nnd um Gottcswillen Diener der Menschen, und namentlich ihrer Untergebenen.^ 3t.'rvi »c^vu- Man kann jenen Wahlspmch auf dem Schilde des schwarzen Prinzen: iol» c!in! als das achte Symbolum des feudalen Mittclaltcrs bczcichucn. Es gab eine Icit im Mittclalter, wo es als ein Unglück, ja fast als eine Unchrc angesehen ward, frei und unabhängig zu sein uud freies Eigenthum zu besitzen! Jeder bccifcrte sich, sein freies Mode einem Höheren aufzutragen und als Lehn zurück zu cmpfangeu! Diese Auffassung des Christenthums war im früheren Mit-tclalter, im kirchlichen wie im socialen Leben schon fast allgemein zur Ausführung und Geltung gekommen, da entwickelte sich abcr auch allmalig der Kampf der beiden höchsten Auctoritätcn, des Pabstlhlims und des Kaiserthums unter einander und führte in seiner wcitcrn Entwicklung den Eturz des ganzen feudal-christlichen Gebäudes herbei. Das alte antike römische Kaiscrthnm des OeeidentS war lange untergegangen, aus seinen Trümmen hatten sich germanische Königreiche gebildet. Aber es kam die Zeit, daß diese allmalig und somit der gröpere Theil des weströmischen Kaiscr-thums in der Hand eines Königs zusammenfielen. Damals ereignete sich dann das weltgeschichtliche (5rcigniß, dasi der Pabst, dic Wichtigkeit ja Nothwendigkeit des weltlichen Echuhcs für ") Mau muß dieß wohl im Auge behalte» < viele Obrigkeiten wurden gewählt, selbst Päbste und Kaiser, zuweilen unmittelbar vl'M Volle, allein das Amt, wl'^u sie qewählt winden, lau, mckt vom ^cikc l>rr, svudeln galt als voi» C>>c Millionen Großrussen haben eine Einheit der Sprache und des Dialects wie es sich bei keinem andern Volke findet, die Sprache und dcr Dialect der Vornehmen und Gebildeten sind dnrchauS dieselben mit denen des übrigen Volks, der Kaiser und der Muschicl (Bauer) sprechen dieselbe Sprache, ja haben sogar dieselben Nedcformcn. Die Sprache der Weißrussen und dcr ? Millionen Klein-russcn hat eine Dialcctsvcrschiedenhcit von der großrussischen, doch lange nicht so stark, wie etwa Harzbewohncr und Braun-schwcigcr. Die Sprache dcr Rmhcncn (Russincn) steht schon weiter vom Großrussischen, doch können sie sich mit den Kleinbussen recht gut verständigen. Neben dcr völligen Einheit dcr Sprache ist namentlich bei den Großrussnt eine merkwürdige Einheit und Gleichheit dcr Gewohnheiten, Sitten und Trachten bemerkbar. Während in dieser Beziehung die allergrößte Mannigfaltigkeit, oft bis auf einzelne Dörfer hinab, in Dcnjschlcmd herrscht, poetisch und malerisch, wie nirgendswo, sindct sich bci dcn Großrusscn die monotonste Einförmigkeit. Diese Monotonie ist nicht poetisch, aber sie erhöhet ungcmcm die politische Kraft! 198 Noch bei weitem wichtiger in Bezug auf diese politische Kraft ist die völlige Einheit der Religion und Kirche bei den Russen. Bei den Kleinrnsscn ist vollkommene Einheit, bei den Ruthenen gegenwärtig auch, bis auf den kleinen Rest, der der Verbindung mit Rom treu geblieben. Bei den Großrussen findet sich ein Schisma. Die Etarowcrze (Altgläubige) haben sich, nicht eines Dogma halber, in dem völlige Einigkeit herrscht, sondern wegen einiger abweichender Gebräuche und Ceremonien, von der herrschenden Kirche getrennt. Ungeachtet daö älteste russische Reich, das NurikSrcich, von Normanen (Warjagern) gestiftet worden, und diese wohl die ersten Grundlagen des Gcrmanenthums, das Gcfolgswescn, «nd somit die Principien des FendalwcscnS mitbrachten, so ! scheinen sie doch zu wenig zahlreich gewesen, als daß dieß letztere in das slavische Volk tief eindringen konnte. Es sind nur in der ältesten Ieit geringe Spuren zn bemerken, die bald verschwanden. — Dagegen bildete sich der Patriarchale Character aller VoltSinstitntioncn, der, wie in keinem andern europäischen Volksstamme, im slavischen und hier vor allem im russischen Volke liegt, auf daS allervollständigste auö. Sie stehen in dieser Beziehung den ältesten orientalischen Völkern am nächsten. Der ganze sociale Zustand, seine Verbindungen und Beherrschungen beruhen in ununtcrbrochncr Kette und Leiter von den tiefsten zn den höchsten Stufen auf der Patriarchaten Auctontät. Der Vater ist der unumschränkte Regent deS Hauses und der Kinder, die Familie kann nicht eristirm ohne einen Vater. Wäre der natürliche nicht mehr vorhanden, so tritt der älteste Sohn mit der vollen väterlichen Auctorität in dessen Stelle. Das Vermögen ist stets ein gemeinsames, alle männliche Familienglieder haben gleiche Rechte nnd Theile daran, allein nur dem Vater allein, oder dem, der an dessen Stelle getreten ist, steht die Verwaltung und Disposition darüber zu.^) Wirb die Fa- ') Die «„nmsckränlie Gewalt des Vater«, der unbedingte Gehorsam der Söhne, trägt sich gan; in-derselben Weise auch auf das singirte Verhältniß, wo der älteste Bruder in die Stelle des Vaters tritt, übcr. Dieß ist sogar nvch jcht n, den obersten Schichten sichtbar. «99 milie zu zahlreich, so theilen sie allerdings, aber die Theilung Wird stets als ein, vielleicht nothwendiges, Unglück augesehen, darum heißt sie „die schwarze Theilung", die Abgetheilten bil-deu dann wieder neue Familien mit denselben strengen, Patriarchaten Grundsätzen. — Der nächste Ring oberhalb der Familie ist die Gemeinde. Die rnssischc Gemeinde ist die fingirte, erweiterte Familie, unter ihrem gewählten Vater, dem Alten (dem Starosten).*) Der sämmtliche Grund und Boden, auf welchem die Familien-Gemeinde angesiedelt ist, gehört ungrthcilt der ganze» Gcmeiude. Kein Theil ist in Privateigcuthum übergegangen. Jeder hat nur eine Nutznießung. Iedcr männliche Kopf erhält einen gleichen Theil. Unter Leitung des Starosten werden so viele Theile abgemessen, als Köpft vorhanden, und Anfangs wohl jährlich, jetzt meist nach bestimmten Jahren, jedem sein Antheil zugetheilt. Sämmtliche Gemeinden bilden das Volk, ein Brudervolk mit ursprünglicher, vollkommener Gleichheit uud gleichen Rechten, ebenfalls unter dem Vater, unter dem Stammhaupt, dem Volkshaupt, dem Zaar. — Die Gewalt des Zaarcn ist unumschränkt, der Gehorsam unbedingt. Eine Einschränkung der Gewalt deS Iaars erscheint den ächten Russen als vollendeter Unsinn, „wer kann die Macht uud das Recht des Vaters einschränken?" sagt der Russe, er hat sie ja von Gott, nicht von unS, seinen Kindern, oder von sonst einem Menschen, und ist Gott einst Rechenschaft schuldig! DaS rührend klagende Sprichwort des Russen, wenn er sich vom Herrn oder Beamten gedrückt glaubt: Gott ist hoch und der Zaar ist Der älteste Bruder nennt seine Vrüder Du, sie ihn stets Sie. Der jüngere wird sich nicht setzen, ohne vom ältesten Bruder die Erlaubniß erbeten und erhalten zu haben ,c. *) Der Starost wird meist jedesmal auf 3 Jahre gewählt. Gr herrsch», und man gehorcht ihm unbedingt. Doch beräth er die wichtigeren Gemeindeangelegenheiten mit den „weißen Häuptern". In vielen Dorfern hcrrsckt nock jetzt die Sitte, daß der Starbst uach 3 Jahren vor versammelter Gemeinde sein Amt aufhiebt und bescklicßt, indem c« niederkniet, seinen Slab vor sich legt und dte Gemeinde um Verzeihung bittet, wenn er ihr irgend Unrecht gethan! 200 weit! drückt am besten die Idcntisicirung deS Urgrundes aller Macht, so wie dic Unterwerfung nnter dieselbe aus.^) Denselben Gehorsam übt der Nussc gegen dic Beamten als die Diener seines Zaars, und gegen den Herrn, wenn er etwa Leibeigen ist. Aber man vergesse nicht, daß dieser Gehorsam ein patriarchaler, durchaus kein sclavischcr ist! Die Sprache und Ncdcformcn haben sich dieser Gesin'mng und diesen Titten völlig angeschlossen. Der Nüsse nennt jeden der über ihn steht, den Vater, jeden alten Mann, den Elarostcn, den Leibherren, den Beamten: Batnschka! (Väterchen), selbst den Kaiser wird der gemeine Russe nie anders anreden als: Batuschfa! Ein alter leibeigner Vauer nennt seinen Lcibhcrrn, und wenn es ein Kind von 10 Jahren wäre: Vatuschka! — Jeden scineS Volks aber, der mit ihm ans gleichem Nivcan steht, spricht der Russe mit: Bruder, Brüderchen an. Nirgends sieht »nan die Gefahren, welche unsere moderne occidcntalische Cultur mit sich führt, so deutlich, als bei den Russen. Es giebt untcr den gebildeten Nüssen eine Zahl, die völlig durchgebildet die edelste europäische Cultur erworben haben, deren Geist, Hcrz und Character in hoher Harmonie und im Gleichgewicht stehen. Sie verfallen dem Urtheil nach dem Sprich- ") Das Wort: cS ist befohlen! hat einen maisch wirkenden Zauber bei dcü Russen. Wir haben in unserer Spraye dieses Wort auch, aber die sprachliche Vedeulung desselben ist aus unserm Volksleben verschwunden, der Folgesatz: also muß mau gehorchen! kommt nirgends zur Anwendmig, man gehorcl't nie, sondern man befolgt den Befehl, wenn man musi, man befolgt ihn nickt, wenn man auswcickcn kann. Schon in altern Zeiten halten die Bauern in Wcstphalcn eine ironische Erklärung des I.. 8. (I>oc« 5i<5>l!i), waS untcr den Gesetzen stand, sie behaupteten es bedeute: Lat schli» len, laß schleifen! — Für den Russen hat das: cS ist befohlen dieselbe Wirkung, wie der Wille der Seele auf die Glieder des Körpers. — Bei der Belagerung von Warschan fragte ein Rekrut einen ältern Soldaten: Du Bruder, was glaubst Du, werden wir dag feste Di»n emüchmen? — der antwortet: Ick qlaub'ö nicht, ich halt es sür unmöglich, cS ist ;u fest! — Ja, wenn es nun aber bei Zaar beföhle? — Ja, weun'S der Zaar befiehlt, das ist was anders, dann wird's genommen! 20» Worte: halbe Philosophie zieht von Gott ab, vollständige führt zu ihm. — Aber wo die Halbcultur dcn Nüssen berührt, Wird er sogleich durch und durch verdorben. Man sagt, wenn der Nüsse seinen Bart abschecrt und dcn Kaftan aus-, dcn europäischen Uebcrrock und Frack anzieht, so wird er ein Spitzbube! — Man nennt die Russen, wclchc dic gewöhnliche westeuropäische Bildung erlangt habm, übcrlecktc Barbaren, das ist ein ganz falscher Ausdruck, die Nüssen sind keine Barbaren, sondern ein frischer, naturkräftigcr, geistvoller Volksstamm von edler Race, religiös nnd von guten Sitten, aber so wic er von dem Gifte der modernen Cultur einen Tropfen erhalt, so verschwinden seine Nationaltugcndcn, Ncligiösitat nnd Sittcnkraft, Einfalt und Treue gchcn unter, und es bleibt nichts übrig als die Bestie, die in jedem Menschen steckt. Der Nussc wird aber dann schlechter als Leute, die daö Gift der Cultur leichter ertragen, weil es seit langer Zeit mit den vorhandenen Sitten schon verbunden, und in dieser Stellung befinden sich die Glieder der westeuropäischen Völker. Nationalgefühl und Vaterlandsliebe haben die Nüssen ml einem Maße, daß sie keinem andern Volke Europa's, selbst den Franzosen, Engländern, Spaniern nicht, die dcsscn sonst am meisten haben, weichen. Diese mächtigen Gefühle bekunden auch vorzugsweise, daß die Nüssen znr großen europäischen Völ-kcrfamilic gehören und scheiden sie von dcn orientalischen Völkern, die nur durch eine geistige Macht, Einheit der Neligion, zusammengehalten werden, während ihncn Vaterland nnd Nationalität, so wic die Begriffe von politischer und nationaler Freiheit, Ehre und Humanität fast unbekannt, nur ein leerer Schall sind. Die Nüssen haben in Vczug auf Vaterlandsgcfühl eine unverkennbare Achulichkeit mit dcn Nömcrn. Wie bei den Nömcrn ist es eine Art religiösen Gefühls. Für die heilige Roma opferte der alte Nömcr willig Gut und Blut, so auch dcr Nüsse für Nußland. Der Nussc pcrsonificirt sein Land, dcr Großrussc spricht von dcr heiligen Mutter Moskau, der Klciurusse von dcr heiligen Mutter Kieff. Iedcr Russe halt es für das größte Glück, wenigstens einmal in seinem 202^ Leben die Kuppeln Moskaus und dessen Kreml, wo sich die höchsten Hciliglhümcr des LandeS befinden, gesehen zn haben. Wenn cr hundert Meilen weit hergekommen, so wird er, sobald er znerst die Thurme und Kuppeln Moskaus erblick«, andächtig seine Mühe ziehen nnd sich vielfach mit dem Kreuze bezeichnen. Einheit der Religion, der Sprache, der Sitten, der Trachten befördern ungemcin die Energie dcS Vaterlands- und Nationalgefühls. Hiezu kommt die Lebensweise. Kein Volk wandert so viel im Innern seines Landes als die Rnssen; es giebt wenig Dörfer, wo nicht einige in Archangel, Odessa, Kieff, Kasan und Moskau gewesen! der Verkehr bringt jahrlich mehr als eine Million Russen auf die Landstraßen außer ihrem Gouvernement, nnd diese Gouvernements haben ja doch die Größe von Königreichen! l§s giebt Messen nnd Märkie in Nußland, wo sich Hun-dcrttansende versammeln! An den Wallfahrtsorten, wie z. V. Kloster Troitzke, findet man an den Gedächtnißtagcn der Heiligen oft 2 — 300,000 Menschen versammelt. — Daß ein solches Zusammenkommen, ein sich Kennenlernen, der Austausch der Gedanken nnd Gefühle dann ein schr compactcs Vater-landsgefühls erwecken nnd erhalten muß, liegt in der Natnr der Dinge. Der Russe ist nngcmcin gefällig und gastfrei. Dabei bringt das mächtige patriarchate Familiengefühl einen bewunderungswürdigen Organisirungstricb hervor. Zehn Russen können nicht zusammenkommen und sein zu einer gemeinsamen Arbeit, zn einer gemeinsamen Reise, ohne sich sogleich zn einer gegliederten Gesellschaft (Urteil) zn assocircn und zu organisiren, sie wählen ein Oberhanpt, einen Wirth, die für alle sorgen, denen man aber auch gern nnd völlig gehorcht. Der Russe ist von Natur nicht arbeitsam, namentlich scheuet cr die lang andauernden Arbeiten des Ackerbaues, aber er ist ungemein lebendig, beweglich und thätig. Der Korper deS Russen ist sehr wohlgcbauct, ja man findet ein Gbcnmaaß der Glieder wie bei wenigen Völkern. Verhältnißmäßig möchte der Bau der Beine nnd Füße schöner nnd kraftiger sein, wie der der Arme und Hände. Sein Körper ist fähig, die größten 203 Strapazen dcs WandernS, dcr Hihc und Kälte und des Climas zu ertragen. In Bezug anf Geist ist ein Gegensatz zwischen Grosirusscn und Kleinrussen erkennbar. Dcr Klcinrussc ist poetisch, nach^ denklich; der Großrusse hat einen scharfen Verstand, klares Nr-lhcil, ist ungemcin aufgeweckt und lustig, er weiß sich in Alles zu finden, weiß jede Arbeit auf den rechten Fleck anzugreifen, ist ungemein geschickt in der Handhabung mit den einfachsten Instrumenten, aber er ist leichtsinnig bei jeder Arbeit. Man sagt, er habe mehr Talent als Genie, cr erfinde nicht, habe aber ein großes Nachahmungstalcnt, cr habe viel practischen Verstand, sei aber ohne Anlage zur Speculation und Philosophie. Das letzte möchten wir nicht zugeben. Vei einem Volke, wo in den untersten Klassen, bei Bauern die kaum lesen nnd schreiben tonnen, eine philosophisch-thcosophische Doctrin sich selbstständig ausbilden kann und verstanden wird, wie bei jener unter den Banern verbreiteten Scctc dcr Duchaborzcn, können unmöglich die philosophischen Anlagen fehlen! Vorherrschend ist im moralischen Character der Russen die Pietät. So wie sie in allen Verhältnissen des äußern LcbcnS hervortritt, so auch in seinem innern Leben, in dcr Religion. Die Slaven erhielten schon früh das Christenthum von Constantinopcl aus, die Slaven-Apostel, die heiligen CvrilluS und Methodius brachten ihnen eine treffliche Ucbcrschung dcr heiligen Schrift und der Lithurgie in ihrer Sprache und führten die letztere mit Einwilligung dcr Päbste bei ihnen ein. Vei dcr spätern unglücklichen Trennung dcr beiden katholischen Kirchen wandten sich die Ostslavm dem Patriarchat Constantinopcl zu, während die Wcstslavcn Rom trcu blieben. Die letzteren wurden von Deutschland aus vollständig christianifirl und nahmen den lateinischen Cnltus an. Seitdem gehören circa 24 Millionen Slaven der occidcntalischen und über 60 Millionen dcr orientalischen Kirche an. Wir haben obcn die Auffassung des Christenthums von Seiten dcr abendländischen Völker als die vom romano-germa-nischcn Volkscharactcr durch dcn Feudalismus in allen inneren und äußeren, in allen Lebens, und StaatSformcn begründeten, 20^ bezeichnet. AndcrS hat der slavische Volkscharactcr das Christenthum aufgenommen und sich von seinem Geiste dnrchdringen lassen. Die Grundlage der germanischen Auffassung ist die im socialen wie im Staalslcbcn sich überall offenbarende freiwillige Abhängigkeit, in welche sich der Einzelne zu der von Gott constituirtcn oder auch nnr zugelassenen staatlichen Ordnung der Dinge stellt. Die Grundlage der slavischen Auffassung ist das von Gott in die Natnr des Menschen gelegte kindliche Gefühl des Gehorsams und der Abhängigkeit der Kinder vom Vater, der Einzelnen vom Stamm- und Gcmcindehauptc, des ganzen Volks vom Volkshaupte, vom Fürsten, Aller vom Vater im Himmel, der diese Familicnordnung eingesetzt. — DaS erstere ist allerdings das Erhabenere, Gdlerc, es sind die erworbenen Tugenden des freiwilligen Gehorsams, Dicnens und der Treue, welche in allen Verhältnissen des Lebens immer von Neuem geübt werden müssen, das andere beruht auf einem natürlichen, kräftigen, fast nöthigenden menschlichen Gefühle. Die christliche Tugend liegt hier nnr darin, daß ich daS religiöse Gefühl wecke nnd hebe, daß ich dadnrch das natürliche Gefühl ausdehne, daß ich in Gott den Vater nicht blos glaube und anerkenne, sondern vorzugsweise auch fühle, und so ferner in der von Gott gesetzten Obrigkeit, in der ganzen Leiter von oben nach nnten hinab. Den Glanben natürlich zuerst vorausgesetzt, erkennt die romano-germanische Anschammg in Gott zunächst den Herrn, dem man sich freiwillig unterworfen hat, dem man dient. — Bei der slavischen Anschauung, natürlich z auch hier den Glanbcn zuerst vorausgesetzt, ist Gott Vorzugs-j' weise als Vater gefühlt, man gehorcht und dient ihm, weil i dieß natürlich weil eS gar nicht anders sein kann. Bei den Germanen ist die religiöse Erkenntniß, bei den Slaven das religiöse Gefühl der Mittelpunkt des Christenthums. Daß dieses Drängen nach Erkenntniß eine gefährliche Richtung ist, lehrt schon der erste Sündcnfall, eS scheint, er führt jetzt das Abendland zum zweiten Sündcnfall, zur Eclbstvergöt-terung, zur Entchristlichnng! — Diesen Gcsahrcn ist die Masse der Slaven weniger ansgescht, das Gefühl ist unvertilgbarcr,; cs ist dem speculircndcn Naisonncmeut wciug zugänglich. ' 205 Diese Auffassung, diese Art der Durchdringung des Christenthums ist ganz dieselbe bei den römisch-katholischen wie bei den orientalisch-katholischen Slaven, so dasi man klar erkennt, sie ist aus der ticfstcu Tich des gcsammten Volkscharactcrs hcrvorgcwachscn und darin begründet. — Man braucht nur die Slavaken, die gemeinen Polen und Nüssen beten zu sehen, um Respect vor dieser Tiefe des religiösen Gefühls, dieser unbedingten Hingebung, dieser conccntrirtcn durch uichts zu zerstreuenden Andacht zu bekommen. Was wir hier von den Slaven im Allgemeinen gesagt, gilt ganz vorzugsweise von dem zahlreichsten, natürlich kräftigsten Slovcnstammc, dem russischen. — An den Rändern des Sla-venthmns, in Böhmen und Polen, ist allerdings mit europäischer, vorzüglich deutscher Cultur auch religiöse Iwcisclsucht eingedrungen. In Böhmen hatte sich sogar in den Hussitcn eine eigne protestantisircnde Secte gebildet, es mögen aber ihrer raschen Verbreitung auch wohl noch uralte unvertilgbare Traditionen von der Verdrängung des nationalen Cultus des heiligen Cyrillus und der damit verbundenen Communion unter beiden Gestalten zum Grunde gelegen haben! In Polen fand der Protestantismus bei einem Theile des europäisch-cultivirlen Adels Eingang. Nach Nußland sind Reste gnostischcr Anschauungen ans dem Orient eingedrungen und haben unter andern in einer Sccte, den Dnchaborzcn, eine wunderbare Ausbildung erlangt, wie wir an einem andern Orte nachgewiesen. Diese Seelen sind aber in Rußland wenig zahlreich. Die zahlreichen schismatischen von der russischen Kirche getrennten Etarowcrze kann man eigentlich nicht eine Eccte nennen. Ihr Dasein und ihr Wesen sprechen am klarsten jenen von uns bezeichneten Character der Anffassuug des Christenthums von Seilen des slavischen Volksstammes aus. — Man kann nach katholischer ^chrc ein ächter und braver Christ sein, wenn auch der Verstand, der Geist, die Vernunft entweder aus Mangel an Anlage (wie herab bis zu den Kretins) oder aus Mangel der Belehrung, gar nichts von den einzelnen Glau-bcusdogmm weiß oder aufgefaßt und verstanden 206 habcn.^) Die gläubige demüthige Unterordnung nnter Christus und seine Kirche, der Wille gehorsam zu sein bis in den Tod, die bethätigte Liebe gegen die Mitmenschen, bezeichnen nnd bezeugen allein den wahren Christen. Cin solches Christenthum besitzen die Starowcrzi, sie sind gläubig, demüthig, gehorsam, barmherzig. Von den Dogmen, von den Untcrscheidungslchren wissen sie so viel wie nichts, aber sie sind gehorsam, pünktlich und ängstlich in Befolgung der kleinsten Vorschriften der Kirche. Jede der kleinsten Ceremonien ist ihnen heilig nnd nnvcrletzlich. Nicht wegen irgend eines Dogma, wegen irgend einer abweichenden Lehre, haben sie sich von der herrschenden Kirche abgewendet, sondern lediglich wegen einiger uns Verstandesmenschen völlig unwesentlich erscheinenden Ceremonien nnd Gebräuche. Ob die Bezeichnung mit dem Kreuze mit dem Daumen und den 2 ersten oder den 3 letzten Fingern der Hand geschehen müsse . n. s. w. Und sie haben nach der slavischen Volksauffassnng / des Christenthums völlig recht.' Sie halten mit unbeugsamer ' Tcue an dem Altüberlieferten, sie halten keinen Menschen, selbst das gcsammte Pncsterthum nicht für berechtigt, auch nur das allcrmindcstc vom traditionell Vorhandenen abzuändern. Man darf sie durchaus keine Sectc nennen, sie sind keine Neuerer, vielmehr das Gegentheil, sie sind die eigentlichen Repräsentanten des ächt slavischen Altkatholicismus! Die Starowerzi zeigen uns auch die großen, wirklichen und tiefen Schwierigkeiten der Aussöhnung mit Rom. Nicht der Unterschied der Dogmen bildet die Scheidung der slavischen ") Die Kirche sagt: die Bezeichnung mit dem Kreuze unter den Worten: im Namen des Vaters, nnd des Sohnes und des heiligen Geistes, ist ein vollständiges katholisches Glaubensbekenntniß, alle spätcrn Auseinandersetzungen der Dogmen im niccischen Symbolum bis zum Tridcutino herab, sind der Kirche wider ihren Willen durch den Kampf mit den Ketzern abgedrungcn worden. Man ist früher, ehe ihr Anspruch erfolgte, Christ gewesen, und kann es also auch ohne sie sein. Die Ahnung, das Gefühl vo>, Gott und Christus, die gläubig« unbedingte Hingebung an Christus und Kirche, kurz her so oft verhöhnte Köhlerglaube ist völlig hinreichend, um als katholischer Christ anerkannt zu werden. 20? Kirche von dcr römischen, über dieselben wäre eine Verständigung nicht schwer, selbst über das wesentlichste, die Anerkennung dcs Pabstcs, wenn sich Nom, was es kann, mit dcr Anerkennung des Ontrum umlal>5 begnügt. Aber die Anerkennung der Ebenbürtigkeit des lateinischen Cultus, der Ceremonien, der Kirchenfeste, dcr Heiligen:c. bildet die eigentliche Schwierigkeit. Wenn es dcr russischen Kirche nicht gelingen will, die Staro-wcrzi zu sich herüber zu ziehen, wie wird es Rom gelingen können, die slavische Kirche sich wieder zu vereinigen? — Und doch wird es nach den uralten Weissagungen einst geschehen! — Der traurigste Ausgang für die lateinische Kirche wäre allerdings, wenn die romanischen und germanischen Völker so bodenlos tief in Anarchie uud Antichristcnthum versänken, daß das Pabstthum selbst zum slavischen Volksstamm hinüber zu flüchten gezwungen wäre, wo dann freilich dcr Traum dcr Panslavistcn wahr werden könnte, dasi die Slaven nach Untergang der Germanen, dcr Mittelpunkt dcr Cultur und dcr Weltgeschichte werden würden! Die russische Kirche ist eigentlich jetzt die orientalische. — Dcr Ausdruck griechische Kirche ist überhaupt und vorzüglich jetzt ganz unpassend. Constantinopel uud die Griechen sind lange nicht mehr der Mittelpunkt dcr orientalischen Kirche. — Mehr als 0t) Millionen Slaven sind ihr Hauptbestandtheil. Der Griechen gehören gcwisi nicht nbcr ti Millionen und dann vielleicht noch einige Millionen von andern VolkSstämmcn zur orientalischen Kirche. Die Griechen prägen der jetzigen orientalischen Kirche auch durchaus nicht einmal ihren Character mehr auf. Die altere griechische Kirche mit ihren ewigen theologischen Spitzfindigkeiten nnd Zänkereien, mit ihren unzähligen Scctcn, ist längst völlig versunken, die jetzige noch vorhandene ist halb crstorbcn, uud nur in dcn Klöstern herrscht noch hin und wieder theologische Gelehrsamkeit, aber ganz ohne Einwirkung aus das Volk. Was sich in Athen geistig regt, ist nicht/ frei von protestantischer Rückwirkung! Nnr aus alter Pietät und Tradition, weil von Constan-tmopel ihnen zuerst das Christenthum zugeführt ward, haben die Ostslavcn noch cme große Verehrung für das Patriarchat 208 m Constantinopol, einen irgend wesentlichen Einfluß hat dasselbe schon lange nicht mehr, weder auf die russischen noch die östreichischen Slaven. Die russische Kirche ist, wie gesagt, jetzt der Mittelpunkt der orientalischen Kirche. Nicht mehr Rom und Constantinopel stehen sich einander gegenüber, sondern der Felsen Eanct Peters in Rom und Petersburg an der Newa! In dem russischen Clems hat sich seit 20 — 30 Jahren eine bedeutende wissenschaftliche Regung gezeigt, und schon haben sich zwei Richtungen gebildet, die sich dereinst gewiß bekämpfen wctden. Die eine wirft sich mit großem Eifer auf das Studium der Patristik, natürlich besonders der griechischen, und diese Richtung ist gewiß höchst lobenswert!), sie führt zur Stärkung des katholischen Princips und auch wohl einst zur natürlichen Aussöhnung mit Rom. Die andere Richtung sucht ihr Heil im Studium der occidcntalischcn Theologie, aber nicht, oder wenigstens viel weniger, im Studium der scholastischen und demnächst der neueren katholischen Theologie, (sie wenden sich vielmehr mit Vlbneigung, ja blindem Haß von derselben ab) sondern vorzugsweise der neueren protestantischen Theologie, wo sie dann meist bei der Schnle Schlciermachcrs stehen bleiben. Daß dnrch diese Richtung das ganze alte katholische Dogmen-system zernagt wird, werden sie kaum wagen, sich selbst einzu-gestehcn! Doch fanden wir auch schon einige russische Geistliche, welche auf unsere Vorhaltung, daß doch im Grunde die römisch-katholischen und die russisch katholischen Dogmen dieselben seien, dieß gradczu in Abrede stellten, die Messe sei blos eine Lithurgie, die Lehre vom Abendmahl könne man als übereinstimmend mit der lutherischen Ansicht, selbst mit der rcformirten, die eine bloße geistige Gegenwart Christi statuirt, annehmen u. s. w. Ill den höhern Klassen der Gesellschaft sind ähnliche Ansichten eingedrungen, theils protestantische, dnrch deutsche Hofmeister, Hcirathcn:c., theils encyklopädische, frcigeistcrische, durch französische Gouverneurs und Gouvernanten. Sie steigern sich bei vielen bis zum Atheismus, allein alle behalten die äußere Ehrfurcht vor dem Cercnwniale des russischen Eultus bei, sie machen alle äußere Ceremonien mit, bezeichnen sich mit dem Kreuze u. s. w. Ihnen ist der Kirchcncultns ein Nationalcultus 209 geworden, vor dem sie eine angebornc Ehrfurcht und Zuneigung bchallcn, wenn sie auch keinen Glauben an scinc religiöse und mystische Vcdrutung behalten. Am Kerne dcS Volks, am gemeinen Russen, geht dieses Westeuropäische Miasma bis jetzt spurlos vorüber. Seinen energischen wiewohl dogmendürftigen Glauben erschüttert so leicht nichts! Das Volk der ausländisch gebildeten Vornehmen läßt es sich wohl als Herrcn gefallen, auf sein inneres, namentlich sein religiöses Leben hat es nicht den mindesten Einfluß. Aber auch der Clcrus hat nicht den Ginfluß und die Stellung in Nußland, die er in andern Landern hat. Der russische Clcrus ist der Träger des Cultns und der Spender der Eacramcntc und als solcher hoch verehrt, aber bis jetzt war er nicht der Lehrer des Volks. Was wir im Abendlandc Eeelsorgc nennen, übte er bis jetzt fast gar nicht. Und doch ist dieß ein unverkennbares Bedürfniß! — Ginc genaue Erklärung der Dogmen, eine Auseinandersetzung, Gegenüberstelluug, Vekämpfung irriger Ansichten und Irrlehren bedarf das russische Volk nicht, es hat keinen religiösen Wissensdrang, und es würde ein Unglück sein, wollte man die Unschuld seines Gemüths durch dergleichen beunruhigen. Die Predigt in diesem Sinne macht wenig Eindruck auf die Russen, deren religiöses Gefühl viel mehr erregt nnd erbaut wird von den feierlichen Ceremonien und dem erhabenen Mysterium der Messe! Aber Belehrung über gut und bös, recht und unrecht, kurz moralische Belehrung thut ihm Noth, und diesen, wahren Bedürfnisse entspricht der Clerus viel zu wenig. Wie geringen geistigen Einfluß der rnssischc Clcrus übt, sieht man auch daran, daß die Eecicn nirgends von Geistlichen und Priestern ausgegangen sind, bei der geistreichsten wunderbarsten aller russischen Eecten, bei den Duchaborzcn, finden sich niemals weder Priester, noch Adlige, noch Beamte! Bei der Trennung der Slarowcrzm haben zwar einige Priester Theil genommen, aber sie stehen bis jetzt nirgends an deren Spitze, haben nirgend die Leitung. 14 210 Wir haben oben die Stellung dcs Kaisers von Rußland in Bezug auf das russische Volk als die dcö Stammcshanvls, dcs VolWhaupts, des Vatcrs bezeichnet. Aber dcr Volkszaar der Russen ward auch als Großfürst von Moskau eingereihet unter die Könige Europas. Schon Ivan dcr Schreckliche verlangte jedoch Höhcrc als königliche Ehren. Peter der Große nahm für immer den Kaiserlitel an, dcr jetzt überall anerkannt ist. Allein dieß sollte nicht die Schaffung einer ncucn Würde sein. Das byzantinische oder oströnüsche Kaiscrthum war untergegangen, man wollte scine Wiederherstellung und Erneuerung andeuten! Wie einst daS alte Rom und das weströmische Kaiscr-thnm untergegangen, dann nach Jahrhunderten durch Karl den Großen wieder hergestellt, die Kronc auf den deutschen König iransfcrirt worden, so sollte nun auch, nachdem das oströmische Kaiserthnm gefallen, nach Jahrhunderten dasselbe ebenfalls wieder hergestellt, und dicsc Kaiserkrone anf dcn russischen König odcr Zaar transfcrirt worden sein. Wie der Schwerpunkt dcr abendländischen Kirche sich in den romano-germanischen Völkern fand, so neigte jetzt der Schwerpunkt der orientalischen Kirche sich entschieden dcn slavischen Volksstämmcn, nnd unter diesen insbesondere den Russen, zu. — Alle diese Ansprüche sind nicht direct aufgestellt, aber man hat sie angcdentct, man nahm dcn römischen Doppeladler als RcichSsicgcl an, man gerirtc sich als Schuhhcrr der ganzen orientalischen Kirche u. s. w. Nicmaud kann leugnen, daß sich alle Verhältnisse so gestellt haben, dasi das jchigc Kaisenhum Rußland wirklich das oströmischc Kaiscrthum wieder repräsemirt. In einem Puukte insbesondere gcrirt sich dcr russische Kaiser durchaus wie die altcn römischen Imperatoren, das ist im Verhältnisse zur Kirche. Er ist nicht blos Schuh- und Schirmherr derselben wie die mittelalterlichen römisch-deutschen Kaiser, sondern er ist das weltliche Haupt seiner Kirche, wie es die römischen Imperatoren, Wenn anch unter Widerstreben der Pabste, wirklich waren. — Nenn auch der jetzige Kaiscr sich nicht in rein kirchliche Dinge mischt, so ist doch scine Macht in seiner Kirche viel größer, als die eines deutschen Kaisers je gewesen. 2l1 Jeder Unbefangene muß cingestchcn, für dic äußere Macht wie für dic innere Organisation und Ruhe Rußlands ist dicsc weltliche Herrschaft über dic Kirche cin Glück gewesen. Nur ein selbstständigcS Pabstthum kann eine freie und großartige Entwicklung der Kirche begründen, fehlt das cc'lilrum,inil,lil,8, an welches sich jcdc geistige Vcwegnng rectificiren kann, so kann das bloße Patriarchat dieß nie ersetzen. Dasselbe muß nothwendig zur Erstarrung alles Lebens führen, wie wir dieß in den vier orientalischen Patriarchaten vor Augen haben. — Die Abschaffung deS Patriarchats in Nußland halten wir für das größte Glück, welches Nußland betroffen. Alle reellen Verbesserungen in der Organisation der Kirche, der Erziehung des Clcrus und des Volks sind lediglich vom weltlichen Ncgimente, von den Kaisern ausgegangen, und von diesen reellen Verbesserungen ist in den vier andern Patriarchaten der orientalischen Kirche nichts zu spüren. Wir wollen jetzt zu der Stellung übergehen, welche Rußland in der großen Staaten- und Völkerrcpublik Europa's einnimmt, und welches die natürliche Politik ist, die ihm diese Stellung allen andern Staaten gegenüber anweiset. In Bezug auf Entstehung und Wachsthum bietet Rußland einige Vergleichspunkte mit Rom dar. Wie Rom ist auch Rußland aus unscheinbarem, fast dunklem Anfange hervorgegangen, und sehr langsam, aber beständig, angewachsen und vorgeschritten, nur beginnt die mythische Geschichte Roms mit einem Paar Brüdern, die mit ihren Gesellen cin Städtchen bauen und ein kleines Königreich stiften, während die russische Geschichte von einem Volköstamme meldet, der bei sich die Ordnung nicht mehr aufrecht zu erhalten vermochte, ans Bedürfniß beherrscht zu werden, einen fremden Führer mit seinem Gefolge berief und sich ihm unterwarf. Bald vereinigten sich alle übrige verwandte Stammgenossen, nnd nach 120 Jahren war die Herrschaft bereits über eine große, wenn auch vcrhältuißmäftig schwach bevölkerte Ländcrstrccke ausgebreitet. Rußlaud nahm das Chn- 14» 2l2 stcnthnm an, und trat vom Ende des It). Jahrhunderts bereits in die großen europäischen christlichen Staatcnfamilicn ein. Allein Theilungen schwächten dic Kraft, so daß es bald dcm Anfalle der Moitgolcn nnd Tataren unterlag. Ueber 200 Jahre seufzte das russische Volk unter dein Joche dieser Völker, allein es zeugt von dcr unverwüstlichen Kraft dieses Volks, statt als Volk und Staat unterzugehen, sich zu zersplittern, sich aufzulösen, gelangte cs gerade im Unglück nnd unter dem Joche der Fremden zur gcfchlosscneu Einheit des Volks und deö Staats! — Die Macht des Bandes gewährte die Religion nnd Kirche, an welche das Volk mit aufopfernder Hingebung festhielt. Zum Glück verstanden die Tataren zwar zn erobern, aber nicht die Erobc^ rungen dauernd zn organisiren, Sie plünderten die Nüssen bloß aus, ließen ihnen aber ihre Sitten nnd Eigenthümlichkeiten, mischten sich nicht mit ihnen, weckten vielmehr durch erniedrigende Behandlung alle Energie dcö Volksgcistcs und verstärkten, indem sie, statt die Theilungen zu erhalten und zu begünstigen, vielmehr das Zusammenwachsen in cm Großfürsten-thum beförderten, die Einheit des Nalionalgefühls. — Nun wandte sich die Sache dergestalt, daß die Russen nicht bloS das Joch dcr Tataren abwarfen, sondern umgekehrt, sich nach nnd nach fast alle Tatarcnrcichc unterwarfen. — Gleich nach dcm Untergänge des oströmischen Reichs in C o n st a n t i n o p e l 1453, irat Rnsiland 1472 wieder als selbstständigcr, christlicher Staat in der europäischen Staatenfamilie ein. Von da an steigt Rußland beständig und ohuc Rückschritt, langsam und fast gleichmäßig, bis zu seiner gegenwärtigen Höhe, und scheint nunmehr den Gipfel seiner äußern, aber noch lange nicht den seiner innern Größe erreicht zu haben. Als die Römer den Gipfel ihrer Größe erreicht hatten, waren bereits ihre Sitten nnd Tugenden im Verfall, Lurus und Vcrwcichligung griffen um sich, Religiosität und Vaterlandsliebe erbleichten. Dennoch erhielten sich die Nömcr noch Jahrhunderte auf dcm Gipfel der Weltmacht. So möchte denn auch wohl Rußland Aussicht haben auf langem Bestand seiner großen Macht, um so mehr, als hier gerade umgekehrt wie bei den Nömcm zur Zeit des Augustus, 2l3 das eigentliche russische Volk noch alle Kennzeichen einer frischen, kräftigen, unverdorbenen Natur und einer blühenden Jugendlichkeit hat, nämlich tiefen Familiensinn, cm mächtiges Gc-meindcleben, Gastfreiheit, Freigebigkeit, barmherziges Gemüth, große Aufopferungsfähigkeit und Geduld, neben einer durch ran-hcs Klima und Entbehrungen aller Art erhö'hetcn Physischen Tüchtigkeit, welche alle Mühen und Strapazen mit Kraft uud Leichtigkeit erträgt, endlich ein unzerstörbarer, religiöser und doch fast kindlicher Glaube an Kirche und Staat in ihrer Einigung und Verschmelzung, eine glühende Vaterlandsliebe und ein unerschütterliches Bewußtsein eigner Größe und Kraft. Nußlands Eroberungen kann man in drei Kalhegorien und auch drei Perioden theilen. Zur ersten Kathcgorie gehören dic Eroberungen, die der Hauptstamm des Volks mit seinem Fürsten an der Spitze unternahm, um zur Einheit der Nation, der Herrschaft und des Staats zu gelangen. Diese Eroberungen fallen größtenthcils in die älteste Periode, wo zuerst die Großfürsten von Kieff, in einem spätern Zeitabschnitt die von MoS-kau, nach und nach alle Länder, die vom russischen Volksstamme bewohnt waren, zusammen brachten und die abgetheilten Für-stenthümcr wieder dem Hauptrciche incorporirten. Aber auch in neuerer Zeit sind nach dieser Tendenz hin bedeutende Landstriche erobert, oder wieder erobert worden, so die Ukraine, Weißrußland, Kicff, Klcinrußland und Theile von Nothrußland. Als die zweite Kathegorie von Eroberungen möchten wir solche bezeichnen, die auS einem innern, wenn auch dunklem Bedürfnisse des Volks hervorgegangen, welches die ihm auferlegte Mission der Weltgeschichte fühlt. Die erste Klasse dieser Kriege sind die Kriege und Eroberungen um die höchsten Interessen der Menschheit zur Geltung zn bringen. Die Kriege Karls des Großcn mit den Sachsen zur Anerkennung des Ehristtnthums, die Kreuzzügc, die Kriege des deutschen OrdcnS in Preußen :c. gehinx-n hierher. — Für Nußland gehören zu dieser Kathcgoric 2!4 die Eroberungen u>n die Meere und Seeufer zu gcwinnen. Sic erscheinen unumgänglich nöthig, um einc im Bedürfnisse des Volks liegende welthistorische Stellung und Enstenz zu erlangen. Rußland war früher ein ungeheures Binnenland, von alleu Meeren abgeschnitten und somit von der ganzen abendländischen Cultur. Für alle Civilisation aber sind die Meere dic leichtesten und bequemsten Brücken uud Wege, die Landwege sind zu schwierig und unbequem! Peter l. eroberte zuerst dauernd die User der Ostsee, er suchte sich dort einen Punkt aus, von dem aus er, wie eiu auderer Archimedes, das Mrnßland mit seiner Abgeschlossenheit, seiuen Vorurtheilen und seiner Engherzigkeit aus den Angcln hob, und es mit dem übrigen Europa im Nivean setzte. 'Die Eroberung der Küsten des schwarzeil Meeres und der Krimm war zugleich die Nemesis, welche das letzte Reich der Tataren traf, die so lange Rußland geknechtet hatten! Die Einnahme Sibiriens kann man kaum eine Eroberung ncnncil, es war die Besitzergreifung einer res millius! Die dortigen rohen, halb wilden Iägcrvölkcr haben nie staatliche Einheiten gebildet, sich nie als Eigenthümer des Landes angesehen! Rußland stört sie anch jetzt nirgends, bringt aber nach und nach Christenthum und Cultur in diese wüsten Landstriche. Die dritte Kathegorie bilden die Eroberungen um der Staatsintcrcsfcn halber. Man hat Polen getheilt und zum größern Theile erobert, weil ein selbstständiges, mächtiges Polen cin zu gefährlicher Nachbar war, cin ohnmächtiges Polen in fremder Hand stets einen Stützpunkt für eine Invasion in Rußland bot, wie man unter Napoleon schmerzlich crkauut. Man eroberte Finnland, um Sicherheit für Petersburg zu erhalten, uud im Iuteresse der Flotte, Herr des finnischen Meerbusens zu sein. Die nördlichsten Landstriche der Türkei bis an die Donaumündungen wurden erobert, damit Niemand anders sich dort festsetzen konnte, und um die Schlüssel der Pforte in Händen zu haben, wenn OsmanS alles morsches Gebäude einst zusammenstürzen möchte, und dann die Jagd um die >j')aut des Löwen und ihre Theilung beginnt. Die angebotene Krone OrusienS hat man angenommen, und Dagestan und Armenien 2l5 crobcrt, um Herr der Gebirge zu sein welche des eigentlichen Nußlands Gränzen schützen und zugleich, um von ihnen ans die Wege frei zu haben, nach Belieben Persien oder Kleinasien bedrohen zn können. Endlich hat man von Sibirien aus Landstriche in Amerika besetzt, um doch auch einen festen Fuß im Welttheilc der Zukuuft zu haben! Wenn wir die beiden ersten Kathegoricn von Eroberungen für gerechtfertigt in: Sinne der einmal vorhandenen Weltord-nnng anerkennen, so wollen wir doch keineswegs auch nur versuchen, diese dritte Kathegoric zu vertheidigen. Wir können nur allenfalls sagen: das Volk oder der Staat, welcher rein von der Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf Rußland! Die beiden ersten Arten der Eroberungen sind auch segensreich gewesen, sie haben Nußland unendlich gestärkt und groß gemacht. Mit Ausnahme der deutschen Ostsccvrovinzcn ist sogar dic zweite Kathegoric russisches Land geworden, der Jug der Kolonisation von innen heraus hat rasch dort eine vorhcrr-schcude russische Bevölkerung angesiedelt, die Landstriche um Petersburg, das ganze südliche, früher von Tataren bewohnte, oder doch durchwcidctc Südrußland ist iu seinem Hauplcharactcr cin russisches Land geworden. Anders steht es mit der dritten Kathegoric der Eroberungen. Hier zeigt sich cin wesentlicher Unterschied, cin Gegensatz zwischen dem alten Weltreich Nom uud dein russischen Neiche. — Nom verstand es, sich die Erobcruug.cn, oft in ganz kurzer Zeit, zu assimilircn. ES nahm die fremden Götter an und brachte die scinigcn ins eroberte Land, nnd invcntisicine beide, wodurch Einheit dcr Religion gestiftet ward. Römische Sprache und Sitten wurden in kurzer Icit einheimisch in den Provinzen; wodurch dieß gelang, ist noch bis jetzt cin historisches Näthscl. DaS römische Recht ward das generelle aller Länder. Aber allerdings stand Rom auf einer viel höheren Stufe dcr Cultur als seine Eroberungen, und in der Regel überwältigt die höhere Cultur stctS die niedrigere. Darum ward auch Griechenland nicht romanistrt, weil seine Cnltnr noch höher stand als dic römische, ja dieselbe übte sogar den größten Rückschlag 2l6 auf die römische. Nur dic römische Jurisprudenz siegte selbst in Griechenland, eben weil Rom darin überlegen war. AllcS dieß stclll sich anders bei Rußland! — Rußland kann seme Religion und Kirche nicht über seine Eroberungen ausbreiten, dazu sind bride zu national. Diese Staatskirche vermag ein völlig homogenes Volk kraftig auszubilden, aber ein fremdes mußte erst völlig entnalionalinrt und nissisicirt, kurz in jeder Vcziehnng zu Rnffen geworren sein, ehe dieß geschehen könnte. (Ein Beispiel zeigt es deutlich, ein Theil der Mordwinen hat russische Sprache und Sitte und dann auch die Religion angenommen,) — Nnsslschc Sprache und Sitte verbreitet sich in keinem von diesen eroberten Ländern, weder in Finnland, noch in den Ostseeprovinzen, noch in Polen, noch selbst in Grusicn, wo doch sogar dieselbe Religion und Kirche herrscht (aber freilich nicht slavonische, sondern grusinische Lithnrgic)! Rußlands Eroberungen sind grösitencheils Länder, die ihm an Cultur überlegen sind. Sie sind daher nicht Provinzen dcs russischen Reichs im römischen Sinne des Worts geworden, sondern bleiben stets fremdartige Ve'standtheile, es sind Nebenländer oder afsilirlc Länder. Stets wird demnach nur daS Land des russischen Volks und der russischen Kirche das wahre russische Reich sein! Diese speciell rnssischc Masse ist zu gewaltig, zu gleichförmig, als daß sie es ertragen könnte daß andere Nationalitäten mit einer eigenthümlichen staatlichen Ausbildung mit ihr in innigem, auf Gegenseitigkeit begrnndeiem Staatsvcrbande ständen, wie dieß bei Oestreich der Fall; wo aber keine Nationalität M vorherrschend mächtig ist. Mögen daher diese Eroberungen vielfache materielle Vortheile für daS russische Reich gewähren, homogene Theile des Reichs werden sie nie, die wahre Macht des Reichs verstärken sie nicht, umgekehrt in manchen Beziehungen sind sie nicht selten eine Last! Bei Polen, bei den kaukasischen Ländern, statt dasi sie die Militairmacht des Reichs vermehren sollten, bedarf cs eines russischen Heeres, um ihren Besitz zu sichern! Das römische Volk erscheint durch alle Zeiten hindurch als cm crobmmgssnchliges; im russischen Volke ist bicvon keine 21? Spur, umgekehrt, cs ist ein durchaus friedliches, industrwses Volk! ES ist nnithig, aber durchaus nicht kriegerisch. Der russische Soldat gehört wohl zu den besten Soldaten dcr Welt, aber er wird sehr nngern Soldat! Wir müssen nus auf das Entschiedenste dagegen anssprcchcn, daß Nußland, zn einer Weltherrschaft berufen, eine Wclttnonar-chie begründen könne. Zu einer Welterobcrnng hat es allerdings große, ja ungeheure Hülfsmittel und für den Moment die günstigsten Chancen, aber der Sieg würde znm unmittelbaren Untergänge führen! — In Bezug auf Asien hätte z. B. Rußland, wenn cs überall die klimatischen Verhältnisse richtig beachtet, nnr Terrain-Schwierigkeiten zn überwinden, die Völker selbst würden nirgends ernsthaft widerstehen. Einzelne Oasen in diesem Weltthcile, Wie das Tschcrkcsscnland, bedeuten für die Eroberung des Ganzen nichts. — Europa mm aber gegenüber, hat Rußland in Bezug ans Kriege eine nngemcin günstige geographische Lage. Es hat, nach Europa gewendet, die breiteste Operationsbasis, um unversehens (wenn erst die nöthigen Commmmationsmittel angelegt, die Eisenbahn von Petersburg nach Odessa vollendet ?c.) nach allen Seiten ansbrcchen zn können nud einen so unermeßlichen Hintergrund, daß jedes eindringende feindliche Heer verschlungen wcroen mnß. Die Eroberung des Ganzen ist daher ohne Zweifel ins Ncich dcr Chimären zn verweisen, aber anch die Eroberung des kleinsten Theils von Nußland könnte niemals gesichert werden. Wir wollen uuS nicht eben auf die Invasion Napoleons berufen, aber gegenwärtig weiß jeder, der Land und Volk kennt, daß er auch ohne den Winter verloren gewesen wäre! — Nußland besitzt für den Krieg unvergleichliche Hülfsmittel, das hinreichendste Material, Eisen nnd alle übrige Metalle, Wolle, Leder, Hanf, sslachs, Holz (auch für Flotten) :c. — Aber den lioi'vul, i-l'rmn ^l-cilllurmti, Geld? — Man glanbt, kein Staat Enropas könne gegenwärtig einen ernsthaften Krieg führeu, ohne dazn das Geld zn leihen. Nußland hat eben einen kurzen, aber sehr kostspieligen Krieg in Ungarn geführt, ohne eine Anleihe! — Wir glauben zwar nicht au unermeßliche Mctallschähe in den Gewölben von St. Pe- 2l8 terSburg, allein die Hülfsqncllen des russischen Reichs sind nicht zu ermessen, und für den Fall der Noch oder auch nur der Aufforderung von Seilen des Kaisers herrscht in diesem Volke eine Aufopferungsfähigkeit, die willig Gnt nnd Blut darbringt, — Was nun endlich die Armee betrifft, so hat jetzt kein Staat cine so zahlreiche. Seit den Zeiten Catharinas II. haben wir stets die Erscheinung gehabt, daß die Armeen, welche Rußland Anfangs über seine Grenzen schickte, verhältnißmäßig immer schwach an Zahl waren. Aber umgekehrt, wie bei anderen Staaten, je länger der Krieg danertc, desto zahlreicher an Mannschaft wurden die russischen Armeen. Bei dem Kampfe um die Eristcuz (1812) hatte Rußland den ungeheuren Armeen Napoleons kaum 209,000 Mann entgegen zu stellen, aber bei Beendigung des Kampfes (1815) standen cffcctiv ^00,000 Mann unter den Waffen auf fremdem Grund und Boden. Alles dieß hat sich in neuerer Zeit ganz geändert. Nußland besitzt wirklich gegenwärtig, nicht etwa auf dem Papier, cinc stets schlagfertige und vcrhältnisimäßig rasch zusammengezogene Armee von einer Stärke wie kcin anderer Staat. Als Nußland 1849, von Oestreich zur Hülfe aufgefordert, den Krieg gegen Ungarn beschloß, glaubte man in ganz Europa und alle Zcitungs-Organe sprachen es höhnisch aus, daß Rußland esse ctiv höchstens 50,000 Mann über Ungarns Grenze bringen würde. Allein es stellte 120,000 Mann in erster Linie nnd e>,). Nur die Antipathie» der Völker sind määi-tig und dauernd, niemals die Sympathicn! — Dcr PanslaviömuS ist hchler Lärm einer gelingen Zahl vcn Idtrk'gcil. ttcgäügclt von dr>, Ncvoliitn'närc». Die Sympathie uu!er dcn Slaven cristilt nur im geringen Grade, abc, w>,'HI eine gemeinsame Antipathie gegen die Deutschen, ') Geschrieben im Herbst lSü<». 22N von ciucm dünn bevölkerten Lande, von einer ebenen Steppe aus, eilt iudustrwses, dicht bevölkertes, aufgewühltes Land, durchschnitten von mächtigen Gebirgszügen, überall den Meeren nahe? Rnßlaud müßte diese Länder entwaffnen, könnte sich auf die darin ausgcnommenen Soldaten nimmer verlassen, müßte also seine nationale Armee zur Besatzung und Nicderhaltung jeder Bewegung dort stehen lassen, ein Umstand, der auf die Bevölkcrnugsverhällnissc des innern Rußlands sehr ungünstig einwirken würde; auch wäre zu befürchten, daß das gefährliche Miasma westeuropäischen Ncvolutiousficbers am Ende doch die Armee inficireu könnte! Einen andern Character würde die Eroberung der europäischen Türkei haben. Hier sind der größere Theil der Einwohner Slaven, in Blut uud Sprache den Russen nahe verwandt und was noch mehr sagen will, dcrsclbcn Kirche angehörig. Es ist nicht zweifelhaft, daß die Bulgaren, Serben, Bosnier nach der Eroberung sich binnen gan^ kurzer Zeit den Russen Völlig assimiliren würdcu. Auch die, christlichen Albancscn und Griechen in der Türkei würden sich Rußland wohl bald anschließen, da vollständige Kircheugemeinschaft besteht. Allein Rußland kanu die Türlci nicht rroberu, wenn es zuvor nicht ganz Europa erobert hat. Da nun, wie wir gezeigt, die Eroberung Europas nicht nachhaltig sein könnte, so gehört auch die Eroberung der Türkei ins Land der Träume. So lauge das jetzige Staatensystcm Europas noch besteht (Oestreich nnd Preußen haben sich doch nnn einmal seit 1849 wieder einigermaßen ans der Anarchie aufgerichtet!), können sämmtliche Mächte nicht dulden, daß Rußland die Türkei allein besäße. Zn einem darüber anSbrechendcn Kriege würde ganz Europa, England an der Spitze, sich vereinigen. Mit letzterem Wäre es namentlich ein Kampf bis zum Messer! Selbst wenn Rußland momentan siegte, wäre eine solche Eroberung, so lange Europa noch cristirt, eine stets angefeindete nnd precärc! — Die gewöhnliche Klugheit schon verbietet Rußland ein so hohes Spiel, dessen Vortheile obendrein sehr problematisch sein dürften, da anch hier die Beherrschung Eonstantinopcls von Petersburg auö das Gleichgewicht dcs Reichs aufheben muß. Dagegen 221 gewährt die Erhaltung dcr Türkei Rußland die vortheilhaf-teste Stellung. Eben die Stallllnvcrwandlschaft und Kirchen-cinhcit dcs großcrn Theils dcr Unterthanen dcr Pforte mit Rußland steigert den Einfluß deffelbeu dergestalt, daß in allen großen Fragen die Türkei stets der Leitung Rußlands folgen mnß. Alle vorhandenen Verträge sichern Nußland für die Entwicklung seiner Seemacht nnd seines Handels die größte Sicherheit und die größten Vortheile. Die Pforte begreift anch sehr gut, daß, weil es kein größeres Interesse für Rußland giebt, als ihre Erhaltung, sie an Rußland einen sichern und schützenden Freund besitzt, dcr sie gegen jeden fremden Feind, aber auch gegen innere Auflösung schützen wird. Wir haben dieß letztere gesehen, als Mehemeth Ali's Armee Eonstantinopel bedrohte. — Nnr wenn die Türkei sich wirklich völlig innerlich anflösen sollte, was wir icdoch nicht für so nahe erachten, und cS sich darum handeln sollte, die auseinanderfaltenden Landstriche zu theilen, wird auch Rußland seinen Antheil an der Beute fordern! Das reine Erobern um zu erobern, die nackte, unersättliche Erobcruugssncht, ist seit Napoleon ans der Mode gekommen. Im russischen Volke eristirt keine Spur von Crobernngssncht, und das Gouvernement hat wenigstens seit 25 Jahren in dieser Beziehung eine Mäßiguug gezeigt, wie sie Europa nicht erwartet. Nach sehr entscheidenden Siegen gegen die Türkei und Persicn hat es die Grenzlinien nnr unwesentlich verändert und alles Eroberte zurückgegeben. Vei der Angelegenheit von Krakan hat es nichts für sich behalten, sondern Oestreich fast gezwungen, Stadt und Land zu nehmen. Als die Türkei gegen Egyptcn, nnd Oestreich gegen Ungarn Hülfe von Nußland forderten, prophezeihtcn nicht blos die Vicrpolitiker, Rnßland würde wcuigstcus einen Theil der Länder besetzt halten nnd Fuß darin fassen. Ouud nnn! Rußland zog augcublicklich, uachdcm cs die begehrte Hülse geleistet, sein Heer zurück! — Aber welches ist denn gegenwärtig die natürliche Politik Rußlands Europa gegenüber? — Rußland hat allerdings ein großes Interesse, daß die Revolution nicht zu weit um sich greift, ihm nicht zu nahe rückt. Wenn auch wenig Gefahr sein 222 möchte, daß ihre Lehren ins eigentliche russische Volk eindringen, so hat die Ansteckung doch Polen bereits erreicht und in den andern Nebcnlandcrn, wie Finnland :c., ist sie immer zu besorgen. Eine völlig siegreiche Revolution in Europa, wodurch sämmtliche Monarchien nnd Negierungen gestürzt würden, das Geschrei: „alle Völker haben ihre Könige abgesetzt, laßt unS desgleichen thnn!" könnte auch sogar in Nußland, bei der verschrobenen Bildung der höheren Klassen, wenn anch nnr vorübergehende Catastrophcn herbeiführen. — Aber dennoch eben so wenig wie erobern, darf und wird cs sich ungcrufen in die inneren Verhältnisse der europäischen Staaten einmischen, das gebietet ihm wenigstens eine gesunde Politik. (5s hat darüber bereits früher eine derbe, iwch nicht vergessene Lehre erhalten. Napoleon stand im Zenith seiner Macht, vergebens hatte Nußland 1806 und 18W versucht, ihn in seinem Siegesläufe zu hemmen, es begann sich in dic neue Ordnung der Dinge zu fügen, gab sogar seine Verbindung mit England, dem letzten Anker von Altcurova, auf. Es hatte noch nicht begriffen, daß bei einer rcvolutionairen Macht, wi< die Napoleons, ein jeder Stillstand cm Rückschritt ist. So wurde cs dann trotz allem Entgegenkommen von ihm angegriffen. — Erst nach der Niederlage Napoleons faßte der Kaiser Alerandcr den Veschlnß, dic alte Ordnung der Monarchien wieder herzustellen. Es gelang über Erwarten. Dadurch verführt ging der Kaiser einen Schritt weiter, statt sich daranf zu beschränken, die äußeren Grenzen der Monarchien und Staaten wieder festzustellen, mischte er sich auch in die inneren Angelegenheiten und Organisationen der Staaten. Der Kaiser drang den Vourboncn die Eharte von 1814 auf, ein Unglück für Enropa und eine Sünde, die selbst Rnßland thcner genug hat büßen müssen! Es könnte jetzt wieder ein Moment kommen, wo Rußland zum zweiten Male mit seinen Heeren mitten in Europa aufträte, um nochmals der Monarchie in ihrem Kampfe gegen Revolution und Anarchie zu Hülfe zu kommen. — Wird cs denselben früheren Fehler begehen? — Gewiß nicht! — Das Benehmen in der ungarischen Angelegenheit zeigt, daß es die Principien einer gesunden Politik begriffen hat uud auszufüh- 223^ ren gedenkt. — Man glaube daher gar nicht, daß Nnßland gern cn,f dem Kampfplätze erscheint, ans Kriegslust, Ehrgeiz, Erobernngssncht, es wird nnr anftrctcn im äußersten Nothfall, und nie ungcrufen! Seine reelle Macht, seine imponireude Stellung gewährt den europäischen Monarchien, der Anarchie gegenüber, einen Rückhalt, eine moralische Hülse, aber, wie gesagt, nnr im äußersten Nothfall wird es bedeutende materielle Hülfe bringen, denn es darf ja daranf rechnen, daß es ohne Hoffnung auf Ersatz, Om nnd Vlnt opfert, nnd braucht auch gewiß vor Undank nicht Sorge zu tragen! — Es muß sich auch hüten, seine Armeen nicht zu lauge in anarchischen Län-deru stehen zu lassen! Eine Thorheit aber müßten wir es nennen, wollte es sich, nach Niedcrwersuug der Anarchie, in die innern Angelegenheiten, die Entwickluugen und Umwandlungen der einzelnen Staaten einmischen! Wir haben hier nirgends die politischen Verhältnisse und Beziehungen berührt, in denen Rußland zu England steht und künftig stehen wird. Sie sind anderer Natur, wie die zum übrigen Europa, wir wollen sie hier nur ganz knrz berühren. England ist ein Staat, dessen gouverncmcntale Verhältnisse für den Augenblick noch gesicherter nnd fester erscheinen, als die irgend eines andern Staats in Europa. Für den Moment möchte es sogar die einzige ebenbürtige politische Macht Europas, Rußland gegenüber, feien. Veite betrachten sich daher auch gegenseitig mit eifersüchtigen Augen. Sie haben unzählige Beziehungen zu einander nnd berühren sich fast auf allen Punkten der Welt, nnd doch sind sie durch ihre Stellung so weit aus einander gehalten, daß man viel darüber nachzudenken hätte, wo ein grandioser Stoß gegen einander möglich sei. Weder kann Rußland England, noch England Nußland erobern, mau kann sich necken, man kann sich schlagen, aber man kann sich einander nicht ganz viel anthuen. — Eine feindliche Stellung liegt nun aber eigentlich anch durchaus nicht in der Nothwendigkeit. Bcidc Staaten haben vielmehr von der Vorsehung 224^ in cincr bestimmten Richtung cin nnd dieselbe Mission erhalten, nämlich Christenthum nnd Civilisation, jeder von seiner Eeitc nnd Stcllung her, über Asien zn verbreiten, Nnßland vom Landwege, England vom Seewege her. Dort müssen sic dereinst sich begegnen, allein es ist nicht nöthig, das; dieß feindlich geschehe! Die Auffassung des Christenthums von Seiten des slavischen VolksstammcS nnd ihre äußere Darstellung nnd Form, die russische Kirche, wird nimmermehr weder die lateinische Kirche, noch den Protestantismus sich zu inkorvorircn vermögen, denn beide sind ihr an geistiger Bewegung überlegen. Aber anders stellt sich dies; dcn asialischen Völkern gegenüber. Diesen siud die Slaven nicht bloß geistig nnd durch höhere Elilwr überlegen, wir halten anch dafür, die vorherrschende Gcmüthsauffas-sung des Christenthums, wie sie sich bei den Slaven findet, muß bei den in sich versunkenen coutemplativcn nnd zugleich sinnlichen Walen leichter Eingang finden, als jede andere Auffassung. Es ist daher zn vermuthen, daß, wenn die russische Kirche erst Missioustaleute uud Missionscifcr entwickelt, was bisher nicht der Fall, sie grosie Eroberungen sür das Christenthum im Innern AsicnS machen wird. Die Engländer haben sich in dieser Beziehung völlig impotent gezeigt. Ihre Mis-sionsgescllschaften habeu große, aber durchaus fruchtlose Anstrengungen gemacht! Der Protestantismus kann wohl Eingang bei bereits christlichen Völkern finden, aber niemals bei heidnischen oder mahomcthanischen. Die Erfahrung zeigt dieß besonders in Asien überall. Nährend die katholischen Missionen mit geringen Mitteln überall Eingang finden, machen die protestantischen, besonders die reichen englischen, fast gar keine Fortschritte. Dnrch dcn Handel führen bcidc Nationen die Früchte ihrer Industrie in Asien ein, nnd verbreiten dort dadurch nnd neben demselben allmalig das Acußerc nnscrcr modernen Cultnr. Hiedurch verwandeln sich nach nnd nach die Sitten und die Gewohnheiten dcS Lebens nnd bereiten dcn Wcg fur die größcrn politischen nnd religiösen Umwälzungen, denen daS Innere Asiens offenbar entgegen gcht. 225 Dort, wo sich der russische und englische Handel begegnen, werden stets die russischen Industrie - Produkte von den englischen geschlagen. Aber die Begegnung ist selten, sie concurriren eigentlich nicht znsammcn. In Bezug ans Asien ist Rußland cm Cultnrland, in Bezug auf Europa nicht. Seine Cnllur und Produkte dringen daher zu den nord- nnd mittelasiatischen Völkern ein, zu den völlig uncnltivirtcn, oder zn den verkommenen nnd versunkenen, also zu den persischen, tatarischen und mongolischen Stämmen nnd nach Nord-China. Die den russischen überlegenen englischen Produkte finden ihren Markt in den uralten Kulturländern Indiens und dem südlichen nnd mittleren China. Hier werden die Russen nie Eingang nnd Einfluß gewinnen, da ihre Cultur zu wenig überwiegend ist. Wir wollen dann zum Schluß noch einmal einen allgemeinen Blick auf die gegenwärtige politische Stcllnng Rußlands, so wie auf die seit der Thronbesteigung des jetzigen Kaisers befolgte Politik werfen. — Die frühere von frühern Herrschern befolgte Politik gehört der Geschichte an, diese mag dann darüber richten! — Sie könnte gegenwärtig nur sofern in Betracht kommen, alö ihre Richtungen und Thaten noch eine lebendige Nachwirkung, noch eine zwingende Kraft auf die Gegenwart übten. Das ist aber wenig der Fall, die gegenwärtige Politik Rußlands hat sich in den wesentlichsten Punkten von der frühern, zu der vorzugsweise Catharina II. die Impulse gegeben, cmancipirt, sie hängt nur durch die natürliche geschichtliche Entwicklung mit ihr zusammen, und befolgt in Wahrheit nur die Richtungen, die in der nationalen Stellung als nothwendig erkannt werden müssen, und die nach der, wenn auch stets menschlichen und daher uicht untrüglichen, Ueberzeugung des jetzigen Gouvernements das wahre ethische, geistige und materielle Wohl des Landes nnd der darauf angesessenen Völker, unabweislich erheischen. Es ist gegenwärtig in Rußland ohne Zweifel eine mächtige Bewegung im Innern nach Entwicklung materieller und selbst geistiger Kräfte, wenn auch im eigentlichen Volke letztere nur, "'. ,5 226 um die materiellen zu fördern. Das Gouvernement hat schon seit Calharina II. diese selbst hervorzurufen begonnen (ob früher überall mit der nöthigen Vorsicht und Voraussicht, ist hier nicht der Ort zu untersuchen. Wir können uns hier einfach an dem constatirtcn Factum halten). Die Bewegung ist in den letzten 25 Jahren zu einem übermächtigen Aufschwung durch die nn-gemcin angeregte Fabrikthätigkcit gekommen. Das Gouvernement hat die Bedeutung und Macht dieser Bewegung vollständig begriffen, es kömmt ihr daher überall fördernd entgegen, es begreift in dieser Beziehung aber auch vollkommen, daß nur innerer und änßerer Friede, Schutz und Unterstützung im rechten Moment, nnd sorgfältige Aufsicht sie wesentlich fördern kann. Das Gouvernement hat nun diese staalSwirthschaftlichc und industrielle Richtuug uud Bewegung hervorgerufen, entwickelt uud befördert, theils um die Selbstständigkeit des Landes und VolkcS zu heben, um es möglichst unabhängig von fremden Produkten nnd Fabrikaten zn machen, theils weil diese Thätigkeit die geistigen Kräfte der Nation überhaupt weckt und schärft, theils endlich, weil es sich Mehr uud mehr durchdrungen fühlt von seinem weltgeschichtlichen Beruf, von der ihm von der Vorsehung auferlegten Misston, dem Orient gegenüber, dem es die Cnltur und vielleicht dereinst das Christenthum bringen soll. Diese Cultur dringt nun am unscheinbarsten, aber sichersten ein durch Handel und Verkehr. Der Absatz und die Verbreitung occidentalischcr, in Nußland ftroducirter, Fabrikate und HandelSgegenständc wandeln allmälig Sitte und Lebensweise nm, und bereiten dem Eindringen moderner Cultur in Asien den Weg. Dieser Nichtnng und Tendenz xs'i" im Auge. Diese überwiegen sogar bei ihm in diesem Augenblicke die scheinbar natürlichen, aber egoistischen Interessen Nußlands. — Vci den bisherigen Staats- und Rechtsverhältnissen deS deutschen Bundes gehörten nämlich Oestreich und Preußen nur mit einem Theil ihrer Länder zu demselben. Hätte nun Nußland Streit mit Oestreich bekommen, etwa der Donaumündungen halber, so konnte eS Krieg führen, im glücklichen Falle Ungarn, Galizien :c. erobern, ohne daß deshalb der deutsche Bund in den Krieg verwickelt würde, eben so mit Preußen, wenn Verwicklungen wegen Posen und dcr polnischen Angelegenheiten eingetreten (wie dieß ja ltt48 -Wirklich der Fall war, wo Nnßland für gewisse Eventualitäten den Oii8,i8 tiM crllarlc).— Nichts desto weniger hat der Kaiser l«60 und 1tt5l den Eintritt von Gesammtöstreich und Gcsammtpreußcn in den deutschen Bund fast ohne Weiteres gebilligt, ja man behauptet, er habe die Schritte unterstützt, welche Oestreich in dieser Beziehung that, lediglich im Interesse des monarchischen Primips, zn dessen Stärkung er eincn mächtigen, aber freilich seiner Natur nach nie agrcssivcn und er? des jehigen Gouvernements, daß wir da^,cn behanplcl, müssn,, Rußland würde i>, diesem Augenblicke das Herzogthum Warsä'au liar nicht nehmen, weml es dasselbe uiäü besäße. Seine natürlichen Grenzn sind die Länder dcr russinisä'lN Völkerschaft mit >.'riv»-lalischcv Confess!»,! und Culwö. Tic P^len überließe eö gern iltmn '''lnder», Oestrcul', Preußen ,c. Allein für diese wäre e»? ^inc z" sMsic iiast und Gefahr! — Aber ciu selbststäudiges P^'len f^in Rußland nicht neben sich dulden, daS bcglüft, wer geschichtlichen und Politischen Tact hat. 232 obcrungssüchtigcn deutschen Vund, dcr 7l) Millionen umfassen würde und ciucm jeden möglichen Erobcrnngsgelüstc von Frankreich wie von Rußland einen nimmer zu übersteigenden Damm entgegensetzte, für wünschenswert!), ja im allgemeinen Interesse von ganz Europa für fast nothwendig erachtet. — Wir gehören cbcn nicht zn den Leuten, die leicht und unbedingt loben, aber die Gerechtigkeit fordert doch, insbesondere dieser so vielfach und immer von Neuem und ganz blind geschmähctcn russischen Politik gegenüber, daß wir eine solche Politik cinc großartige nennen! — Betrachten wir dagegen die frauzösischc und englische Politik in dieser Angelegenheit. Sie protcstirten gegen den Eintritt, sie säeten Mißtrauen und Zwietracht und intriguirtcn bei allen kleinen Höfen dagegen! Und weshalb? — Frankreich grenzt nirgends mit dcn beiden europäischen Großmächten (die unbedeutende Grenze mit dcn preußischen Rhciulanden ist eine deutsche Bundcsgrcnze!), aber es beneidet Oestreich um seinen Einfluß in Italien, dort will cs herrschen oder gar erobern. Mit Oestreich allein hofft cs dann wohl fertig werden zu können, allein mit dem Hinterhalte des ganzen deutschen Bundes wäre der Krieg doch gefährlich, man müßte dann also die Krallen dcr Eroberungssucht einziehen! Die Ursachen des Protestes Englands sind abcr am Ende noch jämmerlicher, hier tritt dic kleinlichste Krämcrpolitik hervor, ein solcher großer deutscher Bund köunte am Ende zn gemeinsamen Maaßregeln über Ein- und Ausfuhr, Handel und Wandel, Iollwcsen:c. sich vereinigen :c. Und nun die Politik Nußlands dem übrigen Europa gegenüber? Es hält gute Nachbarschaft mit Schweden, cs hat Dänemark geschützt, als 1848 der betrunkene deutsche Michel eS überfiel und an dem Kleinen und Schwachen sein Mmhchcn kühlen wollte. Es hält die alle bewährte Freundschaft mit Holland aufrecht. ES hält aus Princip sich fern von Belgien, Spanien, Sardinien, dcr Schweiz, ohne sie doch zn necken oder zn beleidigen. Es hält die schützende Hand über das übrigc Italien nnd Griechenland, ohne irgend Gegendienste odcr Iln-icrordnung zn fordern. In Vczug auf Frankreich hat dcr Kaiser stctS osscn erklärt, cinc quasilcMmc constiwlioncllc Monarchie 233 sei ihm ihrer tiefen innern Lüge halber ein Gränel, mit ciuer Republik aber könne'er im offenen, selbst freundlichen Verkehr stehen. Er unterstützt daher mit seinem moralischen Gewicht in Frankreich jedes Gouvernement, welches nur die Ordnung aufrecht zu erhalten strebt, so früher Cavaignac, jetzt Bonaparte. Werfen wir dagegen einen Blick auf die Politik Englands, namentlich der neuesten unter PalmcrstonS Leitung. Ucberall begegneten wir dem edlen Lord im Trüben fischend, cr kannte nur die gemeinsten Schacher-Interessen der Krämcrpolitik, dieser ordnete er Alles unter, Rechtlichkeit, politische Grundsätze, Zuverlässigkeit, Ehre! Man sagt, cr habe im tiefsten Hintergründe seines Geistes die Grundsätze des entschiedensten Radicalisms. Wir möchten ihm auch die Ehre, dieses zu glauben, nicht mal anthun! — Er liebt den Nadjcalismus nur im Auslande, Weil er dort Anarchie bringt und die politische Kraft der Länder völlig matt legt und abforbirt. Da dann dabei alle gewerbliche Thätigkeiten stocken, so kann England nur dabei gewinnen, es fließen ihm ja dann die schönsten pccunjären Vortheile zu! — Nirgends fragt der edle Lord nach dem Recht! Wegen unbedeutender, oft völlig ungerechtfertigter Ansprüche einzelner englischer Kaufleute und Gcldlcntc wendet er sogleich die brutale Gewalt der Uebmuacht au, aber now lx>ne nnr gegen die Schwachen, Wehrlosen! — Gegm Nordamerika, welches in jedem Augenblicke ihm frech und herausfordernd entgegentritt, zieht cr augenblicklich seine Krallen ein, er begnügt sich mit begütigenden, sanften Vorstellungen,^)—Aber Italien, das unglückliche, zerrissene, vom Rcvolutioussicber und Socialismus unterwühlte Land ist sein Terraiu. Dort saugt cr wie ') Und weshalb diese Sanftmuth gegen den groben Bruder Jonathan i — Jedermann der kundig ist, weiß, daß Nordamerika Seemacht so unbedeutend ist, daß sie sich kaum mit der holländischen zu messen vermochte, daß bei einem Kriege die englischen Flatten vielleicht sämmtliche Seestädte in Grnnd «ud Boden spießen lonutcn, daß cine disciplinirtt Armee von ül!M0 Manu vielleicht alle Weiten Landstriche Amerikas durchziehen konnte, ohne ein schlachtfähiges Heer gegenüber zu finden, ohne irgend bedeutenden Widerstand. Man lann zwar Nordamerika so wenig dauernd erobern, als N»h- 234 cine Kreuzspinne, zu Gnnsten dcr englischen Fabrikanten, das toll radiealc Sardinien aus. Dort ha< er seit Jahren die schändlichsten, Jedermann bekannten Intrignen, Wühlereien, Aufhetznngen in Sieilien, Neapel, Kirchenstaat, Toscana angezettelt und geleitet. In Ungarn hat cr intriguirt, nm Oestreich zu schwachen, dcr Schweiz verleiht er seinen hohen Schutz, um den Hecrd dcr Anarchie für ganz Europa stets offen zu erhallen. Und nun endlich das brntale Verfahren gegen das schwache, verarmte Griechenland! Hätte nicht ein Schrei des Abscheues dnrch ganz England über solches Verfahren ausbrccheu müssen? England, das sich immer hochherziger Gesinnungen gerühmt hat? — Statt dcssen rieb sich die City vergnügt die Hände und die Hightom) machten kaum einen schwachen Vcrsnch zum Tadel, nachdem zuvor das Ausland, Frankreich nnd Nußlaud, offen und energisch cinc Vrandmarkung solcher Politik ausgesprochen hatte. Wenn wir oben angedeutet, wie die geistigen Seiten und Interessen Nußlands vorzugsweise Europa zugekehrt stud, so wollen wir jetzt ausführen, wie seine materiellen Interessen und Seiten in grösitcm Maaße Asien zugewendet sind. Hier ist seine Stellung auf dcr Grenze zwischen Europa und Asien als eine wahre Mission der Vorsehung anzusehen, die ihm auferlegt, die Cnltur von Europa nach Asieu hinüberzuführen. Erst die land, wenn es nickt erobert sein will. Dcr passive Widerstand wäre dort von unerinesilicher Kraft! Aber mau lann das Gouvernement stürzen, nnd Amerika würde in viele Theile llUsrinandcrfallen, es ist kein homogenes Ganzes wie Rußland! Die Sclcwenfragc allem würde den Gcsammtstactt in die Luft sprengen, subald England die Schwarzen reell imterstühtc. — Aber! — Alle großen industriellen Anlagen, alle Eisenbahnen ,c, in Amerika sind mit dem Gelde der englischen Kapitalisten angelegt. Sturz des Gouvernements, Auseinanderfalten dcr Theile würde die Cultur, die Gcwerbc, den Reich-» thum AmcrilclS zertrümmern, aber daun auch Englands Vauqnerot zur Folge haben! Lieber erträgt man alle Unarten des ungezogenen Kindes, seine Bestrafung würde ja zu viel Geld tosten! 235 Cultur, vielleicht späterhin auch das Christenthum! Aber auch hicr uicht auf dcm Eroberungswege, sondern auf den Pfaden dcr Humanität, der Geselligkeit, dcs Verkehrs, des Handels! — Immer mchr fällt dcr Schwerpunkt dcs Reichs nach Osten und Südostcn. Die colossale Messe von Nischni-Nowgorod wird vicllcicht bald wichtiger als dcr ganze europäische Verkehr. Seit einem Jahrhundert strömt der Zug einer mächtigen Colonisation ans dcm Westen und Nordwesten nach dcm Osten und Eüdosten Rußlands! Vielleicht liegt die Zeit nicht mchr in nebelhafter Ferne, wo Petersburg nnr noch der große nord-curopäischc Hafen Nnßlands sein wird, wie Odessa der süd-europäischc ist, und beide nur noch mächtige Handelsstädte und Vcdcttcn nach Enropa hin! Wenn wir auch in Bezug auf Asien eine friedliche, nicht eroberungssüchtige Politik Rußlands behauptet haben, so wollen wir dieß im Einzelnen nachweisen. Zuerst an dcm Punkte, wo es beständig Krieg geführt hat, in den caucasischcu Ländern. — Das CaucasuSgcbirge licgt seiner ganzen Länge nach dm russischen Ebenen gegenüber. Von je her stürzten die kriegerischen und räuberischen Bergvölker in die wehrlosen russischen Ebenen ranbend und verheerend hinab und zogen sich dann ungestraft in ihre sicheren Bergfesten zurück. Von vorn konnte man sie kaum angreifen, sie hatten ja ganz Asien hinter sich! Da kam die Erwerbung Grusiens; sie war cinc große Last und verwickelte in blutige Kriege mit Persicn und der Türkei, die znr Eroberung dcs ganzen Landstriches südlich vom Caucasus, zwischen dcm schwarzen nnd kaspischen Meere, führte. — Diese Erobernng fällt in die Zeit vor dcm jetzigen Kaiser. Er mußte die Erbschaft antreten. Sollte er die ganze Eroberung anfgcben, ein christliches Volk, das sich seinem Vorfahr freiwillig unterworfen (Grusicn), dcr abscheulichen maho-mcthanischcn Regierung PersimS oder dem Pascha-Dcspotismns der Türken wehrlos überlassen? Das wäre doch ein Verbrechen gegen die Humanität, gegen die wahre Ghre Nnßlands, als eines christlichen Staats, gewesen! Aber der jetzige Kaiser hat dort nichts gethan als unglaubliche Anstrengung zur Pacisica- 23ft tioit, Organisation und Cultivirung zn machcu uud Vcrtheidi-gungskriege zu führen. Man würde auf die reelle (5robcruug der cigcutlichcn ssm,-casusgebirgsländcr gern verzichten, wenn man nur auf ein friedliches Verhältniß mit dessen Volkern kommen konnte, man führt dort gezwungen einen reinen Defensivkrieg! — Gegenwärtig ist übrigens mit den Tschcrkcssen durchaus Friede, man hört nur noch von vereinzelten Näubcreicu derselben. Man bringt ihnen russische Handelsproducte, muutert ihren Handel auf, gestattet ihnen selbst den früher verbotenen Mädchenhandel, unterstützt sie auf jede Weise, wirbt Freiwillige zur Garde in Petersburg, die man dort wie verzogene Kinder verhätschelt, man zahlt den Häuptlingen Summen Geldes, indem man sie zu russischen Obersten ernennt, auf die Gefahr hin, daß man sagt: das mächtige Rußland zahlt Tribut an die Tschcrkeffen! — Nur mit den Tschctschcuzcn uud einem Theil der Lesgier besteht cm blutiger Krieg. Dort hat sich eine neue mahomethanische, fanatische Secte, die der Müriden, gebildet, welche sich berufen fühlt, einen Krieg auf Tod und Lcbcu gegen den Gog und Magog der Bibel uud des Korans zu führen! Gs ist wahrscheinlich das letzte Aufflackern des Mahomcthamsmus! — Nusiland ist hiebei der angegriffene Theil, cS führt cineu Ver-theidigungskrieg. Mit Pcrsicn besteht seit 23 Jahren Friede. Damals siel Abbas Mirza mittcu im Frieden über die Nnsscn her. Man war durchaus nicht gerüstet, und mußte mehrere Provinzen vorläufig abaudonniren. Aber als man feine Kräfte gesammelt, ward Paskcwitsch Sieger, und Pcrsicn mußte die tatarischen Länder und Armenien abtreten. Länder, nicht von Persern bewohnt, nicht ursprünglich zu Pcrsien gehörend, sondern einst erobert, wie jetzt verloren. Die Einwohner, armenische Christen und schiitischc Mahomethancr, vom persischen Gouvernement anf das grausamste dcspotisirt und gedrückt, sahen die Russen alS ihre Befreier an. Die Grenzen wnrden so gezogen, daß man vor fernern persischen Anfällen gesichert war. Von da an hielt Nußland gute und ehrliche Freundschaft mit Pcrsicn, mnntcrte 23? dessen Handel auf, suchte dcsscn Gouvernement zn stärken und zu erhalten. Noch milder verfuhr Nußland mit den Türken in Kleinasien. Man hätte Bajazid erobert, hätte wohl bis Terbisonde vordringen können. Auch in diesen Landstrichen waren die Vc-wohner keine Türken, sondern armenische Christen und Kurden, die die türkische Herrschaft nur widerwillig ertrugen uud dic Russen als ihre Befreier ansahen. — Man hat dann den größten Theil des Eroberten zurückgegeben, und sich nur eine strategisch sichere Grenze längs dem Kamme der anatolischcn Gebirge zu verschaffen gesucht, man hat Achalzikc zurückbehalten, um den sonst gar nicht zu zerstörenden Handel mit christlichen Sclaven zu hemmen (Nchalzikc war der uralte Sclavenmarkt!) Man hat vielleicht gegen die Grundsätze der Humanität, das christliche Armenien wieder unter das Joch der Türken zurückkehren lassen. — Man hat nicht einmal Vatun zurückbehalten, den wichtigsten Hafen dcö schwarzen Meeres, der für Nußland eigentlich eine Nothwendigkeit war. Endlich im äußersten Osten ist daS Verhältniß Rußlands zum uralten Reiche der Mitte, zu China, ein durchaus friedliches und rechtliches. Die Grenzen sind durch Verträge festgesetzt, wobei die Chinesen dic Russen überall überlistet haben; der Handel ist fest geordnet. Das russische Gouvernement überwacht dic Ehrlichkeit seiner Kanflcute, eö schont die chinesischen nationalen Eigenthümlichkeiten und Formen. Es bringt an Ehina Wollcnwaaren, die sogenannten Mescritzcr (jetzt in Moskau nachgemachten) Tuche. — England bringt dagegen nach China Opium, um die Bevölkerung körperlich und moralisch zu Grunde zu richicn, und als das chinesische Gouvernement die Einfnhr hemmen will, beginnt cS den ungerechtesten Krieg, und zwingt daS erhabene Reich der Mitte zur Selbstvergiftung! Nußland sucht für seinen Handel Wege nach dcm tiefsten Innern von Asien, nach dcm sonderbaren alten Eulturlandc Tibet. Es legt Kosackcnstationcn durch die unermeßlichen Steppen der Mongolei an, welche vielleicht einst durch Land- und Handelsstraßen verbundene curopäisirlc !Städtc wcrdeu. Soll man das Eroberungen nennen? Wir glauben nicht! Die Mon- 238 golen haben eine staatliche Volksvcrfassung, aber feine Landesverfassung. Sic scheu den Vodeu nicht als ihr Eigenthum an, sondern benutzen als Nomaden die freien, Niemandem angehörenden Weiden. Die Kosacken nnd jedes andere Volk hätten daher wohl dasselbe Nccht, jene Weiden zu benutzen, als die nomadisirendcn Mongolen. Nußland wird sich hüten, in Asien Eroberungen zu machen! Es hat jetzt sichere Länder und Grenzen, vom eignen Volke bewohnt; soll es Ländcrstrecken mit Gewalt crobcrn, die einen unsichern, gefährdeten, nur durch Kosten und Militairmacht zu erhaltenden Besitz gewähren? Sein Interesse ist, daß in Asien Friede herrscht, daß die asiatischen Reiche sich heben, einige Cnltur erhalten, sich den europäischen Sittcu nähern, wohlhabend werden, dann müssen und werden sich Rußlands Gewerbe und Handel heben. — Vergleicht man den jetzigen Zustand der asiatischen Reiche, Türkei, Pcrsien, China, Buchara, Tibet, China mit dem vor etwa 100 Jahren, so muß man anerkennen, daß sie in viel größere politische und sociale Vcr-binduugen mit Europa gekommen, als sie damals hatten. Frankreich hat dazu etwas, England viel, Nußland wohl am meisten gethan. Jedenfalls thut Nußland am meisten dazu, um die bestehenden Staaten Asiens zu stützen nnd zu erhaltcu. Nußlands Eroberungssucht ist durch ganz Europa verschrien, und doch hat es seit 20 Jahren nicht ein Dorf erobert. Englands Eroberungen trifft daS Geschrei und die Kritik selten, uud doch hat dasselbe seit einein Jahrhundert Ländcrstrcckm erobert und Völker unterjocht, die Altengland und seine Vcvöl-kerung um mehr als das Vierfache übertreffen! Und es vergeht selten ein Jahr, wo es nicht neue Eroberungen macht! Vl. Dic Kril-gSmacht Nußlauds Nie hicr folgende Darstellung der Kriegsmacht Rußlands ist aus Notizen und Materialien, die ich gesammelt, von einem jungem Frcuudc, einem eben so tüchtigen, als gelehrten nicht-preußischen Militair, zllsammcngcstellt worden. Daß die offiziellen wie nicht offiziellen Quellen dabei mit der nöthigen Vorsicht und Kritik benutzt sind, kann nicht bloß versichert werden, die Arbeit selbst wird dieß bezeugen und darthun. Während der Drnck bereits begonnen, kam mir eine so eben anonym erschienene Brochure: Nuß lands Politik und Heer, Berlin, bei Hcrbig, 1852, zu Gesicht. Sie ist > offenbar von einem tüchtigen und sachkundigen preußischen Militair geschrieben. Die politischen Anschauungen, wie die Ergebnisse der realen Uutcrsuchungcn stimmen in sehr wesentlichen Dingen mit der gegenwärtigen Darstellung übereiu, ergänzen sie mit- 240 unter, gchen aber nicht so ticf ins Detail dcr rein militairi-schcn, wic dcr ethnographischen Verhältnisse cm, wcßhalb der Abdruck dcr hicr folgenden Darstellung wohl nicht als überflüssig erscheinen möchte. G i n l e i t u n g. Historisches: Was Peter l. vorfand; europäische Kriegskunst in Rnsiland vor ihm; damalige Vcstandthcile des HecrcS; die Strcljen; ihre ' Llbscliaffuug-, Grrichtnuq der alten Garde; Nelrntirnng; Dicilst-pfiiä't des «dels. — Olstc Thaten der ncncn Krieq»ü!nacht: Asow, Narwa; Folgen für die Ariucc-, Pnttawa; Müiniicb und Kcilh. Friedlich II Urtheil über die rusnsche Armee und öffentliche Mci-nunss unserer Zeit. — Gr. Iäqcrndorf, ^rrild^rf, Klincrsdrrf. — Suwcir^ff; Gcist seiner Schlachten und Märsche; 1700 mid l7!)9. — Die russische Nrmec und Napoleon. Krieg ftit l^l5. Nico-laus, Gntwickliiüss seit dem Pariser Frieden. — Allgemeine Vc? merllingen über die Seemacht. Wcnig politisch Bcdclltcndcm bcgcgnct man in Rußland, wovoll sich nicht die Kcimc auf Pctcr I. zurückführen ließen. Wohl nwgcn manche seiner Schöpfungen noch jcl^t daran kränkeln, daß cr sie zn gewaltsam, zu rasch ins Lcbcn rief, daß cr ungeduldig sie zn einer Frühreife trieb, die der Frncht selbst schädlich werden mußte. Daneben fehlt es aber auch nicht an Ander», die cr gepflanzt, gehegt und gepflegt, wic ein Gärtner das Saamcnkorn eines Baumes; unverdrossen aufs Neue gepflanzt, wenn es zerstört schien, und in deren Pflege er nicht nachgelassen, obgleich cr bald sehen mußte, daß erst die Nachwelt eine großartige Entwicklung erleben konnte. Darin cben liegt vielleicht ein großer Theil des Geheimnisses von Rnßlands seitdem stets wachsender Macht, daß zn ihr ein Mann den Grund legte, welcher für die Nachwelt dachte uud strebte; zu einer Zeit, wo im Abendlaudc ein mächtiger und tonangebender m. il> 242 Regcut das am eigenen Vcruf gottlos verzweifelnde Wort zur Richtschnur nahm: ^>n'8 m<»i l<' !" Von allcn Schöpfungen Peter l. hat sich eben noch nach ihm erst die Kriegsmacht — besonders die zu Lande — am erstaunlichsten entwickelt. Mit einer Compagnie ^) und mit einem Vootc lcgtc er den Keim zu der Armee und der Flotte auf europäischem Fuße. Wie hat sich das unscheinbare Saa-mcnkorn cutfaltet! Wie streckt der mächtige Baum jetzt seine Acste über drei Welttheile! Peter I. fand bei seinem Regierungsantritte eiu Reich vor, für welches die Idee der Bcgründnng einer Seemacht jeden oberflächlichen Staatsmann abenteuerlich erscheinen mußte. ES ist bekannt, daß er sie dcuuoch schuf und damit bereits auf einige Zeit eine Art Sceherrschaft im schwarzen Meere gründete. Vielleicht hatten seinem Geiste die Unternehmungen der War-jagcr (der russischen Normannen) gegen Constantinopcl, vielleicht die spätern dcr Kosackcn crmuuterud vorgeschwebt. Die ganze Wchrvcrfaffnng des Reiches war vor ihm nur auf Landkriege berechnet, aber anch dazu in so hohen» Grade unzureichend geworden, daß dcr Anfang dcr Gründuug dcr neuen russischen Landmacht mit dcr Zerstörung dcr Kcrntrup-pcn der alten gemacht werden mußte. So ist, waS Rußland heute — außer den Kosackcu uud ähnlichen Milizen — an Trnp-pm besitzt, so ist die eigentliche rcgulaire^) russische Armee mit Recht alö eine Schöpfuug Peter I. zu betrachten. Freilich war er uichl dcr erste russische Monarch, dcr das Uebcrgewicht abendländischer Kriegskunst erkannte und diese im eigenen Heere einzuführen suchte. Schon Iwan III. (I4U2 — 1503) hatte versucht, cin stehendes Heer zu bilden. In den harteu Kämftftu mit Polen wurdeu viele „freiwillige Deutsche" ') Der sl^ciiaimtci! Potseschnyje — VcrgnüguugS, Compagnie — in Prcel'ascheusk und Sfemtucwsk, Dörfer und Lustschldsstr bei MoSlan, ') Äüch manl-be Kosacke,,, Fl,'ri!,acn sind jcht nahcul rtssülaire Truppen geworden. Ihre Verhältnisse sind aber fast gänzliä, verschieden von denen der cigciNlichcn tcgulaircn Armee, so dnß wir sie nicht unter drr Veuellnmig „regnlairr Armcc" be,,reifcu. 243 angeworben mid Alcrei Michailowilsch benutzte in großem Maaß-stabc die kriegerischen Abenteurer, an denen die germanischen Völker stets so reich gewesen sind, um seinen rohen russischen Kriegern die abendländische Kunst zu siegen beizubringen. Er halte an ausländischen Officieren 2 Generale, mehr als 100 Obristcn, viele Oberstlieutenants und untere Chargen, in seinem Dienst, und indem er zwar die obere Leitung der Heere stets russischen Bojaren anvertraute, machte er es zur Ncgcl, „zu Obristen und Hauptleuten stets Ausländer zu ernennen". Und wenn mau nur bedenkt, das Lesort, Peters Lehrer in der Kriegskunst, und Gordon, sein bester General, unter diesen waren, so kaun man nicht leugnen, daß diese Maaßregel Peter I. bei seinen Reformen tüchtig vorgearbeitet hat. Ihrer nachhaltigen Wirksamkeit, der wirklich lebenskräftigen Einimpfung und Fortbildung europäischer Kriegskunst standen aber bis dahin nicht allein die rohen Sitten des Ostens, seine schwierige Verbindung mit dem Westen, und daraus die geringe Bekanntschaft mit den reißenden Fortschritten, die die Kriegskunst in jencr Zeit ebenda machte, entgegen; zudem kam noch vor Allem der starre russische Nationalsinn mit seinen, zähen, oft fanatischen Widerwillen gegen Fremde und Fremdes. Dieser aber fand cinc Hauptstütze iu der Wchrvcrfassung. Die Hauptmasse des russischen Heeres bestand damals in einem feudalartigen Anfgebot, Welches unter Mitwirkung der Nciterstämmc biS zu enva W0,000 Mann gebracht werden konnte. Diese Masse, welcher natürlich „eben allen Mängeln der Feudal-Heere cmch noch ein guter Theil der asiatischen Kriegs-sittcn ankleben mochte, gruppirlc sich im Kriege um einen Kern von stehenden Truppen, dcrcn wesentlichsten Theil die berühmten Strelihcn oder Etrelzen (Schützen) bildeten, dcrcn Zahl Alcrci Michailowitsch (PctcrS Vater), den Angaben nach, auf 4N,0N0 gebracht halte. Diese Etrelzcn hatten nicht allein in ihrer Organisation, ihren Vorrechten nnd Dienstverhältnissen, sie hatten auch in ihren Tugenden und Lastern die größte Aehnlichkeit mit den Ianitscharcn. Mc dj^ halten sie den eigentlichen Schlachten-kcrn des Heeres gebildet, als solcher sich lapfer und nützlich im 244 Kriege erwiesen, wie diese warm sic, im Fricdcn durch Privilegien verwöhnt, cinc hochmüthigc und tnmultuarifche Miliz geworden, wie diese, bildeten sie das Hanplhinderuiß für jede Verbesserung im Staate nnd namentlich in der Armcc. Peter l. hatte bekanntlich den Ucbcrmntl) der russischen Ia-in'tscharcn früh empfunden. Er entledigte sich dieser hrrrsch-süchtigeu Soldateska ans cinc blutige, abcr wirksame Weise, mitten in dem gefährlichsten Kriege, den Nußland seit langc bestanden. Schon früher hatte cr angefangen, ans jcueu schwachen Stamm der VcrgnügnngS-Compagnie, welche cr, fast noch cm Kind, mit Lefort als junger Zaar gebildet, eine Armee auf cnropä'ischc Weise zu crrichteu, welche die bisherige asiatische ersetzen sollte. Die Regimenter Prcobascheusky nnd Eemcnowsky — noch heute die sogenannte alte^) Garde bildend — waren die ersten. Sie wurden durch freiwillige Werbung, meist aus dem niedern Adel (Dworjanc — Edelleute, und Djeti Vo-jarskic — Vojarcnkindcr) errichtet. Vci dem wenig kriegerischen Sinne der Rnssen nnd dem großen Menschcnbedarf für die nene Armcc scheint aber das damals im Abendlande allgc-gemcln vorgezogene System freiwilliger Werbung von Haus auS ungenügend befunden worden zu sein. Schon Peter l. führte die Rckrutirung ein, wie sie im Wesentlichen noch hcntc besteht, während durch freiwillige Werbung jetzt nur noch die Finnischen nnd — wenn wir nicht irren — die muselmännischen und grusinischen Trnppcn ergänzt werden. Die Verpflichtung des Adels zum Kriegsdienste übertrug Peter l. aus dem Feudal-Heere anf das stehende Heer in der Weise, daß jeder Edelmann, znm lebenslänglichen Kriegsdienste verpflichtet, die Wahl der Waffe hatte, in die cr jedoch als Gemeiner eintreten mußte. Dieß hat bis zu Catharina ll. bcstan- ') Auch das Regiment ISmnilowsly gehört dayi, wurde aber erst von der Kaiserin Anna t7<50 errichtet, um die alten Regimenter im Zaume zu halten. Ucbcrhaupt wirkten die Präk'rianer-Ueberlieferungen von den Stltlzcn her M'ch eine Zeitlang foit. Die verunglückte Bewegung von 1825 beweist aber, wie sich die Verhältnisse seitdem geändert haben. 245 dcn, welche den dircctcn Zwang aufhob, aber dafür dcn indi-rectcn an dic Stelle sehte, dcr noch heute gilt. Noch vor dcr Aufhebung dcr Sttclitzcn crutctc Pctcr durch dic Eroberung von Asow lind einen Sccstcg im schwarzen Mccrc über Türken und Tataren die crstcn Früchte ftincr Vorlicbc für curopäischc Kricgsknnst. Vald darauf versuchte cr die Gewichte dcr russischen Macht in die curopäischc Wagschalc zu werfen, nnd erfuhr bei Narwa das Ucbcrgewicht dcr abendländischen Waffen über die russischen in einem solchen Maaße, daß nnr ein Character von seiner Unbcngsamkcit daraus die Lchrc abnehmen konnte, auf dem betretenen Wege fortzufahren. 8000, nach Anderen 15,000, Schweden, mit wenigem Geschütz, erstürmten ein russisches festes Lager von 45,000, nach Anderen 80,000 Mann mit 150 Kanonen nnd zwangcn nach cincm blutigen Kampfe das ganze russische Heer, die Waffen zu strecken. Schon damals zeigte sich, wie nachher bei Zorndorf, die Erscheinung, daß dcr wüthcnde russische Soldat seine eigenen abendländischen Officicrc ermordete, ein deutlicher Wink, wie schwer es sein mußte, die Russen dnrch Westeuropäer zu erziehen. Diese große Niederlage mit ihren furchtbaren Symptomen innerer Haltlosigkeit in der Truppe cntmuthigtc Pctcr nicht. Gerade der große Umfang seines Vcrlnstes schlng vielmehr mit-iclbar zu seinem Glücke nm. Wer möchte Carl XII. tadcln, daß cr nach solcher Probe seinen russischen Gegner gering achtete und in Sachsen und Polen die gefährlicheren Feinde erblickte! Es war kein Fehler — wie cS die oberflächliche Kritik wohl nennt —, es war eine Schicknng (nach russischer Vorstellungswcisc eine Schicknng Rnski VogS, des Gottes Rußlands), daß Carl die Gelegenheit versäumte, Rußland völlig, vielleicht auf immer, zn bengcn. Pctcr sammelte aufs Ncuc ein Heer, warb Ofsicicrc, lernte in großen Niederlagen und kleinen glücklichen Gefechten von den Schweden die Knnst zn siegen. Neun Jahre nach der Schlacht von Narva sah Carl bei Pul-iawa, welche Vcrsäumm'si er bei Narwa begangen! Hier hatte Pctcr dcn Triumph, daS beste europäische Heer zn besiegen, freilich nachdem ein Winter in dcr Ukraine dcn russischen Waffen vorgearbeitet hatte, 246 Die europäische Kritik schob auch die Ursache dieses SiegcS — und nicht ganz mit Unrecht — mehr darauf, daß Carl, anstatt auf Moskau, sich iu diese unwirthlichc Gegenden gewandt, mehr auf die Beschaffenheit des Landes, als auf die Waffen der russischen Armee, welche man wenig achtete. Eie hatte noch zn lernen, daß auch ein siegreicher Marsch auf Moskau für dieses merkwürdige Ncich nicht entscheidend zu sein brauche. Eic bedachte nicht, daß eben die Unwirthlichkeit deS Landes der beste Echuh war, hinter dem Peters junge Anlagen sich kraftig uud ungestört fortentwickeln konnten. In Mentschikoff und noch mehr in Münnich und Keith fand das russische Heer, nach Peters Tode, Männer, die sein Werk auch unter mittelmäßigen Regenten fortzusehen vermochten. Doch beschränkten sich die Erfolge der rnssischcn Waffen lange Zeit fast ganzlich auf Siege über Türken und Polen, Truppen, die als solche wenig Achtung in Europa genossen. Und obwohl z. B. Münuichs Sturm auf die Pcrekopcr Linien eine klassische Waffcnthat war, so zeigte sich doch damals ganz dieselbe Erscheinung, die man auch heute so oft wieder wahrnimmt ill der öffentlichen Meinung Europas über die Beschaffenheit der russischen Armee. Gerade wie man wohl heute dic Vollzähligkeit des russischen HcercS nach den, beurtheilt, was man !82? gesehen, ohuc auf die seitdem gemachten Anstrengungen und Verbesserungen zu achten, gerade wie man sich heute über die drohende Macht des östlichen Nachbars zn trösten licbt mit den Worten: „sie steht auf dem Papier"; gerade so verkehrt urtheilte noch der größte Mann seines Zeitalters 50 Jahre nach der Schlacht von Narwa über russische Kampffähigkeit, indem er sich einredete, die Nüssen seien nur Barbaren. Friedrich der Große ward damals durch Keith gewarnt, welcher ihm vor der Schlacht von Zorndorf schrieb: „swur vaincrs l v Brandenburg --- U0M0 - / 1788. Frankreich - j Planmäßig: 3L8.000 Mann. jeffectiv: l 50,000 - Von da bis 1798 mögen die französischen Truppen oft bis 600,000 Mann betragen haben; denn die angebliche Million stand sicher auf dein Papier. Rußlands Armee aber wird sich wenig unterschieden habe» von I?N«. Frankreich: 380,000 Mann; zum Kric., disponibel nur: 160,000 Mann. 250 Dies gilt in Bezug auf die Regierung des Kaiser Nicolaus auch von der Flotte. Wcnn indeß die Entwicklung der russischen Armee, Peters kühnste Berechnungen übertroffcn haben mag, so ist die der Flotte lange Zeit dahinter zurückgeblieben. Man hat wohl gesagt, wiewohl ganz mit Unrecht, Peter sei der einzige Admiral und Suwaroff der einzige Feldherr gewesen, den Rußland hervorgebracht. Ware dies wahr, so hätte doch die Armee viel mehr große Männer vom Auslande bekommen, als die Flotte, deren erstes Auftreten gegen Türken und Schweden mehr versprach, als sie Rußland: 3l8,000 Mann regnlairer Trnppen. l>0,000 Kosacken,c. beträgt ^78,000 Mann; davon disponibel ansierhalb dcr Grenze in Zeit eines Vierteljahres höchstens: 150.000 Mann. 1839. Frankreich: circa 37tzt: 45 Linienschiffe, davon 27 im baltische« Meere völlig besetzt, 30 Fregatten uud eine überlegene — aber nicht genau anzugebende — Galeercnfiotte. Diese Zahlen verdanlcii wir Notizen aus wissenschaftlichen Werken nnd Zeilschuftcn, deren Detail-Qucllcn wir freilich nicht prüfe» lonuten. 25< gehalten. Dazu hat die Flotte mit besondern Hindernissen innerer und äußerer Art zu kämpfen gehabt. Jene die Ungcschickt-hcit der russischen Völkerschaften zum Secdienst, die Abneigung von Vornehmen und Geringen; diese die klimatischen Einsinsse, welche die baltischen Hafen stets so lange sperren; dann das ungeheure Ucbcrgcwicht Englands zur See, welches die russischen Schisse als Alliirte und als Feinde im Kriege ziemlich nutzlos machte. Alles dieß hat gemacht, daß man im Fortbilden der Flotte oft gleichgültig gewesen, dasi man darin lange Zeit nur wenig fortgeschritten ist, ja manchmal offenbare Rückschritte gemacht hat. Die russische Flotlc ist jetzt der Zahl und dem Gewichte ihrer Schiffe nach sehr bedeutend; ihre innere Beschaffenheit wird sehr verschieden beurtheilt. Der stellt sie als einen Haufen chinesischer Dschonken, jener als furchtbar im hohen Grade dar. Die Wahrheit selbst, ist da,für eine „Landratte" schwer zu finden. So viel aber ist freilich gewiß, daß die eigentlich prac-tischc Bewahrung der russischen Flotte noch fehlt, nämlich der Kampf mit einer englischen. Gewöhnlich nimmt man an, daß eine tüchtige Kriegsflotte nur auf eine ausgedehnte Handelsmarine gestützt werden könnte. Nußland hat den entgegengesetzten Weg eingeschlagen. Bis jetzt fehlt es ihm an einer Handelsmarine, die im Vergleiche zn der Kriegsflotte nur irgend iu Betracht käme. Der Kaiser Nicolauö scheint sich, wie sein großer Vorfahr, die Aufgabe gestellt zu haben, mich ohne Handelsmarine ein gewichtiges Wort zur See zn sprechen. Die Erfolge dcö nächsten großen Krieges werden vielleicht zeigen, ob die ungeheuren Anstrengungen, die in dieser Richtung neuerdings wieder gemacht sind, cm endliches günstiges Resultat versprechen. Nnßlands Landmacht. Bestandtheile. Die russische Landmacht wird aus zwei Hanfttartm von Truppen gebildet, die in vielfachen Beziehungen, sowohl innern wie äußern, durchaus von einander verschieden sind. Dies sind die eigentlichen rcgulaircn Truppen und die, meistens als leichte Reiterei dienenden, fcndalartigcn^) Milizen der Kosackcn und ähnlicher Völkerschaften. Bonden letzteren siud jetzt manche Corps der äußern Form nach rcgularisirl; und auch ihr Gebranch wird dem regelmäßiger Truppen manchmal sehr nahe kommen; ihrer Zusammensetzung und ihren Dienstverhältnissen nach aber unterscheiden sie sich doch noch immer scharf von den eigentlich rcgulaircn Truppen. ') Wir wissen, dasi der natimtalrussischen Anschauung der Begriff und da« Wescn der germamschen Feudalist fehlt. Gs gab und giebt d»rt keine Vasallen und After-Vasallen. S» ist cmch die Einrichtung der Kosackcuhccrc v»n der der deutschen Fcudalhccre fthr vcr» schieden. Vclracl'tct man abcv das ganze Hccr al^' jnrististl'e Person, so stellt diese rffeubar Mann und Roß ^nüstot zuu, Dienst anstatt der Ablade,!, und iusoser» siub diese Milizen auch w»hl feudalartige ^ii neliileu. >. Die reg «la ire Armee. Erster Abschnitt. Organisation, Formation, Stärke. Eiütheilung ^iach dcr geographisch-politissl'cn Lage Nusilands. Zwei Hauptgrnppen. — l>. Dic qrosie Opcrations-Arinee; Vortheile ihrer permanenten Absonderung! Dislocation; doppclie Gintheilnng; Anhängsel: einige Truppen dcr Armee des Kaukasus. — Tact: Ginlheilung. Scklagfertigkcit der Armce-C^rps. Ihre Venennnng: Infanterie--Corps, Nes.-Cavall.-ssorps. Dragoner-Corps: Grundidee; Garde-, Grenadier,Corps. — Berittene Ingenieur-Truppen, — Vcstlmmung dcr Corps, Dislocation bis 1848/— Zusammenschuna. der EorpS: das Garde-Corps; Grmadicr > Corps; die 6 Infanterie - Corps; die CavaUerie-Corps. Recapitulation. — Untersäued »on Soll-und Ist-Stärke; dcsscn Hauptgrund: die administrativen Laster. Die Meinung GuropaS darüber; Zusammenwilkcu russistber Sitten und fran^ossssl'cr Eryehnng; Tadianoff; slaviftl'e Anlagen ^u Unterftl'leifen; Einwirkung ftan;ösiftl'er Erziehung. Folgen für das Reich Dcr geringe Einfluß auf die große Armee. — Der Soll-Gtat: Emfluf; des Äeurlaubmigs-Systems. Scll-Gtat und Ist-Stärke der Infanterie - Bataillone, der Cavalle-rie-GScadrons, dcr Artillerie. — Resiiin«: Acispiel. Krieg mit Preußen. — Die Ncscrvc-Tnippcn. — Ocsauuntsummc dcr großen Operations-Ärmre.— l>. Die regnlairen Truppen zu besondern local cn Zwecken. Allgemeines. Garnison», Llnienbataillou, Veteranen- und Invalidcn-Corps. Armer des Kaukasus. Necapi-tulation. — General-Recapitulation dcr regulaircn Truppen. Vcncunmig und Nnmcrirung dcr Truppen; Numeri« rung der Infanterie-Regimenter, der Cavallerie, dcr Artillerie. Allgemeines. Organisation, Formation, Stärke. Dic eigenthümlichen geographischen und politischen Verhältnisse Nnßlands, sowohl innere wie anßerc, sprechen sich vielfach in dcr eigenthümlichen Einlhcilnng seiner regnlaircn Armee anS. Wahrend andere Landmächte ihre Truppen wohl nach den 254 Districtcn, in denen sic rccrntiren, eintheilen, haben die russischen rcgulaircn Truppcnkörper mit sehr wenigen Ausnahmen keine bestimmte Nccrutirnngsbczirke. Dagegen findet cinc Gin-thcilung nach dcr eigenthümlichen Bestimmung der Truppcn, nach dem besonderen strategischen Gebrauche, den man von ihnen zu machen beabsichtigt, in höhcrem Maaße statt, als sonst wo. Es ist diese Einthcilung von allen Einrichtungen dcr russischen Armee vielleicht diejenige, welche für das Ausland die wichtigste ist, und sie ist um so interessanter, da dcr jchigc Kaiser sie zu cincm früher nicht geahntem Gradc ausgcbildcl hat. Nußlands eigenthümliche politisch-geographische Lage bringt cs mit sich, daß es großer Operationen vorzugsweise gegen seine westlichen Nachbarm bedürfen wird. Dabei ist seine Ausdehnung so ungeheuer, noch dazu sind dic Communicationsmittel so unvollkommcu, daß bei cincr so gleichmäßigen Vcrchcilnng der Truppen im Lande — wic sie in Fricdcnszcitcn anderswo gebräuchlich ist — eine ungeheure Zeit vergehen würde, ehe cö eine seiner Macht entsprechende Truppenzahl auf cincm Puuktc versammeln könnte. Diesen Ucbclstand hatte man längst gefühlt und demgemäß lag dcr Schwerpunkt dcr Fricdmsdislocationcn russischer Truppen schon immer in den westlichen Thcilcn dcs Reichs; auch fand dcr Kaiser Nicolaus bereits eine Cinthcilung vor, dic mit dcr hcutigcn cinigc Achnlichkcit hatte. Bei jcdcm ncn ausbrcchcn-dm Kriege aber war man stcts aufs Neue erstaunt, zu sehen, Wie wenig Truppen man wirklich zur Hand hatte im Vergleich zu dcr nugehcurcn Anzahl, die man unterhielt. Denn die Bequemlichkeit und Erleichterung, dic cinc wcitcrc Verthcilung dcr Truppcn in Fricdenszcitcn in administrativer Hinsicht stets bietet, waren wohl im Frieden immer mehr zur Geltung gekommen, als sich mit dcn politischen Absichten vertrug. Dic Folge davon war, daß man cntwcdcr schwach odcr spät auf dem Kriegsschauplätze crschicn, daß cin großcr Thcil dcr mit so großen Kostcn unterhaltenen stchcndcn Armcc in dcn mcistcn Feldzügcn nur als Nachschub in Frage kam und daß dic Truppcn von alter Formation oft crst bci dcr operircndcn Armee eintrafen, wcnn dic Fcindc bereits ncuc Formationen in Thätigkeit bringen 255 konnten. Dicsc Folgen wcrdcn nun zwar thcilwcise so lange «nd in dem Maße unvermeidlich bleiben, wic dic inneren Verhältnisse Rußlands einen inneren Dienst seiner Truppen nöthig machen. Durch die scharfe Einlhcilnng, die der jetzige Kaiser der Armee gegeben, ist aber im voraus genau bestimmt, welche Truppen von HanS ans zu großen Operationen an der Wcst-grenzc gcbrancht werden sollen, welche den (5'rsatz und die Nachschübe bilden, welche zunächst den innern Dienst und den an solchen Grenzen versehen sollen, wo Rußland zwar fast unaufhörlich den kleinen Krieg zn führen hat, aber nach denen große Operationen schwerlich dringen werden. Die regnlaire russische Armee zerfällt demnach in 2 Gruppen: a. die Armee für die großen europäischen Operationen, welche von der Regierung.ohne Rücksicht auf locale Fesseln stetö nach einem beliebigen Punkte des Reichs dirigirt wcrdcn kann nnd deren Dislocation wesentlich mit Rücksicht auf einen europäischen Krieg beschafft ist; b. die Truppen zu besondern localen Zwecken. An diese beiden Gruppen reihen sich diejenigen Truppen aus den irregulairen Formationen an, welche zum Dienste aufgeboten sind. t5s wird daher die Trennung, welche wir zur Erleichterung der Betrachtungen angegeben, sich nicht immer scharf aufrecht halten lassen. H. Dic grosjc Vperations^Annee. Die permanente Absonderung der zunächst für einen großen Krieg bestimmten Truppen hat für die äußere miktairische Politik Rußlands den großen Vortheil, daß man nun mit ziemlicher Zuverlässigkeit wissen kann, welche Truppen man in einem gegebenen Zeiträume auf einem gegebenen Punkte versammeln kann. Bei den ungeheuren Märschen, die manche Corps ehemals zu ihrem Bestimmungsorte halten und bei der Schwierigkeit, im Voraus zn übersehen, ob nicht locale Gründe sic fest- 256 haltm würden, war mi derartiger Ueberschlag immer sehr unsicher. Noch vaguer aber wurde er hinsichtlich der Vollzähligkeit der Truppen. Theils weil sie weit zerstreut lagen, also dic gewöhnliche Controle eine schwierige war; theils weil auf so großen Märschen der Verlust an Kranken, Maroden, überhaupt Zurückgelassenen gar nicht im Voraus sich berechnen ließ; endlich weil gerade in so dringenden Augenblicken, wie der Ausbruch des Krieges, dieser Verlust sich der Conlrole so gut wie völlig, entziehen mußte. So war denn anch — wie schon gesagt — zu allen Zeilen jedes zusammengebrachte russische Heer über alle Erwartungen klein, oft wohl nur ^ von dem, was es nach den Listen hätte fein sollen; und man braucht in der That die bekannten, oft horrenden Facta und Wirkungen der Untcrschlcifc — so verderblich für den Effcctivbcstand einer Truppe in so vielen Richtungen — noch gar nicht in Rechnung zn bringen, um zu verstehen, daß früher wirklich ein großer Theil des russischen Heeres „ auf dem Papiere stand", in sofern es sich um eine Wirksamkeit nach Außen handelte. Die ganze große Opcrationsarmee steht —- mit Ausnahme der permanent Beurlaubten aus dem Osten — auch im tiescn Frieden im westlichen Theile des Reichs; der Hauvtthcil ist vorgeschobeil in russisch Polen unter Fürst Paskicwitsch, andere Theile stehen weiter zurück in Reserve. Die Truppen dieser Armee haben eine doppelte Einihcilung; einmal eine tactische nach Armeecorps ic. im Style der großen Armem Napoleons; dann eine organische innerhalb der Regimenter, welche die unmittelbar verfügbaren Truppen von den zn Nachschüben, Ersatz ic. bestimmten trc»mt; die ersteren unter dem Namen active (cHeistvl^uutsollu^), die letzteren unter dem: Reserve- (3«z)«8ni^) Truppen, begreifend. Gs hat nämlich jedes Regiment eine gewisse Anzahl activer Bataillone oder Escadrons, mit denen eS als tactischcr Bestandtheil der organisirten Armeecorps auftritt und eine gewisse Anzahl Reserve- oder Depotbataillone, welche — meistens weit vom Ncgimentsstabc getrennt — theils die Rccrutcn aufnehmen und ausbilden, theils, nach Art der preußischen Landwehr, Cadres für einen großen Theil der ohne Sold beurlaubten alten Sol- 257 daten und Officiere bilden, welche im Ncichc zerstreut für gewöhnlich in bürgerlichen Verhältnissen leben. In gleicher Art hat auch die Artillerie active und Rescrvcbatterien. Den großen tactischen Körpern der für die großen Operationen bestimmten Armee sind außerdem noch manche Truppen organisch attachirt, welche zu den ^ocaltruppeu gehören oder Welche von den irrcgulairen Milizen gegeben werden. Iu jenen gehören die Muster- nnd Vchrtruppeu, die Invaliden- nnd ähnliche Formationen, welche bald einem Corps, bald Regimentern attachirt sind. Ferner muß man bemerken, das; ein großer Theil der für den Krieg am Kaukasus abgesonderten Truppen nach Formation nnd Nummern sich den Divisionen und Regimentern der großen Armee anschließt, gleichsam eine Fort,etzung von ihr bildet. Im Falle,dic Umstände eine Schwächung der Armee am Kaukasus zur Verstärkung der großen Armee gestatteten oder geböten, würden wohl diese Truppen zunächst zu ihr stoßen. Die große tactischc Einthcilung der großen Operatiousarmce ist, wie gesagt, nach dem Napoleonschen Systeme gemacht; es ist dabei nur zu bemerken, daß in Bezug auf die Cavallerie die Ideen des Generals v. Vismark vielen Einfluß darauf geäußert zu haben scheinen. Die Armcecorvs, in welche sie sormirt ist, sind vollständig organisirt, mit Stäben, Ingcnieurlruppcn, Train-(5quipagen, Ar-tillericparks und dergleichen mehr versehen nnd bis auf die Bespannungen hinab in einer nahe an vollständige Kriegsbereitschaft grenzenden Verfassung, der ganze Friede» obmicb der großen Maschine dem Kricgszustande entsprechend. In keiner Armee der Welt kommen im Frieden die Truppen dem wirklichen Kriegsfuße gegenwärtig so nahe, wie die Armeecorps der großen russischen Armee. Der Mehrbedarf an Pferden für den Fall des Auöbruchs eines Krieges ist nicht allein nnendlich geringer, als anderswo, sondern auch hier viel leichter zu befriedigen. Mau laun daher wohl sagen, daß (mit Ausnahme vielleicht der östreichisch-italienischen Armee) bis zum Jahre 1848 keine Macht Europas ein so schlagfertiges Heer im Frieden unterhielt. lli. 17 258 Die Armeecorps der russischen Armee sind etwas anders benannt, als anderswo gebräuchlich. CS sind, außer dem Garde-corps — was die ganze Garde in sich begreift — 1 Grenadier-, 6 Infanterie- nnd A Reserve-Cavallcriecorps. Ein Infanteriecorps bcdentet ungefähr dasselbe, wie zn Na< polcons Zeiicn ein Armeecorps; nämlich ein Corps von allen Waffen, worin die Infanterie die Hauptmasse bildet. Die Rcscrve-Cavallcriccorps gleichen den Cavallcriccorps Napoleons; sie bestehen aus Cavallcrie und reitender Artillerie; das 3te, welches aus Dragonern besteht, ist eine der russischen Armee ganz eigenthümliche Dragoner-Reserve. Der Kaiscr Nicolans hat nämlich die ältere Ioce, wonach Dragoner zugleich als Cavallerie und Infanterie fechten sotten, wieder aufgenommen, nachdem man sie allenthalben fallen gelassen, weil man es für die kleinen Aufgaben, die die frühere Zeit den Dragonern gab, zu kostspielig fand, Cavallerie eigens zn organisircn; weil man ferner immcr wieder dahin kam, eine zn einseitige Ausbildung der Dragoner — meist im cavallcristischcn Sinne — zu erlangen, und also die Lcistnngen dcr Dragoner entweder als Infanterie oder als Kavallerie illusorisch wurden. Dcr Kaiser Nicolaus nnn hat die Idee gehabt, in dem Tragonercorps ein Ncserve-corpS von allen Waffen mit dcr Beweglichkeit dcr Cavalleric zu schaffen, welches indeß zugleich als bloßes CavallericcorpS auftreten kann. Dieses Corps fann 16 Bataillone von W0 Mann mit 'l2 Geschützen^) auf eine rapide Weise auf einen entfernten Punkt werfen. Ein mächtiges Clement in dcr Hand eines Feldherrn, dcr die Tactik dcr Reserven auf eine geistreiche Art zu behandeln wciß. Cine solche Formalion ist abcr vielleicht nur in Rußland möglich, denn nirgends ist die Cavallcrie vcrhältnißmäsng so wohlfeil, dic Dienstzeit so lang. Das Gardccorps nnd das Grenadiercorps sind Corps von Elitetruppen; das letztere ist den Infanlcriecorps ganz ähnlich formirt, nur ist es nm 12 Bataillone schwächer. Das Gardc^ ') Wenn es dmck scinr Nenrvrn verstärkt ist. natürlich noch weit mehr. ^59 corps enthält die sämmtlichen Gardctruppcn, auch einen Theil der irregulairen. In Folge davon hat es bedeutend mehr Ca-vallcric und etwas mehr Artillerie. Man kann aber annehmen, daß zwei Drittel von jener nebst entsprechender Artillerie bei cinem Feldzuge zn der allgemeinen Cavallcriercscrve stoßen würden, wodurch dann das Gardecorps dem Grenadicrcorps ziemlich gleich werden würde. Die sämmtlichen Iufantericcorps, das Gardecorps und das Grenadiercorps sind, wie erwähnt, mit Ingemcurtruppm tt. versehen, deren Ausbildung indes; der Inspection des Ingenicur-corps untersteht. Das Dragonercorps (3tc Neservecavallcrie) und die Ncscrvccavallerie der Garde haben sogar berittene In-gcnieurlruppcn, gewissermaßen reitende Vrückencquipagcn, ebenfalls eine eigenthümliche, vom Kaiser Nicolaus eingeführte Einrichtung von der größten Zweckmäßigkeit. Dem Gardecorps sind auch noch Muster- und Lchrtruppcu, Veteranen und Invaliden, sowie ein Garnisonbataillon nnd ein Bataillon Gardcequipagc (Mariuc) attachirt, welche aber mehr in cinem organischen als tactischeu Verbände damit stehen und für das Auftreten im Felde nicht in Betracht kommen. Faßt man das Ganze zusammen, so scheinen die einzelnen Corps der zn großen Operationen zn verwendenden Armee bestimmt: 1) die 6 Infantcriccorps, das Gros der Armee zu bilden, welche Nußland opcriren lassen will; . 2) das Garde- und Grcnadicrcorps, die Reserve-Cavallerie-corps, die großen Armcereserven zu bilden; wobei indeß die übrigen Corps wohl uoch zu den großen Artilleric-rescrvcn abgeben. So sind denn in Rußland die Pläne zur Formation der großen Truppcnkörpcr, die anderwärts im Frieden meistens nur auf dem Papier stehen ^) — wenn sie überhaupt schon gemacht ) Auch die preußische Armee ist freilich in permanente Anneecorfts, Dlvissonen, Brigaden ,c. tingetheilt; abcr dicsc Truftftenkörpcr haben, mit Ausnahme des Gardccorps, jeder eine beschränkte territoriale Grundlage für sich. Die Folge davon ist, daß sie erst dann als 17' 260 werden konnten — und deren Ausführung bei Ausbruch eines Krieges gewöhnlich so viel Mühe und hemmende Frictionen herbeiführt — so sind also dicse Pläne in Nusiland bereits im vollen Frieden bis nahezu ins Detail ansgefnlni. Seit dem Jahre 1848 ist ohne Zweifel diese ganze Armee auf vollständigen Kriegsfuß gebracht worden. Wie die Dislo^ cation seitdem gewesen, läßt sich nicht angeben. Vorher war sie der allgemeinen Grnndidec entsprechend: 4 Infantericcorps — die sogenannte active Armee — unter dem Fürsten Paskicwitsch in russisch Polen, bildeten, was man in Enropa die polnische Armee zu nennen pflegt. Das 5. Infantcriecorps stand im Süden am schwarzen Meere. Es konnte nach Umständen mit einem Theile der abgesonderten kaukasischen Armee vereint in Asien, oder in den Donangcgenden mit Leichtigkeit verwandt werden. (Vs war 1849 in Siebenbürgen.) Das <5. Infantcriecorps stand im Innern nm Moskau; es konnte nach Umständen die polnisch oder die Armee des schwarzen Meeres verstärken. Das Gardecorps und das Grenadiercorps garnisonirtcn um Petersburg und Nowgorod. Die Rcservc-CavalsericcorpS standen znm größten Theil in den Militaircolonien von Cherson und Charkow. Dic Stärke dieser Corps nach activen und mobilen Truppcn-abtheilnngcn ist die folgende. ,V. Das Gardecorps: ». Infanterie. In 3 Garde-Infanteriedivisionen, ft Brigaden zn 2 Regimentern, dazn das finnische Garde-Schützenbataillon, das Leibgarde-Sappcurbataillon; über- wirkliche Armeekorps, auch der Stärke nach auftreten, wenn Preußen alle Landwehr erste», Aufgebots auf die Beine bringt, und daß bei Aufstellung einzelner Armeecorps fii^clnen Provinzen eine unver-hältinsimäßige Last aufgelegt wird, So sah man denn auch 1648 und 1649, wo Preußische Tnippencorps auftraten, stets neu combi-mrte Corps, Divisionen, selbst Brigaden. 26 l Haupt !1 Grenadier-, 3 Iagcr-Ncgnncnter zu 3 Bataillonen, l Bataillon Schützen ic,, Total 3? Bataillons Infanterie und l Bataillon Savpcurs, also Infanterie Ingenieur Bataillone. Bataillone. Division. 3? I — k. Kavallerie. In 3 Divisionen l» Brigaom zu 2 bis 2^ Regimentern, dazu dic reitende Garde-Pionier-Division, überhaupt 4 Euirassicr-, l Grenadier (Dragonerartiges)-, l Dragoner-, 2 Ulanen^, 2 Husaren-, 2 Kosackcn-Ncgimenter zu l» Escadrons, 2 Kosacken-Divisionen zu 2 Escadrons, l Escadron Tataren und ^ Gcnsdarmcn, also 24 Cuirassier-, 12 Grenadier- und Dragoner-, 24 Ulanen uud Husaren-Escadrons und !7^ Kosacken lc. nebst Ingenieurs: ____(Kavallerie ______ Ingenieur regul. Escdr. irrcgul. Escdr. reit. Division. 0. Artillerie,5) In einer Division 3 Fuß-Brigaden und 2 Abtheilungen reitender Artillerie: 6 schwere, 3 leichte Fuß-, 1 schwere nnd 4^ leichte reitende Batterien, (l^ der leichten reitenden Batterien sind Kosackcn-Vattcrien), jede zu 8 Geschützen- dazn ! Raketen-Batterie, also ohne die Raketen: 72 44 reit. ____ill» Geschütze 56 schwere W leichte. It. Das Grenadiercorps: «. Infanterie. In 3 Divisionen zu 2 Brigade,:: 9 Grenadier-, 3 Earabinier- (Elite-Jäger-) Regimenter zu ') Die rusfischen leichten Vatterisi, hal'eu ßiNige Kanoucn lind ^pu-dige Ginhöruer: dic stbwcreu 12di^c Kanonen uud ^pudigc Oin-l'orncr. Die Einhörner — eine Art lauger Haubitzen — siüd der rusnsämi Artillerie sigenthümlich; desgleichen die schweren reitenden Batterien. 262 3 Bataillonen, dazu 1 Grenadier-Schützenbataillon und l Sappeurbalaillon, überhaupt Infanterie Ingenieur Vatail, Batail. 3? ! b. Cavallerie. In einer Division cinc Klauen- und eine Husaren-Brigade zu 2 Regimentern zu tt Escadrons, oder 4 Regimenter mit: Kavallerie Ingenieur rcgul. Oseadrouo — 32 o. Artillerie. In einer Division 3 Fuß- und 1 reitende Artillerie-Brigaden: l» schwere und 0 leichte Fuß-Balleneu und 2 leichte reitende Battcricn, jede zu « Geschützen: 9li Fuß w reit. _____ll2 beschütze_____ 48 schwere ii4 leichte. <^. Die t'» Insailteriecorfts. a. In fanteric. Die eines Corps in 3 Divisionen;u l Musketier- und 1 Iägcr-Vrigade zn 2 Regimentern, überhaupt li Infanterie- und l» Jäger-Regimenter zu 4 Bataillonen, dazu l Schützen- uud 1 Eappeur Bataillon, giebt: 49 Bat. Inftr. I Bat, Sappeurs. dazu für noch 6 Corps 246 ^ - 0 ^ ______- Total N>2 reg, Esead. Ulanen ulld Husaren. _____ Cap aller ic ^^^^ rcgul. Escadr, irregulair 192 wechsclud. 263 c. Artillerie. Die eines Corps m einer Division, zu 3 Fuß- und 1 reitende Brigade, 4 schwere, 8 leichte Fuß. Batterien und 2 lcichtreitendc Batterien: 32 schwere, «0 leichte od.: 96Fusi- u. 10 reit., Total 112 Geschütze dazn für noch 5 Corps: l 00 schwere, 400 leichte ov.: 480 - - 50 - - 500 -l 92 schwere,480 leichte od.: )70 Fnft- n. 9t» reit., Total 072 Geschütze 570 Fusi- l»2 schw^r^480"'lcichte^ l). Die Cavallericcorps, «. Cavallcric. Das l. Rcservc-Cavallericcorps in 1 Cuirassier- nnd ! Nlanen^Division zu 2 Brigaden, zu 2 Regimentern, zn t» Escadrons, überhaupt: 8 Regilnenter mit 48 Escadr. Ebenso das 2. Ref. Total 90 Escadr. Dazn das Dragoucrcorps mit 2 Divisionen, 4 Brigaden, 8 Regimentern Dragonern zn 10 Escadrons, nebst einer reitenden Pionier-Division zn 2 Escadrons, überhaupt: 60 Csc. rcgul. Cav. nnd 2 Csc. Ing.-Tr., dazn obige 90 -______________________________ 170 Esc. rcgnl. Eav. und 2 Esc. Ing.-Truppcn. Cavallcrie Ingenieur rcgnl. Escadr, Escadr. 170 2 b. Artillerie. Das 1. Nrservc-Cavallcriccorps mit 1 reitenden Division von l schweren nnd 72 leichte - 90 Geschütze. 264 Alm«-E°ip«. ! Infanterie. V«««Il«ie. UrtiUerie. ^ Tnw^i" 1 ««mellun,. ! 3 5 ff 3 ! 3 - 7- ! ff 3 3 1 P ? ^ D ^ ! ^' Z ?- j ^ 5 ^ ^ " ' Brigade vcr. — Die I ' ! ' ' ! ' " 3 ! , ! > !! Inqenieur : Truppen Garde-Corps j 3 6,12 3?j! 3 j 6 12 i 60175 1^ 5! 15^ 44 72^ 56 60116 1 2 ! ^^^d^ Gren°dicr-lzcrps 3 6 ,2 37 1 2 4 > 32 - 1 ! 4 > 14 16 96^ 4K 64 N2 1 ! ^ ! den Ingenicm-Briga-6 Infanwie-C^rps ! 16 3K 72 294 6^12 24 !i92 «! 6 24 84 96 576192 48N 672 6 — Kcsacken-Regimenter --------------------------------.------------------------!>-----------------^----------------------------------------------------------------------------------und Batterien waren 1. Res.Cavall.-Corps — !— - 2 4 3, 48 — ! 1 — 4 32 — ^ s 24 32 — — ^ auck im Fncten der --------------------------------^------------'-----------!------------------'------------!-----------!------->------------------------^!---------------------- polnischen Armee bei-2, Res.Carall.-ColpS !-----------------------2 4 8 z 48 — 1 — > 4 ! 32 — 8 24! 32 - — ^gegeben. Ihre Zahl --------------------------—— >--------------------------------------------—---------------------^---------------------!----------------------------------- wechselt indeß. Dragrner-Ccrps - —j----------^2 4 8! 80— 1-j 4 32-! 5 24 32 -! 2,' 11 CcrpZ. 24 48 ! 96 368' 16 32 64 460 17z! 11 33 ! 125z j252 744^320 676 996 z d 4 ^ Total. !I i > ! ! ! l ! Recapitulation der in der großen Armee enthaltenen actircn Trnppcncheilc. 2S5 Danach ist also Rußland im Stande, in einem europäischen Kricgc mit 368 Bataillonen, 400 Escadrons und 996 Geschützen^) regulärer Truppen aufzutreten, ohne erhebliche Anstrengungen für ihre Mobilmachung und nachdem die innern Bedürfnisse des Reiches, die Besatzungen der befestigten Plätze ic. dnrch eigens dazu formirtc Truppen bereits befriedigt sind. Will es dabei die Macht am Kaukasus schwächen, so kommen noch 3 Infanterie - Divisionen nnd I Brigade Eliten-Infanterie (Kaukasische Grenadier-Brigade) hinzn, die mit allem Appareil eines Armee-Corps an Artillerie und Train — dagegen nur mit einem regulären Cavallcric-Regiment (das 9. Dragoner-Regiment) — versehen sind und deren Formation der der obigen Trnppen fast gänzlich homogen ist. Man muß noch ganz besonders bemerken, daß die cbengc-nannten Truppenthcile weder Rekruten, noch zu alte Leute enthalten. Weit schwieriger zu prüfen und nachznwciscn, als die Truppenthcile, ist ihre wirkliche Starke. Bei jeder Armee bleibt die Zahl der Mannschaften, wenn sie auftritt, hiutcr der zurück, welche die Listen im Voraus nachweisen. Die rnssischc Armee ist aber hinsichtlich des Unterschiedes, der zwischen dem Soll-Etat und dem Effcctiv-Etat der Truppen überall stattgefuudcn hat, wo früher russische Armeen auftraten, nicht mit Unrecht in Europa verrufen gewesen;^) nnd nicht mit Unrecht hat man einen Hauptgrund dieses Ucbclstandcs in den administrativen Lastern des russischen Eivil- und Militair-Beamtenthums finden wollen. Man weiß in Europa bereits gennq von diesem Krebs- ") Hierunter stud die Kosacken'Vattcricn dcr Garde mitl'cgriffen. Dagegen fehlte es an vollständigen Ausweisen dei Kofackcn-Natterien, welcke schon vor 1848 bei dcr polnischen Armee waren. Diese ein-geschlossen, kommt die Zahl dcr Geschütze übcr 1W0. ") Nicht mit Unrecht— gewesen! Die ungarischen Erfahrungen sol-leu bewiesen haben, dasi dicscr Ruf jetzt Unrecht ist. Leider lön-nen wir es «icht j,« Detail nachweisen, aber sehr gute Quellen versichern uns dieses Resultat als unzweifelhaft. 266 schaden des russischen Reiches, >a mau weift mehr davon, als jemals wabr gewesen ist. Weuu es gegenwärtig heißt, dort steht eine russische Armee von 100,000 Mann, so lächelte sonst jeder, und lächeln auch jetzt noch die Meisten, die sich «m courant der Tagcslitcratur mit ihren offcnbartcu Mvsierien, ihren Enthüllllngcn :e. gehalten haben. — Ja, auf dem Papier! heißt es dann: Die Tagesli-tcratur hascht ihrer Natur nach, nach Effect, das ist ihr Element, ihr Beruf. Das kann mau tadeln, aber nicht ändern! In Bezug auf Rnßland, nmß sie deu vorhandenc»l (^'ssühlcn itnd Antipathien schmeicheln. Wollte sie gründlich still statt geistreich, suchte sie die Wahrheit durch Studium festzustellen nuv zu ergründen, statt sie zu cffteurircn, so wäre sie edcu nicht Tagcsprcsse. Es ist gar leicht, aus emem Paar Aneedolcn wahren oder erfundenen, die mau sich in Petersburger oder Moskauer Kreisen zuflüstert, oder die ein slüchliger Tourist aufgehascht, ein allgemeines Urtheil zu abstrahiren, dessen Resultat dann schließlich ist, uud keck ansgesprochcn wird: die russischen Armem eristiren nur auf dem Papier, man muß au den gegebenen Zahlen stets ^ streichen; ras Geld für diese nicht vorhandenen nur sigurirenden ^ steckt in den Taschen dcr bcthei-ligtcn Civil- und Militair-Beamtcn. Nun hat zwar selbst das oberflächlichste Publikum des Abcudlaudcs ein gewisses unab-weisliches Gefühl vou Rußlands Macht. Es kann sich kein Mensch von einiger Schnlbilrnug oder Lecture dcr Bemerkung nnd innern Anerkennung entziehen, daß dieser Staat in I'>0 Jahren ans einem unbedeutenden Lande nach asiatischer Art, cine, und zwar zn Lande die bedeutendste, europäische Großmacht geworden ist; daß dieser Staat vor 40 Jahren der Macht eines Mannes widerstanden, vor dem in Europa nur England, und auch dieß nur, dank seinen hölzernen Manern, nicht in den Staub gesunken; daß seitdem, trotz alles abendländischen Nhc-torisirens, die Türkei von Nußlands Waffen gebeugt, Polen niedergeworfen und Ungarn gebändigt ist. Napoleons Acnßc-ruug — hat er sie nuu gemacht oder nicht — über die Zukunft Europas in 50 (jetzt noch einigen dreißig) Jahren, bc-Mrl um so uuangenclnner, als man diefem Manne doch eiu 267 gewichtiges, fast orakclmäßigcs Urtbeil in solchen Dingen überall zugesteht. — Also der modernen Democratic oder den Kosacken soll Europa verfallen? — Daß es mit der Republikanisirung nicht mehr recht im Fortschreiten ist, muß man allmä'lig znge-ben, soll nns nun das zweite, der Gegensatz rer Alternative der Prophczeihung treffen? Lolchen Erwägungen mit ihren nächsten drückenden Con-sequcnzen gegenüber, erleichtert es das Gemüth, sich Rußland, dessen Größe man einmal doch nickt gan; wegleugnen kann, als .einen Riesen vorzustellen, der seine Glieder nicht gebrauchen kann, seine Armee wie einen Koloß auf thönerncn Füßen, oder, um die Lieblingsredcnsart zu bcnulM, auf „papierenen". Daß die Tagespressr diesem Gefühle „Rechnung trägt", Anekdoten auf Anekcolen hallst, Austine und Golowinc eitirt, um zu beweisen, dic russische Armee cristire gar nicht, sei also auch nicht furchtbar, ist gan; natürlich, nnd kann ihr kaum zum Vorwurf gereichen. Nu>r hierdlirch findet mail ja ein Publikum, nur durch Spott, Hohn, Witz, durch Alles, was gern gehört wird, und der vorhandenen Sinnesart genehm ist und die auftauchenden Antipathien und Sympathien schmeichelt, erhält man Leser und Znhörer. Aber die feine Schärfe dieser Waffen wird leider wohl nicht die nackte, nüchterne Wahrheit niederschlagen, wenn sie sich einst in einem bösen Augenblicke nns fühlbar anfrrängcn sollte. Mit Rasirmcssern kann wolil ein Bart geschoren, aber nicht ein Schild zerschlagen werden! Nebrigens kann allerdings kein Mensch, der nicht schmeicheln will, leugnen, daß die Erzählungeu, welche im Abendlande über russischen Nntcrschlcis nnd russischen Betrug knrfircn, die früheren Znstände nicht immer gar zu schr übertreiben. Man spricht noch in England davon, daß die Officicre der russischen Schiffe, welche England in Gewahrsam nahm, alleS Tanwerk der Schiffe verkauften; man. weiß auch in Deutschland noch recht gut, wie manche russische Generale es mit den Lieferungen hielten, nnd mail versichert in Rußland, daß sich einst im Petersburger Arsenal die Kanonen einer Fregatte gefunden, welche als untergegangen rapportirt war. Es ist gar keine Frage, daß oft dic höchsten Würdenträger des Reiches, zum 268^ Theil selbst übrigens große Männer, sich früher nicht gescheut haben, die Monarchen zu täuschen nnd ihre Taschen zu füllen. Alle Kaiser und Kaiserinnen haben diese Krankheit gekannt, Manche haben sie bekämpft, Andere — worunter selbst die große Catharina ll. — haben sie gcdnldct, anch Alerander soll sie für unheilbar gehalten und znlcht mit trauernder Resignation ertragen haben. Dem Kaiser Nicolaus gebührt nnn aber unstreitig der Ruhm, sie, wie Keiner zuvor, bekämpft zu haben. Wer sein Streben mit unparteilicher Aufmerksamkeit verfolgt, der kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß dieser Mann, mit eiserner Festigkeit und Ausdauer, mit unermüdlicher Thätigkeit und mit großer Einsicht zugleich, daran gearbeitet hat nnd noch arbeitet, die Ausbrüche des Uebels zu unterdrücken nnd cs in seiner Wurzel selbst aufzusuchen nnd auszurollen. Der Kaiser, dem dieß letztere aber wirklich gelingt, dürfte sich in Wahrheit dem heiligen Georg, Nnßlands Schutzpatron, an die Seite stellen, denn dieses Uebel ist wohl der schlimmste Lindwurm, der Rußland verheert! Der Kaiser Nicolaus ist ihm nie ausgcwi-chen. Er hat ihn vielmehr bekämpft, wo er nur auf ihn traf. Wird ein Menschcnalter genügen, das Ungeheuer ganz zu vernichten? Werden des Kaiscrö Nachfolger seine Kraft und sein edles Wollen mü der Krone erben? Das sind Fragen an das Schicksal, in deren Bejahung oder Verneinung Rußlands wahrer Fortschritt oder Fall enthalten sein mag. WaS aber die Gegenwart anbetrifft, so vergessen manche Darsteller russischer Zustände, daß seit 26 Jahren der Kaiser Nicolaus regiert; sie vergessen, wenn sie an die unglaublichen Zahlen-Dcfccte der russischen Armee von 1827 und selbst noch von 1830 erinnern, daß sie dem Kaiser damals nicht entgangen sind und daß er seitdem dergleichen mit der größten Energie entgegengearbeitet hat. Ucbcrall in Rußland findet man die Spuren des unmittelbaren Einwirkcns des Kaisers, überall hat er an Ort und Stelle, wo es ihm nur möglich, persönlich eingegriffen, und er schont fürwahr keine Persönlichkeit, keine hohe Stellung, wenn er ein Unrecht einmal erkannt hat. Beispiele unbeugsamer Gerechtigkeit, wie sie den Fürsten Dadianow, einem seiner Gene- 2W raladjudanten in Tiftis traf, sind nicht selten, wenn sie auch nicht immer zur Knnde des Publikums kommen. So sehr man bei den vorhandenen Vorfällen sieht, wie der jetzige Kaiser den Unredlichkeiten und Untcrschlcifcn mit uner^ bittlichcr Strenge entgegentritt, so sehr sieht man zugleich, wie nöthig es ist, daß grade der Kaiser selbst kennt und selbst sieht, damit die Gesetze wirksam bleiben. Dcun wenn anch in den russischen Militair-Einrichtungcn und Gesetzen noch Manches enthalten sein mag, was der Untcrdrückuug dieses Uebels hinderlich ist — wir rechnen dahin die geringe Bezahlung und den großen'^) Lurus des Dienstadels, die Verbindung voll Commando und Oekonomic einer Truppe ic. — so sind doch diese Umstände theils weit mehr Hindernisse der Unterdrückung, als Ursachen der Entstehung, theils aber von ganz unbedeutendem Gewichte im Vergleich zu den eigenthümlichen sittlichen Gründen, ails denen sich in Rußland das Uebel herleitet. Man will nämlich bemerkt haben, daß einer der Hauptun-tcrschiede zwischen slavischem und germanischem National-Character im Allgemeinen darin liegt, daß jenen die eigenthümliche ritterliche, christlich-germanische, Auffassung der Ehre abgehe, welche im Abcndlande so vielfach die christliche Grnndlage überlebt hat. Keineswcges darf man darunter verstehen, daß der Slave überhaupt keine Ehrliebc habe; im Gegentheil setzt manche slavische Stämme das, was sie für ehrenvoll halten, in lebhafteste Bewegung. Aber der Begriff von dem, was Ehre ist, ist ursprünglich verschieden. ' ') Uebrigens muß man auch gegenwärtig dcu russischen Tschinofnik sdas Veamtenheer) scharf von dem russischen Officier-Corps unterscheiden. In diesem letzter» sind die graben Unterschleife, wie sie früher vorkamen, im Ganzen und Großen fast nicht mehr zu sinden, wenn auch im Einzelnen noch Manches vorfallen mag. Pstichtge» fühl und selbst Ehrgefühl verbreiten sich in immer größeren Kreisen und namentlich ist der e^i-il 6» c'ori»», der ciuen anrüchigen Ossi-cier „icht i,u Corps duldet, ihn vom Umgang ausschließt, schon sehr mächtig geworden. 270 Die Art namentlich, wie sich der Ehrbegriff in germanischen Etämmcn in Bezug auf das Ducll sowohl, wie in Bezug ans die Verschmähung gewisser Wege zu weltlichen Vorthcileit äußert, möchte der unverfälscht national-slavischen Natur fremd sein. Ohne Zweifel ist sie es der echlrussischen im ersteren Sinne durchaus^), im letzteren, ans gewissen niedern Bildungsstufen, zu einem bedeutenden Theil, und wie man so oft beim Stndium russischer Zustände, besonders auch der militairischcu, unwillkürlich Verwandtschaft mit den alten Nömcrn und Griechen findet, so gleichen die russischen Sitten auch in diesem Punkte weit mehr denen der classischen, als der romantisch-germanischen Zeit. Wann hätten Rom und Athen Duelle erlebt? Und wie wenig verübelten Beide ihren groben Bürgern ungerecht erworbene Reichthümer! Es ist schon iu der Schilderung des russischen Handwerkers und Kaufmanns gesagt, wie weit Schlauheit, Täuschen und Schmeichelei von diesen Klassen des Volks ausgebildet sind, wo es auf Ucbervortheilung ankommt;' es ist schon damals gesagt, daß ihnen der Stolz des deutschen Gcwcrbtreibendcn auf seine „reelle Bedienung" fremd ist. Vielmehr treibt er jedes Geschäft in jenem Geiste, den man im Abendlandc allenfalls nur im Pferdehandel, als einer besonderen Anomalität, einem Menschen, der ans Achtung Anspruch macht, verzeiht. Wie der russische Handelsmauu den Schacher nicht für seiner unwürdig hält, so möchte wohl der von der abendländischen Cultur uoch nicht ganz umgewandelte ächte Russe als Staatsbeamter jene zarten und stolzen Vcdenklichkeitcu nicht kennen, vermöge derer in England und einem großen Theile von Deutschland die Controlcinrichtnngcn in Geldsachen fast mehr zur Befriedigung des Selbstgefühls der Beamten, zur Nenchal- ') Wenn sich russiscke Edelleute duellircn, so darf das nickt als ein Gegenbeweis angesehen werden. Das Duell ist importirt, der wahren russischen Denkungöweisc eben so fern, wie der Frack dem Kaftan, 271 tung ihres Standes, als zum Vortheil der Staatskasse zu dienen scheiuen. Mit Absicht nannten wir eincn Tb eil von Deutschland, denn wer früher einmal die östreichische Mauth passirt ist, weiß, wie dort depravirte Sitten, lare Gewohnheiten, selbst auch viel^ leicht die slavische Mischung auf die Integrität der Beamten uicht ohne Einfluß geblieben sein mag. Wir nannten aber auch Frankreich nicht, denn gerade aus Einwirkungen von dort her erklärt sich zum großen Theil, daß seit Peter I. die russischen Tschinofniks in diesem Punkte das nationale Gebrechen so wenig abgelegt, ja man mochte sagen, so ungeheuer ausgebildet haben, obgleich so viel geschehen, um diese Tschinofniks zu cntnationa-lisiren. So empfindlich nämlich unsere hochgebildeten Nachbarn jenseits des Rheins sind, wo es auf das z»m,il tl'Iiuiml'ili- ankommt, so ist eS doch ganz leicht, aus ihrer eigenen Literatur nachzuweisen, daß eben bei ihnen zuerst die germanische Ehren-festigkeit, welche auch den Franzosen durch ihre germanischen Stammväter vererbt war, als ein veraltetes und lächerliches Hinderniß für die glänzenden Genüsse bei Seite gesetzt ist, welche von Paris ans wie das Pestgift über Europa sich verbreitet haben. Peter I, mochte mil dem ihm eigenen Scharfblick schon in den französischen Hofsitten unter Ludwig XIV. den Keim erkannt haben, der dann zur Zeit der Regentschaft und Ludwigs XV. und schließlich Robespierres sich völlig ausbildete. Um so klarer war ihm gewiß, wie wenig Nützliches und wie viel Verderbliches gerade die Russen von den Franzosen lernen rürftcn. Wenigstens cultivirte er zu einer Zeit, wo alle Höfe in Deutschland sich Franzosen verschrieben und Alle, die einen Anspruch auf Bildung und Rang machen wollten, den Franzosen nachahmten, seine Russen vorzugsweise mit Leuten, die er aus Deutschland, Holland und England holte. Dieß war ein Glück für die Russen, die ohnehin natürliche Anlagen genug zu der Art von Philosophie besitzen, die die Tonangeber der neueren Franzosen unter legitimen und illegitimen, aristocratisch- oder militairisch-absolutistischen und bürgerlich-konstitutionellen Mo- 272 narchicn eben sowohl, wie unter der Republik 5) so oft und so reclalant angewandt haben. Zum Unglück warm gerade die unter den Nachfolgern Peters, welche am meisten Vorliebe für deutsches Wesen besaßen, geeignet, Liebe zur Ehrlichkeit mit Beschränktheit verwechseln zumachen; zum Unglück huldigte gerade der größte Geist und Character, der seit Peter die russische Krone getragen, offen der französischen Frivolität. Catharina II., eine geborne Deutsche, glaubte schon aus persönlicher Politik alles Deutsche von sich entfernt halten zu müssen. Damals gewann die französische Erziehung dcS Adels das Uebcrgcwicht über die deutsche, indem diese, die schwerfälligere, die Unterstützung des Hofes vollends verlor. Die Grundsätze der ersteren hinsichtlich der Mittel zu Reichthum und Macht fanden im russischen Nationalcharactcr einen nur zu willigen Boden und die Theorie, durch Verschwendung der Reichthümer vergessen zu machen, wie man sie erworben, fand gelehrige Schüler. Mit dem Luxus uud der Verschwendung stiegen dann die Bedürfnisse, nicht aber die Gehalte der- Tschinofniks. Von da an machte die Kunst der „hohlen Hände" unglaublich große Fortschritte. Sie erreichte aber wohl unter Catharina ll. ihren Culminationspunkt wenigstens in den obern Sphären der Gesellschaft. Welchen ungehcureu Nachtheil für das Reich dieser Geist der Veamtcnwclt bringen mußte, liegt auf der Hand, und die Gcschicklichkcit und Dreistigkeit, womit der rnssische Beamte oft die Mangel der ihm anvertrauten Dinge mit einem täuschenden Firniß zn bedecken vcrsncht, macht die Gefahren der Unredlichkeit doppelt groß. Daß der kühne und geniale Tauricr es einst ') Diejenigen, welche seit dem «sprit lie» luix 6es nations Alles aus der Negienmgs-Form der Voller herleiten möchten, sagen wohl: der Absolutismus habe dic Franzosen und die Russen corrnmpnt. Die Lente derselben Gewohnheit, aber anderer politischer Meinung, sagen wohl ein Gleiches von der konstitutionellen Monarchic oder der Republik in Ve;«g auf die Franzosen, — Nas aber corrmnpirie die römischen Republicans Was erhielt die norddeutsche Integrität im absolutistischen Preußen unter Fr. Wilhelm I.« Was in Hessen? Was im coustitutionellen England? 273 wagte, seine vorüberfcchrendc Kaiserin durch die berühmten Coulisscndörfcr zu blenden und zu täuschen, scheint denn doch aber auch die Spitze aller gewagten Täuschungen gewesen zu sein. Die folgenden Zaarc wurden im Ganzen und Großen nicht mehr getäuscht, sie erkannten vielmehr gar wohl die Mißbrauche, aber wohl nicht tief genug die Qncllcn und Ursachen derselben. Paul war fürwahr kein Freund solcher Mißbrauche, aber bei aller Mühe und allem guteu Willen der Aufgabe, sie abzustellcu, nicht entfernt gewachsen. Alerandcrs edler, aber zu weich geschaffener Character, vermochte auch nicht die nöthige Energie und heilsame Harte zn entwickeln und durchzuführen, um sie wirksam zu bekämpfen. Er starb, wie man sagt, am gebrochenen Herzen darüber. Dennoch hat seit dem Tode der Catharina der Geist des Unterschlcifes in der russischen Beamtenwelt fortwährend Terrain verloren, am meisten unter dem jetzigen Kaiser, der ihn vielfach gestraft und zurückgeschreckt hat, aber der auch vieles in Belohnungen, Aufmnnterungcn und im Beispiel edler Gesinnung wirkt. Ungerecht würde es indeß im höchsten Grade sein, wollte man ans dem Obigen schließen, daß der russische Staat keine treue und gänzlich unbescholtene Diener habe; ohne Zweifel ist ihre Zahl in toß» et sa^n groß. Es giebt im russischen Adel, in der Armee uud im Beamtenstande viele Männer, deren strenge Ehrenhaftigkeit jedem preußischen oder englischen Officier-corps Ehre machen würde. Auch berücksichtige man ja, daß, was an Beispielen zur Charakteristik des Uebels angeführt wird, gewöhnlich die außerordentlichsten, cclatantestcn, oft ganz vereinzelte Fälle sind, daß einzelne solcher Falle in den rechtschaffensten Corporations von Beamten oder Ofsicicren anderer Länder ebenfalls vorkommen, und hüte sich daher, in seinem Urtheil zu weit zu geheu. So viel aber bleibt freilich als un-läugbar immer wahr, daß das Verhältniß der uurcchtlichen Leute im russischen Vcamtenstande sehr groß ist, von dem eitlen Manne an, der aus Ehrgeiz, bis zu der gemeinen Seele, die aus Habsucht den Vorgesetzten hiutergcht, die Gesetze umgeht. Was nun aber die Einwirkung solcher Unzuvcrlässigkeit in allen Fragen des persönlichen Vortheils auf die Gffcctivität der m. 18 274 Armee anbetrifft, so äußerte sic ihren Einfluß sowohl auf die Zahl als ans die physische und moralische Vedeutung der Soldaten, auf die Beschaffenheit, Tüchtigkeit und Anzahl des todten Materials ?c. in vielfacher Weise. Dieser Einfluß ging nicht selten so weit wie die Controls nur irgend umgangen, getäuscht oder bestochen werden konnte. Bedenkt man nun, wie selbst die höchstgcstclllen Diener so oft notorische Erpresser gewesen sind, so sieht man leicht, daß die russischen Kaiser so viel wie möglich selbst comroliren, d. h. verstehen und prüfen müssen. Da ist denn nun die längere Regierung eines Mannes, wie des jetzigen Kaisero, von'-unermeßlichem Vortheil für den Staat, sie erleichtert die Durchführung der großen Aufgabe. Der Kaiser vermochte dadurch nach einigen Regienmgöjahrcn sich unter seinen Dienern geeignete Werkzeuge ;u erp roden, denen er dann einen Theil der Arbeit anvertrauen konnte. Zur Ehre des deutschen Namens sei es gesagt, daß gerade die Deutschen der Ostsccprovinzen verhältnismäßig eine große Anzahl dieser Manner stets geliefert haben. Der russische Adel, der den Deutschen nicht liebt, ist hierauf immer sehr eifersüchtig gewesen. Daß der russische Adel aber untn- Kaiser Nikolaus jetzt mehr hervorgezogen wird, das beweist gewiß, daß er sich unter anderem gerade in dem Punkte gebessert hat, der hier in Frage steht; gewünscht, die Russen hervorziehen zu können, hat man schon längst und mit Recht. Wie übrigens der Unterschleif auf die Zahl und innere Beschaffenheit der Truppe wirken kann nnd auch wohl noch jetzt hill und wieder wirkt, das läßt sich im Detail nicht beschreiben. Es bleibt natürlich nicht gerade dabei, daß der Of-ficier in einer entlegenen Garnison von den: Schweiße seiner Soldaten sich bereichert und dadurch ihre militairischc Ausbildung zurückseht. Oft sind früher jahrelang Leute berechnet worden, welche fehlten; Pferde in die Weide geschickt, um das Fouragcgeld einzustreichen; die Verpflegung und Bekleidung der Leute abgeknappt, dadurch der Gesundheitszustand der Soldatm verschlechtert, Krankheit, Tod, Invalidität'vermehrt; die Ergan-znngskostcn des todten Materials gespart, dafür halbruinirtcs Material fortgeführt, die Reparaturen unterlassen, dadurch das Material vor der Zeit ruiuirt ?c., und alle diese Ersparungcn fiossen natürlich in die Kassen und Taschen derer, welche mit der, Occonomie zu thnn hatten. Schon öfter ist eingeräumt, daß Alles dergleichen vorgekommen ist, oft in mächtiger Ausdehnung. Die Mittheilung nnd Dislocation indeß, welche der Kaiser Nicolans der Armee gegeben, ist ein sehr wirksames Mittel gewesen, um diese Einflüsse in der activen Opcrationsarmce äußerst zu hemmen, wenigstens so lange Kaiser Nicolaus oder ein gleich tüchtiger Kenner des Kriegswesens nach ihm herrscht. Denn dieser Theil der Armee liegt so, daß der Kaiser ihn verhältnißmäßig leicht, also oft und unerwartet besichtigen kann. Es läßt sich also ivohl annehmen, daß das, was wir die große active Operationsarmce genannt haben, in ihrer Stärke ihren Etats so nahe kommt, wie das bei der Schwierigkeit dcS Ersatzes von Abgängen und bei dem Verhältniß der letzteren durch Krankheit und Tod in Rnsiland möglich ist. Ob bei den entfernter von Petersburg liegenden Truppen-thcilen der Localarmccn die alten Mißbrauche nicht noch grassi-/en, das muß man dahingestellt sein lassen. Uns fehlen darüber zuverlässige Nachrichten und Urtheile. Gefährlicher, wie sonst, ist es wohl, denn der Kaiser Nicolaus reist rasch, kommt oft unerwartet, kennt das Fach, die Soll-Etats nnd seine Lcnte genan, nnd straft den Betrug unerbittlich. Die activen Truppen der großen Armee aber sind oft in großen Lagern von europäischen Offizieren gesehen und wohl im Allgemeinen, wenn man auch einzelne Mißstande entdeckt haben möchte, stets nach Zahl, Material und Uebung im besten Zustande gcfuudcn worden. Die nachfolgenden Annahmen über ihre Effcctivzahl werden daher gewiß sich der Wahrheit nähern und nicht zn groß sein. Die etatsmäßigc Friedensstärke der tactischen Einheiten ist verschieden normirt, seit der Kaiser das Benrlanbungssystcm auch auf die activen Truppen ausgedehnt hat. Seitdem hatte im Frieden ein Theil der activen Truppen seine beurlaubten alteren Mannschaften einzuberufen, um sich auf den vollen Kriegsfuß zu setzen. Da aber, wie wir sehen werden, gerade 18' 276 diese in ihre Heimat!) Beurlaubten sämmtlich aus dem östlichen Theile des Reiches gebürtig waren, so würde bei einem plötzlichen Ausbruche der Feindseligkeiten die Folge gewesen sein, daß sie lediglich als Nachschub in Frage gekommen wären. Für den Augenblick ist die Berücksichtigung dieses Umstan-des eigentlich völlig unpractisch, denn es sind in dem drohenden Jahre 1848 diese sämmtlichen Beurlaubten einberufen und werden daher bis zum Kriege in Ungarn und Siebenbürgen ihre Corps erreicht gehabt haben. So viel bekannt, ist eine Beurlaubung seitdem nicht erfolgt, dagegen starke Recrutirungen; man kann also annehmen, daß trotz der starken Verwüstungen, die die Cholera und Ficbcr in Uugarn und Siebenbürgen angerichtet, die activen Truppen jetzt ^) so ziemlich ans vollem Kriegsfuß wirklich stehen werden. Da man indeß voraussehen kann, daß bei befestigtem Frieden die alte Einrichtung wieder wirksam werden wird, so soll versucht werden, die Stärke der activen Truppen der großen Operationsarmec im Fnedeuszustünde zu bestimmen, nachdem dev volle Soll-Gtat für Krieg und Frieden angegeben. Nach Abzug der zahlreichen Noncombattcmtcn (etwa 50 Bediente und Trainsoldatcn :c.) der Spiclleutc und Oberofficiere soll jedes Bataillon eines russischen Infanterie-Regiments 1000 bis 1002 Combattantcn, also Untcrofficiere und Soldaten haben, die Schützcnbataillone 658. Die Zahl der Officicre ist etwa 22, die der Spiellcutc (abgesehen von der eigentlichen Musik, welche bei einigen Regimentern sehr stark ist) etwa 25. Da , cS 8 Schühenbataillonc giebt, so sind also in der großen Armee auf vollem Kriegsfuß: 360 Bataillone zu circa 1050 Mann --- 378,000 8 - - - 700 - --- 5,600 Total Combattanlcn dcr Infanterie 383,600. Nun wurden im Frieden von jedem Bataillon Garde 50 Mann, von jedem sonstigen Bataillon circa 150 Mann beurlaubt.^^) Es würden also beim raschen Abmarsch abgegangen ') Geschrieben Ende 185l>. *') Diese Beurlaubung ward jedoä' in den Nicht-Garde "Regimentern 277 sein . . . 51,500 Mann von ... 383,600 - bleibt — 332,100 Mann Infanterie als der elalS-mäßigc Präscntbestand bci der Fahne in Friedenszeiten. In diesen Etat ist natürlich der Abgang an noch nicht ersetzten Todten, Entlassenen, Deserteurs:c. inbegriffcn. Ein guter Kenner der russischen Armee versichert indeß, daß die activen Bataillone im Frieden nie nntcr 700 präsenten Combattantcu wirklich gezählt hätten. Dies würde also ein Minimum von etwa 260,000 präsenten Combattantcn der Infanterie geben. Ans eine Cavallcrie-Escadroll kommen im Durchschnitt (nnter Repartition der Negimcntsstaoc, Spicllcntc ?c.) 1W Eombattan-ten auf vollem Kriegsfuß; also im Ganzen: 460 regulaire Escadrons zu NW Mann---87,400 Mann l0 per Escadron wurden beurlaubt — 4,600 - -- 82,800 Mann regulairc Cavalleric sollten also jeden Augenblick, auch im Frieden, marschircn fönnen. Es ist gewiß nicht zu günstig angeschlagen, wenn man annimmt, daß durchschnittlich die Escadrons mit 27 bis 28 Mann und Pferd Ausfall an die Grenze gelangt waren (die Meisten hatten sehr weite Märsche dahin). Alsdann wäre also das Minimnm, womit die Armee sogleich auftrat: 70,000 Manu regulaire Cavallcric gewcscu. Die Zahl der Geschütze kann kaum eine Verminderung erleiden, sie steigt im Gegentheil noch bedentend dnrch die Ko-sacken-Batterien. mcht etwa anf die 4 Bataillone ausgedehnt, fondern von sine»» getragen, welches außerdem die übrigen Z complett erhalten sollte. Danach wären dann vielleicht anfänglich von 7 Corps 84 schwache Bataillone zur Aufnahme der Beurlaubten in Festuugen ,c. MÜck-geblieben. 278^ Wäre also z. B. Rußland 1848 in einen Krieg mit Deutschland verwickelt worden, so hätte der Kaiser etwa 8l) Tage, nachdem er sich entschlossen die Rcscrvecorps nach Polen in Bewegnng zu setzen, mit einem Minimum von 2t»0,000 Mann Infanterie, 70,000 Mann Cavallcric nnd !)Ntt Geschützen mit etwa 25,000 Artilleristen, im Ganzen also mit mindestens 355,000 Mann in Deutschland nnd Ungarn auftreten können, ohne eine Festung zu entblößen, ohne dem Kampf am Caucasus etwas zu entziehen und ohne einen einzigen Beurlaubten einzuberufen. Dabei ist nicht zu übersehen, daß die irregulaire Reiterei mit ihrer Artillerie, die Ingenieur-Truppen, die Non-combattanten aller Art noch nicht mitgezählt sind, dnrch welche die Armee leicht eine Chiffre von 400,000 Mann erreichen würde. Gegenwärtig aber — (während der dresdener Conferenzen geschrieben) — stehen wahrscheinlich 380,000 Mann Infanterie, 87,000 Mann Cavallcrie und über 1000 Geschütze in der Art bereit, zu marschiren, ohne gewiß ^ 00,000 Mann Truppen von landwchrartigcr Formation, welche seit 1848 zusammcnberufen sind.*) Man kann also unter Veranschlagung der Kosackcn wohl annehmen, daß Rußland an einem europäischen Kriege sich jetzt mit etwa 500,000 Mann außerhalb seines Landes bctheiligen würde, ohne darnm am Caucasns oder gegen Schweden nnd England entblößt zu sein, Der Kaiser Nicolaus hat auch einigen Ideen, welche der preußischen Landwehr- und Kriegs-Reserve-Einrichtung zum Grunde lagen, eine Anwendung auf Rußland gegeben. Es ist schon gesagt worden, daß cin Theil der Mannschaften der activen Truppen sich im Frieden auf unbestimmtem Urlaub befände. Dies sind die Mannschaften aus dem östlichen Theile des Reichs, ') Nach einen, Erlaß von 1848 sind m runder Zahl bei den activen Truppen W,0W, bei den Reservetruppen 90,000 einberufene Beurlaubte eingetroffen. Letztere WM0 Haben sich an die bereits bestehenden Cadres angereiht, die gewiß ein Minimum von 10,000 Mann repräsentiren. 279 welche !5 Jahre gut gedient, dam, Anspruch auf jenen Urlaub haben, und, wenn sie Gebrauch davon machen, ohne Sold zu ihren bürgerlichen Beschäftigungen zurückkehren, biS sie nach 25jähriger Dienstzeit ganz entlassen oder im Falle eines Krieges vorher wieder zu den activen Truppen einberufen werden. Bei den Mannschaften ans den westlichen Theilen des Reichs tritt obiger Anspruch schon nach lOjähriger Dienstzeit ein. In sofern sie davon Gebrauch machen — und sie thun es meistens - , treten sie aus dem Verbände der activen Bataillone, Escadrons oder Batterien, und werden an Reserve-Bataillone ic. angereiht, welche meistens getrennt von den Regimentern :c, stehen, deren 4te, ^,te oder 6te Bataillons-, 7te, 8te, Ute ic. Escadrons-Nummer n. sie führen, je nachdem das Regiment 3 oder 4 active, l oder 2 Reserve-Bataillone lt. hat. Diese Reserve-Bataillone ?c. haben im Frieden in der Regel nnr schwache CadrcS bei der Fahne; die Officicre auf unbestimmten Urlaub — meist der Landadel, welcher einige Zeit gedient und sich zurückgezogen hat — gehören dazu. Zum Unterschiede von den Beurlaubten der activen Truppen müssen aber die der Reserve-Truppen auch im Frieden von Zeit zu Zeit zu Uebungen bei der Fahne sich versammeln.^) ') Wir gaben ^ben das Planmäßige. Gin sehr guter Kenner versichert aber, gestützt auf die Erfahrungen von 1848 bis 1850, baß die Sacke sich anders mache. Die Reserve Mannschaften würben gebildet: 1) Miss denen ans dem östliche» Tyell von 15 jähriger Dienstzeit. 2) Nn6 denen aus dem westliche» Theil von 10jähriger Dienstzeit. , 3) Aus schon früher Beurlaubten, meist ansässigen und verheira- theten Soldaten. Factisck, wenn nicht reglementansch, fielen alle diese i„ eine Masse, die, bis in ihr 25fies Dicnstjahr (vergl. übrigens später daS Nähere) jeden Tag zur Disposition der Regierung steht. Je nach den Bedürfnissen, allgemeinen oder localen, würden diese Leute gebraucht: 1) ^ur Vervollständigung der activen Eorp>5 2) oder zur theilwcisrn oder anch völligen Formation der erclusiv Reserve- (Aapnzm^) Truppen. In gewissen Fällen bildete» die Uen Bataillone der Glite-, die 5ten der 280 Man sieht, daß die Einrichtung der östlichen Beurlaubten eine bedeutende Aehnlichkcit mit der der preußischen Kriegs-Re-servisten hat und die der Reserve-Truppen manche Analogie mit der preußischen Landwehr darbietet. Dadurch, daß ein Theil der Reserve-Bataillone zugleich unter Umständen zu Depot-Bataillonen für die Ausbildung der Recruten dient, ist dann wieder eine gewisse Vcrwandschaft mit den Entrichtungen der meisten kleinen dcntschcn Staaten sichtbar, deren Truppen ans Cadres, Rccruten und Beurlaubten zu bestehen pflegen. Die gewöhnlichen siscalischcn, national - ökonomischen und eigentlich militairischcn Zwecke einer solchen Einrichtung haben auch in Nußlaud obgewaltet; daneben haben aber noch besondere, zunächst disciplinarischc'— (die sich darin aussprcchen, daß schlechtes Betragen von der Beurlaubung ausschließt) —, militair-hygienische und national-öconomische Absichten bestanden, die später besprochen werden sollen. Die ganze Summe der so gebildeten Reserve-Truppen ist in 2 große Aufgebote getheilt, deren Totalsumme sich folgendermaßen darstellt: lies Aufgebot: 9 Bataillone Grenadiere, 3 Bataillone Carabinicrs, 8l> Bataillone Linien-Infanterie und 36 Bataillone Jäger, also im Ganzen 84 Bataillone Infanterie, 52 Escadrons und 24 Fuß-Batterien, mit einem Totalbestandc in runder Summe von 98,000 Mann mit 192 Geschützen.") 2tes Aufgebot: 12 Bataillone Garde, 12 Grenadier und Carabinier, 72 Linien-Infanterie uud Jäger, überhaupt 96 Bataillone Infanterie, 62 Escadrons, 24 Fuß-, N reitende Bat- Liniel,-Nenimexw die Grsah.Truppen für die 3, resp. 4 activen Bataillone, (Ebenso bei Cavallerie und Artillerie.) Die auf unbestimmte Zeit beurlaubten Officierc würde» bei entstehendem Bedürfniß factisch nach Verfügen der Behörden vertheilt, lämen also nicht, wie die preußischen Landwehr-Ofsiciere erclusiv in die erst im Kriege zusammentretenden Formationen. ') Qb die Schützen-Bataillone das BeurlaubungS.System überall nicht haben oder ob ihre Beurlaubten unter die andern Reserve-Batail, lone vertheilt werden, habe ich nicht aufklären können. 281 terlen und 2^ Bataillone Sappcurs, in runder Summe 1l5,000 Mann mit 280 Geschützen. Diese Zahlen bedeuten natürlich nur den Sollbcstand; es Ware interessant zu wissen, wie der wirkliche Erfolg des Auf-gebotö von 1848 mit dem Formationsplanc übereingestimmt hat. Nicht eher möchten wir uns an ein Kalkül über die Effectivitat dieser Einrichtung in Nußland wagen. Eine ganz ähnliche Reserve-Einrichtung besteht auch für die am Caucasus aufgestellten Truppen, welche wegen ihrer homogenen Formation einem Infantericcorps der großen Armee ähneln, und deren Regimentsnummern sich denen der letzteren anschließen. Diese sämmtlichen Reserve-Truppen sind im Frieden nicht zu besondern Corps-Divisionen, Brigaden formirt; es scheint also die Absicht zu seiu, daß sie nach den Umständen entweder den großen Körpern der agircndcn Armee angereiht, oder zu besondern ncnformirtcn Truppenkörpcrn combinirt oder in detachirten Verhältnissen verwandt werden sollen. Recaftitulirt man danach die Zahlen der zunächst zu großen europäischen Operationen bestimmten regulairen Truppen Nußlands, auf den vollständigen Soll-Etat des Kriegsfußes, so giebt das: die kriegsbereite Armee --- 48N,000 Mann mit 996 Gesch. das 1 te Aufgebot Reserve --- 98,000 - - «92 -das2te - -- 1,5,000 - - 280 - ^ 6!i9,000 Mann mit 14M Gesch. Dazu kommen dann noch Ingenieur-Truppen, Train und die zahlreichen Formationen irregulairer leichter Reiterei. 282 ü. Htc regulairen Truppen ?n besondern localen Zwecken. Während bei den meisten Landmächten (Europas vVataill»ne, circa ^b,UW Mann Iufauterie; Total circa 317,000 Mann, wovon aber nach Gaudy höchstens 150,000 Mann außcr Landes verwandt werde» konnten. Unter Kaiser Nicolaus waren mitlen im Frieden jeden Augenblick 355,00U Mann bereit, nach Außen verwandt zu werden. 28? lion Combanantcn mit 1600 bespannten Feldgeschützen von Rußland auf die Beine gebracht werden würden, im Fall ein europäischer Krieg ausbräche. Endlich ist noch der Benennung und Nummerirllng der Truppen zu gedenken. Wie in Oestreich ist das System der Regimcntsnamcn, so wichtig für den Eorpsgcist, beibehalten; doch hat cs hier noch den Vorzug, daß die Regimenter, wie in England, sämmtlich permanente Namen baben, meist nach Provinzen oder Städten. Wohl giebt co hin und wieder Ohcfs (Inhaber), dcrcn Namen dann aber das Regiment neben dem unveränderlichen zu führen pflegt. Andere führen anch nach dem Tode berühmter Chefs deren Namen fort — (z. B. Fanagorisches Grenadierregimcnt, Fürst Suwaroff, das l)te), wodurch man zugleich das Andenken des Chefs und das Regiment ehrt. Auch die Grcnadicrregi-mcnter Kaiser Franz und König Friedrich Wilhelm III. fehlen nicht, an die ruhmvollen Zeiten der europäischen Befreiungskriege und Allianz der drei Monarchen (eben wie die Grenadier-Regimenter Alexander und Franz in der preußischen Garde) erinnernd. Viele Regimenter haben noch die Namen, die ihnen Peter der Große bei ihrer Errichtung gegeben; vor Allem sind da von der alten Garde die 2 Regimenter Preobaschcnski und Scmienoff zu nennen. Es ist bekannt, daß ein solches System eigentlich abendländischen — und zwar, wenn wir nicht irren, französischen — Ursprungs ist; doch begegnete der französischen Sitte in Rußland die alte nationalrussischc Gewohnheit, die Sotnien lvon Eto, Hundert, noch heute der Name der Kosacken-Compagmcn, deren Führer 3otnill i. e. l>illuno) des Feudal-Heeres nach den Orten, wo sie sich bildeten, zu benennen. Der französischen Revolution war cs zu aristocralisch; die Idee ererbten Ruhmes ist ja nothwendig damit verbunden. Die bloßc kalte Nummer, ohne Eindruck auf das Gemüth, hcute 44 und morgen nach einer Reduction 32, also ohne historische Erinnerungen, trat an die Stelle von Namen von solchem Klänge, wie l,il))»l /Vliemaitti und ^uvei^ne. ^^ französi-scheu Heere waren siegreich und die deutsche nulitairische Klein-meisttrci mußte natürlich auch das Gute verwerfen, waö von 288 den Tonangebern unterschied. Damals verschwanden in Preußen die Namen und Ueberlieferungen der Negimenier, die man jetzt so gern zurück hätte. Aber wie wenig Geschichtsfädcn lassen sich durch die Umformation, durch die Verschmelzungen der alten Namen zu Nummern, durch das chaotische Gewirre von 1807 bis 1813 verfolgen! In welchen Nummern verbirgt sich jetzt das Regiment Schwerin, das bei Prag (175?) so wacker stürmte? Wo das Prinz von Preußen, dessen Rccruten so rühmlich in Mähren (1758) untergingen? Für die meisten preußischen Regimenter ist der ruhmvollste Theil ihrer Kriegsgeschichte verloren, das ncuformirte aus den Rhcinprovinzen weiß nichts von dem Ruhme, den das alte aus der Mark vor ihm voraus hat und dem es nacheifern muß, das alte nichts von dem Ruhme, den es vor anderen zu behaupten hat. Rußland, neben England und Oestreich, hat das Verdienst, in dieser Beziehung das Gute von dem Alten beibehalten zn haben. Wenn es aber die Berechtigung der kleinen Truppenkörper geehrt hat, so hat es dagegen neben ihr ein System der Nummcrinmg für die große Armee eingeführt, welches die Eintheilung in große taclischc Massen auf eine so übersichtliche Weise ermöglicht hat, wie sie wohl noch nie vorher erreicht ist. In der großen Armee ist daher das System mit geringen Ausnahmen befolgt, daß die Benennung des Regiments seinen Namen und die Nnmmcr sciucu Platz in der Grundcinthci-lung (orclre 6e bawille) der Armee feststellt. Am einfachsten ist dieß letztere bei der Infanterie durchgeführt. Man muß hier zunächst festhalten, daß die Garderegimcnter keine Nummern führen und also auS dem System ausfallen. Dann aber nummerircn zuerst die übrigen Eliteregimcnter für sich durch die große Armee, inclusive der homogen formirten Truppen des kaukasischen Corps und zwar nach Waffengattung, d. h. nach Grenadier- und Carabinicrregimcntcrn. Es giebt deren: 10 Grenadier- und 4 Carabinicrregimmtcr. In der Garde sowohl, wie im Grenadiercorps, werden immer 3 Regimenter Grenadiere und l Regiment Gardejäger oder Carabiniere zusammengestellt zu einer Division von 2 Bri- 289 gaden, so daß das leichte das unterste Regiment wird. Danach ist es leicht ans der Nummer zu wissen, wohin jedes Grcnadicr-odcr Carabinicrrcgimcnt gehört. I. V. das 9tc Grcnadierrcgimcnt ist das 3tc Regiment der 3tcn Grcnadierdivision und das Iste Ncgimcnt der 2ten Brigade dieser Division. Das 2tc Carabinicrrcgiment ist das letzte Regiment der 2tcn Grcnadicrdivisiou. — Zn bemcrkcn hat man dabei nur, daß das 10tc Grenadier- und das 4te Carabmicr-regimcut (also die beiden letzten Nummern der Elite-Infanterie) die Elitenbrigade dcr kaukasischen Armee bilden. Noch einfacher ist eS mit der Linie. Dort bilden je 2 Infanterie- nnd 2 Jägerregimenter eine Brigade, zusammen eine Infanteriedivision, 3 Divisionen ein Corps. Die Infanterie-Divisionen nmnmcriren durch die Armee. Es giebt im Ganzen 42 Infanterie- nnd 42 Jägerregimenter, die nach ihrer Nummer vertheilt sind. Nach Obigem kommen je 2 Ncgimentsnnm-mern auf eine Division. Man dividirt also die Rcgiments-mmnncr durch 2 (bekommt man einen Bruch, so ergänzt man ihn zur nächsten ganzen Zahl) und erhält die Divisiousnummcr; dicsc dividirt man durch 3 (den Bruch wicder ergänzend), so hat man die Nummer der Infantcrieeorps; dcr nähere Platz ergicbt sich dann leicht. Es ist also z. V< der Platz dcS 15tcn Infanterieregiments zn finden; so kommt folgende Rechnung: 15:2--?^ Also die 8te Infanteriedivision; und zwar ist das 15te Infanterieregiment das erste dcr ersten Brigade (ebenso das !5te Jägerregiment das erste dcr zweiten Brigade dieser Division). Um die Nummer des Infantcriccorps zu finden, hat man: 8 : 3 -- 2z Die 8te Infanteriedivision ist also die zweite des 3len Infan-tcriecorps. Die Nummern dcr Schützcnbataillonc corrcspondircn mit denen dcr Corps. !8 in. 290 Bekommt man als Corpsnummer Nr, 7., so hat man zu bedenken, daß statt dieser Nummer „kaukasische Armcc" zu setzen ist. Bei der Cavallerie hat man festzuhalten, daß es, außer der Garde-Cu trassier- und den beiden leichten Garde-Cavallcric-divisioncn mit ihren besonders benannten Regimentern, vier Arten von Divisionen giebt, die für sich nnmmerircn: 1) 2 Cuirassier- und 2 Ulanendiuisionen. Erstere entHallen die 8 Linien-Cuirassicrrcgimenter, letztere die letzten 8 Linien-Ulancnregimentcr, deren es überhaupt 22 giebt, also die Ulanenregimcnicr Nr. 15. bis Nr. 22. nach ihrer Reihenfolge. Die Istc Cuirassierdivision gehört zum Isten, die 2tc zum 2tcn Rcservc-Cavallcriecorps. 2) 2 Dragoncrdivisioncn von je 4 von den 8 ersten Dragoncrregimentcrn (das 9te steht am Kaukasus). 3) 7 leichte Cavalleriedivisionen, welche die Husaren nnd die noch übrigen Ulanenrcgimentcr der Armee nach ihrer Nummer jcdcSmal in einer Ulanen- und einer Husarcn-brigade von 2 Regimentern enthalten. Die ersten 6 sind den 6 Infantcriccorps, die ?te ist dem Grmadiercorps attachirt. Es gehören also alle Cnirassicrregimenter, die Dragoncr-rcgimcnter bis auf das 9tc und die 8 letzten Ulanenrcgimcntcr zu den 3 Corps der Nescrvecavallcric in besonderen Cnirassier-, Ulanen- nnd Dragonerdivisioncn. Ihr Platz ist nach dem Gesagten leicht zu bestimmen. Dagegen gehören alle Husarcnregimentcr zn den Infanterie-und Grenadicrcorps. Die Nummer der betreffenden leichten Cavallericdivision und damit die des Corps findet sich nach Analogie der früheren Rechnung leicht. Es ist also das 12tc Hnsarenregimcnt das 2tc der Husarenbrigadc der Men leichten Cavallcricdivision, gehört also zum litcn Infantericcorps; es ist das Ute Ulancnregiment das lste der Ulanenbrigadc der nämlichen Division. Bei der Artillerie giebt es tt Nrtilleriedivisionen mlt 29 l durchgehenden Nummern der ciucn reitenden und dcr 3 Feld-(Fuß-)Artillcricbrigadcn. Die Nummern dieser Divisionen cor-rcspondircn mit dencn der Iufantericcorps, wozu sic gehören, cbcn so die ihrer reitenden Artillcriebrigadcn. Die Ate Artillcrie-division also enthält die 3te reitende Artillcricbrigadc und die 7tc, 8tc und 9te Fcld-Artillericbrigade, und gehört zum 3len Infantcriecorps. Die Fußarlillcrie des Grcnadiercorps heißt Grcnadicrarlillcric und nummerirt für sich; die reitende Brigade des Corps hat die Nr. ?., wie die leichte Cavallericdivision. Die Garde steht auch hier isolirt. Außerdem giebt es besondere 3 reitende Artillcricdivisionen, die den Nescrvc-Cavallcriccorps entsprechen. DiescS System, desgleichen das dcr Compagnien und Bataillone in den Regimentern, spricht sich durch ein entsprechendes System von Abzeichen in dcr Uniform aus, ganz ähnlich wie im preußischen. So gleichförmig also auf den ersten Vlick die Soldaten dcr Infanterie aussehen, so kann doch das Auge dessen, der mit dem System der Nummern und Abzeichen vertraut ist, ciucm einzelnen Soldaten aus dieser Masse sogleich ansehen, in Welchem kleinsten Gliede dcr ungeheuren Kette er seinen Platz siudct. Man muß darnach bekennen, daß der Mechanismus dcr großen Maschine gut erdacht ist. Wcnn seine Ausführung gut ist, wenn die einzelnen Theile innere Stärke genug haben (denn an äußerem Schimmer fchlt es nicht), wcnn die Federn gut wirken, Nädcr und Cylinder in dcr Wirklichkeit genau passen, wcnn das nöthige Fcucrungsmatcrial vorhaudcn ist und die hinreichende Glut giebt, dann scheint diese enorme Masse nur des leisen Drucks des Kenners zu harren, um in rasender Geschwindigkeit unermeßliche Kräfte zu entwickeln. „Wcnn" — sagten wir. Diese WcnnS, oft so aburtheilend von abendländischen Ignoranten beantwortet, haben eine thcilwcise Lösung bereits in dem früher Gesagten gefunden. Wir hoffen, daß im Verlaufe diescS Buchs uoch einige Hülfsmittel zu dcr weiteren Lösung enthalten sein mögen. Ganz können nur Ereignisse sie beantworten. Ob diese überhaupt kommen werden; ob menschlicher Vorwitz cS unterlassen wird, l9" 292 diese noch vielfach dunkele Kraft auf die Probe zu stellen; ob dieses mächtige Heer vergehen wird, wie alles Irdische, mit dem bescheidenen aber schöneren Ruhme, durch sein bloßes moralisches Gewicht in so verwirrter Zeit dm Frieden erhalten zu haben, oder ob es vorher noch nene Denkmäler von Mord, Brand und Jammer in der Geschichte der menschlichen Leiden und Verirrungen zu errichten berufen ist; das sind Fragen, die sich dem sorgenden Geiste vergeblich aufdrangen. Wer weiß, wie nahe ihre Beantwortung vielleicht liegt! „Zögernd kommt die Znkunft angezogen, Pfeilschnell ist die Gegenwart entflogen, Ewig still steht die Vergangenheit." Möge Europa, wenn die nahe Zukunft als Vergangenheit still steht, nicht die seiner Sohne anklagen, welche ihren Schritt ungeduldig beschleunigten, indem sie gleich leichtfertig die eigenen Kräfte überschätzten und die des Nachbarn unterschätzen lehrten. Zweiter Abschnitt. Orsahwese»; Ethnographisches der Soldateska, Vcrpfle, guug ic. ^Ilgcineinc Bemerkungen. Ersatz der Officiere, der Untcrufficiere ,c. — Die Eautoniste». Argriff, Ciurichtung, Bedeutung iu humanistischer lind milüainscher Begehung. Die ge-wdhnlicko Necrutirung. Ginstuß der NamenZuerschiedeuheit. Die allge,neine gcriuge Neigung Mii ,striegsdie»ste. Friedlicher Character der 3tusscn. Die Nicdcnslicbc^ Ursacbe der Rccnttiimig. Greintionen: dcr Adel', st'üsti^c Ercmü^nrn. Giunchtlilig der Ne-crulmmss Auswahl ^li» NlcrlNcn. Bcllirlhcilunq ;um Soldaten-stände. Der All>l'tuik. EreniÜoi, durä, Familieuverhalliiisse specieller. Ncsliltat der Nnshcbiin^ Ver^leichiiiiq mit modernen deutschen Aü-sichten übrr Necrutiri!»^. — Dle beiden Necrutirun^^-Hälften. Schicksale der Rccniten-, Transport; erste Necruten^eit: Veränderung i„ Tracht lind Ll-bein'wcise, Gute Anlagen dcr RüNen; Mii-ssusi der gieli^iösltät; freie günstige Velnüthseigeüschafteu; physische Anlage», — Vertheilmig der Recruten-, Dienstzeit, — Venrlau-bunqsstists,,,; Grlindsäl'e: Verhältniß der Beurlaubten ;ur TriN'pe. Ueber die inilitairischc Gff>cti».'ilät dcü Systems; sein (Hinssns; auf den Gesundhcils^nstaud-. sriue natioual-öconomische Seite. ^ Dienst und Disciplin: Gleichsirmiqfcit; der Stock: Gremtion von Prügeln. — Vcrheirathete Soldaten. — Die Verpflegung; das Ärtcll; N>1-tnlalverpstcgung', Sold, Verl'effemnqen in dcr reglcun'niirtrn Ver-pflegnng! i) bei Nrquartirling bei den Bauern; '^) Vei Calerni-rnng; ,5) in Militair-Eolonien-, 4) Conccntrirnngen. Fomm^c. Das welke Anssehn der Soldaten. — Gesnndheik^nstand: Stalistit der .ssranfheitcn und Slcll'lickkeit. Vergleiche mit englischen (5o-lonien. — Tracht, Bewaffnung und E^nlpilnna,; Einschnüren, Farben, Waffen, Pferde, Artillerie-System; Beschaffung des Material,?; Kosten, Celbstfabrikation. Oeconomie; ihre Mißbränche, Abstellung derselbe»; ih»,- Einfluß auf die Truppe, — Stellung de5 Soldaten zum Officier; Bereinigung ^'on Vertraulichkeit und Subordination. — Die religiösen militairischen Hebel: der Gottesdienst. — Ordens' wescn; Ehrentitel; der russische Latonr d'Anvergnc. - Oardc-Vor-;uge.— Die Osfüier-lzhavgen; ihre Bezahlung. Die (zadcttelischule». ' W4 Der Vcdarf an Officinal. Eonsiiqcr Gvsah, BildiiüMnft dcr russische» Ofsicieic; dir Viactische Scl'ulc deö Krirq^, brr ^rosicn Noluii^eii. Rctrait dcr Ofstcicrc: Ucl'el^ali^ in andcrc Carriö^c», uubcstiülmtcr Urlaub. Dc^radalion del Ofsicicrc. Ersatzwesen, Ethnographisches der Soldateska, Verpflegung :c. Der Unterschied, welcher in ihrer verschiedenen Bedeutung für die Aufgaben des großen nnd des kleinen Krieges, zwischen den regulaircn und irregnlaircn Formationen der russischen Kriegsmacht besteht, springt zwar dem Fremden nächst der Tracht vor Allem in die Allgen und ist auch wohl für die äußeren Vezie-hnngen des russischen Reichs der wichtigste; in Bezug aber aus die innern national-ökonomischen Beziehungen des Reiches sowohl, wie in Vezng aus die Psychologie seiner Krieger, liegt cin viel wichtigerer Unterschied in der Art, wie diese beiden Armeen in it ihrem Personal versehen werden. Und wenn einige Symptome sich zn zeigen anfangen, daß der erstgenannte Unterschied sich mit der Zeit verwischen dürfte, so scheint dagegen der letztere so lange bleiben zu sollen, wie Rußland an seinen Steppengrenzen einer kriegerischen Grenzbcvölkcrung bedürfen wird. Der Ersatz des Personals der rcgulairm Trnppcn wird ans verschiedene Weise beschasst. Das Corps dcrOfficicrc nnd höheren Militair-bcamtcn geht größtentheils hervor ans den, der Form nach freiwillig, eintretenden Söhnen des Adels, welche theils in Ca-dctten-Institntcn, theils als Innler in den Regimentern zu ihrem Berufe vorgebildet werden, theils aus Uuterofficicren, die nach 12 Jahren tadelloser Dieustzcit als solche ciuen Anspruch auf Beförderung zum Fahndrich haben, wenn sie cin gewisses Era-men abzulegen vermögen. Dies letztere war früher nicht nöthig. — Anch von den Innkern nnd Cadettcn wlrd jetzt cin wissenschaftliches Eramcn zum Ofsicicr verlangt. Die Classe der Unterofficierc, Soldaten, Spicl-leutc, Unterchirurgcn, Werkmeister :c. erhält ihren Zuwachs auf dreifache Weise: l) durch die Rccrutirung, 295 2) aus den Cantonisten, 3) durch freiwillige Werbung. Die freiwillige Wcrbuug ergänzte früher einen bcdcutendern Theil der Armcc; die Regimenter der alten Garde wurden geworben — meist aus Ad lichen —; einzelne Ulanen-Regimenter haben sich noch biö znm polnischen Kriege zum Theil — und zwar in Kricgszeiten — durch Werbung ans der polnischen Schliachta rccrutirt, deren Mitglieder seitdem Odnoworzen und dienstpflichtig geworden sind. Jetzt werden durch Werbung nur noch die fmnlüudischen und grusinischen Truppen ergänzt. Bei jenen beruht es auf besonders bestätigten Privilegien für das Groscherzogthum Finnland, bei seiner Erwerbung im Jahre 1800. Danach besitzt nämlich Finnland ein eigenes Militair-Budgct, mittelst welchem in Fricdenszcitcn das finnische Garde-Echützcn-Bataillon nnd eine Marine-Equipage in Finnland aus Einheimischen geworben wird, seit der Kaiser Nieolaus im Jahre 15M1 diese Verpflichtung anstatt der bisherigen Stellung 6 finnischer Jäger-Bataillone — welche er auflöste — aufgelegt hat. Die Cantouisten sind Soldatensöhne, als solche in Nußland geborene Soldaten. Jeder Sohn, der einem im activen Dienst stehenden Militair, der nicht Officicrsrang hat, geboren wird, ist durch diesen bloßen Umstand seiner Geburt zum Dienste im Heere verpflichtet. Der Grundsatz: «s,at6r c8t (i'lem mis»-tin« ci«m0N3ti-l>nt" wird dabei so weit getrieben, daß sogar dic offenbar im Ehebruch erzeugten Kinder der Soldatcnwciber — welche oft jahrelang von ihren Männern getrennt sind — keine AuSnahmc machen. Gleicher Verpflichtung unterliegen die unehelichen Kinder der Soldatenlöchtcr und Wittwen. Doch wird auf Verlangen jeder Soldatcnwittwc ein Sohn freigegeben. Wie so Manches, was in Rußland dem Abendländer auf den ersten Blick barbarisch vorkommt, bei näherer Forschung sich als ganz unvermeidlich oder gar mcnschenftcuudlich darstellt, so geht es auch mit diesem Gesetze. Es geht nämlich in Rußland bei Weitem über die Hälfte der Soldaten aus dem Stande der Leibeigenen hervor. Die Leibeigenschaft aber hört mit der Einrcihung auf. und zwar in den meisten Fällen mehr alls Gerechtigkeit gcgcu den Gutsherrn, als znr Wohlthat für den 296 Soldaten. Denn es wäre mehr als unbillig, dcm Gutsherrn einen Leibeignen zu belassen, den der Staat abnntzt; cs würde ihm ja von dem ganzeil Verhältniß in der Negcl nur dic'Psticht der Versorgung bleiben. Die Kinder des freigewordmen Vaters aber sind nicht mehr Eigenthum des Gutsherren; der Staat übernimmt des Letzteren Verpflichtung zur Erhaltung und Erziehung der Kinder, dafür erkennt er sich das Necht zu, diesen Kindern die Bestimmung zu geben, welche er für die nützlichste für sich und für sie hielt. Was den Abendländer dabei abstößt, ist der Mangel an Selbstbestimmung des Individuums. Den fühlt der Nussc nicht. Wer das Verhältniß nur so auffaßt, daß cS meistens nur der in Nußland gewöhnlichen Abtretung von „Seelen" entspricht, muß schon milder darüber denken; zu einer wahrhaft wohlthätigen Einrichtung aber wird das Eantonisten-Verhältniß iu Rußland in mchr als einer Beziehung dnrch die Entwicklung und Richtung, die ihm der Staat gegeben. Die nächste Wohlthat bringt das Cantonistcn-System der ganzen übrigen militairpsiichtigen Bevölkerung des Reiches, für die es die grade in Rußland so drückende Last der Necrutirung erleichtert. Und die Erleichterung ist eben in Folgc des Systems so bedeutend, weil das System an sich selbst den Soldaten das Heirathcn erleichtert, nnd weil der russische Staat mit Rücksicht auf den Nutzen des Systems diese Heirathcn noch befördert. Diejenigen, welche der russischen Verwaltung sehr ungern Gutmüthigkcit, Empfindsamkeit, Sorge für menschliches Wohl zugestehen, habcn gar nicht nöthig, in dicscr Beförderung der Soldaten-Ehen eine Sorgfalt für das Glück des Soldaten zu erblicken. Sie können es auch ganz einfach aus der Absicht herleiten, die Production von Rccnttcn zu vermehren nnd zu verbessern. Darum bleibt eö doch eine Wohlthat, doppelt im Vergleich zu allen europäischen Staaten, wo die Soldaten-Ehen entweder gesetzlich oder durch die Macht der Umstände so schr eingeschränkt werden. Man frage einmal den englischen Soldaten, ob er um den Prcis, seine Kinder zum Eoldatendicnst zn verpflichten, heirathen würde, wcun dagcgcn der Etaai ihre Versorgung übernähme, wcnn der Staat sie nicht allein vor 29^ dem physischen und moralischen Elende dcs schrecklichsten Proletariats schützen, sondern sie noch dazn gnt erziehen wollte. Eitle Abendländer, die Ihr Ench damit brüstet, das, Euer civilisirter Staat nicht wie der russische die Soldaten und ihre Kinder dem Vieh gleich als sein Eigenthum betrachtet;^) geht hin nach einem Kriegshafen dcs berühmten freien Englands und seht ein englisches Regiment einschiffen für die Colonicn, seht den Jammer des Unglücklichen, der rechtlich genug war, zu Heirachen anstatt zu verführen oder schlimmeres zu thuu, seht sein am Strande verzweifelndes Wcib mit seinen Kindern! So jammert man nicht um Trennung allein. — Oder zählt einmal die Listen der syphilitischen Krankheiten unter den deutschen Soldaten, welchen die Regierung das Heiralhen väterlich verbietet; zählt ihre unehelichen Kinder, ihre verführten Mädchen! — Uebcrschlagt das ganze schlechte Proletariat, welches allein der abeudländischeu Soldateska sein Dasein verdankt und welches zum Soldaten, nud Unterofficicr aufzuziehen, die „civilisirtcn" Staaten zu kostspielig faudcn! Thut das und danach habt noch dcu Muth, Nußlaud für seine Cantonisteu-Eimichlung barbarisch zu schcltcu! Weun der russische Staat sich dic Berechtigung auf den Dienst der Soldaten-Knaben zuspricht, so erfüllt er die daraus erwachsende Verpflichtung, zur Eruähruug und Erziehuug der Kiudcr beizutrageu, in großem Style. Zunächst wird das Unterkommen der Soldaten-Familien sehr erleichtert: bei fast allen Truppen, die eine Art von stabiler Unterbringung haben — namentlich bei den caseruirtcn, permanent quartirtcn — giebt ihnen der Staat Wohnung, oft auch Mobiliar. In den Cascrncn findet man oft eine ganze Reihe von Zimmern dazu eingerichtet, wo dann mehre Familien ein Zimmer bewohnen. ^^) In den Colonicn hadcn die vcrheira-thctcn Soldaten eigene Häuser. ') Diesen Vergleich fanden wir in einen, sonst mäßig gehaltene» Anf- sahc eines der eisten dcuischcn Militair-Alättcr. *) Diese Einrichwng ist m Petersburg fast elegant. Die Familicn- Vetten sind durch grüne vorhänge isollrt; außerhalb derselben ist 298 Dann aber gicbt dcr Staat für die Kinder Verpflegung, Kleidung, Unterricht, bald in Form von Beihülfen für die El-tcrn, welche sie bei sich behalten, bald indem cr sie, mit Vei-stimmnng der Eltern, bei den Nichtvcrwaistcn, völlig übernimmt. Dieser letzteren gab es schon 1830 an 24,000, welche in Knabcnhäuscrn und Cantonistcncorpö zu Unlcrofficicrcn, Musikern nnd dergl. auf Kosten des Staats erzogen wurden. Seitdem hat das Institut eine bedeutende Ausdehnung erhalten. 1842 umfaßte es uahe zu 30,000. Dcr völlig vom Staate aufgezogene Theil dieser Kinder bildet eine kleine Armee von 25 Bataillonen, 20 Escadronen und 5 Batterien, letztere mit hölzernen Kanonen. Sie enthält meistens Kinder von 12 biS 1? Jahren; doch giebt es anch Waisenhäuser für Kinder vom zartesten Aller an. Im reiferen Alter treten sie aus den Can-tonistcncorps entweder in die Lchrtruppcn, wo 8 Bataillone Carabiniers, eine Escadron Bereiter, 3 Batterien und ein Bataillon Sappcurs, für sie bestimmt sind, oder direct in die Armee, oder in noch speciellere Schulen. Ans den beiden ersteren Theilen gehen vortrefflich unterrichtete Unterofsicierc, RechnungS-führcr, Spicllcutc :c. für die Armee hervor; aus den speciellen Schulen die Werkmeister und Wevkführcr dcr technischen Truppen, die Chirnrgcngchülfen, Thicrarztc, Topographen ic. Man sieht, daß diese Klasse der Cantouistcn dasselbe für t>ic unteren Chargen dcr Armee ist, was die Cadcttencorps für die höheren. Besonders das Grercircn wird von ihnen zur Perfection betrieben. — Die Beschreibungen der großen Trnp-pcnvcrsammlung bei Wossncsensk im Jahre 1837 erzählen alle von einem Knabencorps von 3 Regimentern und l Batterie, welche mit hölzernen Säbeln und Kanonen vor dem Kaiser crcrcirtcn, wobei alle Chargen vom Divisional herab aus diesen Knaben besetzt waren. Sie bewiesen die vollkommenste Vertrautheit und Gewandtheit in. allen Evolutionen, eine erstaunliche Kenntniß aller Signale ic. :c. dcr Raum gcmcüis.l astlich. So tlwai« gcht auch nur bci dcn friedfertigen Nüssen. 299 Daß dicscr Erziehung die Mängel aller militairischcn Kua-benhänser ankleben werden, ist wohl nicht zu bezweifeln. Daß sie einseitig sein muß, die Familicnbande uud deren wohlthätige Einflüsse schwächt, ist wohl natürlich. Um so mehr knüpft sie daö Gemüth des Knaben von klein auf an seine Bestimmung. Eine ehrgeizige und strebsame Untcrofsicier - Klasse soll ans den besseren dieser Knaben hervorgehen; man spricht davon, für diese die Dienstzeit von 12 Jahre als Unterosficier abzukürzen, welche früher allein zu den Epauletten führte. — Doch darf man nicht verhehlen, daß auch vielfach über die Cantonistcn geklagt wird, der Kopf werde mehr gebildet, als das Herz. Oft hindere moralische Verworfenheit der Knaben, oft große leichtsinnige Unzuverlässigkeit des Characters — wie sie nur zu oft in Gemüthern entstehen, welche außerhalb der Familienkreise in großen Instituten gebildet wurden — ihre Beförderung nnd die weit über ihre Stellung hinausgehenden, dennoch nnr oberflächlichen, Kenntnisse dienen dann nalürlich nur dazu, dm üblen Neigungen Vorschub zu leisten, ihre Ausrottung zu erschweren. Eo zieht man denn nicht selten zum Untcrofficier in den Regimentern den einfachen, unverdorbenen Vaucrnsohn vor, sobald er nur Lust und Geschick zeigt. Iu den Posten aber, welche mehr Echulkcnntnissc verlangen, sei es auch nur Schrcibcu und Rechnen, sind natürlich die Cantonistcn eine gerade in Nußland nnschätzbare Soldaten-Klasse. Und in den bessern gewinnt die Armee jedenfalls ein starkes Gegengewicht gegen manche unmilitairische Elemente, die sie, wie wir sehen werden, aufnehmen muß. Eine andere Klasse von Cantonisten bleibt bis zum 2t)stcn Jahre in ihren Familien; der Staat hilft dnrch Vrodportionen, Kleidung und Elementarschulen bei ihrer Erziehung. Sie treten mit 20 Jahren als Gemeine ein; schwächliche Kinder werden einem Handwerker in die Lehre gegeben und nach beendeter Lehrzeit in die Militaircolonien geschickt, wo sie oft wohlhabend werden sollen. Auch diese Cantonisten sind meist gewohnt, im Hccrc ihre Hcimath zu sehen. An Vorübung nnd Schnlc fchit cS ihnen aber natürlich im Vergleich zu jcncn. Die Gcsammtsummc der Cantonistcn im Jahre l842 wird in 300 dcr Mililair-Encyclopädie auf 292,990 angegeben, wovon ?l,900 wirklich bereits im Heere dienten, 35,45i0 in den Can-tonisten-Anstalten völlig erzogen wurden, I85,t)40 bei ihren Eltern waren. Unter den 7l,900 scheinen alle die schwächlichen Kinder nicht zn zählen, welche als Schreiber in die Civil-Administrationen, als Handwerker in die Militair-Colonicn geschickt sind. Seitdem wird sie noch gestiegen sein. Was man anch von russischer Statistik halten mag, jene Zahl dient doch znm Beweise, daß die Cantonisten-Einrichtung der Armee ein starkes Verhältniß brauchbarer Elemente giebt, wie sie gerade unter den gewöhnlichen in Nußland mehr, wie anderswo, fehlen, und daß sie dem Lande die Last dcr Rckru-tirung sehr erleichtert. Denn man muß bedenken, daß die ungeheure Mehrzahl dieser Kinder unter andern Verhältnissen gar nicht geboren oder zur Landplage erwachsen sein würde. Die eilliMs ds tro»^ haben allenthalben bestanden, wo cs stehende Heere von langer activer Dienstzeit gab. Wahrend sie anderwärts als eine Bürde betrachtet wurden, die man bei Einführung der modernen Recrutenhecre geru abwarf oder verminderte, haben die eigenthümlichen Verhältnisse des russischen Heeres und VolkcS ihnen eine bis jetzt segensreiche Entwicklnng gestattet. Wir sind nicht im Stande, zu sagen, ob die jetzige kürzere Dienstzeit bei dcr Fahne ihre Zahl wieder vermindert hat. Da indeß anch die Söhne dcr Beurlaubten der Canto-nistcnvcrpstichtung unterliegen, so sollte man eher das Gegentheil vermnthen. Doch können freilich auch davon abgesehen bei gehöriger Aufmunterung schon allein die russischen Untcrofficiere, Veteranen und Invaliden eine beträchtliche Allzahl Kinder in die Welt setzen. Dauerte aber die Zunahme der Cantonisten fort, so sieht man aus jener Zahl, daß Rußland auf dem Wege zu einer Kricgerkaste ist, wie sein Adel eine solche für den Officierstand gewissermaßen bereits bildet. Es drängt sich bei dieser Betrachtung die Frage auf: ob diese Kastcnbilduug von den Schäden für das Reich immer frei bleiben dürfte, die man dem Kastenwesen im Allgemeinen zuschreibt, oder ob der Ruski Bog (der Gott Rußlands) cs auch hierin, wie in so vielen Dingen, zu 30 l einer Ausnahme machen wird. Freilich erregt da doppelle Besorgnis^ was man von dcn häufig vorkommenden Charactcr-fchlern der Eantonisten Hort; das alte: „lsui zinilieit in üu^i-is el (Illicit in moi'ilxlü, non ^rulic^ 8l,^! Elicit.," findet man ja, Dank dcn französischen Hofmeistern nnd Abmthcucrcrn, die dort „Wissenschaften" ausgebreitet haben, in Nußland überhaupt noch mehr Gelegenheit anzuwenden, als anderswo. Doch bedenke Jeder, der mit abendländischen Begriffen russische Zustände kritisirt, daß das tiefere Stndium derselben ihm fast anf jedem Schritte mit unerbittlichen Thatsachen znruft: ^ua »i laciunt idem no,» <^t, idsin! Wenn in den Cantonistcn der russischen Armee eine zahlreiche Klasse jnngrr Leute einverleibt wird, die von Jugend auf mit den Waffen nnd mit abendländischer Kricgcrsitte vertrant, an Uniform nnd Disciplin seit der Wiege gewöhnt sind, die in der Armee ihre Hcimath, in dem Kriegsdienste ihr Gewerbe sehen nnd deren kindliche Gemüther man bereits mit dcn verführerischen Erzählungen russischer Siege nnd Großthaten^) füllte, so ist dagegen die große Masse der Nccrutcn, welche die russische rcgnlaire Armee aufnimmt, in allen diesen Vczichnngen das grade Gegentheil. In Wahrheit begründet der Unterschied von Cantonisten- nnd Recrutirnngsersatz mit wenigen Ansuah-men weit wichtigere Schattirnngcn in der Ethnographie dcS rnssischen Soldaten, als die Stammesvcrschicdenhcit. Die letztere nämlich wird von dem nnmmerischcn nnd moralischen Ucbcrgewicht^dcs großrussischen Stammes gewöhnlich sehr bald absorbirt, namentlich dem Aenßeren nach; denn die eigenthümlichen, tief religiösen Volksanschaunngcn z.V., übertragen sich freilich schwer anf Lcnte, die mit andcrm Begriffen aufgewachsen sind. Man stellt es wohl als einen Ausstuß -) Ist es «in natürlicher russischer Zug, ist es eine Folge der herrschenden französischen Erziehung und Moden, alle russischen Kriegs-gcschichlcn fi„d in der pomphaften Weise der Franzosen geschrieben. Dieß mag f^ ^ Philosophic der Geschichte bcdnncrUch sein, aber die Einwirkung auf das Gemüth verfehlt es bei den eitlen Russen so wenig, wie bei den Franzosen. 302 tiefsinniger Russisicirungspolitik dar, daß im Allgemeinen die russischen Regimenter bestimmte Necrutirungs- oder Werbebezirke nicht haben. Eo gern nnn anch zugegeben werden soll, daß das russische Gonverncmcnt die Verwischung der Stammcs-untcrschicde im Reiche und noch mehr in der Armee anstrebt, so erklärt sich doch jener Umstand einfach genug daraus, daß bei den sehr verschiedenen Dienstverhältnissen der russischen Armee auch ungchcnrc Verschiedenheiten in den Abgängen stattfinden. Die Ergänzung der Regimenter nach zugehörigen Kreisen würde da wo nicht geradezu unmöglich sein, doch die Last höchst ungleich vertheilen. Würden doch anch die preußischen Provinzialtruvpcn in einem großen Kriege bald sehr gemischte Elemente erhalten müssen. Die Folge ist, daß die russischen Regimenter zwar fast sämmtlich Territorialnamen haben, daß man aber z. V. aus dem Namen Pragaisches so wenig auf polnische Elemente, als auS dem Daghcstanisches auf ihre Abwesenheit schließen darf. Vielmehr ist die ganze Infanterie und Artillerie so gut wie ganz großrussisch, nur in der Cavallcrie macht sich daneben das kleinrussische Element bcmerMch, das man vorzngsweise für diese Waffe wählt. Die Beimischungen nicht-russischen Stammes sind dann unter sich manchmal wieder so unterschieden, ein jeder für sich so schwach vertreten, das Corpsband aus verschiedenen Gründen so stark, das russische, namentlich das großrussische Element so intensiv, daß sich alle fremdartigen Elemente dem letzteren bald idcntisicircn, besonders freilich in allen äußerlichen Erscheinungen. Es ist daher manchmal sehr schwer, unter den etwa 40 Stämmen von den etwa 85 des Reichs, welche zu der Necru-iirung der regnlaircn Truppen beitragen, militairisch-ethnographische Besonderheiten zu finden. Was wir darüber in Erfahrung gebracht, ist in dem Folgenden zusammengestellt. Nach den obwaltenden Umständen konnte es natürlich nur dürftig sein. Die Großrusscn sind gelehrig, mit glücklichen physischen Anlagen zum Infanteristen; ihre Führung soll Anfangs meistens schlecht sein, da sie an körperliche Züchtigung von der Familie 303 her gewöhnt sind und die Furcht davor sic anfänglich nicht bändigt. Sie werden abcr mit der Zeit gute Soldaten; die männliche Energie dcö Characters nnd die Kraft dcs Stammes lind scinc Gelehrigkeit bewirken, daß das Corps der Ofsicierc und Untcrofsiciere selbst verhältnismäßig ^) vorzugsweise aus Großnlssen besteht. Die Weißrussen gelten für schwach von Körper, bis sie sich rund gefressen. Die Letten haben nichts mehr von dem kräftigen kriegerischen Geiste ihrer Vorfahren. Sie gelten für ein dumpfes, feiges, tückisches Geschlecht. In der Armee abcr nehmen sic russisches Wesen an, meist auch russische Confession. Sic sollen dann sehr groß thun mit dem Russenthum. Die Polcu oder vielmehr die Sarmaten — denn sie bilden nicht gerade die überwiegende Mehrzahl der polnischen Unterthanen —, wohl der einzige Stamm, außer den Tataren, der von Haus aus das Waffenhandwerk liebt. Mau weiß schon genngsam in Europa, daß der Earmat cm gcborner Soldat nnd besonders Ulan ist. Das bestätigen auch die polnischen Soldaten in der russischen Armee. Die politische Stellung der Sarmatcu — meist der Schliachta angchörig — ist bekannt, bekannt abcr auch, daß der Earmat wie der Maghyar über der Rauflust gern vergißt, für wen er rauft. Mau schickt sie seit dem Jahre 1831 vorzugsweise nach dem Kankasus, wo sie oft dcscrtiren (ein in der russischen Armee in der letzten Zeit wenig vorkommendes Verbrechen). Jetzt findet man sic ill der ganzen Armee. Die Klcin-Nusscn halt man für besonders geeignet zur Ca-vallcrie. Ein vielfach in Europa verbreitetes Vonirtheil hält die Nüssen für eme Art Ncitcrvolk, eine Verwcchseluug mit Tataren und Kosacken. Nichts weniger, als dieß ist der Fall. Der eigentliche Russe reitet fast uie^ er fahrt desto besser. Auch '1 Wir brauchen wohl nickt ausdeute», dasi wir von Deutschen hier überall nicht reden; sonst freilich würde im OfsiciercorPS ein relativ ungeheures Uebergewicht der deutsche» Elemente sich bemerklich machen. ist die russische regulairc Cavalleric früher am wenigsten von Militairs geschätzt gewesen — was freilich mit an dem kleinen russischen Pferdcschlagc lag, wesihalb noch unter Paul I. die Cunassicre aus Holstein remontirt wurden.^) — Die Klein-russcn nun sollen verhältnismäßig gute Cavallcristcn werden, um so merkwürdiger, da sie vielfach als Bauern nur mit Ochsen handthiercn. — Ihre Führung ist von Haus aus gut. Die Mordwinen, Tschercmisscn, Tschuwaschen und Tataren sollen in letzterer Beziehung den Klcmrusscn gleichen: die Furcht vor Schlägen ist bei allen diesen Stämmen, die sie zu Hause minder gewohnt sind, weit größer und wirkt weit kräftiger, als bei den Großrusscn. Auch sie, besonders aber der große Theil der Tataren, welcher noch eigentliches Ncitcrvolk ist, gelten für-gute Cavalleristen. Unter den übrigen Finnischen Stammen gicbt es einige Iägcrstämmc, welche zum Unterschiede von fast allen andern eine Vertrautheit mit dem Fenergcwchr mitbringen und gute Tirailleurs werden. Ihre Zahl ist aber zu gering. Die eigentlichen Finnlandcr kommen hier nicht sehr in Betracht — als der Nekrutirung nicht unterworfen—; sie liefern ebenfalls gute Schützen, gewandte Tirailleurs. Sic sind auch fast die einzigen guten Seeleute dcS Reiches. Die Juden — in Nußland seit 1827, in Polen seit der Revolution dienstpflichtig — sollen merkwürdiger Weise in Nußland die vorzüglichsten Militair-Handwerkcr für Flotte und Land-Heer stellen; ja man sagt, daß sie — nächst den Großrussen von Archangelsk, den Finnen, Griechen und Tschernomorischcn Kosackcn — die besten Scelcnte der russischen Flotte abgeben. So klein ihre Zahl vcrhältmßmüßig ist, so merkwürdig sind doch diese beiden Umstände, wenn sie wahr sind. Wieder und wieder erscheint Nußland als eine Ausnahme von dein, was man im Abcndlande für ausgemacht hält. Thnt man den Juden im Abcndlandc wirklich so sehr nnrccht, wenn man einen jüdischen Handwerker für fast, aber einen jüdischen Matrosen ") Zeitschrift für Kunst und Wissenschaft des Krieges, Band 62, 6. 13K. — Gaudy berichtet dl'rt als Augenzeuge. 305 lür ganz unmöglich hält? Bcweißt daS Angeführte, daß die Juden zu Allem überlegenes Geschick haben, oder bewcißt es unr, daß die Nüssen noch schlechtere Handwerker nnd noch erbärmlichere Seeleute abgeben? Als eigentliche Militairs aber scheint man in Nnßland von den Indcn doch noch nicht viel zn halten. Man ist vielmehr so überzengt von ihrer vorherrschenden durch ihre Sitten und ihre Erziehung hervorgerufenen selbst physischen Unbranchbarkeit zum Militairdienst, wenn sie erwachsen eintreten, daß ihnen in neuerer Zeit freigestellt ist, als Rccruten Iudenknabcn in die Cantonisten-Vataillone zn stellen, damit sie dort systematisch zu Militairs erzogen werden. ES verdient Erwähnung, daß diese Knaben in ihrer Religion erzogen werden; daß man aber überhaupt im Dienst in Bezug auf Sabbath und dergl. keine Rücksicht auf die Juden nimmt. UcbrigcnS sollen diese Iudcnknabcn spater meist äußerst tüchtige und tapfere Soldaten werden. Von den 65 bis 70 Millionen, die dem russischen Scepter gehorchen, mögen etwa 40 bis 45 dcr Necrutirung unterworfen und von diesen über 30, vielleicht 34 Großrnsscn sein. Nach dem, was oben gesagt ist, genügt also eine genaue mili-tairisch-ethnographische Betrachtung dcr Großrusscn, um cin Bild vom russischcu Soldaten zu gewinnen. Eine Eigenschaft aber ist fast allen dcr Recrutirnng unterworfenen Stammen gemein: sehr geringe, kriegerische Neigung und schr große Furcht vor dcm Soldatwcrdcn. Wohl nur Sarmaten, Tataren und Kaukasicr machen in ersterer Beziehung cinc Ausnahme. Dcr vorherrschende Stamm aber (und mit ihm die große Mehrzahl dcr mehr oder weniger verwandten Stamme) scheint den psychologischen Eigenschaften nach viel mehr zu einem friedlichen Volke von Kaufleuten, Fabrikanten, Bauern und Hirten bestimmt zu sein, als zu einer militairischcn die Welt beherrschenden Nation. Auch kann man in der russischen Geschichte schwerlich Beispiele finden — wie die abendländische sie so vielfach bietet —, daß dcr Durst nach militamschcm Nuhme an und für sich dieses Land in Kriege verwickelt hätte. Vielmehr scheinen die rnssischcu Kriegszüge wesentlich den Character des 306 Mittels zu höheren — oder, wenn man will, auch gemeinern — Zwecken zu tragen, dessen der Krieg nie entbehren Me. Das frühere Verhältnis; der Nation zn Polen und Tataren zeigt deutlich, daß die Russen mehr durch ihre religiösen Gefühle und ihren stark nationalen Trieb, beide aufs Ncußcrste provocirt durch die kriegö- uud haudellnstigcn Nachbarvölker, zu den Waffen getrieben sind, als dnrch Kriegslust. Nachher kam dann freilich Erobcruugs- uud Handels-Politik dazu, der Zaarcn, nicht dcs Volkes— Kosackcn ausgenommen—; odcr vielmehr, da man weiß, daß in Rußland der Zaar cine Incarnation des VolkswillcnS ist, eine Politik der Grobcruug, gestützt auf eiue vom Iaar erkannte Nothwendigkeit, die Meeresküste zu erwerben; nicht aus kriegerischem Ehrgeiz, also Krieg als nothwendiges Uebel und nicht.als Liebhaberei. Ist es nicht wic eine poetische Gerechtigkeit, daß die beiden Völker, welche früher so anhallend und so ungerecht die Nüssen bekriegt haben, daß die Tataren und Polen jetzt den Waffen der Letzteren unterworfen sind, daß die so kriegerischen Stämme dem friedlichem gehorchen? Der Character der Friedensliebe spricht sich wirklich In hundert Zügen dieses Volkes ans, das wir so oft roh, grausam und barbarisch nennen und das doch so voll weicher Empfindungen ist. Innächst ist der Russe frei von Nanflnst, selbst sein Rausch mehr thränen- und küsseselig, als zänkisch. Schläge freilich giebt cs viel in Nnßland, aber als Strafe des Herrn dem Knechte, des Vaters dem Sohne, auch wohl als halber Scherz unter Familiengliedern. Schlägereien sind eine Seltenheit, sie, die in Deutschland jcdeS volksthümlichc Vergnügen würzen müssen. Waffen führt kein Nussc, ausgenommen dessen Amtes sie sind» von der stolzen Freude des Türken odcr Arabers, des Polen, selbst des deutschen Vürgergardisten über Yatagan, Säbel oder Muskete kennt der Nussc nichts, eben so wenig von dem grimmigen Behagen des mordlustigcn Spaniers über den verborgenen Dolch. Das deutsch-französische Duell ist zwar im Adel eingeführt, wic das glatte Kinn nnd der Frack, im Volke hat cs so Wcnsg, wie diese, Vodcn gewonnen, höchstens eine Art Vorcns als Schauspiel, nicht als Streit, komnU vor. Thicrkampfe kennt man nicht; obgleich Nußland Va'rcn und Wölfe Hai, hielt und halt man zum Vergnügen nur Tauben. Kurz, der Nuffc faßt es nicht, daß der Kampf an und für sich, daß die Gefahr und das Nanfcu nnd Balgen etwas Schönes sei. Die Waffen zu führen um der Waffculust willen, das ist dem Nüssen fremd. Soldat zu werden, hat er schon gar keine Lust. Das spricht sich dcnn auch in der russischen Nckrutirung aus; zunächst schon darin, daß Peter l. eine Zwangs-Anshc-bung anordnete; er, der doch von Enropa das Kriegswesen lernte, zu derselben Zeit, wo die abendländischen Militairs in der Ergänzung durch freiwillige Werbung das militairisch und politisch Richtigste zu finden vermeinten. Welch ein Unterschied zwischen Deutschen und Nüssen! Jene versahen nicht allein die Reihen der eigenen, sondern anch die der fremden Fürsten mit gesuchten Söldnern. Rußland war kein Terrain für Landsknecht-Institutionen. Das despotische Rußland griff schon Ende des 18. Jahrhunderts zu dem Mittel, welches Ende des 19. die Jakobiner zu erfinden, oder doch von den Römern her wieder zu erwecken glaubten, und welches jetzt auf dem europäischen Contincnte als Haupt-Attribut freier Völker ausgerufen Wird, zur Conscription! Peters I. Nccrutirnngsgcsetz bildet noch heute die wesentliche Grundlage der russischen Conscription. Der Adel ward damals, oder doch bald darauf crempt, wo er früher znr Hccrcsfolgc verpflichtet war. Heute ist er von jeder Verpflichtung frei; es cristirt aber ein mdircctcr Zwang, der ihn zum Ossicicrstandc oder Civildienst treibt. Jeder Adlige der es im Heer nicht bis zum Isten Ofsicicrrang oder im Civil bis zur l4tcn Rangklassc brachte, blieb ein n^orosl, minderjährig. Jeder Sohn eines Edelmanns, dessen Vater und Großvater jenen Rang nicht erreichten, wird seiner Adelsrcchte verlustig, tritt in die Klasse der Odnoworzcn, kann also keine Seelen besitzen, muß die ererbten in einem bestimmten Zeitraume verkaufen oder dem Staate überlassen. Daß solche Odnoworzcn und ihre Nachkommen 308 durch freiwilligen Eintritt in dcn Dienst, nnter Nachweis ihrer Abkunft, den Adel wieder erlangen, mildert den Zwang, ohne ihn aufzuheben. Anßcr dem Adel sind noch gewisse Klassen von Stadtbürgern, einige besondere Eolomeen, die Kosacken, Finnland, Kau-kasien, Trans-Kaukasien, Veffarabien, alle nomadisirenden »md Sibirischen Nichtrussen, die Krinunschen Tataren ic. von der Reerutirung befreit. Anch einige Familien-Beziehungen consta-tiren persönliche Ausnahmen. Die Recrutirung selbst ist eine ganz eigenthümlich vertheilte. Sie stützt sich znnä'chst auf die Revisions-Seclcn, d. h. auf die Anzahl von stcuervflichligen Mannern, die man bei der letzten Revision in einer Gutshcrrschaft, Gemeinde :c. fand. Sie ist eine Abgabe von so nnd so viel Seelen vom Tanscnd Revisions-Seelen. Die Pro mille werden jedesmal nach dem Bedürfniß festgesetzt. Wenn also in einem Gouvernement eine Aushebung von 5 Neeruten auf das Tausend verordnet wird, so hat der Gutsbesitzer, der nach der letzten Zahlung 2000 Seelen besaß, 10 Recruten zu stellen; ebenso die Wolostcn (Gemeinden der Kronbauern, gewöhnlich von 3000 Seelen). Bruchzahlen, die dabei öfter entstehen, werden durch Zurechnung auf künftige Leistungen ausgeglichen. Eine Gcldstcucr kommt noch dazn, für die Ausrüstung; offenbar einc frühere Naturalleistung. Jetzt ist sie auf ungefähr 33 Rubel regulirt; dagegen die Ausführung der Ausrüstung Staatssache geworden. Es ist aber keineswegs nöthig, daß die gestellten Ncerntm wirklich der Gemeinde angehören. Der Staat verlangt die Ne-crutcnzahl, wobei er nur gewisse Physische Eigenschaften fordert. Früher bestimmte die Gutshcrrschaft direct, welche von ihren Seelen zum Militair abgegeben werden sollten; daß sie vor Allem die nahm, die sich schwach, unnütz, liederlich oder unbequem zeigten, war nalürlich. Von ihnen hatte man ja am Wenigsten einzunehmen; zuweilen gewann man vielleicht mit ihrer Abgabe. Daß diese Gewalt von schlechten und habsüchtigen Gutsherren zu Bedrückungen, Erpressungen, Härten aller Art benutzt worden ist und noch wird, ist nicht zn leugnen. Die bessern Gutsherrn haben aber jetzt das System der Loosung 309 eingeführt, wie es in dcn Wolostcn von dcr Ncgierung bcgon-ucn war und nach lind nach allgemein werden sollte. Doch soll merkwürdigerweise daS Loos sthr klug die zu finden wissen, welche die Gutsherrschaft am liebsten verliert. Die Scclcu, die den wenigsten Obrock versprechen, werden Soldat. Aehnlich geht cs bei dcn Wolostcn; uur daß hier die Familien immer zncrst herangezogen werden, die die meisten Seelen zählen. In dcr altcn preußischen Cantonal-Vcrfassung war es wohl nicht viel anders; in Oestreich bestand dasselbe bis auf unsere Tage, in England kommen auch vorzugsweise die Taugenichtse in die Armee und die französischen ^m>»ll^<,nt8 (wie man sagt: 80,000 von ungefähr 400,000 Mann) sind auch wohl nicht die besten Staatsbürger; dennoch galten und gelten alle diese für treffliche Soldaten. Aber wenn der Coder dcr abendländischen Heere heut zu Tage für so vielfache Vergehen die Strafen: „Verlust dcr Natioualkofardc und Unfähigkeit zum Solda-icnstandc" ausspricht, so ist eine nicht geringe Zahl der Vergehen, die in Deutschland dic Sträflingskleiduug über dcn Deliqucntcu dringcn, in Rußland der dircctc Weg zur Anlegung des Sol-datenrockcs. In Rußland wird also zum Soldatenstände vcrnrtheilt. Früher empfingen die Regimenter dadnrch viel schwcre Verbrecher; die lclMen kommen jetzt vorerst auf Probe in die Straf-Comvagnien des Ingcuicur-Ncssorls, d. h. sie werden Festungsstrafliuge, Vaugcfangenc. Dagegen führen manche Vergehen noch immer direct in die eigentlichen Reihen. Dic Degradation dcr Officicrc kann hier nicht in Betracht kommen; aber Polizci-Contraventionen mancher Art, unvorsichtiges Fahren, Vagabnndiren, wiederholte Tascheudicbcrci, liederlicher Lebenswandel R', füllcn die Regimenter mit allerhand losen Gesellen, anch z. V. mit Zigeunern. Für alle die genannten Verbrechen und Vergehen und für noch manche andere Werden Männer von l? bis 30 Jahren zur Armee abgegeben. Diese Abgabe folgt gleich auf ihre Ucbcr-führnng; das Subject aber wird dcr betreffeudcn Gutsherrschaft oder Wolost bei dcr nächsten Recmteneinstellung zu Gute gerechnet. Man sieht also, das, die russische Armee zugleich mit dcr ^3 !0 eigentlich militamschcn Aufgabe die einer Corrections-Anstalt verbindet. Doch es ist noch eines Typns von Ncmitcn zn denken, das ist der Stellvertreter, Achotnik (freiwillig dienender). Reiche Vanern, die das Loos trifft, Soldat werden zn müssen, kaufen einen solchen oft um schweres Geld. Von dem Augenblick an, wo der Handel geschlossen und das Geld gezahlt ist, wird der Achotnik nicht selten der Tyrann der Vancrn, bis zu dem Tage der Nccrnteneinstellung. Er droht davon zu gehen, und die Vanern, nm ihn abzuhalten, lhnn Alles, ihn dnrch Wohlleben zn fesseln. Mädchen werden ihm gebracht^ man führt ihn spazieren, schmeichelt ihm. Der Achotnik lebt bis zum Tage der Einstellung in clulci ^'ulnlo, bringt meist sein Geld vorher dnrch, und sucht davon zn kommen. Auch vom Regiment dcscrtircn diese loseil Miethlinge oft über die Grenze oder zu den Slaro-werzi. Die Gräfin Nowosilzoff (geb. Orloff) traf die Einrichtung, daß sie ihren Bauern den Kanf besorgte; der Preis war 2^l»<) Rubel; davon erhielt der Achotnik nur einen kleinen Theil in die Hand; ein Theil kam in die Compagnickasfc, nm ihm Zuschuß zn gewähren, der Nest in den Lombard, um ihm nach vollendeter Dienstzeit nebst Zinsen zuzufallen. Die Gräfin erhielt dasür einen Orden und die Regierung ahmte dic Sache nach. Fnr jeden, der sich meldete, streckte sic 25W Rubel vor, gegen die gleiche Summe verkaufte sie eine Quittung an einen Vanern. Doch soll dic Sache wenig Anklang gefunden haben; der Russc wird nicht gern Soldat, sieht sein Geld nicht gern in den Händen des Tschin und, waS hier besonders in Frage kommt, die Hauptlockung für lose Gesellen, gleich eine tüchtige Summe in die Hand zu bekommcu, fällt damit weg. Die Einrichtung setzt einen soliden Achotnik vorans, daß einc contra-l!il:lil) it, uchecw. — In, Westen und Norden deS eigentlichen RuMnds bctreibeu den Erwerb des Achotnik nur Polen und Finnländcr. Einige Verhältnisse befreien von der Herbciziehung zum Soldatcnstande. Familien, die nur l männliche Seele haben, darf diese nicht genommen werden. Auch einzelnstchendc Seelen — ohne Familien ^, wie z. V. Waisen, Findlinge ic. nicht, 3l1 ciilc merkwürdige Einrichtung, wovon ich daS Motiv weder begreifen noch angeben kann. Ein Vater von 3 Kindern ist ebenfalls dadurch frei nnd cs soll dics einer von dcn Gründen sein, warum in Rußland so früh gcheirathct wird. Damit aber ist cs znglcich cine Ursache, die Schrecken der Aushebung zn vermehren, dcnn 2 Kinder befreien noch nicht; ihnen wird der Vater genommen, doch werden erst die nachhcrgcborncn Kinder Eanlonisten. Die vorher Gcbmnen gehören dein Gutsherrn oder bleiben in dcn Wolostcn. Die zurückgelassene Soldatenfrau, dic ij, nach Andern N Jahre nichts von ihrem Manne hört, darf sich wieder vcrheirathen; bekommt sie vorher einen Sohn nnd wäre cs auch 2 Jahr daß der Mann abwesend war, so' gehört er dem Kaiser als Eantonist. Waö für Elemente bringt also die Nccrulirung in die Nr-mcc? Zunächst Verbrecher, Vagabunden,^) liederliche Kerle, dann Dnmmc, Fanle, Schwache; znletzt erst die guten Arbeiter, Es wirkt also die Necrutirnng wie eine Abschäumnng der Nation; dcn Abschaum wirft sie in die Armec. Immcr aber gleichen sie sich Alle in dem, daß sie nicht die mindeste Lust zu dcr ucucn Hcldenlaufbahu haben. Früher sogar ward jede Aushebung von Scenen der Gewaltthätigkeit nnd der Verzweiflung begleitet. Männer, die sich bedroht glaubten, flüchteten in die Wälder, Bauern und Soldaten mit Knitteln und Stricken dahinter her, nm sie cinznfangcn. Dabei kam es wohl zn blutigen Auftritten. Die Nccrntentrans-vorte waren besser verwahrt, als unsere Verbrccherschübc; selten kamen sie — übrigens in Zeiten, die schon weit hinter uns liegen — anders als in Ketten zum Depot. Manches darin hat sich gennldert, seit das Schicksal dcr Soldaten gebessert, ihre active Dienstzeit vermindert ist, auch wohl etwas mehr militai-rischcr Sinn im Volke zu keimen beginnt. — Doch beweisen ") Da« alte erfahrene Deutschland wußte schr gut, aber für das jmM. construirende, thut es N^th, herzusetzen, daß diese beiden Klasse» bei strenger Mllnn^ucht oft vurtrefflichc, und zwar in Rußland sehl oft die besten Suldaten geben. 3l2^ die strengen Vorschriften ^) gegen das Verbergen entlaufcncr Necrntcn, wie noch heute dcr Abscheu vor dem neuen Stande groß unter ihnen ist nnd wic das Volk mit dem Emsprnngencn sympathisirt. Simulationen von Gebrechen sind auch bei abendländischen Aushebungen ganz gewöhnlich, aber die Art, wic sie m Nnßland getrieben werden, übersteigt Alles nnd beweist zugleich den natürlichen Scharfsinn dieses VolkeS. Da ist cs nichts Seltenes, daß dcr znr Aushebung Bestimmte, von dcr ganzen Familie begleitet, in Betten wic ein Todtkranker gehüllt, vor dic Session gefahren wird; cinc halbe Stnndc später sitzt cr Physisch ganz munter, noch halbnackt von der Untersuchung her im Schnee und beweint sein Schicksal, das sein geschorenes Haar andeutet. Der untersuchende Arzt hat sich nicht durch die kränklichen Vorsichtsmaßregeln lauschen lassen (goldene Gründe sollen oft besser dic Schwache erweisen); cr hat aus dem Gc-svinnstc von Betten und Decken die pralle Puppe hervorgezogen, sie fehlerfrei befunden, das Schrcckcnswort loli! (die Glatze!) ist erschollen, sogleich befolgt; in wenigen Monaten wird aus der rohen Puppe ein so prächtiger Schmetterling geworden scin, wic jc dem Kalbfelle folgte. Dcr Bursche abcr bejammert sein Schicksal; Vater, Mutter und Geschwister, oft selbst Wcib und Kind, nehmen von ihm Abschied wie von cincm Sterbenden, uud dic Weiber heulen dic nämlichen Klagen, womit sie die Leichen ihrer Angehörigen zu begleiten Pflegen. In Moskau wird der Stein gezeigt, wo dic Frauen dcr Rc-crutcn auf immer Abschied nahmen. Auch sollen beinahe alle die zahlreichen Gcmüsehökcrinncn solche Etrohwitlwcn scin. Solche Rccrutirungsweise widerspricht denn freilich fast Allem, was dic neueren deutschen Theoretiker von dem Rohstoffe verlangen, den die Schule des Heeres zum Krieger bildeu soll. Kaum daß dic Physischen Ansprüche immer erfüllt werden, doch steht cs damit besser, als man bei nns denken möchte, wegen des überhaupt kräftigen Vaucs des großrussischen Stammes. ') Eine Familie, die lvissenllich l'iin'N Nccnitci! vcrbmlt, muß 2 stcllctt. Siuo tcine gccilNick Subjcctc darin, so sollcu die bridcu a», meiste»» Implicit» nach Tibilicn. 313 Was die Moralischen anbetrifft, so scheint es, als ob man in Rußland nicht viel Werth ans die allgemeine Moralität der Rccruten legte und sich hinsichtlich der besonderen militairischcn Moral besonders auf eine mit mächtigen physischen und Psychischen Mitteln gerüstete Disciplin verlassen wollte. Freilich hat in Rußland kein Mensch eine Idee davon, daß eS eine Ehre wäre, die cr sich durchaus nicht nehmen lassen dürfte, die „Wehrpflicht" persönlich zu leisten. Im Gegentheil schätzen sich die Ercmptcn ihre Befreiung vom Dienste nicht nur zur Ehre, sondern auch zur besonderen Annehmlichkeit. Sind darum die Nüssen schlechte Soldaten? Die Geschichte giebt uus Veranlassung, daS Gegentheil anzunehmen. Nbcr man brancht gar nicht die russische Geschichte zu lesen, um zu begreifen, daß daS obige System nicht nothwendig schlechte Soldaten hervorbringt. Das Drittel — nach Einigen im 7 jährigen Kriege gar über die Hälfte des Heeres — Ausländer in Friedrichs des Großen Heer bestand wohl größleu-theilS alls Vagabouden, und zn den „Krümpcrn" stellten Gutsherren und Gemeinden zuerst, was ihnen am lästigsten oder am wenigsten nützlich erschien. „Chrischan kann nichts lernen, er muß Soldat werden," ist ein ächt deutsches Sprichwort; und GcllcrtS Fabeln lehren uns, daß zn seiner Zeit die Väter, wenn sie an nichtsnutzigen Söhnen verzweifelten, den Soldatenrock als vorletztes Mittel — nämlich unmittelbar vor dem, „cr gab ihm eine böse Frau" — zur Besserung betrachteten. Wenn der russische Nccrut die Menschenschicht zwischen dem „Unglücklichen", der wegen schwerer Verbrechen nach Sibirien wandelt, und dem Glücklichen, den Gutsherr oder Wolost ungern missen, ausfüllt, so bewirken andere Formen der Nemttirung in England so ziemlich dasselbe. Aber freilich hatte Friedrichs Heer Stock und Fuchtel, hat das englische die cat 0' m'n?, hat das russische den Stock — oder, wie man sich in Deutschland lieber unrichtig ausdrückt, „die Knute". — Mau sieht, daß Rußland uud England noch ganz auf dem kalten national-ökonomischen und disciplinarischen Standpunkte unserer Vorfahren stehen. Man versteht dort die Factoren nicht, welche deutsche Theorie iu Rech-mmg bringt, um das nothwendige Resultat der preußischen 3!4 Wehrpflicht wieder auszugleichen, daß Männer in die Reihen eingestellt werden, von deren bürgerlicher Arbeit dcr Swat Mittel gcnug zog, um 3 andere, oft tüchtigere Soldaten zu erhalten; man ist dort noch immer dcr Meinung, daß ein schlechter Bürger mit Hülfe strenger Disciplin ein guter Soldat werden kann. (5s läßt sich nicht leugnen, daß beide Staaten einige practischc Erfahrung gemacht haben, die ihre Theorie bestätigen. „Aber", sagen die deutschen Theoretiker, „Jena und 18! 3 bestätigen die nnscre." Du lieber Gott! was ist schon und was wird in Deutschland nicht MeS auS Jena und 1813 deducirt! Einem Deutschen wird eS oft schwer, dem zu folgen; was soll mau erst von Engländern und Russen erwarten! Seien wir billig uud halten ihre Irrthümer ihrer geringeren metaphysischen Begabung zu Gute; die Prariö lauscht diese uuge-lehrten Nationen und hält ihren Geist in den Fesseln deS Vorurtheils. Früher warb die jährliche Recrutirung im ganzen Reiche gleichzeitig vollzogen; das war in'mehr als einer Beziehung unbequem. Die Bevölkerung ist an manchen Stellen so dünn, daß große Reisen dcr Aushcbungscommissionen und Recruten-cscortcn nothwendig waren, um wenige Lentc zusammenzubringen. Im Jahre 1834 theilte der Kaiser Nlcolans deshalb daS Reich in zwei Hälften, von denen in jedem Jahre nur eine herbeigezogen werden sollte; anfänglich in eine nördliche und südliche, 1839 aber in eine östliche und westliche. Die Absicht war, jeder ein ums andere Jahr etwa Z pr. millk aufzugeben. Seit Kaiser NicolauS die Armee nicht allem vermehrt hat, sondern namentlich ihren Effcctivbestand strenge aufrecht erhält, sott die Rccrutinmg die Bevölkerung schwerer drücken; durch die Neserveeimichtungen mögen freilich die Necrulenstcllnngcn mehr zugenommen haben, als der Ersatz an tüchtigen Arbeitern, der daraus hervorging. Abcr auch der Krieg am Kaukasus kostet viel Menschen. So viel ist gewiß, daß die Ehiffrc 5 von 1000 seit I83U nicht stets hat eingehalten wcrdcn können. Die Recrntirungs-ukase haben daher gewöhnlich einen erklärenden, gewissermaßen beschwichtigenden Eingang. ö!5 Dic beiden Hälften sclbst sind die folgenden: Ocstlnl'c Hälfte. Wologda, Kostroma, Iaroslaw, Wladimir, Moskwa, Kaluga, Tula, Niafan, Tambow, das Dousche Heer, Kaukasicn, Astrachan, Ssaratow, Pensa, Nishegorod, Samara, Esimbirsk, Kasan, Wjätka, Perm, Orenburg, Tobolsk, Tomsk, Ieniscisk, Irkutsk. Westliche Hälfte. Archangelsk, Olonez, Petersburg, Nowgorod, Twer, Smolensk, Pskow, Esthland, Livland, Kurland, Wilna, Grodno^), Minsk, Witepsk, Mohilcw, Wolhynicn, Kieff, Podolicn, Chcison, Taurien, Ickaterinoslaw, Poltawa, Tschernigow, Orel, Kursk, Charkow. Ein kaiserlicher UkaS ergeht gewöhnlich im Sommer und setzt dic Iahl fest; die Aushebung beginnt im November und muß bis zum I. Januar vollendet sein. Einzelne Gouvernements werden wegen Miswachs lc. wohl ausgenommen, doch wird ihnen dic Zahl zur Schuld auf spätere Leistungen geschrieben, wcuu anch nicht immer eingetrieben. Die Militaircolonicn dcS Südens stellen ein ums andere Jahr 8 ^'i- milie. Die ausgeschriebenen Lcistnngen waren: !33l». Ausnahmsweise für beide Hälften deS Reichs ohne Grusinien und Vessarabicn 5 per 1000 männliche Seelen. ltt37. Dic südliche Hälfte ... 5 l><'l- l<100 -18^8. Die nördliche Hälfte . . N z»^ l000 - - l«39. Die westliche Hälfte. . . ü l'^r 1000 -!8l0. Ausnahmsweise beide Halsten und zwar: 25 Gouvernements 0 zn>l' l000 - - 22 - 5 >><>i- l000 - - ' 4 - waren wegen Misnvachs ausgenommen, also durchschnittlich ... 5) z,l-r 1000 ') In Grodi!. z)ch5tt j^ht a»ch Vialyftock. 316 Man sicht also, daß jede Hälfte cin um das andere Jahr statt der beabsichtigten 5 s>«> mil>0 ctwa ?^ gestellt hat. Das Jahr 1848 und 1849 mit semen Märschen, scincm Feldzugc in Ungarn, Wallachci und Siebenbürgen, vor Allem wohl die Cholera, hat anf 1849 eine Anshcbnng von 8 jx'r mills für die westliche und 4 s>^r milio für die östliche Hälfte — welche nicht an dcr Neihe war — gebracht. Diese Ukase Verbreiten immer Trancr und Schrecken; dcr Adel verliert bedeutend an Vermögen — die Schercmctieffs, Dcmidoffs und Orloffs stellen oft Hunderte anf einmal —, die Haushalte verlieren Arbeiter, Väter, Brüder. Das Verhältniß dcr Tangenichtsc von erforderlicher physischer Qualification ist nicht so groß, daß durch sie allein des Kaisers Nachfrage nach Soldaten befriedigt werden könnte. Wenn der Recrnt geschoren ist, so ist damit die Trennung von scincr Familie ausgesprochen. Wenn man ihn auch nicht immer mehr in Ketten legt — wie früher wohl häufig —, so wäre es doch zn gefährlich, ihn wie m Deutschland auf einen späteren Termin einzubeordern nnd vorläufig zurückzuschicken. Die Versuchung wäre etwas groß, besonders für den Russen, der allenthalben im Vaterlande Arbeit nnd vielerwürls Verborgenheit findet und der — so sehr er das Vaterland liebt — nur wenig an die Heimath häugt. Die erste Reerutenzcit ist wohl die schlimmste; die Verzweiflung sitzt oft im Herzen dcs jungen Soldaten, der Stock ist dem Großrussen nicht so gar furchtbar, daß es nicht oft einer guten Quantität Prügel bedürfte, um ihn willig zn machen; doch erzählten mir viele Officicrc, daß sich die Nüssen — heute noch in hellen Thränen über ihre Einstellung — bald lustig in das unabänderliche Schicksal fügten. Freilich sitzen dem gemeinen Russen die Thränen loser, als dem Deutschen, und haben nicht so viel zu bedeuten. Zu dcr Gemnthsanftegung nnd den Strafen kommt noch eine gänzlich veränderte Lebensweise. Haupthaar nnd Vart, dcs ächten Großrussen Stolz und oft Heiliglhum, werden glatt geschoren; nnr dcr militairischc Schnnrrbart bleibt; dcr Kaflan weicht dcm cngcn Uniformrock und der Kapole. Das Alles mitten in dcr strengen Jahreszeit. 3l7 Auch die Kost — die übrigens keineswegs schlecht ist, wie man wohl meint — bessert sich wohl nur für die dürftig lebenden Weißrussen, Letten, Eschen und ähnliche; der Grosirussc ist cS besser gewohnt, als er es im Militair bekommt. Dazu kommt der russische Natioualzug, au die Gesundheit wenig zu deukcu, der sich auch iu der ungeheuren Sterblichkeit der Kinder ausspricht, der keineswegs iu Lieblosigkeit, sondern in fatalistischer Sorglosigkeit seinen Grund hat. Und wenn die russischen Eltcru des Kindlcins vergessen, wie sollte der russische Ofsicicr des Nccruten pflegen! Was Wunder, daß die Sterblichkeit unter ihnen schr groß ist. Früher soll sie, uach unS vorliegenden militamschcu Werken, im ersten Jahre ^ betragen haben; noch jetzt wird sie auf ^ angegeben, wohl beides viel zu hoch. Der Kaiser Nicolaus ist gerade auf diesen Umstand sehr aufmerksam geworden,^) hat dahin gewirkt, daß man mehr hygienische Rücksichten uinnnt und hat dadurch obige Verminderung erreicht. Kürzlich las man, daß auch das Schecrcu des Haupthaars vor und auf dem Transporte zum Negimcntc eingeschränkt sei. Das beweist, daß des Kaisers Sorge nicht ermüdet und läßt hoffen, daß dieser schreckliche Verbrauch ^) vou Menschen sich uoch mehr ") Der Kaiser Nicolaus hat sich dcr Nccrutirmig überhaupt, und namentlich der Lage der Reenücn in der ersten Zeit ihres Eintritts i» den Dienst, sehr angenommen. Gin kaiserlicher Flügcl-Ädjudaut wirb zur Zeit der Recrutnung in jedes Gouvernement geschirrt; er hat die Oberaufsicht über die gau^c Procedur, nimmt attc Klagen an und überwacht besonders jeden Uebergriff dcr Lccall'chiirdeu oder Ulllcrschltif. Der Nccrut, so lange er solcher bleibt, bekommt jetzt eine größere und bessere Portion, als dcr Soldat. — Für den Marsch erhält er ausnahmsweise einen Pelz und N'armc Stiefel. ") Man innsi hier doch bemerken, daß tie Annahme allgemein ist, daß ein ungeheurer Meuschenvcrbrauch in der Armee überhaupt Statt fände. Diese Annahme wird mitunter gänzlich in Abrede gestellt; dic Sterblichkeit sei — Kaiilasicn ausgenommen — nicht großer, wie anderswo. Spä!er wird dieser Punkt näher berührt werden. — Ein genauer Kenner dieser Zustände, dem wir imsere Schrift z», ermessen; solche Leute sind auch von der Krankheit der Pedanterie ergrissen. Man muß ja bedenken, daß diese Krankheit, wie jede des Geistes oder Gemüths, sich in sehr verschiedenen Formen äußert. 32? nen russischer Soldaten, Das ist genau dieselbe Bewegung, womit Iwan und Alerci die Hand an die Kappe lcgcn, den Kopf zurückrichten, die Beine streckeu, dic Gcsichtsmuskcln anspannen dic Augen aufschlagen, wenn sie militairisch grüßen. Das ist gcnau dasselbe 5!u5clm! („ich gehorche!" das prcusti^ schc „zu Befehl!"), womit sic jeden Befehl empfangen. Urbri-gcns scheint auch diese Gleichförmigkeit wesentlich in nationalen Eigenschaften ihren Grund zu haben. Die Großrusscn sind ja auch im gewöhnlichen Leben ein ungemcin homogenes Geschlecht; die Sprache dieser 'j-l Millionen ist ohne eine merkliche Verschiedenheit der Mundart in Noro uno Süd, Ost und West, bei Vornehm und Gering dieselbe. Der russische Dienst verlangt den unbedingtesten, bereitwilligsten Gehorsam, wie er sonst wohl in der Theorie gefordert, aber seit der Römer Zeit wohl nie mehr so wcit durchgeführt ist. Der russische Nationalcharactcr kommt dem entgegen, mit seiner ausgeprägten Achtung vor etablirter Amtorität. Dieses scharfsinnige Volk führt Befehl ohue Kritik aus! Der Soldat vollends frägt nie warnm, „(5s ist so der Befehl" (pl-ikuti), jst die bekannte stehende Antwort, die ein russischer Soldat giebt, wenn er gefragt wird, warum er da steht, warum er dieß oder jeneö thut oder unterläßt. Man hat eine Menge Anekdoten, welche zeigen, wie dieser pünktliche, nicht kritisirende Gehorsam oft komisch genug den Buchstaben mil dem Geist des Befehls verwe'chftlt, Wenn es nicht russische Soldaten wären, sollte man manchmal an jene ironische schottische Subordination denken, welche die Hosen auf den Bajonetten trug, iudcm sie dem Befehl, Hosen zu tragen, nachkam. Da erzählt man von Soldaten, die, als ein Schiff mit vielen Officieren anf der Newa kenterte, zum Netten beordert wurden, mit den Worten: „rettet vor Allem die Gardeofficirre!" — „Seid Ihr Gardeoffi-ciere?" fragten sie die ersten Ertrinkenden; das Wasser stopfte den Armen deu Mund und man ließ sie uutergcheu. Ein anderes Mal sollte in staubiger Zeit der Paradeplatz in Petersburg vor einer Nevuc mit-Wasser besprengt werden. Ein Platzregen fiel ein, aber die Commandos setzten dic Arbeit fort, denn „es war der Befehl so." Diese und ähnliche Anekdoten hört 328 man vicl; man muß nicht gerade auf ihre Wahrheit schwören, denn es giebt in Petersburg viele geistreiche Leute nnd noch mehr, die gern etwas Pikantes hören mögen. Dennoch haben sie immerhin etwas CharacttristischcS. Die Abendländer lachen da über die Folgen der Pedanteric. Wenn man aber hört, daß ein rnssischer Soldat in einer Nebcrschwemmuug nicht vom Posten ging, obwohl ihm daS Wasser an den Hals reichte, und auf seinem Platze ertrank, weil er nicht abgelöst war, so ahnt man, welche ungeheure Kraft in diesem russischen Gehorsam liegt. Es werden viele solcher Charactcrzüge erzählt; wir wollen nur noch zwei mittheilen, weil sie uns, namentlich der letztere, eben so sicher verbürgt sind, als bezeichnend für russischen Soldatcngcist scheinen. Vor dem Sturme auf Warschau standen zwei Grenadiere auf Posten; der eine, ein Rccrut, fragte den andern, einen alten Soldaten, nach den polnischen Schanzen vor ihnen deutend: „WaS meinst Du, Bruder, sollten wir diese Werke wohl nehmen können?" — „Ich glaube nicht," erwiederte der alte Krieger, „sie sind zu fest." — „Ja, wenn es nun aber befohlen würde, sie zu nehmen?" — „Das ist etwas Anderes, wenn es befohlen wird, so werden wir sie nehmen."*) — Bei dem Brande des Wintcrpalastcs stürzte sich ein Priester durch die brennenden Theile des Palastes in die Capelle, um die Monstranz zu retten. Es glückte ihm, sie zu erreichen und er eilt zurück; auf einem Gange sieht er durch den Rauch einen Soldaten. „Komm mit!" ruft er ihm zu, „oder Du wirst umkommen," — „Nein!" sagte der Soldat, „ich stehe auf Posten; aber gieb mir den Segen." Dabeibleibt ') Erst beim Druck ward bemerkt, daß dieselbe charakteristische Anecdote bereits an einer frühern Stelle dieses Vuchs sich findet. Sie konnte hier nicht fortbleiben, da von der gegenwärtigen Abhandlung über Rußlands Kriegsmacht rin besonderer Abdruck genommen werden soll. — Wiederholungen namentlich von ausgesprochenen Principien finden sich überhaupt viele in diesem Werle. Sie waren häufig nöthig, um bic verschiedenartigen Conseqncnzen daraus ;u folgern. — Auch sind die einzelnen Theile und Abhandlungen des Werls in den etwas weit aus« einander liegenden Räumen von 8 Jahren entstanden. Erst b«im Druck und der Corrector traten sie dem Verfasser nach und nach entgegen. — Das ist freilich nur eine halbe Entschuldigung! 329 er unerschütterlich; der Priester ertheilt ihm den Segen und rettet sich mit Mühe. Von dem Soldaten sah man nie etwas Wieder. Ist in diesem russischen Gehorsam nicht etwas Antikes? Jeder erfahrene Officier wird gern die kleinen Nachtheile eines solchen Gehorsams hinnehmen für die unermeßlichen Vortheile, die er verspricht. Wenn der russische Nationalcharactcr die Mutter eines solchen hingebenden Gehorsams ist, welcher an die Zeiten der römischen Legionen erinnert, so hat der Stock in Rußland wohl noch mehr Antheil an der Valcrrollc, als einst die Weinrebe *) in threr Vermählung mit Römersinn bei der Erzeugung von römischer Soldatentugend (virtus). Es ist schon berührt, wie Unrecht die der russischen Soldatcntngcnd thnn, die sie nur aus dem Stock herleiten; noch größeres Unrecht aber geschieht dem Stock von denen, die ihn alS den Mörder aller Kriegcrtugcnden verschreien. Es mag übrigens sein, daß die Züchtigung mit dem Stocke da nicht ohne überwiegenden Nachtheil angewendet werden kann, wo cS gelungen ist, die Stimmung der Volkstheile, welche zum Soldaten beisteuern, auf die empfindliche Höhe der ursprünglich chcvalercsken Auffassung dieser Strafe zu schrauben. Die Ehre ist immer wesentlich Sache des Gefühls, also schwankend und relativ; wird das Ehrgefühl der Soldaten durch Schläge so gebrochen, daß sie fortan stumpfsinnig und verzweifelnd fort vc-gctiren, vertragt das Ehrgefühl der besseren nicht, mit dem schlechten Kerl zusammen zu dienen, der verdiente Hiebe empfangen hat; dann freilich mag man der Anwendung dieser Strafe entsagen müssen. Die Franzosen wollen unter Graf St. Germain's Kriegsministcrium diese Erfahrung an ihren Truppen gemacht haben; mall hat seitdem ein Mittel aufgegeben, welches für das einzige gehalten wird, daß in gewissen kriegerischen Momenten von großer Dringlichkeit außer der Todesstrafe angewandt werden kann, um einen heilsamen Schrecken zu verbreiten und die entfesselten Gemüther der Soldaten znr ') Das Züchtlgungswcrkzeug für die römische» Soldaten. — Also die Römer waren auch nicht dcr Meinung, daß Schläge die Heere verschlechtern. Damit können sich die Russen denn wohl für die Ver-achtung der deutsche» Moralisten trösten. 330 nothwendigsten Mannszncht zurück zu führen. Merkwürdigerweise haben die Ideen der französischen Revolution, so sehr sie Verachtung gegen alles Romantische und Achtnng gegen alles Altrömische vorschützten, in Bezug aus militairische Disciplin vie Ungebnndcnhcit des Ritterthmns zum Vorbilde genommen. Man weis;, wie die Erfahrung des Krieges und die Einsicht tüchtiger Generale nachher die Strafgesetze der französischen Armee mit Blnt geschrieben und blutig allsgeführt haben. Gon-vyon St. Cyr erkennt darum auch an, daß die Unmöglichkeit der körperlichen Züchtigung eine nachihcilige Lücke im französischen Mlitairstrafsystem gelassen. Die Ideen der französischen Revolution haben sich ja über das ganze Abendland verbreitet; sie haben ja in jüngster Zeit die gänzliche Abschaffung der Stockprügel in einigen deutschen Heeren durchgesetzt. Die Folge davon wird ohne Zweifel sein, daß man nach einigen Erfahrungen, grade wie unsere Nachba-rcn im Westen, Galeere nnd Kugelschlcppen im Frieden, Todt-schicßen im Felde, über Verbrechen verhangen mnß, welche nn-sere unaufgeklärten Vorfahren mit hundert Nnthenhieben belegten, Will man anders der Mannszucht Kraft erhalten. Das haben die Wohlmeinenden unter den Abolitionistcn übersehen, daß die eigentliche Frage nicht stand: „Prügeln" oder „nicht"? oder „Prügeln" oder „Proclamationcn"?; sondern „Prügeln" oder „Todtschießen"? In Rußland haben bekanntlich die moderneu Idecu nur unter einigen verbildeten Adeligen Eingang gefunden nnd verstecken sich seit dem Schrecken von 1^25 nnd von l tt«jl>. Wenn es aber schon Manchen, die die deutschen niederen Klassen kcn-ncn, abgeschmackt vorgekommcu ist, daß Menschen, welche heutc noch ihre Vergnügungen mit Prügeln würzten, welche hcutc als Lehrling bei jeder Gelegenheit den Knieriemen fühlten, nnd welche dagegen eine tief wurzelude Idee des Schimpfes mit Gefängniß nnd besonders Corrections-Anstaltcn verbanden; oaß diese selben Menschen morgen mit einem Male im bunten Rock der Hnmanitat nnd des Ehrgefühls wegen, anstatt mit einer wohl verdienten Tracht Schläge mit Karrenstrafc belegt werden sollen; so würde eine solche Einrichtung in der russischen Ar- 33» mee Alles übersteigen, was noch an Absurdität vorgekommen ist. Zunächst haben wir ja gesehen, daß die Armee bereits in mancher Beziehung eine Art Corrections-Anstalt ist; dann aber fehlt im russischen Volköcharacter anch jede Epnv von der empfindsamen Fiction, durch welche im Abcndlande ein Degenstoß oder eine Kugel für angenehmer gehalten wird, als ein Stoctstreich. — Dem gemeinen Russen sind Prügel eben nur Prügel schlechtweg, nichts mehr, nicbtö weniger. Namentlich nntcr den Großrusscu ertheilt jede Autorität des gewöhnlichen LcbcnS Prügel, ohne daß Liebe und Freundschaft darunter litten. Alles prügelt, der Vater den Sohn, der Mann die Frau, der Gutsherr oder Oeconom den Bauern, ohne daß man Tücke oder Erbitterung daraus folgen sähe. Anch der Nucken des Russen ist Prügel gewohnt, und doch sind sie seinen Nücken-nervcn noch weit empfindlicher, als seiner Seele; sie schmerzen ihn, aber sie bessern ihn, wenn sie anders richtig angewendet werden. Alle Ofsicicrc behaupten, daß die störrigstcn Taugenichtse zuletzt doch gebessert würden; also der grade Gegcnsah von dem, was man im Abendlande von den Wirkungen des Stockes phantasm. Aus Desertion vor dem Feinde steht in Rußland dreimaliges Gassenlanfen durch das Bataillon, waS unter Umständen auf WNU Hiebe herauskommen kann; anderwärts die Kugel. Der grobnervigtc Russe überdauert die Strafe gewöhnlich; auch schlägt man in Rußland nicht scharf^), dafür desto mehr. Es ist wohl kaum zweifelhaft, ob der Nüsse, wenn er gefragt würde, nicht diese höchste Strafe lieber nähme, als die Todesstrafe oder selbst zchujährigc Karrcnstrafc nach deutschem Systeme; und es ist dem Verfasser dieser Studien folgende bezeichnende Geschichte für ganz gewiß erzählt: Ein Ofsi-cier deutschen Stammes dictirtc zweien Soldaten für ein Vergehen je 50 Hiebe. An dem ersten, einem schlechten Kerl, ließ er sie ') In England lvaren früher 999 Hiebe mit der cnt o'mno das Höchste. Sic wurdcu fast der Todesstrafe gleich gehalten und zogen fast rc-«clmüsilg Invalidität nach sick. Freilich siüd Spießrilthenhiebc nie so sclilimm, wie solche an Gerüsten sorgsam aufgemessene H'ebc. Man ftblägt aber auch überhaupt in Rußland nicht scharf zu bei körperlichen Züchtigungen. 332 vollziehen, dem zweiten aber, einem Manne von sonst ausgezeichneter Führung, sagte er: „Sieh', Iwan, du hattest auch .10 Hiebe verdient; weil du aber früher dich immer gut betragen, will ich diesmal davon absehen und dir nur deine Vergehen nochmals ausführlich auseinandersetzen und vorhalten." — „Abcr, Baluschka!" sagte der Delinquent, „warum wolltest du mir nicht lieber die 50 Hicbc geben lassen?" Die Knute, der bekannte Inbegriff alles Russischen für gewisse Leute, kam, auch ehe sie ganz abgeschafft war, als mi-litairischc Strafe gar nicht vor. Sie traf überhaupt, mit sehr wenigen Ausnahmen, nur die schwersten Verbrecher vor der Ab-, fi'chnmg nach Sibirien; sie ward ertheilt für Verbrechen, denen anderwärts vor den neuesten Abolitionsbewegungen die Todesstrafe zu folgen Pflegte. Seit Kurzem ist sie ganz abgeschafft. Es scheint, als ob das weiche Gemüth dieses Volkes, welches wir uns so gern als roh und barbarisch vorstellen, vor der Todesstrafe stets einen größern Abscheu empfunden habe, als die germanischen und romanischen Stämme. Sie kommt in Rnßland nur für Hochvcrrath vor; erklärlicherweise das größte Verbrechen in einem Lande, wo Gott, Zaar und Vaterland so innig verwebte Begriffe sind. Ist bisher dem Stocke in Rußland das Wort geredet, so kann man das weniger der Ausdehnung, in der er angewandt wird. Diese ist noch ganz, wie jene im altpreußifchen und alt-hessischen Heere, welche Scume so beißend, wie nach einer andern Seite hin ungerecht, gegeißelt hat.^) Sie ist innerhalb sehr weiter Grenzen in die arbitrairc Gewalt einzelner Vorgesetzten gegeben. Durch einen einfachen Befehl lann der Lieutenant !50, der Oberst 500 Prügel aufmessen lassen; da mag denn Leidenschaft und übele Laune oft Vergehen empfindlich strafen, die nicht begangen sind. Dieser Uebelstand wiegt zwar in Nußland weit geringer, als sonst wo, vermöge der väterlichen Stellnng, die jeder Obere, der militairische sowohl wie der Grundherr, wirklich in dem ') „Da stehst du Mensch mit deinem Bajonmtte, „Voll eingefuchtelter Vermessenheit". 333 Gemüthe des Russen einnimmt; dann sieht auch dergleichen auf dem Papiere immer unendlich viel schlimmer aus, als es sich in der Wirklichkeit gestaltet; dennoch kann der Abendländer sich nicht erwehren, diese Willkühr für einen Uebelstand zu halten. Der Kaiser Nicolaus soll auch dieser Ueberzeugung sein; bei aller Machtvollkommenheit ist es aber doch immer schwer, Gewohnheiten zu ändern, oft bedenklich; und man muß russische Zustände sehr genau kennen, um im einzelnen Falle beurtheilen zu können, ob nicht die Abstellung eines Uebelstandcs die Her-vorbringung eines größeren zur Folge haben wird. Deßhalb mag der Kaiser aus guten Gründen noch gezögert haben, diese Strafe vom gerichtlichen Erkenntnisse abhängig zn machen. Die Nachricht, daß es geschehen sei, hat öfters die Runde durch die Icitungcn gemacht; ein sonst wohl unterrichtetes Blatt, „der Soldatenfreund," versichert eS'als positiv. — Hat der Kaiser Nicolaus es einmal angeordnet, so wird er es anch durchführen, Wenn ihn Gott am Leben erhält. Damit würde dann die Prügelstrafe in Rußland auf dem Fuße stehen, wie in England. Irren wir nicht, so wird von dem Augenblicke an bei den besonneneren deutschen Militairs das russische Strafsystcm für vorzüglicher gehalten werden, als das französische oder gar das neue deutsche, und zwar nicht allein für russische Soldaten. Ob aber grade bei den» russischen Soldaten die Abschaffung der arbitrair durch die Vorgesetzten zn verhängenden Prügel und die Beschränkung dieser Straft auf gerichtliche Erkenntnisse die Wirkungen haben würde, die man z. B. in England voraussetzen könne; das kommt Einem zweifelhaft vor, wenn man hört, daß die deutschen Officiere grade darum so verhaßt wären, Weil sie systematisch prügeln ließen, während der Rnssc es nur in der Aufwallung thut. Ein englischer oder deutscher Soldat hätte gewiß einen Schlag letzterer Art übeler genommen, als ein rechtskraftig verdientes und ertheiltes Dutzend. Uebrigcns wird das Prügeln nicht allein durch die Vorschriften, sondern auch durch die sich ändernden Gewohnheiten fortwährend seltener. Es geschieht nur noch für schlechtes getragen; nicht für Versehen, ltnd damit ist die Furcht vor der Prügelstrafe größer geworden. 334 In den Grcmtioncn von der Prügelstrafe, die in Nußland stattfinden, zeigt sich leicht die Wirkung abendländischer Immigration. Man konnte Officiere aus dem Abendland? nicht wohl unter den Stock stellen, wenn man ihrer bedürfte. Daher ist auch der ganze Officicrstand — wie der Adel überhaupt — von jeder körperlichen Strafe, Tod ausgenommen, befreit. Zu Peter's Zeiten mußte der Bojar, wie man sagt, noch oft den Stock und zwar den unmittelbar kaiserlichen fühlen, uud unter den Kosacken-Officicrcn, wo sich die nationalen Sitten reiner erhalten haben, als in der regulairen Armee, kamen ja gelegentlich handgreifliche Zurechtweisungen in den Freiheitskriegen noch oft vor, mögen auch noch jetzt ab und an sich ereignen. Geprügelt werden darf der Adlige nicht, mag er nun Epauletten tragen oder sonst im Heere dienen (was in Folge der Degradationen selbst unter den gemeinen Soldaten nicht selten vorkommt); erst nach dem Verluste der Adelsrechte, welcher freilich leicht genug erkannt wird, untersteht er dem Stocke; ebenso giebt es noch andere Klassen der Unterofficiere und Soldaten, welche jenes Ehrenrechtes genießen. Es giebt also auch im russischen Heere eine Art Strafklassc, welche allein dem Stocke unterworfen ist, nur mit dem Unterschiede von den deutschen Einrichtungen, daß diese Klasse in Nußland die Regel und die Befreiung vom Stocke die Ansnahme bildet. Einige dieser Einschränkungen stammen erst vom jetzigen Kaiser; daß sie nicht immer allzugenau innc gehalten sind, daß aber der Kaiser entschlossen ist, den Gesetzen Achtung zu verschaffen, das hat man vor einigen Jahren an dem Beispiele des Generals A.....erfahren, der wegen Züchtigung befreiter Personen vor ein Kriegsgericht gestellt wnrde. Von den Heirathen der Soldaten ist schon bei Gelegenheit der Cantonisten die Ncdc gewesen. Es ist schon damals gesagt, daß sie nicht allein nicht gehindert, sondern sogar gefördert würden, indem die Krone Unterkunft und Ernährung der Familien ganz oder thcilwcise vielfach übernimmt. Natürlich aber läßt sich das nicht weit bei den Truppcntheilcn durchführen, die in Bewegung sind und für einen großen Theil namentlich der Soldaten, welche sich vor ihrer Einstellung vcrhcirathm, wird 336 die Ehe illusorisch. Die Frauen bleiben daher zurück und man zählte vor einigen Jahren Il»5,l)l)0 solcher Strohwittwen. Nur, m Grusicn, Sibirien nnd den Militair-Eolonien köimcn dic Soldaten fordern, daß ihre Familien auf Kosten des Gouvernements folgen, in Grusicn sogar die Kinder, welche bereits vor der Einstellung geboren waren, und von denen das Gouvernement die leibeigenen Knaben gegen eine festgesetzte Summe ablöst. Diese Familien sind dann aber auch der militairischcn Disciplin unterworfen und es soll nach Einigen die Moralität nicht immer durch die Einrichtung gewinnen. Die Krone giebt für jeden Sohn einen halben Vajock (die tägliche Portion), vom 14. Jahre an einen vollen, ansicrdem Kleidung. Dic Verpflegung dcS russischen Soldaten ist in Europa nicht so sehr wegen der Beschaffenheit der ordonnancirten Portionen, als wegen der ungebührlichen Verkürzungen durch die Oeconomic-Officierc vcrschricn. Was daran früher auch Wahres gewesen sein mag, den gegenwärtigen Zuständen thut man sehr Unrecht. Der Verfasser dieser Studien hat selber an verschiedenen Orten ganz unvorhergesehener Weise sich vielfach von der Güte und Neichlichfeit der Soldateukost überzeugt, nur an einigen Stellen des Kaukasus sie schlecht gefunden; dort aber ist auch die.Verpflegung sehr schwierig und der Iaar sehr weit. Die russischen Verpslegungs-Einrichtungen sind ganz eigenthümlicher Art, man kann sie nicht beurtheilen, ohne das „Ar-tell" vorher zu kennen. Hierunter versteht man das gemeinschaftliche Guthaben aller Untcrofficierc und Soldateil einer Compagnie; es wird gebildet durch Abzüge vom Sold, Zuschüsse des Gouvernements und durch das Geld sür Nebenverdienste, bei öffentlichen oder Privat-Arbeiten. Die letzteren sind nicht allein an vielen Orten gestattet, sondern werden selbst begünstigt. Der Verdienst für beide aber stießt in das Arte«. Aus dem Artell werden nun Gemüse, Salz :c. zur Verpflegung, außerdem aber auch Putzmatcrial, Zwirn, Nähnadeln u. dergl. und Karren und Pferde^) znr Fortschaffung des Pro- ) Dlese Aeschaff,,,,^ ^„^ gl^s!«,',, Theils des Nrmcc-Trains ist cimr allrussischen Einrichtung, ebeuft' wic dic Selbst Verpflegung, cnt- ^36 viants für die Compagnie bestrMen. Erst bei dem Austritt ^aus der Compagnie erhält der Einzelne seinen Antheil heranS, der sich nicht selten auf 150 Rubel (Silber?) belaufen soll. Nach neuer Verordnung fällt das Artell in 2 verschiedene Kassen, voll denen eine dem Soldaten allein bei seinem Aus-trcten aus dem Dienst zu Gute fällt, die andere während seiner Dienstzeit für allgemeine Zwecke verwandt werden kann. Durch Stimmenmehrheit gewählte Unterofficicre und Soldaten verwalten diese Kasse. Es ist diese ganze Einrichtung ein lebendiger Ausdruck des russischen Associationsgcistcs, zugleich aber auch offenbar ein höchst wirksames Mittel zur Begründung, Erhaltung und Beförderung des militairischcn Corpsgeistcs. Ursprünglich aus russischem, volksthümlichem Wesen hervorgegangen, ist das Artcll nachher von der Regierung acccptirt, und wird jetzt von ihr geschützt und in seinem wahren Werthe gewürdigt. Die vorgeschriebene Lieferung der Verpstcgungsgegcnstände geschieht alle Monat an die Trnppe. Sie betragen per Kopf: 2 Tschctwerik Noggcnmchl oder 0,95 prcnß. Scheffel, 1^ Ganntz Grütze - 0,09 - 12 Vesek Branntwein, 10 Pfund Fleisch oder «,76 preuß. Pfund. Die russischen Compagnien backen nämlich auch Hhr Brod selbst in eigenthümlichen Backöfen, die sie rasch in der Erde an den Ufern der Bäche und Flüsse zu errichten wissen, wo sich thonigc Lagen zum Bau oft finden nnd wo dann anch das Wasser gleich zum Bau, wie zum Backen bei der Hand ist. Der Staat spart also den Transport von Fcldbacköfcn; doch wird bei schnellen Operationen auch Sachari, Zwieback von schwarzem Brode, geliefert. Die tägliche Fleisch-Nation beträgt danach nur ^ Pfund prcuß. und zwar frischen Fleisches, Salz wird den Compagnien vom Gouvernement zum Er-zeugungsprcise überlassen. stammt. Sie hatte und hat nocl, den Nachtheil einer Vermehrung des Trosses, den Vortheil einer besseren Erhaltung der Tralnpfelde. Wcr weiß, wie der Trainsoldal mit den Klon-Trainpferden umzugehen Pfiegt, wird diesen letzteren Vortheil zu würdigen wissen 337 Die tägliche Brod-Ration beträgt (1 preuß. Scheffel Roggen-mehl — 105,82 Pfd., also 2 Tschetwcrik ^ 0,95 preußische Scheffel — 100,53 Pfd. Mehl, durch Addition von mindestens ^ --- 125,66 Pfd. Roggcnbrod gerechnet) also etwa 4 Pfd. Brod täglich, ^) insofern alles Mehl zum Backen verwandt wird. Da man sonst wohl statt ^ Pfund Fleisch 1 Pfund Brod in der Verpflegung rechnet, so sieht man, daß die ordonnan-cirtc Verpflegung in Rußland der preußischen überlegen ist und der englischen, der schwersten von allen abendländischen, gleich fame, wenn man nicht zu bedenken hätte, daß das kältere Klima mehr Nahrnngsstoffe erfordert, wie denn z. B. ein wcißrussischcr Bauer täglich bis 7 Pfd. Brod — etwa 6 Pfd. prcuß. — con-sumircn kann, ohne sich darmn besonders kräftig zu entwickeln. Daneben ergicbt ein Blick auf die Solbverhältuissc, daß der russische Soldat durch den Sold weniger in Stand gesetzt wird, seiner Naturalvcrpflcgung nachzuhelfen, als der preußische; denu im Frieden beträgt der Sold dcS russischeu nur jährlich 3 Nubcl bis 6 Rubel**) 60 Kopeken Silber (die Eliten sind am hoch- ') Im Felde erhält der preußische Soldat täglich: 4 M. Fleisch oder 5 Pfd. Speck; 6 Loth Reis oder 8 Loih Graupen, oder 16 Loth Grbsen oder Speiscmchl, oder ^ Mche Kartoffeln; 2 Loth Salz; ^ Quart Branntwein, Dagegen erleidet er l^ Nthlr. wonailiche Abzüge. Im Frieden N, im Felde 2 Pfd. Brod. Der englische Soldat i» den Colomen erhält täglich von der Krone: 1 Pfd. Weizcnbrod oder tz Pfd, Zwieback; auf dem Marsche Ij Pfd. Brod oder 1 Pfd. Zwieback. 1 Pfd. frisches oder gesalzenes Rindfleisch oder Schweinefleisch. MeS andere besorgt die RegimentS,Oeconomie gegen Geld- ab;üge. ) Früher erhielt er 12 Rubel Vanko. Es würben aber die ftmmt-»lchen Gagen i,ach dem Nomlnalwcrlhc in Silber ge;cchlt. sobald dle Truppe im Auslande stand und es geschah dieß auch am Kau-lasus, sy daß also dann etwa 38 Francs jährlich gezahlt wurden. 22 338 stm bezahlt), also ungefähr in,r l bis 2 Franc monatlich. Davon kommen noch die erwähnten Abzüge, so daß den: russischen Soldaten oft buchstäblich Nichts in die Hände gelangt. Doch wird der Sold im Feldc und unter besondern Umständen verdoppelt, auch verdreifacht. Da man nun außerdem annehmen kann, daß die Beihülfen von Hans, die z. V. den preußischen Soldaten im Felde «nd im Frieden so vielfach zugehen, in Nußland meist wegfallen, so sieht »nan, daß auch ohne betrügerische Verkürzung die Nahruug des russischen Soldaten cine dürftige sein müßte, wenn sie sich ans die gewöhnliche Ordonnanz beschränkte. Dennoch versichert ein langjähriger guter Kenner, daß der russische Soldat im Ueberflnß lebe und begründet dieß bei den 4 verschiedenen Hauptlebcnsvcrhältnisscn des russischen Soldaten : 1) Vequartirnng bei den Bauern, 2) Casernirnng und permanente Quartiere, 3) Cantonirnng in den Mllitair-Colonien dcS Südens, 4) Conccntrirung größerer Corps. Ein überwiegender Theil der activen Trnpvcn, namentlich der 6 Infantcriccorps, cristirt nntcr Marschverhältnisscn nnd wird beim Bauern ei u q nartie rt. Diesem liegt dann gegen Mittheilung der Portion die Ernährung des Soldaten an seinem Familientische ob. Man weiß schon, daß der Soldat dabei nicht zu kurz kommt, so lange der Bauer selbst Vorräthe hat; und daß es in Rußland diesem in der Regel nicht darall fehlt. Das Auszehren der Quartiere aber wird durch häufigen Wechsel vermieden. In Cascrnen und permanenten Quartieren liegt das Gardecorps, das Greuadicrcorps, die Garnison- und Linien- Schön zu Peters I. Zeit war der Sold 6 Rubel. Der Soldat hat also auch hier das Schicksal gehabt, wie m Frankreich, daß seine Vczahlung nicht im Verhältniß mit dem Sinken des Geld-werthes gestiegen ist. Der preußische Soldat erhält an Euld jährlich: 3l,4 Thaler. Der französische Soldat - - - . von 135 bis 2W Francs. 339^ Truppen, die Truppen am Kaukasus u. a. Fast alle besitzen großc Gemüsegärten, die sic bebauen und dic einen solchen Ertrag abwerfen, daß man annimmt, cs würden von den russischen Soldaten im Großen und Ganzen mehr Gemüse verkauft, als gekanft. Das bedeutet um so mehr, da der Kohl m der russischen Kost eine so bedeutende Nolle spielt, Tschi (Kohlsuppe) das gewöhnliche Gericht ist. In dm entferntem Gegenden duldet das Gouvernement nicht allciu, sondern ermuntert anch den Nebenverdienst bei Privatleuten, vorausgesetzt, daß der Ertrag in das Artell fallt. Manche, besonders ungesunde oder dürftige Garnisonen erhalten Zuschüsse von der Krone; so namentlich einige Garnisonen am Kaukasus Ertra-Verpflegungen au Wein, Taback, Kaffee. tt Divisionen Kavallerie mit ihrer Artillerie sind im Frieden in den Militair-Colonicn von Charkow und Cherson untergebracht. Ihre Erhaltung geschieht durch die (5olonial-miltcl und ist reichlich. Die zn Uebungen, Manövers oder ähnlichen Arbeiten con-ccntrirtcu Truppen genießen die letzteren Eoldznlagcn, Alle ENra-Vertheilnngen von Fleisch, Gemüsen und Branntwein. Daß die abendländischen Officiere, welche über die vielfachen großen Manövers als Augenzeugen geschrieben, im Lobe der Verpflegung übereinstimmen, anch die sonst nicht panegyrisch gehaltenen Berichte, ist wohl bekannt genug. Die Fourage wird bald in imwl^. bald in Geldvcrgütungcn von der Krone den Truppen gegeben. Unrecht aber thut man, ans dem oft welken Aussehen des russischen Soldaten auf Mangel zu schließen. Freilich sticht dcr Soldat in seinem knappen Frack oder seiner häßlichen grancn Kapote vom vollbärtigcn Bauern im imposanten Kaftan ab nnd man betlagt bei solchem Vergleich, daß cs nicht für möglich gehalten ist, ein europäisches Heer mit russischer Tracht zu bilden. H) Freilich ist der Soldat daneben noch mager, aber ') An der apote sieht man KiN'chicns rccl't, wie da5 Klima den Sicss üw die M,de bcl)a,N'!rt hat. Cic ist cbcn so lanss, wic d.r Käst w», ImiM- wir 5is fraüM'chc Kappte; dennoch bildet sic dr>, 22' 340 man schiebe cs nicht auf Mangel, Laster, Krankheit allein. Man bedenke, daß kein Soldat der Wclt im Frieden so in der Gewohnheit der Kriegs-Fatigucn ist, wie der russische; dann wird der Kenner diese Magerkeit so beurtheilen, wie der Sportsman die dcs Rennpferdes nnd sie in vielen Fällen für Food con-ciition erkennen. Ueber die Krankheiten in diesem Heere wird Fabelhaftes berichtet; es ist aber auch oft wenig mehr, als Fabel. Früher ist es indeß damit auch schlimmer gewesen, als jetzt; der Soldat wird noch immer hart gehalten, aber man stndirt seine Bedürfnisse mehr, seit der Kaiser vorzugsweise die Kranken-Rapporte prüft. Auch das ärztliche Personal nnd die Selbstschonnng des Soldaten ist gehoben, letztere besonders durch die Beurlaubung. Daß in der kaukasischen Armee, namentlich an den sumpfigen Flußlinien dcs Kuban und Terck und an der Nähe dcs schwarzen Meeres in Folge der verderblichen Miasmen nnd dcS beschwerlichen Dienstes Krankheiten die Reihen oft erschrecklich lichten, wird in Rnßland nicht geleugnet, vielleicht oft übertrieben, denn selbst der Officier geht meist ungern dahin, nnd man schilt daher recht eon nmoi'e in allcu gebildeten Kreisen auf diesen Krieg. Die Augsburgcr Allg. Zeitung von 1848 enthält einen Aufsatz, der die Sterblichkeit in der activen Operations-Armee auf Hospitallisten begründet. Sic nimmt aber zunächst die active Armee gewiß zu niedrig mit 220,000 Mann an, da sie nach guten Mittheilungen seit 1833 nie nntcr 350,000 gewesen ist; sie legt die Hospitallisten zu Grunde, aber weist nicht nach, ob anch die Kranken der sedentaircn Truppen abgerechnet sind, die in den Hospitälern Aufnahme fanden. Wären übrigens die Annahmen dieses Aufsatzes richtig, so wären in 14 Jahren von 220,000 Mann durchschnittlich jährlich 140,000 im Lazareth gewesen, davon -^ gestorben — (diese letztere An- Haupta,WH dcs Soldaten, der Frack ist mehr zur Paradellndung oder Neste geworden. — Um darin marschiren zu könne«, lnöpfcn die russischen Soldaten die Zipfel der Kapote oben an den Tornister. 34l___ gäbe stimmt mit dem, was dem Verfasser dieser Studien in Moskau über dic dortigen Hospitäler mitgetheilt ist ). Rechnet man dies nach, so käme man anf einen Verlust an Todten von jährlich 62. Das ist ganz ohne Zweifel weit übertrieben,^) da nicht einmal die Nemtten in Anschlag kämen. Dem Verfasser wnrdc als vaguer Durchschmtts-Anschlag des allgemeinen Verlustes /^ oder 3^ angegeben, uno dies stimmt ziemlich mit obigem Aufsahe, wenn man die zum Grunde gelegte Hauptzahl ändert. Wie bedeutend das ist, ergebe ein Vergleich mit englischen Colonial-Verlustcn: 55) Neu-Süd-Wales, Cap d. g. H., Malta -- 1.41 bis 1.8?Z jahrl. Canada, Gibraltar:.....— 2.0 - 2.21- - Mauritius:.......—3.0 - - Bombay: . .......-- g.I - - Jamaika:........--14.3 - - Siera Lcona:.......—48.3 - - Da manche Personen mit schleichenden Uebeln lebend nach England zurückgebracht werden, so sieht man, daß der russische Durchschnitt etwa dem von Bombay gleichsteht, wenn man die höhere Zahl annimmt und sonst dem von Mauritius ziemlich nahe. Das ist noch immer ein sehr starker Verlust für ein Land, wo die allgemeine Sterblichkeit unter Erwachsenen sonst gering ist. Hoffen wir, daß des Kaisers Sorgfalt auch nach dieser Richtung hin niemals nachläßt. 184!) scheint, wie schon angedeutet, ein ganz ungcmcm starker Abgang durch Cholera iu der Wallachei, Siebenbürgen und Ungarn stattgefuudcn zu haben. Der starken Aushebung in Folge davon ist ja schon gedacht. Diese Donau- und Theiß-Gegenden sind ja so oft das Grab der Armeen geworden, die ') Die Kasernenlnft ist dem russischen Soldaten sehr nachtheilig; bei den auf dein Lande liegende:: Truppen ist der Vcsmidliclt^nst.ind immer der beste. Die Kranken in den Moskauer Hospitälern sind "«ist aus Kasernen; sonst nur Schwerkranke. Also ist wahrscheinlich das allgemeine Verhültnisi der Gestorbenen zu den Kranken viel zu hoch angenommen. ") Englische Truppen sind qewählt, weil sie «ach Dienstzeit nnd Elc-menten den Russen sehr nahe stehen. 342 darin auftraten. Auch die Ocstrcichcr und Insurgenten habcn furchtbar durch Krankheit gelitten; cs ist also cm ganz abnorm mer Fall, den man nicht in Rechnung zichcn darf. Von der granulösen Augcnkrankhcit, dic seit der egyptischcn Campagne allc europäischen Heere lnficirt hat, ist die russische in starker Zahl aber in sehr gelinder Form heimgesucht gc-wcftu. Merkwürdig, aber in Rußland ganz natürlich, ist, daß unter dcn Mannschaften dcr baltischen Flotte der Scorbut ungcmciil grassircn soll; da doch diese Leute jährlich 5 Monate am Lande sind und auf andern Flotten diese Krankheit mir ans langen Seereisen vorzukommen pflegt. Sie kommt aber überhaupt in den langen Wintern nördlicher Breiten, die dcn Genuß frischer Gemüse auf kurze Zeilen beschränken, auch am Laude vicl vor. Dagegen erklärt dcr lange Aufenthalt auf dcm Fcstlande, daß in dcr russischen Marine, zum Nuterschicde von allen andern, außerordentlich viel Lnngcnleidcn vorkommen. Die Uniformirnng der russischen Armee ist — leider! — die enropäische. Peter l. hat dies (5nropä'isircn angefangen. Von einem so großen Manne nniß man annehmen, daß er im Russcnbarte den Russcntrotz belampft ha», der sich starr dcm Guten cntgegcnstcmmtc, wcil cs nicht rnssisch war. Auch wird ja der laugc Bart im Felde immer dcr Sitz von Abscheulich-keitcn; ihn verschmerzt daher dcr Abendländer leichter, als dcr Großrusse. Aber warum dieser prächtige blaue Kaftan, so würdig wie bequem dcm engen grüucn Frack uud der abscheulichen graueu — uud welche Farben spielt nicht das Soldalcngran! — Kapote, warum die russische Mütze dcm Tschalko hat wcichen müssen, das begreift sich schwer auders, als aus dcr Herrschaft die Mode übcr den guten Geschmack und die Zweckmäßigkeit. Nach Ticlckc habcn dic Trachtcn dcr russischen Armee noch unter Elisabeth sehr viele nationaleigcnthümliche Vorzüge vor dcu französisch-preußischen Uniformen gehab«. Pctcr ill., voll blmdcr Vorliebe für Friedrich II., ahmte schon sclavisch nach. Doch erzählt Gaudy, daß Paul noch manches Gntc vorgefunden, was dcn rnssischcn Soldaten im Costüme vom abendländischen unterschied, was dein Klima angemessener und bei dcm 343 Soldaten beliebter gewesen sei, als was Pan! preußisches an die Stelle sehte. Die Animosität in der Armee darüber ist natürlich längst verwischt, Abcr seitdem ist man oft zweifelhaft gewesen, ob die russischen Militairmodcn von Berlin oder die Preußischen von Petersburg kommen; es wechselt nm. Dieß Alles bezicht sich aber meist ans den Schnitt; denn dem Stoffe nach sind die russischen Equipinmgcn weit schwerer, als die preußischen; ans das falte Klima berechnet, haben diese Stoffe sich auch im warmen bewährt. DaS Einschnüren ist früher sehr stark betrieben worden und soll manche Lebcrkraushciten und Augcnübcl verursacht haben. Jetzt hat es schr nachgelassen. (5s hat abcr anch beim gemeinen Mann nie in der Art stattgefunden, wie Abendländer oft nach dem Augenschein geglaubt. Denn dic nngemcin feine Hüfte des Großrusscn nnd sein enormer Schultern- und Brustban geben ihm in den Augen dcS Ansländers leicht ein geschnürtes Ansehen. Daß die Grundfarbe der Röcke ein dunkeles Grün ist, wird als bekannt vorausgesetzt; ebenso daß die Enirassicrc weiß, manche Husarcu blau :c. tragen. Die Bcwaffmmg der Infauterie ist eine einfache Mnskete; Percussion ist noch nicht allgemein; wenige Bataillone haben gczogcue Gewehre. Ucberhaupt legt man anf gntes Schießen wohl nicht den Werth, wie jetzt anderswo geschieht. — Das kcderzcug ist von anßcrordenllichcr Schönheit und sitzt fest, ohne geknöpft zu sein, dlirch sciuc dem Körper folgende Gestalt. Das Umhängen ist in ssoige davon die Sache eines Moments, so daß man die Bataillone oft in den Ruhepausen der Manöver die Armatur abhängen sieht. Die Bewaffnung der Cavallerie unterscheidet sich dadurch, daß das erste Glied der Cnirassicre seit dem Türkcnkriege Lanzen trägt, daß die Dragoner ihrer schon crwähutcn Bestimmung gemäß eine Bajoncttscheide haben und daß überhaupt jeder Reiter seine sämmtlichen Waffen (Pistole, Pallasch 2c,) an den eigenen Leib, nicht am Sattel, befestigt, nach einem vom jetzigen Kaiser erdachten Principe. Die Pferde der schweren und Linicncavallcric sind jetzt nächst den englischen wohl die größten in Europa nnd edler Zncht. 344 Früher gab cs mir kleine Pferde in Nußland nnd noch 1815 war seine Cavallcrie, nach dem Zeugniß von Lord Sommerset, kleiner beritten, als selbst die preußische. Derselbe Cavalleriegcneral sah sie 1837 wieder nnd war ersiannt, daß sich das Verhältniß völlig umgekehrt hatte. So imposante Pferde, wie bei der Chevaliergarde, soll man nur in englischen Regimentern wiederfinden. Uebrigens deutet der Rcmontcpreis den Unterschied klar an, der in den Mitteln des Landes noch jetzt für große und kleine Pferde liegt. Noch unter Paul bezog man nämlich die Cuirassierpfcrde aus Holstein. Leichte Cavallcrie- und Artillerie-Pferde werden jetzt mit ttl) Nubcl Silber (240 Francs), die der Cuirassierc der Linie mit 120 Rubel Silber bezahlt. In Hannover zahlt man für leichte Cavallcriepferde 21 Pistolen, für Cuirassicrpferdc 25 Pistolen nnd doch sind die ersteren größer, als die russischen. Daß dic Cavallcrieregimcntcr und die Batterien in sich Pferde gleichartigen Haares haben, ist eben so bekannt, wie hübsch. Es ließen sich da gewiß interessante Notizen über den oft behaupteten und bcstriltcncn Zusammenhang von Haar nnd Temperament der Pferde sammeln. Das Artilleriesystem ist in Geschützen eigenthümlich, in Bespannung und Anschirrung fast national-russisch. Es ist dasselbe schon vielfach besser und sachverständiger behandelt, als hier geschehen kann. Die schwere Cavallcrie rcmontirt ans Tambow und Wo-roncsch, die leichte aus Kleinrußlaud und den Steppen, die Artillerie aus dem ganzen Reich. Jetzt sollen die Ankäufe direct durch Agenten des Gouvernements geschehen; früher besorgten sie oft die Regimenter selbst gegen Avcrsionalvcrgütung in Gelde. Waffen, Pulver, Kleidung, Lederzcng aller Art (uud zwar sehr schönes) werden in Rnßland aus Rohstoffen, sehr vieles in Kronfabriken, erzeugt, auch die Rohstosse sind vorwiegend russisches Product und zum Theil — Holz, Lcder ic. — außerordentlich wohlfeil. — So ist Rußland namentlich auch im Salpeterbcdarf unabhängig von Ostindien, der in großer Masse aus Klemrußland bezogen wird. 345 Die Preise sind meistens niedrig: cm Paar Stiefeln kommen 70 Kopeken, die Arschine Soldatcntuch 95 Kopeken, die Arschinc Leinwand zn Hemden 9 Kopeken. Die Uniformstückc eines Soldaten sind: 1 Uniform, l Paar Winter-, I Paar Sommer-(Leinen-?) Beinkleider, 1 Mantel, l Halsbinde, 3 Hemden, 3 Paar Stiefeln, 1 Mühe. Sie kosten der Krone baar N Nnbel 80 Kopeken Silber, jährlich per Kopf 7 Rubel, und fallen nach der Tragezeit dem Soldaten zu. Die Kopfbedeckung (Tschacko, jetzt Helm) scheint danach zur Armatur gerechnet zu werden. Diese Kosten aber erhöhen sich bedeutend, wenn man veranschlagt, daß die Regimenter die gelieferten Stoffe durch ihre eigenen Arbeiter verarbeiten lassen, daß also nur jene im obigen Anschlage berechnet sind. Wenn diese Arbeiten blos die dienstfreien Stunden des anscrcrcirtcn Soldaten einnähmen, so würden sie eine Grsparnng herbeiführen. Es scheint aber die beträchtliche Anzahl des etatsmäßigen noncombatwntm Trosses (50 per Vataill.) mit cmf diesen Umstand berechnet zu sein und man kann voraussetzen, daß bei einer solchen Form des Regimmtshaushaltcs — falls sie auch im Felde fortdauert ^) -^ die Combattantcn selbst in einer Weise herbeigezogen werden, die ihren Etat illusorisch »nacht. Der Verfasser dieser Studien hat schon sonst angedeutet, daß seiner Ansicht nach die russische Staatsfabrication größten-theils das Resultat national-öconomischer Irrthümer ist, aus allgemein theoretischen sowohl, wie aus speciell-russischen Gründen. Von den Waffen- und Pulverfabriken läßt sich natürlich dasselbe nicht sagcn, da hier andere Gründe für diese Art der Herstellung sprechen. — Bei der Fabrication in den Regimentern aber machen sich recht die eigenthümlichen russischen Mili-talrverhältnisse geltend. Man trachtet nämlich dort, das Regi- ") Dieß ist ;, V, am Kaukasus der Fall; doch ist dort der Dienst ft eigenthümlich, daß namentlich in den befestigten Punkten Nadel lind Flinte abwechselnd von derselben Hand geführt werden mögen, ohne . daß Arbnt oder Kampf darunter wesentlich leidet. 346 mcnt so unabhängig ^) Wie möglich ;u machen, und zwar ans Rücksicht auf die Stationen, die den indnstriellcn Theilen der Monarchie fern liegen. Auch England hat solche ferne Stationen nnd doch überläßt es fast alle Eauipiruugsgegcnstände seiner Privatindustrie, dieß für richtiger haltend. Es hat aber anch die wohlfeilen Wasserwege, Während Rußland meist zu Lande commnniciren muß. Die ganze Occonomic der Regimenter lag früher in den Händen der Obersten. Man weiß, daß solche Vereinignngen von Commando und Occonomie nirgends zum Vortheil des Dienstes gereicht haben und daher in den abendländischen Armeen gänzlich beseitigt oder schr eingeschränkt sind. Wie viel mehr mußten sie in Nußland Mißbräuchen Vorschub leisten, und in Wahrheit sind diese in der ganzen Hccradministration groß genug gewesen, obwohl noch lange nicht so groß, wie sich das Abendland hat erzählen lassen. Der Kaiser ist ihnen dnrch die strengste Eontrole entgegengetreten; die Einthcilnng in permanente Brigaden, Divisionen, Inspektionen:c. nnißte diese sehr erleichtern. Die Obersten wurden mit ihrem Vermögen für Zahl und Beschaffenheit der Gegenstände ihrer Verwaltung verantwortlich gemacht; zahlreiche Inspectionen, und namentlich schärfere, brachten diese Grnndsähc znr Ansführnng, Noch schärfer controlirlcn natürlich die Nachfolger bei Uebernahme der Regimenter uud so sollen sich die Mißbrauche uur uoch wenig äußern. In nenerer Zeit hieß es sogar, daß der Kaiser den Obersten die Occonomie abgenommen nnd besonderen In-tcudanturbeamicn übertragen habe. Das wäre freilich wohl das Wirksamste, doch können wir daS Factum nicht constatiren. Wie aber auch der Einfluß der Mißbrauche auf das Wohl- *) Wie man die Regimenter unal'hängig vom Lande ;n machen sucht, so die ganze Armee. Eine russische Armee srll nickt durch Requisitionen Irden und hat dcsihalb einen enormen Maga;ü,»Troß bei sich, — In diesem Troß ist beiläufig die Ursache zn suchen, warum rnssische Märsche meist so klein waren, wenn grösierc Corps auftraten. Mit Unrecht hat man deßhalb gesagt, der russische Soldat marschire schleckt, da doch russische Truppen Märsche gemacht haben, die sich den l'erühmtestcn an die Scile sehen lassen. 347 still und die Zahl dcr Soldaten unv auf die Ausrnstuugs-gegenständc aller Art noch sein mag, das Eine muß man festhalten, daß der Einfluß auf den moralischen Zusammenhang dcr Truppe nicht dcr ist, der cr im Abcndlandc sein winde. Ans dem, was früher über diesen Punkt gcsagc ist, geht ja schon logisch hervor, das; das Gefühl des Nüssen durch dergleichen nicht in dem Maaße afficirt werden kann, wie das dcs Engländers, Norddeutschen :c,; die Begriffe dieses Volkes vom ungerechten Mammon sind ja nicht von unsercr Härte und Schärft nnd ein wenig Schwanken an dcr scharfen Grenz-linie vom Mein und Dein wirv nicht gleich mit Verachtnng bestraft. Anch spricht sich ja wirklich in der mehr beschriebenen connnnnl'stischcn Behandlung dcs Gmndcigenchums deutlich ans, daß in diesem Volke ganz andere Anschauungen vom Eigenthum liegen, als unter den Germanen herrschen. Es ist schon vorhin gesagt, wie französischer Hofton und russische Volksthümlichkeit sich darin die Hand gereicht haben, dic alle germanische Rechtlichkeit für Romantik, Philistcrci, Vornirlhcit anzusehen; man muß daher nicht denken, daß ein russisches Regiment sich mit dem verhaltenen Grimm einem Eommandcnr von verdächtigen Gewohnheiten im Gcldpunkte beugte, nnr auf die Gelegenheit harrend, ihn zn stürzen, oder dicsc selbst herbeiführend, wie daS ein preußisches odcr englisches thun würde. Das würde dic wirkliche ^age sehr verschieben. Bemitleidet dcr Russe überhaupt deu den Gesehen verfallenen Verbrecher so sehr, daß cr ihn dcn „Unglücklichen" nennt, so giebt cr diesen Namen gewiß in vollster Vedentling denen, die deS Kaisers strenge Gerechtigkeit in der Vollsührung von Menschlichkeiten im Kassenwcscn betrifft. Und so bleibt denn Disciplin nnd Subordination durch dergleichen unerschüttcrt. Es ist bekannt, daß die Subordination in Rußland anf eine Höhe getrieben ist, dic selbst die englische übertrifft. So groß nun abcr auch der Abstand vom Ofsicier zum Soldatm ist, so ist doch keineswegs die Absonderung der Officierklassc (der Obcrofficicrc, wie man sie in Rußland nennt) von dcn Unterofsicicren und Soldaten derartig, wie man es in Deutschland oder gar in England gewohnt ist. Schon daß ein Theil 348 der Lieutenants ans alten Uutcrofftcicren besteht, vermindert diese. Das Wichtigste abcr ist, daß die russische Subordination durch Vertraulichkeit nicht leidet. In England und Deutschland vermeidet ja der Officier nicht blos ans aristokratischem Stolze, sich unter seine Untergebenen zn mischm, er fürchtet anch, die Gewohnheit des pünktlichen Gehorsams zu schwächen. Das fällt in Rußland ganz weg. Man weiß aus Suwaross's Geschichten, wie er mit den Soldaten Possen riß; das ist ächt russisch. Batnschka! reden die Soldaten ihre Officicrc auf dem Marsche an, wenn sie in Liedern oder Possen gewissermaßen mit ihnen anbinden. „Euer Hochwohlgcboren!" das ist die mündliche Anrede in Dicnstform; und derselbe Mann, der eben auf die gutmüthig schmeichelnde Weise der Russcu „Väterchen" rief, wird im nächsten Augenblick in strammster Haltuug mit „Ich gehorche Euer Hochwohlgcborcn!" einen Befehl in Empfang nehmen. Man geht wohl nicht fehl, wcuu man annimmt, daß der tiefe Haß, dcu die emgcwauderteu Offieicre früher fanden, mit darin lag, daß sie sich unter Anvercm nicht in diese russische Sitte finden wollten. Vei Narwa, bei Zorndorf wurden die fremden Officiere mitten im Gemetzel von den eigenen Leuten gemordet. Das ist heutzutage anders; Jeder, der kein Russe ist, sucht für einen gehalten zu werden. Hierbei muß man auch der religiösen Hebel gedenken, die die Krone ansetzt. Der kindliche Glanbe des Russen wird nicht nur geschont, sondern auch genährt. Wie jeder Soldat seine Amulette und Heiligenbilder tragt, so hat jedes Regiment eine reiche Ausstattung von Popen und Kirchengcräth; Betstunden und sonstige Andachtsübungen werden zahlreich, pünktlich und treu gehaltcu. Und vom Kaiser herab wetteifern alle Oberm — Gläubige wie Ungläubige — das Beispiel der Demüthigung vor Gott zu gcbcu. Bei jeder Conccntrirung fast nimmt der Kaiser inmitten der Truppe das heilige Mahl cm, küßt die Hand des Popen, wie der letzte Tambour, und unterscheidet sich dabei nur durch den Vortritt. Am Osterfeste tritt er aus seinem Zimmer, umarmt uud küßt nach russischer Sitte die Schildwache und ruft: „Christ ist erstanden!" worauf sie antwortet: „er ist wahrhaftig auferstanden". Es ist bekannt, daß 349 einst eine Schildwache mit ruhiger Skcvtik antwortete: „man sagt so". Es war ein Tatar, den die Recrutining in cin Garderegiment geführt hatte. Seitdem kommen auf den Posten nur orthodorc Russen. Indem sich so Hoch und Niedrig vor Volk und Soldaten als Kinder Gottes demüthigen, erschüttern die Hohen ihre weltliche Würde nicht nur nicht, sondern sie befestigen sie noch. Der Russe dient Gott durch Gehorsam gegen die Obrigkeit und vor Allein den Zaarcn. Er streitet, er duldet, stirbt für ihn um Gottes Willen. Vieles am Fremden erscheint ihm ketzerisch und tempelschandcrisch, vor Allem vielleicht jene philosophischen Anschauungen, von deren Gewalt der abendländische Liberalismus die Vcsicgung Rußlands durch die Russen hofft. Man erinnert sich, mit welchem Erfolge Suwarow seinen Soldaten himmlische Belohnungen der lockendsten Art verheißen ließ; man erinnert sich, was „die heilige Mnttcr Moskau" 1«12 gewirkt. Es würde also nicht allein cin Sacrilegium sein, in der Manier Friedrichs des Großen an dieser Religiosität zu rütteln; schon vom plattesten fiskalischen Standpunkte ans, dem eine Anwci-snng anf jenseitige Belohnung wohlfeiler erscheint, als eine irdische wäre es ein Fehler; vom höheren politischen aus wäre es eine Tollkühnheit, cin Verbrechen! Unter den geistigen Hcbeln von weniger erhabener Art sind vorzüglich die mannigfachen äußeren Ehrenzeichen zn nennen. Sie kommen gleich nach dem religiösen: „Betet zu Gott; von ihm kommen die Siege nnd Wunder. Gott leite nns! Gott ist unser Feldherr; sterbt zu Ehrcu der Jungfrau Maria, für eure Mnttcr (die Kaiserin), für das ganze Herrscherhaus. Die Kirche betet für die, welche starben, Ehre und Belohnnng erwarten die Uebcrlcbendcn!" Diese klassischen Worte Snwarow's sind sehr bezeichnend für die Denkungsweisc des russischen Soldaten, denn Suwarow kannte seine Leute besser, wie irgend Jemand vor oder nach ihm. Es ist bekannt, wie Franz II. in Paris dic russische Generalität mit den Worten vorzulassen befahl: „nun, laßi Sonne, Mond und Sterne eintreten." Seitdem ist russisches Ordenswcscn in Europa vielfach lächerlich gemacht. Dieß hat nicht verhindert, daß man es vielfach nach- gcahmt hat. Es ist aber doch cm großer Unterschied in der Wirksamkeit geblieben; nämlich der, daß das russische Ordcns-Wesen seine mililairischcn Zwecke weit vollständiger erfüllt, als das abendländische. Im Westen thut nämlich Jeder, der keinen Orden hat, als ob er Orden verachte nnd bei Vielen ist es damit auch Ernst. Sogar die Ritter zncken oft, aufrichtig oder nicht, über ihre Kreuze und Bänder die Achseln — einige wenige, seltene und wahre Ehrenzeichen vielleicht ausgenommen; man muß daö schon um des schöngeistigen Nnfcs Willen thun. Davon ist in Rußland keine Rede; Hoch und Niedrig streben, handeln, opfern sich für diese Zeichen, finden, sich in ihnen wirklich geehrt. Man wetteifert wirklich um dicsm Preis; anch die Tüchtigsten thun es, gerade umgekehrt, wie im Abendlande, wo die Untüchti'gkcit am meisten und lautesten danach strebt, sich hinter bunten Bändern verstecken zn dürfen. Und eine unendliche Classification von Orden, von Groß- nnd Klein-kreuzen, mit nnd ohne Krone, Schleife ic., dazu Medaillen, Dienstlichen, Ehrcnsäbcl für Tapferkeit, dient dazu, — daß bei aller Neichlichkeit der Vcrtheilung doch jedes erlangte Ehrenzeichen die Sncht nach einem neuen nnr anspornt. Fern sei es zu behaupten, daß ein russischer Orden immer ein Verdienst anzeigte; er ist vielmehr wenigstens ebenso oft eine bloße Gnnst, wie ein deutscher. Aber in Rußland fällt es keinem Menschen ein, Zeichen der Guust sür wcrthlos auszugeben. So sieht man deun Officierc, wie Soldaten ihre Ehrenzeichen — und oft ist die ganze Brnst voll — mit eben dem Stolze tragen nnd die Anderer mit der nämlichen Vcrehruug betrachten, wie sie im Abcndlande noch jetzt das eiserne Kreuz, der Maria-Thcrcsicn-Ordeu, der Orden pour W m^ril?, erregt. Es giebt aber in Rußlaud auch Orden und Ehrenzeichen für ganze Eorps, welche an die Thaten, die Grüudcr, die Grün-duugszeit erinnern. Früher war dcrgleichcu ja auch in den deutschen und französischen Heeren nichts seltenes; in Oestreich und England und in wenigen preußischen Regimentern ist Aehn-lichcs noch zn finden. In Rußland, wo sich die Ncgimcutcr seit Peter l. erhalten haben, habeil sich auch ihre Verdienste sichtbar verewigen lassen. Das Regiment Tschcrnigow erhielt 35l schon das Vorrecht, allein rolhc Strümpfe tragen zu dürfen, Weil es bis an die Knie bei Pultawa im Blute gewadet. Leider wird diese Eigenthümlichkeit durch die neuereu Trachten verwischt sein. Das Regiment Nowoginsk besitzt die sogenannten St. Georgs-Fahnm seit der Schlacht an der Trebbia und dem Alpen-Ucbcrgang unter Snwaroff SRottjen au6 ben Safjrcn 18-^; ^rcuf?cu unb 3tup(anb nach neueren Angaben. 3n 3n 3n 3n 3n 3n 3n ten sis ten £i$ i?pti ; tu' son H3 sen Us yen tis yen ! Ins 9itht ßtkz. mth-L SWiz Stthr. i Slthz. Sttht. SUhz. 3BAz Mlht. £tht 5ttht. Silks. 1 Stthv. 5ÖJarfcl1aft, Oettcrat tcv infant, cter ©atallerte 9444 — _i_ _j— — — — i — 5000 — — — @eucra( lieutenant........ 5632 — 3624 — 4570 — — — — ! — 4000 1205 ®encral*2»ajcr......... 3408 — 2500 — 2S60 — 323S — — 2667 905 Cfccrft ............ 2500 — 1900 j — 1964 — tS86 — — — 1333 1800 542 605 Cferftltcutcnam......... 1800 2500 t548| — 1514 — 1343 - 20S6 3784 1147 1520 453 flJJajer ............ 18OO!2500 144* — 1455 — 1228 — 162713325 960 1300 363 Gavttain I. Jttaffc......... 12001 — 1000 — — — — 914 — 1900 640 80s) 332 453 (Saiutain II. JHaffc........ 600, — 672 — — — 780 — 1288| — 533 693 3l>5 363 Skuuncuit I. .fUaiTe........ 300; — 444 — — 400 485 777 879 387 507 257 332 ■ Siettteiunt II. Ätaifc....... — > — — 1 — — — — — 777 879 360 453 242 3051 ! tries* (Cfft(ter).......'. 240: — 324 — — ; — 331 — 644 675 320 360 226 2571 Untcrcfjicicr .......... 32i 151 ■ — — 52; 304 11 133 1VB. ©3 ist bei fcer SRefcnctic« pered.net: 100 ütuhd Sifter = 103 Stufet lntu%. Scurant; 105 (Suiten = 60 X^ater ^reuf. dcurant', 30 grancž = S Xfcafer Šcuratit. — 31'e Süden ftnt, felifen un^ tie Olctt^en. Q$ tefümmt fcanacti ein russischer (StnerafsStcutcnant fc »id, wie ein freuptfdier -&aup«. Die irre^ulaircu Truppen. Begriff und Eiutheilung. 1) Die Kv sacken. Ursprung nnd Schreib-art vou „Kosact", Kosacken lind Tschcrkessen. Zulauf ^n den Ko-sackeu. Die Kosacken sind kein eigentlicher Stannu. Gegenwartige Aufnahme fremder Elrinente: ihr Znsammeuhaüg mil dein Gedeihen des Kosaeteiilhum^. Vergleich der Ai^fhebuug der Kosacken-Freiheiten »nid der abeudländischen ssendal-Freiheilen. — Die Klicken tvol; ihrer Mischung 3tussen, Die regnlaire Armee hat die irressli-lairc lren gemachl. — Histl,'riscbcr Nebnbück über die Kosackcn. Vc>n rkiiiigrii übcr dic Giitssehnnss des Kl'sackenlebens. Nussistbc Besonderheit der Kosackcu. Ihre beiden Hauptstämme: n. dir tleinrlissisckcu; ihrc Enfstchung, ihr polnisches Lrhnöocrhält-niß; Stephan Baihrry', Savor>?ger »nd Nkrainer; Unzufriedenheit liegen P>,lcn! Anfiiände; V>.'^dan Chmielmcky; Vertrag von Zborew; Ne!.'crtrltt ;ii den ^inssen: dic slcbodiftl^n NeHmicnter. Neue Wirren in dcr Ukraine', schwankendes Vcnchmen dcr Kosacken, Friede v»n Äad^in', Ma^Ppa-, Gndc der kleinrnssiscl'e» Kl,'sackrn»!aslt. dcr Sapcroger insbesondere; neue Knacken«Regimenter 1«^!). — Donan ^ Kosackrn. Recal'itulatioü der llcinrnsuftden Krsacken. t,. die ssrosirussischcn Kosackcn; Anfänge-, allgemeiner Uel'er-blick; Iwau IV. und tic Kosacke»; Wolgaiscke; Astrachanische. Miraschkin'S Zug nnd ftine Folgen, Eroberung Sibiriens. Nsow'g; ihre Bedcntnng, Stenko Naslu. Fernere Unruhen. Iaiksche Un» ruhen: Pugatsckrsf. — Sonstige Abzweigung der douschen ^inien-Kosackcn dc!? Kaukasus, Iweck der Linie; die tschcrkcssischen Sitten der Linien-.ssosacks»!'. ihre Misebung. Lau^e oder Sebwert'. Sibirische Kosacken. Asowsche. Garde-Kosackcn. — Gegeinvart dcr .ssosackcn, Kosackcu-Adel', Acfrcinng von Stenern; i!eisti>ngcu. Giuthrilling, Dieustvcrpftiä'tnng dcr riii^elnen Kosackeu. Eigenthümliche Slellvei tretinig. Negularinruug der Kosackcu. — Kosackeu? Artillerie, Sciteubild ans die Zukunft' des Kosackeutlminö. Der Wille deZ Zaaren steht auch formell über den Kosacken Privi? legicu. Kosacke» wird's noch lange geben, — Arstand der Ko-sa'cken-Truppeu, Dispombilität für eiuen europäischen Krieg. 2) Die kosackenartigen Formationen a,ilü nichtrns-sischc» Vdlkerschafien. Allgemeii!!-Bemertuugcu. Verfnupfuug mit den Kosackeuheeren. Uebersicht der gestcllteu Truppen: » Krim-mischc Tataren-. I>, Tscherkesseu, Tschetscheu;en, Nogaier, Ves-ghicr ,c -. c:. Äaschtiren und Mctschcriäteu; «I. Buriäten und Tnn< guscn. Disponibilität für den Krieg. 393 3) Der Dirust im Heere. Allliemcixc Äcmcrkmicie!!- der Eickn'l)ci<5dn'ust, Dir Strnf-M.nftl fthi^lnt und ihrc Gründe-. da6 Pferd; drssen Vchnlidlinn^ Ncitme!l)l,dc, FüttcrmnM'risc, Har-mmiic nviscl'cil N^s; und N.itrr. — Grfccl't dcr Koscicken', ihr Ohrssci^, ihr Adcrglaude, Mgcmcmcs Urthnl übet die irn^ll-laircil Truppen. Deutschland weiß seit Friedrich's des Großen Zeiten und dcr größte Theil des europäischen Continents seit denen Na-polcon's ans eigener Anschanung, daß dcr feste regnlairc Kern des rnssischlll HcereS von einer Atmosphäre schwärmender Krieger umgeben ist, denen nach der vorwiegenden Masse m Eliropa dcr allgemeine Name „Kosackcn" gegeben zu werden pflegt. Man wird indeß sehen, daß diejenigen nlssischen Formationen, welche wir uuter die Rubrik „irregulairc Truppcu" gezwangt haben, eben so wenig aus Kosackcn allein bestehen, wie sic ohne Ausnahme den von uns gewählten Titel verdienen. Es giebt Vielmehr Kosacken, die sehr regnlair, und irrcgnlairc Truppen, dic keine Kosacken sind. Man könnte diesen russischen Truppenarten vielleicht mit mehrcm Rechte den Namen „Milizen" geben, allein da es auch in einigen Städten der Ostsee-Provinzen eine Art von Bürger-Wehr zu geben scheint, die man denn doch nicht wohl für Krieger rechnen darf, und da eS unter den irrcgulairen Trnppen einige angeworbene Corps giebt, so würde anch diese Benennung keine allgemein umfassende sein. Uebrigens besteht freilich der durchgehendste Unterschied zwischen der regulairen Armee und dem, was wir irregnlaire Truppen gcnaunt haben, in dcr Art und Weise, wie Personal und Material beschafft werden. Es ist dieselbe nämlich bei dem größten Theile der irrcgnlaircn Truppen ganz so, daß man sie mit Flig nnd Recht Milizen nennen kann. Es ist schon angedeutet, daß der Hauptbcstaudlheil der irre-gulairen russischen Truppen die Kosacken sind. Ein großer Theil der übrigen schließt sich zwar der militairischcn Organisation lidcr Vcrwenduug nach an einzelne Kosackcnhcerc an; dennoch sind sie von den eigentlichen Kosacken nach Nationalität, Sitte, Bewaffnung, besonders auch nach Zuverlässigkeit und Treue, mehr oder weniger verschieden und es erscheint ihr 364 Anschluß an Kosackenheere daher fast mehr als cine staatspolizci-lichc Maßregel, denn als eine znr'Hcrvorbringnng der militairl-schcn Gleichförmigkeit. Wir werden daher dic Betrachtungen über beide trennen, und bcvorwortcn nur noch, daß wir nns gelegentlich dcr Benennung Kosacken anch znr allgemeinen Vczeich-nnng der leichten irregulairen Cavallcric Rußlands bedienen werden, nach dem sehr bcqnemen, wenn anch nicht ganz richtigem deutschen Gebrauche. Nir hoffen, daß dcr jedesmalige Begriff, den wir mit dem Worte verbinden, sich hiernach von selbst aus dem Zusammenhange ergeben wird. l. Die üolackcn. Ueb.cr den Ursprung nnd die Schreibart des Namens Kosacken sind sich die Gelehrten nicht ganz einig. Ginigc wollen Kasakcn schreiben, nach der eigenthümlichen russischen Aussprache des kurzen o in der Anfangssylbe; Hupcl fordert, daß man Kosaken schreibe, nicht Kosackcn. Wir folgen dieser letztem Schreibart, als dcr m Deutschland einheimisch gewordenen, obgleich die Hnpcl's dcr russischen Schreibart näher kommt. Verstand man unter Kosacken ursprünglich einen Volksstamm? Bezeichnete dcr Name von Anfang an nur eine besondere Lebensweise oder Beschäftigung? Ist er tatarischen, ist er slavischen Ursprungs? Wir müssen dm Streit darüber gelehrteren Forschern überlassen. Hnpcl hat nnsercS Wissens biS jetzt noch immer das Vollständigste darüber geliefert (Nordische Ms-ccllanecn 24stcs nnd 25stcs Stück. Von den Kosackcn.) und seine Angaben würden vielleicht nur durch die Forschrittc einiger Ergänzung bedürfen, welche seitdem — l?W — die Etimo-logic gemacht hat. Da aber die genannte Schrift etwas selten zu wcrdcn allfängt, so nehmen wir keinen Anstand zur Oricn-tirung unserer Lcscr in diesen Fragen Hupcl's Angaben (S. 20. ff.) wörtlich in diese Sludim aufzunehmen: 305 „Aus Müller und Vüsching weiß man schon, daß der polnische Geschichtschreiber Okolski, bei Gelegenheit eines Fcldzuges der Kosacken gegen die Türken, im Jahre 1516 meldet, daß damals der Name der Kosacken znerst in Polen ist gehört worden. — Zuweilen ließen auch Polen, die dem Krieg nachgingen, sich Kosackcn nennen: so wird im Jahre 1579 der lithauischen Kosacken gedacht, und die lissowischcn Kosacken unter ihrem Anführer Lissowsky, einem edlen Lithauer, streiften in Nußland herum und dienten hernach dem Kaiser Ferdinand l. zu Anfang des 30jährigen Krieges in Deutschland.^) — Ofolski will nach der größten Wahrscheinlichkeit sagen, daß damals erst selbst unter den Kosacken der Name aufgekommen ist. — Der griechische Kaiser Constantin Porphyrogcn gedenkt im 9. Jahrhundert einer Landschaft Kasackia am Fuße des kaukasischen Gebirges. Und nach den russischen Jahrbüchern ist 102! cin Volk Namens Kosagi bekriegt worden. Beides scheint einerlei Volk zn sein. Kosak bcdcntct in der tatarischen Sprache einen leicht bewaffneten Kriegsmann, einen, der mehr durch Streifcrci als durch förmlichen Angriff dem Feinde sucht Schaden zu thun, einen, der sich von Jemand zum Krieg dingen läßt, einen, der mit geschorncm Kopf einhcrgcht. Alle diese Vcdentuna.cn vereinigen sich bei den tatarischen Kosackcn; die meisten auch bei, den russischen. Lange vor den tatarischen Eroberungen in Nußland gab es nämlich ein tatarisches Volk, Welches den Namen der Kosackcn führte. Dasselbe kam, nach dcm Zeugniß der russischen Geschichtsbücher, auS der heutigen Kabarda vom kaukasischen Gebirge, ließ sich am Don, an der Wolga :c. nieder, wurde von dcm Großfürst Mstislaw im Jahre 1V21 unterjocht nnd im Jahre 1023 zur Vckricgung seiues Bruders, des Zaars Iaroslaw, gebraucht, und da cs sich der ') Schall fruhcr hatten bic saporogcr Kosacken dcm Kaiser Rudolph II. gegen die Türlcn gedient, — Lissowsky war cin Condotticro n»ch Alt Albrechts von Vrandcnl'nrg und Manusfcld'S, der während der Wirren Nußland verwüstete, die das Reich zwischen dcm Aussterben des Rurikfchcn nnd der Thronbesteigung des Nomcmvwschen Herr-scherstammcs an den Nand des Abgrundes brachten. 366 russischen Oberherrschaft entzogen zu haben scheint, hicrnächst in dm Jahren l0C,4 und 1W5 durch den russischen Prinz Ia-roSlaw, als Herrn dcr Festung Tcmruk (die jetzt Taman heißt und der krimmischcn Stadt Kertsch gegenüber liegt), abermals derselben unterworfen." ,So lange die Tataren über die südlichen Gegenden dcs russischen Reichs herrschten, wußte man nichtS von russischen Kosackcn. Diese nahmen ihren Anfang, da die tatarische Herrschaft in jenen Gegenden zu Grunde ging. Aber sie entstanden cbcn dort, wo die Tataren geherrscht hatten. Wie unter den Tataren daselbst Kosacken gewesen waren, so konnten Leute unter den Russen, welche Jener ihre Wohnvlätzc bezogen und ciue ähnliche Lebensart erwählten, eben den Namen bekommen. — In dcr russischen Geschichte geschieht cinc Erwähnung der Tataren (tatar. Kosackcn?) unter dcr Regierung dcs Großfürsten Iwan Wasiliewitsch l. (Iwan lll. Wasilicwilsch I. 1- 1505). Dessen Sohn Wasili Iwanowitsch (Wasili oder Wassili: IV. Iwanowitsch t !534) hatte tatarische Kosaken in seinen Diensten, davon einige zn Verschickungen nach der Krim gebraucht wurden. (Gbcn daher mag es wohl kommen, daß ehemals Dienstboten, welche bei Privalpersoncn für Lohn dienten, sind Kosaken genannt worden, welches man sogar noch jetzt zuweilen hört.) Die tatarischen Kosaken bestanden bekanntermaßen aus ordinskischcn (von dcr großen Orda; sie wohnten an dcr Wolga) und aus asowschcn, die unter Asow wohnten. Beide Zweige waren gleichsam der letzte Ucbcrrcst dcr sich zum Untergänge neigenden tatarischen Herrschaft, von welcher Rußlaud etliche Jahrhunderte hindurch so viel gelitten hatte. Sie verschwanden allmälig, cntwcder wcil sie vertilgt wurden oder wahrscheinlicher, weil sie' sich theils zerstreuten, theils mit andcreu Völkern, sonderlich mit den nachhcrigcn donischcn Kosaken, vermischten." Nach dcr größten Wahrscheinlichkeit haben also von jenen tatarischen, aus dcr heutigen Kabarda stammenden, an dcr Wolga uud gcgen Asow, besonders nach Osten hin, wohnhaften ordinskischcn und asowschcn Kosaken, etwa im Anfange dcs 16. Jahrhunderts, die russischen dicsen ruhmvollcn, ein unabhängiges kriegerisches Volk bezeichnenden Namen sclbst angc- 3tl? nommen oder bekommen: weil sic nicht nur grösitenthcils Icncr ihrc Wohnsitze bezogen und sich vielleicht mit deren Ucbcrrestm vermischt, sondern auch derselben kriegerische Lebensart und Einrichtung angenommen hatten. Letztere gab ihnen und dem Reiche, zu welchem sie gehörten, Sicherheit gegen uNrnhige, räuberische Nachbarcn; daher wurde ihrc Verfassung von den Obcrhcrrcn begünstigt, aber eben hierdurch so anlockend, daß die russischen Kosaken, welche Anfangs als einzelne Flüchtlinge scheinen ausgewandert zu sein und erst lange nachher diesen Namen führten, in kurzer Zeit durch eine Menge nencr Ankömmlinge zu einem großen Volk cmwnchscn." "— Schon früher ist erwähnt, daß die Kosackcn selbst sich Tscherkcsseu nannten, ihre alten Hauptstädte heißen noch jetzt Tschcrkassii und Tschcrkask. Einige haben daraus auf cine stammartige Herleitung von den gleichnamigen kaukasischen Völkerschaften schließen wollen. Huftcl mciut, ein Häuptling, Namens Tschcrkass, habe cS eingeführt. Ucbrigcns war Tschcr-kefsen der allgemeine, Kosacken der Name für die Dienenden. Muhamcthamschcr Neligionscifcr der Tataren und Türken, römisch-katholischer der Ocstrcicher und Polen, griechisch-katholischer in Großrußland seit der Reform des Patriarchen Nikon haben den kosackischen Brüderschaften hänsigen Zulauf von or-thodorcn nnd hcterodorcn (roslvnlniki) Velcnncrn der griechisch-katholischen Confession verschafft (noch heute haben die Noskol-niken die zahlreichsten Vekcnner unter den Kosackcn); die Ginführung der Leibeigenschaft uud früher schon die Aufhebung der Freizügigkeit der Vanern unter Boris Godunows Negierung haben ihrc Eotnen (die alt-russische (sinthcilung der Hunderte, welche noch heute bei den K»sacken anstatt Schwadron oder Compagnie besteht) durch Läuflingc gemehrt; in den harten Zeiten der falschen Dimitri nahmen ihrc Brüderschaften Tausende von den Leuten auf, die lieber plündern als sich plündern lassen wollten; auch sind besonders den Saporogcr Kosacken — welche eine vollkommene religiöse Toleranz, wo nicht Indifferenz beobachteten — kriegerische Abcnthcucrcr aller Nationen zugeströmt. Eo wenig also auch entschieden zu scin braucht, woher der 368 Name Kosack gekommen, so sicher ist cs, daß die Entstehung der russischen Kosacken eine stammartige nicht gewesen. Von Völkerschaften, wie die tatarischen Kirgis-Kasakcn, sehen wir dabei ab, da sie zu den eigentlichen Kosacken nicht gerechnet Werden dürfen. Vielmehr waren die Kosacken und sind noch jetzt größtentheils demokratische Verbindungen zu kriegerischen Zwecken oder, wenn man lieber will, zu räuberischen. Sie nahmen und nehmen noch jetzt nach Bedürfniß Leute aller Nationen auf, selbst kricgSgefangene Feinde. Nur ist das Bedürfniß an Menschen durch die veränderten äußeren Verhältnisse nicht mehr allenthalben da oder nicht mehr in früherem Maße. Und cs ist recht bezeichnend für das Kosacken-thum, daß — so wie die Lcbcnsbcdingungen einer solchen Verbrüderung sich derartig ändern, daß ihnen der Zufluß rüstiger und famftflustiger Fremdlinge unwillkommen wird — daß von diesem Augenblicke an auch die natürlichen Grundlagen des Ko-sackenlhums untergraben werden. DaS eigentliche wahre Kosackenthnm nämlich bedarf der fortwährenden Gefahr am eigenen Hcerde, um zu gedeihen, bedarf der Gelegenheit und des Triebes zum Veutcmachen, um sich zu erhalten. Schutz und Bereicherung des eignen Hccrdcs durch Waffengewalt und Vckriegung oder Zerstörung des benachbarten feindlichen, das waren ja offenbar die Hauptzwecke, welche ihm zum Grunde lagen, welche es sich vorsetzte. Wo die Grenzvcrhältnissc des russischen Reichs jene nöthig, diese nützlich machen, da besteht cs in alter Eigenthümlichkeit — nur daß es zuverlässiger geworden — fort, ergänzt sich, breitet sich aus, entsteht neu. Dort ist denn auch der Zuzng wackerer Kämpfer willkommen, dort fragt man nicht, welche Sprache die Mutter geredet und wie sie zu Gott gebetet, dcrcm Schooße der Mann mit dem Arme von Stahl und dem Herzen von Eisen entsprungen ist, welcher die Mühen und Gefahren, die Arbeit und den Lohn der Kosacken zu theilen wünscht. Dort frißt noch das Schwert und die Gefangenschaft dem Kosackcn-landc mehr Streiter, als eS producirt, dort vergrößert noch der Sieg ihre Ländcrcien und Habseligkcitcn, vermindert sie die Niederlage in unmittelbarster Folge. Dort also gilt noch: je 309 mchr Arbeiter, je mchr und je sicherer der Lohn; dort heißt es in Wahrheit: „im Kriege da ist der Mann noch was werth." Dort aber erzieht die Härte der Verhältnisse auch die harten Männer, die wahren Kosacken, welche der Vorrechte werth sind und deren Dienste die Vortheile aufwicgcn, die der Staat dem Kosacken-thum gewährt. Je mehr aber diese Harte der Verhältnisse sich mildert, um so weniger bedarf die Kosackcn-Vcrbrüdcrung des Zulaufs, um so weniger wünscht sie ihn. Um so mehr freilich wird ihr Spielraum, zu einem geschlossenen Volksstamme sich auszubilden, um so mehr aber wird auch der Name Kosack ein mili-tairisch werthloses Wort und der Staat, der dem wahren Ko-sackcn seine Privilegien aus Staats-Raison erhielt, erhält sie mchr und mchr nur noch lman verzeihe uns dies nur, aber es ist doch eine allgemeine Wahrheit) aus Rechtssinn. Mit zunehmender Sicherheit des Kosackeulandes werden die eigenthümlichen Rechte und Pflichten der Verbrüderung mehr und mehr dem Wohlc des Staates hinderlich, wohl gar gefährlich. Im crstern Falle werden sie bei ihnen allmählig eingeschränkt, die Kosackeu nach und nach zu gewöhnlichen Unterthanen umgebildet; wie es sich bei den Wolgaischen, Slobodischen und Tschugujcwschen und den eigentlichen Ukrainern längst erfüllt hat, und wie es bei den Donischcn vielleicht anch bald den Uralischen sichtlich, wenn auch langsam fortschreitend sich nähert. Im Letzteren werden sie auch wohl auf ein Mal aufgehoben, die Kosackcn verseht oder zu Odnoworzen gemacht. So ging es einem großen Theile der Ukrainer und namentlich den Saporogern. Im Abcudlande, wo mail sich nicht einen Augenblick besinnt, Wcnu es gilt, die auS. den Feudalzeiten überkommenen Rechte der Corporations und Stände zu beseitigen, und wo man auS den zwei Sätzen: „8i,!,l8 s)uw'n0 «ummli lex" und: „andere Pflichten, andere Rechte" jede noch so schreiende Verletzung der Mrbtcn Privilegien anch da gar flink zn rechtfertigen weist, wo Weder die Nothwendigkeit wegen des allgemeinen Wohls, noch der Wegfall mit dem Rechte zusammenhängender Pflichten klar zn machen ist; im Abendlande hat man sich darin gefallen, die Verletzung und Unterdrückung der Privilegien der Ukrainer und 2. 970 die Beschränkung der übrigen Kosacken als das Resultat jener tiefen despotisch russischen Politik zu bezeichnen. Weil man weiß, daß die Kosackcn-Verbrüderungen in sich eine demokratisch freie Verfassung hatten, will man nicht sehen, daß sie andern Russen gegenüber eine stark prwilcgirtc Aristokratie warm und selbst noch sind. Weil sie der Christenheit, der Civilisation, dem polnischen und dem russischen Reiche ehemals wichtige Dienste gegen Türken und Tataren geleistet, vergißt man, daß sie der Civilisation, dcr Christenheit, dem polnischen und dem russischen Reiche durch ihre Untreue und ränbcrischc Iügcllosigkcit öftcrS gefährlich geworden sind und daß in der Ukraine wie am Don schon lange ihre Dienste durch ihre Privilegien zu hoch bezahlt waren. Wahrlich, wenn man ihre Geschichte vorurthcilsfrci liest, so muß man bekennen, daß die Ukrainer und Saporogcr Kosacken ihr Schicksal zehnfach verdient haben, und daß den jetzt bestehenden Kosacken, und namentlich denen am Don unter der russischen Herrschaft unendlich mehr von ihren Freiheiten und Vorrechten erhalten ist, als irgend ein liberaler abendländischer Staat gethan haben würde. Ja, wenn Rußland heute eine Constitution nach orthodoxester Theorie bekäme, und wenn man die Bänke beider Kannnern mit Constitntionellcn vom reinsten Wasser besetzte, so würde binnen einigen Monaten eine immense Majorität die russische Regierung antreiben, die Freiheiten uud Vorrechte zum Mindesten dcr Donischen nnd der meisten Sibirischen Kosackcn abzuschaffen; lind so würde man denn zn dem Schlüsse kommen, daß eben nur unter einer Autokratie, wie die russische, die Freiheiten der Kosacken noch so lange und in solchem Umfange erhalten werden konnten. Freilich wissen wir wohl, daß die Nussenfrcsscr die Literatur des Abendlandes seit lange in einer Weise beherrschen, daß wir schwerlich hoffen können, daß diese eben gesagten Wahrheiten wie einige andere, sich einer allgemeinern Anerkennung vorerst erfreuen dürften; dennoch aber müssen wir sie für wahr halten und zweifeln nicht, daß sie früher oder später ihr Recht in der Geschichte behaupten werden. Geht aus dem Vorherigen hervor, daß die Kosacken stark gemischte Völkerschaften bilden, nnd werden wir sehen, daß einige 371 ihrer Heere noch bis auf den heutigen Tag fortwährend eine beträchtliche Vcimischnng von Fremdlingen erhalten; so darf man daraus nicht etwa schließen, daß sie keine gute Russen seien. Vielmehr bestätigt die Ethnographie der Kosacken grade wegen ihrer stark tatarisch-, türkisch-, polnisch-, serbisch- nnd Allerwelts-Vlutmischnng so rccht die überwiegende Zähigkeit und Energie des russischen Elementes, dercn schon öfter gedacht worden. Sie sind nämlich fast sämmtlich in sittlicher Beziehung echte Nnssen und gehören, ungeachtet geübter Toleranz, znr griechischen Kirche, Wenn auch nicht zu der orthodoren; hinsichtlich der politischen Gesinnung sind sie jetzt sogar vortreffliche Russen. Auch die Sapo-roger, jetzt Tschcrnomortzcn, haben die alte Zügcllosigkcit und .Untreue mit den Wohnsitzen an den Wasserfallen des Dnepr verloren. In früheren Zeiten zwar war ihr und der übrigen Kosackcn Wankelmut!) groß. Polnische, tatarische nnd türkische Heere haben mit russischen Kosackcn gemeinschaftliche Sache gegen Rußland gemacht; Kosacken waren immer die bereitwilligsten Helfershelfer der Kronprätendenten, ohne die in dem monarchischen Rußland cin größerer Aufstand unmöglich zn sein scheint, und vielleicht dankt es Rußland nur seinem europäisch rcgulir-ten Heere, daß es nicht an dem Kosackenthume verblutet ist. Diese deutschen Fremdlinge, die der ächte Russe so ausdauernd und so brünstig haßt, wie ein eigensinniger Knabe seinen Lehrer; diese fremden Einrichtungen, über deren Einführung so mancher Zaar und fast auch Peter l. umgekommen; diese aufgczwungc-nm Verbesserungen, wegen dercn so oft der Russe die eingc-Wandcrten Fremden zum Rachcopfcr geweiht hat; hätten sie Nußland nicht allein zur Größe geführt, hätten sie es auch vor dem Untergänge bewahrt? Wahrlich dcr Russe hat einiges Rccht, sich auf den „ Gott Rußland's" zn verlassen, dcr es besser mit ihm gemacht hat,'als die Russen selbst wünschten oder verstanden. Seit Rußland eine feste rcgulaire Armcc hat, seit der Sitz und die Kraft der Regierung nicht mehr in Moskau, und also unabhängig von den wilden Launen des fanatisch-russischen Pöbels geworden ist, seitdem freilich haben die Versuche, durch Aufbietung dcr Kosacken den Zaarcn vom Throne zu stürzen, 24' 372 nach und nach an Bedeutung verloren, sind jetzt wohl ganz undenkbar geworden. Pngatscheff's Rebellion im Jahre 1772 bis 1775 war die letzte von großartigem Umfange. Es kann natürlich unsere Absicht nicht sein, eine Geschichte der Kosacken zu liefern. Freilich, wie die Kosacken vom ethnographischen und romantischen Standpunkte aus die interessanteste Truppe Rußlands und vielleicht der Christenheit sind; so ist auch ihre Geschichte voll von den merkwürdigsten Schicksalen und Begebenheiten. Leider ist sie nicht so vollständig aufbewahrt, wie man wünschen könnte. Nm meisten weiß man von den Kosacken der Ukraine und der Wasserfälle des Dncpr, die eine bedeutendere Rolle in der eigentlich europäischen Geschichte gespielt haben, als ihre Brüder vom Don und deren nähere Verwandte. Im Karemsin und in der Strahl-Hcrrmann'schen Geschichte des russischen Staates findet man ihre Geschichte ziemlich vollständig behandelt. Indem wir diejenigen Leser, welche weiter darauf eingehen wollen, auf die Lecture dieser Werke und der schon erwähnten Misccllcmeen von Hupcl, 24tcs und 25tes Stück, Riga 1790, verweisen, wollen wir uns begnügen von den vielen denkwürdigen Thaten und Schicksalen der Kosackcn die interessantesten, charakteristischsten und besonders diejenigen hervorzuheben, welche wir für das Verständniß ihrer Gegenwart und ihres Wesens überhaupt nothwendig erachten. Nachdem wir früher eine jede Forschung über die Entstehung des Namens der Kosacken von uns gewiesen, müssen wir doch jetzt über die Entstehung der Sache selbst, nämlich des Kosackcnlcbcns, bemerken, daß sie — mit einigen Modifikationen uach nationaler Sitte — so alt ist, wie die Berührung civili-sirter Völkerschaften mit solchen barbarischen, welche in drr eigenthümlichen Ungnnst ihrer Heünath, in der Rohhcit ihrer Sitten und der Einfachheit ihrer Bedürfnisse einen Schutz fanden, an dem die überlegene Taktik der Civilisation scheiterte. Wie seit der Icit, da Ismael „wohnte in der Wüste und ward ein guter Schütze" (Genesis!. C. 2l V. l3) und sich die Provhezcihung an ihm bewährte: „er wird ein wilder Mensch sein; seine Hand wider Jedermann und Jedermanns Hand wider ihn und wird 373 gegen alle seine Brüder wohnen" (Genesis I. C. Itt V. II u. 12), wie seit der Zeit des Ismael nnd seines Neffen und Schwiegersohnes Gsau Nachkommen in arabischen nnd nnmidi-schcn Wüsten nach dem Muster des Ahnherrn gelebt, wie die Parther den Römern getrotzt nnd die Beduinen noch heute der französischen Herrschaft sich zu entziehen wissen; so war auch in den Steppen nnd Gebirgen östlich des Bosporus wohl schon zu des Cyrus Zeiten bei den stythischcn Völkern eine Lebensweise, wie sie anch die ersten russischen Kosackcn führten, nnd eine Kampfart, die man auch heutzutage vielleicht noch eine kosackischc nennen würde. Doch aber muß man, wenn man Kosackcn mit Beduinen, antiken oder modernen Scythen vergleicht, anßer ihrem Russen-thume zwei Dinge wesentlich berücksichtigen: die Kosacken haben gern und bald die nomadische Lebensweise aufgegeben, wenn sie sie überhaupt geführt, und sie haben sich eine democratischc Kriegs- nnd Staats - Verfassung gegeben. Zu beiden Dingen hat vielleicht gerade das Nusscnthum bei ihnen am meisten mitgewirkt; findet sich doch an den ächten Rnssen nichts von den nomadischen Tendenzen der mongolisch-tatarischen und sehr wenig von den aristocratischcn der germanischen Stamme, dagegen ein starker Associationstricb. In beiden Umstanden liegt aber auch wohl der Keim zu einem großen Theile ihrer Schicksale. Daß sie sich feste Wohnsitze wählten, daß sie kolonisirtcn, daß sie sich organisirtcn, Allcs dieses machte es ihnen möglich, reich nnd mächtig zu werden und die feindlichen Nomadcnstämme zu verdrängen oder tributair zu machen; es gab aber auch zugleich der Kriegführung der Cnlturvölker, welche gegen Nomaden fast nnr Lnfthicbc führt, Angriffspunkte. Es legte zngleich den Grund dazu, daß da, wo der Kosack aufangt, sich des Erworbenen in Sicherheit nnd Ruhe zu erfreuen, er früher oder spater aufhören nmß, der freie, harte Urkriegcr zu sein, daß es ihm dann gcht, wie dem Isaschar prophezciht worden: „Isaschar wird ein beinerner Esel sein und sich lagern zwischen den Grenzen. Und er sah die Ruhe, daß sie gut ist, und das Land, daß es lustig ist; cr hat aber seine Schultern gcncigct zu tragen nnd ist cin Knecht geworden." (Genesis I. Cap. 40.) 374 Einst beugte sich ein großer Theil der Kosacken als Vasallen vor den Polen, Türken, Tataren. Sie mögen sich frenen, daß sie jetzt Unterthanen des verwandten Nußlands sind, an dem ihre Herzen ohnehin stets gehangen, wie oft anch ihre wilden Leidenschaften sie gegen es bewaffnet haben. Aus der Geschichte der Kosacken hat man sich zunächst zn merken, daß es zwei Hauptstämme giebt, von denen die andern, wenn anch manchmal mit starker fremder Vcimischuug, bald als Colonien, bald als Vertriebene sich ablösten, neue Verbrüderungen und (Etablissements bildend. Danach zerfallen die Kosactcn in Kleinrnssischc und Großrussische. Das Stammland jener befand sich am Dnepr, dieser am Don. Dahcr mail a»ch wohl von Dnepr- und Don-Kosacken, als allgemeiner Unterscheidung neben den besondern Begriffen beider Benennungen Gebrauch macht. Das Land am Don cristirt noch jetzt als Kosackcnland, das am Dnepr ist es nicht mehr. a) Die kleinrussischen Kosackcn. In jener unglücklichen Zeit für Nußlaud, wo es schien, als 'ob dieses jetzt so mächtige Volk von Osten her uuter den mongolisch-tatarischen und von Westen unter den sarmatisch-polnischen Eroberungen sich verlieren sollte, mögen die Anfange der klemrussischcn Kosacken zu suchen sein. Die Inseln in der Gegend der Wasserfalle des Dnepr mochten wohl gute Zufluchtsorte darbieten für die verzweifelnden Männer einer Nation von glühendem Patriotismus und regem Eifer in ihrem Glauben, deren Hcimathland unter der schweren Hand der Heiden, der Muhamcthancr oder derer seufzte, die in ihren Augen Ketzer und, obwohl verwandten (slavischen), doch verhaßten Stammes waren. Wie sich versprengte Patnoten des alten Cultur-Italiens in den Lagunen zu einem neuen Staate vor der Völkerwanderung zusammcngcstüchtct haben, so mochten damals die Dnepr-Inseln jenseits (sä) der Wasserfalle (swi-o^) cinen Theil der starken russischen Herzen aufnehmen, welche nach dem Unter-gange des alten Hauptsitzcs des Russen thu ms, Kieff, lieber arme 375 und freie Nüssen in der Wüste, als Sclaven der Fremden in der reichern Hcimach sein mochten. Es sielen danach diese Anfänge der Saporoger in die Zeiten zwischen Vatü Chan's Zügen nach Westen in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts und der Eroberung Kicff's durch die heidnischen Lithauer in der ersten Hälfte des !4. Jahrh. Von dem alten Hanptsitze des Russcnthnms ans und von den Rothrnsscn (Gallizicrn) mögen daher die ersten Verbrüderungen der klemrussischcu Ko-sacken hauptsächlich durch Flüchtlinge und Desperados gegründet sein. Daher auch ihr, trotz alles fremden ZuzugeS russischer, und zwar klcmrussischcr Character in Sprache, Sitten und Religion. Die fortwährenden Raub- nnd Zcrstöruugszügc der Tataren, die Bedrückungen polnischer und lithauischer Edelleute trieben fortwährend viele Russen in das frische, freie Kosackm-lebcn unter die Freibeuter der Dnepr-Inseln. Aus bloßen Freibeutern wurden sie hier eine Vormauer Polens gegen Tataren und Türken, ohne bis zu ihrem Ende jenen Character ganz zu verlieren. König Easimir, Lithauen und Polen vereinigend, erhob die Dnepr-Kosackcn zu regelmäßigen Lehnsleuten der polnischen Krone nnd stellte sie dem polnischen Adel gleich. Daher nennen sich ihre Nachkommen in der Ukraine noch jetzt: echt adelige Kosacken. Damals entstand wohl der Name Klcinruß-land für die Gegenden am Bug und Dnepr. Für Polen wurden die Kosacken die angesiedelten Vertheidiger des Grenzlandcs (Nkraina). Unter Stephan Vathori erreichte das Verhältniß der Kosacken zn Polen seinen Glanzpunkt. Dieser große Fürst zog aus ihren bedeutend angewachsenen Kräften in seinen Kriegen großen Vortheil, wußte sie zu gewinnen und gab ihnen eine auf die vorhandene gestützte Einrichtung und Verfassung, große Freiheiten und Gerechtigkeiten und fast das ganze Land (im Herrmann Band 3. steht das Nähere der Urkunde citirt) am Dnepr und Vug. In Stephans Heer und in dem seines Verbündeten, des trimmischen Chans, traten sie als eine leicht bewaffnete Rcitcrschaar auf, wohl sehr ahnlich den Schaarcn, die in unserm Jahrhundert die Rosse des Don und des Dnepr in der Seine getränkt haben. Als Stephan sein Heer vor der Z7S Belagerung von Wow (158N musterte, waren zwci Arten von Reiterei, Husaren mit schwerer Rüstung und Kosacken mit leichter Bewaffnung. Wen dieß abcr verleiten sollte, Kosackcn für eine besondere Waffengattung zu halten, — in der Art, wie es heut zu Tage die Husareu und Ulanen sind — der würde dem damaligen Kosackencharactcr noch mehr Gewalt anthun, als dem heutigen. Denn wie noch jetzt Kosacken auch als Bootsleute, Infanteristen uud Artilleristen auftreten, so hatten sie schon damals ihre Festungen, so beunruhigten sie auf ihren leichten Booten die Küsten dcS schwarzen Meeres schon im 15. Iahrhnndcrt, dessen recht eigentliche Flibustier sie lange geblieben sind, wie ihre donischcn Brüder die des Don, der Wolga nnd des caspischcn Sees. In Fricdenszciten sollten nur einige tausend Mauu auf den Dnepr-Inseln Dienst thun, hatte Stephan Vathori gewollt. Der russische Associationsgcist gestaltete diese zu einer besondern Verbrüderung, die abcr ihren Zuwachs hauptsächlich aus der Ukraine erhalten haben wird. Die nunmehrigen — die eigentlichen berühmten ^- Saporogcr gaben sich eine eigene Ver-fassnng, die zwar mit denen der übrigen Kosackcn die größte Verwandtschaft, abcr doch auch manche Besonderheit hatte. Sie forderten von ihren Angehörigen das chclosc Leben, nahmen zwar Jeden auf, der mit ihnen nach ihren Gebräuchen leben wollte, dagegen abcr stand es anch Jeden, frei, auszutrcten, ohne vorherige Anzeige. Ihren Hctmann wählten sie bald, bald ward er ihnen gesetzt; abcr nach ihren eigcnen Gebräuchen wählten sie ihn immer nnr auf ein Jahr, wonach er dann als gemeiner Kosack zurücktrat. Eben so die Ofsicicre. Wären sie nicht so ganz und gar räuberischen uud unritterlichcn Wesens gewesen, man könnte sie die slavischen Iohauniter nennen. Die Verbrüderung der Saporogcr erreichte übrigens — vielleicht eben mit in Folge ihrer Ehelosigkeit — am vollständigsten den Character einer unabhängigen Krieger-Ncpublik, die anch im Laufe der Zeit, cigcuuützigc Zwecke verfolgend, bald Polen, bald Rußland, bald dem krimmischen Chan, bald dcm Sultan gehuldigt hat. Zwar zogen, als Hctmann Schach ans eigene Hand die Moldau bekriegt hatte und zur Strafe dafür Stephan - 377 Bathori ihn in Lcmbcrg cnthanpten liesi fl5?8), viele Tan-sendc seiner Anhänger zu dcn donischen Kosackcn; doch erhielt die Macht der Ukrainischen einen nngchcnrcn Zuwachs dnrch die kurzsichtige Selbstsucht dcr polnischen Großcn-Republik. Die polnischen Regimenter nämlich, welche am Ende dcr Kriege Bathori's gcgcn Nußland aufgelöst wnrdcn, brachten ihnen wieder großen Zulauf an tapferen Leuten; zugleich gab es dcr Streitigkeiten viele mit ihnen über Läuflinge von dcn polnischen Gütern; nnd die gemischten Ansicdlungcn dcs hcrrschsüchtigcn polnischen Adels nnd der bis zur Iügcllosigkeit dcmocratischcn und freiheitsliebenden Kosackcn gaben fortwährende Ursachen dcs Zerwürfnisses. Doch leiteten die Wirren, welche u> dcn Zeiten der falschen Dimitri Rußland abermals an dcn Rand dcs Ab-grnndes brachten, die im Innern dcr polnischen Rcpnblik sich mchänfendcu Gewitter nochmals nach Außen, nm dieselbe Zeit, da die religiösen Wirren das dentschc Reich ans immer in seinen Grundfesten erschütterten. Rußland ward damals dnrch seinen Gott vor dem Untergänge bewahrt. Dcr Friede von Polänowka (Il>34) erlöste cs nntcr harten Opfern von scincm gefährlichsten Bedränger. Von da ab datirt sich dcr Fall Polens. Ein mächtiger Kriegerstaat im Staate verträgt die Rnhc nicht; um so weniger, wenn nationale nnd religiöse Leidenschaften ihn dem Staatsganzcn von Haus aus feindlich stellen. Anch ohnc socialen und religiösen Druck, anch ohne dcn Ueber-muth dcs polnischen Adels, vielleicht auch mit einem geringeren Grade von Unbandigkeit, Kriegs- nnd'Vcntesucht, mußte die gewaffnctc russische Körperschaft dcr Kosacken früher oder spater in ruhigen Zeiten mit dcr polnischen Rcpnblik sich verfeinden. Echon lange hatte cs in der Ukraine gcwctter-lcnchtct, jetzt kam cs znm zündenden Vlitz. (Vcrgl. Herrmann 4. Band.) Die Polen ließen auf der kosackifchcn Insel Kndak eine Festung für polnische Besatzung anlegen. Die Kosaclcn zerstörten sie, hieben die Besatzung nieder (1l»35>). Der Rädelsführer dieser Tbat ward ergriffen, in Warschau gcvicrthcilt. Dcr Krongroßfeldherr Koniccpolski fragte dcn Kosackcnhauptliug 373 Bogdan Ehmelnicki und einige Kosackm, auf die Festung zeigend: „Wie gefällt Euch Kudak?" Chmelnicki, erst eben aus dem glücklichen Kriege gegen die Russell zurückkehrend, antwortete: „es giebt nichts von Menschenhänden Gemachtes, was nicht Menschenhände wieder zerstören könnten." Im December 163? griffen die Kosacken in Masse zu den Waffen, verjagten den vom Könige eingesetzten Hctmann und die Starschine. Nochmals wurde der Aufstand blutig unterdrückt, die Zahl der eigentlichen Kosacken am Dnepr äußerst (auf 3009 Mann) eingeschränkt, zugleich ihre Streiflust gezügelt, ihre Freiheiten und Privilegien abgeschafft oder verstümmelt. Wäre Warschau der Sitz des russischen Zaarcn, polnischer Große, russischer Bojaren gewesen, vielleicht, daß die Ukraine schon damals geworden wäre, was sie gegenwärtig ist: ein reiches Land mit einer friedlichen Bevölkerung von Ackerbauern. Aber die Unterdrückung durch Ketzer und Fremdlinge war russischen Kosackcn unerträglich. In Bogdan Chmelnicki, den Koniccpolski selbst zum Pissar (wörtlich: Schreiber, eigentlich: Kanzler) der Kosackcn erhoben hatte, fand sich ein fähiger Führer, der, in seinem Eigenthum und seiner Familie aufs Tiefste vom Starostcn Tschaplinski gekränkt, ausrief: „so lange ich noch meinen Säbel schwingen kann, hat mir Tschaplinski noch nicht Alles genommen." Das war der Character, dessen das seufzende Kriegcrvolk bedürfte. Auch war er nicht zu eigen in seinen Mitteln; König Wladislaus IV. selbst reizte ihn zum Einverstandniß mit den Tataren, indem er hoffte, daß dadurch der Türkcnkrieg dem polnischen Reichstage aufgezwungcn würde, da der König selbst die Mittel zu seinem Beginnen nicht erreichen konnte. Schon früher waren die Dncpr-Kosackcn mit den Tataren vor Moskau gezogen (UN0). Um so weniger Skrupeln fand ein Bund mit Muhamcthancrn gegen den römisch-katholischen polnischen Adel; die etwa vorhandenen beseitigte der griechische Grzbischof von Kieff, Peter Mohilcw, der nicht allein den Krieg sanctionirte, sondern auch mit dem Kirchcnfluche die Säumigen belegte. — Gerade !0 Jahre nach der Unterdrückung des Aufstandcs von 163^, also zu derselben Zeit, wo der wcstphälische Frieden die Zertrümmerung Deutschlands besiegelte, brach der furchtbare 379 Krieg aus, in dem man den Anfang der Theilung Polens mit Recht erblickt. Die Kosackcn, ungeheuer verstärkt durch das Volk der Ukraina und im Bunde mit den noch lauge furchtbaren krimmischen Tatarm, — es sollen zuletzt 200,000 Kosackcn uud Ukrainer unter den Waffen gewesen sein, dazu 100,000 tatarische Reiter — erdrückten die polnischen Heere; Warschau zitterte. Aber der Vertrag von Zborow (Aug. 1649) rettete den König uud das Heer und gab dem Reiche nochmals Ruhe, den Kosacken aber die geschmälerten Freiheiten in lange nicht mehr gekanntem Maaße zurück. Aber das russische Volk der Ukraine hatte eiumal die polnische Kette gebrochen, die Vahn der Unabhängigkeit betreten, die eigene Macht, der fremden Herren Schwache gefühlt. Die Bedingungen des Friedens, welche noch vor wenig Jahren das Band zwischen Polen und Kosackcn vielleicht auf lange Zeit neu zn stärken vermocht hätten, waren nicht im Stande, den Riß zu heilen; zugleich kehrte Großrußland unter dem zweiten Romanow, Alcrci Michailowitsch (1045—76), Peter's I. Vater, zu innerer Kraft zurück. Scchszchn Jahre, nachdem Chmelnicki mit den Kosacken als polnischer Vasall gegen Moskau mar-schirt war, ließ er (1650) dem russischen Zaar ein Büuduiß anbieten. Alcrci ermunterte den Abfall der Kosacken von Polen und nahm die zahlreich auswandernden Ukrainer freundlich auf. Daraus entstanden damals an der russisch - krimmischen Grenze, in der Gegend von Charkow, die sogenannten slobodi-schen Regimenter, welche als eine besondere tlcinrussische Ko-sackcncolouie bis 1783 fortgedauert haben, nachdem die von ihnen gestellten Regimenter schon früher regularisirt worden. Indeß zogen sich die Unterhandlungen mit dem Zaar in die Länge, bis den Ukrainern ein Krieg mit den Polen und den von diesen erkauften Tataren drohte. Dieß entschied den Bruch. Im Jahre 1654 unterwarfen sich Chmelnicki und die Kosackcn zu Perejaslaw dem Zaar Alerei, nntcr Anerkennung ihrer sämmtlichen Bedingungen dnrch dessen Bevollmächtigten; gleich darauf begann der Krieg Rußlands mit Polen um die alten russischen Grenzen. Damit beginnen denn für die Ukraine die Wirren erst recht, 380 die ihr Ende eigentlich erst in dcr Schlacht von Pultawa fanden. Sie zogen in ihrem Gefolge zunächst die Trennung der klcinrnssischen Kosackcn nach sich, welche während dieser Wirren nie wieder vereint, dagegen bald größmuhcils bei den Russen, bald bei den Polen, bald bei den Türken odcr Tataren, endlich auch bei den Schweden standen. Zwar ward dem Zaar im Frieden von Andrnssow (W6?) Kieff, das ganze linke Dnepr-Ufer und die Oberherrschaft über die Saftorogcr Brüderschaft von Polen abgetreten, doch theilten sich die klcinrnssischcn Ko-sacken nach dieser Grenze in polnische und russische Lehnsleute. Als dann die osmannischc Macht von dem gleichzeitig dnrch Thronstrcitigkeitcn erschütterten und innerlich geschwächten Polen Podolicn abgetreten erhielt, verwickelte eben das zweifelhafte und stets schwankende Benehmen dcr llcinrnssischcn Kosackcn Nnß-land anch in Krieg mit dcr Pforte. Wenn es nnn nicht zu leugnen ist, daß das Ringen dcr kleinrnssischcn Kosackcnhäupllinge nach Gründung eines unabhängigen Kricgerstaats zwischen Rnsiland, der Pforte und Polen ein eitles Bestreben war, nnd wenn manche Polcnfrcundc es als eine poetische Gerechtigkeit darstellen, daß eben mit dem Abfall der Kosacken von Polen der Untergang ihrer eigenen, vergleichnngswcise unabhängigen Lage unanfhallsam begann und sich noch eher vollendete, als dcr völlige Untergang dcr großen polnischen Republik, der sie die erste tief einschneidende Wunde beigebracht, so muß man doch anch gestehen, daß für das klein-rnssischc Volk mit der Rückkehr zn seinem natürlichen Beherrscher die Morgendämmerung der Erlösnng von der Fremdherrschaft anfsticg und daß deren Vollcudnng mit dem Verlnste dcr Kosackcnvcrfassung nicht zu theuer bezahlt ist. Dic Eaporogcr hatten während dieser Kämpfe großen Zulauf und wußten sich zugleich gefürchtet nnd gesucht und daher am unabhängigsten zu erhalten. Ihr Koschewoi Ataman Scrko erwarb ihnen auf einige Zeit wieder den Ruhm einer Vormauer dcr Christenheit, indem es schien, als stütze er jede Fahne, die sich gegen den Halbmond erhob. Der Polcuheld Sobicski, wie die russischen Feldherren, erhielten von ihm wcrthvollc Hülfe. Dagegen huldigte cm Solm Bogdan Chmclnicki'S mil zahlrci- 38! chen Kosacken dem Sultan und dcr ehrgeizige Hctmann Doro-schcnko, welcher nach unabhängiger Beherrschung aller kleinrus-sischen Kosacken strebte, stand bald auf der einen, bald auf der andern Seite. Dcr Friede von Radzin s!(M) endlich brachte das Kosackcnland bis anf einen kleinen Theil — welcher Polen auf dem rechten Dncprufcr verblieb — ganz an Rußland. Dcr leh vernment, dem gegenüber man erstaunen muß, daß die Demokraten des Abendlandes sich keinen größeren Popanz zu denken wissen, als daß „Europa kosackisch werde". Wie ihre Ge-mcindceinrichtnngen, nach Art der russischen, sogar der vollkommenste Ausdruck der sogenannten socialistisch-commnnistischcn Theorien sind, der bisher vielleicht noch verwirklicht wurde, wird man an anderen Stellen dieses Werks näher begründet finden. Die Hauptspitzc, die der kosactischcn Unabhängigkeit und Widerspenstigkeit abgebrochen ist, bestand in dem Rechte, ihre Officiere, zugleich Beamte, zu wählen, und in der Gewohnheit, dies nur auf Zeit zu thun. Es liegt in den Privilegien aller Kosacken, vorzüglich der ältern Kosackcnstämme, fast nnr Ossi-cicre nnd Beamte aus ihrer Mitte zu besitzen. Vci den Doni-schcn und Tschernomorischcn wurden selbst die Atamanc noch jetzt nur ans ihrer Mitte ernannt. Bei allen andern werden jetzt die Atamanc anS Nichtkosackcn — meist aus den Officicren der regulaircn Cavallcric — ernannt. Ein Gleiches geschieht bei den Kosackcn der kaukasischen Linie und der Donan mit den Brigade- und Regiments-Commandeurs; bei den Orenbnrgschcn 396 und Sibirischen mit den Brigade-Commandeurs. Man ficht also, daß das Privilegium, nur ans ihrer Mille Ossiciere zn erhalten, am ausgcdchntcstcn von den ältern Stämmen bewahrt ist. Das der Wahl ihrer Ofsicierc — und vollends auf Zeit — ist hingegen gänzlich beseitigt. Der Kaiser ernennt sie sämmtlich — anch die niedern Grade, die nnr anö den Kosackcn selbst besetzt werden — und zwar ans Lebenszeit. Die Besetzung der höheren Stellen mit Nichtkosacken hat übrigens wohl mindestens eben so sehr miliiamsche, als politische Gründe. Man hat nämlich bemerkt, daß dic Kosackcn zn höhcrn Posten sich selten eignen und daß sie unter Fremden weit besser fechten, als unter ihren cingcbornen Officiercn. Die obersten Atamanc der Heere heißen Koschcwoi oder Woiskowoi atamani — HecrcS-Hct-manner. — Ist eS so mit der nltradcmokratischcn Besetzung der Aemter vorbei, so hat sich dagegen durch die Erthcilung kaiserlicher Patente unter den Kosacken ein erblicher Adel gebildet, während früher alle Kosacken gleichberechtigte Brüder waren. Angesehene und einflußreiche Familien, wie die Platoff, Grekoff, Kraßnosf, Kutznctzow, Orloff-Denissoff, IclowaiSky u. a. waren zwar längst unter ihnen. Der neucnlstandene Adel aber beansprucht auch die Rechte dcS russischen Adels. Da nnn schon seit del» vorigen Jahrhundert die altrussische Gemeinschaft des gcfammlcn Grundbesitzes, wie sie bei den nralschen Kosackcn noch jetzt besteht, bei einem Theil dcr Kosackcn anfgchoben war, so fing dieser Ko-sacken-Adcl im donischen Lande an, Leibeigene auf seinen Gütern anzusiedeln. Es haben die darans entstehenden Streitigkeiten über die Ansprüche an das noch bestehende Gemeindeland dazu geführt, daß endlich im donischen Lande eine Theilung in 5 Districtc stattgefunden hat, wovon dcr cinc lediglich für den Avcl war, so daß nnr in diesem Leibeigene scin dürfen. Dieser Leibeigenen wegen ist denn auch wahrscheinlich, wie wir meinen, das donischc Kosackcnlcmd unter den Rccrutirungs-Districten aufgeführt, da sie Kopfsteuer zahlen und der Nccnttirung unterworfen, überhaupt keine Kosacken sind. Es sind nämlich die Kosackcn von dcr Kopfstener wie von der damit verbundenen Nccrutirnng frei. Dazu haben sie das 30? Rcchl, Branntwein zu brmucn und Vier zu braucu, große Fischerei- nud Jagd-Freiheiten; auch das Recht, Salz für cigeueu Bedarf zu producircn. llebcrhanpt gelten die Regicrungs-Mo^ nopole uutcr ihnen nicht, so weit der eigene Bedarf in Frage kommt. Für alle diese Vorzüge leisten sie Kriegsdienste nnd zwar mit Pferd und Waffen. Sold und Verpflegung für Mann nnd Pferd, wie die andern Truppen, bekommen sie nur, wenu sie aufgeboten werden. Dagegen bekommen sie Munition und daS todte Material der Artillerie von der Ncgiernng. Die einzelnen Kosackenhecrc sind in Regimenter, Bataillone, Batterien eingetheilt. Die Regimenter und Bataillone in Sotncn (wörtlich Hunderte), kleine Escadrons von gewöhnlich l20 bis l50 Pferden oder auch Compagnien der Infanterie und Artillerie; die Anzahl der Sotnen eines Regiments ist verschieden, gewöhnlich l». Icue Regimenter werden gestellt, wie sie aufgeboten werden uud erhalten auch dann gewöhnlich erst Nummern oder Benennung. Dieses Aufgebot geschieht nach dm Umständen, bald mehr bald weniger Regimenter, bald zum Dienste der militairischen Cordons gegen die nnrnhigcn Grcnzvölker, bald zum polizeilichen Dienst im Innern, bald zum Douanendicuste, bald zur Begleitung des Heeres in eigentlichen Fcldzügcn. Der Einthcilnng in Regimenter und Sotnen entspricht die bürgerliche Mittheilung dcS LandeS ganz ähnlich, wie die dcS preußischen der Landwehr-Bataillone ic. In demselben Heere Wechselt dann der Dienst Rcgimcntcrwcise, gewöhnlich nach 3 Jahren. In den Heeren von wenigen Regimentern wahrscheinlich Eotuenweise. Jeder Kosack ohne Ansnahmc ist zum Dienste verpflichtet; für die Zahl der dem Heere aufgegebenen Regimenter muß dasselbe auch Pferde uud Waffen habcu. Die wohlhabenden Ko-sackcn halten sie sich selbst, den Armen giebt sie das Heer; denn jedes Hccr hat seine eigenen Finanzen, Arsenale :c. Die Kosackcn werden nach ihrem Alter in 3 Klassen getheilt; die jüngste von 18 bis 25 Jahren wird im Reiten, in der Führung der Waffen, der Handhabung der Boote :c. 398 geübt; die mittlere von 25 bis 40 Jahren ist bestimmt, die Regimenter zn bilden; die noch älteren bilden die Reserve. ^) Besonders ist den Kosackcnländcrn, deren Stonitzcn für sich nichts mehr von den unruhigen Nachbaren zu fürchten haben und deren Einwohner schon längst bei friedlichen Gewerben wohlhabend geworden sind — wie das namentlich am Don nnd lhcilweisc am Ural, in Sibirien nnd selbst bei den Tschcr-nomorcn etwas der Fall sein soll—; in diesen Ländern ist begreiflich die Lnst ins Feld zu ziehen, wohl sehr gering. Deutschland, Frankreich, Italien leben zwar noch als Eldorados in den Erinnerungen und Erzählungen dieser Krieger fort und ein europäischer Krieg würde viel Lockendes haben. Aber der wenig einträgliche nnd gefährliche Dienst am Kaukasus und der Poli-zcidicnst, mit seiner für Polizei-Truppen zwar wohl noch immer sehr laren aber für Kosacken-Maßstabe gewiß recht harten Mannszucht, kurz die Dienste, wobei es nichts zu erwerben giebt, sondern nur die Pferde nnd Waffen rmnirt, die heimathlichen Gewerbe vernachlässigt werden, sind bei den Kosackcn wenig poftulair. Hieraus ist denn ganz von selbst ein Stcll-vertretungs-Modus cutstanden, der kaum einfacher erdacht werden kann, der aber znglcich einen Wink giebt, wie natürlich bei einem Volke von steigender Civilisation eben die Stellvertretung selbst, wie unnatürlich, gezwungen die Idee der persönlichen Wehrpflicht für alle Kriege ist, welche nicht unmittelbar den heimathlichen Hcerd schützen. Wenn nämlich eine Kosackcn-Stanitzc aufgefordert wird, eine gewisse Anzahl Kosackm zu stellen, so kommen die sämmt- ') Koch macht hinsiMich der Linicn-Kosackcn andere Angaben. Vielleicht ist es bei den versänebenen Heeren verschieden. Nach Koch sind sic nack dem Alter in 4 Abtheilungen getheilt: die erste Jugend, Knaben bis znm 16. Jahre; die zweite Ingcud von 1« —20; die Männer von 20 bis NU Jahren; die Greise über 60 Jahre. Die Mäüucr geben allein die Soldaten; sie sind getheilt in Nestrojewen (passirr) und Strojcwen (active). Die Sacke ist offenbar im Wesentlickcn dasselbe, was wir angaben. Die Angabe von IC Jahren statt 18 Jahren halte» wir indcß für eine» Irrlhnm. 399 lichen Männer im Pflichtigen Alter anf dem Markte zusammen. 5) Mrd nnn etwa ein Drittel davon aufgeboten, so gruppiren sich die zu Dreien, welche nicht Lnst haben, zn gehen, oder welche sich damit etwas zn verdienen denken. Die Vc-frcinng vom Dienste geschieht dann völlig nach dem Mcistge-bote. Einer sagt: ich biete so nnd so viel dcm, der statt meiner anszieht; der nächste bietet höher n. s. fort; der zuletzt das mindeste Gebot hat, zieht anS nnd erhält, was die anderen Beiden boten. Es nmß dieß Verfahren jedoch zu einigen Unznträglichkciten für den Dienst geführt haben, es soll neuerdings nämlich durch eine Einrichtung des Kriegsministers Tschcrnitschcff, nach welcher genaue Listen anfgcstcllt sind, bedeutend eingeschränkt, wo mchl ganz abgestellt sein. Es ist schon mehrfach angedentct, daß die Kosacken als Trnppcn mehr und mehr regnlarisirt sind. Viele haben daraus den Verfall der kosackischcn Kriegcrtugenden herleiten wollen, der sich ohne Zweifel am Doll und selbst bei den Tschcrnomo-rcn äußert. Nnn aber wird über die gesunkene Mannhaftigkeit der Saporogcr und kleinrussischen Kosackcn schon von Mannstein — um 1730 — geklagt, und eö ist daher kein Zweifel, daß die regulaire Kampfweise, die »nan den Kosacken nach und nach gegeben hat, mehr als eine Wirkung, denn als eine Ursache dcS Verfalls angesehen werden muß. Zwar ist es wahr, daß wer Kosackcn pedantisch in der Art führen wollte wie ein rcgnlaircs Regiment, wer keiner freien Regung des kriegerischen Instinctes Lauf lassen wollte, dcr auch dic vcr-weichlichtsten noch immer in hohem Grade auszeichnet, wer AlleS bei ihnen in der Hand behalten und sie zu bloßen Händen des Führcrhauptes machen wollte; daß dcr ihrcn Impuls nur dämpfen würde, ohne entfernt mit ihnen zn erreichen, was eine regelmäßige Truppe leistet. Auf der andern Seite aber kann sich dcr alte kriegerische Sinn und Instinct nicht mehr wie früher bilden, wo die Ko- ') Vil!« das Nähere darüber ü> dcm Cap. üdcr dic russische Gememdc-Vcifafflilnz. 400 sacken in gesicherten Wohnorten aufwachsen. Seit jene krim-mischcn Chane nicht mehr cristircn, die sich schämten, wcnn sic nicht ein Mal in ihrem Leben lhrcn Säbcl an den llfcrn der Oka (Flnß unweit Moskau) geschwungen hatten, seit die Kalmücken und Baschkiren gezähmt, die Nogaicr über Kuban und Tcrck zurückgedrängt sind, ist am Don, Donctz und der Wolga die Gefahr verschwunden. Die alt-eigenthümlichen Kosackcn-posten auf hohem Holzgcrüstc mit einem Fanale daneben, von denen auS der Allarm rasch in daS Land verbreitet wnrde, stehen jetzt an den Linien des Knban und Tcrck und wcitcr östlich gegen die Kirgisen der kleinen Horde und die Tataren von Chiwa. Dahin sind auch die Krcposten (kleine FortS) vorgeschoben. Der junge Kosack des Don lernt jetzt scinc Kriegskünste in friedlicher Schnlc. Wcnn er durch die Steppe reitet, schaut er uicht mehr in die Ferne nach dem lauernden Feinde und wcnn cr in kriegerische Verhältnisse kommt, so weiß er es gewöhnlich Monate lang vorher. Der Brand der benachbarten Stanitzcn ruft nicht mehr in den Sattel, waS die Pike führen, den Kantschu^) und Säbel schwingen, Pistol und Bogen handhaben kann. Die aus dem Schlafe gestörten Kosackcn eilen nicht mehr nach den Furchen des Doncz und Don, nm den mit Raub und Gefangenen be-ladcncn abziehenden Tataren ans dcm Rückzüge die Beute abzujagen. Die Zeiten, wo die Bewohner des Don uud Doneh auf eigene Hand das Antwerpen dcö Pontus, Asow, nahmen, Trebisond plünderten, sind nicht mchr. Mit einem Worte, die eigentlichen Kosackcn sind angesiedelte Vertheidiger unruhiger Grenzen, die das Land zu Lehn tragen nnd dafür einen permanenten Krieg führen. Wo sie in ihren: Lande sitzen geblieben sind, während Rußland scinc Grenzen über sie hinausschob, oder wo die Nachbarvölker ruhig geworden sind, da wird aus ihnen alles Mögliche, DouauicrS, Gcnsd'ar- ') Ist Kautsch» vielleicht cm deutsches l)dcr polnisches Wrrt? Nirgend in Nusilcmd habe ich es gehört. Was wir Kanlschu nennen, nennt dcr Kosack die N>,'gaila, 40» MM, gute friedliche Staatsbürger, aber vom Kosacken bleibt zuletzt um der Name. Ja man sagt, daß sich die Ueberlieferungen des Hclrenthums rascher verwischten, als die der langen Finger. Doch sind die Kosackcn untcr sich ohne Zweifel ehrliche Leute. Diebereien kommen bei ihnen nicht vor. Sie wissen aber nicht immer zn unterscheiden, daß der Krieg nicht mehr uach alter Weise zum persönlichen Vortheile des Kriegers geführt wird und ihre Ueberlieferungen finden durchaus nichts Unrühmliches dariu, den Bewohner des Kriegsschauplatzes zu berauben. Untcr solchen Umständen also mußten die donischcn und selbst einigermaßen die matschen Kosackcn nach nnd uach in jenen Eigenschaften abnehmen, die sie für den Krieg der Par-thcicn so unschätzbar machtcu, nnd in der That will man bemerkt haben, daß die donischen Kosackcn zur Zeit Napoleons die besten deS Heeres, in den Türken- und Pcrscrkricgcn 1827 noch immer vortrefflich, sich bereits I860 in Polen weniger gnt gezeigt haben und jetzt am Kaukasus sichtlich gegen ehemals zurückstehen. (Haben sie sich aber in Ungarn neuerdings wieder trefflich bcwährt, so spricht das vielleicht nnr für die regelmäßigen Einrichtungen, die sie seit 20 Jahren erhalten haben.) Man mußte dagegen suchen, ihnen jene Tugenden der rc-gulairen Truppen einzustoßen, für die sie bei steigender Civilisation empfänglicher wurdeu, und durch die die regulairen Armeen so unübertrefflich für die Schlacht sind, d. h. man mußte sie regelmäßiger formircn, disciplining crcrcircn. Sind die donischen Regimenter schon 18! - oft mit glücklichem Erfolge im eigentlichen großen Kampfe verwandt worden, so werden sie nach und uach immer mehr von der Parthcienreitcrci zur Schlachtcnrcitcrci umgewandelt werden. Dahin weist auch, daß man ihnen, wie den übrigen Ko-sackcuhccrcn, eine eigene Artillerie bcigcgebcn hat. Mcist eine leichte reitende Artillerie; nur gegen den Kaukasus giebt es auch Kosackenbatterien zu Fuß. Die Kosackcn haben zwar schon früh Kanonen geführt, sowohl in ihren Kreposten, wie auf ihren Zügen gegen die Städte '"' . 25 402 des Pontns und nach Sibirien. Es scheint aber, als hätten sie ihren Gebranch nicht rccht verstanden nnd als wäre anch ihr Material sehr hinter der Zeit znrnägeblieden. Es ist dieß sehr erklärlich, so lange die Kosacken selbst ihre Artillerie einrichteten. Im Personal nnd Material der Waffe mnß es ihnen da stets sehr gemangelt haben. In den europäischen Kriegen haben sie unseres Wissens ihre alte Artillerie nicht mitgeführt. Wie alle Nüssen haben aber die Kosacken eine große Liebe zum Geschütz, ein gropes Geschick zu seiner Bedienung; wie alle lockcrcu Formationen einen großeu, ja übergroßen Respect vor semen Wirkungeu. Der Kaiser Nicolans weiß sehr gnt, daß Nichts so sehr die Furcht der eigenen Truppen vor der feindlichen Artillerie entfernt, als wenn die eigene ihr antwortet. Er weiß aber anch, daß eine Artillerie im Felde eine zu kostspielige Waffe ist — sowohl wegen der Transportkosten der Geschütze, als der Munition — und daß sie die Operationen der Armee zn sehr genirt, auch bei der besten Einrichtung, als daß mau ins Feld eine andere Artillerie mitnehmen sollte, als eine gntc. Alle diese Motive, nnd vielleicht noch einige andere, liegen offenbar der Schöpfung einer regelmäßigen Kosackenartillcric zum Grunde. Im Frieden sind von den Kosackenbattcricn zwei Geschütze bespannt; sie dienen znr Uebung. Der Kosack lernt die Handgriffe leicht und gern; die nöthige Höhcrc Technik liefert die regulairc Armee nnd die Officicrschulc der Kosacken. Die erwähnte Ncgnlinmg hat indeß nicht die Kosackcn vom Don und Ural allein getroffen. Eic ist anch ans Viele derjenigen ausgedehnt, welche noch auf unsicheren Grenzen wohnen; es wäre interessant zn wissen, wie sie dort wirkt, ob sie das kriegerische Feuer blos dampft, oder ob sie blos die Zuverlässigkeit erhöht, oder ob beides der Fall ist. Leider haben wir nns darüber keine bestimmte Nachrichten verschaffen können. Nur über die uralschcn Kosackcn liegen nus einige Notizen vor, die an einem andern Orte mitgetheilt sind. Die Vermischnng mit Artillerie ist indeß auch dort sehr nützlich; denn es giebt nicht allein am Knban und Tcrck viele Gegenden, welche ihren Gc- 403 brauch begünstigen, sondern es floßt anch das Geschütz den sonst so unerschrockenen Krieger,: der Vcrgstamme großen Respect ein, die selbst es nicht zu handhaben wissen. Es gehört immer ein gewisser Grad von Cultur dazu, daß ein Krieger gegen Waffen steht, deren Wirknng er nichts entgegen zn setzen hat. Nur der Militair ans höherem Standpunkte begreift, daß es zugleich nützlich für den Kncgszwcck und rühmlich für den Krieger ist, im Feuer ruhig nud doch unthatig zu stchcu, daß mau schon kämpft, ehe die eigene Waffe den Feind erreichen kann; dem Naturkricgcr, in seiner beschränkten Auffassung der Dinge, scheint daS ungeschickt zu sein, gewohnt, wie er ist, die Auf-gaben des Krieges auf elementarstem Wege zu lösen. In Europa zählt man die Narben der alten Soldaten; in der Kabarda, in Chiwa, Kabul, unter den rothen Hänten Amerika's frägt man nach der Zahl der Feinde, welche der Krieger erschlagen hat. Ja, die Tscherkessen, welche das Handgemenge, den Kampf Auge in Auge mit der blanken Waffe, so sehr lieben sollen, sehen Narben als Denkmäler einer begangenen Ungeschicklichkeit an, schämen sich ihrer und suchen sie zu verstecken, wie die deutschcu Studenten die ihrigen. Das letztere System erzieht bessere Gladiatoren, das erstere bessere milites. Der Kosack steht zwischen beiden; hier jenem, hier diesem Ertrcm näher. Wenn aber die Kosacken vom Don nnd Ural nicht nach und nach gute milites werden, so wird der russische Staat früher oder später in die Lage kommen, sie zn versetzen oder sie aufzuheben. Denn, wenn man bedenkt, daß die fortwährende Zunahme ihres Reichthums sich hauptsächlich auf zwei Umstände stützt: einmal, daß sie der meisten directcn nnd indircctcn Abgaben ledig sind; dann, daß der Staat ihr Vesitzthum direct durch die Armee am Kaukasus, indirect durch seiuc allgemeine militärische Entwickluug sichert; so sieht mau leicht, daß solche Vortheile auf die Länge nnr geduldet werden können, wo entsprechende Leistungen im Kriegsdienste dafür geschehen. Das bloß formelle Recht widersteht nie der Umwälzung seiner natürlichen Grundlagen, so wenig wie ein fester Thurm 2b' 404 stehen bleibt, wenn der Fels, woranf er gebaut ist, unterwaschen, zusammen bricht. Dieß ist einmal der Welt Laus! Nichts wird dieser Richtung der Geschicke in Europa widerstehen. Der besonnene Conservatismns wird sich daher daraus beschränken müssen, nur dahin zu streben, daß die Grundlagen des Bestehenden nicht mit frevelnder Leichtfertigkeit, ohne Noth, untergraben werden. Er wird die lauen Regcnwasser des Geschwatzes abweisen oder in die Gossen leiten, wohin sie gehören; aber in dem gewaltigen Strome der Schicksale und Ereignisse, gegen den jeder menschliche Damm ein zerbrechliches Spiclwcrk wird, wird er die höhere Hand ehren und den« Geschicke mit Resignation Dinge opfern müssen, an denen er einst mit Liebe hing. Es ist aber nicht zu leugnen, daß in unserer Zeit die wilden Wasser oft gesagt haben: „weichet, es kommt der Strom!" und leider noch weniger, daß ihnen das von zaghaften Gemüthern zu leicht geglaubt ist. Das formelle Necht der Kosacken hat nun aber längst, wenn nicht von jeher, das Necht der freien Disposition der Zaarcn und Kaiser über sich gehabt. Es besteht auch formell nur, so lange der Kaiser will. Es ist ein Thurm, der einen frei schaltenden Eigenthümer hat. Sicht der die natürliche Grundlage für untergraben an, so wird cr das Gewicht des Gebäudes mindern, das Baumaterial abtragen oder dem Gebäude eine künstliche Stütze geben, wie cr es zweckmäßig findet. Viele Westeuropäer werden das für eine unerträgliche Rechtsnnsicher-hcit halten. Wir' wollen nicht bestreiten, daß sie das werden kann. In einer Antocratie hängt ja Vieles davon ab, daß der Monarch tüchtig sei, wie in einem Ncpräscntativstaate, daß die Kammern es seien, uud für die Rechtssicherheit, daß beide Achtung vor dem Rechte haben. Man gestatte uns aus rationellen und empirischen Gründen zu glauben, daß mehr Wahrscheinlichkeit für die Fähigkeit und Gerechtigkeitsliebe eines Monarchen, als für die von Wahlkammern vorhanden ist; und daß die letzteren leichtfertiger darin sind, die Befriedigung jeder Mo-dclaunc anf das liiil, m^,5lit,i6i- Regiment, also total: 0 Bataillone, 74 Eotmen zu Pferd, 32 Geschütze. 5) Die Ko sacken vom Kaukasus (Linien-Kosacken); 18 Regimenter zn Pferd nnd 3 reitende Batterien — nach dem Reglement von 1845 sollten sie auf 20 Regimenter zu Pferd a 884 Mann nnd 3 Batterien gebracht, aus ihnen ferner gestellt werden: die eigene Convoi des Kaisers in Petersburg und l Abtheilung zn einem combinirten Regiment der activen (polnischen) Armee. — Wir geben nur das sicher Vorhandene: total 108 Sottncn, 24 Geschütze. 6) Die Kosackcn vom Ural: 12 Regimenter zu Pferd zu 5 Sottnen; total: 60 Sottncn. 7) Die Kosackcn von Orenburg: 10 Regimenter zn Pferd zu ft Sottncn und 3 reitende Batterien; total: 60 Sottncn und 24 Geschütze. 8) Die Kosacken der sibirischen Linie — nicht zu verwechseln mit den Städle-Kosacken — 9 Regimenter zn Pferd und 3 reitende Batterien; total: 54 (?) Sottncn nnd 24 Geschütze. 9) DieKosackcn der chinesischen Grenze: 8 Sottncn. 10) Die Kosackcn von Astrachan: 3 Regimenter zu Pferd und 1 reitende Battcrie: 18 (?) Sottnen und 8 Geschütze. 11) Die sibirischen Städte-Kosacken: 8 Regimenter zn Fuß (Bataillone?). 408 SB 2 -9 r *♦> o* 9 o (Bestellte %vnppen. Stamen ^^ -ö2-' »" ^ *< Ungefähre i&tätfe 1. aiem 3)on . . . . 58 348 i — J4 i 112 — 112 42,000 SWann S. 3. 93™ fcer Scitau . . 2 12 — — — — — 1,700 ü)?atitt (5. 4. ffiem fcttoarjenSBeere. 12 74 9 4 24 8 32 {g^no ©lanS 3." 5. 33cm tfauFafas ... 18 108 — 3 24 — ! 24 lß^OCH) 2Tiatiit S. 6. S3cm Ural .... 12 60 — — — — — 7,50U STOann S. • 7. 33cn Crcnfwrg ... 10 60 — 3 24 — ! 24 7,500 «Wann (5. 8. ^n lit €iHr. Sinie . 9 54 — 3 24 — j 24 6,500 Sßann S. 9. g?en tcr Stjtnef. ©reitje — 8 — — — — 1 — 1,000 üHann 6. 10. SBcn aßradan ... 3 18 — 1 8 — 6 2,000 üHann 6. 11. Sen ben SiHr. ©fatten — — 24 — — — — 24,000 ÜNann 3- ? c . . i- tu ~qa i't oc öle c ooi irtconn 5Ian des einzelnen Kriegers abhängt. Wenn ein Hafe beim Ausziehen auf eine Unternehmung aufspringt, wird er rasch anfgcjagt und mit der Nogaika erlegt (deren sie sich bekanntlich gern als Waffe bedienen, auch in: Handgemenge, gegen Wölfe ic.), um dem unglücklichen Wahrzeichen die Kraft zu nehmen. Auch einem Priester zu begegnen, gilt für ein böses Omen. Bei solchen Gelegenheiten, wie überhaupt, bedürfen sie eines gewandten Führers, der zugleich ihre Eigenheiten gcnan kennt und doch über sie erhaben ist. Eine treffende Bemerkung, ein rasch bereiter Mutterwitz hilft da eben so gut wie einst Cäsar's Geistesgegenwart den Muth seiner erschrockenen Legionen hob, als er auf dm Strand von Afrika fiel; wie denn zu den» Vielen, was Russen- und Römer-Soldaten gemein haben, auch der Glaube an Vorbedeutungen zu rechnen ist. Es mag mit in diesem abergläubischen Wesen liegen, daß die fremden Officiere bei den Kosackcn fast immer mehr getaugt haben, als die aus ihnen hcrvorgegangenen. Wollte man mm aus dem, was wir jetzt gesagt haben, über Rußlands irregulairc Truppe im großen Ganzen urtheilen, so würde man freilich wohl mit Necht von ihr sagen können, was die Catalani von der Sonntag gesagt haben soll: ell Die englischen Militairzeitungen haben die widersprechendsten Nachrichten von der russischen Flotte, namentlich von ihrem Werthe, geliefert. Einige verachten sie, wie die Seemacht des „Reiches der Mitte", deren Hunderte von Dschonken noch nicht einer englischen Fregatte gewachsen sind. Andere warnen vor der im Stillen steigenden Zahl fertiger und bemannter Schiffe vom größten Gewichte; aber freilich weiß man dann wieder nicht, ob es blos geschieht, um das Parlament zu Bewilligungen für die englische 'Flotte, von deren Officieren solche Berichte augenscheinlich stammen, zn instigiren. Daß die großen russischen Schiffe weniger gewandt manö-vriren, wie die englischen, französischen, dänischen, nordamcrika-nischen :c., darin stimmen so ziemlich alle Urtheile Sachverständiger überein. Daß die Schcerenflotte für ihren Zweck — Küstenkrieg auf den flachen Wassern der Ostsee und ihrer Buchten — vortrefflich ist, hat sie längst bewiesen. Dieser Beweis, der eigentliche Prüfstein kriegerischer Tauglichkeit, fehlt der großen Flotte noch fast so gut wie ganz. Die russische Flotte leidet hauptsächlich und vor Allem an dem Uebelstande, daß Rnßland, trotz aller Aufmunterung seit 150 Jahren, noch immer keine Handelsmarine entwickelt hat, die nnr in einigem Verhältnisse zur Kriegsflotte stände. Die besten Seeleute sind — nächst den wenigen großrussischen Seeleuten von Archangel — noch immer Finnländcr am baltischen Kosackcn und Griechen am schwarzen Meere. Aber die Seeleute genügen bei Weitem nicht, die Bemannung der starken Kriegsflotte zu liefern. Ja während bei anderen Seemächten die Summe der Bemannung der Kriegsschiffe nur eine geringe 425 Anzahl gcgcn die Handclsmatrosen ausmacht, ist sie in Rußland ohne Zweifel imgleich bedeutender. Es wird daher für die Flotte, wenn auch vorzugsweise aus den Küstcngegendm, doch noch immer viel aus dem Vinnenlcmdc rccruiirt. Nun hat zwar Peter's I. Grundsatz, das; der Mensch sich zn Allem eigne, bei den Russen einen noch höhern Grad von Richtigkeit, als bei anderen Nationen. Aber znr See erweist sich auch an den Russen täglich, daß er nnr innerhalb gewisser Grenzen wahr ist. Die russische Flotte bekommt also meistens keine fertige Seelente, sondern sie hat die Aufgabe, aus Landleutcn welche zu bilden; sie nimmt nicht, wie andere Flotten, ,ihre Matrosen aus der Handelsmarine, sondern man hat manchmal beabsichtigt, durch die Erzichuug auf der Kriegsflotte den Leuten Lnst an der Sache zu machen, so daß also die rnssischc Kriegsflotte gewissermaßen eine Pcpiniöre der Handelsmarine ist. Man kann sich von der Schwierigkeit dieser Aufgabe einen Begriff machcu, wenn man bedenkt, daß sogar das Gesetz umgangen werden soll, daß ans jedem russischen Handelsschiffe dcr Capitain ein Russe sein soll. Wie man sagt, suchen die Rhc-der zngleich von den Vergünstigungen für die rnssischc Flagge und von der großem Gcschicklichkeit ausländischer Seeleute zu profitircn. Im Hafen fignrirt ein Russe als Cavitain; in See übernimmt er die bescheidene Rolle des Kochs, während dcr eigentliche deutsche, schwedische, norwegische :c. Capitain aus seinem Hintergrunde hervortritt. Vei dieser Handhabung des Systems stehen sich aber begreiflich die russischen Ecclcntc besser, als die Seemacht. Ein anderer wesentlicher Nachtheil für die russische Flotte liegt darin, daß die baltische Flotte oft 5 bis 7 Monate lang vom Eis blockirt ist, während welcher Zeit die Matrosen am Lande sind und daß die des schwarzen Meeres nicht heraus darf, da nach dem Frieden von Kudschuck Kaiuardschc Kriegsschiffe fremder Mächte nicht in die Dardanellen einlaufen dürfen. Da man doch nicht erwarten kann, daß Rußlaud während des Winters seine Flotte auf fremde Häfen basirc, so fehlt es dcr baltischen Flotte sehr an Uebung; überhaupt aber den Seeleuten beider an dcr Gewohnheit, den großen Ocean zu befahren. 426 Ferner haben auch die höheren Stände eine vorzugsweise große Abneigung gegen den Scedicnst. Die Engländer machen sich Instig darüber, daß die russischen Sccofsiciere sich gern in Stiefeln und Sporen zeigen, und viel davon reden, sie würden, so bald wie möglich, zur Cavallcric übertreten. Der Kaiser Nicolaus hat gegen dies Uebel das beste Gegenmittel ergriffen. Er hat seinen zweiten Sohn, den Großfürsten Constantin, zum Admiral erziehen lassen; Stockholm, Kopenhagen, FlcnSburg und Kiel haben 18^ seine Flagge an der Spitze einer starken Division gesehen. — Ucbcrhaupt geschieht in Rußland jetzt Alles, um den ungünstigen Einflüssen entgegen zn arbeiten, nnter denen die Entwicklung der Seemacht laborirt. Vollzählig und sehr zahlreich bemannt ist die Flotte, das leidet keinen Zweifel. Von Außen für die Augen des Laien präsentircn sich die Schiffe vortrefflich; das Uebrigc erfährt freilich von Sachverständigen noch manche Aussetzung. Doch ist es uns immer erschienen, als dächte man von Rußlauds Macht überhaupt im Abcndlande zu leicht. So dachte man lange in Constantinopcl von der Macht der Türken, in Rom von den deutschen Barbaren. Ve-sondcrS aber müssen wir bei dem Abnrtheilcu über Rußlands Seemacht immer unwillkürlich an Carthago denken. Wie mögen diese Scchclden vor den drei Kriegen voll Roms Schissfahrt gedacht haben? — Ein kräftiger Staat kann viel, wenn er Will, uud Nußland ist kräftig, der Kaiser will und l'titut c'est moi kann Nicolaus mit mehr Recht sagen, als Ludwig XIV. Ucbrigcns wissen wir freilich, daß an nichts die Macht nnd der Wille der Eroberer sich so leicht bricht, wie an dem eigensinnigen Elemente, das Xcrrcs vergebens peitschen ließ und an dem der weist Canut seinen Höflingen das Schmeicheln abgewöhnte. Wir geben nur noch kurz das, was wir von der russischen Flotte wissen. — Die Flotte wird in zwei Abtheilungen getheilt: 1) Die Flotte des baltischen Meeres. 2) Die Flotte des schwarzen Meeres. Von einigen bewaffneten Schiffen auf den Vinnenwassern, namentlich auf dem caspischcn See, wissen wir nur die Gristcnz anzudeuten. 427 Jene beiden Flotten bilden im Ganzen 5 Divisionen großer Schiffe, davon 3 im baltischen, 2 im schwarzen Meere sind. Die Escadrillcn der Galeeren, Kanonenboote u'. bestehen daneben. Die Divisionen führen, wie die englischen, die weiße, blaue und rothe Flagge — eine, wenn wir nicht irren, von den Holländern stammende Ginrichtung —, ohne daß jedoch in Rußland die Rangordnung der Admirale etwaS mit der Farbe der Flagge zu thun hätte. Man Weiß, daß diese unterscheidenden Farben stets das große Grundfeld der Flagge ausfüllen. Jede Flottendivision besteht planmäßig ans: 1 Drcidcckcr, 8 Zweideckern (unter diesen 2 von 84 Kanonen), 0 Fregatten, 1 Corvette und 4 kleineren Schiffen. Danach hätte die baltische Flotte: 2? Linienschiffe, 18 Fregatten, 15 kleinere Fahrzeuge. Dazu kommen noch die Dampfbootc. Man hat große Anstrengungen gemacht, diesen wichtigen Zweig des Dienstes zu vermehren; aber freilich wird gerade in ihm Rußland stetö vcr-hältnißmäsiig weit hinter den übrigen Seemächten zurückbleiben müssen, da weder die Kohlenlager so günstig liegen, wie anderswo, noch überhaupt der russische Verkehr eine so lebhafte Privat-Dampfschifssahrt, wie ein anderer, mit sich briugt, wahrend gerade auf die Mittel dieser in den Seestaaten nicht wenig für den Krieg gerechnet zn werden pflegt. Vis jetzt werden die Leistungen der Nüssen im Erbauen von Dampfbooten sehr gering geachtet; die meisten werden in England bestellt. Doch ist z. B. der Vogatyr ein in Nußland constrnirtcs Schiff. Die zahlreiche, für die Scheerm bestimmte Ruderfiottc kommt zu dem Obigen hinzu. Da man allgemein behauptet, daß sie an Zahl, Stärke der Bemannung und Gewicht der schwedisch-norwegischen überlegen sei, so wollen wir die Stärke der letzteren angeben, wenn alle Kräfte aufgeboten werden: 28 Galeeren, 25 Kanonicrschaluppcn, 300 Kanoncnjö'llcn, 48 Vombardcn; total 40! schwedische, dazu 105 uorwegische Kanonenboote, giebt überhaupt 5W Schiffe. (Vcrgl. Allgemeine Militair-Zewmg, 183l.) Die Bemannung der Flotte ist, wie alleS unter Kaiser 428 ^ Nicolaus Eingerichtete der Art, nach cinem sehr einfachen Plane normirt. Es gehört nämlich zn jeden, Linienschiffe eine sogenannte Equipage von NW Mann Matrosen und Marincsoldaten. Durch diese Equipage werden bemannt: 1) Entweder cm Drcidecker und eine Corvette; jenen com-mandirt ein erster Capitain (Oberst der Equipage), diese ein Capitainlieuteuant. 2) Oder ein Zweidecker von 84 Kanonen und 2 Briggs; jener von einen, crsteu Capitain, diese von zwei Capi-tainlieutenants commandirt. 3) Oder ein Zweidecker von 74 Kanonen und l Fregatte; jener von einem ersten, diese von einem zweiten Capitain commandirt. Für die Bemannung der Kricgsdampfboote ist die „Garde-Equipage" bestimmt. Die Schiffe dieser Flotte sosten nach sehr verschiedenen Mustern gebaut sein, ein Umstand, der sich sehr wohl aus den verschiedenen ausländischen Vorbildern erklären läßt, nach denen man in einem Lande stets arbeiten wird, welches des cingebor-nen nautischen Genius entbehrt. Die übelc Folge davou ist, daß sie noch verschiedenartiger segeln sollen, als andere Flotten, d. h. im Resultate: daß cinc russische Flotte vereinigt stets sehr langsam segeln wird; denn sie wird für jede Stellung uud Stärke des WiudcS schlecht segelnde Schiffe enthalten, nach denen sich die anderen richten müssen. Englische Seeleute haben besonders viel an der Behandlung des Segelwerks beim Manövrircn zu tadeln. Das Material, Leinen wie Taue, ist zwar von weltbekannter Güte, desto mehr findet man an der Handhabnng auszusehen. Die größeren Schiffe werden jetzt meist von Eichenholz gc-bant, während man früher sich auch dcS Lcrchenholzcs bediente. Das Eichenholz in den nördlichen Theilen Nußlands ist indeß von geringerer Güte, als das deutsche, englische, dänische; auch soll es bei der Eilfertigkeit, womit die Flotte neu gebaut wurde, oft zu grün verbraucht sein. Das beste sott im Ostftcwasscr nur 12 bis 15 Jahre, das gewöhnliche aber nur 10 Jahre 429 dauern. Die Corvettcn werden noch jetzt in der Regel auS Lerchenholz erbant. Die Seeleute werden durch die gewöhnliche Recrutirung ausgehoben; doch wird so viel, wie möglich, daneben geworben, und namentlich ist die Equipage, welche Finnland stellt, ganz durch freiwillige Werbung zusammengebracht. Die Finnländcr und die Großrusscn aus Archangelsk, wie gesagt, sind kühne Seeleute. Ein zwanzigjähriger Dienst (nach dem das Recht auf unbestimmten Urlaub beginnt) soll die Anderen dazn machen. Da indeß die Flotte regelmäßig nnr l Monat im Jahre ganz ausläuft, so genügt dieö nicht, und es giebt Seeleute, welche meinen, Rußlands Linicnstottc würde mächtiger sein, wenn man im baltischen Meere nnr wenige Linienschiffe und alle Fregatten unterhielte, aber diese während der Wintcrmonatc nach Amerika hinübcrschickte. Es mag sein, daß diese Methode geeigneter wäre, Scclenle zu bilden; aber man sieht auch, daß die russische Flotte in Amerika bei ausbrcchcndcm Kriege vollständig in pliNikui, inlicielium sein würde. Denn während I Monate im Jahre kann sie nicht auf ihre strategische Basis, die großen Kncgshafen an der Ostsee, ihre Arsenale :c. znrückkommcn. Anßerdcm wäre es an sich schon sehr kostspielig und noch mehr in Rnßland, wie Alles, was sich der kaiserlichen Controle entzieht. Man mnß indeß doch anch erwähnen, daß einzelne Schiffe fast fortwährend auf sogeuanntcn Fahrten um die Welt begriffen sind. Für diejenigen Seeleute, welche nach 20 Dienstjahrcn noch fortdicncn wollen, sind beträchtliche Zulagen, welche nach einer bestimmten Zeit zu Leibrenten werden, ausgeworfen. Wenn die Engländer im Ganzen dahin übereinstimmen, daß die russischen Seeleute, ihren Anlagen, wie auch sogar ihrer Dressur nach, mehr zn Soldaten als zu Matrosen sich eignen; so sagen ihnen die Billigern doch auch einige gute Eigenschaften nach, welche erklären, daß man in Rußland an der Heranbil-dnng einer Seemacht keineswegs verzweifelt. Sie werden zwar nicht gewandt, aber kühn, nüchtern genannt (dies „nüchtern" sagt ein Engländer, denn sonst ist es eben der russische Nationalzug nicht; aber freilich in dem Punkte des Durstes, der nicht 430 durch Wasser gelöscht werden kann, machen die Engländer leicht beschämende Entdeckungen bei anderen Völkern, besonders die Militairs); ferner, wie sich bei Russen von selbst versteht, gehorsam. Nur erfordert freilich der Sccdicnst einen zwar unbedingten, aber auch einen mehr intelligenten Gehorsam, als er russischer Mannszncht eigen ist. Die Flotte deö schwarzen Meeres genießt, nach ihren inneren Eigenschaften, bei europäischen Seeleuten eines höhern Rufes, als die des baltischen. An den Küsten des Pontus sind von jeher treffliche Seeleute geboren; die verwandten Griechen treten, wie man sagt, gcrn in die russische Flotte; ans den Kosacken des asow'schen Meeres sind kühne Vootscquipagcn gebildet nnd die besonderen Begünstigungen, welche auf Worou-zows Vorschlag für die Dienste der Küstenbcwohner anf der Flotte ertheilt werden svcrgl. Theil ll. z,. 44l der Studien), haben bereits die beste Frucht getragen und versprechen deren täglich mehr. Das Eis ferner verstopft hier die Häfen nicht und bietet anch der Wellenschlag des ungeheuren Landsces — wenn ich so sagen darf — nicht jene eigenthümlichen, langgezogenen Wogen dcö großen Oceans, ist anch die große Nan-tik der Wcltmnscglcr anf ihm nicht zu üben, so hat cr doch auch seine großen eigenthümlichen Gefahren. Die verschiedene Temperatur des Landes rund nm das Wasser her, im Sommer heißer, im Winter kühler, erzeugt jene plötzlichen Stürme, welche den »PinIl» auf ein Haar gleichen, die man auf offener See fast nur in der Nähe der Tropen kennt. Die Untiefen nnd Risse macheli sie um so gefährlicher. Wenn denn au.ch die Kriegsflotte des PontuS durch die Diplomatie noch immer in ihrem Winkel gefesselt gehalten wird, nnd wenn kaum Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß sie im Kriege durch die Ausgängc der Dardanellen eher schlüpfen könnte, als bis das Landhcer an die Meerenge vorgedrungen wäre ^ denn bereits Lord Ermouth hat ja erfahren, daß eine Flotte nur dann ungestraft die Batterien passircn kann, wenn sie nicht im Stande sind; und anf diesen Punkt sollen die schläfrigen Türken jetzt wach sein—; so findet doch diese Flotte einc sehr gute Gelegenheit, sich Matrosen zu erziehen; nnd na- 431 mcntlich ist die russische Seehcrrschaft auf dem schwarzen Meere durch sie auf lange Zeit fest etablirt. DicscS Etablissement ist um so zuverlässiger, als in Sewastopol ein fester Kricgshafcn gebaut wird, wie er nach dem Zeugnisse Kundiger kaum seines Gleichen in der Welt hat. — Wcnn Europa einen schwachen Moment haben wird — und wann wird es deren nicht haben seit lK48! — und Rußland eine Neigung zum Erobern, dann wird von Sewastopol aus die Offensive auf Constaniinopel mächtig und mit Sicherheit erleichtert werden können, sei es daß die Flotte Landungstruppen hinter die Gcbirgs- und Flnßlinieu, welche rechtwinklig gegen das Wcstufer des Pontus stehen nnd die Annäherungslime auf Constantinopcl durchschneiden, anssctzl; sei es, daß sie die große ylrmce allenthalben am Ponlus basirt, wo ciu Hafen sich findet. Niemand kann daran denken, daß die türkische Flotte der Gegenwart oder der Zukunft dicö hindern könnte, denn, was auch für sie geschehen möchte, ihre brauchbaren Seeleute werden Griechen sein. Bis znr Schlacht von Navarino war es noch anders, denn bis zu der Zeit war einiger Verlaß auf die griechischen Sccleuie der Pforte. Ist es nicht seltsam! Einst erschöpfte sich das christliche Europa, um den Halbmond in die Wüsten zurückzutreiben, woher er kam; daS edelste Blut aller Christen floß, ehe der Halbmond unbestritten in Jerusalem über dem Kreuze prangte. Jetzt hindern es nur die Christen, daß er nicht langst gestürzt, zum Mindesten das Kreuz wieder auf den Zinnen von Con-stantinopel errichtet ist. Wie die sociale Zügellosigkeit in der Schweiz nicht etwa hinter der Uncinnchmbarkcit der Bergpässe, sondern lediglich hinter der Eifersucht der großen Mächte sich bergen konnte; so stützt sich die anlichristlichc Herrschaft am Meer von Marmora nicht auf die Kraft der Anhanger des Islam, welche die historischen Laster der Localität entnervt haben, nicht auf ihre Zahl, die in der europäischen Türkei stets geringer war als die der Nadschah, nicht auf die Felscnschlösser am Hellespont, welche die christliche Kriegskunst bald zertrümmern würde, sondern ganz allein darauf, daß das christliche Abendland den MuhanulhanismnS zum bequemen Lattierbaum 432 zwischen sich und dem christlichen Morgenlande benutzen will. Wie noch um Jerusalem gestritten wurde, leistete byzantinische Politik den Seldschuckcn Vorschub gegen die römisch-katholischen Heere; ganz so kleinlich, schwächlich, schikanös, wie die westchristlichen Erben der byzantinischen Staatsklughcit die Engländer und Franzosen es seit AU Jahren den Türken thun. Wäre diese kleinliche Politik auch heute eins von den Fieberschauern der herannahenden Auflösung der romanisch-germanischen, wie damals des letzten der römischen Reiche? Ja, die strategische Lage Rußlands in einem Kriege gegen die Pforte hat sich durch diese starke Flotte im Pontus und durch die großen Häfen in der Krimm unendlich verändert. In der Türkei, wo die Schwierigkeiten der Kriegführung iu ciucr Weise iu der Verpflegung liegen, wie man sie in Europa sonst nicht mehr kennt, wo 20,000 Mann mehr Mühe haben zu leben, als in Deutschland 200,000, ist die dnrch die Flotte gesicherte Wasser-Communication zwischen Varna und Visa einer-, den kornreichen Ufcrlänbern des Bug, Dnestr, Dnepr und Don anderseits gar nicht zu hoch anzuschlagen und, so weit wir die Sache übersehen können, erscheint uus die Flotte des schwarzen Meeres für unendlich wichtiger und hoffnungsvoller für Nusilaud als die weit stärkere des baltischen. Letztere wird noch lange westlich des Skager Nack zu sehr vou dem don plul»!!- Guglauds abhängig bleiben nnd im ballischen Meere selbst zu wenig Angriffspunkte für eine Flotte von starkem Tonncngewicht finden (die wenigen tiefen Häfen, die verschlammten Küsten Deutschlands, die gefährlichen Klippen der schwedischen Küste hemmen zu sehr ihre Wirksamkeit), als daß sich vorerst ein Nntzcn absehen ließe, der mit ihren Kosten in, Verhältniß stände; zmnal es unS scheint, man könnte mit starken Schccrcnflotten dort am meisten erreichen. Doch wie gesagt, wir verstehen uus auf dergleichen zu wcuig. Außer den Kanonier-Flottillen — deren Zahl wir nicht ge-nan kennen -^ besteht die Flotte im schwarzen Meere aus 2 Divisionen. Nach den uns vorliegenden Notizen scheinen sie etwas anders znsammcngesetzt zu sein, als der früher erwähnte Forma- 433 tiouSpIan der großen Flotte vorschreibt; danach müßten nämlich an großen Kriegsschiffen im schwarzen Meere sein: 2 Dreidecker, 4 Zweidecker von 84 Kanonen, !2 von 74 Kanonen; total: 18 Linienschiffe; dazn l2 Fregatten; ferner: 10 kleinere Schiffe; ohne die Dampfbootc. Es waren damals, 1843, vorhanden: 3 Dreidcckcr, 9 Iwcidcckcr von 84 Kanonen, 7 von 74 Kanonen; total: 1!) Linienschiffe (davon 7 segelfertig); ferner: ti Fregatten; 11 Corvctten, Vrlggs, Schooner :c.; 6 Dampfbootc. Das Geschütz der Linienschiffe zahlte: 3 Schiffe zu 120 -- 360 Kanonen, 9 - - 84 ---- 756 7 - - ?4 ^ 51« -^ 1U34 -Es sollte zählen: 14l'»4 Mithin über den Etat für Linienschiffe: 170 Kanonen. Es läßt sich aber annehmen, daß die andern Schiffe noch mehr hinter dem Etat an Geschütz als au Segeln waren. Doch mnß man bedenken, daß dieß 7 Jahre her ist und daß seitdem auf den stctS thätigen Werften von Nikolajcff manches Schiff gebaut sein kann. Die größten russischen Linienschiffe sind: 1. der Rußland von 130 Kanonen (baltische Flotte) 2. die 12 Apostel von 120 - (schwarze Meer-Flotte) 3. die 3 Heiligen von 120 - - - - 4. der Warschan von 120 - - - -Die höchst interessante Befestigung von Sebastopcl besteht hauptsachlich aus drei großen Forts. Am Eingänge des Hafens liegen die beiden Forts Constantin und Werandcr, am Hafen selbst Nicolaus. Diese Forts sind vielleicht nächst der Befestigung von Paris das sowohl technisch, wie strategisch interessanteste und wichtigste Werk, welches die Kriegsbaukunst seit 1830 errichtet hat. "i. 28 434 Die Flotte des schwarzen Meers hat ihre jährlichen großen Monats-Nebungen eben sowohl, wie die des baltischen. Daneben aber hat sie einen permanenten, sehr anstrengenden und manchmal sehr gefährlichen Dienst für die kleinen Fahrzeuge und namentlich anch für die schon erwähnten Kanonier-Schalnftpen der asowschm Kosacken in der Blockade der Westküste des Kaukasus. An dieser gefährlichen Küste nämlich wohnen grade die unbändigsten Gcbirgsstämmc und das Meer hat oder hatte für sic einen doppelten Werth: einmal für die Zufuhr von Waffen und besonders Munition, dann — bis Woronzow die Leitung des Kaukasus-Krieges übernahm, alsbald den Mädchenhandel Wieder frei gab nnd damit manche Stämme beruhigte — die Ausfuhr ihrer schönen Töchter, die bckauntlich eS den Russen wenig Dank wissen, wenn sie ihren Verkauf nach Constantino-pcl hindern; denn für sie ist ja der Sclavcnmarkt, was für die Töchter der europäischen Großen die Bälle, Concerte, Theater; nämlich der Ort, wo eine passende Parthic erstrebt wird. Im Grunde machen sich derartige Geschäfte in der europäischen Gesellschaft ja auch oft nur ein klein wenig indirccter. Die hohen Preise, welche trotz gesunkenen Reichthums die Türken noch immer für hübsche Sclavinncn gcbcn und die sich hinlänglich erklären, durch die Vcrsiegung so mancher Kanäle, auf denen sonst namentlich weiße Mädchen nach Constantinopcl entführt wurden, machten denn namentlich, daß die Contrcbandc der Schußwaffen und Munition nachließ, und die der Mädchen aus dem Kaukasus immer lebhaft im Gange blieb. Auch jetzt noch findet mit Waffen und Schicßpulvcr eine lebhafte Contrcbande statt; aber da die Frcigebnng des landesüblichen Verkaufs ihrer Mädchen vielen kaukasischen Stämmen eine Hauptanrcizung zum Kampf gegen die russische Herrschaft genommen hat, ist die Contrebandc mit Waffen und Pulver im Abnehmen, wenn sie auch noch immer viele kühne Seeleute beschäftigt. Für die Mannschaft der Flotte des schwarzen Meeres giebt sie eine treffliche Uebung, denn bekanntlich »nacht kein Dienst gewandtere Seeleute, als Contrebande nnd ihre Verhinderung. Stellen wir schließlich die etatsmäßigc Stärke für die beiden großen Flotten zusammen, so crgiebt sich: 435 .2^ Linienschiffe. _^ ^. ! ^ i ^ Z ^ 2 ^ ^ A I.« Ungefähre Bemannung. Ungefähre jährliche Ausgabe. Flotte des 'baltiscken Meeres ... 3 6 18 27 18 3 12 30,800 Mann. 7 Millionen Rubel. Flotte des schwarzen Meeres ... 2 4 12 18 12 2 8 19.800 - 5 Millionen Rubel. Total: 5 10 30 45 30 5 20 50,600 Mann. 12 Millionen Rubel rdcr fast 1? Millionen Thaler vreuß. Courant. 436 Dazu kommt noch die große Anzahl von Dampfbooten und die Ruder- (Galeeren-) Flottillen, deren Zahl wir nicht näher angeben können, die aber wenigstens 4N0 Schiffe betragen wird. Dieß sind die Nachkommen des kleinen VootcS, welches am 15. Juli 1836 feierlich durch die Flotte bei Kronstadt gefahren ward. Schluß der Abhandlung über die gesammte Kriegsmacht. Ginige Bemerkungen über die Militair-Cvlrmen. Die Vorbereitung des » Kriegsschauplatzes zum Kriege. Wir hatten ursprünglich die Absicht, noch Einiges über die russischen Militair-Colonicn zu sagen. Wir finden aber, daß wir wenig zu dem hinzufügen könnten, was Pidoll^) in seiner werthvollcn, vergleichenden Brochure bereits gesagt hat. Die nämlichen Verhältnisse einerseits, welche die eigenthümliche große Einthcilung und Dislocation der russischen rcgulai-rcn Landtrupftcn herbeiführten, die drückende Last der Rccruli-rung lind die Abneigung der Russen gegen den Soldatenstand andererseits, ferner die schwierige und kostspielige Unterhaltung von Truftpcnmasscn auf der Westgrcnze, die mancherlei wüsten und der Cultur fähigen Landstrccken daselbst — alle diese Umstände haben schon früh auf den naheliegenden Gedanken geführt, das glänzcudc Resultat der östreichischen Militair-Grcnzc — glanzend sowohl in Malischer, als national-ökonomischer, wie militairischcr Beziehung — auch für Rußland durch ahnliche Einrichtungen zu erstreben. Ja, es soll eine Zeit lang dic *) „Gimqe Worte über die russMcn Mililair-Colonien im Vergleich« mit dcr t. l. öiwichischcn MMair-Gic>,;r ,c., von Earl Freiherrn v. Pidoll zu Quiutendach." — Wien, bei Carl Gerold, 1^l7. 438 Absicht Alexanders und selbst noch Nicolaus gewesen sein, längs der ganzen Westseite des Reichs einen zusammenhängenden Gürtel von militairischcn Ansicdlnngcn zu bilden, um demnächst aus ihm speciell die europäischen Kriege vorzubereiten, zu führen und zu nähren, d. h. die ganze große Operations-Armee in dieser Art anzusiedeln. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß die militairische Ansiedlung in solcher Ausdehnung jcht vollständig aufgegeben ist. Einige große Experimente sind so gut wie gescheitert, und selbst die gelungenen und beibehaltenen Etablissements haben durch die Erfahrung eine der Eigenthümlichkeit der russischen Soldaten und Bauern entsprechendere Gestalt erhalten, als die der östreichischen Grenzer; so daß die russischen Militair-Colonien sich in den allcrwesentlichstcn Grundzügcn von jcncn unterscheiden. Nur die Ansicdlungen der Kosackcn und die von etwa 2900 Soldatcnfamilicn am Kankasus bieten den östreichischen Grenzeinrichttmgcn nahe Verwandtes. In allen andern Colonien ist man bald davon zurückgekommen, aus dem Nüssen zugleich Vaucr und Soldat zu machen. Zwar hat man ihnen militairische Ginlhcilung, Verwaltung ic. gegeben, aber dennoch den Vaucr und Soldaten so vollständig von einander getrennt, daß dieser gleichsam nur bei jenem im Quartier liegt. Dcn Bauern liegt die Erhaltung und Verpflegung von Mann und Pferd direct oder indirect ob. Die Colonicn bilden also nur eine Art permanenten Cantoncmmts, und namentlich die des Südens haben in dieser Beziehung manches Aehnliche mit der eigenthümlichen Cavalleric-Bequartierung, wie sie früher im Königreiche Hannover bestand und zum Theil noch besteht. Schon im 2tcn Theile dieser Studien ist ein Aussing m die Colonien von Charkow beschrieben worden. Wir können um so mehr für weiteres Detail auf den Pidoll uud die von ihm angeführten Quellen verweisen, dem wir unter geringen Hinzufügungen die folgende Specification der südlichen Cowmen auszugsweise cutnehmen. (Vcrgl. Pidoll, S. 15 u. ff.) Sie zerfallen in die Ukrainischen im Gouvernement Charkow, in die südrussischm im Gouvernement Chcrson und in die 439 in den Gouvernements Kicff und Podolien, letztere meist auf seqncstrirten Gütern polnischer Großen errichtet. Es sind inihnen angesiedelt: 1) In Charkow: Das Iste Reserve-Cavalleriecorps, total: 2 Divisionen Cnirassiere nnd Ulanen mit 48 activen, 16 Reserve-Escadrons. Die sechste leichte Cavallcric-Division (Cavallcric dcS Men, gewöhnlich nm Moskau stehenden Infantcriecorps). Total: 32 active und 12 Ncscrve-EscadronS. Dazu die Artillerie des Isten Reserve-Cavallcriecorps und die reitende des 6tcn Infantcriccorps: 48 active (und? Reserve) reitende Geschütze; also total: 80 Escadrons und 48 reitende Geschütze activer Truppen, dazn die Reserven, Arbeiter-Bataillone :c. ic. 2) In Cherson: Das 2te Reserve-Cavallcriecorps, eben so: sl) Escadrons und 48 reitende Geschütze. 3) In Kicff und Podolicn: Ein aus der Cavallcrie uud reitenden Artillerie des vierten und fünften Infanteriecorps combinirtcs Corps von 64 activen Escadrons uud 4 Batterien, nebst ihren Reserven. Total: 224 Escadrons und 128 reitende Geschütze activer Truppen nebst ihren Reserven. Daneben sind noch 4 bis 5000 Cantonisten in diesen Co-lonien untergebracht. Die Militmr-Colonicn im Norden, in der Gegend von Nowgorod, siltd, wie man uns allgemein versichert, als solche völlig eingegangen. Sie waren hauptsächlich für Infanterie — daS Grcnadiercorps — bestimmt. Dieser Versnch ist als völlig gescheitert anzusehen und eben auch wohl wesentlich in Folge der hier gemachten Erfahrungen die Idee der allgemeinen Colonisation der großen Ovcrations-Armce aufgegeben. Das gegenwärtige Verhältniß der Nowgorod'schcn Colonim ist vielmehr das einer Domaine, welche zur speciellen Verfügung des Kriegs-ministcriums steht. 440 So weit wir uus cm Urtheil erlauben wollen, stimmen wir freilich Pidoll in seinen Raisonncmcnts über den siscali-schcn Nutzen, den die Militair-Colonicn gebracht haben, vollkommen bci. Man hat in dieser Beziehung ein fast völlig vcr-fchltcs Experiment gemacht. Aber mit der Zeit wird man vielleicht militairisch und national-öconomisch, bci einem Kriege gegen die Türkei noch dazu siscalisch, gewinnen. Von den kleinen Colonien am Kankasns abgesehen, werden nämlich die jetzigen russischen Militair-Colonien, neben Erweiterung dcS Anbaues über wüst liegende Landstriche, fast lediglich den Zweck erfüllen, eine zahlreiche und gute Cavalleric zn erhalten und zu bekommen. Die ganzen Gegenden, in denen sie angelegt sind, eignen sich vortrefflich dazu und nur in diesen gras- und kornreichen Ländern sind sic beibehalten. Mehr und mehr wird hier die russische Cavallcric auf eine vcrhaltmßmäßig wohlfeile Weise den Ucbergang von dem losen Kosackcngesindcl früherer Zeiten zu einer, vielleicht.der besten europäischen Schlachten-Cavallerie bewerkstelligen, und wenn man die günstigen Bedingungen erwägt, welche die Colonic-Gegenden dafür enthalten — freie Ebene, Korn, GraS nnd Heu im Ucberstuß, cin dem Pferde sehr zusagendes Klima —, so kann man der russischen Cavallcric nur das günstigste Prognostikon stellen. Man bedenke, daß bci Wossncscnsk 183? 350 Escadrons ma-növrirt haben nnd man wird vielleicht glauben, daß die russische Cavallerie mehr und mehr anfangt, alle andern zu überflügeln. Insofern man sich also nicht zu der Meinnng bekennt, daß die neuere Kriegführung für große Cavallcrie-Entscheidungen keine Gelegenheit mehr bieten würde, insofern man überhaupt die zahlreiche Aufstellung von Cavallcric, die in Rußland gemacht wird, für zweckmäßig hält, insofern kann man nicht leugnen, daß die Colonicn des Südens noch große militairischc Vortheile versprechen; theils als Kornnicdcrlagen für den Krieg im Südosten, theils als Pflanzschulc für eine zahlreiche uud schöne Cavallcric. Oft hat man gesagt, daß dic Mililair-Colonicn eine gefährliche Pflanzschnlc politischer Unzufriedenheit bilden würden, ja cs sind daran wohl gar sanguinische Hoff- 44 l nungen auf cincn nicht allzufcrnen innern Verfall Nllßlands geknüpft worden. Auch wird es nicht geleugnet, daß namentlich in den Nowgorod'schen Colonicn ernste und blutige Unruhen vorgefallen und, wenn wir nicht irren, auch die südlichen nicht ganz davon frei geblieben sind. Diese Unruhen aber scheinen doch lediglich ans der Unzufriedenheit mit den anfänglich hart gehaudhabtcn Colonie - Einrichtungen hervorgegangen zn sein, welche jetzt in den südlichen Colonicn als völlig beseitigt angesehen werden kann. Eine prätorianerartige Bedeutung oder vielmehr eine Bedeutung, wie sie die Besatzungen der römischen ,r Zeit der Errichtung dcs neuen Munstcnumü für dieselben, I8lt8, befanden. Die von diesem Ministerium der Reorgamsajil.'» ^nu Grunde gelegten Principien und ih,c Äu^führuu^ Die von I8I18 bis 1845 dadurch errejchtcn Resultate. Aus^nc, aus dem neuesten Berickt des Ministers an den Kaiser, vmi l^l,t>, über die gegenwärtige Lage und die Verwaltung des KrongütcnvtsenS. Ssl'luß-betrachtunss. Ueber die ;u erwartende Organisation der freiten Hälfte del? Volks nnd ^andcs, näinlick de»? Adels und seiner Leibeigne«, besonders in landwirthschaftlicher Beziehung. Das Domainenwcscn ist ein sehr wesentlicher Bestandtheil und spielt eine bedeutende Nolle im Staatshaushalte der westeuropäischen Staaten nnd Länder. Etwas analoges finden wir auch im Staatshanshalt dcS russischen Reichs. Es sind die sogenannten Kwllgütcr und deren Verwaltung. Allein cs sind nur analoge Verhältnisse! Das russische Krongütcrverhältniß ist in Bezug auf Entstehung, rechtliche Natur, Character der gauzen Institntion, und vor Mcm Aus- "'- 29 450 dehnung, principiell und wesentlich vom Domaincnwescn der germanischen nnd romanischen Staaten und Lander verschieden, nnd niemals damit zn verwechseln. Das Domaincnwescn in Westeuropa findet seine Wurzel und sein Urprincip im Privat cigenthnm und Privatrcchie. Vci den Eroberungen der römischen Lander durch die Germanen tritt uns überall ein eigenthümliches Princip entgegen. Die Eroberer nahmen in der Ncgcl den dritten Theil des Grund und Bodens in Besitz und ließen die übrigen »l, nun e«t i<1«ml Mau muß die Ginzichnng des Klostcrguts in Rusilaud anders ansehen und bcurlheilcn, als die Confiscation des Kirchenguts i,u Abendlaude. Im Al'cndlande war der Grund nnd Vuden l>n Ganzen und Allgemeinen, wie wir oben grschen und an^cflchvl, nicht Fürsten- oder Staatsgut, wie in Nlißlaud. Dic Fürsten- oder Swal^ükr, die Domainen, sind hier ans Familien? und Privatekienthmn hcrvergegan^en und ausgeschieden. Auf gleiche Weise ist das Kircbengiit entstanden, es ward durck Sckcnliiug, Elerl'imss, .ssanf erworben, wie jede,? andere Pri-vateigenthüin. Indem der sogenannte Staat insbesondere im I^tcn und illtcn Jahrhundert das Kirckengllt constscirte, säknlaristrte, ein« zo^, hat er einen durch nichts ;n rechtfertigenden Raub an dem legal bestehenden PnvateigeiXhum begangen. — Auf ganz anderen Nechl^ründen steht die Gin^iehnug der Klostergüte, in Rußland. Hier hat die orientalisch-katholische Kirche niemals eine Privat-Griiudeigenthmü besitzende Corporation gebildet, wie im Äbendlande die romisch-katholische Kirche. DaS russische Mouchihnm lcnnte schon i» Folge der ursprünglichen Regel u»d des Gelübdes der Ar-milch niemals wirtliches Eigenthum bcsiftcn, es konnte nur eine Nutznießung annehmen. Die Zaarc verliehen nicht der Kirche im Ganzen, sondern den einzelnen Klöstern, und den ans diesen hcrvor-gegangeuen, derselben Regel unterworfenen Bischöfen, Metropoliten, Patriarchen, gewisse Güter zur Nutznießung. Der Zaar war iu Rußland der einzige Disponent über allen Grund und Vodcu, von ihm culsMlig jcdcs Recht zur NlchmelMlg desselben, cr war 45<> werbung von Nenrußland, Kilrland, Transkaufasien :c. vmuehrle das Krongut ebenfalls bedeutend. Der Grund und Boden der Krone scheidet sich in bebaue-ten und unbebaueten. Der erstere war den Dörfern zugewiesen, von letztem ward, als sich Bedürfniß zeigte, den Dörfern oder auch Privaten gegen einen Pachtzins überlassen. Außerdem wurden allerhand wirthschafllichc Einrichtungen, als Mühlen, Buden, Fabriken, Schmieden, später auch die Fischereien in Meeren und Flüssen, welche innerhalb der Kronlandstriche nnd Ländercicu und Waldungen lagen, an die Gemeinden oder an Private verpachtet. Man begreift sie unter dem Namen der Pachtartikcl. Nach dem Gesetze sollten alle Vancrn zu ihren» Unterhalt wenigstens cin Minimum von Grund und Boden zur Benutzung haben. Vci der wachsenden Bcvö'lkeruug und den in vielen Gegenden bereits völlig ausgetheilten Grundstücken, war es oft nicht möglich dem Gesetze zu genügen. Kaiser Paul befahl daher 1797 einen Theil jener Pachtartikel an Landercien, Mühlen, Fischereien :e. denjenigen Gemeinden als Ersatz zuzulegen, welche die gesetzliche Portion von Grund nnd Vodcu nicht besaßen. Eo kam denn die Einthcilung der Pachl- abcr auch zugleich das ausicre weltliche Haupt der Kirche, ihr Schützer lind Erhalter. Er haite sich mcht in ihrc Iuternci, ihre Lehre und Dogmcuvcrhältuijsc beherrschend zu mischen, aber wohl ihre äußere weltliche Stellung zu ordnen. Neun also der Zaar die Güter der Klöster, die er ihnen ^ur Nlchüiesiuug verliehen, wieder zurücknahm mib eS angemessen fand, taß sie, wie die ursprüngliche Regel cS vorschrieb, wieder von dcn täglichen Almosen leben sollten, so ist wenigstens kein äusicrcr Ncchtsgruttdsatz lädirt worden. Ob' diese Nuzichungeu grade I'illlg und gut waren, ist hier nicht zu untersuchen. Wcder die Geistlichkeit „och das Volk haben dcn Akt der Einziehung moinrt, sie haben ihn mit ziemlicher Gleichgültigkeit hin« genommen. — Die WcltgciNlichktit ist, wie wir meine», in Nußland nie stabil init Grund uud Boden dotirt gewesen. Jede Gemeinde >»ußte ihren Popen erhalten, er erhielt eine» Nnthcil bei jeder jedesmaligen Landtheiluug. 'Die Regierung hat das Maaß seines Antheils festgesetzt, und dotirt bei jeder Colonisation auf solche Weise ,m>e Pfarre». - CvnfiStirt und riugczogeu ist m dieser Beziehung nie etwas. 460 artikcl in kaiserliche und bäuerliche. So lange in Rußland das Privatgrnndeigenthum nur eine Ausnahme von der Regel bildete, war eine Aufzeichnung, Beschreibung und Vermessung des der unmittelbaren Verwaltung und Benutzung der Krone rescrvirlen Grund und Bodens kein nahe liegendes Bedürfniß. Als aber unter Peter I. die Hälfte des cultivirten Grund und Bodens Privatcigcnthum dcs/Adcls geworden, trat sich Kroucigenthum und Privateigentum scharf gegenüber. Die Privatbesitzer griffen überall ein und eigneten sich zu, wo es möglich war. Und möglich war dies im weiten Nußland leicht! — Die der Krone gehörigen Ländcreicn waren zwar von officicllcn Schreibern in den sogenannten Schrciberbü-chcru beschrieben, aber höchst mangelhaft. — Die Eingriffe der Privaten wurden so ausgedehnt, daß 1766 eine General-Vermessung angeordnet ward, und zwar sowohl der Krougütcr, als der Privatgütcr. — DieS war ein kolossales, iu Nußlaud, wo die Mittel iu dieser Beziehung so sehr fehlten, kaum durchzn-führcudcs^Unternchmcu. In 80 Jahren sind kanm 50 Gouvernements vermessen. Die Eingriffe in die Besitzungen der Krone dauern noch stets fort. Durch das Prascrivtionsgcsctz von 1782 wurden diese Verlnstc dcS Kronguts vollkommen rechtsgültig. Im Jahre 1837 war der Besitzstand der Krone an Län-dercicn und Pachtartikeln noch keineswegs gehörig ausgemittelt. Das neue Ministerium hat große Anstrengungen gemacht, denselben festzustellen. Im Jahre 1845 betrug der vermessene Grund und Boden des Kronguts (angesiedelt oder unbewohnt) 201,824,541 Dessiatinen Gcsammtflächc (also über 52,000 ^Meilen!). Hierunter ist aber natürlich Sibirien gar nicht begriffen, wo jede Vermessung wohl vorläufig eben so uumög-lich, als unnöthig sein möchte. Die Zahl der Pachtartikcl war 30,570, wovon 20,500 der Krone und 10,0l0 den Dorfgemeinden gehörten. Die Wälder sind theils den Gemeinden zur Benutzung überlassen, theils siud eS reservirtc der Krone, doch stehen alle unter der allgemeinen Forstvcrwaltung. Vor Peter l. findet man keine Spur von einer Gesetzgebung über Forstwirthschaft, 4ttl nur über Grenzwäldcr findet man einige Verordnungen, die jedoch nur militairischc Beziehungen haben. Peter I. faßte die Vedcutuug der Wälder für die Holzbcdürfnisse der Flotte, der Industrie, deS Handels «. auf, und gab schon eine Reihe von Verordnungen. Er überwies die Administration der Wälder dem Admiralitätö-Collegium. 1786 wurden sie den Finanz-kammmi und Oekonomicdirecloren übergeben, 1794 wieder dem Admiralitats-Collegium, 1802 dem Finanzministerium, 1811 dem in diesem Miuisterio neu angeordneten Domaincn-Departement, 1826 den einzelnen Finauzkammcrn in der Gouvernements-Verwaltung. Die für die Marine und das Bergwesen nöthigen Wälder wurden diesen Departements überwiesen. Die Vcrordnuugeu des 18tcn Jahrhunderts beziehen sich nur auf Schutz uud Schonung der Wälder. Unter Paul und Alexander hat man auch die Cultur uud Nutzung ins Auge gefaßt. 1826 ward ein Comitu ernannt, um Projccte zu einer regelmäßigen Waldwirthschaft zu entwerfen, es sollten Forstschulen errichtet werden :c. — Alle Verordnungen und Einrichtungen haben bei der ungehcmcu Ausdehnung der Wälder wenig Erfolg gehabt, die Walddewastationcn sind unermeßlich gc-Wescu. Man hat sie einmal für ein Jahr ermittelt, der Schaden betrug 4,312,000 Silbcrrubel! — Die Gesammtftache der Krouwaldungcn betragt nach der Ausmittclung von 1845 110,080,424 Dessiatincn (circa 23,400 ^Meilen). Darunter sind aber die den Kosacken, den Städten und dem Bergwesen überwicscncn, so wie die Waldungen Sibiriens nicht mit begriffen. — Die ländliche Bevölkerung Rußlands theilt sich in freie oder Kronbauern und in leibeigne oder adlige Bauern. Die Leibeigenschaft der eigentlichen Bauern entstand als Recht allmälig wohl erst von Ende des 17. Jahrhunderts an, und erhielt scinc jetzige Verbreitung erst unter Peter I., wie anderswo schon angeführt. Früher warcu sie frei, und konnten, wo sie wollten, pachten und fortziehen. Als die Tataren 1257 die erste Volkszählung in Rußland vornahmen, wurden die Bauern als freie Leute mit den Städtern zusammen aufgeführt. Alle 462 mußten damals die schwarze Steuer (Tschorny Vor) entrichte», daher die später» Veueummgeu der schwarzen Gemeinden und dcr schwarzen Hunderte. Die letzten bezeichnen die Stadtbewohner. Die Nichtfrcien wurden damals Chalopy genannt, cs warm dicS die Kriegsgefangenen, die durch gerichtliches Urtheil dcr Freiheit beraubten, und endlich solche, die voll freien Stücken sich den Gutsbesitzern zu Sclaven unterworfen hatten, die Verpflichteten sKabalnyc). Die Zahl dcr Unfreien war wohl nnr gering, meist bildeten sie wohl nur die Hauslcntc deS Adels. Früher war wohl unbedingte Freizügigkeit dcr Bauern, sie wurde 1497 etwas cingeschräukt nnd geregelt. Es ist jedoch schon in dieser Epoche cm Unterschied zwischen dcn Bauern auf den Krongütern und dcncn auf dm Privat-gütcrn sichtbar. Die ersteren erhielten ihre uralte Gemcindc-verfassuug rein und verwalteten ihre Angelegenheiten völlig selbstständig, die anderen warcu doch fast völlig in Vczng ans Verwaltung und Gcrichtssachcn abhängig von dcn Gutsherren. In zwei Vcrleihnngsbriefen, einen von 154? an den Fürsten Kubensky nnd dcn andern von 1550^), heißt eS ausdrücklich, daß die Gerichtsbarkeit über die Bauern nicht von dcn Gemeinden, sondern von den Gutsherren selbst solle verwaltet werden. — Die Freizügigkeit war zwar ein Nccht aller Bauern, doch zogen die Kronbaucrn selten fort, sie bildeten weit festere Niederlassungen, wogegen die Bancrn auf dcn Privatbcsitzungen mehr als die bewegliche Volksmasse sich zeigten. Ein Ukas von 1597 befahl allcn Vaucrn auf Privatgütcru, welche in dcn letzten 5 Jahren fortgezogen, wieder dorthin, wo sie vor 1.W3 sich befanden, zu begeben und zurückzuziehen. DaS war der Anfang dcr Gebundenheit am Grnnd nnd Boden, später entstand dic Gebundenheit an dcr Person des Gutsherrn. Die Kronbancrn (ein Name, den Peter I. ihnen gab) blieben freie Lcnte. Ihnen wurden dann die Bojarcnsöhne, die Odiwworzm, die Nrcudebaucm dcr Ostsccproviuzcn zugezählt. ') Vill. die Akten der russischen alchäl'graphlschcn Grpebltiou. 463 Unter der Kaiserin Catharina II. kamen die Bauern der Klöster :c. hinzu, unter der jetzigen Regierung die Polowniki, die in der Krimm angesiedelten Tataren, die der katholischen Geistlichkeit, die von confiscirtcn Gütern im ehemaligen Polen, die frei gelassenen, mit Land dotirtcn Bauern und die verpflichteten Landleutc. Nach dein Gcsctzbuche des Zaar Alcrci Michailowitsch (Ulo-schenie) konutcn die Kronbauern in die Städte ziehen, so wie die Städter in die Krondörfcr. Sie durften alle Handwerke, Handel und Manusactur-Industrie treiben in verschiedenen Kategorien. Ghrcnkränkimgcn gegen sie wurden mit Geldstrafen belegt, im Gegensatze zu den Leibeignen (den eigentlichen Bauern auf den Privatgütcrn wird dasselbe in der Uloschcnie beigelegt, weil sie damals noch als freie Leute galten, es war verboten sie eigne Leute zu nennen). Gegenwärtig können sie ihre Kinder in die öffentlichen Anstalten, selbst auf Universitäten, bringen und ist ihnen daher jede Stuft dcS Staatsdienstes und des Adels erreichbar. Bei den Kronbauern hat sich die alte rnssische Gcmcinde-vcrfassung völlig erhalten und ist in ihren Freiheiten von oben häusig bestätigt und erweitert worden. Die Gemeinde wählt ihre Vorstände ganz frei; das Gesetzbuch von 1550 (Sudcbnik) sagt, daß die Zaar'schcn Beamten (Wolostcli) keinen Bauern in Banden legen dürften, dicsi sollten nur die selbstgcwählten Sta-rostcn und weißen Häupter der Gemeinde thun dürfen; thäten jene es dennoch, so hätten diese das Recht sie wieder zu befreien und eine Geldstrafe für die Chrcnkränkung zu verlangen. Peter I. bestätigte das Wahlrecht zn den Gemeindeämtern; Catharina II. legte den Vancrgemcmdeu das Recht bei, zu den allgemeinen, sowohl Kreis- alS Gouvernements-Gerichtshöfen Beisitzer zu wählen. — Schon daS Gesetzbuch von 1550 sagt, die Bauern hätten daS Recht, Grundcigenthum zu besitzen und gerichtlich zu verfechten; die Uloschenie dehnte dies letztere auch auf die ihncn zur Nutzung überlassenen Ländcreicn auS, nur sollten sie kcine Häuser und Buden in den Städten besitzen dürfen. Catharina II. gestattete den Dorfgemeinden benachbarte Privatbesitzuugen kauftu zu dürfen. Alcrandcr beschränkte dies 464 auf angesiedelte Güter, dehnte es aber anf jeden einzelnen Vaner aus. Kaiscr Nicolaus gestattete den Bauern, in allen Städten, außer Moskau und Petersburg, Häuser anzukaufen. Durch die Gesetzgebung wurde den Bauern nach und nach gestattet, alle möglichen Gewerbe zu treiben, zu handeln, Lieferungen zu übernchmen, alle Arten von Verträgen zu schließen und sich zu Gilden einschreiben zu lassen. Von je her war die Verwaltung der Domainalbcsitzungen mit der der Kronbcmcrn vereinigt gewesen. Sie bestand aus der höhern Provinzialvcrwaltung und der Gemeindeverwaltung. Bis anf Peter I. bestanden für die Höhcrc Verwaltung der große Hof und für einzelne Provinzen, wie Kasan, Astrachans, specielle Behörden (Prikasy), die die Abgaben erhoben und Recht sprachen. Peter l vereinigte Alles in ein Kammcrcollcginm. Paul l. übergab l?97 die oberste Verwaltung einer beim Senat errichteten staatswirthschaftlichen Expedition. 1802, wo die Fachministericn auch „in Nußland eingeführt wurden, bildete das Krongüterwesen ein besonderes Departement des Finanzministeriums. An der Spitze der Provinzialverwaltnng stand früher der Wojcwode, dann der Gouverneur; die Kreise hatten Vorstande, welche die Wirthschaft der Bauern und die Erfüllung ihrer Verpflichtungen überwachten. Später wurde dicS einmal den Regimcntschcfs der im Gouvernement garnisonircnden Regimenter übertragen, was aber bald wieder aufgegeben ward. Unter Catharina II. ward die Gouvernements-Domaincnvcr-waltung in drei Theile getheilt, die Polizcigewalt der Gouvcr-nemcntsregicrnng, die Gcnchisgcwalt den Civil- und Criminal-gcrichtshöfcn, die finanzielle Parthic endlich den Gouvcrncments-Finanzkammcrn überwiesen. Die Krcisvcrwaltung ward in die polizeiliche und gerichtliche getheilt, was bis !835 ohne wesentliche Aenderungen blieb. In jeder Gemeinde erhob dcr Starost ^) die Abgaben und lieferte sie ab, er verwaltete alle Angelegenheiten der Gemeinde, ») Die Ausdrücke Wolost (Amt oder Gemeinde) und Stotosta finden sich in allen Acten des l5ten, lliten und 17tcn Jahrhunderts. 465^ und bildete mit den sogenannten besten Leuten oder weissen Häuptern das Gericht für Prozesse nnd Streitigkeiten. Alle waren vercidct.^) — Znr Wahl der Starostcn :c. nnd bei wichtigen Angelegenheiten kam die ganze Gemeinde zusammen, faßte Beschlüsse, meist mündlich, selten schriftlich. Die ganze Gemcindcvcrfassung beruhte ans traditionellem, größtenthcils ungeschriebenem Rechte und auf Autonomie. Selbst Peter l. ließ sie bei seinen Reformen nnbcrührt. Catharina ll. organisirte 178? die Gemeindeverwaltung im ncnrussischcn Gebiete. Im Ganzen wnrde dort zwar anch die altrussischc Gemeindeverwaltung beibehalten, aber sie wollte mehrere Gemeindeämter einsetzen, ein Acltester (Golowa) sollte an der Spitze stehen, unter ihm ein Starost für die wirthschaftlichen Angelegenheiten, ein Nntcrsuchcr für die gerichtlichen, Hundertmänner und Iehntmänncr (Sotski und Dissätniki) für die polizeilichen, und Einnehmer für die Abgaben-Angelegenheiten. Alle sollten von den Gemeinden gewählt werden. Das Reglement ist nicht allgemein eingeführt, es paßte nur für große zahlreiche Gemeinden. 179? ward die Errichtung von Can-tonen (Wolosty), deren jeder A000 Seelen umfassen sollte, angeordnet. An die Spitze kam ein Golowa, dem ein Starost und ein Schreiber beigeordnet ward; sie wurden von den Bauern auf der Cantonversammlnng gewählt, und von der Finanzkam-mcr bestätigt. DaS Vonalhsmagazin des Cantons stand ebenfalls unter einem erwählten Aufseher. Jedes Dorf blieb wie zuvor unter seinem Acltcsten. — Hierdurch ward eine Mittcl-behörde zwischen der Dorfgemeinde und der Kronbchördc con-stituirt. — 1.^2 wurden in Beziehung auf die Erhebung der Abgaben die Bauern in Parteien von 3 — 500 Seelen, in Bezug auf die Nccrutenstcllung von 1000 Seelen eingetheilt. Das war der Znstand bei der Reorganisation von 1838. Von je her waren also die Krondörfcr als Gcmeindccorporatio-ncn anerkannt, die zwar von den höheren allgemeinen Polizei- und Gerichtsbehörden abhingcn, aber sich selbst verwalteten nnd Recht ") In den Acten des Is,ten Jahrhunderts findet sich ein interessantes Formular eines solchen Eides. '"' 30 466 sprachen. Stets waren sie, außer während der 4jährigen Regierung des Kaiser Panl 1.,^) unter die Finanzbehördcn gestellt, welche sich doch eigentlich nnr um die Erhcbnng der Abgaben bekümmerten. Die wirthschaftlichc Verwaltung ward gänzlich vernachlässigt, wie der jetzt folgende kurze Nebcrblick des Steuersystems zeigen mag. Das Steuersystem giebt stets den besten Begriff von den ökonomischen Zuständen eines Volks. Schon in den ältesten Zeiten finden sich in Rußland Spuren von einer Grundsteuer. Sie hieß Abgabe vom Pfluge (Sacha). Nach Urkuudcn deS 16. Jahrhunderts war der Grnnd und Boden in gntcs, mittelmäßiges und schlechtes Land getheilt. Auf jeden Pflug wnrdcn 800 Tschetwcrt gnicn, 1000 T. mittlern und 1200 T. schlechten Landes gerechnet.'*"') 12 T. guten, 14 T. mittlern und 16 T. schlechten Landes machten eine sogenannte Portion (Wijt) aus. — Jeder Pflug bestand ans einer gewissen Anzahl von Höfen mit dem dazu gehörigen Lande.555) — Uebrigens wurde der Ausdruck Pflug (Sacha) auch als Maaß bei Einführung dcr Gewerbesteuer angenommen, Als in der traurigen Periode des 17. Jahrhunderts Krieg, Hnngcrsnoth, Pest das Volk dcznnirt, das Land zum Theil öde lag, und der Werth des Grund und Bodens tief gesunken, ward ein Versuch gemacht, die Abgabe auf die einzelnen Höfe im Verhältnisse zn ihrem Ertrage zu vertheilen. Schreiber mußten die Höfe zählen und beschreiben. Die sogenannten Schreib erb nch er sind zum Theil uoch vorhanden. Wir sehen also damals schon einen Versuch in Rußland, ein Cataster anzulegen, wo im westlichen Europa noch nicht daran gedacht wurde. ') Wo die staatswirthschaftliche Erftedition für sie errichtet ward, welche allem und zuerst auch für den wirthschaftticken Zustand der Vcmcrn, für Ermunterung ;u Seidenzucht, Weinbau ic. etwas gethan hat **) Das Tschetwert (Viertel) war 40 Faden laua., 30 Faden breit, also 12U0 NFaden. —*) In einer alten Urkunde werden 64 Höfe auf eine» Pflug gerechnet. Ob dieß eben als allgemeine Regel anzunehmen, mdchte zweifelhaft sein. 497 Diese Art der Besteuerung blieb bis 1722, wo die'Bildung und der Unterhalt eines zahlreichen rcgulairen Heeres die größten Anstrengungen und Opfer nöthig machten. Vci dem dürftigen Zustande der Finanzen fiel man auf den Gedanken, nach Verhältniß der erforderlichen Truppcnzahl allen Dörfern die Formirung und Einquartirung der Armee aufzuerlegen, wobei eine bestimmte Anzahl männlicher Seelen einen Recrutcn zu stellen hatten. Die bisherige Grundabgabe ward ausschließlich zum Unterhalt der Truppen bestimmt nnd überwiesen, und sie ward der bequemern Berechnnng halber vom Grund und Boden auf die Köpfe oder männlichen Seelen umgesetzt, so daß jede Truppenabthcilung von einer gewissen Anzahl Seelen die nöthigen Rccrutcn, Quartier und Gelder zu ihrem Unterhalt erhielt. — Diese Art der Truppenversorgung mußte, da sich die größten Mißständc herausstellten, bald wieder anfgegeben werden, allein die einmal organisirte neue Stcucrwcise nach Kopfzahl blieb trotz ihrer schreienden Mißverhältnisse, der großen Bequemlichkeit der Erhebung halber, bestehen. 5) — Die ungehcnrc Ungleichheit und Ungerechtigkeit dieser Vestcucrungsart, welche den Reichen wie den Bettelarmen ganz dasselbe Maaß der Abgabe tragen ließ, ward dadnrch gemildert und verstacht, daß die ganze Gemeinde solidarisch die ganze Summe, welche von den einzelnen Seelen aufzubringen war, abtrug, in ihrem Innern aber nicht nach Köpfen, sondern nach Maßgabe der physischen und Vermögcnskrafte die Abgaben vertheilte und einzog.^) Die Folgen dieser so ungleichmäßig vertheilten Steuerlast *) Von dieser Zeit cm geschahen die Länderverleihnugcn an Privatpersonen nur nach dcr Scclenau;cchl: daher wurde dieß in den Kauft, Testaments? und Schentungs-Acten immer wieder als Norm des Werthes angenommen, su daß diese Art der Berechnung endlich allgemein wurde und somit, auf indirect?», Wege, dazu beitrug, die Leibeigenschaft fester zu begründen niid ;n verbreiten. ') Ich fand ticß wenigstens überall dort, wo ich mich darnach erkundigte, so. Die Sache ist nicht gesetzlich aber billig, nnd sehr bequem für die Steuererheber. In den adlichen Dörfern, wo der Gutsherr für das ganze Quantum der Abgabe einstchen mufi, ist es ebenfalls so, oder der Gutsherr selbst vertheilt und erhebt nach den Kräften, 30' 4Y8 waren stets sich erneuernde Abgaben-Rückstände. Weder Strenge noch jeweilige Erleichterungen halfen diesem stets wiederkehrenden Mißstande ab. Der ganze Staatshanshalt litt darunter. Es ward eine eigne Kanzlei zur Eintreibung der Rückstände angeordnet. Man suchte dem Uebel dadurch abzuhelfen, daß man eine gleichmäßigere Vcrtheilung des Grund und Bodens versuchte. Man legte Gemeinden, die zu wenig hatten, wo es anging, mehr Grund und Boden zu, nahm aus zu zahlreichen Gemeinden einen Theil der Bevölkerung fort, und colonisirtc sie anderswo, man stellte als Princip auf, daß auf jede Seele ein bestimmtes Maaß Acker fallen müsse; Anfangs sollten 15 Des-siatinen, dann 8, zuletzt wenigstens 9 Dessiatinen darauf fallen. Die Ausführung im Großen traf aber anf große Hindernisse. Die sich stets vermehrenden StaatSbedürfnissc erforderten aber nach nnd nach auch Erhöhungen der Abgaben. Im selben Verhältnisse stieg die Ungleichmäßigkeit und der Druck der Abgaben. — Zur Erleichterung dtt Bauern ward 1792 die Kopfabgabe in 4 Cathcgonen eingetheilt, nach welchen die Gouvernements nach Maßgabe ihrer Kräfte und Mittel besteuert und einrangirt wurden. 1797 wurde eine neue Classificirung der Gouvernements vorgenommen, und 1823 abermals. Alles der Art erscheint nur als Paliativmittel und völlig unzulänglich, da in den einzelnen Gouvernements selbst wieder die größte Verschiedenheit unter den Dörfern herrscht. Ein russisches Gouvernement ist so groß als das Königreich Hannover, wem möchte es aber einfallen, ein Dorf in der Lünebnrgcr Haide, nnd etwa eins in den Marschen Ostfricslands mit derselben nnd gleichen Steuer zu belegen?! Bei so bewaudtcu Umständen mußten stets ungeheure Stcuer-rückstande entstehen und anschwellen. 173? wurden ihrer 4 Millionen Eilbcrrubcl den Bancrn erlassen, zwei Jahre später, l739, waren schon wieder 1,600,000 Rub. Silber entstanden, 1741 ward abermals durch Grlaß ein Strich durch die Rechnung gemacht. Zehn Jahre später waren sie wieder auf 2,500,000 angewachsen. 1787 neuer Erlaß, 1797 abermals ein Steuerrückstand von mehr als 7 Millionen Silbcrrubcl. K814 wurden 3d Millionen in Assignaten erlassen, dennoch 409 bestanden 18! 8 die Rückstände aus mehr als 96 Millionen. Iwi-schen 1826 und 1836 wurden im Ganzen 66,980,537 Rubel an Rückständen erlassen, und dennoch betrugen die noch vorhandenen, nicht erlassenen noch 03,636,286 Nudel! Man sieht, in diesen Rückständen schwebt seit länger als einem Jahrhundert das Schwcrdt des Damokles über Nußlands Bevölkerung, besonders über einzelne Gouvernements desselben. Wie nachthcilig das Kopfstencrsystcm auf die öconomische Gristenz der Bauern wirkte, werden wir weiter unten anführen. Die Regierung versuchte Manches, um diese zu heben. Die großrussischen Bauern hatten doch wenigstens alle Rechte und Vortheile freier ungebundener Leute. Viel trauriger aber waren die Verhältnisse der westrussischen, früher unter polnischer Herrschaft gestanden habenden Bauern. Die russische Regierung hatte seit 2 Jahrhunderten die Eri-ftenz der Kronbauern zu heben gesucht. Ihre Freiheit wurde nicht gefährdet, sie dnrftcn Handel und Gewerbe treiben, bewegliches und unbewegliches Eigenthmn erwerben und besitzen, unter selbst gewühlter Obrigkeit leben, besaßen die Freizügigkeit, konnten sich in die Städte übersiedeln, hatten ihre eignen Gerichte, und den Weg der Instanzen mit allen andern Unterthanen gleich. Ganz anders in den ehemals polnischen Provinzen. Hier wurden die Domaincnbesitzungcn in Starostcicn eingetheilt, und diese dem polnischen Adel in temporären Besitz gegeben. Die alte urslavischc Gemeindeverwaltung ward mehr und mehr zerstört, das Vesitzrecht an Grund und Boden ward den Bauern genommen, dennoch waren sie nicht freizügig, durften nicht Handel treiben, nicht in Korporationen treten. Den Starosten und Gutsherren war die Gerichtsbarkeit (außer der Criminal-gcrichtsbarkcit) überlassen. Sie waren am Boden gefesselt wie die Privatbauern, mit dem einzigen Unterschiede, daß ihre Abgaben und Leistungen nicht von den temporären Besitzern, sondern von der Regierung festgesetzt wurden, aber sie entbehrten dagegen anch der natürlichen Fürsorge erblicher Gutsherrn, welche schon aus eignen Interessen Sorge für den Wohlstand, oder wenigstens der Mgabenfähigkcit ihrer Bauern tragen. — 470 Die temporären Besitzer saugten dagegen natürlich nach Möglichkeit selbst oder durch Arcndatoren, wozu häufig Juden genommen wurden, die Güter aus, da sie wnsiten, daß sic sic doch dereinst abgeben mußtcu. Wenn frühere abendländische Schriftsteller von der Leibeigenschaft der russischen Fronbauern sprechen, so nrthcilcu sie wohl meist nach den Zuständen, die sie in diesen ehemals polnischen Landstrichen vor Augen haben. Es ist dieß aber nur etwa ^ der Gcsammtzahl der russischen Kronbaucrn, nämlich ungefähr 600,000 männliche Seelen. — Die Zahlenvcrhällnisse der dem Ministerium der Krongütcr anvertrauten Individuell sind nun folgende. Die Revision von 1833 ergab: 8,431,83? manlichc Seelen Kronbanern, 126,799 - - freigelassene hcrrsch.Vanern, 167,626 - - ausländische Colonistcn, 760,000 - . - Nomaden, 7,499 - - verschickte Colonisten, l3,000 - - ackerbautreibende Juden. Seit der Revision beträgt der Ucbcrschuß der Geborncn über die Gestorbenen (1845) 1M6M7 männliche Seelen, 10,583,63^ männliche Seelen. Dazn 11,641,437 weiblichen Geschlechts. Summa 22,225,075 Köpfe. 2. Zustand, in welchen die Orongüter und ihre Bewohner lich zur Zeit der Errichtung deo Ministeriums der ReiclMomainen befanden. Zwei Mängel treten uus auS der vorstehenden übersichtlichen Darstellung des vor 1837 vorhandenen Zustandes entschieden entgegen: 1) Mangel an Gesetzen zu gehörigem Schutz und Wirth- 471 schaftlichcr Ginrichtung der Ländcreien und Walder, und 2) Mangel einer guten staatswirthschaftlichcn Verwaltung, besonders in Hinsicht der Bauern. In Folge dieser Mängel blieben Umfang und Grenzen der Wälder unansgcmittelt, der Ertrag war fast Nnll, die Trans-colonisation der Vanern beim Mangel an Grund und Boden unterblieb, oder die Bauern führten sie eigenmächtig und ohne Drdnnng ans. Seit 1792 waren die vom Kaiser verliehenen Ländercicn zur Kolonisation, mehr als 643,234 Dessiatincn, noch gar nicht angewiesen und vertheilt worden. Die Wälder blieben ohne wirthschaftlichc Einrichtung und Schutz, daher Eingriffe und Verheerungen aller Art. 1837 wurden über 500,000 Dcssiatincn Land ansgcmittelt, welche sich Private vom Kron-eigcnthum zugeeignet hatten, der brachlicgcndm Grundstücke und in Besitz genommenen Waldstrccken gar nicht zu gedenken. — Zum Schutz gegen die Verheerung der Wälder wurden zwar Bauern und alte Militairs angestellt, allein die erstcrn hatten meist nicht den Willen, die andern nicht mehr die physischen Kräfte dazu. Zudem waren ihrer sehr wenige, im Gouvernement Archangelsk waren einem Bauern zur Waldhut 175,000 Dessiatinen (35 ^j Meilen!) überwiesen. Im ganzen Gouver-nemcnt Vologda waren nur 10 Waldwächtcr für circa 3 Millionen Dcssiatincn Wald (000 ^Meilen!) vorhanden. Das ganze Königreich Sachsen hat kanm die Hälfte so viel an Waldftächcn, aber vielleicht mehr als Ü000 Förster und Wald-wartcr! Im Gouvernement Wiatka waren 2,840,000 Dcssiati-nen Wald gänzlich ohne Schutz gelassen. Ganze große Waldstrcckcn wurden von den Vanern niedergebrannt, um ein Paarmal Korn oder Flachs zn ziehen. Im Gouvernement Wilna legten Gutsbesitzer ihre Gnmdstücke trok-kcn und leiteten das Wasser in Kronswaldungen, die dadurch in Moräste verwandelt wurden. Man hat, wie oben angeführt, den jährlich durch Diebstahl und Brand an den Kronwaldungcn verübten Schaden auf 4,312,000 Rubel angeschlagn:, die Einkünfte aus den gcsamm-ten Waldungen betrugen dagcgcu jährlich höchstens 000,000 Rubel, welche auch fast nie vollständig einkamen. 472 Die bürgerliche und politische Stellung der Bauern war zwar wohl geregelt, allein die staatswirthschaftliche war es nicht, und so war die erstere nach allen Richtungen mehr oder weniger gelähmt. Wie angeführt, war alles Domaincnwesen im Finanzmini-sterio in einem Departement desselben koncentrirt. In einer Abtheilung dieses Departements wurden die Angelegenheiten der Kronländcr und Bauern von 4! großrussischen, sibirischen und transkaukasischen Gouvernements in einem andern, die der 12 westlichen nnd der Ostsee-Gouvernements, wo schwedische, lithauische und polnische Wirthschaftssystcmc obwalteten, in einem dritten die sämmtlichen Kronwaldungen verhandelt und verwaltet. Die Gerichts- nnd Rechnungssachcn bildeten besondere Sectionen. In den Gouvernements selbst war die Verwaltung an Fi-nanzkannnern überwiesen, bestehend aus einem Nath, einem Bnrcauchef und zwei Schreibern. Diese verwalteten alle Angelegenheiten von vielleicht mehr als 1 Million Bauern! Ein anderer Nath verwaltete dann noch die Angelegenheiten der Wälder. Daß bei dieser Ginrichtnng nur eben die finanziellen Beziehungen ins Auge gefaßt werden konnten, liegt auf der Hand. Von Fürsorge im Einzelnen, von Vervollkommnung des sittlichen nnd wirthschaftlichen Zustandes der Bauern konnte gar nicht die Rede sein. Sogar die Kenntniß vom Umfange der Domainenbcsihungen fehlte ja. In den einzelnen Kreisen der Gouverucmcnts befand sich Alles in den Händen der Polizeibehörden, die vom Adel aus ihrer Mitte gewählt wurden. Behörden, deren Sympathien und Interessen denen der Kronbaucrn gespannt, fast feindlich entgegen standen. — Selbst die Cantonalverwalttmg hatte einen rein polizeilichen Character. In die eigentlichen Gcmcindcangelcgenheiten mischte sich zwar in der Regel Niemand; allein der leichtern Erhebung halber wurden stets 300 bis s,00 Seelen als eine Stcuergcmeinde zusammengefaßt, nnd da bekümmerte sich Niemand darum, ob dadurch ctwa Dörfer zerrissen wurden, ob örtliche Vcnachthei- 473 ligimgen eintraten ic. Eben so wenig nahm man in diesen Beziehungen Rücksicht bei den Rccrutirungen, wo ebenfalls stets 10l)0 Seelen eine Recrutirnngsgemcinde bildeten. Für Wege-bcsscnmgen und andere Polizcilastcn und Dienste fanden wieder andere Unterabteilungen statt. Daß die eigentliche reale Gemeinde, die auf die gemeinsamen Grundbesitze begründete, unter allen diesen Abtheilungen unendlich litt, ist wohl klar. Um sie, um ihre Einheit, ihre Nirthschaftsvcrhaltnissc, die Znsammensetzung ihres Vorstandes ic. bekümmerte sich Niemand von oben herab. In vieler Beziehung war das vielleicht gnt. Dörfer von ll) bis 20 Höfen regieren sich in Nußland ganz von selbst und sehr gut; bei großen Dörfern, mit großen Gemeindeversammlungen fanden sich aber doch viele Mißstande, welche das achte, so wohlthätige Gcmeindclebcn und die Gcmcindecinigkcit bis in den tiefsten Grund hinein erschütterten. Da man nur die finanziellen Zwecke im Auge hatte, so bestand die ganze ofsieielle Gemeindeverwaltung erstens aus einem Einnehmer, zweitens aus einem Aufseher der Vorrathsmagazine, der zugleich Einnehmer der Kronsabgaben war, und drittens aus einem Beamten für die Recrntirungen, den Necruten-einnehmer. Kurz die Verwaltung von 22 Millionen Köpfen bestand nur anS Einnehmern! Bei der ganzlichen Aussichtslosigkeit drängten sich schlimme Elemente an die Spitze der Gemeinden. Die Reichern verständigten sich nnd beherrschten die Gcmcindcangclegcnhcitcn nach Willkür und zn eigennützigen Zwecken. Untcrbeamte schlössen sich an, alle diese Leute, welche die unterdrückten Banern die Gemeindcfresscr, Mirojcdi, nannten, zogen das Monopol des Dorfhandcls an sich, beuteten die Dorfpachtartikcl aus, ja .zogen das Ackerland selbst gegen einen geringen Zins an sich, und verpachteten es Wieder an Bedürftige, vielleicht für den dreifachen Preis. Bei den Finanzkammcrn kannte man oft nicht einmal die Zahl der Gcmcindc-Pachtartikcl. Der Mangel jeder Aufsicht und Fürsorge hat denn das tiefste Radikalübcl des Landcs und Volkes in den letzten 50 Jahren unglaublich befördert uud verbreitet, den Branntwein, die Trunksucht. — Vorzugsweise in den Krondörfern dran- 474 gen die Vranntwcinpachtcr mit Anlegung von Schenken ein. 1837 fand man in den lg großrussischen Gouvernements Wladimir, Wologda, Woronesch, Kaluga, Kostroma, Kursk, Moskau, Nishw), Orcl, Pskow, Perm, Näsan, Smolensk, Twer und Tambow auf 3,078,155 Kronbauern 4387 Branntwein-schenkcn, d. h. l auf 701 Seelen, statt, daß sich dort auf 4,882,051 Privatbaucru uur 183U Schenken, also 1 auf 2691 Seelen finden. In den Privatdö'rfern beaufsichtigten die Herren das Vrannt-weinswescn, in den Krondörftrn stachen die Vorstände mit den Vranntwcinpächtern durch, wurden von ihnen bestochen. Jede Gemeindeversammlung, jede Cantonalversammlung wurde vor der Schenke abgehalten, immer mit dcm Glase in der Hand jede Angelegenheit berathen. So stand es in den großrussischen Gouvernements, wo die allgemeine Branntweinspacht bestand. Viel schlimmer noch in den sogenannten privilegirten Gouvernements, wo die Pacht sich nur auf die Städte und Krondo'rfer beschränkte, und die Pachter die Concurrenz der Privatbrennercien zu fürchten hatten. Hier zwangen die Pächter die Gemeinde pro Familie ein gewisses Qnantum Branntwein zu nehmen, oder sie legten ihnen eine Stencr auf, für die Erlaubniß überall geistige Getränke kaufen zu dürfen. Wollten die Gemeinden nicht, so wurden sie wegen verbotenen Vranntweinhandcls verklagt, und natürlich stets vcrurtheilt und bestraft! — In den großrussischen Gouvernements wurden die Bauern zum Trunk verführt, in den privilegirten wurdeu sie dazu gezwungen! Trotz des Ucbersiusses an Grund und Voden im Allgemeinen in Nußland, ist die Ackervcrtheilnng in den verschiedenen Gouvernements doch unendlich verschieden, es kommen Gemeinden vor, wo nur ^ Dessiatme, andere, wo 20 auf die Seele kommen. Ja, es giebt Dörfer, z. B. im Gouvernement Nowgorod, wo 245 Dcssiatincn auf den männlichen Kopf fallen. Bei der Vcrthcilung wußten die Mächtigen, die Vorstände (die Oemcindcfrefscr) die Acrmeren anf alle Weise zn nbcrvortheilen, dies war besonders in den südlichen Gouvernements und in Perm dcr Fall. Gs kam daher hänsig vor, daß Bauern von 475^ Privatbesitzern Land pachteten. Häufig war dies Land, was eigentlich der Krone gehörte, von Speculanten aber für geringen Preis gepachtet war, und welche dasselbe dann für das Dreifache wieder verpachteten. Man mittcltc 1837 über 500,000 Dcssiatinen solchen Landes ans. — Während dcm Prinzip nach kein Mensch in Nnßland ohne Recht anf Grund und Boden nnd dessen Benutzung sein kann, jeder zn einer Gemeinde gehört, so war doch bis 183? eine große Zahl armer und völlig verarmter Leute vorhanden, die, um ihre Gemeinde-antheile meist durch Unterdrückung nnd Betrug gekommen, obdachlos umherzogen. Man mittclte damals gegen 605,675 Seelen aus, darunter in den ehemals polnischen Landstrichen allein l28,677, also zwischen ^ und -z der Gesammtbevölkenmg der dortigen Domaincndö'rfcr. Die Finanzkammern haben Ausgleichungen des Grund und Bodens versucht, das führte nur zu neuen Mißständen und Bedrückungen! Im Pleskow'schcn Gouvernement wurde z. V. alles Land nach Seelenzahl unter die Dörfer vertheilt, dadnrch oft dem einen Dorfe ein nahe liegendes, fast unentbehrliches Ackcrstück genommen und einem entfernten Dorfe gegeben, das es gar nicht benutzen konnte. Der Ackerbau der Bauern stand überall auf niedriger Stufe. Dreifelderwirtschaft im Süden und im Norden Aussaugungs-system oder höchstens Zweifelderwirtbschaft. Futtcrkräuterbau unbekannt, Wiesen selten, daher schwacher Viehstand, wenig Dünger. Nur in den westlichen und den Ostseeprovinzen Kartoffelbau, man rechnete deren jährlich etwa 382,000 Tschctwert. Küchcngärtncrei, außer an einigen Orten, und dort vortrefflich, fast gar nicht, nur Kohl überall als Nationalgericht. — Die Aussaat an Getreide rechnete man auf 13,140,793 Tschctwert. Bei solcher Vcwirthschaftung, die sich fast nur auf Getreidebau beschränkte, hatten die Bauern beinahe gar keine Landrente. Bei reicher Erndte halte das Korn weder Absatz noch Werth. Vei Mißwachs war kein Surrogat, daher Hungersnot!). Dann mußte das Gouvernement ungeheure Opfer bringen, in den Jahren 1833 und 1834 allein 30 Millionen Rubel Assig., ohne die Abgabenftisteu und Erlasse zu rechnen. 476 Dies Kopfstcucrsystem wirkte höchst uachthcilig auf die bäuerlichen Wirthschaften. Die Gleichmäßigkeit der Abgabe stand in gar kciucm Verhältnisse zu den materiellen Mitteln der Bauern, die sich wie l zu 25, ja sogar hin und wieder wie 1 zu 60 unter einander verhielten. So war sie denn dem Einen eine kaum merkliche Last, während sie den Andern völlig erdrückte. Daher dann diese ungeheuren Abgaben-Rückstände! — Da die Verthcilung der Naturaldicnstc und Lasten für Wegebau, Ginquartinmg ic> meist von dem, vom Gouvernementsadel aus ihrer Mitte gewählten Beamten, Isprafnik ic. abhing, so kann man sich schon denken, das; in der Regel alle Lasten die Kroubauern trafen und die Privatbauern verschont blieben. Beim Rccrutirungssystem galt die Regel, daß zunächst die Rccruten aus den zahlreichsten Familien genommen wurden. Das schnitt tief m die Patriarchaten Sitten des Volks ein. Die russische Sitte war, daß oft mehrere Generationen durch sämmtliche Familienglieder in ungetheiltcm Haushalt zusammenblieben. Der Rccrutirung aber gegenüber ward es nun Interesse, die zahlreichen Familien in lauter kleine Familien zu zersplittern. Da mußte mit dieser Vermögcnszersplittcrung und schwarzen st8ckarm) Theilung der Wohlstand schwinden, und da am Ende die Recrutcn dennoch um jeden Preis gestellt werden mußten, so traf das Loos dann auch die abgetheilten, und selbst der vielleicht eiuzigc Ernährer einer kleinen Familie mußte Soldat werden. Daß dann dabei die sogenannten Ge-memdefrcsscr die größten Spitzbübereien und Willkührlichleiten sich erlaubten, läßt sich leicht ermessen. Eine Eontrole war fast unmöglich, Viel schlimmer, als in den großrussischen, war überall die Lage der Kronbaucrn in den westlichen, ehemals polnischen Gouvernements. Hier pachteten Arendatorcu nach Mcistgcbot die Krongütcr mit den darauf angesiedelten Bauern. Die Dienste dieser Bauern waren zwar in sogenannten Iiwcntarcn festgesetzt, aber nicht die Ländcrcicn verzeichnet, welche ihnen zugetheilt sein sollten. Die Arendatorm zogen daher alles Land nach Möglichkeit an sich, benutzten es selbst oder vcrafterpachtctm es; die Dienste und Lasten wurden trotz dieser Landcntziehung nicht 47? vermindert. — Der Vestand der Bamrnfelder verminderte sich in einem Grade, daß z. V. in Bialistock auf eine Familie nur ein Ackerbect Land kam. Die Viehzucht als Nahrungszwcig hörte fast auf. Von 600,000 Seelen in diesen Gouvernements kam auf l 50,000 nur ! Stück Vieh auf die Familie, auf l 25,000 Seelen gar kein Hornvieh mehr. Uebcrall zogen die Leute in Schaaren, meist aus jeder Familie einer, umher, um Arbeit oder Almosen zu suchen. Kam aber irgend etwas Geld in die Hände des Bauern, dann kamen diese Harpycn und Vampyre von Schenkwirthcn, um es ihnen abzulocken; diese wußten ihnen oft das noch auf dem Felde stehende Korn gegen das süße verführerische Getränk abzuhandeln. Die Arendatorcn und Indenwirthe saugten die Bauern wechselweise aus. Die ausländischen Colonistcn waren, nachdem sie die ersten Drangsale der Colonisation übcrwnndcn, im Ganzen in einer guten Lage, nur begann der Mangel an Grund und Boden immer fühlbarer zu werden. Die ursprüngliche Dotation reichte lange nicht mehr, nachdem die Vcvölkmmg sich um das l! - und 4 fache vermehrt hatte. Die Nomadenvölkcr verblieben in ihrer alten Lage und Stellung. Man hatte einen verfehlten Versuch gemacht, die Kalmücken einer mehr geregelten Verwaltung zu unterwerfen, die dann aber aufgegeben ward. Die hier angedeutete traurige Lage der persönlich freien Kronbanern in Rußland bringt uns auf die Frage, warum nicht längst durchgreifende Maaßregeln ergriffen wnrdcn, um den Misiständcn abzuhelfen? — Jeder Staat braucht zu sciucr Entwicklung Zeit nnd Reife. Nußland war erst seit nicht viel über einem Jahrhundert in den Kreis der cnropäisch organi-sirten Reiche eingetreten, die alten Patriarchaten Regicrungs-formen passen denn hier nicht hinein. Es fehlte aber an einem modern gebildeten, wohlorganisirtcn, zahlreichen Beamtenstand, der allein die Durchführung großer Reformen möglich machen konnte. Auch mußte sich Nußlaud zuvörderst äußerlich politisch feststellen, ehe es an die innere Consolidation und Reform gehen konnte. Das Gonverncmmt suchte daher in der obigen Frage 478 überall »nit Palliativmittcln, wie wir oben gesehen, so viel möglich zu helfen. Dann war aber auch dieß die wichtigste, ja die wahre Lebensfrage des ganzen Staats, und also eine gründliche, reifliche Erörterung aller Verhältnisse vor Allem Noth und erst dann ein wohlbedachter Entschluß, eine energische Durchführung nwglich. -^ Die Landcscultur- und die Landgemeinden- nnd Bauern-Frage isi iu Preußen auch schon seit einem Jahrhundert ventilirt und seit 40 bis 50 Jahren hat man sie zu lösen begonnen. Die Organisation ist aber auch hier noch keineswegs beendet, man hat Fehler über Fehler begangen, hat Modificationen und Abänderungen eintreten lassen müssen, weil man in einzelnen Puukten zu rasch nnd zu weit vorgegangen. Wenn man dem russischen Gouvernement jetzt vorwirft, daß es früher zu wcuig sich nm diese unermeßlich wichtige Frage bekümmert, so wirft vielleicht die Folgezeit ihm vor, daß es zu rasch vorwärts gegangen! — Die Erörterung hat können auS langen Erfahrungen gründlich geschehen, der Entschlnß ist aber jetzt unwiderruflich gefaßt, die Durchführung bereits cuergisch vorgeschritten, somit ist lein Rückschritt, kein Aufgeben der eingeschlagenen Maaßregeln mehr möglich; die Brücken der Vergangenheit sind abgebrochen, möge der Gang Nußland zum Heile gedeihen! Guter Wille und Energie schell ja in Rußlaud Alles durch, das lehrt die Erfahrung auf jedem Blatte seiner Geschichte! Peter I., der einst das Gelübde that, den ersten ersparten Groschen zur Civilisation Rußlands anzuwenden, dachte auch schon an die Errichtung eines Eollcgiums für Staatswirlhschaft und Ackerbau. Cathariua II. hatic noch vor ihrem Tode persönlich an einem Projrcte zur Organisation der Bauern gearbeitet. Paul I. errichtete eiue staatswirthschaftliche Erpcdition und führte die Can-,tonalvcrwaltuugcn ein. Alerander I. erklärte 181 l cine bessere Organisation der Bauern für unabweislich nöthig, und der Minister Graf Guricff arbeitete Jahre lang an Projccten dazu. 479 Das jetzige Gouvernement griff die Sache practisch an. Es wurde Versuchsweise zuerst in den beiden Gouvernements Petersburg und Plcskow eine specielle Domainenverwaltnng or-gauistrt. Zwei Comites unter den Fürsten Knrakin, Kolschnbey und dem Grafen Cancrin beschäfligtcu sich mit Ausarbeitung von Projeclen zur Organisation der Krongütcr. Das Ziel derselben nnd die Grundlage des Ganzen war die Umsetzung der Kopfabgabe in eine Landabgabe. Dazu bedürfte es aber zuerst einer ganzen Reihe von Reformen, ja einer völligen Umgestal-tuug der bisherigen Verwaltung. Es waren hiebci große Schwierigkeiten zu überwinden. Der Kaiser ernannte 1836 ein ConM unter dem Fürsten Wassiltschikoff mit Zuziehung des Grafen Kisscleff zur Prüfung aller Fragen. Das Resultat war, daß nur eine Nadiealreform die Frage zu lösen vermöge. Der Kaiser formirte nun ein neues Ministerium, dem er die dem Finanzministerinm abgenommene Verwaltung der Krongütcr übcrwieß. Auch wnrdcn die vom Ministerium des Iunern verwalteten Gegenstände der allgemeinen Landwirthschaft dem neuen Mnistcrimn beigelegt, uud dieß dc.m Grafen Kisscleff definitiv am 1. Januar 1838 übertragen. 3. Die von dcm Minilterium der Orongüter der ÜtcorgU" mlation zum Grunde gelegten Principien und deren Ausführung. Wäre die Reform nur auf die zweckmäßige Venutznng des Grund und Bodens gerichtet gewesen, so wäre die Festsetzung eines Systems nicht sehr schwierig geworden, das Ziel wäre dann nur die Vermehrung des Ertrages des Grund und Bodens gewesen, ohne dessen Reichthum zu erschöpfen. Hier kam es aber auf die sittliche und landwirtschaftliche Bildung und deren Fortschritt bei 22 Millionen Menschen oder mehr als ^ der Bevölkerung des Reichs an. Die Vermehrung des Ertrages 480 War nicht der Zweck, sondern sollte nur die Folge des allgemeinen sittlichen nnd Bildungs-Fortschritts sein. — Gs war eine umfassende, schwierige, momentan sogar undankbare Frage. Die ganze künftige sittliche und öconomische Existenz der Vcvöl< kerung hing von der Lösung ab, man nmßtc allen schleunigen, den sogenannten Schcinrcsultaten entsagen, nur die Zukunft ins Auge fassen, man mußte auf Opposition aller Art gefaßt sein. Die Wahl des Systems war sehr schwierig, die öffentliche Meinung sprach sich sehr verschieden aus. Manche meinten, das öconomische System der Privatbesitzungcn, andere das der Appanagen-Verwaltung sei zum Muster zu nehmen. Andere riechen, die bisherige Patriarchate Gcmcindebcnntzung aufzuheben und ein Pachtsystcm einzuführen. Alle diese Systeme hatten eigentlich nur die öconomische Seite, die Vermehrung der Staatseinkünfte, weniger die Fortschritte der Bauern selbst im Auge, auch wären diese dadurch in ihrer Bewegung und Freiheit sehr gehemmt und verletzt worden,' der Uebcrtritt zu Zünften, Handwerken, Handel nnd Gewerbe sehr erschwert. Die im russischen Volksgeistc liegende, stets flüssige Mischung und Verbindung aller Gewerbe mit den» Ackerbau wäre sehr gehemmt worden, und gewiß nicht ungestraft in den Folgen. In Rußland kann der Landbau, weder nach dem Nationalgeiste, noch den Nationalsitten, noch nach der natürlichen Beschaffenheit des Landes, keineswegs die ausschließliche Beschäftigung der Bauern sein. Er gewahrt, ausschließlich betrieben, nicht den hinreichenden Wohlstand, giebt zu wenig Rente. Eben in den Gouvernements des reichsten Bodens, wo die Bevölkerung fast nur Ackerbau treibt, fanden sich stets die meisten Ab-gabenrückstandc; diese Bevölkerung ist viel weniger wohlhabend als in den industriellen Gegenden mit armen Boden. — Dabei nimmt der Ackerbau in den nördlichen Gegenden bei den langen Wintern nur wenig Arbeitskraft in Anspruch. Soll der russische Bauer 8 Monate müßig zubringen? Das widerstreitet gänzlich feinem Naturtriebe. Und sollte man diese bewunderungswürdige nationale, patriarchate Gemeinde- und Familicnverfassung wesentlich angreifen oder gar zersetzen, auf der, abgesehen von den Urzuständen, der 48l russische Staat seil cincm Jahrtausend fnndirt gewesen war? Mag diese patriarchate Verfassung in rein landwirtschaftlicher Hinsicht große Mäugcl haben, die volksthümlichen, die sittlichen, die politischen Vortheile überwiegen dieß weit! Mail mnfitc sich also vor zu großen Nencrungm nach dieser Seite hin hüten, das volkslhümliche Pflegen, aber verbessern, nach dem darin liegenden Geiste! Dieß war denn mich das Princip, welches der nene Minister aussprach, cr wollte alle Zwangsmaßrcgeln vermeiden, und die wesentliche Neuerung darauf beschränken, den Bauern seinen persönlichen Schuh nnd seine Fürsorge zu gewahren, und nach Maßgabe ihrer Bildung und VildnngSfahigkcit, durch Belehrung, Aufmunterung und reelle Hülfslcistung auf Verbesserung ihres Zustandes zu wirken. Hiezu gehörte, daß die Vaucru gegcu Mißbrauche gesichert, daß das Bewußtsein, sie fünden Schutz, in ihnen geweckt wurde. Ihre Thätigkeit mußte crmnntert, Hindernisse ans dem Wege geräumt werden, der Drang nach Bildung, der sich fast überall in Nußland bei den Bauern findet, mußte geschützt und ermuntert werden. Während ihnen die Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen besonders eingeschärft wnrde, erkannte man dagegen auch die Unvcrlch-lichkeit ihrer eigenen Ncchie unumwunden an. Vor Allen» ward auf die religiöse Vildnug hingewirkt. Um die Zahl der Beamten möglichst wenig zu erhöhen, wurde die Gemeindeverfassung in ihrem ^ll^av^nmcllt, schr gestärkt. Dic Verwaltung ward iu 4 hierarchische Stufen eingetheilt: Ccutralverwaltuug, Gouverncmcntöverwaltung, Distrietsverwal-tuug, Local- oder Gemeindeverwaltung. Die Ccntralvcrwaltung oder das Ministerium war iu 4 Departements eingetheilt. Dem I ten fiel die Verwaltung von 3!) großrussischen Gouvernements zu, dem 2ten !8 Gouvernements, nämlich die Ostsecprovinzcn, Weißrußland, Wcst-rußland, Vessarabien, Transkaukasien. Das 3te war das land-wirthschaftliche Departement, Vcrbcsseruug der Landwirthschaft, Cataster, Vchranstallcn stehen uutcr dessen Wirkungskreis. Das 4te ist das Forstdeparlcment. In jedem Gonvcrnemcnt ward ein Domaincnhof von 3 Nachen 482 mit 1 Präsidenten an dcr Spitze organisirt, den cincn Rath für die Ländercicn, Pachtartikcl und Bauten, dcn Zweiten für die Forsten, dem Dritten ist die Controle übertragen. Dann ist noch cin Assessor und ein Beamter für besondere Aufträge, endlich ein gelernter Förster, cin Civil-Ingenieur, 2 Landmesser mit ihren Gehülfen, nnd ein Anwalt zur Vertretung der gerichtlichen Angelegenheiten dcr Krone und ihrer Bauern dem Do-maincnhofe zugeordnet. Die Gouvernements sind in Kreist oder District?, unter Krcisvorstchcrn zur Verwaltung dcr Ländcrcicn und Bauern; und Förstern für die Forstvcrwaltung, eingetheilt. Dic örtliche Verwaltung ist dcn Gemeinden selbst anvertraut. Hicbci ward die unthcilbarc Einheit dcr Gemeinde festgehalten, die früheren Subdivisioncn von Stcucrgcmcindcn, Rc-crutirungsgcmcindcn, Polizcilastgcmcindcn?c. wurden aufgehoben. Da aber zu kleine Gemeinden ihren innern Zwecken und Bedürfnissen nicht gut entsprechen, so wurdcu 1500 Seelen als das geringste Maaß des Umfanges einer Gemeinde angenommen. Wo es nöthig, wurden daher mehrere Dörfer bis zu dicscr Höhe zu cincr Gemeinde vereinigt. Dörfer, die über 1500 Scclcn zählten, blieben ungctheilte Einhcitsgcmcindcn. Die Vereinigung dcr Gemeinden zn Cantonm (Aemtern), welche bereits vorhanden war, und sich zweckmäßig gezeigt, ward beibehalten. Die Kreise waren am Ende bei dcn großen Räumen Rußlands auch noch stets so groß, wie bedeutende deutsche Fürstenthümer, und dcr unmittelbare Verkehr dcr Krcischcfs mit 40 — 50 cinzclncn Gemeinden schwierig und langsam. Der Umfang dcr Cantonc ward auf 6000 Seelen festgesetzt. Dic örtliche Verwaltung war also in 2 Grade, dic Cantonalvcrwaltung und dic Gemeindeverwaltung getheilt. Jede Cantonalvcrwaltung besteht aus dem Haupt (Golowa), 2 Gehülfen und l Schreiber. Icdc Gemeindeverwaltung hat da, wo mehrere Dörfer eine Rcalgemcindc bildcn, eitlen Acltc-stm, Starschina, für dic ganze Gemeinde und für jedes Dorf unter ihm cincn Starostcn, dann einen Steuereinnehmer und einen Gcmeindc-Magazinsanfschcr. Alle diese Beamte werden auf dcn Gemeindeversammlungen durch Valottirung von dcn 483 Bauern aus ihrer Mille gewählt. Sie haben kleine Gehälter und gewisse Ehren nnd Vorrechte. — Die Gemeindeversammlungen bestehen aus Deputinen, je cincr von 5 Höfen gewühlt. Zu den Cantonalversammlungcn erscheint ein Ausschuß von diesen, nämlich einer auf 10 Höfe. Auf den Gemeindeversammlungen werden die Beamten gewählt, alle Angelegenheiten berathen und beschlossen, z. V. die Vcrtheilung der Felder, die Verwaltung der Pachlartikel, die Vertheilung der Abgaben, die Controlc der Rechnungen, die Aufnahme neuer Gemeindemit-glieder, die Entlassung fortziehender Gcmeindegliedcr, die Nccru-tirungö-Angelegenheiten, die Ernennung von Bevollmächtigten, die Vorstellungen an die obern Behörden, Petitionen ic. Die Gemeindeversammlungen finden regelmäßig dreimal im Jahr statt, doch dürfen sie anch mit Genehmigung des Krcis-chcfs bei sonst wichtigen Fällen stattfinden. Durch dieß wiederhergestellte allgemeine Wahlrecht ist den sogenannten Gemcindcfrcsscrn (Mirojedy) ihre Macht gebrochen, ihr Einfluß auf die Gcmeiudcangelegcnheitcn zerstört. Iu jedem Ccmtonc und jeder Gemeinde sind besondere Dorf-gerichtc organisirt. Sie bestehen in den Gemeinden unter dem Vorsitz des Starschina aus 2 gewählten Gcmcindegliedcrn, welche Gcwisscnsleutc (Dobrosowcstnijc) genannt werden, in den Can-toncn eben so anS dem Vorsitzenden Golowa und 2 Gewissens-leutcu. Beleidigungen und Vergehen aller Art und Vesitzstrcitig-'kcitcn werden von diesen Gerichten entschieden. Doch müssen alle Streitigkeiten zuvor Schicdsmänncrn vorgelegt werden, die bei Streitigkeiten vorläufig entscheiden, bei Beleidigungen die Sühne versuchen. Erst wenn die Parteien sich nicht beruhigen, geht es an das Gericht, welches nach mündlich geführter Untersuchung am selben Tage ein schriftliches Urtheil fällt. In Bezug auf die Bestrafung von Vergehen sind diesen Gerichten Grenzen gestellt; in Eigcn-thumsstrcitigkcitcn erkennen die Gcmeindegcrichtc nur bis zur Höhe von 5 Nubcl, die Canlonalgcrichtc bis zu 15 Silbcrrubel Werth. Bedeutendere Prozesse können zwar hier auch verhandelt und abgeurtheilt werden, aber nur wenn beide Parteien wollen. Zwei allgemeine Verordnungen schreiben den polizeilichen und gerichtlichen Gang bei diesen Gerichten genau vor. Sie cnthal- 484 im zugleich allc nöthigen Belehrungen. Die eigentlichen Crimi-nalvcrbrcchcn gehen an die gewöhnlichen allgemeinen Gerichte. Um aber jeder möglichen Beeinträchtigung der Kronbaucrn vorzubeugen, müssen die Kreischcfs bei der vorläufigen Untersuchung gegenwärtig sein, und auch den ganzen Gang der Prozesse eontroliren, znr Veschlennignug antreiben, den Bauern bei schriftlichen Erklärungen und Petitionen an die Hand gehen. Domainenhöfe und Kreischcfs sollen nur die Aufsicht über die Gemeinden führen und ihnen Schutz und Hülfe gewähren; sie dürfen sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Gemeinden direct einmischen. Wie wir oben angeführt ist das System der Kopfsteuer einer der größten Mißstände, uutcr denen ein großer Theil der Kronbaucrn leidet. Es war die Aufgabe, die Kopfsteuer in eine angemessene Landabgabc oder Grnndsteuer, Grundrente zu verwandeln. Hiezu gehört nothwendig die Anlcgnng eines Calastcrs. Hier aber waren uugeheurc Schwierigkeiten zu überwinden. Es fehlte an Kräften zn den Vcrmcssnngcn und Bonitirungeu, auch erschien es als bedenklich, die Kopfabgabc nur in Vezug auf die Kronbancrn abzuschaffen uud umzuwandeln und in Beziehung auf die Privalbaucrn bestehen zu lassen. — Von der andern Seite aber war klar, daß man nur auf diesem Wege zu einem richtigen Grundsteucrsystem gelangen konnte. Ohne dieses aber erschienen alle übrigen Ncfonnmaaß-regcln nur als Palliative. Die Anlegung ciues wissenschaftlichen Catastcrs wäre in Rußland nicht in einem Jahrhundert zu beenden gewesen. Das Ministerium übczeugtc sich aber nach genauer Prüfung, daß die in der russischen Gemcindevcrfassnng herkömmliche Vcrtheilung des Grund und Bodens zur Benutzung nnter den Gcmeindc-gcnossen hinreichende Mittel znr Feststellung und Vonitirung wenigstens des cnltivirten Bodens boten. In Nusiland ist jede Gemcmde in Bezug auf den Landbesitz eine Einheit. Die Zahl dieser Einheiten belief sich auf 7000, was die Operation der Catasttirung in Vergleich mit anderen Ländern, z. V. Frankreich, wo es 20 Millionen abgesonderter zn catastrirendcr Landbesitze giebt, bedeutend erleichtert. 485^ Nach altem Herkommen wird nämlich in der russischen Gemeinde der Grund und Boden nach der Qualität in verschiedene Abtheilungen eingetheilt. Diese Abtheilungen werden dann wieder in eben so viele gleiche Stücke abgemessen nnd abgetheilt, als männliche Seelen in dcr Gemeinde vorhanden sind. Hieraus folgt, daß man nnr den Antheil einer einzigen Seele abzuschätzen und dieß mit dcr Gesammtzahl aller Seelen dcr Gemeinden zu mnltiplicircn braucht, um den Werth deö ganzen Landbesitzes dcr Gemeinde zu ermitteln. Es liegt nicht in dcr Absicht des Ministeriums, die Abgaben zu erhöhen, sondern nur durch Verwandlung der Kopfsteuer in eine Grundsteuer sie gleichmäßiger und gerechter zu vertheilen. Es sollen daher zunächst, nach Beendigung der Schätzung, die Gemeinden gegen einander ausgeglichen und überall der Gesammtbelrag dcr Kopfsteuer eines Gouvernements in die entsprechende Grundsteuer umgesetzt werden. Die spätere Ausgleichung sämmtlicher Gouvernements unter einander würde dann als zweite Operation nicht so schwer sein. So angemessen und selbst verhältnißmäßig leicht diese Operation in den großrussischen Gouvernements erscheint, so stellt sich die Sache doch ganz anders in den ehemals polnischen Landstrichen. Hier war die alte Gcmcindevcrfassung zerstört, dcr Grund und Boden der Bauern war größtentheils in die Hände der Arcndatoren gekommen. Bei vielen Bauern hatte sich daher die in cine Grundstcucr verwandelte Kopfsteuer auf Null reducirt. — In diesen Provinzen muß man daher zuvörderst die Bauern mit Grund und Vodcn dotircn und ihre winhschaftlichcn Verhältnisse ordnen. Die in diesen Provinzen vorhandenen schriftlichen Invcntare der Krongüter enthalten vollständige Uebersichten der nach dcr Qualität des Bodens classificirten Grundstücke, sie bieien daher die Möglichkeit dar, den Grund und Boden gehörig unter die Bauern zu vertheilen und cine Grundstcucr darauf zu legen. Allein hiezn bedarf es der Ucbcrgänge. Die Bauern sind dort in Folge der Mißbrauche deö Arendcsystcms völlig unfähig geworden, einer unabhängigen Vaucrwirthschaft vorzustehen. Man mnßlc sie also erst vorbereiten, gleichsam zn einer Ackcrwirthschaft allmählig erziehen. 48^ ES ward demnach beschlossen, jedem Vaucr cincn nicht zu gro-sicn Vodcnanlhcil anzuweisen, und nach diesem Vodenanthcil, der in den oben genannten Invcntarcn abgeschätzt, die Pflichten und Dienste, welche der Bauer an den Arendator zu leisten, so wie den Betrag der künftigen Grundsteuer abzumessen. Dann sollen die Arendatorcn gegen gewisse ihucn zugesicherte Vortheile verpflichtet werden, unter Beaufsichtigung der Regierung sämmtliche Bauern allmählig, gegen Aufgabe der Dienste uud Pflichten, auf einen reinen Geldzins zu scheu. Es ist befohlen, daß dieser Ucbcrgang binnen 12 Jahren vollendet sein soll. Sobald dieser Uebergang beendet ist, will die Regierung den hiesigen Bauerdörfcrn die großrussische Gcmeindcvcrfassung verleihen. Nach demselben Plane will man denn auch in den Ostsee-Provinzen verfahren, auch dort will man auf Einführung eines Geldzinses hinarbeiten. So lange das Kopfsteuersystem bestand, hatte die Negierung oder vielmehr die Finanzbchördc kein nahes Interesse, sich darum zu bekümmern, ob die Dörfer hinreichend mit Grund und Boden dotirt waren, ob Ucbcrficdlungcn (Transcolonisatio-ncn) vorgenommen wurden, ob unbebauter Boden urbar gemacht wurde :c. Nur darauf war das Augenmerk zu richten, ob die Zahl der Seelen sich vermehrte oder verminderte. — AnderS stellen sich alle diese Pnnkte, sobald die Kopfsteuer verschwunden und eine Grundsteuer entstanden ist. Ihr gegenüber werden die Interessen für das sittliche und Physische Wohl der Bauern geweckt, denn dieß sichert die Steuer; die Fragen der bessern Dotation mit Grund und Boden, der Transcolonisation, erscheinen von größter Wichtigkeit, denn jede Dessiatinc neu urbar gemachten Bodens vermehrt anch den Betrag der Grundsteuer. Alle Kosten, die man hierauf verwenden möchte, verzinsen sich durch die Vermehrung der Grundsteuer. In Folge dieser Erwägungen wurden folgende Maßregeln genommen und festgesetzt: l) Den Dorfschaftcn, die vcrhältnißmä'ßig zu viel Land besaßen, ward freigestellt, so viel davon zu behalten, als sie im Stande waren, Grundsteuer dafür zu bezahlen, das übrige sollten sie abgeben an Bauern, denen es an Land fehlte. So wird 48? man ohne Zwang eine gleichmäßigere Bodcnvcrthciluug erlangen. 2) Den landbcdürftigcn Gemeinden sollte, wo es möglich, Grund und Voden zugelegt werden, natürlich gegen Uebernahme einer angemessenen Grundsteuer. 3) Um die überflüssigen Hände so viel wie möglich dem Ackerbau zuzuwenden, ward ein Plan künftiger Nebcrsicdlungcn entworfen. Man hat alle öde und wüst liegende Landcreien sorgfaltig untersucht und verzeichnet. Sie sollen, so wie das Bedürfniß sich zeigt, in angemessenen Portionen, jedesmal eine für eine künftige Dorfgemeinde, getheilt werden. Die Trans-colonisation geschieht freiwillig, aber da sie von je hcr in den Sitten der Rnsscn gelegen und bedeutende Vortheile verspricht, so wird sie sehr rasch zunehmen. Die Nebcrsiedluug geht unter Aufsicht der Behörde vor sich. Man fängt damit an, daß jede der sich zur Uebcrsicdlung gemeldet habenden Familien eins ihrer Glieder nach dem neuen Bestimmungsorte absendet, um daselbst für Obdach und Vorrath an Viehfutter zu sorgen. Wenn Alles vorbereitet ist, folgt die übrige Familie dahin nach. Die Regierung liefert unentgeltlich das nöthige Zugvieh und eine Summe zur ersten Einrichtung. (5s sind hiezu jährlich 5W,W0 Rubel kanco angewiesen. Den ncncn Ansiedlern sind die etwa rückständigen Abgaben ihrcS frühern Wohnorts erlassen. Sechs Jahre sind sie frei von aller Einquartirung. Vier Jahre bleiben sie völlig Abgaben frei, die vier folgenden zahlen sie die Hälfte; endlich sind sie bei den nächsten 3 Nccnitirungen von aller Miluairpstich-tigkeit freigesprochen. Nm Versuche über die Anwendbarkeit und Zweckmäßigkeit des PachtfystemS zu machen, sollen in diesen neuen Colonien einzelnen Familien, die cö wünschen, besondere Grundstücke gegen ständige Pacht überwiesen werden. Es waren bei der frühern Erhebung der Steuern viele Misiständc eingcschlichcn. Die Bauern zahlten Kopfsteuer und Obrot, dann sogenannte Provinzialanlagc, Gemeindeanlage und noch für besondere Ausgaben der Gemeinde, viele einzelne kleine 488 Rubriken. Hicbci sind Verbesserungen und Vereinfachungen eingetreten. Es ward beschlossen, in allen Gemeinden Schulen zu cr-richtcn, welche, außer der sittlichen und religiösen Bildung, Unterricht zum verbesserten Landbau gewahren sollen. Der Unterricht ist nncutgeltlich, und die Geistlichen der Gemeinden ertheilen ihn. In den geistlichen Seminaren ist ein eigner Katheder für die Landwirthschaft errichtet worden. In allen Regionen des Reichs, die sich durch verschiedene Gattnng des Bodens und durch Klima von einander wesentlich unterscheiden, sind Lchrp ach those errichtet worden, wo junge Vanernsöhnc einen theoretischen nnd practischen Cnrsus der Landwirthschaft, Viehzucht und Gcwcrbslehre durchgehen. Nach Beendigung jenes Curfus werden ihnen in ihren heimathlichen Dörfern Muster-Meierhöfe angewiesen. Die Zahl wird sich nach und nach sehr vermehren, und es ist wohl zu erwarten, daß Lehre und Beispiel auf die Vcrbcssernng der Landwirthschaft nicht ohne Einfluß sein wird. Gleiche Maßregeln sind für Verbesserung nnd Verbreitung von Gartenbau, Seidenzncht und Weinbau getroffen, wofür eigene Schnlen fundirt worden. Eben so ist für die Verbreitung der Kartoffeln^) viel geschehen. Für Vermehrung der Auosaaten, für Anpflanzung von Han-delsgcwächscn, besonders Taback, hat man Manches gethan. Bei den Cantonsvcrwaltungcn hat man kleine ländliche Banken errichtet, auS denen den Vanern Vorschüsse zur Verbesserung ihrer Landwirthschaft geleistet wurden. Mit den Banken wurden auch znglcich Sparkassen errichtet. Daß alle diese Maßregeln zur Hebnng und Vcrvollkomm- ') Die Einführung und Anpflanzung der Kaitoffel hat unyvcifelhaft unermeßliche Wirkungen auf Europa gehabt. Sie hat unstreitig auf die Gestaltung und Cultur Europas in, Guten und Vüse» (d»g Proletariat ist vicllri^t nur durch sie möglich, wenigsten«!! so allgemein verbreitet worden!) mehr eingewirkt, als irgend ein anderes materielle,? Moment! — Sonderbar, daß die Starower^cn in Nuß« laud die Kartoffel für ci»e fündige srncht, für eine Frucht des Teufels und ihicu Genuß für sündhaft, wie die Frucht vom Äaume der Erkenntniß hallen! 489^ mmg dcr ländlichen Cultur augenblickliche und sichtbare Ncsul-talc habcn sollten, wird Niemand erwarten. DaS Saamcnkorn licgt lange in dcr l§rdc, chc cs keimt, und vom Keim bis zur reifen Frucht ist die Zeit noch länger! Wir wollen mm noch einige untergeordnete, aber doch zur Harmonie des Ganzen gehörende Gegenstände der Verwaltung kurz berühren. Die Natnraldicnstc dcr Kronbaucrn waren wenig geordnet. Man hat sie regulirt und anf gleichen Fuß mit den andern bäuerlichen Klassen gestellt. Die administrativen Maßregeln in dieser Beziehung sind mit dem Ministerio des Innern verabredet und festgesetzt worden. Von allen Naturaldiensten der wichtigste, das Necrutirnngs-svstcm, ist ganz nen und anders organism worden. Das frühere System dcr Reihenfolge war sehr unbestimmt und höchst anfrcgcnd für dic ganze ländliche Bevölkerung, Dadnrch, daß alle jnngen Leute vom 2<)stcn bis glisten Jahre jcdcn Augenblick gewärtig sein mußten als Necruten beansprucht zu werden, war die Hälfte dcr Dorfbevölkerung in steter Unrnhc und Angst. Wie oft mnßtc dcr Mann Frau und Kinder vielleicht anf immer verlassen! — Die Anfgabc des Ministeriums hiebei war, einerseits der Unbestimmtheit dcS Gesetzes abzuhelfen, andererseits die Gemüther des Landvolks einigermaßen zu beruhigen. Man hat daher das System dcr Reihenfolge aufgcgcbcn, und statt dessen dic Nccrntirnng dnrchs Loos eintreten lassen. Dadnrch war AlleS vereinfacht, und jeder kannte sein Schicksal sogleich. Nasche Entscheidung, dabei Wagniß, Spiel, fatalistische Bestimmung ist ja dem Nationalcharacter zusagend! Dabci war nnn frei für immer, wer sich frei loscte! — Mnzige Söhne und solche, deren Sohne oder Brüder bereits dienten, brauchten überhaupt nicht mit zn losen. Das Ministerium hat sich auch mit der Verbesserung dcr Dorfanlagen nnd dcr bäncrlichcn Gchöftc nnd Wohnungen, so wie der Gcmeindegebande, Brücken, Ucberfahrtcn ic. bcschäftigt. Man hat Nachrichten über die ill den verschiedenen Gegenden des russischen Reichs gebräuchlichen Gebäude gesammelt, dann hat man Pläne nnd Entwürfe über alle Gebänlichkeiten cnl- 49^ worsen, sich an das Vorhandene überall anschließend und es nur verbessernd und zweckmäßiger einrichtend. Daß man hier vor allen Dingen Klima nnd ökonomische Erfordernisse inS Auge fassen mußte, versteht sich von selbst. Cs liegt nns cm AtlaS von N7 Blättern mit Plänen von solchen Gebänlichkci-teii vor. Sie sind den Gemeinden mitgetheilt. Die Civil-In-gcnieure sind beauftragt, nnentgeltlich zn helfen, auch werden Gclduntcrstützungcn bewilligt, wenn Bauern nach diesen Plänen bauen wollen. Man rechnet, daß jährlich ^ Proccnt aller Bauerngehöftc in Rußland, im Ganzen, in einzelnen Gegenden jedoch bei weitem mehr, abbrennen. Man hat gegen dies Unheil einige Po-lizcimaßregeln zur Verhülnug ergriffen, zugleich aber ist eine Asscsurnnz-Etener eingeführt, 4 Kopeken von jeder Seele. Das nöthige Bauholz wird aus den Kronswaldungcn unentgeltlich geliefert. Ausdehnung des Reichs, schwierige Kommunikation erfordern Maßregeln, um bei Misiwachs der Hungersnot!) entgegen zu treten. Es sind deshalb überall Vorrathsmagazine angelegt. 1) Ocrtliche, in jeder Gemeinde. Jede Seele muß dazn liefern, so daß im Laufe von 8 Jahren ein Vorrath von 2 Tschctwcrt (8 berliner Scheffel) für jede Seele bereit liegen mnß. 2) Central-Magazine an Punkten, die bequeme Com-mmntationcn mit verschiedenen Theilen des Reichs darboten, beim Beginn, beim Zusammenstießen von Strömen, von wo man mit Leichtigkeit dem Strome folgend, die Vorräthc an die bc-nöthigtcn Pnnkte schaffen konnte, um als Vorschuß gegeben oder billig verkauft werden zn können. Zugleich ward ein bedeutendes Vcrproviantirungskapital für höchste Nothfälle gesammelt, für den Fall, wenn weder die Lokal- noch die Central-Magazine ausreichten. Icdc Seele hat hiezu 48 Kopeken Silber zahlen müssen. Die Einsammlung der Beitrage für die örtlichen Magazine, ihre Aufbewahrung und denmächstigc Vcrtheilung zur Nothzcit ist den Gemeinden überlassen. Die Central-Magazine läßt das Ministerin»« unmittelbar verwalten, es läßt bei niedrigen Prei- ^9! sen aufkaufen, und giebt zur Nothzeit zu den Einkaufspreisen her. Anch für die Gesundheitspflege ist das Ministerium thätig gewesen, besonders für Schuhblattcrnimpflmg und Gcburtshülfc. Es befanden sich in den Dörfern auch viele Leute, die nicht zu den eigentlichen Kronbancrn gehörten, geringe Beamte, Kaufleute, Bürger, verabschiedete Soldaten, die Polowiniki im Norden 5), die Odnoworzen der westlichen Gouvernements und die Zigeuner. Den sogenannten gemischten Klassen dieser Lente (geringe Beamte, Kaufleute und Bürger) ward gestattet, durch besondere Verträge mit den Gemeinden ihre Verhältnisse festzustellen, sich so der Gemeindeverwaltung unterordnend; wollten sie dies aber nicht, so sollten sie die Dörfer verlassen. Den verabschiedeten Soldaten ist gestattet, sich in jedem Krondorfe nach ihrer Wahl niederzulassen. Sie dürfen einen ihrer Söhne (Cantonistcn) zu sich nehmen, treten in die Gemeinde, erhallen Landanthcil, wie jeder Andere, auch besondere Gclduntcrstühungcn. Es ist ein eignes Kapital für sie gesammelt und disponibel. Die Polowiniki, Odnoworzcn und Zigeuner dürfen sich bleibend in den Krondörfern niederlassen, erhalten Land und Gcld-untcrstütznng. Für die Nomadenvölkcr ist einiges gethan. Für die Kalmücken ist eine eigene Verwaltung errichtet, die den Uebcrgang zur festen Ansiedlimg erleichtert. An den Hauptwegcn ihrer Züge hat man gemischte Colonien von russischen Bauern und Kalmücken angelegt und gegründet, um zur Niederlassung anzureizen. Die Kirgisen stehen aller Civilisation viel ferner, doch hat man einige Anordnungen getroffen, um sie den übrigen russischen Unterthanen zu näheren. Wir haben bisher vorzugsweise die Maßregeln ins Auge gefaßt, welche die Kronbaucrn betreffen, wenden wir uns nun auch zu den Grundbesitzungeu der Krone. «) v,«i. Vd. i, t>.-.ss, 2d4. 492 Zunächst hat man alle Maßregeln getroffen, um den Umfang derselben festzustellen und gegen Eingriffe zu schützen. Die Organisation der Waldungen war unendlich wichtig. Ihrc ungeheure Ausdehnung ließ an eine rationelle Einrichtung und Bewinhschaflnng vorläufig nicht denken. Im europäischen Rußland liegen übcr 24,000 m Meilen Kronwaldnngcn! Der größte Theil dieser ungeheuren Flache gehört der Zukunft Rußlands an, seine Gegenwart vermag sie noch nicht zu benutzen!^) Fremde Forstorganisationen konnten nicht als Muster und Vorbild da dienen, wo mall sich auf eine rein russische beschränken mnßte. Das europäische Nußland ist demnach in 6 Inspcttioncn eingetheilt, welche unter 6 Inspectoral stehn. Iedc Inspection ist in Gouvernements subdivisirt, uuter Gouvcrnementsförstcr stehend, deucn eiu gelernter Förster und ein Revisor beigesellt ist. Das Gouvernement ist in Förstereien uutcr eiuem Forst-officier, diese in Reviere unter berittene Forstuutcrofsiciere, und diese Reviere endlich in kleinere Abtheilungen uuter Schützen eingetheilt. 3 Generale, 700 Stabs- und Obcrofsicicre bilden das Fürst ere orps, 1000 berittene Unterofsicicrc und «000 Schützen die permanente Forstwachc. Alles steht ans militairischem Fuß. Das ist ja fast in allen Dingen Rußland und seinem Volke angemessen! — Die Bewirtschaftung kann vorläufig nur die Ränder der unermeßlichen Waldungen ins Auge fassen und in Angriff nehmen. Mcr im Enden und zniu Theil anch im mittlern Rußland fchlt es gänzlich an Wäldern. Hier sind Anfänge zu Bewaldungen durch pflanzen und säeu gemacht worden, auch hat mau nach Surogateu, nach Kohlen uud Torf, geforscht, sie zum Theil auch aufgefunden. Wir wenden uns nunmehr zu den bisherigen Resultateu dieser 1838 begonnenen Reorgauisaliou der Reichsdomaiueu und der auf denselben lebenden Bevölkerung. *) Ucbcr die jchige Organisation vi. 32 498 für dm Unterhalt dcr Gouvernements-, Kreis-, Eanional' nnd Gcmcindcvcr- waltnngen.........l,080,020 Silberrubcl, für dcn Unterhalt der Gcmemdeschnlcn 347,638 - für Messungen........ 96,229 für Einrichtung von Vorralhsmagazinen 508,000 - Dcr Ucbcrschnsi nnd einige nen entdeckte Quellen des bäuerlichen Gemcinde-Ginkommcns, wie z. B. dcr Ertrag dcr sogenannten Pachtartikcl, der 1844 bis anf 529,63« Nubel Silber erhöht worden war, hat die Sammlung eines landwirthschaft-lichen Capitals möglich gemacht, welches zum Nutzen nnd zur Verbesserung der bäuerlichen Eristenz verwendet werden soll. Es bestand am 1. Iannar 1845» aus 3,04!,609 Nnb. Silber. In dcn Jahren 1842, 1843, 1844 sind in dcn Domaincn-dörfcrn 2160 Gcmcindcschulen errichtet worden, 1845 belief sich die Iahl der Schüler in dcnsclbcn anf 107,349. Die Bauern gingen überall mit dcr größten Bereitwilligkeit auf dic Errichtung dieser Schulen ein, sie lieferten freiwillig Geldbeiträge und Schnllokale. ES sind 5 Lchrpachlhöfe in dcn Gouvernements Mohilcff, Tomboff, Wologda, Saratoff und Iekatarinoslaff eingerichtet worden. Dann ist eine Musteranstalt für Schafzucht im Gouvernement Chcrson, und für Bienenzucht bei dem Gutsbesitzer Procopowitsch im Gonvcrncmcut Tschcrnigoff errichtet worden. Außerdem sind noch mehrere theils eben eingerichtet, theils in dcr Plananlage. Bis 1845 hatten diese Anstalten 2W Schüler bereits völlig ausgebildet und entlassen. In Mnharatsch, in der Krimm uud im Kaukasus giebt cS ncnangelcgtc Wcinbau-schulen. Der Weinbau nimmt überhanpt sehr in Rußland zu. Das taurische Gouvernement lieferte 1844 allein 685,810 Eimer. Das Ministerium hat auf die Quantitäten und Qualitäten der AuSsaalcn uach Möglichkeit einzuwirken gestrebt durch Anregungen, Vclohuuugcn und durch zum Anbau gcschcnktcn Samen ic. aller Art. Es hat bedeutende Quantitäten Wasa-Roggcn ans Schweden, englische und Himalaya-Gcrstc, Kartoffeln aller Art und aus allen Gegenden, Tabak und Samen von Handclsgcwachscn aus Amerika, Persicn und der Türkei, Eier von Seidcnwürmern aus China :c. kommen lassen und untcr die Landwirthc vertheilt. Die Winter- nud Eommcrkorn-Aussaaten haben sich von 1838 bis 1845 um 34 Proccnt erhöht, die Karloffclsaatcn nm 13 Procent. Dcr Tabaksban hatte besonders in dm südlichen Gonvcrnc-ments bedeutend zugenommen. Besonders aber ist die Qualität besser geworden nnd daher dcr PrciS gegen früher auf das siebenfache s2 Nnbel 80 Kopeken Silber z»w Pnd) gestiegen. Für Verbesserung dcr Ackerwerkzenge hat das Ministerinm manches Anregende gethan, nnd nicht ohne Erfolg!— Verfertigung nnd Verkauf von verbesserten Ackmvcrkzcugcn war in 7 Jahren auf das tt fache, die Eiuftchr landwirthschaftlicher Maschinen nnd Gerälhc auf das 3 fache gestiegen. Für Pferdezucht ist überhaupt in Rußland viel geschehen, in wenigen Jahren waren 7 nene große Gestüte mit .'»278 Pferden entstanden. Es sind 10 Ställe angelegt mit 810 Beschälern, wo die Stuten dcr Vaucrn frei belegt werden. Auch für Horuvichzncht ist Einiges geschehen. Das Ministerium hat in 70 Cantonen 140 Vancrnbanken nnd Hülfskasscn nebst damit verbundenen Sparkassen errichtet. Bei der Ncnhcit der Sache wird man wohl noch kein Urtheil über Erfolg und das etwaige Vcrlrancn, was sie erwecken, erwarten dürfen. In den nmrussischen Gonverncmcnts (Südrußland) ist die Landwirthschaft vielseitiger, der Unlcrnchnnmgsgeist angeregter. Es ist daher hier außer obigen Vaucrnbanken noch eine besondere bedeutende Leihkasse errichtet worden. Es ist dazn das in diesem Gouvernement vorhandene Branntweinsteuer-Kapital ^) ') Früher zahlten die «ennlssiscl'en Kronbamrn diese Steuer für das Privily"'» des frcirn Vrcimuwciubrcmitno. AlS später die Vraunt-v'cinöpasl't ancl, ii, Ncunisiland eiiu^cfuhrt wurde, überließ die Re-ssiennig den Bauern auf 3 Jahre dic Nichimg deS aus der Steucr cntssandcinn Capiia!.,', und scl'icßliä' cvhiclt dasselbe daiu« die obige, tcn V^iltlu blcibclide ^>,'rthcilc vcrsprcä'cüde Bcstimmimg. 22' 500 benutzt. Bauern haben daraus Vorschüsse zu landwirthschaft-lichen Untcrnchmnngcn im Betrage von 39,l»00 Nubel Silber erhalten. Für solche Capitalien muß aber dcr Riickzahlung halber Sicherheit und Caution bestellt werden, was wohl die wenigsten Bauern vermochten. Man hat daher versucht, dcu Ge-lneindeverband als Gesanunlbürgschaft zu bcnntzen. Das Ministerium hat versuchsweise die Bauern in li Gouvernements (Pctersbnrg, Poltawa, Tschernigoff, Ickatarinoslaff, Taurien und Grodno) eingeladen, unter sich besondere Gcmeindccavilalicn zu landwirthschaftlichen Verbesserungen zusammen zu schießen. 1845 hattm bereits 471 Gemeinden diesen Vorschlag angenommen und 230,249 Nubcl Silber zusammengebracht. Man muß sehen, ob die Sache Anklang findet. Ausstellungen mit Prämien und Belohnungen für landwirth---schaftliche Productc fanden 1843 und 1844 in Odessa und Goldingen statt, wie es scheint mit einigem Erfolg. Es waren früher bereits 9 landwirtschaftliche Gesellschaften vorhanden. Bis 1845 wnrden deren noch 3 neue gestiftet. Zur Hebimg und Vcrbrcittmg von Handel, Fabriken und Handwerken sind auö dem Auslande Musterproduetc für bauerliche Industrie verschrieben. Anf den Lehrpachthöfen werden Knaben anch in Handwerken nntenichtet. Die Zahl der Fabriken in den Krongcnmndcn war 1845 anf 5174 mit 5904 Meistern und 40,695 Arbeitern gestiegen. Dcr Verkehr auf den Jahrmärkten hat «ngcmcin zngcnom-mcn. Man berechnete den Umschlag früher anf 17 Millionen, 1844 anf 23 Millionen Rnbel Silber. Man hat über die Gleichstellung der Kronbauern in Vezug anf Natnraldieustc mit deu übrigen Klassen der Landleutm die nöthigen Einleitungen gemacht. Das neue Nccrutiriingssystem war m 20 Gouvernements bereits eingeführt, wic cö schcint zur Zufriedenheit der Bethci-ligten, Dcr Umban dcr Dörfer nach neuer Planlage und die Anlage und der Van der Gehöfte anf zweckmäßigere Weise scheint 50l guten Erfolg zu haben, wohl in Folge dcr vielcil Brandunfalle. Es waren bis 1845 bereits 1274 Dörfer ulngebaut worden. Gegenseitige Brand-Assecnranzcn sind in mehreren Gouvernements eingeführt. Die Brand-Entschädigungen beirngen: !«39 ... 889,507 Rubel Silber. 1840 . . . 342,248 - 1841 . . . l8l,l38 - - 1842 . . . 180,803 - 1843 . . . 100,728 -! 844 ... 207,051 - Es sind in den Gemeinden bcreils 818 neue Vorralhs-magaziue nach der neuen Methode für die Vcrprovianlirung errichtet worden. 1844 ward der Getreideeinkauf für die in den Gouvernements Mohileff, Orel, Poltawa, Iaroolaff, Kasan und Tamboff uen errichteten Eeutralmagaziuc bcgonilcn. 1845 waren gelagert: in den Gemeindemagazincn 8,455,098 Tschetwcrt Getreide, in den Eentralmagazinen <>4,-l38 - - 8,5 l 9,430 Tschctwert Getreide. Das Vcrproviantirnngscapital betrug damals ........1,570,407 Nub. Silber, und das für die Errichtung dcr Magazine bestimmte...... 1,484,25,0 - - 3,003,<».N Rlib. Silber. Diese Vorrälhc und Eapitalien machten es dem Ministerium möglich, in dm Misiwachsjahreu ltt-w, l840 und 1844 den Ballern große Vorschüsse und Unterstützungen zukommen zu lassen. Es wnrden nämlich gewährt: an Korn: an Geld: 18H§ . . . 1,437,762 Ttschetwcrt, 2,129,475 Silbcnubel, 1341 . . . !M0,230 - 548,552 1842 ... 1,08tt,259 - 50,35? 1843 . . . 449,514 - — 1844 ... 453,80t» - 224,800 - 4,3A),5?1 Tschelwctt. 2,^53,244 Lllbcrrnbel. Schlägt man diese Zahlen zu denen der noch vorhandenen 5)02 Vorrathe im Jahre !84^», die wir oben bezeichnet haben, so kommt eine Totalsummc von l 2,9 l 0,00? Tschctwcrt Korn und 4,532,652 Rnb. Silber heraus. Diese von 739? verschiedenen Punkten (Zahl der Gemeinden) zusammen zu bringen, zu bewahren, zu verwenden und zu vertheilen, hat doch wohl große Mühe und Arbeit gekostet, nnd zeigt von der Thätigkeit der Verwaltung. Für die Gesundheitspflege der Bauern sind in den Reichs-domainen bis 1845 angestellt worden: 189 Aerzte, darunter 40 Veterinäre. Die Zahl der mit der Echnhpockcnimpfnug beauftragten und darin unterrichteten Individuen war 50^0. (5s wird deren bald in jeder Gemeinde eins geben. Für Ausbildung der Hebammen ist vieles und mit entschiedenem Erfolge geschehen. Anch Lazarelhe nnd Hospitäler sind errichtet, und hiebci kamen die Banern mit großer Bereitwilligkeit entgegen. In Folge der Negulirnng der Eristenz verschiedener, in den ReichSdomainen wohnender fremdartiger Klassen sind in den Krondörfern angesiedelt: verabschiedete Soldaten........13,232 Polowiuiki............ 88? Odnoworzi nnd Bürger der westlichen Gouvcrn. 4,74? Zigeuner............11,551 von den Odnoworzen abgegebene frcigclaufte Bauern............. . 3,023 Snmma 34,340. Von den Kronbauern sind in andere Klassen und Corpora-tioncn übergetreten von 1838 bis 1845: in gelehrte Fächer.......... 441 in die Geistlichkeit......... 785 in die Kaufmannschaft........l>,345> in Bürgerschaften und Zünfte......U',815 als freiwillige Malrosen in den ncurussisch. Gonv. 2,834 in das Postwcsen.......... 23 in das Bergwesen......... ft in den l^ivil-Staatsdienst....... 5' Summa 27,254. 503 Von den Wäldern, Weiden und öden Flächen, die dcr Krone gehören, ist znr Dotation der Bauern und durch sonstige Verleihungen vieles aus dcr unmittelbaren VerWallung des Ministeriums ausgeschieden, dadurch hat sich die Zahl der sogenannten Pachiartikel vermindert. Allein durch Ansmittlung dcS Umfangs und Werths durch Ordnung nnd Sparsamkeit haben sich doch deren Einkünfte uugemcin gehoben; vor 183« betrugen sic 598,980 Rubel Silber, 1845 dagegen 1,387,787 -also ein Plus von 78^,807 Rubel Silber. Vei dcr Reorganisation dcr Forstvcrwaltnng waren grofte Schwierigkeiten zn überwinden. Das Förstercorps bestand 1844 aus 221 wissenschaftlich gebildeten Ofsicieren. Die permanente Forstwachc bestand aus 1979 berittenen Forstwächtern und Schuhen zn Fuß. Eingriffe in das Kroncigenthum möchten wohl im Grosicn seitdem nicht vorgekonuucn sein. Dagegen sind <» 17,034 Dcssia-tincn Land und Wald, MM4 Bauern, 596,18? Rubel Silber Capitalien, 18 Häuser und 21 Mühlen von Privaten, die sie sich angeeignet, rcclamirt und laut gerichtlichen Spruchs der Krone zurückgegeben und erstattet worden. Die Waldfrevel und Brände sollen seitdem ebenfalls bedeu-icnd abgenommen haben. Dcr Schaden durch Fällungen und Diebstahl betrug 1840 noch über 700,000 Rubel Silber, dcr durch Braude 131,779 Rubel Silber; dagegen 1844 ersterer nur 184,097 Rub. Silber, letzterer 31,314 Rubel Silber. Vor Errichtung des Förstcr-corps sollen die Schaden, durch Fällungen und Brände verursacht, sich auf 4,312,000 Rubel Silber in cluem Jahre bc-laufcn haben. Eine völlig geregelte Waldwirthschaft ist versuchsweise in verschiedenen Gouvernements im Ganzen auf einer Waldfläche von 900,000 Dessiatinen organisirt worden. Dic Gcsammt-Einnahme von den Kronwaldnngen wurde früher auf 000.000 Rubel Silber bcrcchuct, sie betrug 1844 1,019,500 Rubel Silber. 504 Die begonnenen Baumpstanzungcn, das Aufsuchen und Bearbeiten von Torf und Steinkohlen halten bis ltt45 m,r geringe Resultate geliefert. Wir haben hier einen Ucbcrblick nber die Reorganisation der Krongütcr und ihrer Bevölkerung gegeben, n>n zu zeigen, daß man in Rußland sehr vieles kann, wenn man will. Seit l 20 Jahren hat man die Organisation der Krongnter und ihrer Bevölkerung ins Auge gefaßt, die häusig ernannten Comites haben Jahrzehnte gebraucht, um nur über die Grundlagen einer solchen Reform zu diskutireu, ohne einig werden zu können. — Der jetzige Kaiser hat einen raschen und entschiedcucn Entschluß gefastt, und binnen anderthalb Jahren wurden alle organischen Arbeiten, von dcr "Aufstellung, der allgemeinen Grundlagen an bis zu den geringsten Details des innern Mechanismus, von den Attribntionen des Miuistcriums bis zu den Obliegenheiten des letzten ZehntmauncS in den Dörfern herab, vollendet. Und wohlgemerkt es ist nicht der Knote» zerhauen worden, man hat nicht nach einer Schablone das Ganze ki'mstlich aber willkühr-lich geformt, nnd alle natürlichen und volksthümlichen Verhältnisse verletzt, und über eiuen Leisten geschlagen. Umgekehrt man hat vielmehr als Grundprincip festgehalten: Achtung vor den volksthümlichen Gebräuchen nnd Sitten, nnd bei dcr Ausführung nnd jetzigen Mrwaltnng stetS den Wahlsprnch: Gesetzlichkeit dcr Handlungen, streng im Auge gehalten nnd befolgt. Während nicht blos die vorstehende Abhandlung bereits lange vollendet war, sondern anch der Druck dieses Bandes etwa bis zur Hälfte vorgeschritten, erhielten wir den Abdruck des Berichts des Ministers der Krongüter an de» Kaiser für das Jahr !K5,0. Wir vermochten die daraus zu beuutzcndcn Notizen daher nicht au den betreffenden Orten einzuschalten, sondern geben sie hier 505 zusammen am Schluß. Sic gcbcn cincn Ucbcrblick dcr Bewegung in dieser unermeßlich wichtigen Branche dcr Staatswirthschaft Nnßlands. Dic ncne Organisation der Krongütcr besteht jetzt schon übcr 12 Jahre, nnd cS ist nicht mchr zweifelhaft, daß sie in jeder Beziehung einen neuen Znstand der Dingc begründet hat. Das ganze gebildete nnd halb gebildete Nnßland hat Anfangs mit mißtrauischem Angc, mit Widerwillen und Widerstreben diesem Orgcmisiren und Formen zugesehen. Abcr auch die Bauern habcn nur ungern sich dem Neuen gefügt; doch uach acht russischer Weise, nachdem sie es einmal als unabwendbar erkannt, sich dann bald in daS Ganze gcfnndcn, und überall gestrebt nnd sich schon vorgesehen, wie man am besten sich alle diese zum Theil nencn Formen hübsch bcqucm legen und erleichtern könne. — Dic ganze Organisation beruht auf gerechten, ich würdc sagen auf wahrhaft freisinnigen Principien, wäre daö schöne edle Wort nicht so mißbraucht und verbraucht! — Dabei hat man mit Mildc, Ruhe, abcr auch mit Festigkeit und mit Einsicht verfahren; so wird ihm denn Gott seinen Segen nicht entziehen, nnd eS wird zur Wohlfahrt Nußlands und dcS russischcu Volks beitragen! ?cr »i^nl» ucl astr»! Man wird den hier folgenden Ziffern und Zahlen übcr die Fortschritte in allen Branchen dcr Verwaltung wahrscheinlich den Vorwurf machen, daß es eben statistische Zahlen, deren Wahrheit man für Rußland nie verbürgen könnc. Wir gedenken auch nicht die Bürgschaft für die einzelnen Zahlen zn übernehmen. Allein es beginnt doch in Nnßland sehr schwer und gefährlich zn werden, dem Kaiser die Unwahrheit zn sagen. Dcr Minister hat gewiß das Möglichc gethan, nm dic Richtigkeit dcr Zahlen zn konstatiren, die dem Kaiser vorzulegen waren. Daß der Minister dcnnoch von seinen untergebenen manche falsche Zahl^ erhalten habcn mag, ist wahrscheinlich, abcr wenn anch jcdc cinzclnc Zahl nnsichcr sein »nag, im Großen nnd Ganzen und in ihren Folgcrnngen sind sie dennoch, wie kanm zn zweifeln, wahr, nnd gcbcn cin richtiges Bild dcr vorhandenen Inständc. 50tt Die Gcsammtsiäche dcs dcn Kronbaucrn zur Benutzung übcrwicscncn Grund und Bodens betrug 1850: 80,390,00 l Dessiatiucn (circa 1li,000 ^Meilen!). (5>? wurden in diesem Jahre vermessen und katastrirt 3,450,743 Dcss., so daß nun im Ganzen 35,254,080 Dcss. vcrmcsscn waren (1845, wie oben angeführt, erst 21,939,343 Dessl^tincn!). Dic Zahl der vorhandenen Kron-Pachtartikcl betrug in diesem Iahrc 10,302. Es waren seit 1849 394 hinzugekommen. Diese sämmtliche Pachtartikel brachten 1837, bei Errichtung dcs Ministeriums, der Krone 8 »9,918 Rubel Silber ein, gegenwärtig aber 1,677,995 Nbl. S. Die Zahl der Gcmcindcpachtartikcl beträgt jetzt 2l,479. Sic hatten sich im Iahrc 185,0 gcgcn 1849 vcrmchrt um 30». Sie brachten 1837, bci Errichlung dcs Ministeriums, cm ,03,000 Nbl. S., jetzt abcr -1850 002,958 Rbl. E., also das 0 fache dcs frühcrcn! Dic Anordnungen zur Beaufsichtigung der Wälder nud cincr regelmäßigeren Forstwirthschaft schritten vorwärts. Im Bestände dcr Waldcr gingcn fortwährend Veränderungen vor. (5s wur-dcn Kronwäldcr dcn holzbcdürfligcn Gemeinden überlassen, es kam abcr auch Zuwachs durch Vcsaannmg und Bepflanzung, durch Reklamation von Privaten, dic sich früher Kronwäldcr angemaßt, dnrch Cousiscirilng :c. Im Lanse dcs Jahres 1850 waren 153,028 Dcss. hinzugekommen. Dcr Gcsammtbcstand war jctzt 115,495,430 Dcss. In 4448 Gemeinden waren die Grenzen dcr Wälder völlig rcgulirt und festgestellt und schlössen »4,509,721 Dcss. cm. Von reitendcn Waldschntzwächtcrn warcn 209 nen eingesetzt. Im Ganzen waren 2580 Schutzwächtcr zu Pfcrde nnd zn Fnß angestellt vorhanden, nnd bäuerliche Wachter 38,295. Man hatte schon seit einigen Jahren angefangen in dcn Wäl-dcru sclbst Forstschutzlcutc mit ihren Familien anzusiedeln, da dcr Schutz durch jene bäuerliche Schutzwachc sich nicht schr wirksam zcigtc, in dicscm Iahrc warcn 118 Familien dcr 'Art angesicoclt, im Ganzcn bis jctzt 1333 Familien. So wic dicß Institut fortschreitet, wcrdcn voil jcncu bäuerlichen Echutzwäch- 50? tern iminer mehr entlassen. Im Ganzen waren bis jctzt bci 2,941,9W Dess. Waldfiächc (5 biS 000 lUMeilm) eine regelmäßige und geordnete Forsiwirthschaft eingeführt. In den ganz waldlosen Steppen Eüdrnsilands waren denn doch jctzt auch schon allmälig 7704 Dess. (über iz ^ Meile) besaamt und angepflanzt, nnd scheinen zn gedeihen. Die Einkünfte ans den Wäldern, welche bei Entstehung des Mimsterinms 1637 nur 603,074 Nbl. S. betrugen, betragen jetzt 1,1W,0l»3 Nbl. Silber, darunter waren 8!)2M3 Rbl. S. für Waldproduktc (Echiffbanholz?), die ans Ausland verkauft waren. ES waren in den Krondörfcrn 1650 64 neue Kirchen und 67 Kapellen gcbauet, im Vanc begriffen !)0, ausrcparirt 1t>5. Die Vanern brachten dazu ans 1.')l),^>8 Nbl. S. Die Krone schenkte dazu 142,75).'i Nnbel Silber. Die Landdolation der Popen ward hin nnd wieder vermehrt, im Ganzen 1650 um 818 Dcssiatinen. C'S bestanden jetzt 2642 Schnlen unter Leitung der Popen mit 85,227 Schülern, darunter waren 476 l weiblichen Geschlechts, etwas in früherer Zeit wohl Unerhörtes! — Es kamen jetzt 5 Schüler auf 1N00 Seelen, in den deutschen Colo-men freilich 2l3 Schüler auf 1000 Seelen. — Merkwürdig ist die Zunahme nnd Frequenz der Schnlen bei den mahometha-nischcn Tataren, und ihre allmäligc Annäherung an die russischen Sitten, so daß sie sogar anfangen, ihre Mädchen in die Schnlcn zn schicken. Es bestanden bci ihnen 1A4 Schulen mit 3227 Schülern, unter denen sich 580 Mädchen befanden. Bci den Nogai und den Kirgisen, und neuerdings auch bci den Kalmücken, hat man angefangen Schnlen zn errichten, nm die russische Sprache etwas mehr unter ihnen zn verbreiten. Das nen eingerichtete Gemeindegerichtswesen gedeihet zusehends, und nimmt an Umfang und Popnlarilät zn. Es waren 1650 bei diesen Gerichten 5l»,64l) Privathändel eingeklagt (10,545 mehr als 184N), von denen 3531 durch Vergleich, die andern durch das gesprochene Urtheil abgemacht wurden. Es wnrdcn 77,343 Individuen (12,!4N mehr als 164!» bestraft. Wegen Verschwendung und liederlicher Lebensweise wurden 372 Individuell unter Tutcl gesetzt. 508 Für planmäßigen Umbau der Dörfer und zweckmäßigere Anlage und Einrichtung der Gehöfte und Bauernhäuser ist seit einigen Jahren viel geschehen. 1850 waren 917 Pläne fi'ir zweckmäßigere Dorfanlagen ausgearbeitet, nach diesen sind 493 Dörfer wirtlich gebauet und eingerichtet worden (wohl dlirch Fcucrsbrüuste niedergebrannte?). In 135 Dörfern wurden die Gehöfte, die zu nahe znsammcn standen, weiter anseinander gerückt. Es wurden statt dcS bisherigen reinen Holzbaues (Block-hänscr) 374 Banerhanser von Backsteinen anfgebanet, nnd 500 von Lehmsteinen, lim den Bau von Backsteinen besonders bei Schornsteinen zu erleichtern nnd'zn verbreiten, wurden aus kaiserlichen Ziegeleien 4,128,414 Ziegel- und Backsteine an die Bauern umsonst abgegeben.' Des trocknen Sommers halber waren hanfige Fcnersbrünste. ES brannten nieder 10 Kirchen, l)6 Gcmcindegcbände, 20,471 Banergehöfte, geschätzt zum Werchc von 3,571,494 Rbl. S., mehr als 1849 um 482,410 Ml. Die Krouc gewährte dazu eine baarc Geldhülfc von 537,991 Nbl. und Holz in Natura. — Das nene Gesch über die Assccnranzen ist in einigen Do-maincn verschiedener Gouvernements bereits eingeführt, und scheint zweckmäßig, es wird bald eine allgemeine Vcrbreituug finden. Es erlaubt jedem Wirthe sein Hans zu ^ des Werths zu vcrassccuriren. Die Prämie beträgt ^ Kop. z>so Rubel (ctwaö hoch!). In 17 Gouvernements war in diesem Jahre die Erndtc cbcu hinreichend gewesen. Die 4 Gouvernements Iekatarinos-law, Saratow, Pensa und Niasan hatten aber schon die dritte Mißerndte. zu erdulden. Man mußte außerordentliche Mittel ergreifen, um die Aussaat zu decken. Es wurden demnach aus den Magazinen umsonst 147,949 Tschetwert verabfolgt, und leihweise 927,870 Tschelwcrt, und außerdem Getreide zu den niedrigsten Preisen, für 2,153,038 Nbl. S. In den Gouvernements Saratow, Pensa und Nasan wurde des schwierigen und kostbaren Transports halber von der Krone noch eine Beihülfe von 282,204 Rbl. angewiesen, wovon aber nur 44,31? Rllbel verbraucht wurden. Am 1. Januar 1851 waren in den Gemeinde-Magazinen 509 wirklich vorhanden 9,742,37? Tscheiwcrl salfo dennoch 383,14« Tschetwert mchr als !849), und an Gcldkapital 2,910,878 Rbl. (758,0 lt) Rbl. niehr als l849). — Es warcn iu diesen, Jahre erbauet 3l steinerne und 81 hölzerne Gemcindcmagazine. 205 warcn im Bauaugriff. Der Kostenanschlag betrug 15,5,550 Rubel. Im Ganzen waren vorhanden nach den nenen Plänen erbauet 2113 noch nach alter Art vorhanden l541 Summa 3l>.)4 Zum Van von Magazinen war ein Kapital disponibel von 870,748 Rbl. S. Für die Gesuudheitspssege der Kronbaneru warcn 194 Aerzte und 315 Fclrscheerer angestellt. Individuen, die impfen konnten und dazu verpflichtet warcn, gab es 5ttti5, und eö warcn 685,002 Kinder geimpft. Der Hebammen warcn 610. Unterricht im Impfen und den allgemeinen Grundsätzen der Fcld-schccrknnst erhielten 927 Schüler. Den Hebammen-Unterricht erhielten 33. Vctcnnairschulen bestanden 104. Für Gemüths-kranfe, Blinde, Taube und Krüppel sind 399 Hospitalanstaltcn vorhanden, in denen gegen 24,000 derselben eine Unterkunft finden. Die Verwaltung hat die Sorge für die Waisenkinder ihrer Bauern ins Auge gefaßt, sie hat überall Tutclcn derselben eingerichtet. Es bestanden deren l850 31,076 (in stets steigendem Maße, denn 1849 warcn deren 1774 weniger) und über 69,855 Waisenkinder. Es ward deren Vermögen verzeichnet und in Schutz und Sicherheit genommen, uud geschätzt auf 2,074,832 Rubel Silber, von welchen l,304,6?7 Rubel Silber Gcldcapital war. Die Verwandlung der Kopfsteuer in eine Grundsteuer schreitet machtig vor. In den acht Gouvernements: Petersburg, Woronesch, Tambow, Pensa, Orel, Tula, Riasan, Kursk, ist sie bereits seit 1849 völlig vollendet und eingeführt. Für 1851 waren alle Arbeiten vollendet, die Beträge festgesetzt und bedürfte es nur der definitive,: Einführung iu die sechs Gouvernements Moskau, Pskow, Iekmannoslaw, Chcrson, Charkow und Smolensk. Man hofft, daß bei der nächsten VolkSrcvision 510 ill Rußlaud die völlige llmwaudlung der Kopfsteuer in cine Grundsteuer vollendet sein wird. Die Verwandlung der Frohudeverhältnisse in Pacht- oder Obrofvcrhältnissc bei den Kronbaucrn in dm westlichen Gouvernements nähert sich ihrer Vollendung. Im Jahre 1850 waren abermals 40,030 Frohndcbauern in Obrokbancrn verwandelt, so daß von circa 000,000 Seelen bereits 537,385 Seelen m diesem günstigeren Verhältnisse standen. Auch in den Ostseeprovinzen war abermals bei 4200 Seelen daS Pachtsystcm eingeführt; es gab dereu gegenwärtig 12,41? Seelen daselbst. In den polnischen Provinzen waren die Vcrhältuisse nach den Inventarien nnd in den Ostsceprovinzcn nach dcn Wackenbüchcrn geordnet. In Folge dessen wurde denn auch in diesem Jahre dcn dortigen Bauern 18,311 Dcss. Land mehr zugetheilt. Man berechnete, daß durch Abschaffung der Naturalabgaben deren Lasten sich um 2«, 127 Rubel oder 2! Proccnt vermindert hatten. Dennoch hatten die öffentlichen Einnahmen um 24,917 Nubel zugenommen. — Daß diese Umwandlung in Qbrokbauern für dieselben stch günstig gestaltet, möchte sich wohl daraus ergeben, daß sie mit Leichtigkeit den Pachtzins aufbringen und daß sich ihr Vichstand zusehends vermehrt und verbessert. Derselbe war auf eine Zahl von 2,201,810 Stück Vieh (darunter 70,350 Stück Hornvieh) gestiegen, nnd hattc während des Jahres l850 allein um 203,080 Stück zugenommen. Auch in dcu Centralgouvcrnemcnts sind in diesem Jahre den Bauern wieder 105,31!) Dess. zugelegt. Aus den Gemeinden, wo zu wenig Land auf die Seele fiel, sind 1038 Seelen als Colonisten in andere Gegenden versetzt und angesiedelt; auch siud die uölhigcn Anstalten znr Aufnahme von 0550 neuen Colonistcn getroffen. — In dcn Kalmückcnsteppcn, wo man an den großen Straßen Ansicdlungen (Kalmücken und Nüssen gemischt) begonnen, sind in diesen, Jahre 54 Kalmückenfamilien nnd 259 russische Familien zusammen angesiedelt worden. Im Ganzen möchten diese gemischten Colonieu jetzt 1000 bis N00 Familien zählen. In dcn westlichen Gouvcruemcnts Ill sind auch in diesem Jahre 980 Juden als Ackerbauern angesiedelt. Von Leibeignen dcr Odnoworzcn sind freigckauft «nd aus Kronland angesiedelt 532 Seelen, von Polowimkis sind 123 Seelen in Krondörfcrn aufgenommen, von Zigeunern 203 Seelen. Desgleichen sind eine Anzahl niederer Beamten und Soldaten in den Krondörfcrn aufgenommen. Trotz dcS ungünstigen Jahres warm die Anssaatcn des Getreides :c. gegen 1849 um 392,000 Tschetwert gestiegen und betrugen in Summa 21,928,989 Tschctwert. Die Grndtc war auf 57,993,795 Tschctwcrt berechnet, also über 12 Millionen Tschctwcrt weniger als 184!). Die Kartoffelkrcmkheit grassirtc auch in Rnsiland, dadurch ward das Zutrauen auf diese Frucht vermindert. Im Jahre 1850 war dic Erndte l8,l08,?92 Tschciwert (mehr als l«4ll um 354,401 Tscheiwert). Es bestanden in den Krondörftrn 498« Fabriken (also 475 mehr als 1849). Hausfabrikalwnen bestanden gegen 3000. Dcr Werth der Fabriksvrodlicte war auf 9,4<;3M4 Rubel Silber berechnet (1849 abcr ans 11,t>5l>Mj Nubcl). Auf den Bazars und Märkten dcr Krondörfer wurden für 24,094,770 Nnbel Waaren umgesetzt l ctwa für 1^ Millionen weniger als 184!»). Pafworlc zum Wandern und zum Handeln sind für dic Summe von 555,519 Rubel ausgegeben (etwa ^ mehr als 1849). Es wurden 1850 wieder 11 ncnc Dorfbankcn oder Hülfs-lassen gestiftet. Es bestanden nunmehr 515 Banken oder Hülfskassen und 1l»2 Assemranzkassen für die Kronbaueru, welche in diesem Jahre 1,020,235 Rubel im Verkehr umgeschlagen haben (193,439 Rubel mehr als 1849). — Die im Jahre 1843 gestifteten Gcmemdckapitalc hatteu sich 1850 um 1,692,015 Nlibcl Silber gehoben (also mehr als 1849 um 324,76U Nnbcl). Sie betragen jetzt I »,534,344 Rubel. — Die von dem Gouvernement gesammelten Capitalien blieben auf demselben Punkte wie 1849. Dic gestifteten landwitthschaftlichcn Lehranstalten und Institute nehmen an Umfang und Einfluß zu. Die Zahl dcr 5!2 Schüler vermehrte sich 1850 gegen 1849 um 130. Im Ganzcn warm 1037 Schüler vorhanden. — Es waren auch Ausstel-lungcn ländlicher Product? vcraustallet an fünf verschiedenen Orten, wo 5230 Gegenstände ausgestellt waren. Daß cS nicht an Prämien, goldenen und silbernen Medaillen fehlte, versteht sich von selbst. ^ Die Anschaffung neuer agronomischer Werkzeuge und Instrumente nahm nicht unbedeutend zu. Wiesenbau mit Bewässerung und Ucberricselung war eigentlich nur in den Ostsceprovinzcn bei den dortigen Gutsbesitzern verbreitet. Doch hat man sie auch auf ? Krougütern mit Erfolg eingeführt und in l', anderen begonnen. Der Tabaksban nimmt in Quantität und Qualität zu. In der Krim ist die Zahl der Bauern, die sich mit diesem Van beschäftigen, gegen 1849 um das 5 fache gestiegen. Das Gouvernement hat Saamcu aus der Türkei und Nordamerika kommen lassen, um bessere Sorten zu verbreiteu. Seitdem hat die Importation von fremdem Tabak sich bcdcutcud vcrmiudert, währeud doch der Gebrauch nnd das Rauchen bedeutend zunimmt. Im Jahre 1840 war die Importation 165,459 Pud. 184? - - - »60,363 - 1848 - - - 145,578 - 1849 - - - 135,214 - Der Weinbau in der Krim blüht unverkennbar auf. Die dortigen Weine werden zum Preise der mittleren Sorten der mit ihnen correspondircndcn ausländischen Weine verkaust. Auch in Cherson und Podolien nimmt der Neinbau zu. Auch der Seidenbau nimmt allmählig zu, neuerdings in Klemrusiland. Der zunehmende Gartcnban äußert einen unverkennbaren Einfluß ans Sitten und Gewohnheiten des Volks. In vielen Dörfern findet man schon Gcmeindcgartcn. Auch der Van der Oelgcwächse und der Färbekräutcr scheint sich an einigen Orten zn heben. Die Pferd czncht ist eine der wichtigsten Branchen der landwirthschaftlichen Cnltnr Rußlands. Sie war so wie das kaiserliche Gestütwescn dem Ministcrio der Krougütcr ncucrdiugs 5l3 untergeordnet worden. Ein Reglement vom 28. Juni 1850 ordnete die ganze Angelegenheit. Die Kosten der allgemeinen Verwaltung des Gcstütwcscns hatten früher 65,000 Rubel Silber betragen; sie hatten sich 1850 auf 33,000 Nnbel vermindert. Die Ausgaben der Anstalten selbst hatten sich von 392,000 Nnbel ans 314,000 Nubcl vermindert. Es bestanden 7 große kaiserliche Gestüte: 1) Das Tschcßmcr Gestüt, wo englische und orientalische Pferde gezogen wurdm. 2) Das Chrenower Gestüt, für Reitpferde nnd Traber, die in 3 Gattungen zerfallen: ») die Zucht der Reitpferde aus dem früher Orlowcr Gestüt, ungemischt. !)) Traber in voller Reinheit, o) Reitpferde bester Incht vermischt mit Rostopfchincr Zucht. 3) Das Derkulcr Gestüt, zur Iucht vorzugsweise von Cuirassicrpfcrdcn bestimmt. 4) Das Strelitzcr Gestüt, znr Zncht leichter Cavallcrie-pferde bestimmt. 5) Das Novo - Alerandrowcr Gestüt, wo besonders Ca-rossicrs gezüchtet werden. 0) Das Lim are wer Gestüt, für leichte Ing- und Artil-lcritftfcrde. 7) Das Potschinkowcr Gestüt, für die Zucht schwerer Arbeitspferde und leichter Vaucrnpferde. In sämmtlichen Gestüten war am 1. Iannar 1851 ein Bestand von 0291 Pferden, bei denen 1440 Stallknechte angestellt waren. Es waren in dem Jahre verkauft 643 Pferde für 64,453 Rbl. S. — In Syrien waren durch den Gencralconsnl Vasili 1 Stnte und 5 Füllen der allerbesten arabischen Ra^c angekauft, die mit den Transportkosten ans 610! Rbl. S. zu stehen kamen. Man hatte überall in den Krongemcinden Ställe eingerichtet und Hengste aufgestellt, um bessere Pferdezucht zu verbreiten. In 24 Gouvermmcnts waren 1335 Hengste in diesen Gc-mcindcställcn aufgestellt, welche 25,180 Stuten bespruugen ha- l". 33 514 ben. In dm 7 Iahrcn, scitbcm die Gemeindeställc gestiftet worden, sind 139,000 Stuten bedeckt worden. Die Erhaltung dieser Gcmcindeställc kostete 1850 252,203 Rbl. S. Man hatte für jedes Gouvernement die dort passenden und sich besonders artenden Hengste ausgesucht. Es waren auch Prüfungen und Wettrennen veranstaltet. Venn Wettrennen waren Verglcichungen zwischen russischen und englischen Pferden angestellt. Der Sieg schwankte, in Moskau schlugen die englischen Pferde die russischen, indent sic im Winter, in der Troikc gespannt, 10 Werst, 22 Klafter in 19 Minuten 25 Sekunden, und im Sommer 30 Werst in M» Minuten liefen. In Petersburg siegten dagegen die russischen Pferde; hier liefen diese im Winter 10 Werst in 18 Minntcn 52 Sekunden, nnd im Sommer bei Zarsko-selo 20 Werst in 42 Minuten 42 Sekunden. Die Anordnung und Einrichtung eines Ministeriums für die Krongütcr und die durch dasselbe bewirkte Organisation der von der Krone abhängigen Hälfte des russischen Bauernstandes, die Gewährung von festen Institutionen und Formen für die gouvcrncmentalc, wie für die volksmäßige Verwaltung, vor Allem aber das offene Aussprcchen, die feierliche Festsetzung und Anerkennung des großen nationalen Ncchtsprincips der Freiheit und Unabhängigkeit der russischen Gemeinde, als der achten Grundlage der ganzen Volksvcrfassnng, ist das größte Factum, welches Nußland seit Peter I. erlebt hat. Es ist ein Ercigniß, dessen Zukunft nnd Tragweite völlig unberechenbar ist. Es ist eine wahrhaft organische in sich gerundete Gesetzgebung, die man wohl ein Paroli nennen könnte, gegenüber der hohlen nichtigen Eonstitutionsmachcrci ans dem übrigen Continente Europas. Aber sie tritt nicht mit hochmülhigcm Pomp auf, verkündet nicht, wie eine (^urte-virile, daß sie daS ächte Unterpfand für das bürgerliche Heil und die Wohlfahrt des Menschengeschlechts sei. Sie bereitet nur die Erde für eine künftige Erndtc, sie legt nur die unscheinbaren Keime, und hält 515 ihre schützende Hand darüber, damit sie von der Natur selbst, von Luft und Sonne gepflegt, der Iuknnft, den folgenden Ge-mrationcn zu gute kommen. Die Feststellung von Ncchtsprincipien nnd Normen, die Organisation der Verwaltung von Unten nach Oben, umfaßt jedoch bisher nur eine, die kleinere, Hälfte der Dorfgemeinden. Die Verhältnisse der zweiten Hälfte hicmit allmälig in Harmonie zn stellen, ist die zweite große Aufgabe für das Gouvernement. Daß das Gouvernement die Nothwendigkeit hicvon gar wohl begriffen hat, und thatsachlich einzuschreiten gedenkt, zeigt der Ukas vom 2. April 1842 und mehrere seitdem erfolgte Verordnungen. Das Gouvernement hat in demselben sich gehütet, vorhandene Rechte willkürlich zu verletzen, es hat nur einen Weg angewiesen, Normen festgesetzt, daß die Parteien sich auseinander setzen können. Auch hier hat es einen großen Nechtsgrundsatz ausgesprochen, der dcrciust, aber natürlich nur allmälig eine gewichtige Folge haben muß. Dem Principe dxr Leibeigenschaft nach besitzt nämlich der Leibeigene kein eigenthümliches Vermögen; dem Herrn gehört Alles, nnd dieser hat nur die Verpflichtung, den Leibeignen n l^m« aufgehoben wird. Eine solche Aufhebung hat in den Ostsee-provinzcn, dcm ewigen Probcland für die Gesetzgebung Rußlands, nichts weniger als günstige Resultate gehabt, und man arbeitet dort noch stets daran, einen nur einigermaßen sichern socialen Zustand zu begründen. Für Nußland würde eine solche Aufhebung eine Kalamität voy, unberechenbaren Folgen werden. Wenn durch die Gesetzgebung festgestellt würde, daß gewisse Klassen oder Kathegorien von Leibeignen (vorläufig mit Ausschluß der Ackerbauern), Kaufleute, Handwerker, Fabrikarbeiter:c. das Recht haben sollten, nach gewissen Zeiten, unter bestimmten Bedingungen, sich loskaufen zn dürfcu, so wären die Grundlagen der künftigen Rechtsverhältnisse hinreichend gelegt. Man mag es dann der Zeit überlassen, daß sich das Volk allmälig hineinlebt. Anders steht es mit der physischen Lage der Leibeignen, und namentlich mit der Haufttbasis ihres socialen Lcbcns; mit ihrem Hanptgcwcrbe, mit dem Ackerbaue. Hier wird ein Einschreiten von Seiten des Gouvernements von Tag zn Tage eine dringendere Nothwendigkeit. Wir haben oben gesehen, welche Sorge das Gouvernement verwendet, um den Landbau nach allen Richtungen hin bei den Kronbauern zu heben. Das Beispiel allein wird aber wohl noch keine bedeutende Nachcifc-ruug von Seiten der Privalhencn erwecken, cs werden wohl legislatorische Maßregeln nothwendig werden, um den» durchaus nothwendig gewordenen Fortschritt des LandbaueS in ganz Nnß-land uud bei beiden Klassen der Bauern, dcn Kronbanern und Privatbaucrn, harmonisch hervorzurufen und zu leiten. 517 Wir haben schon angeführt, daß dcr Landbau ubcrhanpt in Rußland auf niederer Stufe steht. Der Nationalgeist des russischen Volks hat keine Vorliebe für den Ackerbau und dessen gleichmäßig schwere Arbeit. Es fehlt überall an Wiesen, den Futtcrkränterbau kennt man nicht, daher keine hinreichende Viehzucht, keinen Dünger. Man bearbeitet den Boden nur sehr leicht, düngt wenig, saugt ihn vollständig aus.^) Da früher dcr Wald im Ucbersiuß und im Uebermaß vorhanden war, so ließ man dann den ansgcsaugtcn Boden liegen, brannte eine Flache des Waldes nieder, nnd banetc darauf wieder Früchte, so lange es gehen wollte, woranf, wenn auch dieser Boden ausgesaugt war, wieder neuer Waldboden in Ackcrcultur gezogen wurde. Indircet hat da«? seit mehr als 20 Jahren erwachte, angeregte, begünstigte nnd jetzt weit vorgeschrittene Fabrikwescn viel dazu beigetragen, daß der Ackerbau überall zurückgegangen. Dcr Ackerban gewährt im Innern Rußlands kcinc Bodenrente, man treibt ihn also nur, um die unmittelbaren Lebensbedürfnisse der Familie zn befriedigen. Ware nun auch llcbcrschuß der Grndte, er gewährt doch keinen Werth, der mit der auf den Allbau verwendeten Mühe und Arbeit in einem angemessenen Verhältnisse stände. Ich habe schon an einem andern Orte gesagt, daß in reichen nnd daher wohlfeilen Jahren der Preis eines Scheffel Korns kaum den eines einigen Tagclohns erreicht. Allein dcr russische Bauer muß Geld schaffen für die Abgaben an die Krone nnd den Herrn. Daher das merkwürdig rasche Anf-blühcn der Fabriken aller Art, sie kamen dcr Befriedigung mächtiger Bedürfnisse des Volks entgegen. Fabriken gedeihen sonst nur in übervölkerten Gegenden, aber hier anch ausnahmsweise im menschenarmen Nnßland. Dcr Nnsse liebt dicsc leichte Arbeit, er hat viel Geschick dazn, und sic gewährt ihm die unab-weislich nöthigen Geldmittel, wie natürlich daher, daß er sich mit Hast und Frcnde zu ihr drängt! Wie natürlich also, daß ') Im Gouvernement Tula gewährt im Allgemeinen ein tresslicker Boden, dcr 12, ja 15 und mehr Korn bei hinreichendem Dünger nnd sclgfältiger Vearbcitnng tragen würde, oft kanm das vierte Korn. Zl8 der Ackerbau auf die Befriedigung des Allernothwendigsten beschränkt wird, daß außer lzu dieser Deckung ihm alle Hände enl verpachten, mitunter auf 99 Jahre. Diese Gentleman Farmers, dcnen oft ein in den Grund und Boden verwendetes Mcliorationskapital gehört, welches dem ursprünglichen Kapitalwerth des Bodens fast gleichkömmt, sind mehr als Associös der Grimdcigenthümcr zu betrachten, denn als Zeitpachter. Sie repräscntiren und verfechten stets dieselben materiellen Interessen, wie die Laudaristokratic. *') Der eigentliche Ackerbau möchte wohl im Allgemeinen am höchsten in Schottland stehen; dagegen steht die Viehzucht, die Züchtung der Raceu ic. am höchsten in England. — Irland darf man in dieser Beziehung nirgends in Betracht ziehen, es ist die I'urtiv Kontos des l'nttifchcn Ncichs, der merkwürdigste bedaucrnSwerthcste Gegensatz zu England. 526 mit Energie und rasch zum Ziel zu führen. Da trat cm großes politisches Ercigniß ein. Wahrend des Kriegs mit Frankreich war die Nationalbank Englands in einem kritischen Augenblicke durch den Iudraug auf Vaarzahlung auf den Punkt gekommen, sich insolvent erklären zu müssen. Da griff Pitt zu dem heroischen Mittel, der Bank jede Zahlung zu verbieten. Das rettete damals England. Während aber so das Herz Englands vor einer Ausströmung und Vcrsiegnng des Bluts geschützt wurde, begann dagegen die größte Thätigkeit des Blutumlaufs in allen, selbst den kleinsten Adern dcS mächtigen Körpers! Man gab das Privilegium der Privatbanken mit Papiergeld. Binnen wenig Jahren cnstanden über 700 Banken. Zwischen 1820 und 18A6 waren 89 Acticn-Banken mit 453 Filialen, mit einem Kapital von 5 Millionen Pfd. Sterling*) gebildet worden. Dadurch bewährte sich der staatswirthschaftliche Grundsatz, daß der Credit wahrhaft das Geld und Reichthum schaffe und rcprascntire. Die Nutzanwendung der vorstehenden Vetrachtnngen und Notizen in Bezug auf Nußland liegt sehr nahe. Rußland ist m der glücklichen Lage, nach beiden Principien und Systemen gleichmäßig und combinirt verfahren zn können, seine autokralische Verfassung gestattet, mit der Aollgcwalt der monarchischen Herrschaft einzuschreiten und anzuordnen, wie es die Herrscher der alten asiatischen Monarchien thaten, seine socialen organischen Gliederungen sind aber auch dergestalt con-stituirt, daß es wie England durch seinen Adel jene Verbesserungen im Landbau, uud überhaupt desscu Förderung ausführen lassen kann, nur etwa die oberste Lcituug und Aufsicht sich vorbehaltend. Wie in England gilt in Nnßland der Grundsah, daß aller Grund und Boden eine Vcrleihuug des Zaaren sei, in letzter Instanz ihm gehöre. Wie in England ist in Rußland der Adel ") Vill. Vom Ackerbau und von dem Zustande der den Ackerbau betreibenden Klassen m Gn'ßbritianicn u»d Irland. Aus;ügc ans beu amtlichen Untcrsnchmigen und Atten, vom Parlament veröffentlicht. Wien bei Gcrold. 1846. 52? der fast einzige Besitzer des Grund und Bodens, dort durch die Fügung der Umstände, hier sogar gesetzlich. (In England ist freilich das Krougut an Grund und Boden unbedeutend, während cs in Nußland die Hälfte bildet.) Der russische gründ-besitzende Adcl bildet in jedem Gouvernement cine geschlossene und fest und wohl constituirte Körperschaft. Es siud demnach alle Grundlagen vorhanden, anf welchen sich Associationen, Aktiengesellschaften, selbst Handels- und Ge-wcrbscorporationcu bildeu könnten, um großartige Meliorationen im Landbau, Chaussee-, Kanal- und Eiscnbahubautcn auszuführen, und die Productc deS LandbaucS mii den Fabrikationen in Verbindung zn bringen, auszuführen, zu verwerthen. Der russische Adcl ist hinlänglich zu solchen Geschäften durch seine Bildung befähigt, oder wird sich doch leicht hierin finden, er ist dabei von den Vorurthcilen des westeuropäischen Adels gänzlich frei, der sich meist überall hochmüthig von Haudel und Gewerben abwendet. Die Vcschäftiguug mit dem Landbau mnß alle seine geistigen Interessen wecken, ihn anspornen, sich mehr in-tcllcctucll und zugleich practisch auszubilden, da er bald die Einsicht gewinnen wird, wie dieß seine materiellen Interessen fördert. Er wird dann nach einigen Jahren des Staatsdienstes, welche nun einmal jeder russische Adlige wie eine Schnlc des Lebens durchmachen muß, sich auf seine Güter zurückziehen und sich dem Landbau, der edelsten Beschäftigung des Menschen, *) mid seinen verwandten Gewerben ergeben. Daß eine solche für daS gemeine Wohl wie für ihn selbst nützliche Thätigkeit, den russischen Adcl vor Trägheit und Faulheit im Leben und ihren ') Die Arbeiten des Landbaues, auch dic schwersten, nnmren niemals den mensä'licken Geist, verderben nie seine sittliche Haltung, umgekehrt erhebe» ihn. Gs liegt anf ihnen jener nralic gottliche Se^cn'. Allci» dic Fabrifarbeiteu, in ihrem öden trocknen Mechanismus, ruiniren den menschlichen Geist, verthicrcn ihn mehr und mehr, de-moralisiren ihn, und schwächen auch die physischen Kräfte. Die Gr-fahrung zeigt uns überall die Fabrikbcvrlkerung dcmcralijut, entnervt, verkümmert. — Dieß ist ein Punkt, den man bei der russs-schcn Vanernbcvolkcrung, welche man zn Fabrikarbeitern umgewandelt hat, nvch keineswegs fest ins Ange gefaßt hat. 528 Folgen, und vor dcr leeren Vuhlcrci mit den modernen politischen Ideen nnd Richtungen bewahren wird, ist anch eine nicht zn verachtende Folge. Um die hur angedeutete Richtung nud Anregung bcim russischen Adel ins Leben zu rnfcu, wird eS fast uur des bestimmt ausgesprochenen Wunsches des KaiftrS und etwa dcr ernsten Anmahnung von seiner Seite bedürfen, lind wenn dann nnr das Gouvernement die etwa vorhandenen Hindernisse aus dem Wege räumt, die nöthigen Hülfen und Privilegien für Meliorationscompagnicn, Actien- nnd Handelsgesellschaften gewährt, wenn das Gouvernement sich dabei so weuig wie möglich direct einmischt, sondern nnr die oberste Leitung und Aufsicht behält, so werden sich, davon sind wir überzeugt, die Sachen und Verhältnisse ganz von selbst bilden. Da die Krongütcr überall mit den Privatgütcrn gemischt liegen, so müßte das Ministerinn: der Krongütcr sich wohl, aber namentlich bei den Mcliorations-Untcrnehmungcn, Kanalbauten, Bewässerungsanlagen :c. für die etwa in dem Kreis derselben gelegenen Güter bcthciligcn und an den Kosten wie den Vortheilen Theil nehmen; natürlich ganz wie in einem Privat-vcrhältnisse. Dies scheint nns der einzige Weg zn sein, der sicher nnd rasch zum Ziele führen wird. Daß die Krone aber sclbststandig und selbstthätig so colossale Unternehmungen beginnen und dnrch-führen wollte, scheiut nns unpraktisch; es ist dies fast noch überall in Europa entweder mißlungen oder doch nnr mit einem Aufwaude von Geld nnd Kräften gelnugen, der mit den Resultaten in keinem Verhältnisse gestanden. Daß dicS bei dem jeweiligen Character des russischen Veamtenthums, besonders dem zur practischen Ausführuug berufenen niedern Veamtcnthum, noch seine besondere Bedenken haben möchte, wollen wir nur andentcn. — Die Krone besitzt auch gar nicht die disponiblen, nöthigen, ungeheuren Capitalien, mn sich auf solche Unternehmungen einlassen zn können. — Wie wird demnach das Gouvernement Capital und Intelligenz vermehren? — unstreitig am leichtesten, indem cS die Privathülfc herbeiruft, das lehrt 529 England auf jedem Blatte stiner Geschichte und neueren Entwicklung. In England ist man aber von je her gewöhnt gewesen, sich von selbst allen Unternehmungen zu assocircn, ohne daß das Gouvernement brauchte den Anstoß zu geben oder gar zu befehlen. Das Gouvernement hat in dieser großen Lebensfrage daher nur die Haupthindernisse, die der Thätigkeit der sich von selbst bildenden Associationen im Wege standen, aus dem Negc zu ränmcn gebraucht, und Alles ist von selbst seinen naturgemäßen Verlauf gegangen. In Rußland ist der Associationsgcist beim Volke noch unendlich viel stärker, als bei allen germanischen und romanischen Völkern, selbst als bei den Engländern. Allein in Rußland bedarf Alles, was geschehen soll, des Anstoßes von Oben, der obersten, fast geistigen Leitung, gewissermaßen des väterlichen Segens! In Rußland giebt es fast in jedem Gouvernement intelligente Landwirthc, wie wir selbst an früheren Stellen dieses Werks mehrere derselben bezeichnet oder kennen gelernt haben. Man hat den Werth ihrer Thätigkeit besonders als Beispiel Wohl eingesehen, sie belobt, vielleicht in einzelnen bestimmten Fällen unterstützt, allein das ist alles wie ein Tropfen auf einem heißen Steine. Das Symbolum Oestreichs heißt: umlit, virilius, das Wappen Hollands sind sieben zusammengebundene Pfeile mit der Unterschrift: ^uncoi^iu r<>8 >»«,vu« c:,'cl>c,ml,! und unter diesem Symbolum ist das kleine Land uud Volk groß gewordeu, daß es einst die Meere beherrschte! Landwirtschaftliche Unternehmnugcn und Verbessernngm der angedeuteten Art, Eutsumpstmgen, Kanalsystcme :c. lassen sich nur im Großen und Ganzen wagm. Der Einzelne hat das Kapital und die Arbeitskräfte nicht, er kann die Nachbarm nicht zur Theilnahme zwingen ie. Große Untcrnchmnngcn verlangen große Kapitalien, deren Vortheile und Zinsen erst nach Jahren zu erwarten sind. Das können nnr Associationen aushalten, besonders wenn Bank- und Geldschein-Privilegien, also Krcditkapitalicn ohne Zinszahlung damit verbunden sind. Bei der großen Erschöpfung fast alles 530 Ackerbodens iu Rußland in Folge dcs Aussauguugssystcms kann jede Melioration erst nach Jahren wirken. Erst müssen Wiesen geschaffen werden, dann erst kann man an die Vermehrung und Inzucht des VichstapclS denken, dann erst tritt Vermehrung der Dungkräfte ein. Die Vermehrung der Absahwege, der Communikationsmittel, der Bau von Kanälen, Straßen, Eisenbahnen kann uicht überall gleichzeitig und rasch vorschrcitcn. Wenu eine große Vermehrung der Landbanproductc eintritt, so muß dann auch eine höhere Verwerthung derselben eintreten, sonst werden ja die Zinsen der in den Meliorationen steckenden Kapitalien nicht aufkommen. Man muß also so viel wie möglich eine Fabrikation aller Landbanproductc anlegen und ermuntern, amerikanische Dampfmühlcn, Rübenzuckcrfabriken u'. anlegen oder vermehren. Das sind Fabriken, die jedem Lande nur Nutzen, ohne Gefahr, bringen. Dann wären aber vor allen Dingen die Hausfabrikationen, die Flachs, Hanf, Leder le. in Verkaufs-productc verwandeln, in den Gemeinde-Associationen zu heben, und ihr rascher und vorthcilhaftcr Absatz zu erleichtern. Dieß ist deßhalb von unermeßlicher Wichtigkeit, weil der russische Bauer in Folge dcs langen Winters so viele Zeit übrig hat, und deren Verwerthung nothwendig. Zeit ist Geld! Der große Gedanke der Kaiserin Eatharina ll, eine tüchtige Landaristokratic zu bilden, muß uothwcndig bald seine Ausführung und Vollcnduug finden. Eie ist das natürliche Gegengewicht für eine übermächtige Bureaukratie. Man darf nicht alle Intelligenz in den Dienst ziehen und halten, sondern muß sie auch außerhalb stehen lassen, um sich daran zu spiegeln und zu rcclificircn. Uebcrall und stets sind die Ostsceprovinzm für die Gesetzgebung und Organisation Rußlands das Probcland gewesen, mögen sie cS auch gegenwärtig sein. Man findet dort schon zur Erleichterung aller Unternehmungen der Art die Vorbedingung, einen Adel, der stets auf dem Lande gewohnt, Intelligenz uud Erfahrung in der Landwirthschaft bereits hat. Diese wird auf seinen Gütern auch schon einigermaßen rationell betriebet!, dagegen aber eben bei den Bauern so schlecht, wie im übrigen Rußland. Bildet man hier und in den benachbarten Gou- 53l vernements Pskow, Wiicpsk und St. Petersburg Associationen mit Banken )c., so wird man bald merkwürdige und große Resultate erleben! Sachverständige haben mir z.V. versichert, man tonne dem Pcipusscc Abzüge verschaffen, wodnrch sein Umkreis so verkleinert würde, daß eine große Zahl Quadratmcilcn für Wiesen und Acker gewonnen würden. Lage der Wasserspiegel des Pciftnssec aber erst 3Y —50 Fuß niedriger, so würden auch eine große Zahl Sümpfe, die um ihn hcrliegcu, trocken gelegt werden können. Es würde vielleicht Millionen kosten, aber auch der Gewinn und die Zinsen in 10 Jahren unermeßlich sein! 34' VIII. Ueber das russische Gewerbewesen von W. Kose garten. l. Hauptzüge zu einer Beschreibung des russischen Hailer-thums in gewerblicher Beziehung. Das Kaiscrthmn Rußland (unter welchem Wir die, freilich eine gemeinsame Staatsmacht mit ihm bildenden, aber in staatsrechtlicher Beziehung und insbesondere auch durch ihre für sich bestehende Verwaltung, namentlich durch die Iolllinie davon getrennten Länder, nämlich das Königreich Polen und Groß-fürstcnthnm Finnland, nicht mit verstehen, wo wir sie nicht ausdrücklich nennen) umfaßt eine so ungehcnrc Länderfläche, daß sie, nngcachtet die Zustände in weiten Ausdehnungen gleichförmig erscheinen, dennoch in mehrere von einander sehr verschiedene Abtheilungen zerfällt. Da dieselben namentlich hinsichtlich der Vodcnbeschaffeuheit, der Erzeugnisse und der sonstigen Bedingungen der Volkswirthschaft sehr von einander abweichen, so ist es für unsern Zweck wichtig, eine angemessene Eintheilung der großen Ländcrmasse festzuhalten. Dabei ist besonders ins Auge zu fasscu, wie die verschiedenen Theile dcS Landes mit ihren Erzeugnissen sich 533 gegenseitig ergänzen, so daß Rußland seine meisten Bedürfnisse durch seine eigne Production und durch den Austausch zwischen seinen verschiedenen Landcstheilen befriedigen, und man auch in diesem Sinne gewissermaßen behaupten kann, es bilde eine Welt für sich. Wenn die Lehre einiger Anhänger des alten Mcrcantilsy-stems von der Autarkie (Selbstgenügsamkeit), als Ziel der Staatswirthschaft, auf irgend einen gegebenen Staat anwendbar wärc, so dürfte Nußland vorzugsweise für einen solchen Staat zu halten sein (eine Bemerkung, welche bei der Beurtheilung dcS staatswirthschaftlichen Systems der rnsstschcn Regierung von Wichtigkeit ist). Es sind verschiedene Eintheilungcn dieser Ländermasse nach den verschiedenen Gcsichispnnktcn, von welchen man dabei ausgehen kann, versucht. In volkswirtschaftlicher Beziehung ist natürlicherweise die Verschiedenheit der Zweige der Production bei einer Einthcilung in verschiedene Ionen (wie man es genannt hat) oder Erdstriche zum Grunde zu legen, indem man jede Zone nach denjenigen Zweigen bezeichnet, welche in ihr die vorherrschenden sind. Eine solche Eintheilnng, und zwar diejenige, welche nnter den unS bekannten am besten zu benutzen scheint, ist die von dem Herrn Geheimenrathe Baron Alcrander von Meycndorf der Pariser Akademie im Jahre !841 mitge-getheilte^), welche wir daher zum Grunde legen, indem wir sie jedoch, mit Rücksicht anf seine uns selbst gemachten Mittheilungen und mit Benutzung der gleichfalls von ihm oder nach seinen Angaben angefertigten, auf Befehl des Finanzministcrs im Anfange des Jahres 1843 herausgegebenen industriellen Karte über das europäische Rußland^), weiter ausführen nnd in ') M. s. von Reden: Das Kaiserreich Nußland ,c. Berlin, l843, S. 80, 82 ff. Vcrgl. Erman'5 Archiv ,c., Heft 3., vom Jahre 1841 und Heft 3, v, I, 1845 (Vd. IV.). wo sich ein Aufsah Ueber die Manufakturbetriebsamleit Rußlands, vo>, Herrn ,c. von Meyendorf, findet. ') Diese Karte ist zu Moskau, ohne Angabe der Jahreszahl, erschienen. 534 einigen Stücken abändern. Wir gelangen so zur Unterscheidung folgender Läudermasscn nnd Zonen. I. Das europäische Rußland, das Hauptland des Kai-serthums, welches sich vou den bekannten westlichen Grenzen (die durch Prcusien, Polen, Galizien uud die Türkei gebildet werden) bis an den Ural erstreckt, im Norden vom Eismeere und weißen Meere, im Süden vom schwarzen uud kaspischcn Meere, so wie vom Kaukasus, oder, genauer genommen, längs desselben durch die Flüsse Kuban und Terck begrenzt wird. Diese Läildcrmasse, deren Flächeninhalt ungefähr zu 82,000, von Einigen zu 87,000 geographische lH Meilen, und deren Bevölkerung zu etwa 51 Millionen Individuen angegeben wird, enthalt mehrere durch die Gestaltung des Bodens bestimmte Erdstriche (Zonen), welche hinsichtlich ihrer climatischen Eigenthümlichkeiten, ihrer Bodcnbcschaffcnhcit und mithin auch ihrer hauptsächlichen Erzeugnisse sich so sehr von einander unterscheiden, daß der Handelsverkehr zwischen ihnen eben so ins Große gehen kann, wie zwischen verschiedenen Ländern uud Völkern. Solcher Erdstriche sind, wie es scheint, am passendsten, folgende fünf zu unterscheiden, welche zugleich größtenthcils durch die das sonst ebne Land durchschneidenden, freilich ihrer Gestalt nach unbedeutenden Höhcnzüge von einander getrennt werden. 1) Das Gebiet oder der Abhang des weißen Meeres (versant cie la mer Llanclie), nämlich der zu diesem Meere sich neigende, von demselben und dem Eismeere in Norden begrenzte Erdstrich. — Die schwache Hügelkette, welche ihn in Süden begrenzt, beginnt im Süden des Onegasees, wo sie sich als Hochcbnc von den Höhen deS Waldai trennt, und zieht sich in einer Entfernung von 42 Wersten südlich von Vologda hin nach Nordostcn, bis an den Ural unter 62° Breite. Sie bildet die Wasserscheide zwischen den Stromgebieten der nördlichen Dwina und der Wolga. Dieser Erdstrich begreift die Gouvernements von Archangelsk und Wologda- auch ein Theil des Gouvernements Olonez kann vielleicht dazu gerechnet werden. — Der Flächeninhalt dieses ganzen Striches ist ungefähr zu 2l,000 geographischen Quadratmeilen und die K3S Einwohnerzahl zu 1,023,000 berechnet worden. ^) Dieser Strich ist, mit Ausnahme des nördlichsten Theils, etwa von, ti9stcn Breitengrade an, jenseit dessen nur noch Moossteppen und demnächst Eisfelder zn finden sind, als ein unermeßlicher Wald zu betrachten, der nnr längs der Flüsse, an denen sich die Ansicdlnngcn hinziehen, und außerdem gegen die Südgrenze hin gelichtet ist. Die meistens ans die Flußnfcr und Meeresküste beschränkte Bevölkerung ist daher anch so dünn, daß man im Gouvernement Wologda 69 und im Gouvernement Archangelsk etwaö über 16 Menschen im Durchschnitt ans die Qnadrat-mcile rechnet. — Die Waldmasse bedeckt über 60 Millionen Dessiatinen (zn ungefähr 4' prcnßischcn Morgen), ist mithin die ausgedehnteste in Europa, und übertrifft an Umfang ganze Königreiche. Sie ist zum größten Theile (nämlich ^) Eigenthum der Krone, und besteht meistens aus Nadelholz, namentlich Fichten, Tannen und der für den Schiffbau so wichtigen Lerche, außerdem aus Birken und Linden, anch etwas Erlen. Das Holz ist also das wichtigste Erzengniß dieses Erdstrichs neben Pelzwcrk, auch Fischen nnd andern Secthieren (als Robben, Biclugcn u. a.). In den letztem beiden Artikeln besteht der hauptsächliche Reichthum des Gouvernements Archangelsk, doch fehlt keineswegs allenthalben Ackerbau und Viehzucht. Zum Gouvernement Archangelsk gehört der Kreis von Cholmogory mit seinen schönen Weiden nnd dem von Peter dem Großen dort eingeführten Rindvieh holländischer Na^e. Auch giebt cS schon in diesem Gouvernement manche Stellen, wo man Getreide, namentlich Gerste, bauet und das dritte Korn crndtet; aber im südlichcu Theile dcS Gouvernements Wologda wirb ') Bei den zunächst folgenden statistischen Zahlenangabcn, namentlich waS die Bevölkerung betrifft, legen wir vorzugsweise die Arbeiten des Akademikers, Herrn StaatsrathS v. Koppen, der die neueste und ohne Zweifel sicherste Autorität ist^ zum Grunde. Uebrigens begnü» gen wir >>»6 nm so mehr mit rnnden Zahlen, da die äußerste Ge« nauigkcit ohnehin niclit zu erlangen ist. Die Bevölkerung ist nach der Zählung vom Jahre 1^8 angegeben, mithin die jährliche Zunahme dabei zu berücksichtigen, welche (nach v. Koppen) etwa 1 bis iz Procent beträgt. 536 außerdem Roggen, Hanf, Flachs und Hopfen gebanet. ^) In demselben Gouvernement ist auch das Mineralreich nicht ohne Ausbeute: es giebt Granit, Eisen, Torf nnd Salz. — Was die Verarbeitung der Rohprodukte betrifft, so sind bei dem Holzrcichthumc natürlicherweise Schiffbau nnd Verfertigung hölzerner Gcräthschaftcn, so wie die Theer- nnd Kohlenbrennerei, wichtige Nahrungszwcige. In geringerem Maaße finden sich anch einige andere Zweige des FabrikwcscnS, so Leinen- nnd Hanfwcbcrei, Licht- und Seifcnfabri-kation, eine Papierfabrik, insbesondere im Gouvernement Archangelsk Ledcrgerbcrci nnd eine Zuckerfabrik (in der Stadt Archangel). — Nach Schnitzlcr^) gab es im Jahre 1828 im Gouvernement Archangelsk 28 eigentliche Fabriken. Für den Absatz der Produkte ist die nördliche Dwina die hauptsächliche Arterie. Die Städte Archangel und Ustjug sind die wichtigsten Anziehungspunkte des Handels. Ueber letztere Stadt geht anch, znm Theil zn Lande, znm Theil anf Flüssen, der Waarenzug zwischen Sibirien nnd dem weißen Meere. All der Küste des Letzteren sind noch die kleinen Häfen Kola, Onega nnd einige andere mit einigem Handel. Dnrch den Canal des Herzogs Aler and er von Wür-tenbcrg ist das Gebiet der Dwina mit dem der Wolga, folglich mit dem Innern des europäischen Nnßlands, so wie mit der Ostsee einerseits nnd dem kaspischcn Meere anderseits, in Verbindung gebracht. Ein auderer Canal, nämlich der Ca-tharinen-Nord-Canal, welcher weiter im Osten vermittelst der Kama znr Verbindung der beiden vorhingcnannten Ströme angelegt ist, soll nicht mehr schissbar sein. *) Nach Angabe des Herrn A. von Mcyendrrf endigt der Waizenbau im 58stcn, der Hafer n» N3stcn, der Roggen im Lösten, die Gerste im <>7stcn Breitengrade. Die Birke überschreitet nicht den K9ste», die Fichte und Lerche nicht den l>8sic„, die Tanne nicht den 67sten und die Grle nicht dcn KIsten Grad. — Der südlichste Punkt dieser Zone findet sich auf der erwähnten Karte unter dem 59sten Grade. ") I>l» Ul,5sio, In poloxn« et !l» NnIlMll«, I.il>!enu 8ll,ti«tique, ßia-ßlapliiizue et jlizwriljii« olc., pnr !U. 1. II. Scliml-I«!-. I^rig 1835, p. 628. 53? 2) DaS Gebiet der Ostsee (versant (le la mer Naw'lM), der nordwestliche Theil des russischen Reichs, dessen Grenze gegen Osten durch die über Nowgorod, Twer und Smolensk sich hinziehenden Waldajhö'hen und die sich von diesen nach Süden und Norden hinziehende Hügclreihc bezeichnet wird. Weiter südlich aber dehnt man diesen Erdstrich noch längs einer Strecke des Dnjcprs ans. Im Nordostcn wird er durch eine jenseits der Onegasees sich erstreckende Fortsetzung der Waldaj-höhcn von dem Gebiete) des weißen Meeres getrennt. Im Süden seht man die Grenze im Gouvernement Wolhynicn, nicht weit nördlich von Shitomir, wie denn auch die Quelle des sich in die Weichsel ergießenden und also sich zum Gebiete der Ostsee wendenden westlichen Bng, der eine Strecke der Grenze gegen Polen bildet, sich nicht weit davon in Galizicn befindet. Anch findet sich in demselben Gouvernement die Hochebene zwischen Nvratyne und Bicloscrska, welche, nach Schnitzler (der sich ans Eichwald bezicht), die Scheidung zwischen den Gebieten des schwarzen MecrcS nnd der Ostsee bildet. Dieser Strich begreift also nicht nnr die an der Ostsee bclegcncn Statthalterschaften Oloncz, Petersburg, Esthland, Li'vland nnd Kurland, sondern anch die lithauischen und wcißrussischen Provinzen, also die Gouvernements Witcbsk, Nil na, Grodno, Minsk nnd Mohilcw, so wie einen Theil von Twcr und Smolensk; endlich auch ein Stück von Kle inRußland, nämlich den größten Theil von Wolhynien. Der Flächen-Inhalt dieses Ganzen dürfte ungefähr auf 12,000 geographische Quadratmeilen anznschlagen sein und die Iahl der Einwohner, welche man zn gering angeschlagen hat, indem man sie zu ? Millionen berechnete, kann wohl auf wenigstens !1 Millionen berechnet werden. Alle diese Gegenden enthalten ebenfalls ungeheure Waldungen (wenn auch manche Theile davon, in Folge der früher ungehemmten Verwüstungen, in schlechtem Zustande sein mögen). Holz ist also eines ihrer hauptsächlichen Prodncte, der Quantität nach sogar das erste. ^) ') Auf bei erwähnten Karte ist daher dieser Erdstrich mit dem Gebiete des weißen Meeres, unter dem Namen der Waldregion vereinigt, was uns jedoch aus mehreren Gründen unpassend scheint. 538 Aber cS giebt hier andere Zweige der Production, welche in wirthschaftlicher Beziehung eben so wichtig, wo nicht wichtiger sind. Fast in allen zu diesem Erdstriche gehörigen Provinzen (namentlich mit Ausnahme des Gonvcrncmcnts Olonez) wird in guten Jahren mehr Getreide verschiedener Gattung gebaut, als der Bedarf der freilich allenthalben dünnen Bevölkerung erfordert, obgleich der Ackerbau meistens auf einer niedrigen Stufe steht und dcr Zustand der Vaucrn keineswegs allenthalben (am wenigsten aber in den ehemals polnischen Provinzen, wo sie so lange unter dem Drucke dcS polnischen Adels gelebt haben) ein erfreulicher ist. — Demnächst sind Hanf und Flachs HauM-zeugnissc dieser Gegenden, so daß sie davon mehr erzeugen, als das ganze übrige Rnßland. In einigen Gegenden ist auch der Hopfenbau bedeutend. — Rindvieh-, Pferde- und Schafzucht sind ebenfalls um so mehr zu be-merkeu, da Häute nnd Wolle zn den Gegenständen der Ausfuhr gehören. Besonders werden die Weiden oder Wiesen dcr Statthalterschaften Grodno, Minsk und Mohilcw gerühmt. Die Bienenzucht wird im Gouvernement Minsk erwähnt. An Mineralien liefert das Gouvernement Oloncz Granit und Marmor, Eisen und Kupfer, auch einiges Silber und Gold. Von Gewerben ist zuvörderst der Schiffban zu bemerken. Natürlicherweise fehlen auch nicht die gewöhnlichen Arten dcr Ncbcllbeuntzung des Holzes, als die Bereitung von Theer, Potaschc nnd Kohlen. Auch müssen wir der Branntweinbrennerei, als ein in den meisten zn diesem Reiche gehörigen Provinzen stark verbreitetes Gewerbe, erwähnen. St. Petersburg ist reich an mannigfaltigem Fabrikwcsen, in geringerem Maße auch Riga, und einzelne Fabriken verschiedener Art sind in verschiedenen Gegenden dieses Erdstrichs zerstreut. So finden wir Me tall arbeiten verschiedener Art' Maschinen-, Glas- und Porzellanfabriken, Zuckcr-sicdcrcien, Baumwollen-Spinnereien, Wollen-, Baumwollen- und Leinen-Webereien, Seilereien, Gerbereien, Papiermühlen, Tapetenvcrfcrtigung, Tabak-, Licht- und Seifenfabrikation, Branntweinbrennereien u. a. m, — In diesem Erdstriche finden sich 539 die wichtigsten Punkte des Seehandels und der Schifffahrt Rußlands» St. Petersburg ist der wichtigste Handelsplatz des ganzen nördlichen Europas, und nächst dieser Stadt macht Riga die bedeutendsten Geschäfte im ganzen Reiche. Die Dun a oder westliche Dwina, der bedeutendste Strom dieser Län-dermassc, führt der letztgenannten Stadt die Productc derselben und benachbarter Gegenden zu. Man hat sie auch durch einen Kanal mit der Beresina nnd vermittelst derselben mit dem Dnjcpr, folglich mit dem schwarzen Meere verbunden, aber dieser Kanal soll nnr znr Holzflößerei tauglich sein. Andere, zum Absätze von Productcn geeignete Wasserwege zur Ostsee bieten der Nicmen für die Gouvernements Wilna nnd Grodno und der sich in die Weichsel ergießende westliche Bug zunächst für das letztere Gouvernement dar. Beide Flüsse sind, jener durch den freilich zur Schifffahrt wenig benutzten Kanal Oginski, an dem auf der polnischen Grenze der Stapclort Brest-Lit owsk belegen ist, dieser dnrch den Königs kanal mit dem Pripetz nnd mittelst dieses Flusses mit dem Dnjepr verbunden. Die wichtigste innere Schifffahrtsvcrbindung in Rußland aber ist bekanntlich die zwischen Petersburg und der Wolga, also die Verbindung des wichtigsten Ostseehafens mit dem Innern des europäischen Rußlands und mit dem caspischen Meere, welche schon nntcr Peter I. bewerkstelligt und später vervollkommnet, auf drei Wegen, durch drei verschiedene Kanalsysteme, nämlich das von Wyschnij-Wolotschok, das Tichwin'sche nnd das Mariensystcm bewirkt wird.55) 3) Die Hochebene (plateau cenlrnl) des mittleren europäischen Rnßlands bildet den gcwcrbrc'ichcn Erdstrich (xane inöustl-jelle). Man kann diese Hochebene auch als ein ") Nach v. Reden (Das Kaiserreich Nußland ic,, S. 256) verhält sich der auswärtige Verkehr sämmtlicher Häfen des russischen Reichs an der Ostsee (die sinnischen wahrscheinlich mit eingeschlossen) zum Gesammtverkehre Rnsilands mit dem Auslande hinsichtlich der Einfuhr wie 1: 1,14, hinsichtlich der Ausfuhr wie 1: 1,5. ") M. s. v. Neden a, a. O., S, 381 ff. — Grman Archiv für wissenschaftliche Kunde von Nußland, Heft 3. Berlin 1641. 540 flaches Becken (w85m) betrachten, welches sich, in der Richtung von Osten nach Westen, von den Waldajhöhcn bis an den Nral erstreckt nnd im Norden durch die oben als südliche Grenze dcS zuerst beschriebenen Erdstrichs, im Süden aber zum Theil durch eine zweite von der beim zweiten Erdstriche erwähnten Fortsetzung jener Höhen in der Gegend des Dnjepr und der Desna ausgehenden Hügclrcihc begrenzt wird, die Anfangs an der Dcsna hinstrcicht und sodann, quer durch das mittlere europäische Rußland um Kursk und Tambow herum über Pensa sich hinziehend, bis an die Wolga sich erstreckt, an deren Biegung bei Ssamara sie sich mit dem hohen Ufer dieses Flusses vereinigt. Doch ist schon ein Theil der an der nördlichen Seite dieser Hügel belegencn Gegenden zu dem folgenden Erdstriche (Nr. 4.) zu rechnen. — Der Flächen-Inhalt dieses Erdstrichs (welcher in seiner größten Ausdehnung vom 54sten bis fast zum twsten Breitengrade reicht) wird auf I7,4W Qnadratmeilcn, die Einwohnerzahl auf ll ;wn Theile, deu östlichen uud den westlichen, getheilt wird. *») Vergl. v. Vrinten, Ansichten über dic Bewaldung der Steppen dtS europäischen Rußlands ,c. Vrcuischwcig <633. S. 34 und 51. — Dcr erste Abschnitt dieser Schrift überhaupt enthält eine Schilderung der Steppen. 547 griff der Kosacken (nämlich der Donischcn, Tschornomorischcn und Uralschcn), ferner ans frcmdcn Colonistcn nnd Städtcbe-wohncrn, einem kleinen Theile Finnen, nämlich Tschcrcmisscu, Tschuwaschen u. a., endlich aus Tataren lzu dmen cine Kir-giscnhordc gehört) nnd dcn nomadischen Kalmücken (welche zum Mongolenstammc gehören). Die wichtigsten Producle dicscs Erdstrichs sind dic dcr (größtcnthcils nomadisch betriebenen) Viehzucht, besonders der Pferde-, Rindvieh- und Schafzucht, sodann das Salz dcr Stcvvenseen Iclton, Vasknntschatsk u. a., uud die Fische des kaspischcn Mccrcs, dcs Don, dcr Wolga und dcs Ural. Die Tataren treibcn häufig Bienenzucht. Außerdem aber werden an dcn südlichen Grenzen, zu Astrachan, am Don uud in dcr Krimm, schöne Gartcnfrüchtc und Wein, auch hie uud da Seide ftroducirt. — Getreide wird wenig, nnd uicht hinreichend für die, wcun glcich schwache Bevölkerung gebaut, stellenweise aber auch Tabak, Süßholz und andere Feldfrüchte. Wald findet sich bekanntlich in dcr Stcvpcngegend, anßcr etwa an ihren Rändern, übcrall nicht. Von Mineralien kommen, anßer dcm Salze, Steinkohlen und Eisenerz vor. Die veredelnde Industrie, wenn glcich sie anßcr dcn Arbeiten der crstcu Hand, wic Talgsicderci, Bereitung von Wolle, Schweinsborsten, Thran, Caviar u. s. w., keine große Resultate liefert, beschäftigt doch, nach dcm Urtheile eincS Sachverständigen,^) schon einen zu großcn Theil dcr ansaßigcn Bevölkerung. Talg ist vielleicht daS wichtigste Product dieser Gegenden, und die dortige Lcderbercitung soll zu der besten gehören. Etwas Wollen-, Seiden- und Baumwollen-Weberei, Seilerei u. dgl. kommt auch vor. Die douischeu Kosackcn treiben Branntweinbrennerei. Was dcn Handel betrifft, so folgt aus der geographischen Lage dieses Erdstrichs — welcher dic Ausflüsse dcr früher ge-nannten nach Süden stießenden Ströme dcs curopäischcu Rußlands und seine südlichen Seehäfen enthält, ^ daß ein großer Theil deö rnssischcn Sechandeis hier seinen Sitz hat (bekanntlich *) Von Vrinken, n, a. O., S. 79. 35' 548 ist Odessa dafür der Hauptpunkt), und daß theils auf den Wasserstraßen, die jene Flüsse gewähren, theils auf Landwegen dic Handelsverbindung der Südküstc mit den mittleren Erdstrichen durch diese Gegenden vermittelt wird, wie denn auch dic Productc derselben, namentlich die der Viehzucht (z. V. Talg und tschcrkaskische Ochsen) ihren Weg nach Petersburg, so gut wie nach Odessa, finden. Außerdem berührt der Handel, welcher durch die Karavancn zwischen Mittelasien, namentlich China und der Vucharci auf der einen, und Orenburg^) sowie Astrachan auf der andern Seite, geführt wird, diese Steppcngegcn-den; und im Innern findet ein lebhafter WaarcnauStausch zwischen den seßhaften und den nomadischen Bewohnern Statt. II. Das nordasiatische Nußland, oder das den ganzen Norden von Asien begreifende, im Norden vom Vismeere, im Süden von den mittelasiatischen Ländern und dem chinesischen Reiche begrenzte Sibirien (richtiger Ssibirien) kann als eine, freilich ins Ungeheuere ausgedehnte, Colonic des europäischen Nnßlands, als des Hanptlandcs, betrachtet werden. Es ist durch russische Pclzjägcr (I'lumu^clllcni), Ackerbauer, Handelsleute, Berg- und Hnttcnlente, theils Freiwillige, theils Dc-portirtc, schon zu einem bedeutenden Theile cultivirt, und schreitet in der Cultur immer weiter vor, während dic Ureinwohner, Jäger-, Fischer- nnd Hirtenvölker, in milder Unterwürfigkeit erhalten nnd allmälig dnrch sanfte Mittel soweit möglich civili-sirt werden. — Man unterscheidet das westliche Sibirien, welches die Gouvernements Tobolks und Tomsk begreift, nnd zu welchen man auch den asiatischen Theil des Gouvernements Perm rechnen kann, und das östliche, welches ans den beiden Gouvernements Ienisseisk und Irkuhk, mit der Provinz Iakutzk und den Küstengebieten Ochotzk und Kamtschatka besteht. Anch die Besitzungen der russisch-amerikanischen Compagnie anf und an der Nordwcstküstc von Nordamerika können wir um so mehr, *) Auch der Theil des Gouvernements Orenburg, in welchem die Stadt dieses Namens selbst liegt, lain,, wem, man ihn noch 511m curopäi-scheit Rußland rechnen will, diesem Striche desselben beigezählt wtrde». 949 da sie nur Producte dcr Jagd und des Fischfanges liefern, als ein Zubehör dieser großen Colonie ansehen. Bekannt sind die Hauptvroductc Sibiriens, durch welche es für das Hanptland so wichtig ist, nämlich Mineralien, insbesondere Eisen, Knpfer, Blei, Silber, Gold und Edelsteine mannigfacher Art und Pclzwerke, wie Zobel, Füchse, Sce-ottern, Grauwcrk (d. h. graue Eichhörnchen) u. s. w. Aber, so unfruchtbar auch, und selbst zum Theil uubcwohubar dcr von Eis, Moos und Morästen bedeckte nördlichste, an das Eismeer stoßende Strich des Landes ist, so gehört doch ein Theil der südlichen Gegenden zu den gctrcidcrcichsten und schönsten des russischeu Kaiscrthums. Namentlich werden die Gouvernements Perm, Orenburg und Irkutzk mit Getreide aus den Gouvernements Tobolsk und TomSk versorgt. In dem südlichen Theile des Letzteren (dessen Clima sehr schön ist) finden sich auch zahlreiche Vichhe erden. Im Gouvernement Irkutzk finden sich Salzseen, die ein vortreffliches Salz liefern. Ungeheuere Wälder, die anch schönes Bauholz enthalten, meistens Nadelhölzer, bedecken insbesondere viclc der nördlichern Gegenden unterhalb der Eis- uud Moosregion. An Fabriken uud Ma-nufacturcn von großer Bedeutung, außer Metallarbcitcn der ersten Hand, ist bei dcr schwachen Bevölkerung (circa 2,650,000 Menschen in Sibirien auf mchr als etwa 250,000 ^Meilen und circa 61,000 im rnssischcn nordwestlichen Amerika, dessen Flächeninhalt ans l 7,500 ^Meilen angegeben wird,^) nicht wohl zn denken, obgleich es allerdings nicht ganz an Fabriken, wie Tuchmanufacturcn, Seifensiedereien, Talglichtziehcreicn, Lederfabriken u. s. w. fehlt.55) Dcr Absatz dcr sibirischen Productc geht bekanntlich über Kjachta nach China, und besonders vermittelst der Messen von Irbit und Nischm-Nowgorod nach dem europäischen Rußlaud. Er ') Neber den Flächeninhalt des russischen Reiches und besonders des asiatischen Rußlands sind die Angaben noch uicht übereinstimmend und genau, ') M. s. Von Vaehr und von Hclmersen, Beiträge zur Kenntniß des russischen Reichs ,c. Bd. 7. 1645. S. 69. ff. 550 Wird durch cinc ausgedehnte Wasscrverbindung erleichtert, indem selbst von Kjachta nach St. Petersburg (auf einem Wege von 7000 Wersten) der Wassertransport nur durch zwei Wolokc (d. h. Landstrcckcn, auf welchen die Transportgegenstände von einem Wasser znm andern übergeführt werden müssen) unterbrochen wird,H) insbesondere auch auf einem über Ustjug uach Archangel führenden Handelswcgc nach dem wcisscn Meere und ins Ausland. Ill, Die transkaukasischen Länder machen das im Süden des europäischen Rußlands belcgcnc russische Gebiet ans, oder das jetzige grusinisch-imirctische Gouvernement nebst der kaspischen Provinz und einigen nur unter russischem Schutze stehenden Gebieten. Es liegt zwischen dem Zysten und 40sten Breitengrade und sein Flächeninhalt wird nur auf circa 4100 ^Meilen geschätzt. Aber es enthält vermöge seiner Vodenbefchaffenheit eben so viele Verschiedenheiten des Climas, wie seine Bevölkerung mannigfaltig ist, dcren Zahl man (im Jahre 183N) zu 3^ Million angegeben hat. Bei von Koppen^) kann man ein langes Verzcichniß von verschiedenen Völkerstämmcn und Gemeinden finden. In den Thälern wachsen dic Pflanzen der heißen Climate, auf den Höhen wird Getreide gesäet und weiden Viehhccrden. (Nindcr, Schafe, Büffel, Pferde, Schweine, fast jede dieser Vieharten hat in diesen Ländern ihre besondere Gegend, wo sie vorherrschend ist.) Im östlichen Theile sind Steppen. — Der Waldrcichthnm an Eichen und Bnchen ist für den Schiffbau wichtig, nicht minder für das Hauptland die Production der *) Diese Wasserverbindung ist beschrieben von Friebe, Ueber Nußlands Handel, landwirthsckaftlicl'e Cultur, Industrie und Productc, Th. III., Hildesheim nnd St. Petersburg 17^,8. S. 144. ff. ") P. von Koppen, Rußlands Gesammtbcvölkcnnig im Jahre «838, mit Nachträgen, Petersburg 18«. - Die bekanntesten Theile dieses Gebiets sind Grussen (Georgien) imb da6 russische Armenien. Durch einen Ukas vom 26. Decbr. 184N ist ganz Transkautasien in vier Gouvernements, nämlich Ttflis, Kutais, Schamacha und Der-bent, getheilt. 55! Seide und Van m wolle, so wic der Eochcnill e. Daneben sind noch besonders an Vcgetabilim Reis, Weine, Tabak, Wachs, Scsam, Ricinus, Taffran, Krapp, an thierischen Prodncten Hänte und Pelzwcrl, und an Mineralien verschiedene Metalle nebst Salz und Naphta^) zu erwähnen. — Was den Handel betrifft, so ist außer dem Absätze, welchen dic Produetc dieser Länder besonders im cnropäi-schcu Nußland finden, in Folge der geographischen Lage derselben der Transit für den Verkehr zwischen dem europäischen, auch zum Theil dem nordasiatischen Nußland und dem südlichen Asien, insbesondere Pcrsicn wichtig. Es dienen dazu vorzüglich die über den KaukasnS nach Tisiis führende grusischc Militairstraße und die Häfen Ncdut-Kalch und Poti am schwarzen/ sowie Baku am kaspischcn Meere. ^- Dic russische Zollgesetzgebung ist für diese Länder besonders modificirt. Anhangsweise erwähnen wir nnn noch der beiden unter besonderer Verwaltung stehenden Nebenlander des Kaiserthums Nußland, nämlich des Königreichs Polen und des Großfürsten thums Finnland, hinsichtlich des Verhältnisses, iu Welchem ihre Produktion zum Hauptlandc steht. — Ersteres mit einem Flächeninhalte von 227N geographischen HH Meilen und 4^ Millionen Einwohnern, ist vorzugsweise ein ackerbauendes Land, welches allc dem Klima angemessenen Gctreidcartcu n-zcngt, und einen bedeutenden Ueberschuß an Weizen, Nog-gen und Hafer, so wic Rübsen und Wolle nach Preußen und Oestreich ausführt. Außerdem führt es au Vodcnproduk-tcn auch Bau- und Brennholz, so wic Eisen und Zink ans. Doch zeigen wenigstens die Listen der letzten Jahre keine Ausfuhr solcher Artikel nach Nuß land, mit Ausnahme der -) M. vergl. Notizen über Translaukasien von I. v. Hage-mcister in Crman's Arcl'iv ,c. Vd. IV,, S. 4. (Bcrlui 1845). Dort wird unter bln Prodlicien TranSfcn'fasicnö anch Aiichsl'aum« holz erwähnt und bnnnkt, daß cö Palmcnhol^ (I'iilmuvci«) genannt werde. Gs ist mir desihalb niebt unwahrschcinlick, das, das, waS man mir auf der Messe zu Nischm-Ncw^rod als indisches Pal-mcnh^z gezeigt hat, solches Vuchsbcm»cholj gewesen sein mochte. 552 gedachten Metalle. Die Viehzucht soll sich nur bei dm großen Landbesitzern in einem gedeihlichen Zustande befinden, doch wird einiges Vieh ausgeführt. — Was die Manufacturin-dustrie betrifft, so waren Viele Zweige derselben bis zur Nc-volutiou von 1830 in blühendem Zustande, da die Regierung sie sehr begünstigte. Namentlich gilt dies von der Tuchweberei, welche bedeutenden Absatz in Rußland fand. — Von dem durch die Revolution erlittenen Stoße hat sich die Industrie zwar allmälig einigermaßen erholt, ist aber doch nicht wieder auf den früheren Stand gekommen, znmal da seitdem der Absatz nach Nußland durch die Zollgesetzgebung erschwert ist. Doch gehen noch jetzt einige Tuch- und andere Fabrikwaaren, selbst Seideng ewebe (ein neuer Industriezweig) nach Nußland. Auch soll die Baumwollen-, Flachs- und Hanfwebcrci jetzt in gutem Fortgangc sein. Indessen hat die Handelsbilanz zwischen Polen nnd Rußland, welche vor der Revolution sich auf die Seite des Ersteren neigte, seit derselben fortwährend ein mehr oder minder bcträgliches Uebergcwicht anf der Seite des Letztern ergeben. — Die Berg wcrks Produktion ist nicht unbedeutend; sie liefert außer den obcngenanntcn Metallen auch Steinkohlen und Salz.^) — Finnland, dessen Flächeninhalt nach einer, freilich unsichcrn, mittlern Schätzung ^^) 5300 geographische ^Meilen beträgt, während die Einwohnerzahl anf 1^ Million geschätzt wird, — galt früher für die Kornkammer Schwedens. Indessen ist cö keineswegs cm sehr fruchtbares Land, nur ist es wahr, daß cS in guten Jahren mehr Getreide erzeugt, als zur Ernährung der dünnen Bevölkerung nöthig ist. Auch soll der Ackerbau in starker Zunahme sein. Die Wälder (so schlecht auch mit ihnen umgegangen wird) liefern noch Brenn- uud Bauholz, Pottasche, Theer und Pech zur Ausfuhr. Zu den Gegenständen der Ansfuhr gehören auch Vieh, Fleisch und andere Produkte der Viehzucht, Lederwaaren, Pclzwcrk und Fische. Ein bedeutendes, erst unter der russischen Herrschaft entdecktes, ') Vergl. v. Reden a. a. O., S. 445 ff. ") Schnihlcr lablonu etc. 611 und 615. 553^ Erzeugnjß ist das Eisen; auch wird etwas Kupfer und Zink gewonnen. Die Maßregeln der Regierung, durch welche sie das Manufacturweftn cmporzubringcn sucht, haben schon einigen Erfolg gehabt, und man führt (wie wenigstens die Listen von 1836 — 1838 zeigen) Baumwollen-, Flachs-, Hanf- und W ollcnfabrikate aus. Handel und Schifffahrt haben sich in den letzten Jahrzehnten bedeutend gehoben. Finnland führt seine Produkte vorzugsweise nach Rußland, Schweden und Lübeck aus. Die Bilanz seines Handels mit Rußland neigt sich aber stark anf Rußlands Seite. ^) 2. Ueber die öcdlMlNgen. unter denen die russische Grwerliemdustrie steht. 1) Nahrungsmittel^) und Grundstoffe. Wir beschäftigen uns zuvörderst mit diesen ersten Bedingung gen allcr gewerblichen Thätigkeit, und wollen, so weit cS zu unserm Zwecke nöthig ist, anzugeben versuchen, wie es damit in Rußland steht. Unter den Nahrungsmitteln ist das Getreide als die hauptsächlichste Nahrnng des Arbeiters in ausgedehnterem Sinne bei den Russen zn bezeichnen, als bei den meisten Völkern des westlichen Europas. Brod ist so sehr die Hauptnahrung des gemeinen Mannes in Grosirußland, dasi man 3^ bis 5 Pfund auf den Mann taglich rechnet. Kartoffeln sind mit etwaiger Ausnahme einiger wenigen Gegenden, namentlich der deutschen Ansicdlungcn, noch nicht beliebt und finden sich verhält- ') p. Reden a. ll. O. S. 462, ff. ") Man findet über einige der wütigsten Gegenstände dieses Abschnitts die genauesten statistischen Nachweisungen in Herrn Staatörathö P. v. Koppen Abhandlung: Ueber den Korubcdarf Rußlands. St. Petersburg 1842. 554 nißmäsiig nicht viel, verbreiten sich aber allmälich mehr. Stait derselben ist noch die Buchwcitzen-Grntze eine allgemeine Speise. Fleisch wird schon wegen der vielen Fasttage weniger, als im westlichen Europa, gegessen.'^) Das wichtigste Gemüse ist der Kohl; hie Kohlsuppe (Echtschi) ist als Speist des gemeinen Mannes überall verbreitet. Gnrkcn und Pilze kommen als Ncbcnsveisen viel vor. Das Getreide, namentlich der Noggcn, ist anch der Stoff, ans welchem die vcrbrciletstcn Getränke der Rnssen bereitet werden, nämlich der Kw as nnd der Branntwein. (Vs giebt anch eine Art einhcimischm Thees, der getrunken wird, Ivan-Tschai genannt. — In neuerer Icit hat schon der chinesische Thcc hänsig, wenigstens an großen Landstraßen, in den Vcmernhänscrn Eingang gefunden nnd soll dem Branntwein Eintrag gethan haben.) Daß Rnßland im Allgemeinen genommen in gewöhnlichen Jahren mehr Getreide erzeugt, als es brancht, ist bekannt,'^) weil es Getreide aller ') Freilich wild, nach statissischer Berechnung, ;u Moskau mehr Fleisch im Verhältniß zur Nevollcrung cousumirt, als ^u Paris «nid sogar ^ll London l.l.ii I^zcrijiliun lio I^lu5cnll 1°. II,), Dies er-llärt sich al'er wohl aus der ^ringen Zahl von Armen in dieser russischen Hauptstadt. — Man rechnet im gangen 28 Wochen Fasten im Jahre, nämlich zwei Tage in jedcr Woche und die letzten Wockcn vcv Ostern ganz. ') Mau hat l'evccl'nel, dasi Rußland dreimal so viel Getreide crzengt als Frankreich (lournlil «lo« vibals, ,nrtg «It! I» ^mivolln Iil!55!0, lie- In !^!»! ol lit? I« Vl>Il!l:!>i«. ()) ailf 13 Rubel herunter. In dem wohlfeilen Jahre 1843 kostete 1 Pud Mehl 1 Nnbel, wo es früher 4 Nubel gekostet hatte. Eine Privat-unttlieilnng ergiebt, daß iu dem Msijahrc 18-11 der Roggen das Zehnfache des Preises kostete, anf den er im Jahre 1848 hcrabkam. "») Von Brinken (Nebcr die Bewaldung der Steppen ,c.) sagt: Nußlands gesammte Volksmenge sei mit der angestrengtesten Thätigkeit kaum im Staude H seines Fruchtlandes ordentlich zu bebauen. 55? bäuerlichen Verhältnisse cms den Zustand des Ackerbaues zu erörtern, gehört an diesem Orte nicht zn unserm Zwecke. Der Gemüsebau blüht in verschiedenen Gegenden des Reichs und wird in einigen, namentlich nm Moskan und im Gouvernement Iaroslaw, mit besonderer Sorgfalt betrieben. Die Obstbanmzlicht ist in einigen südlichen Gouvernements bedeutend, aber im Allgemeinen gehört dieser Zweig des Land-baueS (wie wir schon früher bemerkten) zu denjenigen, welche den Nüssen nicht zuzusagen scheinen. Die Wcincultur am uutern Don, an den Küsten des schwarzen und des caspischcn Meeres und in Transkaukasien, besonders in Kachetien, ist nur für diese Gegenden selbst von Bedeutung. Die Production der Fleisch nahrnng betreffend ist schon oben angedeutet, daß die Viehzncht der Ackerbauer in den meisten russischen Provinzen auf niedriger Stufe steht. Davon dürften jedoch manche große Güter, namentlich in den Ostsce-provinzen, auszunchmcn sein. Auch findet, wie die Zoll-Listen auswciseu, eine nicht unbedeutende Viehausfuhr über die westliche europäische Landgrenze statt, uud hat sich überhaupt die AuSfuhr an Hornvieh in 15 Jahren verfünffacht (m. s. Von Koppen, Zur Zahlenstatistik deö russischen Reichs, in (5 r man'S Archiv ,c. Bd. IV. S. 3. 1845). — Podolicn hat schönes Rindvieh. Die ausschließlich dcS Ackerbaues uud halb nomadisch im Großen betriebene Viehzucht der Steppen dcs südlichen Rußlands (von welcher in Bezug auf die Talgvro-duction noch nntcn die Rede sein wird) könnte auch in dieser Beziehung vielleicht wichtiger sein, als sie ist, wenn man sich mehr darauf legte, Fleisch einzusalzen und so zu versenden. Man sendet aber von dort aus lebendes Vieh in andere Gegenden, uud selbst Petersburg verzehrt mehr tscherkaskischc Ochsen als livländische. Butter wird auf dem schwarzen und asow-schen Meere verführt (etwa 30,000 Pud jährlich). Nicht zu vergessen ist ein anderes wichtiges Nahrungsmittel, nämlich Fische. Auch daran ist der Süden Nußlands in seinen Strömen und an feinen Meeresküsten besonders reich. Die Fischerei des caspischcn Meeres soll ihren Pächtern den Betrag von 4 — 5 Millionen Franken jährlich einbringen, indessen (nach 558 Versicherung dcr Fischer) im Abnehmen sein. Dcr rcichbeloh-ncnde Fischfang im Uralflussc ist für die matschen Kosackeu dcr hauptsächliche Erwcrbszweig.^) Auf dcr andern Seite kommen Heringe von Archangel nach Moskau sauch im schwarzen Meere fängt man Heringe, die aber sehr verschieden von den nordischen sind und wegen schlechten Einsalzens wenig Absatz finden sollen). Auch ist es bekannt, dcH man im hohen Norden getrocknete Fische anstatt des Brodes ißt. Als Grundstoffe sind zunächst in mehrfacher Beziehung ebenfalls die (schon besprochenen) meisten und wichtigsten Nah-ruugsmittcl zu betrachten. Wir gehen unn zn dcn sonstigen Grundstoffen über, deren das rnssische Neich viele und mannigfaltige darbietet. Wir hebcn nur die wichtigsten ans. — Das Pflanzenreich bietet zuvörderst den Flachs dar, dcn ein großer Theil des europäischen Rußlands in reichem Maße cr-zcugt, so daß die Ansfuhr in diesem Artikel (nach officicller Angabc) im Jahre 1^42 über :! Milliouen Pnd (!W Millionen russische Pfunde) betrug. Das Thal dcr Düna uud die Gegenden der obern Wolga und des obern Dnjeprs zeichnen sich besonders dnrch dieses Product aus, .welches aber auch weiter im Nordcu, selbst in den Gonverncmcnls Olonez nnd Wologda, so wie tief im Süden, in Tannen nnd Georgien, gewonnen wird. — England bezicht nenn Zehntel allcs Flachses, wclchcn es verarbeitet, ans Nußland. Der rnssische Flachs ist von vorzüglicher Güte, wird aber von dem flandrischen Flachse noch so weit überlroffcn, daß mau diesen, der Angabe ^iach, in England um 8l)—100 Procent thenrcr bezahlt, als jencn (was jcdoch wohl nicht ohne Ausnahme zn verstehen sein mag, da der russische Flachs sich nicht allcnthalbcn gleich ist). ') Auf den Markt zu Nifchni'Nowgorod werden jährlich für ungefähr ciue halbe Million Silbcrrlibcl Fische «Macht, nach Moskau über 300,N<1<1 Pud an thcils fristen, theil,; einacsalzenen Fischen nnd Caviar. llcbrigcuS soll sich auch bei den großen Flüffeu schon die Nothwendigkeit gezeigt haben, dcn Fang von Zcit ;u Ieit einzn-stellen, wcnu 'nau den Fischreichthum nicht ;u sehr crschopftn will. M. s. Grman's Archiv Bb, IV., S. L!1« ff, wo sich auch uähcre Notizen über die Production von Caviar und d«rgl. finden. 559 Man schiebt die Schuld auf dic mangelhafte Cultur und Bereitung des russischen Flachses, — 'An Leinsaat erzeugt Rußland so viel, dap die Ausfuhr dieses Artikels im Jahre 1^4^ über 900,000 Tschctwcrt (über 4^ Million preußischer Scheffel) betrug. Die meistm Gegenden Rußlands, welche Flachs erzeugm, bringcn anch Hanf hervor. Ungeachtet dicscs Erzeugnis! zum großen Theile, namentlich zn Stricken und Tauen, im Lande verarbeitet wird, so ist doch auch die Ausfuhr des unverarbeiteten schr bedeutend. Sie betrug, laut dcr von dcr Regicrnng bekannt gemachten Angabe im Jahre 1842, über 2,400,000 Pud, obgleich der russische Haus von dem italienischen, welchen Bologna ansführl, übertreffen wird. — Auch Hanfsaat wird ausgeführt: dic Ausfuhr vom Jahre l842 wird zn N>0,4^1 Tschctwcrt angegeben. Die für das russische Mannfacturwcscn in neuerer Zeit so wichtig gewordeuc Baumwolle ist nur zum kleinen Theile ein Landcserzcugniß. Sie wird nur südlich vom Kaukasus, namentlich in Armenien, gezogen. — Auch pflanzliche Farbcstoffc (wie im ersten Abschnitt erwähnt) werden in Rußland erzeugt. Die Rnnkclrübc wird in verschiedenen Gegenden Nuß-lauds gezogeu. (5s giebt Runkclrübcnzuckcrfabrikcn in den Gou-veruemeuts Tula, Kijew, Charkow, Kursk, auch in Georgien. Die Runkelrübe soll iu gewöhnlicher schwarzer Erde ohne Pflege gedeihen; die Erndtc mißlingt aber nicht selten. — Wir erwähnen hier noch zweier landwirtschaftlichen Erzeugnisse, dic in Rnßland dermalen von minderer Wichtigkeit sind, nämlich des Hopfens, welcher sowohl im Wcstcn des europäischen Rußlands, nämlich in Livland, anch in den Gegenden von Grodno, Bialystock und Kursk, wie auch im Osten, nämlich nordlich im Gouvernement Wologda nnd südlich im Ssaratow-schcn gebanct wird, auch vielmehr cnltivirt werden würde, wenn das Vier mehr verbreitet wäre, — nnd des Tabaks, der in vcrschiedcucu Gegenden, namentlich in den Gonvcrncmenls Tschcrnigow, Kursk, Esimbirsk uud Ssaratow, auch in Podo-licn, gcbauct wird uud in Riga, Petersburg, MoSkau und Odessa Absatz findet. Doch verarbeitet die ohne Zweifel größte 560 russische Tabaksfabrik, die von Shukow zu St. Petersburg, nur amerikanischen Tabak. Voll dem f o r st wirthschaftIichc n Haupterzcngnissc, uam-lich dem Holzc, haben wir schon früher (Band l. Cap. Il) etwas ausführlich gesprochen und gezeigt, daß Rußland daran einen großen Reichthum besitzt, von dem es mannigfaltigen Gebranch macht. In der letztern Beziehung erinnern wir noch daran, daß in Großrnßland nicht nur alle Vauerhauser in der Regel, sondern auch die Hanser in den Städten, znmal in den kleineren, zum größten Theile ganz aus Holz, nämlich ans übereinaudergclegtcn Balken, erbanct sind.^) — Wie im Allgemeinen der Waldreichthnm in Rußland vertheilt ist, haben Wir in Bezug ans die von lins.angenommenen Zonen im vorstehenden (ersten) Abschnitt bemerkt. Die beiden (durch den wolkonskischcn Wald mit einander zusammenhängenden) Waldmassen des GcbictS der Ostsee und desjenigen des weißen Meeres bestehen (nach einer uns von Herrn v. Mcycndorf mitgetheilten Angabe) ungefähr zu drei Vierteln aus Nadelholz, zum Ucbrigcn hauptsächlich aus Birken und Linden. So wie Rußland hier nncrmcßliches Material für seine Ostsee-flotte findet, so findet es im Süden, namentlich in dem gebirgigen Theile der Krimm und in den kaukasischen Gegenden, mannigfaltiges Banholz für die Flotte des schwarzen Meeres. 55) Von den Folgen der Waldvcrwnstung, wie sie sich besonders im mittlern europäischen Rußland zeigen, haben wir (Band I. Cap. ll.) ebenfalls schon gesprochen. — Südlich an den Flüssen ') Selbst in MoSlau und Petersburg ist (nach den von Schmtzler bei-gebrachten Notion) der grosite Theil der Privathänscr Von Hol,. ') Nach von Blinken (a. a, O.) betragen die Wälder in, ci'ropäisä'rn Rußland 20.000 ^Meilen. Gr berccbnet 2,2 hectare« Wald auf den Kl'pf der damaligeil Bevölkerung und das Waldland überhaupt zu l>,225 des ganzen Fläckeninhaltes. Die ganze Ausfuhr an Holz-Waaren vom Jahre 1542 ist in den rfficielleli Liste» ^nm Werthe vcn 2,lN!,>U« Rubel Silber (ctwa 2,5l»M» Thlr. Pr^ 6rt) an« angegeben. Nach v, Ncden (a, a. O., S. 102) bclrng im Jahre 1840 die Ausfuhr von Holz 9,297.750 Nubcl Assignaten (2,656,500 Nnbel Silber). 5tt! Desna, Oka nnd Kama beginnt allmälich die gänzliche Wald-losigkeit cincs Theils dcr gctrcidcreichcn Zone und der Steppen, die freilich grosicnthcils, so weit die Geschichte reicht, schon eine Eigenthümlichkeit dieser Gegenden gewesen zn stin scheint; dcr Mist muß dort als Fcncruugsmatcrial dienen. — Die Waldungen der Krone im ganzen Reiche betragen, so weit sie eingetheilt sind, nach dem Berichte des Ministers der Reichs-domaincn vom Jahre 1842, INI Million Dcssiatineu. ^) Unter den Grundstoffen, welche das Thier reich in Nußland liefert, nennen wir zuerst das Talg, welches die nomadische Steppenvichzucht iu so großen Massen liefert, daß im Jahre 1842 (nach den ofsicicllen Listen) nngcrechnct die Talglichte, über 3,300,000 Pud zum Werthe von 12,800,000 Rubel Silber aus dem Neichc ausgeführt sind. 5^) Dieser Artikel scheint insbesondere wichtiger für den ausländischen Handel als für das innere Gcwcrbwcscn zn sein. Dagegen ist ein anderes thierisches Product in Rußland schon seit langer Zeit in ans-gczcichnctcm Maße Gegenstand dcr Verarbeitung gewesen. Dies sind die Thierhäutc, als Nohstost dcs Lcders. Indessen wird jetzt behauptet, es sei vortheilhafter die Häute roh auszuführen, als verarbeitet; und so bilden sie in dcr That anch einen nicht unbedeutenden Ausfuhrzwcig. In den slusfuhrlisten vom Jahre 1841 erscheinen 207,296 Pud nnd 18,272 Etück ungegcrbtcr Häntc mit einem Betrage von 1,408,75>s, Rubel Silber, obgleich man (nach Hagcmcistcr) in England lind auf anderen europäischen Märkten die Hänte von Vunnos-Ayres ihrer Qnalität nach vorzieht. Doch hat man (wie derselbe bemerkt) zu Odessa die russischen in dcr Weise derer von Vuunos-Ayres zuzubereiten angefangcu, uud in der Türkei haben die ') Gine Dcssiatine der Krone ist 4,27 preußischen Morgrn glcia'. (S. »on Ncdcn a. a. O., S. I^l, wo sich auch Mehrere« über das russische Forstwesen findet.) "«) Kohl's (südrussischc Reise Th. II., S. 220) Angabe und Berechnung über die Talgausflihr giebt ein größere«, wahrscheinlich über« triebenes, Resultat. "'- 3« 562 russischen Häute die amerikanischen verdrängt, weil diese theurer sind und nicht für besser gehalten werden. — Hieran schließt sich das Pelzwcrk dcr mannigfaltigsten Gattungen, vom Schaaffelle an, welches jedem gemeinen Russen zum Schutze gegen die Kälte dient, bis zn dem Zobel, dem Hermelin und anderen kostbaren Arten, woran nicht nur Sibirien reich ist, sondern wozu auch Transkaukasicn, die Ukraine, die nördlichen europäischen Gouvernements, die Wälder von Weißrußland und andere Gegenden mannigfaltige und zahlreiche Beiträge liefern. Ungeachtet des inländischen Verbrauches dieser Pro--ductc ist doch auch dic Ausfuhr ulcht unbedeutend. Betreffend das Jahr 1843 ist ihr Betrag zu 1,808,001 Rubel Silber angegeben. Auf dic Messe von Nischm-Nowgorod wnrdcn im Jahre 1843 gebracht an sibirischen Rauchwaarcn: 80 Vierziger Zobelfelle, eirca 000 Vierziger Hermelin, 10,000 Stück Marder, gegen ciue Million Eichhörnchenfellc u. a., — ferner an anderen russischen Ranchwaarcn: circa 50,000 Paar krimmische ungcbornc Lammerfelle (Mcrluschki), circa 7000 Stück Ottern, tirca 4000 Stück Luchse u. a. m., — an transkaukasischen Nauchwaarcn: 38,000 Paar karagamsche Fuchsfclle, 4500 Paar rothe Fuchsfelle, 2000 Paar Wolfsfclle, 13,000 Paar Marder u. a. m. Nach officiellcn Quellen wird dcr Werth dcr im Jahre 1842 auf die Messe ebendaselbst gebrachten russischen Pclzwaaren zu 2,001,101 Rubel Silber angegeben. — Noch wichtiger, wenigstens als Rohstoffe für das eigentliche Fabrikwesen in Rußland, ist die Schaafwolle. Besonders reich an diesem Erzeugniß sind die Stcppcnzone, der größte Theil dcr gctreidercichcn Ione, Livland und Esthland. — Seit etwa 40 Jahren hat mau feinwollige ausländische Schafe, namentlich Merinos, eingeführt. — Wenn man die Stückzahl aller Schafe im europäischen Rußland zn 40 Millionen und die dcr veredelten Schafe, mit Inbegriff Sibiriens, zu ungefähr 2 Millionen angeschlagen hat,'^) so ist wohl anch bei solchen Schätzungen kaum eine annähernde Genauigkeit zu erwarten. Nach der Schätzung Sachkundiger verbraucht Rußland 480,000 Pud cigncr Wolle. ') v, Ncdcl,: DaS Kaiserreich Rußland :c., S. 98 und Million Pud an Salz, und dieser Artikel beschäftigte dort 13,000 Menschen. ^ Das Gouvernement Perm besitzt Salzquellen. — Der Betrag dcr Ealzausfuhr aus dem Neiche wird jedoch, was das Jahr l841 betrifft, nur zu 1918 Pud angegeben. — Salpctcr findet sich in Vessara-bicn, Asphalt nnb Schwefel im Gouvcrucmcut Orenburg, und Naphta in dcr Gegend von Baku. — An Slemcn hat daö mittlere Rußland größtcnchcils Mangel, abcr Perm und Oloncz haben Granit und Marmor. Durch den Ersteren zeichnet sich auch Finnland aus, und den Letzteren findet man auch in Vessarabicn. Ferner hat Perm Jaspis, Magnel-ftein nnd (so wie Irtutzt) eincn Reichthum an Edelsteinen (Amethyst, Achat, Diamanten). — Kalk, Gyps, Top- 56? fcrthon findet »nan in Kasan, Kalkstein und Bruchstein in Minsk. Wichtig sind beim Mangel an Holz für das südliche nnd selbst für das mittlere Nusiland die Steinkohlen. In den Gouvernements Tula nnd Kaluga, sowie Charkow, werden solche (freilich in dem Letzteren nicht von guter Beschaffenheit) bereits gewonnen, und nach den angestellten Untersuchungen erstrecken sich Steiukohlenformalioncn von Taganrog bis nahe bei Charkow und nach Westen hin bis gegen den Dnjcpr. — Auch in Sibirien finden sich Steinkohlenlager, Die Domainen im Gouvernement Moökan enthalten in einer Ausdehnung von 40 Wersten Torflager.^) 2) Arbeit, Arbeiter und ihre Verhältnisse. Der größere oder geringere Grad der Wirksamkeit der Arbeit, welcher bei den verschiedenen Völkern so sehr verschieden ist, so wie die mannigfaltige Art und Weise ihrer Anwendung und Wirksamkeit, hängt von den mannigfachen Verhältnissen und den verschiedenen Eigenschaften der Arbeiter ab. Wenn wir die Verhältnisse der Arbeiter in Vczng auf das Gcwcrbcwesen bei einem bestimmten Volke oder in einem bestimmten Lande untersuchen wollen, so ist es nicht nnwichtig, zuvörderst das Verhältniß derselben zu der ganzen Bevölkern ug hinsichtlich ihrer Menge oder Zahl nnd der Stelle, welche sie im Volke einnehmen, ins Auge zn fassen. Dabei müssen wir uns darüber erklären, wie weit wir deu Begriff *) Mehrere« über die d!ewi,!>nin^ v»,'n Mineralien i» Rußland hol Hr. v. Reden (a. o. O. S. 125. ff,) gesammelt. — Zur Ver-mehrim^ der obigen Angaben über die Ausfuhr russischer Nohpro, ductc fügen wir in'ck folgende Notizen aus dcu rfsicicllen Ausfuhr-listen vom Jahre l^^ hinzu: 1) Flachs !,„m Werthe von !1,70'»,!j45 Nudel Silber. - 2) Nohe Häute, 223,s,23 Pud und 17,422 Stück, wcril, 1,510,905 Nbl. Sill'. — 3) Ban- lmd Wnlhch für 2,s>0^.589 Rubel Silber. — ^ Lein-und Hanffaamen für 8,258,8l!N Nu-b.'l Sill'er. — 5) Hanf, 2Ms>,01« Pud. werth 5.548.24k Rubel Silber. — Uj Eisen, 78^,01^ Pud, werth '.M,UKN Nub. Silber. — 7) Kupfer. 76,441 Pud, werth 745.713 Rubel Silber. der Gewerbe ausdehnen, das; wir nämlich darunter, übereinstimmend mit dcm verbreitetstcn Eprachgebranche, eigentlich nur Gc werke und Handel verstehen, also den Landbau davon ausschließen, jedoch diesen insofern mit in die Betrachtung hineinziehen, als er (was im Ganzen nicht wesentlich, auch vielleicht nicht heilsam bei diesem wichtigen Zweige der volkswirth-schaftlichcn Thätigkeit ist, aber in unseren Tagen auch in Rußland mehr und mehr geschieht) um des Gelderwerbeswilleu getrieben wird und ferner freilich hauptsächlich insofern als er durch die Production von Rohstoffen und Nahrungsmitteln die nothwendige Bedingung alles Gcwcrbe-wesens ist. Wenn es die städtische Bevölkerung im Gegensatz der ländlichen eigentlich ist, welche wir als diejenige zu betrachten haben, die sich grö'ßtenlheils mit den Gewcrkcn und dcm Handel beschäftigt, so fällt mlS in Nusiland das Zahlcnverhaltniß beider Bevölkerungen zu einander auf. Die Erstere ist nämlich dort im Verhältnist zur Lehtcrn wohl geringer als in irgend einem andern europäischen Staate, da jene, nach den Zahlungen vom Jahre I<^3«, nur ungefähr ,',- der Gesammtbevölkernng bo trägt,^) wobei noch zu bemerken ist, daß die große Menge von ') M. s. Vcn Koppen. Ueber NusilandS Städtc mit besonderer Hinsicht auf dcren Bevölkerung, imd Grman's Ar« fl'iv für wissrnstbaftlicke Kunde vrn Rußland, 1841, S. 1, 218. ff. (Auslug bei von Reden a. a. O. S. 56. ff.) — Gs enu'ebt sick a»s den dort sich findenden Angaben, daß die Aevolknung der li3s Städte, von lvelclcu Äugal^cn vrrhandcu stüd, 8,7,7 Proccut der gan^n Vcvolkcrinil; Rusilands, mit An^sll'luß dcö Ko»i>ircich>3 Polen und Finnland!?, aufmachen. — P^u 5>l Slädlcu fchlcn die Angaben, aber diese gehöre» fast alle ^i den unl'cdentcndstcu und kann die daraus cnlsteheudc Abweichung von der genauen Zahl (nach Hrn. v. Koppen) hölbsten^ ^ aüsmachln. — In jencu <>li8 Slädten Würden 4,745,l',2',Al> angegeben, uud werde» davon 24K,45l) ^um Adel und Vcamteustaude, 72M1 aber zur Ocistlichteil gewählt. ') M. s. Enuali's Archiv, Heft I. vom Jahr 18U, S. 216. 570 Diese Ginrichtung, verbnndcn mit dcr gewissermaßen volkseigen-thümlichcn Neigung dcs Russen zum Gelderwerbe und Handel, befördert ein anderes bei ihnen eigenthümliches Verhältniß, nämlich die Verbindung gewerblicher Beschäftigungen mit dem Laudbaue bei einem großen Theile dcs Bauern-l standcs, so daß dieser mich zmn Theil als gcwerbtreibend zu betrachten ist, nnd sich also das Gewerbcwesen um so weniger ans die Städte beschränkt. Gs gehören dahin nicht bloß (wie anderswo) manche einfachere Zweige dcr Verarbeitung dcr Noh-stoffe, wie der Waldcrzcngnissc, als Holzschneidcn, Bastmatten-vcrfertignng, Thccr-, Pottasche- uud Kohlcnbercitung, einfache deinen- und Wollenspinncrei und Weberei, sondern anch die Hauplzweigc dcs eigentlichen Fabrikwesens, weil (wie schon früher bemerkt ist) die Arbeiter attcr Fabriken (deren mau im ganzen eigentlichen Rnßland jetzt ungefähr 7000 mit etwa / 400,000 Arbeitern zählt) mit »wenigen Ausnahmen, Bauern sind, welche theils sich auf eine Zeit lang von ihrem Herde entfernen und, jedoch in der Regel nur zeitweilig und wechselnd, > in Städten und in städtischen, sowie ans dem Lande belegcncn Fabrikgebäuden ihre Beschäftigung finden,^) theils, wie es bei der Weberei nnd selbst bei Metallarbeiten am meisten dcr Fall ist, bei sich zu Hanse solche Arbeiten vornehmen. In dcr letzten Beziehung ist die schon früher von uns gemachte Vemcrknng zu wiederholen, daß besonders die Vanmwolleinveberei in gewissen Gegenden, in nnzähligen Baucrwohuungen, zumal znr Wintcrzeit, theils für eigne Nechnnng der Arbeiter, theils für Rechnung von Kaufleuten und Fabrikanten getrieben wird. Ferner giebt es einzelne große Dörfer, die wegen gewisser in ihnen betriebenen Industriezweige berühmt find, wie das dem Grafen Scheremetjcw gehörige Dorf Iwanowa im Gouvernement Wladimir, welches über 42,000 Menschen hauptsächlich *) In Moskau zählte man im Jahre l83s (als sscl, dert nur ;m Znt aufhaltend) ctwa ,^0M0 Baum». — In Pctcrsblin, konulc ma» die Zahl solckcr temporären Einwohinr ungefähr am' dcr Zahl dcr cr!hriltcu Pässe al'nehmeu. Diese l'eü'iig in einem der letzten Iahie 126,329. Viele davon gehören aber zur Klasse des HauSgesmdcS. 5?! mit dcr Fabrikation von Zitzen beschäftigt; ferner Iakolows-kaja-Sloboda im Gouvernement Iaroslaw, dessen Bewohner Leinwandwaaren verfertigen.— Pan low», im Gouvernement Nischni-Nowgorod, wo gegen l 30,000 Pnd Ecife, 2000 Pnd Talglichlc, gegen 80,000 Paar Handschuh von Scehnndsfellcn, nnd außerdem eine Menge von Stahlwaaren zum Werthe von etwa 28^»,000 Nubel Silber jahrlich verfertigt werden; anch Vogorodskojc, wo man jährlich gegen 200,000 Paar schafs-lederne Fausthandschuh macht. So giebt es Dörfer, wie Wi-scna im Gouvernement Nischni-Nowgorod, wo fast die ganze Bevölkerung Stiefel »nacht; dort werden deren jährlich für 00,000 bis 70,000 Nbl. Banco verfertigt, und mit dem Landbau beschäftigen sich meistens nur die Aermcren. Ein eigenthümlicher Industriezweig wird in dcm Dorfe Cholui im Gouvcrnemcut Wladimir getrieben, dessen Bewohner (900 vom männlichen Geschlechte) alle Maler von Heiligenbildern sind. — Außerdem legen sich viele Bauern auf den Handel, insbesondere ans den Hausirhandel. — Selbst die meisten Bergwerksarbcitcr können znm Baucrustandc gerechnet werden, da sie meistens zugeschriebene Bauern sind (von welchem Verhältnisse wir unten noch reden werden), anch die zn solchen Arbeiten verurtheilten Verbrecher (nur vielleicht mit Ausnahme derjenigen, die dcm schwersten Grade angehören) nach Ablauf der eigentlichen Strafzeit als Bauern angesiedelt werden. — Im Königreich Polen ist das Verhältniß der Fabrikarbeiter ein anderes: dort sind sie Städter. Wir knüpfen hieran unsere Bemerkungen über dic russische Organisation dcr Arbeit, worunter wir die socialen Verhältnisse dcr Arbeiter verstehen, die in Rußland allerdings einigermaßen organisirt genannt werden können, wenigstens mehr als heutigen Tages iu dem größten Theile von Deutschland uud anderen Ländern des westlichen Europa, — freilich in einem andern Sinne, als in welchem dieser Ausdruck in der neuesten Icit gebraucht wird. Wir meinen nämlich damit zwar ebenfalls eine gewisse Selbständigkeit und eine. ihren Unterhalt wenigstens einigermaßen sichernde Lage dcr arbeitenden Klassen dcS Volks, welche darauf beruht, daß die Individuen 572 nicht isolirt, sondern in geregelten Genossenschaften nach der Beschaffenheit ihrer Arbeiten nnter einander verbunden sind, sehen dabei aber vorans, dasi sie nnter den allgemeinen Gesetzen der bürgerlichen Gesellschaft nnd mit den übrigen Klassen des Volks in einer dem Gemeinwohl dienenden Vcrbindnng stehn, welches letztere namentlich in den modernen Theorien, betreffend die Organisation der Arbeit, ansier Acht gelassen wird. Als den ursprünglichen Kern einer Standcsorgam'sation der gcwerbtreibenden oder wenigstens der, gewcrktreibenden Klasse betrachten wir den Handwerkerstand, namentlich wie er sich im städtischen Gemeindewesen organism. Vine solche Entwick-lnng dieses Standes, wie wir sie in der Geschichte der dentschen Städte finden, zeigt sich uns in Rußland nicht;^) übcrhanpt ist ein solches gegliedertes Corporationswescn, wie es uns die deutschen Zünfte darstellen, dem russischen Volke fremd. Zwar ist der Nnsse sehr geneigt, sich mit seines Gleichen zu vergesellschafte!!. Davon geben die hänfigcn Vereine unter Fabrikarbeitern, Fuhrleuten und anderen Gewerbsgrnossen Beispiele genug. Allein diese Vereine (Artels genannt, etwa mit der ursprünglichen Bedeutung des deutschen Wortes Zeche) gehn gewöhnlich nnr auf Errichtung einer gemeinschaftlichen Casse und auf die Wahl eines gemeinsamen Agenten oder Vorstandes zur Betreibung einer speciellen Angelegenheit der Genossen (z. V. Speisung der Arbeiter einer Fabrik für gemeinschaftliche Rechnung). Es ist damit ähnlich, wie mit den hentigcn Tages so häufigen Actieugcsellschaften, welche weit entfernt sind, Cor-porationen im alten Sinne des Wortes zu sein, d. h. Vereine mit Abstnsung und organischer Gliederung der Genossen, in denen die Interessen der Individuen sich einem höheren selbst-ständigcn Zwecke der Gesammtheit unterordnen. Der Zweck jener Associationen ist vielmehr nur die Erreichung gewisser Vortheile für die Individuen, wie der Dividende bei den Ac-iiengcsellschaften. So finden wir denn auch nicht als cinhci- ') Man vtt'Mä'c dic iulcrcsscnitc Mhaudlimg: Zur Geschiä'tc dcr Haudwerkc in Rußland, in Grman'c- Archiv ic. Jahrgang 16«. Hcft 2, I73^ misch bei den Nüssen diese eigenthümliche, mit dcm Znnftwcsctt in so genauer Verbindung stehende Verfassung der gcrmauischcn Städte (die sich allerdings auch iu den deutschen Städten der Ostseeprovinzen ausgebildet hat). Vielmehr unterschied sich allem Ansehen nach die ursprüngliche russische städtische Gemcin-devcrfassung im Wesentlichen wenig oder gar nicht von der ländlichen. Erst dnrch die neuere Gesetzgebung, besonders unter Eatharina II. und Paul I., wurden gewisse äußere Formen des germanischen Stadt- und Zunftwesens eingeführt, freilich in einer Weise, Welche zwar mehrere der Mißbrauche, die das Letztere in Deutschland so häufig verunstaltet haben, nicht aufkommen ließ, aber auch größtcutheils der eigenthümlichen Vortheile desselben und seines eigenthümlichen Geistes entbehrt. Es besteht nämlich daneben die Gewerbefrcihcit, wenn auch uicht der Form, doch der Sache uach iu vollem Maaße, so daß von dcm doppelten Schuhe, den das deutsche mittelalterliche Zunftwesen cincsthcils den Gewerbetreibenden gegen übermäßige Eoucurreuz, andcrcnchcils dcm Publikum gegen Pfuscherei gewährte, nicht die Ncde sein kann. Nach der bestehenden Gesetzgebung soll allerdings jedes Handwerk in jeder Stadt einen Verein, eine Zunft oder Innung, bildcn, und zwar unter einem von ihnen gewählten Vorsteher (Acltesteu), der im Stadtrache Sitz hat, wie deun auch alle Zünfte ciucr Stadt zusammen das Zunfthaupt wähleu, welches gleichfalls im Sladtrathe sitzt. Es finden Vcstimmnngcn über die Gcsellcn-und Lehrzeit, auch über eine Untcrordnuug der Gcselleu und Lehrlinge uuter die Meister statt. (Das Naudern ist erlaubt, uicht vorgeschrieben.) Im Gesetze heißt es nur allgemein: Jeder, der in einer Stadt, in welcher eine Iuuft errichtet sei, ein Handwerk treiben wolle, müsse sich in die Zunft einschreiben lassen. Aber dicS ist uicht viel mehr als eine leere Formel, da uicht nur die Fabnkauteu uud in Fabriken arbeitenden Leute vou solcher Beschränkung frei sind, sondern auch weiter gesagt ist, die Grwcrbuug des täglichen Unterhalts durch eigne Haudarbeit dürfe die Zunft Niemandem verwehren. Die Bc-fuguiß Gesellcu uud Lehrlinge zu haltcu ist, den Worten des Gesetzes nach, durch die Aufuahme iu die Innnng bedingt und 574 dicse Aufnahme zur Meisterschaft seht (nach dcr Vorschrift) cinc Prüfung durch die Zunftältcrlcute voraus (deren Resultat übrigens allein die Aufnahme bedingt). Aber anch dieser Vorzug der zünftigen Handwerker ist größlcnthcils illusorisch, weil anch die anderen gewerbetreibenden Klassen der Stadter Befugnisse haben, die darin eingreifen. Die erste dieser Klassen bilden die in drei Gilden getheilten Kanflente. Die Einschreibung in diese Gilden, deren erste Bedingung der Vesih einer gewissen Capitalsumme ist, berechtigt nicht unr znm Handel, und zwar diejenige der beiden ersten znm Großhandel, sondern auch zu Fabriken, zn Handwerkerschaften nnd den verschiedensten Ge-wcrbszwcigcn (mit gewissen Beschränkungen für die drille Gilde). Dabei sollen freilich ihre Arbeiter nnd Lehrlinge ihren Handwerken gemäß zu den verschiedenen Zunftämiern eingeschrieben sein, aber Fabriken machen davon eine Ausnahme. — Von einem Schutze des kleinen Handwerkers gegen die Concurrcnz des großen Kapitalisten ist also keine Rede. — Eine eigene berechtigte Klasse ist ferner die dcr Gäste, d. h. dcr Anslän-der, da es geschlich Fremden aller Nationen und Religionen gestaltet ist, sich in russischen Städten niederzulassen, wo sie ohne Untcrthancneigenschaft gegen eine Abgabe in die Zünfte und, bei erforderlichem Capitalbcsitz, in die wichtigsten Rechte dcr cr-sten und zweiten Gilde eintreten können. Zn bemerken ist aber, daß sie nur im Großen Waaren und zwar von russischen Kaufleuten und Gutsbesitzern, auch nur in Städten und FIck-kcn, nicht auf dcm Lande, kaufen können. Auch ist ihnen im Allgemeinen nicht nur dcr Handel mit Detailhändlcrn, Bürgern und Bauern, sonvcru auch mit Ausländern innerhalb dcS Landes untersagt (doch soll, nach öffentlichen Blattern, von jener Regel kürzlich die Ausnahme gemacht sein, daß sie in Rußland Getreide und andere Landcsproductc von den Produceuten kaufen dürfen). Kein Ausländer darf in Rußland mit einem andern Ausla'udcr handeln; da dic Ausländer aber, wie Schubert angiebt, ihre Waaren auf dcu Mcs-seu verkaufen dürfen, so machen diese Messen ohne Zweifel eiuc Ausnahme. W zeigt sich hier das Vcstrcbc», den Biuncnhan-dcl dcr Nationalrusscu zu erhalten und sie in so weit gcgcn dic 979 Ncbcrlegenhcil der Fremden zu schützen, durch welche sie vom auswärtigen Handel, mit Ausnahme des asiatischen, so gut wie ganz ausgeschlossen werden.^) Wenn , nie sieht man wie in anderen Ländern, die ärmste Klasse bei starker Kälte, ohne diese Bedeckung. — Die Stubcnwärme entbehrt das gemeine Voll nirgends." — Aei Kohl sinbct sich anficr der bcrcils 5ö2 Ein zweiter Beweis dafür ist dcr Umstand, daß der Arbeitslohn häufig einen Neberschusi über dcn NntcrhciliSbedarf des Arbeiters, also cin reines Einkommen, eine Rente, gewahrt, die sich im Obrok zeigt. Der Obrok ist zwar in seiner ursprünglichen Bedeutung eine Abgabe von dem Lande, welches dcr Bauer in Besitz hat, an dcn Eigenthümer desselben und bedeutet milhin die Grundrente selbst eigentlich noch bei dem auf Fabrikarbcit ausgehenden Bauer, dcr (wie bemerkt) seinen Landanthcil behält. Aber in der Regel bedingt sich der Herr für den Paß oder die Erlaubniß zu wandern und sich zu vcr< miethen, einen bedeutend höh ern Obrok, als er von dem bloßen Landbaucr bekommt, und dcr Leibeigne bezahlt solchen willig und gern, weil er mit der Fabrikarbcit mehr verdient, als mit dem Landban. — Ferner giebt es außer den landbc-fitzcuden Bauern noch andere Leibeigene, nämlich die Hofeslcule (das Hausgesinde), welche ebenfalls Pässe erhalten und dafür Obrok zahlen. — Verschiedene Angaben über die Größe des Arbeitslohnes sind schon früher im ersten Bande erwähnt und mit den Gelreidepreisen (über welche wir anch oben in diesem Abschnitte Näheres angeführt haben) zusammengestellt. Um diesen Punkt jedoch noch näher zu beleuchten, fügen wir folgende specielle Notizen über Lohnsähe hinzu, welche wir anS theilweise bedeutend von einander abweichenden Angaben als die anscheinend richtigsten znsammcu stellen. Natürlicherweise muß mail angeführten Slellc noch folgende (St. Petersburg, in Bilder» und Skiern, Leipzig und Dresden 1841, Th. l, S. 8.): Es giebt in keiner einigen russischen Stadt so schucideude Coutraste fischen Elend und Lnrils, wie fast in jeder beliebigen Stadt Westeuropas, obgleich allerdings die Verschiedenheiten zwischen der rohen Einfachheit dcr Ginen nnd dein Ueberfiussc der Andern grob genug sind. — Der böse Geist der Gier nach dcn von Anderen in Besih genommenen Gittern ist im russischen Volke noch nicht erwacht. Sie haben satt zu essen, wcnu auch mir rohen Kohl (?) und grobes Brod, «ud kleiden sich vollstäüdin,, wenn auch nur mit Sackleinwand und Schaft-feilen. Die Vorstädte der Arbeiter und die Quartiere dcS „schwartn VoltS" 5U St. Petersburg sind dahcr durch nichts anstoßig odcr verletzend, obgleich allerdings wüste, ode uud unschön, >md also auch durch nichts wohlgefällig. 583 hiebei verschiedene Kategorien beachten. Zunächst natürlicherweise die verschiedene Qualität der Arbeit, in Bezug anf welche man wohl im Allgemeinen behaupten darf, daß Arbeiten, zn welchen besondere Fähigkeiten erfordert werden, in Rußland nicht bloß in denselben Verhältnissen, wie in anderen Landern, besser als die gemeine Handarbeit bezahlt werden, sondern in einem stärkeren Verhältnisse, weil dic höheren Grade der Gcschicklichkeit nnd Knnstbildung sich dort jetzt noch seltner' finden. Es gehört dahin schon die reichliche Vezahlnng der Handwerker in den Städten, wovon wir früher gesprochen haben. Wenn ein Paar Schuhe theurer zn Moskau als zn Berlin ist, so liegt dabei besonders der hohe Arbeitslohn zum Grunde, da das Material und der nothwendigste Lebensunterhalt dort (wenigstens bei niedrigen Getreidcpreisen) ohne Zweifel wohlfeiler sind als hier. — Arbeiten höherer Art, namentlich wissenschaftliche nnd kunstreiche Leistungen, werden natürlicherweise vcrhältnistmäsiig noch reichlicher bezahlt, nnd manchc mittelmäßige Snbjettc, die ans westenropäischcn Ländern nach Nnßland kommen, machen dort durch Unterricht oder sonstige dahin gehörige Leistnngen ihr Glück anf eine Weise, die in ihrem Vaterlande selbst höher Begabten nicht gelingt. So wird auch die Leitung nnd Oberaufsicht von Fabriken sehr reichlich nnd vielleicht höher belohnt, als eine schon dem Staatsministerium nahe stehende Beamtcnstellc ldie geringe Besoldung der Staatsbeamten erklärt sich ans der starken (foncnrrcnz, welche der, sich eben durch daS Veamtcnwesen stark vermehrende und mehr und mehr verarmende, anch ausicrdem gewissermaßen indirect znm Staatdicnste, im Militair- oder Civilfach gezwungene Adel macht). ^) Gs giebt ans dem Auslande hcrgekommcne Direetoren von Privatfabriken, welche jährlich IllMN Rubel Ass. Gehalt bekommen, nnd ich habe von einem englischen Werkmeister gehört, dessen Gehalt !2,00« Rubel Ass. betrug. — ") Das Gesetz sagt zwar, daß der Adel nicht gezwungen sei in den allgemeinen Staatsdienst zu trctcn; ein iu^irectcr Zwang liegt al'rr für die Meisten ohye Zweifel darin» dasi »in der Staatsdienst nucn Rang verleiht. 584 So sind auch dic Unterschiede zwischen den Lohnsätzen bei dcn verschiedenen Klassen der Fabrikarbeiter auffallend groß. Wenn man dcn Lohn dcs gemeinen Arbeiters in dcn Fabriken etwa auf 1 Rubel Ass. (9 Sgr.) für dcn Tag berechnen kann, «nd Frauen und Kinder natürlicherweise noch weniger bekommen, so steht sich der Spinner vielleicht um die Hälfte schon besser; aber Weber, Handdruckcr und Nopperinucn werden etwa doppelt so hoch bezahlt. Man kann hin und wieder, namentlich bci den Wcbcrn (bei welchen häufig Stücklohn vorkommt), noch mehr rechnen, wenn cs wahr ist, was ich in einer Fabrik zu Moskau vernahm, dasi die dort beschäftigten Weber jährlich 300 Rubel und mehr nach Hausc mitnähmen. Gs ist dabei zn bemerken, daß man nur ctwa 240 — 200 Arbeitstage im Jahre rechnen kann, je nachdem theils die vielen Festtage der griechischen Kirche mehr oder weniger streng beachtet werden, theils die Arbeiter längere oder kürzere Zeit zu Hause zn-bringcn, wohin sic sich, mit wenigen Ausnahmen, wenigstens einmal im Jahre odcr gar zweimal, nämlich zur Icit der Heu-crndte und zur Ostcrzcit, begeben. — Aus dcn angegebenen Verhältnissen crklärt sich auch, daß der Arbeitslohn nach der Jahreszeit verschieden ist, nämlich im Winter bci dcm stärkeren Angebot von Arbeit, weil dann die Landarbeit ruht, geringer als im Sommer. Nach den mir gemachten Angaben beträgt der Unterschied wenigstens .^ deS Sommcrlohncs. — Eine fernere Kategorie der Unterschiede entsteht aus der verschiedenen Oert-lichkcit. In dieser Beziehung ist zunächst die natürlicherweise besonders wohlfeile häusliche Fabrikarbcit auf dcm Lande, zumal so fern sie in Füllstundcn und in dcr von Landarbeit frcicn Jahreszeit bcfchafft wird, auch sich vielleicht mehrere Hausgenossen dabei> ablösen, zu bemerken. Ein namentliches Beispiel davon ist die schon erwähnte, in dcr Umgegend von Moskau und sonstigen Gcgcndcn dcr industriellen Zone, verbreitete Baumwollcnwcbcrci. Nach mir gemachten Angaben beträgt dcr Lohn dafür nur drei Kopckcn (Kupfergeld) für die Elle (Arschic), und ein solcher Webcr auf dcm Lande verfertigt etwa l0 —12 Men an einem Tage, verdient also 30 — 30 Kopckcn (gcgcn 3'^ Eilbcrgroschcn). Doch soll nach einer an- 989 deren Angabe neuerdings der Lohn (vielleicht in Folge vermehrter Nachfrage nach Arbeiter) anf 6 — ? Kopeken für die Arschic gestiegen sein. Dieses Erwerbes bedarf er aber nicht zu seinem Lebensunterhalte, da er dazu die geringen Erfordernisse ohnehin besitzt, sondern er verwendet den Webcrlohn hauptsächlich zur Berichtigung des ObrokS. — Dasi diese Leute bei geringen Bedürfuisscn und da sic fast nichts zn ihren: Lebensunterhalte zu kaufen brauchen, sehr wohlfeil leben, braucht kaum bemerkt zn werden. Man berechnet ihre täglichen Ausgaben anf etwa 5» Kopeken (etwa I^ Preußische Pfennige). — Ferner bestätigen unsere Erkundigungen, was mau schon vermuthen mußte, daß nämlich in Petersburg, wo der Lebensunterhalt aus mehreren Gründen kostbarer ist, als in den mittleren Gegenden deö europäischen Nußlands, — insbesondere viel kostspieliger, als in der Nähe und im Bereiche der gctrciderci-chcn Zone —, auch die Lohusätzc höher sind. Schon der starke Geldumlauf vcrtheucrt Alles iu jeder großen volkreichcu uud gewerblichen Siadt, wo viel Reichthum zusammenstießt; jene nordische Hauptstadt aber, welche unter einem so ungünstigen Himmclstrichc belegen und von einem so kargen Boden umgeben, aus der Ferne mit> Lcbensmittcln aller Art versorgt werden muß, ist ohne Zweifel einer der theuersten Aufenthaltsorte in ganz Europa swir haben oben schon der verhältnißmäßig hohen dortigen Gcircidcpreise erwähnt). — Nach verschiedenen Angaben glaube ich annehmen zu dürfcu, daß der Arbeitslohn zu Petersburg, nach einem nngcfährcn Durchschnitte, um ein Drittel höher ist, als zu Moskau, so dasi man für die Arbeit, welche hier etwa 25 —30 Rubel monatlich kostet, dort etwa 35 — 40 Rubel bezahlen muß. — Dagegen ist, einer Angabe zufolge, der Lohn zu Kursk, in der gctreidercichcn Zone, beträchtlich niedriger als zu Moskau, indem er monatlich für einen Mann nur 10— l5 Rub., für eine Frau 0 — 8 Rb. betragen soll, wo-gcgcn die Nahrung sogar nur 2 Rubel für den Monat tostet.^) *) Man versteht miler Rubel immer Banco, oder (was dasselbe ist) Assignaten, wenn mau nicht das Wort Silber hinzusetzt; eben so werden nntcr Kopeken, rh,ic denselben Zusatz, die huu- 58ö Die vorstehenden Angaben bestätigen dic schon früher von uns dnrch verschiedene Beispiele belegte Behauptung, daß schon der Geldlohn im Allgemeinen in Nnßland höher ist, als m Denischland. So bemerkte mir anch der früher erwähnte Vic-lefelder Bleicher zn Gora-Pjatnihkaja, daß cine geschickte Weberin zn Welikoe-Sclo doppelt so viel verdiene, als zu Bielefeld, nämlich l Nudel V. täglich. — Aber was den Sachlohn betrifft so dürfte der Unterschied zu Gunsten des russischen Arbeiters noch bedeutend höher anzuschlagen sein. Auch in dieser Beziehung kann ich mich auf frühere Angaben (an der Stelle unseres Buches, wo die deutschen nnd russischen Getreidevreisc verglichen sind) berufen, füge aber hier uoch einige mir von russischen Fabrikanten und andern kundigen Personen mitgetheilte Notizen über den Untcrhaltsbedarf des russischen Arbeiters hinzu, wobei freilich auch in Betracht kommt, daß die Bedürfnisse des gemeinen Mannes' in Rußland so gering sind.— Nach der geringsten, mir gemachten Angabe ist der monatliche Bedarf des gemeinen Arbeiters zu Moskau au Nahrungsmitteln nur 5 Rubel; aber von einigen Fabrikanten ist mir der monatliche Untcrhallsbedarf zu 9—12 Rubel, ja von Vincm zu 15 Nubel angegeben, wobei jedoch wohl Kleidung, Wohuung und Sonstiges, namentlich das wöchentlich einmal unerläßliche Bad mitgerechnet wird (jedoch ist die Wohnnng meistens für nichts zn rechnen, da der Fabrikarbeiter mchren-theils in dem Fabrikgebäude, nach russischer Weise, ohne Bett, ans seinem Pelze schläft). — Ein kundiger Mittheiln gab den jährlichen Bedarf der Nahruug zu 75—125, der Kleiduug zu 35 — 70, und der Wohnung (wenn diese überall mit in Anschlag komme) zu 35 Rubel Ass. an. Zn Petersburg dagegen schwankten die Angaben der Fabrikanten über den monatlichen Unterhaltsbedcn'f zwischen 10^ und 2« Rubeln. ES siud bei diesen Angaben erwachsene Arbeiter zu verstehen. Der Unterhalt von Knaben, welche die Fabrikcirbcltcn für eine bestimmte Anzahl Jahre als Lehrlinge unter Verpflichtung zu ihrem Uu- d«'!, dem bekannten Buche: Die Ginopäische Pen tarchic, S. 347, findet sich die Schilderung einer solchen häuslichen, in einem Zimmer angelegten Fabrik, nach einem mir imbefannten Neisebeschreiber Name»«? Schmal;. ^593 ihre eigne Thätigkeit verwenden (der Unternehmer), so können wir uns im Ganzen anf den vorhergehenden Abschnitt beziehen, in so weit die dort angeführten Einrichtungen, betreffend die Organisation der Arbeit, anch hierher gehören, weil die Unternehmer, theils als Handwerker selbst Mitarbeiter, theils als große Fabrikanten, Hänpter und Leiter von Arbeitern sind. Wir haben dort, namentlich was die Letzteren betrifft, schon angeführt, daß die Mitgliedschaft einer Gilde das Nccht giebt, Fabriken anzulegen. Namentlich muß man wenigstens Mitglied der dritten Gilde sein, wenn man nicht zum erblichen Adel gehört. Denn dieser hat, ohne sich in eine Gilde einschreiben zu lassen, daS Recht auf seinen Gütern Fabriken anzulegen, — eine Vestimmnng, die uns, freilich, zumal nach den älteren germanischen Vegriffcn (nach welchen der Adel nicht handeln oder im engern Sinne Gewerbe treiben durfte), auffallend erscheinen mag und um so mehr zu Mißbrauchen führen könnte (auch thcilweisc dazu geführt hat), da es dem Adel nicht untersagt ward, sein Lcibherrenrecht anch zn diesem Vchnfe zn benutzen. — Der Adlige, welcher ill einer Stadt eine Fabrik anlegen will, muß sich in eine Gilde aufnehmen lassen. — Ucbrigens soll es unter den circa 7000 Fabriken, welche man im ganzen russischen Reiche findet, nnr noch etwa 500 adlige geben. Ueber die persönlichen Verhältnisse der Darleiher von Kapital zu Gc-werbsnntcrnchmungen ist natürlicherweise nichts Besonderes zu bemerken. Wir fnchen demnächst die Frage zu beantworten, ob es in Nnßland im Allgemeinen und im Verhältnisse zu audcren Ländern viel oder wenig Kapital giebt — eine für die Beurtheilung der gewerblichen Verhältnisse und deren Verglci-chung mit denen anderer Länder sehr wichtige Frage, da vorzüglich von der vorhandenen Menge des Kapitals der Kapi-talgcwinnstsatz (pr, Dculstl'laud von dtr Nnl'eftechliä knl dcr dt,, die Rtde war, sagte cm solclnv: „wcm, nm- a„ch etwas uch-mtn wolltc». hicr wiirdc uns Nie»«u,d etwa« geben." 598 schinenfabrikeu, aber jenc sind für den russischen Unternehmer schon an sich häusig zu theuer imd werden natürlicherweise durch dcn wcitcn Transport noch theurer, und diese, dcrcu es auch erst einige wenige giebt, will mau noch cbcn nicht loben. Auch sind weder die Arbeiter, noch dic Rohstoffe allenthalben zu der Behandlung durch Maschinen geeignet (z. V. wird dieses von der russischen Wolle behanptct). Ferner ist der Absatz in Nußland (wovon wir heruach uoch besonders reden werdeu) nicht stark genug, um den Maschine»! die beständige und fast ununterbrochene Beschäftigung zn geben, welche meistens nöthig ist, um das ans sie verwandte Kapkal mit Zinsen in angemessener Zeit zu ersehen. Dies ist z. B. dcr Fall bei dcn feineren Nnmmern des Baumwollengarns, welche, uugcachtet der in der Vanmwollcnsviuncrci gemachten Fortschritte, vom Auslande bezogen werden. — Aus dergleichen Ursachen ist eS zu erklären, daß namentlich die Maschinenwcberei (welche ja anch selbst in Deutschland noch selten ist) fast uoch gar nicht in Nusilaud vorkommt. — Es kommen dazu die schon erwähnten Verhältnisse und Gewohnheiten der Arbeiter, so wie die (unten uoch näher zu erwähnenden) Verhältnisse dcr Communication, wodurch zeitweilige Unterbrechungen in den Fabrik-arbeitcn hervorgebracht werden. — Zu den Vediuguugcn dcr Erleichterung und Vervollkommnung dcr russischen Industrie in dcr vorliegenden Vezichuug würde anch die Vervollkommnung derjenigen Rohstoffe gehören, welche, wie Schaafwollc nnd Flachs, vou Rußlaud iu großer Menge, aber (wie oben bemerkt ist) größleutheils noch unvollkommcu erzeugt wcrdcu, so wie die Vermehrung dcrjeuigeu, welche, wie Baumwolle uud Seide, vou den durch das Klima dazu geeigneten Theilen dieses Reichs für jetzt nur in geringer Menge gewonnen werden. Auf Beides arbeitet aber die Regierung hin. — Die vom Auslande zu beziehenden Roh - uud Hülfstoffc werdet» natürlicherweise noch mehr als die iuuercu, auch bei mäßigeu Frachtpreisen, durch dcn wcilcnT r a n s p o r t vcrtheucrt, während die große Aus-dchnuug des Reichs schon für die letzteren, so fern sie nicht in der Gegend der Fabrikation erzeugt werden, in derselben Beziehung in Allschlag zu bringen ist. Es ist hicbci zu bemerken, 599 daß die Gegenden, in welchen das Fabrikwesen am meisten verbreitet ist, nämlich diejenigen, welche die früher beschriebene industrielle Zone ausmachen, sich über einen Flächenraum von l?,0N<) Quadratmcilcn durch die Mitte dcS europäischen Rnß-landS erstrecken und auch ihre inländischen Rohstoffe großentheils ans anderen Gegenden des Reichs beziehen müssen. ^) Daß gewisse Noh- und Hülfsstoffc in gewissen Gegenden Nußlands, deren Hanpterzeugnissc sie ausmachen, sehr wohlfeil sind, liegt in den natürlichen Bedingungen: so Getreide und Holz; aber welchen Einfluß der Transport schon bei jenem ersteren Artikel auch innerhalb der Grenzen des Reichs ausübt, haben wir früher bemerkt, und wie die (früher geschilderte) Holzvcrwüstung gerade in der fabrikrcichsten Gegend in dieser Vezichnng wirken muß, ist von selbst klar. Zn Mchailowsk, in der früher beschriebenen Nübenzuckerfabrik, kostet der Saschcn Brennholz (mit dem Fuhrlohne) 30 Rubcl, zn Moskau 20 Rubel, 70 Wcrstc von Moskau aber uur 2 Nnbcl.^) Steinkohlenlager sind bisher noch nicht in großer Menge und angemessener Güte aufgefunden worden. In der gcwcrbrcichcn Zone kommen sie nur unfern ihrer südlichen Grenze, sonst aber außerhalb derselben im südlichen Rußland vor, so daß sie von den meisten Fabrikanten unr mit übermäßigen Kosten bezogen werden tonnen. Zu Moskau kosten die Steinkohlen, welche in der Gegend -) Von Reden fa. a. O. S. NN.) hat die Preise der fremdländischen, Hauplfabrikmatcrialien, wie sie zu Moskau Anfangs October <342 standen, verzeichnet und mit den H a mbur ssischeu Preisen derselben Zeit vergliche!^ Vei allen Artikeln ist der höhere Stand der (5'lftcrcu auffallend (der freilich bei einzelnen. ;. V. der Baumwolle, theilweisc cuick vom Gin fnhr zolle herrührt). So z. A. kostete der Rentner amerikanischer Baumwolle in Hamburg . s. w. ") Gs ist hiebci zu bemerken, daß das Holz, welches man in der Zucker« fabrik zu Mlchailowsl verbraucht, Eichenholz ist, wor^u in Mos-lau »icht die Rede sein kann. — Ein Saschen ist --^i Alschinn« oder ctwaS mehr als ti» Faden. U00 von Tula gcwonncn werden und dort für 2^ Kopeken (Kupfergeld) das Pud zu habcu sind, mit dem Transport schou 10 bis 12 Kopeken. Nach Petersburg kommen englische Steinkohlen als Ballast, welche dort 25 Kopeken K., das Pud, kosten. Abcr nicht allein das Product, sondern anch d'cr Reinertrag des Kapitals für den Gcwerbsuntcrnchmcr ist vergleichsweise in Rußland beschränkt, weil der Absatz der Ge-wcrbsproducte viel weniger ausgedehnt ist, als im westlichen Europa. — Die Cousumtion von Fabrikwaarcn ist in Rußland vcrhältnißmäßig noch sehr gering, da sie sich meistens auf dcn Adel und die Städter beschränkt. Ich habe schon bemerkt, daß dcr russische Bauer sich früher AlleS selbst verfertigte, was er an Kleidung, Wohnuug und Gcräthschaften brauchte, und großcntheils ist dies noch jetzt dcr Fall, wenn gleich da, wo Gewerbe und Verkehr verbreitet sind, sich die Sache schon geändert und z. V. der Gebrauch von baumwollenen Neberhemdcn, von ledernem Fußzenge statt dcr Bastschuhe, von tuchenen Kaftans ?c. sich in einigen Gegenden stark verbreitet hat. ^ Wie manche Zweige der Fabrifprodmtion giebt es aber, die dcn Bauernstand gar nicht berühren, und wie zahlreich ist doch dieser Stand in Vergleich mit dcn audcren Ständen! — Wir erinnern an die obigen Bemerkungen über das Verhältniß dcr städtischen Bevölkerung zur ländlichen. Den Adel kann man großcnthcils zn beiden rechnen, da ein Theil, namentlich der geringer bemittelte, sich gewöhnlich auf seinen Gütern, ein anderer Theil, namcnllich dcr Vcamtenadel, in den Städten, ein Theil auch, nämlich der reiche, abwechselnd in den großen Städten und auf seinen Gütern sich aufhalt. Aber waS den ?ldcl überhaupt betrifft, so vernimmt man im Allgemeinen die Klage, daß er an Reichthum und mithin an Kauffähigkcit mehr und mehr abnimmt (wovon dcr Hauptgrund, neben dem Lunls, wohl in dcn Grblheilungcn der Landgüter zn suchen ist). — Nur einzelne adlichc Familien sind ausnahmsweise sehr reich. In Moskan vernimmt man schon Klagen darüber, daß zuviel für dcn Absah fabncirt wcrde. — Es kommt hicbci auch die Beschaffenheit der russischen Communlcationsmittcl in Betracht: die Mangelhaftigkcit der Landstraßen, wodurch dcr 601 Landvcrkchr großcntheils auf die Jahreszeit dcr Schlittenbahnen beschränkt wird, ebenso der unvollkommene Zustand mehrerer wichtigen Wasserstraßen, welche etwa nur im Frühjahre und Herbste die Schifffahrt erlauben; nicht minder dic ganze Organisation des Binnenhandels, welcher hanplsächlich an die Märkte, also an einzelne Zeitpunkte gebnndcn ist, so daß cm Sachverständiger auch in dieser Vezichnng sagen konnte, die russische Industrie sei intermiitirend (was übrigens für die russischen Zustände ganz passend scheint). — Endlich vernahmen wir mehrmals die Bemerkung, daß die Mißjahre dem Absätze dcr Fabriken sehr geschadet hätten, wclchcS sehr erklärlich ist, da das Einkommen des Adels und Bauernstandes im Allgemeinen vom Ertrage dcr Rohproductc abhängt. Mißerndtcn sind aber, wie frühc.r bemerkt, nicht selten. — Was insbesondere den auswärtigen Absatz betrifft, so beschrankt sich bekanntlich die AuS fuhr Rußlands, sofern von Fabrikaten die Ncdc ist, mit Ans-nahmc derjenigen, welche über die asiatischen Grenzen gehen, und etwa einiger ganz speciellen Artitcl, auf Artikel geringerer und' gröberer Galtung, wie Segeltuch, Taue, Leder, Talglichte und dergleichen. — Tuch geht in bedeutender Menge nach China. Eifcnsabrikale, Gewebe u. dgl. finden bei verschiedenen mittelasiatischen Völkern Absatz. Dieß aber kann für das große Nnß-land von keiner sonderlichen Bedeutung sein. — Daß die russischen Fabriken die Concunenz der weiter fortgeschrittenen Ausländer, im Auslande unter gleichen Umständen nicht bestchn können, bedarf keiner Auseinandersetzung; aber wenn davon znm Theil dcr Mangel an Wohlfeilheit Ursache ist, so ist derselbe Mangel auch gewissermaßen wiederum Folge des beschränkten Absatzes, weil nämlich der beschränkte Absatz dem Fabrikanten nicht erlaubt, seine Unternehmungen so ins Große zu treiben, Wie es namentlich in England nnd Frankreich geschieht. Wic wichtig dieser Punkt ist, davon gab mir ein Moslemischer Fabrikant, dcr Lampen und Bronccsachcn verfertigt, ein Beispiel. Indem er bemerkte, daß die Einfuhr gewisser Artikel, wie er sie verfertige, in Nußland verboten sei, und er, wenn dieses Verbot aufgehoben würde, seine Arbeit einstellen müßte, führte er an, daß, während er von einem gewissen Artikel lö00 Stück 602 absetze, cm Pariser Fabrikant 1500 Dutzend davon verkauft. Die Bedeutung dieses Verhältnisses iu der vorliegenden Beziehung läßt sich beispielsweise folgendermaßen tlar machen. Gesetzt, der Verkaufspreis jener Artikel nnd der reine Gewinn sei bei dem Moskauer und dem Pariser Fabrikanten gleich, und namentlich der reine Gewinn betrage bei Gncm wie dem Andern auf 100 Stück 10 Francs, so würde der Moskauer diese lO gewinnen, wahrend der Pariser l2 x 10 — 129 gewönne. Letzterer könnte also den Preis von 100 Stück um 5 Frcs. erniedrigen, um dem Ersteren seine Knnden zu entziehen, da er dann immer noch 60, d. h. sechsmal so viel als jener, gewönne, weil er nämlich zwölfmal so viel als derselbe, verkauft. — Außerdem ist bekaunt, daß auch der verhältnißmäßige Reinertrag eines kleineren Unternehmens in der Regel geringer ist, als der eines größeren, weil die Auslagen und Kosten nicht im Verhältnisse des Umfanges,dcr Production zunehmen, also z. B. bei 100 Dutzend nicht zwölfmal größer zu sein brauchen, als bei 100 Stück, nnd da ferner der größere Unternehmer sich dnrch vollkomnmerc Einrichtungen, Bcnntzung von Conjunctn-ren u. s. w. Vortheile verschaffen kann, auf welche der kleinere verzichten mnß. Wir haben schließlich in diesem Abschnitte über die Verhältnisse des Capitals noch eine Seite derselben hervorznhcbcn, welche freilich auch für die Verhältnisse der Arbeit so wie in mehreren anderen schon berührten Beziehungen von großer Wichtigkeit lst. Wenn nämlich, wie oben bemerkt, die Menge des Capitals übcrhanpl in Rnßland vcrhältnißmäßig noch nicht groß ist, so darf man doch behaupten, daß der Repräsentant desselben im Verkehr, nämlich das Geld, in größerer Menge vorhanden ist, als man nach dem allgemeinen Verhältnisse des Capitals erwarten sollte, wie es denn auch ans bekannten Ursachen, nämlich durch die Handelsbilanz und die Geldgewinnung in Sibirien fortwährend sich stark vermehrt. — Freilich dürfte es eine Unmöglichkeit sein nnd bleiben, die Summe des in einem großen Staate befindlichen Geldes auch nur mit einiger Zuverlässigkeit und Genauigkeit statistisch zu ermitteln. Nur die Summc des Papiergeldes kann man natürlicherweise insofern 603 kennen, als anzunehmen ist, daß die Menge der Verlornen und zerstörten Stücke nicht bedeutend fcin wird, und als kein ausländisches Papiergeld circulirt. Aber in Betreff des baarcn Geldes müßte man die jährlich gemünzte Quantität bis zu dem Jahre der ältesten, noch vorhandenen inländischen Münzen hinauf, ferner den Betrag der jährlichen Abnuhuug, Einschmelzung nnd Ausfuhr derselben und endlich die Einfuhr, Abnutzung und Einschmelzuug dcr fremden, im Lande circulircndcn Münzen ermitteln, wenn man nicht etwa die Kasse jcdcs^ einzelnen Einwohners untersuchen will. Da es aber auch wiederum uicht auf die absolute, im Lande befindliche Geldmenge, sondern auf deren Verhältniß zum Bedürfniß der Circulation ankommt, nnd cm Land, welches mchr Geld als ein anderes hat, doch nicht relativ reicher als dieses ist, wenn es in demselben Verhältnisse mehr Geld brancht, so müßte man eben auch die Stärke dcr Circulation ansmillcln, um zu einem brauchbaren Resultate zu gelangen. — Aber die Statistik hat es noch lange nicht so weit gebracht, alles dieseö möglich zu machen. WaS die absolute Geldmenge betrifft, so wird man vielleicht den Betrag dcS in einem mehr oder weniger laugen Zeiträume gemünzten Geldes wissen können und die, freilich immer sehr un-genane Handelsbilanz von einer Neihe von Jahren besitzen, in Betreff der Circulation aber wird theils die Dichtigkeit der Bevölkerung, theils das Abgabenwescn, theils die Etnfe der technischen Production und des Handels, auf welcher ein Land steht, einige Anhaltspuukte, wenigstens znr Vcrgleichung mit anderen Ländern, darbieten können. — Nenn man alles dieses erwägt, so kann man auf die Angabe wenig Gewicht legen, daß dcr Geldvorrath im europäischen Rußland 350 Millionen Thaler betrage und also nur 5,6 Thlr. auf den Kopf ausmache, während mau durchschnittlich für gauz Europa 12,4 Thlr. auf den Kopf rechnen könne. ^) Zuvörderst ist die angegebene Snmmc viel zu gering, da ") Von Reden, Allgemeine Handels- nnd Gewcrbagcogla-Phie und Statistik, Vcrlm 18«, S. 532, enthält diese Änga-bcn (wahrscheiulick nach Humboldt). 604 (nach ohne Zweifel officicllcr Angabc dcs ^«umal cl« 3t. P6 l<>^lic)^l,^, (i. 1!). lum >4. 5uill^! 1843) allein in den 30 Jahren (von 1813 bis 1842) anS im Inlandc gewonnenem Golde und Silber der Betrag von 292,203,073 Nudeln Silber (gegen 330 Millionen Thlr. Pr. Eonr.) vcrmi'mzt wor-.den ist, nnd die auswärtige Handelsbilanz, nach den officiellcn Tabellen, allein in den 1? Jahren von 1824 bis 1841 einen Uebcrschuß der Einfuhr baarer Snmmcn in Gold nnd Silber über die Nnsfnhr, betragend 40,485,033 Nnbcl Silber, crgicbt. (Von Neden, das Kaiserreich Rußland n., S. 132 fg.) Anßerdem sind (nach von Ncdcn, ebcnd. S. 132) in den Jahren 1823— 1838 an Gold 517 Pud, 3? Pfund nnd an Silber 9736 Pud ans dem Auslande für den Kaiserlichen Münzhof zn St. Petersburg verschrieben worden. An Platina ist ferner während der Jahre 18l9 —1838 der Belrag von 2,4^)8,009 Silbcrrnbcln vcrmünzt worden (eben dort S. 142; doch ist die Platinamünzc jetzt außer Eurs gesetzt nnd wird wieder eingezogen). — Sodann ist der Werth dcs im Reiche umlaufenden Kupfergeldes auf 18,000,000 Silber-rnbc! berechnet.^) Endlich erhellt ans den nenestcn Bekanntmachungen und Vcrordnnngcn über Papiergeld, daß man den ganzen Vctrag alles im Reiche circnlirendcn Papiergeldes zu beinahe 200 Millionen Rubel Silber annehmen kann,'"«) Erwägen wir nun, wie gering im Verhältnisse zn andern europäischen Staaten das Bedürfniß der Circulation bei dem so *) Früher ist der Actrag dc6 Kllpftrgeldcs viel Hoher g<,ftba!)t (m. s. Wurst, Vctracbinlisteu über einige Gegenstände der russische« StaatsU'N'thfcl'afl. Äcrlin 180<;, S. 1!1)^ cS ist aber viel Kupfergeld aufführt, weil ihiu cili ;» geringcr Werth im Verhältniß zum Rohkupfer beigelegt war. ^) Mau vergl. meinen Aufsah Url, er die Handels gcsehgel'ung Rußlands in Ve^ichung auf dle V erh ältni ssc zuni AuS-laude, insbesondere ,u Preußen und dem deutschen Zollvereine in Huberö Ianu^, Jahrgang l845, Heft 1^ S. 358. — Iu diesem ?l»fsatzo habe ich schon mehrere dcr obigen Daten lurz zuscuilmeiigestellt, u>n daraus Folgcnmgm zur Vcurihci--lung dcr russischen Iollgefthgebung ;u ziehen. 005 großen llcbergewichtc der landbauendcn Bevölkerung sein muß, welche wohl noch immer größtenthcils (namentlich die von den großen Städten und Landstraßen entfernt wohnende) außer dem Gelde, dessen sie zu den Abgaben bedarf, fast noch gar keines nöthig hat, so dürfen wir gewiß annehmen, daß verhältniß-»näßig ill Rußland viel Geld sich befindet. Diese Annahme wird bestätigt durch dasjenige Symptom, welches für den Nationalökonomen das Sicherste ill dieser Beziehung ist, nämlich die im Allgemeinen herrschende Thcnrnng. Nur eine vcr-hältnißmäßige allgemeine Theurung aller Gegenstände zeigt bekanntlich Wohlfeilhcit des Geldes, mithin Ucbcrstuß davon an, nicht die Thcunmg einzelner Gegenstände, welche entweder von starker Nachfrage nnd geringem Porrathc oder von großen Schaffnngskostcn herrührt, so wie umgekehrt die Wohl-fcilheit solcher Prodnttc des Landes oder der betreffenden Gegend, die im Uebcrstnssc vorhanden sind oder wenig Arbeit kosten, neben jener allgemeinen Thcunmg bcstchn kann, ohne jener Annahme im Wcgc zu stehlt. So ist es in Rußland. Während mail dort über ein Sinken der Preise der landwirth-schaftlichcn Erzeugnisse seit dem Ansänge des neunzehnten Jahrhunderts, vorzüglich zwischen den Jahren 1820 und 1830, geklagt hat (m. s. von Reden a. a. O., S. 90 ff.), welches ohne Zweifel aus besonderen nnd zeitweilig wirkenden Ursachen zu erklären ist nnd sich wahrscheinlich auf den auswärtigen Absatz bezieht, hat man ebendaselbst seit d. I. 1800 eine auffallende Preissteigerung der Gegenstände der wichtigsten Lebensbedürfnisse bemerkt, wie sie in keinem Handelsplätze in Europa nachzuweisen sein soll (man s. von Reden a. a. O., S. 144 fg., wo sich eine Petersburger Prcistabellc der gewöhnlichen LcbcnSmittel von den Jahren 1770 bis 1842 findet, und S. 605, wo das Prohibitivsystem als wahrscheinliche Hauptursachc angegeben wird, und zwar ohne nähere Erklärung, welche doch um so nöthiger wäre, da von Einfuhrverboten oder hoher Belastung solcher Gegenstände nicht die Ncde ist). Eben iir derselben Zeit findet sich die starke Vermehrung des Geldes, wie oben bemerkt (wie gering verhältnißmäßig in älterer Zeit, namentlich der Betrag der jährlichen Vcrmünzung an 606 Gold und Silber war, kann man in dem früher angeführten Werke von Laveau, Uezcn^tion l^ Nn8cs»u, sehen. ^) — Wahrscheinlich hat sich eine ähnliche Preissteigerung in den Provinzialstädten gezeigt. — Es ist allgemein anerkannt nnd jeder Fremde, der nach Nußland kommt, wird es wohl bestätigen, daß es in diesem Lande, wenn anch einzelne Gegenstände (und zwar glücklicherweise meistens die Untcrhaltungsmittcl des gemeinen Volks) sehr wohlfeil sind, thcner zn lcbcn sei (nämlich größtcnlhcils mit Ausnahme der nnterstcn Volksklassen), wahrscheinlich theurer als, etwa England ausgenommen, in irgend einem anderen europäischen Lande. — Die Goldgewinnung in Sibirien hat null besonders in den letzten Jahren so sehr zugenommen, daß, wenn die Bilanz sich nicht ändert und Nußland sich einen Abfluß für sein Geld öffnet, die Preissteigerung am Ende unerträglich werden wird. Die Summe des in Rußland gewonnenen Goldes betrug nämlich im Jahre 1840 583,97 Pud, im Jahre 184l 600,18 Pud, im Jahre 1842 971,13 Pud und im Jahre 1843 1294,93 Pud. Dieser Ertrag des letztgcdachten Jahres hat, wenn wir richtig rechnen, einen Werth von mehr als 20 Millionen Thalern Pr. Crt. — Es ergicbt sich, wenn es so fort geht, von selbst, wie fchr am E,che der auswärtige Absatz russischer Erzeugnisse in der Vcrthcncrung der Schaffungskosten ein Hinderniß finden wird. — Schon hat man die Frage aufgeworfen, woher es komme, daß die Geldvcrmchrung noch nicht merkbarer geworden sei, nnd den großen Umfang des Reiches nebst anderen Ursachen angeführt. Wir glauben, daß sie sich schon merkbar genng gezeigt hat, daß aber allerdings mehr Zeit dazu gehört, als bisher verflossen ist, um noch fühlbarere und ausgedehntere Wirkungen hervorzubringen, und daß endlich eine sehr weist *) £a»cau fags: Do l'annee 1738 a 17G3 on 6mit en monnaie d'argcnt environ 4 5 millions, de 1763 a 1772, 23 millions, de cette mnbe a, 1778, 40 millions. — En pieces d'or on frappa environ 15 millions. — La monnaie de cuivrc misc en circulation dc-puis 1'annee 1762 jusqu'en 1795 s't'leve ä 77 millions dc roubles. N0?^ Maßregel der Regierung dazu beigetragen hat, diese noch entfernt zu halten. Diese ist die Bildung eines großen baarcn Fonds zur Einlösung des Papiergeldes. Wir haben vor einiger Zeit die so gut wie officicllc Angabe in öffentlichen Blättern (Allgem. Prcuß. Zeitung: Schreiben aus St. Petersburg vom 13. März 1846) gelesen, daß sich die ungehcurc Summe von 94M7,<)7l Rubel 27 Kopeken Silber im Nc-scrvcgcwölbe zu diesem Behufe befindet, also für jetzt der Circulation entzogen ist. Nir werden vielleicht später noch auf das unserer Meinung nach sehr richtigen und zweckmäßigen ,Grundsätzen beruhende Verfahren zurück kommen, welches dic russische Regierung in Bezug auf die früher sehr drückende Pa-piergcldschuld des Staates beobachtet hat. — Im Allgemeinen fügen wir den vorstehenden Vcmcrknngcu uoch hiuzu, d.aß uach allen uns mitgetheilten Angaben in Rußland die dortige Fabrik-production, uach Geldpreisen verglichcu, für theurer gehalten wird, als diejenige der westeuropäischen Länder, was wir zwar, wie sich aus dem Obigen crgicbt, mehreren Ursachm zuschreiben, unter welchen aber die zuletzt gedachte uns sehr bcachtcns-werth zu sein scheint. Russische Fabrikanten und Staatsmänner vom Fache haben uns verschiedene Vcrhaltnißzahlm angegeben, wenn sie ausdrücken wollten, um wie viel theurer bei ihnen die Fabnkproduction sei, als im Auslande. Natürlich kann man in solchen Angaben, welche immer mehr oder weniger aus verschiedenen speciellen Thalsachen abgeleitet sind, keine Uebereinstimmung erwarten. Gin Tuchfabrikant sagte uns, die Fabrikation sei etwa um ein Drittel theurer, als im Auslande, ^— ein Seiden- und Vaumwollcufabnkant, sie sei fast doppelt so theuer, — ein Staatsbeamter, dic Tuchfabrikation stehe nur ctwa um 5 Proccnt gegcn die deutsche zurück, die Baumwollcn-gewebc aber seien um 80 Proccnt theurer, als die englischen. Aber über die allgemeine Thatsache der dortigen größeren Theu-rung vernahmen wir nirgends einen Zweifel. So sagte man uns auch, daß dic Regierung die Schiencnlicfcrungcn zur Moskau-Petersburger Eisenbahn nur zum Thcil bei russischen Fabrikanten, um sich der einheimischen Industrie nicht ungünstig zu zeigen, bestellt habe, zum übrigen Theile aber bei englischen, 608 da diese sich (trotz des russischen Eiscnrcichthums) zli viel wohlfeilen'» Preisen, als jene, verstanden hätten. 4) Ueber Einrichtungen der Negiernng, betreffend das Gcwcrbewescn. Da von Handel und Kommunikationsmitteln, sowie von Polizei und Instiz ohne zu große Weitläuftigkeit hier nicht besonders gesprochen werden kann, von der Zunft- und Gilde-einrichtnng aber schon oben die Rede gewesen i-st, so beschränken Wir uns hier auf diejenigen Anstalten der Regierung, welche die Förderung des Gcwcrkswcscns ganz im Besonderen bezwecken. Der Regierungsbehörde, welche besonders zu dem Zwecke der Förderung dieses Theils der volkswirtschaftlichen Thätigkeit eingesetzt ist, haben wir znvördcrst zu erwähnen. Dicsc ist das Departement der Maunfacturcn und des innern Handels zu St. Petersburg, eine Abtheilung dcö Ministeriums der Finanzen mit dem dazu gehörenden, aus Fabrikanten (wenigstens großcntheils) bestehenden Mann-facturrathe, von dem auch eine Abtheilung zu Moskau sich befindet, und 16 Manufactur-Comites in verschiedenen Städten. 5) - Unter den hichcr gehörenden Untcrrichtsanstalten der Regierung bemerken wir, außer den.technologischen Vorlesungen auf den Universitäten, vor allen die technologischen Institute zu St. Petersburg und Moskau, vorzugsweise zur Bildung von Handwerkern bestimmt, reich mit Lehrern und Hülfsmitteln ausgestattet. Das Moskowischc haben wir oben einigermaßen beschrieben, das Petersburger (welches ungefähr 309 Schüler enthält) ist ähnlich, doch scheint es, was dic Lchrgcgcnständc betrifft, noch umfangreicher. Der Unterricht *) Schon Peter I. sehte cm Mauufactür-Collegium cm, Welches die Aufsicht iiber alle Fabriken und Manufacture,, führen »nd auf nllc mögliche Verbesserungen ausmertsam sein sollte. 609^ erstreckt sich auch auf dic Zcugbcreitung, namentlich Spiuncu, Weben, Walkcn, Färben uud Drnckcn. Ein deutscher Lehrer der Chemie ist dabei angestellt, welcher anf Kosten dcr Rcgie-ruug fremde Länder, namentlich Deutschland, Frankreich und Italien, bereist hat. Eine besondere Abtheiluug des Instituts ist für das Zeichnen und Modcllircn errichtet. — Von der von der Regierung übernommenen Strogauow'schcn Zeichnenschule zu Moskau haben wir oben gesprochen. Es giebt dort auch noch mehrere Hieher gehörige Schulen, namentlich eine technologische Vorschule uud eine Bauschule, wo unentgeltlicher Unterricht ertheilt wird. — Auch das früher erwähnte, von Dcmidow gestiftete, vom Kaiser und dcr Kaiserin unterstützte weibliche Erziehungsinstitut (m-iison ä'lncki-l>lr>6 von Laveau genannt) kann mau hierher rechuen, da die Handarbeiten der Zöglinge gut genug sciu sollen, um (zu ihrem Besten) verkauft zu werden. — Auf den Apauagegütcru sind Handwerks schulen zum Unterrichte in den, dem Landmannc nöthigsten Handwerken errichtet. — Wir können hiebci ferner das von Catharina II. errichtete, unter dem Vergkollegium und mit diesem unter dem Finanzministerium stehende Vcrg-In-geuicur-Cadctteucorps erwähnen, —eine mit großartigen Hülfsmitteln versehene Vcrgschnle, zu welcher auch ciuc reichhaltige (uach Erman in ihrer Art einzige) mineralogische (oryktogravhisch-gcognostische) Sammlung gehört. Dort findet man Proben aller mineralischen Schätze Sibiriens. Besonders wird das Auge des Beschauers gereizt durch den Goldsaud, die Goldkörner uud die größeren Goldklumpen, welche aus dem Altai und den Goldwäschen seiner Thäler stammen und zu welchen die größte bekannte Goldstnfe gehört, welche 87 Pfund wiegen soll und wohl nicht weniger merkwürdig ist, als das in einem der Zimmer jener Sammlung aufgestellte riesige Mam-muthsgcrivpe, welches man in Sibirien gcfuudcn hat. Eine Sammlung von Modellen aller Vcrgwerksmaschincu ist damit vcrbnnden und im Kellergeschoß und Garten des großartigen Gebäudes, wclchcs die ganze Austalt in sich faßt, findet man ein künstliches Bergwerk mit Stollen, Strecken ?c., dessen laby-m. 39 6l0 rinlhischc Gänge man, die Nachbildung dcr verschiedenen Erzlager betrachtend, dnrchwandcln kann. Von Beförderungsmitteln anderer Art, welche die Regierung für das Gewerkswesen in Anwendung bringt, haben wir die Gcwcrbe-Ansstcllungen^) und das zn Moskau errichtete Magazin russischer Mauufacturproductc bereits erwähnt. — Ferner sind die, neue Erfindungen und Einführung von schon im Auslande bekannten Erfindungen für eine bestimmte Anzahl Jahre privilegircndcn, Patente in Nußland, wie in so manche andere Staaten, nach dem Muster dcr englischen Gesetzgebung eingeführt (V. Nedcu a. a. O. S. 498), Auch kommt vor, daß Fabriken, welche ciucn neuen Zweig des Kunstflcißes znm Gegenstände haben, pri vile girt werden, bis sie etwa die Eoneurrenz aushalten können, welches schon Peter I. verordnet hat. (Ein Beispiel ist die früher erwähnte Müllcr'schc Parkett- und Holzmosaikfabrik zn St. Petersburg.) — Auch sonst werden neue Fabrikanlagen auf mehrfache Weise, z. V. durch Ausweisung des dazu erforderlichen GrnndeS lind Bodens, Erlaß dcr Gildcabgabc auf die ersten drei Jahre u. begünstigt (V> Reden a. a. O. S. 49? ff.). Selbst mit zinscufrcieu Vorschüssen der Krone sollen noch jetzt (wie auch schon zur Zeit Peter's I. geschah) gewisse Fabriken begünstigt werden, z. V. die erwähnte, von den Gebrüdern Vuteuoz zn Moskau errichtete Fabrik landwirtschaftlicher Werkzcnge und Maschinen.^) — Außerdem kommen die von dcr Regierung errichteten Kreditanstalten anch den Fabrikanten zu Hülfe. DicS gilt insbesondere von dcr abseitcn des Staats mit einem Kapitale von 30 Millionen Rubel ausgestatteten Commcrz-bank, welche nicht allein ans Waaren und gewisse Staats- ') Die erste dieser Gewerbe-Ausstellungen fand zu St. Petersburg im Jahre 1829 Statt. — Die für dieselben aufgestellten Regeln sindet man bei v. Ütcdcn a, a. O., S. 4W. Doch ist unseres Wissens die dort angeführte Verordnung später dahiu abgeändert, daß die Ausstellung jetzt alle drei Jahre und abwechselnd auch zu Warschau Statt findet. ") Peter I. hatte auch den Fabriken baS Recht ertheilt, Vauern zu kaufen. Dies ist aber später aufgehoben. 61 l papiere leiht, sondern auch Wcchftl russischer Unterthanen und aufgenommener Gäste, die Handel oder Vanqmcrgeschäfte treiben oder Fabriken besitzen, discontirt, welches Letztere namentlich deshalb den Fabrikanten zu Gute kommt, weil sie ihre Erzeugnisse meistens auf Kredit gegen sogenannte Sola-Wcchsel (.eigne Wechsel) verkaufen müssen und diese bei der Bank sofort realisiren können. Die Bank gewährt den Gilde-genosscn Kredit für den Belauf des zur Einschreibung in die Gilde gesetzlich erforderlichen Vermögens, verlangt aber eine zweite Unterschrift als Garantie. Die Vorschüsse auf Waaren beschränken sich auf russische Productc und russische Uutcrthancn. — Die Commerzbank hat ihren Hauptsitz zu St. Petersburg, aber auch Eomtoire zu Moskau, Archangel, Kiew, Odessa, Niga und während der Messe zu Nischm-Nowgorod. — Die Ncichs-lcihbank leiht nur auf Grundstücke und der Lombard auf Pretiosen und dergleichen Sachen von besonderem innern Werthe. — Die Collegicn der allgemeinen Fürsorge verleihen nur kleine Summen. Wie für die Fabrikarbeiter durch Gesetze, Welche den Fabrikinhabcrn bestimmte Pflichten gegen sie, z. B. Sorge für Krankenpflege und Heilung auflegen, gesorgt ist, haben wir schon früher bemerkt. Wir erwähnen hier noch in dieser Vc-ziehnug das im Jahre 184l zu St. Petersburg vom Ministerium deö Innern errichtete Hospital für Vanern, welche dorthin kommen und als Schwarzarbeitcr (Hausgesinde und überhaupt gemeine Tagelöhner) oder auch als Handwerksgesellen oder Lehrlinge Aufenthaltsfarten erhalten und in andere Hospitäler nicht aufgenommen werden. Es wird zu dem Ende bei der Lösnng der Aufenthaltsorte eine Abgabe von 00 Kopeken Silber von Jedem erhoben, wofür er im Falle der Erkrankung unentgeltlich geheilt wird. In den ersten zwei Jahren sind 3684 Personen in dies Hospital aufgenommen. ^) Für die Apauagebaucm ist ein besonderes Krankenhaus vorhanden. — Welchen Erfolg die im Jahre 1841 geschehene Einführung von Sparkassen ') Eine nähere Beschreibung dicftr Anstalt sindct sich im Journal des Ministeriums dcö Innern: Jan. 1«43, S. 380 ff. 3!)* 612 gehabt hat, ist mir nicht bekannt. Dic Commcrzbanf nimmt übrigens anch Einlagen an, überträgt sie auf Verlangen und zahlt sie zn jeder Zeit anf Anforderung zurück. Ohne Zweifel darf man auch die von der Regierung selbst angelegten und admmistrirt werdenden Fabriken als ein bedeutendes Mittel der Beförderung des GewerkswescnS ansehen, zumal da dieses dort in so manchen Beziehungen noch nicht so entwickelt ist, daß die Privatindustric allen Anfordernngen genügen konnte. — Selbst von den zu den unmittelbaren Bedürfnissen der Regierung dicnenden Fabriken kann man solches wohl annehmen: namentlich hat gewiß die Gewchrfabrik zn Tula großen Ginsinß auf die Entwicklung des dortigen Fabrikwcsens gehabt. So mögen auch dic sür die Bekleidung des Heeres errichteten Tuchfabriken, nntcr denen sich noch jetzt die Paw-lowökische im Gouvernement Moskan auszeichnet, zm Beförderung der Tuchweberei beigetragen haben. In anderen Zweigen giebt es Regiernngsfabriken, welche, vielleicht zum Theile ohne einen unmittelbaren Gewinn zn liefern, gewisse Gewcrkszwcige, mit welchen die Privatindnstrie entweder noch gar nicht, oder doch nur in geringerem Grade der Vollkommenheit sich befaßt, in ansgczcichneter Weise betreiben nnd daher als Muster dienen können. Dahin gehören dic Kaiserliche G o-belin-Mannfaciur zn St. Petersburg, die Kaiserliche Porzcllanfabrik nnd die Glas- nnd Spiegcl-fabrik daselbst, anch die dortige Eisengießerei für Dampfmaschinentheile nnd dcrgl., ferner die Maschinenspinnereicn und Webereien in Leinen, Wolle nnd Seide zu Alerandrowskij bei St. Petersburg, die Maschinenfabrik daselbst, die Papierfabrik zu Pcterhof u. a. Anch im Kaiserlichen Erzic-hungshanse zu St. Petersburg werden Kunstsachcn von Bronze und ?us)ier-Mtjeli0, weibliche Handarbeiten nud dcrgl. verfertigt. — Von wissenschaftlichen nnd Kunstlehranstaltcn im engeren Sinne reden wir hier weiter nicht, aber es dürfte doch noch cine Anstalt znr Verfertigung von chirurgischen, geometrischen nnd optischen Instrumenten zu erwähnen sein, welche der Regierung gehört und sich cbeusalls zu St. Petersburg befindet. Yl3 Den Absatz der einheimischen Gcwerkserzeugnisse zu befördern, hat sich die Negierung auf mehrfache Weise angelegen sein lassen. Schon Peter I. verfügte, daß das ganze Kriegsherr mit russischem Tnche verschen werden sollte. Dies hat man nicht immer ohne Ausnahme durchführen können. Namentlich hat man im Jahre 1809 englisches Tnch für die Soldaten gekauft. Seit dem Jahre 1820 aber ist der ganze Bedarf mit inländischem Tuche gedeckt, nachdem man sseit dem Jahre 1816) den Fabrikanten l Nubel Zuschuß für die Arschin gegeben hatte (welcher Zuschuß aber durch die seit 1822 erniedrigten Preise wieder erseht ist). Uebcrhaupt scheint es, daß die Negierung für ihre Bedürfnisse, soviel möglich, einheimische Erzeugnisse zu verwenden sucht. — Das wichtigste Beförderungsmittel des Absatzes einheimischer Gcwerkscrzeugniffe aber ist ohne Zweifel das Schutzzollsystem, lieber diesen so oft besprochenen Gegenstand, welcher, soviel Rußland betrifft, von der ausländischen Presse nnr zu häufig als eine Gelegenheit zu Anfeindungen benutzt wordcu ist, habe ich mich anderswo (iu dem angeführten Artikel des Jan us) besoudcrs ausgesprochen, und die Gründe und Gegengründe, welche, meiner Meinnng nach, in den russischen Verhältnissen liegen, wenn auch in Kurzem, doch wie ich glaube, mit einiger Vollständigkeit erwogen. Ich darf mich begnügen, hier das Resultat zu wiederholen, zumal da sowohl in obigen, wie in nachfolgenden Stellen dieses Abschnittes, und gelegentlich an sonstigen Stellen unseres Vnches jene dasselbe begründende Verhältnisse ansführlichcr erörtert sind. Man kann im Allgemeinen den Charakter der russischen Zollgesetzgebung in der vorliegenden Beziehung dahin bezeichnen, daß sie dem inländischen Gcwcrkswcsen allerdings einen starken Schutz gewahrt, ohuc jedoch prohibitiv zu sein, da es (zumal uach den neuereu Abäuderungcn) sehr wenige Vcrbotsatzc darin giebt uud die Zölle nicht zn hoch sind, um ciue bcdcutcudc Einfuhr ausländischer Erzeugnisse zuzulassen, wie uicht nnr anS den Einfuhrlisten hervorgeht, sondern auch aus der täglichen Erfahrung, welche man in Nußland selbst von den Gewohnheiten der höheren Stände macht, bei denen es noch immer zum guten Tone gehört, auslandische Fabrikate den mläudischen vor- 614 zuziehen und sich namentlich in ausländische Stosse zu kleiden. Von einem russischen Abspcrruugssystemc kann man daher mit den Tagcsschriftstcllern eigentlich gar nicht sprechen. Allerdings sind die Zollsätze thcilwcisc höher, als die französischen, allein mehrfachen (oben angegebenen) Umständen nach, ist gar nicht daran zu zweifeln, daß die französische Industrie, selbst abgesehen von der höheren Stufe der Entwicklung, auf welcher sie steht, mit viel geringeren Kosten producirt, als die russische, und daher bei weitem nicht eines so hohen SchntzcS bedarf, Wie die Letztere. Daß Jene in mehreren ihrer wichtigsten Zweige gar nicht ohne hohe Ginfuhrzölle bestehen könnte, hat wohl die Erfahrung der Jahre 18!9— 1822, in welchen man einen sehr liberalen Zolltarif eingeführt hatte, hinlänglich gezeigt. — Wir glauben allerdings bei der (am angeführten Orte) ausgesprochenen Mcinnng verbleiben zn müssen, daß Schutzzölle, wenigstens fürs Erste, den» russischen Gewerbfleiße anf der der-maligen Stufe seiner Entwicklung nothwendig sind, daß ferner diese Entwicklung des Gcwcrbflcißes allerdings ihre mehrfachen erfreulichen Seiten hat und daß nicht blos die gewöhnlichen allgemeinen Ansichten zn ihrer Vertheidigung dienen, sondern auch gewisse, diesem großen Reiche eigenthümliche oder doch bei ihm besonders hervortretende Gründe sie in ein vorthcilhaftes Licht stellen. So wie wir aber anf der anderen Seite übcrhanpt der Meinung anhängen, daß Zollschutz nur mit möglichster Mäßigung anzuwenden sci,^) so glauben wir auch in den russischen Zuständen einige besonders dringende Gründe für solche Mäßigung zu fiudcu. Unter diesen Grüudcu (über welche wir uns ebenfalls am früher angeführten Orte erklärt haben) scheint unS dcr wichtigste das Bedenken zu sein, daß durch die künstliche ') Der Verf. dieses erlaubt sich hicbei eine von ihm verfaßte Abhandlung anzuführen, worm Mehrere« über diesen Punkt gesagt ist, nämlich: Dcr Zollschuh, der Zollverein und die Unter-scheidungSzölle, gegenüber dcn norddeutschen Küstcn-staatcn und Hansestädten, in Bülan's Neuen Jahrbüchern der Geschichte und Politik. Leipzig, 1646, IuniuS-Heft. 6«5 Forderung des Manufactur- und Fabrikwescns das Aufblühen und Fortschreiten des Ackerbaues benachtheiligt wcrdcn dürfte, auf welchen Zweig der volkswirthschaftlichcn Thätigkeit (dcr in Nußland besonders sorgfaltiger Pflege bedarf) jedes große Binnenland zunächst nnd vorzugsweise angewiesen ist. Die Lehre des Mcnantilsystems von dcr Handelsbilanz, wenn sie sich auch im Allgemeinen rechtfertigen ließe, würde dennoch anf ein die edlen Metalle so reichlich in seinem eignen Voden darbietendes Land nicht unbedingt anwendbar sein, ja wir glauben sogar, daß die nach den Verhältnissen fremder Lander zu starke Anhäufung dieser Metalle wegen des in Folge dieser Anhäufung fallenden Werthes derselben d. h. dcr Steigerung dcr Geldpreise aller Dinge, sowie dcr Arbeit, mit bedenklichen Ucbelständcn, namentlich mit der Gefahr, die gehobene Industrie wieder in Verfall zu bringen, verknüpft sein dürfte. Aber gesetzt, eine im Sinne des Mercantilsystems günstige Handelsbilanz wäre wünscheuswcrth, so wird sie heutiges Tages bei den in Folge des Maschinenwesens und des gefallenen Arbeitslohns so sehr gesunkenen Preise dcr europäischen Fabrikate vielleicht weniger durch diese bestimmt, als durch die Rohstoffe, 5) wie diese denn auch als die eigentliche Quelle der fortwährend für Nußland (nach den ofsicicllen Angaben) günstigen Handelsbilanz anzusehen sind. ") So sagt Veidtel (in Vuddens deutschem Staats-Archiv, Heft III.. S. t2): „Mit einer gewissen Masse von Producten lauft man heut ^n Tage von einem Fabrikate 5. V. Vaumwollen-waaren, cft da»? Zehnfache von dem, was man 4N Jahre früher damit hätte lausen können." — Der bekannte Schriftsteller Vabbage bemerkt, daß auf Java die Arbeit des VanmwollcnspinnenS 117 Pro-ltnt des Preises des Rohstoffes koste, während in England schönes Vallmwollgespinnst nur 33 Procent an Werth gegen die eingeführte rohe Baumwolle gewinne. 616 3. Arlicr die Ergelmille dcs ruslilchcn Gcwrrbewcsrns. Wir fassen in diesem Abschnitte einige Bemerkungen zusammen, zn welchen der Stoss großenthcils schon in früheren Anführungen enthalten ist. — Zunächst nnd hauptsächlich gehört hicher die Quantität und Qualität der Anstalten und Prodnctc deö Gcwcrbcwesens, oder, gcnancr gesagt, des GeWerks we sens, (da wir auch hier den Handel nur in so weit berühren, als er mit demselben in uumittclbarcr Verbindung steht) in Rußland. Hierüber haben wir Manches in dem Capitel über Moskau auf Veranlassung der Gcwcrbc-ausstcllung und der dortigen Fabriken augcführt. — Einige Zahlcuaugabcn mögen zuvörderst eine, wenn auch nicht genau richtige, doch der Wahrheit sich annährcndc Vorstellung von der Ausdehnung des eigentlichen Fabrikwescns gewähren; wir geben jedoch nnr wenige, da wir unsere Zahlenangabcn meistens nur aus schon gedruckten Qncllen schöpfen können, nämlich theils aus von Redens Werk (anf welches wir auch vcrweiscu, wenn man mehr Zahlenangaben wünscht),^) theils aus denselben officiellen Berichten, aus welchen Hr. v. Ncdcn und die von ihm benutzten Schriftsteller geschöpft haben. Im Jahre 171? zählte man nach v. Reden im ganzen damaligen rnssifchen Reiche nur 35 Fabriken, im Jahre 1774 aber 478 dergleichen, welche uutcr Aufsicht dcS Manufactur-collcgiums standen. Unter diesen waren 64 in Tuch, 47 in Seide, 70 in Leinen, 23 in Papier, 36 in Glas und Krystall, 29 in Taueu (in allen übrigen Gattungen siud die Zahlen geringer). Für das Jahr 1815 wird die Zahl aller Fabriken auf 3253 angegeben. Auffallcud sind die Angaben ans dem Zeiträume, in welchem die wichtigen Veränderungen in der Zoll- ') M. s. bei v. Reden a. a. O. S. 103. ff. den Abschnitt: Gewerb, thätigkcit in, engeren Sinne. — Grst naä'dem das Obige geslbncbeu war, konnten wir auch die in Erman'S Arckiu bcsind-liche (sclwn oben erwähnte) Abhandlung'des H^r» A. v. Meyen-dorf bemchen. St7 geschgebung eintraten, weil man keine besondere Wirkungen dieser Veränderungen in den angegebenen Zahlen wahrnimmt. Im Jahre 18 l9 nämlich ward ein sehr liberaler Zolltarif eingeführt, welcher, nach den von uns im Lande selbst vernommenen Aenßernngen, dem inländischen Fabrttweseu sich sehr nach-thcilig erwiesen und eine Menge von Bankerotten znr Folge gehabt haben soll, weßhalb man im Jahre 1822 statt jenes Tarifs das strenge Schutzsystem einführte, welches im Wesentlichen noch jetzt besteht. Die von Hrn. v. Reden mitgetheilte Tabelle (a. a. O. S. 105.) ergicbt aber eine bedeutende Zunahme der Fabriken unter der Herrschaft jenes Tarifs, da die Zahl derselben im Jahre 1820 zu 3817, im Jahr 1821 zn 4570, und im Jahre 1822 zu 4657 angegeben ist. Auch die nächstfolgenden Jahre ergeben freilich im Ganzen ein fortwährendes Steigen, aber ein langsames, welches sogar in den Jahren l824 und 1827 dnrch ein, freilich nur geringes, Falleil unterbrochen wird. In den spätern Jahren zeigt sich indessen das Steigen beträchtlicher, so daß für das letzte Jahr der Tabelle (1839) die Zahl von 0855 Fabriken angegeben wird. (Finnland und das Königreich Polen sind in der Tabelle nicht mit begriffen; auch ist Bergbau-, Hütten- und Handwerksbetrieb außer Berücksichtigung geblieben). — Zur Zeit unseres Aufenthalts in Nußland berechnete man die Zahl aller Fabriken zu ungefähr 7000, und die geringste Gcsammtzahl der in denselben beschäftigten Arbeiter zn 400,000; aber schon im Jahre 1839 giebt v. Reden, ohne Zweifel nach officicllen Tabellen, 412,931 Arbeiter an. — Unter den 0855 Fabriken vom Jahre 1830 werden 1918 Gerbereien, 554 Talgsicdereicn, 60« Wollcn-und Haarzengfabriken, 48ti Mctallarbcitfabrikcn, 444 Lichtzichc-reicn nebst 13 Stcarinfabrikcn, 270 Seifensiedereien, 2s»0 Zeng-färbercicn und Druckereien, 200 Krystall- und Glasfabriken, 131 Zuckerfabriken, 117 Tuchfabriken, eben so viel Tabaksfabriken, 35 Baumwollenspinnereien u. s. w. aufgeführt. Ueber einige dieser Fabnkzweigc sind uns im Jahre 1843 Zahlenangaben mitgetheilt. Diesen nach waren der Vaumwollenspinnc-rcien damals 39 (mit 324,300 Spindeln), dagegen der Ma- 618 schincnsiachsspinncrcien nur 2.^) Unter den Zuckerfabriken sollen (nach einer unS zugekommenen Mittheilung) 100 in Runkelrüben arbeiten;^) doch reichen diese für das Bedürfniß so Wenig ans, daß, wie man mir sagte, der Rohzucker noch immer den Preis bestimmt (auch sollen in Rußland nur in großem Maßstabe angelegte Nunkelrübensabrikcn sich auf die Dauer halten). — Was die Quantität der producirtcn Fabrikate betrifft, so fehlt cS darüber nicht an Angaben; indessen weiß jeder Statistiker, wie wenig zuverlässig statistische Zahlen dieser Galtung sind, da man sich meistens mit den Angaben der Producenten begnügen muß und es deren Interesse mit sich bringt, sie (wie auch häufig geschehen soll) zu gering einzurichten. Eine Controlle ist im Allgemeinen wohl nur bei solchen Producten möglich, deren Rohstoffe aus dem Auslande kommen, so daß man den Betrag der Einfuhr derselben wissen kann. — An Wollenwaaren giebt Hr. v. Reden nnter dem Jahre 1830 die Summe von 9 Millionen Arschinen (Ellen), und den Werth zn 56,000,000 A Ass. (Itt Millionen Nnbel Silber) an. Seitdem muß sich aber der Betrag, nach den uns im Jahre 1843 gewordenen und späteren Mittheilungen, beden-tcnd vermehrt haben. Hr. A. v. Mcycndorf^^) giebt den Werth des jährlich verfertigten Tuches allein zu 14 bis 15 Millionen Rubel Silber an. Nach China gehen (nach einer Angabe vom Jahre 1843) ungefähr 75,000 Stück russischen Tuches ans russischer Wolle. Der Werth der dahin ausgeführten Tücher betrug laut der officicllen Tabellen im Jahre 1842 3,219,311 Rubel Silber. Auch gehen (nach Hrn. v. Meycndorf a. a. O.) ') Wir können unserer früheren desfallssgen Bemerkung hinzufügen, daß die. ausicr dcr erwähnten, der Regierung gehörigen, in Nußland noch befindlichen, Maschinenstachöspinncrei sich ;>l Wiaruiki, im Gouvernement Wladimir, befindet und einem 'Privatmann gehört. — Ueber die Baumwollenspinnerei Rußlands findet sich ein Aussatz in Er mau'S Archiv Vd. V,, Th. 2. ') Andere geben eine größere Zahl an, so Herr v. Reden 164 Rüben-zuckcrfabrikcn. ') Vl. s. desselben schon erwähnten Aufsatz: Ueber die Mauufac-turbetriebsamkeit Nußlands, in Crmcm's Archiv. 619 jährlich 2,000,000 Arschinen russischer Litzm (die Arschin zu l Rubel Ass.) dahin. — Unter den Wollcnwaarm (bei v. Reden) sind ohne Zweifel die gewöhnlichen Schaaspelze (das nothwendigste Kleidungsstück jedes gemeinen Nnsscn) nicht mit begriffen. Deren werden jährlich 13,400,000 Stück (zu 4 Rub. Silber) iu Rnßland verfertigt^). — Den Werth der im Jahre 1839 im Lande verfertigten Vaumwollcnwaaren giebt Hr. v. Ncdcn (a. a. O. S. 119.) zu 113,000,000 Rnbcl Assign, (gegen 32,200,000 Nubel Silber) an. Einen näheren Maßstab für die Quantität gewährt vielleicht die uns im Jahre 1^43 gemachte Augabe, daß an Baumwollengcspinnstcn jährlich 300,000 bis 320,000 Pud im Lande verfertigt werden und diese etwa drei Achtel der ganzen in Nußland verarbeiteten Quantität von Vaumwollcugcspinnsten ausmachen, indem fünf Achtel (ungefähr 500,000 Pud) vom Auslande eingeführt worden.^) Ucbrigcus besteht die Baumwollcnwcberei erst seit 1812 in Nußland, und die Spinnerei iu demselben Stoffe seit 1827. -— Was die Scidcnfabrikation betrifft, so ward uuS angegeben, daß allein an inländischer Seide 20,000 Pud verarbeitet würden. Die officiellcn Einfuhrlisten vom Jahre 1842 geben au eingeführter roher Seide ?335,^ Pud au. Nach Hrn. v. Reden, der eine officicttc Quelle vom Jahre 1840 anführt, (a. a. O. S. 120.) beträgt der Erwerb des Gouvernements Moskan, welches freilich der überwiegende Hauvtsitz der Seidcu-fabrikatiou ist, allem in diesem Zweige jährlich uugefähr 8^ Mil- *) M. f. v. Nähr und u. Helmersen, Beiträge ,c, Bd. VII. (Petersburg 1845) S. 201. *") Nach Herrn v. Meyendorf (a. a. O.) ist im Jahre 1844 gesponnene Vaumwolle bis zum Belaufe von 566,000 Pud eingeführt zur Verarbeitung, und sind 350,000 Pud in, Lande gesponnen. Dcn Werth der im Jahre 184A in Rußland fabricirtcn Vaumwollenwaarcu giebt er ,u 140 — 160 Millionen Nnbcl Banco,Assign. (40 — 42 Mi«. Rubel Silber) an. Er »nacht bei dieser, sowie bei anderen dortigen Angaben deu Zusatz: „außer dein häuslichen Fabrikate." Wenn dieß von alten, in den Wohnungen der Arbeiter vcrfcrügtcn Vaumwolleugcwcbeu zu verstehen ist, so muß der Gesammtwerth der Baumwolleufabrikatc noch sehr viel größer sein. 620 lionen Nub. Silber.*) Nach dcr Privatmittheilnng eines Sachverständigen werden dort jährlich 15,000 Pud Seide verarbeitet. Betreffend die Fabrikate aus Flachs nnd Hanf, so giebt Hr. v. Nedrn unter dem Jahre 1840 die Summe von 200,043 verfertigten Stücken Leinengcwebc (Segeltuch, Raven-tuch und sogenannter flandrischer Leinwand) an, und au Seilerwaaren nntcr dem Jahre 1830 die Summe von 501,530 Pud; im Jahre 1843 belief sich, nach Hrn. v. M., der Werth der hänfenen Fabrikate im Ganzen auf l0—12 Million N. V. A. (2^ —IH MM. R. S.), und der Werth dcr fabricirtcn Flachswaarcn ans 12—14 Millionen Rnb. V. A. (3^—4^ Mill. N. S.) (die häuslichen Fabrikate abermals ausgenommen).^) — Die Lcderfabrikation betreffend, so giebt Herr v. M. deren Prodnct unter dem Jahre 1843 zu 20 — 25,000,000 N. V. A. (ungefähr 5^ — 7 Mill. R. S.) an, nnd bemerkt, daß von den 6,000,000 Häuten, welche der wcidenrciche, vorzugsweise Viehzucht treibende Landstrich liefere, 2,400,000 in dem industriellen Landstriche verarbeitet werden. Die Ausfuhr an gegerbten Häuten hatte nach Hrn. v. Ncdcn im Jahre 1840 den Werth von 4,945,745 Rubel Affig, (fast I^ Mill. R. S.) wahrscheinlich mit Inbegriff dcr Insten, deren Ausfuhr im Jahre 1843 nach den officietten Tabellen 65,11U Pnd, 113,778 Stück, zum Werthe von 1,008,211 R. Silber, betrug, während im Durchschnitte der Jahre 1839 biS *) Diese Angabe steint, mil anderen dorti^n Zahlenangaben zusammengehalten, übertrieben. Nach Hrn. v. Mepcnderf (a. a. O.) hat die ganze russische Seidenfabrifalion im Jahre 1843 (freilich abermals außer dem, in diesem Artikel wohl nicht sehr bedeutenden, häuslichen Fabrikate) nur den Werth von 24—28 Mill. R. V. A. (7 — 8 Millionen Rubel Silber) erreicht. Hr. v. M. beschränkt übrigens alle ftine d^rligen Zahlenangabcn (a. a. O. S. b58) auf den annähernden Werth, ") Nach den rfsiciellcn Nu^fuhrtabellen von den Jahren 1839 — 1843 sind in diesen Jahren dnrchsckmltlich jährlich 57,18',) Stück Seg cl-luch, zum Werthe v»n 785,77!l N. S., L5,487 Stück Naventnch. werih 411,9lii1 N. S., 55/253 Stück flämischer oder flandrischer Leinwand, werth 489M3 R. S. und 272,112 Pnd Stricke und Taue, zum Werthe von 625,022 N. S,, aus Rußland ausgeführt. 621 1843 die jährliche Ausfuhr von sonstigem gegerbten Lcdcr nur dm Werth von 233,980 N. S. hatte» Die Tabaksfabrikation betrug im Jahre 1839, nach Hrn. v. Reden, 1,712,520 Pud, die Lichtcrfabrikation, nach demselben, in demselben Jahre an Talglichten 445,000 Pud, an Wachslichlcn 40,350 Pnd. Die Seifensiedereien verarbeiteten (nach Demselben) in demselben Jahre 540,000 Pud. Die Eirdcreien von Rohrzucker lieferten im Jahre 1830 (nach Hrn. v. R.) 1,372,503 Pud. Die Einfuhr von rohem Zucker betrug im Jahre 1843 (nach officicllcn Angaben) 1,795,045 Pud zum Werthe von 7,157,04« Rubeln S., und im Durchschnitte der im Jahre 1839—1843 (nach Hrn. v. Köpften a. a. O.) 1,705,03« Pud zu 7,259,931 R. S. Ueber den Gcsammtbetrag der Nübcnzuckerfabrika-tion liegen uns keine bestimmte Angaben vor. Einige Fabriken aber (wie die oben beschriebene des Grafen Vobrinskij) liefern außerordentlich große Quantitäten dieses Fabrikats. Man hat (nach Hrn. v. R. a. a. O.) im Jahre 1839 den Gcsammt-bctrag nach dem ungefähren Betrage der gewonnenen Runkelrüben zu 125,000 Pud annehmen können. — Die Vrannt-weinfabrikation betreffend schätzt Hr. v. Koppen^) den jährlichen Betrag alles im ganzen Reiche verfertigten Branntweins auf 32 Million Vcdro (nngefähr 5-j Million preußischer Eimer). — Den Betrag der Metallsabrikate von Eisen, Stahl, Kuftfcr, Bronze giebt Hr. v. M. für das Jahr 1843 auf 21 —23 Million R. V. A. (N —0_'. Million R. S.) an, ohne Zweifel mit Ausschluß der blos in den Hüttenwerken bearbeiteten Quantitäten (wovon wir oben gesprochen haben). Einen der wichtigsten Artikel in diesem Posten machen Nägel aus (600,000 Pud im Jahre 1840). An hölzernen Mo-bilicn giebt Derselbe für dasselbe Jahr (a. a. O.) 4—l>, an Schreibpapier 2 — 2^, an Töpferarbeiten (ohne die Zicgclbren- ") M. s. den in mehrfacher Hinsicht interessanten Aufsatz des Herrn v. Koppen: Zur Hanbelöstatistil dcS russische,, Reichs in Ei man's Archiu Vd. IV. S. 3, (Vlrlin 1845.) '») Ueber dcn Kornbedarf NnßlandS, v. P. v. Koppen, St. Petersburg 1842. 622 ncrcicn) 8 — 10 und an Glaswaaren 6 — 7 Million N. B. A. an. Dm jährlichen Wcrth der von Lindenbast verfertigten Gegenstände allein schätzt er zn 2 Million N. S. Im Ganzen berechnet er für dasselbe Jahr den Wcrth aller russischen Fabrikate mif 102,570,000 N. S., jedoch ohne Einrcchnung der beiden Artikel Zucker und Branntwein, die von ihm nicht erwähnt sind und in einem hinzugefügten Posten von einer Million, welcher Vermischtes (ohne nähere Angabc) enthält, nicht begriffen sein können. 5) Gr fügt hinzu, daß Rußland ^ seines ganzen Bedarfs an Fabrikaten (in dem bemerkten Sinne) selbst producire und nur ^ der ausländischen Industrie cutlehne. Wie die verschiedenen Zweige deS Fabrilwcstus im Lande vertheilt nnd welche Gegenden die Hauplsitzc gewisser Zweige sind, haben wir bereits oben im ersten Abschnitte dieser Abhandlung angedeutet. Auch von den industriellen Dörfern ist schon an verschiedenen Stellen die Rede gewesen. Mehrere zeichnen sich, wie bemerkt, durch in großer Menge betriebene Arbeiten des im engern Sinne sogenannten Handwerks, wie z. V. die Verfertigung von Kleidern und Schuhzcug, aus. So giebt es auch (wie ich glaube im Gouvcrncmcut Iaroslaw) eiuen Ort Namens Simonkowa, dessen Einwohner alle Steinmetzen sind, einen andern Namens Prinlaki, wo berühmte Ofensetzer uud Manrer wohuen, und in der Nähe von Ustjug siud die Einwohner mehrerer Dörfer Tischler. — Das bedeutendste Fabrikdorf, etwa neben dem mehrmals genannten Paulowo, ist aber wohl das schon früher erwähnte Iwanowo, über welches kürzlich eine genaue statistische Beschreibung von einem berühmten russischen Statistiker geliefert ist. 55) Nach derselben giebt es dort (mit Inbegriff der Um- ') Vci Hrn. v. Mcyendorf ist daglgen Sal; Mllcr der bemerkten Summe mitbegriffen. Nir haben diesen Artikel, sowie Talg, rohe und halb verarbeitete Metalle, Schweinsborste^» u. dgl., wctcke Gegenstünde anch Hr. v, Vi. nicht zur Fabrikindustrie zu rcchucn scheint, ol'cn iu dem Abftbnitte von dci, Nnhrnngsmit» teln und Grundstoffen aufgcsühit. '*) Beschreibung des Fabrildorfcs Iwanowo von Hrn. v. Nr-ßenjew in Erman'.? Archiv Äd. IV. S. 589. ff. 623^ gegend und der anliegenden sogenannten Elobodcn, die man als Vorstädte Iwanowo's betrachten kann) 20 größere, 40 mittlere und ?0 kleinere Iitzfabriken. Dic Mnsselinwebcrei wird aber in dem Dorfe selbst nur wenig betrieben, indem das Baumwollengarn den Landleutcn verschiedener Bezirke der Gouvernements Wladimir und Kostroma von den Unternehmern zum Weben gegen bestimmte Vergütung hingegeben wird. So kann man rechnen, daß Iwanowo, welches ungefähr (»000 Einwohner zahlt, über 50,000 Menschen beschäftigt, und werden, nach Aussage der Fabrikanten, alljährlich für 8 Million Silbcrrubcl Waaren verfertigt. Auf den wöchentlichen dortigen Märkten werden mitunter, namentlich in den Wintermonaten, für W,000 Silbcrrnbcl Baumwolle und Musselin verkauft. — Dieses (von seinen Einwohnern so genannte) russische Manchester ist mit seinem jetzigen Hanplbetricbszweige besonders seit dem Brande Moskau's (im Jahre !8l2) so emporgekommen, obgleich seine industrielle Nichtigkeit schon mit dem Itt. Jahrhundert (vorzugsweise durch das Schmicdehandwerk) begonnen hat. — Auch in Sibirien, unweit Irkntzk, giebt es schon ein industrielles Dorf NamcnS Tclma. Freilich ist die dortige Fabrik, welche Tuch, Leinwand, Krystall- und Glaswaaren, auch Schreibpapier verfertigt, eine Kronfabrik. Doch giebt es auch mehrere sonstige Fabriken verschiedener Art, namentlich in Leder, Talglichten, Seife und Tuch in der Stadt und dem Gouvernement Irkuhk.^) Ueber die Qualität der russischen Gewerkserzcugnissc haben wir in dem Berichte über die Moskowischc Gewerbe-Ausstellung einige Bemerkungen gemacht, welche wir hier einigermaßen vervollständigen wollen. Herr v. Meycndorf sagt (a. a. O. E.557), es habe sich bei dieser Ausstellung gezeigt, daß alle in Nußland fabricirle und nicht zum Lurus, sondern zum gewöhnlichen Verbrauche bestimmte Waaren bei gleicher Qnalität zu denselben Preisen verkauft worden seien, wie ähnliche in Frankreich verfertigte Artikel. Dieses Urtheil eines mit der französischen Industrie so gut, wie mit der russischen, aus ciguer Auschauung bekannten Mannes ist ohne Zweifel zuverlässig. ') Von Äähr und v. Hclmerscus Beiträge, Vd. VII., S. 69. ff. 624 Als Beispiel kann man zunächst das rnssifche Tuch anführen, wovon die geringen und mittleren Gattungen, etwa bis zum Preise von 3 Rnb. S. dic Arschin (aber nicht die theureren), nach allen von mir vernommenen Urtheilen für gut und preis-würdig zu halicn sind. Der jetzt verstorbene Finanzministcr Cancrin sagt in seinem bekannten letzten Werkes) „Die russischen Mitteltüchcr sind besser und nicht theurer als in Frankreich" (d. h. die französischen). — Eben so werden die Pro-ducte der Baumwollen-Industrie den französischen gleich gestellt. — In Seidcnwaaren, sagt (5ancrm, könne man nur mit Lyon nicht rivalisiren. Hr, v. M. findet im Preise einen Unterschied von 10 — 20 Proceitt zn Guusten der französischcn, wogegen ich jedoch anführen muß, dasi der früher genannte Scidenfabri-kant, Herr Loktcw zu Moskau, einzelne Artikel wohlfeiler zu liefern behauptet, als sie von Pariser Fabrikanten geliefert werden. — Von den russischen Leinen haben wir am erwähnten Orte gesprochen. Die Regierung sucht eifrig die Verfertigung seiner Leinwand zn befördern: sie hat in diesem Jahre (l^4(>) eine Commission ins Ausland, nach Deutschland, Flandern lc. geschickt', um Vleichmethodcn uud dergleichen näher kennen zn lernen. Russisches Segeltuch wird (uach Hru. v. Meycndorf) in Amerika thenrer bezahlt, als das englische. — Das russische Tauwcrk ist, nach dem Urtheile eines sachverständigen Schriftstellers,^-) v»n untergeordneter Güte, uud er schiebt die Schuld auf die Nachlässigkeit der Fabrikanten. Vci gewissen, vorzugsweise chemischen Fabrikationszweigen, z.B. beim Zucker, sind wohl in Rnßland, freilich meistens durch Ausländer, alle Mittel der Vervollkommnung, welche man anderswo hat, eingeführt. — Ueber die Ursache der Erschcinuug, daß die Lederbereitung, eine einheimische Industrie, welche in einzelnen Artikeln, namentlich in Juchten uud Saffian, vortrefflich ist, in anderen, z. V. Sohllcdcr, den Anforderungen nicht genügt, habe ich Verschiedenes vernommen. Es soll vortheilhaftcr sein, die *) Oeconomie der menschlichtn Gesellschaft,c., S. 246. '*) ^. l!» Iliißmnl^ztcr, I^moiro zur l« cummorco 6«.'S porls ,'viu;cn da5 Culturlaud (Acker und Garten) nicht /^ der Ge-sammtfläche nnd betrssgt in einer (Archangel) nur -l^, iu einer andern (Astrachan) i^ derselben. 635 vernemcnt Moskau 2323, im Gouvernement Kursk 2052, im Gouvernement Orenburg 288. im Gouvernement Astrachan 99 und im Gouvernement Archangel 2! Menschen aus der geographischen Quadratmeilc wohnen. Interessant ist die Berechnung, daß im europäischen Rußland fast dreimal soviel productiver Boden auf jeden Einwohner kommt, als im Preußischen Staate uud Frankreich, uud drei-und ein halbmal soviel als in der Oestrcichischcn Monarchie, wobei, was Oestreich betrifft, die statistischen Angaben vom Jahre !84tt zum Grunde gelegt sind. Herr v. T. berechnet die städtische Bevölkerung des ganzen europäischen Nußlands anf 8,710 Proccnt der Gesammtbc-völkernng. Diese Zahl weicht von der unsrigen, welche auf nicht ganz vollständigen, ungefähr zehn Jahre älteren Angaben beruht, wenig ab, Bemerkenswerth ist dabei die von unserem Verfasser angestellte Vcrglcichnng Rußlands mit drei anderen Staaten in der vorliegenden Beziehung. Die städtische Bevölkerung beträgt von der Gesammtbcvölkcrung in Oestreich 12M<», in Frankreich ! 7,726, in Preußen 27,728 Proccnt (wobei zu bemerken ist, daß in Oestreich und Frankreich die Bewohner der Marktflecken nicht den Städtern beigezählt sind, wogegen in Preußen, da in den Jahren !8W und l831 eine Menge kleiner Flecken für Städte erklärt worden, die Vcvölkernng derselben zu der städtischen gerechnet werden mußte. In Oestreich sind die Marktflecken so bedeutend, daß mit Inbegriff ihrer die städtische Bevölkernng 24,282 der totalen beträgt. Unsere Bemerkungen, betreffend die in Rußland so häufige Verbindung der (im engeren Sinne so zu nennenden) gewerblichen Beschäftigungen mit dem Landbaue bestätigt Herr v. T., indem er den hänfigcn Mangel an Gcwerksleutcn in den Städten, verbunden mit deren zahlreichen Vorhandensein in Dörfern erwähnt, und bemerkt, daß oft die ländlichen Handwerker für die Bewohner der Städte arbeiten. Er führt dabci einige statistische Belege an, ans welchen zu entnehmen ist, daß einige der verbrcitctstcn Handwerke, z. B. Schuhmacher, Tischler, Schmiede u. s. w. in den großen preußischen Städten drel-bis viermal so viel Meister und Gehülfen im Verhältniß zu dci gesammten Einwohnerschaft zählen, als in russischen Städten. 636 Die Getrcideproduction des europäischen Nußlands betreffend, haben wir eine amtliche Schätzung vom Jahre 1836 angeführt, nach welcher sie jährlich, das Königreich Polm und Finnland ungerechnet, über 223 Millionen Tschetwert beträgt. Herr v. T. hält die Schätznng von Protopopow, welche sich im Journal des Ministeriums der Rcichsdomaincn (Jahrgang 1842) findet, für die wahrscheinlich richtigste. Nach derselben beläuft sich der mittlere jährliche Erndteertrag auf 250 Millionen Tschctwert. Mit Hinzurechnung von Finnland und dem Königreiche Polen bringt er 200 Millionen Tschetwert (Erbsen und trockenes Gemüse mitgerechnet) heraus. Die jährliche Getreideausfuhr beiragt (zufolge seiner Angabe) nach dem zehnjährigen Durchschnitte von 1838—1848 (das Königreich Polen aufier Verechuung gelassen) 4,110,000 Tschctwcrt, während der Durchschnitt des Zeitraums 1824—1838 (nach unserer Mittheilung) nnr elwa 2 Millionen Tschetwert crgicbt. — Wir haben die Ostsceprovinzcn (d. h. die deutsch-russischen) im Allgemeinen unter den fruchtbarsten Gebietstheilen von Nußland genannt, aber nach der von unserm Verfasser aus dem Werke des Herrn Storch über den Zustand der Banern ill Rußland mitgetheilten Classification, gehören Esthland und Kurland zu den nicht getreidcaussührcnden, sondern nur ihren eignen Bedarf befriedigenden Ländern. — Der mittlere Körnerertrag wird von Herrn Protopopow und Herrn v. T. höher angegeben, als in den von uns erwähnten statistischen Werken. Herr Pr. berechnet nämlich durchschnittlich für das ganze Ncich vier Körner, Herr v. T. etwas über 4^ für 1 Saatkorn. Die von Herrn v. T. beigebrachten Angaben, betreffend die Getreidcpreisc, bestätigen die von uns bemerkte große Verschiedenheit derselben in den verschiedenen Gegenden des Reichs. Im Jahre 1847 stieg der Preis des Roggens in Kurland auf N R. 7 K. für den Tschetwcrt, in Orenburg nur auf 1 R. 16 K.; im Jahre 1849 in St. Pctcrsbnrg auf tt R. 49 K., in Kursk und Pmsa anf 1 N. 80 K. Betreffend den Kartoffclban ist ein Bericht des Ministeriums der Neichsdomaineu angeführt, nach welchem derselbe im Jahre 1847 einen Ertrag von 19,304,000 Tschetwert geliefert hat. Mit Inbegriff Finnlands und des Köuigreichs Polm berechnet 637 unser Verfasser die jetzige Kartoffelernte deS ganzen russischen Reichs auf 30 Millionen Tschctwcrt, — welcher Betrag nnstrc bisherige Vorstellung von der Ausdehnung dieser Cultur in Rußland übersteigt. Die über den Äüeinban beigebrachten Notizen ergeben cinc anßcrordentlichc Zunahme desselben seit 15 Jahren in dm südlichen Provinzen. Wir übergehen aber, was Herr v. T. hierüber, so wie über Tabak, Gemüse, Obstbanmzucht, Far bepflanzen u. dcrgl., anführt und bemerken, das; er die jetzige Runkelrübenc rndtc in allen europäisch - russischen Ländern auf 30 Millionen Pud und die Menge des daraus fabricirten Zuckers auf l Million Pud schätzt. Die Augaben über die Ausfuhr des rohen Flachses und Hanfes in den Jahren l847 — 184U ergeben eine Zunahme, wenn man unsere Angaben vom Jahre 1842 damit vergleicht. Der jährliche Durchschnitt von jenen drei Jahren ergicbt, beides zusammengenommen, ti,U91M1 Pud. Dagegeu erscheint die Ausfuhr von Flachs- und Hanfsaal in denselben Jahren geringer als im Jahre 1842. — Auch die AuSsuhr von Banholz hat in den Jahren 1842 — 1848 (so viel ans der Verglcichung unserer Zahlen mit denen dcö Herrn v. T. hervorgeht) bcdcuteud zugenommen. — Herr v. T. hat einen Aufsah des Herrn Staatöraths v. Bahr, der sich in den Beiträgen znr Kenntniß des russischen Reichs (TheiliV.) findet, angeführt, ans welchem einige Gründe zur Beruhigung der die Waldvcrwüstung betreffenden Besorgnisse geschöpft werden können, denen unser Verfasser noch mehrere hinzufügt. Er erwähnt auch der an Bauholz reichen sibirischen Wälder, wobei aber vielleicht die Frage entsteht, ob zu ihrer Benutzung genügende Communicationsmittel vorhanden oder einzurichten sind. Der Flächeninhalt der Kronwaldungcn, welche unter dem Ministerium der NcichSdomaincn stehen, unter welchen die Waldungen der Apanagen und der Admiralität nicht mitbcgriffcn sind, belrug, uach dem Berichte desselben, im Jahre 1848: 115,038,000 Dcssiatincn (nach dem Berichte vom Jahre 1842 haben wir 119,000,000 Dcssiatincn als Flächeninhalt der Kronwaldungen angegeben). Wie es möglich fti, die Stückzahl deS Hornviehes für 638 das ganze russische Reich auch uur mit einigermaßen annähernder Geuauigleit zu ermitteln, müssen wir dahin gestellt sein lassen. Nach dem der Statistik des Herrn Arsenicw entnommenen Ergebnisse der officiellen Berichte, betreffend diesen Punkt, berechnet unser Verfasser beinahe 5 Stück Hornvieh auf 12 Einwohner, welches ein günstigeres Verhältniß crgicbt, als, nicht nur in Frankreich, sondern auch in Oestreich und Preußen, laut der officiellen statistischen Daten, welche Herr v. T. anführt, stattfindet. Dieses Resultat ist uns unerwartet, möchte auch wohl nicht mit der hinzugefügten Berechnung über die Flcischconsum-tion zu vereinigen sein, und scheint selbst kaum durch den großen Umfang der Steppenvichzucht erklärbar. — Die Ausfuhr von Talg giebt unser Verfasser, nach dem Durchschnitt der drei Jahre 1846 — 1848, zu 3,810,000 Pud an, woraus eine Vermehrung gegen das Jahr 1842 (von welchem wir die AuSfnhr zu 3,300,000 Pud und etwas darüber angegeben haben) hervorzugehen scheint, vorausgesetzt, daß in jene Zahl nicht die Talglichte mitbegriffen sind. Die (von uns bemerkte) Angabe Hassels, daß die Stückzahl aller Schaafc im europäischen Rußland ans 40 Millionen zu schätzen sei, hält Herr v. T. für jedenfalls übertrieben in Beziehung ans daS Jahr 1829, von welchen, sie gelten soll, meint aber, daß sie in Bezug auf die Jetztzeit sich der Wahrheit sehr nähere. — Im Jahre 1844 betrug die Ausfnhr von Schaafwolle, ungerechnet das Königreich Polen, 842,000 Pud, woraus ebenfalls eine bcdentcnde Znnahme gegen die (von uns erwähnte) Zahl des Jahres 1842 (506,000 Pud) hervorgeht. — Die Zucht der feinwolligen Echaafc nimmt seit 20 Jahren fortwährend zu, vorzüglich in den Ostsecprovinzen, in den südlichen Provinzen und im Königreich Polen. Herr v. T. giebt an, daß in Livland und Esthland im Jahre 1832 die Zahl der Schaafe nnr 29,115, im Jahre 1846 aber 400,000 war. In dem letzteren Jahre zählte man in den Statthalterschaften Tannen, Ickatarinoslaw, Poltawa, Chcrson, Saratow und Vcssara-bien mehr als 12 Millionen Schaafe, nnd darunter mehr als 4 Million feinwollige. Auch unsere Angaben, betreffend die Bienen- und Seidenzucht, zu ergänzen, finden wir bei Herrn v. T. Veran- 639 lassmlg. Er giebt die Ausfuhr von Wachs nur zu 11- bis 12,000 Pud an uud schätzt den Vctrag der ganzen jährlichen Erzeugung von Wachs auf wenigstens 150,000 Pud, wobei cr dcmerkt, daß danach der Betrag des erzeugten Honigs zu 450,000 Pud anzunehmen sei. Die Scideucrzcugung TrauS-faukasicns hat, nach amtlichen Angaben und einer ergänzenden Schätzung, im Jahre 1850 nur 20,000 Pud betragen, so daß die (von uns erwähnte) Schätzung des Herrn Hagemeister viel zu hoch erscheint. Bei uuscrcn Angaben, betreffend die Gewinnung von Pelzwerk, haben wir die Iagdcu der russisch-amerikanischen Compagnie nicht berücksichtigt, deren jährlicher Ertrag, nach dem Durchschnitte der Jahre 1843—1847, zn einem Werthe von 194,000 Rub. S. berechnet wird. — Wenn Herr v. T. aber das jehigc Erzeugniß der sibirischen Jagden nur zn höchstens 250,000 Rub. S. (in Ermangelung bestimmter Angaben) anschlägt, so wissen wir diesen geringen Vctrag mit den von uns berichteten Angaben, betreffend die Ansfuhr von Pelzwerk und den auf der Messe von Nischni-Nowgorod im Jahre 1842 vorhanden gewesenen Vorrath, nicht zu vereinigen, da der Ertrag der Jagden des europäischen Rußlands denjenigen Sibiriens wahrscheinlich nicht gleichkommt, viel weniger ihn übersteigen wird. Den Ertrag der Fischerei dcS caspischen Meeres schätzt Hr. Arscniew auf 5 Mill. Silberrubcl (wir haben nnr so viel Franken angegeben). — Den Ertrag aller Fischereien des europäischen Rußlands, mit Inbegriff Finnlands uud des Königreichs Polen, schätzt H. v. T. zum Mindesten auf 15 Mill. Silbcrrubcl. Die ganze russische Goldgewinnung betrug im Jahre 1848 schon 1731 Pud (mehr als das Dreifache deS Ertrags vom Jahre 1840). — In dem Zeitraume vom Jahre 1819 bis zum Ende des Jahres 1848 ist im gauzcn Nußland die Snmme von 223,900,000 R. S. an Gold gewonnen worden. Herr v. T. berechnet, daß um das Jahr 1847 die russischen Goldgruben beinahe um die Hälfte mehr Gold producirteu, als alle audercn europäischen uud amerikanischen Bergwerke zusammen, — Den Bemerkungen unserS Verfassers, wodnrch er die übertriebenen Vorstellungen von der Wichtigkeit der californischcn Goldgewinnung berichtigt, stimmen wir vollkommen bei. 640 Der durchschnittliche jährliche Ertrag der russischen Silbergruben in den Jahren 1840 — 1848 war nur 1190 Pud oder die Summe von 944,988 Rubeln. — Die Gewinnung der Platina hat abgeuommcu, seitdem keine Münzen mehr aus diesem Metalle geprägt wcrdcu. Sie betrug im Jahre 184? nur 1« Pfund 92 Solotnik. Nach den amtlichen Angaben, betreffend die Eisenerzeugung, bcrcchuct Herr v. T. aus den drci Jahren 1846 bis 1848 als jährlichen Durchschnitt 11,856,294 Pud Gußeisen und 8,374,173 Pud Schmiedeeisen. Darin scheint der Ertrag des Königreichs Polen nicht mitbcgriffcn zu sein, welcher vom Jahre 1843 zu 3,320,410 Pud (wahrscheinlich beide Gattun-gcn zusammengenommen) angegeben ist. — Unser Verfasser macht auf das Mißvcrhältniß dieser Quantitäten zu dem Bedürfniß der Bevölkerung aufmerksam. An Kupfer sind im Durchschnitte der Jahre 1847 — 1849 in russischen Bergwerken 870,649 Pud, an Blei im Durchschnitte der Jahre 1847 und 1848 54,350 Pud jährlich gewonnen worden. Das Königreich Polen producirt durchschnittlich 210,396 Pud Jink. — Die russische Steinkohlengewinnung übersteigt noch nicht 2,000,000 Pud. — Von Diamanten soll man bisher nur einige Fragmente in den malischen Gebirgen gefunden haben. — Die Salz magazine der Krone haben im Jahre 1846 26,250,000 Pud verkauft, und die Menge des jetzt gewonnen werdenden Salzes schätzt Herr v. T. im Ganzen auf ungefähr 28,000,000 Pud. Die Summe des Rohertrags aller Vodcnproducte Rußlands, Welche sich aus der Zusammenrechnnng aller von Herrn v. T. angegebenen Werthsummen der einzelnen Gattungen ergiebt, beträgt 2,093,500,000 Rub. Silber, welches Resultat er jedoch, nach vou ihm angegebenen Gründen, für viel zu niedrig hält. In die interessante Darstellung der russischen Land wirthschaft, welche den zweiten Theil des vorliegenden VandcS bildet, gehen wir nicht ein, da dieser Gegenstand in den Bereich unserer Abhandlung nicht eigentlich gehört. »G