5 VORWORT Im Wintersemester 2020 fand an der Universität Ljubljana die Ringvorlesung „Dis- kursive Dynamiken“ mit internationalen Sprecherinnen und Sprechern statt, die den wissenschaftlichen Austausch zwischen den deutschen und slowenischen Geisteswis- senschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern anstrebte. Die Vorlesungen, die auch für die Öffentlichkeit in hybrider Form zugänglich gemacht wurden, begleiteten pra- xisorientierte Seminare für Studierende der Germanistik an der Philosophischen Fa- kultät. Im Anschluss an diese Veranstaltung entstanden das vorliegende thematische Heft „Methodische Zugänge zu digitalen Texten und Diskursen“, das vor allem me- thodische Vorgehensweisen und Herausforderungen mit Blick auf digitale Texte und Diskurse fokussiert, wie auch das Sonderheft „Diskursive Dynamiken“ in der sprach- wissenschaftlichen Zeitschrift Deutsche Sprache (voraussichtlich 2022, i. Dr.), in dem Fallanalysen zu konkreten diskursiven Dynamiken auf unterschiedlichen Ebenen in gesellschaftlich relevanten Diskursen versammelt sind. Im vorliegenden thematischen Heft sind neben den Beiträgen der eingeladenen Vortragenden der Ringvorlesung auch zwei Beiträge von einer angehenden Wissen- schaftlerin und einem angehenden Wissenschaftler publiziert, die von den praktischen Analysen in den erwähnten Seminaren profitierten. Die Herausgeberin verfolgte damit das Ziel, das ihr sehr am Herzen liegt, junge Germanistinnen und Germanisten an die Forschungspraxis heranzuführen. Die Vorträge sowie die sehr wertvollen Didaktisie- rungen für Studierende der Germanistik machten deutlich, wie vielfältig sich die me- thodischen Herangehensweisen bei der Untersuchung von digitalen Texten und Dis- kursen mit Blick auf beteiligte Diskursakteurinnen und -akteure gestalten und welche neuen Perspektiven dadurch auf sprachliche Kommunikation entstehen (vgl. Lobin in diesem Band). Des Weiteren wurde ersichtlich, welche Analyse- und Annotationspro- gramme Forschende nicht nur bei den quantitativen (z. B. AntConc, Sketch Engine, COSMAS II), sondern auch bei den qualitativen, multimodalen Untersuchungen unter- stützen können (z. B. MAXQDA). Mit Blick auf das Analysekorpus wurde zum einen die Wahl zwischen bestehenden großen elektronischen Korpora (z. B. das Deutsche Referenzkorpus (DeReko) oder British National Corpus (BNC)) und selbst gebauten, an die Forschungsfrage angepassten kleineren Korpora hervorgehoben. Bei letzteren standen zum anderen die sorgfältige Wahl des Analysekorpus (als eines repräsentati- ven Diskursausschnitts) und die Vorbereitung digitaler Analysetexte für die Analyse mit oben genannten Analyseprogrammen im Vordergrund. Insgesamt wurden dadurch die Forderungen der jüngeren linguistischen Forschung nach einer Kombination von qualitativen und quantitativen Zugängen relevant gesetzt, sei es, dass qualitative Ana- lyseergebnisse durch quantitative Ergebnisse untermauert werden oder dass quantita- tive Analysen den Ausgangspunkt für weitere qualitative Analysen darstellen. Zudem wurden auch die Forderungen nach der Überprüfbarkeit der Analyseergebnisse hervor- gehoben, indem Suchanfragen expliziert und annotierte Korpora für weitere Forschung frei verfügbar gemacht werden. Linguistica_2021_FINAL.indd 5 31. 03. 2022 09:31:09 6 Das thematische Heft wird durch den Beitrag eröffnet, in dem die in der linguisti- schen Forschung am wenigsten bekannten und verbreiteten Netzwerkanalysen darge- stellt werden, die eine neue Perspektivierung der sprachlichen Kommunikation ermög- lichen. In diesem Beitrag gibt Henning Lobin, wissenschaftlicher Direktor am Institut für Deutsche Sprache (IDS, Mannheim), zunächst einen Überblick über sprachliche Netzwerke und legt die Möglichkeiten zur Analyse dieser Netzwerke dar. Dazu werden zunächst drei Typen von sprachlichen Netzwerken prägnant vorgestellt. Anschließend wird das grundlegende Instrumentarium der Netzwerkanalyse aufgegriffen und erläu- tert, was die Anwendung dieser Methoden auf sprachliche Netzwerke für Zugänge er- öffnen kann. In einem abschließenden Teil werden zudem Arbeiten genannt, die kom- plexere Methoden für sprachliche Netzwerke verwenden. Eva Gredel (Universität Duisburg-Essen) zeigt in ihrem Beitrag auf, wie komplex Diskursfragmente des digitalen Diskursraums YouTube sind und welche methodischen Zugänge für die diskurslinguistische Analyse von YouTube-Daten angemessen und rele- vant sind. Dies erläutert die Autorin anhand der Analyse etablierter Kampfmetaphern als multimodalen diskursiven Einheiten, wie sie in einem wissensvermittelnden Erklärvideo zum Thema der COVID-19-Pandemie und im anschließenden Kommentarforum vor- kommen. Hierbei kombiniert sie diskurssemiotische Zugänge mit Ansätzen der (multi- modalen) Interaktionsanalyse, um Kampfmetaphorik im Erklärvideo zu untersuchen, und schlägt für die ergänzende Analyse des Kommentarforums korpuslinguistische Verfah- ren wie Kookkurrenzanalysen und N-Gramm-Analysen vor. Saša Kralj und Janja Polajnar (Universität Ljubljana) erläutern in ihrem Bei- trag, wie man Themendynamiken aus kontrastiver, diskurslinguistischer Perspektive untersuchen kann. Der Analyse thematischer Konstituenten der jeweiligen Teilthemen werden selbst konstruierte Analysekorpora aus Kommentarforen deutscher, österrei- chischer und slowenischer Online-Zeitungen zugrunde gelegt und zunächst qualitativ und anschließend quantitativ mit dem Analyseprogramm AntConc untersucht (Kon- kordanz-, Kookurrenz-, Kollokationsanalysen u.a.). Während mit der qualitativen Ana- lyse die Themenkonstituenten mit Blick auf Themenentfaltung und Akteure untersucht werden, können mit AntConc ihre Serialität (Umfang und Vorkommen im Diskurs- verlauf) visuell zugänglich gemacht sowie ihre Kontextsensitivität (Kollokatoren) und Sequenzialität ermittelt werden. Derya Gür-Șeker (Universität Duisburg-Essen) untersucht in ihrem Beitrag den sog. #ZukunftderArbeit-Diskurs in den Sozialen Medien Instagram, YouTube und Facebook, beschränkt sich bei der Analyse jedoch auf die Sprachebene. Das mithilfe des Hashtags #ZukunftderArbeit und des Suchworts ‚Zukunft der Arbeit‘/‚Künstliche Intelligenz‘ eruierte Diskurskorpus wird mit Blick auf die Meinungen der User/-innen zur Rolle der Digitalisierung und der Künstlichen Inteligenz auf die Arbeitswelt dis- kurslinguistisch, d. h. wort- und kontextorientiert analysiert. Hierfür werden quantita- tive und qualitative Zugänge kombiniert. Ausgehend von quantitativer Analyse und dadurch gewonnenen frequentiv dominierenden Diskurssträngen erschließt die Autorin in einem nächsten qualitativen Schritt Kontexte sowie Regelhaftigkeiten und Einstel- lungen in Bezug auf die Zukunft der Arbeit wie auch sprachliche Charakteristika des untersuchten Diskurses (Fachsprache, Anglizismen). Linguistica_2021_FINAL.indd 6 31. 03. 2022 09:31:09 7 Aneta Stojić und Nataša Košuta (Universität Rijeka) legen in ihrem Beitrag eini- ge Ergebnisse aus dem umfangreichen Projekt zu deutschen, kroatischen, englischen und italienischen metaphorischen Kollokationen dar. Sie zeigen auf, wie metaphori- sche Kollokationen im interlingualen Vergleich mithilfe von Sketch Engine aus gro- ßen digitalen Korpora eruiert werden können. Nach der korpusbasierten Erhebung von Kollokationen werden diejenigen Wortverbindungen manuell selektiert, die eine meta- phorische Umdeutung eines Bestandteils aufweisen. Die ermittelten Daten liefern zum einen prototypische Muster metaphorischer Kollokationen, die als Grundlage für eine Typologisierung dienen, und geben zum anderen wertvolle Einsichten in die Metapho- risierungsprozesse in einer interlingualen Perspektive. Andrej Podobnik (Universität Ljubljana) untersucht in seinem Beitrag Ausdrucks- möglichkeiten der Dualität im Englischen und Deutschen, die keine Dualparadigmen aufweisen. Die Untersuchung des aktuellen Gebrauchs von relativ vielfältigen Dual- ausdrücken in beiden Untersuchungssprachen erfolgt mithilfe von Sketch Engine und COSMAS II anhand von großen elektronischen Korpora: British National Corpus (BNC), English Web 2015 (enTenTen15) für das Englische und German Web 2013 (de- TenTen13), das Deutsche Referenzkorpus (W – Archiv der geschriebenen Sprache und TAGGED-C) für das Deutsche. Die Ergebnisse der korpusbasierten Analyse zeigen, dass Dualausdrücke in beiden Sprachen einzigartige und alltägliche Formen einschlie- ßen, die untereinander viele Ähnlichkeiten wie auch Unterschiede mit Blick auf die Häufigkeit und die plurale bzw. duale Konzeptualisierung aufweisen. Uršula Krevs Birk (Universität Ljubljana) fokussiert in ihrem Beitrag ausgewählte zweisprachige deutsch-slowenische Toponymika. Anhand exemplarischer qualitativer Analysen repräsentativer digitaler Texte (z. B. Online-Wörterbuch slowenischer Ex- onyme, Kärntner Online-Ortsnamenbuch, das elektronische Korpus des Slowenischen Giga 2.0 usw.) zeigt die Autorin bei verschiedenen Namenpaarentypen, d. h. Namen- paaren im zusammenhängenden deutschen Sprachraum, im slowenischen Sprachraum oder in deutsch-slowenischen gemischtsprachigen Gebieten, aus synchroner Sicht dis- kursive Dynamiken mit Blick auf ihren Status als Namen- und Kulturgut auf. Ferner verweist die Autorin auf weitere Analyse-Möglichkeiten digital zugänglicher Namen- paare aus kontrastiv- und kulturlinguistischer, translatologischer, etymologischer, wie auch sozio- und diskurslingusitischer Perspektive. Die vorliegende Publikation wie auch die am Anfang erwähnte Ringvorlesung wur- den von der Herausgeberin konzipiert und organisiert sowie von mehreren Akteurinnen und Akteuren sowie Institutionen großzügig unterstützt: in erster Linie vom DAAD, fer- ner vom Präsidenten des Alexander-von-Humboldt- und DAAD-Alumni-Vereins Slo- wenien, Ao. Prof. Dr. Sašo Jerše, und der damaligen DAAD-Lektorin an der Abteilung für Germanistik, Dr. Kristina Lahl, sowie von der Philosophischen Fakultät in Ljubljana. Ljubljana, 8. Februar 2022 Janja Polajnar Linguistica_2021_FINAL.indd 7 31. 03. 2022 09:31:09