155 Uršula Krevs Birk *8 UDK 811.112.2:811.163.6 Univerza v Ljubljani DOI: 10.4312/linguistica.59.1.155-173 ZU EINIGEN ASPEKTEN DES DEUTSCHEN ALS KONTAKTSPRACHE DES SLOWENISCHEN ** 1 EINFÜHRUNG Zweifellos ist das Deutsche jene Nachbarsprache, die den größten Einfluss auf das Slowe - nische in der Vergangenheit ausübte. Dies geht aus der jahrhundertelangen gemeinsamen Geschichte der beiden Sprachen hervor, die je nach Epoche und geopolitischem Rahmen auf demselben Gebiet koexistierten. Das Ziel dieses Beitrags ist es, deutsch-slowenische Sprachkontakte aus diachronischer, diatopischer und diastratischer Sicht zu erfassen. Da- mit greift der vorliegende Beitrag auch einen Themenbereich auf, dem das Interesse des mit diesem Festband Geehrten, Professor Siegfried Heusinger, in seiner langjährigen und erfolgreichen Laufbahn in Lehre und Forschung galt. 2 ZUM VARIETÄTENKONTAKT ZWEIER SPRACHEN 2.1 Sprachkontakte zwischen den westgermanischen und südslawischen Sprachen lassen sich bis ins Frühmittelalter zurückverfolgen. Aus diachroner Sicht standen Deutsch und Slowenisch seit ihren Anfängen im Kontakt, d. h. seit der Herausbildung des Althoch- deutschen (750–1050), im Gegensatz zum Niederdeutschen und seinen Chronolekten, die aus diatopischer Perspektive keinen Einfluss nehmen konnten. Tabelle 1: Zeittafel (vgl. Nübling et al. 2006: 6, Tab. 2; Pohl 2011: 463, 2017: 266) bietet einen Überblick zu den Chronolekten des Hochdeutschen und des Slowenischen Periode Slowenisch Deutsch 200–500 Urslawisch Westgermanisch bis ca. 1050 Alpenslawisch > Frühslowenisch Freisinger Denkmäler Althochdeutsch 500/750–1050 Merseburger Zaubersprüche („Ostfränkisch“), Abrogans, Notker („Alemannisch“) Muspilli („Bairisch“) usw. * Ursula.KrevsBirk@ff.uni-lj.si ** Der Beitrag ist im Rahmen der von der Öffentlichen Agentur für Forschung der Republik Slowenien geförderten Forschungsgruppe „Theoretische und aplikative Untersuchungen von Sprachen: kontrastive, synchrone und diachrone Aspekte“ (P6-0218) entstanden. Linguistica_2019_FINAL.indd 155 9.10.2019 8:58:49 156 Periode Slowenisch Deutsch Hoch- und Spätmittelalter (mit fließenden Übergängen) Frühslowenisch uneinheitliche handschriftliche Phase Celovški rokopis Stiški rokopis Starogorski rokopis usw. Mittelhochdeutsch 750–1350 Nibelungenlied Walter von der Vogelweide usw. (ab ca. 1350) Frühneuhochdeutsch seit ca. 1500 Konzipierung der Standardsprache Trubar, Dalmatin, Bohorič, Krelj usw. Verbreitung und Etablierung der Standardsprache seit 1350 Neuhochdeutsch Luther, Gottsched, Adelung usw. Das Althochdeutsche kam in Kontakt zunächst mit dem Slawischen im Ostalpen- raum, d. h. dem Alpenslawischen (bis ca. 800) und danach mit dem Frühslowenischen (bis ca. 1000) (vgl. Šekli 2015: 146), einer historischen Varietät, die für die Freisin- ger Denkmäler kennzeichnend war. Dass das Alt- wie auch das Mittelhochdeutsche in der handschriftlichen Phase (bis 1550) auf das dialektal stark differenzierte Slowe- nische einen erheblichen Einfluss ausübten, begünstigte auch die Tatsache, dass die slowenische Landschaft ein unwegsames Gelände war, das zudem bis 1461, als die Laibacher Diozöse gegründet wurde, zentral nicht verwaltet wurde. Darüber hinaus wuchs im Hoch- und Spätmittelalter durch den Zuzug deutschsprachiger Sprecher diverser sozialer Provenienz auch der Einfluss des Deutschen. Die deutschsprachige Einwirkung bekunden auch die erhaltenen slowenischen Manuskripte bis zum 16. Jahrhundert, wie zum Beispiel die Klagenfurter Handschrift (Celovški/Rateški roko- pis ca. 1380). 2.2 Diatopisch gesehen, war das Slowenische im Süden des geschlossenen deutschen Sprachraumes ständig in Kontakt mit dem Süd- bzw. Oberdeutschen, davon mit einem Teil des bairischen Großdialektes, dem Südbairischen bzw. seinen Mundarten (dem Kärntnerischen und Steirischen), die – ungeachtet der Landesgrenze – nach wie vor im „Varietätenkontakt“ mit den nördlichsten slowenischen Dialekten stehen. 1 Wie Javor Briški (2012: 596) feststellt, ist für deutsche Quellen, die im slowenischen ethnischen Gebiet im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit entstanden waren, eine Schreib- sprache südbairischer Prägung typisch. 1 Diese slowenischen Dialekte gehören der oberkrainerischen, kärntnerischen und steierischen Dialektgruppe an (slow. gorenjska, koroška, štajerska narečna skupina). Im zweisprachigen Kärnten gehören die slowenischen Dialekte der sog. Kärntner Gruppe an: Gailtaler Dialekt, Rosentaler Dialekt, Jauntaler Dialekt und Remschenig- bzw. Obir-Dialekt. Linguistica_2019_FINAL.indd 156 9.10.2019 8:58:49 157 Karte: Die oberdeutschen Mundarten im Süden Deutschlands, in Österreich und der Schweiz (Zehenter 2005: 13) Beim heutigen gemischtsprachigen, d. h. zweisprachigen Gebiet in Kärnten, 2 han- delt es sich eigentlich um ein „Rückzugsgebiet“, das durch Assimilation entstanden ist (Pohl 1994: 230; 2017: 264–265), denn die slawische Besiedlung erstreckte sich im 1. Jahrtausend bis tief in den Ostalpenraum. Davon zeugen auch slawische Elemen- te in den Toponymen Osttirols und Nordkärntens sowie des Salzburger Lungaus und der Steiermark und des angrenzenden südlichen Ober- und Niederösterreich (vgl. Pohl 2011b: 190). 2.3 Aus diastratischer Sicht war das Slowenische mit den dialektalen Chronolekten des Südbairischen, mit den Regionalvarietäten und auch mit der städtisch-österreichischen Verkehrssprache in Kontakt. Die überregionale Geschäftssprache weist südbairische Merkmale auf, wie dies Javor Briški (2012: 591) für die sog. Krainer deutsche Ver- kehrssprache bzw. deutschkrainerische Gemeinsprache nachgewiesen hat. Seit den Anfängen der deutschen und slowenischen Schriftsprache im 16. Jahrhundert gibt es einen andauernden und intensiven Kontakt mit der deutschen Schriftsprache. Im 18. und 19. Jahrhundert war Deutsch zweifellos die Prestigesprache im Südosten der 2 Nach der Volkszählung 2001 gibt es in Österreich 24.855 Personen, die als Umgangssprache Slowenisch verwenden, davon sind 13.225 in Österreich geboren (Bevölkerung 2001 nach Umgangssprache, Staatsangehörigkeit und Geburtsland, Informationsportal Statistik AUSTRIA). Hinzu kommt noch, dass mehrere die Umgangssprache „Windisch“ nannten. Linguistica_2019_FINAL.indd 157 9.10.2019 8:58:49 158 Monarchie. Deutsch gewann besonders an Dominanz und Einfluss durch die Ausdeh- nung des Habsburgerreiches und die Kolonisation unter Maria Theresia und Joseph II., d. h. in südslawischen und ungarischen Regionen durch seinen Amtsstatus. 3 Der Kon- takt mit dem Standard wurde gefördert durch den ehemaligen gemeinsamen Staatsrah- men, zuletzt durch die Österreichisch-Ungarische Monarchie. In diesem multilingualen Vielvölkerstaat war der Chronolekt des heutigen Deutsch in Österreich (wienerischer Prägung) zentral. Deutsch fungierte dabei als Sprache verschiedener und wichtiger Kommunikationsbereiche (Schule, Verwaltung und Alltag), sodass dessen Einfluss in allen Sprachen der Donaumonarchie offensichtlich ist. In diesem Sinne legt Newerkla als zentrales Kontaktareal in Mitteleuropa „Altösterreich“ fest (2017: 20), das wir „mit jenem zentralen Staatsgebiet des alten Österreich assoziieren, in dem das Deutsch als Lingua franca bzw. als Verkehrssprache (zumindest in den Städten) protegiert wurde.“ In diesem Kontaktareal war Deutsch ein wesentlicher Bestandteil der kulturpolitischen und institutionellen Realität. Auch im slowenischen ethnischen Raum war der Einfluss des Deutschen ab dem Mittelalter bis 1918 weitreichend und für die soziolinguistische Rahmensituation bestimmend. Die institutionalisierte Omnipräsenz löste allmählich Prozesse der Etablierung des Slowenischen als nationaler Sprache aus und in ihren extremen Ausprägungen den antigermanischen Purismus im 19. Jahrhundert (Krevs Birk 2017: 87). 3 ZUM KONTAKT DURCH HISTORISCHE UND AKTUELLE MIGRATION Nicht nur die geografische Nachbarschaft und die daraus resultierenden Kontakte und Einwirkungen, sondern auch die Migration ist ein wesentlicher Faktor der Sprachver- mittlung, sei es in der Vergangenheit oder Gegenwart. 3.1 Deutsche Minderheiten auf slowenischem Gebiet 3.1.1 Infolge des Zuzuges deutschsprachiger Machthaber war Deutsch seit dem 8. Jahrhun- dert bis 1918 und von 1941 bis 1945 eine koexistierende Sprache auf dem sloweni- schen ethnischen Gebiet, andererseits war die Vermittlerfunktion der deutschen Siedler vor Ort relevant. Deutsche Muttersprachler verschiedener Sozialschichten (Adelige, Großbesitzer, Geistliche, Kolonisten, Industrielle, Beamte u. a.) waren in verschiede- nen Zeitperioden seit dem 8. Jahrhundert zugezogen (vgl. Ferenc 2016: 83). Die zuge- zogenen deutschen Muttersprachler lassen sich sozial folgendermaßen differenzieren: zunächst waren das die deutschsprachigen Adeligen; 4 zahlreiche Burgen auf sloweni- 3 Ammon (2015: 99) betont (in Anlehnung an Stark 2002: 92), dass „die dekretierte Institutiona- lisierung der deutschen Sprache als Amtssprache sämtlicher Habsburger Lande in der Regie- rungszeit von Kaiser Joseph II. zwischen 1780 und 1790 [nachwirkte], obwohl Joseph II. sie auf seinem Sterbebett widerrief.“ 4 Z. B. die Auersperger, denen bereits im 12. Jahrhundert das Schloss Auersperg zugesprochen wurde, oder Ulrich von Spannheim, Herzog von Kärnten im 13. Jahrhundert. Linguistica_2019_FINAL.indd 158 9.10.2019 8:58:49 159 schem Gebiet waren im Besitz deutschsprachiger weltlicher, nicht selten auch geist- licher Herren; 5 eine Vermittlerrolle wird auch manchen Klöstern eingeräumt, in denen bereits bei ihrer Gründung deutschsprachige Mönche angesiedelt waren. 6 3.1.2 Die zweite wichtige Gruppe der Ansiedler waren deutsche Kolonisten, die vor allem aus dem alpinen Raum zugezogen sind. Zur ersten Siedlerwelle zählen Bauernfami - lien aus der Umgebung von Innichen im Hochpustertal, die sich im 12. Jahrhundert in Zarz (Sorica) und Deutschruth (Rut) und ihrer Umgebung niederließen und zwei kleinere Sprachinseln mit 12 Siedlungen bildeten. Es handelt sich um eine der ers - ten deutschen Sprachinseln im europäischen Raum. Durch Assimilierungsprozesse schrumpfte die Sprecherzahl in den nächsten sieben Jahrhunderten allmählich, da die sprachliche Umgebung rein slowenisch war, sodass sich der Sprachenwechsel bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts endgültig vollzog. 7 Die über 700 Jahre andau- ernde Geschichte dieser Sprachinseln bezeugen heute zahlreiche deutsche Lehnwör- ter wie auch Familiennamen (z. B. Kemperle, Dakskobler, Panter, Loncner, Trojer) aus der Region. 3.1.3 Anders verlief der sprachliche Lebenslauf der Gottscheer, der bis 1941 größten deut- schen Minderheit inmitten der slowenischen monolingualen Umgebung, in einem Siedlungsgebiet, das im südlichen Teil des heutigen Slowenien liegt und ca. 800 km 2 mit einst 176 Ortschaften umfasste. Nachdem die Bauernfamilien aus den Alpentälern Nordkärntens und Osttirols 8 in mehreren Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts ausgesie- delt waren und sich im unbewohnten, waldreichen Gebiet der Gottschee/Kočevsko niedergelassen hatten, verwendete diese Sprachgemeinschaft ihre Mundart, das Gott- scheerische, eine – mittelhochdeutsche – aus dem Mittelalter stammende Mundart des Südbairischen. Für den Fortbestand dieser Sprachinsel waren Faktoren wie territoriale Geschlossenheit, streng definierte Grenzen, ethnische Homogenität und starke soziale 5 Z. B. Freisinger Bischöfe, die seit dem 10. Jahrhundert Altlack/Stara Loka bzw. später Bischof- lack/Škofja Loka besaßen und es durch deutschsprachige Beauftragte verwalteten. 6 Ein Beispiel dafür ist das Zisterzienserkloster Sittich/Stična, das älteste Kloster auf sloweni- schem Gebiet, das auf dem Grundstück der Weichselberger Adeligen Mitte des 12. Jahrhunderts gebaut wurde, an den Patriarchen von Aquileja übergeben und durch – wiederum – deutschspra- chige Mönche bewohnt wurde. 7 Ausschlaggebend war hierbei der Erlass zur Einstellung des deutschsprachigen Unterrichts 1880 mit der Begründung, es seien zu wenige deutschsprachige Schüler eingeschrieben wor- den. Der Zarzer Dialekt ist zur Zeit der aktiven Sprecher noch von Kranzmayer/Lessiak (1983) beschrieben worden. 8 Wie Müller (2014: 37) berichtet, brachten die Gottscheer aus der alpinen Urheimat auch Wörter slowenischer Herkunft mit, wie z. B. jaukh (