Original scientific paper Izvirni znanstveni članek DOI: 10.32022/PHI29.2020.112-113.2 UDC: 111:165.62Heidegger christian ivanoff-sabogal The Ambiguity of the “Formal Indication” with Regard to Being and Time Abstract This interpretation of the problem of the formal indication in its various methodological and thematic directions, which predominantly addresses Heidegger research and understanding, is carried out on the basis of a precise differentiation of seven main shapes that try to clearly present their rich ambiguity without exhausting Die Mehrdeutigkeit der „formalen Anzeige“ im hindeutenden Blick auf Sein und Zeit Christian Ivanoff-Sabogal University of Heidelberg, Philosophical Seminar, Schulgasse 6, 69117 Heidelberg, Germany christian8ivanoff@gmail.com 26 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 it. Since the formal indication plays a prominent role in the horizon of conceptual and theoretical formation of hermeneutic phenomenology, although it is not the subject of detailed elaboration and, therefore, not at the center of attention in Being and Time, it is advisable to unveil formal indications in the earlier texts, in order to throw a revealing glance at their subtle, but decisive significance in Being and Time, and the inter-connection with primary phenomena discussed therein. Keywords: conceptualization, theory formation, formal indication, fundamental ontology, phenomenology. Mnogopomenskost »formalne naznake« s pogledom proti Biti in času Povzetek Pričujoča interpretacija problematike formalne naznake v različnih metodoloških in tematskih smereh, ki jo prvenstveno spodbuja heideggrovsko raziskovanje in razumevanje, je izpeljana na osnovi natančnega diferenciranja sedmih poglavitnih oblik, kakršne skušajo predstaviti njeno mnogopomenskost, ne da bi slednjo obenem izčrpale. Ker formalna naznaka igra odločilno vlogo znotraj obzorja pojmovnega in teoretskega formiranja hermenevtične fenomenologije, čeprav ni poudarjena tema izčrpne obravnave in zato ne zaseda osrednje pozornosti v Biti in času, je smiselno, če razodenemo formalno naznako v zgodnjih besedilih, da bi tako pridobili pogled na njeno skoraj nezaznavno, a tehtno pomenljivost in na njeno sovisje z obravnavo temeljnih fenomenov v Biti in času. Ključne besede: konceptualizacija, oblikovanje teorije, formalna naznaka, fundamentalna ontologija, fenomenologija. 27 Einführung „Das Problem der ‚ formalen Anzeige‘ gehört in die ‚Theorie‘ der phänomenologischen Methode selbst; im weiten Sinn in das Problem des Theoretischen […] des Phänomens des Unterscheidens.“ (GA 60, 55) 1 Es sei von Anfang an hervorzuheben, dass Heidegger nicht in einen tendenziellen Irrationalismus verfällt und nicht einmal für eine Sekunde auf seine unvermeidliche V erortung in der philosophischen T radition des „ Theoretischen “ verzichtet. Die Leitfrage und das Grundproblem liegen vielmehr darin, ob das theoretische Verhältnis zum zu erforschenden Phänomen das einzig mögliche ist. Ausgehend von der Fragestellung nach dem Unterschied in der Philosophie zwischen einem theoretisch-vergegenständlichenden Vorstellen und einem theoretisch-freilegenden Auslegen kommt diese Problematik ans Licht. Die Formalanzeige ist vorbehaltlos ein Problem, zumal weil Heidegger ihr keine ausführlich entfaltete Erörterung gewidmet hat. Die Begründung ihrer Notwendigkeit in der methodologischen Sphäre, die Bereiche ihres Gebrauches und wie genau sie in diesen verstanden wird, welche Stelle sie im Ganzen der Methodik übernimmt, in welchen Phänomenzusammenhängen sie vorkommt und welche ihre bestimmende Sachbezogenheit ist, ist nicht ganz eindeutig. Da die Formalanzeige der Methodik zugehört, ist sie immer in einen sie tragenden reichen thematischen Zusammenhang eingebettet, sofern Sache und Methode bei Heidegger wesenskonstitutiv untrennbar sind. Diesbezüglich können hier nur diejenigen Phänomene berücksichtigt werden, die unumgänglich für ein geeignetes Verständnis der Problematik sind. Ihre vielschichtige Mehrdeutigkeit erklärt sich aus dem Tatbestand, dass sie eine „bestimmte Methodenstufe“ (GA 9, 29) darstellt, die freilich „als Grundsinn der Ansatzmethode phänomenologischer Interpretation in jeder ihrer Vollzugsstufen [ist], und das immer ‚zugleich‘“ (GA 61, 141), weshalb sie verschiedene Aufgaben in verschiedenen Problemkreisen erfüllt. Die akribische Unterscheidung der Mehrdeutigkeiten lässt aber die Einheitlichkeit 1 Auf die Einflüsse aus der philosophischen Tradition ist hier zu verzichten. Für den Einfluss von Kierkegaards „indirekte[r] Mitteilung“ und Husserls „okkasionelle[n] Ausdrücke[n]“ vgl. Escudero 2010, 400, 405. Christian Ivanoff-Sabogal 28 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 des Phänomens nicht verschwinden, weil es einfach um unterschiedlich akzentuierte Sinnrichtungen geht. In den zu anvisierenden Bedeutungen erweist sich im Allgemeinen eine wesentliche Doppelstruktur des „ Weg-von… und Hin-zu…“ (Coriando 1998, 31), die mit der eventuellen Einführung der ausdrücklichen Zirkelhaftigkeit in Sein und Zeit (SuZ) zugespitzt und komplexer wird. Diese sich immer wieder behauptende Doppelstruktur wurde in der Forschung bereits herausgestellt. 2 Die vielschichtige Polemik entsteht erst dann, wenn zu erklären versucht wird, was genau in dieser Doppelstruktur abgewiesen und worauf zugleich hingewiesen wird. Die exegetische Schwierigkeit ist kein Zufall, weil die Doppelstruktur nicht aus zwei für sich allein differenzierten und äußerlich zusammengebrachten Bestandteilen konstituiert ist. Denn sie gliedert eine aufeinander funktionell- verweisende und einander wesensbestimmende Zusammengehörigkeit des darin V erorteten. Hinsichtlich einer in der Forschungsliteratur höchst strittigen filigranartigen Thematik muss die aufmerksame Nähe zur Textgrundlage ein Erfordernis sein, denn ohne sie vermag kein Verständnisversuch sich davor zu hüten, aufgrund einer Unterschiedslosigkeit verwechselnde Einbeziehungen in die auszulegende Sache hineinzuschieben. Darin liegt das Motiv, dieses Thema in der hier anvisierten Weise neu herauszustellen. Die differenzierende Darstellung der ans Licht zu bringenden sieben Hauptausprägungen bzw. Sinnrichtungen der formalen Anzeige in ihrer Mehrdeutigkeit wehren gegen jene Verwechslung ab. Ihre differenzierende Einteilung erfolgt nicht im Sinne einer chronologischen Entwicklungsgeschichte des Begriffs „Formalanzeige“, 3 wobei nicht ausgeschlossen ist, dass in bestimmten Epochen diese oder jene Sinnrichtung besonders deutlich vorrangig wird. Das Bestimmungskriterium der Unterscheidung ist eher sachlich-thematisch, wobei die Ordnung der Einteilung gemäß Aufgaben (1.–2.), Gebrauchsspielraum (3.), Richtungen (4.–5.) und Konstitutionsmomenten (6.–7.) erfolgt. Neben dem Titel des jeweiligen Paragrafen werden die entsprechenden Textstellen von SuZ in Klammern hinzugefügt, auf die der hindeutende Blick sich bezieht. 2 Vgl. Oudemans 1990, 89; Rodríguez 1997, 169; de Lara 2008, 186; Xolocotzi 2019, 85. 3 Vgl. dazu Imdahl 1994. 29 1. Grundlegung der sprachlichen Ausdrucksweise: begriffliche Abwehr und Kontrolle des terminologischen Präjudizes – terminologische Aufgabe (SuZ 6, 21, 37, 46, 57, 150, 300, 316) Die Terminologie Heideggers in SuZ erscheint auf den ersten Blick zweifellos seltsam. Denn a) sie verzichtet absichtlich im Horizont ihrer Grundbegriffe auf die traditionelle lingua franca der Philosophie, b) sie zieht ganz gewöhnliche und „ontisch“ bekannte Wörter in Betracht um alsbald c) durch diese eine neue, ontologisch akzentuierte Sinnrichtung zu bahnen (z. B. Besorgen, Fürsorge, Sorge). Das hat einen Grund. In Heideggers erster Vorlesung wird ein entscheidendes Problem für seine nachfolgenden methodologischen Überlegungen gestellt: „Wissenschaft ist Erkenntnis; Erkenntnis hat Objekte […] Sie stellt fest, objektiv fest. Eine Wissenschaft von Erlebnissen mü ßte diese also doch vergegenständlichen, objektivieren, d. h. gerade ihres nicht objektartigen Er-lebnis- und Ereignischarakters entkleiden.“ (GA 56/57, 76). Um diesem Problem zu entgehen, das u. a. aus der theoretisch- abstandnehmenden Einstellung der beschreibend-phänomenologischen Methode erwächst, versucht Heidegger, den nicht theoretischen Charakter des ganz primären und die Beschreibung fundierenden Sehens herauszufinden, das das faktische Leben in seinem vortheoretischen Vollzug führt. Aber selbst wenn das nicht vergegenständlichend-vorstellende Sehen gewonnen wäre, bestünde immer noch „das Problem der Formulierbarkeit des Gesehenen “ (GA 56/57, 111). Die Anforderung entsteht also angesichts der philosophischen Erfassbarkeit und Formulierbarkeit des Lebens in seinem eigengesetzlichen Wesenscharakter innerhalb seines nicht theoretischen Ursprungsbereiches. Die freilegende Destruktion der theoretischen Voraussetzungen hinsichtlich der Sachbezogenheitsart der statuierten begrifflichen Sprache bewegt sich deshalb im Horizont der Suche „nach dem Grundsinn der Methode, in dem das Leben sich als Leben lebendig erfaßt“ (GA 58, 248). Dieses befindet sich in einem seine V erhaltungen unausdrücklich tragenden Selbstverst ändnis, dessen Grundcharaktere in der hermeneutisch-phänomenologischen Aufweisung herauszuheben sind. Erwächst das theoretische Verhalten aus dem vorontologischen Leben heraus, dann muss die in der Philosophie begrifflich und einstellungsmäßig Christian Ivanoff-Sabogal 30 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 vorkommende Vergegenständlichung irgendeinen Grund im Leben selbst finden. „Das faktische Leben gibt sich in einer bestimmten Deformation.“ (GA 58, 240) Wenn es eine inhärente Neigung des Lebens aufgrund seiner unheimlichen Schwere selbst ist, 4 sich selbst unausdrücklich auf eine objektartige Weise zu verstehen und sich so auszudrücken, sodass dieses ganz basale Selbstverständnis stillschweigend auf die philosophische Begriffs- und Theoriebildung übertragen wird, dann muss diese erklärungsbedürftige Lebenstendenz, in die selbstbezogene und sachbezogene Objektivierung abzufallen, rückgängig gemacht werden. Bewegt sich das Philosophieren zunächst im Horizont der begrifflichen Objektivierung, dann können die ihr geläufigen Begriffe nicht zu Hilfe gerufen werden, weil die Gefahr eines Mitmachens der darin implizierten objektivierenden Grundhaltung und des objektartigen Grundverständnisses der Wirklichkeit auftaucht. Die Objektivierung muss vielmehr einer kritischen Destruktion unterzogen werden. Dafür sind Auswahl und Verwandlung der philosophischen T erminologie erforderlich, zumal weil die philosophische Sprache kein neutrales Mittel ist, das frei von theoretischen Kompromissen wäre. „Unser Weg geht vom faktischen Leben aus“ (GA 60, 65), sodass ganz durchschnittliche und allgemein bekannte Termini im philosophischen Sachfeld aufgenommen werden, um sie als vorsichtige Begrifflichkeit aufzustellen. Offensichtlich sind die formalen Anzeigen Begriffe, die einen Anspruch auf die rigorose Erfassung des Wesentlichen erheben. Jedoch „[sind] diese Begriffe nicht eindeutig festgelegt, sondern sie deuten nur hin auf gewisse Phänomene […] sie haben daher einen bloß formalen Charakter (Sinn der ‚formalen Anzeige‘)“ (GA 58, 248). Die Formalanzeige als abwehrend-methodische Haltung gegen eine vorfixierte Terminologie und das darin etwa als Gegenstand vorgefasste Seiende integriert in sich drei Momente: a) die Einführung von philosophisch noch nicht terminologisch fixierten Ausdrücken, um „dem unkritischen Verfallen an bestimmte“ (GA 9, 11) gehaltliche Auffassungen zu entgehen, 4 Warum und wie der Vorrang des Sehens und seine philosophisch-wissenschaftliche Prägung im „Theoretischen“ entstanden ist und durchgeführt wurde, kann hier nicht thematisiert werden; vgl. GA 56/57, 35; GA 59, 24, 142; GA 60, 63, 81; GA 63, 90; GA 17, 82, 102, 115, 123, 271; GA 18, 271; GA 19, 24; GA 20, 61, 155, 162, 219, 253; GA 21, 8, 95, 213; GA 25, 291, 296; GA 26, 169, 234.; GA 27, 179. 31 die darin impliziert wären (Weg-von/Hin-zu); b) in diesen neuen Termini die Vermeidung des Mitbringens von unkritisch aufgenommenen sachhaltigen Bestimmungen des Phänomens (Weg-von); c) die Kontrolle über sich in diese neue Terminologie „möglicherweise“ 5 hineinschiebenden neuen Präjudizen (Hin-zu). Diese terminologische Kontrolle ist nicht bloß eine vorübergehende Übergangsstufe, sondern eine ständige Aufmerksamkeit gegenüber der eigenen Begrifflichkeit und der M öglichkeit einer sich einschleichenden objektivierenden Tendenz. Formalanzeige meint die abwehrend-vorsichtige Haltung vor einer der Objektivierung entspringenden Begrifflichkeit und die selbstkritische Kontrolle bezüglich einer möglicherweise Präjudizen mitbringenden Terminologie. Die volle Tragweite dieser gründlichen Gegenbewegung als die geeignete Herangehensweise, verdeckte Grundphänomene wegen der Objektivierung (Uneigentlichkeit) freilegen zu können, lässt sich beständig im Gedankengang von SuZ nachvollziehen. Da die Verdecktheit im nicht-theoretischen und im theoretischen Existenzvollzug den freien Blick auf das Phänomen versperrt, ist es keine Überraschung, wenn die zum Da-sein wesensgehörigen Phänomene und terminologisch neu geprägten Bezeichnungen wie „Sorge, Tod, Gewissen und Schuld“ (SuZ 311) auch die methodologische Rolle übernehmen, schon in ihrer Bezeugung die nächste Verdecktheit des un eigentlichen Daseins zu sprengen. So behält das für die uneigentliche oder sogar auch für die bloß durchschnittliche Ausgelegtheit „Negative“ wohl eine theoretische Fruchtbarkeit, die eine existenziale Positivität im „Negativen“ entdeckt, indem im Gegenzug dazu ein sich zeigendes Phänomen in seiner Ursprünglichkeit ans Licht kommen kann. Deshalb hat die formale Anzeige einen besonders deutlich befreienden Charakter im negativen Sinne, nämlich als die Befreiung- von etwas. So ist sie als Wesensmoment der philosophischen Interpretation eine „ gegenruinant[e]“ (GA 61, 178) Bewegung, wobei das spezifische Korrelat bzw. Wogegen noch genauer zu untersuchen ist. 5 „‚Methode‘ ist in formal anzeigender Bedeutung (z. B. ‚Weg‘) offenzuhalten für eigentliche konkrete Bestimmungen […], zugleich mit dieser Gewinnung muß auch wieder das möglicherweise durch die formale Bedeutungsanzeige eingedrungene Präjudiz rückgängig gemacht werden.“ (GA 9, 9) Christian Ivanoff-Sabogal 32 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 2. Ansatzmethode gegen die lebensverwurzelte Objektivierungstendenz und für die begriffliche Formulierbarkeit des Lebens als nicht kategoriale Gegenständlichkeit – begrifflich-strukturelle Aufgabe (SuZ 39, 44, 67, 75, 114, 154, 311, 426) W ie ist freilich ein Phänomen sachangemessen zu sichten und zu formulieren, wenn dieses nicht den primären Charakter der Gegenständlichkeit hat, aber zugleich doch in eine philosophisch- theoretische Eruierung eingebettet ist? Der Befund des „ prohibitiven (abhaltenden, verwehrenden) Charakter[s]“ (GA 61, 141) wird immer wieder hervorgehoben: f ürs E rste gegen den Abfall an das objektivierende Selbstverständnis, in dem sich das Leben bei sich selbst je schon aufhält und aus dem es sich vollzieht. „Sofern alles im faktischen Leben erhellt, in irgendwelcher unausdrücklichen Rede steht, in unabgehobener faktisch ruinanter Interpretation ‚ist‘, liegt darin die Möglichkeit und faktische Notwendigkeit […] der formalen Anzeige als Ansatzmethode der existenziellen kategorialen Interpretation.“ (GA 61, 134) Die Formalanzeige steht im Dienst der richtigen begrifflichen Formulierung der kategorialen bzw. existenzialen Erhellung des Seinssinnes des Lebens, und zwar im methodisch vorbereitenden Ansatz für seine Einrückung in das philosophische Untersuchungsfeld. „Es wird sich aber zeigen, daß durch die Explikation des faktischen Daseins das gesamte traditionelle Kategoriensystem gesprengt wird: so radikal neu werden die Kategorien des faktischen Daseins sein.“ (GA 60, 54) Die Formalanzeige ist doch ganz im Allgemeinen ein Begriff, jedoch nicht ein Begriff als Kategorie (Existenzial), obzwar diese doch im Rahmen des Seinssinnes des Lebens dank der Formalanzeige als Ansatzmethode gewonnen werden. Denn sie bahnt erst die nicht objektivierende Haltung für die Begriffsbildung der dadurch ermöglichten Interpretation des Seinssinnes des Lebens. Die Formalanzeige ist also nicht eine Existenzialie, sondern sie erlaubt die begriffliche Erfassbarkeit des zu Verstehenden und somit die sprachlich-strukturelle Formulierbarkeit der in sachlicher Angemessenheit heranwachsenden Begriffe. „Sofern die Problematik den Sinnursprung in der Existenz hat – diese selbst vollzugsgeschichtlich faktisch –, sind alle in dieser Problematik aufzudeckenden Sinnexplikate Existenzialien.“ (GA 60, 232) Diese auch „ existenzielle Begriffe“ (GA 59, 37) und „hermeneutische Begriffe“ 33 (GA 20, 313) genannten Existenzialien drücken keine vollzugsfreien Attribute, sondern jeweils lebendige Seinscharaktere der Daseinsverfassung aus, die das faktisch Daseiende immer konkret vollzieht, sofern dieses sich je schon vorontologisch in dem darin Indizierten aufhält: Lebensvollzug. Bezüglich der formal-apriorischen Existenzialien der Daseinsverfassung wäre es aber unangebracht über ein bleibendes Substrat zu reden, weil die analytisch- begrifflich gewonnene Formalität jener mitgängigen Wesensmomente im konkreten Existieren immer eigentlich oder uneigentlich, in dieser oder jener Existenzmöglichkeit vollzogen ist. Denn die Existenzialien stehen notwendigerweise in Bezug zu einem faktischen Vollzug, sodass jene nicht abstrakte Kategorien sind, sondern jeweils Seinsarten ausdrücken, die das Dasein sie seiend sich entwerfend so oder so zu übernehmen und geworfen je schon so oder so übernommen hat. Die begriffliche Formulierbarkeit der in das Daseiende zurückschlagenden Existenzialien wird durch die Formalanzeige ermöglicht, die im interpretierenden Mitvollzug die existenzielle Konkretion des sich dynamisch vollziehenden Daseins nicht vergegenständlicht. Formuliert sich also die Kategorie in der Form der Aussage-Struktur im Ort der Urteilswahrheit um der Erfassung des Vorhandenen willen, dann erweist sich die begriffliche Artikulation der Existenzialien in der Gestalt der Formalanzeige- Struktur gemäß der Entdeckungswahrheit, um das erschließend-entdeckende Dasein erfassen zu können. Es ist daher verwirrend zu behaupten, dass die „‚indicadores formales‘“ „el equivalente a los ‚existenciarios‘ de Ser y tiempo“ (Escudero 2010, 396) sind. 6 Nun, alle Aussagen innerhalb der Daseinsproblematik im Zusammenhang der Fundamentalontologie „haben als ausgesprochene Sätze den Charakter der Anzeige: sie indizieren nur Dasein, während sie als ausgesprochene Sätze doch zunächst Vorhandenes meinen […], sie indizieren das mögliche Verstehen und die in solchem Verstehen zugängliche mögliche Begreifbarkeit der Daseinsstrukturen“ (GA 21, 410). Die fest-vor-stellende Prädikation 6 Die Existenzialien sind in diesem Zeitraum schon begrifflich fixiert (vgl. GA 60, 232). Es ist übrigens nicht sauber, ohne irgendeine Differenzierung über „formal anzeigende Begriffsbildung“, „formal anzeigende Begriffe“, „formal anzeigende Artikulation“, „formal anzeigende Charakterisierung“ , „formal angezeigte Phänomene“ und „formal anzeigende Kategorien“ zu sprechen (Cimino 2013, 203, 206, 208, 210). Christian Ivanoff-Sabogal 34 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 ist die genuine Weise, eine Aussage über Vorhandenes im weitesten Sinne gemäß der Begrifflichkeit der Kategorien zu machen, weil es sich um ein Seiendes handelt, das hinsichtlich seiner Bestimmungen und Eigenschaften prädikativ abgeschlossen umgrenzt und festgelegt werden kann. Z. B. kann ein Objekt (auch ein „Subjekt“) das über es kategorial Ausgesagte nicht so oder so vollziehen. Natürlich kann der Mensch auch kategorial-prädikativ angesprochen werden, aber dann wäre er auf ein Objekt reduziert, wobei sein Eigenes verfehlt bliebe. Dass das Dasein im Wesentlichen ein existierendes Seinkönnen ist, das seine philosophisch freigelegten Seinscharaktere sie vollzugshaft aufschließend auf sich übernimmt, weil sie immer modifizierbare Weisen seines eigenen zu-seienden Seins sind, zeigt am einfachsten das Phänomen des hermeneutischen Als. Heidegger kann in SuZ dank der Formalanzeige die Erfassbarkeit und Formulierbarkeit des hermeneutischen Als gewinnen, das den primären Vollzugscharakter der Existenzialien ausdrückt. Die formalen Anzeigen sind im Bereich der hermeneutischen Als-Struktur der Ausgelegtheit sehr schön sichtbar, in der die verschiedenen Vollzugsweisen des vortheoretischen Verstehens und Verhaltens bzw. Sich- habens bei und mit den Seienden ohne V ergegenständlichung (z. B. Hämmern, Lieben) aus- und aufgewiesen werden. Im Rahmen der Formulierbarkeit ist die Formalanzeige die existenzialanalytische Alternative gegenüber der Weise, in der die Aussageform im apophantischen Als kategorial sich zu ihrem Gemeinten verhält. „Die Frage nach dem existenzialen Grundcharakter des Daseins ist wesenhaft verschieden von der Frage nach dem Sein eines Vorhandenen.“ (SuZ 181) Das Überspringen der Formalanzeige impliziert ein Verkennen der potentiellen Modifizierbarkeit der daseinsmäßigen Seinsverfassung und der dynamischen Bewegtheit des konkret zu übernehmenden und faktisch so oder so konkret übernommenen Lebensvollzugs, indem jene unter der feststellenden Prädikation als Vorhandenes gestellt wird. Weil das seinkönnende Leben nur im Vollzug ist bzw. existiert und sich dafür keine theoretische oder praktische Mühe geben muss, vorversteht es sich in seinem lebendigen Vollzug als das so oder so in diesem oder jenem Zu-Vollziehende, insofern es sich vollzieht. Das Wörtchen „insofern“ ist entscheidend, weil die Auslegung gemäß ihrer hermeneutischen Als-Struktur abstandlos zu, bei 35 oder mit dem Auszulegenden sich bereits befindet, in der sich das Dasein in seinem ganz hingegebenen Vollzug vortheoretisch prägt. Dieses kann nicht am Leitfaden der Aussage-Struktur festgestellt werden, weil die feststellende Intentionalität das vollzugshaft-vorontologisch Geöffnete überspringt und nicht auf die eigentümliche vollziehende Beweglichkeit eingehen kann, aus der die Eröffnung des intentionalen Spielraumes allererst entsteht, nämlich die ursprüngliche und in der Objektivierung übersprungene Urlebenserfahrung. „Die Notwendigkeit dieser Vorsichtsmaßregel ergibt sich aus der abfallenden Tendenz der faktischen Lebenserfahrung, die stets ins Objektmäßige abzugleiten droht und aus der wir doch die Phänomene herausheben müssen.“ (GA 60, 64) Kurz: die feststellende Aussage kommt zum selbstverständlich- alltäglichen Vollzugscharakter der existenzialen Lebensbestimmungen als Weisen-zu-sein zu spät. Denn sie kann diese nicht erreichen, und zwar nicht aufgrund eines zu überwindenden thematischen Mangels oder einer irgendwann zu verschärfenden begrifflichen Sauberkeit, sondern wegen ihrer eigenen methodischen Zugangs- und Behandlungsart des Thematisierten selbst, die von einer bestimmten und wieder als selbstverständlich genommenen Seinsidee (Gegenständlichkeit) getragen und geleitet sind . Die Formalanzeige als sachangemessene Ansatzmethode macht die begrifflich- strukturelle Formulierbarkeit des nicht objektivierten Lebenssinnes aus, indem sie einen möglichen Abfall in die lebendige Neigung der selbstbezogenen und deformierenden Objektivierung verhindert. 3. Bezugnahme auf das Ursprungsverstehen – sachbezogen- horizontaler Gebrauchsspielraum (SuZ 43, 52, 114, 116, 231, 313) In welchem Phänomenkreis ist die Formalanzeige als terminologisch- begriffliche Zugangsart zuhause? Als vorsichtige Haltung hinsichtlich der verwendeten Terminologie und als Ermöglichung der begrifflichen Formulierbarkeit des nicht kategorial Feststellbaren steht die Formalanzeige nunmehr positiv „im Dienste der Aufgabe der Philosophie […] des aufmerksam machenden Ursprungsverstehens“ (GA 59, 85). Die noch unbestimmt gelassene positiv- sachliche Richtung der Formalanzeige bekundet sich als ein Verstehen, das sein Korrelat im Ursprung bzw. im „Dasein“ (GA 59, 75) aus seiner abgefallenen „faktischen Lebenserfahrung“ (GA 59, 85) findet, sofern Christian Ivanoff-Sabogal 36 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 „das Selbst im aktuellen Vollzug der Lebenserfahrung, das Selbst im Erfahren seiner selbst die Urwirklichkeit [ist]“ (GA 59, 173) 7 – wir werden später sehen können, inwiefern die ausdrückliche Miteinbeziehung der thematischen Konstellation des Daseins in die prinzipienforschende Fragestellung nach dem Sein schon im Jahre 1921/22 (GA 61, 60) den Gebrauchsspielraum deutlich ergänzt, indem alles, was nicht gemäß seiner eigenen Seinsweise objektiv- abstandnehmend ursprünglich zu haben ist (z. B. die Zuhandenheit), die formalanzeigende Herangehensweise erforderlich macht. Nun, das bestimmte sachbezogene Gebrauchsfeld der Formalanzeige wird erteilt: Dasein in lebendiger Faktizität. Einige Textstellen erlauben dies zu problematisieren (vgl. GA 9, 11; GA 29/30, 425), denen gemäß der Gebrauchsspielraum der Formalanzeige uneingeschränkt sei, sofern sie die einzige sachgerechte Sprechweise im Horizont der philosophischen Formulierbarkeit wäre. Sie würde in diesem Sinne die „Wesensumgrenzung philosophischen Sprechens als solchen“ (Coriando 1998, 29) meinen. 8 Diese Interpretation bleibt aber nicht problemfrei. In diesem Falle gäbe es keine philosophische Tradition und Heidegger hätte keinen Gesprächspartner für seine (positive) geschichtliche Destruktion der philosophischen Tradition, in der zugleich die konkrete Auslegungsarbeit aufgrund ihrer wesenskonstitutiven Geschichtlichkeit unvermeidlich steht. „Seiendes kann in seinem Sein bestimmt werden, ohne da ß dabei schon der explizite Begriff vom Sinn des Seins verfügbar sein mü ßte. Wäre dem nicht so, dann könnte es bislang noch keine ontologische Erkenntnis geben, deren faktischen Bestand man wohl nicht leugnen wird.“ (SuZ 7) Deshalb ist es umsichtiger zu behaupten, dass “hay que suponer que no se trata de toda forma posible de hacer filosofía, sino de la filosofía entendida como hermenéutica de la facticidad” (Rodríguez 1997, 162). Heidegger beschäftigt sich mit dem „Sein, oder bestimmter, im Hinblick auf die Weise, wie solches ‚Sein‘ fa ßbar ist: [dem] ‚ Seinssinn‘“ (GA 61, 58). Weil der Zugang zum Seinssinn aus dem zur Objektivierung tendierenden Leben selbst verbaut und so verborgen wird, worin das Leben ihm bezüglich aber 7 Diese Auffassung der Wirklichkeit entspricht noch nicht der Vorhandenheit von SuZ. 8 So auch van Dijk 1991, 89; de Lara 2008, 181. 37 zugleich ein vorontologisch verstehendes Verhalten erweist, muss das Leben zuerst in seinem Seinssinn bzw. seiner „Faktizität“ (GA 61, 114; GA 63, 7) als angesetzter Anfang hinsichtlich der Freilegung des Seinssinnes untersucht werden. Es geht letzten Endes darum, die feststellende „Subjektivierung“ und die darin mitspielende vorgestellte „Objektivierung“ abzubauen, beide auf ihr übersprungenes Ursprungsfeld zurückleitend, um die Frage nach dem Seinssinn methodisch sicherstellen zu können. Die methodische Abwehr angesichts einer vergegenständlichenden Herangehensweise, die notwendig die faktisch ursprüngliche und theoretisch unangetastete Lebenserfahrung als Enthüllungsort des Seinssinnes überhaupt verfehlen muss, birgt in sich schon den positiven Fingerzeig in Richtung auf die Sachbezogenheit der Formalanzeige und den so umgrenzten Gebrauchsspielraum. Die Formalanzeige nimmt aus einer abwehrenden Begrifflichkeit und einer sachentsprechenden Formulierbarkeit auf das lebensbezogene bzw . daseinsmäßige Ursprungsverstehen Bezug. 4. Tragendes und einer näheren Aufweisung bedürfendes Woraufhin im Horizont der sachgerechten Zugangsart zur Seinsauslegung – entwerfend -vorwärtsgehende Richtung (SuZ 8, 28, 35, 53, 116, 313, 314, 324) Wo beginnen? Wie ist das philosophische Verstehen imstande, ein Phänomen in der rechten Weise zu fokussieren, sodass es nicht in einem fremden Lichte untersucht wird? Die Formalanzeige betrifft die terminologisch vor-sichtige und eine Objektivierung abwehrende Zugangsart zum begrifflich-formulierbaren Ursprungsverstehen. Dieses Vorgehen muss zugleich ausgehend von einer Vor-blicknahme auf das Phänomen in seinem naiv vorverstandenen Was-gehalt orientiert sein, weil uns ein Phänomen nie in einem Überhaupt-Charakter primär begegnet, sondern immer als dieses oder jenes in einer faktischen Verstehenssituation. Das macht „die sachhaltige Vorbestimmtheit“ (GA 62, 345) 9 des Phänomens aus, nämlich als was es in seinem Gehalt aufgefasst wird. Am Leitfaden dieses naiv-vorbestimmten 9 Eine eingehende und sorgfältige Erläuterung über Blickstand, -habe und -bahn findet sich in de Lara 2008, 130. Christian Ivanoff-Sabogal 38 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 Gehaltes etabliert sich der erfragende Hinblick, worauf das so verstandene Phänomen demontierend schrittweise ausgelegt wird. „Den methodischen Gebrauch eines Sinnes, der leitend wird für die phänomenologische Explikation, nennen wir die ‚formale Anzeige‘. Was der formal anzeigende Sinn in sich trägt, daraufhin werden die Phänomene angesehen.“ (GA 60, 55) Angesichts des genannten Sinnes, worin sich das verstehbare Sichzeigen von etwas als dieses oder jenes aufhält, bekundet sich die Formalanzeige als sinntragende Vorzeichnung des sachhaltig vorverstandenen Phänomens und auch als die Perspektive, woraufhin die herangehende Auslegung es stellt. Die Formalanzeige hat einen anfänglichen und zugleich vorläufig-orientierenden Charakter, der jeweiligen phänomenalen Aufweisung noch entbehrend. Z. B. bleibt der Sinn von Sein für die Hinblicknahme auf ihn noch aus, sodass er der Untersuchung die genaue Orientierung nicht geben kann. Es ist noch nicht bekannt, „welches Sein führend“ ist. Deshalb ist die „Direktive (formale Anzeige)“ der nicht invasive „Sinn von Sein“ (GA 62, 274) als ganz formaler Aufenthaltsort der Verständlichkeit überhaupt , ohne im Voraus das Verstandene (Sein) voreilig als Gegenständlichkeit zu setzen oder vorauszusetzen. Bestimmt sich die jeweilige Methode und die dazugehörige Begrifflichkeit aus dem entsprechend zu behandelnden Sachverhalt hinsichtlich seines Seins (Sache-Methode), so ist die Legitimität der methodisch-begrifflichen Zugangsweise erst aus der Seinsverfassung des zu thematisierenden Seienden im Seinshorizont zu gewinnen. Heideggers Hauptthema ist ja nicht das Seiende, sondern „das Sein des Seienden“ (SuZ 35). Aber gerade das Sein und die Seinsverfassung des Seienden müssten allererst durch die geeignete Methode erfasst werden (Methode-Sache). Das ist klar zirkelhaft: die methodische Zugangsart entscheidet sich aus der jeweiligen Seinsverfassung eines Seienden und zugleich wird diese Seinsverfassung erst durch die adäquate Zugangsart gewonnen. Das ist ein Widerspruch, es sei denn, das immer auslegende Dasein befände sich bereits mit dem Sein des Seienden vorontologisch vertraut, und zwar aufgrund des Faktums des Seinsverständnisses. Darauf beruht die Notwendigkeit der Formalanzeige in der entwerfenden Vorzeichnung des Seins sinnes anhand eines als so oder so vorverstandenen Phänomens (in der alltäglichen Naivität). Im vorliegenden Zusammenhang wäre die wegweisende Behauptung zu verankern, dass „in der formalanzeigenden Vorwegnahme 39 dessen, was allererst in konkreter Analyse zum Aufweis gebracht werden soll, sich das Eigentümliche des hermeneutischen Zirkels [bekundet]“ (von Herrmann 1994, 276), der in SuZ erst im systematisch dargestellten Befund der Vor-Struktur des Verstehens und seiner Verwurzelung im zeitlichen Vor- Charakter der existenzialen Sorgestruktur verständlich wird. Die Möglichkeit der Vorläufigkeit gründet offensichtlich in einem Seienden, das in seiner eigenen Seinsverfassung das Strukturmoment des „ Vor“ enthalten kann, d. h. das als Sorge wesensbestimmt ist. Weil diese Vorwegnahme nicht nur dem philosophisch-auslegenden Denkvollzug als solchem gehört, sondern auch im Kontext des architektonischen Aufbaus und der darstellenden Exposition zu finden ist, kann sie auch „in methodisch-didaktischer Hinsicht“ (Coriando 1998, 29) aufgefasst werden. Hier ist Rede von der formalen Anzeige als einer konturgebenden Skizze, die einen deutlichen Charakter der durch weitere Erforschung zu beseitigenden Unvollständigkeit innehat, und zwar dank einer näheren Aus- und Aufweisung in der mitgehenden Auslegung durch die durchschnittliche Alltäglichkeit unterwegs zur Freilegung ihrer in der seinsverstehenden Sorgestruktur fundierten apriorischen Grundcharaktere. Der methodisch propädeutische Übergangscharakter ist freilich keine Äußerlichkeit: „‚ Formal angezeigt‘ heißt nicht, irgendwie nur vorgestellt, vermeint, angedeutet […] sondern angezeigt so, daß das, was gesagt ist, […] Richtung bestimmend, anzeigend, bindend“ (GA 61, 33) ist. Ihre Wichtigkeit für den methodisch gesicherten Anfang in einer sachgemäßen Zugangsart wird innerhalb der „ ontologische[n] Phänomenologie“ (GA 61, 60) klar ins Zentrum eingerückt: „Gerade weil der Zugangs- und Aneignungsvollzug in Hinsicht auf ihren Gegenstand das Hauptstück der Philosophie ausmacht, bedarf es schon im Ansatz einer entsprechenden formalen Anzeige des Gegenstandes“ (GA 61, 113), sonst gäbe es keinen Anfangsort. Im Ursprungsverstehen wird das faktische Dasein in seinem Seinssinn eruiert, nämlich angesichts der Verständlichkeitsermöglichung des Lebensvollzugs aus ausgelegten und auslegenden Bewegtheiten (Weisen zu sein), die den jeweiligen Vollzug vorgängig mitgängig durchherrschen. Aus den trivialsten und der was- gehaltlichen Vorzeichnung bodengebenden Selbstverständlichkeiten und in gleichlaufender destruierender Auseinandersetzung ihnen gegenüber wird die Christian Ivanoff-Sabogal 40 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 Faktizität sie mitgehend-auslegend im Hinblick auf ihre Seinsbestimmungen aus- und aufgewiesen. „In der Blicktendenz auf das jeweilige Dasein in seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit ist die formale Anzeige der Vorhabe, ‚Faktisches Leben (Dasein) besagt: Sein in einer Welt‘, anschaulich auszuweisen.“ (GA 63, 85) 5. Sachliche Aneignung der hermeneutischen Situation hinsichtlich der konstitutiven Voraussetzungen – situativ- rückwärtsgehende Richtung (SuZ 150, 232, 310) Wie kann die Philosophie den letztphilosophischen Anspruch erheben, den Seinssinn zu thematisieren, wenn er die vorausgesetzte und bodengebende Bedingung jeder Verständlichkeit überhaupt ermöglicht, die darüber hinaus faktisch in eine geschichtliche Situation eingebettet ist? „ Sinn ist das durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff strukturierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird.“ (SuZ 151) 10 Der Entwurf ist nicht abstrakt oder souverän, sondern er befindet sich gleichursprünglich auf interpretativen Voraussetzungen wegen seiner geworfenen Faktizität, sodass das W oraufhin zugleich rückwärts auf sein W ovonher hin eruiert werden muss, um jede Naivität fernzuhalten. Diese Selbsterhellung ist formalanzeigend auch im letztgenannten Sinne als vorsichtig-orientierende, weil die 10 Diese dem eigenen Auslegungsboden zugewandte Erhellung geschieht am Leitfaden von Vorhabe, -sicht und -griff, die vor und in jedem basalen Auslegungsanfang im Spiel sind. Die Vorhabe ist die vorverstehende, antizipierende, vorwegnehmende und begegnenlassende Erschließungsweise hinsichtlich des Gehabten, wozu sich die Untersuchung verhält. Die Vorsicht bezieht sich darauf, dass das Thematisierte immer im offenen Horizont einer geschichtlichen Ausgelegtheit und in einer möglichen Auslegbarkeit am Leitfaden eines bestimmten Seinsverständnisses, das über die Entdecktheitsweise entscheidet, betrachtet wird. Der Vorgriff erlaubt eine bestimmte Begrifflichkeit für die Auslegung des so Gemerkten. Das Verstehen eines Themas vollzieht sich immer im Bereich einer jeweiligen W eise, dieses im Denken und Sprechen auszulegen und begrifflich zu artikulieren. Die Begrifflichkeit ist zunächst nichts anderes als die vorherrschende Sprechweise, in der es sprachlich gehabt und sehen gelassen wird. Durch das methodisch-thematische Abbauen durch Vorgriff, V orsicht und V orhabe gelangt die phänomenologische Destruktion in die geschichtlich geprägte Grunderfahrung des vorverstandenen Seins, in der sein vorausgesetzter Sinn freigelegt wird. 41 Aufdeckung der eigenen und auszuweisenden Voraussetzung nur mittels einer destruierenden Auseinandersetzung mit der eigenen faktisch-situativen Gesetztheit geschieht, von der es thematisch noch kein Außerhalb gibt, sodass nur ein „ Rückspringen“ (GA 64, 94) offen bleibt. Wird der Auslegungsanfang anfänglich problematisiert, dann gibt es für den Blickstand keine anderen Koordinaten als das faktisch geschichtlich-denkerische Überlieferte, durch die in ihm selbst sich schon befindende Problematisierung (Heideggers Untersuchung) erst die Blickschiebung auf einen anderen Sinnhorizont und der neue Blickstand aus diesem erfolgen können. Ist die hermeneutische Phänomenologie eine Auslegung, die u. a. darin besteht, das vorontologische Seinsverständnis ausdrücklich zu machen, in dem die eigene Untersuchung auch steht und von dem sie ausgeht, dann müssen die V or-Strukturen in ihrem konkret vorausgehenden Gehalt aufgedeckt werden, um die tragende Leitidee des Seins auszuweisen. Die faktische Gebundenheit der philosophischen Untersuchung an eine Situation ist die zwanglose Folge des Tatbestandes, dass die Philosophie als konkrete Möglichkeit des Menschen auch dem Boden (sei es auch als Gegenbewegung) des faktischen Lebens entspringt. Diese Bedeutung bewegt sich in einer methodologischen Ebene als Sache der Besinnung, sofern es genau darum geht, die konstitutiven Voraussetzungen des geschichtlichen Blickstandes ausdrücklich zu machen und sehen zu lassen. Formalanzeigend führt die „methodisch interpretative Gegenbewegung bis zum faktischen Ausgang zurück, so zwar, daß jetzt das Methodische, d. h. ausdrücklich Vollzugshafte, als genuines zur Aneignung kommt“ (GA 61, 183), sofern die „Standpunktfreiheit […] ausdrückliche Aneignung des Blickstandes“ (GA 63, 83) ist. In dieser rückbezogen-methodologischen Selbsterhellung wird vom spezifischen Untersuchungsthema provisorisch abgesehen, um die eigene Untersuchungslage in ihren geschichtlich geprägten Voraussetzungen zu thematisieren. Der Abbau der eigenen hermeneutischen Verstehenssituation (geschichtlich-faktisches Leben) führt also positiv zur sachlichen Anvisierung des voraussetzungsvollen und bodengebenden Blickstandes der Auslegung. Christian Ivanoff-Sabogal 42 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 6. Freiseinlassen der Bezugsmannigfaltigkeit als Bewahrung des jeweiligen Vollzugssinnes der Sache – intern-konstitutives Formalitätsmoment (SuZ 67, 69, 309, 312) Die hermeneutische Situation und das vorzeichnende Woraufhin der Auslegung halten das Phänomen in seine situative Bezogenheit und in seine darin zur Entscheidung gebrachte Erfahrungsweise hinein, die nicht notwendigerweise oder primär eine abstandnehmend theoretische Erfahrung sein muss. Z. B.: wie wird eine Katze in ihrem Sein verstanden, worauf wir uns beziehen, wenn wir mit ihr spielen? „Das Formale ist etwas Bezugsmäßiges.“ (GA 60, 63) Das „Formale“ der Formalanzeige steht in keinem Zusammenhang mit einer abstrahierenden Formalisierung, sodass diese irgendwann zu einer Entformalisierung kommen müsste. Eben weil die Formalanzeige „außerhalb des einstellungsmäßig Theoretischen“ (GA 60, 59) fällt, ist in diesem Phänomen „die Bedeutung von ‚formal‘ […] ursprünglicher“ (GA 60, 59), und zwar aufgrund ihrer Einbettung in einem dem Theoretischen vorhergehenden Ursprungsbereich, nämlich dem vollzugsmäßigen Beisichsein des Lebens in seinem nicht abgehobenen vortheoretischen Selbstverständnis. Einer Forschungsinterpretation zufolge müssten die „formalisierte[n] Sinncharaktere“ irgendwann sich „ entformalisieren“ lassen, „indem man in der Erste-Person- Perspektive der formal angezeigten Sinnrichtung nachgeht und die Konkretion erreicht“ (Cimino 2013, 211, 209). Es gibt einen inneren Widerspruch in dieser Auffassung: Weil hier die Formalität primär als die was-gehaltliche Bestimmung eines Seienden verstanden wird, müsste die nachträgliche Entformalisierung eine vorhergehende und gerade zu vermeidende vergegenständlichende Einstellung voraussetzen, sofern die Formalisierung nichts anderes als ein theoretisch-eingestellter Akt ist, von dem aber die Formalanzeige ausdrücklich abgegrenzt wird. Vielmehr spielt die Formalität nicht mit dem zu erfassenden bzw. begreifenden Gehalt ( Gehaltssinn) zusammen, sondern eher mit dem Bezug (Bezugssinn), der für den Zugang zum Gehalt erforderlich ist. Die Formalität lässt den auf das was-gehaltliche Phänomen eingehenden und entdeckenden Bezug offen, um dadurch die zu vollziehende Bezugsrichtung für sein geeignetes Haben hervorzuheben ( Vollzugssinn), ohne es im Voraus zu objektivieren. Diesbezüglich behauptet Rodríguez ganz zutreffend: 43 el sentido de una indicación formal, que es una expresión conceptual, universal, no es estar referido a una entidad objetiva dada […], sino literalmente, seguir una indicación […]; su vaciedad formal consiste precisamente en que indica un hacia dónde, no en presentar una entidad ‚formal‘. (Rodríguez 1997, 168) Die Formalität erlaubt die „Explikation des Bezugssinns innerhalb seines Vollzugs“ (GA 60, 62), sodass die theoretisch-vorstellenden, theoretisch- auslegenden, praktischen, ästhetischen, herstellenden oder indifferenten Bezüge jeweils angesichts ihres entsprechenden Vollzugs zu ihrem Recht kommen können. Der Bezugssinn betrifft die sich erschließende Haltung gegenüber einem Seienden, aus der her dieses entdeckt und in seine Entdeckung so oder so eingerückt wird. So kann sich ein Phänomen mannigfaltig zeigen, indem die auf es zugehende Ausgerichtetheit diesem oder jenem Bezug entspricht. Z. B. ist der unausdrückliche Seinssinn, der den hinsehend-abstandnehmenden Bezugssinn verständlich macht, die vorherige Auffassung des Seienden als Gegenstand im Lichte der Seiendheit als Gegenständlichkeit. „Ein Blick auf die Geschichte der Philosophie ergibt, daß die formale Bestimmtheit des Gegenständlichen die Philosophie völlig beherrscht. Wie kann diesem Präjudiz, diesem Vorurteil vorgebeugt werden? Das leistet gerade die formale Anzeige.“ (GA 60, 63) Die Formalanzeige ist ein strategisches Manöver, das vor einer vorherigen Vergegenständlichung und einer selbstverständlich angenommenen Gegenständlichkeit behütet. Die Thematisierung muss sich mit der zugangsbestimmenden Bezugsweise beschäftigen, und zwar im Rahmen der sich selbst deformierenden faktischen Lebenserfahrung, aus der die V erkennung der Bezüge bzw. der unausdrücklich zur Verabsolutierung gebrachte objektivierende Bezugssinn aufgeht. „Dieser Bezugssinn soll in der Schwebe gehalten werden, nicht in dem Sinne, daß er verschwindet, sondern so, daß er eigentlich vollzogen wird“ (Oudemans 1990, 94), sofern er als theoretischer Bezugssinn unter mehreren allererst entdeckt wird. Durch die Entdeckung des verabsolutierten Bezugssinns in geschichtlicher Auseinandersetzung mit der Philosophie können andere Bezüge allererst in ihrer Möglichkeit und Verbergungsmotivation freigelegt werden. Da aus dem Christian Ivanoff-Sabogal 44 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 Bezugssinn sich die Erfahrung und das darin sich artikulierende Erfahrene bestimmen, mag dadurch die Möglichkeit bewahrt werden, die genuine Weise des „Habens“ eines Phänomens nicht von Hause aus als theoretisch oder gar praktisch zu brandmarken, indem es Phänomene gibt, die nicht ursprünglich im so gearteten V erhalten gehabt werden, wie z. B. die völlig selbstverständliche Unauffälligkeit der Zuhandenheit, die nur ursprünglich zu erfahren bzw. zu haben ist, indem sie im Gebrauch am Leitfaden des hermeneutischen Als unthematisch bleibt. Zwar ist die Formalanzeige „äußerlich“ eine Aussage, die aber nach ihrer unumgänglichen Kenntnisnahme von der theoretisch- abstandnehmenden Bezugnahme von ihr weg weist, sodass ein Verbleib beim Aussagegehalt aus einem theoretischen Bezugssinn nur auf halbem Wege stecken bleibt. Um das volle Verständnis zu erreichen, muss sich der formalanzeigende Aussagegehalt auf den Vollzug übertragen, da gerade „der Vollzugscharakter noch frei bleibt“ (GA 60, 63). Denn „es bleibt also immer eine wesensmäßige Distanz zwischen dem indizierenden Begriff und dem konkreten Vollzug“ (Blust 1987, 195), der eigens vom Mitvollzieher des Aussagegehaltes zu übernehmen ist. „Ein Phänomen muß so vorgegeben sein, daß sein Bezugssinn in der Schwebe gehalten wird. Man muß sich davor hüten, anzunehmen, sein Bezugssinn sei ursprünglich der theoretische.“ ( GA 60, 63) Über das Schweben-lassen wird behauptet, dass „l ’indicazione formale è in Heidegger il metodo per svolgere una sorta di epoché fenomenologica sul piano espressivo-linguistico“ (Lazzari 2002, 127) und dass die Formalanzeige „ sich mühelos mit der methodischen Strategie der phänomenologischen Epoché in Zusammenhang bringen [läßt]“ ( Cimino 2013, 211). Dies ist bei allem Respekt irreführend. Heidegger geht es vielmehr um die Vermeidung der stillschweigend sich andrängenden Auslegungstendenz am Leitfaden der Vorhandenheit aus einer feststellenden Vorstellung, die in der Epoché „der Generalthesis der natürlichen Einstellung“ (Husserl 2009, 61) vorausgesetzt und in ihrer Bestrebung um unbeteiligt-hinsehenden Abstand zugespitzt wird, sofern „mit der Ausschaltung des Wirklichen […] nicht die Wirklichkeit“ (GA 26, 229) in ihrer „Form Gegenstand“ (Husserl 2012, 80) als einzig zugelassene Seinsweise ausgeschaltet. Deswegen ist es nur folgerichtig und zwar erforderlich, dass Heidegger den existenziellen von dem eidetischen 45 Sinne der Formalität abgrenzt (vgl. GA 61, 33). Das Formalitätsmoment lässt die Möglichkeite n der verschiedenen Bezugssinne frei werden, sodass darin der zu übernehmende Vollzug des im Aussagegehalt Enthaltenen betont wird, da das gehaltlich Angezeigte nur vollzugshaft genuin gehabt wird, wobei das Ursprungsverstehen erreicht wird. Es wäre aber auch zu unilateral zu sagen, dass „der Gehalt, die Bestimmungen des Gegenstandes, nicht das Thema sein [soll] […] Es soll vielmehr darum gehen, daß der Gegenstand als solcher zwar nicht gegeben ist, dem Verstehensvollzug aber die Richtung anzeigt.“ ( Oudemans 1990, 87 ) Erstens wäre ohne irgendeine Akzentuierung der Sachbezogenheit nur noch das sachentfremdete, bodenlose Gerede übrig, was mit der maßgebenden Sachverwurzelung der Fundamentalontologie unverträglich bleibt. Wohl ist das jeweilige Phänomen „als Thema einer Betrachtung […] Gegenstand; das besagt aber nichts darüber, ob es das auch sein mu ß für die Erfahrungsart, in der es da ist und in der eigentlich die Analyse sich vollzieht“ (GA 63, 47). D. h. die thematische Sache von größter Wichtigkeit, diskutiert wird nur die Geeignetheit der theoretischen Bezugsweise, zumal wenn sie als die einzige betrachtet wird. Zweitens, das für die verstehende Kenntnisnahme präsentierte Phänomen muss da sein, und zwar in der einzigen für Heideggers Untersuchung verfügbaren Ausdrucksweise bzw. die Aussage gemäß einem theoretischen Bezugssinn. „Der äußeren ‚Grammatik‘ nach unterscheiden sich fundamentalontologische Sätze nicht von apophantischen Aussagen.“ (Coriando 1998, 31 ) 11 Doch ist aber das Phänomen als Aussagegehalt nur unvollständig dargestellt. Es wird in seiner echten Fülle erst durch den übernehmenden und den Bezugssinn modifizierenden V ollzug vervollständigt. Es kommt vor allem darauf an, die faktisch-seinsbezogenen Weisen-zu-sein durch die philosophisch-theoretische Aufweisung zum Vorschein kommen zu lassen und so für das den Vollzug fordernde Verstehen eine freie Blickbahn zu eröffnen . Dank der Freilegung der verschiedenen Bezugssinne ist die vollzugshafte Gewinnung des indizierten Phänomens in seinem konkreten 11 Ob das auf einer „tendenziellen […] Befreiung von der Grammatik“ (Coriando 1998, 31) beruht oder eine „ Verlegung der Grammatik“ (Oudemans 1990, 85) meint, bleibt als Problem dahingestellt. Christian Ivanoff-Sabogal 46 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 Gehalt zugänglich, weil gerade die Unvollständigkeit der „Aussage“ ertappt wurde. 7. Existenzieller Appell zur eigenständig-vollzugshaften Übernahme aus der indizierenden Wegweisung – intern- konstitutives Anzeigemoment (SuZ 36, 42, 295, 303) Die Formalität des Bezugs bringt die Unvollständigkeit des dargestellten Phänomens mit sich, die nur im jeweiligen Vollzug vervollständigt wird. Das Phänomen plus sein V ollzug ist gerade das Angezeigte. Diese mitzudenkenden Einsichten sind schwer nachzuvollziehen, weil, sofern der theoretische Gehalt zur Kenntnis genommen ist und man ihn ausdrücklich zu vollziehen versucht, der theoretische Bezugssinn immer noch in Geltung und der Zugang zu ihm versperrt bleibt, da es letztlich nicht auf ein feststellendes Sehen ankommt, sondern auf ein Vollziehen, das jeder „jeseinig“ zu übernehmen hat. Z. B. kann man nicht einfach die selbstverständliche Unauffälligkeit des zuhandenen Gebrauches „sehen“, sondern nur in der Unaufmerksamkeit (!) erfahren. Deswegen können die offenbarten Sachen nur formal angezeigt und wesensmäßig nicht voll-kommen vor Augen gehalten werden, weil die Pointe darin besteht, dass die „Weise des genuinen Gehabtwerdens“ bzw. des „Zum- Haben-Bringens“ (GA 61, 18, 19) des jeweiligen Phänomens nur im Vollzug erreichbar ist. Diesbezüglich ermöglicht das Anzeigemoment eine doppelte Schwierigkeit zu überwinden, nämlich die Spannung zwischen a) einer von außen kommenden, aufrufenden Indikation, die auf das Dasein fällt, ohne einen theoretisch-feststellenden und vollzugshaft-normativen Charakter verteidigen zu wollen, und b) dem positiven Aufmerksammachen der jemeinig- eigenständigen Übernahme des Indizierten. In diesem Zusammenhang wird der existenzielle Anspruch der Formalanzeige ans Licht gebracht, indem ihre Betonung im übernahmefähig-vollzugshaften Aspekt der formalanzeigenden „Aussage“ fällt. Darin kommt eine „ Vor-‚kehrung‘“ (GA 61, 20) angesichts des Gehaltlichen zugunsten des V ollzugscharakters des Angezeigten zustande, weil das jemeinige Dasein selbst sich in die Verhaltens- und Verstehenssituation begeben muss, um das Indizierte konkret in seiner Fülle zu erfahren. Nicht nur der „Aussage“gehalt ist hier ausschlaggebend, obzwar dieser für das Verstehen wesensnotwendig gemäß dem Wie-Was-Gefüge ist, sondern 47 ebenso das durch einen Vollzug und im Vollzug zu erreichende Phänomen dank der Verwandlung des offen gehaltenen Bezugssinns. Das hat nur eine wohlbegründete Legitimität, weil das Thema der theoretischen Ausarbeitung Heideggers der faktische Lebenssinn des Daseins im Horizont der Seinsfrage ist, welches das über es Angezeigte eigenständig übernehmen kann: „Ich muß auch im Verstehen den definitorischen Gehalt gerade in Beziehung setzen zu…, was besagt, der Gehalt, die Bestimmungen, die vom Gegenstand gegeben werden, dürfen gerade nicht als solche Thema werden, sondern das erfassende Verstehen hat der angezeigten Sinnrichtung nachzugehen.“ (GA 61, 32) 12 Die Weisung vom was-gehaltlichen Thema als solchem „weg“ und auf das darin Indizierte hin ist nicht eine Herabminderung seiner sachlichen Wichtigkeit und eine Einladung in das sachentfremdete Gerede, sondern gerade die Möglichkeitsbedingung dafür, sich in die Dimension zu versetzen, in der das Thema erst genuin zu haben ist. „Der Gehalt ist ein solcher, dessen Aneignung eine eigene konkrete Vollzugsaufgabe ist“ (GA 61, 61), 13 nämlich in der faktischen Situation des Lebens. Diese Erläuterung betrifft nicht die begriffliche Herangehensweise eines jeglichen Themas im ozeanischen Philosophiebereich, sondern nur „die existenziell formal-anzeigende prinzipielle Definition“ (GA 61, 32), in der die im eigenen Verstehensvollzug zu übernehmende Konkretion des gehaltlich angezeigten Phänomens „eine Aufgabe […] darstellt“ (GA 61, 32), die „dem Einzelnen überlassen“ (GA 61, 134) bleibt. Die lebensbezogene Schwierigkeit des Sicheinlassens in die zu vollziehende Konkretion aufgrund der objektivierenden Tendenz bedarf einer darauf orientierten Anzeige, weil „das faktische Leben eigentlich immer auf der Flucht vor dem Prinzipiellen ist, dann kann nicht wunder nehmen, daß die zueignende Umkehr zu ihm nicht ‚so ohne weiteres‘ da ist“ (GA 61, 72). Die vollzugshafte Übernahme 12 Z. B. angesichts des „ego cogito“ bei Descartes: „Nimmt man dagegen diesen Satz im Sinne einer formalen Anzeige, so, daß er nicht direkt genommen wird (wo er nichts besagt), aber auf die jeweilige Konkretion dessen, was er gerade meint, bezogen wird, so hat er sein Recht“ (GA 17, 250), nämlich das Phänomen des Sich-mit-Habens. 13 Das existenzielle Moment der Formalanzeige ist mehrmals betont worden, vgl. Blust 1987, 60; Oudemans 1990, 89; van Dijk 1991, 93; Coriando 2002, 14; de Lara 2008, 193; Escudero 2010, 414; Rubio 2011, 87, 93. Christian Ivanoff-Sabogal 48 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 des durch den Gehalt einzuholenden und zu verstehenden Angezeigten wird im mit ihm wesensverbundenen Formalitätsmoment verankert. Weil das „Formale“ den Bezugssinn zum betreffenden Seienden offenlässt, kommt als seine Komplementierung der zu übernehmende Vollzug des Angezeigten um des Erreichens des geeigneten Verstehens willen zum Ausdruck. Z. B. diese Indikationsvalenz wird in SuZ im Phänomen der vorlaufenden Entschlossenheit deutlich herausgestellt. „Die formale Anzeige ist immer mißverstanden, wenn sie als fester, allgemeiner Satz genommen und mit ihr konstruktiv dialektisch deduziert und phantasiert wird.“ (GA 63, 80) Das nur deduktive Verfahren würde in diesem hermeneutisch-phänomenologischen Zusammenhang gegen die Verfolgung des formal Angezeigten im faktischen Existieren innerhalb einer V erstehenssituation stoßen und die Freilegung seines existenzial-ontologischen Ursprungsverstehens verhindern, das aus seinem sinntragenden Ort im seinsverstehenden Dasein entspringt und das auf das jemeinige Daseiende in seiner wesensausmachenden Zusammengehörigkeit zur Offenständigkeit in der Erschlossenheit des Seins überhaupt hineinzeigt. Die zwei letztgenannten Bedeutungen werden einige Jahre nach SuZ merkwürdigerweise in einer Vorlesung (GA 29/30, 425–430) knapp und akribisch wiederaufgenommen. Hiermit schützt die formale Anzeige vor der sich leicht einschleichenden Unterschiedslosigkeit zwischen einer vorhandenen Eigenschaft und einem zu vollziehenden Existenzial, das wesentlich vollzugshafte Übernahmemöglichkeit in sich birgt. Die darin vorausgesetzte Grundunterscheidung zwischen den Seinsweisen der Vorhandenheit (im weitesten Sinne) und der Existenz begründet den existenziellen Appell an eine Verwandlung der jemeinigen Erschlossenheitsweise als eigentliches Da-sein, 14 die im gelungen philosophischen Verstehen vom fundamentalontologisch Aufgezeigten mitbeschlossen liegt. Deshalb ist es zutreffend zu statuieren, dass die formalen Anzeigen „Bewegungsbegriffe [sind]: Sie initiieren methodisch eine hermeneutische Dynamik, die das Philosophieren in seiner Jemeinigkeit ‚bewegen‘ kann“ (Imdahl 1994, 320). Diese Bewegung kann nur aus der jemeinigen Aktualisierung des formalangezeigt Vorbereiteten und durch die Einlassung in die indizierte Verstehenssituation geschehen, in der gerade 14 Für eine vorwiegend ethische Interpretation vgl. Escudero 2010, 411 ff. 49 die Verhaltens- und Verstehensweise des Mich-habens (Erschlossenheit) sich ändert, weshalb die Bezugsweise (Entdeckung) des Seienden zugleich sich modifiziert. Denn die nächste Vertrautheit zwischen den Seienden als angeblich selbstverständlich daliegenden Vorhandenen wird hinsichtlich der Fraglichkeit des existierenden Da-seins und des Seins erschüttert, sodass in dieser abwendenden Blickrichtung, „weg“ von der beruhigenden Verabsolutierung der Vorhandenheit, das sich erschließende und entdeckende Da-sein in seiner Ausgesetztheit zu sich selbst, bei den nichtdaseinsmäßig Seienden und mit den Mitdaseienden positiv erfahren wird. Die Blickrichtung wendet sich letzten Endes auf die in den offenen Seienden überhaupt sich verbergende Erschlossenheit des Seins überhaupt hin, die gerade um der Offenbarkeit des Seienden willen verborgen bleibt. Sie sind anzeigend, darin ist gesagt: Der Bedeutungsgehalt dieser Begriffe meint und sagt nicht direkt das, worauf er sich bezieht, er gibt nur eine Anzeige, einen Hinweis darauf, daß der Verstehende von diesem Begriffszusammenhang aufgefordert ist, eine Verwandlung seiner selbst in das Dasein zu vollziehen. (GA 29/30, 430) 8. Fazit Ohne den philosophischen „Schwindel“ dieses zirkelhaften Phänomenzusammenhanges leugnen zu können, stehen die sieben anvisierten Hauptprägungen als interpretatorische Koordinate im Dienst einer näheren V erständlichkeit der formalen Anzeige in SuZ. Nur skizzenhaft kann vorsichtig statuiert werden: Das Vorkommnis der Formalanzeige in SuZ ist in einem vierfach verwurzelten und miteinander fundierten Sinnzusammenhang verständlich: 1) die Unmöglichkeit des abstandnehmend-hinsehenden Blicks, die Anwesenheits- und Begegnungsweisen in der selbstverständlichen Alltäglichkeit zu erfassen, sofern diese nicht „objektiv“ zu haben ist – Destruktion der invasiven Objektivierung als fest-vor-stellende Prädikation; 2) die wesentliche Unabgeschlossenheit des Da-seins im endlichen Seinkönnen, das in seiner faktisch immer zu vollziehenden Konkretion niemals „fixiert“ werden kann – Reduktion im präservierenden Seinlassen als mitgehende Christian Ivanoff-Sabogal 50 Phainomena 29 | 112-113 | 2020 Auslegung; 3) die Vor-Struktur des Verstehens und die hermeneutische Als-Struktur der Auslegung, deren Gesehenes und Ausgelegtes in der Daseinsthematik am Ursprünglichsten im vorontologischen Vollzug zu haben ist – Konstruktion im konservierenden Sehenlassen als erläuternde Aufzeigung; 4) die seinsverstehende Sorgeverfassung als Grundbestimmung des Daseins, das der rück- und vorwärtsgehenden Existenzbahn (Gewesenheit-Gegenwart- Zukunft) dank seines zeitlichen Sinnes offensteht – das geworfen-entwerfende Voraus-setzen als Ursprungsbereich der Formalanzeige. 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