Istvan Nyomarkay (1937-2020) Prof. Dr. Istvan Nyomarkay ist am 5. August 2020 gestorben. Als Sprachwissenschaftler für Slawistik und Professor Emeritus war er Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA), korrespondierendes Mitglied der Kroatischen Akademie der Wissenschaften und Künste (HAZU), Präsident der Gesellschaft für moderne Philologie der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und langjähriger Mitarbeiter der Philosophischen Fakultät der Eötvös Lorand-Univer-sität in Budapest. Professor Nyomarkay war auch Mitglied und Inhaber verschiedener Funktionen in zahlreichen anderen wissenschaftlichen Gesellschaften und Institutionen. Hier wird nur eine Auswahl seiner Tätigkeiten erwähnt: Mitglied der Balkankommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Mitglied des Ausschusses der Ungarischen Gesellschaft für Sprachwissenschaft, später dessen zweiter Vorsitzender, Mitglied verschiedener Kommissionen in der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Mitglied des Kuratoriums der Stiftung „Trefort-kert" der Philosophischen Fakultät der Eötvös Lorand-Universität. Zwanzig Jahre lang war er Herausgeber der Zeitschrift Studia Slavia Academiae Scientiarum Hungaricae (Budapest), seit 2009 auch Herausgeber der online Zeitschrift der Gesellschaft für Moderne Philologie Filologia.hu. Er war Mitglied der Redaktionskommission der Zeitschrift Studia Slavica Savariensia (Szombathely). Professor Nyomarkay war jahrelang Inhaber des Lehrstuhls für Slawische Philologie und Leiter des Instituts für Slawische und Baltische Philologie an der Eötvös Lorand-Universität. Er war Vorsitzender der Wirtschaftskommission und des Habilitationsrates an der Fakultät seiner Universität. Er ist einer der Begründer des Promotionsstudiengangs für Slawistik, Leiter des Promotionsstudiengangs für Sprachwissenschaft, später Leiter des Promotionsstudiengangs für slawische Sprachwissenschaft und Mitglied des Promotionsrates an der Fakultät. Zwischen 2000-2003 war er Prodekan für allgemeine und auswärtige Angelegenheiten der Philosophischen Fakultät. Am Anfang seiner Laufbahn arbeitete Professor Nyomarkay zuerst als Mittelschullehrer (1961-1973), danach als Lektor der ungarischen Sprache an der Universität von Leningrad/Sankt Petersburg (1973-1974) bzw. an der Universität von Zagreb (1974-1975). Vom 1. September 1975 bis zu seinem Tod war er 45 Jahre Mitarbeiter der Eötvös Lorand-Universität. Er erwarb zuerst den Magistergrad (1964), im Jahr 1979 promovierte er, 1987 verteidigte er seine Arbeit für den Titel Doktor der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. 1989 wurde er zum Universitätsprofessor berufen. Einer der Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Tätigkeit bildete die Forschung der ungarisch-kroatischen und ungarisch-serbischen Sprach- und Kulturkontakte. Dieses Gebiet wurde von ihm häufig aus einer mitteleuropäischen — 214 — In Memoriam Perspektive betrachtet, und immer mit Rücksicht auf den Einfluss der österreichdeutschen Sprache und Kultur. Seine Promotionsschrift, die 1984 als Buch veröffentlicht wurde, erweist sich als eine neue und originelle Arbeit.1 Aufgrund eines reichen Belegmaterials wird - außer der morphologischen Integration der lateinischen Wörter - auch die Adaptation der Wörter der Vermittlersprachen (Ungarisch, Italienisch, Deutsch, Französisch), die ihrerseits Entlehnungen aus dem Lateinischen sind, beschrieben. Bei der syntaktischen Integration wird große Aufmerksamkeit auf die Adaptation der Rektion der Fremdwörter gelegt. Nyomarkays Buch galt aufgrund seines synthetischen Charakters zu seiner Zeit als Neuheit in der Kroatistik. In diesem Bereich wurden früher nur kleinere Aufsätze veröffentlicht. Zu dieser Zeit war auch der kroatische Anglist, Rudolf Filipovic noch am Anfang seiner Forschung. Filipovic betrachtet in seinem Buch,2 das große Anerkennung in kroatischen linguistischen Kreisen fand, die Synthese seiner Forschungen und nicht die syntaktische Integration der Fremdwörter. Dies wird als Desideratum für die zukünftige Forschung im letzten Kapitel erwähnt. Professor Nyomarkay beschäftigte sich weiter mit dem lexikalischen Einfluss des Ungarischen auf die kroatische Sprache. Seine Aufsätze im Bereich der ungarisch-slawischen Sprach-und Kulturkontakte wurden in zwei Sammelbänden veröffentlicht.3 Die Monographie Ungarische Vorbilder der kroatischen Spracherneuerung (Budapest 1989), die auch im europäischen Vergleich als neues Werk galt, erforscht er die Muster des kroatischen Zivilisationswortschatzes (Verwaltung und Recht, Militär, Bahn und Post) des 19. Jahrhunderts. Einerseits sind viele Ausdrücke Lehnübersetzungen nach ungarischen Vorbildern, andererseits lassen sich andere als Übersetzungen sowohl von ungarischen wie auch deutschen Ausdrücken interpretieren. Die Lehnübersetzungen werden im Rahmen der kroatischen Spracherneuerung des 19. Jahrhunderts betrachtet. Und dies bildet schon einen Übergang zu einem anderen Forschungsgebiet, der Spracherneuerung und dem damit eng verbundenen Purismus und dem Schreiben von Grammatiken. Auch auf diesem Gebiet wird die Rolle des österreichdeutschen Einflusses hervorgehoben. Die zahlreichen Aufsätze wurden in einem Sammelband zusammengefasst.4 Selbstverständlich veröffentlichte Professor Nyomarkay auch zwei Grammatiken.5 Er erforschte die Sprache der Burgenlandkroaten und damit setzte er die Forschung seines, von ihm hochgeschätzten Lehrers, Laszlo Hadrovics, fort, der sich 1 Strane riječi u hrvatskosrpskom (srpskohrvatskom) jeziku. Problemi morfološke i sintaktičke adaptacije. Budapest. ('Lehnwörter in der kroatoserbischen (serbokroatischen) Sprache. Probleme der morphologischen und syntaktischen Integration'). 2 Teorija jezika u kontaktu. Zagreb, 1986. ('Theorie der Sprachkontakte'). 3 Nyelveink mültja es jelene ('Vergangenheit und Gegenwart unserer Sprachen'). Budapest, 2004. Szlav szomszedaink ('Unser slawischer Nachbar'). Budapest, 2013. 4 Anynyelvi ebredes es hagyomäny nälunk es szomszedainknäl ('Das Erwachen der Muttersprache bei uns und bei unseren Nachbarn'). Budapest, 2002. 5 Sintaksa savremenog srpskohrvatskog (hrvatskosrpskog) jezika ('Syntax der heutigen ser-bokroatsichen (kroatoserbischen Sprache'). Budapest, 1983; Gramatika hrvatskosrpskoga jezika ('Grammatik der kroatoserbischen Sprache'). Budapest, 1989. — 215 — In Memoriam sehr intensiv mit diesem Bereich beschäftigt hatte. Dieses Forschungsgebiet ist durch zahlreiche Aufsätze, ein Sprachhistorisches Wörterbuch,6 sowie Textanalysen und Textaufgaben gekennzeichnet. Den Beweis seiner Interessen für die Lexikographie bilden mehrere kroatische Aufsätze, die Herausgabe eines Sammelbandes (auch unter Mitarbeit des Schreibers dieser Zeilen).7 Er bearbeitete auch die Kleinwörterbücher (kroatisch-ungarisch, ungarisch-kroatisch, serbisch-ungarisch, ungarisch-serbisch) von Laszlo Hadrovics und war Mitarbeiter eines kajkavischen Dialektwörterbuchs.8 Weiter ist die Monographie der Sprachgeschichte des Kroatischen und Serbischen9 hervorzuheben, die meines Wissens das erste in ungarischer Sprache geschriebene Werk dieser Art ist. Außer den oben kurz skizzierten Forschungsschwerpunkten10 sind noch andere Bereiche zu erwähnen, wie z. B. Soziolinguistik, Übersetzungsproblematiken und noch weitere, in denen er Aufsätze veröffentlichte. Professor Nyomarkay ist Autor von 11 Büchern und von insgesamt mehr als 280 Publikationen. Ungefähr vor 15-20 Jahren sagte er in einem Interview: er fühle sich nicht gut, wenn er sich an einem Tag nicht mindestens 2 Stunden der Wissenschaft widme. Ein vielsagender Beweis seiner Leistungsfähigkeit und seines Fleißes ist, dass sein letzter Aufsatz noch in diesem Jahr in einem Buch erschien, zu dessen Herausgebern er gehörte. Parallel mit seiner Unterrichtstätigkeit in Budapest lehrte Professor Nyomarkay Jahre lang ungarische Sprachwissenschaft an der Universität in Zagreb. Er war als Gastprofessor an den Universitäten in Münster und Sassari tätig, hielt Vorlesungen an zahlreichen Universitäten in Kroatien, Serbien, Slowenien, Österreich und Deutschland. Er wurde für seine wissenschaftliche und Unterrichtstätigkeit mehrmals mit kroatischen und ungarischen Auszeichnungen dekoriert. Er betreute zahlreiche Diplomarbeiten und Promotionsschriften. Infolge seines Todes sind mehrere Doktorandinnen ohne Doktorvater geblieben. Von seinen ehemaligen Schülerinnen und Schülern sind mehrere Universitäts- und Hochschuldozenten in Zagreb bzw. an verschiedenen Universitäten und Hochschulen in Ungarn geworden. Einige unter ihnen führen methodologisch die von ihm und seinem Lehrer, Laszlo Hadrovics, eingeschlagenen Forschungsrichtungen weiter. Nach dieser Aufzählung mehr oder weniger bekannter Fakten möchte ich noch einige Aspekte seiner Persönlichkeit erwähnen. Er war ein Gentleman alter Schule: außergewöhnlich höflich, immer elegant und gepflegt, begrüßte Frauen - oder wie er sagen würde - Damen gern mit Handkuss. Er liebte klassische Musik und 6 Sprachhistorisches Wörterbuch des Burgenlandkroatischen. Budapest/Eisenstadt, 1966. 7 Kis szläv lexikografia ('Kleine slawische Lexikographie'). Budapest, 2004. 8 Buro Blažeka, Istvan Nyomarkay, Erika Racz: Mura menti horvät täjszötär. Rječnikpomurskih Hrvata ('Kroatisches Dialektwörterbuch der Mur-Region'). Budapest, 2009. 9 Rövid horvät es szerb nyelvtörtenet ('Kurze Geschichte der kroatischen und serbischen Sprachen'). Budapest, 2007. 10 Nyomarkays Publikationsliste ist erreichbar auf Internet unter Magyar Tudomanyos Müvek Tara (mtmt), und bis zum Jahr 2014 in Orsolya Kalecz-Simon, Istvan Vig: Izabrana bibliografija kroatistike na Sveučilištu Eötvös Lorand u Budimpešti. Odpočetaka do danas. 120 godina kroatistike u Budimpešti. Istvan Lukacs (szerk.). Budapest, 2016. 437-449. - 216 --Slavia Centralis 2/2020 In Memoriam Opern und besuchte Konzerte. Sein Lieblingssänger war Dietrich Fischer-Dieskau, den er immer mit großem Respekt in unseren Gesprächen über Musik erwähnte. Er selbst hatte auch eine ausgebildete Tenorstimme. Vor ungefähr zwanzig Jahren hatte ich am Lehrstuhl die Gelegenheit, ihn eine Arie singen zu hören. Er war außergewöhnlich gut. Sein hervorragendes Gedächtnis ist noch zu erwähnen. In fast jeder Situation konnte der Gelegenheit entsprechende Gedichte rezitieren - und sogar mehrere. Er verfügte über beispiellose Kenntnisse der klassischen ungarischen Literatur. Er betonte, dass er als Jugendlicher die gesammelten Werke der großen Klassiker (Jokai, Gardonyi, Mikszath) gelesen hatte. Seine Zimmertür war für alle immer geöffnet. Er half gerne allen, die seinen kompetenten Rat und seine Hilfe auch gern in Anspruch nahmen. Und er war allen behilflich, die sich an ihn wendeten. Viele von uns können ihm für seine Unterstützung dankbar sein. In einem unserer Gespräche fiel das Wort Tod. „Ich habe davor keine Angst" -sagte er. Er, gläubiger reformierter Christ, fand Kraft und Beruhigung in seinem Glauben. Seine Persönlichkeit und seine Ratschläge und seine Hilfsbereitschaft werden wir vermissen, und die Erinnerung an ihn werden viele von uns bewahren. Istvan Vig vigistvan@yahoo. com — 217 —