Guntram A. Plangg CDV 803.0:804 Innsbruck ROMANISCHE RELIKTE IM DREILANDERECK A-CH-1 Wer aus einem Gebiet stammt, in dem sich mehrere Sprachen nach einem lange­ren Abl6sungsprozel3 iiberlagert haben, der griibelt unwillkiirlich manchem Wort und mancher Wendung nach, die man aus dem heutigen Sprachgebrauch nicht er­klaren kann. So findet man im heute deutschsprachigen Montaf6n (Vorarlberg), im Pazndun und Stanzertal (Verwall-und Arlberggebiet), im sog. Oberen Gericht (oberstes Tiroler Inntal) -Nauders -und im oberen Vintschgau (oberstes Etschtal in Siidtirol, Italien) noch in unserer Zeit manche Gemeinsamkeiten mit dem angren­zenden Samndun (Schweiz) und dem ratoromanischen Unterengadin (unteres Schweizer Inntal). Wie eigenwillig die sprachliche Realitat, an der bekanntlich viele Faktoren mitwirken, schlie13lich ausgepragt sein kann, zeigen uns schon die jeweili­gen Talschaftsnamen. Das Montaf6n mda. [muntafll] hat im heimischen niederalemannischen Dialekt Endsilbenbetonung wie auch Pazndun1 , beide mit -ONE gebildet wie iibri­gens auch tir. Samndun (< St. MAGNUS), rtr. Samagnun. Das ist bei mehrsilbigen Namenformen schon ein wichtiger Hinweis auf vordeutsche Herkunft und Ober­nahme bis gegen 1200, obwohl auch deutsch gebildete Namenformen -durch Ober­entaul3erung -im Siiddeutschen nicht selten Endbetonung aufweisen wie Briit­blies, Fara!6ch 2 etc. Der Name Nauders gegeniiber rtr. Danuder gibt wenig Neues her, denn die Diphthongierung von u> au im 12. Jht. (wie auch 1 > di, i1 > du) durch das Bairische3 kennen wir schon aus Paznaun und Samnaun, es sei denn die im Ratoromanischen nicht selten agglutinierte Praposition, die auch Dama!, Du­maist, Dur etc. (dt. Mals, Imst, Eyrs) zeigen4 • Diese Eigenheit des Romanischen 1 Montaf6n ist wohl MONS 'Alpe' + TUBUS 'Tobel, Rinne', vgl. J. Zehrer im Jahrbuch d. Vbger. Landesmus. Vereins 104 (1960) 134. Pazndun zu PUTEUS + INU, das als Ortsname Pazin und als Reliktwort Putzen ergab, vgl. K. Finsterwalder in Jahrbuch d. Osterr. Alpenvereins 80 (1955) 35. Bei O. Stolz, Po/itisch-historische Landesbeschreibung von Tirol I/2 im Archiv f. Osterr. Geschichte 107/2 (1925) 772 ff. "in Patzenun" ohne Diphthong; Belege fiir Gal!Ur, dessen Walser seit 1320 nach Nauders zinsten, da sie zum Unterengadin geh6rten. 2 Vgl. W. Vogt, Vorar/berger Flurnamenbuch I/2, Montafon, Bregenz 1973, Gaschurn Nr. 109, 176: Dt. Breitblies. Fdrnloch. 3 Deutsche Lautverschiebung, Umlaut und Diphthongierung werden seit W. Bruckner fiir eine relative Chronologie herangezogen, insbes. von K. Finsterwalder in ZONF 4 (1929) 228 ff. und in Tiroler Hei­ mat 26 (1962) 82 ff. etc., ebenso von H. Kuen in Ladinia 9 (1985) 19-29. 4 Vgl. K. von Ettmayer, Geographia raetica, in: GRM 2 (1910) 302. Wir zitieren in der Folge abgekiirzt im Text: DRG = Dicziunari rumantsch grischun, bearbeitet von R. von Planta, A. Schorta u.a., Chur 1939 ff., bisher 7 Bde. FISCHER, H. -W. Pfleiderer, Schwiibisches W6rterbuch, Tiibingen 1904-36, 6 Bde. IDIOTIKON = Schweizerisches ldiotikon, W6rterbuch der schweizerdeutschen Sprache, Frauen­ feld 1881 ff. mul3 gestiitzt worden sein durcb den unterscbiedslosen Gebraucb etwa des AD bei der romaniscben Orts-wie aucb der Zielangabe (dt. im/in dem vs. in den Wald) gegeniiber der Unterscbeidung im Deutscben: wo? vs. wohin? mit entsprecbend un­terscbiedlicben Folgekonstrukten5 • Der Vintschgau, friib belegt als Venustica Valli~, bat im ital. Val Ven6sta die alte Betonung auf der Ableitungssilbe, die durcb eine im Lateinischen auffallige Lautfolge (wie einst in Trieste, Este, Imst) die Bewobner scbon in romiscber Zeit als vorromiscb kennzeicbnete: Venostes fiibrt geradlinig zu rtr. Vnuost, allerdings mit der radikalen Kiirzung der unbetonten Silben, die scbliel3licb aucb -aber erstsilben­betont -bei bair. Vinsch(t)gau endet. Dt. Engadin ist dagegen eine Miscbform, ein Kompromil3 zwiscben altem vallis Eniatina a. 930 und bair. Engedein7 , beute oen­gad. Engiadigna, surm.Naschadoina,_ surs. Giadina, im 13. Jbt. aucb Engdina a.a.; der Name bangt mit Aenus bzw. Inn zusammen und wurde als Ableitung von *Eniates 'Inn-Anwobner' (R. von Planta) oder direkt vom keltischen Flul3namen (J.U. Hubscbmied) erklart. Von Grenzen an Wasserscbeiden spiirt man hier wenig, denn das ratoromaniscbe Miinstertal/Miistdir (< MONASTERIUM)8 liegt jenseits des Ofenpasses, das vorromiscbe Nauders (am Stillebacb, nicbt an der Etscb) gebort spracblicb anscbeinend eber zum Vintscbgau, das Samnaun ist balb scbweizeriscb, balb deutscb und war bis vor einigen Jabrzebnten nocb mebrspracbig. Ga/tur < CUL TURA im obersten Paznaun, aucb als Galtyr und Cultaur belegt, aucb Ga/­tura a. 1624 (Stolz 1925, 774) bat nocb beute eigenwillige (bocbalemannische) Wal­serspuren wie aucb das angrenzende innere Montafon9 • JUTZ, L., Vorarlbergisches Worterbuch mit Einschluj) des Fiirstentums Liechtenstein, Wien 1960-65, 2 Bde. KLUGE, F., Etymofogisches Worterbuch derdeutschen Sprache, bearbeitet von E. SEEBOLD, Ber­ lin 22 1989. LUTTA, C.M., Der Dialekt von Bergiin, Halle 1923. PALLIOPPI, Z. und E., Dizionari de/s idioms romantschs d'Engiadin' ota e bassa, Samedan 1895. PEER, O., Dicziunari rumantsch ladin-tudais-ch, Chur 1962. REW = Meyer-Liibke, W., Romanisches etymologisches Worterbuch, Heidelberg 5 1972. RN = Riitisches Namenbuch, hg. von R. von Planta, A. Schorta und K. Huber, Ziirich-Leipzig 1939-86, 3 Bde. SCHATZ, J., Worterbuch der Tirofer Mundarten, hg. von K. Finsterwalder, Innsbruck 1955-56. SCHOPF, J.B., Tirofisches Idiotikon, Innsbruck 1866. 5 Vgl. dazu H. Liidtke, Priipositionen der Orts-, Hohen-und Richtungsbezeichnung im Graubiindner Oberfand, in: RF 66 (1955) 374-378 und Th. Ebneter, Schu' f Schvob 'ins Schwabenland', in: Fak­ten und Theorien, Fs. fiir H. Stimm, Tiibingen 1982, 59-70 sowie ders., Die Adverbien und Priiposi­tionen des Ortes und der Richtung im Romanischen von Vaz/Obervaz, in: ZrP 100 (1984) 387-407. 6 Im 8. Jht. bei Arbeo von Freising erstmals genannt in dieser Form, vgl. O. Stolz, Die Ausbreitung des Deutschtums in Siidtirof im Lichte der Urkunden Bd. IV, 19 f., im 16. Jht. bei Chiampell Vnuest; im lombardischen Veltin schon im 13. Jht. Venosta, ebenso 1283 bei Vintschgauer Notaren; seit 1077 auch in der verdeutschten Form Finsgowe, sogar in Iateinischen Urkunden. Vgl. K. Finsterwalder, Geschichte der Namen -Geschichte der Sprachen im Obervintschgau, in: Jahrbuch des Siidtiroler Kulturinstitutes 5-7 (1965-67) 222-245. 7 Altere Belege K. von Ettmayer 1910, 305 und jetzt iibersichtlich im RN 2, 680 f., Th. Gartner schreibt in seiner Rtr. Gram. 1883, seltener im Handbuch 1910 noch Engedein. 8 Nach RN 2, 764 f. iilter Monasterium Tuberis a. 881, M. quod Duberis dicitur a. 888, dann Tubris a. 1087 und nicht Z-. 9 Vgl. R. Jaufer, Die romanischen Orts-und Ffurnamen des Paznauntafes, Innsbruck 1970, 58 und vor allem das noch ungedruckte Jahrzeitbuch von Bartholomiiberg (15. Jht.). 354 In dem ganzen, relativ bocb gelegenen und nacb drei verscbiedenen Meeren (zu Rbein, Donau, Adria) bin entwasserten Dreiliindereck gibt es eine beacbtlicbe Zabl verbindender Gemeinsamkeiten, die friibere politische Bindungen oder der Reise­und Warenverkebr allein nicbt zu erklaren vermogen. Wabrend im ostlicben Bairi­scben heute das baufigere Wort h6ren zu sein scbeint (Scbatz 301; vgl. Interjektion hearst etc.), das in Tiral und bes. in Vorarlberg meist als 'beenden, aufhoren' verstanden wird (Jutz I, 1443) und in dieser Bedeutung aucb zlad. scute semantiscb abgelenkt bat, verwendet unser Dreilandereck !osen, und zwar gro6teils mit Nasal­einscbub, den icb sonst nur in Randgebieten wie Osttirol oder in Spracbinseln10 als Arcbaismus belegen kann: !osna nacb Jutz 2, 300 f. in Bludenz, Brand, Montafon; lousne(n) nacb Scbatz 396 im Oberinntal1 1, aber nicbt im Vintscbgau, wie mir Heimiscbe sagen. Nacb dem Idiotikon 3, 1446 ist diese Variante in der Scbweiz nicbt zu belegen. Das Verb /osen 'borcben, lauscben, zuboren' ist natiirlicb in einem weit gro­Beren Gebiet vertreten, wie aucb der Flurname Lusa12 zeigt, aber die "doppelte" In­finitivbildung13 bat regional engeren Indizienwert und spricbt zumindest fiir Zu­sammenbang, abnlicbe Grundlagen und gleicbartige Entwicklung in neuerer Zeit. Aus diesem Verband fallt am ebesten der Vintscbgau, der nur langsam und relativ spat, wobl von Meran und Scblanders ber, seine neue siidbairiscbe Umgangsspracbe iibernommen bat14 . Wenn wir auf die nacbste Spracbscbicbte zuriickgeben, namlicb auf das Rato­romaniscbe, so stellt dieses im Engadin nocb immer die Haus-und Umgangsspracbe dar, neben der aber fast alle Heimiscben aucb das Deutscbe (zumindest Scbweizer­deutscb) und die meisten aucb Italieniscb beberrscben. In meiner Heimatmundart (Biirs/Bludenz, siidlicber Walgau in Vorarlberg) gibt es nun eine ganze Reibe von 10 Vgl. lisnen (kiirtn. Grenze) Schopf 393, nach eigenen Aufnahmen auch im Paznaun ab See: W. Tschinkel, Worterbuch der Gottscheer Mundart, Wien 1973/76, Bd. 2, 28: !osen und liisnen, Sappa­da lfsnen zu ahd. hlusinon. 11 In den Mundartgedichten von L. Henziger, /m Oberlond douba, Innsbruck o.J., fiir Paznaun bzw. Landeck toosna 161, glousnat 139; auch im Stanzertal gilt lousna. 12 Vgl. RN 2, 454 Losi, auch bei W. Vogt, Vbger. Flurnamembuch 112, Silbertal (Montafon) Nr. 380 f. etc.; iihnlich auch lus m. 'durch das Los bestimmter Anteil an Grund und Boden' sowie Luss f. 'Lauer (der Jager)' nach Idiotikon 3, 1455. 13 Kurze Verba werden nicht selten auf diese Weise "verliingert" wie etwa tir. mienen' 'miihen', Schatz 434, oder im Inntal dann dran(en), Schatz 132; vgl. auch J. Schatz, Die Mundart von lmst, StraBburg 1897, 25. Gegen einen durch Randlage bedingten Archaismus spricht der Tonvokal, der auf ahd. hlo­sen verweist. Auch K. Finsterwalder nimmt in diesem Gebiet "sprachliche Eigenschopfungen" an, be­legt mit parg 'Berg' etc., Tiroler Ortsnamenkunde I, Innsbruck 1990, 12. 14 Unhaltbar sind allerdings die SchluBfolgerungen, die E. Gamillscheg aus einigen wenigen Vintschgau­er Namen ableiten will, vgl. Die romanischen Namen des Untervintschgaus, in: Festschrift zum 19. Neuphilologentag, Berlin 1924, 34-59. Die Bedeutung des Verkehrs im Mittelalter erhellt der wichti­ge Aufsatz von O. Clavadetscher, Flurnamen als Zeugen ehemaligen Konigsgutes in Riitien, in: Die Alpen in der europiiischen Geschichte des Mittelalters, Konstanz-Stuttgart 1965, 141-158 (= Vor­triige und Forschungen, 10). Zwischen der Ubernahme von rtr. Dorfnamen ins Deutsche und dem Wechsel der Umgangssprache liegt meist eine lange Periode der Zweisprachigkeit, wie die Urkunden oder auch der Sprachgebrauch im Engadin belegen. Verba, die nicht aus dem Deutschen kommen konnen und die im Engadin sehr ahn­lich klingen. Ein prfascha 'Briillen (bes. der hungrigen Kuhe)' kommt sicher von bargirund nicht aus einem nordlichen mnd. bresch 'Krach, Gebriill' (Jutz 1, 450), wie die enge, sehr spezifische Bedeutung und der Lautstand ziemlich sicher beweisen. Das Reliktwort, im Ratoromanischen mit erweitertem Prasens (inchoatives -ISC-in der 1.-3. Pers. Sing. und 3. Pers. Plur., also bargescha nach Lutta 186), wurde beim Sprachwechsel offenbar in der Lautgestalt dieser haufigen Personalformen iibernommen und nicht etwa in der des Infinitivs. Es ist von *BRAGIRE (REW 1261) auszugehen, das leider im DRG erst unter sbragir behandelt werden wird, und REW 1038 brietsche ist zu streichen15 • Das Relikt beweist Kontinuitat und Kontakte in der miindlichen Sprachform gerade im Bereich und Gebrauch von verbalen Dia­logformen, die auch bei anderen semantisch vergleichbaren Verba zu beobachten sind. Ein griizen 'zorniges Weinen, Schreien der Kinder, auch der Schweine beim Schlachten' (Jutz 1, 1235; Idiotikon 2, 835) hat dagegen als Erbwort einen viel wei­teren Geltungsbereich, wie auch Fischer (4, 663 zu kriichzen) und Kluge-Seebold (408) nahelegen. Das erweist sein ungleich groBerer Bedeutungsumfang und die we­niger spezifische Bedeutung ebenso wie die geographische Verbreitung, denn griizen gilt auch im Rheintal, am Bodensee etc. Nicht so klar liegt der Sachverhalt bei ande­ren Verba fiir 'weinen' wie etwa vbg. riira, pliira, briegga, bella. Wenn Verba fiir eine "horbare" Tatigkeit besonders leicht onomatopoetisch abgelenkt werden, dann miiBte das auch fiir alemannische Verba gelten. Ein anderes Verb, das aus einem ahnlichen semantischen Bereich kommt, ist schwerer zu beurteilen: ronschen (Jutz 2, 754) 'unruhig auf seinem Sitz herumwet­zen; sich im Bett walzen' (Frastanz, Bludenz, Gisingen); 'sich miiBig herumtreiben' (Thal-Sulzberg). Diese Angaben sind ungenau und ergeben kein klares Bild; sie zeigen iiberdies, daB etymologische Vorstellungen auch die Wortbe­schreibung beeintrachtigen konnen, ohne daB es dem Lexikologen iiberhaupt be­wuBt geworden sein diirfte. Das Zeitwort ronsche ist mir von meinem Heimatdialekt her gelaufig, wird im Walgau [rgnža] gesprochen und meint primar 'Gerausch und die Bewegung der Kiihe, die sich am Barn, an einem Pfosten etc. reiben', fig. dann auch 'Herumwetzen der Kinder', wie Jutz 2, 754 anfiihrt. Er ging jedoch von der mar­ginalen, schon abgeleiteten und abgelenkten Bedeutung 'sich miiBig herumtreiben' aus, die nur im Unterland (als rontschen) zu belegen ist und die vam hereinwirkenden dt. ranzen kommen diirfte (Jutz 2, 645 f.;Kluge-Seebold 581). Im Walgau wird das Verb nicht mit stimmloser Affrikate, sondern mit dem stimmhaf­ten Reibelaut -ž-gesprochen, einem romanischen Reliktphonem, und es hat eine andere, sehr enge Bedeutung: Es geht daher primar um ein anderes Wort und um die im Sprachkontakt haufige Konvergenz. Die Bezugssphare (Stall, Kinderstube), 15 Vgl. DRG 2, 178 bargentar und DRG 2, 314 berglir, das auch hier semantisch hereinspielen diirfte. die Lautform und die Verbreitung sprechen ganz eindeutig fiir ein ratoramanisches Reliktwort. Am ehesten ist von engad. ruojer 'beiBen, nagen' auszugehen, das in Oberitalien wie auch im Ratoramanischen mehrfach vertreten ist (vgl. REW 7358 RODERE und 7380 *ROSICARE). Das -n-ist entweder aus dem falsch redressierten Langvokal oder iiber EinfluB von ruogna 'Raude, Kratze' (Pallioppi 626) zu er­klaren, das im Unterengadin als altes ratoromanisches Lehnwort gruscha 'Kratze' < langob. *hrudia hereinwirken konnte (DRG 7, 885 ff. und RN 2, 173). J. Jud (VR 7, 88) nennt dazu umerusche 'umherkriechen, -rutschen' (Obersaxen) aus dem Walser Adstrat. Auch (Ofa)rusche n. 'Ofenkriicke', nach Jutz 2, 794 f. und C. Matzler16 sicher ein Reliktwort, wie engad. ruschen 'Schiireisen' (Peer 404) zeigt, gehOrt lautlich wie auch begrifflich in diesen Bereich17 • Das tir. rueschn 'raschelnd herumsuchen; iibereilt arbeiten', dazu riesch(e)n (Pustertal, Etsch, Defreggen nach Schatz 495) 'den Backofen auskratzen, reinigen' und das Ubertragen auf lebhafte Kinder stimmt semantisch recht gut zu furL rosed 'suchen'. Den Ubergang bildet rudie oder ruzie 'radere, rosicchiare' im Comelico18 , das auch den stimmhaften Reibelaut recht plausibel macht, der im ostlichen siidbairischen Tiral dann stimmlos werden muB. Ein weiteres Verbum, das iiber heutige Landesgrenzen hinausreicht, aber meist mit dem Hinweis auf seine lautmalende Form nicht naher auf seinen Ursprung und die weiteren Zusammenhange untersucht wird, ist pfiifa 'fauchen'. Es gibt in Vorarlberg neben sehr ahnlich klingendem pfikhen19 , das von Jutz 1, 344 fiir das ganze Unterland und den Vorderwald belegt wird als 'fauchen, zischen (von Kat­zen, Gansen), Gerausch des entweichenden Dampfes, des heiBen Eisens beim Abschrecken', auch die Variante pfufa (Jutz 1, 345). Diese hat eine merklich ver­schiedene Bedeutungsstruktur von der erstgenannten Form und meint zuerst 'zornig aufbrausen (von Menschen)', bes. an-, dann 'keuchen, schwer atmen (von beleibten Personen etc.)'. Fiir Lustenau wird auch pfumpfe angegeben, das Interferenzen und Spielformen im Randgebiet unter dem Kummenberg verdeutlicht. In Tiral finde ich pfiife 'fauchen, blasen' (Paznaun, Stanzertal), das auch dem Oberen Gericht nicht fremd sein kann wegen Pfiiferle n. 'leicht hingewehter Schnee' (Prutz), beides bei Schatz 75. Daneben gibt es mehrere mit fauchen ver­bundene Intensivformen wie pfuchezn (Tux) 'zischend aufbrausen', pfuehezn (Tux) 'sich schnaubend vom Gestank abwenden' (Schatz 75) mit dem fiir Tiral bezeichnenden Ergebnis von germ. -atjan > bair. -ezn (Henzen 1965, 226 ff.). 16 Romanisches Wortgut in den Mundarten Vorarlbergs, Innsbruck 1968, 41. Weiterfiihrend ist E. Ga­ briel, Die alemannisch-bairische Sprachgrenze am Arlberg, in: Alem. Jahrbuch 1971/72, 239-60, wo insbesondere vorr6mische Relikte behandelt werden. 17 Das Verbum hat sicher nichts zu tun mit gall. *rusca 'Baumrinde', REW 7456, wie H. Klausmann und T. Krefeld in Raetia antiqua et moderna, Fs. fiir Th. W. Elwert, Tiibingen 1986, 127 vermuten, ebenso wenig mit rtr. rusna 'Loch', vgl. RN 2, 286. Der Aufsatz gibt Wortkarten aus unserm Gebiet. 1a Vgl. E. de Lorenzo Tobolo, Dizionario del dialetto ladino di Comelico Superiore, Bologna 1977. Auch W. Th. Elwert, Die Mundart des Fassa-Tals, Wiesbaden 2 1972, 220 als ruser 'kratzen'. 19 Zu den deutschen Jterativbildungen etwa W. Henzen, Deutsche Wortbildung, Tiibingen 3 1965, An­ lautverstarkung bes. 213. Man sagt auch umgangssprachlich gleich pfupfauf sein fiir 'leicht zornig werden'. In Siidvorarlberg muB man pfUJa 'keuchen', auch 'fauchen (von Tieren, dgl. fig.)' von pfucha mit der Intensivform pfUJzga 'fauchen', fig. 'jdn. anfahren' trennen20 • Die Wortbildung allein vermag nicht zu erklaren, warum in der einfachen Grundform eh durch f ersetzt wurde, denn die Konsonantenfolge ist sicher sekundar und auch expressiv bed!ngt. Es gibt aber auch noch den Aspekt der Umsetzung in ein anderes Phonemsystem, der bei Hereinwirken eines romanischen Reliktwortes wie bzifa in unserem Dreilandereck nicht iibersehen werden darf. Im Ratoromanischen des Engadins gibt es offenbar boffer 'stark Atem holen, keuchen; blasen' nach Pallioppi 110, das wie ital. buffare urspriinglich mit dem expressiven, bezeichnenden b-f gebildet sein diirfte21 • Wenn ein deutsch­romanischer Zusammenhang besteht, was zu vermuten ist, dann ist der romanische Anlaut b-unter lautmalendem (bairischem ?) EinfluB zu bf-, pf-geworden; dies ent­spricht aber nicht der regelrechten Umsetzung. Eine gewisse Zweigleisigkeit kann hier in der Entsprechung von f-liegen, das in unserem Gebiet haufig als pf-auf­scheint wie in vbg. Pfo(n) m (Jutz I, 962 f.) <'X':'1--.t.1> ,!t-..­_,..\~~~taA o ·~....·-· ~ o .2 ti 6 Skm Q t "?t-x-.t, ~ o „"+-, '-· ' ,f ~ -x-x-><-heulige Staahgrenie :r,x>°""'" ~ ./'\ <'./ •• 0 Mc>iehfeld heufi9e~ rO.lorom. T ·, ,• 0 Me>lci•s :i( t" ~ lsdtl ~ $prachgebiet _,. t ' ~ ..... "' • < , .,·~ p ) -··1~ ' 1 ,,. r # J>f~·d> q ' """ i > ...... [ ... •o Uosge!. o.Sattino.un « •. "-.,. /# ' \.1 "'.1> ~'i'..,x-11< ~ ...,.->! ~ ..'..,. q • / ..... ""'· „ 1-·-',­ 1.......„ . • • "' 1 • ,._,.,, '-4-'° 1 \ " /' "-·~>< .,1 /f.-hJ' "-~,,-....:::-Marti• \,. +-Chur ""' " ~.-;,.~'-... \ ,-.t_.lc'-„..-1' 0 \ Nawi.e" X "-.."-..~ >< ,""-""-15thli.ii ~<'-"-""'~ "-' ,, ~nf1·q„ rL