137 Elisabeth Putterer*1 Germanistisches Institut, Budapest Christine Römer / Afra Sturm (2021) LEXIKOLOGIE Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag (=Reihe Linguistik und Schule; 9). Die vom Narr Francke Attempto Verlag herausgegebene Reihe LinguS (Linguistik und Schule) zeichnet sich dadurch aus, dass die Bänder nicht nur ein Grundlagenwissen in verschiedenen Bereichen der Sprachwissenschaft vermitteln, sondern dieses Wissen aus einer sprachdidaktischen Perspektive mit Bezug auf die Unterrichtspraxis behan- deln. Die Publikation von Christine Römer und Afra Sturm – der 9. Band der Reihe LinguS – bietet einen Überblick über die Grundbegriff e der Lexikologie, in dessen Mittelpunkt dementsprechend der Wortschatz und die Wortschatzvermittlung in der Schule stehen. Die Autorinnen charakterisieren ihr Buch als „eine Hilfe für das ange- messene Beschreiben, Lernen und Lehren des deutschen Wortschatzes“ (S. 9). Der Band gliedert sich in acht Kapitel, am Ende jedes Kapitels sind gedanken- anregende Aufgaben und weiterführende Literaturhinweise zu fi nden. Im ersten Ka- pitel wird die Lexikologie als sprachwissenschaftliche Disziplin vorgestellt, indem ihre Gegenstände und Methoden sowie die mit ihr verbundenen Nachbardisziplinen erläutert werden. Das zweite Kapitel befasst sich mit der Bedeutung des Wortschatzes in der Schule, wobei auch die Rolle der Schule beim Wortschatzerwerb thematisiert wird. Zunächst wird kurz dargelegt, welche Bildungsstandards bezüglich des Wort- schatzes für die unterschiedlichen Schultypen festgelegt sind, d.h. welche Rolle die * putterer.lisa@gmail.com DOI: 10.4312/linguistica.61.1.137-139 Linguistica_2021_FINAL.indd 137 31. 03. 2022 09:31:22 138 Wortschatzförderung in den verschiedenen Lehrplänen (in den Bundesländern und in der Schweiz) spielt. Es wird jedoch betont, dass „Bildungsstandards sowie Lehrpläne i.d.R. keine Hinweise zur Art der Vermittlung [geben]: Das ist Sache der Lehrperso- nen bzw. der Ausbildungsstätten, die auch aufgefordert sind, neue wissenschaftliche Befunde aufzunehmen.“ (S. 17) Anschließend werden wichtige Zusammenhänge von Wortschatz und verschiedenen Kompetenzbereichen erläutert, wobei auch die Proble- matik der Leistungsunterschiede unter den Lernenden angesprochen wird: In Studien zum Wortschatzumfang von Kindern konnte beobachtet werden, dass die Differenzen im Wortschatzumfang (die auch mit dem sozioökonomischen Status der Lernenden zu- sammenhängen) während der schulischen Ausbildung stabil bleiben oder sogar größer werden. Der Einfluss der Schule auf den Wortschatzerwerb sollte nach Ansicht der Autorinnen deshalb aber nicht unterschätzt werden. Vielmehr geht es um die Frage, welche Formen der Vermittlung effektiver und geeigneter sind. Nach den ersten zwei einführenden Kapiteln wird der Schwerpunkt im dritten Ka- pitel nun auf die Grundbegriffe der Lexikologie gelegt. Zunächst werden die Termini Lexikon, mentales Lexikon, Wortschatz definiert, anschließend werden aus der Psycho- linguistik und der kognitiven Lexikologie bekannte Verarbeitungsprozesse und Begrif- fe wie produktiver vs. rezeptiver Wortschatz, Wortschatzumfang und -tiefe, Wortwissen erklärt. In diesem Kapitel werden auch Wörterbücher behandelt, Wörterbuchtypen vor- gestellt, des Weiteren wird in diesem Zusammenhang auf die mangelnden Nachschlag- ekompetenzen von SchülerInnen hingewiesen. Bezüglich der Förderung des Umgangs mit Wörterbüchern formulieren die Autorinnen einige Vorschläge. Kapitel 4–7. erläutern weitere Grundbegriffe und Wortschatzphänomene. Kapitel 4 präsentiert die Zeichenmodelle von Saussure, Morris und Bühler, außerdem werden die Begriffe Lexem, Morphem, Motivierung, Phraseologismus etc. erklärt. Mit Bezug auf Frames und Skripts wird ausgeführt, wie Frames und Skripts in der Schule bei Schreib- übungen zur Aktivierung des sprachlichen Wissens der Lernenden genutzt werden und wie dadurch „die schriftliche Formulierungsflüssigkeit zusätzlich gefördert wird“ (S. 53). Kapitel 5 befasst sich mit Bedeutungsbeschreibungen und lexikalischen Relatio- nen. Im Zusammenhang mit der Bedeutung werden auch die verschiedenen Formen der Unterspezifikation im Lexikon (Ambiguität, Vagheit, Kontextabhängigkeit) thema- tisiert. Schließlich werden die Bedeutungsrelationen und die Wortfelder kurz darge- legt. Kapitel 6 und 7 fokussieren die Wörter im Sprachvergleich, Wandelphänomene (Archaisierung, Neologismen, Entlehnung, Bedeutungswandel), das Deutsche als plu- rizentrische Sprache und die Varietäten-Vielfalt des Deutschen. Nach dem Überblick über die wichtigsten Gegenstände und Begriffe der Lexiko- logie steht im letzten Kapitel wieder die sprachdidaktische Perspektive im Mittelpunkt. Kapitel 8 stellt die Frage in den Fokus, was eine wirksame schulische Wortschatzver- mittlung und –förderung auszeichnet. Verschiedene Förderansätze werden präsentiert und charakterisiert, die sich in die zwei Grundtypen implizites Lernen und explizite Wortschatzvermittlung einordnen lassen. Hier wird erklärt, welcher Wortschatz mit Hilfe des jeweiligen Ansatzes gefördert werden kann. Es wird hervorgehoben, dass das implizite Erlernen von Wörtern, das „über den sprachlichen Input“, sozusagen Linguistica_2021_FINAL.indd 138 31. 03. 2022 09:31:22 139 „beiläufig“ erfolgt (S. 95), beim Erwerb des alltagssprachlichen Wortschatzes wirksam ist, allerdings ist dieser Ansatz vor allem bei SchülerInnen mit guten Lesekompetenzen effektiv. Bei dem impliziten Lernen besteht also die bereits im zweiten Kapitel erwähn- te Gefahr, dass die Unterschiede im Wortschatzumfang durch die Schule noch größer werden können. Als alternative Ansätze der Wortschatzförderung bieten sich die expli- ziten und systematischen Vermittlungsformen: die isolierte Wortschatzvermittlung, die lexikon- und textorientierte Vermittlung, die sog. robuste oder interaktive Wortschatz- arbeit und die genrespezifische Wortschatzvermittlung. Unterkapitel 8.6 enthält auch Empfehlungen zur Förderung des Wortschatzes im Bereich Schreiben. Auf den letzten Seiten des Buches befinden sich neben dem Literaturverzeichnis auch die Lösungsvorschläge für die Aufgaben sowie ein Glossar der wichtigsten Termini. Neben der klassischen Einführung von Thea Schippan (2002) gibt es im Bereich der Wortschatzlehre zahlreiche Lehrbücher, die die theoretischen und methodischen Grundlagen der Lexikologie und der Wortschatzanalyse vermitteln (vgl. z.B. Römer/ Matzke 2010, Wanzeck 2010, Elsen 2013). Diese Lehrbücher sind i.d.R. als Grund- lage bzw. Begleitlektüre für Seminare gedacht, dementsprechend richten sie sich in erster Linie an den wissenschaftlichen Nachwuchs. Da sie nicht für sprachdidaktische Zwecke konzipiert wurden, liegt der Schwerpunkt auf der sprachwissenschaftlichen Perspektive. Im Buch von Römer und Sturm werden Sprachwissenschaft und Sprachdi- daktik, Sprachtheorie und Unterrichtspraxis miteinander verbunden. Das Zielpublikum bilden neben Lehramtsstudierenden vor allem LehrerInnen, die sich im Bereich Wort- schatzförderung fortbilden möchten. Für Studierende im Hauptstudium dürfte sich das Buch an einigen Stellen als nicht detailliert genug erweisen, da bestimmte Themen (wie z.B. die Entlehnung oder der Bedeutungswandel) nur in großen Zügen, auf das Wesent- liche beschränkt beschrieben werden. Die Publikation ist in erster Linie für diejenigen empfehlenswert, die sich in den wortschatzbezogenen Fragen der Muttersprachendidaktik vertiefen möchten, sie kann aber auch LehrerInnen im DaF-Unterricht wichtige Impulse geben. Literatur ELSEN, Hilke (2013) Wortschatzanalyse. UTB Band 3897. Tübingen/Basel: A. Fran- cke Verlag. RÖMER, Christine/Brigitte MATZKE (2010) Der deutsche Wortschatz. Struktur, Re- geln und Merkmale. Tübingen: Narr Francke Attempto. SCHIPPAN, Thea (2002) Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. 2., unver- änderte Auflage. Tübingen: Niemeyer. WANZECK, Christiane (2010) Lexikologie. Beschreibung von Wort und Wortschatz im Deutschen. UTB Band 3316. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Linguistica_2021_FINAL.indd 139 31. 03. 2022 09:31:22