^^/ ^MMP Die Malau^Inseln im Stillen Ocean. Reiseerlebnisse Aarl Semper, W,"u'M,rss. ^Nit Nütt' lithoiimphirls» ?unl!', Leipzig: F. Ä. V r u ck h n u o. Die Palau-Inseln im Stillen Ocean. Die P a l au-Inseln im Stillen Ocean. Reiseerlebnisse von Aarl Zemper, Professur dl'r Zliologio uud Ul'r^leicheuden Ana^nnn' a» d^v Universität Würi!l)M'!i. Nil nncr silhogmphirleu luule. Lcipziss: F. A. Brockhaus. 187Z. Nas Recht dcr Uebcrsctzuug ist vorbrhaltcn. Meinem lieben Weiße. Nie Mütter haben das Kind ihrer größten Schmerzen am liebsten. Als ein solches lege ich, mein liebes Weib, heute dieses Buch in Deine Hände. Wer es mit Aufmcrsamkeit liest, wird erkennen, was Dn um mich, den Verschollenen, durch Wochen, Monate in banger Erwartung gelitten hast: solchen Kummers Frncht biete ich heute Deiner Liebe an. Dein ist dies Buch; hältst Du es werth, so hat es seinen Zweck erfüllt und damit auch den meinen: Freude Dir zu bereiten als Ersatz für alles Leid, das Du damals durch mich erfahren hast. < Vorwort. Die zufällige und innige Verkettuug meiuer eigenen Reiseerlebnisse mit den Schicksalen eines in letzter Zeit arg heimgesuchten sogenannten wilden Völkchens im Stillen Ocean, der Palau- oder Pelew-Insulamr, hat dem vorliegenden Buche seine Form gegebeu. Abweichend, wie sie von der gewöhnlich in Reisebeschreibungen angewendeten ist, glaubte ich doch durch keine audere Darstelluugsweise der doppelten Forderung gerecht werden zu können: weder die freundlichen Mikronesier, noch den Fremdling allzu sehr zu begünstigen. Das letztere war leicht, das erstere viel schwieriger; denn es galt, aus der Unzahl einzelner Beobachtungen das Wesentliche ausznsondern und den Stoff derart zu vertheilen, daß nicht durch Wiederholungen der Leser ermüdet oder durch Unbedeutendes gelangweilt werde. Ueber die auffallenden Sitten und Gewohnheiten, den Charakter und Culturzustand dieses Volks habe ich getreulich alles mitgetheilt, was ich selbst gesehen und erlebt; was ich von andern erfahren, wnrde mit Vorsicht benutzt. Der Wunsch, die Bewohner der Palau-Inseln nicht beschreibend zu charaktcrisiren, sondern sie in lebendigen Gestalten,, in Charakteren dein Leser vorzustellen, zwang mich, sie oft redend einzuführen. Wörtlich übersetzen läßt sich ihre Sprache nicht, im Deutschen nachahmen ebenso wenig: dabei hätten vielleicht Fritz Neuter oder Franz von Kobell eine schlechte Copie von sich gefunden. Es blieb mir nichts übrig, als sie VIII Aorwovt. gutes Deutsch sprechen Zu lassen; doch versuchte ich, Gcdanten-gang und Satzfolge so zu bilden, daß damit zwar uicht der Bau der Sprache sklavisch nachgeahmt, wohl aber deren Cha-, rakter angedeutet würde. Sollte mitunter jemand fragen, wie es denn möglich sei, daß Wilde so gebildet sprächen: so frage ich dagegen, ob er denn wirtlich glaubt, alle Wildeu seien so über einen Leisten geschlagen, daß bei ihnen nicht auch Ab-stufuugen der Charaktere und der Begabung vorkommen könnten wie bei gebildeten Völkern. Die im Text nur flüchtig berührte Frage nach den Ursachen des Aussterbens der Insulaner sowie die nach ihrem Namen und ihrer ethnologischen Verwandtschaft habe ich in dcn beiden Nachträgen etwas ausführlicher behandelt, als dort geschehen konnte. Doch habe ich auch hier mich jeder weitläufigen wissenschaftlichen Erörterung enthalten, um nicht den Anhang gegenüber dein eigentlichen Text allzu sehr anschwellen zu lassen. Auf der bcigegebenen Karte ist die Reiseroute vun Manila uach den Palaus und zurück durch eine punktirte und mit Pfeilen bezeichnete Linie angedeutet. Als Vorlage diente die bekannte Morata-Coello'sche Karte von den Palaus; daher ist auch die spanische Bezeichnung IM für Iuscl beibehalten worden. Die Namen der Inseln uud Dörfer dagegeu, welche im Texte vorkommen, sind so geschrieben, wie sie, bei deutscher Aussprache der Buchstaben, dort auf den Palaus gesprochen werden; nur das tA ist englisch auszusprechen. Die Form der Insel Babel-thaub wurde nach einer von mir in der Umgegend von Aibukit vorgenommenen Aufnahme den frühern Darstellungen gegenüber wesentlich verbessert. Würzburg, im September 1872. Der Verfasser. Inhaltsverzeichnis;. Sett? Vorwort........................ Vü I. Von Manila nach den Palan-Inseln........... 1 II. Erster Aufenthalt am Lande. Dcr Angriff auf Aibukit und der Fricdcnöschlnß................ 33 III, Ich zahle Lehrgeld................... 71 IV. Ich werde selbständig................... 103 V. Wanderleben..................... 132 VI. Krciangcl...................... 15>5i VII. Getäuschte Hosfnnngen................. 1^6 VIII. Era Tabattcldi«......^.............. 210 IX. Reise nach Corörc................... 224 X. Nnckkchr nach Nibntit nlld zwcitc Reise nach dem Süden , . 25>5> XI, Pelelin....................... 281 XII, Pclelin (Fortsetznng) , ............... , , 308 XIII. Ructkchr nach Manila. Die Katastrophe......... 341 Nachtrag I. Ueder das Anssterbcn der Palau-Insulaner , , , . 350 Nachtrag II. Name nnd Stammvenvandtschaft dcr Palan-Insnllincr 35>6 I. Von Manila nach den Palau Inseln. Es war im Mai des Jahres 1859. Von Lugban, einem-hoch am nordöstlichen AbHange des erloschenen Vulkans Vanajao auf Luzon liegenden Bergdorfe, aus ritt ich auf schlechtem, aber wunderbar schönem Wege nach Mauban zu. Ehe ich diesen an der östlichen Küste liegenden Ort erreichte, bot mir noch in ziemlicher Höhe eine Windung des Weges den ersten Blick auf den Stillen Ocean, dessen langgestreckte Wogen sich an den Nissen des Ufers brachen, während er im Horizont mit dem Himmel zu verschmelzen schien. Die Bewegnng des Seeganges war nur an dem Schaum der Küste zn erkennen; und das Meer selbst schien gänzlich ruhig dazuliegen, in der That ein stiller Ocean, auf dessen weiter Fläche kein Boot, kein Schiff zn erblicken war. Aber der unbegrenzte Horizont setzte meiner Phantasie kein Hinderniß entgegen; weiter und weiter nach Osten zu schweifte mein Blick in die Ferne, und je weiter er drang, um so bewegter schien mir auch das Leben des Meeres zu werden. Zunächst traf mein Ange die Marianen, unter denen mir Tinian in der Erinnerung an Anson's warme Schilderung tiefe Sehnsucht erweckte, während von südwärts her die kraushaarigen dunkelbraunen Bewohner der Caroline« gastlich Zn winken schienen. Scmper. 1 2 I. Von Manila nach den Palcm-Insrln. Abba Thules^) und Lecboos freundliche Gestalten zogen, bedeutungsvoll lächelnd, an mir vorüber; aber auch grause Mord-scenen zwischen Farbigen und Weißen traten mir vor das Auge. Bald sah ich die Fidji-Insulaner den gctödteten Feind als Sühnopfer verzehren, während von ihrer heimatlichen Insel vertriebene Bewohner der Samoa-Inseln nach Tonga und Nenseeland absegelten, bis plötzlich ein großartiger AuZbruch des Mauna-Roa das Bild zerstörte, das sich mir so in der Fülle des tropischen Lebens und mit geschichtlichen Erinnerungen verwebt entroll! hatte. Verlangen nach den wunderbaren Korallcninseln des Stillen Oceans erfaßte mich mächtig, und ich gelobte mir, leine Gelegenheit unbenutzt vorübergehen zu lassen, wenigstens einen kleinen Zug aus dem übervollen Freudenbecher zu thun, den ich dort zu meinen Füßen so unermeßlich weit ausgebreitet zu sehen wähnte. Mit diesem Entschluß, einige Inseln des Stillen Oceans kennen zu lernen, kehrte ich nach Manila zurück. Äald schien sich mir eine treffliche Gelegenheit zu bieten. Ich erfuhr durch einen Freund, daß ein englischer Kapitän, Namens Eheyne, soeben mit einer Ladung Trepang '^) von einer den Spaniern längst bekannten Inselgruppe, den Palaos (i'elLn-iäi-iuäk der Engländer, besser Palau-Inseln), angekommen sei uud nach Verkauf derselben möglichst rasch wieder dahin zurückzukehren gedenke. Zwar lagen diese Inseln noch ziemlich nahe an den Philippinen und schienen so von keinem besondern Interesse; aber da ihr^ Bewohner sicherlich einer ganz andern, der tagalischen, ganz fern stehenden Nasse angehörten und ihre Varrierenriffe mit den durch sie eingeschlossenen Kanälen und Lagunen reiche zoologische Ernte '") Siehe das Buch uou Kcate (Wilson), ,,.Vn ^count ol' tds I'«l6',v Island" (London l?83), das seinerzeit großes Aussehen erregte und auch in Deutschland viel gelesen wurde. *^) So heißen die für den Handel nach China zubereiteten Holothuricn,, eigenthümliche fast wurmartige Thiere cmS der Klasse der Echinodcnncn. Rcifcplaue. 3 versprachen, so verschaffte ich mir eine Empfehlung an diesen Kapitän. Ich besuchte ihn an Vord seines Dreimasters. Er empfing mich freundlich, fast zu sehr, war gleich bereit mich mitzunehmen und deutete mir sogar an, daß ich mit ihm reisend wol auch im Handel mit den Eingeborenen, den er mir gestatten wolle, einigen Ersatz für meine Reisekosten würde finden können. Dennoch wies er mich nachher mit einigen Entschuldigungen ab. Ich vergaß bald diese Enttäuschung während einer gleich danach unternommenen Reise nach dem südlichsten Punkte der Philippinen, nach Zamboanga und Basilan; und ich vergaß Eheyne um so leichter, als ich bei meinen Erkundigungen nach dem Trepanghandel mit den Palaos in Erfahrung gebracht, daß noch andere Kapitäne von Zeit zu Zeit in Manila einzulaufen pflegten, welche vom Stilleu Ocean herkämen, daß ich also leicht zu einer andern Zeit den ungern aufgegebenen Plan würde ausführen können. Jahre vergingen nun. Rastlos wandernd, bald zu Fuß, bald zu Pferde, odor im Boot, durchzog ich das nördliche Luzon nach allen Richtungen, bis mich endlich im October des Jahres 1861 eine langgenährte aber nicht erkannte und unbeachtet gelassene Dysenterie so daniederwarf, daß ich die Reise uuterbrechend rasch nach Manila zurückkehren mußte. Meinen Diener Antonio Angara schickte ich weiter auf der begonnenen Reise, da ich hoffte, ihn in kürzester Frist wieder irgendwo im Norden treffen Zu können. Das Schicksal hatte es anders beschlossen. Dort in Manila, obgleich von treuen, liebenden Händen gepflegt und von einem geschickten deutschen Arzt behandelt, wurde ich des Uebels nicht Herr — und mitten in meinem Gram über die Unmöglichkeit meiner Weiterreise überraschte mich eines Tages meine Braut mit dem Worte, daß der Arzt eine Seereise drin« gend anrathe und daß sie bereits ein Schiff gefunden habe, welches in wenig Wochen nach den Caroline« absegeln solle! Alles war bereits mit dem Kapitän Woodin verabredet, ich 15 4 I. Von Manila nach den Palcm-Inseln. brauchte nur noch mein Wort zu geben, daß ich mich der auf höchstens vier bis fünf Monate berechneten Expedition anschließen wolle. Die sicher scheinende Aussicht auf Erfüllung eines meiner sehnsüchtigsten Wünsche gab meiner Spannkraft neue Nahrung — und ich entschloß mich leicht und gern zu einer Neise, die ich krank, nur' unvollständig ausgerüstet und ohne meinen treuen, erprobten Antonio antreten mußte, die aber zu einer der genußreichsten und zugleich mühseligsten meines ganzen Wanderlebens werden sollte! Kapitän Woodin, der Befehlshaber der Lady Leigh, cm alter englischer Seemann von echtem Schrot und Korn, empfing mich aufs freundlichste. Zwar bot er mir nicht an, wie Cheyne es früher gethan, dort neben ihm Handel treiben zu dürfen; ja, er verweigerte sogar seine Einwilligung, Aexte, Beile und eiserne Kochschalen, die dort auf den Inseln beliebtesten Artikel, zum Zweck des Eintauschens von Thieren mitnehmen zn dürfen. Aber gerade, diese Offenheit und die humane Gesinnung, die aus seinem nicht sehr geistreichen Auge sprach, nahmen mich für den Mann ein. Unter seiner Leitung besorgte ich denn auch meine Ausrüstung, obgleich ich mir namentlich in Bezug auf Lebensmittel, wie Chocolade, Biscuit, Thee, Plumpuoding und conservirtes Fleisch einige Ausschreitungen erlaubte; und es kostete mir einen kleinen Kampf, seine Einwilligung zu meinem Plane zu erhalten, außer einem nur für meine leiblichen Bedürfnisse sorgenden Diener, Alejandro, noch einen jungen Mestizen, D. Enrique Gonzalez, seines Zeichens ein angehender Malcr, mitzunehmen. Mit diesem letztern wollte ich einmal den Versuch wagen, ob nicht ein in der zu Manila 1859 gegründeten und unter der Leitung des trefflichen spanischen Malers D. MatiaZ de Sainz stehenden Malerschule (Uo^i ^^aonim äo pinwraZ) gebildeter Mestize, der Leitung seines Lehrers entzogen und selbständig arbeitend. Tüchtiges würde leisten können. Durch seine Hülfe hoffte ich eine Fülle ethnologischer Studien und Abfahrt der Lady Lcigh. 5 Porträts, ohne selbst viel Zeit an die Verfertigung von Skizzen verwenden zn müssen, sammeln, statt dessen aber meine ganze Zeit zu Beobachtungen aller Art und zum Fangen von Thieren verwenden zn können. Während ich theilweise die Anschaffung der Lebensmittel und der benöthigten Tauschartikel (Neis, Pulver und Flintenkugeln, weißer und rother Calico, Taschenmesser u. s. w.) dem Kapitän überließ, wendete ich die geringe mir noch zu Gebote stehende Zeit und körperliche Kraft dazu an, meine Gläser für die Neise einzupacken und alle nöthigen Vorbereitungen zu zoologischen Arbeiten zu machen. Endlich war alles bereit. Meiner Braut, die nun so nah vor der Trennung sich einer sorgenden Aengstlichkeit nicht ganz erwehren konnte, rief ich zum Trost noch die Scheideworte zu: „daß es ja nur eine Spazierfahrt zu nennen und etwa einer Neise von Deutschland nach Italien zu vergleichen sei"; und am letzten Tage des Jahres 1861 fuhr ich, eher heiter als trübe gestimmt, um 5 Uhr abends an Bord der Lady Leigh. Der kleine Schoner, von kaum 110 Tonnen Gehalt, lichtete um 6 Uhr die Anker. Aber schon die Neujahrsnacht brachte uns Unglück. Noch in der Bai von Manila, in der Nähe des Leuchtthurms der Insel Corregider, mußten wir ankern — das Schiff machte Wasser — und erst am 2. Januar konnte das Leck gestopft werden, denn Kapitän Woodin war ein energischer Seemann, aber auch ein frommer Engländer, der am Neujahrstag nur das eindringende Wasser auspumpen ließ, sonst aber nicht arbeiten lassen wollte. Mittags den 2. Januar fuhren wir fort, und nun ging es lustig bei frischem Winde zum Hafen hinaus, an Ambil vorbei in die Straße zwischen Mindoro und der Provinz Vatangas hinein. Hier wechselten stürmische Winde und Windstillen. Mochte nun bei dem heftigen Herumwerfen des kleinen und alten Fahrzeuges das frühere Leck wieder aufgesprungen oder ein neues entstanden sein, genug, wir mußten während dieser Tage wieder ziemlich stark pumpen und schließlich im Hafen von 6 I. Von Manila uach dm Palan-Inselu. BmiaZ am 7. Januar einlaufen, um das Schiff womöglich cincr gründlichen Reparatur zu unterwerfen. Die Einfahrt in den kleinen, aber sehr geschützten Hafen von Burias ist schmal und eng, durch die zahlreichen von Korallen bedeckten Untiefen in der Nähe der Ufer gefährlich und nnr bei gutem Winde und am Tage zu Passiren. Dadurch, daß diese kanalartige Lücke zwischen der eigentlichen Insel Bunas und der nach Westen liegenden Insel Busin sich in der Nähe der Hauptstadt des kleinen Districts bassinartig ausweitet, entsteht ein jeglichem Seegange fast gänzlich entzogener und auch gegen die Südweststürme wie gegen den heftigen Nordostmonsun geschlitzter Hafen. Doch wird er nur im Binnenverkehr von einiger Bedeutung sein können; denn er ist einestheils zu klein und der Eingang zu schwierig für große Schiffe, andererseits aber ist die Insel selbst von zu geringer Bedeutung und den Nachbarftrovinzen gegenüber zu ungünstig gelegen, um jemals zu einem Ausfuhrhafen nach fremden Ländern werden Zu können. Die Insel selbst, lang und schmal, hügelig aber sicher nicht im Mittel die Höhe von 800—1000 Fuß übersteigend (nach Schätzung), ist zum größten Theil bedeckt von Wiesen, die hier und da von mächtigen Waldnngen unterbrochen sind und Zahlreichen Ninderheerden Weide geben. Es ist die Zucht und die Ausfuhr der lebenden Kühe, hauptsächlich nach den Nächstliegenden Provinzen, die einzige Beschäftigung der nur einige hundert Tribnte") zahlenden Einwohner. Ursprünglich waren es ausschließlich militärische Sträflinge, die hierher geschickt wmden; sie siedelten sich hier an, und so entstand allmählich das kleine Gemeinwesen, das von *) Als,„Tribitt" bezeichnet man auf den Philippinen die Summe der Abgaben, welche zwci erwachsene Menschen zusammen zahlen; Kinder bis zu 10 Jahren und Greise über <>0 Jahren sind gänzlich srci. Die Zahl der Tribute gibt daher weniger als die Hälfte der Einwohner an. Kurzwcg bezeichnet mcin auch je zwei Menschen immer als einen Tribut; man fragt nicht, wie oielc „tridutants«" im Dorfe seien, sondern nur, wie uiele „tributos". Der Schwede Johnson. 7 eiuem Kapitän der Armee als sogenanntem Commandanten dcs Militärdistricts geleitet wird. Obgleich mm trotz des längern Lebens auf der See mein Unwohlsein nicht ganz gehoben, meine Kräfte noch nicht völlig wiederhergestellt waren, so konnte ich doch der Versnchung nicht widerstehen, der in den Annalen der Eonchologie berühmt gewordenen Isla Temple einen Besuch abzustatten. Der Commandant, selbst ein Schalenliebhabor, wnßte mir viel von dem Reichthum der kleinen Insel an Landschneckcn zu, erzählen; er besorgte mir ein Boot und Lente, nnd so fuhr ich denn, von einem ebenfalls als Passagier auf der Lady Leigh befindlichen Schweden, Namens Johnson, begleitet, am 9. Januar morgens dahin ab. Dieser Schwede war ein alter Bekannter dcs Kapitäns. Als Mr. Woodin in frühern Jahren noch reich und Besitzer mehrerer großen Schiffe gewesen war, welche alle zwischen Hobart-town, China und den Inseln des Stillen Oceans fuhren, war Johnson auf einem derselben als Kajütenjnnge angestellt gewesen. Unglückliche Speculationen zwangen Woodin, eins oder ?wei seiner Schiffe zu verkaufen, ein anderes wurde irgendwo in China condemnirt, und das, worauf Johnson fuhr, scheiterte beim Einlanfen in einen Hafen der Palan-Inseln. Es ging ihm wie so manchem europäischen Matrosen. Die Freundlichkeit der Eingeborenen gegen den kräftigen und jungen hübschen Menschen und die Achtung, in welcher unter jenen Wilden jeder noch so ungebildete Europäer steht, erleichterten ihm die Angewöhnung 5N ihr häusliches Leben, sodaß er gern das gezwungene Exil zu-cinem freiwilligen machte, als vorbeifahrende Schiffe seinen Gefährten und auch ihm die Rückkehr ins europäische Leben ermöglichen wollten. Hier fand ihn dann — ich weiß nicht nach Wie viel Jahren — sein alter Kapitän, der uuu verarmt wieder am Ende seiner Tage Zum abenteuernden Leben des handeltreibenden Seefahrers seine Zuflucht nehmen mußte; aber er fand ihn schon halb als Eingeborenen, kaum noch fähig, seine ß I. Pon Manila nach dcn Palau-Inscw. Muttersprache correct zu schreiben, schwach und krank, sodaß er ihm aus Mitleid freie Passage nach Manila gewährte, um ihm durch bessere Nahrung und weniger ausschweifendes Leben wieder zu Kräften zu verhelfen. Sein Plan freilich, ihn seinem Vaterlande wieder zn gewinnen, schlug fehl. Mochte Johnson wirklich sein den Eingeborenen gegebenes Wort, wieder Zurückzukehren, heilig halten, wie er vorschützte; oder glaubte er, verleitet durch die Ehrfurcht, die er als Weißer genoß, „der Erste in dem kleinen Ländchen" werden zn können — genug, er kehrte mit uns ^wieder nach den Palaus zurück. Mir war natürlich ein Europäer, der, irre ich nicht, schon vier oder fünf Jahre mit den Bewohnern gelebt, ihre Sprache erlernt und manche ihrer Gebräuche und Sitten mit offenem Auge, wie mir damals schien, beobachtet hatte, ein angenehmer und nützlicher Reisegefährte; ein angenehmer, denn die Hoffnung, wirklich gebildete Begleiter zu finden, hatte ich längst aufgegeben, und ein nützlicher, denn wäre er mehr das gewesen, was er zu scin schien, so hätte ich sicherlich nicht so sehr mit meinen eigenen Augen sehen gelernt, als ich es nachher that. Wir kanten auf der Insel Temple nach ruhiger und bequemer Fahrt an. Schon in ziemlicher Entfernung fahon wir am Meeresgrunde zahlreiche Korallen, in wunderbaren Gestalten und prangend im prächtigsten Farbenschmuck, regellos durcheinander wachsend, dem langsam ansteigenden Meeresboden folgen, ohne ein eigentliches durch schäumende Wogen— die sogenannten Brecher — bezeichnetes Korallenriff zu bildeu. Nur an einigen vorspringenden Punkten am Südende der Insel brachen sich die unbedeutenden Wellen, die der leichte und wechselnde Wind erhob. Aus dem so gauz allmählich vom Mcercsgruude emporwachsenden Korallenboden, der aber bis einige Fuß unter die tiefste Ebbelinie von größtentheils abgestorbenen Korallen gebildet ward, stieg die niedrige, ganz aus Korallentalk und cinem Conglomerat von Korallenfragmenten, Muscheln und Sand Isla Temple. 9 gebildete Insel in steilen Klippen empor. Nur an geschützten Stellen, Buchten und Einschnitten war das Gestein unter Korallensand begraben, während an den vorspringenden Punkten die Klippen einen durch die Brandung ziemlich tief ausgewaschenen Fuß zeigten. Nirgends war eine Spur eruptiven Gesteins zu bemerken. Ueberall mit ziemlich dichtem Wald bedeckt, unter dessen Bäumen vor allem diej herrlichen Barringtomen (Palo Maria) nnd die unschönen, aber charakteristischen PandanuZarten auffielen, stieg die Insel zu höchstens (schätzungsweise) 30—40 Fuß über dem Meeresspiegel an. Das Wetter war köstlich während der zwei Tage, die ich dort zubrachte — im Sinne des Touristen; denn mir, der ich mit Schmetterlingsnetz nnd Schachteln ausgerüstet war, schien die Trockenheit, welche schon seit langer Zeit hier geherrscht haben mnßte, nach dein verstaubten und vertrockneten Aussehen der Blätter zu urtheilen, ein ungünstiges Zeichen für die gehoffte Ernte. In der That sing ich denn auch fast gar keine Insekten, während ich doch im Jahre vorher zur selben Zeit in den ewig feuchten tiefen Schluchten der Gebirge in Central-Luzon viele der schönsten Schmetterlinge erbeutete. Dennoch aber füllten sich die Bambusrohre, welche mir auf meinen Reisen seit lange die Schachteln und Körbe ersetzten, rasch mit zahlreichen von den Banmblättern abgelesenen Landschnecken, welche iil allen Altersstufen vertreten waren. Hier fand ich Eierhaufen in wie Düten zusammengedrehten Blättern; dort krochen die kleinen durchscheinenden Thierchen muuter herum, während für die grüngebänderten oder roth- und gelblich-gesprenkelten halb oder ganz erwachsenen Thiere der Wonnemonat gekommen zu sein schien. Nie aber erstaunte ich erst, als ich am 11. Januar, schon anf der Rückfahrt begriffen, auf einer kleinen zwischen Temple uud Busin liegenden Insel landete! Hier waren fast buchstäblich die Bäume mit Schnecken bedeckt. In weniger als drei Stunden sammelten wir mehr als 1200 Stück durch Schütteln der Bänme, wobei natürlich immer 10 I. Van Manila nach dell Palan-Inseln. nur ein Theil der Thiere herabfiel; aber die einzelnen Bäume zu ersteigen oder ihre Aefte auch nur herabzubiegen, war eine zu große Mühe, da wir durch einige rasche Stöße an den Baumstamm mehr Exemplare auf den Boden brachten, als wir nachher wieder auflesen konntet«. Auch unter diesen, die alle einer einzigen Art angehörten, fanden sich sämmtliche Altersstadien vom Ei bis zum ausgewachsenen Thiere vor. Ganz anders zeigte sich das Verhältniß in Bunas selbst, wo ich am 11. Januar abeuds wieder eintraf. Obgleich die nächste hügelige Umgebung des Hafens von Bunas ") aus gehobenem Korallenkalk und Schichten desselben Kalkconglomerats bestand, welches ich auch auf Temple beobachtet hatte, so fanden sich hier doch weder genan dieselben Arten als dort, noch auch dic vor-haudencn in so großer Individuenzahl. Dagegen flogen hier, wenn auch spärlich, doch mehrere Arten von Schmetterlingen, und auf den Büschen erhäschte ich manche Insekten, während ich von Temple dcren fast gar keine mitbrachte. Da sich nun aber mein altes Uebel durch einen leichten Anfall bei mir wieder in Erinnerung gebracht hatte, so folgte ich dem Rathe des Kapitäns, ^) Die genannten nnd noch einige andere in dcr Nähe liegende Inseln sind durchweg niedrig, die Hügel selbst aber dicht am Mccrc oft sehr schroff aufsteigend. Dicsc Felsen bestehen ans einen: Konglomerat einer Unzahl vor. solchen Mnschel- nnd Korallcnfragmenten, wie man sie jetzt noch am Ufer aller dortigen Koralleninscln findet. Die einzelnen Theile des Conglomerats werden dnrch einen stark lalthaltia.cn Kitt zusammengehalten, nnd daö Gestein, häufig weiß, nimmt dnrch den .Kitt ost, so namentlich bei der Stadt Vnrias und an der Noroseitc der Insel — die deshalb anch Pnnta Colorada, d. h. rothe Spitze genannt wird — eine rothbranne oder selbst schwärzliche Färbung an. Bei Vnrias an der Slidostseitc des Hafens steht ein brauner grobkörni-ger harter Sandstein an mit sehr zahlreichen Schalen von Ostrcen nnd Pecten, sowie zahlreichen Fragmenten van Echinidenstacheln, aber fast ganz ohne alle Crphalofthorcn. Alle Inseln, namentlich die kleinern, tragen den deutlichsten Charakter allmählicher Anflösnng; einzelne abgerissene Felsblöcke, die auf schmaler Basis stehen — Resultat der Ansfrchnng dnrch die Brandnng — zeigen deutlich die Fortsetzung correspondirender Schichten an den ihnen benachbarten Inseln. Die Schichten lagern fast ganz borizoutal. Abreise und Calincn. 11 unterließ die Landercursioncn und brachte die Tage, welche wir noch zur Reparatur des lecken Schiffs dort verweilen mußten, mit gelegentlichen Untersuchungen von Meerthicren und einem unter dem Tropmhimmel so glücklich machenden cloleo tar luonts zu. Das Leck war, wie die fortgesetzte Arbeit des Kapitäns zeigte, gefährlicher gewesen als er gesagt nnd wir geglaubt hatten. So konnten wir erst am 21. Januar, nachdem wir also volle 14 Tage in Bnrias zugebracht hatten, nachmittags 3 Uhr den Anker lichteu. Ein frischer Nordostwind brachte uns rasch zur südlichen Oeffnuug des Kanals heraus, um die Südspitze der Insel herum, und in der Nacht des 24. Iannar kamen wir bei leichten Winden in der Straße von S.-Bernardino bei der Insel gleichen Namens an.' Die bis dahin vergleichsweise raschc Mse mit dem altersschwachen Schiff hatte mir hinreichende Äeschäftiguug und Abwechselung in der Betrachtung der zahllosen Inseln gebracht, sodaß ich leicht den unbehaglichen Eindruck überwand, den mir das, wie nur schien, nach jener langen Reparatur in Burias allzu häufige Auspumpen des Grundwassers verursachte. Wer jemals in einem stark Waffer machenden alten Schisse gereist ist, weiß, was für verpestende Gerüche das Auspumpen eines solchen in den Kajüten verbreitet; nud obgleich meine empfindliche Nase, ein väterliches Erbtheil, um welches mich meine Fran später noch oft unglücklich schalt, sehr darunter zu leiden hatte, so vergaß ich doch leicht alles, nnangcnehmes Geräusch uud Gerüche und den Gedanken daß das Meer keine Balken hat, in der Hossnnng einer raschen Fahrt nach den Inseln des Stillen Oceans. Abermals getäuschte Hoffnung! Cahnen, conträre Winde und heftige von Osten her zur Straße S.-Bernardino entsetzende und täglich etwa 18 Stunden lang anhaltende Strömungen bannten unser Schiff fast wie auf Einen Fleck und gaben mir nun Gelegenheit, wich etwas mehr der Unterhaltung mit meinen Schiffsgenossen M widmen, als ich es bisher gethan. 12 I- Von Manila nach dm Palau-Insclu. Wie ich auf meiner Reise um das Cap aus Langeweile fast die ganze Reise verschlief, so fing ich nun an aus dem gleichen Grunde mit dem alten Woodin, Johnson, seinem Steuermann Mr. Barber und einem kleinen Palau-Insulaner, Namens Cordo, zu plaudern. Gern hätte ich neben der geistigen Nahrung auch noch etwas mehr leibliche erhalten, als ich wirklich bekam. Im Anfang der Neise zwar waren wir ziemlich reichlich bei Tische versehen, aber das dauerte nicht gar lange. Während wir früher mittags und abends jedesmal wenigstens ein Huhn nebst eingemachtem Fleisch, Gemüsen u. s. w. erhalten, wurde bald nur noch ein warmes Mittagsmahl gemacht, zu welchem ein Huhn gewöhnlich die Suppe, Braten und den in indischen Gegenden so allgemein verbreiteten „ourr^" für sieben Personen abgeben mußte. Je länger aber die Neise dauerte, um so stärker wurde mein Reconvalescentcnhnnger, den ich nun in Ermangelung eines guten Mittagsmahls mit Chocolade, vielein Zwieback und einsam verzehrten in Blechdosen mitgenommenen geräucherten Zungen und Würsten zu stillen versuchte. Woodin war dabei immer sehr um meinen Appetit besorgt. Wie oft sagte er mir nicht, wenn nur noch ein Unterschenkel des Huhns im Reis versteckt lag: „Hier, Dr. Semper, nehmt dies gute Stück vom Huhn — upon M7 soul. Ihr eßt nicht wie Ihr thun solltet." Nun, dachte ich bei mir, der Mann hat wol eigenthümliche Ansichten, wie man einen heißhungerigen, kaum vom Tode erstandenen Genesenden behandeln soll, vielleicht spart cr mir alle die Leckerbissen, die er damals in Manila mitzunehmen versprach, für spätere Zeiten auf, wenn ich besser im Stande sein werde, als Gastronom mich an die Arbeit ihrer Vertilgung zu machen. Dennoch, ich leugne es nicht, sehnte ich mich mitunter nach diesen sicherlich im Raume versteckten Fleischtöpfen, von denen ich hin und wieder einen reizenden Vorgeschmack durch die Gunst des Steuermanns erhielt, den ich mir zum Freunde gemacht und der bisweilen einen derselben in das gewöhnliche Mittagsessen von Cordo. 13 Reis, Huhn, Erbsen und Speck einschmuggelte. Ich erinnerte eines Tages, gerade als mich mein Heißhunger plagte, Mr. Varber an Woodin's Versprechungen. „Ja", meinte dieser lachend, „die Liste hatte Woodin allerdings entworfen, es waren zwei Folioseiten voll trefflicher Gerichte, die von Ihrem theuern Passagegeld gekauft werden sollten. Der Kapitän hatte die beste Absicht mit Ihnen. Aber dann that ihm wieder das viele Geld leid; und nun wurde Tag für Tag etwas von der Liste als überflüssig gestrichen, bis endlich fast keine Nummer auf dem Papier mehr stehen blieb. Ihr habt gut gethan. Euch selbst zu ver-proviantiren." „Aha, nun verstehe ich, darum fordert er mich immer des Mittags auf, so ängstlich um meinen Appetit besorgt, auch noch die Knochenrcste des Hühnchens zu verzehren; er fürchtet, ich könnte Sie veranlassen, zum Abend doch wieder eins dieser seltenen Gerichte zum Vorschein zu bringen! Nun, da werde ich mich wol auf die Palau-Insulancr verlassen müssen, nicht wahr, mein Cordo?" Damit wandte ich mich, wie ich oft und gern zu thun pflegte, diesem kleinen muntern Burschen zu, der, nm sich Manila anzusehen, als Passagier mitgegangen war und, voll von Bewunderung des europäischen Lebens und der Männer des Westens, der ,Miüä-ai^m^dai'ä", der großen Städte und der zahllosen Schiffe, der Uniformen der Soldaten und der hoch auf-getreppten Häuser, nun nach seiner Heimat zurückkehrte, brennend vor Sehnsucht, all das Gesehene seinen Freunden schildern zu können. Aufmerksam, sinnenden Auges hörte er zu, wenn ich lhm diese oder jene Frage beantwortete, oder ihm irgendeine gerade seinen Blick fesselnde Erscheinung zu erklären versuchte; aber lebhaft in seinen Worten und feurigen Blickes wurde er erst, wenn er mir nun von seiner Heimat erzählte, und wie sich seine Mutter, die Frau des Krei, und seine gleichalterigen Freunde alle freuen würden, ihn wiederzusehen und von ihm zn hören, Wie das Land des Westens, „anFawi-ä", doch so gar wunderbar sei. 14 I- Von Manila nach dcn Palcm-Iuscln. In seinem gebrochenen Englisch theilte er nur manche Notiz über die Verhältnisse seines Heimatdorfes Aibukit mit, die mir erlaubten, nach meiner Anknnft mich rasch zu orieittiren. Auch Johnson, der als Passagier an Vord nichts zn thun hatte, erzählte mir während unserer langweiligen Irrfahrten in der Straße S.-Bernardino und an der Nordküste von Samar gar manches über die Sitten der Eingeborenen, ihre Kriege, ihr staatliches Leben, ihre Sagen und religiösen Gebränche.'-) '5) Zur vorläufigen Oricnnrung mac; hicr kurz Folgendes bemerkt werden: Trotz der Kleinheit des Areals sind doch die Bewohner der Inseln in eine große Menge einzelner mehr oder mindcr selbständiger Staaten geschieden, nnd oft bestehen diese, wie z. V. der Staat Eorörc, nnr aus einer einzigen kleinen Insel, mit zwei oder drei Dörfern, denen dann hänsig eine ganze Mcuge anderer oft größerer Staaten verbündet sind. Doch stehen anch diese immer in einem gewissen Vasallenvcrhältniß, das sich freilich nicht tnrz in cmer für nns recht verständlichen Weise bezeichnen läßt. Ohne daß solche Vasallenstaaten gcradc einen Tribut zn zahlen brauchen, sind sie doch in gewisser, später zn erörternder Weise an das leitende Reich gcbnndcn, d. h. sic müssen sich manche Eingriffe in ihr focialcs Leben gefallen lassen, oic sie unter andern Umständen zurückweisen würden. Cs hängt dies damit zn-sammcu, daß bei der Kleinheit der Neichc allc persönlichen Beziehungen höhern Werth erhalten als in grüßcru; und es wird dadurch noch gesteigert, daß anch die geselligen Bande sc> mit der halb monarchischen, halb oligokratisch-rcpublitanischcn Staatsform verquickt sind, daß die ^.'ösnng der crstcrn anch die politischen Beziehungen der Staaten zueinander loäern muß. Auf der beigefügten Karte sind die hauptsächlichsten Staaten verzeichnet. Die politische Grnppirnng war, als ich dort autam, folgende. Infolge der Unterstützung von feiten Wilson's und seiner Engländer am Ende dcs vorigen Jahrhunderts hatte Corörc, im Ecntrnm der Infelgruppc gelegen, unerwartetes Ansehen und Macht gewonnen, sodaß sich Lirci, Armlinmi nnd einige andcrc Staaten im südlichen Theil von Vabclthaub wegen ihrer großen Nähc zn jener Insel, ferner Aracaloug an der Nordspitzc von Vabclthaub aus persönlichen Rücksichten der dort herrschenden Familie, dem Eoadul (d. h. dem König) von Corörc, als Verbündete angeschlossen hatten. Früher waren anch noch die Mittclstaaten von Babclthanb in diesem Bunde gewesen, mit einziger Ausnahme von Athcrnat an der OMstc, welches sich zn Wilson's Zeit nach drei verlorenen Schlachten zur Tributzahlung gmöthigt sah, doch nie in die Stellung eines Pasallen uou Corörc gebracht werden kouute. Die Eroberung und UllllMdige Zcrstöruug des Ortes Kaslau an dcr Westküste Em neucs Lcct. 15 Abermals zwang uns hier ein neues, wie es schien sich immer vergrößerndes Leck, am 29. Januar in den Hafen von Palapa einzulaufen. Au der Nordostspitze von Samar, die ziemlich weit ins Meer vorspringt, zieht sich Batag, eine uiedrige und von einem weit abstehenden Nisse umsäumte Insel, hoch nach Norden hinauf und begrenzt gegen Süden einen nach Westell wie Osten geöffneten ziemlich breiten, aber wegen zahlreicher Korallcnbänke gefährlichen und stark gewundenen Kanal. Wir ankerten südlich von Batag, einem kleinen Dorfe auf der Insel gleiches Namens, aber da bis hicrherein der Seegang seineu Einfluß geltend machte und der Kapitän infolge davon nicht bis zu den ziemlich tief liegenden Lecken gelangen konnte, so beschloß er, in den innern eigentlichen Hafen von Pampan zu gehen, wo günstige Verhältnisse zur Reparatur des Schiffs obzuwalten schienen. Bei einem ersten Versuch am 1. Februar, durch den engen gewundenen Kanal zu gelangen, stieß das Schiff auf einen Korallenblock, kam jedoch bald wieder los; aber erst am 3. Februar gelang es uns, den ganz gegen allen Seegang geschützten Hafen zu erreichen. Hier wurde das Schiff theilweise gelöscht und dann auf die Seite gelegt, sodaß bei niedrigem Wasser der Kiel hervortrat; denn dio Lecke schienen alle in dcr von Babclthaub, dicht bei Aibukit, im Aufaug dicseö Jahrhunderts, scheint der Grund gcweseu zu sein, weshalb sich nun Aibutit auf die Scitc Athcrnals stellte, und mit ihm wnrdcn ;u Verbündeten des letztcrn eine Reihe llciucr Staaten dicht bei Aibnkit (Noll, Nallap, Aural n. s. w.), welche von jeher wirklich in einem VasallcuvcrlMuiß ;n diesem standen. Es war also die nördlichste Zpitzc und die südliche Hälfte uon Babclthaub, der größten Insel dcr Gruppe, verbündet mit Coröre; ihnen gegenüber standen, geographisch nbgcsch'osscn aber isolirt, die Mittrlstaatcu uon Babelthanb. Krciangcl im höchstm Norden, ein durch einen breiten Kanal getrennter Atoll, und Pelcliu ^le Ngcmr ganz im Süden spielten die Neutralen; sie standen in ciucr gc^ Wissen Abhängigkeit durch die Furcht vor Coiörc, ohne daß sie jedoch an chrcn Kriegen thcilnahmcn oder selbst den dort üblichen Tribnt an lebenden Tauben entrichteten. Daß trotzdem das Wort Ebadul'S von Corörc ein großes Gewicht hatte, sollte ich bald zu eigenem Nachtheil erfahren. 16 I, Von Manila nach den Palan-Inseln. Nähe desselben zu sein, sodaß eine solche für die Passagiere natürlich sehr unbequeme Procedur absolut nöthig war zur Ausbesserung des Schiffs. Ich packte deshalb mein Handwerkszeug Zusammen und bezog ein kleines Häuschen im Dorfe Pampan, das ich mir für die Dauer unsers Aufenthalts gemiethet hattc. Mein Diener Alejandro führte hier nach gewohnter Neisesitte unsern Haushalt, während ich selbst mich theils mit Excursions«, theils mit zoologischen Untersuchungen vergnügte und Gonzalez dazu anhielt, möglichst viel Aquarellskizzen zu machen. Ueberall zeigten die nur zu niedrigen Hügeln ansteigenden Inseln die deutlichsten Spuren ganz junger Hebung. Schon am 29. Januar besuchte ich eine im nördlichen Kanal liegende kleine kaum 4 Fuß über Flutlinie hohe Koralleninsel, auf deren Mitte große Korallenblöcke lagen, die nur durch Hebung, sicherlich nicht durch die hier sehr schwache Brandung hingelangt sein konnten. Auch die im Mittel etwa 50—70 Fuß hohen Vorhügel der Insel Batag bestanden gänzlich aus theilweise verändertem Korallenkalk, welcher nur vou einer sehr wechselnden Humusschicht oder direct von KorallendetrituZ bedeckt war. Dagegen war die Batag gegenüberliegende, den Südrand des Kanals bildende Insel Laguan, die ich zu verschiedenen malen besuchte, aus einem horizontale Schichten ausweisenden kalkigen feinkörnigen Sandstein gebildet, in welchem Pteropodenschalm fast die einzigen Petrefacten zu sein schienen. Die mikroskopische Untcrsuchnng ließ aber außerdem zahlreiche Foraminiferen erkennen. Von dem Ziemlich steil abfallenden Ufer stürzte ein dünner Bach herab, welcher uns das zur Weiterreise benöthigte gute Wasser lieferte, und in seiner Nähe hing hart am Meere ein großer abgestorbener Banm über, der, mit seinen Wnrzeln noch in der Erde befestigt, mit den herabhängenden Zweigen nur eben noch dis höchste Flutlinie berührte. Dennoch war der Baum in etwa 2 Fuß Länge ganz von leeren Gängen eines SchiffsbohrerZ (Teredo) durchlöchert, sodaß cine Erhebung von mindestens 4 Fuß Hebungen. 17 stattgefunden haben mußte während der Zeit, welche seit seiner Senkung ins Meer verflossen sein «lochte. Die kleine, int innern Hafen liegende Insel Vusin, südlich von Laguan, von ihr nur durch einen schmalen Kanal getrennt, war hügelig, und die etwa 150—200 Fuß hohen dicht bewaldeten Hügel bestanden aus stark thonhaltigem, bald gelblichein, bald blaugrauem Sandstein, den ich wegen seines großen Reichthums an Fora-miniferen als „Foraminiferensandstein von Pampan" bezeichnen will. Es war derselbe Thon, der auch Laguan bildete; und ebenso bestanden die niedrigen Hügel der Insel, auf welcher Pampan liegt, aus dem gleicheu Thousandstein. Endlich fand ich dann am nordwestlichen Ufer der Insel Pampan ein weitgehendes abgestorbenes Korallcnriss, auf dessen Fläche große Blöcke fast gänzlich metamorphosirten Korallenkalks lagen, die sich bei niedrigster Ebbe etwa 4^2 — 5 Fuß über Wasser erhoben. So fanden sich überall die mannichfaltigsten nnd sichersten Anzeichen, daß noch in der allerjüngsten Zeit eine Hebung erfolgt sein mußte. Sie war vielleicht der Grund eines Unfalls, der uns nachher beim Auslaufen betraf, und ihr dankten wir es auch wol, daß wir beim Einlaufen am 1. Februar, auf einer Stelle einen Korallenblock berührt hatten, der nach den neuesten spanischen Karten 3—4 Faden unter höchster Flutliuie liegen sollte, nach dem Tiefgange unsers Schiffs jetzt aber nur 2 Faden Wasser über sich haben konnte. Bei dem fortgesetzt stürmischen Wetter der letzteu Wochen konnten die Arbeiten am Schiff nicht so rasch beendigt werden, als unsere Ungeduld, cudlich in den Stillen Ocean zu gelangen, uns alle wüuschcu ließ. Bei dem Umlegen des Schiffs hatten wir eine hohe Springflut gehabt, sodaß nun, als die niedrigen Fluten kamen, nie genug Wasser war zum Flottmachen des aufliegenden Schiffs, und erst am 13. Februar kam es mit vieler Mühe und nach mehrern vergeblichen Versuchen wirklich vom Semper. 2 18 I. Von Manila nach den Palau-Iuscln. Boden ab. Nun waren aber unter der Wasserlinie noch einige Löcher zu stopfen, dann noch die theilweise gelöschte Ladung wieder einzunehmen, sodaß abermals drei Tage verflossen, ehe wir versuchen konnten, wieder unter Segel zu gehen. Der stürmische, von häufigen Regenschauern begleitete Nordost-Monsun hatte nun schon mit seiner ganzen Wucht eingesetzt und vereitelte mit den heftigen und sehr unregelmäßigen, gerade iu der Richtung des Kanals hereinstehenden Winden erst am 21. Februar, dann wieder am nächsten Tage unsern Versuch, bei Eintritt der Ebbe aus dem Hafen herauszukreuzen. Auch am 23. schlug ein Versuch fehl. Endlich am 24. gelangten wir in den äußern Kanal. Aus Verdruß über die viele verlorene Zeit und im Vertrauen auf die Richtigkeit eines der Karte von Morata-Coello beigegebenen Specialplanes des Hafens von Palapa, versuchte der Kapitän durch die östliche Mündung desselben direct in den Stillen Ocean zu gelangen, um so den beim Auslaufen aus der westlicheil Mündung durch die weit nach Norden hin vorspringende Insel Batag verursachten Umweg abzuschneiden. Dieser Versuch, an und für sich nicht tollkühner als der früher gewagte, überhaupt in den Hafen einzulaufen, sollte uns theuer zu stehen kommen. Der Wind war günstig zum Auslaufen, der Weg, den wir, beständig sondirend, verfolgten, schien klar, aber plötzlich schrabten wir an einem Korallenfelsen, den wir des trüben Wassers wegen nicht hatten sehen können, an, und im Moment nachher saßen wir auf einem andern fest. Der arme Woodin that mir in der Seele leid, wie er nun, um seine letzte aufs Spiel gesetzte Karte, die Lady Leigh, zu retten, die Befehle zum Backen der Segel und zu andern Manövern gab, die geeignet waren, das Schiff flott zu machen. In seine den Matrosen zugerufenen Befehle mifchten sich Wehklagen um sein Weib und seine Kinder, die er in Hobarttown in Armuth zurückgelassen und die aus solcher zu erretten ihm die früher so gewogene Glücksgöttin versagen zu wollen schien. Aber keins half. Strömungen im Stillen Ocean. 19 Das Wasser war noch im Fallen, und das Schiff bewegte sich nicht von der Stelle. Znm Glück war es nahe an tiefster Ebbe gewesen, als wir auf den Felsen aufliefen, sodaß keine Gefahr des Umschlagens zu besorgen war. Nach einigen ängstlichen Stunden endlich hob uns die rückkehrende Flut wieder von unserm Ankergrunde ab. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, sodaß wir in der Nähe dieses unglückseligen Korallenblocks ankern mußteu. Nun hatte Woodin alle Lust verloren, nochmals eine Ausfahrt zum östlichen Kanal zu versuchen, und da auch am 25. morgens ein schöner Ostwino wehte, so fuhren wir, diesmal ohne weitern Unfall, zum westlichen Kanal hinaus. Freilich brauchten wir jetzt drei volle Tage, um die Nordspitze der Insel Batag, ankämpfend gegen Wind und Wogen, zu gewinnen, und auch am 1. März verloren wir, gegen östliche und südöstliche Winde kreuzend, nur sehr langsam die Ostküste Samars aus dem Auge. Eine heftige, etwa 1'/-—2 Knoten stündlich laufende südöstliche Strömung setzte uns immer wieder zurück, sodaß der Kapitän, um recht rasch aus dieser widrigen Gegend herauszukommen, möglichst nach Süden zu gelangen trachtete. Mochte nun der Landaufenthalt und die schvn so lange anhaltende kärgliche Nahrung, verbunden mit dein ewigen schlechten Wetter und dem heftigen Schreck am 25. Februar, mir geschadet haben; genug, bis zum 4. März fühlte ich mich so elend, daß ich selbst die wenigen günstigen Stunden, die mir hin und wieder der etwas leichtere Wind gönnte, nicht zum Fischen mit dem feinen Netz zu benutzen vermochte. Als wir aber am 1. und 2. März in jenen südöstlichen Strom hineingeriethen und einige Thermometermessungcn mir die hohe Meereswärme von 22" N. am ersten Tage, später sogar von 23" N. ergaben, nahm ich voller Erwartung mein Netz zur Hand. Denn ich dachte mich wieder in eine ähnliche warme Strömung versetzt, wie sie am 2* 20 I. Von Manila nach den Palau-Inseln. Cap der guten Hoffnung als letztes Ende des Mozambique-stromes bis auf 42" und 44" füdl. Vr. heruntergeht, und welche mir auf meiner Reise nach Singapore eine Ueberfülle der schönsten pelagischen Seethiere ins Netz lieferte. Drei Tage lang fuhren wir damals in einem so dichten Schwärme der kolossalen Feuerzapfen (I^i-osoina Fi^autsum), daß selbst beim Wasserschöpfen mit Eimern häufig die fast 1 Fuß langen Thiere gefangen wurden, und des Nachts leuchteten alle diefe Myriaden von Wesen, die den Ocean bis zum Horizont zu bedecken schienen, in so zauberhaftem Lichte, daß ich mit einziger Ausnahme einer wunderbaren Octobersturmnacht nördlich von Helgoland nie etwas Aehnliches gesehen zu haben glaubte. Leider wurde meine Erwartung gänzlich getäuscht. Trotz der tiefblauen reinen Farbe des Meeres fing ich auf der Oberfläche nichts als eine geringe Zahl gallertiger Haufen von einzelligen Algen, wie sie mir so oft schon in den Tropen das Fischen mit dem feinen Netz verleidet hatten; und auch das bei Windstillen bis zu 60 — 80 Fuß Tiefe niedergelassene und durch die starken, auch hier wirkenden Strömungen in senkrechter Stellung erhaltene Netz brachte mir keine Ausbeute. Allmählich waren wir aus den südöstlichen Strömen in nordöstliche gerathen, die uns nun rasch weiter nach Süden brachten, bis wir endlich am 9. März in ?" 39' nördl. Br. und 129" östl. L. auf starte und sehr warme westliche Strömungen trafen, die uns nach den Berechnungen des Schiffsjournals um durchschnittlich 50—55 Seemeilen per Tag weiter nach Osten brachten. So waren wir allmählich aus dem nach Norden an der Ostküste Luzons umbiegenden obern Arme des nordpacisischen Aequatorialstromes in die gerade Fortsetzung desselben, dann in den südlichen nach Süden zu an Samar und Mindanao hinstreichenden Arm desselben Stromes gerathen, der sich zwischen 6" uud ?" nördl. Br. mit jenem von Westen her aus der heißen Celebes-See entspringenden äquatorialen Gegenstrom verbindet, welcher, wenn Unfreiwillige Wanderungen der Insulaner. 21 anders die von Quatrcfages aufgestellten Theorien über die verschiedenen Wanderungen der polynesischen Volker richtig sind, in der östlichen Hemisphäre eine ebenso bedeutungsvolle Nolle gespielt hat wie der Golfstrom, freilich in anderer Beziehung, auf der westlichen Erdhälfte. Es ist bekannt, daß die Bewohner der Caroline« nicht selten nach den Philippinen verschlagen werden; sie erreichen dann jedesmal die Insel Samar oder den südlichsten Theil von Luzon, zum Beweise, daß gerade hier sich der nordäquatoriale Strom an der philippinischen Inselmauer bricht. Dagegen scheinen niemals Bewohner der Philippinen nach den Palau-Inseln gekommen zu sein, wohl aber solche von Celebes und den in der Celebesstraße liegenden Inseln. So war nach Johnson's Aussage im Jahre 1859 oder 1860 ein Boot ohne Segel au der Nordwestseite der Inselgruppe — bei dem Dorfe Aibukit — angetrieben, dessen Passagiere, sechs an der Zahl, in drei Tagen von der Insel Salibago dahingclangt zu sein behaupteten. Den einen überlebenden Mann sah ich später noch, sodaß ich mich von der Wahrscheinlichkeit seiner Behauptung, von der genannten Insel gekommen zu sein, übcrzeugeu, konnte. Auch als der bekannte Kapitän Wilson — dessen Erzählung vom Schiffbruch der Antilope und dem liebenswürdige Völkchen der Palau-Iuscln überall sympathisches Interesse erweckte — mit den Bewohnern dieser Inseln in Verkehr trat, fand er einen ebenfalls von einer Celebes benachbarten Insel stammenden Malaien, der wie jene Leute aus Salibago durch die westliche Strömuug dorthin getrieben worden war. Unsere Freude, eudlich in einem gut ausgebesserten, wasserdichten Schiffe zu fahren, sollte leider nur die beiden ersten Tage anhalten. Solange wir nur leichtere Winde hatten und der Meergang nicht stark war, mußte die Pumpe nicht öfter in Bewegung gesetzt werden, als es überhaupt an Bord eines Schiffs geschieht. Aber als nun im Streit der starken Meeresströmungen und der häufig diesen entgegenwehenden, bis zum Sturm sich 22 I. Von Manila nach dcn PalllN-Ittseln. steigernden Winde die See sich in hohen und nnregelmäßigen Wellen erhob, da sing unser in allen Fugen ächzendes und grausam herumgeworfenes Schiffchen wieder an, sehr viel Wasser zu machen, und da, je tiefer wir nach Süden kamen, der Sturm wuchs und das Meer aufgeregter wurde, so nahm das Pumpen in ganz unliebsamer Weise zu. Zuerst wurde bei Tage häusiger gepumpt, dann auch in der Nacht, und als endlich an einem ruhigen Tage, welcher unsern Schoner von den gehabten Strapazen etwas ausruhen ließ, doch das in den Schiffsraum eindringende Wasser nicht abnahm, eher wuchs — da wurde uns allen klar, daß dennoch jener Nitt auf dem Korallenblock im Hafen von Palapa dem Boden des Schiffs eine unhcildrohmde Wunde geschlagen haben mußte. Vom 5. oder 6. März an blieb nun die Pumpe Tag und Nacht in unausgesetzter Bewegung; dlMN bei dem bald wieder eintretenden und uns lange Zeit unausgesetzt begleitenden Sturme drang schließlich so viel Wasser ein, daß wir alle, auch der Kapitän und die Passagiere, mit Hand an das Wert legen mußten, da wir uns nur mit der angestrengtesten Thätigkeit flott erhalten konnten. Endlich hatten wir, dank dem westlichen Sturme, trotz der entgegenwehenden Winde auf etwa 4" nördl. Vr. die Länge von 135" östl. erreicht, sodaß wir jetzt am Winde segelnd nach Norden umkehren und die Zwischen 0" und 8" nördl. Br. liegende Inselgruppe der Palaus aufsuchen konnten. Am 22. März morgens 2 Uhr sahen wir im herrlichsten tropischen Mondenscheine die südlichste Insel der Gruppe, Ngaur (Angaur), welche durch einen etwa drei Meilen breiten und sehr tiefen Kanal von der Insel Peleliu getrennt liegt. Bei Tagesanbruch fuhren wir von Osten her durch ihn hindurch, da der von uns aufzusuchende Hafen — Aibukit — an der Nordwcstsoite dcr Insel lag. Mit steilen Klippen, an dcrcn Fuß sich direct das Meer mit seinen Wogen brach, stieg die Insel Ngaur zu nicht sehr großer Höhe aus dem Meere senkrecht empor, im grünen Schmucke des tropischen Waldes, Begrüßung vor Pclcliu. 23 zwischen welchem kahle Felsen von blendender Weiße dem Auge auffielen. Es waren wol ähnliche Kalkfelsen, theilweise verkreidet, wie sie auch die in einzelnen schroffen und zackigen Gipfeln zu größerer Höhe aufsteigende Insel Pelelin uud die ihr benachbarten kleinern Inseln zeigten. Auch diese waren zum größten Theil bewaldet, und am Ufer, dem wir uns näherten, zeigte sich ein Saum sehr hoher und schmächtiger Kokospalmen, wie ich sie so noch nie zuvor gesehen hatte. Es sollen — wie verschiedentlich zu lesen steht — diese hohen mastbaumähnlichen Palmen gewesen sein, nach welchen die Spanier, als sie im 17. Jahrhundert die Inselgruppe entdeckten, ihr den Namen der „Islas PaloZ" gegeben haben, nach den dem Mastbaum (palos) ähnlichen Palmbäumen. Absichtlich hatten wir uns der bewohnten Insel Pelelin genähert, weil alle an Bord den Wunsch hatten, Nachrichten über die jüngsten Ereignisse im Lande zu erhalten, und wir durch unsere Annäherung einige Bewohner von Peleliu heranzulocken dachten. Unsere Hoffnung wurde nicht getäuscht. Das war ein wildes Durcheinander der Stimmen, als endlich die kraushaarigen, dunkelkupferbraunen Leute in unsere Nähe kamen; sie mußten uns offenbar erkannt haben, denn „Piter", „Cabel Mul", „Cordo" und „Baber" schrien sie Zu uns herüber, je nachdem sie Johnson, oder den Kapitän, den kleinen Cordo oder den Steuermann am SchWboro erblickten. Sie waren offenbar schr aufgeregt. Schon aus großer Entfernung schrien sie nns allerlei zu, einzelne Worte, wie Feuer, Krieg, Engländer, konnte Johnson unterscheiden; als sie am Schiffe anlegten, hatten sie alle eine solche Eile, zu uns zu gelangen, uns zu begrüßen und zu erzählen, daß einer derselben, der sich an einem losen Taue hinaufschwingen wollte, direct ins Meer fiel. Triefend vom unfreiwilligen Bade kam er an Bord und erzählte nun seinerseits Piter (Johnson) in großer Hast und Wortfülle die traurige Geschichte, welche während der Abwesenheit des Kapitäns Woodin dort vorgefallen war und welche 24 I. Von Manila nach den Palau-Iuscln. den armen Greis mit einem traurigen Vorgefühl aller der Schläge erfüllte, die ihn noch am Abend seines Lebens treffen sollten. Sie theilten uns mit, daß vor wenigen Wochen ein englisches Kriegsschiff im Hafen von Coröre, der durch Wilson als „Korror" so berühmt gewordenen Insel, eingelaufen sei, daß der Kapitän desselben die Eingeborenen von dort auf einem Kriegszuge gegen Aibukit begleitet und unterstützt habe und daß ein großer Theil der dem letztern Orte angehörigen Fahrzeuge, ihr Dorf und ein dem Kapitän Woodin zugehöriges, am Ufer des Meeres dicht bei Aibukit stehendes Haus mit dein darin aufgespeicherten Trepang verbrannt worden seien. Schon früher hatte ich den Aeußerungen des Kapitäns und Johnson's entnommen, daß seit einigen Jahren die nationalen Kriege in frischer Kraft entbrannt waren infolge der Ankunft Woodin's und des oben schon genannten Cheyne. Beide hatten sich 1860 zuerst im Hafen von Coröre zusammen aufgehalten, eine Zeit lang auch gemeinschaftlich Geschäfte gemacht, die sie theils dort im Hafen selbst, theils durch kleine nach Nord und Süd ausgedehnte Bootexcursionen führten. Der alte Woodin, ehrlich und gutmüthig, aber nicht „klug wie die Schlangen", hatte Cheyne ein zu großes Vertrauen geschenkt, welches dieser schmählich misbrauchte. Im März oder April 1860 waren beide, nachdem sie sich dort zufällig in: Hafen von Coröre — Malakka — getroffen hatten, mündlich übereingekommen, gemeinschaftliche Geschäfte mit gleichen: Nisico zu machen, in der Weise, daß Cheyne für seine Tauschwaaren nur Trepang, Woodin dagegen ausschließlich Oel und Schildpatt einhandeln sollte. In dieser Zeit hatte Woodin schon 70 Pikul Trepang an Bord, die er Cheyne übergab, wie er denn von jenem Tage an auch alle Eingeborenen, die Trepang vorkaufen wollten, zurückwies nnd ihm, dem Kapitän des Dreimasters „Vlack-River-Packet", Zuschickte. Am 31. Mai schrieb dieser an Woodin, daß er infolge des schlechten Zustandes seines Schiffs sich genöthigt Woodin und Cheync. 25 sehen würde, spätestens bis zum 15. August die Inseln zu verlassen, daß er aber so lange, bis Woodin von der beabsichtigten Neise nach Manila zurückgekehrt sei, auf eigeue Kosten und Risico Handel treiben, dann aber uach Shanghai abreisen und dort die gewonnene Ladung und das Schiff verkaufen wolle, um ihm, Woodin, das Feld — dort auf den Palaus — freizulassen. Aber schon am 7. Juni schrieb er meinem Freuude, der gerade im Begriff stand, nach Manila abzusegeln, abermals, indem er einen Contract vorlegte, der, wenn er angenommen worden wäre, diesem den empfindlichsten Schaden hätte zufügen müssen. Es hätte sich dann Woodin verpflichtet gesehen, 1) allen von Kapitän Cheyne bis dahin gesammelten Trepang frei von Fracht nach Manila zu bringen und dort Chcyne's Agenten zu übergeben; 2) die erheblich höhcrn Unterhaltungskosten des Black-River-Packet zur Hälfte, vom Tage seiner Abreise an gerechnet, zu tragen, während Cheyne die Hälfte der Unterhaltungskosten der Lady Leigh, die beträchtlich geringer waren, erst von jenem Tage an zu überuehmen hätte, an welchem Woodin wieder den Handel beginnen würde; 3) die Palau-Inseln ganz zu verlassen, da sich Cheyne das Recht des Handels dort reservirte. Abgesehen von den Nachtheilen, welchen sich Woodin schon durch die ersten beiden Punkte ausgesetzt gesehen hätte, so wäre die letzte Bestimmung für ihn geradezu verderblich geworden. Cheyne wäre dann im ausschließlichen Besitz der auf den Carolinen für den Trevanghandel am günstigsten gelegenen Palan-Inselgruvpe geblieben, während Woodin die sowol für diesen Handel weniger productive« als nautisch unbekanntern übrigen Inseln der Carolinen und einen Verkehr mit den viel kühnern und rohern Bewohnern derselben zu suchen gehabt hätte. Im Fall eines Unglücks hätte dann Cheyne die Palau-Inseln für sich allein ausbeuten können; denn er wußte sehr wohl, daß Woodin's letzter und dazu noch ganz verschuldeter Besitz jener klcine Schoner war, baß sein Nival sich also ganz außer Staude sehen würde, ein 26 I. Von Manila nach den Palan-InsM. neues Schiff zu kaufen und seine Handelsreisen wieder aufzunehmen. Dies war denn auch in dcr That das Ende von Woodin'Z Laufbahn. Aber selbst im allergünstigsten Falle lag für Woodin eine directe Venachtheiligung in diesem Vorschlage, welchen er denn auch ohne weiteres abzulehnen beschloß. Aus Gefälligkeit nahm er noch eine kleine Quantität Trepang mit nach Manila, von wo er Mitte September desselben Jahres nach den Inseln zurückkehrte. Zwar lief er abermals im Hafen von Coröre ein, aber nur, um bald nach dem weiter nördlich gelegenen Ort Aibukit abzusegeln, dessen Bewohner schon früher mit ihm gehandelt hatten und die er nun, frei von den Chicanen Cheyne's und der Fürsten von Coröre, in ihrem eigenen Lande zu besuchen beschloß. Dies war den Bewohnern von Coröre sowol wie seinem Rivalen ein unangenehmer Entschluß. Jene fürchteten, daß sie, gering an Zahl, nur im Besitz einer kleinen Insel, die hauptsächlich seit Wilson's Zeiten und theilweise durch dessen thätige Hülfe gewonnene Uebermacht über die übrigen Staaten der Inselgruppe einbüßen würden, wenn nun durch Wo odm ein directer Handel mit den nördlichen Staaten eröffnet würde, die bisher von ihnen durch größern Reichthum und durch die bedeutendere Zahl von Feuerwaffen in einer gewissen Votmäßigkeit erhalten worden waren. Chcyne aber besorgte, seinen Lieblingsplan, dessen Verwirklichung er in der That später nahe genug kam, scheitern zu sehen, wenn es Woodin wirklich gelänge, festen Fuß im Norden zu fassen. Die spätere Entwickelung der Vorgänge zeigte nämlich deutlich, daß er zunächst den Handel dort in übermüthigster Weise zu monopolisiren, dann aber auch sich den Dank seines Vaterlandes dadurch zu erwerben gedachte, daß er ein im Laufe der Jahre dort gewonnenes Anrecht auf eine Insel oder die ganze Inselgruppe der englischen Nation zu vermachen beschloß. Bei den Eingeborenen von Coröre war jedenfalls die Eifersucht gegen Aibutit so groß — ich will den Einfluß, welchen nach Woodin's und Cheyne's Hinterlist. 27 Barber's Behauptungen Cheyne auch hierbei gehabt haben mußte, nicht weiter untersuchen —, daß jene einen Feldzug gegen die Leute des Nordens und die Lady Leigh zu unternehmen beschlossen. Sie waren bei der Inscenirung ihres Planes, den alten Woodin von Aibukit zu verscheuchen, nur ihrem schon früher einmal gegen ein spanisches Fahrzeug geübten Verfahren treu geblieben, das sie ruhig zum Trepangfang nach der nördlich gelegenen Insel 2)ap absegeln, dort aber von den durch eine große Summe Geldes bestochenen Bewohnern wirklich „abschneiden"*) ließen. Wenigstens geht aus einem von Cheyne am ^5. September an den schon nach dem Norden abgesegelten Woodin gerichteten Briefe hervor, daß, nach Aussage der Fürsten von Coröre, die Leute von Aibukit den Plan gefaßt haben sollten, die Lady Leigh am Tage der Ankunft zu nehmen. Diese Mittheilung Cheyne's hatte offenbar den Zweck, den alten Woodin einzuschüchtern und znm Umkehren zu veranlassen. Als aber dieser trotz der Warnung doch im Hafen von Aibukit ankerte und hier statt feindlichen Empfangs das freundlichste Entgegenkommen von feiten der Eingeborenen fand, schrieb ihm Cheyne am 26. September abermals einen Brief, worin er andeutete, daß die Bewohner von Coröre dies Gerücht ansgesprengt oder auch wirklich den Leuten von Aibukit Geld bezahlt hätten, um ihn — Woodin — abzuschneiden; daß er aber seinerseits überzeugt sei, er werde in Aibukit gute Geschäfte machen, da er dort keine Gefahr zu besorgen habe. Diesen Brief übergab er Woodin's Steuermann Barber, welcher in Geschäften nach Coröre in einem Boote gekommen war, mit dem gleichzeitig gemachten Bemerken, er — Barber — solle lieber gleich bei ihm bleiben; er wolle ihn in Dienst nehmen, und es sei für ihn dies das Beste, da er wahrscheinlich, wie wenigstens gerüchtweise ver- *) „Abschneiden" ^"t oll) ist der seemännische Knnswuödruck für die Beraubung nnd Zerstörung eines Schiffs dnrch Wilde. 28 I. Von Manila nach den Palau.Inscln. lautete, die Lady Leigh nicht mehr vorfinden werde. Barber eilte mm, wirklich etwas in Angst versetzt, da er die Tücke der Bewohner von Coröre kannte, so rasch als möglich dem Norden zn und kam hier gerade noch Znr rechten Zeit, nm Woodin von dem Herannahen einer offenbar mit feindlichen Absichten aus dem Süden kommenden Flotille in Kenntniß zu setzen. Wenige Stunden nach ihm kamen wirklich die Kriegscanoes von Coröre, Armlinmi und einigen andern Staaten des Südens an, fanden aber Woodin bereit, sie scharf zu empfangen. Nun änderten sie ihrcn Plan. Der vornehmste König unter ihnen, Eoadul von Coröre, ging zu Woodin an Bord und setzte ihm im freundschaftlichsten Tone auseinander, daß sie gekommen seien, die Bewohner von Aibukit zu züchtigen dafür, daß sie sich Rechte anmaßten, welche ihnen nicht gebührten; er thue besser, statt dort oben zu bleiben, wieder mit ihnen nach Coröre umzukehren, um das alte freundschaftliche Verhältniß wieder anzuknüpfen, er solle von den Leuten des Südens so viel Trepang erhalten, als sein Schiff nur fassen könne. Wuodin blieb natürlich taub gegen die Versicherung der Freundschaft wie gegen das Versprechen, das ihm Ebadul machte. Unterdessen waren auch die Kriegs-canoes der Bewohner von Aibukit aus ihrem Hafen herausgekommen und stellten sich in Schlachtlinie so auf, daß sie, ohne der Lady Leigh zu nahe zu kommen, uuter beständigem Feuern aus Musketen und einigen kleinen SchiffZkanonen dem im Halbkreise ruhig liegenden Feinde entgegenrücken konnten. Znm Glück wurde aus der Schlacht keiue Schlächterei. Auf Tausende von Schritten brannten sie gegenseitig ihre Flinten und Kanonen ab, die ihre Kugeln kaum einige hundert Schritte weit entsenden konnten, und als nun endlich, ohue daß bisher eine einzige Kugel ein Unglück angerichtet hätte, ein von einem jungen muthigen Fürsten befehligtes Canoe von Aibukit denen von Coröre so nahe gekommen war, daß wirklich ein von ihm abgesandtes Geschoß einem der feindlichen Canoes ein Loch Kricg im klemm. 29 schlug, sodaß es augenblicklich sank — da machte die ganze südliche Flotte kehrt und enteilte mit günstigem Winde den Verfolgungen des Feindes. Zur Verherrlichung des Sieges wurden dann in Aibukit Feste gehalten und Lieder gedichtet, in denen ganz besonders jener muthige Held gefeiert wurde, der mit einer einzigen glücklichen Kugel die ganze feindliche Armada des Südens in die Flncht geschlagen hatte. Mit diesem einen Siege hatte sich nun Aibukit eine Stellung errungen, wie es nie zuvor besessen hatte; gleich begaben sich mehrere kleinere Fürsten in seinen Schntz, sodaß sich die zahlreichen Palaustaaten in zwei Gruppen theilten, deren eine dein südlich liegenden Coröre, die andere Aibukit eine gewisse Führerschaft im Kriege wie in der Politik zuerkannte. Zwischen den Reichen beider Liguen fanden nun alle Augenblicke kleine Reibereien statt, die sich auf das Verbrennen einiger Canoes oder die Ermordung einiger weniger Personen beschränkten, bis endlich im Januar 1862 den Südländern die günstige Zeit zur Führung eines HauptstreichZ gekommen zu sein schien. Und die Geschichte desselben war es, welche unsere Freunde von Peleliu so in Aufregung erhielt und deren trüben Eindruck auch ich mich um so weniger erwehren konnte, als ich durch sie gleich an die Rolle erinnert wurde, welche wir Weißen nun schon seit Jahrzehnten, mit oder ohne Schuld, dort im Stillen Ocean spielen. Zwar erfuhren wir erst später den ganzen Znsammenhang des Vorfalls, als wir in Aibukit angekommen waren; aber so viel schien doch aus den verworrenen und offenbar sehr ausgeschmückten Erzählungen der Iusulaner hervorzugehen, daß während der Abwesenheit der Lady Leigh das Dorf Aibukit abermals einem Angriffe von seiteu der Bewohner von Coröre ausgesetzt gewesen, daß aber diesmal für unser befreundetes Dorf die Sache sehr schlimm abgelaufen war, da Cheyne's Verbündete sich der thätigen Unterstützung von feiten eines englischen Kriegsschiffs zu erfreuen gehabt hatten. ZO I. Von Manila nach den Palau-Inseln. Trübe gestimmt von dieser Hiobspost, die uns mehr als vielleicht nöthig erregte, da wir den Umfang des gethanen Schadens nicht ermessen konnten, setzten wir unsere Neise fort, an der Westseite der nun allmählich sich je weiter gen Norden zu um so mehr von den Inseln entfernenden Nisse entlang. Am 23. März schon hatten wir den höchsten Berg der Insel Babel-thaub passirt, der in seiner abgerundeten Kuppenform in schroffem Gegensatze zu den steilen, schmalen Klippen des Südens sowol wie zu einigen andern benachbarten Bergen derselben Insel stand. Das Leck hatte sich jetzt offenbar bedeutend vergrößert; denn nie mehr konnte die Pumpe ruhen bei Tag und Nacht. Aber meine durch so widerwärtige Neise noch mehr gesteigerte Ungeduld, endlich in den Hafen einzulaufen, wo ich gleich das Schiff zu verlassen und mit Johnson's Hülfe meine Arbeiten zu beginnen gedachte, wurde erst am Nachmittag des 25. März befriedigt. Südliche Strömung hatte uns in der Nacht vom 24. auf den 25>. weit nach Norden bis über den Kanal hinaus getrieben, welcher in nordwestlicher Richtung gegen Aibukit zu laufend das hier mehr als eine deutsche Meile weit von der Insel abstehende Niff durchbrach. Zum Glück drehte sich am Tage der Wind mchr nach Norden, sodaß wir gegen 3 Uhr nachmittags uns am Eingänge des Kanals befanden. Ich stieg in den Mastkorb, um von hier aus uusere Einfahrt besser beobachten zu können. Trotz der ziemlich großen Entfernung des festen Landes war doch die Atmosphäre so durchsichtig, daß ich deutlich die Insel erkennen konnte, wie sie dalag mit ihren hier und da hoch über die Waldung emporragenden Kokospalmen inmitten eines breiten Streifens prächtig meergrünen Wassers, während hart an den schäumenden Nand des Außenriffs die tiefblaue See stieß. Sieht man aus solcher Höhe auf das Meer herab, so sind seine mit der Tiefe wechselnden Farben von einer wunderbaren Pracht und Durchsichtigkeit. Und neben Unsere Lootscu. 31 uns tummelten sich auf der Fläche vier der Canoes von Aibukit, die uns entgegengekommen waren, um uns durch die schwierigen Kanäle hindurchzugeleiten. Wie die Möuen mitunter, wenn sie ermüdet sind, halb fliegend auf den Spitzen der Wellen zu ruhen scheinen, dennoch aber das schnellste Schiff rasch hinter sich lassen, so flogen die leichten Canoes über das Meer dahin, oft mehr als zur Hälfte aus dem Wasser, an den Seiten unsers Schoners vorbei, vor uns und hinter uns herum; bald gönnten sie dem Schiffe, das seine 5—6 Knoten lief, den Vorrang, dann aber schössen sie spielend in wenig Minuten wieder an ihm vorüber. Eins derselben Mug um, aber niemand kümmerte sich um die Insassen, und schon nach etwa 10 Minuten war das Boot wieder umgedreht, seines eingenommenen Wassers entledigt, und bald darauf flog es wieder heran, uns auch fernerhin in dem scheinbaren Spiele beizustehen. Sie dienten uns nämlich als Lootsen. Wo eine gefährliche Untiefe oder ein vorspringendes verdecktes Niff war, da sprang ein Mann ins Wasser und hielt das Boot an, bis wir glücklich vorüber waren; dann ging es weiter zur nächsten Station. In solcher Beschäftigung muß man die Bewohner der Inseln im Stillen Ocean bewundern lernen, da ist jede Spur von Indolenz und Trägheit aus ihrem Gesicht verschwunden, jede Bewegung ihres aufs äußerste angespannten Körpers ist richtig abgemessen, leicht uud schön, und aus dem dunkeln Auge leuchtet die innigste Freude über das aufregende Spiel mit den Gefahren, die ihnen überall in den spitzen Korallenblöcken entgegenstarren. Sie brachten uns glücklich uach etwa einstündiger aufregender Fahrt zum Ankerplatz im Hafen von Aibukit, etwa einen guten Büchsenschuß vom Lande, und als der Anker siel, da stiegen von allen Seiten auch schon die Insulauer herauf, und Kapitän Woodin und Johnson drückten ihren alten Freunden die braunen Hände. Leider bestätigten sie uns alle jene Nachrichten, die wir bei Peleliu erhalten Z2 I, Vou Manila nach den Palau-Inseln. hatten; aber in die Trauer über das Elend, dem sie sich bis dahin ausgesetzt gesehen hatten, mischte sich nun die kindlichste Freude über die glückliche Ankunft von Piter (Johnson) und Cabel Mul (Kapitän Woodin), die ihnen wie Boten einer glücklichern Zukunft erschienen. II. Erster Aufenthalt am Lande, der Fngnff auf Ailnckit und der Friedensschluß. Vis spät in den Abend hinein blieben unsere Frmndc bei uns. Es warm fast ausschließlich Männer der untern und mittlern Klassen, die uns zu helfen gekommen waren und von denen gleich eine Anzahl durch Woodin engagirt wurde, zu pumpen und bei dem am nächsten Morgen zu beginnenden Löschen des Schiffs zu helfen, da die hauptsächlich aus Mani-lesen bestehende Mannschaft sehr erschöpft war. Die Mehrzahl dieser Leute waren schlank und gut gewachsen, von dunkelbrauner, selbst schwarzbrauner Körperfarbe, die freilich oft durch das Gelb der aus Curcuma bereiteten Farbe verdeckt wurde, mit der sie sich in verschiedenster Weise bemalt hatten; auf dem Kopfe hatten sie meist eine mächtige, aus krausen Locken gebildete Haarkrone, welche hinten in einen kurzen Zopf zusammengebunden war. In ihrem dichten Haargcwirre steckte der so charakteristische dreizackige Kamm mit weitgesprcizten Zinken, wie er fast ausschließlich bei allen polynesischen Ncgerstämmen gefunden wird. Auch in dcu Gesichtszügen zeigte sich unverkennbar der Papuasische Typus ausgeprägt; und schon unter den ersten Besuchern von Peleliu war mir ein kleiner Mann mit ausgesprochenen jüdischen Semper. I Z4 II, Erster Aufenthalt am Lande. GesichtZzügen aufgefallen. Ich kannte damals noch nicht das Neisewerk von Salomon Müller, in dessen prächtigem Atlas ich später das Porträt eines Bewohners von Gobie auf Neuguinea fand, der ganz gut als der Bruder jenes Mannes von Peleliu hätte gelten können. Dieselbe Beobachtung wird aber von allen Reisenden gemacht, welche mit echten Papuas auf Neuguinea oder mit andern Negerrassen im Stillen Ocean, wie den Bewohnern der Louisiaden, Fidji-Inseln oder selbst Australiens in Berührung kamen; allen ohne Ausnahme fielen solche ausgeprägt jüdische Physiognomien auf, wie man sie niemals unter den Stämmen rein malaiischen Ursprungs beobachtet hat. Daß aber die Bewohner von Aibukit neben Papuablut auch malaiisches in den Adern hatten, bewiesen, abgesehen von dem meiner Meinung nach keinen Ausschlag gebenden glatten Haar*), vor allem das breitknochige, fast viereckige Ge- "-') In dem äußerst dogmatisch gehaltenen Buche von Hacke! „Urgeschichte der Schöpfung" wird ein Stammbaum der Menschen aufgestellt, welchem das glatte oder das krause Haar als ganz scharfes nnd zutreffendes Merkmal zur Erkennung der Verwandtschaft der verschiedenen Menschcnvasfen zu Grunde gelegt wird. Es beruht dies wahrscheinlich auf der Untersuchung Prnuer-Bei'ö, welcher den Querschnitt des krausen nud glatten Haars ziemlich verschieden fand und daraufhin cineu wesentlichen Gegensatz anch soust iu deu Rassen aunchmcu zu kuuncn glaubte; denn Prnner-Bei war der erste, der wenigstens genauer als bisher den Querschnitt der Haare in ethnographischer Bezichnug untersuchte. Abgesehen nun davon, daß der Einfluß dcr Vermischung verschiedener Völker auf die Form des Haars (dessen Querschnitt) bisher nicht untersucht worden ist; abgesehen ferner von der Thatsache, daß jeder gewissenhaft beobachtende Reisende überall nur gemischte Nassen, nirgends reine findet — sodaß die Frage, welchem der Urstämmc oicsc oder jene Form des Haars zukomme, gar uicht mehr zu entscheiden ist —; nud abgcsehcu endlich davon, das; die Abhängigkeit des Haars in seinem Wachsthum von den äußern Lebcnsbcdinguugen absolut unbekannt ist, also auch darin liegende Fehlerquellen bei dcr ganz hypothetischen Aufstellung jcneö Dogmas vom Gegensatz des trauscu und alattcn Haars gar uicht vermieden werden konnten: abgesehen uon alledcm stehen weder die Beobachtungen Pruuer-Vci's mit seinen theoretischen Be- Fürstenbesuch. 35 sicht mit den stark hervortretenden Backenknochen und die änßerst kleinen Augen. Am nächsten Morgen wurden wir früh durch vornehmen Besuch überrascht. Am Abend schon hatte uns Krei seinen Adovtivsohn, den kleinen Cordo, entführt; morgens kehrten sie beide zurück in Begleitung eines breitschulterigen, ausnehmend gutmüthig aussehenden Mannes, des vornehmsten Fürsten im Staate Aibukit, Mad. Mit ihm kamen eine Anzahl anderer Fürsten und auch mehrere junge Mädchen, von denen zwei sich immer an der Seite Mad's hielten, während die andern in ziemlich freier Weise zwischen den fremden Matrosen mit ihren von der Taille bis zum Knie reichenden und seitlich die Schenkel ganz frei lassenden Vlätterkleidern dahimauschten. Fast alle trugen sie eine duftende Blume im Ohr. Die Männer, theilweise ganz nackt oder nur mit einem Lendengürtel bekleidet, den sie oft genug auch in der Hand hielten, blieben mit Ausnahme weniger Vornehmer ganz im Vordergrunde des Schiffs, weit entfernt von Krei und Mad, sodaß ich durch die Achtung, welche beiden gezollt wurde, schon ihre hohe Würde hätte errathen können, selbst wenn ich nicht durch Woodin und Johnson längst gehört hätte, daß ich hier die zwei mächtigsten Fürsten des Dorfs und Staats Aibukit vor mir sähe. Beide Männer wurden immer nur mit dem angegebenen Namen angeredet. Welche, obgleich beide. Mad wie Krei, Eigennamen, doch auch hauptvmgen in so vollständigem Einklänge, daß sie überhaupt beachtet zn Werden ocrdieuteu, noch gehen seine Annahmen parallel mit den analogen Hypothesen anderer Ethnologen, welche glauben, durch einige Maße die typische Schädelform jedes Stammes feststellen, durch die Uebereinstimmung U! den Maßen auch die Menschenrassen ethnologisch gruppiren zu können. Hypothetische Voraussetzungen — uud weiter nichts, ich wiederhole, ist der Häckel'schc Mcnschcustllmmbaum — können nur dann einigen Anspruch auf "eachtnng machen, wcnu sie sich gegenseitig deäen; widerspricht die einc der andern, so find sie gewiß beide verkehrt. 36 II. Erster Aufenthalt am Lande. zugleich echte Titel für eines jeden Stellung im Staate waren. Beide besitzen noch einen andern Namen, den ihrer Jugend, den sie aber beim Amtsantritt mit dem unwandelbaren Titel ihres Amts vertauscht hatten. Das gleiche Vorrecht haben nur noch die eigentlichen Fürsten — die ru^okä —, deren Zahl und Namen ich leider nicht völlig genau ermitteln konnte und welche die erste Klasse der Bevölkerung bilden. Mad (o. h. Tod) ist der eigentliche König, dem als solchem neben dem Vorsitz im Fürftenrathe die alleinige Entscheidung und Sorge über ihre religiösen Feste und alles, was sich mit ihrem Ahneucultus verbindet, zusteht. Ihm ist ein wirklicher Almosenier untergeordnet, der, Inateklö genannt, ebenfalls Sitz und Stimme im Fürstenrathe hat. Zweiter im Staat ist Krei, der Krieger und Feldherr sowie Anordner aller öffentlichen und Gemeindearbeiten, ein echter Majordomus, der auch hier im Stillen Ocean öfter eine ähnliche Nolle gespielt hat wie der Taikun in Japan oder die Hausmeier der Merovinger im Frankenreiche. Im Fürstenrathe sitzt er Mad gegenüber; und jedem schließt sich auf seiner Seite ein Gefolge kleinerer Fürsten an, bei ihren großen Festen sowol wie bei ihren feierlichen, über das Wühl und Wehe des Staats beschließenden Sitzungen. Diese Theilung der Gesammt-zahl der Fürsten in solche, welche dem Krei oder dem Mad folgen, ist aber nicht blos auf das öffentliche Leben beschränkt. Ein jeder der beiden Fürstenhäupter ist zugleich auch Vorsteher seines Gefolges, mit welchem er zusammen ein großes Haus — hier Kai genannt — besitzt und worin die Mitglieder dieser Vereinigung, des sogenannten Clöbbergöll, die Nächte und einen großen Theil der Tageszeit zubringen. So bildet also in Aibukit — und ähnlich wie hier ist es in allen übrigen Staaten des Landes — die erste Klasse der eigentlichen Fürsten zwei sogenannte Clöbbergölls. In der zweiten Klasse dcr Bevölkerung, der sogenannten kleinen Fürsten (Kikeri ru^aelc) oder derjenigen der Freien Der Clöbbergöll. 37 sowol wie in der dritten der Hörigen« — des ai-niLaii — finden sich ähnliche, aber viel zahlreichere Clöbbergölls, die sich am besten wol noch mit unsern Regimentern vergleichen lassen. Denn in der That herrscht hier eine allgemeine Wehrpflicht, wie sie weitgehender und in alle socialen Verhältnisse tiefer eingreifend wol kanm gedacht werden kann. Vom fünften oder sechsten Jahre an sind alle Knaben gezwungen, in einen solchen Clöbbergöll einzutreten, sich an den Kriegen und an den von der Negierung angeordneten öffentlichen Arbeiten zu betheiligen. Aber in ihnen sind die Freien und die Hörigen nicht streng voneinander geschieden, wenngleich jene immer den Vorrang haben, einmal als Freie, dann aber auch, weil aus ihrer Zahl die eigentlichen Fürsten theils nach Erbfolgegesetzen, theils durch Wahl genommen werden. Während also von diesen viele nur bis zu einem gewissen Lebensalter einem der zahlreichen niedern Clöbbergölls angehören, dann aber als Nupacks in den Fürsten-congreß eintreten, bleiben jene, die Männer des Armeau, bis an ihr Lebensende in den Regimentern zweiter Ordnung. Eine Trennung findet hier nur insofern statt, als in jedem einzelnen Clöbbergöll, welcher im Durchschnitt etwa 35—40 Mann zählen mag, immer nur gleichalterige Knaben oder Männer zugelassen werden, sodaß ein jeder von ihnen während seines Lebens (normaler Dauer) wenigstens drei oder vier verschiedenen Clöbbergölls angehört hat. Im Grunde genommen bildet nun eigentlich ein jedes Dorf einen in der angegebenen Weise gegliederten Staat für sich. Jeder derselben hat also auch seine besondern Titel für die entsprechenden Aemter, die niemals die gleichen sind. So heißen die beiden Coröre regierenden Fürsten Ebadul (Abba Thule bei Wilson) und Arra Kooker; aber es sin!) auch hier nicht, wie Wilson meint, ihre Eigennamen, sondern nur ihre durch alle Generationen hindurch gleichbleibenden Titel. Ihr Sinn blieb mir leider uubekannt. Bald bestehen nun diese einzelnen 38 II. Erster Aufenthalt am Lande. Dörfer als Staaten für sich und nebeneinander, wie in Peleliu und auf Kreiangel, oder es ordnen sich mehrere einem mächtigern unter und treten zu ihm in ein gewisses Vasallenverhältniß. Ich hatte weiter oben schon angegeben, wie sich infolge der Anwesenheit Cheyne'Z und Woodin's auf Vabelthaub die Staaten in zwei Gruppen theilten, deren Führerschaft Coröre und Aibukit ausübten; mit jenem Staate waren außer den verschiedenen kleinern Reichen Pelelms noch Armlimui und Eimelig an der Südwestküste und Aracalong an der Nordspitze von Vabelthaub verbündet, während Athernal und Eirei die Verbündeten von Aibukit waren. Die im Norden der Gruppe, von ihr durch einen breiten Tiefwasserkanal getrennt liegende Insel Kreiangel — ein echter Atoll — verhielt sich neutral. Doch aber war die Absorptionskraft dieser beiden augenblicklich mächtigsten Staaten schon so groß geworden, daß eine Anzahl anderer Dörfer, welche früher theilweise eine nicht unbedeutende Nolle gespielt hatten, in ein directes Abhäugigkeitsverhältniß zu ihnen getreten waren, sooaß die dem Mad oder Krei in Aibukit entsprechenden Fürsten z. B. von Nallap, Kaslau, Noll, Aulima und mehrern andern Dörfern, wol in ihrer Heimat noch dieselbe Stellung einnahmen, aber im Fürstenrathe von Aibukit selbst nur den Nang eines gewöhnlichen rnpaok beanspruchen konnten. Natürlich wurden dadurch in jenen Vasallenstaaten auch die andern Vornehmen um eine Stufe tiefer gestellt, sodaß sie in Aibukit selbst genau dieselbe Stellung besaßen wie die zur Nachfolge bestimmten Vornehmen der zweiten Klasse. An dcn allgemeinen Verathungen des in Aibukit tagenden Fürstenraths konnten also auch nur die beiden ersten Ruvacks der untergebenen Dörfer theilnehmm; und durch diese Verschmelzung kam es denn auch, daß mitunter ein solcher neben seinem vornehmern Amte in der Heimat noch ein anderes, weniger ausgezeichnetes, im Staate Aibukit selbst bekleidete. So entsprach Arda in Nallap dein Mad in Aibukit, nahm aber in diesem Einfahrt in den Hafen von Aibukit. I9 Orte seinen Sitz ein unter dem Titel Albro als der dritte oder vierte hinter Mad. Schon am Abend unserer Ankunft hatte ich Johnson ungern allein abreisen lassen, denn ich sehnte mich in die neue Umgebung hinein, überdrüßig der langweiligen Unterhaltung mit Woodin und Gonzalez; ich sah die Risse in meilenweiter Ausdehnung vor mir, ohne daß ich auch nur eine Koralle von ihnen hätte abbrechen können, und zwischen den Palmen hindurch, die ziemlich bestimmt die Lage von Aibukit und einigen andern Dörfern bezeichneten, stiegen Rauchwolken auf, die mich mahnten, daß dort ein weites Feld für meine Studien offen lag. Am 26. März endlich — die zwei Tage an Bord schienen mir eine Ewigkeit zu sein — ging ich, von Johnson geleitet, mit Alejandro und Gonzalez ans Land. Es war gerade Flut. Wir fuhren in einem jener schnellsegelnden einheimischen Boote, dort „ainlai""') genannt, in welchem man freilich vor dem Umschlagen nie so recht sicher ist, auf eine lange, quer die nicht sehr tiefe Bucht von Aibukit absperrende künstlich aufgeführte Mauer zu, durch welche uur eine schmale, mittels einiger Planken scherbrückte Oeffnung hindurchführt. Hinter der Mauer wurde das schon sehr seichte Bassin mehr und mehr durch Mangroven-dickichte eingeengt, bis wir uns endlich in einem kaum 30 Fuß breiten Kanäle befanden, in welchen von allen Seiten die Nhizophoren ihre Luftwurzeln einsenkten. Die Mehrzahl dieser Bäume war offenbar jung; aber mitunter ragten aus dem etwa 40—50 Fuß hohen meerentsteigenden Walde einzelne viel *) „H.in1g,i" heißt ganz im allgemeinen Boot, Canoc, ohne Rücksicht auf Größe oder Bestimmung. Ihre Construction ist eigenthümlich; weiter unten folgt eine genauere Schilderung eines solchen Ainlai. Doppelcanoes, wie sie bei den Polynesiern üblich sind, kommen hier nicht vor; selbst die größten Kriegsamlais, in denen 6l)—80 Personen Platz haben, besitzen nur einen Ausleger an der einen Seite des aus einem Eiubaum bestehenden Vootes. 40 II. Erster Aufenthalt am Lande. höhere und dickere Bäume hervor. Von einem dieser letztern waren bei dein obenerwähnten Angriff der Engländer durch eine Granate mehrere Aeste abgerissen, und auch noch an andern Stellen wurden mir weite Löcher gezeigt, welche offenbar nur vom Kanal selbst aus abgeschossene Kugeln eingerissen haben konnten. Natürlich bildete bei dieser Fahrt jener Angriff den wichtigsten und einzigsten Gegenstand der Unterhaltung, und als wir am innern Hafen des Dorfs landeten, trat mir in dem halbverbrannten Boothaus der Bewohner ein traurig stimmendes Zeichen deZ stattgefundenen Kampfes entgegen. Auch als wir dann auf ziemlich steilem, theilweise gepflastertem Wege nach etwa 10 Minuten bei den ersten Häusern des Dorfs ankamen, verfolgten mich überall die Spuren, die jene Krieger hier zurückgelassen hatten. Hier war ein Loch in dem Dache eines Hauses, durch welches eine Rakete hindurchfuhr, noch nicht wieder ausgebessert; Eingeborene brachten mir gleich bei der ersten Begrüßung ausgebrannte Raketen und zersprungene Granaten herbei, und wo ich hinhörte — soweit ich mit Hülfe Johnson's und Cordo's, der mir auch mitunter als Dolmetscher diente, erfahren konnte —, wurde von nichts anderm gesprochen als vom letzten Kriege und von den Hoffnungen, die man nun auf Cabel Mul und auch auf mich setzte. Theilweise hatte ich hieran wol selbst Schuld. Empörte mich doch in tiefster Seele das herzlose Spiel, das von Weißen mit diesen freundlichen Menschen getrieben worden war; und ich nahm mir vor, die Schuld, die jene Europäer auf sich geladen, dadurch zum Theil zu sühnen, daß ich die nächste Zeit ausschließlich zum Sammeln von Notizen benutzte, um die Geschichte des Angriffs mit allen ihren Einzelheiten der Vergessenheit entreißen und den einzig Schuldigen öffentlich bezeichnen zu können. In dieser Absicht durchstrich ich nun die nächste Umgebnng von Aibukit nach allen Richtungen, begleitet von Johnson und Cordo als Dolmetscher und von zahlreichen Eingeborenen, die mein lebhaftes Interesse Der Angriff der Engländer. 41 an dem Unglück, das ihnen widerfahren, nicht anders auszulegen vermochten als durch die Annahme, ich sei ein mächtiger Rupack meines Landes, gekommen, sie zn beschützen und ihre Widersacher zu bestrafen. Das Resultat dieser während der ersten Zeit ganz mich absorbirenden Studien enthält ein Artikel, den ich später im Juli bei der ersten und einzigen Gelegenheit, Nachrichten von mir nach Manila gelangen zu lassen, an meinen Schwager Moritz Herrmann schickte, durch dessen Vermittelung derselbe im dortigen „vin.rio äs Nanila," erschien. Ich gebe ihn auch hier unverkürzt wieder, um den Leser in den Stand zu setzen, sich selbst ein Urtheil zu bilden. „Die nachfolgende Erzählung bedarf keines Commeutars. Sie enthält die Schilderung der wichtigsten Momente des Angriffs eines englischen Kriegsschiffs auf ein friedliches Dorf im Norden der Insel Babelthaub, zu welchem, wie es scheint, der Kapitän N. Browne «H. M. Ship. Sphinx« lediglich veranlaßt wurde durch die Aussagen des Kapitän Cheyne, eines Mannes, dessen langjährigem Treiben im Stillen Ocean hoffentlich bald und für immer ein Ende gesetzt werden wird. Ich sammelte diese Angaben während meines jetzt viermonatlichen Aufenthalts in dem angegriffenen und theilweise zerstörten Dorfe, doch verwahre ich mich ausdrücklich gegen die Garantie der völligen Richtigkeit aller derselben, und ich publicire sie nur, um theils die Aufmerksamkeit der zuständigen Behörden auf das rasche und inhumane Verfahren des Befehlshabers des Kriegsschiffs zu lenken, theils um einem etwaigen Berichte von feiten jenes Cheyne zu begegnen, da die Erfahrung gelehrt hat, daß jedesmal nach seiner Einkehr in einem englischen Hafen eine gänzlich entstellte Darstellung der Ereignisse auf den von ihm besuchten Inseln m den Blättern erschien. „Im Monat October 1861 warf das englische Schiff Sphinx Anker im Hafen von Coröre. Vom Admiral der Flottenstation 42 II. Erster Aufenthalt am Lande. in Hongkong auf eine friedliche Mission ansgesandt — verschollene Matrosen zn suchen — hatte es auch den Befehl erhalten, die Palauinseln zu berühren. Kapitän Woodin hatte sich in Manila seines zweiten Steuermanns beraubt und ihn dem damals statt des kranken Kapitäns fungirenden ersten Lieutenant als Dolmetscher gegeben, mit der ausdrücklichen Bitte, ihn in Aibukit zu landen, wohin er — Woodin — später selbst mit seinem Schiffe zu gehen gesonnen war. Wie es scheint, genügten die Intriguen des Kapitäns Cheyne, über deren Ausdehnung natürlich nur wenig zu erfahren war, den jetzt wieder als Commandeur fungirenden Kapitän Browne zu veranlassen, nicht allein das vom ersten Lieutenant als Commandeur gegebene Wort zu ignorirm, sondern sogar eine Expedition gegen das Dorf Aibukit zu machen, deren Charakter ganz der eines beabsichtigten Angriffs war. Hierbei wurde, auf Anstiften des Kapitäns Cheyne, jener Steuermann des Kapitän Woodin, gegen seinen ausdrücklich ausgesprochenen Wunsch, in Coröre zurückgelassen, und statt dieses Mannes, der, obgleich spanischer Mestize, doch die Ehre der englischen Flagge gewahrt haben würde, fungirte als Dolmetscher ein seit nahe 30 Jahren hier lebender Engländer Namens Davis, der, lediglich ein Instrument des Kapitäns Chcvne, unter dem Schutze englischer Waffen seine und vielleicht auch fremde Nachsucht befriedigte. „Eines Tages gegen Mittag erschienen die drei Boote des Kriegsschiffs, wie es scheint, mit vier 18pfündigen Geschützen bewaffnet, vor dem Eingänge der kleineu Bucht von Aibukit, denen sich von Aracalong her, einen: etwa vier Meilen nördlicher liegenden Dorfe, das Boot des Kapitäns Cheyne angeschlossen hatte, mit seiner Mannschaft und Leuten aus Coröre. Er selbst hatte es für rathsamer erachtet, sich außer Schußweite zu halten! Dicht vor dem Eingänge in die durch einen künstlichen Steinwall fast geschlossene Bucht, bei dem Platze Auru, siel der erste Schuß, wie es scheint, ein blinder, dem aber rasch Der Angriff der Engländer. 4g und Nicht in den üblichen Zcitinterv allen die scharfen Schüsse folgten. Währenddessen landeten die Soldaten in Auru, wo sich kein einziger der Eingeborenen sehen ließ, und gingen mit Davis als Führer an der Spitze und einem von Zeit zu Zeit feuernden Berggeschütz versehen, nach dem Dorfe Atrarö, wo sich ihnen die Eingeborenen entgegenstellten. Diese flohen bald. Nachdem dann Davis das ganze Dorf in Brand gesteckt, kehrten die Soldaten zurück nach Auru, wo ebenfalls ein dort befindliches Haus niedergebrannt wurde, gingen über jenen obenerwähnten Stcinwall nach Ungeläl auf der nördlichen Seite des Hafens und über die Hügel nach dem Dorfe Eijül, wo sie jedoch, wie es scheint, einen kräftigern Gruß erhielten als im ersten Dorfe; denn es gelang ihnen an jenem Tage nicht, das Dorf zu nehmen. Sie kehrten um, und mit einbrechender Nacht zogen sie sich nach Aracalong zurück. „Am nächsten Tage etwa gegen 10 Uhr kehrten sämmtliche vier Boote zurück nach Ungeläl, von wo ein Theil der Soldaten unter Davis' Führung über die Berge nach Eijül ging, nachdem sie vorher ein großes, den Vornehmen des Dorfs gehörendes Haus in Brand gesteckt hatten. Diesmal gelang es ihnen, den Ort zu nehmen, welcher ebenfalls zum größten Theil eingeäschert wurde. Zu gleicher Zeit gingen einige Boote die schmalen Kanäle zwischen den Mangrovebüschen, beständig feuernd, bis in die innersten östlichen Winkel hinauf, wo sich mehrere Häuser und ein Boothaus befanden. Hier wurden sie begrüßt durch das Feuer einer kleinen Kanone, die unter der Leitung eines Eingeborenen von Luzon Namens Mariano die Boote jeden Augenblick in den Grund zu bohren drohte. Auch hier wurde Feuer an die Häuser gelegt; und obgleich, wie es scheint, die Engländer sich bemühten, die Boote aus dem brennenden Voothause zu retten, so gereichte diese humane Handlung doch den Einwohnern von Aibukit nicht zum Vortheil, denn auch unter jener Schutze wurden fast sämmtliche gerettete Boote durch 44 II. Erster Ausenthalt am Lande. Eingeborene aus andern Dörfern gestohlen. Hiernach kehrten die Boote um, abermals in Aracalong einkehrend, wo sich beständig jener Cheyne befand. „Am dritten Morgen landeten die Boote bei Auru, und nun geschah das, was Kapitän Browne bereits am ersten Tage hätte thun sollen; es wurde Davis als Unterhändler nach dem Dorfe Aibukit abgeschickt, mit der Bitte, dem Kapitän zu erlauben, hinaufzukommen. Die Eingeborenen, deren Mistrauen an der Aufrichtigkeit dieses Mannes wol zu verzeihen war, verbaten sich seinen Besuch, fürchtend, es möge auch ihr Hauptdorf eingeäschert werden. Von allen Aibukit befreundeten Dörfern waren eine Menge gutgerüsteter junger Männer gekommen; sie hatten unter der Leitung des schon genannten Mariano ihre wenigen Geschütze an den wichtigsten Punkten aufgestellt, Steinwälle rasch aufgeworfen, ihre Weiber und Kinder in die Berge geschickt und sich zum kräftigsten Widerstände gerüstet; und es scheint keinen Zweifel zu leiden, daß ein abermaliger Angriff den Engländern cm unglückliches Schicksal bereitet hätte. Er wurde zum Glück nicht unternommen. Davis kehrte ohne jene Erlaubniß zurück, aber mit ihm war ein Nupack gekommen, der dein Kapitän Browne zum Zeichen des Friedebittens uach Laudessitte ein großes Stück einheimischen Geldes gab. Hierauf kehrten die Engländer nach Aracalong zurück, wo, wie es scheint, Cheyne verschwunden war. „Am vierten Tage ging Kapitän Browne von Davis und zwei andern Männern begleitet in das Dorf, wo er von einem der Rupacks begrüßt wurde. Nach Besichtigung des Dorfs und Austausch freundschaftlicher Versicherungen zwischen ihm und dem Könige (Mad), der ihm eine Anzahl Schweine schenkte, kehrten sie um uach Auru. Hier hatten unterdessen die Leute aus Ara-calang oder Coröre das Haus des Kapitäns Woodin angezündet, in welchem sich etwa 250 Pikul Trepang und nicht unbeträchtliches anderes Eigenthum befand. Dies war der Dank, den Der Angriff der England cr. 45 Woodin dafür erhielt, daß er sich seines Steuermanns für mehrere Monate beraubte, in der Absicht, fein Möglichstes zu dem glücklichen Refultate einer humanen Mission beizutragen! Statt aller Entschuldigung oder Erklärung erhielt er bei seiner Ankunft hier von jenem Kapitän Browne nur den «Befehl», sich des Mariano zu bemächtigen und ihn den Behörden in China oder Manila zu überliefern, um ihn zur Recheufchaft zu ziehen wegen Feuerus auf die englische Flagge. „Vei unserer Ankunft hier im März 1862 fanden wir fast alles noch wie am Tage nach dem Gefecht. Ueberall Spuren des Feuers, die Häuser zerstört, die wenigen Voote, theilweiso zerbrochen, lagen auf der Erde, durch die Schüsse zersplitterte Bäume — überall das Bild der Verwüstung. Es hatte dies Unglück gänzlich den Muth der Bewohner gebrochen, und erst jetzt (Juli), fast zehn Monate fpäter, beginnen sie wieder ihr Haupt zu erheben. Wunderbar bleibt mir nur, daß auf keiner Seite eine Verwundung stattgefunden zu haben scheint, obgleich der Nock des Kapitäns von einem Schuß durchlöchert, seinem Voote durch eine Geschützkugel ein Stück des Bordes abgerissen worden sein soll. Von feiten der Engländer wurden gefüllte, wahrscheinlich 18pfündige Granaten und eine Menge 2^2- oder Zzölliger Raketen abgefeuert, von denen eine durch das Haus von Krei dicht an seinem Kopfe vorbeifuhr und auf der audern Seite seinen verderblichen Inhalt entleerte. Von diesen Raketen sollen mehr als 50 Stück aufgefunden worden sein, und ebenso eine Menge nur theilweise crcvirter Granaten. „Manchem Europäer, an die Greuel europäischer Kriege gewöhnt, mag ein zweitägiges Gefecht, in welchem tein Leben verloren wurde, nicht hinreichender Gruud zu solcher Anklage scheinen, wie ich sie hier erhebe. Diesen gegenüber halte ich es für unnöthig, mehr zn sagen; aber für jeden humanen, edeldenkenden Menschen wird das Lesen jener Thatsachen hinreichen, ihn über die begangene Roheit als Europäer erro'then zu lassen. Wenig, 46 II. Erster Aufenthalt am Lande. ja nichts läßt sich zur Entschuldigung sagen; denn wenn auch, wie zu vermuthen ist, die üblichen drei Schüsse behufs Aufziehens der Nationalflagge gefeuert wurden, wenn auch der Kapitän Browne durch die Versicherungen jenes Cheyne, vielleicht sogar durch falsche Eide der seit langen Jahren hier residirenden Engländer Davis und Simpson getäuscht und zum Angriff veranlaßt wurde — so gereicht dies wol zur Erklärung, nicht aber zur Entschuldigung. Es war nicht seine Aufgabe, für die Sache eines Mannes, dessen Aussagen nur durch zwei verwilderte Engländer unterstützt wurden, in den Kampf zu gehen, und die Nichtbeachtung jener drei Schüsse, wenn diese überhaupt gefeuert wurden, kann den Angriff nicht rechtfertigen, da man bedenken mußte, daß man es mit Eingeborenen zu thun hatte, welche europäische Gebräuche nicht kennen. Ja wäre selbst der erste Schuß von seiten der Eingeborenen gefallen, so ist hierfür überreicher Grund zur Entschuldigung vorhanden, denn jener Cheyne hatte seit langem dem Dorfe Aibukit, dessen Bewohner nicht für ihn fischen wollten, mit Krieg und dem Herbeirufen eines Kriegsschiffs gedroht; und als sein Boot mit den drei andern ankam, als wahrscheinlich nach Aibukit, mit oder ohne Absicht, die Nachricht gebracht worden war, daß nun Cheyne wirklich komme, sie zu bekriegen, da, däucht mir, war (nach den Gebräuchen des Landes) genug Anlaß zur Eröffnung des Feuers von seiten der Bewohner von Aibukit gegeben. „Man nennt den Ocean, der diese Inseln badet, das Stille Meer. Aber wie seine mächtigen Wogen, oft kräftig genug, die größten Schiffe über die Riffe seiner Atolle in die Laguno hinüberzuheben, sich bald zum Spiegel ebnen, jede Spur des gewesenen Aufruhrs tilgend — so hört die Geschichte nicht den Sturm unter seinen Bewohnern, die Grausamkeiten nicht, die sie unter sich verübten, die gegen sie von dm Europäern von jeher begangen wurden. Nicht erscheinen wir Weißen dabei im günstigern Lichte. Wo immer ein Zusammenstoß zwischen Der Angriff der Engländer. 47 Farbigen und Weißen stattfand, da war ein Irrthum von unserer Seite der geringste Fehler, öfter war es Roheit der Seefahrer, vielleicht am häufigsten gemeine Gewinnsucht, welche ihn hervorrief. Ich kenne dunkle Blätter aus der Lebensgeschichte eines noch lebenden Mannes, welcher in der Hoffnung, eine reiche Ladung als Lohn für solche Gunst zu erhalten, in seinem Schiffe eine Menge bewaffneter Leute nach einer andern Insel brachte, wo sie, verrätherisch eingeführt, ein furchtbares Blutbad unter den Bewohnern anrichteten, Weiber und Kinder nicht schonend. Seine ganze Bezahlung bestand in einem Schweine. Solche Geschichten scheuen die Oeffentlichkeit; aber wo sie zufällig in den Besitz redlicher Menschen gelangen, da ist es ihre Pflicht zu sprechen, so laut zu sprechen, als ihre Stimme es ihnen erlaubt. Möge die mcinige nicht nngehört verhallen. Aibukit, den 28. Juli 1862." Mit dem Sammeln der in obiger Erzählung niedergelegten Notizen — die ich jedoch auch später beständig zu ergänzen versuchte — vertrieb ich mir die erste Zeit, die mir sonst wol herzlich langweilig geworden wäre. Denn wenn ich auch den Verkehr mit Wilden, deren Sprache ich nicht verstand, schon aus der Erfahrung kannte, so lernte ich doch hier zum ersten mal in Johnson einen Dolmetscher kennen, der mir wenig nützte, von dem ich aber doch abhängig blieb. Selten nur ließ er sich sehen, sodaß ich mich meistens von Cordo begleiten ließ. Während er in Manila und an Bord noch einigermaßen als Europäer gelten konnte, hatte er hier in Aibukit gleich wieder das eingeborene Wesen angenommen, er schwatzte unendlich viel, that wenig und zeigte eine wahrhaft erstauuenswerthe Geduld in allen Dingen. Er war von meinen Planen unterrichtet und wußte, daß ich, um arbeiten zu können, nothwendig mein eigenes 48 H> Erster Aufenthalt am Lande. Haus, gebaut nach meiner Anordnung nnd in der Nähe des Meeres, haben nmßtc. Dennoch aber zögerte er von Tag zu Tage, die Leute zu cngagiren, die mir dasselbe bauen, und mir einheimische Diener zu verschaffen, die mich auf meinen Fahrten auf die Nisse und bei dm Excursions im Lande begleiten sollten. Erst ein Zufall mußte mir wirklich dazu verhelfen. Nach Landessitte hatte ich, als ich das Schiff verließ, mein Quartier in jenem großen Hanse (bai) aufgeschlagen, welches meinem mich unter seinen speciellen Schutz nehmenden Freunde Krei und seinen fürstlichen Genossen gehörte. Hier wurde ich, solange ich im Dorfe blieb, von ihm und seinem Clöbbergöll in liebenswürdigster Weise bewirthet. Freilich war es da nicht sehr unterhaltend; die Rupacks schliefen fast immer und brachten den größten Theil des Tags mit Nichtsthun zu, und ihr Haus durfte nach Landessitte nur von ihnen selbst, aber von keinem den beiden andern Klassen angehörenden Manne betreten werden. So waren die einzigen Wesen, mit denen ich einige schüchterne Unterhaltungsversuche machen konnte, einige junge Mädchen — Phrynen —, welche dort mit den Fürsten ein fröhliches und freies Leben führten. Ueber ihre sonderbare, gesellschaftlich in ganz strenge Formen gezwängte Lebensweise sollte ich erst später genaue Auskunft erhalten. Sic bekamen häufig von ihren gleichalterigen Freundinnen aus den Vais anderer Elöbbergölls Besuche, und da sie gesprächiger waren als die ältern Ruvacks und sich offenbar eine Freude daraus machten, mich in ihrer Sprache zu unterrichten, so hatte ich schon nach einigen Tagen die wenigen Worte gesammelt, die bei dem einfachen Bau der dortigen Sprache geuügtcn, um Fragen an die Leute richten zu können. Dann ging ich oft auf meinen Spaziergängen in die verschiedenen Häuser, die alle voneinander durch niederes Gestrüpp, Betelpalmen, Kokospalmen und Bananen getrennt, am AbHange des Vergzugs zerstreut lagen, und deren Eigenthümer sehr erfreut waren, wenn ich Mein Dicmr Arakalulk. 49 ihnen einen Besuch abstattete. Sie setzten mir ausnahmslos ein süßes Getränk (eilaut) vor, das sie durch rasches Eindampfen aus dem Safte der Palmenblüte gewannen, welcher gegoren den bei allen rein malaiischen Völkern so beliebten Palmenwein liefert. Auf diesen Inseln jedoch wird das Gären absichtlich vermieden; und ebenso wenig bereiten sie hier die Kawa, die sonst auf den Inseln des Stillen Oceans eine so große Rolle spielt. Mitunter besuchte ich auch Mad in seinem Hause. Hier fiel mir eines Tags ein junger Maun, Namens Arakalulk, gleich seines offenen Wesens und seines intelligenten Auges wegen auf. Wir mußten beide gegenseitig aneinander Gefallen gefunden haben, denn am nächsten Tage kam er, mich in der Abwesenheit der Nupacks zu besuchen uud mir — wie ich glaubte — seine Dienste anzubieten. Cordo, der zufällig vorüberging, machte den Dolmetscher, und so wurden wir, ohne daß Johnson cm Wort davon erfahren hatte, handelseinig. Arakalulk versprach mir, Leute zu suchen, um mir das Haus bauen zu helfen und nachher als Diener, wie ich wähnte, gegen eine angemessene Bezahlung bei mir bleiben zu wollen. Als ich dann später dies Johnson mittheilte, wurde er böse und meinte, ich hätte ihm mehr Vertrauen zeigen sollen; er sei gerade gekommen, nur anzuzeigen, daß auch er einen Diener, Namens Asmaldra, für mich engagirt und auch bereits mit einem Clöbbergöll unterhandelt habe wegen des möglichst billigen Baues meines Hauses. Einc große Schwierigkeit sei freilich dabei zu überwinden, es gelte nämlich den, Widerwillen der Leute gegen den Bau eines Wohnhauses, welches nicht im einheimischen Stil aufgeführt werdeu solle, zu besiegen; es dürfte dies leicht zu einigen Streitigkeiten Anlaß geben und würde jedenfalls den Bau sehr vcrtheucrn. Ich erklärte mich mit allen scinen Bemerkungen einverstanden und ^at ihn nur, etwas mehr Feuer in die Leute zu bringen, damit ich doch endlich einmal die Arbeiten beginnen könne, um derent- Ecmpcr. 4 50 II. Erster Aufenthalt am Lande. willen ich hergekommen sei; und ich sei gern bereit, neben Ara-kalulk auch noch Asmaldra in meinen Dienst zu nehmen. Endlich am siebenten Tage nach unserer Ankunft sollte der Hausbau beginnen, dessen Leitung Johnson und Arakalulk übernommen hatten. Ich hatte mir in der Nähe von Auru hart am Meere und gegen den östlichen Wind durch eine steil ansteigende Trachytwppe geschützt einen Platz ausgesucht, welcher Krei gehörte und den ich ihm mit etwas Reis abkaufte. Der Platz hieß Tabatteldil, und im officiellen Leben, z. B. bei den fürstlichen Festen, wurde ich nun nicht mehr Doctor — wie sie mich sonst immer anredeten — sondern „Era Tabatteldil" genannt, „der Herr von und auf Tabatteldil". Die Leute singen wirklich, wie sie versprochen hatten, am 1. April — ich dachte nicht an das böse Omen — zu bauen an. Natürlich wurde das Haus nur in leichtester Weise construirt. In der Mitte sollte sich die Empfangshalle befinden, an der einen Seite mein Schlafzimmer, an der andern mein Arbeitsraum, der mir zugleich zum vorläufigen Aufbewahren meiner Sammlungen dienen mußte. Nur in den Ecken der Zimmer standen, fest im Boden eingegraben, stärkere Pfähle; der schwankende, 3 Fuß über der Erde befindliche Fußboden aus Bambusgeflecht wurde durch kleine Stützpfeiler verstärkt, und auch die Wände des Hauses und der Zimmer, die Tische und mein etwas erhöhtes Bett wurden aus gespaltenen Bambusleisten geflochten. Das Dach selbst, mit Paudanusblättern nach einheimischer Sitte gedeckt, erhob sich in Giebelform auf den etwa 7 Fuß hohen Wänden, in welchen mehrere mit einer Klappe verschließbare Fenster angebracht wurden in der richtigen Höhe für den einzigen Tisch, den ich mir aus Manila Zu «leinen zootomischen Arbeiten mitgebracht hatte. Eine kleine vom Hause etwas entfernt stehende Hütte war die Küche, in welcher Alejandro sein Wesen treiben sollte. Das war nun freilich ein ganz anderes Haus, als je zuvor Hausbau in Tabatteldil. 51 meine neuen Freunde hatten bauen müssen. Ihre gewöhnlichen Familienwohnungen — in denen sich jedoch nachts immer nur die Weiber und kleinsten Kinder befanden — waren auf niedrigen Steinen angebracht, sodaß der aus Bambus geflochtene Fußboden sich kaum einen halben Fuß über die Erde erhob; viereckig, etwa 25—40 Fuß lang bei 12 — 14 Fuß Tiefe, ohne irgendeine Abtheilung im Innern, worin sich auch die ganz im Fußboden angebrachte Feuerstelle befand; mit höchstens 4 Fuß hohen geflochteneu Wänden, in welchen Oeffnungen von gleicher Höhe als Thüren und Fenster zugleich dienen mußten; mit sehr hohem, spitzem und an den beiden schmalen Seiten des Hauses stark uach obeu überhängendem Giebeldach, dessen Firste der Längsrichtung des Hauses parallel lief — so boten mir ihre einheimischen Wohnungen weder genügende Höhe zum Aufstellen eines Tisches noch hinreichendes Licht zum Mikroskopiren. Auch der Rauch, welcher von Manneshöhe an beginnend das ganze Dach inwendig geschwärzt hatte, würde nur ein großes Hinderniß für meine Arbeiten geworden sein. Da ich sicher auf 3—4 Monate Aufenthalt an diesem Orte rechnen konnte — infolge des auszubessernden Lecks am Schiffe —, so mußte ich vor allem mir ein Haus nach meiner Bequemlichkeit zu banen versuchen. Im Anfange waren die Leute — etwa 40 an der Zahl — sehr eifrig, da das Ungewohnte der Arbeit sie ergötzte; aber bald wurden sie lässig. Zwar benahmen sie sich während des Baues insofern liebenswürdig, als sie, ohne große Schwierigkeiten zu machen, meinen Hausplan ausführten; aber sie thaten dies in so eilfertiger und oberflächlicher Weise, daß ich gezwungen war, die Leute gleich am Tage meines Einzugs — am 10. April — neu zu verpflichten, um alle die nothwendigen Verbesserungen vornehmen Zu lassen. Nun waren sie womöglich noch unachtsamer, folgten meinen Anordnungen nicht, behaupteten, sie bauten ihre eigenen Häuser auch so und die hielten ganz gut; wenn auch das Dach zunächst ein wenig den Negen durchlassen 4* 52 ll- Erster Aufenthalt am Lande. Würde, so müsse sich das bald geben — kurz, sie thaten, was sie wollten. Am dritten Tage nachher verlor ich endlich die Geduld, ich riß eigenhändig, unterstützt von Alejandro, einen Theil des Daches ein, das sie nicht nach meinen Angaben hatten re-pariren wollen. Dics und die Aeußerung, daß ich nichts mehr mit ihnen zu thun haben wollte, jagte sie alle aus dem Hause, und als ich nun mit den zwei von mir angenommenen Dienern selbst Hand anlegen wollte, verweigerten diese ihre Hülfe. Sie gaben vor, es würde ihnen, wenn sie es zu thun wagteu, vom Clöbbergöll all ihr Geld genommen und ihre Häuser in Brand gesteckt werden, da er ein Veto auf die Vollendung des Hauses gelegt habe. Nun war guter Rath theuer; denn das Dach so wenig wie die Wände des Hauses hielten dicht. Johnson, der wol in Auru schon davon gehört haben mochte, kam dann, schwatzte ganz entsetzlich viel, brachte aber auch am nächsten Tage nichts in Ordnung; und als ich nun selbständig auftretend nach iV-tägigcm Unterhandeln den Clöbbergöll durch das Versprechen einer Flinte bewog, die Fortführung des Baues zu übernehmen — da sagte mir Johnson, fast beleidigt scheinend, er hätte dies auch wol ohne die Aufopferung meiner Flinte zu Stande bringen können. Zwei Tage später hatte ich dann das Haus wenigstens nothdürftig bewohnbar, obgleich die beständig nothwendigen Ausbcherungsarbeiten meine Diener und oft auch mich selbst bis zum 25. April in Arbeit erhielten. Dabei war mein Haus beständig voll von Besuchern, und da dies meistens Rupacks von fremden Ortschaften warm, die in Begleitung von Krei oder Mad kamen, um sich den ein so wunderbares Haus bauenden Era Tabatteldil anzusehen, so verlor ich fast meine ganze Zeit. Ich hatte, solange ich im Dorfe lebte, natürlich alle Tage in der Unterhaltung mit ihnen zugebracht, nach einheimischer Sitte essend, plaudernd und schlafend; und die gutm Leute glaubten ohne Zweifel, daß ich in meinem Hause ein gleiches Leben fortführen würde. Zuerst hatte Beginn der Arbeiten. 5I ich meine Pflichten als Wirth durchaus getreu geübt; aber ich argwöhnte bald, daß gar manche dieser Rupacks so oft kamen, weil ihnen mein Neis und Wein und Cigarren gar so gut schmeckten. Namentlich Mad schien meinen Wein sehr zu lieben, sodaß ich besorgte, er möge nicht lange genug aushalten. Ich maß ihm deshalb bald die Rationen etwas kärglicher zu; und da ich zugleich auch gegen die andern Nupacks, namentlich gegen die fremden, etwas förmlicher und weniger freigebig mit Geschenken wurde, so nahmen allmählich die vornehmen Besuche etwas ab, sodaß ich endlich am 27. April hinreichende Ruhe in meinem Hause hatte, um meine Arbeiten beginnen zu können. Auch sonst waren die Verhältnisse günstiger geworden für die zoologischen Untersuchungen, die ich nun in Angriff nahm. Alejandro besorgte mit Hülfe einiger junger Männer und Mädchen, die allmählich die Zahl der Hausbewohner vermehrt hatten, den Hausstand, behielt aber Zeit genug übrig, Excursionen auf die östlichen Riffe zu machen, während ich selbst mit Arakalulk und Asmalora die Riffe der Westküste nach Thieren absuchte. Meine Dysenterie hatte mich ganz verlassen, sodaß ich selbst größere Excursiouen Zu Fuß in die befreundeten Nachbardörfer unternehmen konnte; aber ich ließ mich zu ihnen weniger durch die Thiere als durch die Menschen bestimmen, die ich in allen ihren Eigenheiten genau kennen lernen wollte. Unter diesem leichtlebigen Volke sollte es an Gelegenheiten dazu nicht fehlen; denn wenn die katholischen Christen der Philippinen in Bezug auf die Auffindung von allerlei Vorwänden zu öffentlichen Festen noch hätten lernen können, so wäre sicherlich hier dazu Gelegenheit gewesen. Einige kleinere Festlichkeiten in Aibukit selbst hatte ich verabsäumt; als ich aber Nachricht erhielt, daß am 24. April ein großes Weiberfest in Aural an der Osttüsto abgehalten werden sollte, entschloß ich mich um so leichter, dasselbe zu besuchen, als ich sonst den ganzen Tag hätte allein zubringen müssen. Tage vorher sprachen meine Hausgenossen von nichts anderm 54 II. Erster Aufenthalt am Lande. als von dem bevorstehenden Feste; und sie kündigten mir an, daß sie dasselbe unbedingt besuchen müßten. So ging ich denn, begleitet von Asmaldra, den ich hauptsächlich dadurch an mich fesselte, daß ich ihm gestattete, mit meiner Doppelflinte auf die Entenjagd zu gehen, zuerst über den Steindamm ans nördliche Ufer der Bucht, dann in nordöstlicher Richtung über die trachy-tischen Hügel, welche das Becken von Aibukit nördlich begrenzen und auf deren Südabhange das obenerwähnte halb zerstörte Dorf Eijül lag. Von ihrer Höhe, die frei von Waldung war, hatte ich einen reizenden Blick auf den halbkreisförmigen Kessel von Aibukit, in welchen sich die Hügel ganz allmählich absenkten, während sie am östlichen Ufer steil in das Meer abfielen. Hier schien kaum Raum genug für die Ortschaften zu sein. Auch traten die Riffs mit ihrer weißen Schaumlinie weit näher an das Ufer heran, sodaß sich zwischen ihnen und dem Lande, von dem sie höchstens einige tausend Schritt entfernt sind, nur ein Bootkanal hatte bilden können; während sich zwischen den Riffen der westlichen Seite ein Haupt- und viele Nebenkanäle durchzogen, die mitunter die ansehnliche Tiefe von 40—50 Faden erreichten. Ein etwa einstündiger Marsch brachte uns am Morgen nach Aural, wo wir uns trennten — Asmaldra, um für unser Mittagessen Enten zu schießen, ich, um Insekten zu sam-melu. Die Jahreszeit war offenbar sehr ungünstig; denn ich sing nur sehr wenige und meist verstümmelte Schmetterlinge. Am Nachmittag begann dann der Tanz, welcher das nun schon seit drei Tagen anhaltende Volksfest beschließen sollte. Auch in diesem Dorfe lagen die Häuser weit voneinander getrennt, wie in Aibukit, mitten im Walde der Kokospalmen und umgeben von Nutzpflanzen sowol wie Ziersträuchern, welche die Bewohner mit Vorliebe cultivirten. Der Platz, auf welchem das Fest gefeiert wurde, befand sich mitten im Dorfe, aber ebenfalls rings umgeben von Gebüsch, sodaß man nur an wenigen Stellen einen Blick auf andere Häuser erhielt, dort näm- Fest in Aural. 55 lich, wo die gepflasterten Wege mitunter gerade auf ein solches Zuliefen. Auf der einen Seite des nicht fehr großen, beinahe quadratischen Naumes war eine aus Baumstämmen roh gezimmerte, etwa 3 Fuß hohe Plattform aufgerichtet, während auf den drei andern Seiten eine Menge kleiner, ganz offener Hütten gebaut worden waren, in welchen die zum Besuch von nah und fern gekommenen Freunde des Dorfs lebten, solange das Fest dauerte. Manche von ihnen waren mit allen ihren Kindern und vollständiger Hauseinrichtung gekommen, und es wurden hier offenbar die Gäste nicht, wie bei andern Festen, vom Dorfe selbst eingeladen oder bewirthet. In zeder Hütte hatten sich meistens zwei bis drei Familien niedergelassen, sodaß das Innere derselben ganz von den vielen Weibern und Kindern, ihren Siebensachen und Lebensmitteln angefüllt war. Ihre großen eisernen Kochschalen, welche ihnen sonst zur Zubereitung des Trepang dienen mußten — Schalen von etwa 3 Fuß Durchmesser — waren nun angefüllt mit Fischen oder ihrem Nationalgerichte, dem „Knickn", und standen auf Feucrstellen, welche vor den Häusern auf dem freien Platze angebracht waren. Es vertritt die außerordentlich mehlreiche Wurzel des ^rrun 68cui6ntuN hier wie auf allen Inseln des Stillen Oceans den Reis bei den Malaien, und Fische und Muscheln, Kokosnüsse und Früchte der Bananen bilden nur die luxuriöse Zugabe und Würze ihres für gewöhnlich äußerst einfachen Mittagsmahles. Bei solchen Festen jedoch sucht auch hier jede Hausfrau die andere durch die Mannichfaltigkeit ihrer Gerichte zu übertreffen, die sie ungleich den heidnischen sowol wie christlichen Malaien der Philippinen in ihren mit rothem Lack*) überzogenen Schüsseln auch gefällig für das Auge nnd mit Blumen verziert an- *) Ein eigentlicher Lack ist es nicht, womit sie ihre Schüsseln flirbcn. Sie reiben nämlich die rothe, stark eisenhaltige ^chmcrde so fein nls möglich an mit Kokosnußöl lind tragen dic Mischung in möglichst feinen Lagen zu 56 II. Erster Aufenthalt am Lande. zurichten lieben. Von morgens früh bis zum Abend stiegen beständig die allerdings nicht immer süß duftenden Rauchwolken nach oben — denn gegen den Geruch faulender Fische schienen jene Leute nicht eben sehr empfindlich zu sein. Hier saßen im Hause ein paar junge Mädchen, beschäftigt, das Fleisch der eben geöffneten Kokosnuß zu schaben oder den Kukau zu stampfen, der zum Anfertigen der verschiedensten Kuchen dienen sollte; andere schürten das Feuer oder vertheilten die fertigen Gerichte in den sauber abgewaschenen Schüsseln. Beständig gingen junge Männer, die wol der niedrigsten Klasse angehören mochten, hin und her, Körbe mit Kukau oder Kokosnüssen auf dem Kopfe, oder Fische und andere eßbare Scethiere bringend; und mit ihren schönen hochgelben, oft schwarz geränderten Schürzen liefen junge Mädchen von Hütte zu Hütte, eine Schüssel mit eiuem feinen Gericht oder eine Trinkschale voll besonders süßen Getränkes (des sogenannten oiiaut) als Freundesgruß ihrer Aeltern anbietend. Die vornehmern Männer freilich — die Rupacks und die ältern Leute — saßen rauchend und schwatzend in Gruppen auf dem Platze zusammen oder sie lagen schlafend in ihren Hütten. Diesem Treiben, das ich mit wahrer Freude betrachtete, machte endlich das rasch sich fortpflanzende Gerücht ein Ende, daß nun der Glanzpunkt des ganzen Festes gekommen sei. Gleich legte jede der Frauen ihre Arbeit nieder, die schlafenden Männer erwachten, und alle gruppirten sich so, wie es die einheimische Sitte vorschrieb, — die Frauen und Mädchen Zusammen in vorderster Reihe, dahinter die Männer — um mit Ungeduld den Zug Zu erwarten, von dessen pompöser Ausstafsi-rung schon vorher allerlei Gerüchte gegangen waren und der sich wiederholten malen hintereinander auf. Jedesmal wird, nach dem Trocknen, die Laäschicht dnrch glatte Steine fest in das Holz cingericbcn und polirt, dann eine neue anfgetragcn, wieder polirt u. f. w. Der rothe Uelierzug vcr< bindet sich dabei so sest mit dem Holze, daß kochendes Wasser ihn nicht abzulösen uermag. Der Tanz. ' 57 NUN aus der Ferne mit einigen Flintenschüssen und einem wüsten Geschrei ankündigte. Von der einen Seite her kam, die nackten Oberkörper und die Beine über und über mit Roth bemalt, ein Haufe Weiber, welche mit wüthenden Geberden, Lanzen in den Händen schwingend, sich einem kleinern Haufen näherten, der in gleichem Schmuck und auch bewaffnet, von der entgegengesetzten Seite heranschritt. Bis auf drei oder vier Schritte Entfernung traten sie sich entgegen, als wollten sie einen Kampf beginnen; dann aber hielten beide Parteien an, gruppirten sich zu mehreru Reihen und begannen nun unisono einm sehr einförmigen, aber doch nicht unmelodischen Gesang. Seit langen Jahren hörte ich hier wieder zum ersten male einen aus voller Brust kommenden Ton. Dabei bewegten sie sich nicht von der Stelle, aber indem sie alle in genau abgemessenem Rhythmus die Hüften in eine eigenthümlich wiegende Bewegung versetzten, brachten sie durch das Aueinanderschlagen ihrer Blätterkleider ein lautes Rauschen hervor, welches ihren Gesang streng abgemessen begleitete. Mit einem lauten Aufschrei endigte die Pantomime, welche, wie man mir sagte, eine Scene aus dem jüug-sten Kriege darstellen sollte. Dann gingen sie alle in ihrem feuerrothen Schmuck auf die Plattform und stellten sich hier in einer langen Reihe auf. Es mochten nahe an 30 Weiber sein. Sie begannen jetzt eine Art pantomimischen Tanzes, wobei sie bald die Arme in den man-nichfaltigsten Touren langsam bewegten, bald nur den Oberkörper hin- und herwiegten, indem sie ihre Arme unbeweglich erhielten; oder sie bogen ihre Knie etwas ein, hielten den Oberkörper fest und schwenkten nun den Unterkörper rhythmisch nach rechts und links, sodaß die ganze Reihe gelbrothcr, steifer und weit abstehender Schürzen in eine gleichmäßige ununterbrochene Wellenbewegung gerieth. Auch hier begleitete Gesang den Tanz. Eine Vorsängerin schien die Worte desselben zu improvifiren, die mir leider gänzlich unverständlich waren; und der Chor 58 II. Erster Aufenthalt am Lande. wiederholte dann — wie bei der Messe — unisono die vorgesungene Zeile. Mit einbrechender Dunkelheit beendigte ein lauter Schrei den Tanz und damit auch das Fest. Da der Weg nicht weit war, so ging ich von Gonzalez, Arakalulk und meinen übrigen Leuten begleitet unter Fackelschein zurück nach Tabattel-dil, während sich Asmaldra, Unwohlsein vorschützend, nach Nallaft in sein eigenes Haus begab. In den letzten Tagen hatte ich, wie schon erwähnt, etwas mehr Ruhe in meinem Hause gefunden und auch begonnen, mich mehr an die Eigenheiten meiner Diener zu gewöhnen. Zwar spielten dabei Asmaldra wie Arakalulk eine nicht ganz verständliche Rolle. Sie hatten sich mir — wie ich glaubte — persönlich zum Dienste angeboten und sollten nach unserer Verabredung in meinem Hause schlafen. Statt dies zu thun, gaben sie mir einige Leute als Stellvertreter; sie selbst kamen zwar meistens des Tages, mich zu besuchen; aber die Befehle, die ich ihnen gab, übertrugen sie immer jenen, sie selbst legten wenig Hand mit an. Nur mich persönlich bedienten sie gern; einer von ihnen war regelmäßig bei mir aus meinen Excursionen. Nun genoß ich auf diese Weise zwar nicht den Nutzen, den ich von ihnen erhofft hatte; aber wenig verwöhnt in Bezug auf die zu erwartenden Erfolge dieser Reise — die ich schon wie einen Miserfolg zu betrachten begann ^ war ich dankbar dafür, daß ich doch endlich mit ihrer Hülfe wenigstens etwas sammeln und arbeiten konnte. Natürlich richtete ich dabei mein Hauptaugenmerk auf die Thiere des Meeres, während ich den mit guten Augen begabten Alejandro dazu anhielt, im Dorfe Schmetterlinge, Insekten und allerlei andere Landthicre zu faugen. Leider sollte meine Ruhe bald wieder gestört werden. Am 27. April mittags sah ich von Süden her eine Anzahl langer Boote, wie ich sie bisher noch nie im Wasser gesehen hatte, heraufziehen und bei der Lady Leigh anlegen. Ich erfuhr bald. Besuch von Ebadul. 59 daß es Ebadul (Abba Thule)^) von Coröre sei, der dem Kapitän Woodin einen Besnch abstattete. Als dann das Wasser am Nachmittag hoch genug gestiegen war, um die Einfahrt in den eigentlichen Hafen von Aibukit unternehmen zu können, zogen sie alle mit entsetzlichem Halloh und Geschrei, die Nuder hoch über ihren Köpfen schwingend, an unserm Hause vorüber. Natürlich erregte das Kommen ihrer Feinde meine Leute sehr. Zuerst liefen sie alle fort, ins Dorf hinauf, da sie meinten, es würde Krieg geben; aber Arakalult kam bald wieder und brachte mir folgende Erklärung des unlieben Besuchs. Bei jenem oben ausführlich erzählten Angriff der englischen Boote stahlen die Leute von Armlimui, Coröre und andern Orten denen von Aibukit eine Menge Boote und setzten verschiedene Häuser in Brand. Trotz der Hülfe der Engländer aber schien den Eingeborenen der Erfolg der Südländer kein ganz vollständiger gewesen zu sein; denn das Ansehen Aibukits hatte trotz dieses Schlags nicht sehr gelitten, und als nun erst Cabel Mul mit seinem Schisse, Piter mit seinem bekannten uud gefurchteren Muth wiedergekommen waren uud sich das Gerücht verbreitet hatte, daß mit ihnen ein vornehmer fremder Rupack — nämlich ich — gekommen sei, der, ebenso mächtig wie Cheyne, sicherlich bald ein Kriegsschiff nach Aibukit hinrufen werde — da erfaßte sie alle die Furcht, es möchte nun der nördliche Staat einen Kriegszug nach dem Süden unternehmen, um sich für den erlittenen Schaden zu rächen. Zum Theil mochte ich wol durch meine eifrigen Nachforschungen nach den Umständen des Angriffs — wovon sicherlich die Kunde auch nach Coröre gedrungen war — mit dazu beige- ») „Abba Thule" schreibt Wilson in dem schon angeführten Werke, nach englischer Aussprache, jedoch nicht ganz richtig. Anch meine Schreibweise ist nicht völlig correct; das ^ ist kein reines deutsches o, sondern nähert sich dem spanischen ci und das ä nmß gesprochen werden wie das englische tk. 60 II. Erster Aufenthalt am Lande. tragen haben, bei der einen Partei Furcht, bei der andern Hoffnungen zu erregen. Aber auch ohne das Interesse, das ich den Bewohnern von Aibukit gezeigt, hätte ich doch mit dem besten Willen dieser mir sehr unlieben und später sogar unbequem werdenden Standeserhöhung nicht aus dem Wege gehen können; denn allein das weiße Gesicht wäre schon hinreichend gewesen, mir Fürstenrang bei ihnen zu verschaffen; und da ich weder um Handel zu treiben, noch zu andern verständlichen Zwecken dahin gekommen war, und all mein Thun und Treiben ihnen wie das eines mächtigen, reichen Nupack erscheinen mußte, so war es wol erklärlich, daß die Bewohner von Aibukit von mir thätige Unterstützung erwarteten. Denn vom Gegentheil ließen sie sich niemals überzeugen, trotzdem Woodin wie Varber und ich ihnen beständig das Abgeschmackte einer solchen Hoffnung deutlich zn machen versuchten; sie wollten es nicht glauben, daß wir in unserm eigenen Lande nicht besser seien als der gemeinste Mann unter ihnen, und daß wir also auch nicht die Macht hätten, ihnen in der gewünschten Weise beizustehcn. Ihre beständige Antwort war, wir seien doch ebenso mächtig wie Cheyne; er aber habe ein solches Kriegsschiff gerufen, und so müßten wir es auch können. Gegen solche Logik war natürlich schwer anzukämpfen. Namentlich Krei plagte mich, als ich erst anfing, ein wenig Palau zu sprechen, fortwährend mit der Bitte, einen „man-ok-nar" zu citiren; denn er wünschte den Lorbern seiner Jugend noch durch die Vesiegung seines Todfeindes Coröre den reichsten Kranz hinzuzufügen, ehe das herannahende Alter ihn seines Muths und seiner Thatkraft gänzlich berauben würde. Diese Plane den Bewohnern von Aibukit zu zerstören, kam nun Gba-dul in höchsteigener Person und bot den bisherigen Feinden Frieden und Freundschaft an. Zwar wurden die geraubten Boote und Sachen nicht wieder zurückgegeben; aber ein großes Stück einheimischen Goldes der höchsten Sorte ersetzte nach landesüblicher Sitte den Verlust vollständig, entwaffnete aber Aibukit Das steinerne Geld. 61 für den Augenblick gänzlich. Denn die Weigerung, es anzunehmen, wäre nach Landesbrauch eine Kriegserklärung gewesen; und da die Bewohner von Aibukit nicht gerüstet und noch immer sehr niedergeschlagen waren, so nahmen sie das Geld und damit den Frieden an. Auch mochte sie wol das Stück Geld gereizt haben; war es doch von der Sorte „wack", die im höchsten Ansehen stand, da von ihr nur drei oder vier Exemplare im ganzen Lande vorhanden waren, und mit welchem sie jederzeit das verfallene Leben irgendeines Fürsten würden erkaufen können. Es sind Steine, Glasscherben, Stücke von Porzellan oder Email und Perlen, welche hier auf den Inseln die Rolle des Geldes zu spielen haben. Sie haben davon sieben verschiedene Klassen, die in ihrer Folae von oben nach unten heißen „dracic" ,pangungau", „kalbukup", „kaldoir", „kluk", „adelobber", „olLlou^", und deren Werth im Verkehr bestimmt wird einmal durch die Größe und dann durch den Rang, welchen jedes in der angegebenen Liste einnimmt. Von der ersten Sorte, Brack, von der, wie gesagt, höchstens drei oder vier Stücke auf der ganzen Inselgruppe existiren, habe ich nie ein Exemplar gesehen; der Pangungau ist ein rother Stein — vielleicht Jaspis — welchen die Weiber der Vornehmen mit großem Stolz am Halse zur Schau tragen; der Kalbukuv scheint immer Achat in bestimmter cylindrischer Form zu sein. Dies sind die drei Geldsorten der Fürsten und kommen nie unter das gemeine Volk; denn während jene unter sich ihre Canoes meistens mit einem Kalbukup bezahlen, erhalten die Leute des Armeau, wenn sie an jene ein Boot verkaufen, die Bezahlung in einer der niedrigern Geldsorten. Vom Kaldoir an gehören die andern vier Gelder dem allgemeinen Verkehr an, und der Werth eines kleinen Adelobber oder Olelongl — beides, wie es scheint, immer weiße oder grüne Glasstückc — ist oft kaum genügend, um einen Vündcl einheimischer Papiercigarren oder eine Hand voll Bananen zu kaufen. Alle diese Stücke haben ohne Ausnahme 62 II> Erster Aufenthalt am Lande. ein feines cvlindrisches Loch"), durch welches ein dünner Faden gezogen wird, um es entweder als Schmuck am Halse tragen oder in ihren kleinen geflochtenen Säckchen, die ihnen zum Aufbewahren von allerlei Gegenständen dienen, durch Anknüpfen vor Verlust bewahren Zu können. Die Bedeutung, die dieses Geld im Verkehr hat, mußte natürlich die handeltreibenden Seefahrer zu dem Versuche reizen, Scherben von Flaschen uud Porzellangefäßen oder nachgemachte Perlen einzuschmuggelu; aber der Versuch soll meistens mislungen sein. Thatsache ist jedenfalls, daß die Einwohner behaupten, ihr eigenes autochthones Geld von dein so in der Neuzeit eingeführten leicht unterscheiden zu können; und es hat mich oft erheitert, zu beobachten, wie beim Abschluß ihrer Geschäfte das Geld erst gegen das Licht gehalten, dann mit einem Tuch abgewischt und endlich an der Wange oder Nase gerieben wurde, um zu erkennen, ob das Geldstück echt oder unecht sei. Wenn man dann sagt, ihr Geld sei ja doch nur Glas, und irgendeine Flasche könne ihnen genug davon liefern, so antworten sie immer, das letztere fei ") Als Wilson in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auf den Palaus scheiterte, hatten die Eingeborenen ausschließlich steinerne Waffen und Instrumente; unr Ebaoul besaß eiue eiserne Ap. Trotzdem haben sie verstanden, in die kleinsten StüÄe ihres Geldes wie in die größten cylin-drischc Löcher oder Doppclkegellöcher zu bohren; doch kaNn man fragen, od sie selbst dies thaten — wie auch die Europäer der Steinzeit ja ähnliche Löcher in Stein gebohrt haben — oder ob sie ihr Geld bereits mit den Löchern versehen von einem andern Volke erhalten haben. Bei zwei mir vorliegenden Stücken scheinen die Lücher gleichzeitig mit dem Glase gegossen zn sein; es sind Perlen. Ein anderes scheint ans der Schale dcr schönen gelbrothen (^praen aurora zu sein; in diesem ist das Loch völlig cylindrisch und nicht qner, sondern der Länge nach durchgebohrt. Es ist die Frage, woher diese Geldstücke kamen, wer sie etwa oder die darin angebrachten Löcher angefertigt, natürlich von der größten Bedeutung, da sich im günstigen Falle daraus eine recht genaue Altersbestimmung dieser „Geldpcriode" auf den Palaus ableiten läßt. Leider scheint die Untersuchung mit solchen Schwie« rigkcitcn verknüpft zn sein, daß ich zweifeln möchte, dies Material jemals in dem angedeuteten Sinne richtig und mit Erfolg verwerthet zn sehen. Die Sage von den sieben Gcldsorten. 63 nichts Werth, da es von Menschen gemacht sei, das ihrige dagegen sei himmlischen Ursprungs. Es soll nach einer ihrer Sagen nämlich aus dem schönen leuchtenden Auge eines der Himmelsbcwohner entstanden sein, welches zu jener Zeit, als nach ihren Traditionen noch Halbgötter ans den Inseln lebten — die sogenannten Kalids — von einem derselben geraubt und auf die Erde gebracht wurde. Nach einer andern Mythe war die Insel Ngarutt, die ans solchem von Göttern selbst getragenen Gelde besteht und frei im Meere herumschwimmt, in jenen frühern Zeiten mitunter bei den Palaus angetrieben und hatte hier nun einen Theil ihrer Geldbewohner zurückgelassen. Gleichwie sie nämlich dem Gelde göttlichen Ursprung zuschreiben, so führen nach ihrer Meinung auch die Geldsorten auf jener Insel ein wirkliches Götterleben. Eine reizende kleine Erzählung hierüber, die übrigens an eine bekannte Kindergcschichte erinnert, zeigt, daß auch hier die Menschen sich ihre Götter nach ihrem Bilde machen. Sie wurde mir von Arakalulk erzählt, als ich der Sprache schon hinreichend mächtig war, um seinen klaren und zusammenhängenden Erzählungen folgen zu können. „Eines Tags kam ein Boot angeschwommen, dessen Insassen, jene sieben Geldsorten, von ihrer heimatlichen Insel Ngarutt ausgezogen waren, neue Länder zu suchen, wo es ihnen besser als in ihrer Heimat gefiele. Lange waren sie schon im Ocean herumgeschwommen, ohne das Ziel ihrer Wünsche finden zu können. Endlich kamen sie auch hier bei Palau an. Vor dem Hafen befahl Brack, der als der Vornehmste unter ihnen auf der Plattform des Bootes ausgestreckt lag, dem nächstell im Rang, Pangungau, an Land Zn gehen uud sich die Insel anzusehen. Pangungau, ebenso faul wie sein Fürst, befahl dasselbe dem ihm zunächst Untergebenen, dem Kalbukup; doch auch der ging nicht, sondern trug es Kaldoir auf, dieser wieder Kluk, bis endlich der vielgeplagte Olelongl gehen muhte, da er niemand mehr zu schicken hatte. Er kam aber nicht wieder. Nach 64 U. Erster Aufenthalt am Lande. einiger Zeit wiederholte Brack seinen Befehl, der jetzt bis auf Adelobber herabkam; auch dieser ging murrend und kam ebenso wenig wieder. Ihm ward nun Kluk nachgeschickt, die beiden zu holen; statt dies zu thun, blieb auch er auf der Insel — und so ging das fort, bis endlich Brack von seinem gemeinen Volke wie seinen Vornehmen verlassen war. Nun ging er selbst, um sie wieder zu holen; aber auch ihm gefiel unsere Stadt, und so blieben sie nun alle sieben da und setzten ihre gewohnte Lebensweise fort. Brack thut nichts als essen, trinken und schlafen, immer schickt der Höhere den niedriger Stehenden; und so kommt es", setzte mein Berichterstatter mit feinem Lächeln hinzu, „daß, gerade wie bei uns Menschen, immer das große Geld ruhig zu Hause sitzt und nichts thut, das kleinere dagegen tüchtig herumlaufen und für sich und die vornehmern Sorten zugleich arbeiten muß." Am Nachmittag des 28. April ging ich ins Dorf hinauf, theils mit der Absicht, den am Fieber krank liegenden Mad zu besuchen, dann aber auch mir die Leute von Coröre etwas anzusehen. Leider fand ich sie nicht mehr vor, da Ebadul schon früh am Morgen, während ich noch schlief, nach Aracalong abgereist war, in der Absicht — wie er wenigstens vorgab — Frieden zwischen diesem Staate und Aibukit zu stiften. Nachdem ich dann Mad etwas Chinin gegeben und auch noch den in Rallap krank liegenden Asmaldra besucht hatte, sprach ich noch bei Krei vor, wo mich seine Frau wie immer mit größter Zuvorkommenheit empfing. Es war eine aufgeweckte, trotz ihrer 35—40 Jahre noch ziemlich stattlich aussehende Matrone, die ihre Last, Gattin des Krei zu sein, mit musterhafter Würde trug. Man brauchte nicht gerade sehr scharfsichtig zu sein, um zu bemerken, daß bei ihr so wenig wie bei den andern Frauen, namentlich der Vornehmen und Fürsten, andere Gefühle als Rücksichten der Convenienz die Ehe gestiftet hatten; und sie selbst sprach sich eines Tags in meinem Beisein sehr rückhaltslos Weibcrltagen und Männcrtrme. ß5 Über ihr Verhältniß zu Krei wie über das der Frauen zu ihren Männern überhaupt aus. Johnson nämlich hatte kurz nach seiner Rückkehr wieder eine neue Frau genommen — damals hatte er als reicher und mächtiger Mann drei auf ein-mal —, ein ganz junges Ding, das, obgleich nur eine Wilde, doch ein gewisses Anrecht auf die Treue und Liebe des Gatten zu haben glaubte. Diesen hatte aber bei der Wahl nur die vornehme und reiche Verwandtschaft geleitet; und er hatte, um die weitgehenden Ansprüche seines großen Herzens zu befriedigen, sowol unter den Mädchen der Bais wie unter den im Schose ihrer Familie lebenden gar manche vertraute Freundin gesucht und gefunden. Dies verdroß seine junge, rechtmäßig angetraute — d. h. angekaufte — Gattin, die eines Tags, als ich gerade in Krei's Hause war, weinend hereintrat und Krei's Frau ihr Herzeleid klagte. Diese ließ sie erst ausweinen, und dann erzählte sie ihr die eigene Lebensgcschichte, wie auch sie in ihrer Jugend dem Krei seine Untreue oft bitter übel genommen habe; aber das sei nun einmal in ihrem Lande nicht anders möglich. „Alle Männer wären gleich schlecht in dieser Beziehung — oder eigentlich thäten sie ganz recht, denn die Frauen selbst wären ja oft genug die erste Ursache von der Untreue der Männer; und solange sie nicht das Verhältniß der rechtmäßig angetrauten Frauen zu den im Bai lebenden unverheirateten Mädchen — den «Armungul« — gänzlich lösten, würde es immer so bleiben. Sie solle doch nur bedenken, daß sie selbst einige Monate in Nallap Armungul gewesen sei, und daß ihr doch das freie ungebundene Leben, das sie als solche geführt, sehr wohl gefallen habe, ganz besonders aber auch die Bedienung von seiten der verheirateten Frauen. Solange diese noch den Ar-mungul im Bai täglich die Nahrung bringen müßten, würden sich immer Mädchen bereit finden, einige Monate im Bai zuzubringen, um so leichter, als sie bei ihrer Rückkehr ins Dorf den Aeltern ein großes Stück Geld mitbrächten und auch nicht lange Cemper. " 5 66 II. Erster Aufenthalt am Lande. auf einen Mann zu warten brauchten. Manchen von den Frauen gefiele ja doch dies Leben im Bai so gut, daß sie ihren Männern davonliefen, um wieder in ein solches einzutreten. An allem diesen zu rühren, verböte aber die alte ehrwürdige Sitte, und wenn sie jetzt den Armungul nicht mehr die Nahrung ins Bai bringen wollten, so würden die Männer auch keine Bedienung mehr haben; denn die rechtmäßige Gattin dürfe vor der Welt niemals zeigen, daß sie mit ihrem Manne in so vertrautem Verhältniß lebe; das sei mu^M^), uud wenn einmal dieses Wort keine Macht mehr habe unter ihnen, so würde auch sicherlich ganz Palau untergehen." Zwar hatte ich schon durch Johnson früher gar manches über solche Verhältnisse erfahren, nie aber recht daran geglaubt, bis mich endlich dieses Gespräch zwischen den beiden Frauen, das ich wenigstens der Hauptsache nach schon ohne Dolmetscher verstehen konnte, von der Nichtigkeit seiner Angaben überzeugte. Auch in manche andere Geheimnisse des dortigen Lebens wurde ich durch Krei und seine Frau eingeweiht. Krei hatte, wie es schien, ein- für allemal sich das Protectorat über alle Europäer zuertheilt — oder vielleicht war dies eine Beschäftigung im Staate, die ihm als Krei zukam — und seine Frau hatte vom ersten Tage an in liebenswürdigster Weise für mich gesorgt. Solange ich im Dorfe lebte, war ich bei allen Mahlzeiten ihr *) Das Wort „miiFui" und sein Gegensatz ,,tokoi" bilden das dritte Wort in der Unterhaltung. Jenes heißt ,,schlechter", dieses „guter Gebrauch". Bei vollständig mangelndem oder doch nur ganz unklarem Verständniß uon der ethischen Bedeutung der Gesetze können natürlich die Individuen in ihrem Verkehr untereinander immer nur die Gewohnheit, die Sitte zur Richtschnur ihres Handelns nehmen; ihr beugen sie sich, denn ihre Aeltern, ja sogar ihre Götter thaten eS, als sie noch auf Erden lebten, sie thun es heute noch im Himmel. Doch würde es vorschnell urtheilen heißen, wollte mau diesem Völkchen wegen seiner unbedingten Anerkennung der Allmacht der Sitte jede Spur einer etwas tiefern Auffassung ihrer eigenen Lebensverhältnisse absprechen. Badescenen. 67 erwarteter und gern gesehener Gast; und als ich nachher mein Haus bezog, verging fast kein Tag ohne eine freundliche Botschaft nebst Geschenk. Von jeder für mich interessanten Neuigkeit setzte sie mich ungesäumt in Kenntniß, und sie kam selbst häufig nach Tabatteldil, einen großen Korb mit Kukau auf dem Kopfe oder eine Flasche Eilaut in der Hand, um nachzusehen, wie es ihrem „Sohne" gehe. So pflegte sie mich scherzweise, wenn sie bei guter Laune war, zu nennen. Kurz, das Verhältniß zu Krei und seiner Frau^), meiner Mutter, war bald ein so inniges geworden, wie dies überhaupt für mich möglich war; und ich denke noch jetzt oft mit Freuden an die Herzensgüte und freundliche Gesinnung zurück, die wenigstens von feiten der Frau eine reine und von keinem Eigennutz eingegebene war. Hier im Hause von Krei traf ich auch gewöhnlich mit Gonzalez zusammen, der sich ebenfalls unter seine Fittiche begeben hatte. Wie meistens gingen wir auch diesmal bei einbrechender Dunkelheit den Landweg über das von den Engländern zerstörte Dorf Atraro nach Hause. Das ganze Land rings um die Bucht von Aibukit ist von trachytischen Hügeln gebildet, die sich an manchen Stellen schroff in die am Fuße der Berge liegenden sumpfigen Kukaufelder absenken. Sie werden von zahlreichen ErosionZschluchten durchschnitten, in denen allen ein Bach rauscht, der sich häufig zu einem etwas abseits gelegenen Bassin erweitert. Es war das erste mal, daß ich gegen Abend gerade diesen Weg machte; und überall traf ich auf badende Männer, die hier, nachdem sie den Staub des Tages abgewaschen, sich den Körper frisch mit Kokosnußöl salbten und mit ihrem dreizinkigen Kamme die sonst hinten in einen Schöpf zusammengebundenen *) Die Frauen der Vornehmen wenigstens werden nie mit ihrem Na-Men, sondern immer als „Frau dcS Krei", „dcS Mad" angeredet oder be-zeichnet; von manchen habe ich nie dm Namen rrfahren. 68 II- Erster Aufenthalt am Lande. Haare, nun aufgelöst, in eine rings das Gesicht einfassende buschige Haarkrone auskämmten, wie sie sich der Struwwelpeter nicht schöner hätte wünschen können. Dicht hinter Atrarö ging der Weg an dem größten der Wasserbecken vorbei; aber ehe wir dasselbe erreicht hatten, wurde ich nicht wenig in Erstaunen gesetzt durch ein fürchterliches, von meinen Begleitern unisono ausgestoßenes und langgedehntes „Nina, — Owa". Eine Mädchenstimme antwortete uns sogleich aus dem Gebüsch, und meine Leute hielten mich zurück, da dort im Bassin badende Frauen seien, welche nicht gestatten wollten, daß wir vorübergingen. Als ich bemerkte, daß das ja nur Weiber wären, vor denen sie sich doch nicht fürchten würden, meinten sie: das nun wol nicht; aber Frauen im Bade hätten ein unbegrenztes Recht, den gegen ihrm Willen bei ihnen vorbeigehenden Mann zu prügeln, mit Geldstrafe zu belegen, ja sogar zu todten, wenn sie es an Ort und Stelle zu thun vermöchten. Es sei deshalb auch der Badeplatz der Frauen der sicherste und beliebteste Ort für heimliche Zusammenkünfte. Zum Glück dauert auf diesen Inseln die Toilette der Damen nicht lange; nach wenig Minuten schon rief uns ein zweiter Schrei herbei, und als wir den jungen Mädchen, die sich dort gebadet hatten, nun begegneten, hatten einige von ihnen noch nicht einmal den Gürtel wieder festgeknüpft, durch welchen sie die beiden Vlätterschürzen festhalten. Ohne weitern Aufenthalt gelangte ich nun auf dem zuletzt sehr schroff absteigenden Woge nach Tabatteldil, wo mich Arakalulk, der aus der Stadt mit einem Canoe weggefahren war, mit der Nachricht empfing, daß eben Ebadul wieder angekommen und daß seine Mission in Aracalong gänzlich gescheitert sei. Er meinte, mm werde es wol bald wieder Krieg geben; denn die ganze Reise wäre sicherlich nichts weiter gewesen als eine kühn ausgeführte Kundschafterei. Sie habe Ebadul zwar ein großes Stück Geld gekostet; aber wenn es den Leuten von Coröre gelänge, Aibukit zu besiegen, so würden sie beim Friedens- Zweiter Besuch Ebadul'S. 69 schlusse weit mehr zurückerhalten. Arakalulk kam absichtlich herunter, mir dies sogleich mitzutheilen; denn es sei wahrscheinlich, daß Ebadul früh am nächsten Morgen bei mir zu einem Besuch vorsprechen würde; und da die Leute von Coröre große Diebe seien, so habe er mich noch am Abend benachrichtigen wollen, um mir Zeit zum Einschließen meiner Habseligkeiten zu geben. Schon am Tage vorher hatte mir Woodin ebenfalls ein paar eilige Worte zukommen lassen, mich mahnend, vor Ebadnl und seinen Genossen auf der Hut zu sein. Hier in Aibukit hatte ich bisjetzt über keine bemerkenswerthen Diebereien zu klagen gehabt; und etwas Küchenraub meinen Dienern zu verzeihen, hatte ich längst auf den Philippinen gelernt. Woodin sowol als Barber und Johnson wußten die Ehrlichkeit der Leute unsers Staats nicht genug zu rühmen; ja letzterer erzählte mir, daß eigentlich auf Diebstahl Todesstrafe stehe. Allerdings könne man sein Leben unter allen Umständen durch ein Stück Geld erkaufen; aber der Werth des zu bezahlenden Geldes wechsele je nach der Person des Verbrechers und nach Art und Schwere des Verbrechens. Am Morgen des 29. April kam nun Ebadul wirklich. Er fand mich gerade in Arbeit; und da ich mich weder durch Krei noch Mad oder irgendeinen andern Fürsten in meinen Untersuchungen stören ließ, so hatte ich auch diesmal meinen Dienern Befehl gegeben, Ebadul so wenig wie andere Leute in mein Arbeitszimmer einzulassen. Dies hatte seinen Fürstenstolz beleidigt. Als ich nach einer halben Stunde zu ihm in die Empfangshalle trat, empfing er mich gleich mit scharfem Tadel über meine Unhöflichkeit; aber bald glätteten sich seine Züge wieder, und nun machte er mir den Eindruck eines recht gemüthlichen alten Mannes. Uebrigens hinderte ihn sein fürstlicher Stolz doch nicht, mir gleich nach wenigen Worten der Begrüßung, die sich hauptsächlich um das hübsche von mir gebaute Haus drehten, ohne alle Umschweife ein Messer und einen Feuerstein abzuver- 70 II. Erster Aufenthalt am Lande. langen. Namentlich der letztere, mit gutem Stahl und einem langen Stück künstlichen Zunders versehen, gefiel ihm und seiner Begleitung sehr; und ich hätte wahrscheinlich während des Besuchs noch mehr Stücke abgeben müssen, wenn nicht die rasch fallende Ebbe drohte, seine Boote aufs Trockene zu legen. So nahm denn Ebadul bald seinen Abschied, indem er schließlich noch die Bitte aussprach, ich solle ihn doch in Coröre besuchen. Ich gab ihm das Versprechen, dies zu thun, nicht ahnend, unter welchen eigenthümlichen Umständen ich mein Wort einzulösen haben würde. III. Ich zahle Lehrgeld. -3etzt war also Friede zwischen Aibukit und Coröre. Die politischen Wogen waren offenbar in den letzten Monaten ganz besonders hoch gegangen, sodaß ich hoffen konnte, der Friedensschluß würde nun wie eine Windstille die aufgeregten Geister beruhigen und mir meine Leute auch etwas willfähriger machen, als sie bisher gewesen warm. Im Grunde konnte ich mich nicht sehr über sie beklagen. AZmaldra und Arakalulk sowol wie Casöle, Cabalabal und Arungul, die beständig m Tabatteldil blieben, während die beiden ersten nur selten bei mir schliefen, sie alle waren gefällig und höflich gegen mich; aber doch benutzten sie jede Gelegenheit, um sich eine freie Stunde zu machen. Bald mußte dieser einen kranken Bruder besuchen, oder jener seine Schwester, die uns zu beschenken gekommen war, nach Nallap oder Noll begleiten; Casöle wurde von Asmaldra fast alle Tage mit auf die Entenjagd genommen, von der sie dann, allerdings reichbeladen, aber doch erst am Abend zurückkehrten, Cabalabal hatte im Auftrage von Arakalulk manche, wie ich nachher erfuhr, politische Besorgungen auszuführen, und nur Arungul schien durch die allgemeine Beweglichkeit nicht angesteckt zu werden. Diese Unruhe, hoffte ich, würde nun aufhören. 7Z III. Ich zahle Lehrgeld. Aber schon am Tage nach dem Besuche des Ebadul von Coröre sollte ich sehen, daß hier nicht daran zu denken sein würde, solche Nuhe zu gewinnen, wie ich sie mir für meine Arbeiten wünschte. Schon seit längerer Zeit hatte Mad gekränkelt an einem leichten intermittirenden Fieber, das ich ihm durch einige Dosen Chinin so ziemlich vertrieben hatte. Um mir nun ihre Dankbarkeit für die Wiederherstellung ihres Gatten auszusprechen, kam am 30. April frühmorgens schon Mad's Weib und mit ihr eine ganze Schar anderer Frauen, welche die günstige Gelegenheit benutzten, sich den „Era Tabatteldil" auch einmal anzusehen. Es war ein ganzer Clöbbergöll, der zu mir gekommen war. In ganz ähnlicher Weise nämlich, wie die Männer, bilden auch die Weiber ihre Genossenschaften, die wie bei jenen ihre Anführer haben, und die denen der Männer gegenüber die Rechte einer anerkannten Corporation besitzen, ohne freilich an den öffentlichen Arbeiten*) und am Kriege theilnehmen zu müssen oder ihre Mitglieder zum Bewohnen gemeinschaftlicher Häuser zwingen zu können. So kann es auch wol kaum das Bedürfniß nach Theilung der Arbeit gewesen sein, welches diese Weiber-Clobbergölls entstehen ließ; denn ihre Arbeiten im Hause und Felde besorgt eine jede Hausfrau für sich allein, und sie haben höchstens bei den häufigen Festen zu 5) Die öffentlichen Arbeiten der Clöbbeigölls der Männer sind folgender Art: 1) Dienst im Kriege, zu Lande wie zu Wasser; 2) Fronarbeiten bei Gelegenheit der Abhaltung aller öffentlichen Feste ohne Unterschied. Diese sind sehr manmchfaltig; aber zu jedem Besuch von uornchmcn Fremden, jeder Gesandtschaft, Theilnahme an Siegesfcstcn, Begräbnissen oder Kranlenfesten, jedem zur Abwehr einer Calamität — Krankheit, Krieg ?c. — abgehaltenen Fest und jeder regelmäßigen oder durch die Fürsten des Staates angeordneten religiösen (kirchlichen) Feierlichkeit: zu allen sind die Männer gezwungen, einen Theil der dazu nöthigen Lcbcnsnüttcl und Geschenke herbeizuschaffen; 3) das Bauen der Häuser, in welchen die Clobbergölls leben; 4) das Nähen der Segel zu ihren Kriegsbootcn; 5) das Fangen gewisser Fische, vorzüglich der mächtigen Rochen (rul). Alle solche Arbeiten im Dienste der Clobbergölls vdcr des Staats werden durch das unübersetzbare Wort „Makesang" bezeichnet. Die CMbcrMs der Weiber. 73 Ehren fremder Gäste einige kleinere Hülfsleistungen, z. B. das Aufputzen der den Gästen dargebrachten Kukau-Pyramiden*) gemeinschaftlich zu verrichten. Vielmehr scheint es, als ob wirklich das Bedürfniß nach einer gewissen Repräsentation im Staate, von den Frauen gefühlt und von den Männern anerkannt, diese Weiber-ClöbbergöllZ hervorgebracht und ihnen die mancherlei Prärogativen gewonnen hat, welche sie zweifellos besitzen. So haben sie z. B. das Recht, beim Tode des Königs oder Krei'Z von seiner Frau und Kindern gewisse Geschenke zu verlangen, und die Nichtbezahlung derselben durch einen Angriff auf das Privathaus des Königs zu rächen. Bei jedem Feste, welches fremdem Besuch zu Ehren gegeben wird, dürfen sie, um dieses möglichst glänzend zu machen, von den Bewohnern des Dorfes eine nach ihrem Reichthum wechselnde Contribution verlangen; eine Steuer, deren Eintreibung vom Clöbbergöll mit rücksichtsloser Härte geübt wird. Kurzum, es nehmen im Staate die Weiber-Clöbbergölls eine Stellung ein, welche derjenigen der Männer-ClöbbergöllZ in Bezug auf die ihnen zukommenden Rechte durchaus entspricht, und der mächtigste Fürst würde es nie wagen, gegen eine solche Weibergenossenschaft aufzutreten, wenn es dieser gelänge, die andern Vornehmen von der Unterstützung ihres Genossen zurückzuhalten. Ein einzelner Mann, selbst Mad, ist jedem solchen Clöbbergöll in der Doppelschürze gegenüber machtlos. So durfte ich es denn auch nicht wagen, mich gegen diese hohen Frauen unhöflich zu beweisen, obgleich ich um ihretwillen die prächtigsten Thiere in meinem Aquarium sterben lassen mußte. Und das schienen diese über und über mit gelbrother Farbe bemalten Schönheiten, die sich offenbar *) Der Kukau, d. h. gedämpfte Arumknollen, wird bei solchen Gelegenheiten auf niedrigen roth lackirten Gestellen zu mituutcr 8 Fuß hohen Pyramiden ausgebaut; auf dem Platze, auf dem das Fest gefeiert wird, stellt Man diese in Reihen oder Gruppen so auf, daß einem jeden Gast nebcu andern Gaben auch je eine solche Kukau-Pyramide dargebracht wirb. 74 III. Ich zahle Lehrgeld. mir zur Ehre ganz besonders geschmückt hatten, auch gar nicht anzunehmen, daß ich irgendwie das Recht beanspruchen könnte, die Thüren meiner Gemächer vor ihnen zu verschließen. Mad's Frau zwar und einige andere vornehme Damen bewahrten ihre Würde vortrefflich, trotz der Versuchung, die sie empfinden mochten, alle Winkel meines Hauses zu durchstöbern; sie setzten sich ruhig auf die Schwelle der Empfangshalle nieder uud ließen sich von nur unterhalten, so gut ich es vermochte, während Alejandro von ihnen bald um einen Teller mit Neis, oder etwas Taback und Wein angegangen, bald wieder geplagt wurde, ihnen etwas auf der Guitarre, die jeder Bewohner der Philippinen besitzt, vorzuspielen. Solche vornehme Rücksicht aber übten die andern nicht. Zuerst versuchte ich sie abzuhalten, in meine beiden Zimmer, deren Thüren ich schloß, einzudringen; aber bald gab ich den Widerstand gegen sie auf. Hatte ich eben einige Frauen aus meinem Schlafzimmer zur Thür hinaus gejagt, so kamen sie rasch wieder zu den Fenstern herein, einige setzten sich auf mein Bett, dessen roth und weiß gescheckte baumwollene Decke ihnen sehr zu gefallen schien; andere besahen sich meine Kleidungsstücke; hier lag diese schlafend mitten in all dem Lärmen und dort musterte jene die schönen Sachen, die sie in einem meiner unvorsichtigerweise offen gelassenen Koffer entdeckt hatte. Gänzlich rathlos eilte ich von einem Zimmer in das andere; denn Alejandro hatte mit der Bewirthung zu thun, da er für sie alle Neis kochen sollte, und Arakalulk sowol wie die andern Männer hatten gleich beim Erscheinen des hohen Besuches reißaus genommen. Nur Korakel und Akiwakit, die beiden jungen Mädchen, welche mit Arakalulk und den andern hier ihren Wohnort aufgeschlagen hatten, blieben im Hause; aber auch sie zogen sich in die fernste Ecke des Schlafzimmers und nachher zum Fenster hinaus in die Küche zurück. Das war überhaupt die schlimmste Seite des Weiberbesuchs; es mochte kommen, wer da wollte von verheiratheten Frauen des Der „gute Ton" in Aibukit. 75 Dorfs, jedesmal liefen meine männlichen Diener davon. Es gehört das eben znm gnten Ton. Nie lassen sich Männer mit ihren rechtmäßigen Frauen zusammen auf der Straße oder in fremden Häusern sehen, obgleich die Armungul aus Mad'Z Clöbbergöll den letztern beständig folgten, und selbst wenn Krei mit seinem eigenen Weibe, meiner Mutter, in meinem Hause zusammentrafen, so zog sich letztere gewöhnlich mit ihrem Gefolge in mein Schlafzimmer zurück, das ich überhaupt vor dem ganz unge-nirten Betreten durch die Frauen nicht schützen konnte. Wehe dem Eingeborenen, der ungerufen und anders als in demüthigster, niedergebückter Haltung sich öffentlich einer solchen Frau nähern würde, obgleich aus der Ferne ein Augenzwinkern oder eine leichte Kopfbewegung ihm in bestimmtester Weise die Zeit und den Ort einer heimlichen Zusammenkunft für die nächste Nacht bezeichnet hatte! Auch Johnson mußte sich, als Einwohner des Ortes und durch Heirath mit ihren vornehmsten Familien verwandt, dieser Sitte beugen; während wir andern, die wir hier nur zum Besuch waren, in jeder Beziehung über die einheimischen Gesetze gestellt waren. Selbst Alejandro, obgleich von brauner Körperfarbe wie sie selbst, genoß eine solche Vergünstigung, ohne die wir freilich in Tabatteldil gar nicht hätten leben können; wie überhaupt die unbegrenzteste Freiheit von den Gesetzen des Landes, die man mir überall gewährte, nothwendig war, wenn ich überhaupt etwas mehr als einen ganz oberflächlichen Eindruck von dem Leben der Leute in der kurzen Zeit meines Aufenthaltes gewinnen sollte. Aber man würde sich sehr irren, wollte man dies ausschließlich auf Rechnung der großen Ehrfurcht schieben, die jene Insulaner dem Weißen, dem Mann des Westens — lakaä-ar a«F5charä — zollen; vielmehr gewähren sie ihm solche Ungebundenheit hauptsächlich wol, weil sie fühlen, daß jeder gesellschaftliche wie commerzielle Verkehr mit dem Europäer aufhöreu würde, wenn sie ihn gleich unter ihre einheimischen Gesetze zwingen wollten. So lassen sie dem Weißen 76 lll. Ich zahle Lehrgeld. seine eigenen Gebräuche; ja noch mehr, sie verlangen die Beobachtung derselben von ihm, wie mich gar manche Beispiele gelehrt haben. Es fällt dort nicht auf, wenn ein Eingeborener sich öffentlich ohne seinen Lendengürtel zeigt; aber einem Weißen, der das Schamgefühl so weit vergessen könnte, daß er sich unbekleidet unter sie mengte, würden diese Wilden ihre Achtung sicherlich versagen. Das Haus Tabatteldil schien den Frauen sehr zu gefallen. Sie hatten mir allerdings reiche Geschenke an süßem Gebäck und Kukau, an Eilaut und Kokosnüssen mitgebracht; aber dafür schienen sie nun auch die Unterhaltung, die ihnen bei mir zu-theil wurde, so recht nach Herzenslust genießen zu wollen. Das war ein Plagen mit Fragen, ein Hin- und Herzcrrm! Bald mußte ich der einen eine Musikdose mit ihrem arbeitenden Mechanismus zeigen, oder einer andern zum zehnten male vormachen, wie man den Stein und künstlichen Zunder halten müsse, um letztern anzünden zu können. Alle brachen in die lautesten „0 I0K01"*) aus, als ich ihnen aus meinem Revolver mehrere Schüsse hintereinander abfeuerte, worauf sie versicherten, daß die Verfertiger solcher Waffen, die gar nicht geladen zu werden brauchten, nothwendig „kaiiä", d. h. Götter sein müßten. Meine Uhr sich ans Ohr zu halten, um zu erfahren, was denn dieser wunderbare kleine „kaiiä" mir alles erzählen könne durch sein Picken, wurden sie nicht müde; und als ich nun gar so unvorsichtig war, einer von ihnen einen Blick durch mein Mikroskop zu gestatten, unter- dem ich gerade eine munter herumschwimmende mikroskopisch kleine Schneckenlarve hatte, da war es um jede Arbeit geschehen. Während sie früher mein Schlafzimmer ganz besonders angezogen hatte — weil dort die Koffer mit meinen Siebensachen standen — umstellte mich nun der ganze Haufen und quälte mich unausgesetzt mit Bitten, ihnen doch immer und immer wieder Ncues im Mikroskop zu zeigen. Endlich wurden sie auch dieses müde. Statt sich aber ins ' *) „0 lokoi" ist der gebräuchlichste Ausdruck des Erstaunens. Ein Sack Reis. 77 Dorf zurückzuziehen — die Sonne stand schon im Westen — nahmen sie alle in freicster Weise von meinem Hause Besitz zum Abhalten ihrer Mittagsruhe, und ich selbst, ermüdet von der Unterhaltung mit den fürstlichen Frauen, mußte mich mitten unter ihnen auf meinem Bette ausstrecken, wollte ich nicht auch letzteres von ihnen eingenommen sehen. Gegen Abend endlich schlug die Erlösungsstunde; aber wer weiß, ob sie nicht alle zur Nacht noch dort geblieben wären, wenn nicht zufällig meine Mutter gekommen wäre, deren Ankunft sie nun alle verjagte. Sie kam zwar allein, nur von einer Tochter begleitet; aber da sie selbst auch Anführerin eines weiblichen Clöbbcrgölls war, welcher mit jenem von Mad's Frau beständig in einem kleinen Eifersuchtskriege zu leben schien, so hielten es jene, sehr zu meiner Freude, nicht mit ihrer Würde für vereinbar, länger im Hause zu bleiben. Sie rauschten davon mit dem Versprechen, bald einmal wieder zu kommen; denn es sei sehr hübsch, sich bei mir in Tabatteldil am Meeresstrande zu amusiren. Krei's Frau hatte, wie sie es öfter zu thun pflegte, auf einem ihrer Geschäftsgänge einen Umweg gemacht, um bei mir vorzusprechen; sie wollte nachsehen, wie sie sagte, ob ihr Sohn auch alles habe, was für sein Wohlergehen nöthig sei. Sehr häufig erfuhr ich erst später, daß sie dagewesen sei; denn obgleich ich ausdrücklichen Befehl gegeben hatte, mich sogar von meiner Arbeit am Mikroskop abzurufen, wenn sie käme, so hatte sie selbst doch den Dienern verboten, nur in solchen Fällen ihre Ankunft zu melden. Nie erschien sie bei ihren Besuchen ohne eine kleine Gabe. Aber ganz ungleich den andern Frauen und Männern hatte sie niemals ein Gegengeschenk dafür verlangt; ja oft schlug sie ein solches in liebenswürdigster Weise aus und auch diesmal kostete es mir große Mühe, sie zur Annahme eines kleinen Sackes mit Reis zu bewegen. Krei hatte mich darum gebetm, und ich selbst hatte dieses kostbare Geschenk ihm gern versprochen, da ich mich wirklich ihm und seiner Frau sehr ver- 78 HI. Ich zahle Lehrgeld. pflichtet fühlte. Die Gabe hätte aber leicht verhängnißvoll werden können; denn sie erregte einen Sturm, den zu beschwichtigen mir nur mit größter Mühe gelang. Es hatte die Thatsache, daß ich Krei einen Sack mit Reis geschenkt — den sie sehr lieben und sogar über ihren Kukau stellen — großes Aufsehen unter den Bewohnern des Staates gemacht. Solche Freigebigkeit war noch nie dagewesen. Vci der Ankunft oder der Abfahrt wurden freilich so kostbare Geschenke auch von Cabel Mul — oder wie sie ihn scherzweise nannten „Era Kaluk", d. h. „Herr Oel" ^- gegeben; aber ohne jede Veranlassung, nur so ganz beiläufig dergleichen zu thun, war unerhört. Ganz Aibukit sprach einige Tage lang von nichts anderm als von meinem Neissack, und natürlich war dieses Gerede auch bis nach Rallap zu Asmaldra und bis zu Arakalulk gedrungen. Am 2. Mai kamen sie beide zusammen bei mir spät abends an, was sie sonst selten zu thun pflegten, und setzten sich stumm am Eingänge der Empfangshalle nieder, wie wenn sie blos auf Besuch kämen, während sie sonst immer ohne weiteres in das Innere eintraten. Auf mein Befragen, warum sie nicht Korb und Bambusrohr aus der Hand legten, antwortete mir Arakalulk ziemlich unverschämt und gerade heraus, ich hätte nicht recht gethan, Krei Neis zu geben, ohne sie um Rath gefragt zu haben. Ich antwortete ihnen etwas scharf. Gleich waren beide „matoruä ar nak" (böse auf mich); sie schmollten gleich dem eigensinnigsten Weibe, gaben mir keine Antwort mehr und legten sich ohne weiteres in meinem Arbeitszimmer zum Schlafen nieder. Am nächsten Morgen ging nun das Unterhandeln an. Arakalult führte, wie gewöhnlich, das Wort, während der geistig viel trägere Asmaldra nur mitunter seinen Beifall an seines Freundes Rede zu erkennen gab. Allmählich näherte sich unser Gespräch, das nach einheimischer Sitte schon mehrere Stunden gedauert haben mochte, dem Kernpunkt der ganzen Frage. Ich bekomme zwci Brüder. 7<) „Wie Willst du. Doctor", sagte mir Arakalulk, „daß wir dir nicht böse sein sollen. Wir sind hier jetzt deine Brüder; dein Eigenthum ist auch das unsere und umgekehrt. Willst du Geld von mir? hier nimm dies. Haben wir dir nicht täglich Kukau und alles, was du begehrtest, zukommen lassen? Sind wir nicht immer bei dir, wenn du uns wirklich brauchst? Was auch in meinem Hause ist, wähle es und ich gebe es dir. Aber wir sind keine Leute aus dem Armeau, die um Geld für andere Leute arbeiten; wenn wir Bezahlung annehmen, so haben wir das Recht, unsere Diener für uns arbeiten zu lassen. Du aber schiltst uns, als wären wir deine Diener. Glaubst du, daß der Clöbbergöll, der dir dein Haus gebaut und dessen Anführer ich bin, nicht den Schimpf rächen würde, den du mir angethan? Und wenn auch AZmaldra mit seinem Bruder Krei nicht besonders gut steht, so ist er doch ein großer Rupack in Rallap; er ist auch nicht gewohnt, daß man so mit ihm zankt. Wir sind deine Brüder; wir müssen mit dir alles besprechen und wenn du uns nur um Rath gefragt hättest, so würden wir dir wol gesagt haben, daß der Sack für Krei zu groß war und daß noch viele Nächte vergehen werden, bis du wieder in deinem eigenen Lande frischen Neis wirst essen können." Nun erst klärte sich mir das schon früher bemerkte eigenthümliche Wesen der beiden Leute auf; ihr Selbstgefühl wie ihre Worte zeigten mir, daß ich es mit vornehmen Leuten zu thun hatte, die sich mir gleichberechtigt fühlten, und gern that ich ihnen Abbitte für meine harten Worte, die ich um so mehr bereute, als ich wirklich gerührt war von der anspruchslosen Weise, in welcher mich Arakalulk über seine und seines Freundes hohe Stellung aufklärte. Es schien damit zwischen mir und meinen Leuten der vollkommenste Friede hergestellt zu sein, und ich benutzte meiner neugewonnenen „Brüder" Bereitwilligkeit, um allerlei Touren zu unternehmen, an die ich ohne sie nie hätte denken können. 80 HI. Ich zahle Lehrgeld. Kapitän Woodin hatte, obgleich er mir in Manila versprochen, ein Boot und Leute zu Excursionen auf die Niffe zu meiner Verfügung zu stellen, doch so viel mit der Ausbesserung seines überall durchlöcherten Schiffes zu thun, daß er unmöglich sein Versprechen halten konnte. Auch mochte ich ihn um so weniger mit Bitten plagen, als er durch das Entlaufen seines Zimmermanns schon nach einigen Wochen gezwungen wurde, selbst dessen Arbeiten zu übernehmen; und von Tabatteldil aus sah ich den armen alten Mann, unter einem dünnen Dach von Segeltuch nur dürftig gegen die brennende Sonnenhitze geschützt, am Kiel seines Schiffes sägen, bohren und hämmern vom frühen Morgen bis zum Untergang der Sonne. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich der einheimischen Einbäume, der sogenannten „anMiä" zu bedienen, die Arakalulk immer zu meinem Dienste bereit hielt. Schon am 3. Mai unternahm ich eine Excursion in die Verge südlich von Tabatteldil, auf der mich meine beiden Brüder begleiteten. Wir fuhren bei Hochwasser über die nun gänzlich bedeckten innern Niffe ziemlich nahe an der Küste entlang; überall ist sie von einem Saum von Mangrove« umgeben. Mitten aus dem plätschernden Wasser steigen zahllose gerade dünne Stämme bis zu Manneshöhe empor und breiten sich dann plötzlich aus in eine Krone unregelmäßiger Aeste mit breiten, saftigen, glänzendgrünen Blättern. Ihre Wurzeln ragen theilweise über das Meer empor: dünne, Wirre Gebilde, die von der Ferne gesehen wie ein Kegel von regellos angehäuften Ruinen aussehen; zwischen ihnen abgestorbene Stämme oder spitz und steif emporwachsende junge Bäume und von den Zweigen herabhängend, aus den abgestorbenen Blütenkelchen hervorwachsend, senkrecht dem fruchtbaren Naß zustrebende Luftwurzeln frischer Keime. Dieses Dickicht scheint dem Auge nur schmal Zu sein; aber folgt man einem der vielen labyrinthisch sich in ihm vertheilenden Kanäle, so erstaunt man über ihre Ausdehnung. Ueberall ziehen ste sich weit in das Thierleben iu den Mcmgrovesümpfen. gi Land zwischen die Hügel hinein, und diese entspringen fast immer mit ihrem steil ansteigenden Fuße aus den Sümpfen, in denen die Mangroven wachsen. So fehlt dort eigentlich alles ebem Land zwischen den Bergen und der Küste. Bei hoher Flut scheinen die meisten Rhizofthoren als einfache Stämme ans dem Wasser aufzusteigen, welches das von den Wurzeln gebildete Geflecht gänzlich verdeckt. Dann herrscht in diesem Walde tiefe Stille, die nur selten unterbrochen wird durch das krächzend.' Geschrei eines glänzend blauen Eisvogels, der erschreckt von: Ruderschlage vor uns auffliegt, oder vielleicht auf einen Fisch-schwärm niederstößt, welchen die reißende Strömung der stcigendcn Flut unter seinem Sitze vorbeigeführt hat. Eine mit breitem Ruderschwanze versehene Wasserschlange läßt sich schlafend mittcn im Strome einhertreiben. Wenn aber dann allmählich die Ebbe den sumpfigen Boden des Waldes trocken zu legen beginnt, so erhebt sich ein ganz anderes Leben zwischen den Wurzeln dcr Bäume, wie in ihren Zweigen, in den Strömen, wie auf den kleinen freien Plätzen in den Theilungswinkeln der Kanäle, die dadurch entstehen, daß hier Schlamm rascher angesetzt wird, als die Mangroven denselben mit ihren Luftwurzeln für sich zu erobern vermögen. Mitunter finden sich auch künstlich gelichtete Plätze im Walde. Auf solche jetzt halbtrockencn Stellen lassen sich nun von allen Seiten herbeieilend große Reiher nieder, die, ähnlich unsern Störchen, mit ihren lcmgstelzigcn Beinen zwischen den Stumpfen der Rhizophorenwurzeln einherstolzi-ren und nach allerlei Würmern suchen, die zu Tausenden aus ihren Löchern hervorkommen. Laute knackende Töne bringt hier ein kleiner Krebs hervor, indem er die Glieder seiner dicken Scheren kräftig gegeneinanderschlägt. Die in den schönsten Farben prangenden Telegraphenkrebse sitzen mit ihren kolossalen einseitig ausgebildeten Zangen vor dem Eingang ihrer Wohnungen und bewegen diese beständig auf und nü'der, als 82 UI. Ich zahle kchrgcld. wollten sie ihre Freunde zum Besuche herbeirufen. Zierliche Schnepfen und Bachstelzen laufen eilig und emsig snchend von Ort zu Ort, und eine Unmasse von lungenathmenden Schnecken verlassen Löcher und Spalten, in denen das bedeckende Wasser cine kleine Menge Luft eingeschlossen hatte, um sich ebenfalls eine Zeit lang an hellem Sonnenlicht und reiner Atmosphäre Zu erfreuen. Große räuberische auf dem Lande lebende Krabben begeben sich nun in dieses Labyrinth, um nach den Schnecken des Vrackwassersumpfes zu suchen, oder die großen, im Schlamm versteckten Muscheln solcher Gegenden mit ihren mächtigen Scheren zu zerbrechen. Auch der Mensch wetteifert dann unt ihnen im Suchen nach den wohlschmeckenden Muscheln. Die rückkehrende Flut macht schließlich allem Leben wieder auf kurze Zeit ein Ende. Wir selbst blieben diesmal jedoch nicht in der Region der Mangroven, sondern begannen nach eingenommener Mahlzeit die Hügel zu erklimmen, welche fast gänzlich aus Trachyt bestehen, der m den obersten Schichten völlig verwittert ist und einen fetten, Tothbraunen Lehm gebildet hat. Häufig sind diese Berge ganz entblößt von Baumwuchs, nur mit hohem Gras bedeckt, aus dem bald in Gruppen beisammenstehend, bald vereinzelt die sperrigen Panoanusbäume hervorragen, deren Blätter von den Eingeborenen zum Verfertigen ihrer Weiberschürzen wie zum Decken der Dächer gebraucht werden. Oft aber finden sich auch ausgedehnte Waldungen, oder sie sind bedeckt von niedrigem, von Lianen durchwachsenem Gebüsch, durch welches nur langsam, Schritt für Schritt, vorzudringen ist. Hier und da treten aus dem rothen Lehm Lavaströme hervor, die immer basaltischer Natur zu sein scheinen und namentlich am östlichen Ufer zwischen Aural und Nallap häufig vorkommen. Sie bilden hier an ihrem steilen Abfall gänzlich nackte schwarze Klippen, die weit über die eigentliche Uferlittie der eingeschnittenen Buchten vorspringen, und dem abfressenden Einfluß der Tageswasser, wie der durch Riffe und Kanäle^ ßg Springfluten und Stürme erregten Brandung unüberwindlichen Widerstand entgegenzusetzen scheinen. Aber ein mächtiger Haufen zerrissener und ans der Höhe herabgefallener Blöcke an ihrem ins Niff sich verlierenden Fuße läßt erkennen, daß auch sie so wenig wie die weichern trachytischen Gesteine für die Unendlichkeit dorthin gestellt sind. Denn nirgends in der Natur gibt es eine Ausnahme von dem ewig wirkenden Gesetze des Werdens und Vergehens, und an ihrem nie ruhenden Kreislaufe nehmen nicht blos die lebenden Wesen, sondern auch die scheinbar völlig unwandelbaren Berge mit ihrem versteinerten Leben den innigsten Antheil. Nach dieser Excursion, von der ich übrigens mit nur wenig befriedigender Ansbeute schon früh an: Nachmittag nach Tabatteldil zurückgekehrt war, trat in den Besuchen meiner Freunde eine ziemlich lange Pause ein, die ich zur orientirenden Erforschung der westlichen Nisse benutzte. Sie nehmen hier eine große Ausdehnung ein und erstrecken sich meilenweit an der Küste von Vabel-thaub entlang in einer durchschnittlichen Breite von 3—4 Seemeilen. Ein ziemlich weiter bis zu 50 Faden Tiefe ausgewaschener Kanal läuft, in fast paralleler Richtung mit dem Außemiff, von Nord nach Süd, und in ihn münden zahllose schmälere und auch weniger tiefe Furchen, welche in durchaus regelloser Weise durch die aus den Mangrovesümpfen bei Ebbe hervorbrechenden Vrackwasserströme in die eigentlichen innern Riffe eingefressen sind. Letztere haben alle eine sehr unbedeutende Senkung, die dem Auge, wenn der Strand bei Ebbe trocken gelegt wird, gänzlich unbemerkbar bleibt. Sie sind alle todt; die ganze von ihnen gebildete viele tausend Schritt breite Fläche ist von Korallensand und Korallentrümmern bedeckt, die bald lose zusammengehäuft, bald auch durch Verkalkung zu einem festen Gestein verbunden sind. Nur hier und da wuchern in kleinen zufällig entstandenen flachen Bassins oder eigenthümlichen tiefen Löchern Gruppen üppig wachsender Korallen; und diese 6* 84 III. Ich zahle Lehrgeld. isolirten Klumpen lebender Madreporen und Asträiden vermehren sich gegen den Rand der die Fläche durchschneidenden Kanäle hin auffallend. Hier nimmt dann auch die Neigung des Riffes auf eine dem Auge bemerkliche Weise zu, bis es an: Rand? plötzlich senkrecht abstürzend im dunkelblauen Wasser der Tiefe verschwindet. Beugt man sich, bei niedrigster Ebbe auf einem der äußersten Korallenblöcke stehend, über den Rand hinaus, so sieht man, daß alle die verschiedenen Arten von Korallen hier durch die Gewalt des sie tangirenden Stromes Zu senkrechtem Wachsthum gezwungen werden, während sich dieselben oder nahe verwandte Formen auf jener sandigen Fläche des Riffes zn rundlichen oder unregelmäßig nach allen Seiten hin auswachsenden Knollen umbilden. Aber die letztem sind hier offenbar zufällig hingerathen; denn nnr selten sind sie mit der aufliegenden Fläche am todten Kalkfels fcstgewachsen, während die im tiefern Wasser lebenden Korallen so fest aneinandergefügt sind, daß es nur schwer gelingt, größere Stücke von ihnen loszureißen. Auf dieser Fläche der innern Risse entfaltet sich täglich bei niedrigem Wasser ein reges Leben. Das erste Zeichen der eintretenden Ebbe sind kleine, nur von zwei oder drei Männern oder Knaben geführte Canoes, die hinausziehen, um eine reiche Ernte an Holothurien *) auf den entferntesten nnd deshalb am wenigsten abgesuchten Stellen des innern oder auch des äußern Risses halten zu können. Eilig und still ziehen sie an Tabatteldil vorbei; tollen Lärm aber erheben die zahlreichern *) Holothurien sind wurmartig aussehende Echinodermen. Sie haben eine sehr dicke Leoerhaut und werden wegen ihrer Eigenschaft, in kochendem Wasser zu einer Galleite zu gerinnen, in welcher Form genossen sie leicht zu verdauen sind, von den Chinesen gern gegessen. Diese sehen darin außer« dem ein Aphrodisiacum; und die Preise, welche mitunter für solche getrocknete Thiere bezahlt werden, sind manchmal exorbitant. Siehe hierüber und über ihre Zubereitung weiter unten und auch meine „Philippinen und ihre Bewohner" (Wlirzburg 1869). Das Leben auf den westlichen Riffen. 85 Insassen eines andern Bootes, das jenen nacheilt. Halb stehend treiben sie, im Takt wechselsweise die spitzen Ruder über ihre Köpfe erhebend und wieder nach vorn zu in das Meer einsenkend, ihr Schiffchen pfeilschnell an meinem Hause, gleich danach an der Lady Leigh vorbei nnd rufen uns, wie sie mich und danach Kapitän Woodin sehen, einen halb melodischen, halb kreischenden Gruß zu. Sie ziehen aus zum Fang des „Nul" *), einer großen Rochenart, deren Fleisch sie leidenschaftlich lieben und deren langer Schwanzstachel, mit zahlreichen und furchtbar harten Widerhaken besetzt, von ihnen als Lanzenspitze benutzt wird. Gleich darauf kommt ein anderes Boot und noch eins; denn die Aufgabe, dieses Thier zu jagen und zu fangen, ist keine leichte, mitunter sogar auch gefährliche Arbeit. Wenn das Wasser sinkt, läßt sich häufig ein solcher Noche vom Strome weiter treiben und ist dann leicht, wie die schlafenden Schildkröten, aus der Ferne zu erkennen. Befindet er sich auf tiefem Wasser eines Kanals, so ist die Jagd nutzlos; treibt er aber über die Fläche des breiten Riffes hin, so stellen sich nun die zahlreichen Boote so im Kreise um das Thier auf, daß es von ihnen immer mehr dem sich allmählich aus dem Meere erhebenden Lande zugetrieben wird. Enger und immer enger ziehen sie den Kreis. Schon bleibt dem Fisch kaum noch Wasser genug zum Schwimmen, jetzt stößt er sogar mit seinem Schwauzstachel auf den Boden und mit einem verzweifelten Satze versucht er zwischen den Männern, die schon aus den strandenden Booten heraus-gesprungen sind, durchzubrechen. Ein wilder, aber rasch endender Kampf erhebt sich. Von allen Seiten fliegen Lanzen und Pfeile *) Mit dem Namen „rui" werden Rochen bedeutender Größe bezeich-uct, welche zu den Gattungen Trygon, Ptcroplatca, Actobatiö und Rhi-nopteia gehören und die sich alle durch eincn am Rlickcnthcil des bald lcin-gcrn, bald kürzern Schwanzes angebrachten Stachel auszeichnen. Die grüßten Arten derselben erreichen ciue Breite — zwischen den Spitzen der Brust-stossen gcreÄMt — von 5,-6 Fuß und ein Gewicht von reichlich ä Ccnlncrn. 86 UI. Ich zahle Lehrgeld. auf das Thier zu, das diesmal zum Glück mit seinem Schwänze keinen der Jäger erreicht, und nun mit lautem Iubelgeschrei auf eins der Canoes geladen wird. Trifft aber ein Noche mit seinem Stachel einen Menschen, so bringt er sterbend seinem Verfolger eine schwere Verletzung bei, was häusig genug vorkommen mag, wenn nämlich wirklich alle jene Wunden, deren gezackte Narben mir die Männer an ihren Körpern wiesen, in solchem Kampfe davongetragen sind. Noch kurz vor unserer Ankunft hatte sich in Aibukit solch ein Unglücksfall zugetragen. Ein Mann war mit zwei Söhnen, deren einer etwa 5 —6 Jahre alt sein mochte, auf den Holothuricnfang ausgezogen. Auf der Heimkehr stößt er zufällig auf einen Rochen, dem er nahe genug kommt, um ihn mit einer Lanze anstechen zu können. Der Roche schlägt im Todcökamvfe heftig mit seinem Stachelschwanz umher nnd trifft mit der Spitze desselben so unglücklich den kaum !/2 Zoll dicken Boden des Bootes, daß er dieses durchbohrend zugleich dem im Canoe schlafend liegenden Knaben das Herz dnrchbohrt. So kann man wol denken, daß ich mit einiger Aufregung an dem Fang des einzigen Rochen theilnahm, der während meiner Anwesenheit in Aibnkit erbeutet wurde. So groß aber auch der Eifer unter den Leuten und so tollen Lärm sie auch schlagen mögen, wenn sie auf den Nochenfang, mitunter mit zehn und mehr Booten, ausziehen, so ruhig und ohne allen Streit läuft doch immer die Jagd ab, von welcher selten mehr als einer mit Beute beladen zurückkehrt. Denn diese gehört nicht allen, die an dem Fischfang theilnahmen, sondern immer nur dem Boote, dessen Führer den Rochen zuerst erblickte und die Genossen dnrch bestimmte Zeichen zu der Jagd herbeirief. Von ihr sich auszuschließen, darf keiner wagen; und wenn ein vornehmer Mann dies doch thäte, so würde augenblicklich der Clöbbergöll des glücklichen, aber niedriger gestellten Nochenentdeckers ihn wegen Nichterfüllung seiner Pflicht bei dem Fürstenrathe (dem Aruan) verklagen. Der Kalid. , 87 Wenn dann endlich die sandige Ebene in meilenweiter Ausdehnung trocken gelegt ist, so eilen aus allen Thälern zahlreiche Gruppen von Weibern und Kindern herbei, um sich, mit kleinen Lanzen und Pfeilen bewaffnet, in der Hand einen großen Korb, ihre tägliche Beute Zu holen. Im Grunde genommen wird von diesen Völkern alles gegessen, was im Meere lebt und was an seinem Körper nur hinreichend Fleisch trägt, um die Mühe des Fangens zu belohnen. Dabei folgt aber jeder seinem eigenen Geschmack. Hier übt sich ein Knabe im Pfeilschießen nach den kleinen vor ihm herfliehenden Fischen, deren er Dutzende bedarf, um für die heutige Mahlzeit genug Zu haben. Sein Begleiter, dem das viele Nachlaufen und rasche Springen offenbar nicht behagt, geht langsam weiter und kehrt auf seinem Wege alle, selbst die kleinsten Korallenblöcke um, an deren Unterseite er bald einen eßbaren Seeigel, oder eine Muschel, einen Wurm oder gar einen Seeaal findet. Eine große Meerschlange, die er auch so aus ihrem Schlupfwinkel aufjagt, läßt er ruhig davonkriechen; denn sie ist sein „Iclüiä"""), d. h. gerade ihm geheiligt. Ein anderer, der vorbeigeht und dessen Kalid vielleicht eine Taube oder ein Rul ist, würde diese Thiere nicht anzurühren wagen; aber er nimmt ruhig die Schlange, die er mit einem Schlage auf den Kopf tödtet, und geht freudig 5) Ueber dir Verehrung von Thieren vgl. Lnbboä, „On tiis origin ok cävili8gtian llncl pi'imitivn onncii^inn ol man", S. 171 fg- 2s sind die Kalids — in der obigen engern Vcdcutung — völlig identisch mit den „Totems" der Amerikaner, den „Knbougs" der Australier u. s. w. Xaiiä heißt in der Palausprnche: heilig, geheiligter Gegenstand, Priester. Ein jeder Bewohner hat seine» besondern Kalid, vielleicht ciu Erbstück semer Vorfahren; vielleicht anch mag es mit ihren Anschauungen über das Seelenleben nach dem Tode zusammenhängen. Ans diesem Gebiete wäre noch überreicher Gewinn im Stillen Ocean zu erwarten; nur schade, das; die, welche Gelegenheit zu solchen Studien haben, nnwisfeude rohe Leute sind, während der wirklich Gebildete nur durch äußern Zwang dazu veranlaßt werden kann. Freiwillig wird niemand gern zum Wilden; ohne das abcr geworden zu sein, kalnlt hatte so seinen Daumen verloren. Zn laufen ist der Orden nicht; er wird vom Staate flir viel Trepang von dcn Seefahrern angekauft, die ihn mitunter von dcu Philippinen dorthin bringen. Diese Auszeichnung können die Fürsten und die Freien (die kikeri ruMl'k) erhalten; dic Männer dcs Armeau bekommen ihn nie; die Frauen ebenso wiüig. Arakalull's vornehme Geburt. 115 europäischen Potentaten, die Geheimnisse halb verdeckend ahnen läßt, welche Leidenschaften das menschliche Herz bewegen, welche Intriguen in den Palästen der Vornehmen gesponnen werden! Nur sehr schwer gelang es mir, allmählich Folgendes festzustellen. Trotzdem als Regel die Erbfolge in der weiblichen Linie gilt, so beansprucht doch, wie es scheint, der Fürstencongreß — der Aruau — das Recht, sich unter Umständen eine Abweichung von diesem Gesetz gestatten zu dürfen. Solches war nun mit Arakalulk geschehen. Sein älterer Bruder, der Erstgeborene, war als Arakalulk — ein Titel niedern Grades — der Thronerbe des Staats gewesen. Er starb, als mein Bruder, der damals Nabacalo hieß, noch ziemlich jung war; und da man ihn aus irgendwelchem Grunde nicht zum Nachfolger des kränkelnden Mad haben wollte, schob man Arda als Thronerben ein, gab aber Nabacalö den Titel Arakalulk, dcn sein verstorbener Bruder besessen hatte. Noch mehr Willkür scheint bei der Ertheilung des Titels Krei geübt zu werden, und die kleinern Fürsten zweiten und dritten Ranges werden entschieden immer nur gewählt. Alle solche Nachforschungen werden dem, der die Sprache nicht vollständig meistert, in mannichfachstcr Weise erschwert. So war mir bald klar geworden, daß Mad, Krei, Arda nur angenommene Namen seien; aber da ich das Wort a,räü (d.h. Titel) erst ganz am Ende meines Aufenthalts kennen lernte, so war es mir unmöglich, meine Fragen nach Personen und deren Namen und Amt so zu stellen, daß ich eine kurze befriedigende Antwort darauf hätte bekommen tönneu. Ueberhaupt ist die Methode dos Fragens unter solchen halbwilden Völkerschaften eine wichtige, aber äußerst schwierige Kunst. Wenn ich fragte: „Wie heißt er iM'lmkich?", so gab man mir bald den Familiennamen, bald den Titcl an, und nur durch Combination verschiedener Antworten gelaug es mir schließlich, bei vielen derselben die wahre Vcdcutuug zu entziffern. Noch schwieriger ist jede Nachforschung nach dem Sinne eines 8 - 11(z IV. Ich werde selbständig, Worles; denn obgleich ich längst wußte, daß z. B. alle Eigennamen ohne Ausnahme eine Bedeutung haben, so gelang es mir doch nur solche zu enträthseln, welche häufig im Gespräch gebraucht werden, oder die, wenn zusammengesetzt, eine gebräuchliche Wurzel leicht erkennen lichen."') Denn die Frage „was bedeutet dies?" läßt sich nicht übersetzen, nur umschreiben. Das war mir vor allem störend, als ich später im Süden in ihren Liedern die Spuren einer ältern Sprache entdeckte, von welcher ich leider trotz der angestrengtesten Nachforschungen nur einige weuige Worte und Satzbildungcn verstehen lernte. Hier aber beim Untersuchen der Verwandtschaftsverhältnissö Arakalulk's kam zu allen eben angedeuteten Schwierigkeiten noch die große hinzu: die äußerst verwickelten Fäden der man-nichfachsten Verwandtschaftsgrade klar zu legen und auseinanderzuhalten. Man denke sich, daß der Sohn die angehcirathete Tochter seiner Schwester zur Frau uimmt, ein Bruder von ihm eine Schwester seiner Schwägerin, man denke sich dies fortgesetzt durch zwei Generationen und dann noch complicirt durch dic größte Leichtigkeit der Ehescheidung und das häufige Vorkommen des Adoptirens: so kann man sich einen Begriff machen von der Confusion, welche in den Verwandtschaftsbeziehungen dieser Insulaner herrschen muß. Fast in jeder Familie war eine Frau zu finden, die bereits ihren dritten oder gar vierten Mann gehabt, die alle noch lebten und denen allen sie Kinder gelassen hatte. Wie leicht die Scheidung genommen und ausgeführt wird, davon lieferte jene Schöne, die sich mir als Gattin anbot, ein eclatantes Beispiel. Nun sie mich nicht zu ihrem Beschützer erhalten konnte, machte sie Asmaldra ihre Anträge; und da sie einer einflußreichen Familie angehörte, so willigte er ein, sie zn seinem vierten Weibe zu nehmen. Ihre Kinder ließ sie *) So hieß cm junges Mädchen Korakel, d. h. Mast, weil sie schlank gewachsen war; ein anderes Akiwakid bedeutet „über den Berg" — hicr ist iliä Berg, Iinva übcr — Mad heißt Tod u. a. m. Adoption dcr Kinder. 117 dem betrogenen Manne. Dann ist die Sitte des Adoptirens der Kinder, namentlich der Knaben, eine so allgemeine, nnd die angenommenen Kinder werden so gänzlich mit den eigenen verschmolzen, daß diese häufig im spätern Alter das Bewußtsein, eigentlich einer andern Familie anzugehören, gänzlich verlieren. So ist Cordo ein solches angenommenes Kind, dessen wirkliche Aeltern, obgleich sie leben, ihn kaum noch kennen; und auch die drei Kinder Krei'Z sind alle adoptirt, während ihre eigenen von andern Leuten angenommen worden sind. Und doch üben diese wunderbaren Künsteleien, die gewiß häufig genug Heirathen zwischen Geschwistern zur Folge haben mögen, nicht den mindesten schlechten Einfluß auf das Familienleben der Leute aus; vielmehr könnten sich manche Aeltern in unserm Lande ein Beispiel nehmen an der Liebe, mit welcher meine nackten Freunde von den Palaus ihre adoptirten Kinder hegen und pflegen, und manche europäische Kinder eine Lehre an dem kindlichen, aber nicht knechtischen Gehorsam, den die Knaben und Mädchen dort ihren Aeltcrn zollen. Was aber mag der Grund dieser Sitte sein, die, wenn auch einer Adoption gleich, so doch eigentlich nur auf einen Tausch der Kinder hinausläuft? Sollte vielleicht das Bewußtsein, daß kein Mann für die Treue seines Weibes einzustehen vermag, und das Bedürfniß, alle Zweifel über die Nechtmäßigkcit irgendeines Kindes mit einem Schlage gründlich zu beseitigen, den Gebrauch hervorgerufen haben? Denn bei einem solchen System können sicherlich Erbfolgestreitigkeiten oder Erbschaftsfehden nicht ausbrechen, da der adoptirte Sohn voll in die Rechte der echten Kinder eintritt. Auch bei diesem Traucrfeste in Arakalult's Hause hatte ich wieder Gelegenheit, die Würde zu bewundern, mit welcher die versammelten Frauen ihrem offenbar sehr langweiligen Geschäft nachgingen. Vorn saß meine Mutter der Frau von Mad gegenüber; nnd jeder von beiden schlössen sich etwa 10—12 andere Frauen so an, daß sie einen gegen die Thürfenster offenen Halb- 118 IV. Ich w?rdc selbständig. kreis bildeten. Alle prangten in ihren besten Kleidern, deren Saum sie, als äußeres Zeichen der Trauer, schwarz gefärbt hatten; und von ihrem dunkelbraunen Halse stachen die rothen und weißen Steine blendend ab, die sie zum Beweise ihres Familienreichthums stolz zur Schau trugen. Wenn alle diese Geldstücke uns ihre Geschichte hätten erzählen können! Da ist hier der große rothe Pangungau, den meine Mutter trägt; der soll durch die sechs Generationen hindurch, während welcher Mao's Familie über den Staat Aibukit geherrscht hat, nie in andern Händen gewesen sein; und mit Verachtung sieht er ans den kleinen Brack herab, welcher Mad's Frau schmückt. Das ist ein Parvenu; uoch vor wenig Jahren zählte Mad's Familie, obgleich von königlichem Geblüt, zu den ärmcrn des Landes, und durch eine dunkle Geschichte erst soll dieser Brack deu voruchmen Posten erhalten haben, den er jetzt am Halse der Königin einnimmt. Wie stolz er sich hier wiegt, als ob etwas von der Würde seiner Trägerin auf ihn selbst übergegangen wäre! Aber er denkt nicht mehr daran, der Elende, daß er einst einer Frau ans niedrigem Geschlechte angehörte, welche ihn hingeben mußte, um ihren der Blutrache verfallenen Sohn loszukaufen. Er war deren einziges Vermögen, das ihrer Familie hinreichenden Credit verschaffte, um beqnem leben zu können; nun sie arm waren, mußten sie sich mit schlechter Nahrung und Wohnung begnügen. Niemand wollte ihnen mehr einen Zweig Bananen oder Betelnüsse borgen; mit einem elenden Canoe konnten die Männer nicht weit genug auf die Nisse fahren, um den großen Trepang zu fischen; nie wieder kommen sie in ihre frühere sorgenfreie Lage zurück. Und weshalb wol mochte des jungen Mannes Leben dem königlichen Hause verfallen sein? Hier wisperten mir ein paar andere Steine — ich glaube, es waren einige ganz gewöhnliche Kluks — etwas ins Ohr von einer LiebeZ-geschichte: Mad's Vater habe der Frau des jungen Mannes etwas ungebührlich den Hof gemacht und sei von diesem erschlagen Was mir einige Kluks erzählten. 119 worden, als er sie einst an jenem Badeorte der Frauen überraschte; des Mörders verwirktes Leben habe nur durch das ganze Vermögen der Familie gerettet werden lönncn. „Aber dort", fuhren sie fort, „jener kleine Kalbnknv kaun noch eine ganz andere Geschichte erzählen. Noch vor vier bis füuf Jahren war Aibutit lange nicht so reich, als es jetzt ist — oder sein könnte, wenn der englische man-oi-n^r nicht gekommen wäre —; denn damals war Cabel Mul noch in Coröre, und wenn wir handeln wollten mit ihm, so mußten wir nach den: Südeu fahreu und dann immer dem Köuig von Loröre schwere Abgaben bezahlen. Pulver nud Fliuteu durften wir gar nicht laufen. Nun hatte Piter schon mehrere Jahre vcrheirathet bei uns gelebt; und muthig, wie er war, versprach er, uns solche zu verschaffen. Das that cr denn anch; mitten am Tage legte er mit seinem Amlai hinten an Cabel Mul's Schiff an und holte hier ans den Kajütenfenstern Pulver und Flinten heraus, die uns Era Kaluk versprochen hatte. Geschickt verbarg cr sie unter Kukan uud andern Sachen; und als cr genug hatte, spauntc er sein Segel auf und fuhr davon. Aber die Lente von Coröre sind schlau; sie hatten sich gleich gedacht, daß Piter etwas Vcsonderes erbeutet haben müsse, als cr so eilig davonfnhr, ohne seine Frau in Coröre besncht zn haben; sie machten Jagd auf ihn, aber da sein Amlai ein sehr schönes war, so konnten sie ihn nicht einholen. Das war ein großer Triumph für Aibukit! Die juugen Mädcheu verliebten sich alle in Piter und sangen ihm Licbeslieder; nnd sein Lied wurde rasch auch im Süden bekannt. Nun versnchte Ebadul ans andere Weise, so wie man es hierzulande zu thun pflegt, Piter unschädlich zn machen. Er schickte Krei, Zn dessen Familie Johnson gehört, ein großes, großes Stück Geld, einen Kalbukup, von dem nnr fünf oder sechs Stuck im Lande eristiren, um das Leben von Piter damit zu kaufen. Das war ein schwerer Kampf für Krei. Dieser aber rief die Nupacks nnd erzählte ihnen, was ihm Ebadul habe sagen lassen; und als sie Miene 120 IV. Ich wcrdc selbständig. machten, das Geld annehmen zu wollen, da nahm Krei «neu großen Stein und zerschlug vor ihren Augen den Kalbukup und rief ihnen zu: «Nehmt da das Geld; aber das sage ich euch, Piter ist mein Sohn, und wer je wagt, ihm zu nahe zu treten^ der hat es mit mir zu thun!" Ein Stück davon ist jener Kalbukup, den die häßliche Alte dort trägt." Nun verstummten die Steine; deun die große Trompete, die nur bei ganz feierlichen Gelegenheiten geblasen wird, ertönte nicht weit vom Hause und kündigte uns an, daß für heute das makosan^ der Männer zu Ende sei und sie bald mit ihren heutigen Gaben ankommen würden. Halb kriechend mit gesenktem Vlick traten gleich darauf die jungen Männer ins Haus und setzten schweigend ihre Bürden ab; den Fisch und Kukau brachten sie in jenen Winkel des Hauses, in welchem der Feuerherd zu ebener Erde angebracht war; die Arecannsse aber und Blätter des Vetelpfeffers wurden in Körben mitten im Naume niedergesetzt, um nun von dcn jnngen die fremden Gäste bedienenden Mädchen der Familie unter jene vertheilt zu werden. Mit dem Abgeben dieser Nahrungsmittel hörte für heute das Makesang der Männer auf, die sich jetzt halb gebückt und lautlos, wie sie gekommen waren, wieder entfernten. Mit dem Worte inakesan^ werden nämlich, wie schon früher kurz erwähnt wurde''), alle solche Arbeiten eines oder aller Clöbbergölls bezeichnet, an denen die zugehörigen Mitglieder ohne Widerrede theilnehmen müssen, wenn sie nicht um ein schweres Stück Geld gestraft werden wollen. Zunächst geHuren natürlich zu dem Makesang alle Arbeiten, welche im directen Interesse des Clöbbergölls selbst unternommen werden, z. V. Bauen der großen Häuser, deren Aufrichten während der ausschließlichen Steinperiode oft viele Monate die Leute in Anspruch nahm; dann das Verfertigen der großen Kricgsbootc, Nähen der Segel zu diesen und Drehen der aus den Fasern der Kokosnuß und des Ilidiäcuä tjliaconZ gemachten Taue. Der *) Vgl. S. 73. Das Makcscmg. 121 Häuptling eines Clöbbergöll kann ferncr seine Lente zwingen, für Bezahlung zn arbeiten, aber er darf sie dabei nnr zu Arbeiten verwenden, wie sie überhaupt in die Kategorie des Makesang gehören. Zum Fischen nach Trepang würde er sie also nicht anhalten können. Von dem Gelde aber, welches sich so der Clöbbergöll verdient, geht eine erhebliche Stener an den Aruau ab, der sich mitunter sogar das Beste davon nimmt. Es ist nur nicht ganz klar geworden, welche Negeln hierbei gelten, oder ob es einng anf den Willen von Mad dabei ankommt. So mußte z. B. Arakalulk's Clöbbergöll die Flinte, die er sich bei meinem Hansbau verdient hatte, an Mad als ihm rechtmäßig zukommenden Tribnt herausgeben. Das Geld, was dann noch übrigbleibt, wird aber nicht unter die einzelnen Mitglieder des Clöbbergölls vertheilt, sondern gehört der Corporation an und dient ausschließlich zum Ankauf solcher Sachen, die sie zum Ban ihrer Hänser und Kriegsamlais nöthig haben, sowie zur Bezahlung für die jungen Mädchen, welche das Treiben in den Bais dem Leben im mütterlichen Hause vorziehen. Dann gehören drittens zum Makesang alle jene Arbeiten, welche durch den sogenannten Klökadaucl verursacht werden. Dieses Wort würde am besten wol durch „Staatsbesuche" wiederzugeben sein: der Besuch trauernder Frauen, wenn sie die Königin oder eine andere vornehme Dame zu beweinen haben; die Ankunft fremder Gäste bei einem von den Vornehmen gegebenen Feste otxr bei den verschiedenen religiösen Festlichkeiten, deren größte, das Ruck, nur im Verlanf von sechs bis zehn Iahrcn einmal gegeben werden soll; politische Besuche, wie sie Ebadul iu Aibutit abstattete — alle diese fallen in die Kategorie des Klokadam'l, und zu allen müssen bald mehr, bald weniger Clöbbergölls, je nach Bedürfniß und der Bedeutung der Besuchenden, für die Herbeischassung der Gaben Sorge tragen, welche sie bei ihren Festen darzubringen pflegen. Endlich gehört die Theilnahme der Clöbbergölls am Nuck auch mit zu den Arbeiten des Make- 123 I^. Ich wndc selbständig. sang, denen sich keins der Mitglieder, ohne einer schweren Strafe zu verfallen, entziehen kann. Während solcher Zeit entwickeln die Leute eine Energie, die man ihnen nie zutrauen würde, solange mau sie uur als Individuen beobachtete. Schon mehrfach hatte ich Gelegenheit gehabt, mich an ihrer fröhlicheu Stimmung, die sie auch bei den schwersten gemeinschaftlichen Arbeiten nie verließ, Zu erfreuen; uud ich benutzte auch diesmal wieder die Gelegenheit dazu, die mir Arakalulk durch die Aufforderung bot, am uächsten Tage mit ihin und seinen Leuten anf das änßere westliche Niff zu fahreu, wo sie fischen wollten. Mir kam diese Einladung sehr zur rechteu Zeit. Das Amlai, mit dem ich gewöhnlich herumfuhr, war zu llem, um die Fahrt über den breiten innern Kanal uud über das westliche Außenriff hinaus ins offene Meer unternehmen zu können; und doch mußte ich dieses genau kennen ler-ucu, wenn ich aus dem Studium der östlichen Niffe erheblichen Nutzen ziehcu wollte. Ich schlug also freudig ein uud verließ bald nach Souneuuntergaug das Trauerhaus, um meiue Vorbereitungen für die Expedition des uächsten Tags zu treffen. Früh am Morgen schuu, gerade als die Sonne anfing, die Schatten um Tabatteldil zu zerstreuen, kam Arakalulk augefahren und legte mit seiuem großen Amlai hart an der Treppe an, die in meine Behausung führte. „Nasch, Doctor", rief er mir zu, „bring deine Gläser uud deinen Plumvndding herein, — er ist doch schon gekocht? — wir müssen eilen, denu das Wasser fängt schon an zu sinken." „Da bin ich schou. Du hast doch Kukau und Kokosnüsse? Mein Plumpudding wird lange warm bleiben, da ich ihn gut eingewickelt habe; wir Wolleu ihn hernach redlich theilen." „Was doch die Leute vou Angabard uicht alles zn machen verstehen! Dein Plumpudding ist gut, aber ich wollte doch, du hättest ihn uicht mitgebracht. Wenu du erst fort bist und ich wieder ohne dich auf die Niffe gehe, so werde ich immer bei meinem kalten Kukau daran denken, daß du allein mir ' Unterricht im Segeln. 12Z mitten im Mcere warmes Essen geben konntest. So, mm sind wir weit genug, herein die Ruder und den Mast gerichtet! Doctor, willst on lernen, unser Segel zu führen?" Und uitt diesen Worten hebt er den wol 20 Fuß langen Bambusmast mit seinen drei Tauen scheinbar spielend in die Höhe und setzt dessen abgerundeten Fuß in das flache Loch, welches in der Mitte der breiten Plattform angebracht ist und in dem gänzlich frei beweglich der Mast sich drehen und wenden soll. „Hier, Doctor, knüpfe dies eine Tau dort außen am Ausleger an, ihr andern jene Taue vorn uud hinten; so, mm steht der Mast, geh auf deinen Platz, Cabalabal." Dieser nimmt ein großes Nuder und setzt sich an das eine Ende des Boots; ein anderer am entgegengesetzten Ende befestigt hier die Spitze des dreieckigen Segels, welches Arakalnlk nun mit wenigen kräftigen Zügen am Mast hinaufzieht. Das Tau, welches das Segel am Mast hält, befestigt er an einer Bank; dann gibt er nur ein anderes in die Hand, mit welchem das Segel gehalten wird. Nun geht es rasch bei günstigem Winde über die innern Riffe hinweg gegen den großen Kanal zu. „Ein schöner Wind, wir werden bald drüben sein. Aber gib Acht, Doctor, daß du uns nicht umwirfst. Der Wiud ist ungleich, und dn mußt das Tau nicht so fest halten; jetzt laß etwas nach, der Wind ist stärker geworden — so, nun hole wieder ein, da er schwächer wird. Nicht wahr, schwere Arbeit für deine zarten Hände?" spottet Arakalnlk gutmüthig — „aber Doctor, paß auf", ruft er und wirft sich mit aller Gewalt anf das äußerste Ende des Auslegers. „Aber, mein Gott, was ist denn geschehen?" frage ich ängstlich. „So, nnn ist's vorüber; hast du denn nicht gemerkt, daß der Wind heftig wurde und daß du uns beinahe umgeworfen hättest? Das wäre aber doch schade um den schönen Plumpudding gewesen, wenn den die Thiere da unten hätten fressen sollen. Unsere Amlais werden gar leicht nmgeworfen; sie sind nicht so fest wie euere Boote, dafür aber segeln sie auch besser. Wenn 124 IV. Ich werde selbständig. du das Tau, womit du das Segel leitest, ganz stramm hallst und nicht auf den Wiud Acht gibst, so genügt eine etwas stärkere Vrise, das Amlai nach jener, der Segelseite, umzuwerfen; uud wenn der Wind vorher stark war und wir uns hier als Gegengewicht auf den Ausleger setzen, so mußt du sehr aufpassen, denn wenn du beim Nachlassen des Windes nicht das Segel anziehst, so schlägt das Boot nach dieser Seitc um, weil wir hier alle außerhalb desselben sitzen. Gib mir einmal das Tau. Siehst du, so mußt du es führen, daß immer der Schwimmer hier unter dem Ausleger nur eben das Wasser berührt; noch besser ist es, wenn er ganz in der Luft ist. Dann geht es lustig, dann fliegt unser Amlai gerade so schnell wie der klu'amlki." 5) Nasch waren wir weiter gekommen; aber eine vorspringende Spitze eines Riffes zwingt uns zu wenden. „Hole das Segel an den Wind — so, jetzt steht das Amlai, rasch das Segel gewendet!" Und wie Arakalulk das sagt, faßt Aidesö die im Vordertheil des Bootes ruhende Spitze des Segels und läuft mit ihr, indem er dieses geradezu umdreht, an das andere Ende, während Arakalulk das eine Tau, welches den Mast hält, etwas anzieht, ein dritter das entgegenstehende etwas verlängert. Cabalabal aber nnt seinem Steuerruder setzt sich au das Ende, welches vorhin das Vordcrtheil war, uud uun geht es rasch nach der andern Richtung hart am Winde entlang, ohne daß wir bei diesem Manöver viel von unsern: Wege durch Abtreiben verloren hatten. So ist also an den Amlais dieser Insulaner die Lee- und Luvseite immer dieselbe am Boote, jene die Segelseite, diese die des Auslegers, während Hinter- nnd Vordertheil wechseln. Nun warcn wir auf dunkelblauem Wasser, aber vergebens blickte ich in die Tiefe, um die Beschaffenheit des Meeresbodens *) Ter Tropikvogel; den Einwohnern wcgen seiner schönen weißen Fcdcrn das Sinnbild der Schönheit. Bunte Wälder im Mcerc. 125 Zu ergründen. Hier im Norden ist der breite, dem Außenrande des Riffes fast parallel laufende Hauptkanal zwischen 40 und 50 Faden tief. Bald jedoch wurde das Wasser wieder heller; nicht plötzlich, fondern ganz allmählich ging das dunkle Indigblau der Mitte des Kanals über in Berlinerblau von wundervoller Durchsichtigkeit, dann in Himmelblau und Smaragdgrün, zum Beweife, daß da nicht, wie in den kleinen Seitenkanälen, di? Wände des Riffes fenkrecht ans der purpurnen Finsterniß emporsteigen. Nun traten auch schon einzelne Korallenknollen deutlicher hervor, bald zierliche Vaumgestalten nachahmend, bald kolossale Blöcke, enormen Kugeln oder großen Tischen vergleichbar. Zwischen den Tausenden von Zweigen, denen wie schimmernde Blüten und Früchte die einzelnen nun schon erkennbaren Polypen ansaßen, tummelten sich in lustigem Spiel zahllose kleine Fische in den buntesten Farben. Hier zog ein ganzer Schwärm der blau-gebänderten Dascyllus-Arten einher, ein Papagaisisch weidete mit seinen harten, einem Papagaischnabcl ähnlichen Kiefern die Korallenblöcke ab, ein Aal wand sich in Schlangenwindungen am Boden einher. Aber die Polypen waren offenbar dies Spiel gewohnt; denn keiner von ihnen zog seine Tentakel ein, die im Kreise um seinen stets beutegierigen Mund herumtastcn — da plötzlich schießt ein ganzer Schwärm von kleinen und großen Fischen daher, wild durcheinander und offenbar in großer Angst. Gleich hinter ihnen kommt lüsternen Blicks ein Haifisch einhergeschwommen, er scheint kaum die Flossen zu bewegen, und doch schießt er so rasch vorbei! Und mit der plötzlichen Aufregung, die er am Grunde des Meeres hervorruft, ist nun auch das heitere Spiel der kleinen Fifche, der ganze Wald blühender Bäume urplötzlich verschwunden — eine öde graue Fläche ruht der Meeresboden wie im Todesschlafe, und aus ihr strecken schmucklose Korallen ihre zackigen Arme empor, uns warnend vor der Gefahr, die sie eben noch unter dem buntcn Kleide aller der prächtig gefärbten Thiere verbargen. 126 IV. Ich werde selbständig. „So, NUN sind Wir zur Stelle", ruft Araklllulk, „hier, Doctor, steig auf diesem Korallenblock aus, ich und Aideso, wir begleiten dich, und die andern bleiben hier, um zu fischen." Noch war das Wasser ziemlich hoch, und bei dem Springen von einem Block zum andern kamen wir häusig bis über die Knie ins Wasser. Das dauerte jedoch nicht lange; zuerst wurde die Oberstäche der Koralleublöcke flacher, die abgebrochenen todten Stücke mehrten sich und füllten die Spalten aus, die sonst immer zwischen den üppig lebenden Korallen bleiben, und bald hatten wir eine große weite von Sand bedeckte Fläche erreicht, auf welcher nur spärlich in kleinen Löchern die Polypen vegetirten. Aus dem nun schon fast ganz trockenen Sandboden wuchsen zahlreiche Algen hervor, an denen sich in enormen Massen kleine kaum erbsengroße Polythalamien^) angeheftet hatten; und große schwarze Stcckmuschcln schnitten mir mit ihren scharfen kaum über die Oberfläche hervortretenden Rändern Löcher in meine Schuhe ein, eine Gefahr, welche meine Begleiter freilich kannten und besser zu vermeiden wußten. Manche Schnecke nnd Mnschel wurde gesammelt, manches Thier lebend in die Glasgefäße gethan, die Arakalulk mir nachtrug; aber vor uns lag noch in weiter Ferne das Anßenriff, dessen weiße Schaumlinie wir doch schon deutlich erkennen konnten. Nun wurde auch, je weiter wir uns demselben näherten, der Bau des Risses ein anderer, die vorher kleinen, kümmerlich lebenden Colonien von Polypen wurden immer größer und üppiger, einzelne Arten vereinigten sich bald zu großen Feldern, während die vom reinen Korallensand bedeckten Stellen immer seltener wurden. Schon schlug das Rauschen der Brandung an *) Pokithalamicn oder Foraminiferen sind mit Kaltschalen versehene Conglomerate — Colonicn — einfachster Protoplakmaklümpchcn, wie sie ohne jegliche innere Organisation, blos ans einem lebenden milrostopischen Eiweißtro'ftschcn bestehend, anch in unsern Flnsfcn, Sccn und Teichen als sogenannte Amöben leben. Die Kaltschale der fossilen Formen erreicht mitunter eine gan; enorme Größe. Rougckate. 127 mein Ohr. Der Steckmuscheln nicht achtend oder der Gefahr, in ein tiefes Loch zu fallen, eilte ich weiter, bald springend, bald mühsam schreitend — da plötzlich umgibt mich ein hoher Wald von zierlichen Bäumchen, die jetzt bei niedrigem Wasserstande ihre Kronen traurig gesenkt haben, sonst aber wol vom Boden aufsteigend Manneshöhe erreichen mögen. Aber ehe ich noch einige Schritte in dieses Gewirre von schwankenden Aesten gethan, fühle ich schon an meinen Händen und Beinen ein heftiges unerträgliches Jucken, und Arakalulk ruft mir in demselben Augenblick zu: „Nimm dich in Acht, kehr' um, Doctor, das ist der Nongekate"); du Armer, du hast dich schön verbrannt und wirst cs morgen noch fühlen." „Nun meinetwegen, so will ich doch wenigstens einen von diesen abscheulichen Bäumen mit nach Hause nehmen." Als ich ihn mir dann näher besah, erkannte ich in ihm eine kolossale Colonie der kleinen Polypen, die der Zoolog als Serlularien kennt. Diese Thiere besitzen, wie alle Arten derselben Klasse, an den verschiedensten Theilen ihres Körpers sogenannte Nesselzellen, kleine mikroskopische Bläschen, ans denen bei Berührung ein mit WiderHäkchen besetzter Faden herausschnellt und in die Haut eindringt, hier ein ähnliches Nesseln erzeugend, wie es unsere Brennesseln thun. Aber bei keinem mir bekannten Polypen ist die Zahl solcher Nesselzellen so groß wie bei diesem Nongekate, mit dem ich in so unangenehmer Weise Bekanntschaft gemacht. Die kleine Episode kostete einige Zeit, ich versuchte erst den Schmerz an den aufschwellenden Händen und Füßen zu lindern, aber ohne Erfolg. So ging es denn, trotz der Qualen, fluchend und springend weiter; schon waren wir der Brandung so nahe, daß ich deutlich erkennen konnte, wie sich die herannahende Welle mehr und mehr hob, bis sie endlich, zu einem senkrechten Wall ansteigend, im nächsten Moment mit Donnergetöse sich über- -5) „lion Feilte", d. h. was kratzt oder brcunt. 128 IV. Ich werde selbständig. stürzte und in einen breiten Streifen schneeweißen sprudelnden Wassers verwandelte. Mitunter, wenn sich eine Woge recht hoch erhob, sah ich in die senkrechte Wasserwand wie in einen kolossalen klaren Smaragd hinein; und dann packte es mich mit unwiderstehlicher geheimnißvoller Sehnsucht, ihr entgegenzueilen, gleich als sollte ich erst, von ihr überflutet, die Wunder schauen, die hinter jener blendend blauen Mauer zu liegen schienen. Dann dachte ich jenes Moments, als ich, südlich vom Cap der guten Hoffnung, dem gleichen räthselhaften Dränge fast znm Opfer gefallen wäre. Auf der Reise nach Singapore hatten die westlichen Stürme, die immer dort auf den hohem Breiten vorherrschen, unsere „Conradine Lackmann"") so gepackt, daß wir ihnen auf Gnade und Ungnade übergeben zu sein schienen. Tagelang wüthete der Sturm so heftig, daß wir beilegen mußten, und nachher trieben wir vor ihn: her bei dichtgerefften drei Segeln mit der Geschwindigkeit eines Dampfers. Mehr als eine Woche blieben wir Passagiere in der Kajüte eingeschlossen, denn von allen Seiten überfluteten die Wellen nnser Schiff. Es war ein nasses Schiff! Wenn es von einer Welle herabsinkend niedertauchte, nahm es jedesmal mit seinein Vug cine solche Menge Wassers über, daß das ganze Deck überschwemmt wurde; und von hinten kamen die Wogen uns nach uud brachen über uns zusammen. Lange genng hatte ich in der dumpfeit Luft des Raumes zugebracht; ich benutzte cmcn kurzen ruhigen Moment, um aus der rasch geöffneten Kajütenthür aufs Deck zu springen. Frische Luft mußte ich wieder einmal athmen. Rings herum das Bild des wildesten Aufruhrs. Ein paar ganz kleine Fetzen Segel, prall vom Sturmwinde gefüllt, treiben das *) Dasselbe Echiff, ein trefflicher Segler, aber ein sogenauntcö „rankes" Schiff, verschwand wenige Jahre später auf der gleichen Ncife spurlos; nie hat mau von dem Kapitän — derselbe, mit dcm auch ich die Fahrt machte — oder der Mannschaft wicdcr geleit. Dk blcmc Wcllc. 129 Schiff, sie scheinen jeden Augenblick bersten zu wollen, so Zittern sie unter der ungeheuren Anstrengung. Der Hauptmast ist schon gesprungen; rings um ihn herum sind mit dicken Tauen kleinere Masten, Stengen und Spieren aller Art festgebunden. Nirgends ein trockenes Tau, überall hängen die Wassertropfen, die der Wind im nächsten Moment in feinen Staub zerreißt. Glänzend glatt ist das Deck, auf dem vorn am Bug ein einziger Matrose steht. Ich klimme mit Mühe auf das etwas erhobene Hinterdeck. Hier steht der Kapitän; nicht weit dahinter der Steuermann, festgebunden am Steuerruder. „Was wollt Ihr hier! Nasch in die Kajüte, hier ist Eneres Blcibcns nicht. Da kommt sie schon, haltet Euch fest!" So ruft der Kapitän. Ich aber bleibe stehen, frei und hoch aufgerichtet; die Brust schwellt sich mir vor ungeahntem Entzücken, wie ich die Welle von hinten her in bläulich geisterhafter Starre, nur oben von einer Unzahl kleiner weißer Flocken gekrönt, majestätisch nahen sehe. Meine Augen bohren sich in die blaue Pracht hinein, mit offenem Munde tief Athem holend — mir will schier die Brust vor gewaltiger Sehnsncht zerspringen! — beuge ich mich der Welle entgegen, da packt sie mich, und im nächsten Moment fühle ich, wie ich gegen einige Taue und eiserue Stangen angeschleudert werde. Die Wanten des Großmastes, an deren untersten Theil ich geworfen worden war, hatten mich gerettet. — Noch hcnte aber steht jene blaue Welle in ganz so lockender Majestät wie damals vor meinem Auge, und immer sage ich mir, erhöbe sie sich mir in dieser Stunde wieder wie vor zwölf Jahren, ich würde mich abermals ihrer nassen Umarmung entgegenwerfen! ,In solchen Momenten des höchsten Entzückens verliert der Tod seine Schrecken. Heute jedoch ward dieser sinnlose Drang, bis an das äußerste Niff und mitten in die schäumenden Wellen hineinzngclangen, ni'cht befriedigt. Zwar des mühsamen Springms und der blutenden Srmprr. 9 130 IV. Ich werde selbständig. Füße hätte ich nicht geachtet, aber ich bemerkte bald, daß das Wasser bereits im Steigen war. Unaufhaltsam eilte ich weiter, es schien mir, als habe ich nichts gesehen, wenn ich nicht den äußersten Nand des Risses betreten hätte; aber immer höher stieg das Wasser, und als ich kaum noch hundert Schritte vom ersehnten Ziele war, da rief mir Arakalulk warnend zu, sofort umzukehren. Trüben Herzens gehorchte ich. — Und es war hohe Zeit. Denn die Flutwelle, 'welche vom innern Kanal gegen das Außenriff heranlief, schwoll rasch höher und höher, sodaß wir schon bis an die Hüften im Wasser wateten, als wir unser Amlai erreichten. Es scheint diese Richtung der Flut Zu beweisen, daß hier im Westen durch den erhöhten Nand des Riffes ein fast vollständiger Abschluß gegen das Meer gegeben wird, sodaß die durch Ebbe und Flut erregten Ströme nothwendig immer durch die kleinen das Außenriff durchbrechenden Kanäle sowie den Hauptkanal aus- und eintreten müssen. Und da die Fläche des zu überflutenden Riffes viele tausend Schritte breit ist, so erklärt sich auch die ganz allmähliche Neigung gegen den Hauptkanal durch den mächtigen und regelmäßig täglich sich wiederholenden Abfluß des Wassers, welches, in keine engen Grenzen gebannt, die ganze Fläche allmählich nach innen zu abschleifen muß. Gauz anders zeigen sich die Wände derjenigen Kanäle gebildet, welche als Abzugsgräben für die aus den Bergen niederströmenden Bäche anzusehen sind. In ihnen erhebt sich die Wand senkrecht bis nahe zur höchsten Fluthöhe; und das Wasser, welches die innern Riffe überflutet, steigt nicht in diesen Nebenkanälen herauf, sondern ganz oder größtentheils doch aus dem Hauptkanal auf die Fläche des Risses. So bleibt bei Ebbe und Flut in ihnen die Stromes-nchtung immer dieselbe und wechselt nur in der Intensität; und da die Stärke des Stromes eine bedeutende ist, so zwingt er die Korallen hier zu senkrechtem Wachsthum. Neue Plane. 131 Trotzdem ich das Ziel, das mich vorhin am Außenriff so mächtig lockte, nicht erreicht, war ich doch mit den Ergebnissen meiner Excursion gar wohl zufrieden. Körbe voll Muschelschalen, Gläser mit den herrlichsten Nacktschnecken und Planarien, Würmern und Seesterncn gefüllt, brachte ich mit nach Tabatteldil zurück; auch über den Bau des Riffes hatte ich mich so weit orientirt, daß ich nun ernstlich an die Ausführung eines Planes denken konnte, der mir schon lange im Sinne gelegen hatte. V. Wanderleben. Tchon seit geraumer Zeit hatte ich sehnsüchtige Vlicke nach dem Norden geworfen, wenn mir von den Gipfeln der Verge aus, welche-ich bei Aibukit erstieg, die hoch oben im Meere, außerhalb deZ Gürtels der Riffe liegende Insel Kreiangcl gezeigt wurde. Eine kleine, ganz unbeweglich liegende Wolke deutete gewöhnlich die Stelle an, wo sich dieser Atoll nur wenige Fuß über dem Meere erhob. Es war die erste jeuer wunderbaren Koralleuinseln, die ich erblickte, wie sie, umgürtet von Ringen schneeweißer Wellen, in ihrem eingeschlossenen See und ihrem von Palmenhainen beschatteten Lande den tiefsten Frieden einer beruhigten Natur zu schlafen scheinen. Ich hatte mir vorgenommen, diese eine wenigstens genauer zu sehen, sie zu betreten und ihrem von keinem Europäer bisher entweihten Boden die Geheimnisse abzuzwingen, die er mir für das Verständniß des Lebens solcher Inseln zu bergen schien. Jener fehlgeschlagene Versuch, das westliche Außenriff von Babelthaub zu untersuchen, steigerte nur mein Verlangen; und von jetzt an ließ ich alle andern Arbeiten ruhen und betrieb mit verdoppeltem Eifer die Vorbereitungen zu einer Expedition, von der ich mir die reichsten Ergebnisse versprach. Spaziergcmg nach Roll. 133 Meine Zu solchen Vorbereitungsarbeiten gehörende Vermessung der westlichen Nisse führte mich häufiger als bisher nach den nördlicher gelegenen Ortschaften, von denen die höherliegenden in einem aufrichtig freundschaftlichen Vasallenverhält-nisse zu Aibukit standen. Der bedeutendste unter diesen war Noll. Wir brachen am 15. dahin auf. Bei hoher Flut brachte uns die etwa zweistündige Fahrt an der Westseite in eine dicht mit Mangrovengebüsch bewachsene Bucht, und dem gepflasterten Fußweg folgend, der aus dem Sumpf entspringend gleich den Abhang hinauf deu Wanderer leitet, gelangten wir nach kurzem Marsch auf die Höhe der hier von zahlreichen Palmen beschatteten Hügel. Hin und wieder lichteten sich die Palmenhaine oder machten Wiesen, die von üppigem Grase bewachsen waren, oder struppigem Gebüsche Platz, aus welchem mit ihren steifen, sperrigen Aestcn, die nur an den Spitzen Blätterbüschel trugen, Pandanusbäume hervorragten. Arakalulk führte mich auf eine kleine Anhöhe, von der aus ich einen trefflichen Ueberblick über den ganzen nördlichen Theil der Insel gewann. Die Stelle, wo wir standen, war in westöstlicher Richtung die schmalste derselben, kaum eine halbe Stunde breit. Gleich dahinter aber, gegen Norden zu, weitete sich das Land wieder bedeutend aus, sooaß das nördlichste Reich Aracalong mit seinen befreundeten Staaten auf einer mit dem Hanprlande nur durch eine schmale Landenge verbundenen Insel zu liegen scheint. „Siehst du. Doctor", sagte mir mein Freund, „hier dicht vor unsern Füßen geht die Grenze zwischen dein Feindesland und unserm Reiche. Aracalong ist jetzt mit Coröre befreundet. Das war früher anders. Als noch dort unten (im Süden), an jener Spitze Landes, die du dort so weit gegen West ins Meer hinaustreten siehst, der Staat Arzmau blühte, warm wir alle hier im Norden Aliteinander verbündet. Das ist freilich schon lange her, und ich selbst lebte noch nicht, auch mein Vater nicht. Nur ganz alte Leute habe ich als Kind gekannt, die behaup- 134 V. Wanderleben. teten, dabeigewesen zu sein, als jener Cabel Nils"') hier nach Palau kam und den Leuten von Coröre half in ihrem Kriege gegen Meligeok. Dieser Staat hieß damals Athernal. Das waren furchtbare Schlachten, die geliefert wurden. Die Engländer brachten ihre langen Flinten und Kugeln und Pulver mit, die wir noch nicht kannten, und besiegten mit den Leuten von Coröre unsere Freunde von Meligeok und uns auch. Wir mußten Frieden schließen; die Leute von Angabard waren schon damals zu stark für uns. Ohne sie freilich hätten die Männer von Coröre nichts gegen uns machen können, denn sie sind feig, und ihr Staat ist nur klein. Aber sie sind sehr schlau. Die Engländer zogen bald weg. Einer von ihnen aber blieb in Coröre und brachte seinen neuen Freunden die schönen Waffen mit, die wir so fürchten gelernt hatten. Das benutzte Ebadul. Er schloß mit Meligeok Frieden; bald nachher aber suchte er Streit mit Arzmau, das wir nicht zu unterstützen wagten, weil nun Aracalong nicht gegen die Leute von Coröre focht. Arzmau wurde gänzlich zerstört; die Bewohner wanderten aus nach Meligeok. Und Ebadul hat verboten, daß es je wieder aufgebaut werde. Jetzt ist es wol schon zu spät, die alten Leute von Arzmau leben nicht mehr, und Cabel Mul ist auch schon zu alt, um uns zu helfen, und du. Doctor, sagst ja immer, daß du nicht mit uns in den Krieg gegen Coröre ziehen kannst. Ist denn das bei euch in Angabard so, daß ihr dort euern Freunden nicht helfti" „Ach, Arakalulk", erwiderte ich ihm, „das ist bei uns ganz anders. Wohl helfen sich Freunde gegenseitig, aber doch nicht, um sich todt zu schießen; dies thun sie nur, wenn der allergrößte Nupack, der King, gesagt hat, daß der Krieg erklärt werden soll. Dann aber schießen sie ganz anders aufeinander, als ihr es hier thut. Wir nehmen zwar nicht die Köpfe der Feinde mit nach Haufe wie ihr; wie könnten wir auch? Da hätten wir viel zu tragen. So viele Menschen, wie *) Wils-Wilson. Kriegführung auf den Palaus. 1Z5 ihr alle hier auf Palau seid, ganz Aibukit und Aracalong und Meligeok, Coröre und Peleliu zusammengenommen, werden bei uns mitunter an Einem Tage getödtet, und dann ist der Krieg noch immer nicht zu Ende. Da werden Städte zerstört, in denen mehr Menschen leben als auf allen cuern Inseln zusammen; so weit, wie von hier nach Manila über das Meer, marschiren die Soldaten in das Feindesland hinein, und ihre Feste feiern sie dann, statt in der Heimat, oft in der fremden Stadt. — Doch sieh, was ist das für ein Dorf, das hier so dicht vor uns unter diesem Hügel liegt?" — „Das ist ein kleiner feindlicher Staat, der zu Aracalong gehört." — „Was meinst du, Arakalulk", sagte ich, die Flinte erhebend, „soll ich deinen Feinden einmal eine Kugel hinschicken und ihnen zeigen, daß sie vor deines Freundes langer Flinte dort nicht mehr sicher sind?" „Nein, ja nicht. Doctor", schalt mich mein Begleiter, „das ist gegen die Sitte. Wir machen unsern Krieg auf unsere Art. Willst du dich mit mir dort unten im Busche verstecken, so bin ich bereit, wir sind vielleicht glücklich und bringen einen Kopf mit nach Hause. Aber ins Dorf schießen, das geht nicht." — „Nun, beruhige dich nur, ich hätte es auch gewiß nicht gethan. Aber dich beschützen soll meine Flinte doch, wenn uns hier auf dem Wege vielleicht ein Feind auflauert." Nun ging es wieder vorwärts in nordöstlicher Richtung. Weithin gegen Norden bis dicht vor Artebiaug und südlich bis hart an Aural erstreckten sich die Palmenwälder, auf der Höhe wie an dem westlichen AbHange; und unter den Palmen und durch das dichte verwahrloste Gebüsch hindurch, das hier und da mit jenen abwechselte, deuteten gepflasterte Wege, halb unter abgefallenem Laube versteckt, mit ihren nun längst verwitterten und rauh gewordenen mittlern Reihen großer Steine das Leben an, welches früher hier geherrscht haben mochte. In Gras und Gebüsch verborgen erkannte ich »deutlich die freien Plätze, welche einstmals die Häuser umgaben und auf denen 1Iß V. Nandcrlebm. Knaben spielten, die jetzt längst Männer geworden sind oder gar schon in dem hart daranstoßenden Grabe ruhen, während mm einige grüngolden schillernde Eidechsen hier ihrer muntern Jagd nach den sich sonnenden Insekten obliegen. Bald näherten wir uns dem nicht weit vom östlichen Ufer liegenden jetzigen Dorfe Roll. Auch hier waren die Wege schlecht gehalten und von Gräsern nnd Gebüsch bewachsen. Die großen Bais mit ihren steinernen, theilweise schon umgefallenen Sitzen ans dem Platze davor und ihren schönen Baumgrnppen machten den Eindruck, als seien sie nicht für die wenigen heutigen Bewohner bestimmt. Hätten oiese doch in einem viel kleinern Hause Platz gehabt! An den Kokospalmen hingen zahlreiche Nüsse, deren Menge offenbar den Bedarf der Bevölkerung bedeutend überstieg; und die mastbaumgleichen Bongapalmen senkten ihre langen Aehren goldgelber Früchte der Erde zu, während ihre Wipfel hoch das Dach und selbst die höchsten nebenstehenden Kokospalmen überragten. Ihr dünner, nur 4 bis höchstens 6 Zoll dicker Stamm bog sich wie ein schwankes Nohr, und die rauschenden Blätter ihrer Kronen schlugen, vom leisesten Windes-hauch in Bewegung gesetzt, nieder auf das Dach des nächsten Bais, als wollten sie die schlafenden Insassen mahucn, dasselbe vor dem drohenden Verfall zu schützen. Umgössen von dem Glänze der tropischen Sonne, umrauscht vom Gelöse der brandenden Wogen des Meeres, nur halb beschattet von dein schwauken Palmenhain, lag so das verfallene Noll ein ergreifendes Bild vor meinen Augen. Welch ein Gegensatz! Ueberall hin dringt luer der wärmende Strahl der Sonne, der Erzeugerin und Ernährerin alles Lebens auf Erden, Bäume und Sträucher hängen voller Blumen und strotzen von Früchten, und das Weltmeer zu unsern Füßen mahnt uns an die nie rastende Thätigkeit anderer Völker; hier aber liegen die wenigen verkommenen Nachkommen eines vor zeiten mächtigen thätigen Völkchens in nnthätigem Genuß. Ihnen wirft ja die Sonne den Roll. 137 Preis des Lebens ohne Mühe in den SchoZ. — Einst war das freilich anders. Noch ist es vielleicht kaum ein Jahrhundert, da war Noll mit allen seinen weit die Höhen ansteigenden gepflasterten Wegen und freien Plätzen ein belebter, volkreicher Ort. Seine Fürsten, nicht unthätig wie jetzt, beriethen über das Wohl und Wehe des Staats in langen ernsten Sitzungen; ihre Macht gab ihnen anch nach außen hin die nöthige Würde und Unabhängigkeit, während sie jetzt in kriechender Demuth an den Berathungen der Vornehmen zu Aibukit als Fürsten zweiten Ranges theilnehmen. Feste auf Feste folgten sich, denn'alle andern Stämme bewarben sich um die Freundschaft des mächtigen Reiches, und Weiber und Kinder benutzten gern jede Gelegenheit zu einem Staatsbesuch (Klökadauel) ill Noll, da nirgends sollst eine solche Fülle reicher Gaben und herrlicher Lebensmittel geboten wurde. Zu dem freien Dienst in den Bais drängten sich die jungen Mädchen aller Städte heran, ja, sie ließen sich gern in ganzen Clöbbergölls von den befreundeten Männer-Clöbbergölls aus Roll entführen! Heute aber müssen die eigenen Weiber den wenigen Männern das Essen in die Bais bringen. Weit nach Nord und Süd zogen damals die großen Kriegsamlais aus, eiuen Schimpf zu rächen oder einem befreundeten Staate beizustehen — jetzt haben die Bewohner kaum Amlais genug, um auf das hohe Meer zum Fischfang hinauszufahren. Auch Arakalulk hatte sich offenbar Betrachtungen über den hier so sichtbaren, tief ergreifenden Verfall des Nachbarstaats hingegeben. Er erzählte mir manches von der frühern Bedeutung des Staates Roll. „Aber wie mag es nnr kommen", schloß er, „daß jetzt so viele Menschen sterben? Früher waren die Kriege viel blutiger — jetzt genügt ein einziger Kopf zu einem großen Siege. Sollten unfere Frauen recht haben? Sie sagen, früher wären sie gesünder gewesen als jetzt. Wir haben hier keine solchen Krankheiten wie ihr dort in Angabard; 138 V. Wanderleben. Cabel Mul hat mir erzählt, wie bei euch oft Tausende in wenig Tagen sterben. Aber die Frauen hier sagen, sie wollten keine Kinder mehr bekommen. Seitdem nämlich die Ingleses mit Cabel Mls hier waren, sterben sie immer mit dem Kinde bei der Geburt, und deshalb fürchten sie sich davor und suchen es zu vermeiden, solche zu bekommen. Der böse Cabel Wils, der ist an allem unserm Unglück schuld. Da soll von ihm ein großes „dook"*) sein in Coröre — ich habe es nicht gesehen — da soll drin stehen, wie es hier und in Coröre aussah, wie in Angabard und auf den großen Schisien von da. Wenn nur jemand von uns das dook verstehen könnte. Ebadul bewahrt es in einem Schranke, ganz in der Ecke des Hauses, er hat es so lieb wie seinen Sohn." — „Nun, da kann ich dir helfen, Arakalulk; ich glaube, ich kenne das dook. Wenn es das ist, welches ich meine, so ist es freilich schon lange her, als es geschrieben wurde. EZ kann wol auch kein anderes sein. Soll ich dir erzählen, was ich drin gelesen habe?" — „O ja. Doctor, aber warte noch ein wenig, ich will erst Asmaldra und Ra-bacalo und die andern Freunde rufen, die wollen es auch gewiß hören." Und als sie sich nun alle im Kreise um mich gesetzt hatten, begann ich ihnen aus dem Buche Folgendes zu erzählen, das auch meinen Lesern zum Verständniß des Spätern dienen mag. „Es ist lange her, nun gerade 80 Jahre — zweimal so alt, wie du, Usmaldra, bist — da war Cabel Wils ein kleiner *) Wie so manches englische und spanische Wort haben sie auch dieses in ihre Sprache ausgenommen; dagegen haben sie unser „schreiben" mit in9,wkk,i8 übersetzt, d. h. „zeichnen". Merkwürdig ist nur, daß sie unser „Brief" mit i-n«! wiedergeben; dies ist das Wort fur jene bekannten Taue, durch welche in Knoten und Verschlingung der Enden Nachrichten uon einer zur andern Person versandt werden. So verschieden auch das Instrument — ein beschriebenes Blatt Papier und ein Knoteniau — so liegt doch beiden die Idee eines Mittels zur geheimen Mittheilung irgendwelcher Nachrichten zu Grunde. Das Buch vom Cabel Wils. 1 Zg Rupack in einem großen Lande, genannt India. Dies Reich wurde regiert nicht von einem King, sondern von vielen Nupacks, die aber eigentlich nur Kauflente waren, wie Cabel Mul und Cabel Schils.*) Sie schickten, um immer mehr Geld zu verdienen, viele Kapitäne mit großen Schiffen aus, und darunter war anch Cabel Wils, damit sie hier bei euch und anderswo Trepang und Perlmutter und Oel und andere schöne Sachen kaufen sollten. Cabel Wils aber mit seinem Schisse war unglücklich; er strandete nicht weit von Coröre und mußte sich auf Urulong — nicht wahr, du kennst die Insel, Arakalulk? — viele Monate aufhalten, bis er ein neues Schiff gezimmert hatte. Da nun Urulong sehr dicht bei Coröre ist, so kamen die Leute von da bald zu den Ingleses, und da sie sehr schlau sind, so machten sie Freundschaft mit den Männern von Angabard und versuchten nicht, ihnen die schönen Sachen zu stehlen, die sie mitgebracht hatten. Das freute die Engländer wieder sehr, die eigentlich gefürchtet hatten, hier unter Menschenfresser gerathen zu sein. — Ist das eigentlich wahr, Arakalult, daß ihr hier euere Feinde verzehrt?" — „Du bist ein böser Mensch, daß du mich so fragst; oder steht das im dook? Dann hat auch Cabel WilZ arg gelogen. Ich sehe, ihr weißen Männer seid gerade so schlimm wie wir auch." — „O nein, Freund, das steht nicht drin; aber anderswo hier im großen Meere, dort weit hinaus gegen Osten, da gibt es viele Menschen, die auch so aussehen wie ihr Bewohner von Palau, die aber doch Menschen verzehren. Also die Engländer fürchteten sich erst, aber bald wurden sie sehr gute Freunde mit den Leuten von Coröre, und sie unterstützten einander, wo es ging. Nun fingen sie ihren Klökadauel an. Zuerst kam Arra Kuker, und während dieser bei den Ingleses blieb, ging der Bruder von Cabel Wils nach Corö're, um den King von da *) Schils-Cheque. 140 V. Wanderleben. zu besuchen. Der nannte sich aber nicht Lbadul^), sondern King von ganz Palan. Nicht wahr, das war schlau?" — „O ja", meinte Arakalulk, „die Leute von Coröre sind «stark ill der Politik« (m^cwck-^-korulau)." ^) — „Nun kam auch bald der King nach Urulong nnd bewunderte sehr die Sachen oerIngleses. Aber kurz nach seiner Rückkehr wurden die Ingleses wieder furchtsam, denn die Leute von Coröre benahmen sich nicht mehr so freundlich gegeu sie. Doch kam es nicht zum Streite, und als der Friede wieder geschlossen war, bat Ebadul die wiedergewonnenen Freunde um lluterstützung gegen seine Feinde. Fünf Engländer, jeder mit einer Flinte bewaffnet, gingen mit ill den ersten Krieg gegen Athernal. Als die große Muschel das Kriegszeichen gab, hatte Gbadul von Coröre mehr als 150 Kriegs-amlais bei sich. Die fünf Engländer hatten sich vertheilt und waren ganz voran; und als nun Arra Kuker das Zeichen zum Angriff gab, schössen sie mit ihren Flinten einen der Feinde todt, und die andern liefen davon. Das war ein großer Sieg. Auf der Rückfahrt sang man Lieder, und die jungen Mädchen brachten ihnen überall süßen Eilant und Kokosnüsse, und in Coröre wurden die Freunde aus Angabard zwei Tage lang gefeiert mit Tänzen und Gesängen. Aber der Staat Alhernal war nicht gerüstet gewesen, und sein stolzer King wollte keinen Frieden mit Coröre machen. So kam es zum zweiten mal zum Krieg. Diesmal gingen zehn Engländer mit, und als sie nach Athernal kamen, hatten sie mehr als 200 große Amlais." — „Ach, Doctor, das waren doch schöne Zeiten, als noch so viele Menschen in den Krieg ziehen konnten. Jetzt können wir in ganz Palau kaum 200 Kriegsamlais aufbringen." — „Ja, und dieser zweite Krieg war auch viel größer als der erste. Eöaoul *) „Eblldnl" ist eben nicht, wie Wilson meinte, der Name, sondern der Titel der- Fürsten von Coröre. *") Wörtlich übersetzt, wie überhaupt die meisten von mir in der Ncde gebrauchten Wendungen ganz „Palcm" sind. Kricg zwischen Corörc nud Athcrnal. 141 war selbst mit dabei, und er gab das Zeichen zum Angriff. Aber die Leute von Athernal kamen nicht heraus ins Meer, sondern blieben am Ufer. Nnn sandte Ebadul Me Vefehle durch die Amlais mit den weißen Federn.'') Eine Menge Am-lais legten sich hinter einer Landspitze in Hinterhalt. Dann griffen die andern an; aber die Muschel wurde geblasen, nun gingen sie alle zurück und thaten, als wollten sie fliehen. Und als das die Leute von Athernal sahen, kamen sie heraus und eilten den Feiuden nach; uud dann kamen hinter ihnen die versteckten AmlaiZ hervor. Nun kehrten die erstern wieder um, und die Schlacht begann. Da fielen manche euerer Freunde aus Atherual, ohne zu wissen, warum; denn die Leute von Coröre machten einen furchtbaren Lärm, und jene hörten die Schüsse nicht, aber die Kugeln machten ihnen tiefe Löcher. Ncuu von ihren Leuten wurden verwundet gefangen genommen, daruuter ein Ruvack; sie wurdeu alle getödtet. Ebadul aber zog bei allen Staaten in der Nachbarschaft vorbei und zeigte hier die todten Feinde; das war ein großer Sieg für ihn. Und die Ingleses wurden wieder bei dem Siegesfeste in Coröre besungen wie das erste mal. Athernal war besiegt, aber sein König wollte noch immer nicht Frieden machen. So erklärte Coröre ihm zum dritten male den Krieg. Diesmal aber nahmen die zehn Engländer neben ihren kleinen Flinten auch noch eine von den großen mit, die wir Kanonen nennen. Das war ein großer Zug von AmlaiZ, die sich uun gegen Athernal bewegten; von allen Seiten waren Bundesgenossen herbeigeeilt. Aber auch Athernal hatte seine 5) Bei ihren Seeschlachten dienen ganz kleine, nur von zwei oder vier Mann geruderte Amlaw zum llcberdriugen dcr Befehle an die eigentlichen KriecMmlaiö, welche <'>0 —M Männer fassen nud bei ihrer Gräße nnd Menge eine langgestreckte Schlachtlüiic bilden. Diese „Galopiuö" sind ausgezeichnet durch einen Stock, cm welchem ein Vnsch der weißen langen Schwanzfedern dcö männlichen Tropikvogels angebracht ist. 142 V. Wanderleben. Freunde um Hülfe gebeten; da waren denn auch wol euere Leute von Aibukit und Arzmau mit dabei. Und die Schlacht selbst war noch viel größer; wie viele von den Euern fielen, erzählt Cabel Wils nicht, aber von den Leuten von Coröre blieben 3 todt und 40 wurden verwundet, obgleich sie auch diesmal wieder die Sieger waren. Damit war endlich der Stolz des Königs von Athernal gebrochen. Nun ward Friede geschlossen. Der Ruhm von Coröres Macht und der Tapferkeit der Ingleses ging weit nach Süden, und als einen Monat später Ebadul einen Kriegszug gegen Peleliu unternahm, wagten die Leute von dort keinen Widerstand zu leisten, sondern machten gleich Frieden. Unterdessen hatten die andern Ingleses das Schiff fertig gebaut und kurze Zeit nach dem Zuge gegen Peleliu reisten sie ab. Die Freundschaft zwischen Cabel Wils und Ebadul aber war so groß, daß dieser ihm seinen Sohn Libu mit auf die Neise gab, damit er in Angabard sich recht umsehen und lernen solle, so schöne Sachen zu machen wie die Ingleses. Libu war froh, daß er einmal das fremde Land sehen sollte. Sein eigenes aber hat der Arme nicht wieder gesehen. In London, einer großen, großen Stadt, wo die Ingleses wohnen, starb er an einer Krankheit. Zurückgekommen nach Palau ist er aber doch, wenn das Buch, das Ebadul haben soll, das ist, wovon ich dir erzähle. Denn darin ist der junge Rupack gerade so abgezeichnet, wie er dort in Angabard aussah; seine Knochen freilich ruhen im kalten fremden Lande. ^ Auch nicht alle Ingleses gingen damals von hier fort, einer von ihnen hatte großen Gefallen an euerm Leben hier gefunden, der blieb in Coröre und erhielt beim Abfchied eine Menge schöner Sachen von seinen Freunden. Hast du von ihm nie etwas gehört?" „O ja, der ist aber schon lange todt", erwiderte mir Ara-talulk; „doch sage mir, steht nichts davon im Buche, wie nachher Coröre immer größer wurde und Arzmau besiegte, und wie Coröre's Macht. 143 dann später die «Nanila, men» kamen und viel Unglück anrichteten?" — „Wie sollte dies doch drin stehen, das dook ist ja viel früher geschrieben." — „Wie schade das ist, ich hätte so gern noch von dir gehört, was dann später alles bei uns passirt ist. Weißt du. Doctor, unsere Leute lügen gar sehr und erzählen viele Geschichten, die machen dann ihren Weg durch das ganze Reich, und die meisten Menschen glauben sie. Nun sagen die Leute von Coröre immer, ihr Ebadul sei King von ganz Palau. Das ist aber nicht wahr; und doch haben die Inglefes es ihnen geglaubt. Und ebenso sagen sie, ihr Staat sei immer der mächtigste gewesen, das ist aber auch nicht wahr. Selbst jetzt, da Arzmau zerstört und Roll so verfallen ist und immer viel mehr Menschen sterben, als geboren werden in unserm Staate, hat Coröre doch noch viel weniger Männer als wir hier bei uns in Aibukit. Wo sollten sie auch früher auf ihrer kleinen Insel so viel Menschen gehabt haben? Wir haben uns nur lange vor den Flinten und Kugeln gefürchtet, die Coröre hatte. Jetzt aber sollen sie nur kommen. Nun haben wir auch solche Flinten und gute Kanonen, und wenn nur der man-ot-nai' nicht gekommen Wäre, so hätten wir längst schon Coröre besiegt. — Nun aber. Doctor, müssen wir gehen; ich habe den Rupacks von Rallap schon Bescheid gesagt, daß wir in zwei Tagen dahin kommen, und du willst ja vorher noch einmal uach Tabatteldil zurück." So brachen wir auf. Auf dem Rückwege aber dachte ich noch lange an das schöne, stille Noll, an den in der Fremde gestorbenen Libu uuo das Schicksal, dem dies kleine Völkchen seit seinem intensivern Verkehr mit den Europäern unrettbar verfallen zu sein scheint. — Ist das unsere vielgerühmte Culturmission auf dem Erdenrund, daß wir zur Ausbreitung unserer Civilisation erst die Völker vernichten müssen, die sie nicht ei> tragen können? Pfui über die Elenden, die ihren Eigennutz in die Farben der Humanität kleiom und Hekatomben von Menschen opfern, ohne zu schaudern, aber dem Wilden nicht ver- 144 V. Wanderleben. ^ ' zeihen, daß er den Kopf seines erschlagenen Feindes als Trophäe nach Hause nimmt; pfui über die jämmerlichen Wichte, die zur Erreichung ihres Zieles sich keiner Mittel scheuen — denkt an den Opium in China! ^ und doch nicht den Muth haben, zu gestehen, daß sie im Kampfe ums Dasein jede Waffe und jede Kampfesweife für berechtigt halten. Wohl wünschte ich allen, welche die Segnungen unserer europäischen Cultur so hochstellen, dah sie glauben, alle andern Völker tief verachten zu dürfen, die solche Stufe nicht erreichten — wohl wünschte ich ihnen, daß sie einmal ihr eigenes Gemüth in dem Spiegel des Herzens eines solchen „Wilden" sähen: sie würden sicherlich, wie ich, dcn Untergang") so manches Stammes als eine unerbittliche Naturnothwendigkeit anerkennen, aber trotzdem und gerade deshalb es mit mir beklagen, daß Menschen zu Grunde gehen müssen durch unsere Cultur, deren sie uicht bedurften, um glücklich zu sein wie wir, oder selbst glücklicher! Die geplante Reise nach Rallap wurde wider Erwarten durch kein unvorhergesehenes Ereigniß verzögert. Am 21. zog die gesammte Bevölkerung von Tabatteldil, mit Ausnahme von Alejandro, der als Hüter zurückblieb, über Aibukit und die Höhen dahinter an die Ostküste, wo ich in dem Bai der Rnpacks von Nallap mein Lager aufschlug. Asmaldra, wie gewöhnlich mit meiner Flinte, jagte mir Tauben und Enten; Arakalulk blieb immer bei mir und unterstützte mich treu in der nun beginnenden langweiligen und mühseligen Arbeit, um dereutwillen allein ich die Excursion unternommen hatte. Auf der Westseite der Insel war die Aufnahme der Risse und der sie trennenden Kanäle so weit vollendet, als es bis dahin möglich gewesen war *) Siehe die Nachträge am Ende dieses Vlichs. Die westlichen und listlichen Riffe. , 145 und als mir nöthig geschienen hatte, um die Untersuchung der ganz anders gebautm östlichen Riffe beginnen zu können. Dort lag das Außenriff mit seinen hochgehenden Brechern mehr als eine deutsche Meile in nordöstlicher Richtung von Tabatteldil entfernt; hier bei Rallap tonnte man vom Strande aus deutlich die Reiher erkennen, die sich bei Ebbezeit, um zu fischen, auf den Spitzen der trockengelegten Korallenblocke aufgestellt hatten. Dort vor Tabatteldil durchzog die durch das sinkende Meer täglich zweimal trockengelegte weite Fläche ein Labyrinth von kleinern Kanälen, die sich alle in den nur in weitester Ferne wie ein schmaler blauer Streifen daliegenden Haupttanal ergossen. Die tiefgehenden Wogen des hohen Meeres brachen sich an der Korallenmauer und verloren sich an der Oberfläche des Außenriffes schäumend und sich köpfend, und die Wellen, welche mitunter bei heftigem Winde gegen die Pfosten meines Hauses schlugen, erinnerten mich durch ihre kurzen, rasch, aber heftig sich folgenden Stöße an diejenigen unserer Süßwasserseen oder der Binnenmeere, die, ohne Flut und Ebbe, nie jene langgezogenen Wogen zu erregen vermögen wie die Weltmeere, welche uns mit ihrem mächtigen, auch in der völligsten Meeresstille me ganz einschlafenden Seegange Botschaft aus andern Welten zu bringen scheinen. Dagegen brachen sich am östlichen Ufer die Fluten des hohen Oceans in fast unverminderter Kraft, und von ihrer abfressenden Gewalt zeugten Ströme von schwärzlichem Basalt, die hier und da bis an das Meer herantraten, dann aber stets weit in dasselbe hinein eine Unmasse kleiner Blöcke getragen hatten, als endlich die über dem ausgefressencn Fuße überhängenden Felsmassen durch ihr Gewicht zusammengestürzt waren. Zwischen dem weniger hoch als im Westen erhobeneu Außeuriff und dem eigentlichen Ufer ward die Riffläche mit Ausnahme einiger Löcher immer bei Ebbe ganz trocken, sodaß dort, wo wenige Stunden vorher die hohe Flut einen lebhaften Verkehr zwischen Süd und Nord gestattete, nun die öde Sandfläche von Scharen Semper, 10 146 V- Wanderleben. von Knaben und Weibern belebt wurde, die bis an das nahe Außenriff heran ihre Iagdzüge nach eßbaren Thieren ausdehnten. Hier nun hatte ich mir vorgenommen, auch meine Thätigkeit zu entfalten. Zunächst maß ich am Ufer eine Standlinie von etwa 15000 Fuß Länge, und dann versuchte ich durch Triangulation, indem ich die Winkel mit meinem Theodolithen maß, in möglichst weiter Ausdehnung von Nord nach Süd das Riff in allen seinen Einzelheiten aufzunehmen. Das war nun freilich keine leichte Arbeit, und mein Freund Arakalulk meinte mehr als einmal, daß in der That die Geduld eines Mannes von Angabard dazu gehöre, ein solches Unternehmen auch wirklich durchzuführen. Das erste Ausmessen der Standlinie am Ufer, die ich jedoch wegen der vorspringenden Basaltströme theilweise auf dem Riffe selbst bei Ebbe abzustecken hatte, kostete uns volle drei Tage Arbeit. Dann galt es, auf den vorspringenden Ecken der Riffe und auf den höchsten Korallenblöcken die Signalflaggen aufzustellen, die mir zur Bezeichnung der Punkte dienen sollten, von denen aus ich die Winkelabstände und Höhenwinkel der verschiedenen Bergkuppen oder sonstigen Landmarken gemessen hatte. Auch dies nahm uns mehrere Tage vollauf in Anspruch. Endlich glaubte ich mein Ziel erreicht zu haben. Am sechsten Tage hatte ich begonnen, von verschiedenen Punkten der Uferstandlinie die Winkel nach jenen Flaggen, von denen nur eine einzige durch die Brandung umgeworfen war, zu messen; und dabei hatte ich, um keine allzu spitzen Winkel der Berechnung zu Grunde zu legen, von einem Punkte aus immer nur nach den nächsten Flaggen visirt. Leider aber hatte ich dazu Stücke des weißen Calico nehmen müssen, wie ihn dort die Männer so sehr schätzen. Und als ich nun am Morgen des dritten Tages, voller Freude über die bald vollendete Arbeit, wieder die Winkelmessung begann, wurden mir so nahe dem Ziele und vor meinen Augen gerade die wichtigsten Flaggen gestohlen. Als ich dann im Fürstenrathe von Nallap meinem bittern Un- Raub meiner Signalflaggen. 147 muth über die zerstörte Arbeit laute Worte gönnte, mußte ich mir die halb lächelnd, halb würdevoll gemachte Aeußerung gefallen lassen: daß es doch auch von mir nicht schön gewesen sei, ihre Leute so, wie ich es gethan, in Versuchung zu führen. Hätte ich ihnen den Calico verkaufen wollen, statt ihn da draußen so schnöde vom Winde zerreißen zu lassen, so hätte ich gewiß viele schöne Sachen dafür erhalten können. Mit dem leidigen Troste, daß auch hier die Menschen nicht auders sind als in Angabard und auch sie das alte Wort vom Schaden und Spott recht gut kennen uud danach handeln, packte ich meine Instrumente zusammen und wanderte wieder nach Tabatteldil, um dort endlich die Vorbereitungen für meine Fahrt nach Kreiangel zu beginnen. Eigentlich hatte ich dort in meiner fürstlichen Wohnung, die übrigens schon etwas schlecht zu werden begann, nicht viel anderes zu thun, als meine Sammlungen, Tagebücher und Instrumente einzupacken und einer sichern Person zu übergeben, sodaß ich von ihrer Absendung nach Manila überzeugt sein konnte, im Fall meine Tour nach dem Norden unglücklich enden sollte. Daß eine Fahrt über das hohe Meer in den schwanken Amlais für mich, der ich doch nicht so mit dem nassen Element umzugehen gewohnt war, wie die Bewohner dieser Inseln, nicht ohne einige Gefahr scin würde, hatte ich längst eingesehen. Das hielt mich zwar nicht ab von dem Unternehmen, aber ich ließ absichtlich meinen Theooolithen, Sextanten, meine gute Uhr, Mikroskop — kurz, alle Instrumente zurück, da ich sie der sichern Taufe durch das überspritzende Seewasser nicht aussetzen wollte; und nur mit Meßleine, Signalstaggen und dem Kompaß versehen, ging ich auf die Reise. Zum Hüter mmier Sachen ließ ich meinen Manila-Diener Alejandro in Tabatteldil, und mein Vater Krei und seine Frau, meine Mutter, zogen am Tage meiner Abreise hinunter in das Haus, um es gegen jeden Angriff von seiten irgendwelcher Feinde zu beschützen. 10* 148 V. Wanderleben. Am 2. Juli war alles bereit; mein Bündel war geschnürt, und nachdem ich Krei und seiner Frau, Marisseba und andern Vornehmen, die das Abschiedsfest zu feiern hinuntergekommen waren, die Hände geschüttelt hatte — was sie übrigens nur mit Leuten aus Augabard thun — wanderte ich am 2. Juli mit meinem treuen Arakalulk zum zweiten male nach Rallaft. Hier sollten wir ein Amlai finden; natürlich war es nicht da, der eine sagte, es käme gleich, der andere, sein Eigenthümer sei oben damit nach Roll gefahren. Das gab eine lange Unterhaltung; ich ließ sie schwatzen, wanderte am Strande herum und suchte Thiere und glaubte in jedem rein weißen Lendengürtel der mir Begegnenden meine neulich gestohlenen Signalflaggen zu erkennen. Den ganzen Tag mußte ich meinc Ungeduld meistern; das Amlai kam nicht. Die untergehende Sonne sah mich träumerisch unter Palmen am Strande liegen; und aus dem Halbschlummer, in den ich hier verfiel, träumte ich mich hinein in den süßesten Schlaf, der mich bald auf dem harten Boden des fürstlichen Bais umfing. Früh am Morgen weckte mich Arakalulk mit froher Nachricht. „Das Amlai ist da. Doctor, steh schnell auf. Cabalabal ist auch noch gekommen, um mitzufahren, und unsere Leute essen schon. Hier hast du deine Chocolade, auch frische Bananen. Nun iß rasch, dann wollen wir fort." Ich war bald reisefertig und auf dem Strande. Die Sonne stand etwas über dem Horizont, und in ihrem Lichte sah man die Wellen sich nur noch an den höchsten Korallenblöcken des Außenriffes brechen. „Rasch, Leute, das Amlai gehoben, daß ihr es nicht an jenen Stein stoßt. So, nun schwimmt es. Doctor; mach, daß du hineinkommst." Und nun geht es fort, erst etwas gegen Norden, dem Kanäle folgend, dann quer gegen das Riff unter die Wogen, die sich hoch genug erheben, ohne sich freilich zu brechen. Doch kommt bald diese, bald jene Welle in unser Amlai hinein — Vergebliche Versuche in Kee zu stechen. 149 da auf einmal ein Ruck, wir stoßen gegen einen Felsen au, und im Nu sind alle Insassen, selbst Arakalulk, im Wasser drin halb watend, halb schwimmend. Ihre Lendengürtel hatten sie vorher abgelegt und sorgfältig verpackt, um sie gegen das Wasser zu schützen. — Wir mußten zurück, das Meer war schon im Sinken und das Außenriff für diesmal nicht mehr zu passiren. Also wieder nach Rallap, wo ich mein äoles lar luentL vom Tage vorher fortsetzte, trotz dem besten Lazzaroni von Neapel. Nun machte ich es gerade so wie meine Besucher von Tabattel-dil, wenn sie stundenlang in der Thür meines Hauses schliefen, n jener runden Form, welche die Spanier immcr auf ihrcu Karten als „tew«" bezeichnet haben: und von diesem heißt es, Milat habe sich eine ihrer Brüste ausgcrissen und ins Meer geworfen, daraus sei danu der Bcrg bei Mcligeok gewordeu. ^) Titel heißt in der Palausprachc „aräü", Name „uakl". Jenes Wort lvird uicht weiter abgewandelt uud hat nur diese eine Form; „naki" aber 'st die Wurzel, auö der das Verbum „heißen" l>i-ankley gebildet wird. 13* 19l) VlI. Getäuschte Hoffnungen. sie gut auf uud setzte ihnen Kukau und Fisch vor, von dem Besten, was sie hatte. Als nun die Kalids weggingen, sagten sie diesem Weibe, sie solle bis zum nächsten Vollmond ein Floß aus Bambusrohr machen uud sich in der Vollmondsnacht auf demselben schlafen legen. Sie war den: Befehl gehorsam. Und nun kam mit dem Vollmond ein furchtbarer Sturm und Negen, und das Meer stieg immer höher nnd höher und überschwemmte die Inseln, riß die Berge ein und zerstörte die Häuser der Menschen; sie wußten sich nicht zu retten und kamen alle in der immer höher steigenden Flut um. Die gutmüthige Alte aber wurde mit den: Floß, auf dem sie schlafend lag, emporgehoben und weithin weggeschwemmt, bis ihr Haar sich in den Aesten eines Baumes sing, der auf dem Gipfel des Berges von Armlimui stand. Hier lag sie, währeud das Wasser wieder siel. Nun kamen jene Hnmnelsbewohner und suchten nach ihrem Schützling, aber sie fanden die Frau todt. Da riefen sie eins ihrer Weiber aus dem Himmel, dieses ging in den todten Körper und belebte ihn wieder. Mit ihr aber zeugten nun jene Männer fünf Kinder; dann gingen sie in den Himmel zurück und der wirkliche Kalid verließ auch den Körper jener Frau, um in seine Heimat wieder einzuziehen. Die fünf Kinder aber bevölkerten nun von neuem diese Inseln, uud von ihnen stammen wir ab, die wir jetzt hier wohnen." „Die Geschichte kannte ich schon, Arakalulk, mir hat Piter schon davon erzählt, als wir noch gute Freunde waren. Aber er erzählte sie mir etwas anders als dn. Er erwähnte die Kalids gar nicht. Als die große Flut das Weib auf dem Berge abgesetzt hatte, sollte ein weißer Mann gekommen sein — die Fran und alle frühern Bewohner, die in der Flut umkamen, waren schwarz, wie die meisten von euch jetzt noch sind —; dieser Weiße heirathete die schwarze Frau und das wareil die Stammväter der Menschen, die jetzt hier leben. Sie bauten eine Stadt Raisblu, in der ja jetzt noch Einwohner lcben sollen." — „O Zuverlässigkeit von Pittr. 197 nein. Doctor, das glaube ich nicht; Piter ist ein großer Lügner, und was er dir erzählt hat, ist gewiß nicht wahr. Die Stadt RaiZblu liegt dicht bei Meligeok, ich bin selbst dort gewesen; aber ich habe nie etwas von dieser Geschichte gehört." — „Wirklich, Arakalulk? Wie ist das möglich, er ist doch so lange hier gewesen und kennt die Gebräuche von Palan so gnt." — „Ja wohl. Doctor, aber glaubst du denn, wir könnten hier nicht ebenso wohl lügen wie ihr Weißen? Das hat denn Piter wol auch hier gelernt, wenn er noch nicht so geübt im Lügen war, wie er jetzt ist." — „Aber dann kann ich ja anch dir nicht glauben, Arakalnlk!" — „O doch, Doctor, denn ich habe keinen Vortheil davon und ich bin dein Freund, und Piter war das nicht." — „Dann ist auch wol die andere Geschichte von der großen aus Steinen gebauten Stadt in den Bergen bei Mcli-geok nicht wahr?" — „Was ist das für eine Geschichte?" — „Nun, Piter erzählte mir von einer alten Stadt, dicht bei einem großen Süßwassersee, von der wußte man nicht, wer sie gebaut habe. Noch jetzt soll man die steinerne Einfassung der Wege sehen können, und mitten in der Stadt soll ein großer freier Platz sein, umgeben von mächtigen auf ihrem schmalen Ende stehenden Steinen; und noch heute sollten die Einwohner von Meligeok bei ihren Festen die kleinen Häuser der Kalids dorthin als Opfer tragen." — „Was ist doch Piter für ein böser Mensch, Doctor, das ist alles erlogen, die Stadt existirt gar nicht, nur der See, der hoch oben aus dem Gipfel eines Berges liegt. Das ist ganz dicht bei dem Dorfe Nablissa, das zu Meligeok gehört." — „Wie schade ist das doch, Frennd, ich wollte dich schon lange bitten, einmal mit mir nach Meligeok zu gehen, um diese alte Stadt zu suchen. Aber Piter hat mir noch allerlei gesagt, wonach ich dich fragen muß, Arakalulk. Da hat er mir von dem Charley erzählt, der — du kennst ihn ja — hier euere Stadt mit gegen die Engländer vertheidigt hat, der soll ein Mann von Salibago sein; er sei im offenen Boote mit mehrern andern 198 VII. Getäuschte Hoffnungen. hier angetrieben, nachdem sie viele Tage unterwegs waren. Ist das wahN" — „O ja. Doctor, das ist richtig; ich selbst war dabei, wie das Boot nicht weit von Armlimui landete." — „Und dann sagte er, ihr kenntet hier ganz gut die Geschichte von einigen Kalids von Angabard, die vor langer Zeit — dein Großvater war noch nicht geboren, Arakalulk — hier oder in Son-sorol gelebt haben sollen; ist das auch wahr?" — „Nein, Doctor, ich habe wol davon gehört, aber niemand kennt die Geschichte sehr gut. Weißt du etwas davon? dann erzähle sie uns doch." — „Necht gern, Arakalulk, aber heilte ist es zu spät; ich will das morgen Abend thun." Am nächsten Abend fanden sich zu den gewöhnlichen Hausgenossen noch einige Freunde vom Dorfe ein, die auch gern meine Geschichte hören wollten. Als sie alle versammelt waren, begann ich ihnen also zu erzählen: „Seit langer Zeit lebt in einer großen, schönen Stadt in Angabard, die Noma heißt, ein großer «Kalid», den wir «?^)ü« nennen und der unter sich viele Tausende von kleinern Kalids hat, die alle gehorsam seinen Befehlen folgen. Er ist zwar nur ein Mensch, wie auch eure Kalids; aber gerade so, wie ihr glaubt, daß diese wissen, was die Kalids im Himmel denken, so glauben auch jene, daß ihr «I'^M»^ weiß, waZ seine Kalids im Himmel wünschen. Das sagt er ihnen dann, und dann gehen sie hinaus über die gauze Erde, und wo sie Völker antreffen, die noch nicht an ihre Kalids glauben, da lassen sie sich nieder und sprechen so lange mit ihnen und wiederholen ihnen so oft, was sie selbst vom großen Kalid in Noma gehört haben, daß jene es endlich auch glauben. Die Menschen von Angabard nun, welche alles *) b. ©d)mibr Aanteekeningen «opens de zeden etc. Tijdsclir. v. Nederl. Indie, 5 Jaarg., II, 1843, p. 495: „De opperpriester, die door zijnen bijzonderen omgang mit den negorij-deiveJ, alien kundo weten en daarom ook het onbepaaldste vertrouwen bezat bij liet volk....." 9((fo etn unfcf)t&avcv ©teüuevtvetcv beS Teufel«! Die Missionare. 199 glauben, was der «?apk» ihnen sagen läßt, nennt man " lüri-8tian03»; aber viel mehr Menschen gibt es noch anf dcr Erde, die keine «(,'ii3tian08,) sind und es auch nicht gern werden wollen. Da könnt ihr ench denken, daß der «?ai)Ä» und seine kleinen KalidZ gar viel zn thun haben; nnd manche von ihnen haben anf ihren Reisen ihr Leben verloren, wenn sie nämlich die Menschen, die noch nicht «Oi'iöUaiwä» waren, zwingen wollten zn glauben, was der Kalid in Noma sagte. Wo Manila liegt, wißt ihr; man mnß mit guten: Winde 8—10 Tage über das Meer nach Westen fahren, ehe man von hier aus dahin kommt. Nun kamen die ersten KalidZ von Osten her und branchten, um über das große Meer zn fahren, mehrere Monate, bis sie dahin kanten, und viele Menschen starben dabei auf der Neise vor Hnn-ger und Durst. Als sie aber erst in Manila waren, da gingen sie nicht wieder fort, weil das Land ihnen gefiel,- und sie machten sehr viele Cristianos; denn die Leute von dort waren furchtsam und hatten keine Feuerwaffen, und wenn sie auch zuerst ihre alten Kalids nicht fahren lassen wollten, so gewöhnten sie sich doch bald an die neuen, die der «?a,M» aus Noma geschickt hatte. Denn diese brachten viele bunte Kleider mit, und bauten große Häuser für ihre KalidZ im Himmel, darin machten sie täglich sehr schöne Musik, und bei ihren vielen Festen herrschte immer großer Jubel. Das gefiel den Leuten von Manila; auch meinten sie, daß es wol besser wäre, Cristianos zu werden, denn die Kalids der fremden Menschen wären viel mächtiger als die ihrigen. Als nnn die meisten Leute von Manila Cristianos geworden waren, hatten die KalidZ, die muthige und eifrige Männer waren, nicht mehr genug zn arbeiten; darum gingen sie wieder auf Reisen und suchten nach andern Völkern, um auch denen zn sagen, was ihnen der «rWcT» aus Noma aufgetragen hatte. „Nun hatten ein paar dieser Kalids aus Angabard auf einer Insel, die zu Manila gehört, und die Samal heißt, viele Männer und Frauen kennen gelernt, die noch keine CristicmoZ waren. 200 VII. Gelauschte Hoffnungen. und die ein Sturm von Osten her dorthin verschlagen hatte. Die Männer trugen Lendengürtel wie ihr und ein Stück Tuch, sie waren alle an: ganzen Körper tätowirt, und die Frauen ließen das Haar lang auf die Schulter herunterhängen. Ihre Voote nannten sie «Palans», und diesen Namen gaben sie nun auch den Menschen. Das waren aber keine Leute von hier, denn sie wollten nach Pais, ihrer Insel, zurück; die liegt ja aber weit von hier." „Ja wohl, Doctor", rief mir Arakalulk bestätigend zu, „das waren gewiß keine Menschen von Palau^), denn unsere Frauen lassen ihr Haar nie herunterhängen, und wir Männer dürfen uusern Kopf und Schultern nicht bedecken, das verbieten nns unsere KalidZ; auch macheu wir niemals so große Reisen wie die Leute von Daft oder Pais, und nie nehmen wir unsere Frauen mit auf unsere Fahrten. Wozu sollten wir auch, wir haben ja genug Weiber überall!" „Gut, aber die Spanier nannten sie doch immer PalauZ. Als nun jene weißen KalidZ diese Leute sahen, die noch keinen Kalid hatten und auch au keinen solchen im Himmel glaubten — da beschlossen sie, auch deren Inseln aufznsuchen, um die Bewohner zu Cristianos zu machen. Das wurde ihnen aber sehr schwer. Das erste Schiff ging bei Samal in einem schweren Sturme uuter. Elf Jahre später versuchten es wieder ein paar KalidZ von Manila; aber sie konnten nicht gegen den Wind an und mußten umkehren; und das dritte mal konnten sie die Inseln hier im Meere nicht finden. Endlich vor 15)0 Jahren entdeckten sie die Insel Sonsorol, zwischen hier nnd Salibabo. Die Einwohner derselben nahmen die «KalidZ", die man bei uns «Padre» nennt, sehr frenudlich auf, sodaß zwei von ihnen mit Soldaten und andern Leuten an Land gingen, um dort einige Tage Zu bleiben. Nun kam ein starker Wind uud trieb ihr Schiff weg; und die Menschen, die auf diesem geblieben waren, fanden bald danach *) Tiche die Nachträge Nr. II. Die Padrcs auf Falalcft. 20 l eine große Insel, die Panloc heißen sollte. Aber sie konnten hier nicht bleiben, ebenso wenig aber fanden sie Sonsorol wieder. So mnßten sie wieder umkehren nach Manila. „Hier entstand nun großer Kummer darüber, daß die zwei Padres verloren, aber keine Cristianos gemacht worden waren. Erst 20 Jahre später reisten wieder zwei Kalids von Manila ab, diese kamen endlich nach Falaleft, ließen sich dort nieder, bauten Häuser und machten viele kleine Kinder zu Cristianos. Dann ging ein Padre — er hieß Victor — nach Manila, um nene Kalids und Soldaten zu holen; die Neise aber dauerte sehr lange, und als er wieder in Falaleft ankam, da fand er, daß das Haus niedergedraunt war, nnd das KreuZ davor stand auch nicht mehr, und keiner seiner Frennde von Angabard war auf der Insel zu finden. Nun machten sie den Einwohnern Krieg; dabei fingen sie einen der Feinde, der denn auch gestand, daß kurze Zeit nach der Abreise von Padre Victor die andern, sogar der Kalid, gctödtet worden seien." — „Aber warum thaten das die Leute von Falalep?" — „Das steht anch in dem Buche, in dem ich diese Geschichte gelesen habe, Arakalulk; da heißt es darin, sie wären sehr erzürnt gegen den «Padre« gewesen, denn «beständig eiferte er gegen ihre alten Gebräuche, und ihr Gesetz, und er lehrte ihnen ein anderes Gesetz und andere Sitten, die aber wollten sie nicht befolgen, sondern sie wollten den Ueberlieferungen ihrer Vorfahren tren bleiben«/'') Und dann tödtetcn sie den Padre mit drei Lanzenstichen." — „Da haben die Leute von Falalep auch eigentlich recht gehabt. Auch wir möchten gern, daß Männer von Angabard herkämen, bei uns zn wohnen; aber nnsere Kalids müßten sie uns doch lassen nnd unsere Sitten auch. Aber so erzähle doch weiter. Doctor." — „Ja, nun ist es ans, denn die Kalids von Angabard haben nie wieder einen Versuch gemacht, auf cucrn Inseln die Menschen zu Cri- t) Wörtlich cilirt. 202 VII. Getäuschte Hoffnungen. stianos zu machen. Auch die beiden Padres auf Sonsorol sollen dort erschlagen worden sein; es wird aber auch erzählt, sie seien hierher nach Palau gekommen, hätten hier bei euch lange gelebt und euch allerlei gelehrt. So sollen sie euch gezeigt haben, wie man die Steine behaut und die gepflasterten Wege macht." — „Das glaube ich nicht. Doctor, ich habe nie etwas davon gehört, und in unsern alten Geschichten, die auf den Balken geschrieben stehen, kommt nichts davon vor. Das ist gewiß nicht wahr. Mad's Familie ist hier in Aibukit nun schon sehr lange, sieben Väter von ihm smo schon Könige von unserm Staat gewesen, und von allen kennen wir die Namen und was sie gethan haben. Von diesen Kalids aus Angabard habe ich nie etwas gehört. — Aber, Doctor, du sprichst noch schlecht Palau, du bist nun schon so lange hier und weißt doch immer noch nicht, was schöne und was häßliche Sprache ist." — „Ja, die schöne Sprache ist so schwer zu lernen — willst du sie mich lehren? Nun gut, dann wollen wir morgen Abend damit den Anfang machen. Nnn «3'ooä m-) Dieses fast nur mit cmdern beigefügten unwandelbaren Wurzeln gebräuchliche Wort ai'rin^ul heißt in der uudcclinnbarcu Funn ,,aru„ß-uä", Kehlkopf, und dann figürlich auch Muth und Lnst. Ich gebe hier eine Anzahl solcher Verbindungen, die freilich noch lauge nicht dic vorhandene Menge erschöpfen. Wörtlich übersetzt. inaiainalt m'un^ui — ein gerader Kehltopf — o. h. ein gntcr Redner odcr gut rcdmd. Icio — großer „ — hochmüthig. — knst zu finden — lieber, guter (in dcr Anrede als ZärtlichlcitSwort ^ich bin dir gut", n^-a-^lirtili — hellen Kehlkopfcs — klug, verständlich. liirOinorrein — dunklen ,^ — dumm. M688ud0t — lernenden „ —- wißbegierig — närrischen ,, — unverständig, uuverstäudlich. — mageren „ — niedergeschlagen. — fetten ,, — übermüthig (nur mit Bezug anf Weiber gebrancht). __ ? — satt. — ? — übermüthig (mit Bezug auf Männer gebrancht). — fliegenden Kehlkopfeö — Gedanke, der Plötzlich eintritt, Ahnuull. 204 Vll. Ottäuschtc Hoffuungcu. der einen oder andern gefragt, ohne daß es mir gelungen wäre, der Sache auf den Grnnd zu kommen. Mit Arakalulk hatte ich endlich vollständigsten Erfolg. Ich ließ mir nun noch die drei Personen des Singular von «arungul« nennen und wiederholte ihm dann sämmtliche sechs in der bei uns gewöhnlichen Reihenfolge. Den Endzweck dieses Verfahrens hatte mein Freund sehr rasch eingesehen, und nun ward es mir ein Leichtes, die Partikeln'-^), *) Diese Partikeln, welche durch Abkürzung der persönlichen Fürwörter entstanden sind, werden immer an das Ende der Wnrzcln angehängt. Unter den Verben wird in der Regel nur das Passivum in gleicher Weise conju-girt, die active Form dagegen bleibt gewöhnlich unwandelbar, nnd dann wird ihr das Pronomen vorgesetzt; doch gibt es einige Ansnahmcn der letzter» Ncgel. Partikel. ich ii^Ic — all oder 1i — 1)islik1< — geben mir du kau oder Koni — au, »,in oder in — diniern — geben dir er nillo, ni — üi oder 1 — 1)iska1 » ihm wir kainani — am — dilckamain » uns ihr kainü — amü oder ii — Iiikkamü » euch sie triks, ticl — ««, i'i oder i — disk^ri. » ihnen Als Beispiel der Conjugation ciucs Vcrbnnis gebe ich hier gleich eine Ausnahme der obigen Regel. wegwerfen, kamuid (unwandelbar), koit, (abzuwandelnde Wurzel), ich werfe weg — koit, ali du wirfst weg — koit-nu cr wirft weg — Icoit-ai wir werfen weg— knit-ain ihr werft weg — koit-ii sie werfen weg — koit,-i Die Ableitung der Partikel der dritten Person dcö Singular und Plural ist mir unklar geblieben. Hier noch eiuige der auffallendsten Beispiele der Verschiedenheit der wandelbaren nnd unwandelbaren Wurzeln: unwandelbare Wurzel, wandelbare Wurzel. Messer rolllsZ roUsßkns Frau ärdil u^ri Haus diki dii eiu Korb t6t. ti Matte xarr d^u, Zuthat zu einer Speise ^aläoini koäüine. Schwierigkeit der Untersuchung. 205 die für die Abwandlung der Verben und Hauptwörter ncchezn identisch sind, festzustellen. Aber vieler Stunden Arbeit war es, die Wurzeln kennen zu lernen, die in ihrer abgewandelten Forin häusig der unwandelbaren so unähnlich sehen, daß eö nur in manchen Fällen ganz unmöglich blieb, sie aufeinander zu beziehen. Solange ich Arakalulk bei nur hatte, ging es noch leidlich rasch uon statten; aber ohne ihn war es ganz vergebliche Mühe, nach einer unbekannten Wurzel zu forschen, und ich mußte es ganz dem Zufall überlassen, wie viele derselben durch die Combination zahlreicher ähnlicher Redewendungen zu enträthseln sein würden. Und dabei handelte es sich gar nicht immer nm selten gebranchte Worte. So ist eins der im Verkehr mit den Europäern am häufigsten gebrauchten das Wort kikiio, o. h. Gegenstand, Tauschartikel; und durch die Verbindung mit Präposition nnd Pronomen — KIMoar-ulck (Gegenstand für ich, d. h. mein Gegenstand) wird damit (mein, dein) Eigenthum bezeichnet. Nun wissen die Eingeborenen schr gut, daß die Europäer diese Wendung kennen, nicht aber die feinere klüUoilick (mein Eigenthum), und daher kommt es vielleicht, daß sie in der Unterhaltung mit uns jene bekanntere, aber weniger vornehme anwenden, diese letztere aber nie. Es ist also nicht zu verwundern, daß ich trotz des fast in jeder Rede vorkommenden Wortes klüliekiok, MM-Kinn dasselbe nicht verstand, und erst nach drei Monaten bei einem kleinen Wortwechsel durch ungeduldiges Wiederholen dieses mir unverständlichen Wortes eine Erklärung hervorrief. Aber es gelang nie, meinen Bruder lange bei der Arbeit zn erhalten, und jeder kleine Anlaß gab ihm und mehr noch den andern, namentlich den Mädchen, Gelegenheit, bald diese, bald jene Geschichte zu erzählen oder sich durch mich über unser europäisches Leben unterrichten zu lassen. Auch zog ich es vor, die eigene Belehrung nicht zu erzwingen; es schienen nur meine Resultate sicherer zu sein, wenn ich sie unbeachtet aus dem Strom ihrer Gedanken gewann, da ich längst die Bemerkung gemacht 2(jg VII. Getauschte Hoffnungen. hatte, daß die Einwohner mit feinstem Gefühl für unsern Ideellgang die Antwort so einzurichten wußten, daß sie uns befriedigte. Mein Vater Krei namentlich war hierin unübertrefflich. Durch Piter und Cabel Mul und nachher durch Arakalulk hatte ich mancherlei über eigenthümliche Sitten der Bewohner gehört, über den Mädchenraub und den Tribut, den Vasallenstaaten an die mächtigen Reiche sowol an Lebensmitteln wie an Mädchen für die Bais zu zahlen hatten, über Tätowiren und die heiligen Feste und Tänze. Woodin hatte mir von einem obscönen Tanz erzählt, der einer weiblichen Gottheit zu Ehren zu bestimmten Jahreszeiten in Mondscheinnächten getanzt wird und bei welchem die jubelnden Weiber die ausgelassensten und frivolsten Sprünge vor dem versammelten Volke machen. Ueber diesen Cancan der Schönheiten von Palau hatte ich eines Tages Krei befragt; aber mit köstlich gespieltem Erstaunen that er erst, als ob er ganz etwas Neues erführe; und dann erinnerte er sich dunkel einer Sage, daß dort im Süden — in Coröre und Peleliu, wo überhaupt die Menschen viel weniger gesittet wären, als hier ill Aibukit — wirklich in frühern Zeiten jener heilige Tanz getanzt worden sei. Und immer schlössen seine Neden mit dem würdevoll ausgesprochenen Refrain: „Wir sind bessere Leute als jene vom Süden, überhaupt ist hier in Aibukit alles viel besser als anderswo." — So vergingen ein Tag, eine Woche nach der andern in gleichförmiger Wiederholung zoologischer Arbeiten und der Unterhaltungen am häuslichen Herd. Manchmal nahmen diese schon den Ton einer echten Nobinsonade an. Meine gewohnten Lebensmittel waren zu Anfang September fast völlig aufgebraucht, und mein Tisch war abends wie mittags mit landesüblichen Speisen besetzt. Spiritus und die Gläser warm verbraucht, Kisten zum Einpacken der Sammlungm nicht mehr aufzutreiben, ja selbst mein Papier zum Zeichnen und Schrcibm nahte sich seinem Ende. Und vor mir lag die alte „Lady Leigh" noch immer traurig auf die Seite geneigt und an ihrem Kiel, der hoch über Ich gewöhne mich an das Rupacksleben. 207 Wasser emporragte, hämmerte ihr bejahrter Kapitän Tag für Tag, Woche für Woche, von morgens früh bis in die Nacht hinein, ohne daß ich einen Fortschritt in seinen Arbeiten bemerken konnte. Wenn ich ihn dann des Sonntags, von ihm zu Tisch geladen, nach unserer Abreise befragte, so erhielt ich immer dieselbe Antwort — ganz im Stile des Landes — „ich weiß nicht"; nnd klagend nnd kopfschüttelnd erzählte mir der arme Mann, wie seine Tanschartikel immer mehr abnähmen, sein Vorrath an Trepang aber nicht dem entsprechend zuzunehmen scheine. Anch Arakalulk äußerte sich darüber, freilich vorsichtig genug, daß der Handel mit Trepang in Auru nicht günstig genug von statten gehe und daß gar viele Sachen von Cabel Mul ihren Weg ins Dorf fänden, aber man wisse nicht recht für welche Leistungen; und die „Lady Leigh" sei ja so alt und gebrechlich, er könne mit seinem Fuße den Boden derselben an einigen Stellen einstoßen, so dnrchfressen sei er von den Schiffswürmern. Mein Palast in Tabattcldil begann bereits an manchen Stellen den Negeu durchzulassen, und mit Bangen sah ich mich fchon dazu verurtheilt, mit Woodin und Varbcr ins Dorf hinaufzuziehen, dort meine Wohnung im Bai aufzuschlagen und der Erlösung durch ein anderes Schiff zu harren. Abcr wie lange konnte das noch dauern! Cheyne hätte uns gewiß nicht mitgenommen, und über des Spaniers Plane, dessen Schiff jetzt gerade in Malakka lag, konnten wir nichts erfahren. Meiuer trüben Stimmung suchte ich dann immer dadurch Meister zu wetden, daß ich mich in meine Rolle des angehenden Palaubewohners mit Austand einzuleben versuchte. Ich ging in das Dorf und nahm meinen mir zuständigen Platz bei den Berathungen der Rupacks ein; unv in meinen Gesprächen mit Mad und Krei verhandelte ich nun eingehender als je zuvor ihre eigenen Angelegenheiten. Hielt ich es doch für Pflicht, meinen Einfluß auf diese scheinbar mit so guten Anlagen ausgerüsteten Menschen nicht ungenützt vor- A98 ^. Gctänschte Hoffnungen. übergehen zu lassen. Den Vorschlag, die Neiscnltur bei ihnen einzuführen, ergriffen sie mit großen Freuden, und in zwei Tagen hatten Arakalnlk und seine Leute unter Anleituug Alejandro's ein Stück Land urbar gemacht, auf dem wir nun unsern letzten halben Sack von ungestampftem Neis aussäeten. Tresslich ging er auf; aber uach wenig Tagen schon hatten die Ratten, welche in Unzahl auf der Insel lebten, den grünenden Acker völlig kahl gefressen und unsere Hoffnung auf reiche Ernte zerstört. Dann fuhr ich mit dem Clöbbergöll mciues Bruders Arakalulk zum Makesaug aus, um mich int Fischfang zu üben, und an den jetzt sich unaufhörlich folgenden Festen des Klöka-dauel nahm ich mit theil, als wäre ich wirklich fchon mit dem Kuochenorden geziert. Dabei litt freilich meine Zuneigung zu diesem Völkchen, die ich bisher gehegt, gewaltige Einbnße; denn ihren Charakter lernte ich nun von einer Seite kennen, die mir bisher verhüllt geblieben war. Ehrlich und treu waren sie mir fast durchweg erschienen; aber ein Diebstahl, der nun geschah und den ich in allen seinen Einzelheiten kennen lernte, zeigte mir, wie viel mehr die Furcht vor Lächerlichkeit oder Verletzung der guten alten Sitte Ursache sei an ihrer bisher bewiesenen Emhaltuug vou Dieberei, als wirkliche Scheu vor Aneignung fremden Eigenthums. Das Geld spielt hierbei, wie überall, die größte Nolle. Die Reichen, fürchtend, daß nach den bestehenden Gesetzen ihnen ihr Geld — uuo damit ihre Macht — genommen werde als Sühne für den durch eins ihrer Familien-initglieder begangenen Diebstahl, halten ihre Kinder aus Eigennutz zur strengsten Ehrlichkeit an; und die Armen schämen sich uoch mehr vor der Lächerlichkeit und der Schande, die auf sie fällt, wenn sie nicht die Sühne für die Vergehen ihrer Kinder zu leisten vermögen. Ihre bürgerliche Ehre haben sie damit eingebüßt. Aber die Begehrlichkeit nach fremdem Eigenthum, das sie reizt, lebt dennoch in ihnen, so lebhaft wie in irgendeinem andern wilden Völkchen; und wo sie glauben, ungestraft Dcv uenc Rupack. 209 ihrer Neigung folgen zu dürfen, da ist nicht« vor ihren diebischen Griffen sicher. Ein Beispiel ist Coröre; seine Bewohner, werden von Woodin als die abgefeimtesten Spitzbuben nnd Diebe geschildert, die er je gesehen. Schon Wilson nnd seine Begleiter hatten stark von ihren Griffen zu leiden. — So vergingen Wochen nnd Wochen, der September war vorüber, dcr October schon nahte sich seinem Ende. Längst war die Möglichkeit jeder nutzbringenden Arbeit ausgeschlossen. Ich aß nnd trank nnd schlief trotz dem besten Eingeborenen, nnd nnn ging ich äi meiii in die Dörfer nnd setzte mich in die Thüren ihrer Hänser, wo ich oft träumend einschlief, wie sie selbst es früher bei mir in Tabat-teldil gethan. Allnächtlich sah ich von meinem Stammschloß aus die Sonne in ihr Haus gegen Angabard zur Nachtruhe einkehren; doch das Schiff, das mich ihr nachziehend in meine Heimat bringen sollte, lag noch immer entmastet und seitwärts gesenkt am Niffe, nnd längst schon vermochten die Hammcrschläge des alten Woodin nicht mehr, mir Hoffnungen Zu erwecken. — Manchmal träunite ich dann noch von schönen kommenden Tagen; aber das Morgengrauen weckte mich regelmäßig wieder auf als „Era Tabatteldil", zu dem ich nun wirklich geworden war! Semper. 14 VIII. Era Tabatteldil. Eben hatte Era Tabatteldil seinen Morgenimbiß, aus gebratenem Knkau (dem sogenannten Döllul) und süßem Eilaut bestehend, eingenommen und stand gerade im Begriffe, mit Aideso und Korakel znsammen auf das Riff zu fahren, um Muscheln und Schnecken zu suchen: da ertönte von fern her der dumpfe langgezogene Ton der Kricgsmuschcl. Bald nachher erschienen zwischen der Lady Leigh und der vorspringenden Landzunge, welche die Bucht von Tabatteldil im Südwesten abschloß, drei große Kriegsamlais, jedes wol mit 30—40 Männern darin; und um sie herum spielten eine Menge kleinerer, in denen höchstens 4—6 Mann waren. Wie schwangen diese die Nuder, als sie an dem alten Cabel Mul, der an seinem Schisse emsig arbeitend saß, vorübersuhren. „Olokoi, Era Tabatteldil, das ist der Krieg. Nun kommen sie doch, diese Schurken! Siehst du das größte Amlai da, der da drin in der Mitte auf der Plattform sitzt, das muß Aituro von Armlimui sein. Nun, Mad und Krei werden sie schon gut empfangen. Wir aber müssen jetzt in Tabatteldil bleiben, deine Sachen mit zu behüten; das sind große Diebe, die Leute von Armlimui." So eiferte Aideso, während sein Herr ruhig die wenigen Sachm, Drohender Krieg. 211 die ihm noch geblieben waren, seine Instrumente und Zeichnungen in den Koffer that und diesen verschloß; dann holte er seine Flinte, die weiter schoß als die besten Kanonen im Lande, und seine Patrontasche mit der Munition umhängend, sagte er zu Alejandro und Aideso: „Ihr bleibt hier und vorlaßt das Haus nicht und paßt auf meine Sachen auf. Sollten sie Miene machen, das Haus zu plündern oder anzuzünden, so erhebt nur ein großes Geschrei, daß es Cabel Mul hört, der wird dann schon kommen und euch vertheidigen. Seht ihr, sie wollen hier gar nicht bei uns landen. He, Freund, wohin so eilig?" rief er einem rasch vorübergehenden Manne von Aibukit zu. „Bescheid an Krei bringen; das ist Krieg, den uns die Leute aus dem Süden machen wollen!" lautete die Antwort. Und ihm nach, den Landweg einschlagend, eilte nun auch Era Tabatteldil, als eben das letzte feindliche Amlai in den Man-groven des Hafens verschwunden war, so rasch er konnte, auf Aibukit zu. Wie schnell fuhren doch die Amlais, deren Muscheln von Zeit zu Zeit geblasen wurden, kaum konnte er mit ihnen gleichen Schritt halten. Nun war er am Fuße der Anhöhe, worauf das Dorf in seinem Palmenhaine lag. Aus einem Seitenwege einbiegend, begegnete ihm hier Arakalulk, auch bewaffnet. „Du weißt es schon?" — „Ja wohl, haben wir es doch immer dieser Tage erwartet. Aber vorwärts, wir haben keine Zeit zu verlieren." Bald waren sie im Dorfe; Arakalulk eilte in sein Bai, wo der Clöbbergöll schon versammelt war, während Era Tabatteldil, ganz seiner Würde vergessend, mehr laufend als gehend dem Bai der Fürsten zueilte. Schon war der ganze Aruau versammelt, in schweigendem Gleichmuth der Dinge harrend, die da kommen sollten. „Das ist schön von dir. Era Tabatteldil, daß du auch kommst; nimm deinen Platz an Aroa's Seite und lege deine Flinte hinter dich, sodaß die Feinde sie nicht sehen. Wir werden bald hören, was sie wollen." Tiefes Schweigen folgte der Rede 14* 212 ' Vlll- Lra Tabatteldil. Mao's; nur Arda, der neben ihm saß, nickte dem Ankömmling freundlich lächelnd zu. Ihm schloffen sich Eilo und Inarabai an — die beiden Scheute des Königs, welche bei Festen die Gaben zu vertheilen haben — auf der einen Seite, gegenüber saß Inateklo, der Großalmosenicr desselben. Am andern Ende des Bai, Mad gegenüber, hatte Krei Platz genommen, uud sein Gefolge bildeten einige kleinere Rupacks. So waren beide Gewalten im Staate dort in Fülle und Glanz durch gewichtige Männer vertreten. Hier Mad, der allein das Necht hat, das Blul") über Fische und Früchte, über Berge und Thäler, Gräber und Menschen auszusprechen, mit seinen Vornehmen, denen vor allem die Sorge um das geistige uud leibliche Wohl des Volks obliegt; dort Krei, der kühne Held und Anführer im Kriege mit seinen Gefolgsherren, sämmtlich schon erregt durch die Aussicht, nun bald einen Feindeskopf im Triumph mit nach Hanse zu bringen. Alle aber blickten auf Era Tabatteldil; lag doch hinter ihm die schöne Flinte, mit der er so rasch und weit schießen konnte; wie fühlten sich die Fürsten sicher in ihrem Besitze! Da, wieder der Ton der Muschel, nun ganz aus der Nähe. Jetzt kommen sie! Tiefes Schweigen im Bai, wie ringsum im Dorfe. Man kann das Schnalzen der kleinen Geckos im Hause weithin hören. Gemessenen Schrittes kommt eine lange Reihe von rothbemalten Männern im Gänsemarsch auf das Bai zu. Der da vorangeht, mit dem ganz kleinen Korb und dem übermäßig langen buntbemalten Bambusrohr in der Hand, das ist Aituro, der erste Rupack von Armlimui. Er schreitet gerade auf die Thür zu, innerhalb welcher Mad und die andern sitzen; ohne Zögern tritt er herein ins Haus und setzt sich, immer schweigend, jenem gegenüber an die andere Seite des Eingangs. Die übrigen Rupacks aber biegen seitlich ab und treten theils zu den Seiten- *) Das taku der Bewohner Palans. Aituro's Ncdc im Vlruan. 2l.'i thüren in das Bai herein, wo sic sich rasch niederkanern, theils bleiben sie draußen neben dem Hanse stehen. Alles aber geschieht in tiefstem Schweigen. Endlich nnterbricht Aitnro die Stille. „Ich will sprechen", sagt er. „Wir haben einen großen Sieg erfochten über Meligeok. Dicht bei Nablissa hat einer der Unserigen einen Rupack unserer Feinde erschlagen. Seinen Kopf hat er im Triumph nach Hause gebracht, wie es hier alter, guter Gebrauch ist. Unsere Mädchen haben gleich ein neues Siegeslied gedichtet, und nun ziehen wir im Lande herum, überall unsern Siegesklökadauel zu feiern. Erst waren wir in Coröre, da erhielten wir gleich die Kokosnuß, Bouganuß und Vetelpfeffer als Zeichen der Freundschaft; drei Tage lang, wie es unsere Sitte vorschreibt, blieben wir dort; wir feierten mit Tänzen und Gesängen den Sieg über den todten Feind. Sein Kopf war auf dem Hauptplatze der Stadt aufgestellt. Auch Eirei und Gimclig bewillkommneten nns freundlich und nahmen unsern Klökadauel an. Nun wollen wir hinauf nach Aracalong. T>a haben sie unsere Botschaft nicht so beantwortet wie ihr Leute von Aibukit. Wir haben euch dreimal Voten geschickt, zu fragen, ob ihr unser Siegeslied hören und uns die FricdeuZgaben briugen wollt. Aber ihr habt unsere Abgesandten immer ohne Antwort und mit Hohn zurückgeschickt, und ihr wißt doch, daß es von jeher Sitte war, nach einem Siege auch wieder Frieden zu schließen. Jetzt scheint ihr den Krieg fortführen zu wollen. Euere Meinung hierüber zu hören, bin ich begierig. Ich habe gesprochen." . Eine Pause entstand. Dann hub Mad an zu sprecheu und sagte 5): „Wir Mäuncr von Aibukit sind auch heute noch die Freunde von Meligeok. Das war von jeher so unser Gebrauch. *) „Ai-k-ineiskai inuitino" (er — sprechen, sagen), cine sehr gebräuchliche Wendung in allen Erzählungen. Ursprünglich heißt meiekoi „athmen", dann erst „sprechen". 214 VIII. Era Tabatteldil. Als Ebadul die vielen Kriege mit Kokerangl*) führte, da fiel in einer Schlacht auch mein Großvater, der ihnen zu Hülfe geeilt war. Dann schloffen Coröre und Meligeok Frieden; damals nahmen auch wir die Friedensboten an, und drei Tage lang tanzten die Männer von Coröre hier in Aibukit und wurden festlich bewirthet. Hat aber nun Armlimui mit Meligeok Frieden gemacht? Ihr habt ihn gar nicht angeboten, ihr wißt recht gut, daß Kokerangl ebenfo mächtig ist wie ihr und blos um einen Todten euch den Friedenspreis nicht Zahlt. Wenn aber unsere Freunde noch mit euch im Kriege sind, wie könnt ihr verlangen, daß wir euch hier tanzen lassen und mit Siegesgeschenken empfangen sollen? Das hättet ihr wissen können, daß Mad von Aibukit seine Freunde nicht verläßt. Also laßt den todten Kopf nur in den Amlais und hütet euch, das neue SiegeZlied zu singen; wir werden das hier nicht dulden. Geht damit zu euern Freunden nach Aracalong. Ich habe gesprochen, Aituro." Wieder entstand eine würdevolle Pause; hatten doch die Könige so viel zu denken! Eifrig, als wollte er seine Gedanken damit fördern, stampfte Aituro seinen Betel in dem schön verzierten Gefäß mit den, großen weißen, aus einer Muschel kunstvoll geschnitzten Stoßer; dann schüttete er Kalk aus seinem langen Bambusrohr darauf, und mit einem kleinen Löffel aus Schildkrötenschale schob er nun den weißlichen Brei in seinen Mund; denn Aituro war schon alt und konnte die Bonganuß nicht mehr gut zerbeißen. Endlich brach er das Schweigen und sprach: „Freund, du vergißt, daß noch früher Aibukit und Armlimui gute Freundschaft hielten, und ist nicht nieine Großmutter aus deinem Geschlechte gewesen. Mad? Und wer hat damals die Treue gebrochen? Wir gewiß nicht. Warum wollt ihr nun *) So heißt der König von Meligeok. Krei wird zornig. 215 den neuen Freund über den alten stellen? Auch ist es nicht klug von euch. Ob wir uns vor Meligeok fürchten oder nicht, ist ganz gleichgültig, seit die Männer von Angabard hier im Lande sind. Wenn ihr zu uns kommt und nach Coröre, so könnt ihr überall in den Bais die Geschichte lesen von Cabel Nils und Cabel Schils. Ihr wißt recht gut, was die Ingleses schon für Ebadul von Coröre gethan haben. Immer ist durch ihre Hülfe noch Kokerangl von Meligeok besiegt worden; nicht einen einzigen Kopf hat er erbeutet seit jener Zeit. Nach Meligeok aber kommen die Männer von Angabard doch nie. Wollt ihr nun nicht Freundschaft mit uns schließen, so rufen wir die Leute von Coröre nnd Cabel Schils, und der ruft wieder einen inan-ol-nai-, wie er schon einmal gethan, von Angabard. Dann muß Cabel Mnl von hier fort und wieder nach Malakka, wie früher; er hat kein Necht, hier bei euch zu bleiben, und wenn er es doch thut, so werden wir ihn abschneiden. Als Preis für den Frieden müßt ihr dann aber den einzigen Brack bezahlen, den ihr befitzt, und freien Handel treiben, wie früher, dürft ihr dann auch nicht mehr." Hier aber brauste der alte Krei auf, der sich, einem Zeichen Mad's folgend, beim Beginn der zweiten Nede Aituro's in die Nähe gesetzt hatte; er als ungestümer Krieger und vielbesungener Städteeroberer und reichster Mann des Landes durfte ungestraft die Klugheit des Fürsten vergessen: „Schämst du dich nicht, Aituro, das zu sagen, und du siehst doch, daß dir gegenüber der große Rupack von Angabard, Era Tabatteldil, sitzt und alle deine Worte hört? Du glaubst wol, er versteht dich nicht? Da irrst du dich sehr, er kennt die Sitten von Palau und unsere Sprache sehr gut, und seit langem ist er hier bei uns auch Nuvack und nimmt mit theil an unsern Verathungen. Er und Era Kaluk, sie lachen dich aus mit deiner Drohung, ihr Schiff abzuschneiden; sie haben viel bessere Kanonen und Flinten als ihr. Versucht es nur einmal, ihnen 21.6 VIII. Era Tabattcldil. Krieg zu machen. Sie brauchen gar nicht, obgleich sie das gewiß ebenso gut können wie Cabel Schils, einen lAlm-oi^vär zu rufen, um euch zu besiegen. — Und ich, Krei, muß dir noch etwas sagen, Aituro. Ich bin der Vater von allen Männern von Angabard, die hierher kommen, und ich dulde es uicht, daß ihr ihnen Krieg macht und sie zwingen wollt, nach Malakka zu gehen. Ich weiß, sie wollen lieber hier bleiben; drum muß ich sie beschützen. Und das soll auch geschehen. Wer gibt denn dem Ebadul von Coröre das Recht, den Männern von Angabard vorzuschreiben, was sie hier thun sollen? Und steht es vielleicht auch in euern Bildern zu lesen, daß der King von Coröre auch King von ganz Palau ist? Dann lügen euere Bilder; und Era Tabatteldil weiß dann besser wie ihr Männer vom Süden, was hier in Aibukit alter Gebrauch und gute Sitte ist. Er weiß, daß wir hier nie Schisse abgeschnitten haben, wie euers Freunde von Coröre das in Kreiangel und Völulakap (Vap) gethan haben; er weiß, daß Ebadul King war von einer ganz kleinen Insel und wenig Leuten und daß er erst mächtig wurde, als Cabel Wils ihm viele Feuerwaffen und Pulver und Kugeln brachte. Jetzt aber habeu wir auch Flinten; und wenn wir auch nur die eine hätten, die Era Tabatteldil gehört und die weiter schießt als euere Kanonen, oder nur seine kleine Flinte, die immer schießt, ohne daß er sie zu laden braucht, so würden wir euch doch nicht fürchten. Nun könnt ihr den Krieg erklären, wenn ihr wollt, wir thun es nicht; aber wir dulden euern Klökadauel hier auch nicht. Den müßt ihr schou nach Aracaloug tragen." Und nun fing der kleine Krei auch an, seineu Betel ine Becher mit raschen Stößen zu zermalmen, und ihm gegenüber saß Aituro und stampfte ebenso eifrig in dein seinen herum. Mit grimmigen Blicken maßen sich beide; aber ihre Würde als Fürsten vergaß keiner von ihnen so weit, daß sie auch nur Miene gemacht hätten, aufzuspringen. Alle ihre Wuth stampften Mad's Triumph. 217 sie stillschweigend in ihre Becher hinein; weithin in das Dorf aber schallte das von ihnen erregte Getöse. Nun nahm Mad wieder das Wort. „Ich will sprechen", sagte er, „hört ihr beide mich an. Du, Krei, hast gut gesagt, daß du Vater der Leute von Angabard bist und sie deshalb beschützen mußt; aber du hast vergessen zu sagen, daß auch ich und die andern Nupacks alle bereit sind. Era Kaluk und Era Tabatteldil in Schutz zu nehmen. Sie sollen hier in Aibukit ihren Handel treiben, ganz wie sie mögen, uud Ebadul von Coröre soll nicht wagen, uus zwingen zu wollen, daß wir unsere weiheu Freunde von hier wegjagen. Wenn wir auch in dem letzten Kriege gegen den Ingles viele Kriegsamlais verloren haben, so können wir diese doch wieder bauen, uud Flinten und Pulver haben wir jetzt mehr als genng. — Du aber, Aituro, höre noch dieses. Ihr sandtet vor vier Tagen den ersten Boten mit der Bitte, hier tanzen zu dürfen. Das hätte ich nie erlaubt; aber ich wollte wissen, ob ihr blos dies wolltet, oder ob ihr die Absicht hattet, uns wirklich mit Krieg zu überziehen. Da habe ich denn meinen Kalid befragt durch die Blätter der Kokospalme, und der sagte mir, daß ihr nicht Krieg machen, wohl aber uns einschüchtern uud zwingen wolltet, Cabel Mul wieder nach Coröre hinuuterzujagen. Nun könnt ihr, wenn ihr wollt, meinen Kalid zum Lügner machen; dann aber wird es euch schlecht ergehen. Gib also Befehl, Aituro, daß deine Leute nicht mit dem Kopfe des Erschlagenen herauf ins Dorf kommen, wir dulden das nicht; uud ihr sollt hier im Bai bewirthet werdeu, wie es sich geziemt für einen Nuvack. Abreisen kannst du heute doch nicht mehr, denn die Ebbe hat den Kanal schon trocken gelegt, und deine Amlais können nicht mehr zurück. Ich habe gesprochen, jetzt will ich gehen." Und nun verließen, schweigsam, wie die unliebsamen Gäste gekommen waren, die Ruvacks von Aibukit das Bai. Voran ging Mad zu seiner Thür hinaus, ihm folgte Arda, dann Era 218 VIII. Era Tabattelbil. Tabatteldil mit seiner schönen Flinte, die er, wie unabsichtlich, den Aituro sehen ließ; und auf der entgegengesetzten Seite ging Krei, noch immer den Betelbecher in der Hand, mit seinem kühnen Gefolge hinaus. Um Aituro aber scharten sich die fremden Nupacks zu eifrigem Gespräch, nicht achtend der Aufforderung der Armungul, vor dem Mittagsmahl sich noch ein wenig der Ruhe hinzugeben, da sie ermüdet seien. Galt, es doch Rath zu pflegen über das Wohl des Staates Armlimm; man hatte einen solchen Stolz nicht mehr von den Großen im Staate Aibukit erwartet, der ja seiner schönsten Amlais im letzten Kriege beraubt worden war. Aber freilich. Era Kaluk war ein mächtiger Bundesgenosse für ihre Feinde; wie hatte der alte Mann sie nicht alle bei seiner letzten Reise in Zittern und Zagen versetzt. Eine solche Stimme wie Cabel Mul hatte selbst der sonst so gefürchteto Cabel Schils nicht! Und dann Era Tabatteldil, der nicht einmal im Bai vor den Kalids seinen Hut abnahm, das mußte ein mächtiger Nupack sein, der gewiß auch bald einen MAN-ok-nHi- rufen würde wie Cabel Schils, wenn er das nöthig hätte. Aber mit seiner langen Flinte *) und dem kleinen Gewehr brauchte er das ja gar nicht; das waren Waffen, gewiß nicht von Menschen, sondern von Kalids gemacht, so wunderbar, selbst Cabel Schils hatte nie solche gehabt. Um die eine zu laden, mußte er sie immer zerbrechen und dann wieder ganz machen; das ging aber viel rascher als das Laden der ihrigen, die doch immer unversehrt blieben. Und die kleine Flinte brauchte gar nicht einmal geladen zu werden! So sahen Aituro und sein Gefolge stundenlang im Bai, berathschlagend, was zu thun; aber unter ihnen war niemand so kühn wie Krei und so klug wie Mad. Rathlos saßen sie also da und wurden immer müder und hungeriger und stiller; und als nun die Armungul kamen, sie wiederholt zum festlichen *) Ein Lefaucheux« Hinterlader. Aitura's Rathlosigkoit. - 219 Mahle einzuladen, da freuten sich alle, wie Aituro sich erhob, seinen Platz am gastlichen Herde einzunehmen. Ein helles Feuer hatten die dienstbereiten Mädchen angezündet, um den Döllul und den Kukau warm zu erhalten; und rund um die Lohe herum standen rothe Schüsseln und zierlich mit Muscheln verzierte Trinkschalen aus Kokosnuß, zur Seite eines jeden Platzes aber lag eine gleich große Menge frisch gepflückter Bonganüsse und saftiger Betelblätter. Den süßen Trank der Kokosblüte schenkten die Armungul, von einem zum andern gehend, in die Trinkschalen ein; der Gäste Wünsche erfüllten sie freudig. Hatten sie doch lange keine so vornehmen Fremden zu bedienen gehabt; und Mad hatte ihnen ganz besonders eingeschärft, den Fürsten von Armlimui zu zeigen, daß die gute alte Sitte noch nicht in Aibukit ausgestorben sei. Nach dem eingenommenen üppigen Mahle aber ließen die Rupacks sich gern zur Mittagsruhe auf weißer Matte von den freundlichen Armungul auffordern. Era Tabatteldil aber und Krei und viele der andern Nu-packs trafen sich wieder in einem andern Bai und unterhielten sich lange noch von dem Uebermuth der Fremden und wie ihr Stolz doch endlich einmal gedemüthigt worden sei. Denn daß Aituro den Krieg nicht erklären würde, sahen sie alle ein, und sie hatten diesen Tag einen Triumph gefeiert wie seit langer Zeit nicht mehr. Da war der stolze Verbündete von Ebadul gekommen, weil er glaubte, den durch den Ingles gedemülhig-ten Bewohnern von Nibukit den Fuß auf den Nacken setzen zu können; und nun konnte er nicht einmal im Zorn und unter Drohungen davonfahren, sondern muhte sich die Gastfreundschaft des gehaßten Feindes gefallen lassen. Wohl war das ein Sieg, würdig begangen zu werden; und die Armungul in ihrem Bai setzten sich schon im Kreise hin, um ein Lied auf diesen Tag zu dichten. Aber Mad wehrte den Uebermüthigen mit frommer Rede: „Höhnt doch die Gastfreunde nicht, ihr thörichten Mädchen; 220 VIII. Era Tabatteldil. morgen früh ziehen sie fort, dann ist es Zeit, euere Lieder zn singen. Wißt ihr nicht mehr, was die gute Silte hier in Palau verlangt?" Durch das Dorf aber lief rafch die Kunde, daß der Krieg nicht erklärt würde; und in den Vais wie in den Häusern wurde bis spät in die Nacht hinein von nichts anderm gesprochen als von den schönen Reden, die Mad und Krei gehalten, und wie gut es gewesen sei, daß Era Tabatteldil mit seiner Flinte dabeigewesen war. Der aber mußte von Haus zu Haus gehen; alle wollten ihn sehen, erst seine Mutter, Krei's Frau, dann Mad'Z Schwester, die-Königin von Aibukit und alle Frauen der Nupacts. Wo er aber hinkam an jenem Abend, da hieß er nicht mehr Doctor, sondern Era Tabatteldil; und eine Künstlerin unter den Frauen — sie wurde weithin gerufen nach Noll, ja bis nach Meligeok, um die künstlichen Figuren auf den Beinen der Frauen zu zeichnen — diese Künstlerin meinte, nun müsse doch auch Era Tabatteldil sich bald von ihr zeichnen lassen, da er jetzt endlich einer der Ihrigen geworden sei. War es ein Wunder, daß er nicht daran dachte, am Abend nach Tabatteldil zurückzukehren? Null mußte er ja auch, gleich den andern Nuvacks, im Bai schlafen, wenn er wirklich zu ihnen gehören wollte. Was sollte er auch noch am Meeresstrande thun? Arbeiten konnte er nicht mehr, denn nur noch ein dünnes Tagebuch stand ihm zur Verfügung; und sollte er sich da unten am Strande immer durch Woodin daran mahnen lassen, daß er eigentlich ein Fremdling im Lande sei? Die einbrechende Nacht sah auch ihn im Bai der Rupacks von Aibukit, und früh am nächsten Morgen zog er aus mit seinem Freunde Arakalulk, sich im nächsten Bache zu baden und zu waschen. „Höre", sagte er diesem, „ich muß nun doch euer Land noch besser kennen lernen; ich will jetzt bald einmal nach Meligeok, und dann nach Coröre, um Ebadul dort zu besuchen. Willst du mich dahin begleiten?" — „Ja wohl, ich bin dein Relseftlane. -221 Freund und ich verlasse dich nicht. An beiden Orten habe ich gute Freunde, die uns gewiß gern aufnehmen werde». Nach MeUgcok müssen auch bald wol Mad und Krei hin, denn der King von da liegt trank und wird gewiß nächstens sterben. Da könnten wir mit ihnen gehen." — „Das ist vortrefflich; ja wohl, ich will das gleich Krei sagen, wenn wir wieder im Dorfe sind." Wieder vergaß Era Tabatteldil, als er sich den Häusern näherte, daß er als Nupack nicht so eilig laufen dürfe; Arakalulk hatte Mühe, ihn zurückzuhalten, ihn, der nnu schon wieder an nichts anderes dachte als an seine Neisc nach Meligeok. Wenn nur der alte König von dort recht bald sterben wollte! „Pfui, Era Tabatteldil", rief ihm da Doctor zu. Nun war er au: Hause Krei's. „Ist Krei da oder nicht?" — ,,1)iak"5), war die Antwort seiner Frau; „aber was willst du von ihm? Krei hat viel zu thun, erst muß er sich bei Aituro verabschieden und dann muß er nach Rallap, um dort Arda zu holen. Sie wollen heute Abend noch fort." — „Fort? Krei und Arda? Und wohin? weshalb?" — „Nun, Era Tabatteldil, nicht so ungestüm; sie wollen fort nach Meligeok." — „Nach Meligeok? Der König ist todt? Arakalulk, jetzt reisen wir auch heute Abend! Nasch laufe hinunter nach Tabatteldil und sage Alejandro, er soll mir schnell ein paar Hemden und Hosen waschen. Ich will jetzt zu Mad und sehen, ob ich auch Matteu auftreiben kann — wie viele nimmt denn Krei mit?" — „Wol zwanzig, von der aller-feinsten Sorte", antwortete meine Mutter, „etwa sechs kann ich dir noch verschaffen." — „Schön, nun will ich gehen. Zu Mittag esse ich bei dir." Und nun stürmte Era Tabatteldil fort, erst in dcn Aruau, wo er gerade noch von dem fcheidenden Aituro Abschied uehmen konnte. Hier auch traf er Mad; aber dieser ließ sich uicht aus seiner Ruhe bringen. Als er endlich nach vielem Sprechen den gutmüthigen König bewogen, ihm *) Diak = nein. 222 VIII. Era Tabatteldil. auch einige Matten zu geben, die er als Todtengeschenk darzubringen dachte, eilte er weiter, nach Rallap zu Asmaldra, dann wieder zurück zu Cordo's Vater, von einem zum andern, sich zu verabschieden oder um Matten zu erbetteln. Die Sonne stand im Westen, als er endlich wieder bei seiner Mutter in Aibukit anlangte. „Du kommst spät; ich hatte so schönen Döllul für dich gemacht. Ich habe ihn warm gehalten, da ist er; aber gewiß schmeckt er nicht mehr so gut wie vorhin. Was du doch für ein sonderbarer Mensch bist! Krei ist ärgerlich, daß er nach Meligeok gehen muß, aber er muß dem verstorbenen König die letzten Ehren erweisen, das ist einmal so Sitte hier in Palau. Aber du hast nichts damit zu thun und könntest dich hier so gut amusiren; statt dessen läufst du dich jetzt müde, blos um mit auf die Reise zu gehen." ^ „Ja, und geht Arda nicht auch? und bin ich nicht Era Tabatteldil, ein vornehmer Nupack bei euch hier in Aibukit? Drum will ich auch hingehen und dem todten König meine Matten bringen. So, Mutter, der Döllul hat gut geschmeckt. Hast du eine Matte für mich? Ich bin müde und will etwas schlafen." Er mochte lange geschlafen haben, trotz des Lärmes um ihn herum, den die spielenden Knaben machten; da rüttelte ihn plötzlich ziemlich unsanft sein Freund Arakalulk aus dem Schlafe. „Doctor, Era Tabatteldil! wache auf, ich komme von unten, dich zu holen; Cabel Mul ist in deinem Hause und will dich sprechen; er sagt, es habe Eile." - „Cabel Mul? Was mag der wollen? Du aber vergißt, daß ich nicht mehr Doctor bin. Nun gut, laß uns gehen; du kommst doch mit? Wir wollen meine Sachen aus Tabatteldil holen und zurückkehren, damit wir morgen früh genug in Nallap sind, um mit Mad absegeln zu können nach Meligeok. ttaoci d)'6, Mutter", rief er scheidend noch Krei's Frau zu, die sich auch rasch, wie Arakalulk, an den englischen Abschiedsgruß gewöhnt hatte. Doctor. 223 „Was wol der alte Kapitän wollen mag? Weiht du das, Arakalulk?" — „Nein." - „Hast du ihm von unserer Reise erzählt? Auch nicht? Was er wol will! Liegt das Schiff noch auf seiner alten Stelle, Freund?" — „Ja, aber es liegt gerade, und die Masten stehen auch wieder." — „Wahrhaftig, Freund? Vorwärts, Arakalulk, rasch, daß ich Cabel Mul treffe. Mir ahnt etwas." — „Was denn?" fragte jener, als Era Ta-batteldil innehielt. — „Nichts, nichts; wahrhaftig, da liegt das Schiff ganz gerade vor Anker. Wie sic wieder schmuck aussieht, die alte Lady Leigh; sie ist um zwanzig Jahre jünger geworden. Da fährt ein Boot; das muß Cabel Mul sein. Nun kommen wir doch zu spät<" Gleich darauf sind sie in Tabatteldil. „Wo ist Cabel Mul?" -^ „Eben fort; aber hier den Brief hat er hinterlassen, Senor", sagt Alejandro. Hat Era Tabatteldil keinen Blick für die muntere Miene seines Dieners? Nein, wahrlich nicht; wie sollte er auch beim Lesen dieses Briefs! „Hurrah, Arakalulk, jetzt bin ich wieder Doctor! Cavite schreibt, daß wir in vierzehn Tagen absegeln nach Angabard!" — „Und ich verliere meinen besten Freund", erwidert wehmüthig Arakalulk.-------- IX. Reise nach Coröre. Am nächsten Tage überlegte ich zunächst mit meinem Bruder, was zu thun sei. Meligeok mit der alten, in seiner Nähe liegenden Stadt — die ich doch trotz Arakalulk's Behauptungen nicht ins Reich der Fabeln versetzen mochte — reizte mich mächtig; und ebenso sehr zog mich nach Coröre, was mir ein Bewohner von dort über die Nächstliegenden Inseln, den sogenannten „Kokeal", erzählt hatte. Mit diesem Namen bezeichnet man eine Gruppe kleiner, dicht bei Coröre liegender Inseln, die für sich auch wieder ihre besondere Benennung tragen und nach der Beschreibung gehobene Atolle'") zu sein scheinen. Sie steigen steil aus dem Meere zu ziemlicher Höhe an, ganz aus schroffen Kalkklippen bestehend und auf dem Gipfel einer jeden soll sich ein Loch befinden, das tief hinunter geht bis zu gleichem Niveau mit dem Meere. Im Grunde breitet sich immer ein Salzwassersee aus, in dem Secthiere aller Art leben; derselbe steht mit jenem durch untermeerische Spalten und Thore in Verbindung, durch welche die Ebbe und Flut eindringt. *) Atolle sind ringförmige Korallenriffe, welche einen See mit oder ohne darin liegende Insel nmsäumm. Vorbereitungen zur Abreise. 235 Dort, meinte ich, müsse man durch genaue Untersuchung solcher gehobener Korallenriffe zu einer Entscheidung über die allgemeine Gültigkeit der Darwiu'schcn Hebuugs- und SenkungZ-theorie kommen. — Ich war der Ansicht, wir könnten über Mc-ligeok uach Coröre reisen und doch noch rechtzeitig zur Abfahrt der „Lady Leigh" — wie hüpfte mir das Herz, wenn ich daran dachte — wieder hier in Aibukit eiutreffen. Aber Arakalulk kannte sein Land und seiue Leute doch noch besser als ich; er rechnete mir vor, daß wir mit dem Trauerklökadaucl um Ko-kerangl wenigstens acht Tage verlieren würden, uud so entschloß ich mich, da jetzt mit einem male wieder mein wissenschaftliches Interesse erwacht war, nur uach Coröre zu gehen, Mad aber und Krei allein um den verstorbenen Freuud trauern Zu lassen. Nun ging es an die Vorbereitungen znr Neise. Arakalulk versprach mir, ein Amlai zu liefern und für Manuschaft wie Lebensmittel und Wasser zu sorgen; ich selbst suchte mir Kisten und Tounen, um alle meine Schätze, die in Tabattcldil zerstreut herumlagen, verpacken zu können. Das war eine zeitraubende Arbeit. Es vergingen die Tage im Fluge, meine Hände waren fortwährend beschäftigt, und meine Gedanken flogen hinüber nach Manila. Endlich war alles am 29. October bereit, meine Kisten und Instrumente, auch die beideu schönen Flinten an Bord der „Lady Leigh" gebracht; Gonzalez und Alejandro erhielten Erlanbniß, sich im Dorfe hernmzutreiben uach Herzenslust; wer von den übrigen Hausgenossen nicht mit uach Coröre ging, wurde meines Dienstes entlassen. Wie geru gab ich diesen die letzten Messer und Stückchen Zeug, die ich noch mein eigen nannte, als Lohn für ihre treuen Dienste. Am .")0. October mittags segelten wir ab. An Bord der „Lady Leigh" winkte uns der Kapitän ein Lebewohl zu, als wir rasch an ihm vorüberfnhren, das Segel geschwellt vom günstigen Nordostwinde. Mich danach waren wir im Ticf- Sl'!!!p?r. . 15 326 Reise nach Corörc. Wasserkanal, in welchem einige Amlais nach verschiedenen Richtungen hin segelten. Die Landspitze Arzmau trat weit ins Meer herein nach Westen zu; wir sahen deutlich die Palmenwaldungen, unter denen einst ein blühendes Dorf versteckt lag. Jetzt stiegen keine Rauchwolken zwischen ihnen auf, und gastliche Unterkunft fände niemand dort mehr, der dem großen, gerade auf die Spitze Arzmau zutretenden Kanäle gefolgt wäre. Nasch waren wir daran vorbeigcsegelt. Weit im Süden trat eine zweite Landspitze noch mehr hervor; von den Bergen um Tabatteldil hatte ich anch diese schon früher bemerkt. Bei ihr begann der Staat Aituros; vor uns im Osten zeigte mir Arakalulk den Einschnitt im Lande, der nach Armlimni führte. Hier überraschte uns heftiger Südostwind mit Negen; und da es bereits zu dämmern begann, so beschlossen wir, dort zu übernachten. Einige Fischerboote spielten auf dem Kanäle herum; plötzlich wurden wir angerufen. „H^ck^vc"), Freunde, wo wollt ihr hin? Kommt doch näher! Olotoi, Doctor, bist du es; und auch du, Arakalulk?" Es war ein Bewohner von Coröre, der mich einige male in Tabatteldil besucht hatte; ohne viel Umstände zu machen, stieg er gleich in unser Amlai. „No wollt ihr hin?" lautete die Frage. — „Nach Armlimui." — „Da will ich euch geleiten; ich bin dort wohlbekannt und kenne auch den Weg gut. Aber ihr findet Aituro nicht zu Hause; wenn du den sprechen willst. Doctor, so mußt du schon nach Coröre gehen." — „Das ist auch meine Absicht, zu thun; ich wollte auch Ebadul besuchen. Was gibt's für Neuigkeiten?"^) __ „O nichts Besonderes", hieß es, zögernd — der Mann schien etwas auf dem Herzen zu haben, er sah mich so eigenthümlich lauernd an — „nichts Wichtiges, Doctor; on wirst cs wol auch ^) Hackens, cnic Interjection, etwa wiederzugeben durch „heda". *5) Die stehende Frage bei Einleitung einer Unterhaltung; 6i»lc.a-kei88? (nicht cmc Neuigkeit?) oder auch inü keinem (gib deine Neuigkeit). Neuigkeiten aus Corörc. 227 schon wissen." — „Nun, was denn?" drängte ich ihn. — „Cabel Schils ist wiedergekommen und mit ihm auch ein weißer Rupack von Manila. Sie haben viele schöne Sachen mitgebracht, viel mehr als dein Cabel Mul." — „Da werdet ihr Lcute von Coröre recht froh sein. Gewiß hat er viele Flinten und Pulver mitgebracht, nicht wahr?" — „He Freund, gib Acht", rief hier Arakalulk dem Steuermann zu, „du sagtest, du kenntest den Weg, und doch rennst du mein Amlai gleich gegen diese Klippe hier an!" Nun waren wir am Eingänge des, wie immer, künstlich in das Mangrovendickicht eingeschnittenen, gerade nach Osten streichenden Kanals; aber nur von geringer Ausdehnung ist hier der meerentsteigende Wald. Bald verschwinden an der südlichen Seite die Mangrove«; es erhebt sich eine völlig senkrechte, wol über 100 Fuß hohe kahle Wand von porphyrartig aussehendem Gestein. Gleich darauf sind wir am Landungsplatz; unter dem Schuppen war noch Platz für unser Amlai, und als es glücklich untergebracht war, machten wir uns auf den Weg. Der Freund aus Coröre hatte einen Boten vorausgeschickt, uns in dem Hause Aituro's anzumelden; er selbst blieb immer an meiner Seite und knüpfte bald die vorhin abgebrochene Unterhaltung wieder an. „Hier, Doctor, geht der Weg, über diesen rothen Hügel. Wie schade, daß Aituro nicht da ist, er würde dir viel mehr erzählen können als ich. Aber du wirst ja bald alles in Coröre hören. Doctor." — „Nun, ich dächte, Freund, du hättest es mir schon gesagt, daß Cabel Schils da ist. Gibt es denn sonst noch Neuigkeiten?" — „Ich weiß nicht, Doctor, ob es wahr ist; man lügt so viel in Palau. Da kam heute Morgen die Nachricht — ich bin schon seit zwei Tagen hier —, daß ein neuer MÄN-ot-nar kommt; Cabel Schils hat es gesagt." — „Nun, wenn der es gesagt, dann wird es wol wahr sein; er hat ja auch den mlm-ok-nm' gerufen, der Aibukit besiegt hat." — 15* 2i>8 Reise uach Corörc. „O nein. Doctor, cr hat gesagt, ein anderer habe ihn gerufen. Weißt du wirklich nichts davon?" — Nun verstand ich die lauernden Blicke des Burschen'. „Wie sollte ich etwas davon wissen, Freund?" erwiderte ich. — „Nun, ich meinte nur so, Doctor. Ihr Männer von Angabard seid so klug. Dann hast du wol auch nichts davon gehört, daß jemand einen Brief an den großen Rupack von Manila geschrieben hat; darin hat er um einen man-ok-nar gebeten. Von dem Briefe weißt du also auch nichts?" — „Nein, aber es reizt mich davon zn hören. Erzähle mir doch mehr; du hast gewiß Cabel Schils noch allerlei gesagt." — „Nein, Doctor, mehr weiß ich anch nicht wie du. Nun sind wir auch im Dorfe. Siehst du, wie hübsch das hier ist?" Meinen erstaunten Blicken bot sich in der That ein anziehendes Bild. Einer Wendung des ziemlich scharf ansteigenden Feldwegs folgend, bogen wir plötzlich ein in die gepflasterte Hauptstraße des Orts. Dieselbe war breiter, als sie im Norden Zu sein Pflegen, und ganz rein von Unkraut gehalten; zn beiden Seiten niedrige, in Reihen angepflanzte Sträucher, die sich an das Untergehölz anlehnen, das unter den Palmen und den Brotfruchtbäumen mit ihren großen ausgezackten Blättern üppig wuchert. Ehe die Straße den Gipfel erreicht, auf dem das Dach eines mächtigen buntbemalten BaiZ sich malerisch schön gegen den blauen Himmel und den grünen Hintergrund der Bäume abhebt, weitet sie sich nach rechts hin aus zu einem mäßig großen freien Platz. Halb von Bäumen beschattet, noch durch den letzten Strahl der scheidenden Sonne erwärmt, liegen da unter mächtigen Steinen die Vorfahren Aituro's, wenige Schritte nur von: Hause seiner Familie entfernt. Kein Gras oder Unkraut wuchert hier; Baumwollenstauden mit ihren bunten trichterförmigen Blüten und audere Zierpflanzen stehen, fast geschmackvoll geordnet, um das Grab seiner Ahnen herum. Dort seitwärts, unter einer Gruppe hoch aufgeschossener M'loncnbäume, Armliuun. ' 2^9 deren goldgelbe Früchte gerade einige Buben mit langen Stecken herunterschlagen, steht das rothbemalte Haus ihres Familien-gottes, und das Wohnhaus selbst scheint eben erst gebaut zu sein, so rein gehalten und sorgfältig sieht alles aus. Nur auf des Daches höchstem First wachsen einige Grasbüschel und einige Farrnkräuter; die Mühe war wol gar zu groß, dies Unkraut dort oben zu entfernen. Einige Taubenpaarc sitzen schnäbelnd auf dem Dache, andere picken im Verein mit Enten und Gänsen das Futter auf, das ihnen eben ein junges Mädchen hingeworfen hat; für jene Maiskörner, diesen die Blätter vom Kukau und andern saftigen Pflanzen. Ein paar große Truthähne begrüßen mich kollernd und offenbar sehr erstaunt über den unerwarteten Besuch; sie scheinen sich zu wundern, daß ein anderer als Aituro selbst sich zu so spätcr Stunde ihrer Behausung naht. Würdevoll und freundlich aber begrüßt mich des Rupacks Frau; und gern sprach ich den Speisen zu, die sie ihren Mädchen in reinlichen Schüsseln mir vorzusetzen befahl. Größerer Reichthum und Behäbigkeit, als ich bisher in Palau kennen gelernt hatte, blickte aus allem, was ich sah; unverkennbar war der Einfluß, den der regere Verkehr mit den handeltreibenden Männern von Angabard auf das Wohlleben der Bewohner gewonnen hatte. Früh am Morgen des 1. November brachen wir auf bei Windstille. Die hohe Flut gestattete uns, dicht am Ufer entlang ganz über das innere Riff zu fahren. Bald kamen wir am Eingang einer tiefen Bucht vorbei, die sich weit hinein in das Land ziehen soll; halb versperrt ist er durch eine Reihe kleiner bewaldeter Inseln, die gewiß früher miteinander zusammenhingen und namentlich gegen die Seeseite einen überaus schroffen Absturz zeigen. Dann tritt das Land wieder nach Osten zurück ^- hier liegen an der Küste von Vabelthaub die Staaten Eirei und Eimeliß — und vor uns erheben sich nun die schroffen Zacken der an ihren Abhängen ganz kahlen Felsen des sogenannten Kokeal. Ein günstiger Wind, der sich erhebt, treibt 2Z0 Reise nach Coröre. unser Amlai rasch vorwärts, der südlichsten unter jenen Inseln zu, die sich dnrch ihre sanft geschwungene Oberfläche und den Wechsel zwischen Wiesen, Palmsnhainen und Laubwäldern anf den ersten Blick von den grauen starren Kalkklippen unterscheiden. „Das ist Coröre, Doctor; dahinter liegt Malakka, die Insel des Cabel Schils." Die Sonne stand über unserm Scheitel, als wir in den Hafen von Coröre einfuhren. Das Meer schien fast ganz verödet zu sein, nirgends sahen wir Fischer in ihren Fahrzeugen. Aber gerade, als wir in den Kanal, der zum Hafen führt, einlenken wollten, begegneten uns zwei große Amlais. Ich kannte die Leute darin nicht; sie sahen mich befremdet und vornehm an. „Das ist Ebadul, Doctor", rannte mir Arakalulk zu, „und Aituro, sie wollen gewiß nach Malakka. Du mußt sie ansprechen, das ist so Sitte." Wir waren schon etwas vorbeigefahren; ich gab Befehl zur Umkehr. „600a morning, Ebadul", rief ich diesem zu, „ich komme, dir deinen Besuch wiederzugeben; wann treffe ich dich in deinem Bai?" — „Fahre nur in den Hafen, Doctor. Arakalulk — nicht wahr, du bist es doch? — wird dir schon den Weg nach Aidil*) zeigen. Mein Weib weiß schon, daß du kommst, und du wirst viele Menschen bei ihr finden. Wir wollen nach Malakka, aber Zum Abend sind wir wieder zurück." Nun fuhren wir ein in den Hafen, der von einem großen, sich weit ins Meer hinausziehenden steinernen Wall ganz gegen die Wogen gesichert war. Am Landungsplatze stand neben den Häusern zum Aufbewahren der Amlais ein schönes, gut gehaltenes Bai, aus dem einige schlaftrunkene Männer und Mädchen' herauslugten, die durch den uugewohnten Lärm aus ihrer Mittagsruhe aufgescheucht worden waren. „Uackevvo, Freund", rief mein Bruder einem derselben zu, „hier ist Doctor gekommen, *) Aidil heißt das Wohnhaus des Ebadul. Ankunft in Corüre. 231 um Ebadul zu besuchen; zeige ihm den Weg nach Aidil hinauf, während ich das Amlai in das Haus bringe. Wir wollen hier einige Tage bleiben." — „Wirklich? Nun dann komme, Doctor." — „Und wo treffe ich dich wieder, Arakalulk?" — „Ich habc meinen Freund hier, bei dem ich bleiben werde; ich komme aber zu dir, ehe es Abend wird. 600H b)-6." — „600a d)0." Wir waren bald in Aidil, dem Hanse des Ebadul. Der Weg dahin führte in einigen Windungen steil den Berg hinan; er war vortrefflich gehalten. Ucberall fah man die Spuren des ausgedehnten Handels von Coröre. Wo ich einen Blick in die am Wege stehenden Hänser that, bemerkte ich eine Menge Kisten und große Kochschüsseln, allerlei europäische Gcräthschaften, Messer uud Gabeln in Massen und selbst Teller aus Porzellan. Zahlreiche Truthühner und Gänse liefen hier, wie in Armlimui, im Dorfe herum. — Aidil selbst lag auf der Höhe, wie immer mit einem ziemlich großen Platz davor, der Zum größten Theil durch die Gräber ihrer Vorfahren eingenommen war. Gegenüber dem Hause stand ein bedecktes langes Gerüst; seitwärts davon eine Hütte, die offenbar nur provisorisch hier aufgeschlagen war. Eine Anzahl Menschen saßen darin, und auch im Hause Ebadul's fand ich eine große Gesellschaft um die Frau des Königs versammelt. In ihrer nächsten Nähe die Weiber und Kinder; am entgegengesetzten Ende mehrere Männer, die offenbar gleich mir zu Besuch gekommen waren. „Ich bin hierher gekommen", begann ich, „um Ebadul zu besuchen und Coröre zu sehen; das ist ein so berühmter Ort, den mnßte ich doch kennen lernen, ehe ich wieder nach Angabard zurückkehre." — „Nun, da kommst du gerade zur rechten Zeit, Doctor", erwiderte die Frau Ebaoul'ö, „Aituro ist jetzt hier, um für seine kranke Frau ein Opfer zu bringen dem großen Kalid von hier. Da seitwärts in dem kleinen Hause, da wohnen die Gäste; und hier gerade vor uns wird übermorgen ein großer, ganz neuer Tanz aufgeführt. Ihr da, ihr Mädchen, bringt 232 IX. Rcisc nach Co^örc. Doctor doch zu trinken, uud er wird auch Hunger haben. Du mußt hier im Hause bleiben", fuhr die Frau gutmüthig fort, „ich habe dich viel zu fragen, und du kannst hier besser fchlafen als im Bai. Da in der Ecke magst du dein kleines Haus auf-fchlagen, in das du immer des Nachts hineinkriechst." — „Schon gut, Frau Ebadul's, ich werde hier bleibeu. Deiu Mann kommt wol erst spät nach Hanse? Da es noch hell ist, will ich jetzt einen Gang durchs Dorf inachen. Da kommt gerade Arakalulk, mich abzuholen." Es war ein herrlicher Abend. Auf den breiten Wegen und freien Plätzen lagen schon die tiefen langen Schatten der einbrechenden Dämmerung, uud die letzteu Strahleu der scheidenden Sonne vergoldeten die Gipfel der Bananen und Vrotbäume, der Palmen und Papayas, die in üppigem Wachsthum malerisch geordnet die Häuser umgaben. Ueberall heiteres Spiel der Kinder auf Straße und Plätzen; watschelnde Gänse und kollernde Truthähne, Hühner und Eilten drängten sich in Scharen friedlich zwischen den Menschen hernm. Auf der Anhöhe, halb in Bäumen versteckt, staud ein schönes Bai; in seinen Fenstern saßen zahlreiche Armungul, unter denen einzelne mich schon in Aibukit und Krciangel gesehen haben wollten. Dann umgab dichtes Gebüsch die Straße, die immer höher anstieg; auf einer großen Wiese grasten Hunderte von Kühen und Stieren, und zwischen den Wald hindurch siel mein Blick auf die spiegelnde Fläche des nahen Meeres. Ich wollte über die starke Umzäu-nuug wegsteigen, da ich so lange kein Rindvieh in der Nähe gesehen hatte uud dies gewiß die Abkömmlinge jener Thiere waren, welche die Ostindische Compagnie vor nun reichlich siebzig Jahren an Ebadul von Coröre schenkte. Aber der Freund meines Bruders warnte mich. „Die Thiere sind sehr böse; niemand von uns darf auf die Wiese. Wenn Cabel Schils Ochsen haben will, so müssen wir sie schießen. Früher liefen sie frei im Dorfe herum; aber da sie bald wild wurden, einige Gespräch mit Tbadul. 233 Leute verwundeten und unsere Gärten zerstörten, sü hüben wir sie hier auf die Wiese getrieben und den Zaun gemacht, daß sie nicht mehr herauskönnen. Es wäre besser gewesen, wenn Cabel Wils uns die Thiere nicht gebracht hätte; sie nützen uns doch nichts. Aber Ebadul will sie nicht alle todten; er sagt, das sei ein Andenken an den ersten Nupack von Angabard, der den Knochenorden bekommen hätte." — Die Sonne war längst in ihr Haus eingekehrt, und die Dämmerung wich rasch der einbrechenden Nacht. Hier und da begegneten uns schon Männer mit angezündeten Fackeln, mit deren grellein Lichte der blaue Schein des vollen Mondes merkwürdig im Dunkel der Nacht contrastirte. Als ich in Aioil wieder ankam, fand ich Ebadul schon nicht mehr vor; er war nur kurze Zeit in seinem Hanse gewesen und hatte sich bald nach eingenommener Mahlzeit mit Aituro in sein Bai begeben. Früh am nächsten Tage ließ ich mich durch Arakalult in das Bai der Rupacks führen, um hier Ebadul meinen Besuch abzustatten. Der gutmüthig aussehende, wohlbeleibte und etwas ältliche Fürst saß bereits emsig bei seiner Arbeit, „Oooä uwrnmg, Ebadul", sagte ich, nachdem ich der Sitte gemäß schweigend ins Bai gestiegen war uud mich ihm gegenüber niedergehockt hatte, „schon so früh so fleißig?" — „Ja Doctor, das ist mein Gebrauch so, ich bin sehr geschickt im Drillen der Taue, und ich als König muß meinen Leuten ein Beispiel geben. Bringst du Neuigkeiten?" — „Nein, Ebadul, ich komme, hier Neues zu hören und zu sehen; was sollte sich auch in Äibnkit Wichtiges ereignen? Wir wollen bald abreisen nach Manila; und ich wollte Palau nicht verlassen, ohne dein Land gesehen zu haben." — „Mein Land? das hast du auch in Ngirrarth") ge- *) Mit diesem Namen bezeichneten die Bewohner von Coröre den Staat Ailmtit mit seinen Vasallenstaaten; das Wort „Aibukit" horten sie im Gespräch ebenso ungern wie einige andere (auka, raok), für welche im Süden andere Bezcichnnngcn im Gebrauch sind. 234 IX. Reise nach Coröre. sehen, ich bin König von ganz Palau." — „Nun ja, ich meinte auch nur diese Insel hier und ganz besonders den Kokeal. Einer von deinem Volk hat mir viel davon erzählt, nnd nun bin ich neugierig geworden, die Inseln des Kokeal selbst zu sehen." — „Das kannst du thun, Doctor, ein Amlai wirst du schon finden, und weit ist es nicht von hier. Doch nun komm mit nach Aidil, heute kannst du doch nicht mehr fort — siehst du die Wolken dort? Es wird bald regnen ^ und in meinem Hause will ich dir etwas Schönes zeigen, das dook von Cabel Wils." Es war hohe Zeit, daß wir gingen. Die Kronen der Palmen rauschten schon mächtig im anziehenden Sturmwinde, und Zwischen den düstern Wolken blickten nur kleine Fetzen des blauen Himmels durch. Bald sielen auch große Tropfen schwer auf die Blätter der Bäume. Neber die Straßen eilten Kinder und Weiber, um in ihre Wohnungen zu kommen, und als wir durch die niedrigen Thüren von Aidil eintraten, hatte der Sturm seine volle Gewalt entfesselt. Dem furchtbaren, von der Windsbraut gepeitschten Guß folgte bald ein stetiger, kräftiger Regen und hielt, mir sehr znr Freude, die Gäste aus dem sonst immer vollen Hause meines königlichen Wirthes fern. Ebadul gab bald seiner Frau den Befehl, das Buch aus der Kiste zu holen. „Siehst du. Doctor, das ist das dook, das uns Cabel Wils schickte, als Libu dort in Angabard gestorben war. Das zeige ich nur guten Freunden und großen Rupacks; es ist ein kostbares Gut, und wir halten es höher als die steinernen Beile und Meißel, mit denen unsere Aeltern ihre Häuser zimmerten und die Amlais aushöhlten. Solche Beile haben sie auch in Ngirrarth, aber das dook ist nur hier. Da, Doctor, nimm es, um drin zu lesen, wenn du Lust hast; ich muß jetzt fort, und nachher kannst dn mir erzählen, was alles darin steht." Mit eigenthümlicher Empfindung nahm ich das mir wohlbekannte Buch in die Hand, das nun schon mehr als siebzig Das Buch von Cabel Wils. 235 Iahrc hier bewahrt worden war. Wie oft wol mochte jener Ebadul, der Wilson seinen Sohn mitgab, damit er im fremden Lande etwas lernen solle, das Bildniß seines todten Sohnes betrachtet haben! Wie manche Thräne hatte unbemerkt in stillen Augenblicken wol die Mntter über ihren verlorenen Liebling vergossen! Zwar dem Volke zeigen durften fie ihren Schinerz nicht; galt es doch von jeher in Palau für eine Eigenschaft vor allem der Fürsten, weder Schmerz noch Zorn, weder Uebcr-raschung noch Aerger erkennen zn lassen oder ihm andern als würdigen Ausdruck zu geben. Wohl empfinden auch diese „wilden Kopfjäger" — die wir so gern mit christlicher Nächstenliebe*) an unsere Kriegführung gewöhnen möchten — Regungen des Mitleids und der Theilnahme für andere; auch ihnen klopft ein Herz in der Brust, und der tiefsten, leidenschaftlichsten Erregung und Hingabe sind auch sie so gut fähig wie höher begabte und weiter fortgeschrittene Völker. Aber in die gewissenhafteste Erfüllung der alten Gebräuche setzen sie alle ihren höchsten Stolz; darum drängen sie ihre Gefühle gewaltfam zurück, denn es ist „schlechte Sitte", der innern Erregung auch leidenschaftliche Worte zu leihen. Als Ebadul, der Vater jmeZ Libu, von dem Tode seines Sohnes hörte, fagte er nur, mühsam seine Fassung sich erhaltend: „Es ist gut, es ist gut." Man sah dem Buche die rührende Pietät an, mit welcher dieses Völkchen an allcm hängt, was seine Väter betrifft; kein Nlatt war zerrissen oder beschmuzt, der Einband so sauber, als hätte er die ganze Zeit her in dem Schranke eines Bibliothekars gestanden, der seine Bibliothek als ein kostbares, durch keine Hand eines Lesers zu entweihendes Heiligthum betrachtet. Die Bilder Zeigte mir Ebadul's Frau, sie erklärte mir alle mit innigstem Behagen; wie gönnte ich der guten Frau die kleine Freude. Dann '") „Gnadc vor eucrcr Liebe." — Gesammelte Ncwellm in Bcrscn von Paul Heyse (Urica, S. 146). 2Z6 IX. Ncisc nach Coröic. ließ sie mich weiter blättern; ich vertiefte mich in die reizende Erzählung vom Ende des jungen Prinzen. Geliebt von allen, die ihn kannten, starb er im fremden Lande mit stoischer Nuhe; und seinem Andenken widmete die mächtige Ostindische Compagnie ein eigenes Monument auf dem Kirchhofe zu Rotherhithe. Fast gedankenlos las ich die auch im Buche mitgetheilte Inschrift: „To the Memory of Prince Lee Boo, a native of the Pclew, or Palos islands; and son to Abba Tliule, Rupack or King of the Island Coroora" — halt, was ist das, habe ich recht gelesen? Nupack oder King der Insel Coröre (Coroora)? So bezeugen also die Engländer selbst, daß Ebadul nicht König von ganz Palau ist — jetzt aber thut er doch immer, als ob er solcher sei? Nachdenkend, wie wol dieser Widerspruch zu lösen wäre, blättere ich weiter; da auf einmal fällt zwischen den letzten Blättern ein Manuscript heraus. Was mag das sein? Beim Himmel, das ist interessant! „Eine Constitution von Palau" und hier daneben „Ein Handelstractat zwischen Ebadul, König der Palau-Inseln, dem Fürsten von Coröre, und Andrew Cheync!" Wie freute ich mich nun des Regens, der mir Zeit gab, eine Copie dieser interessanten Documents zu nehmen. Es waren nur Copien; die Originale waren angeblich, wie ich fpäter erfuhr, im englischen Consulat in Manila deponirt. Hier mögen beide für Verständniß und Beurtheilung der dortigen Verhältnisse su wichtigen Documente ihren Platz finden, unter Beibehaltung der englischen falscheil Schreibweise der einheimischen Namen. 1. A Treaty of Commerce between Abba Thule King of the Pelew Islands and the Nobles of Corror on the one part and Andrew Cheyne, owner and commander of the British A Treaty of Commerce. 237 Barque „Black River Packet" and proprietor of the Island of Malaccan, Pelew Islands, on the other part, Article 1. King Abba Thule and the undersigned Nobles of Corror hereby grant the said Andrew Cheyne, his heir, successors and assigns the sole and exclusive right and privilege of purchasing all the biche de mer, tortoise shell and all other marketable productions of the Pelew Islands now worth exporting, or that may be raised from the soil hereafter, such as coffee, sugar etc. for five hundred moons, reckoning from the date of this Treaty. At the expiration of this time this Treaty may be renewed or the trade declared open, as may be most advantageous to the Corror Government. Art. 2. Whatever unoccupied lands the said Andrew Cheyne or his aforesaids requires for cultivation, shall be sold to him or them at a reasonable price. Art. 3. No land shall be sold or leased to any Foreigner except the said A. Cheyne and his aforesaids, nor shall any vessels be allowed to trade at any part of the Pelew Islands except those belonging to him or his aforesaids, nor shall any Foreigner be allowed to reside on any of the Islands of the Pelew Group, except those in the employ of the said A. Cheyne. Art. 4. Andrew Cheyne shall be allowed to have an establishment at Aramanewie (Armlinmi?) as formerly and to purchase land there and cultivate it. Art. 5. A. Cheyne binds himself and his aforesaids not to dispose of Arms or ammunitions to any of the inhabitants °f the Pelew Islands except to the Corror Government. Art. G. Any seamen or labourer in the employ of the said A. Cheyne, absenting themselves without leave or deserting from his vessels or his service are to be apprehended and delivered over to the said A. Cheyne, or the Captains 238 IX. Ncisc uach Coröie. 238 IX. Sßctfe nacs; (Soröre. of their respective vessels. Seamen deserting from other vessels, which may visit Malaccan Harbour are to be sent on board their ships, and will not be allowed to remain on this Group on any pretence whatever, except in case of illness, when A. Clieyne will take charge of them and forward them to a civilized part when well. Art. 7. Any natives of the Pelew Islands desirous of entering the service of the said A. Cheyne or his aforesaids are to be allowed to do so, without let or hindrance on the part of the King or Corror Government and they are to be paid fair wages for their labour, no part of which is to be taken from them by the Corror Government and they shall be at perfect liberty to leave the service of the said A. Cheyne or his aforesaids, when their term of service expires. It is clearly understood, that such natives although in the employ of A. Cheyne, are still subject to the native laws of the Pelew Islands. Art. 8. Any foreign runaway sailor or sailors or other foreigners now living in the Erkelthow District or any other Districts who by preying on the ignorance or credulity of the Corror Government or people, tell them falsehoods with the view of injuring the lawful trade of the said A. Cheyne at these Islands and which will also indirectly injure the Corror people or interfere in any other way between the said A. Cheyne and the Government or people shall, on proof of the same, be expelled from the Group. Art. 9. King Abba Thule and the Nobles of Corror hereby promise, that in the event of quarrels arising between their Government and the Rulers of other Districts, the matter in dispute is to be referred to the said A. Cheyne for arbitration, who will hear both statements and give his decision in a just and A Treaty of Commerce. 239 impartial manner, which the Corror Government hereby bide themselves to abide by, and in no case arc they to resort to hostilities, unless in case of armed rebellion. Art. 10. The inhabitants of Pillelew (Peleliu) having procured a supply of arms and ammunition from passing ships have thrown off their allegiance to the Corror Government and shot some of their people, they are therefore at present a set of armed lawless ruffians, dangerous to ships passing the south end of the Group, as they would not hesitate to cut off a vessel, would they get a favourable opportunity. As the said A. Cheyne can have no guarantee for the safety of his property on Malaccau, while they remain so, King Abba Thule and the Nobles of Corror hereby promise to take effectual measures to have them disarmed, and brought under proper legal authority, the same as formerly. Art. 11. Should any natives of the Pelew Islands attempt to capture any vessel passing this Group, or kill any shipwrecked people, that may be cast on these Islands in boats or otherwise, or kill any foreigners, the parties guilty of the same shall be punished with death by the Corror Government and the town to which they belong utterly destroyed. And the King and Nobles of Corror hereby promise that all shipwrecked people shall be hospitally treated and handed over to the said A. Cheyne at Malaccan. Art. 12. King Abba Thule and the Nobles of Corror hereby bind themselves their heirs and successors, to aid and protect the said A. Cheyne, his ships, people, land and trade, whenever called upon to do so from all attacks or Egressions whatever. Art. 13. Abba Thule and the Nobles of Corror hereby bind themselves and their successors to abide by the annexed 240 tX. Reise nach Coröre. Constitution and Regulations for the Government of their people and protection of trade. Art. 14. A. Cheyne agrees to give King Abba Thule and his Government all the aid and assistance in his power to enforce due observance of the annexed Constitution and Regulations, to support the lawful authority of the Government and to assist in every way to promote the civilization, peace and prosperity of the people. Art. 15. In consideration of these concessions A. Cheyne agrees to pay the Corror Government Ten p. cent duty on the value paid by him for the produce purchased from the Corror people; also 10 p. cent on the price paid for the production of all other Districts, one half of which is to be paid to the Conor Government, and the other half to the Governor of the District, Art. 16. And the said A. Cheyne further engages that in consideration of King Abba Thule and his Government assisting him with men to cure biche de mer at Yap and granting him protection while there — Yap being subject to Corror — to pay the Corror Government 10 p. cent on the value of the goods paid by him to the Yap people for the marketable productions of that Island. Art. 17. A. Cheyne agrees that so soon as his means will allow he shall provide a competent instructor for the Corror people and King Abba Thule and the Nobles of Corror hereby promise to grant him an allotment of five acres of ground at Corror for a house and garden. In the meantime A. Cheyne shall do all in his power to instruct and assist the people to cultivate the ground, so as to develop the resources of these fertile Islands. Art. 18. We Abba Thule King of the Pelew Islands and the undersigned Nobles of Corror, hereby declare that we have not received any goods, money or article whatever Die Constitution von Palau. 241. from thü said A. Cheyne, or from any other person, as an equivalent for granting or to induce us to grant him these concessions, but that it is entirely our own free act and deed, done in the belief that by having a fair and regular system of trade established, it will confer a lasting benefit on ourselves and our people, strengthen our Government and promote the ultimate peace and welfare of all classes of our subjects. Art. 19. And lastly, we Abba Thule King of the Pelew Islands and the undersigned Nobles of Corror, hereby bind ourselves, our heirs and successors to the due performance of this Treaty. Signed and concluded by the contracting parties on board the British bargue „Black River Packet" lying in Malaccan Harbour, Pelew Islands on the fifth day of March 1861 in the presence of John Davy Interpreter and James Lord Wilkinson of Hobart Town, A. Cheyne. f Abba Thule, King. f Eareyekalow, Prime Minister, f Arrakuoka, Successor to the King. •}• Clantrow, Noble, f Arramuggid, Noble. 2. Constitution of Pellow. Art. 1. Abba Thule is absolute sovereign of the whole ^elew Islands, of which the native name is Pellow (Palaii). Art. 2. The succession to the throne is to continue the same as it was in the days of our ancestors and now is, 242 IX. Ncisc nach Coröre. as: on the death of King Abba Thule Prince Arrakuoka succeeds him; Prince Koback of Arakapasau succeeds Arra-kuoka and Prince Eyeuke of Corror succeeds Koback of Arakapasau and the next prince entitled takes Eyeukes place at Corror. This is the ordre of succession of the kingdom. The succession of the Nobles shall also be as formerly. Art. 3. Our ancient laws respecting the power, rank, might and privileges of the King, Princes, Nobles, Chiefs and their wives and children and the respect and obedience to be paid them by our subjects, are to remain in full force and are in no way to be altered. Art. 4. The laws for carrying on the Government and deciding all matters of importance by the King and Nobles in council, shall remain in full force. Signed as above. Regulations. 1. Having entered into a Treaty of Commerce with Capt. Cheyne owner and commander of the British Bargue „Black River Packet" and proprietor of the Island of Ma-laccan, we Abba Thule and the Nobles of Corror hereby decree, that for the protection of trade and the security of our Government, no person or persons on the Pelew Islands are to trade or barter with any ship, or go on board any ship or vessels, other than those belonging to the said Capt. Cheyne, and that all biche de mer collected and cured at the Pelew Islands together with tortoise shell and all other marketable productions at present worth exporting, or that may be at any future time worth exporting, or that may he raised from the soil hereafter, such as coffee, sugar, must be brought to Malaccan for sale and sold to the said Capt. Cheyne or his Agent for the time being and to no other person whatever. And we make known to all men, that no Die Constitution von Palcm. 243 part of the earning of the inhabitants of the Pelew Islands shall be taken from them by the Corror Government, Capt. Cheyne having in the Treaty of Commerce agreed to pay us a duty of 10 p. cent on all the marketable productions of the Group. Those found in trading with other vessels, or other persons will be heavily fined, the amount to be fixed by the King and Nobles of Corror in council. 2. For the better security of our Government and fulfilment of the said Treaty of Commerce with Capt. Cheyne we also decree, that a Corror Noble or Chief shall be appointed Governor of Pillelew and that effectual measures shall be taken to disarm the inhabitants, who are at present a band of lawless ruffians, dangerous to ships passing near Pillelew — and bring them under proper legal authority the same as formerly. 3. Erturo (Aituro), a Noble of high rank who is now Governor of the Aramanewie (Annlimui) Dictrict, shall hold that appointment during his lifetime. 4. A Corror Noble or Chief shall be appointed Governor of Eye Rye (Kirei), Arakauinully District, to prevent the people obtaining arms from passing ships and for the protection of trade. 5. Should the present Governor of the Ngirrarth District (Aibukit), and who is a Corror chief, fail in making his people carry out the provisions of the Treaty of Commerce made by us with Capt. Cheyne, or allow his people to obtain wms or ammunition he shall be succeeded by a more competent person. Ö. A Corror Chief shall be appointed Governor of the UiTakalong District, to prevent the people obtaining arms from passing ships and for the protection of Trade. 7. No foreigner, Manila man or white man residing in 16 * 244 ^X, Noise nach Carärc. these islands shall be allowed to distil spirits from the cocoa nut toddy, or in any other way. On proof of his doing so, he shall be fined, and repeating the offence he shall be expelled from the Group. Signed as above. f Earatogagee, Noble. I John Davy hereby declare that I have faithfully and truthfully interpreted the above Treaty of Commerce to the King and Nobles of Corror, that they thoroughly understand its nature and contents, and that they have signed their names by marks in my presence. I have been residing on the Pelew Islands for the last 25 years, and thoroughly understand the native language. Signed John Davy. Signed James Lord Wilkinson, Witness. „Buenos dias, Caballero" „Lli6iw8 äias, c3.dllI1er<)" — „Wie geht es, Or. Semper", — so begrüßten mich zwei Europäer, die plötzlich in das Hans traten, als ich eben die letzte Zeile der Constitution von Palan geschrieben hatte. Erstaunt sah ich sie an; sie waren mir unbekannt. Der Spanier mußte wol der Kapitän des „Pelayo" sein, welcher ja noch im Hafen von Malakka lag; aber der Deutsche? „Mit wem habe ich die Ehre?" — „Mein Name ist Tetens, ich bin seit zwei Monaten erster Steuermann bei Kapitän Cheyne, und da ich wußte, daß Sie ein Landsmann von mir sind, so benutzte ich einen kurzen Urlaub, um Ihnen meinen Besuch zu machen." — „Ich danke Ihnen, Herr Tctens, leider werde ich nicht im Stande sein, Ihnen denselben an Vord des «Black River Packet» zu erwidern. Sie waren also kürzlich in Besuch eines Landsmanns. 245 Manila und haben dort wol auch meinen Schivager Herrmann kennen gelernt?" — „Ja wohl, doch habe ich ihn nur selten gesehen; wir hatten sehr viel zn thun, und unsere Abreise sollte auch geheim gehalten werden. Das ist der Grund, warum ich Ihnen weder Grüße noch Briefe bringe. Aber ich habe nichtsdestoweniger viel von Ihnen gehört. Sie wissen schon, was ich meine. Der Brief, zu dessen unbewußtem") Träger Sie Chcyne machten, hat dort viel Staub aufgewirbelt, das heißt in den Salons und in den Zeitungen." ^ „Nun, und die spanische Regierung? Ich hatte geglaubt, daß dicso sich der Gelegenheit bemächtigen würde, endlich einmal wirklich festen Fuß auf diesen Inseln zu fassen, die sie vor 150 Jahren besucht haben wollen und deswegen auch auf ihren Karten als «^o^iones äs ultiÄmai'» immer mit aufführen. Die Negierung schwieg also still?" — „Welche Illusionen, Dr. Semper! Man sieht, daß Sie schon lange unter halbwilden beuten gelebt haben. Wie konnten Sie nur glauben, daß sich die spanische Regierung um ein paar hundert branner Menschen willen in Schwierigkeiten stürzen würde? Da hat sie wahrlich noch genug in ihrem eigenen Lande zu thun; die Piraten im Süden regen sich wieder, und im Norden von Luzon gibt es wol nächstens eine Expedition gegen die Wilden; dann der Krieg in Cochinchina — gewiß genug der Arbeit und Mühe für einen Gouverneur von Manila. Die Spanier freuten sich über Ihren Brief nur, weil es doch einmal eins Abwechselung in die Unterhaltung brachte. Uebrigens meinte man, daß Sie wol stark mit Kapitän Woodin engagirt seien." — „Nun wahrlich, Herr Tetens, das sieht den *) Die oben mitgetheilte Erzählung vom Angriff der England« auf A'bulit hatte ich dnrch cincn Matrosen des Chcyuc, ohne des Ictztern Wissen, Nach Manila zn senden gewußt. Mein Schwager Herrmann, Kaufmann bon und späterer deutscher Consul, erfüllte meinen Wnnsch und publmNc dieselbe nn „Diario äs Älänila". Mit welchem Erfolg, ist im Tc;'t rr-zählt. 246 IX. Reise uach Corore. Menschen von dort recht ähnlich. Wessen man sich selbst für fähig hält, dessen klagt man auch gern andere an. UebrigenZ danke ich Ihnen für die Mittheilung; ich werde sie nicht vergessen. Haben Sie Lust zu einem kleinen Spaziergang, meine Herren?" Unsere Gesellschaft hatte sich noch um einen vermehrt; ein Franzose, der mit dem Pelayo gekommen war — ich glaube, er war Supercargo desselben — hatte seinen Kapitän gesucht. Diese beiden Herren gingen fort, ihren Geschäften nach. So schlenderten Herr Tetcns und ich allein durch das Dorf. „Die Dörfer hier um Malakka herum", begann ich die Unterhaltung, „sind hübscher als im Norden; man sieht, daß die größere Nähe der handeltreibenden Europäer größern Wohl-stand erzeugt hat. Aber die Leute gefallen mir nicht so gut wie die von Aibukit; sie sind ränkevoller und ehrgeiziger. Das Dorf meiner Freunde hat viel unter ihren Listen zu leiden gehabt."— „Ich verstehe, worauf Sie anspielen, Sie meinen die Affaire mit dem englischen Kriegsschiff?" — „Ja wohl, uud noch manches andere. Dahinter aber scheint nur doch immer schließlich Kapitän Cheyne zu stecken. Soeben erst habe ich ein interessantes Document entdeckt, das mir manches Unerklärliche in jenem englischen Angriff auf Aibukit aufzuklären scheint. Da oben in Aidil liegt in einem alten Buche ein Handelstractat zwischen Cheyne und Ebadul, ferner eine Constitutiou von Palau. Ihr Kapitän zeigt sich darin als starker Monopolist; doch ließe sich darüber wenig sagen, wenn er sonst das Zeug zu einem Najah Brooke hätte, den er sich offenbar als Vorbild genommen hat. Wenn wirklich die Bestimmnngen jener Constitution und des Tractats ausgeführt werden, so ist Cheyne äe taow König von ganz Palau. Hätten Sie Lust zu seinem Premierminister, Herr Tetens?" — „Ich kann nicht sagen, daß mir der Platz sonderlich gefällt; und was Kapitän Cheyne für Plane hat, ist mir ziemlich gleichgültig. Ich bin Seemann und kein Politiker." Unterhaltung mit Tctens. — „Nun, Sie werden sich auch schon acclimatisiren. Jene beiden Documcnte waren ein Jahr vor dem englischen Angriff verfaßt, nnd ich glaube nun zu verstehen, warum der Kapitän des Schiffs sich dazu hergab, jenen abenteuerlichen Zug nach Aibukit zu unternehmen. In ihnen sigurirt nämlich Ebadul als König sämmtlicher Inseln hier, die Fürsten der andern Districte sind seine Vasallen, und Mad von Aibukit wird geradezu cin Nupack von Coro-re genannt. Ferner haben sich Cheyne und Ebadul feierlich verpflichtet, sich gegenseitig in der Durchführung sämmtlicher Paragraphen zu helfen, und unter diesen find einige, welche jedem andern Europäer als Cheyne untersagen, hier sich ohne seine Erlaubniß irgendwo aufzuhalten oder in andern Districtcn Handel zn treiben. Gegen diese letzte Bestimmung hatten Woodin und die Bewohner von Aibukit gesündigt. Ist cs nun ein Wunder, daß jener Kriegsheld -^ dem doch offenbar durch Cheyne eine Einsicht in die Documents verschafft wurde — auf dieser Seite das Nccht wähnte? Galt cs doch, jemand zu unterstützen, der jünger war und thatkräftiger als der alte Woodin, einen Mann, der Lust zu haben schien, festen Fuß auf diesen Inseln zu fassen — solche Gelegenheit, hier sich das Recht znr Gründung einer neuen Eolonie' zu verschaffen, durfte nicht versäumt werden. Vielleicht wollte Kapitän Browns nur die Fürsten von Aibukit veraulaffcu, die scheinbar nach jenem Document Ebadul zukommende Souveränetat über die Inseln thatsächlich anzuerkennen, ihr eigenes Land als cin Lehen oder eine Provinz von Corörc ansehen zu wollen. Das schlug natürlich fehl; aber auch der Kampf, der nun folgte, führte nicht zum Ziele. Jetzt sind die Leute von Corörc in einer gewaltigen Angst, aus der ihnen auch Cheyne nicht herauszuhelfen scheint. Ehe ich noch hergekommen war, hörte ich schon von einem mau-ol-nln-, den jemand in Aibnkit zu Hülfe gerufen haben sollte; hier sagt man mir es geradezu ins Gesicht, ich hätte das gethan. Leichtgläubige Kinder sind unsere Freunde 248 " IX- 3teisc nach Corörc. hier. Weil zufällig jenes englische Kriegsschiff nach Malakka kam, sein Kapitän Cheyne's Sache zu der seinigen machte, so heißt es mm überall in Palau, Cheyne Habs ihn hergerufen. Ehe noch Kapitän Browne mit seinen Booten vor Aibukit angelangt war, hatten die Bewohner dort längst die Nachricht von der Ankunft des man-ol-nar des Cabel Schils — wie sie hicr Cheyne nennen — erhalten. Sie lassen sich das nicht ausreden; und ich habe mich stundenlang abgemüht, die Leute in Aibukit zu überzeugen, daß es nicht in meiner Macht stünde, ein Kriegsschiff herzurufen. Gott weiß, in welchem Rupacks-gehirn der Gedanke entstanden ist, daß ich wirklich nach Manila um ein solches geschrieben hätte — oder sollte auch hier etwa Ihr Kapitän die Hand im Spiele haben? Er meinte vielleicht, mir dadurch einen schwierigen Stand auf diesen Inseln zu bereiten." — „Ich weiß nichts von allem, Dr. Semper, es ist mir auch ziemlich gleichgültig; ich bin Chcyne's Steuermann und weiter nichts." — „Nun, es ist auch mir ziemlich gleichgültig; seinen Zweck erreicht er doch nicht. Gestern Nachmittag freilich war Chcyne hier im Aruau — das Haus, wo die Fürsten ihre Sitzung halten, Herr Tetens — in eifriger Berathung mit den Nupacks. Seitdem sind die Lente von hier viel kühler gegen mich, und mein Frenno Arakalulk beklagt sich sehr über die schlechte Behandlung, die er erführt. Aber von bösen Neden zu schlimmen Thaten ist bei den Coröreleuten ein langer Weg; ich habe, obgleich ohne Waffen, nichts von einem Angriff zu befürchten. Hier sind wir am Bai, Herr Tetens. Haben Sie Lust, sich einmal die bunten Annalen der Bewohner darin anzusehen? Einen Trunk vom süßen KokoZsaft wird Ihnen jene braune Schöne gewiß auch gern reichen." — „Nein, ich danke, auch ist meine Zeit um, und auf meinem Schiffe gefällt es mir doch besser als hierzulande." — „Nun, dann leben Sie wohl, Herr Tetens; ich reise morgen ab von hier. Acclimatisiren Sie sich nur nicht Zu rasch hier in Coröre. Adieu!" Unfreundlichkeit Cbadul's. 249 Das Regenwetter hielt mit geringen Unterbrechungen auch noch am nächsten Tage an, und die Unfreundlichkeit der Bewohner gegen mich und meine Leute nahm zusehends zu. Ara-kalulk mußte, wo er hinkam, schlimme Worte hören: was wir Männer von Aibukit hier in Coröre wollten, wir sollten machen, wieder in unser Dorf zu kommen; ja, wenn Doctor nicht wäre, so würden er und Arungul sicherlich ihren Kopf verlieren. Ich sah es seinen täglich finsterer werdenden Zügen an, wie sehr er sich Gewalt anthun mußte; als er nun gar am dritten Tage mir anzeigte, daß in der vergangenen Nacht von böswilliger Hand — auf wessen Veranlassung wol? — ein Loch in den Boden seines Anüais gestoßen war, da kostete es mir große Mühe, ihn vor übereilten, Schritten zurückzuhalten. Mir selbst ging es nicht viel besser. Der König wie Aituro nahmen so gut wie gar keine Notiz von mir, obschon ich in des erstem Hause wohnte. Armlimui's Fürst hatte mir meinen Aesuch gar nicht erwidert, und Ebadul kam am 4. November nicht mehr wie gewöhnlich, um seinen Morgenimbiß einzunehmen, in seine Wohnung. Als ich ihn suchte, fand ich ihn frühstückend im Hause seines Sohnes. Meine Vilt^, mir, da mein eigenes Amlai beschädigt sei, ein anderes zu leihen, um den Kokeal besnchen zu können, schob er, ohne im mindesten den Anstand zu verletzen, recht vornehm königlich beiseite. Während ich die Unterhaltung mit seinem Sohne fortführte, stand Ebadnl auf und ging fort, ohne mich weiter eines Wortes zu würdigen; als ich später selbst nach Aidil kam, fand ich ihn dort im lebhaftesten Gespräch sitzen. Meine Ankunft verscheuchte ihn wieder. Selbst seine Frau, die immer freundlich gegen mich gewesen war, ließ nach in ihrer Sorge um mein Wohlergeheu; Banauen, die ich hatte Ebadul essen sehen, bekam ich trotz meiner Bitten keine wehr. Am 5. November fand endlich der Tanz statt. Es war der würdige Beschluß eines seit zwe^onaten dauernden Kranken- 250 IX. Reise nach Corörc. festes, das Aituro dem Kalid von Coröre gab, um durch seine Gebete die Heilung semer kranken Frau zu erlangen. Ein großer Theil der täglich auf Aituro's Kosten zubereiteten Speisen wurde jenem dargebracht. Das seitlich von Aidil stehende Haus für die Gäste und der bedachte Tanzraum davor war auf seine Kosten erbaut. — Schon früh am Morgen sammelte sich das Volk auf dem Platze vor Aidil. Voran, den Gräbersteinen der Ahnen Ebadul's zuächst, setzen sich die Frauen hin, in ihrer Mitte die aus königlichem Geblüte; in zweiter Neihe die jungen Mädchen des Dorfs. Seitwärts aber, halb in den Büschen versteckt, oder in dem Düster des Hauses verbergen sich die Männer. Nun hört man schon das Nauscheu der Vlätterkleider, die im Takt von den in langer Ncihe einherziehenden Tänzerinnen geschwungen werden. Ihre Schürzen siud von der feinsten geflochtenen Sorte; ihr nackter Körper aber ist phantastisch und willkürlich mit rothgelber Farbe bemalt. In der einen Hand einige hölzerne kurze Instrumente, — sie schienen Waffen bedeuten zu sollen — in der andern einen Stab mit einer aus großen weißen Holzspänen kunstvoll verfertigten und an den Spitzen rothbemalten Nüschelkrone daran: so treten sie in einfacher Neihe auf die erhöhte Plattform, deren Dach sie gegen den zu starken Brand der Sonne schützt. Nun beginnt der Tanz. Eine Vorsängerin singt eine Strophe vor, ohne Bewegung; daun wiederholt sie der ganze Chor mit begleitendem Blätterrauschcn ihrer Kleider und leichten wie in die Ferne deutenden Bewegungen der Arme. Bald werden sie lebhafter: das sind offenbar Scenen der Freude, der Begrüßung, die sie ausdrücken wollen. Jetzt ergreifen sie jene hölzernen Instrumente — mein Nachbar bestätigt mir, daß sie Waffen vorstellen —, mit ihren Armen theilen sie in sanft schwingender Bewegung die Luft vor sich her. Der Kriegszug entfernt sich immer weiter vom Orte der Abfahrt. Nun ein lauter Schrei, wilde VetveaMMN der Arme, des ganzen Kör- pers, die heftig gesungenen Strophen und funkelnde Augen drücken die Erwartung des nahenden Kampfes aus. „Freund", fragte ich meinen Nachbar, „was bedeutet dies alles? Kannst du mir sagen, was sie da singen?" ^ „O nein. Doctor, das ist nicht möglich, ich verstehe es nicht; das ist ein Tanz der Weiber, den dir nur diese erklären können. Wenn wir Männer unsere Tänze ausführen, so verstehen uns die Frauen auch nicht." — „Wahrhaftig, Freund? und warnm lachtet ihr denn eben?" — „Meinst du, ich lüge, Doctor? Das verstehen sie bei euch in Ngirrarth besser. Geh zu Ebadul's Frau, die wird dir wol erklären, was die Frauen dort singen." Immer wilder werden die Geberdcn der Tänzerinnen, mit ihren Füßen stampfen sie den Boden, und die bewaffneten Hände schlagen im Rhythmus des Gesanges hier einen Feind nieder, dort einem andern dcn Kopf ab. Der Steg ist gewonnen. Sie ergreifen die Stäbe mit dcn gelbgefärbten Büscheln und in einer geraden Linie erheben sie diosc und senken sie wechselswcisc nieder auf den Boden. „Was bedeutet dies, Frau Ebadul's?" fragte ich diese, zu ihr in die verdeckte Neihe der Zuschauerinnen tretend. „Das ist der Krieg der Inglcses gegen Aibukit, das sie besiegen; jetzt eben senken sie daZ Feuer nieder auf die Dörfer. Die gelben Büschel dort sind die Fackeln, mit denen sie die Häuser angezündet haben." — „Und ist es denn wahr, daß euere Männer den Gesang der Frauen nicht verstehen, wie mir eben ein juuger Bursche sagte?" — „O nein, Doctor, er scheute sich wol, die Wahrheit zu sagen; du bist Era Tabatteldil und Nupack von Aibukit. Er fürchtete gewiß, dich zu beleidigen." — „Nuu, er hätte mich doch kaum zu fürchten gehabt; ich bin ja hier, wie ihr alle wißt, ohne Waffen und ohne Schutz." — „Nein, Doctor, du bist ein Nupack, den niemand anzugreifen wagt, und du bist unser Gast hier in Aidil. Wer dir und deinen Brüdern etwas thäte, der würde schwere Strafe Zahlen müssen an Ebadul. Doch sieh, dcr Tanz ist aus; komm 252 IX. Reife nach Corörc. mit ins Haus und plaudere ein wenig mit uns Frauen." — „Nein, ich kann nicht; dort hinten sehe ich Arakalulk kommen; er hat gewiß ein Amlai gefunden. Wir wollen nach dem Ko-keal, den ich noch sehen will, ehe ich morgen zurückkehre nach Aibukit." ") So war es wirklich. Mit lachendem Gesicht forderte mich Arakalulk auf, mit ihm zu kommen. „Endlich habe ich ein Amlai, mache rasch, damit wir aus diesem abscheulichen Orte fortkommen. Arpes wartet unten schon, und mein Freund ist auch da." Bald schaukelten wir uns auf dem Meere, dessen spiegelglatte Fläche meine Freunde mit kräftigem Nuderschlage durchschnitten. In ein Labyrinth vou Kanälen und Inseln bogen wir ein. Hier stiegen mannichfach zerklüftete grauschwarze Klippen senkrecht in die Höhe; auf ihren Gipfeln standen Casua-rinen, ein dichtes Gestrüpp unfchöncr Büsche, an ihrem Fuße hatten in Jahrtausenden wol die Wogen eine Hohlkehle ausgefressen, unter deren überhängendem Rande eine Menge Strandthiere — Schnecken und Krebse — ihr Wesen trieben. Nirgends war auf diesen Kalkfelsen eine Spur bebauten Landes zu finden. Anders die trachytischen Inseln; hier wechselten Wiesen und Wald miteinander ab, ihre sanft ansteigenden Abhänge trugen bis hoch hinauf schlanke Kokospalmen, und zwischen ihnen lugte bald hier, bald dort das spitze Dach eiues bunt geschmückten Bais hervor. So lagen Einöden und cultivirter Boden im schroffsten Gegensatz hart nebeneinander, und um den Contrast noch mehr zu erhöheu, erblickten wir plötzlich im Hintergründe einer schönen, nach Osten hin den Blick auf den Ocean öffnenden Bucht zwei Schisse dicht vor eiuer kleinen Insel und hoch '') Die Eingeborenen nehmen nie in Worten Abschied voneinander; sie sagen höchstens „ich gehe". Die Inscl Malakka. ^5)! oben auf dem Gipfel derselben ein europäisches Haus, gebaut im tagalisch-christlichen Stile Manilas. „Das ist Malakka, Doctor; da droben in dem großen Hause wohnt Cabel Schils." Und wahrlich, dem Geschmacke des Mannes mußte ich recht geben, daß er sich gerade diese Insel Zu seinem ersten Eigenthum erkoren hatte! Mit freiem Blick auf den Eingang in den Hafen von Malakka wie auf die Kanäle nach Coröre und dein Norden zu, südlich ganz umgeben von einem Halbkreise jener düstern Kaltinscln mit ihren traurigen Casuarinen, sie selbst prangend im üppig grünen Schmucke ihrer Laubwälder und KokoZhaine, ihrer Wiesen und Zuckerrohr-Plantagen, zu ihren Füßen einen Binnensee, groß genug für eine ganze Flotte — so lag die Insel da, ein köstlicher Schatz für einen Lebensmüden, der sich hier ein idyllisches Lebensende bereiten wollte. Doch ich träume; ist es doch Chevne, der sich dieses friedlich aussehende Kleinod gekauft hat; Cheyne, der den alten freundlichen Woodin durch alle möglichen Nänke und Listen von hier zu vertreiben suchte; Cheyne, der mit ihrem Besitze den ersten festen Fuß hier auf den Inseln gefaßt und schon durch jenen Tractat weitere Uebergriffe in das heimische Necht eingeleitet hat. Lebt doch da oben nicht ein Einsiedler im beschaulicher Nuhe, sondern ein moderner Flibustier, dessen persönlicher Ehrgeiz durch die Erinnerung daran, wie so manche Colonie seinem Lande gewonnen sein Mochte, mächtig gestachelt wird, in dessen nie ruhendem Geiste alle politischen Fäden zusammenlaufen, die seit einem Iahrzehut hier gesponnen wurden? So verdeckt die friedlichste Stille der üppigen tropischen Natur das unruhige Geistesleben eines unternehmenden Abenteurers, dessen Plane wol einen Funken vou jenem kühnen und raschm Sinn eines Najah Brooke erkennen lassen. Aber sein Ko'unen hält nicht gleichen Schritt mit seinen: Wollen, 254 IX. Rrise nach Coröre. und alle seine Plane zerstört er selbst wieder, da er glaubt, durch List und Ränke sein Ziel erreichen zu können, wo er es nur durch den unbeugsamen Muth und die strenge Wahrheits-uud GerechtigkeitZlicbe eines Sir James Brooke wirklich zu erobern vermöchte. X. Rückkehr nach Aibukit und Weite Neffe nach dem Süden. Mit dem Besuche des Kokeal und der genauen Erforschung einer seiner Inseln hatte ich meinen vornehmsten Zweck erreicht, sodaß ich, am Abend des 5. November nach Coröre zurückgekehrt, den Befehl zur Abreise am nächsten Tage geben konnte. Auch war der Termin, den mir Woodin zur Rückkehr angesetzt hatte, fast verstrichen; und die Behandlung, der sich Arakalult von seinen Feinden ausgesetzt sah, wurde nachgerade auch für mich recht unbequem. Der Abschied von Ebadul und seiner Familie war im höchsten Grade kühl. Nm Landungsplatze erwartete mich schon Arakalulk; sein Gesicht strahlte vor Freude. Nenn wir noch lange dort geblieben wären, meinte er, hätten er und Arves wol beide verhungern müssen. Nun wolle er sich in Aibukit einmal recht pflegen; wenn wir nur erst da wären! Sein Wuusch wurde rasch erfüllt. Ein güustiger kräftiger Südwind trieb uns im Fluge über das ruhige Wasser des Kanals dahin, und am Nachmittag 5 Uhr schon fuhren wir an der „Lady Leigh" an. Woodin hämmerte wieder an seinem schisse. „Nun, schon wieder da. Or. Semper?" rief er mich an, „ich dachte. Ihr würdet noch länger dort unten geblieben 256 X. Zweite Reise nach dem Süden. sein. Zeit genug hättet Ihr gehabt; ich habe wieder ein nenes Leck gefnnden, und wenn Ihr Lust habt, so könnt Ihr ganz beqnem noch einmal hinunterrcisen. Vor vierzehn Tagen von heute an segeln wir keinesfalls ab." — „Was nun, Arakalulk?" fragte ich diesen, „Cabel Mnl sagt mir da eben, daß sein Schiff noch immer nicht fertig ist. Was meinst du, wenn wir gleich umkehren und auch einmal Pelelin besuchen?" — „Wie du willst, Doctor, ich folge dir; aber heute ist es zu spät; es ist besser, wir gehen zur Nacht nach Aibukit und sehen erst einmal zu, was es dort Neues gibt. Auch ist das Amlai nur schlecht ausgebessert; mit demselben Fahrzeug können wir doch nicht die weite Reise nach Peleliu machen." Der Abend sah mich wieder als Era Tabatteldil im Vai der Rupacks von Aibutit. Hier ward bis spät in die Nacht hinein beim Scheine des lustig flackernden Feuers politisirt. Erst wollte jeder von ihnen „meine Neuigkeiten" Hörens, jedem neuen Ankömmling mußte ich sie wiederholen. Dabei wußten sie das Gespräch immer wieder auf ihre Lieblingsfrage zu bringen: ob ich denn, nachdem es mir weder in Kreiangel noch in Coröre gefallen, jetzt nicht endlich offen erklären wolle, bei ihnen zu bleiben. Krei namentlich malte mir wieder die Vorzüge ihres Lebens mit den glänzendsten Farben; als letzten Trumpf spielte er das Anerbieten aus, mich mit seiner eben erst erwachsenen Tochter zu verheirathen. Ich ließ den Fluß seiner Rede geduldig über mich ergchen; zn oft schon hatte ich vergeblich die *) Wenn Reisende zurückkomme» oder Fremde ankommen, sü ist die erste Frage nach den begrüßenden Worten: „Woher kommst du?" (Ilker) oder „Wer bist du?" (I^caä-kr-^Li-, d. h, Mann von wo?) immcr gierst nach den Neuigkeiten, die sie mitbringen. Ist mau wortkarg, fo peinigen cincn die ^"cute bis aufs Blut mit ihrer ewig wiederholten Aufforderung „nie Kei8«ßin", d. h. gib (me) deine Neuigkeit. Sagt man „üiak-a-keissek", d. h. ich habe keine Neuigkeit, eigentlich „meine Neuigkeit gibt es nicht", so wird man ausgelacht. Wenn einer eine Reise thut, so kaun er was erzählen; hier heißt es vielmehr: so muß er waö erzählen. Piter wird fortgejagt. 257 guten Leute aus ihren Träumen zu wecken versucht. Seine Illusionen läßt auch der Wilde sich uicht gern rauben. Zum Schluß gab er mir als stärkste Motiviruug seiner Bitte eine Nachricht, die mich überraschte, obgleich ich längst so etwas vermuthet hatte. Hin und wieder hatte schon Arakalulk einige Andeutuugeu darüber fallen lassen, daß Piter wol nicht ganz zuverlässig sei; dunkle Gerüchte trug das Volk herum, daß sein rasch anwachsender Neichthnm wol aus nicht ganz lauterer Quelle stamme; es sei in Auru viel leichter als früher, schöne Sachen zu kaufen. Schließlich hatte auch der alte Woodur davon gehört ^ wo fehlen auf der Erde die guten Freunde? —; eines schönen Tags stellte er sich unerwartet in Auru ein, ertappte gerade einen Burschen, wie er einige Meißel davontrug, und jagte uuu, als die Vücher nicht stimmten, Johnson ohne weiteres zum Tempel hinaus. Aber der Kapitän war arg in seinem Zorn. Flugs berief er, als Era Kaluk, den Aruau und hielt den Leuten eine Nede, die sie natürlich nicht recht verstanden. Doch ward es ihnen klar, daß Piter cm verlorener Mann sei; und da sie doch lieber ihn als Era Kaluk aufgeben wollten, so fällten sie einen Urtheilsspruch, dessen Vollstreckung ihm auf dem Fuße folgte. „DaZ ist so unsere Sitte, Doctor", schloß mein Vater, „er hat Cabel Mul bestohlcn, dafür sollte er eigentlich sein Leben lassen. Aber er ist auch ein Manu von Angabard, die mögen wir nicht todten; drum haben wir ihn: seine Frauen und sein Geld genommen, sein Haus niedergebrannt; mm ist er nach Meligcok gegangen. Wir aber brauchen hier einen Weißen. Piter hat uus früher viel genützt, denn er war klug und muthig; aber du bist es noch mehr. Drum bleibe hier, du sollst es gut haben bei uns. Wie du selbst in Feindesland geachtet wirst, hast du gesehen; habeu doch die Lcutc von Coröre Arakalulk uur geschont, weil du dort als sein Vater galtest. Wir sind aber deine Freunde, wir wollen dich noch vicl mehr ehren, als es Semper. 17 258 X. Zweite Relse nach dcm Südcn. die Feinde schon thaten. Werde ein Mann von Aibukit — und es wird dir an nichts fehlen." — „Bis auch ich einmal fortgejagt werde, nicht wahr, Krei? Nein, nein, daraus wird nichts. Ich gehe bald nach Angabard zurück, denn da ist meine Frau, die mich erwartet. Auch bleibe ich nur noch einige Tage hier, ich will noch einmal nach dcm Süden, ich muh Peleliu sehen; und sollte Cabel Mul abreisen, ehe ich wieder zurück bin, so holt er mich dort ab und ihr seht mich nie wieder." — „Wirklich, Doctor? und du willst doch Arakalulk mitnehmen? Das ist nicht schön von dir, ihn so zu verlassen; was soll er im Süden anfangen ohne dich? Da werden sie ihn gewiß todten." — „Nun, sei ohne Sorgen, Krei, ich gehe allein mit Gonzalez und den Leuten von Peleliu, die jetzt hier sind. Arakalulk bleibt bei euch, keiner von euern Leuten soll mit mir gehen. Auch Alejandro bleibt hier, der ist zu übermüthig und zu verliebt, er könnte mir dumme Streiche machen. Nun will ich noch alle meine Freunde besuchen in Roll und Rallap, und dann sage ich euch t-0oä d^L." Ueber der Freude, Arakalulk in Aibukit zu behalten, vergaßen nun Krei und die übrigen, mich noch ferner zu bestürmen, bei ihnen zu bleiben. Wie hatten sie ihn doch alle ob seines Muthes bewundert, daß er sich mit mir bis in die Hauptstadt des Feindes gewagt; es war ein Wnnder, daß er lebend wieder zurückgekommen! Und nnn wollte er mir gar auf die zweite noch viel gefährlichere Neise folgen — der gute treue Freuud hätte sicherlich sein Wort gehalten —, von der er gewiß nie wiedergekehrt wäre. Aus dieser Angst, einen ihrer Tapfersten zu verlieren — er war es gewesen, der bei jenem Angriff der Leute von Coröre ein feindliches Amlai in den Grnnd gebohrt hatte — erlöste sie nun mein Versprechen, ihn nicht mitzunehmen. Er selbst freilich nahm die Nachricht zwar ohne Widerrede, aber auch ohne Freude auf. Von nun an ließ er mich keinen Augenblick aus den Augen. Frühmorgens holte er mich Abschiedsbesuch in Roll. 25«) aus dem Bai der Unpacks, um mich zum Vadefttatz zu geleiten; und in seinem Hause hatte sein Weib immer ein Frühstück nach meinem Geschmack für mich bereit. Dann wanderten wir beiden allein durch die Palmenhaine und über die Berge, auf denen wir so oft früher Schmetterlinge gefangen oder mit dem Theo-dolithen gemessen hatten; ein letztes mal freute ich mich an seiner kräftigen Gestalt, wie er, vorn im Boote stehend, das rasch dahinfliegende Amlai mit sicherm Blick vor den emporstarrenden Klippen schützte. Asmaldra traf ich krank, als ich auf dem Wege nach Nallap in seinem Hause zum Abschied vorsprach. Aeberall fand ich gute Freunde und Freundinnen, alle wollten mich noch einmal sehen, mir die Hand drücken, und mancher wehmüthige Nusruf entschlüpfte den Lippen, die sonst so sehr die Sitte gewahrt und nie das eigene Gefühl vor dem Volke offenbart hatten. Nur Arakalulk blieb stumm und ernst an meiner Seite. So vergingen einige Tage mit meinen Abschiedsbesuchen. Auf den 12. November nachmittags war endlich die Abreise festgesetzt; aber noch hatte ich Roll nicht wieder besucht, jenes stille Dorf im Palmenwalde, das es mir mit dem leisen Rauschen seiner Palmenkronen und seiner melancholischen Glut angethan hatte. Um der Menschen willen, die da drin lebten, ein verkommenes Geschlecht, wanderte ich nicht am frühen Morgen des 12. mit Arakalulk zum letzten male dahin. Schweigend gingen wir nebeneinander her im dämmernden Lichte. In der aufgehenden Sonne glänzten Tausende von Thantropfen, die an den hohen Grashalmen der Wiesen hingen, über die unser Weg führte. In den Zweigen eines Brotfruchtbaumes saßen einige Tauben, gurrend und kollernd; aber Arakalulk achtete ihrer nicht, obgleich seine Flinte ihm über der Schulter hing. Es war, als wenn die Täubchen ahnten, daß wir uns an diesem Morgen nicht mit Mordgedanken trugen; unser Tritt scheuchte sie auf, aber sie flogen nur einige Zweige höher den 17* ZßO X. Zweite Reise nach dem Südcu. Baum hinan. Auch über Roll lag die tiefste friedlichste Stille ausgegossen; Eidechsen spielten wieder wie früher in den ersten Strahlen der Sonne, welche die trockenen Blätter anf den Steinen des Weges vergoldeten. Wieder, wie früher, schlugen die Wipfel der Palmen auf das Dach des Vais, in welchem einige Nupacks schlafend lagen; immer noch hingen die goldgelben Nüsse der Areca, halb verborgen unter den vertrockneten Fiedern eines eben abfallenden Blattes, und an den Kokospalmen prangten Blütenkolben, reife und halbreife Nüsse, wie damals, nebeneinander. Gerade so wie bei meinem ersten Besuche übertönte das Rauschen der nahen Brandung in regelmäßiger Folge das leise Flüstern der Palmenblätter. Im Angesichte des Meeres streckte ich mich hin, einer majestätischen Kokospalme zu Füßen. Arakalulk blieb neben mir stehen. „Freund", unterbrach er nach einigem Sinnen die Stille, „ich weiß, daß du nicht wieder von Peleliu zurückkommst. Mein Kalid hat es mir gesagt." — „Du könntest recht haben", entgegnete ich, „auch mir ahnt so etwas, und ich bin traurig darüber. Aber ich muß den Süden noch einmal besuchen. Siehst du, das gehört auch zu einer solchen Kette, wie die war, die Wir in Kreiangel machten. Kann ich vor unserer Abreise noch einmal wieder zurückkommen, so werdeich mich sehr freuen; ich möchte dich wiedersehen, Arakalulk. Aber hinunter muß ich." — „Auch ich möchte dich wiedersehen. Doctor", antwortete mein Bruder, „am liebsten ginge ich mit dir nach Angabard, um ganz bei dir zu bleiben. Aber mein Weib und meine Kinder wollen mich nicht lassen. Ja, Wenn ich die nicht hättc — um Mad und Krei würde ich mich nicht viel kümmern, sie haben mich schlecht behandelt. Aber mein Weib hält mich zurück." — „Auch ich, Arakalulk; denn sieh, ihr Leute von Palau taugt nicht in unser Land. Bei uns ist das Leben viel schwerer als hier; in deiner Heimat bist du doch ein Nupack, wenn du auch niemals Mad wirst — aber in Manila oder gar in dem kalten Arakalulk's Versprechungen. 261 Lands, wo ich wohne nnd das man Europa nennt, du würdest weder ein Rupack sein, noch könntest du da lange leben. Nur wir Weißen, die wir das kalte Klima gewohnt sind, können es dort aushalten — wie wolltest du ohne das Meer und das Fahren auf den Amlais, ohne Kukau und Bonga, ohne Sonne und Palmen leben? Dein Herz würde dir bald brechen; auch Libu ist dort im trüben Lande der Ingleses gestorben. Aber vergessen sollst du mich nicht, Arakalulk; auch ich werde dich nie vergessen. Wenn ich erst wieder zurück bin in meiner Heimat und ich müde geworden bin vom vielen Wandern, dann setze ich mich hin nnd schreibe ein 1>ook, wie Cabel WilZ cs gethan hat. Darin erzähle ich meinen Freunden von Angabard, wie du mein Freund und Bruder geworden bist und wie du mit mir in Kreiangel uud in Coröre warst. Da kommst auch du hinein und Krei und Mad; dazu hat Gonzalez euch alle abgezeichnet. Wenn dann aber einmal ein anderer Doctor auf Reisen geht, gerade so wie ich, nicht um Balate Zu holen oder Oel wie Cabel Mul, sondern Schnecken und Muscheln und Käfer und Schmetterlinge zu fangen, dem gebe ich das book mit und an dich einen Brief und mich selbst^), das wird er dir dann alles bringen und dir dabei sagen, daß ich dich nicht vergessen habe." — „Und wenn ich dich wirklich nicht wiedersehe, Doctor, so will auch ich dir etwas schicken durch Cabel Mul. Weun der abreist, so will ich ihm ein Ainlai für dich mitgeben; du hast solche Freude an dem Fahren anf der See, und so gut wie unsere Amlais fährt kein Ixnt von Angabard. Dann will ich dir auch Geld schicken, damit du deinem Weibe zeigen kannst, wie schön es ist; du hast doch die hübschen Geschichten nicht vergessen, die ich dir davon erzählte? Auch will ich einige von den alten Steinbeilen, mit denen unsere Väter arbeiteten und *) D. h. mcm Bild; ein Wort hierfür fehlt natürlich in dcr Palau-sftrache und ist bisjctzt auch nicht eingeführt. 262 X. Zweite Reise nach dem Süden. an denen du so große Freude hattest, aus dem Kasten nehmen, worin unser theueres Familiengut aufbewahrt wird. Mad wird böse werden, wenn er das erfährt, aber ich mache mir nichts aus seinem Zorn. Ich weiß, daß du dich freuen wirst, sie zu haben; ich habe nicht vergessen, wie du dich darüber wundertest, daß unsere Väter mit diesen Beilen die großen Häuser gezimmert haben. Sage mir, was du sonst noch für Sachen haben willst; wenn ich sie besitze, find sie dein." — „Du bist ein guter Mensch, Arakalulk, ich wünsche nichts mehr von dir." — „Doch, da fällt mir ein, ich habe noch eine von den runden Bänken, auf die wir bei unsern Festen die Kukau-Pyramiden aufbauen, die ist ganz alt uud auch mit einem Steinbeil gearbeitet; die sollst du auch haben. — Doch nuu steh auf, Doctor, die Sonne steht schon hoch, du mußt uoch essen in Aibukit, uud gleich nach Mittag wollen die Leute absegeln. Da mußt du doch zur rechteu Zeit am Hafen sein, es ist das einzige Amlai, das jetzt aus dem Süden da ist." In Aibukit erwartete mich meine Mutter schon lange. Auch sie meinte, es sei wol das letzte mal, daß sie mich sähe und bewirthen könnte. Ein tressliches Mittagsmahl setzte die gute Frau mir vor, mit eigeuen Händen schenkte sie mir den letzten Trunk Eilaut in die Trinkschale ans Schildpatt ein, die sie mich bat, als Andenken an sie mitzunehmen, „damit ich sie nicht vergäße". Die gleiche Bitte überall, von Knaben und Mädchen und Frauen; schon entfernt von den Häusern riefen sie mir immer noch das eine Wort nach: äiak ui6b688, äiak ui6d688.*) Stürmisch war so die Trennung von den Frauen und Kindern; aber die Fürsten erwarteten mich schweigend in ihrem Bai, und in wohlgesetzter Nede nahmen Krei uud Mad von mir Abschied. Auch bei ihnen hieß der Refrain, „da ich nun einmal nicht einer der Ihrigen werden wolle, so solle ich sie wenigstens nicht vergessen". Von Herzen gab ich den guten Leuten meine Hand darauf. *) D. h. nicht vergessen. Der Abschied. 263 „So, Arakalulk, nun laß uns eilen, Gonzalez ist schon mit den Sachen unten, nnd ich fürchte zu spät zu kommen." — „Nun, wenn Gonzalez am Hafen ist, werden die Leute schon auf dich warten. Hier habe ich aber noch etwas für dich. Doctor. Siehst du, das hier ist ein Brief an meinen Freund Tomue in Peleliu." Dabei hielt er mir seinen Schildpattpfriem hin, an welchem zwei kurze Faden durch einige Knoten miteinander verschlungen waren. „Dieses Ende des Fadens das bin ich, jenes bist du; wir beide sind durch diesen Knoten, wie ihn nnr Brüder brauchen, verbunden. Gib den an Tomue, er kennt meinen Pfriemen, er wird dich gerade so aufnehmen wie mich; von nun an bist auch du sein Freund und Bruder. Uud wenn du nicht wiederkommen kannst von Peleliu, und Cabel Mul dich dort unten abholen soll, so schicke mir Tomue's Pfriemen mit einem Faden darin; Tomue wird dir schon zeigen, wie du ihn knoten mußt. Wenn ich den Vricf erhalte, so bringe ich alle Sachen, die ich dir versprochen habe, an Cabel Mnl; denn dann weiß ich, daß ich dich nicht wiedersehen werde." Wenige Minuten später sind wir am Hafen. Das Amlai liegt schon bereit, Gonzalez darin, eifrig sprechend; als er mich sieht, ruft er mir zu, zu eilen. Nun sind wir am Quai. Noch ein letzter Blick in meines Freundes treues Auge, ein Händedruck, „6a0ä b^e, Arakalulk!" — „600a I170, Doctor!" — nnd mit lautem Halloh senken meine Leute ihre Nuder ins Wasser, während mein Bruder stumm den Waldweg hinanschreitet. Eine Biegung des Wegs — er ist verschwunden auf Nimmerwiedersehen!-------- Nasch fliegen, wie wir nun mit der Ebbe hinunterfahren, die wohlbekannten Mangrovenbämne an mir vorüber. Noch ist das Loch nicht ganz zugewachsen, welches eine englische Kugel ili das Gebüsch gerissen hatte; der Baum, welcher von einer andern getroffen worden, senkt, schon halb erstorben, seine verdorrenden Aeste tranrig nieder. Nun werden die Kanäle weiter, wir sind im äußern Hafen. Da liegt Auru; wie lange mögen 264 X. Zweite Reise nach drm Süden. wol noch die Rauchwölkchen an den Seiten des hohen Daches hervorquellen, zum Zeichen, daß dort noch immer Trepang für Cabel Mul gekocht wird? Eine Wendung macht das Boot — da liegt Tabatteldil! Hier dringt kein Nanch, wie ehemals, aus der kleinen seitwärts liegenden Küche hervor; einige Löcher hat schon der stürmische Wind der letzten Tage in das Palmendach gerissen. Die Fenster sind geschlossen; nur die Thür ist weit offen; einer der Thürflügel hängt schräg ins Innere hinein, die ihn tragenden Vänder sind schon ganz lose geworden. Kein Eingeborener sitzt jetzt dort cli meiii. Eine Schlange windet sich eben den Thürpfosten hinan; wie mögen sich nachts die Ratten dort tummeln! Nun liegt auch mein Schloß hinter meinem Rücken; vor mir die wohlbekannten Riffe und das blaue Meer. Die Lady Leigh liegt wieder schief — schöne Aussichten das; an ihrem Bug hämmert der Kapitän. „Nun, wollt Ihr fort, vl-. Semper?" ruft cr mir zu. — „Wie Ihr seht, Kapitän Woodin, ich habe mich ausgerüstet auf vierzehn Tage; denn länger dauert es doch keinesfalls?" — „O nein, seid ohne Sorgen; in vierzehn Tagen bin ich fertig. Aber wie wollt Ihr wieder zurückkommen?" — „Das weiß ich uicht; Ihr habt mir ja versprochen, mich dort im Süden abzuholen, wenn ich in vierzehn Tagen nicht wieder hier bin. Darauf rechne ich, daß Ihr Euer Wort nicht brecht. Ihr findet mich nnter allen Umständen in Pcleliu. Und nun viel Glück zur Arbeit und gute Gesundheit, Kapitän Woodin, (iood d^6." — „«00a d^6. Dr. Semper, glückliche Reise!" Und fort ging es nun die wohlbekannten Kanäle hinunter mit frischem Winde dem Süden zu. Die Kühle des Seewindes erfrischte meine heiße Stirn; den Abschied hatte ich mir nicht so schwer gedacht. Da saß ich nuu in einem kleinen Fahrzeuge unter wildfremden Menschen, ohne meine treuen Freunde, die mich bisher auf allen meinen Zügen begleitet hatten. Würde ich mich auf Gonzalez, den Mestizen von Manila, in schwierigen Abreise und Ankunft in Tamade. 265 Lagen verlassen können? Ich wußte es nicht. Als Diener konnte ich ihn anch nicht gebrauchen, dazu hatte ich ihn zu sehr verwöhnt. Doch das waren nutzlose Träume; nun galt es frisch zn wagen. Und der Gedanke an das Abenteuerliche deZ Zuges erfrischte mich ungemein; so ganz nur auf mich selbst angewiesen, mitten unter die Feinde zu fahren! Mit diesem Gedanken war ich wieder der Alte, die Vergangenheit lag schon in weiter Ferne hinter mir, und die Zukunft lockte mich mit ihren Erlebnissen, die ich mir mit den buntesten Farben ausmalte. Im Hintergrunde aber aller der Bilder, die ich mir so in die Ferne entwarf, leuchtete mir immer der Leuchtthurm von Corregidor am Eingänge der Bucht von Manila. — Die Abenteuer ließen nicht lange auf sich warten. Der Eigenthümer des Amlai hatte nichts zu essen mitgenommen, ich ebenfalls nicht; nun lag die Bucht von Armlimui in lockender Nähe vor uns. Natürlich fuhren wir ein. Es war ein herrliches Becken, das sich au dieser breitesten Stelle der Insel weit ins Land nach Osten hineinzog. Der Eingang, eigentlich sehr breit, wurde eingeengt durch zahlreiche hohe und bis an das Meer herunter dicht bewaldete Inseln, welche in doppelter Reihe enge Thore zwischen sich liehen. Wol reichlich eine Viertelstunde fuhren wir auf der spiegelglatten Fläche des Bassins einher, auf welches die hohen Ufer schon tiefe Abendschatten warfen. Dann bogen wir ein, nach Norom zu, in einen sehr breiten und tiefen Fluß mit reißendem Strome. Schon in geringer Entfernung führte er ganz süßes, trinkbares Wasser; bald auch machten die Mangroven andern Bänmen Platz, deren mächtige Wurzeln der steile Abfall des mehr und mehr sich erhebenden Ufers an vielen Stellen entblößt hatte. Die Fahrt in dem Flusse dauerte lange; Uefe Nacht war es, als wir endlich am Eingänge des Dorfes Tamadc anlangten. Der nächste Morgen sollte mich belehren, was für eine sichtige Person im Lande ich sei. Wir hatten in einem hart 266 X. Zweite Nelsc nach tmn Süden. am Ufer liegenden Bai übernachtet, ziemlich weit entfernt von den nächsten Häusern. Aber die Fama ruht hier auch des Nachts nicht, und die Nachricht meiner Ankunft hatte sich rasch verbreitet. Es war noch ziemlich früh — ich hatte eben meinen Morgcukukau verzehrt — da erschienen zwei Nupacks aus Emungs, einem kleinen dicht bei Coröre liegenden Ort. Sie stellten sich mir als Abgesandte von Coröre vor: Ebadul ließe mir sagen, er wisse von meiner Abreise nach Peleliu, aber er verbiete mir dorthin zu reisen, außer in einem Amlai von Armlimui oder Coröre. Ich lachte die Voten aus; aber wie vermißte ich nun meinen treuen Arakalulk! Die Leute, die mich mitgenommen, meinten, dcn Befehlen des mächtigen Ebadul müsse man sich fügen, ich solle zurückbleiben und auf eine bessere Gelegenheit warten. Nun fing ich an zn schelten — da wurde ich ausgelacht; Zu bitten — das half auch nichts. Endlich nach stundenlangem Schwatzen versprachen sie mir, mich mitzunehmen; und den Rupacks wurde als Antwort gesagt, daß wir erst nach Coröre segeln und Ebadul um die Erlaubniß zur Weiterreise bitten würden. Das befriedigte die Sendboten. Mit ihrer Abreise aber waren die Schwierigkeiten noch immer nicht gehoben. Die Unterredung mit diesen Fürsten hatte bis zum Nachmittag gedauert — nun war es doch offenbar zu spät, um abzusegeln. Auch hatten wir noch nicht hinreichend Lebensmittel eingekauft und standen noch in Unterhandlung wegen Kukau und Betel. Wenn wir jetzt gleich fort wollten, so müßten wir das Gewünschte sehr theuer bezahlen; auch sei nicht genug im Dorfe. Das war vielleicht wahr; denn wenig genug erhielten wir zu essen, und was wir bekamen, mußten wir sogar noch kaufen: mein Befuch wurde offenbar nicht als Klökadauel anerkannt. Der erste Tag war vergangen; der zweite brach an, und mit ihm begannen wieder dieselben Verhandlungen mit meinen Leuten. Aber es half wieder nichts. Der Tag verstrich wie der erste, und alles, was ich erlangte, Die Weiterreise wird verzögert. 267 war die Zusage, in der Nacht (vom 14. auf den 15. Nov.) abzufahren. Ich selbst weckte meine Freunde und erinnerte sie an ihr Versprechen — sie legten sich auf die andere Seite und schliefen weiter. Als ich den einen etwas unsanft am Arme faßte, meinte er, das nütze mir doch nichts, es sei eben noch nicht Zeit zum Abfahren. Am nächsten Morgen war wieder etwas am Amlai zu repariren; um Mittag hieß es, das Wasser sei so niedrig, daß es unmöglich sei, jetzt auszufahren. Nun hatte ich genug, 2'/2 Tage hatte ich fast ausschließlich im Bai zugebracht, in der Hoffnung, die Leute endlich zur Abreise bewegen zu können; wenn das so fortginge, würde ich sicherlich zu spät wieder nach Aibukit zurückkommen. Meine Ungeduld half mir nichts, das sah ich mm ein. Drum that ich es den Männern aus dem Amlai gleich und ging, wie sie, mit Gonzalez cU wLiil in das Dorf. Ich hätte dies früher thun sollen; dann hätte ich wenigstens die Lösung des NäthselZ, warum sich unsere Abreise so verzögerte, eher erhalten; ob diese Kenntniß freilich die Abfahrt beschleunigt haben würde, steht dahin. Wir schlenderten langsam durch das Dorf, das nichts Bemerkenswerthes zeigte, es war gebaut wie alle andern im Lande; die Häuser isolirt in Gärten gelegen, von hohen Bäumen beschattet, hier und da ein Vai mit dem freien Platze davor und überall gepflasterte Wege. Nur sielen mir hier Reihen von Ziersträuchern auf, welche die Straßen an dein einen Endo des Dorfes einfaßten, wie die Obstbäume oder Pappeln uuserc Chausseen. Solche Sträucher hatte ich in Aibukit und Coröre nicht gesehen; nachher traf ich sie freilich in Peleliu in großer Menge wieder. Am Ende dieser recht hübschen Straße fand ich auch meine Freunde vom Süden sämmtlich in gemüthlichster Nuhe in einem Hause sitzen. Es war das Haus des Anführers des Clöbbergölls, in dessen Bai wir schliefen. Wir traten ein, neugierig gemacht durch eine laute hohe Stimme, wie die eines Bauchredners. Da saßen 268 X. Zweite Reise nach dem Süden. unsere Leute im Halbkreise um ein altes Betel kauendes Weib — es war ein Kalid. Die Unterhaltung mochte schon lange gedauert haben; einige unserer Leute waren sehr erregt, ihr Anführer aber saß stumm da und mischte sich nicht in das Gespräch. Das alte Weib war in heftigem Zorn; mit hoher Kopfstimme sprudelte sie einen Schwall von Worten heraus, die ich nur zum Theil verstehen konnte, so undeutlich sprach sie. Aber ich merkte bald, daß es sich um unsere Abreise handelte: der Kalid wollte offenbar nichts davon wissen — und jetzt verstand ich, warum die Leute sich geweigert, mit mir abzureisen. Nun ward ich besorgt, es möchte doch schließlich meine Neise nach Peleliu hier in Tamade enden; und nicht leicht konnte ich mich bei der Versicherung des Omleblokl — so hieß der Eigenthümer des Amlai aus Peleliu — beruhigen, daß er stillschweige zu all dem Gerede, am Nachmittag aber abreisen werde. Ich hatte schon zu gut die Sitten des Landes kennen gelernt, um noch solcher Versicherung unbedingt zu trauen. Um jedoch unsererseits die Abreise nicht zn verzögern, gab ich den Plan auf, den von hier leicht zu erreichenden höchsten Berg der Insel zu ersteigen, und ging mit Gonzalez ins Bai zurück. Hier wollten wir unser Bündel schnüren. Die Arbeit aber hatte uns ein guter Freund zu erleichtern versucht. Einer der Männer aus Peleliu war zur Bewachung unserer Effecten zurückgeblieben; natürlich war der auch ins Dorf gegangen äi mßlii, und in seiner Abwesenheit hatte ein anderer mir meine Bettdecke und Gonzalez sein sämmtliches Zeug gestohlen. Ich donnerte und schalt; Gonzalez und die Eingeborenen nahmen die Sache kühler. Mein Schelten helfe doch zu nichts, meinten sie, damit kamen die gestohlenen Sachen nicht wieder. Man müsse doch erst wissen, wer der Dieb sei, und das werde nicht schwer sein zu erfahren, da zum Glück einer von unsern Leuten geschickt sei im Deuten der Zeichen. Etliche Bastfasern von Fingerslängs drehte dieser nach einigen vorbereitenden Worten Das Mangalild. , 269 und mit der ernstesten Miene von der Welt zu einem kleinen Tau zusammen; dann zählte er die Windungen und that nun den weisen Spruch: es müsse einer aus dem Dorfe gewesen sein. Das war mir denn doch zu stark, als nun die andern meinten, jetzt müsse dem ersten Nupack des Dorfes die Sache vorgetragen werden. Mit der Drohung lief ich zum Bai hinaus, ich wolle selbst alle Häuser des Dorfes durchsuchen, und wenn ich den Dieb entdecke, könne er sich auf eine gute Tracht Prügel von mir gefaßt machen. Das hatte wahrscheinlich geholfen. Eben wollte ich in das erste Haus eintreten, um meine Nachforschungen zu beginnen, da rief mich Gonzalez zurück, man have alles gestohlene Gut in einem Gebüsche versteckt gefunden. Wahrscheinlich war wol der weise Taudreher selbst der Dieb, oder er kannte ihn doch; die Angst vor den Schlägen, die ich ihm versprochen, und die Furcht, doch später uoch von seinen Gefährten verrathen zu werden, halten ihn wol bestimmt, dio Sachen wieder herauszugeben. Mit einem scharfen Blicke sagte ich ihm, cs sei doch sonderbar, daß einer aus dem Dorfe das bunte Zeug nicht ins Dorf getragen habe, und wie es ihm doch so leicht geworden sei, es in dem Versteck zu finden. Doch mußte ich lachen, als er mir mm wieder die Antwort gab, er habe noch einmal, als mich schon entfernt hätte, das Tau befragt; das neue Mangalild^) habe ihm dann den Ort verrathen, wo der Dieb das Geraubte verborgen habe. An den Sachen fehlte zum Glück nichts; und da nun auch Omleblokl zu mir mit der Anzeige kam, daß das Amlai bereit liege zur Abfahrt, ließ ich die Sache fallen. Was hätte mir auch sein Geld genützt, das er als Sühne vielleicht hätte zahlen müssen? Das hätte ich doch nur zum kleinsten Theile erhalten, da von jeder solchen 5) Ulln^aliiä nennen die Eingeborenen solches Wahrsagen, gleichgültig, °b es wie hier mit einrm Knotentau, oder mit Blättern der Palmen oder Gräser oder mit sonst etwas geschieht. 270 X. Zweite Rcisc nach dcm Süden. Strafe eine erhebliche Abgabe an die Fürsten bezahlt wer-dcn muß. Diesmal endlich war es Ernst mit dcr Abreise. Mit uns zugleich segelte ein zweites Amlai ab, worin sich jene Gesandten ans Emungs befanden, vielleicht zu meiner Bewachung. Ich war so froh, als wir uns endlich wieder auf dem Meere schaukelten, daß ich jeden Versuch aufgab, die Leute zur directen Fahrt nach Pelcliu zu bestimmen. Der Wind war günstig, und bei Sonnenuntergang trafen wir in Coröre ein. Niemand ge--leitete uns hinauf nach Aidil, dem Wohnhause des Ebadul. Der Fürst war nicht zu Hause, aber seine Frau nahm mich ganz freundlich auf. Ich hatte andern Empfang erwartet; statt der Kühle und Vornehmheit, auf die ich gefaßt war, erschöpfte sich die gute Frau in Bemühungen, mir gefällig zu sein. Sie hatte gerade starken Weiberbesuch im Hause; um einen jeden von uns beiden — Gonzalez war natürlich mit mir gegangen — setzten sich im Kreise die Schönen, die neugierig zusahen, wie wir aßen und tranken. Während des Mahles herrschte frohes ungezwungenes Geplauder der jungen Mädchen, aber sie verstummten, als nachher Ebadul's Frau mit mir ein ernstes Gespräch begann. „Doctor", sagte sie, „du bist ein großer Rupack; so wie du hat noch keiner von Angabard hier im Lande zu reisen gewagt. Auch Cabel Mul hatte doch sein Boot und seine Kanone mit sich. Du mußt sehr mächtig sein, daß du ohne Waffen und allein hierher kommst, wo doch dein Feind, Cabel Schils, lebt. Fürchtest du dich nicht vor ihm?" — „Warum sollte ich? Ich weiß, daß er mir nichts thun kann," — „Nun, dann kannst du uns vielleicht helfen. Cabel Schils hat viele schöne Sachen mitgebracht, und wir sind durch ihn reich geworden; aber wir mögen ihn doch nicht, er ist ein böser, grausamer Mensch. Er thut hier so, als wäre er King von Coröre,, und gegen Ebadul ist er oft recht übermüthig; er lebt hier im Lande, aber er will Klagen der Frau Ebadul's. 271 die Gebräuche nicht achten. Wir Leute von Palau lügeu recht viel, doch Cabel Schils thut es noch viel mehr. Da hat er vor lauger Zeit die Insel gekauft, auf der jetzt sein großes Haus steht — sieht so auch das Haus von euerm King aus?" — „O nein, das Haus, worin unser König wohnt, ist so groß, daß alle Leute von Coröre darin Platz hätten. Man nennt eZ deshalb auch' nicht Haus, sondern 1'Mcio."^) — „Siehst du, daß Cabel Schils ein großer Lügner ist; er sagte, ein so schönes Haus wie er habe kein Rupack in Angabard, und sein Schiff sei das größte von allen. Er will ein großer King und sehr reich sein; aber die Insel Malakka hat er uns uoch immer nicht bezahlt. Nicht wahr. Doctor, das ist doch schlecht?" So ging es fort mit Klagen über Nichtbezahlen seiner Schulden nnd über unrechtmäßige Eingriffe in die heimische Sitte; hier hatte er den Bewohnern von Aracalong versprochen, ihnen Flinten zu bringen, was doch gegen das Uebereinkommen sei, und ein anderes mal hatte er Ebadul verweigert, Pulvcr als Bezahlung für einen schönen Ochsen zu geben, den sie ihm doch geschossen hatten. Auch feige sei er; denn er wolle ihnen nicht in einen: Kriege beistehen, obgleich er ihr Bundesgenosse wäre; und über sein Leben mit den jungen Mädchen wäre alles empört. Früher habe man ihn gern als Sohn in eine Familie aufgenommen, denn es sei einc Ehre, einen Mann von Angabard zum Schwiegersohn zu bekommen; aber seit Monaten schon habe er in seinem Schiffe, wie in einem Bai, wol acht und Mehr Mädchen auf einmal. Die aber könnten es nicht mehr aushalten, so schamlos sei er gegen sie; noch nie habe sich ein Aann von Angabard so vor ihnen und gleich vor so vielen auf einmal gezeigt. Leider könnten sie nichts gegen ihn machen, drnn er habe sie gekauft; mehrere von den Mädchen, die ent- '') Das Wort?a1acw (Palast) ist aus dem Spanischen dort eingeführt °dcr wenigstens bekannt. 272 X. Zweite Reise nach dem Süden. laufen wären, müßten deswegen auch mit Gewalt wieder zu ihm zurückgebracht werden. „Wir wissen uns nicht mehr zu helfen", fuhr meine Wirthin fort, „Cabel Schils ist ein mächtiger, reicher Rupack, und alle Klagen nützen uns nichts. Wenn der Aruau etwas sagt, und es gefällt ihm nicht, so kehrt er sich nicht an unsere Sitte; neulich hat er Ebadul mitten im Aruau ausgelacht. Das hätte jedem andern das Leben gekostet; Cabel Schils hat nicht einmal ein Geschenk geschickt, um wieder Freund zu werden. Er verlacht unsere Sitte; wer hilft uns nun gegen ihn?" — „Ja, das ist schlimm", erwiderte ich der armen Frau, „wenn Cabel Schils euere Gebräuche nicht achtet, so ist wol nichts zu machen. Ihr müßt mehr auf euerer Hut sein und ihm nicht trauen." — „Wie sollen wir das machen. Doctor? Er ist doch einmal hier Rupack und geht immer in den Aruau und spricht immer mit und thut so, als wenn er hier King wäre. Kannst du uns nicht helfen? Du bist ja reicher und mächtiger als Cabel Schils; kannst du nicht euern King in Angabard bitten, daß er diesen bösen Menschen wegnimmt von Palau?" Vergeblich versicherte ich nun der Armen, daß mein Einfluß bei weitem nicht hinreiche, sie von ihrem Peiniger zu befreien, und bis spät in die Nacht hinein mußte ich immer wieder dieselben Klagen anhören und die gleichen Antworten geben; es schien mir die geringste Gunst zu sein, die ich ihr als momentanen Trost geben konnte, ihre beredten Klagen ohne Murren anzuhören. Längst schon hatten die Mädchen des Hauses sich auf ihre Matten hingestreckt; Gonzalez schnarchte nicht weit von mir aus Leibeskräften. Endlich übermannte die Müdigkeit auch meine Wirthin; und bald lag ich ebenfalls, vom Mosquitonetz gegen die lästigen Mücken geschützt, im süßesten Schlafe. Am nächsten Morgen (des 16. November) wartete ich lange vergebens auf Ebadul; er kam nicht, trotzdem er sonst immer den Morgenimbiß in seinem Hause zu nehmen pflegte. Endlich Abrrise von Corön'. 273 fiel mir ein, daß er ja so sehr auf die Etikette hielt. Es ist nämlich Sitte, daß der Ankömmling den Fürsten des Ortes zuerst in seinem Bai aufsucht. Das that ich nnn anch und fand ihn richtig dort, wieder Taue drillend und meiner wartend. Er wußte schon von dem Zweck meiner Reise; seine Einwillignng, mit dem Amlai von Peleliu die Neise fortsetzen zu dürfen, gab er sogleich und, wie es schien, auch gern. Nur meinte er, ich thäte besser, dort in Corörc zu bleiben; Pelelin sei ein schlechter Ort, klein nnd arm und kein geziemender Nufeuthalt für einen Nuvack. Zusammen gingen wir dann nach Aidil hinauf, daö Frühstück einzunehmen; bald darauf entfernte sich der Fürst. Als ich dann gegen Mittag meine Leute zur Abreise bewegeu wollte, weigerten sich diese wieder; ohne Ebadul's ausdrückliche Erlaubniß ginge das nicht, er müsse bei unserer Abreise zugegen sein. Und so ging abermals ein Tag verloren, und wieder mußte ich am Abend die Klageu der Weiber anhören nnd sie zu trösteu versuchen, obgleich ich wußte, daß es für ihre Leiden keine Hülfe gab. Durfte ich das allein Nichtige den Armen rathen? Um keinen Preis! Denn nur zn gut wußte ich, was es einem Heiden nützt, sein eigenes Nccht gegen einen Christen vertheidigt zu haben. Ich sah das Schlimmste voraus; meine Ahnungen sollten mich leider nicht betrügen! Endlich am 17. morgens holten sich meine Bootsleute persönlich die Erlaubniß vom König, mit mir abreisen zu dürfen. Wir beide frühstückten noch znsammcn in Aidil; er war freundlich gegen mich, wie zn Anfang meines ersten Besuchs, und er und seine Frau riefen mir auch den Abschiedsgrnh zu, ich solle sie uicht vergessen. Ich versprach es ihnen von Herzen. Die armen Leute thaten mir leid; ich sah sie am Nande eines Ab-grnndes stehen. Seit jenen Wochen, in denen ihre Vorältern den schiffbrüchigen Engländern auf Urulong halfen, so gut sie konnten, sie unterstützten und freundlich aufnahmen, seit jener Zeit hat ein ehrgeiziger Taumel die Bewohner des kleinen Coröre Semper. 18 274 X, Zwcite Reise nach dcm SUdcn. ergriffen. Fremde Hülfe förderte wirklich ihre Macht; aber die eigene Kraft fehlte ihnen zu der Durchführung des Unternehmens: fo mußten sie den selbstsüchtigen Planen abenteuernder Seefahrer, wie Chcyne, verfallen. Und diese, wohin würden sie führen? Wenn er wirklich sich zum König der Inselgruppe aufschwänge? sie dann als wohlerworbene Colonie den Engländern ließe? Es lag doch etwas in diesen so offenkundigen Planen, das mich anzog; so auf seine eigene Hand, ein einzelner Mann, eine ganze Colonie Zu erobern! Ich schuf mir, mit Gonzalez den Weg nach dem Hafen wandelnd, in Gedanken über Cheyne und seine Plane vertieft, ein Bild von diesem Manne: groß und schlank, aber kräftig, mit kühner Adlernase und feurigem Blick und langen blonden Locken, etwas phantastisch, aber nicht geschmacklos angezogen — ich vergaß völlig, daß ich in Manila einen ganz andern Eindruck von ihm empfangen. — Da, mit einem male, an der Biegung des Weges sehe ich eine Gruppe von Männern stehen in europäischer Kleidung — und unter ihnen Chcyne! Sein Steuermann Tetens, der Kapitän und der Supercargo des „Pelayo" waren seine Begleiter. Mit diesen Herren wechselte ich einige wenige Worte der Begrüßung und des Abschiedes. Cheyne selbst maß ich stumm mit einem langen Blick; er gab ihn mir znrück, aber wie? Nein, das war nicht der kühne Eroberer, den ich mir gedacht; Feigheit und Hochmuth, Verschlagenheit und niedrige Nachsucht sprachen aus seinem Auge. Wehe den armen Menschen dort oben in Aidil, die mit unlöslichen Ketten an diesen Mann geschmiedet sind! Wir hatten bald den Hafen von Coröre hinter uns, und vor uns breiteten sich die grauschwarzen Klippen der Inseln des Kokeal aus. Mit ihrem überhängenden, hohlkehlartig durch die Brandung ausgewaschenen Fuße mahnten sie mich daran, daß hier seit Jahrtausenden schon in nie ermüdender Kraft das Meer siegreich den alten Streit des Wassers gegen die Feste der Erde kämpft. Zahlreiche kleine Inseln, schroff wie Nadeln isolirt aus Die Klippen des Kokeal. 275 dem Meeresgrunde aufsteigend und durch enge schäumende Thore voneinander geschieden, läßt das übermächtige Meer wie Merksteine seiner Gewalt stehen. Dort hängt der Gipfel einer Insel so weit über die Wasserfläche herab, daß man meint, er müsse jeden Augenblick niederstürzen; aber der dichte Kalkstein, aus dem sie fast alle bestehen, setzt dem Zuge des eigenen Gewichts die stärkere Kraft des innern Zusammenhanges entgegen. Hier hat der Sturm eine Insel mitten durchgespalten; die überhängenden Höhen der beiden Hälften berühren sich fast, nur durch einen kaun: !0 Fuß breiten Spalt getrennt. Darunter liegen, den Kanal verengend, noch einige mächtige Kalkfelsen, die, von der Höhe herabgestürzt, der Zahn des Meeres noch nicht ganz hat zernagen können. Oder man sieht in tiefe düstere Höhlen und enge Löcher hinein, die offenbar weder dem Einsturz der Felsen, noch der Auswaschung durch das Meer ihren Ursprung verdanken, sondern die Ucberbleibsel von Kanälen und Höhlungen in den frühern untermeerischen, nun gehobenen Riffen sind. Meine Begleiter nannten mir die Namen der Inseln, der Klippen; eine jede hatte ihre Sage. Aber die am weitesten nach Osten zu lag, zog mich mehr an als alle andern: es war die Insel der Engländer, Urulong, auf welcher Wilson mit seiner Mannschaft wochenlang gehaust und das Schiff gebaut hatte, das ihn wieder der Heimat zuführte. Meinen Bitten, den Um-lveg nicht zu scheuen, entsprachen die Bootsleute gern, die mit der Abreise von Coröre gefällig und liebenswürdig geworden waren; waren sie jetzt doch Ebadul's Einflüsse schon entzogen. Es würde zwar durch den heftig wehenden Nordwind ein starker Seegang dort erregt werden, und es sei fraglich, ob wir überhaupt in den Hafen einlaufen könnten; aber wenn ich mich vor einem Bad ini Meere nicht fürchte, so seien sie bereit, die Landung zu versuchen. Mcine Antwort kann man sich denken; so ging es mit fliegenden Segeln hinein in die Bucht, welche gänzlich durch eine Ncihe hoher KalMippcn geschlossen zu sein schien. 18* 276 ^- Zweite Rch'c nach dnn Sübtti. Immer härter wurde der Wind, und immer aufgeregter schlugen die Wellen um unser Boot. Nun mußte der Mast niedergelegt werden, da man des dünneu Bodens wegen nie segelnd landen kann ^ die Gefahr des Zerschellens wäre gar zu groß. Dabei schlngen die Wellen schon heftig in das Amlai herein. Jetzt waren wir mitten in den: Strome, der mit großer Heftigkeit durch ein bisher verborgen gebliebenes Thor schoß, welches Urulong von der nächsten Insel trennte; dann öffnete sich der Hafen mit dem Blick auf eine Sandfläche in seinem Grunde. Dort hatte Wilson sein Zelt aufgeschlagen und sein Schiff gezimmert; von dort aus waren seine Genossen ausgezogen, Ebadul in seinen Kriegen zu unterstützen, und an jenem hohen Baume, der wegen seiner majestätischen Schönheit vor allen andern auffiel, mußte die Gedenktafel zu siuden sein, die Wilson in ihn eingelassen hatte vor seiner Abreise. Aber ach! ich sollte den Ort nicht betreten. Die tiefe Ebbe, das furchtbar aufgeregte Meer verhinderten uns am Einlaufeu; wir hätten sicherlich uuser Amlai an den großen Felsblöcken, die überall aus dem Meeres-schaume hervorstarrten, zerschellt. Je tiefer wir in den Kanal einfuhren, um so wilder wurde das Spiel der Wogen, von allen Seiten schössen sie in unser Amlai herein, und die Leute ruderten aus Leibeskräften. Endlich waren wir gerettet, die Thore öffneten sich, und mit dem freien Blick auf das westlich vor uns liegende Meer trat der eben noch so wild sprudelnde Strom in ruhiger Breite in die gegen Wind und Seegang durch die Inseln geschützte See. Noch wollte ich den Versuch nicht aufgeben, Urulong zu betreten; wir legten deshalb an der Westseite an einem kleinen Einschnitt an, den hier die Brandung in die Felsen geschnitten hatte. Ein eigentliches Ufer fehlte vollständig, schroff stieg der Kalk fast zu Manneshöhe über dem Meere empor; dann aber folgte eine dem Blick ziemlich glatt aussehende geneigte Fläche, die sich nach oben in das Buschwerk verlor. Hier sei die einzige Stelle, meinten die Die Insel Urulong. 377 Leute, von welcher aus es möglich sein würde, über die Klippen hinweg in das Innere der Insel zu gelangen; aber ich solle nicht allzu lauge mich auf dem Wege aufhalten, denn wenn plötzlich ein West- oder Südwind einträte, so sei unser Amlai rettungs-los verloren. Nnn sing ich au zu klettern. Schon der erste Schritt kam mir theuer zu stehen; eine scharfe Kante des Felsens riß mir eiu tüchtiges Loch in die Hose, und der Aermel meiues Hemdes ließ einen großen Fetzen an einem struppigen Busch hängen. Was ich von unten für eine ebene, von Gras bewachsene Fläche, gehalten hatte, zeigte sich nun als ein Feld von lauter Nadeln, deren Tücken nur schlecht verhüllt wurden durch das zwischen ihnen hervorwuchcrude Gras. Wer nie gesehen hat, zn wie unzähligen kleinen Spitzen uud Zacken von äußerster Härte die Tageswasser ein gehobenes Korallenriff anfzulöseu vermögen, der kann sich nur schwer eiuen Begriff machen von der Qual, welche selbst dem beschuhten Fuße das Gehen auf Klippen bereitet. Hier fehlte auch jeder Halt für meine Hände, denn die einzeln stehenden Pandanusbäume und Casuariuen waren rings umgeben von einem dichten Wald stachelichter Gebüsche; Stämme und Zweige und Blätter, alles lief in eisenharte scharfe Spitzen ans, ja selbst das hohe Gras, an dessen Büschel ich mituuter eiue Stütze zu gewinnen suchte, schnitt mir in die Finger ein wie scharfes Glas. Kaum fünfzig Schritte Weit gekonnneu, sah ich schon ein, daß ich mein Vorhaben aufgeben mußte, denn auch meine Schuhe zeigten die bedenklichsten Spuren. Was ich meinen Händen und Beinen zu Liebe nicht gethan, das that ich um dieser willen — ich kehrte um, denn außer dem einen Paar, das ich trug, besaß ich nur noch ein zweites. Wir Europäer thun uns so viel zugute auf unsere Unabhängigkeit; wie beneidete ich nun den Eingeborenen, dessen nackte Sohlen die Qualeu nicht fühlen, denen wir, selbst durch die schützenden Stiefel hindurch, ausgesetzt sind. Um meine ver>-weichlichten Füße zu schonen, ließ ich ab von dem Spaziergang 278 X. Zweite Ncisc nach dcm Süden. nach dem Hafen von Urulong. Freilich nützte es wenig; denn vierzehn Tage später mnßte ich sie dennoch an das unbeschützte Gehen auf den Riffen gewöhnen. Daß ich besser gethan hätte, meine Schuhe hier gleich in Urulong zu ruiniren, sah ich leider Zu spät ein; nie wieder bot sich mir eine Gelegenheit, die Insel zu besuchen, an welche sich so manche trübe und heitere Erinnerung Zugleich knüpft. — Erschöpft kam ich unten an; meine Genossen lachten mich gutmüthig aus. Sie hätten sich das wohl gedacht, daß ich nicht hinauf kommen würde, meinten sie; wir Männer von Angabard seien die Klippen ihres Kokeal nicht recht gewohnt, und auch ihnen falle es schwer genug, sie zu ersteigen. Wenn das Erklettern dcr Kalkfelsen nicht so entsetzlich mühsam und schmerzlich wäre, so würden schwerlich auch jene Palmen mit ihren glatten und langen Stämmen auf den höchsten Spitzen ihrer Inseln im Süden thronen. Trefflich in der That waren diese edelsten aller Bäume — es schien eine Art, wilder Arecapalme zu sein, ähnlich derjenigen der Philippinen — durch das stachelichte Gestrüpp und das scharfe Gras und die Kalkklippen geschützt; und nirgends waren, außer eisenharten Casuarmen und einzelnen Pandanus, Stämme zu sehen, deren Nutzholz die Begierde der Eingeborenen zur Ueberwindung jener Schwierigkeiten hätte aufstacheln können. Fort ging es nun auf ruhiger, spiegelglatter See. Weithin gegen Westen — die Entfernung mochte etwa eine deutsche Meile betragen ^ sah ich die weiße Schaumlinie der Brecher am Außenriffe; gegen Süden verlor sie sich allmählich und schien sich eng an die südlichsten Inseln anzuschließen. In dem so umschlossenen Becken finden sich Zahlreiche Riffe, kaum an die Oberfläche des Meeres herantretend und meist abgestorben; gegen Westen uud Süden vereinigen sie sich mehr und mehr zu einer Fläche, welche fast ununterbrochen sich bis zur Insel Eimeliß hinunterzieht und die südlichen Inseln miteinander zu verbinden scheint. Durchschnittlich liegt sie nur 4 —ü Faden unter der Die Riffe von Eimeliß. 279 Oberstäche, und je weiter nach Süden zu, um so weniger von Kanälen durchschnitten. Von ihr steigen alle Inseln senkrecht empor, und bei der tiefen Ebbe und dem stillen, kaum vom Winde gekräuselten Meere konnte ich deutlich erkennen, wie sich an vielen Stellen der Kaltfels der Insel direct in die unter-meerischen Nifflächcn fortsetzt. Nur war hier ihre Beschaffenheit eine ganz andere. Während überall, wo der umgewandelte Korallenkalk den Einflüssen der Atmosphäre ausgesetzt ist, die Oberfläche in lauter Zacken dadurch aufgelöst wird, daß die weichern Theile des Gesteins durch den Regen ausgewaschen werden, die härtern dagegen in immer spitzer werdenden Säulchen stehen bleiben, hat unter dem Wasser der beständig von Süden und Südwesten hereindringenoe Seegang das Riff in eine nahezu horizontale und völlig glatte Fläche abgeschliffen, deren Steigen erst in der nächsten Nähe der Inseln bemerklich wird. Die Kanäle, welche wie mit einein Messer durch die isolirtcn Strömungen des tiefen Wassers in diese Kalkfläche emgcschmtten sind, Winden sich so stark und sind so schmal, daß ein größeres Schiff ihnen nicht zu folgen vermöchte; und auch sie sollen sich, wie mir meine Begleiter versicherten, allmählich gegen Peleliu zu verlieren. In Eimeliß, einer niedrigen, nur am Südeude von Kalksteinklippen umsäumten sandigen Insel mit spärlichem Vaum-wuchs, hielten wir kurze Mittagsruhe. Von hier aus liegt Peleliu fast genau gegen Süd, beide Inseln sind langgestreckt Und bilden einen weiten Bogen, dem aber das eigentliche Niff im Westen nicht parallel folgt. Von Eimeliß an tritt es nämlich in scharfer Biegung südöstlich gegen die nächsten Inseln zu und senkt sich allmählich bis Zur Tiefe der obenerwähnten Fläche Unter das Meer, sodaß sein Rand nicht mehr durch die Brandung bezeichnet wird. So kam es, daß wir ohne einen Riff-Übergang von Eimeliß absegelnd allmählich in immer tieferes, zuletzt dunkelblaues Wasser des offenen Oceans gelangten. An 280 X. Zwcitl> Rcisc nach dnn Süden. der ^iordspitze von Peleliu, dem wir uns nnn immer mehr näherten, erhebt sich das Niss, ganz eng den Krümmnngen des Ufers folgend, wieder bis znm Meeresspiegel, sodaß wir, gegen Sonnenuntergang an der Südspitze landend, abermals die hohe, durch den beständigen Seegang des offenen Meeres erregte Brandung zu überwinden hatten. Hier lag Argeutel, das Dorf, in welchem unser neuer Freund Omleblokl lebte. Dieser hatte nns Gastfreundschaft in seinem Bai angeboten, die wir anch. annahmen; aber die unzählbare Menge der Mosquitos trieb uns bald in das Haus seiner Familie zurück, wo wir, wenigstens nothdürftig durch den Nauch gegen die lästigen Fliegen geschützt, einigermaßen der Nuhe pflegen konnten. XI. Pclelilt. Die Nachricht meiner Ankunft hatte sich rasch über die ganze Insel verbreitet. Von allen Dörfern der Insel kamen am nächsten Morgen Männer an, mich zn besuchen; unter ihnen einer der ersten auch Tomuc. Ich gab ihm Arakalulk's Brief. Es dauerte ziemlich lange, bis er ihn gelesen; auch andere halfen ihm bei Entzifferung der Knoten. Doch schien alles in Ordnung zu sein, denn freundlich begrüßte er mich nuu als seinen Bruder und 8a,ka1ik (Busenfreund) und forderte mich auf, mit ihm nach Nasiaß, seiner Heimat, zu kommen, da er dort besser für mich sorgen könne. Heftiges Regenwetter verhinderte uns, gleich am ersten Tage dahin zu gehcn; am zweiten jedoch — den 19. November — ging die Sonne strahlend auf, und bald nachher !tellte sich Tomue ein, uns abzuholen. Argeutel (d. h. was in: Westen ist) liegt hart am Meere auf einer kaum zehn Fuß über dcm Meere sich erhebenden Ko-rallensandfläche, aus der hin und wieder niedrige Kalksteinfelsen hervorragen; gegen Nordwest schließen sich diese mehr aneinander an und bilden einen nach Norden zu der Küste parallel laufenden Kamm von verschieden hohen schroffen Klippen. In den Sand eingegraben liegt eine Unzahl Trümmer von Korallen 282 XI. Peleliu. und Muschelschalen^'); manche der letztern liegen so dicht an einzelnen Stellen, daß ich gleich an die Anhäufung durch Menschenhand dachte. Tomuc bestätigte mir diese Vermuthung. Allmählich steigt der Weg eine sanfte Anschwellung des Bodens hinan; überall, selbst in das dichteste Gebüsch hinein sah ich die Conchylieuschalen, Spuren früherer starker Bevölkerung sich erstrecken. Nach etwa halbstündigem Marsch erhob sich das Land in sanft ansteigenden Hügeln, die gegen Norden und Nordwesten hart an senkrechte, wol 2 — 300 Fuß hohe Kalksteinklippen anstießen. Auf ihnen war Nasiaß, ein ziemlich großes und recht reinlich gehaltenes Dorf, erbaut; zwischen den Niederungen der Hügel hin erstreckten sich ausgedehnte sumpfige Knkaufelder, in denen zahlreiche Weiber und Mädchen arbeiteten. Im trockenen Boden der steinigen Hügel, die nur eine ganz dünne Humusschicht trugen, gedieh der Camote vortrefflich, und nirgends hatte ich noch so große Stämme des Melonenbaumes, noch solche Fruchtbarkeit derselben bemerkt. Ganz kleine Bäume von kaum 3 Fuß Höhe trngen schon große Früchte; diese übertrafen in Süßigkeit und Wohlgeschmack alle Papayas, die ich bisher gegessen hatte. Eine mächtige hochstämmige Arnm-Art, Vissarc genannt, breitete hier ihre fußgroßen saftigen Blätter ans und mischte ihren Schatten mit dem der uralten Brotfruchtbäume und der schlanken Kokospalmen. Gelbe und rothe Blüten hingen in Fülle an den Vamnwollstauden, die, in den Gärten der Eingeborenen gepflanzt, sich zu mehr als Manneshöhe erhoben. So zeugte alles in der Nähe der Dörfer von der größten Fruchtbarkeit des Bodens. Im Hintergrunde traten aus dem saftigen Grün der Bäume und des niedrigen Gestrüpps graue oder blendend weiße Kreidefelsen hervor, an deren Vorsprüngen stachelichte Büsche hingen mit sperrigen Aesten; nur auf dem *) Es sind „Kjökkemnöddingcr", Klichenllbfiille, wie sie auch sonst uor-kommen. Das Land uu: Nasiaß. 283 Gipfel standen einzelne Waldbänme, das niedrige dichte Unterholz hoch überragend. Mövcn umkreisten spielend und kreischend diese Höhen, und mitunter schoß, einem Blitzstrahl gleich, ein blendend weißer Vogel zwischen dem grünen Laub hervor, sich tief niedersenkend, um dann in pfeilschnellem Fluge der Sonne entgegenzustreben. Es war ein Tropikvogel, der Karamlal, dessen lange Schwanzfedern vom reinsteil Weiß bei religiösen Festen und in den Kriegen eine große Nolle spielen. Es ist den Eingeborenen dieser Vogel das Sinnbild der Schönheit und Gewandtheit. — Auch das Iunere der Wohnungen wie der Bais gefiel mir, sie waren sauber gehalten; ein einzeln stehendes, im Baustil abweichendes Haus zeigte sogar einigen ornamentalen Schmnck, und die kleinen rothbemalten Wohnungen ihrer Hausgötter sahen alle frisch und wohlgepflegt aus. Als nun gar Tomuc mir versicherte, daß es hier keine Mosquitos gäbe, entschloß ich mich gern zur Uebersiedelung in das Dorf und Haus meines neuen Bruders. Er selbst ging flugs nach Argeutcl, um unsere Sachen zu holen; wir aber schlenderten im Dorfe umher, begleitet von einigen Mädchen und Knaben, mit denen wir rasch Freundschaft geschlossen. Mein erster Besuch galt natürlich den Nupacks des Staats; doch trieb mich die steife Förmlichkeit dcr Vornehmen bald wieder zum Bai hinaus. Man hatte mir gesagt, ich müsse auch dem Kalid meinen Besuch abstatten, es sei ein mächtiger Mann, und wenn es mir gelänge, mir diesen zum Freunds zu machen, so würden auch die übrigen Unpacks zutraulicher werden. Um also nichts zu versäumen, ließ ich mich gleich zu ihm hinführen. Ich fand den alten gutmüthig aussehenden Mann in jenem geschmückten, roth, weiß, gelb und schwarz bemalten Hause sitzen, das nur früher schon durch seine eigenthümliche Bauart aufgefallen war. Im Grundriß war das Gebäude achteckig mit zwei längern Seiten; ein achteckiges Dach wurde oben durch einen Giebelanfsatz abgeschlossen, dessen zwei schmale Giebelseiten dcn 284 XI. Pelclitt. beiden mittlern kurzen Seitenwänden des Gebäudes entsprachen. Das Innere war ebenso eigenthümlich. Während sonst in den Wohnungen der Eingeborenen gar keine Abtheilungen anzutreffen sind, ward hier der innere Raniu durch vier mächtige Pfeiler durchsetzt, welche den obern Giebelban und in etwas mehr als ManneZhöhe einen allseitig abgeschlossenen, mit Fenstern nach vier Richtungen versehenen Vretcrverschlag trugen, der — ein Haus im Hause — mir als der Aufenthaltsort des eigentlichen Kalid, d. h. des Gottes bezeichnet wurde, welcher sich jenes Mannes von Zeit zu Zeit als seines Sprechorgaues bediente. Der Kalid — der leider diesmal nur gewöhnlich menschlich sprach — erzählte mir, daß in dieser Weise alle Häuser gebaut gewesen seien zu jener Zeit, als uoch lauter Kalids die Inseln bewohnten. Mit ihrem Auszug nach dem Himmel sei auch ein neuer Stil im Bau der Wohnungen eingeführt; denn so wenig die Menschen bei ihnen aufrecht gehen und sich den Kopf mit Hüten bedecken dürften — ein Vorrecht der Götter sei dieses — so wenig sei es den Menschen gestattet, ihre gewöhnlichen Häuser im Stile der Götterwohnungen anfzu-sühren. Nur die Kalids, die mitunter noch vom Himmel herunterstiegen, um unter den Menschen zu wohnen und für die Aufrechthaltung der guten alten Sitte zn sorgen, vermöchten den Männern, in deren Leib sie führen, das Necht zu geben, solche achteckige Häuser aus Planken zu bauen. — Ucbrigens scheint allmählich auch diese Sitte schon zu verschwinden; denn in Coröre bewohnte der sonst doch so geachtete Kalid des Ortes ein gewöhnliches Haus, und auch in Pelelin fand ich später einen solchen, dessen Wohnnng nichts Besonderes zeigte. Aber auf den Balken, die ich in Aibnkit und Kreiangel mir genauer angesehen hatte, erinnerten manche der Abbildungen gar sehr an diesen Tempel in Nasiaß. Es galt nun die Zeit zn nutzen, denn eine Woche schon war verstrichen, sodaß mir höchstens noch vier bis fünf Tage Die Klippen oon Orocoll. 285) für die Untersuchung der Insel blieben, wenn ich zur rechten Zeit wieder in Aibutit eintreffen wollte. Ich hatte deshalb bereits für den nächsten Tag (20. November) mit Tomue eine Excursion verabredet uach Orocoll, einem an der Nordwestküste der Insel liegenden Dorfe. Wir wanderten zuerst in fast nördlicher Richtung über die Hügel des Dorfes den Kalksteinklippen zu und bogen dann in eine wilde Schlucht zwischen ihuen ein. Nun wurde der Weg entsetzlich beschwerlich; denn überall ragten aus dem steinigen, fast ganz von Erde entblößten Voden messerscharfe Spitzen des vom Negen durchfressenen Kaltsteines hervor und schnitten mir tiefe Köcher in meine Stiefel und Füße ein. Trotz der Menge des Regens, die hier zu fallen scheint, und un-geachtet der umgebenden Berge zeigte sich, ganz im Gegensatz zu den trachytischen Inseln des Nordens, nirgends ein Vach, und das einzige süße Wasser auf der Insel ist dnrchsickerndes Negen-Wasser, das sich in den tiefsten Löchern und Höhlen in Meereshöhe oder auf den sumpfigen Kukaufeldern sammelt. Bald stieg der Weg steil die Klippen hinan, zwar gebahnt, aber doch rauh und beschwerlich wegen des ganz steinigen Bodens und der scharfen Kanten der Steine. Hoch oben in 2 — 300 Fuß Höhe fand ich ein etwa fnßgrohes Stück des Felsens, das noch ganz seine Korallenstructur behalten hatte. Vom höchsten Gipfel durch eine tiefe Schlucht getrennt, stiegen wir nun einen Kamm hinan auf schmalem, furchtbar zerklüftetem und steilem Wege; den Ziegen gleich mußten wir das letzte Stück erklettern. Unsere Mühe aber wurde reichlich belohnt. Auf der breitcu Fläche des Kammes wucherte in üppiger tropischer Fülle Gesträuch, und Schlingpflanzen aller Art umrankten mächtige Stämme uralter Brotfruchtbäume, die ich da oben nicht Zu finden erwartete. Auch zahlreiche Melonenbäume standen hier in einer Fülle der Früchte und des Wachsthums, welche selbst die von Nasiaß noch übertraf. Nnr 1'/^2 Fuß hohe, kaum singersdicke Stämme trugen schon zahlreiche goldgelbe Früchte, daneben standen andere 286 - XI. Peleliu. haushohe von mehr als 1 Fuß Durchmesser mit einer großen Menge kleiner, auch Früchte tragender Ncbenäste/') Hier mußten offenbar Menschen gehaust haben; und richtig, nach wenigen Schritten schon kamen wir an einen der großen gepflasterten Plätze, auf denen hier und da auch einige der mächtigen Steine aufrecht standen, die überall die Bais der Eingeborenen umgeben. Die meisten derselben waren freilich schon umgefallen und längst überwuchert von dem Gebüsch; auch von den Häusern war keine Spur mehr zu finden. Schön gepflasterte Wege führten überall in den Wald hinein; einem derselben folgend entdeckte ich doch noch ein paar elende Häuser, ganz versteckt in dem alles überwuchernden Gestrüpp. Keine Seele darin; doch schienen Menschen in ihnen zu wohnen. Nun führte mich Tomuc noch einige Schritte weiter nach Westen zu und auf eine kleine Fläche des Felsens hinaustretend öffnete sich mir ein gewaltiger Ausblick auf den Stillen Ocean. Scheinbar unter mir schlug die Brandung — es war Springflut — an das Ufer, und auf dem schmalen ebenen Saume, der den senkrecht abstürzenden Felsen umgab, wechselten Kukaufelder und Kokoshaine miteinander ab, zwischen denen hindurch ich hier und da ein braunes Dach oder den buntbemalten Giebel eines Bais erkennen konnte. „Dies hier ist ein berühmter Ort", fing Tomuc mir zu erzählen an. „Früher stand hier ein großes Dorf, du hast die großen Steine da oben gesehen. Aber wir lebten nicht darin, sondern nur dann, wenn wir im Krieg mit Coröre waren. Jetzt nützt uns der Fels nichts mehr, wir sind zn schwach, unsere besten Männer sind uns alle gestorben, und seitdem die *) Meistens bringt die Papaya (s'-n-ick paMM I..) nur einen Stamm hervor, dessen Spitze die pilzförmigc Blättcrkrone rasch entsteigt; wenigstens habe ich während meimr langjährigen Wanderungen auf dm Philippinen nur solche gesehen. Ebenso gebildet waren sie im Norden der Palans; nur hier im Süden und anf dcm Gipfel dieses Felsens hatten alle ältern Bäumc mehrere Zweige, deren jeder seine eigene Blätterlronc trug. Die sschttiwarte. 287 Ingleses wieder so oft nach Coröre kominen und dorthin Flinten und Pulver bringen, können wir uns nicht mehr vertheidigen. Als wir aber noch mehr Menschen in den Dörfern hatten, — so erzählt man uns, ich selbst lebte noch nicht — da wurden viele blutige Kriege geführt, und wenn die Feinde gar zu mächtig waren, daun brachten wir unsere Sachen und Weiber und Kinder hier oben herauf und wohnten hier oder in deu Höhlen der Felsen, dann konnten sie uns nichts mehr thun. Es gibt nur zwei Wege da herauf, die aber sind so steil und eng, daß jeder von ihnen durch ein paar Mann leicht vertheidigt werden kann. Jetzt sind die Häuser verfallen, denn wir sind nun Freunde von Coröre und brauchen diesen Ort nicht mehr." — „Aber wozu sind denn die beiden kleinen Häuser hier neben uns? Da scheinen doch Menschen darin zu leben." — „O ja", erwiderte jener, „es sind auch gewöhnlich einige Leute hier oben, aber nur um auszusehen nach Schiffen auf dem Meere. Alle Schiffe, die von Angabard kommen oder dahin gehen, müssen hier vorbei; von hier aus haben wir auch euer Schiff erkannt, als ihr so dicht an der Insel vorüberfuhrt. AIs früher unsere Leute uoch muthiger waren, da haben sie auch einmal ein spa-uischcs Schiff genommen und auf den Strand gezogen; ich weiß aber nicht warum. Nun thun wir das nicht mehr, wir sind jetzt besser geworden. — Doch jetzt komm, der Weg ist beschwerlich. Orocoll scheint zu unsern Füßen zu liegen, aber wir haben noch weit dahin." Und nun ging an der senkrechten Felswand hinuuter ein Klettern mit Händen und Füßen los, daß ich mich voller Erstaunen fragte, wie es nur möglich sei, Bambusrohre mit Wasser gefüllt oder Körbe voll Kukau dort hinaufzubringen — und doch mußten sie dies früher gethan haben, weil oben alles Wasser fehlt und Kukau nur in den sumpfigen Niederungen gedeiht. Müde und zerschlagen an allen Gliedern kamen Gonzalez und ich im Dorfe an, und gern ließen wir uns von Tomue in 288 XI. Pelcüu. das gastliche Haus feines Freundes führen. Nach kurzer Nast und eingenommener Mahlzeit durchwanderten wir das Dorf; auch hier, wie hoch oben auf der Felsenwarte, fanden wir die deutlichsten Spuren des ärgsten Verfalls. Weithin in das Gebüsch konnte man die gepflasterten Wege verfolgen; jetzt mochten höchstens noch acht bis zehn Häuser in dem ganzen Dorfe zu finden sein. Gingeladen wurde ich freilich auch hier mit großer Freundlichkeit, aber ich ließ mich dennoch leicht durch Tomuc bereden, wieder mit ihm au: Nachmittag in sein Dorf zurückzn-kehreu. Schwer genug ward nur der Weg, die Klippen hinan und wieder hinunter — kein anderer führte nach Nasiaß zurück; mehr kriechend als gehend, gestützt auf Tomue, kam ich mit ganz zerschuitteuen blutenden Füßen in unserer Wohnung au. Dieser Spaziergang hatte mir das eine Paar meiner Stiefel gekostet; nun blieb mir noch ein zweites, das schon in Urulong stark gelitten hatte. Wie lange das wol noch halten wird? Die Nacht brachte ich fast schlaflos zu, so schmerzten mich meine Wunden. Daran war nicht zu denken, am nächsten Morgen auszugehen; mit dick geschwolleneu Füßen lagen Gonzalez und ich den ganzen Tag im Hause. Am Nachmittag kroch ich, gestützt auf Tomue uud ohne Schuhe, bis zu den: unterirdischen Süßwasserteich, um mich zu badeu. Ich hatte davon Heilung erwartet; aber am uächsten Tage waren die Füße noch schlimmer, alle Wundcu fingen an zu eitern. Gonzalez hatte ebenso zu leiden. Unsern neuen Freunden freilich gefiel unsere Gefangenschaft gar sehr; konnten sie nun doch ihre Neugierde mit Muße befriedigen! Ich kam mir vor wie ein wildes Thier im Käfig; beständig wechselten die Zuschauer, einige gaben mir auch etwas zu esseu, aber die meisten wollten etwas von mir erhalten. Ich mußte also doch etwas Zutrauenerweckendes in meinem Wesen haben. Zuerst beruhigten mich die Frauen über meine Füße-„Diese Wunden haben nichts zu bedeuten", sagte mir Atiwakid Ebadnl's Kriegsgefangene. 269 (d. h. über den Berg), die Frau meines Tomue, „daran leiden alle Fremden, die zum ersten male nach Peleliu, kommen. Das macht das Wasser und die vielen Steine. Die dummen Dinger, deine Füße, die du ausziehen kannst, wenn dn willst, nützen dir hier doch nichts, die sind bald zerschnitten, und dann mußt du doch gehen wie wir." Ich meinte, es würden meine Schuhe wol noch so lange vorhalten, bis ich abreiste von hier. Da blickte mich meine Wirthin erstaunt an. „Abreisen? warum? Ich dachte, dn wärest hierher gekommen, weil es dir hier bei uns gefällt?" — „Nun ja, es ist hübsch in cnerm Dorfe, und ihr seid gut gegen mich — aber meine Frau wartet in Angabard auf mich, und iu fünf Tagen muß ich abreisen von hier, denn sonst fährt Cabel Mnl fort und läßt mich vielleicht in Peleliu zurück." — „Nun, eine Fran, Doctor, soll dir bei uns auch nicht fehlen; und wenn Era Kaluk dich hier nicht holt, so wirst du bei uns bleiben müssen. Da kommt gerade Tomm' und mit ihm ein Rupack; die werden dir gleich sagen warum, wenn du sie fragst." Traurig freilich lautete die Antwort, als ich die beiden fragte, wann ich wol cm Amlai erhalten könne, um nach Aibukit zurückzufahren. Das ginge nicht, sagte man mir; Ebaoul habe ihnen strengen Befehl geschickt, mich gut zu behandeln, aber auch mich nie außer Augen zu lassen und mich, wenn ich Peleliu verlassen wolle, nicht nach Aibukit zurück, sondern zu ihm nach Coröre zu bringen. Ich dürfe unter keinen Umständen wieder hinauf nach Aibukit; wenn Cabel Mul mich hier abholen wolle, so hätten sie nichts gegen meine Abreise nach Angabard; sonst aber müsse ich hier bleiben. Wir waren also Kriegsgefangene Ebadul'Z! Gonzalez und ich sahen uus erstauut einer den andern an; wir mußten zuerst laut auflachen. Ader bald verging uns die lustige Laune; wenn nun durch irgendeinen unvorhergesehenen Zufall doch Kapitän Woodin gezwungen würde, direct nach Manila zu fahren und uns zurückzulassen? Man kann sich denken, daß der Verlust L90 XI. Pclclm. unserer Freiheit den Schmerz an unsern Füßen nicht linderte. Visher hatte ich gegen jeden Kummer in der Bewegung und Aufregung ein gutes Mittel gefunden; nun war auch dieses anzuwenden mir versagt. Mürrisch und unwirsch, wie ich im Lauf der nächsten Tage wurde, kamen nur Tomue und seine Landsleute viel schlimmer vor, als sie in Wirklichkeit waren; in solcher Stimmung schrieb ich am 26. November, also am sechsten' Tage meines gezwungenen Aufenthalts im Hause, Folgendes in mein Tagebuch: „Das Volk von Peleliu ist das faulste unter allen im Lande; solange ich hier im Lande bin, sind die Männer erst ein einziges mal als Clöbbergöll zum Fischen gegangen, an den übrigen Tagen thaten sie gar nichts anderes als schlafen, essen und schwatzen; von einem Haus ms Bai, von da wieder in ein Haus -— 6i uiLii! —, das ist ihr Leben. Tomuc gefällt mir gar nicht, er ist faul wie die andern, verspricht sehr viel und thut wenig und sagt offen, daß ihm unsere Sachen gefallen würden, aber nur, wenn er sie geschenkt und ohne Arbeit erhalten könnte. Mit solchem Volke zu leben, abhängig von ihnen in jeder Beziehung, in den elenden niedrigen und raucherfüllten Hütten und belästigt von der unverschämten Neugier der Bewohner, die mich jeden Tag besehen wollen wie ein wildes Thier — das ist eine Qual, die nur der verstehen kann, der dies Volk und seine Lebensweise kennt. Meine gänzlich hülflose Lage — da ich Peleliu nicht zu verlassen vermag — zwingt mich, dies zu ertragen, abhängig, wie ich bin, von Kapitän Woodin und der Gnade der Bewohner. Was mich fast am meisten empört, ist die Unverschämtheit, mit der sie uns unsere Sachen abverlangen, aber immer von der Hand weisen, zu lernen, sie zu machen. Es ist hier im Hause ein hübscher Korb aus Neu-Guinea, der einst mit einem Canoe angetrieben kam, alle sagen, daß er uuB ^1W (schönes Gut) sei; aber keiner hat sich je die Mühe gegeben, ihn nachzumachen. Ihre Antwort Nachricht von Aibutit. 2^1 auf die Frage, warum dies nicht geschehen sei, war: sie seien zu dumm dazu. Verlangt man von ihnen ihre eigenen Sachen, so ist die beständige Antwort: Klo nmkrlmg (das ist sehr kostbar), und uns fordern sie sogar unsere Kleider, die wir am Leibe tragen, ab, und wenn wir sie nicht geben, so schelten sie uns schmuzig." Ein Gutes aber hatte mein langer Aufenthalt in dem Hause doch. Ich lernte die Menschen näher kennen, mit denen ich noch so lange zu leben haben sollte, und in meinen Gesprächen erfuhr ich gar manches über ihre Sitten, was mir von Nutzen war zur Deutung alles dessen, was ich erlebte. Allmählich singen nun auch die Wunden zu heilen an, und meine nackten Füße, die ich täglich auf kleinen Spaziergängen im Dorfe übte, gewöhnten sich rascher, als ich erwartet hatte, an das Gehen auf dem steinigen Boden. Absichtlich schonte ich mich in der letzten Woche des November. Meine Freundinnen aus dem Hause hatten mir nämlich erzählt, daß nächstens wieder Vollmond sei, dann wäre in den hellen Mondscheinnächten ein munteres Leben auf dem Platze „Atamau". Knaben und Mädchen zögen dann hinaus, mitunter auch die jungen Männer, um da ihre Tänze zu tanzen und muntere Spiele zu üben; ich solle doch auch hinkommen, ich würde mich gewiß an dem schönen Mondschein und ihren Spielen erfreuen. Am 3. oder 4. December mußte der Vollmond eintreten; ich unterließ also alle Excursionen, um ja an diesen Mondschemfesten mit theilnehmen zu können. Da auf einmal kam ein Hoffnungsstrahl, der mich den Mondschein und das junge Volk mit seinen Spielen momentan vergessen ließ. Am Abend des letzten November erhielten wir die Nachricht aus Aibukit, unser Schooner sei bereits einmal ausgelaufen, aber eines Lecks wegen wieder am Außenriff vor Anker gegangen. Dies erklärte das unbegreiflich lange Ausbleiben des Schiffes — schienen mir doch die vier Tage, die 19* 29^ XI. PMiu. bereits über den äußersten Tennin verstrichen waren, eine Ewigkeit zu sein! „Nun kanu es doch nicht mehr lange dancru", sagte ich zu Gonzalez, „am Anßenriss ankert das Schiff, nach einer andern Nachricht soll es sogar schon wieder abgesegelt sein; dann muß es morgen kommen. Wenn ich doch nnr jetzt gc-sunde Füße hätte, um den Felsen dort zu ersteigen; von seiner Höhe mnß utan das ganze Meer überblicken können." Aber der nächste Tag verging, und das erlösende Schiff erschien uns nicht. Mehrmals schickte ich Tomuc anf die höchste Spitze der Klippe Atöllnl; jedesmal aber rief er uns von oben zu, er sähe nichts. Am Abend des 1. December legte ich mich trauriger nieder denn je zuvor, und an den Mondschein mit seinen Festen dachte ich nicht mehr. Auch der zweite Tag verging so, und noch einer — Kapitän Woodin kam uicht. Sollte ihm wirklich ein Unglück zugestoßen sein? Was dann? — Nnn, einmal war ich ja schon Era Tabatteldil; was ist's denn weiter, wenn ich dies zum zweiten mal und auf länger werden soll? Nachgerade bin ich auf alles gefaßt; dies Jahr hat mir schon eine solche Fülle von widerwärtigen Erlebnissen gebracht, mich schon so sehr des Gedankens entwöhnt, meines eigenen Lebens Herr zu sein, daß auch das Schlimmste ohne großen Eindruck bleiben würde. Das einzige, was mich bei dem befürchteten Unfall der Lady Leigh wirklich tief berühren würde, wäre der Verlust meiner Tagebücher, der Sammlungen und Instrumente; dann müßte ich sicherlich, wenn es mir schließlich auch gelänge, nach Manila zu kommen, wol augenblicklich, viel, viel früher, als es in meinen Planen gelegen, nach Enropa zurückkehren. Wie wurde mir doch so kalt bei diesem Gedanken! — „Komm, Doctor, Era Tabatteldil, komm zum lULlil n, du^öl" (Spielen im Mondcnschein), so stürmten einige Buben und Mädchen auf mich ein am Abend des 5. December; „du brauchst auch nicht zu tanzen, wenn du keine Lust hast." — „O doch, geht nur voran, ich komme schon nach." — „Nein, nein, du Der Nattcntanz. 29)'> nmßt gleich mit. Doctor; siehst du, '.vie schön der Mond scheint? Nasch hin znm Alamau, die andern sind schon alle dort." — Laut schreien die Ausgelassenen in die Nacht hinein: „Doctor kommt. Doctor will auch tanzen. Doctor ist so weiß wie der Mond; auf dem Alamau haben wir nun zwei Monde." Und unter Juchzen und Singen, in tollen Sprüngen mich umgan-kelnd, zieht mich das jnnge Volk fort auf den Platz. Im vollsten Mondenlicht — nicht kalt, wie in unserm Norden, ist der Mond der tropischen Nächte — glänzt der Alaman vor dem Vai; anf ihm ein munteres Getümmel. „Doctor ist da, komm her, Doctor, Gonzalez", so tönt es von allen Seiten. „Willst dn unsern Nattentanz lernen. Doctor?" Und gleich nmringt mich eine Schar von zwanzig, dreißig Buben, sie ziehen mich seitwärts nnd ordnen sich in zwei langen parallelen Reihen, die Gesichter einander zugekehrt. „Das sind die Ratten von Nganr. Nun aufgepaßt. Doctor, in die Hände klatschen mußt dn nnd mit nns singen: ^iuk«, wnl«,!, «la ^ va.l'cl. l^-je." Und mit wüthendem lautem Aufschrei setzt sich nun die ganze Doppelreihe der Knaben — Mädchen tanzen den Nattcntanz nicht — in die Hocke, und sich in den Knien wiegend, den Oberkörper hebend und senkend, wobei sie sich hinten derb mit ihren eigenen Händen schlagen, tanzen sie zwei Takte, dann springen sie aufeinander zu, immer in derselben Hockstellung, und schlagen wieder im Nhythmns zwei Takte hindurch sich gegenseitig lant schallend in die Hände. Dann wieder znrück, wieder vor, immer rascher im Takt; bald springt einer seitwärts oder ganz dicht anf seinen Gegner heran. „Doctor tanzt den Nattentanz", ruft alles gellend über den Platz hin, „Doctor ist eine Natte, Natte" — hier fällt einer vor Erschöpfung um, dort ein anderer — immer noch bewegen sich die beiden Reihen in gleichem Rhythmus abwechselnd sich nähernd nnd wieder sich entfernend. „Doctor ist eine treffliche Ratte, aber Gonzalez nicht, Doctor, Natte, Doctor, Natte" — nnd endlich liegt alles 294 XI. Pelelili. am Boden und Nutten unter ihnen Doctor, der sich wälzen möchte vor Lachen! Und weit in das Dorf hinein schallt das Geschrei der ausgelassenen Vnben: „Doctor ist eine schöne Ratte geworden, eine schöne große weiße Natte! Uji!" Erschöpft lasse ich mich cmf einem Steine nieder; flugs bin ich umringt von einer Schar von jungen Weibern, darunter auch Atiwakio, meines Bruders Frau. „Ist unser Mond nicht schön. Doctor? Wir wollen dir auch unsern Mondscheintanz zeigen. Ihr da, ihr Freundinnen, tanzt doch den Tanz der Angadeke einmal, ich setze mich zu Doctor, ich will ihn erklären. Rasch, stellt euch im Kreise." In gleichmäßigem, langathmigem Rhythmus sangen nun die Weiber, ihre Arme langsam und gemessen hin- und herschwingend. Ich verstand die Worte nicht, aber Akiwakid kam mir zu Hülfe. „Sie erzählen die Geschichte von Angadewo, Doctor. So heißt ein Kalio, der hier in Palau lebte — damals, als sie noch nicht nach dem Himmel gegangen waren — das war ein sonderbarer Kalid. Er wollte sich nicht verheirathen; aber Angadeke war sehr in ihn verliebt. Viele Monate suchte sie ihn vergeblich auf, sie konnte ihn nirgends treffen, da er immer noch zur rechten Zeit sie kommen sah und ihr zu entwischen verstand. Einmal aber gelang es ihr doch. Sie überraschte ihn, als er gerade auf einem Vanme saß, Früchte essend. Nun war er gefangen. Da sagt sie ihm: <^nM<^n'0, in0 i-lM8kak» (Angadewo, gib mir Buyo zu kauen). Aber er hört nicht auf sie. Sie bittet ihn nochmals um Buyo, er antwortet .wieder nicht. Nun wird sie ungeduldig und fängt an zu tanzen. Hörst du, eben rufen die Weiber dort: «^ngacinvo, na!»" Nun beginnt ihr Tanz. „^n^äono, morgu-rio, kamani-li-ti-aä(M N6n" (Angadewo, komm herunter, laß uns die Schildkröte feiern), so schreien sie alle wild durcheinander; in Reihen haben sie sich aufgelöst und mit dem Gesicht gegen den Mond zu gewendet, springen sie nun, ihre Schürzen auf- und niederschlagend, vorwärts und rückwärts, immer toller, immer ausge- Die schölun Zeiten des Angadewo. A95 lassener und ungebundener werden ihre Sprünge — man muß sie sehen, sie lassen sich nicht beschreiben. „Und hat Angadeke ihr Ziel erreicht?" wollte ich Akiwakid fragen, die aber hat sich auch unter die Tanzenden gemischt und springt mit ihren Frenn-dinnen im wildesten Jubel herum, bis sie endlich erschöpft und keuchend sich niederlassen auf den Nasen zur kurzen Rast. „Nun, Doctor, wie gefällt dir der Tanz des Angadewo?" fragt mich ein junger Bursche; aber ohne die Antwort abzuwarten, fährt er fort: „Ja ja, das war noch eine schöne Zeit, als die Kalids auf der Erde lebten. Die hatten es besser als wir jetzt. Uns wird es oft schwer, eine hübsche junge Frau zu gewinnen; damals aber machten die Mädchen den Männern die Liebeserkläruugeu. Aber die Kalids wareu auch viel klüger, als wir es sind. Sie haben uns die Segel setzen gelehrt und das Fischen mit Netzen, sie haben uns immer unsere schönen Sachen gearbeitet, die wir selbst nicht machen konnten. Wir gaben ihnen freilich unser einheimisches Geld dafür. In Tomuc's Hause kannst du noch etwas schell, was die Kalids gemacht haben, es ist ein kuustvoll gearbeiteter Schreiu (oasa) zum Aufbewahren der Speisen. Die meisten davon sind jetzt schon zerbrochen; früher war in jedem Hause ein solcher. — Da ruft mich jemand, ich komme" — fort springt er, kehrt aber bald mit noch einigen jnngen Männern wieder. Sie haben alle Stöcke in den Händen von 2 Fuß Länge. „Wir wollen dir anch einen Tanz zeigen, Doctor", beginnt mein junger Frcund, „einen Tanz von Völulakap (Jav). Die Männer von dort sind sehr geschickt, sie haben viele schöne Tänze, und klug sind sie anch; wir haben viel von ihnen gelernt jedesmal, wenn sie kamen, um ihr Geld, die Vola-Bola, von hier zu holen. Ihren Stcckentanz wollen wir dir tanzen." Nun schlössen acht Männer einen Kreis und versuchten zuerst den Takt durch eine vom Vorsänger gesungene Strophe Zu fixiren. Bei der Wiederholung begannen sis den Tanz. Er 296 XI. Pclcliu. ist unschön, aber interessant wegen der großen Geschicklichkeit, mit welcher die Tänzer, in den mannichfachsten Fignren sich durcheinander hindnrchwindend, mit den zwei Enden des knrzen, in der Mitte gefaßten Steckens an die der Stecken ihrer beiden Nachbarn anschlagen. Sie thaten dies mit einer solchen Sicherheit, daß mit seltenen Ausnahmen alle acht Stöcke immer gleichzeitig aufeinandertrafen nnd so einen einzigen, den Rhythmus des begleitenden Gesanges markireiiden Schall erzeugten. Wie sich für Männer geziemte, wurde er mit großer Würde getanzt; nur hin und wieder ertönte ein kurzes Lachen oder ein zorniger AnZruf, wenu ein ungeschickter Tänzer einmal den Stock seines Nachbarn verfehlte. Nur bei den Pantomimen der sitzenden Franen — wie ich sie bei Aituro's Kraukeufest in Coröre geseheu hatte — sind die Bewegungen ihres Körpers oder ihrer Glieder harmonisch und graziös; mit der tollen Ausgelassenheit aber, welche bei diesen Mondscheinspielen in die ganze jugendliche Bevölkerung fährt, werden ihre Vewegnugen nnschön und hart, ja widerlich mit-uuter. Gemildert freilich ist dies alles durch das sanfte Licht des Mondes, das die allzu große Schärfe der Bewegungen durch die tiefen Schatten verdeckt. Und so macht das Ganze doch einen angenehmen Eindruck. Die Kinder uud halberwachsenen Leute sind unermüdlich in ihren Spielen, dabei herrscht die ungebundenste Willkür — die alles meisternde Sitte ist machtlos zur Vollmondszeit auf dem Alamau — aber nie kommt ein Streit vor, alles wird mit Scherzen abgemacht, und unter Lachen, Springen, Singen und Tanzen bringen sie die ganze Nacht bis zum Untergange des Mondes zn. Wahrlich, hier bekannte ich mir, daß mein oben ausgesprochenes Urtheil nicht gerecht sei. Lebhaftigkeit und große körperliche Gewandtheit kann diesem Volke nicht abgesprochen werden, selbst thätig sind sie, sobald die ihnen auferlegte Arbeit in die gewohuten Grenzen fällt; aber ihre Faulheit ist nicht zu besiegen, wenn es gilt, ihrer Clöbbergöll Inatoluck und sein Sakalik. 297 Thätigkeit neue Ziele zu weisen. Wären ihre alten Sitten, namentlich die Gebräuche, welche ihre gemeinsame und individuelle Arbeit regeln, leicht umzustoßen;" wäre es möglich, ihnen neue Bedürfnisse zu geben: so würden sie sicherlich thätiger werden und ebenso rasch lernen, als die mir bisher bekannt gewordenen Stämme malaiischer Abkunft auf den Philippinen. Akiwakid hatte mich im Namen ihres ClöbbcrgöllZ „Iua-toluck"^) aufgefordert, sie am nächsten Nachmittag am Hafen von Nasiaß zu treffen. Bisher hatte ich noch wenig genug vom gemeinschaftlichen Leben der Frauen kennen gelernt. Ich wußte zwar längst, daß auch sie ähnliche Genossenschaften bilden wie die Männer, aber von ihrer Thätigkeit hatte ich nichts erfahren; die Neugierde und Langeweile bestimmten mich, der Einladung zu folgen. Als ich gegen Sonnenuntergang am Orte des Stelldicheins ankam, traf ich dort schon den ganzen Clöbbergöll, aus etwa 15 Weibern bestehend, meiner harrend. In einer kurzen Anrede sprach eine mir ihre Freude über mein Kommen aus und erklärte mich zum „Sakalik"'^) des Clöbbergölls Inatoluck. Zum uächsten Tage kündigten sie mir ihren officiellen Besuch an; ich möge deshalb, damit sie nicht vergebens ihre Vorbereitungen gemacht hätten, ruhig zu Hause bleiben. Pünktlich lösten sie ihr Versprechen ein. Es mochte gegen 8 Uhr sein, da erschienen meine neuen Freundinnen, in feierlichem Aufmarsch und, wie immer, hochroth bemalt zum Ausdruck festlicher Freude. Jede *) Jeder ClöbbcrM hat seinen besondern Namen. **) 8aka1ik, d, h. „mcin Freund", Wurzel 8l»kaU. Jedes Individuum hat einen solchen Busenfreund; jedcr ClöbbrrM kann sich mehrere solche oder gleich cincu ganzen (älöbbcraM auf einmal dazu erwählen. Die Stellung dieser Sakaliks ist cinc sehr bevorzugte; ihnen wird nichts versagt, da-!ür aber nmß er sich cmch ganz ihrem Dienste wrihen. 298 XI. Pelelw. von ihnen trug einige Schüsseln mit ihren Gaben darin. Die eine brachte mir noch dampfenden, schön gerösteten Döllul — die Frauen hatten auch hier schon meine Vorliebe für diese Form des täglichen Kukaugerichts bemerkt — eine andere einen frischen Fisch, wieder andere hatten Bananen, Vetelnüsse und Kokosnüsse oder Eilaut in einem Bambusrohr. Im Kreise um mich herum setzten sie diese Gerichte nieder; dann hielt mir die Vornehmste unter ihnen, ihre Anführerin, folgende Rede: „Doctor", sagte sie, „du bist jetzt unser Sakalik. Wir werden für dich sorgen, es soll dir an nichts fehlen; was wir haben, das ist auch dein. «Inatokete" hat Gonzalez zu seinen: Sakalik gemacht. Aber ihr gehört auch uns nun au. Du, Doctor, darfst nun nicht zu Inatokete gehen; wenn Gonzalez zu uns kommen will, jagen wir ihn zu seinem Clöbbergöll zurück mit Schlägeu. Unser Versammlungsort ist dort unten in dem leeren Hause, uicht weit von der Wohnung des Kalid; da findest du uns jeden Nachmittag mit Arbeiten beschäftigt, kein anderer Mann darf dahin kommen, du allein bist unser Sakalik, du kannst eintreten, so oft du willst. Wcnu dann später Cabel Mul dich abholt, dann gibst du uns aber auch etwas Pulver und eine Flinte, nicht wahr. Doctor? Und hier hast du unsere Geschenke für den neuen Sakalik; wir haben dir von unserm Gelde mitgebracht, diese Löffel aus Schildpatt. Die sind für uns Frauen das, was das gläserne Geld ist für die Männer; wir kaufen damit Buyo und Betel, wenn wir uicht genug ernten, Bananen und andere Lebensmittel; auch Kukaufclder, das Eigenthum der Weiber, können wir mit den schonen großen flachen Schalen aus Schildpatt kaufen. So, Doctor, nimm sie hin; nun haben wir dich daunt zu unserm Sakalik gekauft." Auch hier ging cs mir wie früher in Aibukit, wenn ich Krei und Mad versicherte, daß es uicht in meiner Macht stünde, ein Kriegsschiff von Manila kommen zu lassen. Meine neuen Freundinnen, die übrigens bei allen ihren Quälereien um Pulver Inatoluck's Freundschaft. 299 und Flinten doch immer liebenswürdig blieben, wollten es mir durchaus nicht glauben, wenn ich betheuerte, ihnen keins von beiden geben zu können. Hatte ich doch in Ngirrarth zwei so wunderschöne Flinten gehabt, die ich sicherlich den Freunden von dort zurückgelassen; wie sollte ich uun nicht für sie noch eine gewöhnliche Flinte haben, sie würden schon zufrieden sein mit einem Steinschloßgewehr. Ich blieb bei meiner Weigerung. Meine Freundinnen hielten nichtsdestoweniger den Contract, deu sie so leichtsinnig eingegangen; und auch Gonzalez wurde von seinem Clö'bbcrgöll durchaus nicht vergessen. Kein Tag verging ohne Besuch vou einigen unserer Sakaliks, und immer brckchten sie uns reiche Gaben an Lebensmitteln mit; wol zwölf bis fuufzehn Schüsseln mit allerlei Speisen kamen so jedesmal gegen Abend in unser Haus, zur großen Freude von Tomue uud seiner Familie, die gelviß noch nie in ihrem Leben so unausgesetzt gute Tage gehabt. Doch benahmen auch sie sich sehr gut gegen uns, ebenso die Leute des Dorfes, und wenn dieses nicht so verarmt gewesen wäre wie alle Staaten im Süden, sie hätten uus mit Essen noch getödtet. Keinen Spaziergang konnte ich machen, ohne überall angerufeu und gebeten zu werden, zu essen und zu trinken; schwer genug kränkte ich die guten Leute schon, wenn ich keiuc Speise auuahui. Hätte ich aber einen Trunk Eilaut oder frischen Saftes der Kokosnuß ausgeschlagen, sie hätten es als tödliche Beleidigung empfunden. Das einzige wenig gastfreundliche Haus, in dem mir nie das Mindeste angeboten wurde, war das des Königs; sein Volk selbst schalt ihn geizig uud habsüchtig und nannte ihn einen ungeschickten Menschen, da er sich so ganz vom Kalid, seinem Nachfolger, leiten lasse. Die neue Freundschaft gab unsern Spielen auf dem Ala-wau frische Nahrung; keine Mondscheinnacht ward nun von uns ^rsäumt. Meine Füße, denen ich nur noch selten zu den Ex-cursionen über die Klippen die „dummeu Füße", die Schuhe, an-zog, gewöhnten sich allmählich an den steinigen Boden, und den 300 XI. Pclclw. Rattentanz lernte ich vortrefflich tanzen. Dafür wollte ich mich dankbar bezeigen. Ich verfertigte mir eines Abends ein Neck und machte ihnen alle Kunststücke vor, deren ich mich noch aus meinen Seemannsjahren erinnerte, und auf einem ebenen sandigen Theile des Alamau versuchte ich, die Knaben allerlei Sprünge zu lehren. Bei jedem neuen Stück, das ich ihnen zeigte, brachen sie in die lauteste Freude aus, immer hieß es: „Doctor, noch einmal, noch einmal"; einige besonders muthige Burschen versuchten, es mir gleich zu thun. Aber das dauerte nicht lange, rasch ermüdeten sie in den ungewohnten'Uebungen, und^als nun gar einmal einer vom Neck gefallen war und laut weinend und scheltend davonlief, da war auch die Freude an diesen Tänzen aus Angabard vorbei, und wir alle, auch ich, kehrten mit frischem Eifer zu unsern tollen Nattensprüngen zurück. Des Tags lagen wir dann meistens schlafend in unsern Wohnungen, uns zu erholen für die nächste Nacht; es war die Zeit des schönen Mondenscheines so kurz, es hieß genießen, was zu erlangen war. Und wahrlich, keine Stnnde reut mich, die ich dort im vollen Glänze des tropischen Mondes verspielte, tollend mit der ausgelassenen Jugend meiner wilden nackten Freunde im Stillen Meer; und oft noch denke ich, längst zur Heimat zurückgekehrt, Sehnsucht im Herzen, an jene übermüthigen Wilden Nächte zurück! Mitten in diese Tage des Mondscheinjubels hinein fiel eine kleine Episode, die leicht hätte zu schlimmen Folgen Anlaß geben können. Am Nachmittage des 7. December saß ich in meiner Wohnung mit Tomuc in ein ernstes Gespräch vertieft. Da trat ein junger Mensch ein, augenscheinlich sehr aufgeregt. „Doctor", ruft er mir noch halb in der Thür zu, „Doctor, da ist ein großer Rupack aus Coröre gekommen, der schickt mich, dir zu sagen, du sollst zu ihm kommen. Er ist in dem Hause von unserm King." Tomue sieht mich erstaunt und fragend an. „Höre, Freund", erwiderte ich, „sage du dem Nupack, ich bin Eiuc Botschaft uon Ebadul. 30l Era Tabatteldil mid ich thue, was mir gefällt. Will er etwas von mir, so soll er hierher kommen; er hat mir nichts zu befehlen. Geh und sag ihm daö." Ganz verdntzt trollt sich der Bursche; die Bewohner von Peleliu müssen offenbar in großer Angst vor Ebadnl leben. „Sag, Tomuc, fürchtet ihr euch sehr vor Ebadul?" — „O ja. Doctor, er ist so mächtig, ihr Männer von Angabard bringt ihm so viel Flinten und Pulver; sollen wir ihn da nicht fürchten? Aber was mag der Nnpack von dir wollen?" — „Das werden wir wol bald hören; da kommt er schon uud mit ihm noch einige von enern Ruvacks, sogar der King. Der bringt wol wichtige Nachricht." Aber ich ließ dem Fürsten von Corörc keine Zeit, sein Anliegen vorzubringen, ich fuhr ihn gleich tüchtig an. „Was ist das für eine Art, mick zu behandeln? Du weißt doch, ich bin Era Tabatteldil, ein größerer Nuvack als du. Hast du Macht über nach, daß du Mich, wie einen aus dem Volke, rufen läßt? Mir scheint, die Leute von Coröre kennen schlecht, was gute Sitte in Palau ist; kein Wunder, sie haben ja Cabel Schils, der ihnen sagt, was sie thun sollen. So, nun sprich, was willst du von mir?" — „Ich habe nur gethan, was mir von Ebadul befohlen wurde. Er sagt, du sollest nach Coröre kommen; es ist dort besser zu leben als hier in dem armen Peleliu. In Aidil wird es dir an nichts fehlen." — „Sag deinem Ebadul, es fehle mir auch hier in Nasiaß an nichts. Meinst du, ich lasse mir von ihm befehlen? Da irrst du dich sehr. Ich bleibe hier — oder wollt ihr mich Zwingen, nach Coröre zu gehen?" wandte ich mich fragend an die Nuvacks von Nastaß. Zu meiner großen Freude sagten sie gleich, ich möge nur hier bleiben, wenn ich wolle. Beschämt zog der fremde Rupack von dannen. Ich selbst aber ging in das Bai des Königs und unterhielt mich lange mit ihm und den übrigen Großen des Ortes über dies wichtige Ereigniß. Manche meinten, es würde jetzt wol Krieg geben; ich hätte den ^nehmen Mann sehr heftig beleidigt, als ich ihm nicht einmal Z02 XI. Pclclüi. das erste Wort gegönnt. Zwar hätte ich rccht gehabt, nicht zu ihm zu gehen, es sei von dem Rupack sehr übermüthig gewesen, daß er einen Mann von Angabard wie einen Sklaven behandeln wolle. So seien aber die Lente von Coröre; sie thäten immer, als wenn ihnen ganz Palan gehöre. Und als ich sie fragte, was sie thun würden, wenn nun wirklich Ebadul käme, sie mit Krieg Zu überziehen, da antworteten sie alle einstimmig — selbst der König und der Kalid nickten bejahend zu —: „Dann beschützen wir dich, Doctor, Ebadul soll dir nichts thun. Du willst hier in Peleliu bleiben, du sollst cö thun; willst dn fort, so bist du frei, nach Coröre zu gchen oder mit Cabel Mul nach Angabard zu fahren. Zwingen aber soll dich niemand, etwas zu thun, wozu du keine Lust hast. Sei ohne Sorge. Kommt Ebadul, den Schimpf zu rächen, so geben wir auch dir eine Flinte; wir wissen, daß du gut schießen kannst; Pulver und Kugeln haben wir genug." Und damit war endlich auch zwischen den Fürsten und mir die Freundschaft geschlossen; von jetzt an ging kein Fest in ihrem Bai vorüber, zu welchem ich nicht besonders eingeladen wurde, und konnte ich nicht kommen, so ward mir immer mein Antheil an den Festgeschenken in meine Wohnung geschickt. Wahrlich, die guten Leute thaten alles, um mir das Leben bei ihnen erträglich uud angenehm zu machen; und doch war ich ihr Gefangener! So oft ich sie anch bat, mich nach Aibukit zu bringen, so hohen Lohn ich ihnen auch bot, ein kurzes Nein war ihre stehende Antwort. „Ebadul will es nicht" — und damit schien alles gesagt. Oft sann ich darüber nach, wie dieser Widerspruch zu erklären sei: eben noch sprachen sie ohne Furcht von dem möglichen Kriege mit Ebadul, und gleich nachher galt sein Verbot, mich nicht nach Aibukit zu lassen, als ein nie zu übertretender Befehl. Sollten sie sich wirklich mit der Hoffnung tragen, durch mich noch einmal große Vortheile zu erringen? Dachten sie, wenn Cabel Mul veranlaßt würde, mich hier ab- Eitt Brief von Cadel Mul. M» zuholen, so würde er wol mit ihnen Handel treiben? Es war die einzige Erklärung, die ich finden konnte, und — sonderbar genug — sie machte mir Kummer. Was hatte ich an diesem Völkchen? Wie kam es, daß ich nur ungern ihren Handlungen solche habsüchtige Motive unterlegte? Genug, ich that es; und wenn ich mich dann allmählich in cine düster melancholische Stimmung hineingedacht, dann ließ ich mich gern des Abends von den Knaben zu den Mondscheinspielen auf dem Alamau abholen. Konnte ich doch nur im aufregenden Spiel oder bei dem Gesang der Weiber und ihrem unaufhörlichen Geschwätz momentane Nuhe vor meinen quälenden Gedanken finden — sie alle freilich verschwanden Wie mit Einem Schlage, als am Abend des 8. December mitten in die Aufregung des Mondscheintanzes hinein mir ein Knabe zurief: „Doctor, oben in Tomue'Z Hause ist ein Fremder, er hat einen Brief für dich von Cabel Mul!" Hinauf eile ich, den Hügel hinan — „Es ist wahr, aber ach! der Tag der Ankunft noch in weiter Ferne, zum 17. December erst kündigt er sich an; jetzt sind die Lecks gestopft — alle die schlimmen Nachrichten der Eingeborenen sind erlogen — aber nun muß er den Balate abermals kochen, da er naß geworden und im feuchten Schiffsraume nicht, ohne zu-verderben, verpackt werden kann." So klagte ich Gonzalez, den auch die frohe vielversprechende Nachricht in unsere Wohnung gelockt hatte. Sahen nur die Leute an, daß ich wirklich litt, hatten sie Mitleid mit uns? oder hofften sie in der That, die Thörichten, auf reiche Belohnuug? Ich weiß es nicht; eines Wilden Gemüth ist tiefer, als mancher erdumsegelnde Reisende sich träumen läßt. Aber aufmerksamer wurden sie mit jedem Tage, und ihre Bitten selbst um Pulver und Flinten hielten sie mehr und mehr zurück. Ja, mancher von ihnen schien wirtlich nur aus Freude am Wohlthun mir zu dienen; so Inarratbac namentlich, ein junger Mensch aus Tomuc's Familie, der immer bedacht war, mir, wo er konnte, einen Dienst zu erweisen, aber doch nie die 304 XI. Pelcliu. leiseste Andeutung fallen ließ, daß er auf Bezahlung hoffe. Er auch war mir hier in Peleliu mein liebster, treuester Begleiter! freilich, nieinen trefflichen und gescheiten Arakalulk konnte er mir bei weitem nicht ersetzen. Noch acht Tage bis zu Woodin's Ankunft — welche Ewigkeit! Ich snchte sie möglichst auszunutzen, und Tage brachte ich nun zu mit Gxcursionen in die Umgegend und mit Sammeln von Petrefacteu und Landconchylien oder dem Stndium der lebenden Nisse. Ueberallhin durchstreifte ich das Land; so kam ich auch am 17. nach Acbolabölu. Tief im Gebüsche versteckt liegt dieses Dorf vom Ufer entfernt; deutlich aber töut das Rauschen der Brandung in dasselbe hinein. Hier sah ich nachmittags eine eigenthümliche Ceremonie. Vor dem Hause der Schwester des Königs war aus dicken Baumstämmen ein etwa zehn Fuß hohes Gerüst erbaut, einem Scheiterhanfen nicht unähnlich, auf das eine roh gezimmerte Treppe führte. Auf der Plattform und auf dem Wege vom Hause nach dem Gerüst zu wurden feingeflochtene Matten ausgebreitet. Dann kam ein junges Weib aus dem Hause heraus nnd stieg auf die Plattform und setzte sich hier etwa fünfzehn Minuten lang den Blicken der versammelten Menge arks. Es war eine junge Mutter, deren Kind heute zehn Tage alt geworden war. Ihr Haar war in einen hohen glatten Wulst zusammengebunden, der, einer kleinen Mütze ähnelnd, nach oben und nach vorn zu geneigt stand; in ihren: Stirnhaar staken Zwei kurze Stäbe mit Büscheln blendend roth gefärbter Baumwolle daran. Ihr ganzer Körper, selbst bis auf die Beine und Füße herab, war roth bemalt. Sie faß zuerst eine Zeit lang die Einbogen schräg gegen die Brüste andrückend, diese emporhebend und die Hände nach anßen streckend; später kreuzte sie die Arme über der Brust. Herabgestiegen, wurden ihr Füße und Waden gewaschen, ehe sie wieder ins Haus trat. Diese Sitte, genannt inomÄZserc, d. h. wörtlich „hinauf' Der Nnk. 305 steigen", soll, wie man mir erzählte, eigentlich in Ngaur (Angaur) zu Hause sein. GZ ist die dortige königliche Familie, die allein das Necht hat, ihre jungen Weiber nach der Geburt eines Kindes so öffentlich zu zeigen; und es scheint, als ob es nur die Mütter der Thronerben sind, also die Schwestern des Königs, die diesen Gebrauch üben. Das Haus, in welchem es hier geschah, ist bewohnt von einer Familie aus Ngaur, die zu ihren Mitgliedern die Schwestern des Königs von Acbolabölu zählt. Mit bangem Herzen wandte ich mich nachmittags zur Heimkehr: es war der 17. December, der Tag, an welchem Woodin spätestens aus Aibukit abzusegeln versprochen. Mer vergebens hatte ich abermals gehofft; kein Segel hatte sich dem guten Inarratbac gezeigt, der, mir zu dienen, mehrmals auf die höchste Klippe gestiegen war. Und ebenso verging der nächste Tag in bangem Warten — Cabel Mul erschien auch dann noch nicht. Nun stieg die Sorge in mir auf, er möge doch da gewesen, aber während der Nacht von Wind und Strömung fortgetrieben sein. Ich mußte näher am Meere sein; zu leicht schien es dort in Nasiaß, ihn zu verpassen. So wanderten wir schon am 19. abermals nach Orocoll, um hier den ganzen Tag am Niff vergeblich ms Meer hinaus zu spähen. Cabel Mul blieb wieder aus. Als schon die Sonne nicdertauchte gegen Westen — in Angabard! — verließen Gonzalez und ich den einsamen Meeresstrand und gingen in eins der größten Vais, wo sie gerade jetzt einen heiligen Tanz, den „Ruck", einübten. Diese Uebungen dauern jede Nacht bis zum frühen Morgen drei bis vier Monate lang. Der Tanz selbst ist, wie der der Weiber, eine Pantomime, von Gesang und lautem Geschrei begleitet. Lebhafter als die der Frauen, sind die Bewegungen der Männer weniger graziös; sie arten oft in die scurrilsten und obscönsten Sprünge aus. Leider war es unmöglich, viel über die Bedeutung des Tauzcs wie der Gesänge zu erfahren; fragt man danach, so ist die stereo- Ermper. 20 Z06 XI. Pelelm. type Antwort, „das sei eben der Tanz". Bewundern mußte ich hier abermals ihre Thätigkeit und Ausdauer; dieselben Männer, die nachts im Bai ihren Tanz einüben, gehen morgen früh vor Aufgang der Sonne auf den Fischfang. Alle waren mit dem höchsten Ernst bei der Sache, und in den Häusern hörte man von nichts anderm reden, als von dem Ruck und wann er getanzt werden solle vor dem Kalid. Wie sehr er ihnen am Herzen lag, beweist wol besser als alles andere die Thatsache, daß ich hier zum ersten male einen heftigen Streit zwischen zwei Eingeborenen mit ansah. Ein kleiner Nupack war ins Bai der Leute aus dem niedrigen Volk gegangen und hatte ihr schlechtes Tanzen kritisirt in scharfen Worten. Ein hitzköpfiger junger Mensch, dem jener vorgeworfen, das sei gar kein Nuck, was er da tanze, antwortete ihm grob, es kam zu heftigen Worten und Schlagen mit Stöcken, und beide erhoben schließlich sogar ihre Meißel gegeneinander. Es hatte die Wuth sie völlig blind gemacht; namentlich der Rupack wüthete und tobte wie ein Besessener. Ich stellte mich dicht vor ihn hin, glaubend, daß mein Anblick ihn beruhigen würde; aber er kannte mich so wenig wie die andern, und nur mit Anwendung von Gewalt konnten wir Blutvergießen vermeiden. Am nächsten Morgen ward dann der Streit mit einer kleinen Geldstrafe gesühnt, die von beiden Männern an dcn Aruau zu zahlen war. Zwei Tage hatte ich schon in Orocoll verbracht; Cabel Mul erschien noch immer nicht. Nun packte mich die Unruhe, ich wanderte wieder zurück nach Nasiaß am 21. December. In meinen Träumen schaukelte ich mich voller Seligkeit auf dem stürmisch erregten Ocean — die aufgehende Sonne sieht mich wieder in Tomue's alter räucheriger Hütte. „Nasch, Freund, steig hinauf auf die Klippe Atöllul und sieh zu, ob Cabel Mul nicht kommt." Aber bald tönt von oben herunter — der Fels stieg dicht hinter dem Hause fast senkrecht an —: „Kein Segel zu sehen, Era Kaluk kommt auch heute noch nicht." Und später Vergebliches Sehnen. ' 307 am Nachmittag steige ich selbst hinauf, ist mir doch, als müsse die langersehnte Lady Leigh erscheinen; doch vergebens blicke auch ich nach Norden — kein weißes Segel kündigt mir die Erlösung an. Träumend saß ich lange dort oben. Ich dachte des Tages, da ich am 1. Januar so mnthig und froh den letzten Blick auf Manilas Häuser warf. Wo werde ich sein am Jahresschluß? Wer werde ich sein? Ein Nupack im Staate Nasiaß, denn mein Zeug beginnt schon bedenklich mürbe zu werden, meine Schuhe und Strümpfe sind schon hin, und die Seife — nun, die brauche ich ja auch nicht mehr, wenn ich erst einen Hufsaker^) trage! *) Der LeudengUrtcl dcr Männer. 20* XII. Peleliu. „Kommt, Gonzalez und Toning Inarratbac, laßt uns gehen! Ihr habt mir so viel vom King in Aroelollec erzählt; ich will ihn heute besuchen." Nach gewohnter Sitte zögern sic alle noch, der eine hat dies, der andere jenes zu thuu; ganz zuletzt erst kommt Gonzalez, seinc Mappe unter den: Ann. Fort geht es, im Gänsemarsch, dnrch die sumpfige Niederung, welche den Staat Nasiaß von dem mehr östlich liegenden Ardelollec trennt. Nach einer halben Stunde etwa sind wir am Hause des Königs. VZ fällt anf durch seine Größe und Bauart; zwar nicht so hoch wie die Bais, ist doch der Stil derselbe, statt des gewöhnlichen Geflechts aus gespaltenem Bambusrohr bilden hier Planken den Fußboden wie die Seitenwände, und innen durchziehen wie in den Bais bemalte Dnrchzngsbalken, Träger des Dachstuhls, das Haus. Es ist offenbar ein reicher und angesehener Mann, dieser König; man sieht ihm an, wie er so würdevoll dasitzt, mir mit einer Handbewegung meinen Platz anweist, daß er sich seines Werthes bewußt ist. „Ich komme, King", begann ich, „dein schönes Haus zu sehen; ich habe in Nasiaß so viel von dir und deinem Staate gehört, ich nahm mir deshalb vor, euch zu besuchen." „Das ist schön von dir, Doctor", erwiderte der König, „du sollst auch gut bewirthet werden. Wenn wir nur nicht so arm wären; früher wärest du Der König von Ardelollcc. Z09 mit großen Festen empfangen worden. Jetzt geht das nicht mehr, unser Staat ist so klein geworden." Und ill ernstes Schweigen versinkt der König nach diesen Worten. „Man hat mir schon davon erzählt in Nasiaß, daß dein Staat, o King, früher so mächtig war ..." — „Ja wohl", fällt der alte Mann lebhaft ein, „sie haben dir die Wahrheit gesagt. Jetzt sind nur noch acht Häuser bewohnt hier in Ardelollec. Aber als ich ein kleiner Knabe war, da waren wir sehr mächtig; alle Staaten vom Norden verbündeten sich gegen uns; sie kamen fünfmal zum Krieg hierher, mußten aber immer wieder ohne Sieg da^ vonziehen. Das ist ein Ehrenplatz, Doctor, auf dem du da sitzest mir gegenüber; er war sonst nur für die ganz vornehmen Rnpacks bestimmt. Wenn aber nun Ebadul einen ganz kleinen Mann schickt, so setzt er sich gleich hierher; früher mußten solche Leute vou Loröre in der Thür bleiben und dort ihr Essen verzehren. Auch Nasiaß war damals sehr mächtig. Da kamen die Leute von Coröre und Armlimui, von Aibutit und Aracalong oder Meligeok immer hierher, wenn sie in Angelegenheiten des Staats sich Naths erholen wollten; unsere Könige waren mächtig und angesehen, aber auch weise, und deshalb kamen die Fremden, hier die Politik zu lernen (tiä-a-iuos^ud-u-liorulmi-^r-tia-bi)1u). Doch was machst du da?" wendet er sich fragend an Gonzalez. Dieser erwidert: „Miv-a-nialukkuL-ai'-kHn" (ich zeichne dich). Mit ernster Miene, doch freundlich nickend, sagt jener: „M1<-n,-MÄ!i08lui." Gonzalez wiederholt sein Wort. Nnn verschwindet der freundliche Ausdruck im Gesicht des Königs. „Nak'k-mak63ku", herrscht er den Mestizen berichtigend") an, und als dieser abermals sein „Xa1i-.i-mlüukku8-ln--klm" wiederholt, springt jener zornig auf und geht, nochmals rasch das „Mk-u-MkkW3.ii" dem verdutzten Manilesm zubrüllend, zur Thür hinaus. Bald aber tritt er wieder herein und setzt sich ganz beruhigt nieder. *) In solchen Synkopen zn sprechen, ist vornehm; Gonzalez kannte nnr die niedere Sprache. 310 XII. Pcleliu. „Das ist ein thörichter Mensch, dein Begleiter dort, Doctor", redet er mich an, „ich bin doch ein King, zu dem niemand die Sprache des gemeinen Volkes zu sprechen wagt."'") — „Gonzalez kennt die vornehme Sprache nicht, King, du mußt ihm deshalb auch nicht böse werden." Und nun wendet er sich nochmals an diesen: „Laß sehen, wie du mich gezeichnet hast"; aber erschreckt fährt er zurück, als er das Blatt in die Hand nimmt. „Das ist schlecht von dir, mich so zu zeichnen, es sieht ja aus, als wenn ich geköpft wäre; wo sind meine Arme und Beine und mein Körper? Gleich male die auch hin, Gonzalez." Und dieser, der ähnliche Scenen schon oft erlebt haben mochte, fügt mit leichten Strichen alles Gewünschte hinzu und reicht die Zeichnung dem König, der nun, Befriedigung in feinen Mienen, das wohlgelungene Bild mit hohem Stolz den Seinen zeigt. „Nicht wahr. Doctor, das läßt du mir hier als Andenken an dich?" — „Recht gern, nimm es hin. Doch mm l-noä b^6, King, jetzt will ich noch an den Strand, und zu Abend muß ich wieder nach Nasiaß zurück. Vielleicht ist Cabel Mul gekommen, um mich zu holen, dann muß ich heute Nacht noch hinüber nach Orocoll." — ,,(-00 steigt mit Messabölu in die Lüfte empor.) Scrssell. e-Gonzalez katim-robo-makutirurur-a-diall | eleme-alulak angidobil | (Du Gonzalez willst nicht hingehen ein Schiff herbeizurufen, I daß es komme und ankere in Angidobil.) *) Mall -^ Lied. Gonzalez' Lied. Z15 2. Augull. Messabölu madangardi | a-la-me-arroi-i-blai | dilikiju akul-a-tu 1 (Messabölu ist hoch emporgestiegen, und sie ftie andern^ kommen in die Nähe des Hauses und sitzen nieder am Fuße der Banane.) Serssell. (Wie vorher.) „Das ist das Lied von Gonzalez, Doctor, ist es nicht schön?" — „Wahrhaftig, es ist sehr schön; doch sagt, warum wiederholt ihr denn den 8er886i1?" — „Ja, das ist so der IM", erwidert Akiwakld; „zuerst kommt der auguii, darin erzählt man, was Gonzalez thut, er ruht in Messabölu — wo Inatokete sich versammelt — und steigt mit seinen Sakaliks hoch in die Luft, damit die Menschen ihn nicht sehen sollen. Im 8M-83611 spricht dann Inatokete zu ihm seine Wünsche aus, er möchte gern, daß ein Schiff nach Angidobil, unsern: Hafen, käme. Dann wieder im zweiten ^ug'uii schwebt Gonzalez mit den Mädchen von Messabölu in der Luft, und die Leute des Dorfes finden das Haus nicht mehr und sitzen nieder unter der Vananc, statt hineinzugehen." — „Und kommt dann wieder derselbe 8Lr83(M" — „Ja wohl, der wird im lall immer wiederholt; aber die auzuU müssen immer verschieden sein. Habt ihr denn auch in Angabard so schöne Lieder?" ^ „O ja, Kimon, aber ich kann nicht singen, und wenn ich auch könnte, ich bin jetzt zu traurig dazu. Nun bin ich schon viele Monate fort, und meine Freunde wissen gar nichts von mir, sie meinen gewiß, ich sei schon todt; ich möchte so gern nach Angabard, der häßliche Cabel Mul lügt nur immer vor, er käme bald. Aber er kommt doch nicht; ich fürchte, er kommt gar uicht mehr und läßt mich hier allein bei euch zurück." — „Nun und hast du es hier nicht etwa gut? Sind wir nicht deine Sakaliks?" fährt mich hier Inateklo an. „Laß doch den armen Doctor", cntgcgnct Akiwakid, „er ist so 316 XII. Pclclm. tramig, daß er nicht zu seiner Familie kaun; wir wollen ihm noch einmal das hübsche Lied singen, damit er nicht mehr an seine Heimat denkt." -^ „O nein", ruft hier die musikalische Kimon, „wir wollen Doctor selbst ein Lied dichten. Ist er nicht ein größerer Nupack als Gonzalez? und sind es nicht immer unsere vornehmsten Männer oder die schönsten und muthigsten, welchen wir einen 1^11 singen? Gonzalez hat den seinigen schon, und nun wollten wir Doctor nach Angabard gehen lassen ohne solchen? O nein, er soll auch einen haben, den werden wir dann später, wenn unser Sakalik schon längst nach Angabard gegangen ist, hier in Peleliu bei unsern Festen singen nnd tanzen." — „Ja wohl, ja wohl", rufen alle, „wir wollen Doctor auch einen IM machen; du mußt nun fortgehen, Doctor, wir wollen gleich au die Arbeit, nnd morgen, wenn du wiederkommst, dann singen wir dir deinen lall vor." Am nächsten Nachmittag fand ich, so früh ich mich auch einstellte, doch schon den ganzen Clöbbergöll versammelt. „Wir sind schon fertig", rufen mir die Frauen entgegen, „setze dich her und nimm dein Papier, du kannst es gleich aufzeichuen." Mit größter Mühe meinerseits und liebenswürdiger Geduld von feiten meiner Freundinnen gelang es mir, das Lied, das hier folgt, und seine Bedeutung zu erfassen. Allal mora Doctor kamam Inatoluck. Lall für Doctor von uns Inatoluck. 1. Augull. Kadidil kapörseni matangal-arrois | Doctor kora-di-karamlal Siehe am Abend schwebt vom Fels herunter Doctor dem Tropikvogel, gleich. Sersscll (Qnatolud sprint). Soack-el-mo-ra-diall, Doctor holtik-ar-nak Ich wünsche zum Schiff zu gehen, aber Doctor halt mich zurück. Doctors Lied. 317 2. ^ugliii. liOinorangadarH c-kvvo Doctor j nuclv-a-mor-arro^ ak troiio- Du gehst nach Angabard, o Doctor, ich aber steige anf die Klippe und verfolge dein Segel in weiteste Ferne. 86i,'3L6i1 wie vorhin. 3. ^uguli. eilvk tekin^m ekn'6 Doctor ^ ak 8ud-g.k-n6i6imlU't-ca8N. me-1«maä o-w1i3, ni-g,-cIi1vo1t,u1iLi Doctor liuli-mal 80Ä^< lakaä Nenn enggedrängt die Lente stehen I ihn. Doctor, herrlich vor allen, liebe ich gar sehr. 5. ^.uAuil. Odihuito Ilora til«,d ei du)öl j Doctor lutom-a 8e1-ttz1ia Ntein Liebling (M^uito) wie der junge Mond > so erscheinst dr. Doctor dort anf jener Seite. 6. ^u^uii. Doctor MomivikIIo > 805ck-^-clwz;^r-r3. caz^. Wie theures Gut wünsche ich Doctor im Schrein zu verbergen (zu haben). 7. ^utzuN. ^^or86ni inarreiei-mor ^räc-ioiiec ^ Doctor liuIi-äi-^ikiräeUcT Abends geht Doctor eilends nach Ardelollcc nnd verbrennt sich sehr sein Gesicht. 8. ^uZuU. ^lontz^rol derrottöl Doctor akmirti > ^i-ivÄlZäLU-i^^^-Ärakoru- molam Dich Doctor wie kostbarstes Eigenthum verbergen wir tief in der Asche unseres Versammlungsortes. 318 XU. Prleliu. 9. Augull. Kadokasso Doctor amelilidap | reikil-kora-ka-eimo latiteremal. Abends steigt Doctor empor am Tau einer Schwalbe vergleichbar. „Aber nun. Doctor", ruft Akiwakid, „sind wir müde vom vielen Singen. Wenn dn das Lied noch nicht kannst, so wiederholen wir es morgen; heute laß uns lieber plaudern. Die andern, die schläfrig sind, mögm sich schlafen legen; du sollst mir und Kimon von Angabard erzählen." — „Nun sprecht ihr schon wieder von Angabard, und doch wißt ihr, daß ich so gern dahin abreisen möchte. Da wohnt meine Frau in einem großen, großen Hause ganz aus Stein und trauert auch, daß ich nicht zu ihr komme, und sie fühlt sich so allein, obgleich noch viele gute Freunde, Frauen und Männer mit ihr zusammenwohnen." — „Ja, leben denn die bei euch in denselben Häusern und habt ihr keine Bais, wo dic Männer schlafen?" ^ „O nein, Akiwakid, das ist ganz anders bei uns, Mann und Frau leben immer zusammen in demselben Haus." — „Das ist doch sonderbar, Doctor, bei uns ist es inuz;ul, daß ein Mann in dem Hause schläft, wo die Familie wohnt; deshalb haben wir alle auch unsere Wohnung verlassen, als du dort einzogst. Mann und Frau sehen sich nur des Tages, und auch nur in ihren Häusern, auf der Straße kennen sie sich nicht, und nachts treffen sie sich nur in den hübschen rothen Häusern unserer Kalids." — „Das sind ja aber die Wohnungen der Kalids, nicht wahr?" — „Ja wohl, aber nur die Kalids unserer Familie wohnen darin, die kleinen Kalids, jede Familie hat die ihrigen für sich; die müssen unsere Kinder beschützen. Wenn wir von diesen etwas wissen wollen, so fragen wir sie durch das Mangalild." Nun waren die Schleusen geöffnet; einmal im Zuge, vergaßen sie Angabard und daß sie eigentlich hatten zuhören wollen; statt dessen erzählten sie mir stundenlang von ihren Sitten, und Ncftcponcu übcr die Mäuncr. 319 ich bedauerte nur, daß mein Papiervorrath zu klein schien, alles zu notireu, was ich aus ihrem Munde hörte. „Und euere Frauen", fuhr Kimon fort, „find denn die damit zufrieden, daß sis keine Bais haben? Wenn bei uns eine Frau ihrem Manne böfe ist, so läuft sie in das nächste Bai; dann muß der Mann, wenn er sich wieder mit ihr versöhnen will, sie durch ein Stück Geld von dem Clöbbergöll loskaufen, dem das Bai und alles, was darin ist, zugehört. Wenn er kein Geld zahlen mag, so hat er kein Necht mehr an sie. Dann bleibt sie bei den Männern so lange, bis ein anderer Mann, der mächtiger war als ihr früherer, sie von jcuen loskauft. Wie können sich denn euere Frauen schützen gegen ihre Männer, wenn diese grausam sind und sie schlecht behandeln?" wandte sich meine Freundin fragend an mich. — „O bei uns, Kimon, halten Mann und Frau viel fester zusammen wie bei euch, sie brauchen gar kein Bai, und wenn sie sich nicht vertragen können, dann trennt sie der Aruau; aber zu einem andern Manne braucht sie darum nicht zu laufen." — „Ich möchte doch nicht in Angabard leben. Doctor", erwidert jene, „ich bin meinem Manne schon einmal weggelaufen und habe mich im Bai sehr gut unterhalten. Die Schwester von Inarratbac ist neulich auch nach Orocoll ins Bai gegangen, weil ihr Mann ihr untreu geworden war; nun bleibt sie dort als Armungul drei Monate. Wenn sie ihrem Manne, um sich zu rächen, auch untreu geworden wäre, dann hätte der Aruau ihr zur Strafe cm Oyr abgeschnitten; jetzt aber schützt der Clöbbergöll sie gegen die Nu-Packs." — „Aber warum straft dann der Aruau nicht den ungetreuen Mann?" — „O die Männer, Doctor, die Männer sind viel schlechter als wir; sie sollten für ihre Untreue ihr Leben verlieren, aber das geht doch nicht, Freund, dann behielten wir ja gar keine Männer übrig." — „Das ist wahr, Doctor", fiel hier Akiwakid ein, „die Männer sind recht schlecht gegen uns; warum sollen wir nicht ebenso frei sein wie sie? 320 XII. Peleliu. Wir sind aber nur frei, wenn uns jemand beschützt, und da die Nupacks nicht so zahlreich sind, so müssen wir schon in das Bai gehen, wenn wir einmal frei sein wollen." — „Aber ihr lebt doch auch in Clöbbergölls, ihr heißt Inatoluck und Gonzalez feine Sakaliks Inatokete; warum schützt denn euer Clöbbergöll euch nicht gegen die Männer?" ^- „O Doctor, du bist doch ein thörichter Mensch; man sieht, daß du die Sitte in Palau nur schlecht kennst. Wie sollten wir denn ohne Männer leben? Unser Clöbbergöll tann uns nnr beschützen, wenn wir mitunter nach dem Kokeal mit unsern Freunden fahren, da dürfen unsere Männer nicht mit, und dann sind wir einen Tag lang ganz frei, wie der Karamlal. Du solltest neulich mit uns gehen zum Kokeal, aber da hattest du wunde Füße und bliebst zu Hause; wir aber haben uns mit Gonzalez und den andern Männern den Tag vortrefflich unterhalten, es war so schön auf Eimeliß." — „Ja, das ist sehr schade, Akiwatid", erwiderte ich, „aber das sind euere scharfen Felsen schuld. Nnn aber bin auch ich müde, und die Sonne geht schon unter; ich will nach Haus und zu Abend essen und mich schlafen legen. Morgen aber singt ihr mir mein Lied wieder vor, es ist so schwer zu lernen, und ich möchte es gut können, ehe ich abreise nach Angabard." Und so verging ein Tag nach dein andern, und immer noch kam Cadel Mul nicht, mich zu holeil. Am letzten Tage des Jahres nur kam vom Norden eine Botschaft — aber leider nicht von ihm! Mitten in die musikalische Unterhaltung mit meinen Sakaliks — ich zwang mich absichtlich, nicht an denselben Tag des Jahres 186l zu denl'en — rief mir eine neu-antommcnde Freundin zu: „Doctor, Nachricht von Aibutit!" Aber nun erzählte sie mir in fliegenden Worten, hoch erregt durch das wichtige Ereigniß, daß die Leute von Coröre zwei feindliche Köpfe dicht bei Aibukit erbeutet hätten. Einige Männer aus Noll hatten Fremden aus Coröre, die zu Besuch bei ihren Freunden in Aracalong waren, Kokosnüsse und Eilaut gebracht, Inatokete entflieht. ZZZ, und auf ihrem Heimwege wurden sie, waffenlos, von denselben Leuten verfolgt und angefallen, denen sie vorher vertrauensvoll in Feindesland hinein Lebensmittel auf ihren Wunsch gebracht hatten. Nun waren die Fraueu und auch die Männer von ganz Nasiaß begeistert über die Tapferkeit derer von Coröre; sie nannten sic dagou (muthig). Mein Zorn ob dieser Feigheit fand bei ihnen kein Verständniß. Wie dankte ich aber nachts, als ich mich schlafen legte, meinem Schicksal, das mir gerade heute am letzten Tage des Jahres solchen Zorn gebracht! Er schützte mich vor Träumereien und nutzloser Erinnerung an bessere schönere Zeiten. Härten, wie die Sohlen meiner Füße, mußte ich auch mein Herz; was hätten mir, dem Verlassenen, Gefangenen, eitle Klassen, weiche Stimmungen genutzt fürs nenc Jahr? Schlaflos war die Neujahrsnacht für mich; in schweren Träumen wälzte ich mich bis spät in den Morgen hinein. Die Sonne des ersten Tags des neuen Jahres stand schon hoch, als Akiwakid, stürmisch in das Hans eintretend, mich aus meinem Schlummer weckte. „Hast du schon gehört, Doctor? Heute Nacht ist Inatokete entflohen nach Eimelig!" — „Wie so, Sa-kalik, ich verstehe dich nicht, das ist ja dummes Zeug, Gonzalez' Sakalik heute Nacht nach Eimelig entflohen? Wozn? und wie?" — „O Doctor, sei doch nicht so närrisch; ihre Freunde aus Eimelig, ein Männer-Clobbergöll sind gekommen, sie abzuholen, damit die jungen Mädchen dort bci ihnen im Bai als Armungul einige Monate leben. Jetzt sind sie wol schon da und feiern wit Tänzen das geluugeue Unternehmen." Nun kam auch Gonzalez, der dis Nacht im Bai geschlafen; er hatte auch, wie ich, bie Nachricht zuerst uugläubig aufgenommen. „O Senor", sagte ^' wir, „das ist ein infames Volk, diese Menschen von hier. Sie scheinen wirklich alle fort, die zu Inatokete gehorten, ich 322 XII. Pcleliu. war schon in einigen Häusern und habe nach den jungen Mädchen gefragt; selbst Angadeke und Sakabil, die doch immer so schüchtern thaten und mich nicht Heirachen wollten, obgleich ihre Aeltern eingewilligt hatten, alle diese unschuldigen Kinder sind nun zu den Männern von Eimelig ins Bai gezogen." Und nun erzählte mir der aufgeregte Mestize — dem der Verlust seiner jugendlichen Freundinnen offenbar sehr zu Herzen ging —, daß er schon mit den Aeltern von mehrern der Entflohenen darüber gesprochen, sie gescholten hätte; aber was seien ihre Antworten gewesen? Die jungen Mädchen wären jetzt erwachsen und Herrinnen ihrer selbst; wenn sie sich von den Männern aus Eimelig hätten beschwatzen lassen, so waren sie vorher wol auch schon einig geworden um den Lohn, der ihnen nach ihrem Dienste im Bai bezahlt werden müßte. Schade sei es nur, daß gerade jetzt diese ganz unvermeidliche Katastrophe eingetreten wäre, denn noch sei das Feld nicht bestellt; nun müßten die ältern Frauen für jene jungen mit arbeiten, die leichten Herzens hinausgezogen in die weite Welt! Soll ich es leugnen? Auch mich erregte dieser Vorfall tief. Nun schien mir nicht mehr so ganz unglaublich, was mir Johnson früher von den leichtfertigen Sitten dieses Völkchens erzählt hatte. Nun überkam mich ernstliche Reue, daß ich mich früher, ehe ich sie noch kannte, zu einem Schritte verleiten ließ, der mich vielleicht zwingen würde, die Sache eines Volkes in die Hand zu nehmen, für das ich kein ernstliches Interesse mehr zu hegen glaubte. Alles schien mir jetzt niedrigen Beweggründen entsprungen: das Vertrauen, mit dem sie unsere Worte aufzunehmen scheinen, ist Lüge oder dümmste Leichtgläubigkeit, da sie es jedem schenken, der von Angabard kommt; ihr Wohlwollen ist Interesse nur am gehofften Gewinn, nichts weiter. Und Arakalulk? der war doch sicherlich ein weit besserer Mensch! — oder sollte ich mich auch in ihm getäuscht haben? So quälte ich mich selbst; den wahren Grund meiner trüben Inatokctc und ihr Sakalik. Z^.'> Stimmung wollte ich mir nicht gestehen. Nun war ich froh, mit scheinbarem Rechte meinem Unnmthe Spielraum geben zu können. In dieser Laune lief ich im Dorfe herum, immer wieder zu fragen, ob es denn wirklich wahr fei, hier zu fchelten und dort nach den Motiven zu forschen, und wie es denn möglich gewesen sei, daß so viele Mädchen — es mochten wol zwanzig sein — auf einmal hätten entfliehen könnm, ohne ertappt zu werden. Allmählich klärte sich denn auch die ganze Sache etwas auf. Mein guter Freund Inarratbac, der selbst aus Eimelig gebürtig war, schien hier die Hand im Spiele gehabt zu haben. Im Bai erschien er erst ganz früh am Morgen; in seinem Hause sollen die Leute aus Eimelig eine Zusammenkunft mit ihm gehabt haben und seine Frau, behauptet man, habe die jungen Mädchen geweckt und an den Hafen geleitet. Doch war das alles längst abgekartete Sache. Wieder war es Akiwakid, die gesprächigste meiner Freundinnen, welche mir zur Aufklärung verhalf. „Siehst du, Doctor", uud dabei schlug sie rasch einige Knoten in ein Tau, „ein solches Knotentau hatten bei den letzten Vollmondspielen die Männer von Eimelig an Inatokete gegeben; die Anführerin des Clöbbergöll bewahrte dieses Tau und entfernte jede Nacht einen Knoten. In der Nacht, in welcher sie den letzen hätte lösen müssen, wollten dann die Freunde erscheinen; diese hatten auch ein solches Knoten-lau." — „Aber, Akiwakid, wie ist es möglich, daß Inatokete so lange darüber schweigen konnte? Sonst hört man doch gleich alles, was vorgeht?" — „Ja, dies war ein großes Geheimniß, Freund, selbst Inatoketc wußte es nicht einmal, nur die Anführerin und einige Frauen. Wenn die aber etwas gesagt hätten, so wäre ihnen eins schwere Strafe auferlegt worden; auch Inarratbac, der ihnen geholfen hat, mußte schweigen, denn sonst hätte Inatokete ihm gewiß das Haus als Strafe für sein Schwatzen angezündet." — „Das verstehe ich nicht, Akiwakid; es war doch etwas Umechtes, was sie thaten, warum sonst 21* 324 XII. PeleNu. thaten sie es bei Nacht?" — „Das ist so Sitte in Palau, Doctor. Unrecht ist es nicht, in: Gegentheil, wir Frauen sind alle einmal so davongelaufen. Und das ist eine schöne Sittc; nnr so bekommen wir etwas von den andern Inseln zn sehen. Unsere juugen Mädchen hier aus Nasiaß gingen von jeher nach Eimelig; die aus Argeutel, Orocoll und Ardelollec gehen nach Coröre, die aus Coröre nach Rallap. Dann bleiben sie drei Monate lang in den Vais, lernen hier den Männern dienen und ihnen gehorsam sein, und wenn sie zurückkehren, so bringen sie ihren Aeltern ein hübsches Stück Geld mit." — „Du hast mir aber noch nicht gesagt, warum sie nicht bei Tage abreisen." — „O Doctor, das geht nicht, dann würden cö ja die Männer des Dorfes sehen, und dann gäbe es einen harten Kampf. Denn diese dürfen eigentlich die Mädchen nicht fortziehen lassen, drum geschieht es bei Nacht, damit sie es nicht merken und Streit anfangen. Es wäre so schade, wenn dabei einige unserer Männer umkämen; es hilft ja doch nichts, denn in ein Bai müssen nun einmal die jungen Mädchen, wenn sie erwachsen sind. Das ist unser Makesang. Wenn ein junger Clö'bbergöll in das richtige Alter kommt, so mnß er irgendwohin gehen, nnd keins von den Mädchen darf dann zurückbleiben; thut eine es doch, so schelten ihre Aeltern sie ans, und sie findet auch so leicht keinen Mann, denn nun heißt sie überall im Staat ein ungeschicktes und dummes Mädchen, das nicht zur Frau taugt. Aber die andern, wenn sie heimkehren, verheiratheu sich rasch." Das hatte ich freilich nicht erwartet, bei diesem anscheinenden Raube der jungen Mädchen alles selbst bis ins kleinste Detail hinein so geregelt zn finden. Noch manche Einzelheit erzählte mir Akiwakid von den Gebräuchen, die mit solchem Makesang der Mädchen verbunden sind; je mehr sie sprach, um so enger schien sich mir, trotz allem Schein der wildesten Un-gebnndenheit, die Kette zu verschlingen, welche hier die Sitte, die allmächtige Tradition, nm Staat und Individncn geschlungen Streit nut cniem Rupack. 325 hat. Nicht wundern kann man sich eigentlich darüber; aber doch setzt es uns unwillkürlich in Erstaunen, wmu wir zuerst nur einfachste, blos den Trieben individuellster Zwanglosigkeit entspringende Handlungen Zu sehen glauben, danu aber plötzlich gewahr werden, daß ihre Freiheit nicht durch das Gesetz, wohl aber durch Sitte uud Gewohnheit in einer Weise eng beschnitten ist, wie wir es bei den sogenannten „primitiven Völkern" meistens nicht für möglich halten. Natürlich war das ganze Dorf in Aufregung, die, ich muß es zugeben, wir beiden, Gonzalez und ich, zu unterhalten uns möglichste Mühe gaben. Wir waren Thoren, daß wir glaubten, ihnen Abscheu vor ihren alten angestammten Sitten cinpredigen zu können; ich merkte nicht, daß ich dasselbe that, was ich so oft bei unsern Missionaren gescholten hatte. Zur Nuhe kamen wir beide erst wieder, als uns unser Eifer in ernste Verlegenheit gebracht hatte. Am Nachmittag kam ein kleiner Rupack mit vielen andern in meine Wohnung. Ich sprach in starken Worten über ihre infamen Sitten und tadelte besonders die Väter, welche an dem ganzen Unwesen schuld seien; sie würfen ihren Töchtern, welche ruhig in der Familie blieben, immer vor, daß sie im Hause äßen und schliefen, aber dafür kein Geld ins Haus brächten. Jener Nupack lachte mich aus, auf meinen wiederholten Befehl, zu schweigen, lachte er nnr noch stärker; dies brachte mich auf, ich springe auf, fasse ihn beim Arme und werfe ihn Zur Thür hinaus. Einige Augenblicke blieb er ruhig, dann aber fing er auf Gonzalez zu schelten an, nachher auch auf mich und redete sich mehr und mehr in die heftigste Wuth hinein; endlich griff er nach einem Stock und drohte, uns zn schlagen. Ich hatte mich rasch wieder beruhigt nnd hingesetzt, doch alle seine Bewegungen beobachtete ich, um ihn bei der ersten angreifenden Bewegung niederzuschlagen. Tomuc und seinen Freunden gelang es endlich, ihn zur Nuhe uud aus dem Hause zu bringen. Am andern Morgen kam cm hoher Nupack 326 XII. Pelelni. Zu mir, abgesandt vom Aruau, mich um Verzeihung zu bitten im Namen meines Widersachers; der habe seine Strafe bereits bezahlt und habc eingesehen, daß er unrecht gehabt, dem Befehle des Era Tabatteldil nicht zu folgen. „Nun sei auch du ihm nicht mehr böse", schloß der Abgesandte seine Nede. Im Streite hatte ich alle meine Nuhc wiedergefunden, aber leider auch die Unruhe, die mich plagte ob meines ungewissen Schicksals. So fuhr ich, um in der Bewegung meiner Stimmung Herr zu werden, am 4. Januar schon wieder nach Är-delollec. Der gute alte König, der so vicl auf die feine vornehme Sprache hielt, hatte mir das Versprechen abgenommen, ihn wenn möglich noch einmal zu besuchen. Dies Wort wollte ich nun einlösen. Gonzalez fnhr mit, auch Tomue und Inar-ratbac. Am Hafen angekommen, fand ich zum ersten male etwas, was einer Befestigung ähnlich sah. Der Ausgang von dem breiten Wege des Dorfes, gegen das Meer zu, wird vertheidigt durch eine dicke mannshohe Mancr mit engem Eingang und einem dreimal rechtwinkelig gebogenen, zwischen Mauern liegenden Gang, der zur Zeit nnr einem Manne den Durchtritt gestattet. Nach beiden Seiten verlängerte sich dann die Mauer, parallel dem Strande, bis sie sich im Sumpfe und ocm düstern Dickicht der Mangroven verlor. Da mochte wol mancher vor der Mauer gefallen sein, als Ardelollec noch im Vollbesitze seiner alten Macht sich gegen die Coalition der nördlichen Staaten zu vertheidigen vermocht hatte. Jetzt schien sie seit langem ungebraucht zu sein, Unkraut aller Art wucherte auf ihr, und manche Steine waren schon herabgefallen nnd vergraben im Flugsande oder dichten Gebüsch. Auch der wol zehn Fuß breite gut gepflasterte Weg, der von der Mauer au in schnurgerader Linie auf den freien Platz vor des Königs Hause führte, zeigte deutlich den Verfall des Staats. Die Mittelreihe der schön be-hauenen Steine, sonst wol geglättet durch die vielen sie betretenden Wanderer, war nun fast ganz von Gräsern überzogen; Ein Vnef von Cabcl Mul. 327 auf einen: schmalen Saum von Erde, der zu beiden Seiten jene einfaßte, standen hier und da noch lange Reihen jener schön-blätterigen Standen, die ich schon in Tamad,> als Einfassung der Wege gesehen hatte. Sie waren alle wild aufgeschossen, die Mehrzahl aber längst verdorrt, und ihre Stümpfe nur ragten aus dem stachelichtcn Buschwerk hervor, das von beiden Seiten aus dem Mangrovondickicht herüber in den Weg wachsen zu wollen schien. DicZ trübe Bild des Verfalls Harmonirtc mit meiner Stimmung, nnd nnr halb hörte ich den Reden zu, die mir einer aus dem Dorfe zum Preise seines Heimatsortes und seines Königs hielt. — Noch waren wir nicht im Hause des letztern, da kommt mir eine Frau mit hoch gehobenen Händen entgegen, rasch laufend — wahrhaftig, Akiwakid ist es, und sie hält einen Brief in der Hand — nnr will das Herz zerspringen vor freudiger Ahnung, ich hätte den Voten umhalsen uud küssen mögen, wenn es nicht mngu! wäre. „Nichtig, wir sind erlöst, Gonzalez! Cabel Mul kann jeden Augenblick ankommen, er schreibt, in Zwei bis drei Tagen segeln wir gewiß ab von Aibukit. Da muß er heute, spätestens aber morgen kommen; also rasch nach Nasiaß, um unsere Sachen zu packen. Heute Abend oder morgen früh müssen wir nach Orocoll." Und nun geht es, ohne dm König zu besuchen, stracks durch das Dorf durch und zu Fuß hinauf nach unserer Heimat. Nasch werden die Steine und Conchylien, die ich gesammelt, in Körbe verpackt, Abschiedsbesuche bei den Nuvacks gemacht und zum letzten male sieht mich Inatoluck, zum letzten male fingen mir meine Freundinnen das Lied an Doctor vor. Doch erst am nächsten Abend kam ich wirklich fort; wie fürchtete ich, als wir gegen Sonnenuntergang barfuß den Weg über die hoho Klippe einschlugen, es möchte Eabel Mul schon dageweseil und durch die starke Strömung in der Straße von Ngaur schon weithin fortgerissen sein! Es war tiefe Nacht, als wir im Nachbardorfe im Hause meines dortigen durch Tomue gewonnenen 328 XU, Pcleliu. Freundes anlangten, „Ist Cabel Mul schon vorbeigefahren?" war meine erste Frage; wie süßeste Musik klang mir das „Nein" zur Antwort.--------- „Gonzalez, heute ist der 0. Januar, nun muß doch sicherlich die Lady Leigh erscheinen; ich gehe hinaus zum Strande — wer begleitet mich?" — Da ist das Meer; wie so ruhig liegt doch die unendliche Fläche vor nur. Nur an der schäumenden weißen Linie des Riffes sieht'man, daß es noch lebt; kein Lüftchen kräuselt seinen Spiegel. — „Du siehst das Schiff, Freund Tomuc?" ^ „O nein, es war mir nnr, als säheich dort einen großen Nul treiben, innerhalb des Riffes; wenn der noch einige Stnnden sich seinem Schlafe hingibt, so ist er gefangen, das Wasser ebbt schon stark." Mit der steigenden Sonne erhebt sich nun ein frischer östlicher Wind, die Brandung rauscht vernehm-lich zu uns herüber, und am Horizonte tanzen die Wellen des hohen Meeres rastlos auf und ab. Doch, was erhebt sich dort im Norden? „Tomuc, steig doch auf diesen Baum, sich nach, ist das ein Schiff?" — „O nein, Doctor, nur ein Baumstamm ist's, der dort im offenen Meere treibt." So vergeht der Tag, am Abend wandere ich traurig wieder in das Dorf zurück. Und am andern Morgen früh mit Sonnenaufgang schon sitze ich wieder am Strande, spähend, ob nicht endlich doch das Schiff erscheine; und wieder dieselben Täuschungen, wie am Tage vorher. Doch nein, nicht ganz. Freund Tomm hat diesmal wirklich den Rochen entdeckt, wie er von der Ebbe innerhalb des Risses sich überraschen läßt. Nun geht die Jagd los. „Willst dn mit. Doctor?" — „O nein, wenn unterdessen Cabel Mul kommt — wolltet ihr mich dann gleich zum Schiff hinbringen? Fangt ihr nur euern Nul allein." Schon senkt die Sonne sich gegen Westen, noch immer sehe ich kein Segel am Horizont; den Rochen aber bringen meine Freunde im Triumph einher. „Das war eine schöne Jagd, Doctor, nun haben wir Fleisch für viele Tage im Dorfe, denn die Männer, Die Fasten beim K^ZLimel. ZW die den Ruck jetzt tanzen, dürfen ihn nicht essen." — „Und warum?" — „Das ist so Sitte beim KaissimLi. Die Männer dürfen bald nicht mehr ans dem Bai heraus, nicht eher, als bis der Nuck getanzt ist, und solange sie drin bleiben, dürfen sie keine Muschel und keinen Fisch, nichts was aus dein Meere kommt, essen, auch kein Salz, das wir doch so lieben. Deshalb auch bekommst du hier kein Huhn, kein Schwein, auch keine Eier mehr zu essen. Doctor; das geht nun alles ins Bai zu den Männern des Nuck. Dreimal täglich müssen die Mädchen des Dorfes schön zubereitete Speisen dahin tragen; wenn du Fleisch essen willst, so gehe zu ihnen ins Bai — du als Nuftack ans Angabard kannst es thun —; sie werden dir gewiß von ihren Speisen geben. Nnn geh doch mit ins Dorf, wenn Cabel Mnl auch heute noch kommt, wir erfahren es doch, und du kannst sicher sein, daß du es hörst, sowie das Schiff erscheint. Komm mit, heute gibt es einen guten Schmaus für uns im Dorfe." Nieder vergeht ein Tag. „Geht es Euch auch so, Gonzalez, wie mir? Ich weiß nicht, ist's die Seeluft oder das viele Gehen, was mir solchen Appetit macht; oder ist es blos der Mangel des Fleisches? Genug, ich werde nicht satt, und doch esse ich fast den ganzen Tag. Da rnfen uns jene Mädchen abermals an, und wahrlich, ich verspüre schon wieder Hunger, obgleich ich erst vor wenig Stunden mein Mittagsmahl verzehrt." — „Mir geht es ebenso, Senor; ich glaube, auch die Angst nm Kapitän Woodin macht uns hungerig." Wir treten ein. „Wollt ihr nicht etwas trinken nnd essen, hier ist schöner Döllnl für euch, und anch einen Krebs habe ich für dich gefangen. Doctor. Willst du nicht morgen mit uns Mädchen auf die Risse gehen, um Muscheln uud Krebse zu fangen?" — „O ja, recht gern, wenn ich dann noch hier bin." -^ „Nun gut, dann rufen wir dich morgen gegen Mittag ab. Nun aber müssen wir diese Schüsseln hin ins Bai tragen." 3Z0 XII. Peleliu. Ich folge dsn Mädchen; ich wünschte einmal dem Nnck wieder beizuwohnen, der nun täglich zum mindesten dreimal im vollen Costüm getanzt wird. „Olokoi, Doctor, läßt du dich auch sehen? Komm her, setze dich zn uns und iß mit uns." — „Nein, ich bin nicht hungerig, ich komme, um nachher den Ruck zu bewundern, den ihr so gut tanzen sollt. Das ist ein schöner Tanz, aber schwer; ich möchte ihn auch lernen." — „Ja, Doctor, das geht wol nicht", erwidert einer aus der Menge. „Nun, und warum nicht?" — „Ja, Doctor, wer mittanzt, der muß richtig angezogen sein. Siehst du, wir haben hier einen schönen Vlätterkragen für den Hals, und diese buntgefärbtcn Palmenblätter binden wir uns in künstlichen Schleifen an Füße und Hände. Aber du hast alles dieses nicht, und auch dein Zeug aus Angabard ist schon recht schlecht. Zwar es ist sehr gelb schon vom Safran, das ist eine hübsche Farbe, aber euere weißen Hemden und Hosen sind gar nicht schön; auch die vielen Löcher darin sind häßlich. Siehst du, Doctor, da kommt schon dein Einbogen aus dein Aermel heraus, und auch dein weißes Knie kann man schon sehen." — „Ja, Frennd, ich weiß, was soll ich machen? Ich habe kein Zeug mehr, und wenn Cabel Mul nicht bald kommt — nun, so mnßt dn nnr schon einen Hussaker geben, dann binde ich auch die Halsbinde um und tanze mit euch den Nuck." Nun ist das Mahl beendigt, und nach vollendeter Toilette führen wol an hundert Männer den heiligen Tanz auf, an dessen Touren jener kritische Nupack nichts mehr auszusetzen findet. Und wieder senkt sich die Sonne ins Meer: doch kein Bote kommt, nnr Woodin's Ankunft anzuzeigen. Am nächsten Mittag holt mich wirklich eine Schar ausgelassener Mädchen ab. Ruhig ziehen wir unsers Weges, solange wir im Dorfe sind; ist es doch mu^ui, die heilige Ruhe des Kai83im6i zu stören! „Doctor", flüstert mir eine der Schönen zu, „draußen wollen wir recht lustig sein, hier im Dorfe ist es jetzt so langweilig. Heute ist ein heiliger Tag; der König, Am Strande vor Orocoll. Z31 unser größter Kalid, zieht heute in jenes Haus, dort vor dem Bai. Und von morgen an müssen wir alle in den andern kleinen Wohnungen auf dem Platze wohnen, die rings herum erbaut sind, dann darf kein Mensch mehr in den alten Hausern schlafen. So, da ist dl,'r Strand — hu-i!" Und in den lauten Nuf stimmen sie alle ein. „Ui! Nun wollen wir mit Doctor Muscheln suchen, er mag die Kim so gern essen! Doctor, hier ist schon eine — Nein, komm Zu mir, ich habe auch eine, die ist viel größer — Olokoi, da hat Doctor selbst eine schöne Kim gefunden! Ui! Doctor ist schon Palan, er kann schon Muscheln suchen; und wenn er nur erst einen Hussaker trägt, dann kann er mit den Männern ausziehen zum Makesang und mit uns zum Kokeal, wenn wir dahin gchcn äi mM." — „Doctor", flüstert mir hier eine der Ausgelassenen ins Ohr, „Doctor, willst du mich nicht heirathen? Mein Vater hat schon gesagt, du solltest es doch thun." — „Wahrhaftig? Das ist dein Ernst nicht — ich kann auch nicht dein Mann werden, Cabel Mul kommt gewiß morgen schon, mich zu holen, und ich sehne mich so zu meiner Frau nach Angabard zurück." — Aber Cabel Mul kommt auch am nächsten Tage wieder nicht.-------- „Ja, Doctor, das ist ein großes Fest, das wir jetzt hier feiern, uud du bist sehr glücklich, kein Mann von Angabard hat je einen solchen 1mi88imLi gesehen." So sprach der König zu mir, den ich min in seiner Wohnung am freien Platze vor dem Bai besuchte. „Viele Jahre vergehen, ohne daß der Ruck einmal getanzt wird. Das geschieht immer nur zu Ehren unsers großcu Kalid, der mächtiger ist als die andern alle; die haben ihre Häuser bei unsern Wohnungen, aber der große Kalid brancht keine solche. Hörst du die Muschel blasen, Doctor? Jetzt werden die Männer bald aus dem Bai kommen, sie wollen sich baden, und das muß im Dorfe angezeigt werden, damit ja niemand ihnen auf dem Wege begegnet. Ohne dieses Zeichen zu geben, darf niemand aus dem Bai heraus; der Kalid würde Z32 Xll. Pelcliu. sehr böse werden, wenn einer von den heiligen Tänzern anf der Straße von uns gesehen würde. Im nächsten Monat wird dann das Fest hier anf diesen: Platze gefeiert. Du wirst dich sehr freuen. Doctor, das zn sehen." — „O King", erwiderte ich ihm — ich wäre beinahe, erschreckt dnrch seine Aeußerung, gegen alle Sitte aufgesprungen — „ich glaube nicht, King, daß ich dann noch hier bin, morgen, vielleicht heute schon kommt Cabel Mul, mich abzuholen." — Und wieder saß ich einen Nachmittag vergebens am Strande, mein Blick hing noch am fernen Horizont, als schon die Abendröthe — dieser „Schmerz am Fuße des Himmels" (m6i'ln^eu-a-glü-6i.jan^it), wie sie schön genannt wird — Meer nnd Himmel in gleicher Glut zu schmelzen anfing. „Warum bist du denn so traurig", fragte mich an einein der nächsten Tage ein Nuftack, der mir sehr freundlich gesinnt zu sein schien. — „Soll ich das nicht sein? Ich fürchte, daß ich nicht zu meiner Familie zurück kann, ich werde meine Frau gewiß nie wiedersehen." ^ „Ja, Doctor, das ist auch traurig; wir Männer von Palau weinen auch, wenn wir vom Sturme verschlagen sind und nicht zu unsern Freunden zurück können. Das thaten auch die vier Nuvacks von Argentel, ihre Geschichte siehst du da im tm'i'Lidöw abgebildet." — „Erzähle mir das doch, Freund; ick) kenne sie nicht." Und nun erzählte er mir folgende reizende Sage: „Vier Nupacks von Argeutel fuhren eines Morgens, als die Sonne vom Hahn morWi-oußliuL (d. h. wörtlich: der Verkünder ^Kräher^ des Ostens ^ Morgens) zu ihrer Neise über die Erde aus dem Schlafe gerufen wurde, ihr nach in einem Amlai. Es waren mnthige Männer, die schon viele Reisen gemacht hatten; nun wollten sie auch einmal bei der Sonne zu Nacht einkehren. Am Abend kamen sie denn anch am ^uicMn^it (am Fuße des Himmels) an, als gerade die Sonne in das Meer eintauchte, sich zur Nachtruhe in ihr Haus zn begeben. Hier stand der Baum äiu^iä -— da ist er Di? vier Nupacks uou Arg^utel. 333 auch abgebildet. Doctor — und im Schatten seiner Ache, die weit über das Meer herüberhingen, sahen die Nupacks einen großen Haifisch im Meere auf Beute lauern. Da stieg einer von ihnen auf den Baum und pflückte die süßen Früchte ab, die an ihm hingen, und sie warfen fie ins Meer dem Haifische zum Fraß. Als dieser nun im besten Fressen war, stürzten sich die Nupacks in das Meer der Sonne nach, und sie fanden sie richtig m ihrem Hause bei ihrem Abendessen. Sie blieben bei ihr über Nacht. Als sie nnn am nächsten Tage mit ihr auszogen auf die tägliche Wanderung den Himmel entlang, da sahen sie tief unter sich ihre Verwandten nnd Freunde, die wehklagend ill ihrem HeimatZdorfe auf- und abliefen und die verlorenen Ru-packs snchten. Diese aber singen anch an zu weinen. Da fragte die Sonne: aWärmn weint ihr denn?» Und die Rupacks fürchteten sich, ihr die Wahrheit zu sagen und sprachen: «Es ist so viel Rauch in deinem Hause, o Sonne, der treibt uns das Wasser in die Augen." Nbcr sie war klüger als ihre Gäste, sie errieth den wahren Grund und versprach ihnen Hülfe. Sie nahm nun einen großen Bambu, dahinein steckte sie die vier Lente und schloß die Oeffnung mit einem Pfropfen aus den Blättern des Baumes c^sne, dann warf sie das Rohr ins Meer. Das aber wurde von den Wogen nach Argeutel getrieben. Es war zur Zeit hohe Flut, und viele Menschen waren am Strande, sie wollten gerade mit ihren Amlais ausziehen, um ihre verlorenen Freunde zu suchen. Das Bambusrohr aber war ihnen ein ganz fremder Baun:, sie hatten nie etwas Aehnliches gesehen; sic fischten es auf aus dem Meere und waren sehr erstaunt, als sie darin rufen hörten. Sie zogen den Blätter-Pfropfen heraus; wie freuten sie sich, als nun plötzlich ihre verlorenen Rnpacks hervorsprangen! Den Vambu warfen sie fort, die thörichten Menschen, aber den Cassuc behielten sie, weil er so schöne bnnte Blätter hatte; sie pflanzten ihn vor ihrem Bai in gute Erde ein — da hast du doch den großen alten Cassuc 334 XII. Pelcliu. gesehen, Doctor, der dort steht. Von ihm stammen alle die kleinen Bäume ab, die du hier in Orocoll und in Ardelollec und auch in Coröre gesehen hast. Der Bambn aber trieb mit der Ebbe nach Naracobersä dicht bel Coröre, wo er zuerst gepflanzt wurde; deshalb sind dort im Norden alle Inseln voll von diesem nützlichen Baum. Weil aber doch die Nupacks von Argeutel ihn von ihrer gefährlichen Neise mit herunter auf die Erde gebracht haben, so hatte mm ihr Dorf lange Zeit das Vorrecht, dort in Naracobersä sich ihren Vcdan an Bambusrohr alljährlich zu holen, ohne dafür zu bezahlen; die andern Staaten aber mußten, was sie brauchten, mit theuerm Gelde bezahlen. Und das ist die Geschichte von den Nupacks, die weinten, als sie fern von ihrem Lande bei der Sonne zu Besuch waren/' „Wie werden sich meine Freunde in Angabard freuen", erwiderte ich, „wenn sie diese hübsche Geschichte hören. Aber erzähle mir mehr, da ist ja noch das kri und 6aud ^) voll von Figuren." — „Die kenne ich nicht, Doctor, das sind ganz alte Geschichten, die wir schon lange vergessen haben." — „Aber ihr habt sie ja selbst gezeichnet." — „Ja wohl, aber wenn ein Bai zu Grunde geht, dann zeichnen wir auf dem neuen immer dieselben Geschichten wieder, und unser König hält ganz besonders viel darauf, daß hier nur die alten Geschichten abgemalt werden. Er will nicht, wie in Ardelollec oder Argeutel, ein Schiff oder Menschen aus Angabard auf dem Dache oder an den Balken im Hause abzeichnen lassen." 5) Die dreieckige Fläche jedes Giebels eines Bais wird in sieben Felder getheilt, von denen jedes seinen Namen hat und die Sage, welche nur auf ihm abgebildet weiden darf. Da es mir nicht vergönnt war, dieses Werk mit Bildern auszustatten, die ich dort theils selbst slizzittr, theils durch Gonzalez ausführen ließ: so muß ich den Leser, welcher gerade hieran besonderes Interesse nimmt, vertrösten auf ein rein wissenschaftliches Werk, welchem ich auch jene Abbildungen bcizngcbcn gedenke — wenn es die Umstände gestatten! Eine genauere Beschreibung ohne solche hier zn liefern, ist völlig nutzlos. Die Sagc von der Erhebung dcr Inseln. ZZ5 Nur noch die Geschichte in einer Abtheilung des Giebelfeldes, dem sogenannten inoiLck, konnte mir mein Freund erklären. Sie stammt aus Yap (Völulakap).") In der Stadt Auidcl lebte einst ein Kalid, der nach seinem Tode in das Meer versenkt wurde, wo sein Geist fortlebte und sein Weib und Kinder immer mit Früchten, Fischen und andern LebenZmitteln versorgte, die sein ältester Sohn mit der Angel heraufholte. Eines Tags, als er so nach den Gaben seines Vaters angelte, brachte er auch Blätter mit herauf, etwas später erschienen Aeste und Zweige, dann die Stämme großer Bäume, nnd endlich erhob sich aus dem Meere auch das Land. Am Fuße eines schönen alten Baumes lag der Vater des Knaben in einen Stein verwandelt. Als nun zwei Männer das sich zwischen ihren Inseln aus dem Wasser erhebende Land sahen, behaupteten beide ihr Recht an dasselbe; der junge Mensch aber sagte, es sei Eigenthum seines Vaters, mit seiner Hülfe habe er es vom Meeresgrunde heraufgeholt. Als ihm aber jene, gierig nach dem Besitz der fruchtbaren Strecken, widersprachen, da öffnete der Stein seinen Mund und bestätigte seines Sohnes Necht darauf. Tief unten aber säßen, schloß mein Gewährsmann, zwei Weiber, die Kalids der Erde, die mit hochgehobenen Armen die Inseln zu stützen hätten, daß sie nicht wieder zurückfielen auf den Grund des Meeres. Doch nun ist auch dieses Thema zur Unterhaltung erschöpft! Tag für Tag wiederholen sich jetzt in eintöniger Reihenfolge bei mir dieselben Gedanken, dieselben Wege: vom Strand zum Dorf und wieder zurück, von Peleliu nach Angabard, und immer finde ich mich wieder in Orocoll. Unausgesetzt vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein üben die heiligen Tänzer den Nuck ein, unermüdlich sind sie in ihrer Arbcit, und näher *) Sinc Sage, die übrigens, mannichfach lianut, überall im Stillen Occcm wiederkehrt. 336 Xll. Pel-liu. und näher rückt der Tag heran, an welchen: sie dem Volke, das von nah und fern herbeiströmt, ihres Gottes heiligsten Tanz vorführen werden. Fortwährend erstehen neue Hütten in der Nähe des Platzes vor dem Bai; mit stolzer Freude sieht der König die Menge der Besucher zunehmen und täglich läßt er sich, berichten über Stand und Wachsthum seines frommen Unternehmens. Freude glänzt auf allen Gesichtern; nur ich allein wandle unter ihnen, stumm und einsam trotz der Menschenmenge, Gram und Verzweiflung im Herzen. Tage, Wochen vergehen; kein Schiff erscheint! Nuu locken mich die jungen Mädchen vergebens hinaus aufs Riff, um meine Lieblingsmuschel, die große Kim, zu suchen; umsonst ist all ihr Bitten, mit ihnen, wie in Nasiaß, die Mondscheinnächte nun zu feiern. Inatoluck sogar — zu Besuch iu Orocoll — erkennt den Sakalit nicht mehr, so stumm und trüb ist er geworden. Nichts reizt ihn, nicht mehr die hübschen Geschichten, die ihm Akiwakid erzählen will. Auch die Gespräche mit dem King und den Nu-packs kommen mir so schal nun vor; mir ist, als kennte nur das Meer, das ewig unrnhige, die Sprache, die mir noch zum Herzen dringt. Da plötzlich fällt ein Hoffnungsstrahl vom Himmel. Ein Schiff ist da! „Woher?" - „Nicht Cabel Mul, es geht nach Angabard." — „Nach Angabard? Ich muß ihm nach! Hinaus, ihr Freunde, rasch, legt Hand ans Werk. Du, Freund, lauf du ins Dorf und such Gonzalez, sag ihm, er solle eilends kommen, wenn er mit will in die Heimat." Das süße Wort! „Eilt doch, ihr Freunde, eilt; seht ihr denn nicht, wie das Segel rasch nach Westen treibt? Steigt ins Amlai hinein — nein, nicht so viele! — habt ihr auch Mast und Nuder? Stoßt ab, Gonzalez kommt ja doch nicht mehr, stoßt ab!" Das ist ein Wirrwarr! Wol zehn Menschen sitzen enggedrängt im kleinen Voot, mit Mühe nur kann ich mich einiger erwehren, die, halb schwimmend schon, gefolgt sind, um die Fahrt auch mitzu- Verfolgung eines Schiffes. 3Z7 -machen. Endlich sind wir frei! Nun sind die Nuder nicht zn finden — gottlob! da liegen sie, nnd Inarratbac sitzt darauf. Vorwärts geht es jetzt, nicht achtend der Gefahr, mitten durch die Brandung hindurch schießt unser Boot — wir sind hinüber. Nun den Mast gesetzt — hier fehlt ein Tau, dort wieder eins — nein, es fehlt keins. Wie langsam geht doch alles! Wäre nur mein Freund jetzt da, ihr solltet sehen, wie das Amlai schon längst die Wogen peitschen würde. Endlich steht der Mast. Das Segel auf! ^ Mit Windeseile geht es nun dem Schiffe nach, das seinen Curs nordwestlich hält. „Freunde, helft doch nach mit Nudern, es' geht nicht rasch genug." Doch, was ist das? das Schiff dreht von uns weg, und wir gewinnen ihm keinen Vorsprung ab! „Wie langsam segelt doch unser Amlai! Vorwärts, vorwärts!" ruft ich, als könnt' es mich verstehen. Das Schiff hält noch mehr ab, nun richtet es feinen Curs gerade gegen Westen! „O Chcyne, der du auch dieses mir gethau! Du hast die Eingeborenen alle zu «Piraten» gemacht^'), und niemand wagt nun, da dein Wort hier viel gilt, den Inseln allzu nahe zu kommen! Ein vermeintlicher Seeräuber jage ich jetzt jenes Schiff, den letzten Rettungsanker in meiner Noth, von nur weg! immer weiter schwindet es vor meinen Augen — o, wenn doch Windstille käme: rudernd wollten wir es schon erreichen!" — „Es ist vergebens, Doctor, wir fahren nun schon viele Stuudcn, die Sonne steht im Westen und unsere Inseln sehen wir nicht mehr!"— *) Außer uerschkocnen Büchern, welch? Cheyne geschrieben hat, pflegte er nach jeder Reise in einem Blatte des Hafens, wo er seine Waare absetzte, einen Bericht über seine Erlebnisse mitzutheilen. Durch ihn wnrdc so iu Singapore und China die Meinung verbreitet, es seien die Bewohner von Pelelm waghalsige Seeräuber. Ich will nicht behaupten, daß sie memala Piraterei getrieben haben — wie ja cinch Tomm mir dicö selbst cingestaud —; aber ein Geschäft haben sie nie darnns gemacht, und waghalsig, mnthig sind sie nie gewesen. Cheync'ü Feigheit mir lief; sie in solchem Licht erscheinen. Ein einziger entschlossener Europäer treibt Dutzende von ihnen zu Paaren; überlegener Zuversicht des weißen Mannes hält dort umnand stand. Temp«. 2I 338 XII. Pclclm. „Was thut's? Ich muß dem Schisse nach! ich muß, ich wilt nach Augabard!" — „Nein, Doctor, uein! cs geht nicht mehr; wenn wir zur Nacht hier draußen bleiben sollen, sind wir verloren! Kehrt um!" befiehlt ein Nupack seinen Untergebenen. — — Und ich? Ich weiß nicht mehr, was ich nun that! Verschwunden sind mir ganz aus meinem Leben die Stunden, die ich noch auf jener Insel zugebracht. Einer Pflanze gleich aß, trank und schlief ich nur. Mein Tagebuch gibt mir von jenen letzten Tagen keine Erinnerung mehr ein — wie mit dem Schwämme weggewischt von einer Tafel sind sie mir verloren! Nur eines Abends wunderbarer Sonnenuntergang rief mein Bewußtsein mir zurück. Hoch oben auf der Felsenwarte über Orocoll, hart am Abgrund hängend, wie der Karamlal, träumte ich, den Blick gen Westen richtend — wie lange? Ich weiß es nicht. Tief unter mir kräuselten sich des Meeres Wogen, ansteigend in scheinbar gefälliger Nuhe gegen des Riffes Nand, und aus dem Schaume ihrer Brandung stiegen wohlbekannt?, , geliebte Gestalten auf, mir winkeud, ihnen doch zn folgen. Das leise Flüstern des Meeres verlieh solchen Truggebilden meiner Phantasie laute Stimmen: o komme doch! komme bald! Ueber uür rauschten die Vlätterkronen des »nächtigen Brotfruchtbaumes, der dort hart an der Klippe Nand wuchs, wic Zum Abschied noch einmal das Lied, das mir Inatoluck gedichtet. Ueber all die Pracht des tropischen Landes goß die untergehende Sonne ihr schwebendes Gold aus, daß der Kreidefelsen unter mir in röthlichem Scheine erglühte wie in unsern Al-pen der Gletscher Weiß im Morgentuß des aufgehenden Gestirns; und ihr röthliches Licht legte einen merkwürdigen Schein über die dunkle und doch so durchsichtige Bläue des Meeres, und der Brandung schneeweißer Saum warf beständig kleine Locken, grell vom Lichte befchienen, in das Hellgrün des Niff-kanals hinein. Tiefer und tiefer sinkend zog die Sonne, nur halb verhüllt durch einige Wölkchen, mit ihren Strahlen Furchen Sonncuuutcvgllug. . ZZ9 Über das verdunkelte Meer, als wollte sie mir über seine Fläche hin den Weg zeigen, den ich ihr nach ziehen solle! Und als sie nun niedergetaucht war unter den Spiegel, zur Nacht auszuruhen in ihrer nassen „Behausung": da zauberte sie, schon im Einschlafen, mir in buntestem Wechsel und blendendster Pracht der Farben, wie sie nur der Tropenhimmel zu erzeugen vermag, allerlei liebliche Bilder meiner Sehnsucht an des „Himmels Fuß" (8ul-6h'tmg6t). Aber vor ihren wechselnden Erscheinungen erhob sich in schärfster Form ein wohlbekanntes Schiff, und es wuchs und wuchs, und mit ihm stieg sein alter Kapitän auch immer höher den Himmel hinan, bald seines Fahrzeugs Masten überragend, mehr und mehr jene andern Gestalten verdrängend, bis cs endlich mit seinen ausgebreiteten Segeln und Woodin hinten und der alten Lady Leigh vorn am Vug den ganzen Himmel mit dem gleichmäßigen Grau der rasch hereinbrechenden Nacht überzogen. — Glücklicher Ahnung voll legte auch ich mich nieder zur Nachtruhe« Und als der wieder erwachten Sonne erster Strahl hoch über mir jenes Brotfruchtbaumes höchsten Gipfel zn vergolden begann: da eilte ich hinaus an den noch in Dämmerung liegenden Strand, und wieder stand vor mir das riesige Bild des Schiffes, das ich am gestrigen Abend gesehen! Wie aber die Sonne sich mehr und mehr erhob, schrumpfte cs immer mehr ein, und als endlich! endlich! das Gestirn seinen ersten glühenden Strahl über die östlichen Klippen hinweg auf das Meer warf: da schwamm wirklich die alte Lady Leigh, kein Phantasiegebilde wie noch im Augeublick zuvor, nein, die wirkliche echte Lady Leigh mit ihrem alten treuen Kapitän auf unser Eiland mit weit und fröhlich ausgebreiteten Segeln zu! Vergessen waren nun mit Einem Schlag alle Leiden meines Aufenthalts hier in Pelcliu. Mit dankerfülltem Herzen sagte ich allen meinen Freunden, voran Inatoluck und Tomuc, mein Lebewohl. Nie leicht war doch mein unbeschuhtcr Fuß, als ich zum letzten mal vom Dorfe über die Klippen weg zum Strande 22 * 340 Xll. Ptleliu. eilte! Wie sprang ich über die scharfen Spitzen der Korallen hin, das Wasser zu gewinnen! Doch — nicht beschreiben läßt sich die Freude, mit der ich endlich wieder der nralten Lady Leigh morsche, wurmzerfressene Planken betrat. Keine Worte fand ich für mein Entzücken, als des Schiffes Bug sich heimwärts wandte. Drum schließe ich hier, wie ich mein Tagebuch beendete: „Endlich die Lady Leigh da und fort nach Manila!" (26. Januar 1862). XIII. Rückkehr nach Manila. Die Katastrophe. „>Fa, das kam so, Or. Semper", erzählte mir bald darauf Kapitän Woodin. „Krei und Mansseba (Mad) baten so lange, dem braunen Burschen da, dein Amelnkl, zu erlauben mitzureisen, daß ich endlich nachgab, obgleich ich keine Neignng dazu hatte. Mansseba schickt seinen Sohn doch nur mit mir, damit er mich dort in Manila gut im Auge behalte; sis meinen, wenn ich einen der Ihrigen mit nur nehme, so würde das allein mich zwingen, wieder zu ihnen zurückzukehren." — „Denkt ihr denn daran, das Fahren nach den Inseln aufzugeben?" — „O nein, aus freiem Willen sicher nicht; abcr ach, ich fürchte, mein Unglück wird mich dazu nöthigen. Meine Ladung ist nicht groß; und sicher werde ich wieder nur schlechten Markt dort finden, und da ich Schulden habe, so kann ich nicht warten, ich muß verkaufen — nun, und dann wißt ihr, was mir bevorsteht. Soll ich denn als Bettler sterben, nun wohl, wenn ich nur We?b und Kinder vor meinem Tode wiedersehe! Genug davon. — Ich hatte viel zu thun, mich anderer Gäste noch zu erwehren; hätte ich es zugegeben, gewiß ein Dutzend Männer von Aibutit wärm mitgegangen, so große Lust zur Neise nach Angabard hatten sie alle. Auch Euer Freund Arakalulk wollte mit, 342 XIII. Rückkehr und Katastrophe. es kostete mir Mühe genug, ihn davon zurückzuhalten. Mir wäre er lieber gewesen als Gast, denn jener Amelukl; aber dieser ist des Königs Sohn. Euer Freund läßt Euch noch vielmals grüßen und Ench sagen, ihn nicht zu vergessen. Hier dieses Päckchen hat er mir für Euch gegeben; und drunten unter Deck habe ich ein Amlai, das er Euch schenkt mit allem Zubehör. Auch die Balken, die Euch die Nupacks so bereitwillig aus dem Vai absägten, habe ich im Raum, gut eingewickelt iu Matten, daß die Zeichnungen darauf keinen Schaden leiden können. Es sind doch gute Leute, die von Aibukit, aber ganz besonders lieb ist mir Arakalulk, die treue gute Seele." — „Das weiß der Himmel, Kcipitän Woodin, eine treue Seele ist's, ein wahrer echter Mensch! — Doch was ist das? Dort sehe ich eben zur Schiffsluks uoch ein zweites braunes Gesicht herauslugen, Kapitän Woodin. Wahrhaftig, das ist ja Freund Anguakl — wie kommst du hierher?" Und nun tritt Barber auch herzu und erzählt, wie dieser ihn schon lange mit Bitten belästigt habe, ihm doch zu erlauben, mitzureisen, seine Sshn-sncht, Angabard zu sehen, sei gar zu groß. Da habe er ihm endlich denn gestattet, sich uuter dem Valate im Schiffsraum so lange zu verbergen, bis das Schiff auf hohem Meere sei; könne er das aushalten, ohne sich nur Einem von der Mannschaft zu entdecken — die es gewiß dem Kapitän anzeigen würden — so wolle er nachher ein gutes Wort für ihn einlegen. Dieser verzieh ihnen leichter, als ich vermuthet, den schlechten Streich, den sie ihm gespielt; ich meinerseits war froh, denn Auguakl war ein lebenslustiger, munterer Gesell, während Amelukl, im Bewußtsein seiner königlichen Würde, nie den Ernst des Fürsten zu verleugnen wagte. Frisch blies der Ostwind ein in unsere Segel und trieb das Schiff iu schnellem Lauf — viel zu langsam doch für meine Ungeduld — der Heimat zu. Schon am fünften Tage erblickten wir die Insel Pampan, wo wir einst vor langer, langer Glückliche Fahrt und Ankunft. Z4Z Zelt im Hafen lagen; dann ging's ohne Unfall durch die enge Straße von San-Bernardino durch, und immer noch war Wind und Meer uns günstig. Vurias und der Vulkan von Taal, südlich dann Mindoro zogen rasch an uns vorüber; nordwärts bogen wir und sahen — endlich! am elften Tage der Neise Manilas Haftn und an seinem Eingänge auch den Leuchtthurm von Corregidor, ganz wie ehedem. Wie ich meine Freunde dort wol finden werde? — Endlich, endlich fällt der Anker, nnn rasch ins Boot, da ist der Pasig — wie so heiter blickt mich doch alles an. Nun den Kanal hinauf — hier ist die Treppe, jetzt hinein ins Haus. „Moritz, Moritz, da bin ich wieder!" — „Venn Himmel, Semper, zur gelegenen Stunde kommst du Verschollener zurück. Nir alle gaben dich scholl längst verloren!" — „Ein Wort nur, Moritz, was macht deine — nieine Anna?" —- „Hier ist sie, in Binondo, in meinein Hause, ich schicke augenblicklich einen Voten hin, bald dann gehen wir selbst. Sie hat viel um dich gelitten." — „Das glaub' ich dir, und hätte ich es ihr ersparen können, du welßt es, Frennd, ich hätte es gewiß gethan. Doch davon später; nun zu ihr. Nur eines klär' mir auf. Du sagtest, zur gelegenen Stunde käme ich an, wie verstehe ich das?" — „Sieh hier, da dies Papier ist der Contract mit einem Spanier,, der sich gegen theures Geld verpflichten wollte, dich im Slilleu Ocean zu suchen; mit ihm sollte Don Pepc gehen. Selbst Anna wollte mit; sehr schwer nur ließ sie sich von solch toller Fahrt abhalten. In wenig Stunden hätte ich das Blatt da unterzeichnet; das hast dn nun durch deine Nückkehr dir uud uns erspart. — Doch, da ist der Wagen. Nasch, Kutscher, laf; die Pferde laufen!" — Des Wiedersehens Freude aber lief; meine Braut und mich noch lauge nicht zum ruhigen Erzählm des Erlebten kommen! 344 XIII. Rückkehr und Katastrophe. Wochen vergingen nun. Meine Frau und ich, wir saßen längst im Süden, in Bohol, mit uns und unsern Arbeiten beschäftigt, und dachten kaum noch des vergangenen kummervollen Jahres. Vor uns lag die Hoffnung auf den Lohn, den wir jetzt schon in größerer Nähe uns winken sahen: wir sprachen oft von unsern Planen, wie wir die reichen Resultate meiner Reisen, heimgekehrt, recht auszunutzen dachten. Was sollten wir, da so viel zu thun noch vor uns lag, uns jetzt die Thatkraft schwächen lassen durch behäbiges Zurückschaueu auf den bereits zurückgelegten Weg? Doch unwillkürlich warf uns eines Tags in trübster Weise ein Brief in die Erinnerung an das letzte Jahr zurück. Mein Schwager Hermann theilte uns mit, wie schließlich doch des alten Woodin traurige Ahnungen sich erfüllten. Er schrieb mir Folgendes: „Wie Ihr wißt, hatte Woodin nur eine ziemlich mäßige Ladung Trepang mitgebracht, und da der arme Mann noch von seiner letzten Anwesenheit her hier Schulden zurückgelassen hatte, so war er genöthigt, um diese zu decken, feine Ladung ^ Wut prix loszufchlagen. Der Trepang stand gerade auffallend niedrig, tiefer als seit vielen Jahren; das Geschäft war schlecht. Nun hätte Woodin wieder viel Geld aufnehmen müssen, wenn cr seine Reisen auf Trepang nach den Carolinen hätte fortsetzen wollen; auch die Lady Leigh war schon so schlecht geworden, daß sie einer gründlichen Reparatur dazu bedürfte. Er wäre sicherlich immer tiefer in Schulden gerathen. Als einziges Mittel, sich vor gänzlichem Untergang zu retten, schlug ich ihm Folgendes vor. )ch wollte seinen Schooner, nachdem er hier die nothdürftigste Ausbesserung erhalten hätte, Zu einer Reise nach China miethen (cliartßin), wohin ich in nächster Zeit Reis zu schicken gedachte. Ging es unterwegs unter, so war meine Ladung freilich dahin, denn versichern konnte ich sie in diesem elenden Schiffe nicht. Kam er aber an in Hongkong, so blieb ihm von der Fracht nach Ablohuung seiner Mannschaft noch Anguakl uud Amelukl. 845 ewiges Geld übrig, und mit dem Erlös des dort zu verkaufenden Schiffes sollte er sich dann zu den Seinen nach Hobart Town begeben. Nach schwerem Kampfe mit sich selbst nahm Woodin mein Anerbieten an; mit Thränen in den Augen klagte mir der Arme seinen Schmerz, daß er nnn doch den Freunden von Aibnkit als ein Wortbrüchiger erscheinen würde. Erst als ich ihm versprach, mich seiner beiden Schützlinge von dort anzunehmen, erklärte er sich einverstanden. — Glücklich war seine Reise nach Hongkong. Sein Schiff ward dort noch zu ziemlich hohem Preise verkauft. Was dann aus ihm geworden ist, weiß ich nicht; seit der Anzeige, daß er seine Lady Leigh verkanft habe, hat er mir nicht wieder geschrieben. „Ebenso traurig, uein viel trauriger noch ist es deu beiden von Aibnkit gegangen. Der kraushaarige Fürstensohn war noch während Woodin's Anwesenheit immer melancholischer geworden, Anguakl trug die lauge Abwesmheit von der Heimat besser. Mit Woodin's Abreise nahm des crstern Melancholie immer zu, er magerte sichtlich ab nnd starb hier schließlich im Hospital an allgemeiner Entkräftung. Sectionm, weißt du, darf man hier nicht machen; dem Arzte blieb die Krankheit, an der er gestorben, räthselhaft. Sein letztes Wort war eine Erinnerung an sein Vaterland; es hieß: Palau. Nun kam Chevne mit vollem Schiff hierher. Anguakl, bei dem jetzt auch die Sehnsucht erwachte, wenngleich nicht so stark wie bei dem armen Amelnkl, willigte ein, mit diesem Erbfeind seines Stammes nach Palau zurückzukehren. Vor wenig Tagen sind sie dahin abgesegelt. — Cheyne hat natürlich wiederum reiche Ladung mitgebracht und tteffliche Geschäfte gemacht; jetzt war der Markt ausgezeichnet, nnd dieselben Sorten, die Woodin noch vor wenig Monaten für einen Spottpreis hat losschlagen müssen, wurden von jenem für das Doppelte fast verkauft." So weit der Brief. — Ob Anguakl wirklich in seine Hci-mat gelangte, ob er vielleicht als Feind des Staates Coröre Z46 XIII. Rückkehr lind Katastrophe. dort bei seiner Ankunft nach landesüblicher Sitte getödtet wurde: ich weiß es nicht. Nie habe ich wieder von ihm gehört. Auch Kapitän Woodin war für mich verschwunden. Als ich zwei Jahrs später auf der Heimreise Hongkong berührte, war alle Mühe vergeblich, die ich mir gab, zu hören, ob ihm wirklich sein letzter Wunsch erfüllt wurde: seine Frau und Kinder vor seinem Tode uoch einmal zu sehen. Er war cin gnter Mensch, aber der Unternehmung nicht mehr gewachsen, der er sich am Ende seines Lebens unterzog. Er war zu schwach zum Hammer, und als Amboß mußte er unterliegen im Streit mit Eheyne, der ihm au Kenntnissen, geistiger Gewandtheit nnd rücksichtsloser Anwendung aller Mittel ohne Wahl gewaltig überlegen war. Ehrliche Beschränktheit führt im Kampf ums Dasein, wie er dort im Stillen Ocean entbrannt ist, eher noch als anderswo Znm Untergang. Mein Wanderleben lag längst hinter mir. Zurückgekehrt nach Deutschland hatte ich meiner Thätigkeit mir ungewohnte, neue Bahnen eröffnen müssen; mehr und mehr entschwand mir die Erinnerung an die Vergangenheit, da ich unverwandt den Blick auf meine Zukunft zu richten gezwnngm war. Selten nur gab ich mich dem Genusse hin, durch Lesen meiner Tagebücher mich noch einmal wieder zn verjüngen. Dann verweilte ich vorzugsweise gern bei meinem treuen Freunde von Aibukit; fände ich doch nur Gelegenheit, ihm, wie ich es versprach, cin Lebenszeichen von Angabard aus hinzuschicken, damit er sähe, daß ich ihn nicht vergessen. — Vergebens war mein Bemühen, über Manila oder auf anderm Wege, der sich mir später zu bieten schien, Nachrichten von Palau zu erhalten, solche dahin gelangen zu lassen. Denn alle Schiffe gingen nun, wie früher auch, im Hafen von Coröre zu Anker, und dic Geschenke, die ich etwa dem Steuermann des Cheync oder selbst andern hätte anvertrauen wollen, sie hätten sicher niemals ihren Weg bis nach Aibukit hin gefunden. Ein größerer stummer wäre es sicherlich für Arakalulk gewesen, wenn er gehört hätte. Doctor schickte Sachen nach Palau, aber nicht an ihn, als den cr nun empfindet, da er meint, ich habe ihn vergessen. Komntt aber einst noch günstige Gelegenheit, so sende ich ihm, außer andern Sachen, wie ich cs ihm versprach, nun anch dies Iwok und anch mich selbst darin. Dann wird cr sehen, daß Doctor sciner Freunde nie vergißt. Zur Seite solcher freundlich heitern Erinnerung stand aber oft ein Vild, das sich mir unauslöschlich eingeprägt, in das hinein sich alle Züge kaltblütiger Grausamkeit, feiger Hinterlist und niedrigster Gewinnsucht sammeln, an denen wahrlich das Leben unserer handeltreibenden Seeleute dort im feruen Osten so überreich ist: das Bild des Cheync. Er allein von allen, die ich dort gekannt, schien seines eigenen Glückes Schmied geworden zu sein; ihm allein gelang, was er begann. Sein Name wnrdc weit über seine Kreise hinaus geehrt. Ihm verdankt die Welt mehrere Schriften über die Inseln und die Schiffahrt in jenen Meeren, die dem Gelehrten großen Werth dadurch gewannen, daß in ihucn cm gewiß begabter, recht gebildeter Mann das Selbsterlebtc mit klarein Blick und Ehrlichkeit Zu schildern schien; die dem Seemann auf seinen Fahrten dort im fälschlich so genannten Stillen Ocean tressliche Führung wol gewähren mochten; die dem Leser oft, trotz vieler Widersprüche, den Autor als durchaus humanen, vom edelsten Gefühl für Sitte, Necht und Menschlichkeit durchdrungenen Mann erscheinen ließen. Wie anders stellte sich nur, der ich ein Bruchstück seines Lebens kannte, sein Charakter dar! Doch einen vollen Blick in dessen düstere Tiefen je zu thun, ist nun uns andern wol für immer versagt: die Nachricht seines plötzlichen gewaltsamen Todes auf dem letzten Schauplatze seiner Thaten erreichte mich, als ich 348 XIII. Rückkehr und Katastrophe. schon glaubte, daß er, auf dem Gipfel seiner Macht, sich selbst die Krone über die dortigen Reiche aufgesetzt, Reichthum und Ansehen überall und seinem Vaterlande eine Colonie gewonnen habe! Cheyne habe — so sagt die Zeitungsnachricht — den Haß der Eingeborenen von Coröre dadurch erweckt, daß er nicht ihnen blos, sondern auch feindlichen Staaten Schießwaffen verkauft habe; trotz des größten Vertrauens, das er bis dahin von ihrer Seite genossen, sei er nun ergrissen und getödtet worden. Aber dieselbe Nachricht sagt ausdrücklich gleich darauf, daß der Mörder nur auf Befehl des Häuptlings Ebadul gehandelt habe. — Sollte es je gelingen, den Schleier zu heben, der noch über dem Motiv zu dieser That ruht: ich bin gewiß, daß man dann erkenuen wird, es sei nur die aufs höchste mishandelte Geduld jener Armen gewesen, die sie endlich, nach Brauch und Sitte des eigenen Landes, das Todesurthcil über ihren Peiniger dnrch den Aruan aussprechen ließ. Rechtlos, ein Geächteter in seiner eigenen Heimat, steht dem englischen Colonialgesetz der Heide gegenüber: eines gemeinen Verbrechers Schwur, wenn er nur Europäer und ein Christ, wiegt schwerer dort als das einfache Wort zahlreicher sogenannter Wilden. Nun gar in diesen: Falle: wer sollte sie vor Cheyne behüten, als nur er selbst? Hatten sie sich nicht durch jenen Handelstractat und ihre Constitution so ganz in seine Gewalt begeben, daß er allein Herr über sie geworden schien? Wie war es möglich, ihre Klagen gegen ihn dorthin zu bringen, von wo das Schicksal dieser Armen doch immer nur gelenkt wird, nach Hongkong? Und wie wol wäre ihnen, da sie nicht Christen, der Beweis geglückt, daß Cheyne sich wirtlich gegen sie vergangen habe? Ich meinerseits bin überzeugt, daß cr nie für jene Insel zahlte, die er dort gekanft; ich glaube fest, daß cr ganz allein die Schuld an seinem Tode trägt. Noch mehr, durch jeuen Contract hatte er sich selbst unter das heimische Gesetz gestellt; und schließlich blieb ihnen nur dies eine Ebadul's Tad. Z49 Mittel zuni Schutze gegen ihn: sich seiner zu entledigen nach heimischem Gebrauch, unter dein er selbst ja stand — dnrch Tödtung auf Befehl des Aruau. Aber noch in seinem Tode brachte er den Menschen Unheil, denen er ein Segcnspender zu werden vorgab. Den Mord des Europäers an den rohen Wilden zu rächen, sandte dio englische Regierung von Hongkong den „Perseus", Commander Stevens, nach Palau. Dieser verlangte ohne jede Untersuchung des Falles die Auslieferung des Mörders. Der Eingeborene, welcher ihm als solcher bezeichnet und auf sein Schiff gebracht wurde, gestaud dem Kapitän Stevens, daß er auf Ebadul's ausdrücklichen Befehl den Cheyne getödtet habe. Nun verlangte der Seemann, ^ schien ihm doch wol der Fall undenkbar, daß Ebadul iu seinem eigenen Lande das Necht zu jener That gehabt — daß der König selbst sein Leben lasse zur Sühne für das des englischen Flibustiers. Der Aruau gab auch hierin nach; natürlich, denn sie wußten aus Erfahrung, was ihnen bevorstand, wenn sie sich geweigert hätten. Nur verlangten sü', daß Ebadul durch die Mannschaft des Schisses erschossen werde. Stevens schlug dies ab, verschmähte aber doch nicht, seinen ersten Lieutenant und einige Marinesoldaten an Land zu schicken, uni die richtige Vollziehung des „Urtheils" — meine Feder wollte „des Mordes" schrcibm — zu überwachen. Zwei englische Marinesoldatcn nahmen den König zwischen sich. Ebadul, ernst gefaßt, echten königlichen Muthes voll, sah seinem Unterthan — vielleicht dem eigenen Sohne — gefaßt ins Auge, der mit einen: Schuß den Tod ihm gab! Gesühnt hat er dadurch die Schuld, die seiner Vorfahren und sein eigener kraftloser Ehrgeiz auf sein Volk geladen hat. Schön war sein Sterben: er siel für sein Volk! Schöner wahrlich als das des Cheyne, des Christen: dieser starb nur um sein Geld! Nachtrag I. Ueber das Husfterben der Palau-Insulaner und dessen muthmakliche Ursachen. Daß die Bevölkerung der Palau-Inseln am Ende des vorigen Jahrhunderts eine sehr viel größere war, als sie jetzt ist, zeigt eine nach den von Wilson 1783 gelieferten Daten leicht anzustellende Berechnung, verglichen mit einer auf ziemlich sicherer Basis beruhenden Zählung der jetzigen Einwohner, die ich mit Hülfe von Aratalulk vornahm. Ich lies; diesen ehrlichen und durchaus zuverlässigen Freund zuerst die in jedem einzelnen Staate befindlichen Städte aufzählen, dann die in jeder derselben vorhandenen Clöbbergölls. Sodann ermittelte ich durch die ihm nur für Aibukit genau bekannten Mitgliederzahlen der dortigen Clöbbergölls die Durchschnittszahl eines einzelnen und erhielt schließlich durch Multiplication der letztern mit der Gesammtzah! der Clöbbergölls annähernd die Gesammtsumme der männlichen Bevölkerung. Natürlich ist eine solche Zählung äußerst roh, aber für den vorliegeudcn Zweck völlig ausreichend, wie man gleich sehen wird.' Aus der Zählung der Individuen von 42 Clöbbergölls erhielt ich als Mittelzahl 17,8; und dies gab bei der Totalsumme von 213 Clöbbergölls cinc männliche Bevölkerung von etwa 400<1 Individuen. Nimmt man nun an, daß die Zahl der Weiber derjenigen der Männer nahezu gleich ist oder Ucücr das Außstcrbcn dcr Palau-Insulancr. 351 sie etwas übersteigt, und daß bei der ungenauen Methode vielleicht ein Irrthum von 25 Procent vorgekommen ist, so würde das Maximum der gegenwärtigen Bevölkerung sich auf 100M Seelen belaufen. Zn Wilson's Zeiten aber müssen die Inseln sehr viel dichter bevölkert gewesen sein. Diese Behauptung gründet sich auf die ausführlichen Angaben, welche Wilson bei der Beschreibung der verschiedenen von Corörc nach Mcligeok unternommenen Kriegszüge über die Zahl der Kriegsboote macht, welche dieser kleine Slaat ausrüsten konnte. Coröre war aber von jeher ein unbedeutendes Königreich gewesen, das seine Macht kanm über die nächsten Inseln auszudehnen vermochte. Auf dem ersten Kriegszuge hatte Coröre, fast gauz ohne Bundesgenossen, etwa 150 Boote mit circa 1500 Mann, auf dem dritten mit seinen Bundesgenossen zusammen mehr als 300 Boote kriegsbereit gestellt. Wollte man nun — unrichtigerweise — annehmen, daß das Verhältniß der Bevölkerungen der verschiedenen Staaten damals dasselbe war wie jetzt, so ergäbe sich, da im ersten Feldzug Coröre mit seinen Verbündeten nach diesem Maßstabe ungefähr den sechsten Theil der Gesammtbevölkerung ausmachte, eine Ge-sainmtzahl von etwa 8 — 9000 streitbaren Männern, die aber zunächst noch um wenigstens 5000 Mann zu erhöhen wäre, da die Bundesgenossen memals ihre gesammte Zahl an kampffähigen Männern ins Feld stellen. Dies gäbe etwa 13—140lX) Mann. Rechnet mau dann fcruer 5—0000 noch uicht mit in den Krieg ziehende Knaben und alte gebrechliche Mänuer hinzu, so wäre damals (1783) die Zahl der Männer annähernd etwa 18 — 20000 gewesen. Dies gäbe eine Gcsammtsnmme von mindestens 40000 Einwohnern. Und wenn man dann noch bedenkt, daß damals Aibukit, Meligeok, Peleliu, Armlimui viel mächtigere Staaten waren, als sie jetzt sind, daß Arzmau noch uicht Zerstört worden war uud Noll eine Ausdehnung besaß, die das heutige Dorf gewiß zehufach an Areal übertraf: so wird man wol in 352 Nachtrag I. der angegebenen Zahl von 40000 Einwohnern nicht eine übermäßige, sondern eher eine viel zu niedrig gegriffene Schätznng erblicken. Was aber mögen die Ursachen sein, die das Herabsinken der Einwohnerzahl von nngefähr 40 — 50000 Menschen auf gerade ein Fünftel in weniger als einem Jahrhundert zur Folge hatten? Welche Mittel die Menschen von jeher anwandten, absichtlich oder unbewußt, um diejeuigen zn vertilgen, die ihnen, weil sie ein älteres Necht an die Scholle ihres Heimatlandes zu haben glaubten, den begehrten Platz streitig machten, ist all-bekanut. Bluthunde und Wegblasen durch Kanonen, Feuer-Wasser und Sklavenarbeit, Krieg und rohester Mord (auf den Marianen), Krankheiten und päpstliche Decrete, Habsucht und Vekehrungseifer: sie alle wirkten und wirken noch zusammen, um den blutigen Weg zu bezeichnen, den unsere europäischen Völker iu den letzten Jahrhunderten um die Erde genommen haben. „Das geschah aber doch alles zur Förderung der Civilisation", höre ich sagen. — Wol möglich; ich habe das hier nicht zu untersuchen; ich wollte nur ein kurzes Gedächtniß wieder an die Thatsachen erinnern. — Aber nicht immer, sagt man, sei mit solcher Grausamkeit verführen worden wie in Amerika: ja selbst die Spanier, die doch vor allen sich den Nuf der blutigsten Verbreiter europäischer Civilisation erworben hätten, seien doch auf den Philippinen höchst human in ihrem Vekehrungswerk gewesen. Beweis.- der blühende Zustand der Colonien. — Ich besaß einst eine Neufundländer Hündin, ein treues liebenswürdiges Thier und eine zarte Seele: ein strenger Vlick, ein hartes Wort erzWangen rasch ihren Gehorsam. Mitunter bekam sie doch auch ihre Schläge. Und haben die Bewohner der Philippinen ihre Schläge nie bekommen? Wenn sie nicht solchen Muth und Zähigkeit des Widerstandes hatten wie die Karaiben, um sich wie diese gänzlich vom Ueber das Aussterben der Palau-Insulcmcr. 353 Erdboden vertilgen zu lassen: beweist das etwa für die Humanität, mit der man sie behandelte? Es ging eben meistens ohne Schläge ab. Nur zum Vergleiche zog ich diese Verhältnisse heran; denn auf den Philippinen hat die Bevölkerung nicht abgenommen, und die Ursachen des Aussterbens wilder Völker gilt es doch hier zu untersnchen. An die rohesten und zumeist in Wirksamkeit getretenen Ursachen habe ich oben erinnert. Das Beispiel der Philippinesen aber zeigt uns, wie noch ganz andere Kräfte in Bewegung kommen bei dem Zusammenstoß verschiedener Nationen, selbst der ungebildetsten. Ich habe in meinen Skizzen „Die Philippinen und ihre Bewohner" erklärt, wie es kam, wie es kommen muhte, daß die Spanier sich das Land erobern konnten, ohne genöthigt Zu werden, seine Bewohner auszurotten. Einerseits waren die Insulaner nicht bereit und auch nicht fähig zu einem geschlossenen nachhaltigen Widerstände; ihr Clanwesen steigerte die natürliche Schwäche dieser passiven Nasse. Andererseits aber paßten sich die Einrichtungen, wie sie, als Folge päpstlicher Prätensionm damaliger Zeit, bei den Expeditionen eines Magellan, Legaspi u. s. w> getroffen wurden, namentlich das Institut der Encomiendos und Encomenderos, den Zuständen auf den Philippinen vortrefflich an. Jeder Cazike mußtc zuerst einmal die Wucht des Armes eincs neuen Encomendero zu fühlen bekommen; war das geschehen, so dankte er regelmäßig zu Gunsten des Bagani aus dem Lande der Weißen ab. Seine Götter behielt er, nur ordnete er sie den neugekommenen Priestern unter. Das Clanwesen bildet noch heutigen Tages die Grundlage aller socialen Verhältnisse, aber über dem einheimischen Fürsten, dem Bagani, stand der fremde Encomendero. Diese eine Zwischenstufe vermittelte den Uebergang aus der heidnisch-malaiischen in die christlich-spanische Zeit: beide Culturstufcn verbanden sich, weil sie gleich von Anfang an einen gemeinsamen Punkt der Semper. 23 I54 Nachtrag I. Berührung gefunden und darin die Möglichkeit einer ziemlich harmonischen Verschmelzung gewonnen hatten. Und damit haben wir auch den Punkt angedeutet, von welchem aus wir das Aussterbeu selbst solcher polynesischer Rassen verstehen lernen, gegen welche man kein einziges der obenerwähnten rohcstcn AuZrottungsmittcl angewandt hat. Die Thatsache solches Aussterbens ohne greifbaren Grund beweisen eben die Palau-Insulaner. Die Pocken sind dort gänzlich unbekannt, ebenso andere ansteckende Krankheiten, oder sie haben ihre Kraft eingebüßt. Die Kriege sind in diesem Jahrhundert viel weniger blutig als zu Wilson's Zeiten, und berauschende Getränke haben die Europäer nie dort eingeführt. Die Missionare haben sich noch nicht des einheimischen Aberglaubens bemächtigt. Das einzige, was seit Wilson's Zeiten unser europäischer Verkehr ihnen gebracht, sind bessere Waffen und schärfere Instrumente: jene wenden sie weniger an als früher die schlechtern, und mit diesen beenden sie eine Arbeit in wenig Tagen, zu der sie sonst Wochen brauchten. Und trotz aller solcher Vortheile sterben doch diese liebenswürdigen Menschen aus! Die Erklärung scheint mir sehr einfach. Die Lebenskraft ihres apathischen Naturells und des Culturzustandes, in welchen: sie zu Wilson's Zeiten lebten, mußte durch äußere Mittel gesteigert werden. Zu solchen nöthigte sie die Steinperiodc. Das Bewußtsein, für Beschaffung selbst der geringen Bedürfnisse des dortigen Lebens hart arbeiten zu müssen, erhöhte ihre Energie, und diese wirkte natürlich auch auf ihre Bedürfnisse zurück. Künstliche Schnitzereien, reichverzierte Suppenterrinen, fchöngcschmückte Dolche aus Schildpatt, wie fie Wilson in seinem Buche abbildet, müssen damals gerade nichts Seltenes gewesen sein; ihre langen Bänke und runden Böcke zum Aufbauen der Kukau-Pyramiden zierten sie in geschmackvoller Weise mit weißen Muschelschalen. Ueber dem Herde hing in jedem Hause ein nicht selten zierlich geflochtener Schrank zum Aufbewahren der nicht ver- Ueber das AuSsteiben der Palau-Infulancr. Z55 brauchten Speisen. Jetzt ist von solcher Thätigkeit keine Spur mehr zu finden. Wo ich auch hinsah, im Norden wie im Süden, in den Häusern der Fürsten wie des Volks: überall sah ich Reminiscenzen an jene vergangene thatkräftige, gesunde Zeit; und wo ich hinhörte, da sagte man mir überall: „Ja, diese schönen Sachen haden früher unsere Kalids gemacht, deshalb halten wir .sie so heilig; aber selbst machen können Wir sie nicht." Mit den Beilen und Waffen aus Stein und Fisch-tnochen haben wir Europäer ihnen das einzige Mittel genommen, sich des schädlichen Einflusses ihrer natürlichen Faulheit und Indolenz zu erwehren: das Bewußtsein, leicht etwas erreichen zu können, crtödtet nicht blos bei Wilden die Begierde nach dem Besitz. Das Eisen des Europäers folgte zn rasch auf den Stein des Wilden: so mußte nothwendig das, was für sie vorgeblich ein Segen werden sollte, sie krank machen und hinsiechen lassen an Seele und Leib. Absichtlich habe ich das, was ich dort aus eigener Beobachtung vor langen Jahren ermittelte und im Jahre 1866 bei der Vertheidigung meiner Habilitationsthesen auch deutlich aussprach, hier nur kurz und flüchtig hingeworfen. Denn meine Erfahrung in Bezug auf das Ausstcrben wilder Völker stimmt mit jener Erkenntniß, wie sie Georg Gerland auf theoretischem Wege gewonnen und in seiner bekannten trefflichen Schrift „Ueber das Aussterbcn der Naturvölker" niedergelegt hat, so durchaus überein, daß ich es für überflüssig halten darf, hier anders als in kurzen Worten durch das Resultat meiner praktischen Wahrnehmungen die Ansichten dieses tüchtigen Ethnologen zu bestätigen. 23» Nachtrag II. Name und Stammoerwandtschaft der Palau Insulaner. 32aZ den Namen der Palau-Inseln und den scheinbar autochthonen der Bewohner selbst betrifft, sei es mir gestattet, hier einen Aufsatz, den ich im „Corresvondenzblatt der deutschen anthropologischen Gesellschaft", 1871, Nr. 2, Februar, veröffentlichte, zu reproduciren, um dem Leser in dieser, wie mir scheint, ganz erledigten Frage alle die Argumente an die Hand zu geben, welche zur Bildung eines eigenen Urtheils dienen können. „Die westlichste Inselgruppe der Carolinen im Stillen Ocean wird bekanntlich von den Engländern mit dein Namen «I'oiL>v-IMiiä8» belegt, von den Spaniern dagegen auf ihren Karten und in ihren GeschiäMwerten «I8!kk 1'a,lQ08>' bezeichnet. Woher jener englische Name stammt, weiß ich nicht. Möglich, daß er durch eine Verdrehung des Namens der Insel «Peleliu» entstand; gewiß ist, daß von den Eingeborenen die ganze Gruppe weder mit diesem noch mit jenem Namen belegt wird. „Die spanische Benennung der Inselgruppe ist ganz entschieden falsch. Zunächst geht aus den detaillirten Angaben des P. Murillo Velarde («Iii^toria etc.« Manila 1749^, S. Z75 fg.) hervor, daß diejenigen Insulaner, welche zu verschiedenen Zeiten durch östliche Stürme an die Ostküste von Samar oder Name und Stammvcrwcmdtschaft dcr Palau-Insulaner. 357 Mindanao geworfen wurden, keine Bewohner jener westlichsten Carolinen gewesen sein können. Die Namen ihrer Inseln finden sich nicht auf den PalauZ, sondern weiter östlich; keine einzige der wirklichen Palau-Inseln wird dort genannt. Ihre Boote waren Doppelcanoes, wie sie nirgends auf den Palaus gebräuchlich sind; sie führten Weiber auf ihren Seereisen mit sich; die Männer trugen Mäntel über dcn Schultern; die Frauen ließen ihr Haar lang auf die Schulter niederfallen — alles Gebräuche, die ganz gegen die Sitte der Palau-Insulaner verstoßen. Der von jenem Schriftsteller beschriebene Gruß, mit der Hand die Stirn zu berühren (a. a. O., S. 376), wird von den echten Palaus nicht angewandt; er deutet auf einen Zusammenhang mit den Malaien hin. Auch in den Nachrichten, die uns über die Carolincn in den «I^twes 66tit8 vai88uaux, gu'on a^ptM jei (d. h. also in Manila) pai'llok.» Dies ist das philippinische (malaiische) Wort für ein größeres Fahrzeug und würde im Deutschen «Paraü» zu schreiben sein; Ii und 1^ sind im Spanischen sowol wie in den philippinischen Idiomen identisch, und da die spanische Sprache den Diphthong au ebenso gut a« schreiben kann, wie aus den tagalischen Wörterbüchern zu ersehen ist, denselben aber doch nicht als solchen (im Spanischen) aussprechen läßt, so ist der Irrthum sehr erklärlich, daß später die Spanier, dem Geiste ihrer eigenen Sprache gemäß, den Ton auf die erste Silbe des uun dreisilbig gewordenen Wortes ?H-1a-o8 legten. Während also zu Murillo Velarde's Zeiten das Wort lHla08 oder I>a,i'!iÜ8 gesprochen wurde, machten die Spätern?lUao8 daraus. Diese Ableitung deZ Wortes macht es im höchsten Grade wahrscheinlich, daß durch irgendein Versehen der von den Samaresen gewissen Booten beigelegte Name pcuÄu irrthümlich auch auf die Menschen darin angewandt, nachher aber in der angegebenen Weise hispamsirt wurde. Ich sage wahrscheinlich, weil ich die erste Ausgabe der kI.(Mi'L8 <5äiüanto8» nicht kenne. Sollte P. Clain wirklich geschrieben haben: «gu'on aiMiI<; ici", so würde damit der Beweis geliefert sein, daß obige Vermuthung das Nichtige getroffen hat; denn die «Geschichte« des P. Murillo Velarde stützt sich hierbei (allein) auf jenen Brief des P. Clain, und der Irrthum ist dann sicherlich nur dadurch entstanden, daß er statt jener bestimmten (französischen) Wendung die unbestimmtere «Huv Hainan ?ai2,08», deren Subject nach damaliger Schreibweise so gut die Insassen Name und Stammvcrwllndtschaft der PatawIiisulimcr. Z59 der Boote wie die Bewohner vsn Samar gewesen sein können, subsntuirt hat. Der Name der Inselgruppe und ihrer Bewohner wurde also hergenommen von der Bezeichnung eines philippinischen Fahrzeugs. Uebereinstimmend damit kennt denn auch die Sprache der Bewohner der westlichsten Caroline« das Wort Miau nicht als Fahrzeug. Die drei verschiedenen Canoes derselben heißen ^ib, kotmui und icnvvoi^I. (Auch auf Jap wird/ wie ich aus einem mir gütigst von Herrn Godeffroy in Hamburg mitgetheilten Wörterbuch der dortigen Sprache ersehe, das Wort Mau nie für ein Fahrzeug gebraucht. Späterer Zusatz 1872.) „Wohl aber bezeichnen die Eingeborenen ihre Inseln als 1'ailm und sich selbst als laiiaä-Är-I'^nü, d. h. Menschen von Palau. Dies, däucht mir, ist leicht zu erklären. Mit dem Worte ?cünu oder I'allw« bezeichneten die Spanier im 18. Jahrhundert alle östlich von Mindanao liegenden Inseln, und als die Missionare ihre bekannten Versuche machten, den Palaus das Christenthum zu bringen, rechneten sie sowol die näher bei Neu-Guinea liegende Insel Sonsorol wie auch Jav und Fais mit dazu. Die Patres gelangten nur nach diesen drei genannten Inseln; daß sie wirklich die Inselgruppe, welche mau jetzt ausschließlich Palaus nennt, erreicht haben, ist nur cine unbegründete Vermuthung. Mit dem Tode des P. Can-tova und einiger andern nahmen 'solche Versuche ein Ende. Als dann gegen Ende des Jahrhunderts Wilson und die Engländer die echten Palaus entdeckten, die sie aber leisn-Iidianä« nennen, eröffneten sie den Spaniern von Manila ein durch lange Jahre hindurch bebautes fruchtbares Feld für Han-delsunternehmungen. Es ist notorisch, daß in den ersten drei Deccnnien unsers Jahrhunderts zahlreiche spanische Schiffe auf Trepang nach Coröre, dem Haupthafen dcr Inselgruppe, fuhren, und dabei werden sie wol den Namen Palaos den Bewohnern gegeben, diese ihn gern angenommen haben. Eine Anzahl 360 Nachtrag II. spanischer Worte sind theils ganz unverändert, theils corrumpirr iu ihre Sprache aufgenommen, ja das Wort Mquito (klein) ist als ein Zärtlichkeitswort sogar in ihre poetische Sprache eingedrungen; während sie doch an verwandten Ausdrücken keinen Mangel in ihrem Idiom litten. Es kann also kaum unerklärlich erscheinen, daß sie den von den Spaniern eingeführten Namen adoptirtm. Gestützt wird solche Annahme noch durch folgende Sage über die Entstehung desselben, die offenbar auf eine Einführung durch Christen hindeutet. Vs führten, so erzählt die Mythe, in frühern Zeiten die Inseln einen andern Namen als jetzt. Da sei einst ein junges Mädchen aus Coröre in den Nachen eines großen Fisches gerathen und habe in ihm sieben Tage lang gelebt; dann sei der Fisch ans Land getrieben und habe das Mädchen ausgespien, die nun nach einigen Stunden gestorben sei. Um das Andenken an dieses Wunder zu erhalten,, habe man ihren Namen Palau auf die Inselgruppe übertragen. Ein solches Verfahren verstößt aber durchaus gegen die Gewohnheit der Bewohner. Eifersüchtig bewahrt dort ein jeder Staat seine ihn auszeichnenden Eigenthümlichkeiten in Wort und Sitte; für denselben Begriff gibt es mitunter drei gänzlich verschiedene, von den Bewohnern verschiedener Dörfer gebrauchte Worte, und eine willkürliche Benennung der ganzen Inselgruppe durch die Bewohner im Süden würde sich nie im Norden Geltung verschaffen, und umgekehrt. Wohl aber nehmen sie alle im Verkehr mit Europäern gern die Worte an, welche diese eingeführt haben; und da, wie ich oben gezeigt, der Name Palau schon auf den Philippinen entstanden war, als man noch sicherer Nachrichten über die Bewohner der schon (16i16) benannten, aber noch unbekannten Inseln entbehrte, so ist wol die Annahme, daß der neue Name dann auch von den Eingeborenen bereitwilligst zur Bezeichnung ihres Landes adoptirt wurde, so weit sichergestellt, als dies überhaupt möglich zu sein scheint." Name und Stammverwandtschaft der Palan-Insulancr. Z61 Damit ist dann aber auch bewiesen, daß die erste und einzigste Quelle für das Studium der Sitten der echten Palau-Insulaner das Buch des Kapitän Wilson ist; und ferner, daß die Nachrichten der Spanier über die von ihnen sogenannten Palaos nicht zn benutzen sind, wenn es sich darum handelt, die Verwandtschaftsbeziehnngen derjenigen Südseebewohner zu bestimmen, welche wir nun einmal Palaus oder Pelews nennen. Daß der Name durch einen Irrthum entstanden ist, thut nichts zur Sache, da wir jetzt zum Glück ganz genau wissen, welche Inselgruppe und welche Menschen wir mit diesem falschen Namen bezeichnen. Bei dem heutigen Zustande der wissenschaftlichen Anthropologie und Ethnologie hält es dem Reisenden, der nicht speciell als Anchropolog reist, sehr schwer, bedeutendes Material in Bezug auf die physischen Eigenthümlichkeiten einer Nasse beizubringen. Beschreibungen, wie sie frühere Erdumsegler gaben, sind jetzt fast überflüssig. Aber leicht gewinnt der naive Beobachter einen gewissen Blick für die Eigenthümlichkeiten einer Rasse, ich möchte ihn den „specifischen Blick" nennen — wie ja auch der Zoolog durch stetes Beobachten specifischer Besonderheiten in einer Thiergrupfte sich diesen specifischen Blick auch für andere Formen erwirbt, ohne daß er freilich sein Urtheil durch Maße zu belegen vermöchte. Das meine, in langem Verkehr mit den Palau-Insulanern gewonnen, geht nun dahin: daß sich im Haar wie in der Gesichtsbildung eine ganz deutliche Mischuug zweier verschiedener Rassen erkennen läßt, nämlich der malaiisch-polynesischen und der Papuasischen. Die Körperfarbe variirt zwischen hellem Gelbbraun, Kupferbraun und ziemlich intensivem Braunschwarz; verdeckt wird freilich die Hantfarbe häufig durch entstellende Hautkrankheiten (Ichthyosis) oder durch die Gewohnheit, sich den Körper mit einem aus der Gur-cuma bereiteten gelbrothen Farbstoff zu beschmieren. Alle ihre Häuser sind voll von dieser Farbe, sodaß es einem Europäer in 362 Nachtrag II. weißer Kleidung geradezu unmöglich ist, diese auch nur für einige Stunden rein zu bewahren; daß dabei die natürliche Hautfarbe der nackten Eingeborenen stark verdeckt wird, ist erklärlich. Das Haar ist fchwarz, mitunter glänzend, doch häufiger matt und dann, wenn ungeölt, von etwas bräunlichen: Auslug; das glänzende schwarze Haar ist meistens glatt oder nur wenig kraus; das matte braunschwarze dagegen immer kraus und in großen Locken wachsend, wie sie, eigenthümlich frisirt, so charakteristisch für die Papuasischen Bewohner des eigentlichen Melanesien sind. Sie tragen dies krause Büschelhaar aber sehr einfach, von vorn nach hinten zurückgekämmt und am Hinterhaupt — bei beiden Geschlechtern — in einen großen einfachen Knoten zusammengebunden. Veim Vaden öffnen sie diesen Knoten; dann erstaunt man über den mächtigen Umfang ihres Haupthaars, das alle Theile des Kopfes in gleicher Länge wie eine große runde Kappe unlgibt. Wenn meiu Freund Arakalulk sich sein Haar ausgekämmt hatte, so wies er eine Haarkrone auf, wie sie ein echter Papua — abgesehen von seiner gekünstelten Frisur — sich nicht besser wünschen würde. Schärfer noch als in der Haarbildung spricht sich iu den Gesichtszügen die Mischung aus. Ganz rein malaiische Formen kommen so wenig vor wie reine Papuagesichter. Leider bin ich nicht im Stande, die guten Porträts und Photographien, die ich besitze, diesem Buche beizugeben; durch sie würde auf den ersten Blick bewiesen werden können, daß malaiisches Blut in den Adern der Palaus rollt. Für die Papuasische Beimischung aber spricht ein Umstand — ganz abgesehen vom Haar, der Farbe u. s. w. —, der in seiner exceptionellen Bedeutung bis-jetzt, meines Wissens, nur von wenigen Reisenden recht gewürdigt worden ist. Earl und Wallace machen beide in ihr-en Neisewerken mit großer Emphase darauf aufmerksam, daß bei dm Papuas häusig jüdische (europäische) Physiognomien, echt jüdische Nasen vorkämen (was übrigens auch schon früher Rei- Name und Stammverwcmdtschaft der Palan-Insuiauer. Z(j3 sende bemerkt haben), während sie bei allen echten Malaien gänzlich fehlen. Diese jüdischen Gesichtszüge sind auch mehrfach in dem Buche von Salomon Müller zn finden, und ganz ähnliche Köpfe waren mir gleich bei der ersten Begegnung mit Peleliu-Leuten aufgefallen.^) Als ich diese Bemerkung niederschrieb, war mir nur Müller's Atlas bekannt; Wallace und Earl hatten ihre reichen Beobachtungen theils noch nicht mitgetheilt, oder sie waren mir wenigstens bis zum Jahre 186l gänzlich unbekannt geblieben, sodaß ich ohne jede vorgefaßte theoretische Meinung von den verwandtschaftlichen Beziehungen Zu Papuas oder Malaien die Thatsache meinem Notizbuch einverleibte, „daß mich einige der Peleliu-Insulaner, die an Bord gekommen waren, als wir uns den Inseln näherten, auffallend an gewisse jüdisch aussehende Bewohner von Neuguinea erinnerten." Nur einen einzigen Schädel habe ich mir während memes zehnmonatlichen Aufenthalts auf den Palau-Inseln verschaffen können. Der Unterkiefer fehlt an demselben; sonst ist er wohlerhalten. Er wurde im Dorfe Aibukit neben dem Bai der Rupacks im Gebüsch liegend gefunden und muß einen: feindlichen Staat entstammen, da die Palau-Insulaner ihre eigenen Todten mit großer Ehrfurcht bestatten und ihre Gräber pflegen, wie ich es selten bei heidnisch-malaiischen Völkern gc-sehen habe. Die Pietät, welche sie ihren im Grabe ruhenden Vorfahren zollen, ha! es auch verhindert, daß ich mehr als diesen einen Schädel erbeutete, und der Zufall misgönnte mir *) Hä'M hätte besser gethan, statt einer Caricatur eines Papua, wit cr sic m sciucr ..Natürlichen Schöpfungsgeschichte" (5 Aufs., Taf. XIV), gibt, eine der Müllcr'schen oder Earl'scheu Adbildungeu zu coftiren. Ich weif; uicht, woher cr sein Bild gcnouuneu hat; daß cs aber absolut unwahr ist, leidet für mich keiueu Zweifel. Vgl. Temmiuck, „Naturlijke Geschie-denis etc. Land en Volkenkunde door Salomon Müller" CDceuguiuea), 2af. 7 mtb 8, unU @art, „Papuans", Kaf. VI. 4b 364 Nachtrag II. die Erwerbung des Kopfes jenes Erschlagenen, um dessentwillen sich Muro solcher Demüthigung im Staate Aibutit ausgesetzt sah.. Obgleich nun die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, daß dieser Schädel wirklich ein Palau-Schädel ist, so wage ich ihn doch nicht ganz unbedingt als solchen anzusprechen, da auf diesen Inseln auch einige von Stürmen dahin verschlagene echte Malaien und einige Bewohner von Mp — ganz abgesehen von den naturalisirten Europäern — lebten; schon zu Wilson's-Zeiten waren echte Malaien dort, freilich in äußerst geringer Zahl. Ich habe für nöthig gehalten, dies hervorzuheben, da in der weitaus größten Zahl dcr Fälle ein sträflicher Leichtsinn bei Bestimmung der Herkunft der Schädel fremder Nationen obwaltet. Die Bezeichnung „Papua von Neu-Guinea" oder „Negrito von den Philippinen" ist kaum besser zu verwerthen, als wenn ein auf einer Anatomie in Deutschland erworbener Schädel als „Germanenschädel" in dein Schranke eines Liebhabers paradirt. Ob z. A. die Schädelform, wie sie Virchow kürzlich von den Negritos der Philippinen beschrieben hat, wirklich die typische der dortigen Negritos ist, scheint mir noch etwas zweifelhaft; denn es stammen sämmtliche von ihm untersuchte Schädel von Mariveles her, einem Gebirgsstock in nächster Nähe Manilas, dessen Bewohner seit den ältesten Zeiten nicht blos mit den christlichen Malaien der Ebene in täglichem Verkehr gestanden haben, sondern sich auch thatsächlich häufig mit ihnen vermischten. Die Annahme, daß die brachycephale Form auf einer solchen Mischung beruhe, dürfte so lauge nicht als unhaltbar zurückgewiesen werden, als nicht größere Schädelreihen namentlich solcher Negritostämme nach Europa gelangt sind, wie sie nur noch an der Nordostküste LuZons in Ziemlich bedeutender Menge und großer Selbständigkeit leben. Virchow hebt ebenda hervor, daß sämmtliche ihm vorliegende Schädel von Negritos spitz zugefeilte Zähne zeigen. Diese Sitte kommt sowol bei malaiischen wie — allerdings bei weitem ^häufiger ^ bei Papua- Name imd Stamuwerwaudtschaft der Palau-Insulancr. 365) fischen Rassen vor; aber auf den Philippinen ist sie merkwürdig genug ganz auf die Negritos von Mariveles beschränkt. Wenigstens habe ich selbst, der ich glaube die Wilden der Philippinen besser zu kennen als irgendeiner der modernen Reisenden — da ich weitaus mehr als zwei Drittel meiner Reisezeit cben unter den dortigen Wilden zugebracht —, ich selbst, sage ich, habe Negritos und Negritomischlinge auf den verschiedensten Inseln gesehen, aber jene Sitte des Abfeilens der Zähne nirgends anders als in Mariveles beobachtet. Eine besondere Eigenthümlichkeit des ganzen Regritostammes ist also dieser Gebrauch sicherlich nicht. Es wird also — um von dieser Abschweifung zum Thema zurückzukehren — mein Palau-Schädel höchst wahrscheinlich ein solcher sein; aber er muß doch vorläufig mit leisem Mistrauen betrachtet werden. Er ist entschieden dolichocephal, ziemlich hoch — doch gehört er nicht zu der hypsistenocephalen Gruppe —, von ziemlich erheblichen: Prognathismns und mit schräg zurückweichender Stirn, wie sie den eigentlich malaiischen Völkern zukommt. Eine ausführliche Beschreibung mit Maßangaben und Abbildung werde ich an einem andern Orte veröffentlichen. Auch die Sitten und Gebräuche beweisen deutlich, wie ihr Aeußeres, den Mischliugscharakter dieses Volks. Wenn ihre früher gewiß nicht unbedeutende Kenntniß der Sternbilder, die Erbfolge in der weiblichen Linie, Gebrauch des Geldes und Eintheilnng desselben in sieben verschiedene Sorten, die All-gemeinheit des echten Tätowirens mit einer Nadel; wenn das Gesetz, daß der Niedriggestellte im Umgänge mit Fürsten sich der vornehmen Sprache zu bedienen habe, umgekehrt der Edle ^ der Nupack -^ mit dem getueinen Volke die niedrige Sprache spricht, und wenn noch so manche andere, hier zu übergehende Züge theils polvnesisch-malaiischen, theils auch wol gar, wie aus einigen Sagen hervorzugehen scheint, chinesischen oder chinesisch-malaiischen Einfluß aufs deutlichste erkennen lassen: so 366 Nachtrag II. ist andererseits auch der melancsische ebenso scharf bezeichnet. Das „Sumbah" der Malaien, jener bekannte Gruß durch Erheben der Hände an die Stirn, fehlt hier gänzlich, obgleich es nach Murillo Velarde weiter östlich auf den Carolinen und bei Polynesian zu finden ist. Neben Speeren spielen Bogen und Pfeile als Waffen eine große Nolle, wie bei allen echten Papuas und selbst den Negritos der Philippinen; den Malaien fehlen sie fast gänzlich. Alle Papuas durchbohren sich ihre Nasenscheidewand; auch diese Sitte wird auf den Palaus geübt, ist aber den Malaien unbekannt. Diese letztern lieben rauschende, lärmende Musik, deren sie bei ihren Spielen sowenig wie bei ihren Gelagen und Aufzügen entbehren mögen; ihre Instrumente sind zahlreich und verschiedenartig. Bei den Austral-negern, Negritos und Papuas gibt es nur zwei Instrumente: die Flöte und die Trommel. Auf den Palaus ist nur den Mädchen im Bai, den Armungul, gestattet, die Flöte zu blasen, jedes andere musikalische Instrument ist verpönt; ihre einzige öffentlich geübte Musik ist der den pantomimischen Tanz begleitende Gesang. Ja selbst dieser ist himmelweit von dem des Malaien verschieden: ruhig, ohne Rhythmus und doch nicht unmelodisch, aus tiefer Brust heraus dort auf den Palaus; bei den Malaien näselnd, im höchsten Falset und oft in lebhaftem, leidenschaftlich bewegtem Rhythmus. Für die auffallendste Sitte aber, welche dem ganzen Leben dort seinen so scharf mar-tirten Stempel aufdrückt, für das getrennte Leben der Geschlechter im „Bai" der Männer und im „Balai" oder „Bli" der Weiber und kleinsten Kinder, gibt es unter malaiischen Stämmen nichts Analoges. Man möchte vielleicht hier die großen Häufer der Dayaks und anderer malaiischer Stämme heranziehen; aber das geschähe mit Unrecht. Denn es wohnen in ihnen die Familien nebeneinander in kleinen Abtheilungen — Stuben — jenes großen Hauses; es sind eine Menge kleiner Wohnungen mit gemeinschaftlichem Dache. Hier bei den Ma- Name uud Stamniverwcmdtschaft dcr Palau^Insulaner. 3Ü7 Illien ist es die Frau, welche den Hausstand begründet, ihr Mann gehört ihrer Familie nicht an, sondern nur der eigenen. Im schroffen Gegensatz dazu ist auf den PalauZ der Mann der Herr seines Hauses. „Hct Maleische gezin, in de engere be-teekenis van het woord (samandei), bestaat dus uit de nioe-der met hare kinderen. De vader behaart er niet toe" („Tijdschr. v. Nederl. Indie", 3. Serie, 3. Jahrg., 1869, S. 174). Aber dies ist nur ein Unterschied zwischen den PalauZ und den echten Malaien, dessen Bedeutung freilich auch so nicht zu verkennen ist. Beweisend jedoch würde cs für den Zusammenhang der Palaus mit den Papuas erst dann sein, wenn auch diese das Bai und das Balai ^ im Palau-Sinne — hätten. Und das scheint in der That der Fall zu sein; freilich sind es nur wenige Beobachtungen, auf die ich mich hier berufen kann. Iukes erzählt in seinem „Nari-ativ, S. 677) sagt Gerland, sich stützend auf die Autorität von D'Urville, Erskine, Williams und Calvert, von den Pempelu: „Wie im übrigen Melanesien dienten auch die zu Fidschi, wo jeder Ort einen oder mehrere hat, als Versammlungsort, Schlafraum für die Männer und öffentliche Herberge." Das ist zwar nur wenig; aber doch scheint es mir Z68 Nachtrag II. hinreichend, um der Vermuthung Raum zu gönnen, daß im ganzen Melanesien früher ähnliche Einrichtungen bestanden haben mochten, wie sie auf Palau im Clöbbergöll ihre schärfste, kürzeste Bezeichnung gefunden haben. Daß man von ihnen nichts weiß, nimmt mich nicht wunder. Daß Erzählungen der Missionare keine lautern Quellen zum Studium des Lebens heidnischer Völker sind, wissen wir längst; und daß Seefahrer oder selbst Reisende von Fach bei flüchtigster Berührung die eigene, oft noch rein subjective Auffassung zum Maß des Lebens anderer ihnen ganz unverständlicher Völker machten, ist auch bekannt. Wenn man nun bedenkt, wie leicht ein solcher etwas, was doch äußerst wichtig zu wissen wäre, für unbedeutend, der Mittheilung unwerth ansehen kann, weil er, ohne Kenntniß vom Leben der Bewohner, das Wesentliche nicht vom Unwesentlichen zu trennen vermag: so ist es auch wol kaum zu verwundern, daß wir bis jetzt bei den Papuas, die uns noch so äußerst unbekannt und immer nur flüchtig von Reisenden besucht worden find, von der Clöbbergöll-Sitte der Palaus keine deutliche Spur gefunden haben. Trotzdem mag sie noch gefunden werden; ich meinestheils bin hiervon überzeugt, weil ich mir jene naive Beobachtung Juke's und die andern mitgetheilten Bemerkungen nur auf solche Weise recht zu deuten vermag. Daß andere Reisende nichts AehnlicheZ sahen, ist kein Argument dagegen; sie hatten eben nicht die Augen dafür, oder sie mis-deuteten das Gesehene. Wie leicht das, namentlich früher, geschah, zeigt Wilson: in seinem dicken Buche wird uns viel erzählt über allerlei Erlebtes, Unwichtiges; aber nur einige ganz flüchtige Andeutungen lassen erkennen, daß er die Vais gesehen und in ihnen die Armungul und die so auffallenden interessanten bildlichen Darstellungen der alten Sagen auf den Tragbalken des Dachstuhls. Ginge aus seinen Aeußerungen nicht deutlich hervor, daß das Leben der Palaus vor fast hundert Jahren genau dasselbe war wie heute noch, ich würde, hätte er auch Name und Stamnwerwandtschaft dcr Palan-Insulancr. ^69 solche kurze Beinerkuugen unterdrückt, nicht zu widersprechen wagen, wenn jemand skeptisch vermuthete, es könnten wol diese bunten Bilder durch den von Wilson dort zurückgelassenen Engländer zum Zeitvertreib ersonnen und ausgeführt, das ganze Clöbbcrgöll-Leben von ihm aber später dort eingeführt worden sein. Das stärkste Argument aber für die Mischung Papuasischen und malaiisch-polynesischen Einflusses'") auf den Palaus scheint mir die Sprache. Ich habe bereits im Jahre 1871 auf der Anthropologischen Versammlung in Schwerin in einem Vortrage auf t>en höchst eigenthümlich gemischten Charakter der Palau-Sprache hingewiesen; in dem Eorrespondenzblatte des Vereins für 1871 wurde dieser Vortrag auch publicirt. Da außerdem im Text des vorliegenden Buchs einige der hervorragendsten Eigenthümlichkeiten der Sprache bereits eingehend geschildert wurden, so kaun ich mich hier darauf beschränken, die hauptsächlichsten Züge im allgemeinen hervorzuheben. Diejenigen Besonderheiten, welche nach von der Gabelentz die melanesischcn Sprachen von den polynesischen scheiden, sind zweierlei: 1) der Reichthum an Conso-nantcn und die vorwiegend consonantale Endung der Worte; *) Die Ansicht uon dcr Mischung verschiedener Rassen im Stillen Ocean ist bekanntlich sehr alt. Man hat sie in nmcstcr Zeit fallen lassen; doch ge^ schah dies meistens liun Stubengelehrten. Gcrland namentlich, der verdienstvolle Hcransgebcr des sechsten Bandes von Waitz' „Anthropologie der Natur-vättci", stritt die Ansicht «ou der großen Reinheit der melancsischcn uud polyuchschen Nasse mit entschiedenstem Nachdruck. Von seiner Beweisführung kaun ich freilich mir sagen, das; sie mich nicht überzeugt: denn sie beruht ausschließlich auf der allerdings nicht direct ausgesprochenen, doch heraus-zulcscnden Behauptung, die aber durch nichts bewiesen wird: daß alle die sonst als Spuren polyncsischen Einflusses in Sprache, Sitten, Religion u. s. W. gedeuteten, von ihm selbst hervorgehobenen Aehnlicht'eiten zwischen Melanesicrn und Polyuesicrn als ursprünglich den Melanesien: ebenso gut wie den Polynesiern zukommend anzusehen seien. Eine Kritik seiner Argumente zu geben, mnß ich hier unterlassen, um sie an günstigerm Orte später zu bringen. Temper. 24 370 Nachtrag II. 2) das Vorhandensem von Possessivpartikeln, welche, dem persönlichen Pronomen entnommen, als Sufftxa gewissen Wurzeln (nämlich solchen, die Körpertheile und Verwandtschaftsgrade bezeichnen) angehängt werden. Was den ersten Punkt betrifft, so hat nach Gabelcntz keine melanesische Sprache mehr als 18 Consonantcn; auf den PalauZ habe ich 21 gefunden. Die Zahl der Worte, welche mit Lonsonauten auslauten, ist größer als die dcr vocalisch auslautenden; und ebenso ist es mit dem Anlaut der Worte. Dieser consonantale Charakter der Sprache spricht sich noch entschiedener in der häufigen Zusammenstelluug mehrerer Consonanten aus, z. V. «cini», ärumic, n^jMcl, luiilln^, lm^elirek, ar^nkiei, täinorck, lua^siccl, mwk u. s. w. In Bezug auf den zweiten Punkt hebe ich Folgendes hervor. Es hat sich auf den Palaus (wie schon im Text geschildert) aus dem melauesischen Possessiv suffix eine wirkliche Declination und sogar Conjugation entwickelt. Declinirt werden in der früher angegebenen Weise nicht blos Worte, welche Theile des Körpers, des Geistes oder Verwandtschaftsgrade bezeichnen — wie im Aunatom und andern Dialekten Melanesiens —, sondern auch alle Wurzeln von Substantiven, welche überhaupt besessen werden können, z. B. Haus, Matte, Canoe, Meißel u. s. w. Genau die gleichen Possessivsufsixa (siehe S. 204) werden aber auch an Verbalwurzcln augehängt, so-daß eine echte Conjugation entsteht. Solche zu conjugirende Verbalwurzeln sind z. B. kniti (wegwerfen), I)i»^ (geben), 8<> (lieben), kati (nicht mögen), indi (trinken), tcM>M (lügen) u. s. w.; daneben gibt es freilich eine größere Zahl von Verben, welche nicht in dieser Weise conjugirt werden. Eigenthümlich und das Verständniß erschwerend ist dabei, daß das Suffix des Verbums nicht immer das Subject des Satzes bezeichnet; so heißt zwar «mlk: ich liebe, aber di^üi: gib mir. Auffallend ist ferner noch und, wie es scheint, ganz ausschließlich die Palansprache bezeichnend der Umstand, daß viele der Name ui'.d Stmmnverwandtschaft der Palau-Iusulani'r. Z71 abzuwandelnden (Substantiv- und Verbal-) Wurzeln anders lauten als die zweite nicht abzuwandelnde Forin (S. W4 einige Beispiele). Diese Verschiedenheit der gleichbedeutenden Wurzeln kann mitunter sehr groß sein nnd Ursache zahlreicher Mißverständnisse im Verkehr mit den Insulanern werden, deren ich eins im Text mitgetheilt habe. Andererseits finden sich im Wortschatz zahlreiche polync-sische oder malaiische Wurzeln, und die Mehrzahl der Pronominalformen sowie der Zahlwörter ist wol malaiischen Ursprungs. Ueberhaupt hat man ja auch die malaiisch-polynesische Verwandtschaft der Mitronesicr uud damit auch der Palan-Insulaner nie bezweifelt, sodaß es sich hier nur darum handeln konnte, den doch so scharf ausgesprochenen melanesischcn Charakter der Sprache hervorzuheben. Läßt man aber gelten, daß die hier kurz bezeichneten Eigenthümlichkeiten der Sprache und der Sitten wesentlich melanesisch sind, so ist damit die Mischung bewiesen, wenn man nicht zu dem unter den heutigen Anthropologen nicht selten beliebten Mittel greifen will, Sprache und Sitten als ganz ungeeignet zur Erkennuug der Verwauotschaftsbeziehungen zwischen Völkern zu perhorresci-ren. Gegen ein solches Verfahren kann ich natürlich nur Protest einlegen; eine Discussion ist dann unmöglich. Anders stehe ich denen gegenüber, welche, wie Gerlano, die Bedeutung der Sprache für ethnologische Forschungen anerkennend, die Reinheit der melanesischen und polynesischen Nasse zu ihrem Glaubensbekeuntniß gemacht haben. Diese können meines Er-achtens nur zu zwei Resultaten kommen: cntweder mit mir in den Palaus eine entschiedene Mischlingsrasse zwischen Ma-laio-Polynesiern und Melanesiern zn sehen; oder aber anzu-nehmen, wie von der Gabelentz es („Die melanesischen Sprachen", S. 265) als möglich und glaubwürdig bezeichnet, daß die beiden sonst so sehr verschiedenen Stamme doch urverwandt seien. Dieser letztern Annahme steht aber namentlich die große Ver- 372 - Nachtrag II. schiedenheit im Körperbau entgegen, wenigstens vorläufig; sodaß ich meinerseits mich lieber der andern Auffassung hinneige, weil sie durch sich selbst schon zu immer erneuter Untersuchung dieses so wichtigen Problems auffordert, statt in dogmatisch eintheilender Weise eine Lösung desselben gewaltsam herbeizuführen, wie es die entgegengesetzten Meinungen thun würden. Druck von F. A. ViockhnKs in Leipzig. I2«B»II I. v. (iri'cnwii li 4 ^ Q ^ ^ L ^ ^ ^ \, K ^ PALAU-IIsSELir. , MINDANAO ^1 V\ V. V, V\ V. S S Y. Yi M.O1.JIKK K N NEU |C U I N E A 7.u „Srnyer, diePcdau-Insdn.". Maßstab l:t'l,ilS,000L-LJL^^-. J!L ^Jt—^arofr Mtilm,li I" KA.Bro&haus ' (h-oar -artist AnstaH, Ltipy.u^ Druck «on A. A. Vrockliin,« m L>'!pziss,