61 Darko Čuden *11 UDK 811.112.2'373.611:81'374 Universität Ljubljana DOI: 10.4312/linguistica.59.1.61-70 ÜBERLEGUNGEN ZUM WORTBILDUNGSPOTENZIAL DES LEXEMS FRISCH IM DEUTSCHEN 1 EINLEITUNG Im vorliegenden Beitrag wird der Versuch unternommen, das deutsche Lexem frisch bzw. eventuelle Ableitungen und Zusammensetzungen mit dem Morphem frisch in das System der deutschen Lexik einzuordnen. Das Morphem frisch wird aus morphologi- scher, wortbildungs- und bedeutungsmäßiger, nicht zuletzt pragmatischer Sicht ana- lysiert. Es wird auf persuasive Strategien und auf damit oft verbundene sprachliche Redundanz aufmerksam gemacht. 2 DAS LEXEM FRISCH 2.1 Im zehnbändigen Duden besteht das Semantem des simplizischen Adjektivs frisch aus fünf Sememen, d. h. Bedeutungsvarianten (mit Untergliederung und natürlich jeweils mit mindestens einem Beispiel aus dem Sprachgebrauch veranschaulicht und nach Be- darf stilistisch gekennzeichnet!): 1a) (bes. von Lebensmitteln) nicht alt, abgestanden, welk o. ä.: frisches Fleisch; 1b) unverbraucht: frische Luft; 1c) eben erst [entstanden, hergestellt, ausge- führt]: eine frische Wunde; 1d) gerade eben [geschehen o. Ä.]: wie alle frisch Bekehrten hatten sie das Bestreben, andere zu bekehren. 2a) erneuert; ausge- ruht; erholt: frische Truppen; 2b) sauber, rein: das Bett frisch beziehen; 2c) (ugs.) neu; noch unbenutzt, ungebraucht: ein frisches Blatt Papier. 3a) gesund, blühend [aussehend]: eine frische Gesichtsfarbe; 3b) lebhaft, munter: ein fri- sches Mädchen. 4) lebhaft, leuchtend: frische Farben; 5) kühl: ein frischer Wind. 2.2 Das Morphem frisch ist in Bezug auf Wortarten und Wortbildungspotenzial vor allem im substantivischen Bereich als das produktivste zu erwarten. Die deadjektivische e-Ableitung Frische geht z. B. Zusammensetzungen wie Körper-, Sommer-, Winterfrische ein. Som- merfrischler/in wird im Duden erklärt als jemand, der sich zur Sommerfrische an einem Ort aufhält mit Anmerkung, dass das Wort veraltend ist. Der ling-Ableitung Frischling werden zwei Bedeutungen zugeschrieben, in der Jägersprache ist das ein junges, höchstens ein Jahr altes Wildschwein und scherzhaft neues Mitglied, Neuling, Grünschnabel. * darko.cuden@ff.uni-lj.si Linguistica_2019_FINAL.indd 61 9.10.2019 8:58:45 62 2.3 Das Morphem frisch ist die erste unmittelbare Konstituente in substantivischen Zusam- mensetzungen wie: Frischfisch, -fleisch, -ei, -käse, -milch, -wasser, -luft. Aus den ange- führten Beispielen geht hervor, dass -frisch bedeutungsmäßig darauf zielt, Unabding- bares für menschliches (und tierisches) Dasein vorauszusetzen. Neben den obigen aus zwei Simplizia bestehenden Zusammensetzungen weist aber der deutsche Wortschatz auch Produkte komplexerer Natur (wenngleich in ihrer Struktur immer noch binär!) auf, wie es die folgenden Beispiele belegen: Frischluftfanatiker, Frischluftversorgung, Frischluftzufuhr, Frischzellenbehandlung, Frischzellentherapie. 2.4 Das Morphem frisch ist die erste unmittelbare Konstituente in adjektivischen Zusam- mensetzungen, wobei »echte« Adjektive dieser Art selten sind, z. B. frischfröhlich 1 in der Bedeutung: munter und fröhlich (an die Arbeit gehen). Häufiger ist die Konstrukti- on frisch + Partizip Perfekt: frischgefallen, -gefangen, -gekocht, -gemahlen, -gepresst, -gestrichen, -gewaschen, -verheiratet, -verliebt, -verlobt, -vermählt. Jedoch ist hier zu bemerken, dass diese Wortbildungskonstruktionen nach der neuen deutschen Recht- schreibreform getrennt geschrieben werden und somit keinen Gegenstand der Wort- bildung mehr darstellen. Eine strukturelle und auch semantische Besonderheit weist das Paar frischbacken/ frischgebacken auf: frischbackenes Brot und umgangssprachlich und scherzhaft mar- kiert: ein frischgebackener Doktor/Vater. Äußerst selten sind Konstruktionen aus frisch + Partizip Präsens. So definiert der Duden frischmelkend als ‚(von Kühen) gerade gekalbt habend‘: eine frischmel- kende Kuh. 2.5 Im verbalen Bereich ist das Potenzial des Morphems frisch stark eingeschränkt. Das einfache Verb frischen wird im Duden fachsprachlich markiert und erklärt als 1) (Hüt- tenwesen) ‚Roheisen durch Oxidation der begleitenden Bestandteile in Stahl umwen- den‘, und 2) (Jägersprache) ‚(vom Wildschwein) Junge werfen‘. Bei präfigierten Verben (und daraus resultierenden substantivischen Ableitungen und Komposita (erfrischen → Erfrischung, Erfrischungsgetränk) sind folgende zu verzeichnen: anfrischen bedeutet (ebenfalls in der Jägersprache!) (den Hund) durch Zureden anspornen, im 18./19. Jahrhundert auffrischen, wie unter Bedeutungserklärung im Duden unter 1. a. steht, in demselben Zeitabschnitt auch anregen, ermuntern; auffrischen hat nach Duden zwei Bedeutungen, bei 1.a. heißt es (Abgenutztes, Verbrauchtes) wieder frisch machen, erneuern, wiederherstellen, bei 1. b. (einen Vorrat o. Ä.) ergänzen und unter 2. (vom Wind) stärker werden, heftiger wehen; 1 Im Duden auch mit dem Bindestrich geschrieben. Linguistica_2019_FINAL.indd 62 9.10.2019 8:58:45 63 erfrischen ist auch zweibedeutend: 1. neu beleben, jemandem neue Frische bringen und 2. sich durch äußerliche Mittel oder den Verzehr von etwas Kühlem oder Belebendem frisch machen, neu beleben; verfrischen beinhaltet (interessanterweise wieder in der Jägersprache!) das sechste Semem beim Duden-Lemma verwerfen, nämlich (von Säugetieren) eine Fehlgeburt haben. 2.6 Unter Substantivierung werden in diesem Beitrag ausschließlich „reine“ Konver - sionsprodukte verstanden, so entsprechen den obigen Verben vier Substantive in unveränderter Form, d. h.: Anfrischen, Auffrischen, Erfrischen und Verfrischen. Einige sind sogar Fachausdrücke, wie etwa in der Medizin: Anfrischen ‚Entfernung oberflächlicher Wundschichten, um zum Zusammenwachsen geeignetere Flächen zu schaffen‘. Ein Phänomen besonderer linguistischer Art stellen aber substantivische, an Verben erinnernde Lexeme dar wie Glühfrischen und einigermaßen komplexere Frischhalte- beutel/-packung bzw. Herdfrischverfahren. Auch hier geht es meistens um Fachaus- drücke. Im ersten Beispiel existiert kein Verb *glühfrischen, im zweiten entspricht der ersten unmittelbaren Konstituente kein Verb *frischhalten 2 und im dritten der zweiten Konstituente kein Verb *frischverfahren. Die mit dem Sternchen versehenen Wörter sind nach dem elektronischen canoonet 3 die sogenannten fiktiven Einträge: Fiktive Einträge sind Wörter, die es geben könnte, die man aber in der wirklichen Sprache nicht gebraucht. Sie werden u. a. in der Wortbildung verwendet, wenn die allgemeinen Wortbildungsregeln für die Ableitung eines Wortes ein bestim- mtes Wort voraussetzen, das es nicht gibt. Angesichts der Langlebigkeit, der Beständigkeit und der schöpferischen Potenz einer jeden natürlichen Sprache ist es aber nicht auszuschließen, dass die oben erwähn- ten, heute noch nicht existenten Verben einmal zur Realität der deutschen Sprache werden. Ähnlich verlief auch der Prozess aus Notlandung zu notlanden, wo aus einem längeren Formativ (eher unlogischerweise!) ein kürzeres entstand. 2.7 Im Deutschen bestehen auch das Adverb und die Interjektion frischauf, die eine Er- munterung oder die Aufforderung ausdrückt, sich in Bewegung, in Marsch zu setzen; Wandergruß: Frischauf zum fröhlichen Jagen!. Außerdem gibt es das Adverb frisch- weg in der Bedeutung munter, unbekümmert; ohne Hemmungen (frischweg erzählen). 2 Das nicht existierende Verb frischhalten ist jedoch von der Wortgruppe frisch halten zu unterscheiden! 3 Canoonet: Deutsche Wörterbücher und Grammatik. (http://www.canoonet.eu/) Linguistica_2019_FINAL.indd 63 9.10.2019 8:58:45 64 Frisch auf ist eine veraltete Grußformel, die ähnlich wie der Bergmannsgruß Glück- auf verwendet wurde. Im Badnerlied, das etwa 1865 geschrieben wurde, wird im Re- frain die Zeile frisch auf, frisch auf, frisch auf, frisch auf, frisch auf, frisch auf mein Badnerland gesungen. Im Sachsenlied, das dem Badnerlied als Vorlage diente, stand statt Frisch auf der Gruß Glück auf. 2.8 Frischauf ist auch ein Familienname. Im slowenischen Sprachraum ist der Name im offiziellen Frischaufov dom na Okrešlju und im inoffiziellen, in der verslowenisierten Schriftweise Frišaufov dom na Okrešlju 4 verewigt. 5 Johannes Frischauf (1837–1924) war österreichischer Mathematiker, Physiker, Astronom, Geodät und Alpinist, der sys- tematisch die Gebirge in Kroatien, Montenegro und in den slowenischen Alpen, vor al- lem in den Steiner und Sannthaler 6 Alpen untersuchte und kartographierte. Darüber hin- aus wehrte er sich gegen germanisatorische Bemühungen des Deutschen Alpenvereins. 2.9 Der deutsche Dichter und Dramatiker Theodor Körner (1791–1813) schrieb während seiner Zeit im Lützowschen Freicorps 7 das Gedicht Frisch auf, ihr Jäger, frei und flink. Im sechsstrophigen Lied kommt frisch abundant in der ersten und der letzten Strophe vor, wobei die f-Alliteration frei und flink und frisch nicht zu übersehen ist (auch im substantivischen Feind und Feld, aber auch im phonetisch bedingten Vaterland) : Frisch auf, ihr Jäger, frei und flink! Die Büchse von der Wand! Der Mutige beherrscht die Welt, frisch auf den Feind! Frisch in das Feld fürs deutsche Vaterland, 4 Frischauf-Hütte auf dem Okrešelj. 5 Im heutigen Slowenischen sind entlehnte Appellativa und Onyme (wie etwa Frisch/Friš) „ein Reflex des konkreten Jahrhunderte langen Sprachkontaktes zwischen dem Deutschen und Slowenischen, aber auch der andauernden Globalisierungstendenzen in einem noch wesentlich größeren geographischen und kulturellen Raum als die ehemalige Habsburgermonarchie, in dem das slowenische ethnische Gebiet von der deutschen Sprache bis zum Ende des I. Weltkrieges dominiert wurde. Das slowenischsprachige Gebiet wird die ‚komplexeste sprachliche Drehscheibe Europas‘ genannt, denn das Slowenische begegnet hier verschiedenen Spracheinflüssen aus dem Romanischen, Ungarischen, Kroatischen und Deutschen“ (Krevs Birk 2014: 355). Von diesen weiträumigen Sprachkontakten zeugt auch das Lehnwort frišen, das aus dem Deutschen frisch in slowenische Dialekte übernommen (Snoj 2016) wurde. 6 Kamniško-Savinjske Alpe. 7 Nach Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Lützowsches_Freikorps) war das Lützowsche Freicorps ein Freiwilligenverband der preußischen Armee in den Befreiungskriegen. Es wurde von Major Ludwig Adolf Wilhelm von Lützow 1813 als Infanterie-Regiment Nr. 6 in die preußischen Linientruppen übernommen. Linguistica_2019_FINAL.indd 64 9.10.2019 8:58:45 65 fürs deutsche Vaterland! (…) Drum, muntre Jäger, frei und flink, wie auch das Liebchen weint! Gott hilft uns im gerechten Krieg! Frisch in den Kampf! – Tod oder Sieg! Frisch, Brüder auf den Feind! Aus Körners Gedicht Aufruf aus dem Jahr 1813 zitierte später auch die Weiße Rose, die studentische Widerstandsbewegung im Dritten Reich, auf einem Flugblatt die Zeile Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen. Zahlreiche deutsche, österreichische und schweizerische Sport-, Musik- und Wan- dervereine tragen den Titel Frischauf oder Frisch Auf/Frisch-Auf. 2.10 Besondere Betrachtung verdienen hier aber adjektivische (und nach der deutschen Grammatik gegebenenfalls auch adverbiable) Zusammensetzungen mit frisch als zwei- ter unmittelbaren Konstituente wie in: ofenfrisch, brunnenfrisch, gartenfrisch usw. Lohde (2006: 158–159) stellt bei der adjektivischen Wortbildung fest: In adjektivischen Zusammensetzungen treten Grundwörter auf, die oft als Mod- elle für Neubildungen gewählt werden. Diese Fähigkeit zur kompositionellen Reihenbildung ist hier viel stärker ausgeprägt, als das bei den anderen Wortarten der Fall ist. Die Mehrheit jener Zweitglieder begegnet außerhalb der Zusammen- setzungen in Form eines frei verwendeten Adjektivs mit identischer oder zumind- est ähnlicher Bedeutung. Es handelt sich somit nicht um Suffixe oder Suffixoide. Zu solchen simplizischen Zweitgliedern, die sich durch eine relativ hohe Produk- tivität auszeichnen, zählt er neben -sicher, -bereit, -frei, -müde, -echt, -nah, -reif, -ak- tiv, -weit, -fähig, -leer, -fremd, -freundlich, -wert, -tüchtig, -voll, -reich, -stark, -arm, -schwach, -schwer, -fest, -dicht, -intensiv auch -frisch. Komposita dieser Art seien zu- gleich Ausdruck der Sprachökonomie, da sie aus unterschiedlichen syntaktischen Fü- gungen entstehen bzw. in semantisch identische Wortgruppen paraphrasierbar sind: friedensbereit ‚bereit zum Frieden‘, lawinensicher ‚sicher vor Lawinen‘, brunnenfrisch ‚frisch aus dem Brunnen‘. 8 2.11 Zur Analyse deutscher adjektivischer Zusammensetzungen mit -frisch werden in die- sem Beitrag vier rückläufige Wörterbücher herangezogen: Mater (1967), Mater (1983), Muthman (1991), Lee (2005). Schon ein flüchtiger Blick auf die erfassten Adjektive 8 Überraschenderweise ist -frisch als zweite unmittelbare Konstituente in adjektivischen Zusammensetzungen bei Fleischer/Barz (1995) und Kühnhold/Putzer/Wellmann (1978) nicht erwähnt. Linguistica_2019_FINAL.indd 65 9.10.2019 8:58:45 66 auf -frisch zeigt die unglaubliche Entwicklung der Computertechnologien und somit der Erfassung von sprachlichen Daten. Während bei Mater in den beiden Ausgaben bescheidene fünf frisch-Adjektive eingetragen sind 9 , nämlich: jugend-, morgen-, kern-, lebens-, taufrisch, ergänzt Muthmann die Liste um mehr als das Zweifache, lässt aber überraschenderweise zwei aus Maters ersten fünf Einträgen aus: kern- und lebens- (Lee behält sie!). Muthman setzt dann seine Liste fort und hier gesellt sich ihm auch Lee bei mit fang- bis röst-: fang-, knack-, druck-, april-, quell-, ofen-, brunnen-, frühlings-, post-, röst-. Ab röst- befindet sich Lee im Alleingang: blüten-, ernte-, fass-, garten-, lebend-, markt-, natur-, rauch-, schlachtfrisch. Für frisch-Adjektive ist wortbildungsmäßig charakteristisch, dass ihre ersten un- mittelbaren Konstituenten Substantive sind. Die einzige Ausnahme scheint das Par- tizip Präsens bei Lees lebendfrisch zu sein. Das Lexem kommt offensichtlich nur im Fisch-Kontext vor: lebendfrische Forellen aus eigenen Teichen zu jeder Tageszeit; le- bendfrische Forellen zum Mitnehmen pro Stück; lebendfrische Speisefische. 10 2.12 Die allererste Frage, die sich Deutschlernenden stellt, ist, was ein Wort auf -frisch bedeutet (was natürlich ebenso für alle anderen Lexeme gilt!). Können Nichtmutter- sprachlerInnen die Gesamtbedeutung des frisch-Adjektivs erschließen, wenn die Be- deutungen seiner Bestandteile bekannt sind? Wo werden sie verwendet und wie steht es mit der semantischen Kompatibilität, d. h.: mit welchen versprachlichten Einheiten der außersprachlichen Welt sind sie vereinbar? Man kann davon ausgehen, dass bei z. B. ofen-, brunnen- und gartenfrisch die semantische Transformation ziemlich evident ist: ‚aus Ofen, Brunnen, Garten kommend‘. Die Palette der damit verbundenen Assoziatio- nen ist dementsprechend ziemlich beschränkt: Ofen = Brot, Kuchen, Gebäck; Brunnen/ Quelle = Wasser; Garten = Gemüse (als Oberbegriff für vielfältige Gemüsesorten). 2.13 Das Lemma -frisch wird im Duden erklärt als: drückt in Bildungen mit Substantiven oder Verben (Verbstämmen) aus, dass die beschriebene Sache (meist Nahrungsmittel) unmittelbar von oder aus etwas kommt, stammt und daher besonders frisch ist. Es fol- gen drei Beispiele: ernte-, garten-, röstfrisch, wobei es interessant ist, dass die ersten zwei Adjektive im selben Wörterbuch nicht zu finden sind. Hier wird exemplarisch auf einige, (leicht) strukturell und definitorisch (filigran) unterschiedliche oder teilweise inkonsequente Duden-Definitionen der frisch-Adjek- tive verwiesen (jeweils mit einem Beispiel versehen, wenn das Beispiel nicht gleich- zeitig schon Definition ist): • jugendfrisch ‚jugendlich frisch‘ (Das Gesicht des Ekstatikers aber war jugendfrisch.); 9 Zwischen den Ausgaben liegen fünfzehn Jahre! 10 Wortgruppen, Sätze oder satzartige Formen werden in diesem Beitrag nicht zitiert, da sie heutzutage leicht im Internet abrufbar und überprüfbar sind. Linguistica_2019_FINAL.indd 66 9.10.2019 8:58:45 67 • morgenfrisch ‚frisch wie am Morgen üblich‘ (eine morgenfrische Brise); • fangfrisch (von Fischen o. Ä.) ‚frisch gefangen‘ ( fangfrische Muscheln verkaufen); • druckfrisch ‚gerade erst gedruckt‘ (eine druckfrische Zeitung); • röstfrisch ‚(wie) gerade geröstet frischer Kaffee‘; • quell-/brunnenfrisch ‚frisch aus der Quelle kommend‘ (quellfrisches Wasser); • ofenfrisch ‚frisch aus dem Backofen kommend (und noch warm)‘ (ofenfrisches Brot) 11 . Polysemie bei frisch-Adjektiven tritt kaum auf. Ein solch seltenes Beispiel ist nach dem Duden das zweibedeutende taufrisch: 1. ‚noch feucht von morgendlichem Tau‘ (taufrische Wiesen); 2. ‚sehr frisch, ganz frisch‘ (ein Strauß taufrischer Blumen). Dabei handelt es sich um Metaphorisierung im Sinne des Vergleichs und der Graduierung, wobei eine gewisse Poetizität wahrzunehmen ist: Wenige frisch-Adjektive sind stilistisch (manchmal sehr filigran) markiert wie: • umgangssprachlich: knackfrisch ‚ganz frisch und knackig‘ (knackfrische Äpfel); • gehoben: frühlingsfrisch ‚von/in frühlingshafter Frische‘ (ein frühlingsfri- scher Duft); • gehoben und übertragen: taufrisch (Das Hemd ist noch taufrisch; Sie ist nicht mehr ganz taufrisch ‚sieht nicht mehr jung aus‘); • Philatelie: postfrisch (von Briefmarken) 12 ‚im Neuzustand befindlich, besonders eine unversehrte Gummierung aufweisend und ungestempelt‘. 2.14 Da klassische, papiergedruckte Wörterbücher mit modernen Computer-/Internet-Tech- nologien zeitlich nicht mehr Schritt halten können, verwundert nicht, dass bei Lee (2005), der die Daten höchstwahrscheinlich anders als Mater (1967, 1983) und Muth- mann (1991) erfasst hat, frisch-Adjektive zu finden sind, die man sonst im Duden um- sonst sucht. Solche sind: april-, blüten-, ernte-, fass-, garten-, lebend-, markt-, kern-, lebens-, natur-, rauch-, schlachtfrisch. Daher sind deren Anwendungsbereiche auch nur in den heutzutage formell und informell gesprochenen und geschriebenen Inter- net-Sprachsituationen zu suchen. Für die obigen Lexeme ist charakteristisch, dass sie mit Ausnahmen wie rauchfrische Rohwurst und schlachtfrisches Rindfleisch (die sich genauso verhalten wie die bis jetzt be- handelten Lexeme) dazu tendieren, Teile von Firmennamen, Produktnamen, Namen von Bio-/Natur-/Öko-Produkten und Projekten, Internetseiten zu sein (Lenor Aprilfrisch, Blü- tenfrisch Mottenkissen, Erntefrisch – Salatbox, Fass-Frisch, Gartenfrisch, Marktfrisch, naturfrisch.shop) und textkonstitutionelle Elemente der persuasiven Werbung (jede Wo- che direkt vom Bauern erntefrisch vor die Haustüre; fassfrischer Biergenuß usw). 11 Bei quell-/brunnenfrisch und ofenfrisch zeigt sich eine gewisse Inkonsequenz: Wenn etwas aus dem Backofen noch warm kommt, dann müsste aus der Quelle/Brunnen auch kaltes Wasser kommen, aber diese (Qualitäts)Angabe fehlt (oder ist sie eben bei Ofen überflüssig). 12 Ohne Beispiel im Duden. Linguistica_2019_FINAL.indd 67 9.10.2019 8:58:45 68 Das Verwendungspotenzial solch auf den ersten Blick relativ einfacher Wort- bildungsprodukte wie frisch-Adjektive lässt sich mit dem der „richtigen“ Phraseme vergleichen. Nach Worten von Urška Valenčič Arh (2014: 366) sind sie durch eine gewisse semantische Kompatibilität verbunden, die aber wiederum einen ziemlichen Sprach-/Spielraum zulässt, denn Festigkeit lässt eine ganze Bandbreite von möglichen Interpretationen zu, die wiederum Fragen der Gebräuchlichkeit und Häufigkeit sowie die Modifikationen als okkasionellen Abweichungen und Varianten erfassen. 3 SCHLUSS Dass das Morphem/Wort/Lexem frisch in gewissen gesprochenen und geschriebenen Sprechsituationen gehäuft vorkommen kann, wird in diesem Beitrag am Beispiel des Menüs im Speisewagon der Österreichischen Bundesbahnen 13 gezeigt, auf dem es etwa im Format von nur zwei A4 mit der von frisch-Konstituenten nur so wimmelt: Marktfrische Produkte; Täglich frisch zubereitet – Wir haben viele neue Spezialitäten für Sie zusammengestellt – ausschließlich aus markt frischen Rohwaren und täglich frisch von unseren Küchenchefs zubereitet; Garten- frischer Saisonsalat. Die Formulierung im Format von nur zwei A4 in Verbindung mit der Anzahl von den obigen frisch-(Sprach)produkten mag auf den ersten Blick einigermaßen übertrie- ben sein, aber man muss bedenken, dass der Text sich aus vielen kleineren Kästen-Tex- ten zusammensetzt, die farblich (schwarz-rot) umrandet sind und darüber hinaus in verschiedenen Fonts vorkommen. Damit ist m. E. das Ziel der persuasiven Strategie (mit Unterstützung der Redundanz: denn wo kommt der Salat frisch auf den Teller her, wenn nicht aus dem Garten; wie werden (markt?)frische (Roh?)waren zubereitet, wenn nicht täglich?!) vollkommen erreicht. Literatur BROCKHAUS-WAHRIG (1981) Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden. Hrsg. von G. Wahrig/H. Krämer/H. Zimmermann. Wiesbaden: Brockhaus/Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt. Canoonet: Deutsche Wörterbücher und Grammatik. http://www.canoonet.eu/services/ Search/ueberblick/index.html?lang=de [02.02.2019] DUDENREDAKTION/Werner SCHOLZE-STUBENRECHT (Hrsg.) (1999) Duden: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden. 3., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Dudenverlag. FLEISCHER, Wolfgang/Irmhild, BARZ (1995) Wortbildung der deutschen Gegen- wartssprache. Tübingen: Niemeyer. 13 Speisewagen-Service: Henry am Zug. Linguistica_2019_FINAL.indd 68 9.10.2019 8:58:45 69 KREVS BIRK, Uršula (2014) „Deutsche und slowenische sprachliche Beziehungen und interkulturelle Linguistik: Beispiel Internationalismen.“ Linguistica 54, 353–364. KÜHNHOLD, Ingeburg/Oskar, PUTZER/Hans, WELLMANN (1978) Deutsche Wort- bildung: Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. Hauptteil 3: Das Adjek- tiv. Düsseldorf: Schwann. LEE, Duk Ho (2005) Rückläufiges Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin/New York: de Gruyter. LOHDE, Michael (2006) Wortbildung des modernen Deutschen: Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen: Gunter Narr. Lützowsches Freikorps. https://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%BCtzowsches_Freikorps [03.02.2019] MATER, Erich (1967) Rückläufiges Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut. MATER, Erich (1983) Rückläufiges Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut. MUTHMANN, Gustav (1991) Rückläufiges deutsches Wörterbuch. Tübingen: Niemeyer. SNOJ, Marko (2016) Slovenski etimološki slovar 3 . www.fran.si [04.02.2019] V ALENČIČ ARH, Urška (2014) „‘Auf dem richtigen Weg sein‘ – Phraseologische Ansätze im DaF-Unterricht.“ Linguistica 54, 365–375. Zusammenfassung ÜBERLEGUNGEN ZUM WORTBILDUNGSPOTENZIAL DES LEXEMS FRISCH IM DEUTSCHEN Das deutsche Morphem bzw. Lexem frisch zeigt angesichts seiner verhältnismäßig bescheidenen Distribution in der deutschen Lexik eine überraschende Vielfalt, die auf der morphologischen Ebene (frisch- kommt als Einheit oder deren Teil als Substantiv, Verb, Adjektiv, Adverb und sogar als Interjektion vor) auch wortbildungsmäßig als Produkt von Ableitungen und Zusammensetzungen in unterschiedlichen Ausführungen und Kon- versionen zum Ausdruck kommt. Der zehnbändige Duden (1999) schreibt dem adjekti- vischen Lexem frisch fünf Bedeutungen zu. Das semantisch relativ beschränkte frisch in adjektivischen Zusammensetzungen lässt aber im Einklang mit stets veränderlichen außersprachlichen Gegebenheiten unendliche Realisierungen zu (internetfrisch aus Inter- net frisch renoviert?). Die erste unmittelbare Konstituente in adjektivischen frisch-Zu- sammensetzungen ist bei weitem das Substantiv. Die Verwendung der frisch-Lexik ist überraschenderweise in der Sprache des Jagdwesens auffallend. Die lexikalisch-seman - tische Kompatibilität der frisch-Adjektive mit nachfolgenden Substantiven ist ziemlich beschränkt und relativ voraussagbar. Die Mehrdeutigkeit der frisch-Adjektive ist selten, genauso sprach- und funktionalistische Markierung(en). Frisch kann auch Teil von Fami- liennamen sein und hat zahlreiche Spuren in der Literatur hinterlassen. Schlüsselwörter: Konstituente, adjektivische Komposita, semantische Kompatibilität, Jagdwesen, rückläufiges Wörterbuch Linguistica_2019_FINAL.indd 69 9.10.2019 8:58:45 70 Abstract WORD FORMATION POTENTIAL OF THE GERMAN LEXEM FRISCH The German morpheme and lexeme frisch shows, in spite of its relatively sparse distribution in the German lexicon, a surprising diversity, which can be seen both on the morphological level (frisch can be an independent unit or part of a noun, verb, adjective, adverb and even an interjection) and in terms of word formation. In the ten- volume Duden dictionary there can be found five meanings of the adjective frisch. The semantically relatively limited frisch in adjectival compounds allows, however, unlimited potential for linguistic creativity (internetfrisch probably from Internet frisch renoviert?) in response to real-world changes. The first constituent in adjectival frisch- compounds is in most cases a noun. The use of frisch-is surprisingly noticeable in the language of hunting. The lexical-semantic compatibility of frisch-adjectives with the following noun is quite limited and relatively predictable. Polysemy of frisch-adjec- tives is rather rare. The use of frisch in adjectival compounds also presents some genre- specific features. Finally, frisch appears in family names and has been used creatively in many works of literature. Keywords: constituent, adjectival compounds, semantic compatibility, hunting, retro- grade dictionary Povzetek BESEDOTVORNE ZMOŽNOSTI NEMŠKEGA LEKSEMA FRISCH Nemški morfem in leksem frisch izpričuje glede na skromno zastopanost v nemški leksiki precejšnjo raznolikost, ki se kaže v oblikoslovju (frisch- je lahko samostojna enota ali del samostalnika, glagola, pridevnika, prislova in celo medmeta) in na bese- dotvorni ravni. V desetzvezkovnem Dudnu je najti pet pridevniških pomenov leksema frisch. Pomensko sicer na videz sorazmerno omejeni frisch v nemških pridevniških zlo- ženkah pa v skladu s spremenljivostjo sveta poraja nove jezikovne izdelke (internetfri- sch je najbrž internetno „osvežen”?). Prva sestavina v pridevniških zloženkah na -frisch je v večini samostalnik. Nenavadno opazna je raba morfema/leksema frisch v lovstvu. Pomenska vezljivost med pridevnikom frisch in samostalnikom, ki mu sledi, je dokaj omejena in zato predvidljiva. Večpomenskost pri nemških pridevniških zloženkah na frisch- je redka, zožena je na besedilno zvrstnost. Frisch je lahko tudi del družinskih imen, pogosto pa se je pojavlja tudi v leposlovnih delih. Ključne besede: sestavina, pridevniška zloženka, pomenska vezljivost, lovstvo, od- zadnji slovar Linguistica_2019_FINAL.indd 70 9.10.2019 8:58:45