/ BOSNIEN, DAS LAND UND SEINE BEWOHNER. GESCHICHTLICH, GEOGRAPHISCH, ETHNOGRAPHISCH UND SOCIAL-POLITISCH GESCHILDERT VON AMAND FREIH. v. SCHWEIGER-LERCHENFELD, VERFASSER VON »UNTER DEM HALBMOND« — »DAS EUPHRAT- UND T1QBISGEBIBT« »ARMENIEN« ETC. MIT 8 ORIGINAL-ILLUSTRATIONEN UND EINER KU WIEN, 1878. DRUCK UND VERLAG VON L. C. ZAMARSK I, K. K. HOF-JUXHDRUCKEK CSD HOKLlTHüURAPII IN WIEN. 115499 INHALT. Vorwort...................•......... I. Geschichtlicher Ueherblick. Die Ursasscn indo-germanischen Stammes zwischen Save und Adria. Illyrien. Die Römer in Illyrien. Kämpfe mit den Dalmatern. Die christliche Aera. Einwanderung der Slaven. Chrohaten und Sorben. Ueber die Slavenbewegung auf der Balkanlialbinsel. Rivalität unter den südslavischen Fürsten. Katholiken und Schismatiker. Legeth. Serbisch-croatische Rivalität. Die Bogomilen. Twartko L, der erste bosnische König. Tin onstreitigkeiten. Das Erscheinen der Osmaneu. Toinasevic, letzter König Bosniens. Bosnien unter den Türken. Die letzten Jahrzehnte. Die Reform-Aera. Anschluss Bosniens au Oesterreich-Ungarn..................... II. Geographischer Ueberblick. Der geologische Bau des Landes. Die Gebirge Bosniens. Die Kaist-plateaux der Herzegowina. Allgemeine orographische Charakteristik. Schlund-Flüsse. Die Hauptflüsse Bosniens. Zustand der Com-numieationen. Die wichtigsten Verkehrslinien von der bisherigen AVest- und Nordgrenze aus. Klima, Bodencultur, Viehzucht, Mon-tanproducte, Thermen. Die Wohnstätten; Häuser und Dörfer. Einkehrhäiiser. \amen der wichtigsten Städte Bosniens und der Herzegowina........................ III. Landschaften und Städte. Wanderung durch die Save-Niederung. Banjaluka. Jaieze, dieKönigs-stadt. Travnik. Durch'« Bosna-Thal nach Serajevo. Bilder aus der bosnischen Hauptstadt. Wanderung durch Südost - Bosnien und Rascien. Rogatica und Visegrad. Das Kloster Banja. Priepolje und seine Umgebung. Sienica und Novibazar. Nordost-Bosnien; Zwornik und Tuzla. Herzegowinische Landschaften. Hauptrouten durch's Narentathal. Zwischen Mostar und Serajevo. Von Ragusa über Trebinje nach Stolac und Mostar. Die Poststra^se Zwischen Sign und Travnik. Mostar.................. Seite IV. Die Bewohner. Statistische Notizen. Ethnographisoher Abriss. Die Slaven. Die Amanten (Albancsen). Die Zigeuner. Osmanische Repräsentanten. Die Rajah. Confcssionelle Verhältnisse. Orthodoxe und Katholiken, Culturzustand unter der Rajah. Volkspoesie. sCcngic Aga«. Das Ilai-dukenthum. Aberglaube. Die Mohammedaner. Lebensweise, Sitten und Gebräuche derselben. Der Islam als Hinderniss der Civilisation. Mittel zu fortschrittlicher Entwickelung............91 V. füll Urzustände. — Die bisherige Administration. Das Unterrichtswesen. Mohammedanische Schulen. Der Bildungsgrad unter den Christen. Mangel jedweder höheren geistigen Cultur. Gewerbliche und industrielle Thätigkeit. A dministrative Centraileitung. Regierungsorgane und Verwaltungsbehörden. Das Justizwesen. Gerichtsbehörden. Die Steuer-Administration. (Zehent und Pachtsteuer, Landessteuer, Militärsteuer, die Tretina.) Die Va-kufs. Allgemeine Handelsverhältnisse. Bisherige politische Einthei- lung des Landes. Statistik. Schlussbemcrkungen...... . . 149 Geldsorten, Mnass und Gewicht................185 Nachtrag..........................191 Sach- und Namens-Register...................195 Illustrationen. 1. Serajevo. 2. Das Miloscvothal und die Ruine Hissardzik bei Priepolje. 3. Bosnische Kaufhalle und Quarantaine. 4. Maglaj an der Bosna. 5. Steinbrücke über die Drina bei ViSegrad. G. Banjaluka. 7. Bosnische Tvpen (Christen1. 8. Bosnische Typen (Mohammedaner). Karte. Bosnien, die Herzegowina, Montenegro und Serbien •---OOS88«*<^ v < > Ii w o r rr. Iu der vorliegenden Schrift wird der Versuch gemacht, von Bosnien im weiteren Sinne, d. i. von dem eigentlichen Bosnien, dann Türkisch-Ooatien, der Herzegowina und Rascien ein möglichst anschauliches Bild zu liefern. AVeit entfernt, dasselbe als Fachwerk geltend zu machen, wurden gleichwohl die vorhandenen, zum Theile sehr werthvollen Materialien in möglichst umsichtiger Weise derart zu einem homogenen Totalbilde verschmolzen, dass das Wissenswerthe darin allenthalben die wfinschens-werthe Berücksichtigung rindet. Erwägt man. dass selbst die vorzüglichen Facharbeiten von Blau. Koskiewicz, Thoemmel u. s. w. zumeist in ganz specielle Details topographischer Natur sich vertiefen, dass gewisse sociale Zustände und administrative Einrichtungen überdies in den letzten Jahren, trotz der starren Stabilitäts-Bestrebungen der osinani-schen Bace, hin und wieder ModifiCationen erfahren haben und die Ethnographie der Balkan-Halbinsel gerade in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat, so kann man annehmen, dass diese bescheidene Arbeit eine Lücke unter den Publicationen über Bosnien ausfüllt. Der Absicht gemäss, dem Leser das Studium der bestehenden Verhältnisse nach Thunlichkcit zu erleichtern, ward die Gliederung des Stoffes derart getroffen, dass die einzelnen Materien, wie: die historische 11 Ereignis s e seit den ältesten Zeiten, die allgemeinen, rein-geographischen Themata, weiters Landschaften und Städte, dann die Bewohner nach ethnographischer, socialer und religiöser Seite, schliesslich die Cultur-Verhältnisse und die bis auf den Tag bestandenen a d m i n i s t r a t i v e n E i n r i c Ii- tun gen iu grösseren, in sich abgeschlossenen Abschhitten vorgeführt werden. Ueberall aber wallet in der Besprechung der einzelnen Kragen die Tendenz vor, jeder Anschauung und Meinung anderer Reisenden gerecht zu werden, wodurch sich die Nothwendigkeit ergab, dem Buche zahlreiche Fussnoten beizufügen, die, weit entfernt die Lecture zu erschweren, vielmehr geeignet sein dürften, selbst das sprödeste Material zu beleben und willkommene Anhaltspunkte über die zum Theile sehr zahlreichen Quellenbehelfe zu geben. . . . Was diese Quellen anbetrifft, so war es freilich mit Umständlichkeiten verbunden, dieselben, trotz ihres scheinbar losen Zusammenhanges mit den bosnischen Verhältnissen, diesen letzteren zu accomodireU, d. h. Alles, was überhaupt geeignet war. das ethnologische, sociale und religios-politische Bild zu vervollständigen, entsprechenden Orts zu ver-werthen. Namentlich im IV. Abschnitte, der über die Bewohner handelt, war es unerlässlicli. weiter abzuschweifen, da zumal das mohammedanische Element eine engere Begrenzung der Mittheilungen Mos localer Krscheiiiimgen und Lebens - Aeusserungeu als unstatthaft erscheinen lies?. Der Mohammedanismus ist durch die Zahl seiner Bekenner und in Folge des Gefühls der Zusammengehörigkeit ein zu hochwichtiges Moment in der modernen t'ultur- qnd Staatengeschichte, um ihn bloss innerhalb des Rahmens der bosnischen Verhält-nisse des Näheren zu beleuchten. Freilich konnte es hiebei nicht an Gelegenheit fehlen, um die bedeutenden Schwierigkeiten zu illustriren. die speciell der Mission Oesterreich-Ungarns erwachsen, und wenn das Urtheil über die Organisation und Unbildsamkeit des Islam etwas streng ausfiel, so wollen wir bemerken, das sich diese Ansicht in den meisten Fällen jener unserer hervorragendsten Orientalisten. wie Sprenger, v. Kremer, Lüttke. Vämbery. John Arnold. Jules Reymond, Weil und v. A. anschmiegt. Wien, Mitte August 1878. Der Verfasser. Geschichtlicher Ueberblick. Die Ursassen indo-germanischen Stammes zwischen Save und Adria. Illyrien. Die Römer in Illyrien. Kämpfe mit den Dalmatern. Die christliche Aera. Einwanderung der Slaven. Chrobaten und Sorben. Ueber die Slavenbewegung auf der Balkanhalbinsel. Rivalität unter den südslavischen Fürsten. Katholiken und Schismatiker. Legeth. Serbisch - croatische Rivalität. Die Bogomilen. Twartko I., der erste bosnische König. Thronstreitigkeiten. Das Erscheinen der Osmanen. Tomasewic, letzter König Bosniens. Bosnien unter den Türken. Die letzten Jahrzehnte. Die Reform-Aera. Anschluss Bosniens an Oesterreich-Ungarn. Die Urgeschichte jenes Landes, welches wir heute Bosnien nennen, nebst den angrenzenden Gebieten, verliert sich in jene sagenhafte Zeit hinauf, da noch einzelne indo-germanische Völkerschaften um die Herrschaft daselbst rangen. Die Geschichte, welche offenbar nur mythischen Spuren gefolgt ist, nennt uns einzelne dieser Völker, so die Ardyäer, welche sich im westlichen Gebiete des fraglichen Territoriums festgesetzt hatten, und die kriegerischen Skordisker, denen es gelang, ihre Rivalen, die Triballer zu bezwingen, und sich mehr im Inneren des Landes zur Herrschaft aufzuschwingen. Das ist Alles, was wir aus jener Zeit wissen» die der Consolidirung des eigentlichen illyrischen Reiches vorausging. Dann aber wird es heller imd aus der Geschichte Macedoniens wissen wir, dass die unter einem Könige vereinigten Duodez-Herrschaften Ulviicums mehr und mehr in die Völkerschicksale der Balkanhalbinsel eingriffen, unter dem ersten Könige der Illyrier, Bardyllis. hatte das Reich bereits seine grösste Ausdehnung erreicht. Es umfasste nicht nur das eigentliche Stammland, das walddichte Bosnien und das hiezu gehörige heutige croatische Litorale, sondern weiters Tstrien im Norden und Albanien nebst Theilen von Macedonien, die die Barharen erobert hatten, im Süden. Aber schon Philipp n., König von Macedonien tral der, seinem Schwi|gcr-I.crch«iit'ilcl. Itnsuii-n. ] Reiche drohenden Gefahr mit aller Energie entgegen. Vielleicht waren es auch die bösen Erinnerungen, die der König von seiner Gefangenschaft, her hatte, da er noch als Geissei am illyrischen Königshofe weilte, die hier bestimmend mitwirkten. Thatsäehlich gelang es jenem, das grosse UlyriacheReich in zwei Theile auseinander zu reissen, indem er am Drin eine Grenzlinie schuf, welche das, in Philipp's Besitz übergegangene Illyrica Graeca von dem nördlichen Illyrica Barbara schied '). DerUeber-gang eines Theiles von Illyrien an Macedonien war auch sonst von bedeutendem Einflüsse. Man lernte hiebeidie vorzüglichen kriegerischen Eigenschaften der einzelnen Stämme kennen, was später Alexander d. Gr. bestimmte, illyrische Hilfstruppen seinem Heere beizugeben, und man wird nicht fehl gehen, wenn man in der todesmuthigen imd verwegenen Art, mit der einzelne Heerhaufen auf dem nachmaligen Eroberungszuge Alexanders in Asien diesem sein grosses Werk gründen imd erhalten halfen, den Beleg zu der illyrischen Abkunft dieser Tapferen erblickt. Wie die alten Schriftsteller die Illyrier schildern, so finden wir heute noch die Völker in der W'esttürkei. Ihre äussere Erscheinung war eine stattliche: leichtfüssig und behende gingen sie in den Kampf, in dem sie jederzeit grosse Unerschrockenheit an den Tag legten. Auch die Tugend der Gastfreundschaft ist den Epigonen geblieben, imd mit Stolz mögen sich diese jenes Glaucias erinnern, der den Knaben Pyrrhus vor dem siegi eichen Kassander schützte und ihm ein Asyl an seinem Hofe gewährte, das weder Drohungen noch Geld zu paralysiren vermochten2). Lange sollte indess die illyrische Herrlichkeit keineswegs dauern. Als König Agron gestorben und dessen Sohn noch nicht der Unmündig- ') Noch heute kennt man in den bosnischen Volkssagen den Namen Grk — >Griechena — unter dem man im Allgemeinen die vor der slavischen Einwanderung dort sesshaftcn Völkerschaften versteht. So wird beispielsweise die Gründung der Burg Starigrad bei Serajevo den Grk-Königen zugeschrieben. (Vergl. 0. Blau: »Reisen in Bosnien und der Herzegowina«, 30.) 2) Da nennt die spätere Zeit, und zwar die neuere, andere Charaktere die ihrigen. Als Djem, der Bruder Sultan Bajazid's IL, nach misslungenem Thronkampfe zu den Rhodiser Rittern floh, war er trotz seiner glänzenden Aufnahme, dort und in Rom ewig in Gefahr, von der nichts weniger als uneigennützigen Christenheit an seinen Bruder verkauft zu werden. Der die Schandthat endlich ausführte, war ein römischer Papst, Alexander VI. Borgia. (Vergl. J. Braun »Gemälde der mohammedanischen Welt", 397) Die Römer in Illyrien. 3 keit entwachsen war, übernahm die Königin Teuta die provisorische Herrschaft. Unter ihrem etwas zügellosen Kegimente bildete sich nun jenes illyrische Piratenthum längs den Küsten bis nach Aetolien und Achaia hinab aus. das den Römern den ersten und besten Anlass geben sollte, sich i'i Händel mit den lilvriein zu mengen. Zwar der Gesandte, den man an den Hof der Königin Teuta nach Skodra (Scütari) entsendet hatte, wurde hinterlistig ermordet: um so radicaler aber war ein anderes Mittel, nämlich ein tüchtiges Heer imd eine starke Flotte, welche den mangelhaft organisirten Freibeutern ehestens heimleuchteten und schliesslich die Königin zwangen, die harten Bedingungen ihrer Bezwinger anzunehmen, wodurch Illyrien nicht nur bedeutend an Gebiet (im Süden und Westen) verlor, sondern auch in das Verhältniss eines Tributärstaates zu Rom trat. Von Dauer war indess der römische Druck nicht, namentlich desshalb nicht, weil die punischen Kriege dem Weltreiche so erheblich zu schaffen machten, dass sie an die Behauptung so zweifelhaft werthvoller Prärogative gleich jenen an den illyrischen Küsten nicht denken mochten. Die Piraterei begann daher neuerdings und wieder war das heutige Lesina (damals Pharos) der Mittelpunkt derselben. Interessant und für die Schaukelpolitik des macedonischen Reiches äusserst bezeichnend ist die Thatsache, dass König Philipp, der die Machterweiterung Roms doch offenbar mit scheelen Blicken betrachtet haben mochte, sich dadurch übertölpeln Hess, dass Rom mit Illyrien ein — Freundschaftsbündniss gegen Macedonien schloss. Zwar versuchte es der letzte illyrische König Genthios, sich der gefährlichen Löwenfreundschaft zu entledigen und mit König Perseus von Macedonien gemeinsame Sache zu machen, aber dieser Abfall gereichte beiden zum Verderben und in einem Feldzuge von nur 30 Tagen ging.zuerstIllyrien und dann Macedonien in römischen Besitz über. (168 v. Ch.) ') Indess würde man sehr fehl gehen, wenn man annehmen wollte, die Römer wären thatsäehlich so rasch und factis^Jferjen.jein«^ grossen Gebietes, gleich dem damaligen Illyrien geworden. Schon die geringen Streitkräfte, welche der < onsul Aemilius Paulus (zwei Legionen) zur Besitzergreifung des Landes disponibel hatte, geben den Anhaltspunkt, dass es sich hier unmöglich um alles Land zwischen Save und ») Livius, XL1V Drin handeln konnte. Thatsäehlich hatten die Römer auch nur an einzelnen Küstenstrecken und im westlichsten Theile des heutigen Bosnien (also im Stammlande der Ardyäer) festen Fuss gefasst, nicht aber in jenen Gauen, wo die wilden Skordisker nach wie vor geboten, am wenigsten aber in den Felsengebirgen der heutigen Herzegowina und Montenegros. Hier bestand um jene Zeit eine Art Freistadt der sogenannten »Dalmater«. die, in ihren Gebirgseinsamkeiten unnahbar, trotzig jede römische Ingerenz zurückwiesen. •) Hiezu kam noch, dass die römischen Seecolonien und die dazu gehörigen Küstengaue der autochthonen Bevölkerung von den Gebirgsbewohnern unausgesetzt gebrandschatzt wurden. Ueberraschend ist, dass es den Römern keineswegs gelang, die Dalmater sofort zu bezwingen. Auch darin liegt ein Fingerzeig für die heutigen Verhältnisse, denn auch in den letzten Jahrhunderten waren die Aufstände in Bosnien lange nicht so blutig und hinhaltend, wie jene in der Herzegowina und den hieran grenzenden Gebieten.2) Das erste Heer der Römer hatte entschiedenes Unglück. Ein zweites drang zwar in das feindliche Gebiet ein und zerstörte dessen Hauptstadt Delminium. was zur Folge hatte, dass sich die Dalmater als besiegt erklärten, dennoch aber war es aus strategischen Gründen gezwungen, in allerkürzester Zeit wieder das occupirte Gebiet zu räumen. Das war das Signal zu einer neuen Erhebung, der sich diesmal auch die nördlichen Skordisker anschlössen. Im Jahre 156 v. Oh. hatten die Dalmater-Kriege begonnen und erst 119 gelang es dem Feldherrn L. Metellus im Lande der Dalmater gründlich aufzuräumen. "Weniger glücklich war das Heer, welches gegen (die Skordisker ausgezogen war. Es erfuhr in den Gebirgen des heutigen Serbien vollständige Vernichtung imd erst ein zweiter iPacificationsversuch führte zu dem erwünschten Resultate, freilich ohne dass man im ganzen Gebiete dieses äusserst zähen imd tapferen Bergvolkes Herr geworden wäre. Dieses Schauspiel sollte sich auch alle folgenden Jahrhunderte bis in unsere Zeit hinein wiederholen, wenn gleich die Türkenherrschaft schliesslich die Unab- ') Mommsen: »Römische Geschichte,« II. a. o. O. *) Unter den Slaven-Legionen des Marius war eine Schaar Ardyäer die berüchtigste; sie wurde von den Reitern des Sertorius vernichtet, (Note bei D Nord, »Abriss der Geschichte Rosniens etc.«, 7.)' Kiinipte mit den Dalmatern. 5 hängigkeitsbestrebungen der Nachkommen im Besitze jenes Landes, der Serben und Kroaten, zu einem ohnmächtigen Ringen herabdrücken sollte. Jedenfalls aber waren die späteren Schaaren der asiatischen Eroberer ungleich mächtiger und zahlreicher, als die wenigen Legionen, mit denen man römischerseits in Action trat. Gänzlich unter den römischen Scepter gelangten die westlichen Balkanländer erst mit dem Talle Salonas, das ist im Jahre 78 v. Ch.1) Dass Roms Regiment in dem eroberten Gebiete kein zu mildes war. ist mehr als begreiflich. Viel störender aber, als die internen Verhältnisse, waren für das römische Culturwerk, dessen Spuren man auch heute noch überall in Resten von Bauten, Strassen und Brücken erkennen kann, die späteren Völkerzüge, wie denn die Gothen auch bereits Mitte des dritten Jahrhunderts n. Chr. die illyrische Halbinsel durchziehen. Unter Augustus endlich fand eine Theilung des westlichen lllyriens in zwei Provinzen statt. Die nördliche, Liburnien, umfasste alles Land von der heutigen Kerka bis zur Grenzlinie Italiens einerseits, und bis zum Drin anderseits, die südliche, Dalmatien, das Gebiet zwischen Kerka, Drin und dem oberen Mösien (Serbien). Als Constantin in den Besitz dieser Provinzen trat, erhielten sie auch einen Bischof, der seinen Sitz zu Bosna (nicht das heutige Bosna-Seraj) aufschlug, und von dem später *) Diese Stadt, schon im Jahre 117 v. Chr. berühmt durch den Widerstand, den sie den Römern leistete, als der Consul C. Metellus hier mit seinem Heere überwinterte, ist nun eine der grössten archäologischen Sellenswürdigkeiten Dalmatiens. Man gewahrt noch die Reste alter Stadtmauern, dahinter die Ruinen des Amphitheaters, dann links Grabmäler, die Reste eines Theaters, einer christlichen Kirche und anderer Gebäude. Rechts von der Strasse, mitten im Meere, taucht ein Dorf auf, Vranjica, auch »Venezia piccola« genannt, welches mit dem Festlande durch eine schmale Landzunge verbunden ist. Dort war ein römisches See-Arsenal. (Vergl. E. Schatzmayer: »Die Kaiserreise durch Dalmatien», 38.) — Wer indess glaubt, dass Salonas Alter wenig über die Zeit hinaufrückt, da es seinen Glan/, unter dem Römerthum erlangte, der wird mit Befremden erfahren, dass an seiner Slelle früher ein uraltesEmporium gestanden. Apollonius von Rhodus versetzt Ulenis hieher, eine Städtegründung Ulo's (desselben, dem Uion sein Entstehen verdankt haben soll) aus dem XIII. Jahrhundert v.Ch. Erwähnung geschieht dieser Stadt schon während des Argonautenzuges, indem berichtet wird, dass Jason auf seiner Rückreise von Kolch.il über Istrien in ihr gastfreundliche Aufnahme gefunden. Gelegentlich des trojanischen Krieges stellte al dna 10 Galeeren den Griechen zur Verfügung. das Land seinen Namen erhielt, Aeusserst wichtig ist diese Gründung behufs Beurtheilung der späteren confessionellen Gruppirungen. Von diesem Zeitpunkte an datirt nämlich der mächtige Einfluss des päpstlichen Stuhles über die heutigen südslavischen Länder während der byzantinischen Herrschaft. In Ost-Illyrien, das ist jenseits der Drina, ging dieser Einfluss mit dem Schisma des byzantinischen Cäsarcpapisrmis zwar verloren, doch wirkte er in West-Illyrien, tief in die staatlichen Verhältnisse des späteren croatischen und bosnischen Reiches eingreifend, bis zur osmanischen Invasion fort. ') Von Quaden, Sarmathen und Gothen nacheinander verheert imd bedrückt, fand endlich, wie bekannt, unter Arcadius und Honorius die Theilung des römischen Reiches statt (395), wobei der Drinafluss als Grenze zwischen dem oströmischen und weströmischen Reiche aufgestellt wurde. Dadurch fiel West-Hlyrien mit Bosnien definitiv in die politische imd kirchliche Machtsphäre Roms, während das Gebiet der schismatischen Christen dem neuen Herrschaftssitze Constantinopel zufiel. -) Am bewegtesten wird Bosniens Geschichte in der ersten Zeitepoche des Mittelalters. Das weströmische Reich zerfällt (476), und das Land kömmt an die Byzantiner, nachdem es vierzig Jahre vorher von Theodosius II. den Schaaren der Hunnen ausgeliefert wurde. Zur selben Zeit hatten die Longobarden und Heruler furchtbar im Lande gewirth-schaftet, und später die Ostgothen unter ihrem Könige Theodorich. Justinian aber gewann wieder das Land, nachdem die feindliche Invasion gebrochen war, und setzte in der neugegrünrteten Hauptstadt Illyriens Justinianaka einen Metropoliten über die Provinz ein. *) Du Nord, a. a. 0. 9. *) Drei verhängnissvolle Städte gibt es auf der Erde, drei Weltringe, an die sich alle Schicksalsfäden des menschlichen Geschlechtes hängen: Jerusalem, Rom, Constantinopel; das eine die Wiege, das andere der Satz, das dritte der Gegensatz des universellen Christenthums. So lange unser Geschlecht die Erde bewohnt, bleibt es dem magischen Schimmer der drei heiligen Städte unterthan. Alle Geschichte ist seit achtzehn Aeonen nur Resultat des Kampfes der beiden Grundelemente, in welche diese eine göttliche Urkraft (das Christenthum) von Anbeginn auseinanderging : beweglicher Lebensprocess auf der einen Seite und formlos unausgegohrenes Insichverharren auf der anderen. Sinnbild des ersten ist die ewige Roma, mit dem ganzen dahinterliegenden Occi-dent, Sinnbild des anderen Constantinopel, mit dem erstarrten Morgenlande. (F a 1 1 m e r a y e r : »Fragmente aus dem Orient«, 205.) Einwanderung der Slaven. 7 Zu Beginn des siebenten Jahrhunderts tauchen neue Völker, darunter die slavischen Chrobaten imd Sorben (Serben) in Illyrien auf. Die Avaren hatten nämlich zur Zeit der Regierung des Kaisers Heraclius die nordwestlichen Provinzen des byzantinischen Reiches heimgesucht und so kam es. dass Heraclius ausserhalb des Reiches nach Verbündeten suchte, um die Gefahr zu paralysiren. Die Chrobaten oder Croaten kamen wahrscheinlich von der Nordseite der Karpathen, die Serben aber, die nur ein Jahrzehnt später ') ihren Stammesverwandten folgten, aus der Lausitz. Während nun die Croaten in ihren neuen Landsitzen einem langwierigen Kampfe mit den Avaren unterworfen waren, bis sie sich zu endgütiger Herrschaft emporschwingen konnten, durchwanderten die serbischen Stämme mehrmals die westliche Hälfte der Balkanhalbinsel — wie es heisst. waren sie nicht absonderlich zufrieden mit den ihnen zugewiesenen Ländereien — um schliesslich südlich des neuen Croatenlandes. also in der heutigen Herzegowina, sitzen zu bleiben. Um diese Zeit begann die erste Bekehrung der Südslaven zum Christenthum, und zwar wendete sich das Papstthum zunächst den näher liegenden croatischen Territorien zu. wo seine Missionen auch alsbald von Erfolg begleitet waren. Das Volk bewies hiebei überaus schätzenswerthe' Eigenschaften, zumal eine ausgesprochene Friedensliebe, ganz im Gegensatze zu den südlicher wohnenden Serben, welche charakteristischer Weise alle Untugenden ihrer älteren Vorfahren in ihrem Gebiete, der illyrischen Dalmater. angenommen hatten, und sich alsbald in unliebsamer Weise durch Bedrückung der romanisirten Küstenbewohner bemerkbar machten. So trat Venedig an die Stelle Roms, bei gleicher Lage der äusseren Umstände. Freilich waren die Süd-Serben nicht lange in der Lage, ihre eigenen Wege zu gehen, aber es bleibt wohl bezeichnend für die Individualität des serbischen Stammes, dass ihr kriegerischer Geist, sei es mm durch den Einfluss autochthoner Bevölkerungselemente, oder durch eigenen Trieb, sofort bei Beginn ihrer ethnischen Existenz zur Geltung kam. Die Croaten hingegen hatten die, mindestens den alten illyrischen Stämmen nichts nachgebenden Avaren vollends aufgesogen, wodurch auch die Behauptung an Stichhältigkeit verliert, als seien die heutigen Morlaken Nord-Dalmatieus Nachkommen der Avaren.2) 'JDuNo r d, a. a 0. *) E n g e 1, »Allgemeine Welthisiorie«, Band 4l>, 231. unsere Kenntniss über die ältere Slaven-Bewegung auf der Balkanhalbinsel ist indess nichts weniger als durchhellt. Von bewährter fachmännischer Seite ') wird darauf hingewiesen, dass die Invasion des byzantinischen Reiches unmöglich innerhalb weniger Jahrzehnte statt-gefimden haben konnte, wie von jener Seite geltend gemacht wird, welche in der Einwanderimg, wenigstens der westslavischen Stämme nach Illyrien, einen entscheidenden Wendepunkt in der Umgestaltung der ethnographischen Verhältnisse auf derBalkanhalbinsel erblicken''4). That-sache aber bleibt, dass die Expansionsbestrebungen der Südslaven bei ihrem Erscheinen auf der Schaubühne des europäischen Südostens sehr intensive waren, wie schon die Ausbreitimg der Wenden bis tief nach Tirol hinein (Windisch-Matrey, Drauquelle, Pongau etc.), sowie nach Oesterreich und Steiermark gleich von Anbeginn her zur«Genüge beweist. Die Croaten, welche in ihrer neuen Heimat bald sesshaft geworden waren, schritten zunächst zu einer Art Gauverfassung, mit Zupanen in den einzelnen Gauen und einem Ban, der ihnen vorstand, also ihr oberster Gebieter war. Zwar berichtet Constautin der »Purpurgeborene« von allen möglichen Aeusserlichkeiten, sogar vom Hof-Ceremoniel zu Byzanz, aus dessen Detail hervorgeht, dass auch croatische Fürsten daselbst ein gewisses Vortrittsrecht hatten, dennoch aber bleiben wir völlig unorien- ') J i r e c e k, »Geschichte der Bulgaren", a. a. 0. 2) R ö s 1 e r gelangt nach genauer Prüfung der vorhandenen Nachrichten zur Ansicht, dass bis auf Kaiser Phokas (602—610 n. Chr.) nirgends Raum für eine gewaltsame Ausbreitung der Slaven auf dem Boden des weströmischen Reiches gewesen; was von slavischen Haufen feindlich ins Land gebrochen, habe kein Verweilen daselbst gehabt; das Kriegsglück sei immer wieder zu den römischen Waffen zurückgekehrt; erst im VII. Jahrhundert seien die Slovenen in die Gegenden Mösiens eingewandert. (RÖsler: »Ueber den Zeitpunkt der slavischen Ansiedlung an der unteren Donau.«)--Diese Thatsache schliesst nun nicht aus, dass die slavische Colonisation höchst wahrscheinlich nicht auf einmal, sondern nach und nach im Laufe dreier Jahrhunderte, also etwa vom III. Jahrhundert bis in die Mitte des VII. stattgefunden habe. Im Laufe des Vni. Jahrhunderts drängen dann die Slaven immer weiter nach Süden, sie besetzen den Peloponnes und das übrige Griechenland derart, dass spätere Schriftsteller über die Slavisirung der Griechen klagen. Von da an hören wir nichts mehr von den Einfällen der Slaven über die Donau und Save ; nahezu jeder Winkel der Halbinsel war von ihnen occupirt. (Vergl. F. v. Hellwald : »Die heutige Türkei«, I, 28 u. ff.) Die ersten Slaven-Fürsten. 9 tirt über das eigentliche Verhältniss der einzelnen croatischen Fürsten zu einander und zum byzantinischen Reiche. Ja es wird von Forschern darauf hingewiesen, dass die Angaben Constantin's in Betreff der Abhängigkeit der Gauherren und ihrer Oberen von Constantinopel (Constantin schreibt um 950 n. Chr.) sogar auf einem groben Irrthum beruhen l). Im 9. Jahrhundert waren die croatischen Gauherrn und Oberfürsten, wie aus mehrfachen, freilich nicht immer zuverlässigen Urkunden hervorgeht, immer noch an das fränkische Haus der Carolinger gefesselt, wie auch die Bane Terpimir und Domagoi (beide im Kriege mit dem venezianischen Dogat verwickelt imd von demselben besiegt) den Herzogstitel fühlten. Wichtig ist die Regierungszeit des »Herzogs« Domagoi. Bei ihm findet nämlich die endgütigeBekehrung aller Südslaven zum Christenthum statt und wird die .cyrillische Lithurgie eingeführt. Da dieser Act von denByzan-tinern ausging, die unmittelbare Nachbarn des grossen Südslavenreiches waren, so lässt sich denken, dass die etwas weitläufige Ingerenz der Carolinger auf die Croaten, ja selbst jene Roms keine Dauer versprechen konnte. Thatsäehlich währte es auch nicht lange, und die, ihrer Hauptmasse nach an Byzauz gefesselten Südslaven erfuhren auch ihre politische Consolidirung, wodurch das Croatenthiun vollends lahmgelegt wurde. Es war im Jahre 874, also vor etwas mehr als tausend Jahren, dass der serbische Bau Budimir, unter der Regierung Kaiser Basilios', die neue politische Organisation seines so rasch zu Stande gekommenen Reiches decretirte,und zwar nach altslavischem Brauch durch öffentlichen Fürstenrath auf dem Felde Duvno -). Alles Land östlich der Drina (also das *) Du Nord, a. a. 0., 14 u. ff. — Schon 796 leistete der Croate Wonimir nur dem Markgrafen Erich von Friaul Heeresfolge, als dieser mit Pipin gegen die Avaren auszog. (Nach Lorscher, Chronik; Pertz. Band I, 182.) Der erste, uns durch Eginhard überlieferte Herzog von Dalmatien und Liburnien, Borna, kämpfte im Interesse Ludwig des Frommen mit Lindewit, Herzog in Nieder-Pannonien, und ward von diesem an der Kulpa geschlagen. Nachdem Borna82l das Zeitliche gesegnet hatte — meldet Eginhard (»Annales«) — ward einer seiner Neffen Namens Ladislav, auf Bitte des Volkes und mit Einwilligung des Kaisers Ludwig zum Nachfolger bestellt . . . Ueberdies wissen wir, dass Kaiser Carl den vom Dogen Obelerius eingesetzten Herzog Paul von Zara oder Romanisch-Dalmatien anerkannte. *) Ein besonderes Interesse an dieser Consolidirung hatte nun freilich Kaiser Basilios selbst. Wie man heutigen Tages in gewissen Kreisen gegenüber dem Slaventhum auf der Balkanhalbinsel mit Vorliebe in den Hellenen ein ursprüngliche Ost-Illyrien) ward zum Banat Razza (daher Rascien, Raizen), jenes westlich der Drina bis zu den dalmatinischen Bergen, der Save und Delminium zum Banat Bosna geschlagen; das istrisch-dal-matinisch-albanische Küstenland zerfiel in weitere zwei Banate; Weiss-Croatien nördlich der Cetina, Roth-Croatien südlich derselben bis Durazzo. . . So in der Chronik Constantin's des »Purpurgeborenen«. Es scheint, dass diese Neugestaltung des Südslaven-Reiches keine guten Früchte getragen hat. Die unleugbare Decentralisation, die sich in der Viertheilung eines so weitläufigen Gebietes unter Gebieter von ziemlich gleicher Autorität geltend macht, war die nächste Veranlassung, dass die einzelnen Baue mehr und mehr bestrebt waren, sich zu selbstständigen Fürsten emporzuschwingen. Zudem erfolgte in manchen Gebieten ein Rückfall der betreffenden Baue zur römisch-katholischen Kirche (von Ban Branimir von Roth-Croatien ist dies erwiesen), wodurch neben der politischen auch eine kirchliche Spaltung platzgriff. Von besonderem Segen sollte nun der letztere Umstand nicht werden; aber auch die politischen Machtbestrebungen einzelner Bane, zumal jener Croatiens und Bosniens führten zu Bruder- imd Bürgerkriegen, deren damalige Wirkung nicht unerheblich gewesen sein kann, so schweigsam sich die Chroniker hierin zeigen. Zudem fiel um das Jahr 905 das Banat Weiss-Croatien durch Erbschaft (Terpimir I. war ohne legitime Nachfolge gestorben) an das Königreich Serbien, was zu einem kurzen Successions-kriege führte, der zum Nachtheile des Prätendenten Kanimirs, Ban von Bosnien, endete. Wir sehen sonach Serbien bereits energisch gegen das Bruderland Bosnien einschreiten, was wohl auch gegenüber Croatien Gegengewicht sucht, so bedurfte damals der byzantinische Kaiser der Slaven als Gegengewicht für die bulgarische Invasion. Die ural-altaischen Bulgaren waren schon nach Abzug der Gothen aus den unteren Donauländern nach Thracien eingebrochen. Im Jahre 517 wälzte sich ein neuer Strom gegen das romäische Reich; Macedonien, Epirus und Thessalien wurden hart mitgenommen ; 539 drangen die Bulgaren gar bis in den Peloponnes und nach Klein-Asien. In der zweiten Hälfte des VII. Jahrhunderts brach ein dritter Bulgarenstamm (die Saviren, nachdem die Utuguren und Kutuguren ihnen vorausgegangen waren) in die Balkan-Halbinsel ein und gründeten ein selbstständiges Reich in Moesien, also von der Ausdehnung des heutigen Donau-Bulgarien nebst Sofia und Nisch. Später waren die Bulgaren immer die grössten Bedränger der byzantinischen Herrscher, denen sie bekanntlich selbst unter den Mauern Constanti-nopels entgegentraten. (Vergl. R. Roesler: oRomänische Studien,* a. a. 0.) König Legeth. 1 J geschehen wäre, wo sich unter der Obhut Borns und den Schmeicheleien und Liebkosungen der päpstlichen Curie das katholische Königthum bereits ganz auffallend herausgeschält hatte. Dass Kresimir, König von Serbien. Erbe Croatiens und Besiege? Bosniens, wieder eine kurze Herrschaft über das Gesammtreich führte, verhinderte leider nicht, dass sich die Verhältnisse nach seinem Ableben total änderten. Zunächst wurde des »Königs« Sohn Miroslaw nach kaum einjähriger Zwischenherrschaft meuchlings ermordet — der erste Fall in der Geschichte der Südslaven — während ein anderer Sohn Kresimir s — Stepan — in Bosnien halb unabhängig regierte. Dann erfolgte die mälige Lostrennung einzelner Gebiete, so zunächst die der Herzegowina (Helm, Humska), wo der dortige Bau als »Herzog von Chulme« direct unter das päpstliche Protectorat trat, während Tamislaw von Croatien von den päpstlichen Legaten Johann's X. mit dem Titel »König« begrüsst wurde. . . Mitte dieser Zeit des Zersetzens und Zerfallens fällt ein doppelter Zwischenfall, den die Tradition nur kümmerlich übermittelt, der uns aber gleichwohl mit besonderer Plastik entgegentritt. Ein natürlicher Sohn des oben erwähnten bosnischen Bans Stepan. Legeth, wartete in Croatien ruhig die Wirren ab. die sich zum Theile in Bosnien nach dem Ableben seines Vaters abgespielt hatten, wie er auch den Sturm vorübergehen liess. der in Serbien und den Nachbargebieten durch den Einbruch der Bulgaren entfesselt ward1). Sofort nach Eintritt milderer Verhältnisse. Hess er sich aber durch die Bosnier zum Ban ausrufen. Er dehnte ') Durch den »car« Symeon (893—920), unter dein das Bulgarenreich zu unerwarteter Blüthe gelangte. Joannes, der Exarch, beschreibt mit begeisterten Worten die Herrlichkeiten von Gross-Prcsslav, der Residenz Symeon's; die weitläufigen Gebäude, die Paläste und Kirchen »im Innern mit Marmor und Bronce, mit Silber und Gold derart geschmückt, dass der Besehauer nicht weiss, womit sie zu vergleichen'. Aber wenn man zufallig den Fürsten erblieht, wie er da sitzt in seinem mit Perlen besetzten Gewände, mit einer Münzenkette um den Hals, mit Spangen um den Armen, umgürtet mit einem Purpurstreifen und mit einem goldenen Schwerte, und wie zu seinen beiden Seiten seine Roljaren (Bulgaren) sitzen, mit goldenen Ketten, Gürteln und Armbändern, da, wenn ihn Jemand nach seiner Rückkehr in die Heimat fragen wird : was hast du dort gesehen? wird er antworten: Ich weiss nicht, wie ich Euch ilas Alles beschreiben soll; nur eigene Augen würden im Stande sein, diese Pracht zu erfassen.« . . . (v. Hellwald: »Die heutige Türkei", 1,34.)--Von dieser Pracht und Herrlichkeit ist heute freilich nichts mehr übrig »als einige Steine«, und das tapfere Bulgarenvolk ist durch einen seltsamen ethnologischen Process im Slaventhum aufgegangen. zuerst sein Reich bis zur Bocehe di Gattaro aus, dann trat er activ gegen die vier Söhne des Serbenkönigs Prelimir auf. die sich vom Anbeginn her in den Haaren lagen und so zu geschlossenem Widerstände gegen der Usurpator gar nicht fähig waren. Dass Legeth die Serben dahin* trieb. die vier Brüder zu ermorden, sollte ihm zwar auch die Herrschaft über Serbien verschaffen, doch liess die Tragik in anderer Gestalt nicht lange auf sich warten. Im Jahre 963 brach nämlich die asiatische Pest mit furchtbarer Intensität über die ganze illyrische Halbinsel und unter die Opfer dieser verheerenden Seuche gerieth auch König Legeth mit seiner ganzen Familie. Nur ein Sprosse (der Sohn Boleslaw's. eines der vier ermordeten Brüder) entging dieser Katastrophe. An der Wende des ersten Jahrtausends und darüber hinaus finden wir in den südslavischen Ländern höchst desolate Zustände. Zwar gelang es dem Sohne Boleslaw's und auch dessen Nachfolger in der Regierung, Serbien wieder die Führung imd die Macht über einen grossen Theil der serbisch-croatischen Länder zu verschaffen, aber König Muncimir von Croatien eroberte dennoch alsbald den grössten Theil Bosniens, ja eidrang sogar bis zur dalmatinischen Küste vor, mit der Absicht, den Einfluss der Venezianer zu brechen. Indess blieb auch dieses Wiedererwachen der croatischen Präponderanz von vorübergehender Bedeutimg. Bosnien selbst, eine Zeit lang ein unabhängiges Banat, fiel abwechselnd bald unter croatische imd serbische Herrschaft, bis ein neuer Stern für die croatische Herrschaft auftauchte, Zwonimir. der in aller Form zum Könige von Croatien und Dalmatien gekrönt wurde. Es war der Einfluss Roms, der dem katholischen Slaventhum wieder neue Lebenskraft einhauchte. Gleichwohl hatte Serbien, sobald der unabhängige Ban Bosniens, Niklas I., die Augen geschlossen hatte, von dem Nachbarlande wieder Besitz ergriffen, und nach allerlei Zwischenfällen Twartko zum Lehensherrn dieses Landes eingesetzt. Wir müssen noch nachtragen, dass Zwonimir eine Schwester König Ladislaus' von Ungarn geheiratet hatte, ein Familienereigniss, das nur zu bald von der grössten politischen Bedeutimg werden sollte. Zwonimir hatte denn auch kaum seine Augen geschlossen, als Ladislaus — angeblich seine Schwester in der Herrschaft unterstützend — und später Koloman, Croatien und Dalmatien einzog, den grössten Theil dieser Länder und sogar das Herzogthum Hau Kulin. Die Öogomilen (Waldcnserb 13 ('heim (Humska. die Herzegowina) unter seine Herrschaft brachte. Bei der sodann unweit Zara stattgehabten Krönungs-Ceremonie nahm Koloman sogar den Titel eines Königs von Bosnien (Rama) an. obwohl dieses Land noch immer im Besitze des serbischen Königshauses war. Von da ab bleibt das Schicksal Croatiens und Bosniens so ziemlich mit jenem Ungarns varknüpft. Nach mehrmaligem Wechsel des Macht-Einflusses ward endlich nach dem Tode Kaiser Manuelas 1180 unter der Regierung Bela's III. Kulin als Ban in Bosnien bestätigt, der zwar das Sorbische Königshaus der Nemanja mehrmals bekriegte, im Uebrigen sieh aber mehr um das Gedeihen seines eigenen Landes und um die Wohl fahrt der Bosnier bekümmerte. Unter diesem Ban Kulin ereignete es sich, dass die Pataraner, versprengte W aide n s e r. nach Bosnien und Dalmatien kamen, wo sie. B o go m i 1 e n genannt, die schon bestehenden, streng geschiedenen zwei confessionellen Gegensätze um einen dritten, noch schroffer auftretenden vermehrten. Diese Bogomilen. die in den Hauptzügen mit den Lehren der Apostel übereinstimmten, nahmen zwei Grundwesen, ein gutes und ein böses an, eiferten gegen den Reichthum und die Macht der Geistlichkeit, wodurch sie sich bei diesen so verhasst machten, predigten Gleichheit und Brüderlichkeit und trugen eine Einfachheit der Sitten zur Schau, die ihnen namentlich unter der armen Bevölkerung der entlegenen, der Aussen weit entrückten bosnischen Waldgebiete grossen und starken Anhang verschaffte. Streben nach freier Ausübung der neuen Lehre von einer. Trachten, diese um jeden Preis mit allen Mitteln zu unterdrücken von der anderen Seite, stürzten von nun an das Land in die grimmigsten Kämpfe, welche dasselbe gänzlich verwüsteten. Die immer mehr und mehr zunehmenden, von den Päpsten und den imgarisdhen Königen unterstützten Hebergriffe der römisch-katholischen (Jeistlichkeit. vielleicht auch der dunkel vorschwebende Wunsch nach Errichtung einer nationalen Kirche verursachten es, dass sowohl die. Bane, wie später die Könige, diesen Glauben offen oder geheim prote-girten, um sich in seinen Anhängern eine verlässliche Partei zu bilden, auch gegenüber dem trotzigen nationalen Adel. ') ') »Landeskunde des Königreichs Dalmatien und seiner Hinterländer«, a.a.O. — Vergl. übrigens Jukie: »Kowacevie's Beschreibung von Bosnien«, 185L Dennoch war Kulin nicht der Mann, der alle diese Vortheile auszunützen verstanden hat. Er fiel, von Rom mit dem Hannstrahl bedroht, wieder ab. Sein Nachfolger Zibislay bemühte sich nur unausgesetzt der Macht der Bogomilen ein Ziel zu setzen, aber erst das Einschreiten König Andreas' von Ungarn, der den Erzbisehof von Kalocsa mit einem starken Heere nach Bosnien sandte, der es auch nach kurzer Zeit an sich riss. wirkte. Aehnliche Kreuzzüge wiederholten sich unter den nächstfolgenden ungarischen Königen mehrfach, und nahmen auch die politischen Wirren in den südslavischen Ländern wieder überhand, bis sich endlich der Sohn Kotroman's, Stefan, durch Gewährleistung von Seite des ungarischen Königs, für einige Zeit in Bosnien festsetzte. Der ihn aus seinem Besitze verdrängte, war der mächtige serbische König Stefan D u s c h a n, noch heute bei den serbischen Slaven in Heldengesängen und Volksliedern gefeiert. Aber dieser Zwischenfall währte zum Glücke nicht lange, und als Duschan gestorben war und in Serbien allerlei Parteikämpfe ausbrachen, vermochte Kotromanowic noch einmal seinen alten Besitz zu consolidiren imd das gefestigte Erbe seinem Brudersohne Stepan Twartko in die Hände zu legen. Mit ihm beginnt ein neuer Abschnitt in Bosniens reichbewegter, schicksalsvoller Geschichte. Schon als Jüngling griff er auf das energischste in die Regierung des Landes ein, beugte den Starrsinn des übermüthigen Adels, zumal seinen jüngeren Binder Wuk, der bei zeitweiliger Abwesenheit Twartko's einen Aufstand organisirt hatte. Dann nahm er das Fürsten-thum Trebinje, die Woiwodschaft Uzica in Serbien und die Zupanschaft Rascien (Novibazar) in Besitz, welche Länder, von nun an mit Bosnien verknüpft, alle Schiksale desselben theilen. Diese namhafte Verstärkimg der Ländermacht und das hiedurch hervorgerufene bedeutende Ansehen ermöglichten es, dass sich Twartko im berühmten Kloster Milosewo bei Priepolje im Limthale unter dem Namen Stepan Twartko I. als K ö n i g von Rascien, Bosnien und Primorje (Küstenstrich zwischen Cetina und Narenta) krönen Hess. Nach dem Tode Ludwig des Grossen von Ungarn zog der junge König auch die Herzegowina ein (1382) und eroberte das ungarische Dalmatien mit Ausnahme Zaras. Es ist interessant hervorzuheben, dass ein Mann deutschen Stammes es zu solcher Machtentfaltung in den südslavischen Reichen gebracht König Twartko I. 15 hatte, denn Kotroman, der Oheim Stepan Twartko's 1., war ein deutscher Edelmann. Unter des ersten bosnischen Königs Regierung fielen indess noch weitere höchst bedeutsame historische Ereignisse vor. So waren die Osmanen nach ihrem ersten siegreichen Zuge vom Hellespont über Adrianopel, das sie erobert und zu ihrer neuen Residenzstadt gemacht hatten, plötzlich an der Grenze des serbischen Reiches erschienen. Die Katastrophe, welche sich 1389 am 15. Juli auf dem Amselfelde zutrug, ist zu bekannt, um sie hier des weiteren zu behandeln. Sultan Murad I. blieb mit seinen Horden siegreich, und obgleich er dem Rächerdolche eines Serben noch am Abende des Schlachttages zum Opfer fiel, so war es mit den Tagen der serbischen Herrschaft dennoch für immer vorüber.1) In dieser blutigen Schlacht focht auch König Twartko mit 20.000 Bosniern und Croaten. Es gelang ihm. sein Hilfcorps noch rechtzeitig in Sicherheit zu bringen und für die eiste Zeit die Osmanenliuth, die sich nun sturmartig über Serbien ergoss, von Bosnien abzuhalten. Am 13. März 131)1 starb Twartko, nachdem er fünfzehn Jahre König der Bosnier gewesen (seit 1376). Die nächste Zeit war für Bosnien wieder eine sehr harte. Der erste König hatte nur einen natürlichen Sohn hinterlassen, der natürlich keine Ansprüche auf den Thron besass. Gleichwohl machte er Herrschaftsrechte geltend, aber wie vorauszusehen war, fand dieses Gelüste heftige Gegnei-schaft im Lande selbst, und alsbald erstand ein Prätendent in der Person Stepan's Dabisia, und ein zweiter in dem bosnischen Edelmami Ostoja. Die nun folgenden Thronstreitigkeiten währten geradezu endlos, umsomehr, als nach der unglücklichen Schlacht bei Nicopoli, in der König Sigismund von Ungarn von Bajazid I. Ilderim gänzlich geschlagen wurde, ') Sultan Murad war, angesichts der starken Heeresmasscn der Slaven, keineswegs geneigt, die Schlacht anzunehmen, aber seines Sohnes Bajazid Ueber-eifer, sowie das Orakel des aufs Gerathewohl aufgeschlagenen Koran: »OProphet, kämpfe gegen die Ungläubigen etc.« bestimmten ihn zum Angriffe. Auch wurde der Sieg namentlich durch die Tapferkeit Bajazid's, der überall mit der Keule Bahn brach, nicht ohne Ströme Blutes errungen. Als aber Sultan Murad Abends über das leiehenbedeckte Schlachtfeld ritt, sprang ein unter denTodten liegender Serbe auf und stiess ihm den Dolch in den Leib . . . Bekanntlich Spielt die Schlacht auf dem Amselfelde eine grosse Rolle in der epischen Dichtung der Serben. durch das Gegenkönigthum Sigismund-Ladislaus die Schutzherrlichkeit über die slavischen Länder alle Jahre in ein anderes Stadium trat. Am verrätherischsten handelte Ostoja. der zu den Türken flüchtete und unmittelbarer Anlass zu deren verheerenden Einfällen im südöstlichen Bosnien, derHerzegowina.und Süd-Dalmatien war. In dieser Bedrängniss entschlossen sich die Grossen des Reiches, ein Compromiss zu schaffen und die Herrschaft unter die drei Prätendenten zu theilen. und zwar ftgurirte nach Dabisia's Ableben ein vom König Sigismund vorgeschobener croatischer Edelmann aus dem Geschlechte der Horwath. als neuer dritter Thron-Candidat. Zur Vergrößerung allen Hebels starb nun auch Herwoja Horwatic, und da überdiess Ostoja von seinen eigenen Unterthanen verjagt wurde, trat dessen Sohn Ostoje an seine Stelle. Zum Glücke starb auch dieser in kürzester Zeit, und so blieb die Herrschaft unter Ostoja, dem man wieder verziehen hatte, und Twartko getheilt. ') Endlich im Jahre 14:ir> segnete auch der Gegenkönig Ostoja das Zeitliche und Twartko bestieg nun als Alleinherrscher den Thron Bosniens, als Stepan Twartko II. Wie sein Vater war auch er bemüht, durch friedliche Arbeit Land und Volk emporzuheben und seine Stellung durch günstige politische Transactionen zu festigen. Die römische Curie hatte überdies die Legitimität Twartko's und seiner ehelichen Nachkommen anerkannt und dadurch weiteren Thronstreitigkeiten die Spitze abgebrochen. Es war der Dank Roms für den vom Könige an den Tag gelegten Eifer in Sachen der Verfolgung der Bogomilen. Gleichwohl sollte Twartko noch einmal durch Parteigängerei in seiner Herrschaft bedroht werden. Ostoja hatte nämlich einen Sohn, Radivoi. hinterlassen, der ursprünglich — als Ostoja noch lebte — als Geissei am Osmanen-hofe zurückgelassen, später, als er vom Sultan Murad IT. in jeder Richtung gehörig ausgenützt worden war. gegen Twartko's Regiment ausgespielt wurde. Aber dieser neue Versuch bekam den Türken übel. Ihr Heer wurde geschlagen und Twartko konnte den ungetheilten Besitz seinem Nachfolger in. die Hände legen. Nach den früher getroffenen Erbfolge-Stipulationen sollte Graf Friedrich von Cilly den bosnischen Thron besteigen. Aber es kam anders; 4; Ausführliches über diese verworrene Epoche bei v. Katlay; »Geschichte der Serben.« König Tomas. 17 Thomas der Bogomile erhielt die Königskrone. Es ist begreiflich, dass Stepan Thomaä Ostojic sich sofort taufen liess, um die entsprechende Anlehnung an Rom zu gewinnen. Unter seiner Regierung wurden denn auch die strengsten Massregeln gegen die Secte, der der König vorher selbst angehört hatte, ergriffen, und zwar auf dem historisch berühmt gewordenen Landtage zu Conjica, seiner Residenz, Bei 40.000 Bogomilen wanderten in Folge dieser grausamen Beschlüsse in die Herzegowina aus, wo Stepan Kozaca, bisher Lehensträger der Herzegowina, sich dem Kaiser Friedrich IV. unterworfen und das Herzogthum St. Sawa (daher der Name Herzegowina, »das Land des Herzogs«) errichtet hatte. *) Obwohl König Tomas mit seinem Halbbruder Radivoj einen Vergleich getroffen hatte, um jeden Thronstreit ferne zu halten, so blieb dieser dennoch sein geheimer Feind; und sein unablässiges Sinnen war auf des Königs Untergang gerichtet. Einen Mithelfer fand Radivoj in Tomas eigenem Sohne, Tomasewic, dem es bereits etwas frühzeitig nach der Krone Bosniens gelüstete. Vielleicht wäre der ganze Anschlag missglückt, oder doch in fernere Zeit hinausgeschoben worden, hätte nicht der König selbst durch sein Verhalten mit der Zeit die Bildung einer starken Partei Missgestimmter hervorgerufen*). Sultan Mohammed II, der Eroberer Constantinopels stand wie ein drohendes Ungewitter wieder vor den Grenzen seines Reiches, imd dennoch erschöpfte sich der König nur in weitschweifigen Massnahmen imd in Kunststücken politischer Equilibristik, in der er jederzeit Meister war2). So bedurften die beiden ') »Landeskunde des Königreiches Dalmatien und seiner Hinterländer«, a. a. 0. — Nach Du Nord: »Abriss der Geschichte Bosniens etc.,« soll diese Auswanderung erst unter Tomas' Sohn, Tomasevie, stattgehabt haben. (S. 41.) a) Namentlich machte Rom alle erdenklichen Anstrengungen, um den König zu einem Kreuzzuge gegen die Ungläubigen zu bewegen, zu welchem Ende Tomas" auch thatsäehlich mit abendländischen Herrschern in Verbindung trat, ohne Wesentliches — durch seine Unentschlossenheit — zu erzielen . . . Populär scheinen indess derlei Unternehmungen bei den Croaten und Bosniern niemals gewesen zu sein. In einer geschriebenen Chronik (in der fürstlich Au ersp erg'sehen Familienbibliothek zu Laibach) des Minoraten TomasiC wird auch eines ähnlichen Kriegsplanes unter der Regierung des Königs Zwonimir gedacht; der König hatte seine »Regnicolaren* zum Zuge wider die Türken, d. h. zur Befreiung des heiligen Grabes aus ihrer Gewalt aufgefordert, die »Slo- Sc h weiter -Lere Ii enfuld, Bosnien. jj Verschwörer nur der günstigen Gelegenheit, und diese ergab sich, als Toma§ sich im Lager von Bilaj befand, wo ihn der Mörderdolch erreichte.... Tomasevie wurde König von Bosnien, und zwar der letzte, denn die Invasion des Landes durch die Osmanen wurde unter ihm zur Thatsache. Zwar machte der neue Regent alle erdenklichen Anstrengungen, um das Verhängniss zu bannen, aber an sieh feiger Natur, konnte er sich niemals zu einer ernstlichen That aufraffen und gab seinen Bedrängern Schritt für Schritt Raum.... Sultan Mohammed II. war aber entschlossener als je. auf der Balkanhalbinsel nunmehr, da er das byzantinische Seich gestürzt und auf der Aja Sofia den Halbmond aufgepflanzt hatte, gründlich aufzuräumen. Namentlich war es Bosnien, wo die Heere der Türken von Anbeginn her nur schrittweise localeErfolge zu erzielen vermochten, was ganz und gar nicht im Geschmaeke des thatendurstigen Beherrschers der Osmanen war. Zwar sollte derselbe schon au Belgrad erfahren, dass es ein Anderes sei, das verlotterte byzantinische Griechenthum zu bekämpfen, als die übrigen Balkanvölker; aber Mohammed besass zu grossen Scharfblick, um nicht zu erkennen, dass erst dann die Basis zu Eroberungen im grösseren Style über die Save und Donau hinaus bis ins Herz des verhassten Abendlandes genommen werden könnte, wenn man Herr in Bosnien sei. Das erste sollte er nicht mehr erleben, wohl aber das letztere. Mit Aufbietung eines gewaltigen Heeres (150.000 Mann) sollte an die Eroberung Bosniens geschritten werden. Die Situation war höchst günstig, denn abgesehen von der offenbaren nummerischen Ueberlegenheit der türkischen Streitkräfte. war Tomasevic's ganze Machtstellung nicht darnach, besonders zu imponiren... Ruhmreich waren die letzten Tage des bosnischen Königthums keineswegs; im Gegentheile mehr als schmachvoll. Zuerst hatte der Wojwode Radivoj (einer der Mörder Tomas1) das feste Bobowac, aus dem der König nach Jaicze geflohen war, dem Feinde ausgeliefert, dann trat Tomasevie selbst wenzen« aber meinten, ihrer Weiber und Kinder gedenkend: »Was macht dieser König? Nie werden wir mehr unser Vaterland, nie mehr unsere Angehörigen sehen, wozu überredet er uns, das Meer zu übersetzen?« . . . Und sie steckten sich hinter den Secretär des Königs und hinter einen anderen Slaven, dass sie ihn ermorden mögen. Und diese beiden ermordeten den König Zwonimir (20. April 1057) auf dem Felde Petrowopolje, knapp an der Kirche der hl. Cäcilie (Mitgetheilt von P. v. Radi es in der »Presse« Nr. 189, 1878.) Das Ende des Königthums. 19 mit dem commandirenden Generale Mahmud Pascha iu Unterhandlung, um bei der Unvermeidlichkeit der Katastrophe wenigstens sein nacktes Leben zu retten. Kurz vorher hatte er auch Jaicze amYrbas, ein starkes Schloss, verlassen, um sich in Kluc im Sannathale zu sichern. Zwar Mahmud war geneigt des feigen Königs Leben zu schonen und versprach demselben sogar eine materielle Entschädigung für den zu verlierenden Läuderbesitz; da es aber im Principe des Sultans Mohammed lag, alle Herrscherfamilien jener Reiche und Länder, die er eroberte und deren Einverleibung in das osmanische Gesammtreich eine beschlossene Sache war. bis ins letzte Glied zu vernichten, so desavouirte er nachträglich Mahmud Pascha und annullirte dessen Ooncessionen, indem er durch den ihn begleitenden greisen Gelehrten und Mollah Scheich Ali Bestami die Abmachungen seines Generals für nichtig erklärte. So kam es zum letzten Acte des blutigen Dramas, indem Stepan Tomasewic sammt seinem Oheim Radivoj auf der Hochebene von Bilaj ^hingerichtet wurde, wobei obgenannter Scheich das Amt des Henkers übte (L463) -). Das bosnische Königthum war zu Ende. Zwanzig Jahre später ward auch die Herzegowina von den Osmanen in Besitz ergriffen. Wir müssen uns nun kurz halten, um in unserer historischeu Rundschau zu Ende zu kommen. . . Mit dem definitiven Erscheinen der Türken in Bosnien musste die Bannung des übermüthigen Feindes natur-gemäss von diesem Lande, der südlichsten Vormauer der Christenheit, auf das Königreich Ungarn übergehen: Es war der Begiim einer Reihe von Actionen, die der Erhaltung des habsburgischen Länderbesitzes galten, also der Selbsterhaltung imd der Selbstvertheidigung. und keineswegs der Eroberung pure et simple, die so sehr am Platze gewesen wäre, gegenüber dem asiatischen Bedränger. Schon Mathias Corvinus erkannte die Nothwendigkeit eines offensiven Vorgehens. Er überschritt drei Jahre nach dem Drama zu Bilaj die Save imd eroberte alles Land zwischen diesem Flusse und der Drina. Seine Hoffnungen auf eine ') R o 5 k i e w i c z bezeichnet fälschlich in seinen »Studien über Bosnien und die Herzegowina«, 139, den Ort Blagaj bei Mostar als diellinrieht mgsstätte des letzten bosnischen Königs. z) II a in m e r - P u r g s t a 11: »Geschichte des osnr.mischen Reiches«, I, 480. allgemeine Erhebung der Bewohner (wie zwei Jahrhunderte später Prinz Eugen's), gingen nicht in Erfüllung, und so konnte er auch die Invasion nicht über die Herzegowina ausdehnen, wie es ursprünglich in seiner Absicht lag. Das erste Erscheinen eines ungarischen Heeres jenseits der Save scheint die Osmanen erst vollends von der Wichtigkeit der Grenzprovinz überzeugt zu haben, denn kaum hatte König Mathias die Augen geschlossen, so machte Mohamed II. (he denkbarsten Anstrengungen, um auch Nieder-Bosnien (das ist der Theil des Mittel-gebirgslandes zwischen der heutigen Militärgrenze von Bihac über Novi bis zur Bosna-Mündung einerseits, und zwischen diesem Flusse und den nord-dalmatinischen Bergen anderseits) wieder in seine Gewalt zu bekommen, was indess nur schrittweise gelang. Zunächst aber wurde die osmanische Regierung in dem von den fremden Eroberern gegründeten Bosna-Serai (Serajevo) installirt und der Anfang mit jener bedeu-samen socialen, politischen und religiösen Neugestaltung gemacht, deren Consequenzen bis zur jüngsten blutigen Geschichte des Landes hinaufreichen. Es war der Adel, der, um seine Vorrechte zu retten, zuerst den christlichen Glauben abschwor; ihm folgte ein Theil der Bevölkerung, der retten wollte, was noch zu retten war, imd in dritter Linie die Bogomilen. Wurden die Adelsgeschlechter aus Speculation zu Apostaten, so trieb die Bogomilen ein gewisses Rachegefühl hiezu, und diese waren denn auch die Ersten, welche es im Punkte der Bedrückung der ihrem Glauben treugebliebenen Bosnier den Osmanen gleich thaten. Viel später trat der Druck von Seite des Renegaten-Adels auf. Bei der endgiltigen Besitzergreifung des Landes wurde dasselbe dem herkömmlichen Gebrauche gemäss in drei Theile getheilt, von denen der erste dem Sultan, der zweite der »Todten Hand« (Evkafs) und der dritte dem Lehens-Adel zufiel. Das Volk ging sonach besitzlos aus. Die Organisation eines adeligen Heerbannes mit den weitestgehenden Privilegien seiner Mitglieder musste sich auch in der That als eine äusserst geschickte, die Macht der Osmanen ungemein verstärkende Massregel erweisen. Man theilte das Land in fünf grosse Heerbanne mit etwa vierzig Spahilik s oder Capitänschaften, deren Zahl annehmen lässt, dass man an der früheren Eintheilung des Landes in Wojwod- Erste Organisation des Feudaladels. 21 schafteu festgehalten hatte. An der Spitze der Heerbanne standen die Sandschak-Begs, an jener der Spahiliks die Spahis, von denen jeder nach der Grösse und Einwohnerzahl seines Lehens ein berittenes Kriegsaufgebot von ein bis vier Hutzend Mann und mehr dem Grosssultan zur-Yerragung zu stellen hatte. Auf diese Art brachte mau gleich in der ersten Zeit in Bosnien 25.000 Heiter zusammen. Die Spahis aber sollten einen erblichen Kriegsadel bilden, steuerfrei bleiben imd von dem Erträgnisse" der Bodenproduction ihres Gebietes den zehnten Theil (Desse-tina) erhalten. Es war immer charakteristisch für die osmanischeu Eroberer, dass sie mit ihren Concessionen gegenüber dem Renegaten-tlmme in der grossmüthigsten Weise verfuhren, wodurch der Erfolg ihres Werkes und die Erweiterung ihrer Macht wesentlich erleichtert wurde. Auch der kleinere und kleinste Adel (Begs und Agas) erhielt entsprechende Vorrechte, aber es war kein eigentlicher Kriegsadel imd hatte trotz seines Grundbesitzes, auf dem die Rajah, d i die dem Glauben treu gebliebene Landbevölkerung nur Pächter waren, keinen Anspruch auf den Zehent. Nach Ablauf der ersten Generation, d. h. mit Beginn der Epoche der bereits als Mohammedaner gebomen Begs, begann jenes grossartige Bedrückungssystem, das erwiesener Massen in der Türkei vom Renegatenthum weit massloser betrieben wurde und wird, als von den eigentlichen Osmanen. Zudem bildete sich mit der Zeit ein eingeborenes Janitscharenoorps (schon Mohammed liess gewaltsam 30.000 Knaben diesem Corps zur Erziehimg einverleiben), dessen Prätentionen mitunter noch über die der Spahis imd Begs gingen. Allem nicht nur die com-plete Desorganisation der bisher bestandenen bosnischen Verhältnisse allein war es, die unberechenbare Gefahren für das habsburgische Nachbarland vorausahnen Hess. Nach der unglücklichen Schlacht von Mohacs 152(3 wurde Bosnien gewissermassen zur Operations-Basis grossartiger und ununterbrochener Raubzüge, welche mehr denn anderthalb Jahrhunderte anhielten und namenloses Elend über die österreichischen Save-länder brachten. Es hat nur wenig genützt, das man sich im Donau-reiche energisch aufraffte; auch Prinz Eugen's kühner Zug 1(397 mit nur 0000 Mann bis ins Herz Bosniens hat die Tyrannei im Nachbarlande nicht zu stürzen vermocht, und erst durch den Frieden von Sistowo (1791) wurden Verhältnisse geschaffen, welche der offensiven Gefahr für immer die Spitze abbrachen. . . Im letzten Jahrhundert bildete indess Bosnien den Schauplatz anderer Ereignisse, den immer wieder stattfindender, oft äusserst langwieriger und blutiger Revolutionen. Wer eine Geschichte dieser Aufstände schreiben wolllte, der müsste dieselbe eigentlich zu einer solchen des türkischen Reiches im Ii). Jahrhundert erweitern. Es ist nämlich ganz unstatthaft, die traurigen Ereignisse im ersten, zweiten und dritten Jahrzehnt imseres Säculums. wie sie sich in einzelnen bosnisch-herzegowinischen Bezirken abspielten, auf blos locale Anlässe oder Umstände rückzuführen. Was in dem engeren Rahmen des bosnischen Landes vorfiel, stand jederzeit in einem gewissen Causalnexus mit den mehr oder minder rasch schreitenden grossen politischen Ereignissen, die lange vor den letzten Katastrophen die Säulen der einstigen osmani-schen Weltmacht zu erschüttern begannen. Man würde auch sehr irre gehen, wenn man die verschiedenen bosnischen Insurrectionen lediglich als solche der bosnischen Rajah ansehen wollte. Wohl hatten die Spahis imd Begs es mit diesem Elemente zu thim, als in den Jahren 1800, 1810 und 1815 die serbischen Befreiungskriege das Blut der Balkanslaven in Erregimg versetzten, aber die hin imd wieder stattgehabten revolutionären Bewegungen waren im Ganzen doch nur geringfügiger Natur gegenüber jenen Stürmen, die innerhalb der Jahre 1820—1832 nicht nur über Bosnien und die nordwestlichen Balkanländer fegten, sondern auch Albanien und Rumelien erschütterten und den Reform-Sultan Mahmud II. in seiner Residenz bedrohten. Die weitaus bedeutsamste Bewegung ging sonderbarer Weise nicht von den Christen, sondern von den bosnischen Mohammedanern aus. Es ist höchst bezeichnend für das moslimische Renegatenthum, dass es jederzeit zur starrsten Reaction hinneigte. Als Mahmud II. mit seltener Energie und zweifellos auch im Glauben an die Durchführbarkeit seiner weitgehenden Neuerungen mit einem Schlage einen frischen Odem in sein hinsiechendes Reich gehaucht hatte, da waren es nicht die eigentlichen Vollblut-Türken, auch nicht die älteren mohammedanischen Völkerschaften, die zuerst zur heftigsten Opposition hinneigten, sondern die Bosnier und die Ar-nauten. Mit stillem Grimme sahen sie der Reform-Arbeit zu, die von Empörungen der Begs. 23 Stambul ausging. Als aber im Jahre 1826 der bedrängte Sultan sich seiner höchst zweifelhaften Stütze, der Janitscharen, entledigte, da brach das Eis, und zwar vollends, als im selben Jahre noch zu Travnik, der damaligen Hauptstadt Bosniens, die officielle Botschaft über das stattgehabte Ereigniss verlesen ward. Die Seele der kurz hierauf gefolgten Bewegimg war ein gewisser Hussein Aga aus Berbir an der Save. Einfachen Sinnes, aber voll religiöser Eingebungen verstand er es, unter seinem Anhange den Glauben zu verbreiten, als sei die Religion des Propheten und die gesammte Rechtgläubigkeit im Begriffe, von den Stambuler Neuerern unterdrückt oder «loch wesenstlich geschmälert zu werden. Hussein war nichts weniger als ein Agitator oder ein Reactionär in diesem Sinne, sondern ein Mann, der eine religiöse Mission sich auferlegt fühlte, die nämlich, dem Islam seinen alten Glanz wieder zu verschaffen. So war auch die ganze bosnische Bewegung zu Ende der 20er Jahre eine ausschliesslich religiöse, getragen von dem Fanatismus Hussem's imd seiner Anhänger. Aber sie standen nicht allein; sie besassen vielmehr einen mächtigen Anhang in den mohammedanischen Albanesen, die von dem gleichen Hasse gegen das Stambuler Reform-Regiment beseelt waren, wie ihre slavischen Glaubensbrüder, jedoch keineswegs aus religiösen Motiven, sondern aus — politischen. Dieser Gegensatz, der sich bei diesen beiden Völkerschaften nicht nur an den einzelnen Individuen, sondern auch in den Massen ausprägte und noch immerdar ausprägt, kann eigentlich als die schliessliche Ursachebetrachtet werden, dass die mohammedanischen Aufstände in Bosnien während der Jahre 1828—1832 zu keinem Resultate führten. Die Seele der arnautischen Bewegung war damals nämlich Mustafa Pascha von Scutari, aus der privilegirten Familie der Buschatli, ein Mann voll selbstsüchtiger Pläne, der wohl Husseins Arm bedurft hätte, um das Osmanenthum — zu seinem Vortheile — zu stürzen, der es aber in Glaubenssachen, gleich seinem Volke, nicht so ernst nahm. Dieses Missverhältniss war dem bosnischen Rebellen-Häuptlinge wohl bekannt; uneigennützig, wie er indess war, erachtete er es gleichwohl als nützlich und zweckdienlich, sich — Mustafa zu unterordnen und ihm die Leitung der Bewegung zu übertragen. Eine ungeheure Begeisterung ging im Jahre 1828 durch die Waldgebirge Bosniens, als Hussein an der Spitze einer Schaar erschien, um seinen Einzug in Serajevo zu halten. Die Regierung machte alle erdenklichen Anstrengungen, um die Bewegung im Keime zu ersticken ; vergeblich indess, denn wie eine Lawine wuchs die Masse der Glaubensstreiter an. Jeden Tag vermehrte sich Husseins Anhang und ganze Regimenter des regulären Militärs traten unter seine Fahne, die er im Namen des Propheten enthüllt hatte. Es war also in aller Form ein Glaubenskrieg, aber nicht gegen die Ungläubigen selbst, sondern gegen den officiellen Begünstiger derselben, gegen Sultan Mahmud. In dieser Zeit allgemeinen Enthusiasmus musste es sogar der Gouverneur Abdul Rahim erleben, wie sein ganzes Lager zu Bielina an der Drina von ihm abfiel, so dass er nur seine Person in Sicherheit bringen konnte. Bei 35.000 Mann waren so zu Hussein übergetreten, und als nun gar die Russen 1829 den Balkan überschritten hatten, marschirte Hussein an der Spitze von 50.000 Bosniern gegen Stambul, und rückte Mustafa gleichfalls mit formidablen Streitkräften aus seiner Residenz Scutari aus. Sie waren in Nisch angelangt, als die Kunde von dem abgeschlossenen Frieden das Land durchlief. Noch wäre es möglich, ja äusserst wahrscheinlich gewesen, dass dieses fauatisirte und zahlreiche Heer den Ereignissen einen ganz anderen Verlauf gegeben hätte, aber der selbstsüchtige Mustafa wollte nicht alle Brücken hinter sich abbrechen und rieth zur Umkehr. Gleichwohl war während des Jahres 1830 Hussein Aga der wahre und eigentliche Gebieter; die Gemüther hatten sich keineswegs beruhigt, umsomehr, als Hussein in der Art längstentschlafener Glaubensstreiter auftrat, als Bettelderwisch, mit dem Asketenmantel imd den allergeringsten Ansprüchen an die Annehmlichkeiten des Lebens, ganz im Gegensatze zu seinem Genossen Mustafa Pascha, der auf Silber speiste und sich einen fürstlichen Hofstaat in seiner Burgfeste zu Scutari hielt . . . Gleichwohl kam noch einmal der bosnisch-arnautische Gegensatz unter einen Hut; Hussein und Mustafa marschirten noch einmal (1831) mit einem formidablen Heere gegen Constantinopel, um den Sultan zu entthronen und die alte Ordnung der Dinge herzustellen. Aber in dem Defile bei Babuna erwartete sie das reguläre Heer des Gross-veziers Reschid Pascha, und im mörderischen Ueberfalle wurden die Hussei'n-Aga's Ende. 25 Glaubensstreiter zerstreut. Es hat wenig genützt, dass sieh Hussein alsbald von Mustafa lossagte; auch die Busse, die er in irgend einer bosnischen Waldwildniss that, konnte das Unglück nicht mehr ungeschehen machen, und selbst seine vorübergehenden Siege (mit nur 20.000 Mann) auf dem Amselfelde undbeilpek waren nicht mehr auszunützen.1) Reschid Pascha aber trat in Unterhandlungen mit den Rebellen imd versprach, die Wünsche des Volkes in Stambul zu unterstützen: Wiederherstellung der alten osmanischen Reichsverfassimg, Abschaffung aller europäischen Neuerungen imd erneute Decretirung der Rechtslosigkeit der Rajah. Solcher All war ein Mann, der vor kaum fünfzig Jahren das Haupt der bosnischen Mohammedaner war. Die Antwort der Regierung Hess lange auf sich warten; dann kam sie in Gestalt eines starken Heeres unter Kara Mahmud Pascha, der die Ordnung wieder herstellte und Hussein zur Flucht auf österreichisches Gebiet zwang. Die österreichische Regierung behandelte ihn mit grösster Auszeichnung; gleichwohl erbat er sich vom Sultan die Amnestie und starb im Exile zu Trapezunt.'2) Biese Pacification brach zuerst die Macht der Begs. Die zweite Züchtigimg besorgte Omer Pascha, der die Empörer 1850 auf allen Punkten schlug und ihre Privilegien bedeutend zuschnitt. Die zeitweiligen christlichen Aufstände erscheinen als reines Kinderspiel gegenüber der elementaren Gewalt, mit der zweimal in unserem Jahrhunderte der orthodoxe Islam (in Gestalt der slavischen Mohammedaner) die Balkanhalbinsel erschütterte. Dennoch kamen die Reformen Mahmud's, welche den türkischen Staat an sich schwächten, weil das Türkenthum ihre Bedeutung weder begriff noch begreifen konnte, naturgemäss der unterdrückten Rajah zu Gute. Unter der Regierung Abdid-Medschid's gelang es dem Grossvezier Reschid Pascha sogar, eine Art Verfassung in Scene zu setzen, indem ') Vergl. die lebendige Schilderung dieser und der anderen Ereignisse in Siegfried Kapp e r's trefflichem Aufsatz: »Hussein-Berberli-Aga, der Stab des Profeten.« *) Minder schlimm erging es Mustafa Pascha, der zwar im Castelle von Scutari über drei Monate den türkischen Truppen verzweifelten Widerstand entgegensetzte, schliesslich aberbezwungen und begnadigt wurde, nachdem mandie Hebellen niedergemetzelt hatte. (Vergl. P a s c o W a s s a: »Esquisse histo-i'ique sur le Montenegro«, 55.) er bei seinem Gebieter eine diesbezügliche Concessiön, einen weitgehenden Reformact, durchsetzte, der unter dem Namen H a t i s c h e r i f von Gülhane am 2. November 1839 ins Leben trat. Dass Reschid Pascha, es thatsäehlich auf eine Besserung des Loses der Christen, für die dieses »Verfassungsstatut« zunächst eine Art von Emancipation bedeutete, abgesehen hatte, mag füglich bezweifelt werden, wenn man sich die Mittel und Ziele vergegenwärtigt, die dem schlauen Diplomaten vorschwebten. Für ihn schien die Proclamirung des Hatischerif in erster Linie den Zweck zu haben, das Abendland mit dem Pforten-Regimente zu versöhnen und'bei der Unpopularität, die ein jeder Reformschritt bei den mohammedanischen Völkerschaften des osmanischen Reiches genoss, wenigstens eine Anlehnung an die europäischen Mächte zu gewinnen. Auch hatte der ganze Act offenbar die Bedeutung eines Schachzuges gegen Russland, den starren absolutistischen Staat, ganz so, wie im Jahre 1876, als die Kanonensalven in den Conferenzsaal zu Stambul hineindonnerten, wo Russlands Vertreter eine Reihe schwerer Anklagen gegen die osmanische Barbarei- in den christlichen Provinzen vom Stapel liess.. Dass Reschid Pascha's Reformen-Elaborat nur auf dem Papiere blieb, das sollten Thatsachen der eclatantesten Art nur zu rasch beweisen. Zwar hatte man verkündet, die Regierung werde die Sicherheit des Lebens, der Ehre und des Eigenthums ihrer Unterthanen ohne Unterschied des Glaubens mit aller Energie zu wahren wissen, und decretirte auch eine gleichmässige Vertheilung der Steuerlast, die Aufhebung der Verpachtung an den Meistbietenden, die Abschaffung der Monopole imd Vermögens-Confiscationen, u. dgl. Dinge mehr; der Hauptsache nach aber blieb es beim Alten, wie schon die naive Art beweist, in der sich neuerdings die Regierimg Abdul- Hamid's gefiel, indem sie versprach »alle Reformacte aus den Jahren 1839, 1845 und 1856 gewissenhaft zur Ausführung zu bringen«*). Hierin liegt ja ein offenes Bekenntniss, *) Schon im Jahre 184o hörte man, dass der Staatsrath einstimmig einen Armenier, der den Islam angenommen und reuig wieder verlassen hatte, zum Tode verurtheilte. Jedes Bedenken hatte der Grossmufti mit der Frage abgeschnitten: »Sind wir Mohammedaner?« und trotz alles Versprechens an Stratford Canning ward dasUrtheil auf dem Fischmarkte zum Jubel des Volkes vollzogen und der Kopf zum Hohne der Franken mit einem Cylinderhut ausgestellt. Die letzten Jahrzehnte. 27 dass jene Reformen überhaupt niemals platzgegriften hatten. Dass die Lage der Rajah dennoch eine verhältnissmässig bessere wurde, ist indess lediglich dem Umstände zuzuschreiben, dass das orthodoxe Türkenthum seine Macht und seinen Einfluss erbleichen fühlte und, selbst hilflos, auf das Stambuler Regiment kein Vertrauen mehr setzt, Man darf auch weiters nicht ausser Acht lassen, dass der mohammedanische Bauer kaum besser daran ist, wie sein christlicher Mitbewohner. Die Schandwirth-schaft des Stambuler Efendithums, jener ungeheuerliche Parasit, der sich mm schon seit, Jahrzehnten vom Marke imd den Säften des Reiches nährt, ohne irgend welche Gegenleistung zu bieten, dieser Krebs an der Centralleitung zerfrass mälig auch den Wohlstand der muslimischen Unterthanen der Pforte. Bei der notorischen Unredlichkeit der gesamm-ten Bureaukratie war es auch gar nicht denkbar, in gewissen Fragen, wie beispielsweise in der Steuerfrage Erfolge zu erzielen. Die Provinzbeamten, imd ihnen voran die Gouverneure blieben weitaus der Mehrzahl nach, wie zuvor, auf die Einkünfte ihres Verwaltungsgebietes angewiesen, um sich — bezahlt zu machen. War und ist schon die Erwerbung eines ertragsreichen Postens stets eine bedeutende und beliebte Einnahmsquelle des Stambuler Effendi-Gelichters, das vom Verkaufe solcher Amtsstellen sein luxuriöses Leben wett machte, der erste Grund, dass die auf solche Art zu ihrer Amtstätigkeit gelangenden Paschas und Paschassöhne berechtigten Anlass fanden, sich den Provinzeinkünften gegenüber schadlos zu halten, so lag es auch weiters ganz in der Natur der Sache, wenn diese Herren sich im Zusammenscharren möglichst beeilten, um innerhalb der kurzen Zeit, in der sie ihres Amtes walten, ihre Rechnung zu machen. ') Die Beamten-Uorruption und die drückenden Steuerverhältnisse sind daher in der Türkei immer Hand in Hand gegangen. Es hat nicht genützt, dass Reschid-Pascha feierlich im »Rosenhause•< von Stambul die Aenderung dieser Zustände otficiell decretirte. Schon das Jahr 1H45 erforderte einen neuen Reform- Jlinterhrr erst erzwangen die abendländischen Mächte von der widerstrebenden (Torte die Abschall'ung dea Gesetzes. — (Hosen: »Geschichte der Türkei", II, 79. — Vergl. W Ii i t e : »Three years in Constantinople«, II, 110 l ') Vergl. den anonymen Autor in »Stambul und das moderne Türkenthum«, I, 30 u. ff. act, in welchem man Bestimmungen niederlegte, die offenbar eine Con-trole der Provinz-Statthalter schaffen sollte. Es wurde da nämlich die. Bildung sogenannter »Medschlis« oder Provinzial-, Bezirks- und Districts-Vertretungen angeordnet, welche dem Statthalter beigegeben werden sollten, um mit diesem gemeinsam die in ihrem Bereiche liegenden inneren Angelegenheiten zu leiten. In diese Medschlis wurden auch Mitglieder anderer Confessionen gewählt, zwar ohne eigentliche Stimme und ohne geringsten Einfluss auf den Gang der Berathungen und Massnahmen, aber dennoch formell den Sitzungen beigezogen, wodurch wenigstens das Princip der Gleichberechtigung gewahrt wurde. Es war ein unleugbarer Fortschritt für die Rajah, wenn auch im Wesen der Sache kaum eine Aenderung eintrat. Noch war dasZeugniss der Christen bei gerichtlichen Anlässen ungiltig, wenn es gegen Mohammedaner vorgebracht werden sollte, noch Hess man jene zum Heeresdienste zu, sondern hob nach wie vor die Kopfsteuer ein, welche allein genügt haben dürfte, um den Rechtgläubigen die Thatsache vorzudemonstriren, wie die Rajah noch immer von der Gnade der herrschenden Race abhängig sei und selbst ihr nacktes Leben durch den Sklavenzoll des »Haradsch« erkaufen müsse. Diese letzte Schranke zwischen Mohammedanern und Christen sollte der H a ti H um aj un vom Jahre 1856 zu Fall bringen. Noch hatte sich Reschids Reform-Idee nicht verwirklicht, und schon decretirte man die Gleichstellung aller Confessionen im osmanischen Staate, was eine ungeheure Aufregung im ganzen Reiche hervorrief. Sie war indess höchst überflüssig, denn im Grunde hätten die Mohammedaner wohl wissen können, dass derlei Reform-Decrete ja doch nur auf dem Papiere zu bleiben pflegten, also auch die neueste Zumuthung an sie wirkungslos vorübergehen werde.1) Zudem hatte die Bureaukratie rascher, als es ') Als beispielsweise der Hati Humajun auch in Armenien publicirt werden sollte, berief der Pascha von Erzerum die armenischen Bischöfe zu sich, um ihnen das Actenstück mit der Bemerkung zu übergeben, dass sie im Falle einer Publicirung desselben für ihre Köpfe besorgt sein müssten (T s c h i c h a t-s c h e f f: uLettres sur la Turquie.«) Dafür behob derselbe Pascha allein an ungesetzlichen Steuergebühren die enorme Summe von 800.000 Franken jährlich. (Vergl. des Verfassers »Armenien«, 50.) Abdul Aziz. 29 selbst für die äussere Form der Reibrmsache gut war, begriffen, dass all' diese Neuerungen am Ende doch nur von schädigender Rückwirkung für sie selbst, ihren Einfluss und ihre Einkünfte werden würden. Die Provinzgouverneure kümmerten sich somit blutwenig um die Verordnungen, die die Stambuler Regierung an sie adressirte und diese selbst blieb vollends olmmächtig, zumal während des Hexensabbatiis unter der Regierung Abdul Aziz\ Unter den letzten Regierungsjahren dieses Sultans begannen die Ereignisse, welche in der letzten Zeit die ganze Welt in Athem erhielten, bereits ihre Schatten vorauszuwerfen. Die Gesetzlosigkeit hatte nicht nur in den entlegenen Provinzen, sondern auch in jenen, welche — wie Bosnien und Bulgarien — unmittelbar an der Grenze der abendländischen Culturstaaten liegen, einen unerhörten Grad erreicht. *) Waffenlos stand der Christ dem muslimischen Bedrücker gegenüber, imd nachdem er allen Schimpf über sich ergehen hatte lassen, griff er zur ultima ratio, welche einzig noch den Schändern der Menschenrechte inponirte, zu Handschar und Flinte., Im Jahre 1875 brach jener Aufstand in der Herzegowina aus, dem Schritt für Schritt durch vier Jahre jene Kette stets bedeutsamer werdender Ereignisse folgte, die sich soeben vor unseren Augen abgespielt haben. Von den siegreichen Waffen Russlands niedergeworfen, musste sich die desorganisirte Pforte gefallen lassen, dass man in dem europäischen Areopag zu Berlin gewissermassen über sie ') Um diese Zeit war der sogenannte »bosnische Landtag« nur mehr zu einer Comödie herabgesunken. Derselbe trat wohl einmal auf einige Wochen (wie noch im Jahre 1873) zusammen, aber von seiner Thätigkeit merkte man so viel als nichts. Ganz ungehindert konnten die Greuelthaten der Türken gegen die Christen verübt werden. Aber auch eine mohammedanische Verschwörung organisirte sich im Lande, und zwar wurde dieselbe von Begs und Agas sehr verkommener Gattung angezettelt, um sich der Säkularisation der Evkaf-Güter zu widersetzen. Die Rädelsführer wurden indess verhaltet, die Behörden Hessen Briefe und Pakete, selbst die für die fremden Consuln in Serajewo bestimmten amtlichen Correspondenzen stundenlaug (einmal 19 Stunden) zurückhalten und auf der Post erbrechen. In welcher Weise die Verschwörer bestraft wurden, ist nicht bekannt geworden; es hat allen Anschein, als wenn man mit ihnen möglichst schonend umgegangen wäre. (Schm eidler: »Geschichte des osmani-schen Reiches im letzten Jahrzehnt«, 128, 129.) zu Gerichte sass und einer politischen Neugestaltung auf der. Balkan-halhinsel die Sanction verlieh, durch welche ein bedeutender Bruchtheil der christlichen Völkerschaften dem unmittelbaren Einfluss und der Gewalt der Pforte entzogen wurde, um sowohl sie, wie ihre zumeist äusserst ergiebigen Heimatsgebiete der abendländischen Cultur und Civilisation zuzuführen. . . . II. Geographischer Ueberblick. Der geologische Bau des Landes. Die Gebirge Bosniens. Die Karstplateaux der Herzegowina. Allgemeine orographische Charakteristik. Schlund-Flüsse. Die Hauptflüsse Bosniens. Zustand der Communicationen. Die wichtigsten Verkehrslinien von der bisherigen West- und Nordgrenze aus. Klima, Bodencultur, Viehzucht, Montanproducte, Thermen. Die Wohnstatten, Häuser und Dörfer. Einkehrhauser. Namen der wichtigsten Städte Bosniens und der Herzegowina. Bosnien (nach Koskiewicz einen Flächeiirauni von 760 Quadrat-meilen einnehmendl) ist ein in der Richtung von Nordwest nach Südost gehobenes Gebirgsland, das orographisch zum Gebiete der dinarischeu Alpen gehört. Im Norden steigt es, von zahlreichen, nordwestlich-südöstlich streichenden Parallelrücken durchfurcht, aus der Save-Niederung sanft gegen das 1000 Meter hohe dalmatinische Grenzgebirge an imd gewinnt gegen Südosten, der allgemeinen Erhebungsrichtuug folgend, im Dormitor (2606 Meter) imd Kom (2850 Meter) seine höchsten Gipfel. Ungemein anschaulich schildert ein gründlicher Kenner des geologischen Baues Bosniens — Heinrich Sterneck — den vorhistorischen Hebungsproeess des Landes. ") Nach ihm war in früheren Bildungsperioden der Erdoberfläche dieser Theil des europäischen Coutinents der (Irund eines Meeres gewesen, auf dem sich Thonschiefer und später durch ') Mit den 220 Quadratmeilen der Herzegowina und den 125 Quadrat-meilen des Sandsehak Novibazars betragt das Gesammtgebiet des bisher bestandenen »Vilajets Bosna«, oder Bosnien im weitesten Sinne, 1105 Quadratmeilen; nach Helle (»die Völker des osmanischen Reiches«, 53): 1134 Quadratmeilen; nach Anderen (siehe »Landeskunde etc. von Bosnien«, 12) 1144, 1150—1268 Quadratmeilen. — Heber die Bevölkerungsziffer siehe den IV. Abschnitt. *) Heinrich Sterneck: »Geographische Verhältnisse etc. in Bosnien, der Herzegowina und Nord-Monteneirro«, 9. «nd ff. längere Zeit Kalk ablagerte. Oertliche Hebungen und Senkungen, oder aber ein verschiedenes Niveau des betreffenden Meeresgrundes mögen an einzelnen Stellen, wie z. B. in der Gegend des heutigen Ulog im Narenta-Thale, Vitovlie im Gebiete des Vrbas etc., wechselnde Schichten von Kalk und Thonschiefer erzeugt haben. Im Allgemeinen war also eine dicke Kalkschichte auf einer Thonschiefer-Unterlage vorhanden, welche die nun folgenden Erdbildungsperioden und deren verschiedene Wirkungen durchmachte. Zur Zeit, als die grossen Hebungen entstanden, mochte die Gegend der jetzigen grössten Erhebung, das ist eine von Nordwest gegen Südost streichende Zone, besonders gehoben worden sein, und es (Irangen dann aus dem Innern die plutonischen imd vulkanischen Gebilde hervor. Die Sprünge, durch welche dieses geschah, müssen im Allgemeinen parallel mit der obenbezeichneten Linie gewesen sein. Diese Hebung charakterisirt sich in einem etwa 6 Meilen breiten Gebirgswallle, dessen Beschaffenheit beinahe durchgehends der des Hochgebirges entspricht, und das zum grössten Theile aus Kalk aufgebaut ist. ') Gleichwohl bildet dieser Gebirgswall nicht eine einzige zusammenhängende Gebirgskette. Die Verästelung der Hauptzüge ist vielmehr eine hervorragende Eigentümlichkeit der Bodenplastik Bosniens, und das Auftreten zahlreicher Nebengruppen veranlasst dann oft ein kaum entzifferbares Bild, so dass es schwer wird, ein gewisses orographisches System festzustellen... Durch die vorbeschriebene Hebung wurde die Kalkschichte mehrfach gebrochen, dann in Folge der vorhergegangenen oder gleichzeitigen Senkung des Beckens des Adriatischen Meeres gegen Südwest zu gefaltet und in Schollen übereinander geschoben, wodurch sich die zahlreichen scharf- ') Sie nimmt bei Bihac an der Unna ihren Anfang, ist am Risowac 1140 Meter hoch, am Oscenia 1874 Meter, am Crjewica 1971 Meter, sinkt jedoch an der Sanna-Quelle wieder bis auf 1262 Meter herab, um erst bei Kupres wieder die Elevation von 1430 Meter zu erreichen. Südöstlich hievon sinkt sie in der Richtung zwischen Gornje-Skoplje und Rama wieder bis auf 1148 Meter herab, erreicht aber auf der Belusnica, vier Meilen südwestlich von Serajevo, bereits wieder die Höhe von 2113 Meter, worauf die Erhebungslinie beinahe continuir-lich steigt: Treskowica 2123 Meter. Lelia 2060 Meter, Sedlo 2027 Meter, Volu-jak 2260 Meter, Dormitor 2606 Meter. (Vergl. Sterneck's geologische Karte Bosniens und das Profil auf Tafel II. — Eine ausführliche »gruppenweise Beschreibung« dieser Erhebungslinie als Wasserscheide bei Roskiewicz a.a.O.) Das orographische Bild Bosniens. 33 kantigen, parallelen Gebirgsketten bildeten, die gegen die Küste zu an Höhe abnehmen und sich schliesslich als Inselgürtel Halmatiens fortsetzen. ') Es würde dem Zwecke dieser allgemein gehaltenen Schrift zuwiderlaufen, wollten wir das vielgestaltige Gebirgssystem Bosniens und der Herzegowina bis in die kleinsten Details herab einer eingehenden Beschreibung unterziehen.2) In grossen Zügen aber sei es gestattet das orographische Bild hier zu skizziren, und zwar von seinein nordwestlichsten Beginne ab, wo von der Hauptkette des Velebich der Ast des Jadowink landeinwärts abgeht. Mittelst des Sator-Berges mit der Vitorgo-Planina an der Unnac-Quelle in Verbindung tretend, ist er der westliche von den drei Aesten, welche, vom Hauptrücken abgehend, fast senkrecht gegen die Save streichen und die grossen Hauptthäler Nord-Bosniens (Ena, Vrbas. Bosna und Drina) bilden. Der Hauptzug lies westlichen Astes umgeht die Sanna-Quelle, zieht über Sokol an die Pliwa, tritt sodann mittelst des Lissina- Berges mit der Kraguliewaca Planina und der Kukawica-Planina in Verbindung und scheidet in seiner nördlichen Fortsetzung (Krnjo-Berdo und Kosarac-Gebirge) die Sihina vom Vrbas. Der zweite, oder mittlere Ast zieht sich über den Stit-Berg zur Badusa-Planina zwischen Skoplja und Fojnica hin. wo die Serc-Planina liegt, bildet bei Travnik mit der Hochfläche Wlasic einen Hauptknotenpunkt und breitet seine Zweige innerhalb des Baumes, der zwischen dem Vrbas imd der Bosna seine Ausdehnung nimmt. Der dritte, oder östliche Ast löst sich vom Hauptrücken am grossen Karstplateau Iraskowica ab. windet sich zwischen den Ursprüngen vieler kleiner Gewässer hindurch, um Serajevo im Süden herum, verbreitet sich sodann mit dem hohen ausgebreiteten Karstplateau der Komania - welches in seinem nordwestliehen Zuge (Kopita- und Semec-Planina) das Bindeglied mit der Wasserscheide und der Hauptstock für alle weiteren Gebirgsverästungen zwischen der Bosna und der Drina ist und inil seinen Ausläufern den Baum zwischen der Bosna. Drina und Save bedeck! ') Ster n eck, a. a. 0. ■) Ausführliche Urographie siehe »Landeskunde etc. von Bosnien«, 22-37. Schweiger-Lorch unfold, Bosnien. *j Wesentlich anderes zeigt sich uns die Bodenplastik der Herzegowina. Schon oben haben wir der eigenthflinlichen Terrassenbildung der Gebirgsglieder gegen die Seeküs.te zu gedacht. Jede dieser langgestreckten Terrassen ist eine Hochebene für sich, von Bandgebirgen untergeordneter Bedeutung kraterartig umzogen und mit den, dem Karstgebirge eigenthümlichen Schlundflüssen, die plötzlich aus dem Gestein hervorbrechen und ebenso wieder verschwinden. Die hauptsächlichsten Hochebenen der Herzegowina sind: jene vonGlamoö, hieran schliessend jene von Livno im Süden und KupreS im Osten, ferners im Bereiche der Narenta die von Duvno. Posusje und Brotujo. An die sterile Karstfläche, welche auf dem Wege von Konjica nach Mostar liegt, grenzt die Hochebene von Nevesenje, die ausgedehnteste des ganzen Landes, und östlich von ihr die Hochebene von Gaöko. Von untergeordneter Bedeutung sind die Hochlandskessel von Dabra, Korito, Plana und Fat-nica. in demselben Bereiche, umso wichtiger aber ist das Plateau von Biliek. welches als strategische Basis gegen Montenegro eine grosse Wichtigkeit besitzt, da es vermöge seines Wasserreichthums im Stande ist, eine grössere Truppenzahl mit Wasser zu versorgen und ausserdem den Vortheil hat. nahe der montenegrinischen Grenze der Knotenpunkt mehrerer Strassen zu sein, die als Colonenwege benützt werden können.') Auch Bosnien hat seine ausgedehnten Hochebenen, aber ihr Karstcharakter ist minder ausgeprägt Diese Hochebenen bilden überdies die unerschöpflichen Wasserreservoirs des Landes, da das Wasser, welches auf der karstartigen Oberfläche versickert, im Innern der Gebirge eine festere Unterlage findet imd sich so nach den Hängen hin Bahn bricht, wo es als Quelle zu Tage tritt.2) Betrachten wir nun die plastischen Verhältnisse Bosniens vom allgemeinen Gesichtspunkte, so lässt sich vorerst die interessante Thatsache constatiren, dass die geologische und orographische Scheidelinie auch wesentlich verschiedene landschaftliche Typen — wenn dieser Ausdruck erlaubt ist — bedingt: im Süd- l) Terstyanszky, »Das strategische Verhältniss des serbisch-bosnischen etc. Kriegsschauplatzes«, 39. *) Sterneck, a. a. 0. — Ueber die Hochebenen siehe die «Landeskunde', a. a. 0. Die Schlundflüsse der Herzegowina. 35 westen derselben die zumeist kahlen Gebirgsglieder der Karstforniatiou mit ihren scharfen Profilen, ihren Hörnern und Zacken, auf denen jedes organische Leben erstirbt, und ihren kraterförmigen Gebirgskesseln mit sporadisch auftretenden, oasenartigen Vegetations-Inseln. Die Flüsse werden hier allenthalben von dem schwammartig durchlöcherten Gestein aufgesogen, um sich in unterirdischen Reservoirs zu sammeln, die dann wieder nach tieferen Regionen ihren Ueberrluss abgeben, um neue Flüsse, oder wenn man will, dieselben mit erneuerten oberirdischen Läufen zu bilden. Eine wahrhaft phänomenale Erscheinung dieser Art ist die Trebinicica, welche ihren Ursprung bei Bilek hat. das Hochthal von Trebinje mit immer steigender Wassermenge durchströmt, im weiteren Verlaufe aber erheblich an demselben Einbusse erleidet — durch Absickern in zahllose und unsichtbare Canäle vom Grunde des Bettes aus — imd schliesslich nach einem ziemlich langen Laufe gänzlich verschwindet. Wer das ganz ähnliche Naturschauspiel in den Karstgegenden Krains zu beobachten Gelegenheit gefunden hat, der erhält den allerbesten Massstab zu diesfallsigen Vergleichimgen. Wenn aber der Trebincica jene Naturwunder fehlen, die sich dort durch die grossen Grottenbildungen auf die überraschendste Weise offenbaren, so wäre hier eines anderen' Phänomens zu gedenken, das man mit der Trebincica in Verbindung bringt. Bekanntlich entsteht imweit Gravosas in Dalmatien an steiler Küstenwand und in einer fjordartigen Einbuchtung der See plötzlich aus einem steilen Felsbecken unter Brodeln und Schäumen die 0 m b 1 a, eine der hydrographischen Merkwürdigkeiten des dinarischen Litorales. Das Entstehen dieses Flusses, der sofort ein breites Bett einnimmt, Mühlen treibt, jedoch alsbald mit der Salzfluth sich vereint, wird nun mit dem Versickern der Trebincica jenseits der Gebirgsscheide in Verbindung gebracht, indem man von der Ansicht ausgeht, dass jene abtauchende Wassermenge an der Ombla-Quelle wieder zu Tage tritt. Dieser Ansicht, die übrigens von mancher Seite bezweifelt wird1), steht eine andere gegenüber, welche eine unterirdische Communication zwischen dem Flusse der Hochebene von Trebinje und der in die Narenta sich ergiessenden Kruppa annimmta). l) Roskiewicz, a. a. U. 5(5 ") 0. Blau, »Reisen in Bosnien und der Herzegowina", 51. 3* Will man sich mit beiden Ansichten gleichzeitig befreunden, so hätten wir hier freilich das höchst interessante Phänomen einer unterirdischen Bifurcation, wie sie erst kürzlich in überraschender Weise im Quellbereiche der Donau in Bezug auf diesen Strom und den Rhein con-statirt wurde. Aehnliche Fälle von bald oberirdischen, bald unterirdischen Flussläufen sind in der Karstregion der Herzegowina, wie schon erwähnt, äusserst häufig. Nur die Narenta macht hievon eine Ausnahme, und zwar desshalb, weil ihr oberer Lauf nicht in Kalk, sondern in Thonschiefer, Gneis und Granit gebettet ist... Welch ein wesentlich anderes Bild liefert nun Bosnien, oder orographisch ausgedrückt, das Land nordöstlich der Linie grösster Erhebungen. Zwar gibt es auch hier karstartige Plateaux mit Wasserschlünden und sterile Strecken, alle Hochberge aber überzieht hier eine üppige Walddecke, oft urwaldartige Bestände von bedeutender räumlicher Ausdehnung. In den schönen breiten Thälern, durch welche die Flüsse Bosniens strömen, ist freilich jeder Wald verschwunden, und auch höher hinauf bezeichnen noch weithin sich ziehende Strecken mit krüppelhaftem Jungwald und undurchdringlichem Buschwerk die Stellen, wo man ganze Bestände auf die vandalischste Art ausgerodet hat; dafür aber bedeckt diese Theile des Landes, in denen auch alle seine, grossen Städte, dann zahllose Dörfer und Märkte der wohlhabendsten Elemente der Bevölkerung liegen, ertragreicher Culturboden, der umso belangreicher wird, je mehr die < lebirge an relativer Höhe verlieren, oder vollends, wie in der Posavina, zum fruchtbaren Tieflande herabsinken. . . Wir werden später Gelegenheit finden, auf die Thatsache hinzuweisen, dass diese physikalischen Unterschiede, mit denen ja auch in erster Linie die klimatischen Verhältnisse zusammenhängen, in Bosnien und der Herzegowina im hohen (frade auf den Culturzustand der Bewohner von Einfluss waren, mehr noch aber auf gewisse psychologische Eigentümlichkeiten derselben, mit der Zeit eine auffällige Wirkung geäussert hatten. Das Flussuetz Bosniens ist ein höchst weitläufiges, doch müssen wir uns diesfalls nur auf die wichtigsten Wasseradern des Lan- ]) Sterneck, a. a. 0. 17, 18. Das Flussnetz Bosniens. 37 des beschränken. Wir beginnen mit der Save, die zwar nur in ihrem mittleren Laufe hieher gehört, ihrer relativen Grösse nach, sowie auf Grund des auf demselben bisher stattgehabten Handels, indess der bedeutendste Fluss des Landes ist. Alle anderen grossen Flüsse Bosniens sind ihre Nebenflüsse: so die Unna, welche zum Theile durch ein felsiges Bergthal, später durch Trieften und Waldland fliesst; der Vrbas, im Oberlaufe in ein breites, fruchtbares Thal gebettet, zwischen Jaicze und Banjaluka aber ein felsiges, waldiges Defile durcheilend; femers die Bosna, die unweit der Landeshauptstadt entspringt, anfangs Waldland, später aber das breite, offene Thal durchströmt, das sich bis zur Save bei Samac erstreckt. Der östlichste zu Bosnien gehörende Save-Zufluss, imd zugleich derjenige mit der grössten Strom-Entwicklung, ist die Drina. Ihre Quellen, die Tara und Piva, liegen in unmittelbarer Nachbarschaft des Dormitor, von wo ab diese beiden Flüsse äusserst wildromantische, zum Theile von Europäern noch nie betretene Felsschluchten mit senkrechten gewaltigen Steilufern durchströmen. In ihrer zweiten Hälfte verliert sie bedeutend an Gefälle, und legt — als serbischer Grenzfluss — zum Theile in weitläufigen Serpentinen, zahlreiche Untiefen bildend. und sich zuletzt bis zu einer Breite von 400 Schritt erweiternd, als ziemlich stattlicher Fluss die 30 Meilen lange Strecke zwischen Visegrad und Raca zurück____ Zu erwähnen wäre noch, dass die Unna unterhalb Bihac durchschnittlich 180 Schritte breit und 6 Fuss tief ist, welche Zahlen auch für den Vrbas Giltigkeit haben. Dieser letztere trägt in seinem Unterlaufe Fahrzeuge bis zu 1000 Centner Lastf Die Bosna ist bedeutend seichter, indem sie durchschnittlich nur 3 bis 5 Fuss Tiefe, bei einer Breite von 500 Schritten besitzt. Der Vrbas ist bei Trn, Banjaluka. Jaicze und Skoplje, die Bosna bei Jlidzie, Baljewo, Visoko und Zenica überbrückt. Die Drina, die nur zweimal überbrückt ist (bei Visegrad eine elfbogige Steinbrücke, eine Holzbrücke bei Gorazda), dafür aber sehr viele Fürthen besitzt, erreicht bei Foca eine Breite von 100, bei Visegrad eine solche von 170 Schritt und ist von Ljubowica an für Fahrzeuge von 1000 Centner Last schiffbarl). ') Ausführliche Beschreibung des bosnischen Flussnetzes bei It o s k i e-w i c z, »Studien über Bosnien etc.«, 31—46, und in der »Landeskunde von Dalmatien und seiner Hinterländer 38—52. Wir kommen mm zu den C o m m u n i c a t i o ne n, die bekanntlich die schwächste Seite orientalischer Länder sind.*) Man braucht indess, um halsbrecherische Pfade wandeln zu können, oder auf tagelangem, beschwerlichem Ritte unbestimmte, von den Karawanenzügen beliebig ausgetretene Verkehrsadern zu durchmessen, nicht ferne Gegenden aufzusuchen : derlei Genüsse liegen viel näher, denn sie beginnen bereits jenseits der bisherigen schwarzgelben Grenzpfähle Dalmattens und der früheren Militärgrenze. Zwar erwähnen unsere mehrfach citirten Bosnien-Reisenden mehrerer fahrbarer Strassen, aber sie legen hiebei offenbar nur den allerbescheidensten Massstab an, indem sie überhaupt nur die Fahrbarkeit unter den allerungünstigsten Umständen vor Äugen haben. Als wirkliche Fahrstrassen dürften indess nur die Verbindungslinie von Brod durch das Bosna-Thal nach Serajevo, dann jene zwischen Gradiska und Banjaluka gelten, ferner einzelne Fragmente, wie die neue Kunststrasse zwischen der österreichischen Grenze bei Sign und Livno, imd jene von Metkowic über Mostar nach Serajevo, schliesslich die Strasse von Ragusa nach Trebinje. Diese Strassen vermag man nämlich ') Nicht nur die Steppenländer, auch die cultivirtesten Districte, die Centren des Handels und der Militärmacht, ermangeln sowohl in Anatolien, wie in ganz Tiirkisch-Asien jeder Communication, nach europäischen Begriffen. So gelangt man von der Küste Syriens über Palmyra nach wochenlangen Märschen durch's EuphratthaJ nach Bagdad, einst eine Völkerstrasse, die blühende Empo-rien berührte, heute ein Reitpfad, an Ruienfeldern vorbeiziehend. Auch von Bagdad herauf nach Kurdistan existirt kein vorgezeichneter Weg. Die Post-Tartaren, welche die lange Route von Alexandrette in Nord-Syrien über Aleppo, Urfa, Diarbekr, Mardin, Mosul nach Bagdad in circa 3 Wochen zurücklegen, nehmen, wo es angeht, die gerade Linie; meist sind sie gezwungen, die hochgehenden Gebirgsströme zu durchschwimmen. In den kurdischen Bergen finden sich nur Saumwege vor, während in Hoch-Mesopotamien nirgends ein gebahnter Pfad existirt; von Mardin ab führt wohl ein »Fahrweg«, er taugt aber kaum für Reiter, und in den Löchern brechen sich die Kameele die Heine. Von Diarbekr nach Urfa wurde vor Jahren ein Strassenbau in Angriff genommen, doch findet man jetzt nur einzelne Fragmente, oft mitten im unbewohnten Lande, da der Bau wieder sistirt wurde. Die Aleppner, welche das Bedürfniss sehr fühlen mochten, eine gute Communication mit der Hafenstadt Alexandrette zu besitzen, steuerten vor einigen Jahren 2 Millionen Piaster zusammen, doch ist es im Uebri-gen beim frommen Wunsch geblieben, und nur ein Wegfragment im Beilan-Pass beweist, dass man überhaupt Hand angelegt hatte. (Vergl. des Verfass e rs »Das Euphrat- und Tigris-Gebiet«, II, 42.) Zustand der Communicationen. 39 möglichst ungestört zu passiren und ist nicht der Gefahr ausgesetzt, hin und wieder sein Vehikel verlassen zu müssen, um über abgestürzte Dammstrecken, durch tiefe Furchen oder zwischen Fels- und Erdstürzen Pferden und Wagen handkräftigste Hilfe zu leisten. Auch die Communicationen durch das Drinathal, von Raca über Zwornik und Visegrad nach Serajevo dürften noch zur Noth passirbar sein, und unter den oben angedeuteten Umständen, die sogenannte dalmatinisch-bosnische Poststrasse zwischen Travnik, Kupres imd Livno imd deren Abzweigimg von Dolnje-Vakuf nach Jaicze. . . . Weiters gilt auch die eigentliche grosse Constantinopler Route von der Landeshauptstadt über Visegrad, Sienica imdXovibazar als fahrbar; wer aber diese Linie per Axe zurücklegt, dem kann es wohl begegnen, ein dutzend Mal die halsbrecherischsten Stellen, furchtbar steile Serpentinen, Brücken ohne Geländer oder mit baufälligen Jochen passiren zu müssen, wo jedes Verbleiben im Wagen aufhört, abgesehen von der sehr häufig auftretenden Eventualität, dass man nach] anhaltenden Regengüssen die eine oder andere Brücke, auf deren Vorhandensein man gerechnet, durch die Hochwasser hinweg-gerissen findet. Alle hölzernen Jochbrücken werden nämlich höchst primitiv hergestellt. Die Widerlager bilden mit Felstrümmern gefüllte Balkenkästen imd von diesen schwingen sich die eigentlichen Tragbalken, durch Steine an ihrem einen Ende festgehalten *), über das Gewässer, überdeckt von rohen Stämmen, Zweigen, Erde imd Schotter oder auch ohne diese Zugabe, jedenfalls aber ohne Geländer. Monumentale steinerne Brücken gibt es nur wenige im Lande. Die schönste ist die elfbogige Brücke über die Drina bei Visegrad, von Mehemed Pascha Sokolowic im Jahre 1577 erbaut'-), dann die hohe Bogenbrücke über die Narenta zu Mostar, die als ein Römerwerk gilt, es aber höchst wahrscheinlich nicht ist3); ferners 1) Stern eck, a. a. O. 25. 2) O. Blau: »Reisen etc.«, 90. 3) Weder an der Brücke noch in deren Umgebung finden sich Inschriften, Sculpturen oder sonstige Reste römischer Kunst. Vielmehr sind die einzigen Schriftzeiehen daran unzweifelhaft türkisch, wenn auch nicht ganz leserlich. Ein Datum in arabischen Ziffern scheint dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts (dem 9. der Hedschra) anzugehören. Dieses Datum stimmt mit dem Zeitpunkte der Einverleibung der Herzegowinain die Eroberungen Sultan Bajazid's II. durch den Beglerbeg von Bosnien, Mustafa Djurewic' im Jahre 1483, wodurch die römische, von den Eingebornen die »Ziegenbrücke« genannt, über die Miljacka unweit Serajevo, und die alte Brücke bei Konjica. Bei Jablanica im Narentathale gibt es seit 1874, das ist. seit der Fertigstellung der neuen Kunststrasse durch das genannte Thal, zwei eiserne Brücken englischer Construction, welche von polnischen Ingenieuren aufgestellt wurden. ') So nun sieht es auf den grossen Verkehrswegen aus. Um wie vieles schlechter muss es mit den Vicinalstrassen und allen Communi-cationen geringeren Grades bestellt sein, deren Classification eigentlich nebensächlich erscheint, da sie insgesammt nur durch grosse physische Anstrengung von Boss und Reiter zu passiren sind. Die an die fahrbare Strasse anschliessende nächste Kategorie sind die sogenannten »fahrbaren Feldwege«, doch gibt es nirgends solche von belangreicher Ausdehnung, da sie nur in der Saveniederung, dann auf den hohen, meist ebenen Plateaux imd in den breiten Thälern vorkommen. Sie sind auch nur desshalb fahrbar, weil deren willkürliche Benützung den ursprünglichen Pfad mehr und mehr erweitert und ihm somit obige Eigenschaft verschafft hat, ohne von Wägen je benützt zu werden, da solche in einem Lande, wo die Haupt-Translation auf Tragthieren in geschlossenen Karawanen bewirkt wird, höchst selten zu finden sind... Vollends ein Specimen bosnischer Verkehrsmittel ist die sogenannte »Kalderma«, ein Reitsteig, der mit Cubikschuh grossen, ganz unregelmässigen Steinen gepflastert ist, und zwar derart, dass zwischen den Theilen dieses etwas primitiv-soliden Strassenfundaments noch immer 6 bis 12 Zoll breite und tiefe Löcher übrig bleiben, in denen sich imgeübte Pferde nach den ersten Tritten die Beine brechen müssen. Das bosnische, mehr noch aber das herzegowinische Pferd besitzt aber eine ausserordentliche Geschicklichkeit, derlei Hindernisse gefahrlos zu machen. Gleich dem Maul-thiere in den Pyrenäen oder in manchen Alpengegenden weicht es vorsichtig den verderblichen Lücken aus und entschliesst sich nur dann in dieselben hineinzutreten, wenn-beispielsweise bei schlechtem Wetter die Steine glatt geworden sind und ein Ausgleiten unvermeidlich sein würde. die Gewissheit erwächst, dass die gegenwärtige Brücke ein Werk der Türken ist. (A. a. 0. 36.) l) LuksiS, 57. Saumwege. 41 Dann aber bedarf es immer einer besonderen Anstrengung von Seite des Thieres, um sich aus diesen Schlammlöchern herauszuarbeiten und die nächste Ansatzstelle für den Huf zu suchen. Zum Glücke gibt es derlei halsbrecherische Pfade nur in der Nähe der grösseren Ortschaften. Sie werden auch von den Eingeborenen gemieden, und es ist desshalb nicht erfindlich, warum man Bie Iiis auf den Tag beibehielt. Die letzte Kategorie der bosnisch - herzegowinischen Verkehrsmittel sind die Saumwege. Ihr Netz breitet sich engmaschig über das ganze Land, sie durchziehen die Hochplateaux und zum Theile auch die urwaldartigen Bestände im mittleren Bosnien, überqueren die breit-rückigen Erhebungsmassen und sind so zahlreich, dass ein oder der andere Pfad ohne landeskundigen Führer selten zu passiren gerathen erscheint, will man sich nicht in die unwegsamste Wildniss verirren. Namentlich beschwerlich ist diese Art von Communication in der Herzegowina Dort sind sie in dem steinigen, von Geröll und Trümmerschutt des harten, wie Glas splitterigen Karstkalkes bedeckten Terrain häufig gar nicht von diesem zu unterscheiden. Sie winden sich endlos in Serpentinen die steilen Lehnen hinan, häufig durchkreuzt von Ziegenpfaden oder stellenweise unterbrochen von Fels- und Geröllrinnen, die irgend ein Giessbach bei Unwetter gerissen. Dass es hiebei nicht an schwindelnden Abgründen fehlt, an denen vorbei die vorsichtigen Pferde sich jedoch mit grösster Sicherheit vorwärts bewegen, erscheint bei der Natur des Landes begreiflich. Alles in Allem genommen, bleibt es heute in Bosnien für den einzelnen Reisenden noch immer eine oft unüberwindliche Schwierigkeit, dieses Land auf den vorhandenen Pfaden zu durchkreuzen. Die relativ besten Communicationen liegen in jenem Theile Bosniens, der an die Unna und Save grenzt, dort, wo Bich ziemlich weitläufige Ebenen dehnen und das bosnische Waldgebirge zwischen den Flüssen Unna, Vrbas, Bosna und Drina nur mälig ansteigt. Hieran schliesst der nordwestliche Theil der Herzegowina zwischen der Narenta-Niederimg imd der Hochebene von Glamoc, weiters der Grenzstrich zwischen Bihac und dem Vrbas (die »Krajna«) und schliesslich die Strecke zwischen Jaicze, Travnik und Bosna-Serai und theilweise darüber hinaus auf der grossen Route nach Constantinopel. Minder wegsam 'st das südliche Bosnien, die östliche Herzegowina imd einzelne Gebiete zwischen Drina und Bosna; am unwegsamsten endlich das Plateau von Zagorien zwischen dem Oberlaufe der Drina und Narenta, die südliche und südöstliche Herzegowina und weitaus die meisten Gebiete in Rascien zwischen Lim und Ibar. Die wichtigsten Communicationen, welche von der Nord- imd Westgrenze, das ist aus der früheren Militärgrenze und Dalmatien nach Bosnien und in die Herzegowina führen, sind, von der serbischen Drina-Grenze angefangen, die folgenden: Von Raca an der Save ab nach Beiina mid weiters thalauf der Drina nach Zwomik. Diese Communication ist im Ganzen sehr unwegsam imd wird erst in ihrer Fortsetzung über das Quellland der Spreca hinweg und durch die Gebirgswildniss des Romania-Plateaus nach Serajevo zur Noth für leichtere Fuhrwerke prakticabel. In einem weit besseren Zustande befindet sich jene Strasse, welche von Beiina durch die Save-Niederung von Bercka (Posavina) nach diesem Orte zieht und von da sowohl nach Samac an die Bosna-Mündung abgeht, wie andererseits nach Gracanica im Thale der Spreca. Das imtere Bosnathal ist gleichfalls schlecht mit Commimicationen bestellt, dafür aber ist die Fahrstrasse, welche von Brood abgeht imd das ganze Bosnathal von Kotorsko angefangen bis Zenica unweit Travniks durchzieht, nicht nur die fahrbarste imd überhaupt beste Strasse des ganzen Landes, sondern sie ist auch gleichzeitig die kürzeste Verbindung zwischen Serajevo und der Save. Es ist der Weg, den seinerzeit Prinz Eugen zurücklegte, als er mit nur 6000 Mann im Jahre 1697 durch Bosnien marschirte und unversehens vor der Landeshauptstadt erschien. Dieser »gebahnte Fahrweg« nimmt seine Richtung von Brood ab bis Derwent im Thale der Ukrina, übersetzt daselbst das Niedergebirge Vucinak, um bei Kotorsko in das Bosnathal einzutreten. Von hier ab berührt die Strasse weiters die Punkte Doboi und Maglai, tritt bei Zebse abermals an den Fluss, nachdem sie den Defil£s von Antolowic und Zawidowic ausgewichen ist, und windet sich das wildromantische mittlere Bosnathal aufwärts bis Zenica. Hier geht die Strasse vom Bosnathale in jenes der Laswa über, indem sie Vites berührt, weiters Busowac, Kiseljak und Blazui, lauter kleinere Ortschaften im Quellbecken der Bosna, mit einander verbindet imd so nach Serajevo gelangt. Gleichfalls von Bedeutimg ist die Die wichtigsten Weglinien. 43 Communication vom Magiai über Gracanica aufwärts des Spreca-Thales nach Dolnje-Tuzla und Zworaik und der Transversalweg von Doboj über Tesanj nach Prjavor imd Banjaluka. Dieser letztere Weg von höchst zweifelhafter Qualität durchzieht das nördliche, zur Save abfallende Gebirgsland zwischen Vrbas und Bosna und besitzt als Verbindungslinie für beide Thäler jedenfalls einen grossen Werth. Auch die Hauptcommunication, welche die Punkte Gradiska, Banjalunka und Travnik miteinander verbindet, gilt als fahrbar, doch wird in der Regel nur das gebahnte Wegstück im unteren Vrbasthale bis Banjaluka häufiger befahren. Von dieser letzteren Stadt zieht die Communication, dem engen imd unprakticabeln Vrbasdefile ausweichend, über das westliche Zwischenland nach Sitnica imd Varcar-Vakuf und weifers über Jezero nach Jaicze am Vrbasflusse. Der Hauptweg setzt hier über die höchst beschwerliche Wasserscheide der Karaula-Planina nach Travnik fort, um bei Vites die Fahrstrasse zwischen Brood und Serajevo zu erreichen, während ein zweiter, minder frequentirter Weg die Orte Jaicze und Skoplje miteinander verbindet. Dieses letztere ist höchst wichtig, als Knotenpunkt des südwestlichen Bosnien imd als Station an der bisherigen sogenaimten dalmatinisch-bosnischen Poststrasse, die, von Travnik abgehend, Skoplje und Kupres berührend, zuerst Livno und später die dalmatinische Grenze bei Sign erreicht. Sie berührt in ihrem südwestlichen Theile bereits die Herzegowina imd besitzt in Livno gleichfalls einen wichtigen Knotenpunkt . . . Von den übrigen Haupt-Communicationen Bosniens wären noch hervorzuheben: der Weg von Dubica über das Kosarac-Gebirge nach Berbir, dann von demselben Ausgangspunkte die Verbindungs-Communication mit dem Sanna-Thale bei Prjedor, femers die Strasse Novi - Prjedor - Banjaluka und die höchst wichtige Linie Novi-Prjedor, thalauf der Sanna nach Sanskimost imd Kljuc und von hier nach Varcar-Vakuf, wo sie in die bereits bekannte Wegstrecke Banjaluka-Jaicze einmündet. Die Krajna oder Türkisch - Croatien durchzieht ferners, von der Einbruchsstation Bihac ab, ein Weg minderer Qualität in südwestlicher Richtung über Bilaj, Petrovac bis Kljuc, nicht zu vergessen die wichtige Verbindungslinie zwischen Novi und Bihac im Unnathale. Das südöstliche Bosnien und Rascien besitzt, wie schon in den allgemeinen Bemerkungen über die Communicationen hervorgehoben wurde, höchst mangelhafte Wegeverbindungen. Die Hauptcommunication (Stambuler Poststrasse) geht von Serajevo durch die enge Miljacka-Schlucht in das höchst wilde und unwegsame Gebiet des Vites-Gebirges über, erreicht bei Gorazda den nördlichen Ausgang der Drina-Pforte und verlauft sodann mit bedeutender Längenentwicklung im defuYen-reichen und subsistenzarmen Limthale über Tazlidza nach Priepolje. Die Fortsetzung geht überSjenica und Novibazar in den Raska-Kessel, endlich durch die Defil£s der Rogosnica-Planina nach Mitrowica am Amselfelde. Die beschwerlichsten Stellen dieser äusserst defileenreichen Strasse sind bei Gorasda, Tazlidza und Novibazar. Von dieser Route geht bei Praca zwischen Serajevo und Gorazda ein äusserst beschwerlicher Weg durch ununterbrochene Wildnisse über Tschelebi-Bazar nach Visegrad zur mittleren Drina-Pforte und weiters über den Öornik nach Usica imd Cacak in Serbien. Die Herzegowina hat vier Hauptstrassen: Von Cattaro über Rizano, Grahova. Niksic imd Jezero nach Tazlidza und Priepolje, dann von Ragusa über Trebinje, Gacko und Foca nach Tsainic ') wo sie auf die Stambuler Heerstrasse stösst; drittens von Ragusa über Ljubinje, Stolac und Mostar nach Duvno, imd viertens endlich von Ljubuski über Mostar nach Konjica. Ausserdem ist noch höchstwichtig die Communication von der Narenta-Mündung (Fort Opus) aufwärts des Flusses über Pocitelj , Mostar, Konjica nach Serajevo, und die Kunststrasse von Mostar durch das Derne" von Jablanica nach Paprac undBradina, sowie die Verbindungslmie Mostar-^upanjac, die sich durch höchst unwegsame Gegenden zieht, aber der einzige prakticable Transversal-Weg zwischen dem Narentathale und der dalmatinisch-bosnischen Poststrasse (Sign, Livno, Kupres, Travnik) ist. Von dem wichtigsten Verkehrsmittel, dem Schienenwege, besitzt Bosnien bekanntlich nur eine 100 Kilometer lange Strecke zwischen Novi imd Banjaluka, die, ohne alle Anschlüsse, sowohl ') Ausführliche Beschreibung dieser Strasse bei 0. B 1 a u , »Reisen etc.« p. 57 u. ff. Klima. 45 nach der einen wie nach anderer Richtung, bisher eine äusserst bescheidene Rolle gespielt hat: zudem ist sie in den letzten Jahren der revolutionären Bewegung in Bosnien nicht nur ausser Betrieb gesetzt, sondern an vielen Stellen erheblich beschädigt worden. Als in der europäischen Türkei die Eisenbahn-Aera inaugurirt wurde, war man österreichischerseits wohl bemüht, die bisherigen Endpunkte des österreichisch-ungarischen Netzes im Bereiche der türkischen Nordgrenzen als die Ausgangsstationen der neuen levantinischen Ueberlandlinien hinzustellen und die Tracen in diesem Sinne aus der Monarchie über türkisches Gebiet nach den Häfen des ägäischen und schwarzen Meeres zu führen: der regere Speculationsgeist auf Seite der Westmächte, sowie eine unleugbar grössere diplomatische Energie, und wahrscheinlich auch einige materielle Opfer brachten es aber mit sich, dass gerade das Umgekehrte geschah. nämlich die Führimg der zuerst zum Ausbau gelangten Schienenwege von Süden nach dem Inneren der Bälkanhalb-insel. So blieb Bosnien mit Ausnahme der zweifachen Sackbalm Novi-Banjaluka ohne Schienenwege und wird deren nunmehrige Schöpfung die Bedeutung der grossen Transitlinie durch Mitteleuropa imd Bosnien nach Saloniki erst recht zur Geltung kommen lassen. ') In klimatischer Beziehimg bietet Bosnien im Vergleiche mit der benachbarten Herzegowina die überraschendsten Contraste. Während dort im allgemeinen Temperatur- und Niederschlags-Verhältnisse die gleichen wie in den gemässigten Strichen der südöstlichen Alpenländer und des Save-Drau-Gebietes sind, nehmen die khmatischen Erscheinungen der steinreichen und vegetationsarmen Herzegowina einen Verlauf, wie ') Detailirter Situationsplan und technisches Längenprofil des bosnischen Schienenweges bei Geiger und L e b r e t, »Studien über Bosnien etc.«, (Ivartenbeilage im Masstab von 1 :1,000.000). Ueber die Bedeutung der bosnischen Linie als Theil der grossen Ueberlandlinien zwischen der Nordsee und dem ägäischen Meere werden indess von ('achmännischer Seite Einwendungen gemacht. Jene Linie hätte zwar als Verbindung des sehr productions- und consumtionsfähigen illyrischen Dreieckes mit Centrai-Europa eine unleugbare Wichtigkeit, sie könne aber auf die grosse. Transithandels-Bewegung nur einen untergeordneten Einfluss üben. Die in dieser Richtung wichtigste Bahn sei die Linie Budapest-Belgrad-Nisch-Pristin-Saloniki. (Vergl. v. Süden hörst, »Die Eisenbahnverbindungen Centrab Europas mit dem Oriente«, 59 u. ff.) er dem benachbarten dalmatinischen Küstenlitorale eigentümlich ist In den meisten Gebieten Bosniens ist die Temperatur selbst im Sommer eine erträgliche, ja in den höheren Waldgebirgen herrscht sogar zumeist eine feuchte, sehr temperirte Luft, ganz im Gegensatze zu der Herzegowina, wo die Temperatur-Maxima ganz bedeutende, an Dalmatien und Italien erinnernd, sind. Dafür ist der Winter in den bosnischen Bergen bedeutend strenger als in Dalmatien, wenn auch mit oft reichlichem Schneefall verbunden, im allgemeinen doch bedeutend kürzer imd nur auf den höheren Plateaux von vorübergehender Strenge. Bosnien ist die Heimat der Bora, jenes gefürchteten, namentlich an den dalmatinischen Küsten verderblichen Sturmes aus ONO., d. h. es ist sehr wahrscheinlich, dass er in den bosnischen Hochgebirgen entsteht. Da die Bora besonders dort mit grosser Heftigkeit hervorbricht, wo sich in den Gebirgen grosse Einsattlungen befinden, so ist es begreiflich, dass namentlich ein Theil der Herzegowina, der an Dalmatien grenzende, derselben in empfindlichem Grade ausgesetzt ist. Sonst liegt Dalmatien mehr in der Aspiration des warmen Scirocco, der namentlich im Winter häufig mit der Bora wechselt und dadurch jene phänomenale Witterungs-Extreme hervorruft, die eine Eigentümlich -keit der Herzegowina, mehr noch aber Montenegros sind. Ganz entsprechend den allgemeinen klimatischen Verhältnissen, ist der allgemeine Naturcharakter des Landes, der allerdings auch wesentlich vom geologischen Bau des letzteren und von der speciellen bodenplastischen Situation abhängig ist. So ist Bosnien, in Folge seines Wasserreich-thums und seiner atmosphärischen Niederschläge, vorherrschend ein Waldland; seine Thäler imd Niederungen bergen Felder und fette Triften, seine Plateaux vorzügliche Weiden. Der Getreidebau wird vorzüglich in den Save-Niederungen betrieben, dann in den grossen Hauptthälem. und liefert namhaften Ueberschuss, der neben seinem Export nach Croatien und Slavonien auch seinen Weg in die getreidearme Herzegowina findet. Dafür hat dieser Landstrich seine We i n-r e b e n und seinen vorzüglichen Tabak, und gedeihen in den tieferer. Thälern die gleichen Südfrüchte, wie im warmen benachbarten Dalmatien. Reich ist Bosnien an gewöhnlichen Obstgattungen, wie Aepfel, Birnen, Nüsse, Kastanien, Kirschen, Kitten, namentlich Naturprodukte. 47 aber Pflaumen, die in allen Gegenden des Landes vorzüglich gedeihen, imd für viele Besitzer grösserer Complexe von oft waldartigen Gärten, eine Quelle der Wohlhabenheit sind. Leider dient diese Frucht, wie bekannt, auch zur Bereitung eines sehr geschätzten Branntweines (Sfivovic), der in ganz enormen Quantitäten consumirt wird und nicht wenig zur physischen und geistigen Depravirung der Bajah beiträgt. Von den Producten des Thierreiches ist in Bosnien namentlich das Hornvieh, in der Herzegowina mehr die Ziege und das Schaf vertreten. Borstenvieh wird nur in der Savegegend gezüchtet. Der Pferdestand dürfte in Folge der kriegerischen Ereignisse m den letzten Jahren bedeutend abgenommen haben. Das bosnische Pferd ist, nach Roskiewicz, klein, erreicht kaum die Höhe von 13 Faust, ist aber fromm, ausdauernd, genügsam und, wie wir schon an anderer SteUe hervorgehoben haben, in Ueberwindung örtlicher Hindernisse äusserst gewandt. In der etwas besseren Bace soll das arabische oder überhaupt orientalische Blut nicht zu verkennen sein, doch gibt es deren nur wenige, und ist ihre Anschaffung etwas kostspielig. Zur Lastbeförderuhg werden nur ältere Thiere verwendet. Dem bosnischen Pferde steht, was dessen Brauchbarkeit und Geschicklichkeit anbetrifft, der herzegowinische Maulesel imd Esel ebenbürtig zur Seite. Ausserdem ist das bosnische Waldland reich an Jagdwild, zumal an Hirschen, Rehen und Hasen, dann an Raubthieren, wie Bären, Wölfen, Luchsen imd Füchsen. Die Sumpf- und Rohrniederungen der Save-Ufer bergen unzählige Vogel -wildschaaren die Bergströme die vorzüglichsten Steinforellen in beträchtlichen Mengen. . . . Auch an Mineralien scheint Bosnien bedeutende, noch ungehobene Schätze zu besitzen, obwohl die bisherige Ausbeute und die spärliche Kenntniss von Erzlagern nur ungenügende Anhaltspunkte in dieser Richtung bieten. Dass Bosnien einst Goldschätze besessen, geht aus älteren Chroniken unzweifelhaft hervor, doch ist es immerhin möglich, dass sie bereits seinerzeit vollkommen ausgebeutet worden sind. Dasselbe «rilt von den Silbererzen, deren Vorhandensein man auf die Orts-Nomenclatur, wie Srebrnik und Srbrnica rückzuführen geneigt ist. Jedenfalls waren auch Silberbergwerke zur Römerzeit im Betriebe, und es gibt auch heute noch Fundorte von silberhaltigem Fahler:; Dafür ist Eisenerz in grossen Massen vorhanden, namentlich in Stari-Majdan im Sannathale, im Foinica-Thale und dessen Zweige-Abästungen: dann Eisenglanz bei Vares, Magneteisenstein bei Kresevo, Bei all diesem Beichthum ist aber die Gewinnungsart die denkbar primitivste und verspricht erst ein rationeller, mit den modernen technischen Hilfsmitteln durchgeführter Betrieb eine grössere lucrative Ausbeute. Ausserdem gibt es im Lande noch Kupfer im Ramathale und bei Kresevo, Bleiglanz bei Priedor, Skoplje, Pojnica und Borowica, Blei, und zwar in reichlicher Menge bei Tuzla, in geringerer bei Zwornik, imd Quecksilber hältiger Zinnober bei Foijnica (Dusina), am Inac (Kresevo) und bei Obojan (im Stitthale). Dass Bosnien auch Kohlenschätze besitzt, geht aus Stemeck's geologischer Karte unzweifelhaft hervor l): sie dürften wahrscheinlich sehr mächtig sein, doch genügen die bisherigen Untersuchungen an den bekannten Fundorten, wie Lu-cawec, Tuzla. Kiseljak, Stolac, Mostar etc., kaum, um sich in dieser Richtung ein zutreffendes Calcül machen zu können . . . Erwähnen wir noch schliesslich, dass Bosnien eine ganze Zahl nennenswerther Mineralquellen. Sauerbrunnen, Salz- und Schwefelquellen, dann einige, seit vielen Jahrhunderten im Gebrauche stehende Thermen besitzt2), so ist kaum zu leugnen, dass die natürlichen Reichthümer dem Lande Bosnien eine vielversprechende Zukunft in Aussicht steüen, und dass die Ausbeute des Landes in jeder Richtung, nach allerdings nicht unbedeutenden materiellen Opfern, eine ganz .aussergewöhnliche zu werden verspricht. Nachdem wir nun in allgemeinen Zügen das Land keimen gelernt haben, mag es wohl am Platze sein, die Charakteristik der einzelnen *) S t e r n e c k, „Geographische Verhältnisse etc. in Bosnien". Karten-Beilage über die in Bosnien, Herzegowina und Montenegro am häufigsten vorkommenden Gesteinsarten und deren Verth eilung. -) Nach Roskiewicz (Studien etc. pp 73, 74 und 75) gibt es folgende Mineralquellen und zwar Salzquellen : Ober-Tuzla, Unter-Tuzla und im Bereiche dieser beiden Orte; Sauerbrunnen: Slatina (bei Banjaluka), Han-Kisseljak (westlich von Tuzla), Krapina, Han-Bresolowac (zwei Stunden südöstlich von Busowae), Kisseljak, dann unweit Ljubuska ; warme Schwefelquellen : Banjaluka, Ilidzia, VruSica (bei Tesanj) und das »Römerbad« bei Novibazar; Thermen: im Kloster zu Banja bei Priboi im Limthale. Oertlichkeiten. — Das bosnische Haus. 49 bosnischen und herzegowinischen Oertlichkeiten zu geben, die mehr noch als wie der allgemeine Culturzu.stand geeignet sein dürfte, den Fernestehenden richtige Begriffe von den Bedürfnissen der Bewohner zu verschaffen. Das bosnische Haus ist zumeist von leichtem Biegelwerk aus Holz gebaut, das mit Lehmziegeln ausgemauert, oder noch häufiger mit Flechtwerk ausgefüllt wird, in letzterem Falle aber werden die Hauswände selbstverständlich mit Lehm verschmiert und nur kleine Oeffhungen für die Fenster freigelassen, die in den seltensten Fällen durch Glastafeln verwahrt sind. Im Frauengemach eines solchen primitiven Gebäudes werden, der orientalischen Sitte gemäss, die Fenster durch ein eigenthümliches Holzgitterwerk (Muscharabis) geschlossen, wobei nicht selten durch Farbe und Formen sehr geschmackvolle Muster gewonnen werden. Die Eindachimg besteht aus Schindeln, doch fehlt dem Dache zumeist der Kamin, so dass der Rauch aus dem Innern der Hütte durch die Dachritzen höchst ungenügenden Abzug sich verschaffen muss. Im Souterrain ist meistens der Stall oder Räume für die Diener. Von hier führt eine steile gefährliche Treppe in den Wohnstock, und zwar stets in einen geräumigen Vorplatz, der fast immer mit einer luftigen achteckigen Veranda, dem »Divanhan« abschliesst und Sommers den Lieblingsaufenthalt der Hausbewohner bildet. Die links imd rechts an den Vorplatz anstossenden Gemächer sind klein und nieder, es fehlen häufig sogar die Zimmerdecken. Zur Heizung dienen entweder offene Caminfeuer, oder öfters auch grosse, thöneme, achteckige Oefen, deren Seiten aus aneinander gereihten Stücken gebrannter, thönerner, hohler Halbkugeln zusammengesetzt sind. *) Der einzige Möbelschmuck der Zimmer besteht aus einem mehr oder weniger kostbaren Fussteppich, und hie imd da aus einem künstlich geschnitzten Wandschrank. Als Sitz- imd Liegerstätte dienen die sogenannten »Minder", drei Schuh breite, imd bis über acht Zoll über dem Boden erhöhte, mit Matratzen oder Teppichen, häufig auch blos mit Rohrmatten belegte Pritschen, die sich in der Regel zwei oder drei Wände entlang ziehen und mit besonderer Vorliebe in den Erkern angebracht werden. Da sich die Bewohner beim Häuserbau, wie in aller Welt, auch in Bosnien und der Herzegowina nach dem l) Geiger und Lebret, »Studien über Bosnien etc «, 5. Sahweiger-Lorchenfuld, Bosnien. 4 vorhandenen Baumateriale richten, so ist es begreiflich, dass Holz-, Biegel- und Blockbauten in dem waldreichen Bosnien weitaus häufiger anzutreffen sind, als steingebaute Häuser, die wieder in der Herzegowina nahezu ausschliesslich dem Eingebomen zur Wohnstätte dienen. Dass eine solche steinerne Höhle mit ihrem platten Dache, der niederen Thor-öfihungund den ganz kleinen Fensterlucken, die indess häufig auch ganz fehlen, an Comfort, wenn dieser Ausdruck überhaupt erlaubt ist. den bosnischen Hütten beiweitem nachstehen, lässt sich denken. — Dafür ist der Herzegowinaer auch weitaus bedürfnissloser, er hat keine Sorge um den Besitz, und das elende Dasein hat dies Volk mehr als einmal bewogen, ihr Schicksal auf die Spitze des Handschars zu stellen und für die von Seite der herrschenden Race ihm angethane Unbill ihr werthloses Leben im hartnäckigsten Kampfe einzusetzen. Wie die Häuser und Hütten , so sind auch die I) ö r f e r. In Bosnien schliessen sich erstere in unregelmässigen.Gruppen aneinander, häufig von Gärten umgeben , oder sich auf saftigen Weiden erhebend, um die sich entweder dichtes Buschwerk oder gelichteter Hochwald zieht. Selbst die Städte sind nicht immer geschlossen, und gerade der Umstand, dass sie entweder ganz in üppiger Gartenpracht begraben liegen oder zwischen ihren Vierteln zahlreiche Baum- und Vegetationsinseln liegen haben. gibt ihnen jenes pittoreske und romantisch-heitere Aussehen, über das unsere Bosnien-Beisenden so viel zu berichten wissen. Es ist aber eine Eigenthümlichkeit, nicht nur aller bosnischen, sondern aller orientalischen Städte überhaupt, dass sie nur ein schönes Bild dem entfernt stehenden Beobachter abgeben, sonst aber eine allgemeine Verwahrlosung zur Schau tragen. die einen jeden Aufenthalt in solchen Centren des politischen, socialen und culturellen Lebens schon nach einigen Stunden verleidet. Der Bosnier hat sich aber mit der Zeit ganz die orientalische Sitte, oder vielmehr Unsitte, zu Eigen gemacht, dass es Hauptsache sei, einfach nur individuelle Bedürfnisse zu befriedigen, und für das Gemeinwohl, für den öffentlichen Verkehr, für geistige Anregung, oder physisch behagliche Zerstreuung nicht einen Para zu verwenden. Daher ist es im Oriente nichts Seltenes , Privatwohnungen mit dem höchsten Luxus ausgestattet zu finden , während die Gebäude selbst, in welchen derlei comfortable Räumlichkeiten liegen Das äussere Aussehen der Dörfer. 51 sich oft aus wahren Cloaken , oder aus sunipfartigen Strassen und Gassen erheben. Für ein »Bild« ist aber der Orientale und demnach auch der Bosnier, gleichwohl empfänglich ; weniger, oder vielleicht gar nicht aus ästhetischen Gründen, als vielmehr auf Grund der behaglichen Beschaulichkeit, die seiner Individualität eigenthümlich ist.....Diese Bemerkungen haben nun freilich nur Giftigkeit für einzelne bosnische Städte; in der Herzegowina verhält es sich wesentlich anders. Hier, wo die Natur mit ihren bescheidensten Beizen karg, und nur in der starren Formenpracht ihrer plastischen Verhältnisse excellirt, sind anmuthige Städtebilder wohl nur in den seltensten Fällen zu finden. Die weissgetünchten Häuser verschwinden hier ganz, um jenen graudüsteren Wohnstätten Platz zu machen, die sich durch ihre Farbe vom umliegenden Karstterrain kaum unterscheiden. Zudem stehen die einzelnen Häusergruppen, zumal an der montenegrinischen Grenze, meist immittelbar unter dem Schutze von castellartig angelegten Mauern und Thümien.l) denn hier war durch alle Zeit die blutige Fehde fast täglicher Zeitvertreib . sei's mit den osmauischen Bedrückern, oder der einzelnen Stämme untereinander. . . . Viele der grösseren Ortschaften besitzen ausserdem noch dem Verfalle entgegengehende Schlösser und CitadeUen, welche meistens unbewohnt sind. Häufig erblickt man feste Thürme, mit bewohntem Oberstock und Schiessscharten zur Vertheidi-gung; die früher so zahlreich vertretenen »Palanken« aber —Ortschaften mit Palissaden und Gräben umgeben — sind letzterer Zeit mehr und mehr verschwunden. tt) Eine Eigentümlichkeit des Landes — sowie aller übrigen des türkischen Orients — sind die Einkehrhäuser, »Hans« genannt. Sie sind von sehr verschiedener Qualität; manche kaum besser. als der schmutzigste Viehstall, andere mit mehr oder minderem Comfort ausgestattet, in allen Fällen aber nicht im Entferntesten mit irgend einer europäischen Unterkunftsanstalt zu vergleichen. Zumeist besteht in den bessereu Hans das Erdgeschoss aus Stallungen, über welchen im ersten Stocke die Wohnräume, zellenartige Zimmer, liegen; wenn sie im ') Geiger und Lebret, »Studien etc. über Bosnien«, 6. *) R o s k i e w i c z , a. a. <). 62. bosnischen Sinne »comfortabel« ausgestattet sind, mit Teppichen belegt und einem Wanddivan versehen, meist aber ohne dieses spärliche Ameublement, mit nacktem Fussboden und unverwahrtem Fenster. *) Vollends eine Stätte der Trostlosigkeit ist ein solcher Hau in Bezug auf die Verpflegung. Man höre, was Maurer2) über dieselbe zu berichten weiss. ... Er hatte vor einem auf den Rasen ausgebreiteten Tuch mit seinem Zaptie Platz genommen und zuerst, zur Abkürzung der langen Zeit des Wartens, ein paar Hände voll Haselnüsse erhalten. Dann legte die Wirthin ein flaches, rundes , in der Asche gebackenes und noch dampfendes Brod (Kuka) vor, welches der Zaptie zerlegte und den Reisenden einlud davon [zu essen. Es war aus geschrotetem Roggen bereitet, stachelte auf der Zunge imd war so locker gebacken, dass es kaum Zusammenhang hatte. Man ass dazu frischen Käse (Sir), der in einer hölzernen Schüssel aufgetragen wurde und lauter trockene Krümm-chen bildete, die mit Hilfe des Daumens und eines Stückes dieses Kuchens genommen und in den Mimd geführt wurden. Dazwischen wurde Knoblauch (luka), nebst den Stengeln in Salz getaucht, verzehrt. Diese Stengel sind oft fingerdick und einen Fuss lang; ihr Duft ist durchdringend und für den Bosniaken die wahre nie entbehrte Würze der Mahlzeit. Die Krone des Ganzen bildet jedoch die saure Milch (Sirutka), welche in einer hölzernen Kanne aufbewahrt wird, aus niedergefallenem Käse nebst obenstehendem grünen Wasser besteht, imd so sauer ist, wie der schärfste Essig. Sie wurde in eine hölzerne Schüssel gegossen und dann der heisse Brotkuchen hineingebrockt, worauf sie mit plumpen hölzernen Löffeln verzehrt wurde . . Eine solche Mahlzeit ist aUerdings die denkbar magerste; aber es gibt bosnische Hans, wo man sich immerhin mit einigem Appetite satt essen kann, zumal gewisse nationale Speisen, wie der treffliche Pilaw (gedünsteter Reis) mit seinen schmackhaften Hammelfleischstücken, dann Hühner und zuweilen wohl auch Jagdwild, nebst Eiern, Früchten imd Käse einem minder verwöhnten Magen ziemlich zusagen dürften. Selbstverständlich fehlt bei derlei Mahlzeiten niemals der schwarze, türkische Kaffee, dessen durch x) Sterneck, a. a. 0. 30. . 2) Fr. Maurer, »Eine Reise durch Bosnien«, a, a. 0. > Städte 53 den ganzen Tag währender Consum in sehr vorteilhafter Weise den verderblichen Spirituosen Concurrenz macht. Dies gilt freilich nur von dem "mohammedanischen Theile der Bevölkerung, während die Rajah in der Zeit ihrer grössten Sorge kein besseres Mittet fand, um sich deren Last zu erleichtern, als den Geist von dem Dämon der Schnapsflasche umnachten zu lassen, und so zu gleicher Zeit geistig und physisch zu verkommen..... Die wichtigsten Städte nach ihrer Bewohnerzabi sind: Serajevo (50.000), Banjaluka (20.000), Mostar (15.000), Travnik (12.000) Foca (10.000), Novibazar (8.000), Bielina (6.000), Bihac, Zwornik, Unter-Tuzla und Livno (je 5.000 Einwohner.) Ausserdem kleinere Städte zwischen 5.000 und 2.000 Einwohner: Brcka, Foinica, Gorazda, Gracac, Gracamca, Jaicze, Lippa, Prjedor, Skoplje, Srebrnica, Tesanj, Tazlidza, Visoko, Varcar-Vakuf, Zepse, Trebinje, Ljubinje, Maglaj, Stolac, Kozarac, Bilai, Sieniza, Ostrozac und Derbend. . . . III. Landschaften und Städte. Wanderung durch die Save-Niederung. Banjaluka Jaicze, die Königsstadt. Travnik. Durch's Bosna-Thal nach Serajewo. Bilder aus der bosnischen Hauptstadt. Wanderung durch Südost-Bosnien und Rascien. Rogatica und Visegrad. Das Kloster Banja. Priepolje und seine Umgebung. Sienica und Novibazar. Nordost-Bosnien; Zwornik und Tuzla. H e rz ego w i ni s c h e Landschaften. Haupt-Routen durch's Narentathal. Zwischen Mostar und Serajevo. Von Ragusa über Trebinje nach Stolac und Mostar. Die Poststrasse zwischen Sign und Travnik. Mostar. Von der untern Drina, dem Grenzflüsse zwischen Bosnien imd Serbien, breitet sich westwärts bis über den Mündimgsbereich der Bosna hinaus ein zumeist wohleultivirtes Flachland, das sich unter dem Local-namen der »Posavina« (d.i. Saveland) als ein Gebiet von wesentlich verschiedenem Charakter gegenüber dem übrigen Bosnien darbietet.l) Dem Wahrheitssatze gemäss, dass Flüsse und Ströme, entgegen den hohen Gebirgszügen, die Völker mit einander verbinden und ihren Lebensinteressen, trotz der zwischen ihnen gezogenen politischen Grenze, eine gewisse Gemeinsamkeit verleihen, hat sich auch das Volk dies- wie jenseits der Save jederzeit die natürliche Zusammengehörigkeit, die sich aus solcher geographischer Situation ergibt,' zu Nutze gemacht. Hiebei trägt noch der Umstand wesentlich bei, dass auch die Physis des Landes zu beiden Seiten der Save dieselbe ist; dort wie hier sind es die Tagereisen weiten Ciüturen, ausgedehnte Feldergürtel, die mit brach- *) Ueber die Save-Niederungen siehe Fr. Maurer, »Eine Reise durch Bosnien«, 178 u. ff., 416 etc.; C. Blau, »Reise etc.«, 120-132; Roskiewicz a. a. 0. 103, 124 u. ff., 128 etc.; G. Perrot, »Souvenir d'un voyage chez les Slaves du Sud«, in »Tour du Monde« (1870, I); »Aus allen Welttheilen«, VII, 367 u. VIII, 2. Mit Illustrationen etc. Die Save-Niederung. 55 liegendem, versumpftem Lande wechseln, das im Uferbereiche imd wohl auch meilenweit darüber hinaus Jahr für Jahr von den Hochfiuthen der Save heimgesucht jwird. Daher auch die partiellen Sumpfstrecken, die Kohrfelder und das schüttere Weidengestrüpp im unmittelbaren Ueber-schwemmungsgebiete, durch welche, und an denen vorüber die meist sehr elenden Commimicationen ziehen. Wenn man bei Raca die Savegrenze überschreitet. so ist es zuerst das Flachland von Bielina. das der Reisende betritt, imd weiter westlich jenes von Brcka, mit dem gleichnamigen Save-Uferstädtehen, dem eigentlichen Hauptorte derPosavina. Brcka (hat bisher eine unleugbare Rolle als Exportstation bosnischer Rohproducte gespielt und dadurch in allerkürzester Zeit bedeutenden Aufschwung erlangt. Die zum Theile genügend prakticablen Strassen nach dem bergigen Hinterlande, nach den grossen Thälera der Drina, Bosna und Spreca. sowie die, die Niederung selbst durchkreuzenden Communicationen unterstützten offenbar wesentlich die günstige locale Situation. x) Um nun ein Bild von der Save-Niederung zu gewinnen, verlassen wir Bröka in nordwestlicher Richtung, also auf jener Communication, die ziemlich abseits des Flusses gegen Samac an der Bosna-Mündimg zieht. Die Strasse läuft zum Theile auf hohen Dämmen, welche man zur Abwehr der Hochfiuthen errichtet hat, im übrigen aber durch Felder und Fluren. braches Land und sumpfige Strecken mit Erlen- und Weidengebüsch. Auf dieser Route stösst man zunächst auf das stattliche Franziskanerkloster Tolisa. ein imposanter, weithin sichtbarer Kirchenbau, später auf das armselige Uferstädtchen Samac, eine jüngere Colonie der zuletzt aus Serbien ausgewanderten Türken, deren Prosperität indess Vieles zu wünschen lässt. Wer nämlich von den wohlhabenderen Auswanderern Gelegenheit fand, sich anderwärts in ertragreicheren Gebieten des Landes niederzulassen, verliess das unwohnliche Sumpf- l) Brcka führte in ruhigen Zeiten manches Jahr bei 12 Millionen Kilogramm gedörrte Zwetschken über die Save nach Oesterreich-Ungarn und Deutschland, Russland und Nordamerika. Auch der Getreide-Export war immer ein sehr bedeutender. Das Städtchen zählt bei 3000 Seelen gemischter Bevölkerung und war bis zuletzt der Sitz einer k. k. Consular-Agentie. Für den Local-Verkehr besteht eine Plätten-Ueberfuhr über die Save. (Luksie, »Bosnisches Ortslexikon«, 41.) gebiet an der Save. und so blieb zuletzt nur ein verkümmertes Proletariat zurück, das seine Existenz einzig nur der günstigen Lage des Grenzortes zum fremden Nachbarlande zu verdanken hatte. Wesentlich besser ist es mit den übrigen türkischen Uferstädteu bestellt. Das Tiefland nimmt nämlich gegen Westen rasch ab und bald berührt die Uferstrasse die nördlichsten Ausläufer der bosnischen Berge, runde, niedere Hügel mit verkrüppelten Eichen, um bei Brod1) wieder reizloses Flachland zu durchschneiden. So abwechslungsarm wie die Posavina ist indess die weitere Strecke zwischen Bosna und Vrbas nicht. Zwar bis zur Mündung der Ukrina hält die Sumpt'niederung noch an, dann aber treten die bosnischen Berge — das Motaica-Gebirge — hart an den Fluss heran, so dass die neue Strasse stellenweise in den Fels gehauen werden musste. Der ganze Gebirgsdistrict mit seinen schön bewaldeten Kuppen bildet ein geschlossenes Productionsgebiet für Fassdaubeu, welcher Handelsartikel, von fremdländischen Speculanten gesucht, im Laufe der Zeit eine grosse Bedeutung als Expoxtartikel erreicht hat. Die jährliche Ausfuhr von Dauben aus dem Motaica-Gebirge beläuft sich heute schon auf 500.000 bis 600.000 Stück. -) Die Erzeugung dieses wichtigen Artikels bildet den Haupterwerb der Bergbewohner, wie die äusserst ergiebige Feldcultur denjenigen der Bewohner der Save-Niederung. Diese letztere setzt sich westwärts wieder vom linken Vrbas-Ufer bis über Gradiska hinaus fort, ist aber hier weitaus mehr den Ueberschwemmungen ausgesetzt, worauf schon ihr lehmiger, sumpfiger Zustand hinweist, besonders im sogenannten Savski-Lug, dem »Savebruch«. Hier sind alle Ortschaften wie die Cordonshäuser auf Pfählen erbaut, und tritt das Hochwasser über seine Ufer, so findet der gegenseitige Verkehr der Anrainer nur mehr mittelst Kähnen statt. Der Moorgrund ist hier mit schönen Eichen, Weiden und allerlei Gestrüpp. Ranken und Sumpfpflanzen bestanden. Im mannshohen Röhricht wimmelt es von Vogelwild, und dieses Bild wechselt erst, wenn man sich dem verwahrlosten Orte T ü r k i s c h - G r a d i s k a oder ') Der Ort, der 2000 Seelen hat, besitzt zwei Moscheen, eine kleine katholische Capelle, ein Zoll- und ein Telegraphenamt, ist Station der Save-Dampfschifffahrt und hat eine Plätten-Ueberfuhr auf der Save. *) Blau, »Reisen etc.«, 125. Banjaluka. 57 Berbir, welch letzterer Name aber nicht mehr im Gebrauche ist, nähert. Dass unter solchen Umständen, neben der mangelhaften Communication, auch der Anblick des letzteren Uferstädtchens keine besondere Augenweide bildet, lässt sich denken. Die Strassen sind wahre Cloaken, die Hütten jämmerliche Lehmklumpen, ganz im Gegensatze zu dem gegenüber liegenden Städtchen Ungarisch-Gradiska, mit seinen wohlerhaltenen Festungswerken und seinem Uferviertel (Uskoki), wo sich an dem Landungsplatze jederzeit reges Leben entfaltet. Vollends ein Bild des Verfalls bietet das alte Fort (Berbir), das Laudon im Jahre 1789 augelegt hatte, und von dem heute thatsäehlich nur mehr Ruinen vorhanden sind. Aber während die alten Kanonenrohre im Sumpfe versanken, , walteten die türkischen Zaptie-Patrouillen] bis auf den Tag noch ihres Amtes, indem sie die Ruinenwälle mit der den orientalischen Soldaten eigenthümlichen Grandezza abschritten, nie ohne Gefahr, sich hiebei Beine und Genick zu brechen. Der Savegrenze zunächst, nur sechs Meilen von Alt-Gradiska entfernt, ist die Stadt Banjaluka gelegen.1) Sie hat nichts von den natürlichen Reizen Serajevos, der Hauptstadt der »goldenen Bosna«, aber bar aller Merkwürdigkeit ist sie dennoch nicht. Schon die eigen-thümliche Gruppirimg der Stadtviertel imd mehr noch die ungeheuere Ausdehnung der Stadtanlage selbst, längs des seichten aber ziemlich reissenden Vrbas, verleihen ihr ein eigenthümliches Gepräge. Durch die Terrainverhältnisse bedingt, ward nämlich die gesammte Häusermasse der an 20.000 Einwohner zählenden Stadt zwischen Fluss und einer Reihe von Hügeln im Westen eingezwängt. Daher auch die endlose Strasse, welche durch alle diese mehr oder minder verwahrlosten Complexe von menschlichen Behausungen nahezu anderthalb Stunden lang von Norden nach Süden zieht, daher auch die Frequenz gerade auf dieser einen Verkehrsader und deren ziemlich desolater Zustand. Von ') In den Jahren 15:27 und 1688 haben hier Schlachten zwischen den Türken und Oesterreichern stattgefunden, ebenso 1737 (am 4. August), welche die bedeutendste von allen war. Die Oesterreicher commandirte Fürst Hildburgshausen, die Türken der bosnische Vezir Ali Pascha Ecimowic. Sie endete mit einer Niederlage der Oesterreicher, welche t ausend Mann am Platze Hessen, während der Rest sich Nachts auf der Strasse nach Gradiska rettete. (Luksic, »Bosnisches Ortslexikon«, 36.) Norden nach Süden hetraclitet, ftkllt der Blick zuerst auf eine Art von Proletarier-Vorstadt, deren Bewohnerschaft sich leider zumeist aus der Rajah rekrutirt. abgesehen von Juden- imd Zigeunerfamilien, die hier gleichfalls ihre Existenz fristen.1) Zunächst diesem, der Save-Gegend zugekehrten Quartier breitet sich bereits ein weitaus wohnlicherer Theil Banjalukas aus. jener mit den fremden Oonsularämtern und den Wohnhäusern einzelner Mohammedaner, nicht zu vergessen der zweitgrössten, in iinmuthigem Styl aufgeführten Moschee. Den Kern der Stadt bildet das sogenannte Castellviertel. mit einem Gewirre enger Gassen, in denen ein geschäftliches Leben pulst, denn hier befinden sich die meisten Verkaufsbuden der Handeltreibenden und Gewerbsleute. Doch wäre es gefehlt, an dieses Treiben den Massstab morgenländischer Buntheit anzulegen. Zudem sind die Gassen schlecht gepflastert, und knapp hieran stosst im Westen ein räumlich beengtes Viertel der Mohammedaner, hinter welchem Schloss und Mauer-Zinnen der im VerfaUe begriffenen türkischen Stadtfeste- sich erheben.2) Luftiger und freier nimmt sich das eigentliche Türkenquartier aus, dessen Häusserreihen weit nach Süden reichen, anfänglich noch von einer Gasse durchzogen, später aber nur als einfache Häuserzeile eine schlecht erhaltene Landstrasse besäumen, die parallel zum Flusse die ganze ausgedehnte Niederlassung durchzieht. Hier im Süden der Stadt, wo gegen die Flussseite hin nackte, steile Hügel sich erheben, liegen auch die mohammedanischen Friedhöfe mit ihren vernachlässigten Gräbern und *) Vergl. Maurer, »Eine Reise durch Bosnien«, 254 u. ff. *) Von den Türken zu Ende des vorigen Jahrhunderts erbaut und zuletzt mit einem Dutzend alter Geschütze armirt. Mehrere dieser Kanonen stammen aus den österreichischen Kriegen und tragen die Jahreszahl 1608 und 1681; die eine ist dem »Land- und Feldzeugmeist.er, auch General der raberischen Gränizer«, Raimund Graf von und zu Montecucoli, K. M. Geh. Rath und KG. Ratbspriisident,« gewidmet und ist gegossen von Balthasar Gerold in "Wien etc. (0. Blau, »Reisen etc.«, 132.) — Im Bereiche der Castelstadt liegt auch die Feradschia-Dschamia, eine der schönsten Moscheen Bosniens. Ihre Entstehungsgeschichte ist erwähnenswerth. Ferad Pascha schlug im Jahre 1576 in der Schlacht an der Radonja in Croatien die österreichischen Truppen unter General Eberhard Auersperg, der im Kampfe fiel, während sein Sohn Engelbert in Gefangenschaft gerieth. Als Lösegeld bestimmte der Sieger die Kostensumme zur Herstellung einer Moschee^ die er sodann erbauen und nach sich benennen Hess. (Luksie', a. a. O.) I BANJALUKA. (S. Seite 57.) Von Banjaluka nach Jaicze. 59 dem Chaos gestürzter und dem Sturze naher steinerner Grabsäulen. Anheimelnd ist das Gesammtbild nicht; aber man fühlt sieh einiger-massen entschädigt, wenn man eine der Holzbrücken, welche den Vrbas übersetzen, betritt und, das schäumende Gewässer imter sich, die weite interessante Perspective des Flussdefiles gemesst. Am rechten Ufer fallen nämlich Berglehnen nahezu senkrecht in den vorüberrauschenden Vrbas. Auffallend ist auch ein riesiges Schöpfrad, das man zwischen den das Gewässer beschattenden Bäumen erblickt. Es dient dazu, um dem vielbesuchten türkischen Bade das nöthige Wasser zuzuführen.1) Mit diesen spärlichen Daten — die statistischen, die kaum interessiren dürften, abgerechnet — wäre mm das Wissenswerthe über Banjaluka erschöpft. Aber die Stadt ist ja auch nur eine Durchgangsstation "für den, der, von der Save kommend, in das Innere Bosniens eindringt, und im Wechsel von Landschaften und Niederlassungen, der fortan das Auge beschäftigt, liegt der erste und andauernde Reiz, den die »illyrische Schweiz«, wie Bosnien bezeichnend genannt wird, bietet. Zwar der Zustand des Pfades, den man südwärts von Banjaluka betritt, um die Hänge des Kukawitza-Gebirges zu erklimmen, ist nicht sehr vielversprechend -) aber die geübten bosnischen Pferde finden sich auf den Felstrümmern und zwischen den tiefen Löchern der höchst beschwerlichen gepflasterten Saumwege weitaus besser zurecht, als der geübteste abendländische Bergsteiger. Noch viel grössere Bewegungshindernisse würde Derjenige treffen, der etwa das Flussdefile des Vrbas passiren wollte. Wohl führt durch dasselbe ein Steig nach landesüblichen Begriffen, aber die Wildheit der Natur — wenn auch bei sehr bescheidenenDimensionen — und die grosse Unwegsamkeit derWaldpartie *) Interessanter sind die alten, sogenannten Römerbäder, die unweit der grossen Moschee, aber auf dem entgegengesetzten Vrbas-Ufer liegen und in zwei Gruppen zerfallen. Die eine nahe der Brücke, ein ganz zerfallenes Gemäuer, wo eine heisse Quelle sich ins Gestein verliert, unter welchem erst kürzlich ein Fund von circa 600 römischen Kupfermünzen gemacht wurde; die andere 10 Minuten flussaufwärts davon, wo ein wohlerhaltenes und noch jetzt gebrauchtes, mit einer Kuppel gedecktes Bad, dem Style nach etwa aus dem sechsten Jahrhundert n. Chr. über einer massig warmen Quelle und neben drei anderen nicht gefassten Sprudeln steht, ein zweites daneben in Trümmern liegt. (Blau, a. o. 0. 131.) '') Beschreibung bei Roskie wicz 106. waren bisher Anlass, dass bis jetzt, mit Ausnahme einiger Eisenbabn-Traceure noch kein Forscher diese Strecke zurückgelegt hat. Auf unserem zuerst eingeschlagenen Wege erreichen wir alsbald den hohen Rand des Platealts von Dodbrinje mit seinem spärlichen Buschwerk und seiner bergigen Einfassung nach der Richtung des Yrbas-Thales mit den beiden Eckpfeilern, dem Krupa-Berge im Norden und dem Maguitza im Süden. Von dieser Höhe erst gewinnt die Stadt Banjaluka mit dem tief unten strömenden Vrbas und der weit nach Norden sich hinziehen-Save-Ebene an malerischem Detail, das sich unseren Blicken plötzlich entrückt, wenn wir südwestwärts dem Plateaulande zuziehen. Blau, der eingehendste Beschreibung desselben gibt, schildert sie im allgemeinen als »auffallend einförmig, leblos und wenig anregend«.1) Sie dehnt sich eine und eine halbe Stunde im Halbkreise aus und ist von einer trüben Wasserader durchzogen, die selbst denThieren'keinenLabetrunk zu bieten vermag. Die Bewohner, meist griechische Christen mit zu einem Zopfe zusammengeflochtenen Haaren, haben sich neuestens dieser Hochebene wieder zugewendet, da man eine trinkbare Quelle ausfindig gemacht hat. Nicht viel besser sieht es auf der an dieselbe stossenden weitläufigen Flur von Badkowa aus, aber hier bieten doch alte Merkmale der Cultur, römische Ueberreste, Brunnen, ein Strassenfragment und riesige Grabsteinplatten einigen Ersatz für den Mangel an landschaftlicher Abwechslung. Auch ist es nicht ohne Interesse zu erfahren, dass auf der daranstossenden lieblichen Oase von Sitnica — mit ihren üppigen Wiesengründen und dem dunklen Fichtenhaine ringsum — bisher der Sitz eines noch immer mächtigen Begs war, des Muharrem Aga-Filippo-wic, des Stammhalters der bosnisch - mohammedanischen Linie jenes gleichnamigen Adelsgeschlechtes aus der einheimischen Königszeit. Drei Brüder Philippowic, heisst es, lebten zur Zeit der türkischen Eroberung in diesem Theile Bosniens, von denen der eine in türkische Gefangenschaft gerieth, der zweite nach Dalmatien flüchtete, der dritte aber, wie die meisten alt-bosnischen Adelsgeschlechter zum Islam übertrat, imd dafür den Besitz von Sitnica undRadkowa zum Lehnssitze erhielt. So berichtet "unser obcitirter Gewährsmann und weist auch darauf hin, »jBlau, 108. Der Pliva-See. — Jaicze. 61 dass die Verwandtschaft dieser Familie mit den ehemaligen Banen von Bosnien, insbesondere mit dem Hause^ Kulinowic durch anderweitige Besitzungen in der Gegend von Kulen-Vakuf (imweit von Bihac) bestätigt werde '). Verbleibt das Land zwischen Banjaluka und Sitnica der Hauptsache nach öde imd reizlos, so wird es wesentlich anders, wenn man den weiteren Weg nach Jaicze. der alten bosnischen Königsstadt am mittleren Vrbas verfolgt. Schon der Bergpfad, der ims nach Varcar-Vakuf bringt, läuft durch ein waldiges Defile, und dort, wo sich das Thal der wichtigen Getreide-Messstadt nach Südost öffnet, stossen wir vollends auf erquickende Obstgärten und auf die prächtige Moschee des Ortes mit dem alten Brunnen Khosrew-Beg's, des ersten Veziers Bosniens nach der Eroberung. Dieser Boden ist überhaupt mit Blut getränkt. Wemi die historischen Ueberreste auch gänzlich belanglos sind, so vermögen wir dennoch jenen langwierigen Zwischenfällen, den Kämpfen der Osmanen um das feste Jaicze, wie sie noch lange nach dem Aufhören des Königthums stattfanden, im Geiste zu folgen. Da ist auch die alte Burg Sokolac2), und drüben, wo sich plötzlich der tiefblaue Spiegel des Pliva-Sees den Blicken zeigt, liegt auf steiler Vorkuppe der südlichen Ufereinfassungen die Stammburg der Kulinowic, Zaskopolje. . . . Mit dem Betreten dieses Gebietes fühlt man die Nähe Inner-Bosniens mit ihren romantischen Waldwildnissen und ihren rauschenden Gebirgs-strömen. Zwar ist hier Alles noch unentwickelt, jedes Bild ein Cabinet-stück, so die Wasserstürze der oberen Pliva, das alte »Seeschloss« mit seinem verwittertem Gemäuer, dann der Ort selbst, nicht zu vergessen den schuf- und hügelumkränzten See. Dieser letztere besteht eigentlich aus zwei Becken, einem grösseren aufwärts und einem kleineren abwärts des Plivalaufes, wobei ein kleiner Niveau-Unterschied es bedingt, dass die Wässer des einen in den anderen cataractenartig abstürzen . . . Mit ') A. a. 0. 111. — Uebrigens gibt Thoemmel ('»Beschreibung- des Vilajets Bosnien«) eine ganz stattliche Reihe von Namen attadeliger Familien aus Bosnien, deren Wappenbriefe im Kloster zu Kresevo aufbewahrt werden. "Wir nennen Rajkowic", (DsentiS, Firdusowicj, Babic, Bosnic", Bakarowic", Filippowic, Ljubowic", LjubunSiS, KopSiS, Kresonwic, Kulinowic, Skorbowic Widai'Sj Sokolowic", Twertkowic", SlatarowiS, Sdralowic, Tsengio u. s. w. *) Nicht Sokol, wie auf allen Karten zu lesen ist. diesem anmuthigen Bilde zur Seite, setzt sich der Weg ostwärts fort. Sein Endziel ist Jaicze, die eigentümliche Terrassenstadt an der Mündung der Pliva, die hier gleichfalls jählings in den tief in sein Felsenbett eingeschnittenen Vrbas abstürzt . . . Neunzig Fuss hoch ist dieser Cataract. im tiefen Gesteinskessel des Flusses brodelt es unaufhörlich und der Dunstschauer, der von den Sturzwogen abgeht, bethaut auch noch die Gärten jenseits des Flusses, aus denen die katholische Kirche emporragt. Nicht minder anziehend als wie dies landschaftliche Bild ist ein anderes, archäologisches. Im Nordwesten der Stadt erhebt sich nämlich — wie angenommen wird, an der Stelle eines römischen Tempels ') — die alte Burg der bosnischen Könige, als Jaicze ihre Residenz war. Zuletzt war sie ein türkisches CasteU mit einer unbenutzten Moschee im mauerumgürteten Hofraume, die man zu einem Trophäensaale höchst einfacher Art umgewandelt hatte. Alle Waffen nämlich, die seinerzeit Omer Pascha den rebellischen Begs und ihrem mohammedanischen Anhange abgenommen hatte, wurden dort ordnungslos angehäuft. Sie bilden ein eigenthümliches Seitenstück zu jener viel bedeutsameren Trophäe, die in gemeisselten Wappenschildern der Burgvogte besteht, wie sie noch immer zu sehen sind. Die alte Königsgruft im in Fels gehauenen Souterrain der Burg ist selbstverständlich leer und die einzige Fels-Capelle zu unterst, ein feuchter, finsterer Raum, hat durch viele Jahrhunderte den türkischen Herren zu jener Art von schauerlichen Gefängnissen gedient, in denen zahllose Opfer asiatischer Barbarei ihr Leben lassen mussten. Dafür haben die Eroberer die alte Johannes- und Lukaskirche in Moscheen umgebaut und sie derart dem Verfalle preisgegeben, dass ihre Thürme bereits vor einem Jahrzehnt nicht mehr ohne Lebensgefahr zu ersteigen waren. Auf alle Fälle aber bleibt Jaicze neben seinen historischen Erinnerungen auch in landschaftlicher Beziehimg einer der interessantesten Punkte Bosniens 2) . . . ') Blau, a. a. 0. 115 2) In der bosnischen Geschichte spielt Jaicze eine bedeutende Rolle, und es schlingen sich die historischen Erinnerungen reich um diesen Namen. Unter der Regierung des Herzogs Hrwoja, Grosswojwoden von Bosnien und Herzogs von Spalato, am Beginne des XV. Jahrhunderts durch italienische Baumeister erbaut und mit Ringmauer versehen, wurde der Ort von dem letzten bosnischen König Tomasevie noch stärker befestigt und warz ur Zeit Travnik. 63 Diese landschaftlichen Heize kommen in noch viel höherem Grade zur Geltung, wenn man die Eoute weiters nach Travnik und Serajevo fortsetzt. Schon das erste Wegstück über die Brücke der Pliva, die gleichsam zu Füssen des Reisenden in mächtiger Cascade zum Vrbas abstürzt, sowie der Uebergang über diesen Fluss nach Passirung eines enteil Felsendefiles muss die besten Aussichten erwecken. Dann öffuet sich ostwärts ein schmales Thal (Kresluk) mit immer steiler emporsteigendem Waldwege bis auf nahezu 2000 Fuss hohe Matten, welche mit hübschen Baumgruppen abwechseln. Auf dieser Höhe steht ein türkisches Wachthaus. »Karaula«, nach welcher Bezeichnimg die Wasserscheide zwischen Koslar und Lasva den Namen erhalten hat. Während nun der Blick vom westlichen Bande der Sattelhöhe noch einmal das finstere Waldthal mit seinen Buchen- und Fichtenhängen durchfliegt, eröffnet sich ihm jenseits der Matte nach nur einstündigem Bitte eines der prachtvollsten Panoramen Bosniens, die Thalebene von Travnik. mit ihren zum Theile äusserst imposanten Gebirgseinfassungen und den lieblichen Fluren in der Tiefe. Namentlich der kühn geformte Vlasic im Norden ist es, dem ein besonderer romantischer Reiz eigen ist. Die südliche Thaleinfassung ist, gleichsam um die landschaftlichen Gegensätze auf einem Punkte zu vereinen, von geradezu anmuthigen Formen, namentlich im Bereiche von Varosluk, wo ein alter Thurm und ein alter Friedhof von mehr als 100 Grabsteinen tief im Waldesgrün vergraben liegen. ') Travniks Anblick selbst, namentlich aus der Ferne, wird von allen Reisenden mit Worten ungeteilter Bewunderung geschildert. Das Laswathai verengt sich hier bis auf 2000 Schritte, und ein Theil der Stadt klettert mit seinen schlanken Minarets, seinen Kuppeln und Baum- der bosnischen Dynastie nicht nur der bedeutendste i'este Platz, sondern zuletzt auch königliche Residenzstadt. Im Jahre 1463 ergab sich die Stadt auf Treu und Glauben dem Sultan Mohammed II., wurde jedoch noch in demselben Jahre von Mathias Corvinus nach dreimonatlicher Belagerung zurückerobert. Später von den Osmanen öfters belagert, fie*! sie gleichwohl erst 1527 definitiv in deren Hände, wodurch auch eines der bedeutsamsten Bollwerke der ungarisch-croatischen Herrschaft jenseits der Save für immer verloren ging. (Vgl. Luksic, »Bosnisches Ortslexikon«, 57, 58.) ») Blau, a. a. O 119. inseln die steile Lehne einer Seitenschlucht hinan. Denkt man sich hiezu die steilen Felshöhen des Vlasic, die eine alte düstere Burg und zahllose weit schimmernde Landhäuschen und Kjöschke (Kioske) tragen, und die imposanten Kasernenbauten im Thale "), das an sich ein Garten ist, so dürften diese wenigen Striche genügen, um die eigenthümliche Position von Travnik dem Leser bildlich zu vermitteln. Freilich verliert das Bild an Schönheit sehr, sobald man die engen, krummen und schlecht gepflasterten Gassen der Stadt betritt, doch wird man durch den Anblick ihrer Arkaden, Moscheen, Bazare und Heiligengräber, und vieler anderer schöner Bauwerke wieder allenthalben entschädigt.2) Travnik war bis zum* Jahre 1850 Residenz des bosnischen Gouverneurs; als dann Omer Pascha den Starrsinn der revolutionären Begs gebrochen hatte, verlegte er auch den Regierungssitz in die, bis zu diesem Zeitpunkte mit besonderen Privilegien ausgestattete Capitale der Begs, Serajevo3), um vollends seinen Sieg über die Feudal-Aristokratie an den Tag zu legen. Dass Travnik seit diesem Wechsel bedeutend an politischer Wichtigkeit verloren hat, bezeugt schon der Umstand, dass sich die Bewohnerzahl im Laufe der letzten zwei Decennien um ein Bedeutendes verminderte. Als Strassenknotenpunkt ist indess die Stadt gleichwohl noch immer so wichtig wie die Landeshauptstadt, denn abgesehen davon, dass sie auf der ältesten Verkehrslinie zwischen Nieder- und Ober-Bosnien gelegen ist, geht von hier auch die dalmatinisch-bosnische Poststrasse (Kupres, Livno, Sign) ab und mündet miweit hievon (bei Vites) die neuerdings in fahrbaren Zustand versetzte Fahrstrasse durch's Bosnathal vom Savestädtchen Brod her. Es ist dies die Strasse, welche 1697 Prinz Eugen auf seiner kühnen Expedition' nach Serajevo, an der sich nur 4000 Reiter und 2500 Fussmannschaften betheiligten, als Vorrückungslinie auserlesen ') Die meisten Kasernen liegen in der noch vom Könige Twartko II. erbauten alten und engen Citadelle, welche sich zwar noch immer in einem ziemlichen Verteidigungszustand befindet, indess eine höhere fortificatorische Bedeutung nicht hat, da sie von G-ucan und vom Bukowica-Berge dominirt wird. Das sogenannte »neue Schloss« (Novi dvor). am Bunarbaschi ist ein Werk des einstigen Veziers Tahir Pascha. (Luksic, a. a. 0., 98.) 2) Fr. Maurer, »Eine Reise durch Bosnien^, 321. 3) Roskiewic z. a. a. 0., 177. Das Bosna-Thal. hatte, und da sie gleichzeitig die kürzeste Wegrichtung zwischen Save und der Landeshauptstadt war, musste das überraschend schnelle Erscheinen des kaiserlichen Eeldherrn auf die feindlichen Posten und Truppen-Abtheilungen um so wirksamer sein. Gleichwohl hatte es stellenweise harte Kämpfe abgesetzt. Um diese selbst sowie den heutigen Strassenzug zu beleuchten, verlassen wir bei Brod die Savegrenze imd wenden uns südwärts nach dem Ukrina-Thale, in dessen unterstem Theil sich das Städtchen Dervent befindet. Die Strasse geht durch die wohlbestellte Save-Niederung, von Dervent ab aber über die niederen, mit Buschwald bestandenen Vorhöhen jener Gebirge, die sich zwische Bosna und Vrbas ausdehnen und südwärts mehr und mehr an Elevation und romantischer Wildheit gewinnen. Erst bei dem Dorfe Kotorsko erreicht die Strasse das eigentliche Bosnathal. Die breite Mulde mit den Schlangenwindungen des Plusses hat hier noch immer den Charakter des Tieflandes : weite Culturgürtel, Maisfelder und Weidenbäume, welche das äusserst flache Flussufer säumen. Von Kotorsko ab ist die erste Station das Städtchen Doboi mit seiner verfallenen alten Burg, angeblich der Schauplatz heftiger Kämpfe der bosnischen Edlen zu Ende des 14. und zu Anfang des 15. Jahrhunderts gegen die Truppen des Kaisers Sigismund, unter dessen Herrschaft im Nachbarlande Bosnien bekanntlich die heftigsten Parteiwirren und ununterbrochenen Thronstreitigkeiten zwischen den verschiedenen Königen imd Gegenkönigen der »stolzen, goldenen Bosna« sich abspielten. Ein türkischer Wächter öffnet gegen entsprechenden Bakschisch mit altem rostigen Schlüssel die alten rostigen Thore der noch immer gut erhaltenen Burg, deren Schlosshof von undurchdringlichem Dickicht. Weinranken und Schlinggewächsen überwuchert ist. ') Doboi war einer der Lagerplätze Prinz Eugen's. Von hier zieht die Fahrstrasse längs des Flusses zur Usora, welcher Nebenfluss der Bosna durchfahren werden muss, da die einst vom Hochwasser hinweggerissene Brücke nicht wieder hergestellt wurde. Die Passage bleibt demnach hier stets problematisch, zumal bei schlechtem Wetter. In den Jahren, bevor die Bosna-Strasse fahrbar gemacht wurde (18G4), zog derfrequen- ') 0. Blau, »Reisen etc.«, 140. Schweiger-Lore konf el d , Bosnien. tirteste Weg aus Anlass dieses Uebelstandes nicht durch das untere Bosna-Thal, sondern er nahm seine Bichtung aus dem mittleren Becken hei Zepse über die westlich gelegenen waldigen Höhen des Cmi-Vrh nach Tesanj und von dort — gleichfalls die Usora berührend, nach Foca. Die heutige Fahrstrasse geht vom jenseitigen Usora-Ufer im breiten ebenen Bosna-Thale fort, erreicht das hübsch gelegene, mit einer schönen Moschee Versehene Städtchen Maglai im ersten Weg-Drittel bis Serajevo und verlässt hier den Fluss, um einige Stunden über die nächstliegenden Uferhöhen zu führen und in Zepse anzulangen. ') Hier wurde seinerzeit Prinz Eugen zuerst mit den Türken handgemein. In romantischer Schlucht gelegen, ist diese Position, wie alle übrigen weiter südwärts, äusserst vertheidigungsfähig, aber der Elan der kaiserlichen Truppen vereitelte damals jede Defensiv-Massregel, selbst bei dem noch viel vortheilhafter gelegenen Vranduk, vier Stunden im Süden von 2epse. Noch sieht man in Vranduk auf steilem Hügel die gut erhaltene Burg, der einst die Bedeutung eines »Thores-, wie der alte slavische Name Vratnik darthut, beigemessen wurde.2) Prinz Eugen Hess hier seine Reiter absitzen und die Position stürmen, so dass von den Türken »ein gut Theil mit grossem Geschrei den steilen Berg mehr hinuntergefallen, als marschiret« war. Die Strasse windet sich durch ein äusserst enges Defile und erreicht jenseits desselben das schöne, weitläufige Thalbecken von Zenica, welchem Orte der Weg femebleibt — auf ausdrücklichen Wunsch der dortigen Bewohner, die im Lande ebenso sehr ihres Gewerbfleisses, wie ihrer üngastlichkeit halber bekannt sind.3) Auch Zenica war ein Lagerplatz des Eugen'schen Expeditions- ') Zepse ist heute ein Hauptstapelplatz für den nordbosnischen Holzhandel. Von hier aus werden grosse Quantitäten verschiedenen technischen Holzes nach Slavonien, Serbien und dem Banat verflösst. Auch wird im Bereiche dieses Ortes vorzügliche Feld- und Gartenwirthschaft betrieben, indem das milde Klima alle Culturen fordert. Ueber die Bosna besteht hier eine Plättenüberfuhr. (Vergl. L u k s i 5 , »Bosnisches Ortslexikon«, 108. ') Blau, a. a. 0. 137. Um die Burg sind einige Hans und Häuser gruppirt und wird von manchem Reisenden (Vgl. L u k s i 5 , 103) das etwas stromaufwärts gelegene Einkehrhaus als Rast- und Ruhepunkt empfohlen. *) Blau und LuksiS a. a. 0. Maglaj au der Bosna. (S. Seite 66.) Corps; weiter südwärts verlässt aber die Pahrstrasse das Thal, um durch den Vjetrenitza-Pass in das Thalbecken der unteren Laswa hinabzusteigen, das sie unweit des durch blutige Kämpfe zwischen den bosnischen Insurgenten imd den türkischen Truppen im Jahre 1840 bekannten Städtchens Vites erreicht. ') Im Vjerenitza-Pass hat diese Fahrstrasse ihre grösste Höhe imd indem sie durch massigen Buschwald fuhrt, gestattet sie einen umfassenden Blick über ein wahres Chaos von Bergzügen und Höhen, deren Gruppirung namentlich im Süden an Grossartigkeit immer mehr und mehr gewinnt, und zwar in der Richtung vonFoinica, wo sich Bosniens höchster Bergrücken, derZec (6500 Fuss) aus dunklen Waldthälern in majestätischer Grösse emporhebt.2) Von Vites ab über Busovac und Bielalowac zieht die Strasse durch enge, romantische Waldthäler, um schliesslich bei Kiseljak die Lepenica, einen Nebenfluss der Bosna, zu erreichen. Das Thal ist hier mit Buschwald bestanden und nicht besonders bestellt. Das nächste Strassenstück übersetzt den Sattel von Kobila-Glava und steigt sodann in Serpentinen in die Ebene von Serajevo — Serajevsko Polje — :i) hinab, deren culturreiche Triften mit dem Einlenken in das Miljacka-Thal zurückgelegt sind. Serajevo selbst liegt in diesem Thale wie in einem Garten begraben, zu beiden Seiten des neunmal überbrückten ') Auch in den Kämpfen der Pforte gegen Hussein-Aga von Berbir spielte dies Defile eine besondere Rolle. (Vergl. den »historischen Ueberblick« 23 u. ff.) *) Dieser Culminationspunkt Mittel-Bosniens ist bisher von nur zwei Europäern bestiegen worden, im Jahre 1871 von dem deutsehen Naturforscher 0. v. Möllendorf und im Jahre 1868 von dem früheren deutschen General-consul zu Serajewo, 0. Blau. (Des Letzteren Bericht siehe in dessen »Reisen etc.«, 167 u. ff.) 3) Den Westrand dieser Ebene bildet das gegen 3800 Fuss hohe Igman-Gebirge, den Nord- und Nordwestrand zwei Höhenzüge, deren beide Kuppen die bereits genannte Bezeichnung »Kobila-Glava« führen. Zwischen diesen Kuppen hindurch windet sich die am Fusse des Igman entspringende Bosna, nachdem sie in der Ebene selbst die MiljaSka und ^eljesnica von rechts, Zuje-wina von links aufgenommen hat. Die Hochebene ist in der Richtung von Ost nach West durch einen Gebirgsrücken (TrebewiS) in einer nördlichen und südlichen Hälfte getheilt; ihre durchschnittliche Höhe beträgt 1700 Fuss. Die Quellen der Bosna brechen mit einer auffallend grossen Wassermenge hervor, so dass der Fluss sofort ziemlich mächtig in die Ebene tritt. A Gebirgsbaches und von einem Kranze stattlicher, zum Theile bewaldeter, anderntheils nackter Höhen umgeben. Nicht hier, aber nur zwei Stunden im Westen, dort, wo der Strassenzug den Sattel der Kobila-Glava übersetzt, und zwar bei dem Orte Blazui, mündet der zweitwichtigste Weg der dalmatinischen Hinterländer, die Fahrstrasse, die von der Narenta-Mündung über Mostar, die höchsten bosnischen Gebirgszüge kreuzend, ins obere Bosna-Becken herabführt. Wir werden weiter unten auf sie zurückkommen. Es ist bezeichnend, dass zu dem heutigen Bosna- Serai (oder Serajevo) zwei bosnische Renegaten, die Begs Sokolowic imd Zlatarowic den Grundstein legten. In der That blieb Serajevo bis auf den Tag der Hauptsitz des bosnischen Feudal-Adels, imd noch immer zählt diese Stadt unter ihren 50.000 Einwohnern circa 35.000 Mohammedaner. Gleichwohl ist die heutige Hauptstadt Bosniens kaum mehr der Schatten ihrer älteren Vorgängerin, denn die zahllosen Feuersbrünste, worunter auch eine, welche die plündernden Truppen des Prinzen Eugen verschuldet, haben die älteren, ohnedies nicht sehr soliden Bauten mehrfach vernichtet, und wie jede türkische Stadt erstand auch Serajevo im Laufe von vier Jahrhunderten ein halbes Dutzendmal neu verjüngt aus Trümmern, Schutt und Asche. Die Gründung der heutigen Stadt fällt in das Jahr 1465. Wohl hatte es schon dritthalb Jahrhunderte hindurch eine Stadt »Bosna« gegeben, aber diese, an der Bosnaquelle, etwa eine Meile von dem heutigen Bosna-Serai entfernt gelegen, wurde bald von den in Bosnien eingebrochenen Osmanen vernichtet. Zu der Stadt der Sokolowic und Zlatarowic kam kurz nachher auch ein starkes Castell (Serai) hinzu, das Bosniens erster Vezier, Khosrew Pascha, errichten liess, und zwar auf derselben Stelle im Osten der Stadt, wo sich bis auf den Tag eine Art Festung erhalten hat. Im Herzen Bosniens und an der Diagonallinie Save-Aegäisches Meer gelegen, bezeichnet die Position Serajevos ein vorzügliches Machtcentnrm. Dass es hauptsächlich der Adel war, der diese günstige Bedingimg vollwichtig auszunützen wusste, geht schon aus der privilegirten Stellung hervor, welche die Stadt, beziehungsweise die Begs imd ihr vornehmer und wohlhabender Anhang bis in die letzten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts hinein genossen, bis zu jenem Zeitpunkte, 3516 wo die eiserne Faust Omer Pascha's dem präpotenten Auftreten der einheimischen Feudal-Aristokratie gegenüber den Reformversuchen der Stambuler Regierung für immer ein Ende bereitete.') Der Stolz der Mohammedaner ist aber Serajevo auch heute noch, obwohl es damit sein Bewenden haben dürfte, dass jene sie nach Stambul die schönste Stadt der Türkei nennen.2) Von einer der Höhen, welche sie auf allen Seiten umgeben, ist ihr erster Anblick äusserst überraschend. Zu beiden Seiten der Miljacka, einem kleinen Nebenflusse der Bosna gelegen, dehnt sich die Hauptmasse der Stadt am rechten Ufer mit ziemlich regelmässigen, wenn auch engen und mangelhaft gepflasterten Gassen, so ziemlich auf ebenem Plane aus. Weiter gegen Norden, sowie am linken Ufer steigen aber die Vorstädte mälig an, die Bergstrassen werden schlecht uud unprakticabel. in deren Pflasterlöchern sich zum mindesten die ungeübten Provinz-Klepper die Beine brechen könnten, und nehmen einzelne Wohnstatten imd dorfähnliche Vorstädte die Stelle compacter Quartiere und Viertel ein. Ueberau aber ist das Städtebild durch zahlreiche Gärten und durch die allerorts emporragenden schlanken Minarets belebt, nicht zu vergessen des Castells im Osten der Stadt und der sieben Brücken, zum Theile aus Stein, anderntheils aus Holz, imd der zwei grossen Moscheen, von denen die »Kaisermoschee« (Öerewna Dschamia) am linken Fluss-Ufer unweit desselben, die Begowa Dschamia aber jenseits, inmitten der dortigen Quartiere, liegt. Die^e beiden Moscheen sind der Stolz der mohammedanischen Bosnier, obwohl ihr Aeusseres keinen Vergleich mit ähnliehen monumentalen Bauwerken in den grossen Emporien des Türkenreiches in Europa aushält. Von aussen nüchtern, ist ihr Inneres nicht viel besser, trotz der heiteren Kuppelbauten und des brunneugeschmückten Vorraumes, wo die üblichen Waschungen zu den verschiedenen Tages-Gebetzeiten stattfinden.3) ') Siehe den I. Abschnitt, 25. *) Roskiewicz, »Studien über Bosnien ete«., 178. 3) Vollends lein Bauwerk »barbarischer Geschmacklosigkeit« (Maurer, 314) ist die 'serbische Kathedrale, das auffälligste Gebäude der ganzen Stadt. Es ist eine Kirche mit hohen schmalen Rundbogenfenstern, die fast in das Dach hinein ragen, und auf der Mitte des letzteren quer nebeneinander dreiThürmchen mit flachen Kuppeln und ähnlichen Bogenfenstern im Kleinen; hiezukommt noch ein viereckiger Thurm am Eingangsgiebel, der niederer ist als die drei 70 III. Landschaften und Städte Im Innern gibt es wohl bemalte Säulen, oder kalligraphisch ausgeführte Wand-Inschriften, die uns verkünden, dass es »keinen Gott ausser Allah« gebe, Er, der der »allerbarmherzigste Erbarmer« ist und dessen »Wille alle Creatur zur Verehrung« zwingt. Vom Kuppelgewölbe schwebt ein Lampengerüste von Eisengeflecht herab und in dasselbe werden zahllose farbige Glaslämpchen eingefügt, wenn sich zur Zeit des heiligen Monates Ramasan die Gläubigen zum Abendgebete versammeln. Auch von den Minaretbalconen und an den Kranzgesimsen der Kuppeln flimmern die Buntlichter in die nächtliche Dämmerung hinein, Alles von doppelt wimderbarer Wirkung, vergegenwärtigt man sich das nichts weniger als orientalische Bild in seiner Gesammtheit, die rauhen Höhen imd die Waldgebirge der Feme. An grossen Gebäuden besitzt Serajevo nur wenige. Der Amtssitz des Gouverneurs (Konak), eine zweistöckige Caserne, dann einzelne Hans (Einkehrhäuser), sowie mehrere comfortablere Häuser der vornehmen Mohammedaner und Christen nebst denWohnimgen der in Serajevo ziemlich zahlreich vertretenen europäischen Consuln erschöpfen in dieser Richtung unsere Erwartungen '). Charakteristisch ist der Stadt wie jeder orientalischen, derBazar mit seinen gedeckten imd versteckten Buden und das weitläufige Marktquartier (Tscharschy), der wahre und eigentliche Tummelplatz jener typischen Elemente, die im Osten in bunter Menge die engen krummen Marktgassen bevölkern. 2) Auch mit Kuppelthürmchen. Hinsichtlich des Thurmes -wäre zu bemerken, das diesfalls weniger den Baumeister die Schuld trifft, als vielmehr die bisherigen türkischen Gouverneurs, die, trotz allen Reform-Hats, an der alten Ueberlieferung festhielten, dass ein christlicher Kirchthurm nicht höher als 15 Fuss und die Kirche selbst nie das höchste Gebäude eines Ortes sein dürfe. ') LuksiS (ä. a. 0.,87u. ff) erwähnt nachfolgende öffentliche Anstalten: Ein halbes hundert mohammedanische Elementarschulen (Djuduk-Mektebi), mehrere theologische Schulen (Medresses) und eine Hochschule (Mekte-birüschdi); ferners ein Armenhaus und ein Armenspital, zwei empfehlens-werthe öffentliche Badehäuser, zwei Apotheken, eine kleine'Buchdruckerei, mehrere von Serben, Griechen und Deutschen geleitete Gasthöfe untergeordnetster Kategorie und zahllose Kaffeehäuser nach orientalischer Art. 4) V. Gyurkowics, ein feiner Beobachter der Zustände auf der Balkanhalbinsel, schildert in folgender anschaulicher Weise das Treiben im Marktquartiere: Die Tscharschia ist ein Conglomerat von zahllosen Verkaufsbuden, welche ein halbes Hundert Gassen und Gässchen füllen. Dort sitzen den Hans, den Einkehrhäusern, ist's in Serajevo besser bestellt, als sonst im Reiche, und man findet in den besseren sogar Divans, ganz im Gegensatze zu den grossen Etablissements in Anatolien imd Syrien, wo man mit dem nackten Estrichboden, unbeschreiblichem Schmutz und zahUosem Ungeziefer vorlieb nehmen muss. Hagegen sind die Friedhöfe Serajevos, imd zwar die mohammedanischen, nicht mit jenen düsteremsten aber dennoch hübschen Cypressenhainen geschmückt, die in den grossen Städten der Levante den Friedhöfen die Eigenschaft verleihen, zu Er-holungsplätzen zu dienen. Hier sammelt sich immer, zumal am Freitage, dem türkischen Sonntage, eine buntschillernde Frauenmenge unter den schattenspendenden Kronen, imd in Nachbarschaft der heimgegangenen Lieben ergibt man sich dem Scherze imd der Lebensfreude, denn der Tod hat nichts Abschreckendes für den Orientalen. Zudem wimmelt es in solchen Todtenhainen von Singvögeln aller Art, denn die Fürsorge des Türken gegenüber den meisten Thieren fehlt auch hier nicht, und die munteren Sänger finden Futter und Wasser in den Vertiefungen, welche eigens zu diesem Zwecke in die Gräberplatten eingemeisselt werden . . . Anders in Serajevo; dort sind die Friedhöfe bäum- und schmucklos und Kaufleute und Handwerker, Mohammedaner, Christen, spanische und eingewanderte Juden, ruhignebeneinander undpreisenihreeinheimischen wie fremden Waaren an. Hier der sehnige Schmied an der lodernden Feuerstelle, den sausenden Hammer hantirend, dass die Funken sprühen und Einem die Ohren gellen; dort den magern Saraf (Geldwechsler), der schmunzelnd und geschäftig seine Rollen mit Piastern, kaiserlichen Dukaten und Maria-Theresien-Thaleni ordnet, dann wieder gedankenlos mit dem Rosenkranze spielt oder neidisch nach dem nächsten Saraf, seinem Concurrenten, auslugt. Hier wieder der grosse Kaufmann, für den soeben von ermüdeten Lastthieren schwere Waarenballen abgeladen und unter dem Schweisse der halbnackten Hamals, Lastträger, in die Magazine eingelagert werden; dort wieder im ärmlichen Laden ein gemächlicher Türke, der rothe Thonpfeifen, Tschibukrohre und Nargileh feilbieten möchte, aber keinen Käufer findet, weil sein Nachbar, ein junger Grieche, nicht nur dieselben Waaren, sondern auch Fes, Fransen, Trödeln und Schleier mit listigen Anpreisungen besser auszubieten versteht. Jetzt trabt ein verstaubter Gendarm über das gefährliche Pflaster, dann werden unbeladene Karawanen durch den Bazar getrieben. Eine versohleierte Mohammedanerin in klappernden Holzschuhen und braunem Ueberwurf bleibt vor einem Laden mit bundbedruckten Tüchern stehen; man zeigt ihr Allerlei, aber seufzend legt sie Alles beiseite, denn Alles ist ihr zu theuer, und der vorsichtige Kaufmann gibt ihr nichts auf Borg. (»Presse«'Nr. 1%, 1878.) keineswegs Vergnügungsorte der moslimischen Frauen, oder der faulenzenden »Herren im Lande«. Für Letztere bilden die zahlreichen Kaffeebuden einigen Ersatz, oft an den schönsten Aussichtspunkten gelegen, wo der Mohamedaner gewolmheitsgemäss weniger in Natur-bewunderung, als vielmehr in gedankenlose Trägheit versinkt. Im Uebrigen aber darf man die moslimischen Bosniaken nicht mit den Glaubensbrüdern im übrigen Reiche scharfen Vergleichen unterziehen, denn es ist ein Anderes, wenn ein bosnischer Slave der Religion des Propheten angehört, oder ein Original-Osmane von Stambul, Kutaija, Konja imd Smyrna, oder gar ein arabischer oder kurdischer Nomade. Orientalisch aber, und zwar specieU türkisch sind indess auch die Strassenbilder in Serajevo. Ueberau hat man Gelegenheit auf Einrichtungen zu stossen, wie sie kaum wesentlich anders dort bestehen, wo der Türke das herrschende Element ist, sei es dies- oder jenseits des Bosporus. Orientalisch sind auch die verwilderten Hunde, zumeist verstümmelt durch Misshandlung oder blutigen Kampf untereinander, welche alle Gassen in Rudeln, gleich Schakalen 'bevölkern und Nachts durch ihr infernalisches Geheul den Europäer aus dem Schlafe emporschrecken; orientalisch ist ferner die Kirchhofsruhe, welche in Serajevo nach Sonnenuntergang eintritt, wenn alle "Welt sich in die Wohnräume verkriecht, bis auf die »Begdschis« oder Wächter, die mit ihren eisenbeschlagenen Stöcken oder Keulen die Runde machen, und hiebei auf das Strassenpflaster wettern, den Spitzbuben ein willkommenes Signal, um das Weite zu suchen. Zu befürchten ist indess von letzterer Seite nichts , denn bei der notorischen Ehrlichkeit des Mohammedaners kommen Diebstähle äusserst selten vor '). Wenn wir Serajevo auf der Stambuler Heerstrasse verlassen, so gemessen wir den letzten Ausblick über die anmuthig gelegene Capitale Bosniens und ihre land ?haftlich schöne Umgebung von der Höhe des Castellviertels. Ein scharfer Ritt durch dasselbe und weiters durch den Thorbogen der »Stambuler Pforte« (Stambul-Kapussy), des östlichen Festimgsthores, bringt uns alsbald in die enge Gebirgsschlucht des Mostjianica-Baches, wo's über eine Steinbrücke die steile Lehne hinan- x) Roskiewicz, a. a. 0. Das Romanja-Plateau. — Rogatiea. 73 geht, die ost- lind südostwärts in den ziemlich weitläufigen Kessel der Miljacka abtaucht. Man bekömmt hier bereits einen Vorgeschmack von den eigentümlichen karstartigen Terrainabschnitten, die schon auf dem grossen Plateau der Romauja beginnen und an Unwegsamkeit sowie an Ausdehnung mehr zunehmen, je tiefer man nach Südosten vordringt. Sie werden vollends zu einem landschaftlichen Typus, wenn man die Marken des eigentlichen Bosnien überschreitet und durch das wildromantische Limthal, beziehungsweise über dessen nordöstliche Thaleinfassungen den grösseren Städten Basciens, Sienica und Novibazar sich nähert. Bis dahin ist die Zurücklegung des anfangs noch immer fahrbaren Weges noch mit mancherlei Strapazen verbunden. Zwar von Mokro ab, einer Gruppe von Hans und Bauernhäusern, zu der es auf hochziehenden Serpentinen geht, führt die neue Chaussee durch prächtigen Hochwald, dann aber wird die Vegetation spärlicher und bei dem Hau Podroman-jon betreten wir das drei Stunden lange Plateau von Glasiuac, und damit das eigentliche steinige, sterile Gebiet der Romanja-Gebirgsgruppe. Nicht besser ist es mit der weiteren, fünf Stunden langen Wegstrecke bis zu dem kleinen Städtchen Rogatiea (oder Tschelebi-Bazar) bestellt, wo sich der Weg vollends durch zahllose Karstkessel hindurchwindet. Umso überraschender ist der Anblick des freundlichen Ortes inmitten reicher Fluren und üppiger Wiesen mit seinen zwei stattlichen Moscheen, der Hunkjar-Dschamia und Sultan Bajazid-Dschamia; äussere Annehmlichkeiten, die allerdings erheblich durch die notorische Ungastlichkeit der hiesigen Bewohner paralysirt werden , die nahezu ausschliesslich mohammedanischen Glaubens sind und von unloyalen fanatischen Begs gelenkt und beeiullusst werden.') Es war hier, wo Hussein-Aga von Berbir, der glaubensstarke Revolutionär und fanatisirte Sturmläufer gegen Sultan Mahmud's Reformregiment, die ausgiebigste Unterstützung fand, um auf seinem letzten Rückzüge aus Rumelien den unaufhaltsam vordringenden Truppen Kara-Mahniud PäSCha's noch vorübergehenden Widerstand entgegensetzen zu können. Der verschlossene ^Hass gegen alles Abendländische und gegen die eigenen Herren, die jene Wege wandeln, die ihnen das Abendland mehr oder weniger gezwimgen vor- ') O. B la u , »Reisen etc.«, 91. gezeichnet hat, ist den Bewohnern aber bis auf den Tag geblieben. . .. Rogatiea liegt auf der Stelle einer ehemaligen römischen Colonie, was schon aus verschiedenen archäologischen Resten hervorgeht, die indess meist derart in den Häusern der Mohammedaner verbaut, häufig auch in deren Haremsgärten aufgestellt sind, dass bisher in dieser Richtung eine historische Ausbeute nicht gemacht werden konnte. Consul Blau hat wohl einen Versuch angestellt, doch es wäre ihm dies beinahe übel bekommen. ') Wir durchkreuzen von Rogatiea aus ein gleichfalls stundenlanges, kessel- und trichterreiches Karstplateau, um zuletzt über eine steile Bergkante das Städtchen Visegrad zu gewinnen. Auch hier ist der erste Anblick entschädigend für die Strapaz der Wanderung über das steinige Semec-Plateau. Zunächst öffnet sich der Blick auf das nordwärts verlaufende Drinathal mit seinem breiten Wasserbande, in dem sich die stattlichen, spitzgipfeligen Höhenzüge ringsum spiegeln. Zu Füssen liegt der kleine nur aus 125 Häusern bestehende Ort selbst, und zwar auf dem rechtem Ufer, zu dem die schönste Steinbrücke Bosniens, das Werk des berüchtigten Grossveziers Mehemet Sokolowic (1577) mit elf Spitzbogen hinübersetzt. Die Brückenbahn steigt bis zur Mitte des Stromes an und fällt sodann wieder mit massig geneigter Rampe zum Orte hinab, der im Gartengrün äusserst freundlich gebettet ist. Erwäh-nenswerth sind auch noch die Ruinen eines Badehauses und eines Kara-wanserais, die gleichfalls von dem genannten Vezier herrühren ")., Wenn wir von Visegrad, statt der Constantinopler Heerstrasse zu folgen, thalauf der Drina, oder richtiger über ihre östlichen Ufer-Einfassungen nach Süden unsere Route nehmen wollten, so kämen wir inner- x) Der Reisende erzählt: »An einem Hause im Orte fanden wir am Thürstein eine römische Inschrift, den Grabstein eines Decurionen der Colonio Risinium, halb in der Erde vergraben; wir hatten ihn eben blossgelegt und abgeschrieben, als der Hausherr Abdi Effendi mit lautem Geschrei und geschwungener Waffe herbeistiirzte, V/eil wir einen von Vater auf Sohn vererbten Zierrath seines Hauses entweiht hätten. Dies Benehmen liess uns natürlich von weiteren Nachforschungen abstehen, auch würde uns ein anderer, angebheh im Harem des Jussuf-Aga Arnautowic befindlicher Inschriftstein jedenfalls unzugänglich geblieben sein. (A. a. o. 91.) *) Roskiewi c z , »Studien« etc., 117. Von Visegrad nach Sjenica. 75 halb weniger Stunden in das äusserst pittoreske Limthal bei dem Dorfe Stergacina, knapp am Fusse (phantastischer Felsenbildungen, an denen dieses einsame, nahezu gar nicht bewohnte Hochthal so ausserordentlich reich ist. Bekannt ist dieses Gebiet des südöstlichen Bosnien allerdings noch sehr wenig, da aber die Trace des projectirten bosnischen Schienenwegs nahezu durch die ganze Länge des Limthales gelegt wurde '), so erwächst uns die Hoffnung, in nicht zu ferner Zeit eine Strecke voU grossartiger Naturschönheiten in der bequemsten Weise durcheilen zu können, und dieselben gewiss weniger mühsam zu geniessen, als wie bisher einzelnen Reisenden gegönnt war . . . Um indess auf unserer vorgezeichneten Route zu verbleiben, verlassen wir Visegrad auf der früher zurückgelegten Strasse, und zwar über die braunen, spärlich bestandenen Felsmassen des Stanisevac-Gebirges und später zur Seite des Rzavabaches längs schütterer Baumgruppen und partiellem Buschwerk bis zur alten Schlossruine Dobrunj, woselbst ein lohnender Ausblick auf die Höhenzüge des bosnisch-serbischen Grenzgebietes, zumal auf das dunkle Felsenhaupt des Stolac (gerade im Norden liegend) gewonnen wird.2) Südlich hievon tritt man in einen prächtigen Laub- und später in einen Kiefernwald, worauf sich plötzlich das Doppelthal des Uvac und des Lim öffnet, beide tief eingeschnitten in mannigfaltig geformte Bergmassen. Die Holzbrücke über den Uvacbach bringt uns m's Limthal bei Priboi, und von dort ist in nur anderthalb Stimden das einsam gelegene, weit und breit berühmte griechisch-orthodoxe Kloster l) Vgl. Geiger und Lebret, »Studien über Bosnien und die bosnischen Bahnen«, 13 und ff. und die Kartenbeilage. *) Hilf er ding erzählt von diesem Schlosse, dass es, nach der Einnahme und Zerstörung der gleichnamigen Stadt durch die Türken in der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts, lange nicht bezwungen werden konnte. Im Schlosse befand sich die Königin Erina, Gemalin Georg Brankovic, mit der der türkische Commandant eine Liebes-Affaire einleitete, um durch die nachfolgende List Herr des Platzes zu werden. Erina zeigte sich nämlich diesem gewogen, und da der Türke gleichzeitig schwor, seine Truppen der Königin auszuliefern und selbst ihr Gemal zu werden, erhielt derselbe die Erlaubniss, seine Schätze in grossen Kisten in's Schloss bringen zu lassen. Ueber 200 Pferde gelangten so durch's Burgthor. Jede der Kisten enthielt aber nichts Geringeres als einen wohlbewaffneten Türken, die alle zusammen sodann die Besatzung niedermachten und Erina in die Gefangenschaft schleppten. Banja (oder Banjani) — etwas seitwärts der Strasse gelegen — erreicht. Das Kloster steht deshalb bei der christlichen Bevölkerung in so grossem Kufe, weil schon von altersher au dieser Stelle eine Capelle stand, vom Kaiser der Serben, Uroä III., in Folge eines Gelübdes gegründet, da er in den hiesigen Thermen Heilung gefunden hatte. Heute erhebt sich dicht neben der Capellenruine das doppelthürmige moderne Klostergebäude, mit seinem Arkadengange und den Baderäumlichkeiten, die in Folge der altbewährten Heilkraft der Thermen, neben der Heiligkeit der Oertlichkeit, nicht wenig dazu beitragen mögen, dass das Kloster alljährlich von zahlreichen Pilgern besucht wird. Ein Mirakelbild der Madonna, früher eine Reliquie des Klosters, befindet sich seit der Christenhetze unter Sinan Pascha zu Ende des 16. Jahrhunderts, auf die wir noch zurückkommen werden, zu Cainica, einer Klosterkirche in der Gebirgswildniss zwischen Lim und Drina. Bei Priboi betreten wir bereits das Gebiet von Rascien, das schon 1817 zur Provinz Bosnien geschlagen wurde. Der District hat zwar mitunter äusserst romantische Thalpartien, ist aber auf allen seinen Plateaux, welche zumeist von den vorhandenen Commimicationen gekreuzt werden, öde und steinig, ein wahres Karstland. So ist's schon auf dem Wege nach dem kleinen Städtchen Nova-Varos, wo der Bistrica-Bach zum walddüstern Limthale abfällt, mehr noch aber im Quell-Lande des Uvac, wo die strategisch höchst wichtige Stadt Sjenica auf kahler Hochebene, von nackten Kalkbergen umzogen, liegt. Cerny Georg von Serbien hatte zur Zeit der Occupation hier einst ein Fort errichten lassen, sowie man türkischerseits in den letzten Kriegen, namentlich 1876, als Mehemed Ali — der nachmalige Generalissimus der türkischen Donau-Armee im Hochsommer 1877 — hier befehligte, provisorische Werke zum Schutze gegen das serbische Javor-corps aufgeführt hatte. . . . Das rascische Zwischenland wird ostwärts von Sjenica, auf Novibazar zu, so räumlich beschränkt, dass man beiderseits die hohen Grenzgebirge überblickt, im Norden den stattlichen Javor, südwärts aber die grossartigen Alpenlandschaften der Vassovicie, zumal den 9000 Fuss hohen Korn imd die in blendender Schneehülle schimmernde Bjelustica-Planina. Die Bevölkerung Basciens ist die arnautische, und zwar mohammedanischen Glaubensbekenntnisses, deren Novibazar. 77 kriegerische Eigenschaften zwar über alles Lob erhaben sein sollen, die im Uebrigen aber gleichwohl auf einer Culturstufe steht, die einen Verkehr mit diesem rabiaten und fehdelustigen Volke sehr schwer macht. J) Ueberall zwischen Sjenica imd Novibazar, auf dem steinigen Hochplateau der Dugopoljana liegen die Dörfer dieser Amanten, sowie von Stunde zu Stunde, als Wegschutz, die Wachthäuser oder Karauls der eingeborenen Zaptiehs. Auf diesem primitiven Etapenwege erreicht man zum Schlüsse die einstige Residenzstadt der Nemanjas, Novibazar, mit seinen elenden Strassen und höchst ärmlichen Wohnhäusern, zumal was die Einkehrhäuser betrifft, über die der Reisende Roskiewicz ein Capitel zu erzählen weiss. -) Umso interessanter ist die Umgebung, im Osten der Stadt der 1200jährige octogonale Kuppelbau des noch immer benützten römischen Bades, dann die gleichfalls uralte Petrovokirche die einst ein heidnischer Tempel gewesen sein soll, und schliesslich im Norden der Stadt, auf einer Fallkuppe der Golia-Planina che schön gelegene Kloster-Ruine Jurjovi Stupovi, in deren Innern sich noch ein Freskenbild Kaiser Nemanja's I. befindet. Die Petrovokirche war bereits des Oefteren der Zerstörimgswuth der Mohammedaner ausgesetzt, aber wie einst die Araber in den Emporien am Tigris die Paläste, welche die Perser erbaut, nicht zu zerstören vermochten3), ebenso blieb dort jede Bemühung gegenüber den klafterdicken Pfeilern im Innern erfolglos, wenn ') Namentlich in der wilden Gegend zwischen Sjenica und dem oberen Ibarthale. An der Grenze zwischen B osnien, Serbien, Albanien und Montenegro gelegen, war dieser Winkel bisher ein Rendezvousplatz für die Verfehmten und Geächteten aller anstossenden Landstriche, die in ihrem sauberen Handwerke wesentlich von der Natur des Landes, das ihnen zahlreiche unauffindbare Schlupfwinkel noch immer bietet, unterstützt wurden. Die Begegnenden weichen sich hier sorgfältig aus, weil Jeder vom Anderen Schlimmes befürchtet, und mit Recht. (Vgl. Geiger und L e b r e t, »Studien über Bosnien etc.«, 15.) ■) Roskiewicz, a. a. 0., 156. 3) So wollte der Chalif Mansur das von Abu Wakkass gebrandschatzte Sassanidenschloss Tak-i-Kessra am Tigris unweit Bagdad abbrechen und zum bau seiner neuen Residenz verwenden, gegen den Rath seines Veziers Chalid, des Barmekiden , der von persischer Herkunft war und entsprechende Sympathien hatte. Als man aber bald darauf, ob der Schwierigkeit der Zerstörung, wieder abstand, fand derselbe Vezier es beschämend, dass die.Muslimen nicht einmal sollten niederreissen können, was die Feueranbeter gebaut. (J. Braun »Gemälde der moham. Welt«, 209.) auch der Bau hin und wider Schaden genommen hat. Von den unausgesetzten Reparaturen und Zubauten rührt auch die gegenwärtige unregelmässige Gestalt her; dies verschlägt indess nicht, dass die orthodoxen Serben in ihr eine hervorragende Gnadenstätte erblicken, ihres hohen Alters wegen und wohl auch aus Anlass, dass dieser altehrwürdige Tempel uralte Documente und Kirchenschriften aus der ersten Zeit des slavischen Christenthums birgt. l) Wir hätten nun noch einiger Localitäten zu gedenken, die nicht auf dieser Route, wohl aber auf einer anderen, neuester Zeit viel mehr betretenen liegen. Wir begeben uns zu diesem Ende auf dem Wege von Sjenica in gerade westlicher Richtung zwischen den waldigen Partien des Jadovnik und Slatar-Gebirges und zuletzt die steilen Serpentinen in romantische Schluchten hinab, wo auf völlig isolirtem Felssockel plötzlich eine höchst malerisch gelegene Burgruine (türkisch: Hissardschik) aus dem Gewirre von Spitzen und Höhen emporragt. Ebenso pittoresk liegt das seit 1595 in Ruinen gesunkene Kloster Milosevo, das mit der Glanzzeit aus Bosniens Geschichte eng verknüpft ist. Hier nämlich Hess sich Stefan, der Sohn des deutschen Edelmannes Kotroman, als Twartko I. zum Könige von Bosnien, Bascien imd Primorje krönen (1376), also vor etwas mehr als einem halben Jahrtausend. Später hat dann das in einsamer Waldwildniss gelegene Kloster den Leichnam des abgöttisch verehrten St. Sava, ehemaligen Erzbischofs und Schutzpatrons der serbisch-orthodoxen Nationalkirche, geborgen, bis Sinan, derfanatische Kirchen- und Klosterstürmer zu Ende des 16. Jahrhunderts auch dieses Asyl entdeckte. Der Leichnam des Heiligen, sowie viele Reliquien und schliesslich das Kloster selbst wurden ein Raub der Flammen. 8) Diese geradezu classische Landschaft, voll düsteren Ernstes in ihrer Gesammt-heit, in ihrem Wechsel von Fels und Wald, von Höhen imd Tiefen, senkt sich rasch zum Limthale hinab, wo das Städtchen Priepolje im fruchtbaren Thale liegt. Wenn wir dasselbe über die alte Jochbrücke, die den Fluss übersetzt, verlassen imd den steilen Anstieg durch das Selesnicathal J) Näheres über die Stadt bei Roskiewicz, 154—158. ') L u k s i c, 71. Das Limthal. — Tazlidza. 79 machen, erreichen wir zunächst ein weitläufiges, kümmerlich bestandenes Hochplateau, anschliessend an die West-Lehnen jener Höhenzüge (Popjenik imd Babina Planina), die in's eben verlassene Limthal, und zwar mit dichtbewaldeten Lehnen abstürzen. Auf der Plateaufläche aber ist der Ausblick namentlich westwärts ziemlich frei, und in dieser Richtung überragt auch der König aller Berge in Bosnien und der Herzegowina, der Dormitor, weit den Horizont der übrigen Gebirgslandschaften . . . Dort, wo sich dieser Kammweg in's ausgedehnte Thal derCehotina, eines Nebenflusses der Tara, hinabsenkt, liegt, inmitten einer ovalen schönen Culturebene das freundliche Städtchen Tazlidza. Namentlich auffällig ist von der Golubine - Höhe eine Moschee mit goldig schimmernden Kuppeln und im Südwesten auf isolirtem Hügel das Kloster des »heiligenElias (Ilijino)«, wo übrigens auch allenthalben bauliche Reste einer antiken Stadt zu erblicken sind. *) Im Innern des Städtchens wird man, nach dem flüchtigen Anblicke aus der Ferne, freilich wieder anderen Sinnes, und in den elenden, schmutzigen Gassen geht jede Illusion verloren. . . . Bevor wir das eigentliche Bosnien verlassen und uns den Landstrichen der Herzegowina zuwenden, müssen wir noch einen Blick auf den nordöstlichsten Theil der Provinz, auf jenen zwischen den Flüssen Bosna, Spreca und Drina werfen. Viel haben wir nicht zu berichten, denn die Detailkenntniss dieses Landstriches ist, die herkömmlichen Beiserouten ausgenommen, eine ziemlich spärliche. Auch ist die Hauptcommunication, jene durch das schöne Thal der Drina, erst in letzterer Zeit einigermassen prakticabel gemacht worden. Dieser Weg geht von der Landeshauptstadt ab und ist bis Glasinac auf dem ') Ueber die von Blau bei Tazlidza gefundenen 20 lateinischen Inschriften s. »M o n a t s b e r i c h t der Berliner Akademie der Wissenschaften 1866", p. 838 u. ff. (Mit Bemerkungen vonTh.Mommsen.) --Die Ebene von Tazlidza zu beiden Seiten des Cjehotina-Flusses ist rings von hohen Bergen umschlossen und dehnt sich etwa 2 Stunden in die Länge, bei 3/4 Stunde durchschnittlicher Breite. Die Öjehotina, welche zwischen den Bergen Korjen und Miljetino-Brdo aus einer engen Schlucht in die Ebene tritt, empfängt in der Nähe der Stadt die dieselben durchfliessenden Bäche. Inmitten der Ebene erhebt sich im Süden ein etwas höherer Hügel Pljes\ Tazlidza ist als Handelsstadt eine der belebtesten Punkte Rascicns. (Stadtplan bei B1 a u, Kartenbeilage.) Romanja-Plateau, das wir vorher betreten haben, mit der Stambuler Strasse identisch. Von Glasinac wendet sie aber über karstiges, nur theilweise bewaldetes Gebiet nordwärts, später in vielfach gewundenen imd steilen Serpentinen nach Via s enic a abfallend, wo sich bereits mehrere kleine aber fruchtbare Thäler gegen die Drina zu öffnen. Wir verbleiben indess auf den Höhen und umziehen sie mit dem Strassen-zuge in weitläufigen Bögen, treten nach beschwerlichem Abstieg in das beckenartige Thal der »kleinen Drina« beim Han Kolibaca ein, um schliesslich nochmals die Gebirgsglieder im Bereiche von Zwornik zu erklimmen. Zwornik selbst gelangt auf diesem Wege erst in Sicht, wenn man den Sattel knapp am Drina-Ufer passirt hat. Der Ufersockel ragt thurmartig, mit äusserst steilen Abfällen aus dem ruhigen Wasserspiegel, in welchem sich die alte, halb verfallene Zinnenmauer spiegelt. Viel anmuthiger liegt das gegenüber des Stromes aus Baumkronen hervorschimmernde Mali-Zwornik, nunmehr serbischer Besitz. Merkwürdigkeiten irgend welcher Art besitzt diese »Festimg«, welche einst vom Markgrafen Ludwig von Baden mit Sturm genommen wurde (1688). nicht: aber die Stadt ist immerhin ansehnlich (6000 Einwohner) und politisch sowohl, wie militärisch höchst wichtig situirt. Thalab der Drina ist die weitere Communication schlecht, besser und im Allgemeinen frequentirter ist aber diejenige, welche als theilweiser Fahrweg die Uferhöhen der Drina westwärts Zworniks übersetzt imd in das weitläufige, wohlbebautc! Thal der Spreca einlenkt, das sie seiner ganzen Länge nach durchzieht. Auf dieser Route treffen wir auf das freundlich gelegene Städtchen Unter-Tuzla, inmitten seiner" ausgedehnten Gärten, und mit weithin schimmernden, weiss getünchten Häusern.1) Wichtig ist dieses, an 6000 Einwohner zählende Städtchen durch seinen Salzbrunnen, der jährlich an 7000 Centner Sudsalz liefern soll.2) Die Gewinnung ist höchst einfach: man schöpft aus dem zwei Klafter tiefen Brunnen das Wasser in eiserne, einen Meter im Durchmesser haltende flache Pfannen, in denen es durch Unterfeuerung verdunstet und Salzschollen in der Dicke von %—2 Zoll zurücklässt, die in dieser Gestalt l) Fr. M a u r e r, »Eine Reise durch Bosnien*, 412. *)Thoemmel, »Beschreibung etc. des Vilajets Bosna«, a. a. O. Von MerkoviS über den Porim nach Konjica. 81 in den Handel kommen.') Das Spreca-Thal gewinnt von Dolnje-Tuzla gegen seine Einmündung ins Bosna-Thal immer mehr und mehr an Breite und ist auf den es besäumenden Gebirgen allenthalben mit Ekhen bewaldet. Der nächst wichtige Ort ist Gracanica, mit 3000 Einwohnern, von wo ab die eigentliche fahrbare Strasse beginnt. Sie läuft indess nicht zur Spreca-Mündung. sondern über die nördlichsten Ausläufer des Osren - Berges nach Maglai im Bosna-Thale.-- Die kürzeste Reiseroute von der bisherigen österreichisch-ungarischen Grenze nach Serajevo ist die Strasse durch die Herzegowina von Metkovc" nach Mostar und Konjica über die grosse Erhebungsmasse zwischen Bosna und Narenta, Es gibt eigentlich zwei Wege, die alte Poststrasse über das steinige Porim- und wildromantische Lipeta-Gebirge nach dem altberühmten Städtchen Konjica und eine neuerdings prakticabel gemachte Commmücation thalauf der Narenta von Mostar ab, die eine der grossartigsten Gebirgspartien des Landes durchzieht, imd deren Anlage auf bedeutende Terrainschwierigkeiten stiess. Wir wollen zuerst den herkömmlichen Postweg, der allerdings zeitweilig in der Gebirgswildniss zwischen Konjica und Mostar nur ein simpler Reitsteig ist, zurücklegen. Von Metkovic bis Mostar führt eine schlechterhaltene Chaussee, anfangs durch die Narenta-Niederimg von Ctovo Blato, später, und zwar von Pocitelj ab. welcher Ort indess von der Strasse nicht berührt wird, über steiniges Niedergebirge nach der Landeshauptstadt Mostar, wobei im letzten Theile die Ebene von Buna in gerader Linie durchschnitten wird. Bis hieher und noch drei Stunden in nordöstlicher Eichtling bis an den Fuss des Porim-Gebirges bietet die Chaussee wenig Bemerkenswerthes. Anders, wo dieselbe in den beschwerlichen Karrenweg übergeht, der zunächst die Geröllhänge des Porim hinanklettert. Dieses sterile Gebirge mit seiner Felsenpforte zu oberst, durch die sich der Weg hindurch schlängelt, gilt als die orographische Grenze zwischen der Herzegowina und Bosnien, und zwar der landläufigen Bedeweise gemäss. Die Emgebornen sagen: »Wo die Steine aufhören uud der Wald ansetzt, dort beginnt — Bosnien.« ') Roskiewicz, a. a. O., 12«. 8i- h we i ger- Le roh o 11 fe l d , Hosiiien. Thatsäehlich bedarf es nur einer Ueberschreitung des vorliegenden Sattehr, und bald gewahrt das Auge die ersten schütteren Bestände im Osten des Hochplateaus von Batijewica. Zwar ist hier das Fels-Chaos noch immer beträchtlich, und zwischen Blöcken und Geröll windet sich malig der steinige Pfad auf einen anderen Pass empor, der die hohen und schneebedeckten Gebirge Lipeta und Vlach von einander scheidet. Beide sind unwegsam imd liegen terrassenartig hintereinander, die Lipeta-Planina etwas südlicher, jedes auf vorspringender Kuppe mit einem Wachthause versehen, die einzigen Wohnstätten in dieser Felsen-wildniss. Von Pod-Porim Han (Einkehrhaus) bis zu dem romantisch gelegenen Borke, zunächst eines einsam gelegenen Hochlandssees, d. i. in einer Entfernung von nahezu sieben Stunden, stösst man an dieser Grenzmark zwischen Bosnien und der Herzegowina nirgends auf menschliche Niederlassungen. Um so fühlbarer wird der landschaftliche Wechsel jenseits der Lipeta-Klause, wo sich der Pfad in das Hochseebecken hinabsenkt. Ueberau entfaltet sich in diesem Bereiche die Natur mit grossartiger Pracht, ein wahres Riesen-Amphitheater mit himmelhoch ragenden Felsenwänden, deren blendendes Weiss durch dunkles Buschwerk an der Basisregion noch greller gehoben wird. Ostwärts strömt der Vlach-Bach, der Abfluss des erwähnten Sees, durch ein wildes Felsenthal in die Narenta ab. Die Fortsetzung des Weges führt indess nicht durch dasselbe, sondern kreuzt den Kessel nordwärts und windet sich in vielfachen Krümmimgen die GeröUschlucht hinan, die auf das kleine wohlbesteUte Plateau von Borke ausmündet. ') Hier liegen die ersten Hütten imd Gehöfte, imd zu beiden Seiten ziehen die theilweise bewaldeten Vorhöhen des gewaltigen Vrabac-Gebirges. Am imposantesten gestaltet sich aber der Abstieg nach dem Narenta-Thale bei Konjica selbst. Man hat vor sich die steile Serpentine des Weges, der zwischen Hochwald imd Buschwerk imd wohl auch über Felspartien die Tiefe sucht, in dieser selbst aber das weithin schimmernde Wasserband der Narenta, mit ihren gewaltigen nördlichen Thal-Einfassungen wie die Bielastica-Planina, dasLissac- und Ivan-Gebirge, an die sich westwärts ') Topographische Details bei Blau, a. a. 0., 2(5 u. ff. Das Xarenta-Defile bei Jablaniea. 83 stets höher emporsteigende Züge anschliessen! Im Narentathale, berühmt im Lande durch seine Obst- und Weinculturen, liegen die beiden grösseren Ortschaften Konjica und Neretva, jenes ein verwahrlostes Städtchen der Mohammedaner diesseits, das ist am linken Fluss-Ufer, das christliche Dorf Neretva am entgegengesetzten. Eine wohlerhaltene, zu Ende des zehnten Jahrhunderts vom serbischen Könige Hvalimir erbaute Steinbrücke verbindet beide Ortschaften miteinander. Von Konjica thalab der Narenta führt seit einigen Jahren eine der schönsten Kunststrassen des Landes, ja einige Berichterstatter gehen so weit, sie als eine der grossartigsten Europas hinzustellen.') Erwägt man, dass, wie schon oben bemerkt, gerade das mittlere Narentathal reich an Naturschönheiten ist und die Terrainhindernisse dem Strassenbaue bedeutende Schwierigkeiten entgegengesetzt haben, so mag es mit der gerühmten Romantik dieser Strecke wohl seine Richtigkeit haben. Die schönste Partie ist das Wasserthor bei Jablaniea, wo sich die Kalkfelsen mehrere tausend Fuss senkrecht aus dem Flusse emporheben. Vegetation findet man hier nur in den Ritzen, aus denen Wasseradern hervorquellen. Das Felsenthor selbst ist eine Stunde lang und der Fluss windet sich um den pittoresken Gebirgsblock Klanac (zu deutsch Klamm), über welchen früher ein äusserst beschwerlicher Steig hinüberfuhrte. Die Strasse, welche von Konjica der Narenta zw Seite läuft, verlässt dieselbe etwa vier Stunden von der genannten Stadt entfernt, um über einen steilen Riegel des Prenj-Gebirges die nordwestliche Strombiegung abzuschneiden und das Ufer bei Gorni-Jablanica wieder zu erreichen. Hier wechselt sie das Ufer mittelst einer schönen eisernen Brücke (englischer Provenienz) und durcheilt das oben erwähnte Defile\ um jenseits des Klanac mittelst einer zweiten eisernen Brücke wieder auf das linke Narenta-Ufer zu treten, auf dem sie im weiteren Verlaufe verbleibt. Nach dem zweiten Uferwechsel durchzieht die Strasse eine romantische bewaldete Thalstrecke bis Grabovica, einen Weiler, der gegenüber des gleichnamigen wilden Torrente liegt. Auch weiter abwärts thürmen sich die Felsen nocli immer zu gigantischen Massen empor, stets zur Seite des vielfach gewundenen Flusses, aber je mehr man sich Mostar nähert, ') Luksi ?, a. a. 0., 57. G * treten die Ufer zurück, und die Vegetation nimmt allmälig einen südlichen Charakter an. Unweit des Pod-Porim-Han schliesst diese Kunststrasse an die alte Chaussee nach Mostar und Metkovic an. also an derselben Stelle, von der die alte, oben beschriebene Poststrasse nach Konjica abgeht.') Die letzte Wegstrecke zwischen Konjica und Serajevo gehört zu den nicht minder wichtigen und interessanteil dieser bedeutsamsten Verkehrsline Bosniens und der Herzegowina. Sie erklimmt von Neretva aus in steiler Schlucht die Sattelhöhe zwischen der Bielastiea und dem Lissac, indem sie allen Krümmungen des Bradina-Baches folgt bis zum gleichnamigen Hau auf der Höhe der Wasserscheide. Von hier öffnet sich zum erstenmale das mittlere und obere Bosna-Becken und weit dahinter, bis in die grössten Entfernungen ein vielfacher Kranz überein-anderragender Gebirgszüge imd Bergkegel, theils mit glitzernden Schneehauben, theils mit grauen Felshäuptern, die aus der dunklen Waldregion hoch emporragen. Jenseits der Wasserscheide ist die Wegstrecke (durch's Zujewina-Thal) nur mehr kurz2): sie trifft bei Blazui, 47« Stunden westlich von Serajevo, auf die letzhin beschriebene grosse Fahrstrasse zwischen dieser Stadt und Brod an der Save, die auch durch Abzweigung bei Vites über Travnik nach Banjaluka und Gradiska führt. In ganz anderer Art, wie das herzegowinisch-bosnische Grenzgebiet, präsentirt sich uns der südlichste Theil der Herzegowina, jenes weitläufige Karstland, das im Allgemeinen den Typus des dalmatinischen Litorales besitzt, in gewissen Gebieten aber, wie an der montenegrinischen Grenze, oder im Osten des Landes, wahrhaft grandiose Dimensionen annimmt. Um den zunächst an Dalmatien grenzenden herzegowünschen Grenzstrich kennen zu lernen, kehren wir vorerst in Trebinje an. Die Stadt, eine der verwahrlosesten der Provinz, liegt am rechten Ufer ') Von dieser neuen Kunststrasse wusste Roskiewicz (1865) noch nichts zu berichten ; sechs Jahre später fand Blau (1871) einen, noch »immer nicht fahrbar« gemachten Weg. Zwischen den Jahren 1872—1874 endlich kam der Strassenbau zu Stande, während dem, wie aus einem Berichte Sterneck's (a. a. 0., 2$) hervorgeht, einer der Strompfeiler für die eisernen Brücken hinweggerissen wurde. •) Berichtigung der Roskiewicz'sehen Karte, bei Blau, a. a. 0., 17 u. ff. Trebinje 85 der Trebincica und bietet nur auf grössere Entfernung durch ihre romantisch vertrödelten Wallmauern, die zur Ueberschwemmungszeit wie ein Felseneiland aus dem, einen weiten See bildenden Flusse hervorragen, •'iiiigen Reiz. ') Dafür geniesst man im Innern dieser einstigen Residenz der Ragusaner Patrizier Paulovic '2) und Hauptstadt des »Fürstenthums Terbunia« den wenig erquickenden Anblick enggewundener, übelriechender Gassen, eines armseligen Bazars und den Einsturz drohender Baulichkeiten. Gleichwohl unterscheidet sich die hiesige christliche Bevölkerung oder vielmehr die des umliegenden Landes vortheilhaft von den nördlichen Bewohnern und selbst denBosniaken durch ein grösseres Selbstbewusstsein. eine rührige Lebendigkeit und durch einen freundlich Ii eiteren Sinn . nicht zu vergessen die angeborne Lust zu Kampf und Fehde, die wiederholt in blutigen Empörungen Ausdruck gefunden hat.3) Man wird sich erinnern, dass in unmittelbarer Nähe der Stadt, im Kloster Duse. das Ende August 1875 von den türkischen Truppen erstürmt und eingeäschert ward, die herzegowinischen Insurgenten unter Ljubobratic sich längere Zeit hielten, und die unvermeidliche Schlappe hauptsächlich mir durch den unglaublichen militärischen Dilettantismus der Führer herbeigeführt wurde. Sehr interessant ist der Blick auf Trebinje und das weite nach Nordwesten hin sich erstreckende Thal der Trebincica, auch Popovo-polje (das Popenfeld) genannt, von der Höhe des Plateaurandes von Klicanj, zu dem der steile Geröllpfad hinaufführt. Dieser selbst ist aber äusserst beschwerlich und wird neuester Zeit weniger betreten, als die Thalstrasse durch das Popovopolje, die parallel zum alten Gebirgswege gleichfalls nach Stolac zieht. Um der ersteren Communication zu folgen, kreuzen wir das Felsplateau von Klicanj und später die wellige, stimdenweit mit verkümmertem Eichenwald bewachsene Hochebene von Ljubinje. Die Sicherheit scheint hier noch bis in die jüngste Zeit hinein nicht sehr gross gewesen zu sein, denn eine ganze Kette türkischer Wachthäuser markirt die Etapenlinie auf diesem öden, menschenverlassenen Plateau. Ljubinje selbst, der Stammsitz der Sirdarovic-Begs, ') Vgl. Leist, »In der Herzegowina und Montenegro« (»Globus« 1866). J) Roskiewicz, »Studien etc.«, 110. ") Blau, »Reisen«, 68, deren Stammbaum bis in die alten Patriziergeschlechter Ragusas hinaufreicht, liegt am Rande eines weitläufigen Karstkessels. Die Umrahmung bilden selbstverständlich nackte, zerklüftete Jurakalk-Berge, und auch der Bach auf der Thalsohle, der eine kümmerliche Oase durchzieht, weist zumeist nur sein trockenes Bett. In dieser Trostlosigkeit geht es fort, durch steinige Kessel und kümmerlich bebuschte Felsenthäler am Ostrande des Kubas bis Stolac, einem freundlichen, im Gartengrün gebetteten Städtchen am Bregava-Flüsschen, das in westlicher Richtung der Narenta zufliesst. Stolac, in früherer Zeit öfters der Herd sowohl christlicher wie mohammedanischer Insurrectionen, hat eine weitläufige , mit Thürmen versehene Burg, die eine der ältesten der Herzegowina sein soll. Ihre Burgherren hatten jederzeit besonderen Machteinfluss, und wenn die heutigen Begs dieselbe wesentlich geschmälert ausüben, so dürfte dies lediglich der Energie Omer Pascha's zuzuschreiben sein, der hier wie an so vielen anderen Orten des Landes, im Jahre 1851 den alten Starrsinn und die Unbotmässigkeit der einheimischen Feudal-Aristokratie brach. Indess sind die Rizwanbegovic — so heisst die Familie der fraglichen Begs — noch immer angesehene Leute. Hin imd wieder gab es sogar Einen oder den Änderen, wie Ali Pascha, der sich durch besondere Toleranz und grösseres Wohlwollen gegenüber der Rajah hervorthatl), und dies scheint dem Orte und Kreise, in dem Christen und Mohammedaner in gleicher Zahl siedeln, von unleugbarem Nutzen gewesen zu sein. Dass selbst die Mohammedaner nie sehr mit dem Pforten-Regimente sympathisirten, beweisen auch die Vorfälle im Jahre 1831, wo sie, von ihren Begs angeführt, die militärisch besetzte Burg berannten, leider ohne Erfolg.2) Es war dies zur Zeit der grossen revolutionären Bewegung unter Hussein Aga von Berbir, von dem im ersten Abschnitte bereits die Rede war. 3) Aus der Woiwodenzeit l) Blau, 49. *) Luksio, »Bosnisches Ortslexikon«, 95. 3) Die unbeugsame Strenge, mit der der »Prophet« die Gewalt handhabte, dazu die rigorose Unduldsamkeit und geradezu despotische Härte in religiösen Dingen hatten ihm indess gerade seine treuesten und einflussreichsten Anhänger entfremdet. Als er neuerdings rüsten wollte (1832) fielen sie vollends ab; Mahe-mud Vidai'5 von Zwornik kündigte ihm geradezu den Gehorsam, und Ali Aga von Stolac, der nicht nur die mohammedanische, sondern auch die christliche Stolac. — Livno 87 befindet sich unweit der Stadt nocli manches Denkmal, zumal Grabinschriften, auf einem höchst merkwürdigen Friedhofe, eine halbe Stunde westlich des Weges. Von Stolac hat man, um zwischen Mostar und Pocrtelj die Fahrstrasse zu erreichen, noch den hohen Thalrand im Norden der Bregava zu erklimmen, um sodann nach einstündigem Abstiege zu einem einsam gelegenen Han das stellenweise bewaldete Plateau von Duhrava zu erreichen und mit ihm auf nordwestlichem Abstiege das Narenta-Thal bei Buna, zwei Stunden von Mostar. Wie aus dieser knappen Schilderung hervorgeht, gehört diese Communication wohl zu den wenigst prakticablen der Herzegowina, diess schliesst aber nicht aus, dass sie, und dies mehr noch aus dem Grunde, als eine bessere nicht vorhanden ist, in militärischer Beziehung höchst wichtig genannt werden muss. Sie ist die Linie, welche Mostar mit den drei hervorragenden Städten der südwestlichen Herzegowina (Stolac, Ljubinje und Trebinje) verbindet. Mit ungleich geringerer Strapaz ist die Tour von der dalmatinischen Grenze bei Sign nach Livno imd weiters über Kupres nach Travnik verbunden. Man übersetzt hiebei zunächst das dalmatinische Grenzgebirge Prolog über den Belibriegpass und durchschneidet die weitläufige, zum Theile sumpfige Hochebene von Livno, welches rührige Handelsstädtchen in circa vier Stunden von der Grenze aus zu erreichen ist. Diese Strasse hat neben ihrer militärischen Bedeutung auch unleugbaren commerciellen Werth, wie die zahlreichen Carawanen beweisen, die jederzeit zwischen Livno und Spalato verkehren und deren originelle Lagerplätze man ebenso zu Sign, wie auf der Passhöhe von Clissa sehen kann, wo sich ein primitives Einkehrhaus neben dem gleichnamigen romantischmittelalterlichen Schlosse (jetzt als Fort militärisch besetzt) erhebt. ') \ Bevölkerung gegen ihn aufgehetzt hatte, drohte mit bewaffnetem Widerstande. Später stellte sich dieser Ali Aga mit einer bedeutenden Schaar von Amanten dem Pacificator Kara-Mahmud Pascha zur Verfügung und zog mit ihm siegreich in dem verrätherisehen Serajevo ein. (S. Kapp er, »Hussein-Berberli-Aga, der Stab des Propheten«.) ') Durch Sign (eigentlich Sinj) wird ?der grösste Theil der bosnischen Rinder und Pferde getrieben, welche an der Küste verkauft und eingeschifft werden; Getreide, Holz, Wolle, Obst, Theer, sind weitere Artikel dieses Handels. Auf der Ebene, unterhalb des Fleckens, dort, wo jetzt die Cavallerie- Erwähnenswerth ist, dass in Livno seit dem Erschlaffen des Türken-Regimentes, das ist also seit den letzten fünfzig Jahren, die erste katholische Kirche von allen derzeit bestehenden erbaut wurde1 ,). Im weiteren Verlaufe unserer Tour durchziehen wir wiederholt weitläufige Hochthäler, wie zu Kupre§ und Dolnje Vakuf (Skoplje), die sich zu vorzüglichen Concentrirungs-Plätzen eignen mögen, dehn Wassermangel ist hier nirgends, am aUerwenigsten bei Skolpje im romantischen, fruchtbaren und mit Nadelholzwaldungen geschmückten oberen Vrbasthale. Ueber den Fluss führt eine Holzbrücke — neben den Fragmenten einer steinernen aus der Römerzeit -) — und die Strasse übersetzt den hohen Kettenzug der bedeutendsten bosnischen Erhebungsmasse (in der Richtung von Nordwest nach Südost) in nordöstlicher Richtung und gelangt, nachdem sie zum Theile prächtige Wälder durchzogen hat, ein imd eine halbe Stunde vor Travnik in's Lasvathal. Auf diesem Wege ist Serajevo von der dalmatinischen Grenze etwa dreissig Meilen entfernt, also ebenso weit wie von Brod an der Save. Nachdem wir der Hauptrouten in der Herzegowina gedacht haben, müssen wir wohl auch noch ein wenig in deren Hauptstadt, dem stein-gebauten Mostar, verweilen, die gemeinhin von den Reisenden als die reinste imd relativ freundlichste Stadt des Landes geschildert wird. Zwar fehlt es derselben an der nothwendigen Belebung durch Vegetation und ausgedehnten Gärten, dennoch aber ist die Position derselben zu beiden Seiten der Narenta, über die eine alte, wahrscheinlich nicht römische Brücke spannt, und längs der Abhänge desPodvelez und Hum eine zum mindesten nicht unmalerische. Auffällig ist das alte CasteU mit dem dahinterliegenden Konak inmitten erquickenden Gartengrüns, dann der Bazar zunächst des Flusses, und die lange Häuserzeile, welche die einzige comfortable, die ganze Stadtanlage am linken Narenta-Ufer durchziehende Gasse bilden.3) Die Stadt, welche heute zwischen 15-bis Kaserne steht, war einst ein Karawanserai für die Türken. Auf der Strasse V nach Belibrieg hei Han, ist eine neu gebaute Brücke über die Cetina (Schatzmeyer, »Kaiserreise durch Dalmatien", 29). ») LukSiS, a. a. 0. 69. 8) Roskiewicz, a. a. O. 107. 3) Stadtplan bei Blau, Kartenbeilage. Mostar. 89 20.000 Einwohner zählen dürfte, war ehemals ein Standlager der Römer, doch bleibt es immerhin eine offene Frage. ob sie schon im Alter gegründet war, und welchen Namen sie damals geführt. Andetrium und Bistue, wofür man Mostar ausgegeben, lagen erweislich viel westlicher: Andere haben den Namen nach einer grammatisch unzulässigen slavischen Etymologie auf »Pons vetus« gedeutet, woraus auch ihre Annahme, die berühmte Narentabrücke sei römischen Ursprunges, folgert. Sicher ist nur so viel, dass sie unter Stepan, dem ersten Herzoge der »Humska« (oder Herzegowina) eist zur Stadt imd Residenz erhoben ') und mit Ringmauern versehen worden ist. Es ist bekannt, dass'dieser Herzog, der den Bogomilen und anderen Missvergnügten seines bosnischen Lehnsherrn Zuffucht in seinem Lande bot. durch sein passives Verhalten gegenüber der türkischen Invasion in Bosnien (1463) grösstenteils Schuld an dem Untergänge des Königthums trug. Sein Land blühte indessen unter seiner Regierung, trotzdem er später der Pforte zinspflichtig wurde und einen seiner Söhne als Geisel stellen musste. Im Jahre 1466 starb Herzog Stepan und hinterliess seinen Besitz seinen beiden ältesten Söhnen, aber schon 1483 war die Humska und das der edlen Familie der Pavlo-wic seit 1334 als Lehen übergebene Fürstenthum Trebinje (Terbunia) türkische Provinz und Bosnien als Sandschak einverleibt. Mostar war bisher die Hauptstadt der, bald ein selbstständiges Gouvernement bildenden, bald als Sandschak zum Vilajet Bosna geschlagenen Herzegowina imd der Mittelpunkt des Handels dieser Provinz. Ausserdem besitzt es eine giiechisch-orientalische Knaben-imd Mädchenschule, eine katholische Elementarschule, ein Kloster der Bannherzigen Schwestern, einen Gasthof, der bescheidenen Ansprüchen genügen dürfte. Auch belinden sich in Mostar über 30 Moscheen, zwei griechische und eine katholische Kirche. Hie Zahl der orthodoxen Christen wir auf 3—5000,'jene der römisch-katholischen auf500—1000 Seelen geschätzt.2) Die einzige und wahre Zierde der Stadt ist, wie schon erwähnt, die alte Brücke über die Narenta, die sich mit einem einzigen Bogen über die Fluth spannt. Die innere Höhe des Bogens ist 17 8 Meter eingerechnet die Balustrade, die ganze Höhe vom Wasserspiegel aus ') Roskiewicz, a. a. 0. 140. ») Vfl. LukSifi, »Ortslexikon etc.«, 72 u. ff. 19 Meter; die weiteste Spannung des Bogens 27 3 Meter, die Breite des Bettes 385, die Breite der Brücke 45 Meter. Das Ganze ist, architektonisch betrachtet, aus einem Gusse und Style, selbst die Sterne der untersten zugänglichen Schicht zeigen keine Spur eines älteren Unterbaues.1) Einen sehr erquickenden Anblick gewährt Mostars Umgebung, die ihrem Pflanzenschmucke nach bereits vollends an das nahe Dalmatien mahnt. Da finden sich Gärten mit Orangen imd Limonien, Myrthen und Lorbeern schmücken die Niederlassungen imd die Feige gedeiht überall in den heisseren, wohlbewässerten Strichen. Die grauen Kalkhöhen ziert wohl auch der Oelbaum, der der eigentliche Charakterbaum der tiefer gelegenen Gebiete der Herzegowina und Dalmatiens ist... Trotz dieser Gärten, der Weinberge imd der kleinen Waldpartien, welche die Stadt umkränzen, sticht indess gleichwohl der karstartige Charakter des Terrains befremdend hervor, und man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, als ob man dem Erdboden seine Haut, die fruchtbare Decke, abgezogen hätte. Wer weiss wie viele Jahrzehnte vergehen werden, bis die Sünden der Römer und Venezianer, dieser unersättlichen Holzräuber an der Adria, wieder gut gemacht sind. 2) ') Blau, »Reisen etc.« 36. 2) v. Gyurkovics in der »Presse« Nr. 206, 1878. IV. Die Bewohner. Statistische Notizen. Ethnographischer Abriss. Die Slaven. Die Arnauten (Albanesen). Die Zigeuner. Osmanische Repräsentanten. Die Rajah. Confes-sionelle Verhältnisse. Orthodoxe und Katholiken. Culturzustand unter der Rajah. Volkspoesie. »Öengic Aga«. Das Haidukenthum. Aberglaube. Die Mohammedaner. Lebensweise, Sitten und Gebräuche derselben. Der Islam als Hinderniss der Chilisation. Mittel zu fortschrittlicher Entwickelung. Das frühere Vilajet »Bosna", das ist das eigentliche Bosnien, Türkisch-Croatien, die Herzegowina und der Sandschak von Novibazar (Rascien) dürfte von rund 1 Million Menschen bewohnt sein. Es existiren sehr detaillirte statistische Angaben über dieBevölkerungsverhältnisse der Gesammtprovinz sowohl, wie über einzelne Districte, doch haben dieselben, nachdem eine eigentliche Volkszählung wenigstens in Bosnien noch niemals stattgefunden hat, und die einzelnen Confessionen unterschiedliche Gründe haben, ihre Gesammtzahl entweder möglichst nieder (als Steuerträger) oder möglichst hoch (als kirchen-politisches Element) anzuschlagen, soviel wie gar keinen Werth. Gleichwohl ist es unerläss-lich, wenigstens einige der gangbarsten und neuesten statistischen Zusammenstellungen zu reproduciren, einerseits um deren Unzuverläss-lichkeit zu constatiren, anderseits aber um doch irgend einen Anhaltspunkt in dieser Richtung zu geben. Zunächst gibt Roskiewicz der Provinz eine Total-Bevölkerimg von 1,150.000 Seelen, imd zwar für das eigentliche Bosnien 796.000, für die Herzegowina 230.000 und finden District von Novibazar 125.000 Seelen.1) Die obige Gesammtzahl entspricht indess nicht einer anderen, die derselbe Reisende an zweiter ') Roskiewicz, a. a. 0. 5. Stelle gibt, wo er nämlich die Bevölkerung nach den Confessionen specificirt. ')»Er schätzt nämlich Bosniens' und Basciens Bewohner auf 323.000 Mohammedaner, 460.000 griechisch- und 135.000 römisch-katholische Christen und 5200 Juden: jene der Herzegowina auf 60.000 Mohammedaner, 75.000 griechische (orthodoxe) und 47.180 katholische Christen nebst 500 Juden, im Ganzen also diesmal (ohne die ziemlich zahlreichen Zigeuner) auf 1,105.000 Seelen. Nicht ganz dieselben Ziffern gibt Maurer -). der gleichwohl die obige Gesammtzahl Roskiewicz1 (mit Hinzuschlag der Zigeuner) erhält. Nach ihm besässe Bosnien bei 300.000 Mohammedaner. 360:000 griechisch-, 122.000 römisch-katholische Christen. 5000 Juden und 9000 Zigeuner; die Herzegowina 55.000 Mohammedauer. 130.000 griechisch-. 42.000 römisch-katholische Christen, 500 Juden und 250<» Zigeuner; Rascien endlich 23.000 Mohammedaner, 100.000 griechische Christen, 200 Juden und 1800 Zigeuner. Ganz dieselben Ziffern gibt das »preussische Handelsarchiv« vom Jahre 1867. dagegen schlägt B 1 a u dieGesammt-population auf 1,061.025 (1867) und das »Sahiame« (der officieUe Staatskalender pro 1873) gar auf 1,242.456 Seelen an.:!) Erwägt man neben diesen allenthalben düferirenden Angaben noch weiters, dass gerade die letzten Jahre durch Krieg und Revolutionen immerhin ein beachtens-werther Procentsatz in der Gesammtbevölkerung ausfaUen musste, und weiters, dass ein Theil der Herzegowina durch den Berliner Friedens-Tractat dem Fürstenthume Montenegro zugeschlagen wurde, so lässt sich vermuthen, das die fraglichen Länder kaum mehr als über 900.00<) bis 1 Million Menschen verfügen dürften. In der Regel wurde bisher die bosnisch-herzegowinische Population nur nach Confessionen classificirt. Dem Racen-Unterschiede, im Oriente ')A.a. 0. 78. ')Maure r, »Eine Reise durch Bosnien«, 373. *) Vergl. Helle, »Die Völker des osmanischen Reiches«, 53. Während in allen vorhandenen statistischen Angaben die Christen sich in achtunggebietender Majorität befinden, wird türkischerseits officiell die mohammedanische Bevölkerung des »Vilajets Bosna« auf nicht weniger denn 630.000, jene der Nicht-Mohammedaner aber auf nur 612.000 Seelen veranschlagt. In der Ziffer der Nicht-Mohammedaner sind hier nur. die Juden (5600) einbegriffen, nicht aber die Zigeuner (11.500), welche in der Türkei ausschliesslich zu den Mohammedanern zählen, gewiss ohne jedwede Berechtigung. Einthcilung- der Bewohner nach Racen. 93 ohnedies von geringerem Belange. da hier im Völkerleben nur die Glaubens- und Religions-Gruppen eine Rolle spielen, nicht aber die Völker als solche, als Nationen; diesem Racen-Unterschiede mm wurde keinerlei Wichtigkeit beigemessen. Es erscheint uns gleichwohl nöthig, vorerst in diesem Sinne einen Blick auf das fragliche Land zu weifen, da gerade der wesentliche Unterschied zwischen Bace und Confession im grossen Publikum nicht jene scharfe Abgrenzung erfahrt, die absolut vonnöthen ist. will man sich nicht in die gröbsten Irrthümer verwickeln . . . Das ganze eigentliche Bosnien und die Herzegowina ist von einer homogenen Race. den Slaven bevölkert. Die Juden imd Z i g e n n e r. welch' erster« bekanntlich der semitischen, die letzteren der indo-germanischen Völkergrii]»]M' angehören, sind nicht eigentlich als Völker, sondern nur in mehr oder minder ansehnlichen Colonien vertreten, indem die ersteren sich ihrer Gewohnheit gemäss in den grösseren Städten des Landes niederliessen, um durch Handelsgeist und Speculation ihr Fortkommen zu finden. während die letzteren entweder als Nomaden das Land durchstreifen, oder als sesshafter Theil der Bewohnerschaft einzelne Gaue. Dörfer oder Vorstädte bevölkern. Eigentliche Osmanen oder Angehörige der ugro-altaiischen Race gibt es in Bosnien nur wenige, höchstens in den grösseren Städten, wo sie überdies zumeist nur durch die bisherige Beamten-Hierarchie repräsentirt wurden, weniger durch compacte Colonien oder grössere Familiengemeinschaften. Das letzte ethnische Element, welches indess in Bosnien'und der Herzegowina nirgends en masse anzutreffen ist, sind die Albane.sen oder Amanten des Districtes Rascien. Sie sind pelasgischen Stammes und gehören zweifellos der autochthonen Urbevölkerung an. wie sowohl ihre Racen-Eigenthümlichkeiten, wie ihre Sprache, auf welch1 beide wir weiter unten noch zu sprechen kommen werden, darthun. Die älteste und ältere Geschichte der slavischen Bevölkerung Bosniens und der Herzegowina ist in dieser Schrift bereits flüchtig berührt worden. Durch die Avaren bedrängt. riefen die römischen Kaiser die Chrobaten und später die Sorben oder Serben, welche beide am Nordhange der Karpathen bis tief nach Preussen hinein siedelten, um Beistand an, welcher Aufforderung zuerst die Chrobaten Folge leisteten, indem sieh einzelne Stämme derselben unter Anführung der fünf Brüder Kluk, Lobel, Kosentz, Muchlo und Horwat vom Bruder-volke trennten, in Dalmatien und in die Saveländer einfielen, um die dort hausenden Avaren zu unterjochen. '). Das erste Auftreten der Slaven war demnach höchst viel versprechend, und namentlich im Hinblicke auf ihre Erfolge über die Bedränger der illyrischen Halbinsel waren sie den ost-römischen Kaisera willkommne Alliirte. Die Herrscher von Byzanz schienen indess eines ausser Acht gelassen zu haben, den Umstand nämlich, von welch' geringer Dauer die Verbrüderung mit einem frisch emporgekommenen, lebenskräftigen Volke sein musste, das keinen Geschmack für eine noch so gutgemeinte Oberherrschaft über sie finden.konnte. Thatsäehlich emaneipirten sich die Slaven rasch von den byzantinischen Herrschern, und im 9. Jahrhunderte war es mit deren Oberhoheit über die Slaven für immer vorbei. Früher schon waren serbische Stämme aus der Lausitz und von den Weichsel-Gegenden den Chrobaten gefolgt, und da sie gleich vom Anbeginne her ziemlich zahlreich, und von Bruderstämmen, wie die Terbuni, Zachlumi und Narentani -) begleitet, in Action traten, war ihr Einströmen in die illyrische Halbinsel ungleich intensiver, räumlich weiter und schon in der nächsten Zukunft folgenreicher. Ihre Streifungen vollführten sie von den Ufern der Save imd Donau bis Durazzo hinab und haben sich einzelne Colonien dieser ersten Slaven-Ansiedelimg des alten Illyricum Barbara selbst dem Namen nach, bis in die neueste Zeit hinein erhalten. So waren die Zachlumi die immittelbaren Vorläufer der Bewohner der Herzegowina im Osten der Narenta (die Landschaft Za-Chlum, d. i. jenseits des Berges Chlum oder Hum, der bei dem heutigen Mostar liegt), die Narentani occupirten das Narenta-Gebiet und die Terbuni das südlichste Herzegowina, wo nachmals das »Fürsten-thum Terbunia« erstand, wie heute der Name der Stadt Trebinje darauf hinweist. Auch in Montenegro Hess sich ein Stamm nieder, indem er den Namen der dortigen Hauptstadt Dioclea annahm .... War nun schon der Stammesverwandtschaft wegen ein gegenseitiges Verdrängen oder Aufheben von Serben und Chroaten nicht leicht möglich, obwohl G. L ej e an, »Ethnographie de la Turquie d'Europe«, 23. J) Nach Consta ntin Porphyrogenitus. Der slavische Volksstamm. 1)5 der geringe ethnische Unterschied eine umso schärfere Scheidegrenze durch confessionellen Antagonismus nur zu bald finden sollte, so war es ein Anderes, als die Serben auf die Albanesen stiessen. Hier trat der Racen-Gegensatz in seine Hechte und konnte von einem Aufsaugen des einen Elementes durch das andere nur in den seltensten Fällen die Siede sein. So gelang es einzelnen serbischen Colonien, inmitten der späteren Arnauten-Fluth. die über die nordalbanischen Alpengebirge hereinbrach ihre ethnische Originalität zu bewahren, wie noch immer die serbischen Sprachinseln um Durazzo, am Ochrida-See imd anderwärts in Albanien darauf hinweisen. Andererseits sind die serbischen Massen in einem Landstriche, der anfangs so recht zu ihrem unmittelbaren Herrschaftsgebiete gehörte,*) nach Beginn der osmanischen Invasion in kürzester Zeit nahezu ganz verdrängt worden. Es ist dies das sogenaimte Gebiet von Alt-Serbien oder Rascien, von dem bekanntlich auch ein Theil, der Sandschak Novibazar zu Bosnien gehört. Hier, wo die Nemanjas resi-dirten und in den düsteren Waldthälern des Lim, Ibar und der Morawa die classische Epoche des Serbenthums sich abspielte, fanden bald nach dem Anlangen der Eroberer-Schaaren Sultan Murads Auswanderungen nach Norden hin, über die Donau und Save auf ungarisches Gebiet, in ausgiebigster Weise statt. Die unglückliche Schlacht auf dem Amselfelde zwischen dem heutigen Pristina und Mitrowica hatte die Bewohner Rasciens selbstverständlich der Vernichtungswuth der Sieger zunächst ausgesetzt, wie ja auch die geographische Situation eine derartige war imd noch immer ist, dass ein jeder Eroberer auf seinem Zuge aus dem südöstlichen Theile der Balkanhalbinsel nach dem nordwestlichen, oder umgekehrt, das Karstplateau von Rascien zwischen den serbischen und montenegrinisch - nordalbanischen Hochgebirgen nothwendigerweise passiren musste und muss. Später, namentlich im 17. imd 18. Jahrhundert, fanden diese Auswanderungen wrährend der österreichisch-türkischen Kriege in noch weit grösserem Masse statt, wenn auch zuweilen die Bemühungen Oesterreichs in dieser Richtung, trotz der ausgiebigsten Unterstützung von Seite des höheren serbischen Clerus, durch die osmanisehe Gewalt- ') Vgl. v. Kall ay, »Geschichte iler Serben«, a. a. 0. thätigkeit durchkreuzt wurden. So gelangten zwar im Jahre 1690 bei 37.000 serbische Familien glücklich auf ungarischen Moden; der zweite Wanderzug (1740) ward aber von den Türken eingeholt und unter den Emigranten ein furchtbares Blutbad angerichtet, lieber 100.000 Menschen wurden damals entweder niedergemacht oder in die Sklaverei geschleppt, das freigewordene Gebiet aber den nachdrängenden Arnautenstämmen überlassen. ) Auch später war das Volk der Serben in ihrem eigentlichen Heimatslande, das ist in dem heutigen Fürstenthume viel härteren Schicksalsschlägen ausgesetzt, als die Bruderstämme indem benachbarten Bosnien. Hier rettete sich, wie wir bereits erfahren haben, ein grosser Theil der Bewohner vor der osmanischen Vergewaltigung durch einen en masse bewirkten Uebertritt zur Religion des Siegers. Der Adel schuf sich neue Privilegien und die Lehnsherrlichkeit blühte unter allen Namensträgern in neuer Form wieder auf, während das Selbstbewusstsein der serbischen Edlen nur kümmerlich fortvegetirte und vollends erlosch, als die Unabhängigkeits-Bestrebungen des Volkes die Türken zu Gewaltmitteln herausforderten. Die Bosnier aber, welche Mohammedaner geworden waren, haben gleichwohl bis auf den Tag ihre ethnische Originalität bewahrt und somit die Race unverfälscht erhalten. Es ist diese Thatsache um so berücksichtigungswerther, als gerade auf der Balkanhalbinsel die Fälle nicht selten sind , dass die Bedrückten, oder die Eroberten von den Eroberern mälig aufgesogen wurden . ohne dass es hiezu gerade des Islams bedurft hätte. So waren die älteren Bulgaren nicht nur finnisch-ugrischen Stammes, sondern auch aller Wahrscheinlichkeit nach islamitischen Glaubensbekenntnisses4); sie ') Zinkeisen, »Geschichte des osmanischen Reiches etc.", L, a. a. 0. 2) Wann der Islam bei den Donau-Bulgaren Eingang fand , ist nicht sicher. Glaubt man einem tartarischen Berichte , so müsste er schon nach Mösien mitgebracht worden sein, denn ihm zufolge fiele die erste Verbreitung des Islam bei den Bulgaren in das Jahr GM3, also noch vor ihren Exodus an die Donau. Wie eine andere Meldung will, so stammte er hingegen erst aus dem 8 Jahrhundert. Hiebet werden Bücher erwähnt, welche die Bulgaren von den Sarazenen nahmen. Dies waren ohne Zweifel arabische, und zwar Exemplare des Koran 5 auch wird berichtet, dass die Donau-Bulgaren in Uebung hatten, ohne Gürtel, dagegen mit bedecktem Haupte in die »Kirche« zu gehen , ganz wie es die Mohammedaner thuu. (Vgl. R. Roesler, »Romanische Studien«, 241 u. ff.) Mohammedanische Bosnier. 97 sind später in den Slaven aufgegangen, haben das Christenthum angenommen . indess Andere wieder (wie die heutigen Pomaken) die Religion des letzten Eroberers, der Osmanen. annahmen, ohne sich ethnisch diesen zu assimiliren. Es scheint also das Slaventhum zu sein, dem speciell die Fähigkeit zu solchem Conservatismus innewohnt, imd ist man zu dieser Annahme umso berechtigter, wenn man an den That-sachen, wie sie in Bosnien zum Ausdrucke gelangen, festhält.') Die bosnischen Mohammedaner, oder richtiger, die mohammedanischen Bosnier haben zumeist ihre alten Gewohnheiten beibehalten, sie führen mit gewissem Stolz ihre alten Familiennamen und besitzen auch nicht die geringste Kenntniss der türkischen Sprache. Dass sie gleichwohl die ärgsten Christenschänder geworden, und zwar weniger aus Habsucht, denn aus wirklichem Fanatismus — wie dies ja die zahlreichen mohammedanischen Erbebungen während der Reform-Aera beweisen — erhärtet nur den alten Wahrheitssatz, dass das Apostatenthum immer weitaus intoleranter und reactionärer ist, als wie die Bekehrer..... Indess hat dieser Abfall vom Glauben der Väter hauptsächlich nur in Bosnien stattgefunden, weniger in der Herzegowina, Es war die Sorge um den Besitz, sowie die ohnedies unleidlichen confessionellen Gegensätze zwischen den römisch-katholischen imd griechisch-orthodoxen Christen einerseits, wie zwischen den ethnischen Elementen der Croaten und Serben anderseits, welche dieser Neugestaltung ausserordentlich Vorschub leisteten. In den subsistenzärmeren Gebieten der Herzegowina hatte selbst der besitzende Theil wenig zu retten. Zudem war und ist die Natur dort im höheren Grade geeignet, der Invasion und ihren !) Anders verhält es sich mit dem Slaventhum gegenüber den Germanen. Als das erstere (als Slovenen oder "Winden) sich zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert tief in die Alpenländer hinein erstreckte, unterlag es später im Kampfe mit den Deutschen. Die Slaven wichen entweder zurück oder verschmolzen langsam mit ihren Bedrängern, den Deutschen, denn diese begnügten sich zumeist, die schwächere Individualität sich politisch zu unterwerfen und das Aufgehen derselben in deutscher Sitte, Sprache und Lebensordnung von der Zeit zu erwarten. Doch blieb diese Germanisirungsarbeit nalurgemäss nicht ohne Rückwirkung auf die Deutschen , und ist diese Blutmischung in den Bewohnern einiger Alpenländer Oesterreichs in Bezug auf Temperament, Geistesriehtung und Sitte unverkennbar. (Vgl. v. Hellwald, »Die beutige Türkei«, 31.) Schweiger-I.erchenfeld, Bosnien. 7 Gewaltmitteln passiven Widerstand entgegenzusetzen, wie auch nicht zu vergessen ist, dass die Herzegowina schon damals Anlehnung an den Bergstaat Montenegro gefunden hatte, der seit der Schlacht auf dem Amselfelde ein Hort aller orthodoxen Slaven wurde, die vor den Türken flohen.') Es waren somit die schlechtesten Elemente nicht, die sich in den Felswildnissen des »Schwarzen Berges« mählig zu einem kleinen, patriarchalisch organisirten Priesterstaate consolidirten. Und von dieser Zufluchtsstätte ging sofort mit Inaugurirung des Türken-Begiments ein activer Widerstand aus, wenig erfolgreich in der That, aber nicht ohne moralische Nachwirkung auf die Bewohner des Nachbarlandes, die im schlimmsten Falle immer aul den Schutz des Bruderstammes rechnen, oder auf seinen unzugänglichen Heimstätten Rettung rinden konnten. Diese ethnischen und geschichtlichen Verhältnisse finden wir auch heute noch in der räumlichen Vertheilung der Racen und Glaubensbekenntnisse ausgedrückt. Ganz Bosnien und die Herzegowina bewohnt die homogene slavische Race. Selbst Rascien wurde nie ganz entslavisirt, imd die Südabhänge der serbischen Grenzgebirge zwischen Nova-Varos und Novibazar (Javor Golia) beherbergen noch immer vorheiTschend Serben. Das eigentliche Plateau von Rascien besitzt eine aus ziemlich gleichen Theilen bestehende Misch-Bevölkerung von Serben und Arnauten-), und in den Gebirgen südwärts hievon endlich dominiren die letzteren. Den confessionellen Unterschieden nach gibt es in ganz Bosnien und der Herzegowina kein compactes mohammedanisches Gebiet. Christen wie Mohammedaner treten durchschnittlich stets im gleichen Procentverhältnisse auf, mit Ausnahme einzelner Gebiete, wo die Christen entweder in entschiedener Majorität, oder gar ohne irgend welche ') Schon im vierzehnten Jahrhundert finden wir ein unabhängiges Fürstenthum Zetta, das nach Ableben Kaiser Duzan's von Serbien von einem Balsa beherrscht wurde. Gelegentlich des Kriegszuges des letzten Serbenkaisers Lazar Grebljanowic' gegen die Türken beeilte sich der Fürst von Zetta mit einigen Hilfstruppen zu den Serben zu stossen, doch konnte er an der Schlacht auf demAmselfelde nicht mehr theilnehmen. Erwähn enswerth ist, dass das damalige Fürstenthum der Balsic" viel grösser als das heutige Montenegro war und nebst Strichen von Albanien den grösten Theil der Herzegowina und die Bocche di Cattaro umfasste. (S. Gopcevic', »Montenegro und die Montenegriners, 2.) 4) Roskiewicz, a. 0., 156. Bosniaken, Raizen, Herzegowiner. 99 Beimengung mohammedanischer Elemente vorkommen.3) So ist ganz Ost- und Mittel-Bosnien, etwa das Viereck Brod, Glamoc, Visegrad, Raca zu gleichen Theilen mohammedanisch und christlich; die Christen sind hier vorwiegend griechisch-orthodoxen Bekenntnisses. An diese Hauptmasse schliesst im Westen (um Jaicze) eine Insel römisch-katholischer Christen, am untern Vrbas und an der obern Sauna zwei räumlich ausgedehntere Striche mit griechischen Christen. Mitten zwischen diesen beiden letzteren hindurch bis Bihac an der alten Grenze zieht sich ein Streifen mit gemischter, mohammedanisch-griechischer Population und das Gebiet dieser Stadt vollends ist eine reinmohammedanische Insel____Die Herzegowina ist jenseits der Narenta, das ist im Osten, in allen ihren Theilen von orthodoxen Christen bewohnt. Mohammedaner finden sich nur in den grösseren Ortschaften, oder in den Städten, wie Stolac, Lubinje, Trebinje, Mostar, Foca und Konjica, dagegen ist das ganze Gebiet zwischen der dalmatinische Grenze und der unteren Narenta römisch-katholisch.2) Die Hauptmasse der slavischen Bewohner Bosniens ist serbischen Stammes, und werden dieselben von den meisten Slavisten kurzweg als »B o sni ak en« bezeichnet, zum Unterschiede von den eigentlichen Serben, welche das heutige Förstenthum bewohnen: dann werden noch unterschieden: Raizen, oder die serbischen Bewohner des heutigenBascien, und Herzegowiner, welch1 letztere indess so gut wie dieBosniaken zum grossserbischen Volksstamme gehören. Ein Theil der slavischen Bosnier ist auch croatischen Stammes, doch bilden sie keinen sehr deutlich erkennbaren Bestandteil der südslavischen Race. Obwohl die croatische Mundart ans der Türkei fast verschwunden ist, so lassen dennoch gewisse *) Vergl.C. Sax, »Ethnographische Karte der europäischen Türkei«, 1877. *) Ein von dem Franziskaner P. Petrus Bakula zusammengestellter »Schematismus Vicariatus Apostolici et custodiae Provincialis franciscanico missionariae in Ilerzegovina pr. a. d. 1873« (Mostar 1873) gab für die Pfarrbezirke der Franziskaner in der Herzegowina unter Anderem folgende Ziffern für die katholische Bevölkerung: im Pfarrbezirke von Siroki-Brig 3560 Seelen, Gjuti-Dolac 1292, GradaS 1614, ^erin 1918, Gradnici 4668, Gabela 1803, Mostar 5193, Goranci 1399, Dreznica 470, Konjic 2005, Rakitno 1431, Seonica 2796, Zupanjac 2276, Suica 716, Grabovica 2228, Roskopolje 1815, PoBUBje 3196, Vir 1106, Gorica 1934, Kocerin. 1365, Ledinac 1002, BuK5i 3021, Klobuk 1607, Drinovci 1932, \Vljaci2675, liumae 4380, zusammen 57.402Seelen. 7 * physiologische Merkmale die Existenz des Volkes längs der Grenze von Glamoc bis Bihac nachweisen.') Dagegen ist es ein Irrthum, und wir haben diesbezüglich schon im »historischen Ueberblick« eine Bemerkung gemacht, wenn man in den heutigen Morlaken (More vlak — Küstejihirten) Nachkommen der seinerzeit von den Croaten aufgesogenen Avaren erblicken will. Ein Volk anderer Race sind die Albanesen oder Arnauten, welche heute im bosnischen Gebiete nur denDistrict von Novibazar bevölkern. Es sind unzweifelhaft Reste der alten Illyrier, die im 7. Jahrhundert von den einbrechenden Slaven im Norden immer mehr gegen Süden abgedrängt wurden, und sich schliesslich in dem Hochlande zur Seite des adriatischen und jonischen Meeres festsetzten. Dass sie sich hier dem autochthonen Volke der Berglandschaft assimilirten, liegt in der Natur der Sache. Aber schon zu Ptolomäus1 Zeit kannte man in diesen Gegenden ein Volk Namens »Albani«, und jene illyrischen Reste wurden von den Byzantinern nie anders als mit dem Namen »Arvanati« belegt, offenbar eine Corruption obiger Namensform. Es würde zu weit führen, wollten wir an dieser Stelle des Ausführlichen über die ethnische Stellung der Albanesen, über ihre Geschichte und confessionellen Spaltungen berichten. Dennoch erscheint es, im Hinblicke, dass albanesische Stämme überhaupt einen Theil der Population des Vilajets Bosna bilden, am Platze, zu erwähnen, dass dieselben zur Gruppe der ghegischen Stämme zählen. Der Fluss Schkumbi in Hochalbanien ist die Grenze zwischen den nördlichen Ghegen und den südlichen Tosken, deren ethnischer Unterschied ein kaum nennenswerther ist. Die Ghegen, noch heute in einzelnen Gebieten der Pforte soviel wie unabhängig schaltend, waren es, die nach der Emigration der slavischen Bevölkerung aus dem früheren Königreiche Rascien in die freigewordenen Gebiete nachströmten und nach und nach compacte Massen zwischen der Morawa, dem Ibar und den montenegrinischen Grenzgebirgen bildeten. Ihre Zahl in dem heutigen Districte von Novibazar ist nicht leicht zu ermitteln, da Reisende bei der Unzugänglichkeit ihrer Alpengebiete kaum in die Lage kamen, sie auch nur annähernd abzuschätzen, während l) Lejean, a. a. O. 25. Die Amanten. 101 die ofliciellen Ausweise nur die Confessionen, nicht aber die Bacen unterscheiden. So kennt das »Salname« vom Jahre 1873 auch für Rascien nur Mohammedaner und Mcht-Mohammedaner, und wird die Zahl der ersteren auf etwa 100.000 angegeben, was offenbar übertrieben ist. *) Es würde sich demnach hier um ebensoviele Arnauten handeln, denn Mohammedaner anderen Stammes gibt es in dem fraglichen Territorium nur wenige. Lejean 2) beziffert die Ghegen in Rascien und an der oberen Morawa auf 70.000 Seelen, von denen höchstens ein Drittel auf den District von Novibazar entfallen würde — also etwa 23.000, — welche [Zahl auch mit den Angaben Blau's und Roskiewicz'übereinstimmt. Ebenso übertrieben sind die Schätzungen Ami Boue's 3) und Ubicini's. Die auf bosnischem Gebiete sitzenden Albanesen sind ausschliesslich moslimischen Glaubensbekenntnisses... Wir haben;bereits an anderer Stelle den wenig anheimelnden Charakter-Eigenschaften dieses mwüchsigen'und wilden Volkes gedacht, das mit seltenem Conservatismus Einrichtungen, Sitten und Gebräuche sich bewahrt hat, die in einer längst entschwundenen Zeit wurzeln. Der Anmute ist — schreibt ein gründlicher. Kenner des Volkes, v. Gyurkowics4) — Hirte, Kriegs-mann und Räuber; den Ackerbau betreibt er nur des nothdürftigen Unterhaltes wegen. Das Volk der Albanesen steht indess sowohl in geistiger, wie in socialer und politischer Beziehung auf der untersten Stufe europäischer Entwicklung. Alle Mittel und Ergebnisse der Cultur erscheinen ihnen unverständlich und überflüssig; er keimt keine Gesetze, nur Traditionen; keine Gesellschaft, nur die faustrechtliche Macht des Einzelnen; keinen Staat, nur die uralte Constitution der Stämme. Der Albanese versteht darum auch nicht, was Becht [und Unrecht in unserem Sinne ist, und befindet sich mit dieser Erkenntniss nicht einmal auf der Stufe der Osmanen; ihm ist, seiner Ansicht nach, Alles erlaubt, woran ihn ein Anderer physisch nicht hindern kann. Dass bei solchen Zuständen Faustrecht und Blutrache die Stelle des öffentlichen ') Helle, »Die Völker des osm. Reiches«, 53. ») A. a. 0. 17. 3) Ami Boue*, »Recueil d'itineraires dans la Turquie d'Europea, a. a. O. *) v. Gyurkowics, »Die Albanesen« (»Presse«, 1878). und Kriegsrechtes vertreten, ist eine selbstverständliche Sache.. . . Betrachten wir den Albanesen seiner äusseren Erscheinung nach, so stellt sich uns derselbe als von hohem oder mittlerem Wuchs, kräftiger aber wohlgestalteter Körperentwickelung, mehr mager als beleibt vor. So ausgestattet, bietet der Albanese mit seiner stolzen, etwas theatralischen Haltung, der eine hoch gewölbte Brust sehr zu Statten kommt, ganz den Anblick einer Athletengestalt. Der Schädel ist lang geformt, häufig an den Schläfen etwas ausgebaucht; die Stirne breit, die Nase länglich und gerade. Die helle Farbe der Augen, Haare und Haut, herrscht bei den nördlichen Stämmen, wie man es nicht vermuthen sollte, vor. Eigenthümlich ist die Haartracht der Albanesen. Sie rasiren den ganzen Band ihres Haupthaares ringsum etwa drei Finger breit ab , so dass nur eine kleine Fläche stehen bleibt, von der die Haare entweder zu einem losen Zopfe geflochten abgehen, oder ungeflochten in Strähnen flattern.') Die Sprache der Albanesen 2) lässt sich mit keiner der lebenden Idiome vergleichen, und trägt deren Charakter wesentlich dazu bei, in jenen ein' ureigenes, autochthones Volk der ill)Tischen Halbinsel zu erkennen. Als Probe diene nachfolgendes Volkslied: Dolla preme nd Armolith Ich ging gestern nach Armolith Pasclie nje te bukure. (Und) sah; eine Schöne. E bukura e tje pamna Die Schöne, die mich sah, Hotj e mbiili derrene. Zog sich zurückundschloss die Thüre. Mos e mbülc, semer ime; Schliess' sie nicht, o Herze mein; Mos e mbüle derrene Schliess' sie nicht die Thüre Per mu te mjerene. Vor mir, dem Aermsten. Einen interessanten Theil der Population Bosniens bilden die Zigeuner. Sie bilden überhaupt einen integrirenden Theil der Gesammtbevölkerang der europäischen Türkei und wird diesfalls ihre Zahl oft auf 200.000 und darüber geschätzt.3) Es ist bekannt, dass die Ethnologie die Hindu-Abstammung der Zigeuner ausser Zweifel gesetzt hat, und zeigt sich dieselbe sowohl in ihrem Typus, wie in ihrem Kastenwesen , nicht zu vergessen die Sprache, die ein verdorbenes und mit 1) F. v. Hellwald, »Die heutige Türkei«, 342 u. ff. 2) Vgl. R. Rost, »Die Sprache der Albanesen«, im »Globus«, 1868. 3) Ami Boue, »Receuil d'itine*raires etc.«, a. a. 0. Die Zigeuner. 103 Wörtern aus den Sprachen der von ihnen bewohnten Länder stark vermischtes Sanskrit ist.!) Was von den Zigeunern der Türkei im Allgemeinen, das gilt auch von jenen Bosniens. Sie sind zum Theile sesshaft, wo sie dann entweder eigene Dörfer, oder aber die Vororte grösserer Städte ausschliesslich bevölkern imd im letzteren Falle mit besonderer Vorliebe das Schmiedehandwerk treiben, und überhaupt Alles, was der Türke unter dem Namen »demirdjiler« (Eisenarbeiter) begreift.2) Ein anderer Theil von ihnen hat noch immer die alte Gewohnheit des Nomadisirens, und gerade diese Zigeuner sind es, die den echten Typus ihrer Nationalität am meisten bewahrt haben. Unter den übrigen Bevölkerungselementen Bosniens fällt er sofort auf durch sein wildes Aussehen, sein schwarzes , glänzendes Auge, seine schlanke, magere Gestalt, durch seine langen flatternden Haare imd durch seinen dunklen Teint. Er verachtet jeden Ansessigen, besonders aber seine, der nomadischen Existenz abtrünnig gewordenen Brüder, und obwohl er den Anblick des haushohen Lebens immer vor Augen hat, so zieht er es dennoch vor, seine Existenz unter durchlöchertem Zelte zu fristen, wo er in der schlechten Jahreszeit den grössten Entbehrungen ausgesetzt ist. Ja, es scheint ihm angenehmer zu sein , in dieser elenden Lage umzukommen, als sich unter den Zwang fester Mauern und des wasserdichten Obdaches zu retten.3) Seine originelle Ursprünglichkeit hat namentlich ein Stamm, die sogenannten »Zaparis«, sich ungeschmälert zu erhalten gewusst. In ihnen hat sich der angeborene Diebssinn zu einer Art Baubritterthum entwickelt, das von den Mitgliedern dieser Banden mit grosser Beherztheit und mit einem gewissen Elan geübt wird. Wenn einige Ethnographen — und mit ihnen der officielle ottomanische Staatskalender — behaupten, die meisten Zigeuner bekennen sich zum Islam, und andere wieder4) sie als eine besondere islamitische Secte hinstellen, so ist es so ziemlich festgestellt, dass die Zaparis absolut religionslos sind. Wenigstens hat man an ihnen Gebräuche und Sitten beobachtet, die (wie das Frühlings- ') G. Paspati, »Etudes sur les Tschinghianes de l'emp. ottomani, 1870. ») Lejean, a. a. 0., 12. 3) H. VambSry im »Globus« 1870. *) Roskiewicz, »Studien etc.«, 82. fest »Kakava«)1) entfernt an einen Nationalcultus mahnen. Im Allgemeinen geben sich die ansessigen Zigeuner für Christen, die nomadi-sirenden aber für Mohammedaner aus, wodurch die Spaltung zwischen beiden und ihr gegenseitiger Hass noch vennehrt wird. Die »christlichen« Zigeuner sind es auch zumeist, welche zur höheren Belustigung der vornehmen Mohammedaner jenes Contingent von Tänzerinnen steUen, deren bajaderische Kunst einzig nur in einer möglichst unverhüllten Art sinnlicher Attitüden besteht . . . Die Zahl der in Bosnien weilenden Zigeuner dürfte nicht leicht festzustellen sein. doch ergibt sich aus verschiedenen Angaben eine annähernde Ziffer von etwa 12.000 Seelen.2) Wir hätten nun noch der Osmanen zu gedenken, die in Massen in Bosnien niemals Fuss gefasst haben. Wohl folgten den ersten siegreichen Heeren zahlreiche Familien, sie blieben aber zumeist in der fruchtbaren Ebene Thessaliens und Macedoniens zurück oder occu-pirten die, der Residenz näher gelegenen Gebiete Thrakiens und Bulgariens. Dennoch haben wir auch in Bosnien, wo die Osmanen, des stattgehabten Uebertrittes des eingeborenen Adels halber, nicht als unmittelbare Beherrscher der Rajah auftraten, Repräsentanten dieser Race bis auf den Tag gehabt, imd dies sind die höheren Beamten, die Effendis.. . Es dürfte erspriesslich sein, diese Gattimg von Menschen des Näheren zu typisiren. Unter dem Collectivtitel der »Stambuler Effendis« versteht man heute jene grosse, das Reich in seinen »Oberen Zehntausend« repräsentirende Clique, die sich ausschliesslich nur aus Paschas-Söhnen imd Parvenüs aller Art recrutirt, und deren eigentlicher Existenz-Zweck das Vergeuden fremden Gutes und fremden Arbeitslohnes ist. Wie aus dem Stamm des Tropenbaumes die marksaugenden Parasiten hervor- imd emporwuchern, so umrankt das Effendi-Gelichter den morschen türkischen Staatsbau, der erst morsch geworden ist, seitdem jene Clique an's Ruder gelangte... Vor der Janitscharen-Ver-tilgung unter Sultan Mahmud II. im Jahre 1826 kannte man den Beamten-Autokratismus in der Türkei nicht. Wohl war die Frucht der Corruption schon damals reif, und seit dem allgemeinen Niedergange ') Paspati, a. a. O. a) Helle — »Die Völker des osmanischen Reiches« — beziffert sie nach offiziellen Belegen auf 11.500; Maurer auf 13.300 Seelen. Osmanische Repräsentanten. 105 des osmanischen Reiches, das ist: seit etwa 200 Jahren, hat es dem Staate nie an Individuen gefehlt, die für eigenes Wohl weit besser zu sorgen wussten, als für das allgemeine des Staates imd seiner Völker, aber dergleichen ist auch anderwärts, in den abendländischen Cultur-staaten erlebt worden und gehört nun einmal zu den Auswüchsen des Staats- und Völkerlebens. Im übrigen aber herrschten vor 1826 in den türkischen Provinzen die tributpflichtigen Feudalherren, zwar keine Muster im Sinne der Menschenrechte imd Humanität, aber energische Gauherren, die gar wohl wussten, "wie sehr die Prosperität ihrer Provinz mit ihren eigenen Einkünften zusammenhänge, imd wie noth-wendig es deshalb sei. die Arbeitskraft des Volkes nicht zu sehr anzuspannen und seine materiellen Mittel nicht vorzeitig zu erschöpfen. Nur die bosnischen Begs machten in dieser Richtung, wie wir gesehen haben, eine unrühmliche Ausnahme, aus Gründen, die sich aus den hoch-reactionären Tendenzen des slavischen Reuegatenthums ergeben. In der Residenz selbst herrschte das Regulativ für höhere Beamtenwillkür — die Janitscharen — und zahllos sind die Köpfe von Grosswürdenträgern , die auf Verlangen dieser Prätorianer seinerzeit fallen gemacht wurden. Hort, wo sich heute zunächst des Stambuler Bazar-(juartieres Gärten und Artischokenfelder dehnen, stand die grosse Janitscharen-Kaserne. War Anlass zu allgemeinem Unwillen vorhanden, dann bedurfte es nur eines Keulenschlages des »Agas« an die grosse Kasernthür, und gleich Hornissschwärmen brachen die gefürchteten Elite-Soldaten hervor, um im tumultuarischen Aufzuge vor dem Amtssitze dieses oder jenes Grossveziers ihren Willen kundzugeben. Kein Sultan wagte es, den Janitscharen zuwider zu handeln; da ward eines Tages dem energischen Mahmud H. die Sache zu toll, und nachdem er bei dem Scheikh-ul-Islam die betreffende Fetwa durchgesetzt hatte, erfolgte deren Vernichtung, wozu man klugerweise die »heilige Fahne« entrollt hatte, um die Massen zu gewinnen, denen es diesmal zweifellos zu danken war, dass das Vernichtungswerk gelang. Von diesem Tage, also seit etwas mehr als fünfzig Jahren datirt der eigentliche Niedergang der internen Verhältnisse in der Türkei. Zwar konnte und kann die Gewaltherrschaft der Janitscharen nicht gut geheissen werden, aber was hat der Wechsel gebracht ? Zunächst verschwanden die bislang gefürchteten Feudalherren aus den verschiedenen Provinzen, nicht ohne dass es vorher noch hartnäckige Kämpfe mit den erbgesessenen Adelsfamilien gegeben hätte, und an ihre Stelle kamen die Paschas. Sie sind der Ahnenstock der heutigen Effendis. Seit ranzig Jahren ist kein Paschas-Sohn in der Türkei verunglückt. Man bewundert die demokratisch-patriarchalischen Einrichtungen im Oriente, ohne zu bedenken, dass es keine ähnlich verderbliche Aristokratenwirthschaft auf der ganzen Welt gibt, als wie es hier die herrschende Clique ist. Der Effendi oder Paschas-Sohn ist vorweg, das heisst durch die Geburt, zum Lebensgenüsse prädestinirt. Arbeit gilt ihm als Schande und Studium als überflüssig, da ja seiner Ansicht nach alle Wissenschaften bereits von den Arabern auf ihre grösste Höhe und zu denkbarster Entwicklung gebracht worden sind. Die Errungenschaften der abendländischen Cultur gelten ihnen nichts; Alles, auf was wir Europäer mit Recht stolz sind, ist schon dagewesen: es ist nur europäischer Hochmuth und Unwissenheit, wenn man auf Erfindungen und Entdeckungen so grosses Gewicht legt, die zum Theile, wenn nicht ausgeübt, so doch in den Schriften arabischer Gelehrten ausgedrückt oder angedeutet sind. Dass die Wissenschaft den Arabern Vieles verdankt, darüber dürfte wohl kein Zweifel herrschen, aber es dürfte denn doch im höchten Grade wunderlich erscheinen, wenn wir beiläufig anführen, dass es vornehme Osmanen gibt, die allen Ernstes versichern, im Koran befänden sich zweifellos auch Stellen über die Dampfkraft, die Telegraphie und die Eisenbahnen, es sei aber bisher noch nicht der richtige gelehrte Imam gekommen, der jene Stellen zu eruiren vermöchte. J) Von dem, was in den grossen abendländischen Ciütur-Metropolen vor sich geht, welche Gedankenarbeit erforderlich ist, um die Errungenschaften der Civilisation in den einmal gefurchten Bahnen unverwandt idealen Zielen entgegenzusteuern, von dem kolossalen Umsatz an Geistesprodukten aller Art von Nation zu Nation, von dem ungemein entwickelten Gemeinwesen, der moralischen und intellectuellen Bedeutung des Familienlebens, der Schulmeisterei und der syste- ') W. Pres sei, »unsere Interessen im Oriente« (Manuscript). manschen Entwicklung des Schönheitsgefühles durch ästhetische und philosophische Drillung — zu Nutz und Frommen der Gesellschaft, die sich ja doch nur aus Individuen zusammensetzt; von alF dem besitzt der Effendi nicht die blasseste Ahnung, daher auch diese unglaubliche Selbstüberhebung bei beispielloser Ignoranz und stupider Frömmelei, denn fromm ist der Effendi weit weniger als der hartgesottenste Atheist des Abendlandes. AVer sich bei uns aus dem Banne der Dogmatik herausgewunden, dem ist die Welt noch lange nicht entgöttert. Er ist nach seiner Facon fromm, wenn er in Bewunderimg der Naturherrlichkeiten versinkt, oder durch Schaffenstrieb documentirt, dass er sich als ein mützliches Glied der Schöpfung fühlt. Mit einem Worte, die Moral ist seine Beligion, nicht aber der Formalismus, mit dessen Abstreifung der Effendi in erschreckender Nacktheit uns entgegentritt. Um aber dennoch der europäischen Wissenschaft durch Frömmelei ein Schnippchen zu schlagen, erklärt er auf die unverfrorenste Weise, dass beispielsweise die Soime sich drehen müsse, um Nachts die Zeit — mit Gebeten und Andachtsübungen zuzubringen.1) Gar Logik von einem solchen Menschen verlangen zu wollen, erscheint undenkbar. Man construire ihm den leichtesten Schluss, der Effendi wird immer unlogisch in der Condusion abspringen. . . »Alle Menschen sind gut; (Jajus ist ein Mensch — folglich: — ist er kein Pferd«, wird jener antworten, und nicht etwa absichtlich, sondern aus angeborener Illogik. Diese Illogik verschlägt aber nicht, dass der Effendi nothwendigen-falls sehr logisch zu handeln versteht. Er weiss sehr gut, wenn er auf einen Provinzposten gebracht wird, dass bei dem Chaos, dem Protectionswesen und der ungeheuerlichsten Spoliation am Goldenen Horn seine Tage nach Monaten, ja nach Wochen gezählt seien, und dass desshalb die Stelle mit dem denkbarsten Hochdruck der Gewaltthätisr-keit und Willkür ausgenützt werden müsse. Da ward imausgesetzt erpresst, alle Reformen schlummerten und die hohe Politik kümmerte den Pascha und Gouverneur blutwenig. Bevor ein solcher Vampyr seine Arbeit antrat, kam es freilich vor, dass er das Gebiet desselben gar l) Vergl. den anonyme n Autor von »Stambul und das moderne Türkenthum«, Sl. a. O. nicht kannte, obwohl gerade Bosnien sich in dieser Richtung einer ver-hriltiiissniässig besseren Kenntniss seitens der Stambuler Herren zu erfreuen hatte. Wenn wir die Bewohnerschaft des Landes statt nach Racen nach Confessionen eintheilen, so bekommen wir zwei Hauptgrappen, die der Mohammedaner und jene der Christen, welch letztere sich wieder in Angehörige der griechisch-orientalischen Religion und in solche der römisch-katholischen oder »lateinischen« sondern. Der äussern Erscheinung nach unterscheiden sich Griechen und Katholiken so viel wie gar nicht von einander; es ist dasselbe armselige, heruntergekommene Volk, ohne inneres Selbstbewusstsein und ohne Anzeichen irgend einer wahrhaften Existenzfreude. Und dennoch ist der Unterschied zwischen beiden Gruppen ein wesentlicher, wenn wir das eigentliche Regulativ der Volksmassen, die Geistlichkeit mit ihrem mehr oder minder grossen Einflüsse, vor Augen behalten. Weim wir gleich vorweg ein entschiedenes Urtheil fällen sollen, so wird es für den griechisch-orthodoxen Clerus beiweitem ungünstiger ausfallen. Die Umstände, welche hier in so massgebender Weise entscheiden, beziehen sich zunächst auf den ungeheuerlichen SteUenschacher, der von keinem Geringeren, als dem griechischen Patriarchen in Constantinopel (Fanar) ausgeht. Wer von der höheren phanariotischen Geistlichkeit in Bosnien das Amt eines Wladika oder Bischofs erlangen will, dem eröffnet sich die Aussicht auf ein solches nur dann, wenn er das höchste Geldangebot stellt, oft mehrere hundert Dukaten, die selbstverständlich zu den Revenuen des Stambuler Patriarchen gehören. Es gibt in Bosnien-Herzegowina drei Bischöfe, zu Zwornik, Serajevo und Mostar, lauter Fanarioten, die begreiflicher Weise kein Interesse an dem Wohlergehen des Volkes haben, das fremden Stammes ist, imd das in der unverantwortlichsten Weise ausgebeutet wird. Die Popen-Wirthschaft der Fanarioten hat bekanntlich auch in anderen Theilen der iUyrischen Halbinsel zu Zeiten einen Grad erreicht, dass die gläubige Heerde den Druck derselben nicht minder fühlte, als jenen von Seite der osmanischen Herren.J) Es ist aber auch ') So schreibt der Bulgare M i n k o f f (in seiner Schrift: »Der Patriarch und der Papst in Bezug auf die bulgarische Kirche«) unter Anderm Folgendes*. »Wir Bulgaren werden mit den grössten Schmähungen überhäuft, weil wir einst Besseres nicht zu erwarten, wenn die Bischöfe sich ihr hohe; reiches Amt mit blankem Golde erkaufen und die Gewoge Vorgesetzten durch unausgesetzte Geschenke, die oft grössere ausmachen als die Einkünfte der betreffenden Kirchenväter, sich erna ten müssen. Es tritt in Folge dessen ein Erpressungssystem in Wirksamkeit, das sich nur der besseren Form, nicht aber seinem Wesen nach, von jenem materiellen Drucke unterscheidet, der von den Behörden und den mohammedanischen Grundbesitzern ausgeht. Erwägt man, dass der orthodoxe Clerus im Lande keinen Besitz hat, die Gehalte der Metropoliten aber gauz unverhältnissmässig grosse Summen darstellen (7 —12.000 iL jährlich), so liegt die Logik nahe, dass diese Gelder, mit Hinzuschlag der Geschenke, nur im Wege von Kirchenabgaben aufgetrieben werden können. Der Pope bestimmt die Höhe des von den einzelnen Mitgliedern der Heerde zu leistenden Tributs, der indess nicht jederzeit in baarem Gelde zu bestehen braucht. Es genügen auch Naturalleistungen; meist ist es ein Lamm, ein paar Hülmer, oder etwas Getreide. Es gibt Fälle, dass erwachsene Personen noch imgetauft sind, weil ihre Eltern die im Voraus geforderten Taufgebühren nicht zu leisten vermochten. *) Auch bei jedem Sterbefalle fällt etwas für den Popen ab, der auf sich um so sorgsamer bedacht sein muss, als der Druck von oben ihn zu solcher Handlungsweise zwingt. Hiebei ist die Geistlichkeit, die höhere sowohl wie die niedere, im höchsten Grade unwissend, und es ist nichts Seltenes, Solche zu treffen, die nicht einmal des Lesens und Schreibens kundig sind, und die Messgebete — ganz wie in Bulgarien — auswendig herplappern, den ersten Schritt gethan, die griechische Sprache aus unserem Gottesdienste zu verbannen. Wir wollen aber doch weiter nichts, als in der eigenen Sprache die Religion unseren Kindern einprägen; wir wollen, dass unsere Bischöfe einen festen Gehalt beziehen, wollen aber nicht, dass sie durch Erpressung mit roher Panduren-Gewalt Schätze sammeln. Sie sollen nicht niedrige Creaturen sein, die durch feile Schmeicheleien an den Höfen der Paschas, oder durch Bestechung zu ihrer Würde gelangen. Nicht fortdauern soll die Wirtschaft, die uns fremde Elemente bringt, welche unsere Nationalität hassen und unterdrücken.« (Vgl. »Globus«, XI, 334). l) Maurer, »Eine Reise durch Bosnien«, 3G4, und bei T;h oemmel, »Beschreibung etc. des Vilajets Bosna«, a. a. 0. ohne sie factisch abzulesen. ... Im Ganzen unterstehen den Bischöfen 509 Geistliche oder Popen, von welchen 374 auf Bosnien und 135 auf die Herzegowina entfallen. ') Diese Zahlen haben selbstverständlich nur bedingungsweisen Anspruch auf Richtigkeit, sie geben aber immerhin einen Massstab für die numerische Ueberlegenheit des orthodoxen Clerus über den katholischen, der nur über 142 Geistliche verfügt. Dem katholischen Cultus steht der, schon mit Beginn des 13. Jahrhunderts in Bosnien thätig gewesene Orden der Franziskaner vor, der nicht nur seiner moralischen Eigenschaften und seiner wissenschaftlichen Bildung nach über der orthodoxen Geistlichkeit steht, sondern auch bei den Mohammedanern sich eines besonderen Ansehens erfreut. Dabei werden nur sehr geringe Ansprüche an das Leben gemacht, und bezieht selbst das höchste katholische Kirchenhaupt im Lande einen jährlichen Gehalt von kaum mehr als 2000 iL, wie überhaupt der ganze Lebenswandel der Ordensbrüder einen armseligen Eindruck macht. Die relativ grössere Freiheit, die der katholische Clerus und seine Schutzbefohlenen im Lande bisher genossen, datirt bereits aus der ersten Zeit der osmanischen Invasion, wo es der damals zwar meist sehr uneigennützigen, immerhin aber einflussreicheren centra-lisirten katholischen Glaubenswelt, und zwar vom päpstlichen Rom aus, gelang, dem Sieger gewisse Privilegien abzuringen, die durch einen eigenen Ferman decretirt wurden. Gleichwohl haben die Glaubenskämpfe imd die barbarische Verfolgungswuth der Mohammedauer, wie dies in der Natur der Sache liegt, in vielen Fällen auch die Katholiken und ihre Seelsorger nicht verschont, die so gut zu den verachteten Gyaurs zählten, wie ihre orthodoxen Mitbrüder. -) So fielen mit der x) Ro skie wie z, a. a. O. 81. 2) Der katholische Clerus ist sehr eitersüchtig auf seine alten Privilegien. Neuerdings nahen sie die Ansiedlung von Trappisten im Lande mit sehr scheelen Augen angesehen, sich aher beruhigt, als die türkische Regierung ihnen die beruhigende Versicherung erthtfilte , dass dieser Fall, der eine ausnahmsweise Concession an die römische Curie bedeute, nur vereinzelt bleiben werde und in keiner "Weise als ein Priicedens aufzufassen sei. Die türkische Regierung hat denn auch in diesem Sinne gehandelt, indem sie die Ansiedlung der Trappisten nur bei Banjaluka gestattete und alle weiteren Versuche dieses Ordens, sich auf anderen Gebieten auszubreiten, entschieden zurückwies. Ungeachtet dessen ist es den Trappisten dennoch gelungen, im südlichen Bosnien ein Grundstück Die »Rajah«. 111 Zeit auch die meisten ihrer Kirchen und nahezu alle Klöster in Ruinen, gleich jenen der*orthodoxen Geistlichkeit, von denen manche, namentlich im alten Rascien imd in den Bergwildnissen der Herzegowina, noch heute, in Trümmern liegend, beim Volke die grösste Verehrung finden. ') Die Zahl der griechisch-orientalischen und der katholischen Christen wird von verschiedenen Reisenden verschieden hoch angegeben. Im Durchschnitte dürfte es heute im Lande bei 500.000 Griechen und 120.000 Katholiken geben. Die letzteren besitzen 84 Pfarren, von denen 63 auf Bosnien und 21 auf die Herzegowina entfallen, und unterstehen die letzteren ihren eigenen Bischöfen von Mostar und Ragusa. Der bosnische Bischof residirt zu Brestovsko , einem kleinen Orte bei Visoka. Um nun die christliche Bewohnerschaft richtig beurtheilen zu können, müssen wir sie in ihrem Verhältnisse zur herrschenden Race, also als »Rajah«'2) betrachten und daraus die Folgerungen ziehen, die massgebend sein mussten auf den Culturgrad, den heute die Christen Bosniens einnehmen. Der orientalischen Frage voller Jammer drängt sich in dem Worte »Rajah« zusammen, doch nur die Wenigsten vermögen in ihrem ganzen Umfang die Schmach, die sklavische Erniedrigung, die Rechtlosigkeit und brutale Vergewaltigung zu begreifen, die auf dem grössten Theil der christlichen Unterthauen der Pforte bis auf diesen Tag lastete. käuflieh an sich zu bringen unter scheinbarer Toleranz der türkischen Behörden den Grund zum Baue eines neuen Klosters zu legen. Diese Ausbreitung eines fremden Elements ist es, was die Franziskaner mit Bitterkeit erfüllt und nach ihren Aeusserungen dahin führen wird, sie um die Früchte hundertjähriger Arbeiten, Leiden und Entbehrungen zu bringen. ') Die wichtigsten griechischen Klöster von Bosnien sind jene von Mostainica, Gomojnica und Banja; die der Herzegowina zu 2ytomislic, Zavole, ZariSin, das 1875 niedergebrannte Du2e bei Trebinje, Mokro, Tazlidza und Cainica. Zwei Klöster im Districte Kolasin, sowie das altehrwürdige Kloster Piva am gleichnamigen Flusse, liegen in jenen Gebietsteilen, die neuestens zu Montenegro geschlagen wurden. *) Das Wort beisst »Heerde«, »Viehheerde«, und ist entnommen aus der 19. Sure des Koran, wo es gegen den Schluss beisst: »Am jüngsten Tage werden wir die Frevler in die Hölle treiben, wie eine Heerde Vieh zum "Wasser getrieben wird.« (M L ü 11 k e, »Der Islam und seine Völker«, 183). Die Zeiten sind nun, wenigstens was Bosnien und andere vom Berliner Congresse der directen Pfortenmacht entzogene Gebiete anbelangt, Gottlob für immer vorbei, aber wer heute mit diesem durch Jahrhunderte schwer bedrückten Volke zusammentrifft, wer berufen ist, es aus seiner dumpfen Resignation aufzurütteln und den Tostulaten des modernen Culturlebens gemäss dasselbe zur civilisatorischen Entwicklung heranzubilden, der ist gezwungen, mit den früheren Factoren zu rechnen. Zwar werden in der öffentlichen Meinung, ganz zum Holme der Wahrheit, noch immer Stimmen laut, welche da meinen, es sei Alles eitel Gefühlsduselei, was von der schmachvollen Stellung der Rajah in so .mancher türkischen Provinz, zumal im Vilajet Bosna, verlautete, aber solches Urtheil fliesst zum mindesten aus totaler Unkennt-niss der thatsächlichen Verhältnisse, oder aus übel angebrachter Wohl-dienerei gegenüber dem barbarischen Bedrücker und Verächter aller Menschenrechte. In den Ländern Europas gab es niemals einen ein-geschüchterteren Menschen, als den slavischen Christen der Türkei, sobald er seiner Ohnmacht bewusst war. Einst hatte der Chalif Omar einen ganzen Kanon zusammengestellt, in dem das Verhältniss der Rajah zu den Rechtgläubigen geregelt wurde — und dieses Sklavengesetz, einen andern Namen verdient es nicht, hat zum grossen Theile Giftigkeit bis auf den Tag behalten, trotz des Hattischerif, trotz des Hatti-Humajum und zahlloser anderen Reformnoten, die für die Herren im Lande nie mehr als ein schön beschriebenes Stück Pergament waren. Hatte ja die Pforte, wie wir gesehen haben, selbst mit den bosnischen Mohammedanern jedesmal alle Hände voll zuthun, sobald sie irgend eine Neuerung in ihrer slavischen Nordwest-Provinz decretirte, und dass sie gegen die strenggläubigen Meuterer ins Feld zog, entsprang weniger einer etwaigen Sympathie für die Rajah, auch nicht einem natürlichen Rechtsgefühle, sondern lediglich dem nackten egoistischen Interesse, denn eine Jprivilegirte Feudal-Aristokratie war seit dem unter Sultan Mahmud inaugurirten Pascha-Regiment jederzeit den Stambuler Effendis ein Dorn im Auge, da ihnen durch dieselben die fettesten Provinz-Pfründen entgingen. Als später Omer Pascha den bosnischen Adel niederwarf (1851), so geschah dies in erster Linie, um den fortgesetzten Störungen des, Bosnische Typen. (Christen.) (S, Seite in.) Die »Rajah«. 113 wenn auch defecten, so doch immerhin brauchbaren Steuerapparates vorzubeugen, in zweiter Linie aber in Folge constanten Druckes von Aussen, speciell Oesterreich-Ungarns, dessen Ingerenz in Bezug auf bosnische Zustände älter ist, als man gemeinhin glaubt. Schon im Jahre 1831) griff Oesterreich activ in die Zustände der Nachbarprovinz ein. Es muss hiebei erwähnt werden, dass die bosnisch-herzegowinische Emigration seit denTürkenkriegen eine constante war. Erst seit dem Belgrader Frieden (1739) Hess dieselbe nach, ja es erfolgte zum Theil eine rückläufige Strömung, und viele der Emigranten kehrten aus Heimatsliebe in ihre Geburtsstätten zurück, in denen sich die Mohammedaner seither häuslich eingerichtet hatten. Die natürliche Folge dieses Eintretens der Christen in den Status quo war nun die, dass sie einer doppelten Last zum Opfer fielen, einerseits dem Steuerdrucke, andererseits dem unleidlichen Pachtverhältnisse, in das sie seitdem gegenüber der besitzenden Classe, den Begs, traten. Sie erhielten von diesen wohl Dach und Fach, Aecker und Wiesen, aber während die Regierung den zehnten Theil des Emte-Erträgnisses für sich in Anspruch nahm, decretirte der Grundherr die Ablieferung der Hälfte. Damit war aber noch lange nicht die Höhe des Druckes erreicht. Die Vermehrung der Familien-Gemeinschaften, bei constant gebliebenem Grundbesitz, machte eine erhöhte Anforderung an die Einzelleistung nothwendig, und so decretirte man den Frohndienst, durch den die Arbeitskraft und Arbeitszeit der Rajah vollends im Dienste für die Begs in Anspruch genommen und erschöpft wurde. Diese grösste Quelle alles Lehels führte die erste Intervention von Seite Oesterreichs herbei. Man wollte den Bobot auf zwei Frohntage in der Woche beschränkt wissen, da aber ein diesbezügliches Versprechen seitens der Pforte, trotz des mittlerweile in Kraft getretenen Hattischerifs, ein todter Buchstabe blieb, so wurde Ende der Vierziger-Jahre eine Commission, bestehend aus Mohammedanern und Repräsentanten des christlichen Clerus eingesetzt, welche einen scheinbaren Erfolg dadurch erzielte, dass sie eine Umwandlung des Frohndienstes in eine Natural-Abgabe herbeiführte. Es war dies die sogenannte »Tretina«, das ist die Ablieferung eines Drittels des Ernte-Erträgnisses an die Grundbesitzer, wogegen sich diese verpflichteten, ihrerseits den dritten Theil der auf ihre Steuerträger entfallenden Grundsteuer zu entrichten. Welches SchweiKer-Lerchonfeld, lJoanlcn. g Bewandtniss es mit dieser Reform hatte, beweist die Thatsache, dass die Begs die Tretina in Baarem effectuirt wissen wollten, angeblich deshalb, weil sie ihrerseits gleichfalls eine Geldsteuer zu entrichten hätten, und eine diesfällige Transaction für sie, wie sie geltend zu machen suchten, mit einem Schaden verbunden wäre. Dass es eine ganz sonderbare Auffassung auf Seite der Begs war, von den Lehensmännern baare Steuern zu verlangen, weil sie solche an die Regierimg leisten mussten, erscheint wohl klar, wenn man mit den einfachsten Begriffen der Leibeigenschaft vertraut ist. Es handelte sich auch gar nicht um die Form der Steuerentrichtung, sondern einfach nur um ein Mittel mehr, die Bajah nach jeder Richtimg hin zu bedrücken, ihre Rechtlosigkeit bei jedem Anlass an den Tag zu legen imd in ihr jedes Selbstbewusstsein zu ersticken, und zwar deshalb, um jede Regung oder jeden Sturmlauf gegen derlei unhaltbare Verhältnisse im Keim zu ersticken oder vielmehr sie gar nicht aufkommen zu lassen. So ist aus dem bosnischen und herzegowinischen Christen trotz zahlreicher Empörungen das geworden, als was er sich uns heute prä-sentirt. Der berüchtigte Kanon des Khalifen Omar hat längst die Gesetzeskraft verloren, dennoch aber blieben im Lande die Zustände mit' nur geringer Ausnahme die alten. Das Abendland erfuhr zwar Jahr für Jahr von den liberalen Bestrebungen des Pforten-Regiments in Stambul; in den Provinzen, zumal in Bosnien, blieb es aber allemal beim Alten. Während in der Residenzstadt Minister-Conseils tagten, welche über weitgehende und hochfüegende Reformpläne zu beratschlagen hatten, war es in Bosnien den Christen nach wie vor verboten, mit Glocken zu läuten, und die Priester blieben auf das alte Mittel angewiesen, indem sie ihre Herde durch Hammerschläge auf Metallplatten zum Gottesdienste riefen. Während man zu Stambul zum zwanzigstenmale die Gleichstellung aller Culte im Reiche decretirte, war der Bosnier nach wie vor verpflichtet, bei Annäherung eines Mohammedaners sich von seinem Sitze zu erheben, demselben eventuell Thür und Thor seines Heims zu öffnen und dem Pascha die Hand und das Knie zu küssen. Immer höher gingen in Stambul die Wogen des Liberalismus und der — Spoliation: man baute Eisenbahnen, säcularisirte die Evkafs, führte ein Tabak-Monopol ein imd trug sich Aeusseres Aussehen der »Rajah«. 11 k bereits mit dem Entwürfe einer Verfassung — in Bosnien hatte die alte knechtische Sitte noch immer nicht ausgemerzt werden können, dass der christliche Unterthan vor jedem Rechtgläubigen, wenn er ihm auf der Gasse zu Pferde begegnete, absitzen musste, bis dieser vorübergeschritten, worauf es ihm freistand, seinen Weg fortzusetzen. Herr und Bedrücker blieb immer der Beg, der, selbst reformfeindlich, eine jede liberale Eegung in seiner Umgebung consequenterweise unterdrücken musste. So wurde die Rajah zur seelenlosen Maschine herabgewürdigt. Der christliche Bewohner Bosniens und der Herzegowina bietet schon äusserlich den allerungünstigsten Eindruck. Zwar ist er physisch nicht so ganz verkommen, und in dem dunklen Auge glimmt noch immer etwas wie erzwungene Resignation, deren Bleigewicht eine bessere Zukunft entfernen wird, auch die Gestalt, obwohl etwas gedrückt, ist noch immer eine stattliche zu nennen. Dafür aber ist seine ganze äussere Erscheinung nichts weniger als achtunggebietend, weder die Art, wie er sich gibt, noch die armselige Kleidung, die seinen physischen Menschen umhüllt. Die Rechtgläubigkeit hat dafür gesorgt, dass die verachtete Rajah auch durch äusserliche Merkmale jederzeit erkennbar, und eine Verwechslung mit ihr unmöglich '"sei. Sie darf weder gewisse Stoffe tragen, deren sich die Mohammedaner bedienen, noch ist ihr der Schmuck der Waffen, mit denen die Mohammedaner, schon als Sinnbild ihrer Macht, mit Vorliebe paradiren, erlaubt, es wäre denn, sie entrichtete die betreffende Steuer. Der christliche Bosnier kleidet sich demnach mehr in dunkle Stoffe, er trägt das einfache Fez von einem braunrothen oder noch dunkleren Tuche umwunden, hüllt seine Beine in faltenreiche blaue Beinkleider, die bis zum Knie reichen. Eine Art Gamaschen, dann Opanken (Bundschuhe) und ein Tuchgürtel, über den meist noch ein lederner Fächergurt, in dem sich einzelne Habseligkeiten befinden, befestigt wird, vervollständigen seine Toilette. Die Frauen sind theils serbisch oder morlakisch, theils türkisch gekleidet, im letzteren Falle mit einem Fez und einer gelben, rothen oder braunen weitärmligen, vorne offenen Jacke; darunter tragensie ein niederes Mieder, welches das geöffnete Hemd theilweise bedeckt. Von den Hüften bis zu den Knöcheln fallen unschöne Beinkleider, meist dunklen Stoffes, während die nackten Füsse mit Pantoffeln oder weit ausgeschnittenen Schuhen bekleidet sind 8* Bedürfnisse hat die Rajah nur geringe; ihre Behausung ist möglichst erbärmlich, zumal in der Herzegowina, wo die höhlenartigen Steinhütten zu gemeinsamer Unterkunft der Familie und der Hausthiere dienen und der Rauch der inmitten des Wohnraumes angebrachten Feuerstelle Menschen und Vierfüssler durchbeizt. In diesen oder ähnliehen Unterkünften verbringt der Rajah — wenn der Singular dieses Begritfswortes gestattet ist — seine Mussestunden bei Knoblauch und hartem Brodfladen, Maiskuchen und übelriechendem Schafkäse: Reis. Hammelfleisch und, wo es angeht, einiges Jagdwild und Fische sind Delikatessen, die sich nicht Jeder vergönnen kann. Vollends sind Hühner oder Eier das Merkmal einer wohlhabenderen Hauswirthschaft und in solchen sprachen jederzeit gerne die bei den Christen nicht sehr populären Zaptiehs oder Gendarmen vor, wenn sie »dienstlich« unterwegs waren. Dass der Rajah nicht nur dem Paschah sondern auch den RegierungsVertretern jeden Calibers immer mit der grössten Devotion begegnete, liegt in der Natur der Sache. Seine zur Kriecherei gewordene Unterwürfigkeit, die den schmutzigen trägen Menschen noch unsympathischer macht, ist ein Werk jahrhundertelanger systematischer Bedrückung, und wenn heute die geistige Potenz dieses Volkes um Vieles tiefer steht, als vor vier Jahrhunderten, da die Osmanen ins Land kamen, so ist dies der sicherste Beweis für den absoluten Mangel eines jeden civilisatorischen Berufes, den sich neuestens die Osmanen — freilich nur in der Person der Stambuler Windbeutel — so emphatisch anmassen. Des christlichen Bosniers Seligkeit ist — die Schnapsflasche, aus der er bisher Trost und Erleichterung schöpfte, und deren geistiger Inhalt ihm jede andere geistige Leistimg ersetzte. Wie das Leben in seinen allgemeinen Zügen, so sind auch die psychologischen Momente bei diesem Volke. Zwar ist es derselbe Stamm, der in den Nachbarländern, auf österreichischem Boden und selbst in dem zu selbstständiger Fortschrittarbeit gelangten Fürsten-thume Serbien, bei ganz anderen Lebensbedingungen auch eine .wesentlich andere geistige Entwicklung gefunden: aber mit der socialen und politischen Unterdrückung gingen auch gewisse nationale Merkmale verloren, so dass der christliche Bosnier typisch kaum mehr mit den ausländischen Croaten oder Serben zu vergleichen ist. So sind unter Volkspoesie. 117 der Rajah Lieder und Gesänge verstummt, oder die angeborene Liebe zu denselben wenigstens erheblich geschmälert worden. Wir besitzen die schönsten und reichhaltigsten Sammlungen serbischer Volkslieder, die, zumeistungemein einfach der Form nach, in geradezu unnachahmlicher Weise inniger Gemüthsbewegimg oder freudiger Erregung Ausdruck verleihen. ') Ihre Verbreitung ist aber in Bosnien eine nur geringe. Diese Weisen würden kaum ein Echo in Seelen finden. denen die erbärmlichste Existenz immerdar vorschwebt, vollends bei den Frauen, die womöglich auf noch tieferer Culturstufe wie die Männer stehen. Haben schon diese kaum einen Begriff von dem, was man die Eine des Mannes nennt, um wie viel weniger ist dies bei den Frauen der Fall. Sie sind zumal in Bosnien so erniedrigt und demoralisirt, dass selbst Gewalttliätigkeiten gegen sie seitens der Mohammedaner kaum • glaublich erscheinen, erwägt man , dass sie für Gewährung eines materiellen Vortheiles gewiss zur Erfüllung jedes Wunsches der Machthaber jederzeit gerne bereit waren. s) Anders verhält es sich allerdings in der Herzegowina. Hier ist und war die Rajah jederzeit viel selbstbewusster als in Bosnien, und dort hört man wohl auch die »Zenske pjesme« — die bei den Serben so beliebten »Frauenlieder« executiren, der einzige Strahl einer sehwach dämmernden inneren Zufriedenheit. Auch die Manner haben hier ihre Lieder, und hier ist Art und Einfluss des benachbarten Montenegro unverkennbar. Der Kampf und die ewige Fehde haben in einzelnen Theilen der Herzegowina ganz andere nationale Stimmungen erzeugt, als in dem strammer beherrschten Bosnien. So lässt sich ein Sänger in einem in der Herzegowina weit und breit bekannten Volksliede wie folgt, vernehmen: Wer schreit solch' Angstgeschrei von Banjani her, Ist dort die Wila? Ist die gefürchtete Schlange dort? War1 es die Wila, sie stünde auf den Gipfeln, Und war' es die Schlange, zwischen Bergen lag' sie; Nicht ist's die Wila, nicht die Sehlange; Es schreit vor Angst dort Pctrovic Vatric", Der in den Händen Osman's, des Sohnes von Tschorow! ') T a 1 v j, »Volkslieder der Serben«; — Siegf. K a p p e r, i.Gesänge der Serben«; dann Talvj, »Geschichte der slavischen Sprachen und Literatur.« *) Fr. Maurer, »Eine Reise durch Bosnien«, a. a <>. Die meisten herzegowinischenHeldenlieder (»Junac'ke pjesme», von »Junak« — Held, Jüngling), haben irgend einen historischen Untergrund, und da im Lande jederzeit an Acten der Gewalttätigkeit seitens der herrschenden Race kein Mangel war, so ist die Zahl jener volkspoetischen Kundgebungen ziemlich gross. Freilich schreitet und schritt hiebei die Mythenbildung sehr rasch und durch die ungemein lebhafte Einbildungskraft der Dichter, mehr noch aber der einheimischen Rhapsoden, welche zu den Tönen der primitiven »Gusla« die betreffenden Heldengesänge recitiren und die nackten Thatsachen erheblich ausschmücken, ist die Grenze zwischen Wahrheit und Dichtung nicht leicht zu ziehen. Gleichwohl sind es gerade diese Gesänge, durch welche die innersten nationalen Stimmungen wunderbar ergreifend vibriren, und die die Seele des Volkes dem Unbetheiligten enthüllen. Wir brauchen diesfalls nur eines einzigen Poems zu gedenken, um der Thatsache Beweiskraft zu verleihen, dass die Leiden der Rajah nicht ein Hirngespinnst gewissenloser Agitatoren sind, als die man sie mitunter hinzustellen wagte, oder dass es sich hier gar nur um eine Humanitätsduselei handle, der schlecht unterrichtete Menschenfreunde verfallen sind. Das gemeinte Poem ist das Heldenlied »Cengic Aga's Tod«, das in der Mazuranic-schen Bearbeitung ') wohl um etwas den Rahmen der gewöhnlichen Volkslieder überschreitet, indess seinem Kerne nach sich vollkommen an ein historisches Factum anlehnt. Ismael Aga Cengic war zu Anfang der Dreissiger-Jahre Gouverneur in der Herzegowina, und was er verbrochen, was er im Bezug der Bedrückimg seiner christlichen Leibeigenen an Ungeheuerlichem geleistet, das scheint selbst das gewöhnliche Mass der im Lande geübten Brutalität ein wenig überschritten zu haben. Zunächst hatte Cengic Aga in der Schlacht von Grahowa (1836) einige hundert der besten Montenegriner niedergemacht. jDie Besiegten sannen auf Revanche, und diese' ergab sich, als Cengic sich eben anschickte, in der hergebrachten Art die Kopfsteuer (Haradsch) einzutreiben. GaSkofeld, du bist so reizend, Wenn dich Hungersnoth nicht peinigt, Arger Hunger, hartes Sklavenschicksal. ') Aus dem Croatischen übersetzt von W. Kienberg er, 1876. »Cengiß Aga.« 119 Aber der Provinz -Tyrann bat keinen Sinn für das Elend der Rajah, und wuthentflammt ruft er seine Schergen zusammen, damit sie an ihre Arbeit gingen. Mujo, Hassan, Omer und du Jasar, Auf ihr Hunde, jagt die Rosse Durch das weite Feld im Fluge, Dass wir sehen, wie die Christen laufen. Und das grosse Passionsspiel beginnt. Es sind Leidensacte, wie wir sie schaudernd noch in allerjüngster Zeit erlebt, aber die Volksbarden sind des blutigen Stoffes müde geworden, und sie widerholen nicht, was schon tausendmal dagewesen. Die Rajah soll den Haradsch zahlen, aber sie besitzt keinen Pfennig, geschweige die Zechinen, die der Blutsauger für sich verlangt. Weder die barbarischen Mittel, um die Steuer möglicherweise dennoch zu erpressen, noch die vor den Augen der Rajah au ihre Frauen imd Töchtern geübten Schandthaten vermögen etwas zu richten, wo die bitterste Noth ohnedies aus den Augen dieser Jammergestalten spricht. Hunger plagt uns, Herr, und Elend! Hab' Geduld nur fünf, sechs Tage, Bis wir uns den Haradsch selbst erbetteln! Cengic aber ruft wüthend: Haradsch, Haradsch, will ich haben! darauf die Rajah; Rrod, ach schenk uns Brod, Gebieter! Einmal lass an Brod uns laben. Umsonst. Der Aga hat andere Sorgen, als den Hunger eines elenden Christenpöbels zu stillen. Er ordnet die ersten Executionen an, und den unsäglichsten Grausamkeiten erliegen selbst die Stärksten, freilich nicht um zu sterben, denn der Tyrann ist raffinirt genug, um einzusehen, dass die Todten ihm noch weniger nützen, als die Erbärmlichsten unter den Lebenden. . . »Dumme Sklaven,« herrscht der Aga, »sucht die Rajah eher aufzuwecken, dass wir möglichst noch den Haradsch retten«, denn »mit der Rajah geht auch darauf der Haradsch«. Wir übergehen die homerisch schönen Detailbilder des Mazuramc'schen Heldengedichtes und wenden uns den einzelnen Hauptscenen selbst zu. Cengic hat schon gelegentlich der Execution gefangener Montenegriner den »alten Du rak«, der sich vermass, für die Opfer Nachsicht zu erbitten, kurzweg aufhenken lassen. Dieser Gewaltact treibt dessen Sohn Nowica zur Rache, und er findet willfährige Genossen in den montenegrinischen Bergen. Aber Nowica ist Mohammedaner, und während die »Ceta«, das ist der Kriegshaufe, auszieht, gesellt sich jener zu den Hochländern, um, inmitten der Gebirgswildniss des Landes die Taufe zu empfangen. Dann geht es weiter in die Herzegowina, wo bei nächtlichem Fackelscheine imd bei Guslaklängen, den Hammel am Spiesse, Cengic Abendruhe hält. Die gefesselten Rajah sind freilich wenig bevorzugte Kostgänger an dieser Schlemmer-Tafel, denn man hat ihnen nur die Knochen vorgeworfen, und dann — wahrscheinlich um ihnen Bratenduft in die Nase steigen zu machen — sie an dem grossen Lindenbaume aufgehenkt imd unter ihnen Strohfeuer angefacht, um sie lebendig zu rösten. Diese muslimische Belustigung aber findet ein jähes Ende. Die Ceta überfällt bei nächtlichem Dunkel das Lager unter Nowica's Führung, der nicht nur seinen Vater allein zu rächen hat. Er selbst sagt: Dreifach nagt am Herzen mir der Kummer: Cengic mordete die Moracaner, Cengic" mordete mir meinen Vater — Drittens nagt am Herzen mir der Kummer, Der vor allen: er ist nicht gefallen. Im letzten Augenblicke noch möchte der Aga, aufgestachelt durch ein boshaftes Lied seines Guslaspielers Bauk, sein Müthchen an den gefangenen Christen kühlen, deren ganzes Verbrechen darin besteht, dass sie die Kopfsteuer nicht zahlen können, und brüllt seinen Henkersknechten zu: Auf und an die Christen, auf mit scharfen Messern, heissem Oel und spitzen Pfählen; Lasst sie los, der Hölle wilde Mächte! Bin ein Held, das Lied soll es verkünden, Alles soll darum den Tod jetzt finden. Aber es kommt anders. Die Salven der Ceta krachen durch die finstere Nacht und in dem nachfolgenden Blutbade gehen Cengic Aga und alle seine Helfershelfer zu Grunde. Und an des Aga's Seite ruht, noch im Tode die Zähne fletschend, Nowica, den Hassan niederschlug, »als er auf den todten Leu in Freuden sprang, den Kopf ihm jubelnd abzuschneiden«. . . . Die meisten Heldenlieder verdanken ihre Entstehung dem Haiduketithume, jener ganz eigenthümlichen Organisation unzufriedener oder vom Gesetze geächteter Angehöriger der Rajah, die bislang gegenüber den Vergewaltigern das einzige Correctiv bildete. Das Haidukenthum ist mit keinem gewöhnlichen Räuberunwesen zu vergleichen, wie es gemeinhin geschieht, obwohl es in der Natur der Sache liegt, dass der Raub mitunter der an Allem notleidenden Gilde die unentbehrlichsten Subsistenzmittel verschaffen muss. Dieser Fall tritt namentlich daim ein, wenn die eine oder andere Haidukenschaar aus Klugheitsrücksichten gezwungen ist, ihren eigentlichen heimatlichen Standort, wo sie immer auf die passive oder active Mithilfe zahlreicher Freunde hoffen darf, zu verlassen und Schutz vor behördlicher Nachstellung in oft sehr entlegenen Schlupfwinkeln zu suchen. In seinem Heimatsreviere ist nämlich der Haiduke keineswegs ein Ausgestossener, ja, die Familie, der er entstammt, erblickt in ihm vielmehr den rächenden Arm für manch erlittene Unbill von Seite der mohammedanischen Herten. Alle Elemente, die in irgend einer Art mit dem »Gesetze« in (Jonfiict gerathen sind, oder aus anderen Anlässen von den Machthabern jeden Calibers Schlimmes zu befürchten haben, verlassen ihre heimatlichen Dörfer und Hütten, um in die unzugänglichen oder wenig besuchten Bergwildnisse zu flüchten und von dort aus das Rächeramt zu üben. Bei der absoluten Rechtslosigkeit der christlichen Bewohnerschaft, bei den unerhörten Gewalttätigkeiten und der constanten Unsicherheit der Person und des Eigentums, erwuchs noch bis in die jüngste Zeit hinein den Haiduken die Aufgabe, derlei Unbill zu vergelten, was freilich unter allen Umständen immer eine ernste und schwere Sache blieb. Da nur unauffindbare Verstecke den Haiduken die Möglichkeit einer ungestörten Existenz bieten konnten, anderseits aber gerade dieser Mangel an Contact mit der Aussenwelt es unmöglich gemacht hatte, Alles das zu erfahren, was eine Repressalie erforderte, so war es immerdar eine wesentliche Grundbedingung für die erspriessliche Thätigkeit dieser Rächerschaar, dass sie eine ununterbrochene geheime Verbindung mit ihren Stammesangehörigen unterhielt. Auf diesem Wege, der gerade kein ungefährlicher war, kamen ihnen die Ausschreitungen der Behörden oder Mohammedaner zu Ohren, und auf diesem Wege fristeten sie auch ihre Subsistenz, da die Ressourcen-losigkeit ihres Standortes sie sonst zu gemeinem Raube hätte treiben müssen. Dieser selbst aber, sowie das Beutemachen als Hauptzweck der Thätigkeit, war und ist beim Haidukenthum jederzeit verpönt gewesen, wie überhaupt eine gewisse sittliche Grundlage in der ganzen Organisation nicht zu verkennen ist. Hatten die Haiduken einmal ihres Amtes gewaltet und dem Erpresser oder Räuber das fremde Gut abgenommen, dann war ihre Sorge die, die gemachte Beute zunächst den zuerst Beschädigten zu übermitteln; den Rest aber, dessen Provenienz nicht constatirt werden konnte, vertheilten sie unter sich. In normalen Zeiten sollen Fälle von Angriffen auf das Eigenthum der Stammes- und Religionsgenossen unerhört gewesen sein. Zu Zeiten entbehrte das Haidukenthum allerdings dieser moralischen Grundlage mid artete in wildes Räuberwesen aus, das, speciell in Bosnien, während der letzten Wirren zu einer wahren Landplage wurde, unter der sowohl Christen wie Mohammedaner in gleichem Grade zu leiden hatten. Die Haiduken recrutirten sich indess nicht blos aus solchen Elementen allein. die durch irgend eine Uebertretimg oder dadurch, dass sie sich comprimittirt hatten, der normalen Lebensweise in Hütte und Dorf zu entsagen gezwungen waren. Wer von besonderem Drange zur Freiheit beseelt war und überdies die unerträgliche Gewaltherrschaft abschütteln wollte, um, jeden Tag den Tod vor den Augen, den Kampf mit den Bedrückern zu wagen, der verliess freiwillig Haus und Hof, verfügte über sein Hab und Gut und floh in die Berge. In dieser Entsagung liegt ohne Zweifel eine beachtenswerthe moralische Kraft, denn nicht die Subsistenzlosigkeit trieb solche Elemente aus dem Kreise der Gesellschaft in Nacht imd Unbill hinaus, sondern ein mächtiger idealer Ansporn. Diese Blüthe des Haidukenthums gehört indess bereits einer vergangenen Zeit an; die Männer, die ihm angehörten, leben im Volksliede fort, und von Mund zu Mund, von Geschlecht zu Geschlecht vererbten sich deren Thaten, als schönste Vorbilder für den Nachwuchs, der gleichfalls genug zu rächen hatte. Dass die Blutrache dieser eigenthümlichen Romantik der Balkanslaven wesentlich Vorschub leistete, ist im Wesen der Sache vollkommen begründet. Die bosnischen oder serbischen Haiduken hatten, wie die arnautischen Bluträcher, immer solidarische Verpflich- tauigen. Ihrem Haupte —dem »Harambascha« — leisteten sie den Eid unbedingter Unterwürfigkeit und strengster Disciplin bis zum letzten Athemzuge. Stellte sich die Notwendigkeit heraus, die »Ceta« aufzulösen, dann drückten sich die Brüder zum Abschiede die Hände und jeder ging auf einsamen Pfaden einer ungewissen Zukunft entgegen, oft nachfernen, entlegenen Gebieten, wo erals Fremder inmitten von Fremden, wenngleich sie seine Glaubens- oder Stammesbrüder waren, selten jene Unterstützung von Aussen fand, um seinen Pflichten als echter, ehrlicher Haiduke nachkommen zu können. Dann trieb ihm das Elend in der Begel Räubern und Wegelagerern in die Arme, und verschollen fand eisern Grab in irgend einer Gebirgsschlucht, wo ihn entweder die Kugeln der streifenden Zaptiehs erreichten, oder wo er vor Hunger und Durst verkam. ... In Bosnien hatte das Haidukenthum in den letzen Jahren, wie schon erwähnt, wenig oder nichts mehr von jener strammen Organisation, die dem Türken zum Schrecken, den Christen so oft zum Heile gereichte. Der Krieg. Hungersnot und Elend hatten die, vielleicht nicht schlechtesten Elemente vollends depravirt, und statt dass die friedlichen christlichen Bewohner, wie in früheren Zeiten, beim nächtlichen Herdfeuer zum Klange der Gusla den »Haidukenliedern« gelauscht hätten, ergriff sie Furcht. wenn die Künde von der Nähe dieser Banden zu ihnen drang. . . . Mit der Tnaiigurirung geordneter staatlicher Verhältnisse verliert natürlich das Haidukenthum jedwede Existenzberechtigung. Das Correctiv für brutale Gewalttätigkeit. die Repressalie für Unbill an Personen imd Eigentum muss entfallen, wo auf barbarische Zustände geordnete, unter dem Schutze des Doppeladlers sich entwickelnde Verhältnisse platzzugreifen haben. Dann werden auch die älteren Haidukenthaten immer mehr verblassen und so manche Kundgebung aus einer vergangenen, schweren Zeit, deren Dauer im Laufe der Jahre vergessen werden wird, nur mehr mythenhaft anmuten. ') ') Siegfried K a p p e r gibt die Namen folgender, im Volksliede berühmt gewordenen bosnischen und herzegowinisehen Haiduken. Vor Allen ist es der Erzhaiduke Marko Kraljewic, der Königssohn, das leuchtende Vorbild unversöhnlichen Türkenhasses und echt sttdsüwisoher Glaubens- und Hoflhungsstärkc: dann Ivo Cernojewic, der Held der schwarzen Berge; Nikola Bajo Pivljanin, der Neben Rachegefühl und Hass ist es vorwiegend ein finsterer Aberglaube, der in diesen Ländern die Massen beherrscht. War schon das Türken-Regiment an sich kein Mittel zur Aufklärung, so trug die einheimische Geistlichkeit, und zwar speciell die griechisch-orthodoxe zum Theile aus eigener grober Unwissenheit, anderatheils aus Speculation, im gleichen Grade die Schuld an der geistigen Umnachtung des Volkes. Es gibt kaum ein Land im Südosten Europas, wo der Aberglaube so Avild wuchert, wie in Bosnien und der Herzegowina. Zwar ist eine Eigenthümlichkeit des serbischen Stammes, dass er in seinen Lebensäusserungen für jedes Ding, für jeden noch so unbedeutenden Zwischenfall sofort mit der Prädestination zur Hand ist;') aber all'die zahlreichen Hansmittelchen, die Lebenselixire und Schutzmittel gegen Gespenster und Hexen , die mystischen Gebräuche in einem vermeintlichen Verkehre mit Dämonen guten und bösen Charakters, — das Alles ist noch geringfügig gegenüber dem Walmglaiiben, der durch ganz Bosnien bis in die Herzegowina hinab und zu den Felsenhöhen Montenegros hinauf in Bezug auf die Existenz menschlicher V a m p y r e mit ungeschwächter Kraft sich bis auf den Tag erhalten hat. Was der Vampyr eigentlich ist, dürfte im Allgemeinen bekannt sein: weniger aber die Rolle, welche die orthodoxe Geistlichkeit hiebei spielt. Vampyre nennt man in den fraglichen Ländern verstorbene Menschen, die trotz ihres Ablebens noch immer eine unheimliche Existenz fortfristen, indem sie allmonatlich einmal, und zwar in der Nacht des Vollmondes ihre Gräber verlassen imd unter den Ueberlebenden der näheren Verwandtschaft oder Bekanntschaft ihre Unwesen treiben. Die Opfer am Ende des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts allen Paschas der Herzegowina und Bosniens einen gar heilsamen Schrecken einflösste , mit seinem gleich tapferen Freunde, dem Harambascha Limo ; dann Ilija Smiljanin, Ivo von Zengg und Stojan Jankowie, der vierzehn Jahre in Constantinopel gefangen gesessen, später aber von denVenezianern zum S er dar der Morlakei ernannt und mit der goldenen Medaille ausgezeichnet wurde. Aus der neueren Zeit glänzen im Volksliede die Namen Nowak , mit seinen Söhnen Grujo und Radivoj , ein wahres Kleeblatt beispielloser Verwegenheit; Mihal, der Hirt, Iwan Wisnic, Rado von Sokol, Luka Golowran, Bujadin, und wie sie Alle noch heissen mögen, bis auf die jüngsten Tage herauf. (Vgl. »Globus«, XI, 312.) *) Vgl. das »Ausland« 1876. Aberglaube. — Der Vampyr. 125 des Yampyrs sind diejenigen Menschen, welche er in seinem Leben am glühendsten geliebt, oder am tiefsten gehasst, und deren Andenken seine Todesstunde ganz erfüllt hatte. Der Vanipyr nähert sich, dem Volksglauben gemäss, seinem Opfer während des Schlummers imd saugt ihm aus einer zwar kleinen und kaum merkbaren, aber tiefen "Wunde das Herzblut aus. Der so »Gebissene« fühlt, während der Vampyr bei ihm wreilt. weder Schmerz noch Unruhe, sondern im Gegentheile eine sanfte, angenehme Kühlung, gleich als wedle ein Fächer während heisser Sommergluth Linderung zu, und angenehme Traumbilder erfüllen seine Seele. Die Erwachenden finden dann am Morgen nur einen ganz kleinen rothen Fleck in der Herzgegend, die Stelle, wo der Mund des Vampyrs geruht hat, empfinden aber sodann eine sanfte Mattigkeit und eine entschiedene Abnahme der Lebenskraft. . . . Diese angebliche Procedur wiederholt sich innerhalb eines Jahres alle zwölf Vollmondnächte hindurch , und ist jenes um, so verfällt das Opfer dem Tode, wodurch gleichzeitig der Vanipyr von seinem unheimlichen Berufe erlöst wird und endgiltige Buhe im Grabe findet. Dass solcher Wahnglaube hochgradig dazu beiträgt, die Intervention der Geistlichkeit herauszufordern, erscheint begreiflich. Aber wie geschieht nun diese? Da die Popen die Existenz des Vampyrs zugeben, so fällt ihnen vorerst die Aufgabe zu, denselben unschädlich zu machen. Weder Nachtwachen noch Gebete in der Stube Desjenigen, oder Derjenigen — denn meist trifft Frauen oder Bräute dieses Los — wrelche die nächtlichen Besuche des Vampyrs erhalten, nützen, wenn sie von Seite der gewöhnlichen Angehörigen geübt werden. Nur das Popengebet — natürlich das bezahlte — ist von Wirkung, und zwar muss dasselbe eine volle Stimde von Mitternacht ab laut gesprochen und dazwischen allerlei Beschwörungsformeln vorgebracht worden. Dann verbleibt der Vampyr zwrar in der Nähe des Hauses und sein unheimliches Flügelrauschen, sowie ein leises Wehklagen ist sehr deutlich vernehmbar, aber über seine Opfer selbst besitzt er keine Gewalt. Eine jede Unterbrechung dieser priesterlichen Intervention in den folgenden Vollmondsnächten soll den Vampyr nur noch blutdürstiger machen. Nutzen indess auch die Gebete nichts, dann wird zur ultima ratio ges.liritten, die in folgender Procedur besteht: Der dem Opfer zunächst Stehende richtet sich einen klafterlangen, armdicken Holzpfahl zurecht, der priesterlich eingeweiht wird und wofür abermals eine gewisse Summe »zum Besten der Kirche« zu entrichten kömmt; mit dieser Waffe ausgestattet, verfügt sich der Betreffende, nicht ohne Furcht und Bangen, was begreiflich erscheint, zum Grabe des Vampyrs, ölfhet dasselbe und bohrt sodann den spitzen Pfahl mit aller Wucht durch das Herz der Leiche. Aber sie ist nicht eigentlich eine solche. Obwohl seit Monden dem Schosse der Mutter Erde zurückgegeben, ist sie gleichwohl noch nicht im geringsten verwest; ja sie zeigt vielmehr eine auffällige Frische imd strotzt voll Leben, eine Erscheinung, die mit dem blutsaugerischen Geschäfte des Vampyrs in Einklang zu bringen ist. Dass dieses grauenhafte Geschäft der »Leichentödtung« noch immer in voller Hebung ist, geht aus verschiedenen Reiseberichten, die sich mit diesem Gegenstande oft sehr umständlich befassen, unzweifelhaft hervor. ') Wir haben indess dieses kleine Culturbild nur aus dem Grunde geliefert, um den Beweis zu erbringen, dass die orthodoxe Geistlichkeit entweder auf gleicher Culturstufe mit ihrer Heerde steht, .oder aus einem abscheulichen Wahnglauben einen materiellen Nutzen zieht. Neben dem Vampyr sind es auch gewisse phantastische Geschöpfe der heidnischen Vorzeit, denen ein unausgesetzter Einfluss auf die menschlichen Angelegenheiten zugeschrieben wird. Von diesen dämonischen Wesen wären zu erwähnen: die »WjaStica«, ein Unheilsbote, dann die Lichtverbreiterin »Maria«, und vor allen die »Wila«. Eine Aehn-lichkeit zwischen der »Willi«, der tanzenden Braut des Mittelalters, und der »Wila«, die entschieden slavischen Ursprunges ist, bleibt bis zu einem gewissen Grade unverkennbar. Aber die Zeit hat dennoch eine erhebliche Modifikation herbeigeführt, und die heutige »Wila« ist viel mehr eine böse Hexe, denn das elfenartige, im Ganzen gut gesinnte Fabelwesen der »Willi«. Die bosnisch-serbische »Wila« ist eine Art Zauberin, an deren Handlungen sich selten heitere Momente binden... Der Umstand, dass man der »Wila« Zauberkünste zuschreibt, lässt gewissermassen durchblicken, dass dermoderaeAberglaube die HauptroUe spielt, imd eine phantastische Anlehnung bestimmter menschlicher Schicksale an das ') Vgl. J. v. Wickede in »Aus allen Welttheilen«, VI, oSi u. ff. Aberglaube. — Die »Wila«. geheimnissvolle Streben und Weben der Natur im alterlicher Anschauung hier ganz und gar aus dem Märchens fällt. Die heutige Heimat der »Wila« ist namentlich die südliche Herzegowina, dann die Waldgebirge Bosniens und Serbiens. Dort haust sie in finsterer Felsspalte, und wenn es Nachts stürmt, so hüllt sich der einsame Hirte fester in seine dicke Strucka, denn sie reitet sodann mit der »wilden Jägerin« durch die öden Schluchten. Begegnet man sodann eine der Leichen, die in den Händen der »wilden Jägerin« gewesen, so erkennt man sie sogleich an der fahlen weissen Farbe der Haut und an einem fehlenden Zahn, den die »Wila« zum eigenen Gebrauche aus der Reihe der Schneidezähne ausgebrochen. Diese »Wila« ist ein finsterer Dämon, dessen immaginärer Macht der abergläubische Bosnier sich mit nahezu fatalistischer Resignation ergibt. Bedarf er eines Rathes, so geht er Mitternachts auf den Felsensteig zur Höhle der Zauberin, in deren Dienste gewöhnlich ein altes Weib steht, die diesen Humbug protegirt. Ein altes südslavisches Volkslied gibt in dieser Richtung Auskunft. Es sagt unter Anderem: »Auf dem Söler gebt der junge Jowo; Sieb', da bricht der Söler jäh zusammen Und entzwei den rechten Arm er selber. Wer ihn heile, war wohl bald gefunden — Im Gebirg die kräuterkund'ge Wila. Vieljedoch verlangt die Heilerfahr'ne: Von der Mutter ihre weisse Rechte, Von der Schwester ihres Haupthaars Flechten, Von der Eh'frau die Perlenhalsschnur . . . etc.« Es wird nun erzählt, wie die Mutter Jowo's imd dessen Schwester den abverlangten Zoll mit Schmerzen, wenngleich willig hergaben, indess die eigene Frau des Verunglückten die Ablieferung der Perlenschnur verweigert. Darob mm entbrennt in der dämonischen »Wila•< wilder Groll imd sie mengt in die Nahrung Jowo's verderbliches Gift, von dessen Genüsse er gar bald ein stiller Mann wird. Alle Betroffenen brechen in Klagen aus, und »die klagt und nie zu klagen aufhört, ist die Mutter; die da klagt am Morgen, ist die Schwester, und die dann nur klagt, wenn ihr's beliebt, ist Jowo's Witwe . . Nach dieser allgemeinen üeberschau auf dem Gebiete des socialen und Culturlebens der Christen kämen wir nun zum Schlüsse auf die m o h a m m e d a n i s c h e n B o s n i e r zu sprechen. Nach der ethnischen Seite hin ist diesfalls nichts nachzutragen; um so weiter aber müssen wir ausgreifen, um den Eigentümlichkeiten, den socialen Zuständen der Sitte und Moral unter einem Volke gerecht zu werden, das in Folge seines Glaubens keine besondere Gemeinschaft im Lande allein ausmacht, sondern mit tausend Fäden mit der Gesammtmasse der Isla-miten zusammenhängt. Es werden also speciell die Einrichtungen des Islam sein, die wir des Weiteren auszuführen haben, umsomehr, als es sich hier auch um ein hochgradig fremdartiges Element handelt, das früher oder später einer staatlichen Ordnung unterworfen wird werden müssen, wie sie gerade nicht in der Organisation des Islam in Hebung zu sein pflegt. Die zunächst liegende Frage wäre also die, ob mit den moslimischen Bewohnern Bosniens als Factor in einem Culturstaate überhaupt zu rechnen ist, oder ob die Situation eine derartige ist, dass die radicalste Umgestaltung in dieser Richtung als unerlässlich erscheint. Wir wollen hierin keine Entscheidung fällen, bevor wir uns nicht etwas genauer auf dem Gebiete des Islam selbst umgesehen und den mohammedanischen Bosnier als Repräsentanten desselben in seinen Lebens-äusserungen kennen gelernt haben. Die Frage, die uns zunächst berührt, sind die socialen Zustände. Wie die Familie, so ist bekanntlich auch die Gesellschaft, und wie diese der Staat geartet. Der Schwerpunkt liegt somit schon in den sittlichen Grundsätzen, auf denen die Familiengemeinschaft aufgebaut ist, und da finden wir im Islam allerdings einen Mangel von Factoren, der um so berücksichtigenswerter wird, als es eben ein Mangel ist, der in den Lebensgesetzen des- Orients begründet ist, und der ohne eine totale Umwälzung auf socialem und religiösem Gebiete nicht zu para-lysiren ist. Bekanntlich ist es die Gleichstellung des Weibes mit dem Mamie, die unter den christlichen Völkern von der grössten sittlichen Bedeutung für die Entwickelung der Gesellschaft wurde. Der Islamite anerkennt aber das Weib nicht als Seinesgleichen, und somit fehlt ihm das Hauptmittel zur inneren moralischen Festigung des Familienlebens und seiner Hauptaufgabe, der Kindererziehung. Wohl ist das moslimische * Die sociale Stellung der Mohammedanerin. 129 Familienleben nicht ohne einigen moralischen Gehalt, und deuten auch verschiedene Aeusserlichkeiten im Leben der Islamiten auf einen unleugbaren ethnischen Gnmdzug hin, aber derlei hat doch nur untergeordneten Werth gegenüber den Hauptaufgaben, welche an das Leben gestellt werden, und die in Anderem bestehen als in der blossen Befriedigung einer individuellen Gemüthsstimmung. Der Islam ist seiner Hauptsache nach äusserlicher Natur, und so ist es logisch, dass auch im Familienleben die Innerlichkeit, die den Impuls zu idealen Zielen und die Kraft zu einer frischen Entwicklung aus dem Schosse der Gesellschaft gibt, absolut fehlt. Das Weib des Mohammedaners ist weniger dessen Lebensgefährtin, als vielmehr das Individuum, welches in erster Linie dazu da ist, für nichtssagende Zerstreuung und für die banalste Bequemlichkeit Sorge zu tragen. Da nur in dieser Bichtung Anforderungen an die künffige Gesponsin gestellt werden, so dreht sich auch die Erziehung des Mädchens hauptsächlich nur um gewisse Aeusserlichkeiten. um Putz-und Gefallsucht, coquettes Intriguenspiel, imd wenn es hoch geht, um die Erlangung einiger Fertigkeit in weiblichen Arbeiten. Die Güter, welche im Abendlande in Bezug auf die ..bessere Hälfte" so hohen Anwerth haben, und deren sittliche Bedeutung eine eminente ist, der Adel der Weiblichkeit. Gemüthstiefe und der höchste Zartsinn, sind Dinge, die ein Moslim platterdings zu den Luxusartikeln zu zählen scheint. Wie auch sollten sich diese ethischen Momente bei der Islamitin entwickeln, da sie doch zeitlebens aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen ist. und im Eheleben selbst, schon der Stellung der Gesponsin in demselben halber, ein höherer geistiger Beruf von dieser vollends nicht empfunden und von Seite des Mannes nicht entbehrt wird. Der Mohammedaner hat niemals Gelegenheit, geistige oder moralische Vorzüge an demjenigen weiblichen Wesen kennen zu lernen, das dasjenige seiner Wahl ist. Wohl gibt es in Bosnien eine Sitte, die in dieser Bichtung von den starren, althergebrachten Gebräuchen ein wenig abweicht, die des Aschyklyk, oder des »Damendienstes«, welche den Ledigen beiderlei Geschlechtes eine sehr beschränkte Freiheit des Verkehrs gestattet, am Wesen der Sache aber um so weniger etwas ändert, als auch dieser »Verkehr« rein nur Aeusserlichkeiten zur Geltung Schwelger-Lerchenfold, Bosnien. 9 kommen lässt.1) Die Eegel ist die, dass der Mohammedauer seine Lebensgefährtin durch geschäftliche Abmachungen von seinen zukünftigen Schwiegereltern erhält, und da es sich mancher Heiratslustige schweres Geld kosten lässt, das. eine oder andere Mädchen, von deren Vorzügen er sich beeinflussen liess, zu erhalten, so ist am Ende ein solches Ehebündniss wenig mehr als ein Kaufgeschäft, das von vorneher die Stellung der Frau bedingt. Zudem ist diese Art der Eheschliessung nicht der eigentliche Krebsschaden am gesammten Familienleben, sondern vielmehr — die Ehescheidung. Die Leichtigkeit, mit welcher Mohammedaner eingegangene Ehen wieder lösen, und die hauptsächlich aus der unvollkommenen Art des Verkehres vor dem Bündnisse resultirt, hat, zwar nicht in Bosnien, wohl aber anderwärts im Oriente, geradezu demoralisirende Dimensionen angenommen.'2) Im Allgemeinen genügt es, der Ehegesponsin bekannt zu geben, dass sie »entlassen sei«, und die Scheidung ist bewirkt. Nun gestattet aber der Koran, der gerade in Bezug auf die Ehevorschriften unverkennbar die ganz persönlichen Stimmungen des Propheten zum Ausdrucke bringt,3) dass eine derart ') Wenn die Mädchen Freitags, dem moslimischen Wochenfeiertage, von ihren grösseren Ausflügen zurückgekehrt sind, so ist es an diesem Tage der grösseren Freiheit auch dem heiratslustigen Manne gestattet, sich der Dame seiner Wahl zu nähern und an das hinter dem vergitterten Fenster oder hinter dem geschlossenen Haus- oder Hofthore weilende Mädchen von der Gasse aus das Wort zu richten, d h. sich dem »Damendienste« zu weihen. Dieser Brauch wird in Bosnien mit den Namen Aschyklyk bezeichnet und ist das einzige Mittel, sich mit seiner Auserwählten vorläufig zu verständigen. Die eigentliche Werbung besorgen sodann zwei Verwandte oder zwei Freunde, welche die Braut ebenfalls hinter verschlossener Thüre befragen, ob sie z. B. »dem Ismail, SohIldes Dschafer, als Frau folgen wolle«. (Vgl. Roskiewicz, a. a. O. 243 u. ff.) 2) So die in Persien übliche »Ehe auf Zeit«, die oft nur auf einen Tag, oder gar nur auf einige Stunden geschlossen wird; und in dieser Gestalt benützt man sie dazu, gewissen Gelüsten und Ausschreitungen einen legitimen Anstrich zu verleihen — also eine Art legalisirter Prostitution. (Vgl P o 1 a k »Persien«, und bei V amb 6 ry, »Wanderungen in Persien«, a. a. 0.) 3) So ist die ganze fulminante 24. Koran-Sure in Folge eines Zwischenfalls, der unmittelbar den Propheten berührte, entstanden. Aischa, Tochter des Abu Bekr, war erst zehn Jahre alt, als jener sie als Frau heimführte. Einmal auf einem Kriegszug gegen den Stamm der Mozdalek, auf welchem sie den Propheten begleitete, kam sie vom Wege ab und traf »unversehens« mit dem schönen Safan zusammen. So sagen die Sunniten ; die Schiiten aber be- Die muslimische Ehe. 131 geschiedene Frau von ihrem früheren Ehemanne wohl ein zweites, nicht aber ein drittes Mal geheiratet werden kann. Eine dritte Ehe mit der bereits zweimal »entlassenen« Frau ist nur dann gestattet, wenn diese vorher noch mit einem anderen Manne eine, mittlerweile wieder gelöste, Ehe eingegangen war. Da im Scheidungsprocesse, wenn von einem solchen überhaupt die Rede sein kann, nur das Veto des Gatten entscheidet, so ist es unschwer zu durchblicken, dass die einzelnen Gatten durch derlei Manipulationen sich gegenseitig ihre Weiber abtreten können, und es auch thatsäehlich thun. In dieser Richtung hat die Ehe des bosnischen Mohammedaners unleugbar etwas für sich; er nimmt nämlich nie mehr als ein e Frau, und die ganze Harems-Wirthschaft wird aus diesem Grunde wesentlich ungefährlicher. Diese Thatsache ist von der grössten Wichtigkeit, da sie bei der Spärlichkeit anderer Fühlungspuukte, die bei einer Reform des Islam in Bosnien, schon der allgemeinen staatlichen Ordnung halber, nothwendigerweise — wenn auch erst nach Jahren — schrittweise wird vorgenommen werden müssen, eine überaus beachtenswerthe ist. Durch die freiwillige Monogamie steht nämlich der muslimische Bosnier jedenfalls um eine Stufe höher als seine übrigen Glaubensbrüder im Oriente. Um dies zu begreifen, müssen wir eines diesbezüglichen Koransatzes gedenken, der zwar die Zahl der legitimen Frauen beschränkt, es aber gleichwohl dem Manne gestattet, in ein gewissermassen gleich legitimes Verhältniss mit seinen Sklavinnen zu treten '). Nun ist aber die Zahl dieser letzteren eine durchaus unbeschränkte, da es dem Moslim freisteht, soweit seine Mittel es erlauben, sich nach Wunsch und Laune mit derartiger lebender Waare zu ver- haupten, die Zusammenkunft wiire verabredet gewesen, worauf Mohammed die obgenannte Sure gegen die Verleumder vom Stapel Hess.... Bei jenem Zwischenfalle soll übrigens eine Gebetschnur aus Darfur-Onyxen die Rolle des Taschentuches Desdemonens gespielt haben. (Vgl. C. v. V i n c e n t i, »Die Ehe im Islam«, 8.) ') Diese Koran-Sure, die 4., lautet: »Gebet den Waisen ihr Vermögen nicht zum Vortheile des eurigen. Fürchtet ihr gegen Waisen nicht gerecht sein zu können, so nehmet nach Gutdünken nur eine, zwei, höchstens vier Frauen. Fürchtet ihr aber auch so noch, nicht gerecht sein zu können, so nehmt nur eino, oder lebt mit Sklavinnen, die ihr erworben.« sorgen. Da nun der Fall nicht selten ist, das gerade diese Beischläferinnen ihren Gebieter mit Kindern beschenken, während die rechtmässigen Frauen in diesem Punkte nicht entsprechen, so kann man sich einen oberflächlichen Begriff von dem ethnischen Werth eines moslimischen Ehelebens machen, das auf grossem Fusse eingerichtet ist. Vieles aber entbehren auch die moslimischen Bosnier in ihrem Familienleben. Die Stellung der Frau ist, wie überall im Orient eine untergeordnete, für die Erziehimg der Mädchen geschieht soviel wie nichts, und selbst das Hauswesen, auf welchem Gebiete das Schalten und Walten der Frau einem wirthschaftlichen Mikrokosmos von der weitgehendsten gesellschaftlichen Bedeutung gleichkömmt, liegt in den Händen eines eigens zu diesem Zwecke berufenen Hausbeamten 1). Wir haben hier freilich nur den höheren, wohlhabenden Stand vor Augen, denn die imbemittelten Familien sind wohl auch in Bosnien nicht in der Lage, eine kostspielige Familien- und Haus-Administration fimctioniren zu lassen, oder sich jenes kostspieligen Apparates zahlloser Dienerschaft zu bedienen, der ein wirthschaftliches Unding ist-). Auch soll es vorgefallen sein,' dass irgend ein höherer ottomanischer Beamter in der letzten Zeit von den spärlichen Wohlthaten eines öffentlichen moslimischen Schulunterrichtes profitiren wollte und seine Mädchen ') Nach Roskiewicz (»Studien etc.«, 266 u. ff.) hält jede angesehene mohammedanische Familie in Bosnien einen, das Hauswesen leitenden Sachwalter, den sogenannten Kjaja, der für alle Bedürfnisse sorgt, die Einnahmen empfängt, Ausgaben bestreitet und einen grossen Einfluss auf alle Angelegenheiten, welche die Interessen der Familie berühren, nimmt. Sein Einfluss wächst mit dem Ansehen der Familie und verdoppelt sich bei einem Beamten, da sodann sein Rath selbst in administrativen Angelegenheiten gehört wird, oder vielmehr bisher gehört wurde. 2) In so einer Hauswirthschaft ist das Princip der Arbeitstheilung sehr weit ausgebildet; da gibt es Oberköche, Unterköche, Thürsteher, Pfeifenstopfer, Barbiere, Stallknechte, Kutscher, Reitknechte, Vorreiter, Kaffeesieder, Ober- und Untergärtner, Kellner, Tafeidecker, Einkäufer und Lakaien ; dann Köchinnen, Ammen, Kinderwärterinnen, Kammermädchen, Wäscherinnen, Aufwärterinnen u. s. w., sowie die unvermeidlichen Eunuchen. (Vgl. den Anonymen Aiitor von »Stambul und das moderne Türkenthum«, I, 136). Bei solchem Trosse erscheint es freilich begreiflich, wenn der Gouverneur einer Provinz trotz seines formidablen Gehaltes von circa 60.000 fl. jährlich auf »Nebeneinkunft« angewiesen ist. Religiosität und Sittlichkeit. 133 denselben ausser dem Hause gemessen Hess ')• Diese Ausnahme bestätigt aber nur die Regel, dass auch in Bosnien, wie überaU im moslimischen Oriente, die Erziehung des weiblichen Theiles der Familien so ziemlich alles zu wünschen übrig lässt. Zwar lautet das Urtheil mancher Reisenden in Betreff des häuslichen Sinnes der mohammedanischen Bosnierinnen sehr günstig2), es bleibt aber hiebei wohl sehr fraglich — da autoptische Beobachtungen nicht vorausgesetzt werden können — ob die diesfalls eiogezogenen Erkundigungen oder spontane Mittheilungen von vornehmen Mohammedanern selbst allemal auf Wahrheit beruhen. Dass im gesammten Haremsleben nur Unheil und sittlicher Schaden steckt, nicht aber irgend welcher Vortheil, darüber sind wohl alle Kenner des Orientes einig. Trotz solcher Thatsachen wäre es aber ein grober Irrthum, wenn man den mohammedanischen Bosnier auch all1 seinen übrigen Lebensäusserungen nach mit den Orientalen im engeren Sinne in eine gleiche Linie stellen wollte. Bei diesen ist es eine recht auffällige Erscheinung, wie wenig sich in Allem und Jedem Religion und Sittlichkeit decken. Die erstere bedeutet bei ihnen alles, die letztere nichts; das beisst, es gibt überhaupt ihrer Anschauung nach nichts Unsittliches, sobald derlei Uebertretungen nicht dem religiösen Ceremonialgesetze zuwiderlaufen. So kommt es, dass im Oriente Leute, die in der europäischen Gesellschaft, in Folge ihres unmoralischen Lebenswandels, unmöglich wären, oder im besten Falle ununterbrochen mit der kriminal- oder doch mit der Disciplinarjustiz in Berührung kämen, dort im grössten Ansehen stehen, wenn sie als ..religiös" gelten. Was es im Uebrigen mit dieser Religiosität für ein Bewandtniss hat, ist so ziemlich bekannt. Der Islam ist ja eine Religion der Aeusserlichkeiten, sein Werk, das aus Ulut und Eisen gekittet ist, lässt überhaupt keine innerlichen Regungen aufkommen, und so genügt es gemeinhin, um als religiöser Mensch zu gelten, wenn man den kanonischen Gebetübungen nachkömmt, unversöhnlichen Hass gegen die Andersgläubigen documentirt und die paar Fastengebote, sowie Enthaltsamkeit von dem Weine strenge einhält. Versteht sich nur außserlich, denn im Geheimen ') Vgl. Roskiewicz, a a 0. 239. ») A. a. 0., 267. weiss der moderne Moslim anders zu handeln. Nun schliessen aber alle diese angeblichen Tugenden nicht aus, dass die betreffenden Gläubigen in jeder Hinsicht höchst unmoralisch sind, sich allen erdenklichen Lastern ergeben, lügnerisch, unehrlich, bestechlich sind und überhaupt Charaktereigenschaften an den Tag legen, die in der europäischen Gesellschaft — als Regel — undenkbar sein würden. All' dieses trifft bei den mohammedanischen Bosniern nicht zu; vieUeicht, wie es ja nicht anders denkbar ist, beim einzelnen Individuum, keineswegs aber beim gesammten Volke. Es ist nämlich ein Irrthum, all1 diese Gebrechen dem Islam selbst zuzuschreiben. Die nationalen Eigenschaften eines Volkes sind auch in den Ländern, die sich zum Islam bekehren, die massgebendsten, und wenn irgendwo der Nationalcharakter einzelner Völkerschaften sich typisch beleuchten lässt, so ist dies im Oriente der Fall. Der Bosnier aber, der der slavischen Race angehört und ethnisch sich seit dem Uebertritte seiner Vorfahren zur Religion des Propheten kaum geändert hat, unterscheidet sich auch in dieser Richtung wesentlich von den übrigen Mohammedanern des Orientes; der weiss nichts von der Perfidie und Unredlichkeit des Persers, er theilt nicht die Falschheit und Bestechlichkeit — diese Nationalkrankheit des Osmanenthums — seiner rechtmässigen Herren, noch weniger aber den] Geschmack an gewissen fleischlichen Ausschreitungen, welche mit der Zeit so depravirend auf das Türkenthum gewirkt haben. Während es im tieferen Oriente, zumal in Persien und Arabien ein Leichtes ist, sich falsche Zeugen-Eide zu verschaffen'), ist derlei unter den bosnischen Mohammedanern unerhört. Auch der, am Türkenthum so sehr, ja sogar [im Staatsleben zum Ausdrucke gelangenden Zweideutigkeit und Hinterlist steht er ferne, wie ihn überhaupt seine nationale Individualität vor allen moralischen Gebrechen schützt, welche an den meisten übrigen Völkern des Islam haften. Freilich werden diese Vorzüge zum Theile wett gemacht durch eine beispiellose Gemüthsverhär- ') Wie z. B. in Bagdad, wo die Bewohnerjdes Euphratstädtchens Anna hiedurch ihren Unterhalt fristen. Gewöhnlich sitzen sie (die sich sogar als Nachkommen des Propheten oder Ali's bezeichnen und den grünen Turban tragen) im Kaffeehause neben dem Gerichtslocal; dorthin schickt die Partei, die rasch einige falsche Eide braucht, und erhält sie für wenige Piaster. (Vergl. Petermann, »Reisen etc.«, II., 289). Intoleranz. 135 tung gegenüber seinen christlichen Mitbewohnern, durch eine selbst im Oriente unerhörte Intoleranz und durch einen Hochmuth, der wo möglich noch über denjenigen der eigentlichen Türken geht. So nahm bisher eine bosnische Mutter keineswegs Anstand, ihrem Töchterchen, wenn es einem begegnenden türkischen Würdenträger die Hand küsste, die Rüge zu ertheilen, dass man einem »Gyaur« derlei Huldigung nicht zukommen lassen dürfe '). Wie sehr sich die mohammedanischen Bosnier zu Zeiten selbst über das rechtgläubige Osmanenthum stellten, das beweisen die oft blutigen reactionären Vorgänge, wie sie im Lande des Oefteren stattfanden und deren wir bereits mehrfach gedacht haben. Dafür aber sind an den Mohammedanern verschiedene lobens-werthe Eigenschaften zu rühmen, wie die Ehrfurcht der Kinder zu ihren Eltern, die Mildthätigkeit und vor Allem die Gastfreiheit. Mildthätig ist der moslinische Bosnier allerdings nur gegen Seinesgleichen, das beisst gegen Mohammedaner, was diese gute Eigenschaft bei ihm wesentlich paralysiren muss. Dafür aber übt er die Gastfreiheit unscru-pulös gegenüber Jedermann, der von derselben Gebrauch machen will, wobei freilich wieder eine unleugbare Bevorzugung, wie dies schon in der Natur der Sache liegt, gegenüber Mohammedanern an den Tag tritt2). Auch hier ist eben die religiöse Intoleranz ein wesentliches Hinderniss. Sie ist geradein Bosnien und dann wohl auch anderwärts in der europäischen Türkei, mit der moralischen Verkommenheit des höheren Türkenthums und mit der Indolenz und Faulheit der gesammten osmanischen Race Hand in Hand gegangen, um die seit fünfzig Jahren inaugurirte Reformarbeit unmöglich zu machen. Darin liegt das ganze Geheimniss der constant desolaten Zustände im Lande seit jenem Momente, wo Mahmud II. von der Wiedergebirrt des Osmanen-Staates träumte, und durch alle Jahrzehnte hindurch, da von auswärts, von Europa her ein unablässiger Druck in diesem Sinne auf die Pforte ausgeübt wurde. Entweder verhielt sich die Bevölkerung gleichgültig gegenüber irgend einer Neuerung, dann fand gewiss die Regierung oder deren Organe keinen Antrieb, sie praktisch anzuwenden; oder es verhielten sich die Mohammedaner ausgesprochen feindselig gegen derlei ') Murad Effendi, »Türkische Skizzen«, ') Fr. Maurer, »Eine Reise durch Bosnien«, a. a. 0. »gyaursche« Zumuthungen (wie es zumeist der Fall war), imd dann hatte wieder die Regierung nicht die Energie, ihre Autorität zur Geltung zu bringen, und Hess Alles beim Alten. So trägt, oder trug vielmehr der Fanatismus der mohammedanischen Bosnier einerseits, und anderseits der ausgesprochene Widerwille der Beamtenhierarchie gegen jede, ihren Kef störende Beschäftigung oder Reformarbeit gemeinsam an den Zuständen Schuld, in welche nicht nur Bosnien, sondern das gesammte Osmanenreich mit der Zeit gesunken. Wir wären nun beim religiösen Momente angelangt, und es fragt sich, wie, in welcher Art dasselbe beim Mohammedaner zum Ausdrucke gelangt. Zunächst muss erwähnt werden, dass hier der »Glaube« umso viel bedeutet, als der Religion des Propheten angehören, ohne dass es sich hiebei um jene innere und innerliche Annäherung an Gott, um das Bedürfhiss eines Insichgehens imd einer seelischen Erhebimg zu dem höchsten Wesen handelt. Derlei kennt der Islam absolut nicht, und während bei uns die Irreligiosität noch lange keine solche ist, wenn sie mit der Nichtbeachtung gewisser dogmatischer Formen zusammenfällt, ist gerade beim Mohammedaner das starre Formenwesen identisch mit religiösem Handeln. So ist auch das Gebet im Sinne des Islams nichts weiter als eine äussere Bethätigung des Glaubens, d. h. die mechanische Befolgung von gewissen Ceremonielgesetzen, wobei der Betende zumeist an nichts denkt, oder, was nicht minder häufig ist, selbst seine Gebetformeln durch Zwischenreden ganz profaner Natur unterbricht. *) Der fromme Moslim ist somit keineswegs bei Gott, wenn ') So schildert Brugsch (»Reise in Persien«, I, 357) in folgender ergötzlichen Weise zwei betende Perser, die auch zugleich beim »Trictrac«- Spiele (Langer Puff) sitzen.....»Gott ist der einzige und ewige Gott!« — Schieb nach links hin! — »Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt!« — Pass doch auf! — »Und kein Wesen ist ihm gleich!« — Sechs musst du ja nehmen! — »Gott ist sehr gross!« i— Du musst zahlen, wenn ich verliere. — So geschieht es auch während der Gebete zu Mekka, dass ein fanatischer Sunnite ausruft: »0 Allah, ich suche meine Zuflucht bei Dir gegen die Schmach dieser Welt« — dann aber plötzlich abbricht, um einem schiitischen (ketzerischen) Perser unter den Bart zu schreien: »Du verfluchter Sohn eines Verfluchten! Du Schwein und Bruder einer Sau.« (Vgl. Burton, »Pilgrimage etc.«, III, 210.) — Auch gibt es Gesinnungstüchtige unter den Persern, die durch keinen gesellschaftlichen Vertrag sich um das Recht bringen lassen, auf Omar, diesen »krätzigen Vorurtheile der Mohammedaner. 137 er dem Gebete obliegt, sondern im besten Falle geistesabwesend. Das Gebet ist sein religiöser Kef, und zwar vollends, wenn ihm die Gebetformel selbst, durch Unkenntniss der arabischen Sprache, dem Wortlaute nach imbekannt ist, wie dies bei den bosnischen Mohammedanern zumeist der Fall zu sein pflegt. Dabei ist der bosnische Moslim, wie sein christlicher Mitbewohner, voll Aberglauben, wie dies, neben gewissen nationalen Eigenthümlichkeiten, in einer Religion, die Alles auf höhere Fügimg setzt und dem menschlichen Willen, oder doch seiner Energie in verschiedenen Lebensmomenten keinen Spielraum lässt, nicht anders denkbar ist. Besitzt der christliche Bosnier seine »Wila« und seinen Vampyr, so wird die Phantasie des Moslim von guten und bösen Gespenstern, vom Teufel, dem »bösen Blick« und Anderem geplagt. Namentlich das Letztere ist es, was so viele Mütter besorgt macht, da es für sie genügend ist, ihr Kind leicht zu fixiren, um bei ihr den Glauben zu erwecken, man wolle dem Sprösslinge etwas anhaben. Nicht einmal Worte des Lobes vernehmen sie gerne, dfe den Müttern in der Regel verdächtig klingen. Die Männer wieder hatten noch bis zur jüngsten Zeit herauf eine ganz besondere Scheu davor, abconterfeit zu werden, in welcher sie übrigens ihren nicht'minder abergläubischen christlichen Mitbrüdern ebenbürtig zur Seite stehen. Ihrer Ansicht nach ist ein derart Abconterfeiter verurtheilt, zeitlebens »ohne Seele« auf der Erde herumzuwandeln1), ein Schicksal, das im Oriente sonst in der Regel den Irren und Wahnsinnigen zugeschrieben wird. Daher auch die ganz besondere Scheu vor diesen in Lumpen gehüllten Unglücklichen, deren Seelen angeblich bei Gott sein sollen, indessen ihre Körper auf der Erde ihr Dasein fristen. Während im Abendlande jeder Prophet für verrückt erklärt wird, gilt im Orient umgekehrt jederVerrückte für einen Propheten, oder doch für einen Gottbegnadeten, welchen Umstand sich übrigens manches verkommene Individuum zu Gute macht, und unter fiugirtem Walmsinne allerlei Ausschreitungen begeht, aus denen er straflos hervorgeht-). Auch die Verehrung für »Heilige« ist in Bosnien in Hebung, Hund«, zu schimpfen. (Vtimbe'ry, »Wanderungen in Persien«, 136, 154); u.s.w .... Dass derlei bei allen Mohammedanern, also auch bei den Bosniern, wenn auch in anderer Form, sich wiederholt, ist wohl sehr glaublich. ') Fr. Maurer, a. a. 0. 319. *) M Lüttke, »Der Islam und seine Völker«, 105. obwohl nicht in dem Grade, wie anderwärts im Oriente. Solche gottgeliebte Männer, welche bei den Rechtgläubigen in besonderer Erinnerung stehen, haben ihre eigenen Grabkapellen, oder doch grössere Grabstätten, zumeist auf exponirten Punkten, schönen Aussichtsplätzen, oder in lauschigen Winkeln zwischen Bäumen und neben sprudelnden Quellen. Sie heissen »Turbes« und verrathen sich schon von Weitem durch die blendend weisse Tünche, ohne die im Oriente überhaupt kein Bauwerk denkbar ist, das durch einen besonderen äusseren Schmuck gehoben werden soll. Daher auch die zumeist schneeweiss schimmernden Moscheen, die leuchtenden Kioske inmitten grüner Baumumrahmimg und — Was wohl minder befriedigt — das nüchterne Innere aller Gotteshäuser, wo von dem weissen Kalkgrunde nur hin und wieder grüne Medaillons sich abheben, die Koransprüche in Goldlettern schmücken1). An solchen Heiligengräbern (Welli -Turbe) findet man nicht selten alte Kleiderfetzen in buntester Auswahl aufgehängt, denn es sind ganz besondere Heilkräfte, die solchen gottgeliebten Entschlafenen innewohnen, und mancher Lebende erwartet durch solche Berührung Heilung von seinen Gebresten. Uebrigens werden auch noch lebende Persönlichkeiten canonisirt, und ein derart »Heiliger« kann, trotz seiner unerhörten Verehrimg, die er von Seite seiner Glaubensgenossen geniesst, dennoch in moralischer Beziehung so vieles zu wünschen übrig lassen, als bei uns etwa Individuen, deren Gesellschaft man zu meiden vollen Grund hat. Dafür treten im religiösen Leben des Moslims Momente hervor, denen unser Lob keineswegs versagt werden kann. So die besondere Liebe zu den Thieren, denen er oft gewiss mit grösserer Liebenswürdigkeit begegnet, als den andersgläubigen Mitmenschen; dann seine unleugbare Ueberzeugimgstreue in religiösen Dingen, die sich, neben dem schädlichen imd verwerflichen Fatalismus, zumeist in einem beispiellosen Opfermuthe an den Tag legt, wie ja die sprichwörtliche ') So hat man sogar in Stambul die Ungeheuerlichkeit begangen, den Marmorpalast von Dolmabagtsche, sowie andere Pracht-Kioske des Sultans einfach mit heller Kalktiinche zu überziehen. Dass in der Sofienmoschee die schönsten Fresken und Mosaikbilder unter einer solchen begraben liegen, dürfte bekannt sein. Verschiedene Lebensäusserungen. 139 Tapferkeit der türkischen Soldaten zum grossen Theile auf den religiösen Fanatismus zu setzen ist. Wir sagen zum Theile, denn ausschliesslich ist auch in Bezug auf den Opfermuth der Islam so wenig der unmittelbare Anlass, wie zu den verschiedenen Cardinalfehlern, welche so tief im Fleische der islamitischen Völker sitzen. Auch in Bezug auf den physischen Muth entscheidet in erster Linie der Volkscharakter, und wenn der bosnische Mohammedaner oder der Osmane hervorragend tapfer ist, so liegt dies eben nicht minder im Blute, wie im übermässigen Glaubenseifer. Dass es mit dem Muthe so manchen islamitischen Volkes sein Bewenden hat, geht aus zahlreichen Erscheinungen des täglichen Lebens, namentlich aber aus verschiedenen kriegerischen Anlässen hervor. In diesem Sinne sind Perser, Osmanen, Araber, Mittelasiaten, Tscher-kessen, Kabylcn. Amauten und Bosmaken ebenso wenig unter einen Hut zu bringen, wie in ethnischer und socialer Richtung. ... Ein weiterer beachtenswerther Zug zeigt sich an den meisten Mohammedanern (und wir haben diesfalls immer den Bosnier vor Augen) in der Verehrung, die er dem Todten zollt, und die sich äusserlich dadurch ausprägt, dass es jeder Gläubiger für seine Pflicht hält, dem Heimgegangenen einen letzten Liebesdienst zu erweisen. Derselbe besteht darin, dass Jeder, der einem Leichenzuge begegnet, wenigstens einige Secunden hindurch , die Bahre auf seine Schultern setzt, und seinen Platz sodann wieder dem Nächstkomraenden überlässt. Diese Ceremonie erfolgt aber gleichviel, ob der Begegnende den Verstorbenen gekannt, oder nicht. ... Dafür aber würde sich der Mohammedaner auch heute noch hüten, aus einem Gefässe zu trinken, das ein Christ, also ein Unreiner, mit seinen Lippen berührt hat, obwohl Jener keinen Anstand nimmt, die Pfeifenspitze, die eben ein Christ gebraucht, sofort in den Mund zu führen, ohne sie vorher gereinigt zu haben. ') Betrachten wir nun den bosnischen Mohammedaner in seinem täglichen Handeln und Wandeln, so drängt sich uns auch dieThatsache J) Fr. Maurer. »Eine Reise durch Bosnien«, 320. Solche dogmatische Reinheit verträgt sich immer mit dem grössten physischen Unflath,und gerade in den Ländern des Orients, wo die verschiedensten Dinge als religiös unrein gelten, kann der Europäer in kürzester Zeit durch Schmutz , Ungeziefer und ekelerregende Manipulationen zur Verzweiflung getrieben werden. auf, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen den gewöhnlichen Lehensäusserungen desselben und der übrigen Mosliras — wohlbemerkt in der europäischen Türkei — nicht herrscht. Das Ceremonialgesetz des Islam nimmt eben auch in dieser Richtung so decidirten Einfluss, dass Sitten und Gebräuche, die im Allgemeinen durch die Religion des Propheten begründet sind, höchstens dort eine Modification erfahren, wo klimatische Einflüsse, oder überhaupt locale Umstände schärfer iu Betracht kommen. Im Allgemeinen ist der bosnische Mohammedaner der gleiche Faullenzer, wie seine übrigen rechtgläubigen Brüder. Besitzt er irgend ein Geschäft, und das ist zumeist der Fall, denn nur ein ganz geringer Procentsatz der Mohammedaner befasst sich mit dem Ackerbaue, so begibt er sich nach verrichtetem Morgengebete und reichlich eingenommenem Frühmahle in seine Bude in der »Tscharschia«, wo er bei Zeiten die Besuche seiner Freunde empfängt. Ein geselliger Verkehr ist das nicht, denn erachtet der rechte und richtige Mohammedaner schon das Spazierengehen als eine imnütze körperliehe Anstrengung, so scheint er umsomehr in Bezug auf die Mundgymnastik dieser Ansicht zu sein, und er gibt sich, sammt seinen Gästen, tiefster Schweigsamkeit hin. Nach der üblichen Begrüssung, die, wenigstens den Worten nach, sehr umständlich ist und die verschiedenartigsten, meist auf Allah anspielenden Redewendungen enthält, setzt sich Alles im Kreise herum und consumirt möglichst viel ungezuckerten schwarzen Kaffee. Cigarretten oder den vorzüglichen Tabak, der entweder aus Pfeifen (Tschibuk. das Wort bedeutet eigentlich »Rohr«) oder Nargilehs (Wasserpfeifen) geraucht wird. Auch in seiner kaufmännischen Praxis beobachtet der echte Mohammedaner dieses unverbrüchliche Schweigen, und trotz seines lebhafteren Temperamentes ist ihm geschäftliche Eile, Marktschreierei oder laute Anpreisung der Waare fremd, ganz im Gegensatze zu seinen christlichen, namentlich griechischen Collegen, die in der Regel ein flaues Geschäft durch umso auffälligeres Treiben wett machen möchten, und auch in der Regel wettmachen, da sie mehr versprechen als halten. Andererseits ist es zur Genüge bekannt, dass Redlichkeit und kaufmännische Coulancedie hervorragendsten Eigenschaften des moslimischen Geschäftsmannes sind. Fälle von Uebervortheilung sind und waren jederzeit unerhört, imd wer je in der Marktbude eines türkischen Kauf- Der moslimische Kaufmann. — Das Heim. 14^ mannes Einkäufe zu besorgen hatte, dem ist gewiss erinnerlich, wie consequent derselbe bei seinem Preisangebote verbleibt, und in demselben auch nicht um einen Para herabgeht. Die Waare ist so und so viel werth, und dabei bleibt es unter allen Umständen: er verschmäht es kleinlichen Schacher zu treiben, den er seinen jüdischen und christlichen Geschäftsgenossen überlässt. Es ist in Folge dessen eine Eigentümlichkeit der meisten grossen Bazars des Orients und wohl auch der in den grösseren Städten Bosniens, dass viele Moslims, darunter namentlich Frauen, die auch im Morgenlande, wie überall in der Welt, mit dem ersten Preisangebote selten zufrieden sind, häufig die Buden christlicher Händler besuchen, während viele Christen wieder, namentlich aber Fremde, denen es darum zu thun ist, nicht geprellt zu werden, nahezu ausschliesslich bei moslimischen Kaufleuten mit Vorhebe vorsprechen. Dieser gute Ruf haftet indess gemeinhin nur an den Türken, nicht aber an Islamiten anderer Racen, wie Perser, Kurden, Araber und Tscheikessen, die, trotzdem sie »echte Moslims« sind, im Punkte der Redlichkeit gar Vieles, wenn nicht Alles zu wünschen übrig lassen. Die Seligkeit des Mohammedaners ist sein Hausstand, beziehungsweise die Bequemlichkeit, die er in seinem Heim geniesst. Dass die Ehe eine solche Anziehungskraft nicht ausübt, haben wir schon des Weiteren hervorgehoben; es wird also wohl ausschliesslich die Gemächlichkeit, der Comfort, sein, der ihn so sehr ans Haus fesselt. Auch ist es nicht Sitte, dass die Familie gemeinsam an den Mahlzeiten sich betheiligt, es geschieht dies vielmehr so, dass die Frau, oder die Frauen mit den Kindern im Haremlik speisen, während der Gast und Herr im JSelamlik (dem Herrengemache) sich von einer mehr oder minder zahlreichen Dienerschaar des Mahl serviren lässt. Speist der Gatte im Haremlik, dann ist die Frau kaum mehr als eine Bedienerin. Sind Gäste geladen, dann wird die Mahlzeit selbstverständlich in den Gemächern des Herrn abgehalten, und zwar auf türkische Art, wenn nur Rechtgläubige da sind, und europäisch, wenn der Hausherr Abendländer zu sich gebeten. In beiden Fällen bleiben aber die Gerichte immer dieselben, und der Unterschied besteht nur darin, dass im letzteren FaUe, wenn der Gastgeber überhaupt über Essbestecke verfügt, solche den Europäern gereicht werden, und dass man dem Weine oder überhaupt geistigen Getränken zuspricht, die sonst auf der Tafel, des Moslim selbstverständlich fehlen. Die Lieblingsgerichte sind entweder süsse, milchige oder sauere Suppen, dann die »Halva«, ein aus Honig, Oel und Hosenwasser bereitete Mehlspeise, die »Pitta«, gleichfalls ein süsser Kuchen; dann Hammelfleisch und Pilaw, oder Reis mit Früchten (Tschilaw), Geflügel, Gemüse-Hachees. wozu häufig essbare Kürbisse als Emballage benützt werden; Käse und Früchte, und schliesslich Yaurd (saurer Rahm) oder Kaimak (süsser Rahm) und der unvermeidliche Kaffee. Bis auf den letzteren werden alle Gerichte, der echt orientalischen Sitte gemäss, auf einmal aufgetragen, und zwar auf einem grossen Speisebrett, das je nach der Wohlhabenheit des Hausherrn mehr oder weniger werthvoll ist, das heisst entweder aus simplem Holze oder aus verzinntem Kupfer, oder aus Silber oder versilberten Platten besteht. Dasselbe gilt auch von den Geschirren. Das so mit Speisen beladene Plateau wird auf ein eigenes Gestell (die Tebsi oder Tebschia — ein Schemmel), um das die Gäste sich niedergelassen haben, gesetzt, und diesen überdies ein langes schmales, oft reich durchwirkte s Handtuch gereicht, das zur gemeinsamen Benützung, über die Kniee aller Anwesenden gebreitet wird l). Nach der Mahlzeit, die immer mit den Fingern eingenommen wird. — nur Europäer bedienen sich der Essbestecke — wird eine W^asserkanne und ein Becken herumgereicht, um Hände imd Mund zu reinigen, worauf der Gastgeber die Geladenen auffordert sich mit ihm auf die Divans zu begeben, wo der Nachtisch (Fruchtabguss. Dulcas, Rahatlachum, Scherbeth) und Kaffee servirt ~ wird und die »Tschibukdschis« ihres Amtes walten. Diese Hauptmahlzeiten finden immer Abends statt, und zwar zu solchen Stunden, dass es. wenigstens in der schönen Jahreszeit, nicht zu spät wird, um noch einen Ausflug nach irgend einem behebten Aussichtspunkte oder nach schattigen Lauschplätzchen zu unternehmen, wo sich der echte Moslim vollends der Beschaulichkeit und dem Nichtsthun hingibt. Es ist dies der Zustand des »Kef« (wörtlich »gute Laune«), der in dem Grade, wie ihm die Orientalen huldigen, mehr als irgend ein Raisonnement, den leidenschaftlichen Hang zum Nichtsthun, zur Gedankenlosigkeit und ') Roskiewicz, a. a. 0. 259. Aeussere Erscheinung des Mohammedaners. 143 überhaupt zur geistigen Trägheit, beweist. Im Kef-machen sind sich alle Islamiten gleich, der indolente fanatische Mittelasiate, der lebhafte Araber, der behäbige Türke, der unstäte Kurde und der händelsüchtige Tscherkesse, wie der stumpfsinnige Tartar, der gewaltthätige Anmute und der herschsüchtige Bosnier. Was die äussere Erscheinung der bosnischen Mohammedaner anbelangt, speciell die Kleidung, so ist im ersten Augenblicke ein eigentlicher Unterschied zwischen ihm und dem christlichen Mitbewohner nicht leicht zu erkeimen. Später wird man freilich gewahren, dass grelle, namentlich hochrothe Stoffe und reichbesetzte, oft verschnürte Jacken ausschliesslich nur von den Moslims getragen werden, während die Bajah sich bisher gezwungener Weise mehr dunkler Stoffe bedienen musste. Im Uebrigen aber ist die bosnische Männertracht ganz dieselbe, wie die türkische, die bekanntlich auch in Kleinasien erst dort durch die arabische, oder kurdische verdrängt wird, wo Kurden und Araber in domi-nirender Majorität auftreten, oder, was dasselbe ist, wo ethnographische Grenzscheiden massgebend werden. Das Haupt des Bosniers ist vom Turbangewinde umhüllt, unter dem sich das gewöhnliche Fez und häufig auch, zumal auf dem glatt rasirten Schädel, ein gestricktes, weisses Schutzkäppchen belinden. Die Berne stecken in weiten, meist blauen oder hochrothen Pluderhosen, die faltenreich bis zu den Knien herabfallen und dort zugeschnürt werden. Die Waden bedecken Gamaschen und die Küsse rohe Schnabelschuhe oder Opanken. Es ist selbstverständ-« lieh . dass auch in diesen Aeusserlichkeiten gewisse Variationen vorkommen, und es dem Gesehmacke jedes Einzelnen überlassen bleibt, Details an seiner Toilette in dieser oder jener Art anzubringen. Der europäischen Tracht haben sich die bosnischen Mohammedaner bisher noch nicht bedient, wodurch es auch sehr leicht lallt, einen solchen von einem Mitgliede der türkischen Beamten - Hierarchie, die das sogenannte »Reform -Costüm« (schwarzer Gehrock und das dunkle abendländische Beinkleid, nebst weisser Weste, Hemdkragen und ('ravatte) tragen, zu unterscheiden. ... Ueber die Tracht der Frauen lässt sich noch weniger berichten. Im Inneren ihrer Gemächer sollen sie, wie alle Orientaliimen. mannigfachen Luxus in ihrer Toilette treiben, gestickte Leibchen und schwere Seiden-Schalwars tragen, sowie kost- bares Geschmeide umgehängt haben. Den Kopf schmückt ein zierliches, reich mit Gold durchwirktes Fez, die Haare Perlen - Strähne, die Armgelenke Spangen u. dgl. m. Es dürfte in dieser Richtimg kaum etwas zu berichten sein, was nicht schon tausendmal geschildert und bildlich dargestellt worden wäre. Erwähnen wir noch, dass auch die mohammedanische Bosnierin der Unsitte des Bemalens der Augenbrauen und der Wangen, des Färbens der Fingernägel und der inneren Handflächen obliegt, dass sie in ihrem Promenade-Costüm, in einem sackartigen Ueberwurfe (Feredsche), der aus Seidenstoffen, Orleans, oder Tuch (aller Farben) besteht, einen möglichst unvortheilhaften Eindruck macht, und durch die Gewohnheit des Hockens auf untergeschlagenen Beinen in der Regel einen »watschelnden« Gang hat, so haben wir auch in dieser Richtimg . unsere Mittheilung , erschöpft. Neuestens hat übrigens die Sitte der Verschleierung nach orientalischer Art, die eigentlich keine solche, sondern eine veritable Vennummung ist, eine pikante Modernisirung erfahren, die darin besteht, dass die moslimischen Damen ihr Gesicht bis auf die Augen in ein vollends durchschimmerndes Gewebe hüllen, und so die Züge immerhin deutlich erkennen lassen; ein Reiz, der eben in dieser Art der Halbverhüllung liegt. Dies gilt natürlich nur von den vornehmen Mohammedanerinnen; die übrigen, zumal die Frauen der niederen Stände und des Landmannes, tragen nach wie vor die für das Auge imdurchdringlichste Vermummung, indem sie neben dem gewöhnlichen Gesichtsschleier auch noch einen, den Kopf, die Schultern und überhaupt den ganzen Oberkörper einhüllenden groben Ueberwurf anlegen. .. . Unverschleierte Frauen trifft man in ganz Bosnien-Herzegowina nur im Narentathale bei Jablaniea. Die Frage, die sich uns am Schlüsse unserer ethnographischen Schilderungen lebhaft aufdrängt, ist die: Wird sich das mohammedanische Element in Bosnien einer abendländischen staatlichen Ordnung aecommodiren, imd ist von dem Islam in seinen bosnischen Repräsentanten eine Modifikation zu erwarten, die ihn geschmeidiger gegenüber den aUgemeinen civilisatorischen Bestrebimgen machen könnte? . . . Diese Frage müsste im Principe in der ungünstigsten Weise beantwortet werden, denn so weit man durch die gemachten Erfahrungen ein Recht hat, die Umbildungsfähigkeit dem Islam abzusprechen, könnte dieser Lehrsatz auch gegenüber den bosnischen Mohammedanern nicht anders commentirt werden. Zwar dürfte man geltend machen, dass auch andere christliche Reiche des Abendlandes, wie Russland, England, Frankreich, mehr oder weniger zahlreiche Völker, die sich zum Islam bekennen, unter ihrem Scepter haben, aber es ist doch ein wesentlich Anderes, ob derlei Völkerschaften nur in einem ausser liehen Zusammenhange zu der Oentralgewalt stehen, oder in deren unmittelbaren Macht- und Wirkungskreis fallen, wie es speciell mit den Bosniern gegenüber der österreichischungarischen Monarchie der FaU ist. Zudem liegen all die fraglichen islamitischen Colonien und Reiche, welche unter der Herrschaft christlicher Staaten stehen, auf aussereuropäischem Gebiete, in Asien und Afrika, wo die Culturfortschritte des Abendlandes keine wesentlichen Bedingungen der staatlichen Prosperität sind. Neugestaltungen aber nur von einer sehr fernen Zeit erwartet werden können. Anders in Bosnien. Europa ist die Heimstätte des Christianismus, und ihm allein, seinem hohen inneren sittlichen Werthe verdanken die einzelnen Völker ihre gegenwärtige hohe Cultur, eine Cultur, die freilich nur in speeifiseh-europäischem Sinne aufzufassen ist, denn eine Universal-Cultur. eine Welt-Cultur im weitesten Sinne gibt es nicht'). Hie Aufgabe der europäischen Cultur als solche kann aber nur die sein, alle Zustände und Einrichtungen, die ihr widerstreben, seien sie nun religiöser oder socialer Natur, verschwinden zu machen, nicht durch Gewaltmittel, sondern durch civilisatorische Bestrebungen. In diesem Sinne aber bildet gerade der Islam das miübersteig-lichste Hindemiss. und da dieser in Europa keine eigentliche Heimstätte mehr hat. so muss er in seiner schädigenden Starrheit gebrochen werden, oder überhaupt vom Schauplatze verschwinden. Es gibt hier nur zwei Wege: entweder der Islam lässt sich im Geiste der abendländischen Culturarbeit modificiren, oder er muss als staatlicher Factor mit all seiner dogmatischen Präpotenz zu existiren aufhören. Es sind die umfangreichsten Werke darüber geschrieben worden a), ob der Islam fähig sei, von innen heraus eine Wiedergeburt zu erfahren, ') Vergl. Fr..T. Hellwald im »Ausland« 1878, Nr: 1. *) Vergl.: Weil, »Geschichte der islamitischen Völker«; A. v. Kremer »Geschichte der Iherrschenden deen des Islam«; Vämbe*ry, »Der Islam inj Schwoijo ■ L e x|c h e u f«1 d Buunicn \() die ihn aus seiner zwölfhundertjährigen Starrheit hofreit, und dem allgemeinen Fortschritte zugänglich macht. Die Theorie hat viel Schönes in dieser Richtung zu »Stande gebracht, aber die Praxis hinkt im Allgemeinen bedenklich nach. Vor Allem ist es nicht gelungen, die Idee der Einheit im Islam zu brechen, jene Einheits-Idee, die in der Verschmelzung des Religiösen mit dem Weltlichen den allerstärksten, unbesiegbarsten Halt besitzt. Mögen die unter christlichen Sceptern stehenden Islamiten immerhin die ihnen auf alle Fälle lästige und unwillkommene Herrschaft ertragen, ihr eigentliches und einziges politisches und religiöses Oberhaupt bleibt immer der osmanische Ohalif. Ein solches staatliches Paradoxon ist nur in asiatischen Ländern, nicht aber in Europa denkbar. Hier kann es sich immer nur um einen und nicht um zwei legitime Herrscher handeln, und wenn heute Bosnien als neue Provinz der österreichisch-ungarischen Monarchie angegliedert wird, so ist eine andere Art der Legitimität wie die des Kaisers Franz Josef absolut undenkbar. Der Satz, welcher durch seine Einfügung in die ottomanische Urkunde vom 23. December 1876 erneuerte Wichtigkeit erlangt hat. lautet: »Der Sultan ist der Chalif aller Mohammedaner.« Wäre der Begriff »Chalif« nur ein theokratischer (wie z. B. die geistliche Oberhoheit des Papstes), dann läge kein Anlass vor, darin irgend etwas Bedenkliches zu finden. Der Chalif ist und bleibt aber auch das politische Oberhaupt der Moslims, weil eine Trennung des Religiösen und Weltlichen nach den Satzungen des Koran eine Anomalie wäre. Man täuscht sich in dieser Richtung sehr, weim man das Beispiel Indiens herbeizieht, denn gerade in Indien fügen sich die Mohammedaner nur einem äusseren Zwange, und wenn in irgend einem moslimischen Lande, das unter christlichem Scepter steht, diese andersgläubige Herrschaft voll empfunden und mit äusserstem Widerwillen ertragen wird, so ist dies gerade in Indien der Fall, wo zumal unter den fanatischen Wahabiten des bengalischen Tieflandes der »heilige Krieg« im XIX. Jahrhundert«; J.Braun, »Gemälde der mohammedanischen Welt«; A. Sp enger, »Leben und Lehre Mohammed's«; M. Lüttke, »Der Islam und seine Völker«; dann die bezugnehmenden Werke von Em. Deutsch, J. Rey-mond, John Arnold, Wüstenfeld, etc. etc. Geheimen sich in Permanenz befindet '). Den Satzungen des Korans läuft es diametral zuwider, wenn ein Moslim eine andere Herrschaft, als wie die rechtgläubige anerkennt, und er erweckt erst Aussichten ein brauchbarer und gefügiger Unterthan zu sein, wenn er überhaupt aufhört Moslim zu sein.2) Cm dieser Negation der politischen Fügsamkeit des Mohammedaners noch mehr Relief zu verleihen, müssten wir eigentlich ein umfangreiches Material zur Beweisführung des Erfahrungssatzes, dass der Islam eine Beform, eine Umwandlung von Innen heraus gar nicht zulässt. erbringen. Dies würde indess den Rahmen der vorhegenden Schrift beiweitem übersteigen und überhaupt von deren eigentlichem Inhalte zu weit abführen. In Kürze aber möchten wir Folgendes consta-tiren: Die ganze Organisation des Islam, seine stramme, seit zwölf Jahrhunderten ungeschmälerte Disciplin, seine innere Leere, in Folge des absoluten Mangels jeder Trieb- und Keimkraft; die innigste Verschmelzung des Religiösen mit dem Weltlichen, wie sie im Koran zum Ausdrucke gelangt imd wohl zu Lebzeiten des Propheten von Notwendigkeit wrar, im Laufe der Jahrhunderte aber alle logische Begründung verlieren musste: femer das muslimische Sittengesetz, welches wohl von einer äusseren religiösen, nicht aber von einer bürgerlichen Moral weiss, und so auch dem wahren sittlichen Werthe des Einzelnen keine Geltung verschafft, schliesslich der Umstand, dass das »heilige ') Ueber die colossale Tragweite von Englands mohammedanischer Verlegenheit belehrt uns sehr genau einer der gründlichsten lebenden Kenner des Islam — H.Vämbery. »Seit Jahren,« sagt er, »lassen die fanatischen YVahabis ihre revolutionären Raketen immer häufiger aufsteigen. Bald zetteln sie zwischen den Bergstämmen einen kleinen Aufstand an, bald sehen wir, wie ein begeisterter Jünger dieser Secte den Spahi-Regimentem frank und frei Revolution predigt und zum »Dschihad«, zum »heiligen Krieg« gegen die Ungläubigen, folglich gegen die eigenen Herren ermuntert. Diesem gefährlichen Spiele gegenüber verhält sich England fast passiv, oder es schmeichelt dies durch das Sehwert bezwungene Volk durch Concessionen unter sein Joch. Aber als die beste Concession würde dem mohammedanischen Indier gelten, wenn alle Briten, von den Thäleru Kaschmirs his zum Cap Oomorin, auf einma ihre Bündel schnürten und das Land verliessen. Es darf eben nie vergessen werden, dass das Grundprincip des Islam immer die Bekämpfung der Ungläubigen bleiben wird.« ') M. Lüttke, »Der Islam und seine Völker«, 153. Buch«, die Offenbarungen des »alleinigen Gottes«, für die Mohammedaner auch gleichzeitig bürgerliches Gesetzbuch ist: das Alles macht eine erspriessliche Reform des Islam so lange undenkbar, so lange die Unantastbarkeit eben dieses Korans als heiligstes Gebot die Seele eines jeden Rechtgläubigen ausfüllt. Da aber all' diese angeführten Dinge unvereinbar mit den Zielen und Zwecken einer modernen Cultur sind, so gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder anerkennen die Moslims die Unhaltbarkeit ihrer Koran'schen Satzungen, imd dann sind sie überhaupt keine Moslims mehr, oder sie lassen an dem Althergebrachten nicht rühren, dami bleiben sie immer nur Unterthanen des »Chariten« sind und bleiben möglichst schlechte Unterthanen des christlichen Reiches, dem sie angehören und sind für jede civilisatorische Bestrebung unbrauchbar. Es ist daher nicht zu verkennen, dass die staatspolitische Aufgabe Oesterreich-Ungarns in dieser Richtung auf sehr schwierige, oft auch scheinbar unlösbare Probleme stossen wird. Sie sind und werden aber nicht unlösbar sein, wenn man die Zeit mit ihren wunderbaren Einflüssen auf Gewohnheiten und Althergebrachtes als das wirksamste Mittel zu einer mäligen, äusserlich kaum erkennbaren Umwandlung, Zersetzung und Aufklärimg wirken lässt, mid unter der Strahlenwärme eines con-stant wirkenden Fortschrittes die alte dogmatische Starrheit und cul-turelle Unbildsamkeit unmerklich entfesselt. Einer neuen Generation, aufgewachsen unter anderen Existenzbedingungen und in seinen Lebensäusserungen von abendländischer Gesittung und Cultur wohlthätig befruchtet, wird es freilich bedürfen, um selbst nur die äusserste Eiskruste zum Schmelzen zu bringen. Aber am Ende ist ein so langwieriger Process noch immer der bessere, rationeUere, als irgend welche Acte des Zwanges, die wirkungslos bleiben würden und überdies im Widerspruche mit einem Hauptsatze der modernen Cultur und Civilisation — der religiösen Toleranz, stehen würden. V. Culturzustände. — Die bisherige Administration. Das Unterrichtswesen. Mohammedanische Schulen. Der Bildungsgrad unter den Christen. Mangel jedweder höheren geistigen Cultur. Gewerbliche und industrielle Thäligkeit. Administrative Centraileitung. Regierungsorgane und Verwaltungsbehörden. Das Justizwesen. Gerichtsbehörden. Die Steuer-Administration. (Zehent und Pachtsteuern, Landessteuer, Militärsteuer, die Tretina.) Die Vakufs. Allgemeine Handelsverhältnisse. Bisherige politische Eintheilung des Landes. Statistik. Schlussbemerkungen. Der geistig tiefe Standpunkt, den heute die bosnische Bevölkerung einnimmt, rührt hauptsächlich nur von dem äusserst mangelhaften Unterrichtswesen her, sowohl auf Seite der Mohammedaner, wie auf jener der Christen. Während indess bei den Letzteren der Druck der bisherigen socialen Verhältnisse, der stete Argwohn der Behörden und der mohammedanischen Herren, die Schule kömite zum Ausgangspunkte staatsgefährlicher liberaler Bestrebungen werden, ein Vorwärtsgehen im Unterrichtswesen überhaupt nicht denkbar machte, fühlte die herrschende Race kein besonderes Bedürmiss. sich durch Aneignung irgend einer höheren Schulbildung hervorzuthun. Es ist kaum glaublich, welcher Grad von Ignoranz in der Masse der Mohammedaner aller Zonen herrscht, imd das noch viel Befremdendere hiebei ist, dass der echte, meist sehr bornirte Moslim mit der denkbarsten Geringschätzung auf alles europäische Wissen herabblickt. Eine europäische Gelehrsamkeit nach moslimischen Begriffen gibt es überhaupt nicht, da alles Wissenswerthe. wenn nicht im Koran enthalten, so doch im Laufe der Zeit von den moslimischen Gelehrten aller rechtgläubigen Völker erschöpft worden ist. Ein anderer bildender Einfluss ist hier somit vöUig überflüssig. Was unter den Augen der Mohammedaner sich als sichtbare Culturarbeit vollzieht, zumal die bedeutsamen Neuerungen auf technischem Gebiete, das wirkt wohl zuweilen verblüffend auf sie. doch weit entfernt, hiefür Bewunderung zu empfinden oder überhaupt in den wichtigsten Erfindungen des Abendlandes den civilisatorischen Fortschritt zu erkennen, schreiben sie derlei vielmehr bösen Einflüssen zu und erklären alles, was ihr Vorstellungs-Vermögen übersteigt, oder ausserhalb ihres sehr engen Gesichtskreises liegt, für Teufelswerk. Zwar hat es auch bei uns in früherer Zeit — und sie liegt uns noch nicht gar so weit entfernt — nicht an religiösen Fanatikern gefehlt, die in ähnlicher Weise jedem Culturfortschritte entgegentraten, aber derlei Finsterlinge hatten im Allgemeinen doch , nur auf die irregeführten Massen einigen Einfluss, nicht aber auf die Cultur-Apostel selbst, deren Werke notwendigerweise vom schliesslichen Erfolge gekrönt werden mussten. ... Nicht so unter den Mohammedanern. Für sie ist Alles, was nicht im Koran enthalten ist. rundweg überflüssig. Einer der Urahnen des Islam, der solch verderbliche Ansicht aufgestellt, war bekanntlich jener Chalife, der zu Alexandrien die grossartigen Bücherschätze verbrannte, indem er sagte: entweder ist Alles, was hier geschrieben steht, im Koran enthalten imd dann sind diese Bücher überflüssig, oder es stehen m diesen Dinge, die der Wahrheit des Koran zuwiderlaufen. — dann sind sie ja ohnedies vernichtenswerth. Dieses historische Ereigniss hat durch zwölf Jahrhunderte ununterbrochene Wiederholung, wenn auch zumeist in passiver Form, in der gewohnheitsgemässen':Handlungsweise der Mohammedaner gefunden. Wie aber unter solchen Umständen überhaupt eine geistige Befruchtimg, nicht nur der Massen, sondern selbst des Einzelnen, stattfinden soll und könnte, ist nicht erfindlich.. . . Den ersten Unterricht geniesst das mos-limische Kind bekanntlich im Harem. Welcher Art dieser Unterricht sein dürfte, lässt sich ermessen, wenn man berücksichtigt, dass selbst die Mütter in den seltensten Fällen lesen und schreiben können, oder diese Elementargegenstände doch nur äusserst nothdürftig absolvirt haben. Die geistige,Befruchtung kann daher bei dem moslimischen Kinde, so lange es in Harem »erzogen« wird, so ziemlich auf Null gestellt werden. Später tritt dann der Junge in die Elementarschule (»Dschud-schuk-Mektebi") ein, wo ein »Fiki« oder Lehrer seines Amtes waltet, Mohammedanische Schulen. 151 der tatsächlich seihst in den einfachsten Wissenszweigen in vollkommenster egyptischer Finstemiss tappt, und dessen ganze Schulbildung in der Kunst des Lesens und Sclu-eibens besteht. Häutig gründet ein. sich zum Lehrstande berufen Fühlender aus eigener Initiative eine solche Elementarschule. wrobei er freilich nur eine äusserst kümmerliche Existenz fristet, denn erwägt man, dass das officielle Reichsbudget in den letzten Jahren für Unterrichtszwecke keine ganzen zwei Millionen Franken aufwies, so wird man begreifen, wie die einfachen mohammedanischen Land- und Provinzschullehrer situirt sein können. Hie Elementar- oder Koranschulen haben kein anderes Ziel als das. die .lugend schreiben und lesen zu lehren: sie thun dies lediglich an der Hand des Koran, und zwar nach einer Methode, welche es mit sich bringt, dass das, woran die Lese- und Schreibstudien gemacht werden, zugleich vollkommen auswendig gelernt wird. Unablässig wird von der ganzen Schaar der auf Rohrmatten oder Schaffellen hockenden Schüler in dem Tone lauten Singens oder Plärens und unter dem dafür traditionellen Hin- und Herschaukeln des Oberkörpers der Koranabschnitt recitirt. der den Gegenstand der augenblicklichen Hebung bildet. Indess ist dieses Auswendiglernen ein absolut mechanisches, und von einer Interpretirung des Korans ist umsowemger die Rede, als der Lehrer zu dieser Aufgabe entweder zu bequem oder zu einer Abgabe von Erläuterungen überhaupt nicht fähig ist. Zumeist kauert dieser Letztere auf erhöhtem divanartigen Sitze und überwacht so seine plärende Kiuder-schaar, oder er überlässt sich gar inmitten des Unterrichtes der Beschaulichkeit, indem er sich auf der Matratze oder Matte ausstreckt und seinen Tschibuk zur Hand nimmt. Eines aber wird den moslimischen Kindern schon in dieser ersten Pflanzstätte des Wissens eingeschärft: eine grenzenlose Verachtung gegen die Gyauren (Ungläubigen) und eine glänzende Idee von der Ueberlegenheit der mohammedanischen Völker über alles übrige Menschengesindel. Nicht viel besser ist es mit den höheren Bürgerschulen (»Mektebi-Rüschdje«) bestellt, die erst unter Sultan Abdul Medschid gestiftet wurden, und welche einen gemeinnützigen, auf alle Religionssecten ach zu erstreckenden Unterricht bezweckten, in dieser Richtung aber wenig Erfolg erzielten, da man sie in mohammedanischen Kreisen als eine Neuerung nach europäischem Zuschnitt betrachtete. Wenigstens wird, berichtet, dass der für die Staatsschule zu Serajevo bestellt gewesene Lehrer, ein Türke, der in Paris erzogen worden war. in seinem Amte solchen Hindernissen und Unbilden begegnete, dass er es gerathen fand, auf sein Lehramt zu verzichten. Anders freilieh verhält es sich mit den eigentlichen theologischen Schulen oder den Medressen. Sie stehen oder vielmehr standen, denn sie haben in mancher Beziehung gegen frühere Zeiten eine Veränderung erfahren, zum Theile in enger Verbindung mit den Moscheen, waren aber oft auch freie und selbstständige Anstalten, eine Art von gelehrten Oollegien oder Körperschaften und hatten sich hauptsächlich mit der Koran-Exegese zu befassen. Ausserdem wurde aber und wird auch noch gelehrt: Arabische Sprache; dann für die religiöse Abtheilung der Uleraa: Dogmatik, Moral, Logik, etwas Philosophie, und für die rechtskundige Abtheilung die Grundsätze des islamitischen Rechtes; dann etwas Geschichte, die Anfangsgründe der Arithmetik, Geometrie. Poetik u s. w. Es waren dies die Lehranstalten, aus denen in früherer Zeit ausschliesslich die Beamten des osmanischen Reiches, und zwar in ihrer Eigenschaft als Ulemas, d. h. »Gelehrte«, hervorgingen, eine Einrichtung, die auch für Bosnien, wie gesagt, schon seit Langem zu den vergessenen gehört. Um übrigens einen besonderen Eifer, nicht im Punkte des Schul- und Unterrichtswesens sondern in religiöser Beziehung, an den Tag zu legen, gründeten viele reiche Begs selbst solche Schulen: als dann in den letzten Jahrzehnten das Feudalwesen auch in Bosnien aufgehoben wurde, gingen natürlich auch diese Schulen ein, die Lehrer wendeten sich einträglicheren Geschäften zu, und die Gebäude verfielen, oder fanden andere Verwendung. Im Allgemeinen kann behauptet werden, dass die moslimischen Schulen in Bosnien, entgegen denen des Abendlandes, die wahren und einzigen Brutstätten orientalischen Fanatismus sind. Aus ihnen gehen jene verderblichen Lehren von der politischen Zusammengehörigkeit aller Rechtgläubigen und ihren unmittelbaren Verpflichtungen gegen das politische und religiöse Oberhaupt, den Chalifen zu Stambul, hervor; in ihnen wird mit ungebrochenem Eifer gepredigt, dass eine jede Umgestaltung der socialen Verhältnisse nach abendländischen Mustern ein verbrecherischer Eingriff in die alten, immerdar Gesetzeskraft behaltenden Das Schulwesen unter der Rajah. 153 Bestimmungen des Koran sei; dass Alles, was bisher bestanden hat. auch fernerhin zu bestehen hat. und dass es die erste Pflicht eines jeden Moslim sei. activen oder passiven Widerstand Verhältnissen und Massnahmen entgegenzusetzen, die den religiösen Satzungen zuwiderlaufen. Da die Urheber, wenigstens die moralischen, aller Reform-Anläufe in der Türkei bekanntlich die Europäer sind, so ist es logisch, dass sich der fanatische Hass der Massen hauptsächlich gegen diese und erst in zweiter Linie gegen das Pforten-Regiment richtet. Dieses selbst ist aber gar nicht so reformfremidlich. und überhaupt nie aus innerer Ueber-zeugung zu Concessionen geneigt gewesen, sondern es begnügte sich lediglich nur damit, der Form nach zu entsprechen, im Uebrigen aber Alles beim Alten zu belassen. Das haben mit der Zeit auch die mohammedanischen Bosnier erfahren. und es ist zur Genüge bekannt, dass bis auf den Tag. trotz einer fünfzigjährigen sogenannten Reform-Arbeit in Stambul, in Bosnien die althergebrachten Verhältnisse Giftigkeit hatten und nur dort Modifikationen erfuhren, wo es sich gerade um die individuellen Anwandlungen dieses oder jenes Machthabers handelte. Dass hei so schlechtem Beispiele die Rajah für ihr geistiges Heil so viel wie nichts thun konnte, erscheint begreiflich. Von physischen Plagen und Anforderungen erdrückt, fand der christliche Leibeigene des Beg oder Aga auch in geistiger Beziehimg keine Gelegenheit sich zu emancipiren, oder vielmehr, er hatte in dieser Richtung gar kein Bedürf-niss, da die täglichen Sorgen der Existenz und physischen Leiden der plamnässigen Bedrückung derlei Regungen gar nicht auf kommen Hessen. Daher die gegenwärtige tiefe Versumpfung in geistiger und moralischer Beziehung der christlichen Massen, die beispielsweise, von der orthodoxen Geistlichkeit, statt entfernt, vielmehr aufrecht erhalten wmrde. denn auch im Interesse dieser lag es ganz imd gar nicht, dem stumpfsinnigen Volke die Augen zu öffnen. Der fanariotische Clerus hat sich nie absonderlich um diis Heil seiner Heerde gekümmert. Ja im Gegentheile. er hat zumeist mit den türkischen Herren gemeinsame Sache gemacht und mit seltenem Raffinement die Massen irregeleitet, natürlich dami nur, wenn es sich um einen materiellen Vortheil handelte. Wenn dann hin imd wieder das Volk zu den Waffen griff und sich erhob, da vernahm mau wohl immer, dass Popen sich an derlei Aufständen betheiligten; aber die niedere Geistlichkeit ist in der Regel nicht hesser daran als das Landvolk selbst, und seine Unwissenheit ist nicht minder erschreckend, als die des letzteren. . . . Wir fragen aber nun, wie ist und war es bei solchen Verhältnissen und Zuständen denkbar, dem Volke auch nur die nothwendigste geistige Nahrung zuzuführen ? Wie konnten und können die Popen, die selbst kaum des Lesens und Schreibens kundig sind, ein erspriessliches Lehramt unter ihrer Heerde üben, die im Ranne uralten Aberglaubens liegt imd selbst in religiöser Beziehung dem allergröbsten Formalismus obliegt?.. . .So lag im Bosnien das Schulwesen auch auf christlicher Seite seit jeher im Argen. Nur in den grösseren Städten des Landes entstanden mit der Zeit Schulen für die griechisch-nichtunirte Bevölkerung imd soll speciell die zu Serajevo. welche direct dem dortigen Metropoliten untersteht, so ziemlich den Anforderungen welche man an sie stellen kann, entsprechen. In der Regel aber erachten es die unteren Volksclassen selbst als überflüssig, ihren Kindern einige Schulbildung zu geben, oder sie besitzen — was zumeist der Fall ist — nicht die allernothwendigsten Mittel, um die Kosten der Anschaffung von Schulbüchern u. s. w. zu decken.... Besser ist es im Allgemeinen mit der katholischen Bevölkerimg bestellt, die in jeder Pfarre eine Elementarschule besitzt. Diese Schulen wurden bisher von den Franziskanern geleitet und zum Theile von Oesterreich subventionirt. IndenBereich der allgemeinen Culturverhältnisse fallen wohl auch die Gebiete der Kirnst und Wissenschaft, dann die der gewerblichen imd industriellen Thätigkeit, aber unsere Ausbeute kann hier nur eine sehr bescheidene sein. Speciell was das Feld der höheren geistigen Thätigkeit anbelangt, so liegt dasselbe, wie nach dem Vorausgeschickten consequenter Weise angenommen werden muss, vollkommen brach. Unter Verhältnissen, die nicht den geringsten Schimmer eines höheren Culturlebens verbreiten, ja, die sich im Gegentheile seit der osmanischen Invasion von Jahrhundert zu Jahrhundert rapid verschlimmert haben, wäre es übrigens auch sonst ziemlich erheiternd, derlei zu erwarten. Wie das ganze Türken-Regiment, seinen inneren und äusseren Erscheinungen nach, die tiefste Verkommenheit an den Tag legt und auch nicht einen einzigen Lichtblick gestattet, ebenso liegen die Massen in den Banden der Ignoranz, der geistigen Erstarrung und der socialen Gewerbliche und industrielle Thätigkeit. 155 Versumpfung. Da der Mohammedaner keine höheren geistigen Anforderungen an das Lehen stellt, so können und konnten solche selbstverständlich noch viel weniger bei der unterdrückten Rajah aufkommen. Von einer Literatur, wissenschaftlichen Instituten, Akademien. Museen, geselligen und literarischen Corporationen ist im ganzen Lande keine Spur, ebenso wenig, wie in Constantinopel, wo zwar ein Kemal Bey sich bis zu einer seichten dramatischen Production verstieg, die türkische Tagesliteratur aber in zahllosen Fällen durch ihre erheiternde Ignoranz imd die blödsinnigste Verhimmelimg des >,osmanischen Geistes« brillirt. . . . Auf dem »künstlerischen Gebiete« wäre indess gleichwohl dreier Dinge zu erwähnen, welche zuweilen die Bevölkerung der Städte in Anspruch nehmen: Die Kunstleistungen von Akrobaten, die Vorstellungen von Tänzerinnen und schliesslich das übelberüchtigte Schattenspiel »Karagjöz« (schwarzes Auge), an dessen unfläthigen Scenen sich Jung und Alt belustigt. Hinter einer transparenten Wand versammeln sich die Darsteller pantomimischer Liebesscenen, in denen verkleidete Knaben das zarte Geschlecht in einer Art zu vertreten pflegen, die sich platterdings nicht mittheilen lässt. Diese skandalöse dramatische Belustigung ist eben eine türkische Erfindung, und wenn der moslimische Bosnier heute daran Geschmack findet, so beweist dies eben, dass die Depravirung seiner ural-altaiischen Glaubensgenossen mit der Zeit auch ihn ergriffen, und dass die Laxheit der osmanischen Moral und Sitte unter Umständen auch ansteckend auf andere Racen hinübergreift. Was die Akrobaten-Vorstellungen anbelangt, so pflegen dieselben meist vor den Fenstern der- reicheren Mohammedaner abgehalten zu werden, wobei dann das Volk zu bescheideneu Genüssen gelangt, die, nebenbei* bemerkt, ihm auch keine Kosten verursachen. Beliebter sind bei den Vornehmen die schlankhüftigen Zigeunerinnen, die, im Dienste Terpsichoreus stehend, durch banale Attitüden, die nur einer luterpre-tirung der unniaskirtesten Sinnlichkeit dienen, die Zuschauer bezaubern, wobei freilich der Aesthetik, oder überhaupt der ästhetischen Empfindung kein Plätzchen reservirt bleibt. Nicht viel Besseres treffen wir auf dem Gebiete der gewerblichen und industriellen Thätigkeit; aber dieselbe hat dennoch ein grösseres materielles Bedürfhiss zu decken, und so ist sie eine naturgemässe Notwendigkeit, ohne dass es sich hier um mehr als um blos handwerksmässige Leistungen handeln kann. Die industrielle Thätigkeit beschränkt sich demnach nur auf Erzeugnisse und Gegenstände, welche zum unmittelbaren Gebrauche dienen, roh gearbeitete Eisengegenstände. Hand- und Schusswaffen, grobe Wollstoffe, Rosshaarsäcke, Kotzen und Decken, Lederwaaren und sonstige primitive Erzeugnisse aus landesüblichen Rohstoffen. Speciell die Lederfabrication imd die in dieselbe einschlagenden gewerblichen Branchen haben im Lande grosse Verbreitung, doch werden dieselben grösstentheils von den Mohammedanern als Monopol betrieben. So liegt das Sattler- und Riemerhandwerk ausschliesslich in ihren Händen, ebenso die Lohgerberei. Die Sattler und Riemer verfertigen die gewöhnlichen bosnischen Sättel, die Reitzeuge, lederne Reisesäcke imd auch Divans, da es eigentliche Tapezierer nicht gibt. Die Gerber beschäftigen sich grösstentheils mit der Zurichtung von Rinds-, Schaf- und Ziegenhäuten, die, verschieden gefärbt, roth, grün, gelb, schwarz, an die Sattler, Riemer und Schuhmacher abgegeben werden. Dieses letztere ist das am meisten ausgeübte Handwerk und gibt es in den Bazarhallen und Tscharschias ganze Gässchen, welche nur die landesübliche Beschuhung aufweisen. Europäisches Schuhwerk, obwohl bei den moslimischen Frauen der höheren Stände sehr beliebt, wird von Eingeborenen selbst nicht erzeugt. Dasselbe gilt von Kleidern abendländischer Facon, für die bisher begreiflicher Weise nur sehr geringe Nachfrage sein konnte. Von der Metallindustrie wären hervorzuheben die Kupferschmiede, die sich wieder ausschliesslich nur aus dem mohammedanischen Theile der Bevölkerung recrutiren und mit ihren Erzeugnissen an Koch- und Wassergeschirren, Kesseln, Platten, Speise-Plateaux. Kaimen und Schalen meist nur den Bedarf des Landes decken. Dagegen wird die Waffenfabrication, speciell zu Foca an der Drina, so schwunghaft betrieben, dass ein grosser Theil ihrer vorzüglichen Fabricate, wie Handscharklingen und Gewehrläufe, im ganzen Bereiche der Balkanhalbinsel Absatz finden. Die Gold- und Silberarbeiten sind dafür höchst primitiver Art und erstrecken sich nur auf einzelne, plump faconirte Schmuckgegenstände. Eine Ausnahme machen die. auch weit über die Grenzen ihres Erzeugungsgebietes hinaus berühmten Gold- und Silber-Filigranarbeiten, mit denen sich Die administrativen Einrichtungen. 157 ausschliesslich die Albanesen von Rascien beschäftigen, doch geht aus den verschiedenen Reiseberichten nicht hervor, ob sich diese industrielle Thätigkeit auch auf jene, von Albanesen bewohnten Gebiete Rasciens, die zu Bosnien gehören, erstreckt. Erwähnen wir noch, dass in der Textilindustrie die Teppich- und Decken-Erzeugung am besten vertreten ist, dass die Gold- und Silbersticker nach ziemlich geschmackvollen Mustern arbeiten, und dass die Hausindustrie unter dem christlichen Theile der Bevölkerung an vielen Orten eine ziemlich entwickelte ist, so glauben wir das Wissenswerthe auf dem Gebiete der gewerblichen Thätigkeit so ziemlich erschöpft zu haben. Nachdem wir Land und Leute von Bosnien und der Herzegowina nach allen Seiten hin kennen gelernt haben, hätten wir nun zum Schlüsse unserer Mittheilungen noch in etwas ausführlicher Weise der bisherigen politischen und administrativen Zustände zu gedenken, die kaum verfehlen dürften, neben allen übrigen ethnographischen, socialen und culturellen Schilderungen, das so gewonnene Totalbild wesentlich zu vervollständigen. Liegt es doch in der Natur der Sache, dass gerade die Verwaltungspolitik mit ihren mehr oder minder fruchtbaren organisatorischen Mitteln in den meisten Fällen der eigentliche und wahre Gradmesser für den Culturzustand eines Landes mid seiner allgemeinen Prosperität ist. Nun war aber gerade diese Verwaltungspolitik in den Provinzen der Türkei jederzeit eine sehr mangelhafte, und seit der Inaugurinmg der Reform-Aera unter Sultan Mahmud II. ist wohl kein Lustrum vergangen, das nicht irgend eine Neuerung gebracht hätte, die in der nächsten Zeit wieder aufgehoben, durch eine andere ersetzt wurde: oder man verfiel gar auf bereits längst Abgeschafftes, wodurch die administrativen Angelegenheiten vollends im Zustande des Unfertigen, Undurchbildeten verblieben, Thatsäehlich hat sich der Form nach im Laufe der Zeit sehr viel, dem Wesen nach aber gar nichts geändert. Statt den jeweiligen Reformen ein geistiges Element beizugesellen, beschränkte mau sich zumeist nur auf Aenderung der Titel, welche die officiellen Behörden führten, wies ihnen bald diesen, bald jenen Wirkungskreis zu, linderte wiederholt die Grenzen der einzelnen Generalstattlialterschaften ohne zwingende Veranlassimg ab und führte so einen Zustand ausgesprochener Verwirrung herbei, der dadurch am besten gekennzeichnet ist, dass es in der Türkei bisher eine nicht zu seltene Erscheinung war, Functionären zu begegnen, welche eigentlich gar nicht wussten, welcher höheren Behörde sie unmittelbar unter-* ständen. In Bosnien dürfte es allerdings nicht so weit gekommen sein, aber auch hier wird die Herzegowina bald als abhängiges, gewöhnliches Mutessariflik zu jenem geschlagen und administrativ unterstellt, bald wieder als selbstständiges Gouvernement von Bosnien abgetrennt, während Bosnien im Jahre 1876 von Mithad Pascha zu dem damals neu ereilten Yilajet »Kossowo« zugezählt, nach dem officiellen Staatskalender von' 1878 (1294 d. Fl.) wieder zum Villajet »Bosna« gehört. An der Spitze dieses Vilajets, das die Provinzen Türkisch-Croatien, die Herzegowina, das eigentliche Bosnien imd den Histrict von Novibazar umfasst, stand zuletzt ein General-Gouverneur oder Vali-Pascha mit dem Amtssitze zu Serajevo. In seinen Händen lagen alle administrativen, geistlichen und juridischen Angelegenheiten der Provinz, durch verschiedene Functionäre vertreten, die in ihren Ressorts nahezu ausnahmslos dem Gouverneur unterstanden. Nur der General-Steuer-und Zoll-Einnehmer, der direct von der Stambuler Regierung eingesetzt wurde, machte hievon eine Ausnahme. Der Gouverneur des Vilajets bezog einen Gehalt von etwa 60.000 fL, welche formidable Summe, wie dies in den socialen Einrichtungen des Türkenthums eben begründet ist, offenbar auf den grossen Hausstand des Vali, auf seine Privatbedürfnisse aller Art (Harem, Dienerschaft, Repräsentanz) berechnet war, und in den übrigen türkischen Provinzen noch immer berechnet ist. Nicht minder massgebend auf diese ausserordentliche Bezahlung dürfte der Umstand sein, dass die meisten Gouverneursposten in den seltensten FäUen durch spontanen Entschluss der Stambuler Regierung besetzt zu werden pflegen, sondern dass diese Stellebesetzung in der Regel erst auf dem krummen Wege der Bestechung erfolgt. Mancher Gouverneur lässt und Hess es sich heidenmässig viel kosten, diesen oder jenen Statthalterposten in einer lucrativen Provinz zu erlangen, und da trotz der erfolgten Besetzung immer wieder neue Bewerber auftreten und der beste Zahler am schnellsten reussirt, so sind die schönen Tage einer solchen Provinz-Herrschaft immerdar kurz' bemessen, und da heisst es zusammenraffen, so viel nur immer angeht. Zudem wurden und werden Die Regierungsorgane. 159 in den seltensten Füllen diese hohen Gehalte ausgezahlt, sondern der Gouverneur, und mit ihm auch die meisten übrigen Funktionäre, darauf angewiesen, sich durch verschiedene Manipulationen schadlos zu halten. Dass in dieser ganzen Art türkischer Verwaltung eine starke Dosis von Unmoralität steckt, leuchtet wohl ein. Es ist aber auch ein wirthschaft-liches Unding, gerade diejenigen, die berufen sind, im Staatshaushalte < Irdnung zu halten, in pecunjärer Beziehung ilu-em Schicksale zu überlassen, so dass ihnen kein anderer Weg als der der Bestechung, der Veruntreuung und nur zu häufig der Gewaltthätigkeit und Erpressung bleibt, Dem Gouverneur waren als Fimctionäre beigegeben: Der Landes-Finanz-Director (Defterdar), und zwar als immittelbarer Stellvertreter mit einem Jahresgehalte von 20.000 fl., dann der Kanzleidirector (Mektubdschi) mit seinen Secretären. Kanzlisten und Schreibern (Kjatibs), ferners der Commissär für auswärtige Angelegenheiten, ein Director für öffentliche Arbeiten und Sachwalter in geistlichen Angelegenheiten, welche in der Person des Moliah. in der des griechisch-nichtunirten Metropoliten von Serajevo und des katholischen Pfarrers vertreten waren..... Aehnlich wie die Centraibehörde waren die Kreis- und Districts-Vorstehlingen organisirt. An der Spitze eines jeden Kreises oder Mutessarifliks stand der Mutessarif, gleichfalls ein Beamter mit Paschas-Bang und einem jährlichen Gehalte von 20.000 fl. Er hatte wie der Vali oder Gouverneur ein eigenes Regierungsgebäude (Konak, Kapia) zur Verfügung und besass zumeist sehr grossen Einfluss, ja oft unumschränkter .Macht, die begreiflicher Weise mit Gewaltthätigkeiten verbunden war. für die es kein Correctiv gab. Der Gouverneur war in dieser Bichtanginder Kegel gänzlich ohnmächtig, denn verdankte derselbe auch zumeist seinen Posten einerhohen oder höchsten Protection, so standen dem Unter-Gouverneur nicht minder eiuflussreiche geheime Mächte zur Verfügung, und bei dem bekannten Talente der Türken zu Intriguen aller Art war kein Vali so lest fundirt, um nicht durch die Minirarbeit anderer Beamten und Effendis von seinem Sitze hinweggefegt zu werden. Man sollte nun annehmen, dass sechs bis acht solche Mütessarifs mit ihren glänzenden I lehalten am Ende doch in der Lage gewesen wären, zum Wohle der Provinz zu wirken. Aber dem ist keineswegs so. und da die Gehalte in 100 V. <-ulturzustände. — Die bisherige Administration. der Regel auf sich warten Hessen, tunctionirte allemal ein rentables Raubwesen in officieller Form. ... Die nächste Stufe der Beamten-Hierarchie bildete das Kaimakamat oder die Bezirksvorstehung. Die Kaimakams, deren es. wie wir später sehen werden, im Lande eine sehr ansehnliche Zahl gab. bezogen einen jährlichen Gehalt von 10.000 ti. Sowohl sie. wie die Mutessarifs hatten ihre »Medschlis« (Verwaltungs-räthe). welche die geistlichen, administrativen und juridischen Angelegenheiten zu entscheiden hatten, soweit diese nicht in den Bereich der nächsten Oberbehörde fielen. Den niedersten Grad endlich bildeten die Districtsvorsteher oder Mudire. welche einen Gehalt von etwa 3000 fl. bezogen, ohne hiefür mehr geboten zu haben, als Individuen überhaupt bieten können, die kaum des Schreibens, keinesfalls aber des Lesens kundig sind. Der Gemeinde schliesslich stand der >• Zabit« vor. dem wieder die Imams oder Vorsteher der einzelnen Kirchsprengel (Dsche-mants) und diesen wieder die Mahale-Baschis oder Aeltesten der Ortsviertel beigegeben waren. Das Princip der Arbeitstheilung. das im türkischen Hauswesen so weitgehende Auwendung findet, scheint sonach auch im Verwaltungsapparat sein- ausgebildet zusein: unwirtschaftlich genug, erwägt man, dass alle diese zahlreichen Ober- und Unterbehörden diese Beiräthe und Functionäre, sammt ihrem zahlreichen Dienstpersonale die Wohlthaten eines geregelten Staatshaushaltes nicht kannten und keimen. und somit auf den Weg der Spoliation gezwungener Weise gedrängt wurden. Dass die notorische Unredlichkeit der türkischen Beamten hiebei noch ein Uebriges verschuldet, liegt wohl auf der Hand, aber am Ende ist auch die Mehrzahl dieser Beamten dem osmanischen Stamme entsprossen, der bekanntlich die Redlichkeit nicht zu seinen Haupt-Tugenden zählt. Desshalb ist in der Türkei der Beamtenstand auch keineswegs geachtet, imd wie selbst Mohammedaner über denselben denken, das hat sich in sehr vortheilhafter Weise für das moralische Gefühl der betreffenden Interpellanten gezeigt, die gelegentlich der ersten und zweiten Stambuler Parlaments-Session, in dieser Richtimg der Regierung gründlich den Text lasen. Namentlich impopulär waren jederzeit die Finanz-Directoren (Defterdars) der einzelnen Provinzen, die ausschliesslich nur dem Diebstahl oblagen, und bei denen irgend eine, noch so geringe Manipulation immer mit einer Bestechung in Verbindung stand. Verwaltungsorgane. 161 Die verschiedenen Reform-Hats decretirten bekanntlich wiederholt die Gleichstellung aller Culte vor dem moslimischen Gesetz — was eigentlich eine Anomalie ist, denn das moslimisehe Gesetz ist der Koran, imd der kennt nur zum Herrschen und Befehlen berechtigte Mohammedaner. Aus dieser formell decretirten Gleichstellung resultirt nun auch notwendigerweise das Becht für Nicht-Moslims, Verwaltungsstellen einzunehmen. Thatsäehlich erhielt dieses Recht seine wiederholte Sanction, und müssen wir ims diesfalls an die Verfassungsurkunde vom 23. December 1876 halten, die auch für die Provinzial-Verwaltung die weitgehendsten Anführungen enthält, doch wird es diesfalls wohl notwendig sein, auf ein älteres Gesetz (aus dem Jahre 1865) zurückzukommen, da man sich in der Türkei nicht sehr zu beeilen pflegt, imd alte Einrichtungen auch dann noch lange beibehalten werden, wenn deren Abänderung längst officiell decretirt worden ist. Dieses »Consti-tutiv-Gesetz« hat auch in Bosnien bis auf den Tag zu Recht bestanden, trotz der mittlerweile verflossenen Verfugungen des Reform-Hats vom 12. December 1875 und jener der im Jahre hierauf promulgirten Verfassung, deren Wirkung in administrativer Hinsicht sich noch nirgends geltend gemacht hat: begreiflicherweise, da man es so bald für nöthig erachtete, die Parlaments-Bude zu Stambul zu sperren imd die rethori-schen Kampfhähne gewaltsam in ihre Wahlbezirke abzuschieben. Das fragliche Statut vom Jahre 1865 decretirte neben der Auflassimg der Statthalterschaft von Mostar und Novibazar und ihrer Vereinigung mit Bosnien zu einem Verwaltungs - Gebiete noch weiters die Herabminderung der Bezirke von 60 auf 45 Verwaltungs - Gebiete niederer Ordnung; Beigabe von Hilfsorganen als Verwaltungs-Mitglieder und weiter eines »Verwaltungs-Ausschusses« für die Beratung der administrativen Angelegenheiten. Dieser letztere war zu bilden aus 6 Mitgliedern unter Präsidentschaft des Mektubdschi (Kanzlei-Director), des Directors der öffentlichen Bauten und des Defterdar (Finanz-Director). Ein Generalrath von 28 Köpfen, zusammengesetzt aus Mitgliedern und Organen der Provinzial-Regierung ward jährlich zu HMiigngen Beratungen einberufen und hatte über alle möglichen Local-fragen zu entscheiden. Jedem Mutessariflik (Unter-Gouvernement) wurden 6 Mitglieder aus dem Kreise, unter Vorsitz der Kadis und Soli w elge r-Litsrchon feld , Bosnien. Muftis, als » Verwaltungsrath« zugewiesen, jedem Kaimakamat (Bezirke) 4 Mitglieder. In den kleinen Ortschaften fungirte bisher der Mudir in politisch-administrativer Beziehung. ... Nun kommen aber die wichtigsten Punkte— Alle Gerichtshöfe des Landes waren zur Hälfte aus Mohammedanern, zur Hälfte aus Christen zusammengesetzt. Die Beisitzer dieser Gerichtshöfe (Medschlis) gingen durch Wahl aus der Bevölkerung hervor____ Zu dieser Wahl war bisher jeder Unterthan stimmberechtigt, der 50 Piaster (5 fl.) Steuer bezahlte, ohne Unterschied des Glaubens, und er konnte sich um eine Mudirsstelle bewerben, sobald er 100 Piaster Steuer zahlte und das 30. Lebensjahr überschritten hatte. Wahlberechtigt für den Verwaltungsrath im Kaimakamlik (Bezirk) war bisher Jeder, ohne Unterschied des Glaubens, der 150 Piaster, für jenen im Mutessariflik (Kreis), der 300 P., und für den Generalrath, der 500 P. Steuer entrichtete. Die Functionäre der Bezirks- imd Kreisbehörden bildeten die Wahlcomites. Das Schwergewicht der Administrativ-Angelegenheit lag sonach in dem Generalrathe — vorher der »grosse Verwaltungsrath« (Med-schlissi-Kebir) genannt — ein Unterschied, der sich am besten durch die Worte »bonnet blanc« und »blanc bonnet« charakterisiren lässt. Präsidirt wurde dieser Generalrath selbstverständlich vom Gouverneur, der auch in jeder Beziehung so weitgehenden Einfluss nahm, dass von einer Geltendmachung andersgläubiger Interessen, trotz des Stimmrechtes der christlichen Bathsmitglieder, nie die Rede sein konnte. Traf gar der Fall zu, der in Bosnien wohl nicht selten war, dass die anwesenden Christen der türkischen Sprache nicht mächtig waren, so wurden ihnen die Angelegenheiten der Berathungen wohl verdolmetscht, aber von einer Debatte blieben sie selbstverständlich jederzeit ausgeschlossen. Indess war die letztere in einem solchen »Medschlis« wohl nie üblich, denn man muss die orientalischen Verhältnisse kennen, um die Unzulässigkeit einer solchen einzusehen, angesichts der Devotion und der unbedingten Unterwürfigkeit des Untergebenen, die auch durch con-stitutionelle Formen nicht paralysirt werden. Der Gang einer solchen Verhandlung lässt sich in Kürze in Folgendem zusammenfassen: Die Mitglieder der Medschlis versammeln sich in einem eigenen Locale, oder bei den Unter-Behörden im Bureau des Präsidenten, wo sie vor- Amtsthätigkeit der «Medschlis«. 163 erst mit Cigarretten, Tschibuks und Kaifee bewirthet werden. Der Ver-liandlung liegen selten Actenstücke zu Grunde: es werden die einzelnen Angelegenheiten mündlich vorgebracht, besprochen und schliesslich zum Beschlüsse erhoben, und zwar so, dass nicht die Majorität zu entscheiden hat, sondern die Ansicht des einflussreichsten mohammedanischen Mitgliedes. Dieses Schluss -Protokoll wird pflichtschuldigst von allen Anwesenden signirt.und zwar nicht durch Unterschriften, sondern durch Anbringung ihrer Siegel. Die allgemein herrschende Gesetzes-Unkennt-niss bringt es mit sich, dass der gesunde Menschenverstand, die localen Traditionen, oder der Egoismus der Einflussreichen die Angelegenheiten entscheiden. Der Türke gehörte, wie bekannt, ursprünglich einem Nomadenstamme an, und hat seine Nomadennatur bis auf den Tag nicht verleugnet. So ist selbstverständlich seine Amtsthätigkeit auch heute noch eine höchst primitive, wie schon ein Blick in irgend eine türkische Kanzlei darthut. Wir gewahren in einem solchen »Bureau«, gehöre es nun welch1 immer einem Bessort an, den Chef mit untergeschlagenen Beinen auf dem üivan sitzen, zur Seite irgend einen Functionär, Secretär, oder sonst einen »Fachkundigen«, wie die, in ihrem Fache meist sehr viel zu wünschen übrig lassenden Ressortisten genannt werden. Wohl gibt es, wie schon oben erwähnt, hin und wieder zu erledigende Actenstücke, aber auf das Gedächtniss eines in Gedankenlosigkeit und Cigarretten qualm versunkenen Bureauchefs ist kein grosser Verlass, und es ist nichts Seltenes, dass derselbe von irgend einer Eingabe, die heute zu erledigen war, bereits den nächsten Tag keine Ahnung mehr von deren Existenz besitzt. Dann ist das kostbare Schriftstück, das diese oder jene Persönlichkeit oder irgend eine Unterbehörde eingereicht hat, höchst wahrscheinlich auf sehr einfache Weise unter einen der Divanpolster gerathen, hinter welchem es geraume Zeit schlummert, bis ein Zufall es wieder an's Tageslicht bringt. Dass solche gediegene Langsamkeit gleichwohl zum Ziele führt, ist lediglich der orientalischen Langmuth zuzuschreiben, wobei freilich der Fall kein seltener ist, dass gelegentlich der Wiederauffindung eines Actenstückes dessen Erledigung, überflüssig wird, da dann möglicherweise die Ereignisse den Wunsch bereits überholt haben. Natürlich ist es auch häutig vorgekommen, dass 11* Ifi4 V. Culturzustände. — Die bisherige Administration. sehr wichtige Verordnungen, welche von der Stambuler Regierung, ja oft direct vom Sultan selbst, durch Vermittlung seines Grossveziers, an die Provinzbehörden abgesendet wurden, von deren Amtsleitern einfach unter den Divan gestellt wurden: zu den officiellen Actenstücken. welche sich einer so hohen Theilnahme von Seite der pflichteifrigen osmanischen Provinz-Bureaukratie erfreuten, zählten in der Regel all1 die schönen, vielversprechenden Reform-Noten, die der Pforte abgepresst zu haben, unsere Diplomatie sich immer so viel zu Gute that. Es ist aber erwiesen, dass selbst die Verfassungsurkunde nicht jene allgemeine Verbreitung fand, die ein so hochwichtiges Actenstück nothwendiger Weise finden hätte müssen, denn — denkt sich der Gouverneur oder sein Unterbeamter — was solPs mit diesen Neuerungen? Was soll's mit der Gleichstellung mit den Christen, mit der Zulassung christlicher Zeugen zu den Verhandlungen, in denen es sich um einen Rechtsspruch gegen Mohammedaner handelt? Was soll's mit all' dem, wo derlei doch direct dem Koran zuwiderläuft? . . So ist in der Provinzverwaltung mancherlei experimentirt worden, aber es hat sich hiebei immer nur um die Form, niemals um das Wesen der Sache gehandelt. Da zudem der Effendi ein jedes Studium als eine Schande ansieht, und ihm daher auch sehr oft das Gebiet seiner Amtsthätigkeit geographisch, ethnographisch und wirtschaftlich total imbekannt blieb, so war ein solcher, wenn er auf den Gouverneursposten zu Serajevo kam, anfangs auf die ihm unterstellten Biedermänner, die zusammenscharrten und erpressten, was es Zeug hielt, angewiesen, um wieder abberufen zu werden, als er sich eben orientirt hatte, wie es in seinem Amtsgebiete aussehe, was aus demselben herauszuschlagen sei, und was eventuell unternommen werden könnte, um der eigenen Tasche aufzuhelfen und dem Fiscus indirecten Schaden zuzufügen. Unter allen Administrativ-Einrichtungen bildet in den türkischen Provinzen das Justizwesen seit jeher den wundesten Punkt. Das Koran'sche Gesetzesdictat ist imgemein einfach, und wo es an klaren judiciellen Verfügungen oder Nonnen gebricht, oder gebrach, da war das »Scheria« immer das letzte imd beste Auskimftsmittel. Nun hat es im Osmanenreiche in früherer Zeit keineswegs an kaiserlichen Gesetzgebern gefehlt, und wie das »Kanun-i-Rajah" Suleiman des Grossen. Das Justizwesen. 165 dessen allgemeines Polizeigesetzbuch und ein anderes Sultan Selim's III. im Reiche sozusagen noch in vielen Punkten bis auf den Tag Giltigkeit behalten haben, so fehlte es auch sonst nicht an entsprechenden Verordnungen und Gesetzpublicationen'). Aber an diesen allein liegt es nicht, sondern vielmehr au der gesammten Organisation des Richterstandes als solchen. Es ist ganz unglaublich, welchem Grade von Corruption derselbe gerade in den letzten Jahren der Regierung Sultan Abdul Aziz' verfallen war, und zwar hauptsächlich nur in Folge der imbeschränkten Habsucht des Souveräns selbst, der der grösste Theil der Staatsgelder zum Opfer fiel, darunter die meisten Beamtengehalte. Wenn nun aber der Richter gezwungen ist, ein halbes Jahr oder darüber auf seine Gebühren zu warten, innerhalb dieser Zeit aber gleichwohl seines Amtes waltet und walten muss, so lässt sich's leicht denken, dass seine Redlichkeit schweren Proben ausgesetzt ist, die zu bestehen ihn weder eine höhere moralische Befriedigung verschafft, noch weniger aber — ihm die notwendigen Subsistenzmittel einträgt.... In Bosnien kam es in dieser Richtimg, wie überall im Reiche, zu höchst traurigen Ausschreitungen, zumal unter dem letzten Grossvezierat Mahmud Nedim Pascha's, der sich nicht entblödete, unter dem Titel »Justizreform« Absetzungen und schädliche Neuerungen aller Art vorzunehmen, die -der brutalsten Gewalt entsprangen und dem ohnedies nicht sehr unabhängigen Richterstande den letzten Stoss gaben. Vollends zum Hohne wurde Mahmud Pascha's eigenmächtiges Schalten und Walten, als dieser sich bereit fand, durch das Drängen der abendländischen Cabinete, eine Justizreform am Papiere durchzuführen, die auch in dem neuen Verfassungsstatut erneute Giltigkeit (ebenfalls auf dem Papiere) erhielt. Diese x) Diese waren freilich oft sehr erheiternder Art. Um einCivilgesetzbuch auszuarbeiten, war beispielsweise in den letzten Regierungsjahren Abdul Aziz' eine Commission ernannt, die nichts Besseres zu thun wusste, als aus den juristischen Werken des Mittelalters, wo die islamitische Welt zu mehr als drei Viertheilen aus Nomaden bestand, eine Sammlung anzufertigen, welche in einer so gut wie unverstandlichen Sprache Gesetzesparagraphe überContracte, Pfandrecht, Kauf und Verkauf u. s. w. enthielt, die für die gegenwärtige Zeit gerade so passend sind, wie die lykurgische Gesetzgebung oder Zoroaster'sZend-Avesta für die britische Handelsmarine. (Vgl. den anonymen Autor von »Stambul und das moderne Türkenthunn, I, 43.) Justizreform, in der Reformnote vom 12. December 1875 enthalten, war ja im Grunde nichts Anderes, als eine zeitgemässe Stylübung, welche Sultan Abdul Aziz, durch die Ereignisse bedrängt, den abendländischen Mächten als billige »Concession« sozusagen vor die Püsse warf. Aber Mahmud Pascha spielte hiebei eine gar wunderliche Rolle. Er, der den Richterstand vollends heruntergebracht hatte, unter dessen Regime eine erschreckende Desorganisation der Provinz-Verwaltung platzgriff, hatte nach dem Decrete seines Herrn, darüber zu wachen, dass das öffentliche Recht nicht die geringste Schmälerung erfahre... Es genüge nicht, — hiess es in dem damaligen grossherrlichen Hat — dass die Tribunale überhaupt da seien, sondern es sei vielmehr nothwendig, dass die Mitglieder dieser Tribunale sich der grössten Sittenreinheit und Unbescholtenheit befleissen und ihre Handlungen mit ihrem Gerechtigkeitsgefühl in Einklang bringen. Dass die Justizbeamten auch bezahlt werden müssten, d. h. im Genüsse ihrer rechtmässigen Gebühren zu stehen hätten, das vergass der Notenschreiber hinzuzusetzen. Ferner wurde neuerdings die Unabsetzbarkeit der Richter decretirt, unbeschadet der Gewaltthätigkeiten Mahmud Nedim Pascha's. Zu diesem Ende sollte jedes Mitglied der Gerichtshöfe und Civil-Tribunale, welches mit der grössten Sorgfalt zu erwählen wäre, einen kaiserlichen »Berat« erhalten, der ihn vor wiUkürlicher Absetzung zu schützen hätte. Um überdies jede Ursache des Misstrauens zu beseitigen, welche in Bezug der Errichtung und Zusammenstellung dieser Tribunale im Volke platzgreifen hätte können, imd um sie vor dem Einflüsse der Staatsgewalt sicher zu stellen, wurde ausdrücklich verfügt, dass aUe Unterthanen befugt seien, sich an der Wahl der moslimischen und nicht moslimischen Mitglieder der genannten Tribunale und Administrativ-Räthe zu betheiligen. Um diese Tribunale und Räthe einzusetzen, und um ihre Zusammenstellung in der festgesetzten Weise zu veranlassen, sollten in alle Provinzen des Reiches genaue Instructionen versendet werden. Sie sind indess dortselbst nie eingetroffen, und auch ^in Bosnien amtirten nach wie vor die alten Gerichtsbehörden, so das »Mehkemeh« oder geistliche Gericht, das »Tahkik-medschlissi« oder weltliche Untersuchungsgericht, und das »Tüdscharet-medschlissi« oder Handelsgericht. Kein Mensch wusste in Bosnien (wie in den Justizreform vom Jahre 1875. 167 übrigen Provinzen), was die schönen Dinge im Eeform-Hat vom Jahre 1875 und neuerdings in der Verfassungs-Urkunde vom 23. December 1876 zu bedeuten hätten, und da man sich mit der thatsächlichen Reform wenig beeilte, und noch weniger damit — den Richtern ihre rückständigen Gehalte auszuzahlen, was jedenfalls die zuverlässigste Reform gewesen wäre, so landen die Gerichtsbehörden begreiflicher Weise keinen Anlass, nach der Pfeife, die man für sie in Stambul spielte, zu tanzen. . . Den Glanzpunkt der Justizreform bildet aber folgende Verfügung. Da die neue Gerichtsverfassung zum Zwecke haben sollte, Garantien für die Rechtssicherheit aller Personen zu schaffen, wurde verordnet, dass Process-Angelegenheiten zwischen Nicht-Musel-man und Muselman dem sogenannten Nizamieh - Tribunale (Civil-, Corrections und Criminalgerichte) übertragen werden sollten, wobei eine neue Gerichtsordnung und darauf Bezug nehmende Gesetze durch eine kaiserliche Verordnung in Kraft hätten treten sollen. . . Da Sultan Abdul Aziz bald das Zeitliche segnete, seine beiden erlauchten Nachfolger aber wohl allerlei schöne Dinge in petto hatten, ohne sie zur Ausführimg zu bringen, so ist es begreiflich, dass Alles, was im Justizwesen seit Jahr und Tag decretirt, verordnet, reorganisirt u. s. w. wurde, in Bosnien auf Seite der alten Gerichts-Behörden nicht die geringste Beachtung fand und Alles beim Alten blieb. So haben auch die richterlichen Functionen im Lande bis auf den Tag ihre ursprüngliche Primitivität beibehalten und wurde in wahrhaft patriarchalischer Art Recht gesprochen. Handelte es sich z. B. um einen Streitfall wegen einer zu zahlenden Summe, die der Kläger etwa mit 6000 Piaster bezifferte, der Angeklagte aber nur eine Schuldsumme von 4000 Piaster anerkannte, so verurtheilte das Gericht, die weise Mitte haltend, diesen Letzteren in der Regel nach kurzem Bedenken zur Zahlung der Summe von 5000 Piaster, d. h. die Entscheidung lag gewöhnlich in der Mitte *), was freilich eine sehr einfache Art der Rechtssprechung ist. Dass indess die Höhe der hiebei flüssig gemachte Bestechungssumme von einer der beiden Parteien immer mit entscheidend war, ist zur Genüge bekannt, wie die weitere Thatsache, dass beim l) Roskiewicz a. a. 0. 293. Kadi auch heute noch in allen Provinzen in der Türkei nie Etwas, selbst im Principe nicht durchzusetzen ist, bevor man sich denselben nicht durch ein reichliches »Baksehisch« günstig gestimmt hat. Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen über das türkische Justizwesen wollen wir nun des Weitern noch jener Gerichtsbehörden gedenken, die vor den neuesten Beformen ihres Amtes walteten, und die wahrscheinlich auch in Bosnien bis auf den Tag beibehalten wurden. Es ist wenigstens in dieser Richtimg keinerlei durchgreifende Neuerung bekannt worden. . . . Von diesen Aemtern hätten wir zunächst das »geistliche Gericht« (Mehkemeh.) Es ist nur aus Mohammedanern zusammengesetzt und wird von dem kirchlichen Oberhaupte der Provinz, vom Mollah präsidirt. Trotz aller Reform-Hats war bei den Verhandlungen dieses Gerichtes das christliche Zeugniss absolut unstatthaft, da hier nur das Korangesetz zu entscheiden hatte, und keine der zahlreichen Specialgesetze, welche letzterer Zeit decretirt wurden. Die Ingerenz dieser Behörde blieb indess nur eine sehr beschränkte und erstreckte sich ausschliesslich nur auf Angelegenheiten, die die Moslims betrafen, wobei freilich auch die schwersten Criminalfälle ausgetragen wurden, eine Amtsführimg, die dem Geiste der Justizreform diametral zuwiderlief. Der Willkür war hiebei um so grösserer Spielraum gegeben, als sowohl das geistliche Gericht, wie das sogenannte »weltliche Untersuchungsgericht« (Tahkik-Medschlissi) gegebenen Falls die Todesstrafe erkennen konnte, mit dem wesentlichen Unterschiede, dass erstere Behörde das Vollzugsrecht besass, während alle vom weltlichen Untersuchungsgerichte gefällten Urtheile, sobald sie auf die Todesstrafe lauteten, der Bestätigimg von Seite des geistlichen Gerichtes, des Gouverneurs und in Ausnahmefällen auch jene des Sultans bedurften. Es ist begreiflich, dass man in letzterer Beziehung keine zu grosse Toleranz an den Tag legte, sobald es sich um Andersgläubige handelte. Für einen mohammedanischen Verbrecher gab es immer Mittel imd Wege, das Ur-theil, falls es auf die Strafe des Todes lautete, zu umgehen, entweder durch Einflussnahme von Seite angesehener Verwandten, durch Protection, wenn der Gouverneur die Entscheidung sich vorbehielt, oder im schhmm-sten Falle durch Einholung der Entscheidung vom Stambuler Justizministerium, vom Grossvezier, oder gar vom Staatsoberhaupte. Dass Gerichtsbehörden. 169 dieser unter Umständen sehr langwierige Instanzengang, wobei allerlei massgebende Persönlichkeiten vollauf Gelegenheit fanden, zu Gunsten des Delinquenten zu interveniren. stets von einem günstigen Erfolge war, lässt sich leicht vorstellen. . . . Anders, wemi es sich um einen Christen handelte. Zwar sassen schon seit den Verfügungen des Hatti-Humajum (1856) jederzeit wenigstens zwei christliche Mitglieder (meist angesehene Kaufleute) im Käthe des weltlichen Untersuchungsgerichtes, aber ihre Stimmen waren vollständig wirkungslos, wenn das Gericht in seinem mohammedanischen Repräsentanten die Absicht hatte, den Angeklagten fallen zu lassen. Eine Begnadigung war diesfalls im höheren Instanzenwege gar nicht zu erzielen; einmal, weil das geistliche Gericht in solch' einer Angelegenheit in nächster Linie competent war und in dieser seiner Competenz das Todesurtheil bestätigen konnte; zweitens, weil es selbst im Falle milderer Auffassung auf Seite der Mitglieder des Mehkemeh, noch immer von dem Gerechtigkeitsgefühle des Gouverneurs abhing, ob eine solche Auffassung zugelassen werden konnte. Der Fanatismus imd das wenig scrupulöse Verfahren der Behörden gegenüber christlichen Angeklagten hat gerade in dieser Art gerichtlichen Verfahrens durch Jahr und Tag die schreiendsten Ungerechtigkeiten begangen, ohne dass man sich hierüber in den Stambuler Begierungs- und »Reform«-Kreisen irgendwie getroffen gefühlt hätte. Neben den beiden genannten Gerichtsbehörden gab es bisher in Bosnien noch eine dritte, das sogenannte »Handelsgericht« (Tüdscharet-Medschlissi), das, aus Kaufleuten aller Confessionen zusammengesetzt, imd vom Stellvertreter des Gouverneurs, dem Kjaja, präsidirt, nur in Streitfällen rein geschäftlieh er Natur zu entscheiden hatte. Gerade mit dieser Behörde soll es ziemlich schlecht bestellt gewesen und das Votum der christlichen Mitglieder jederzeit gründlich missachtet worden sein. Welche Competenz überdies ein derartiges Provinz - Handelsgericht haben konnte, wird Einem erst vollends klar, wenn man sich die juridische Leistung vergegenwärtigt, die von Seite jener oben citirten Commission zu Stande gebracht wurde, die in Contraets-, Kauf- und Verkaufs - Angelegenheiten bis auf die Einrichtungen des Mittelalters zurückgriff. Wenn derlei in den allerletzten Jahren in der Haupt- und Residenzstadt Stambul, unter den Augen zahlloser Gesandtschaften und des Sultans — der übrigens dieser Ungeheuerlichkeit seine Sanction verlieh — geschehen konnte, was will man Angesichts dieser Thatsache von Provinzial - Gerichten erwarten V Zudem ist es ein wunderlicher Geschäftsgang, wenn z. B. ein strafgerichtlicher FaU in einem Districte (Mudirlik) von dem Local-Untersuchungsgerichte in erster Instanz erledigt worden ist, derselbe jedesmal den Instanzengang durch alle nächst höheren Provinzial - Gerichte nehmen musste, also zum Untersuchungsgerichte des Kaimakamats, von diesem zu der gleichen Gerichtsbehörde des Mutessarifliks und von hier schliesslich erst noch zum »geistlichen Gerichte«, um die Schlussentscheidung im »grossen Verwaltungsrathe« (der eigentlich keine Gerichtsbehörde ist) zu finden, wo das Veto des Gouverneurs entschied. Hieb ei war es aber nichts Seltenes, dass hervorragende Mitglieder des einen Tribunals auch im Rathe des anderen sassen, also ein bereits gefälltes Urtheil im Instanzenwege, selbstverständlich noch einmal, imd auch noch ein drittes Mal (wenn solch ein Mitglied auch Beisitzer des grossen Bathes war) im gleichen Sinne fällten. Eine solche Organisation ist in der That nur in einem Reiche möglich, wo der Provinz-Autokratismus mit seinem gesammten weitläufigen Apparate eine Macht ist, an der nicht nur jede Regierungsmassregel, sondern auch jede Zumuthung reformatorischer Natur wirkungslos abprallen muss. Vollends eine Jammer-Einrichtung ist das türkische Gefängnisswesen. Die türkischen Kerker sind in Bezug auf das Elend, das in denselben herrscht, dann im Hinblick auf die grenzenlose Verwahrlosung, der die Delinquenten anheimfaUen, und zahUoser anderer Umstände wegen, Stätten des Jammers und der Noth. Eigentliche Staatsgefängnisse gibt es in den Provinzen, also auch in Bosnien, nirgends. Irgend ein Gebäude, ein Magazin, ein Thurm oder ein KeUerraum wird zu diesem Zwecke oberflächlich hergerichtet und die Arrestanten sodann, ohne Unterschied in Bezug auf die Grösse ihrer Vergehen oder Verbrechen, gemeinsam in dem meist finsteren, ungesunden Räume untergebracht, wo sich nur Rohrmatten — meist im Zustande der Verwesung als Ameublement vorfinden. In so einer Höhle wimmelt es von Ungeziefer, Schmutz überzieht in fingerdicken Krusten die Wände, den Boden und die Kleiderfetzen der Arrestanten, von denen diejenigen, Das Geiangnisswesen. 171 welche sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben, an Händen und Füssen gefesselt sind. In unruhigen Zeiten haben namentlich die Rajah alle Schrecken dieser Marterhöhlen durchgekostet. Ohne Urtheil, ja ohne Verhör wurden sie zu Dutzenden — aneinander gefesselt mit Stricken oder schweren Ketten, mit Fuss-, Hand- imd Halseisen — in diese Locale getrieben und fortan ohne Pflege, ja häufig tagelang ohne Nahrung ihrem Schicksale überlassen. Auch in normalen Zeiten ist von einer geregelten Verpflegung des Arrestanten nie die Rede gewesen, da sie entweder auf Staats- oder Gemeindekosten geschehen sollte, Geld zu derlei Zwecken aber nie vorhanden war. Indess trafen die Leiden dieser schändlichen Einrichtung meist nur die christlichen Bewohner, da moslimische Delinquenten, zumal, wenn sie sich schwerer Verbrechen gegen die Rajah (Todtschlag, Mord etc.) schuldig machten, meistens nach ganz kurzer Zeit wieder aus der Haft entlassen wurden. Solche Gesellen paradirten dann häufig genug, ganz zum Hohne der GleichsteUung aller Unterthanen des Sultans vor dem Gesetze, in den Ortschaften, wo sie ihrer Mordthaten halber — freilich nur gegenüber den Christen — berüchtigt genug waren. Selbst eine Intervention von Seite irgend eines fremdländischen Consulats, blieb in der Regel von höchst zweifelhaftem Erfolge, da man stets Mittel und Wege fand, den Verbrecher entkommen zu lassen. Nach Monaten aber konnte er unangefochten in sein Heimatsdorf, oder selbst in sein früheres Stadtdomicil zurückkehren, ohne dass man sich weiters um den Fall gekümmert hätte Bei so bewandten Umständen war es natürlich jederzeit für den christlichen Bewohner ein schwerer Schicksalsschlag zu nennen, wenn er gefänglich eingezogen wurde. Mancher Schuldlose hat ohne Verhör oder Urtheil Monate und selbst Jahre in diesen Marterhöhlen zugebracht, um schliesslich elend zu verkommen. Waren seine Verwandten oder Freunde in der Nähe, dann konnte er wohl auf deren Mildthätigkeit rechnen und durch die Gitterfenster trockenes Brod in Empfang nehmen, dessen er sonst gewiss tagelang entbehren musste. Ueber Wasser und Brod hinaus versteigt sich überhaupt die türkische Gefangenenkost nicht . . . Bewacht wurden die Gefangenen meist von Gensdarmen (Zaptiehs), den executiven Orgauen aller Behörden. Ohne diese militärisch-organi- sirte Institution wäre überhaupt der türkische Staat unmöglich. Sie haben nämlich nicht nur über die öffentliche Sicherheit zu wachen und für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zu sorgen, sondern auch Verbrecher zu escortiren, das Gefängnisswesen zu handhaben. Standespersonen imd fremdländische Reisende auf ihren Touren durch das Land zu begleiten und werden ausschliesslich zur Einhebung der Steuern verwendet. Gegenüber den Fremden erweisen sich dieZaptiehs, die ihren Dienst entweder zu Pferde oder zu Fuss ausüben, jederzeit höchst brauchbar, und speciell in Bosnien waren Fälle nicht selten, dass europäischen Beisenden die Trennung von so einen ofticiellen Begleiter geradezu schwer fiel.l) Nichts destoweniger walteten sie in der Regel äusserst rücksichtslos ihres Amtes, selbstverständlich sobald es sich imi die rechtlose Rajah handelte; trieben die oft in einer Bagatelle bestehenden Steuerrückstände in grausamster Weise ein und waren überhaupt voll brutaler Gewalttätigkeit. Mancher Aufstand in der Herzogowina, imd so auch der letzte von Nevesinje, der in seinen Oonsequenzen zu so weittragenden Ereignissen führte, ist immittelbar durch die Art des Auftretens von Seite der Zaptiehs verschuldet worden. . . . Bei der grossen Furchtsamkeit der Raha im Allgemeinen war es indess nichts Seltenes, dass ein einziger Gensdarm oft einen ganzer District im Zaume hielt, und dass bei dessen Ankunft in einem Orte die gesammte Bewohnerschaft oft all ihren Vorrath an Leckerbissen dem gefürchteten Gaste zur Verfügung stellte. Die Quelle alles Elends in Bosnien sind bekanntlich die Steuerverhältnisse. In seinem Reform-Hat vom 12. December 1875 erklärte Sultan Abdul Aziz: »In gewissen Theilen imseres Reiches können unsere nicht-moslimischen Unterthanen nicht Grundeigentümer werden und sind blos Beamte in ihren Pachtgütern. Dieser Zustand widerstrebt unserem Gerechtigkeitsgefühle, und es wird in Zukunft unter unseren Unterthanen kein Unterschied, weder in Bezug auf das Eigenthum der im Wege des gerichtlichen Zuschlages verkauften herrenlosen Güter, noch für das Eigenthum an Gütern und sonstiger Habe bestehen, die von Privaten verkauft werden. In Folge dessen wird man ') Fr. Maurer, »Eine Reise durch Bosnien«, a. a. O. Die Steuer-Administration. 173 denselben, auf Grund vollständiger Gleichheit, den Genuss der Vorschriften des Gesetzes über das Grundeigenthum zusichern. . .« Gleichzeitig decretirt der Sultan, man müsse zeitweise auf Einnahmsquellen verzichten, deren Effectuirüng der Bevölkerimg nur Leiden und dem Staatsschatze keinen erheblichen Nutzen bereitet; ferners sollte ein Modus der Unification aller Steuern in's Leben treten, um den einzelnen Völkern des Reiches eine Erleichterung zu verschaffen. Viel wichtiger noch war die Verfügung, dass bei der Erhebung der Steuern in' den Provinzen das Executivorgan der Behörden (die Zaptiehs), über dessen Amtstätigkeit die schwersten Klagen laut geworden waren, jeder Intervention sich zu enthalten habe, und die Effectuirüng der Abgaben allein nur durch die von der Regierung in jedem Districte angestellten Steuereinnehmer (Malmudir. d. i. »Schatzmeister«) stattfinden solle. Unter den Fragen, welche ein wesentliches Interesse der Landbevölkerung berührten, war auch die seit Langem dringend gewordene Reform der Besitztitel und der Mangel an Besitzrechten überhäufte die Gerichte mit Arbeiten, verursachte zahlreiche, langwierige Processe und entwertete vollends das Grundeigenthum. Obzwar diese Uebelstände nur die mohammedanischen Grimdbesitzer in hervorragendem Grade trafen, so war es gleichzeitig auch die Rajah, die durch diese ungeregelten Verhältnisse Schaden nahm. Alle Bemühungen, oder viel besser: die nur äusserlich an den Tag gebrachten Absichten der Pforte, die Regelung des Staatshaushaltes energisch in Angriff zu nehmen, blieben gänzlich werthlos, soweit es sich um die Steuer-Administration handelte. In dieser Beziehung blieb seit dem Reform-Hat vom Jahre 1875 und seit derPromul-ginmg der Verfassung Alles beim Alten. Waren die Steuersätze für den Theil der Bevölkerung, welcher Abgaben unter allerlei Namen und unter verschiedenartiger Form zu leisten hatte, schon von Anbeginn her äusserst drückend, so nahmen diese desolaten Zustände in den letzten Regierungsjahren Sultan Abdul Aziz1 einen wahrhaft erschreckenden (Jrad an. Die unbeschränkte Habsucht des Chalifen brachte den jeweiligen Finauzminister der Pforte vonMoment zu Moment in die peinlichsten Situationen, und da die Dauer von dessen Amtstätigkeit wesentlich von dem Entgegenkommen abhing, dessen sich der erste Beamte des Reiches gegenüber seinem Souverän befleisste, so blieb nichts übrig als die Steuerschraube unausgesetzt in Thätigkeit zu belassen. Es war dies zu derselben Zeit, als der geldbedürftige Padischah mit der denkbarsten (iemüthsrahe die Verbesserung des Loses seiner Unterthanen in Bezug auf ihre Steuerpflicht decretirt hatte, ein eclatanter Beweis, dass das Bedürfniss des kaiserlichen Autokraten, und mit diesem das Bedürfhiss sämmtlicher gewalttätiger Provinz-Autokraten, jeder liberalen Verordnung direete ins Gesicht schlug, und dass jede Beform auch in dieser Bichtung ein todter Buchstabe blieb.1) Im Allgemeinen kann behauptet werden, dass sich die Steuerverhältnisse in den letzten Jahren, trotz zahlreichen Reformen, die versprochen, nicht aber gehalten wurden, rapid verschlimmert haben. War der Steuerzahler vorher schon an sich im denkbarsten Grade belastet, so geschah neuestens noch ein Uebriges, dass man die einzelnen Industriezweige und Rohprodukte einfach als solche besteuerte, die Gewinnung dieser letzteren demnach so kostspielig machte, das die betreffende Erwerbsquelle binnen kürzester Zeit zu versiegen begann. Fuad Pascha hatte mit seiner unsinnigen Salzsteuer -) den Anfang gemacht, dann wurde in den nächsten Jahren in dieser Art von Steuer-Praxis tüchtig fort- ') Damals (1875) empfahlen Journalisten, welche von Staatsökonomie so wenig verstanden, wie Isegrim vom Pianospiel, aber in den Antichambres der Minister Stammgäste waren, bnks und rechts Steuern, und versicherten, dass sie ein heidenmässiges Geld einbringen müssten. So wurde die Salzsteuer eingeführt, dia Tabakregie ins Leben gerufen, die Zehnten theoretisch in Achtel, praktisch aber in Drittel und Hälfte des Betrages verwandelt; und nicht genug an diesen Dingen, welche in ihrer ungeschickten Inscenirung und ihrer noch viel brutaleren Ausführung zu den heillosesten Folgen Anlass gaben, wurde der Regierung von mehreren Herren Gründern der Vorschlag gemacht, auch die Erzeugung und den Verkauf des Fleisches und Brodes zu monopolisiren! Glücklicher Weise ward durch das glänzende Fiasco der Tabakregie diesem Tollhäuslerwesen noch rechtzeitig ein Ende bereitet. (Vgl. den anonymen Autor von »Stambul und das moderne Türkenthum«, I, 33.) *) Sie wurde nicht nur auf das Kochsalz, sondern auch auf das Salz für die Heerden und für Fabrikszwecke gelegt; seitdem sind die Epizootien im Lande permanent geworden, die Zahl der Heerden hat sich erheblich vermindert, und diejenigen Industrien, die von der Wollproduction und dem Salzvorrath abhängen, z. B. die Teppichweberei, die Oel-Industrie u. s. w. sind in einem bedenklichen Rückschritt. (Vgl. den anonymen Autor, a. a. 0. 34.) Arten der Steuern. 175 gefahren, und vor zwei Jahren erst massregelte man die Tabakproduction derart, dass auch in Bosnien, oder eigentlich richtiger in der Herzegowina, wo es sehr gute Tabaksorten gibt, die Pro duction auf Kosten einer unsinnigen Steuer erheblich zurückging.l) . . . Von der Besteuerung der verschiedenen Industrie-Artikel wollen wir gar nicht reden und gehen sofort zu den gewöhnlichen Abgaben über, welche der Steuerpflichtige unter nachfolgenden Titeln zu entrichten hatte. 1. Die Kopfsteuer; sie ward früher unter dieser Bezeichnimg (Haradsch oder Askeriga), von jedem mcht-mohammedamischen Manne vom 1. bis zum 60. Lebensjahre erhoben. Sie war in dieser Form der Tribut, durch den der Nicht-Moslim sich vom Schwerte des Siegers loskaufte. In letzterer Zeit bis zum Erlasse der ottomanischen Verfassung (1876) galt sie als Militärsteuer, da bis dahin nur Mohammedaner militärdienstpflichtig waren. Die Höhe dieser Steuer betrug per Kopf und Jahr nach Roskiewicz *) 90 Piaster, nach Yriarte 3) aber nur 22 Piaster. — 2. Die Häuser-oder Grundsteuer (Vergui) im Betrage von 4 pro Tausend des Werthes der Liegenschaft. Diese Abgabe ward sowohl von Christen, wie von Mohammedanern erhoben, jedoch mit dem Unterschiede, dass bei Ersteren die Werthe überschätzt, bei Letzteren unterschätzt wurden. — 3. Die Erwerbssteuer ward als »rad« von der Arbeit, oder als »p o r e s« vom Hornvieh und als »resmiagam« vom Kleinvieh erhoben. Im ersteren Falle schwankte sie je nach dem Vermögensstande zwischen 25 imd 350 Piaster (nach Roskiewicz 4) zwischen 150 und 350 Piaster) für jede Familie, wobei z. B. ein Pferd ') Auch anderwärts im Reiche traten derartige bedauerliche Erscheinungen zu Tage. So hatte der Steuerbeamte vonSinope in Klein-Asien das betreffende neue Reglement, welches die Tabak-Production zu regeln hatte, einfach verheimlicht, wodurch er nachher bei den Tabakbauern ganz erkleckliche Summen an Strafgeldern eincassirte, deren Ablieferung ihn zu einem Manne der Regierung machte. Aber die Folgen zeigten sich auch sofort'; der District, der bis dahin über 4'/2 Millionen Kilogr. Tabak erzeugte, producirte in folgenden Jahren nur mehr 40.000 Kilo , veranlasste also einen kolossalen Ausfall in den Staatseinkünften desDistrictes,und so musste der heimtückische Beamte abgesetzt werden. (Augsburger »Allgemeine Zeitung« 1877.) *) Roskiewicz, »Studien etc«, 305. 3) Yriarte, »Bosnie et l'Herze'gowina etc.«, a. a. 0. «) A. a. 0. 305. als ein Einkommen von 2500 Piaster veranschlagt und mit '/40 desselben als Steuer belastet wurde. Im andern Falle betrug die jährliche Abgabe für Hornvieh 15—20, für Schweine 3 und für Kleinvieh 2 Piaster für jedes Stück. ■) Ueberdies bestand auch eine Schweine-schlachtsteuer (Kassabie), die mit 3 Piaster per Stück eingehoben wurde und schliesslich eine Eichelmasssteuer. Mit diesen Titeln haben wir aber die Gruppe der Erwerbssteuern noch lange nicht erschöpft. Zu denselben zählen nämlich feruers die bereits oben erwähnte Salz-, dann die Tabaksteuer, welch' letztere von dem bereits als Pflanze mit dem Zehent belegten Producte mit 8 Piaster (nach Roskiewicz 6 Piaster) per Opka (ä 2 '/4 Wr.-Pfd.) erhoben wurde. Zur Sicherung der richtigen Besteuerimg wurden zumeist Commissäre oder Controlbeamte in die Productionsdistricte entsendet, welche es nicht verschmähten, sich der mühseligen Arbeit der Blätterzählung zu unterwerfen, offenbar mit der Absicht, in ihrer Eigenschaft möglichst lange Zeit zu functioniren und hiebei auf Kosten der Bewohner zu leben. . . Einer weiteren Abgabe war die Weinproduction unterworfen: und zwar das gegohrene Product der bereits versteuerten Trauben (unter dem späteren Titel »Zehent") mit 2 Piastern für jede Mass und 5 Piaster für den aus den Trebern bereiteten Branntwein. Ferners unterlag auch der Pflaumen-Branntwein einer Steuer, dann das Schankbefugniss, welche Abgabe zuletzt dem Fiscus über eine Million Piaster eingetragen haben soll: dann dieMieth-steuer mit 1 Percent des Miethertägnisses. Vor dem Jahre 1851 ward die staatliche Grundsteuer in eine Häuserabgabe umgewandelt, welche pro Dach 80 Piaster betrug und welche hauptsächlich nur den Landbewohner traf, denn die grossen festen Wohngebäude der Begs und Agas waren denselben Abgaben unterworfen, wie das Laubdach eines Viehunterstandes. Die nächsten Steuertitel sind: 4. Die Ein- und Ausfuhrzölle, auf die wir bei Besprechung der Handelsverhältnisse zurückkommen werden. Erwähnen wir noch, dass es unter den aUgemeinen oder Regierungssteuern (Russum) noch eine Stempeltaxe, eine Besteuerung der Farbkräuter, Knoppern, Bienenstöcke, Wagenlasten, der Mahl- L)v. Hellwald, »Die heutige Türkei«, I, 319. Pachtsteuern. — Der Zehent. 177 gercehtigkeit, Blutegel, Fenster, Thören, ja sogar der Liebe in Form von Braut- und Heiratssteuer gab, und dass sich all1 diesen Titeln noch das Karreemonopol, die Abgabe für Benützung der Staatsgründe als Weideplätze gesellten, so wird man rückhaltslos zugeben müssen, dass ein abendländischer Steuerdruck verhältnissmässig noch Paradiesesfreuden gleichkommt, gegenüber der vielfältigen Inanspruchnahme des Bosniers, zumal des Christen, in Bezug auf seine Steuerfähigkeit... Nun sind aber mit diesen Titeln noch lange nicht alle Abgaben erschöpft. Wir kommen nämlich nun zu der zweiten Gruppe, zu den Pachtsteuern, unter denen 1. der Zehent (slav. »Desetina«, was dasselbe bedeutet) die erste Rolle spielte. Die Verpachtung dieser Abgabe geschah in der Regel in jedem Sandschak für sich. Jeder Producent war verpflichtet, den zehnten Theil des Ernte-Erträgnisses (Obst, Getreide, Wein, Tabak, Heu und Gemüse) dem Pächter abzuliefern, dem es freilich freistand diesen Procentsatz nach eigener Willkür zu bemessen, was auch in der Regel geschah und zu den grössten Plackereien der steuerpflichtigen Raj ah füh rte. War das Pachtrecht vollends an Sub-Untemehmer oder Unter-Pächter abgegeben, dann war dieser Modus eine weitere Quelle der Bedrückung, die mit grösster Schamlosigkeit begangen wurde. Eine eigene Seccatur bestand darin, dass der Zehentpächter auf die ihm zugekommene Einladung, das Ernte-Erträgniss abschätzen zu woUen, tagelang ja oft auch eine Woche und darüber auf sich warten liess, während welcher Zeit das geschnittene Getreide oder abgemähte Heu durch Elementar-Hreignisse vollends zu Grunde gehen konnte. Eine Einheimsung der Ernte V 0 r der Abschätzung durch den Pächter, durfte und konnte aber unter keinem Umstände stattfinden. Man kann sich sonach Lebhaft vorstellen, mit welchen bangen Gefühlen Jahr für Jahr der bosnische Producent, sobald er der Rajah angehörte, der Erntezeit, in aller Welt die Zeit der Hoffnungen und Freuden, entgegensah, und wie es nur einer Bosheit auf Seite des betreffenden Pächters bedurfte, um den armen Bauer binnen wenigen Stunden um all seine Mühe und seinen Fleiss zu bringen. In den langen Tagen, da der Pächter zögerte, das Ernte-Erträgniss abzuschätzen, konnte das uneingeheimste Getreide zu Grunde gehen, das Heu verfaulen und das überreife Obst von den Aesten abfallen. Dass nebenher auch die Schätzung derart gemacht wurde, um Schwoigur-Lorchvn fe hl, Roenien, 12 den Bauer gewaltig zu übervortheilen, lässt sieh denken. Aus dem zehnten Theile wurde in der Begel ein Achtel, ja seihst die Hälfte. Derlei willkürliche Taxirungen lagen ganz in der Macht des betreffenden Steuerpächters, falls er sich mit den Behörden unter eine Decke stellte, oder den Steuereinnehmer »verdienen« Hess. Zu den Pachtsteuern gehörte Ferners 2. die Abgabe für dir W a 1 d n fl t z u n g und Ausnützimg der Bergwerke. Die letztere Abgabe war nicht immer eine Pachtsteuer, und neuerdings soll auf den Montanproducten vielmehr eine Regierungssteuer mit 5 Procent des Erträgnisses gelegen sein, da sich keine Unternehmer fanden, die aus dem Pachtverhältnisse Nutzen hätten ziehen können: ein Nutzen, der unbezweifelt vorhanden gewesen wäre, wenn man in rationeller Weise die Gewinnung von Montanproducten betrieben hätte. Ein bedeutender Nutzen erwuchs aber dem Fiscus durch den Pachtschilling für die Wald-complexe. welche In Bosnien-Herzegowina bis auf wenige Staatseigenthum sind. Da aber von einer rationellen Forstcultur, ja von einer solchen überhaupt nie die Bede war, so griff bald ein Verwüstungssystem Platz, unter dem die herrlichen, oft urwaldähnlichen Bestände ganz enorm litten. ... Zu den Pachtsteuern gehörte auch 3. die Abgabe, welche die Kaffee-Monopolisten dem Staate zu entrichten hatten. Jeder Besitzer eines Kafteeschankes war nämlich verpflichtet, seine Yorräthe den bestehenden Staats-Depöts zu entnehmen, die an die Meistbietenden verpachtet wurden. In Kürze wollen wir noch erwähnen, dass femers das Verkaufsrecht für Schnupftabak und der Blutegelfang, dann die Mauthen gleichfalls verpachtet waren. . . . Man sieht also auch in dieser Gruppe eine sehr vielseitige Inanspruchnahme des Consumeu-ten und Producenten, entweder in directer oder indirecter Weise. Zu allen diesen Abgaben kam noch die T r e t i n a, welche weder eine Erwerbs- noch eine eigentliche Pachtsteuer war, sondern sich nur auf die Rechts- und Besitzlosigkeit gründete, zu der die Bajah seit jeher verurtheilt war. Für das Eecht, Haus und Hof benützen imd die Aecker des Grundherrn bebauen zn dürfen, war der Landbauer verpflichtet, den dritten Theil, häufig auch die Hälfte des Ernte-Erträgnisses alsNatural-Leistuug des Pachtschillings jenem abzuliefern. Diese Art der Abgabe war eine um so drückendere, als es ganz im Ermessen des Begs oder Die Steuer-Manipulation. 179 Agas stand, ein bereits durch schwere und unausgesetzte Arbeit ertragsfähig gemachtes Grundstück einem anderen Pächter zu überlassen und den früheren zu verabschieden, wodurch der Bauer jederzeit dem Schicksale der Subsisteuz- und Obdachlosigkeit verfallen konnte, abgesehen von den unausgesetzten Plackereien und Gewaltthätigkeiten von Seite des Grundherrn, die wahrlich keine geringeren waren, als jene, deren sich die officiellen Organe oder Regierungspächter zu Schulden kommen Hessen. Der Steuermodus war, in Kurzem berichtet, folgender: Alle Steuern, welche nicht in Pacht gegeben waren, wurden von den Behörden und Yerwaltungsräthen auf die einzelnen Districte und Bezirke quoten-mässig vertheilt, die durch ihr engeres Verwaltungsorgan sodann dem Malmudir (von der Regierung eingesetzter Steuereinnehmer) die betreffende Quote bekannt gaben. Erst dieser bestimmte die Theilbeträge, welche auf die kleinsten Steuerbezirke zu entfallen hatten, und wurden mit deren Eintreibung die Zabit, beziehungsweise die Imams und Mahale-Baschis betraut, denen als Executiv-Organ, wie bereits einmal erwähnt, die Gendarmen (Zaptiehs) zur Seite standen. Die Ablieferung der Steuerbeträge geschah auf dem Wege der administrativen Stufenleiter, so dass das Mudirlik die erste Sammelstation, das Kaimakamat (für sämmtliche Mudirlike) die zweite, das Mutessariflik (für sämmtHche Kaimakamate) die dritte Station bildet, von wo die Summen schliesslich in die Hände des Landes-Finanz-Directors (Defterdar) geriethen. Dass auf diesem gewundenen Wege an allerlei Händen kleinere und grössere Summen kleben blieben, erscheint um so begreiflicher, als eine eigentUche Controle nicht bestand, und es den einzelnen Malmudirs unbenommen war, zu den ofticiell anrepartirten Summen einen Mehrbetrag hinzu zu schlagen, oder andere geschickte Manipulationen auszuführen.l) ') Zur Beurtheilung der Steuerleistungsfähigkeit mögen nachfolgende Daten über den culturfähigen Boden den Massstab abgeben. Von demGesammt-A real Bosniens und des Districtes von Novibazar (nach Roskiewicz 895 QMeilen) kann man circa VJ0 a^s unfruchtbaren oder als Karstboden, */,„ als Wald und ♦/,„ als fruchtbaren Boden annehmen. In der Herzegowina dürften von den 220 QMeilen */l0 als Karstboden, 3/10 als Wald und 3/l0 a,s Culturboden anzunehmen sein. Die Waldungen der Herzegowina (nahezu ausschliesslich Bis zum Jahre 1875 waren im türkischen Keiche, also auch in den Provinzen Bosnien und der Herzegowina die Güter »der todten Hand" (Vakufs) steuerfrei. Es ist klar, dass bei dem enormen Besitzstünde an Grund und Boden, dessen sich der moslimische Clerus erfreut, dem Staatsschatze hiedurch ein ganz bedeutender Schaden erwuchs. Als nun die bilanzielle Bedrängniss in den letzten Jahren der Regierung Sultan Abdul-Aziz1 immer grösser wurde, kam man, neben der Aufstellung zahlreicher neuer Steuern, neben der Schaffung des Tabak-Monopols und anderen »Reformen«, auch auf die bereits vor mehreren Lustren angeregte Frage der Säcularisirimg der Vakuf-Güter. Eine reformatorische Massnahme, die sozusagen direct gegen das Eigentumsrecht des Clerus gerichtet war, konnte bei dessen hervorragensten Vertretern, den Ulemas in Stambul, die notwendigerweise in dieser Frage zimächst zu Rathe gezogen werden mussten, nur den grössten Widerwillen hervorrufen. Ein Apell an den Patriotismus würde hiebei, da man derlei im Oriente überhaupt nicht kennt, total wirkungslos gewesen sein. Die Regierung scheint auch ihrerseits keine genügenden Garantien gegeben zu haben — wie gewöhnlich — wie das Evkaf in der geplanten Umwandlung der Moscheengüter in freies Grund-eigenthum schadlos gehalten werden sollte. . . . Angesichts der ziemlich heiklen Frage, welche die Vakuf-Organisation an sich bildet, die aber von noch viel grösserer Tragweite werden muss, wenn deren Reorganisation^ in die Hände der neuen österreichischen Verwaltung übergehen soll, dürfte es am Platze sein, vorerst über die Vakufs Kiniges vorauszusenden! Dieselben zerfallen der Hauptsache nach in zwei Kategorien, und zwar in solche, welche vom Sultan oder Mitgliedern des kaiserlichen Hauses gestiftet wurden, und entweder direct dem kaiserlichen Evkaf-Ministerium (der höchsten Verwaltungsbehörde in Vakuf-Angelegenheiten) oder von einer eigens hiezu berufenen Persönlichkeit verwaltet werden: zur zweiten Kategorie zählen alle frommen Stiftungen Privater, die wieder ihrerseits oder durch ihre Nachfolger eigene Staatseigentum) bedecken allein einen Flächenrauin von 511 □Meilen, der (,'ulturboden einen solchen von 427 □Meilen. Letzterer ist zum grössten Theile in den Iiiinden der Mohammedaner. Administratoren eingesetzt haben, über die das Evkaf die Oberaufsicht führt. . . . Neben diesen zwei Hauptgruppeii gibt es noch — nach Gödel-Lannoy1) — »Mussakafat«, das sind Gründe, auf denen Gebäude errichtet, oder die zu Errichtung von solchen bestimmt sind, dann »Muste-gellat«, das sind jene, die einen Ertrag an Bodenproducten abwerfen. Endlich sind die Vakufs entweder »Idscharetei'n«, das sind solche, für die eine doppelte Zahlung, oder »Idschareiwahideli«, solche, für die nur eine einzige entrichtet wird. Die doppelte Zahlung ist nämlich so zu verstehen, dass einmal der den Werthpreis der Liegenschaft darstellende Betrag (muadschele), nach einem der Natur der Sache entsprechenden billigen Massstabe berechnet, bei deren Erwerbung im Vorhinein erlegt wird, und dami noch ausserdem eine bestimmte jährliche, für die einzelnen Liegenschaften verschiedene Abgabe (muedschele) gezahlt wird. Das Idscharetei'n entspricht demnach der locatio perpetua des römischen Rechtes. Unter Idschareiwahideli versteht man jene Vakufs, die blos gegen Entrichtung eines jährlichen Zinses auf eine bestimmte Zeitdauer vermiethet werden, und daher hier nicht weiter in Betracht kommen. Vor dem Jahre 1868 konnten sämmtliche Vakufs nach dem Ableben des jeweiligen Besitzers nur auf dessen Kindel' vererbt werden und wurden in Ermangelung solcher als verfallen (mahlul) angesehen. Durch ein neues Gesetz wurden aber sieben Verwandschaftsgrade bestimmt, welche bezüglich jener durch Idscharetei'n erworbenen Mussakafat und Mustegellat. die vom Evkaf selbst oder von dessen Mutevelli verwaltet werden, gegen Entrichtung eines verhältnissmässig erhöhten Muedschele, nacheinander als erbfähig erklärt worden sind, das beisst, dass immer der nächstvorhergehende Grad alle nachfolgenden ausschliesst. Dieses Gesetz war jedoch nur ein facultatives, indem es sowohl den Vakuf-Besitzern freigestellt wurde, dasselbe gegen Erneuerung der in ihren Händen befindlichen Besitztitel anzunehmen, als es auch dem Belieben der Privat-Vakuf-Stifter oder der betreffenden, gesetzlich auerkannten Administratoren anheimgegeben blieb, den Bestimmungen dieses Gesetzes beizutreten oder nicht. ') Gödel- La n n o v in der »Ocsterrcichischen Monatsschrift für den Orient«, 1875. Durch das neue Gesetz vom 4. August 1875 ward das frühere facultative aufgehoben und das Erbrecht der vorerwähnten sieben Verwandtschaftsgrade auf alle Vakufs. sänimtliche Interessenten auf gleiche Weise bindend, ausgedehnt. Durch diese Erweiterung des Erbrechts ist nun das Verfügungsrecht der Vakuf-Besitzer ein grösseres geworden, und in Folge dessen auch der Werth der Vakufs selbst gestiegen. Die Vakufs haben hiedurch allerdings eine ihrer bisherigen wesentlichen Eigenschaften eingebüsst: sie verbleiben aber dennoch nach wie vor Güter der »Todten Hand« und unter der Verwaltung, respective Aufsicht des Evkaf. Hingegen kommt eine derartige Erweiterung des Erbrechtes ia rer Wirkung der Umwandlung der Vakufs in »Mülk« ziemlich nahe. Auf den ersten Blick nimmt sich dies so ziemlich wie eine Schmälerung des Evkaf aus, die sie auch insoferne ist, als die Wiedererwerbung von Vakuf-Gründen, durch das ausgedehntere Testirungsrecht der Besitzer, dem Evkaf viel schwieriger gemacht wurde. Ks wurde aber von der betreffenden Reform-Cominission die Verfügung getroffen, dass die Steuer, welche bisher von den Vakuf-Besitzern der »Todten Hand« entrichtet wurden, und die sich, allen Bestimmungen nach, auf ganz geringfügige Summen beliefen, entsprechend zu erhöhen (1 pro mille des höheren Schätzungswerthes), wodurch dem Evkaf thatsäehlich eine ziemlich ausgiebige Compensation zu Theil wurde. Auch in Verlassen-schafts-An^elegenheiten bediente man sich nach wie vor allerlei Mittel, um die Bestimmungen des neuen Gesetzes zu durchkreuzen, aber in den meisten Fällen waren die Mittel der Vakuf-Besitzer noch viel unlauterer, um irgend einen Auserlesenen, der vor dem Gesetze nicht erbberechtigt war, dennoch in den Genuss der Erbschaft treten lassen zu können. . .. Man sollte nun glauben, dass ein so bedeutendes Einkommen, welches durch den Steuersatz von 1 pro Mille (bei der grossen Ausdehnung der Vakuf-Güter) repräsentirt wird, eine Verständigung mit dem Gllerus wesentlich erleichtern müsste, und dass das geschmälerte Grundrecht in der Erhöhung des Einkommens eine Entschädigung findet, die das Evkaf immerhin befriedigen müsste. Der Theorie nach wäre ein solches Baisonnement wohl sehr zutreffend, die Schwierigkeit liegt aber in zwei Dingen: fürs Erste glaubt der Clerus seinen grossen Einfluss bei den Massen durch jede Concession in dieser Bichtung und durch jede Reform 1 landelsverhältnisse. 183 geschmälert zu sehen, und für's Zweite hat die Regierung keine Garantie in der Steuerfrage selbst geboten. Werden naher die Gefühle des Clerus nach der einen Seite hin geschont, in zweiter Linie aber ihr Besitzrecht in Form einer Steuer (oder Ablösung) in gesetzmässigeni Wege gewahrt, dann ist in derThat nicht einzusehen, warum auf dem einmal betretenen Wege nicht fortgeschritten und ein befriedigender Ausgleich nicht geschaffen werden sollte. ■— — Ganz den drückenden Steuerverhältnissen entsprechend war der bisherige Handel Bosniens. Bei den bedeutenden Reichtümern des Landes an Xaturproducten aller Art, und im Hinblicke auf eine Bevölkerung, der es an Betriebsamkeit nicht fehlen würde, wenn die gesammte Agrar-Politik, dann das Zollwesen und wohl nicht in letzter Linie gewisse Vorurtheile der herrschenden Race gegenüber den landwirtschaftlichen und industriellen Neuerungen und Fortschriften in dieser Richtung nicht jedem Versuche zum Aufschwünge unüberwindliche Hindernisse in den Weg stellten, wären in mancher Hinsicht gewiss glänzende Erfolge zu [erzielen. Weiters ist zu erwägen, dass von dem Kulturboden 90 Procent brachliegen sollen. ') Ha aber die Abgaben so drückender Natur waren, imd die Willkür des Grundherrn überdies einen jeden Arbeitslohn erheblich schmälerte, so producirte der Landmann bisher, wenn er der Bajah angehörte, in der Kegel nur so viel, als er zur Fristung der Existenz unmittelbar nötig hatte. Der Ausfall einer so bedeutenden Arbeitskraft, wie sie durch eine Masse von nahezu 650,000 christlichen Bewohnern repräsentirt wird, verhinderte indess gleichwohl nicht eine Ueberproduction, die zu Zeiten ziemlich beträchtlich war, zumal in den fruchtbaren Save-Niederungen. Nach einem älteren Ausweise . der in Ermanglung neuerer Daten einige schätzenswerte Anhaltspunkte in Bezug auf Export- und Import-Verhältnisse gibt'J), betrug die Werthsumme des Cerealien-Exportes 1865 über 12 Millionen Piaster, jene der Ausfuhr au Hornvieh 3 Millionen, au Kleinvieh 2.2 Millionen Piaster. Der Cerealien-Export ging hauptsächlich nach Oesterreich-Ungarn und Montenegro, der Export von ') W. Pressel, »Unsere Orient-Interessen:!. (ManuBCript), Nach einem ofiioielleu Bericht indess bloss 40 Percent. *) Mitgeteilt von Roskiewicz a. a. 0. 313. Horn- und Kleinvieh gleichfalls nach Oesterreich-Ungarn und in die türkischen Provinzen. ') Die Werthsumme für Häute und gegerbte Pelle, welch1 ersten' ihren Weg nach Triest und Wien, letztere nach Albanien und Montenegro nahmen, betrug circa 4 Millionen, Wolle verschiedener Qualität 3.5 Millionen Piaster. Die Ausfuhr von gedörrten Zwetschken erreichte die ganz respektable Summe von 5 Mill. Piaster, und ging dieselbe ausschliesslich über Pest nach Wien und selbst nach Hamburg. Ferners wurden exportirt: an Roheisen für 4 Millionen Piaster (nach Serbien und in die Walachei), an Zinn für 0.2. Wallen für 0.:*5. Messer für 0.3 Millionen Piaster (theils nach Bumelien und Albanien, theils nach Montenegro). Nach < testerreich-Ungafn gelangten überdies bedeutende Holzquantitäten zur Ausfuhr. und zwar an Fassdauben für O.g Millionen und an Hauholz 0.8 Millionen Piaster. Im Ganzen belief sich die Ausfuhr nach dem fraglichen Ausweise auf rund 40 Millionen Piaster, eine Ziffer, die mit dem Einfuhrswerthe (38 Millionen) so ziemlich die Wage hält. . . Der höchste Satz für Einfuhrs-Artikel lag auf österreichischem Tuche (für 7 Millionen Piaster. Dann rangirten zunächst Baumwollstoffe (für 6 Millionen), rohe Baumwolle (für 4 Mill.) Musselintücher für Halstücher und Turban-Gewinde (für 3 Millionen): einen sehr gesuchten österreichischen Import-Artikel bildeten die Fez, welche von Wien und aus Böhmen ihren Weg nicht nur nach Bosnien, sondern bis tief in den Orient hinein finden. (Die Werthsumme für diesen Artikel betrug 1.5 MüL Piaster). Mit Ausnahme der Rohseide (für 4 Millonen Piaster), welche aus der Schweiz und Deutschland nach Bosnien importirt wurde, gelangten alle anderen Artikel aus Oesterreich-Ungarn dahin. ') Ueber die Gesammtsumme der bosnischen Pro duction und den Viehstand der Provinz gibt ein Bericht v. Gyurkowics' nach offiziellen Belegen (in der »^Presse« Nr. 80, 1878) nachfolgende schätzenswerthe Daten. Es wurden 1875 producirt: an Mais 80.000 Tonnen, Weizen 33.000, Gerste 31.000, Hafer 23.000, Hirse 15.000, Roggen 8000, Kartoffeln 3000, Bohnen 2000 und Tabak 700 Tonnen. — Ferners zählte Bosnien vor dem Aufstande 2,223.000 Schafe, 1,090.000 Ziegen, 520.000 Hornvieh, 162.000 Schweine, 106.000 Pferde, 6000 Esel und Maulthiere. — Im Vergleiche mit der Bevölkerungsziffer ergibt sich hiedurch eine Verhältnisszahl, welche die bezüglichen Daten aller österreichischer Kronländer beiweitem übersteigt. Allerdings gilt dies für den allgemeinen Besitzstand vor den letztjährigen Orientwirren : diese selbst dürften aber in dieser Richtung ganz unberechenbaren Schaden verursacht haben. Handelsvcrhältnisse. — Zollwesen. 185 Indess möchten wir hierbei l>emerken, dass seit dem Jahre, für das obiger Ausweis seine Giltigkeit hatte, eine wesentliche Aenderung der handelspolitischen Situation durch die Schöpfung von Schienenwegen in der europäischen Türkei, platzgriff. Die bequemere Zufuhr, welche durch die Linie Constantinopel - Adrianopel-Philippopel, dann durch die von Dedeagatsch nach Adrianopel und von Saloniki nach Mitrowica in sehr erspriesslicher Weise geschaffen wurde, erleichterte die Import-Tendenz ungemein, imd mit einem Schlage beherrschten die seefahrenden Weltmächte die Absatzgebiete zwischen dem Aegäischen Meere und der Donau-Save. So betrug in einem der letzten Jahre die Werthsumme der gesammten Einfuhr Englands in den Hafen von Saloniki nicht weniger als ^(5.6 Millionen Franken, jene Frankreichs i». 5 Millionen und in dritter Linie jene Oesterreich-Ungarns 4.3 Millionen Franken. Dass die Importartikel mit der Eingangsstation Saloniki ihren Weg auch zum grossen Theile nach Bosnien fanden, liegt in der geographischen Situation dieser Provinz. Von den englischen Importartikeln dominiren heute im Hafen von Saloniki in erster Linie Baumwolle (für 15 Millionen) und Roheisen, nebst Eisenwaareu (8 Millionen Franken), von den französischen: Colonial-waaren, Farbe und Seidenwaaren (4 Millionen Francs), von den österreichisch-ungarischen: Glas-, Kurz- und Modewaaren, Tuch und Spirituosen. . . . Aus diesem spärlichen, aber beweiskräftigen statistischen Materiale geht auf das l'eberraschendste hervor, von welch' ausschlagender Bedeutung die ehebaldigste Schöpfung von Schienenwegen in Bosnien, nicht nur für den Handel Oesterreich-Ungarns, sondern ganz Mittel-Europas zu werden verspricht. Dass hiebei auch irgend ein dalmatinischer Hafenpunkt durch die Führung einer grossen Transversal-linie von Metkovic über Mostar und Serajevo nach Brod eine hervorragende Bolle zu Spielen berufen sein wird, unterliegt kaum einen Zweifel. Heber das bis zuletzt in Bosnien bestandene Zollwesen l) ist nicht viel zu berichten. Der Zollsatz für jeden Artikel der Ein-oder Aus- l) Bei dieser Gelegenheit führen wir nachfolgende Geldsorten, Masse und Gewichte an, die in Bosnien, sowie überhaupt in der Levante in Uebung sind. — Die Münzeinheit ist der Piaster, derselbe -ilt fuhr betrug 8 Procent seines Werthes. Bei Artikeln, die keinen Tarifsatz hatten, kam es häufig zu Differenzen zwischen den Kaufleuten una" den türkischen Beamten des »Gjömruk« (Maiith), da in diesem Falle sodann eine prozentuale Naturalleistung verlangt wurde, die der Geschäftsmann nur ungern leistete, da er entweder directen Schaden nahm, oder seine Waare durch Zerstückelung oder Zerschneidung entwerthete. tleberdiess stand die Zoll-Administration den übrigen ottomanischen Verwaltungszweigen ebenbürtig zur Seite und sollen Prellereien der unverschämtesten Art an der Tagesordnung gewesen sein. Selbst eine wiederholte Einhebung der Zollgebühren gehörte zu den nicht seltenen Manipulationen der Beamten des < Jjömruk -- wie die doppelte Steuer-Contribution durch die Zaptiehs und Malmudirs. Es scheint übrigens, dass die Pforte im Laufe der letzten Jahre wiederholt die Zoll-Administration verpachtete, und dann wieder in eigene Begie nahm, je nachdem Aussichten vorhanden waren, auf diesem oder jenem Wege einige Millionen Piaster zu profitiren. Bei der thatsächlichen administrativen Reorganisation, die in der Türkei schon seit einer Reihe von Jahren platzgritf, bei der unausgesetzten Reformspielerei, welche die Behörden entweder verwirrte, oder sie überhaupt gar nicht veranlasste, diese oder jene Verordnung in Kraft treten zu lassen, bei dem unerhörten Stellenschacher, etwa 10 Kreuzer österreichischer Währung (2b Centimes, 20 Pfennige) und zerfällt in 40 P a r a, so dass etwa 1 Kreuzer 4 Para gleichkömmt. Der Piaster ist eine Silbermünze und es gibt solche zu 2 Piaster, 5 Piaster (Beschlik), 10 Piaster (Jüzlik) und 20 Piaster ('Medschidjei ; der letztere hat die Grösse eines Thaler-stiiekes. . . . An Goldmünzen oursiren die Goldlira (das türkische Pfund) zu nominell 100 Piaster (etwa 10 fi. ö. W.'), der alte Frunduk (50 Piaster), der Mahmudie (selten.etwa8Piaster): ferners gelten: derNapoleond'or = 100 Piaster, das Liver-Sterling = 130 Piaster, österreichische Ducaten = 57 Piaster, der Rubel = 18 Piaster. Selbstverständlich unterliegen alle diese Geldsorten bedeutenden Coursschwankungen, so dass die angegebenen Werthe als Mittel anzunehmen kommen. Neuestens wurden auch Kaimes (Banknoten) zu 5, 10, 20, 50 und 100 Piaster in Cours gesetzt. — Das gebräuchlichste Gewichtsmaass ist die Okka = 2J/4 Wr. Pf. Die Gewichtseinheit ist dieDrachme, 8% =4 lLoth. Die Okka ist in Litras (zu je 100 Drammen) getheilt. Der Kile (= 37 Liter) ist das landesübliche Hohlmaass. 44 Okka geben einen Kantar, der dem Centner gleichkömmt. — Das gebräuchliche Längenmass ist der Arschin = 2*02 Wr. Fuss und der Pik = 2*16 Wr. Fuss. 1 österreichische Postineile = 1-4 türkische Wegmeile. Poli tische Ein theil ii im. 187 den die Stambuler EH'endis in letzterer Zeit schamloser denn je betrieben ; im Hinblick anfalle diese [Jebelstände lässt es sich leicht voraussetzen, dass auch die landesüblichen Zoll-Manipulationen der gesamm-ten wirtschaftlichen Thätigkeit Jahr für Jahr die schwersten Wunden schlugen. ... Die politische Eintheilung des Landes war in den letzten Jahren unausgesetzt Veränderungen unterworfen, imd seit dem Jahre 1873 (1290 d. Fl.) brachte nahezu jeder der alljährlich erscheinenden olficiellen Staatskalender irgend eine neue Abgränzung dieses oder jenes Sandschaks, Kaimakaniats oder Mudirliks. Während der Insurrections-kämpfe 1875/76 wurde das frühere Vilajet Bosna in die Vilajets Bosna und Hersek iHerzegowina) getheilt, worunter letzteres in die zwei Sandschaks Hersek (Mostar) und < Jaeko zerfiel. Nach dem Entwürfe Mithad Bascha's vom Jahre 1S7(> wurde der Sandschak Novibazar zu dem damals neu gebildeten Vilajet Kossowo geschlagen, IST7 jedoch wieder das frühere Vilajet Bosna mit den Sandschaks Hersek und Mostar und jenem von Novihazer constituirt. . . Nach der politischen Bintheilung vom Jahre 1874 besassen die sieben Sandschaks 57 Kai-makamats, und zwar: Serajevo 8, Zwornik 9, Travnik 6, Bihac 8, Novibazar 10, Banjaluka 5 und Hersek (Herzegowina) 11: nach der Eintheilung vom Jahre 1877 aber die acht neuen Sandschaks blos 52 Kaimakaniats (Kasas), von welchen 40 auf das eigentliche Bosnien und Rascien und 11 auf die Herzegowina entfielen. Wir halten uns an die neueste Eintheilung (1877). nach der das Land in nachfolgende Kreise (Mutessarifliks, Sandschaks), Bezirke (Kaimakamats. Kasasj und DiStricte (Nahien, Mudirliks) zerfällt, und zwar: 1. Der Sandschak Serajevo mit denKaimakamaten: Serajevo, Visoka, Fojnica, Neretwa. Rogatiea.1) 2. Der Sandschak Travnik mit den Kaimakamaten: Travnik, Senica, Livno. Skoplje, Jaicze, Jesero, Rama.'^) •) Nach der Eintheilung vom Jahre 1874 in die Kasas: Serajevo, Visoka, Foinica, Tsehainica, Visegrad, Rogatiea und Kladina. 2) Zerfiel 1874 in: Travnik, Jaicze, Skoplje, Livno, Glamoc, Duma. 3. Der Sandschak Bihac mit den Kaimakamaten: Bihac. Kulen-Vafcuf, Prijedor, Novi. Dubica. Ostroeaß, Stari - Maidan, KosaraS, Kljuc.') 4. Der Sandschak Banjaluka mit den Kaimakamaten: Banjaluka, Derbend. Tesanj.'1) 5. Der Sandschak Zwornik mit den Kaimakamaten: Zwornik, Bjelina, Tuzla. Srebrnica, Brtsüka, Kladanj. Gradacaö, Maglaj *) 0. Der Sandschak Novibazar mit den Kaimakamaten: Novibazar, Nova-Varos, Sieniea, Stergacina, Visegrad, Mitrovica, Bihor.4) Die beiden Sandschaks der Herzegowina zerfielen in nachstehende Kaimakanate: Mostar, Nevesinje, Trebinje, Foca. Stolac. , Ljubuska. Niksic. Piva, Kojnica, liileki. Von diesen Bezirken wurden indess diejenigen von Niksic und Piva laut Artikel 28 des Berliner Friedensvertrages zu Montenegro geschlagen. Wenn es nun auch eine missliche Sache ist. statistische Details über die Vertheilung der Bevölkerungs- Elemente nach (Jen einzelnen Kreisen mitzutheilen. so sind dieselben immerhin geeignet, wenn auch in sehr unvollkommener Weise, in dieser Bichtung irgend einen Anhaltspunkt zu liefern. Wir haben gleich zu Beginn des IV. Abschnittes über die Gesammtpopulation Bosniens, Basciens und der Herzegowina, oder des »Vilajets Bosna« überhaupt. Zahlen gegeben, wie sich dieselben in den einzelnen Reiseberichten von Europäern vorfinden. Die neueste Zusammenstellung dieser Art finden wir im Salname vom Jahre 12lJ4 (Officieller Staatskalender pro 1877/78), in welchem nachfolgende Ziffern für die einzelnen Sandschaks aufgestellt sind: ') Zerfiel 1874 in hlos 8 Kasas, und zwar: Bihac, Novo.sello, Ostrocae", Kruppa, Majdan, Kostainica, Prijedor, KluS. l) 1877: Banjaluka, Gradiska, Tesanj, Derbend, 2ep!e. 3) Besass 1874 dieselbe Eintheilung. ') Besass 1874 ausser diesen Kasas noeli die von Ta21id2a, Akova, Priepolje, Berane und Kolasin. Statistik. 189 Sandschak: Zahl der Kasas: Zahl der Oertlichkeiten: Bosna-Seraj Zwornik . . . Banjaluka . Bihac..... Travnik . . . Novibazar . 6 39.272 59.241 19.382 13.480 42.510 12.546 4 7 0 10 dann in der Herzegowina: Hersek < räcko 8 19.549 8.438 100.616 19.549 Zusammen. . .52 214.418 1,133.733 Ein amtlicher türkischer Ausweis vom Jahre 1872/73 gab weiters nachstehende Zittern in Bezug auf die Vertheilung der männlichen Bevölkerung nach den Confessionen, und zwar: für den Sandschak Ser aj evo: 35.188 Mohammedaner, 18.343 Griechen, 8747 Katholiken, 959 Juden und 667 Zigeuner (zusammen: 63.914 männliche Bewohner); für den Sandschak Novibazar: b'2.&2ij Mohammedaner, 30.575 Griechen, — Katholiken, 40 Juden, 742 Zigeuner (zusammen: 93.983 männliche Bewohner); für den Sandschak Z w o r n i k: 63.661 Mohammedaner, 46.767 Griechen, 11.663 Katholiken, 126 Juden. 1964 Zigeuner (zusammen: 124.181 männliche Bewohner); für den Sandschak Hersek: 39.472 Mohammedaner, 23.492 Griechen. 18.289 Katholiken. — Juden, 676 Zigeuner (zusammen: 81.929 männliche Bewohner); für den Sandschak Travni k: 43.487 Mohammedaner. 25095 Griechen, 23.161 Katholiken, 157 Juden, 658 Zigeuner (zusammen: 92.558 männliche Bewohner); 190 V. Cultiirzustiin.de. — Die bisherige Administration, für den Sandschak B a n j a l u k a : 29.902 Mohammedaner. 44.923 Griechen, 14.426 Katholiken. 23 Juden, 589 Zigeuner fzusammen: 89.863 männliche Bewohuer); für den Sandschak B i Ii a ö: 45.180 Mohammedaner. 37.117 Griechen, 2.097 Katholiken, r- Juden. 400 Zigeuner (zusammen: 84.008 männlielie Bewohner). Nach diesem Ausweise gab es somit v o r deu letzten, das statistische Material selbstverständlich ganz umstürzenden Ereignissen im ganzen Lande circa 615.000Mohammedaner, 450.000 griechische Christen . 155.000 Katholiken. 3500 Juden und 11.500 Zigeuner, zusammen 1.234.000 Bewohner, also gerade um 100.000 Menschen mehr, als vier Jahre später (1878), wo Kriege, Empörungen und Elend gründlich aufgeräumt hatten. Bei dem neuesten statistischen Ausweis hat die Pforte offenbar keine Rücksicht auf die, nahezu die Zahl von 200.000 erreichenden Emigranten, welche auf österreichisch-ungarischem Boden Unterstand fanden, genommen, da sonst der Ausfall viel bedeutender hätte werden müssen.-- 0 e s t e -r r r e i c h - U n g a r n ist nunmehr berufen . in dem früheren Vilajet Bosna geordnete Zustände herbeizuführen und die ungeschmeidigen, durch vierhundertjährige Gewohnheit getragenen Einrichtungen, socialen Verhältnisse, Culturzustände und Lebens-äusseruugen aller Art einer langsamen Umwandlung im Sinne abendländischer Cultur und Civilisation zu unterziehen. Die Aufgabe ist selbstverständlich keine leichte, aber die vorhandenen Schwierigkeiten sind solcher Natur, dass vorsichtiges Handeln, möglichste Beachtung der localen Eigentümlichkeiten und des bisherigen Culturzustandes der Bewohner, sowie Schonung ihrer bisherigen Lebensgewohnheiten dieselben wesentlich verringern werden. Die Bechtsbegriffe im Lande sind selbstverständlich solche, wie sie in orientalischen Ländern überhaupt üblich sind, und wurzeln mehr in Traditionen als in codificirten Gesetzen. Eine Ueberstürzung in dieser. Richtung wäre daher keineswegs anzu-rathen. Ebenso wird es eher auf dem Wege scheinbarer Concessionen, die aber im Wesen dennoch Vieles umstossen werden, möglich sein, sich Schlusshemerkung. IUI mit den mohammedanischen Elementen auseinanderzusetzen, als wie durch Gewaltmittel, die eine permanente Entfaltung einer grösseren militärischen Streitkraft erfordern imd das Werk der Reorganisation allerorts hemmen oder doch unsäglich erschweren würden. Die Besitzrechte der Begs. die Vakufs oder die Moscheengüter, dann gewisse sociale Vorrechte der bisherigen herrschenden Race, namentlich aber das Waffentragen, sowie alle Eigentümlichkeiten, die dem Islam an sich anhaften, sind lauter Punkte, an denen sich eine vorsichtige und langsamen Schrittes vorwärtsgehende Verwaltungs-Reform ebenso rasch bewähren könnte, als sie andernfalls zu unliebsamen und unausgesetzten Conflicten führen würde. Von der gegenwärtigen Generation wird, wie wir schon an anderer Stelle (S. 148) hervorgehoben haben, wenig zu erwarten sein. Erst die Söhne der heutigen Begs, die mittlerweile mit der Aussenweit in stete Berührung getreten sein werden, dürften die nöthige Befähigung erlangen, um mit ihnen in der Reformfrage ein letztes Wort, reden zu können. ... ^^^*Imb7^ Nachtrag. Innerhalb des 29. Juli und 1. August l.J. haben die verschiedenen Colonnen des österreichisch - ungarischen Occupationscorps unter Commando des FZM. Freiherrn Josef v. Philippovics die bosnisch-herzegowinischeGrenzen überschritten.um die Occupation des»Vil ajet s Bosh a« durchzusetzen, und in dem durch Revolutionen. Christenmassacres und anarchische Zustände desorganisirten Lande Ordnung und Buhe zu scharfen. DasMandat hiezuhat der P»erliner-Congress in einem seiner Artikel ausgesprochen und die Vertragsmächte haben an dasselbe gleichzeitig die Erwartung geknüpft, dass es Oesterreich-Ungarn durch jene ihm gewordene Mission gelingen werde, zum eigenen Heile und zu jenem des betroffenen Landes und Volkes, in einer der verwahrlosesten Provinzen des türkischen Reiches die bisherigen unhaltbaren Zustände einer gedeihlichen Entwicklung zuzuführen. Her obcitirte Artikel des Berliner Tractates lautet: Art. XXV. Les provinces de Bosnie et d'Ilerzegovine seront oceupees et administrees par l'Autricbe-Hongrie. Le Gouvernement d'Autriche-Hongrie ne desirant pas 86 charger de l'administration du Sandjak de Novibazar, qiu s'ctend entre la Scrbie et le Montenegro dans la direction Sud-Est jusqu'au dela de Mitrovica, l'administration Ottomane continuera d'y tbnetionner. Ne*anmoins afin d"assurerlemaintiendu nouvel etat politique ainsi que la liberte et la securite des voies de communication, l'Autriche-Hon-grie se reserve le droit de tenir garnison et d'avoir des routos mili-taires et commerciales sur tonte l'c'tendue de cette partie de l'ancien Vilayet de Bosnie. A cet effet les Gouvernements d'Autriche-IIongrie et de Turquie se reservent de s'entendre sur les dctails. (Art. 25. Die Provinzen Bosnien und Ilerzegowin sollen von Oesterreich besetzt und verwaltet werden. Da die österreichisch-ungarische Regierung nicht wünscht, sich mitder Verwaltung des Sandschaks von Xovibazarzu befassen, welches sich zwischen Serbien und Montenegro in südöstlicher Richtung bis über Mitrovitza erstreckt, wird die ottomanische Verwaltung fortfahren, dort zu functioniren. Nichtsdestoweniger behält sich Oesterreich-Ungarn, um die Aufrechterhaltung des neuen politischen Zu-standes ebenso wie die Freiheit und Sicherheit der Communications-wege zu sichern, das Recht vor, Garnisonen zu halten und militärische und Handelsstrassen im ganzen Umfange dieses Theiles des alten Vilajets von Bosnien zu besetzen. Zu diesem Zwecke behalten sich die Regierungen von Oesterreich-Ungarn und der Türkei vor, über die Details sich ins Einverständniss zu setzen. Unmittelbar vor der Ueberscbreitung der Grenze durch das Occu-pationseorps ward nachstehende Proclamation an die Bevölkerung des Occupationsgebietes erlassen. Sie lautet: Proclamation. Bewohner von Bosnien und der Herzegowina! Die Truppen des Kaisers von Oesterreich und Königs von Ungarn sind im Begriffe, die Grenze Eures Landes zu überschreiten. Sie kommen nicht als Feinde, um sich dieses Landes gewaltsam zu bemächtigen. Sie kommen als Freunde, um den Uebeln ein Ende zu bereiten, welche seit einer Reihe von Jahren nicht nur Bosnien und die Herzegowina, sondern auch die angrenzenden Länder von Oesterreich-Ungarn beunruhigen. Der Kaiser und König hat mit Schmerz vernommen, dass der Bürgerkrieg dies schöne Land verwüstet; dass die Bewohner desselben Landes einander bekriegen; dass Handel und Wandel unterbrochen, Eure Heerden dem Raube preisgegeben, Eure Felder unbebaut sind und das Elend heimisch geworden ist in Stadt und Land. Grosse und schwere Ereignisse haben es Eurer Regierung unmöglich gemacht, die Ruhe und Eintracht, auf denen die Wohlfahrt des Volkes beruht, dauernd herzustellen. Der Kaiser und König konnte nicht länger ansehen, wie ■ Gewalttätigkeit und Unfriede in derNälieSeinerProvinzenherrschten, wie Noth und Elend an die Grenzen Seiner Staaten pochten. Er hat das Auge der europäischen Staaten auf Eure Lage gelenkt, und im Rathe der Völker wurde einstimmig beschlossen, dass Oesterreich-Ungarn Euch die Ruhe und Wohlfahrt wiedergebe, die Ihr so lange entbehrt. Se. Majestät der Sultan, von dem Wunsche für Euer Wohl beseelt, hat sich bewogen gefunden, Euch dem Schutze seines mächtigen Freundes, des Kaisers und Königs, anzuvertrauen. Schweigur-Lorchonfoid, Bosnien. 13 So werden denn die k. und k. Truppen in Eurer Mitte er« scheinen. Sie bringen Euch nicht den Krieg, sondern bringen Euch den Frieden. Unsere Waffen sollen Jeden schützen und Keinen unterdrücken. Der Kaiser und König befiehlt, dass alle Söhne dieses Landes gleiches Recht nach dem Gesetze gemessen, dass sie Alle geschützt werden in ihrem Leben, in ihrem Glauben, in ihrem Hab und Gut. Eure Gesetze und Einrichtungen sollen nicht willkürlich umge-stossen, Eure Sitten und Gebräuche sollen geschont werden. Nichts soll gewaltsam verändert werden ohne reifliche Erwägung dessen, was Euch noththnt. Die alten Gesetze sollen gelten, bis neue erlassen werden. Von allen weltlichen und geistlichen Behörden wird erwartet, dass sie die Ordnung aufrechterhalten und die Regierung unterstützen. Die Einkünfte dieses Landes sollen ausschliesslich für die Bedürfnisse des Landes verwendet werden. Die rückständigen Steuern der letzten Jahre sollen nicht eingehoben werden. Die Trappen des Kaisers und Königs sollen das Land nicht drücken, noch belästigen. Sie werden mit Geld bezahlen, was sie von den Einwohnern bedürfen. Der Kaiser und König kennt Eure Beschwerden und wünscht Euer Wohlergehen. Unter Seinem mächtigen Scepter wohnen viele Völker beisammen und jedes spricht seine Sprache. Er herrscht über die Anhänger vieler Religionen und Jeder bekennt frei seinen Glauben. Bewohner von Bosnien und der Herzegowina! Begebt [euch mit Vertrauen unter den Schutz der glorreichen Fahnen von Oesterreich-Ungarn. Empfangt unsere Soldaten als Freunde — gehorchet der Obrigkeit, nehmet Eure Beschäftigung wieder auf and Ihr sollt geschützt sein in den Fruchten Eurer Arbeit. Sach- und Namen-Register. Seite Abdul Aziz................... 29 Aberglaube ...............125,137 Administrative Einrichtungen.... 157 Aga's, die..................... 21 Agron, König der Illyrier....... 2 Akrobaten....................153 Albanesen, die.................100 Ali Bestani, Scheich............ 19 Amtstätigkeit der Behörden . . . .163 Aschyklik (Damendienst)........129 Sabina Planina................ 79 Banja, Kloster................. 76 Banjaluka..................... 56 Bardvllis, König der Illyrier..... 1 Begs, die..................... 21 Bergwerke....................178 Bjelustica-Gebirge ............. 84 Bilaj, Plateau von.............. 19 Bjelalowac.................... 67 Bla?ui........................ 68 Bodeneultur..................46 Bogomilen.................... 13 Bosna-Fluss................... 37 Bosna-Thal ................... 65 Bosna-Seraj (siehe Serajevo). Bosnische Haus, das............ 49 Bosnische Mohammedaner, der 97,128 Borke (Herzegowina, Plateau) ... 82 Bradina-Bach.................. 84 Brud, Türkisch-................ 56 Brücken.........»............ 46 Buna, Dorf.................... 87 BuXowac...................... 67 Seito Cengic" Aga...................119 Chrobaten, Einwanderung der.... 7 Confessionen..................108 Commimicationen, Haupt-.....42,43 » Bosniens......... 44 » der Herzegowina 44, 45 Dalmater, die ................. 4 Defterdar (Finanzdirector).......159 Dervent ...................... 65 Dinarischen Alpen, die......... 31 Doboi, Stadt................... 65 Dobrinje, Plateau von........... 60 Dobrunj, Schlossruine ..........-75 Dormitor, der (Berg)............ 79 Dörfer, Aussehen der...........50 Drina-Fluss..............37,79,80 Duvno-Polje .................. 9 Duzan, Kaiser der Serben....... 14 Ehe, die muslimische...........131 Eisenbahnen (siehe Schienenwege). Einkehrhäuser (Hau).........51, 52 Evkaf, das (siehe »Vakuf«). Export (siehe Handel). Fahrbare Feldwege ............ 40 Fahrstrassen, die.............38,39 Finanzdirector (siehe Defterdar). Franziskanerorden, der..........110 Geldsorten....................185 General-Grouverneur, der........159 Genthins, König der Illyrier...... 3 13* Soita Geologischer Bau des Landes----32 Gerichtsbehörden ..............168 Geistliches Gericht.........168 Weltliches Untersuchungsgericht..................168 Handelsgericht.............169 Gewerbliche Thätigkeit.........löö Gewicht und Maas*.............18;") Grabowica, Dort'................ 83 GradiSka, Türkisch- ............ 56 Gracanica, Marktflecken......... 81 Griechische Christen............100 Haidukenthum, das.............lvM Handclsverbältnisse............183 Hatti-Humajun ................ 28 Hatischerif.................... 26 Hans (Einkehrhäuser)........51, 52 Herzegowina, die............. 99 Hissardsehik, Ruine...........78 Hochebenen der Herzegowina .... 34 Hum, Berg....................88 Humska..................11, 89 Hussein Aga.................. 23 Jablaniea, Defilc von........... 8-*! Jadovnik-Gebirge, das.......... 33 Jaicc, Stadt.................... 62 Illyrier. die.................... 1 Import (siebe Handel . Industrielle Thätigkeit..........loa Intoleranz, moslimisehr.........135 Iraskowica-Planina............33 Islam, der....................144 JunaSke pjesme (Heldenlieder) . .118 Justizreform (1875^.............166 Justizwesen...................165 Xaragjös, das (Fantorainenspiel). .155 Katholische Christen...........110 Klicanj, Plateau von............ 85 Kljuc......................... 19 Klimatische Verhältnisse........ 45 Kobila-Glava, Berg............. 67 Kopita-Gebirge.................33 Seite Kotorsko, Stadt................ 65 Ko?arac ...................... 33 Kragulievaea-Planina........33, 59 Kresluk-Thal.................. 63 Krnjo-Brdo.................... 33 Kruppa-Fluss.................. 35 Kulin, Ban von Bosnien......... 13 Kukavica-Planina............38, 59 KupreS, Stadt................. 88 Laswathal, das .........63, 67, 88 Legeth, König................. 11 Lim-Thal, das................. 75 Lipeta-Gebirge, das............. 82 Lissac-Gebirge, das............. 84 Lissina-Gebirge, das............ 33 Livno, Stadt................... 87 Ljubinje, Stadt................'. 85 Magini, Stadt.................. 66 Malmudir.....................173 Medschlis..............28,160, 162 Mehkemeh....................168 Mektubdsehi ..................159 Miljacka-Bach................. 67 Mineralien.................... 47 Mineralquellen................. 48 Milosevo, Kloster-Ruine......... 78 Mollah (Oberpriestcr*...........159 Mohammedaner................128 Mohammed. Ehe...............131 „ Religiosität.........133 Intoleranz..........135 .. Vorurteile.........137 Leben8äusserungen ..139 - Kaufmann, der......141 Heim, das..........142 Trachten.......143.144 Schulen............150 Mostar, Stadt.................. 88 Mostjanica-Bach............... 67 Mudir, der....................160 Mustafa Buscbatli !............. 23 Mutessarif.....................159 Suite Narentafluss................... 83 Neretwa, Dorf................. 83 Niklas I. Ban von Bosnien....... 13 Nizamieh-Tribiinale............167 Nova-Varo§................... 76 Novibazar .................... ~'l Oertlichkeiten................. 49 Osmanen, die..................101 Pataraner, Secte der............ 13 Piwa-Fluss.................... 87 Pliwa-Fluss................... 61 Pliwa-Wasserfall............... 62 Pobjenik-Gebirge.............. '!l Positelj, Städtchen............. Hl Podwelef-Gebirge----.......... 88 Politische Eintheilung..........187 Popowopolje .................. 8o Porim-Gebirge................. 81 Pores (siehe Steuer-Verhältnisse . Posavina, die.................. 55 Prenj-Gebirge.................. 83 Priboj, Städtchen............... 75 Radkova......... ........... 60 Radusa-l'huiinu................ 33 Rajah, die.................Hl, 153 Raicen, die.................... 99 Rascien...........•.........7<», 95 Regierungsorgane..............159 Religiosität der Mohammedaner . .183 Resmiagan (siehe Steuern). Rogatiea, Stadt................ 73 Romanja-Plateau.............33, 73 Saumwege....... ........... 41 Save-Fluss.................... 37 Save-Gegend.................. 55 See-Gebirge.................33, 67 Serajevo, Stadt................. 68 Serajevsko-Polje............... <57 Sienica, Stadt................. 76 Sitnica, Dorf................... 60 Skopie, Städtchen.............. 88 Seite Slatargcbirge.................. 78 Slator-Berg.................... 33 Slavische Bevölkerung, die....... 93 Slaven-Einwanderung, die....... 7 Slaven-Försten, die ersten....... 9 Sokolac, Burg.................. 61 Sorben, die.................... 7 Spahis, Spahilik ............... 20 Spreca-Thal, das.............80 Stanisewac-Gebirge............ 75 Statistik......................188 Stergacina, Dorf................ 75 Steuerverhältnisse, die..........173 Kopfsteuer, die............175 Grundsteuer, die...........175 Erwerbsteuer, die..........175 Tabaksteuer, die...........176 Wein- und Miethstener.....176 Pachtsteuer, die............177 Kaffeesteuer, die .... ......178 Tretina, die................178 Steuermanipulation, die.........179 Stolac', Berg............■...... 75 Stolac, Städtchen.............. 86 Samac, Städtchen.............. 55 Semec-Gebirge, das ............ 33 Schienenwege..............14,185 Schulwesen (siehe I literrichtswesen). Tahkik-Medsehlissi.............168 Tara-Fluss................... 37 Ta21id?a, Stadt................. 79 Tänzerinnen (siehe Zigeuner). Teuta, Königin der Illyrier...... 3 Thermen..... ...............47 Tolisa, Kloster................. 55 Tomas, König................. 17 Tomasevie, König.............. 18 Trachten.............115,143, 144 Travnik, Stadt................. 63 Trebincica-Fluss...............7 35 Trebinje, Stadt................. 84 Tretina, die...................178 Turbe's, die (Heiligcngräber)____138 Tuzla, Stadt................... 80 Tüdscharet-Medschlissi......... 169 Twartko I., König.............. 14 Ukrina-Thal.................. 65 Unna-Fluss...................37 Unterrichtswesen...... .........149 Usora-Thal.................... 65 Utovo Blato................... 81 Uvac-Bach....................75 Vakufs, die.................. 180 Vali Pascha (siehe Generalgouverneur). Vampyrglaube, der.............125 Var5ar-Vakuf.................. 61 Velebich-Gebirge.............. 33 Vergui (siehe Steuern). Verwaltungsorgane.............161 Visegrad, Stadt................ 74 Vites, Stadt.................... 67 Vitorgo-Gebirge............... 33 Seite Vjetrenica-Pass................ 66 Vlach-Gebirgo................. 82 Vlasenica, Dorf................ 80 Vlasic-Gebirge ..............33, 64 Volkspoesie...................116 Vrabac-Gebirge...............82 Vranduk, Burg und Delib' von ... 66 Waldnutzung.................178 Waldopmplexe (Note)...........179 Wila, die.....................127 Zaptiehs, die..............171,173 Zaskopolje, Biirg-Ruine......... 61 Zehent, der...................177 Zenica, Dorf.................. 66 Z\rpse, Dorf................. . 66 Zigeuner, die..............102, 155 Zollwesen, das.................185 Zölle.......................j .176 Zwornik, Stadt................; 80 Karte von Bosnien, Herzegowina, Montenegro und Serbien. "Tu*:' Ä SSI — -^r—------*»y -c^-s I. Latin« '/.«rieh«'» Krklänmg. • srAirrt: nUn^rtmuttA .....tw.^.An«,-- ----&*- JW~~.V, --NMM Z,.uuf«yr.«M -----fl,,«,^, ---t-v^0^.gv „ -- ^xr^gc i^cu^öi^ ..... A ^ p\